Der literarische Kampf um den Arbeiter: Populäre Schemata und politische Agitation im Roman der späten Weimarer Republik 9783110465839, 9783110468434, 9783110467796

In the years 1930–1933, the NSDAP competed with the Communist Party to win over a broad target audience: the workers. Li

211 104 4MB

German Pages 525 [526] Year 2016

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Dank
Einleitung
1 Populäre Schemata und politische Agitation
1.1 Schematheoretische Grundlagen der mentalen Verarbeitung von Texten
1.2 Zum Verhältnis von Kognition, Sprache, Politik und Literatur
1.3 Literarische Strategien populärer Schemata
1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane
1.4.1 Elemente des Zeitromans
1.4.2 Elemente der Abenteuerliteratur
1.4.3 Elemente des Entwicklungsromans
2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane
2.1 Literaturpolitische Hintergründe innerhalb des kommunistischen Umfelds
2.1.1 Revolutionäres Konzept – Der Rote Eine-Mark-Roman
2.1.2 „Reportage oder Gestaltung?“ – Literaturpolitische Debatten um die Roten Eine-Mark-Romane
2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld
2.2.1 Anknüpfung an Altbewährtes – Völkisch-nationaler Kriegsroman und Schunddebatten
2.2.2 ‚Literatur der Organisationen‘ – Funktionale ‚Kampfzeitliteratur‘ oder zersetzendes ‚Konjunkturschrifttum‘?
3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter
3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik
3.1.1 Zur Bedeutung der Zeitungslektüre im Arbeiterumfeld
3.1.2 Lektürebudgets der Arbeiter und Preisgestaltung der Romane
3.1.3 Lektüreverhalten der Arbeiter in der Weimarer Republik
3.1.4 ‚Masse gleich Klasse?‘ – Zu den Distributions- und Wirkungsbedingungen der Roten Eine-Mark-Romane
3.1.5 Auflagenentwicklung der nationalsozialistischen Romane von der Weimarer Republik bis ins ‚Dritte Reich‘
3.1.6 Wirkungspotenzial der Romane in der Weimarer Republik vor dem zeitgenössischen Hintergrund des Generationendiskurses
3.1.7 Zusammenfassung
3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren über die Weimarer Republik hinaus
3.2.1 Unterschiedliche Rezeption der Roten Eine-Mark-Romane im geteilten Deutschland
3.2.2 Kontinuität der nationalsozialistischen Autoren im Nachkriegsdeutschland
4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation
4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes
4.1.1 Die konstruktivistisch beeinflusste Covergestaltung der Roten Eine-Mark-Romane
4.1.2 Die Buchgestaltung der nationalsozialistischen Romane zwischen Tradition und modernem Buchäußeren
4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext
4.2.1 Anzeigen- und Plakatgestaltung für die Roten Eine-Mark-Romane
4.2.2 Anzeigen- und Werbebroschürengestaltung im nationalsozialistischen Umfeld
5 Analyse ausgewählter Romane
5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen – Ein spezifisches Mischverhältnis mit politischem Gebrauchswert
5.1.1 „Prawda heißt Wahrheit“ – Authentizitätsansprüche und Intertextualität im Roten Eine-Mark-Roman
5.1.2 Beumelburgs ‚sachliches Pathos‘ – Grauen des Krieges und ‚gelebte Kameradschaft‘
5.1.3 Berlin als exemplarisch verdichteter Austragungsort ideologischer Kämpfe am Beispiel von Der Hitlerjunge Quex
5.1.4 Pseudorevolutionäres Sozialpathos in Vieras‚ Konjunkturromanen‘
5.1.5 Soziale Harmonisierungstendenzen und Repräsentationsanspruch in Der Hitlerjunge Quex
5.1.6 Ideologisch motivierte Erzählperspektiven – ‚Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters‘?
5.1.7 Zusammenfassung: ‚Nationalsozialistischer Realismus‘ ungleich ‚sozialistischer Realismus‘ – Eine Absage an totalitarismustheoretische Interpretationen
5.2 Vergleichende Gegenüberstellung der Plotstrukturen aus der Perspektive populärer Schemata
5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ – Personengestaltung als Ausdruck eines bipolaren Weltbildes
5.3.1 Exklusives Gruppenbewusstsein – Kameradschaft als ideal(isiert)es Gesellschaftsmodell?
5.3.2 Helden und Märtyrer als Vorbilder für ‚neue Menschen‘ auf dem Weg in eine ‚neue Zeit‘
5.3.3 Feinde und Verräter als ‚Mächte des Bösen‘
5.3.4 ‚Noch ist es nicht zu spät…‘ – Konversionsfähige Gegner
5.3.5 Frauen und Familie – ‚Kampfgefährt(inn)en‘ oder „Hemmschuh“?
5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane
5.4.1 ‚Begriffe besetzen‘ – Zur ideologischen Vereinnahmung von ‚Arbeit(er)‘ und ‚Kampf‘
5.4.2 Der ‚gerechte Krieg‘ und Partikularmoral
Schluss
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Anhang
Personenregister
Recommend Papers

Der literarische Kampf um den Arbeiter: Populäre Schemata und politische Agitation im Roman der späten Weimarer Republik
 9783110465839, 9783110468434, 9783110467796

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Michaela Menger Der literarische Kampf um den Arbeiter



Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur

Herausgegeben von Norbert Bachleitner, Christian Begemann, Walter Erhart und Gangolf Hübinger

Band 145



Michaela Menger

Der literarische Kampf um den Arbeiter

Populäre Schemata und politische Agitation im Roman der späten Weimarer Republik



Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die inneruniversitäre Forschungsförderung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 05 Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2014 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.

ISBN 978-3-11-046583-9 e-ISBN [PDF] 978-3-11-046843-4 e-ISBN [EPUB] 978-3-11-046779-6 ISSN 0174-4410 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen ­Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: fidus Publikations-Service GmbH, Nördlingen Druck: CPI ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com



Inhaltsverzeichnis Dank 

 VIII

Einleitung 

 1

 12 1 Populäre Schemata und politische Agitation  1.1 Schematheoretische Grundlagen der mentalen ­Verarbeitung von Texten   13 1.2 Zum Verhältnis von Kognition, Sprache, Politik und Literatur    19 1.3 Literarische Strategien populärer Schemata   28 1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der ­untersuchten Romane   35 1.4.1 Elemente des Zeitromans   39 1.4.2 Elemente der Abenteuerliteratur   46 1.4.3 Elemente des Entwicklungsromans   58  68 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane  2.1 Literaturpolitische Hintergründe innerhalb des ­kommunistischen Umfelds   71 2.1.1 Revolutionäres Konzept – Der Rote Eine-Mark-Roman   71 2.1.2 „Reportage oder Gestaltung?“ – Literaturpolitische Debatten um die Roten Eine-Mark-Romane   77 2.2 Literaturpolitische Hintergründe im ­nationalsozialistischen Umfeld   84 2.2.1 Anknüpfung an Altbewährtes – Völkisch-nationaler Kriegsroman und Schunddebatten   96 2.2.2 ‚Literatur der Organisationen‘ – Funktionale ‚Kampfzeitliteratur‘ oder zersetzendes ‚Konjunkturschrifttum‘?   106 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter   114 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik   116 3.1.1 Zur Bedeutung der Zeitungslektüre im Arbeiterumfeld   117 3.1.2 Lektürebudgets der Arbeiter und Preisgestaltung der Romane   120 3.1.3 Lektüreverhalten der Arbeiter in der Weimarer Republik   124 3.1.4 ‚Masse gleich Klasse?‘ – Zu den Distributions- und Wirkungsbedingungen der Roten Eine-Mark-Romane   132 

VI 

 Inhaltsverzeichnis

3.1.5 Auflagenentwicklung der nationalsozialistischen Romane von der Weimarer Republik bis ins ‚Dritte Reich‘   138 3.1.6 Wirkungspotenzial der Romane in der Weimarer Republik vor dem zeitgenössischen Hintergrund des Generationendiskurses   144 3.1.7 Zusammenfassung   154 3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren über die Weimarer Republik hinaus   157 3.2.1 Unterschiedliche Rezeption der Roten Eine-Mark-Romane im geteilten Deutschland   158 3.2.2 Kontinuität der nationalsozialistischen Autoren im Nachkriegsdeutschland   167  181 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation  4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes   183 4.1.1 Die konstruktivistisch beeinflusste Covergestaltung der Roten EineMark-Romane   185 4.1.2 Die Buchgestaltung der nationalsozialistischen Romane zwischen Tradition und modernem Buchäußeren   201 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext   230 4.2.1 Anzeigen- und Plakatgestaltung für die Roten Eine-MarkRomane   232 4.2.2 Anzeigen- und Werbebroschürengestaltung im nationalsozialistischen Umfeld   246  261 5 Analyse ausgewählter Romane  5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen – Ein spezifisches Mischverhältnis mit politischem Gebrauchswert   261 5.1.1 „Prawda heißt Wahrheit“ – Authentizitätsansprüche und Intertextualität im Roten Eine-Mark-Roman   262 5.1.2 Beumelburgs ‚sachliches Pathos‘ – Grauen des Krieges und ‚gelebte Kameradschaft‘   268 5.1.3 Berlin als exemplarisch verdichteter Austragungsort ideologischer Kämpfe am Beispiel von Der Hitlerjunge Quex   276 5.1.4 Pseudorevolutionäres Sozialpathos in Vieras ‚Konjunkturromanen‘   284 5.1.5 Soziale Harmonisierungstendenzen und Repräsentationsanspruch in Der Hitlerjunge Quex   288



Inhaltsverzeichnis 

 VII

5.1.6 Ideologisch motivierte Erzählperspektiven – ‚Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters‘?   291 5.1.7 Zusammenfassung: ‚Nationalsozialistischer Realismus‘ ungleich ‚sozialistischer Realismus‘ – Eine Absage an totalitarismustheoretische Interpretationen   302 5.2 Vergleichende Gegenüberstellung der Plotstrukturen aus der Perspektive populärer Schemata   308 5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ – Personengestaltung als Ausdruck eines bipolaren Weltbildes    325 5.3.1 Exklusives Gruppenbewusstsein – Kameradschaft als ideal(isiert)es Gesellschaftsmodell?   335 5.3.2 Helden und Märtyrer als Vorbilder für ‚neue Menschen‘ auf dem Weg in eine ‚neue Zeit‘   349 5.3.3 Feinde und Verräter als ‚Mächte des Bösen‘   371 5.3.4 ‚Noch ist es nicht zu spät…‘ – Konversionsfähige Gegner   389 5.3.5 Frauen und Familie – ‚Kampfgefährt(inn)en‘ oder „Hemmschuh“?   399 5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane   419 5.4.1 ‚Begriffe besetzen‘ – Zur ideologischen Vereinnahmung von ‚Arbeit(er)‘ und ‚Kampf‘   420 5.4.2 Der ‚gerechte Krieg‘ und Partikularmoral   435 Schluss 

 449  459

Literaturverzeichnis  Abbildungsverzeichnis  Anhang 

 491

 495

Personenregister 

 512



Dank Ohne die ideelle wie finanzielle Unterstützung vieler Personen und Institutionen hätte die vorliegende Publikation nicht entstehen können. Mein besonderer Dank gilt Prof. Andreas Solbach, der das Promotionsprojekt in allen Phasen nachhaltig unterstützt und gefördert hat sowie jederzeit ansprechbar war. Ich danke ihm für lange Gespräche, fachlichen wie menschlichen Rat, sein Vertrauen in meine Arbeit und mein Projekt, den steten Zuspruch sowie für die zahlreichen individuellen Freiräume, die er mir während des Schaffensprozesses gewährte. Prof. Bernhard Spies danke ich für das Zweitgutachten und für seinen freundlichen Rat, Prof. Dietrich Scholler für das interdisziplinäre Interesse an meiner Arbeit. Mein Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den zahlreichen Bibliotheken und Archiven, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Allen voran Hermann Staub vom Historischen Archiv des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., der die Prospektsammlung für Recherchen zur Verfügung stellte und dessen große Unterstützung bei der Materialerschließung der Epitexte unentbehrlich war. Meinem Kollegen Matthias Müller danke ich für die interessierte Lektüre der ersten drei Kapitel des Manuskriptes, meiner Schwester Madeleine ganz besonders dafür, dass sie nahezu die komplette Arbeit Korrektur gelesen hat. Zudem bedanke ich mich bei allen, die aus Interesse das ein oder andere Kapitel des Manuskriptes gelesen haben. Wesentliche finanzielle Unterstützung erhielt das Promotionsprojekt durch ein zweijähriges Promotionsstipendium der Stipendienstiftung Rheinland-Pfalz, das konzentriertes und intensives Arbeiten ermöglichte. Einen finanziellen Zuschuss zu den Druckkosten gewährte die inneruniversitäre Forschungsförderung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Beiden Institutionen sei dafür sehr gedankt. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur. Seitens des Verlages gilt mein Dank Dr. Anja-Simone Michalski, Stella Diedrich und Andreas Brandmair, die zur Buchwerdung des Manuskriptes beigetragen und das Projekt mit viel Engagement betreut haben. Meine Familie und meine Freunde haben mich durch alle Höhen und Tiefen im Promotionsprozess menschlich begleitet. Ihnen danke ich ganz herzlich für ihre Rücksicht, die notwendige Zerstreuung und für ihre unverzichtbare Hilfe in alltäglichen Dingen.



Einleitung Bipolare Schwarz-Weiß-Schemata, die unmissverständlich deutlich machen, mit welch ausschließlichem Anspruch auf Deutungshoheit und Macht der Sprecher auftritt und oberflächlich betrachtet recht simpel strukturiert wirken, bergen – je nach Kontext  – durchaus komplexe Wirkungs- und Deutungsmechanismen. Insbesondere im zeitgeschichtlichen Zusammenhang der Endphase der Weimarer Republik, in der sich eine zusehende Radikalisierung des Parteienspektrums abzeichnet, kommen eingängige Slogans im Rahmen der oftmals hochgradig schematisch organisierten Kommunikation in den bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zum Einsatz – einerseits, um appellativ Mitglieder zum Kampf aufzurufen, andererseits, um alle diejenigen rigoros auszugrenzen, die sich aus unterschiedlichen Gründen dem parteipolitischen Kampf nicht anschließen (können). Dabei konkurrieren die links- wie rechtsextremistischen Parteien, NSDAP und KPD, primär um eine breite Zielgruppe: den Arbeiter. Dass im Kontext der Weimarer Republik politische Auseinandersetzungen nicht nur auf der Straße oder in Parteiversammlungen ausgetragen werden, zeigt das Konzept der Literatur als ‚Waffe‘ (vgl. dazu insbesondere Kapitel 2), dessen sich beide Parteien bedienen und das den Kampf um den Arbeiter auch auf den Bereich der Belletristik ausdehnt. Genau diesem literarischen ‚Kampfschauplatz‘ widmet sich die vorliegende Arbeit und untersucht den Zusammenhang von populären Schemata der Unterhaltungsliteratur und deren Nutzbarmachung zur Agitation von Arbeitern durch links- wie rechtsextreme Kräfte im Kampf um die politische Macht in der Endphase der Weimarer Republik. Es geht dabei jedoch keinesfalls um eine vereinfachende und verkürzende Parallelsetzung zwischen nationalsozialistischen und kommunistischen Agitationsformen. Die Arbeit soll vielmehr eine differenzierte Sicht auf den operationalen Einsatz von popularisierter politischer Gebrauchsliteratur bieten und die ihr inhärenten Wirkungsweisen und -mechanismen vermitteln. Im Fokus steht dabei die Relation zwischen dem zeitgenössischen proletarischen Alltag und seiner literarisierten Darstellung in Form von Agitationsliteratur, die seitens der NSDAP wie KPD literaturpolitisch explizit gefordert und gefördert wurde. Um dem operational angelegten Charakter dieser Literatur, die der Vermittlung der je spezifischen Weltanschauung dient, gerecht zu werden, gilt es aus durchaus unterschiedlichen Perspektiven (beispielsweise die der Literaturpolitik und ihrer theoretischen Konzepte einerseits sowie die der intendierten Zielgruppe der Arbeiter und somit der potenziellen Rezipienten und ihrer Lesepraxis andererseits) einen Blick auf den Untersuchungsgegenstand zu richten. Nur so kann DOI 10.1515/9783110468434-001



2 

 Einleitung

diese Art von Agitationsliteratur in ihrem sozialgeschichtlichen Wirkungszusammenhang angemessen erfasst und untersucht werden. Dies impliziert auch, das Blickfeld interdisziplinär zu erweitern: Eine Arbeit, die sich populären Schemata widmet, kommt nicht umhin, sich mit dem Schemabegriff und dessen Nutzbarmachung für die politische Mobilisierung auseinanderzusetzen. Hier streift die Arbeit den Bereich der Kognitionswissenschaft und Psycholinguistik, deren Erkenntnisse seit noch nicht allzu langer Zeit im Rahmen einer kognitionswissenschaftlich orientierten Literaturwissenschaft auch für literarische Zusammenhänge erschlossen werden. Wie die Schemata der Unterhaltungsliteratur ein gezieltes Hervorrufen und Steuern von Affekten ermöglichen, die sich auch für politische Zwecke hervorragend funktionalisieren lassen, um den Leser hin zur Umsetzung der politischen Agitationsziele zu lenken, zeigt das erste Kapitel. Die Untersuchung bezieht sich nicht nur mit den interdisziplinär anwendbaren kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen zur schematischen Kommunikation, sondern auch mit dem Themengebiet der populären Literatur auf innerhalb der Germanistik relativ junge Forschungsfelder. Sie soll zeigen, dass beide Ansätze sich nicht nur auf aktuelle Bestsellerliteratur übertragen lassen, sondern sich durchaus nutzbringend auf das Konzept der mit Mitteln der Unterhaltungsliteratur popularisierten, operativ angelegten politischen Gebrauchsliteratur der Weimarer Republik anwenden lassen. Natürlich müssen dazu verstärkt soziohistorische und politische Aspekte beachtet werden, die die Spezifik dieser Literatur prägen; solcherart eröffnen sich aber durchaus auch über die Germanistik hinaus im mentalitätsgeschichtlichen sowie sozialwissenschaftlichen Bereich neue Einblicke in die Konstruktion von Feindbildern und kollektiven Identitäten, in soziale Abgrenzungsmechanismen und die soziokulturellen Verfahren politischer Agitation und Propaganda vor der zeitgenössischen Folie der Weimarer Republik. Wie die NSDAP und die KPD in den unter ihrer Federführung entstandenen Romanen strategisch geplant und aus dem je eigenen ideologischen Blickwinkel die Arbeiterkämpfe, das Elend in den Arbeitervierteln, den Zusammenprall von Kommunisten und Nationalsozialisten sowie die Erlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg, die ein Großteil der Arbeiter aus eigener Erfahrung (un-)mittelbar nachvollziehen konnte, inszenieren, soll anhand ausgewählter Romane aus dem links- wie rechtspolitischen Lager exemplarisch untersucht und veranschaulicht werden. Bewusst wird dazu das Korpus der untersuchten Romane auf den Entstehungszeitraum in der Endphase der Weimarer Republik (1930–1933) beschränkt, da die Zuspitzung der politischen Lage durchaus erwarten lässt, dass vereinfachende Schematisierungen der immer disparater und unüberschaubarer gewordenen Alltagswelt in Form von Agitationsliteratur, die einen klaren Orientierungsrahmen bietet, durch die literaturpolitischen Instanzen von KPD und NSDAP in dem 

Einleitung 

 3

genannten Zeitraum zusehends forciert wurden. Dies geschah insbesondere mit dem Ziel, sozial wie wirtschaftlich deprivierten Arbeitern eine (parteipolitisch geprägte) Perspektive aufzuzeigen, in der als einziger Weg zur Verbesserung der Lebensumstände das politische Engagement und die ‚Revolution‘ der politischen Verhältnisse, d. h. der Umsturz der Weimarer Parteiendemokratie, dargestellt wurden. Mit diesem jeweils parteipolitisch verengten Blickwinkel waren natürlich konkrete Handlungsanweisungen und parteiliche Direktiven an den Arbeiter verbunden – der unter Einsatz von Leib und Leben für die Etablierung einer neuen, ideologisch geprägten ‚Weltordnung‘ kämpfen sollte. Für die exemplarische Analyse und die Darstellung der Funktionsweise von populären Schemata wurden vor allem im Bereich der linken Agitationsliteratur Werke ausgewählt, die innerhalb der germanistischen Forschung bisher nur marginal und unter anderer Schwerpunktsetzung untersucht wurden. Es handelt sich um Bände aus der vom Internationalen Arbeiter-Verlag (IAV) von 1930–1933 herausgegebenen zehnbändigen Reihe der Roten Eine-Mark-Romane. Stehen vor allem in Kapitel 2 die ambitionierte Gesamtkonzeption der Reihe und die Kontroversen um ihre Gestaltung im Vordergrund, so widmet sich insbesondere die ausführliche Analyse unter Kapitel 5 ausgewählten Romanen. Diese spiegeln einerseits charakteristische Darstellungsweisen und inhaltliche Tendenzen der Reihe wider, andererseits sind sie dazu geeignet, im Vergleich mit Beispielen aus der national(sozial)istischen Literatur Unterschiede und Gemeinsamkeiten der jeweiligen popularisierenden Gestaltungsweisen und -ziele aufzuzeigen, ohne eine vereinfachende Gleichung im Sinne von ‚rot = braun‘ aufzustellen, die den Sachverhalt vollkommen verfehlen würde. Die Auswahl des Romankorpus begründet sich vor diesem Hintergrund folgendermaßen: Sturm auf Essen1 (1930) von Hans Marchwitza ist als erster Band der Reihe charakteristisch für die Darstellung der damals jüngst vergangenen Arbeiterkämpfe. Das Buch schildert den Kampf der klassenbewussten Arbeiter gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch und appelliert an die Fortführung der beispielhaften Klassenkämpfe in der Gegenwart. Während in Sturm auf Essen der Privatbereich eher die Hintergrundkulisse für die politischen Kämpfe bildet, thematisiert Walter Schönstedt im achten Band der Reihe, Kämpfende Jugend2 (1932), explizit die Verbindung zwischen sozialer Lage, privaten Belangen und politischem Engagement. Er schildert die alltäglichen Kämpfe der Jugendlichen der Nostitzstraße aus

1 Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Die Kämpfe der Ruhrarbeiter gegen Kapp, Watter und Severing. Reprint der Originalausgabe von 1930. Köln 1976. 2 Walter Schönstedt: Kämpfende Jugend. Roman der arbeitenden Jugend. Reprint der Originalausgabe von 1932. 4. Auflage. Berlin 1976.



4 

 Einleitung

unterschiedlichen Perspektiven. Insbesondere die Wandlung von apolitischen oder gar nationalsozialistisch gesinnten Jugendlichen zu Kommunisten in Kämpfende Jugend findet im nationalsozialistischen Roman von Karl Aloys Schenzinger Der Hitlerjunge Quex3 (1932) seine spiegelverkehrte Entsprechung. Auch hier spielt die Struktur der Konversion  – in diesem Fall vom im kommunistischen Umfeld sozialisierten Heini Völker zum überzeugten Hitlerjungen – eine bedeutende Rolle. Die Inszenierung des Initiationserlebnisses fällt jedoch unterschiedlich aus. Nichtsdestotrotz schildern beide Romane ein kommunistisch geprägtes Berliner Arbeitermilieu sowie die Suche nach Orientierung und Lebenssinn von Jugendlichen, die in den jeweiligen politischen Jugendorganisationen, dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) und der Hitlerjugend, ihre Erfüllung finden. Der Rote Eine-Mark-Roman Band 9, S.S. Utah4 (1932), von Mike Pell wurde an einigen Stellen hinzugezogen, da er den für das kommunistische Selbstverständnis zentralen Aspekt der internationalen Solidarität besonders hervorhebt. Außerdem verweist er auf die Sowjetunion und in idealistisch verklärter Weise auf die dortigen Aufbauarbeiten im Zuge des Fünfjahresplans als ‚Beweis‘ und Vorbild zugleich für die Fortschrittlichkeit, Umsetzbarkeit und vermeintliche Überlegenheit der kommunistischen Ideologie. Dies steht im diametralen Kontrast zu den zahlreichen nationalistischen sowie russlandfeindlichen bzw. antikommunistischen Aussagen in den untersuchten rechtspolitischen Romanen. Schenzingers Der Hitlerjunge Quex stieg im ‚Dritten Reich‘ mit einer Auflage von 324.000 Exemplaren (vgl. dazu Anhang I) zum populärsten nationalsozialistischen Jugendbuch auf, was nicht zuletzt auf die Verfilmung von 1933 zurückzuführen ist. Vergessen, bzw. auch von der Forschung unzureichend berücksichtigt, wird dabei häufig, dass der Roman bereits 1932 in der Endphase der Weimarer Republik erschienen ist und nicht nur bedingt durch die jeweilige mediale Darstellungsform, sondern auch vor der Folie der anders gearteten Machtverhältnisse eine differierende Schwerpunktsetzung hat, die bisher kaum im Fokus der Forschung stand. Die national(sozialist)ische Literatur am Ende der Weimarer Republik ist stark geprägt von Kriegsromanen, welche die Fronterlebnisse des Ersten Weltkrieges im Rahmen der soldatischen Kameradschaft thematisieren (vgl. dazu 5.3.1) sowie offen Kampf- und Opferbereitschaft propagieren. Einer der bekanntesten Kriegsromane dieser Zeit ist Werner Beumelburgs Gruppe Bosemüller5 (1930), der hier behandelt werden soll, da zahlreiche Aspekte der (völkisch-

3 Karl Aloys Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex. Berlin/Leipzig 1932. 4 Mike Pell: S.S. Utah. Reprint der Originalausgabe von 1932. Köln 1975. 5 Werner Beumelburg: [Die] Gruppe Bosemüller. Der Roman des Frontsoldaten. Oldenburg 1930.



Einleitung 

 5

nationalistisch geprägten) Romane zum Ersten Weltkrieg und das bewusst politisch instrumentalisierte Gedenken an den Weltkrieg die ‚Bürgerkriegsliteratur‘ der Weimarer Republik prägen. Insbesondere die Romane, die die Organisationen von Hitlerjugend und SA thematisieren (vgl. Schenzingers Der Hitlerjunge Quex und vor allem die Viera-Romane), berufen sich explizit auf das Weltkriegserlebnis sowie den daraus abgeleiteten ‚Frontsoldatengeist‘ und versuchen diese für ihre Zwecke politisch zu instrumentalisieren. Vor gänzlich anderer ideologischer Folie werden vor allem im Roten EineMark-Roman Sturm auf Essen (Bürger-)Kriegshandlungen geschildert; soldatische Tugenden sowie Märtyrertum werden dort jedoch ebenfalls positiv dargestellt und beworben. Auf beiden politischen Seiten wird so letztendlich der Tod zum Opfer, die Niederlage zum eigentlichen Sieg umfunktioniert und die moralische Überlegenheit der heldenhaft kämpfenden Männerbünde hervorgehoben. Einen besonderen Fall stellt die im Franz Schneider Verlag erschienene ‚Konjunkturliteratur‘ von Josef Viera dar. Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 entstanden, thematisiert sie die ‚Kampfzeit‘ der NSDAP am Ende der Weimarer Republik und gibt sich ausgesprochen systemkonform. Orientiert an dem von den Nationalsozialisten besonders positiv hervorgehobenen Roman Der Hitlerjunge Quex schreibt Viera 1933 gleich vier Romane,6 die allesamt die Konversions- und Märtyrerthematik aus Der Hitlerjunge Quex aufgreifen, diese oft durch ein Übermaß an nationalsozialistischer Symbolik und Kommunistenschelte überzeichnen und daher offiziell von den Nationalsozialisten in Rezensionen missbilligt wurden (vgl. dazu 2.2.2). Vieras ‚Konjunkturliteratur‘ eignet sich aufgrund des stark hervortretenden schematischen Charakters vorzüglich zur Analyse und zeigt auf, wie die ‚Kampfzeit‘ der NSDAP am Ende der Weimarer Republik bereits direkt nach der ‚Machtergreifung‘ von 1933 zum Mythos stilisiert wurde. In Bezug auf die zu untersuchenden Romane stellt sich der Stand der Forschung deutlich unterschiedlich dar. Insgesamt existieren zu den prominenteren national(sozial)istischen Beispielen wie Der Hitlerjunge Quex7 und dem

6 Die Titel der 1933 im Franz Schneider Verlag, Leipzig erschienenen ‚Konjunkturliteratur‘ von Josef Viera: Utz kämpft für Hitler, Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches, SA.Mann Schott, Der Kampf um die Feldherrnhalle. 7 In Bezug auf Der Hitlerjunge Quex überwiegt die Literatur zum Film Hitlerjunge Quex gegenüber der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Roman. Eine Ausnahme, die aus literaturwissenschaftlicher Perspektive explizit die narratologischen Strategien des Romans und des Films gegenüberstellt, ist folgende Untersuchung: Hans Krah: Der Hitlerjunge Quex  – Erzählstrategien 1932/1933: vom Großstadtroman der Weimarer Republik zum ‚mythischen Erzählen‘ im NS-Film. In: Literaturverfilmung. Perspektiven und Analysen. Hg. v. Eugen Spedicato und



6 

 Einleitung

Weltkriegsroman Gruppe Bosemüller8 einige Studien, die jeweils unterschiedliche Spezialaspekte untersuchen. Die ‚Konjunkturliteratur‘ von Josef Viera9 wird zumeist als ‚schlechte Kopie‘ der Konversionsschemata und Thematik des Romans Der Hitlerjunge Quex in der Sekundärliteratur lediglich am Rande angesprochen, jedoch nicht explizit untersucht. Zu den Roten Eine-Mark-Romanen ist mit Ausnahme eines Aufsatzes über den Volksbegriff keine aktuelle Sekundärliteratur vorhanden.10 Darüber hinaus existieren Studien, die sich aus der Perspektive des Adoleszenz- oder des Zeitromans der späten Weimarer Republik überblicksartig einigen der hier genannten links- wie rechtspolitischen Romane widmen, sich in Bezug auf die Thematik der populären Schemata jedoch als

Sven Hanuschek unter Mitwirkung von Tomas Sommadossi. Würzburg 2008, S. 11–38. Daneben existieren u. a. folgende Untersuchungen des Romans: John Daniel Stahl: Literature and Propaganda. The Structure of Conversion in Schenzinger’s Hitlerjunge Quex. In: Studies in Twentieth Century Literature 12 (Summer 1988), No. 2, S. 129–147. Hamida Bosmajian: Sparing the Child. Grief and the Unspeakable in Youth Literature about Nazism and the Holocaust. New York/London 2002 [darin: Chapter Two: „A Hitler Youth Does Not Cry“: Text and Subtext in ‚Der Hitlerjunge Quex‘, S. 29–48]. Dagmar Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung. Zu einem Typus der nationalsozialistischen Jugendliteratur. In: Literatur für Kinder. Studien über ihr Verhältnis zur Gesamtliteratur. Hg. v. Maria Lypp. Göttingen 1977 (= Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik; Beiheft 7), S. 123–154. 8 Vgl. u. a.: Heidrun Ehrke-Rotermund: „Durch die Erkenntnis des Schrecklichen zu seiner Überwindung“? Werner Beumelburg: Gruppe Bosemüller (1930). In: Von Richthofen bis Remarque. Deutschsprachige Prosa zum I. Weltkrieg. Hg. v. Thomas Schneider und Hans Wagener. Amsterdam/New York 2003, S. 299–318. Gerd Krumeich: Zwischen soldatischem Nationalismus und NSIdeologie. Werner Beumelburg und die Erzählung des Ersten Weltkrieges. In: Burgfrieden und Union sacrée. Literarische Deutungen und politische Ordnungsvorstellungen in Deutschland und Frankreich 1914–1933. Hg. v. Wolfram Pyta. München 2011 (= Beiheft Historische Zeitschrift, N. F.; Bd. 54), S. 295–312. Ulrike Vorwald: Kriegsliteratur im Unterricht zwischen 1929 und 1939 und Werner Beumelburgs Roman „Die Gruppe Bosemüller“. Ludwigsfelde 2005. Stefan Busch: „Und gestern, da hörte uns Deutschland“. NS-Autoren in der Bundesrepublik. Kontinuität und Diskontinuität bei Friedrich Griese, Werner Beumelburg, Eberhard Wolfgang Möller und Kurt Ziesel. Würzburg 1998. 9 Vgl. u. a.: Ulrich Nassen: Jugend, Buch und Konjunktur 1933–1945. Studien zum Ideologiepotenzial des genuin nationalsozialistischen und des konjunkturellen „Jugendschrifttums“. München 1987. Norbert Hopster: Literatur der Organisationen und der Dienste. In: Kinder- und Jugendliteratur 1933–1945. Ein Handbuch. Band 2: Darstellender Teil. Hg. v. Norbert Hopster, Petra Josting und Joachim Neuhaus. Stuttgart/Weimar 2005, S. 121–186. 10 Vgl. Desiree Hebenstreit: Der Volksbegriff und seine Bedeutung für die kommunistische Arbeiterliteratur der Weimarer Republik. Eine Untersuchung anhand der Romanreihe: Der Rote Eine-Mark-Roman. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 32 (2007), H. 2, S. 143–160.



Einleitung 

 7

wenig ertragreich erweisen.11 An dieser Stelle seien nur einige neuere Titel der Forschung genannt, die sich expliziter (und oft aus einem anderen Blickwinkel als die vorliegende Studie) mit den genannten Romanen beschäftigen. Ein ausführlicher und zumeist kommentierter Überblick über die Forschungsliteratur zu den einzelnen Themenbereichen meiner Untersuchung findet sich jeweils in den einführenden Passagen der jeweiligen (Unter-)Kapitel. Die übergeordneten Forschungsfragen, die sich aus der vorangegangenen Schilderung der Thematik abzeichnen und denen im Verlauf der Arbeit nachgegangen wird, lauten: Wie wird Literatur als ‚Waffe‘ im Kampf um die politische Macht literaturpolitisch konzipiert? Wie werden die jeweiligen literarischen Konzepte in der schriftstellerischen Praxis umgesetzt? Wie wird insbesondere das Verhältnis von suggerierter Faktizität und Fiktion mit politischem Gebrauchswert aufgeladen? Wie sind die an die Zielgruppe der Arbeiter gerichteten politischen Appelle, Direktiven und Persuasionsstrategien gestaltet? Welche Selbst- und Fremdbilder bzw. Stereotype werden vermittelt und in welchem Funktionszusammenhang stehen diese? In welchem Verhältnis stehen die literaturpolitische Konzeption, literarische Umsetzung und die tatsächliche Rezeption durch die primäre Zielgruppe der Arbeiter zueinander? Das heißt auch: Lassen sich für den Arbeiter direkte Konsequenzen für seinen Alltag und sein politisches Engagement aus dieser spezifischen Art der parteipolitisch geprägten Belletristik ableiten? Und vor allem: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede kennzeichnen die literaturpolitischen Strategien, Vermarktungsformen, die narratologische wie inhaltliche Gestaltung von links- wie rechtspolitischer Seite? Wie äußern sich

11 Vgl. Karsten Leutheuser: Freie, geführte und verführte Jugend. Politisch motivierte Jugendliteratur in Deutschland 1919–1989. Paderborn 1995 [zu Utz kämpft für Hitler: S. 99–101, zu Der Hitlerjunge Quex: S. 96–99, zu Kämpfende Jugend: S. 75–77]. Monika Sommer: Literarische Jugendbilder zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit. Studien zum Adoleszenzroman in der Weimarer Republik. Frankfurt a. M. [u. a.] 1996 [zu Der Hitlerjunge Quex und Kämpfende Jugend]. Luke Springman: Comrades, Friends and Companions. Utopian Projections and Social Action in German Literature for Young People 1926–1934. New York/Bern/Frankfurt a. M. [u. a.] 1989 [zu Der Hitlerjunge Quex]. Friedrich Kröhnke: Jungen in schlechter Gesellschaft. Zum Bild des Jugendlichen in deutscher Literatur 1900–1933. Bonn 1981 [zu Der Hitlerjunge Quex und Kämpfende Jugend]. Regine Zeller: „Einer von Millionen Gleichen“. Masse und Individuum im Zeitroman der Weimarer Republik. Heidelberg 2011 [zu Romanen über den Ersten Weltkrieg, Der Hitlerjunge Quex und Kämpfende Jugend]. Michael Hahn: Scheinblüte, Krisenzeit, Nationalsozialismus. Die Weimarer Republik im Spiegel später Zeitromane (1928–1932/3). Bern [u. a.] 1995 [zu Schenzinger: S. 233–241, zu den Roten Eine-Mark-Romanen: S. 349–366]. Thomas Achternkamp: Das Schattenjahr 1932. Subjekt zwischen Krise und Katastrophe im späten Roman der Weimarer Republik. München 2002 [zu Kämpfende Jugend].



8 

 Einleitung

die jeweiligen Aspekte schematischer Kommunikation? Zur Beantwortung dieser Fragen gliedert sich die Arbeit folgendermaßen: Das erste Kapitel soll zunächst die für die Untersuchung grundlegenden Begriffe und Diskurse aus dem Bereich der Schematheorie bzw. der kognitionswissenschaftlich orientierten Literaturwissenschaft klären (1.1) und diese im Zusammenhang von Kognition, Sprache, Politik und Literatur verorten (1.2). Bereits hier wird sich zeigen: Die literaturwissenschaftlich perspektivierte Beschäftigung mit populären Schemata ist weitaus vielfältiger, ambivalenter und komplexer geartet als die häufig bipolar strukturierten Slogans zunächst vermuten lassen. Einen ersten plastischen Eindruck über die Anwendbarkeit der Schemata für literarische Zusammenhänge vermitteln die Kapitel 1.3 und 1.4. So finden sich vor allem unter 1.4 bereits erste konkrete Beispiele aus den behandelten Romanen, ohne jedoch entscheidende Elemente der Analyse aus Kapitel 5 vorwegzunehmen. Die Beispiele sollen zum einen das Gesagte veranschaulichen, zum anderen soll bereits unter 1.4 gezeigt werden, dass eine eindeutige Gattungszuordnung schwierig ist, da die Romane mit einer Vielzahl an Versatzstücken populärer Gattungen und Schemata arbeiten, die auf unterschiedliche Art und Weise rekombiniert werden und damit alles andere als eindimensional oder unterkomplex sind. Der Fokus von 1.4 liegt dabei auf der Herausarbeitung der spezifischen Funktionalität der Versatzstücke des Zeitromans, der Abenteuerliteratur sowie des Entwicklungsromans für die politische Agitation. Den spezifischen soziohistorischen Entstehungs- und Wirkungsbedingungen der untersuchten Romane wird unter Kapitel 2 und 3 Rechnung getragen. Die explizite Trennung der literaturpolitischen Konzeptionen und Hintergründe (Kapitel 2) von den (zeitgenössischen) Rezeptionsbedingungen (Kapitel 3) ermöglicht eine vergleichende bzw. kontrastierende Gegenüberstellung der parteipolitischen Konzepte der Literaturlenkung mit den tatsächlichen Rezeptionsbedingungen der Arbeiter in der Weimarer Republik. Bedienen sich die links- wie die rechtspolitische Seite zwar beide der Metapher von der Literatur als ‚Waffe‘, so sind die dahinterstehenden grundlegenden kultur- und literaturpolitischen Vorstellungen und Überlegungen deutlich unterschiedlich, wie Kapitel 2 veranschaulicht. Die Aussagen zur Literaturpolitik innerhalb dieses Kapitels setzen den Schwerpunkt vor allem auf den Einsatz populärer Formen der Literatur zur politischen Agitation eines breiten Rezipientenkreises, insbesondere der Masse der (jugendlichen) Arbeiter. Dem revolutionären Konzept des Roten Eine-Mark-Romans (2.1.1) und den Kontroversen um seine Gestaltung (2.1.2) steht auf rechtspolitischer Seite überwiegend die Anknüpfung an Bewährtes (2.2.1), d. h. die Funktionalisierung des völkisch-nationalen Kriegsromans für nationalsozialistische Zwecke und die Anknüpfung an die Schmutzund Schunddebatten aus dem Kaiserreich gegenüber. Außerdem gilt es, die im 

Einleitung 

 9

nationalsozialistischen Umfeld kontrovers diskutierte (Neu-)Prägung der ‚Literatur der Organisationen und Dienste‘ (2.2.2), die (wie die Viera-Romane zeigen) hochgradig schematisch organisiert ist, differenziert und auf ihre spezifische Funktionalität wie Charakteristika hin zu betrachten. Die in Kapitel 3 vorgenommene kontrastierende Gegenüberstellung der parteipolitischen Konzepte aus Kapitel 2 mit den tatsächlichen Rezeptionsbedingungen der Arbeiter in der Weimarer Republik verdeutlicht, dass das theoretische, teilweise idealisierte Bild vom allseits steuerungsfähigen Leser und den Zielgruppen oftmals im Gegensatz zum tatsächlichen Lektüreverhalten der Leser steht, welches durch zahlreiche Determinanten des praktischen Lebensalltags beeinflusst ist. Zu diesen zeitgeschichtlichen und sozialen Faktoren gehören die Lesegewohnheiten, favorisierten Lesestoffe und das Lektüreverhalten der Arbeiter (vgl. Kapitel 3.1.1 und 3.1.3) genauso wie die Lektürebudgets (3.1.2) und zeitgenössisch dominante Themen, wie der Generationendiskurs (3.1.6), die das Wahrnehmungs- und das Wirkungspotenzial der Romane beeinflussen. Anhand zahlreicher Diagramme und Schaubilder werden die Preisgestaltung (3.1.2), Distributions- und Wirkungsbedingungen (3.1.4) sowie die Auflagenentwicklung der Romane (3.1.5) nachvollzogen. Dabei zeigt sich, dass die reinen Auflagenzahlen nicht immer einen verlässlichen Indikator bilden, vor allem nicht für das Leseverhalten der unteren Einkommensklassen. Insbesondere aus diesem Grund rechtfertigt sich die breite soziohistorische Untersuchung der oben genannten unterschiedlichen Aspekte, die das Lektüreverhalten des Arbeiters in der Weimarer Republik maßgeblich beeinflussten. Inhaltlich ergänzt wird das Kapitel unter 3.2 durch einem Ausblick auf die Wirkungsbedingungen der Romane über die Weimarer Republik hinaus, der Aufschluss zum einen über die unterschiedliche Behandlung des Weimarer Erbes der proletarisch-revolutionären Romane im geteilten Deutschland gibt (3.2.1), zum anderen Einblicke in den Umgang mit der NS-Vergangenheit und in die Schriftstellerkarrieren der (ehemals) nationalsozialistischen Autoren im Westdeutschland der Nachkriegszeit liefert (3.2.2). Eine Arbeit, die sich populären Schemata in politischer Belletristik widmet, darf sich einem wichtigen, in bisherigen Untersuchungen jedoch oftmals stark vernachlässigten Aspekt nicht entziehen: der Prüfung der Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation der Romane, die selbst massenwirksame Kauf-, aber noch sehr viel stärker politische Anreize aussenden sollen und ein bestimmtes Profil der Bücher vermitteln. Dies geschieht in Kapitel 4 vor allem in Hinblick auf die ästhetisch-funktionale Wirkungsweise als Gebrauchsbuch und ‚Waffe‘ im politischen Kampf. Anhand von zahlreichem, oft aufwändig recherchiertem Bild- und Anzeigenmaterial soll veranschaulicht werden, nach welchen ästhetischen Gestaltungsprinzipien die Romane jeweils konzipiert, vermarktet und 

10 

 Einleitung

damit auch popularisiert wurden. Dazu dient ein Vergleich der jeweiligen Covergestaltung der links- wie rechtspolitischen Romane (4.1) sowie die Untersuchung der Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung (4.2), die auf vielfältige Ambivalenzen und die unterschiedlichen Aspekte in Hinblick auf die jeweilige Vermarktung der Bücher aufmerksam macht. Das Zentrum der vorliegenden Arbeit bildet die literaturwissenschaftliche Analyse der ausgewählten Romane unter Kapitel 5. Nach Klärung der schematheoretischen, konzeptionellen und rezeptionellen Hintergründe muss hier unter festgelegten Schwerpunkten der anschaulichen Untersuchung anhand konkreter Beispiele genügend Platz eingeräumt werden. Trotz oder gerade wegen der Fokussierung auf populäre Schemata sollen die Romane nicht in ein starres Schema gepresst werden, das ihnen möglicherweise nicht gerecht würde. Das Kapitel konzentriert sich vielmehr darauf, neben der übersichtlichen Darstellung wichtiger und zusammenfassender Gesichtspunkte in Schaubildern (vgl. 5.2 und 5.3), die die schematischen Aspekte widerspiegeln sollen ohne zu stark reduktionistisch zu verfahren, auch den romanspezifischen Strategien und Erscheinungsformen sowie der konkreten Ausfüllung des schematischen Handlungsgerüstes und der Personenkonstellationen angemessene Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu widmet sich Kapitel 5 zunächst einem für die narratologische wie inhaltliche Gestaltung der Romane zentralen und funktionalen Charakteristikum: dem Verhältnis von suggerierter Faktizität und Fiktion und dessen politischer Instrumentalisierung innerhalb der Romane (5.1). Da dieses Verhältnis durchaus vielgestaltig ist und in den Romanen mittels unterschiedlicher Verfahrensweisen und Aspekte zum Tragen kommt, sollen an dieser Stelle zunächst etwas feingliedriger romanspezifische Muster illustriert werden, um dann zu einer fundierten Analyse ideologisch motivierter Erzählperspektiven unter 5.1.6 und zu einem zusammenfassenden Vergleich unter 5.1.7 zu kommen, der auf der Basis der vorangehenden Erkenntnisse zugleich eine Absage an totalitarismustheoretische Interpretationen beinhaltet. Die schematischen Aspekte der Handlungsgerüste sowie der Personengestaltung werden in Kapitel 5.2 und 5.3 behandelt. Anleihen an strukturalistisch geprägte Verfahren bieten hier einen guten und vor allem systematischen Ausgangspunkt für die Untersuchung der prototypischen Plotstrukturen und Personenkonstellationen (vgl. dazu insbesondere das Schaubild unter 5.3). Im Rahmen der Personengestaltung werden neben dem gruppenbasierten Konzept der Kameradschaft (5.3.1) folgende Personengruppen bzw. Typen und ihre Funktionalität im Rahmen der gruppenspezifischen In- und Exklusionsmechanismen sowie die jeweils durch sie vermittelten Stereotype, aber auch Abweichungen und bewusst konstruierte (oberflächliche) Ambivalenzen im Charakterprofil thematisiert: Helden und Märtyrer, Feinde und Verräter, Konvertiten, Frauen und Familie. 

Einleitung 

 11

Abschließend und bereits aus zusammenfassender Perspektive soll das politisch funktionale (sprachliche) Verfahren des ‚Besetzens von Begriffen‘ anhand der für den Kommunismus wie Nationalsozialismus wohl symbolträchtigsten und in den Romanen am häufigsten vorkommenden Begriffsfelder von ‚Arbeit‘ und ‚Kampf‘ erläutert werden (5.4.1), die sowohl Rückschlüsse auf das jeweils vermittelte Bild des Arbeiters und die verwendeten Kommunikationsstrategien zulassen als auch auf die Ansprüche, die seitens der Partei an den Arbeiter gestellt werden. Zudem untersucht der letzte Abschnitt der Arbeit zusammenfassend, wie die Anwendung von Gewalt von links- wie rechtspolitischer Seite (ethisch) gerechtfertigt wird. Dazu geraten das Argumentationsmuster vom ‚gerechten Krieg‘ und der Aspekt der Partikularmoral in den Blick.



1 Populäre Schemata und politische Agitation Das einführende Kapitel geht der Frage nach, warum sich politische Agitationsliteratur in Romanform populärer Gattungen und Gestaltungsmittel bedient. Die entscheidende Spur zur Beantwortung dieser Frage findet sich in der Möglichkeit der gezielten Hervorrufung und Steuerung von Affekten, die durch die Schemata der Unterhaltungsliteratur gegeben ist. Diese populären Schemata lassen sich für politische Zwecke hervorragend instrumentalisieren, denn sie ermöglichen es, die beim Leser ausgelösten Affekte und Emotionen hin zur Umsetzung der politischen Agitationsziele zu kanalisieren, wodurch die wiederum schematischen Anweisungen der jeweiligen Partei realisiert werden können. Dabei korrespondiert die Verwendung von populären Schemata in der Literatur mit der grundlegenden Informationsverarbeitung und Wissensorganisation im menschlichen Gehirn, die ebenfalls durch Schemata gesteuert und effektiviert wird. Im Rahmen dieses einführenden Kapitels soll daher zunächst ein Überblick über die kognitiven Grundlagen der mentalen Verarbeitung von Texten auf der Basis eines schematheoretischen Ansatzes erfolgen. Die Schematheorie geht ursprünglich auf die Kognitionswissenschaft und die Psycholinguistik zurück; ihre Ansätze werden erst seit kurzer Zeit durch interdisziplinär angelegte Forschungsprojekte für literaturwissenschaftliche Zusammenhänge dienstbar gemacht. Die anschließende Präsentation des Zusammenhangs von Kognition, Sprache, Politik und Literatur ist essentiell, da sich daraus grundlegende Erkenntnisse zur Stereotypenbildung, beispielsweise zu Feindbildkonstruktionen oder zu Konstruktionen von Helden der eigenen politischen ‚Bewegung‘ ableiten lassen. Wie sich diese Stereotype jeweils manifestieren, soll im Rahmen der späteren Textanalyse anhand der spezifischen Personen- und Handlungskonstellationen der Romane nachgewiesen werden. Neben den kognitiven Grundlagen der mentalen Verarbeitung von Texten werden die literarischen Strategien und Funktionsweisen populärer Schemata dargestellt, um sie als Instrumentarium für die konkrete Analyse in Kapitel 5 verwendbar zu machen. Der letzte Abschnitt des einführenden Kapitels untersucht die behandelten Romane konkret auf Elemente populärer Gattungen und zeigt auf, dass eine eindeutige Gattungszuweisung schwierig ist. Hier stehen vor allem Elemente des Zeitromans und des Entwicklungsromans sowie abenteuerliterarische Elemente im Vordergrund, die im Rahmen der Agitationsliteratur der Weimarer Republik oft in eigentümlicher, versatzstückhafter Weise kombiniert wurden.

DOI 10.1515/9783110468434-002





1.1 Schematheoretische Grundlagen der mentalen Verarbeitung von Texten 

 13

1.1 Schematheoretische Grundlagen der mentalen ­Verarbeitung von Texten Die wissenschaftlichen Grundlagen zur kognitiven Verarbeitung von Texten durch Schemata gehen auf Studien zurück, die Bartlett in den dreißiger Jahren durchgeführt hat12 und welche insbesondere von Kognitionswissenschaftlern und Psycholinguisten in den 1970er und 1980er Jahren weitergeführt bzw. ausgeweitet wurden.13 Norbert Groeben stellt als einer der Ersten mit seiner ‚Leserforschung‘ im deutschsprachigen Raum einen schematheoretischen Bezugsrahmen zur Erforschung von Lese- und Verstehensprozessen auch im Umgang mit literarischen Texten vor.14 Die interdisziplinäre Nutzbarmachung der kognitionswissenschaftlichen Erkenntnisse der Schematheorie für die Literaturwissenschaften findet verstärkt jedoch erst seit Beginn der 2000er Jahre statt. Somit ist dieser Bereich innerhalb der Germanistik ein relativ junges Forschungsfeld, das insbesondere im Rahmen der internationalen literaturwissenschaftlichen Forschung in letzter Zeit zahlreiche Beiträge zu den unterschiedlichsten Themenbereichen erfahren hat.15 Zu den wegweisenden Veröffentlichungen zählen dabei Peter Stockwells allgemeine lehrbuchartige Einführung Cognitive Poetics sowie für den

12 Vgl. Frederic Bartlett: Remembering. A Study in Experimental and Social Psychology. London 1932. 13 Vgl. Roger Schank und Robert Abelson: Scripts, Plans, Goals and Understanding. Hillsdale (New Jersey) 1977a. Vgl. David Rumelhart: Notes on a Schema for Stories. In: Representation and Understanding. Studies in Cognitive Science. Hg. v. Daniel Bobrow und Allan Collins. New York/San Francisco/London 1975, S. 211–236. Vgl. David Rumelhart und Andrew Ortony: The Representation of Knowledge in Memory. In: Schooling and the Acquisition of Knowledge. Hg. v. Richard Anderson, Rand Spero und William Montague. Hillsdale/New Jersey 1977, S. 99–135. Vgl. David Rumelhart: Schemata: The Building Blocks of Cognition. In: Theoretical Issues in Reading Comprehension: Perspectives from Cognitive Psychology, Linguistics, Artificial Intelligence and Education. Hg. v. Rand Spiro, Bertram Bruce und William Brewer. Hillsdale 1980, S. 33–58. Vgl. Jean Matter Mandler: Stories, Scripts, and Scenes: Aspects of Schema Theory. Hillsdale/New Jersey/London 1984. 14 Vgl. Norbert Groeben: Leserpsychologie. Teil 1: Textverständnis  – Textverständlichkeit. Münster 1982 [zum Schemabegriff insbesondere S. 46–57]. Ein aktualisierter und ausführlicherer Überblick zum Schemabegriff findet sich in: Ursula Christmann und Norbert Groeben: Psychologie des Lesens. In: Handbuch Lesen. Hg. v. Bodo Franzmann. Baltmannsweiler 2001, S. 145–223. 15 Vgl. u. a. folgende Sammelwerke: Cognitive Poetics. Goals, Gains and Gaps. Hg. v. Geert Brône und Jeroen Vandaele. Berlin/New York 2009. Narrative Theory and the Cognitive Sciences. Hg. v. David Herman. Stanford 2003. Cognitive Stylistics. Language and Cognition in Text Analysis. Hg. v. Elena Semino und Jonathan Culpeper. Amsterdam/Philadelphia 2002. Vgl. den Themenband: Literature, Culture and the Cognitive Revolution. Hg. v. Alan Richardson und Francis F. Steen. North Carolina 2002 [=Poetics Today 23 (Spring 2002), No. 1].



14 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

Bereich der Lyrik bzw. Metrik Reuven Tsurs Toward a Theory of Cognitive Poetics.16 Martin Huber und Simone Winko, welche einen guten aktuellen Überblick zum gegenwärtigen Stand des Arbeitsfeldes liefern, betonen, dass sich die interdisziplinären Studien zum Zusammenhang von Literatur und Kognition ihrerseits selbst auf ein interdisziplinäres kognitionswissenschaftliches Forschungsfeld beziehen: Die Bezugstheorie ist besonders heterogen, wird doch mit dem Begriff „menschliche Kognition“ so Unterschiedliches bezeichnet wie Einstellungen, Emotionen, Wille, kognitive Fähigkeiten vom Sprechen bis zum Problemlösen und deren neuronale Grundlagen. Kognitionswissenschaftlich orientierte Sprach- und Literaturwissenschaftler müssen also klären, worauf sie sich genau beziehen, und hier sind es in der Regel Annahmen über die Funktionsweisen der menschlichen Informationsverarbeitung, die importiert werden […].17

Die nützlichen Funktionen, die Schemata für die Literaturwissenschaft einnehmen können, liegen dabei vor allem darin, die Vorgänge zu erhellen, die bei der Produktion wie Rezeption von literarischen Texten wirksam werden, sowie den Einsatz von textexterner Information, sogenanntem Weltwissen, zur Verarbeitung von Literatur zu klären. Die Schemata gelten generell als Modell mentaler Repräsentationen und umfassen das „Wissen über typische Zusammenhänge von Realitätsbereichen“18. Sie bestehen aus Konzepten die „nach Allgemeinheitsgrad ihrer Begriffe hierarchisch geordnet sind“19 und sind dabei Voraussetzung und Ergebnis des Wissenserwerbs zugleich, d. h. die Informationsaufnahme und die Konstruktion von Bedeutung werden auf schematischer Grundlage gesteuert und dadurch erleichtert. Dass Schemata die zentralen Bausteine der menschlichen Kognition darstellen, betont Rumelhart, indem er sie als „building blocks of cognition“20 bezeichnet. Jeder Mensch hat also Vorstellungen von Standardsituationen oder -vorgängen in seinem kognitiven Netz als abstraktes Strukturkonzept abgespeichert. Diese abstrakten Konzepte besitzen Variablen, auch Leerstellen oder Slots genannt, die dann im Verarbeitungsprozess abhängig von der konkreten Situation gefüllt werden:

16 Vgl. Peter Stockwell: Cognitive Poetics. An Introduction. London [u. a.] 2002. Vgl. Reuven Tsur: Toward a Theory of Cognitive Poetics. 2. Auflage. Amsterdam 2008. 17 Martin Huber und Susanne Winko: Literatur und Kognition. Perspektiven eines Arbeitsfeldes. In: Literatur und Kognition. Bestandsaufnahmen und Perspektiven eines Arbeitsfeldes. Hg. v. Martin Huber und Susanne Winko. Paderborn 2009, S. 12. 18 Christmann/Groeben: Psychologie des Lesens, S. 167. 19 Christmann/Groeben: Psychologie des Lesens, S. 167. 20 Rumelhart: Schemata, S. 33.





1.1 Schematheoretische Grundlagen der mentalen Verarbeitung von Texten 

 15

Diese hierarchischen Konzeptorganisationen weisen Leerstellen auf (sog. slots), die lediglich Beschreibungen über typische Belegungen enthalten, die im Zuge der Informationsaufnahme entweder durch konkrete Informationen gefüllt oder durch hypothetische Konzepte besetzt werden können. Im Verarbeitungsprozess lenken sie die Aufmerksamkeit auf schemarelevante Information, erleichtern die Integration und Interpretation neuer Informationen und steuern in der Abrufphase die Rekonstruktion gespeicherten Wissens.21

Damit reduzieren Schemata Komplexität, organisieren Einzelheiten zu Gesamtheiten und garantieren eine ökonomische Verarbeitung von Informationen. Schemata erleichtern so unter Umständen die Kommunikation mit anderen, weil sie auf intersubjektiv vergleichbaren, mentalen Wissensrepräsentationen aufbauen. Auch Autoren profitieren davon, sich auf Schemata zu beziehen, denn diese dienen der Erzählökonomik und stärken das Bewusstsein des Lesers für Normabweichungen: Readers’ use of schemas provides at least two benefits to authors. First, as we have noted, schemas allow them to delineate a scene with quick gestures. Once, for example, a restaurant scene has been minimally set, waiters, clattering trays, and wandering violinists can be addressed with little cognitive cost. Second, schemas allow authors to call quiet attention to departures from the norm. It is not, for example, an ordinary event to be served food in a restaurant that one has not ordered. Readers’ use of the restaurant script enables them to notice this departure from the ordinary.22

Schemata beeinflussen so einerseits im Sinne von selektiv gesteuerter Wahrnehmung und Interpretation die Rezeption neuer Textinformation, andererseits determinieren die der Textinformation unterliegenden Schemata wiederum den Rezeptionsprozess des Lesers. Es ergibt sich also eine wechselseitige Bedingtheit von Rezeptions- bzw. Lesestrategien und Produktions-/ bzw. Textstrategien. Den dynamischen Charakter der Schemata, die keinesfalls als starre Schablonen aufzufassen sind, hebt die Forschung immer wieder hervor. So sind Modifikationen von Beziehungen innerhalb eines Schemas („tuning“), die Aufnahme neuer Fakten in ein bestehendes Schema („accretion“) sowie die Schaffung eines gänzlich neuen Schemas („restructuring“) möglich.23 Als Kriterium für eine Veränderung eines bestehenden Schemas bzw. einer Neuschöpfung gelten die Häu-

21 Christmann/Groeben: Psychologie des Lesens, S. 167. 22 Richard J. Gerrig und Giovanna Egidi: Cognitive Psychological Foundations of Narrative Experience. In: Narrative Theory and the Cognitive Sciences. Hg. v. David Herman. Stanford 2003, S. 41. 23 Vgl. Stockwell: Cognitive Poetics, S. 79. Diese Termini, um die dynamischen Struktur von Schemata zu beschreiben, benutzt auch Rumelhart: Schemata, S. 52–54.



16 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

figkeit der Abweichung vom Ursprungsschema und die Nützlichkeit des neuen Schemas.24 Dabei sind sowohl Modifikationen in Richtung einer Spezialisierung als auch einer Generalisierung möglich.25 Bezeichnet der Ausdruck Schema allgemeines Weltwissen, so sind Skripts und Frames spezifischere Formen des Schemabegriffs. Skripts umfassen das spezielle Wissen über chronologische Abläufe und verallgemeinernde Handlungs- und Ereignisfolgen in stereotypen Situationen.26 Die Vertreter der Schematheorie teilen die Skripts überwiegend in drei Untergruppen ein: ein „situatives Skript“ umfasst Wissen über die als gewöhnlich wahrgenommenen Situationen (z. B. Restaurantbesuch, Busfahrt, Rasenmähen), ein „personales Skript“ dient der Speicherung von Wissen, welches Handlungsfolgen repräsentiert, die auf die jeweilige personale Rolle bezogen sind (z. B. eine Beschwerde als Passagier vorbringen, der Umgang mit Freunden) und ein „instrumentales Skript“ repräsentiert Anleitungen für bestimmte Verfahrensweisen (z. B. Grill anzünden, Computer ausschalten).27 Blume nennt die Skripts auch „Minimalgeschichten“28. Sie würden zwar kognitiv der schnellen Einordnung typischer und häufiger Geschehensabläufe wie einem Restaurantbesuch oder einer Hochzeitsfeier dienen, seien aber isoliert betrachtet nichts mehr als „a very boring little story“29, da insbesondere beim Geschichtenerzählen eher die Abweichungen von starren Schemata und Variationen als interessant und spannend empfunden würden.30 Doch sind es gerade zumeist längere und komplexe Erzählzusammenhänge, in denen mentale Skripts sich hervorragend dazu eignen, Kausalitätslücken zu schließen. So kann der Rezipient mit entsprechendem Skriptwissen Handlungssequenzen trotz lückenhaft geschilderter Aktivitäten nachvollziehen und damit über das hinausgehen, was textimmanent geschildert wurde, da er explizit oder implizit bestehende Lücken auffüllt, indem er auf das entsprechende Skript zurückgreift. Folglich trägt Skriptwissen bzw. Schemawissen insgesamt zur textlichen Kohä-

24 Vgl. Rumelhart/Ortony: The Representation of Knowledge in Memory, S. 123. 25 Vgl. Rumelhart/Ortony: The Representation of Knowledge in Memory, S. 123. 26 Vgl. Christmann/Groeben: Psychologie des Lesens, S. 168. 27 Vgl. Schank/Abelson: Scripts, Plans, Goals and Understanding, S. 61–66. Vgl. Stockwell: Cognitive Poetics, S. 77. Die englischsprachige Forschung benutzt die Begriffe „situational“, „personal“ und „instrumental script“. 28 Peter Blume: Fiktion und Weltwissen. Der Beitrag nichtfiktionaler Konzepte zur Sinnkonstitution fiktionaler Erzählliteratur. Berlin 2004, S. 54–55. 29 Roger Schank/Robert Abelson: Scripts, Plans, Knowledge. In: Thinking. Readings in Cognitive Science. Hg. v. Philip Nicholas Johnson-Laird. Cambridge [u. a.] 1977b, S. 421–432 [hier: S. 422]. 30 Vgl. Blume: Fiktion und Weltwissen, S. 54–55.





1.1 Schematheoretische Grundlagen der mentalen Verarbeitung von Texten 

 17

renz bei.31 Um eine zusammenhängende, also kohärente, Textwelt im Rezeptionsprozess herzustellen, muss der Leser demnach Inferenzen ziehen, d. h. er muss dem Text durch das Einbringen von gespeichertem Weltwissen bzw. durch die Interaktion von Text- und Weltwissen schlussfolgernd Sinn verleihen. Die zweite spezifische Untergruppe der Schemata, die Frames, verkörpern nicht wie die Skripts das Wissen über Verfahrens- und Geschehensabläufe, sondern repräsentieren Begriffs- und Objektwissen. Frames liefern so Informationen über die Art der für die Leerstellenausfüllung notwendigen inhaltlichen Elemente.32 Eine weitere, spezifische Variante des Schemabegriffs sind die Geschichtengrammatiken (story grammars). Sie geben die globale Ordnung und Aufeinanderfolge von Textelementen bei Erzähltexten an33 und werden deshalb oft als „Superstrukturen“34 bezeichnet. Story grammars verorten außerdem die Komponenten aus denen eine Geschichte prototypisch besteht (Thema, Setting, Ereignis, Charaktere).35 Dabei formulieren die Geschichtengrammatiken recht starre Formeln und Regeln, mit dem Ziel eine nahezu universell gültige Struktur ausfindig zu machen.36 Insbesondere durch ihren recht statischen, unflexiblen Aufbau haben die story grammars innerhalb der Schema-Forschung Kritik hervorgerufen. Wie bereits betont, sind die Schemata nämlich dynamische Wissenseinheiten. Sie besitzen jedoch nicht nur die Fähigkeit zur Veränderung und Umstrukturierung, sondern gehen auch zahlreiche Verbindungen mit anderen Schemata ein. So wird nie isoliert ein einziges Konzept aufgerufen, sondern Schemaaktivierung führt meist zur Koaktivierung ganzer Konzeptkomplexe, was durch deren netzwerkartige Strukturierung bedingt ist.37 Auch Christmann/Groeben heben dies hervor: [B]eim Verstehen von Geschichten [wird] offensichtlich nicht nur ein einziges Schema wirksam, wie es die Grammatikmodelle postulieren. Vielmehr ist davon auszugehen, daß

31 Vgl. Stockwell: Cognitive Poetics, S. 78. 32 Vgl. Markus Steinbach: Semantik. In: Einführung in die germanistische Linguistik. Hg. v. Jörg Meibauer. Stuttgart/Weimar 2002, S. 182. 33 Vgl. Christmann/Groeben: Psychologie des Lesens, S. 168. 34 Groeben: Leserpsychologie (Teil 1), S. 45. 35 Vgl. Christmann/Groeben: Psychologie des Lesens, S. 168. 36 Vgl. David Rumelhart: Notes on a Schema for Stories. In: Representation and Understanding. Studies in Cognitive Science. Hg. v. Daniel Bobrow und Allan Collins. New York/San Francisco/ London 1975, S. 211–236. 37 Vgl. Blume: Fiktion und Weltwissen, S. 51, S. 58, S. 62. Vgl. Schank/Abelson: Scripts, Plans, Goals and Understanding, S. 66; für anschauliche Beispiele zu simultan aktivierten und sich überschneidenden Skripts S. 57–61 [Kapitel 3.5: „Script Interactions“].



18 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

Rezipienten/innen beim Verstehen von Geschichten in Abhängigkeit von der Art des Erzählens und den Rezeptionsbedingungen mehrere Schemata alternierend einsetzen.38

Brewer/Lichtenstein machen darauf aufmerksam, dass die story grammars vor allen Dingen die affektive Dimension von Erzähltexten vernachlässigen würden: „The discourse force of stories is to entertain the reader by arousing certain affective states – not simply to transmit information about sequences of events. What we need is a structural theory, one in which the structures are related to the affective states produced in the reader.“39 Außerdem plädieren sie dafür, auch genrespezifische Merkmale in Geschichtengrammatiken einzuschließen.40 Catherine Emmott verweist darüber hinaus darauf, dass die Schemaforschung vor allem einfach strukturierte Texte untersuche oder gar unter Laborbedingungen übersimplifizierte Textbeispiele selbst kreieren würde: „[…] many studies have looked at simplified texts that have been constructed by the researcher rather than having occured naturally.“41 Und auch Sabine Gross betont: „Individuelle Abweichungen und Interpretationsspielräume, wie sie für das literarische Lesen typisch sind, stören daher in kognitiven Modellen, ebenso wie die affektive Besetzung und Dynamik der beschriebenen Denkvorgänge und Verstehensprozesse keine Rolle spielt.“42 Natürlich vorkommende, insbesondere narrative, Texte lassen sich also nicht einfach in starre Schemata pressen. Emmott stellt daher Forschungsbedarf vor allem für Texte fest, die von den stark tradierten schematischen narrativen Texten wie Märchen und Mythen, zu denen bereits zahlreiche Studien existieren43, abweichen: „There is a need for more research on how our knowledge of typical story structures helps us to read specific stories, particularly for narratives which do not follow the traditional sto-

38 Christmann/Groeben: Psychologie des Lesens, S. 169 [Ergänzungen durch Michaela Menger]. 39 William Brewer/Edward Lichtenstein: Event Schemas, Story Schemas and Story Grammars. In: Attention and Performance. Hg. v. John Long und Alan Baddeley. Hillsdale/New Jersey 1981, S. 365. 40 Vgl. Brewer/Lichtenstein: Event Schemas, Story Schemas and Story Grammars, S. 377. 41 Catherine Emmott: Narrative Comprehension. A Discourse Perspective. Oxford 1997, S. 40. 42 Sabine Gross: Lese-Zeichen: Kognition, Medium und Materialität im Leseprozeß. Darmstadt 1994, S. 27. 43 Vgl. zur Märchenforschung und der schematischen Einordnung von Motiven, Personen- und Handlungskonstellationen etwa Max Lüthi: Das Volksmärchen als Dichtung. Ästhetik und Anthropologie. 2., durchges. Auflage. Göttingen 1990. Zudem die 31 Märchenfunktionen, die Propp für das russische Volksmärchen herausarbeitet: Vladimir Propp: Morphologie des Märchens. Frankfurt a. M. 1975. Des Weiteren den Aarne-Thompson-Index, der eine Klassifikation von Märchenund Schwankgruppen darstellt: Vgl. Antti Aarne/Stith Thompson: The Types of the Folktale. A Classification and Bibliography. Helsinki 1961.





1.2 Zum Verhältnis von Kognition, Sprache, Politik und Literatur  

 19

rylines of myths and fairytales.“44 Insbesondere für ideologisch gefärbte Erzähltexte, die einen starken Bezug auf populäre Schemata nehmen, bietet es sich also an, deren Strukturen und affektive Dimensionen zu untersuchen und somit evtl. zu einer Klassifikation unterschiedlicher ideologischer Erzähltypen bzw. Motive zu kommen. Genau hier knüpft die vorliegende Arbeit an, für die Aspekte der Schematheorie im Rahmen des Analyseteils nutzbar gemacht werden sollen. Jedoch darf dabei eben kein starres Schema entstehen, das die jeweiligen untersuchten Romane in eine vorgefertigte Schablone presst, sondern es muss neben der Entwicklung eines flexiblen Schemas auch der Analyse der Abweichung von tradierten Schemata Rechnung getragen werden. Dies ist ein Aspekt, dem ebenfalls Susan Rubin Suleiman in ihrer Arbeit zu authoritarian fictions Beachtung schenkt: [T]he more one insists on the „simplistic“ and authoritarian character of the genre, the more one is obliged to ask oneself whether this character is not also that of the analyst, who leaves aside everything that does not enter into her constructions. There is only one way out of this impasse: to recognize the suppressed elements that „didn’t fit“ to allow them a place within the description of the genre […]. [T]here are few novels, no matter how didactic, that do not complicate in unexpected ways the elementary schema derived by analysis. Similarly I have suggested that the absence of redundancy deserves as detailed a study as does redundancy.45

1.2 Zum Verhältnis von Kognition, Sprache, Politik und Literatur Insbesondere das Wissens darum, dass sich die schematische Kommunikation zur affektiven Anreicherung von Konzepten, zur Bildung von Stereotypen sowie zu Persuasionszwecken hervorragend funktionalisieren lässt, bestimmt auch die politische Kommunikation, die ihrerseits ebenfalls überwiegend schematisch organisiert ist. Vor allem auf Ebene der politischen Sprache wird mit Leerstellen und -formeln operiert, also mit (Stich-)Wörtern, die einen weiten, dehnbaren Begriffsumfang haben und sich durch emotionale und affektive Begleitaspekte anreichern lassen, so appellative Funktion bekommen und sich gleichermaßen zur

44 Emmott: Narrative Comprehension, S. 34. 45 Susan Rubin Suleiman: Authoritarian Fictions. The Ideological Novel as a Literary Genre. Princeton/New Jersey 1993, S. 201–202.



20 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

politischen Werbung wie zur Diffamierung von politischen Gegnern sowie zur Stärkung von Gruppenidentitäten einsetzen lassen46: Werden diese Wörter nicht im Kontext konkret mit Inhalt ausgefüllt, so besagen sie nichts, sind beliebig einsetzbar. Sie eignen sich so vorzüglich zur Bildung von Schlagwörtern, Wörtern mit denen man bei einem denkunwilligen Publikum sachgerechte Argumente erschlagen kann.47

Dieckmann stellt sogar fest, dass das Vokabular politischer Sprache oft eins zu eins vom Rezipienten übernommen werde, ohne dass er den inhärenten ideologischen Gehalt reflektiere.48 Damit übernimmt der Rezipient unbewusst vorgefertigte ideologische Denk- und Sprachschablonen, die sich auch auf seine weitere Beurteilung von Erfahrungen auswirken können: „Die Aneignung der Sprache geht in vielen Fällen der Aneignung von Welt vor, und eine eventuell nachfolgende eigene Erfahrung wird sogleich in Richtung auf die übernommene Sprachgebung gelenkt.“49 Der vereinfachende Bezug auf Schemata dient auch hier wieder der kognitiven Entlastung bzw. Ökonomie. Die ideologische Sprache bietet also eine vereinfachende Darstellung komplizierter politischer Zusammenhänge und kommt dem Bedürfnis des Menschen nach Orientierung in einer Welt entgegen, die zwar als kompliziert, aber überschaubar angenommen wird.50 Die affektive Anreicherung von kognitiven Konzepten bzw. Schemata wird von Monika Schwarz-Friesel betont, die von einer „engen Interaktion von sprachlichen, konzeptuellen und emotionalen Strukturen“51 ausgeht. Sie misst Gefühlen bei der Organisation der Informationsverarbeitung „wesentliche strategische Funktionen“52 zu. Diese Funktionen lassen sich aus kognitionswissenschaftlicher Perspektive im Prinzip darauf zusammenfassen, dass emotional aufgeladene Information die Aufmerksamkeit steigert, zum besseren Behalten bzw. Erinnern von Information beiträgt und tiefer verarbeitet wird.53 Eben diesen aufmerksamkeitserhöhenden Vorteil, der sich durch die Emotionalisierung von Inhalten ergibt, macht sich auch die politische Kommunikation

46 Vgl.: Erich Straßner: Ideologie – Sprache – Politik. Grundfragen ihres Zusammenhangs. Tübingen 1987, S. 60–61. 47 Straßner: Ideologie – Sprache – Politik, S. 60. 48 Vgl. Walther Dieckmann: Information oder Überredung. Zum Wortgebrauch der politischen Werbung in Deutschland seit der Französischen Revolution. Marburg 1964, S. 45–46. 49 Dieckmann: Information oder Überredung, S. 47. 50 Vgl. Dieckmann: Information oder Überredung, S. 46. 51 Monika Schwarz-Friesel: Sprache und Emotion. Tübingen/Basel 2007, S. 41. 52 Schwarz-Friesel: Sprache und Emotion, S. 115. 53 Vgl. Schwarz-Friesel: Sprache und Emotion, S. 114–115, S. 128–131.





1.2 Zum Verhältnis von Kognition, Sprache, Politik und Literatur  

 21

zu Nutze. Jakob Tanner betont beispielsweise die verstärkte emotionale Aufladung von politischer Information in Bezug auf die Presseberichterstattung der Weimarer Republik, die auf diese Weise auch Verschwörungstheorien hervorgebracht habe: Mit dem Aufstieg der Massenpresse standen den politischen Eliten, aber auch der Arbeiterbewegung neue Möglichkeiten der Verbreitung ihrer Sicht der Dinge offen. Diese wurden nun in enger Verbindung mit Emotionen als politisches Kampfmittel genutzt. Es spielten sich starke Kopplungen zwischen einer bestimmten Sicht auf die Welt und einem bestimmten Typus von Nachrichten ein. […] Auch Verschwörungstheorien hatten Zulauf. Solche Deutungsschemata erwiesen sich weithin als widerlegungsresistent. Die in Konkurrenz zueinander liegenden Nationen, aber auch die Klassen innerhalb einer Gesellschaft nahmen sich nun fast nur noch über Wahrnehmungsstereotypen, über jene vorurteilsgesteuerten Informationsfilter wahr.54

Dabei spielen Stereotype als „kognitive Schemata, die Hand in Hand mit vereinfachenden Verarbeitungs- und Urteilsheuristiken gehen“55 eine enorme Rolle. Auch Margot Heinemann betont die besondere Bedeutung, die Stereotypen vor allem in einer gesellschaftlichen Umbruchsituation  – welche die Weimarer Republik zweifelsohne darstellt – zukommt: „Bis zu einem gewissen Grade ist es also nachvollziehbar, daß in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche nicht nur im Alltagsdialog, sondern auch in den Medien Stereotype eine Renaissance erleben – sie sind als Waffe einsetzbar.“56 Doch auch auf Ebene des literarischen Feldes ist im Zuge der „ideologischen Aufrüstung“57 der (Jugend-)Literatur in der Endphase der Weimarer Republik und zu Beginn des ‚Dritten Reiches‘ die Vermittlung von stereotypen Vorstellungen, das Operieren mit Leerformeln, deren Slots je nach Bedarf aufgeladen werden können, sowie die Emotionalisierung ideologisch gefärbter Inhalte zu beobachten: Und über den unermüdlich wiederholten Phrasen von Kameradschaft, Tugend, Gemeinschaft, Härte usw. darf nicht übersehen werden, dass dieser Katalog nur Leerformeln

54 Jakob Tanner. Die Instrumentalisierung der Gefühle. Propaganda im Krieg. In: Der Blaue Reiter. Journal für Philosophie. Heft 20 (2004), S. 49–50. 55 Karl Christoph Klauer: Soziale Kategorisierung und Stereotypisierung. In: Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen. Hg. v. Lars-Eric Petersen und Bernd Six. Weinheim [u. a.] 2008, S. 23. 56 Margot Heinemann: Konzepte von Stereotypen – statt einer Einleitung. In: Sprachliche und soziale Stereotype. Hg. v. Margot Heinemann. Frankfurt a. M. [u. a.] 1998, S. 9. 57 Winfred Kaminski: Einführung in die Kinder- und Jugendliteratur: Literarische Phantasie und gesellschaftliche Wirklichkeit. Weinheim/München 1987a, S. 28.



22 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

bot. Gerade die Formelhaftigkeit, mit der diese „Tugenden“ beständig repetiert wurden, machte sie brauchbar. Da nicht ausdrücklich festgelegt war, zu welchem Zweck das alles geübt werden sollte, konnte jeder seine Bedürfnisse hineinprojizieren […]. Letztlich war alles darauf abgestellt, bedingungslosen Gehorsam einzuüben […] und zusätzlich bei aller Kameradschaft untereinander, Haß auf die zu erzeugen, die nicht mitmachten oder anders zu sein schienen.58

Innerhalb der in vorliegender Arbeit untersuchten Romane sind diese Vermittlung von Stereotypen und der Einsatz schematischer Kommunikation deutlich nachzuvollziehen. So etwa in Bezug auf die ‚Sozialfaschisten‘59 – gemeint waren damit die Sozialdemokraten  – und die Darstellung der nationalsozialistischen „Faschistenhunde“60 seitens des linken politischen Spektrums, sowie – seitens der politisch rechts orientierten Romane  – in der Darstellung der hinterhältig tötenden „Rotmord“61 oder des als moralisch verkommen präsentierten „rote[n] Mob[s]“62, wie der Analyseteil veranschaulicht. Hinsichtlich der Frage, auf welche Weise Stereotype innerhalb der Romane kommuniziert werden, bzw. in Bezug auf die Untersuchung der Personengestaltung und Gruppenwahrnehmung unter dem Fokus auf die vermittelten Selbstwie Fremdbilder, können Erkenntnisse aus der Soziopsychologie hilfreich sein,

58 Kaminski: Einführung in die Kinder- und Jugendliteratur, S. 28. 59 Das Bild von einer saturierten SPD, die den Arbeitern in den Rücken fällt, evoziert u. a. der Rote Eine-Mark-Roman von Walter Schönstedt: Kämpfende Jugend. Roman der arbeitenden Jugend. 4. Auflage. Berlin 1976, S. 17: „Dann sah er in Gedanken ein Bild von einem Festessen sozialdemokratischer Minister und mußte lächeln.“ Fähnders und Karrenbrock schätzen die Bedeutung der ‚Sozialfaschismusthese‘ folgendermaßen ein: „Die sog. Sozialfaschismus-These von Komintern und KPD blockierte – ebenso wie die repressive SPD-Politik – eine erfolgreiche Politik der gesamten Arbeiterklasse gegen Faschismus und Reaktion. In dieser These wurde die SPD, zumindest ihre Führung, als ‚Zwillingsbruder‘ des Faschismus begriffen, nicht als bürgerliche Arbeiterpartei. Selbst wenn das revolutionäre Proletariat Anlaß genug hatte, die arbeiterfeindliche Politik der Sozialdemokratie als eine von der Politik der Konterrevolution kaum mehr unterscheidbare wahrzunehmen – die qualitativen Unterschiede zwischen Sozialdemokratie und Faschismus, zwischen bürgerlicher Republik – selbst in Form der Präsidialdiktatur – und einem nationalsozialistischen Terrorstaat, wurden in der Sozialfaschismus-These eingeebnet.“ Walter Fähnders und Helga Karrenbrock: Die Republik von Weimar. Proletarisch-revolutionäre Literatur und Arbeiterdichtung. In: Sozialgeschichte der deutschen Literatur von 1918 bis zur Gegenwart. Hg. von Jan Berg. Frankfurt a. M. 1981, S. 15. 60 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 122: „Faschistenhunde!“. 61 Vgl. die Kapitelüberschrift „Rotfront gleich Rotmord“ In: Josef Viera: Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches. Leipzig 1933a, S. 62. 62 Vgl. die Kapitelüberschrift: „Der rote Mob“ In: Viera: Horst Wessel, S. 5.





1.2 Zum Verhältnis von Kognition, Sprache, Politik und Literatur  

 23

die vier soziale Schemata definiert:63 Personenschemata ermöglichen Inferenzen über individuelle Personen oder Charaktere und beziehen sich auf typische Vorstellungen über diese. Viele Personenstereotype basieren auf solchen Schemata. Selbst-Schemata stellen den zweiten Typ der sozialen Schemata dar und beziehen sich auf die positive wie negative Selbsteinschätzung eines Individuums, die oft in Konflikt steht mit den Einschätzungen anderer oder mit den tatsächlichen Gegebenheiten. Rollenschemata schließen drittens umfassende soziale Kategorien wie Geschlecht, Alter, Beruf, Nationalität oder – was insbesondere für die in vorliegender Arbeit untersuchten Romane relevant ist  – die Parteizugehörigkeit ein. Gruppenstereotype basieren zumeist auf diesen Rollenschemata. Besonders interessant ist, dass zur Einschätzung von Personen zunächst allgemeine, gruppenspezifische Rollenschemata und dann erst Personenschemata aktiviert werden: „In the service of predictability, people tend to use role schemas first, the person schemas such as traits to specify particular versions of the role.“64 Dies kommt insbesondere bei Ingroup-Outgroup Schemata zum Tragen, in deren Rahmen eine Outgroup insgesamt als homogener wahrgenommen als die Ingroup, weil sie weit weniger komplex und differenziert konzeptualisiert wird wie die Ingroup, bei der durchaus auch variables Personenverhalten betrachtet wird. Personen der Outgroup hingegen werden oft nur als Vertreter des schematischen Gruppenstereotyps kategorisiert: Minimizing the variability of members within an outgroup means that they are not being recognized as distinct individuals as much as they would be if they were perceived as ingroup members. […] People not only perceive outgroup members as less variable than ingroup members, they also have less complex conceptualizations of them. […] Once a person is categorized, the person becomes just another example of the relevant schema. If the person fits an outgroup schema, the fit is seen as particularly tight, because outgroup schemas are less variable and less complex as ingroup schemas.65

Den vierten Typ der sozialen Schemata stellen schließlich soziale Ereignisschemata dar, die nicht nur angeben, was typischerweise in bestimmten Situationen

63 Eine Zusammenstellung der sozialen Schemata bieten u. a.: Susan Fiske und Shelley Taylor: Social Cognition. 2. Auflage. New York [u. a.] 1991, S. 117–121. Sowie: Kathleen Kelley Reardon: Persuasion in Practice. London [u. a.] 1991, S. 20–21. 64 Fiske/Taylor: Social Cognition, S. 177. 65 Fiske/Taylor: Social Cognition, S. 123 [Hervorhebungen aus dem Originaltext übernommen].



24 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

passiert (vgl. Skriptbegriff), sondern den Fokus vor allem auf erwartetes und angemessenes Verhalten im sozialen Kontext des Ereignisses legen.66 Werner Kallmayer verweist insbesondere auf die rhetorische Funktionalität und die enorme Stabilität von Stereotypen: Die neuere kognitiv orientierte Forschung setzt sich erneut damit auseinander, dass generalisierte Vorstellungen sehr stabil sind, durch ihnen widersprechende Erfahrungen kaum korrigiert werden und sich gleichsam als erfahrungsresistent erweisen. Eine wichtige Rolle spielt die Generalisierung von Situations- bzw. Ereignismodellen, die der Interpretation neuer Wahrnehmungen unterlegt werden. […] Man kann annehmen, dass für die Stabilität von sozialen Vorurteilen ihre rhetorische Funktionalität eine Rolle spielt. Sie sind geeignet, emotionale Haltungen des Misstrauens, der Angst und der Aggressivität zu binden, sozial mitteilbar und als sozial strukturierendes Element und Handlungsbegründung verfügbar zu machen.67

Als Element von Handlungsbegründungen bekommen Stereotype persuasive Funktion, d. h. sie dienen der Überzeugung bzw. Überredung. Vor allem Reardon betont die Wichtigkeit der Kenntnis der sozialen Schemata (Stereotype) zur Umsetzung von Persuasionszielen: Schemata are what make persuasion easier at one time and more difficult at another. When persuadees share your schemata, it is easier to know what to say to them, since you likely have some idea of what would be persuasive for you. When persuadees do not share your schemata, it is imperative that you find a way to comprehend theirs before attempting to persuade them. Persuasion requires some bridging of schemata, or what might be referred to as „common ground“ of experience. Otherwise, persuasive appeals have little effect  – they essentially „fall on deaf ears“.68

Genau hier setzt auch der Gebrauch von Schemata zu Zwecken der politischen Propaganda an, die u. a. auf Überredung bzw. Überzeugung zielt: „Sie [die Propaganda] will Menschen davon überzeugen, zu einer spezifischen Frage eine bestimmte Haltung einzunehmen und auch nach dieser Überzeugung zu handeln.“69 Dabei müssen propagandistische Maßnahmen zwar einerseits auf vorhandene Prädispositionen der Rezipienten Bezug nehmen (beispielsweise

66 Vgl. Reardon: Persuasion in Practice, S. 21. 67 Werner Kallmayer: Sprachliche Verfahren der sozialen Integration und Ausgrenzung. In: Fremdbilder  – Feindbilder  – Zerrbilder. Zur Wahrnehmung und diskursiven Konstruktion des Fremden. Hg. v. Karin Liebhart, Elisabeth Menasse und Heinz Steinert. Klagenfurt 2002, S. 154. 68 Reardon: Persuasion in Practice, S. 21. 69 Thymian Bussemer: Propaganda. Konzepte und Theorien. Wiesbaden 2005, S. 30 [Ergänzung von Michaela Menger].





1.2 Zum Verhältnis von Kognition, Sprache, Politik und Literatur  

 25

auf die Lebensumstände der Arbeiter und deren Probleme, Ängste und Wünsche, auf tradierte Stereotype), andererseits funktionieren sie nur dann, wenn gewisse ideologische Grundvorstellungen geschaffen oder als allgemein verbindliche Vorgabe oktroyiert werden, um die jeweiligen Überzeugungsziele und Handlungsanleitungen zu implementieren. Auch Klaus Arnold betont den primär persuasiven Charakter von Propaganda: Zusammengefasst kann man Propaganda als eine Form von persuasiver Kommunikation beschreiben, die die Annahme von nahe gelegten Verhaltensweisen durch die Konstruktion eines ideologischen Weltbildes, dessen umfassender Anspruch durch Wahrheit und Glaubwürdigkeit suggerierende Techniken aufgeladen wird, und durch das Versprechen von Sanktionen sichert.70

Folglich ist Propaganda primär damit beschäftigt, ein bestimmtes ideologisches Weltbild (massenhaft) zu verbreiten und dessen Machtgewinn zu sichern. Dabei bedient sie sich der unterschiedlichsten Formen der Massenkommunikation wie Presse, Funk und Fernsehen oder auch der Verfahren der populären Unterhaltungsliteratur, die im Blickpunkt dieser Arbeit stehen. Der Nutzen, der von der Massenwirksamkeit der Formelliteratur ausgeht, die eine gezielte Steuerung von Affekten verspricht, war im Rahmen der Bestsellerliteratur der Weimarer Republik längst erkannt und wurde im ökonomischen Sinn (vgl. z. B. Scherl-, Ullstein-Verlag) ausgenutzt. Zunehmend bedienten sich aber auch politische Strömungen der vielversprechenden Schemata der Unterhaltungsliteratur, um einerseits das „gedruckte Gift“71 der bürgerlichen Unterhal-

70 Klaus Arnold: Propaganda als ideologische Kommunikation. In: Publizistik 48 (März 2003), H. 1, S. 79. 71 Vgl. Otto Biha: „Die von den Scherl und Ullstein der Welt am fließenden Band des Geistes hergestellte Ideologie ist das gefährliche Giftgas an der Kulturfront.“ O.[tto] Biha: Der proletarische Massenroman. Eine neue Eine-Mark-Serie des ‚internationalen Arbeiterverlages‘. In: Die Rote Fahne (02.08.1930a), Nr. 178, S. 10. Vgl. auch folgenden Auszug aus dem Roten Eine-MarkRoman S.S. Utah von Mike Pell, der ebenfalls die Gift-Metapher in Bezug auf die bürgerliche Unterhaltungsliteratur verwendet: „[…]; er konnte in aller Ruhe das Büchergestell durchstöbern. Es war das übliche Durcheinander von kitschigen Romanen, von Wildwest- und Kino-Geschichten, wie die Seemannsmissionen sie liefern. Er packte den Kram sauber zusammen, peilte die Lage und warf das ganze gedruckte Gift durch das Bullauge. Grinsend klopfte er den Staub von seinen Händen ab; ‚für richtigen Ersatz wird gesorgt werden!‘“ In: Mike Pell: S.S. Utah. Reprint der Originalausgabe von 1932. Köln 1975, S. 5–6. Doch auch Alfred Rosenberg vom nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur bedient sich der Giftmetapher und diagnostiziert „Vergiftungserscheinungen im Bereich des kulturellen Daseins“. Ansprache Alfred Rosenbergs anlässlich der Eröffnung der NS-Kulturgemeinde (Die Auslese). In: Die N.S. Kulturgemeinde. Neue Folge der Zeitschrift Illustrierte Deutsche Bühne 3 (Mai 1935), H. 5, S. 3; zitiert nach: Petra Tallafuss: „Lite-



26 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

tungsliteratur vom Arbeiter abzuwehren, andererseits um die Affekte der Arbeiter hin zu den eigenen politischen Vorstellungen zu kanalisieren und entsprechende Handlungsanleitungen zu implementieren. Christine Haug betont, dass das preiswerte Angebot an populären Lesestoffen in der Weimarer Republik sowohl als „Sammelbecken“72 für völkische und antisemitische Ideologien als auch der Verbreitung proletarisch-revolutionärer Propaganda gedient habe.73 Die rechten wie linken Strömungen konkurrierten dabei vor allem um die Zielgruppe des „von Weltkrieg, Inflation und Arbeitslosigkeit gezeichnete[n] Kleinbürgertum[s] und Proletariat[s]“74. Literatur wird somit von rechter wie von linker Seite zur ‚Waffe‘75 im Kampf um die Verbreitung der eigenen politischen Ideologie instrumentalisiert. Wenn nun populäre Schemata der Unterhaltungsliteratur und deren Massenwirksamkeit für politischen Zwecke ausgenutzt werden, entsteht in starkem Maße eine Funktionalisierung von Literatur, die dann an einem explizit politischen Gebrauchswert gemessen wird: Die Suche nach dem literarischen Gebrauchswert ist also Teil einer Strategie, die auf Machtgewinn aus ist. Das literarische Schreiben soll unmittelbare Folgen außerhalb des literarischen Systems haben, indem es thematisch und formal die Unterscheidung zwischen Literatur und Wirklichkeit aufhebt oder zumindest verwischt.76

Die ‚Waffen‘-Metapher verweist dabei auf die handlungsanleitende Funktion, die der Literatur zugeschrieben wird. So betont Van linthout: „Die Metapher der

ratur als Waffe“ – Literarischer Aktivismus im „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“ und im „Kampfbund für deutsche Kultur“. In: Totalitarismus und Literatur. Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert – Literarische Öffentlichkeit im Spannungsfeld totalitärer Meinungsbildung. Hg. v. Hans-Jörg Schmidt. Göttingen 2007, S. 55–75 [hier: S. 65, Fußnote 74]. 72 Christine Haug: Populäre Lesestoffe. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 3: P–Z. Hg. v. Jan-Dirk Müller. 3., neubearb. Auflage. Berlin 2003, S. 126. 73 Vgl. Haug: Populäre Lesestoffe, S. 126. 74 Haug: Populäre Lesestoffe, S. 126. 75 Die Metapher von Literatur als ‚Waffe‘ wird sehr häufig im Zusammenhang mit proletarischrevolutionärer Literatur gebraucht und findet sich in zahlreichen Artikeln der Linkskurve. Sie geht zurück auf Friedrich Wolf und seine Broschüre Kunst ist Waffe. Vgl. Friedrich Wolf: Kunst ist Waffe! Eine Feststellung. Faksimile-Druck der Erstausgabe Berlin 1928. Berlin (Ost) 1976. Doch auch das rechte Spektrum, allen voran der Kampfbund für deutsche Kultur unter Leitung von Alfred Rosenberg, bediente sich der Waffen- und Kampfmetapher in Bezug auf seine Kulturpolitik. Petra Tallafuss sieht diese Wortwahl, die sie als „literarischen Militarismus“ beschreibt, teilweise als aus Erfahrungen des Ersten Weltkrieges abgeleitet. Vgl. Tallafuss: „Literatur als Waffe“, S. 57. 76 Matthias Uecker: Wirklichkeit und Literatur. Strategien dokumentarischen Schreibens in der Weimarer Republik. Bern 2007, S. 110.





1.2 Zum Verhältnis von Kognition, Sprache, Politik und Literatur  

 27

Waffe belegte das Buch mit einer wirklichkeitskonstituierenden Aufgabe und forderte vom Leser den Schritt von der Lektüre zur Tat.“77 Eng mit dem Gebrauchswert und der Verwischung von Literatur und Wirklichkeit verbunden ist auch die eigentümliche Mischung von dokumentarischen bzw. veristischen Elementen (Zeitungsartikel, Flugblatttexte, Arbeiterkorrespondenzen, Liedtexte, Namen von zeitgeschichtlichen Politikern und populären Persönlichkeiten, Bezugnahme auf zeitgeschichtliche Ereignisse, Markennamen etc.) und Fiktivem, die für die untersuchten Romane charakteristisch ist. Nottelmann verweist auf die gegenseitige Anreicherung beider Ebenen: „Während sich die realistische Ebene mit märchenhaften Elementen anreichert, wird die Sublimierungsebene über die veristischen Elemente authentifiziert und erscheint ‚real‘.“78 Susanne Becker betont sogar, dass die suggerierte Authentizität Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit schaffe und so auch spannungssteigernd wirken könne.79 Ähnliches postuliert Johannes Anderegg: „Die die schematische Kommunikation kennzeichnende Spannung entsteht durch die Teilhabe am Dargestellten, die der Teilhabe an Tatsächlichem gleicht, sie gelingt aber nur, wenn das Dargestellte dem Tatsächlichen in dem Maße ähnlich ist, daß eine Identifikation ermöglicht wird.“80 Aus dem hier dargestellten Zusammenhang von Kognition, Sprache, Literatur und Politik folgt für die Textanalyse, dass insbesondere überprüft werden muss, wie zentrale Schlagworte aus den Romanen als Slots dienen können, die affektiv aufgeladen werden und in wieweit der schematische Charakter der Kommunikation die Bildung von Stereotypen befördert – vor allem wie sich in diesem Zusammenhang der Aufbau von Feind- und Selbstbildern gestaltet. Darüber hinaus soll beachtet werden, ob und wie direkte Handlungsanleitungen an den Leser weitergegeben werden. Neben den allgemeinen Grundlagen der Schematheorie müssen jedoch auch die literarischen Verfahren und Strategien populärer Schemata zu Rate gezogen

77 Ine Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik. Berlin/Boston 2012, S. 87 [Hervorhebung aus dem Original übernommen]. 78 Nicole Nottelmann: Strategien des Erfolges. Narratologische Analysen exemplarischer Romane Vicki Baums. Würzburg 2002, S. 69. 79 Vgl. Susanne Becker: Gattungskonstruktionen in der Geschichte der zirkulierenden Literatur. Rekonstruktionsverfahren am Beispiel des abenteuerliterarischen Netzes 1840 bis 1935. Trier 2000, S. 257. 80 Johannes Anderegg: Fiktionalität, Schematismus und Sprache der Wirklichkeit. Methodologische Überlegungen. In: Unterhaltungsliteratur. Zu ihrer Theorie und Verteidigung. Hg. v. Jörg Hienger. Göttingen 1976, S. 22.



28 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

werden, um sie als Analyseinstrument nutzbar zu machen, was im nächsten Unterkapitel geschieht.

1.3 Literarische Strategien populärer Schemata Bevor ein Überblick über die relevanten Schemata gegeben wird, muss ausdrücklich betont werden, dass Schemaliteratur und populäre Literatur an sich nicht gleichzusetzen sind mit ästhetischer Minderwertigkeit: Dennoch macht man es sich zu einfach, wenn man – wie es oft geschieht – das Vorhandensein gattungstypischer Schemata generell mit dem Phänomen der modernen Massenliteratur in Verbindung bringt und darin einen Beleg für ästhetische Minderwertigkeit sieht. Denn das Phänomen der Schemaliteratur ist in Wirklichkeit schon sehr alt: Sonette beispielsweise gehorchen meist festen Grundregeln. Nicht nur die äußeren Formmerkmale von Sonetten sind Schemata […], auch ihre interne Struktur […] liegt oft fest. […] Niemand würde jedoch Sonette deswegen verurteilen.81

Die strikte Dichotomie von hoher und ‚trivialer‘, d. h. minderwertiger Literatur, wie sie die Literaturwissenschaft lange vertreten hat, lässt sich also in diesem Maße nicht mehr aufrecht erhalten und erfährt spätestens seit Beginn der intensiveren Untersuchungen zu populären Lesestoffen seit Ende der 1960er Jahre Kritik.82 Daher soll im Rahmen dieser Arbeit der Begriff der ‚Trivialliteratur‘ bewusst vermieden werden, da er pejorativ konnotiert ist. Stattdessen wird allgemeiner (und neutraler) von populärer Literatur gesprochen. Auch Hans Dieter Zimmermann betont, dass der normative Charakter des Terminus ‚Trivialliteratur‘ ungeeignet zur wissenschaftlichen Beschreibung eines Forschungsgegenstandes sei und schlägt den Begriff der „Schema-Literatur“83 vor: Dieser Ansatzpunkt muß allerdings […] befreit werden: […] von den herkömmlichen Begriffen wie Trivialliteratur und Unterhaltungsliteratur, die ihre ursprüngliche polemische Verwendung bis heute nicht leugnen können. An ihre Stelle müssen – soweit möglich – sachli-

81 Jan-Philipp Busse: Zur Analyse der Handlung. In: Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorien, Modelle, Probleme. Hg. v. Peter Wenzel. Trier 2004, S. 39–40. 82 Für einen ausführlichen Überblick über die Diskussion um die Begriffe ‚hohe‘ und ‚niedrige‘ Literatur vgl. u. a.: Günther Fetzer: Wertungsprobleme in der Trivialliteraturforschung. München 1980; Jochen Schulte-Sasse: Literarische Wertung. 2., völlig neu bearb. Auflage. Stuttgart 1976. 83 Vgl. Hans Dieter Zimmermann: Trivialliteratur? Schema-Literatur! Entstehung, Formen, Bewertung. Stuttgart [u. a.] 1982.





1.3 Literarische Strategien populärer Schemata 

 29

che Begriffe treten, die nicht eine ästhetische oder moralische oder ideologische Bewertung meinen, bevor sie überhaupt zur Beschreibung benutzt worden sind.84

Generell trägt die Schematisierung und Formelhaftigkeit populärer Literatur zunächst dazu bei, dem Leser Orientierung und Sicherheit zu vermitteln. Erkennt der Rezipient entsprechende Strukturen wieder, so fühlt er sich in seiner Erfahrung bestätigt und wird gleichzeitig intellektuell entlastet, weil er sich sicher wähnt, dem Text folgen zu können. Grundlegend für die Wirkungsweisen populärer Literatur sind aber das Zusammenspiel von Standardisierung und Variation, da neben Vorhersagbarkeit und Sicherheit auch Abwechslung und affektive Stimulation zu den durchaus ambivalenten Bedürfnissen der Rezipienten von populärer Literatur gehören. Die Sicherheit suggerierende Verwendung standardisierter Textmerkmale muss also ergänzt werden um Variation und die Abweichung von Gewohntem, welche durch Strategien wie Spannungserzeugung, Identifikationsangebote und Emotionalisierungen (z. B. durch das Auslösen von Ängsten und Beunruhigungen sowie den Aufbau von Feindbildern) die Aufmerksamkeit des Lesers erregen. Peter Nusser stellt dieses Verhältnis von Variation und Standardisierung im Rahmen eines dreigliedrigen Modells von Ausgangs-/Mittel- und Endlage dar.85 Die Ausgangslage beruht auf der Grundlage des Wiedererkennens von Gewohntem, bietet Raum für erste Identifikationen und dient „als Folie, vor der sich die Abweichungen vom Gewohnten um so wirksamer zur Geltung bringen lassen“86. Sie verfolgt die „Strategie der Bestätigung“87, spricht Gewohnheiten und tradierte Urteilsstrukturen der Leser an und bewegt sich damit auf den eingespielten Bahnen der Rezeption. Die „Strategie der Bestätigung“ kann somit auch als Identifikationsgrundlage für den Leser dienen, durch die er zunächst die Möglichkeit bekommt, sich und seine Lebensumstände im Text wiederzuerkennen.88 Die Mittellage hingegen ist charakterisiert durch die Abweichung vom Gewohnten89  – durch Variation  – und aktiviert die Aufmerksamkeit des Lesers durch Strategien, die den Leser einerseits geistig entlasten, andererseits emotio-

84 Zimmermann: Trivialliteratur? Schema-Literatur!, S. 30. 85 Vgl. Peter Nusser: Trivialliteratur. Stuttgart 1991 [darin insbesondere Kapitel 4: „Theorie der Trivialliteratur“, S. 119–130]. Vgl. Peter Nusser: Unterhaltung und Aufklärung. Studien zur Theorie, Geschichte und Didaktik der populären Lesestoffe. Frankfurt a. M. [u. a.] 2000 [darin: „Entwurf einer Theorie der Trivial- und Unterhaltungsliteratur“, S. 13–53]. 86 Nusser: Trivialliteratur, S. 120. 87 Nusser: Trivialliteratur, S. 120. 88 Vgl. Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 24. 89 Vgl. Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 24.



30 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

nal anregen. Hier stehen der Aufbau von Spannung, das Spiel mit der Gefahr und die Verunsicherung des Lesers im Vordergrund, welche die „Desorientierung in der Welt in erträglichen Ausmaß […] wiederholen“90 sollen. Auf die Dynamik und Variation in der Mittellage folgt nach Nusser die Endlage, die wiederum mit der „Strategie der Bestätigung“ arbeitet, in ein mehr oder weniger erfülltes HappyEnd mündet und zur Beruhigung und Entspannung des Lesers beiträgt.91 Nussers Betonung der Dreigliedrigkeit in Form von Ausgangs-/Mittel- und Endlage erscheint nicht sonderlich originell und ist darüber hinaus keinesfalls ausschließlich genuines Merkmal populärer Literatur.92 Fast alle Texte, ob narrative Erzähltexte oder Sachtexte, lassen sich auf die Formel Einleitung/Exposition/Ausgangslage  – Hauptteil/Handlungskomplikation/Mittellage  – Schluss/ Fazit/Moral/Endlage reduzieren. Darüber hinaus dient der von Nusser postulierte Dreischritt Bestätigung – Verunsicherung – Bestätigung nicht erst seit dem Aufkommen von populären Erzähltexten zur Spannungserzeugung, verweist er doch auf ein Konzept, das seit der Antike Gültigkeit hat: das Erkennen, das Wiedererkennen (Erfahren) sowie die Identifikation und damit das Erleben von Affekten und deren ‚Abfuhr‘, die auch als sittliche Reinigung bzw. Katharsis bezeichnet wird. Diese sehr einfache, aber wirkungsvolle Methode zum Aufbau eines Spannungsbogens gilt letztendlich seit der Entwicklung der klassischen Tragödie und eben dieser Dreischritt findet sich im Prinzip im oben geschilderten Ansatz von Nusser wieder. Die Strategien populärer Literatur, die Nusser im Rahmen der Mittellage sehr plastisch beschreibt und verknüpft, lassen sich – ergänzt um weitere Aspekte –

90 Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 23. 91 Vgl. Nusser: Trivialliteratur, S. 126. 92 Die Dreigliedrigkeit und die Zahl Drei im Allgemeinen spielen vor allem für das Märchen, welches ja ebenfalls zu den populären Texten zählt und einen starken schematischen Charakter hat, eine herausgehobene Rolle: Vgl. Lüthi: Das Volksmärchen als Dichtung, S. 57: „Die Dreizahl betrifft nicht nur Figuren und Requisiten […], sondern auch die Episoden.[…] Daß sie [die Dreizahl] im Märchen die Präsentation der Figuren und Dinge und dazu noch den Ablauf der Handlung bestimmt, gibt dem Hörer, der an sie gewöhnt ist, ein ähnliches Gefühl der Sicherheit wie dem Erzähler, dem sie eine Gedächtnisstütze und ein Mittel der Gliederung und damit der künstlerischen Wirkung ist.“ [Ergänzung Michaela Menger]. Das Verhältnis von Standardisierung und Variation, welches Nusser auf das dreigliedrige Schema Bestätigung – Verunsicherung – Bestätigung überträgt, findet in der Märchenforschung folgendes Äquivalent: Vgl. Lüthi, S. 69: „Dennoch wird fühlbar, daß hinter dem beherrschenden Schema Unordnung/Ordnung bzw. Mangel/ Behebung das umfassendere Modell Ordnung/Unordnung/Ordnung steht […].“ Somit scheint es nicht ausgeschlossen zu sein, dass sich die allgemeine Trivialliteraturforschung an dem durchaus breiter erschlossenen Feld der Märchenforschung orientiert, was legitim erscheint, wenn es über die Textsorte des Märchens hinaus wertvolle Impulse liefert.





1.3 Literarische Strategien populärer Schemata 

 31

jedoch als brauchbare Mittel zur Analyse populärer Erzähltexte funktionalisieren. Nusser nennt vier Strategien (Emotionalisierung, Zersplitterung, Personalisierung, Aktionismus), die das Herzstück seiner Theorie der ‚Unterhaltungs- und Trivialliteratur‘93 bilden und sich teilweise gegenseitig bedingen. Die „Strategie der Emotionalisierung“ umfasst das planmäßig kalkulierte Auslösen von Gefühlen.94 Insbesondere das Spiel mit den Ängsten von Lesern lässt sich für ideologische Zwecke instrumentalisieren. So können in der Realität feststellbare Ängste der Rezipienten (vor dem Krieg, den Kommunisten, dem sozialen Abstieg) durch ein differenziertes Angebot an personalisierten „FeindValenzen“95 aufgefangen werden. Eng mit diesem Verfahren hängt die „Strategie der Zersplitterung“ zusammen, d. h. es wird planmäßig auf Begründungen für Zusammenhänge verzichtet, Probleme werden anhand gegenständlicher Oberflächlichkeit abgehandelt, psychologische und gesellschaftliche Motivierungen von Handlungen werden unvollständig oder monoperspektivisch verzerrt im Rahmen von Scheinkausalitäten wiedergegeben.96 Nusser weist darauf hin, dass die „Strategie der Zersplitterung“ insbesondere irrationale Ängste schüre: „Sie [die Angst] wirkt um so stärker, je weniger die Ursachen von Notlagen oder Konflikten erkannt werden.“97 Erzähltechnisch wird dies beispielsweise durch starke Raffungen, die das Lesetempo erhöhen und durch „Erzählkerben“98, die als Slots fungieren und bewusst Informationen auslassen, die von Leser selbst ergänzt werden müssen, erreicht. Konflikte werden im Rahmen von populärer Literatur zumeist personalisiert. Diese „Strategie der Personalisierung“ beruht darauf, dass Sachzusammenhänge über Personen vermittelt erscheinen.99 Die Identifikation mit dem Helden (dem heldenhaft handelnden Kollektiv) und die Abgrenzung gegenüber dem Feind bzw. der feindlichen Gruppe, also die bipolare Anordnung von Personen(gruppen), dient dabei der schnellen Orientierung und gibt der Identifikationsbereitschaft des Lesers eine Richtung, indem aufgezeigt wird, wer ‚die

93 Nusser und einige andere Autoren halten am Begriff der ‚Trivial-‘ bzw. ‚Unterhaltungsliteratur‘ fest, versuchen ihn jedoch von pejorativen Inhalten zu lösen. Vgl. dazu Nusser: Trivialliteratur, S. 2–3. Eine begriffliche Umdeutung erweist sich jedoch aufgrund der jahrelang vorrangig pejorativen Verwendung des Begriffs als schwierig und gelingt nicht immer ganz überzeugend. 94 Vgl. Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 26. 95 Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 27. 96 Vgl. Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 27. Vgl. Nusser: Trivialliteratur, S. 120. 97 Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 58 [Ergänzungen durch Michaela Menger]. 98 Der Begriff geht zurück auf Volker Klotz: Abenteuer-Romane. Sue, Dumas, Ferry, Retcliffe, May, Verne. München [u. a.] 1979, S. 222. 99 Vgl. Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 56.



32 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

Guten‘ sind. Die Bedeutung von solchen binären Oppositionen hebt vor allem Jochen Schulte-Sasse hervor, der sich ebenfalls mit kommunikativen Strategien populärer Literatur beschäftigt.100 Die stereotype Personengestaltung arbeitet vor allem bewusst mit der Technik der Bestätigung und stützt sich auf feststehende Werturteile, deren Angemessenheit für den Leser außer Frage steht. Dabei werden vor allem in Romanen, die ein bestimmtes ideologisches Weltbild zu vermitteln beabsichtigen, meist kulturell positiv oder negativ tradierte Aspekte (Hässlichkeit, Neid, Hinterhältigkeit oder Intelligenz und Aufrichtigkeit) eines Charakters mit ideologischen Merkmalen (kommunistisch, kapitalistisch, solidarisch, nationalsozialistisch, jüdisch etc.) verknüpft, die erst in Bezug auf eine bestimmte Weltanschauung verständlich werden (z. B. in Bezug auf den Kommunismus: hässlicher Kapitalist, solidarischer Arbeiter). Suleiman bezeichnet dieses Verfahren als Technik der Amalgamierung, die somit zur doppelten Verdammung oder Aufwertung eines Charakters führen kann: What I call the technique of the amalgam consists in the following: a character is constructed in such a way that his or her culturally negative qualities are redundant with qualities whose pertinence is specifically ideological – understandable in reference to a specific ideology or doctrine. The result is that the character is doubly damned. The culturally negative traits reinforce each other.101

Entscheidend dabei ist, dass durch die Technik der Amalgamierung insbesondere die Herstellung von Scheinkausalitäten erleichtert wird, indem die ideologischen Attribute als ‚natürliche‘ Konsequenzen oder gar Grund der kulturellen Attribute erscheinen.102 Suleiman unterscheidet ausdrücklich zwischen Amalgamierungen, die lediglich rein populären Texten dienen (z. B. der clevere Kommissar in Kriminalromanen), und Amalgamierungen, die bewusst ideologisch gestaltet sind (z. B. hässlicher Kapitalist und solidarischer Arbeiter im Roten Eine-MarkRoman).103 Sie betont die unmissverständliche ideologische Treue des Charakters, der im roman à thèse104 immer absichtsvoll als Ideenträger bzw. als Vertreter einer bestimmten Weltanschauung fungiert. Somit dient nicht die Technik der Amalgamierung an sich als Indikator für den roman à thèse, sondern der demons-

100 Vgl. Schulte-Sasse: Literarische Wertung, S. 178. 101 Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 190. 102 Vgl. Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 192. 103 Vgl. Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 192. 104 Suleiman bezeichnet alle Romane, denen ein gewisser doktrinärer Intertext oder eine politische Weltanschauung zu Grunde liegt als roman à thèse. Frei übersetzten lässt sich dies in etwa mit ‚Weltanschauungsroman‘ oder ‚Ideenroman‘.





1.3 Literarische Strategien populärer Schemata 

 33

trative, exemplarische Charakter und die Einbettung der Amalgamierung in ein kohärentes System, welches mit einer spezifischen Ideologie kongruiert.105 Die starke Typisierung verstärkt dabei die Identifikation des Lesers mit dem Helden/den Helden der Erzählung: In die durch die Typisierungen geschaffenen Personenhülsen, die als solches nur sehr allgemeine Reize aussenden, kann der Leser leicht seine individuellen, in der Realität nicht erfüllbaren Wünsche übertragen, die er dann als Eigenschaften eines ihm imponierenden Vorbildes wieder introjiziert, also zum inneren Erlebnis macht, das ihm über die Versagungen der Realität hinweghilft.106

Neben diesen kompensatorischen Aspekt kann jedoch auch eine handlungsanweisende Funktion treten, dann nämlich, wenn der Leser direkt oder indirekt dazu aufgefordert wird, es dem heldenhaft handelnden Identifikationsobjekt gleichzutun. Insbesondere Schulte-Sasse betont, dass Literatur die Verhaltensnormen ihrer Leser beeinflussen kann und dass die positiven Helden den Rezipienten zur Übernahme der von ihnen repräsentierten Normen einladen.107 Darüber hinaus verweist er darauf, dass durch direkte Kontextbezüge zum Alltag des Lesers – beispielsweise durch intertextuelle Verweise auf Parteien und Politiker – Handlungsanweisungen und Problemlösungen präsentiert werden können: Literatur kann […] derart direkte Kontextbezüge d. h. aktuelle Anspielungen einbauen, daß ihr Normengerüst nicht […] unterschwellig wirkt, sondern gewollt durchsichtig wird, so daß das Geschichtenerzählen Parabelcharakter gewinnt und in Geschichten verpackte Vorschläge zur quasi-intellektuellen Lösung anstehender Probleme unterbreitet.108

Der vorbildlich handelnde Held findet nämlich ganz konkrete Mittel und Lösungen, um auf die dargestellten Beunruhigungen zu reagieren. Dabei wird jedoch zumeist lediglich gezeigt, was die Helden tun, nicht was sie denken. Statt Reflexion wird primär reflexartige Reaktion veranschaulicht, was Nussers „Strategie des Aktionismus“ entspricht: Das personalisierte Konfliktfeld fordert Aktionen oder Bewegungen heraus, die ganz konkret und sinnlich nachvollziehbar sind (ob es sich dabei um Verfolgungsjagden, Zusammenbrüche, körperliche Kontakte, Versteckspiele usw. oder auch nur um eine bewegte ges-

105 Vgl. Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 192. 106 Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 35. 107 Vgl. Schulte-Sasse: Literarische Wertung, S. 178. 108 Schulte-Sasse: Literarische Wertung, S. 178.



34 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

tische und mimische Gebärdensprache handelt). Durch Reflexionen entstehende Verzögerungen der Lektüre werden damit weitgehend ausgeschlossen.109

Narratologisch tragen eine lineare Erzählweise, schnelle Szenenwechsel und ein kurzer, parataktischer Satzbau ihr Übriges zu einer solchen Dynamisierung bei. Insgesamt erzeugen also der oberflächliche, sinnlich nachzuvollziehende Aktionismus und die Personalisierung von Konflikten eine äußere Dynamik, die sich auf die innere emotionale Bewegung des Lesers überträgt. Darüber hinaus eignen sich die vergegenständlichten und dynamisierten Handlungsweisen hervorragend dazu, konkrete Handlungsanweisungen und agitatorische Appelle mit ihnen zu verbinden. Arbeitern, die im Beruf eher an konkrete Gegenständlichkeit und pragmatisches Denken gewohnt sind, kommt diese Versinnlichung und Verdinglichung der erzählten Welt durchaus entgegen. So stellt Nusser fest: Und auch das sehr pragmatische Problemlösungsverhalten, das die Helden der Heftromane, jedenfalls der Abenteuerromane, bevorzugen, muß Leser beeindrucken, die zumindest am Arbeitsplatz eher über situationsbedingte als über abstrakte Sachverhalte zu kommunizieren gewohnt sind […].110

Dabei kann der dargestellte Aktionismus, der sich oftmals in einer Vielzahl von gewalttätigen Handlungsinhalten äußert, dem Aufbau von Aggressionen dienen bzw. bereits vorhandene Aggressionen verstärken, was nicht ausschließt, dass der Leser selbst handgreiflich wird. Nusser betont die Möglichkeit der aggressionsaufbauenden Wirkung an verschiedenen Stellen111 und verweist im Prinzip auf Folgendes: „Sofern die Strategie des Aktionismus auf das Bedürfnis nach Aggressionsabfuhr antwortet, kann neben der kathartischen Wirkung eine aggressionsaufbauende Wirkung nicht ausgeschlossen werden.“112 In Zusammenhang mit den oben vorgestellten Funktionen populärer Texte, also mit der Versicherung gemeinsamer Werturteile und mit einer Vielzahl von Identifikationsangeboten, entwickeln diese Texte durchaus Potenzial zur Stärkung von Gruppenidentitäten bei gleichzeitiger Verfestigung von Feindbildern, beispielsweise gegenüber politisch Andersdenkenden. So kann Aggressionspo-

109 Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 32. 110 Nusser: Trivialliteratur, S. 136. 111 Vgl. Peter Nusser: Romane für die Unterschicht. Groschenhefte und ihre Leser. 5., mit einer Bibliogr. und einem Nachw. versehene Auflage. Stuttgart 1981, S. 84–88 [Kapitel 3.3.3: „Die allgemeinen Kennzeichen der Handlung und das Problem der Aggressivität“]. Vgl. Nusser: Trivialliteratur, S. 138. Vgl. Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 37, 42–43. 112 Nusser: Unterhaltung und Aufklärung, S. 43.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 35

tenzial bewusst geschürt, kanalisiert und infolgedessen instrumentalisiert und zu politischen Kämpfen genutzt werden. Die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Romane versuchen ebenfalls mit den unterschiedlichsten Kombinationen der oben vorgestellten Strategien die vor der Realität resignierenden Arbeiter anzusprechen und ihnen einen klaren Orientierungsrahmen zu bieten, den sie mit konkreten politischen Anweisungen füllen. Inwieweit die Darstellungen der behandelten Romane, die keinesfalls gewaltfrei sind, zur zielgerichteten Schürung von Aggression und Kampfeswillen dienen, wird das Analysekapitel zeigen.

1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der ­untersuchten Romane Die Frage, wie sich die untersuchten Romane kategorisieren bzw. einem konkreten Gattungsbegriff zuordnen lassen, ist nicht so einfach zu beantworten, wie es auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mag. Die Romane arbeiten nämlich mit einer Vielzahl an Versatzstücken populärer Gattungen, was ihre konkrete Zuordnung erschwert. Ralph Kohpeiß verweist in diesem Zusammenhang treffend auf die Schwierigkeiten von Gattungsbestimmungen: Ein literarisches Werk einem bestimmten Genre zuzuschlagen bedeutet, einer von verschiedenen möglichen Lesarten zur Dominanz zu verhelfen. Es ist dies eine Verfahrensweise, die sich in bestimmten Untersuchungszusammenhängen als unumgänglich erweist. Das zentrale Problem jeder Gattungsbestimmung liegt darin, eine Gruppe von Merkmalen zu finden, die den potenziellen Untersuchungsobjekten unabhängig von ihrer sonstigen Heterogenität in gleicher Weise zugesprochen werden kann.113

Insbesondere Wolfgang Hallet verdeutlicht die Vielzahl konkurrierender generischer Zuschreibungen und zeigt, dass Gattungen letztendlich ebenfalls als kognitive Schemata aufzufassen sind. Er plädiert für eine „kognitive Gattungstheorie“, die sowohl produktions- wie rezeptionsseitige Gattungsdynamiken erklären könne.114

113 Ralph Kohpeiß: Der historische Roman der Gegenwart in der Bundesrepublik Deutschland. Ästhetische Konzeption und Wirkungsintention. Stuttgart 1993, S. 29. 114 Vgl. Wolfgang Hallet: Gattungen als kognitive Schemata: Die multigenerische Interpretation literarischer Texte. In: Gattungstheorie und Gattungsgeschichte. Hg. v. Marion Gymnich, Birgit Neumann und Ansgar Nünning. Trier 2007, S. 53–71 [hier: S. 69]. Hallet definiert literarische Gattungen auf S. 62 dabei folgendermaßen: „‚Gattung‘ ist das Ergebnis einer komplexen kognitiven Schemainterpretation, in deren Verlauf eine Vielzahl kognitiver Schemata, die vom allgemeinen



36 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

Anhaltspunkte für die Einordnung der untersuchten Romane liefern der Zeitroman, Elemente des Abenteuerromans bzw. der Spannungsliteratur im Allgemeinen sowie Elemente des Entwicklungsromans. Abenteuerliche Erwartungen der Leser an die linken wie rechten Romane werden bereits durch paratextuelle Elemente wie die meisten Titel115, die Klappentexte116, Verlagsankündigungen am Buchende117 und Rezensionen118 geweckt, die bei fast jeder Ausgabe den ‚Kampfcharakter‘ sowie den fesselnden, spannenden, mitreißenden Inhalt betonen. Des Weiteren finden sich zumindest im Rahmen der Roten Eine-Mark-Romane intertextuelle Verweise auf Abenteuerliteratur von

Weltwissen bis hin zu Verfahren narrativer Vermittlung reichen, in das Textverstehen integriert werden.“ 115 Untersuchte Titel der Reihe des Roten Eine-Mark-Romans, die den Kampfcharakter betonen: Bd. 8: Kämpfende Jugend, Bd. 1: Sturm auf Essen. Die Kämpfe der Ruhrarbeiter gegen Kapp, Watter und Severing. Titel der untersuchen rechten Romane, die den Kampfcharakter betonen: Josef Viera: Utz kämpft für Hitler, Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches, Der Kampf um die Feldherrnhalle. 116 Vgl. Die Roten Eine-Mark-Romane Bd. 9: S.S. Utah und Bd. 3: Zwischen den Fronten. Pell: S.S. Utah, S. 2: „[…] ausgefüllt mit den kleinen Kämpfen, die gegen die stockkonservativen Schiffsleitungen täglich geführt werden. […] Kampfgemeinschaft“; B. Orschansky: Zwischen den Fronten. Berlin/Wien/Zürich 1930, S. 2: „[…] wird bald einer der unermüdlichsten Kämpfer für die Befreiung des Proletariats.“ 117 Ankündigungen des Franz Schneider Verlags mit Kurzbeschreibungen weiterer Titel von Viera finden sich z. B. am Ende von Horst Wessel, Der Kampf um die Feldherrnhalle und SA.-Mann Schott. Dort heißt es in gleichbleibendem Wortlaut und unter Betonung des Kampfcharakters: zu Horst Wessel: „Ein glühender Atem durchjagt diese Helden- und Leidensgeschichte des unsterblichen Vorkämpfers und Vorbildes für die deutsche Jugend.“, zu Utz kämpft für Hitler: „Erschütternd, wie sich der kleine Utz aus dem marxistischen Sumpf seines armseligen Proletarierdaseins herauskämpft […].“, zu SA.-Mann Schott: „[…] reift an den sich überstürzenden Ereignissen des letzten Jahres vor der nationalsozialistischen Revolution zum heldischen Kämpfer und Mann.“ Verlagsankündigungen des Internationalen Arbeiter-Verlags finden sich immer auf der Rückseite des Einbandes der Roten Eine-Mark-Romane, die auf die anderen Bände der Reihe verweisen: Verweis zu Bd. 1: Sturm auf Essen z. B. auf dem Einband von Bd. 3: Zwischen den Fronten: „Der heldenhafte Kampf der Roten Armee gegen Kapp, Watter und Severing“. 118 Vgl. O.[tto] Biha: Der proletarische Massenroman. Eine neue Eine-Mark-Serie des ‚internationalen Arbeiterverlags‘. In: Die Rote Fahne (02.08.1930a), Nr. 178, S. 10: „Nicht minder fesselnd, aber durchglüht vom Kampfeswillen der Klasse, muß dieser Roman tief hinein in alle Schichten der Unterdrückten die Ideologie des proletarischen Bewusstseins tragen.“ Vgl. Kurt Kläber: Der proletarische Massenroman. In. Die Linkskurve 2 (1930a), H. 5, S. 23: „Einer soll es dem anderen sagen. […] Da hat einer unseren Kampf gezeigt, so wie er ist.“ Vgl. die Rezension zu Schenzingers Der Hitlerjunge Quex: Hans Mohr: Zur Frage der politischen Jugendschrift. In: JugendschriftenWarte 39 (1934), H. 6, S. 43: „[…] es ist ein ehrliches und starkes Buch. […] Das Buch packt und wirkt, weil es überzeugt. An dem Schicksal dieses Hitlerjungen Quex werden uns die Gewissenskämpfe bewußt, die ausgefochten werden müssen, wenn es um echte Entscheidungen geht.“





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 37

Jack London und Upton Sinclair.119 Innerhalb der rechten Romane fehlen diese Verweise auf ausländische Abenteuerliteratur gänzlich. Dies hängt sicher damit zusammen, dass später im ‚Dritten Reich‘ vor allem die Werke von ausländischen (insbesondere englischen) Autoren indiziert wurden, da eine genuin deutsche (Abenteuer-)Literatur produziert werden sollte.120 Neben den abenteuerliterarischen Signalen verweisen die meisten Klappentexte, Verlagsankündigungen und Rezensionen auf den authentischen Anspruch, bzw. den dokumentarischen, reportagehaften Charakter der Romane, was eher für eine Einordnung als Zeitroman spricht.121 Elemente, die insbesondere die Entwicklung eines bestimmten Protagonisten hervorheben, finden sich vor allem in den rechten Romanen Der Hitlerjunge Quex, Utz kämpft für Hitler und SA.-Mann Schott.122 Auch die wissenschaftliche Literatur verwendet ganz unterschiedliche Bezeichnungen, um die Romane einzuordnen. In Bezug auf die Roten Eine-MarkRomane benutzt Uecker beispielsweise die sehr allgemein gehaltenen Begriffe

119 Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 82: „Sie las gerne amerikanische Romane und er versprach ihr, nächste Reise einige Bücher von Jack London mitzubringen.“ Vgl. Willi Bredel: Rosenhofstraße. Roman einer Hamburger Arbeiterstraße. Reprint der Originalausgabe von 1931. Berlin 1974, S. 32: „[…] und auch den ‚Jimmi Higgins‘ von Upton Sinclair entdeckte er.“ 120 Vgl. Norbert Hopster: Abenteuer und Reisen: In: Kinder- und Jugendliteratur 1933–1945. Ein Handbuch. Band 2: Darstellender Teil. Hg. v. Norbert Hopster, Petra Josting und Joachim Neuhaus. Stuttgart 2005b, S. 532. 121 Vgl. Text auf der Rückseite des äußeren Einbandes fast aller Roten Eine-Mark-Romane: „Das bedeutet, jeden Monat ein Roman von der Masse für die Masse. Eine Reportage aus Fabriken, Werften, Gruben. Ein lebendiger Filmstreifen aus den Produktionszentren der ganzen Welt.“ Vgl. Rezension zu Schenzingers Der Hitlerjunge Quex: Mohr: Zur Frage der politischen Jugendschrift, S. 43: „Hier ist Leben gestaltet. Das Buch packt und wirkt, weil es überzeugt. […] Man muss Schenzinger die unwiderstehliche Kraft der nationalsozialistischen Idee glauben […]“. Vgl. Verlagsankündigungen zu Josef Viera: Horst Wessel: „Ein aufregender Einblick in den Hexenkessel des ehemals roten und sogar kommunistischen Berlins.“ Zu SA.-Mann Schott: „Mit ihm begreifen auch die letzten, warum der Marxismus niedergerungen werden mußte, wenn Sauberkeit und Moral wiederkehren, wenn eine wahre Volksgemeinschaft entstehen, wenn Deutschland leben soll.“ 122 Vgl. den Aufsatz von Dagmar Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung. Zu einem Typus der nationalsozialistischen Jugendliteratur. In: Literatur für Kinder. Studien über ihr Verhältnis zur Gesamtliteratur. Hg. v. Maria Lypp. Göttingen 1977 (= Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik; Beiheft 7), S. 123–154. Vgl. Verlagsankündigungen zu SA.-Mann Schott: „Primaner und SA.-Mann Schott, fast noch ein Junge, reift an den sich überstürzenden Ereignissen, des letzten Jahres vor der nationalsozialistischen Revolution zum heldischen Kämpfer und Mann.“ Zu Utz kämpft für Hitler: „Erschütternd, wie sich der kleine Utz aus dem marxistischen Sumpf seines armseligen Proletarierdaseins herauskämpft […].“



38 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

„Zeitroman[ ]“, „Milieuroman[ ]“ und „politischer Bildungsroman“ während Jost Hermand auf den „Berufsgruppenroman“ abhebt.123 Die hier untersuchten nationalsozialistischen Romane werden oftmals als ‚Literatur der Organisationen und Dienste‘, ‚Literatur der Kampfzeit‘ und wenn sie eindeutig abenteuerliche Elemente mit der Schilderung von Kriegserlebnissen verknüpfen  – wie etwa Beumelburgs Gruppe Bosemüller – als ‚Kriegsroman‘ bezeichnet; auch Anleihen am ‚Entwicklungsroman‘ werden betont.124 Für Literatur, die unmittelbar nach der ‚Machtergreifung‘ der Nationalsozialisten 1933 entstanden ist und die sich oft durch ein Übermaß an nationalsozialistischer Symbolik und Kommunistenschelte auszeichnet (vgl. die Werke von Viera), hat sich der Begriff ‚Konjunkturliteratur‘ etabliert.125 Die Romane können also nicht durchweg einer Gattung zugeordnet werden, vielmehr bedienen sie sich einiger populärer Versatzstücke, kombinieren sie mit Elementen anderer Gattungen und versuchen diese für die politische Propaganda nutzbar zu machen. Nicole Nottelmann spricht von einer Formelliteratur, die unter dem Eindruck der fortschreitenden Industrialisierung und Technisierung in der Weimarer Republik „industrielle Raster abbilde“126: „Entsprechend ist die Verwendung von diversifizierenden Formeln, also von standardisierten Textmerkmalen und Versatzstücken, eine der wichtigste Strategien dieser Literatur, um die gewünschte Breitenwirkung zu erzielen.“127 Vor allem die Titel der Romane, die explizit die rechten Organisationen thematisieren, wie Der Hitlerjunge Quex, SA.-Mann Schott und Utz kämpft für Hitler, ver-

123 Uecker: Wirklichkeit und Literatur, S. 326: „Zeitromane“, S. 329: „politischer Bildungsroman“, S. 335: „Milieuromane“. Jost Hermand: Erik Regers „Union der festen Hand“ (1931). Roman oder Reportage? In: Angewandte Literatur. Politische Strategien in den Massenmedien. Hg. v. Jost Hermand. Berlin 1996, S. 25. 124 Vgl. Norbert Hopster: Literatur der Organisationen und Dienste. In: Kinder- und Jugendliteratur 1933–1945. Ein Handbuch. Band 2: Darstellender Teil. Hg. v. Norbert Hopster, Petra Josting und Joachim Neuhaus. Stuttgart 2005a, S. 121–186. Vgl. Karl Prümm: Das Erbe der Front. Der antidemokratische Kriegsroman der Weimarer Republik und seine nationalsozialistische Fortsetzung. In: Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Themen, Traditionen, Wirkungen. Hg. v. Horst Denkler und Karl Prümm. Stuttgart 1976, S. 138–164. Für Anleihen am ‚Entwicklungsroman‘ vgl. Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung und Hans Günther: Education and Conversion: The Road to the New Man in the Totalitarian Bildungsroman. In: The Culture of the Stalin Period. Hg. v. Hans Günther. Houndmills [u. a.] 1990, S. 193–209. 125 Vgl. Ulrich Nassen: Jugend, Buch und Konjunktur 1933–1945. Studien zum Ideologiepotenzial des genuin nationalsozialistischen und des konjunkturellen „Jugendschrifttums“. München 1987. Vgl. Hopster: Literatur der Organisationen und Dienste, S. 142. 126 Nottelmann: Strategien des Erfolges, S. 67. 127 Nottelmann: Strategien des Erfolges, S. 68.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 39

weisen deutlich auf eine Verbindung von Ideologie und Unterhaltung. Dies betont auch Norbert Hopster: „Das Neue an diesen Titeln besteht in der an ihnen sichtbar werdenden Verbindung von Unterhaltungs- und Ideologisierungsfunktion.“128 Dabei ist der Bezug auf Formen der Unterhaltungsliteratur lediglich ein Instrument zum Gewinn eines breiten Kreises an Rezipienten (insbesondere der Masse der Arbeiter) und deren politischen Mobilisierung. Darüber hinaus handelt es sich von linker wie von rechter Seite auch um den Versuch, die als ‚gedrucktes Gift‘129 und ‚Schund‘130 bezeichnete bürgerliche Literatur sowie die kolportageartige Heftchenliteratur aus den Bücherregalen der Arbeiter zu verdrängen, die eigene ideologiespezifische Literatur als ‚Waffe‘131 im Kampf um den Arbeiter zu etablieren und die eigene ‚Bewegung‘ im Rahmen eines revolutionären Gestus132 zu präsentieren.

1.4.1 Elemente des Zeitromans Der Abenteuerroman sowie der historische bzw. zeitgeschichtliche Roman gehören seit jeher zu den populären Lesestoffen bzw. werden der Unterhaltungsliteratur zugerechnet.133 Der Zeitroman hingegen existiert als Untergattung des Romans erst seit dem ausgehenden 18.  Jahrhundert134, weist jedoch fließende

128 Hopster: Abenteuer und Reisen, S. 522. 129 Zur Giftmetapher, der sich die linke wie die rechte Seite bediente, vgl. Fußnote 71. 130 Zum nationalsozialistischen ‚Schundkampf‘, insbesondere was die Kinder- und Jugendliteratur betrifft, vgl. u. a. Petra Josting: Der ‚Schmutz- und Schundkampf‘ im „Dritten Reich“. In: Kinder- und Jugendliteraturforschung (1995/6), S. 17–38. Vgl. Ulrich Nassen: Konservative und nationalsozialistische Positionen der Jugendschrifttumskritik. Jugendliteratur als Bestandteil praktischer Sozialhygiene (1927–1933). In: Theorien der Jugendlektüre. Beiträge zur Kinder- und Jugendliteraturkritik seit Heinrich Wolgast. Hg. v. Bernd Dolle-Weinkauf und Hans-Heino Ewers. Weinheim/München 1996b, S. 151–164. 131 Zur Metapher der Literatur als ‚Waffe‘ vgl. Fußnote 75. 132 Nicht nur die kommunistische Seite präsentiert sich als revolutionär. Auch die NSDAP gab sich vor allem in der ‚Kampfzeit‘ der ‚Bewegung‘ am Ende der Weimarer Republik und zu Beginn des ‚Dritten Reiches‘ als revolutionär aus, was neben den analysierten Romanen auch an zeitgenössischen, propagandistischen (Sach-)Publikationen abzulesen ist. Vgl. z. B.: Curt Rosenblatt: Die nationalsozialistische Revolution. Ereignisse, Reden und Aufbauarbeit. Ein Lese- und Arbeitsbüchlein für den Schulgebrauch. 3., erw. Auflage. Breslau [1934]. 133 Der Begriff der Trivialliteratur wird hier bewusst vermieden, da er, wie oben bereits betont, normativen Charakter besitzt und abwertend konnotiert ist. 134 Vgl. Dirk Göttsche: Zeitroman. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 3: P–Z. Hg. v. Jan-Dirk Müller. 3., neubearb. Auflage. Berlin 2003, S. 881.



40 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

Übergänge zum historischen Roman und zum Unterhaltungsroman auf.135 Dirk Göttsche definiert ihn folgendermaßen: [D]er Zeitroman [konstituiert sich] durch Darstellung und Kritik der politischen und/oder sozialen Zeitgeschichte als literarischer Versuch eines (dokumentarischen oder fiktionalen) Bildes der Zeit in ihren Voraussetzungen, Grundzügen und Entwicklungen. Dieser historische Blick auf die eigene Gegenwart bringt unterschiedliche Strukturmodelle des Erzählens hervor […]. Die kritische Zeitreflexion kann von der Darstellung kollektiver Geschichtserfahrung als erlebter Zeitgeschichte ausgehen (politisch-historischer Zeitroman), unmittelbar am zeitgenössischen politischen Diskurs partizipieren (politischer Zeitroman) oder auf ein Totalbild der sozialen und kulturellen Strukturen und Entwicklungen einer Epoche zielen (Epochenroman, Gesellschaftsroman).136

Die hier untersuchten Romane bewegen sich zwischen der Darstellung erlebter Zeitgeschichte – beispielsweise in den Roten Eine-Mark-Romanen durch die Schilderung des Kapp-Lüttwitz-Putsches in Sturm auf Essen und des ‚Blutmais‘ in Barrikaden am Wedding, oder seitens der rechtsradikalen Romane etwa in der Schilderung des ‚Marschs auf die Feldherrnhalle‘ im Rahmen des Hitler-Ludendorff-Putsches (1923) sowie der Präsentation des Lebens der realen zeitgeschichtlichen Person Horst Wessel in den Romanen von Viera – und der unmittelbaren Teilnahme am politischen Diskurs durch die Form der Agitationsliteratur und das Verständnis von Literatur als operationaler ‚Waffe‘ im Kampf um die politische Macht. Beiden politischen Seiten gemein ist auch die immer wieder auftretende zeitgeschichtliche Thematisierung der prägenden Erlebnisse des Ersten Weltkriegs, die sich jedoch auf jeweils unterschiedliche Weise manifestiert. Im Roten EineMark-Roman zeigen sich im Umfeld der bürgerkriegsartigen Kämpfe der Arbeiter zwar durchaus die soldatischen Erfahrungen und Kampftugenden,137 primär werden jedoch die Negativauswirkungen des Krieges im Rahmen von Kriegsverletzungen oder traumatischen Erinnerungen geschildert138. Ganz anders hingegen

135 Vgl. Göttsche: Zeitroman, S. 882. 136 Göttsche: Zeitroman, S. 882–883. 137 Vgl. Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Die Kämpfe der Ruhrarbeiter gegen Kapp, Watter und Severing. Reprint der Originalausgabe von 1930. Köln 1976, S. 97: „Habʼ früher an den Fronten drei Jahre lang soʼne Dinger kutschiert!“, sprachliche Befehlsstrukturen: „Fertigmachen! Antreten!“ (S. 15), „Achtung! Im Gleichschritt…Marsch!“ (S. 16). 138 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 104: „Franz entsann sich des Trommelfeuers, das er beim Sturm im April 1918 auf den Berg in Flandern miterlebt hatte. Die Fleischfetzen der stürmenden Soldaten hingen, durch krepierende Granaten emporgequirlt, hoch oben in den Bäumen.“ Betonung von Kriegsverletzungen in: Pell: S.S. Utah, S. 46: von „Schrapnells“ zerrissene Kehle, S. 103: Gasvergiftung. Es finden sich auch pazifistische Anklänge: Marchwitza: Sturm auf





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 41

verläuft die Thematisierung des Weltkriegserlebnisses in den rechten Romanen, allen voran im Kriegsroman Gruppe Bosemüller von Werner Beumelburg. Hier dienen das Weltkriegserlebnis und der heroische Opfertod als direkte Legitimation für einen neuen Weltkrieg und die Frontgemeinschaft wird von den Nationalsozialisten als Verweis auf eine zukünftige ‚Volksgemeinschaft‘ im NS-Staat uminterpretiert und auf diese Weise funktionalisiert. Heroische Kampftugenden und der Opfertod werden immer wieder propagiert; so wird versucht, der sinnlosen Zerstörung des Krieges Sinn zu verleihen: „Der Krieg verstanden als notwendige Station auf dem Heilsweg in die ideale nationale Gemeinschaft verliert alle Sinnlosigkeit, wird vielmehr zu einer ‚grausamen Lehre‘ des Schicksals.“139 Beumelburg bedient sich dabei einer Darstellungsweise, „die die furchtbare Realität der Zerstörungen immer wieder in eine überhöhte Welt des Heroismus, des Mythos und der Pseudoreligion überführt“140. Letztendlich läuft in den Kriegsromanen von völkisch-nationaler bzw. nationalsozialistischer Seite141 alles darauf hinaus, den verlorenen Weltkrieg für die Gegenwart politisch nutzbar zu machen. Die Funktionalisierung des Ersten Weltkrieges vollzieht sich dabei folgendermaßen: [D]ie Frontliteratur [kam] der Stimmungslage der Jüngsten entgegen, weil in ihr inmitten der Sinnlosigkeit der modernen Materialschlachten, entgegen jeglicher Erfahrung, die Sinnhaftigkeit des Einsatzes einzelner mythisch überhöht und auf diese Weise gleichsam

Essen, S. 51: „Haben wir nicht durch den Krieg genug geblutet und gelitten?“, S. 73 und S. 123: „Kadavergehorsam“; Pell: S.S. Utah, S. 75: „Haben uns in der Armee sattmarschiert!“. 139 Ehrke-Rotermund: „Durch die Erkenntnis des Schrecklichen zu seiner Überwindung“?, S. 312. 140 Ehrke-Rotermund: „Durch die Erkenntnis des Schrecklichen zu seiner Überwindung“?, S. 314. 141 Unter dem Sammelbegriff ‚völkisch-nationale Literatur‘ werden sehr unterschiedliche, teils disparate Strömungen und Autoren zusammengefasst, die wiederum nicht völlig identisch mit der nationalsozialistischen Weltanschauung waren, teilweise sogar im Gegensatz zu ihr standen. Die nationalsozialistische Literaturpolitik eignete sich aber die völkisch-nationale (Kriegs-)Literatur zu großen Teilen funktional an, wie Kapitel 2.2.1 zeigt. Eine Ausdifferenzierung der zahlreichen unterschiedlichen Strömungen ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Wenn es um die ideologischen Gemeinsamkeiten sowie um die funktionale Aneignung durch die Nationalsozialisten geht, wird im Folgenden also bewusst vereinfachend von ‚völkisch-national(sozialistisch) er Literatur‘ gesprochen. Für eine differenzierte Unterscheidung vgl. u. a.: Uwe-Karsten Ketelsen: Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literatur in Deutschland 1890–1945. Stuttgart 1976; Klaus Vondung: Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literaturtheorie. München 1973; Rolf Geissler: Dekadenz und Heroismus. Zeitroman und völkisch-nationalsozialistische Literaturkritik. Stuttgart 1964.



42 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

exemplarisch vorgeführt wurde, daß nur noch kämpferischer Aktionismus aus einer verzweifelten Lage zu befreien vermag.142

Zwar findet sich in den Roten Eine-Mark-Romanen ein ebensolcher Aktionismus sowie die Propagierung heroischer Kampftugenden und der Opfertod in den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, sie werden jedoch nicht primär in Bezug auf den verlorenen Ersten Weltkrieg begründet (der von kommunistischer Seite als Ausdruck der Interessen des imperialistischen Kapitals angesehen wird) und dienen einem anderen Ziel: der Fortführung der Klassenkämpfe und der (internationalen) proletarischen Revolution. Ein umfassendes Bild der Epoche wird von keinem der beiden politischen Lager geschildert; der Fokus liegt überwiegend auf der entweder kommunistischen oder nationalsozialistischen Perspektive der historischen und politischen Entwicklungen und beschränkt sich meist – abgesehen von Beumelburgs Kriegsroman Gruppe Bosemüller – auf die Darstellung des (großstädtischen) Arbeitermilieus, das als spezifische Zielgruppe dieser Literatur gelten kann (vgl. Kapitel 2: Literaturpolitische Hintergründe und Kapitel 3: Rezeptionsbedingungen). Der Zeitroman sendet, ähnlich wie historische Romane, Geschichtssignale wie Daten, historische Ereignisse, Namen von Personen bzw. Politikern und Städten etc. Hugo Aust betont die paratextuellen Signale, die von historischen bzw. zeitgeschichtlichen Romanen ausgehen: Solche Zeit-Zeichen sind im Text an beliebiger Stelle verstreut; aber sie begegnen typischerweise oft schon im Titel, im Untertitel bzw. in der Gattungskennzeichnung, in der Buchausstattung (Klappentext, Abbildungen auf Außen- und Innenseite des Buchdeckels wären hier zu nennen, obwohl sie selten vom Autor stammen), im Vorwort […].143

So finden sich in den Klappentexten und in den Untertiteln der Romane, aber auch in den Romantexten selbst, zahlreiche zeitgeschichtliche Verweise, die besonders den dokumentarischen Charakter bzw. den Authentizitätsanspruch des Berichteten hervorheben.144 Die Betonung vergangener Arbeitskämpfe und

142 Norbert Hopster und Ulrich Nassen: Vom „Bekenntnis“ zum „Kampf“. Jugend und Jugendliteratur auf dem Weg ins „jugendliche Reich“. In: „Mit uns zieht die neue Zeit“. Der Mythos Jugend. Hg. v. Thomas Koebner, Rolf-Peter Janz und Frank Trommler. Frankfurt a. M. 1985, S. 546– 562 [hier: S. 547; Ergänzungen durch Michaela Menger]. 143 Hugo Aust: Der historische Roman. Stuttgart/Weimar 1994, S. 23. 144 Bd. 1 der Roten Eine-Mark-Romane, Sturm auf Essen, erwähnt beispielsweise die „KappLüttwitz-Regierung“ (S. 18) und Politiker wie Noske und Ebert (S. 17) sowie Watter (S. 149). Diese sind auch im Untertitel aufgeführt: „Die Kämpfe der Ruhrarbeiter gegen Kapp, Watter und Seve-





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 43

deren Weiterführung in der Zukunft (unter der Leitung der KPD) sind das zentrale Thema der Roten Eine-Mark-Romane. Die nationalsozialistischen Romane thematisieren die Überwindung der Niederlage des Ersten Weltkrieges durch die Wiederaufnahme des Kampfes und die Zukunft der ‚Volksgemeinschaft‘ (vgl. Beumelburg) oder sie behandeln die ‚Kampfzeit‘ der nationalsozialistischen ‚Bewegung‘ in der Endphase der Weimarer Republik und die Auseinandersetzungen mit den Kommunisten, in deren Folge die ‚Märtyrer‘ der ‚Bewegung‘, die vor dem Hintergrund dieser Konflikte starben (z. B. Norkus und Wessel), präsentiert bzw. stilisiert werden. Damit verbunden ist zumeist ein (in)direkter Appell an den Leser zur zukünftigen Fortführung der heldenhaften und heroischen Taten im Rahmen der Organisation der NSDAP. Daher trifft Nussers Definition des zeitgeschichtlichen Romans durchaus auf die Darstellungsabsicht der Romane zu: „Der zeitgeschichtliche Roman verlängert das Historische in die Gegenwart, wagt auch Ausblicke in die Zukunft, führt also das Gegenwärtige als das Gewordene und Wandelbare vor Augen.“145 Dabei orientiert sich das Dargestellte zwar am Alltag der Arbeiter, an den (Bürger-)Kriegserlebnissen (für den völkisch-nationalen bzw. nationalsozialistischen Roman) bzw. an den Arbeitskämpfen (für den Roten Eine-Mark-Roman), und es wird immer wieder deren sachliche, ungeschönte Darstellung betont; die dahinter stehende Absicht ist aber nicht primär rein dokumentarisch oder historisch-neutral zu berichten, sondern eher exemplarisch vorzuführen, welche Konsequenzen aus den Kämpfen zu ziehen sind und somit ein „Sollen der Wirk-

ring“. Folgender Satz des Vorworts von A.[lexander] Abusch beansprucht die Authentizität des Berichteten (S. 2): „‚Sturm auf Essen‘ stellt keine nachträgliche Beschönigung von Einzelheiten des Ruhrkampfes dar. Hans Marchwitza weiß, daß revolutionäre Selbstkritik zum Inhalt jedes proletarischen Romans gehören muß. Wer den Klassenkampf in dem konzentriertesten Industriegebiet Deutschlands kennt, der wird beim Lesen von ‚Sturm auf Essen‘ immer wieder staunen, wie sehr man aus jeder Zeile den Geruch des Lebens und die Denkweise der Ruhrproleten spürt.“ Vgl. folgende Titel von Viera, die direkt auf zeitgeschichtliche Ereignisse/Personen Bezug nehmen: Der Kampf um die Feldherrnhalle, Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches. Vgl. die detailgenaue historische und geographische Schilderung der Kriegsschauplätze in Beumelburgs Gruppe Bosemüller (dazu ausführlicher: Kapitel 5.1.2). Vgl. die Schilderung des Beusselkiezes und der real existierenden Straßen Berlins in Schenzingers Der Hitlerjunge Quex sowie die wiederholt auftretenden intertextuellen Verweise auf den Tod von Herbert Norkus. In: Karl Aloys Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex. Berlin/Leipzig 1932, S. 54, 76, 224. Vgl. die Schilderung des zeitgenössischen Berlins in Schönstedts Rotem Eine-Mark-Roman Kämpfende Jugend sowie der Bezug auf die politische Jugendorganisation der KPD, den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD). 145 Nusser: Trivialliteratur, S. 83.



44 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

lichkeit zumindest auf dem Papier [zu] realisier[en]“146. So dient beispielsweise die vordergründig authentische Darstellung der Kriegserlebnisse durch eine historisch und geographisch detailgenaue Schilderung der Kriegsschauplätze des Ersten Weltkrieges im Prinzip ganz anderen Zwecken: In dieser Weise suggerieren diese Romane [die völkisch-nationalsozialistischen Kriegsromane] Wunschbilder und gaukeln durch naturalistische Darstellungsweise deren Realität vor. Damit werden sie zum Muster einer Literatur, an der man in der scheinbaren Wendung zur Wirklichkeit die Flucht vor dieser Wirklichkeit und eine Selbstverführung ins politischheroisch Illusionäre besonders gut studieren kann.147

Ähnliches gilt, wiewohl vor einem gänzlich konträren ideologischen Hintergrund, auch für die Roten Eine-Mark-Romane, deren Darstellungen ebenfalls zwischen Authentizitätsanspruch und Fiktion pendeln und die in ihrem literarischen Verfahren nicht weit entfernt vom späteren sozialistischen Realismus sind, dessen Perspektive keineswegs ‚realistisch‘ im wörtlichen Sinne ist. Wirklichkeit wird hier vielmehr dem ideologischen Standpunkt untergeordnet, die politische Utopie wird zur ‚Realität‘ verklärt. Der untrennbare Zusammenhang von Realitätsauffassung und ideologischem Wahrheitsanspruch sowie das Unterordnen der Realität unter den jeweiligen ideologischen Standpunkt sind somit konstitutiv sowohl für die kommunistische als auch für die nationalsozialistische Literatur. Ine Van linthout stellt daher sogar eine begriffliche Analogie zwischen sozialistischem Realismus und „nationalsozialistischem Realismus“148 her, die sie inhaltlich folgendermaßen begründet: Die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Realismusauffassungen zeigen sich in der Terminologie und Metaphorik149, auf die beide […] zurückgriffen, um Wirklichkeit und Parteilichkeit, Realismus und Idealismus miteinander zu verbinden. Zunächst operierten beide […] mit dem Begriff der „Wahrheit“ als Chiffre für eine „richtig“ interpretierte Wirklichkeit im Sinne der jeweiligen Ideologie. […] Der Realismus galt in beiden Fällen als eine Methode, mit der die Literatur den Leser zur Parteinahme für das „Richtige“ bzw. zur „Wahrheit“ veranlassen sollte.150

146 Uecker: Wirklichkeit und Literatur, S. 329. 147 Geissler: Dekadenz und Heroismus, S. 77 [Ergänzung durch Michaela Menger]. 148 Vgl. das Kapitel 3.2.2.4, das den Titel „Nationalsozialistischer Realismus“ trägt, in: Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 318–322. 149 Beispielsweise die oben erläuterte, für die kommunistische wie nationalsozialistische Literaturkonzeption konstitutive Metapher der Literatur als ‚Waffe‘. 150 Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 319.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 45

Van linthout konstatiert bezüglich der Ähnlichkeiten, aber auch der Unterschiede zwischen den kommunistisch und nationalsozialistisch geprägten Auffassungen von Literatur erhöhten Forschungsbedarf151 – die vorliegende Studie widmet sich in Teilen genau dieser Forschungslücke und will einen Beitrag zur Klärung dieser Fragen liefern. Insgesamt betrachtet ist der Umgang mit dem Anspruch auf historische ‚Wahrheit‘ jedoch seit jeher ein zentrales Problem des historischen Romans, das auch auf den Zeitroman im oben definierten Sinne zutrifft: Da aber auch hier die poetische Lizenz des Autors, das vorliegende Material neu zu gruppieren, deutend zu überhöhen u. auf prägnante Momente hin zu verdichten, ihr Recht behält, wurde dem Genre seit jeher diese Zwitterstellung zwischen historiograph. Beglaubigung einerseits u. eigengesetzl. fiktionaler Einkleidung andererseits zum Vorwurf (so daß apologetisch gehaltene Vorberichte auch selten fehlen); das Maß in dem dieses Verhältnis im Roman künstlerisch reflektiert erscheint, kann als ein Index für dessen literar. Wert dienen.152

Zwischen „innere[r] Wahrheit“ und „historische[r] Richtigkeit“ im wissenschaftlichen Sinne unterscheidet auch Erwin Wickert: Der Autor eines historischen Romans wählt durchaus cum studio aus; ihn ist ja an der historischen Richtigkeit wenig, an der inneren Wahrheit seiner Geschichte und seiner erdichteten Menschen dagegen alles gelegen. Der Historiker aber, als redlicher Wissenschaftler wohlgemerkt, wird die Fakten sine studio auswählen, sich hüten sie zu behauen, zurechtzubiegen oder gar zu fälschen, etwa um sie für eine vorgefasste Theorie passend zu machen.153

Vor allem Rainer Stollmann verweist auf ein ideologisches Patentrezept, das sich viele Romane, die sich selbst als ‚politische Zeitromane‘ gerieren, zu Nutze machen, wenn sie einerseits den Leser unbewusst bei seinen Schwächen abholen

151 Vgl. Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 322: „Die Ähnlichkeiten zwischen den Literaturauffassungen […] reichen weiter, als hier im Zusammenhang des metaphysischen Realismusverständnisses besprochen werden kann. Um die Eigentümlichkeit des ‚nationalsozialistischen Realismus‘ zu bestimmen, müssten auch die Unterschiede zwischen beiden Literaturauffassungen erforscht werden. Aufgrund der angezeigten (und noch weiter auszuarbeitenden) Parallelen erscheint die Analogiebildung allerdings legitim.“ 152 Arno Matschiner: Historischer Roman. In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hg. v. Walther Killy. 15 Bde. Gütersloh [u. a.] 1988–1993. Bd. 13: Begriffe A–Lei. Gütersloh [u. a.] 1992, S. 401. 153 Erwin Wickert: Von der Wahrheit im historischen Roman und in der Historie. In: Abhandlungen der Klasse der Literatur der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (1993), H. 1, S. 13 [Hervorhebungen von Wickert].



46 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

(Fluchtwünsche, kompensatorisches Lesebedürfnis) und ihm andererseits deutlich suggerieren, dass er durch die Lektüre der Romane politisches Bewusstsein, Stärke und Rückgrat zeige:154 Das Bedürfnis nach Wirklichkeitserfassung, das in der Krise wächst, muß sich befriedigt glauben, ohne daß der Rezipient tatsächlich durch den literarischen Kontakt mit der gesellschaftlichen Realität ins Nachdenken, in Unmut gestürzt [wird] […]. Der Leser wird dadurch immer weniger fähig, seine kompensatorischen Lesebedürfnisse […], die ihn tatsächlich an das Buch fesseln, von jenen Bedürfnissen zu unterscheiden, welches das Buch zu befriedigen vorgibt (politische Aufklärung).155

Mit dieser Methode eines Umbiegens bzw. eines Verklärens der gesellschaftlichen Zusammenhänge je nach ideologischen Anforderungen, kann letztendlich bei dem Dargestellten nur noch von einer „Fiktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit“156 die Rede sein: Die Ehrlichkeit der Fiktion, die sich im exotischen, privaten, anachronistischen Stoff meist schon zu erkennen gibt, verschwindet, wenn sich der triviale Massenroman als „Zeit-“, „Kampfroman“, ja, als „Tatsachenbericht“ drapiert. Er konfrontiert den Leser keineswegs mit der Realität, sondern macht die Realitätsflucht für den Rezipienten unkenntlich […].157

Fiktionales kann auf diese Weise wiederum als ‚real‘ authentifiziert werden. Die Verwendung von Versatzstücken des Zeitromans eignet sich damit für die Reihe des Roten Eine-Mark-Romans genauso wie für die vorgestellten nationalsozialistisch geprägten Romane hervorragend dazu, mit den Grenzen von Wirklichkeit und Literatur sowie Authentizität und Utopie zu spielen und diese zu verwischen, um sie für die jeweilige Ideologie passend zu machen.

1.4.2 Elemente der Abenteuerliteratur Die Verwendung zeitgeschichtlicher Versatzstücke und deren Funktion hinsichtlich der Darstellungsabsichten der Romane sind einleuchtend. Doch wie können Elemente der Abenteuer- bzw. Spannungsliteratur für die politische Agitation nutzbar gemacht werden?

154 Vgl. Rainer Stollmann: Ästhetisierung der Politik. Literaturstudien zum subjektiven Faschismus. Stuttgart 1978a, S. 163. 155 Stollmann: Ästhetisierung der Politik, S. 163. 156 Stollmann: Ästhetisierung der Politik, S. 164. 157 Stollmann: Ästhetisierung der Politik, S. 164.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 47

Der Abenteuerroman blickt auf eine lange Tradition zurück, die von den frühen Mythen der Antike bis zu den Aventiure-Romanen des Mittelalters reicht. Während sehr häufig die Polarität von Heimat und exotischer Fremde als Bedingung für Abenteuerliteratur aufgefasst wird, stehen hingegen in den untersuchten Romanen das ‚Abenteuer Alltag‘ oder die Überlebenskämpfe im ‚Großstadtdschungel‘ im Vordergrund. Lediglich der Kriegsroman Gruppe Bosemüller besitzt eine andere Kulisse, die Kriegsschauplätze des Ersten Weltkrieges, die ebenfalls mit abenteuerlichen Erlebniswerten aufgeladen werden. Ein großer Teil der Romane spielt in Großstädten wie Berlin, Hamburg und München. Die Abgründe der Großstädte als Thema von Abenteuerliteratur sind aber keineswegs ein Phänomen der Weimarer Republik. Bereits im 19. Jahrhundert findet in Die Geheimnisse von Paris von Eugène Sue kein Auszug in fremde Ferne mehr statt, sondern es wird die Polarität von „einer scheinbar geordneten Oberfläche“158 und den darunter „verborgenen Schattenseiten der Heimat des Protagonisten“159 geschildert. Auch Otto Brunken verweist darauf, dass die moderne technisierte Großstadt mit der Vielzahl an neuen Sozialformen, Erfahrungen und Lebensweisen den „Drang in die Fremde“160, der bis dahin als zentrales Merkmal von Abenteuern galt, kompensieren könne.161 Susanne Becker schildert dies als Allianz von Abenteuer und Großstadt und verweist anhand zahlreicher Beispiele auf die Neudefinition von Alltag und Abenteuer im Rahmen der Weimarer Republik.162 Auch folgendes Zitat von Heinrich Mann lässt die Formel ‚Abenteuer Alltag‘ plastisch werden: Wer kann denn sehen, dass er selbst mit seiner eigenen Person in einem viel größeren Abenteuer-Roman drinsteht, in den Abenteuern des Erwerbs, des Klassenkampfes, des geheimen Krieges innerhalb der gesamten Menschheit zwischen den beiden äußerst feindlichen Mächten, die um uns streiten.163

158 Helmut Schmiedt: Abenteuerroman. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1: A–G. Hg. v. Klaus Weimar. 3., neubearb. Auflage. Berlin 1997, S. 3. 159 Schmiedt: Abenteuerroman, S. 3. 160 Otto Brunken: Kinder- und Jugendliteratur von den Anfängen bis 1945. Ein Überblick. In: Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur. Hg. v. Günter Lange. Bd. 1: Grundlagen, Gattungen. 2. korr. Auflage. Baltmannsweiler 2000, S. 77. 161 Vgl. Brunken: Kinder- und Jugendliteratur von den Anfängen bis 1945, S. 77. 162 Vgl. Becker: Gattungskonstruktionen in der Geschichte der zirkulierenden Literatur, S. 200. Sie verweist u. a. auf Upton Sinclairs The Jungle [dt.: zuerst: Der Sumpf, dann: Der Dschungel], Bertolt Brechts Im Dickicht der Städte und Siegfried Kracauers Parallelisierung von Exotik und Großstadtleben in Das Ornament der Masse. 163 Heinrich Mann: Detektiv Romane. In: Die literarische Welt (23.08.1929), Nr. 34, S. 1.



48 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

Clemens Baumgärtner macht in einer ersten allgemeinen Definition des literarischen Abenteuers die Spannung ebenfalls zu einer zentralen Kategorie: Überschauen wir die bisherigen Überlegungen, könnten wir die Abenteuergeschichte als einen Text bezeichnen, dessen Handlung von Spannung erfüllt ist, eine fremdartige Welt vergegenwärtigt, seinen Helden in Situationen vorführt, die nicht nur ungewöhnlich, sondern auch gefahrenvoll sind und trotzdem durchgängig einem realistischen Weltverständnis und damit auch einer realistischen Wirklichkeitsdarstellung verpflichtet ist.164

Bis auf die Vergegenwärtigung einer fremdartigen Welt sind dies Kriterien, die auf einen Großteil der untersuchten Romane zutreffen. Anneliese Hölder definiert den Begriff des Abenteuers in Anlehnung an die aventiure relativ weit als etwas Ungewöhnliches, Unerwartetes, Ungewohntes, ein „gefahrvolles, kühnes Unternehmen“165, das Tugenden wie Tapferkeit und Großmut erfordere.166 Sie betont, dass anstelle des Wunders in der aventiure in modernen Zeiten vermehrt die Naturgesetzlichkeit und die potenzielle Realisierungsmöglichkeit des geschilderten Inhaltes getreten seien.167 Übertragen lässt sich diese Definition im Roten Eine-Mark-Roman insbesondere auf die Darstellung proletarischer Tugenden im Arbeitskampf, wo Tapferkeit, Hartnäckigkeit und Solidarität der vorbildlich handelnden Genossen exemplarisch für die moralische wie geistige Überlegenheit der gesamten ‚Bewegung‘ stehen und so zur inneren Stärkung des kommunistischen Kollektivs und des proletarischen Selbstbewusstseins des Einzelnen beitragen sollen. In den nationalsozialistischen Romanen stehen ähnliche Kampftugenden und der vom kommunistischen Klassenkampf losgelöste Begriff der ‚Kameradschaft‘ im Vordergrund. Die Überlegenheit der NSDAP und ihrer Anhängerschaft steht ebenfalls außer Frage; innere Geschlossenheit, Opferbereitschaft und die bedingungslose Einfügung des Individuums in die Partei werden somit gleichermaßen vorausgesetzt. Betont Hölder die sittliche Idee und den Helden als deren Träger168, so stehen in den Romanen die jeweiligen Ideologien als normative Richtschnur im Vordergrund. Träger dieser Ideologie ist zumeist die heldenhaft handelnde (parteipolitische) Gruppe, die in den kommunistischen Romanen zusätzlich durch den

164 Alfred Clemens Baumgärtner: Das Abenteuer und die Jugendliteratur. Überlegungen zu einem literarischen Motiv. In: sub tua platano. Festgabe für Alexander Beinlich. Hg. v. Dorothea Ader [u. a.]. Emsdetten 1981, S. 219. 165 Anneliese Hölder: Das Abenteuerbuch im Spiegel männlicher Reifezeit. Die Entwicklung des literarischen Interesses beim männlichen Jugendlichen. Ratingen 1967, S. 79. 166 Vgl. Hölder: Das Abenteuerbuch im Spiegel männlicher Reifezeit, S. 79. 167 Vgl. Hölder: Das Abenteuerbuch im Spiegel männlicher Reifezeit, S. 75. 168 Vgl. Hölder: Das Abenteuerbuch im Spiegel männlicher Reifezeit, S. 77.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 49

gemeinsamen Klassenhintergrund vereint wird; Einzelkämpfer gibt es kaum. In den nationalsozialistischen Romanen wird jedoch ein stärkerer Fokus auf die ideologische Entwicklung und Einfügung von Einzelpersonen in die Gruppe der Partei gelegt, was sich schon alleine an solch charakteristischen Titeln wie Utz kämpft für Hitler, Der Hitlerjunge Quex oder SA.-Mann Schott ablesen lässt. Die für den traditionellen Abenteuerroman charakteristische Polarität zweier Welten oder Ordnungen drückt sich im Roten Eine-Mark-Roman im Kampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat bzw. zwischen Kapitalismus und Kommunismus aus; der Kampf gegen den Nationalsozialismus wird, entsprechend der Parteitaktik der KPD und der sowjetischen Komintern169, erst sehr spät angesprochen, spielt so im ersten Band Sturm auf Essen – auch aufgrund der zeitgeschichtlichen Thematik des Kapp-Putsches von 1920 – keine Rolle, wird dafür aber in Kämpfende Jugend (1932) umso stärker thematisiert. In den nationalsozialistischen Romanen, die die ‚Kampfzeit‘ der NSDAP thematisieren, steht hingegen der Kampf gegen den Kommunismus ganz eindeutig im Vordergrund. Als Überrest der klassischen Kettenstruktur der aventiure170 bleibt bei den politisch rechten wie linken Romanen die lineare und oft kumulative Aneinanderreihung von Ereignissen bestehen. Handlungsträger und Helden in den Romanen sind zumeist Männer. Frauen bilden vorwiegend die ‚private Kulisse‘ und wirken kaum politisch  – wenn, dann eher als Hintergrundfiguren. Teilweise werden sie, insbesondere in den Roten Eine-Mark-Romanen, sogar als „Hemmschuh“171 der Revolution dargestellt, indem darauf verwiesen wird, dass die Frauen ihre Männer von waghalsigen Aktionen zurückhalten wollen. Doch auch in den nationalsozialistischen Romanen gelten ‚Frauengeschichten‘ als von den wesentlichen politischen Zielen ablenkend, werden kaum oder nur am Rande thematisiert.172 Hier tritt deutlicher

169 Die Verbreiterung der Zielgruppe der Reihe des Roten Eine-Mark-Romans im Rahmen der Charkower Konferenz (1931) kann zwar als erster Versuch gelten auch gegen den Nationalsozialismus zu kämpfen, dessen herannahende Bedrohung wird jedoch meist nur am Rande thematisiert; als Hauptfeind galt immer noch der ‚Sozialfaschismus‘  – gemeint waren damit die Sozialdemokraten. Bis zur offiziellen Proklamierung der ‚Einheitsfront gegen den Faschismus‘ durch die Komintern dauerte es auf internationaler Ebene gar bis 1935, also bis weit nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten von 1933. 170 Vgl. Schmiedt: Abenteuerroman, S. 2. 171 Michael Rohrwasser: Saubere Mädel  – Starke Genossen. Proletarische Massenliteratur? Frankfurt a. M. 1975, S. 67–70. 172 In Gruppe Bosemüller findet sich nur an einer kurzen Stelle die Thematisierung eines Kusses. Vgl. dazu Werner Beumelburg: [Die] Gruppe Bosemüller. Oldenburg 1930, S. 134. [Laut Titelblatt heißt es Die Gruppe Bosemüller, laut Buchdeckel Gruppe Bosemüller, im Folgenden immer Gruppe Bosemüller.] In Der Hitlerjunge Quex gelten die „Cliquenkühe“ als unmoralische, leicht zu habende Mädchen, für die Heini eine regelrechte Abscheu empfindet, vgl. dazu Schenzin-



50 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

als in den kommunistischen Romanen eine fast sexualfeindliche Haltung hervor. Liebesbeziehungen werden von beiden politischen Lagern kaum thematisiert. Die Versuchung erotischer Abenteuer ist vor allem in Kämpfende Jugend zwar allgegenwärtig, wird aber größtenteils als revolutionsfeindlich angesehen. Susanne Becker merkt ebenfalls an, dass sich die Abenteuerliteratur des 20. Jahrhunderts in ihrer Adressierung verenge und eine Vermännlichung stattgefunden habe: Das Abenteuer war androgyn, doch dem Abenteurer ist ein eindeutiges Geschlecht zugewiesen; das abenteuerliterarische Netz wird zunehmend maskulinisiert. Diese auch als Heroisierung greifbare Artikulation abenteuerlichen Lebensgefühls ist am besten in der frauenlosen Welt der Heere und Legionen und in der Männergesellschaft zur See aufgehoben.173

Auch die Abenteurer bekommen im Rahmen der technisierten Gesellschaft ein neues Gesicht: „Die Forscher, Ingenieure, Herrscher und Krieger unter den Abenteurern kennzeichnet Härte, Disziplin, stahlharte Männlichkeit und Machtwillen.“174 Solch ein martialisches Menschenbild lässt sich auch innerhalb der Romane beobachten, wie im Analyseteil gezeigt wird. Volker Klotz sieht ebenfalls im Bereich des 19.  Jahrhunderts eine Zäsur im Schema des Abenteuerromans. Für ihn steht der „neue Abenteuer-Roman“175 im Zusammenhang mit den Sehnsüchten und Ängsten, die das Individuum in der Anonymität des Kapitalismus erlebt: Arbeit und Kapital treffen nicht mehr leibhaftig aufeinander  – wie es früher zwischen Untertan und Fürst der Fall war. […] So daß sich die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung für den Betroffenen allenfalls erschließen, keineswegs aber mit eigenen Augen verfolgen lässt.176

Dieser Entfremdung und zunehmenden Komplexität von Lebenserfahrungen wird eine Versinnlichung der erzählten Welt entgegengesetzt, die sich beispielsweise in der Veranschaulichung von Gefühlen und Charaktereigenschaften an äußerlichen Körpermerkmalen manifestiert und somit wiederum Komplexität reduziert: „Spielend liest sie [die unbegrenzte Wahrnehmungsmacht] den Charakter einer Person aus deren Gesichtszügen. Ebenso zweifelsfrei erkennt sie Taten und Täter

ger: Der Hitlerjunge Quex, S. 36. Angezogen fühlt sich Heini hingegen vom BDM-Mädchen Ulla (vgl. S. 215). Es bleibt jedoch bei einem harmlosen Kuss, der nicht weiter thematisiert wird (vgl. S. 260). 173 Becker: Gattungskonstruktionen in der Geschichte der zirkulierenden Literatur, S. 273. 174 Becker: Gattungskonstruktionen in der Geschichte der zirkulierenden Literatur, S. 239. 175 Klotz: Abenteuer-Romane, S. 18–26 [zum „neuen Abenteuer-Roman“]. 176 Klotz: Abenteuer-Romane, S. 24.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 51

aus reichhaltigen Spuren und Indizien oder zwischenmenschliche Verhältnisse aus pünktlich erfülltem Inflagranti.“177 Vom Äußeren einer Person kann also ohne Weiteres auf deren Innenleben und Handlungsmotive geschlossen werden und aufgrund handfester Indizien werden verwegene Machenschaften, wie Intrigen oder Betrügereien, unvermittelt durchschaut. So scheint die Identifikation von Freund und Feind bzw. Gut und Böse immer evident zu sein. In den behandelten Romanen zeigt sich dies beispielsweise darin, dass so gut wie keine psychischen Handlungsmotivierungen geschildert werden. Ursache-Wirkungsbeziehungen sind oft nicht nachvollziehbar und es kommt deshalb häufig zu spontanen Wandlungen bzw. „Erzählkerben“178, die nicht erklärt werden. Zumeist sind lediglich einige Indizien beschrieben. Konkrete Beispiele hierzu finden sich im Analyseteil. Nusser macht zudem darauf aufmerksam, dass Handlungselemente wie Verfolgung und Flucht, Anschleichen und Verstecken, Gefangennahme und Befreiung ebenfalls auf die Auslösung sinnlicher Affekte abzielten, da sie den Grundfiguren von Kinderspielen ähnelten und primitive Lagen des Unbewussten ansprächen.179 Ein weiterer Aspekt des „neuen Abenteuer-Romans“, auf den Klotz verweist, besteht in der Verlagerung der Unberechenbarkeit von der Natur auf den Kapitalismus und in der Konfrontation der neuen Helden mit der unberechenbaren Industrie und Bürokratie.180 Klotz ordnet den Abenteuerromanen drei Funktionen zu: erstens die Entschädigung für Dinge, die ein Individuum im eigenen Leben vermisst, zweitens die Bekräftigung eines bestehenden Weltbildes von Gut und Böse und einer Welt in der im Rahmen der kapitalistischen Konkurrenz im darwinistischen Sinne jeder gegen jeden kämpft sowie drittens die Erklärung der gesellschaftlichen und persönlichen Umstände.181 In den untersuchten Romanen liegt hingegen der Schwerpunkt auf der Bekräftigung des kommunistischen oder nationalsozialistischen Weltbildes und der didaktisch aufgearbeiteten Erklärung, die Handlungsanweisungen impliziert und damit zur Agitation bewegen will. Dabei ist immer eine Lösung innerhalb des Rahmens der parteipolitischen Gruppierung angedacht, die Alleingänge und Einzellösungen ausschließt. Die Romane haben also primär keinen entschädigend-kontemplativen Charakter, sondern sollen vielmehr zur

177 Klotz: Abenteuer-Romane, S. 25 [sinngemäße Ergänzung von Michaela Menger]. 178 Klotz: Abenteuer-Romane, S. 222. 179 Vgl. Nusser: Trivialliteratur, S. 78. 180 Vgl. Klotz: Abenteuer-Romane, S. 25–26. 181 Vgl. Klotz: Abenteuer-Romane, S. 26–28.



52 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

Eingliederung des Einzelnen in das parteipolitische Kollektiv dienen, dessen Weltbild den Romanen zugrunde liegt und dort unablässig bekräftigt wird. Klotz betont die Vermittlung eines einheitlichen Weltbildes, das eine greifbare und begreifbare Welt darstelle und dessen Handlungsdynamik mit „trotzigem Optimismus“182 im Happy-End münde183, wo das Böse seine gerechte Strafe erhält und besiegt wird. Er verweist auf den ambigen Charakter der sinnlichen Begreifbarkeit, die einerseits zur Aktion aufrühren, andererseits aber auch zur Einfügung ins vorgefasste Weltbild dienen könne und damit nicht mehr sei als beschwichtigende Konformliteratur.184 Becker postuliert ebenfalls die entweder affirmative oder oppositionelle Rückbindung des Abenteuers an den Alltag.185 Auch in den hier behandelten Romanen herrschen Harmonisierungstendenzen vor, die komplexe Sachzusammenhänge verkürzen und der Vermittlung eines parteikonformen Weltbildes dienen. Anstelle eines Happy-Ends tritt in den meisten Büchern vielmehr der historische Optimismus des Erreichens entweder der klassenlosen Gesellschaft unter kommunistischer Herrschaft in den Roten Eine-Mark-Romanen, oder der ‚Volksgemeinschaft‘ und des Herannahens des ‚Dritten Reiches‘ unter nationalsozialistischer Führung in den NS-Romanen. Die gesamte Handlungsdynamik verläuft also in einer zielgerichteten Bewegung hin zur Erfüllung dieser Vision bzw. Utopie. Die fassbare Vorwärtsbewegung der Massen wird so auch an vielen Stellen der linken wie der rechten Romane geschildert.186 Vermeintliche Niederlagen werden als Durchgangsstadium gedeu-

182 Klotz: Abenteuer-Romane, S. 212. 183 Vgl. Klotz: Abenteuer-Romane, S. 212–214. 184 Vgl. Klotz: Abenteuer-Romane, S. 215. 185 Vgl. Becker: Gattungskonstruktionen in der Geschichte der zirkulierenden Literatur, S. 200. 186 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 14: „Der Menschenwall schob sich zu ihm hin. […] Ein Wald Arme reckte sich hoch. […] Wie ein Sturmblock preßte sich der erste Schwarm durch den dämmrigen Flur, […]. […] In die Masse kam Bewegung. […] Immer größer schwoll der Menschenstrom an, schob sich hin und her, schwankte.“, S. 15: „Aus allen Häusern kamen sie, schlossen sich fragend und debattierend an. […] Es summte wie ein großer Bienenschwarm.“, S. 19: „Als hätte alle ein mächtiger Orkan aufgewühlt, aus dem Gemäuer ihrer Fabriken und Erdtiefen emporgeschleudert, hinausgespien. So standen sie, stampften ungeduldig den gesteinten Straßenboden. So marschierten sie unter brausenden Hochrufen und revolutionärem Gesang.“ Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 68: „Eine riesige rote Fahne flatterte hoch über den Demonstranten, schloß sie zur Einheit zusammen.“, S. 115: „Immer mehr schlossen sich an, auch Aeltere. […] Weiter. Immer weiter. […] ‚Na Jungs? Los, weiter! Immer mit! Immer mit!‘ […] Draußen drängte die dunkle Masse vorwärts. […] [D]ie Vordersten gingen weiter, rissen alles mit. ‚Vorwärts!‘“ Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 264: „Hinter der Bahre aber flattern hundert Fahnen, schreiten tausend Freunde still zu dem dumpfen Wirbel der Trommeln; jeder weiß: dies war ein guter Kamerad. Wenige Wochen später flattern die Fahnen wieder im Wind […]. Fünfundsiebzigtausend Jungens ziehen mit den gleichen Fahnen, mit dem gleichen Lied, aber mit strahlend





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 53

tet, an denen die parteitreuen Mitglieder wachsen und die sie in ihrem Kampfbewusstsein stärken.187 Zwar ist in den kommunistischen Romanen die klassenlose Gesellschaft am Ende der Romane nie verwirklicht, doch der Leser erhält den Eindruck, sie stünde kurz bevor, wenn er sich nur von dieser Dynamik mitreißen lasse und selbst aktiv seinen Teil zur Revolution beitrage. In den nationalsozialistischen Romanen ist die ‚nationalsozialistische Revolution‘ entweder gerade eingetreten und man gibt sich siegesbewusst188, oder sie steht kurz bevor und es folgen im Rahmen von dynamisierten Massenszenen ebenfalls Handlungsaufforderungen189. Es zeigen sich also die für populäre Literatur charakteristischen Strategien der Personalisierung und des Aktionismus, die oben im Rahmen von Nussers Ansatz geschildert wurden. So dient in den Romanen die sinnliche (Be-)Greifbarkeit dem direkten Aufruf zur Aktion. Die Konsequenzen, die aus dem Dargestellten zu ziehen sind, sind in Form von eindeutigen Handlungsanweisungen (z. B. Flugblätter drucken und verteilen, Plakate kleben, Landagitation, Streikorganisation, Organisation einer

hellen Gesichtern am Führer vorbei.“ Bei Viera wird der Schematismus besonders deutlich, da in zwei Romanen jeweils auf der gleichen Seite am Schluss ein Massenaufmarsch geschildert wird, in den zwei Protagonisten verwickelt sind: Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 78: „Ein Meer von blutroten Fahnen mit dem Hakenkreuz flattert über dem weiten Feld. […] Und in diesem wie Sturmwind brandenden Ruf der 82.000 klingen wie Jubel die hellen Stimmen der SA.-Männer Edi Walkotte und Willi Laschke.“ Vgl. Josef Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle. Leipzig 1933b, S. 78: „20 000 SA-Männer füllen die Ludwigstraße. […] In der Ludwigstraße, die, von der Feldherrnhalle gesehen, wie ein braunes Meer aussieht, stehen zwei junge, frische SA.-Männer im Zug. Truppführer Josef Wörlein und Sturmmann Toni Wörlein.“ 187 Auch Becker verweist darauf, dass das Reifen an Niederlagen ein Element von Abenteuerromanen ist. Vgl. Becker: Gattungskonstruktionen in der Geschichte der zirkulierenden Literatur, S. 273–274. 188 Vgl. Josef Viera: SA.-Mann Schott. Leipzig 1933c, S. 78: „Der unbekannte SA.-Mann hat mit Adolf Hitler Deutschland vor dem Sturz in den Abgrund bewahrt. ‚Bitterschwer hat man euch den Kampf gemacht, und ihr habt doch gesiegt!‘“ Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 79: Mit Reichsadler und Hakenkreuz illustriertes Spruchband am Ende des Buches mit den Worten: „Und ihr habt doch gesiegt.“ 189 Vgl. Josef Viera: Utz kämpft für Hitler. Leipzig 1933d, S. 73: „Wir anderen müssen noch hoffen, harren und kämpfen. Zwar wehen die Hitlerfahnen in allen Straßen, aber das Jahr der Nationalen Revolution ist noch nicht angebrochen und Rotfront und Reaktion wüten nach wie vor offen und im geheimen [sic].“ Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 224: „Schon im Morgengrauen waren die Jüngsten bei der Arbeit. Sie waren ganz dabei, scheuten keine Mühe, fürchteten keine Strafe, setzten ständig Gesundheit und Leben aufs Spiel. […] Die kleine Schar im Beußelkietz [sic!] gab den anderen nichts nach. Schon zwei andere Jungens aus ihren Reihen hatten in diesem Jahre ihre Treue mit dem Leben besiegelt, Norkus und Preiser waren in diesem Dienst gefallen, kaum fünf Monate war es her. Der Terror tobte mit unverminderter Wut.“



54 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

Straßenzeitung etc.) strikt vorgegeben, bewegen sich im Rahmen der Partei und deren Hierarchien und lassen so wenig Raum für eigene Interpretationen oder die kritische Hinterfragung des Romaninhaltes. Dass Gesellschaftskritik aber durchaus der Gattung des Abenteuerromans inhärent sein kann, zeigen beispielweise die realistischen Abenteuerromane von Jack London oder B. Traven, die im Gegensatz zu den hier untersuchten Romanen ihre Werke nicht von einem Parteistandpunkt heraus verfassen, jedoch von vielen Arbeitern gelesen wurden.190 Auch in S.S. Utah findet sich ein intertextueller Verweis auf Jack London.191 In der Linkskurve bekommen B. Travens Romane jedoch nicht immer gute Kritiken, da sie nicht explizit von einem parteipolitischen Hintergrund ausgehen und so oft zu individualistisch für den Geschmack der Kritiker sind192; von den nationalsozialistischen Literaturkritikern wird die ‚ausländische‘ Abenteuerliteratur generell abgelehnt193. Besonders Susanne Becker verweist auf die zunehmende Politisierung und Funktionalisierung von Abenteuerromanen sowie den Einzug dokumentarischer Sozialkritik und neuer Aktionsräume wie Großstädte, moderne Verkehrsmittel (Bahn, Flugzeug) und Ozeane in das von ihr untersuchte abenteuerliterarische Netz von 1840 bis 1935.194 Anstelle einer Definition von Abenteuerromanen versucht sie, mithilfe von Leitkategorien die zentralen Gegenstände und Wirkungsabsichten zu erfassen. Demnach bewegen sich Abenteuerromane zwischen Unterhaltung und Belehrung, Innovation und Reproduktion bekannter Schemata und Topoi, Deskription/Reflexion und Aktion, Individuum und Gesellschaft sowie Realität und Fiktion.195 Diese bipolaren Kriterien sind jedoch nicht nur auf den Abenteuerroman beschränkt, sondern lassen sich ohne weiteres auf populäre Gattungen im Allgemeinen ausdehnen. Versucht man die untersuchten Romane in diese Kategorien einzuordnen, so sind sie mehr didaktisch-belehrend als unterhaltend, bewegen sich zwischen den für populäre Literatur so typischen und spannungsvoll aufeinander bezogenen Polen der Reproduktion und Innovation bzw. der Standardisierung und Variation, sind eher deskriptiv als reflek-

190 Vgl. Fritz Erpenbeck: Leihbibliothek am Wedding. In: Die Linkskurve 2 (1930), H. 7, S. 14–15. 191 Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 82. 192 Vgl. Rezension in der Linkskurve: Anonymus: Das Totenschiff. In: Die Linkskurve 3 (1931b), H. 9, S. 23–24. Vgl. Adam Scharrer: Traven und sein Erfolg. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 3, S. 29– 32. 193 Vgl. Hopster: Abenteuer und Reisen, S. 532. 194 Vgl. Becker: Gattungskonstruktionen in der Geschichte der zirkulierenden Literatur, S. 194. Einen zeitgenössischen Einblick in die Wirkung und Bedeutung der modernen Verkehrsmittel bietet: Arnold Nolden: Auf Schiffen, Schienen, Pneus. Eine Reise. Berlin 1930. 195 Vgl. Becker: Gattungskonstruktionen in der Geschichte der zirkulierenden Literatur, S. 196.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 55

tierend und versuchen zur Aktion aufzurufen, legen den Fokus dezidiert auf den gesellschaftlichen Aspekt und die Einfügung des Individuums in das politische Kollektiv und bezieht ihren Gebrauchswert, wie bereits oben geschildert, aus dem Zusammenspiel von dokumentarisch-realistischen und narrativ-fiktionalen Elementen. Ein weiterer Aspekt, der die Nutzbarmachung von Aspekten der Abenteuerliteratur für die politische Agitation in den Romane befördert, ist, dass das Prinzip „Leib und Leben“196 fast alle Lesergruppen anspricht, besonders aber jugendliche, männliche Leser197, die ja mit zum Kern der Zielgruppe der proletarischen wie der ‚nationalsozialistischen‘ Revolution gehören198. Die Grenzen zwischen Erwachsenen- und Jugendlektüre sind dabei oftmals fließend, wie Hölder zu verdeutlichen versucht: „Unter dem Abenteuerbuch von heute wird in erster Linie eine Lektüre für die Jugend und für alle Schichten der Bevölkerung verstanden. Es ist überhaupt eine Erscheinung in der Literaturgeschichte, daß die Erwachsenen-Literatur früherer Jahrhunderte später vorwiegend Jugendliteratur wird.“199 Zu ursprünglich für ein erwachsenes Publikum geschriebenen Abenteuerbüchern (etwa Daniel Defoes Robinson Crusoe oder Jack Londons Der Seewolf) und romantischen Märchen (wie beispielsweise E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und Mausekönig) die, teilweise durch Bearbeitung, zu Jugendliteratur werden, ließen sich zahlreiche Beispiele finden. Im Rahmen der nationalsozialistischen Romane gibt es durch die Herausgabe spezieller, stark gekürzter und teilweise zusätzlich illustrierter Schulausgaben – z. B. von Beumelburgs Kriegsroman Gruppe Bosemüller – ähnliche Beispiele.200

196 Klotz: Abenteuer-Romane, S. 217. 197 Vgl. Anneliese Hölder: Das Abenteuerbuch im Spiegel männlicher Reifezeit. Die Entwicklung des literarischen Interesses beim männlichen Jugendlichen. Ratingen 1967. 198 Vgl. Rohrwasser: Saubere Mädel – Starke Genossen. Proletarische Massenliteratur?, S. 20, der für die Roten Eine-Mark-Romane die These aufstellt, dass der Rezipientenkreis auf männliche Parteigänger beschränkt sei. Vgl. für die nationalsozialistische Abenteuerliteratur: Hopster: Abenteuer und Reisen, S. 534: „Das Mädchen wurde weiterhin als im Prinzip unfähig zum Abenteuer eingestuft. […] Nur wenige Ausnahmen geben zu erkennen, daß es im Nationalsozialismus immerhin, spätestens seit Beginn des Krieges, eine gewisse Tendenz gab, das traditionelle Frauenbild in Richtung auf ein modernes zu retuschieren […].“ 199 Hölder: Das Abenteuerbuch im Spiegel männlicher Reifezeit, S. 76. 200 Vgl. die drei jeweils stark gekürzten Schulausgaben von Gruppe Bosemüller: Werner Beumelburg: Gruppe Bosemüller erstürmt das Fort Souville. Hg. v. dem Ausschuß für Verwaltung des Lesebuchs in Wiesbaden. Mit Illustrationen von Willy Mulot. Wiesbaden 1931 (Brunnenbücher; Heft 7); Werner Beumelburg: Mit 17 Jahren vor Verdun. Frankfurt a. M. 1935 (Kranzbücherei; Bd. 200); Werner Beumelburg: Soldaten – Kameraden in der Hölle vor Verdun. Aus Beumelburgs Roman des Frontsoldaten „Gruppe Bosemüller“. Bielefeld/Leipzig 1941.



56 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

Kriegsromane allgemein werden im Rahmen der Kinder- und Jugendliteratur bereits seit dem Kaiserreich für propagandistische Zwecke funktionalisiert. Auch im Schulkanon der Weimarer Republik sind Kriegsromane, die den „Krieg zum spannenden Abenteuer verkläre[n]“201 und völkisch-nationale Tugenden wie Gehorsam, Führerschaft und Opferbereitschaft unter Geringschätzung der parlamentarisch-demokratischen Werte der Weimarer Republik weiterhin propagieren, durchaus an der Tagesordnung.202 So bieten sich diese völkisch-nationalen Kriegsromane quasi problemlos auch für Funktionalisierung durch die NSDAP an und werden später nahezu bruchlos in den NS-Lektürekanon aufgenommen.203 Für die Untersuchung der vorliegenden Romane, die aufgrund ihrer propagandistischen Funktionalität darauf abzielen, ‚Massenroman‘ zu sein, sind vor allem Aspekte des Cross-Readings, also des gleichzeitigen Rezipierens derselben Auflagen durch Erwachsene und Jugendliche, und damit ein möglichst breiter Rezipientenkreis entscheidend.204 Ob der Anspruch auf eine solch weitreichende

201 Isa Schikorsky: Kinder- und Jugendliteratur. Köln 2003, S. 111. 202 Vgl. Schikorsky: Kinder- und Jugendliteratur, S. 111–113. Vgl. Winfred Kaminski: Weimarer Republik. In: Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Hg. v. Reiner Wild unter Mitarbeit von Otto Brunken. Stuttgart 1990, S. 263. 203 Vgl. Ketelsen: Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literatur in Deutschland 1890–1945, S. 70. 204 Populäre Genres, wie der Abenteuerroman, werden häufig von Jugendlichen und Erwachsenen gleichzeitig rezipiert. Es handelt sich beim Phänomen des Cross-Readings also nicht um einen narrativen Aspekt, wie beim Cross-Writing, sondern um einen rezeptionellen. Im Zusammenhang mit dem Cross-Reading geht es daher nicht wie beim Cross-Writing um narratologische Mehrfachadressiertheit, mehrfach codierte Texte oder um Doppelsinnigkeit im engeren Sinne. Im Zentrum des Cross-Readings steht alleine das Wechselspiel der gemeinsamen psychischemotionalen Bedürfnisse der Rezipienten im Zusammenhang mit dem Gratifikationspotenzial des Textes. Oftmals wird in diesem Zusammenhang auch von All-Ages-Literatur gesprochen. Zum Phänomen des Cross-Readings aus Sicht des aktuellen Buchmarktes vgl.: Anke Vogel: Crossreading  – publikumszentrierte Ansätze zur Erklärung des All-Age-Booms im Buchmarkt. In: Quo vadis, Kinderbuch? Gegenwart und Zukunft der Literatur für junge Leser. Hg. v. Christine Haug und Anke Vogel. Wiesbaden 2011, S. 23–35. Allgemein zum Phänomen des Cross-Writings und der gegenseitigen Durchdringung von Kinder- und Erwachsenenliteratur vgl. u. a.: Svenja Blume: Texte ohne Grenzen für Leser jeden Alters. Zur Neustrukturierung des Jugendliteraturbegriffs in der literarischen Postmoderne. Freiburg 2006; Transcending Boundaries. Writing for a Dual Audience of Children and Adults. Hg. v. Sandra L. Beckett. New York/London 1999; Kinderliteratur – Literatur auch für Erwachsene? Zum Verhältnis von Kinder- und Erwachsenenliteratur. Hg. v. Dagmar Grenz. München 1990. Zu den Begriffen ‚Doppeltadressiertheit‘, ‚Mehrfachadressierung‘ und ‚Doppelsinnigkeit‘ vgl.: Hans-Heino Ewers: Literatur für Kinder und Jugendliche. Eine Einführung in grundlegende Aspekte des Handlungs- und Symbolsystems Kinder und Jugendliteratur. Mit einer Auswahlbibliographie Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft. München 2000, S. 103–104, S. 122–125.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 57

Leserschaft in Bezug auf die konkreten Romane eingelöst werden kann, klärt das Rezeptionskapitel. Ausschlaggebend für die Agitation ist letztlich, dass die ‚Abenteuer‘ nicht nur auf dem Papier existieren, sondern als Handlungsanleitungen verstanden und in die Praxis umgesetzt werden. Da der Abenteuerroman reich an Vorbildern und konkreter Gegenständlichkeit ist, animiert er den Leser zum Nachdenken darüber, wie die Abenteuer in die Wirklichkeit zu überführen sind: Das Abenteuer wird zu einem Lebenskonzept, dessen Ursprung im lebensgeschichtlichen Grundmodell des Erzählens immer wieder auf die Lektüre von Abenteuerliteratur zurückgeführt wird. Sie ist nicht nur „Infektionsherd“, sondern liefert mit ihren Bildern und Semantisierungen die Maßstäbe zur Wahrnehmung und Bewertung des eigenen abenteuerlichen Erlebens.205

Genau an dieser Stelle setzt der agitatorische und didaktische Charakter der Romane an. Die ‚Abenteuerlichkeit‘, die als Erlebniskategorie in die Realität verfrachtet wird, ermöglicht unter ihrem Deckmantel direkte Handlungsanweisungen an den Leser weiterzugeben: „Das Abenteuer ist damit zu einem der schlechten Wirklichkeit immanenten Phänomen geworden; es suggeriert dem einzelnen, auch er könne innerhalb der Monotonie des Alltagslebens im gesteigerten Einsatz das Außergewöhnliche vollbringen.“206 Auch Stollmann betont am konkreten Beispiel des SA-Romans die Verbindung von genuin unpolitischen Schablonen der abenteuerlichen Unterhaltungsliteratur und ideologischer Beeinflussung: [D]ie Schablonen des unpolitischen Abenteuer- oder Liebesromans sind mehr oder weniger identisch mit der faschistischen Interpretation der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die NaziPropaganda will, daß ihre Adressaten die Welt genauso sehen, als sei es jene gefährliche, in Unordnung geratene, abenteuerliche und doch sichere, heile, obligat happy endende Welt, wie sie die Kulturindustrie tagtäglich millionenfach vorgaukelt. […] An die Stelle der abenteuerlichen, kriminalistischen Fiktion, die er [der Leser] wenigstens partiell wahrnahm, schiebt der Faschismus die Fiktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit.207

Somit eignet sich die populäre Gattung des Abenteuerromans hervorragend dazu, den Kampf für die jeweilige politische ‚Bewegung‘ zum Abenteuer zu sti-

205 Becker: Gattungskonstruktionen in der Geschichte der zirkulierenden Literatur, S. 261. 206 Hopster/Nassen: Vom „Bekenntnis“ zum „Kampf“, S. 550. 207 Rainer Stollmann: Das Nazi-Selbstbildnis im SA-Roman. In: Literaturwissenschaften und Sozialwissenschaften. Band 10: Kunst und Kultur im deutschen Faschismus. Hg. v. Ralph Schnell. Stuttgart 1978b, S. 213 [Ergänzungen von Michaela Menger].



58 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

lisieren und unter diesem Vorwand auch zu gewalttätigen Aktionen aufzurufen bzw. diese zu legitimieren.

1.4.3 Elemente des Entwicklungsromans Der Gattungsbegriff des Entwicklungsromans dient innerhalb der germanistischen Forschung als allgemein gefasster Oberbegriff und überhistorischer Formtypus, der den Entwicklungsgang einer zentralen Figur darstellt.208 Der so häufig gebrauchte Begriff des Bildungsromans – als dessen paradigmatischer Vertreter Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre zu nennen ist – kann hingegen als eine Sonderform aufgefasst werden, die als historische Gattung konkret auf die Goethezeit einzugrenzen ist.209 Wie lassen sich aber Elemente des Entwicklungsromans für ideologische Zwecke funktionalisieren? Insbesondere den Romanen mit doktrinärem Intertext ist es eben oftmals gerade nicht daran gelegen, eine kritische Hinterfragung von (ideologischer) Entwicklung und Erziehung anzuregen, was jedoch ein inhärentes Merkmal, zumindest des Bildungsromans, ist. Hingegen bieten die wirkungsästhetischen Aspekte des Entwicklungsromans, der in hohem Maße identifikatorischen Lesebedürfnissen nachkommt, sowie der exemplarische Charakter der dargestellten Entwicklung und das oft zukunftsgerichtete, von geschichtlichem Fortschrittsoptimismus geprägte Ende des tradierten Entwicklungsromanschemas Anknüpfungspunkte zur ideologischen Instrumentalisierung dieser Gattung, was auch Rolf Geissler betont: Betrachten wir die literarische Gattung der Entwicklungsromane wirkungsästhetisch, dann ergibt sich, daß sich der Leser mit dem Helden identifizieren muß, um selbst etwas von der Entwicklung, aber auch von der befreienden Macht eines geschichtlichen Prozesses zum Fortschritt hin zu spüren. Da diese Romane in ihrer ästhetischen Wirkung  – nicht unbedingt inhaltlich – optimistisch und idealistisch sind, eignen sich ihre Entwicklungsstrukturen natürlich besonders für pädagogische und politische Intentionen, d. h., gerade diese Gattung ist am leichtesten propagandistisch zu mißbrauchen.210

208 Vgl. Lothar Köhn: Entwicklungs- und Bildungsroman. Ein Forschungsbericht. Stuttgart 1969, S. 8–9. Vgl. Jürgen Jacobs: Bildungsroman. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1: A–G. Hg. v. Klaus Weimar. 3., neubearb. Auflage. Berlin 1997, S. 230. 209 Vgl. Köhn: Entwicklungs- und Bildungsroman, S. 8–9. Vgl. Jacobs: Bildungsroman, S. 232. 210 Geissler: Dekadenz und Heroismus, S. 73.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 59

Insbesondere der Entwicklungsweg hin zu einer politischen Gesinnung bzw. einer konkreten Partei steht bei den hier untersuchten Romanen im Vordergrund, innerhalb derer die „Helden am Ende in eine Tatmenschen- oder Gemeinschaftsideologie hineinfinden“211. Auf welche Weise propagandistische Ziele vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts Einzug in den Entwicklungsroman halten konnten, lässt sich am besten anhand eines kurzen Überblicks über die ambivalenten Erscheinungsformen dieses Genres in dem genannten Zeitraum nachvollziehen. Im Rahmen der immer komplexer und brüchiger werdenden Gesellschaftserfahrung des 20. Jahrhunderts ist die umfassende Einheit von Individuum und Gesellschaft, wie sie bis dahin im Bildungsroman größtenteils durch die Versöhnung des (zumeist bürgerlichen) Individuums mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit dargestellt wurde, nicht mehr aufrecht zu erhalten. Romane wie Der Untertan (1914) von Heinrich Mann, Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906) von Robert Musil, Der Zauberberg (1924) von Thomas Mann oder Robert Walsers Jakob von Gunten. Ein Tagebuch (1909) greifen zwar die Form des Bildungsromans auf, stellen ihn aber durch ironische, parodistische oder satirische Brechung deutlich in Frage.212 Zeichnet sich einerseits also ein bewusster Bruch mit den Traditionen des Entwicklungs- und Bildungsromans ab, so findet andererseits – im Rahmen einer gegenläufigen Bewegung  – eine Popularisierung und Simplifizierung der Form des Entwicklungsromans statt, die in „unreflektiert-ahistorischer Weise in die Gegenwart transportiert wird“213. Vor allem eine übertrieben simplifizierte teleologische Struktur der Romanhandlung sowie die Überbetonung von Harmonisierungstendenzen führen zu einem „Absinken“214 des Genres und öffnen es so auch für propagandistische Zwecke: It has to be added that the danger of an ideological, harmonizing view of the Bildungstroman [Bildungsroman] is not only linked with numerous epigonic novels but also with many of the prevailing normative theories of the genre. Only recent research has contributed to less harmonistic and more adequate picture[s] of the Bildungsroman. The widely spread notion that this genre contains, so to speak, a guarantee of the achievement of unbroken

211 Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung, S. 125. 212 Vgl. Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung, S. 145. 213 Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung, S. 146. 214 Vgl. Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung, S. 152–153. Grenz geht aus Gründen der einfacheren Darstellung von einer Dichotomie von Bildungsromanen der ‚hohen Literatur‘ und „epigonalen“ Bildungsromanen aus, die sie als „abgesunkenen“ Typus des Bildungsromans bezeichnet. Diese Zweiteilung in ‚hohe‘ und ‚niedrige‘ Literatur soll jedoch im Rahmen vorliegender Arbeit nicht aufrecht erhalten werden, wie bereits oben betont.



60 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

totality and harmony explains why the Bildungsroman is often subject to propagandistic abuse.215

Insbesondere die Nationalsozialisten knüpfen in chauvinistischer Weise an die Tradition des Bildungsromans an, indem sie ihn als Roman eines Volkes der „Dichter und Denker“216 deklarieren, womit sie vor allem das kleinbürgerliche Bildungsbürgertum erreichen. Es lässt sich jedoch annehmen, dass die starken Harmonisierungsstrukturen, die die Komplexität der gesellschaftlichen Verhältnisse reduzieren und vor allem der übertriebene teleologische Charakter, der oft am Ende der Romane in säkulare eschatologische Zukunftsvisionen mündet, insgesamt bei allen in ihrem sozialen Status stark verunsicherten Gruppen der Weimarer Republik, zu denen neben den Kleinbürgern vor allem die Arbeiter gehören, auf große Resonanz stößt. Aufgrund der teleologischen Struktur, die in den untersuchten nationalsozialistischen Romanen wie den Roten Eine-Mark-Romanen stark hervortritt, wird am Ende der Romane fast durchweg an einem idealen Endzustand festgehalten, der von einer unerschütterlichen Siegesgewissheit der jeweils propagierten Ideologie geprägt ist.217 Die gesamte Erzählung strebt also kontinuierlich zu diesem Endzustand hin bzw. ist von Anfang an von ihm geprägt, dabei bleibt die konkrete Ausgestaltung der Zukunft jedoch zwecks utopischer Überhöhung unbestimmt. Stattdessen wird erneut und in forcierter Weise der Begriff des ‚Kampfes‘ bemüht und es folgen Verweise auf vergangene und kommende Kämpfe sowie Appelle an kämpferische Tugenden und Durchhaltevermögen.218 Im Rahmen dieser teleologischen Struktur erscheinen die positiven Helden bzw. das heldenhaft handelnde Kollektiv zumeist von Anfang an als wesensbe-

215 Günther: Education and Coversion, S. 206–207 [Kursivierungen aus dem Text übernommen, Rechtschreibfehler in Klammern verbessert durch Michaela Menger]. 216 Jacobs: Bildungsroman, S. 232. 217 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 160: „Der Prolet wird wieder eines Tages mit seinen Fäusten in die Räder greifen, die Gewehre an sich reißen! Dann gibt es keinen Waffenstillstand mehr! Wir werden die, die ihn predigen in die Ruhr werfen! Wir werden die Schwätzer aufs Maul schlagen! Nur eins wird sprechen: Unsere Gewehre!“ Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 74: „[…] dann ist der Tag nicht mehr fern, wo die frohe Botschaft von Mund zu Mund geht, die Botschaft: Deutschland ist erwacht!“ Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 79: „Hitler und seine Getreuen ‚haben, vom Tode umgeistert, das deutsche Schicksal gemeistert!‘“ 218 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 128: „Und wir haben noch viel, viel Arbeit. Ich bin noch nicht lange Mitglied der Organisation. Aber das weiß ich heute: Kampf und nochmals Kampf.“ Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 77: „Wie der Soldat des Weltkrieges mit Blut und Leben Bestand und Freiheit der Heimat sicherte, so erkämpfte der braune Soldat des Hitlerheeres die an die falschen Revolutionäre von 1918 verloren gegangene Freiheit zurück.“





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 61

stimmt zu der politischen Ideologie, der sie schließlich entgegenstreben. Von einer wirklichen Entwicklung kann also eigentlich nicht die Rede sein, worauf ebenfalls Grenz am konkreten Beispiel von Schenzingers Roman Der Hitlerjunge Quex verweist: Wie im Hitlerjungen Quex ist der Weg zum Nationalsozialismus kein politischer Lernprozeß; sondern wird dargestellt als Befreiung des Helden aus der proletarischen Umgebung zu sich selbst bzw. zu allgemein menschlichen Gefühlen und Wertvorstellungen – Wertvorstellungen, die wiederum stark kleinbürgerlich geprägt sind. Dabei ist der Held im Grunde seines Wesens kein richtiger Kommunist, sondern ein „anständiger“ Kerl, der diesen Wertvorstellungen schon sehr nahesteht; seine Entwicklung besteht darin, daß er im Laufe der Handlung erkennt, wohin er eigentlich – aufgrund seines Wesens – bereits von Anfang an gehört hätte.219

Letztendlich wird in den Romanen also demonstriert, was ohnehin schon vorausgesetzt wird  – die Überlegenheit der jeweils vertretenen Ideologie. Genau dieser didaktische Anspruch der Vermittlung eines bestimmten Weltbildes tritt auch in dem von Helga Esselborn-Krumbiegel unter „Grenzformen des Entwicklungsromans“ verorteten Modell des „Demonstrationsromans“ auf, in dem der Held lediglich als Vertreter einer bestimmten Ideologie fungiert und fast jeglicher Anspruch auf eine individuelle Entwicklung zugunsten des exemplarischen Charakters preisgegeben wird.220 Die Intention dieser Romane fasst sie prägnant als „Darstellung eines Denkmodells in der Entfaltung eines Lebensmodells“221 zusammen. Der didaktischen Vermittlung dienen dabei die Schematisierung der Figuren und der Handlung, die finale Ausrichtung, d. h. die teleologische Gesamtstruktur, die Entindividualisierung des Helden sowie häufig auftretende Sentenzen oder Erzählerkommentare.222 Treten in der Definition von Esselborn-Krumbiegel antiindividualistische Tendenzen deutlich hervor, so verweist Dagmar Grenz mit ihrer Definition des „Wandlungs- und Bekehrungsromans“ als spezifischer Variante des Entwicklungsromans deutlich auf die oberflächlich sich bewusst individualistisch gerierenden Aspekte des Genres, die letztendlich propagandistisch ausgenutzt und in ihr Gegenteil verkehrt werden. Grenz betont in ihrer Definition vor allem den irrationalen Bereich, welchen insbesondere die nationalsozialistischen Romane

219 Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung, S. 139. 220 Vgl. Helga Esselborn-Krumbiegel: Der „Held“ im Roman. Formen des deutschen Entwicklungsromans im frühen 20. Jahrhundert. Darmstadt 1983. [Zum Begriff des „Demonstrationsromans“: S. 163–173.] 221 Esselborn-Krumbiegel: Der „Held“ im Roman, S. 163. 222 Vgl. Esselborn-Krumbiegel: Der „Held“ im Roman, S. 172.



62 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

deutlich ansprechen, und bezieht sich auf den religiösen Ursprung der Begriffe ‚Bekehrung‘ und ‚Wandlung‘, die im Rahmen von politischer Propaganda nun ins Pseudo-Religiöse übertragen werden.223 Als zentrale Elemente dieser ‚Bekehrung‘ nennt sie eine tiefe Zäsur zwischen altem und neuem Leben des Protagonisten sowie den nicht durch die Vernunft zu erklärenden Offenbarungscharakter, der oftmals in hochgradig emotionalisierter Weise dargestellt wird.224 Unter Berufung auf allgemeinmenschliche Dispositionen und tradierte Wertvorstellungen und unter Anwendung der weiter oben vorgestellten Technik der Amalgamierung, die die moralische Korruptheit des Gegners als Folge seines falschen politischen Bewusstseins ausgibt, findet eine Emotionalisierung des Politischen statt, die gleichermaßen zu einer Entrationalisierung führt. Die Bekehrung bzw. die entscheidende Wende im Leben des Protagonisten tritt nicht – wie etwa im klassischen Bildungsroman  – durch die Analyse und kritische Hinterfragung der Umwelt ein, sondern durch ein irrationales Ereignis/Erlebnis, welches nicht weiter falsifizierbar ist.225 So wird die politische Überzeugung vielmehr zu einem diffusen Glauben an eine nicht näher bestimmbare Schicksalsmacht verklärt, anstatt eine klare, rational legitimierte Definition politischer Ziele zu sein. Grenz illustriert dies am Beispiel von Der Hitlerjungen Quex, wo die Lichtsymbolik und Heinis emotionale Empfindungen beim Lauschen der Deutschlandhymne die Kondensierung der Realität auf einzelne Sinneseindrücke bewirken, was zur Folge hat, dass die Szenen irrational-schicksalhaften Charakter bekommen226: Heini macht dabei keinerlei Versuch, seine Gefühlsreaktion an der Realität – etwa durch die Beschäftigung mit der politischen Tätigkeit und den politischen Zielen der NSDAP – zu überprüfen. Die Irrationalität wird gerade zum Ausdruck der Richtigkeit des Gefühls. […] In Bezug auf den Leser heißt das, daß die politischen Zielvorstellungen des Nationalsozialismus als einer Schicksalsmacht, die jäh in das menschliche Leben eingreift, vom Autor rational nicht legitimiert zu werden brauchen; sie können in bezug auf ihren Wahrheitsgehalt ebensowenig kritisch hinterfragt werden wie eine religiöse Haltung; hier wie dort muß der Mensch lernen zu glauben.227

Durch diese Darstellung von Bekehrungserlebnissen werden die ideologischen Romane ihrem Ziel gerecht, die Entwicklung eines ‚neuen Menschen‘ darzustellen. Dieser ‚neue Mensch‘, auf den sich die nationalsozialistische wie die kommunistische Ideologie gleichermaßen beruft, entwickelt jedoch nicht durch

223 Vgl. Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung, S. 125. 224 Vgl. Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung, S. 125. 225 Vgl. Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung, S. 131. 226 Vgl. Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung, S. 131. 227 Grenz: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung, S. 131–132.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 63

mühevolle individuelle Konflikte (wie sie für das eigentliche Muster des Entwicklungsromans konstitutiv sind) ein ideologisches Bewusstsein – auch wenn dies durch Ablenkungsmanöver wie die Hochstilisierung äußerer Widerstände und die spannende und emotionalisierende Darstellungsweise oberflächlich so erscheinen mag. Vielmehr ordnet er sich in blindem Glauben kompromisslos den Anforderungen, die die jeweilige Partei an ihn stellt, unter. Auch Günther konstatiert diesen Austausch des Entwicklungsziels innerhalb des Genres: „[T]he original intention of the genre – to demonstrate the self-realisation and social integration of an individual – has been restrained in favour of a gradual submission of the individual to existing organizational ideological structures.“228 Mit dieser Umkehrung des ursprünglichen Entwicklungsgedankens werden die literarischen Anleihen an Formen des Entwicklungsromans lediglich Mittel zum Zweck der ideologischen Beeinflussung: „[T]hey pervert the idea of development. Basically, they are novels of instrumentalisation, which use existing literary forms while reversing the idea of individual growth.“229 Der oberflächliche Initiationsritus, der in einem Großteil der Romane Ausgang nimmt von der insbesondere für Jugendliche so entscheidenden Ablösung von familiären Strukturen, endet immer mit der Aufnahme in die neue Gemeinschaft, nachdem sich das Individuum seinen Platz in dieser durch tatkräftigen Einsatz für die ‚Bewegung‘ verdient hat.230 Jedoch kann diesbezüglich von einer Emanzipation des jugendlichen Individuums keine Rede sein, denn letztendlich werden die familiären Abhängigkeiten lediglich gegen die Abhängigkeit von der patriarchalischen Struktur der jeweiligen Partei eingetauscht. Eine andere Form der Initiation wird in den völkisch-nationalsozialistischen Kriegsromanen  – beispielsweise in Beumelburgs Gruppe Bosemüller  – aufgegriffen. Hier steht die Mannwerdung im Krieg, die sich vor allem durch absolute Aufopferung für die Frontgemeinschaft der Kameraden, Kampftugenden sowie Durchhaltevermögen auszeichnet, im Vordergrund. Es wird versucht, der Sinn-

228 Günther: Education and Coversion, S. 205. 229 Günther: Education and Coversion, S. 207–208. 230 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 143–5: Heinis Aufnahme in die HJ und Übergabe der Uniform, nachdem er einigen Hitlerjungen „die gesunden Knochen, vielleicht sogar das Leben gerettet“ hat. Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 70–74: Utz spioniert als Kegeljunge bei der Versammlung der Rotfront für die Hitlerjugend. Daraufhin wird er brutal zusammen geschlagen, aber von seinen Kameraden als Märtyrer der ‚Bewegung‘ gefeiert. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 128: Erich wird für seinen tatkräftigen Einsatz mit dem Amt des stellvertretenden Leiters des KJVD betraut. Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 89: Franz Kreusat bekommt, nachdem er sich in den Arbeiterkämpfen bewährt hat und von seinen Genossen aus dem Gefängnis befreit wurde, einen eigenen Arbeitertrupp im Kampf um den Wasserturm übertragen.



64 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

losigkeit des Krieges einen Sinn zu verleihen, indem vor allem die opferbereite Kameradschaft als ein von Mitmenschlichkeit geprägtes Zusammenleben verklärt wird. Insbesondere Geissler weist auf diese völlig an der Kriegssituation vorbeigehende Einschätzung hin: „Hier wird ein situationsgebundenes und psychologisch zu motivierendes Zusammenwachsen aller deutschen Stämme und der verschiedenen Klassen als nationale und politische Gesellschaftsveränderung mißverstanden.“231 So wird durch pseudo-religiöse Umdeutungen der kameradschaftliche Zusammenhalt als Aufbruch in eine neue Gesellschaftsordnung – die von den Nazis als ‚Volksgemeinschaft‘ ausgegeben wurde – gefeiert, rein zufälliges Überleben wird zur Überwindung des Todes und der Tod wird zum heroischen Opfertod für die kameradschaftliche Gemeinschaft und die gemeinsame Sache verklärt. Der Schrecken des Krieges wird durch solche irrationalen Kategorien als unabänderliches Faktum, als Schicksal, gesetzt, in dem sich der Soldat zu bewähren hat. Er wird auf diese Weise zum Mitträger einer neuen (besseren) Gesellschaftsordnung gemacht, die  – so wird unter absoluter Siegesgewissheit suggeriert – unaufhaltsam herannahe, wenn nur jeder bis zum äußersten Opfer (d. h. sein Leben zu lassen) bereit sei. Diese ‚Lehre‘ des Krieges, die die Kriegsromane in Anlehnung an Strukturen des Entwicklungsromans vermitteln wollen, ist jedoch weit entfernt von einem individuellen, humanistisch geprägten Entwicklungsgedanken, wie er dem Genre des Entwicklungs- und Bildungsromans ursprünglich zugrunde lag: Wo der Krieg als Aufbauleistung und Garantie einer sinnvollen Zukunft erscheint, wo pure Siegesgewißheit und heroisches Durchhalten zur Schau getragen werden, können Zweifel, Irrtum, individuelle Entwicklung nicht einmal mehr ansatzweise eine Rolle spielen. […] Man konnte so tun, als ob es auch im modernen Massenkrieg auf die Entschlüsse und Entscheidungen des Einzelnen ankomme, als ob der Krieg durch moralisches Verhalten zu bewältigen sei. In Wahrheit war diese Sichtweise der Situation des Individuums als Befehlsempfänger und als Opfer der Vernichtungstechnik jedoch ebenso unangemessen wie die Vorstellung von einer harmonischen Entwicklung der Persönlichkeit im Krieg.232

Eine mythisch überhöhte formale Opferstruktur, in der das Opfer zum Selbstzweck, zum säkularen Glaubensbekenntnis für die politische ‚Bewegung‘ wird, prägt jedoch nicht nur den Kriegsroman, sondern auch die nationalsozialistischen ‚Märtyrerromane‘, wie Schenzingers Der Hitlerjunge Quex, sowie die direkte Adaptation des Quex-Stoffes durch Viera in Utz kämpft für Hitler und Vieras Horst

231 Geissler: Dekadenz und Heroismus, S. 94. 232 Heidrun Ehrke-Rotermund: Der nationalsozialistische Kriegsroman  – eine Erbschaft aus der Zeit der Weimarer Republik. In: Literatur für Leser 7 (1984), H. 4, S. 248–249.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 65

Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches. Das Pathos des unbedingten Aktionismus, mit dem das (Selbst-)Opfer propagiert wird, ist in seiner Grundstruktur dezisionistisch geprägt, die Tat wird zum Selbstzweck. Nicht der Inhalt oder die Begründung der Entscheidung bzw. einer bestimmten moralischen oder politischen Position per logischer Analyse und kritischer Reflexion steht im Vordergrund, sondern alleine der Entscheider und die Entscheidung an sich, die absolut gesetzt werden. Ganz im Sinne des von Carl Schmitt im Wesentlichen geprägten und ausformulierten Begriffs des ‚Dezisionismus‘ erscheint es, als sei „die Entscheidung […] als solche wertvoll, weil es gerade in den wichtigsten Dingen wichtiger ist, daß entschieden werde, als wie entschieden wird.“233 Zwar ist in den Roten Eine-Mark-Romanen eine ebensolche Opferstruktur sowie der Märtyrergedanke vorhanden, es finden sich des Weiteren ebenfalls ein stark teleologischer Handlungsaufbau mit eschatologischen Zukunftsvisionen am Ende der Romane, jedoch wird in ihnen weniger ausführlich auf die Entwicklung von Einzelfiguren eingegangen. Statt in den nationalsozialistischen Titeln wie Der Hitlerjunge Quex, Utz kämpft für Hitler oder Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches, in denen dezidiert der Entwicklungsgang eines zentralen Helden im Vordergrund steht, existieren in den Roten Eine-Mark-Romanen wie Kämpfende Jugend und Sturm auf Essen eine Vielzahl von Entwicklungen unterschiedlicher Personen. Es gibt also, dem kommunistischen Weltbild entsprechend, keinen zentralen Helden; vielmehr werden unterschiedliche Identifikationsfiguren bereitgestellt, die als typische Vertreter fungieren und die jeweiligen Aspekte der Parteipolitik bzw. des vorbildlich handelnden Genossen repräsentieren. Teilweise werden damit jedoch bestimmte Funktionäre und deren Handlungsweisen bewusst hervorgehoben. Diese weniger ausführlich thematisierte Einzelentwicklung von Individuen sowie die Vernachlässigung der emotional-subjektiven Seite und die Überbetonung des exemplarischen Charakters wurde den kommunistischen Romanen, oft aus den eigenen Reihen, schon früh zum Vorwurf gemacht.234

233 Carl Schmitt: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. Leipzig 1922, S. 50. 234 Vgl. Otto Biha: Der Soldat und der Kumpel. In: Die Linkskurve 2 (1930b), H. 11, S. 21: „Bei Marchwitza ist noch ein Rest einer mechanischen Einstellung zu liquidieren. Noch werden die Ereignisse unabhängig von der Psychologie der Menschen, die ihnen unterworfen sind und sie mitbestimmen, gezeichnet.“ Vgl. den Beginn der Bredel-Lukács-Debatte, die sich um die Frage „Reportage oder Gestaltung?“ rankt und ihren Ausgang von folgendem Aufsatz nimmt: Georg Lukács: Willi Bredels Romane. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 11, S. 26: „Denn diese Schwierigkeiten könnten nur dann künstlerisch gestaltet werden, wenn es unseren Dichtern gelänge, jene Hemmungen, die gute Arbeiter von der revolutionären Bewegung fernhalten, jene Strömungen,



66 

 1 Populäre Schemata und politische Agitation

In den untersuchten nationalsozialistischen Romanen findet hingegen fast eine komplette Aussparung der Arbeitswelt unter Betonung der ‚sinnvollen‘ Freizeitaktivität in der Hitlerjugend und der Schilderung des familiären Privatbereichs statt, während in den Roten Eine-Mark-Romanen die Darstellung der Arbeitswelt und die Streiks primärer Ausgangspunkt für die Aktivitäten in der kommunistischen ‚Bewegung‘ sind. Auch ein Mindestmaß an politischer und theoretischer Schulung sowie die ‚richtige‘ Lektüre werden in den Roten Eine-Mark-Romanen durchaus häufiger erwähnt235, in den nationalsozialistischen Romanen wird jedoch der politischen Bildung eine klare Absage erteilt; stattdessen steht die ‚Charakterbildung‘ im Vordergrund: „Ich will nicht, dass ihr viel in Politik macht. Das kapiert ihr doch noch nicht. […] Ihr sollt erst mal aufhören mit Heulen, wenn man es sagt.“236 Somit ähneln die Roten Eine-Mark-Romane mit ihrer deutlich hervorgehobenen typenhaften Verweisfunktion und der weniger auf individuelle Emotionalität abhebenden Darstellungsform eher dem oben beschriebenen Modell des „Demonstrationsromans“. Esselborn-Krumbiegel verweist innerhalb ihrer Definition sogar darauf, dass Elemente der Reportage, wie sie ja für den Roten EineMark-Roman charakteristisch sind, durchaus eine Symbiose eingehen können mit Elementen des „Demonstrationsromans“.237 Der Typus des „Bekehrungsromans“, der vor allem die oberflächliche individuelle Emotionalisierung hervorhebt und in dem die Vorrangstellung des Ichs, die aus dem Entwicklungsroman übernommen wurde, letztendlich lediglich zur ideologischen Funktionalisierung dient und in ihr Gegenteil verkehrt wird, entspricht eher den nationalsozialistischen Romanen. Hier werden offensiver einzelne Heldenfiguren hervorgehoben und es wird stärker auf individuelle emotionale und irrationale Aspekte abgezielt als in den Roten Eine-Mark-Romanen. Allgemein als konstitutiv für authoritarian fictions, also für Romane mit doktrinärem Intertext, sieht Suleiman neben der structure of confrontation, d. h. der durch Schwarz-Weiß-Schemata geprägten Auseinandersetzung zwischen Vertretern unterschiedlicher Ideologien, auch die structure of apprenticeship – also

die die untere, proletarisierte Schicht des Kleinbürgertums ins Lager der Gegenrevolution treiben, wirklich lebendig und anschaulich zu gestalten; […].“ 235 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 97: „‚Ja, früher hab ich das Zeug nicht verdauen können. Aber heute komme ich ohne „Die Rote Fahne“ nicht mehr aus. Nur die verfluchten Fremdwörter.‘ ‚Ja, die sind schlimm, mein Lieber. Kannst nichts machen gegen. […] Aber ist nicht weiter schlimm. Wirst sie schon lernen.‘“ 236 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 155. 237 Vgl. Esselborn-Krumbiegel: Der „Held“ im Roman, S. 173.





1.4 Versatzstücke populärer Gattungen innerhalb der untersuchten Romane 

 67

die Strukturen des Entwicklungs-/Bildungsromans  – an.238 Diese ‚Struktur der Lehre‘ überträgt sie vor allem im Rahmen des Modells der Aktantenstruktur nach Greimas auf die spezifische Personengestaltung:239 So wird im roman à thèse das erstrebenswerte Objekt immer mit der Selbsterkenntnis in Form der richtigen Doktrin ersetzt; Helferfiguren, die unterstützend auf dem Weg zu dieser Selbsterkenntnis auftreten, sind oft in Form von paternalistischen Figuren (Parteivertretern) hervorgehoben; die Personengruppe der Gegner, die das Subjekt auf seinem Weg zur (ideologischen) Selbsterkenntnis behindern will bzw. es durch ‚falsche Versprechungen‘ für die Gegenseite gewinnen will, ist ständig präsent.240 Dabei tritt die didaktische Absicht des roman à thèse entweder in der Struktur der positiven Lehre auf, die nachahmenswerte Beispiele konstituiert, oder in der Struktur der negativen Lehre, die das Vermeidenswerte und das Lernen am Negativbeispiel propagiert, indem – oftmals vor der Folie der Gegner – aufgezeigt wird, welche Verhaltensweisen nicht nachgeahmt werden sollten, da sie sich negativ auswirken (Drohung mit Sanktionen) oder ganz konkret dargestellt wird, welche Gegner ‚unschädlich‘ gemacht werden müssen.241 Insbesondere für die konkrete (Personen-)Analyse bieten diese strukturalistisch geprägten Begriffe von Suleiman ein geeignetes Instrumentarium zur Beschreibung der jeweiligen Konstellationen. Wie die Romane vor dem jeweiligen ideologischen Hintergrund literaturpolitisch funktionalisiert wurden, wird im folgenden Kapitel untersucht.

238 Vgl. Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 63–100 [„The Structure of Apprenticeship“], S. 101– 148 [„The Structure of Confrontation“]. 239 Vgl. Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 64. Sie überträgt die ideologisch-didaktisch gefärbten Aspekte des roman à thèse dabei auf das Aktantenmodell von Greimas, welches in seinem folgenden, grundlegenden Werk ausführlich geschildert wird: Algirdas Julien Greimas: Sémantique structurale. Recherche de méthode. Paris 1966 [insbesondere S. 172–191]. 240 Vgl. Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 80–81. 241 Vgl. Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 77–78 [Zur Struktur der „positive exemplary apprenticeship“], S. 86 „negative exemplary apprenticeship“: „The hero […] functions essentially as an imago: his evolution is to be followed, or imitated by the reader. The negative subject by contrast, functions as a cautionary figure: his story shows the reader what one must not do, or be.“



2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane Die im Rahmen vorliegender Arbeit behandelten Romane schweben nicht in einem von Zeit- und Entstehungsbedingungen losgelösten Raum, sondern gewinnen ihre spezifischen Charakteristika insbesondere durch den sozialhistorischen und explizit politischen Kontext, vor dem sie entstanden sind und gewirkt haben. Daher ist es unabdinglich aufzuzeigen, vor welchem Hintergrund die Romane ideologisch funktionalisiert wurden. Außerdem muss beachtet werden, dass sich hinter der vordergründigen Gemeinsamkeit der beiden politischen Extreme, dem operationalen Verständnis von Literatur als ‚Waffe‘1 im politischen Kampf, ganz unterschiedliche literatur- und kulturpolitische Vorstellungen verbergen. Diese Unterschiede, aber auch partielle Gemeinsamkeiten, gilt es herauszuarbeiten. Insgesamt geht es im Rahmen der Ausführungen zu den kommunistischen wie nationalsozialistischen Konzepten und Kontroversen darum, übergreifende Tendenzen im jeweiligen kulturpolitischen Bereich aufzuzeigen, die es ermöglichen, die im Analyseteil behandelten Romane innerhalb des literaturpolitischen Kontextes zu verorten. Eine vollständige Erörterung der jeweiligen Kulturpolitik soll bzw. kann an dieser Stelle nicht erfolgen, da sie vom eigentlichen Kern der Arbeit wegführen würde und darüber hinaus bereits in anderen Werken ausführlich geleistet wurde. Für die nationalsozialistische Literaturpolitik sind diesbezüglich die Untersuchungen von Barbian, Van linthout, Brenner, Strothmann und Ketelsen zu nennen.2 Die proletarisch-revolutionäre Literaturpolitik erörtern Hein, Gallas,

1 Die Waffen- und Kampfsemantik sowie die Giftmetapher finden sich nicht nur im Bereich der linken Literaturpolitik, auch die Nationalsozialisten, insbesondere Rosenbergs Kampfbund für deutsche Kultur, bedienten sich dieser Bildsprache. Petra Tallafuss bemerkt dazu: „Die Waffensemantik in den literaturtheoretischen Schriften des BPRS erscheint angesichts der propagierten pazifistischen Grundhaltung der KPD […] auf den ersten Blick anachronistisch. Sie war jedoch, wie das gesamte Wortfeld ‚Kampf‘ – das integrativer Bestandteil auch von Rosenbergs Welt- und Kulturverständnis war –, zwischen den Kriegen im kulturellen Bereich fest verankert und resultiert […] teilweise aus der Erfahrung des Ersten Weltkrieges.“ Tallafuss: „Literatur als Waffe“, S. 57; zur Giftmetapher vgl. S. 59. 2 Einen ausführlichen Überblick über die nationalsozialistische Kultur- und Literaturpolitik (zumeist unter Fokussierung auf das ‚Dritte Reich‘) bieten: Ine Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik. Berlin/Boston 2012. Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im NS-Staat. Von der „Gleichschaltung“ bis zum Ruin. Frankfurt a. M. 2010. Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. Frankfurt a. M. 1993. Uwe-Karsten Ketelsen: Kulturpolitik des Dritten Reiches und Ansätze zu ihrer Interpretation. In: Text & Kontext 8 (1980), S. 217–242. Als immer wieder zitiertes, aber mittlerweile aufgrund neuerer Forschungsergebnisse nicht unumstrittenes Standardwerk kann gelten: DietDOI 10.1515/9783110468434-003





2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane 

 69

Friedrich und Schiller sowie einige im Aufbau-Verlag erschienene Publikationen der Abteilung Geschichte der sozialistischen Literatur der Akademie der Künste der DDR, die jedoch stark ideologisch gefärbt sind.3 Die Aussagen zur Literaturpolitik innerhalb dieses Kapitels setzen den Schwerpunkt vor allem auf den Einsatz populärer Formen der Literatur zur politischen Agitation eines möglichst breiten Rezipientenkreises, insbesondere der Masse der (jugendlichen) Arbeiter. Im kommunistischen Umfeld lässt sich die Verwendung populärer Schemata relativ deutlich anhand des Konzepts der Reihe des Roten Eine-Mark-Romans erläutern.4 Entwickelt einerseits der Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) in Anlehnung an das sowjetische Vorbild der RAPP (Russische Assoziation proletarischer Schriftsteller) ein revolutionäres Literaturkonzept, so findet sich andererseits im nationalsozialistischen Umfeld zunächst keine eigenstän-

rich Strothmann: Nationalsozialistische Literaturpolitik. Ein Beitrag zur Publizistik im Dritten Reich. 3. Auflage. Bonn 1968. Vorreiterin auf dem Gebiet der Erforschung der NS-Kunstpolitik ist: Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Reinbek bei Hamburg 1963. 3 Vgl. Christoph M. Hein: Der „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands“. Biographie eines kulturpolitischen Experiments in der Weimarer Republik. Münster 1991. Helga Gallas: Marxistische Literaturtheorie. Kontroversen im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Neuwied/Berlin 1971. Gerhard Friedrich: Proletarische Literatur und politische Organisation. Die Literaturpolitik der KPD in der Weimarer Republik und die proletarisch-revolutionäre Literatur. Frankfurt a. M. 1981. Die Vorträge von: Dieter Schiller: Alternative zum bürgerlichen Literaturbetrieb? Rückblicke auf die proletarisch-revolutionäre Literatur der 20er/30er Jahre in Deutschland. Berlin 2010 (Pankower Vorträge; 147). Folgende Veröffentlichungen bieten zwar einen Überblick über die Entwicklungen proletarischrevolutionärer Literatur, sind jedoch stark ideologisch gefärbt: Literatur der Arbeiterklasse. Aufsätze über die Herausbildung der deutschen sozialistischen Literatur 1918–1933. Hg. v. der Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin/Weimar 1971; Alfred Klein: Im Auftrag ihrer Klasse. Weg und Leistung der deutschen Arbeiterschriftsteller. 2. Auflage. Berlin/Weimar 1976; Manfred Nössig, Johanna Rosenberg und Bärbel Schrader: Literaturdebatten in der Weimarer Republik. Zur Entwicklung des marxistischen literaturtheoretischen Denkens 1918–1933. Berlin/Weimar 1980. 4 Speziell zum Roten Eine-Mark-Roman ist fast keine aktuelle Sekundärliteratur vorhanden. Einzige Ausnahme bleibt: Desiree Hebenstreit: Der Volksbegriff und seine Bedeutung für die kommunistische Arbeiterliteratur der Weimarer Republik. Eine Untersuchung anhand der Romanreihe: Der Rote Eine-Mark-Roman. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 32 (2007), H. 2, S. 143–160. Als Standardwerke zum Roten Eine-Mark-Roman können des Weiteren folgende ältere überblicksartige Darstellungen gelten: Hanno Möbius: Progressive Massenliteratur? Revolutionäre Arbeiterromane 1927–1932. Stuttgart 1977. Michael Rohrwasser: Saubere Mädel – Starke Genossen. Proletarische Massenliteratur? Frankfurt a. M. 1975. Udo Köster: Zum Verhältnis von proletarisch-revolutionärer Belletristik. In: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz, Heft 17 (1972), S. 1–15.



70 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

dige Literaturtheorie, sondern eher das Anknüpfen an Altbekanntes, solange es sich im Sinne der eigenen Ideologie umdeuten lässt. Der nationalsozialistische Begriff von Literatur (vor allem in der Weimarer Republik) setzt sich somit aus recht heterogenen Versatzstücken zusammen, die fast überwiegend aus bürgerlichen Traditionen stammen und den tradierten Kunstbegriff nicht infrage stellen. Die unterschiedlichsten Tendenzen werden aufgegriffen, solange sie zur ideologischen Umdeutung und Funktionalisierung im Sinne des Nationalsozialismus geeignet scheinen. Im Rahmen der schier unüberschaubaren Menge an Kompetenzstreitigkeiten (z. B. zwischen dem taktisch flexiblen und massenwirksamen Unterhaltungsmedien gegenüber aufgeschlossenen Goebbels und dem stark dogmatisch völkisch-nationalsozialistisch geprägten Rosenberg mit seiner Vorstellung von einer ‚Volkskultur‘) sowie uneinheitlichen Tendenzen im nationalsozialistischen Umfeld5, sollen an dieser Stelle nur zwei Strömungen aufgegriffen werden, die insbesondere für die hier behandelten (Jugend-)Romane und die Zielgruppe der Arbeiter von hoher Relevanz sind: Dies ist einerseits die Anknüpfung an Bewährtes: Die Funktionalisierung des völkisch-nationalen Kriegsromans für nationalsozialistische Zwecke und die Anlehnung an die Schund- und Schmutzkampfdebatte, welche seit dem Kaiserreich die Diskussion um die Kinder- und Jugendliteratur beherrschte. Dieser ‚Schmutzkampf‘ wurde von den Nationalsozialisten auch auf die Erwachsenenliteratur ausgedehnt, um Werke gegnerischer Autoren als ‚kulturbolschewistisch‘ und ‚zersetzend‘ zu diffamieren und sich mit den eigenen kulturellen Auffassungen vor allem beim krisengeschüttelten Bürgertum unablässig als ‚Retter‘ im Kampf um den Erhalt der deutschen Kultur positiv zu positionieren. Andererseits ist als spezifisch nationalsozialistische (Neu-)Prägung die Literatur der ‚Organisationen und der Dienste‘ zu betrachten, also insbesondere die Hitlerjungen-, SA-, und Märtyrer-Romane, die überwiegend in der Endphase der Weimarer Republik sowie direkt nach der ‚Machtergreifung‘ entstanden sind und von nationalsozialistischer Seite ambivalent bewertet wurden. Dabei ist zu beachten, dass die Arbeiter im literaturpolitischen Bereich der Nationalsozialisten kaum spezifisch adressiert werden, sondern überwiegend im Rahmen der sich klassenlos gerierenden ‚Volksgemeinschaft‘ mit angesprochen werden.

5 Einen Überblick über die unterschiedlichen Kultur- und Kunstauffassungen im Nationalsozialismus bietet: Thomas Mathieu: Kunstauffassungen und Kulturpolitik im Nationalsozialismus. Studien zu Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg, Baldur von Schirach, Heinrich Himmler, Albert Speer, Wilhelm Frick. Saarbrücken 1997.





2.1 Literaturpolitische Hintergründe innerhalb des kommunistischen Umfelds 

 71

2.1 Literaturpolitische Hintergründe innerhalb des ­kommunistischen Umfelds Zur Veranschaulichung der Nutzbarmachung populärer Schemata der Unterhaltungsliteratur für die politische Agitation eignet sich die Reihe der Roten EineMark-Romane besonders gut. Ihr liegt explizit das revolutionäre Konzept eines ‚proletarischen Massenromans‘ zugrunde, der das Unterhaltungsbedürfnis der Leser weg von der als affirmativ und manipulativ aufgefassten (klein-)bürgerlichen Unterhaltungsliteratur hin zu einer zwar unterhaltsamen, primär aber didaktischen und identifikatorischen Kampf- und Agitationsliteratur kanalisieren soll. Dabei ist die Reihe weder inhaltlich noch formal einheitlich gestaltet. Vielmehr schlagen sich Kontroversen im BPRS und in der Linkskurve, die Parteilinie der KPD und der internationale Kurs der RAPP sowie nicht zuletzt der individuelle Stil der einzelnen (Arbeiter-)Schriftsteller auf die Gestaltung nieder. Die Reihe zeigt also auch das Austarieren und Erproben von unterschiedlichen Konzepten und parteiinternen Vorgaben auf. Genau diese Entwicklungslinie der Romanreihe, die sich durch ihren politischen und agitatorischen Anspruch darüber hinaus immer wieder gezwungen sehen muss, auf aktuelle politische Entwicklungen einzugehen, soll nachvollzogen werden. Deshalb wurden auch für die spätere Literaturanalyse bewusst der erste Band Sturm auf Essen (1930) von Hans Marchwitza und mit Band  8 einer der späteren Romane, Kämpfende Jugend (1932) von Walter Schönstedt, sowie flankierend dazu Band  9 S.S. Utah (1932) von Mike Pell ausgewählt, um paradigmatisch die gesamte Bandbreite der Reihe zu erfassen und darzustellen.

2.1.1 Revolutionäres Konzept – Der Rote Eine-Mark-Roman „Herz und Hirn“6 der Arbeiter müssten in Richtung Kommunismus organisiert werden, so heißt es im Aktionsprogramm des BPRS von 1928. Diese Losung ist

6 Diese Formulierung stammt bereits aus der Resolution der Konferenz der Delegierten des V. Weltkongresses zur Frage der künstlerischen Literatur der Kommunistischen Internationale (Komintern) von 1924, die als Richtschnur für revolutionäre Schriftsteller aller Länder gedacht war. Die Resolution findet sich in folgender Anthologie wiederabgedruckt: Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Eine Auswahl von Dokumenten. Hg. u. kommentiert v. der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin, Sektion Dichtkunst und Sprachpflege. Abteilung Geschichte der sozialistischen Literatur. 2. durchgesehene und erweiterte Auflage, Berlin/Weimar 1967, S. 739–740. Sie wurde laut Angaben der Anthologie zuerst veröffentlicht in: Internationale



72 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

ebenfalls für den Roten Eine-Mark-Roman bezeichnend, denn auch hier sollen das Unterhaltungsbedürfnis sowie Emotionen und Affekte in Verbindung mit didaktischen Elementen, parteipolitischen Direktiven und vorgegebenen Handlungsweisen und Einsichten verbunden werden und damit agitativ wirken. Die Reihe startet 1930 und wird sofort in der Roten Fahne, dem „Zentralorgan“ der KPD, sowie in der Linkskurve, dem Organ des BPRS, stark propagiert und beworben. Zahlreiche Anzeigentexte, Artikel und Werbeplakate zeugen von dem Versuch, dem Roten Eine-Mark-Roman massenwirksame Publizität zu verschaffen. Trotz allem ist die zehnbändige Reihe bis heute relativ wenig bekannt. Der Rote Eine-Mark-Roman nimmt als bewusst konzipierte Unterhaltungsliteratur mit operativem Charakter eine Sonderstellung ein gegenüber den rein politisch-didaktischen Broschüren und Flugblättern sowie den operativen Kleinformen wie Gedichten, Reportagen, Erzählungen und Arbeiterkorrespondenzen, die z. B. in den Zeitungen Die Rote Fahne und in der Linkskurve publiziert wurden. So soll der Rote Eine-Mark-Roman nicht nur das Unterhaltungsbedürfnis befriedigen, sondern vielmehr als agitatorische ‚Waffe‘ im politischen Kampf wirken, also das Klassenbewusstsein stärken und zur Aktion aufrufen. Während im Mai 1930 Kurt Kläber bereits das Konzept zu einem „proletarische[n] Massenroman“ als Gegenstück zu den „1-Markbücher[n] der Rotbarths, der Scherls und der Ullsteins“7 in der Linkskurve vorstellt, erscheint erst in der Septemberausgabe 1930 eine große Anzeige, welche die Rote Eine-MarkSerie und deren erste vier Titel ankündigt. Indes veröffentlicht Die Rote Fahne am 2. August 1930 einen Aufsatz von Otto Biha, Redakteur der Linkskurve und Lektor des Internationalen Arbeiter-Verlags (IAV), mit dem Titel Der proletarische Massenroman. Eine neue Eine-Mark-Serie des ‚internationalen Arbeiterverlages‘.8 Die Artikel von Kläber und Biha verdeutlichen die grundlegenden Absichten und Anliegen der Reihe: Biha betont in kämpferischem Gestus: „Die von den Scherl

Presse-Korrespondenz 42 (1924). Im Entwurf eines Aktionsprogramms des BPRS von 1928 heißt es in Anlehnung an diese Formulierung man müsse „Herz und Hirn“ der Arbeiter „gewinn[en], entwickel[n] und organisier[en]“. Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS): Entwurf eines Aktionsprogramms. In: Die Rote Fahne (28.10.1928), Nr. 255, [o.S.] 4. Beilage. Das Aktionsprogramm findet sich ebenfalls in: Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Eine Auswahl von Dokumenten (1967), S. 118–120 [hier: S. 119]. 7 Kurt Kläber: Der proletarische Massenroman. In: Die Linkskurve 2 (1930a), H. 5, S. 22–25 [hier: S. 25]. 8 O.[tto] Biha: Der proletarische Massenroman. Eine neue Eine-Mark-Serie des ‚internationalen Arbeiterverlages‘. In: Die Rote Fahne (02.08.1930a), Nr. 178, S. 10. Ausgabe auch digital verfügbar unter: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1930-08-02/24352111/?no_ cache=1 (letzter Zugriff am 23.01.2016, 16:20 Uhr).





2.1 Literaturpolitische Hintergründe innerhalb des kommunistischen Umfelds 

 73

und Ullstein der Welt am fließenden Band des Geistes hergestellte Ideologie ist das gefährlichste Giftgas an der Kulturfront.“9 Diesen, von der proletarisch-revolutionären ‚Bewegung‘ als affirmativ-bürgerliche Manipulationsinstrumente aufgefassten, Massenromanen wollte man den „rote[n] Massenroman“ entgegensetzen, der „die Konflikte der Zeit und die Kämpfe der Massen gestaltet“, also „das Leben der Fabriken, Schächte und Mietskasernen“.10 Interessant, jedoch nicht nur unterhaltend, sondern primär mit didaktischer Funktion ausgestattet, sollte dieser rote Roman sein: „Nicht minder fesselnd und unterhaltend, aber durchglüht vom Kampfeswillen der Klasse, muß dieser Roman tief hinein in alle Schichten der Unterdrückten die Ideologie des revolutionären Bewußtseins tragen.“11 Kläber hingegen argumentiert eher käuferorientiert und versucht der Entstehung von Vorurteilen gegenüber dem proletarischen Massenroman vorzubeugen, da dieser mehr sei „als eine vom Bürgerlichen ins Proletarische übertragene Art von Unterhaltungsliteratur“12 und nicht als Besitzobjekt für „Bücherschränke aus imitierter Eiche mit geschliffenen Glasfenstern“13 gedacht sei. Er möchte ihn als Kampf- und Agitationsliteratur verstanden haben, die durch Mund-zu-Mund Propaganda, finanzielle Erschwinglichkeit und durch ein hohes Maß an identifikatorischem und didaktischem Potenzial einen hohen Gebrauchswert als politische ‚Waffe‘ erhalte: Dieser Roman wird dann schon durch seine Aggressivität den Geruch der Unterhaltungsliteratur loswerden. Wir glauben auch nicht, dass einer von den hier genannten Romanen nicht aufrührt, begeistert, aufklärt, mitreißt und anfeuert. So wollen wir ihn, besonders im Betrieb, auch sehen. Ein Arbeiter soll es dem anderen sagen. […] Da hat einer unseren Kampf gezeigt wie er ist. Da siehst du, wie wir verraten werden, wie man uns ausbeutet. Da sagt einer die Wahrheit. Unsere Wahrheit. Da siehst du aber auch wie wir uns zusammenschließen müssen. Wer uns führen muß. Wer uns verrät und wen wir zu allen Teufeln jagen müssen.14

Demnach ist das Erkenntnisziel der Romane für den einzelnen Leser klar vorgegeben. Der Anspruch auf unumstößliche Wahrheiten, die Absolutsetzung der eigenen Partei und ein Bekehrungsimpetus, der auf Identifikation mit der und

9 Biha: Der proletarische Massenroman, S. 10. 10 Biha: Der proletarische Massenroman, S. 10 [Hervorhebungen aus dem Original übernommen]. 11 Biha: Der proletarische Massenroman, S. 10 [Hervorhebungen aus dem Original übernommen]. 12 Kläber: Der proletarische Massenroman, S. 23. 13 Kläber: Der proletarische Massenroman, S. 23. 14 Kläber: Der proletarische Massenroman, S. 23.



74 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

Integration der einzelnen Individuen in die ‚Bewegung‘ baut, sind aus dem Zitat eindeutig zu erkennen. Eine Polarisierung nach dem Freund-Feind-Schema und eine affektive Aufladung des Inhaltes, der „aufrühr[en], begeister[n], […], mitreiß[en] und anfeuer[n]“ soll, sind so bereits konzeptionell angelegt. Politische Aufklärung, das zeigt das Zitat deutlich, beschränkt sich zumeist auf Feindbilder. Dies ist ein Aspekt, der jedoch nicht nur auf linke Agitation beschränkt ist, wie die Ausführungen zu den nationalsozialistischen Konzepten verdeutlichen werden. Auch Bernhard Weyergraf verweist in der Einleitung des Bandes zur Literatur der Weimarer Republik von Hansers Sozialgeschichte auf die politische Gruppen übergreifende Bedeutung von Feindbildern und gegenseitigen Schuldzuweisungen.15 Damit ist ein erster allgemeiner Rahmen für das grundlegende Anliegen bzw. Konzept der Reihe abgesteckt. Die konkrete literarische Realisation und die formale wie inhaltliche Gestaltung stellen sich aber wesentlich uneinheitlicher dar. Diskussionen im BPRS und in der Linkskurve, Anweisungen der KPD, sowjetische Vorgaben und Linien der RAPP sowie nicht zuletzt der individuelle Stil der einzelnen Autoren führen dazu, dass die Serie des Roten Eine-Mark-Romans kein so einheitliches Gesicht trägt, wie möglicherweise von einer derart gezielt geplanten Reihe zu erwarten wäre. Eine grobe Einteilung bzw. Typologisierung ist dennoch möglich: Auffällig ist zunächst die Tendenz der Darstellung jüngst vergangener, beispielhafter historischer Arbeitskämpfe, die somit Vorbildcharakter für zukünftige Kämpfe einnehmen sollen. Diesem Schema des weitestgehend zeitgeschichtlichen Romans folgen die ersten drei Romane der Reihe. Band 1, Hans Marchwitzas Sturm auf Essen von 1930, thematisiert den Kapp-Putsch von 1920. Der ebenfalls 1930 erschienene Roman Barrikaden am Wedding von Klaus Neukrantz schildert die unmittelbar zeitgeschichtlichen Kämpfe des 1. Mai 1929, dem sogenannten ‚Berliner Blutmai‘. Diese historisch gefärbten Romane werden teilweise als „linke Dolchstoßlegenden“16 aufgefasst, die zur Weiterführung der Arbeiterkämpfe animieren sollen. Band  3 nimmt innerhalb der historisch orientierten Romane der Reihe eine Sonderstellung ein. Orschanskys Zwischen den Fronten ist eine

15 Vgl. Bernhard Weyergraf: Einleitung. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jhd. bis zur Gegenwart. Begründet v. Rolf Grimminger. Bd. 8: Literatur der Weimarer Republik. Hg. v. Bernhard Weyergraf. München 1995, S. 29: „Der Feind stand im Inneren des Landes: als marxistische Ideologie oder als bürgerliche Erfüllungspolitik. Auf jeden fiel der Verdacht, an der falschen Front zu kämpfen. Das erleichterte nicht nur das Politikverständnis auf allen Seiten, sondern bot auch die Bequemlichkeit wechselseitiger Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen.“ 16 Köster: Zum Verhältnis von proletarisch-revolutionärer Belletristik, S. 11.





2.1 Literaturpolitische Hintergründe innerhalb des kommunistischen Umfelds 

 75

Übersetzung eines im Original in Russland erschienenen Romans, was die zeitweise bolschewistische Orientierung der Literaturkonzeption der Reihe aufzeigt. Der Band thematisiert den Widerstand gegen die Weiße Armee in Sibirien und Südrussland, schildert den Bürgerkrieg und die polnische Konterrevolution und soll somit auch für die Kämpfe und das Schicksal der bolschewistischen Genossen sensibilisieren, die oftmals als großes Vorbild dargestellt werden. Nach Kurt Kläbers Kritik in der Linkskurve und seiner Forderung des „Marsch[s] auf die Fabriken“17 sowie den Ergebnissen der Charkower Konferenz18 lässt sich eine erste Tendenz zur Aktualisierung der Inhalte feststellen. Die Reihe orientiert sich nun verstärkt an der Darstellung der ‚Abenteuer‘ des alltäglichen proletarischen Kampfes. Dabei verlaufen zwei Tendenzen parallel. Eine Reihe von Romanen ist am Betriebsalltag, also an der Schilderung der Vorgänge und Kämpfe innerhalb der Betriebszellen, orientiert. Zu diesen gehören Band 4: Willi Bredels Maschinenfabrik N&K (1930), Band  7: Hans Marchwitzas Schlacht vor Kohle (1931) sowie Band 9 des amerikanischen Autors Mike Pell mit dem Titel S.S. Utah von 1932, welcher jedoch eine Sonderstellung einnimmt, da er die Abenteuer einer Seemannschaft auf der Reise nach Russland erzählt und einen Aufruf zur internationalen Solidarität darstellt. Andere Romane schildern verstärkt das Leben in der Straßenzelle, verfolgen also eine eher individuelle bzw. private Ausrichtung und schließen daher auch dezidiert die alltäglichen Kämpfe von Jugendlichen und Frauen ein, die vor allem in den über das Individuelle hinausreichenden politischen Klassenzusammenhang eingeordnet werden. So folgen Band 6: Willi Bredels Rosenhofstraße (1931), Band 8: Walter Schönstedts Kämpfende Jugend (1932), sowie Band 5: Franz Kreys Maria und der Paragraph (1932), der sich mit dem Abtreibungsverbot in § 218 auseinandersetzt, einer breiteren und auch außerbetrieblichen Leserorientierung und einer etwas facettenreicheren Personenzeichnung und Darstellung emotionaler Konflikte sowie übergreifender Zusammenhänge und Erklärungen, wie sie beispielsweise Lukács seit 1931 in der Linkskurve forderte.19 Diese breitere Ausrichtung schließt auch ein alters-

17 Kurt Kläber: Marsch auf die Fabriken. In: Die Linkskurve 2 (1930b), H. 11, S. 14–16. 18 Die Forderungen der Charkower Konferenz umfassen unter anderem eine Ausweitung der Basis der Leserschaft auf die Jugend, Bauern und Frauen sowie auf das Kleinbürgertum und eine entsprechende thematische Breite der Romane. 19 Die sogenannte Bredel-Lukács Debatte begann 1931 in der Linkskurve mit folgendem Artikel: Georg Lukács: Willi Bredels Romane. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 11, S. 23–27. Es folgten zahlreiche Entgegnungen von Bredel, Ottwald und anderen Autoren, welche wiederum Lukács mit theoretischen Erörterungen beantwortete. Die Aufsätze von Lukács mit dem bezeichnenden Titel Reportage oder Gestaltung? (im Juli und August 1932 in der Linkskurve erschienen) nennen die Kontroversen um die Form des ‚roten Massenromans‘ beim Namen.



76 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

grenzenüberschreitendes Lesepublikum ein, womit die Romane Möglichkeiten zum Cross-Reading bergen. Nicht mehr das Alter der Rezipienten, sondern der gemeinsame klassenspezifische Erfahrungshorizont ist entscheidend. Der zehnte und letzte Band der Reihe, Otto Gotsches Märzstürme, konnte 1933 nicht mehr vertrieben werden, da die Erstauflage von den Nationalsozialisten komplett vernichtet wurde. Dieser letzte Roman der Reihe hat nun wieder historischen Charakter, schildert er doch in der Vorgeschichte die Ereignisse der Novemberrevolution 1918 und anschließend die Aufstände im März 1921. Er kann als Rückbesinnung auf die Wurzeln der proletarisch-revolutionären ‚Bewegung‘ und als Appell daran, die Kämpfe weiterzuführen, betrachtet werden. Aufgrund der herannahenden Gefahr des Nationalsozialismus, des Verbots einzelner Bände sowie finanzieller und konzeptioneller Schwierigkeiten konnte das anfängliche Ziel „jeden Monat“20 einen neuen Roten Eine-Mark-Roman herauszugeben nicht mehr eingehalten werden, sodass die Abstände zwischen den einzelnen Ausgaben immer größer wurden, bis die Reihe 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten endgültig eingestellt wurde. Für die Reihe lagen Anfang 1933 noch ein Roman mit antifaschistischer Tendenz von Willi Bredel mit dem Titel Der Eigentumsparagraph, der Landarbeiter-Roman Erwachendes Dorf von Hermann Schatte sowie mit S.S. Oceana erneut ein internationales Seeabenteuer von Mike Pell vor. Josef Hüschs Industriesoldaten richtete sich insbesondere an Hochofenarbeiter.21 Dies zeigt auf, dass im Einklang mit den Beschlüssen der Charkower Konferenz nun nicht mehr historische Arbeiterkämpfe dargestellt werden sollten, sondern Themen des proletarischen Alltags und insbesondere auch Probleme des Mittelstandes und der Bauern, die man als ‚Einheitsfront‘ gegen den Nationalsozialismus gewinnen wollte. Dieser geplanten Alltagsorientierung und Zielgruppenerweiterung standen jedoch die Nationalsozialisten im Weg.

20 So wurde zumindest im Klappentext der Romane verkündet: „Das bedeutet, jeden Monat ein Roman von der Masse für die Masse.“ 21 Ankündigung weiterer Romane der Reihe: Anonymus: Unsere Literatur wächst. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 4, S. 39.





2.1 Literaturpolitische Hintergründe innerhalb des kommunistischen Umfelds 

 77

2.1.2 „Reportage oder Gestaltung?“22 – Literaturpolitische Debatten um die Roten Eine-Mark-Romane Wie die bereits oben vorgenommene Einteilung der Romane verdeutlicht, ist die Reihe weder inhaltlich noch formal einheitlich gestaltet. Besonders die fast parallel laufenden Tendenzen von zeitgeschichtlich geprägten Romanen (vgl. Sturm auf Essen) und am Betriebsalltag orientierten Reportageromanen (vgl. Maschinenfabrik N&K) sowie eher individuell gestalteten Romanen, die einzelne außerbetriebliche Problemfelder wie Jugend (vgl. Kämpfende Jugend), Abtreibung (vgl. Maria und der Paragraph) und Mieterstreiks (vgl. Rosenhofstraße) aufgreifen und eine differenziertere (Personen-)Gestaltung aufweisen, sind Resultat einer kontroversen Debatte, die sich nicht nur um die inhaltliche, sondern auch um die formale, literarische Gestaltung der Romane rankt. Es gibt demnach eine Auseinandersetzung zwischen Vertretern, welche eine genuin proletarische Literatur anstreben, die aus dem Proletariat selbst hervorgebracht werden soll (orientiert am russischen Proletkult23), wie es sich etwa im Einsetzen von Arbeiterkorrespondenten ausdrückt und anderen, allen voran Lukács, die das differenziert gestaltete, qualitativ hochwertige und an den „Spitzenleistung[en] der bürgerlichen Literatur“24 orientierte proletarische Kunstwerk fordern, welches auch von intellektuellen Schriftstellern und Theoretikern aus dem linksbürgerlichen Milieu gestaltet werden soll. Genau an diesem Punkt setzt auch die Streitfrage „Reportage oder Gestaltung?“ an, die als erster Georg Lukács aufwarf, indem er sich gegen die Verqui-

22 Georg Lukács: Reportage oder Gestaltung? In: Die Linkskurve 4 (1932a), H. 7, S. 23–30. Georg Lukács: Reportage oder Gestaltung? (Teil II.) In: Die Linkskurve 4 (1932b), H. 8, S. 26–31. 23 Das umfassende Konzept des russischen Proletkultes kann hier nicht weiter erläutert werden. Zentral waren die Forderungen der Zerstörung der bürgerlichen Kunst, an deren Stelle eine neue Kultur des Proletariats treten sollte, die vom Proletariat selbst hervorgebracht werden musste. Bedeutende Theoretiker des Proletkultes waren Alexander Bogdanov und Anatoli Lunatscharski. Lenin verurteilte den Proletkult, der sich der Kontrolle der Partei nach und nach entzog, und forderte lediglich die Neubewertung der bürgerlichen Traditionen vom Standpunkt des Marxismus aus. Ausführlichere Informationen zum Proletkult liefern: Walter Fähnders und Martin Rector: Linksradikalismus und Literatur. Untersuchungen zur Geschichte der sozialistischen Literatur in der Weimarer Republik. Teil 1. Hamburg 1974 [insbesondere S. 129–138]. Dokumente zum Proletkult in: Literatur im Klassenkampf. Zur proletarisch-revolutionären Literaturtheorie (1919–1923). Eine Dokumentation. Hg. v. Walter Fähnders. Frankfurt a. M. 1974. Vgl. auch: Proletkult. Hg. v. Peter Gorsen und Eberhard Knödler-Bunte. Bd. 1: System einer proletarischen Kultur. Stuttgart/Bad Cannstatt 1974. Bd. 2: Zur Praxis und Theorie einer proletarischen Kulturrevolution in Sowjetrussland 1917–1925. Stuttgart/Bad Cannstatt 1975. 24 Biha: Der proletarische Massenroman, S. 10.



78 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

ckung von dokumentarischen Reportage-Elementen mit dichterischen Gestaltungsmitteln aussprach und dies zu einer großen theoretischen Debatte um die literarische Gestaltung der Romanreihe ausweitete. Die Lukács-Debatte soll hier grob skizziert und nur insoweit behandelt werden, als sich ein Einfluss auf die Gestaltung der Reihe des Roten Eine-Mark-Romans von ihr ableiten lässt.25 Gerald Stieg und Bernd Witte betonen sogar, dass Lukács insgesamt das Konzept einer von Arbeitern geschriebenen Literatur, welches ja dem Roten Eine-Mark-Roman zu Grunde liegt, in Frage stelle.26 Hanno Möbius stellt darüber hinaus fest, dass Lukács’ Kritik „keinen erkennbaren Einfluß auf die Gestaltungsweise der Romane der Roten Eine-Mark-Reihe genommen“27 habe. Doch nach der Charkower Konferenz und der Bredel-Lukács-Debatte lässt sich, wie bereits unter 2.1.1 dargestellt, zumindest eine Verbreiterung der Zielgruppen der Leserschaft und eine Tendenz weg vom Betriebsroman hin zur Schilderung außerbetrieblicher Inhalte beispielsweise in Bezug auf § 218, auf Jugendfragen etc. erkennen – eine Strategie, die nun versucht, Teile des Kleinbürgertums, aber auch Bauern, Frauen, Jugendliche und Erwerbslose nicht zuletzt als ‚Einheitsfront‘ gegen den Nationalsozialismus zu erfassen. Christoph M. Hein fasst die Auswirkungen der Thesen von Lukács in folgender Formulierung differenziert zusammen: Damit nahm Lukács auf der einen Seite den Arbeiterschriftstellern einen Teil ihrer Möglichkeiten, denn ihre Schulung stand weit hinter Lukács’ Ansprüchen zurück. Gleichzeitig öffnete er Möglichkeiten zur Anerkennung der proletarisch-revolutionären Literatur auch seitens der bürgerlichen Kritiker.28

Abgesehen von der linksbürgerlichen Kritik nahm die bürgerliche Kulturszene jedoch kaum Notiz von den Romanen. Der Rote Eine-Mark-Roman vereinte also mehr oder weniger bereits konzeptionell beide Tendenzen, indem er einerseits zunächst durch die Arbeiterkorrespondenten eine Literatur von Arbeitern für Arbeiter darstellte, die aber im Laufe der Auseinandersetzungen eine Erweiterung der Zielgruppen anstrebte. Andererseits fand eine Umwertung der bürgerlich-traditionellen Romanform statt, die jedoch nicht das große, komplexe proletarische Kunstwerk im Sinne von Lukács anvisierte, sondern eher eine Art agitatorische

25 Einen guten und kompakten Überblick über die Lukács-Debatte liefert: Dieter Schiller: Lukács im Streit um den proletarischen Roman in der „Linkskurve“. In: Lukács. Jahrbuch der Internationalen Georg-Lukács-Gesellschaft 12/13 (2012/2013), S. 261–271. 26 Vgl. Gerald Stieg und Bernd Witte: Abriß einer Geschichte der deutschen Arbeiterliteratur. Stuttgart 1973, S. 125. 27 Möbius: Progressive Massenliteratur?, S. 53. 28 Hein: Der „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands“, S. 167.





2.1 Literaturpolitische Hintergründe innerhalb des kommunistischen Umfelds 

 79

Gebrauchsliteratur im Sinn hatte, die dem Leser konkrete didaktische Anweisungen für die Gestaltung des proletarischen Alltagskampfes liefern sollte. Am Anfang der Romanreihe dominierte allerdings noch eine entschiedene Abwendung von bürgerlichen Schriftstellern und bürgerlicher Kultur im Allgemeinen. So herrschte bereits im Vorfeld der Gründung des Roten Eine-Mark-Romans 1930 innerhalb des BPRS und in der Linkskurve die Tendenz vor, insbesondere Arbeiterkorrespondenten29 als künftige Autoren der Roten Eine-Mark-Romane bei gleichzeitiger Abkapselung von linksbürgerlichen Schriftstellern einzusetzen. So wendet sich beispielsweise Johannes R. Becher entschieden gegen die, wie er es nennt, „Linkeleuteliteratur“30: […] wir dürfen uns nicht bluffen lassen, wenn es von dieser Seite her rot zu schillern beginnt. Diese Farbe kennen wir, sie ist nicht wetterbeständig. Bei der ersten besten Gelegenheit, wo es hart auf hart geht, ist die „Mode“ vorbei und es wird sich gedrückt – man besinnt sich zur rechten Zeit „auf sich selbst“ und entdeckt, dass man in erster Linie Künstler ist – und mit Erwerbslosen-„Krawallen“ z. B. oder mit „Plünderungen“ oder mit ähnlichen „Exzessen“ nichts zu tun hat.31

Auch Erich Steffen spricht sich gegen „berufsmäßige[ ] Literaten“32 aus: Wir brauchen keine proletarische Literatur zu konstruieren, wir haben sie; wir müssen nur begreifen, daß es notwendig ist, sie dort zu suchen, wo die Produktivkräfte sind, und müssen lernen, sie zu sehen und sie nicht durch die bürgerliche Brille suchen oder gestalten zu wollen. […] [S]ie wird täglich geschaffen vom Proletariat selber.33

Einem Großteil der Romane wird dokumentarischer Charakter zugesprochen; manche werden sogar als reportageartig bezeichnet, da sie direkt aus dem Umkreis von (ehemaligen) Arbeiterkorrespondenten stammen, andere heben wiederum eher den (mehr oder weniger gestalteten) Romancharakter hervor. Die meisten Romane der Reihe setzen sich jedoch vielmehr aus Reportageelementen, in die teilweise sogar Zeitdokumente eingebunden wurden und literarischer

29 Goette definiert die Tätigkeit von Arbeiterkorrespondenten folgendermaßen: „Arbeiterkorrespondenten waren Arbeiter und Angestellte, die sich in Zeitungen der KPD über Zustände in ihren Betrieben, Wohnvierteln und Basisorganisationen verbreiteten. Sie wurden in Konferenzen, Fachschulen und Kursen weitergebildet und zusammengefaßt.“ Jürgen-Wolfgang Goette: Arbeiterliteratur. Texte zur Theorie und Praxis. Frankfurt a. M. 1975, S. 62. 30 Johannes R. Becher: Einen Schritt weiter! In: Die Linkskurve 2 (1930), H. 1, S. 1–5 [hier: S. 2]. 31 Becher: Einen Schritt weiter!, S. 3. Becher beendet seinen Aufsatz mit einer konkreten Polemik gegen Döblin auf S. 4. 32 Erich Steffen: Die Urzelle proletarischer Literatur. In: Die Linkskurve 2 (1930), H. 2, S. 8. 33 Steffen: Die Urzelle proletarischer Literatur, S. 9.



80 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

Fiktion zusammen. Gerhard Friedrich betont diesen etwas diffusen Zwittercharakter, der die Romanform auf „eine Prosaform von gewissem Umfang“34 reduziere: Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass von dieser Seite dem Roman als spezifischer Literaturform kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Sowohl die Bezeichnung der „roten 1-Mark-Romane“ als „Reportagen“ (Klappentext), als auch die umstandslose Behandlung eines „Romans“ („Maschinenfabrik“) als Sammlung von Arbeiterkorrespondenzen verweist darauf, daß unter „Roman“ kaum mehr verstanden wurde als: literarische Prosaarbeit von einem gewissen Umfang. Roman schien hier kaum mehr, als Kategorie der Quantität gewesen zu sein, „Massenroman“: umfangreiche Reportage oder Sammlung von Korrespondenzen in hoher Auflage.35

Matthias Uecker verweist hingegen darauf, dass die Wahl der dokumentarischen Romanform durchaus über den Quantitätscharakter hinausgeht und sich bestimmte Darstellungsziele an sie knüpfen: „Vielmehr vertrauten Autor und Verlag darauf, daß die dokumentarisch abgesicherte Romanform einen illusionistischen Effekt haben und die erzählerisch gestaltete Handlung als authentische und zugleich repräsentativ-typische Darstellung der realen Ereignisse und ihrer Ursachen wirken würde.“36 Die konkrete Literaturpraxis veranschaulicht der Autor Marchwitza in folgendem Zitat, in dem er seinen Weg von der operativen Kleinform der Arbeiterkorrespondenz zu Prosaformen wie Kurzgeschichte und Roman und die Verknüpfung von Fakten und Fiktion schildert: Ich hatte schon als Kind eine gute Phantasie. Wenn mir der Zeitungsstoff ausging, was selten der Fall war, kombinierte ich eigene Erzählungen. Die Quellen dazu waren die Ereignisse in den vielen Betrieben. Ich verband diese mit Vorfällen politischer Natur und schilderte, da ich mittlerweile belesener wurde und praktische Erfahrungen aus den revolutionären Aktionen besaß, auch die Ursache zu der Versklavung und der Verelendung der Arbeiter.37

In erster Linie waren es also Arbeiterkorrespondenten, die von den Betriebs- und Straßenzeitungen der jeweiligen Betriebs- und Straßenzellen der KPD kamen und nun die Romane der Roten Eine-Mark-Reihe verfassten, was von Kläber, als verantwortlichem Lektor, durchaus geplant war: Die Serie sei in ihrem Ansatz keineswegs eine Fahrt ins Blaue und Ungefähre gewesen, Kläber und Becher hätten

34 Friedrich: Proletarische Literatur und politische Organisation, S. 171. 35 Friedrich: Proletarische Literatur und politische Organisation, S. 171. 36 Uecker: Wirklichkeit und Literatur, S. 326. 37 Hans Marchwitza: Von der ersten Arbeiterkorrespondenz zur ersten Kurzgeschichte. In: Die Linkskurve 1 (1929), H. 8, S. 18–19.





2.1 Literaturpolitische Hintergründe innerhalb des kommunistischen Umfelds 

 81

vor allem Autoren angesprochen, die sich als Arbeiterkorrespondenten bereits in der proletarischen Presse einen Namen gemacht hatten, so zumindest Möbius, der einige briefliche Äußerungen von Krey wiedergibt.38 Doch spätestens seit der Charkower Konferenz 1931 öffnete man sich auch den entwurzelten Schichten des Kleinbürgertums, die als „Bundesgenossen für den Kampf des revolutionären Proletariats gewonnen werden sollen“39. Insbesondere Becher betont die Wichtigkeit Jugendliche, Frauen und Bauern als Leser zu erreichen und somit neue Gebiete zu besetzen, „die bisher zum größten Teil noch unbesetzt waren oder vom Klassenfeind gehalten wurden“40 und spart nicht mit Selbstkritik an der Reihe des Roten Eine-Mark-Romans: „Wer etwa die Schaffung des Einmark-Romans als Zeichen unserer ‚Höhe‘ ansieht, der hat allerdings keine Ahnung davon, in welcher Breite und Tiefe heute ein Durchbruch erfolgen könnte, wenn wir wirklich auf der Höhe wären.“41 Die Verbreiterung der Zielgruppe der Romanreihe kann im Rahmen der ‚Einheitsfront‘ als Versuch gelten, gegen den Nationalsozialismus zu kämpfen, der bereits unaufhaltsam schien, nachdem man sich zuvor auf die ‚Sozialfaschisten‘42 – gemeint waren damit die Sozialdemokraten – als Feind konzentriert und explizite Anfeindungen gegen den Nationalsozialismus vermieden hatte.43 Diese breite Orientierung, vor allem aber die Forderung nach dem ‚großen proletarischen Kunstwerk‘, gingen jedoch weit über das ursprüngliche Konzept des Roten Eine-Mark-Romans hinaus, der von Anfang an eher dem Prinzip ‚von Arbeitern für Arbeiter‘ folgte und damit der Selbstverständigung der ‚Masse‘ der Arbeiter und deren ‚Massenkämpfen‘ dienen sollte. So betont Helga Gallas die rezeptionelle Überforderung der Leser und den Verlust der Einsichtigkeit der Werke durch den hohen Maßstab an Komplexität, den Lukács an sie anlege:

38 Möbius: Progressive Massenliteratur?, S. 27. 39 Anonymus: Vor neuen Aufgaben. In: Die Linkskurve 2 (1930), H. 12, S. 5. Biha spricht das Problem der Entwurzelung des Kleinbürgertums bereits in der Novemberausgabe an: Otto Biha: Der Soldat und der Kumpel. In: Die Linkskurve 2 (1930b), H. 11, S. 21. 40 Johannes R. Becher: Unsere Wendung. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 10, S. 3. 41 Becher: Unsere Wendung, S. 3. 42 Zur ‚Sozialfaschismusthese‘ vgl. Fähnders/Karrenbrock: Die Republik von Weimar, S. 15 und die entsprechende Fußnote in Kapitel 1.2 der vorliegenden Arbeit. 43 So illustrieren die historisch geprägten Roten Eine-Mark-Romane wie Sturm auf Essen deutlich das Versagen der Sozialdemokratie. Bredels Maschinenfabrik N+K und andere Romane stellen immer wieder den sozialdemokratischen Funktionär und die Gewerkschafter als unfähig und proletarierfeindlich dar. Die herannahende Bedrohung durch den Nationalsozialismus wird oft nur am Rande erwähnt.



82 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

Die Auflage, die Lukács dem proletarisch-revolutionären Schriftsteller macht,  – nämlich alle gesellschaftlichen Zusammenhänge in individuelle Gestalten und deren Konflikte, in persönliche Eigenschaften „konkreter“ Menschen zu übersetzen, verhindert gerade, was Lukács selbst fordert: Für den Leser über die vordergründigen Tatbestände hinaus die Hintergründe, das Wesen, die „treibenden Kräfte“ sichtbar zu machen.44

Die Kommunikation von Autor und Leser vereinfachende Schemata, die zur Identifikation beitragen und in unmissverständliche Anweisungen übertragen werden können, gehören jedoch zum grundlegenden Bestandteil der Reihe: „Der von Lukács beklagte Schematismus von Handlung und Sprache erfüllte genau diese Wiedererkennbarkeit des eigenen Milieus und trug daher eher zur Identitäts-Stabilisierung bei als zur Überzeugung Außenstehender“ 45, so auch Uecker. Die Erweiterung des Leserkreises stellte die Reihe vor allem vor das inhaltliche wie formale konzeptionelle Problem einen Spagat zwischen proletarischen und kleinbürgerlichen Leseinteressen und -gewohnheiten schaffen zu müssen. Auch der Vertrieb der Romane, der weitestgehend auf die Betriebs- und Straßenzellen sowie auf das engere Umfeld der Partei beschränkt war, da die oft nach Erscheinen verbotenen Romane kaum in Buchhandlungen verkauft wurden, bereitete Probleme beim Erreichen von Kleinbürgern. So fragt Möbius: War es bei gleichbleibenden Vertriebswegen proletarischer Literatur überhaupt möglich, Kleinbürgerleser gezielt zu erreichen? […] Waren etwa die […] Forderungen […] nicht Persönlichkeitskonflikte, sondern Massenkämpfe zum Romangegenstand zu machen, mit dem notwendigen Eingehen auf die klassenspezifischen Erwartungshaltungen möglicher Kleinbürgerleser zu vereinbaren?46

Die stärkere Betonung des bürgerlichen Erbes in der Literatur, die Diskussion um das ‚große proletarische Kunstwerk‘, die Öffnung für linksbürgerliche Intellektuelle, diese Tendenzen waren im Sinne von Lukács und haben sich in der Roten Eine-Mark-Reihe in der Fokussierung auf außerbetriebliche Inhalte und, wie von Becher47 gefordert, auf spezifische Romane für Frauen sowie für Jugendliche niedergeschlagen. Diese Entwicklungen werden von Möbius jedoch nicht nur als Reaktion auf die Bedrohung durch den Nationalsozialismus gesehen. Er setzt sie außerdem in den Kontext einer Anlehnung an die sowjetische Literaturpolitik, bei der die Abgrenzung gegen alles Nicht-Proletarische nach der theoretischen

44 Gallas: Marxistische Literaturtheorie, S. 135. 45 Uecker: Wirklichkeit und Literatur, S. 340. 46 Möbius: Progressive Massenliteratur?, S. 7–8. 47 Vgl. Becher: Unsere Wendung, S. 3.





2.1 Literaturpolitische Hintergründe innerhalb des kommunistischen Umfelds 

 83

Aufhebung der Klassengegensätze in der Sowjetunion keine Rolle mehr gespielt habe.48 Daher zeichnen sich als Hauptkonfliktlinie die unterschiedlichen, teils wechselnden Erwartungen an das Konzept eines ‚roten Massenromans‘ ab, die sich nicht zuletzt in den verschiedenen Auffassungen von ‚Masse‘ niederschlagen. Bedeutet ‚Masse‘, die Masse aller werktätigen männlichen KPD-nahen Proletarier, handelt es sich also beim Roten Eine-Mark-Roman um eine Art von parteiinterner, affirmativer Erbauungsliteratur für Parteigänger mit einem dadurch sehr eingeschränkten Rezipientenkreis, so wie es beispielsweise Michael Rohrwasser auffasst?49 Ist die ‚Masse‘ auf die Klasse beschränkt50 und wendet sich die Erweiterung um außerbetriebliche Themenfelder an proletarische Gruppen wie Erwerbslose, Jugendliche und Frauen, die bisher inhaltlich von den Romanen kaum erfasst wurden? Oder lässt sich der Massenbegriff soweit ausdehnen, dass man als Zielgruppe der Romane alle mit dem Proletariat ‚sympathisierenden‘ Gesellschaftsgruppen, darunter insbesondere Kleinbürger und Bauern, aber auch intellektuelle Linksbürgerliche ansprechen wollte, die man agitieren und für den Klassenkampf gewinnen wollte? Sprach man den Romanen also über die eigenen Klassengrenzen hinaus gesellschaftsverändernde und bewusstseinsverändernde Kraft zu? Auf diesen Punkt wird insbesondere in Hinblick auf die Zielgruppen und die tatsächliche Wahrnehmung der Romane vor dem Hintergrund der Weimarer Republik im Rezeptionskapitel unter 3.1.4 eingegangen. Dies zeigt auf, dass von Anfang an ganz unterschiedliche Erwartungen an das Konzept der Reihe, ihre Autoren und die literarische Gestaltung geknüpft wurden, welche aus den Reihen der KPD, dem BPRS und aus den sowjetischen Vorgaben der RAPP stammten und nicht selten miteinander in Konflikt standen. Das Potenzial der Reihe zur Agitation wurde von Beginn an gesehen und durchweg als fortschrittlich und positiv bewertet, doch die Versuche, den unterschiedlichen Strömungen gerecht zu werden sowie die hohen, oft gegensätzlichen Erwartungen und Ansprüche standen der Verwirklichung einer einheitlichen Linie der Serie und der Ausarbeitung einer eindeutigen Theorie für den ‚roten Massenroman‘ im Weg. Zwar entwickelte Lukács in der Endphase der Weimarer Republik genaue literaturtheoretische Vorstellungen für proletarische Romane, die später in den sozi-

48 Vgl. Möbius: Progressive Massenliteratur?, S. 88–89. 49 Vgl. Rohrwasser: Saubere Mädel – Starke Genossen, S. 20. 50 Vgl. Hebenstreit: Der Volksbegriff und seine Bedeutung für die kommunistische Arbeiterliteratur der Weimarer Republik, S. 155–156. Vgl. Friedrich: Proletarische Literatur und politische Organisation, S. 170.



84 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

alistischen Realismus münden sollten, mit denen aber ein Großteil der Mitglieder des BPRS nicht uneingeschränkt einverstanden war. Köster kritisiert die aus seinen Augen leichtfertige Übernahme der Romanform: „Unbekümmert über die traditionelle Funktion und Gestalt ihres Mediums integrierten sie den Roman in die politische Praxis und übertrugen ihm Agitationsaufträge […]“51. Rohrwasser macht darüber hinaus die Benutzung der traditionell-bürgerlichen Romanform für das Scheitern der proletarischen Massenliteratur verantwortlich: Die Romane bewahrten jenseits aller inhaltlichen Reformen den Geist ihrer bürgerlichen Herkunft. Die Arglosigkeit, mit der man sich im Bund proletarisch revolutionärer Schriftsteller (BPRS) der Romanform bediente und die traditionell-individuelle Erzeugung der Romane, die den von der KPD-Politik strukturell unbehelligten Privatbereich wirksam werden ließ, waren die beiden Faktoren, die das Scheitern des Versuchs einer Schaffung von proletarischer Massenliteratur ausmachten.52

Die totale Abkehr von der Romanform war jedoch auch gar nicht im Konzept des ‚roten Massenromans‘ angedacht, war doch das Ziel, den bürgerlichen (Bestseller-)Roman mit den eigenen (formalen) Waffen zu schlagen und ihm ein nicht nur unterhaltendes, sondern auch politisch mobil machendes und das Bewusstsein der Klasse stärkendes Mittel im Klassenkampf entgegenzusetzen. So verweist auch Franz Schonauer darauf, dass „die belletristische Form lediglich das Transportmittel für Ideologie abgab“53.

2.2 Literaturpolitische Hintergründe im ­nationalsozialistischen Umfeld Wie bereits betont, formulieren die Nationalsozialisten keine spezifische oder gar revolutionäre Literaturtheorie, sondern stützen sich auf ein „heterogenes Konglomerat“54 relativ vage gefasster Begriffe wie ‚Volksgemeinschaft‘, ‚Helden-

51 Udo Köster: Willi Bredel „Maschinenfabrik N&K“. Politische Praxis und Literaturtheorie 1929–1932. In: Der deutsche Roman im 20. Jahrhundert. Analysen und Materialien zur Theorie und Soziologie des Romans. Band 2. Hg. v. Manfred Brauneck. Bamberg 1976, S. 253–278 [hier: S. 264]. 52 Rohrwasser: Saubere Mädel  – Starke Genossen, S. 9 [Hervorhebungen aus dem Text übernommen]. 53 Franz Schonauer: Der rote Eine-Mark-Roman. In: Kürbiskern 2 (1966), H. 3, S. 91–107 [hier: S. 93]. 54 Vondung: Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literaturtheorie, S. 13.





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 85

tum‘, ‚Echtheit‘ und ‚Rasse‘, die je nach spezifischem Publikum (Bürger, Arbeiter, Jugendliche) sowie regionalem Hintergrund modifiziert und mit Inhalt aufgeladen werden. Somit bekommen diese Begriffe eine relativ flexible Handhabbarkeit – vor allem wenn sie im Rahmen eines für die Rezipienten wiedererkennbaren, tradierten Formenkanons präsentiert werden.55 Durch diese Verfahrensweise ist es also letztendlich möglich, fast jedwedem Werk, welches der nationalsozialistischen Interpretation dieser Begriffe nicht diametral entgegenläuft, eine nationalsozialistische Deutung zu geben. Dadurch können auch ältere Werke problemlos in den nationalsozialistischen Lektürekanon eingegliedert werden. Die nationalsozialistische Literatur lässt sich also nicht auf eine klare Epochengrenze ab 1920, dem Gründungsjahr der NSDAP, oder ab der ‚Machtergreifung‘ (1933) einschränken bzw. auf bestimmte Gattungsgrenzen, wie die in diesem Zusammenhang im öffentlichen Bewusstsein stark präsente Blut-und-BodenLiteratur, festlegen. Sie ist somit weniger greif- und abgrenzbar als sich auf den ersten Blick vermuten lässt. Bezeichnend hierfür ist, dass ein Großteil der Werke, den die Nationalsozialisten im ‚Dritten Reich‘ für sich beanspruchen, bereits in der ‚Systemzeit‘ der Weimarer Republik entstanden ist oder seinen Ursprung teilweise sogar im Kaiserreich hat.56 Ein klar definiertes Kulturkonzept der Nationalsozialisten lag so bis zum Ende der Weimarer Republik und weit darüber hinaus nicht vor, wie auch Barbian betont: Doch sieht man einmal von der mit großer Aggressivität und einem erheblichen publizistischen Aufwand betriebenen Hetze gegen die republikanische Kultur der Moderne ab, so lag

55 Eine der Ersten, die auf diese strategisch gezielt einkalkulierten Ambivalenzen in der Literaturpolitik der Nationalsozialisten aufmerksam macht, ist Ine Van linthout, die das zunächst kontradiktorisch anmutende Prinzip der „totalitären Differenzierung“ zum zentralen Strukturelement nationalsozialistischer Literaturpolitik erklärt. Van linthout zeigt in ihrer Studie, dass die Nationalsozialisten „ein gewisses Maß an Differenzierung zum zentralen Prinzip ihrer Propaganda erhob[en], weil ih[nen] nur so ihre totalitäre Absicht, das deutsche Volk in seiner Gesamtheit für sich zu gewinnen, in einer modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft, einer dynamischen Umwelt und in sich widersprüchlichen Realität realisierbar schien.“ Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 9. 56 Vgl. u. a. Klaus Vondung: Der literarische Nationalsozialismus. Ideologische, politische und sozialhistorische Zusammenhänge. In: Die deutsche Literatur im Dritten Reich: Themen, Traditionen, Wirkungen. Hg. v. Horst Denkler und Karl Prümm. Stuttgart 1976, S. 51. Vgl. Norbert Hopster: Literatur und „Leben“ in der Ästhetik des Nationalsozialismus. In: Wirkendes Wort 43 (1993), H. 1, S. 105. Vgl. Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“, S. 10–11. Vgl. Ketelsen: Völkischnationale und nationalsozialistische Literatur in Deutschland, S. 70–71.



86 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

ein schlüssiges Konzept nationalsozialistischer Kultur, das Inhalte und Personen umfaßte, nicht vor.57

Fast die gesamte Literaturgeschichte wird letztendlich rückwirkend vom Standpunkt nationalsozialistischer Lebensanschauung neu bewertet. Dabei versuchen die Nationalsozialisten, eine literaturhistorische Kontinuität ihrer Ideologie zu konstruieren, was mitunter beispielsweise in kruden Goethe- und Schiller-Interpretationen gipfelt, da der Nationalsozialismus auf diese renommierten Dichter keineswegs verzichten will bzw. kann.58 Doch wie ist der Begriff der nationalsozialistischen Literatur zu fassen, wenn Epochen- und Gattungsgrenzen nur unzureichend greifen? Primär lässt sich diese Literatur durch ihr oben geschildertes funktionales Moment begreifen, welches Karin Lauf-Immesberger folgendermaßen zusammenfasst: Als nationalsozialistische Literatur ist diejenige Literatur zu bezeichnen, die für die Nationalsozialisten diese Funktion einnahm: das ist nicht nur während der Zeit des Dritten Reiches Produziertes, sondern alle Literatur, die vom Nationalsozialismus als seine Gegenwartsliteratur bezeichnet wurde oder sich selbst als nationalsozialistische Literatur bezeichnete.59

Diese Definition bietet im Zusammenhang mit leitmotivisch immer wiederkehrenden, teils in unterschiedlichen Kombinationen auftretenden begrifflichen Ideologemen wie ‚Volksgemeinschaft‘, ‚Heldentum‘, ‚Opfer‘, ‚Pflicht‘ und ‚Rasse‘ eine Ausgangsbasis zur Untersuchung der nationalsozialistischen Literatur in der Endphase der Weimarer Republik. Zwar ist die Verwendung bewährter kultureller

57 Jan-Pieter Barbian: Nationalsozialismus und Literaturpolitik. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jhd. bis zur Gegenwart. Begründet v. Rolf Grimminger. Bd. 9: Nationalsozialismus und Exil 1933–1945. Hg. v. Wilhelm Haefs. München 2009, S. 53. 58 Hier sei nur beispielhaft auf folgende, bereits in der Weimarer Republik erschienene Publikation hingewiesen: Hans Fabricius: Schiller als Kampfgenosse Hitlers. Bayreuth 1932. Folgende Dokumentation schildert die Behandlung der Klassik im Nationalsozialismus sehr anschaulich: Klassiker in finsteren Zeiten 1933–1945. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar. Bearb. v. Bernhard Zeller. Hg. v. Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar. 2 Bde. Marbach 1983. Vgl. folgenden Aufsatz: Bernd Sösemann: Der instrumentalisierte Klassiker – Goethe in der nationalsozialistischen Propaganda. In: Liber Amicorum. Katharina Mommsen zum 85. Geburtstag. Hg. v. Andreas und Paul Remmel. Bonn 2010, S. 517–540. Vgl. Deutsche Klassiker im Nationalsozialismus. Schiller – Kleist – Hölderlin. Hg. v. Claudia Albert. Stuttgart 1994. Vgl. Das Dritte Weimar. Klassik und Kultur im Nationalsozialismus. Hg. v. Lothar Ehrlich. Köln 1999. 59 Karin Lauf-Immesberger: Literatur, Schule und Nationalsozialismus. Zum Lektürekanon der höheren Schule im Dritten Reich. St. Ingberg 1987, S. 138.





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 87

Versatzstücke nicht besonders innovativ und kann sich des Vorwurfs der Epigonalität damit nicht erwehren, doch hat diese Vorgehensweise durchaus Methode: Die[se] Ästhetik […] war von ihrer Funktion her weder chaotisch noch unlogisch, sondern Bestandteil einer Strategie zur Gewinnung der Massen und zur Erhaltung der Macht. […] Aus diesem Grunde mißversteht man den Wirkungsmechanismus des Nationalsozialismus, wenn man seiner Literatur das reproduktive Element nur zum Vorwurf macht. Gerade ihm ist die Massenwirksamkeit zu verdanken.60

Vor allem Ine Van linthout verweist im Rahmen ihrer These von der „totalitären Differenzierung“ darauf, dass die nationalsozialistische Literaturpolitik auf pragmatische Zugeständnisse an den Lesergeschmack angewiesen war und dass theoretische Konzepte sowie praktische Zugeständnisse an den Buchmarkt eingebettet waren in „komplexe[ ] Aushandlungsprozesse zwischen Idealvorstellungen und vielgestaltigen Realitäten, Interessen und Absichten“61. Insbesondere anhand des Sektors der Unterhaltungsliteratur im nationalsozialistischen Umfeld veranschaulicht sie, dass eine strikte Trennung von Literaturtheorie und Praxis der systematischen wissenschaftlichen Erfassung der Spezifik nationalsozialistischer Literatur gar abträglich ist: Die populäre Unterhaltungsliteratur etwa, die teils gewollt, teils unerwünscht war und sowohl gefördert und geduldet als auch verboten wurde, lässt sich nur schwer durch das duale Deutungsmuster [von theoretischem Anspruch und Praxis] erfassen und wurde bislang möglicherweise aus diesem Grund nicht systematisch aufgearbeitet.62

Somit ist die nationalsozialistische Literatur nicht ausschließlich an ästhetischen oder literaturtheoretischen Maßstäben zu messen, was in der Vergangenheit teilweise zum literaturwissenschaftlichen Urteil der mangelnden Qualität und zur Einstufung der NS-Literatur als ‚trivial‘ geführt hat. Vielmehr ist von einem funktionalen Standpunkt der Massenwirksamkeit auszugehen, der das Orientierungsund Unterhaltungsbedürfnis bewusst einkalkuliert. Brenner betont ebenfalls die Bedeutung eines tradierten, für das Publikum wiedererkennbaren Formenkanons: Das Gängige wurde methodisch relevant. Die Methoden boten sich an, da sie die größte Wirksamkeit versprachen und, was damit zusammenfällt, wo das Publikum sie am wenigs-

60 Lauf-Immesberger: Literatur, Schule und Nationalsozialismus, S. 138, S. 148 [Ergänzungen durch Michaela Menger]. 61 Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 269. 62 Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 269.



88 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

ten argwöhnte, wo nämlich Zerstreuung, Unterhaltung und Amüsement seinen kritischen Sinn gefangenhielten.63

Nicht eine kritische Rezeptionshaltung, sondern die affektive Stimulierung des Lesers steht im Vordergrund. Erheben die Kommunisten zumindest offiziell den Anspruch, „Herz und Hirn“ des Arbeiters gleichermaßen gewinnen zu wollen und betonen sie ein Mindestmaß an politischer Bildung, so wird in den literaturpolitischen Überlegungen der Nationalsozialisten fast ausschließlich die emotionale Komponente angesprochen.64 Hier geht es darum die „Herzen [zu] durchglühen“65 und heroisches Lebensgefühl zu wecken. Didaktische Belehrung und die umfassende Darstellung politischer Zusammenhänge ist vor allem im Bereich des Jugendbuches nicht erwünscht:

63 Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, S. 94. 64 Auch Hitler betont in Mein Kampf unter analoger Formulierung er wolle die nationalsozialistische Ideologie in „Herz und Gehirn“ der Jugendlichen „hineinbrenn[en]“. Adolf Hitler: Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. Erster Band: Eine Abrechnung. Zweiter Band: Die nationalsozialistische Bewegung. 131.000–132.000 Auflage. München 1935, S. 475–476. Doch der Frage, ob man die Arbeitermassen mittels politischer Literatur erreichen kann, steht er skeptischer gegenüber und räumt anderen Propagandainstrumenten den Vorrang ein. Das „Schrifttum der Bewegung“ bekommt für ihn eher die Funktion andere Propagandaformen zu unterstützen, gilt aber nicht primär zur Gewinnung neuer Mitglieder. Außerdem sieht er es eher geeignet für die Schulung der oberen politischen Kader: „So wichtig auch das Schrifttum der Bewegung sein mag, so wird es doch in unserer heutigen Lage größere Bedeutung für die gleiche und einheitliche Erziehung der oberen und unteren Führer haben als für die Gewinnung gegnerisch eingestellter Massen. Nur in den seltensten Fällen wird ein überzeugter Sozialdemokrat oder ein fanatischer Kommunist sich herbeilassen, eine nationalsozialistische Broschüre oder gar ein Buch zu erwerben, dieses zu lesen und daraus einen Einblick in unsere Weltauffassung zu gewinnen oder die Kritik der seinen zu studieren. […] [A]uch das Flugblatt kann nur zu etwas anregen oder auf etwas hinweisen, und seine Wirkung wird nur eintreten in Verbindung mit einer nachfolgenden gründlicheren Belehrung und Aufklärung seiner Leser. Diese ist und bleibt aber immer die Massenversammlung. Die Massenversammlung ist auch schon deshalb notwendig, weil in ihr der einzelne, der sich zunächst als werdender Anhänger einer jungen Bewegung vereinsamt fühlt und leicht der Angst verfällt, allein zu sein, zum erstenmal das Bild einer größeren Gemeinschaft erhält, was bei den meisten Menschen kräftigend und ermutigend wirkt.“ Hitler: Mein Kampf, S. 534– 536 [Hervorhebungen aus dem Text übernommen]. Der oberflächliche Gestus von „Belehrung und Aufklärung“ entlarvt sich in den daran anschließenden Textpassagen aber selbst als rein emotionaler „suggestive[r] Rausch[ ]“ und „Massensuggestion“: „Der Mann, der zweifelnd und schwankend eine solche Versammlung betritt, verläßt sie innerlich gefestigt: er ist zum Glied einer Gemeinschaft geworden.“ Hitler: Mein Kampf, S. 536. 65 Alfred Rosenberg: Rebellion der Jugend. In: Nationalsozialistische Monatshefte 1 (1930), H. 2, S. 52.





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 89

[…] [S]ie [die politische Jugendschrift] soll nicht zuerst belehren; nein, sie soll das Kind, den jungen Menschen erheben, begeistern; sie soll die Kräfte des Willens wecken und aktivieren und mithelfen, die junge Generation innerlich bereit zu machen zum Einsatz für den Staat, für die Nation. […] So kann es sich z. B. für die politische Jugendschrift nicht darum handeln, das politische Leben in seinem ganzen Umfang und in seinen Zusammenhängen aufzuzeigen und zu deuten.66

Analytischer Zergliederung und verstandesmäßiger Reflexion von Texten sowie der Erziehung von Jugendlichen zu „lebensfremden Stubenhockern und bleichwangigen Bücherwürmern“67 wird in Bezug auf die Jugendarbeit und den Schulunterricht in anti-intellektualistischem Gestus eine klare Absage erteilt. Gefordert wird der Tatmensch; dementsprechend bekommt auch die Literatur handlungsanleitende Funktion: „Gerade die nationalsozialistische Kampfdichtung zeigt, daß es bei völkischer Dichtung nicht auf ‚Schönheit‘ ankommt, sondern auf die zündende Kraft, welche die Tat, das Handelnmüssen auslöst.“68 Irrationale Bewertungskriterien und die Reduktion auf das subjektive Gefühlserleben sollen gleichermaßen die Ratio, das Nachdenken über Handlungsalternativen zu den in den Texten implizierten Anweisungen und Falsifizierungsmöglichkeiten ausschalten. Um genau diese Rezeptionshaltung des ‚Erlebnisses‘ hervorzurufen, wird das Vorlesen, Rezitieren und Vortragen von Literatur massenwirksam im Rahmen von Feierlichkeiten, aber auch im Schulunterricht zelebriert: Lesen wurde – wo und wann immer es möglich war – zu einem öffentlichen „Gemeinschafts“Ritual. Durch dessen Häufigkeit wie stereotype Inszenierung wurden gerade dem jugendlichen Leser Formen des „Erlebnisses“ mit dem Buch aufgezwungen, die mit dem traditionellen Lesen nicht nur nichts gemein hatten, sondern es verdrängten. […] „Vergemeinschaftetes“ Lesen fungierte als bedingter Reflex. Es veräußerlichte die individuellen Motive, überformte sie mit der Lust des Wir-Gefühls.69

Auf diese Weise sollen kontemplative Lesehaltungen, die mit dem Rückzug des Einzelnen verbunden sind, genauso wie die rationale Erfassung eines Textes vermieden werden. Von den nationalsozialistischen Literaturwaltern wird

66 Mohr: Zur Frage der politischen Jugendschrift, S. 41–42 [Ergänzung durch Michaela Menger]. 67 Hans Schemm: Geleitwort: In: Das Jugendbuch im Dritten Reich. Verzeichnis empfehlenswerter Jugendschriften. Hg. v. der Reichsleitung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, Bayreuth. Stuttgart [1933], S. 1. 68 Max Kullak: Nationalsozialistische Dichtung für Schule und Feier. In: Die deutsche höhere Schule 2 (1935), H. 8, S. 244 [Hervorhebung aus dem Text übernommen]. 69 Norbert Hopster: Lesen und jugendlicher Leser in Deutschland unter dem Nationalsozialismus. In: Wirkendes Wort 37 (1987), H. 3, S. 224.



90 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

dementsprechend Ganzheitlichkeit gefordert, worauf Hopster hinweist: „Lesen also nicht mehr nur als ein mentaler Prozess, sondern als ein ganzheitlicher Vorgang, eine Form des Sich-Einlassens auf anti-individuelle massenästhetische Inszenierungen.“70 Auch die literarischen Werke sollen sich unter dem Vorwand des homogenen Aufbaus in ihrer ‚harmonischen‘ Ganzheit nicht zergliedern lassen. Statt heterogene Eindrücke zu vermitteln und dadurch kritische Distanz sowie Unsicherheit hervorzurufen, wie beispielsweise die als ‚kulturbolschewistisch‘ und ‚jüdisch-zersetzend‘ denunzierten Werke der Moderne, die es erlauben emanzipatorisches Potenzial freizulegen, lässt sich unter dem Vorwand der Ganzheit für die Nationalsozialisten prinzipiell nur eine ideologiekonforme Interpretation als die einzig richtige denken. Dabei werden bewusst Leerstellen (Slots) gelassen, die im Sinne der dem Werk übergeordneten Ideologie vom Leser selbst aufgefüllt werden sollen: „‚Das Unausgesprochene‘, die Leerstellen also, die nicht einzeln behandelt werden durften, sondern deren Sinn sich aus dem ‚Verständnis des Ganzen‘ ergeben sollte, waren damit für eine ideologische Besetzung frei.“71 Außerdem handelt es sich bei einer Verwendung von Leerstellen, die sich beispielsweise auf Andeutungen stützen, um ein Mittel zur Herstellung von Wir-Gefühl. Dadurch, dass der Leser die Anspielung zu verstehen glaubt, fühlt er sich als ‚Eingeweihter‘ im Kreis von Gleichgesinnten. Den überwiegend affirmativen Charakter der völkisch-national(sozialisti‑ sch)en Literatur betont von Bormann: „Hauptfunktion dieser Literatur ist ja, schon bereitliegende Urteile und Werthaltungen aufzurufen und zu übermitteln. Es handelt sich weitgehend um Literatur für ein ‚in-group‘ Publikum, das sich im Grundsätzlichen schon zu verständigen weiß.“72 Doch ist diese Ingroup nicht auf einen bestimmten Rezipientenkreis festgelegt, der sich, wie bei den proletarischrevolutionären Romanen z. B. durch die Klassenzugehörigkeit (unter etwaigem Einschluss der mit dem Proletariat ‚sympathisierenden‘ Gesellschaftsgruppen), definieren ließe. Hier zeigt sich, dass die angesprochene ‚Masse‘ durch den Begriff der ‚Volksgemeinschaft‘ von vorneherein sehr viel vager und weiter gefasst ist als durch den sozioökonomischen Begriff der Klasse. Der Begriff ‚Volksgemeinschaft‘, der keine originär nationalsozialistische Erfindung ist, aber funktional von den Nationalsozialisten vereinnahmt wird,

70 Hopster: Literatur und „Leben“ in der Ästhetik des Nationalsozialismus, S. 107 [Hervorhebung aus dem Text übernommen]. 71 Lauf-Immesberger: Literatur, Schule und Nationalsozialismus, S. 184. 72 Alexander von Bormann: Vom Traum zur Tat. Über völkische Literatur. In: Die deutsche Literatur in der Weimarer Republik. Hg. v. Wolfgang Rothe. Stuttgart 1974, S. 322.





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 91

umfasst in seiner Extension solch breit gestreute Ziele wie die Überwindung der Klassengegensätze, soziale Gemeinschaft, politische Einheit und nationalen Wiederaufstieg und spricht damit die Bedürfnisse der unterschiedlichsten politischen Gruppierungen an, da er ‚sozialistisch‘, ‚national‘, ‚konservativ‘ und ‚völkisch‘ interpretiert werden kann und somit klassenübergreifend Arbeiter, Bauern, Angestellte und Unternehmer gleichermaßen anzusprechen vermag.73 Wer jedoch aufgrund von ‚Rasse‘ oder ‚zersetzend-bolschewistischer‘ Orientierung nicht zur propagierten ‚Volksgemeinschaft‘ gehört bzw. gehören will, wird rigoros ausgeschlossen und zum vernichtenswerten Feind erklärt. Als integrierender Faktor zählt das Bekenntnis zur nationalsozialistischen ‚Kampfgemeinschaft‘: Der Sohn, der das Bürgertum abstreift, der Junge welcher sich dem Marxismus entwand, sie sind beide bereits Nationalsozialisten, wenn sie revolutionären Willen fühlen und bekennen, für die Freiheit aller deutschen Schaffenden nach außen und soziales Recht und Zucht nach innen kämpfen zu wollen.74

Unter der Parole: „Der Marxismus abstrahiert und isoliert, der Nationalisozialismus gliedert ein!“75 wird der kommunistischen ‚Bewegung‘ die Spaltung der Nation vorgeworfen und der ‚Klassengesellschaft‘ die ‚harmonische Volksgemeinschaft‘ entgegengesetzt. Mit der für alle kulturkritischen Strömungen der Weimarer Republik charakteristischen Trennung von ‚Gesellschaft‘ und ‚Gemeinschaft‘, die begrifflich zuerst von Ferdinand Tönnies eingeführt wurde76, im

73 Zum Begriff der ‚Volksgemeinschaft‘ vgl. Michael Wildt: Die Ungleichheit des Volkes. „Volksgemeinschaft“ in der politischen Kommunikation der Weimarer Republik. In: Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus. Hg. v. Frank Bajohr und Michael Wildt. Frankfurt a. M. 2009, S. 24–40. Vgl. Michael Wildt: Volksgemeinschaft und Führererwartung in der Weimarer Republik. In: Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren. Hg. v. Ute Daniel [u. a.] München 2010, S. 181–204. Für eine kritische Würdigung des Begriffs im Forschungszusammenhang siehe: Ian Kershaw: „Volksgemeinschaft“. Potenzial und Grenzen eines neuen Forschungskonzepts. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), H. 1, S. 1–17. Vgl. Cornelia Schmitz-Berning: Volksgemeinschaft. In: Dies.: Vokabular des Nationalsozialismus. 2., durchges. u. überarb. Auflage. Berlin 2007, S. 654–659. Vgl. zudem die umfassende Untersuchung zahlreicher soziologischer Aspekte der ‚Volksgemeinschaft‘ durch Franz Janka: Die braune Gesellschaft. Eine soziologische Thematisierung der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Univ.-Diss. Regensburg 1993. 74 Rosenberg: Rebellion der Jugend, S. 53. 75 Heinz Henckel: Konstruierter oder lebendiger Sozialismus? Ein Wort gegen die Literaten. In: Nationalsozialistische Monatshefte 1 (1930), H. 5, S. 243. 76 Vgl. Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Untersuchungen zum Sozialismus und Kommunismus in der modernen Zeit. Leipzig 1887. Ab 1912 unter folgendem Titel erschie-



92 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

Laufe der Weimarer Republik jedoch zum bipolaren Gegensatzpaar stilisiert und zum Schlagwort77 wurde, operierten auch die Nationalsozialisten, um Gemeinschaftssehnsüchte zu kanalisieren. Dass durch die ‚Volksgemeinschaft‘ die ökonomischen Probleme und die Klassengegensätze nicht aufgehoben werden, wird durch das Pathos der Einheit und der ideellen Gleichwertigkeit jedes Mitglieds verschleiert. Somit dient der Begriff vor allem der „affektiven Integration“78 (in den Nationalsozialismus bzw. später in das ‚Dritte Reich‘), die Utopie von einer neuen, vermeintlich besseren Gesellschaft soll zunächst mobilisierende Kraft entfalten und Ansprüche an die einzelnen Mitglieder legitimieren. Stereotype Formulierungen und dichotomische Strukturen tragen ihr Übriges zur Vermittlung eines positiven Selbstbildes bei, unter Abwertung alles Gegnerischen. Für die nationalsozialistische Literatur der Weimarer Republik stellt Ketelsen dies folgendermaßen dar: Die[ ] abstrakte Antinomie wird […] als die Struktur der gegenwärtigen historischen Situation konkretisiert, wobei das Negative das Herrschende ist: Zivilisation, Demokratie, Judenherrschaft, Kapitalismus, Industrialisierung, Bolschewismus, während das Positive un- bzw. transhistorisch gedacht wird: Rasse, Volk, Nation, Germanen, Arier usw.79

Die Verwendung von Dichotomien, die Implikation von Handlungsanweisungen und affektive Momente sind auch dem kommunistischen Konzept des Roten EineMark-Romans inhärent. Dennoch gibt es bedeutende Unterschiede zwischen der kommunistischen und nationalsozialistischen Sphäre der Literatur. Statt eines neuartigen revolutionären Literaturkonzepts, beispielsweise einer Literatur ‚von Arbeitern für Arbeiter‘, wie sie von den Vertretern des Proletkultes im Rahmen der Diskussionen um den Roten Eine-Mark-Roman angedacht ist, sind es überwiegend bürgerliche Schriftsteller, also die von Anhängern des Proletkults so

nen: Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. 2., erheblich veränderte u. vermehrte Auflage. Berlin 1912. 77 Vgl. Janka: Die braune Gesellschaft, S. 57–58: „Gesellschaft als Inbegriff der entfremdeten Modernität mit Individualismus und Rationalismus, als Ausgeburt des Kapitalismus mit seiner Zunahme des ökonomischen Einflusses auf alle Lebensbereiche und generell als Zustand einer in Klassen getrennten, sogar zerrissenen sozialen Lebensweise ohne verbindendes Ganzes stand der Sicht einer lebensvollen und zusammenbindenden Gemeinschaft gegenüber. Gerade in Deutschland, diesem uneinigen, zersplitterten Staatenbund, mit den Problemen der raschen Industrialisierung und der fehlenden nationalen Identität behaftet, wurde diese Polarität später zu einem gewaltigen Sprengstoff.“ 78 Kershaw: „Volksgemeinschaft“, S. 3. 79 Ketelsen: Kulturpolitik des Dritten Reiches und Ansätze zu ihrer Interpretation, S. 236.





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 93

verschmähten „berufsmäßige[n] Literaten“80, die die nationalsozialistische Literatur (auch solche, die vor der Kulisse des Arbeitermilieus angesiedelt ist) verfassen.81 Der tradierte Kunstbegriff wird von den Nationalsozialisten nicht in Frage gestellt, die spätere Analyse zeigt jedoch, dass sich die nationalsozialistischen Autoren durchaus dokumentarisch-realistischer Versatzstücke bedienen, wenn es sich für ihre Darstellungsabsichten als funktional erweist. Außerdem lassen sich die nationalsozialistischen Romane regulär auf dem öffentlichen, privatwirtschaftlich organisierten Literaturmarkt absetzen, während die Roten Eine-MarkRomane (wie die kommunistische Literatur generell) seit dem Erscheinen im Jahre 1930 mit massiven Verboten belegt sind und ihr Vertrieb somit auf spezifische Vermarktungsformen im kommunistischen Umfeld eingeschränkt ist (siehe Schaubild Kapitel 3.1.4: Literatur-Obmänner in den Betriebs- und Straßenzellen, geheimer Straßenverkauf, Verkauf im Rahmen von Parteiversammlungen etc.). Auffällig ist, dass die im Rahmen der ‚Volksgemeinschaft‘ propagierte nationalsozialistische ‚Volksliteratur‘ kaum eine explizite Arbeiterliteratur kennt, der Arbeiter wird vielmehr unter dem verheißungsvollen klassenübergreifenden Begriff der ‚Volksgemeinschaft‘ in den Werken mit angesprochen. Brenner bemerkt dazu: „‚Arbeiter‘ wurde gegen den All-Einheitsbegriff ‚Volk‘ ausgetauscht. ‚Volks(gemeinschafts)kultur‘ hieß Rosenbergs Programm einer Arbeiterkultur.“82 Und auch Christoph Rülcker betont: Wenden wir uns dem literarischen Angebot zu, so fällt auf, daß das Postulat: „Ehret die Arbeit und achtet den Arbeiter!“ die NS-Kulturpolitik kaum dazu veranlaßte, eine Literatur zu fördern, die in besonderem Maße Probleme der Arbeitswelt thematisierte. […] [D]er erste Weltkrieg [hat] nebst seinen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Krisen oder Folge-

80 Steffen: Die Urzelle proletarischer Literatur, S. 8 [Ergänzung von Michaela Menger]. 81 Vgl. Vondung: Der literarische Nationalsozialismus, S. 52–53. Vgl. Schenzinger, der vor Beginn seiner literarischen Karriere als niedergelassener Neurologe in Hannover arbeitete. Vgl. dazu: Winfred Kaminski. Schenzinger, Karl Aloys: In: Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Personen-, Länder- und Sachartikel zu Geschichte und Gegenwart der Kinder- und Jugendliteratur. Hg. v. Klaus Doderer. Teil 3: P–Z. Weinheim 1979, S. 275. Vgl. Viera, der im Anschluss an seine Reise durch Afrika, welche mit der Teilnahme am Ersten Weltkrieg unter Paul von LettowVorbeck in Deutsch-Ostafrika und zahlreichen Gelegenheitsanstellungen verbunden war, ein Studium der Philosophie und Literatur absolvierte. Dazu: Winfred Kaminski: Viera, Josef S. In: Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Personen-, Länder- und Sachartikel zu Geschichte und Gegenwart der Kinder- und Jugendliteratur. Hg. v. Klaus Doderer. Erg.- und Reg.-Bd. Weinheim 1982, S. 529. Beumelburg studierte nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg Staatswissenschaften. Dazu: Jürgen Hillesheim und Elisabeth Michael: Werner Beumelburg. In: Dies.: Lexikon nationalsozialistischer Dichter. Biographien, Analysen, Bibliographien. Würzburg 1993, S. 53. 82 Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, S. 88 [Klammersetzung aus dem Text übernommen].



94 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

erscheinungen als das Schlüsselerlebnis für sehr viele NS-Literaten zu gelten […]. Es sind denn auch Fragen nach der Rolle, der Funktion, der Haltung und dem Prestige des Frontsoldaten in Krieg und Frieden, die […] eine – wie auch immer geartete – Auseinandersetzung mit „arbeitsweltlichen“ Themenbereichen an den Rand drängten.83

Zwar verweist Hopster darauf, dass die dem Nationalsozialismus nahestehenden Arbeiterdichter Heinrich Lersch und Karl Bröger soweit adaptiert wurden, „wie sie sich als unfähig zum Widerspruch gegen den neuen Mythos von Arbeit und Arbeiter erwiesen“84, eine neue Art der Arbeiterliteratur sei im nationalsozialistischen Bereich hingegen nicht entstanden.85 Die Arbeiterbewegung und das proletarische Milieu werden vorwiegend im Rahmen der ‚Bekehrungs- und Wandlungsliteratur‘ der ‚Kampfzeit‘ thematisiert. Hier wird die kommunistische Arbeiterbewegung als unmoralisch, hinterhältig und daher arbeiterfeindlich diffamiert und die jugendlichen Helden aus dem proletarischen Milieu gelangen rasch zu der Einsicht, dass sie bei den Nationalsozialisten besser aufgehoben sind. Diese Literatur dient also nicht nur zur klaren Abgrenzung der Nationalsozialisten vom erklärten Feind, den Kommunisten, gleichzeitig kommt den didaktischen Wandlungsgeschichten die Funktion der Anwerbung von Proletarierkindern zu. Dabei dienen insbesondere die Jugendlichen im politischen Kalkül der Nationalsozialisten als Schlüssel zum Arbeitermilieu. Über die Begeisterung der Arbeiterkinder für die HJ sollen also durchaus auch die Eltern für den Nationalsozialismus gewonnen werden. So betont Rosenberg: „Hitler-Jugend und N.S. Schülerbund aber sollen uns die Söhne des marxistischen Arbeiters werben, ihre Herzen durchglühen und sie dann losschicken auf ihre Väter und Mütter.“86 Diese Funktion der Jugendlichen äußert sich auch in den untersuchten Romanen Der Hitlerjunge Quex und Utz kämpft für Hitler. Kann die Mutter von Utz nach einem gemeinsamen Besuch eines Werbeabends der HJ vollends vom Nationalsozialismus überzeugt werden, kommt es im Gegensatz dazu nach dem Tod von Heinis Mutter zur Ablösung vom kommunistischen Vater und Heini findet im HJ-Heim ein neues Zuhause.87 Ganz klar wird der (jugendliche) Leser also vor die folgende Alternative gestellt: Entweder müssen die Eltern für die nationalsozialistische

83 Christoph Rülcker: Zur Rolle und Funktion des Arbeiters in der NS-Literatur. In: Die deutsche Literatur im Dritten Reich: Themen, Traditionen, Wirkungen. Hg. v. Horst Denkler und Karl Prümm. Stuttgart 1976, S. 244–245 [Ergänzungen von Michaela Menger]. 84 Hopster: Literatur und „Leben“ in der Ästhetik des Nationalsozialismus, S. 103. 85 Vgl. Hopster: Literatur und „Leben“ in der Ästhetik des Nationalsozialismus, S. 103. 86 Rosenberg: Rebellion der Jugend, S. 52. 87 Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 34–35. Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 171–176.





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 95

Ideologie gewonnen werden oder es hat eine kompromisslose Abwendung bzw. Abnabelung vom häuslichen Einfluss stattzufinden. Die Jugendlichen werden also dazu angehalten „gegebenenfalls auch im Widerspruch zu den eigenen Eltern ihre politische Einstellung zu behaupten“88. Zur Propagierung einer klassenübergreifenden ‚Volks- und Kampfgemeinschaft‘ im Rahmen der Weimarer Republik sowie zur Funktionalisierung als Jugendlektüre eignen sich die Anknüpfung an den Kriegsroman sowie die zeitspezifischere ‚Literatur der Organisationen und Dienste‘ bzw. die ‚Kampfzeitliteratur‘ besonders. Im Bereich der Jugendliteratur überwiegen daher diese beiden Genres, wie auch Jaroslawski/Steinlein betonen: Der Leser erfährt aus […] „Büchern der Bewegung“ – abgesehen von der starken Betonung der Erziehungsziele Tat- und Opferbereitschaft sowie Kameradschaft – explizit so gut wie nichts über das politische Programm des deutschen Faschismus, über sein Gesellschaftsoder Geschichtsverständnis. […] Neben den „Büchern der Bewegung“ rekrutierte sich die faschistische deutsche Jugendliteratur in ganz besonderem Maße aus Kriegsbüchern. […] Nicht ein realistisches Bild des Krieges, nicht die Kriegswirklichkeit sollte dem Jugendlichen vermittelt werden, sondern der Krieg „als Schicksalserlebnis des deutschen Volkes“.89

Deshalb soll die literaturtheoretische Diskussion um diese beiden Genres und deren Funktionalisierung im Folgenden näher betrachtet werden. Dabei gilt es zu beachten, dass die Nationalsozialisten nicht nur teilweise das Konzept eines altersübergreifenden Cross-Readings vertreten, sondern im Rahmen der immer wieder in den Romanen thematisierten, scheinbar klassenlosen ‚Volks- und Kampfgemeinschaft‘ durchaus auch ein klassenübergreifendes Cross-Reading anstreben. Ob diese breitenwirksame Konzeption tatsächlich bei Arbeitern wie (klein-)bürgerlichem Publikum Wirkung entfalten konnte, gilt es anschließend im Rezeptionskapitel zu überprüfen.

88 Peter Aley: Jugendliteratur im Dritten Reich. Dokumente und Kommentare. Gütersloh 1967, S. 213. 89 Renate Jaroslawski und Rüdiger Steinlein: Die „politische Jugendschrift“. Zur Theorie und Praxis faschistischer deutscher Jugendliteratur. In: Die deutsche Literatur im Dritten Reich: Themen, Traditionen, Wirkungen. Hg. v. Horst Denkler und Karl Prümm. Stuttgart 1976, S. 315–316 .



96 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

2.2.1 Anknüpfung an Altbewährtes – Völkisch-nationaler Kriegsroman und Schunddebatten Kriegsromane erfreuten sich seit dem Kaiserreich beim erwachsenen wie jugendlichen Publikum unabhängig von der sozialen Schicht einer ungebrochenen Popularität, die im Rahmen der Weimarer Republik anhielt. Vor allem die klassenübergreifende Beliebtheit dieses Lesestoffes machten sich die Nationalsozialisten zu Nutze, indem sie an das heroische Weltbild des Genres anknüpften und es in ihrem Sinne interpretierten bzw. umdeuteten. Auch Volker Dahm betont, dass die Nationalsozialisten „direkt an Gemeinschaftssehnsüchte und Gemeinschaftsmythen an[knüpften], die sich aus dem Erlebnis des Ersten Weltkrieges überall in der deutschen Gesellschaft entwickelt hatten.“90 Dabei fand sich in den Bücherregalen nach dem Ersten Weltkrieg mitunter Disparates, was bis ins ‚Dritte Reich‘ hinein anhalten sollte, in dem trotz strikter Verbote und Zensurmaßnahmen die von den Nationalsozialisten missbilligte Lektüre der Weimarer Republik durchaus nicht unmittelbar aus dem Privatbereich verschwand.91 Auch in den Empfehlungen für den Literaturunterricht standen 1930 zunächst noch kriegskritische Romane neben nationalistischen, bei einer deutlichen Präferenz der Lehrer für zweitere.92 Den ‚pazifistischen‘93 Anti-Kriegsromanen wie Erich Maria Remarques Bestseller Im Westen nichts Neues (1929), Ludwig Renns Krieg (1928) und Arnold Zweigs Der Streit um den Sergeanten Grischa (1927) standen so, teilweise als direkte Reaktion auf diese

90 Volker Dahm: Systemische Grundlagen und Lenkungsinstrumente der Kulturpolitik des Dritten Reiches. In: Im Dschungel der Macht. Intellektuelle Professionen unter Stalin und Hitler. Hg. v. Dietrich Beyrau. Göttingen 2000, S. 246. 91 So führt Christian Adam die Zeitzeugin Ilse Kleberger an, deren Vater die nach 1933 verbotenen Bücher von Renn und Remarque neben Hitlers Mein Kampf im Bücherregal stehen gehabt habe. Vgl. Christian Adam: Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich. Berlin 2010, S. 61. Auch Petra Josting verweist darauf, dass nach 1933 noch ‚Schundhefte‘ der Weimarer Republik im Umlauf waren. Vgl. Josting: Der ‚Schmutz- und Schundkampf‘ im „Dritten Reich“, S. 32. 92 Vgl. Ulrike Vorwald: Kriegsliteratur im Unterricht zwischen 1929 und 1939 und Werner Beumelburgs Roman „Die Gruppe Bosemüller“. Ludwigsfelde 2005, S. 101. 93 Ob diese Romane in ihrer Wirkung auf den Leser wirklich pazifistische Wirkung hatten, wird jedoch von einigen Studien in Frage gestellt. Vgl. Prümm: Das Erbe der Front, Fußnote 13 (S. 159–160). Vgl. Vorwald: Kriegsliteratur im Unterricht zwischen 1929 und 1939 und Werner Beumelburgs Roman „Die Gruppe Bosemüller“, S. 101. Vgl. Reinhard Dithmar: Wirkung wider Willen? Remarques Erfolgsroman „Im Westen nichts Neues“ und die zeitgenössische Rezeption. In: Blätter für den Deutschlehrer 2 (1984), S. 34–47.





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 97

verfasst94, nationalistische Romane wie Werner Beumelburgs Gruppe Bosemüller (1930), Franz Schauweckers Aufbruch der Nation (1929) oder Josef Magnus Wehners Sieben vor Verdun (1930) entgegen.95 Wie polemisch die Auseinandersetzung um die Kriegsbücher von nationalistischer Seite geführt wurde, in denen den Autoren der kriegskritischen Romane das ‚Kriegserlebnis‘ schlechterdings abgesprochen wurde, sie zu „jämmerlichen Kreaturen“96 degradiert und persönlich attackiert wurden, zeigt Kurt Sontheimer auf.97 Bezeichnenderweise betont auch der Pädagoge Bernhard Bosch bereits 1932, dass „man scharf zwischen der bildverfälschenden Ichliteratur (Typ Remarque) und der Bildwahrheit (im künstlerischen Sinn) unterscheiden muß. Jene ist, um in ihrer eigenen Sprache zu reden, nur Abreaktion aufgespeicherten Minderwertigkeitsgefühls, Überkompensation mit der raffiniert-plumpen Sicherungstendenz der Beimischung sympathischer Züge.“98 Einige zeitgenössische Studien belegen – wenn auch deutlich geprägt vom jeweiligen politischen Standpunkt – vor allem das hohe Interesse der jugendlichen Arbeiter an Kriegsbüchern. Im Artikel Werktätige Jugend und Buch99, der 1930 in der Jugendschriften-Warte erscheint, berichtet der Buchhändler August Felke: „Dem stärksten Interesse begegneten im Laufe des ganzen Jahres die Kriegsbücher.“100 Er zählt dabei u. a. auch die Anti-Kriegsromane von Remarque und Renn auf und bezeichnet sie als „best sellers“101, was aufzeigt, dass dieser Begriff bereits in der Weimarer Republik verwendet wurde.102

94 Vgl. Ehrke-Rotermund: „Durch die Erkenntnis des Schrecklichen zu seiner Überwindung?“, S. 302. 95 Vgl. das Literaturverzeichnis dieser Arbeit für ausführliche bibliographische Angaben zu den Titeln. 96 Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. München 1968, S. 100. 97 Vgl. Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 94–96. 98 Bernhard Bosch: Das Schrifttum der Gegenwart und die Höhere Schule. In: Zeitschrift für Deutschkunde 46 (1932), H. 15, S. 230. 99 Vgl. Karl August Felke: Werktätige Jugend und Buch. Beobachtungen und Erfahrungen eines Buchhändlers. In: Jugendschriften-Warte 35 (1930), H. 3, S. 23–24. 100 Felke: Werktätige Jugend und Buch, S. 23. 101 Felke: Werktätige Jugend und Buch, S. 24. 102 Auch wenn es in der Weimarer Republik noch keine expliziten, regelmäßig erscheinenden Bestsellerlisten gab, so veröffentlichte beispielsweise Die literarische Welt ab 1927 in unregelmäßiger Reihenfolge Listen mit den bestverkauften Büchern. Vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 46. Diese Listen beruhten jedoch in der Anfangszeit noch auf der freiwilligen Einsendung der jeweils zwei bestverkauften Bücher der Sortimenter. Vgl. Stephan Füssel: Das Buch in der Medienkonkurrenz der zwanziger Jahre. In: Gutenberg-Jahrbuch 71 (1996), S. 333.



98 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

Aus der politischen Funktionalisierbarkeit der Kriegsliteratur macht die Bücherkunde hingegen keinen Hehl. Vom explizit nationalsozialistischen Standpunkt aus (re)interpretiert eine dort veröffentlichte Studie das Leserinteresse am Kriegsbuch seit 1916.103 Ab 1929 wird ein enormer Anstieg des Interesses am Weltkriegsbuch konstatiert, der insbesondere von Jugendlichen und Arbeitern getragen worden sei.104 Daraus werden dann sofort politische Implikationen gezogen: Von hoher Bedeutung aber und vielleicht für manchen überraschend ist die Tatsache, daß dieses Buch vom Weltkrieg bei den Arbeitern auf eine größere Bereitschaft stößt als bei den bürgerlichen Lesern. In der gesamten erwachsenen und ebenso in der gesamten männlichen Leserschaft gehen die Angehörigen des Arbeitervolkes in ihrer Anteilnahme am Erlebnisbuch des Weltkrieges entschieden über alle bürgerlichen Gruppen hinaus. Und zwar von Anfang an und dauernd bis heute. Dieses Ergebnis der Statistik wird durch die unmittelbare „Schaltererfahrung“ in charakteristischer Weise unterbaut: oft haben in den Leipziger Versuchsbüchereien Arbeiterleser, die den Bibliothekaren als Angehörige der marxistischen und kommunistischen Parteien genau bekannt waren, Kriegsbücher nicht nur entliehen, sondern auch mit dem Ausdruck tiefer Befriedigung zurückgegeben. Und das schon vor 1933! „Sehr ordentliche Kerle“ oder „Dort war ich auch dabei!“ – so etwa lauteten die Formeln, mit denen diese Volksgenossen die Rückgabe der Kriegsbücher begleiteten. Hier war das Holz, aus dem dann der neue Gefolgschaftsmann des Nationalsozialismus geschnitzt werden konnte.105

Die empirische Zweifelhaftigkeit dieser Studie, die bezeichnenderweise noch nicht einmal die Grundgesamtheit der befragten Personen angibt, steht außer Frage. Trotzdem weist dieses Zitat in eine wichtige Richtung, denn es verdeutlicht die Funktionalität, die die Nationalsozialisten der Kriegsliteratur insbesondere zur Gewinnung der Arbeiter zumessen. Auch hier wird der Arbeiter entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie als „Volksgenosse[ ]“ bezeichnet und es findet sich die für die nationalsozialitische Presseberichterstattung so charakteristische Mischung von empirisch-wissenschaftlichem Anspruch bzw. einer wissenschaftlichen Fassade (Berufung auf „Tatsache[n]“), die sodann durch emotional wertende und völlig unwissenschaftliche Kommentare und Floskeln ergänzt wird (z. B. Kommentare, die den Arbeitern in den Mund gelegt werden, „Holz“ aus dem man sich „neue Gefolgschaftsm[ä]nn[er] […] [ ]schnitzt“). Die angeblichen Kommentare der Arbeiter verweisen allesamt auf die Identifikation mit dem Romaninhalt und genau dieses Potenzial soll letztendlich im Sinne der National-

103 Vgl. Anonymus: Vom Schicksalsweg des deutschen Buches. Frontberichte zur Leser- und Schrifttumskunde. 2. Das Buch vom Weltkrieg. In: Bücherkunde 2 (1935), H. 12, S. 401–402. 104 Vgl. Anonymus: Vom Schicksalsweg des deutschen Buches, S. 401. 105 Anonymus: Vom Schicksalsweg des deutschen Buches, S. 401–402.





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 99

sozialisten überführt werden in die Übernahme eines heroischen Lebensgefühls durch den Rezipienten. Josting fasst die Tugenden, die durch den Kriegsroman vermittelt werden sollen, anhand ihrer immer wiederkehrenden Hervorhebung in den Jugendbuchrezensionen folgendermaßen zusammen: An oberster Stelle der Bewertungsskala aber stand der Frontkämpfergeist, den jedes Kriegsbuch zu vermitteln hatte. Dem Leser sollte grundsätzlich gezeigt werden, daß das Schicksal aller stets vom bedingungslosen Einsatz des Einzelnen abhing, gleich, ob es sich um einen Offizier oder einfachen Soldaten handelte. Wo immer der vorbildliche Frontkämpfer auftrat, hatte er sich durch unbedingten Gehorsam, Mut, Treue, Pflichterfüllung, Opferbereitschaft bis in den Tod und Kameradschaft auszuzeichnen. […] In stereotyper Weise werden diese Tugenden in fast allen Besprechungen von Kriegsbüchern als musterhaft hervorgehoben […].106

Der Heroismus soll letztendlich aber nicht nur auf den Kriegsfall übertragen werden, sondern der gesamte Arbeitsalltag und das Leben wird von den Nationalsozialisten in biologisch-reduktionistischer Weise als Überlebenskampf dargestellt, was sich insbesondere an einer sprachlichen Militarisierung des Arbeitsbereichs zeigt (‚Soldat‘ der Arbeit, ‚Arbeitsschlacht‘ etc.)107. Zwar gibt es innerhalb der kommunistischen Literatur ähnliche Kampfmetaphern, diese dienen jedoch dazu, aufzuzeigen, dass die Härte des Überlebenskampfes von den Klassengegensätzen und der sozialen Ungleichheit bedingt ist und appellieren an das revolutionäre Potenzial der Arbeiter. Die der kommunistischen Interpretation des ‚Arbeitskampfes‘ entgegenlaufende, bewusste Umwertung des Begriffs durch die Nationalsozialisten stellt sich nach Heuel folgendermaßen dar: Die Antagonismen der Arbeitswelt, die doch sozialen Ursprungs sind, werden verkehrt in eine antagonistische Kampfkonstellation, die letztlich dem biologischen Bauplan des Menschen encodiert sein soll und dessen unabweislichen Geltungsanspruch er sich daher zu fügen hat.108

Der Arbeiter soll so schließlich seines klassenkämpferischen Potenzials entbunden und in die ‚Volksgemeinschaft‘ eingegliedert werden, ohne dass sich die tat-

106 Petra Josting: Der Jugendschrifttums-Kampf des nationalsozialistischen Lehrerbundes. Hildesheim [u. a.] 1995, S. 167 [Hervorhebungen aus dem Text übernommen]. 107 Zur Militarisierung des Begriffsfeldes der Arbeit vgl. Rülcker: Zur Rolle und Funktion des Arbeiters in der NS-Literatur, S. 252 und vgl. Eberhard Heuel: Der umworbene Stand. Die ideologische Integration der Arbeiter im Nationalsozialismus 1933–1935. Frankfurt a. M./New York 1989, S. 386–393. 108 Heuel: Der umworbene Stand, S. 388.



100 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

sächlichen Produktionsverhältnisse ändern. Dabei erweisen sich die im Rahmen der Frontromane propagierten Tugenden von Opferbereitschaft, Kameradschaft und Pflichterfüllung als vollkommen funktional für die propagierte ‚Volksgemeinschaft‘. Aus der Kampfgemeinschaft im Schützengraben soll also die ‚Volksgemeinschaft‘ erwachsen, in welche der Arbeiter – vorausgesetzt er verinnerlicht diese moralischen Tugenden  – als wie selbstverständlich integriert dargestellt wird. Daher spielen die Kriegsromane auch zur Propagierung der gesellschaftlichen Utopie der ‚Volksgemeinschaft‘ eine bedeutende Rolle. Der Nationalsozialismus muss demnach auf die integrative Kraft des Begriffs der ‚Arbeit‘ bauen. Dies geschieht im Rahmen der ‚Volksgemeinschaft‘, in der es ungeachtet der gesellschaftlichen Klassen begrifflich nur noch Arbeiter (‚Arbeiter der Stirn und Faust‘) gibt, und wo jeder die ihm auferlegte Pflicht für das große Ganze der ‚Volksgemeinschaft‘ erfüllt. Die Figur des ‚Arbeiter-Soldaten‘109 lässt sich in diesem Zusammenhang von den Nationalsozialisten gleich mehrfach propagandistisch ausnutzen: Das Konzept des Arbeiter-Soldaten erfüllt mehrere ideologische Funktionen: Es arbeitet gegen essentielle soziale und ökonomische Determinanten im Selbstverständnis von Arbeitern. Es schafft die subjektiven Voraussetzungen für eine forcierte Militarisierung des Arbeits- und Produktionskörpers. Es hat Teil an der Mythisierung und Aufwertung des Arbeiters zum Helden, zu einer beispielhaften Existenzform, die dem Proletarier Bedeutung als gesellschaftliche Leitfigur verheißt. Es weist den Weg zur gesellschaftlichen Gleichheit und Gemeinschaft aller im Modus, die Arbeit zu denken und zu verrichten in der gemeinschaftlichen Selbstunterstellung unter die höhere Instanz der Verpflichtung aufs Werk. In diesem konzeptionellen Rahmen kann dann auch der Klassenantagonismus reartikuliert werden, ohne daß noch – entkleidet aller sozialen und politischen Bestimmungen – dessen soziale Sprengkraft zu erahnen wäre.110

Über die Funktionalität der Kriegsromane für die eigenen politischen Zwecke ist man sich in nationalsozialistischen Kreisen einig. Darüber, wie die Romane jedoch den Jugendlichen vermittelt werden sollen, herrschen zwischen Nationalsozialistischem Lehrerbund (NSLB) und den Schrifttumswaltern der Hitlerjugend durchaus Differenzen. Ausgangspunkt dieser Kontroversen ist die Verwischung der Grenzen von Erwachsenen- und Jugendlektüre, denn innerhalb des Genres der Kriegsliteratur ist die Verflechtung von Erwachsenen- und Jugendlektüre

109 Wesentlich an der zeitgenössischen Begriffsprägung des ‚Arbeiter-Soldaten‘ beteiligt war Ernst Jünger, in dessen Schrift Der Arbeiter Arbeiter- (bzw. Männer-) und Soldatenbilder verschmelzen. Vgl. Ernst Jünger: Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt. Hamburg 1932. 110 Heuel: Der umworbene Stand, S. 392 [Hervorhebung aus dem Text übernommen].





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 101

besonders ausgeprägt zu beobachten.111 Während Vertreter der Reichsjugendführung ein Cross-Reading, also ein Rezipieren der Erwachsenauflagen durch die Jugendlichen ausdrücklich fordern112, bevorzugen die Pädagogen des NSLB spezielle didaktisch aufgearbeitete Jugendausgaben der Romane, die lediglich Textauszüge behandeln, da sie glauben, dass die Lektüre der Originalausgaben viele Jugendliche überfordern würde113. So betont Hans Maurer aus der Perspektive der Hitlerjugend in seiner Schrift Jugend und Buch im neuen Reich immer wieder die altersübergreifende Lektüre: Unter Jugendschrifttum ist nicht ein Schrifttum zu verstehen, das von Verleger oder Verfasser besonders als Jugendbuch abgestempelt ist, sondern jenes gesamtdeutsche Schrifttum, das, sei es nun der Jugend empfohlen oder nicht, von ihr gewünscht, gelesen und verstanden wird. […] Es ist ein Irrtum erwachsener Menschen, wenn sie glauben, der Jugend ein besonderes Schrifttum zuteilen zu können. Es gibt unzählige Bücher, die weder für die Jugend bearbeitet, noch ausdrücklich für sie bestimmt sind und doch von ihr gelesen und verstanden werden.114

Diese Position erfährt seitens der Pädagogen vom NSLB jedoch Kritik, die Franz Jürgens direkt in Form einer Rezension von Maurers Schrift in der JugendschriftenWarte äußert: Nein, das ist kein Irrtum, das ist auch keine Anmaßung der Erwachsenen, sondern das ist einfach die Pflicht jeder ihrer Verantwortung um den Nachwuchs bewußten Generation, Pflicht gegenüber dem Kinde, Pflicht gegenüber der Familie, Pflicht gegenüber Volk und Staat. Glaubt denn der Verfasser ernsthaft, daß ein jedes Buch wahllos für den jungen Menschen geeignet sei? […] Daher komme ich zur Ablehnung der Maurerschen Forderung, daß das Schwergewicht in der Beurteilung des Jugendschrifttums von der Schule auf die Hitlerjugend übergehen zu habe.115

Das Zitat zeigt neben pädagogischen Bedenken natürlich auch beispielhaft den Streit um Kompetenzen zwischen den einzelnen Beurteilungsinstanzen auf. Doch bereits einige Ausgaben später versucht ein versöhnlich gestimmter Artikel von Maurer sowie eine entsprechende Anmerkung der Schriftleitung der Jugend-

111 Vgl. Josting: Der Jugendschrifttums-Kampf des nationalsozialistischen Lehrerbundes, S. 165. 112 Vgl. Aley: Jugendliteratur im Dritten Reich, S. 144. 113 Vgl. Josting: Der Jugendschrifttums-Kampf des nationalsozialistischen Lehrerbundes, S. 165. 114 Hans Maurer: Jugend und Buch im neuen Reich. Leipzig 1934, S. 8, 10. 115 Fr.[anz] Jürgens: Jugend und Buch im neuen Reich. Eine Buchbesprechung. In: Jugendschriften-Warte 39 (1934), H. 12, S. 87.



102 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

schriften-Warte zumindest äußere Geschlossenheit zu suggerieren.116 Die Jugendbuchverzeichnisse, die 1933 zunächst alleine vom NSLB herausgegeben werden und Altersempfehlungen aussprechen sowie Beumelburgs Gruppe Bosemüller in Form der Schulausgabe der Kranz-Bücherei empfehlen,117 halten auch unter Beteiligung der Reichsjugendführung in den Folgejahren an den Altersempfehlungen fest.118 Die unterschiedlichen Positionen haben jedoch beide eine spezifische propagandistische Funktionalität: Die didaktisierten Jugendausgaben beinhalten die Möglichkeit, durch bewusst gekürzte Passagen die Aussagen der Romane zu forcieren und vor allem auf das gewünschte Erkenntnisziel zuzuschneiden. Außerdem ermöglicht die paratextuelle Kontextualisierung der Romane, die vor allem bei den Schulausgaben besonders hervortritt und diese im Rahmen von Vorworten, Anmerkungen, didaktischem und historischem Zusatzmaterial in einen weiteren Zusammenhang stellt, die gezielte ideologische Beeinflussung. So kann beispielsweise im Kriegsroman durch systematisch eingesetzte Anmerkungen auf die Kontinuität der ‚Kampfgemeinschaft‘ im Ersten Weltkrieg und auf die ‚Volksgemeinschaft‘ als einem idealen gesellschaftlichen Ordnungsmodell für die Zukunft verwiesen werden. Die Kriegsgeschehnisse und vor allem die sich in diesem Zusammenhang darstellenden Tugenden bekommen überzeitlichen Wert, sollen verinnerlicht und für die Gegenwart und Zukunft nutzbar gemacht werden, denn – so suggerieren die Romane und die entsprechenden Begleitmaterialien – die Opfer des Krieges waren nicht umsonst, an sie gilt es anzuschließen – in absoluter Opferbereitschaft und unter dem Vorbild und Fortleben des Frontkämpfergeistes. Dieser hohen Bedeutung der paratextuellen Gestaltung in Bezug auf die Schulausgaben von Gruppe Bosemüller soll vor allem unter Kapitel 4 Rechnung getragen werden. Doch auch die Vertreter der Gegenseite, die fordern, die Jugendlichen den Originalroman lesen zu lassen, haben durchaus ihre Argumente. Diese konzentrieren sich vorwiegend auf die Ausdehnung des Begriffes der ‚Jugendlichkeit‘ für

116 Vgl. Hans Maurer: Jugend und Buch im neuen Reich. An die Leser meiner Schrift in der deutschen Erzieherschaft. In: Jugendschriften-Warte 40 (1935), H. 5, S. 33–35. Anmerkung der Schriftleitung auf S. 36. 117 Vgl. Das Jugendbuch im Dritten Reich. Verzeichnis empfehlenswerter Jugendschriften. Hg. v. d. Reichsleitung d. Nationalsozialistischen Lehrerbundes, Bayreuth. Stuttgart [1933], S. 16. 118 Vgl. Das Buch der Jugend 1934/35 (1935/36; 1936/37). Ein Auswahlverzeichnis empfehlenswerter Bücher für die deutsche Jugend. Hg. v. Reichsjugendführung, Berlin; Reichsamtsleitung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, Bayreuth; Reichsstelle zur Förderung des Deutschen Schrifttums, Berlin. Stuttgart [1934; 1935; 1936].





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 103

ideologische Zwecke. Im angestrebten neuen „jugendliche[n] Reich“119 gilt unabhängig vom Alter prinzipiell jeder als jugendlich, sprich fortschrittlich, der aktiv für die nationalsozialistische ‚Bewegung‘ eintritt: Entsprechend der Dynamisierung des Begriffs „Jugend“ wurde auch der Begriff „Jugendliteratur“ umdefiniert. Als „Jugendliteratur“ galt, was von „jugendlichen“ Menschen gelesen werden konnte und sollte. In zahllosen Veröffentlichungen, in denen gegen die spezifische, nur für die „Jugend“ geschriebene Literatur polemisiert wurde, wird diese Umprägung deutlich. Durch diesen Trick der nationalsozialistischen Lese- und Jugendideologen wurde es möglich, die vorhandene ns-affine Literatur den jungen Menschen als ihre Literatur nahezubringen. Durch das gleiche, die jungen Leser wie die Literatur überwölbende Ideologem der „Jugendlichkeit“ wurde eine gleichsam artifizielle Identität von Buch und Leser gestiftet. Beide bestimmten sich nach denselben Kriterien der „Jugendlichkeit“: „Haltung“, „echte Gesinnung“, „Tatorientiertheit“, „heldische Bereitschaft“.120

Richten sich die Polemiken aus den Kreisen der Hitlerjugend, die eine spezifische Jugendliteratur verwerfen, einerseits explizit gegen Auffassungen der etablierten Literaturpädagogen, so knüpfen die Nationalsozialisten andererseits mittels konservativer Jugendschrifttumspädagogik und auf einer breiten Basis der konservativ-völkischen Kreise an die Schmutz- und Schundkämpfe der Jugendpädagogik an.121 Diese Debatten haben ihren Ursprung im Kaiserreich, werden aber im Rahmen der Weimarer Republik, insbesondere durch konservative und nationalsozialistische Initiative, auf alle anderen missliebigen sozialkritischen und linken Werke sowie generell auf die Literatur der Moderne ausgedehnt. In der Weimarer Republik kontrovers diskutiert wurde das am 18.12.1926 erlassene Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften, welches auf Initiative konservativer und rechter Parteien und gegen den Widerstand von SPD und KPD eine an Prüfstellen gebundene Indizierung und Vertriebseinschränkung einführte. Nicht nur, weil es den Begriff ‚Schund und Schmutz‘

119 Bezeichnend für die ‚jugendliche‘ Selbstdarstellung der Nationalsozialisten ist folgendes pünktlich zur ‚Machtergreifung‘ erschienene Werk: Vgl. Werner Beumelburg: Das jugendliche Reich. Reden und Aufsätze zur Zeitenwende. Oldenburg 1933. 120 Hopster: Lesen und jugendlicher Leser in Deutschland unter dem Nationalsozialismus, S. 221 [Hervorhebungen aus dem Text übernommen]. 121 Vgl. dazu Horst Heidtmann: Von der „Schmutz und Schund“-Bekämpfung zur „Ausmerzung von Büchern“. In: 100 Jahre Jugendschriftenwarte 1893–1993. Hg. v. Geralde Schmidt-Dumont. Überlingen 1993, S. 8: „Die nationalsozialistische Literaturpolitik konnte sich offenkundig auf große Teile der ‚Anti-Schmutz-und-Schund-Bewegung‘ stützen, diese aufnehmen, später umlenken, da bei deren Protagonisten bereits von Anfang an – zumindest partielle – Übereinstimmungen im Staats- und Literaturverständnis vorhanden waren.“



104 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

nicht definierte, fürchteten die Linksparteien einen Missbrauch dieses Gesetzes. So betont Peukert: Angesichts der kulturpessimistischen Tonlage und der kaum verhüllten nationalistischen und antisozialistischen Tendenzen unter den konservativen Befürwortern des Gesetzes befürchteten die Vertreter der Linken nicht grundlos einen Generalangriff auf Geistesfreiheit, moderne Kultur und linke Politik.122

Zwar hatte die KPD ebenfalls der bürgerlichen Groschenliteratur den Kampf angesagt, wollte diese jedoch nicht verbieten, sondern ihr konstruktiv – z. B. mit dem Roten Eine-Mark-Roman  – ein Konzept entgegensetzen, welches sich bewusst vom dem auf den „Ledereinband mit Goldrücken fixierten bildungsbürgerlichen Kulturbegriff“123 absetzte. Doch genau dagegen sperrten sich die völkisch-nationalen Kräfte, die im Rahmen der kulturellen Moderne ihren tradierten Kunstbegriff ins Wanken geraten sahen. Zum immer prominenter werdenden Schlagwort wurde in diesem Zusammenhang der Begriff ‚Kulturbolschewismus‘124, welcher schon bald zur Stigmatisierung der unterschiedlichsten Phänomene der künstlerischen Moderne und sozialkritischer linker Werke benutzt wurde. Vor allem der 1928 gegründete Kampfbund für deutsche Kultur (KfdK) unter Alfred Rosenberg machte sich die Abwehr des ‚Kulturbolschewismus‘ zum Leitbegriff, womit er insbesondere bildungsbürgerliche Kreise erreichte. Bollenbeck betont die Instrumentalisierung dieses Schlagwortes, welches affektive, appellative, polarisierende und integrative Aspekte vereint: Es artikuliert und steigert Ängste vor der siegreichen kulturellen Moderne und dem drohenden Bolschewismus. Mit ihm gerät die Kunstreligion des Bürgertums zu einer Art Manichäismus, zu einem strengen Dualismus zwischen Gut und Böse, zur Vorstellung vom apokalyptischen letzten Kampf, zur Hoffnung auf den rettenden Führer.125

122 Detlev Peukert: Der Schund- und Schmutzkampf als „Sozialpolitik der Seele“. In: „Das war ein Vorspiel nur…“ Bücherverbrennung Deutschland 1933: Voraussetzungen und Folgen. Ausstellung der Akademie der Künste von 8. Mai bis 3. Juli. Ausstellungskatalog Hg. v. Hermann Haarmann, Walter Huder, Klaus Siebenhaar. Berlin 1983, S. 55. 123 Peukert: Der Schund- und Schmutzkampf als „Sozialpolitik der Seele“, S. 56. 124 Einen umfassenden und sehr aufschlussreichen Einblick in den Begriffsumfang und die Verwendung des Schlagwortes ‚Kulturbolschewismus‘ bietet: Björn Laser: Kulturbolschewismus! Zur Diskurssemantik der „totalen Krise“ 1929–1933. Frankfurt a. M. 2010. 125 Georg Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion. Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880–1945. Frankfurt a. M. 1999, S. 285 [Hervorhebung aus dem Text übernommen].





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 105

Der KfdK gab sich zunächst als überparteiliche Vereinigung aus, um möglichst breite bürgerliche Kreise gewinnen zu können, aber die Zugehörigkeit zur NSDAP blieb weitgehend offensichtlich, was dazu führte, dass die Organisation vom republikanisch-liberalen Kunstpublikum als „kulturelle SA“126 enttarnt wurde. Die tatsächlichen Erfolge der Veranstaltungen des KfdK blieben gering und dürfen sicherlich nicht überbewertet werden.127 Doch ist die „Tiefenwirkung“128 des KfdK und seiner permanenten antimarxistischen und antijüdischen Kulturpropaganda, die sich die Ängste und Ressentiments vor der Moderne zu Nutze machte, in Hinsicht auf das Kunst- und Kulturverständnis breiter bürgerlicher Kreise nicht zu unterschätzen.129 Auch die Übernahme des Amtes des thüringischen Innenministers am 23.01.1930 durch Wilhelm Frick, der strikte völkische Kulturvorstellungen vertrat und diese rigoros im Rahmen der Schul- und Kulturpolitik umsetzte, vermittelte im Rahmen der vierzehnmonatigen Amtszeit Fricks einen Eindruck davon, wie die Nationalsozialisten mit kulturellen und politischen Gegnern umzugehen gedachten.130 Neben den Vorgängen in Thüringen und der öffentlichen Polemik des Kampfbundes fungierte das Strafgesetzbuch und dessen Auslegung durch die in Verwaltung und Justiz verbliebenen Eliten aus dem Kaiserreich als handfestes Unterdrückungsmittel gegen die Kunst der Moderne sowie gegen proletarischrevolutionäre und linksbürgerliche Schriftsteller. Dabei stellt Petersen „bei allen Unterschieden der einzelnen Maßnahme eine einheitliche Tendenz gegen solche literarischen und künstlerischen Werke, die man weltanschaulich als fortschritt-

126 Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, S. 20–21. 127 Vgl. Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Stuttgart 1970, S. 27–39. 128 Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“, S. 25. 129 Vgl. Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“, S. 25. Vgl. Jürgen Gimmel: Die politische Organisation kulturellen Ressentiments. Der „Kampfbund für deutsche Kultur“ und das bildungsbürgerliche Unbehagen an der Moderne. Münster 2001. 130 Vgl. Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“, S. 26–28. Zu den Maßnahmen von Frick gehören unter anderem die Einführung eines völkischen ‚Schulgebetes‘, das Verbot von Remarques Roman Im Westen nichts Neues und dessen Verfilmung, eine politische Auslegung der Gewebeordnung, welche zahlreiche Musik- und Theatervorstellungen verhinderte, die mitunter als ‚Weimarer Bildersturm‘ bezeichnete Entfernung von renommierten Werken der Moderne aus dem Weimarer Schlossmuseum, der Eingriff in die Spielpläne des Thüringischen Staatstheaters sowie eine gezielte Personalpolitik. Barbian spricht dem Fall Thüringen eine „Pilotfunktion“ zu „für die Handhabung exekutiver Machtmittel – nicht nur bei der Bekämpfung des politischen Gegners, sondern gerade auch bei der Formulierung und Durchsetzung völkischer Kulturvorstellungen“ (S. 28).



106 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

lich und politisch als linksgerichtet oder revolutionär bezeichnen kann“131, fest. Möglichkeiten zur rechtlichen Belangung von Schriftstellen boten u. a. die Bestrafung der ‚Gotteslästerung‘ (§ 66), die Hochverrratsparagraphen (§ 81, 82, 85, 86), das Gesetz zum Schutz der Republik (§ 7 Abs. 4) sowie das Verbot zur Verbreitung unzüchtiger Schriften (§ 184).132 Insbesondere die Notverordnungen von 1930 dienten als Grundlage für weitere verschärfte Verbote und verschafften der politischen Rechten Aufwind, indem sie die Publikationsmöglichkeiten der Kommunisten stark einschränkten. So wurde Willi Bredel 1930 wegen ‚Hochverrats‘ zu einer zweijährigen Gefängnishaft verurteilt, die er zur Verfassung der Roten Eine-Mark-Romane Maschinenfabrik N&K (Bd. 4) sowie Rosenhofstraße (Bd. 6) nutzte.133 Ab 1931 erfasste eine Verbotswelle die Reihe der Roten Eine-MarkRomane,134 wodurch der Vertrieb der Romane auf das kommunistische Umfeld beschränkt und in die Illegalität gedrängt wurde. Die öffentliche Wirksamkeit des ‚proletarischen Massenromans‘ und die erhoffte Anwerbung kleinbürgerlicher Leser wurde damit stark eingeschränkt, während die Nationalsozialisten den Ausbau ihrer Massenbasis weiter vorantreiben konnten und u. a. verstärkt versuchten, Arbeiter zu agitieren.

2.2.2 ‚Literatur der Organisationen‘ – Funktionale ‚Kampfzeitliteratur‘ oder zersetzendes ‚Konjunkturschrifttum‘? Für die zeitgemäße Selbstdarstellung der eigenen politischen Partei reicht es jedoch nicht aus, sich auf die kriegerischen Auseinandersetzungen vergangener Jahrzehnte und die Bewährung der deutschen bzw. germanischen Vorfahren im Krieg zu beziehen. Insbesondere, um für den alltäglichen Einsatz in den politischen Jugendorganisationen zu werben und konkrete, für den Straßenkampf in der Endphase der Weimarer Republik verwertbare Handlungsanweisungen weiterzugeben, eignet sich eine spezifische ‚Literatur der Organisationen‘, die aus diesem funktionalen Bedürfnis heraus in der ‚Kampfzeit‘ der NSDAP entsteht. Vor allem vor der Folie der politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Groß-

131 Klaus Petersen: Literatur und Justiz in der Weimarer Republik. Stuttgart 1988, S. 97. 132 Vgl. Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“, S. 20. 133 Vgl. Hanno Möbius: Der Rote Eine-Mark-Roman. In: Archiv für Sozialgeschichte 14 (1974), S. 187–188. 134 Verboten wurden: 2. Auflage von Barrikaden am Wedding (02.06.1931), 2. Auflage von Sturm auf Essen (18.08.1931), Maria und der Paragraph (Anfang Oktober 1931), Kämpfende Jugend (Anfang Februar 1932). Angaben aus: Rohrwasser: Saubere Mädel – Starke Genossen, S. 133 und aus: Anonymus: Grosse Zensur-Koalition. In: Die Linkskurve 3 (1931a), H. 9, S. 28.





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 107

stadt wird hier das konkrete Ringen um die politische Macht und die Notwendigkeit, sich der nationalsozialistischen ‚Bewegung‘ zur Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung zu unterwerfen, demonstriert, was unter Ausschaltung politischer Feinde geschehen soll. Dabei treten zwei spezifische Erscheinungsformen dieser Literatur besonders hervor: Zum einen die ‚Märtyrer-Literatur‘, welche einzelne Anhänger der Partei – hier vor allem Herbert Norkus, Horst Wessel und Albert Leo Schlageter135 –, die in den politischen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik ums Leben kamen, zu Märtyrern stilisiert und ihren Tod, meist als durch eine hinterhältige kommunistische Verschwörung herbeigeführt dargestellt, zum Opfertod für den Nationalsozialismus verklärt. Zum anderen kann die ‚Bekehrungs- und Wandlungsliteratur‘ als weitere spezifische Form der ‚Kampfzeitliteratur‘ gelten. Sie thematisiert die Hinwendung von Proletarierjungen aus dem kommunistischen Milieu und ihre Bekehrung zu gläubigen und aktiv kämpferischen Mitgliedern der Hitlerjugend. Damit sollen nicht nur Arbeiterkinder direkt angeworben werden, gleichzeitig wird auch an das Sendungsbewusstsein der bereits in die HJ und SA integrierten Mitglieder appelliert, indem man darauf verweist, „daß die kommunistischen Arbeiter, besonders die jugendlichen Anhänger des Kommunismus, nicht hoffnungslos bösartig oder unrettbar deformiert, sondern im Kern gute Deutsche, lediglich fehlgeleitet und verhetzt seinen und durch entsprechende Überzeugungsarbeit von Seiten der Nationalsozialisten, mehr aber noch durch die überzeugende Kameradschafts-Praxis z. B. der HJ wie der SA bekehrt werden könnten […]“136. ‚Echtheit‘, ‚Authentizität‘ und ‚Unsentimentalität‘ sind die Kriterien, die die nationalsozialistischen Literaturinstanzen an diese spezifisch nationalsozialistische Neuschöpfung der ‚Literatur der Organisationen‘ anlegen.137 Der Prototyp des idealen Hitlerjungen, wie er sich der Hitlerjugend als

135 Die zumeist fiktionalisierten und für Jugendliche aufgearbeiteten Märtyrer-Darstellungen waren vor allem im Jahr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, 1933, äußerst zahlreich und wurden von den NS-Machthabern oft als ‚Konjunkturliteratur‘ klassifiziert. Zu der ‚Märtyrer-Literatur‘ zählen u. a.: Rudolf Ramlow: Herbert Norkus?  – Hier! Opfer und Sieg der Hitlerjugend. Stuttgart 1933; Arnold Littmann: Herbert Norkus und die Hitlerjungen vom Beusselkietz. Nach dem Tagebuch von Gerd Mondt und nach Mitteilungen der Familie. Berlin 1934; Erich Czech-Jochberg: Das Jugendbuch von Horst Wessel. Mit 13. Abbildungen. Stuttgart 1933; Hanns Heinz Ewers: Horst Wessel. Ein deutsches Schicksal. Stuttgart/Berlin 1933; Fritz Daum: SA-Sturmführer Horst Wessel. Ein Lebensbild von Opfertreue. Für Deutschlands Jugend. Mit Bildern. Reutlingen 1933; Josef Magnus Wehner: Albert Leo Schlageter. Leipzig 1934; Martin Freitag: Albert Leo Schlageter. Ein deutscher Held. Mit Bildern. Reutlingen 1934. 136 Hopster: Literatur der Organisationen und Dienste, S. 144 [Hervorhebung aus dem Text übernommen]. 137 Vgl. Hopster: Literatur der Organisationen und Dienste, S. 155.



108 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

Erziehungsziel darstellt, lässt sich fast eins zu eins auf die ‚Literatur der Organisationen‘ übertragen. Klönne charakterisiert ihn folgendermaßen: Es war der äußerlich aktivierte und leicht aktivierbare, körperlich leistungsfähige, beruflich tüchtige, an Organisationsdisziplin gewöhnte Junge, der – von der Formaldisziplin bis zur Ideologie – an die Einhaltung der von der Organisation gelieferten Normen sich unreflektiert binden, Initiative nur im Rahmen dieser Normen entfalten und sein Selbstgefühl auf die Stellung seiner Organisation und seine Position innerhalb derselben beziehen sollte, der zugleich weder mit dem Typ des (von der HJ so genannten) „romantischen“ oder „intellektualisiert-problematischen“ Jugendlichen früherer Jugendbünde, noch mit dem „sozialrevolutionären“ und politisch-aktiven Typ verschiedener Jugendorganisationen (und zum Teil auch der HJ selbst) vor 1933 etwas gemeinsam hatte.138

Insgesamt ist also im Rahmen der HJ absolut normenkonformes Verhalten gefragt, für „Bücherwürmer“139, Querdenker und eigenmächtige Aktionen ist in der ‚Bewegung‘ kein Platz. Diese absolute Unter- und Einordnung in die Organisationen soll den Jugendlichen jedoch als Emanzipations- und Selbstfindungsprozess verkauft werden, bei dem der Einzelne selbstständig Verantwortung im Rahmen der Hitlerjugend übernimmt. Die zentrale Funktion der ‚Literatur der Organisationen‘ schildert Hopster dementsprechend: Die Literatur betreibt damit dieselbe scheinbare Aufwertung der Jugend, dieselbe Stilisierung der Jugend zum Motor und innovativen Element der Bewegung wie die NS-Jugendideologie insgesamt. Ziel ist gleichermaßen, den Jugendlichen die willentliche Einordnung in die NS-Organisationen und den damit verbundenen Verzicht auf die Verwirklichung individueller Interessen qualitativ als Selbstgewinnung zu vermitteln. Der Anschein der Emanzipation der Jugend gerade von den individuellen Freiheiten der bürgerlichen Gesellschaft macht die Überzeugungskraft der Kinder- und Jugendliteratur der Organisationen und Dienste aus. In ihr darf die Jugend ganz anders, auf seiten der Alten Kopfschütteln erregend sein; in ihr kann sie aktiv, eigen- und gemeinschaftsverantwortlich sein; und in ihr wird sie in ihrer Leistung bestätigt, weit über die Bestätigungsmöglichkeiten des realen Dienstes hinaus. Das Fehlen eines für den einzelnen erfahrbaren Sinns der Dienste durch die Suggestion des Sinns für das Ganze zu kompensieren, ist die primäre Funktion dieser Literatur.140

Genau an dieser Stelle jedoch gerät die ‚Literatur der Organisationen und der Dienste‘ in einen Selbstwiderspruch. Fordert man einerseits vordergründig Authentizität und Echtheit, was heißen müsste, dass die von den Jugendlichen

138 Arno Klönne: Jugend im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner. Köln 2003, S. 84– 85. 139 Schemm: Geleitwort, S. 1. 140 Hopster: Literatur der Organisationen und Dienste, S. 134 [Hervorhebungen aus dem Text übernommen].





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 109

eingeforderte Überangepasstheit auch dargestellt wird, so versucht man andererseits fiktional die Eigenständigkeit, Selbstfindung und Emanzipation, welche das Individuum durch das Engagement in der Partei gewinnt, zu suggerieren. Auch die Reichsjugendführung widerspricht sich, wenn sie einerseits eine spezifische Kinder- und Jugendliteratur ablehnt, mit der ‚Literatur der Organisationen‘ liegt andererseits jedoch eine speziell auf die Hitlerjugend zugeschnittene Form der Literatur vor, die insbesondere für das Selbstverständnis dieser Organisation und im Rahmen von Gruppenabenden höchst funktional einsetzbar ist. Kurz vor der Machtübernahme und auch in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Diktatur herrscht eine ‚Produktionslücke‘ von spezifisch nationalsozialistischen Romanen, die die Arbeit in den Organisationen schildern. Aufgefüllt wird sie durch zahlreiche ‚Konjunkturschriften‘, die, schnell und billig produziert, Ideologiekonformes zu liefern versuchen; natürlich trachteten sowohl Schriftsteller als auch Verleger ebenfalls danach, Profit aus dieser entstandenen Marktlücke zu schlagen. Zu nennen sind hier u. a. die zahlreichen Publikationen von Josef Viera: Utz kämpft für Hitler, Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches, Kampf um die Feldherrnhalle, SA.-Mann Schott (alle 1933 im Franz Schneider Verlag Leipzig erschienen), Helga Knöpke-Joest: Ulla, ein Hitlermädel (Leipzig: Franz Schneider Verlag, 1933), Martin Freitag: Hermann, der Hitlerjunge. Der Werdegang eines deutschen Jungen (Reutlingen: Enßlin-Laiblin, 1933), Brigitte von Arnim: Manfreds Weg zu Hitler. Ein Buch aus unseren Tagen (Leipzig: Payne, 1933). Dies führt zu zahlreichen ‚Schund- und Schmutzvorwürfen‘ seitens der Nationalsozialisten gegenüber der ‚Konjunkturliteratur‘, die in deren Verständnis nichts anderes ist, als die Übertragung einer nationalsozialistischen Fassade auf die so heftig kritisierten, massenhaft verbreiteten und ‚trivialen‘ Lesehefte für Jugendliche. Was die Schrifttumswalter der NSDAP fürchten, ist nicht nur die Zerstörung der ideologischen Aura durch den inflationären Gebrauch von NSSymbolen. Die größere Gefahr, die die ‚Konjunkturliteratur‘ für die Nationalsozialisten birgt, ist die übersteigert dargestellte ideologische Überangepasstheit der Helden, die durchaus auch Potenzial dazu hat, gegenläufig zur eigentlichen Intention, subversiv-‚zersetzenden‘ bzw. parodistischen Charakter zu entfalten.141 Die in Wahrheit geforderten Formen der Anpassung, Selbstaufgabe und Unterordnung sollen jedoch als ‚heroischer Kampf‘ verklärt bleiben und den

141 Vgl. Norbert Hopster und Ulrich Nassen: „Jugend und Buch im neuen Reich“. Die nationalsozialistische Jugendpädagogik im „Kampf“ um das „gute Jugendschrifttum“. In: Diskussion Deutsch 14 (1983), S. 557.



110 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

Jugendlichen keinesfalls bewusst den eigenen Opportunismus und Konformismus vor Augen führen. Nicht ohne kritische Zwischentöne an Buchhandel und Eltern zu richten, die ihm als Mittler zwischen Buch und Kind gelten, äußert Helke seitens der Reichsjugendführung eine deutliche Ablehnung des ‚Konjunkturschrifttums‘: Vor der nationalsozialistischen Revolution sahen die Themen dieser Bücher etwa so aus: Pensionatsgeschichten, Töchtergeschichten, Sekundanererlebnisse, Fahrtenerlebnisse bündnischer Wandergruppen usw. Mit der großen Veränderung erfolgte auch hier die Umschaltung. Die Themen hießen jetzt SA., SS., Hitlerjugend, BDM., Jungvolk. Und der Inhalt? Siehe, er war der gleiche. Die Jungen und Mädel dieser netten Geschichten hatten sich nicht im entferntesten geändert. Sie trugen jetzt nur braune Kluft, warfen mit unverdauten Brocken nationalsozialistischen Gedankengutes um sich und führten bei jedem dritten Satz das Wort Deutschland auf der Zunge. Es war schauerlich, und alten Hitlerjungen und -Mädels graute vor diesen Erzeugnissen. Nein! sagt die Hitlerjugend. Wir wollen diese Bücher nicht!142

Auch Hans Maurer polemisiert in seiner Schrift Jugend und Buch im neuen Reich stark gegen Konjunkturerscheinungen. Seine Ausführungen schließen neben der geforderten Authentizität jedoch auch die Kritik an einer pauschalen Verdammung der Kommunisten ein, sollen doch gerade die „verirrten kommunistischen Arbeiter“ im Rahmen der ‚Bekehrungsliteratur‘ angesprochen und für den Nationalsozialismus gewonnen werden: Wir verzichten auf die unzähligen Geschichten von heldenhaften Hitlerjungen und -mädel, die, als Musterschüler geschildert, siegreiche Kämpfe gegen kommunistische Verbrecher bestehen. […] Wir wollen keine Darstellung, die das ernste Leben unserer Jugend in den vergangenen Jahren zu verzieren sucht, besonders aber verwahren wir uns gegen eine Darstellung, die jeden verirrten kommunistischen Arbeiter zum Verbrecher oder Halunken stempeln will und dies im Jugendschrifttum zu verewigen sucht.143

Ob die Hitlerjugend und die Partei insgesamt wirklich das ‚Konjunkturschrifttum‘ so vehement ablehnten, wie Helke und Maurer zu suggerieren versuchen, erscheint höchst fraglich. Wie konnte sonst beispielsweise der in der Jugendschriften-Warte explizit abgelehnte Titel Utz kämpft für Hitler des ‚Konjunkturschriftstellers‘ Josef Viera144 bis 1940 eine Auflage von 52.000–56.000 Exemp-

142 Fritz Helke: Schluß mit dem Kitsch! In: Nationalsozialistische Monatshefte 6 (1935), H. 68, S. 1034. 143 Maurer: Jugend und Buch im neuen Reich, S. 17. 144 Vgl. Mohr: Zur Frage der politischen Jugendschrift, S. 42.





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 111

laren145 erreichen? Die populäre Aufmachung der Bücher und die Orientierung am tradierten Publikumsgeschmack der Kinder und Jugendlichen war sicherlich einer der Gründe für deren Erfolg. Außerdem verstricken sich die nationalsozialistischen Jugendschriftenwalter, wie bereits oben betont, in widersprüchliche Aussagen und Urteile, die ihre Argumentationsnot gegenüber dem Phänomen der ‚Konjunkturliteratur‘ verdeutlichen und schließlich aufzeigen, dass die ‚Literatur der Organisationen und der Dienste‘ letztendlich funktional gewesen ist, auch in ihren konjunkturellen Ausprägungen. Diese zwiespältige Haltung der Nationalsozialisten zum ‚Konjunkturschrifttum‘ zeigt Hopster eindrücklich auf: Der Erfolg der HJ-, BDM- und auch Arbeitsdienst-Bücher auf dem Buchmarkt […] war wahrscheinlich gerade deswegen möglich, weil sie, gut gemacht oder schnell und dilettantisch zusammengeschrieben, tendenziell insgesamt Konjunkturliteratur waren. So wie die Literatur der Organisationen und der Dienste im Prinzip spezifische, näherhin sogar geschlechtsspezifische Kinder- und Jugendliteratur blieb, so blieb sie auch getreu der Kinder- und Jugendliteratur-Tradition im Prinzip affirmativ und entsprach gerade dadurch dem überkommenen Massengeschmack. Gerade dadurch wurde sie aber letztlich auch funktional […]. Dadurch, daß sie die nationalsozialistische Wirklichkeit von ihren Schrecken befreite, die Widersprüche in ihr tilgte und sie allererst konsumierbar machte. Die nationalsozialistischen Schrifttumswalter […] hätten diese loben und protegieren müssen. […] Sie wußten nicht, daß gerade die echte, wirklichkeits- und lebensnahe Literatur, die sie unaufhörlich beschworen, wenn sie tatsächlich zustande gekommen wäre, eine kritische, die Wirklichkeit entlarvende Literatur gewesen wäre.146

Somit bleibt die ‚Literatur der Organisationen und Dienste‘, anders als die völkisch- national(sozialistisch)en Kriegsromane oder die Roten Eine-Mark-Romane, spezifische Kinder- und Jugendliteratur. Eine klassenübergreifende Ausrichtung enthält sie jedoch genauso wie die Kriegsromane, indem die Hitlerjugend als Inkarnation von ‚Volksgemeinschaft‘ dargestellt wird, in der Arbeiterkinder nebst Bürgersöhnen mit vereinten Kräften für die ‚Bewegung‘ kämpfen.147 Diese klassenübergreifende Selbstdarstellung der Hitlerjugend betont auch Klönne:

145 Auflagenhöhe ermittelt über: Aiga Klotz: Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1840– 1950. Gesamtverzeichnis der Veröffentlichungen in deutscher Sprache. Band  5: T-Z. Mit zwei Nachträgen: die Märchen der Brüder Grimm, Tausendundeine Nacht. Stuttgart 1999. Daten von Klotz zusätzlich mit den Ergebnissen aus dem KVK abgeglichen. 146 Hopster: Literatur der Organisationen und Dienste, S. 176 [Kursivierungen aus dem Text übernommen]. 147 Am eindrücklichsten verweist Schenzinger in Der Hitlerjunge Quex auf dieses gemeinsame und freundschaftliche Miteinander von Proletarier- und Bürgersöhnen. Heini findet sofort im Bürgersohn Fritz Dörries und dessen Schwester Ulla neue Freunde, die ihm vorurteilsfrei begeg-



112 

 2 Literaturpolitische Hintergründe der Romane

Dies verband sich mit dem Argument „allein die Jugend“ sei „vorurteilsfrei und einer echten Gemeinschaft fähig“, was die Erwartung nahelegen sollte, erst die Erziehung in der HitlerJugend könne die Klassen- und Standesschranken überwinden und damit den „Sozialismus“ als „Volksgemeinschaft“ verwirklichen. Eine solche Hoffnung auf die nachwachsende Generation war geeignet, die Fortexistenz von Klassenstrukturen in der Gesellschaft des Dritten Reiches zu überdecken […].148

Insbesondere die Romane, welche die Erlebnisse des Großstadtproletariats schildern, sollen also nicht nur Arbeiterkinder ansprechen, sondern haben einen klassenübergreifenden Adressatenbezug, indem die ‚Abenteuer‘ der Helden in der Großstadt, die sich im Kampf gegen die Kommunisten bewähren, durchaus so erzählt werden, dass sie auch für bürgerliche Kinder spannend sind. Dies geschieht dadurch, dass eben nicht, wie beispielsweise in den Roten Eine-MarkRomanen, die spezifische Arbeitserfahrung der Proletarier explizit thematisiert wird, sondern dass der Leser verstärkt auf einer allgemeinmenschlichen Gefühlsbasis angesprochen wird, die es ihm ermöglicht, die Romane unabhängig von der jeweiligen eigenen milieuspezifischen Alltagserfahrung oder der vorgeprägten Politisierung emotional nachzuvollziehen. Dem entsprechen auch die Ausführungen Adams, der den einprägsamen und durchaus positiven Lektüreeindruck wiedergibt, welchen die Zeitzeugin Ilse Kleberger, die in kleinbürgerlichem Milieu aufgewachsen ist, von Schenzingers Quex-Roman in ihrer Kindheitserinnerung hat: An ‚politischen‘ Büchern blieb ihr einzig der Hitlerjunge Quex von Karl Aloys Schenzinger noch sehr eindrücklich im Gedächtnis. Die Zwölfjährige fand das Buch „sehr spannend“ und hat es damals „regelrecht verschlungen“: „Den politischen Hintergrund habe ich als Kind nicht wahrgenommen“, so erinnert sie sich heute.149

Damit wird eine für die nationalsozialistische Literaturpolitik charakteristische Tendenz deutlich, nämlich der starke Gefühlsappell, der Vorrang hat vor der Übermittlung spezifischer und genau definierter ideologischer Inhalte und beabsichtigt diffus bleibt. Zunächst wird versucht, den Leser emotional zu fesseln, um somit unterschwellig politische Handlungsanweisungen vorzubereiten. Um eine genaue Definition der eigenen Politikinhalte geht es kaum, sollen diese ja flexibel allen gesellschaftlichen Interessengruppen je nach deren Bedürfnissitu-

nen und ihn in ihr bürgerliches Zuhause integrieren (gemeinsame Treffen und Lagebesprechungen, gemeinsame Essen etc.). Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 59–65. 148 Klönne: Jugend im Dritten Reich, S. 98. 149 Adam: Lesen unter Hitler, S. 61.





2.2 Literaturpolitische Hintergründe im nationalsozialistischen Umfeld 

 113

ation angeglichen werden. Dabei bleiben die meist allgemeingültig gehaltenen Inhalte recht zeitlos. Die Verwendung bewährter kultureller Versatzstücke und deren Umfunktionierung für die eigenen politischen Zwecke, das Aufbauen auf gesellschaftlich tradierten Vorurteilen (z. B. gegenüber Juden oder dem als ‚asiatisch-fremdländisch‘ aufgefassten Kommunismus bzw. dem ‚Kulturbolschewismus‘) und das konkrete Ansprechen von Gemeinschaftssehnsüchten durch das Konzept der klassenübergreifenden ‚Volksgemeinschaft‘ sind die zentralen Mittel der nationalsozialistischen Literatur zur Gewinnung eines breiten Rezipientenkreises, der auch die Arbeiter einschließt. Die literaturpolitische Diskussion im kommunistischen Umfeld ist demgegenüber wesentlich differenzierter, die Literaturdebatten gestalten sich folglich auch nachvollziehbarer und überschaubarer. Insbesondere die Erarbeitung von Alternativen zum überkommenen bürgerlichen Kulturbegriff, also die Entwicklung eines neuartigen, ambitionierten und auf den Arbeiter zugeschnittenen Konzepts, ist beachtlich. Der Wirkungsradius einer solchen Literatur, die genaue Zielvorstellungen entwickelt und stetig versucht die aktuelle Parteilinie einzubeziehen bzw. dem Arbeiter näherzubringen, ist jedoch beschränkter, da sie sehr viel eindeutigere Aussagen zum Zielpublikum (die Arbeiterklasse und ihre Sympathisanten statt die allumgreifende ‚Volksgemeinschaft‘) und zur angestrebten Politik (internationaler Kommunismus anstelle der diffusen Formel vom ‚nationalen Sozialismus‘) macht. Auch die in den Roten Eine-Mark-Romanen immer wieder zur Sprache kommende ‚Sozialfaschismusthese‘ trägt eher zur Spaltung der Arbeiterklasse als zur Ausbreitung des Wirkungskreises der KPD bei. Wie die Romane jedoch vor dem jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergrund von der Zielgruppe der Arbeiter wahrgenommen wurden, muss keineswegs mit dem theoretischen oder propagandistischen Konzept, das die jeweiligen Ideologen zur Leserlenkung erarbeitet haben, übereinstimmen. Somit ist an dieser Stelle eine vergleichende bzw. kontrastierende Gegenüberstellung der oben vorgestellten parteipolitischen Konzepte und der tatsächlichen Rezeptionsbedingungen der Arbeiter in der Weimarer Republik unumgänglich. Dadurch soll deutlich werden, dass das theoretische, teilweise idealisierte Bild vom steuerungsfähigen Leser und den Zielgruppen oft im Gegensatz zum tatsächlichen Lektüreverhalten der Leser steht, welches durch zahlreiche Determinanten des praktischen Lebensalltags beeinflusst ist.



3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter In Abhängigkeit von dem jeweiligen zeitgeschichtlichen und ideologischen Hintergrund wurden die im Rahmen dieser Arbeit behandelten Romane ganz unterschiedlich wahrgenommen, funktionalisiert und vermittelt. Dieses Kapitel untersucht, wie sich die jeweiligen konkreten Rezeptions- und Distributionsbedingungen der Romane in der Alltagswirklichkeit der Weimarer Republik darstellten, verweist aber auch auf die Rezeption der Romane über das zeitgenössische Umfeld der Weimarer Republik hinaus, um zu verdeutlichen, wie sich vor gänzlich anderen politischen Umständen das Interesse an den Autoren und ihren Romanen verändert hat. Die Untersuchung der Rezeptionsbedingungen in der Weimarer Republik und des zeitspezifischen Lektüreverhaltens der (Arbeiter-)Leser erweist sich mitunter als kompliziert, da kaum abgesicherte Daten zu den Lektürebudgets der Arbeiter existieren und nur vereinzelt Verkaufszahlen vorhanden sind. Zwar gibt es innerhalb der Weimarer Republik erste Ansätze einer Buchmarktforschung, jedoch existieren noch keine differenzierten soziodemographischen Analysen, sondern meist beschränken sich die zeitgenössischen Untersuchungen auf lokale Nutzeranalysen in öffentlichen Bibliotheken oder auf Umfragen von Pädagogen an Schulen. Diese Studien sind nicht nur aufgrund ihrer begrenzten Reichweite mit Vorsicht zu betrachten, spiegeln sie doch häufig recht deutlich den ideologischen Standpunkt des Verfassers wider. Viele Studien scheinen zudem nicht primär daran interessiert zu sein, die Leserwünsche zu erfahren, um sie anschließend zu erfüllen, sondern sind vom bildungsbürgerlichen Gedanken der Heranführung der unteren Schichten an das vermeintlich ‚gute Buch‘ geprägt und sparen nicht mit Polemiken gegen ‚Schmutz und Schund‘. Unter diesem Vorbehalt eröffnen sie jedoch wiederum durchaus plastische Einblicke in die Auffassungen der öffentlichen Literaturvermittler, also der Bibliothekare und Lehrer.1 Dass deren

1 Levin Schücking macht ebenfalls auf die Beeinflussungsversuche der Leser durch die Volksbibliothekare aufmerksam: „Nicht immer freilich bleibt der kritische Betrachter angesichts [der] gutgemeinten Bevormundung des Kunden ohne Bedenken. Stehen die Maßstäbe der Berater so ohne Zweifel fest? Alle Hochachtung vor ihrer Abwehr von ‚Schmutz und Schund‘! Aber werden sie nicht gelegentlich, angesteckt von dem herrschenden Snobismus, der an soviel Unheil im Kunstleben schuld ist, dazu verführt, den unglücklichen, so nur in Deutschland vorhandenen Trennungsstrich zwischen der ‚großen‘ und der ihrer Meinung nach ‚bloß‘ unterhaltenden Literatur allzu scharf zu ziehen und manches, was gesunde Volkskost ist und bleiben könnte, als ‚Plüsch‘ oder ‚Schnulze‘ zu verdammen? Solchen, vielleicht nicht immer glücklichen Erziehungsversuchen, die nicht jedermanns Sache sind, erscheinen auf alle Fälle dadurch Schranken DOI 10.1515/9783110468434-004





3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter 

 115

pädagogische Absichten, insbesondere in Hinblick auf Jugendliche und Arbeiter, oftmals von den Lesern unterlaufen wurden, gestehen nicht nur die Studien teilweise mehr oder weniger selbst ein, sondern zeigt sich an einem bis weit in das ‚Dritte Reich‘ hineinragenden Konsum von ‚Schundheften‘, der sich auch durch preisgünstige belletristische Parteiliteratur nicht wie gehofft einschränken ließ. Die vielfältigen Aspekte der Rezeptionsbedingungen der Weimarer Republik spiegeln sich in Kapitel 3.1 folgendermaßen wider: Zunächst soll unter 3.1.1 ein in der Arbeiterlektüre fest verankerter Bereich – die Zeitungslektüre und die Rezeption von Fortsetzungsromanen – betrachtet werden. In 3.1.2 zeigt sich, dass vor allem die eingeschränkten Lektürebudgets der Arbeiter und die Preisgestaltung der Romane Auswirkungen auf die Anschaffungspraxis von Lektüre hatten. Sodann stehen, unter Bezugnahme auf zeitgenössische Studien, das konkrete Leseverhalten der Arbeiter sowie die bevorzugten Lektürestoffe im Fokus. Wie sich die Distributionsbedingungen und Auflagenentwicklung der Romane entwickelten, wird für die Roten Eine-Mark-Romane unter 3.1.4 und für die nationalsozialistischen Romane unter 3.1.5 behandelt. Da der Generationenkonflikt ein zentraler Diskurs der Weimarer Republik ist, wird er unter 3.1.6 separat thematisiert. Dieser Diskurs soll verdeutlichen, auf welche gesellschaftlichen Prädispositionen und tradierten Rezeptions- bzw. Interpretationsmuster die Romane aufbauen können, um wiederum ihre spezifischen parteipolitischen Deutungsmuster weiterzugeben und als allgemeingültig zu erklären. Die Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren über den Zeitzusammenhang der Weimarer Republik hinaus divergieren sehr stark, bieten aber interessante Einblicke zum einen in die Behandlung des Weimarer Erbes der proletarisch-revolutionären Romane sowie zum anderen in den Umgang mit der NS-Vergangenheit und deren Aufarbeitung. In diesem Kontext soll unter 3.2.1 zunächst die Seite der proletarisch-revolutionären Romane betrachtet werden, da besonders im geteilten Deutschland jeweils ein ganz unterschiedliches Potenzial der Romane eine Reaktivierung erfährt. Die nationalsozialistischen Romane werden nach 1945 im Zuge der Entnazifizierung nicht wieder aufgelegt. Trotzdem lässt sich eine erstaunliche Kontinuität der nationalsozialistischen Schriftsteller feststellen, die mit vielen ihrer Titel, die (zumindest rein äußerlich) nicht offen nationalsozialistisch sind, auch in der Nachkriegszeit teilweise enorme Erfolge verbuchen. Diese problematische Kontinuität, aber auch den von Zwiespältig-

gesetzt, daß in der Regel neben der Volksbibliothek die rein kaufmännisch betriebene Leihbibliothek besteht, die ihre Erziehungsversuche dadurch zuschanden macht, daß sie ziemlich wahllos alles Gewünschte ausfolgt.“ Levin Ludwig Schücking: Soziologie der literarischen Geschmacksbildung. 3., neu bearbeitete Auflage. Bern/München 1961, S. 102. [Erstauflage: München 1923.]



116 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

keiten geprägten gegenwärtigen Umgang mit den Originaltexten der NS-Literatur gilt es unter 3.2.2 zu verfolgen.

3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik Vor dem Hintergrund der sich rasch ausbreitenden modernen Massenmedien wie Rundfunk und Film und der expandierenden Einwohnerzahlen in Großstädten, die einerseits Schauplatz zunehmender Massenverelendung, andererseits mit modernen Kaufhäusern Sinnbild von Massenkonsum und Werbung sind, entwickelt sich im öffentlichen Bewusstsein ein sehr ambivalentes Verhältnis zur Moderne und zu Massenphänomenen. Deren gesellschaftliche Chancen und Bedrohungen werden nicht nur von Wissenschaftlern und Publizisten wahrgenommen und schlagen sich in epochemachenden theoretischen Diskursen, wie Sigmund Freuds Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921), Siegfried Kracauers Das Ornament der Masse (1927) oder José Ortega y Gassets La rebelión de las masas (1929) nieder2, sondern manifestieren sich vor allem in der konkreten Lebenswirklichkeit der Menschen in Großstädten. Zudem ist die politische Organisation von Massen seit jeher ein zentrales Mittel der Politik, um sich Herrschaft zu verschaffen und/oder diese zu legitimieren. Die Entstehung einer Massenkultur birgt dabei zahlreiche Chancen, aber auch Herausforderungen für die politischen Eliten zur Ansprache und Anwerbung der Massen. Im Rahmen der vielfältigen sich bietenden Möglichkeiten von Massenversammlungen über Massenpresse, Plakate, Flugzettel, Radio, Fernsehen bis hin zu parteipolitisch organisierten Feiern und Freizeitangeboten, Jugendorganisationen etc. konzentriert sich die Ansprache des Publikums nicht nur auf ein Medium, sondern unterschiedliche Propagandaformen werden zumeist komplementär in Form von Schrift, gesprochenem Wort und sinnlicher Erfahrbarkeit eingesetzt, um eine möglichst umfassende und intensive Wirkung zu erreichen. Doch warum bedienten sich die Propagandisten von linker wie von rechter Seite ausgerechnet des Romans zur Umsetzung politischer Ziele und zur

2 Vgl. Sigmund Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse. Leipzig [u. a.] 1921. Vgl. Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse. In: Ders.: Das Ornament der Masse. Essays. 2.  Auflage. Frankfurt a. M. 1984, S. 50–63. [Der Essay Das Ornament der Masse erschien ursprünglich in der Frankfurter Zeitung vom 9./10. Juni 1927.] Vgl. José Ortega y Gasset: Der Aufstand der Massen [span.: La rebelión de las masas. Madrid 1929]. Übersetzt von Helene Weyl. Reinbek bei Hamburg 1930.





3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 117

Beeinflussung ihres Publikums? Wer waren die Leser, die sich unter dem diffusen Begriff der ‚Masse‘ von der auf sie zugeschnittenen parteipolitischen Belletristik in der Praxis angesprochen fühlten? Waren die jeweiligen Konzepte der Romane überhaupt massentauglich?

3.1.1 Zur Bedeutung der Zeitungslektüre im Arbeiterumfeld Vor allem in der Arbeiterbewegung hatte die Parteipresse eine lange Tradition und war Ausdruck des Gruppenbewusstseins.3 Lenin hob sie als probates Mittel zur politischen Erziehung der Massen hervor und betrachtete die Zeitung als „kollektive[n] Propagandist[en] und […] Agitator […] [sowie] Organisator“4. Im proletarischen Alltag spielte die Zeitung eine große Rolle, nicht zuletzt da ihr eine Mittlerfunktion zwischen politischer Theorie und Praxis zukam. Mallmann verdeutlicht diese Aufgaben der kommunistischen Parteipresse sehr anschaulich: War das Netz der links-proletarischen Arbeitervereine und freien Gewerkschaften das eher affektiv-sozial wirksame Korsett von Milieuzusammenhängen, so bildete insbesondere das gedruckte Wort des Parteiblattes deren kognitive Stütze. Als sinnstiftendem Integrationsfaktor und als Vermittlungsinstanz zwischen Weltbild und Alltagspolitik fiel der Presse – vor allem der Tageszeitung  – damit eine überaus wichtige Orientierungs- und Normierungsfunktion zu. Wer umgekehrt regelmäßig einen Teil seines kargen Einkommens darauf verwandte, sich deren Lektüre zu ermöglichen, brachte damit – so darf unterstellt werden – ein hohes Maß an weltanschaulicher Übereinstimmung zum Ausdruck.5

Die Nationalsozialisten erwiesen sich jedoch der Wirkung des geschriebenen Wortes gegenüber als skeptischer. Der Fokus lag hier nicht auf dem ideologisch geschulten Parteimitglied, vielmehr ging es Goebbels in seinem ‚Kampfblatt‘ Der Angriff darum, die Leserschaft komplementär zur Massenversammlung emotional zu mobilisieren. Darauf verweist auch Gerhard Paul: „Zeitungen waren für Goebbels die schriftliche Fortsetzung der suggestiv-rhetorischen Agitation. In

3 Vgl. Erich Schön: Geschichte des Lesens. In: Handbuch Lesen. Hg. v. Bodo Franzmann [u. a.]. München 1999, S. 53. 4 W.[ladimir] I.[ljitsch] Lenin: Womit beginnen? In: W. I. Lenin. Werke. Band 5: Mai 1901–Februar 1902. Ins Deutsche übertragen nach der vierten russischen Ausgabe. Deutsche Ausgabe besorgt vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED. 5.  Auflage. Berlin (Ost) 1971, S. 5–13 [hier: S. 11]. Zuerst abgedruckt in: Iskra (Mai 1901), Nr. 4, Titelseite. [Sinngemäße Ergänzung durch Michaela Menger.] 5 Klaus-Michael Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung. Darmstadt 1996, S. 213–214.



118 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

ihnen setzte sich die Rhetorik der Straße und des Saales mit anderen publizistischen Mitteln fort.“6 Insbesondere Hitler entwirft ein allumfassendes Propagandakonzept, wenn er betont, dass „von der Fibel des Kindes angefangen bis zur letzten Zeitung, jedes Theater und jedes Kino, jede Plakatsäule und jede freie Bretterwand“7 für die nationalsozialistische Propaganda dienstbar gemacht werden müsse. Dieses Zitat zeigt bereits eine Funktionalisierung nicht nur der Publizistik, sondern der gesamten Breite der Unterhaltungsmedien zur politischen Beeinflussung auf. Einer solchen Verbindung von politischer Information und Unterhaltung diente vor allem das tägliche Ritual der Zeitungslektüre, denn neben informativen Reportagen publizierten die Zeitungen zumeist auf der Feuilletonseite auch belletristische Fortsetzungsromane oder Leseproben, oft als Werbemaßnahmen vor deren tatsächlichen Veröffentlichung. Dabei reicherten sich politische Informationsaufnahme sowie fiktionale Unterhaltung durchaus gegenseitig an, wie Klotz beschreibt: Die Feuilletonromane wurden auch mit anderer Einstellung gelesen, als wenn sie fix und fertig im isolierten Buch dahergekommen wären. Sie erschienen in unmittelbarer Nachbarschaft mit anderen Informationen der Zeitung. In der Umgebung von Werbeanzeigen, politischen Tagesmeldungen, Skandalberichten aus dem Gesellschaftsleben. Was in diesem redaktionellen Umkreis als Roman erzählt wird, verschafft dem Leser einen prickelnden Wirklichkeitsgeschmack. Es gewinnt etwas vom Authentizitätsanspruch der faktensatten Nachrichten drumherum. Und umgekehrt gibt es seinerseits dieser Nachrichtenumgebung etwas vom eigenen abenteuerlichen Gepräge.8

Diese Verbindung kam den Arbeitern durchaus entgegen, denn ein Zeitungsabonnement konnten sie sich eher leisten als die Anschaffung mehrerer Bücher, sodass sie viele Unterhaltungsromane nur aus den Zeitungen kannten.9 Der zeitgenössischen Studie von Willy Gensch zufolge waren die Zeitungsromane insbesondere für Heranwachsende besonders attraktiv; deren Lektüre trat bereits zwischen dem zehnten und elften Lebensjahr auf.10 Gensch verweist daher darauf,

6 Gerhard Paul: Aufstand der Bilder. Die NS-Propaganda vor 1933. 2. Auflage. Bonn 1992, S. 182. 7 Hitler: Mein Kampf, S. 715. 8 Klotz: Abenteuer-Romane, S. 30. 9 Vgl. Ute Schneider: Buchkäufer und Leserschaft. In: Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 2: Die Weimarer Republik 1918–1933. Hg. v. Ernst Fischer und Stephan Füssel. München 2007, S. 160. 10 Vgl. Willy Gensch: Was liest unsere Jugend? Ergebnisse einer Umfrage. In: Was liest unsere Jugend? Ergebnisse von Feststellungen an Schulen aller Gattungen und Erziehungsanstalten sowie bei Jugendorganisationen und Jugendlichen. Bearbeitet von Hertha Siemering, Erna Barschak, Willy Gensch. Berlin 1930, S. 74.





3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 119

dass die Zeitungsromane fast die gesamte Familie erreichten: „Diese Romane bilden den Gesprächsstoff der Erwachsenen und sind deshalb für die Jugend besonders anziehend. […] Der Zeitungsroman ist noch die einzige gemeinsame geistige Familiennahrung.“11 Die breite Reichweite von Zeitungsromanen sowie die Verschränkung von Informations- und Unterhaltungsbedürfnis wussten natürlich auch die Verfasser und Verleger politischer Belletristik geschickt zu nutzen, indem sie die Verwischung der Ebenen von Fiktionalität und Faktizität gezielt zur politischen Beeinflussung instrumentalisierten. So erschienen viele der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Romane als Fortsetzungsromane. Der Rote Eine-Mark-Roman Sturm auf Essen (Bd. 1) wurde 1930 in der Roten Fahne abgedruckt, S.S. Utah (Bd. 9) folgte 1932.12 Maria und der Paragraph (Bd. 5) erschien ab Januar 1931 in der Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ).13 Von den hier behandelten nationalsozialistischen Romanen wurde Der Hitlerjunge Quex vom 01./02.01.1933 bis 24.02.1933 im Völkischen Beobachter publiziert; fast zeitgleich, im Januar 1933 erschien in Österreich der werbewirksame Abdruck eines Kapitels aus dem Buch in Der junge Sturmtrupp. Kampfblatt der österreichischen Hitlerjugend.14 Damit dienten die Zeitungen auch als Werbeträger für Verlag und Sortiment, was sich nicht nur an den Feuilletonromanen ablesen lässt, die immer wieder auf die im Handel erhältliche Buchausgabe verweisen, sondern auch an den zahlreichen Werbeanzeigen für die einzelnen Autoren und Reihen. Bei einer Befragung nannten sogar über 20 Prozent der Teilnehmer die vorherige Kenntnis des Werkes, möglicherweise durch den Fortsetzungsroman in der Zeitung, als Kriterium für dessen Kauf.15 Weitere Motive für den Kauf eines Romans waren der Einfluss des Sozialmilieus, also Empfehlungen durch Freunde und Bekannte, die vorherige Kenntnis anderer Werke eines Autors sowie preislich besonders erschwingli-

11 Gensch: Was liest unsere Jugend?, S. 75. 12 Vgl. Manfred Brauneck: Revolutionäre Presse und Feuilleton. „Die Rote Fahne“ das zentrale Organ der kommunistischen Partei Deutschlands (1918–1933). In: Die Rote Fahne. Kritik, Theorie, Feuilleton 1918–1933. Hg. v. Manfred Brauneck. München 1973, S. 24. 13 Vgl. Rohrwasser: Saubere Mädel – Starke Genossen, S. 155 [Fußnote 14]. 14 Abgedruckt ist Kapitel 5, Abschnitt 5, aus dem Originalroman. Die Passage schildert Heinis Krankenhausaufenthalt und den Besuch des Kameradschaftsführers Kaß. Kaß thematisiert am Krankenbett den Selbstmordversuch von Heinis Mutter. Im Ankündigungstext wird Der Hitlerjunge Quex als „vorzüglicher“ Roman charakterisiert; es wird darauf verwiesen, dass der Roman in Wien und Linz erhältlich sei. Vgl. Karl Aloys Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex [Ausschnitt: Kapitel 5, Abschnitt 5]. In: Der junge Sturmtrupp. Kampfblatt der österreichischen Hitlerjugend. Januar 1933 (Folge 2) [o.S.]. (Quelle: Bundesarchiv NS 26: Hauptarchiv der NSDAP/356) 15 Vgl. Schneider: Buchkäufer und Leserschaft, S. 156.



120 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

che Auflagen.16 Im Folgenden soll zunächst der Aspekt der Preisgestaltung und dessen Einfluss auf die Anschaffungs- und Lektürepraxis der Romane näher beleuchtet werden.

3.1.2 Lektürebudgets der Arbeiter und Preisgestaltung der Romane Dem überwiegenden Teil der Arbeiterhaushalte (durchschnittlich 4–5 Personen), deren Jahreseinkommen sich größtenteils auf unter 4300 Reichsmark (RM) belief, standen höchstens 1,8 Prozent des Jahreseinkommens, also maximal etwa 45 RM pro Jahr für Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Schulbücher, -materialien und Fortbildungen zur Verfügung.17 Bei einem durchschnittlichen Buchpreis von 5–6 RM18 wird damit der Kauf eines Romans bereits eine Investition, die sicherlich wohl überlegt wurde. Für innerhalb des Parteiumfeldes der KPD vertriebene Literatur, zu der der Rote Eine-Mark-Roman aufgrund seiner spezifischen Distributionsbedingungen bzw. -einschränkungen gezählt werden kann, gibt es für den Umsatz von politischer Literatur Angaben von 32 bis 4 Pfennig pro Mitglied im Monat.19 Dies spricht dafür, dass sich trotz relativ günstiger Preise nicht jeder ein eigenes Exemplar leisten konnte. Um das Zielpublikum der Arbeiter zu erreichen, mussten also die Verleger der politischen Belletristik insbesondere finanziell erschwingliche Romane herausgeben, diesbezüglich standen sie am Buchmarkt in Konkurrenz zu den billigen Reihen und zu ‚Volksausgaben‘. Die zeitgenössische Studie von Willy Gensch, die zwar terminologisch normativ zwischen „Schund“ und „guten Jugendschriften“ unterscheidet und deren Untersuchungsinteresse so implizit in der Hinführung zur ‚guten‘ Lektüre liegt, ist jedoch, was die allgemeinen Eckdaten anbelangt, sehr aufschlussreich. Die Studie betont, dass die Warenhäuser mit dem Vertrieb erschwinglicher Ausgaben „die wichtigste Quelle für die Versorgung mit Büchern“20 seien und gibt einen Durchschnittspreis von 1,65 RM bis 2,85 RM für die ‚Volksausgaben‘ an.21

16 Vgl. Schneider: Buchkäufer und Leserschaft, S. 157. 17 Vgl. Ute Schneider: Lektürebudgets in Privathaushalten der zwanziger Jahre. In: GutenbergJahrbuch 71 (1996), S. 343. 18 Vgl. Schneider: Lektürebudgets in Privathaushalten der zwanziger Jahre, S. 349. 19 Vgl. Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 217. 20 Gensch: Was liest unsere Jugend?, S. 76. 21 Vgl. Gensch: Was liest unsere Jugend?, S. 76. Vor allem der Knaur- sowie der Fischer- und der Insel-Verlag hoben sich mit der Tendenz, „Kulturbücher“ wie Thomas Manns Buddenbrooks auch als preiswerte „Massenbücher“ zu produzieren und so einen breiteren Publikum deren



3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 121

Buchpreis in RM

Übersicht über die Preisgestaltung der Romane 6,5 6 5,5 5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0

Mindestpreis höherwertige Ausstattung

Durchschnittspreis eines Buches in der Weimarer Republik

preiswerte 'Volksausgaben' der Verlagsbuchhandlungen (z.B. Knaur-, Fischer-, Insel-Verlag)

Diagramm 1: Übersicht über die Preisgestaltung der Romane

Im Vergleich dazu liegen die Roten Eine-Mark-Romane (1 RM), die Schulausgaben von Gruppe Bosemüller und Der Hitlerjunge Quex (von 0,30 RM bis 1,40 RM) sowie die Konjunkturtitel von Viera (je 1,50 RM) preislich weit unter dem Durchschnitt (vgl. Diagramm 1), was durch die überwiegend kartonierte Ausstattung und den geringen Umfang der Lesehefte, der 150 Seiten kaum überschreitet, begründet werden kann.22 Doch auch die hier behandelten gebunden Romane größeren Umfangs, Der Hitlerjunge Quex (264 Seiten, 2,85–3,75 RM) und Gruppe Bosemüller (332 Seiten, 4,50–5,80 RM), überschreiten den durchschnittlichen Buchpreis der Weimarer Republik nicht, liegen jedoch in einem für die Arbeiter weit weniger erschwinglichen Bereich. In diesem Fall können insbesondere die Schulausgaben dazu beigetragen haben, Interesse an der regulären Ausgabe zu wecken und

Kauf zu ermöglichen, hervor. Vgl. dazu: Füssel: Das Buch in der Medienkonkurrenz der zwanziger Jahre, S. 333–334. 22 Angaben zu Preisen und Ausstattung aus: Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums 1911–1965. Hg. v. Reinhard Oberschelp. 150 Bände. München 1976–1981. Diese Angaben wurden abgeglichen mit den Angaben des Online-Katalogs der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) sowie mit vereinzelten Angaben in den Büchern selbst und in Werbeanzeigen. Eine detaillierte Aufstellung der Preise und Ausstattungen findet sich in Anhang I.

122 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

regten eventuell dazu an, im Rahmen der Familienlektüre in diese zu investieren. Spätestens ab 1933 zeichnete sich auch seitens der Nationalsozialisten eine verstärkte Bemühung um das „billige[ ] Schrifttum für junge Deutsche“23 ab, die damit vor allem versuchten, dem preiswerten ‚Konjunkturschrifttum‘ sowie allen anderen ‚Schund- und Schmutzerscheinungen‘ entgegenzuwirken. Eduard Rothemund vom NSLB verweist darauf, dass auch der Lehrer „immer wieder nach guten billigen Ausgaben Ausschau halten [muß], die sich jeder Schüler für wenige Pfennige beschaffen kann“24 und setzt eine obere Preisgrenze von 1,25 RM an.25 Die Gruppe Bosemüller wurde bereits ab 1931 in Form einer preiswerten Schulausgabe herausgegeben und im Unterricht behandelt,26 die umfangreichere, 1930 erschienene Originalausgabe befand sich sicher zu diesem Zeitpunkt bereits in den Schul- und Leihbibliotheken und konnte dort zu einem geringen Preis ausgeliehen werden. Das Lektüreverhalten, insbesondere der unteren Einkommensklassen, ist somit nicht alleine an den Verkaufszahlen von Büchern festzumachen, denn in diesem Bereich gab es insgesamt mehr Leser, die Bücher in öffentlichen Volksoder kommerziellen Leihbibliotheken sowie in Arbeiterbibliotheken ausliehen und die ihre Lesestoffe untereinander tauschten. Daher rechnet auch Die Linkskurve mit etwa drei Lesern pro Rote Eine-Mark-Roman27, was darüber hinaus durchaus daran lag, dass bei der Anschaffung eines Buches die gesamte Familie darin las. Somit bedingt vor allem die ökonomische Situation eine altersgrenzenüberschreitende Rezeption der Romane. Ein weiteres Argument, das gegen die reine Betrachtung der Verkaufszahlen spricht ist, dass der Absatz kolportagear-

23 Vgl. folgende vom NSLB herausgegebene Broschüre mit preisgünstigen Lektüreempfehlungen: Deutsches Wesen und Schicksal. Billiges Schrifttum für junge Deutsche. Hg. v. der Reichswaltung des NS-Lehrerbundes. Bayreuth 1936. 24 Eduard Rothemund: Der Weltkrieg im Spiegel des billigen Schrifttums. In: JugendschriftenWarte 40 (1935), H. 8, S. 53. 25 Vgl. Rothemund: Der Weltkrieg im Spiegel des billigen Schrifttums, S. 53. 26 Vgl. die Übersicht von Vorwald, die anhand der Jahresberichte der höheren Landesanstalten Preußens nachweist, dass Gruppe Bosemüller ab dem Schuljahr 1931/2 behandelt wurde. Vgl. Vorwald: Kriegsliteratur im Unterricht zwischen 1929 und 1939 und Werner Beumelburgs Roman „Die Gruppe Bosemüller“, S. 104–107. 27 Vgl. Anonymus: Grosse Zensur-Koalition. In: Die Linkskurve 3 (1931a), H. 9, S. 28: „Herr Hugenberg lässt in seiner ‚Nachtausgabe‘ vom 16. August neben einer widerlichen Hetze gegen Klaus Neukrantz (‚Barrikaden am Wedding‘) die Verhaftung unseres Genossen Marchwitza, ‚des schlimmsten Mordhetzers gegen die Schutzpolizei‘ bei gleichzeitigem Verbot seines Romans ‚Sturm auf Essen‘ fordern. […] Aber 15000 Exemplare sind bereits verkauft; das heißt: mindestens 50000 Menschen haben es gelesen. Und Bücher, vor allem gute Bücher, wirft man ja nicht achtlos fort.“



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 123

tig vertriebener (Heftchen-)Literatur nicht in die Verkaufs- und Leihstatistiken einging, auch in zeitgenössischen Studien wird jedoch betont, dass die Dunkelziffer im Bereich der Kolportage sehr hoch sei.28 Insbesondere Adam zieht bezüglich des Status der damaligen Buchausleihe einen plastischen Vergleich zur heutigen Unterhaltungskultur, wenn er betont, dass „[d]ie Leihbücherei der zwanziger bis fünfziger Jahre als Umschlagsplatz für Unterhaltungskultur der Videothek von heute [entsprach]“29. Überraschen mag, dass die ‚neuen Konkurrenzmedien‘ wie Film und Rundfunk nicht von jedem Arbeiter in Anspruch genommen wurden; am traditionellen Medium des Buches partizipierten aber alle, wobei die Ausgaben für Bücher und Presseerzeugnisse die anderen Bildungsausgaben in Arbeiterhaushalten überragten:30 Man muß hierbei auch berücksichtigen, daß 100 % der Arbeiterhaushalte Belastungen für Lektüre aufwiesen, aber nur 20 % der Haushalte für Rundfunk und nur 58 % der Haushalte für Kino (54 % für Sport, 62 % für Theater und Konzerte), an den neuen Medien rezipierte also nur ein Teil der Haushalte, am traditionellen Medium jedoch alle.31

Daher erscheint die Funktionalisierung des Romans zur politischen Beeinflussung des Arbeiters als ein durchaus folgerichtiges Instrument, verspricht dieses Medium doch eine breite Reichweite. Die Propagandisten erhofften sich durch die Romane und die ihnen inhärente Verbindung von Unterhaltung und politischer Information weitgehendere und umfassendere Möglichkeiten der unbewussten und unterschwelligen Beeinflussung als durch politische Broschüren und Flugblätter. Außerdem sollte mittels der Anwendung populärer Schemata potenziellen Neumitgliedern die Identifikation mit den ideologischen Inhalten und die Notwendigkeit sich der heldenhaft kämpfenden Partei anzuschließen eindringlich vermittelt werden. Das Vordringen ideologischer Inhalte in den Privatbereich

28 Vgl. Gensch: Was liest unsere Jugend?, S. 108–109: „Der eigentliche Schund, der auch bei den Mädchen auftritt, wird von jeder Schule oder Lebensgemeinschaft angegeben, durch die Unterbewertung im eigenen Bewußtsein werden die Angaben aber nicht entsprechend dem wirklichen Umfange gemacht. […] Bücher haben eine sehr lange Lebensdauer, auch wenn sie längst im Handel vergriffen sind.“ Vgl. auch Schneider: Buchkäufer und Leserschaft, S. 175: „Völlig aus dem Blickfeld bleibt in den zeitgenössischen Studien der Umgang der Arbeiter mit Kolportageliteratur.“ 29 Adam: Lesen unter Hitler, S. 64. 30 Vgl. Schneider: Lektürebudgets in Privathaushalten der zwanziger Jahre, S. 344–345 [insbesondere Abb. 1 und 2]. 31 Schneider: Lektürebudgets in Privathaushalten der zwanziger Jahre, S. 345.



124 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

der Freizeitlektüre sowie die anschließende Diskussion mit ‚Gleichgesinnten‘ war dabei durchaus einkalkuliert.

3.1.3 Lektüreverhalten der Arbeiter in der Weimarer Republik Die Ausführungen zu den Lektürebudgets und den Zeitungsromanen thematisieren vorwiegend die finanziellen Rahmenbedingungen und deren Auswirkungen auf die Lektürepraxis. Doch wie sah das konkrete Lektüreverhalten der Arbeiter in der Weimarer Republik aus und welche Lesestoffe erreichten vor allem ihr Interesse? Sozialkritische Prosa von Upton Sinclair, Émile Zola oder B. Traven stand bei den Arbeitern hoch im Kurs, ansonsten lasen sie im belletristischen Bereich jedoch ähnliche Titel wie die bürgerlichen Leser,32 so dass „das Lektüreverhalten der großen Masse offenbar nicht so stark von dem des Kleinbürgertums verschieden war, wie man dies entsprechend dem farbigen Bild der kulturellen Aktivitäten der Gewerkschaften und linken Parteien (vom Theater bis zu Buchgemeinschaften) annehmen könnte“33. Siegfried Kracauer formuliert dies aus zeitgenössischer Perspektive noch drastischer: „Das Proletariat greift in der Hauptsache zu Büchern abgestempelten Inhalts oder liest nach, was ihm die Bürgerlichen schon vorgelesen haben.“34 Zwar gaben Gewerkschafts- und Parteimitglieder tendenziell mehr Geld für politische Literatur aus, wie Reuveni betont: However, the considerable outlay on membership dues for various unions and organizations, particularly among the low-waged, indicates that in addition to a daily paper or light magazines reading material with a pronounced political character also formed part of these classes’ reading menu.35

Jedoch zeichnete sich seit den zwanziger Jahren eine erhebliche Pluralisierung der Lebensstile der Arbeiterschaft ab, sodass weniger die Klassenunterschiede,

32 Vgl. Fritz Erpenbeck: Leihbibliothek am Wedding, S. 14. Vgl. Schneider: Buchkäufer und Leserschaft, S. 165–166. Vgl. Dieter Langewiesche und Klaus Schönhoven: Arbeiterbibliotheken und Arbeiterlektüre im Wilhelminischen Deutschland. In: Archiv für Sozialgeschichte 16 (1976), S. 198–199. 33 Schön: Geschichte des Lesens, S. 55. 34 Siegfried Kracauer: Über Erfolgsbücher und ihr Publikum. In: Ders.: Das Ornament der Masse. Essays. 2. Auflage. Frankfurt a. M. 1984, S. 67. Der Essay Über Erfolgsbücher und ihr Publikum erschien ursprünglich in der Frankfurter Zeitung vom 27.06.1931. 35 Gideon Reuveni: Reading Germany. Literature and Consumer Culture in Germany before 1933. New York/Oxford 2006, S. 91.



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 125

sondern eher Alter und Geschlecht den Lesegeschmack beeinflussten.36 Die Leserprofile verschwammen also zusehends, es gab „nicht mehr wie früher eine verhältnismäßig in sich geschlossene Klasse, sondern eine Mannigfaltigkeit von Schichten, die sich von der Großbourgeoisie bis herab zum Proletariat erstreck[t]en“37, so Kracauer. Differenzierungen nach Geschlecht und Alter nimmt zwar auch Erich Thier am Rande seiner umfangreichen Studie Gestaltwandel des Arbeiters im Spiegel seiner Lektüre vor, im Fokus steht jedoch der erwachsene männliche Leser aus der Arbeiterschaft, den er dem Leser aus dem Bürgertum gegenüberstellt.38 Zwar versucht Thier zunächst ein relativ differenziertes Bild der Leseinteressen der Arbeiter zu zeichnen, indem er sie je nach Leseanteil an Schöner und belehrender Literatur in 5 Lesetypen einteilt,39 seine abschließenden Schlussfolgerungen laufen einer Aufrechterhaltung der partikularen Leseinteressen der Arbeiter jedoch nahezu diametral entgegen. Thier legt den Fokus seiner Studie auf den männlichen Arbeiter und dessen Vorlieben für Abenteuer- und Kriegsliteratur. Diese Schwerpunktsetzung bei der Interpretation der bereits 1922–1926 erhobenen Daten, die um Daten von 1929–1932 erweitert wurden, verwundert nicht, betrachtet man den Veröffentlichungszeitpunkt 1939 sowie vor allem das explizit nationalsozialistisch geprägte Vor- und Nachwort. Letztendlich läuft in der Schlussbemerkung der Studie alles darauf hinaus, den Weg des Arbeiters in die nationalsozialistische ‚Volksgemeinschaft‘ zu demonstrieren, der nach Thier teilweise sogar schon in der Weimarer Republik vorgezeichnet gewesen sei.40 Die (Re-)Interpretation der in der Weimarer Republik erhobenen Daten führt vom Standpunkt des ‚Dritten Reiches‘ aus zu folgendem Fazit: In der Zeit des wiedergewonnenen Volkszusammenhangs sind die Voraussetzungen dafür gegeben, daß zwischen diesen Schichtungen [von Arbeiterschicksal und Bürgerschicksal

36 Vgl. Reuveni: Reading Germany, S. 231: „[…] class-related effects are less pronounced than gender or generational differences.“ Vgl. Schneider: Buchkäufer und Leserschaft, S. 173. 37 Kracauer: Über Erfolgsbücher und ihr Publikum, S. 67. 38 Vgl. Erich Thier: Gestaltwandel des Arbeiters im Spiegel seiner Lektüre. Ein Beitrag zu Volkskunde und Leserführung. Leipzig 1939, S. 16–19 [zum Altersaufbau], S. 19–21 [zur Arbeiterleserin: „Die Frau aus Arbeiterkreisen hat mit ihrer Kameradin aus bürgerlichen Kreisen in ihrer Lektüre beinahe alles, mit ihrem Mann aber nur sehr wenig gemeinsam.“]. 39 Thier: Gestaltwandel des Arbeiters im Spiegel seiner Lektüre, Anhang, Tabelle 2: Thier unterscheidet zwischen folgenden 5 Typen der Arbeiterleser (AL): 1.) AL-„Techniker“, 2.) AL„Naturkundler“, 3.) AL-„Bildungsbeflissene“, 4.) AL-„Politiker“, 5.) AL-„Unentschiedene“. 40 Vgl. u. a. das folgende Unterkapitel in Thier: Gestaltwandel des Arbeiters im Spiegel seiner Lektüre, S. 161–163: „Arbeiterschicksal und Bürgerschicksal wurzeln im gemeinsamen Volksschicksal“.



126 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

bzw. „Laienschaft“ und „Akademikern“] sinnvolle und geordnete Beziehungen hergestellt werden. Der Nationalsozialismus steht ja nicht nur gegen die Klassenspaltung, sondern auch gegen die volksfremde Bildung im Kampf. Er ebnet damit von zwei Seiten her den Weg des Arbeiters ins Volksganze, auf dessen erste Stationen die leserkundliche Untersuchung verweisen konnte.41

Die ‚ordnende Macht‘, der sich alle partikularen (Lese-)Interessen auf dem Weg zu einer äußerlich homogenisierten ‚Volksgemeinschaftskultur‘ zu unterwerfen haben, ist – wie aus dem Zitat eindeutig hervorgeht – der Nationalsozialismus, der auf diese Weise eben nicht versucht, die diversen „Schichtungen“ bzw. Klassen aufzuheben, sondern deren Unterschiede zu verschleiern. Auch die Kampfansage an „volksfremde Bildung“ bedeutet schließlich nicht mehr als eine anti-intellektualistische Absage an einen emanzipierten und individualistisch geprägten Leser sowie an alle Werke die qua nationalsozialistischer Deutungshoheit als ‚volksfremd‘ gelten. Dabei haben die Volksbibliothekare der „werdenden Neugestaltung des deutschen Menschen [zu] dienen“42. Letztendlich drückt sich auch hier deutlich das negative Verständnis der Nationalsozialisten von der formbaren, passiven und führungsbedürftigen Masse aus. Dass die Nationalsozialisten auch mit einem Heer geschulter Volksbibliothekare nicht gegen den verbreiteten Geschmack der Masse ankommen konnten, zeigen die Groschenhefte aus dem Kaiserreich und der Weimarer Republik, die bis zum Zweiten Weltkrieg im Umlauf waren, und vor allem das ‚unpolitische‘ Unterhaltungsbedürfnis der kriegsgeschüttelten Bevölkerung auf.43 Insbesondere Kinder und Jugendliche, die einerseits bewahrend von ‚Schmutz und Schund‘ ferngehalten werden sollten, andererseits zur Zielscheibe für die unterschiedlichen weltanschaulichen und politischen Programme der radikalen Parteien und ihrer reformerischen Vision vom ‚neuen Menschen‘ wurden, galten im positiven wie im negativen Sinne als leicht form- bzw. beeinflussbar. Dabei herrschte jedoch auch bei den jugendlichen Lesern eine zunehmende Tendenz zur Individualisierung und Differenzierung in der Lektüreauswahl vor. Hier hatten vor allem ‚private‘ Lektüreempfehlungen von Freunden und Gleichaltrigen (oft verbunden mit dem Austausch der gemeinsamen Lesestoffe), also die Empfehlungen der Peer-Groups, mehr Einfluss auf das Leseverhalten Jugendlicher als alle anderen direkten ‚öffentlichen‘ Einwirkungsversuche durch Bibliothekare, Lehrer oder Jugendorganisationen – und das bis ins ‚Dritte Reich‘

41 Thier: Gestaltwandel des Arbeiters im Spiegel seiner Lektüre, S. 162–163 [sinngemäße Ergänzung durch Michaela Menger]. 42 Thier: Gestaltwandel des Arbeiters im Spiegel seiner Lektüre, S. 174. 43 Vgl. Josting: Der ‚Schmutz- und Schundkampf‘ im „Dritten Reich“, S. 35.



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 127

hinein.44 Doch gilt diesbezüglich zu bedenken, dass wenn es der politischen Belletristik erst einmal gelingt in die spezifischen Sozialmilieus der Jugendlichen einzudringen und sie die Geschmacksträger der Peer-Groups erreicht, sich durchaus Multiplikationseffekte für politische Romane einstellen können, die durch persönliche Weiterempfehlungen im Privatbereich unter Umständen einen weitaus größeren ‚Werbeeffekt‘ erzielen als die öffentliche Ansprache durch Parteivertreter oder Pädagogen. Insgesamt lasen Kinder und Jugendliche gleichermaßen Jugend- wie Erwachsenenbücher, wobei sich unter den männlichen Jugendlichen eine Vorliebe für Abenteuerbücher abzeichnete.45 Aus zeitgenössischer Perspektive verweist Dinse auf den Aspekt des Cross-Readings wenn er betont, „dass die Jugendlichen eine Unterscheidung von Jugendschrift und Erwachsenenlektüre nicht kennen oder anerkennen.“46 Schneider bemerkt darüber hinaus zum Leseverhalten Jugendlicher: „Gelesen wurde von den Kindern und Jugendlichen überraschenderweise alles, ‚was erreichbar war‘. Kolportageliteratur, Zeitungsromane (sehr beliebt), sogenannte ‚Schundromane‘ sowie ‚gute Literatur‘ wurden nebeneinander gelesen.“47 Insbesondere die Studie von Gensch verweist auf dieses Nebeneinander von ‚guter‘ Literatur und ‚Schundheften‘ und macht sich keine Illusionen über die massenhafte Verbreitung der von Pädagogen so missbilligten Lesehefte, bei denen die Angabe der Lektüre im Rahmen von Umfragen „meist nicht entsprechend dem wirklichen Umfange“48 gemacht werde, sowie über die lange Lebensdauer der entsprechenden Lesestoffe, auch wenn diese bereits im Handel vergriffen seien.49 In toto stellt die Studie zwar weltanschauliche Beeinflussungsversuche durch kommunistische Literatur an „Volksschulen in Industriestädten“50 sowie durch nationalsozialistische Lektüre an höheren Schulen fest, kommt jedoch zu dem abschließenden Urteil: „Weltanschauliche Beeinflussung ist unwesentlich.“51 Gensch unterlegt diese Einschätzung mit einem Verweis auf die angeblich oft nur äußerliche politische Haltung der Kinder und Jugendlichen, die diese nutzen würden, um ihre ‚wahren‘ Motive für die Lektüre zu verdecken:

44 Vgl. Christa Kamenetsky: Children’s Literature in Hitler’s Germany. The Cultural Policy of National Socialism. Athens (Ohio)/London 1984, S. 293. 45 Vgl. Schneider: Buchkäufer und Leserschaft, S. 170, 172. 46 Robert Dinse: Das Freizeitleben der Großstadtjugend. Berlin 1932, S. 47. 47 Schneider: Buchkäufer und Leserschaft, S. 171. 48 Gensch: Was liest unsere Jugend?, S. 108. 49 Vgl. Gensch: Was liest unsere Jugend?, S. 108–109. 50 Gensch: Was liest unsere Jugend?, S. 79. 51 Gensch: Was liest unsere Jugend?, S. 108.



128 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Manches Kind stellt sich als überzeugter Proletarier hin und übt entsprechende Kritik an den Büchern, liest aber aus der kommunistischen Zeitung „Berlin am Morgen“ nur den Liebesroman. […] Zeitungen stellen, besonders in Knabenklassen, überwiegende Lektüre dar. Vergleichung politischer Ansichten wird angegeben. Im allgemeinen dienen sie dem Leserausch.52

Ganz anders fällt Erich Fromms Einschätzung der Leseinteressen von Jugendlichen aus. Er stellt durchaus eine verstärkte Politisierung der Lektüre Jugendlicher im Gegensatz zu den Erwachsenen fest und führt dies auf den (erfolgreichen) Einfluss der politischen Jugendorganisationen zurück.53 Der reale Lesekonsum Jugendlicher wird wohl zwischen diesen beiden Polen des verdeckten Konsumierens unerwünschter Lesestoffe einerseits und der politisierten Lektüre aus gesellschaftlichem Bewusstsein heraus andererseits angesiedelt gewesen sein. Fromm beobachtet hinsichtlich des ökonomischen Status der Leser bei Arbeitslosen eine intensivere Beschäftigung mit sozialen und politischen Problemen auch im Rahmen ihrer Lektüre, während bürgerliche Leser eher an Bildung und deren Prestigewert festhielten.54 In Bezug auf den Zusammenhang von politischer Orientierung und Leseinteressen konstatiert Fromm folgendes: Kommunisten, Linkssozialisten und Nationalsozialisten beschäftigten sich demgegenüber eher mit sozialen bzw. politischen Problemen und zeigten hier einen höheren Prozentsatz an Antworten als Sozialdemokraten und Bürgerliche. Dieser Zusammenhang ist bei Kommunisten und Linkssozialisten signifikant, während er bei den Nationalsozialisten nur tendenziell gilt. Gegenüber den einfachen Wählern waren Parteimitglieder grundsätzlich stärker an gesellschaftspolitischen Themen interessiert.55

Letztere Beobachtung geht mit Reuvenis Einschätzung, dass Parteimitglieder grundsätzlich mehr Ausgaben für politische Lektüre aufwenden, konform. Zudem muss aber davon ausgegangen werden, dass im Rahmen von Parteiversammlungen und -veranstaltungen Mitglieder sicher auch zum Kauf entsprechender Lektüre angehalten wurden. Ob die Anhänger der radikaleren Parteien, zu deren Klientel zweifelsohne viele Arbeitslose gehörten, tatsächlich aus freien Stücken mehr politische Literatur konsumierten als die Bürgerlichen oder ob auch hier gewisse parteipolitische Zwänge eine Rolle spielten, muss ebenfalls kritisch hin-

52 Gensch: Was liest unsere Jugend?, S. 80, 108. 53 Vgl. Erich Fromm: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine sozialpsychologische Untersuchung. Bearbeitet und hg. von Wolfgang Bonss. Stuttgart 1980. [Der Erhebungszeitraum von Fromms Fragebogenstudie umfasst die Jahre von 1929–1931.] 54 Vgl. Fromm: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches, S. 150–152. 55 Fromm: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches, S. 152.



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 129

terfragt werden. Zu beachten gilt daneben der Effekt der sozialen Erwünschtheit im Rahmen der Antworten der Untersuchungsgruppe, aus dem heraus Vertreter einer radikalen Partei sich einerseits in ihrer Selbstdarstellung eventuell politischer gaben als sie es tatsächlich waren und bürgerliche Vertreter andererseits möglicherweise an einem überkommenen Prestigewert von Bildung nur noch rein äußerlich festhielten, in ihrer Freizeit aber doch eher der ‚leichten‘ Lektüre zuneigten. Ähnliche Einwände gilt es bei Ansätzen zu betrachten, die Arbeiterautobiographien als Dokumente jugendlicher Literaturrezeption untersuchen, da „Arbeiterautobiographien keineswegs als repräsentativ für alle Arbeiter/ innen betrachtet werden“56 können und die subjektive Schilderung der Vergangenheit in Abhängigkeit vom jeweiligen Standpunkt der Gegenwart aus zu Selektion, Bewertungen und „Modifikationen der Vergangenheit in der nachträglichen Reproduktion“57 führt. Spielte für die Nationalsozialisten von vorneherein die ideologische Schulung der einfachen Mitglieder kaum eine Rolle, so ist auch für das kommunistische Umfeld das Bild der ideologisch durchgeschulten Parteibasis zu relativieren, wie der Linkskurve-Artikel Leihbibliothek am Wedding von Fritz Erpenbeck aufzeigt, der die Vorliebe vieler Arbeiterleser für Belletristik, insbesondere für Abenteuerliteratur, Kriegsromane und Detektivgeschichten ebenfalls belegt und darauf verweist, dass im Bücherverzeichnis der Bibliothek zwar einige „proletarische Unterhaltungsbücher“58 vorhanden seien, wissenschaftliche Literatur aber komplett fehle.59 Auf das sehr geringe Interesse an theoretisch-komplexer wissenschaftlicher Parteiliteratur, die „zwar oft pflichtgemäß ausgeliehen, aber wenig gelesen“60 wurde, verweist auch Erich Schön. Mallmann unterstreicht dies, wenn er betont: Gewiß gab es KPD-Funktionäre, die sich eigene Bibliotheken zusammensparten, in aller Regel orientierten auch sie sich lediglich über die abonnierte Tageszeitung, besaßen keine Bücher – höchstens einige Romane –, liehen sich Theoretisches bestenfalls aus der Biblio-

56 Ursula Kirchhoff: „Meine schönen, reichen Träume“. Arbeiterautobiographien als Dokumente kind- und jugendlicher Literaturrezeption im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. In: Alltag, Traum und Utopie. Lesegeschichten – Lebensgeschichten. Hg. v. Rainer Noltenius. Essen 1988, S. 110–123 [hier: S. 111]. Kirchhoff beurteilt den Quellenwert von Arbeiterautobiographien durchaus kritisch, indem sie betont, dass sich die Autobiographen durch Faktoren wie lesende Eltern, Engagement und Förderung in der Arbeiterbewegung, besondere berufliche Qualifikationen etc. vom durchschnittlichen Arbeiter(leser) und dessen Rezeptionsgewohnheiten unterscheiden. 57 Kirchhoff: „Meine schönen, reichen Träume“, S. 112. 58 Erpenbeck: Leihbibliothek am Wedding, S. 14. 59 Vgl. Erpenbeck: Leihbibliothek am Wedding, S. 14–15. 60 Schön: Geschichte des Lesens, S. 52.



130 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

thek der Ortsgruppe im Parteilokal aus. Und selbst diese Möglichkeit bestand längst nicht überall, von ihrer Nutzung ganz zu schweigen. Als Faustregel lässt sich eher formulieren: Die Kirchenväter des Sozialismus wurden kaum im Original gelesen, bestenfalls in vereinfachenden Broschüren und das auch nur selten.61

Langewiesche/Schönhoven kommen zu dem Schluss, dass bereits für den Untersuchungszeitraum von 1908 bis 1910 „die Mehrheit der lesenden Arbeiter der wissenschaftlichen Parteiliteratur kein Interesse entgegenbrachte oder aber die theoretisch komplizierten Texte nicht verstand und die Lektüre entmutigt aufgab“62. Von der marxistischen Theorie hätten lediglich einige einprägsame Formeln sowie eine Art marxistische Version von eschatologischer Heilserwartung, d. h. die Vision von der nahenden klassenlosen Gesellschaft, Einzug in die Vorstellungswelt der Arbeiter gehabt.63 Dieses Bild vom eher theorieverdrossenen Arbeiter zeichnet sich auch in der Weimarer Republik, teilweise sogar in verstärktem Maße, ab: Im Gegensatz zu dem weit verbreiteten Bild der ideologisch geschulten, ja indoktrinierten Partei war es eher ein Gemenge aus eigenen Erfahrungen und Alltagsbeispielen, verwoben mit einem Kanon fester Glaubenssätze und hängengebliebener Formeln aus Presse und Versammlungen, das für den Durchschnittskommunisten in der Zeit vor 1927 das Gerippe seines Weltbildes lieferte. […] In der Weltwirtschaftskrise wurde das ohnehin niedrige theoretische Niveau mutmaßlich noch mehr unterschritten, die „Generallinie“ an der Parteibasis nur in beschränktem Rahmen zur Kenntnis genommen und rezipiert.64

Die unmittelbare Alltagserfahrung prägte das kommunistische Bewusstsein des Arbeiters offensichtlich mehr als die theoretische Auseinandersetzung, die der Avantgarde der Partei vorbehalten blieb. Einprägsame Formeln aus dem Parteiumfeld, die stetig repetiert wurden, verfehlten jedoch auf linker wie rechter Seite nicht ihren Zweck, weshalb auch bei den hier untersuchten Romanen eine überwiegend schematische Kommunikationsform gewählt wurde, um Inhalte und Parolen festzuklopfen und in Handlungsanweisungen umzusetzen. Nicht zuletzt Hitler, der im Rahmen seines negativen Massenverständnisses insgesamt von einer geringen Aufnahmefähigkeit der Masse ausging, betonte immer wieder die Notwendigkeit der Wiederholung elementarer Schemata:

61 Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 217. 62 Langewiesche/Schönhoven: Arbeiterbibliotheken und Arbeiterlektüre im Wilhelminischen Deutschland, S. 197. 63 Vgl. Langewiesche/Schönhoven: Arbeiterbibliotheken und Arbeiterlektüre im Wilhelminischen Deutschland, S. 197. 64 Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Repubik, S. 219.





3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 131

Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nicht nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig solange zu verwerten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen mag.65

Doch nicht nur innerhalb der Romane spielt das genau kalkulierte Verhältnis von Redundanz und Innovation (bzw. neuer Information) eine bedeutende Rolle, wie die Textanalyse verdeutlichen wird, sondern auch im komplementären Einsatz unterschiedlicher Propagandaformen, welche die immer wiederkehrenden Botschaften und Anweisungen so aufarbeiten, dass sie einen möglichst breiten Kreis an Rezipienten erreichen. Zeitschriften und Romane wurden dabei im Rahmen von Propagandaveranstaltungen oft sogar auf performative Art und Weise eingesetzt, um Gruppenbewusstsein zu demonstrieren und sich vom Gegner abzusetzen: Buch und Presse ragten zwar mit neuen industriellen Techniken und eher einlinigen Vermittlungswegen in diese Öffentlichkeit hinein, waren jedoch eingebunden in den Verflechtungszusammenhang: Die eigene Zeitung wurde in kollektivem Zusammenhang gelesen, vorgelesen oder diskutiert; sie wurde im Straßenverkauf ein Stück sinnlichen Identitätsausweises; sie konnte in Plakatform geklebt werden. Die gegnerische Zeitung war Gegenstand unmittelbarer sinnlicher Auseinandersetzung, wurde im Verein verlesen, kommentiert und verlacht, als Schandmal ausgehängt, demonstrativ zerissen oder zerknüllt.66

Es ist also davon auszugehen, dass die politische Belletristik eben nicht nur individuell zurückgezogen in der häuslichen Sphäre gelesen wurde bzw. gelesen werden sollte, vielmehr stand der Austausch mit politisch Gleichgesinnten über die gelesenen Werke im Vordergrund. Primär um die ‚richtige‘ Auslegung der Romane sicherzustellen, gab es von parteipolitisch linker wie von rechter Seite zahlreiche organisierte Lesungen mit den Autoren, Leseabende in den Jugendorganisationen und Betrieben. Zwar nannten sich diese Veranstaltungen im kommunistischen Umfeld ‚Massenkritikabende‘, sie dienten aber wahrscheinlich auch dort eher der Selbstvergewisserung bzw. -bekräftigung des ideologischen Weltbildes und der dementsprechenden Interpretation der Romane als der wechselseitigen konstruktiven oder gar ‚zersetzenden‘ Kritik und bauten auf didakti-

65 Hitler: Mein Kampf, S. 198. 66 Henning Eichberg: Lebenswelten und Alltagswissen. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Hg. v. Christa Berg [u. a.]. Band 5: 1918–1945. Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur. Hg. v. Dieter Langewiesche und Heinz-Elmar Tenorth. München 1989, S. 41–42.



132 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

sche Gruppendynamik. Ob diese Veranstaltungen, vor allem wenn sie nicht über die kommunistischen Betriebszellen hinausreichten, wirklich die ‚Masse‘ ansprachen, ist höchst zweifelhaft. Friedrich betont den selbstbeschränkenden Charakter der kommunistischen ‚Massenkritikabende‘, die sich nach Plänen der KPD auf die „Öffentlichkeit eines bestimmten Betriebes beschränkten“67 und somit „parzellierte[ ] literarische ‚Öffentlichkeiten‘“68 darstellten. Von der ursprünglich in der Linkskurve genannten „gemeinsamen Aussprache“69 und der Mitwirkung der Leser am Werk durch ihre Kritik konnte also keine Rede mehr sein. Friedrich kommt zu folgendem kritischen Fazit: Nicht die Frage nach dem Leser – deren Antwort in der Leserfrage zu suchen wäre – war Movens dieser Veranstaltungen. Ja, ihr Prinzip war diesem sogar entgegengesetzt. […] Es ging darum, der vorweg nach objektiven Kriterien definierten jeweiligen Zielgruppe „ihren“ Roman zuzuführen. Der „Rote 1-Mark-Roman“ wurde dabei gerade nicht als Massenroman, d. h. als Roman, der massenhafte und in diesem Sinne allgemeine, weder geographisch noch sozial eng festgelegte Interessen und Bedürfnisse aufgreift behandelt, sondern als Roman jeweils sehr eng begrenzter sozialer Gruppen und deren durch die unmittelbare Arbeitssituation erzeugte Interessenlage  – der „Rote 1-Mark-Roman“ wurde weiterhin als „Roman“ der Handarbeiter zur Geltung gebracht.70

Doch dies war nicht das einzige Hindernis bei der ‚massenhaften‘ Vermarktung der Roten Eine-Mark-Romane, wie im Folgenden gezeigt wird.

3.1.4 ‚Masse gleich Klasse?‘ – Zu den Distributions- und Wirkungsbedingungen der Roten Eine-Mark-Romane Der Vertrieb der Roten Eine-Mark-Romane fand fast ausschließlich über die Literaturobmänner der Straßen- oder Betriebszelle statt und war auf das engere Umfeld der Partei beschränkt (vgl. Schaubild 3.1.4), da es im regulären oder gar sozialdemokratischen Buchhandel aufgrund der Verbote71 Absatzschwierigkeiten gab. Auch die Leihbibliotheken führten die Romane kaum.72 Damit wird die Chance einer über den Parteizusammenhang hinausreichenden bewusstseinsverändernden Wirkung der Romane, beispielsweise auf mit dem Proletariat sympathisie-

67 Friedrich: Proletarische Literatur und politische Organisation, S. 200. 68 Friedrich: Proletarische Literatur und politische Organisation, S. 200. 69 Anonymus: Schriftsteller, heran an die Massen. In: Die Linkskurve 3 (1931c), H. 3, S. 33. 70 Friedrich: Proletarische Literatur und politische Organisation, S. 199–200. 71 Zur ‚Verbotswelle‘ der Roten Eine-Mark-Romane vgl. Kapitel 2.1.1. 72 Vgl. Möbius: Progressive Massenliteratur?, S. 24–25.



Autor → überwiegend: BPRS -Mitglied

Produzent

Vermittler • Literaturobmann der Betriebs/Straßenzelle • (Arbeiter-)Bibliothekare • Literaturkreise (Fokus: didaktische Vermittlung) • familiäres Umfeld, Eltern • Freundeskreis (Peer-Group)

Sortiment • Literaturvertriebsstellen der KPD • evtl. linkspolitische Buchhandlungen • (Arbeiter-)Bibliotheken • Verkauf nach Parteiveranstaltungen oder in der Betriebs-/Straßenzelle (durch Literaturobmänner) → Kolportageartige Strukturen [Vgl. StuckiVolz (1993), S.158.]

Rezensenten Kritik/Feuilleton (Die Linkskurve → Organ des BPRS, hg. vom IAV Die Rote Fahne → Organ der KPD) → parteinahe Zeitschriften

Internationaler Arbeiterverlag (IAV) → Im Besitz der KPD [Vgl. Stucki-Volz (1993), S.159.]

Herstellungs- und Vertriebsapparat Verleger Lektoren

Distributionsbedingungen der Roten Eine-Mark-Romane in der Weimarer Republik*

Leser → Fazit: parteinahes Umfeld erforderlich

Konsument

*Struktur des Schaubildes orientiert sich in Grundzügen an: Helmut Melzer: Trivialliteratur II. Comics und triviales Jugendbuch in der Sekundarstufe I. München 1975, S. 25.

 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik   133

rende Gesellschaftsgruppen, wie Kleinbürger oder Bauern, die noch nicht dem Parteiumfeld angehörten, extrem eingeschränkt. So zeichnet sich zwar konzeptionell eine angestrebte Ausdehnung des Rezipientenkreises ab (vgl. Kapitel 2.1), bei jedoch gleichzeitig durch die Verbote einzelner Romane immer schwieriger werdenden Distributionsbedingungen.

Schaubild Kapitel 3.1.4: Distributionsbedingungen der Roten Eine-Mark-Romane in der Weimarer Republik



134 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Zu den tatsächlichen Verkaufszahlen existieren nur einige teils geschönte Daten aus dem Parteiumfeld, die etwa in der Linkskurve als selbstvergewissernder Beweis für den Erfolg der Romanreihe und als Werbung für die ‚kommunistischen Bestseller‘ dienen sollen. Das Werben mit hohen Absatzzahlen ist dabei typisch für die Buchwerbung in der Weimarer Republik und wurde ebenfalls von bürgerlichen oder rechtspolitischen Verlagen angewandt.73 Beispielsweise verweist ein großes Schriftbanner in der Ausgabe der Linkskurve vom Januar 1931 auf die Verkaufszahl von 14.000 Exemplaren von Sturm auf Essen innerhalb von zwei Monaten. Eine Ausgabe vorher – in der Dezemberausgabe 1930 – heißt es jedoch, dass bereits in den ersten vier Wochen nach Erscheinen schon 15.000 Exemplare verkauft worden seien.74 Damit sollen die Romane natürlich auch nach außen hin den Beweis abgeben, dass die Proletarier es in jeder Hinsicht, also auch auf dem literarischen Gebiet, mit der konkurrierenden bürgerlichen Klasse aufnehmen können. Ein Zellenfunktionär, den Gotsche auf die Wirkung von Bredels Rosenhofstraße befragt hatte, betont ebenfalls das große Potenzial der Reihe – jedoch nicht ohne auf die Vermarktungsschwierigkeiten hinzuweisen: Aber es kommt für uns nicht nur auf „künstlerische Gestaltung“ an, sondern auf den Wert des Buches im Klassenkampf! Und da hat die „Rosenhofstraße“ hundertmal bessere Wirkung als zehn Flugblätter. Besser werden daran müsste nur der Vertrieb.75

Darüber, in wieweit die Roten Eine-Mark-Romane beim Publikum auf Resonanz gestoßen sind, gibt es kaum verlässliche Quellen.76 In der Linkskurve werden die

73 Vgl. Cornelia Schultze-Gisevius: Buchwerbung in der Weimarer Republik. Bd. 1: Text. Bd. 2: Abbildungen. Magisterarbeit. Mainz 1995, S. 80. Vgl. Füssel: Das Buch in der Medienkonkurrenz der zwanziger Jahre, S. 333. 74 Das werbewirksame Schriftbanner mit der Angabe von 14.000 verkauften Exemplaren in zwei Monaten findet sich in: Die Linkskurve 3 (1931), H. 1, S. 4. Diese Angabe steht im Widerspruch zu den einen Monat vorher veröffentlichten Verkaufszahlen von 15.000 innerhalb eines Monats: Vgl. Die Linkskurve 2 (1930), H. 12, S. 23. Auch Stieg/Witte beurteilen die in der Linkskurve 3 (1931), H. 12 auf S. 13 geäußerten Gesamtverkaufszahlen von 300.000 Exemplaren nach Erscheinen der ersten sieben Bände höchst skeptisch: „Die Bände kamen gewöhnlich mit einer Startauflage von 25.000 Exemplaren heraus, was eine Gesamtausgabe von 175.000 ergäbe. Die Angaben des BPRS scheinen also zu hoch gegriffen.“ In: Stieg/Witte: Abriß einer Geschichte der deutschen Arbeiterliteratur, S. 123 [Fußnote 483]. 75 Otto Gotsche: Kritik der Anderen. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 4, S. 29. 76 So stellt auch Schonauer fest: „Wir wissen nicht, welche Wirkung der ‚Rote Eine-Mark-Roman‘ auf seine Leser hatte. Ebensowenig, ob es sich dabei überwiegend um Angehörige des Proletariats handelte. Auch über die Verbreitung der Bücher – Anzahl der Leser pro Exemplar z. B. – fehlen Angaben. […] Man ist also weitgehend auf Hinweise angewiesen, auf Bemerkungen in Rezensionen und Aufsätzen, die sich mit dem ‚Roten Eine-Mark-Roman‘ beschäftigen.“



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 135

Erfolge der Roten Eine-Mark-Romane zunächst weiterhin emphatisch hervorgehoben und es wird von Lesern berichtet, die bestätigen, dass beispielsweise der Inhalt von Bredels Romanen ihren Alltagserfahrungen entspräche.77 Das ambitionierte Konzept der Roten Eine-Mark-Romane barg damit durchaus die Chance zur Bildung einer proletarischen Öffentlichkeit, also zur Selbstverständigung der Proletarier in einem reziproken Prozess zwischen Autor und Leser. Darauf macht auch Gotsche aufmerksam: Warum sind wir zurückgeblieben? Weil wir nicht unter genügender Kontrolle der Massen stehen! Geht ein Streik, eine Aktion verloren, setzt eine breite Massendiskussion ein, Lehren werden gezogen, die Scharte wird ausgewetzt. Uns fehlt das noch. Aber trotzdem: von Bredel haben wir unheimlich gelernt, – nicht von Lukács – und morgen wird Bredel von uns lernen. Unsere Literatur muss Massenliteratur, unsere Kritik Massenkritik werden.78

Obenstehende Aussage verweist auf ein emanzipatives Potenzial, das die Roten Eine-Mark Romane den nationalsozialistischen Romanen voraus hatten, die ganz und gar nicht an der Emanzipation der Arbeiterklasse interessiert waren, sondern deren primäres funktionales Ziel die affirmative Eingliederung der Arbeiter in die ‚Volksgemeinschaft‘ war. Diese emanzipative Chance wird jedoch verspielt, wenn proletarische Autoren sich zu sehr an die inhaltliche Richtschnur sowie den wechselnden Kurs der Partei halten müssen und fast ausschließlich deren Vorgaben literarisch umsetzen, statt aus eigenen kritischen und eventuell auch non-konformen Ansichten heraus eine kontroverse und fruchtbare Diskussion in Gang zu bringen. Politische Debatten waren ohnehin auch im kommunistischen Umfeld der politischen Avantgarde vorbehalten, die die ‚Masse‘ der Proletarier eher bevormundend als ausführendes Instrument ihrer Vorstellungen begriff und ihr somit wenig kritisches Reflexionsvermögen zusprach. Dieses paternalistische Verständnis, welches auch Lenin an den Tag legte, läuft Überlegungen von einem aktiven, reflexiven und kritischen Massendiskurs und der Bildung einer eigenständigen proletarischen Öffentlichkeit, wie sie beispielsweise im ‚Proletkult‘ vertreten wurde, entgegen. Thymian Bussemer verweist darauf, dass Marx, im Gegensatz zu Lenins Propagandatheorie, in Propaganda nur hohle Versprechungen ohne substanziellen

Franz Schonauer: Die Partei und die Schöne Literatur. Kommunistische Literaturpolitik in der Weimarer Republik. In: Die deutsche Literatur in der Weimarer Republik. Hg. v. Wolfgang Rothe. Stuttgart 1974, S. 114–142 [hier: S. 134]. Für die von der Linkskurve geschätzten Leser pro Exemplar gibt es jedoch die unter 3.1.2 genannte Angabe von drei Lesern pro Exemplar. 77 Vgl. Gotsche: Kritik der Anderen, S. 28–30. 78 Gotsche: Kritik der Anderen, S. 30.



136 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Gehalt gesehen habe, die lediglich politischen Utopismus nähren würden, sodass Marx vielmehr eine wissenschaftliche Aufklärung der Arbeiter im Sinne des historischen Materialismus vertreten habe.79 Dem liegen unterschiedliche Auffassungen von Masse zugrunde: Einerseits werden sie in idealistischer Weise sehr positiv als diskursfähig, interessiert und mit kritischem Bewusstsein ausgestattet verstanden. Andererseits steht dem die negative Auffassung von Masse gegenüber, die sich nach einem charismatischen Führer oder einer führenden Elite bzw. Avantgarde sehnt oder ihn bzw. ihrer bedarf, da sie selbst nur wenig diskursfähig, denkfaul und von äußeren Reizen und Affekten leit- und steuerbar ist. Dieses negative Verständnis von der Masse ist sicherlich auch mit den Erfahrungen der Zeitgenossen in Bezug auf die propagandistische Mobilmachung für den Ersten Weltkrieg verbunden. Eine Erfahrung, die auch Hitler in Mein Kampf schildert.80 Letztendlich findet das negative Massenverständnis aber bereits in Gustave Le Bons Psychologie des foules von 1895 seinen Ausdruck, auf dessen Werk später Sigmund Freud mit Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921) aufbaut.81 Auch innerhalb des BPRS gab es sehr unterschiedliche Meinungen dazu, wie viel Anleitung die Arbeiter brauchen, um zum vermeintlich richtigen Bewusstsein zu kommen. Außerdem kam es zwischen BPRS und KPD bei allzu radikalen proletarisch-revolutionären Schriftstellern zu Problemen, da die KPD neben dem revolutionären Kurs auch eine Politik der Umwerbung bürgerlicher Intellektueller betrieb. Schonauer sieht diese Unstimmigkeiten als eines der Hauptprobleme der Schaffung einer ‚roten Massenliteratur‘ an: Die eigentliche Problematik dieser Massenliteratur steckte auch nicht in dem mangelnden Absatz, den sie möglicherweise fand. Sie war von weitaus grundsätzlicherer Natur. Als Instrument des politischen Kampfes musste die Literatur mit dem Agitationsprogramm der Partei Schritt halten. Das heißt: sie hatte die verschiedenen rasch wechselnden Kampagnen mit einer entsprechend thematisierten Produktion zu unterstützen. […] Mit anderen Worten, was seine Ursache einerseits in den deutschen Verhältnissen, andererseits in den organisatorischen und personellen Mängeln des BPRS hatte, wurde, sowjetischem Vorbild nacheifernd, auf ideologische Fehler zurückgeführt.82

79 Bussemer: Propaganda, S. 223. 80 Vgl. Hitler: Mein Kampf, S. 193–204 [Band  1: „Eine Abrechnung“. Kapitel 6: „Kriegspropaganda“]. 81 Vgl. Bernd Widdig: Männerbünde und Massen. Zur Krise männlicher Identität in der Literatur der Moderne. Opladen 1992, S. 105. 82 Schonauer: Die Partei und die Schöne Literatur, S. 135.



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 137

Friedrich hingegen schildert neben dem Potenzial der Reihe zu einer ‚Massenliteratur‘, welche die Bedürfnisse der Leser ernst nimmt, auch die Bedenken gegenüber der Vereinnahmung der Romane im Rahmen von Propaganda, durch die von oben herab nur noch die Direktiven der Partei an die Leser weitergegeben werden: Sofern die Politik der KPD die „Masse“, d. h. die aktuelle konkrete Verfasstheit des gesellschaftlichen Objekts als objektive Bedingung ihrer eigenen Entwicklung ernstgenommen hätte, hätte sie im Rahmen einer Literatur sein können, die sowohl konkret-emanzipativ wie auch politisch hätte wirksam werden können. Massenliteratur als Propaganda allerdings – im hier skizzierten beschränkten Sinne – artikuliert sich an der konkreten Verfasstheit der Massen vorbei, erwies ihren Anspruch bestenfalls in der Auflagenzahl.83

Letztendlich sind diese unterschiedlichen Vorstellungen von ‚Masse‘ und wie man mit ihr umzugehen hat, also die gegensätzlichen Theorien über das richtige Vorgehen im Klassenkampf, auch dafür verantwortlich, dass die Reihe nach außen hin ein relativ verschwommenes Profil erhielt. Sollten nach der Charkower Konferenz zwar auch Kleinbürger und Bauern angesprochen werden, so ist es doch recht unwahrscheinlich, dass diese Leser auf den beschränkten Distributionswegen überhaupt erreicht werden konnten. Außerdem ist es fraglich, ob die didaktisierte Darstellung von Massen- bzw. Arbeiterkämpfen das Leseinteresse der Kleinbürger überhaupt erreicht hätte, oder ob derartige Zugeständnisse an die Kleinbürger hätten gemacht werden müssen, dass wiederum die Interessen der Arbeiter marginalisiert worden wären. Zwar konnte die Reihe zumindest thematisch langsam über den männlichen KPD-Arbeiter als einzige angesprochene Lesergruppe hinauswachsen84 und war so sicher mehr als nur ein „Berufsgruppenroman“85, doch ist es in Anbetracht der vorangehend geschilderten Rezeptionsbedingungen anzuzweifeln, ob die Romane über den Klassenzusammenhang hinaus wirken konnten. Grundlegend bot der Ansatz eines Roten Eine-Mark-Romans dafür konzeptuell – mit entsprechenden Modifikationen  – sicher die Möglichkeit. Doch die Uneinheitlichkeit des Konzepts, die unter anderem bedingt war durch die tagespolitischen Positionierungskämpfe innerhalb der KPD, von denen auch der BPRS nicht verschont

83 Friedrich: Proletarische Literatur und politische Organisation, S. 169 [Hervorhebung aus dem Original übernommen]. 84 Jugendliche und Frauen (aus dem KPD-Umfeld) wurden dezidiert durch Kämpfende Jugend und Maria und der Paragraph angesprochen, auch das Leben in der Straßenzelle wurde beispielsweise im Roman Rosenhofstraße thematisiert. 85 Vgl. Hermand: Erik Regers „Union der festen Hand“ (1931), S. 25.



138 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

blieb, sowie die Verbote der Romane, organisatorische, finanzielle und mit dem herannahenden Nationalsozialismus zeitliche Probleme trugen schließlich dazu bei, dass die Romanreihe nicht die großen Hoffnungen zu erfüllen vermochte, die anfangs in sie gesetzt wurden. So konnte auch letztendlich nicht mehr in umfassendem Maße die Wirkung einer Stärkung der ‚Einheitsfront‘ gegen den Nationalsozialismus über den Klassenzusammenhang hinaus entfaltet werden. Daher hat die vereinfachende Formel von tatsächlich angesprochener ‚Masse gleich Klasse‘, zumindest für die Rezeption der Roten Eine-Mark-Romane in der Weimarer Republik, Bestand.

3.1.5 Auflagenentwicklung der nationalsozialistischen Romane von der Weimarer Republik bis ins ‚Dritte Reich‘ Betrachtet man zunächst  – trotz aller oben genannten Vorbehalte gegenüber einer reinen Analyse der Absatzzahlen – die Auflagenentwicklung der linken und rechten Romane im Vergleich (siehe Diagramm 2), so ist für die Weimarer Republik festzustellen, dass die Roten Eine-Mark-Romane mit der Höhe ihrer Erstauflagen von 20.–25.000 Exemplaren86 durchaus zahlenmäßig der Konkurrenz von rechter Seite standhalten konnten. Der Hitlerjunge Quex startete sogar lediglich mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren, Utz kämpft für Hitler kam auf dem Höhepunkt der ‚Konjunkturwelle‘ 1933 mit 25.000 Exemplaren auf den Markt und der Roman Gruppe Bosemüller von dem durch seinen großen Erfolg mit dem zuvor erschienenen Sperrfeuer um Deutschland bekannten „Hausautor“87 des Stalling Verlages, Werner Beumelburg, wurde 1930 bereits 30.000 mal abgedruckt.88 Doch mit der in Kapitel 2.1.1 geschilderten ‚Verbotswelle‘ der Roten Eine-Mark-Romane ab 1931

86 Die Roten Eine-Mark-Romane erschienen überwiegend mit einer Startauflage von 25.000 Exemplaren. Bei Sturm auf Essen (Bd. 1), Kämpfende Jugend (Bd. 8) sowie S.S. Utah (Bd. 9) betrug die Startauflage hingegen 20.000 Exemplare. 87 Stefan Busch: „Und gestern, da hörte uns Deutschland“. NS-Autoren in der Bundesrepublik. Kontinuität und Diskontinuität bei Friedrich Griese, Werner Beumelburg, Eberhard Wolfgang Möller und Kurt Ziesel. Würzburg 1998, S. 123. 88 Für die Angaben der Auflagenzahlen vgl. Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums 1911–1965. Hg. v. Reinhard Oberschelp. 150 Bände. München 1976–1981. Vgl. außerdem Kinder- und Jugendliteratur 1933–1945. Ein Handbuch. Band 1: Bibliographischer Teil mit Registern. Hg. v. Norbert Hopster, Petra Josting und Joachim Neuhaus. Stuttgart/Weimar 2001. Diese Angaben wurden abgeglichen mit bzw. ergänzt durch Angaben des KVK (Karlsruher Virtueller Katalog) sowie des Online-Katalogs der DNB. Eine genaue Aufstellung der Auflagenzahlen findet sich in Anhang I.



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 139

wurde der Verkauf der Romane in die Illegalität gedrängt, die ‚Machtergreifung‘ der Nationalsozialisten bedeutete schließlich das Ende der Reihe. Im Gegensatz dazu stiegen die Absatzzahlen der nationalsozialistischen Romane kontinuierlich an und sie erreichten insbesondere im NS-Staat hohe Auflagen. Letztlich zeigt sich so, dass die in der Weimarer Republik erschienenen Werke, vor allem Der Hitlerjunge Quex und Gruppe Bosemüller, besonders im ‚Dritten Reich‘ eine tragende Rolle einnahmen und fest in den NS-Lektürekanon integriert wurden. Ihren Auflagen in der Weimarer Republik nach zu urteilen, waren diese Romane jedoch noch entfernt von dem Status eines ‚Bestsellers‘ oder eines Massenromans.

1942

1941

1940

1939

1938

1937

1936

1935

1934

1933

1932

1931

340 320 300 280 260 240 220 200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 1930

Tausend

Auflagenentwicklung

Sturm Auf Essen REMR 1 Kämpfende Jugend REMR 8 Gruppe Bosemüller Gruppe Bosemüller (Schulausgabe Kranzbücherei) Der Hitlerjunge Quex Utz kämpft für Hitler Diagramm 2: Auflagenentwicklung



140 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Aufgrund der regulären Vermarktungsformen auf dem Buchmarkt und einer breiten Basis völkisch-nationalsozialistisch Gesinnter gab es sicher einen festen Kreis an Abnehmern. Darüber, in wieweit diese Romane aber in Arbeiterkreise vordrangen, kann nur spekuliert werden. Neben der Schullektüre, in deren Rahmen Gruppe Bosemüller bereits in der Weimarer Republik eingesetzt wurde (jedoch vornehmlich in höheren Schulen, in denen der Arbeiteranteil geringer war), ist als Berührungspunkt das nähere Parteiumfeld zu nennen, vor allem der Kontakt zu Mitgliedern der HJ oder der SA, die proletarische Sympathisanten sicherlich auch mit der politischen Belletristik ihrer Partei vertraut machten.89 Die später erreichten, hohen Auflagen dieser Werke im ‚Dritten Reich‘ erklären sich aber nicht nur durch die vermeintliche Beliebtheit der Romane beim Publikum, sondern durch eine gezielte Literaturpolitik und Werbemaßnahmen, die diese Bücher als besonders ideologisch wertvoll auszeichneten: Gruppe Bosemüller und Der Hitlerjunge Quex erschienen in den ministeriell erlassenen Listen für Schulbüchereien und gehörten damit zur Standardausrüstung der Schul- und Jugendbüchereien90, wurden als Geschenkbuch ausdrücklich empfohlen und teilweise im Rahmen von Lesewettbewerben oder Veranstaltungen der Hitlerjugend als Buchpreis ausgegeben. Im Rahmen der nationalsozialistischen Werke zeichnen sich nach 1933 zwei Phasen der (Auflagen-)Entwicklung ab: Die Romane, die sich in der ‚Kampfzeit‘ als funktional erweisen, spielen auch größtenteils für die Integrationspropaganda nach 1933 bis etwa 1935 eine Rolle. Hier zeigen sich vor allem die Konversionsthematik und das Berufen auf Kontinuitäten zum heroischen Ursprung und Kampf der ‚Bewegung‘, aber auch Darstellungen, die auf den Übergang von der ‚Kampfgemeinschaft‘ des Ersten Weltkrieges zur ‚Volksgemeinschaft‘ verweisen,

89 Dafür spricht die soziale Struktur der HJ, deren Mitglieder in der ‚Kampfzeit‘ nach Klönne vorwiegend einem proletarisierten Milieu entstammten. Vgl. Klönne: Jugend im Dritten Reich, S. 95. Sowie die Struktur der SA, die sich als proletarisches Element der Partei begriff. Doch auch viele Arbeiterviertel waren politisch und sozial nicht homogen strukturiert, was die Romane ebenfalls teilweise thematisieren. Insbesondere das Berliner Mietshaus, mit den teureren oft von Bürgerlichen bezogenen geräumigeren Wohnungen im Vorderhaus und den teilweise katastrophalen Wohnbedingungen der proletarischen Arbeiter im Hinterhaus, demonstriert diese soziale Mischung der ‚Arbeiterviertel‘. Zur sozialen Strukturierung der Mietskasernen vgl. Adelheid von Saldern: Häuserleben. Zur Geschichte städtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute. Bonn 1995, S. 51. 90 Der Hitlerjunge Quex erschien in der Grundliste für Schülerbüchereien der Volksschulen (1937) und war Bestandteil der Dietrich Eckart-Bücherei (1935), die insgesamt zehn Werke umfasste, welche an die Schulen in den Grenzgebieten gestiftet wurden. Gruppe Bosemüller erschien in der Liste zum Ausbau der Oberstufenbücherei. Beide Listen sind abgedruckt in: Aley: Jugendliteratur im Dritten Reich, S. 41–48, S. 55–59. Zur Dietrich-Eckart-Bücherei siehe S. 59–60.





3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 141

wie Gruppe Bosemüller, als die dominierenden Faktoren. Die sogenannte ‚Konjunkturliteratur‘ ist für diese Phase, wenn auch von nationalsozialistischer Seite stark kritisiert, ebenfalls charakteristisch und letztendlich durchaus funktional, wie in Kapitel 2.2.2 gezeigt wurde. In der Stabilisierungsphase ab 1936 spielt hingegen die Konversionsthematik eine eher untergeordnete Rolle und es wird verstärkt versucht, Konjunkturerscheinungen einzudämmen. Trotzdem wird beispielsweise der Titel Utz kämpft für Hitler des ‚Konjunkturschriftstellers‘ Josef Viera 1940 erneut aufgelegt und erreicht das 56. Tausend, was auf den ersten Blick verwundern mag, sich aber durch Lockerungen auf dem Unterhaltungssektor ab 1939 erklären lässt. Denn insgesamt zeichnet sich ab Kriegsbeginn 1939 einerseits zwar eine rigorose Indizierung von englandfreundlichen Heftchenserien ab,91 andererseits mussten die Nationalsozialisten im Verlauf des Krieges aufgrund der sich zunehmend verschlechternden Lebensbedingungen immer weitere Zugeständnisse im Rahmen der Unterhaltungsliteratur machen, um die Loyalität der Bevölkerung gegenüber dem Staat zu sichern: „Literatur-ästhetische Kriterien spielten im Unterhaltungssektor in den vierziger Jahren zunehmend weniger eine Rolle; entscheidend war zumindest eine oberflächlich ns-konforme Haltung, und die Spannung sollte selbstverständlich auch nicht fehlen.“92 Alles, was letztendlich zur Stärkung und Aufrechterhaltung der Kampfbereitschaft der Bevölkerung diente und sie dem System gegenüber loyal stimmte, war somit legitim – teilweise auch apolitische oder konjunkturelle Titel, solange sie nicht oppositionell ausgerichtet waren.93 Durch die Papierzuteilung im Krieg gab es für die Machthaber ein weiteres Mittel, ungewünschte Publikationen zu verhindern und Propagandaromane zu prote-

91 Vgl. Josting: Der ‚Schmutz- und Schundkampf‘ im „Dritten Reich“, S. 30. 92 Josting: Der ‚Schmutz- und Schundkampf‘ im „Dritten Reich“, S. 33. 93 Vgl. Ine Van linthout: „Dichter schreibt Unterhaltungsromane!“ Der Stellenwert der Unterhaltungsliteratur im „Dritten Reich“. In: Im Pausenraum des „Dritten Reiches“. Zur Populärkultur im nationalsozialistischen Deutschland. Hg. v. Carsten Würmann und Ansgar Warner. Bern [u. a.] 2008, S. 111–124. Hier S. 119: „Von Bedeutung für den ‚gesunden‘ Charakter des Unterhaltungsschrifttums war dabei weniger die Anwesenheit bestimmter ideologischer und politischer Inhalte als die Abwesenheit von Elementen, die dem Regime widerstrebten.“ Analog zur von ihr konstatierten literaturpolitisch-strategischen „totalitären Differenzierung“ (u. a. Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 9) der Nationalsozialisten konstatiert Van linthout für den nationalsozialistischen Buchmarkt das „konstitutive Neben- und Durcheinander von ausländischer und deutscher Literatur, von Literatur aus der Zeit vor und nach 1933 und von verschiedenen Abstufungen und Formen politischen und unpolitischen Gehalts“. Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 272.



142 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

gieren.94 Der NS-Staat trat zu dieser Zeit sogar mitunter selbst als Verleger von Heftchenreihen auf, wie die Serie Kriegsbücherei der deutschen Jugend, die von 1939–1945 existierte, belegt.95 Daneben initiierte die NSDAP die Abenteuerreihen Kolonial-Bücherei und Erlebnisbücherei, die an bewährte Abenteuerschemata anknüpften und teilweise sogar dem in der Bevölkerung weitverbreiteten, eher eskapistischen „Hang zur Unabhängigkeit von Krieg“96 und kompensatorischen Lesebedürfnissen nachkamen (bzw. nachkommen mussten). Barbian formuliert diese Abwendung der Leser von stark ideologielastigen Schriften ausgesprochen treffend: Wer aus der Realität des deprimierenden Kriegsalltags fliehen wollte oder im Luftschutzkeller die Angriffe überstehen musste, griff allerdings bestimmt nicht zu schwerfälligen Blutund-Boden- oder zu Kriegsromanen und schon gar nicht zu Propagandaschriften, sondern suchte in der Literatur „Unterhaltung, Ablenkung und Distanz“.97

Insbesondere für die Weimarer Republik, aber auch für das ‚Dritte Reich‘ bleibt daher festzuhalten, dass – den umfangreichen pädagogischen wie ideologischen Beeinflussungsversuchen entgegen  – das Leseverhalten der Massen durchaus nicht in dem umfassenden Maße zu steuern und zu kontrollieren war, wie es die Propagandisten intendierten, noch dazu auf einem auch im ‚Dritten Reich‘ marktwirtschaftlich organisierten Buchmarkt,98 der sich durch Angebot und Nachfrage regulierte. Die voranschreitende Partikularisierung der Leseinteressen, die sich in der Weimarer Republik abzeichnete, trug dazu bei, dass sich auch im ‚Dritten Reich‘, trotz Bücherverbrennungen und der Ausschaltung aller oppositioneller Werke, der Lesegeschmack nicht völlig gleichschalten ließ. Tobias Schneider kommt in seiner Studie Bestseller im Dritten Reich, die 40 Titel in einer Auflagenhöhe von 300.000 bis 920.000 Exemplaren erfasst, zu dem Ergebnis, dass etwa drei Viertel dieser Titel unpolitische Unterhaltungsromane seien, die „ – obwohl weitaus weniger von der NS-Literatur gefördert – im Vergleich zum NS-Roman die deutlich stärkere Gruppe“99 darstellten. Er verweist

94 Vgl. Tobias Schneider: Bestseller im Dritten Reich. Ermittlung und Analyse der meistverkauften Romane in Deutschland 1933–1944. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. 52 (2004), H. 1, S. 86. 95 Vgl. Heinz Galle: Serienliteratur im „Dritten Reich“. In: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. Autoren, Illustratoren, Verlage, Begriffe. Begründet v. Alfred Clemens Baumgärtner. Hg. v. Kurt Franz. Teil 6: Themen/Motive/Stoffe. Meitingen. 12. Erg.-Lfg. Juni 2001, S. 10. 96 Galle: Serienliteratur im „Dritten Reich“, S. 11. 97 Barbian: Literaturpolitik im NS-Staat, S. 473. 98 Vgl. Josting: Der ‚Schmutz- und Schundkampf‘ im „Dritten Reich“, S. 27. 99 Schneider: Bestseller im Dritten Reich, S. 90.



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 143

ebenfalls darauf, dass nach der ‚Konjunkturphase‘ von 1933–1935 die Leseinteressen ab 1936 immer stärker von explizit nationalsozialistischen Titeln abweichen, was sich ab Beginn des Zweiten Weltkrieges nochmals verstärkt.100 Insgesamt kommt Schneider zu folgendem Fazit: Die Bestseller des Dritten Reichs zeigen, dass die durchschnittlichen Leser im Dritten Reich kein beliebig lenkbares Massenpublikum waren, sondern einen durchaus eigenständigen Geschmack und Vorlieben hatten, die sich politisch nur schwer beeinflussen ließen. […] Pointiert könnte man formulieren: Der durchschnittliche Leser im Dritten Reich las mit Vorliebe nicht NS-Romane, sondern wissenschaftsgeschichtliche, heitere und ausländische Romane.101

Trotzdem muss zu bedenken gegeben werden, dass auch Titel mit apolitischer Oberfläche, wie beispielsweise Schenzingers Wissenschaftsroman Anilin, der die ‚Bestseller‘-Liste von Schneider anführt,102 durchaus ein für das NS-Regime funktionales Menschenbild vermitteln können.103 In diesem Zusammenhang bleibt auf Kapitel 3.2.2 zu verweisen, das u. a. die Kontinuität der großen Erfolge von Schenzingers Wissenschaftsromanen im Nachkriegsdeutschland untersucht. Wurden oberflächlich apolitische Unterhaltungsromane von einem politisch indoktrinierten Leser rezipiert, konnten sie also durchaus eine ideologiekonforme Interpretation erhalten, wenn sie den entsprechenden Ideologemen nicht diametral entgegenliefen. Die ständig in Schule, Jugendorganisation und Propagandamedien eingeübten Rezeptionsweisen, die eine apolitische Wahrnehmung der Realität kaum zuließen und alle Aspekte des Lebens der propagandistischen Perspektive unterzuordnen versuchten, sollten ja immun machen gegen eine apolitische oder gar oppositionelle Haltung. Nichtsdestotrotz ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass das Bild von einem allseitig indoktrinierbaren Individuum, wie es viele Propagandatheorien der damaligen Zeit zeichnen, relativiert werden muss und wohl eher dem Wunschdenken der Propagandisten als der Realität entspricht. Außerdem selegieren die Rezipienten durchaus selbstständig aus dem vorgegebenen Angebot. Betont die unter 3.1.3 zitierte zeitgenössische Studie von Gensch, dass die Proletarierkinder nur ganz bestimmte Teile der Zeitung bewusst und zu Unterhaltungszwecken

100 Vgl. Schneider: Bestseller im Dritten Reich, S. 90. 101 Schneider: Bestseller im Dritten Reich, S. 95–96. 102 Vgl. Schneider: Bestseller im Dritten Reich, S. 80. 103 Vgl. hierzu: Thomas Lange: Literatur des technokratischen Bewusstseins. Zum Sachbuch im Dritten Reich. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 10 (1980), H. 40, S. 52–81 [insbesondere S. 66–68: „Sachlichkeit und Faschismus: Karl Aloys Schenzinger“ und S. 68–72: „Die Rolle der Sachliteratur im ideologischen Apparat des Dritte Reiches“].



144 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

rezipierten, so verweist auch Thymian Bussemer darauf, dass die Rezipienten „nicht in Pawlo[w]scher Manier auf Kommunikationsangebote von oben reagieren, sondern vielmehr agieren, indem sie aus diesen Angeboten auswählen und sie zu ihrem eigenen Erfahrungshaushalt in Beziehung setzen. Auf diesen individuellen Deutungen beruht die Alltagspraxis, deren Ausprägung häufig erheblich von den Kommunikationsintentionen abweicht.“104 Es kann also durchaus zu einem „konfliktuelle[n] Ineinander[ ] unterschiedlicher Decodierungsformen propagandistischer Kommunikate“105 kommen. Dies kann synchron im Zeitzusammenhang geschehen, d. h. die Rezipienten nehmen die ‚vorgeschriebene‘ dominante Decodierungsform nicht an und etablieren eigene Rezeptionsweisen, aber auch vor unterschiedlichen Zeitzusammenhängen und ideologischen Hintergründen werden Werke anders rezipiert bzw. decodiert (vgl. Kapitel 3.2). Wie sich parallel ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Rezipienten etablieren können und auf welche Weise sich dadurch wiederum ein genuin ambivalentes Deutungspotenzial zu entwickeln vermag, das durchaus auch Einfluss auf die spätere, über den Rahmen der Weimarer Republik hinausreichende Rezeption hat, zeigt nicht zuletzt die Rezeptionsgeschichte der Roten-Eine-Mark Romane (vgl. Kapitel 3.2.1).

3.1.6 Wirkungspotenzial der Romane in der Weimarer Republik vor dem zeitgenössischen Hintergrund des Generationendiskurses Indem fast alle in dieser Arbeit behandelten Romane Generationenkonflikte schildern oder am Rande thematisieren, nehmen sie einen für die Weimarer Republik charakteristischen Diskurs auf. Insbesondere die Schilderung des sich von den Einflüssen des Elternhauses ‚emanzipierenden‘ Jugendlichen wird gezielt genutzt, um die Einfügung des Individuums in den Parteizusammenhang als Teil eines Reifungsprozesses darzustellen, der geprägt ist von einer utopisch überhöhten Vision vom ‚neuen Menschen‘ und einer neuen Gesellschaftsordnung; einer Ordnung, die von der ‚jungen‘ Generation geschaffen werden soll – so wird es zumindest suggeriert. Der Generationenkonflikt106 innerhalb der Wei-

104 Thymian Bussemer: Propaganda und Populärkultur. Konstruierte Erlebniswelten im Nationalsozialismus. Wiesbaden 2000, S. 149 [Schreibfehler verbessert von Michaela Menger]. 105 Bussemer: Propaganda und Populärkultur, S. 149. 106 Zur allgemeinen Einführung in den Forschungsbegriff der ‚Generation‘ vgl.: Ulrike Jureit: Generationenforschung. Göttingen 2006. Vgl. außerdem folgenden Sammelband: Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs. Hg. v. Ulrike Jureit und Michael Wildt. Hamburg 2005.



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 145

marer Republik wird in der wissenschaftlichen Literatur fast ausschließlich als Bedingungsfaktor für die nationalsozialistische Herrschaft und die Vorstellung einer klassenübergreifenden ‚Volksgemeinschaft‘ angeführt107, doch ist er ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und birgt ein Agitationspotenzial, das sich vor allem die extremistischem Parteien, also die KPD und die NSDAP, zu Nutze machen. Während die Nationalsozialisten verstärkt am nationalen Frontmythos partizipieren und die scheinrevolutionäre Utopie der ‚Volksgemeinschaft‘ propagieren, welche die Klassenverhältnisse unangetastet lässt, beziehen sich die Kommunisten eher auf zeitgeschichtliche Arbeiterkämpfe und auf die zukünftige ‚Revolution‘, also auf den Aufbau einer neuen, klassenlosen Gesellschaftsordnung vor dem Hintergrund des internationalen Kommunismus. Die Konfliktlinien der Generationen und der Klassen überlagern sich in der Weimarer Republik so teilweise und bergen unterschiedliches politisches Mobilisierungspotenzial. Wie dieser Generationendiskurs nicht nur den Inhalt der Romane, sondern auch das Alltagsleben (der Arbeiter) in der Weimarer Republik prägt, soll im folgenden Abschnitt kurz umrissen werden, da sich diese Thematik bzw. dieser Konflikt ebenfalls auf die Wahrnehmung der Romane auswirkt. Die zusehende Pluralisierung der Lebensverhältnisse, die Erosion der traditionellen Arbeitermilieus sowie die Spaltung der Arbeiterklasse im Rahmen der ‚Sozialfaschismusthese‘ tragen zur Aufweichung der klassischen Parteienbindung auch unter Arbeitern bei. Dies führt nicht zuletzt zu Generationenkonflikten. Waren die Väter noch strikt in die sozialdemokratischen Arbeitervereine eingebunden, so sperrt sich junge Generation häufig gegen diese Einfügung in einen Parteizusammenhang, der sein Mitglied ‚von der Wiege bis zur Bahre‘ begleitet. Nicht nur der desillusionierende Effekt der hohen Jugendarbeitslosigkeit, auch von der Fronterfahrung im Ersten Weltkrieg ausgeschlossen zu sein, dem prä-

107 Vgl. Michael Kater: Generationenkonflikte als Entwicklungsfaktor in der NS-Bewegung vor 1933. In: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 217–243. Vgl. Peter Dudek: Die Rolle der „jungen Generation“ und ihr Bedeutungswandel in der nationalsozialistischen Ideologie. In: Bildung und Erziehung 40 (1987), H. 2, S. 183–199. Vgl. Hans Mommsen: Generationenkonflikt und Jugendrevolte in der Weimarer Republik. In: „Mit uns zieht die neue Zeit“. Der Mythos Jugend. Hg. v. Thomas Koebner, Rolf-Peter Janz und Frank Trommler. Frankfurt a. M. 1985, S. 50–67. Vgl. Hans Mommsen: Generationenkonflikt und politische Entwicklung in der Weimarer Republik. In: Generationalität und Lebensgeschichte im 20.  Jahrhundert. Hg. v. Jürgen Reulecke u. Elisabeth Müller-Luckner. München 2003, S. 115–126. Vgl. Ulrich Nassen: Die Jüngsten. Selbstverständnis und Mentalität eines männlichen Jugendtypus‘ in der Endphase der Weimarer Republik als Modernisierungsphänomene. In: Bücher haben ihre Geschichte. Kinder- und Jugendliteratur. Literatur und Nationalsozialismus. Deutschdidaktik. Norbert Hopster zum 60. Geburtstag. Hg. v. Petra Josting und Jan Wirrer. Hildesheim [u. a.] 1996a, S. 150–160. Vgl. Hopster/Nassen: Vom „Bekenntnis“ zum „Kampf“.



146 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

genden Erlebnis und der ‚Leistung‘, auf die sich die überlebenden Väter berufen konnten, wurde von vielen Jugendlichen als Defizit empfunden und ließ die nach 1900 Geborenen als eine „überflüssige Generation“108 erscheinen, die sprichwörtlich zwischen allen Stühlen stand. Sie sahen sich also konfrontiert mit den (teilweise überholten und erodierenden) traditionellen Bindungen der Elterngeneration, dem demokratischen Pluralisierungsschub der Weimarer Republik, der verstärkten Meinungsfreiheit und dem gleichzeitigen Einzug moderner Massenmedien, sowie einer mit der Pluralisierung verbundenen Auflösung traditioneller Bindungen an den Arbeiterbezirk, den die Jugendlichen oft auf der Suche nach Arbeit oder dem Freizeitvergnügen mittels moderner Verkehrsmittel verließen, in den jedoch zusehends ‚Fremde‘ von außen zuzogen.109 Die Klassenund Milieubindung nahmen ab unter gleichzeitiger Zunahme der Bedeutung der Peer-Groups, also der Gleichaltrigen, die einen ähnlichen Erfahrungshorizont besaßen. Generationengegensätze und die Mythisierung von Jugend spielten nicht nur in der Politik eine bedeutende Rolle, sondern wurden auch im zeitgenössischen Kontext der Sozial- und Geisteswissenschaften sowie der Kunst diskutiert, um Kontinuitäten und Brüche des beschleunigten sozialen Wandels zu erklären.110 Der Begriff der ‚Generation‘ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht automatisch die Ausbildung von Gemeinschaft, nur weil die Individuen durch gemeinsame Erlebnisse und Haltungen miteinander verbunden sind. Innerhalb eines „Generationszusammenhanges“ sind nach Karl Mannheim daher oft „mehrere, polar sich bekämpfende Generationseinheiten“111 angesiedelt. Diese „Generationseinheiten“ sind also soziale Gruppen, die wiederum intern gemeinsame Deutungs- und Handlungsmuster teilen. Dieses Nebeneinander von unterschiedlichen, konkurrierenden Deutungs- und Handlungsmustern vor einem gemeinsamen Generationenhintergrund nennt Pinder die „Ungleichzeitigkeit des

108 Vgl. Detlev Peukert: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der klassischen Moderne. Frankfurt a. M. 1987, S. 26, 30–32, 94–99. 109 Vgl. Pamela Swett: Neighbors and Enemies. The Culture of Radicalism in Berlin 1929–1933. Cambridge 2004, S. 16–21. 110 Hier sind u. a. das soziologische Generationenmodell, welches Karl Mannheim entwickelte, sowie für die Kunstgeschichte Wilhelm Pinder zu nennen. Vgl. Karl Mannheim: Das Problem der Generationen. In: Karl Mannheim: Wissenssoziologie. Hg. u. eingel. v. Kurt Wolff. Berlin [u. a.] 1964, S. 509–565. [Zuerst erschienen in: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie 7 (1928/9), S. 157– 185, 309–330.] Vgl. Wilhelm Pinder: Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas. 2., durchgesehene und um ein Vorwort ergänzte Auflage. Berlin 1928 [Erstauflage: Berlin 1926]. 111 Mannheim: Das Problem der Generationen, S. 547.



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 147

Gleichzeitigen“112. Im hochgradig von Gegensätzlichkeiten und Widersprüchen geprägten Alltag der Weimarer Republik zeigt sich diese Tendenz z. B. physisch erfahrbar im Kampf um die Straße, den die extremistischen Parteien inszenierten. Im Rahmen der Literaturwissenschaft verwies Julius Petersen aus zeitgenössischer Perspektive auf die herausgehobene Bedeutung von Generationen und verdeutlichte damit „die Anknüpfung des literarischen Werdens an das Geschehen der Zeit“113: Europäische Bewegungen und Weltereignisse, die, wie der letzte Krieg, den ganzen Erdball durcheinanderwarfen, haben eine unendlich viel größere Wellenlänge und einen alle Gesellschaftsschichten durchmessenden Tiefgang und sind daher imstande, weit über alle Grenzen der Stände und der Länder Generationsgemeinschaft entstehen zu lassen.114

So wurde der Erste Weltkrieg zum „dominierende[n] Generationsobjekt der Weimarer Republik“115, das quer zu allen Klassenlinien verlief. Trotzdem waren die aus den Kriegserlebnissen zu ziehenden Konsequenzen, zumindest in den ersten Nachkriegsjahren, noch deutungsoffen: Das Ideal von der glorreichen und einheitlich zusammenstehenden Nation paßte nicht zu der von sozialen Kämpfen durchzogenen Realität, die in den ersten Jahren nach dem Krieg in den Strudel der Inflation geriet. Aus diesen Kriegserfahrungen und -erinnerungen konnte man verschiedene Schlüsse ziehen  – pazifistische ebenso wie sozialistische oder radikalnationalistische.116

Schon bald zeigte sich jedoch, dass die kollektiven und individuellen Kriegserlebnisse oft nur oberflächlich und vor dem Hintergrund der überwiegend nicht gelingenden Identifikation mit der Weimarer Demokratie thematisiert wurden. Insbesondere die moderne Massenkultur machte sich das ‚Kriegserlebnis‘

112 Pinder: Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas, S. 1–12. Vgl. dazu auch: Martin H. Geyer: „Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“. Zeitsemantik und die Suche nach der Gegenwart in der Weimarer Republik. In: Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900–1933. Hg. v. Wolfgang Hardtwig. München 2007, S. 165–187. 113 Julius Petersen: Die literarischen Generationen. In: Philosophie der Literaturwissenschaft. Hg. v. Emil Ermatinger. Berlin 1930, S. 183. 114 Petersen: Die literarischen Generationen, S. 186. 115 Carsten Kretschmann: Generation und politische Kultur in der Weimarer Republik. In: Politik, Kommunikation und Kultur in der Weimarer Republik. Hg. v. Hans-Peter Becht, Carsten Kretschmann und Wolfram Pyta. Heidelberg [u. a.] 2009, S. 17. 116 Sven Reichardt: Gewalt, Körper, Politik. Paradoxien in der deutschen Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit. In: Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit. Hg. v. Wolfgang Hardtwig. Göttingen 2005, S. 224–225.



148 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

zunutze und prägte damit die nachwachsenden Alterskohorten, für die nicht nur das Kriegsspiel zur wichtigen Freizeitbeschäftigung wurde117, denn darüber hinaus waren weite Bereiche der Freizeitgestaltung und damit auch die Rezeptionsweisen von einer ‚Kriegskultur‘ geprägt: Der Einfluß der Kriegsfilme, der Bildchen in den Zigarettenalben, der kriegsbejahenden Jugendbücher und Groschenromane intensivierte sich besonders dadurch, daß die Jugendlichen diesen imaginären Vorstellungswelten aufgrund ihres jungen Alters keine lebensweltliche Erfahrung, kein eigenes Fronterlebnis entgegensetzen konnten.118

Der Schulunterricht und zahlreiche Gedenktage und -feiern119 trugen oft ihr Übriges dazu bei, Opferbereitschaft und falsches Pathos zu vermitteln, statt beispielweise im Literaturunterricht zur kritischen Analyse von Kriegsliteratur anzuleiten. Joachim Hohmann verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der Literaturunterricht kaum der Vermittlung demokratischer Werte diente: Es ist bemerkenswert, daß das deutsche Lesebuch in der Weimarer Republik niemals den demokratischen und völkerversöhnenden Charakter annahm, den man wohl hätte erwarten können. Noch immer bestanden die Unterrichtswerke zu einem viel zu großen Teil aus Kriegsgedichten und entsprechenden Erzählungen. Die vorherrschende Haltung blieb ein falsches Pathos, das nach wie vor aus den Vorkriegs- und Kriegsausgaben Kraft gewann und sogar die „Dolchstoßlegende“ einbezog.120

Auch Horst Jochim Frank macht darauf aufmerksam, dass der Deutschunterricht in der Weimarer Republik es größtenteils versäumte, die Jugendlichen auf die aktive Teilnahme an der Demokratie vorzubereiten und dadurch einen positiven Bezug zum Staat zu vermitteln.121

117 Vgl. Reichardt: Gewalt, Körper, Politik, S. 226. 118 Reichardt: Gewalt, Körper, Politik, S. 225. 119 Vgl. Horst Gies: Die verweigerte Identifikation mit der Demokratie: Geschichtslehrer und Geschichtsunterricht in der Weimarer Republik. In: Schule und Unterricht in der Endphase der Weimarer Republik. Hg. v. Reinhard Dithmar. Neuwied [u. a.] 1993, S. 96–98 [zu „Heldengedenkfeiern“ und Festtagen in Schulen]. 120 Joachim Hohmann: Einleitung. In: Erster Weltkrieg und nationalsozialistische „Bewegung“ im deutschen Lesebuch 1933–1945. Hg. v. Joachim Hohmann. Frankfurt a. M. [u. a.] 1988, S. 11. 121 Vgl. Horst Joachim Frank: Geschichte des Deutschunterrichts. Von den Anfängen bis 1945. München 1973, S. 750: „Der Unterricht mußte jeden jungen Menschen dazu befähigen, sich zunächst durch Hören und Lesen ein selbstständiges Urteil zu bilden, sodann aber seine Interessen und Überzeugungen öffentlich in Wort und Schrift zu vertreten. Daß diese Aufgabe nicht früher erkannt und energisch in Angriff genommen wurde, bleibt ein Versäumnis, das in einem gewiß



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 149

‚Krieg‘, ‚Kampf‘ und männliches ‚Heldentum‘ blieben also auch während der Weimarer Republik zentrale Begriffe, an denen sich die Jugendlichen ausrichteten, vor allem seit der Weltwirtschaftskrise 1929, als sich eine verstärkte politische ­Polarisierung und eine „Remilitarisierung“122 der öffentlichen Meinung abzeichnete. Deutungsmuster, mit denen die Generation der nach 1900 Geborenen während und nach dem Krieg aufwuchs, wie die stereotypen Bilder von Freund und Feind, waren weiterhin prägend für die Wahrnehmung der Realität.123 Barbara Stambolis verdeutlicht eindrücklich, „daß der fiktive, spielerische Umgang mit dem Krieg zur Sozialisation der nach 1900 geborenen Alterskohorte gehörte“124: Nicht die negativen Erfahrungen während der Kriegs- und Nachkriegsjahre, die erlittenen Entbehrungen bildeten den Kern des Gemeinschaftsgefühls. Dem Vorbild des Generationserlebens einer anderen Alterskohorte, der Frontgeneration, war es vielmehr mitzuverdanken, daß sich der Gedanke der Generationsgemeinschaft auch der Nachkriegsjugend als positive und erlebbare Größe darstellte. In zahlreichen Kriegsbüchern wurde ein Bild vermittelt, nach dem das Fronterlebnis und damit die Generationsgemeinschaft als Inbegriff von Kameradschaft, Freundschaft, gegenseitiger Hilfe, Treue, edlem Verhalten schlechthin und heldischer Größe erschien. […] Bei der Nachkriegsjugend trafen Abenteuerphantasien, eigene Erfahrungen und das Vorbild der Frontsoldaten zusammen. […] Gleichzeitig war aber die Verbindung von Krieg und realitätsferner Abenteuerromantik ein Grund zur Fehleinschätzung der Wirklichkeit.125

Insbesondere Werner Graf vertieft diese Wechselwirkung zwischen alltäglicher gesellschaftlicher Erfahrung und der fiktionalen Aufbereitung des Kriegs in den Romanen, indem er ein spezifisches Rezeptionsmodell der ‚Lesegeneration‘ der Nachkriegsjugendlichen annimmt, das er an einer Einzelfallstudie exemplifiziert und im Rahmen der Entwicklung eines Lesemodells vom „Kampf als literarische[m] Erlebnis“ (in Anlehnung an Ernst Jüngers Der Kampf als inneres Erlebnis von 1922) generalisiert:126

nicht ausschlaggebenden, aber doch nicht zu unterschätzenden Maße die Katastrophe des Jahres 1933 mitverschuldet hat.“ 122 Reinhard Dithmar: Erziehung zum Frieden durch Kriegsliteratur? In: Zeitschrift für Pädagogik 5 (1983), S. 726. 123 Vgl. Petra Maria Schulz: Die Ästhetisierung von Gewalt in der Weimarer Republik. Münster 2004, S. 178. Vgl. Reichardt: Gewalt, Körper, Politik, S. 223–224. 124 Barbara Stambolis: Mythos Jugend. Leitbild und Krisensymptom. Ein Aspekt der politischen Kultur im 20. Jahrhundert. Schwalbach im Taunus 2003, S. 102. 125 Stambolis: Mythos Jugend, S. 102–103. 126 Vgl. Werner Graf: Lesen und Biographie. Eine empirische Fallstudie zur Lektüre der Hitlerjugendgeneration. Tübingen/Basel 1997 [insbesondere Kapitel 6: „Lesekonstruktion: Der Kampf als literarisches Erlebnis“, S. 67–81].



150 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Das Lesen diente nicht der friedfertig-selbstbezogenen Individualisierung, es regte ein aggressiv nach außen gerichtetes Gemeinschaftsgefühl an. […] Das Buch als vereinzelndes Medium schloß potenzielle Mitspieler aus. In das einsame Spiel zogen neben den literarischen Bildern und Gestalten die Eindrücke aus den [realen,] organisierten Massenerlebnissen ein. […] In die bewegten Massen der inszenierten Kundgebungen, der marschierenden Verbände und der Schlachten reihte sich der junge Leser ein, als seien sie ein Bild für die Bewegungen von Wünschen und Enttäuschungen in seinem Kopf. Lesen hieß kampfbereit sein, so richtete sich die Phantasie auf den Krieg als den Ernstfall, der mental simuliert wurde. […] Der vom Krieg erzählende Vater beglaubigt die Lektüre des Sohnes.127 Es sei hier dahingestellt, ob sich das von Jünger entworfene innere Erlebnis des Kampfes an der Front oft einstellte, als Leseerlebnis hat es dagegen hohe Wahrscheinlichkeit. Der Kampf als literarisches „inneres Erlebnis“, wie es sich in Wilhelm Dörens Jugendlektüre abzeichnet, ist wahrscheinlich die typische Rezeptionsform für jene männliche Generationsgruppe, die sich der Lektüre von Kriegsbüchern überließ.128

Dabei bekam die Auseinandersetzung der ‚Nachkriegsgeneration‘ mit dem Erbe der Väter, also der ‚Kriegsgeneration‘, einen durchaus ambivalenten Status. Denn einerseits erschienen die öffentlich gefeierten Kriegsteilnehmer als „überlebensgroße Vorbilder“129, andererseits waren die heimkehrenden Väter „geschlagene Helden“130, physisch und psychisch deutlich von der Kriegsniederlage gezeichnet. Die Väter forderten trotzdem Anerkennung für den Kriegseinsatz und ihren angestammten Platz in der Familie als Autoritätsfigur ein, was zu starken intergenerationalen Spannungen führte. Orientierung suchte die junge Generation daher eher im pathetisch verklärten Helden- und Opfermythos: Weit ungebrochener aber als die überlebenden Väter verkörperten die toten Helden dieses Ideal. Ihr Leben und Sterben konnte dem Helden- und Opfermythos entsprechend interpretiert werden. Sie repräsentierten nicht den leiblichen Gegensatz zwischen den mythischen Heldenbildern und der Realität einer geschlagenen Nation. Der sakrale Gefallenenkult und der Auftrag, das Werk der Toten zu vollenden, es besser zu machen als die Alten, verfehlte nicht die Wirkung auf die nachwachsende männliche Generation.131

Insbesondere die Straßenkämpfe und die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen der radikalen Parteien in der Weimarer Republik boten einerseits die Möglichkeit, die Nachfolge der Väter anzutreten und ein eigenes männliches Selbstbewusstsein im Kampf zu entwickeln, andererseits dienten sie einer neuen

127 Graf: Lesen und Biographie, S. 70–71. 128 Graf: Lesen und Biographie, S. 73. 129 Schulz: Die Ästhetisierung von Gewalt in der Weimarer Republik, S. 179. 130 Schulz: Die Ästhetisierung von Gewalt in der Weimarer Republik, S. 179. 131 Schulz: Die Ästhetisierung von Gewalt in der Weimarer Republik, S. 179–180.





3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 151

revolutionären Idee bzw. Gesellschaftsordnung, womit sich die Jugendlichen deutlich von der ‚älteren Generation‘ unterscheiden konnten und ihnen suggeriert wurde, sie hätten Teil an etwas ganz Neuem, Besserem. Genau dieses ‚Generationenpotenzial‘ machten sich die radikalen Parteien bei ihrer Agitation von jugendlichen ‚Parteisoldaten‘ zunutze. Zudem kam ihnen der Autoritätsverlust der familiären Instanzen sowie das hohe Frustrations- und Deprivationsgefühl der erheblichen Anzahl an Jugendarbeitslosen zugute, für die die Straße und die Peer-Groups zu primären Sozialisationsinstanzen wurden. Diesem quasi frei flottierenden Orientierungsbedürfnis der Jugendlichen eine Richtung zu geben und deren oftmals von Arbeitslosigkeit geprägten Alltag durch Parteiaktivitäten zu strukturieren bzw. zu vereinnahmen, hatten sich die extremistischen Parteien verschrieben. Swett schildert die Situation der männlichen Arbeitslosen in der Weimarer Republik sehr anschaulich: In addition to the uniform and identity card that came with membership in most political organizations, participation meant a circle of friends, a pub to pass the time in, a cause to support, and activities to fill the otherwise long, empty day. […] Beyond traditional forms of activism, organizations at both ends of the spectrum kept their supporters busy with sports and weekend trips, and both the NSDAP and KPD worked diligently to finance summer excursions and stays outside of Berlin for youngsters, even during the Depression. For the unemployed male worker, the only other option might be to stay home in what was the feminine sphere. Besides the fact that doing household chores or minding children was considered demeaning to most men, workers’ apartments were exceedingly small and cramped. […] Likewise, it made sense for men to seek out any escape that allowed them to combat their feelings of powerlessness with bravado, physical challenge, and militarism would be especially attractive.132

Zur Überwindung der von Arbeitslosen empfundenen Deprivation appellierten die KPD wie NSDAP an das (ohnehin bereits teilweise sozialstrukturell vorgeprägte) heroische Lebensgefühl der kommenden Generationen zur revolutionären Umgestaltung, während die SPD als die Partei der Väter eher als saturiert erschien, den Jugendlichen wenig Mitwirkungsmöglichkeiten bot und lediglich dazu aufrief, in die Fußstapfen der Väter zu treten und sich somit als wenig attraktiv für Jüngere und/oder Arbeitslose präsentierte.133 Insbesondere in Arbeitermilieus, in denen sich die Spaltung von KPD und SPD deutlich abzeichnete,

132 Swett: Neighbors and Enemies, S. 174–175. 133 Vgl. Swett: Neighbors and Enemies, S. 112. Vgl. Mommsen: Generationenkonflikt und Jugendrevolte in der Weimarer Republik, S. 58.



152 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

ergaben sich „Einfallsmöglichkeiten“134 für die NSDAP. Der Kampf um die Vorherrschaft im Arbeitermilieu konzentrierte sich auf das Dominieren der Straße, die zum einen Ort der symbolischen Machtdemonstration, zum anderen zentraler Kommunikationspunkt war, sowie auf die Einrichtung zentraler nationalsozialistischer Stützpunkte im proletarischem Milieu in Form von Kneipen, sogenannten ‚Sturmlokalen‘, die mitunter auch durch materielle Gratifikationen wie ein warmes Essen oder einen Schlafplatz vor allem arbeits- und sozial bindungslose Männer anlockten.135 Die persönliche Ansprache und vor allem das Vordringen in den Privatbereich der Jugendlichen durch zahlreiche Freizeit- und Organisationsangebote führten zu einer Begegnung mit den umfassenden Agitationsmethoden beider extremistischer Lager. Vor allem die Straße sowie die Orientierung am direkten sozialen Umfeld, also an gleichaltrigen Meinungsführern, brachten die Jugendlichen in Kontakt mit den politischen Organisationen. Dabei wirkte die physische Dimension von Propaganda, also die Aufmärsche in den Straßen, Symbole, Grußformeln, Uniformen, Fahnen zunächst sicher am eindringlichsten. Flankierend dazu kam die politische Belletristik von linker wie rechter Seite zum Tragen. Vor allem intertextuelle Verweise innerhalb der Romane auf Zeitschriften, Nachrichten, Plakate sowie intermediale Verweise auf Lieder, Fahnen, Abzeichen etc. artikulieren aus dem je parteispezifischen Blickwinkel die Straßenkämpfe und die physische Präsenz der eigenen ‚Bewegung‘ unter Abwertung der politischen Gegner. Hier wird also der für den Arbeiter tägliche Eindruck der sinnlich erfahrbaren Propaganda nochmals angesprochen, fiktional überhöht und die Interpretation der Straßenkämpfe bzw. die Unterscheidung zwischen Freund und Feind sichergestellt sowie das richtige Vorgehen beim Ausschalten des jeweiligen politischen Gegners demonstriert und als Handlungsanweisung

134 Detlef Schmiechen-Ackermann: Nationalsozialismus und Arbeitermilieus. Der nationalsozialistische Angriff auf die proletarischen Wohnquartiere und die Reaktion in den sozialistischen Vereinen. Bonn 1998, S. 434. 135 Vgl. Schmiechen-Ackermann: Nationalsozialismus und Arbeitermilieus, S. 375, 378. Vgl. Eve Rosenhaft: Links gleich rechts? Militante Straßengewalt um 1930. Übersetzt von Thomas Lindenberger und Alf Lüdtke. In: Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit. Hg. v. Thomas Lindenberger und Alf Lüdtke. Frankfurt a. M. 1995, S. 246, S. 252: „[D]as Sturmlokal [stellte] einen fremden Stützpunkt dar, der einzelne dazu zwang, ihren üblichen Heimweg abzuändern oder der den abendlichen Ausgang zum Risiko machte.“ Vgl. Conan Fischer: The German Communists and the Rise of Nazism. Houndmills [u. a.] 1991, S. 144: „The SA in particular was not simply a fighting organization and propaganda vehicle, but also a form of surrogate welfare institution which distributed food and clothing collected from the Nazi movement’s lower-middle and middle-class following, among its young, male, unemployed membership.“



 3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 153

implementiert. Die unterschiedlichen Propagandaformen verweisen also aufeinander und sind hochgradig verzahnt. Insbesondere die jugendlichen Milieus erwiesen sich aufgrund der oben geschilderten Situation als relativ durchlässig und begriffen sich, von ähnlichen Erfahrungen wie Arbeitslosigkeit oder der Erosion der Familienstrukturen durch den Krieg geprägt, auch klassenübergreifend in der Selbstzuschreibung als ‚verlorene Generation‘. Sie wurden jedoch vor allem durch das aktivistische und allmächtige Bild, das insbesondere die Parteien von einer hoffnungsvollen zukunftstragenden Jugend zeichneten, die sich in die Parteistrukturen einbinden ließ, ideell aufgewertet und zum ‚Mythos Jugend‘ verklärt. Vor allem die extremistischen Parteien versuchten ganze Peer-Groups zu integrieren und auch die apolitischen, oft sogar anarchisch agierenden Cliquen in die Partei einzubinden.136 Dies führte oftmals jedoch nicht zur Herausbildung fester Parteibindungen und ideologischer Überzeugungen, sondern häufig wurden auch persönliche Konflikte in den Nachbarschaften oder Cliquen auf die Ebenen der parteipolitischen Kämpfe übertragen, was nicht selten die Fluktuation zwischen kommunistischen und Nazi-Organisationen zur Folge hatte, worauf auch Eve Rosenhaft verweist: „Oft, wenn auch nicht ausschließlich, lag dem der Versuch der Jugendlichen vor Ort zugrunde, die politischen Organisationen als Vehikel persönlicher Macht- und Prestigeinteressen in der Nachbarschaft zu benutzen.“137 Dies deutet bereits auf einen gewissen ‚Eigensinn‘138 insbesondere auf der lokalen Ebene der Arbeiter hin, die sich nicht alleinig zum Instrument parteipolitischer Ansprüche machen ließen, sondern durchaus ganz konkret die materiellen und lebensweltlichen Vorteile eines politischen Engagements abwogen und teilweise aus der Konkurrenzsituation zwischen KPD und NSDAP im Kampf um den Arbeiter

136 Vgl. Rosenhaft: Links gleich rechts?, S. 247. Vgl. Swett: Neighbors and Enemies, S. 200. Insbesondere Kämpfende Jugend schildert das durch fortwährende Agitationsversuche des KJVD erwachende gesellschaftliche Bewusstsein einer anarchischen Clique, die schließlich fast geschlossen zum KJVD überläuft. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 96, S. 127. In Der Hitlerjunge Quex wird von nationalsozialistischer Seite hingegen kaum zwischen Clique und kommunistischer Jugend unterschieden, meist ist diffus von Clique die Rede, nur an vereinzelten Stellen wird bewusst die KPD oder der „KJJ [KJI?]“ bzw. „sonst ein roter Jugendverband“ genannt. Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 219, S. 225. 137 Rosenhaft: Links gleich rechts?, S. 256. Vgl. auch Swett: Neighbors and Enemies, S. 21–22: „More importantly, people were using their local party structures to confront neighborhood issues and problems rather than to advance the grand visions outlined in the party programs. […] Conflict arose, however, between the parties and their supporters when neighborhood activism failed to heed the limits of party policies and regulations.“ 138 Vgl. Alf Lüdtke: Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrung und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus. Hamburg 1993.



154 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

durchaus ihren eigenen Vorteil ziehen konnten bzw. wollten. Einen ähnlichen ‚Eigensinn‘ bzw. ein Gespür für die ‚Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen‘ kann auch bei der Rezeption von Literatur durch Arbeiter festgestellt werden, die zwar, wie oben geschildert, den unterschiedlichsten ideologischen und pädagogischen Erziehungs- und Beeinflussungsversuchen ausgesetzt waren, letztendlich jedoch durchaus eigenständig aus dem vorhandenen Lektüreangebot der Weimarer Republik auswählten. So wurde sicherlich Disparates nebeneinander gelesen, Politisches neben Apolitischem, ‚Schund‘ neben ‚Wertvollem‘, Altes neben Neuem etc. Eine einseitige Festlegung der Leser auf rein politische Stoffe scheint in den seltensten Fällen gegeben zu sein. In Berührung mit der politischen Belletristik kamen die Leser zumeist auf der Straße im Rahmen von politischen Aktionen, aber auch bei Vorträgen, in den Betrieben und vor allem im Kontakt mit den Peer-Groups und deren Empfehlung eines solchen Werkes. In den Romanen zeigt sich ebenfalls deutlich die Bezugnahme auf die oben beschriebenen, das Bewusstsein der Nachkriegsgeneration prägenden, gesellschaftlich tradierten Wahrnehmungsstrukturen des FreundFeind Dualismus und des Generationenkonfliktes, die oft sogar verkoppelt Leerstellen eröffnen für die jeweils parteipolitische Belegung, in deren Rahmen die eigene Partei jeweils als ‚jung‘, fortschrittlich und dynamisch erscheint. Diesen real existierenden zeitgeschichtlichen Diskurs und die teilweise durch ihn vorgeprägten Wahrnehmungsstrukturen gilt es bei der Interpretation der hier untersuchten Werke besonders zu beachten, um herauszukristallisieren, in welcher Weise sich das kommunistische wie das nationalsozialistische Lager des Generationenkonflikts bediente und ihn im jeweiligen parteipolitischen Sinne ausdeutete.

3.1.7 Zusammenfassung Insgesamt zeigt das vorliegende Kapitel, dass die Romane nicht linear im Sinne eines Stimulus-Response Mechanismus, also einem Modell, das von einem aktiven Sender und einem lediglich passiven Empfänger (Rezipienten) ausgeht, wirkten. Sie wurden daher keineswegs so rezipiert, dass das vom Sender intendierte Propagandakommunikat bzw. die von ihm ausgesendeten Reize eins zu eins vom Leser dekodiert wurden und unmittelbar entsprechende Reaktionen hervorriefen. Vielmehr wird evident, dass die Rezipienten Propagandaangebote durchaus aktiv selegierten. Eine Vielzahl von sozialen und ökonomischen Faktoren bedingt und begrenzt zudem die Reichweite der politischen Belletristik. Zu nennen sind hier die eingeschränkten Lektürebudgets der Arbeiter, ein privatwirtschaftlich organi



3.1 Rezeptionsbedingungen im zeitgenössischen Umfeld der Weimarer Republik 

 155

sierter, sehr vielfältiger Literaturmarkt der Weimarer Republik, in dem eine Fülle von Unterhaltungsangeboten miteinander konkurrieren, eine Pluralisierung der Lebensstile der Arbeiter, deren schichtenspezifische Leseprofile infolgedessen zusehends verschwimmen, sowie mit dem beschleunigten sozialen Wandel auch die allmähliche Auflösung der festen Bindung an bestimmte Sozialmilieus und Parteien. Der an sich schwer greifbaren Masse kommen die politischen Lager mit einer Vielzahl unterschiedlicher Propagandaformen und -medien entgegen, die teilweise aufeinander Bezug nehmen, somit hochgradig verzahnt sind und sich durchaus multiplizieren. Dies zeigt sich unter anderem an der Vielzahl der intertextuellen und intermedialen Verweise innerhalb der hier behandelten Romane (vgl. Kapitel 5), die auf die unterschiedlichsten parteipolitischen Propagandaformen referieren und diese als bekannt voraussetzen. Für politische Belletristik scheint generell ein parteinaher Vermittlungszusammenhang immanent zu sein, d. h. es ist davon auszugehen, dass der Leser dieser spezifischen Form der Unterhaltungsliteratur durch sein unmittelbares Sozialmilieu, also die Peer-Groups, die Sozialisation im Rahmen der Straße bzw. des Kiezes, Kollegen oder die Familie, ersten Kontakt zum Parteiumfeld und dessen (sinnlich erfahrbaren) Propagandaformen z. B. in Form von Versammlungen, Freizeitveranstaltungen, Aufmärschen etc. knüpft und in diesem Zusammenhang auch in Kontakt mit den entsprechenden Lesestoffen kommt. Neben die unvermittelte Wahrnehmung der Propagandamedien und -veranstaltungen treten also persönliche Kontakte und der Einfluss von Meinungsführern.139 In diesem Punkt gibt es auf den ersten Blick zwischen der Vermittlung der kommunistischen wie der nationalsozialistischen Lesestoffe wenige Unterschiede.

139 Den sozialen Verankerungen der Rezipienten bezüglich des Einflusses von Medienwirkungen trug in der Medienwirkungsforschung zuerst Paul Lazarsfeld mit seinem Modell des TwoStep-Flow of Communication Rechnung, das er im Rahmen einer Untersuchung zum Einfluss der Medien auf die politische Meinungsbildung der Wähler während Präsidentschaftswahlen 1940 entwickelte. Das Modell schwächt den unmittelbaren Einfluss der Medien ab, indem es eine zwischen Medien und Rezipienten angesiedelte Ebene der persönlichen Kommunikation der Medieninhalte annimmt, innerhalb derer vermittelnde Meinungsführer starken Einfluss nehmen auf die Rezeption und Interpretation des jeweiligen Medienangebotes. Vgl. Paul Lazarsfeld, Bernhard Berelson und Hazel Gaudet: The People’s Choice. How the Voter Makes up His Mind in a Presidential Campaign. New York 1944. Mittlerweile geht die Medienwirkungsforschung eher von flexiblen Netzwerktheorien als von starren Rollenzuweisungen im Kommunikationsprozess aus. Somit kann jeder in jeweils unterschiedlichen Bereichen sowohl Meinungsführer als auch passiver Rezipient sein. Einen guten Überblick über die Hypothese des Two-Step-Flow of Communication und die Netzwerkmodelle liefert: Michael Schenk: Medienwirkungsforschung. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Tübingen 2007 [insbesondere: S. 350–400].



156 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Die erschwerten Distributionsbedingungen im Rahmen der Illegalität schränken jedoch den Freiraum bei der Werbung und Vermarktung der kommunistischen Romane enorm ein, verleihen ihnen und damit der gesamten ‚Bewegung‘ das Gepräge der Illegalität, was für einzelne jugendliche Rezipienten sicher reizvoll sein mag, den wirklich klassenübergreifenden, massenhaften Vertrieb jedoch verhindert. Die Vermarktungsweise sowie die Thematik der nationalsozialistischen Romane richten sich hingegen sehr viel stärker klassenübergreifend aus. Bezeichnend hierfür sind auch die Lektüreeindrücke der Rezipienten. Während klassenbewusste Proletarier im Rahmen einer Umfrage zu den Roten Eine-Mark-Romanen als positiven Lektüreeindruck angeben, dass sie ihre soziale Realität innerhalb der Romans wiedererkennen140, so hebt eine kleinbürgerliche Leserin von Der Hitlerjungen Quex lediglich auf den allgemein spannenden und mitreißenden Inhalt ab141. Dies sind nur zwei grobe Tendenzen, doch setzt man sie in Zusammenhang mit dem Inhalt und den jeweiligen literaturpolitischen Konzepten, so zeigt sich, dass es den nationalsozialistischen Romanen primär gar nicht darum geht, arbeiterspezifische Erfahrungen explizit zu artikulieren. Die Vermittlung kämpferischer Tugenden und bedingungsloser parteipolitischer Gefolgschaft im Rahmen von affektgeladenen und spannenden bzw. unterhaltenden Handlungssequenzen steht vor der Übermittlung spezifischer Inhalte. Zwar werden solche Kampftugenden und die absolute Loyalität gegenüber der Partei auch von den proletarisch-revolutionären Romanen artikuliert, diese versuchen jedoch immer auch den aktuellen Kurs der Partei einzubeziehen, bauen damit auf ein Mindestmaß an politischer Bildung des Lesers auf, der die ideologischen Grundlagen zumindest oberflächlich nachvollziehen soll, erschöpfen sich letztendlich jedoch trotz des ihnen inhärenten emanzipativen Potenzials oftmals in dem Versuch, die Arbeiter mit parteipolitischen Ansprüchen zu belagern und lassen so kaum Freiraum für die Entwicklung einer Arbeiterkultur ‚von Arbeitern für Arbeiter‘. Darüber, inwieweit eine solch parteipolitisch gefärbte Form der Unterhaltungsliteratur beim Lesepublikum ankam, gibt es (wie bereits betont) kaum verlässliche Quellen. Letztendlich bleibt anzunehmen, dass sie, wenn es ihr gelang das Unterhaltungsbedürfnis der Leser zu befriedigen, durchaus dankbare Abnehmer fand. Für Arbeiter, denen diese Art der Literatur nicht zusagte, gab es ohnehin auf dem Buchmarkt der Weimarer Republik genügend andere Alternativen im Bereich der Unterhaltungsliteratur.

140 Vgl. Gotsche: Kritik der Anderen, S. 28–30. 141 Vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 61.





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 157

3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren über die Weimarer Republik hinaus Vor der Folie der gänzlich gewandelten ideologischen und zeitgeschichtlichen Hintergründe nach 1945 wird auch die im Rahmen der Endphase der Weimarer Republik entstandene politische Belletristik der beiden extremistischen Parteien mit dem ihr inhärenten Selbstanspruch der ‚Kampfliteratur‘ anders wahrgenommen. Während die nationalsozialistischen Romane nach der Entnazifizierung nicht wieder aufgelegt werden, erfahren die Roten Eine-Mark-Romane im geteilten Deutschland erneute Aufmerksamkeit. Dem jeweiligen politischen Hintergrund entsprechend werden ganz unterschiedliche Aspekte der Roten Eine-Mark-Romane wieder aufgenommen und funktionalisiert, was die teilweise recht gegensätzliche Rezeption und Vermittlung der Romane in der zweiten Lesegeneration in Ost- und Westdeutschland zur Folge hat. Dass jeweils ein ganz unterschiedliches Potenzial der Romane eine Reaktivierung erfährt, ist nicht zuletzt deshalb möglich, weil (wie unter 2.1.2 und 3.1.4 geschildert) bereits aus den literaturpolitischen Kontroversen der Weimarer Republik ein letztlich ambivalentes Konzept der Reihe resultiert. Zwar werden die nationalsozialistischen Romane nach 1945 nicht wieder aufgelegt, dennoch sind alle Autoren dieser Romane bis in die 1960er Jahre aktiv und es gelingt ihnen, sich wieder – je nach Autor mehr oder weniger erfolgreich – am Literaturmarkt zu etablieren. Allen voran ist Karl Aloys Schenzinger zu nennen, dessen Technikromane bereits im ‚Dritten Reich‘ Bestsellerromane waren und bis in die 1970er Jahre hinein enorme Auflagen erreichten. Die Kontinuität und dem Erfolg dieser (zumindest oberflächlich) apolitischen Technikromane gilt es zu verfolgen. Daneben gilt es zu beachten, ob und in welchem Maße die Autoren sowie die Verlage überhaupt die nationalsozialistische Vergangenheit thematisieren und wie die ex-nationalsozialistischen Autoren und ihre ‚neuen‘ Werke in der bundesdeutschen Presse rezensiert wurden. Des Weiteren ist nach dem Charakter der ‚neuen‘ Werke dieser Autoren zu fragen. Zeichnen sich ein Bruch und ein Wandel in der Thematik und im Stil der Romane ab, die unter Umständen als Konsequenz der nationalsozialistischen Vergangenheitsbewältigung gedeutet werden können? Werden bewusst apolitische Themen gewählt, aber die alten Schemata bleiben erhalten? Oder bleiben manche der Autoren unverbesserlich der nationalsozialistischen Ideologie verhaftet? Diesen Fragen muss im Zusammenhang mit den (ehemals) nationalsozialistischen Autoren, ihrer Biographie und ihren Werken in der Bundesrepublik nachgegangen werden. Schließlich soll der von Zwiespältigkeiten geprägte gegenwärtige Umgang mit den NS-Texten näher betrachtet werden. Hier gibt es sehr unterschiedliche Ansichten dazu, ob, in welchen Rahmen und zu welchem Ziel eine öffentliche Behandlung der NS

158 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Romane (oder auch Filme) stattzufinden hat. Dabei stellt sich u. a. die Frage, ob die Behandlung der NS-Romane, beispielsweise im Schulunterricht, Relevanz hat und wünschenswert ist.

3.2.1 Unterschiedliche Rezeption der Roten Eine-Mark-Romane im geteilten Deutschland Die Reihe des Roten Eine-Mark-Romans erfuhr in der Weimarer Republik kaum Beachtung innerhalb der germanistischen Forschung. Die zeitgenössische Germanistik, die zu dieser Zeit noch beharrlich an der Aufrechterhaltung der Dichotomie von hoher und niedriger Literatur festhielt, war wenig interessiert an den vermeintlich ‚trivialen‘ Darstellungen des Arbeiteralltages und der proletarischen Heftchenliteratur. Größeres Interesse erwachte erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich das DDR-Regime mittels einiger Roter Eine-Mark-Romane seiner sozialistischen Wurzeln besann. Jedoch wurden zahlreiche von den in der Reihe erschienenen Bändchen nicht mehr oder nur in überarbeiteten Versionen aufgelegt, da sie aus Sicht des SED-Regimes zu anarchistisch waren und offen zur Revolution aufriefen, während die DDR eher an Konsolidierung interessiert war. In der BRD setzte die Rezeption der zweiten Lesergeneration etwa zehn Jahre später ein, da die Roten Eine-Mark-Romane erst in den 1960er/1970er Jahren durch die Studentenbewegung wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gerieten. Besonders die bis dahin unterbliebene Auseinandersetzung der etablierten Germanistik mit der vermeintlich ‚trivialen‘ kommunistischen Arbeiterliteratur, sowie vor allem mit der Vergangenheit unter der nationalsozialistischen Herrschaft, barg enormes Konfliktpotenzial für Auseinandersetzungen zwischen Professoren und Studenten. Vielen Studenten kam daher das Auflehnungspotenzial, welches die Romane besaßen, entgegen: Bei ihrer Entdeckung an den westdeutschen Universitäten der späten sechziger Jahre hatte proletarisch-revolutionäre Literatur zumal der Weimarer Republik eine geradezu elektrisierende Funktion  – schien ihre bloße Existenz die herrschende Germanistik, die eine derartige Literatur ignoriert hatte, doch schlagend zu entlarven, und schien diese Literatur zudem von einem proletarischen Widerstandspotenzial zu zeugen, das der bürgerlichen Gesellschaft die Stirn zu bieten sich ansetzte.142

142 Walter Fähnders: Zur Erforschung proletarischer Literaturtraditionen anhand eines Lexikons. In: Literaturtheorie und Geschichte. Zur Diskussion materialistischer Literaturwissenschaft. Hg. v. Rüdiger Scholz und Klaus-Michael Bogdal. Opladen 1996, S. 257.





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 159

War die Studentenbewegung der sechziger Jahre zunächst eher an der Reaktivierung des revolutionären Potenzials der Romane interessiert, so versuchte die DDR diese in den Literaturkanon als Versicherung des proletarischen Erbes und Zeichen der antifaschistischen Traditionen einzugliedern. Zudem sollte die Arbeiterliteratur dort den erreichten Status Quo befestigen und zur Selbstvergewisserung beitragen. Damit dienten die Romane in den beiden deutschen Staaten fast gänzlich entgegengesetzten Zielen und nahmen die jeweils unterschiedlichen Aspekte, die in dem an sich schon ambivalenten Konzept der Roten Eine-MarkRomane angelegt waren, wieder auf. Dies zeigt sich auch in der Verlegerpraxis (vgl. Übersicht im Anhang II). Auffallend ist, dass in der BRD vorwiegend die Romane eine starke Rezeption erfuhren, welche in der DDR aus ideologischen Gründen nicht mehr publiziert oder in ‚überarbeiteten‘ Fassungen herausgegeben wurden.143 In der Bundesrepublik sind bis auf den dritten Band, dem russischen Roman Zwischen den Fronten, der auch in der DDR nicht mehr neu aufgelegt wurde, alle Titel in Originalfassungen durch linke Arbeiterverlage wie dem Oberbaumverlag erneut publiziert und dann vereinzelt auch von der Forschung (ideologie-)kritisch rezipiert worden. Besonders augenfällig ist, dass in beiden deutschen Staaten Sturm auf Essen 1952 und Märzstürme 1953, wenn auch teilweise in überarbeiteten Fassungen, jeweils parallel zueinander wieder aufgelegt wurden. Dies mag mit der Zerstörung von Märzstürme durch die Nationalsozialisten zusammenhängen, sodass das Werk erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht werden konnte. Bei Sturm auf Essen kommt auch ein lokaler Faktor hinzu, denn das Buch wurde im Westen zuerst 1952 in einem kleinen Verlag in Essen publiziert. Susanne Schöberl hebt das wechselnde Verhältnis der Kulturpolitik der DDR zum proletarisch-revolutionären ‚Erbe‘ hervor und betont, dass am Anfang der 50er Jahre aus politischstrategischen Gründen die Berufung auf die (Weimarer) Klassik und den Humanismus dominiert habe: Die Berufung auf die Traditionen der deutschen Klassik und des Humanismus steht bis Anfang der fünfziger Jahre unter dem Aspekt, möglichst weite Kreise für den antifaschis-

143 Ein Paradebeispiel für eine ‚überarbeitete‘ Fassung eines Roten Eine-Mark-Romans ist Marchwitzas Sturm auf Essen, dessen DDR-Auflage kaum mehr Übereinstimmungen mit dem Original aufweist. Die überarbeitete Auflage ist zuerst 1952 im Verlag Neues Leben in der DDR erschienen, die überarbeitete DDR-Fassung wurde aber auch im Westen veröffentlicht: Verlag Dein Buch, Essen 1952; Kürbiskern-Lizenzausgabe, München 1979 sowie Hg. v. Kommunistischen Arbeiterbund im Verlag Neuer Weg, Tübingen 1971. Die Originalausgabe von 1930 wurde in Westdeutschland 1972 bei Kiepenheuer & Witsch verlegt, ein Reprint der Originalausgabe gab 1976 auch die Produktion Ruhrkampf Köln heraus.



160 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

tischen Aufbau zu gewinnen, als größter gemeinsamer Nenner verbindet dieses Leitmotiv die verschiedensten Gruppen und Schichten. Als ab 1952 der Aufbau der Grundlagen des Sozialismus beschlossen wird, entwickelt sich die Kategorie des Erbes zu einem Aspekt für die Legitimation von Macht und Herrschaft. […] Die staatliche Herrschaft, die nicht durch eine revolutionäre Umwälzung erreicht worden ist, die auf ein breites Bündnis angewiesen ist, deckt mit Hilfe von Kontinuitätsverweisen in Kunst und Kultur einen Teil ihres Legitimationsbedürfnisses.144

Für Schöberl ist das relativ frühe Anknüpfen der DDR an die proletarisch-revolutionären Romane, die historische Arbeitskämpfe thematisieren und die revolutionären Ereignisse nach dem ersten Weltkrieg behandeln, kein Kontrast zu dieser breiten Bündnispolitik – ganz im Gegenteil: Die Orientierung auf die Sowjetunion und auf eine starke kommunistische Bewegung ist nicht so prägnant ausgebildet wie in späteren Romanen. Ihnen kommt unterstützender Wert zu in einer Zeit, die gegen die Greuel des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges die Perspektive der Humanität und der Aufhebung von Unterdrückung stellt.145

Erst nach der Phase des Aufbaus des Sozialismus setzt 1956 eine Periode der Lockerung nach dem XX. Parteitag der KPdSU ein – die sogenannte ‚Tauwetterperiode‘. In Leipzig wird 1958 die Abteilung Geschichte der sozialistischen Literatur an der Akademie der Künste gegründet, wodurch die wissenschaftliche Beschäftigung mit der proletarisch-revolutionären Literatur beginnt. Noch 1958 wird Neukrantz’ Roman Barrikaden am Wedding verlegt, es folgen 1960 Maschinenfabrik N&K, Rosenhofstraße und Schlacht vor Kohle. Nicht wieder aufgelegt werden Franz Krey: Maria und der Paragraph, Walter Schönstedt: Kämpfende Jugend, Mike Pell: S.S. Utah, da deren Werke aus Sicht des Staatssozialismus als zu anarchistisch gelten. Zudem ist S.S. Utah ein amerikanischer Roman146 und die Abtreibung wird in der DDR erst ab 1972 legalisiert. Auch Schönstedt wird im Lexikon sozialistischer deutscher Literatur dementsprechend negativ bewertet:

144 Susanne Schöberl: Kontinuität und Bruch. Proletarisch-revolutionäre Romane in der Weimarer Republik und Betriebsromane in der DDR-Aufbauphase. Zwei Beispiele zu Literatur im gesellschaftlichen Prozeß. Frankfurt a. M. 1986, S. 129, 130–131. 145 Schöberl: Kontinuität und Bruch, S. 135. 146 Die einzige Rezension, die sich zu dem Roman finden ließ, stammt ebenfalls aus Amerika, stellt unter What America Needs ein euphorisches Plädoyer für S.S. Utah dar und bezeugt zugleich dessen internationale Wirkung. Der Rezensent kommt zu dem Schluss: „If this is worker’s correspondence, maybe what America needs is more worker’s correspondence. It may be not literature, but it reads like Dashiel Hammett [Begründer des amerikanischen Kriminalromans, M.M.] and I’m crazy about it.“ Robert Forsythe: What America Needs. In: The New Masses 10 (Feb 13th, 1934), S. 27.





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 161

Aufgrund seiner nur spontanen Hinwendung zum revolutionären Proletariat gelangte Sch.[önstedt] in keinem seiner Bücher über die Darstellung des Selbsterlebten hinaus, erfasste nicht die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Prozesse. Die Identifizierung mit den Deklassierten, mit anarchistischem Einzelgängertum in seinen frühen Romanen verstärkte sich, und er wurde später eindeutig zum Verräter der Arbeiterklasse.147

Marchwitza, Bredel und Gotsche gelten in der DDR hingegen als Zeitzeugen der proletarischen Wurzeln, werden mit hochkarätigen Preisen ausgezeichnet und repräsentieren so den Prototyp des Arbeiterschriftstellers. Von der Westpresse werden die Autoren verächtlich als „Renommierproletarier“148 bezeichnet, die nur noch die ihnen von der Partei zugewiesene affirmative Rolle spielen. Ähnliches konstatieren Stieg/Witte: Die nunmehr zu Klassikern gewordenen Arbeiterschriftsteller Bredel, Marchwitza und Gotsche gelten als die lebendigen Zeugen dieser Kontinuität. Aber auch hier lässt sich die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität nicht übersehen. Während die Arbeiterschriftsteller in der Weimarer Republik ihre literarischen Formen aus der Funktion der Texte im Kampf gegen den kapitalistischen Staat und seine Wirtschaft entwickelten, bleibt deren Zusammenhang mit einer Darstellung des sozialistischen Aufbaus, wie der „Bitterfelder Weg“ sie fordert, zum mindesten unreflektiert.149

Auch Nutz äußert sich kritisch zur Legitimationsfunktion, welche die Romane einnehmen, indem sie dazu dienen sollen „das Dekret für den kulturpolitischen Einsatz des sozialistischen Realismus nicht nur ‚methodisch‘ abzusichern, son‑ dern auch historisch-ästhetisch, ideologisch und dialektisch zu begründen“150: Insgesamt wollte man sich nach allen Seiten hin „absichern“, damit jener verlässliche Eindruck entstehen konnte, daß die Werke des sozialistischen Realismus schon in der „zwingenden“ historischen Entwicklung vorgeprägt waren, daß […] das „künstlerische Schaf-

147 Lexikonartikel: Anonymus: Walter Schönstedt. In: Lexikon sozialistischer deutscher Literatur. Von den Anfängen bis 1945. Monographisch-biographische Darstellungen. Hg. v. Inge Diersen [u. a.]. Halle (Saale) 1963, S. 452. [Ergänzung von Michaela Menger] 148 Marcel [Reich-Ranicki]: Hüben und drüben. Die Legende vom Dichter Marchwitza. Ein dreifacher Nationalpreisträger. In: Die Zeit (30.10.1964), Nr. 44, S. 24. Der Artikel ist auch online verfügbar, enthält durch die automatische Digitalisierung jedoch einige Fehler: http://www.zeit. de/1964/44/die-legende-vom-dichter-marchwitza (letzter Zugriff am 25.06.16, 15:48 Uhr). ReichRanicki war von 1959–1973 Rezensent bei Die Zeit. 149 Stieg/Witte: Abriß einer Geschichte der deutschen Arbeiterliteratur, S. 165. 150 Walter Nutz: Trivialliteratur und Popularkultur. Vom Heftromanleser zum Fernsehzuschauer. Eine literatursoziologische Analyse unter Einschluss der Trivialliteratur der DDR. Opladen 1999, S. 255.



162 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

fensprinzip“ lange vorher schon gefunden war, daß es eben nur noch „definiert“ werden musste.151

Damit wird der sozialistische Realismus zur Variablen, die entsprechend des jeweiligen politischen Kurses der DDR mit neuem Inhalt gefüllt werden kann.152 Im real existierenden Sozialismus verliert die Arbeiterliteratur so ihre revolutionären Aspekte, dient der Legitimation und Stabilisierung des politischen Systems und hat, wie Stieg/Witte betonen, ein didaktisches Moment, welches sich jedoch vom Leser auf den Autor selbst verschiebt, der sich durch den Akt des Schreibens seiner ‚richtigen‘ Gesinnung bewusst werden soll: Da nach der offiziellen Doktrin der SED der Sozialismus in der DDR schon verwirklicht ist, verliert die Arbeiterliteratur ihre kritische, progressive Funktion und wird affirmativ. Sie übernimmt damit die gleiche Rolle, in der sich ein Teil der „klassischen Arbeiterdichtung“ in der von der SPD getragenen Weimarer Republik befunden hatte. Im Unterschied zu deren individuellem Ansatz bleibt sie jedoch als Massenbewegung organisiert und behält so die Funktion literarischer und ideologischer Bildung ihrer Autoren. Sie ist daher auch in gewissem Sinne – allerdings nicht mehr im brechtschen – operativ. Trägt sie doch kaum dazu bei, „die Verhältnisse zu ändern“  – die soll sie ja „gestalten“, wohl aber ändert sie noch ihre Autoren.153

Während in der DDR der Aufbau der Planwirtschaft im Vordergrund stand, wo revolutionäres Einzelgängertum als kontraproduktiv galt und unterbunden werden musste, fanden bei der westdeutschen Studentenbewegung besonders die in der DDR nicht wieder aufgelegten Romane großen Anklang, da diese am ehesten revolutionäre Aspekte verkörperten und insgesamt individualistischere Züge, bzw. die Ausrichtung auf eine breitere Leserschaft, trugen. Auch Schöberl betont das agitatorisch-revolutionäre Potenzial der Romane, welches in der DDR zugunsten einer historischen Legitimationsfunktion zurücktreten sollte: Die proletarisch-revolutionäre Literatur trägt in sich, wenn auch nicht voll ausgebildet, die Eigenschaften einer Agitationsliteratur als Konfrontation. […] Im Zeichen des Aufbaus, des Neuen, sollte Kunst/Literatur [in der DDR] nicht zu Konfrontationsdenken auffordern, sondern zu gemeinsamer Arbeit.154

151 Nutz: Trivialliteratur und Popularkultur, S. 255. 152 Vgl. Stieg/Witte: Abriß einer Geschichte der deutschen Arbeiterliteratur, S. 168. Vgl. Nutz: Trivialliteratur und Popularkultur, S. 261–262: „Dieses Instrumentarium war der ‚Sozialistische Realismus‘, der mit Bedacht nicht ausdefiniert wurde, um ihn jederzeit jeder Situation anpassen zu können. […] Unklarheit als klares Parteiinstrument.“ 153 Stieg/Witte: Abriß einer Geschichte der deutschen Arbeiterliteratur, S. 169. 154 Schöberl: Kontinuität und Bruch, S. 135–136 [Ergänzung von Michaela Menger].





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 163

Doch auch in der BRD hielt das Konfrontationsdenken und die anfängliche ‚aufklärerische‘ Euphorie der westdeutschen Studenten nicht allzu lange an und wich nach ersten intensiveren Forschungen, die sich nach der Kanonrevision der Germanistik in den 1970er Jahren einstellten, sowie nach Erfahrungen mit der radikalisierten Studentenschaft (z. B. den Terroraktionen der RAF) sehr schnell einer skeptischen und distanzierten Grundhaltung, die das Verhältnis von Politik und Sprache bzw. der linken Propaganda kritisch hinterfragte. So betont auch Fähnders, dass „eine zunehmende Sensibilisierung dann zur prinzipiellen Abwehr und zum Desinteresse an einer Literatur beigetragen [hat], die derart grobkörnig bis grobschlächtig auf Klassenkampf und Sozialismus aus war und Schauplätze der Subjektivität und des Individuellen nicht zuließ.“155 Somit verblieb die Diskussion um die proletarisch-revolutionäre Literatur in der BRD weitgehend auf universitäre Kreise beschränkt. Im Zuge der Reformpädagogik der 1970er Jahre fand jedoch die Arbeiterliteratur auch Einzug in den westdeutschen Schulunterricht der Sekundarstufe II. Vorschläge für Unterrichtsmodelle finden sich beispielsweise in der Zeitschrift Diskussion Deutsch156, auch Goettes Buch zur Arbeiterliteratur, das 1975 in der Reihe Texte und Materialien zum Literaturunterricht im Diesterweg Verlag erschienen ist, behandelt die proletarisch-revolutionäre Literatur anhand von Quellentexten, die bereits vorab ausführlich erläutert und kontextualisiert werden157. Auffällig ist, dass die proletarisch-revolutionäre Literatur zumeist in den damals aktuellen Kontext um die Gruppe 61, den Werkkreis Literatur der Arbeitswelt und den investigativen Journalismus z. B. von Günter Wallraff, der schlechte Arbeitsbedingungen in Betrieben entlarvte, gestellt wird; aber auch die Entwicklungen der Bitterfelder Konferenzen in der DDR werden behandelt. Insgesamt ist die Schaffung eines kritischen Bewusstseins für das Verhältnis von Geschichte und Ideologie sowie von Sprache und Emotion intendiert, das zumeist in der damals populären Form der Gruppenarbeit erlangt werden soll. Gerd Stein schreibt zur Relevanz von Arbeiterliteratur für den Unterricht: „Der noch immer wirksamen Tabuisierung von Arbeiterliteratur, die sich nicht zuletzt in dem ihr zudiktierten exotischen Charakter zeigt, sollte im Deutschunterricht

155 Fähnders: Zur Erforschung proletarischer Literaturtraditionen anhand eines Lexikons, S. 257 [Ergänzung von Michaela Menger]. 156 Vgl. Diskussion Deutsch 5 (1974), H. 18. Die Ausgabe legt den Schwerpunkt auf die didaktische Vermittlung von Arbeiterliteratur. 157 Vgl. Jürgen Wolfgang Goette: Arbeiterliteratur. Texte zur Theorie und Praxis. Frankfurt a. M. 1975.



164 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

mit einer kritischen Aufarbeitung begegnet werden.“158 Er warnt jedoch vor einer emotionalen Aufladung des Unterrichtsgegenstandes durch die Schüler, sodass der Lehrer durch gezielt didaktisch-methodisches Eingreifen dem „unfruchtbaren Austausch von Scheinargumenten“159 entgegenwirken müsse. So ambitioniert das Unterrichtskonzept auch erscheint, es ist fraglich, ob es den Schülern den beabsichtigten allumfassenden Einblick in das kontroverse Thema gewähren kann. Die ‚Sozialfaschismusthese‘ soll genauso wie die unterschiedlichen Spielarten von Realismus sowie die jeweils voneinander abweichenden Ausprägungen von Arbeiterliteratur in der BRD und DDR behandelt werden. Die relevante Leseliste umfasst zwei gut gefüllte Seiten an Primärliteratur und zumeist wissenschaftlicher Sekundärliteratur, ein Pensum, das eher an ein Hochschulseminar für (interessierte) Studenten erinnert. Unter den zu analysierenden Primärtexten finden sich aus der Serie der Roten Eine-Mark-Romane Barrikaden am Wedding und Maschinenfabrik N & K.160 Sinnvoller erscheint Ulrich Konitzers Konzept für die Analyse des Romans Kämpfende Jugend, das sich primär auf Vorschläge zur Interpretation des Romans beschränkt, ohne dezidiert alle Spielarten des Realismus erörtern zu wollen.161 Seine Einschätzungen des Schulalltags liegen wesentlich näher an der Realität: Was gelegentlich von Verfassern als Literaturapparat angegeben wird, den die Kursanten bewältigen müssen neben dem „normalen“ Unterricht in anderen Fächern, geht von einer Schulpraxis aus, die nicht überall oder sogar nur selten vorausgesetzt werden kann. Mir scheint auch die intellektuelle Kapazität eines Kurses nicht immer richtig eingeschätzt worden zu sein, bzw. zu euphorisch, also irrtümlich dargestellt zu werden.162

Betont Stein, dass Schüler und Studenten wenigstens durch die Arbeiterliteratur einen Einblick in die Arbeitswelt erhielten,163 so zeichnet er damit ein relativ pauschales Bild eines elitären Gymnasialschülers oder Studenten, der, vollkommen von der sozialen Schicht der Arbeiter abgeschottet, weder potenziell aus einem Arbeiterhaushalt stammen kann, noch als Werkstudent oder durch andere Nebenbeschäftigungen Erfahrungen in der Arbeitswelt gemacht hat. Auf diese

158 Gerd Stein: Arbeiterliteratur. Ein Kurskonzept für die Sekundarstufe II. In: Diskussion Deutsch 5 (1974), H. 18, S. 300–317 [hier: 300]. 159 Stein: Arbeiterliteratur, S. 300. 160 Vgl. Stein: Arbeiterliteratur, S. 313, S. 301. 161 Vgl. Ulrich Konitzer: Materialstudie für eine unterrichtliche Analyse des Arbeiterromans „Kämpfende Jugend“ von Walter Schönstedt. In: Diskussion Deutsch 5 (1974), H. 18. S. 317–325. 162 Konitzer: Materialstudie für eine unterrichtliche Analyse des Arbeiterromans „Kämpfende Jugend“ von Walter Schönstedt, S. 319. 163 Vgl. Stein: Arbeiterliteratur, S. 317.





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 165

Weise wird die alte Dichotomie von Arbeiterklasse vs. Bourgeoisie reproduziert. Dies dürfte zumindest Mitte der 1970er Jahre nicht mehr der Fall gewesen sein, da die Einführung des BAföG Arbeiterkindern zumindest finanziell den Zugang zur Hochschule ermöglichte. Außerdem ist davon auszugehen, dass auch Studenten aus bürgerlichem Elternhaus Nebenbeschäftigungen im Arbeiterumfeld annehmen. Die Probleme einer bürgerlichen Vorurteilsstruktur gegenüber proletarischrevolutionärer Literatur versucht Helga Gallas anhand des Berichts über ein Universitätsseminar zu Bredels Maschinenfabrik N & K zu schildern und die Vorwürfe von Schwarz-Weiß Malerei und einseitiger Darstellung der Erfolge der KPD zu entkräften.164 Ihr geht es bei der Konfrontation der Studenten mit den eigenen Vorurteilsstrukturen um folgende Punkte: 1. Es ist vom Werk auszugehen, nicht von der Aufarbeitung der real-historischen Vorgänge, von der Geschichte der Arbeiterbewegung; 2. didaktisches Ziel kann nicht die Identifikation der bürgerlich Sozialisierten mit proletarischen „Helden“ sein; 3. proletarische Literatur sollte nicht isoliert als „Gegenliteratur“ im Unterricht eingeführt, sondern mit den Produkten bürgerlicher Schriftsteller konfrontierend analysiert werden.165

Damit ist das Konzept von Gallas am ausgereiftesten und differenziertesten. Fast alle didaktischen Entwürfe sind von einem stark reformpädagogischen Impetus geprägt. Auch die im Oberbaumverlag erschienenen Neuauflagen sind gekennzeichnet durch eine Fülle an historischem Begleitmaterial, welches das Verständnis für die Zeitumstände fördern soll. Dies ist jedoch nicht unproblematisch, da das Material den Romanen das Gepräge eines historisch korrekten, faktensatten Dokumentes verleiht und so leicht deren ideologische Perspektivierung und die Konzeption dieser Literatur als ‚Waffe‘ im Klassenkampf in den Hintergrund rücken lässt. Dadurch besteht die Möglichkeit, den ohnehin schon ideologischen Gehalt der Romane erneut ideologisch aufzuladen. Dies betont auch Rohrwasser: Die Lobpreisung der Romane als realistische Abbilder der Geschichte der Weimarer Republik beweist ein hohes Maß an Ignoranz gegenüber geschichtlichen Wandlungsprozessen und ein völliges Missverständnis der Funktion dieser Romane.166

164 Vgl. Helga Gallas: Proletarische Literatur und bürgerliche Rezipienten. Bericht über einen Einführungskurs in das Studium der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft anhand von Willi Bredels Roman „Maschinenfabrik N&K“. In: Alternative. Zeitschrift für Dichtung und Diskussion (bzw. Zeitschrift für Literatur und Diskussion) 16 (1973), H. 90, S. 138–147. 165 Gallas: Proletarische Literatur und bürgerliche Rezipienten, S. 138. 166 Rohrwasser: Saubere Mädel – Starke Genossen, S. 39.



166 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Emmerich und Rooney kritisieren die Behandlung der proletarisch-revolutionären Literatur als unantastbare Reliquie durch die maoistischen bzw. marxistischleninistisch geprägten Gruppen im Westdeutschland der 1970er Jahre, die damit eine Legitimationsstrategie ihrer Politik und eine Art politische Selbstvergewisserung an historischen Beispielen verbanden: The proletarian-revolutionary literature of the Weimar Republic, particularly the Red OneMark-Novels, was not only republished and hence made available again, but at the same time it was declared sacrosanct and above all criticism. This was not done for aesthetic reasons, which were not even remotely considered, but emanated from the political needs of these groups, lacking a real social basis for their „movement“ in the present, were forced to seek a compensatory historical identity to legitimate their existence. What I wrote about this in 1973 still seems to be correct today: „What ought to be critically discussed and examined as to its relevancy today – in concrete terms the politics of Thälmann’s central committee and the theory of social fascism – is divorced from its historical origins, mechanically transposed to the present as if through a neurotic repetition-compulsion, romantically invoked, glorified and presented as exemplary.“167

Udo Köster lehnt die Behandlung der Romane als historische Abbilder ebenfalls entschieden ab, da er sie insgesamt als Mittel zur Selbstvergewisserung, affektiven Kompensation und Konsolidierung ansieht und daher eher als ideologische Erbauungsliteratur auffasst. 168 Nach Ende des Kalten Krieges verlor auch die Forschung immer mehr das Interesse an der proletarisch-revolutionären Literatur, da nun die Anknüpfungspunkte an die Realität und der Systemkonflikt wegbrachen. Die Leipziger Arbeitsstelle wurde geschlossen und so fiel die „Offensive einer sich marxistisch-materialistisch definierenden Germanistik“169 grundsätzlich weg. Damit hat der operative

167 Wolfgang Emmerich und Martin Rooney: The Red One-Mark-Novel and the „Heritage of Our Time“: Notes on Michael Rohrwasser’s Saubere Mädel. Starke Genossen: Proletarische Massenliteratur? In: New German Critique, No. 10 (Winter 1977), S. 179–180. 168 Vgl. Köster: Zum Verhältnis von proletarisch-revolutionärer Belletristik, S. 13: „Wenn daher Bredel 1955 in der Einleitung zu seinen drei frühen Romanen schreibt, ihr dokumentarischer Wert sei zweifellos größer als ihr literarischer, so gilt das sicher nur insofern, als hier die stimmungshaften Korrelate einer Phase der Parteigeschichte bezeichnet werden, während nur ein argloser Umgang mit Literatur, den die proletarisch-revolutionären Autoren zum Teil pflegten (und auf den ihre gegenwärtigen Herausgeber spekulieren), die in jeder Hinsicht unvollkommenen und idealistischen Modelle für Realität und die literarischen Lösungen für Handlungsanweisungen nehmen kann. Es sind keine getreuen Abbilder der historischen Wirklichkeit und erst recht keine brauchbaren Anleitungen zum Handeln, sondern Strategien der emotionalen Konsolidierung.“ 169 Fähnders: Zur Erforschung proletarischer Literaturtraditionen anhand eines Lexikons, S. 262.





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 167

Charakter dieser Literatur, die sich selbst als funktionale Klassenkampfliteratur auffasste, nun kaum mehr einen Rezeptionsraum in der Realität.170 Außerdem konstatiert Fähnders eine allmähliche Tendenz zu apolitischen Inhalten und eine große Vorsicht vor dem „Minenfeld des Ästhetisch-Politischen“171 innerhalb der germanistischen Forschung, er plädiert jedoch entschieden für ein Weiterarbeiten am Themengebiet proletarisch-revolutionärer Literatur: In einer Germanistik, die sich im übrigen seit ihren Anfängen immer auch als eine im besten Sinne „politische“ Disziplin mit-definiert hat, muß es möglich sein, jenseits von Moden, Konjunkturen und Zwängen ein zugegebenermaßen brisantes und äußerst kompliziert gewordenes Themenfeld angemessen zu bearbeiten  – ein Themenfeld, das von sich aus durchaus provoziert. Ich plädiere für gleichermaßen unaufgeregtes wie konsequentes Weiterarbeiten.172

An den Aufruf von Fähnders zum unverdrossenen Weiterarbeiten am Themenfeld der proletarisch-revolutionären Literatur knüpft die vorliegende Arbeit in Teilen an und eröffnet in Verbindung mit dem Thema populäre Schemata eine neue Perspektive auf die Rote Eine-Mark-Roman Reihe sowie die proletarisch-revolutionäre Literatur.

3.2.2 Kontinuität der nationalsozialistischen Autoren im Nachkriegsdeutschland Für die drei Autoren der im Rahmen dieser Arbeit behandelten nationalsozialistischen Werke bedeutete die Auflösung des ‚Dritten Reiches‘ nicht etwa das Ende ihrer schriftstellerischen Karriere. Sie weisen allesamt eine beachtliche Kontinuität in ihrem schriftstellerischen Wirken auf, das sich zumeist bis in die 1960er Jahre fortsetzt. Selbstverständlich konnten sie im Rahmen der Entnazifizierung 1949 nicht mit den hier untersuchten, explizit nationalsozialistischen Werken an die Öffentlichkeit treten, doch schon 1949 wurde der bereits im ‚Dritten Reich‘ enorm populäre Technikroman Anilin von Karl Aloys Schenzinger in einer minimal bearbeiten Ausgabe wieder durch Schenzingers alten Verlag

170 Vgl. Fähnders: Zur Erforschung proletarischer Literaturtraditionen anhand eines Lexikons, S. 258. 171 Fähnders: Zur Erforschung proletarischer Literaturtraditionen anhand eines Lexikons, S. 258. 172 Fähnders: Zur Erforschung proletarischer Literaturtraditionen anhand eines Lexikons, S. 263.



168 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Andermann aufgelegt. Schenzinger gelang es somit im Nachkriegsdeutschland an die Erfolge seiner Rohstoffromane Anilin und Metall173 fast nahtlos anzuknüpfen und er publizierte zudem zahlreiche weitere Romane dieser Gattung.174 Auch den anderen beiden Autoren war es überwiegend wieder möglich, bei ihren alten Verlegern zu veröffentlichen; sie mussten dabei lediglich die thematischen Schwerpunkte ihres Schaffens etwas verschieben. Viera, der während der Weimarer Republik und des ‚Dritten Reiches‘ neben den im Franz Schneider Verlag veröffentlichten NS-Jugendbüchern mit zahlreichen, überwiegend bei Ensslin und Laiblin erschienenen, kolonialen Afrika-Abenteuern an die Öffentlichkeit trat, verfasste zwar weiterhin Abenteuerromane für seinen alten Verlag, musste aber von offen rassistischen Klischees Abstand nehmen und dehnte seine Thematik im Bereich des Kinder- und Jugendbuches auf Amerikaabenteuer und die „Wirtschaftswunderwelt“175, Tierabenteuer und eine Detektivserie aus, die im Wilhelm Fischer Verlag Göttingen erschienen176. Er übersetzte zudem 1957 Gullivers Reisen von Jonathan Swift, sowie 1949 eine von ihm bearbeitete Auflage des Defoeschen Robinson Crusoe, der insgesamt großen Einfluss auf Vieras Werk und

173 Anilin wurde 1937 veröffentlicht und erreichte bis 1944 eine Auflage von 920.000. Vgl. dazu: Schneider: Bestseller im Dritten Reich, S. 80. Bereits ab 1949 wurde das Werk wieder im Andermann Verlag aufgelegt (unter Streichung des nationalsozialistischen Vorwortes von Reichsinnenminister Wilhelm Frick) und erlangte bis 1951 1,63 Millionen verkaufte Exemplare. Metall erschien 1939, erreichte bis 1943 eine Auflage von 500.000 Exemplaren und konnte 1951 die ebenfalls beachtliche Auflage von 930.000 vorweisen. Vgl. Hans Krah: Literatur und „Modernität“: das Beispiel Karl Aloys Schenzinger. In: Modern Times? German Literature and Arts Beyond Political Chronologies/Kontinuitäten der Kultur 1925–1955. Hg. v. Gustav Frank. Bielefeld 2005, S. 45–72 [S. 60, Fußnote 19: Krah setzt nach seinen Recherchen den Veröffentlichungszeitpunkt von Anilin auf 1937 fest und verweist darauf, dass das Datum 1936 als Fehler in die bibliographischen Standardwerke eingegangen sei. Zu den Auflagen siehe S. 45, Fußnote 1]. 174 1950 erschien der Roman Atom, welcher bereits 1951 eine Auflagenhöhe von 50.000 erreichte. Vgl. Anonymus: Schenzinger. Berichten, was los ist. In: Der Spiegel (23.05.1951), S. 32. Weitere (Technik-)Romane Schenzingers: Schnelldampfer (1951), Bei I.G. Farben (1951), 99 % Wasser (1956), Magie der lebenden Zelle (1957). Posthum veröffentlicht wurde 1969 Heinrich Nordhoff, ein Roman, der nach Schenzingers Tod von Anton Zischka weitergeführt und von Heiner Simon beendet wurde. 175 Kaminski: Viera, Josef S., S. 530. 176 Vgl. u. a. folgende Titel: Unser Haus auf Rädern. Im Wohnwagen durch die USA (1961), Kordula und das Ren (1956), Kordula und die wilden Tiere (1958), Xandi startet ins Abenteuer, Xandi als Privatdetektiv, Xandi auf Spurensuche (alle 1964). Eine ausführliche Bibliographie über das umfangreiche Werk Vieras bietet: Karl Jürgen Roth: Bibliographie Viera, Josef S. In: Lexikon der Reise- und Abenteuerliteratur. Hg. v. Friedrich Schegk. Teil 1: Autoren. Meitingen. 11. Erg.-Lfg. September 1991, S. 1–18, 49. Erg.-Lfg. August 2001, S. 19–25.





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 169

seine Anfertigung zahlreicher „[a]frikanische[r] Robinsonaden“177 hatte. Die bis auf die Umschlaggestaltung unveränderte Robinson-Ausgabe Vieras besaß 1992 eine Auflage von 206.000.178 Während der Franz Schneider Verlag sich zu seiner Geschichte in der NS-Zeit und den produzierten Konjunkturtiteln überwiegend ausschwieg179 oder in ein recht fadenscheiniges apologetisches Rechtfertigungsverhalten verfiel180, behandelte der Verlag Ensslin und Laiblin in seiner Chronik die NS-Zeit offener und bekannte sich bereits 1968 zum Autor Viera und dessen nationalsozialistischer Vergangenheit: Auch der alte Afrikaner Josef S. Viera war wieder auf dem Plan, „Zwischen Kap und Kairo“ aufregende Erlebnisse erblühen zu lassen. Bis zum Jahre 1939 hatte Viera, der den Schwarzen Kontinent zu Fuß erwanderte, 2 Millionen Lesehefte der von ihm betreuten Serie „Aus weiter Welt“ unter die Leser gebracht. Seine Vergangenheit als Kolonialkämpfer und als Leiter des Presseamtes beim Reichskolonialbund im kolonialpolitischen Amt, Berlin, waren keine Hinderungsgründe, ihn nicht [sic!] schriftstellerisch überleben zu lassen.181

Beide Verlage ließen jedoch, wie viele Jugend- und Kinderbuchverlage der Nachkriegszeit, eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vermissen, „variierten kaum das Spektrum überkommener literaturästhetischer Formen im

177 Reinhard Stach: Josef S. Viera. In: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. Autoren, Illustratoren, Verlage, Begriffe. Begründet v. Alfred Clemens Baumgärtner. Hg. v. Kurt Franz. Teil 1: Autoren. Meitingen. 6. Erg.-Lfg. September 1998, S. 5–7. 178 Vgl. Stach: Josef S. Viera, S. 7. 179 Vgl. Jörg Becker: Alltäglicher Rassismus. Die afro-amerikanischen Rassenkonflikte im Kinder- und Jugendbuch der Bundesrepublik. Frankfurt a. M./New York 1977, S. 402–403. Vgl. Hans Gärtner: Franz Schneider Verlag München. In: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. Autoren, Illustratoren, Verlage, Begriffe. Begründet v. Alfred Clemens Baumgärtner. Hg. v. Kurt Franz. Teil 3: Verlage. Meitingen. Grundwerk Juli 1995, S. 1–3. Gärtner spart in seinem Überblick über die Verlagsgeschichte die NS-Zeit komplett aus. 180 Vgl. Petra Jäschke: Produktionsbedingungen und gesellschaftliche Einschätzungen. In: Jugendliteratur zwischen Trümmern und Wohlstand 1945–1960. Hg. v. Klaus Doderer. Erarbeitet von Martin Hussong, Petra Jäschke und Winfred Kaminski. Weinheim/Basel 1993, S. 247. Petra Jäschke referiert hier ihr Gespräch mit Franz Schneider jun. über die nationalsozialistischen Konjunkturtitel: „Eine solche Taktik, die zusätzliche Herausgabe angepaßter Titel, sei im Rahmen der damaligen Verhältnisse notwendig gewesen, um vor der Zensur der Reichsschrifttumskammer bestehen zu können, beziehungsweise später, um genügend Papier zugeteilt zu bekommen. Außerdem habe Franz Schneider sen. mit dem zusätzlichen Problem zu tun gehabt, daß drei seiner Töchter mit Juden verheiratet waren; dies habe 1944 endlich auch zur Schließung des Verlags geführt (Gespräch mit Franz Schneider am 26.06.1984).“ 181 Horst Künnemann: Von Campe bis Caravelle. Kritische Chronik eines Jugendbuchverlages. In: Rückblick für die Zukunft. Berichte über Bücher, Buchhändler und Verleger zum 150. Geburtstag des Ensslin-Verlages. Hg. v. Joachim-Ulrich Hebsacker. Reutlingen 1968, S. 194.



170 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Kinder- und Jugendbuch“182 und setzten auf „möglichst konfliktfreien, leichtverdaulichen Lesestoff“183. Selbstzeugnisse, die Aufschluss zu Vieras Selbstverständnis und dessen Stellung zu seiner NS-Vergangenheit geben könnten, sind, zu dem ohnehin bisher nur rudimentär erforschten Autor, nicht vorhanden. Ein bei Recherchen im Bundesarchiv entdeckter Brief gibt jedoch Aufschluss über seine nationalsozialistische Haltung im ‚Dritten Reich‘. Da Vieras Buch über Horst Wessel aufgrund von Einwänden der Familie Wessel (zeitweise) verboten war, versuchte Viera sich den zuständigen Staatskommissar gewogen zu machen und bat diesen, selbst Einblick in das Buch zu nehmen. Im Rahmen des Briefes findet eine ausgesprochene Anbiederung an die nationalsozialistischen Machthaber statt. Viera bezeichnet sich selbst als „leidenschaftliche[n] alte[n] Nationalsozialist[en]“184, bemüht übermäßiges Pathos und bedient mythische Vorstellungen. An der nationalsozialistischen Gesinnung lässt der Brief also keine Zweifel; ob und wie sich das Selbstverständnis von Viera nach Ende des Krieges gewandelt hat oder ob er die Verschiebung seiner literarischen Schwerpunkte nur rein äußerlich vollzogen hat, darüber kann allenfalls spekuliert werden. Vor allem Winfred Kaminski betont die Kontinuität von Vieras Schaffen und zeigt sich erstaunt darüber, dass ein Autor, der sich dermaßen für Kolonialismus, Kriegsbegeisterung und nationalsozialistisches Gedankengut eingesetzt hat, bereits 1952 erneut mit einer Afrika-Geschichte (Zwischen Kap und Kairo) bei seinem alten Verlag Ensslin und Laiblin publizieren konnte.185 Er verweist darauf, dass in vielen der AfrikaErzählungen Vieras der rassistische Gehalt zwar abgemildert, aber trotzdem in subtiler Form erhalten sei; die Afrikaner würden weiterhin diskriminiert.186 Dass der Ton in vielen Abenteuerbüchern, die Afrika thematisieren, bis in die 1970er Jahre hinein oftmals „[p]aternalistisch, herablassend und gehässig“187

182 Jäschke: Produktionsbedingungen und gesellschaftliche Einschätzungen, S. 246. 183 Jäschke: Produktionsbedingungen und gesellschaftliche Einschätzungen, S. 250. 184 Josef Viera: Brief an den Staatskommissar im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Berlin vom 29.10.1933. Betreff: Verbot des Buches „Horst Wessel“ von Josef Viera. (Quelle: Bundesarchiv R 56 I: Reichskulturkammer, Zentrale einschließlich Büro Hinkel. Allgemeines und Korrespondenzen/92): „Ich marschiere am 9. November mit meiner SA. im Zuge zur Feldherrnhalle mit. Ich weiss, würde Horst Wessel mit in diesem Zuge sein, er würde mir die Hand reichen als Kamerad, trotz dieses Buches, ja wegen dieses für die deutsche Jugend bestimmten Buches. Ich bitte Sie, Herr Staatskommissar, lassen Sie mich, einen deutschen Dichter, Frontkämpfer und Nationalsozialisten nicht so schweren Herzens an diesem Zuge unseres Führers teilnehmen.“ 185 Vgl. Kaminski: Viera, Josef S., S. 530. 186 Vgl. Kaminski: Viera, Josef S., S. 530. 187 Becker: Alltäglicher Rassismus, S. 405.





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 171

war, betont auch Jörg Becker. Der bisher einzige ausführlichere Überblick über Vieras Biographie und Schaffen von Reinhard Stach setzt den Schwerpunkt auf Vieras „afrikanische Robinsonaden“ und dessen Afrikakenntnis. Stach verweist nur am Rande auf die NS-Publikationen Vieras und verharmlost die rassistischen Elemente seiner Afrikabücher: Neben kolonialgeprägter Afrikaliteratur veröffentlicht Viera nach 1933 auch Jugendbücher nationalsozialistischer Couleur. Dem Umfang nach handelt es sich um kleinere Arbeiten. […] Betrachtet man das Gesamtwerk, dann überwiegen die afrikanischen Novellen, in denen Viera versucht, seinen jugendlichen Lesern diesen großartigen Kontinent zu erschließen.188

Während Schenzinger und Viera weniger Probleme hatten, sich an die neuen Verhältnisse in der Bundesrepublik anzupassen, fiel Werner Beumelburg die Umstellung offensichtlich am schwersten. Behielt Beumelburg zum einen seinen deutsch-nationalistischen bzw. nationalkonservativen Standpunkt bei,189 so forderte zum anderen sein ‚alter‘ Verleger Stalling bewusst ‚unpolitische‘ Historienromane, um sich im Nachkriegsdeutschland rehabilitieren zu können: Einerseits war der Name Beumelburg ein erfolgsversprechender Markenartikel, andererseits wollte man als zeitgemäßes, honoriges Verlagshaus erscheinen und deshalb möglichst jeden Verdacht vermeiden, mit den alten Autoren und einem Programm von gestern zu arbeiten. Beumelburg war weder ein „unbelasteter Autor“ noch eine solche Größe des NS-Staates gewesen, daß sich mit diesem Ruf ein Geschäft machen ließ.190

Mit Hundert Jahre sind wie ein Tag (1950) und dessen Fortsetzung Nur Gast auf dunkler Erde (1951) schreibt Beumelburg, wie von seinem Verleger Stalling gefordert, zwei ‚unpolitische‘ Historienromane, 1952 folgt mit Jahre ohne Gnade eine Chronik des Zweiten Weltkrieges, die in „unverändert traditionelle[m] Stil und einfacher Bauform“191 betont ‚unpolitisch‘ und daher „ganz auf den äußeren Ablauf der Kriegsereignisse konzentriert bleibt“192. An seine alten Erfolge kann

188 Stach: Josef S. Viera, S. 5. 189 Vgl. Hillesheim/Michael: Werner Beumelburg, S. 54. Vgl. Werner Mittenzwei: Die Mentalität des ewigen Deutschen. Nationalkonservative Dichter 1918 bis 1947 und der Untergang einer Akademie. 2. Auflage. Leipzig 2003, S. 512: „In seinen neuen Arbeiten nach dem Krieg distanzierte er sich vom ‚Reichsgedanken‘, der eine Werklinie seines Schaffens bestimmte. Seiner nationalkonservativen Haltung blieb er jedoch weiter verpflichtet.“ 190 Busch: „Und gestern, da hörte uns Deutschland“, S. 126. 191 Ralf Schnell: Werner Beumelburg. In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hg. v. Walther Killy unter Mitarbeit von Hans Fromm [u. a.]. Band 1: Autoren und Werke von A bis Z: A–Bis. Gütersloh/München 1988, S. 486. 192 Schnell: Werner Beumelburg, S. 486.



172 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Beumelburg damit nicht anknüpfen, selbst der Stamm der älteren Leser wendet sich ab, da er seine Leseerwartungen aufgrund des ‚unpolitischen‘ Charakters der ‚neuen‘ Werke enttäuscht findet.193 Auch Der Spiegel fällt ein vernichtendes Urteil über Jahre ohne Gnade. Beumelburgs vorgeblicher ‚Chronik‘ mangele es an Quellenangaben, die Kriegsschuldfrage würde außen vor gelassen, insgesamt erreiche Beumelburg nicht mehr die lebendige Art der Darstellung wie noch in Sperrfeuer um Deutschland: „Was im ‚Sperrfeuer‘ packende Erzählung war, wurde in ‚Jahre ohne Gnade‘ nur farblose Papiergirlande. Beumelburg bleibt im Reportage-Ton stecken, den journalistisch clevere Serien-Fabrikanten von ‚Tatsachen-Berichten‘ heute besser beherrschen.“194 Sehr anschaulich beschreibt Stefan Busch den „Abgang eines Bestseller-Autoren“195: Der ehemals im Nationalsozialismus hoch dekorierte und geförderte Beumelburg196 errang mit seinem Manuskript beim Deutschen Erzählerpreis des Stern 1962 einen letzten Erfolg, den er nicht mehr erleben sollte, da er ein halbes Jahr vor der Preisvergabe verstarb. Busch bemerkt dazu: „Es charakterisiert die Entwicklung von Beumelburgs absteigend verlaufender Nachkriegskarriere, daß er, der einmal ein Bestseller-Autor gewesen war, in den 60er Jahren einen ‚Förderpreis‘ erhielt.“197 Auf konstantem Erfolgskurs bis in die 1960er Jahre hinein befand sich hingegen Karl Aloys Schenzinger mit seinen Technikromanen. Nehmen der 1937 entstandene Roman Anilin sowie Metall (1939) keinen direkten Bezug auf den Nationalsozialismus, so sind sie doch keineswegs als ‚apolitisch‘ oder frei von Ideologemen zu bezeichnen. Adam verweist auf die ideologische Funktionalität dieser kaschierten Form der Propaganda: „Das NS-typische an ‚Anilin‘ lag gerade in der eher subtilen Kumpanei mit dem Regime. Hier prangten nicht vordergründig die Symbole des neuen Staates, hier wurde auf einer anderen und erfolgreicheren Ebene Propaganda betrieben.“198 Marianne Weil behauptet sogar: „Wenn Schenzinger nicht ein Buch mit dem Titel ‚Der Hitlerjunge Quex‘ geschrieben

193 Vgl. Busch: „Und gestern, da hörte uns Deutschland“, S. 138. 194 Anonymus: Kriegsgeschichte. Eine Sargbreite Leben. In: Der Spiegel (04.02.1953), S. 32. 195 Busch: „Und gestern, da hörte uns Deutschland“, S. 135–143. 196 Beumelburg übernahm 1933 als „zuverlässiger Parteigänger, der nie der NSDAP angehörte“ das Amt des Schriftführers (Geschäftsführers) in der gleichgeschalteten Preußischen Akademie der Künste. 1936 erhielt er den Kunstpreis der Reichshauptstadt Berlin, 1937 den Kunstpreis der Deutschen Westmark. Vgl. Hans Sarkowicz und Alf Mentzer: Beumelburg, Werner. In: Dies.: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biographisches Lexikon. Erweiterte Neuauflage. Hamburg/Wien 2002, S. 97. Zur Ausübung des Amtes als Schriftführer vgl. Mittenzwei: Die Mentalität des ewigen Deutschen. 197 Busch: „Und gestern, da hörte uns Deutschland“, S. 142. 198 Adam: Lesen unter Hitler, S. 90.





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 173

hätte, er wäre den Alliierten nie aufgefallen.“199 So erhielt Schenzinger bis 1949 Schreibverbot, er nutzte diese Phase jedoch produktiv zur Vorbereitung weiterer Technikromane, die in der Bundesrepublik veröffentlicht werden sollten.200 Hans Krah, der einen guten Überblick über Schenzingers Gesamtwerk gibt, zeigt ebenfalls auf, dass die Technikromane keinesfalls einen Bruch in Schenzingers Werk bedeuten, sondern, dass zentrale Paradigmen, welche auch die offen nationalsozialistischen Werke wie Der Hitlerjunge Quex prägen, quasi verschleiert übernommen werden.201 Die Verbindung von Ideologie und vermeintlich ‚neutraler‘ und tatsachengetreuer Technik schließt sich dabei keinesfalls aus, ist sogar Teil einer Erzählstrategie, die ideologische „Inhalte nun auf einer externen, neutralen Ebene mittelbar zu fundieren versucht“202. „Unterordnung“ und „Instinkt“, zwei zentrale Ideologeme, die in Der Hitlerjunge Quex eine wichtige Rolle einnehmen,203 sind auch in den Technikromanen bedeutende Leitkategorien, die ihren Ausdruck finden in der Selbstlosigkeit der Wissenschaftler (Führer) und der dem Arbeiter (der Masse) „aufgezwungene[n] Askese“204. Implizit kann das nationalsozialistische Gesellschaftsmodell so immer mitgedacht werden: Unterwerfung unter die zu „Tatsachen“ gestempelten Herrschaftsverhältnisse wurde auf diese Weise im Sachbuch des Dritten Reiches propagiert.205 Der Leitfaden für den Leser ist doppelt gesponnen: einmal durch den (vielfach) wiederholten Weg von der einfachen Entdeckung über die Mühsale der Entwicklung zum durchschlagenden wissenschaftlichen Erfolg; und da ist zum anderen, mit dem wissenschaftlichen Aufstieg parallelisiert, der Weg des zerissenen deutschen Volkes zu Nationalbewußtsein, Macht und Wohlstand. […] [D]er NS-Staat [bleibt] dabei außerhalb der Darstellung, ist aber als Krönung sowohl von wissenschaftlichem wie nationalem Leben immer präsent.206

Technik wird somit präsentiert als stünde sie im Dienst der Gemeinschaft, als hätte sie soziale Funktion. Genau dadurch nimmt sie eine Sinnstiftungsfunktion ein: „Sie soll Orientierung geben, den Zweifel am technischen Fortschritt bannen,

199 Marianne Weil: Anilin von Karl Aloys Schenzinger. In: Wehrwolf und Biene Maja. Der deutsche Bücherschrank zwischen den Kriegen. Hg. v. Marianne Weil. Berlin 1986, S. 239. 200 Vgl. Heidi Treder: Karl Aloys Schenzinger (2006), [o.S.]. Diese ausführliche Biographie, die um eine umfangreiche Übersicht über die Veröffentlichungen Schenzingers ergänzt ist, findet sich unter: www.polunbi.de/pers/schenzinger-01.html (letzter Zugriff am 25.06.2016, 15:44 Uhr) 201 Vgl. Krah: Literatur und „Modernität“, S. 65–66. 202 Krah: Literatur und „Modernität“, S. 67. 203 Vgl. Winfred Kaminski. Heroische Innerlichkeit: Studien zur Jugendliteratur vor und nach 1945. Frankfurt a. M. 1987b, S. 23. 204 Lange: Literatur des technokratischen Bewusstseins, S. 68. 205 Lange: Literatur des technokratischen Bewusstseins, S. 68. 206 Lange: Literatur des technokratischen Bewusstseins, S. 67.



174 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

ablenken von den Ideen tatsächlicher Gesellschaftsveränderung, wie sie durch die Verschiebung der Macht- und Eigentumsverhältnisse erfolgen könnte.“207 Auf diese Weise sind die Technikromane also funktional zur Stabilisierung der NSHerrschaft sowie zur Propagierung des Modells der ‚Volksgemeinschaft‘.208 Populäre Kampf- und Abenteuerschemata und die ihnen inhärente Logik von Sieg und Niederlage, wie sie in Der Hitlerjunge Quex zum Tragen kommen, werden ebenfalls für den Technikroman reaktiviert: „Schenzinger vollzieht die Verwandlung des Einzelkämpfers: des Ritters, Räubers, Abenteurers, Jägers in den Soldaten, der austauschbar in einer gigantischen Schlachtreihe steht. Freilich in einen Soldaten mit dem Reagenzglas als Waffe in der Hand.“209 Doch wie vollzieht sich die Kontinuität dieser Romane in den 1950er Jahren? Schenzingers Technikromanen der Nachkriegszeit (Atom, Schnelldampfer etc.) eine Fortführung des NS-Denkens nachweisen zu wollen, greift zu kurz, darauf verweist auch Krah.210 Vielmehr muss von zwei gesellschaftlichen Prämissen ausgegangen werden, die in der Nachkriegszeit eine weitgehend ‚unpolitische‘ Rezeption der Romane bedingen, da Ideologie und Technik weiterhin als entkoppelt wahrgenommen werden: Zum Ersten muss die Autonomisierung der Technik kulturell akzeptiert sein und Technik, Wissen, „Sachen“ im Denken per se als politisch unverfänglich gelten. Werden Technik und Wissenschaft als autonome Bereiche gedacht, dann ist es konsequent, dass diese Kontinuitätslinie in den 50er Jahren problemlos fortgeführt werden kann. Gerade dieses Konstrukt ermöglicht die Weiterverwendung solcher Schreibtraditionen. […] Zum Zweiten geht dies nur, wenn eine Kontinuität im Umgang mit der Technik anzusetzen ist, wenn das Konzept der Positivität bzw. Neutralität der Technik erhalten bleibt.211

Auch Thomas Lange sieht die Kontinuität der Technikromane als „Fortdauer einer tief unpolitischen Tatsachen- und Fortschrittsgläubigkeit“212 an. Diese zutiefst apolitische Haltung der Nachkriegsjahre verweist aber unmittelbar auf eine mangelnde Aufarbeitung der Nazi-Herrschaft und eine unzureichende Auseinandersetzung mit der Kollektivschuld. Damit werden die Technikromane der Nachkriegszeit zu Dokumenten der Verdrängung. Schenzinger zeigt in seiner Selbsteinschätzung die mangelnde Reflexion über die nationalsozialistische Ver-

207 Lange: Literatur des technokratischen Bewusstseins, S. 76. 208 Zur der die nationalsozialistische Gesellschafts-, Kultur- und Wirtschaftspolitik prägenden und höchst kontroversen Mischung von ‚modernen‘ und ‚reaktionären‘ Inhalten und Gestaltungsformen siehe vor allem Kapitel 4.1.2. 209 Weil: Anilin von Karl Aloys Schenzinger, S. 238. 210 Vgl. Krah: Literatur und „Modernität“, S. 68. 211 Krah: Literatur und „Modernität“, S. 68–69. 212 Lange: Literatur des technokratischen Bewusstseins, S. 76–77.





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 175

gangenheit beispielhaft auf, indem sich seine Aussagen in plumpen Selbstrechtfertigungsversuchen und einer bewusst apolitischen Pose erschöpfen. Folgender Ausschnitt aus einem Interview mit dem Spiegel kann dabei für sich selbst stehen: Ich bin kein Dichter. Ich will nur berichten, was los ist. ANILIN habe ich geschrieben, ohne ein Chemiker, METALL ohne Techniker, ATOM ohne Physiker – QUEX ohne Nazi zu sein. Ich habe nur erzählt, was ich als Berliner Krankenkassenarzt gesehen habe. Übrigens habe ich vieles am Nationalsozialismus bewundert. Ich bewundere auch Schmeling. Trotzdem kann ich das Boxen nicht ausstehen.213

Für das Wirken der drei hier behandelten Autoren lässt sich kaum eine aktive Vergangenheitsbewältigung konstatieren. Vielmehr wird auf bewusst apolitische Themen ausgewichen, wozu die alten, primär unterhaltenden Schreibstrategien und -schemata oftmals nur minimal modifiziert werden müssen. Beispielhaft kommt überwiegend die Verdrängungsmetalität der 1950er Jahre zum Tragen, die sich auf wirtschaftlichen Fortschritt statt auf Vergangenheitsbewältigung konzentriert. Doch wie wird heute mit den explizit nationalsozialistischen (Propaganda-) Werken umgegangen? Sollten diese ein für allemal in den ‚Giftschrank‘ gesperrt werden, in der Hoffnung, dass sie dem Vergessen anheimfallen? Sollten sie dabei allenfalls der Wissenschaft zugänglich gemacht werden? Oder ist die bisher weitgehend unterbliebene Behandlung der nationalsozialistischen Romane in der Öffentlichkeit bzw. im Schulunterricht gar als eine sich bis in die heutige Zeit fortsetzende, unzureichende Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Herrschaft zu sehen? Die Antworten zu diesem Themenkomplex fallen sehr unterschiedlich aus und zeigen, dass der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit immer noch ein brisantes und kontrovers diskutiertes Thema ist. Horst Pöttker stellt im Epilog seines Sammelbandes Abgewehrte Vergangenheit die Frage: „Warum dürfen die normalen Deutschen nicht ‚Hitlerjunge Quex‘ anschauen oder ‚Mein Kampf‘ lesen?“214 Offen erzählt er von den Versuchungen des Wissenschaftlers „saftige Rechnungen“215 über Archivbenutzungsgebühren und schriftliche Erklärungen zum Verwendungszweck zu umgehen und sich

213 Anonymus: Schenzinger. Berichten, was los ist. In: Der Spiegel (23.05.1951), S. 32. [Hervorhebungen aus dem Text übernommen]. Schenzinger arbeitete von 1925 bis 1928 als Besuchsarzt einer Berliner Ortskrankenkasse in einer Armenarztpraxis in Wedding. Vgl. Treder: Karl Aloys Schenzinger, [o.S.]. 214 Horst Pöttker: Epilog. Warum dürfen die normalen Deutschen nicht „Hitlerjunge Quex“ anschauen oder „Mein Kampf“ lesen? In: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Hg. v. Horst Pöttker. Köln 2005, S. 248–250. 215 Pöttker: Epilog, S. 248.



176 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

entsprechende Filme und Bücher für sein Hochschulseminar anderweitig zu beschaffen. Vor allem über das Internet finden mittlerweile sowohl Hitlers Mein Kampf (seit 2016 zudem als kritisch kommentierte Ausgabe über den Buchhandel erhältlich)216 als auch der Film Hitlerjunge Quex Verbreitung und stehen damit ebenfalls einem als bedenklich einzustufenden, neonazistischen Rezipientenkreis zur Verfügung. Dadurch stellt sich natürlich ein gewisses Paradox ein, das erneute Fragen zum Umgang mit dem Erbe der NS-Propaganda aufwirft. Ob dies jedoch gleich eine absolute Liberalisierung im Zugang zu den Propagandaquellen rechtfertigt, ist eine andere Frage. Natürlich sollten diese Quellen zum Zweck der wissenschaftlichen Untersuchung so gut wie möglich zugänglich gemacht werden. Jedoch weiß jeder Wissenschaftler ebenfalls um die Brisanz des behandelten Materials und muss so unter Umständen auch Hindernisse bei der Beschaffung der relevanten Quellen vorab einkalkulieren. Pöttker sieht den sehr vorsichtigen Umgang mit der nationalsozialistischen Propaganda und den in der Öffentlichkeit erschwerten Zugang zu ihr als Ausdruck einer bewahrpädagogischen Haltung, die den Bürgern kaum die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit zutraue. Er fragt schließlich: „Wovor will uns die Kulturpolitik schützen, wenn es keine Kontinuitäten (mehr) gäbe und der Verarbeitungsprozess abgeschlossen wäre?“217 Friedemann Beyer von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, die die 41 sogenannten nationalsozialistischen ‚Vorbehaltsfilme‘ verwaltet, verweist jedoch explizit darauf, dass diese Filme keineswegs „verboten, indiziert oder in Giftschränken weggesperrt“218 seien. Vielmehr setzt sich die Murnau-Stiftung für die

216 Vgl. Adolf Hitler: Mein Kampf. Eine kritische Edition. Hg. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin von Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel. 2 Bände. München/Berlin 2016. Kurz vor Drucklegung der vorliegenden Studie wurde 70 Jahre nach Hitlers Tod (d. h. nach Erlöschen der Urheberrechte, die dem Freistaat Bayern 1945 von den Alliierten zugesprochen worden waren und der somit die Neuauflage unterband) durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe von Mein Kampf herausgegeben. Der Ablauf der Urheberrechte (der übrigens auch für andere nationalsozialistische Propagandaschriften relevant sein sollte) und die kommentierte Ausgabe des bekanntesten nationalsozialistischen Propagandawerks bringen somit neue Dynamik in die Diskussion über den Umgang mit nationalsozialistischen Propagandaquellen und deren wissenschaftliche Aufarbeitung wie (didaktische) Vermittlung. Eine Dokumentation der Rezeption der kritischen Edition findet sich auf der Homepage des Instituts für Zeitgeschichte unter: http://www.ifz-muenchen.de/aktuelles/themen/edition-mein-kampf/dokumentation-meinkampf-in-der-oeffentlichen-diskussion/ (letzter Zugriff am 24.03.2016, 16:06 Uhr). 217 Pöttker: Epilog, S. 250. 218 Friedemann Beyer: Vorwort des Herausgebers. In: Arbeitsmaterialien zum Nationalsozialistischen Propagandafilm: Hitlerjunge Quex. Zusammenstellung und Text: Gerd Albrecht. Hg.





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 177

aktive und verantwortungsvolle Vermittlung der ‚Vorbehaltsfilme‘ ein, zu denen auch die Verfilmung des Romans Der Hitlerjunge Quex gehört: Die Vorführung solcher Filme darf nur im nichtgewerblichen Bereich (an Schulen, Universitäten, anderen Bildungseinrichtungen, kommunalen Kinos) stattfinden, unter der Auflage, dass sie nicht beworben und von einem Referenten begleitet werden, der einführend den zeitgeschichtlichen Kontext und den propagandistischen Zweck der Filme erläutert und zur kritischen Analyse anhält.219 Im Anschluss an die Filme soll eine Publikumsdiskussion die kritische Distanz zum Gesehenen herstellen. Dies verdeutlicht: Die Analyse nationalsozialistischer Spielfilme, aber auch der nationalsozialistischen Unterhaltungsliteratur ist voraussetzungsreich und bedarf eingehender Vor- und Nachbereitung. Daher ist es umstritten, ob solche Quellen im Schulunterricht eingesetzt werden sollten, da der hohe Aufwand der Vor- und Nachbereitung möglicherweise nicht im Verhältnis zum Lerneffekt steht. Olaf Perlwitz, der im Rahmen seiner zweiten Staatsexamensprüfung u. a. den Hitlerjungen Quex im Rahmen eines Unterrichtsvorhabens zur Förderung des historischen Urteilsvermögens in einer 10. Gymnasialklasse einsetzte, betont, dass die Verwendung des Films „wenig ertragreich“220 gewesen sei und die Schüler nicht besonders motiviert hätte. Das durch den Film erhoffte Erkenntnisziel wurde nicht erreicht: Bemerkenswert war, dass die Schüler trotz vorheriger Vorbereitung durch ein „Methodenblatt Spielfilm“ bei der Benennung der wiedergegebenen Perspektive ins Schlingern gerieten. Eine klare und alleinige Zuordnung zur Perspektive der Macher des Films war erhofft worden; die hauptsächliche Schülerantwort war jedoch, dass die Perspektive eines Jugendlichen aus einer kommunistischen Familie gezeigt werde. […] Insgesamt betrachtet scheint der Film weder zur sachlichen Grundlegung der Urteilsbildung noch für die argumentative Vorbereitung des Urteils besonders geeignet zu sein. [Der Film] würde […] bei einer erneuten Durchführung der Reihe in der Erarbeitungsphase nicht mehr zum Einsatz kommen und bestenfalls zur Nachbereitung des Themas – nachdem die Begriffsbildung auf anderem Weg erfolgt wäre – verwendet werden.221

v. der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung. CD-ROM. Wiesbaden 2006, S. 4 [Abhandlung nur auf CD-ROM im geschlossenen Textformat mit Seitenzahlen erhältlich]. 219 Vgl. Beyer: Vorwort des Herausgebers, S. 4. 220 Olaf Perlwitz: NS-Jugendorganisationen im Dritten Reich. Förderung der historischen Urteilsbildung durch die Erprobung ausgewählter Zugänge zur Zeitgeschichte. Ein Unterrichtsvorhaben im Fach Geschichte in einer 10. Klasse der Bühring-Oberschule (Gymnasium) in BerlinPankow. Schriftliche Prüfungsarbeit zur Zweiten Staatsprüfung für das Amt des Studienrates. Berlin 2003, S. 40. Online abrufbar unter: http://cultusev.de/cms2/front_content.php?idcat=44 (letzter Zugriff: 25.06.2016, 15:38). 221 Perlwitz: NS-Jugendorganisationen im Dritten Reich, S. 40–41.



178 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

Schwierigkeiten im Aufbau von Distanz in Bezug auf die Leseerfahrung mit dem Buch Der Hitlerjunge Quex schildern Claudia Schmitt und Marna Vanheiden: „So fällt es dem Leser bei der Lektüre des Buches sehr schwer, sein negatives und äußerst kritisches Verhältnis zu den Nazis aufrecht zu erhalten. Er beginnt vielleicht auch ein wenig zu verstehen, warum die Nationalsozialisten damals so viele Leute in ihren Bann ziehen konnten.“222 Dies zeigt den schmalen Grat auf zwischen dem Anspruch der kritischen Analyse und Distanz einerseits sowie der Übernahme der vorgegebenen Propagandaperspektive andererseits. Auch Helmut Scheuer bezeichnet in seinem Vorwort zum Themenheft Drittes Reich der Zeitschrift Der Deutschunterricht den Einsatz von zeitgenössischen NSTexten als „gefährliche Gratwanderung“223, denn er sieht darin die Gefahr, für neonazistische Propaganda Material zu liefern. In diesem Zusammenhang verweist er ebenfalls auf das Internet als Quelle zahlreicher NS-Propagandamedien. Er plädiert für den verantwortungsvollen und angemessenen Umgang mit den Quellen und betont, dass es im Rahmen der Thematik sinnvoller sei auf (belletristische) Literatur zurückzugreifen, die nicht von nationalsozialistischen Parteigängern verfasst worden sei: Damit ist eine solche an zeitgenössischen Texten und anderen Zeugnissen ausgerichtete Debatte nicht verworfen, sondern es wird nur für eine grundlegende didaktische Überlegung plädiert, die auf die Angemessenheit der Unterrichtsmaterialien gerade in der Schule achtet und einer möglichen Missdeutung und einem nicht gewünschten Missbrauch der Dokumente entgegenwirkt. Im Rahmen eines knappen Aufsatzes ist diese Thematik der „völkischen Literatur“ zudem nicht adäquat zu behandeln. Jeder Lehrer wird aber genügend Material finden können, wenn er solche Aspekte ansprechen will.224

Ein recht anspruchsvolles Analysekonzept liefert Joseph Vogl, dem es am Beispiel von zahlreichen kriegsapologetischen Texten aus den unterschiedlichsten Zeitzusammenhängen (von den napoleonischen Kriegen bis zu den Landser-Heften der Gegenwart) um die „Identifizierung wesentlicher Elemente kriegsaffiner Einstellungen und deren literarische Repräsentationsformen als Basis für vergleichende Textanalysen im Unterricht“225 geht. Unter den Literaturbeispielen findet sich auch Beumelburgs Gruppe Bosemüller. Die ideologiekritische Analyse setzt am

222 Claudia Schmitt und Marna Vanheiden: „Der Hitlerjunge Quex“ – heute gelesen. In: Literatur und Erfahrung, H. 26/27 (1992), S. 75. 223 Helmut Scheuer: Das „Dritte Reich“ im Literaturunterricht. In: Der Deutschunterricht 55 (2003), H. 4, S. 3. 224 Scheuer: Das „Dritte Reich“ im Literaturunterricht, S. 3. 225 Joseph Vogl: Kriegserfahrung und Literatur. Kriterien zur Analyse literarischer Kriegsapologetik. In: Der Deutschunterricht 35 (1983), H. 5, S. 89 [Kursivierung aus dem Text übernommen].





3.2 Wirkungsbedingungen der Romane und ihrer Autoren 

 179

Erfahrungs- bzw. Erlebnisbegriff an und bezieht Aspekte des Zusammenhangs von Sprache und Gewalt, der Mythenbildung und der Vermittlung kriegerischer Tugenden etc. ein und scheint höchstens für eine Oberstufenklasse geeignet, Altersangaben zur Zielgruppe macht Vogl jedoch keine. Aufgearbeitet oder abgelegt? fragt Wolfhart Berger im Zusammenhang mit der NS-Literatur in den Nachkriegslesebüchern; er kommt zu dem Ergebnis, dass eine eingehende Auseinandersetzung mit der Literatur des Nationalsozialismus, ihren Entstehungs- und Wirkungsbedingungen noch ausstünde.226 Hendrik Stammermann greift dies auf, indem er didaktische Überlegungen zur Verwendung nationalsozialistischer Texte im Deutschunterricht anstellt. Er plädiert für die direkte Konfrontation mit den nationalsozialistischen Texten, denn die Behandlung des Nationalsozialismus im Deutschunterricht geschehe meist anhand von Texten der Exilautoren oder literarischen Texten der Nachkriegszeit, die eine zurückblickende und reflektierende Haltung bereits einschließen würden.227 Stammermann möchte jedoch die direkte Perspektive der Täter mit in den Unterricht einbeziehen: „Die Literatur der ‚Täter‘, die ja durchaus im Rahmen der Entwicklung einer Kritikfähigkeit genutzt werden könnte, für den Deutschunterricht zugänglich zu machen ist bisher weitgehend vernachlässigt worden.“228 Er verweist ebenfalls darauf, dass die Quellen „antiquarisch über das Internet leicht zu bekommen“229 seien und betont: „Solche authentischen Texte faszinieren die Schüler, da sie Geschichte zum ‚Begreifen‘ bieten.“230 In diese Aussage impliziert Stammermann ein ziemlich idealistisches Bild von einem allseitig urteilsfähigen Schüler, der aufgrund von umfangreichem historischen Vorwissen das ‚Richtige‘ begreift. Doch sind diese Ausgangsbedingungen gegeben? Wie bereits angesprochen, ist die Vor- und Nachbereitung von Propagandatexten und -filmen enorm aufwändig und wie der Unterrichtsversuch von Perlwitz verdeutlicht, stellt diese keineswegs die ‚richtige‘ bzw. kritisch-distanzierte Interpretation sicher. Was,

226 Vgl. Wolfhart Berger: Aufgearbeitet oder abgelegt? Deutsche Literatur 1933 bis 1945 im Spiegel der Nachkriegslesebücher. In: Literatur für Leser 6 (1983), H. 4, S. 244–255. 227 Vgl. Hendrik Stammermann: Gedanken zur Verwendung nationalsozialistischer Texte im Deutschunterricht. In: Kritische Ausgabe. Zeitschrift für Germanistik und Literatur 8 (2004), H. 2, S. 52 [als online-Ausgabe sind die Hefte fortlaufend nummeriert, der Aufsatz findet sich unter Nr. 12 (2004)]. 228 Stammermann: Gedanken zur Verwendung nationalsozialistischer Texte im Deutschunterricht, S. 52. 229 Stammermann: Gedanken zur Verwendung nationalsozialistischer Texte im Deutschunterricht, S. 53. 230 Stammermann: Gedanken zur Verwendung nationalsozialistischer Texte im Deutschunterricht, S. 53.



180 

 3 Rezeptionsbedingungen der Romane und Lektüreverhalten der Arbeiter

wenn trotz anderer Zeitumstände und Rahmenbedingungen damit lediglich eine (ungewollte) Rekonstruktion der propagandistischen Anziehungskraft stattfindet und der gutgemeinte Einsatz dieser Texte „zur demokratischen Bildung“231 der Schüler in Bezug auf die Propagandatexte nicht kritische Distanz und Widerspruch hervorruft, sondern in das Gegenteil umschlägt? Natürlich verweist Stammermann darauf, dass ein klares didaktisches Vorgehen notwendig sei, welches den „schöne[n] Schein des Dritten Reiches“232 entlarven und kontrastierend der Realität des nationalsozialistischen Regimes gegenüberstellen müsse:233 „Die Literatur des Nationalsozialismus darf nicht wertfrei und kontextlos analysiert werden.“234 Doch ob ein Einsatz dieser Literatur bereits in der Sekundarstufe I angebracht ist, ist fraglich. Das Thema polarisiert also die Schulpädagogik. Lehrer sollten sich ihrer Verantwortung im Umgang mit Propagandamaterialien bewusst sein und dabei ihre didaktischen Fähigkeiten sowie die Kenntnisse und Urteilsfähigkeit ihre Schüler unbedingt realistisch einschätzen.

231 Stammermann: Gedanken zur Verwendung nationalsozialistischer Texte im Deutschunterricht, S. 54. 232 Der Ausdruck wurde wesentlich geprägt durch: Peter Reichel: Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus. München [u. a.] 1991. 233 Vgl. Stammermann: Gedanken zur Verwendung nationalsozialistischer Texte im Deutschunterricht, S. 53. 234 Stammermann: Gedanken zur Verwendung nationalsozialistischer Texte im Deutschunterricht, S. 54.



4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation Eine Arbeit, die sich den populären Schemata in politischer Belletristik widmet, kommt nicht umhin, auch die optische Aufmachung der Romane in Hinsicht auf ihre ‚Massentauglichkeit‘ zu untersuchen. Nicht zuletzt, da Werbemaßnahmen wie Anzeigen und Plakate, aber auch die Buchgestaltung selbst massenwirksame Kaufanreize aussenden sollen und ein bestimmtes Image der jeweiligen Bücher vermitteln. Das vorliegende Kapitel untersucht deshalb, in wieweit die äußere Gestaltung der Romane mit dem Inhalt korrespondiert und ob dadurch ein stimmiges Bild vermittelt wird. Außerdem muss beachtet werden, ob im Fall der Roten Eine-Mark-Romane äußere optische Kaufanreize wirklich entscheidend für den Kauf des Buches als ‚Massenware‘ sind oder ob im Sinne der kommunistischen Ideologie der Warencharakter zurücktritt und der funktionale, agitatorische Aspekt als Gebrauchsbuch mit politischem Wert im Klassenkampf in den Mittelpunkt rückt. Daraus lassen sich folgende zentrale Fragen ableiten, die es im Rahmen des Kapitels zu beantworten gilt: Stehen Buchgestaltung und Inhalt insgesamt in einem stimmigen Verhältnis zueinander? Zeichnen sich gewisse charakteristische äußere Gestaltungsweisen für politische Belletristik ab? Gibt es Unterschiede in der Aufmachung zwischen den kommunistisch und den nationalsozialistisch geprägten Werken oder greifen beide Seiten auf allgemein anerkannte und erfolgreiche Mittel der Buchgestaltung zurück? Insgesamt soll die hier behandelte politische Belletristik im Rahmen der Paratextanalyse also primär mit dem Fokus auf die ästhetisch-funktionale Wirkungsweise als Gebrauchsbuch und als ‚Waffe‘ im politischen Kampf untersucht werden. Dabei wird die vergleichende Analyse der Covergestaltung sowie die Untersuchung eines Plakatentwurfs und der Anzeigengestaltung durch umfangreiches Anschauungsmaterial begleitet. Insbesondere Gérard Genette betont die Bedeutung von Mitteilungen, die im Umfeld des Buches ausgesendet werden, die aber über den eigentlichen Haupttext hinausgehen und prägt somit den Begriff der ‚Paratexte‘. Er bezeichnet diese als „Beiwerk des Buches“1 und versteht darunter Aspekte wie die Umschlaggestaltung, Titel, Widmungen, Vor- und Nachworte, aber auch Interviews, Werbeplakate etc. Wie die Aufzählung zeigt, müssen sich paratextuelle Elemente nicht

1 Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches [frz.: Seuils. Paris 1987]. Mit einem Vorwort von Harald Weinrich. Aus dem Französischen übersetzt von Dieter Hornig. Frankfurt a. M./New York 1989. DOI 10.1515/9783110468434-005



182 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

unbedingt auf der Textebene manifestieren; es gibt also durchaus nicht-textuelle Erscheinungsformen des Paratextes, wie die bildliche Gestaltung von Covern oder Plakaten, typographische Entscheidungen beim Druck des Werkes etc.2 Genette differenziert den Paratext, je nachdem in welchem Bezug er zum Haupttext steht, in Peritext und Epitext. Peritextuelle Elemente finden sich direkt im „Umfeld des Textes, innerhalb ein und desselben Bandes“3, wie Titel, Vorwort, Fußnoten, Überschriften etc. Zum Epitext gehören demnach alle Mitteilungen, die ursprünglich außerhalb des Textes angesiedelt sind, z. B. Interviews oder Briefwechsel über das Buch, äußere Werbemaßnahmen des Verlages wie Plakate, Anzeigen u. a.4 Folgendes Kapitel widmet sich insbesondere der verlegerischen und werbewirksamen Aufmachung der Bücher, d. h. der verlegerischen paratextuellen Gestaltung, die sich dem direkten Einfluss der Autoren meist entzieht. Es geht also um die konkrete materielle Realisierung der Bücher. Innerhalb eines Buches gehören zum verlegerischen Peritext hauptsächlich die äußerlichen Aspekte wie der Umschlag, die Titelseite und die drucktechnischen Aspekte wie Format, Papier, Schrift etc.5 Bei Neuauflagen kann es so durch verlagsinterne Überlegungen zu einer gänzlich anderen Aufmachung des Buches kommen. Dies soll eine exemplarische Gegenüberstellung der unterschiedlichen Covergestaltung von Original- und Neuauflagen der Roten Eine-Mark-Romane unter 4.1.1 verdeutlichen. Der verlegerische Epitext ist maßgeblich charakterisiert durch seine öffentliche Werbefunktion in Form von Plakaten, Großanzeigen, Prospekten und im modernen Medienzeitalter auch durch Fernseh- und Radioreklame.6 Da die im Rahmen dieser Arbeit behandelten Romane allesamt durch Werbemaßnahmen wie Zeitungsanzeigen und teilweise durch Werbeprospekte und Plakate vermarktet wurden, sollen unter 4.2 auch die materiellen Realisationen und Wirkungen der Epitexte analysiert werden. Die oben aufgeworfenen Fragen zeigen, dass Paratexte also keineswegs als bloßes ‚Beiwerk‘ oder als randständige Elemente zu behandeln sind, sondern dass sie durchaus einen konstitutiven Beitrag zur Analyse eines Werkes leisten können:

2 Vgl. Genette: Paratexte, S. 14. 3 Genette: Paratexte, S. 12. 4 Vgl. Genette: Paratexte, S. 12. 5 Vgl. Genette: Paratexte, S. 22. 6 Vgl. Genette: Paratexte, S. 331.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 183

Sie [Paratexte] steuern Aufmerksamkeit, Lektüre und Kommunikation in einer Weise, dass die entsprechenden Texte über sie allererst ihre jeweilige Kontur, ihre gewissermaßen handhabbare Identität gewinnen.7

Noch deutlicher werden Klaus Kreimeier und Georg Stanitzek: „Und insofern Paratexten ein für jede Rezeption weichenstellender Status zukommt geht ihre Beobachtung keineswegs auf Randständiges, sondern tatsächlich aufs Ganze: Paratexte organisieren die Kommunikation von Texten überhaupt.“8 In diesem Sinne gilt es im Folgenden den paratextuellen Signalwirkungen der behandelten Romane nachzuspüren.

4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes Insbesondere der Einband und die Umschlaggestaltung, also die Gestaltung des Buchäußeren, erfährt in den 1920ern unter dem Einfluss der Werbegestaltung und des modernen Industriedesigns im Sinne der verkaufsfördernden Werbung besondere Aufmerksamkeit und bietet eine Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten. Dass der Buchumschlag nicht nur „schützende, sondern auch werbende Funktion haben konnte“9 wurde bereits um die Jahrhundertwende erkannt; in der Weimarer Republik setzt sich die Entwicklung vom einfachen unbedruckten Schutzumschlag zum vielfältig gestalteten Buchumschlag als Werbeträger schließlich vollends durch.10 Erhard Wittek, der vor allem als Verfasser der im

7 Georg Stanitzek: Texte, Paratexte, in Medien: Einleitung. In: Paratexte in Literatur, Film, Fernsehen. Hg. v. Klaus Kreimeier und Georg Stanitzek. Berlin 2004, S. 8. 8 Klaus Kreimeier/Georg Stanitzek: Vorwort. In: Paratexte in Literatur, Film, Fernsehen. Hg. v. Klaus Kreimeier und Georg Stanitzek. Berlin 2004, S. VII [Kursivierung aus dem Text übernommen]. 9 Anke Seibel: Zur Entwicklung des Buchumschlages bis 1945. In: Buchgestaltung in Deutschland 1900–1945. Ausstellung der Universitätsbibliothek Bielefeld vom 16.12.1987–31.1.1988. Hg. v. Walter Kambartel. Bielefeld 1987, S. 92. Zur Doppelfunktion des Schutzumschlages als Werbeträger und als Schutz des Einbandes vgl. auch: Rudolf Unbescheid: Der Schutzumschlag – Werbemittel und Gebrauchsgegenstand. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe (30.03.1965), Nr. 25, S. 626–628. 10 Vgl. Seibel: Zur Entwicklung des Buchumschlages bis 1945, S. 93. Für einen Überblick zur Geschichte des Buchumschlages vgl. auch: Heino Noebel: Der Buchumschlag. Eine kleine Exkursion durch Geschichte, Aufgabe und Gestaltung des Buchumschlags. In: Der junge Buchhandel 23 (1970), H. 3, S. 25–31 [Beilage zum Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel vom 03.03.1970, Nr. 18]. Vgl. Georg Kurt Schauer: Kleine Geschichte des deutschen Buchumschlages im 20. Jahr-



184 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

‚Dritten Reich‘ äußerst populären Indianerbücher der Tecumseh-Reihe unter dem Pseudonym Fritz Steuben bekannt ist, gibt 1926 die Schrift Das Buch als Werbemittel heraus, in der er über seine buchhändlerische Erfahrung im Vertrieb berichtet. Auch er weist dem Schutzumschlag bei der Vermarktung von Büchern eine zentrale Rolle zu: Heute ist der Schutzumschlag schon längst über seine ursprüngliche Bestimmung hinausgewachsen und ein Werbemittel geworden, auf das ein erfahrener und geschickter Propagandist ohne Not nicht mehr verzichtet. Ein guter Umschlag ist ein fast unfehlbares Mittel, ein Werk in das Schaufenster zu bringen, Vorübergehende auf das in der Auslage befindliche Buch aufmerksam zu machen oder den Interessenten, dem das Buch auf dem Ladentisch (eben infolge des Schutzumschlages) auffällt oder vom Verkäufer wieder vorgelegt wird, kaufanreizend zu beeinflussen.11

Das Buch wird somit zum aufmerksamkeitserregenden „Blickfang“12. Doch nicht nur im kommerziellen Buchhandel, sondern beispielweise auch im (illegalen) Straßenverkauf der Roten Eine-Mark-Romane müssen die Cover hohen Wiedererkennungswert haben und werben quasi als Kleinplakate für die Anliegen der politischen Arbeiterbewegung. Neben der kommerziellen Werbung bekommen die Buchumschläge somit auch eine politische Funktion. Vor allem von Lucius verweist auf den für die Weimarer Republik charakteristischen Stilpluralismus der Umschlagentwürfe, die in ihrer Mannigfaltigkeit durchaus auch die unterschiedlichen politischen Positionen zum Ausdruck bringen: „Der Umschlag wird zum bildlichen Signal einer eindrucksvollen Vielfalt ästhetischer und auch politischer Positionen, die so kennzeichnend für die Weimarer Republik ist.“13 Insbesondere im linkspolitischen Bereich werden avantgardistische Ausdrucksformen und konstruktivistische Gestaltungskriterien eingesetzt, um gesellschaftsutopischen Vorstellungen von einem ‚neuen Menschen‘ Ausdruck zu verleihen und über Aspekte der Gestaltung erzieherische und gesellschaftsverändernde Impulse zu setzen. Trotzdem greift es zu kurz, wenn moderne Gestaltungsfor-

hundert. Königsstein im Taunus 1962. Einen teilweise ideologisch geprägten Überblick aus der Perspektive der DDR bietet das Kapitel über den Buchumschlag in Albert Kapr: Buchgestaltung. Dresden 1963 [Kapitel: „Der Buchumschlag“, S. 228–243]. 11 Erhard Wittek: Das Buch als Werbemittel. Leipzig 1926, S. 27. 12 Einen eindrucksvollen Überblick über die innovative Buchgestaltung der Berliner Verlage in der Weimarer Republik liefert: Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919–1933. 1000 Beispiele, illustriert und dokumentiert. Hg. v. Jürgen Holstein. Berlin 2005. 13 Wulf D. von Lucius: Buchgestaltung und Buchkunst. In: Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 2: Die Weimarer Republik 1918–1933. Hg. v. Ernst Fischer und Stephan Füssel. München 2007, S. 328.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 185

men und Fotomontagen mit kommunistischen bzw. sozialistischen Buchinhalten und antiquiert gestaltete Bücher in Frakturschrift mit konservativen bzw. national(sozial)istischen Inhalten identifiziert werden, wie dies ansatzweise in einem Ausstellungskatalog zu Buchumschlägen von 1900–1950 durch folgende Äußerung geschieht: Bei manchen Umschlägen zu Werken sozialistischen und sozialkritischen Inhalts finden sich progressive künstlerische Ausdrucksmittel, wie eine aggressive Art der Zeichnung, Karikatur, Photomontage und Kollage, während trockene Holzschnittmanier oder eine idyllisierende und heroisierende Darstellungsweise wie auch antiquierte Ornamente und Frakturschrift häufig konservative oder nationalistische Themen und Richtungen charakterisieren.14

Vielmehr finden sich vor allem innerhalb der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten nationalsozialistischen Werke je nach Aussageabsicht und Zielgruppe ganz unterschiedliche Gestaltungsweisen, deren Spektrum von der dezidierten Übernahme moderner Gestaltungsweisen bis hin zu traditionellen Formen der Buchgestaltung reicht und oftmals durch die Kombination von traditionellen und modernen Elementen viele kontinuierliche Übergänge aufweist. Dass sich Fotomontagen mit moderner Typographie als Gestaltungsmittel durchaus auch für reaktionäre bzw. nationalsozialistische Inhalte nutzbar machen lassen, soll die Analyse der Covergestaltung der nationalsozialistischen Romane unter 4.1.2 aufzeigen. Zunächst steht jedoch die Covergestaltung der Roten Eine-Mark-Romane im Fokus, deren Reihengestaltung als paradigmatisches Beispiel für die konstruktivistische Buchgestaltung gelten kann, da nicht nur die Inhalte, sondern auch die entsprechend gestalteten Einbände funktional als ‚Waffe‘ im Klassenkampf konzipiert sind.

4.1.1 Die konstruktivistisch beeinflusste Covergestaltung der Roten Eine-Mark-Romane Die funktionale Auffassung von Literatur als bewusst konstruierter ‚Waffe‘ im Klassenkampf drückt sich analog zum Inhalt der Roten Eine-Mark-Romane in der künstlerischen Gestaltung der Einbände aus, die nach konstruktivistischen Kriterien gestaltet sind. Sie folgen einer strengen formalen Anordnung und benut-

14 Walter Scheffler/Gertrud Fiege: Zeittendenzen. In: Dies.: Buchumschläge 1900–1950. Aus der Sammlung Curt Tillmann. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach a. N. Marbach a. N. 1971, S. 124.



186 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

zen Elementarformen wie Rechteck und Kreis. Die konstruktivistische Idee dieser Kunst, die auf den sowjetischen Proletkult zurückgeht, basiert auf dem Gedanken der Kunst als politischem bzw. gesellschaftlichem ‚Werkzeug‘ und dem bewussten Konstruieren eines Werkes nach vorgefertigten Schemata und Gestaltungskriterien. Sie findet ihren Ausdruck beispielsweise auch im Bauhaus-Design, wo Form und Funktion der Gestaltung aufs engste miteinander verknüpft sind sowie in der Entwicklung der Elementaren Typographie durch Jan Tschichold. Bei all diesen Ansätzen geht es nicht nur um das Design, sondern auch um dessen erzieherische, gesellschaftsverändernde Aspekte: ihnen liegt die (kommunistisch geprägte) gesellschaftsutopische Vorstellung von einem ‚neuen Menschen‘ zugrunde. Der Konstruktivismus wurde von seinen Begründern nicht als reine l’art pour l’art-Bewegung angesehen. Später wurde er durch den stark reglementierten sozialistischen Realismus aber mehr und mehr in diese Rolle gedrängt. Besonders Hans-Peter Riese betont den gesellschaftsbezogenen Aspekt des Konstruktivismus: Sowohl die Gruppe De Stijl als auch die russischen Konstruktivisten argumentierten aus einem ideologisch fundierten Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft. Sie lehnten die individualistische Künstlerpersönlichkeit ebenso ab wie die dekorative auf „Stil“ oder „Geschmack“ gegründete Architektur und favorisierten dem gegenüber die Technik und das Ingenieurswesen. Nur in der Rückkopplung auf die Bedingungen des Menschen in der gegebenen gesellschaftlichen Situation ließ sich Ästhetik als Basis der Gestaltung noch denken und rechtfertigen.15

Die Diskreditierung des Konstruktivismus als ‚Formalismus‘ und dessen weitgehende Ausschaltung durch den sozialistischen Realismus als einzig verbindlichem Stil der Sowjetunion führt Riese ferner auf die fehlende gesellschaftliche Anbindung zurück: So wie in der Sowjetunion die Kommunistische Partei als die Vertreterin des Proletariats den diffusen Utopien der Konstruktivisten immer deutlicher ablehnend gegenüberstand, waren die Künstler auch daran gescheitert, die Arbeiterklasse, in deren Namen und zu deren Nutzen die Konstruktivisten ihre Theorie entwickelt hatten, auch nur für die utilitaristischen Ergebnisse dieser Theorie zu interessieren.16

15 Hans-Peter Riese: Kunst: Konstruktiv/Konkret. Gesellschaftliche Utopien der Moderne. München/Berlin 2008, S. 142. 16 Riese: Kunst: Konstruktiv/Konkret, S. 153.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 187

Nichtsdestotrotz haben konstruktivistische Gestaltungskriterien großen Einfluss auf das westeuropäische Design, die (Werbe-)Graphik sowie nicht zuletzt die Buchgestaltung ausgeübt. Ihre Einflüsse sind auch im gegenwärtigen Kunst- und Designbetrieb äußerst präsent. Bei der Gestaltung des sogenannten ‚Gebrauchsbuchs‘, also des auch für Arbeiter erschwinglichen Buchs wie dem Rote Eine-Mark-Roman, kommen nicht nur ästhetische oder, wie im absatzorientierten Buchhandel, kommerzielle Aspekte der Werbung zum Tragen, sie besitzen vielmehr einen eigenen Agitationswert. Darauf verweist auch Wilhelm Haefs: Mit Buchumschlägen wird in der Weimarer Republik erstmals nicht nur Kulturpolitik betrieben, sondern auch entschiedene politische Agitation – und dies in allen politischen Lagern, am provokantesten und künstlerisch modernsten im Spektrum der extremen Linken, speziell der KPD und der ihr nahestehenden Verlage.17

Die äußere Aufmachung des Buches wird damit zumeist als (politisches) Werbeplakat für das eigentliche Werk gestaltet: Oftmals plakativen Ausdruck fanden die neuen Formen der Zielgruppenansprache in der äußeren Gestaltung der Bücher; der Schutzumschlag wurde kompromisslos als Werbefläche interpretiert und zusammen mit der Typographie in den Dienst des überbordenden Ausdruckswillen der Zeit gestellt.18

Die Hauptmerkmale des neuen, modernen Buchäußeren, die sich an die konstruktivistische bzw. elementare Gestaltung anlehnen, sind die plakativ gezeichneten Titel und Drucktypen, der Einsatz von Fotografien oder Fotomontagen und die Verwendung lebhafter (Primär-)Farben, sowie das Spiel mit den Gegensätzen von Schwarz und Weiß bzw. von Negativ und Positiv. Meist steht das spektakulär gestaltete Äußere der Bücher im Gegensatz zum nachlässig gestalten Buchinneren, mit schlecht gedruckten und eng aneinander gedrängten, einspaltigen Textzeilen auf minderwertigem Papier.19 Auch Heiko Schmidt betont, dass die ‚Buchgestaltung‘ im Umfeld linkspolitischer Verlage zumeist auf das Buchäußere konzentriert sei: „ […] ‚Buchgestaltung‘ [bedeutet] in diesem Fall v. a. Einband-

17 Wilhelm Haefs: Ästhetische Aspekte des Gebrauchsbuchs in der Weimarer Republik. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 6 (1996), S. 372. 18 Ernst Fischer und Stephan Füssel: Kultur und Gesellschaft. Signaturen der Epoche. In: Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 2: Die Weimarer Republik 1918–1933. Hg. von Ernst Fischer und Stephan Füssel. München 2007, S. 25. 19 Vgl. von Lucius: Buchgestaltung und Buchkunst, S. 320, S. 323, S. 334. Vgl. Horst Bunke und Hans Stern: Buchgestaltung für die Arbeiterklasse 1918–1933. Leipzig 1982, S. 7.



188 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

und Umschlaggestaltung, denen, wohl wegen des Agitationswertes, viel größere Aufmerksamkeit geschenkt wurde als der Binnengestaltung.“20 Abstand genommen wird von aufwändig gestalteten ornamentalen, überladenen Formen und der Frakturschrift. Im Gegensatz dazu dominieren nüchternsachliche Elementarformen, Fotografie bzw. Fotomontage und die ‚modernen‘ serifenlosen Antiqua- und Groteskschriften. Damit entwickelt das ‚Gebrauchsbuch‘ der 1920er und 1930er Jahre eine ganz eigene Formsprache: […] das auf breitere, kaufkraftschwächere Käuferschichten zielende Buch gerade der Zwanzigerjahre beginnt sich mit eigenem Stil und Selbstbewusstsein neben der Bibliophilie und ohne Bezugnahme auf deren Kriterien zu entwickeln.21

Wulf von Lucius betont, dass diese neue Gestaltungsweise besonders die Unterhaltungsliteratur, aber auch politische Sach- und Reisebücher betroffen habe und zumeist von jüngeren linkspolitisch orientierten Verlagen verwendet wurde.22 Für den buchgestalterischen Reihenentwurf zum Roten Eine-Mark-Roman zeichnet sich Werner Eggert verantwortlich, der als Vorgänger von John Heartfield bereits für die Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ) des Münzenberg-Konzerns arbeitete.23 Außerdem trägt das Titelblatt der Linkskurve, die vom Internationalen Arbeiter-Verlag (IAV) herausgegeben wurde, Eggerts Signatur. Deshalb ist davon auszugehen, dass er auch deren Layout gestaltete. Der IAV, für den Eggert als Buchgestalter tätig war, befand sich direkt am parteipolitischen und künstlerischen Zentrum im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin, wo auch das Zentralkomitee der KPD sowie das Graphische Atelier und das Atelier für Bildpropaganda untergebracht waren.24 Auch dies zeigt deutlich die Anbindung des Verlags an die parteipolitischen Direktiven. Eggert gilt – obgleich weniger bekannt – neben John Heartfield und Max Keilson als einer der Vorreiter der linksagitatorischen Nutzung von Fotomontage und -collage. Lediglich im Allgemeinen Künstlerlexikon findet sich eine etwas ausführlichere Kontextualisierung des Wirkens von Eggert:

20 Heiko Schmidt: Einführung. In: Buchgestaltung linker Verlage in der Weimarer Republik. Ausstellung in der Galerie Kraftwerk vom 12. Juni bis 7. Juli 2004. Ausstellungskatalog hg. v. Heiko Schmidt und Christian Bartsch. Berlin 2004, S. 3. 21 von Lucius: Buchgestaltung und Buchkunst, S. 334. 22 Vgl. von Lucius: Buchgestaltung und Buchkunst, S. 328. 23 Vgl. Jürgen Holstein: Werner Eggert – politischer Photomonteur. In: Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919–1933. 1000 Beispiele, illustriert und dokumentiert. Hg. v. Jürgen Holstein. Berlin 2005, S. 90. 24 Vgl. Bunke/Stern: Buchgestaltung für die Arbeiterklasse 1918–1933, S. 14.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 189

E.[ggert] hat als Layout-Gestalter der AIZ bed.[eutenden] Anteil an der Entwicklung der Fotoillustrierten zum Massenmedium. Er trug dadurch ab 1930 wesentlich zur Verbreitung und Wirkung der Fotomontagen von John Heartfield (Helmut Herzfelde) bei. Wenn auch E.s Fotomontagen mit denen von Heartfield nicht vergleichbar sind, ist er doch neben ihm und mit Keilson ein Hautvertreter deren links-agitator. Nutzung, dabei Anregung durch sowjet. Plakate. E. übertrug die Fotomontage und -collage in die Gestaltung preiswertere Taschenbücher, z. B. in der Reihe „Der Rote 1 Mark-Roman“ […] .25

Die zeitgenössische kommunistische Kritik äußert sich in der Roten Fahne anlässlich der dritten Ausstellung des Bundes revolutionärer Künstler wohlwollend kritisch zu Eggerts Arbeiten: Eggert stellt einige seiner graphisch erquickenden und künstlerisch lebendigen photomontierten Buchumschläge aus (Becher: „Graue Kolonnen“, Scharrer: „Der große Betrug“, Justus Erhardt: „Straßen ohne Ende“, Dr. Carl Vogel: „Aufzeichnungen und Bekenntnisse eines Pfarrers“). Seine Produktion ist ungleichmäßig. Zu überwinden ist in ihr noch eine politische Oberflächlichkeit (durch Schulung) und eine Vorliebe für einen kunstgewerblichen Schematismus der Form.26

Die Umschläge der Roten Eine-Mark-Romane dürfen dabei zu den besten und bekanntesten Werken Eggerts zählen. Charakteristisch für den Roten Eine-MarkRoman ist die vorangehend erwähnte konstruktivistisch-sachliche Gestaltung. Die in die Umschlaggestaltung einmontierten Bilder verleihen den Heften dokumentarischen, aber auch distinktiven Charakter, denn die formale Komposition der geometrischen Elemente des Titels ist durch alle Bände der Reihe hinweg identisch. Einzig die Schriftart (zumindest im ersten Titel, in dem die Angabe „Sturm auf Essen“ in Schreibschrift gestaltet wurde), die Schriftanordnung und die Buchstabengröße von Titel und Autor differieren in Korrespondenz zum jeweils verwendeten Foto, welches immer vom unteren, linken Bildrand einmontiert wurde und in etwa zwei Drittel der Breite und knapp drei Viertel der Höhe des Titelcovers einnimmt. Die schematisch-konstruktivistische Gestaltungsweise bietet sich so besonders für die serielle Buchreihe an, die ihr damit ein unverwechselbares Profil gibt; alleine Bild und Titel verweisen auf den Inhalt und verleihen diesem dokumentarischen Charakter.

25 V.[alentyn] F.[omenko]: Eggert, Werner. In: Saur Allgemeines Künstlerlexikon. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker. Begr. u. mithrsg. v. Günter Meißner. Band 32: Ebersbach–Eimbke. München/Leipzig 2002, S. 348. 26 [ ] Durius: Photomontage und Buchgraphik. Zur 3. Ausstellung des Bundes revolutionärer Künstler. In: Die Rote Fahne (22.01.1932), Nr. 17, S. 5 (Erste Beilage). Auch online verfügbar unter: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1932-01-22/24352111/?no_cache=1 (letzter Zugriff am 25.06.2016, um 15:58 Uhr).



190 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Die unterschiedlichen Fotos stellen überwiegend typische Alltags- bzw. Straßenszenen mit Arbeitern dar, die thematisch jeweils auf den Inhalt des Buches bezogen sind und in Korrespondenz mit den Überschriften den Kampfcharakter hervorheben. So zeigt das Cover von Sturm auf Essen die gegen den KappLüttwitz-Putsch (1920) kämpfenden Arbeiter mit geschulterten Gewehren vor der industriellen Kulisse des Ruhrgebiets (vgl. Abb. 1). Unter der Überschrift „Kämpfende Jugend“ findet sich ein Foto von einer Gruppe marschierender jugendlicher Demonstranten, die ein Plakat mi t der Aufschrift „Mit dem K.J.V.D. [Kommunistischen Jugendverband Deutschlands] für Arbeit Brot Freiheit“ in die Höhe halten (vgl. Abb. 2).

Abbildung 1: Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Berlin/Wien/Zürich: Internationaler Arbeiter-Verlag, 1930 [Cover: Werner Eggert]. Quelle: Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, Dortmund.



Abbildung 2: Walter Schönstedt: Kämpfende Jugend. Berlin/Wien/Zürich: Internationaler Arbeiter-Verlag, 1932 [Cover: Werner Eggert]. Quelle: Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, Dortmund.



4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 191

Horst Bunke und Hans Stern betonen besonders die Alltagsnähe der Fotografien, die somit ein hohes Identifikationspotenzial besitzen und agitatorischen Charakter haben: „Dabei fand manches in der Familie, am Arbeitsplatz oder bei Demonstrationen geschossene Foto von Arbeiterfotografen in der einen oder anderen Form Eingang in diese Literatur.“27 Die Fotos heben sich effektvoll vom roten Grund des Buches ab und werden von ihm eingerahmt. Die elementare Form eines angeschnittenen schwarzen Kreises, der etwa zwei Drittel der Breite und ein Drittel der Höhe des Umschlags einnimmt, fügt sich vom rechten oberen Bildrand in die Komposition ein und schneidet das vom unteren linken Bildrand einmontierte rechteckige Foto, wobei die rechteckige Form die Kreisform überlagert. Aufgrund des Proportionsverhältnisses und der beiden sich schneidenden elementaren Formen von Kreis und Rechteck bildet sich eine spannungsvoll aufeinander bezogene Komposition. Der Kreis trägt immer den Reihentitel „Der Rote 1 Mark Roman“ in Großbuchstaben, weißer Schrift und Blocksatz, wobei das Wort „Rote“ entsprechend durch rote Buchstaben hervorgehoben wird. Die Titelangaben finden sich entweder komplett ins Foto einmontiert (vgl. Kämpfende Jugend, Abb. 2) oder nehmen das Foto und den roten Grund ein (vgl. Sturm auf Essen, Abb. 1). Der Autorname ist immer auf dem roten rechten Seitenstreifen platziert, jedoch variiert die Höhe der Anordnung und die Schriftgröße. Außer der einmaligen Verwendung der Schreibschrift bei Sturm auf Essen zur Kennzeichnung des Titels sind alle Titelangaben in einer serifenlosen Versalienschrift gestaltet. Die Rückseite des Umschlags verweist auf die anderen, bereits erschienenen oder erscheinenden Bände der Reihe und hebt somit den Reihencharakter deutlich hervor bzw. wirbt mit Kurzbeschreibungen von ein bis zwei Sätzen für die anderen Hefte (vgl. Abb. 3).

27 Bunke/Stern: Buchgestaltung für die Arbeiterklasse 1918–1933, S. 13.



192 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Abbildung 3: Rückseite von Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Berlin/Wien/Zürich: Internationaler ArbeiterVerlag, 1930 [Cover: Werner Eggert]. Die Rückseiten aller Roten Eine-Mark-Romane verweisen auf erschienene oder noch zu erscheinende Bände. Quelle: Fritz-HüserInstitut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, Dortmund.

Die regulären Ausgaben sind broschiert, es gibt allerdings auch einige in Halbleinen gebundene Exemplare zu zwei Reichsmark. Die Broschuren scheinen dem Zweck als ‚Gebrauchsbücher‘, die nach Aussagen von Kurt Kläber ohnehin „nichts für Bücherschränke aus imitierter Eiche“28 sind, angemessener zu sein, da sie wesentlich preiswerter und schneller herstellbar sind. Diesen Aspekt greift auch von Lucius auf: Sowohl das neue Lebensgefühl, eine Entschlackung von bürgerlicher Behäbigkeit wie andererseits ökonomische Zwänge angesichts einer sehr viel weniger gut gestellten Käuferschaft, führten zum Vordringen der Broschuren in den Zwanzigerjahren. Auch erforderte der von Tempo, Unterhaltung und Innovation geprägte Zeitstil viel weniger als zuvor die

28 Kläber: Der proletarische Massenroman, S. 23.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 193

Dauerhaftigkeit des gebundenen Buches und dessen repräsentative Darbietung hinter den Glastüren eines Bücherschranks.29

In ähnlicher Weise betont Bowlt den großen Einfluss, den der Konstruktivismus auf die politische Nutzung des ‚Gebrauchsbuchs‘ ausgeübt hat, indem er das Primat der genialen Schöpferkraft der Künstlerpersönlichkeit abwertete und der gesellschaftlichen Funktion der Kunst bzw. der Verbindung von Kunst und Leben oberste Priorität einräumte: Die Konstruktivisten traten für die Abschaffung des traditionellen Primats der „hohen“ oder schönen Kunst ein, und in ihrem begeisterten Einsatz für das neue „Buch“ – das Propagandaplakat, die Massenpresse, das Parteipamphlet – kam ihre Überzeugung zum Ausdruck, daß Begriffe wie „de luxe“, Prachteinband und limitierte Auflage nicht mehr zeitgemäß seien. […] [D]as Buch sollte kein sakrosanktes bürgerlich-individualistisches Prestigeobjekt sein, reich verziert mit überflüssigen Ornamenten, die den Inhalt verdeckten oder verzerrten, sondern im Gegenteil ein billiges Massenerzeugnis, das seine Funktion – nicht anders als alle Massenartikel – effizient, unzweideutig und rationell erfüllen sollte.30

Lothar Lang spricht bezüglich der strengen geometrischen und technoiden Kompositionen gar vom Konstruktivisten als „Künstler-Ingenieur“31, der in seinen Arbeiten Kunst und Technik verbinde.32 Doch warum wurde so viel Aufsehen um die Covergestaltung gemacht, wenn die Roten Eine-Mark-Romane als ‚Gebrauchsbücher‘ doch eher kurzlebigen, an den wechselnden politischen Tagesbedürfnissen ausgerichteten Charakter hatten und vor allem erschwinglich für die Käufer sein mussten? Sicher gab es auch einige bibliophile Arbeiter, doch dies war gewiss nicht der Hauptgrund. Das Cover kam wegen seiner spezifischen, auf das KPD-Umfeld eingeschränkten Distributionsbedingungen und der Verbote auch eher selten als ‚Blickfang‘ in Bibliotheken und Buchhandlungen zur Geltung. Doch im „raschen Straßenverkauf“33 an der Haustüre, auf Parteiveranstaltungen oder im Betrieb mussten die Romane quasi für sich selbst werben. Natürlich kam auch dem Literaturobmann die Aufgabe zu, Überzeugungsarbeit zu leisten, doch bei einem Verkauf, der möglichst unbeobachtet und schnell vonstattengehen sollte, mussten so wahrschein-

29 von Lucius: Buchgestaltung und Buchkunst, S. 328. 30 John E. Bowlt: Schreibt nichts! Lest nichts! Sagt nichts! Druckt nichts! In: Aus vollem Halse. Russische Buchillustration und Typographie 1900–1930. Hg. v. John E. Bowlt und Béatrice Hernad. München/New York 1993, S. 35–36, S. 37. 31 Lothar Lang: Konstruktivismus und Buchkunst. Leipzig 1990, S. 35. 32 Vgl. Lang: Konstruktivismus und Buchkunst, S. 35. 33 Bunke/Stern: Buchgestaltung für die Arbeiterklasse 1918–1933, S. 13.



194 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

lich auch visuelle Reize und Erkennungszeichen agitationsunterstützend zum Kauf anregen. Die leicht wiedererkennbare, einheitlich-schematische, fast ikonographische Gestaltung der Reihe verlieh ihr dabei quasi den Status einer Marke, sodass die Bücher, egal an welchen (Vertriebs-)Ort, äußerlich durch ihren Zeichencharakter leicht zu identifizieren waren und der politischen Werbung dienen sollten. Die plakative Covergestaltung kam dem entgegen und wird von Bunke und Stern sogar als autonomer Mitteilungsträger betrachtet: „Ihre Umschläge waren oft eine Art Kleinplakat, das selbstständig ein Stück politische Aussage zu leisten vermochte.“34 Dem Markencharakter des Roten Eine-Mark-Romans kommt somit nicht so sehr wie bei der üblichen Markenfunktion in der Werbung ein kommerzieller Prestigefaktor der Ware zu, sondern eher ein ideeller, politisch-agitatorischer Wiedererkennungsfaktor. Dies zeigt sich auch darin, dass das Buchinnere im Gegensatz zum Äußeren oft recht dürftig gestaltet und auf minderwertigem Papier abgedruckt ist, wie bereits betont. Außerdem wirkt die Schaffung von Markenvertrauen generell komplexitätsreduzierend und minimiert Unsicherheiten: Die Hauptfunktion des Produktvertrauens und damit des Markenproduktes ist es, Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der Zukunft und der Gegenwart zu reduzieren, indem die notwendigen Entscheidungen für oder gegen ein Produkt auf der Basis des Vertrauens wiederholt in zahlreichen „Gegenwarten“ vorweggenommen wird. Damit arbeitet Produktvertrauen in erheblichem Maße ökonomisierend und komplexitätsreduzierend.35

Im Bereich der Reduzierung von Komplexität und der Ökonomisierung in der Gestaltung nimmt der äußere Markencharakter analoge Funktionen zu denen der inhaltlichen Gestaltung durch populäre Schemata ein. Auffällig ist hingegen, dass die äußere, sehr wissenschaftliche, technischsachliche Aufmachung der Romane im Gegensatz zu den teilweise pathetisch aufgeladenen Formeln des Inhaltes stehen, die sich jedoch ebenfalls mit sachlich-reportagehaften Elementen mischen. Die Arbeiter verstandesmäßig zu überzeugen, aber gleichzeitig auch emotional (im ganz wortwörtlichen Sinne) zu ‚bewegen‘ hatte sich der BPRS aber ohnehin mit der Formel „Herz und Hirn“36

34 Bunke/Stern: Buchgestaltung für die Arbeiterklasse 1918–1933, S. 13. 35 Rainer Gries: Zur Ästhetik und Architektur von Propagemen. Überlegungen zu einer Propagandageschichte als Literaturgeschichte. In: Kultur der Propaganda. Hg. v. Rainer Gries und Wolfgang Schmale. Bochum 2005, S. 9–35 [hier: S. 31–32]. 36 Die Formulierung „Herz und Hirn“ stammt aus dem Aktionsprogramm des BPRS von 1928: Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS): Entwurf eines Aktionsprogramms. In: Die Rote Fahne (28.10.1928), Nr. 255, [o.S.] 4. Beilage. Ebenfalls abgedruckt in: Zur Tradition der





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 195

bereits zum Credo gemacht. Damit ist das Zusammenspiel von sachlichem Gestus und Pathos, von wissenschaftlicher Aufgeklärtheit bzw. Fortschrittlichkeit und sinnlicher Erfahrbarkeit (z. B. durch Symbole, Fahnen, Lieder etc.) nicht nur charakteristisch für die Romane, sondern für das gesamte Umfeld der KPD und der Arbeiterbewegung. Gottfried Korff spricht diesbezüglich von einer „pathetischen Sachlichkeit“37. Somit dient die an konstruktivistische Prinzipien angelehnte Gestaltung der Originalausgaben der Roten Eine-Mark-Romane eher der Wiedererkennbarkeit und der Funktionalisierung als ‚Werkzeug‘ bzw. als politischem Kleinplakat im Klassenkampf, was dem ursprünglichen konstruktivistischen Theorieverständnis entspricht. Der kommerzielle Werbeeffekt tritt also zurück. Zwar musste auch der Internationale Arbeiter-Verlag wirtschaftlich arbeiten, doch dadurch, dass er sich im Besitz der KPD befand,38 war er finanziell unabhängiger, dafür aber auch gezwungen, explizit den wechselnden Kurs der Parteilinie zu verfolgen. Darauf verweist auch Germaine Stucki-Volz: Die kommunistischen Verlage waren abhängig von den Beschlüssen der Partei, welche sich wiederum an die Direktiven der Komintern  – und das hiess Moskau  – zu halten hatten. Diese ganze Verflechtung machte den kommunistischen Parteibuchhandel starr und unflexibel.39

Die äußerlich sehr wissenschaftlich-sachlich konzipierten Cover der Roten EineMark-Romane stehen im Gegensatz zu vielen eher pathetisch aufgeladenen Formeln des Inhaltes, was aber im Umfeld der Weimarer Republik nicht unüblich war, wie vorangehend aufgezeigt wurde. Die konstruktivistische Gestaltung sowie bereits die signalrote Farbgebung galten in konservativen Kreisen als explizit ‚bolschewistisch‘,40 im Arbeiterumfeld konnte diese optische Aufmachung der Romane jedoch sicherlich massenwirksame Signalwirkung entfalten. Wie unter 3.1.3 thematisiert, gelang dies nicht zuletzt dadurch, dass bereits die im Malik

sozialistischen Literatur in Deutschland. Eine Auswahl von Dokumenten (1967), S. 118–120 [Zitat auf S. 119]. 37 Gottfried Korff: Rote Fahnen und geballte Faust. Zur Symbolik der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. In: Transformationen der Arbeiterkultur. Beiträge der 3. Arbeitstagung der Kommission „Arbeiterkultur“ in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Marburg von 3. bis 6 Juni 1985. Hg. v. Peter Assion. Marburg 1986, S. 96. 38 Vgl. Germaine Stucki-Volz: Der Malik-Verlag und der Buchmarkt der Weimarer Republik. Bern [u. a.] 1993, S. 159. S. 163: „Viele Buchläden und Verlage konnten sich finanziell nicht selber aufrecht erhalten und waren auf grössere Zuschüsse seitens der Partei angewiesen.“ 39 Stucki-Volz: Der Malik-Verlag und der Buchmarkt der Weimarer Republik, S. 164. 40 Vgl. Riese: Kunst: Konstruktiv/Konkret, S. 141.



196 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Verlag erschienenen Werke mit buchgestalterischer Ausstattung von John Heartfield, beispielsweise Upton Sinclairs Der Sumpf, äußerst bekannt und sehr beliebt bei den Arbeitern waren. Die Neuauflagen der Roten Eine-Mark-Romane sind sehr unterschiedlich gestaltet. Im Westen bleibt zumeist der Heftchen- bzw. Gebrauchsbuchcharakter erhalten, die meisten Neuauflagen sind ebenfalls broschiert und auf relativ einfachem Papier abgedruckt. Im Osten hingegen erscheinen Romane wie Märzstürme oder Sturm auf Essen (in überarbeiteter Auflage) in Leinen gebunden; die Texte von Marchwitza und Bredel finden sich in den ebenfalls gebundenen ‚Gesammelten Werken‘ wieder und gehören mehr oder weniger zum Literaturkanon der DDR. Auch die Covergestaltung differiert zwischen den Ost- und Westausgaben teilweise beträchtlich. Die in Westdeutschland in der Reihe proletarisch-revolutionärer Romane des Oberbaumverlags erschienenen Bücher Kämpfende Jugend, Rosenhofstraße, Maschinenfabrik N&K und Barrikaden am Wedding bekommen durch die dunkelrote Einfärbung der in den Titel einmontierten Fotos, die wiederum an das in der Pop-Art verwendete Siebdruckverfahren angelehnt sind, und durch die gleichartige Gesamtkomposition Seriencharakter (vgl. Abb. 4).

Abbildung 4: Walter Schönstedt: Kämpfende Jugend. 4. Auflage. Berlin: Oberbaumverlag, 1976. [Text entspricht dem der Originalausgabe.]





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 197

In Schreibmaschinenlettern, jedoch als Versalien, sind Autor und Titel je nach Ausgabe in unterschiedlicher Schriftgröße und mit unterschiedlicher Platzierung auf den bearbeiteten Coverfotos angeordnet. Am äußersten oberen Rand findet sich die Angabe „Reihe proletarisch-revolutionärer Romane“ am untersten Rand sind die je nach Titel differierenden Verlagsangaben angeordnet, die lauten: „Oberbaumverlag – Verlag für Literatur und Politik“, „Oberbaumverlag – Verlag für Politik und Ökonomie“ oder „Oberbaumverlag Berlin  – Verlag für Politik und Ökonomie“. Der Eindruck der schnell und billig hergestellten Gebrauchsliteratur überwiegt. Die zahlreichen im Anhang angehefteten Zusatzdokumente haben kein einheitliches Layout, wirken zusammengestückelt und verleihen den Romanen, wie bereits unter 3.2.1 problematisiert, vorschnell den Charakter eines historischen Dokumentes. Insgesamt lässt sich vor dem Hintergrund der Studentenbewegung der 1960er Jahre, die an der Reaktivierung des revolutionären Potenzials der Roten Eine-Mark-Romane interessiert war, wohl eher von einer schnell und billig hergestellten Literatur ‚von Studenten für Studenten‘ sprechen. Wie unterschiedlich die Cover der Ost- und Westausgaben gestaltet sind, verdeutlicht das Beispiel Sturm auf Essen am eindrücklichsten. Die im Westen erschienenen Reprints der Originalausgabe von 1930 nehmen in Ansätzen die Covergestaltung des Originals wieder auf. Insbesondere die Kiepenheuer & Witsch-Ausgabe von 1972 (vgl. Abb. 5), verwendet auf dem Cover eine Fotomontage von drei Arbeitern mit erhobenen Gewehren, die in unterschiedliche Richtungen zeigen. Der Hintergrund ist plakativ in Rot gestaltet, Autorname und Titel sind in unterschiedlich fetter serifenloser Schrift im oberen Drittel des Covers angeordnet.



198 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Abbildung 5: Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1972. [Textfassung des Originals von 1930.] © 1972, Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln.

Abbildung 6: Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Reprint der Originalausgabe. Köln: Produktion Ruhrkampf, 1976.

Der Nachdruck der Originalausgabe der Produktion Ruhrkampf von 1976 ist hingegen von den Gestaltungsverfahren der Pop-Art inspiriert (vgl. Abb. 6). In großen Rasterpunkten ist die Negativkontur von Arbeitern, die ihre Gewehre schultern, abgebildet; der Druck wirkt flächig und zweidimensional. Die Titel- und Autorenangabe erfolgt in roter serifenloser Versalienschrift, die fast die Hälfte des Gesamtcovers einnimmt und über den Rasterdruck gesetzt wurde, sodass einige Köpfe der Arbeiter unter den Buchstaben verschwinden. In der unteren rechten Ecke wird darauf verwiesen, dass es sich um ein „Reprint der Originalausgabe“ handelt. Dies ist insofern von Bedeutung, da auch im Westen, beispielsweise durch den Verlag Neuer Weg oder die Kürbiskern-Reihe, die Ost-Überarbeitung vertrieben wurden. Eine Art Reihenangabe befindet sich mit „Roter Roman“ in roten Versalien unten mittig angeordnet. Insgesamt wirkt dieses Cover und der bräunliche Pappeinband schnell und billig produziert und weniger ästhetisch ‚komponiert‘ als die konstruktivistisch inspirierten Originalausgaben. Die Bildausschnitte der





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 199

im Westen erschienen Reprints legen den Fokus auf die Arbeiter mit den Gewehren, der eindrucksvolle und zudem kontextualisierende Bildhintergrund mit der Abbildung der Fabriken des Ruhrgebiets der Originalausgabe fällt bei beiden weg. Die teilweise auch im Westen erschienenen DDR-Neufassungen (vgl. Abb. 7 und Abb. 8) verwenden hingegen eine ganz andere Art der Covergestaltung, die ohne Fotos, Fotomontage oder in Pop-Art Manier verfremdete Fotos und Rasterdrucke arbeitet und sich damit auch vom dokumentarischen Charakter, den die Verwendung fotografischer Mittel beinhaltet, absetzt.

Abbildung 7: Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Essen: Verlag Dein Buch, 1952 [Überarbeitete DDR-Textfassung].

Abbildung 8: Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Tübingen: Verlag Neuer Weg, 1971 [Überarbeitete DDR-Textfassung].

Die Zeichnung eines archaisch-muskulösen Arbeiters, der sein Gewehr mit beiden Händen umfasst und dessen Gesichtsausdruck ebenso fest erscheint wie die entschlossene Umklammerung des Gewehrs sowie dessen fester Stand auf dem Boden, der demonstriert wird durch die Darstellung der leicht versetzten, breitbeinigen Haltung und die klobigen Stiefel, vermittelt damit einen gänzlich anderen Eindruck des Romans. Der dokumentarische Charakter der Fotocover weicht einem eher historisch-narrativen Eindruck, vermittelt durch die Zeichnung auf dem Leineneinband (vgl. Abb. 7). 

200 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Auch die im Westen erschienene Auflage der Ost-Fassung durch den Verlag Neuer Weg aus Tübingen verwendet diese Zeichnung, wobei der Arbeiter hier das gesamte Cover einnimmt (vgl. Abb. 8). Die dynamisierte, schräg angeordnete rote Versalienschrift des Titels ist auf Brusthöhe des gezeichneten Arbeiters gesetzt. In der rechten mittleren bis unteren Coverhälfte finden sich die Angaben „Ruhrkampf-Roman“ und „Herausgegeben von KAB (ML)“, also herausgegeben vom Kommunistischen Arbeiterbund (Marxisten-Leninisten). Mit der Figur des archaisch-muskulösen Arbeiters knüpfen diese Darstellungen durchaus an das traditionelle Bildrepertoire der Arbeiterbewegung in Form der von Honoré Daumier in der Lithographie Liberté de la Presse (dt. Titel: Wagt euch nicht heran) von 1834 geprägten Bildsymbolik des ‚Arbeiterriesen‘ an.41 Dabei dient die Figur des ‚Riesen Proletariat‘ als Symbol für das Selbstbewusstsein und die revolutionäre Macht der Arbeiterklasse: Im Gegensatz zu den naturalistischen und realistischen Darstellungen, die das Proletariat als ausgebeutete und unterdrückte Klasse darstellen, verkörpert er [der ‚Riese Proletariat‘] mit seiner überragenden Größe und seinem kämpferischen Selbstbewusstsein die revolutionäre und geschichtsmäßige Kraft der Arbeiterklasse. Er wurde in Arbeitskleidung, bevorzugt jedoch mit nacktem, muskulösen Oberkörper gezeigt und war zumeist mit einem typischen Werkzeug wie dem Hammer als Zeichen seiner Körper- und Schaffenskraft ausgestattet.42

Die Coverdarstellung der Ost-Neufassungen von Sturm auf Essen zeigen jedoch deutlich, dass das Bildmotiv des ‚Arbeiterriesen‘ eine Wandlung durchlaufen hat. Der abgebildete Arbeiter erscheint dekontextualisiert von den eigentlichen Arbeits- und Produktionsverhältnissen; eine Industriekulisse oder ein Arbeitswerkzeug sind im Bild nicht zu finden. Stattdessen wird das Werkzeug durch das Gewehr in den Händen des martialisch anmutenden Arbeiters ersetzt. Starr und monumental wirkend verkörpert das Bild eher den Anspruch und die Legitimation von Herrschaft durch den real existierenden Sozialismus sowie das Selbstverständnis der DDR als ‚Arbeiterstaat‘. Die ursprünglich sozialrevolutionären oder gar anklagenden Ziele der proletarisch-revolutionären Literatur der Weimarer Republik sind im Bildaufbau nicht mehr zu finden.

41 Zu den Ursprüngen der proletarisch-revolutionären Kunst und dem Motiv ‚Riese Proletariat‘ siehe Harald Olbrich: Proletarische Kunst im Werden. Berlin 1986. Dort findet sich auf S. 23 eine Abbildung der vielzitierten Lithographie Wagt euch nicht heran von 1834, die den ‚Arbeiterriesen‘ darstellt. Die Bildtradition des ‚Riesen Proletariat‘ in der Kunstgeschichte schildert ausführlich: Richard Hiepe: Riese Proletariat und große Maschine. Revolutionäre Bildvorstellungen in der Kunst des 19. Jahrhunderts. In: Kunst und Unterricht 6 (1973), H. 19, S. 22–26. 42 Schulz: Die Ästhetisierung von Gewalt in der Weimarer Republik, S. 194.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 201

Letztendlich zeigt sich auch durch die optische Aufmachung der Ost-Ausgaben von Sturm auf Essen, was allgemein für die Rezeption der Roten EineMark-Romane unter 3.2.1 für die DDR konstatiert wurde: Im real existierenden Sozialismus verliert die Arbeiterliteratur ihre revolutionären Aspekte, dient zur Legitimation und Stabilisierung des politischen Systems und wird mehr und mehr zur politischen Selbstvergewisserung an historischen Beispielen funktionalisiert. Diesen Aspekt betont ebenfalls Damus: „Die Revolution wird zum Naturereignis, das allgemein bewundert werden kann und in traditionellen, scheinbar zeitlosen Kunstformen als etwas Abgeschlossenes, Vergangenes, Erworbenes darzustellen ist.“43 Insgesamt lässt sich also, insbesondere durch die optische Gestaltung der Neuauflagen, der Imagewechsel und die unterschiedliche Art der (Re-)Funktionalisierung der Roten Eine-Mark-Romane auch äußerlich nachvollziehen.

4.1.2 Die Buchgestaltung der nationalsozialistischen Romane zwischen Tradition und modernem Buchäußeren Zur Buchgestaltung der nationalsozialistischen Literatur gibt es, im Gegensatz zur ‚revolutionären‘ Buchgestaltung linker Verlage, kaum Sekundärliteratur.44 Meist wird beiläufig erwähnt, dass die nationalsozialistischen Entwürfe ästhetisch wenig innovativ seien, es erscheint daher so, als wären sie kaum der Rede wert; oder die nationalsozialistische Buchgestaltung wird in binären Kontrast zu ‚fortschrittlichen‘ linkspolitisch orientierten, konstruktivistischen Buchumschlägen gesetzt, was oftmals zu einseitigen Verzerrungen und Übersimplifizierungen führen kann, wie das Zitat aus Scheffler/Fiege unter 4.1 zeigt. Denn insbesondere im Bereich der nationalsozialistischen Literatur existiert eine weite Bandbreite von Gestaltungsformen, die sich vor allem durch die Kombination von traditionellen und modernen Elementen auszeichnet. Außerdem werden moderne Gestaltungsmittel wie die Neue Typographie oder Fotomontagen durchaus für reaktionäre bzw. nationalsozialistische Inhalte nutzbar gemacht und bleiben somit kein Privileg der linksagitatorischen Buchgestaltung. Am ehesten erfüllen die Buchcover der kurz nach der Machtübernahme entstandenen ‚Konjunkturliteratur‘ von Josef Viera das Klischee einer popularisierendnationalsozialistischen Buchgestaltung, die auf bewährte Darstellungsmittel und

43 Martin Damus: Sozialistischer Realismus und Kunst im Nationalsozialismus. Frankfurt a. M. 1981, S. 68. 44 Auf dieses Forschungsdesiderat verweist auch Seibel: Zur Entwicklung des Buchumschlages bis 1945, S. 96.



202 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

plakative Darstellungsformen setzt und das Inventar der NS-Symbole umfassend ausschöpft. Jedoch wurde die ‚Konjunkturliteratur‘ inhaltlich sowie bezüglich der äußeren Gestaltung vom NS-Regime kritisch bewertet (vgl. Kapitel 2.2.2): So tragen heute die Dichter der Jugend nicht die Namen jener Verfasser von Jugendschriften, deren Umschläge mit viel Hakenkreuz- und schwarz-weiß-roten Fahnen geschmückt sind, die aus SA-Männern und Hitlerjungen Märchenhelden und Tugendbolde machen.45

Und auch Wilhelm Utermann wendet sich gegen die „schreiende[ ] Aufmachung und Reklame“46 der meisten ‚Konjunkturschriften‘. Trotz allem waren diese Bücher durchaus populär, nicht zuletzt, da sie nach der ‚Machtergreifung‘ schnell und mit einfachen Mitteln produziert unmittelbar systemkonforme bzw. ‚überangepasste‘ Schriften lieferten, deren bunte und plakativ gezeichnete Cover sich lediglich durch die Aufnahme eines Übermaßes an NS-Symbolik von der Umschlaggestaltung der meisten Groschenromane unterschieden. Die Umschläge der im Franz Schneider Verlag erschienenen ‚Konjunkturschriften‘ Vieras stellen überwiegend das heroisch-klischeehafte Bild des SA-Mannes oder des Hitlerjungen dar. In ihrer schematischen Darstellungsweise wirken die Umschlaggestaltungen stereotyp und zumindest die Cover von Horst Wessel, Utz kämpft für Hitler und SA.-Mann Schott ähneln sich – obwohl von zwei unterschiedlichen Buchgestaltern angefertigt – so sehr, dass sich auch in diesem Fall optisch der Eindruck des Reihencharakters aufdrängt. Albert Reich, der das Cover und die Illustrationen zu Utz kämpft für Hitler sowie zu Der Kampf um die Feldherrnhalle zeichnete, gilt Ernst Klees Kulturlexikon zum Dritten Reich zufolge als „einer der ersten Künstler der NS-Bewegung“47 und trat sehr früh der NSDAP und der SA bei. Zu Reichs Engagement innerhalb der NSDAP schreibt Mortimer Davidson: „[Reich] [a]rbeitet ab 1921 für die nationalsozialistischen Presseorgane. Verwirklicht Plakate, Zeichnungen, Vignetten. Illustriert mehrere im Zentralverlag der NSDAP erscheinende Bücher und arbeitet regelmäßig für die Zeitung SA-Mann.“48 Als Militärzeichner machte sich Albert Reich jedoch

45 Maurer: Jugend und Buch im neuen Reich, S. 10. 46 Utermann, Wilhelm: Junger Nationalsozialismus und Buch. In: Das Deutsche Wort 10 (1934), H. 16, S. 9. 47 Ernst Klee: Albert Reich. In: Ders.: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Überarb. Ausgabe. Frankfurt a. M. 2009, S. 432. 48 Mortimer Davidson: Albert Reich. In: Ders.: Kunst in Deutschland 1933–1945. Eine wissenschaftliche Enzyklopädie der Kunst im Dritten Reich. Band 2/2: Malerei R–Z. Tübingen 1992, S. 396.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 203

bereits ab 1916 mit seinen „künstlerischen Kriegstagebücher[n]“49 einen Namen. Neben seiner malerischen und illustrativen Tätigkeit wurde er auch schriftstellerisch aktiv und verfasste explizit nationalsozialistische Titel, wie Von deutscher Art und deutscher Tat. Das Buch der Hitlerjugend (1932), Dietrich Eckart, ein deutscher Dichter und Vorkämpfer der völkischen Bewegung (1933) sowie Aus Adolf Hitlers Heimat (1933), die er zum Teil auch selbst illustrierte. Teichmann fasst Reichs Wirken folgendermaßen zusammen: „In Reichs bildkünstlerischem Werk dominiert wie in seiner schriftstellerischen Arbeit das militaristisch-propagandistische Element.“50 Neben explizit propagandistischen Schriften und Kinderbüchern illustrierte er einige Märchenbücher wie Die Rübenprinzessin und andere Märchen (1928).51 Ist bei Reich die Kinderbuchgestaltung nur ein Tätigkeitsfeld unter anderen, so stehen hingegen die Kinder- und Jugendbuchillustration sowie werbegraphische Arbeiten im Fokus des Schaffens von Willi Engelhardt, der neben Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches und SA.-Mann Schott zahlreiche weitere Werke von Viera im Franz Scheider Verlag sowie bei Enßlin und Laiblin gestaltete. Engelhardts Kinderbuchillustrationen konzentrieren sich einerseits stark auf Kolonialbucher (er illustrierte neben Vieras Afrikabüchern zahlreiche weitere Bände aus den Reihen Afrika-Bücherei und Aus weiter Welt), andererseits gestaltete er über Vieras ‚Konjunkturtitel‘ hinaus einige nationalsozialistische Jugendbücher wie Ulla, ein Hitlermädel (1933) von Helga Knöpke-Joest oder Deutsche Mädel auf Vorposten. Erzählung aus der Kampfzeit 1930/1 (1934) von Irmgard von Maltzahn.52

49 M.[ichael] T.[eichmann]: Albert Reich. In: Münchner Maler im 19./20. Jahrhundert. Geburtsjahrgänge 1871–1900. Bearbeitet von Horst Ludwig. Band 6: Landschreiber–Zintl. München 1994, S. 212. 50 Teichmann: Albert Reich, S. 213. 51 Eine Übersicht über Albert Reichs Schaffen als Kinderbuchillustrator verschafft folgende Bibliographie: Aiga Klotz: Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1840–1950. Gesamtverzeichnis der Veröffentlichungen in deutscher Sprache. Band 6/1: Register. Stuttgart [u. a.] 1999, S. 426. [Ab S. 383 enthält Band 6/1 ein ausführliches Verzeichnis der Illustratoren der in der Bibliographie verzeichneten Kinderbücher.] 52 Für eine Übersicht über das umfangreiche Wirken Engelhardts als Kinderbuchillustrator sei abermals verwiesen auf Klotz: Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1840–1950. Band  6/1: Register, S. 396. Darüber hinaus ist kaum Literatur zu Engelhardts künstlerischem und gebrauchsgraphischem Werk ermittelbar. Lediglich das Allgemeine Künstler Lexikon sowie Kürschners Graphiker Handbuch beinhalten eine sehr kurze biographische Notiz. Vgl. S.[usanna] P.[artsch]: Engelhart, Willi (Wem). In: Saur Allgemeines Künstlerlexikon. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker. Begr. u. mithrsg. v. Günter Meißner. Band 34: Engel–Eschini. München/ Leipzig 2002, S. 40. Vgl. Charlotte Fergg-Frowein: Engelhardt, Willi. In: Kürschners Graphiker Handbuch. Deutschland, Österreich Schweiz. Illustratoren, Gebrauchsgraphiker, Typographen. Hg. v. Charlotte Fergg-Frowein. 2., erw. Auflage. Berlin 1967, S. 66.



204 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Das Cover von Utz kämpft für Hitler, gestaltet von Albert Reich (vgl. Abb. 9), und das Titelbild von Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches, entworfen von Willi Engelhardt (vgl. Abb. 10), weisen überaus deutliche Gemeinsamkeiten auf.

Abbildung 9: Josef Viera: Utz kämpft für Hitler. Leipzig: Franz Schneider Verlag, 1933 [Cover und Illustrationen: Albert Reich].

Abbildung 10: Josef Viera: Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches. Leipzig: Franz Schneider Verlag, 1933 [Cover und Illustrationen: Willi Engelhardt].

Im Halbportrait bzw. als Halbfigur ist entweder ein Hitlerjunge oder ein SA-Mann (Horst Wessel) in Uniform abgebildet, der jeweils den Fahnenschaft einer roten Hakenkreuzfahne in der rechten Hand hält; der linke Arm mit der für die jeweilige Uniform charakteristischen Hakenkreuzbinde ist angewinkelt, die Hand zum Koppelgürtel geführt, der mit Koppelschloss und Schulterriemen ebenfalls Bestandteil beider Uniformen ist. Diese Armbewegung und die zusätzlich breitbeinige Haltung auf beiden Bildern, der ernste Gesichtsausdruck und der feste, entschlossene Blick nach vorne, der in Engelhardts Entwurf zum Wessel-Buch leicht nach oben in Richtung der wehenden Fahne geneigt ist, verstärken das Bild heroischer und kämpferischer Männlichkeit. Der Blick nach vorne weist bei beiden Covern siegessicher aus der Perspektive der ‚Kampfzeit‘ in die Zukunft des herannahenden ‚Dritten Reiches‘, das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Vieras Schriften 1933 noch recht jung war, weswegen sich die Nationalsozialisten 



4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 205

u. a. der legitimierenden Mythen aus der ‚Kampfzeit‘ bedienten, um sich triumphierend als ‚siegreiche Bewegung‘ zu profilieren. Die Bildkomposition des Covers von Utz kämpft für Hitler wirkt wesentlich statischer als die des Wessel-Buches. Die Körperhaltung der Figur auf dem Wessel-Cover ist leicht diagonal angeordnet, in einer gegenläufigen Diagonalen schneidet die flatternde NS-Fahne von oben links das Bild. Der Kopf der Figur ist ebenfalls gegenläufig zur Richtung des Körpers leicht nach oben der Fahne entgegen geneigt. Dies verleiht der Zeichnung eine stärke Dynamik und verweist auf heroischen Vitalismus. Da die Figuren beider Titelbilder das gesamte Cover einnehmen und aus leichter Untersicht präsentiert werden, erscheinen sie monumental-überdimensioniert. Dies gilt insbesondere für das Utz-Cover, welches im Hintergrund die sehr niedrig angeordnete Silhouette eines (Kirch-)Turms und vermutlich Umrisse von Häuserdächern abbildet, die in ihrer schwarzbrauen Farbigkeit mit den Hosenbeinen der dargestellten Figur etwa im unteren Fünftel des Covers verschmelzen, sodass es ausschaut, als würde die winzig erscheinende Stadt im Hintergrund zu Füßen des abgebildeten Hitlerjungen liegen. Neben den Beinen erscheint am rechten Rand des Covers zusätzlich eine schwarze Fahne mit einer einfachen Sigrune, dem Zeichen des deutschen Jungvolks in der Hitlerjugend.53 Somit ist der abgebildete Junge nicht nur wie die Figur des Wessel-Buchs durch die rote Hakenkreuzfahne, das Braunhemd und die Hakenkreuz-Armbinde sowie den Koppelgürtel eindeutig den Nationalsozialisten zuzuordnen, auch die Zugehörigkeit zur jeweiligen Unterorganisation wird durch die entsprechende Symbolik eindeutig dargestellt. Dies geht im Falle des Horst Wessel-Covers sogar soweit, dass die abgebildete Person sich nicht nur durch den charakteristischen steifen Korpus ihrer Mütze mit Kinnriemen als SA-Mann identifizieren lässt, sondern dass zusätzlich sogar das Rangabzeichen und die Nummer der Standarte am Kragen erkennbar sind. Wie weitreichend dieser Kult um Uniformen und Abzeichen ist, zeigt zugleich der Anhang zu Vieras Buch Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches. Dort sind – quasi als didaktisches Zusatzmaterial – auf zwei Seiten akribisch genau die Abzeichen der einzelnen Unterorganisationen der NSDAP und der Dienstränge abgebildet, sodass es durch diese Hintergrundinformation dem Leser ein Leichtes ist, den abgebildeten SA-Mann aufgrund der drei diagonal angeordneten Rauten am linken Kragenspiegel als Sturmführer zu identifizieren.

53 Zu den Ursprüngen und Bedeutungen der NS-Symbolik, die an dieser Stelle nicht umfassend erläutert werden kann, siehe Karlheinz Weißmann: Schwarze Fahnen, Runenzeichen. Die Entwicklung der politischen Symbolik der deutschen Rechten zwischen 1890 und 1945. Düsseldorf 1991.



206 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Der rechte Kragenspiegel verzeichnet eine 5 und gibt die Nummer der Standarte an. Diese beiden Kragenstücke weisen die abgebildete Person also als die zeitgeschichtliche Persönlichkeit Horst Wessel aus, der tatsächlich ab 1929 als SASturmführer des Sturms 5 in Berlin tätig war. In Vieras fiktionalisierter Märtyrergeschichte über Horst Wessel ist die entsprechende Botschaft des Covers im Buchinhalt kompakt in Liedform zusammengefasst. Dort singen die 200 Männer des Sturm 5: „Wir tragen an unserem braunen Kleid die Sturmnummer 5 am Kragen. Und wenn es gilt, sind wir stets bereit, für Deutschland das Leben zu wagen.“54 Auf den Covern der Viera-Bücher werden jedoch nie ganze SA-Stürme oder eine Gruppe von Hitlerjungen gezeigt, vielmehr steht der einzelne SA-Mann oder Hitlerjunge als pars pro toto in monumentalisierter Darstellung für die Stärke der gesamten ‚Bewegung‘, was Identifikationspotenzial wecken und als Appell an heroische Männlichkeit wirken soll.

Abbildung 11: Josef Viera: SA.-Mann Schott. Leipzig: Franz Schneider Verlag, 1933 [Cover und Illustrationen: Willi Engelhardt].

So auch auf dem Cover zu SA.-Mann Schott (vgl. Abb 11), das sich von den anderen beiden Covern prinzipiell nur darin unterscheidet, dass die Ansicht eines SAManns in Form eines Brustbildes anstatt eines Halbportraits gewählt wurde. Das Braunhemd, der zielgerichtete feste Blick nach vorne und die charakteristischen Merkmale der SA-Uniform sind ebenfalls zentrale Bestandteile des Covers von

54 Viera: Horst Wessel, S. 22.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 207

SA.-Mann Schott. Insgesamt sind die Abbildung von SA-Männern oder Hitlerjungen, das Braunhemd als „Parteiausweis“55 und die wehenden Hakenkreuzfahnen im nationalsozialistischen Umfeld nicht ungewöhnlich und erscheinen als typische und standardisierte bzw. stereotype Gestaltungsmittel: Bilder, Illustrationen und Einbände sowie Buchumschläge weisen immer wieder blauäugige Hitlerjungen und blonde Maiden, […] Pimpfe und die Hitlerjugend auf. Zu den unentbehrlichen Ideologien [sic!] gehören die im Sturm wehende Hakenkreuzfahne, die Landknechtstrommel und das Braunhemd.56

Das immer wiederkehrende Bildmotiv des heldenhaften männlichen Kämpfertypus baut dabei auf einer Kombination unterschiedlicher ikonografischer Traditionen auf und ist teilweise sogar aus dem linken Motivrepertoire des ‚Arbeiterriesen‘ entlehnt: Die NS-Propaganda adaptierte das Bildmuster des Riesen Proletariat mit seinem hohen Identifikationsgehalt, um sich durch die gezielte Übernahme von Symbolen der Arbeiterbewegung ein revolutionäres und sozialistisches Image zuzulegen und von der emotionalen Bedeutungsstruktur dieser Bildtradition zu profitieren. In der Erwartung, in die traditionell proletarische Wählerschaft der Linksparteien einbrechen zu können, präsentierte sich die NSDAP als ihre vitale und revolutionäre, jedoch zugleich nationale Alternative. […] In einer semantischen Mixtur aus politischem Soldaten, germanischem Helden und Riesen Proletariat richtete sich dieser Prototyp kämpferischer Männlichkeit mit seiner geballten Kraft gegen die Vertreter der Republik und konnotierte zugleich revolutionären Elan.57

Insbesondere Hans Schweitzer (Pseudonym: Mjölnir) prägte mit zahlreichen Zitaten des ‚Arbeiterriesen‘ vor allem die an Arbeiter gerichteten (Zielgruppen-) Plakate der NSDAP in der Endphase der Weimarer Republik und war damit entscheidend an der Ausformung des Typus des monumental-martialischen SA-

55 Vgl. Hans-Ulrich Thamer: Repräsentation von Gewalt in Deutschland und Italien in den 1920er und 1930er Jahren. Zur Ästhetisierung von Politik. In: Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930–1945. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin in Zusammenarbeit mit The Wolfsonian-Florida International University, Miami Beach, Florida. Hg. v. Hans-Jörg Czech und Nicola Doll. Dresden 2007, S. 30: „Das Schwarz- oder Braunhemd war ‚Parteiausweis‘, unterstrich die Kameradschaft und Gemeinschaft; es war Abzeichen für die Glaubens- und Gewaltbereitschaft wie für die Ehre ihrer Träger […].“ 56 Nicola Avruscio: Kulturpolitik im Dritten Reich: Buchgestaltung als Teil nationalsozialistischer Propaganda. In: Buchgestaltung in Deutschland 1900–1945. Ausstellung der Universitätsbibliothek Bielefeld vom 16.12.1987–31.1.1988. Hg. v. Walter Kambartel. Bielefeld 1987, S. 82. 57 Schulz: Die Ästhetisierung von Gewalt in der Weimarer Republik, S. 194–195 [Kursivierung aus dem Text übernommen].



208 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Mannes beteiligt.58 Daneben dient die Anlehnung an das tradierte, heroisch-verklärte Muster des Frontkämpfers des Ersten Weltkrieges und dessen Erneuerung als weitere Quelle für die Darstellung von heldenhaften SA-Männern. Insbesondere der renommierte Werbegestalter Ludwig Hohlwein prägte bereits nach dem Ersten Weltkrieg 1919 mit einem Plakat für die bayrische Reichswehr das Bild des kantigen Frontkämpfers und war in der ‚Kampfzeit‘ – beispielweise mit seinem 1932 erschienenen Plakat zum Reichsjugendtag  – sowie im ‚Dritten Reich‘ ein begehrter Plakatgestalter für Nazi-Propaganda: [Der] Typus des kantigen, monumental-heroischen Soldaten wies auf die politischen Arbeiten Hohlweins in den dreißiger Jahren voraus. Aber nicht nur die politische Propaganda, auch ein kurzer Blick auf die Warenwerbung Hohlweins Mitte der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre zeigt die ästhetische Attraktivität athletischer, monumental-heroischer Männerfiguren.59

Auch hier sind die Übergänge fließend: „Hohlwein mußte, als er sein Talent den braunen Machthabern zur Verfügung stellte, seinen Stil nicht umstellen; es genügten ikonographische Änderungen. Überraschend nahtlos ist der Übergang von den Plakaten der Endzwanziger zu den NS-Sujets, geschmeidig seine Anpassung.“60 Der überaus erfolgreiche Werbegraphiker Hohlwein wurde zudem von zahlreichen Kollegen zitiert und imitiert;61 aufgrund seiner enormen Popularität ist anzunehmen, dass seine werbegraphischen und propagandistischen Entwürfe auch Albert Reich und Willi Engelhardt bekannt waren und deren Covergestaltung beeinflussten. Die Farbgebung der Viera-Cover ist größtenteils auf die Farben des Nationalsozialismus, also auf braun, rot und schwarz beschränkt, lediglich der Titel „Horst Wessel“ trägt eine blaue Schrift. Der Hintergrund ist ganz bzw. überwiegend weiß gehalten, sodass sich die Figuren optimal von ihm abheben. Die Titelangaben befinden sich jeweils im unteren Drittel des Covers und sind in Frakturschrift gestaltet. Der Titel „Utz kämpft für Hitler“ ist zentriert angebracht und hebt sich

58 Vgl. Paul: Aufstand der Bilder, S. 161–164 [„Der Plakatgestalter: Hans Schweitzer“]. Vgl. Schulz: Die Ästhetisierung von Gewalt in der Weimarer Republik, S. 189–196. Vgl. Gerhard Paul: „Mjölnir“. Eine deutsche Künstlerkarriere. In: Journal Geschichte 13 (1991), H. 2/3, S. 44–59. 59 Schulz: Die Ästhetisierung von Gewalt in der Weimarer Republik, S. 66 [Ergänzung durch Michaela Menger]. 60 Volker Duvigneau: Zwischen Quadrat und Hakenkreuz. Notwendige Randbemerkungen zu einem deutschen Reklamekünstler. In: Ludwig Hohlwein. Kunstgewerbe und Reklamekunst. Hg. v. Volker Duvigneau und Norbert Götz. München/Berlin 1996, S. 26. 61 Vgl. Schulz: Die Ästhetisierung von Gewalt in der Weimarer Republik, S. 66. Vgl. Duvigneau: Zwischen Quadrat und Hakenkreuz, S. 27.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 209

vor dem schwarzen Hintergrund in weißer Schrift ab; der Titel „Horst Wessel“ ist in großen blauen Frakturlettern in der Gesamtbreite der Figur im unteren Drittel über die braune Hose des SA-Mannes, der Wessel darstellen soll, angeordnet. Darunter befindet sich jeweils am äußeren unteren Bildrand, wiederum zentriert angeordnet, der Verlagsname „Franz Schneider Verlag“. In der oberen rechten Ecke der Cover befindet sich jeweils die Angabe des Verfassers. Die Verwendung der gebrochenen Schrift sowie deren zentrierte Anordnung gelten im Rahmen der Weimarer Republik als eher traditionalistische Gestaltungsformen, werden teilweise sogar ausdrücklich als nationalistisch aufgefasst, was aber nicht pauschalisiert werden kann, da innerhalb der Weimarer Republik ein Großteil der Unterhaltungsliteratur und Zeitungen in Fraktur gedruckt wurde (vgl. z. B. das KPD-Blatt Die Rote Fahne).62 Insgesamt kann also bezüglich der Wahl der Bildmotive wie der formalen Ausgestaltung der Viera-Bände durchaus von einem „funktionalen Eklektizismus“63 gesprochen werden, der auf einen traditionellen Formenbestand Bezug nimmt und diesen neu kontextualisiert. Bei der Wahl der Bildmotive lassen sich u. a. auch Anlehnungen an den traditionellen ikonographischen Bildbestand der linken Arbeiterbewegung finden; eine Adaption konstruktiv-funktionaler Gestaltungsweisen ist bei den oben beschriebenen Viera-Covern jedoch nicht zu beobachten. Das Cover von Der Kampf um die Feldherrnhalle, gestaltet von Albert Reich, hebt sich bildmotivisch von den bisher besprochenen Viera-Covern ab (vgl. Abb. 12). Nicht primär heroische Männlichkeit, sondern die Opferrolle steht hier im Fokus. Der Hintergrund ist nicht (wie bei den anderen Covern) relativ neutral gestaltet, sondern wird ausgefüllt von der bildlich nachempfundenen klassizistischen Architektonik des Portals der Feldherrnhalle, die in schräger Vorderansicht mit den beiden Löwen vor der Loggia abgebildet ist. Die über den Rundbögen angeordnete rote Frakturschrift des Titels lässt, neben den recht eindeutigen architektonischen Bildverweisen, keinen Zweifel an dem Ort des Geschehens und an dem Ereignis, auf das angespielt wird. Im Vordergrund befindet sich eine am Boden liegende Person, die sich mit den Händen in die nationalsozialistische Hakenkreuzfahne klammert und das Gesicht in der auf dem Boden liegenden

62 Vgl. Patrick Rössler: Die „Neue Typographie“ und das Buch. Fachdiskurse und Umschlagentwürfe zwischen den Kriegen. In: Wissen im Druck. Zur Epistemologie der modernen Buchgestaltung. Hg. v. Christof Windgätter. Wiesbaden 2010, S. 90: „Eine Aufschlüsselung nach Textgruppen zeigt, dass wissenschaftliche Werke ausschließlich in Antiqua gesetzt waren, Sachbücher dagegen etwa zur Hälfte in Fraktur, und volkstümliche Literatur schließlich zu 90 %.“ Vgl. Avruscio: Kulturpolitik im Dritten Reich, S. 83: „Viel Unterhaltungsliteratur wurde in Fraktur gedruckt, wissenschaftliche Abhandlungen erschienen dagegen in Antiqua.“ 63 Susanne Wehde: Typographische Kultur. Eine zeichentheoretische und kulturgeschichtliche Studie zur Typographie und ihrer Entwicklung. Tübingen 2000, S. 318.



210 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Fahne vergräbt. Allem Anschein nach handelt es sich um einen Verletzten bzw. Toten, der durch das angewinkelte Bein und die verkrampft in die Fahne fassenden Hände den Eindruck einer sich vor Schmerzen windenden und nach einem Kampf geschlagenen Person vermittelt.

Abbildung 12: Josef Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle. Leipzig: Franz Schneider Verlag, 1933 [Cover und Illustrationen: Albert Reich].

Das gesamte Cover spielt auf den ‚Marsch auf die Feldherrnhalle‘ im Rahmen des Hitler-Ludendorff-Putsches vom 9. November 1923 an, bei dem 16 nationalsozialistische Putschisten ums Leben kamen, die als ‚Blutzeugen‘ der nationalsozialistischen ‚Bewegung‘ im Laufe der Weimarer Republik und des ‚Dritten Reiches‘ durch zahlreiche NS-Gedenkfeiern bewusst zu Märtyrern stilisiert wurden. Der Putschversuch wurde also in eine heroische Niederlage verklärt, die Opfer zu ‚Blutzeugen‘ und die nationalsozialistische Fahne von 1923 zur reliquienhaften ‚Blutfahne‘64 überhöht, mit der ab 1926 auf mythisch-ritualisierte Art und Weise Fahnen und Standarten der ‚Bewegung‘ auf Parteitagen ‚geweiht‘ wurden. Mit dem zeitgeschichtlichen Wissen um den Hitler-Ludendorff-Putsch und vor dem Hintergrund der zum Erscheinungszeitpunkt des Buches 1933 ohnehin bereits stattgefundenen zahlreichen öffentlichen Gedenkfeiern und Inszenierungen ist für den Betrachter der am Boden Liegende aus nationalsozialistischer Per-

64 Zur Symbolik der ‚Blutfahne‘ vgl. Weißmann: Schwarze Fahnen, Runenzeichen, S. 169–170.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 211

spektive eindeutig als ‚Blutzeuge‘ und die Fahne als ‚Blutfahne‘ auszumachen. Das Cover spielt damit auf einen essentiellen Mythos in der Selbstdarstellung der Parteigeschichte an. Auf genau diese mythisch verklärende Art und Weise wird dann im Inhalt das zeitgeschichtliche Ereignis des Hitler-Ludendorff-Putsches narrativ aufbereitet und dient der Selbststilisierung der Partei. Unterstützt wird dies durch zahlreiche Illustrationen im Inneren des Buches, die voller Pathos und aufgesetzter Feierlichkeit das Geschilderte nochmals bildlich überhöhen. Von den im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Büchern sind die Werke Vieras, neben einer illustrierten Schulausgabe von Gruppe Bosemüller, die einzigen, welche illustriert sind. Grundmerkmale der Illustration sind die Textbezogenheit und ihre Fakultativität im Zusammenhang mit dem Erzähltext: „Die Illustration ist ein spezifisches Bild, textbezogen und – anders als z. B. das Bild der Bildergeschichte – fakultativ, d. h. eine Dreingabe und zum Verständnis der erzählten Geschichte nicht notwendig.“65 Darüber hinaus dienen die Illustrationen durchaus der Schwerpunktsetzung und Betonung zentraler Elemente des Textes: „Für den Bereich der Buchillustration heißt das, daß Abbildungen zu oder mit Texten wie Spotlights schlagartig solche Szenen in den Vordergrund rücken, die für den Fortgang des Geschehens von geradezu dramatischer Bedeutung sind oder aus anderen Gründen nach Akzentuierung verlangen.“66 Dennoch kommt es zu einer wechselseitigen Bezogenheit von Bild und Text, wobei „im Fall eines umfassenderen literarischen Zusammenhangs das Verständnis des Bildes die Kenntnis des Textes voraussetzt, das Bild seinerseits aber wieder auf den Text zurückverweist.“67 Bei den zahlreichen schwarz-weiß gestalteten Strichzeichnun-

65 Dietrich Grünewald: Denk-Provokationen. Zu Funktion und Wirkung von Illustrationen im Kinder- und Jugendbuch. In: Text und Illustration im Kinder- und Jugendbuch. Hg. v. Alfred Clemens Baumgärtner und Max Schmidt. Würzburg 1991, S. 49. Vgl. Hans Ries: Grundsätzliche Überlegungen zur Illustration von Kinder- und Jugendliteratur. In: Text und Illustration im Kinder- und Jugendbuch. Hg. v. Alfred Clemens Baumgärtner und Max Schmidt. Würzburg 1991, S. 10: „Notwendig, unverzichtbar ist die Illustration jedenfalls nicht oder nur dort, wo das primäre Verlangen nach dem Bild, nicht nach dem Text geht, wie es etwa beim Bilderbuch der Fall ist […].“ 66 Klaus Flemming: Einleitung. In: Die Bilderwelt im Kinderbuch. Kinder- und Jugendbücher aus fünf Jahrhunderten. Katalog zur Ausstellung der Kunst- und Museumsbibliothek und des Rheinischen Bildarchivs der Stadt Köln. Josef-Haubich-Kunsthalle Köln, 17. Juni 1988–11. September 1988. Hg. v. Albert Schug. Köln 1988, S. 12. 67 Hans Ries: Illustration und Illustratoren des Kinder- und Jugendbuchs im deutschsprachigen Raum 1871–1914. Das Bildangebot der Wilhelminischen Zeit, Geschichte und Ästhetik der Original- und Drucktechniken, internationales Lexikon der Illustratoren, Bibliographie ihrer Arbeiten in deutschsprachigen Büchern und Zeitschriften, auf Bilderbogen und Wandtafeln. Osnabrück 1992, S. 17.



212 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

gen der Viera-Bücher handelt es sich überwiegend um punktuelle Illustrationen, deren Charakteristika sich wie folgt beschreiben lassen: Bei ihr [der punktuellen Illustration] greift der Illustrator zur Darstellung einen Moment aus dem Fluß der Erzählung heraus, sinnvollerweise einen Höhepunkt oder sonst einen für den Verlauf der Geschichte folgenschweren Augenblick, immer also eine Situation, in der sich die Geschichte beispielhaft konzentriert. Dabei kann das Bild den Spannungsknoten schürzen, indem es etwa das Ringen innerhalb einer Auseinandersetzung, nicht aber deren Ende zeigt. Denn die mit dem Text konkurrierende Erzähldramaturgie des Bildes soll weniger die Lösung verraten, als vielmehr die Spannung steigern helfen.68

Die Illustrationen innerhalb der Viera-Bücher beschränken sich jedoch stark auf die bildliche Wiederholung ideologischer Botschaften und deren Verdichtung im Rahmen der dargestellten nationalsozialistischen Bildsymbolik. Die Abbildungen konzentrieren sich vor allem auf die ersten und letzten Kapitel; im Wind wehende Fahnen, kollektive Aufmärsche und Massenversammlungen sind immer wiederkehrende Bildmotive. Die Bücher beginnen sehr häufig mit der Darstellung einer Schlägerei oder mit Versteckszenen, in denen „der rote Mob“69 ganz eindeutig durch eine Schiebermütze und bzw. oder durch ein Messer in der Hand charakterisiert wird.70 Teilweise werden jedoch auch nationalsozialistische Persönlichkeiten in für sie charakteristischen Posen abgebildet, wie sie dem Leser durch die Tagespresse oder beispielsweise durch die bekannten Hitler-Portraits des Fotografen Heinrich Hoffmann durchaus geläufig waren. Insbesondere Goebbels und Hitler in Rednerpose sind ein Motiv der Illustrationen vieler Viera-Bände,71 die somit einerseits auf den Buchinhalt und andererseits auf tradiertes Bildwissen und die (Selbst-)Inszenierung von nationalsozialistischen Persönlichkeiten Bezug nehmen. Am Ende aller Viera-Bücher finden sich pathetische Schlussformeln wie „Ihr habt doch gesiegt!“ oder „Deutschland ist erwacht!“, die zudem jeweils graphisch illustriert sind und auf den ‚Sieg‘ der ‚Bewegung‘ sowie das herannahende ‚Dritte Reich‘ verweisen.72

68 Ries: Grundsätzliche Überlegungen zur Illustration von Kinder- und Jugendliteratur, S. 12. 69 Viera: Horst Wessel, S. 5 [Kapitelüberschrift]. 70 Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 5 [Illustration]. Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, Versteckszene auf dem Titelblatt und S. 21: Versteckszene hinter einem Zaun. Möglicherweise eine Anleihe an den Film Hitlerjunge Quex, in dem das Verstecken hinter einem Zaun die tragende Rolle im Rahmen der abschließenden Verfolgungsjagd bildet. 71 Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 36: Goebbels vor einer Massenversammlung, S. 77: Hitler in staatsmännischer Pose auf dem Flughafen Tempelhof, die Hand zum Gruß angewinkelt. Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, Rednerszene mit Hitler im Bürgerbräukeller auf dem Titelblatt. 72 Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 79: Abbildung eines von Eichenlaub umkränzten Hakenkreuzes auf dem ein Adler thront, links und rechts neben dem Hakenkreuz ist in Versa-





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 213

Lediglich Vieras Horst Wessel-Buch bildet bildmotivisch eine Ausnahme und inszeniert den ‚Opfermythos‘ am Ende des Textes in Form einer Abbildung des Grabes von Horst Wessel, welches mit zahlreichen Kränzen und einer Fahne bedeckt ist, schließlich auch bildlich.73 Die oben beschriebenen Beispiele zeigen, dass die Illustrationen verstärkt auf tradierte, stereotype Bilder abheben, deren Wiedererkennungswert hoch ist und deren Grundschemata somit problemlos abgerufen bzw. teilweise aktualisiert werden können. Zu dieser wenig innovativen Art der Illustration bemerkt Grünewald: [H]ier wird lediglich klischeehaftes, durch massenhaften Konsum internalisiertes Bildwissen reproduziert, das nicht Nachdenken, das nicht Spannung, sondern nur festgefügtes Musterwissen bestätigt. […] Das Bildrepertoire wird komplex und immer größer, aber die Normierung auf spezifische ästhetische Muster wird gleichfalls forciert.74

Diese Aussage trifft natürlich auch auf die Werbegraphik zu, ein Bereich, an dem sich die Illustratoren Engelhardt und Reich durchaus orientierten, da beide ebenfalls in der Werbegestaltung aktiv waren. Nicht zuletzt gilt für die durchaus absatz- und marktorientierte ‚Konjunkturliteratur‘ das Werben mit den Symbolen des neuen Staates und mit ausgesprochener Systemkonformität als eine der Marktstrategien schlechthin. Letztendlich bleibt es im Rahmen der Illustrationen zur ‚Konjunkturliteratur‘ Vieras also bei der visuellen Wiederholung bereits tradierter (ideologischer) Zeichen, deren Ausmaß, wie oben betont, sogar teilweise den nationalsozialistischen Literaturwaltern missfiel. Dass für die nationalsozialistischen Bücher jedoch auch gänzlich andere Gestaltungsmittel funktionalisiert und progressive bzw. moderne Formen der Buchgestaltung angewandt wurden, zeigen die Beispiele zur Umschlaggestaltung von Gruppe Bosemüller und Der Hitlerjunge Quex. Beide verwenden ‚moderne‘ Fotocover bzw. die Fotomontage, serifenlose Schriften sowie bewusst zum Schwarz-

lien der Schriftzug „Und ihr hab doch gesiegt“ angeordnet. Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 74: das Hakenkreuz ist mittig in den Kreis einer aufgehenden Sonne angeordnet, die weite Strahlen wirft. Neben der Verwendung der Lichtsymbolik findet sich auch hier wieder ein ‚Heldenkranz‘ im Bild, zentriert angeordnet ist die Schrifttafel mit dem Versalientext: „Deutschland erwache“. Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 78: unter dem abgesetzten letzten Satz des Buchtextes: „Bitterschwer hat man euch den Kampf gemacht, doch ihr habt doch gesiegt!“ findet sich die Abbildung ‚siegreicher‘ SA-Männer, die den Schaft von wehenden Hakenkreuzfahnen in der Hand halten. 73 Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 78. 74 Grünewald: Denk-Provokationen, S. 53, S. 55.



214 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Weiß der Bilder eingesetzte Kontrastfarbigkeit und vermitteln daher einen vollkommen anderen optischen Eindruck als die Cover der Viera-Bücher. Insbesondere der ab 1933 vertriebene Schutzumschlag75 zu Der Hitlerjunge Quex wirkt äußerst modern und weist einige Parallelen zur Gestaltung des proletarisch-revolutionären Kinder- bzw. Jugendbuches auf (vgl. Abb. 13).

Abbildung 13: Schutzumschlag zu Karl Aloys Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex. Berlin: Zeitgeschichte-Verlag, 1935.

So finden sich, vor inhaltlich völlig konträrem Hintergrund, beispielweise gestalterische Ähnlichkeiten mit dem von John Heartfield gestalteten Cover zu dem im Malik-Verlag erschienen Roman Ede und Unku. Ein Roman für Jungen und Mädchen (1931) von Alex Wedding.76 Beide Cover zeigen fotografisch einmontierte Bilder

75 Für den Schutzumschlag ab 1933 ließ sich kein Buchgestalter ausmachen. Auch der Schutzumschlag der Erstausgabe von 1932 war leider trotz intensiver bundesweiter Recherchen nicht zu ermitteln. Von hohem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie der Schutzumschlag vor der Verfilmung gestaltet war. Die ermittelten Ausgaben von 1932 weisen lediglich einen schmucklosen Leineneinband auf und der Buchrücken trägt den Namen des Autors sowie den Titel in Frakturschrift. 76 Vgl. Alex Wedding: Ede und Unku. Ein Roman für Jungen und Mädchen. Berlin 1931. Cover abgebildet in: Schikorsky: Kinder- und Jugendliteratur, S. 125. Sowie in: Helga Karrenbrock: Weimarer Republik. In: Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Hg. v. Reiner Wild. 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart/Weimar 2008, S. 241–259 [Abbildung: S. 257]. Während das Foto des Covers von Ede und Unku jeweils einen Jungen und ein Mädchen als Protagonisten abbildet und deren freundschaftliches Verhältnis darstellt, ist auf dem Cover





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 215

sympathisch wirkender, leicht keck lächelnder Kinder deren Schwarzweißfotos sich von der plakativen Hintergrundgestaltung in Primärfarben optimal abheben und sind somit im Sinne der konstruktivistischen Gestaltung aufgemacht. Zur spezifischen Funktionalität moderner Gestaltungsformen  – insbesondere der Schwarzweißfotos – für das nationalsozialistische Jugendbuch bemerkt Nassen: In der Forderung, das nationalsozialistische Jugendbuch müsse vor allem „wahrhaftig“ und „echt“ sein, bekundet sich die Entschlossenheit, die künftige Jugendbuchproduktion möglichst „wirklichkeitsnah“ zu gestalten, sie thematisch und in bezug auf die Genres zu modernisieren. Dies lässt sich alleine schon an den Erzähltechniken, der Sprache, der graphischen Gestaltung einzelner Bücher ablesen. Insbesondere die Substitution der herkömmlichen Jugendbuchillustration durch „sachliche“ Schwarz-Weiß-Photos sollte manches Jugendbuch realistisch erscheinen lassen.77

Der Schutzumschlag zu Der Hitlerjunge Quex von 1933 lässt sich jedoch noch auf andere Weise eindeutig kontextualisieren. Er zeigt ein Foto des keck und selbstbewusst lächelnden Schauspielers Jürgen Ohlsen in seiner Rolle als ‚Hitlerjunge Quex‘ in der gleichnamigen Verfilmung des Romans. Somit stellt der Buchumschlag einen direkten intermedialen Bezug zum Film her. Auf diese Weise wird der Eindruck vermittelt, es handele sich um ein Buch zum Film; doch tatsächlich ist die Romanvorlage bereits vor dem Film erschienen und weist im Gegensatz zur Verfilmung teilweise erhebliche inhaltliche Unterschiede auf. Das bereits 1932 erschienene Buch erfuhr im Rahmen seiner Verfilmung von 1933 ebenfalls eine enorme Auflagensteigerung (vgl. Kapitel 3.1.5, Diagramm 2), sodass möglicherweise viele Jugendliche zunächst den Film kannten und dann das Buch lasen. Dies erklärt auch die werbewirksame Verwendung eines Bildes des Hauptdarstellers als Motiv für das Cover. Zudem wurde das Buch ab 1933 im Zuge der Literaturpolitik des ‚Dritten Reiches‘ verstärkt propagiert (vgl. Kapitel 3.1.5). Das Schwarzweißfoto des ‚Quex‘-Darstellers ist vor einem leuchtend gelben Hintergrund einmontiert. Die fotografische Abbildung des ‚Hitlerjungen Quex‘ hat keinerlei Gemeinsamkeiten mit den gezeichneten und monumental-heroisch dargestellten Hitlerjungen und SA-Männern der Viera-Cover. Der ‚Quex‘-Darsteller wirkt auf dem Fotocover eher wie eine sympathisch-kindliche Identifikationsfigur, deren keck und leicht schräg aufgesetzte (Uniform-)Mütze sowie deren lächelnder und aufgeweckter Gesichtsausdruck wesentlich lebendiger wirken als die statischen

von Der Hitlerjunge Quex lediglich der Hauptdarsteller des Films gezeigt. Der Hintergrund von Ede und Unku ist entsprechend der kommunistischen Ideologie rot gestaltet, Der Hitlerjunge Quex weist einen gelben Hintergrund auf. 77 Nassen: Jugend, Buch und Konjunktur 1933–1945, S. 11.



216 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Profile und die exakt angelegten Uniformen, welche auf den Viera-Covern abgebildet sind. Nichtsdestotrotz finden sich alle Elemente der Hitlerjugend-Uniform wieder und auch die Hakenkreuzbinde ist trotz der vor der Brust verschränkten Arme des abgebildeten Schauspielers identifizierbar. Etwa in Höhe der verschränkten Arme findet sich der dreizeilig und versetzt angeordnete Titel in gelber Schreibschrift, einer Schrift die charakteristisch für viele Titel der Kinderliteratur (der Weimarer Republik) ist.78 Am oberen Rand des Covers ist, zentriert und in Versalien, der Nachname des Verfassers platziert. Insbesondere die gelbe Primärfarbe des Hintergrundes und des Titels entfaltet in Zusammenhang mit dem Schwarzweißfoto Signalwirkung, ein Kompositionsschema, das sich deutlich an konstruktivistische Verfahren anlehnt und die Fotomontage für nationalsozialistische Zwecke nutzt. Der Schutzumschlag versucht, anstelle eines heroisch-kämpferischen Images, wie es beispielsweise die Viera-Cover vermitteln, der ‚Bewegung‘ und ihren Mitgliedern eher ein sympathisches, zeitgemäßes und jugendliches Erscheinungsbild zu verleihen und auf diese Weise Identifikationspotenzial zu wecken. Der feste, ebenfalls leuchtendgelbe Leineneinband des Buches weist hingegen den Titel in Fraktur auf, wobei das Wort „Quex“ in einer Supertype gesetzt wurde (vgl. Abb. 14).

Abbildung 14: Leineneinband zu Karl Aloys Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex. Berlin: Zeitgeschichte-Verlag, 1935.

Der Verfassername befindet sich am oberen Buchrand in Versalien angeordnet. Der Buchrücken weist schwarze Streifen auf, ein etwas breiterer Streifen beinhal-

78 Vgl. Peter Nils Dorén: Die Kunst, Blicke zu fangen. Über die Typographie auf Buchumschlägen und Einbänden. In: Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919– 1933. 1000 Beispiele, illustriert und dokumentiert. Hg. v. Jürgen Holstein. Berlin 2005, S. 369–370.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 217

tet die Titelangabe in der auf dem Schutzumschlag verwendeten Schreibschrift. Der Inhalt des Buches ist insgesamt in Fraktur gesetzt. Es gibt also deutliche Unterschiede zwischen der Gestaltung des Schutzumschlages, des Leineneinbandes und des Buchinneren und es kommt durchaus zu Stilvermischungen, wie der Vergleich von Schutzumschlag und festem Leineneinband zeigt. Nicht nur Walter Kambartel verweist darauf, dass die konstruktivistischen Ansätze der Buchgestaltung, die ursprünglich aus linkspolitischen und gesellschaftskritischen Absichten entstanden sind, in der Endphase der Weimarer Republik und darüber hinaus vom Inhalt abgelöst schnell zu einer „dekorativen Leerformel für Modernität“79 avancierten. Auch Heiko Schmidt stellt bezüglich der Verbreitung konstruktivistischer Gestaltungsweisen fest, dass diese sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre nicht mehr ausschließlich auf das linkspolitische Lager der Arbeiterbewegung einschränken ließen: Diese Entwicklung hatte die Arbeiterbewegung natürlich nicht exklusiv. Das Bauhaus ist hier natürlich zu nennen. Und leider muß festgestellt werden, dass auch Sachlichkeit und funktionale Schlichtheit zur Mode werden können. Zum reinen Symbol von Modernität oder zum exklusiven Luxusgut.80

Insbesondere die Werbegestaltung entdeckte nach anfänglicher Zögerlichkeit mehr und mehr den prägnanten konstruktivistischen Formenkanon für sich.81 Doch die Nationalsozialisten sahen die ursprünglich aus ihrer Sicht als ‚bolschewistisch‘ aufgefassten konstruktivistischen Gestaltungsmittel sowie vor allem die Fotomontage ebenfalls als geeignetes Mittel, um vielen ihrer reaktionären Inhalte

79 Walter Kambartel: Nationale „Buchkunst“ und internationale „Buchgestaltung“ als ästhetische und politische Antithese. In: Buchgestaltung in Deutschland 1900–1945. Ausstellung der Universitätsbibliothek Bielefeld vom 16.12.1987–31.1.1988. Hg. v. Walter Kambartel. Bielefeld 1987, S. 36. 80 Heiko Schmidt: Einführung. In: Buchgestaltung linker Verlage in der Weimarer Republik. Ausstellung in der Galerie Kraftwerk, 12. Juni bis 7. Juli 2004. Ausstellung und Katalog von Heiko Schmidt und Christian Bartsch. Berlin 2004, S. 3, Fußnote 3. 81 Vgl. zu diesem Thema folgenden Aufsatz, der unter anderem versucht, das Engagement von sozialistisch denkenden Künstlern für die kommerzielle Werbung zu rechtfertigen: Heidrun Schröder-Kehler: Künstler erobern die Warenwelt. Neue Typographie in der Werbegestaltung. In: Wechselwirkungen. Ungarische Avantgarde in der Weimarer Republik. Ausstellungskatalog Neue Galerie Kassel (9. November 1986 bis 1. Januar 1987), Museum Bochum (10. Januar 1987 bis 15. Februar 1987). Hg. v. Hubertus Gaßner. Marburg 1986, S. 388–412. Vgl. Rössler: Die „Neue Typographie“ und das Buch, S. 77: An dieser Stelle verweist Rössler auf die zeitgenössische Stimme von Fritz Stammberger, der betont habe, dass „die Ideologie hinter der neuen Typographie, sofern sie auf Funktionalität und Effektivität abstellte, in gar keinem Widerspruch zu den Zielen der kapitalistischen Wirtschaft stand.“ Vgl. dazu auch S. 90.



218 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

eine moderne Fassade zu geben und um sich insbesondere bei den Arbeitern mit den ursprünglich revolutionären Mitteln der konstruktivistischen Gestaltung als (sozial-)revolutionäre und fortschrittliche Partei zu präsentieren. Auch Klaus Wolbert verweist auf die Funktionalität einer modernen Verpackung für reaktionäre Inhalte: „Mit den Mitteln moderner Gestaltung kann sich eine derartige Haltung sogar als aktuell ausgeben.“82 Vor allem das moderne Gestaltungsmittel der Fotografie bzw. der Fotomontage eignet sich so auch für die nationalsozialistische Propaganda: Die Fotomontage konstituiert einen Bedeutungsinhalt, der in ihren einzelnen fotografischen Elementen nicht enthalten oder jedenfalls nicht sichtbar ist. Sie kann also das Wesen einer Sache wiedergeben, aber ebensogut auch einer falschen Vorstellung den Schein der Authentizität verleihen.83

Einen guten Überblick über die allmähliche funktionale Aneignung elementarer Gestaltungsformen unabhängig von der politischen Orientierung und eine differenzierte Perspektive auf die ideologische Emanzipation der Neuen Typographie und der Fotomontage, die sich nach und nach von ihren linkspolitischen Inhalten ablösten, vermittelt Patrick Rössler.84 Er führt folgende Gründe für die Übernahme moderner Gestaltungsformen durch die Nationalsozialisten an: [A]uch die Bildpropaganda der Nationalsozialisten [zeichnete sich] durch die Übernahme des Typofotos als Ausdrucksmittel der einstigen Avantgarde aus. Für ihre Verwendung durch die kulturkonservativen Kreise der faschistischen Machthaber gibt es eine ganze Reihe von Begründungen: Zum einen begriffen sich die Nationalsozialisten selbst als Avantgarde einer neuen Gesellschafts- und Weltordnung außerdem überzeugte die Effektivität einer „domestizierten modernen Gestaltung“ à la Herbert Bayer die immer an wirkungsvollen Reklametechniken interessierten NS-Propagandisten; und schließlich war das Regime auch an einer kontrollierten „Vielfalt in der Gleichschaltung“ interessiert, um den eigenen Intellektuellen wie internationalen Beobachtern eine vermeintlich freie Medienlandschaft vorzugaukeln.85

Der letzte Punkt gilt jedoch erst für die Zeit nach der ‚Machtergreifung‘ und es darf durchaus angezweifelt werden, ob das ‚internationale‘ und ‚moderne‘ Image, das

82 Klaus Wolbert: Bildsprache. Zu Motiven und Gestaltungsmitteln. In: Politische Plakate der Weimarer Republik 1918–1933. Ausstellung vom 18. September 1980 bis 23. November 1980. Hg. v. Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Darmstadt 1980, S. 140. 83 Reiner Diedrichs und Richard Grübling: Sozialismus als Reklame. Zur faschistischen Fotomontage. In: Die Dekoration der Gewalt. Kunst und Medien im Faschismus. Hg. v. Berthold Hinz [u. a.]. Gießen 1979, S. 123. 84 Vgl. Rössler: Die „Neue Typographie“ und das Buch. 85 Rössler: Die „Neue Typographie“ und das Buch, S. 91.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 219

sich Deutschland z. B. im Rahmen der Olympischen Spiele 1936 zulegte, nicht doch von internationalen Beobachtern zumindest teilweise durchschaut wurde. Nichtsdestotrotz beinhalten die ersten beiden Aspekte plausible Gründe, die insbesondere für die Kreierung und Aufrechterhaltung eines ‚revolutionären‘ und ‚modernen‘ Images in der ‚Kampfzeit‘ der NSDAP und vor allem für die Zielgruppengewinnung von jungen Arbeitern geltend gemacht werden können. Vor allem Susanne Wehde verweist sowohl in Bezug auf die typographische Gestaltung als auch auf die Gestaltung von Buchumschlägen darauf, dass es keinen spezifisch nationalsozialistischen Stil gebe und dass vielmehr von einem „funktionalen Eklektizismus“86 der Nationalsozialisten auch in Hinsicht auf die ästhetische Formgebung der Bücher auszugehen sei. Sie verweist somit auf die Parallelität von modernen und ‚reaktionären‘ bzw. traditionellen Gestaltungsformen und zeigt im Rahmen der typographischen Gestaltung nationalsozialistischer Werke auf, dass Stilvermischungen durchaus üblich waren und je nach beabsichtigter Zielgruppenansprache funktional eingesetzt wurden. Die Politisierung des Schriftstreits zwischen Fraktur und Antiqua, die seit dem Kaiserreich stattfand, darf nach Wehde  – trotz aller rechtsradikalen und teilweise rassistischen Polemiken gegen die Antiqua – nicht als eindeutige Präferenz der Nationalsozialisten für die Frakturschriften dargestellt werden, wie dies in zahlreichen Publikationen zur Schriftgeschichte geschehe.87 Wehde zufolge existierte von nationalsozialistischer Seite „von Anfang an das strategische Ziel der Durchsetzung funktional differenzierter Zweischriftigkeit“88 – und dies von der Weimarer Republik bis hin zur Schriftenpolitik des ‚Dritten Reiches‘. Insbesondere für Buchumschläge gilt im nationalsozialistischen Umfeld somit durchaus die Adaption der konstruktiv-funktionalen Typographie und charakteristischer Merkmale des typographischen Funktionalismus, wie der Einsatz von Fotos und Montageverfahren, die Verwendung geometrischer Formen und Anordnungen sowie der Primärfarben rot, gelb, blau und das Erzielen von Kontrastwirkungen. Je nach Zielgruppe finden sich jedoch auch traditionalistische Gestaltungslösungen oder Stilvermischungen. Ein gutes Beispiel für die unterschiedliche Covergestaltung ein und desselben Titels und deren spezifische Funktionalität liefert der Vergleich der Cover der verschiedenen Stalling-Ausgaben sowie der Schulausgaben zu Beumelburgs Roman Gruppe Bosemüller. Wesentlich von modernen Gestaltungskriterien beeinflusst ist der Schutzumschlag des Romans, welcher ca. 1933 entstand (vgl. Abb. 15).

86 Wehde: Typographische Kultur, S. 318. 87 Vgl. Wehde: Typographische Kultur, S. 276. 88 Wehde: Typographische Kultur, S. 276.



220 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Abbildung 15: Schutzumschlag zu Werner Beumelburg: Gruppe Bosemüller. Der grosse Roman des Frontsoldaten. Oldenburg: Stalling [ca. 1933].

Zu sehen ist eine Kriegsfotografie, welche die Silhouette eines Soldaten abbildet, der die Hände leicht schräg erhoben hält, was den Eindruck vermittelt, dass die Person dabei ist ihr Gleichgewicht zu verlieren und zu Boden zu fallen. Im Hintergrund befindet sich Stacheldraht, der erneut verdeutlicht, dass ein Kriegsschauplatz dargestellt wird. Vermutlich handelt es sich also um einen Soldaten, der an der Front angeschossen oder gar lebensbedrohlich verletzt wurde. Die Schwarzweißaufnahme, die vor allem durch den Schatten des ‚unbekannten Soldaten‘, dessen Gesicht nicht zu identifizieren ist, sowie vor dem nebelig weißen Hintergrund des Kriegsschauplatzes äußerst eindringlich wirkt, bekommt durch das Verfahren der Fotografie Authentizität verliehen. Der serifenlose, in fetten roten Buchstaben gedruckte Titel des Buchs „Gruppe Bosemüller“ könnte von der Schriftgestaltung und der Farbe her durchaus auch aus der linkspolitischen Buchgestaltung stammen. Der Untertitel „Der grosse Roman des Frontsoldaten“, ebenfalls in serifenloser Schrift gestaltet, ist in kleinerer und weißer Schrift mittigrechts angeordnet. Er hilft, das Werk auch politisch zu kontextualisieren. Könnte es sich alleine bei der verwendeten Titelfotografie, zusammen mit einem entsprechendem (Unter-)Titel, auch um ein Bild gegen das Morden und Sterben an der Front handeln, so zeigt der Untertitel „Der grosse Roman des Frontsoldaten“ doch eine Tendenz zur Verherrlichung des heldenhaften soldatischen Kriegseinsatzes auf, dem schließlich ein ‚großer‘ Roman gewidmet wird. Insgesamt wirkt die Komposition des Covers jedoch äußerst modern und bekommt durch die schnörkellose Schrift und die Verwendung der Fotografie dokumentarischen Charakter. Der Name des Verfassers findet sich am oberen Buchrand in Versalien platziert. Ähnliches gilt auch für die in der Kranzbücherei des Diesterweg-Verlages erschienene Schulausgabe Mit 17 Jahren vor Verdun (vgl. Abb. 16). 



4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 221

Abbildung 16: Schulausgabe von Gruppe Bosemüller: Werner Beumelburg: Mit 17 Jahren vor Verdun. Frankfurt a. M.: Diesterweg-Verlag, 1935 [Kranzbücherei; Bd. 200]. Quelle des vom Diesterweg-Verlag 1935 verwendeten Coverfotos: „Im Schutz von Nebelbomben gehen Sturmtruppen vor“. Champagne im September 1917. Scherls Bilderdienst, Berlin. Archiviert unter: Bundesarchiv, Bild 183-R05944/Fotograf: unbekannt.

Deren Cover bildet ebenfalls eine Kriegsfotografie ab, welche die Silhouette zweier Soldaten mit geschulterten Gewehren erkennen lässt, die durch eine zerbombte und verkraterte Landschaft zu rennen scheinen, was sich an ihrer Körperhaltung ablesen lässt. Auch hier ist der Himmel von Wolken und nebligen Rauchschwaden bedeckt. Um die Authentizität der Abbildung (sowie damit implizit auch des Romaninhaltes) zu verifizieren, findet sich auf der Titelseite zusätzlich die Bemerkung: „Mit Titelbild nach einer Originalaufnahme aus den Kämpfen im Westen“.89 Einen ganz anderen optischen Eindruck vermitteln hingegen die rein typographisch gestalteten Titel zu Gruppe Bosemüller von 1941 und zur Schulausgabe Soldaten-Kameraden in der Hölle von Verdun, ebenfalls von 1941. Zum oftmals unterschätzten Potenzial reiner Schriftcover bemerkt Kapr:

89 Werner Beumelburg: Mit 17 Jahren vor Verdun. Frankfurt a. M. 1935 [Kranzbücherei; Bd. 200], Titelblatt.



222 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Oft wird die Wirksamkeit typographischer Buchumschläge unterschätzt, doch viele Beispiele beweisen, daß mit typographischem Material eindrucksvolle dekorative Lösungen gefunden werden können. Wenn ein Wort oder eine Zeilengruppe entschieden dominieren und alle anderen Angaben zurücktreten, vermag die Beschränkung auf typographische Schriften zu monumentalen Wirkungen führen; denn einen Vorteil hat die Schrift: Sie muß sein, kann sogar uneingeschränkt wirksam sein, während die Illustration, das Bild oder das Ornament auf Schriftangaben nicht verzichten können.90

Abbildung 17: Schutzumschlag zu Werner Beumelburg: Gruppe Bosemüller. Oldenburg: Stalling, 1940.

Vor allem das Schriftcover zu Gruppe Bosemüller von 1941 wirkt mit den in Schreibschrift gezeichneten übergroßen Buchstaben des Titels, dessen erster Buchstabe „G“ besonders weit ausgreift und in Richtung des Autornamens und Reihentitels weist, durchaus ästhetisch komponiert (vgl. Abb. 17). Der Verfassername und die Reihenangabe am oberen Rand des Buches heben sich durch eine kleinere braunrote Versalienschrift von den schwarzen übergroßen Schreibschrifttypen des Titels ab. Am unteren Rand findet sich der Verlagsname in schwarzer Versalienschrift, die zusätzlich braunrot unterlegt ist. Dass solch eine Schriftanordnung durchaus eine gewisse Dynamik und einen ästhetischen Reiz ausübt, betont auch Schauer, der insbesondere darauf verweist, dass die rein typographisch gestalteten Titel der 1930er Jahre vor allem in den 1950er Jahren eine Renaissance erlebten:

90 Kapr: Buchgestaltung, S. 233.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 223

Im Vordergrund stehen die die sprechenden, höchst individuellen Titelschriften, selten aus Satzmaterial, meistens gezeichnet oder als Handschrift. Immer ist es der Kontrast, der polare Gegensatz zu Festgefügtem oder zum Satzbild der Buchtexte, von dem man sich die Wirkung, nämlich den werbenden Anruf und die Vertretung eines Buchgehaltes, verspricht. Der Buchtitel wird zu einem glanzvoll verschlungenen und geschwungenen Wortgebilde, das dem statuarisch festen Verfassernamen gegenübersteht.91

Die relativ schnörkellose Schreibschrift des Titels „Gruppe Bosemüller“ wirkt jedoch recht neutral-sachlich. Durch die Angabe der Reihe „Die Bücher vom Krieg“ ist zu vermuten, dass andere Titel aus dem Stalling Verlag ähnlich gestaltet wurden. Insgesamt vermittelt das Cover den Eindruck, als handele es sich um einen ‚Klassiker‘ der Kriegsliteratur, der für sich selbst spricht und dadurch kaum der spektakulären bildlichen oder zeichnerischen Aufmachung bedarf. Deutlichere nationalistisch-konservative Züge trägt hingegen das Schriftcover der Schulausgabe Soldaten-Kameraden in der Hölle von Verdun, die 1941 bei Velhagen & Klasing erschienen ist (vgl. Abb. 18).

Abbildung 18: Schulausgabe von Gruppe Bosemüller: Werner Beumelburg: SoldatenKameraden in der Hölle von Verdun. Bielefeld/Leipzig: Velhagen & Klasing 1941 [Deutsche Ausgaben, 507].

91 Schauer: Kleine Geschichte des deutschen Buchumschlages im 20. Jahrhundert, S. 45.



224 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Der Verfassername sowie der in größeren Lettern gestaltete Titel, der lediglich auf „Soldaten-Kameraden“ abgekürzt ist, sind in roter Frakturschrift zentriert auf dem Cover angeordnet. Am oberen Buchrand findet sich braun unterlegt die Reihenangabe „Deutsche Ausgaben“, die – neben der Gesamtgestaltung des Titels – deutlich auf den nationalistischen Inhalt des Buchs verweist. Am unteren Buchrand ist, ebenfalls braun unterlegt, die Verlagsangabe angebracht. Auch der Titel, welcher in pathetischer Manier auf die soldatische Gemeinschaft anspielt, die sich auch in höchsten Gefahrensituationen und unter ‚Höllenqualen‘ zu bewähren hat, verweist auf das Konzept ‚soldatischer Männlichkeit‘, welches vom nationalkonservativen und nationalsozialistischen Lager vertreten bzw. propagiert wurde. Ähnliches lässt sich für die von Willy Mulot illustrierte Schulausgabe konstatieren (vgl. Abb. 19). Auch deren Titelblatt spielt – nun wiederum ganz gegenständlich-abbildhaft  – durch seine Zeichnung auf die heroische Selbstbewährung im Schützengraben an.

Abbildung 19: Titelblatt der Schulausgabe von Gruppe Bosemüller: Werner Beumelburg: Gruppe Bosemüller erstürmt das Fort Souville. Wiesbaden: Kommissionsverlag LimbarthDenn, 1931 [Brunnenbücher, Heft 7. Hg. v. Ausschuss für Verwaltung des Lesebuchs, Wiesbaden, Titelblatt u. Illustrationen: Willy Mulot].





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 225

Zentriert angeordnet findet sich hier das Motiv eines Weltkriegssoldaten in breitbeiniger und monumentaler Pose, bekleidet mit Uniform sowie Stahlhelm.92 In den ausgebreiteten Armen hält er ein Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett sowie einen Kanonenstopfer. Pathetisch übersteigert wird dieser Typus des Weltkriegssoldaten, indem um seine Beine herum lodernde Flammen züngeln sowie dadurch, dass im Hintergrund eine riesige Rauchwolke und einzelne Splitter eine Detonation andeuten. Der stoisch dastehende Soldat, dessen Augen vom Stahlhelm verdeckt werden und dessen ‚neutraler‘ Gesichtsausdruck lediglich durch einen horizontalen Strich als Mund angedeutet wird, scheint der Kriegssituation tapfer zu trotzen. Darüber ist in Frakturlettern der Titel „Gruppe Bosemüller erstürmt das Fort Souville“ angeordnet, am unteren Buchrand findet sich die Reihenbezeichnung „Brunnenbücher Heft 7“. Die beiden vom Landschaftsmaler und Illustrator Willy Mulot93 angefertigten Illustrationen innerhalb der Schulausgabe zeigen zum Einen eine stereotype Kampfszene in der Mitte des Lektüreheftchens, wie sie in jedem beliebigen Kriegsroman vorkommen könnte,94 zum Anderen ganz am Ende – ähnlich wie bei Vieras Horst Wessel-Buch – eine Grabszene, die heroisch verklärend die Beisetzung der beiden verstorbenen Soldaten Krakowka und Esser thematisiert:95 Drei Männer stehen mit abgenommener Kopfbedeckung und Spaten in der Hand vor den beiden Gräbern, die durch ein Holzschild mit den darauf angebrachten Stahlhelmen der Toten verbildlicht werden. Die unterschiedlichen Covergestaltungen zu Gruppe Bosemüller verdeutlichen, dass vor allem im Bereich des Kriegsromans die Gestaltung einerseits

92 Zur ikonographischen Bedeutung des Stahlhelms zwischen Archaik und Moderne vgl. Bernd Hüppauf: Schlachtenmythen und die Konstruktion des „Neuen Menschen“. In: Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch… Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs. Hg. v. Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Irina Renz. Essen 1993, S. 43–84 [insbes. S. 67–72]. 93 Über Willy Mulot ist nur wenig bekannt. Das Allgemeine Lexikon der bildenden Künstler verweist in einer kurzen Notiz vor allem auf seine Landschaftsbilder und Stillleben, daneben auf seine Tätigkeit als Graphiker. Vgl. Anonymus: Mulot, Willy. In: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts. Bearbeitet, redigiert und hg. v. Hans Vollmer. Band 3: K–P. Leipzig 1956, S. 446. Der in Wiesbaden ansässige Maler illustrierte u. a. Märchen und lokale Erzählungen, z. B. Otto Stückrath: Hessischer Sagenborn. Melsungen 1924. Für eine Übersicht der von Mulot illustrierten Märchen vgl. Aiga Klotz: Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1840–1950. Gesamtverzeichnis der Veröffentlichungen in deutscher Sprache. Band 6/1: Register. Stuttgart [u. a.] 1999, S. 420. Einen kurzen Überblick über Willy Mulots Landschaftszeichnungen bietet: Wilma Rücker: Handzeichnungen für die Heimat. Willy Mulot schuf Illustrationen für Kalender und Bücher der Region. In: Rhein-Zeitung, Ausgabe RD 59 (25.02.2004), Nr. 47 [o.S.]. 94 Vgl. Werner Beumelburg: Gruppe Bosemüller erstürmt das Fort Souville. Wiesbaden 1931 (Brunnenbücher; Heft 7. Hg. v. Ausschuß für Verwaltung des Lesebuchs in Wiesbaden), S. 21. 95 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller erstürmt das Fort Souville, S. 30.



226 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

konservative Gestaltungsformen und Bildinhalte aufgreift, die in ihrem Bildrepertoire die heroische Männlichkeit und den Frontkämpfer- bzw. den Opfermythos thematisieren und verklären; andererseits finden sich jedoch auch moderne Gestaltungsformen, die mit Hilfe der Fotografie stärker auf realistische und vermeintlich dokumentarische Elemente abheben, so versuchen, die Authentizität der Bild- wie der Romaninhalte zu suggerieren und auf diese Weise die Kriegserfahrung thematisieren. Die Cover der Viera-Romane sowie der Schutzumschlag von Der Hitlerjunge Quex nehmen hingegen vorwiegend Bezug auf die Selbstrepräsentation der Nationalsozialisten und bestehen überwiegend aus einem positiv-aufbauenden Bildrepertoire. Während die Viera-Bücher einerseits vorrangig auf eine heroische Selbstdarstellung abzielen, die sich aus unterschiedlichen Bildtraditionen, teilweise auch in Form der Variation der linken Ikonografie des ‚Arbeiterriesen‘, speist, so findet sich in Form des Schutzumschlages von Der Hitlerjunge Quex eine ausgesprochen ‚moderne‘ Gestaltung, die durch das Foto des aufgeweckt lächelnden Jürgen Ohlsen in seiner Rolle als ‚Quex‘ eher ein sympathisches, zeitgemäßes und jugendliches Erscheinungsbild des Nationalsozialismus zu vermitteln versucht. Dadurch, dass traditionelle bzw. konservativ-nationalistische Bildtraditionen neben modernen Gestaltungsformen verwendet werden, kann vor allem eine breite Zielgruppe erreicht werden, die das traditionell-nationalistische sowie darüber hinaus das jugendliche Publikum aus dem linken Arbeitermilieu umfasst, wobei sich letzteres wohl eher von ‚modernen‘ Gestaltungsformen angesprochen fühlte. Wehde betont diesbezüglich: Ein Vergleich der typographischen Gestaltung verschiedener Buchumschläge von NS-Propagandaschriften zeigt sehr gut, daß die Anknüpfung an typographische Sehgewohnheiten ganz unterschiedlicher Zielgruppen erfolgt […]. Konnotativ gegensätzlich besetzte (typo-) graphische Formen werden bei der Gestaltung nationalsozialistischer Publikationen ganz ähnlicher Thematik eingesetzt. Die[s] […] mach[t] deutlich, daß die typographische Mittelvariation gegenläufige konnotative Vorstellungen über die NS-Bewegung erzeugt, die geeignet sind, gesellschaftliche Gruppen anzusprechen, die in ganz unterschiedlichen soziokulturellen Lebenswelten beheimatet sind.96

Diese ästhetischen Tendenzen lassen sich jedoch nicht nur aus strategisch-politischen Zusammenhängen begründen, sondern sind in der Endphase der Weimarer Republik ebenfalls Ausdruck der allmählichen Historisierung der avantgardistischen Ausdrucksformen des Konstruktivismus und der Neuen Typographie,97 die

96 Wehde: Typographische Kultur, S. 321–322. 97 Vgl. Rössler: Die „Neue Typographie“ und das Buch, S. 93.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 227

losgelöst von ihren ursprünglichen linkspolitischen Inhalten auch in der Werbegestaltung verwendet wurden und von dort durchaus auf die nationalsozialistische Propaganda ausstrahlten. So betont auch Wehde: Genuin nationalsozialistisch sind derartige Nivellierungstendenzen hingegen nicht. Sie sind typisch für die Entwicklung der werblichen Gebrauchstypographie der 30er Jahre. NSPropagandamaterial nutzt gezielt die innovativen typographischen Gestaltungsprinzipien der Wirtschaftswerbung, die unter dem Einfluss der typographisch-künstlerischen Avantgarde entstanden waren.98

Dabei kamen vor allem die Fotocover dem visuellen Rezeptionsbedürfnis der Masse entgegen, da die Öffentlichkeit im Rahmen der Wirtschaftswerbung und vor allem durch Illustrierte deutlich an fotografischen Darstellungen orientiert war, was auch die Umsetzung der Agitationsmuster in Bilder, vor allem aber in Fotografien notwendig machte. Nicht zuletzt hatten die beiden gegnerischen politischen ‚Bewegungen‘ jeweils eine eigene politische Illustrierte, d. h. das linkspolitische Spektrum versuchte die Bildbedürfnisse mit der Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ) zu stillen, während sich die Nationalsozialisten des Illustrierten Beobachters bedienten. In der Gestaltung der Bucheinbände wird somit besonders augenfällig, was für große Teile der Kultur-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sowie insbesondere für die im Rahmen der Arbeit besonders relevante Literaturpolitik und literarische Ästhetik der Nationalsozialisten gilt: die spezifische und höchst kontroverse Mischung aus ‚modernen‘ und ‚reaktionären‘ Inhalten und Gestaltungsformen, die kennzeichnend für die nationalsozialistische Politik wie Ästhetik ist. Diese Vereinigung disparater Tendenzen durch den Nationalsozialismus hat Ralf Dahrendorf als „rückwärtsgewandte Modernität“99 bezeichnet, Jeffrey Herf fand mit seiner Monographie Reactionary Modernism100 für dieses Phänomen eine prägnante Formulierung, die seitdem auch in der deutschsprachigen gesellschaftsund kulturwissenschaftlichen Forschung unter der Bezeichnung „reaktionärer Modernismus“ bzw. „reaktionäre Modernität“101 weite Verbreitung findet. Inner-

98 Wehde: Typographische Kultur, S. 323–324. 99 Ralf Dahrendorf: Kulturpessimismus vs. Fortschrittshoffnung. Eine notwendige Abgrenzung. In: Stichworte zur „Geistigen Situation der Zeit“. Band 1: Nation und Republik. Hg. v. Jürgen Habermas. Frankfurt a. M. 1979, S. 213–228 [hier: S. 223]. 100 Jeffrey Herf: Reactionary Modernism. Technology, Culture and Politics in Weimar and the Third Reich. Cambridge [u. a.] 1984. 101 Vgl. Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 340–346: „Die beschleunigte Erosion der bildungsbürgerlichen Kunstsemantik und die reaktionäre Modernität des NS-Regimes“; Vgl. Reichel: Der schöne Schein des Dritten Reiches, S. 101–113: „Ein Programm ohne Perspektive:



228 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

halb der germanistischen Forschung verweist in Bezug auf das nationalsozialistische Jugendbuch vor allem Ulrich Nassen auf diese spezifische Mischung und die Parallelität von ‚modernen‘ und ‚regressiven‘ Elementen: Die nationalsozialistische Jugendliteratur, weitgehend dem Erfahrungshorizont der Jugendlichen angepaßt, um ihn ideologisch überformen zu können, besaß einen spezifischen Grad an Modernität. […] Gleichzeitig wurde freilich eine Vielzahl an Titeln aufgelegt, von denen sich solches gewiß nicht behaupten lässt. Aufs Ganze gesehen, insbesondere mit Blick auf die Jugendbuchproduktion der Weimarer Zeit, ist ein Modernisierungseffekt jedoch unverkennbar. […] Atavistischer Germanen- und progressiver Technikkult sind die beiden Extreme dieses ambivalenten ideologischen Konglomerats.102

Insbesondere in Zusammenhang mit dem Technikroman, wie beispielsweise Schenzingers Anilin (vgl. Kapitel 3.2.2), beschäftigte sich die Literaturwissenschaft bisher mit dem Zusammenspiel von ‚progressiven‘ und ‚reaktionären‘ Elementen im Rahmen der nationalsozialistischen Literatur.103 Darauf, dass darüber hinaus in Bezug auf die nationalsozialistische Literatur und die spezifischen Formen der Modernität, die sich in ihr äußern, innerhalb der germanistischen Forschung

Reaktionäre Modernität“. Eine kritische Behandlung der Modernisierungsthese und die Thematisierung der ‚reaktionären Modernität‘ aus soziologischer Sicht vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Konzepts der ‚Volksgemeinschaft‘ nimmt Janka: Die braune Gesellschaft, S. 298–305 vor. Die Gleichzeitigkeit von vermeintlich gegensätzlichen modernen und antimodernen kulturellen Strömungen im Nationalsozialismus und deren je spezifische Funktionalität sowie deren Kontinuitäten nach 1945 thematisiert Hans Dieter Schäfer: Das gespaltene Bewusstsein. Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933–1945. München/Wien 1981. Einen hervorragenden Überblick über diese Thematik mit ausführlicher Bibliographie liefert: Riccardo Bavaj: Die Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus. München 2003. 102 Nassen: Jugend, Buch und Konjunktur 1933–1945, S. 9. 103 Vgl. Krah: Literatur und „Modernität“. Vgl. Lange: Literatur des technokratischen Bewusstseins. Vgl. Sebastian Graeb-Könneker: Autochthone Modernität. Eine Untersuchung der vom Nationalsozialismus geförderten Literatur. Opladen 1996. Graeb-Könneker definiert dabei den Begriff ‚autochthone Modernität‘ auf S. 30 folgendermaßen: „Gewählt wurde der Begriff ‚autochthone Modernität‘, weil erstens mit dem Hinweis auf ‚Modernität‘ ein grundsätzliches Bekenntnis zu Bereichen wie Technik und Wissenschaft und damit auch zu einer Form des Wandels ausgesprochen ist, und zweitens, weil in der Bedeutung von ‚autochthon‘ – im Sinne von bodenständig, mit Volk und Heimat verbunden, der heimischen Erde verwachsen – der Wunsch nach Retardierung, nach Rückbindung an alte Traditionen und beseelter Umwelt zum Ausdruck kommt. Autochthone Modernität könnte man so als eine Art ‚bodenständiges Vorwärts‘ umschreiben […]“.





4.1 Covergestaltung als Bestandteil des verlegerischen Peritextes 

 229

noch große Forschungsdefizite und Differenzierungsbedarf herrschen, verweist Ketelsen:104 Das Schema „hie Literatur des Dritten Reichs – dort Moderne“ muss insgesamt in seiner Geltung relativiert werden. Es müßten die Widersprüche und Gegenläufigkeiten in der Literatur des Dritten Reiches herausgearbeitet werden, Widersprüche übrigens, die nicht nur die Konstellation im Ganzen durchziehen, sondern gerade auch die einzelnen Autoren. [D]ie Politisierung, die der Literatur des Dritten Reichs als so charakteristisch zugeschrieben wird, findet […] in einem viel breiteren und differenzierteren Rahmen der Politisierung des „Geistes“ seit den Avantgardebewegungen der letzten Jahrhundertwende statt; das Charakteristische der NS-Literatur wäre erst innerhalb dieses Rahmens zu beschreiben.105

Es gilt also von Fall zu Fall zu differenzieren und die Funktionalität der einzelnen Formen aufzudecken, wobei insbesondere in der germanistischen Forschung die Paratexte ein erhöhtes Interesse verdienen, da sie nicht unwesentlich die Kommunikation der Texte und das Aufmerksamkeitspotenzial des Lesers steuern. Somit kommt den Paratexten, wie oben gezeigt wurde, auch in Hinsicht auf die intendierten Propagandakommunikate besondere Bedeutung zu. Darüber hinaus ist der Funktionswandel der linkspolitischen Rote Eine-Mark-Romane ebenfalls äußerlich an der paratextuellen Gestaltung nachzuvollziehen und die unterschiedlichen Cover zum Buch Gruppe Bosemüller lassen durchaus Rückschlüsse auf die jeweiligen Zielgruppen, für die sie angefertigt wurden, sowie auf die strategische Positionierung des Titels auf dem Buchmarkt zu. Somit kann die Analyse der Paratexte ein hilfreiches und lohnenswertes Verfahren sein, um Werke in ihrem jeweiligen zeitgeschichtlichen und soziokulturellen Kontext zu verorten. Für die hier behandelten Romane gilt, dass sich aus der Buchgestaltung und dem Inhalt insgesamt nicht immer ein stimmiges Verhältnis ergibt. Entsprechen auf der linkspolitischen Seite die reduktionistischen Gestaltungsweisen des Konstruktivismus ziemlich genau den sozialreformerischen Absichten, die sich auch im Inhalt der Roten Eine-Mark-Romane ausdrücken, so ist das Profil der nationalsozialistischen Buchgestaltung verschwommener. Moderne und vermeintlich ‚sozialreformerische‘ Gestaltungsweisen, die an die linke Buchgestaltung angelehnt sind, stehen teilweise im Widerspruch zu den reaktionären Inhalten der nationalsozialistischen Bücher, besitzen aber vor allem in der Selbstrepräsentation des Nationalsozialismus als ‚revolutionärer‘ und jugendlicher ‚Bewegung‘

104 Vgl. Uwe-Karsten Ketelsen: Literatur und Drittes Reich. Schernfeld 1992 [insbesondere Kapitel 9: „Literatur des Dritten Reichs und Modernität“, S. 241–257]. 105 Ketelsen: Literatur und Drittes Reich, S. 246–247.



230 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

und in der Rekrutierung junger Arbeiter aus dem linkspolitischen Milieu durchaus ihre spezifische Funktionalität. Insgesamt zeichnet sich keine allgemeingültige, charakteristische äußere Gestaltungsweise für politische Belletristik ab; insbesondere vor dem Hintergrund der Weimarer Republik repräsentieren die unterschiedlichen Cover die „eindrucksvollen Vielfalt ästhetischer und auch politischer Positionen, die so kennzeichnend für die Weimarer Republik ist“106. Auch und vor allem im nationalsozialistischen Umfeld ist die ästhetische Gestaltung der Bücher nicht so einheitlich, wie das Bild einer durchorganisierten Propagandamaschinerie glauben lassen mag. Dies verweist, wie der Vergleich zwischen den Viera-Büchern und den Covern zu Der Hitlerjunge Quex und Gruppe Bosemüller gezeigt hat, nicht nur auf parteiinterne Spaltungen und unterschiedliche ästhetische Vorstellungen der Propagandisten, sondern daneben auch auf eine vielschichtige und möglichst umfassende Ansprache der Zielgruppen. Die Unterschiede in der Aufmachung der kommunistischen und der nationalsozialistischen Werke zeigen sich am deutlichsten bei einem (optischen) Vergleich der Roten Eine-Mark-Romane mit den Viera-Büchern; nichtsdestotrotz gibt es eine Mannigfaltigkeit an Mischformen, die vermeintlich ‚moderne‘ und ‚reaktionäre‘ Gestaltungsweisen nebeneinander verwenden. Vor allem mit der allmählichen Historisierung der avantgardistischen Ausdrucksformen des Konstruktivismus und der Neuen Typographie werden diese von ihren ursprünglichen sozialreformerisch-linkspolitischen Absichten losgelöst und zu einem allseits anerkannten und erfolgreichen Mittel der Buchgestaltung, dessen sich durchaus, je nach taktischer Absicht der Zielgruppenansprache, auch das rechtspolitische Spektrum bediente.

4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext Nicht nur die im Rahmen dieser Arbeit behandelten nationalsozialistischen Romane, die auf dem regulären Buchmarkt Absatz fanden, sondern auch die Roten Eine-Mark-Romane wurden durch gezielte Werbemaßnahmen vermarktet. Konzentriert sich die Buchwerbung für den Roten Eine-Mark-Roman hauptsächlich auf die Parteipresse und parteiübergreifend auf einen Plakatentwurf, so finden sich im nationalsozialistischen Umfeld neben der äußerst vielfältigen und auf unterschiedliche Zielgruppen abgestimmten Anzeigengestaltung vor allem Werbebroschüren, die auf dem offiziellen Buchmarkt und im Buchhandel werbe-

106 von Lucius: Buchgestaltung und Buchkunst, S. 328.



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 231

wirksam eingesetzt wurden. Dabei gewähren diese verlegerischen Epitexte einen aufschlussreichen Einblick in die Vermarktung der Bücher und lassen Rückschlüsse auf die anvisierten Ziel- bzw. Lesergruppen zu. Zur Thematik der Buchwerbung in der Weimarer Republik, insbesondere der Anzeigengestaltung, gibt es bisher kaum wissenschaftliche Literatur. Als einzige Ausnahme ist die buchwissenschaftliche Magisterarbeit von Cornelia Schultze-Gisevius zu nennen, die sich systematisch mit der Buchwerbung in der Weimarer Republik107 auseinandersetzt. An zeitgeschichtlichen Quellen ist vor allem Horst Kliemanns Standardwerk Die Werbung fürs Buch108 erwähnenswert, welches bis in die 1950er Jahre aufgelegt wurde. Die Untersuchung von Epitexten für literaturwissenschaftliche Zusammenhänge ist bisher noch ein Forschungsdesiderat. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den je spezifischen Eigenschaften der Epitexte bietet sich jedoch vor allem in Bezug auf die populäre Literatur und die Vermarktungsstrategien einzelner Verlage an, da sie durchaus ergiebiges Zusatzmaterial zu liefern vermag, welches dazu beiträgt, die untersuchte Literatur in ihrem soziokulturellen Kontext zu verorten. Die Anzeigen zu den im Rahmen dieser Arbeit behandelten Romanen ließen sich mittels einer Durchsicht der relevanten Literaturzeitschriften bzw. der Zeitschriften für den Buchhandel sowie der jeweiligen Parteipresse  – wenn auch unter hohem Zeitaufwand  – relativ gut systematisch ermitteln, soweit die entsprechenden Zeitschriften lückenlos archiviert sind. Dokumente der Buchwerbung in Form von zeitgenössischen Werbeprospekten aus der Weimarer Republik sind hingegen nur in den seltensten Fällen systematisch archiviert,109 sodass die Forschung in diesem Fall überwiegend auf ‚Zufallstreffer‘ angewiesen ist. Neben der Frage, wie die jeweiligen Anzeigen, Broschüren sowie das Plakat zum Roten Eine-Mark-Roman optisch aufgemacht wurden, steht bei der Unter-

107 Cornelia Schultze-Gisevius: Buchwerbung in der Weimarer Republik. Bd. 1: Text. Bd. 2: Abbildungen. Magisterarbeit. Mainz 1995. 108 Horst Kliemann: Die Werbung fürs Buch. Leitfaden der buchhändlerischen Reklame. Stuttgart 1923 [2., vermehrte Auflage 1925; 3., vollständig neubearbeitete Auflage 1937; 4., neubearbeitete Auflage 1950]. Im Folgenden wird aus der 2. Ausgabe von 1925 zitiert. 109 Eine äußerst hilfreiche Anlaufstelle ist in diesem Fall das Historische Archiv des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., welches zwar keine lückenlose Archivierung alter Verlagsprogramme und -prospekte bietet, jedoch einen umfangreichen Bestand an historischen Prospekten vorzuweisen hat. Im Falle der hier behandelten Romane blieben Anfragen an die Verlagsnachfolger (soweit ermittelbar) leider ergebnislos, doch bieten sich solche Nachfragen zur Beschaffung bzw. Einsichtnahme in historisches Werbematerial generell an.



232 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

suchung der Epitexte vor allem im Vordergrund, welche Verkaufsargumente und -strategien bzw. welche rhetorischen Mittel angewandt wurden. Des Weiteren soll verfolgt werden, auf welche Weise die kommunistische wie die nationalsozialistische Belletristik mit Politikinhalten wirbt bzw. ob sich auch in der Buchwerbung das Konzept des Buches als ‚Waffe‘ im politischen Kampf der Ideologien abzeichnet. Die jeweiligen Anzeigen und Werbematerialien mussten aus Platzgründen teilweise verkleinert werden. Um einen authentischen Eindruck von der Größe der einzelnen Anzeigen(-seiten) zu bekommen, ist eventuell die Anzeige im Originalformat der jeweiligen Zeitschrift heranzuziehen.

4.2.1 Anzeigen- und Plakatgestaltung für die Roten Eine-Mark-Romane Der Internationale Arbeiter-Verlag (IAV) betrieb über die Covergestaltung hinaus nach außen hin wirksame Werbemaßnahmen, die den Roten Eine-Mark-Roman propagieren sollten. Im Parteiorgan der KPD Die Rote Fahne und im Organ des BPRS Die Linkskurve erschienen regelmäßig Anzeigen des IAV, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise und mit zunehmenden Verboten immer intensiver die Romanreihe bewarben. Die Art und Strategie der Anzeigenwerbung soll zunächst anhand einer Analyse der unterschiedlichen Anzeigenformen für den Roten Eine-Mark-Roman in der Linkskurve exemplarisch nachvollzogen werden, dann werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Werbemaßnahmen in ‚parteiübergreifenden‘ Literaturzeitschriften wie dem Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und Die literarische Welt herausgearbeitet. Mit zunehmenden Verboten wurden die Werbeanzeigen für den Roten EineMark-Roman in der Parteipresse immer zahlreicher und auffälliger gestaltet. Das Erscheinen des Roten Eine-Mark-Romans wurde erst in der September-Ausgabe 1930 der Linkskurve mittels einer einseitigen Anzeige unter Nennung der ersten vier Bände und deren Kurzbeschreibung angekündigt (vgl. Abb. 20), nachdem seit der Veröffentlichung der Linkskurve 1929 bereits mehrmals auf die Notwendigkeit der Schaffung von günstiger Massenliteratur für die Arbeiterschaft hingewiesen wurde.110

110 Unter dem vorläufigen Reihentitel Der proletarische 1 Mark Roman erscheinen jedoch bereits kurze Vorankündigungen von Hans Marchwitzas Roman Sturm auf Essen sowie von Klaus Neukrantz: Barrikaden am Wedding in der Mai-Ausgabe: Die Linkskurve 2 (1930), H. 5, S. 17 [Sturm auf Essen], S. 21 [Barrikaden am Wedding] sowie eine allgemeine „Voranzeige“ des IAV auf S. 19 derselben Ausgabe.



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 233

Abbildung 20: Ganzseitige Ankündigung der Roten Eine-Mark-Roman Reihe. In: Die Linkskurve 2 (1930), H. 9, [o.S.].

Diese erste Anzeige (Abb. 20) besteht primär aus Text, lediglich das Verlagssignet des IAV ist abgebildet. Reproduziert wird der Klappentext, der auf der Rückseite aller Roten Eine-Mark-Romane zu finden ist (vgl. Abb. 3): „Das bedeutet, jeden Monat ein Roman von der Masse für die Masse. Ein lebendiger Filmstreifen aus den Produktionszentren der ganzen Welt“. Wie bereits erwähnt, konnte die monatliche Veröffentlichung je eines Romans nicht eingehalten werden. „[V]on der Masse für die Masse“ verweist wiederum auf die Bedeutung der Arbeiterkorrespondenten, weshalb der Wortlaut so auch ‚von Arbeitern für Arbeiter‘ lauten könnte, wodurch die ‚Masse‘ wiederum auf die Arbeiterklasse reduziert wird. Friedrich sieht diesen Werbetext für den Roten Eine-Mark-Roman bereits als Aus-



234 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

druck eines „reduzierten Klassenstandpunktes“111 und er impliziert damit schon eine vorläufige Selbstbeschränkung des Konzepts auf die Arbeiterklasse. Bis Mitte 1931 werden in der Linkskurve in selbstvergewissernder Art und Weise zunächst die Erfolge der Romane hervorgehoben, indem Die Linkskurve stetig die Verkaufszahlen repetiert, wobei einige Angaben jedoch offensichtlich fehlerhaft sind (siehe Kapitel 3.1.4). Die zweite Auflage von Sturm auf Essen und Maria und der Paragraph werden in der sich vom Gesamtlayout der Linkskurve abhebenden Schreibschrift in der Juni-Ausgabe 1931 in Fettdruck angekündigt (vgl. Abb. 21).

Abbildung 21: Ankündigung der zweiten Auflage. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 6, [o.S.].

Das Werben mit hohen Absatzzahlen und Neuauflagen ist dabei typisch für die Buchwerbung in der Weimarer Republik112 und wurde ebenfalls von nationalistischen bzw. nationalsozialistischen Verlagen genutzt, wie das Anzeigenbeispiel zu Werner Beumelburgs Gruppe Bosemüller unter 4.2.2 verdeutlicht (vgl. Abb. 34). Nach der ersten Verbotswelle startet Die Linkskurve eine besondere Werbeoffensive, die sich mit den Verboten der Romane rühmt. So findet sich in der September-Ausgabe 1931 die Ankündigung des Romans Rosenhofstraße bei gleichzeitiger Bekanntgabe des Verbots von Sturm auf Essen und der Beschlagnahmung von Barrikaden am Wedding (vgl. Abb. 22).

111 Friedrich: Proletarische Literatur und politische Organisation, S. 170. 112 Vgl. Schultze-Gisevius: Buchwerbung in der Weimarer Republik. Bd. 1: Text, S. 80.



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 235

Abbildung 22: Ankündigung des Romans Rosenhof-Straße bei gleichzeitiger Bekanntgabe der Verbote von Romanen der Reihe. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 9, [o.S.].

Die Werbeanzeige suggeriert, dass die Reihe allen Verboten zum Trotz weitergeführt werde. Ähnliches findet sich im Kurznachrichtenteil derselben Ausgabe, der entgegen aller Verbote erneut selbstbewusst den Erfolg der Reihe hervorhebt: Herr Hugenberg lässt in seiner „Nachtausgabe“ vom 16. August neben einer widerlichen Hetze gegen Klaus Neukrantz („Barrikaden am Wedding“) die Verhaftung unseres Genossen Marchwitza, „des schlimmsten Mordhetzers gegen die Schutzpolizei“ bei gleichzeitigem Verbot seines Romans „Sturm auf Essen“ fordern. […] Aber 15 000 Exemplare sind bereits verkauft; das heißt: mindestens 50 000 Menschen haben es gelesen. Und Bücher, vor allem gute Bücher, wirft man ja nicht achtlos fort.113

Rohrwasser betont ebenfalls die strategische Inszenierung der Verbote als Werbemaßnahme für die Romanreihe: „Die Verbotswelle gegen die Romane wurde vom BPRS als Anerkennung ihrer Wirksamkeit gefeiert, als Reaktion auf eine eingestandene Schwäche des bürgerlichen Kulturbetriebs.“114 Auch Schultze-Gisevius verweist auf die Werbewirksamkeit politisch brisanter Inhalte im Umfeld der Weimarer Republik: „Besonders werbekräftig ist es, wenn ein Buch in der Öffentlichkeit heftig umstritten ist oder sogar einen gerichtlichen Prozeß nach sich zieht.“115

113 Vgl. Anonymus: Grosse Zensur-Koalition. In: Die Linkskurve 3 (1931a), H. 9, S. 28. 114 Rohrwasser: Saubere Mädel – Starke Genossen, S. 133. 115 Schultze-Gisevius: Buchwerbung in der Weimarer Republik. Bd. 1: Text, S. 80.



236 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

In der November-Ausgabe 1931 findet sich erstmals die Ankündigung eines Romans unter der Verwendung einer Graphik, die im Rahmen von Schlacht vor Kohle eine überdimensionierte (rote) Fahne, die auf einem Kohlewerk weht, zeigt (vgl. Abb. 23).

Abbildung 23: Ankündigung des Romans Schlacht vor Kohle unter Verweis auf die Aktualität des Titels. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 11, [o.S.].

Dies ist (neben der Anzeige, welche die Verbote thematisiert) die einzige Anzeige zu den Rote Eine-Mark-Romanen die sich konkret auf tagespolitische Ereignisse bezieht, indem die Aktualität des Inhalts betont wird: „Der Roman ist in Hinblick auf die augenblicklichen Streikbewegungen äußerst aktuell.“ Im Folgenden dominieren die Diskussionen um die Roten Eine-Mark-Romane, die Lukács in Gang gesetzt hatte und die Werbeanzeigen treten in den Hintergrund. Erst in der Februar-Ausgabe 1932 wirkt ein Schriftbanner mit der Parole „Propagiert die Roten 1 Mark-Romane!“116 wie ein unvermittelter Hilferuf. Eine intensive Propagierung erfährt die Reihe erst wieder in der letzten (H. 11/12) und vorletzten (H. 10) Ausgabe der Linkskurve, kurz vor der nationalsozialistischen Machtübernahme mit je einer ganzseitigen Anzeige, die graphisch illustriert ist: In der Linkskurve vom Oktober 1932 findet sich ein allgemeiner Aufruf des IAV, der gleichzeitig unter den Slogans „Jeder liest den Roten Eine Mark Roman“ und „Wissen ist Macht. Elementarbücher des Kommunismus“ auf zwei seiner Reihen aufmerksam macht (vgl. Abb. 24).

116 „Propagiert die Roten 1 Mark-Romane!“ Schriftbanner. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 2, S. 7.



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 237

Abbildung 24: Typisches Reihensignet zum Roten Eine-Mark-Roman, wie es ab 1932 in zahlreichen Anzeigen zu finden ist. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 10, [o.S.].

Die beiden Werbesprüche sind jeweils in einer Kreisform angeordnet. Im weißen Kreis, der für den Roten Eine-Mark-Roman wirbt, befindet sich zusätzlich noch die Zeichnung eines Arbeiters mit Schirmmütze, der in einem Buch liest. Der schwarze Kreis, der für die Elementarbücher des Kommunismus wirbt, wird lediglich von der weißen Aufschrift ausgefüllt. Der Slogan „Jeder liest den Roten Eine Mark Roman“ findet sich zusammen mit der kreisförmigen Graphik, die einen lesenden Arbeiter darstellt, in Form eines immer wiederkehrenden Reihensignets auch in den 1932 erschienenen Werbeanzeigen des Börsenblatts sowie in Die literarische Welt und teilweise sogar am Buchende der ab 1932 erschienen Romane, wie z. B. S.S. Utah, wieder. Das kreisförmige Bild mit dem integrierten



238 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Slogan wird somit zum leicht wiedererkennbaren ‚Markenzeichen‘ für die Reihe der Roten Eine-Mark-Romane. In der letzten Ausgabe der Linkskurve, die eine Doppelausgabe für Nov./Dez. 1932 darstellt, wirbt der IAV noch einmal mit einem ganzseitigen Werbeaufruf (vgl. Abb. 25) für den Roten Eine-Mark-Roman unter Nennung aller zehn Titel und dem Zusatz: „Die Bände sind bei jedem Litobmann und in jeder guten Buchhandlung zu kaufen.“

Abbildung 25: Ganzseitiger Werbeaufruf unter Nennung aller 10 Titel. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 11/12, [o.S.].

Der Rezipientenkreis ist gegenüber der Anzeige vom Oktober jedoch wieder auf die Arbeiterschaft eingeschränkt, denn es heißt: „Jeder Werktätige liest den ‚Roten Eine-Mark-Roman‘“. Über diesem Slogan und der Angabe der Bände befindet sich eine Illustration, die einen lesenden Arbeiter darstellt, der sich mit



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 239

Pfeife im Mund und überkreuzten Beinen an einen Laternenpfosten anlehnt. Die Abbildung spielt auf die populäre Figur des Berliner ‚Eckenstehers‘ an, die literarisch zuerst von Adolf Glaßbrenner in dessen Reihe von Groschenheften Berlin, wie es ist und – trinkt (1832–1849) in Gestalt des ‚Nante Eckenstehers‘ verarbeitet wurde.117 Tatsächlich lassen sich einige Parallelen ziehen zwischen Glaßbrenners Groschenheften, die die Lebensverhältnisse der unteren sozialen Schichten abbilden und mittels zahlreicher fiktionaler Dialoge diese Schicht selbst zu Wort kommen lassen, und den Roten Eine-Mark-Romanen.118 Zwar diskutieren die Berliner Eckensteher, wie Glaßbrenner sie portraitiert, in schnoddriger Berliner

117 Adolf Glaßbrenner: Berliner Eckensteher. In: Adolf Glaßbrenner: Berlin, wie es ist  – und trinkt, Heft 1. Berlin 1832, S. 5–10. Die Originalausgabe des Textes Berliner Eckensteher findet sich auch in folgenden Ausgaben der gesammelten Werke: Adolf Glaßbrenner: Unterrichtung der Nation. Ausgewählte Werke und Briefe in drei Bänden. Hg. v. Horst Denkler [u. a.]. Band 1. Köln 1981, S. 56–59. Sowie in folgender Ausgabe, aus der nachstehend zitiert wird: Adolf Glaßbrenner: Der politisierende Eckensteher. Auswahl und Nachwort von Jost Hermand. Stuttgart 1969, S. 55–59. 118 Als Parallele bleibt zunächst auf die Vermarktungsform von Glaßbrenners Broschüren zu verweisen. Diese lagen, wie die Roten Eine-Mark-Romane, unter dem Preisniveau der meisten Taschenbücher und wurden „vor allem auch von Straßenhändlern vertrieben“. Ingrid HeinrichJost: Literarische Publizistik Adolf Glaßbrenners (1810–1876). Die List beim Schreiben der Wahrheit. München [u. a.] 1980, S. 217. Des Weiteren können Glaßbrenners Broschüren durchaus als Verweise auf die Veränderbarkeit der sozialen Realität, auf proletarisches Selbstbewußtsein und Solidarität interpretiert werden. Vgl. dazu S. 224–225: „Glaßbrenner stellt die Lebensverhältnisse der Eckensteher, Hökerinnen […] in seinen Broschüren dar. Er zeigt ihre negativen Seiten, die er in den meisten Fällen als durch die Verhältnisse bedingt und damit als veränderbar erkennt. In den Genreszenen und Dialogen beweisen die einzelnen Charaktere Realitätssinn und Selbstbewußtsein. Sie, die zwar Namen haben, aber weniger als Individuen, denn als Vertreter ihrer Klasse gezeichnet werden, können damit als Vorbild für Bewußtsein und Verhalten der unteren Schichten dienen. […] In verschiedenen Szenen zeigt Glaßbrenner, daß Menschen aus den unteren Bevölkerungsschichten zwar teilweise recht derb miteinander umgehen, sich aber solidarisieren, sobald ein Armer oder Hilfloser bedroht ist.“ Auch die Verwendung des (Berliner) Dialekts, der ebenfalls in den Roten Eine-Mark-Romanen vorkommt und als Ausdruck von Authentizität und ‚unentfremdetem‘ Sprechen benutzt wird, spielt in Glaßbrenners Werken eine entscheidende Rolle. Vgl. dazu: Michael Schmitt: Der rauhe Ton der kleinen Leute. „Große Stadt“ und „Berliner Witz“ im Werk Adolf Glaßbrenners (zwischen 1832 und 1841). Frankfurt a. M. [u. a.] 1989. Doch trägt die Figur des Eckenstehers und das gesamte Werk Glaßbrenners durchaus ambivalente Züge, worauf Neumeyer verweist: „Möglich ist es, daß Glaßbrenner die […] Eckensteher bloßstellen möchte. Möglich ist es aber ebenso, daß er diese ihrer scheinbaren Einfältigkeit wegen als Sprachrohr für seine Kritik an dem wenig großstädtischen Charakter der Residenz Berlin einsetzt.“ Harald Neumeyer: Der Flaneur. Konzeptionen der Moderne. Würzburg 1999, S. 39. In der Fußnote 5 auf S. 39 ergänzt Neumeyer: „Und nicht nur dazu, sondern auch zur Kritik der sozialen wie politischen Verhältnisse im Berlin der Restaurationszeit.“



240 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Mundart über Politisches, die weiteren politischen Zusammenhänge scheinen ihnen aber nicht klar zu sein: „Die Eckensteher werfen in ihren Gesprächen politische Begriffe durcheinander und haben meist die Zusammenhänge nicht richtig verstanden. In ziemlich konfusen Diskussionen versuchen sie gesellschaftliche Sachverhalte klarzustellen.“119 Zu den Hauptbeschäftigungen der Eckensteher gehört es ursprünglich auch nicht unbedingt, sich durch die Lektüre politischer Romane wie dem Roten Eine-Mark-Roman weiterzubilden, sondern sie werden bei Glaßbrenner eher als trinkfreudige Charaktere beschrieben, die „an einer Straßenecke [sitzen], von der ein Branntweinladen nicht fern ist“120 und Gelegenheitsarbeiten annehmen: „Das Nebengeschäft dieser Leute ist Meubel karren und Wäsche rollen, zu ihren Hauptgeschäften gehört: Müßiggang, Schnapstrinken und – Prügeln.“121 Die Anzeigenwerbung mit dem ‚lesenden Eckensteher‘ hat also auch didaktischen Charakter und verweist darauf, dass das Lesen der Roten Eine-MarkRomane durch die populäre Aufmachung der Buchinhalte durchaus spannend ist und den Menschen ‚aus dem einfachen Volk‘ in verständlichen Worten komplizierte politische Sachverhalte näherbringt. Auf diese Weise soll eine fundierte politische Diskussion unter den Proletariern angeregt und (im Sinne der kommunistischen Partei) ‚richtiges‘ politisches Bewusstsein geschaffen werden. Darauf verweist auch die in der Anzeige anthropomorphisiert dargestellte Laterne mit dem lächelnden Gesicht, die sich leicht abgeknickt zum ‚lesenden Eckensteher‘ beugt und im metaphorischen Sinne Licht ins Dunkel der verworrenen ideologischen Ansichten bringen sowie erhellende politische Einsichten liefern soll. Über der Laterne ist in einem schwarzen Balken die Überschrift „Der Rote Eine-MarkRoman“ angeordnet, wobei jedoch der Bestandteil „Eine-Mark“ durch ein abgebildetes Einmarkstück ersetzt wurde – neben der Namensgebung der Buchreihe ein eindeutiger Verweis auf die Erschwinglichkeit der Romane. Die Hervorhebung günstiger Buchpreise stellt dabei eine ebenfalls übliche Werbestrategie der Weimarer Republik dar122 – vor allem im Rahmen der populären Literatur. Die Illustrationen der Anzeigen bauen durch die Fabrikkulisse oder die Abbildung eines lesenden Arbeiters bzw. eines Eckenstehers somit einen Bezug zum Inhalt bzw. zur beabsichtigten Wirkung der Romane auf. Insgesamt wirkt die Werbeanzeige mit dem Eckensteher, betrachtet man sie vor dem Kontext der unmittelbar anstehenden nationalsozialistischen ‚Machtergreifung‘, in ihrer Auf-

119 Heinrich-Jost: Literarische Publizistik Adolf Glaßbrenners (1810–1876), S. 224. 120 Glaßbrenner: Berliner Eckensteher, S. 56. 121 Glaßbrenner: Berliner Eckensteher, S. 56. 122 Vgl. Schultze-Gisevius: Buchwerbung in der Weimarer Republik. Bd. 1: Text, S. 82.



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 241

machung naiv und wenig aggressiv bzw. mobilisierend, was sich sicher dadurch begründet, dass der Fokus zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr auf der literarischen Agitation, sondern auf der unmittelbaren tagespolitischen Mobilmachung gegen den Nationalsozialismus lag. In der literarischen Welt wird der Rote Eine-Mark-Roman zunächst im Rahmen einer großen Sammelanzeige zum „Monat des proletarischen Buches“ (23.11–23.12.1930) beworben (vgl. Anhang III).123 Neben der in Schreibschrift gestalteten Überschrift „Der Monat des proletarischen Buches: 23 Nov. bis 23. Dez“ findet sich die skizzenhaft gezeichnete Abbildung mehrerer Buchcover, auf denen immer wieder die Namen Marx, Engels und Lenin sowie porträthafte Umrisse zu entziffern sind. Darunter ist ein kurzer fünfzeiliger Text angeordnet, der in selbstbewusster Weise über den steigenden Umfang der „proletarischen Bücherproduktion“, deren Vielfältigkeit und Entwicklung hin zu einem „selbstständigen proletarischen Buch- und Verlagswesen“ berichtet und auf das Ziel verweist, „breiteste Schichten für die Arbeiterliteratur interessier[en]“ zu wollen. Die eine ganze Seite umfassende Anzeige ist aus Anzeigenblöcken mehrerer kommunistischer Verlage zusammengesetzt, die jeweils wiederum für mehrere Werke aus ihrem Verlagsprogramm werben. Der Reihentitel „Der Rote 1-Mark-Roman“ und die ersten 1930 erschienenen vier Bände der Reihe werden lediglich neben anderen Reihen des IAV und deren jeweiligen Titel aufgezählt. Die einzelnen Werbeblöcke der jeweiligen Verlage sind durch horizontale und vertikale Linien voneinander abgegrenzt und unterscheiden sich durch ihre Größe sowie durch die Verwendung der je charakteristischen Verlagssignets. Die Anzeige versucht somit vor allem einen möglichst weiten Überblick über die Vielfalt des proletarischen Verlagsschaffens sowie über die unterschiedlichen Titel zu geben, um breite Käuferschichten anzusprechen. Vor allem lässt sich die Absicht erkennen, im Rahmen der überparteilichen Literaturzeitschrift Die literarische Welt124 eine Käuferschaft gewinnen zu wollen, die über das engere kommunistische Umfeld, wie es sich beispielweise im explizit kommunistischen Umkreis der Leserschaft der Linkskurve findet, hinausreicht. Eine weitere Anzeige, die im Rahmen einer Anzeigenspalte des IAV lediglich unter anderen Büchern die Neuerscheinung von Band sieben der Roten Eine-Mark-Romane, Hans Marchwitzas Schlacht vor Kohle, ankündigt, findet sich in Die literarische Welt von 1931.125

123 „Der Monat des proletarischen Buches: 23. Nov. bis 23. Dez.“. In: Die literarische Welt 6 (1930), H. 49, S. 22. 124 Nicht zuletzt lautet der vollständige Titel: Die literarische Welt. Unabhängiges Organ für das deutsche Schrifttum. 125 Vgl. Die literarische Welt 7 (1931), H. 44, S. 7.



242 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Eine großformatigere Anzeige, die in auffälliger Weise durch vierfache Verwendung des oben erwähnten Reihenemblems mit dem lesenden Arbeiter und dem auffordernden Werbeslogan „Jeder liest den Roten Eine Mark Roman“ wirbt, erscheint auch in der literarischen Welt erst Ende 1932, kurz vor der nationalsozialistischen Machtübernahme (vgl. Abb. 26).126

Abbildung 26: Ankündigung zweier neuer Romane unter Verwendung des charakteristischen Reihensignets. In: Die literarische Welt 8 (1932), H. 53, S. 6.

Am oberen und unteren Rand der Anzeige findet sich jeweils ein Schriftbanner mit der Reihen- und Verlagsangabe, das durch eine horizontale Linie hervorgehoben ist und die Anzeige rahmt. Die vier Reihensignets sind jeweils in den Ecken angeordnet. Primär verweist die Anzeige auf zwei neue Bände, die beiden letzten

126 Vgl. Die literarische Welt 8 (1932), H. 53, S. 6.



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 243

Bände der Reihe S.S. Utah und Märzstürme, die mit einer Kurzbeschreibung von jeweils vier Zeilen angekündigt werden. Zusätzlich finden sich Seiten- und Preisangaben – Informationen, die in den Anzeigen der Linkskurve nicht vorhanden sind, aber die der Verlagsleitung im Rahmen der Werbung innerhalb der ‚überparteilichen‘ Zeitschriften offensichtlich als angebracht erscheinen, denn auch die Werbeanzeige zum Roten Eine-Mark-Roman im Börsenblatt127 trägt diese Angaben (vgl. Anhang IV). Ohnehin weisen beide Anzeigen große Gemeinsamkeiten auf. Die Aufforderung „Verlangen Sie Sonderprospekte“ findet sich bei beiden Anzeigen am unteren Ende. Auch die auffällige Verwendung des kreisförmigen Reihensignets zum Roten Eine-Mark-Roman wird für die Gestaltung der ganzseitigen Werbeanzeige im Börsenblatt verwendet und am rechten Rand der Anzeige dreimal untereinander abgebildet. Zusätzlich findet sich das Verlagssignet des IAV links unten, über der Adressangabe des Verlags angeordnet. Die großformatige Anzeige wirbt in dicken Lettern mit „Der große Erfolg!“ und rühmt sich abermals mit den Verkaufszahlen: „Wir lieferten bis heute 300 000 Rote-Eine-Mark Romane aus“. Darunter befindet sich ein kurzer Verweis auf eine Rezension des Berliner Tageblatts: „Der Verlag hat Wort gehalten. Ein Band nach dem anderen ist veröffentlicht worden. Diese Romane sind wichtige Versuche.“ Der Bezug auf die Nennung der Reihe im Berliner Tageblatt, soll auch dem ‚überparteilichen‘ Buchhändlerpublikum des Börsenblatts verdeutlichen, dass die Roten Eine-Mark-Romane durchaus über parteiinterne Kreise hinaus in der Öffentlichkeit beachtet werden. Die Betonung darauf, dass der Verlag „Wort gehalten“ habe, hat zum Ziel, den IAV als seriöse und ernstzunehmende Verlagsanstalt darzustellen. Die Bezeichnung der Romane als „Versuche“ würde sicherlich in der Linkskurve nicht zu finden sein, klingt etwas vage und wenig kämpferisch, soll aber eventuell breitere Schichten auf das ‚Experiment‘ der Arbeiterliteratur neugierig machen. Der fett hervorgehobene Satz: „Wir halten weiter Wort!“ verweist unter Ankündigung und Kurzbeschreibung der beiden letzten Bände S.S. Utah und Märzstürme erneut auf das verlässliche und erfolgreiche Konzept der Roten Eine-Mark-Romanreihe. Darunter findet sich in fetter Schrift der Verweis: „In dieser Reihe sind bisher 8 Bände erschienen“. Die großformatige Werbung im Börsenblatt ist damit eine Anzeige, welche die vielfältigsten Werbestrategien kombiniert. Sie macht nicht nur auf die Neuerscheinungen aufmerksam, sondern auch auf den allgemeinen Erfolg der Reihe. So wird neben dem Hinweis auf die Verkaufserfolge, der Nennung konkreter

127 Vgl. „Der große Erfolg! Wir lieferten bis heute 300000 Rote-Eine-Mark Romane aus“. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 99 (12.12.1932), Nr. 289, Anzeigenseite 6027.



244 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Zahlen, dem Verweis auf eine Rezension, die nicht aus dem engeren Parteiumfeld stammt, der mehrfachen Verwendung des Reihensignets und der Neuankündigung zweier Bände, eindeutig auf den Reihencharakter verwiesen. Auch in der parteiübergreifenden Werbung zeigt sich jedoch, dass auffällige Anzeigen zum Roten Eine-Mark-Roman oder zu einzelnen Büchern bzw. Neuerscheinungen der Reihe erst Ende 1932 geschaltet wurden, einem Zeitpunkt, an dem der herannahende Nationalsozialismus bereits fast unaufhaltsam schien. Da Die Rote Fahne und Die Linkskurve ihre Wirkung am ehesten im KPD-nahen (Funktionärs-)Umfeld entfalteten, das Börsenblatt lediglich die Buchhändler und Die literarische Welt ohnehin nur bereits literaturaffine Leser erreichte, war die Gestaltung eines massenwirksamen Plakats, welches das Straßenbild prägte und für jedermann unabhängig von seiner Parteizugehörigkeit sichtbar war, wesentlich wirkungsvoller und breitenwirksamer als die geschalteten Anzeigen. Somit bestanden durch den Plakatentwurf größere Möglichkeiten Nicht-Mitglieder für die Romanreihe zu interessieren. Auch Kliemann verweist auf die Bedeutung von Plakaten zur Buchwerbung: Das Plakat ist das Werbemittel, dem nicht einmal der Analphabet entfliehen kann. Den Anzeigenteil einer Zeitung kann man ungelesen beiseite legen, den Werbebrief kann man ungelesen in den Papierkorb werfen, das Plakat dagegen springt einem auf Schritt und Tritt in fast wörtlich zu nehmendem Sinn ins Gesicht.128

Im Auftrag des IAV fertigte Sándor Ék129 unter dem Pseudonym Alex Keil 1930 ein Werbeplakat für den Roten Eine-Mark-Roman an, welches er mit „Alex“ signierte.130 Der aus Ungarn stammende Ék arbeitete nach der Niederschlagung der Ungarischen Räterepublik seit 1922 in Berlin und entwarf zahlreiche Zeichnungen für Die Rote Fahne.131

128 Kliemann: Die Werbung fürs Buch. 2., vermehrte Auflage, S. 97. 129 Auch der Name Sándor Ék gilt wiederum als Pseudonym für Sándor Leicht. Vgl. Ullrich Kuhirt: Sándor Ék (dt. Pseudonym: Alex Keil). In: Revolution und Realismus. Revolutionäre Kunst in Deutschland 1917 bis 1933. Ausstellung im Alten Museum vom 8. November 1978 bis 25. Februar 1979. Hg. v. Christine Hoffmeister. Berlin (Ost) 1978, S. 21 [Künstlerbiographien]. In fast allen Publikationen ist jedoch von Sándor Ék die Rede, weswegen auf diesen Künstler im weiteren Verlauf vorliegender Arbeit unter dem Namen Ék Bezug genommen wird. 130 Angaben zum Plakatentwurf und dessen Abbildung vgl. Holstein: Blickfang, S. 275. 131 Vgl. Holstein: Blickfang, S. 275.



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 245

Abbildung 27: Von Sándor Ék gestaltetes Plakat. Sándor Ék: Der Rote 1 Mark Roman. Plakat. Berlin, City Druckerei AG. Im Auftrag des Internationalen Arbeiter-Verlags, Berlin 1930. Originalgröße: 50 x 35 cm. Photolithographie. © VG Bild-Kunst, Bonn 2016. (Informationen zum Plakat aus: Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919–1933. 1000 Beispiele, illustriert und dokumentiert. Hg. v. Jürgen Holstein. Berlin 2005, S. 275.)

Die aufwändige Fotomontage zeigt im wortwörtlichen Sinne die monumentale Darstellung des ersten Bandes Sturm auf Essen, der wie ein mehrstöckiges Haus in ein Berliner Straßenbild einmontiert ist (vgl. Abb. 27). Der Titel mitsamt dem Coverfoto ist perspektivisch verzerrt, was dem ‚Romanmonument‘ unter all den umstehenden Häusern Plastizität verleiht. Außerdem bekommt das Buch durch die zentrale Anordnung, die Überdimensionierung und die Aufnahme aus der Vogelperspektive martialischen Charakter. Den Hintergrund bildet ein lebendiges Berliner Straßenbild mit einem U-Bahn-Eingang direkt vor dem ‚Romanmonument‘, einer Menschenansammlung, die sich dicht vor dem Cover des Romans zusammendrängt und dieses neugierig betrachtet sowie roten Fahnen, die aus den Fenstern der übrigen Häuser wehen. Farblich ist das Plakat ebenso wie die Cover der Buchreihe in schwarz, weiß und leuchtendrot gestaltet. Die Lithogra-



246 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

phie hat die Abmaße von 50 x 35 cm,132 ist also eher ein Kleinplakat, das sich schnell und gegebenenfalls in mehrfacher Ausführung nebeneinander und übereinander anordnen lässt. Diese kompakte Form ist deshalb besonders funktional, da davon auszugehen ist, dass mit dem Verbot zahlreicher Bände der Reihe auch die Plakatierung illegal wurde, sodass die Plakate, wenn überhaupt, möglichst unbemerkt und rasch angebracht werden mussten. Obenstehende Analyse zeigt, dass es von Verlagsseite durchaus Versuche gab, den Roten Eine-Mark-Roman werbewirksam zu inszenieren. Dabei versprach der Plakatentwurf die größte Breitenwirkung hinsichtlich potenzieller Käufer zu entfalten, durch die Verbote der Romane wurde jedoch sicherlich auch die Plakatwerbung zurückgedrängt. Die Anzeigen in der Linkskurve und in der Roten Fahne erreichten einmal mehr nur das parteinahe Umfeld. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass im parteinahen (intellektuellen) Umfeld die Bredel-LukácsDebatte und die teils polemischen Beiträge in der Linkskurve im Rahmen dieser Diskussion wahrscheinlich weit publikumswirksamer waren als die geschalteten Werbeanzeigen. Die Werbemaßnahmen in der Parteipresse erfolgten mit unterschiedlicher Intensität und traten in verstärkter Weise meist erst relativ spät in Zusammenhang mit den Verboten oder der unmittelbar nahenden nationalsozialistischen Bedrohung hervor. Auch in den parteiübergreifenden Zeitschriften wie Die literarische Welt und in der an die Sortimenter gerichteten Fachzeitschrift Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel finden sich größere Anzeigen, die explizit die Rote Eine-Mark-Romanreihe bewerben, erst Ende 1932. Dies wirkt wie ein letzter, zwar verstärkter, aber schließlich zu spät erfolgender Versuch, dem Nationalsozialismus proletarisches Bewusstsein entgegenzusetzen. Darüber hinaus kam es zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr primär auf die (theoretische) literarische Agitation, sondern auf die unmittelbare (physische) politische Mobilmachung gegen den Nationalsozialismus an.

4.2.2 Anzeigen- und Werbebroschürengestaltung im nationalsozialistischen Umfeld Sind die Anzeigen zu den Roten Eine-Mark-Romanen unabhängig von den Zeitschriften, in denen sie veröffentlich wurden, primär auf moderne Art und Weise in ungebrochener Schrift gestaltet, so variiert die Gestaltung der Epitexte im nationalsozialistischen Umfeld (je nach Buchtitel und Veröffentlichungszusammenhang der Anzeigen und Broschüren) sehr viel stärker.

132 Vgl. Holstein: Blickfang, S. 275.



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 247

Am kohärentesten wird die äußere Gestaltungsweise einer Reihe von nationalsozialistischen Buchcovern im Rahmen der von Engelhardt gezeichneten Reklamebroschüre zu den Viera-Büchern wieder aufgenommen. Engelhardt, der einige der Viera-Cover gestaltete (vgl. Abb. 10 und Abb. 11), war ebenfalls für das äußere Erscheinungsbild der Werbebroschüre zuständig und verlieh damit den zahlreichen im Franz Schneider Verlag erschienenen ‚Konjunkturschriften‘ ein recht einprägsames und einheitliches äußeres Image.

Abbildung 28: Von Willi Engelhardt gestaltetes Werbeprospekt für den Franz Schneider Verlag, Leipzig [ca. 1933/4]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Schneider, Franz, Verlag.

Auf dem Cover der Broschüre (vgl. Abb. 28) findet sich ein lächelnder Hitlerjunge mit ordentlich gescheiteltem Haar, dahinter ein etwas größeres blondgelocktes Hitlermädchen mit strahlendem Gesichtsausdruck, beide in Uniform. Sie halten Bücher in die Höhe, wobei nur das vordere Cover eindeutig als das des Buches Horst Wessel von Josef Viera zu identifizieren ist (vgl. Abb. 10). Indem Engelhardt das von ihm gestaltete Cover zu Horst Wessel zeichnerisch in das Cover der Werbebroschüre einbringt, zitiert er sich selbst. Der auf der Broschüre abgebildete Junge und das Mädchen ähneln in ihrer stereotypen Aufmachung den zahlreichen anderen Hitlerjungen und -mädel, welche die Covergestaltung der ‚Kon-



248 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

junkturliteratur‘ prägen.133 Neben den Köpfen der beiden Figuren ist rechts oben der Titel „für die ganze Hitlerjugend“ zu sehen, am unteren Rand findet sich über die gesamte Breite der Broschüre reichend das Schriftband „Schneider Bücher!“. Über dem Schriftband ist das ovalförmige Verlagssignet angeordnet, welches über der linken Hand des abgebildeten Hitlerjungen platziert ist. Der gesamte Titel der Broschüre lässt sich somit als auffordernder Werbeslogan lesen: „für die ganze Hitlerjugend – Schneider Bücher!“. Damit suggeriert die etwa um 1933 entstandene Broschüre, ausschließlich Systemkonformes zu liefern und verweist darauf, dass die Kinder- und Jugendbücher des Franz Schneider Verlages bedenkenlos von den Mitgliedern der Hitlerjugend konsumiert werden können bzw. eigens für sie geschrieben wurden. Die Zielgruppe der Bücher ist also deutlich benannt. Die Broschüre richtet sich an die jugendlichen bzw. kindlichen Mitglieder der Hitlerjugend, aber genauso an die erwachsenen Vermittler der Literatur, wie beispielweise an systemkonforme Eltern, die ein Buchgeschenk suchen, welches direkt nach der nationalsozialistischen ‚Machtergreifung‘ als ‚zeitgemäß‘ gilt und den eigenen ideologischen Anschauungen entsprechen soll. Am unteren Rand der Broschüre findet sich durch einen Doppelstrich abgetrennt Platz für einen Händlerstempel, der explizit durch die Inschrift: „Überreicht und empfohlen durch:“ ausgewiesen wird. Bereits auf der ersten Innenseite der Broschüre sind sogleich unter der Rubrik „Nationalsozialistische Jugendbücher“ alle vier in vorliegender Arbeit behandelten ‚Konjunkturtitel‘ Vieras mit kurzer Inhaltsbeschreibung und Coverabbildung aufgeführt. Dass die Verleger der ‚Konjunkturliteratur‘ insbesondere am marktwirtschaftlichen Absatz der Bücher interessiert waren, zeigt sich vor allem an der umfangreichen Buchwerbung innerhalb der Viera-Bände, die die Werbemaßnahmen zu den anderen hier untersuchten Büchern deutlich überschreiten und mit durchdachten Werbeaktionen versuchen, junge Kunden zu binden und durch diese wiederum Neukunden zu akquirieren. So findet sich am Ende der Viera-Bücher Horst Wessel und S.A.-Mann Schott eine Werbeseite, die wie ein Brief gestaltet ist (vgl. Anhang V), mit der persönlichen Ansprache „Lieber Junge, liebes Mädel!“ beginnt und vom Verleger eigenhändig ‚unterschrieben‘ worden zu sein scheint, da seine Unterschrift am Briefende in Schreibschrift reproduziert worden ist. Dieser ‚Brief‘ hebt sich schon rein

133 Als Beispiel seien hier nur die Cover zu Helga Knöpke-Joest: Ulla, ein Hitlermädel, ebenfalls von Engelhardt gestaltet, sowie Josef Viera: Utz kämpft für Hitler (vgl. Abb. 9), in ähnlicher Gestaltungsweise von Albert Reich angefertigt, genannt. Eine Abbildung des Buchcovers von Ulla, ein Hitlermädel findet sich u. a. in Schikorsky: Kinder- und Jugendliteratur, S. 129.



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 249

optisch durch die Verwendung einer ungebrochenen Schrift vom Buchinhalt und der äußeren Buchgestaltung ab. Die Nutzung von Briefen als fiktivem Element der Anzeigengestaltung ist innerhalb der Buchwerbung der Weimarer Republik ein durchaus gebräuchliches Mittel der Kundenansprache.134 Im Rahmen der Werbekampagne für die Schneider-Bücher erfüllen diese fiktiven Briefe vor allem den Zweck, durch die vermeintlich persönliche Ansprache des Lesers zur Mundzu-Mund Propaganda und zum Sammeln von Adressen potenzieller Neukunden aufzurufen. Zunächst berichtet der ‚Brief‘ über die Beliebtheit der Schneider-Bücher bei der Jugend, die sich in zahlreichen begeisterten Zuschriften an den Verlag äußere. Dann wird auf „Arbeitsgruppen“ begeisterter Schneider-Fans hingewiesen, die sich in zahlreichen Städten scheinbar selbstständig gebildet hätten, um für die Schneider-Bücher Werbung zu machen und Prospekte zu verteilen. Darauf folgt die persönliche Ansprache: „Darum kommen wir auch zu dir!“ mit der ausdrücklichen Bitte, dem Verlag die eigene Adresse sowie die der Freunde mitzuteilen. Danach wird dem Angesprochenen, der zum eifrigen Adressensammler werden soll, der Nutzen mitgeteilt, den er von seinem Einsatz für die Schneider-Bücher davonträgt. Dabei wird im Rahmen einer Klimax zunächst die Möglichkeit betont, durch Prospekte jederzeit über interessante Neuheiten informiert zu werden, dann wird die Vergütung der entstehenden Portokosten plus zusätzlich zwei Pfennige pro gesammelter Adresse als finanzieller Anreiz erwähnt und schließlich erfolgt der Verweis darauf, dass die fünf erfolgreichsten Adressensammler eines Monats mit einem Schneider-Buch nach eigener Wahl belohnt werden. Danach folgt ein Satz, der vordergründig ermutigenden Zuspruch ausdrückt, implizit jedoch als Aufforderung zu verstehen ist: „Hoffentlich bist du bald mit unter den 5 erfolgreichsten Adressensammlern!“ An dieser Stelle wird bereits stillschweigend davon ausgegangen, dass sich der Angesprochene widerstandslos für die Werbekampagne einspannen lässt. Auch die Seite für eine Rückantwort an den Verlag ist bereits vorgedruckt und beinhaltet neben einer Tabelle, die die benötigten Adressangaben abfragt, wiederum eine fiktive Briefform als Rückantwort, die mit der Ansprache „Lieber Verlag!“ beginnt (vgl. Anhang V). Hier werden die Kinder und Jugendlichen wieder implizit dazu aufgefordert, weitere Adressen zu sammeln, indem auf die materiellen Gratifikationen verwiesen wird. Rhetorisch äußert sich dies in einer relativ platten Selbstverpflichtung, die in der vorgegebenen fiktiven Rückantwort den Adressensammlern in den Mund gelegt wird: „Ich werde weiter eifrig Adressen sammeln, damit ich möglichst bald und oft unter den besten 5 Sammlern bin und Buchpreise bekomme.“ Diese psychologisch gut

134 Vgl. Schultze-Gisevius: Buchwerbung in der Weimarer Republik. Bd. 1: Text, S. 93.



250 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

durchdachte Werbekampagne, die insbesondere versucht, auf jüngere Kinder Einfluss zu nehmen und diese für die eigenen Werbefeldzüge zu instrumentalisieren, zeigt, dass das Geschäft mit den Adressen potenzieller Kunden bereits in der Weimarer Republik blühte.135 Gibt sich die Aufmachung der ‚Konjunkturtitel‘ und die anschließende Werbeaktion bewusst ‚naiv‘ und kindertümlich, so lassen sich die kommerziellen (Verlags-)Strategien dieser Literatur dadurch kaum verbergen. In der Gestaltung wie der Vermarktung der ‚Konjunkturliteratur‘ wird also eindeutig auf bewährte populäre bzw. gar populistische Mittel zurückgegriffen. Äußerlich nicht nur in der Covergestaltung sondern auch in der Buchwerbung teilweise auf Sachlichkeit bzw. auf die modernen Verfahren der Fotografie abhebend sind hingegen viele der Werbemaßnahmen zu Der Hitlerjunge Quex. Hier zeigen sich ambivalentere Werbestrategien und ein Verlagsprofil, das tagesaktuelle Themen und nationalsozialistische Ideologeme zu verbinden versucht und damit laut Programm des Zeitgeschichte-Verlags das Ziel hat, „das geistige Rüstzeug der Nation aufbauen zu helfen“136 (vgl. Abb. 29). Im Vordergrund stehen also nicht wie in der ‚Konjunkturliteratur‘ primär die ‚unterhaltsamen‘ Geschichten von Hitlerjungen und -mädchen, sondern der Fokus liegt eindeutig auf der ideologischen Schulung. Die Anzeigen innerhalb der Werbebroschüren werben für Der Hitlerjunge Quex entweder mit der fotografischen Abbildung des Buchcovers oder in einer später (ca. 1939) erschienenen Broschüre mit einem Porträtfoto Schenzingers, der insbesondere durch seinen Rohstoffroman Anilin innerhalb der 1930er Jahre zu einem durchaus renommierten Autor des Zeitgeschichte-Verlags avancierte, weshalb sein Name eine werbewirksame Funktion einnahm und er als Erfolgsautor des Verlags vermarktet werden konnte (vgl. Abb. 30).

135 Auch das zeitgenössische Handbuch zur Buchwerbung von Horst Kliemann widmet sich den „selbstgesammelte[n] Adressen“ und den Aufforderungen zu Empfehlungen von Büchern an Bekannte, denen dann eine zielgenaue Versendung von Verlagsprospekten an Privatpersonen folgen soll. Vgl. Kliemann: Die Werbung fürs Buch. 2. vermehrte Auflage, S. 70–72. 136 In einer zuvor erschienen Werbebroschüre zur 140.000 Auflage von Der Hitlerjunge Quex heißt es noch: „das geistige Rüstzeug der NSDAP aufbauen zu helfen“.



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 251

Abbildung 29: Prospekt des Zeitgeschichte-Verlags, das u. a. für Der Hitlerjunge Quex wirbt [ca. 1935/6]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Zeitgeschichte, Verlag.

Abbildung 30: Seite aus einem Prospekt des Zeitgeschichte-Verlags, das u. a. die Publikationen Schenzingers bewirbt [ca. 1939]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Zeitgeschichte, Verlag.



252 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Ein Zitat des Reichsjugendführers Baldur von Schirach aus dem Völkischen Beobachter soll in beiden Werbebroschüren als Werbetext die Ideologiekonformität des Inhalts bestätigen und die Wertschätzung, die das NS-Regime dem Buch zumisst, verdeutlichen. Die pathetischen Worte, die der Nazi-Größe von Schirach zugeschrieben werden, kulminieren in dem „Kennwort“: „das Buch der Front“, das in der um 1935 erschienenen Verlagsbroschüre (Abb. 29) sogar zusätzlich unterstrichen ist. Zwar vermitteln die abgebildeten Fotografien eine gewisse Authentizität und Sachlichkeit, insgesamt sind aber sowohl die Beschreibung des Verlagsprofils als auch der Anzeigentext, der jeweils lediglich aus Teilen der Beurteilung des Buches durch von Schirach besteht, pathetisch formuliert und ideologisch überfrachtet. Unter der Betonung „des Kampfes um die Seele Deutschlands“ wird von Verlagsseite die nationale und soziale ‚Einigung‘ Deutschlands durch den Nationalsozialismus nach Jahren der ‚Anfeindung‘ und ‚Bewährung‘ beschworen (Abb. 29). Der Verlag rühmt sich selbst mit den Tugenden des ideologischen „Verantwortungsgefühl[s]“ und der „Gewissenhaftigkeit“ und betont daneben eine vermeintlich soziale Komponente: die Romane seinen „so preiswert, daß sie für jeden Volksgenossen erschwinglich sind“ (Abb. 29). Daher ist in der Verlagsbroschüre von 1935 (vgl. Abb. 29) insbesondere der Buchpreis der unterschiedlichen Ausstattungen in einer eigenen Spalte am linken Buchrand hervorgehoben. Eindeutig zeigt sich hier, dass zur anvisierten Zielgruppe von Der Hitlerjunge Quex bzw. der Zeitgeschichte-Publikationen insbesondere die unteren sozialen Schichten gehören, die kurz nach der ‚Machtergreifung‘ durch ein vorgeblich ‚soziales Image‘ der NSDAP ideologisch in die ‚Volksgemeinschaft‘ integriert werden sollten. Innerhalb der nationalsozialistischen Tagespresse, wie beispielsweise dem Völkischen Beobachter, findet sich hingegen kaum Buchwerbung, die über die ‚Klassiker‘ des parteiinternen Eher-Verlags, wie Hitlers Mein Kampf und Rosenbergs Publikationen wie Das Wesensgefüge des Nationalsozialismus. Grundlagen der deutschen Wiedergeburt, hinausreicht. Als Werbeblock und ‚Leseproben‘ können jedoch die Zeitungsromane innerhalb des Völkischen Beobachters betrachtet werden. So ist der sich durch die ungebrochene Schrift vom Gesamtlayout des Völkischen Beobachters absetzende Einführungstext zum Zeitungsroman Der Hitlerjunge Quex ohne Weiteres als werbewirksame Anzeige für den Autor und dessen Roman zu lesen (vgl. Anhang VI).137 Verwiesen wird auf Schenzingers vorherigen Roman Man will uns kündigen. Angaben zu Verlag, Kosten oder sonstigen Beschaffungsmöglichkeiten der Bücher von Schenzinger unterbleiben jedoch.

137 Vgl. Ankündigungstext zum Zeitungsroman Der Hitlerjunge Quex. In: Völkischer Beobachter 46 (01./02.01.1933), Nr. 1, Zweites Beiblatt, S. 2 (Norddeutsche Ausgabe).



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 253

An die Sortimenter und Buchhändler wird Ende 1932 eine großflächige Werbeanzeige auf der Umschlagseite des Börsenblatts gerichtet, die lediglich in Frakturlettern mit „Vorzugs-Angebot[en]“ wirbt, jedoch keine Preise nennt, sondern auf individuell versandte Rundschreiben an die Buchhändler verweist und betont, dass die Auslieferung in Leipzig und Berlin „im Gange“ sei (vgl. Anhang VI).138 Intensiver wird der Roman Der Hitlerjunge Quex scheinbar erst nach seiner Verfilmung beworben. Die Anzeige aus dem Börsenblatt sowie die Ankündigung des Zeitungsromans im Völkischen Beobachter waren die einzigen Werbemaßnahmen vor der Verfilmung des Romans, die sich im Rahmen von intensiven Recherchen ermitteln ließen. Der 1930 erschienene Roman Gruppe Bosemüller von Werner Beumelburg wurde hingegen bereits in der Endphase der Weimarer Republik sowohl durch zahlreiche an die Sortimenter gerichtete Anzeigen im Börsenblatt als auch durch einige Broschüren des Verlags, Handzettel und Anzeigen in Literaturzeitschriften intensiv vermarktet. Beumelburg, der sich zuvor durch zahlreiche Romane zum Ersten Weltkrieg, darunter Sperrfeuer um Deutschland (1929), einen Namen gemacht hatte, wurde vom Stalling Verlag durchaus als prominenter ‚Hausautor‘ vermarktet. Kein Verlagsprogramm, das nicht unter „Das aktuelle Stallingbuch“ oder „Die Geschichte der Zeit“ mit ihm wirbt. Daneben finden sich thematische Broschüren wie Die Bücher vom Krieg. Aus dem Verlag Gerhard Stalling (vgl. Abb. 31) sowie Wehr und Waffe. Die militärischen Bücher des Verlags Gerhard Stalling in denen die Anzahl der Werke Beumelburgs klar dominiert.139

138 Vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 99 (17.12.1932), Nr. 294, Umschlagseite. 139 Alle Broschüren im Historischen Archiv des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M. gesichtet und ausgewertet.



254 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Abbildung 31: Prospekt, das im Innenteil u. a. für Gruppe Bosemüller wirbt [o.J.]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Stalling, Gerhard, Verlag.

Sind diese Broschüren in gebrochener Schrift und beispielsweise mit gezeichnetem Stahlhelm eindeutig konservativ-nationalistisch gestaltet (vgl. Abb. 31), so ist das Faltblatt, welches ausschließlich den Roman Gruppe Bosemüller. Der große Roman des Frontsoldaten (ab ca. 1933) bewirbt, durchaus von modernen Gestaltungskriterien inspiriert (vgl. Anhang VII). Die Außenseite des Faltblattes ist vollkommen in ungebrochener Schrift gehalten; der Titelname trägt sogar eine modern anmutende Schreibschrift. Zudem wird rote Farbe eingesetzt, um den Autornamen hervorzuheben und durch eine rot-schwarze Doppellinie am oberen und unteren Rand sparsame optische Akzente zu setzen. Der Bestellschein am Ende der Broschüre ist ebenfalls in ungebrochener Schrift gehalten, die Inhaltsangabe zum Buch ist hingegen in Fraktur gestaltet. Auch hier rühmt sich der Verlag erneut mit dem Bekanntheitsgrad von Beumelburg: „Werner Beumelburgs Schilderungen sind bekannt. Beginnend vor acht Jahren mit dem ‚Douaumont‘ ist er im letzten Jahre durch ‚Sperrfeuer um Deutschland‘ zur Spitze der Kriegsliteratur aufgerückt.“140

140 Vgl. das Faltblatt des Stalling Verlags zu: Gruppe Bosemüller. Der große Roman des Frontsoldaten von W. Beumelburg [o.J.]. Eine komplette Abbildung des Inhalts des Faltblattes findet sich unter Anhang VII.



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 255

Die kommerzielle Verwertung und Vermarktung der Popularität Beumelburgs zeigt sich auch in großformatigen Anzeigen zum Weihnachtsgeschäft, die mit seinen Werken werben.141

Abbildung 32: Handzettel, der Gruppe Bosemüller im Rahmen des Weihnachtsgeschäfts bewirbt [o.J.]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Stalling, Gerhard, Verlag.

Ein Handzettel (vgl. Abb. 32), der zwar ‚modern‘ gestaltet ist und mit Schreibschrift, graphischen Kontrasten von weißen und schwarzen Flächen sowie sehr reduziert gestalteten von links ins Bild ragenden Tannenzweigen mit abstrakten Kugelformen wirbt, lässt jedoch in seiner Überschrift keinen Zweifel am national(sozial)istischen Inhalt der beworbenen Bücher (darunter auch Gruppe Bosemüller): „Das Weihnachtsgeschenk jedes Deutschen an jeden Deutschen“. Eine solche Anzeige ist im Umfeld der Werbung zu den Roten Eine-Mark-Romanen bereits wegen des explizit nationalistischen Werbeslogans undenkbar, verweist darüber hinaus aber auch auf die Unterschiede der je spezifischen Vermarktungsformen auf dem ‚offiziellen‘ Buchmarkt und im heimlichen Straßenverkauf. Insbesondere die intensiven Werbekampagnen zur Weihnachtszeit verdeutlichen nämlich, dass die Romane Beumelburgs auf dem kommerziellen Buchmarkt und

141 Vgl. folgende ganzseitige Anzeige: „Neue Stalling-Bücher für den Weihnachtstisch“. In: Buch und Volk 11 (1934), H. 6, S. 13.



256 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

über die Buchhandlungen vertrieben wurden, für die das Weihnachtsgeschäft eine enorme Einnahmequelle barg. Dass sich die Buchwerbung dabei bereits in der Weimarer Republik betont national(sozial)istischer Slogans bediente, ist kein Einzelfall, wie auch Schultze-Gisevius betont.142 Die an die Sortimenter gerichtete Anzeigenwerbung des Stalling Verlags verwendet ebenfalls teilweise moderne Gestaltungsformen. Besonders auffällig inszeniert der Verlag sein Angebot im Rahmen einer zweiseitigen fotografischen Anzeige, die einen ‚Büchertisch‘ mit den Hauptwerken des Verlags in schwarzweiß abbildet (vgl. Abb. 33).

Abbildung 33: Doppelseitige Foto-Anzeige des Stalling Verlags mit zentraler Positionierung des Titels Gruppe Bosemüller. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 100 (02.01.1933), Nr. 1, Anzeigenseite 132–133.

142 Vgl. Schultze-Gisevius: Buchwerbung in der Weimarer Republik. Bd. 1: Text, S. 60. Auch im Falle der Viera-Bücher findet sich am Ende aller Bände der werbewirksame Verweis: „An betont nationalen und nationalsozialistischen Jugendbüchern erschienen bei uns u. a. ferner:“



 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 257

Im Zentrum steht das mittig angeordnete und aufgeklappte Buch Gruppe Bosemüller dessen gesamtes Cover somit erkennbar ist. Auch von der Größe überragt das Werk die anderen Bücher der Fotografie. Am rechten Seitenrand findet sich ein werbewirksam eingesetztes Zitat aus der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung zur Bedeutung des Stalling Verlags. Eine weitere Anzeige im Börsenblatt, die mit den Neuauflagen der Werke Beumelburgs wirbt, benutzt explizit moderne Gestaltungsformen und wirkt fast wie ein Kleinplakat (vgl. Abb. 34).

Abbildung 34: Werbung für drei Neuauflagen der Werke Beumelburgs im Stalling Verlag unter Nennung der Auflagenhöhe. Darunter: Gruppe Bosemüller (Aufl. 61.–65. Tsd.). In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 100 (24.01.1933), Nr. 20, Anzeigenseite 480.

Die gesamte Anzeige ist unter Verwendung von serifenlosen Versalien gestaltet, zwei überdimensional große Abbildungen der Zahl „3“ am linken oberen und unteren Rand der Anzeige verdeutlichen, dass es sich um drei Titel Werner Beumelburgs handelt, die neu aufgelegt werden. Auch hier sind wiederum die Auflagenzahlen genannt, um werbewirksam den Erfolg der Bücher zu inszenieren. Der äußerst reduzierte Text und dessen geometrische Anordnung sowie der 

258 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

Negativhintergrund, also die schwarze Fläche mit weißer Schrift, erzielen eine höchstmögliche Kontrastwirkung im Sinne der ‚modernen‘ Gestaltungsformen. Somit zeigt sich im Rahmen der Werbung zu Beumelburgs Roman Gruppe Bosemüller deutlich die höchste Variation der optischen Gestaltungsmittel. Verwendet beispielsweise die Broschüre Die Bücher vom Krieg (vgl. Abb. 31) mit Fraktur, der zentrierten Anordnung von Schrift, bräunlicher Farbgebung, der Zeichnung eines Stahlhelms explizit ‚reaktionär‘-traditionell wirkende Gestaltungsformen, die eher den Umkreis der ‚alten Frontkämpfer‘ anzusprechen vermögen, so hebt ein Großteil der Buchwerbung zu Gruppe Bosemüller auf moderne Gestaltungsweisen ab, verwendet Fotoanzeigen, schwarz-weiß Kontraste, plakative Flächigkeit und rote Farbakzente, um den Roman, insbesondere vor dem Hintergrund einer anzusprechenden jüngeren Leserschaft, positiv auf dem Buchmarkt zu positionieren. Zusammenfassend unterscheiden sich die Vermarktungsformen der nationalsozialistischen Bücher dadurch entscheidend von denen der Roten EineMark-Romane, dass sie insgesamt stärker auf die bewährten Absatzformen auf dem Buchmarkt bauen. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der stark kommerziell beeinflussten Werbung im Zuge des Weihnachtsgeschäfts und in stärker autorenzentrierten Werbekonzepten (insbesondere im Falle von Beumelburg und Schenzinger). Zur Strategie der Roten Eine-Mark-Romane (zumindest in der Weimarer Republik) gehört es jedoch nicht primär einzelne Autoren hervorzuheben, sondern vielmehr geht es um das neuartige Konzept der Arbeiterkorrespondenten, was sich auch im Werbeslogan „von der Masse für die Masse“ niederschlägt (vgl. Abb. 20). Dabei sind im Umfeld der Werbemaßnahmen zum Roten EineMark-Roman die explizit angesprochenen Leser- und Zielgruppen aber oftmals nicht die allgemeine ‚Masse‘, sondern im Rahmen der Vermarktung lässt sich deutlich eine Präferenz für ‚Arbeiter‘ bzw. ‚Werktätige‘ als primäre Zielgruppe ausmachen. Erweiterungen bzw. Öffnungen hin zu breiteren Leserschichten zeigen sich ansatzweise in der Anzeige zum Monat des proletarischen Buches in der literarischen Welt (vgl. Anhang III) sowie in der Anzeige von 1932 im Börsenblatt (vgl. Anhang IV). Im nationalsozialistischen Umfeld sind die Zielgruppen im Rahmen der Werbeanzeigen und Slogans deutlich mit „für die ganze Hitlerjugend“ (vgl. Abb. 28) oder „an jeden Deutschen“ (vgl. Abb. 32) definiert und werben oftmals mit national(sozial)istischen Inhalten. Zu den Verkaufsargumenten gehört, genau wie beim Roten Eine-Mark-Roman, jedoch ebenfalls der Buchpreis. Das Werben mit preisgünstigen Büchern im nationalsozialistischen Umfeld soll auch die weniger kaufkräftigen Arbeiterschichten ansprechen und im Rahmen des Konzepts der ‚Volksgemeinschaft‘ die Arbeiter ideologisch integrieren, indem für „jeden Volksgenossen erschwinglich[e]“ Bücher produziert werden (vgl. Abb. 29). 

 4.2 Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung als verlegerischer Epitext 

 259

Beide politischen Lager nutzen gleichermaßen die Werbung mit Absatzzahlen und Neuauflagen, wobei das Herausstellen des Verkaufserfolges sowie der Begriff des ‚Bestsellers‘ im Rahmen der Weimarer Republik als typisch für die Buchwerbung gelten können und nach Schultze-Gisevius die allgemeine, politische Lager übergreifende Tendenz einer allmählichen „Amerikanisierung in der Buchwerbung“143 ausdrücken. Auch eine möglichst positive Selbstpositionierung der jeweiligen Verlagshäuser ist als Werbestrategie auf beiden politischen Seiten anzutreffen: Während der IAV in einer Anzeige betont: „Wir halten weiter Wort!“144 (vgl. Anhang IV), verweist der nationalsozialistische Zeitgeschichte-Verlag in einer Broschüre auf die „Gewissenhaftigkeit“ und das „Verantwortungsgefühl“ in Zusammenhang mit den ideologischen Inhalten (vgl. Abb. 29). Die tagespolitische Aktualität der Inhalte (vgl. Abb. 23) sowie der kämpferische Verweis auf die Verbote der Romane (vgl. Abb. 22) sind zwei Werbestrategien, die speziell im Umkreis der Roten Eine-Mark-Romane anzutreffen sind. Aus der Tatsache der Verbote der Roten Eine-Mark-Romane ergibt sich auch optisch eine Werbestrategie, die noch sehr viel stärker als die nationalsozialistische Buchwerbung auf den Wiedererkennungswert im überwiegend geheim und illegal ablaufenden Straßenverkauf abhebt. Der Reihencharakter der Roten EineMark-Romane spiegelt sich so nicht nur in den Covern, sondern überwiegend in den Werbeanzeigen der Romane wider. Diese bewerben meist mehrere Bände, zählen teilweise alle bisher erschienenen Romane der Reihe auf und werben auch optisch durch ein speziell designtes Reihensignet mit dem Slogan „Jeder liest den Roten Eine Mark Roman“ für den Roten Eine-Mark-Roman. Dabei kommt das Reihensignet in unterschiedlichen Anzeigen und Veröffentlichungszusammenhängen zur Anwendung, womit ein starker Wiedererkennungswert beabsichtigt wird. Zur Wiedererkennung trägt ebenfalls in hohem Maße die starke ästhetische Korrespondenz zwischen Eggerts Covergestaltung der Romane und dem massenwirksamen Werbeplakat von Sandor Ék bei, die so eindeutig nur im Umfeld der Roten Eine-Mark-Romane zu finden ist. Eine dermaßen übereinstimmende Gestaltung von Werbematerial und Buchcover lässt sich, wenn auch vor inhaltlich und ästhetisch völlig konträrem Hintergrund, am ehesten noch im Umfeld der ‚Konjunkturliteratur‘ von Josef Viera feststellen, deren Cover und Werbebroschüre von Willi Engelhardt gestaltet wurden und somit zu einem einheitlichen optischen Image dieser Bücher führen. Zwar stellen die Broschüren und Werbeanzeigen der anderen nationalsozialistischen Bücher teilweise durch Fotografien die Cover der beworbenen Bücher dar, vari-

143 Schultze-Gisevius: Buchwerbung in der Weimarer Republik. Bd. 1: Text, S. 111. 144 Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 99 (12.12.1932), Nr. 289, Anzeigenseite 6027.



260 

 4 Signalbereiche der paratextuellen Kommunikation

ieren aber in der gesamten Gestaltung der Anzeigen deutlicher und heben sich teilweise von den ästhetischen Gestaltungskriterien der Bücher ab. Je nach Veröffentlichungszusammenhang lassen sich tendenziell Unterschiede feststellen zwischen den Anzeigen, die sich an die Buchhändlerschaft wenden und bei denen eher vermarktungstechnische bzw. absatzorientierte Aspekte hervortreten (z. B. das Werben mit Vorzugsangeboten, Neuauflagen, Verkaufszahlen) und den Anzeigen und Broschüren, die sich an das interessierte Lesepublikum wenden und eher auf inhaltliche Aspekte sowie auf werbewirksame Zitate und Rezensionen von bekannten Persönlichkeiten bzw. aus bekannten Zeitschriften setzen. Die Grenzen sind aber auch hier fließend und vor allem im Umfeld der Roten Eine-Mark-Romane gehört das Werben mit Neuauflagen und Verkaufszahlen durchaus zur direkten Publikumsansprache, da im geheimen Straßenverkauf die Instanz der vermittelnden Zwischenhändler, d. h. der Sortimenter und der Buchhändler wegfällt.



5 Analyse ausgewählter Romane 5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen – Ein spezifisches Mischverhältnis mit politischem Gebrauchswert Die gegenseitige Anreicherung der Ebenen von Realität und Fiktion, von Wirklichkeit und Literatur, ist (wie bereits unter 1.2 und 1.4.1 erläutert) eine Strategie, die insbesondere im Rahmen der politisch geprägten Romane der Weimarer Republik auf Gebrauchswert abhebt und die die Wirklichkeit dem ideologischen Standpunkt unterordnet. So wird Authentizität suggeriert und Wahrheitsansprüche der eigenen Ideologie werden legitimiert. Natürlich zeigt sich dieses Verfahren nicht nur auf der inhaltlichen, sondern auch auf der sprachlich-formalen Ebene der Romane, was die nachfolgenden Analysen der links- wie rechtspolitisch ausgerichteten Romane verdeutlichen. Das zentrale Charakteristikum ist dabei der Wechsel von einem betont sachlichen, auf Authentizität abhebenden Darstellungsmodus, wie er z. B. in der bruchlosen Montage von Textdokumenten, Flugblättern, Zeitungsmeldungen, Briefen, einer ungeschönten Darstellung von (Bürger-)Kriegshandlungen und in referierenden, didaktisch geprägten Funktionärsmonologen zum Tragen kommt, zu einer pathetisch-symbolgeladenen Sprache, die Ausdruck in zahlreichen Allegorien, Metaphern und Analogien findet. Die häufige Verwendung von Metaphern ist zudem Kennzeichen für eine hochgradig schematisierte Kommunikation: Metaphern sind alltägliche Formen der Konzeptualisierung, verankert in den grundlegenden (Körper- und Umwelt-)Erfahrungen der Menschen. Nicht die sprachlichen Manifestationen sind das Primäre, sondern die zugrundeliegenden konzeptuellen Schemata.1

Politische Metaphern schließen somit eine bewusste Perspektivierung bzw. Wertung ein und bieten dadurch auch die Möglichkeit zur persuasiven und manipulativen Verwendung: Sie [politische Metaphern] vereinfachen komplexe Sachverhalte, sie bewerten die Referenzobjekte positiv oder negativ, sie interpretieren politische Entwicklungen und Handlungen, insbesondere durch die Organmetaphorik, sie ermöglichen den Rückgriff auf Vertrautes und ermöglichen Assoziationen.2

1 Schwarz-Friesel: Sprache und Emotion, S. 201. 2 Heiko Girnth: Sprache und Sprachverwendung in der Politik. Eine Einführung in die linguistische Analyse öffentlich-politischer Kommunikation. Tübingen 2002, S. 58 [Ergänzungen durch Michaela Menger]. DOI 10.1515/9783110468434-006



262 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Funktional und tendenziell sind Metaphern sowohl persuasiv als auch manipulativ: persuasiv, da sie auf Überredung statt Überzeugung zielen und die affektive Verhaltenskomponente des Lesers bzw. Hörers ansprechen; manipulativ, weil sie eine rationale Argumentation lediglich vortäuschen, die wahren politischen Ansichten der Sprecher aber verschleiern.3

Im Rahmen der Textanalyse müssen also insbesondere die Konzeptmuster der jeweiligen Metaphern berücksichtigt und auf ihre jeweilige Funktion für die politische Kommunikation hinterfragt werden. 5.1.1 „Prawda heißt Wahrheit“4 – Authentizitätsansprüche und Intertextualität im Roten Eine-Mark-Roman Im Bereich der Roten Eine-Mark-Romane lässt sich in Sturm auf Essen die Strategie des Wechsels von einem vorgeblich sachlichen Modus zu stark emotionalisierenden Passagen u. a. im Rahmen eines repetitiven Erzählabschnitts ausmachen.5 Dieser schildert die von der Abteilung um Franz Kreusat an der Front individuell und nur diffus wahrgenommenen politischen Entscheidungen6 rund um das Bielefelder Abkommen in einem betont sachlichen politischen Bericht im Stil einer Zeitungsmeldung. Der Erzählabschnitt rafft die Geschehnisse vom 25. März bis etwa 29. März auf zwei Seiten zusammen und montiert Fragmente des Originaltextes des Ultimatums der Regierung an den revolutionären Zentralrat und des Watter-Ultimatums ein. Unmittelbar darauf folgt die Schilderung der emotionsgeladenen Reaktion von wütenden Proletariern und Rotarmisten, die Plakate und Zeitungen zerreißen oder bespucken, auf denen das Ultimatum abgedruckt ist.7 Diese Darstellungsweise thematisiert somit explizit den intertextuellen Bezug zum Ultimatum innerhalb des Romans und die Sprache wechselt vom sachlichen in einen sehr pathetischen Modus, der in einen emphatischen Monolog eines Arbeiters mündet.8 Auch in Kämpfende Jugend tritt an einigen Stellen ein betont sachlicher Stil im Kontrast zu sehr pathetischen Textstellen auf. Besonders der Selbstmord von Emil wird zunächst durch eine deutlich emotionalisierte und durch Personifikati-

3 Straßner: Ideologie – Sprache – Politik, S. 58. 4 Pell: S.S. Utah, S. 77 [Kapitelüberschrift]. 5 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 148–149. 6 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 137 („verworrene Meldungen“) –148. 7 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 149. 8 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 149.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 263

onen versinnlichte Beschreibung der feindseligen Atmosphäre bzw. Umwelt, die er wahrnimmt, geschildert.9 Der Akt des Selbstmordes hingegen wird sachlich unter Aufzählung der ausgeführten Handlungen in zwei Sätzen abgehandelt.10 Die einmontierten Zeitungsmeldungen vom nächsten Tag stellen die indifferente bürgerliche Presse der Hintergrundberichterstattung der Roten Fahne gegenüber.11 Ein ähnliches Verfahren findet sich bei der Beschreibung des Todes des kleinen Karl Danna. Sein Tod wird atmosphärisch durch Analogien und Synästhesien gestaltet.12 Davon hebt sich ein sehr sachlicher Erzählerkommentar kontrastiv ab, der vom Einzelschicksal auf die gesamtgesellschaftliche Realität verweist.13 Es folgt die emotionale Reaktion von Theos Mutter auf den Tod des kleinen Karl, an die wiederum Theos sachlich-analytische Antwort anschließt. Er betont in typisch kommunistischem Argumentationsstil den gesellschaftlichen Überbau, also die politischen Umstände und Ursachen sowie das Versagen der Wohlfahrt, zeigt sich aber von dem Einzelschicksal kaum berührt.14 In S.S. Utah soll die Schiffsmannschaft durch eine Exkursion auf ein SowjetSchiff, das den symbolischen Namen ‚Prawda‘ trägt, die idealen Arbeitsbedingungen in der Sowjetunion demonstriert bekommen. Eine russische Aktivistin, die die Exkursion leitet, übersetzt sogleich pathetisch: „Prawda heißt Wahrheit.“15 Nachdem sich die Mannschaft mit eigenen Augen von den Idealzuständen auf dem Schiff überzeugt hat und in kritischer Manier der russischen Mannschaft „immer neue Fragen vor[legt]“16, wird die Strategie der Augenzeugenhaftigkeit

9 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 28–29: „mit totem Blick“, „Und irgendetwas Schwarzes trieb ihn einem unbekannten Abgrund entgegen.“, „dunkel, fast feindselig“, „Die Nostizstraße [sic!] schlief und atmete schwer.“, „Kichernd prallten Regentropfen auf die Dächer und auf der Straße schlugen sie hell auf. An allen Wänden stand Entsetzen, und aus den dunklen Fenstern glomm die Müdigkeit…“. 10 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 29: „Er kletterte auf die Brücke, holte ein Rasiermesser aus der Tasche und drückte es gegen die Kehle. Blut spritzte, ein leiser Schrei  – niemand hörte ihn – der Körper klatschte ins Wasser wie ein voller Sack.“ 11 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 29. 12 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 70: „Die kamen ganz leise die vier Treppenstufen zur Kellerwohnung herab, brachten einen warmen Geruch mit, den der Moder auseinandertrieb, wie eine Seifenblase.“, „wie ein Engel“, „im schwermütigen Licht“. 13 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 70: „Karl Danna starb. – Aber es gab ja noch mehr kleine Kinder.“ 14 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 72: „Wenn einer so verreckt, wie der kleine Karl da unten, dann ist das keine Selbstverständlichkeit, sondern einfach die brutale Tatsache, daß die bürgerliche Gesellschaft nicht in der Lage ist, zu helfen.“ 15 Pell: S.S. Utah, S. 77. 16 Pell: S.S. Utah, S. 80.



264 

 5 Analyse ausgewählter Romane

sowie das suggeriert kritische Frage-Antwort-Spiel abschließend von einem auf Rationalität abhebenden Monolog eines Sowjet-Steuermanns ergänzt, der Zahlen und Prozentangaben zur allgemeinen Arbeitslage in der Sowjetunion wie dem Anwuchs der Arbeiterschaft, benötigter Arbeitskraft und freien Stellen, Siebenstundentag und Fünftagewoche sowie sozialen Leistungen macht und sie mit den schlechten Verhältnissen in Amerika („arbeiten heute 35 Prozent weniger“17) kontrastiert. Dass diese zusammenfassende Erkenntnis insbesondere aus dem Mund eines „einfachen Seemann[es]“ kommt, wertet die Aussagen implizit auf und wirkt vertrauensbildend, wie die anschließende Reaktion des Mannschaftsmitgliedes der S.S. Utah, Gunnar, verdeutlicht.18 Ebenso pathetisch wie das kurze Kapitel mit ‚Prawda‘ begonnen hat, endet es mit dem Wort ‚Prawda‘, indem Gunnar stellvertretend für die Mannschaft der S.S. Utah und nach eingehender Besichtigung des russischen Schiffs dem Wahrheitsanspruch der sowjetischen Seite Vorschub leistet und quasi verifizierend konstatiert: „Was dieser Towarisch uns erzählt hat, das war ‚Prawda‘, allright!“19 So rücken die Schilderungen des Aufbaus in der Sowjetunion und der Darstellung des Fortschritts in S.S. Utah durchaus in die Nähe eines utopischen Erzählkonzepts, das jedoch als real authentifiziert wird: Diese Akkumulation von Masse, Energie und menschlicher Arbeitskraft zur Durchsetzung einer zivilisatorischen Idee sind Kennzeichen des utopischen Erzählkonzepts  – surreale Quantitäten und überdimensionierte Pläne sind charakteristisch für solche Pläne im Umfeld von Modernisierung, Entwicklungsdrang und Technikinnovation […].20

Die Augenzeugenhaftigkeit überzeugt so nicht nur die Besatzung der S.S. Utah: „Die Bolschewiken haben die richtige Idee. Sie sind ehrlich, sie haben Ausdauer.“21; sie soll auch beim Leser dafür sorgen, unterstützt durch zahlreiche Zahlen und Daten,22 die dargestellten Verhältnisse als real aufzufassen. Zwar wird am Rande der Eindruck des zunächst facettenreichen und lebhaft geschilderten Fortschritts etwas relativiert: „Sie fingen an zu begreifen, die Sowjetunion

17 Pell: S.S. Utah, S. 81. 18 Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 81: „Der Klubdelegierte kam ihm vor wie ein wortfixer Handlungsreisender, aber zu diesem einfachen Seemann, dessen Gesicht die Spuren jahrelanger harter Arbeit trug, hatte er sofort Vertrauen.“ 19 Pell: S.S. Utah, S. 81. 20 Becker: Gattungskonstruktionen in der Geschichte der zirkulierenden Literatur, S. 236. 21 Pell: S.S. Utah, S. 105. 22 Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 64: „bereits fast 70 Prozent der Ländereien in der Sowjetunion kollektivisiert“, S. 79: „Jawohl. Ungefähr 25 Prozent unserer Seeleute sind verheiratet.“, S. 79: „Hundert Rubel im Monat plus 38 Rubel Verpflegungsgeld; […]“.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 265

ist kein Paradies, aber die russischen Arbeiter arbeiten für eine gute Sache und fahren gar nicht schlecht dabei.“23 Negative Aspekte, wie Hemmungen bei der Erfüllung des Plansolls oder (Zwangs-)Methoden, die mangelnde Motivation und Überzeugung der Arbeiter erst gar nicht aufkommen ließen bzw. unterdrückten, werden jedoch nicht thematisiert und wohlwollend zugunsten der Darstellungen eines humanistischen Idealstaates verschwiegen: „Aber hast du jemals gehört, daß die Sowjet-Regierung auch nur einen einzigen Arbeiter deportiert hätte? […] Zeig mir einen einzigen Fall in einem kapitalistischen Land, wo die Regierung die Rechte der unterdrückten Rassen so verteidigt wie in der Sowjetunion!“24 Auch Mallmann bezeichnet die Existenz des real existierenden Sowjetstaates als „kostbares Gut, sicherte es doch die eigene Identität durch den Wahrheitsbeweis der Revolution“25: Mit dieser Mischung aus Verharmlosung, Blindheit und Idealisierung, um der Utopie ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren, zeichnete man das Bild einer biederen, fürsorglichen Tugenddiktatur, in der sich die Geschichte vollende und das Proletariat seine Heimat gefunden habe. Die höchste Stufe ihrer Popularität erklomm die Sowjetunion zweifellos während der Weltwirtschaftskrise. Der Gegensatz zwischen der tiefen Rezession im Westen und dem industriellen Aufbruch im Zeichen des Fünfjahresplans verlieh dem Sowjetmythos neuen Glanz, demonstrierte die vermeintliche Überlegenheit des ‚russischen Weges‘. Daß die Sowjetunion nunmehr als überdimensionale Baustelle, als Einwanderungsland für Arbeitlose erschien, verstärkte aber auch die Ausblendung des Streikverbots, des außerökonomischen Zwangs, des Gulag, verhinderte eine Problematisierung der Industrialisierung mit bloßen Händen, der ehrgeizigen Aufbaupläne ohne zureichende maschinelle Hilfsmittel.26

In fast allen oben aufgezählten Textstellen geht es zunächst darum, den Leser für Einzelschicksale oder -fälle zu sensibilisieren, ihn emotional mitzureißen und zu bewegen, um dann im Nachhinein das Dargestellte mit (scheinbar) sachlichen Fakten vom Standpunkt marxistischer Analyse bzw. Ideologie aus zu ‚objektivieren‘ und damit auf den relevanten gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu verweisen. Besonders Sowjetrussland wird nicht nur, bereits durch die Handlung bedingt, in S.S. Utah immer wieder als reales Vorbild und Beweis der gelungenen Revolution angeführt, auch die anderen beiden untersuchten Roten Eine-MarkRomane widmen sich insbesondere der Entkräftung von Vorurteilen gegenüber

23 Pell: S.S. Utah, S. 81. 24 Pell: S.S. Utah, S. 18. 25 Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 234. 26 Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 233–234.



266 

 5 Analyse ausgewählter Romane

der Sowjetunion, vor allem bei der Landbevölkerung27 sowie bei Frauen28. Diese auf rationale Überzeugung angelegten Textpassagen werden jedoch zumeist flankiert von affektiv aufgeladenen prosowjetischen Slogans, die von tatbereiten Arbeitern skandiert werden29 (z. B. „Es lebe Sowjetrußland, denn wir marschieren schon. Wir stürmen in dem Zeichen der Völkerrevolution!“30), sowie von plastischen intertextuellen und intermedialen Verweisen auf die russische Lebenswelt. Sie treten auf in Gestalt von russischen Filmen,31 Liedern,32 der russischen Zeitung Prawda,33 der Montage von russischen Phrasen und Wortfetzen (in Klammern übersetzt)34 sowie nicht zuletzt in Form des Leninkults,35 dem einige Stellen in Kämpfende Jugend gewidmet sind. Durch den Verweis auf die rote Fahne, welche (in Sturm auf Essen sogar „blutfarbig“36) im Wind weht, und das Singen der Internationale, des Luxemburg-Liebknecht Lieds etc. sowie den Hinweis auf Lenin-Bilder, werden kommunistische Symbole zitiert und Bezüge eingebaut,37 die für die Arbeiter identitätsstiftend sind und alleine dadurch, dass sie erwähnt werden, innere Bilder und ein Gefühl der Zugehörigkeit sowie die Abgrenzung nach außen auslösen. Auf die gleiche Weise werden bekannte Kampfworte und Slogans der Kommunisten bewusst eingesetzt und reproduziert, indem sie teilweise sogar als beiläufig aufgeschnappte ‚Wortfetzen‘ integriert sind:

27 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 128–129. 28 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 48. 29 Vgl. u. a. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 68, 76, 112. 30 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 115. 31 Hier z. B. der intermediale Verweis auf Eisensteins Film Panzerkreuzer Potemkin in Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 61. Dieser sowjetische (Propaganda-)Film war, trotz starker Kürzungen im Rahmen der Zensur, auch in der Weimarer Republik ein großer Publikumserfolg. 32 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 43: „Kosmosolzenlied“, S. 53: Lied über Russland. 33 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 51. 34 Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 62: „‚Muy rabotschi brati!‘ (Wir Arbeiter sind Brüder).“ 35 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 31, 38, 50, 86. 36 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 15: „blutfarbig“ (rote Fahne), S. 149: „Vorne im Zug erhob sich die blutrote Fahne. ‚Es lebe die Diktatur des Proletariats!‘“. 37 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 16: „Vorne erhob sich die rote Fahne höher und bauschte sich.“, S. 16: Anstimmen der Internationale, S. 91: Textfragmente des Luxemburg-Liebknecht Liedes. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 68: Umdichtung von Roter Wedding von Erich Weinert auf „Roter Kreuzberg“, S. 68, 114: „Wir sind die erste Reihe“ (Lied), S. 57: „[…] rote Fahnen, sie blähten sich, wenn ein leichter Wind bließ [sic!].“, S. 68: „Eine riesige rote Fahne flatterte hoch über den Demonstranten, schloß sie zur Einheit zusammen.“, S. 115: „Eine rote Fahne schwang sich über den Zug […].“, S. 28, 31, 50, 86: Leninbild. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 24: Provokation: Slim pfeift die Internationale, S. 78: „Lenin-Ecke“.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 267

„Die Reaktion wird immer frecher… Der Faschismus tobt in Deutschland… Notverordnungen und nochmals Notverordnungen… Der Hooverplan, eine bessere Methode der Ausbeutung… Ihr Arbeiter, Jungproleten, Ihr Mittelständler, Ihr seid diejenigen… Ihr müsst kämpfen! Mit uns, mit dem Kommunistischen Jugendverband, mit der KPD!“38

Die Aposiopese trägt hier dazu bei, dass der Leser den angefangenen Satz mit eigenen Gedanken und Assoziationen selbst vervollständigt. Des Weiteren ist auffällig, dass die Klimax am Ende der einzig vollständige Satz ist, der als Kampf­ slogan die Integration von der personalen Ebene („uns“) aus, über die Verbandsebene („Kommunistische[r] Jugendverband“) bis hin zur Partei („KPD“) betont und eine ‚Einheitsfront‘ mit dem Mittelstand andeutet. In Sturm auf Essen ist dies noch fragmentarischer gestaltet und beschränkt sich überwiegend auf politische Schlagworte: „Wir haben uns entschlossen…“ „…Generalstreik…“ „Alle Macht den Werktätigen…“ „…Sozialismus…“ „Mit allen Mitteln verteidigen…“ „Diktatur des Proletariats…“39

Die ‚Wortfetzen‘ repetieren so die bekannten Slogans stichwortartig und zählen sie unverbunden auf, ohne dass ihr Gehalt definiert wird, um sie als beliebig einsetzbare Phrasen festzuklopfen, die nicht widerlegt werden können. Straßner verweist in diesem Zusammenhang auf die Funktion abstrakter politischer Begriffe, die sich mit unterschiedlichem inhaltlichen Gehalt aufladen lassen: Die gleiche Aufgabe [die Absicherung eigener oder fremder Ansichten] erfüllen abstrakte Werte, die als unumstößliche Wahrheiten, als Handlungsanweisungen ausgegeben werden. Abstrakte politische Begriffe haben eine allgemeingültige Bedeutung, sie stehen unterschiedlichen ideologischen Definitionen offen.40

In Verbindung mit den allgemeinen Überbegriffen „Sozialismus“, „Generalstreik“ und dem auf Bewusstseinszustände abhebenden Adjektiv „entschlossen“ sowie dem Agensverb „verteidigen“ wirken die fragmentarischen Elemente so als umfassender Kampfaufruf, der in Form der unterschiedlichen angesprochenen und dem Leser bekannten Konzepte sehr viel mehr impliziert als in zwei Zeilen wortwörtlich geschildert werden kann. In Zusammenhang mit Schilderungen von

38 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 75. 39 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 17. 40 Straßner: Ideologie – Sprache – Politik, S. 65 [sinngemäße Ergänzung durch Michaela Menger].



268 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Gewaltandrohungen, dem martialischen Äußeren der Arbeiter,41 lautem Gesang und der „helle[n], lebendige[n] Stimme“ des Spartakusredners, unter dem die Worte der anderen Redner „erstick[t]en“42, soll so zumindest in Sturm auf Essen gleich zu Anfang des Buches die Überlegenheit der eigenen Partei demonstriert werden. Zusätzlich ergänzt wird das Bild der Kommunisten natürlich durch den Verweis auf das Ethos der Eigengruppe, das in den unterschiedlichen Romanen zumeist, ganz in kommunistischer Tradition, in Form der positiv besetzten ‚Selbstkritik‘43 der Parteibasis zum Tragen kommt. Dass die hier erwähnte und gelobte ‚Selbstkritik‘ schließlich fast rituelle Formen der ‚Parteibeichte‘ annahm sowie de facto weit über ein System gegenseitiger Selbstkontrolle hinausreichte, d. h. Repressionen und Verleumdungen von höherer Stelle einschloss, die zur Einschüchterung von Abweichlern an der Parteibasis führen sollten und enormen Konformitätsdruck erzeugten, wird in der von Ethos geprägten idealisierten Selbstbeschreibung natürlich nicht erwähnt.

5.1.2 Beumelburgs ‚sachliches Pathos‘ – Grauen des Krieges und ‚gelebte Kameradschaft‘ Die im Rahmen vorliegender Arbeit untersuchten rechtspolitischen Romane bedienen sich ebenfalls des Anspruchs auf dokumentarisch-authentische Darstellung und binden diese an affektiv geprägte Textstellen an. Sehr viel stärker kontrastieren hier jedoch die akribisch genaue Schilderung von realen Schauplätzen, Zahlen- und Maßangaben sowie die zunächst scheinbar neutral-sachliche Schilderung mit der Anhäufung von Schreckensmomenten, dem Grauen des Krieges und sozialem Elend, der pathetischen Überhöhung von Opfertod, Kameradschaft sowie dem Ethos der Eigengruppe und irrational begründetem Zugehörigkeitsgefühl. Die betont sachlich wirkenden Textpassagen werden nicht, wie in den untersuchten Rote Eine-Mark-Romanen, in einen theoretisch-ideologisch geprägten Argumentationsgang eingebunden, der emotional verstärkt wird, sondern sie

41 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 11: „kräftig“, „breitschultiger Ostpreuße“, „starke[ ], gelbe[ ] Zähne“, S. 12: „Packt zu! In den Schacht mit dem Hund!“, S. 12: „Er blieb breitbeinig vor dem Anschlag stehen […].“, S. 24: „Der Stein war mit aller Kraft geschleudert worden.“, S. 49: „[…] stellte sich, die breite Klaue um den Hackenstiel, breitbeinig in das schmale Tor hin.“, S. 50: „klobige Faust“, S. 50: „[…] lauter kräftige, junge Kerle standen wie ein Prellbock vor dem Tor und gaben nicht locker.“. 42 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 17. 43 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 27, 37, 128. Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 61.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 269

stehen meist unvermittelt neben den irrational-pathetisch geprägten Textstellen und befinden sich überwiegend jenseits jeder (suggerierten) Argumentation und (ideologischen) Analyse konkreter politischer Zusammenhänge sowie Hintergründe; hier wird meist noch sehr viel stärker auf allgemeinmenschliche Dispositionen abgehoben als dies in den proletarisch-revolutionären Romanen der Fall ist. Konkrete politische Inhalte treten in den Hintergrund, ‚Erkenntnis‘ wird von den jeweiligen Protagonisten zumeist in Form von nicht hinterfragbaren irrationalen Kategorien des ‚Glaubens‘ und ‚Fühlens‘ formuliert. Identifizierte unlängst der Historiker Gerd Krumeich die „charakteristische[ ] Mischung von extremem Pathos und nüchterner Realistik“44 als „Beumelburgs literarische Technik“45, ohne detailliertere sprachliche Analysen vorzunehmen, so lässt sich insbesondere an Beumelburgs Gruppe Bosemüller nicht nur diese spezifische sprachliche Form, sondern auch ihre Funktion exemplarisch nachvollziehen. Authentizität wird in Gruppe Bosemüller zunächst hervorgerufen durch die Schilderung der realen Schauplätze um Verdun, Zeitpunkte und Etap-

44 Gerd Krumeich: Zwischen soldatischem Nationalismus und NS-Ideologie. Werner Beumelburg und die Erzählung des Ersten Weltkrieges. In: Burgfrieden und Union sacrée. Literarische Deutungen und politische Ordnungsvorstellungen in Deutschland und Frankreich 1914–1933. Hg. v. Wolfram Pyta. München 2011 (= Beiheft Historische Zeitschrift, N. F.; Bd. 54), S. 295–312 [hier: S. 301]. 45 Krumeich: Zwischen soldatischem Nationalismus und NS-Ideologie, S. 300. Dieses ‚sachliche Pathos‘ ist eine literarische Schreibweise, die formal der zeitgenössischen Ästhetik der Neuen Sachlichkeit ähnelt – wenngleich der explizite Ideologiegehalt sowie die politische Stoßrichtung der Neuen Sachlichkeit seit jeher umstritten sind bzw. ambivalent beurteilt werden. Einen guten Überblick über die Forschungsdiskussion bietet Walter Fähnders: ‚Linkskunst‘ oder ‚reaktionäre Angelegenheit‘? Zur Tatsachenpoetik der Neuen Sachlichkeit. In: Literatur und Kultur im Österreich der Zwanziger Jahre. Vorschläge zu einem transdisziplinären Epochenprofil. Hg. v. PrimusHeinz Kucher. Bielefeld 2007, S. 83–102. Fähnders Einschätzung lautet auf S. 88: „Auf eine politische Richtung ist die Neue Sachlichkeit […] nicht, jedenfalls nicht eindeutig, festgelegt.“ Vgl. auch Helmut Lethen: Unheimliche Nachbarschaften. Neues vom neusachlichen Jahrzehnt. In: Jahrbuch zur Literatur der Weimarer Republik 1 (1995), S. 76–92. Die Ambivalenz des Begriffs und das ‚sachliche Pathos‘ beschreibt Lethen recht plastisch auf S. 86–87: „Wenn Mitte der zwanziger Jahre in einer Kritik von einem ‚Helden der Sachlichkeit‘ die Rede ist, so kann damit sowohl ein ‚leninistischer Geduldspieler‘, der Leiter der Reichskreditanstalt, ein dem Funktionalismus ergebener Stadtbaurat in Magdeburg als auch ein Ingenieur im Konstruktionsbüro der AEG, ein Schachspieler oder Außenminister Stresemann gemeint sein. In diesem Fall handelt es sich um den Gouverneur Hastings, den Bühnenhelden des Stücks ‚Kalkutta, 4. Mai‘ von Feuchtwanger und Brecht […]. ‚Held der Sachlichkeit‘ ist, wer die Analyse des ‚gesellschaftlichen Kraftfeldes‘ vornimmt, ohne sich von moralischen Erwägungen irremachen zu lassen. […] ‚Wertfreiheit‘ ist in den zwanziger Jahren allerdings ein pathetischer Habitus. Er betont den Heroismus, der aufgebracht werden muß, um ohne religiöses Heil oder irdische Sinngebung den schieren Fakten die Stirn zu bieten.“



270 

 5 Analyse ausgewählter Romane

penabschnitte, die das äußere Gerüst für die fiktive bzw. als exemplarisch dargestellte Handlung bilden. Die Akribie, mit der Beumelburg genaue Maß- und Mengenangaben wie die einer „7,5 cm Granate“46 oder den Standpunkt „auf Höhe 378“47 beschreibt, mag nicht zuletzt bedingt sein durch seine zuvor veröffentlichten, mehr oder weniger chronistischen Anspruch erhebenden, populärwissenschaftlichen Bände in der Reihe Schlachten des Weltkrieges, die er im Auftrag des Reichsarchivs im Stalling Verlag von 1923–1928 verfasste.48 Bereits hier sollte zwar quellentreu berichtet werden, aber „[d]ie Buchreihe changierte zwischen historischer Dokumentation und ‚Schlachtengemälden‘“49, wobei Beumelburg bereits „deutlich zur Seite des ‚Literarischen‘“50 tendierte. Doch auch im Roten Eine-Mark-Roman Sturm auf Essen, der die bürgerkriegsartigen Arbeiterkämpfe im Zuge des Kapp-Putschs thematisiert, werden Stellungskämpfe, einzelne Positionen und Frontlinien, wie beispielsweise der Kampf um den Wasserturm oder die Villa Kondring,51 mit geographischer Genauigkeit geschildert. Bei beiden, politisch ganz unterschiedlich ausgerichteten Romanen unterstreichen aber von allem die Paratexte einiger Ausgaben (vor allem die Schulausgabe von Beumelburgs Gruppe Bosemüller und der westdeutsche Reprint der Originalfassung von Sturm auf Essen52) den vermeintlich dokumentarischen Charakter der Romane durch geographisches und historisches Zusatzmaterial wie Karten und Ausschnitte aus Überblickswerken mit dokumentarischem Anspruch, z. B. der Illustrierten Geschichte der deutschen Revolution, die im Anhang des Reprints von Sturm auf Essen zu finden ist53. Diese sind nicht

46 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 108. 47 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 109. 48 Von Werner Beumelburg entstanden in diesem Zeitraum die folgenden, allesamt im Stalling Verlag erschienenen Bände: Douaumont (1923), Ypern 1914 (1925), Loretto (1927), Flandern 1917 (1928). Für ausführlichere und über Beumelburg hinausgehende Informationen zur Reihe Schlachten des Weltkrieges vgl. Markus Pöhlmann: „Das große Erleben da draußen“. Die Reihe „Schlachten des Weltkrieges“ (1921–1930). In: Von Richthofen bis Remarque: Deutschsprachige Prosa zum I. Weltkrieg. Hg. v. Thomas F. Schneider und Hans Wagener. Amsterdam/New York 2003, S. 113–132. 49 Busch: „Und gestern, da hörte uns Deutschland“, S. 92. 50 Busch: „Und gestern, da hörte uns Deutschland“, S. 92. 51 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 68–72, 88–91. 52 Vgl. Werner Beumelburg: Soldaten-Kameraden in der Hölle von Verdun. Bielefeld/Leipzig 1941 (Deutsche Ausgaben; 507), S. III-VIII; Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Die Kämpfe der Ruhrarbeiter gegen Kapp, Watter und Severing. Reprint der Originalausgabe von 1930. Hg. v. der Produktion Ruhrkampf. Köln 1976. 53 Weiterführende Recherchen ergaben, dass es sich bei der abgedruckten Passage um den Auszug aus folgender zeitgenössischer, ebenfalls von der linkspolitischen Geschichtsschreibung





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 271

nur als hilfreiche didaktische Zusatzmaterialien aufzufassen, sondern dienen vor allem der Schaffung von Authentizität und verleihen auch dem Romantext das Gepräge von Realität, wodurch fiktionale Inhalte durchaus als real bzw. exemplarisch identifiziert oder gar verifiziert werden können bzw. sollen. Dass Paratexte im Rahmen der Verortung des Verhältnisses von Realität und Fiktion eine bedeutende Steuerungsfunktion einnehmen, lässt sich (über die in Kapitel 4 gemachten Aussagen hinaus) an einer weiteren Stelle beobachten: Insbesondere das peritextuelle Element der Widmung verwischt in Gruppe Bosemüller bereits deutlich die Ebenen von Realität und Fiktion, da das Buch dem fiktionalen Charakter Wammsch gewidmet ist, der im Laufe der Romanhandlung verstirbt und als vorbildliche Figur synonym für die ‚gelebte Kameradschaft‘ steht – das zentrale ideelle Leitbild des Romans. Den ausführlich und scheinbar emotionslos bis ins abscheulichste Detail geschilderten Grauen des Krieges, Bildern des Todes, der Verwesung und des Ekels, die zumeist die enorme Belastung, aber auch das Abgehärtetsein der Truppe und deren kampferprobte Aufwertung im Sinne des in völkisch-national(sozialis­ tisch)en Kreisen vielbeschworenen ‚heroischen Realismus‘ verdeutlichen sollen, steht der pathetisch überhöhte Totenkult gegenüber. Dieser äußert sich beispielsweise eindrücklich in der Beerdigung von Esser und Krakowka oder in der Bergung weiterer toter Soldatenkameraden von der Front.54 Doch auch die Bilder des Grauens changieren in der Ausprägung und je nach Erzählperspektive (vgl. 5.1.6) zwischen scheinbar emotionslos-distanzierten Beschreibungen und dem Evozieren einer gespenstischen Gruselatmosphäre, bei der die Grenzen zwischen Leben und Tod bewusst verwischt sind, wie beispielsweise bei der ‚Auferstehung‘

geprägten Quelle handelt: Anonymus: Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution. Reproduktion der Auflage Berlin 1929. Frankfurt a. M. 1968, S. 493–508. Auf S. 508 findet sich dort ganz im Sinne des klassenkämpferischen Endes des Romans folgende geschichtsoptimistische Einschätzung, die einem Aufruf zur Revolution gleich kommt: „Aber wenn in der Geschichte der deutschen Revolution auf einen Kampf der Arbeiter das Wort zutrifft, daß Niederlagen die Quellen künftiger Siege sein können, dann trifft das zu auf die Kämpfe des deutschen Proletariats während des Kapp-Putsches.“ 54 Exemplarisch für die zahlreichen Textstellen mit Bildern der Verwesung, des Todes und des Ekels vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 38: „Der Kleine klammert sich an den Infanteristen. Ein unterdrückter Schrei steckt ihm in der Kehle. Der Infanterist ist schon seit gestern tot.“, S. 163: „Mehr als dreißig Pferdekadaver liegen in der Finsternis. Das feuchte Sommerwetter beschleunigt die Verwesung.“ Zum Mitschleppen von Verletzen und Toten als Ausdruck von Kameradschaft vgl. u. a. S. 58, 296–297, 301.



272 

 5 Analyse ausgewählter Romane

von vermeintlich Gastoten in einem Stollen oder bei den letzten Lebensregungen tödlich Verwundeter.55 In Bezug auf das Verhalten gegenüber den Toten der Eigengruppe gibt es sehr unterschiedliche Verfahrensweisen und Verhaltensstandards, die ganz deutlich auch stilistisch markiert werden: In kurzen asyndetischen Sätzen wird die Leiche von Zwiebelmeier geschildert, dessen Gehirn Casdorp „im Gesicht trägt“56. Casdorp57 führt im Rahmen des Handlungsverlaufs, im Gegensatz zu Siewers, eine Negativentwicklung ganz im Sinne der von Suleiman angesprochenen nega-

55 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 42–43, Erzählerbericht: „Der Hauptmann befiehlt, daß eine Kerze angezündet wird. […] Jetzt kann man es sehen. Der ganze Gang vor ihnen ist mit Menschen angefüllt. […] Die Beine liegen kreuz und quer auf dem Boden. Manche lassen den Kopf tief auf die Brust durchhängen. Manche neigen sich gegeneinander. […] Die Schatten ihrer Köpfe bewegen sich an der Wand. […] Der Gang ist mit ihnen so vollgestopft, daß man sie erst beiseite räumen müßte, wenn man vorüber wollte. Keiner mag sie anfassen. Es liegt etwas Fremdes über ihnen. Rührt uns nicht an. Laßt uns in Frieden. Wir gehören nicht mehr zu euch. Was wollt ihr hier? Geht zurück. […] Es geschieht etwas Unheimliches. Der Offizier, der am Boden gelegen, richtet sich langsam zu sitzender Stellung auf […]. Jetzt bewegen sich mehrere.“ Vgl. das auf S. 291–292 als Erzählerkommentar im Stil einer Radioliveberichterstattung geschilderte Grauen, wobei Auslassungspunkte die Dynamik und die impulshafte, spontane Wahrnehmung unterstreichen: „[…] …ein Urschrei… ja, woher denn? Erregung zuckt von Mann zu Mann…die Verwundeten versuchen sich aufzurichten…wie getroffene Pferde, halb zerrissen, sich immer noch aufrichten wollen. Halbtote, die schon bewußtlos waren, wachen noch einmal auf und vernehmen den Schrei. Was ist das? Ist alles plötzlich doppelt so stark…der Lärm…das Feuer… der Qualm…hört doch, still, was schreien sie denn…“. Vgl. auf S. 97 die dokumentarische Aufzählung der ‚Todesschluchten‘, wobei in Klammern der jeweilige (harmlos klingende) Name durch den Erzähler unter Verweis auf die Schrecken des Krieges ad absurdum geführt wird, teilweise sogar unter Verwendung von Euphemismen: „[…] auf dem Gänserücken (wo keine Gänse weiden, dafür aber die weißen Lämmerherden der Schrapnellwölkchen).“ 56 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 37: „Hundert Meter weiter stoßen sie auf einen Toten. Er hat keinen Kopf. Beim genauen Zusehen erkennen sie Zwiebelmeier von der Waterkant. Das Gehirn, das Casdorp im Gesicht getragen, stammt von Zwiebelmeier. Von Bosemüller und den anderen keine Spur.“ 57 Alleine durch die Ähnlichkeit des Namens drängt sich der intertextuelle Bezug zu Thomas Manns Protagonisten Hans Castorp aus Der Zauberberg (1924) auf. Eine ausführlichere Ausdeutung dieses intertextuellen Verweises, der durchaus als pejorativ in Hinsicht auf den Protagonisten in Manns Roman aufzufassen ist, nimmt Geissler: Dekadenz und Herosismus, auf S. 104–105 vor. Wird in fast allen Abhandlungen zu Beumelburg der Roman Gruppe Bosemüller als Reaktion auf Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues aufgefasst, so konkretisiert bisher nur Astrid Erll intertextuelle Verweise auf Remarques Roman ausführlicher. Sie spricht sogar von „markierter Intertextualität“ als einer Strategie, die die von Remarque vermittelten Erinnerungsfiguren an den ersten Weltkrieg in Frage stelle und durch die Verfahren von „Auswahl, Wiederaufnahme und Aktualisierung“ die Intertextualität zum Austragen von Erinnerungskonkurrenzen nutze. Astrid Erll: Gedächtnisromane. Literatur über den Ersten Weltkrieg als Medium englischer und





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 273

tive exemplary apprenticeship58 vor. Ihn stärken die Grauen des Krieges nicht und tragen keinesfalls zu seiner heroischen ‚Mannwerdung‘ bei, sondern er geht am Krieg zugrunde und schießt sich schließlich in den Kopf, wobei bewusst ähnlich emotionslose Bilder wie beim Tod von Zwiebelmeier evoziert werden: „Der ganze Hinterkopf ist zerfetzt. Das Gehirn ist bis hinauf in die Zweige gespritzt.“59 Über den so als ‚Schwächling‘ und Außenseiter gebrandmarkten Casdorp, dessen Selbstmord ganz und gar unheroisch ist, wird im Weiteren kaum mehr ein Wort verloren, ihm wird keine Bestattung zuteil, wie Esser und Krakowka, die an der Front fallen und deren aufwändige Bestattungszeremonie auf mehreren Seiten ausführlich geschildert wird. Beider Leichen werden von Kameraden teilweise unter Einsatz des eigenen Lebens geborgen,60 ihr Grab ist von den Kameraden geschaufelt61 und sie erhalten auch im Kriegszustand ein Begräbnis mit nahezu allen konventionellen Attributen wie der Ansprache eines Pfarrers, Blumen auf einer ausgesuchten Grabstelle etc.;62 darüber hinaus werden sie von den Kameraden als unverzichtbare Mitglieder der Gruppe erinnert bzw. geehrt.63 Bereits hier zeigt sich exemplarisch die mythisch überhöhte Stilisierung der soldatischen Gemeinschaft bzw. der Kameradschaft, wie sie an zahlreichen anderen Stellen zum Tragen kommt. Erkenntnis über den Krieg scheint, wie der Krieg selbst, nicht durch intellektuelle Reflexion erschließbar zu sein, sondern als nahezu unvermittelte Natur-

deutscher Erinnerungskulturen in den 1920er Jahren. Trier 2003, S. 278–279 [für weitere Beispiele S. 289–297]. 58 Vgl. dazu Kapitel 1.4.3 und Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 86. 59 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 153. 60 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 188–190. 61 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 194: „Die Gruppe Bosemüller hat die ganze Nacht hindurch bei Kerzenlicht gearbeitet.“ 62 Zur Beerdigung vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 194–196: Der Geranienklau für das Grab wird vom Stab gebilligt und es findet eine radikale Verteidigung des Grabschmucks durch das Truppenmitglied Stracke statt. Vgl. dazu Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 203: „‚Die Geranien stehen auf Krakowkas und Essers Grab…‘ sagt Stracke ruhig, ‚und wer sie herunterholt, dem schlage ich die Knochen entzwei.‘“ Vgl. auch S. 205: „Wache bei den Geranien“. 63 Zunächst unter Bezugnahme auf die typischen Kennzeichen Krakowkas. Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 184–185: „‚Du…‘ sagt Bosemüller zu Lesch, ‚das mit dem Krakowka ist eine elende Sache. Ich meine, jetzt könnten wir überhaupt nicht mehr lachen in der Gruppe.‘ ‚Ja,‘ sagt Lesch, ‚und wer wird dem Schwartzkopf jetzt morgens das Wasser holen?‘ ‚Und wer wird an die Feldküche kapitulieren gehn?‘“ Vgl. auch S. 192 und S. 194–195, beides Textstellen, die verdeutlichen, dass Außenstehende wie der Hauptmann oder der Pfarrer, den ‚wahren‘ Charakter der beiden Soldaten, so wie ihn die Kameraden innerhalb der Gruppe erlebt haben, nicht erfassen können. Vgl. S. 195: „Von Essers Revolverschnauze kann man auch nicht gut bei einer Beerdigung sprechen. Was bleibt noch übrig? Daß es zwei ordentliche Jungens waren?“



274 

 5 Analyse ausgewählter Romane

gewalt über die (positiv gezeichneten) Protagonisten zu kommen. So vollzieht sich Siewers eigentliche ‚Erkenntnis‘ auch als irrationale Wende, die ihn im heroischen Akt der Rettung eines Infanteristen überkommt, bei der er selbst verletzt wird: Da reißt etwas in des Kleinen Brust. Da überfällt ihn etwas, das zehnmal stärker ist als er selbst. […] Da wird es auf einmal ganz hell, ganz klar, ganz einfach. Da ist auf einmal eine wilde, berauschende Feierlichkeit. […] Er hört nichts, er sieht nichts, er denkt nichts, er ist nicht lebendig und er ist nicht tot.64

Doch bereits vorher wird immer wieder Tatrhetorik mit mythischer Feierlichkeit verbrämt, wenn Siewers beispielsweise konstatiert: „Hätte ich denn das aus Büchern lernen können?“65 oder wenn er ganz pathetisch und voller Schicksalsergebenheit in freier Interpretation Matthäus 18,3 („Wenn ihr nicht werdet wie die Kindlein.“66) zitiert und sich somit letztendlich zu Irrationalismus und Dezisionismus bekennt. Die irrationale Komponente des Romans wird außerdem verstärkt durch die mythische Verklärung der „Mondlandschaft“ mittels Anthropomorphisierung sowie den Bezug auf die düstere Sphäre des Teufels67, beides ruft teilweise sogar surreal-bizarre Eindrücke von der Front hervor: Diese Mondlandschaft hatte eine zärtliche Vorliebe für den Berg, dessen Rücken das Fort trägt, wer hätte von ihr soviel Gemüt erwartet! […] Sie vollführte die tollsten Tänze, sie schrie, kreischte, heulte und sprang, daß der Berg in ein donnerndes Gelächter ausbrach, daß seine Flanken dröhnten und seine Feuerkrone ganz schief verrutschte. Sie trieben es toll mit der Zeit die beiden. So etwas hatte es noch nicht gegeben. Sie wurden immer schamloser und ihr Verbrauch kannte schon keine Grenzen mehr. […] Die Speisekarte bestand aus Tausenden von Menschen. Mit einem einzigen Happen verschlang der Berg ihrer mehr als sechshundert.68

Die „Mondlandschaft“ und der Berg, die den immensen Menschen- und Materialverschleiß an der Front symbolisieren, sind hier verklärt zu übermächtigen, schicksalhaften Naturgewalten; der Krieg, dessen Ursachen vom Menschen aus-

64 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 228. 65 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 208. 66 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 207. 67 Vgl. u. a. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 105: „Dort tanzt der Teufel allnächtlich mit seiner Großmutter und seinen übrigen Anverwandten. Es geht dabei wahrhaft infernalistisch zu.“, S. 276: „Wer dort hinein will, der muß, bitte schön, eine vom Teufel gestempelte und unterschriebene Fahrkarte besitzen. Rückfahrkarten werden nicht ausgegeben […].“. 68 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 212–214.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 275

gehen und der durch politische Entscheidungen zustande gekommen ist, wird nicht hinterfragt, sondern auf eine prädeterminierte Größe reduziert, der die Soldaten ausgeliefert sind, die im Sinne ihres Mikrokosmos der Kameradschaft handeln bzw. funktionieren. Ehrke-Rotermund bezeichnet diese Art der Darstellung sogar als eines der zentralen literarischen Verfahren Beumelburgs: Beumelburgs Verfahren erlaubt es, die grausige Kriegsrealität zuerst zu beschwören und sie dann durch eine grotesk-sarkastische Allegorisierung zu neutralisieren. Sein gesamter Text ist von der Methode eines solchen Umbiegens geprägt, die der inhaltlichen Absicht, die Schrecken des Krieges zu bannen, adäquat ist. […] Der Devise von der Überwindung des Schrecklichen getreu, bedient sich Beumelburg einer Darstellungsstrategie, die die furchtbare Realität der Zerstörungen immer wieder in eine überhöhte Welt des Heroismus, des Mythos und der Pseudoreligion überführt.69

Der bereits genannte, vor allem den Kriegsroman überwölbende Anspruch auf dokumentarisch-authentische Darstellung wird also konterkariert von stark affekt- wie effekthaltigen Passagen und bleibt letztendlich nicht viel mehr als bloße Fassade, wie u. a. von Bormann betont: „Doch ist diese Sachlichkeit scheinhaft; es ist impressionistische Oberflächengestaltung, wie gekonnt auch immer, die nicht als Realismus durchgehen kann, nur weil sie ‚echtes‘ Erleben deckt.“70 Karl Prümm verweist darüber hinaus auf die Funktionalisierbarkeit dieser Darstellungsweise: Die bewußte Häufung grauenhafter Details kann sich oft mit pazifistischen Texten messen, mit Realismus ist sie nicht zu verwechseln. Der aufgetürmte Schrecken gibt nur den düsteren Hintergrund ab, vor dem die Therapie der Bewältigung eine dramatische Aufwertung erhält. Gruppensolidarität, nationale Geschlossenheit, rauschhaftes Eintauchen ins Kollektiv, so lauten die angeblich rettenden Rezepte. Sie sind identisch mit der politischen Strategie des Nationalsozialismus.71

Letztendlich ist es also der mythisch verklärte Begriff der Kameradschaft, dem eine Brückenfunktion bei der Vermittlung zwischen Kriegswirklichkeit und Utopie der Frontgemeinschaft sowie bei der Übertragung dieses Konzepts auf die Vorstellung von der nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘ zukommt. Diesen Aspekt betont auch Busch: „Die Vermittlung zwischen Kriegswirklich-

69 Ehrke-Rotermund: „Durch die Erkenntnis des Schrecklichen zu seiner Überwindung“?, S. 316, 314. 70 von Bormann: Vom Traum zur Tat, S. 321. 71 Prümm: Das Erbe der Front, S. 156.



276 

 5 Analyse ausgewählter Romane

keit und Utopie geschieht allein durch die mystifizierte ‚Kameradschaft‘.“72 Da das Konzept der Kameradschaft (vor allem in den rechtspolitisch geprägten Romanen) zentral für das präsentierte Gruppenbewusstsein und die suggerierte Gruppenkohäsion ist, wird es separat und ausführlicher unter 5.3.1 behandelt.

5.1.3 Berlin als exemplarisch verdichteter Austragungsort ideologischer Kämpfe am Beispiel von Der Hitlerjunge Quex In Der Hitlerjunge Quex stehen ebenfalls auf Authentizität abhebende Darstellungsformen des zeitgenössischen Berlins,73 Technikfaszination74 und die Beschreibung eines modernen Kaufhauses,75 unvermittelt neben den irrationa-

72 Busch: „Und gestern, da hörte uns Deutschland“, S. 110. 73 Dabei vor allem die Nennung und Schilderung von Straßen und Plätzen der Stadt sowie einzelner Bezirke und deren unterschiedliche Atmosphäre. Vgl. u. a. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 60: „Und die Altonaer Straße? Da wohnten doch nur reiche Leute.“, Aussage Stoppels auf S. 66: „Andere ‚Bullen‘ suchen Anschluß in der Gormannstraße und in der Mulak [sic!]. Ist mir zu heiß, wie gesagt.“, S. 198–199: Lokalkolorit „Siemensstadt“. 74 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 6: Heinis Eindrücke einer Straßenbahnfahrt („Er wusste nur, daß es herrlich war, mit der Elektrischen so durch die große Stadt zu fahren, […].“) und die Faszination für das Kino („Wenn man so etwas mal zu sehen bekäme!“) werden bereits am Anfang des Romans geschildert. Heinis Tagträume beziehen sich auf moderne Verkehrsmittel wie eine D-Zug-Maschine, ein Flugzeug, U-Boot und sogar einen Reisenden im Weltall (S. 214). Selbst im Krankenhaus zeigt er sich von den medizinischen Gerätschaften beeindruckt (S. 133): „Heinis Blick hängt immer noch an dem großen, eisernen Zylinder, der an dem Apparat festgeschraubt ist. Manometer mit schwarzen und roten Ziffern, blitzende Hähne und Rädchen, ein langer Schlauch aus funkelndem Nickel. Er hört lateinische Namen, hört Zahlen, sieht stille, ernste Augen auf sich gerichtet.“ Allgemein suggeriert Technik so auch Macht über bisher Unverfügbares. Die hier geschilderte Technikfaszination und die ambivalente Haltung gegenüber moderner Urbanität, die im Roman zum Tragen kommt, kann durchaus in Verbindung gebracht werden mit den Prädispositionen des Autors Schenzinger, der nicht nur als Berliner Kassenarzt (vgl. Kapitel 3), sondern auch als Verfasser von Technikromanen durchaus eine Position vertrat, die dem in Kapitel 4 beschriebenen Konzept der „[a]utochthone[n] Modernität“ (Graeb-Könneker) nahe kommt. 75 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 108–111. Krah identifiziert das geschilderte Kaufhaus als den Karstadt am Hermannplatz, eines der modernsten Kaufhäuser Europas zu Zeiten der Weimarer Republik. Vgl. Krah: Der Hitlerjunge Quex – Erzählstrategien 1932/1933, S. 17.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 277

len Bekehrungserlebnissen76 und Bekenntnissen77 Heinis, seiner emotionalen Faszination vom Nationalsozialismus und dessen symbolischen Ausdrucksformen, wie Fahnen, Formationen, Uniformen und Lieder,78 die Rentschler treffend als „sights and sounds“79 bezeichnet. So wird Heinis generelle Begeisterung für die Uniformen der Schupo und Reichswehr bereits in der Exposition im Rahmen eines Gedankenberichts mit starker Tendenz zur erlebten Rede dargestellt und auf diese Weise assoziativ aus der Wahrnehmung Heinis heraus amalgamiert mit den Uniformen der Nationalsozialisten, die aufgrund seiner Prädispositionen bei ihm ein starkes Zugehörigkeitsgefühl und Identifikationsbedürfnis auslösen. Also auf der Basis bereits bekannter, für Heini als zentral erachteter Werte und preußisch anmutender Tugenden80 („Ordnung, Zucht, Disziplin“), die er mit der materiellen Äußerlichkeit der Uniform verbindet, wird alleine durch das Tragen einer Uniform die Verkörperung der oben genannten Tugenden quasi automatisch auf die Nationalsozialisten übertragen, wodurch eine ethische wie emotionale Aufwertung stattfindet. Verstärkt wird dieser Vorgang der Projektion durch die Anadiplose eines Uniformdetails („Ledergamaschen“) als rhetorischem Bindeglied zwischen den gedanklichen Assoziationen Heinis:

76 Die Positionierung Heinis zwischen Kommunismus und anwachsender Begeisterung für den Nationalsozialismus sowie sein irrationales Initiationserlebnis im Wald findet in Kapitel 1.6 (S. 37–48), dem längsten Unterabschnitt des Romans, statt. Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 45–47: „Plötzlich war er ganz klar! […] Ein Feuer war das! […] Ein unklarer Trieb erwachte in ihm. […] Je mehr er sich vom Lager entfernte, um so schneller ging er, quer durch den Wald auf den Schein des Feuers zu. Nicht einen Augenblick überlegte er, was er da machte. […] Es gab hier nichts weiter zu wissen für ihn. Er fühlte, daß er mit diesen Jungs gehen möchte […].“ 77 Heinis ‚Glaubensbekenntnisse‘ bzw. sein Bedürfnis politisch Farbe zu bekennen und sich zu bewähren – vor allem in Abhebung bzw. Selbstpositionierung gegenüber dem Feind, der kommunistischen Clique – steigen in ihrer Intensität und Häufigkeit im Laufe der Romanhandlung an. Vgl. dazu Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 56, 72, 99–100, 168, 205, 235. 78 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 7–8. 79 Eric Rentschler: The Ministry of Illusion. Nazi Cinema and Its Afterlife. Cambridge, Massachusetts/London 1996, S. 63. 80 Joachim Bons weist darauf hin, dass die Nationalsozialisten durchaus in der Selbstzuschreibung ihren „moralisch-rigiden Verhaltenskodex“ von Pflichterfüllung, Dienst und Gehorsam als „‚preußisch‘ identifizierten“: „Mit den Leitbegriffen ‚Gemeinschaftsgeist‘, ‚Frontgeist‘, ‚Mannestum‘, ‚Treue zwischen Führer und Gefolgschaft‘ und ‚Ethos der Pflichterfüllung‘ beschrieb der nationalsozialistische Diskurs das ideelle Gerüst seines ‚deutschen Sozialismus‘ als ‚modernes Preußentum‘.“ Vgl. Joachim Bons: Nationalsozialismus und Arbeiterfrage. Zu den Motiven, Inhalten und Wirkungsgründen nationalsozialistischer Arbeiterpolitik vor 1933. Pfaffenweiler 1995, S. 157.



278 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Er mochte die Schupoleute gern leiden. Sie sahen so ordentlich aus, sauber, stramm, das Lederzeug blitzte. Sie erinnerten an Ordnung, Zucht, Disziplin, wie es noch in den alten Geschichten zu lesen war. […] Der Schupomann trug Ledergamaschen. Ledergamaschen hatten auch jene Jungens getragen, die da eines Tages an ihm vorbeigegangen waren, einer wie der andere blitzblank, lebendig und frisch, eine Fahne voraus. Eine Stunde lang war er nebenher gelaufen, nur den einen Wunsch im Herzen, mitmarschieren zu dürfen in diesem Reihen, mit diesem Burschen, die jung waren wie er, die Lieder sangen, bei denen ihm fast das Heulen kam. Bis er dann von irgendeiner Seite hörte, dies seien ja Nazis. Da war er vor Schreck stehengeblieben. Dies waren also die Leute von denen der Vater immer sagte, daß man sie mit Dreck erschießen müßte.81

Zusätzlich wird die emotionale Bewegtheit Heinis durch dessen körperliche Reaktionen ausgedrückt (fast heulen, vor Schreck stehenbleiben), eine typische Strategie populärer Literatur, die auf die verstärkte Versinnlichung der erzählten Welt anhand konkreter Gegenständlichkeit abhebt (vgl. Kapitel 1.3). Diese affektiv aufgeladene Stelle gipfelt schließlich in der Kontrastierung der zuvor dargestellten positiven Konnotationen Heinis mit der drastischen Negativäußerung des Vaters, die Heini im Gedächtnis geblieben zu sein scheint. Dieser innere Kontrast prägt also zunächst Heinis Bewusstsein, etabliert jedoch bereits im Rahmen der Exposition eine klare Frontstellung gegenüber dem Vater bzw. der eigenen Familie (zur bipolaren Personenkonstellation vgl. 5.3). In der Folge des Romans werden diese beiden Seiten explizit gegeneinander ausgespielt, wobei obenstehende Textstelle bereits auf S. 7–8 kaum einen Zweifel daran lässt, für welche Seite sich Heini, trotz immenser Hindernisse und Bewährungsproben, qua ‚emotionaler Veranlagung‘ entscheiden wird. Heinis zwar entschlossene, aber zumeist irrationale Rechtfertigungen und Verteidigungen seiner Mitgliedschaft in der HJ  – vor allem gegenüber Stoppel, aber auch die Distanzierung gegenüber den tradierten Erziehungsinstanzen von Elternhaus und Schule – treten in den Vordergrund und werden zusätzlich sogar mit einem von Heini offen ausgesprochenen Bekehrungsimpetus ausgestattet: „An dich habe ich nicht geglaubt. Ich hätte nie an dich glauben können, sowenig wie an die Lehrer oder an Vater etwa –. An meine Führer glaube ich. Da hast du’s. Da hast du, warum ich mit dabei bin: weil ich an meine Führer glaube und an meine Kameraden und –“.82 „Ich kann dir’s nicht so sagen. Ich habe dir schon mal gesagt, daß ich an unsere Führer eben glaube. Komm mit zu unserem Werbeabend, nächsten Dienstag, ich besorge dir ’ne Karte. Hör dir das an. Die können dir’s sagen, was ich meine.“83

81 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 7–8. 82 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 205. 83 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 207.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 279

Hier stehen Emotionalität und Tatrhetorik sowie der bekenntnishafte Gestus vor intellektueller Reflexion. Immer wieder werden Heinis (temporäre84) Sprachlosigkeit, sein unbedingtes Bekenntnis und sein Opferwille idealistisch und mythisch überhöht zu einem schier metaphysisch anmutenden, scheinbar sinnstiftenden ‚Mehr‘, wie u. a. der Gedankenstrich in folgendem Zitat andeutet: „Das, was er nicht sagen kann, was ihn hintreibt zu diesen jungen Menschen. Die Fahnen? Die Lieder? Ja, aber doch nicht allein die Fahnen oder die Lieder, es ist noch anderes, es ist mehr – “.85 Auch Fritz Dörries, Mitglied der HJ und Vorbild für Heini, legt im Gespräch mit dem Protagonisten ein ähnlich irrationales Politikverständnis an den Tag, das sich durch immer wiederkehrende, d. h. redundante Formulierungen aus dem Mund nahezu aller positiv gezeichneten HJ-Mitglieder beim Leser einprägt und darüber hinaus Identifikationspotenzial und die Übernahme einer ähnlich ‚gläubigen‘ Haltung hervorrufen soll: „Man muss es halt fühlen. Das lange Quatschen hat keinen Zweck.“86 Doch der Roman besteht durchaus nicht nur aus irrationalen Momenten, sondern lebt geradezu von dem gegenseitigen Wechsel von pathetisch-emotional überhöhten Textstellen mit betont ‚rationalen‘, auf Authentizität abhebenden Schilderungen des zeitgenössischen Gepräges der Großstadt. Dabei vermittelt Schenzinger ein deutlich ambivalentes Bild der Stadt Berlin, das er sogar an oberflächlich antikapitalistisch anmutende Sequenzen anbindet. Der Hitlerjunge Quex beginnt, wie viele proletarisch-revolutionäre Romane auch (vgl. 5.2), mit der unvermittelten Schilderung der düsteren Atmosphäre des Mietskasernenalltags. Doch müssen diese durchaus vergleichbaren Expositionen nicht zwangsläufig als ein Charakteristikum von expliziten authoritarian fictions87 betrachtet werden, sondern lassen sich auch im Rahmen von zeitgenössischen Schreibweisen, Genres und Rezeptionsgewohnheiten und -bedürfnissen der Leser verorten, für die soziale Zeitromane aus dem Mietskasernenmilieu bzw. Großstadtromane spätestens nach dem großen Bucherfolg von Alfred Döblins

84 Heini ist sehr wohl in der Lage sich auch im politischen Sinne umfassender zu artikulieren, beispielsweise eine Rede bei einem Heimabend der HJ zu halten, die Begeisterungsstürme auslöst und den Protagonisten zu weiteren (in letzter Konsequenz tödlich endenden) Bewährungsproben anspornt. Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 233: „[E]r sagte noch viel mehr und sagte es mit ganz anderen Worten. Das ganze [sic!] war wie ein Rausch, aus dem er erst erwachte, als ein krachender Beifall ihm in die Ohren schlug. […] Ihm war so leicht zumute, […].“ 85 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 135. 86 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 63. 87 Vgl. Suleiman: Authoritarian Fictions.



280 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Berlin Alexanderplatz88 kein Novum darstellten. In Bezug auf Der Hitlerjunge Quex konstatiert Krah bisher als einer der wenigen explizit, dass der Roman Der Hitlerjunge Quex an dem Genre des Zeitromans  – des Angestelltenoder Arbeitslosenromans  – der zwanziger Jahre partizipiert. Der Hitlerjunge Quex ist ein Großstadtroman, Protagonist ist auch die Stadt Berlin selbst, das Leben in ihr. Vermittelt wird ein Panorama, ein Überblick über die Zeit, mit ihren allgemeinen Problemen, Sachverhalten und Einstellungen. Im Discours zeigt sich dies an der Erzählsituation, die polyperspektivisch die unterschiedlichsten Sichtweisen fokalisiert, etwa den Hausbesitzer, den „Spießer“, den Krankenhauspförtner und durch diese Darstellung verschiedener Positionen eine gewisse Distanz und eine scheinbar sachliche Beschreibung des Ist-Zustandes suggeriert. Die Verwendung dieser Montagetechnik selbst kann im Kontext der Frühen Moderne als durchaus modernes bzw. adäquates Erzählverfahren gesehen werden.89

Dennoch ist es aber insbesondere der Zeitroman, der sich hervorragend dazu eignet, die Grenze zwischen Realität und Fiktion zu verwischen und sich somit – in Anlehnung an zeitgenössische Wahrnehmungsstrukturen und Diskurse – für die Nutzbarmachung im Rahmen von ideologischen Zwecken als äußerst funktionales Genre darstellt (vgl. 1.4.1). Das großstädtische Berlin ist in Der Hitlerjunge Quex aber auch in Vieras Horst Wessel-Roman und im Roten Eine-Mark-Roman Kämpfende Jugend somit nicht lediglich eine beliebige Kulisse, sondern fungiert als exemplarisch verdichteter Schauplatz und Austragungsort ideologischer Kämpfe. Die Ansiedlung der Romanhandlung im zeitgenössischen Berlin ist also mehr als reiner Zufall und deckt sich mit den Wahrnehmungen der Zeitgenossen, wie sie Lethen beschreibt: „Berlin wirkte auf die zeitgenössischen Beobachter wie eine Lupe, unter der sie neue Phänomene der ‚Massengesellschaft‘ und der ‚Massenkommunikation‘ (ein Begriff, der 1923 in Berlin geprägt wurde) erstmals beobachteten.“90 Im Zuge des Zusammenprallens unterschiedlicher politischer Strömungen und Lebensstile, von Jung und Alt, Elementen der Technikmoderne und der modernen Massengesellschaft sowie deren Vor- und Nachteilen zeigt sich eine durchweg ambivalente Haltung der Romane in Bezug auf moderne Urbanität. Neben dem abenteuerlichen Gepräge und der Dynamik, welche die moderne Großstadt verkörpert und die sich nutzbringend auch auf politische Zusammenhänge übertragen lassen,

88 Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf. Berlin 1929. 89 Krah: Der Hitlerjunge Quex – Erzählstrategien 1932/1933, S. 17–18 [Hervorhebungen aus dem Text übernommen]. 90 Helmut Lethen: Chicago und Moskau. In: Die Metropole. Industriekultur in Berlin im 20. Jahrhundert. Hg. v. Jochen Boberg, Tilman Fichter und Eckhart Gillen. München 1986, S. 190–213 [hier: S. 191].





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 281

sind es vor allem aber die Schilderungen der Not, vornehmlich in Form der Wohnverhältnisse des städtischen Industrieproletariats, die sich politisch von linker wie rechter Seite funktionalisieren lassen. Insbesondere in den rechtspolitisch geprägten Romanen erscheint die Stadt Berlin als Einflusssphäre fremder Mächte. Chicago und Moskau, wie ein Aufsatz von Helmut Lethen titelt91, gelten auch hier als zerstörerische Kräfte, die die nationale ‚Ordnung‘ zu bedrohen scheinen: So bewirbt ein Kinoplakat zu Beginn des Romans Der Hitlerjunge Quex den Film „Der König von Chicago“;92 die amerikanische Familie Something, deren Mitglieder im Rahmen des Romans Der Kampf um die Feldherrnhalle von Viera als gierige Inflationsgewinnler mit Hang zu unlauteren Geschäften beschrieben werden, scheint wie selbstverständlich aus der ‚Gangsterhauptstadt‘ Chicago zu kommen.93 Selbst im Roten Eine-Mark-Roman Kämpfende Jugend, der in der Berliner Nostitzstraße94 spielt, wird eben diese Straße in der Zuschreibung der rechtspolitischen Presse als „rotes Chicago“95 bezeichnet und zu einem Gangsterviertel gemacht. Chicago, das im Zuge der Prohibition in den 1920er und 1930er Jahren als zentrales Symbol für das organisierte Verbrechen galt, und der berühmteste Vertreter der Stadt, Al Capone, der ‚Gangsterkönig‘ von Chicago, werden somit als Bildnis der kriminellen ‚Unterwelt‘ auf Berlin übertragen und suggerieren neben Abenteuerlichkeit aber vor allem den Status von Chaos, Rechtlosigkeit und latenter Bedrohung. Als weitere bedrohliche Einflusssphäre gilt in den rechtspolitischen Romanen Moskau. Hier sei exemplarisch nur einer der unzähligen russlandfeindlichen Kommentare aus den Viera-Romanen genannt, der in diesem Fall dem Parteimärtyrer der NSDAP, Horst Wessel, in den Mund gelegt wird: „[…] Aber wir Nationalsozialisten haben es doch mit verbrecherischen Drahtziehern zu tun, die in Moskau sitzen, und hier in Berlin im Karl-Liebknecht-Haus. Und unterstützt werden diese Volksfeinde von den Dummen und Feigen, von den Verbrechern der Unterwelt und von den Bonzen, denen um ihre einträglichen Posten bange ist. […]“96

91 Vgl. Lethen: Chicago und Moskau. 92 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 6. 93 Vgl. den ironischen Erzählerkommentar in Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 32: „Allesamt stammen sie aus Chikago im gesegneten Dollaramerika.“ Zum als anmaßend geschilderten Verhalten der Somethings vgl. S. 32–34, 38. Auf S. 44 zieht die Familie Something schließlich nach Deutschland um und betreibt ‚internationales Schiebertum‘. 94 In Schönstedts Roman Kämpfende Jugend wird die Straße entgegen der üblichen Schreibweise konsequent als „Nostizstraße“ bezeichnet. 95 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 90. 96 Viera: Horst Wessel, S. 19.



282 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Die Parteizentrale der KPD, das Karl-Liebknecht-Haus, wird somit zum plastischen pars pro toto für den politischen Gegner, dessen Gehilfen weitere ‚innere Feinde‘, die sogenannten „Volksfeinde“, seien. Eine umfassende Verschwörungstheorie gleich zu Beginn des Viera-Romans, die als Grundlage und Rechtfertigung für gewaltsame ‚Notwehr‘ dienen kann  – schließlich habe man es ja mit „verbrecherischen Drahtziehern“ zu tun. Die Stadt Berlin scheint also in den rechtspolitischen Romanen zum Spielball der entgegengesetzten fremden Sphären von Amerika (symbolisch für ungezügelten Kapitalismus) und Moskau (als bedrohlichem Vertreter einer jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung) zu werden und im Chaos zu enden, wenn nicht die eigene, positiv besetzte Partei, die NSDAP, für ‚Ordnung‘ sorgt. Exemplarisch findet dieses Ordnungsbedürfnis Ausdruck in Der Hitlerjunge Quex. Dort ist es vor allem die Sehnsucht des jugendlichen Protagonisten Heini nach Ordnung, die zum ethisch überhöhten Leitmotiv97 des Romans stilisiert wird und die Zugehörigkeit, Verlässlichkeit, den Abbau von Kontingenzerfahrungen und somit auch emotionale Stabilität impliziert. Neben Heinis personal fokalisierter Technikfaszination und seinem Ordnungsbedürfnis finden sich auch verallgemeinernde Erzählerkommentare, die teilweise als iterative Erzählabschnitte angelegt sind und somit das alltägliche Leben in den Mietskasernen und auf den Straßen Berlins teils betont sachlich, teils stark atmosphärisch beschreibend wiedergeben. Vor allem der Erzählerbericht in Kapitel 4.2 des Romans, der das Leben in und um den Karstadt am Hermannplatz zunächst unter Berufung auf Zahlen („[s]echstausend Angestellte“, „[f]ünfzigtausend Kunden“, „zehn Stockwerke[ ]“, „dreihundert Meter lange Fassade“98) erläutert und somit Faktizität suggeriert, wird zusehends emotional aufgeladen und mündet in eine antikapitalistische Kritik am „Warenpalast“99. In der Schilderung des kollektiven Bewusstseins und unter Verwendung des unpersönlichen Pronomens „man“ verweist der Erzähler

97 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 7–8: Etablierung des Motivs der Ordnung: Heinis Uniform-Faszination („Ordnung, Zucht, Disziplin“), S. 29: Das intern fokalisierte Ordnungsbedürfnis von Heini, welches seine Faszination für die Nazis motiviert, ist kongruent mit den Erzählerbeschreibungen der Nazis als geordneter Formation. Dies scheint Heinis Wahrnehmung zu verifizieren: „Schnurgerade ausgerichtet standen die drei Reihen.“, S. 47–48: Ausbau zum Leitmotiv unter Abhebung vom politischen Gegner durch Kontrastierung im Rahmen einer internen Fokalisierung: „Er fühlte, daß er mit diesen Jungens gehen möchte, daß hier das gerade Gegenteil war von dem, was in der Clique vor sich ging, daß hier Ordnung war, Ordnung – , das Wort wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf.“ 98 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 108. 99 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 111.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 283

immer wieder auf die Selbsttäuschung, der sich die Individuen hingeben, wenn sie sich von der schönen Fassade des Kaufhauses blenden lassen und über soziale Gegensätze hinwegsehen. Doch auch das allgemeine Konsumverhalten und die durch wirtschaftliche Not verursachte Jagd nach dem kleinsten Preis, die lokal ansässige Händler schädige, werden kritisiert: Mit den Fremden, die hierherkommen, möchte man glauben, es seien wohlhabende Straßen, die zu diesem Platz herführen, […]. Fast möchte man selber glauben, daß dem so ist. […] Es sind Arbeiterstraßen, Straßen mit armen oder doch kleinen Leuten, die sich plagen müssen, tagaus, tagein, […]. Jeder, der hier wohnt, ist genötigt, den Groschen dreimal umzudrehen, bevor er ihn ausgibt. Aber am Ende gibt er ihn aus, er ist gezwungen, ihn auszugeben, und man ist sich darüber in dieser zehnten Etage sehr wohl im klaren [sic!], daß immer zehn dieser Groschen eine Reichsmark ergeben. […] Fünfhunderttausend bevölkern den Umkreis, sie lieben dieses Gebäude nicht, sie scheuen aber auch nicht den Weg, um die paar Pfennige zu sparen, um die sie hier billiger kaufen. […] Zum Glück vergißt man auch leicht mit leerem Beutel, man hat auch den kleinen Händler schnell vergessen, bei dem man sonst täglich einholen ging. Der haftete einem mit seiner Person für die Güte seiner Waren, aber Pfennig ist eben Pfennig. Jetzt steht sein Laden leer seit einiger Zeit. Doch es stehen viele Läden leer heutzutage, und man hat seinen eigenen Kummer nachgerade zu Genüge. […] In der zehnten Etage wird auf acht amerikanischen Rechenmaschinen addiert. Niemand sieht hinauf.100

Kontrastiert wird das Leben des ‚kleinen Mannes‘ mit der ökonomischen Berechnung der „zehnten Etage“ des Kaufhauses, der Buchhaltungsabteilung also, die, obwohl sie als räumlich distanziert vom Alltagsleben auf den Straßen erscheint, durch ökonomische Entscheidungen in das Leben der Menschen eingreift – sie scheinbar sogar durch fremde Mächte in Form von „amerikanischen Rechenmaschinen“, die synonym stehen für amerikanischen Kapitalismus, fernzusteuern droht, ohne dass dies dem Normalbürger auf der Straße auffiele. Eine weitere antikapitalistisch geprägte Stelle findet sich in der Schilderung eines Mieterstreiks. Diese Passage geht aus von einem Empörung erregenden Erzählerbericht, der in einem das System der Weimarer Republik anklagenden Gestus konstatiert, dass Arbeiter und ‚ehrhafte‘ Menschen (v. a. Hinterbliebene der Soldaten des Ersten Weltkrieges), die schuldlos in eine soziale Notlage geraten seien, schlechter leben würden als Straftäter in den ‚neuen‘ Gefängnissen der Weimarer Republik und nun im Rahmen der herrschenden Wohnungsnot in die ‚alten‘ Gefängnisse einziehen müssten. So wird die Unverhältnismäßigkeit des Sozialsystems des Weimarer Staates suggeriert, auf kontrastive (und somit umso eindringlicher wirkende) Art und Weise demonstriert und kritisiert. Zusam-

100 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 109–111.



284 

 5 Analyse ausgewählter Romane

mengefasst lautet die zentrale Behauptung dabei folgendermaßen: Der Staat vernachlässige den sozialen Wohnungsbau anscheinend eklatant und kümmere sich wenig um die Belange der Arbeiter bzw. bedürftiger Personengruppen. Die oben angesprochene Kontrastierung, aus der die Unverhältnismäßigkeit und Unhaltbarkeit der sozialen wie sittlichen Zustände der Weimarer Republik abgeleitet wird, stellt sich im Roman folgendermaßen dar: Die Strafanstalten sind heute mustergültig gebaut und eingerichtet. Dampfheizung, elektrisches Licht, Kanalisation und Bäder sind heute selbstverständliche Dinge in öffentlichen Instituten, einerlei welchem Zweck sie dienen. Das alte Gefängnis aber ist ein Haus für freie Bürger geworden. Familien sind dort eingezogen, die zwar arm, aber unbescholten sind. Meist sind es Arbeitslose und Wohlfahrtsempfänger, Vertriebene aus abgetretenen Gebieten oder Hinterbliebene eines im Felde gefallenen Soldaten. Diese Behausungen sind nicht gerade bequem. Meist liegen mehrere Menschen gemeinsam in einer Zelle, die früher nur ein Gefangener bewohnte. Dafür wird der Raum heute auch nicht mehr Zelle genannt, sondern „Wohnküche“ und das Wohnen ist nicht mehr unentgeltlich. Von den jetzigen Bewohnern wird Miete erhoben.101

Stellen, die Wohnungsnot und soziale Verelendung von Arbeitern vor dem Hintergrund der Weimarer Republik thematisieren und antikapitalistischen Deutungsspielraum zulassen, finden sich auch in den ‚Konjunkturromanen‘ von Viera, sind dort allerdings weitaus stärker durch das Schüren antisemitischer und offen antikommunistischer Ressentiments geprägt.

5.1.4 Pseudorevolutionäres Sozialpathos in Vieras ‚Konjunkturromanen‘ Die soziale Thematik wird in den Romanen von Viera sehr viel deutlicher durch explizite, stereotype antisemitische und -kommunistische Wendungen sowie schablonenhafte Argumentationsschemata aufgegriffen. So soll in Der Kampf um die Feldherrnhalle Mutter Wörlein ihrem neuen jüdischen Vermieter für ihre marode Wohnung mehr Miete zahlen oder ausziehen. Der als gnadenloser Finanzjude aus Galizien und Inflationsgewinnler beschriebene Vermieter quäle die Frau angeblich „bis aufs Blut“102. Letztendlich sind also die real existierende Wohnungsnot und die schlechten Wohnverhältnisse in den Mietskasernen nicht nur ein Motiv der linkspolitischen Romane, sondern insgesamt durchaus ein auch für Nationalsozialisten funktio-

101 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 246. 102 Viera: Kampf um die Feldherrnhalle, S. 45.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 285

nales und relevantes Thema im Rahmen der antirepublikanischen Propaganda. Balle betont diesbezüglich: „Sie [Wohnungsnot und Wohnungselend] erwiesen sich deshalb als besonders günstig, weil hierbei der Nationalsozialismus sein spezifisches Interesse am Arbeiter zu beweisen können glaubte.“103 Rufen die Roten Eine-Mark-Romane jedoch zur aktiven Selbsthilfe im Rahmen von parteipolitischer Selbstorganisation in Straßenzellen auf (natürlich immer in Übereinstimmung und Unterordnung in Bezug auf parteiliche Direktiven), beschränken sich die rechtspolitischen Romane zunächst meist auf antiparlamentarische Rhetorik, die bewusste Schürung von Ängsten und ein verstärktes Sozialpathos, das zumeist verbunden mit der Schilderung des Ethos der Eigengruppe sowie dem Anspruch auf deren sittlich-moralische Integrität auftritt.104 Dies lässt sich exemplarisch an folgender Textstelle nachvollziehen, in der ein verallgemeinernder Erzählerkommentar aus Vieras Horst Wessel-Roman in kontrastivem Modus die Sozialverhältnisse der Weimarer Republik anprangert und dafür die sozialdemokratische Regierung verantwortlich macht: Fünfzigtausend Schulkinder hungern und darben in der Reichshauptstadt, während die Führer der Roten, die sich Vertreter der Arbeiter nennen, prassen und für ihr Privatvergnügen öffentliche Gelder verschleudern. Ungeheuerliche Zustände sind das, für ehrliche Menschen geradezu zum Verzweifeln.105

Unter Berufung auf scheinbar authentische Zahlen, die durch Synonymie („hungern und darben“) emotional aufgeladen und negativ verstärkt werden, wird der Fokus auf die soziale Ungerechtigkeit gelegt, als deren Quelle eine als verlogen dargestellte Regierung, die angeblich in die eigene Tasche wirtschaftet, ausgemacht wird. Im Zitat etabliert vor allem der kontrastiv eingeschobene Relativsatz einen starken Gegensatz zwischen dem als ‚tatsächlich‘ dargestellten Verhalten der „Führer“ der Arbeiter sowie deren vorgeblichem Anspruch („sich

103 Hermann Balle: Die propagandistische Auseinandersetzung des Nationalsozialismus mit der Weimarer Republik und ihre Bedeutung für den Aufstieg des Nationalsozialismus. Phil. Diss. Erlangen-Nürnberg 1963, S. 194 [sinngemäße Ergänzung durch Michaela Menger]. 104 Zum funktionalen Zusammenhang von Ethos und Pathos innerhalb der Rhetorik vgl. die gute allgemeine Zusammenfassung zur „Selbstdarstellung des Redners in der Antiken Rhetorik“ bei Ulrich Ulonska: Suggestion der Glaubwürdigkeit. Untersuchungen zu Hitlers rhetorischer Selbstdarstellung zwischen 1920 und 1933. Ammersbek bei Hamburg 1990, S. 35: „Ethos und Pathos sind affektive Wirkungsmittel. Sie bezeichnen die konträren Endpunkte auf einer bipolaren Skala von Vertrauen/Nähe/Menschlichkeit versus Erregung/Zorn/Schauder/Jammer. Ethos und Pathos bilden einen funktionalen Zusammenhang, indem das Ethos die wilden Gefühle des Pathos legitimiert und ausgleicht.“ 105 Viera: Horst Wessel, S. 39.



286 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Vertreter der Arbeiter nennen“); somit wird versucht diese als ‚falsche Führer‘ zu entlarven. Die Wortwahl von „prassen“ und „verschleudern“ vermittelt bereits eine pejorative Einstellung des Sprechers, die in der Hyperbel „[u]ngeheuerlich[ ]“ sowie der starken Betonung des Ethos der vermeintlichen Eigengruppe („ehrliche Menschen“) kulminiert und unter dem Gestus der Empörung unhaltbare Zustände deklariert. Die Aufhebung dieser Zustände (beispielsweise durch Absetzung der sozialdemokratischen Regierung oder des Parlamentarismus schlechthin) erscheint im Rahmen des Zitates als wünschenswert und wird somit bereits hier implizit nahe gelegt. Und genau diese Regierung wird – vornehmlich der Strategie der Personalisierung politischer Gegner folgend – in Gestalt des jüdischen Berliner Polizeipräsidenten Bernhard Weiß106 und weiterer ‚jüdischer‘ Politiker letztendlich wieder mit dem Feindbild von ‚jüdischer Fremdbestimmung‘ und ‚Dekadenz‘ amalgamiert sowie mit dem vorgeblichen ‚Elend‘ der deutschen Bevölkerung kontrastiert und in ursächliche Verbindung gebracht: Juden verhandeln als deutsche Vertreter mit den Feindbundmächten. Als Führer der Jude Rathenau, als seine Helfer die Juden Mendelsohn und Melchior, die Hebräer Bonn und Deutsch und Guggenheimer und andere, lauter Juden.107

106 Vgl. dazu die Weiß diffamierenden Stellen in Viera: Horst Wessel, S. 7–8. Der jüdische Berliner Polizeipräsident Bernhard Weiß wurde vor allem im Rahmen der antisemitischen und antirepublikanischen Propaganda von Goebbels zum personalen Feindbild stilisiert. Zumeist referierte Goebbels wegen der jüdischen Herkunft verkürzt und stigmatisierend unter dem Namen ‚Isidor‘ auf Weiß, eine Bezeichnung, die auch von Viera, der sich in überangepasster Weise an den gängigen nationalsozialistischen Propaganda-Stereotypen orientiert, übernommen wird. Zur Strategie der Personalisierung politischer Kritik in Form von politischen Diffamierungen am Beispiel von Weiß vgl. auch Balle: Die propagandistische Auseinandersetzung des Nationalsozialismus mit der Weimarer Republik, S. 301–302: „Er [Weiß] war […] der Inbegriff des ‚Systems‘: jüdisch, marxistisch, polizeiterroristisch. […] Bezeichnenderweise sprach die nationalsozialistische Propaganda bald nicht mehr von Bernhard Weiß, sondern einfach von ‚Isidor‘, um so diesem negativen Symbol des Weimarer Staates auch noch eine entsprechende schlagwortmäßige Bezeichnung zu geben. […][Dabei war] Weiß nur die vorgeschobene Zielscheibe […] hinter der der Weimarer Staat, das ‚System‘[,] getroffen werden sollte […]“. 107 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 36. Der linksliberale Politiker und Außenminister Walther Rathenau (Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei, DDP), der 1922 dem Attentat der rechtsgerichteten Organisation Consul zum Opfer fiel, sowie der hier wahrscheinlich – trotz anderer Schreibweise – gemeinte Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, der ebenso wie Emil Guggenheimer an den Friedensverhandlungen von Versailles beteiligt war, standen der Reparationspolitik der Siegermächte keinesfalls vorbehaltslos gegenüber und forderten Revisionen, wurden aber von der nationalsozialistischen Propaganda zu Vertretern einer ‚Erfüllungspolitik‘ und im Rahmen der ‚Dolchstoßlegende‘ zu ‚Vaterlandsverrätern‘ bzw. zur „Regierung der





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 287

Juden ziehen von Osten her scharenweise ins Land und beuten es aus. Schieber, Kriegs- und Inflationsgewinnler feiern Orgien, schließen die Türen ihrer Lasterstätten, um die Verzweiflungsschreie der gemarterten deutschen Kreatur nicht zu vernehmen.108

Antikapitalismus tritt bei Viera also meist relativ unverhohlen als verkappter Antisemitismus hervor. Doch auch der im weiter oben stehenden Zitat aus Der Hitlerjunge Quex suggerierte Antiamerikanismus ist letztendlich nichts anderes als eine Ausprägung des nationalsozialistischen Anti-Internationalismus und hat nichts mit der sozialrevolutionären Umwälzung der gesellschaftlichen Klassenstrukturen zu tun. Vor allem bei Viera wird deutlich, dass hinter den vordergründig antikapitalistischen Wendungen gegen das „Dollaramerika“109  – verkörpert durch die anmaßend auftretende Familie Something, „Greuelfabrikanten“,110 und allgemein als jüdisch verortete „Schieber, Kriegs- und Inflationsgewinnler“111 – nichts anderes steckt als die Schürung von (nationalistisch geprägten) Ängsten gegenüber unkontrollierbaren internationalen Einflüssen und Fremdbestimmung, wie sie in Bildern der „Rotfrontwelle“112 und einer jüdischen ‚Flut‘113 unablässig evoziert werden, wobei die verwendeten Termini das apokalyptische Szenario einer (Natur-)Katastrophe heraufbeschwören. Dem gegenübergestellt wird das von Ethos geprägte positiv-aufbauende Selbstbild, das – in den Romanen zahlreich variiert – in folgender Formel aus Der Kampf um die Feldherrnhalle wohl am prägnantesten zum Ausdruck kommt: „Wir fordern die Erfüllung hoher ethischer und menschlicher Ziele!“114 Hier zeigt sich bereits die vereinfachende Zusammenziehung der Gegner bzw. Feindbilder und eine polarisierende Gegenüberstellung von Selbst- und Feindbild wie sie im Rahmen der Personengestaltung der Romane zum Tragen kommt (vgl. dazu 5.3).

Novemberverbrecher“ (Viera: Horst Wessel, S. 19) stilisiert, die dem eigenen Volk in den Rücken gefallen sei(en). 108 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 55. 109 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 32. 110 Viera: Horst Wessel, S. 75. 111 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 55. 112 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 46. 113 Das Bild der unkontrollierbaren Bewegung, das eine ‚ausufernde Flut‘ suggeriert und Ängste in Bezug auf eine Unterdrückung der eigenen Interessen und den Verlust der geistigen wie materiellen Besitztümer schürt, zeigt sich an folgendem Erzählerkommentar aus Viera: Horst Wessel, S. 15–16 sehr deutlich, in dem diesbezüglich mit dem Terminus der ‚Zersetzung‘ operiert wird: „Längst sind die Juden über den Bannkreis hinausgeufert und haben alles an sich gerissen, mit ihrem Geist durchsetzt und mit ihrem erschacherten Geld sich untertan gemacht.“ 114 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 19.



288 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Darüber hinaus wird in den Romanen von Viera eine für den Nationalsozialismus typische Abgrenzung deutlich: Die Unterscheidung von ‚raffendem‘ (negativ als ausbeuterische jüdisch-internationale Finanz charakterisiertem) und ‚schaffendem‘ Kapital. Letzteres wurde von den Nationalsozialisten als positiv beurteilt und im Rahmen der ‚deutschen Volksgemeinschaft‘ zur produktiven Arbeit unter vordergründiger Harmonisierung der ‚Arbeiter der Stirn und Faust‘ popularisiert und damit „[j]eder grundlegenden ökonomischen Transformationsperspektive entkleidet“115 (vgl. dazu 5.4.1).

5.1.5 Soziale Harmonisierungstendenzen und Repräsentationsanspruch in Der Hitlerjunge Quex Bereits die Analyse der Textstellen aus den von Viera verfassten Romanen zeigt, dass der (oberflächlich) antikapitalistische Gestus vielmehr dazu diente, Arbeiter als potenzielle Wählerschichten und Mitglieder zu gewinnen und sich in der Selbststilisierung zum ‚nationalen Sozialisten‘ quasi in Abhebung von den Arbeiterparteien KPD und SPD als die ‚besseren‘ Sozialisten darzustellen. Dies deckt sich mit der an den realpolitischen Verhältnissen orientierten soziopolitischen Einschätzung von Bons: Jeder tiefergehenden gesellschaftsverändernden Perspektive entkleidet, insistierte der „nationale Sozialismus“ (im nationalsozialistischen Vokabular synonym mit dem Begriff der Volksgemeinschaft) auf einer sozialautoritativen Harmonisierung und Versöhnung, nicht aber auf der Überwindung der Klassenbeziehungen, auf Führerprinzip und sozialer/ politischer Entmündigung und nicht auf gesellschaftlicher Emanzipation.116 Mit seinen autoritärstaatlichen-sozialpolitischen, kleinbürgerlichen und national-volksgemeinschaftlichen Lösungsversprechen der Arbeiterfrage nahm der Nationalsozialismus für sich in Anspruch, Erfüllungsform des wahren sozialistischen Wollens der Arbeiter und Angestellten zu sein, während er zugleich die Transformationsperspektive des proletarischen Sozialismus als eine bloße Schimäre denunzierte, die weder die sozialen Probleme beseitigen könne noch mit der völkischen Bestimmung des Arbeiters in Einklang zu bringen sei.117

Beschränken sich Personenrede wie Erzählerkommentare in den Romanen Vieras zumeist auf das permanente Skandieren antikapitalistischer Phrasen, die mit antisemitischen und antikommunistischen Ressentiments amalgamiert werden,

115 Bons: Nationalsozialismus und Arbeiterfrage, S. 159. 116 Bons: Nationalsozialismus und Arbeiterfrage, S. 81. 117 Bons: Nationalsozialismus und Arbeiterfrage, S. 160.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 289

so wird die ‚soziale Frage‘ in Der Hitlerjunge Quex wesentlich konzentrierter und komplexer im Rahmen der Hinleitung zu einem längeren Dialog und schließlich im dialogischen Schlagabtausch in Form eines (schein-)rationalen Argumentationsgangs präsentiert. Vor allem eine Textstelle zum Mieterstreik aus Der Hitlerjunge Quex veranschaulicht Bons Einschätzung und verdeutlicht, dass der an der Oberfläche als gemeinsame Aktion von SA und Rotfront präsentierte Mieterstreik118 („Hakenkreuz neben Sowjetstern“119) im Erzählerbericht ganz deutlich zugunsten der SA bzw. der NSDAP ausgelegt wird und die NSDAP nicht nur als genauso ‚sozial‘ dargestellt wird wie die KPD, sondern diese vor allem im Bereich des Ethos verbal übertrumpfen soll. Dies geschieht durch den Versuch von abstrakten politischen Begriffen abzulenken und auf die Stillung elementarer allgemeinmenschlicher Bedürfnisse wie „Essen“ und „Miete“ zu referieren und sich damit in der Selbstzuschreibung als Vertreter und Sicherer der menschlichen Grundbedürfnisse auszugeben: Was sind schon ‚Kapital‘, ‚System‘ oder ‚Marxismus‘ gegen diese klaren, fast einfältigen Worte. ‚Essen‘ und ‚Miete‘, das leuchtet jedem ein, dabei fühlt jeder in diesen Tagen den großen Ruck in seinem Inneren.120

Verstärkt durch den Bescheidenheitstopos („klaren, fast einfältigen Worte“) und die Aufbruchsrhetorik („den großen Ruck“) wird der allumfassende Anspruch erhoben, die Perspektive der gesamten Bevölkerung zu vertreten („jedem“, „jeder“), insbesondere die des ‚einfachen Mannes‘. Hier zeigen sich bereits die sozialen Harmonisierungstendenzen, die im Fortgang des Romans noch verstärkt werden. Denn die im Erzählerbericht geschilderten Mieterstreiks lösen auch unter der Kameradschaft von Heini, die darüber einen Artikel im nationalsozialistischen Parteiblatt Der Angriff liest, lebhafte Diskussionen aus. Somit wird das Thema erneut, aber aus etwas anderem Blickwinkel und unter einer vorgeblich

118 Dabei entsprachen vereinzelte gemeinsame Aktionen zwischen KPD und NSDAP durchaus der Realität der Weimarer Republik, wie zumeist in der historischen Forschung an Mieterstreiks, dem BVG-Streik im November 1932 und der gemeinsamen Teilnahme am vom Stahlhelm initiierten Volksbegehren sowie dem (gescheiterten) Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtages von 1931 demonstriert wird. Dennoch sind diese Aktionen differenziert zu betrachten und nicht lediglich auf den ‚totalitären‘ Ursprung beider Parteien zurückzuführen. Für einen ausgewogenen Überblick über die Zusammenarbeit von NSDAP und KPD zwischen „Conflict and Cooperation“ (vor allem in Bezug auf die Mieterstreiks) vgl. Swett: Neighbors and Enemies, S. 188–231. 119 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 248. 120 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 247.



290 

 5 Analyse ausgewählter Romane

kontroversen Diskussion in direkter Rede im unmittelbaren Schlagabtausch, diskutiert. Diese Stelle deutet auf durchaus gespaltene bzw. unterschiedliche Positionen hin, insbesondere was die ‚soziale Frage‘ angeht, wie sie ja durchaus auch realpolitisch innerhalb der Partei existierten (vgl. der ‚linke‘ Strasser-Flügel der NSDAP oder die mit den Machtansprüchen der Partei konkurrierende SA unter Ernst Röhm), aber spätestens nach der Machtübernahme ausgeschaltet wurden. Im Roman Der Hitlerjunge Quex sind es somit die Jugendlichen selbst, die sich eine in Bezug auf die Anwerbung von Kommunisten zentrale Frage stellen, die zusammengefasst auf Folgendes hinausläuft: Ist das Allgemeinmenschliche höher zu stellen als das Nationale? Der Dialog der Jugendlichen suggeriert zunächst Deutungsspielraum und eine ambivalente Haltung: [Bruno:] „Politik ist Politik, aber Mensch bleibt Mensch. Das ist für mich das Bezeichnende an der ganzen Geschichte, daß es Nazis und Kommunisten waren, die für den armen Teufel eintraten. […] Ich will sagen, daß [für] die beiden Parteien das Mitleid mit der getretenen Kreatur das treibende Grundgefühl ist.“ [Fritz:] „Also doch: Handschlag mit Moskau?“ [Bruno:] „Nein!“ [Fritz:] „Warum nein?“ Bruno wird verlegen: „Wahrscheinlich – weil wir von [sic!] Blut verschieden sind.“ […] [Fritz:] „Du willst sagen, weil wir Deutsche sind.“ [Bruno]: „Du hast recht. Aber das Menschliche erscheint mir manchmal doch noch wertvoller als das Nationale.“ [Fritz:] „Dann bist du ein schlechter Deutscher, mein Junge.“ [Bruno:] „Das glaube ich nicht. Wie könnte ich ein guter Deutscher sein, wenn ich ein schlechter Mensch wäre?“121

Bei näherer Betrachtung ist es relativ eindeutig, wie diese Textstelle zu verstehen ist. Geprägt von Umkehrschlüssen (‚gute Menschen = [gute] Deutsche‘) und Tautologien sowie mit rassistischen Untertönen ausgestattet („weil wir von Blut verschieden sind“), wird den in Deutschland lebenden Kommunisten mit ihrer internationalen (bzw. russlandfreundlichen) Orientierung zwar zunächst das ‚Deutschsein‘ abgesprochen – nicht jedoch das ‚Menschsein‘. Genau diese unterstellte Humanität und die Anknüpfung an das Allgemeinmenschliche deutet jedoch Integrations- bzw. Konversionspotenzial für Kommunisten an, die sich – vorausgesetzt, sie sind ‚gute Menschen‘ – zum ‚Deutschen‘ im Sinne der NSDAP läutern (können), so suggeriert die Argumentation. Hamida Bosmajian, die als eine der wenigen überhaupt diese zentrale Textstelle anspricht, bleibt daher zu sehr an der Oberfläche und leistet letztendlich fälschlicherweise der Totalitarismusthese Vorschub, wenn sie behauptet: „Schenzinger saw Nazism and Communism as the only viable alternatives to the Weimar

121 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 249–250 [sinngemäße Ergänzung durch Michaela Menger].





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 291

Republik.“122 Zwar einte die Kommunisten und Nationalsozialisten ihre antirepublikanische Haltung, doch die oben behandelten Stellen zeigen ganz deutlich, dass Schenzinger, trotz äußerlich dargestellter gemeinsamer Zusammenarbeit und vorgeblicher Diskussion, offensichtlich den Leser in Richtung ethischer Überlegenheit des Nationalsozialismus lenkt und den Nationalsozialisten zudem erhöhte Problemlösungskompetenz sowie den ‚Blick für das Wesentliche‘ (im obigen Fall: „Essen“ und „Miete“) zuspricht. Die oberflächlich erscheinende Ambivalenz und angeblich ‚freie‘ Aussprache soll dem Leser lediglich suggerieren, er sei selbst auf das vermeintlich ‚Richtige‘ gekommen. Eine deutlich differenziertere und subtilere Strategie als die unablässige Beteuerung der ethischen Überlegenheit der Nationalsozialisten durch die sehr viel stärker hervortretende und ganz offensichtlich tradierte ideologische Phrasen repetierende Erzählinstanz in den Viera-Romanen.

5.1.6 Ideologisch motivierte Erzählperspektiven – ‚Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters‘? Die deutlichste Auffälligkeit in Bezug auf die Erzählperspektive der untersuchten Werke ist, dass ausnahmslos heterodiegetische Erzählungen vorliegen. Dies überrascht nur bedingt, denn die Verwendung einer heterodiegetischen Erzählung mit auktorialer Erzählinstanz bietet sich zur Darstellung und Vermittlung eines relativ geschlossenen ideologischen Weltbildes geradezu an. So hat der ErErzähler nicht teil an der Geschichte und weiß mehr als seine Figuren, bzw. kann durch – oftmals ideologisch und didaktisch gefärbte – Kommentare und Erklärungen wertend eingreifen.123 An vielen Stellen der untersuchten Romane finden

122 Hamida Bosmajian: Sparing the Child. Grief and the Unspeakable in Youth Literature about Nazism and the Holocaust. New York/London 2002, S. 32. 123 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 6–7: Zur Erklärung von Äußerungen der Mutter von Franz liefert der Erzähler nötiges Hintergrundwissen. Auf S. 59 findet sich ein allgemeiner Kommentar des Erzählers zum Anblick von Blut: „Blut kann rasend machen, aber auch mitleidig stimmen. Raup machte das Mitleid zu schaffen.“ Nachdem der Gesinnungswandel von Bramm auf S. 51–52 veranschaulicht wurde, der Leser also durch den auktorialen Erzähler bereits eingeweiht ist, wird auf S. 54 auf die begrenzte Figurensicht von Frau Bramm hingewiesen: „Sie konnte sich nicht erklären, was ihren Mann zu der Wandlung bewogen hatte.“ In Kämpfende Jugend erklärt der Erzähler das für die Straße charakteristische Vokabular. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 5: „‚Achtgroschenjunge‘, das war eins der gemeinsten Schimpfworte der Straße.“, S. 9: „[…] in einer vornehmen Gegend, die die Jungs aus der Straße das ‚Topplappenviertel‘ nannten.“. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 127: „Aber der Speckschneider wusste Menschen zu behandeln, das heißt, er selber schrieb sich diese Fähigkeit zu.“, S. 142: „Er hatte recht.“. Vgl. Beumelburg: Gruppe



292 

 5 Analyse ausgewählter Romane

sich jedoch auch interne Fokalisierungen, beispielweise in Form von Gedankenzitaten, die bewusst kurzzeitig den Wissenshorizont auf die jeweilige Reflektorfigur beschränken, um deren Innenleben darzustellen.124 Vor allem in den Roten Eine-Mark-Romanen gibt es, dem kommunistischen Weltbild entsprechend, keinen zentralen Helden, vielmehr werden unterschiedliche Identifikationsfiguren bereitgestellt, die als typische Vertreter fungieren und die jeweiligen Aspekte der Parteipolitik bzw. des vorbildlich handelnden Genossen repräsentieren. Teilweise werden damit jedoch bestimmte Funktionäre und deren Handlungsweisen bewusst als exemplarisch hervorgehoben (vgl. 5.3). Im Rahmen der rechtspolitischen Romane ist die Konzentration auf einen zentralen Helden häufiger, wie sich oftmals schon an den Titeln ablesen lässt.125 Nichtsdestotrotz finden sich insbesondere in Gruppe Bosemüller stellenweise die Darstellung personal fokalisierter, innerer Bewusstseinprozesse mehrerer positiver Helden (v. a. von Erich Siewers, Paul Bosemüller und Wammsch) sowie die Darstellung von ‚negativem Bewusstsein‘ durch die Fokalisierungsinstanz

Bosemüller, S. 191: „Aber die Gruppe Bosemüller hat es schon verdient, da kann man mal eine Ausnahme machen.“ Vgl. Schenzinger: Hitlerjunge Quex, S. 163: Erzählerkommentar zur Selbsttäuschung Heinis: „In Wirklichkeit kann er vor lauter Erregung nicht gehen.“ Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 39: „Ungeheuerliche Zustände sind das, für ehrliche Menschen geradezu zum Verzweifeln.“ 124 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 34, Gedankenzitat: „‚Was nun‘, fragte sich Franz, als sie zur Wache schritten.“ Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 28, Gedankenzitat: „Es ist ja Wahnsinn in blöder Geduld hier zu sitzen […] – dachte er ein paarmal.“ Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 22, innerer Monolog Bobby: „Na, wenn er so von mir denkt, soll er mir den Buckel runterrutschen…“ Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 208–209, innerer Monolog Siewers: „Ist denn mein Gewissen jemals so rein gewesen wie heute – trotz diesem Grabe, ja trotzdem! – wo ich weiß, daß ich alles wieder gutmachen werde?“. Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 84: Heinis stream of consciousness während der Fahrt zum Polizeipräsidium, der geprägt ist von asyndetischen und polysyndetischen Strukturen und Anthropomorphisierungen. Dieses Aufbrechen der Satzstrukturen hin zu Assoziationsketten signalisiert eine möglichst unmittelbare und genaue Darstellung von Bewusstsein: „Wie die Häuser vorbeigeflogen waren, grelle Fassade, Schatten, Fassade, Schatten, erleuchtete Fenster, Lichter, Lampen, blitzende Pfütze, Blitz in der Scheibe, Fassade, Fassade, jede ein Ruck, jede ein Schrei: ‚leugnen!‘ vorbei – ‚leugnen!‘ vorbei – ein großes, weites gähnendes Loch, ein eisernes Tor. Und Bogenlampen. Und dunkle Mauern. Und Gitter.“ Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 19–20: suggerierte gedankliche Unvoreingenommenheit des Protagonisten durch ein Gedankenzitat: „‚Gewiß ist Herr Nürpke ein ganz großer Könner‘, denkt der junge SA.-Mann. ‚Man hat das damals […] bloß noch nicht so gemerkt.‘“ 125 Vgl. Der Hitlerjunge Quex, Utz kämpft für Hitler, SA.-Mann Schott, Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 293

des Leutnants126, das aber im Laufe der Handlung konsequenterweise zum Tod führen muss. Dabei wird im Roman eine bewusst begrenzte Perspektive präsentiert – die Perspektive des Schützengrabens  –, die keine Reflexionen über den Ursprung und die weiteren übergeordneten politischen Zusammenhänge des Krieges einschließt und sich, wie der Titel andeutet, auf eine überschaubare Gruppe und deren innere Dynamik konzentriert. Dies reduziert nicht nur Komplexität,127 sondern dient auch zur Vermittlung eines bestimmten kollektiven Bewusstseins. Immer wieder wird von der auktorialen Erzählinstanz über „die Gruppe“ im Kollektivsingular geredet bzw. reflektiert, wobei die Gruppe Bosemüller unablässig als Idealgruppe besonders positiv erscheint: Man kann nur sagen, daß die Gruppe Bosemüller wieder einmal vom Herrgott offensichtlich bei der Verteilung des Ersatzes bevorzugt worden ist. […] Aber die Gruppe Bosemüller hat es schon verdient, da kann man mal eine Ausnahme machen. […] Keine Gruppe ist vollzählig. Nur eine. Das ist die Gruppe Bosemüller.128

Deutlich verstärkt kommt die Konzentration auf die Gruppe nicht nur in der Präsentation als einheitlich handelndes Kollektiv, sondern auch in der Darstellung von einem einheitlichen Bewusstsein zum Vorschein. Durch kollektive Fokalisierung werden die Erlebnisse der Gruppenmitglieder verallgemeinernd dargestellt, was eine Einheit der Erfahrung sowie des Fühlens suggeriert: „Ja doch, lass uns doch in Ruhe… wir sind in der allerbesten Verfassung. […] Weiß eigentlich noch einer, daß es regnet und wir patschnaß sind?“129 Die heterodiegetische Erzählweise ermöglicht es ebenfalls, durch Erzählerkommentare den Leser per ‚inklu-

126 Gleich zu Beginn deutet ein innerer Monolog auf das persönliche ‚Sinndefizit‘ des Leutnants hin. Eingeleitet wird dieser innere Monolog durch eine Aposiopese. Das so als besonders bedeutungsvoll gekennzeichnete Wort „Warum…“, das der Leutnant ausspricht, wird innerhalb des inneren Monologs in Form von Anaphern aufgegriffen und das Sinndefizit im Rahmen von rhetorischen Fragen ausformuliert. Weitere Anaphern wie „Wissen Sie nicht…“ und die Aneinanderreihung unzähliger desillusionierender rhetorischer Fragen lassen keinen Zweifel am ‚negativen Bewusstsein‘ des Leutnants (Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 25–26). Im Anschluss an den inneren Monolog verweist die auktoriale Erzählinstanz auf S. 26 aber dezidiert darauf hin, dass dieses Bewusstsein den anderen Protagonisten verborgen bleibt: „Es liegt viel in diesem Warum, aber es wird alles unterdrückt. Der Kleine merkt nichts davon.“ 127 Vgl. Prümm: Das Erbe der Front, S. 143: „Die Reduktion der Erzählperspektive wird zum wesentlichen Mittel der Idealisierung, sie schwächt den Zwangscharakter militärischer Strukturen ab bis zur Irrealität.“ 128 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 100, 191, 273. 129 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 275.



294 

 5 Analyse ausgewählter Romane

dierendem Wir‘ affektiv mit in die auf die Gruppe gerichteten Hoffnungen und Wünsche einzuschließen: „Hoffen wir, daß das Leschle der Kompanie recht lange erhalten bleibt.“130 Insgesamt zeigt sich vor allem in der Vielfalt der erzählerischen Möglichkeiten, die die heterodiegetische Erzählweise eröffnet und die Beumelburg mitunter virtuos ausschöpft, deren ideologische Nutzbarmachung, die graduell von direkten didaktischen Kommentaren bis hin zu durchaus subtiler Vermittlung von Ideologiehaltigkeit reicht. Hier spielt der Grad an redundanten bzw. inhaltlich übereinstimmenden ideologischen Aussagen zwischen Figurenrede und Erzählerkommentar bzw. teilweise auch einzig auf der Handlungsebene zwischen unterschiedlichen Figuren131 eine bedeutende Rolle. Suleiman spricht diesbezüglich von einem „Echo-Effekt“: [T]he order of the two interpretations is perhaps pertinent. In any case, the redundancy between them (which may be only partial, with only some elements repeated) acts as reinforcement, one by another („echo effect“).132

Auch Erll, die bisher als eine der Ersten die durchaus auffällige und abwechslungsreiche Gestaltung der Erzählperspektiven in Gruppe Bosemüller thematisiert, betont die Funktionalität der heterodiegetischen Erzählweise in Bezug auf eine „Chorfunktion“, also primär als Kommentarfunktion: In Gruppe Bosemüller wird die heterodiegetische Vermittlung des Geschehens genutzt, um mythische Elemente, wie den Monolog der Mondlandschaft, einzufügen oder um eine Chorfunktion zu erfüllen, die das tragische Geschehen und die Schicksalshaftigkeit des Krieges unterstreicht.133

Unter den Begriff der „Chorfunktion“ fasst Erll dabei lediglich Erzählerkommentare und -reflexionen wie: „Armer Bosemüller, mußtest du denn hingehen?“134 und lässt so die Möglichkeiten der heterodiegetischen Erzählperspektive im Rahmen des von Suleiman betonten „Echo-Effekts“ außen vor. Zusammengenommen bilden aber der „Echo-Effekt“ und die „Chorfunktion“ mit die wichtigsten Aspekte in Bezug auf die ideologisch geprägten Erzählperspektiven aller untersuchter Romane.

130 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 100. 131 Vgl. Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 161 [Abschnitt A.5.1]. 132 Suleiman: : Authoritarian Fictions, S. 169. 133 Erll: Gedächtnisromane, S. 291. 134 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 86.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 295

Dass der „Echo-Effekt“, obwohl er bewusst Redundanz zum Zweck einer höheren Kohärenz aufbaut, zur Beschleunigung des Erzähltempos beitragen kann, zeigt ein Beispiel aus Gruppe Bosemüller. Dort wird ein Fliegerangriff zunächst aus der Perspektive von Siewers intern fokalisiert und dann im Anschluss vom Erzähler im Sinne einer Radio-Liveberichterstattung aus der Außenperspektive der ganzen Gruppe stark dynamisiert und spannungsgeladen geschildert.135 Sowohl Gruppe Bosemüller als auch der Rote Eine-Mark-Roman Sturm auf Essen schildern jeweils die Außenperspektive des Erzählers auf die Kampfhandlungen einer gesamten Gruppe bzw. eines parteilichen Kollektivs im Stile einer RadioLiveberichterstattung als hochgradig dynamisiert und im Rahmen von impulshafter, spontaner Wahrnehmung somit recht plastisch und unmittelbar: Der Beobachter… wo ist denn der Beobachter… […] Jetzt zum viertenmal… es ist nicht mehr mitanzusehen. Hilft denn niemand… hilft denn wirklich niemand? Holt denn niemand die Räuber da oben herunter?136 Vorn krachte ein Schuß. Und noch einer. Die Marschierenden prallten aufeinander. Fluchten. „Was ist los zum Donnerkeil?“ Vorn krachte eine Gewehrsalve. „Zurück!“ Drängen und Stoßen. Frauengeschrei: „Die Grünen schießen! Sie schießen auf uns!“ Schuß um Schuß. Der Menschenstrom brandete zurück in die rückliegenden Straßen. Hinterher die Polizeikette.137

Die beiden Zitate demonstrieren exemplarisch, dass Dynamik hauptsächlich durch die verstärkte Anwendung eines parataktischen Satzbaus und ellipsenartiger Sätze hervorgerufen wird. Auf diese Weise werden Aktionsketten aneinandergereiht. Gedankenpunkte, an anderen Stellen teilweise auch Aposiopesen, signalisieren darüber hinaus die Aneinanderreihung von Assoziationen und spontanen, affektiv geprägten Beobachtungen. Dies sind jedoch nur einige der zahlreichen Abschnitte in den links- wie rechtspolitischen Romanen mit der Tendenz zur Beschleunigung des Lesetempos. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die doch vom ideologischen und inhaltlichen Standpunkt her so unterschiedlich gearteten Romane an der Schreibweise und Stilistik populärer Literatur, insbesondere der Abenteuerliteratur, partizipieren. Charakteristisch für die Romane beider politischer Seiten ist außerdem die Tendenz zu iterativen Erzählabschnitten, vor allem wenn es darum geht, den Alltag und das Elend der Mietskasernen und Großstädte, in denen viele der Romane spielen, atmosphärisch zu schildern (vgl. dazu 5.2) und wenn genera-

135 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 226–228. 136 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 226–227. 137 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 20.



296 

 5 Analyse ausgewählter Romane

lisierende Erzählerkommentare geäußert werden. So ähnelt der iterative Erzählabschnitt, der im Rahmen der Exposition den Alltag in Heinis Haus in der Gotzkowskystraße 86 beschreibt, sehr stark dem entsprechenden expositorischen Abschnitt im Roten Eine-Mark-Roman Kämpfende Jugend: An diesem Haus ist nichts Besonderes. Es steht in der Gotzkowskystraße und trägt die Nummer 86. […]Es gibt tausende solcher Häuser in Berlin. […] [I]m Keller klopft der Schuster scheinbar immer dasselbe Stück Sohlenleder zurecht. […] Es wird früh lebendig in diesem Hause. Gegen halb sechs schlurft der Portier zur Haustür und schließt auf. […] Auch eine Frau kommt regelmäßig um diese Zeit mit hastigen Schritten über die Treppe gelaufen.138 Solche Vorgänge konnte man in der Nostizstraße [sic!] täglich erleben. Immer war Krach, sinnlos beschimpften sich die Leute.139

In den Viera-Romanen sind iterative Passagen hingegen offener ideologiebesetzt; sie dienen überwiegend dazu, vorgebliche Benachteiligung und Angriffe durch Gegner zu verallgemeinern sowie diese in der zeitlichen Dimension als kontinuierlich auszugeben und somit auszudehnen: „Feiger Mordversuch aus dem Hinterhalt immer und immer wieder.“140, „[…] die Tage der roten Schande reihen sich weiter Jahr um Jahr […]“141. Diese stark wertenden Erzählerberichte sind charakteristisch für Vieras ‚Konjunkturromane‘ und kommen in solch immensem Ausmaß in keinem der anderen untersuchten Werke vor. Insbesondere Schenzinger partizipiert an dem für die Weimarer Republik charakteristischen Genre des Großstadtromans und geht äußerst sparsam und zielsicher mit auktorialen Erzählerkommentaren um, vor allem wenn sie explizit ideologisch gefärbt sind. Die Wahrnehmung des zentralen Protagonisten, Heini Völker, sowie dessen Urteilsbildung vor der durchaus ambivalent gestalteten Kulisse des zeitgenössischen Berlins, in dem linke wie rechte Parteien ‚um die Seele des Arbeiters kämpfen‘, ist einigermaßen vielschichtig gestaltet und suggeriert eine nachvollziehbare Urteilsbildung und -findung des Protagonisten, mit all ihren Komplikationen und kurzfristigen Verunsicherungen. Natürlich ist auch hier das Ziel, dem der Protagonist entgegenstrebt, nämlich die Aufnahme und Bewährung als vollwertiges Parteimitglied der NSDAP, vorab normativ festgelegt. Die Umsetzung der Thematik gelingt aber um einiges differenzierter und glaubhafter als in den Viera-Romanen, was nicht zuletzt an der ausgereifteren

138 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 10–11. 139 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 3. 140 Viera: SA.-Mann Schott, S. 35. 141 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 76–77.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 297

Darstellung des Protagonisten und seiner Gedankengänge sowie Handlungsmotivationen liegt. Bereits zu Beginn des Romans wird im Rahmen eines Abschnitts in erlebter Rede deutlich, dass Heini durchaus imstande ist, abwägend zu reflektieren, dass seine Gedanken zum Erscheinungsbild und Verhalten der Nazis zunächst nicht lediglich von überbordender Begeisterung und rein affektiver Anziehungskraft geprägt sind, sondern dass er in seiner Urteilsbildung anfänglich schwankt, ob er das Standhalten der Nazis gegenüber den Provokationen seitens der linken Jugendlichen als feige oder diszipliniert einordnen soll.142 In der Gegenüberstellung eines positiven (Kameradschaftsführer Kaß143) wie negativen Mentors (Stoppel) und deren jeweils didaktisch geprägter Monologe wird nicht nur auf der figurativen Ebene Heini, sondern ebenfalls dem Leser eine freie Urteilsbildung suggeriert. Hier ist Stahl einer der wenigen, der auf diese implizite, aber dafür umso subtilere und effizientere Didaktik verweist, indem er betont, dass Schenzinger „encourages the impression that readers are intended to form their own judgments of events, independent of the writer.“144 Natürlich dürfen Autor und allwissender Erzähler keinesfalls gleichgesetzt werden, aber in Hinblick auf die Erzählperspektive ist es genau diese kaum wahrnehmbare Einmischung der auktorialen Erzählinstanz, die dem Leser eine freie Meinungsbildung suggeriert und ihm darüber hinaus zumindest oberflächlich eigene Urteilskraft zuspricht. Insbesondere adoleszenten Lesern wird so ein Gefühl des Ernstgenommenseins vermittelt, das ihnen sicher mehr schmeichelt und entgegenkommt als die bevormundenden ideologischen Erzählerkommentare aus den Viera-Romanen. Dabei ist jedoch die Altersstufe der jeweiligen Leserzielgruppen, an die sich die unterschiedlichen Romane wenden, nicht aus dem Blick zu verlieren. Vieras Romane sind in ihrer Aufmachung und Vermarktungsstrategie bewusst ‚kindertümelnd‘ gestaltet (vgl. 4.2.2), die Bücher richten sich mutmaßlich an Kinder, die nicht viel älter als 12 Jahre sind.145

142 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 34. Dieser Abschnitt in erlebter Rede ist gekennzeichnet durch zahlreiche Gedankenpunkte, die das reflektierende Abwägen Heinis verdeutlichen sollen. 143 Im Roman gibt es gleich zwei positiv gekennzeichnete Mentoren für den Protagonisten Heini Völker, die sich in der zeitlichen Abfolge jedoch ablösen; dies sind der Kameradschaftsführer Kaß sowie der Bannführer. 144 Stahl: Literature and Propaganda, S. 142–143. 145 Zwar spricht das vom Nationalsozialistischen Lehrerbund herausgegebene Jugendschriftenverzeichnis keine Altersempfehlung für die Viera-Romane aus; an der vom Franz Schneider Verlag lancierten Werbekampagne innerhalb der Viera-Bücher durften jedoch nur Kinder bis zu 15 Jahren teilnehmen (vgl. Anhang V und 4.2.2). Der Verlag wirbt für die Viera-Bücher unter dem



298 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Doch auch die an der Oberfläche zunächst ambivalent gestalteten Wahrnehmungen und Prozesse in Der Hitlerjunge Quex, beispielweise des Großstadtlebens und der sozialen Realität der Weimarer Republik, werden im Verlauf des Romans immer weiter ideologisch verdichtet und sozialen Harmonisierungstendenzen sowie Repräsentationsansprüchen der NSDAP zugeführt, wie die Analysen unter 5.1.3 und 5.1.5 zeigen. Zielgerichtet eingesetzt ist der „Echo-Effekt“: So entsprechen sich auf der Figurenebene durchaus die positiv besetzten didaktischen Aussagen des Kameradschaftsführers Kaß und die des Parteifreundes von Heini, Fritz Dörries (insbesondere was die sozialharmonisierenden Tendenzen und das Ethos der Eigengruppe betrifft), während die negativen Figuren Stoppel und Oskar Wisnewski sich zumindest im Groben in ihrer Verschlagenheit, Lasterhaftigkeit und Unaufrichtigkeit ähneln. Auch zwischen dem auktorialen Erzählerbericht und der personalen Fokalisierung Heinis gibt es an vielen Stellen Übereinstimmungen, am deutlichsten innerhalb eines repetitiven Abschnitts, der im Rahmen des „EchoEffekts“ exakt die Verstärkerfunktion einnimmt, auf die Suleiman im obenstehenden Zitat verweist: Das Kind beherrscht diese Straßen. […] Selten erhebt sich eine warnende Stimme oder gar ein Ruf, der nach Ordnung verlangt. Kein Wunder, daß diese Kinder sich fühlen, als habe ihnen überhaupt niemand etwas zu sagen. Es ist ein zügelloser Spaß, der aus ihrem Gelächter klingt. Roh und grausam gegen die anderen zu sein aber, ist ihnen das wahre Vergnügen. Heini kam die Straße daher und verspürte große Lust, die eine oder andere dieser Göhren zu ohrfeigen. Noch nie war es ihm so aufgefallen, wie frech und ungezogen diese Kinder waren. […] Für ihn war dieses Gehabe nichts als Renommage. Nichtskönner und Faulpelze. Je weniger einer taugte, um so größer seine Klappe. Er kannte das zu Genüge. […] Ein richtiger Quatsch war das. Was dieser Kerl da verzapfte, hatte man schon zum Kotzen oft gehört. Auf jedem Flugblatt stand das, an jeder Litfaßsäule. Er war geladen auf diese Brüder bis hierher.146

Die aus Heinis Sicht fokalisierten Stellen dieses Zitats sind nicht nur überwiegend kongruent mit der vorhergehenden, recht allgemein gehaltenen Einschätzung des Erzählerberichts, sondern sie verstärken auch das bisher Geäußerte durch die drastischere, an Heinis Sprachstil angelehnte Wortwahl und dienen so der affektiven Aufladung wie Verifikation der vorherigen, relativ allgemeinen Ausführungen des Erzählers. Zudem wird die Szenerie aus der Perspektive Heinis

Slogan „für die ganze Hitlerjugend“ (vgl. 4.2.2, Abb. 28) und bezeichnet so seine Zielgruppe, ob er mit den Büchern jedoch die gesamte Altersgruppe der 10–18 Jährigen erreichte, scheint fraglich. 146 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 98–100.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 299

zusätzlich politisch eingefärbt und somit um eine weitere Bedeutungskomponente angereichert, die für die Wirkungsabsicht des Romans entscheidend ist. Hier liegt der wohl deutlichste Unterschied zu Viera, der weniger atmosphärisch (be-)schreibt und seltener subtil zwischen den Ebenen von allgemeiner Erzählerbeschreibung und personaler Wahrnehmung vermittelt  – wenn überhaupt, dann immer nur in Form von standardisierten politischen Slogans, nicht aber mittels allgemeiner Befindlichkeiten und Stimmungen. Die von Viera relativ schematisch verfassten Romane unterscheiden sich in Hinblick auf Modus und Stimme kaum, immer ist der Erzähler deutlich präsent, nimmt ideologische Exkurse vor oder diskreditiert die politischen Gegner und leistet eine starke didaktische Einordnung des Geschehens bzw. der präsentierten Handlung. Graduell ist die Präsenz des Erzählers in Utz kämpft für Hitler sowie in Der Kampf um die Feldherrnhalle am stärksten. Zahlreiche Leseranreden und inkludierende Formen stellen besonders deutlich einen Pakt zwischen Leser und Erzähler her, der meist eindeutig auf ein kollektives politisches Glaubensbekenntnis hinausläuft, in das sich der Leser widerspruchslos integrieren lassen soll bzw. das ihm kontinuierlich nahezu ‚eingeimpft‘ wird: Unerschütterlich ist auch unser Glaube. Und so wie Utz glauben auch wir an Hitler und seine große Mission, und wir wissen, wenn Utz in die große Armee eingegangen sein wird, dann ist der Tag nicht mehr fern, wo die frohe Botschaft von Mund zu Mund geht, die Botschaft: Deutschland ist erwacht!147

Interessant ist der Tempuswechsel im Zitat: Ausgehend von der im Präsens geschilderten gegenwärtigen Situation („Glaube“) wird das Eintreffen eines zukünftigen Ereignisses im Futur II mit aller Sicherheit behauptet („eingegangen sein wird“), bevor die Phrase („ist erwacht“) im Perfekt eine Situation schildert, die zu einem bestimmten, hier nicht näher spezifizierten, aber voraussichtlich nahen, zukünftigen Zeitpunkt als abgeschlossen gilt. Solcherart wird die Zukunftsgewissheit der Aussage auch sprachlich-grammatikalisch verstärkt.

147 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 74. Weitere den Leser inkludierende Stellen mit Appellfunktion finden sich vor allem in Der Kampf um die Feldherrnhalle, teilweise sogar mit der das Selbstverständnis der Nazis fundierenden ‚Parteierzählung‘ bzw. Parteigeschichte verbunden. Vgl. dazu Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 13: „Mann der Bewegung, Kind der Bewegung, vergeßt es niemals, euer Führer trug handgeschriebene Zettel durch die Straßen Münchens. […] Ihr achtzig Menschen, die ihr diese Zettel bekommen habt, euch ist großes Glück widerfahren.“ Vgl. außerdem im Rahmen der Tradierung der ‚Dolchstoßlegende‘, S. 17: „Tag und Nacht rollen auf den deutschen Eisenbahnschienen die Kohlenzüge ins feindliche Ausland, und die Reichsbank muß alleine im ersten Halbjahr 1919 über eine Milliarde Goldmark für Lebensmittel an den Feindbund abgeben, der in Wahrheit weder unsere Kohlen noch unsere Lebensmittel braucht.“



300 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Prolepsen sind nicht nur charakteristisch für die Werke Vieras, sondern ebenfalls für die siegesgewissen impliziten Happy-Ends der Roten Eine-Mark-Romane, die Niederlagen als lediglich notwendige vorläufige Durchgangsstufen auf dem Weg zum endgültigen Ziel der Revolution werten und auf diese Weise quasi zu ‚Etappensiegen‘ umdeuten bzw. verklären. Dies zeigt beispielsweise die zukunftsgewisse, als Kampfaufruf zu verstehende Prolepse am Ende von Sturm auf Essen, die von dem kraftvollen Arbeiterheros Zermack geäußert wird: „Der Prolet wird wieder eines Tages mit seinen Fäusten in die Räder greifen, die Gewehre an sich reißen! […] Wir werden die Schwätzer aufs Maul schlagen! Nur eins wird sprechen: Unsere Gewehre!“148 Im Unterschied zu den proleptischen Erzählerkommentaren bei Viera stehen in den Roten Eine-Mark-Romanen jedoch überwiegend die zukunftsgewissen Äußerungen der Arbeiter im Rahmen von Figuren- und Bewusstseinsrede im Vordergrund. Insgesamt äußert sich die auktoriale Erzählinstanz in den roten Romanen nur zurückhaltend, am deutlichsten tritt sie in Kämpfende Jugend hervor. Sie greift hier durch Stellungnahmen weit mehr als in den anderen Roten Eine-Mark-Romanen didaktisch-erklärend ein, um Jugendlichen gesellschaftliche Prozesse näher zu bringen. So verweist z. B. ein Erzählerkommentar unter Verwendung des Präsens und syntaktischer Parallelismen auf die allgemeinen gesellschaftlichen Umstände sowie auf prototypische Lebensläufe von Jugendlichen und hebt somit auch formal deutlich hervor, dass der Tod eines Kindes kein Einzelschicksal ist: Karl Danna starb. – Aber es gab ja noch mehr kleine Kinder. Noch viel, viel mehr spielen auf den düsteren Höfen der Nostizstraße [sic!]. Die Frau trug ein Kind im Leib. Noch viel mehr Frauen der Nostizstraße tragen Kinder im Leib. Und nicht alle sterben so früh. Sie kommen zur Schule, werden zum ‚Ja‘ sagen erzogen. Manche bekommen dann Arbeit, manche nicht. Und dann stehen sie vor den Haustüren und warten. Sie warten immer auf irgend etwas.149

Doch auch Funktionärsmonologe sowie Aussagen und sogar die Gedankenzitate verschiedener Charaktere werden vom Erzähler in Kämpfende Jugend (oft ironisch) kommentiert, indem er das Gesagte gemäß der kommunistischen Ideologie einordnet und damit eine didaktisierende Funktion einnimmt, gleichzeitig aber um einen humorvollen, unterhaltenden Stil bemüht ist.150 S.S. Utah und Sturm auf

148 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 160. 149 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 70–71. 150 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 74: Der Erzähler kommentiert ironisch die Namensfindung der Clique mit: „Da die erste große Tat.“, S. 91: Erzählerkommentar zur finanziellen Lage der Jungs aus der Clique: „Nein die Herren wünschten nichts. Sie hatten kein Geld.“, S. 95: Schil-





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 301

Essen weisen ebenfalls einen auktorialen Erzähler auf, dessen Kommentare sind jedoch deutlich zurückhaltender eingesetzt. Dort suggerieren jeweils die ideologisch geprägten Dialoge sowie einmontierte und von den Figuren selbst kritisch kommentierte Zeitungsmeldungen151 dem Leser eine freie Meinungsbildung bzw. freien Meinungsaustausch und legen didaktisch den ‚richtigen‘ Umgang mit den Medien der (gegnerischen) Presseberichterstattung nahe. Auch Monika Sommer verweist auf den Authentizitätseffekt sowie die didaktische Wirkung der verwendeten Montageverfahren: Radiodurchsagen, Zeitungsausschnitte und Flugblätter werden […] integriert und erhöhen einerseits die Authentizität, andererseits enthalten sie politische Aussagen, die durch eine konventionelle Erzählweise (Dialog, innerer Monolog) nicht dieselben Wirkungen erzielen würden.152

Nichtsdestotrotz sind neben diesen Montageverfahren die Funktionärsmonologe entscheidende narrative Mittel der Ideologievermittlung. In den Roten EineMark-Romanen besitzen diese politischen Monologe, die auf linker wie rechter Seite durchaus in umfangreicher Weise didaktisch-appellativ eingesetzt werden, jedoch eine etwas andere ‚Qualität‘, da sie über politische Slogans und Phrasen hinaus ein Mindestmaß an politisch-theoretischen Inhalten zu vermitteln versuchen – was jedoch oftmals hölzern anmutet und sich an einigen Stellen störend auf den Erzählfluss der Romane auswirkt.153 Insgesamt ist bei allen untersuchten Romanen auffällig, dass teilweise bewusst (scheinbar) sachliche Fakten an stark affekthaltige Wahrnehmungsweisen und Reaktionen der Protagonisten angebunden werden  – und umgekehrt. Die beiden Ebenen reichern sich so gegenseitig an, zugunsten eines didaktischen Effekts: Denn in Verbindung mit der kognitionswissenschaftlichen Erkenntnis, dass „emotionale bzw. stark konnotative Bedeutungsaspekte (aufgrund ihrer hohen Relevanz) anders rezipiert (z. B. schneller oder hinsichtlich des Aktivie-

derungen der Emotionen und des Bewusstseins der Clique, die Theos Funktionärsmonolog hervorruft, S. 23: Erzählerkommentar zu Bürokratie und Wohlfahrt, S. 89–90: Durch Gedankenstriche wird der Erzählerkommentar von den Gedanken des Doktors separiert und signalisiert so, dass es sich eher um die Deutungen des allwissenden Erzählers handelt: „– Der Mensch bleibt eben nicht stehen. Er geht weiter, wird klarer. – Noch dazu im Kommunistischen Jugendverband. Und Elly war einen großen Schritt weitergegangen. –“. 151 Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 30–33; vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 29, 81, 85–86, 90; vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 6. 152 Monika Sommer: Literarische Jugendbilder zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit. Studien zum Adoleszenzroman in der Weimarer Republik. Frankfurt a. M. [u. a.] 1996, S. 164. 153 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 26, 88–89, 95.



302 

 5 Analyse ausgewählter Romane

rungsniveaus intensiver) sowie besser behalten werden als neutrale Informationen, […] und dadurch emotionale Textinhalte leichter verknüpft und in bereits gespeicherte Kenntnissysteme des Lesers integriert werden können.“154, muss hier von einer bewussten Strategie der Emotionalisierung gesprochen werden, welche die als objektiv ausgegebenen, verallgemeinernden Lerninhalte und Analysen an emotional aufgeladene Schilderungen anbindet, damit diese besser behalten werden.

5.1.7 Zusammenfassung: ‚Nationalsozialistischer Realismus‘ ungleich ‚sozialistischer Realismus‘ – Eine Absage an totalitarismustheoretische Interpretationen Die Textanalyse zeigt, dass, trotz der häufigen Verwendung von Versatzstücken der zeitgenössischen Realität und zahlreichen Elementen, die auf Authentizität abheben, die Darstellungsabsicht der rechts- wie linkspolitischen Romane alles andere als sachlich-neutral ist und die Realität der jeweiligen Weltanschauung untergeordnet wird. Vor diesem Hintergrund scheint die in Analogie zum Terminus des ‚sozialistischen Realismus‘ erfolgte theoretische Begriffsbildung von Ine Van linthout, die für die Einführung des Begriffes „nationalsozialistischer Realismus“155 plädiert (vgl. dazu 1.4.1), als durchaus nachvollziehbar. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass, wie gezeigt, neben auf den ersten Blick auffälligen (formalen) Übereinstimmungen, durchaus ganz unterschiedliche inhaltliche Absichten und auch rhetorisch graduelle Unterschiede bestehen, die eben nicht im Rahmen der Totalitarismusthese weggewischt werden dürfen, sondern differenziert herausgearbeitet werden müssen, um dem spezifischen Charakter dieser Literatur und ihren Wirkungsabsichten gerecht werden zu können. Zusammenfassend zeichnet sich ab, dass insbesondere in den national(sozialistisch)en Romanen die Berufung auf Zahlen (Superlativ-Stil)156

154 Schwarz-Friesel: Sprache und Emotion, S. 129. 155 Vgl. das Kapitel 3.2.2.4, das den Titel „Nationalsozialistischer Realismus“ trägt, in: Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 318–322. 156 Vgl. für die charakteristische Hyperbolik der Sprache im Nationalsozialismus, die sich z. B. in superlativischen Zahlenangaben äußert u. a.: Christian A. Braun: Nationalsozialistischer Sprachstil. Theoretischer Zugang und praktische Analysen auf der Grundlage einer pragmatischtextlinguistisch orientierten Stilistik. Heidelberg 2007, S. 265–271 [insbesondere S. 269–270]. Horst Dieter Schlosser: Sprache unterm Hakenkreuz. Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus. Köln/Weimar/Wien 2013, S. 201. Siegfried Bork: Mißbrauch der Sprache. Tendenzen





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 303

und das explizite Ethos in Bezug auf die Eigengruppe stärker vertreten ist als in den hier untersuchten linkspolitischen Romanen. Wenngleich auch der Rote Eine-Mark-Roman an einigen Stellen (vor allem in der archaisch anmutenden Beschreibung kraftvoller Arbeiterkörper) zum ‚Monumentalstil‘ neigt, so schmückt er jedoch sehr viel weniger Massendarstellungen und die Zahl der (natürlich als konstant ansteigend dargestellten) Anhängerschaft durch übertrieben hohe (und im Romanverlauf oft inkonsistente157) Zahlenwerte von Hunderten und Tausenden aus, wie dies vor allem exzessiv in der ‚Konjunkturliteratur‘ von Viera158 zum Tragen kommt, sondern beschränkt sich in der Darstellung meist auf die konkrete äußere und innere Dynamik von Massenszenen. In den hier untersuchten kommunistischen Romanen tritt oftmals eher die sozialreformerisch motivierte und auf dem Klassenansatz basierende Negation des Ethos des Bestehenden, also die Notwendigkeit überkommene (bourgeoise) moralische Wertmaßstäbe über Bord zu werfen,159 sowie die generelle Infrage-

nationalsozialistischer Sprachlenkung. Bern/München 1970, S. 44–46. Sigrid Frind: Die Sprache als Propagandainstrument in der Publizistik des Dritten Reiches. Untersucht an Hitlers „Mein Kampf“ und den Kriegsjahrgängen des „Völkischen Beobachters“. Dissertation Freie Universität Berlin. Berlin 1964, S. 53–54. 157 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 154: Monolog von Kaß unter Betonung der gleichen Ausrichtung im Rahmen von Anaphern mit Klimax: „Am ersten Oktober ist Reichsjugendtag in Potsdam, zum erstenmal. Fünfzigtausend Jungens kommen dahin, einer wie der andere, ein Gedanke, eine Idee, ein Glaube, fünfzigtausend!“, im Gegensatz dazu die Zahlenangabe im Erzählerbericht auf S. 257: „In wenigen Wochen sollte der erste Reichsjugendtag steigen. Man rechnete mit zwanzig- bis dreißigtausend Jungens aus allen Teilen des Reiches.“ 158 Auffällig bei Viera ist die Bilanz des Ansteigens der Mitgliederzahlen an den Kapitel- und Romanenden, die sich oftmals pauschal auf Hunderte und Tausende belaufen. Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 11, 15, 21. Sogar das Bild einer sich selbst perpetuierenden ‚Bewegung‘ wird auf S. 63 vermittelt: „[…] Hunderte, vielleicht Tausende von de Besten von de Kommune abspenstig jemacht. Und diese Hunderte und Tausende sind nun selba wieder Streiter for Hitlern, da kann sich ein Mathematikprofessa nu ausrechnen, wie sich det weiter vermehrn tut in een paar Jahren.“, S. 78: „82000 SA.-Männer! Vor drei Jahren noch ein ‚Bäckerdutzend‘.“ Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 78: „20000 SA.-Männer füllen die Ludwigstraße. 195 Standarten der SA. und SS. […].“ Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 40–41: ironischer Kommentar von Utz: „‚Du musst es ja wissen‘, antwortet Utz trocken. ‚Wahrscheinlich sind die Hunderttausende und Millionen, die an Hitler glauben, die Dummen, und du Karlemann, bist der einzig Schlaue.‘ […] Utz sagt das alles mit eindrucksvoller Schlichtheit.“ 159 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 88: Monolog der Funktionärin Trude: „Unsere Parole ist: alles für die proletarische Klasse. Auch die Liebe. Dient sie dem Klassenkampf, fördert sie, gibt sie neue Kraft, dann ist es gut, egal, wie es die Menschen fertiggebracht haben. Stiftet sie aber Verwirrung und schafft sie Fesseln, dann fort mit ihr, dann ist sie kleinbürgerlich, sentimental und rückständig. Erst im freien sozialistischen Staat werden wir lieben können, wie wir



304 

 5 Analyse ausgewählter Romane

stellung der bürgerlichen Wertmaßstäbe von ‚Ruhe und Ordnung‘ hervor,160 deren Begrifflichkeiten, größtenteils in Abhebung von der Weimarer Republik, meist durch Antinomien und das Verfahren der Ironie im Rahmen von Arbeitermonologen dekonstruiert werden: „Ordnung ist, wenn die einen krepieren, in den Wohlfahrtsämtern angebrüllt werden und wenn sich auf der anderen Seite die Reichtümer häufen. Wenn hier schwangere Proletenfrauen nicht wissen, wie sie ihre Kinder satt machen sollen, und auf der anderen Seite die Frauen der herrschenden Klasse in die Berge ins Sanatorium fahren, ihre Kleider zeigen, die Fressen anmalen und  – Abtreibungen vornehmen lassen. […] Natürlich braucht der Bürger die Ordnung. Das haben die sozialdemokratischen Führer 1918 auch gesagt. Ruhe und Ordnung. Dann kam Noske. […] Da hatte der Bürger die Ruhe, aber das Proletariat hat seine Besten bei dieser ‚Ordnung‘ verloren […].“161 „Ja, vor dem Gesetz sind alle gleich. Es ist den Armen wie den Reichen verboten, unter Brückenbogen zu schlafen und Brot zu stehlen. Das ist Ordnung, das ist Demokratie…“162 „[…] Sie [die Regierung] lässt durch die Grünen, die mit Kapp-Lüttwitz geliebäugelt haben, die Ordnung herstellen! Du solltest gestern in der Stadt mitgewesen sein, wie sie dreinschlugen, wie sie rinknallten, wie wir gekrochen sind, um nicht im Feuer zu verrecken! Das nennt man dann Ruhe und Ordnung!“163

Die Aufwertung der Eigengruppe sowie deren ethische Überlegenheit ist in den Roten Eine-Mark-Romanen zumeist implizit ableitbar aus zielgerichteten Handlungen und aus den parteikonform beschriebenen, emanzipatorischen Aktionen der Protagonisten im Sinne der Ideologie (Streikorganisation, Gründung einer Straßenzeitung, Solidarität etc.). Der wohl wichtigste Unterschied zwischen den linken und rechten Romanen in Bezug auf die außerfiktionale Realität besteht jedoch darin, dass sich in dem untersuchten Romankorpus keine Thematisierung von Arbeiterkämpfen im Bereich der national(sozial)istischen Romane finden lässt, die hingegen in den Romanen von kommunistischer Seite eine zentrale Stellung einnehmen. Zwar wird in auffälliger Weise Arbeitslosigkeit in allen Viera-‚Konjunkturtiteln‘ oberflächlich als durch den Parteieintritt verursacht und Trotzreaktionen hervorru-

wollen. […] Das ist die Liebe, die nicht mehr abhängig ist von der Moral degenerierter Bürger und des Kapitals.“ 160 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 69: Kommentar des Arbeiters Raup: „‚Wir sind die verfluchte Ruhe, die uns zum Vieh herabwürdigt, satt.‘ grollte Raup.“ 161 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 111–112. 162 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 112. 163 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 51.





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 305

fend dargestellt,164 von den näheren Arbeitsverhältnissen, -bedingungen, den Strukturen des Arbeitsmarktes und der Organisation der Arbeiter ist jedoch keine Rede. Der Bereich der ökonomischen Analyse (das Steckenpferd der gegnerischen Kommunisten) wird also vollkommen ausgeblendet – zugunsten eines allgemeinmenschlich verklärten ‚Volksgemeinschafts‘-Pathos sowie konkreter materieller Versprechungen. Die nationalsozialistischen Romane versäumen es somit nicht, beständig darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedschaft bei den Nazis neben ideellen auch materielle Vorteile (Essen, Unterkunft, Uniform) birgt.165 Güter werden aber unter Abhebung von den Kommunisten (bzw. kommunistischen Cliquen) in der Selbstdarstellung nicht durch Kriminalität und Diebstahl erwirtschaftet, sondern durch das suggerierte Ethos des aufrichtigen, ehrhaften, arbeitsamen Verhaltens erwor-

164 Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 24: „Als Nazi kommt er in Verruf und kriegt kaum mehr Arbeit.“; vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 8: Rede Sturmführer Lemke: „Wegen ihres Bekenntnisses zu Hitler verloren viele von uns Arbeit und Verdienst. Aber Tag um Tag, Stunde um Stunde stand der Sturm wie ein Berg.“, S. 45–46: Arbeiter Boy und Jähne wegen NSDAPMitgliedschaft entlassen, kontrastierend dazu auf S. 68 die sich unmittelbar vollziehende Zeitenwende: „Sie [Boy und Jähne] wissen, nicht mehr wird der Arbeiter der Stirn und Faust wegen aufrechter deutscher Gesinnung auf die Straße geworfen.“; vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 8: Arbeitslosigkeit von Wills Vater wegen Mitgliedschaft in der NSDAP, trotzdem kostenloses Engagement des Vaters für die Partei (Idealismus und antikapitalistischer Gestus), S. 47: Mutter Siebenhaar verliert den Kunden Gockerell aufgrund ihrer Parteimitgliedschaft. 165 So findet Heini im HJ-Heim nicht nur kostenlose Unterkunft, sondern auch reichlich belegte Brote. Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 173: „Schmalz mit Leberwurst“. An zahlreichen weiteren Stellen finden sich Bezüge auf Nahrungsmittel, die suggerieren, dass es bei den Nazis angeblich immer reichlich und gut zu essen gibt und somit durchaus auch auf einen sozialen Aufstieg hindeuten; ein nicht unbedeutendes Argument für verarmte Kinder sich der HJ anzuschließen. Vgl. dazu S. 188: „Suppe mit Speck“, S. 191: Kaffee mit Zucker, S. 60: Brote bei den Dörries, S. 179: Befehl an den Gefolgschaftsführer: „Gebt dem Jungen etwas Banniges zu futtern –“, was dazu führt, dass Heini gleich „sechs Brötchen verdrückt“. S. 145: Uniform für Heini. Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 51–61: Familie Mau lebt die personifizierte ‚Volksgemeinschaft‘ vor, kümmert sich um die Gesundheit von Utz, gibt ihm zu essen, empfängt den Proletarierjungen freundschaftlich und besorgt auch seiner Mutter eine neue Stelle als Wäscherin; Onkel Hub will sogar die nächste Rente für bedürftige Hitlerjungen spenden. Indessen wird auf S. 60 vom Einzelfall (Utz und seine Mutter) auf das Allgemeine in Form eines Lehrsatzes abstrahiert: „Außerdem versteht es sich von selbst, daß Nationalsozialisten einander helfen, wo sie nur können.“ Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 10: Essen für arbeitslose Kameraden, Familienersatz/ Obdach: „Unser SA.-Heim ersetzt doch vielen von uns das fehlende Zuhause.“, S. 10: auch finanzielles Einstehen der Kameraden füreinander durch eine „monatliche Sammlung“ für die Miete und den Erhalt des SA-Heimes, S. 56: „Hätten sie das SA.-Heim nicht, müßten sie nachts auf der Straße liegen.“



306 

 5 Analyse ausgewählter Romane

ben und geteilt.166 Dabei wird der oberflächliche Gestus der ‚Volksgemeinschaft‘ und des Teilens von Essen und Kleidung (wie im Rahmen der Frontgemeinschaft bereits bei Beumelburg demonstriert, vgl. 5.3.1) in Abhebung vom politischen Gegner als „wahrer“ Sozialismus ausgegeben.167 Aber die Teilhabe an der Gemeinschaft und an materiellen Gütern gibt es auch in den nationalsozialistischen Romanen nicht umsonst; sie ist, wie an einigen Stellen deutlich wird, sehr stark an ein (rassistisch begründetes) Leistungsprinzip gebunden. Am offensichtlichsten zeigt dies der Monolog von Fritz Dörries aus Der Hitlerjunge Quex, der die ‚Volksgemeinschaft‘ exklusiv168 als sozialdarwinis-

166 Dies wird am deutlichsten in Kapitel 1.6 von Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 37–48, wo im Rahmen der Zeltlager der Kommunisten und Nationalsozialisten eine starke Kontrastierung der beiden politischen Gegner vorgenommen wird, in die das Bekehrungserlebnis von Heini im Wald eingebettet ist. Vgl. S. 43: Heini im kommunistischen Lager: „Heini war der Hunger vergangen. Er wollte nichts von dem geklauten Zeug.“ Einige Seiten weiter dann die gefühlmäßige und durch den leitmotivischen Begriff der ‚Ordnung‘ motivierte Abhebung Heinis von der Clique und sein Zugehörigkeitsgefühl zu den Nazis. Vgl. S. 47–48: „Es gab hier nichts weiter zu wissen für ihn. Er fühlte, daß er mit diesen Jungens gehen möchte, daß hier gerade das Gegenteil war von dem, was in der Clique vor sich ging, daß hier Ordnung war, Ordnung –, das Wort ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.“ 167 Exemplarisch für die zahlreichen Stellen in national(sozialistisch)en Romanen, die Sozialisten (SPD) und Kommunisten (KPD) als Gegner zusammenziehen und ihnen das ‚Sozialistische‘ absprechen wollen, um die eigene Partei unter verklärtem Ethos zum Vertreter von ‚Menschlichkeit‘ zu stilisieren, vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 66: „Wie ist es möglich, daß sich Sektsäufer und Schlemmer, wie der ‚Generaldirektor‘ Nürpke und der rote Stadtrat Liesegang, ohne zu erröten, Sozialisten nennen dürfen? Kann ein wahrer Sozialist schlemmen und ein großes Haus führen, solange es noch Brüder gibt, die das Notwendigste zum Leben entbehren? Und solche Burschen, die die wahre Menschlichkeit verfälschen und den Klassenhaß predigen, gibt es in Deutschland Tausende und Abertausende. Hitler und seine braune Armee sind die Träger des Kampfgedankens gegen diese Pest im Land, die den friedlichen Volksgenossen mit Straßenterror einschüchtert.“ Unter der Verwendung von rhetorischen Fragen wird den ‚Roten‘ jede politische Legitimität abgesprochen und sie werden im Anschluss zur übermächtigen Bedrohung stilisiert („Tausende und Abertausende“, „Terror“) und durch die Krankheitsmetaphorik („Pest“) zum bekämpfens- bzw. vernichtenswerten Feind gemacht, womit gewaltsames Vorgehen gegen den Gegner gerechtfertigt wird. Auffällig ist die Säuberungsmetaphorik, die, euphemistisch verbrämt, die Vernichtung des Gegners nahe legt, in ihrer Radikalität aber auch im kommunistischen Bereich anzutreffen ist. 168 Bei Viera an unzähligen Stellen sehr viel eindeutiger antisemitisch gewendet. Vgl. u. a. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 19: „Ein einig Volk müssen alle Deutschen werden, vereint in einem Großdeutschland und gleichberechtigt mit allen Völkern der Erde, mit gleichen Lebensrechten. Staatsbürger ist nur der Volksgenosse deutschen Blutes. Kein Jude und kein Fremdstämmiger kann Volksgenosse und Staatsbürger sein.“





5.1 Suggerierte Faktizität und Fiktionen 

 307

tisch-rassistisch fundierte Leistungsgemeinschaft definiert  – eine der wenigen, aber dafür umso eindringlicheren explizit rassistischen Stellen im Roman: „[…] Wir müssen wieder eine natürliche Gemeinschaft werden. Wir haben ja nur noch Bastarde. Das Wort Volk ist bei uns lächerlich geworden. […] Wir müssen uns ja vor jedem Hirschrudel schämen, vor jeder Elefantenhorde. Die vermischen sich nicht mir anderen. Dort hat auch jeder seinen Platz nach dem, was er ist und was er im Rudel leistet. […]“169 „Es gibt bei uns keine Klassen. Es gibt nur solche, die etwas leisten und Schmarotzer, und die müssen weg.“170

Neben der exklusiven Definition der ‚Volksgemeinschaft‘ und einhergehend mit einem primär irrational begründeten Politikverständnis auf der nationalsozialistischen Seite, unterscheiden sich die linkspolitischen wie rechtspolitischen Romane vor allem in der dem Leser unterstellten Bedürfnisstruktur. Referieren die linken Romane vorgeblich auf emanzipatorische Politikinhalte und Verfahren zur Selbsthilfe, die ein Mindestmaß an politischem Bewusstsein und Engagement voraussetzen und eine unmittelbar herannahende Revolution heraufbeschwören, so fordern zwar auch die nationalsozialistischen Romane in ihrer Grundtendenz dazu auf, persönliche Bedürfnisse dem Großen und Ganzen der Parteiarbeit unterzuordnen, verfolgen parallel dazu jedoch eine relativ konkrete Ausrichtung an universellen privaten Wunschträumen von sozialem Aufstieg, Gemeinschaft und Wohlstand, die  – so vermitteln die Romane  – durch eine Konversion zu den Nationalsozialisten emotional wie materiell bereits im Rahmen der Weimarer Republik im Ansatz gestillt werden können, bevor dann die als zwingend erforderlich dargestellte ‚nationalsozialistische Revolution‘ eintritt. Wie die Nationalsozialisten das Versprechen einer egalitär anmutenden ‚Volksgemeinschaft‘ ökonomisch realisieren wollen, wird dabei nicht thematisiert. Im Gegensatz zu den kommunistischen Romanen, die ein grundlegendes Maß an theoretischer Auseinandersetzung fordern, stehen Politikinhalte kaum im Blickpunkt der nationalsozialistischen Romane, vielmehr sind es das Ethos der Eigengruppe und das freizeitorientierte Ablenkungsbedürfnis, die in Abhebung von den vermeintlich unzureichenden Verhältnissen für Arbeiter in der Weimarer Republik für verstärkte Unzufriedenheit, aber auch für eskapistische Wunschträume sorgen, deren Erfüllung der Nationalsozialismus verspricht:

169 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 63. 170 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 64.



308 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Der Faschismus besetzt die Nischen des Alltäglichen (Aufstiegsträume, Unterbrechungen des Alltags wie z. B. Weihnachten, ungetrübtes Familienglück, Gemeinschaft, Naturerlebnis), denen der Schein des ungetrübten kleinen Glücks anhaftet. Dessen Zerstörer ist die bis in alle Ritzen des Privatlebens eindringende ökonomische Krise, die Arbeitslosigkeit. An deren Stelle setzt der Faschismus die Kommunisten, und er kann diese Vertauschung deshalb um so leichter vornehmen, weil die Kommunisten selbst sich tendenziell dort ansiedelten, weil sie mit dem Fetisch der großen Politik, der proletarischen Pflicht zur Organisierung, Kampfbereitschaft usw. die alltäglichen Fluchtwünsche, Sehnsüchte, Träume, Freuden diffamierten.171

Den oft asketisch, teilweise farblos anmutenden Forderungen der kommunistischen Funktionäre stehen die Wohlstands- und Freizeitversprechen (Essen, Fahrten in die Natur, sozialer Aufstieg) der Nationalsozialisten gegenüber, die mit ihrem rigiden Tugendkodex und ihrem letztendlich nicht minder strengen Leistungskodex ihren Mitgliedern nicht weniger Askese abverlangten als die Kommunisten, dieses aber durchaus im Rahmen blumiger Versprechen – gerade für finanziell deprivierte Jugendliche – attraktiver zu verpacken wussten als die oftmals bewusst unprätentiösen Forderungen der Kommunisten.

5.2 Vergleichende Gegenüberstellung der Plotstrukturen aus der Perspektive populärer Schemata Neben einer inhaltlich-formalen Analyse bietet sich vor allem die Untersuchung und Gegenüberstellung der Plotstrukturen an, um genauere Informationen darüber zu erhalten, welche konstitutiven Handlungsmerkmale die ideologisch geprägten Romane beinhalten und wie diese die Struktur der Werke prägen. Solcherart eröffnet sich eine weitere Dimension der Romane, die es ermöglicht, zuverlässige Aussagen darüber anzustellen, in wieweit und ob sie überhaupt nach ähnlichen Bauplänen konstruiert sind bzw. nach analogen Mustern funktionieren, obwohl ihr Inhalt ideologisch als konträr einzustufen ist. Auch hier geht es keinesfalls um eine pauschale Aufstellung der Gleichung ‚rot=braun‘ im Sinne der Totalitarismusthese, vielmehr wird nach gemeinsamen Basismerkmalen und einem prototypischen Handlungsschema mittleren Abstraktionsgrades Ausschau gehalten, das schlüssig die Merkmale einer sehr spezifischen Art von Literatur beleuchten soll, die vor den politischen und ideologischen Tagesanforderungen der Weimarer Republik vor allem eine gemeinsame Zielgruppe im Auge hat: den Arbeiter.

171 Stollmann: Ästhetisierung der Politik, S. 138.





5.2 Vergleichende Gegenüberstellung der Plotstrukturen 

 309

Sind ideologiekritische und strukturalistische Studien spätestens nach Ende des Kalten Krieges relativ aus der Mode geraten, so bieten vor allem strukturalistisch geprägte Ansätze im Rahmen der Behandlung einer stark formalisierten und auf ideologische wie populäre Schemata abhebenden Literatur einen guten Ausgangspunkt für die Untersuchung prototypischer Plotstrukturen wie Personenkonstellationen (vgl. v. a. das Schaubild unter 5.3). Vor dem Hintergrund der insbesondere von sowjetischen und französischen Forschern stark vorangetriebenen Strukturalismusforschung172 verwundert es kaum, dass ausgerechnet der Soviet Novel173 ein größeres Augenmerk geschenkt wurde. Die über das Inhaltliche hinausgehenden Strukturen und Funktionsweisen der ideologisch geprägten links- wie rechtspolitischen Romane aus dem Umfeld der Weimarer Republik wurden bisher nicht explizit unter strukturalistischen Gesichtspunkten betrachtet, obwohl sich eine solche Analyse aus den oben genannten Gründen als durchaus nutzbringend erweist.174 Eine, wenn auch ältere, so doch immer noch wegweisende Studie, die konzise sowie äußerst systematisch und präzise die allgemeinen Strukturmerkmale und Verfahrensweisen ideologisch geprägter Prosa aufschlüsselt, ist Susan Rubin Suleimans Monographie Authoritarian Fictions. The Ideological Fiction as a Literary Genre, die unabhängig von der jeweils zu vermittelnden ideologischen Doktrin die Funktionsweisen dieses besonderen Genres, zumindest in ihren Grundzügen, darlegt und damit Pionierarbeit geleistet hat. Da der strukturalistische Aspekt nur einer der vielen Blickwinkel ist, aus dem die vorliegende Untersuchung die Romane betrachtet, kann es an dieser Stelle – vor allem vor dem Hintergrund eines recht begrenzten Romankorpus  – nicht darum gehen, gänzlich neue strukturalistische Verfahrensweisen zu entwickeln

172 Für vorliegende Arbeit, auch in Hinblick auf die Personenkonstellationen, besonders interessant sind die von Propp in Morphologie des Märchens (vgl. auch Kapitel 1) und in Erweiterung durch Greimas entwickelten semiotisch-strukturalen Ansätze, die Aktanten bestimmen, welche die Handlung strukturieren. Greimas geht dabei relativ abstrakt von 6 Aktanten aus: Subjekt („sujet“), Objekt („objet“), Empfänger/Adressat („destinataire“), Sender/Spender/Adressant („destinateur“), Helfer („adjuvant“), Gegner („opposant“). Vgl. dazu Greimas: Sémantique structurale, S. 172–191. Eine Aktantenfunktion kann dabei durchaus von mehreren Figuren eingenommen werden (vgl. dazu die Personenkonstellationen in Kapitel 5.3). 173 Katerina Clark: The Soviet Novel. History as Ritual. Chicago/London 1981. 174 Auf die Übertragbarkeit ihrer Ansätze auf rechtspolitisch geprägte Romane und den entsprechenden Forschungsbedarf verweist übrigens auch Suleiman im Rahmen einer Fußnote. Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 278 [Fußnote 6]: „An example that immediately comes to mind is the Soviet socialist realist novel, to which my models would most likely apply – as they probably would also to ‚official‘ novels under the Nazi regime in Germany. As I am not familiar with these areas, I leave the question to others […].“



310 

 5 Analyse ausgewählter Romane

und zu erproben. Vielmehr soll unter Anregungen aus den Studien von Clark, Suleiman und Robin175 ein Strukturschema erarbeitet werden, das allgemein genug ist, die strukturellen Basismerkmale der Romane abzubilden, ohne jedoch durch Übergeneralisierungen gänzlich abstrakt und unanschaulich zu werden. Dazu werden zunächst die Romane betrachtet, die innerhalb einer Romanreihe (Roter Eine-Mark-Roman) bzw. in nahezu serieller Produktion durch einen Autor innerhalb eines Jahres (die vier 1933 publizierten Viera-Romane) entstanden sind, da bei ihnen nicht nur vom optischen, seriellen Erscheinungsbild der Buchgestaltung her, sondern auch in Hinblick auf das Handlungsgerüst am ehesten korrespondierende, mehr oder weniger schematisch gestaltete Strukturen zu erwarten sind. Da sich Viera in Utz kämpft für Hitler deutlich auf das Handlungschema von Der Hitlerjunge Quex bezieht, wird Schenzingers Roman an entsprechender Stelle in die Betrachtungen mit einbezogen. Am ehesten von einem zu verallgemeinernden Plot der untersuchten Romane weicht der Weltkriegsroman Gruppe Bosemüller ab  – bereits dadurch bedingt, dass er vor der Folie des Ersten Weltkriegs und nicht unmittelbar vor der zeitgenössischen Kulisse der Weimarer Republik angesiedelt ist. In Hinblick auf die Personengestaltung allgemein und vor allem in Bezug auf Märtyrerstrukturen, Kampftugenden und das Konzept der Kameradschaft ist Beumelburgs Roman jedoch für die Nationalsozialisten hochfunktional, um die in Anknüpfung an den Ersten Weltkrieg weiterhin mythisch tradierten Strukturen von Märtyrertum und Kameradschaftsgeist auf die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik zu übertragen, wie sie beispielsweise in Der Hitlerjunge Quex und in den Viera-Romanen geschildert werden. Dies rechtfertigt die Aufnahme von Gruppe Bosemüller in das vorliegende Romankorpus, auch wenn das Werk im Rahmen der Untersuchung der Plotstrukturen nur eine nebengeordnete Rolle spielt. Zur besseren Vergleichbarkeit der Romane bzw. Romanreihen wurde jeweils eine Synopse zum schematischen Handlungsgerüst der Roten Eine-Mark-Romane (Anhang VIII) sowie der Viera-Romane (Anhang IX) angefertigt. Thematisiert Sturm auf Essen die Arbeiterkämpfe in Anbindung an das konkrete Realereignis des Kapp-Putschs und des Bielefelder Abkommens, so widmet sich Kämpfende Jugend weit exemplarischer dem Kampf des Kommunistischen Jugendverbands (KJVD) vor der zeitgenössischen Folie der Großstadt Berlin zu

175 Vgl. Clark: The Soviet Novel, vgl. Suleiman: Authoritarian Fictions, vgl. Régine Robin: Socialist Realism. An Impossible Aesthetic [frz.: Le Réalisme socialiste: Une esthétique impossible. Paris 1986]. Translated by Catherine Porter. Stanford (California) 1992 [hier insbesondere Kapitel 11: „Socialist Realism and Its Figures: Fictional Constraints on the ‚Positive Hero‘“].





5.2 Vergleichende Gegenüberstellung der Plotstrukturen 

 311

Zeiten der Weimarer Republik. S.S. Utah schildert schließlich beispielhaft die schlechten Arbeitsbedingungen auf dem „Sklavenschiff“176 S.S. Utah, das sich auf dem Weg von Amerika nach Russland befindet und so kontrastiv die Gegenüberstellung kapitalistischer und kommunistischer Arbeits- und Lebensbedingungen ermöglicht. Auf diese Weise werden die Existenz eines real existierenden kommunistischen Staates und die idealistisch verklärten Aufbauarbeiten im Zuge des Fünfjahresplans zugleich als Beweis für die gelungene Umsetzung und Überlegenheit der als humanistisch-emanzipativ präsentierten kommunistischen Ideologie sowie als Ansporn für eine kommunistische Revolution in (noch) kapitalistisch organisierten Ländern ausgegeben. Zwar läuft auch in den Roten EineMark-Romanen alles auf das Ziel hinaus, die kommunistische Ideologie allen anderen Gesellschaftsentwürfen gegenüber als überlegen sowie als einzigen Weg aus den sozialen und wirtschaftlichen Krisen der Weimarer Republik darzustellen, die Romanreihe weist dabei aber durchaus eine gewisse thematische Vielfalt auf, was nicht zuletzt durch die unterschiedlichen Tagesbedürfnisse und wechselnden politischen Kurse der KPD bedingt ist (vgl. dazu Kapitel 2.1). Die Viera-Romane hingegen scheinen allesamt Variationen ein und desselben Themas darzustellen: des heroisch verklärten Märtyrertodes sowie der Nachfolge der heldenhaft handelnden Parteimitglieder, die unter Einsatz ihres Lebens das vor dem Hintergrund einer ‚Zeitenwende‘ und ‚Revolution‘ präsentierte Nazi-Regime aufzubauen und zu etablieren helfen. Die Varianten bestehen darin, dass zwei der hier untersuchten Romane, Horst Wessel und Kampf um die Feldherrnhalle, jeweils an eine realhistorische ‚Heldenbiographie‘, d. h. einen konkreten Parteimärtyrer anknüpfen sowie eine fiktionalisierte Version des Gründungsmythos und damit einen für das Selbstverständnis der NSDAP zentralen Bestandteil der Parteigeschichtschreibung präsentieren: Es handelt sich dabei um das realhistorisch verklärte Ereignis des Hitler-Ludendorff-Putschs zum revolutionären „Kampf um die Feldherrnhalle“. Die 16 Toten, die aus diesem zeitgeschichtlichen Ereignis resultierten, wurden bereits im Zuge der nationalsozialistischen ‚Geschichtsschreibung‘ mythisch verbrämt als ‚Blutzeugen‘ bezeichnet. Sie werden in Vieras Erzählung, die sich relativ chronologisch an der ‚Parteigeschichte‘ orientiert, erneut symbolisch aufgeladen und in einen fiktionalen Rahmen integriert. Bezieht sich der Roman Horst Wessel auf eine realhistorische Person und wird im zweiten Erzählstrang zusätzlich eine fiktionalisierte Konversionsgeschichte vom linkspolitisch ‚verirrten Arbeiter‘ Edi Walkotte hin zu den Nazis erzählt, so beschränkt sich Utz kämpft für Hitler auf eine rein exemplarischfiktional gestaltete Konversionsgeschichte eines Arbeiterjungen hin zur HJ, mit

176 Pell: S.S. Utah, S. 24.



312 

 5 Analyse ausgewählter Romane

heroischem Märtyrertod des Jungen am Ende, der als implizites Happy-End die positive Zukunftsperspektive und Naherwartung des ‚Dritten Reiches‘ in Aussicht stellt. Die Grundzüge der soeben geschilderten Handlung orientieren sich dabei fast eins zu eins an dem Roman Der Hitlerjunge Quex, für den all diese Handlungselemente ebenfalls konstitutiv sind und folgen dem tradierten Konversionsschema von Bekehrung, Bewährung und Initiation.177 Auch Sommer verweist auf den Vorbildcharakter des Romans Der Hitlerjunge Quex als Erzählschablone für viele weitere Publikationen: [Schenzinger] entwirft in fiktionaler Form die seiner Meinung nach vorbildliche Sozialisation Jugendlicher hin zum Nationalsozialismus. Er gestaltet damit, schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten[,] ein Musterbeispiel nationalsozialistischer Jugendliteratur, das in den folgenden Jahren immer wieder variiert werden sollte und in dessen Zentrum die Bekehrung und Wandlung eines jungen Menschen steht.178

Obwohl keine gesicherten Aussagen diesbezüglich bestehen, bleibt anzunehmen, dass der 1932 veröffentlichte, von Beginn an sehr populäre sowie von Seiten der Nationalsozialisten durchweg positiv rezensierte Roman Der Hitlerjunge Quex Viera zum Zeitpunkt der Verfassung des Utz-Romans, also 1933, bekannt war – zu deutlich sind die inhaltlichen und strukturellen Parallelen, auch wenn Viera in Bezug auf Bewusstseinsdarstellung und Personengestaltung nicht an Schenzingers Roman heranreicht, der nicht nur vom Umfang her komplexer ist. Recht

177 Bei Schenzinger wird die Konversion als Entwicklungsprozess zum vermeintlich ‚richtigen‘ Bewusstsein inszeniert. Die einzelnen Stationen finden sich auf folgenden Seiten in Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex: Bekehrung, S. 45: emotional aufgeladenes Bekehrungserlebnis im Wald beim Anblick des HJ-Lagers. Bewährung, S. 105: Heini vereitelt das kommunistische Attentat auf das neue HJ-Heim. Initiation, S. 145: Heini bekommt die HJ-Uniform als Zeichen seiner vollwertigen Mitgliedschaft durch die bürgerlich geprägten Jugendlichen Fritz und Ulla am Krankenbett überreicht. Märtyrertod, S. 263–264: Heinis letzte Worte werden amalgamiert mit einer zukunftsgewissen gesamtgesellschaftlichen Entwicklung im Bild der hoffnungsvollen kollektiven Aufmärsche am Reichsjugendtag von 1932. Analog dazu die Stationen bei Viera: Utz kämpft für Hitler: Bekehrung, S. 35: Konversionserlebnis von Utz nach der Teilnahme am Werbeabend der HJ. Bewährung, S. 48–49: Utz erklärt sich bereit, als Kegeljunge bei den Rotfrontreffen zu spionieren. Initiation, S. 55–56: Utz erfährt auf allen Ebenen (materielle) Unterstützung von seinen (bürgerlichen) ‚neuen Freunden‘ aus der HJ. Märtyrertod, Kapitel 14: „Utzʼ Blutzeugenschaft für Adolf Hitler“, S. 72: letzte Worte, S. 73: die Seitenüberschrift amalgamiert den Märtyrertod mit einer positiven gesamtgesellschaftlichen Entwicklung: „Utzʼ Heimgang und Deutschlands Erwachen“. 178 Sommer: Literarische Jugendbilder zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit, S. 165.





5.2 Vergleichende Gegenüberstellung der Plotstrukturen 

 313

polemisch kommentiert Leutheuser diesen Unterschied zwischen dem Utz- und dem Quex-Roman: Im Vergleich zum damals vielgelobten „Hitlerjunge Quex“ sind die Haupthandlungsträger bei einem Umfang von knapp einem Drittel des Schenzinger Titels nicht ausgestaltet; es sind keine Individuen, sondern Schablonen ohne Konturen. Andeutungsweise auch nach außen hin kernig, frisch und dynamisch, fehlt ihnen das Innenleben komplett. Durfte Heini Völker den Tod seiner Mutter wenigstens noch beweinen, zeigt Utz keine Gefühle, plagen ihn nach der Loslösung von seinen bisherigen Freunden auch keine Selbstzweifel. Vieras krampfhafte Akommodation [sic!] an den Geschmack der neuen Machthaber zeigt sich des weiteren in mehr oder minder zusammengekleisterten Episoden sowie in wertendem Erzählverhalten, das von plumpen Kontrastierungen lebt.179

Im Sinne der ‚Konjunkturliteratur‘ erschien die Orientierung an einem zugleich populären wie ideologiekonformen, von den Nazis hochgelobten Werk jedoch durchaus als erfolgsversprechend und auch finanziell ertragreich. Mit SA.-Mann Schott variiert Viera schließlich die Thematik des von der NSDAP tradierten Typus des ‚unbekannten SA-Manns‘180 und stellt auch hier mit seiner Fixierung auf die Organisationsstrukturen181 und Slogans der NSDAP ein weiteres Beispiel für die ‚Literatur der Organisationen‘182 dar. Bereits die formale Organisation der Texte vermittelt den Eindruck schnell konsumierbarer Literatur  – allen voran die Viera-Romane mit einem Umfang von 74 bis 79 Seiten und jeweils 15–18 Kapiteln sowie zahlreichen Illustrationen. Somit ähneln sie formal am ehesten der Heftchenliteratur. Doch auch die Roten Eine-Mark-Romane, die mit einem Umfang von 128 bis 160 Seiten fast die doppelte Menge an Text enthalten, sind mit 10 bis 53 Kapiteln relativ stark untergliedert. Selbst Der Hitlerjunge Quex, der mit 264 Seiten (abgesehen von Gruppe Bosemüller) der umfangreichste der hier untersuchten Romane ist und eine wesentlich

179 Karsten Leutheuser: Freie, geführte und verführte Jugend. Politisch motivierte Jugendliteratur in Deutschland 1919–1989. Paderborn 1995, S. 100. 180 Zu Herkunft und Prägung des Typus vom ‚unbekannten SA-Mann‘ vgl. 5.3.1. 181 Die unablässige Repetition der Organisationsstrukturen innerhalb des Textes findet sich z. B. im Rahmen einer Anti-Klimax bei Viera: SA.-Mann Schott, S. 68: „[…] über den Chef des Stabes, über die Oberste SA.-Leitung, geht des Führers Befehl schlagartig zur Obergruppe, zur Gruppe, Untergruppe und Standarte.“ Noch sehr viel deutlicher zeigt sich die der Didaxe dienende Redundanz im Utz-Roman. Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 37, 70 und den Anhang des Romans, der die Organisationsstrukturen anhand von visuell dargestellten Parteiabzeichen wiedergibt. 182 Zur literaturpolitischen Einordnung und Funktionalität der ‚Literatur der Organisationen‘ vgl. 2.2.2.



314 

 5 Analyse ausgewählter Romane

komplexere Handlungs- und Personenstruktur aufweist als die Viera-Romane, umfasst 7 Kapitel mit weiteren Unterkapiteln zu je 4 bis 12 Seiten. Peritextuell sind die Viera-Romane sowie S.S. Utah durch Kapitelüberschriften gestaltet, die zentrale inhaltliche Fragen, Aspekte und Aussagen nochmals zuspitzen und somit zusätzlich Komplexität reduzieren sowie Neugierde und Lese(r)erwartung schüren. Die Überschriften nehmen dabei teilweise aufeinander Bezug und dienen so der Leserlenkung. Diesbezüglich sind die Viera-Überschriften besonders auffällig: Kapitel 1 und 2 scheinen zumeist im Rahmen der Exposition kontrastiv aufeinander bezogen zu sein (vgl. „Der rote Mob“ vs. „Trupp 34“183 oder „Im Rotfrontnest“ vs. „Wo bleibt der Kameradschaftsführer?“184), die Überschriften der letzten Kapitel nehmen zudem ein Happy-End vorweg und suggerieren eine kontinuierliche Entwicklung: „Deutschland erwacht“185, „Von der Feldherrnhalle zur Feldherrnhalle“186 und in SA.-Mann Schott sogar der Dreischritt von „Das Volk steht auf“, „SA. fegt aus“, „Deutschland baut auf!“187, der letztendlich aus einen revolutionären Selbstverständnis heraus einen Volksaufstand suggeriert, auf den das ‚Aufräumen‘ bzw. das Abrechnen mit den politischen Gegnern und sogenannten ‚Volksfeinden‘ folgt; am Ende wird schließlich ein positiver Aufbau postuliert. Daneben finden sich in den Kapitelüberschriften der Viera-Romane tradierte Phrasen und Slogans der Nationalsozialisten wie „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“188, „Rotfront gleich Rotmord“189, „Deutschland erwache“190, die keinen Zweifel daran lassen, wessen Geistes Kind die Romane

183 Viera: Horst Wessel. 184 Viera: Utz kämpft für Hitler. 185 Viera: Utz kämpft für Hitler. 186 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle. 187 Kapitel 16–18 in Viera: SA.-Mann Schott. 188 Viera: SA.-Mann Schott. Dieser Slogan stellt Punkt 24 aus dem 25-Punkte Programm der NSDAP dar. Vgl. dazu den Abdruck des 25-Punkte Programms in: Kurt Pätzold/Manfred Weißbecker: Die Geschichte der NSDAP 1920 bis 1945. Köln 2002, S. 34–37. Auch im Roman wird diese Maxime zum Inbegriff von ‚Volksgemeinschaft‘ gemacht und auf S. 64 als „oberste[r] Leitsatz eines jeden Hitler-Menschen“ ausgegeben. 189 Viera: Horst Wessel. 190 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle. Zitat der Liedphrase aus dem „Sturmlied“ von Dietrich Eckart, dessen kompletter Liedtext auf S. 47 abgedruckt ist, zudem wird Eckart an gleicher Stelle als „erster Freiheitsdichter der Bewegung“ bezeichnet. Eckhart war der erste Schriftenleiter des Völkischen Beobachters und gilt als früher Förderer Hitlers. Für einen (im Ansatz populärwissenschaftlich geprägten) Überblick zur Begriffsgeschichte des Slogans vgl. Manfred Weißbecker: Deutschland erwache. In: Schlagwörter und Schlachtrufe. Aus zwei Jahrhunderten deutscher Geschichte. Band 2. Hg. v. Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker. Leipzig 2002, S. 299–306.





5.2 Vergleichende Gegenüberstellung der Plotstrukturen 

 315

sind und bereits von den polemischen Überschriften auf die Inhalte schließen lassen. Im Roten Eine-Mark-Roman S.S. Utah ist die Gestaltung der Überschriften, was die Ideologiehaltigkeit betrifft, um einiges zurückhaltender, nichtsdestotrotz sind hier ebenfalls deutlich leserlenkende Elemente auszumachen. Augenfällig wird dies in der Gegenüberstellung der Überschriften des ersten und letzten Kapitels. Heißt es im ersten Kapitel noch: „Neuyork: Ein Matrose braucht ein Schiff“, so scheinen sich im letzten Kapitel unter der der Überschrift: „Neuyork: Ein Schiff braucht eine Mannschaft“ die Verhältnisse umgekehrt zu haben.191 Wie bereits unter 5.1.6 erwähnt, ist für alle untersuchten Romane (abgesehen von Gruppe Bosemüller) in der Exposition die soziale Not im proletarischen Umfeld der Weimarer Republik als Ausgangslage grundlegend. Die Anfänge der links- und rechtspolitischen Romane sind, wie oben gezeigt, durchaus miteinander vergleichbar, wenn auch in den rechten Romanen schlechte Arbeitsbedingungen und Streiks ausgespart werden, ein zentrales Element der linken Romane wie S.S. Utah und Sturm auf Essen, die beide mit Streikszenen beginnen192. Die oft zunächst an individuellen Beispielen und Bewusstseinsschilderungen gezeigte Situation von Hunger und Not in der Weimarer Republik wird häufig bereits in der Exposition durch auktoriale Kommentare, die das Geschilderte gesamtgesellschaftlich perspektivieren und im Rahmen der jeweiligen politischen Ideologie einordnen bzw. ausdeuten, flankiert (oft mittels iterativer Erzählabschnitte, vgl. 5.1.6). Neben der Schilderung und Ausdeutung dieser Ausgangslage finden sich fast alle zentralen Charaktere bereits in der Einleitung, insbesondere die rechtspolitisch geprägten Viera-Romane steigen relativ unvermittelt mit dem Prinzip von Angriff und Abwehr ein; d. h. die Exposition beschränkt sich hier nicht lediglich auf die Anlage der Personen- und Konfliktkonstellationen, sondern etabliert schon einen klaren Antagonismus unter deutlicher Nennung der Feinde und Diskreditierung des Gegners. Die Roten Eine-Mark-Romane lassen sich hingegen mit der manifesten Präsentation gegnerischer Angriffe etwas mehr Zeit, hier stehen zunächst das Bewusstsein und die Erkenntnis der Protagonisten in Bezug auf die aussichtslose

191 Pell: S.S. Utah, S. 3, 141. 192 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 14–19; vgl. Pell: S.S. Utah, S. 12: Slim appelliert an die Mannschaft und führt ihnen Streik als probates Mittel vor, um die Arbeitsbedingungen auf dem Schiff zu verbessern. Bobby tritt sogleich in Aktion und bringt auf S. 22–23 mittels einer provokanten Plakat-Aktion Missstände auf dem Schiff zur Sprache: „Hier fehlt eine Birne, Herrschaften!“



316 

 5 Analyse ausgewählter Romane

soziale Lage im Vordergrund, aus der mittels Feststellungen der Figuren Handlungsbedarf abgeleitet wird: „Wie kommen wir nur weiter?“193, „So geht’s nicht mehr weiter!“194, „Wo soll det noch hin?“195 und in Bezug auf das besonders eindrückliche Beispiel des aus sozialer Not heraus motivierten Freitods von Emil in Kämpfende Jugend: „Wir gehen ja alle kaputt…wir alle. Alle!“196 Handlungsbedarf in den Viera-Romanen entsteht demgegenüber meist aus konkreten Angriffen zahlenmäßig überlegener Gegner.197 Doch auch die Roten Eine-Mark-Romane kommen nicht ohne Kraft- bzw. Machtdemonstrationen innerhalb der Exposition aus, die die Position und die potenzielle politische Wirkungsmächtigkeit der positiv bewerteten Eigengruppe veranschaulichen. Die Macht der (kommunistisch organisierten) Masse ist dort zumeist im Rahmen von Streiks geschildert, die sich positiv auf das Selbstwertgefühl des Kollektivs und der in ihm organisierten Individuen auswirken: „Der bloße Gedanke an ihre Kraft tat den Leuten wohl.“198 Dem gegenüber stehen die aufgezählten Tugendkataloge in Bezug auf das Selbstbild in den Viera-Romanen sowie die Nennung zentraler Hochwertworte, die mit der Feindesliste kontrastiert werden.199 Zwar manifestieren sich auch im Roten Eine-Mark-Roman durch-

193 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 22. 194 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 23. 195 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 17. Vgl. auch S. 8: „Kinder, wo soll det bloß noch hin….?!“ 196 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 22. 197 Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 6–9: einleitender Erzählerkommentar mit Verweis auf (Partei-)Märtyrer: „Vielleicht fünfzehn Jungen gegen einen. Fünfzehn verhetzte Buben, von den Großen scharfgemacht auf alles, was ein Braunhemd trägt. Blutig ernst wird die Sache. Man weiß ja, wie viele tapfere Hitlerjungen haben bei ähnlichen Gelegenheiten daran glauben und sogar ihr Leben lassen müssen. […] Fort tobt die wilde Jagd. Sämtliche Jungens sind hinter Will her. Aber so läuft keiner wie er. Da steckt ein zähes Üben dahinter. Geländelauf der Hitlerjugend; Will war schon einmal Erster. […] Hart auf den Fersen ist die Meute dem gehetzten Wild. Was wird aus dem Hitlerjungen Will?“. Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 27–29: 46 siegreiche „waffenlos[e]“ SA-Männer gegen 800 „entschlossene[ ] Mordkommunisten und Sozis“ in der Saalschlacht. Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 33–36: Überfall auf das SA-Heim, SA-Mann Sost wird erstochen, S. 35 verallgemeinernder Erzählerkommentar: „Feiger Mordversuch aus dem Hinterhalt immer und immer wieder.“, S. 36 Abwehr bzw. Strafe: „das Rotmordnest wird ausgehoben“, die Feinde werden von den Nazis bestraft. 198 Pell: S.S. Utah, S. 12. 199 Vor allem in SA.-Mann Schott findet sich eine Feindesliste („Reichsbanner, Rotfront und marxistisches Bürgertum“, Polizei, „marxistische Presse“) unter Abhebung von den eigenen Tugenden („Mit unentwegtem Mut, mit grenzenloser Unverdrossenheit und Ausdauer innerlich sauber und eisern zielstrebig ging der Sturm seinen Weg.“) und Betonung der Geschlossenheit der SA bereits auf der ersten Seite im Rahmen eines Funktionärsmonologs. Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 7–8. Doch auch Horst Wessel bekommt die für die Nationalsozialisten zentralen Tugen-





5.2 Vergleichende Gegenüberstellung der Plotstrukturen 

 317

aus bipolare Personenkonstellationen bereits in der Exposition,200 diese sind jedoch weniger plakativ und führen nicht zu unvermitteltem Aktionismus. Hier steht die Entwicklung einer Handlungsstrategie (zumeist Streik oder die Nutzung von Medien zur politischen Agitation) bzw. das Bilden einer handlungsfähigen Gruppe zunächst im Vordergrund.201 Erst im Rahmen dieser politischen Aktionen stellen sich erste Erfolge, aber auch Krisen ein,202 neue Mitglieder werden geworben,203 einige bewähren sich als Parteimitglied, andere müssen durch soziale Kontrolle204 zu Geschlossenheit und Gruppendisziplin ermahnt werden.

den (Disziplin, Unterordnung, Opfer, Dienst, politisches Soldatentum, Gehorsam, Kampfgeist) im Rahmen eines expositorischen Funktionärsmonolog in den Mund gelegt, seine ambitionierten Ziele werden präsentiert und sodann die Schlagworte der Gegner diskreditiert. Vgl. dazu Viera: Horst Wessel, S. 9–10. Anschließend werden im Rahmen eines polemischen Erzählerkommentars, der sich trotzallem auf verstandesmäßige Kategorien beruft, linke Schlagworte wie „Proletariat“ und „Klassenstolz“ zu „ungeheure[m] Summs“ abgewertet und der Vorwurf der Verfälschung rechtspolitischer Schlagworte erhoben, S. 12: „[Dr. Vaigel bringt] einen ungeheuren Summs über Weltverbrüderung und Proletariat und Klassenstolz und Klassenhaß, rührt die Begriffe Arbeit und Sowjetparadies zu einem wüsten Salat zusammen, würzt ihn mit Ausfällen gegen das Bürgertum, verfälscht die Begriffe Heimatgefühl und Vaterlandsliebe und treibt politische Brunnenvergiftung in einem Maße, daß jedem einsichtigen Menschen die Haare zu Bergen stehen müssen. Unverständlich, daß sich deutsche Arbeiter diesen Brei als Weltanschauung vorsetzen lassen.“ 200 So steht in Sturm auf Essen der KPD-Genosse Franz dem Sozialdemokraten Trauten gegenüber, der KJVD-Funktionär Karl setzt sich in Kämpfende Jugend mit seinem sozialdemokratischen Vater auseinander, die bürgerliche Frau Mädicke steht im Kontrast zu den proletarischen Frauen der Nostitzstraße und die konservative Schiffsleitung der S.S. Utah versucht die revolutionären Bestrebungen der Matrosen zu unterdrücken. 201 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 28–31: Bilden einer wehrfähigen Gruppe, S. 49–50: Streik bis Mahler und Kreusat wieder frei sind. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 40: Zeitungsgründung, S. 40–41: Landagitation. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 5–6, 8, 19, 29: Medien zur Agitation: kommunistische Broschüren, Zeitungen, Literatur, Wandzeitung, S. 26: Mitglieder zur Stärkung der Kampfinternationalen gewinnen, S. 89: Bildung eines Streikkomitees. Ausführlichere Übersicht unter Anhang VIII. 202 Für eine ausführliche Übersicht über die kontinuierliche Abfolge von Erfolg und Krise vgl. Anhang VIII. 203 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 49–50: Gewinnung von Bramm. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 127: kollektiver Beitritt der Clique und des Nazis Hermann zum KJVD. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 52: erster Beitritt: Chief. 204 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 96: „‚Wir müssen uns dahinter stecken, damit er in seinem Dusel keine Dummheiten macht!‘ sagte Raup.“, S. 77: „‚Da ist son Schwein, Kumpels, der kommt mit, um zu räubern!‘ ‚Haut ihn! Hängt ihn auf!‘ – schrien einige. […] Lautes Gelächter und Flüche folgten ihm, bis er um die Straßenecke verschwunden war.“ Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 115–116: Bestrafung eines Bordmitgliedes, das sich persönlich bereichert.



318 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Doch auch im Roten Eine-Mark-Roman profiliert sich der ideale Genosse nicht lediglich als Redner oder Agitator, hier wird ebenfalls deutlich, dass Worten auch Taten folgen müssen,205 weshalb physischer Aktionismus und Kampfhandlungen ebenfalls Bestandteil aller im Rahmen dieser Arbeit untersuchten linkspolitischen Romane sind, allen voran Sturm auf Essen. Sind die ‚Etappensiege‘ und (Teil-)Erfolge der Roten Eine-Mark-Romane teilweise etwas unvermittelt, wie die Mitgliederschwemme in Kämpfende Jugend, die konträr zur politisch-historischen Realität verläuft,206 so sind sie doch nicht derart realitätsfern-mythisch zu wortwörtlichen „Wunder[n]“207 verbrämt wie in den Viera-Romanen. Es lohnt, einen genaueren Blick auf die Präsentation der vermeintlichen Etappensiege vor der Folie der realgeschichtlichen Parteientwicklung der KPD zu werfen, um zu verstehen, warum zwei von drei der hier untersuchten Roten Eine-Mark-Romane – im Kontrast zur politischen Realität – mit einem Happy-End abschließen, während Sturm auf Essen ein implizites Happy-End aufweist, das zur Weiterführung der Arbeiterkämpfe unter absoluter Siegesgewissheit aufruft und gemäß dem kommunistisch geprägten, linearen Verständnis vom zielgerichteten Ablauf der Geschichte eine positive Zukunftsperspektive eröffnet. Köster weist darauf hin, dass der Einfluss der KPD am Ende der Weimarer Republik immer geringer wurde. Er betont, dass die Partei unter Betriebsarbeitern schwach vertreten gewesen sei und eine hohe Mitgliederfluktuation aufge-

205 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 21: „Mensch, zum Kotzen ist’s! Was die immer nur von Diktatur des Proletariats quasseln, wenn ihnen schon vor der Forderung nach Gewehren gruselt!“, S. 61: „‚Absperren wollten wir!‘ brummte Jupp Zermack. ‚Geschwätzt haben wir. Kumpels! Los, raus jetzt!‘“, S. 88: „Laßt uns also an die praktische Arbeit gehen!“. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 36: „Der muß gleich praktisch arbeiten.“, S. 39: „[…] dort wo es gilt, systematische Kleinarbeit zu leisten, erziehen wir unsere Genossen am besten.“ 206 Das Zusammentreffen der ausgesprochen hohen Anzahl an (kollektiven) Beitritten und Erfolgen erscheint als höchst unrealistisch, zumal kaum eingehendere Erklärungen für den Bewusstseinswandel der neuen Mitglieder gegeben werden. Außerdem wird in einem einmontierten Zeitungstext aus dem „Jungen Wühler“ gar in utopischer Weise die optimistische Überzeugung geäußert, dass nach dem Parteitag der SPD Scharen von Sozialdemokraten zur KPD überlaufen werden. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 86: „[…] [W]eil nach dem sozialdemokratischen Parteitag Hunderte junger Sozialdemokraten zu uns kommen hat der sozialdemokratische Polizeipräsident Euer Kampforgan ‚Die Junge Garde‘ verboten.“ Damit stehen die in den Romanen dargestellten Erfolge in einem eigentümlichen Kontrast zur parteipolitischen Realität. 207 Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 15: „Es geschieht aber etwas Wunderbares und mit diesem Wunderbaren hat Horst von Anfang an gerechnet. Zu dreien sind sie anmarschiert und zu acht treten sie den Rückzug an.“, S. 38: „Da geschieht etwas Unerwartetes! […] [Das Lied] [d]as keiner kennt, das aber bereits mit den ersten Worten und Klängen wie ein Wunder wirkt.“ (Horst-Wessel-Lied). Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 62: „[…] [I]ch habe ja genug Waschplätze, mein Junge. Und besser bezahlte Waschplätze als je zuvor. Es ist wie ein Wunder.“





5.2 Vergleichende Gegenüberstellung der Plotstrukturen 

 319

wiesen habe, sodass sich die Stimmen für die KPD in dem für die proletarischrevolutionären Romane relevanten Zeitraum von 10,6 % im Mai 1928 auf 14,3 % im Juni 1932 zwar um 3,7 % erhöht habe, aber der Anteil der ‚proletarischen‘ Stimmen von 40,4 % auf 35,9 % gesunken sei, bei einem rasant steigenden Stimmanteil der NSDAP von 2,6 % auf 37,3 %.208 Köster zeigt somit deutlich, dass die Romane ein idealisiertes Bild davon zeichnen, wie die Realität vom Parteistandpunkt auszusehen hat: Das subjektive Bewusstsein des Aufstiegs hat schon in den dargestellten objektiven Abläufen der Romane und noch viel weniger in der historischen Wirklichkeit eine reale Entsprechung. Aber, und hier hat der Roman eine grundsätzlich andere ‚Realität‘ als der politisch Handelnde, im literarischen Kontext können alle auftretenden Faktoren kontrolliert und manipuliert werden. Es erscheinen nur die relevanten Komponenten einer Situation, oder – und das ist die größte, den Autoren wohl kaum bewusste literarische Leistung der proletarisch-revolutionären Romane – innerhalb einer realistischen Erzählhaltung wird die konkrete sichtbare Wirkungslosigkeit der kommunistischen Taktik mit unsichtbaren, mentalen Wirkungen in Beziehung gebracht und durch sie völlig kompensiert. Die proletarischrevolutionären Romane gestalten die sinkende Macht der kommunistischen Arbeiterschaft, aber sie zeigen sie in einer aufsteigenden Linie.209

Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass Schönstedt teilweise eins zu eins den politischen Kurs und die Ziele der KPD wiedergibt. Dies äußert sich in der detaillierten Wiedergabe der Aufteilung von Straßen- und Betriebszellen nach sowjetischem Vorbild, deren unterschiedliche Sitzungen im letzten Kapitel nacheinander geschildert werden und vor allem in der Darstellung einer ‚Einheitsfront‘ unter dem Führungsanspruch der KPD,210 die in der Realität in dieser Form nie zustande kommen konnte, da sich die politischen Machverhältnisse anders gestalteten und weder die KPD noch die SPD gewillt war ihren Führungsanspruch aufzugeben. Auch S.S. Utah mündet nach der Akkumulation einzelner, immer umfassenderer Erfolge und der Ausweitung des Aktionsradius schließlich in den pathetischen Hochruf: „Es lebe der Kampf der Mannschaft der ‚S.S. Utah‘!“211 in ein Happy-End. Damit wird der Kommunismus im Happy-End als siegreiche Ideologie präsentiert, die als einzige Alternative zum bürgerlichen ‚Unterdrückungsstaat‘ fun-

208 Vgl. Köster: Zum Verhältnis von proletarisch-revolutionärer Belletristik, S. 12 [Fußnote 74]. 209 Köster: Zum Verhältnis von proletarisch-revolutionärer Belletristik, S. 13. 210 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 117: „Ihr Wille, nicht freiwillig zu verhungern, gibt ihnen die Ueberzeugung, dass sie kämpfen müssen unter Führung der Kommunistischen Partei.“, S. 127: Mitgliederschwemme. 211 Pell: S.S. Utah, S. 143.



320 

 5 Analyse ausgewählter Romane

giert und ihren Wirkungsbereich (entgegen der politischen Realität) immer weiter ausdehnt. Zusammenfassend bringt Eggerstorfer recht kompakt die von Bipolaritäten und Zukunftsoptimismus geprägten teleologischen Handlungsstrukturen der linken Romane auf den Punkt: Dem getretenen, gequälten Proletarier, der gleichwohl der klügere, stärkere und bessere Mensch ist, steht der brutale Ausbeuterstaat, unterstützt von einer verräterischen Sozialdemokratie, gegenüber. Diesen Feind gilt es in einer proletarischen Revolution, die ohne den geringsten Zweifel kommen wird, endgültig zu beseitigen. Auf dem Weg dorthin gibt es im Grunde keine Niederlagen, denn jede Aktion, wie sie auch endet, ist ein weiterer Schritt auf das ersehnte Ziel zu.212

Doch nicht nur die linkspolitischen Romane enden quasi obligat in einem HappyEnd, drei der vier untersuchten Viera-Romane weisen ebenfalls ein explizites Happy-End auf, der Utz-Roman schließt, ebenso wie Der Hitlerjunge Quex, ein implizites Happy-End im Zuge des Märtyrertodes ein, das die Eröffnung einer positiven Zukunftsperspektive und den Aufruf zur Nachfolge beinhaltet. Dieses Muster begründet sich vor allem durch den Entstehungszeitpunkt des Romans Der Hitlerjunge Quex in der ‚Kampfzeit‘ (1932), als auf den Regimewechsel noch nicht als historisches Faktum verwiesen werden konnte. Da der Utz-Roman größtenteils auf Der Hitlerjunge Quex aufbaut, ist anzunehmen, dass auch dieses Handlungsmoment aus dem ‚Vorbild‘ übernommen wurde, denn alle anderen untersuchten Viera-Romane schildern äußerst euphorisch, oft durch Ellipsen verstärkt, die als ‚Zeitenwende‘ dargestellte politische Umbruchsituation von 1933. Auch an diesen Stellen wird durch Aussagen wie: „[D]er Weg von zehn Jahren ist vollendet.“213 auf einen zielgerichteten Ablauf von Geschichte verwiesen; Parteimärtyrer, ‚Blutzeugen‘ und der Opfergeist der Parteimitglieder werden schließlich in kontinuierlicher Nachfolge des Frontsoldatentums als „Beweis heldischen deutschen Soldatengeistes“214 ausgegeben. Schließlich wird die Machtübernahme der Nationalsozialisten explizit auf den Sieg der Guten über die Bösen reduziert und somit auf die Ebene allgemeinmenschlicher, moralischer Werte übertragen: „Die Revolution der Guten gegen die Bösen. Wie eine Schmutzwelle werden die Bösen hinweggeschwemmt. Die Guten jubeln und weinen vor Glück.“215

212 Wolfgang Eggerstorfer: Schönheit und Adel der Arbeit. Arbeitsliteratur im Dritten Reich. Frankfurt a. M. [u. a.] 1988, S. 57. 213 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 77. 214 Viera: Horst Wessel, S. 78. 215 Viera: Horst Wessel, S. 76.





5.2 Vergleichende Gegenüberstellung der Plotstrukturen 

 321

Vor dieser allgemeinmenschlichen Folie lässt sich die Machtübernahme durchaus auch für Arbeiter publikumswirksam als ‚Revolution‘216 verkaufen, die nicht nur den materiellen, sondern auch den sozialen und menschlichen Bedürfnissen der Arbeiter entgegenkommt. Auf diese letztendlich harmonisierende Oberflächengestaltung macht auch Eggerstorfer aufmerksam: Den Arbeitern wird bedeutet, alles wofür sie gekämpft hätten, sei für sie verwirklicht worden. Dabei geht es dann jedoch vorrangig um Begriffe, weniger um konkrete Forderungen. Die „proletarische Revolution“ verwandelt sich in eine „nationalsozialistische Revolution“, die überdies nach der Auflösung von Gewerkschaften und Parteien bereits als beendet gilt […]. Von nun an wird der „nationalsozialistischen Revolution“ in dankbarer Rückschau gedacht. […] Das Wesen der gelungenen „Revolution“ liegt in der Überwindung des Weimarer Systems (Stichworte: „Marxismus“ und „Liberalismus“) und im angeblichen Zusammenfügen der auseinanderstrebenden Teile der Bevölkerung zu einem „Volksganzen“. Mehr noch, soll durch die „Revolution“ der „Sozialismus“, das Ziel der Arbeiterbewegung, verwirklicht worden sein. Auch das ist nur möglich durch eine Umdeutung des Begriffs. Was immer nationalsozialistischen Autoren an positiven Werten wichtig erscheint, setzen sie mit „Sozialismus“ gleich […]. Politische Zielvorstellungen, die sich mit der Bezeichnung „Sozialismus“ verbinden, werden ausgeklammert und ersetzt durch „allgemein menschliche Werte“, deren Verwirklichung leicht behauptet werden kann.217

Der sozialharmonisierende Zusammenschluss und Repräsentationsanspruch unterschiedlichster Milieus und Klassen, den die Nationalsozialisten vorgeben, hat auch die nur beiläufige Behandlung bzw. komplette Ausgrenzung privater Lebensbereiche und Probleme zur Folge. Die Alltagswelt wird quasi lediglich als Folie bzw. Hintergrundkulisse für die Erfüllung parteipolitischer Aufgaben relevant, in einer Geschichte, die obligat ihrem Happy-End zustrebt: Zum überwiegenden Teil bleiben die literarisch-ästhetischen Erzähltexte des Bereichs Literatur der Organisationen und der Dienste aber der traditionellen Form des Romans verhaftet, wobei die Kapitelabfolge selten auf innerem Nexus der Handlung beruht, sondern willkürlich ist. Immer haben die Geschichten ein Ende, und das Ende ist immer gut. […] HJ- und BDM-Bücher zeigen tendenziell […] eine geschlossene HJ- und BDM-Welt. Die Alltagswelt berührt diese im Grunde nur dann, wenn die HJ-Jungen und BDM-Mädchen sich im Rahmen eines Dienstes an dieser Alltagswelt beweisen müssen.218

216 Zum mythisch basierten Selbstverständnis der Nationalsozialisten als ‚Revolutionäre‘ vgl. 5.3.2. 217 Eggerstorfer: Schönheit und Adel der Arbeit, S. 182–183 [Hervorhebungen aus dem Text übernommen]. 218 Hopster: Literatur der Organisationen und Dienste, S. 161 [Hervorhebungen aus dem Text übernommen].



322 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Natürlich existiert auch in den Roten Eine-Mark-Romanen ein Primat des Politischen vor privaten Problemen, wie sich vor allem in der Personengestaltung zeigt (vgl. 5.3.5). Gefühlskontrolle, Parteidisziplin und soziale Kontrolle innerhalb des politischen Kollektivs sind hier genauso konstitutive Elemente wie in den rechtspolitischen Romanen. Treten in den Viera-Romanen im Rahmen der zielgerichteten Erfüllung einer politischen Aufgabe durch den positiven Parteihelden zumeist noch nicht einmal oberflächliche (Selbst-)Zweifel auf, so zeigen Der Hitlerjunge Quex, Gruppe Bosemüller und auch die Roten Eine-Mark-Romane an vielen Stelle eine differenziertere Personengestaltung, die zumindest an der Oberfläche Zweifel, ein die politische Arbeit hemmendes soziales Umfeld sowie den Tod eine Freundes oder Familienmitgliedes präsentiert, nur um diese vorgeblichen ‚Probleme‘ meist im nächsten Absatz gleich wieder zu entkräften. Dies geschieht überwiegend nicht durch eine Veränderung der tatsächlichen Lage, sondern durch einen ‚Bewusstseinswandel‘, der auf personaler Ebene meist durch den positiven Zuspruch eines Mentors oder Parteimitglieds und durch die Inaussichtstellung einer vielversprechenden Zukunftsperspektive überwunden wird (vgl. 5.3). Teilweise werden die ‚Krisen‘ der Protagonisten oder des politischen Kollektivs aber auch durch (didaktische) Erzählerkommentare abgeschwächt, die dem Leser die Überwindung ebendieser suggerieren und/oder den Lebenslauf des positiven Helden vor den Hintergrund einer zukunftsgewissen gesamtgesellschaftlichen Entwicklung stellen. Hier kommt (vor allem bei den rechtspolitischen Romanen) dem Märtyrer- und Totenkult eine wichtige Rolle zu – einerseits als lebensweltliche Bewältigungsstrategie, andererseits als mythisch verklärter und umso mehr als verpflichtend aufgefasster Auftrag zur Nachfolge der Märtyrer im politischen Kampf (vgl. 5.3.2). Abgesehen von den doch recht zahlreichen Unterschieden zwischen den Roten Eine-Mark-Romanen und den rechtspolitischen Romanen, wie sie obenstehend geschildert wurden, zeichnen sich doch einige strukturelle Merkmale ab, die auf beiden Seiten unverzichtbar scheinen, um eine politische Doktrin in einen narrativen Rahmen einzubetten. Ein prototypischer, auf die zentralen Handlungselemente konzentrierter Verlauf des Plots lässt sich in folgendes Schema fassen:





5.2 Vergleichende Gegenüberstellung der Plotstrukturen 

 323

Tabelle: Prototypischer Handlungsverlauf der Romane Exposition:

Hunger und Not in der Weimarer Republik (zunächst an individuellen Beispielen) Umfeld der Mietskaserne  tw. bereits auktoriale Erzählerkommentare, die die geschilderte Situation gesamtgesellschaftlich und politisch einordnen bzw. ausdeuten

(Bekehrung), Bewährung + Initiation in variierender Abfolge von Erfolg + Niederlage:

erste Hindernisse, aber langfristige Erfolge (Viera: „Wunder“)

1.) Einsicht der Protagonisten, dass sich die Lage verändern muss 2.) Entwicklung einer Handlungsstrategie oder gar unvermittelter Aktionismus (Parteibeitritt, Bilden einer handlungsfähigen Gruppe) 3.) erste politische Aktionen: Versammlungen, Flugblätter, Demonstrationen, Streiks, Kampfhandlungen  Agitation (Bewährung als Redner/Parteimitglied)

(oberflächliche) Selbstzweifel, die politische Arbeit hemmendes soziales Umfeld, Tod eine Freundes oder Familienmitglieds wird überwunden durch positiven Zuspruch und die Inaussichtstellung einer vielversprechenden Zukunftsperspektive vermittelt auf a.) personaler Ebene: durch die Figur des Mentors oder andere Parteimitglieder b.) auktorialer Ebene: durch (didaktische) Erzählerkommentare, die dem Leser eine Überwindung der persönlichen Krise suggerieren und/oder den exemplarischen Lebenslauf des positiven Helden vor den Hintergrund einer zukunftsgewissen gesamtgesellschaftlichen Entwicklung stellen Schluss: Zukunftsgewissheit rechtfertigt Opfer und Tod

4.) Kampfhandlungen (physischer Aktionismus und Bewährungsproben) 5.) politisches Engagement vs. private Probleme Politisches vor Privatem → Gefühlskontrolle, Parteidisziplin, soziale Kontrolle → Totenkult als Bewältigungsstrategie und Auftrag zur Nachfolge (Märtyrertum)

explizites Happy-End oder implizites Happy-End (Niederlage zu Sieg verklärt)



324 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Mit der Variation von Erfolg und Krise bzw. Niederlage im Hauptteil und dem mehr oder weniger erfüllten Happy-End, welches eine positive, siegesgewisse Perspektive für das Gelingen der politischen Kämpfe aufzeigt, bzw. diese teilweise bereits als verwirklicht darstellen kann und somit auch zur Beruhigung sowie Entspannung des Lesers beiträgt, entspricht die Plotstruktur den unter 1.3 erörterten Strategien von populärer Schemaliteratur. In einem zweiten Schritt, im Sinne der strukturalistischen Konfiguration von Aktanten auf eine Subjekt-Objekt-Beziehung reduziert, lassen sich folgende Basismerkmale für alle untersuchten Romane herausfiltern: Basismerkmale: Subjekt:

positiver Held (oft Märtyrer)/heldenhaftes Kollektiv → Selbstwertgefühl an Stellung der Organisation/des Kollektivs und persönliche Position innerhalb derselben gebunden → Vorbildfunktion/Exemplarität der Charaktereigenschaften und des Verhaltens

Objekt:

(stellvertretend für ein Kollektiv) zu lösende Aufgabe/ ein erstrebenswertes gesamtgesellschaftliches Ziel → Exemplarität der (Problemlösungs -)Strategien zur Erreichung dieser Aufgabe/des Ziels

Weg/ teleologische Struktur: „road to consciousness“ [Clark (1981), S. 255.] Struktursymbolisiert durch: beziehung: Zuwachs an (meist in Zahlen, Klimax, Hyperbeln ausgedrückt) moralischer Größe (Ethos) + politischer Größe (Logos) Verkopplung Subjekt

teleologische Struktur (Zuwachs)

Objekt

Schaubild 1: Basismerkmale

Dem Zuwachs an moralischer Größe entsprechen dabei alle auf das Selbstbild bezogenen Tugenden und vorbildlichen Handlungsweisen, wie sie beispielsweise innerhalb der Viera-Romane oftmals nur unvermittelt in Tugendkatalogen aufgezählt werden, überwiegend aber vermittelt durch solidarisches bzw. kameradschaftliches Handeln nach allgemeinmenschlichen Grundsätzen zum Tragen kommen. Die politische Größe äußert sich in den Romanen z. B. durch Mitgliederschwemmen sowie die Demonstration der Kraft und Dynamik der Eigengruppe beispielsweise im Rahmen von Aufmärschen, Demonstrationen und (Straßen-) 



5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 325

Kämpfen und darüber hinaus durch weitere konkrete politische Erfolge unterschiedlichster Art.

5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“219 – Personengestaltung als Ausdruck eines bipolaren Weltbildes Dem Schematismus des Handlungsverlaufs entspricht die Gestaltung der Personen; selbstredend bedingen sich beide gegenseitig und konstituieren so bipolar strukturierte Erzählwelten. Einzelne Protagonisten dienen als exemplarische Repräsentanten einer politischen Ideologie bzw. eines parteipolitischen Konzepts, lassen sich (ganz im Sinne populärer Schemata meist bereits schon aufgrund ihres Äußeren) zweifellos einer der beiden Welten zuordnen und sind somit nicht mehr als walking concepts – ein Parteikonzept ‚auf zwei Beinen‘. Durch die Verfahren der Amalgamierung von Aussehen, elementaren Charaktereigenschaften und Parteizugehörigkeit, der Personifizierung sowie der Versinnlichung der erzählten Welt, werden Figuren mit ihren Charaktereigenschaften in den direkten Zusammenhang mit ihrer Partei gebracht, als deren Stellvertreter sie im Roman fungieren. Hier nur einige der zahlreichen plastischen Negativbeschreibungen: Er war Sozialdemokrat und gab sich Mühe, das auch nach außen hin zu zeigen.220 Trauten hatte ihm [Bramm] mit seinem widerwärtigen Grinsen die Politik seiner Partei offenbart.221 Sie trugen Einheitsblusen, gehörten aber bestimmt nicht zum BDM. „Eher sind sie von der KJJ.“, dachte er [Heini], „oder von sonst einem roten Jugendverbund.“222 […] Mühlgay, ein verhältnismäßig noch junger Mann, dem sämtliche Laster der Welt ins Gesicht geschrieben stehen. […] [G]erade er ist ein erschütterndes Beispiel für die mit der Heimatlosigkeit verbundenen Schäden an der Seele des Menschen. Der oberste Leitsatz eines jeden Hitler-Menschen „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ ist Mühlgay völlig unbegreiflich.223

Motive und Status sind den Charakteren somit direkt anzusehen und dienen, einmal in der Exposition eingeführt, im weiteren Verlauf als Slots: Als Vertreter einer bestimmten Partei eingeordnet und abgespeichert, muss die Person im

219 Pell: S.S. Utah, S. 89: „Gunnar gröhlte ihm nach: ‚Vergiß nicht: Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!‘“ 220 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 8. 221 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 53. 222 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 219. 223 Viera: SA.-Mann Schott, S. 64.



326 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Romanverlauf nur wenige Worte verlieren; immer, wenn sie auftritt, ist bereits evident wie ihr Verhalten einzuordnen ist. Die Personen- und Gruppendarstellung neigt dabei stark zu dem ideologischen Zusammenhängen sehr zuträglichen Stereotyp224 (vgl. 1.2), das Komplexität und kognitive Dissonanz225 reduziert und somit der Vermittlung eines geschlossenen Weltbildes dient. Stereotype bzw. die unter 1.2 definierten sozialen Schemata beziehen sich dabei durchaus sowohl auf die positive Selbstdarstellung der Eigengruppe als auch auf die negative Einschätzung der Fremdgruppe bzw. die Etablierung eines klaren Feindbildes, die sich in ihrer Qualität oft gegenseitig verstärken. D. h. auf eine überaus positive Einschätzung im präsentierten Selbstbild folgt zumeist die besonders negative Abwertung des Gegners et vice versa. Die Rollen bzw. die Funktionen, die die einzelnen Figuren einnehmen, sind dabei klar verteilt und lassen sich in den Rahmen eines vereinfachten Aktantenschemas einordnen (vgl. untenstehendes Schaubild zur Personenstruktur226).

224 Uta Quasthoff ist eine der ersten Linguisten, die sich aus Sicht der Germanistik mit dem Begriff des Stereotyps befasst hat. Obgleich sie selbst im modernen Forschungskontext ihre älteren Definitionen in Bezug auf das Stereotyp als zu statisch auffasst und ihre Ergebnisse aus der Gesprächsforschung nicht eins zu eins auf literarische Zusammenhänge übertragbar sind, liefert der folgende Stereotypenbegriff von Quasthoff für vorliegende Arbeit eine gute Basisdefinition, vor allem in Hinblick auf die sozialen Kategorisierungen, die innerhalb der Romane vorgenommen werden: „Ein Stereotyp ist der verbale Ausdruck einer auf soziale Gruppen oder einzelne Personen als deren Mitglieder gerichteten Überzeugung, die in einer gegebenen Gemeinschaft weit verbreitet ist. Es hat die logische Form eines Urteils, das in ungerechtfertigt vereinfachender und generalisierender Weise, mit emotional-wertender Tendenz, einer Klasse von Personen bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zu- oder abspricht.“ Uta Quasthoff: Stereotype in Alltagssituationen: Ein Beitrag zur Dynamisierung der Stereotypenforschung. In: Sprachliche und soziale Stereotype. Hg. v. Margot Heinemann. Frankfurt a. M. [u. a.] 1998, S. 47–72 [hier: S. 48]. 225 Die Theorie der kognitiven Dissonanz wurde von dem Sozialpsychologen Leon Festinger entwickelt. Festinger geht davon aus, dass hochgradig disparate, heterogene und inkonsistente Informationen vom Rezipienten als belastend empfunden werden und er deshalb nach kognitiver Konsistenz strebt. D. h. als unangenehm empfundene Inkonsistenzen werden durch Umdeutung oder Ignorieren der entsprechenden Information getilgt, um kognitive Dissonanz zu vermeiden. Vgl. dazu: Leon Festinger: Theorie der kognitiven Dissonanz. Bern [u. a.] 1978. 226 Die dem Schaubild zugrundeliegende Struktur orientiert sich in Grundzügen an: Robin: Socialist Realism, S. 262 [Figure 3], wurde jedoch stark ergänzt und abgewandelt, um den Strukturen der hier untersuchten Romane gerecht zu werden.



(+)

Helfer: •MENTOREN •Agitatoren •Parteimitglieder •Parteiliches Kollektiv (Gemeinschaft Gleichgesinnter, Frau als Kampfgenossin)

POSITIVER HELD

Adressat/ Zielgruppe: •GEMEINSCHAFT (kommunist. Solidargemeinschaft vs. NS-,Volksgemeinschaft‘) (vgl. Tönnies) Gegner: • in den eigenen Reihen, Verräter (INNERER FEIND) • apolitische Subjekte (Frauen) • Eltern/Familie

Weg (Know-How)

Wille

im Roman vertretenes Weltbild; zukunftsbringende/gestaltende Partei

SELBSTBILD

Konversion Entwicklung ‚richtigen‘ polit. Bewusstseins

mögliche Überschneidungen

Politische Aufbauarbeit „Revolution“ Neues Gesellschaftssystem

Von der ‚alten‘ zur ‚neuen‘ Welt (-ordnung) via Transformation: • „structure of negative/positive apprenticeship“ (vgl. Suleiman) • Aufbruchs-/Zeitenwenderhetorik (Dynamik, ‚neue Menschen‘) • spezifische Attribuierung: Jugend(lichkeit), Entschlossenheit, Kampf(eskraft), Opfer-/Märtyrerstruktur

Zukunft /Gegenwart

Hindernisse

Gegner: (=Gegner der Gegner) •KONVERSIONSFÄHIGE FEINDE → „road to consciousness“ (vgl. Clark)

Zerstörung Adressat/ Zielgruppe: • GESELLSCHAFT (vgl. Tönnies)

Helfer: • Rechtsprechung (Judikative) • Polizei (Exekutive) • ‚Wucherer‘, ‚Parteibonzen‘ • schwer lokalisierbare/fremd (-ländisch)e Kräfte

ÄUßERER GEGNER/FEIND/WIDERPART

das im Roman gegenwärtige, als überkommen bzw. dysfunktional dargestellte Gesellschaftssystem u. seine Repräsentanten: Weimarer Republik andere Parteien/Parteienkonkurrenz Kapitalismus [NSDAP-spezifisch: Anti-Semitismus, AntiInternationalismus, Anti-Kommunismus KPD-spezifisch: Anti-National(sozial)ismus, Anti-Sozialdemokratie]

FEINDBILD ( - )

5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“   327

Schaubild 2: Allgemeine Personenstruktur der ideologisch geprägten Romane (linkspolitischer wie rechtspolitischer Orientierung)

328 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Sprachlich-stilistisch äußert sich die bipolare Ordnung der erzählten Welt in einer Vielzahl von Antithesen, die sich fast alle rückbeziehen lassen auf die Gegenüberstellung von ‚Freunden und Feinden‘ sowie auf die den politischen Kampf prägenden Charakteristika von ‚Leben und Tod‘, ‚Angriff und Abwehr‘ sowie ‚gewinnen oder verlieren‘.227 Bezogen auf das unter „Basismerkmale“ (vgl. 5.2) definierte, zentrale „Objekt“, das sich auch im Zentrum des untenstehenden Schaubildes befindet, handeln alle präsentierten Charaktere. Den nicht nur für die Handlungsgerüste, sondern auch für die Personengestaltung entscheidenden Fokus bildet also das gesamtgesellschaftliche Ziel eines durch als positiv dargestellte politische Aufbauarbeit zu erlangenden, neuen, vermeintlich besseren und gerechteren Gesellschaftssystems, das im Rahmen von Aufbruchs- und Zeitenwenderhetorik als grundlegende Transformation bzw. ‚Revolution‘ der politischen Verhältnisse der Weimarer Republik ausgegeben wird. Nur der positive Held bzw. das heldenhaft handelnde Kollektiv besitzt (oder erlangt im Laufe der Handlung) die Kompetenz und aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur auch den unbedingten Willen zur Umsetzung dieses gesamtgesellschaftlichen Ziels und verkörpert damit beispielhaft die zukunftsbringende wie -gestaltende Partei, die diese zentrale Transformation hervorrufen kann.

227 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 54: „[…] [E]r starb für uns. Wir leben ihn.“, S. 198: „Gläubige und Gottlose, Staatstreue und Rebellen, Tugend und Laster, Hunger und Behäbigkeit.“ Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 17, 30: „Herren und Knechte“. Die Prinzipien von Herrschaft und Knechtschaft wurden zuerst von Hegel ausformuliert, werden dort aber im Sinne der Dialektik als interdependent aufgefasst. Der Marxismus greift häufig auf diese beiden Termini zurück. Mit der Verwendung des Begriffspaars durch Viera zeigt sich hier erneut deutlich das Werben um die linkspolitisch geprägte Arbeiterschaft. Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 19: „Das Banner muss stehen, wenn der Mann auch fällt.“, S. 37:„[…], daß Sie das Volk belügen, und daß wir dem Volk die Wahrheit sagen. Daß Sie vom Volk leben und wir für das Volk kämpfen und sterben.“, S. 38: „Freund und Feind“. Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 6: „[…] Symbol, das jeder kennt, das Verständige lieben und nur die Toren hassen.“ Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 39: „Die Natur schläft. Die Menschen schlafen, der SA.-Mann wacht.“ Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 179: „Besser barfuß nach Souville als mit Stiefeln in den Himmel…“. Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 70: „Freunde[n] und Feinde[n]“, S. 71: „Entweder bist du für das, was die Arbeiter wollen, oder du bist gegen sie!“, S. 54, 125, 134, 146, 123: Prinzipien von Leben und Tod, S. 75: „[…] die Fäuste des Strebenden krallen sich im Todeskampf tief in den Lebenden hinein.“, S. 65: „Angriff und Abwehr“, S. 77: „gewinnt oder verliert“. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 89: „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“, S. 21: „Damals versprach man diesem Land [Russland] einen frühen Tod. Das Ding schien aber doch am Leben zu bleiben und sogar Samenkörner zu verbreiten.“ Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 111: „Ordnung ist, wenn die einen krepieren, in den Wohlfahrtsämtern angebrüllt werden und wenn sich auf der anderen Seite die Reichtümer häufen.“





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 329

Die ‚Pluspartei‘ ist dementsprechend mit den positiven Attribuierungen von Jugend(-lichkeit), Entschlossenheit, Kampfeskraft und einer Opfer-/ bzw. Märtyrerstruktur (vgl. dazu 5.3.2) ausgestattet, die das Selbstbild prägen (vgl. Schaubild Personenstruktur). Wie bereits zuvor betont, kann die Position des positiven Helden mehrfach besetzt sein oder sich der Fokus im Laufe der Romane von einem positiv besetzten Parteimitglied auf ein anderes verschieben, um auf diese Weise möglichst unterschiedlichen und breitgestreuten Identifikationszielen der Leser entgegenzukommen. So entsprechen Karl Langscheidt, Theo Schade und im Rahmen eines Entwicklungsprozesses am Ende auch Erich Schmidt dem Bild des vorbildlichen Genossen in Kämpfende Jugend. In Gruppe Bosemüller verlagert sich ab Kapitel sechs ein Großteil der internen Fokalisierungen von Bosemüller auf Siewers, dessen Entwicklungsprozess im Folgenden klar im Vordergrund steht.228 Doch auch in den anderen Romanen, die exemplarisch einen Helden aus der Gruppe besonders hervorheben, wie Slim in S.S. Utah, Franz Kreusat in Sturm auf Essen oder noch sehr viel deutlicher in den rechtspolitischen Romanen Der Hitlerjunge Quex sowie Utz kämpft für Hitler bleiben die Helden an das parteiliche Kollektiv gebunden, das als Gemeinschaft Gleichgesinnter vor allem Unterstützung im Kampf, aber auch ideelle (z. B. Zuspruch, Trauerbewältigung) wie materielle Hilfe (Essen, Wohnung, Arbeit) sichert. Teilweise werden die jugendlichen Helden, vor allem in den rechtspolitischen Romanen, durch eine zusätzlich hervorgehobene Person des Mentors229 unterstützt, der Mut zuspricht, (Selbst-)Zweifel entkräftet und gegebenenfalls für die Ablösung vom Elternhaus sorgt, wenn dieses sich nicht ohne Widerspruch in die Partei integrieren lässt. Dabei nehmen die Mentoren oft die Rolle des Vaterersatzes230 ein, wo ohnehin das parteiliche Kollektiv oft als eine Art funktionsfähige

228 Vor dem Hintergrund, Erich Siewers als adolsezente Identifikationsfigur vor allem im Schulunterricht zu etablieren, erscheint es somit nur als folgerichtig, dass die Schulausgabe erst mit Kapitel 6 einsetzt. Vgl. Werner Beumelburg: Soldaten-Kameraden in der Hölle von Verdun. Bielefeld/Leipzig 1941. 229 In Der Hitlerjunge Quex existieren zwei Mentoren für den Protagonisten Heini Völker, die sich in der zeitlichen Abfolge ablösen, der Kameradschaftsführer Kaß sowie der Bannführer. Auch in Utz kämpft für Hitler gibt es zwei Mentoren, den Scharführer Peter Schott, an dessen monologischen Reden Utz primär sein Verhalten ausrichtet, sowie Will Hufeland, ein gleichaltriger Parteifreund, der den ‚verirrten‘ Proletarier mittels eines didaktischen Monologs zum Besuch des Werbeabends bringt und ins neue Parteiumfeld integriert. Vgl. dazu Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 18, 31–33, 37–38. 230 Vor allem in Gruppe Bosemüller ist die Mentorenrolle zweigeteilt in Paul Bosemüller als Vaterersatz und den fürsorglichen Wammsch als Mutterersatz für Erich Siewers. Vgl. dazu Prümm: Das Erbe der Front, S. 145.



330 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Ersatzfamilie231 mit intakten sozialen Strukturen dargestellt wird – häufig im Kontrast zu den durch Armut, Alkoholismus und vermeintlich ‚falsche‘ Ideologie zerrütteten Proletarierfamilien232. In den rechtspolitischen Romanen Der Hitlerjunge Quex und Utz kämpft für Hitler sind es vor allem die von bürgerlichem Wohlstand geprägten Elternhäuser der befreundeten Hitlerjungen Fritz Dörries und Kaspar Mau, die die Proletarierkinder scheinbar vorurteilslos aufnehmen und ihnen im Rahmen der suggerierten ‚Volksgemeinschaft‘ Teilhabe am eigenen Wohlstand gewähren – eine vielversprechende Perspektive des sozialen Aufstiegs. Doch auch die Selbstbilder sind nicht konfliktfrei und für Verunsicherungen und Krisen sorgen nicht nur die äußeren Gegner, sondern (oftmals als viel schlimmer und moralisch verdammenswerter dargestellt) die inneren Feinde aus den eigenen Reihen (vgl. Schaubild), allen voran der Typus des Verräters oder Spitzels233 für die Gegenseite (vgl. dazu 5.3.3), aber ebenso alle als ‚Drückeberger‘234 bezeichneten Personen, die nicht bereit sind, ihr Leben im Kampf zu opfern. Genau diese Figuren sind es, mit denen sich die links- wie rechtspolitisch existierenden Prinzipien der ‚sozialen Kontrolle‘ und ein rigides Sanktionensystem für Abweichler rechtfertigen lassen. Auch das eben bereits erwähnte private Umfeld von Eltern und Familie wird zum Gegner, bzw. muss durch Kontaktabbruch ausgeblendet werden, wenn es sich nicht in den jeweiligen Parteizusam-

231 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 90, 115, 260 sowie S. 262: „unsere[ ] Familie da draußen“. Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 10: „Unser SA.-Heim ersetzt doch vielen von uns das fehlende Zuhause.“ Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 169 [Bannführer zu Heini]: „Wir wissen auch, daß du zu uns gehörst wie kein zweiter.“ Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 112– 113, 158–159. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 41: „Er[ich] fühlte sich hier mit einmal froher und sicherer.“ 232 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 8–9, 31. Vgl Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 8, 16–17, 20. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 28, 70–71. Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 3–5, 104–105. 233 Als kommunistischer Spitzel gilt die Figur des Oskar Wisnewski in Der Hitlerjunge Quex, als Verräter gelten Eskimo und der Erste in S.S. Utah sowie der Vertrauensmann der USPD Mahler in Sturm auf Essen. Für die Eigenpartei im Rahmen der Bewährung als Spitzel bei dem Gegner aufzutreten, wird hingegen von linker wie rechter Seite als zentrale Bewährungsprobe (meist der Konvertiten) und Abwehr von größeren Bedrohungen begrüßt. Vgl. dazu 5.3.4. 234 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 108–109: Entwaffung untätiger Mitläufer, S. 88: „Entweder du schnappst dir ne Knarre und machst mit oder geh’ dahin wo der Pfeffer wächst!“, Vgl. die als ‚Drückeberger‘ gekennzeichneten Charaktere Benzin, Casdorp und Krakowka in Gruppe Bosemüller, deren Verhalten durch ironische Figuren- wie Erzählerkommentare sowie Fäkalhumor abgewertet wird. Humor wird hier sehr viel deutlicher als in den anderen Romanen zur Ab-/ Ausgrenzung des inneren Gegners, d. h. von Abweichlern, Simulanten und bequemen Personen, benutzt. Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 28, 84, 93, 111, S. 350: „Schlappschisser“, S. 22: „Schlappmacher“, S. 303: „Schleimscheißer“.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 331

menhang integrieren lässt. Eine besondere Rolle wird dabei Frauen zuteil, häufig als apolitische Partnerinnen und Mütter dargestellt, die ihren Mann/Sohn aus egoistischen Motiven nicht in den Kampf ziehen lassen wollen und von deren emotionaler Beeinflussung sich die männlichen Parteimitglieder konsequenterweise lösen müssen (vgl. dazu 5.3.5). Auch in Bezug auf das Feindbild ähneln sich die Personengestaltungen der links- wie rechtspolitischen Romane in ihrer grundlegenden Struktur: Die Gegenwart der Weimarer Republik wird von beiden Seiten diskreditiert, das Gesellschaftssystem vor dem Hintergrund von Elendsschilderungen als dysfunktional dargestellt. Die politischen Repräsentanten der Weimarer Republik gelten als „Vertreter der Geldsackklasse“235, den sozialen Belangen der unteren Schichten gegenüber als ignorant eingestellt, ja scheinbar sogar auf deren Ausbeutung angewiesen, die als moralisch äußerst zweifelhafte Basis für deren Wohlstand dient236  – so die etwas kurzgegriffenen Schlussfolgerungen, die die Romane in Bezug auf die zeitgenössische Gegenwart der Weimarer Republik liefern. Einig sind sich Vertreter beider entgegengesetzter Ideologien also in der Ablehnung der Weimarer Republik, in ihrem (vorgeblichen) Antikapitalismus und in ihrem unbedingten Führungsanspruch, der die Ausschaltung jeglicher Parteienkonkurrenz237 zum Ziel hat.

235 Pell: S.S. Utah, S. 18. Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 112: „Geldsack“. 236 In Sturm auf Essen sind die Politiker Kapp, Watter, Severing bereits im Untertitel als Feindbilder genannt, in Kämpfende Jugend wird das staatliche Wohlfahrtssystem als Betrug bezeichnet. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 72: „Das bißchen Säuglingspflege und Mutterschutz ist doch bloß Schwindel. Nicht etwa aus christlicher Nächstenliebe oder Menschlichkeit heraus ist sie geschaffen, nein, weil man doch später einen Teil gesunder Arbeitstiere braucht.“, S. 112: „De[r] Staat, der uns gar nichts angeht, der uns verrecken läßt, den die herrschende Klasse braucht, um das Proletariat zu unterdrücken.“ Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 60: „Die Kapitalisten lehrten dich lesen und schreiben, weil sie geübte Sklaven für ihre Maschinen brauchen.“ Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 19 und Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 36: „Regierung der Novemberverbrecher“. Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 61: „Regierung der Feigheit und Korruption“. Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 39: „Fünfzigtausend Schulkinder hungern und darben in der Reichshauptstadt, während die Führer der Roten, die sich Vertreter der Arbeiter nennen, prassen und für ihr Privatvergnügen öffentliche Gelder verschleudern. Ungeheuerliche Zustände sind das, für ehrliche Menschen geradezu zum Verzweifeln.“ Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 196, 246. 237 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 26: „Schade um die Proletenjungs, die heute noch an den Sozialismus der Wels und Breitscheid glauben…“, S. 117: „Ihr Wille, nicht freiwillig zu verhungern, gibt ihnen die Ueberzeugung, dass sie kämpfen müssen unter Führung der Kommunistischen Partei.“, S. 127: Mitgliederschwemme. Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 46: rhetorische Frage: „[W]er anders schützt diese Menschen vor der Rotfrontwelle als der Nationalsozialismus?“



332 

 5 Analyse ausgewählter Romane

NSDAP-spezifisch sind im Rahmen der Feindbilder anti-semitische, antiinternationalistische sowie anti-kommunistische Wendungen, die vor allem in den Viera-Romanen im Übermaß zu finden sind. Für das Feindbild von Seiten der KPD charakteristisch ist, neben einer Frontstellung gegenüber dem National(sozial)ismus, eine oftmals noch sehr viel deutlichere feindliche Haltung gegenüber den Vertretern der SPD, wie sie in der bereits oben thematisierten ‚Sozialfaschismusthese‘ in allen Rote Eine-Mark-Romanen zum Tragen kommt. Parallel zu den positiven Helden sind in einigen Romanen negative Spiegelcharaktere ganz im Sinne der negative exemplary apprenticeship238 vorhanden, die als Kontrastfolie dienen und aus didaktischer Perspektive als Lernen am Negativbeispiel aufgefasst werden können.239 Als ‚Helfer‘ der Feinde (vgl. Schaubild), die die positiven Helden an der Verwirklichung ihres parteipolitischen Zukunftskonzepts hindern, omnipräsent sind die Vertreter des ‚Weimarer Systemstaates‘, neben einzelnen Politiken insbesondere die Judikative240 sowie die Polizeigewalt (Exekutive)241, die, wenn immer sie genannt werden, scheinbar ungerechtfertigter Weise dem parteipolitischen Gegner in die Hände spielen und als Ausdruck eines ‚Unrechtsstaates‘ gelten. Des weiteren, in den rechten Romanen oft mit antikapitalistischen wie antisemitischen Stereotypen zugleich verknüpft, treten die oben genannten ‚Parteibonzen‘ und ‚Wucherer‘ als Feinde sowie ‚Helfershelfer‘ größerer Verschwörerzentren auf,

238 Vgl. dazu Kapitel 1.4.3 und Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 86. 239 So stellt Oskar Wisnewski eine Negativfolie zu Heini Völker in Der Hitlerjunge Quex dar, vollzieht quasi eine Negativ-Konversion von den Nazis zu den Kommunisten und wird schließlich von Heini als kommunistischer Spitzel entlarvt. Ebenso stellt Gustav Nürpke das negative Pendant zum positiven Helden SA.-Mann Schott dar. In Gruppe Bosemüller wird der positive Entwicklungsprozess von Erich Siewers der Negativentwicklung von Casdorp, der schließlich Selbstmord begeht, gegenübergestellt. Doch auch ganze Kollektive werden spiegelbildlich geteilt in ein Positivbeispiel (Parteiverband: KJVD oder HJ) und ein Negativbeispiel (Clique), wie in Kämpfende Jugend und Der Hitlerjunge Quex dargestellt. Pauschal werden so (innere) Feinde, Plünderer, Leute mit falschen Bewusstsein stigmatisiert, indem an deren Negativbeispiel aufgezeigt wird: „Mit solchen Strolchen heben wir nichts gemein, Kameraden!“ (Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 77.) 240 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 112: „Ja vor dem Gesetz sind alle gleich. Es ist den Armen wie den Reichen verboten, unter Brückenbogen zu schlafen und Brot zu stehlen. Das ist Ordnung, das ist Demokratie…“ Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 61: „Passen Sie auf, Herr Untersuchungsrichter, die Staatsgewalt wird von ganz woanders bedroht. Merken Sie denn nicht, daß man das kommunistische Chaos vorbereitet?“ 241 In Sturm auf Essen wird das Verhalten der Polizei gegenüber den Arbeitern im Zuge des Kapp-Putschs als von äußerster Brutalität geprägt beschrieben. Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 20, 38. Ein ähnlich brutales Bild der „Schupos“ zeichnet Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 116.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 333

die nicht zuletzt ein diffuses Bedrohungsszenario durch schwer lokalisierbare, fremd(ländisch)e Kräfte bilden; schließlich wird permanent darauf verwiesen, dass der Feind heimtückisch aus dem Hinterhalt242 angreife. Die wohl interessanteste und politisch äußerst funktionale Rolle auf Ebene des Feindbildes spielt die Figur des konversionsfähigen Feindes. Die durch positive Entwicklungsprozesse (structure of positive apprenticeship) geläuterten Personen scheinen quasi in letzter Minute doch noch zum ‚richtigen‘ Bewusstsein gekommen zu sein. Dabei handelt es sich natürlich immer um ‚die Besten‘243, die man dem politischen Gegner abspenstig gemacht hat, was als Beweis für die zwingende Überzeugungskraft und Dynamik der eigenen ‚Bewegung‘ gefeiert wird. Da die Figur des Konvertiten und dessen Darstellung von zentraler politischer Bedeutung für die linken wie rechten Romane ist, wird sie unter 5.3.4 ausführlicher behandelt. Die Personengestaltung ist aber nicht so eindimensional, wie es vielleicht bei einem ersten Blick auf das Schaubild anmuten mag, sondern meist auf mehreren Ebenen bipolar angeordnet. Hier nur einige Ebenen, die in vielen Romanen simultan zueinander existieren, in Kämpfende Jugend kommen sogar alle drei Ebenen (Cliquen-, Intellektuellen-, Generationenproblematik) zugleich zum Tragen und verstärken sich durch ihre Kontrastwirkung jeweils. Der Gegensatz von unorganisiertem, sinnlosem Zeitvertreib und politisch-‚revolutionärem‘, sinnstiftendem Engagement zeigt sich in der Gegenüberstellung der Cliquen244 mit den jeweili-

242 Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 32: „Das Gesetz schützt Betrüger. Parteien zerklüften die Volksverbundenheit. […] Verantwortungslose Führer locken das Volk zum Abgrund. Noch viel schlimmere Verräter liefern Staat und Volk fremden Mächten aus.“ Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 35: „Feiger Mordversuch aus dem Hinterhalt immer und immer wieder.“ Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 160–161: „Der Gegner lauert im Hinterhalt und knallt sie ab, sowie sich eine Gelegenheit bietet. […] [W]o hundert Gegner auf einen von ihnen kommen, wo in jeder Toreinfahrt verdächtige Gestalten sich ducken.“ 243 Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 63: „[…] Hunderte, vielleicht Tausende von de Besten von de Kommune abspenstig jemacht.“ 244 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 94: Der kommunistische Funktionär Theo wird als „viel, viel klüger“ als der Cliquenbulle Franz beschrieben. Vgl. auch Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 28–30. Die Thematik der Cliquen scheint vom politischen Standpunkt für Kommunisten wie Nationalsozialisten funktional, da sie einerseits dazu genutzt wurde, das Versagen der staatlichen Jugendfürsorge und Wohlfahrt zu proklamieren und so weiteren Raum für antidemokratische Ressentiments bot, andererseits als ‚Negativfolie‘ zur als positiv-aufbauend bewerteten Jugendarbeit in den jeweiligen politischen Verbänden funktionalisiert wurde. Zu dem höchst interessanten Thema der Jugendcliquen in der Weimarer Republik, das an dieser Stelle leider nicht weiter vertieft werden kann vgl. Jonas Kleindienst: Die Wilden Cliquen Berlins. „Wild und frei“ trotz Krieg und Krise. Geschichte einer Jugendkultur. Frankfurt a. M. [u. a.] 2011. Patrick Wagner und Klaus Weinhauer: Tartarenblut und Immertreu. Wilde Cliquen und Ringvereine um



334 

 5 Analyse ausgewählter Romane

gen politischen Jugendverbänden (KJVD oder HJ). Den Konflikt zwischen Theorie und Praxis symbolisieren die Streitigkeiten zwischen der Figur eines Intellektuellen245 (oft Doktor genannt) und den übrigen als Tatmenschen gekennzeichneten Parteimitgliedern. Generationenkonflikte werden angedeutet und repräsentieren oft zugleich stellvertretend politische Konflikte: In den Roten Eine-Mark-Romanen zeigt sich dies beispielsweise anhand von Kämpfende Jugend in Bezug auf Karl und seinen Vater, ähnlich ist die Schilderung des Konflikts zwischen Franz Kreusat und Herrn Trauten in Sturm auf Essen: Immer sind es die jungen, dynamischen, der KPD zugeordneten Funktionäre, die den behäbig und arbeiterfeindlich wirkenden, ‚alten‘ SPD-Vertretern argumentatorisch überlegen sind und sich von ihnen emanzipiert haben – die Verkörperung der parteipolitischen ‚Sozialfaschismus‘-Debatte also.246 Und auch in den rechtspolitischen Romanen sind es zumeist die uneinsichtigen Väter aus dem linken Proletariermilieu, die, wenn sie nicht zur Konversion bereit sind und sich von den ‚Jungen‘ ‚überzeugen‘ lassen, von ebendiesen zurückgelassen werden und im weiteren Verlauf der Handlung keine Rolle mehr spielen.247

1930 – Ordnungsfaktoren und Krisensymbole in unsicheren Zeiten. In: Unsichere Großstädte? Vom Mittelalter bis zur Postmoderne. Hg. v. Marin Dinges und Fritz Sack. Konstanz 2000, S. 265– 290. Hellmut Lessing und Manfred Liebel: Wilde Cliquen. Szenen einer anderen Arbeiterjugend Bensheim 1981. 245 Im Gegensatz zu den tatkräftigen Funktionären in Kämpfende Jugend steht die Figur des Doktors, der als theoriebesessener, lebensferner Intellektueller – versinnlicht durch „Schreiberfaust“ und „eingefallene[ ] Brust“ (Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 41, 36) – von den Genossen dazu ermahnt wird, nicht theoretische Verwirrung zu stiften, sondern praktische Arbeit zu leisten, vgl. S. 36, 88–89. Damit reproduziert Schönstedt auch die innerparteilichen Divergenzen zwischen bürgerlich-intellektuellen Mitgliedern und anderen, eher am Proletkult orientierten Vertretern. Durch den intertextuellen Hinweis, dass der Doktor Die Linkskurve liest (vgl. S. 36), wird auch diese als intellektuelle und leicht weltfremde Zeitung dargestellt, was auf Differenzen von Schönstedt mit dem BPRS hindeuten könnte. Vgl. dazu ebenfalls Rohrwasser: Saubere Mädel – Starke Genossen, S. 101. Auch in S.S. Utah findet sich mit der Figur des Professors der Typus des Intellektuellen bürgerlicher Herkunft, der mit seiner herausfordernden Lieblingsfrage: „Ja und was beweist das?“ letztendlich die didaktischen Monologe von Slim vorbereitet, der infolgedessen mit seiner Beweisführung und Argumentationsfähigkeit beeindruckt, vgl. Pell: S.S. Utah, S. 9–10, 33. In Vieras Horst Wessel-Roman verkörpert Dr. Vaigel den feindlichen Typus des linken Intellektuellen und wird im Erzählerkommentar als „widerlicher Hetzredner“ bezeichnet, vgl. Viera: Horst Wessel, S. 12. 246 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 5–7. Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 8–10. 247 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 168: Heinis Aufnahme ins Bannheim stellt die endgültige Ablösung vom Elternhaus dar, danach ist vom Vater nicht mehr die Rede; auch Viera variiert dieses Thema in der Personengestaltung mehrfach. Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 31: Konvertit Willy Laschke: „Die Nazis kann Vata nich riechen. Wenn er wüßt, det ick een Nazi bin,





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 335

Letztendlich laufen somit Personengestaltung und Handlungsverlauf, auch wenn sie mehr oder weniger variantenreich gestaltet sind, im Rahmen eines bipolaren Weltbildes auf ganz eindeutige Entweder-oder-Schemata hinaus, die ihre radikale Absolutsetzung in folgenden Formulierungen finden: „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“248, „Entweder bist du für das, was die Arbeiter wollen, oder du bist gegen sie!“249 Und in analoger Formulierung auf der rechtspolitischen Seite: „Wer nicht für Hitler ist, ist gegen ihn!“250

5.3.1 Exklusives Gruppenbewusstsein – Kameradschaft als ideal(isiert)es Gesellschaftsmodell? Ausgehend vom Kameradschaftserlebnis in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges, das vor allem in den rechten Kriegsromanen der Weimarer Republik mythisch überhöht wird, wurde insbesondere von den rechtspolitischen paramilitärischen Verbänden der Weimarer Republik ein Gemeinschaftsmodell übertragen, weiterentwickelt und somit für eigene Zwecke funktionalisiert, das exklusives Gruppenbewusstsein idealisierte sowie artikulierte. Die paramilitärischen Kampfgemeinschaften von HJ und SA und deren bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen (vor allem mit Kommunisten) im Rahmen der ‚Kampfzeit‘ der Weimarer Republik wurden auf diese Weise zu Vorkämpfern einer vermeintlich ‚neuen Weltordnung‘ glorifiziert, mit Vorbildfunktion ausgestattet, in eine äußerlich möglichst kohärente, von affektiven Momenten zusammengehaltene Parteigeschichtsschreibung eingebettet und dazu in eine geschichtlich konstruierte kontinuierliche Linie mit den Weltkriegssoldaten gestellt. Kühne weist, auf der Basis des Konzepts der Kameradschaft als Mythos,251 neben den Funktionen der Stiftung von Kohärenz und Kontinuität,252 ganz allgemein auf den Klassen und politische Lager übergreifenden „sozialintegrativen Anspruch“253 des Kameradschaftsbegriffs in den 1920er Jahren hin. Seine politi-

haute er mir zu Klumpen.“ Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 40: Heini Klewes Vater muss erst von SA.-Mann Schott zum Besuch eines Werbeabends überredet werden, lässt den Sohn anschließend der HJ beitreten und scheint selbst auch Konversionspotenzial zu bergen. 248 Pell: S.S. Utah, S. 89. 249 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 71. 250 Viera: SA.-Mann Schott, S. 70. 251 Vgl. Thomas Kühne: Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert. Göttingen 2006, S. 17–19 [zum Konzept der Kameradschaft als Mythos]. 252 Vgl. Kühne: Kameradschaft, S. 19. 253 Kühne: Kameradschaft, S. 45.



336 

 5 Analyse ausgewählter Romane

sche Funktionalität bekommt der Begriff also durch seine prinzipielle Deutungsoffenheit und seinen zunächst lagerübergreifenden Stellenwert, der ihn prinzipiell links- wie rechtspolitisch anschlussfähig macht: Gerade die politische Deutungsoffenheit der Kameradschaft ermöglicht eine weite Verbreitung der Kriegsromane. […] Kameradschaft kann damit als diejenige Leitvorstellung identifiziert werden, die lagerübergreifend in der political culture eingelassen war und von dort in deutungskulturelle Diskurse eingespeist werden konnte.254

Vor dem Hintergrund der zusehenden Pluralisierung des Arbeitermilieus, wie im Rezeptionskapitel geschildert, wundert es also nicht, dass auch Arbeiterjugendliche durchaus für den nationalistischen Kriegsroman empfänglich waren und das Konzept der Kameradschaft allmählich das milieuspezifische Konzept der Solidarität überlagerte, wenn nicht in manchen Fällen sogar verdrängte: Bei den nachwachsenden Alterskohorten höhlte die zunehmende Verbreitung massenkultureller Medien und Freizeitangebote in Weimar die Überzeugungskraft der […] Milieukultur […] zumindest ansatzweise aus. Dies betraf auch die spezifische Form der Kriegserinnerung, wie sie im Reichsbanner und anderen Milieuorganisationen betrieben wurde. An ihre Stelle trat bei den Arbeiterjugendlichen eine wachsende Akzeptanz für die Deutungsangebote nationalistischer Kriegsromane und -filme.255

Pyta attestiert vor allem Werner Beumelburgs Gruppe Bosemüller aufgrund einer lebendigen literarischen Darstellung und Ausgestaltung des Kameradschaftsbegriffs politische Lager übergreifende Wirkung und konstatiert Forschungsbedarf in Hinsicht auf eine „intensive literaturwissenschaftliche Formanalyse der ‚Gruppe Bosemüller‘“256, dem im Zuge dieser Arbeit Rechnung getragen werden soll. Er betont in Bezug auf Gruppe Bosemüller:

254 Wolfram Pyta: Die expressive Kraft von Literatur: Der Beitrag der Weltkriegsliteratur zur Imagination politisch-kultureller Leitvorstellungen in der Weimarer Republik. In: Angermion 2 (2009), S. 57–76 [hier: S. 70]. 255 Benjamin Ziemann: Das „Fronterlebnis“ des Ersten Weltkrieges  – eine sozialhistorische Zäsur? Deutungen und Wirkungen in Deutschland und Frankreich. In: Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung. Sozialer Wandel und Formveränderung der Politik. Hg. v. Hans Mommsen. Köln/Weimar/Wien 2000a, S. 43–82 [hier: S. 65]. 256 Wolfram Pyta: Die Privilegierung des Frontkämpfers gegenüber dem Feldmarschall. Zur Politikmächtigkeit literarischer Imagination des Ersten Weltkrieges in Deutschland. In: Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren. Hg. v. Ute Daniel, Inge Marszolek, Wolfram Pyta und Thomas Welskopp. München 2010, S. 147–180 [hier S. 161, Fußnote 48].





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 337

Durch den Einsatz von lautmalerischer Darstellung und filmischer Erzählweise verstand er [Beumelburg] es, einen Spannungsbogen zu erzeugen, der den Leser ungeachtet seiner politischen Voranschauungen zu packen vermochte. Als zentrale, politisch anschlussfähige Botschaft verkündet dieses Werk die Kameradschaft, wie sie sich als Gemeinschaftserlebnis der Schützengräben entwickelte.257

Doch welcher Rang wird dem Arbeiter bzw. der Figur des Arbeiters im Kriegsroman Beumelburgs tatsächlich eingeräumt? Dazu lohnt ein näherer Blick in den konkreten Text von Gruppe Bosemüller, der verdeutlicht, dass neben dem äußerlichen, soziale Gegensätze harmonisierenden Integrationsgestus einer klassenlosen Frontgemeinschaft durchaus die Figur des Arbeiters, vor allem im Fragen der sprachlichen Formulierung einer ‚Sinnzuschreibung‘ des Krieges, marginalisiert bzw. aufgrund mangelnder Bildung als sprachlos charakterisiert wird. So verweist Wammsch immer wieder selbst auf Artikulationsprobleme: „Vielleicht wenn man auf dem Gymnasium gewesen wäre… da lernt man wohl sich ausdrücken.“258 Und als Reaktion auf den Brief von Siewers, der in komprimierter Form den Sinn des Krieges sprachlich in die repräsentative Form der „großen“ und „kleinen Kreis[e]“ kleidet und so relativ prägnant den Anspruch der Übertragbarkeit und Ausdehnung des Lebensmodells der Frontgemeinschaft auf die Zivilgesellschaft formuliert, tritt Wammsch bewusst hinter Siewers zurück, spricht ihm seine Anerkennung aus und überlässt das sprachliche Deutungsmonopol dem bürgerlichen Helden: „Du hast so schön geschrieben in deinem Brief, das von der Kameradschaft und vom kleinen Kreis und vom großen Kreis und daß wir nachher auch das Ganze sehn werden. Bosemüller sagt auch, das ist schön. Ja, wenn man das so gut aussprechen kann, unsereinem gelingt das nicht.“259 Recht bissig kommentiert Prümm diese von ihm als „Karikatur des ‚Werktätigen‘“ aufgefasste Darstellung in den Weltkriegsromanen: Der proletarische Partner muß sich auf Stichwort-Geben und stammelnde Akklamation beschränken. Sein intellektuelles Defizit gleicht er aus durch seine kämpferischen Tugenden. Was als Verherrlichung des Gesund-Naiven angelegt ist, gerät zur Karikatur des „Werktätigen“, wie ihn der Nationalsozialismus zur Ideologie machte, erfüllt von stummer Hingabe und Bereitschaft, die angebotenen Ideale zu den seinen zu machen.260

Von hier aus scheint es zum ‚Arbeiter der Stirn und Faust‘, wie ihn der Nationalsozialismus im Sinne der homogenisierten ‚Volksgemeinschaft‘ propagierte,

257 Pyta: Die Privilegierung des Frontkämpfers gegenüber dem Feldmarschall, S. 161. 258 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 126. 259 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 263–264. 260 Prümm: Das Erbe der Front, S. 145.



338 

 5 Analyse ausgewählter Romane

nicht mehr weit zu sein. Doch Prümm formuliert etwas zu überspitzt. Denn stellt man Wammsch und Siewers gegenüber, wird letztendlich deutlich, dass, obwohl es Siewers vorbehalten bleibt die zentrale Erkenntnis in Worte zu fassen, es doch um etwas ganz anderes geht als intellektualisierte Sinndeutungen des Krieges. Die „Gewißheit der Tat“,261 die letztendlich Wammsch verkörpert, dem ja auch das Buch gewidmet ist, ist es, die als zentraler Wert auch für Siewers in den Mittelpunkt rückt, der durch zahlreiche aktionistische Bewährungsproben, wie die Eroberung eines Maschinengewehrs mit bloßen Händen,262 vom verzärtelten Muttersöhnchen263 aus gutem Hause zum heroischen Soldaten und unverzichtbaren Mitglied der Tatgemeinschaft heranreift. An einigen Stellen finden sich daneben spöttische, anti-intellektuell anmutende Bemerkungen, wie der Erzählerkommentar zum Stab Horst: „Er hat nur einen Fehler, er ist bildungshungrig.“,264 dem alle theoretische Beschäftigung mit Karten und Kompass nichts nützt, da er sich in der Praxis immer wieder verläuft und die Truppe fehlleitet. Und der depressive Leutnant formuliert selbst auf relativ ungehobelte Art: „Alle Schulweisheit kriegt hier das große Kotzen.“265 Schließlich scheint es also zunächst zweitrangig zu sein, ob eine intellektuelle Sinndimension des Krieges auch in Worte gekleidet werden kann, an erster Stelle steht das Bekenntnis zur Tatgemeinschaft, das bei Wammsch wie bei Siewers nicht durch Worte, sondern durch heroische (Opfer-)Handlungen immer

261 Michael Gollbach: Die Wiederkehr des Weltkrieges in der Literatur. Zu den Frontromanen der späten Zwanziger Jahre. Kronberg im Taunus 1978, S. 182. Weniger polemisch als Prümm wägt Gollbach auf S. 182 ab: „Siewers‘ Artikulationsbemühungen steht Wammschs Gewißheit der Tat gegenüber. So wie Wammschs gelebtes Vorbild Siewers zur Befreiung von allen Zweifeln durch die eigene Tat verhilft, so erschließt sich Siewers durch sein Handeln die Erkenntnis und die Artikulation des Sinns, den er Wammsch mitteilen kann.“ Die hier signalisierte Austauschbewegung ist letztendlich genau das, was viele Leser als die Darstellung von ‚gelebter Kameradschaft‘ bzw. als plastische Darstellung von Kameradschaft wahrgenommen haben mögen. Es greift zu kurz, wenn Wammsch einseitig als proletarisch-ungebildete Verkörperung von Kampftugenden einerseits und Siewers als rein bürgerlicher, sprachlich-eloquenter Entwicklungsheld andererseits charakterisiert wird, denn nicht zuletzt deutet sich auch bei Wammsch ein Entwicklungs- bzw. Wandlungsprozess an: Aus dem anfänglichen Begehren nach einem „Druckposten“ fernab von der Front (vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 18–22) entwickelt Wammsch sich zu einem verantwortungsvollen und unentbehrlichen Mitglied der Gruppe sowie Mentor bzw. Eltern-/Mutterersatz für den jugendlichen Siewers, opfert seinen Heimaturlaub für die anderen Kameraden und möchte nicht mehr von der Gruppe weg, vgl. S. 67–68, 126. 262 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 49. 263 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 17: „Mamas Schinkenbrötchen“, S. 61: Gedankenrede Siewers: „Mama…liebe Mama…wenn du wüßtest…“. 264 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 31. 265 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 74.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 339

wieder neu bekräftigt wird. Genau diese Definition der Kameradschaft als Tatgemeinschaft lässt sich schließlich zur Gewaltlegitimation nutzen und auch auf die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik projizieren: Indem die[ ] Kameradschaft durch die vollzogene Tat beglaubigt wird, erhält sie einen performativen Charakter. Die Tat bezieht dabei ihren Sinn aus sich selbst, nicht zuletzt durch die Intensität ihres Vollzugs, die durch den Gewalteinsatz gesteigert werden kann. Die Militanz, mit welcher der politische Kampf auf der Straße [der Weimarer Republik, M.M.] vor allem, aber nicht ausschließlich, von Seiten der SA geführt wurde, lässt den Schluss zu, dass eine im Vollzug der – gewaltsamen – Tat Erfüllung findende Kameradschaft einen Politikstil artikulierte, der bereits in der […] Kriegsliteratur mit literarischen Mitteln ausgetragen wurde. […] Gewaltausübung konnte als gemeinschaftsstiftendes Erlebnis deswegen fungieren, weil die Sinnofferten zur Stiftung kollektiver Identität – allen voran die Nation – von einer bloßen Bekenntnisgemeinschaft zu einer Tatgemeinschaft transformiert worden waren – ein Umdeutungsprozess, bei dem Kriegsliteratur mit ihrer Konzentration auf das Kriegserlebnis eine wichtige Vorreiterrolle zufiel.266

Der tugendhafte, fast idyllisch anmutende Umgang der Kameraden untereinander, die Essen und Zigaretten teilen,267 sich gegenseitig Mut und Trost zusprechen,268 sich scheinbar wortlos verstehen,269 gemeinsam ‚Frontweihnachten‘ feiern,270 verletzte Kameraden retten und tote bergen,271 Bosemüller und Wammsch, die den verletzten Siewers ins Krankenhaus begleiten und sich um ihn sorgen272 – all dies erscheint in vielen Fällen wie eine Ersatzfamilie und wird auch von Siewers explizit als „Familie da draußen“ und in den Kategorien von „Heimat“ und „zu Hause“ beschrieben,273 darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der kriegsbedingten Kameradschaft um eine „temporäre ‚Gemeinschaft von Todeskandidaten‘“274 bzw. um eine „transitorische Sozialform“275 handelt. Das

266 Pyta: Die Privilegierung des Frontkämpfers gegenüber dem Feldmarschall, S. 179. 267 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 50, 294, 248. 268 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 39, 125–7, 136, 249. 269 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 20, 197–198: „Die anderen schweigen. Sie fühlen, daß sich zwischen diesen beiden da etwas abspielt, wozu man nichts sagen kann.“ 270 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 322–332. 271 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 58, 296–297, 301. 272 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 242–250. 273 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 260: „Es ist mir so, als wäre ich bei Euch zu Hause und als dürfte ich jetzt bald nach langer Abwesenheit in die Heimat zurück.“, S. 262: „Familie da draußen“. 274 Matthias Schöning: Versprengte Gemeinschaft. Kriegsroman und intellektuelle Mobilmachung in Deutschland 1914–1933. Göttingen 2009, S. 218. 275 Schöning: Versprengte Gemeinschaft, S. 217.



340 

 5 Analyse ausgewählter Romane

persönliche Einfügen in die Normen und Verhaltensstandards der Tatgemeinschaft befreit dabei von persönlicher Verantwortung. So betont Kühne: Die Moral, zu der die mythisch verankerte Kameradschaft erzog, definierte sich nicht inhaltlich, sondern funktional. Gut war alles, was der Gemeinschaft nütze – welcher und wozu auch immer. […] Wer mit der Gemeinschaft handelte, tötete und ausgrenzte, wer sich dem Gruppendruck beugte, den traf auch keine persönliche Schuld für das, was er tat. Die Kameradschaft gehört zusammen mit dem Pflichtbewusstsein, der Ehre oder dem Befehlsgehorsam zu einem Set von Tugenden, die zur Ausschaltung des Denkens, Fühlens und Handelns in Kategorien der individuellen Lebensführung und der individuellen Verantwortung erzogen. Anders als der kalte Befehl, die abstrakte Ehre oder die spröde Pflicht jedoch atmete die Kameradschaft die Wärme der Gemeinschaft.276

Doch die „Wärme der Gemeinschaft“ hat ihren Preis: Den gruppeninternen Harmonisierungstendenzen, wie sie überwiegend im Roman beschrieben werden, steht eine strikte Ausgrenzung derer gegenüber, die sich nicht einfügen können oder wollen (z. B. der oben genannte Casdorp). Dies wird zwar nur im Rahmen von Nebenfiguren angedeutet, aber dahinter verbirgt sich ein striktes System sozialer Kontrolle, mit Anpassungsdruck und Sanktionsmechanismen. Am drastischsten kommt diese Angst vor dem „sozialen Tod“277 – die Angst vor sozialer Ausgrenzung gemischt mit Schuldgefühlen und dem Ethos von Ehr- bzw. Pflichtgefühl – zum Ausdruck, wenn Wammsch Siewers nach dem Tod von Esser, für den sich Siewers die Schuld gibt, Urlaub anbietet. Siewers versucht seine Schuldgefühle durch Bewährung innerhalb der Gruppe wiedergutzumachen und reagiert auf Wammschs Urlaubsvorschlag daher hochemotional, wie die zweifache Betonung des Wortes „ablehnen“, die rhetorische Frage sowie die Betonung des Satzes „das ertrage ich nicht“ durch Wiederholung und eingeschobene Interjektion belegen. Dementsprechend radikal ablehnend und aktionistisch klingen die Aussagen von Siewers: „du willst mich fortschicken…du verachtest mich…ihr wollt mich los sein…erst schickt ihr mich auf Urlaub, und dann werde ich versetzt…“ […] „Aber ich gehe nicht fort…ich habe etwas gutzumachen…laßt mir doch Zeit […]“ […] „Ich lasse mich nicht von euch verachten…das ertrage ich nicht…nein, das ertrage ich nicht. Warum seid ihr denn so grausam zu mir? Nimm doch lieber dein Gewehr und schieße mir eine Kugel in den Kopf…aber fortjagen lasse ich mich nicht…das könnt ihr nicht, das dürft ihr nicht…gleich will ich zum Hauptmann gehen… ‚Herr Hauptmann,‘ will ich sagen, ‚Herr Hauptmann…kann ich denn nicht mit irgendeinem Auftrag heute noch nach vorn…nach Fleury…in die Souvilleschlucht…‘“278

276 Kühne: Kameradschaft, S. 88. 277 Kühne: Kameradschaft, S. 88. 278 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 198–199.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 341

Die vordergründige Tendenz von Gruppe Bosemüller zur Darstellung einer harmonisierten Frontgemeinschaft, der ‚Frontfamilie‘, die alle Regionen und Berufsstände exemplarisch repräsentiert und integriert279 (und auf diese Weise auch als allgemeine Identifikationsfolie für den Leser gelten soll), ist also doppelbödig und schließt neben der Marginalisierung der Arbeiter in Hinsicht auf die verbale Deutungskompetenz vor allem Ausgrenzungsmechanismen und ein System sozialer Kontrolle ein, die hohen Anpassungsdruck hervorrufen und fordern. Die Abgabe individueller Selbstverantwortung und damit der Verzicht auf eine inhaltlich-kritische Auseinandersetzung mit den erforderten Verhaltensweisen werden dabei nur spärlich von der suggerierten Kampfmoral, dem Ethos der Gruppe sowie dem pathetisch verklärten Kameradschaftserlebnis überdeckt. Prümm ist in dieser Hinsicht uneingeschränkt beizupflichten, wenn er bemerkt: „Das Pathos der ‚Kameradschaft‘ überdeckt nur mühsam den autoritären Charakter dieses sozialen Modells.“280 An genau dieses soziale Modell knüpfen auch die SA- und HJ-Romane von Viera und Schenzinger in der ausgehenden Weimarer Republik an. Die in den Straßenkämpfen um das Leben gekommene ‚Blutzeugen‘ der NSDAP (dazu ausführlicher 5.3.2) wurden in eine Reihe gestellt mit den gefallenen Frontsoldaten, wobei einerseits auf die vorherrschenden heroischen Prädispositionen der Gedenkpraxis an den Ersten Weltkrieg aufgebaut wurde, um möglichst eine breite politische Basis zu integrieren, andererseits unterschwellig der Kameradschaftsmythos verstärkt mit eigenen Deutungs- und Machtansprüchen aufgeladen wurde. Dies gipfelte in der „symbolische[n] Gleichstellung von Frontsoldaten und NS-Aktivisten“,281 wobei der Geltungsanspruch der HJ „selber mitzubestimmen, wer als echter ‚Frontsoldat‘ gelten könne und wer nicht, nun deutlich zutage [trat].“282 Um zum einen den Repräsentationsansprüchen der Kriegsveteranen Rechnung zu tragen, zum anderen deren Ansprüche einzuhegen sowie an ihre Stelle den eigenen parteilichen Geltungsanspruch und die Deutungshoheit über das, was als angemessene normative Richtschnur für (zumeist als jugendlich inszenierte) Frontkämpferhaltung und Kameradschaft im Rahmen der NSDAP zu gelten hatte zu setzen, verfolgten HJ und SA eine adressatenspezifische Doppelstrategie der Gedenkpraxis, die vor allem Weinrich hervorragend herausarbeitet:

279 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 27–30. 280 Karl Prümm: Tendenzen des deutschen Kriegsromans nach 1918. In: Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen. Hg. v. Klaus Vondung. Göttingen 1980, S. 215–217 [hier: S. 217]. 281 Arndt Weinrich: Der Weltkrieg als Erzieher. Jugend zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus. Essen 2013, S. 154. 282 Weinrich: Der Weltkrieg als Erzieher, S. 154.



342 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Die Ambivalenz ihres Frontsoldaten-Bildes erlaubte es der HJ dabei auf der einen Seite die „Kriegshelden“ abstrakt zu verehren (ideale „Frontkämpfer“) und sich auf der anderen Seite gegen die zumeist in natura wenig heroischen Veteranen (reale „Frontkämpfer“) abzugrenzen, ohne die integrative Klammer des kriegsaffirmativen Heldengedenkens aufgeben bzw. infrage stellen zu müssen.283 Da […] organisationsintern andere Deutungen des Weltkriegs und das heißt vor allem: eine andere Kontextualisierung des heroischen Kampfes der HJ (und SA) in den über 1918 diskursiv „verlängerten“ Krieg hinaus, vorherrschend waren, kann man je nach Adressatenkreis (ehemalige „Frontkämpfer“ oder Jugend) von latent verschiedenen Gedenkdiskursen sprechen. Während die vorwiegend nach außen gerichtete Dankbarkeits-Rhetorik vor allem die historische Einzigartigkeit des „großen Ringens“ betont, so behauptet die zentral auf den Kult der „Blutzeugen“ referierende Gedenkpraxis das Gegenteil: dass nämlich „Frontsoldaten“ und NS-Blutzeugen aufgrund ihrer strukturell gleichwertigen „Kampferlebnisse“ als gleichberechtigte Heldenfiguren nebeneinander stehen.284

Dieses Beispiel zeigt letztendlich – als eines unter vielen – die strategische Flexibilität der nationalsozialistischen Praxis, die je nach Bedarf ideologische Prämissen den politisch-praktischen Tagesanforderungen unterordnete. Ein Bereich, mit dem sich die kommunistische Politik, die viel stärker theoriebezogen war, offensichtlich um einiges schwerer tat, was sie letztendlich im theoretischen Bereich kohärenter, aber weitaus unflexibler in Bezug auf (vor allem kurzfristige, affektiv-emotional geprägte) Bedürfnisstrukturen der Basis machte. Die Illustration der These vom gleichberechtigten Nebeneinanderstehen von Frontkämpfertum und NS-Märtyrertum bzw. von Kontinuität und Nachfolge findet sich in jedem der hier untersuchten NS-Romane. Sehr deutlich wird die oben geschilderte zeitgenössische Gedenkpraxis der Nationalsozialisten in Vieras Horst Wessel-Roman verarbeitet und propagandistisch funktionalisiert. Der tote ‚Blutzeuge‘ Horst Wessel und sein ‚letzter Appell‘ an der Schwelle zum ‚Totenreich‘ der nationalsozialistischen Helden, das auch die Weltkriegssoldaten versammelt bzw. für sich beansprucht und somit eine Kontinuität konstruiert, wird folgendermaßen geschildert: Horst wird […] dem großen Appell entgegenharren, der die Toten versammelt: Die zwei Millionen gefallenen deutschen Kameraden aus dem Weltkrieg und die braunen Freiheitskämpfer, die SA.-Männer und Hitlerjungen, die Rotfront meuchlings tötete.285

283 Weinrich: Der Weltkrieg als Erzieher, S. 158. 284 Weinrich: Der Weltkrieg als Erzieher, S. 176. 285 Viera: Horst Wessel, S. 72.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 343

In Der Hitlerjunge Quex stellt sich der Hitlerjunge Heini Völker selbst in die Nachfolge der Frontsoldaten bzw. des ‚Frontsoldatengeistes‘. Der jugendliche Protagonist duldet keine Schonung durch seinen Mentor, den Kameradschaftsführer Kaß. Voller Aktionismus möchte Heini nationalsozialistische Wahlkampfwerbung in dem roten Beußelkietz betreiben, ungeachtet der Morddrohungen des ‚roten‘ Cliquenanführers Stoppel. Heini rechtfertigt seinen unbedingten Willen in den Beußelkietz zu gehen unter Bezug auf das Frontkämpfertum und stellt sich und seine Haltung damit in Kontinuität zu den Weltkriegskämpfern: „Man verbietet doch auch einem Soldaten nicht, ins Feld zu gehen, bloß weil es dort gelegentlich mal schießt.“286 Im Roman wird durch die zahlreichen zeitgenössischen Bezüge auf den Ersten Weltkrieg287 kein Zweifel daran gelassen, wie die entsprechende Stelle zu verstehen ist. So liest sich etwa der Bezug von Kaß auf soldatische Tugenden ähnlich wie der im Kriegsroman von Beumelburg formulierte soldatische Tugendkatalog – dominiert vom Ethos des Kameradschaftsgedankens: „Wir brauchen Jungens, die wissen, was Kameradschaft ist, die Ehrgefühl im Leib haben, die treu zu unserer Sache stehen und die den Teufel nicht fürchten.“288 Finden sich im Roman Der Hitlerjunge Quex zumindest einige zeitgenössische Bezüge zu den explizit genannten ‚Blutzeugen‘ Norkus und Preiser, in deren direkte Nachfolge Heini gestellt wird289 und wird sogar das Initiationserlebnis

286 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 253. 287 In Bezug auf die bürgerkriegsartigen Zustände und die Remilitarisierung des Alltags vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 82: „Ist doch kein Schützengraben hier.“ (Rausschmiss der HJ durch den Hauswirt), S. 129: „Das war kein Krankenhaus mehr, das war ein Feldlazarett.“ (aus Perspektive des Krankenhausportiers Krause fokalisiert), S. 138: „Seit dem Kriege hat er keinen uniformierten Besuch mehr hier empfangen, und unwillkürlich fährt seine Hand etwas schneidiger, als er eigentlich wollte, an den Schild seiner dunkelblauen Mütze […]“, S. 139: Lächerlichmachen des Portiers (‚alter‘ Frontkämpfer) in der Andeutung eines langen Monologes durch Gedankenstriche und durch Infragestellung der Männlichkeit durch seine Frau: „Du willst alter gedienter Garde-Grenadier sein und stotterst bei der erstbesten Gelegenheit daher wie ein Rekrut.“, S. 151: Gefallenengedenken Kaß: „Mein Vater ist bei Peronne gefallen, sechzehn im Sommer.“, S. 246: schlechte Wohnbedingungen für „Hinterbliebene eines im Felde gefallenen Soldaten“. Sogar Vater Völker appelliert im Rahmen des Initiationsgestus der Haustürschlüsselübergabe an Kampfgeist und die hoffnungsvolle Jugend (wenn auch nicht spezifisch im Sinne des Nationalsozialismus), S. 70: „Uns hat man einmal ins Feld geschickt. […] Es muß wieder einmal gekämpft werden, bis aufs Messer. Man braucht unsere Jungens wieder.“ 288 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 252. 289 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 230: Heini schreibt eine Rede mit der zentralen Aussage des Märtyrertods: „Es sollen drei Kreuze flattern über dem Beußelkietz. Und lägen drei tote Jungens daneben! Und nur noch zwei rote Fahnen. Wir wären alle bereit!“ Diese Aussage kann als Prolepse auf Heinis eigenen Tod verstanden werden. Auch die Taufe des neuen HJHeims auf den Namen „Norkus-Heim“ steht unter der Prämisse der Nachfolge, die eindringlich



344 

 5 Analyse ausgewählter Romane

von Kaß als Begegnung mit Hitler inszeniert,290 so sind diese intertextuellen realhistorischen Bezüge im Vergleich zu den Viera-Romanen zwar relativ ‚dezent‘ eingesetzt, doch unüberlesbar. Sie bilden den expliziten Sub- und Kontext des Romans, der zweifellos wie die Romane Vieras zur Nachfolge der zeitgenössischen ‚Blutzeugen‘ – allen voran des fiktiven Heini Völkers alias Hitlerjunge Quex aufruft. Der alle idealtypischen Merkmale eines jugendlichen ‚Blutzeugen‘ vereinende Protagonist wird in der Personengestaltung jedoch nicht gänzlich zum übermenschlichen, fast sakralen Helden verklärt. Ihm sind  – zumindest oberflächlich – einige typische bzw. allgemeinmenschliche Züge eines adoleszenten Helden, wie das Rauchen291 und sich Prügeln292, zugeschrieben; außerdem wird das Verliebtsein in Ulla und ihre erotische Anziehung, wenn auch sehr verhalten, thematisiert (vgl. dazu 5.3.5). Schenzinger gelingt es, mit Der Hitlerjunge Quex eine im Subtext stark an die realbiographischen Eckdaten des ‚Blutzeugen‘ Norkus angelehnte Märtyrervision zu kreieren, aber die Schaffung eines explizit fiktionalen, dennoch exemplarischen Protagonisten erlaubt zum einen eine breitere Projektionsfläche für den jugendlichen Rezipienten, zum anderen muss sich Schenzinger auf diese Weise nicht auf die von den Nationalsozialisten teilweise stark normierten Heldenbiographien der einzelnen ‚Blutzeugen‘ festlegen. Er kann somit auch keinesfalls für eine aus Sicht der Nationalsozialisten oder der Familie der ‚Blutzeugen‘ (wie v. a. bei Horst Wessel der Fall) etwaig ‚verfälschte‘ Biographie kritisiert und belangt werden. Dies sind beispielsweise Kritikpunkte, die die mit zeitgenössischen Bezügen, Namen und NS-Symbolik überladene ‚Konjunkturliteratur‘ von Viera treffen.

im Rahmen einer Antithese formuliert wird: „[E]r starb für uns. Wir leben ihn.“ (S. 54). Schließlich Heinis „Grab mitten zwischen den toten Kameraden“ (S. 264). An vielen weiteren Stellen des Romans finden sich Verweise auf den Tod von Norkus und Preiser, vgl. u. a. S. 52–53, 76, 96, 154, 170–171, 224. 290 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 154. Kaß erzählt in dieser Textstelle von seinem Initiationserlebnis, das scheinbar lediglich durch die Begegnung mit Hitler ausgelöst wurde, sich also wie bei Heini im Rahmen von vorwiegend irrationalen Kategorien vollzieht  – unter mythischer Überhöhung der Aura Hitlers und der Anziehungskraft seiner Partei: „Hitler hat eine halbe Stunde mit mir gesprochen. Stieg aus dem Wagen und hat mit mir, Egon Kaß aus der Kannerstraße, gesprochen. Ich wußte plötzlich wohin!“ 291 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 19, 165, 232. 292 Heini gesteht sich sogar selbst ein, dass er sich manchmal prügelt und zeigt somit zumindest Ansätze von Differenzierungsvermögen. Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 42: „Sicher hatten sie alle sonst nichts zu lachen, und hier tobten sie sich eben einmal richtig aus. Er selbst war auch nicht gerade ein Engel und hatte auch schon manchen Bengel verdroschen, der erheblich schwächer gewesen war als er.“ Vgl. auch S. 241, S. 221–222.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 345

Vor allem in der ‚Konjunkturliteratur‘ Vieras findet sich noch eine zentrale, positiv besetzte personalisierte Erinnerungsfigur an den Ersten Weltkrieg,293 nämlich die des ‚unbekannten Soldaten‘294. Diese wurde zeitgenössisch oftmals (vor allem in der Selbststilisierung Hitlers295) in eins gesetzt mit der Person Hitlers und aus der Erinnerungsfigur des ‚unbekannten Soldaten‘ wurde letztendlich in Nachfolge die Figur des ‚unbekannten SA-Mannes‘296 abgeleitet, die beispielsweise prägend ist für Vieras Roman SA.-Mann Schott: Kein Pflichtheer der Welt, keine Söldnertruppe der Erde hat jemals so tapfer, treu und selbstlos gekämpft wie die freiwilligen Kriegshelfer Adolf Hitlers, des unbekannten Soldaten aus dem Weltkrieg. Eine Armee von SA.-Männern mit unbekanntem Namen. Der unbekannte SA.-Mann hat mit Adolf Hitler Deutschland vor dem Sturz in den Abgrund bewahrt.297

293 Zur Funktionalisierung des Ersten Weltkrieges im propagandistischen Kalkül der Nationalsozialisten vgl. folgenden Sammelband: Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg. Hg. v. Gerd Krumeich in Verbindung mit Anke Hoffstadt und Arndt Weinrich. Essen 2010. 294 Allgemein zur Erinnerungsfigur des ‚unbekannten Soldaten‘ vgl.: Benjamin Ziemann: Die deutsche Nation und ihr zentraler Erinnerungsort. Das „Nationaldenkmal für die Gefallenen im Weltkriege“ und die Idee des „Unbekannten Soldaten“ 1914–1935. In: Krieg und Erinnerung. Fallstudien zum 19. und 20.  Jahrhundert. Hg. v. Helmut Berding, Klaus Heller und Winfried Speitkamp. Göttingen 2000b, S. 67–91; Janina Fuge: Zwischen Kontroverse und Konsens: „Geschichtspolitik“ als pluralistische Bewährungsprobe der deutschen Nachkriegsgesellschaft in der Weimarer Republik. In: Geschichtspolitik und kollektives Gedächtnis. Erinnerungskulturen in Theorie und Praxis. Hg. v. Harald Schmidt. Göttingen 2009, S. 123–141 [darin insbesondere der Abschnitt „‚Der gefallene Soldat‘ als Erinnerungsort“, S. 136–141]. 295 Vgl. dazu: Thomas Weber: Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg – Mythos und Wahrheit. Berlin 2011. 296 Zur propagandistischen Begriffsprägung des ‚unbekannten SA-Mannes‘ vgl. Balle: Die propagandistische Auseinandersetzung des Nationalsozialismus mit der Weimarer Republik, S. 295: „Der Mythos, der […] aus dem Blut der nationalsozialistischen Märtyrer zusammengebraut worden war, fand schließlich seine Verdichtung in der Formulierung vom ‚Unbekannten SA-Mann‘, die Goebbels nach der Schlacht in den Pharussälen am 11. Februar geprägt hat. […] Der ‚Unbekannte SA-Mann‘ war damit zum Symbol der Märtyrer geworden, die für die nationalsozialistische Bewegung gefallen waren. Mythisierung und Symbolik wurden hier als zwei miteinander verknüpfte Formen der Propaganda zur Anwendung gebracht.“ Doch nicht nur auf die toten ‚Parteimärtyrer‘, sondern auch auf die lebenden ‚Parteisoldaten‘ wurde unter dem Topos vom ‚unbekannten Soldaten‘ referiert, wie Behrenbeck betont. Vgl. Sabine Behrenbeck: Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923 bis 1945. Vierow bei Greifswald 1996, S. 154 [Fußnote 22]. 297 Viera: SA.-Mann Schott, S. 77–78. Auch in Der Kampf um die Feldherrnhalle finden sich im Rahmen der Schilderung des ‚Gründungsmythos‘ der Partei zahlreiche Verweise auf den ‚unbekannten Soldaten‘ Adolf Hitler. Vgl. u. a. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 11–12, S. 61.



346 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Hitler stilisierte sich, durch seine Kriegsteilnahme als Gefreiter, in der Endphase der Weimarer Republik zum Vertreter des ‚einfachen Volkes‘, ohne dabei jedoch seinen Führungsanspruch aufzugeben, wie vor allem Ziemann exemplarisch verdeutlich: Die […] permanent anzutreffende rhetorische Camouflierung des im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehenden Führers der NSDAP als unbekannter Soldat erfüllte verschiedene strategische Zwecke. Zunächst beglaubigte sie seine Herkunft und seine tiefe Verwurzelung im einfachen Volk, verbot damit jede Assoziation einer Nähe zu den gesellschaftlichen und politischen Eliten, die er permanent attackierte. Das Image des self-made-man symbolisierte aber nicht nur Unabhängigkeit vom politischen Betrieb des „Systems“, sondern bewies zugleich pars pro toto die im Volk steckenden Kräfte. Dennoch war es „ein schwerer Kampf als unbekannter, namenloser Soldat“ gewesen, eine Bewegung gegen die Deutschland beherrschenden Mächte zu gründen. […] Als unbekannter Soldat war Hitler somit das Symbol für die volkhafte Nation, die den seit dem Ende des Krieges aufgegebenen Kampf vollendete.298

Zwar wird das Weltkriegserlebnis und der Begriff der Kameradschaft vor allem in den hier untersuchten rechtspolitisch geprägten Romanen überhöht und ideologisch funktionalisiert, doch die prägenden Kriegserlebnisse und deren Folgen sind als historische Determinante ebenfalls durchweg Thema der drei Roten Eine-Mark-Romane aus vorliegendem Romankorpus. Der bedeutendste Unterschied ist, dass dem überwiegend rechtspolitisch geprägten und ideologisch nutzbringend eingesetzten Begriff der Kameradschaft von linkspolitischer Seite der Begriff der (internationalen) Solidarität gegenübersteht, der ebenfalls an Gemeinschaftsgefühle appelliert („Prolet und Prolet nebeneinander, dann gibt’s Späne!“,299 „Wenn wir alle zusammenstehen, wird es uns ein leichtes sein“,300 „Wir Arbeiter sind Brüder.“301), (exklusives) Gruppenbewusstsein evoziert302 und auf diese Weise Gruppenkohäsion erzeugen soll. Der Begriff der Solidarität wird jedoch nicht grundlegend aus dem vergangenen Weltkriegserlebnis abgeleitet, wie dies beim Kameradschaftsbegriff der Fall ist, sondern bezieht sich von Grund

298 Ziemann: Die deutsche Nation und ihr zentraler Erinnerungsort, S. 86–87. 299 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 61. 300 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 117. 301 Pell: S.S. Utah, S. 62. 302 Die Geschlossenheit des kommunistischen Kollektivs, die durchaus auch Formen sozialer Kontrolle umfasst, wie sie z. B. unter 5.1.1 am Prinzip der kommunistischen ‚Selbstkontrolle‘ erläutert wurde, zeigt sich beispielsweise in Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 96: „‚Wir müssen uns dahinter stecken, damit er in seinem Dusel keine Dummheiten macht!‘ sagte Raup.“ Vgl. auch Pell: S.S. Utah, S. 94: „Solange ich hier bin und mit diesen Leuten arbeite, halte ich auch zu ihnen.“





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 347

auf relativ allgemein auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche: bürgerkriegsartige Kämpfe, Arbeitskämpfe, (Mieter-)Streiks, Privates wie auch internationale Solidarität, vor allem in Bezug auf die Sowjetunion.303 Die privaten wie politischen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs bestehen im Roten Eine-Mark-Roman vor allem in der Traumatisierung, aber auch in der Verinnerlichung soldatischer Tugenden und in der Reaktivierung von kriegerischer Kampferfahrung, die ebenfalls in den linkspolitisch geprägten Romanen als zentrale und funktionale Kampftugenden zum Tragen kommen. So äußert ein kampferfahrener Arbeiter beispielsweise wie selbstverständlich: „Mir ist’s gleich, ob ich hier herumliege oder so’n Kasten fahre! Hab früher an den Fronten drei Jahre lang so’ne Dinger kutschiert!“304 Militärsprachliche Befehlsstrukturen prägen nicht nur den Alltag in den roten Kampfverbänden („Fertigmachen! Antreten!“,305 „Im Gleichschritt  – Maarsch!“306), sondern auch den patriarchalisch geprägten Privatbereich307 und sogar die Erzählerberichte ähneln an einigen Stellen in Form von Analogien deutlich der Sprache der Kriegsberichterstattung („wie ein Sturmblock“,308 Stille „wie im Schützengraben“309). Ganz im Sinne des Zeitromans schildern also auch die roten Romane nicht nur unmittelbar vergangene zeitgeschichtliche Arbeiterkämpfe, sondern partizipieren an dem Welt-

303 Dabei gilt als Grundlage für die Herstellung von Solidarität die Maxime, dass jeder je nach Anforderungslage und persönlichen Möglichkeiten ‚Opfer bringen‘ müsse. Vgl. dazu Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 45. Diese bestehen im Verlauf der Romane zumeist in kämpferischem Aktionismus: Teilnahme an Aktionen wie Zeitungsverkauf, Plakatieren, Demonstrationen, Streiks, Land-/Betriebsagitation, Beteiligung an bügerkriegsartigen Kämpfen unter Einsatz des eigenen Lebens. Vgl. dazu Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 15, 84; vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 64; vgl. Pell: S.S. Utah, S. 143. Aspekte der materiellen Hilfe: Beschaffung und Teilen von Mitteln wie Essen, Wohnung, Munition und die Gewährung eines Verstecks, gegenseitige Hilfe bei Aktionen, Versorgung Verletzter. Vgl. dazu Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 112, 132, 152, 158; vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 13, 18, 41; vgl. Pell: S.S. Utah, S. 23, 114. Sowie ideelle und verbale Unterstützung: Ermutigende Worte für in den Kampf Ziehende, Vertrauensbekundungen der Gruppe an Einzelne, verbale Verteidigung und kein Verrat von Genossen. Vgl. dazu Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 9, 74, 159; vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 89, 97, 108; vgl. Pell: S.S. Utah, S. 52, 94, 96. 304 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 97. 305 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 15. 306 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 99. 307 Vgl. u. a. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 4: „Vor dem mürrischen Vater hatten sie Respekt.“ Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 46: „Wenn er geantwortet hätte: Papa, ich hatte keine Lust, dann hätte es Senge gegeben, fürchterliche Senge – da hing so ein altes, kerniges Militärkoppel im Schrank.“ 308 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 14. 309 Pell: S.S. Utah, S. 111.



348 

 5 Analyse ausgewählter Romane

kriegsdiskurs, dessen mentalitätsgeschichtliche und sprachliche Auswirkungen zum Erscheinungszeitpunkt der Romane noch deutlich präsent sind, weshalb dessen Kommunikationsmuster als allgemeinverständlich vorausgesetzt und vor allem zur Reaktivierung affektiv besetzter Gedächtnisinhalte und Schemata eingesetzt werden. Anders als in den rechten Romanen werden die Kämpfer des Ersten Weltkrieges jedoch nicht zu Heroen und Märtyrern verklärt; die nationalsozialistische Gedenkpraxis und viriles Angebertum auf Seiten der Nazis werden hingegen oftmals in Form von infantilen ‚Kriegsspielen‘310 präsentiert, zumeist durchgeführt von als recht dümmlich dargestellten Studenten.311 Die Schrecken des Krieges in Form von anhaltenden körperlichen Gebrechen,312 Erinnerungen an Nahtoderfahrungen und entstellte Tote313 sowie der Verlust von Männern und Söhnen314 zeichnen ein primär desillusionierendes Bild des Ersten Weltkrieges und dessen Auswirkungen. Aber weniger pazifistische Konsequenzen wie: „Haben wir nicht durch den Krieg genug geblutet und gelitten?“315, „Ohne den verhaßten Kadavergehorsam.“316, „Haben uns in der Armee sattmarschiert!“317 werden aus der Kriegserfahrung gezogen; stattdessen wird sehr viel stärker auf die verpasste Chance der kommunistischen Revolution nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs verwiesen („Achtzehn hatten wirʼs in der Faust, […]“318), die es nun – ebenfalls mit kriegerischen Mitteln – nachzuholen gelte: „Der Prolet wird wieder eines Tages mit seinen Fäusten in die Räder greifen, die Gewehre an sich reißen! […] Nur eins wird sprechen: Unsere Gewehre!“319 Mit also gleichermaßen kriegerischem Pathos wie in den rechten Kriegsromanen verweisen die proletarischen Romane, allen voran Sturm auf Essen, auf die kommende Revolution.

310 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 101. Vgl. außerdem den Erzählerkommentar auf S. 101: „Sie kamen sich wichtig vor und benahmen sich wie alte Frontkämpfer.“ 311 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 121: „‚Das macht doch Spaß, Mensch. Ich komme mir so vor, wie damals bei Langemarck, Kamrad.‘ Der Sprecher war ein nicht überaus kluger Student im dritten Semester.“ 312 Vgl. u. a. Pell: S.S. Utah, S. 46: von Schrapnells zerissene Kehle, S. 103: Gasvergiftung. 313 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 55, 104. 314 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 81, 104. 315 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 51. 316 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 73. 317 Pell: S.S. Utah, S. 75. 318 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 42. Vgl. auch Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 20. 319 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 160.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 349

Dieses Beispiel illustriert, was Bernd Ulrich und Benjamin Ziemann allgemein in Bezug auf die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg im linkspolitischen Lager konstatieren: Von der Erinnerung an den Krieg geprägt und von kriegerischem Pathos durchdrungen war freilich auch die kommunistische Linke. An die Stelle des beschworenen „Höllendrachen des Krieges“ trat bei ihr der kommende „revolutionäre Krieg“. Einig mit der Rechten war man sich hingegen in der kompromißlosen Ablehnung des Versailler Vertrags320 und der Verachtung für Pazifisten und Sozialdemokraten.321

Und auch Eggerstorfer betont in Bezug auf die proletarisch-revolutionäre Literatur: „Das Erlebnis des Krieges führte keineswegs zu einer pazifistischen Haltung, lediglich zu der Überzeugung, das nächste Mal auf der richtigen Seite kämpfen zu wollen.“322 So kommen die kommunistischen Romane ebenfalls nicht ohne Helden und Märtyrer mit kollektiver Vorbildfunktion aus; die Heldenkonstruktionen entstehen hier jedoch nicht primär aus der Vergangenheit des Ersten Weltkrieges und werden für die Zukunft nutzbar gemacht, sondern sie speisen sich überwiegend aus der Projektion einer besseren Zukunft, die auf die Gegenwart Einfluss nimmt,323 sowie aus dem Vorbild der Sowjetunion, die beide zu heldenhaften Kämpfen anspornen sollen.

5.3.2 Helden und Märtyrer als Vorbilder für ‚neue Menschen‘ auf dem Weg in eine ‚neue Zeit‘ Von starkem Aufbruchsbewusstsein, sprachlicher Dynamik und Zeitenwenderhetorik sind alle untersuchten Romane geprägt, die ihre jeweilige Zukunftsversion als ‚Revolution‘ der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse der Weimarer Republik verstanden wissen wollen. Eine entscheidende Rolle sowohl in Bezug auf das Selbstbild als auch auf die Anwerbung neuer Mitglieder spielt dabei die Figur des Parteimärtyrers als zentrales Subjekt bzw. positiver Held, die konstitutiv für die rechtspolitischen Romane aus dem untersuchten Korpus ist; aber auch die Romane Sturm auf Essen sowie S.S. Utah entwickeln durchaus linkspolitische

320 Eine Stelle, die Reparationsleistungen als Belastung für den Mittelstand darstellt, findet sich bei Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 46, 48. 321 Krieg im Frieden. Die umkämpfte Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Quellen und Dokumente. Hg. und kommentiert v. Bernd Ulrich und Benjamin Ziemann. Frankfurt a. M. 1997, S. 167. 322 Eggerstorfer: Schönheit und Adel der Arbeit, S. 56. 323 Vgl. dazu Antonia Grunenberg: Antifaschismus – ein deutscher Mythos. Reinbek bei Hamburg 1993, S. 81.



350 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Versionen von heroischem Märtyrertum. Die Figur des Märtyrers scheint also für politisch-propagandistische Zwecke äußerst funktional zu sein und prägt nicht nur die Selbstdarstellung der Parteien, die mit ritualisierten Gedenkfeiern in regelmäßigen Abständen Märtyrermythen in Form von symbolischen Handlungen reinszenieren und so kollektiv nacherlebbar machen (vgl. u. a. den jährlich reinszenierten ‚Marsch zur Feldherrnhalle‘, ein zentrales Element der Parteigeschichtsschreibung wie Gedenkpraxis der Nazis,324 oder die Lenin-LuxemburgLiebknecht-Feiern der Kommunisten in der Weimarer Republik325), sondern die ohnehin schon narrativ geprägten Mythen326 werden im Rahmen der literarischen Bearbeitung erneut mit heroischen Inhalten aufgeladen und in einen fiktionalen Rahmen eingebettet, der offen ist für Projektionen und identifikatorische Lesebedürfnisse. Die doppelte Funktionalität der Stärkung von Gruppenkohäsion nach innen und der äußeren Werbewirksamkeit von Märtyrermythen beschreibt Balle äußerst nachvollziehbar:

324 Vgl. dazu Klaus Vondung: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus. Göttingen 1971, S. 167: „Die Reaktualisierung geschieht durch die Wiederholung des Ereignisses, und zwar durch rituelle Wiederholung. Der historische Marsch zur Feldherrnhalle von 1923 wurde daher in der Form der feierlichen Prozession wiederholt. Der Wiedervergegenwärtigung diente auch das Abfeuern der sechzehn Schüsse vor der Feldherrnhalle; die sechzehn tödlichen Schüsse von 1923 wurden dadurch wiederholt. […] Zur Reaktualisierung gehörte weiter, daß die ‚Blutfahne‘ von 1923 der Prozession vorangetragen wurde.“ 325 Zum (Lenin-)Luxemburg-Liebknecht-Gedenken in der Weimarer Republik vgl. Barbara Könczöl: Märtyrer des Sozialismus. Die SED und das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Frankfurt a. M./New York 2008, S. 73–116 und Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 224–225: „Mit der 1920 beginnenden Mystifizierung der Märtyrer des gescheiterten Umsturzes – Luxemburg und Liebknecht vor allem, seit 1925 dann durch Lenin ergänzt – griff die KPD […] auf die eigene Geschichte zurück. […] Mit den […] ‚LLL-Feiern‘ polarisierten die Kommunisten das linke Lager, […] indem sie ausgerechnet die Republikfeindschaft – die Erinnerung an die Januarkämpfe 1919 – zum Ausgangspunkt ihres Andachtsritus machten […]. […] Im Mittelpunkt der weihevollen Selbstinszenierung der eigenen Bewegung […] stand ein Totenkult, in dem die Gründungsgeschichte als identitätsbildender Traditionsstoff genutzt wurde.“ 326 Zur narrativen Dimension als konstitutivem Bestandteil von Mythen, die als „symbolisch verdichtete Erzählsequenzen“ (S. 43) gelten vgl. Andreas Dörner: Politischer Mythos und symbolische Politik. Der Hermannmythos: zur Entstehung des Nationalbewußtseins der Deutschen. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 43–46: „Politische Mythen sind narrative Symbolgebilde mit einem kollektiven, auf das grundlegende Ordnungsproblem sozialer Verbände bezogenen Wirkungspotenzial. Es handelt sich um komplexe politische Symbole, deren Elemente jeweils erzählerisch entfaltet sind […]. Narrativität kann somit als konstitutives Merkmal von Mythen gesehen werden. Narrativ sind solche Texte, denen eine Handlung d. h. eine zeitlich abfolgende Interaktionssequenz zwischen Figuren zugrundeliegt.“





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 351

[…] Märtyrertum erzielt nicht nur Wirkung nach innen, den Zusammenhang und den Ansporn der bereits überzeugten Anhänger einer Idee oder Bewegung betreffend, sondern ebenso nach außen, womit es zugleich ein Mittel der politischen Werbung wird. […] Eine Sache, so scheint es, für die man bereit sein kann zu sterben und sich aufzuopfern im wahrsten Sinne des Wortes, muß eine gute Sache sein, denn sonst würde es sich nicht lohnen, dafür zu sterben.327

Die Märtyrermythen werden so im Rahmen der Parteienkonkurrenz und dem Streben nach politischer Deutungshoheit innerhalb der Weimarer Republik zu einer „propagandistischen Waffe von integrativem Wert“328, kommen dabei ganz generell einem grundlegenden Orientierungs- und Tradierungsbedürfnis der Menschen nach und können somit als kulturelle Selbstverständigungsmuster gelten: [P]olitische Mythen [können] ebensowenig wie Sakralisierung von Politik einfach als Täuschungen verstanden werden […]; sie haben vielmehr mit der Identität einer Gruppe zu tun. Sie dienen der Selbstbeschreibung einer Gemeinschaft. Durch sie erzählt sich eine Gemeinschaft, wer sie ist, woher sie kommt und wo sie steht. […] Politische Mythen sind also Erzählungen, die ein Mittel zur Wirklichkeitserfahrung liefern und diese gleichzeitig gliedern, mitteilen und bei der Bewältigung helfen. Sie erschaffen somit eigene „Wirklichkeit“. Im Gegensatz zur Geschichtsschreibung berichten sie weniger von bestimmten Ereignissen und deren historischen Konsequenzen, als vielmehr von deren Bedeutung für das Selbstverständnis einer bestimmten Gruppe. Mythen stiften also Sinn und entstehen dann, wenn Personen oder Ereignisse aus ihrem ursprünglichen historischen Kontext herausgelöst und in einen mythischen Zusammenhang gestellt werden, der eine eigene Dynamik und Wahrheit besitzt. Gelingt dies, so kommt es zu einer Amalgamierung von Faktizität und Fiktionalität.329 Im politischen Mythos wird die Gegenwart mithin mit einer als sinnvoll angesehenen Vergangenheit verknüpft und daraus bestimmte Werte und Normen sowie ein zukünftiger Geltungsanspruch abgeleitet.330

Über die Sinnstiftungs-, Integrations- und Propagandafunktion hinaus kommt den Mythen eine mobilisierende Funktion zu, die im Rahmen von Appellen und Tatrhetorik zur Nachfolge des Vermächtnisses der Märtyrer, ergo zur „imita-

327 Balle: Die propagandistische Auseinandersetzung des Nationalsozialismus mit der Weimarer Republik, S. 291. 328 Heiko Luckey: Personifizierte Ideologie. Zur Konstruktion, Funktion und Rezeption von Identifikationsfiguren im Nationalsozialismus und im Stalinismus. Göttingen 2008, S. 552. 329 [Hervorhebung durch M. M.] Dass das Mischverhältnis von Faktizität und Fiktionen konstitutiver Bestandteil der untersuchten Romane ist, konnte bereits unter 5.1 nachgewiesen werden. Insofern kann, vor dem Hintergrund des Zitats von Könczöl, durchaus von einer mythisch tradierten Erzählstruktur der Werke gesprochen werden, die nicht nur die Personengestaltung in Form einzelner Märtyrer, sondern die Gesamtstruktur der Romane prägt. 330 Könczöl: Märtyrer des Sozialismus, S. 59–60.



352 

 5 Analyse ausgewählter Romane

tio heroica“331 aufrufen, zu konkreten (Kampf-)Handlungen anleiten und somit äußerste Funktionalität im konkreten politischen Tageskampf haben: Der Mythos reduziert historisch-politische Komplexität und trägt zur Schaffung kollektiver Identitäten bei und verleiht dem Tod nachträglich Sinn und Bedeutung. Er dient zur Umdeutung von Geschichte, vermischt Fakten und Fiktionen, benutzt Ursache- und Handlungsfolgen, benennt Schuldige und Vorbilder, stellt ein Wert- und Handlungsmodell dar und fordert zu Opferfreudigkeit auf.332

Ergänzt man also den Ausschnitt aus der Funktionsbeschreibung von politischen Mythen, die Könczöl vornimmt, um den sehr kompakten Funktionskatalog von Schilde, so entwickelt sich nicht nur eine brauchbare Arbeitsdefinition des Begriffs,333 sondern nahezu alle Elemente der beiden Definitionen finden sich in der konkreten Darstellungsweise wie Aussageabsicht der in den Romanen präsentierten Märtyrerfiguren wieder. Dabei folgen linke wie rechte Märtyrermythen der populären Strategie der Personalisierung, ungeachtet davon, ob es sich um konkrete historische Persönlichkeiten wie Norkus, Wessel, Liebknecht oder Luxemburg, um eher abstrakte Gruppen von ‚Blutzeugen‘, auf die ganz allgemein referiert wird oder fiktional kreierte exemplarische Helden handelt, die innerhalb ihres Parteikollektivs vorbildlich agieren und agitieren. In allen Fällen handelt es sich um „[p]ersonifizierte Ideologie“334 sowie um Heldenkonstruktionen, die jeweils eine Projektionsfläche wie Identifikationsfolie schaffen, angemessenes Verhalten im Sinne der Ideologie demonstrieren, Erklärungs- und Sinnstiftungsmuster bieten sowie exemplarische Konfliktlösungsmuster vorführen, die der Rezipient durchaus in seinen eigenen Alltag integrieren soll. Dabei können auch mehr oder weniger abstrakte Entitäten wie die Partei stellvertretend für Volk/Nation oder Klasse als kollektive Aktanten mit menschlichem Antlitz auftreten und werden somit anthropomorphisiert, d. h. politische Konflikte werden auf irrationale Weise personalisiert:

331 Vgl. Behrenbeck: Der Kult um die toten Helden, S. 68. 332 Kurt Schilde: „Hitlerjunge Quex“ – Welturaufführung am 11. September 1933 in München. Ein Blick hinter die Kulissen des NS-Propagandafilms. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Zeitschrift des Verbandes der Geschichtslehrer in Deutschland 59 (2008), H. 10, S. 540–550 [hier: S. 550]. 333 Ein entsprechender Katalog zu den Grundfunktionen des politischen Mythos findet sich auch in der vor allem in Bezug auf rechtspolitische Märtyrerfiguren immer noch wegweisenden Studie von Sabine Behrenbeck: Der Kult um die toten Helden, S. 45. Darüber hinaus grundlegend zu Mythenbildungen: Roland Barthes: Mythen des Alltags [frz.: Mythologies. Paris 1957]. Vollständige Ausgabe. Aus dem Französischen von Horst Brühmann. Berlin 2010. 334 Luckey: Personifizierte Ideologie.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 353

Analytische Kategorien sind keine handelnden Kategorien (Einheiten, Klassen); ein Kollektiv, eine Gruppe, eine Ethnie oder eine Nation sind genau dann ein irrationales Konstrukt, ein „imaginäres Wesen“, wenn sie zu autonomen Subjekten eigener Art deklariert werden, die handeln und sich verhalten. […] Wenn die Menschen als Gruppe zu einem von den Einzelnen unabhängigen Wesen erklärt und zusätzlich dem Naturbereich zugeschlagen werden, dann sind die Bedingungen mythischen Denkens erfüllt. Handeln und Verhalten sind explizite und ausschließliche Attribute einzelner Menschen, die in einer Gruppe agieren können; aber nicht die Gruppe, Arbeiterklasse, Partei oder Nation schaltet und waltet.335

Natürlich werden solchermaßen Gemeinschafts- und Ganzheitssehnsüchte des Einzelnen evoziert und kanalisiert, was beispielweise Benedict Anderson anhand seines Konzepts der imagined communities in Bezug auf den Nationalismus zeigt.336 Und auch Wolfgang Müller-Funk betont unter Verweis auf die Narrativität von Kultur: „Was der moderne Mythos erzählt, ist das an sich Unmögliche: die Erfahrbarkeit umfänglicher sozialer Entitäten.“337 Insbesondere in den Viera-

335 Michael und Charlotte Uzarewicz: Kollektive Identität und Tod. Zur Bedeutung ethnischer und nationaler Konstruktionen. Frankfurt a. M. [u. a.] 1998, S. 31–32. Zum ‚Mythos der Arbeiterklasse‘, die einheitlich agiert vgl. auch Adelheid von Saldern: Klassenidentität und Aktionseinheit: Deutungs- und Handlungsschemata der Arbeiterparteien in der Weimarer Republik. In: Politik – Stadt – Kultur. Aufsätze zur Gesellschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Inge Marßolek und Michael Wildt. Hamburg 1999, S. 54–76. 336 Vgl. Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation: Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts [engl.: Imagined Communities. Reflections on the Origins and Spread of Nationalism. London 1983]. Ins Deutsche übersetzt von Christoph Münz und Benedikt Burkard. 2., um ein Nachwort erw. Auflage der Neuausgabe 1996. Frankfurt a. M./New York 2005. [Erstausgabe: Frankfurt a. M./New York 1988.] Anderson problematisiert dort das Argument der ‚Natürlichkeit‘ von Gemeinschaften und verweist auf die hinter diesem Muster verborgenen Manipulationsmöglichkeiten: „[I]n allem ‚Natürlichen‘ [findet sich] immer ein Element des ‚Nicht-bewußt-Gewählten‘. So kommt es, daß Nation-Sein der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Herkunft und der Zeit, in die man geboren wird, nahe steht – all dem also, was nicht zu ändern ist. […] Mit anderen Worten: Gerade weil solche Bindungen nicht bewußt eingegangen werden, erhalten sie den hehren Schein, hinter ihnen steckten keine Interessen. […] Auch wenn Historiker, Diplomaten, Politiker und Sozialwissenschaftler mit der Vorstellung eines ‚nationalen Interesses‘ gut zurechtkommen, ist für die meisten gewöhnlichen Menschen gleich welcher Klasse das Entscheidende an der Nation die Vorstellung, sie sei selbstlos und hinter ihr stünden keine anderen Interessen. Gerade darum kann sie nach Opfern verlangen.“ (S. 144–145). Der Tod für das ‚Vaterland‘, den man sich normalerweise nicht aussuchen könne, erhalte eine moralische Erhabenheit gegenüber dem Sterben für andere, freiwillig gewählte Interessengruppen und Vereinigungen, deren Mitgliedschaft jederzeit aufkündbar sei (vgl. S. 145). 337 Wolfgang Müller-Funk: Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Wien/New York 2008, S. 105.



354 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Romanen werden somit unablässig „die Seele des Volkes“338 beschworen und die abstrakten Begriffe von ‚Volk‘ und ‚Nation‘ hypostasiert: Schwarz ist die Straße von Menschen: Aufbruch der Nation!339 Ein gedemütigtes Volk steht auf und setzt sich in Bewegung. Das erwachende Deutschland fordert sein Recht: Freiheit und Brot.340

Aber auch die Roten Eine-Mark-Romane schildern die einheitlich handelnde Arbeiterklasse als kollektives Subjekt: „[…] Es ist ein Krieg Klasse gegen Klasse, Unterdrückte gegen ihre Unterdrücker! Der Kampf geht um die Freiheit der schaffenden Hände […]!“341 Der Bolschewismus ist im siegreichen Vormarsch.342

In Bezug auf die personalen Märtyrerkonstruktionen der untersuchten rechtspolitischen Romane lässt sich eine Doppelstrategie beobachten: Konkrete historische Persönlichkeiten wie Horst Wessel und Herbert Norkus wurden im strategischen Kalkül der NSDAP und insbesondere von Goebbels zu exemplarischen Märtyrerfiguren ausgeformt, da ihr Lebenslauf sich mit den entsprechenden Modifikationen gut für spezifische Zielgruppen propagandistisch nutzen ließ. Dabei wurde Wessel zum primär ‚proletarischen‘ Helden ausgebaut343 und insbesondere mit

338 Viera: Horst Wessel, S. 40–41. 339 Viera: SA.-Mann Schott, S. 69. Vgl. auch S. 76: „Hakenkreuzfahnen wehen überall. Aufbruch der Nation.“ Die Phrase vom ‚Aufbruch der Nation‘ stammt aus gleichnamigem Roman: Franz Schauwecker: Aufbruch der Nation. Berlin 1929. Schauwecker gehört dem Umfeld der ‚völkischen Revolution‘ an und kehrt die Kriegsniederlage in einen zukünftigen Sieg um, indem er im Motto seines Buches postuliert: „Wir mussten den Krieg verlieren, um die Nation zu gewinnen.“ Genau an dieses Bewusstsein konnten die Nationalsozialisten relativ nahtlos anknüpfen. 340 Viera: Horst Wessel, S. 74. 341 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 112. 342 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 85. 343 Vgl. dazu Stollmann: Ästhetisierung der Politik, S. 161: „Horst Wessel wird zum Helden stilisiert, weil es ihm gelingt, genauso proletarisch-revolutionär auszusehen wie die Kommunisten. Die Nazi-Identität konstruiert sich, indem sie die Selbstständigkeit des Kommunismus verleugnet und ihn zum eigenen Moment macht.“ Damit wurde der Parteimärtyrer also durchaus zur Außenwerbung eingesetzt, auch wenn er als Student vielmehr aus dem kleinbürgerlichen Milieu eines Pfarrhauses stammte und nur in der Märtyrerstilisierung durch Goebbels das Antlitz eines Arbeiters verpasst bekam. Vgl. dazu Daniel Siemens: Horst Wessel. Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten. München 2009, S. 134: „Goebbels sprach – an [sic!] den Mythos vom ‚unbekannten Soldaten‘ anspielend – von Wessel als einem ‚unbekannten Arbeiter‘ und dichtete dem ehemaligen Studenten, der sich ganz der Agitation verschrieben hatte, ‚hart und rauh gewordene Arbeiterhände‘ an.“





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 355

der Zielgruppe des Arbeitermilieus der Großstädte verbunden, während Norkus das Schema des kindlichen Märtyrers erfüllte und sich primär für die Zwecke der HJ-Propaganda funktionalisieren ließ. Daneben wurde aber auch immer wieder dem ‚unbekannten Soldaten‘ aus dem Ersten Weltkrieg und in dessen Nachfolge dem ‚unbekannten SA-Mann‘ sowie den 16 ‚Blutzeugen‘ der Feldherrnhalle gedacht. Dies sind allesamt Erinnerungsfiguren, die den narrativen Rahmen für die hier untersuchten Romane bilden. Die Roten Eine-Mark-Romane stellen hingegen an keiner Stelle historische Persönlichkeiten wie Liebknecht oder Luxemburg als positive Helden ins Zentrum der fiktionalisierten Handlung, obwohl deren Namen und auch das damit verbundene Erinnerungs- und Märtyrerkonzept an einigen Stellen in Form von Liedern und Slogans, in Bezug auf Lenin sogar in Form der kultisch-sakralen Form der ‚Lenin-Ecke‘, abgerufen werden.344 Hier stehen der exemplarische positive Held und das heldenhafte Kollektiv an sich im Vordergrund. Einerseits also sicherlich ein für den Durchschnittsrezipienten erreichbareres Vorbild als die vielfach verklärten konkreten Parteimärtyrer, andererseits besteht das Risiko, dass die (anonymen) narrativen Helden weniger plastisch-greifbare Substanz (beispielsweise konkretes Bildmaterial, Gedenkstätten, Heldenfeiern, Namensgebungen im öffentlichen Raum v. a. Plätze, Schulen, Straßen etc.) bieten, die eine konkrete Verschmelzung von Faktizität und Fiktion verbürgt. Doch nicht zuletzt hängt die Glaubwürdigkeit und Authentizität der dargestellten positiven Helden natürlich von deren plastischen narrativen Ausgestaltung ab. So zeichnen einige Stellen der Roten Eine-Mark-Romane, aber auch die hier behandelten Romane von Beumelburg oder Schenzinger, durchaus ein lebendiges Bild der jeweils fiktionalen Helden, das vielerlei Möglichkeiten zur identifikatorischen Lektüre beinhaltet. Und auch die Nationalsozialisten standen ja  – wie bereits betont  – den fiktionalen Versionen der von ihnen geformten Parteimärtyrer (mit den entsprechend von ihnen normierten Lebensläufen) im Rahmen der ‚Konjunkturliteratur‘ in vielen Fällen skeptisch bis ablehnend gegenüber, da sie die Unterwanderung und ‚Trivialisierung‘ der ohnehin schon

344 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 91: Textfragmente des Luxemburg-Liebknecht Liedes. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 31, 28, 50, 86: Leninbild; S. 12: „Und jetzt unser ermordeter Karl Liebknecht, der Führer der Jugend.“ Pell: S.S. Utah, S. 78: „Lenin-Ecke“. Auch das in Kämpfende Jugend angestimmte Lied vom kleinen Trompeter (Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 80) verweist auf einen Parteimärtyrer der KPD, Friedrich August („Fritz“) Weineck, der 1925 im Rahmen der gewaltsamen Auflösung einer Parteiversammlung durch die Polizei ums Leben kam und nicht nur in der Weimarer Republik, sondern auch in der späteren DDR ein bedeutender Parteimärtyrer war. Otto Gotsche, Verfasser des Roten Eine-Mark-Romans Märzstürme (Bd. 10), widmete ihm den Roman Unser kleiner Trompeter, der 1961 in Halle a.d. Saale erschienen ist.



356 

 5 Analyse ausgewählter Romane

von ihnen in ein allumfassendes Marketing- und Popularisierungskonzept eingebauten Parteimärtyrer fürchteten, deren ‚Markenrechte‘ sie sich sichern und mit allumfassender Deutungshoheit für sich in Anspruch nehmen wollten.345 Ausgehend vom heroischen Sterben an der Front, dem Aufopfern für Volk und Vaterland,346 wie es Beumelburg an vielen Stellen seines Kriegsromans Gruppe Bosemüller vor allem im mystifizierten Konzept der Kameradschaft beschreibt, wird Krieg zur „moralische[n] Forderung“, mythisch verklärt als „von irgendeiner höheren Macht so gewollt“,347 aus dem sich moralische Verpflichtungen gegenüber den toten Kameraden ableiten lassen. Vor allem Kapitel 5.3.1 vorliegender

345 Doch nicht nur der Staat, auch die Familie Horst Wessels, insbesondere Mutter und Schwester, versuchten sich am Horst-Wessel-Kult zu bereichern und sich bei der Inszenierung und Vermarktung des ‚toten Helden‘ eine Monopolstellung zu sichern. Vgl. dazu: Siemens: Horst Wessel, S. 131–149 [Kapitel: „Kult und Kommerz“]. Zum Horst-Wessel-Merchandising, das von Postkarten über Briefverschlussmarken bis hin zu Bleistiften reichte vgl. Thomas Oertel: Horst Wessel. Untersuchung einer Legende. Köln/Wien 1988, S. 164. Ingeborg Wessel publizierte sogar das ab 1934 in mehreren Auflagen erschienene Buch Mein Bruder Horst. Ein Vermächtnis im Parteiverlag der NSDAP, Eher: München. Aus diesen primär wirtschaftlichen Gründen scheint eine Ablehnung des Horst Wessel-Romans von Viera einsichtig, denn sein ‚Konjunkturroman‘ war in Aufmachung und Erzählweise sicher nicht trivialer bzw. gleichartig populär aufgemacht wie die Publikation Ingeborg Wessels, obschon diese mit vorgeblichen Tagebucheinträgen von Wessel aufwartete. Zum Verbot des Buches vgl. auch den sich anbiedernden ‚Bettelbrief‘ von Josef Viera: Brief an den Staatskommissar im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Berlin vom 29.10.1933. Betreff: Verbot des Buches „Horst Wessel“ von Josef Viera. (Quelle: Bundesarchiv R 56 I: Reichskulturkammer, Zentrale einschließlich Büro Hinkel. Allgemeines und Korrespondenzen/92.) 346 Unzählige Studien beschäftigen sich mit dem aus Kriegen, insbesondere dem Ersten Weltkrieg, hervorgehenden Martyrium, Totenkult und dem verbindlichen Auftrag zur Nachfolge. Als einige unter vielen seinen hier genannt: George Mosse: Gefallen für das Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben. Stuttgart 1993; Peter Berghoff: Der Tod des politischen Kollektivs. Politische Religion und das Sterben und Töten für Volk, Nation und Rasse. Berlin 1997. Ulrike Brunotte: Martyrium, Vaterland und der Kult der toten Krieger. Männlichkeit und Soteriologie im Krieg. In: Tinte und Blut. Politik, Erotik und Poetik des Martyriums. Hg. v. Andreas Krass und Thomas Frank. Frankfurt a. M. 2008, S. 95–117. Sven Reichardt: „Märtyrer“ der Nation. Überlegungen zum Nationalismus in der Weimarer Republik. In: Die Politik der Nation. Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760–1960. Hg. v. Jörg Echternkamp und Sven Oliver Müller. München 2002, S. 173–202. Richard Bessel: Kriegserfahrung und Kriegserinnerungen: Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges auf das politische und soziale Leben der Weimarer Republik. In: Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung. Interdisziplinäre Studien. Hg. v. Marcel van der Linden und Gottfried Merger. Berlin 1991, S. 125–140. Bernd Hüppauf: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg“. Todesbilder aus dem Ersten Weltkrieg und der Nachkriegszeit. In: Ansichten vom Krieg. Vergleichende Studien zum Ersten Weltkrieg in Literatur und Gesellschaft. Hg. v. Bernd Hüppauf. Königstein im Taunus 1984, S. 55–91. 347 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 208.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 357

Arbeit zeigt am Beispiel von Siewers deutlich, wie sehr dieser den Tod seines Kameraden als Verpflichtung und Bewährung zugleich ansieht und in heroischer Nachfolge dem Tod Sinn verleihen möchte.348 Genau an dieses Bewusstsein knüpfen die zahlreichen SA- und HJ-Romane der Weimarer Republik an, die die in den Straßenkämpfen ums Leben gekommenen ‚Parteisoldaten‘ teilweise in direkte Nachfolge der Weltkriegsteilnehmer stellen, ihnen somit exemplarisch für den parteilichen Kampf geschichtliche Kontinuität wie Legitimität verleihen und zu persönlicher Nachfolge wie Opferbereitschaft aufrufen: Es ist ihre natürliche Pflicht, sich zu decken, wie sich der Frontsoldat gegen die feindlichen Kugeln durch Deckung zu sichern sucht. Aber die Männer, die am Boden liegen, schwimmen trotzdem in rotem Blut. So besessen ist das Feuer der Landespolizei. […] Der Fahnenträger des Stoßtrupp Hitler steht. Die Fahne steht. Die Fahne fällt, sie taucht in strömendes Blut. Ein Toter liegt auf dem Hakenkreuzfahnentuch. Ein Toter liegt auf dem schwarzweißroten Tuch der zwei Millionen deutscher Kriegstoten.349

Mittels parataktischem Satzbau, Anaphern und Epiphern sowie einer Antithese wird hier effektvoll die mythische Reliquie der ‚Blutfahne‘ in Der Kampf um die Feldherrnhalle von Viera beschworen. Ein Ereignis, das, wie oben bereits thematisiert, zentral für die Parteigeschichtsschreibung und das Selbstverständnis der Nationalsozialisten war und in der literarischen Darstellung Vieras direkt in die Nachfolge der Weltkriegstoten und deren Gedenken gestellt wird. Der ‚Bürgerkrieg‘ wird analog zum Weltkriegserlebnis geschildert, nur sind nun die feindlichen Angreifer die staatliche Exekutive oder (in anderen Romanen Vieras) die Kommunisten. Durch die Darstellung des vorgeblich brutalen Vorgehens der Landespolizei, die „wie rasend schießt“350, wird dem Weimarer Rechtsstaat die Legitimität abgesprochen sowie der eigene Kampf heroisch aufgewertet und als berechtigt ausgewiesen. Die Szene, die hier sprachlich überhöht beschrieben wird, entspricht der bildlichen Darstellung auf dem Cover des Buches (vgl. Kapitel 4.1.2, Abb. 12) und kann als Sinnbild für die Präsentationsweise des NSMärtyrertums im Rahmen der Straßenkämpfe gelten. In Bezug auf die konkreten personalen Märtyrer wie Wessel, Norkus und Preiser verwenden Viera und Schenzinger Teil-Ganzes-Relationen, um Einheit, Wir-Gefühl und Nachfolge zu signalisieren. So heißt es im Quex-Roman bei der Einweihung des HJ-Heims auf den Namen „Norkus-Heim“ in Form einer

348 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 198–199, 208–209. 349 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 72–74. 350 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 72.



358 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Antithese: „[E]r starb für uns. Wir leben ihn.“351 Und umgekehrt wird in Vieras Horst Wessel-Roman formuliert: „Denn die SA., das ist Horst Wessel!“352 Neben solchen, meist in Form eines ideologischen Monologs vorgetragenen politischen ‚Beschwörungsformeln‘ sind die Prinzipien von Opfergeist und Märtyrertod von Schenzinger sehr viel gezielter und stringenter im Handlungsverlauf platziert und prägen das Bewusstsein des zentralen Helden, Heini Völker. Dieser vollzieht nicht nur durch eigene Augenzeugenhaftigkeit die Stelle nach, an der Norkus getötet wurde,353 sondern genau jene Erfahrung wird zur Basis seiner Rede mit der zentralen Aussage des Märtyrertodes, die als Prolepse auf Heinis eigenen Tod gelesen werden kann: „Es sollen drei Kreuze flattern über dem Beußelkietz. Und lägen drei tote Jungens daneben! Und nur noch zwei rote Fahnen. Wir wären alle bereit!“354 Schließlich schaufeln nämlich die Parteimitglieder Heinis Grab als „ein Grab mitten zwischen den toten Kameraden“355 – genauso wie es Heini vorausgesagt hat. Diese sprachlichen und thematischen Verfahren zur Märtyrerstilisierung sind bei Viera an einigen Stellen nochmals deutlich überhöht. So wird beispielsweise konstatiert: „Was sich heute anbahnt, wird größer sein als der Weltkrieg! Es wird ausgefochten werden auf deutschem Boden für die ganze Welt.“356 Damit wird der Bürgerkrieg zum Stellvertreterkrieg gemacht und die eigene vermeintliche Führungsrolle unterstrichen. Genau dieses partikulare Bewusstsein der Besonderheit des eigenen Kampfes, das hier evoziert wird, führt dann auch zum Bild einer sich selbst perpetuierenden ‚Bewegung‘, in dem die Parteimärty-

351 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 54. 352 Viera: Horst Wessel, S. 74. 353 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 169–170: „Heini kniff die Augen zusammen. Noch am Tage, bevor er ins Krankenhaus gekommen war, war er in dem Hause Zwinglistraße 4 gewesen. Er hatte sich dort im Hausflur die Stelle angesehen, wo Norkus zusammengebrochen war. An der Wand war noch der blutige Abdruck einer kleinen Hand zu sehen. Norkus hatte sich aufrichten wollen. Nur wenig über dem Fußboden war der Abdruck in den Kalk an der Wand eingeprägt.“ Auch diese Stelle entbehrt mit dem „blutigen Abdruck einer kleinen Hand“ nicht der Sentimentalität, motiviert jedoch zumindest einigermaßen hinreichend das Denken und Agieren Heinis im weiteren Handlungsverlauf. 354 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 230. Mit den „drei tote[n] Jungens“ sind Norkus, Preiser und Heini selbst gemeint. Der hier eröffnete Slot erhält seine Füllung einerseits durch die vorherigen Bewusstseinsschilderungen Heinis und dessen Opferbereitschaft, andererseits durch einen sechs Seiten zuvor (S. 224) erfolgten Erzählerkommentar zu Norkusʼ und Preisers Tod sowie die zahlreichen redundanten Stellen, die den Tod der beiden Hitlerjungen thematisieren: Vgl. u. a. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 52–53, 76, 96, 154, 170–171. 355 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 264. 356 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 56.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 359

rer zum „Grundstock des kommenden Millionenheeres brauner SA.-Männer“357 gemacht werden, jede Wunde im Kampf als „Ehrennarbe“358 gilt und generell im hyperbolischen Sprachstil „[g]igantisches Heldentum, Hunderte von gemordeten Helden im Braunhemd, Tausende von Verwundeten“359 beschworen werden. Legitimiert und autorisiert werden die Straßenkämpfe in der literarischen Darstellung zusätzlich durch einmontierte, populäre Zitate Hitlers, die zu Opferbereitschaft auffordern, wie: „Wer sein Volk liebt, beweist es einzig durch die Opfer, die er zu bringen bereit ist!“360 Bei Viera finden sich darüber hinaus einige derart überzogene und sakral überhöhte Schilderungen von Märtyrertum, die die Nationalsozialisten sicherlich nicht in allem Fällen guthießen, vor allem was die Darstellung von Hitler als gottähnlichem Übervater361 betrifft, die sich oft nahe an der Grenze zur Lächerlichkeit bewegt – zumindest vom heutigen Standpunkt aus gesehen: „Sost ist dem hinterhältigen Anschlag von Rotmord erlegen. Zum überirdischen großen Führer ist er gegangen.“362 Im Rahmen der publikumswirksamen Deutschlandflüge wird Hitler bei Viera gar als „Vom-Himmel-Kommender“ beschrieben und „Horst Wessels Geist umschwebt dieses Flugzeug und behütet es vor allen Fährnissen“.363 Und auch Utz „betet“ in großer Gefahr zu Hitler.364

357 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 27. 358 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 24, vgl. auch S. 12. Das den Typus des SA.-Manns prägende Motiv der Wunde, das Kampfbereitschaft, Männlichkeit und Tapferkeit symbolisiert, findet sich auch in Viera: SA.-Mann Schott, S. 11, 15. 359 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 77. 360 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 32. Das Zitat stammt aus Hitlers Mein Kampf, dort heißt es in minimaler Variation und didaktischer Absicht: „[…] muß schon in der Jugend ein eiserner Grundsatz in die noch bildungsfähigen Köpfe hineingehämmert werden: Wer sein Volk liebt, beweist es einzig durch die Opfer, die er für dieses zu bringen bereit ist.“ (Hitler: Mein Kampf, S. 474, Hervorhebungen aus dem Original übernommen.) 361 Schlosser zeigt u. a. auf, dass die sakralisierte Darstellung und Verehrung vom Hitler vor allem in der Populärkultur enorme Ausmaße des ‚Führerkultes‘ annahm, vgl. Schlosser: Sprache unterm Hakenkreuz, S. 186–191. Das von Viera auf den ersten Blick widersprüchlich gezeichnete Bild von Hitler als einfachem ‚Soldaten‘ wie z. B. in Der Kampf um die Feldherrnhalle sowie die sakralisierten Passagen schließen sich jedoch nicht gegenseitig aus, sondern gehörten durchaus zum zeitgenössischen Propagandakalkül, das zugleich identifikatorische wie projektorische Bedürfnisse der Rezipienten bediente. Vgl. dazu Paul: Aufstand der Bilder, S. 250. 362 Viera: SA.-Mann Schott, S. 68. 363 Viera: Horst Wessel, S. 76. 364 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 67.



360 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Ob nun diesbezüglich von ‚politischen Religionen‘365, ‚säkularen Religionen‘ oder ‚Religionsersatz‘366 die Rede sein muss, wie viele insbesondere dem Totalitarismus-Ansatz nahestehende Vertreter meinen, ist umstritten.367 Die Bezüge, zumindest zu den äußeren Formen der christlichen Kultur, sind in Hinblick auf Reliquien, Märtyrerkult und Sprachgebrauch jedoch evident. Überzeugend klingt der Erklärungsansatz von Behrenbeck, die die funktionale bricolage unterschiedlichster tradierter und populärer Helden-Konzeptionen vor dem Hintergrund der säkularen industrialisierten Massengesellschaft verortet: Die von den Nationalsozialisten geschaffenen Mythen waren auch darum so massenwirksam, weil sie vorhandene Mythen in vertrauten Bildern vereinnahmten, veränderten und durch Kompilierung einen eigenen Mythos hervorbrachten. […] In den Ritualen des Heldenkultes verschmolzen Traditionen aus Bürgertum, Christentum, Militär und Arbeiterbewegung zu einem Gebilde, dessen Eigentümlichkeit gerade in seinem Mischungsverhältnis lag. […] Es war die Absicht der Verantwortlichen der Diesseitigkeit der säkularisierten bürgerlichen Gesellschaft durch die Orientierung an „ewigen“ und transzendierten Werten wieder einen allgemeingültigen Sinn zu geben, der über die empirische Wahrnehmbarkeit hinausreichen würde.368

Doch auch in Bezug auf die kommunistischen Romane lässt sich Ähnliches beobachten, natürlich vor ideologisch konträrem Hintergrund. Viele Schimpfworte, Flüche, Interjektionen und Redewendungen, aber insbesondere die Bezeichnung der Arbeiteropfer im Kampf als ‚heilig‘, besitzen religiösen Bezug, obwohl der Kommunismus eine säkulare Weltanschauung ist,369 was sich z. B. darin aus-

365 Das Konzept der ‚politischen Religionen‘ geht zurück auf Eric Voegelin: Die politischen Religionen. Wien 1938. Zum aktuellen Stand der Forschung vgl. vor allem folgende Sammelbände: „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“. Konzepte des Diktaturvergleichs. Hg. v. Hans Maier. Band 1: Paderborn [u. a.] 1996. Band 2: Paderborn [u. a.] 1997. Band 3: Deutungsgeschichte und Theorie. Paderborn [u. a.] 2003; Zwischen Politik und Religion. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus. Hg. v. Klaus Hildebrand. München 2003; Wege in die Gewalt. Die modernen politischen Religionen. Hg. v. Hans Maier. Frankfurt a. M. 2000; sowie die Monographie von Sabine Haring: Verheißung und Erlösung. Religion und ihre weltlichen Ersatzbildungen in Politik und Wissenschaft. Wien 2008. 366 Vgl. Hans Buchheim: Despotie, Ersatzreligion, Religionsersatz. In: „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“. Konzepte des Diktaturvergleichs. Band 1. Hg. v. Hans Maier. Paderborn [u. a.] 1996, S. 260–263. 367 Für eine kritische Würdigung des Konzepts der ‚politischen Religionen‘ vgl. Jürgen Schreiber: Politische Religion. Geschichtswissenschaftliche Perspektiven und Kritik eines interdisziplinären Konzepts zur Erforschung des Nationalsozialismus. Marburg 2009. 368 Behrenbeck: Der Kult um die toten Helden, S. 595. 369 Vor allem der marxistische Philosoph Ernst Bloch distanziert sich in seiner Beschreibung des ‚roten Helden‘ explizit von christlichem Märtyrertum, dessen äußeres Formenarsenal aber





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 361

drückt, dass in Sturm auf Essen ein Rotarmist über die Osterfeiern spottet und in S.S. Utah mehrmals die von der Kirche repräsentierte bürgerliche Doppelmoral betont wird.370 Bartholmes merkt zum Gebrauch von religiösen Begriffen in der sozialistischen Terminologie an, „daß die Ausnutzung religiösen Vokabulars für politische Zwecke ebenso alt ist wie die Staaten. […] Der kommunistische Wortgebrauch steht also auf diesem wie auf anderen Feldern nicht alleine da, sondern baut auf Traditionen der politischen Sprache auf.“371 Auch der Verwendung der Ausdrücke ‚Teufel‘ oder ‚Hölle‘ kommt, unabhängig vom religiösen Aspekt, eher ein allgemeiner emotionaler Ausdruck zu: „Sind wir in Wut oder Zorn, greifen wir bevorzugt auf die konzeptuelle Domäne des negativen Jenseits zurück und aktivieren den ‚Protagonisten‘ dieses Referenzbereichs.“372

durchaus in Roten Eine-Mark-Romanen wie Sturm auf Essen zu finden ist. Bloch verweist jedoch auf ein Element der Heldenrepräsentation, das nicht nur für die linken Romane von zentraler Bedeutung ist: die emotional aufgeladene „Erinnerung der Mit- und Nachwelt“, das Streben nach diesseitiger ‚Erlösung‘, sowie das Bild des für die Zukunft Nutzen bringenden Opfers das er mit dem kommunistischen Zentralwert der Solidarität verbindet: „Diese Standhaften fühlten sich nicht aufgerufen, um empfangen zu werden mit hochheiligem Gruß, sie glaubten höchstens in der Erinnerung der Mit- und Nachwelt eine Berge zu finden, eingeschreint im Herzen der Arbeiterklasse, doch scharf entgegen aller Hoffnung einer himmlischen Metaphysik und eines Jüngsten Gerichts […]. […] [E]r [will] gar kein Märtyrer sein […], wohl aber ein standhafter Kämpfer auch für sich, für sein bewährtes, überzeugendes, fruchtbringendes Wesen. Für ein Wesen freilich, das nun weder individualistisch noch aber kollektiv-allgemein sich darstellt, sondern auch hier die individuell-kollektive Einheit: Solidarität in sich hat. Und nicht nur als die des räumlichen Mit- und Nebeneinanders, sondern ganz besonders die zeithafte Solidarität dazu, die sich zu den Opfern der Vergangenheit, zu den Siegern der Zukunft erstreckende.“ Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. Dritter Band: Kapitel 43–55. Frankfurt a. M. 1968 [Berlin (Ost) 1959], S. 1379, 1381 [Kapitel 52: „Selbst und Grablampe oder Hoffnungsbilder gegen den Tod“]. Diese These vom ‚fruchtbringenden Opfer‘, die zur Nachfolge aufruft und Niederlagen zu vermeintlichen Siegen verklärt, besteht analog dazu auch im rechtspolitischen Spektrum. Vgl. Esther Roßmeißl: Märtyrerstilisierung in der Literatur des Dritten Reiches. Taunusstein 2000, S. 93; sowie Behrenbeck: Der Kult um die toten Helden, S. 235. 370 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 5, 17, 41, 85 u. a.: „Teufel“; S. 5, 25, 35 u. a.: „Gottverdammich!“; S. 22: „Jesus Maria!“; S. 86:„Zahn um Zahn!“; S. 33, 149: „zu Kreuze kriechen“; S. 113: „Die Arbeiteropfer, die in diesem Kampfe fallen, sind heilig!“; S. 152: „‚Ostern‘ – spottete ein älterer Rotarmist. ‚Die Spießer feiern Erlösung!‘“. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 32: „Jesus“; S. 48–49: Kapitel 18: „Auge um Auge“; S. 39: „Herrgott!“; S. 12, 123, 139 u. a.: „Teufel“; S. 83: „Bei Christus!“. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 96: „zum Teufel jagen“; S. 30: „Mein Gott, ich werde noch verrückt.“; S. 113: „Herrgott! Wann hat man denn mal Ruhe…“. 371 Herbert Bartholmes: Bruder, Bürger, Freund, Genosse und andere Wörter der sozialistischen Terminologie. Wuppertal-Barmen 1970, S. 12. 372 Schwarz-Friesel: Sprache und Emotion, S. 193.



362 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Doch darüber hinaus gibt es vor allem in der heroischen Symbolik durchaus frappierende äußere Gemeinsamkeiten mit den rechtspolitischen Romanen, was sich insbesondere in Bezug auf den symbolhaften Charakter des Blutes äußert, der immer wieder in den Roten Eine-Mark-Romanen in pathetischem Gestus hervorgehoben wird, wie z. B. mit: „Das Ruhrgebiet hat Arbeiterblut getrunken! Das Ruhrgebiet gehört der revolutionären Arbeiterschaft!“373 oder durch die Betonung der „blutfarbig“374 im Wind wehenden roten Fahne. Hier finden sich, wie oben gezeigt, im Lager der rechtspolitischen ‚Blutzeugen‘ ähnliche Symbolwerte. Auf diese Anwendung heroischer Symbole in der proletarisch-revolutionären Literatur verweist bereits Wolfgang Eggerstorfer: „Als Symbole dienen der vom Blut gedüngte Boden oder die geheiligte, vom Blut durchtränkte Fahne, auf die man den Eid leistet. Symbole, die in ihrer heroischen Beliebigkeit genauso für die Faschisten verfügbar sind.“375 Und auch die Märtyrervision, die Franz Kreusat in Gefangenschaft entwickelt: „Lieber einen schlimmen Tod als ein Leben, vor dem Tausende ausspeien würden!“376 sowie die Aussprüche unterschiedlicher Kombattanten auf Seiten der Arbeiter: „Eher binde ich mir eine Handgranate um die Gurgel und krepiere so, ehe ich meine Knarre abgebe!“,377 „Abschnappen lasse ich mich nicht, dann lieber im Feuer kapott!“,378 klingen nicht weniger radikal als die Opferbekenntnisse der rechtspolitischen Helden. Jedenfalls steht in Sturm auf Essen ebenfalls unumstößlich fest: „Ohne Opfer gibt es keinen Kampf […]“.379 Auch an diesen Stellen stehen also unbedingter Aktionismus sowie Leidens- und Opferfähigkeit für das übergeordnete Ziel der kommunistischen Revolution vor der Reflexion der Tat. Hier zeigt sich ebenso wie in den heroischen Schilderungen der rechtspolitischen Romane: „Das dezisionistische Deutungsmuster ist ganz auf die große Polarisierung, den Kampf der Heroen ausgerichtet.“380 Schirmer geht sodann noch einen Schritt weiter und behauptet:

373 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 149. 374 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 15. 375 Eggerstorfer: Schönheit und Adel der Arbeit, S. 59. 376 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 56. 377 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 140. 378 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 124. 379 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 70. 380 Dietmar Schirmer: Politisch-kulturelle Deutungsmuster: Vorstellungen von der Welt der Politik in der Weimarer Republik. In: Detlef Lehnert und Klaus Megerle: Politische Identität und nationale Gedenktage. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik. Opladen 1989, S. 31–60 [hier: S. 45].





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 363

Ein Blick auf die voluntaristische, auf Kampf, Tat und Entscheidung fixierte Rhetorik der KPD und auf ihre Pflege von Revolutionsmythen und -ritualen schließlich gibt Aufschluß über die psychischen Motivationen, die hinter den Austauschbewegungen zwischen kommunistischem und nationalsozialistischem Milieu stehen.381

Und Zwicker betont etwas konkreter: [D]as Nachdenken und Reflektieren über Heldentum und -taten, in letzter Konsequenz ja sogar die freie Willensentscheidung zur Heldentat [wird] negiert: Man kann gar nicht anders als heldenhaft zu handeln, weil man entweder durch die innere Stimme, Natur und Herkunft […] [„Nation, Volkstum, Rasse“] […] oder durch das richtige Klassenbewußtsein und den Glauben an die wissenschaftlich belegbare Sendung des Kommunismus […] und dessen folgerichtigen Sieg bestimmt ist.382

Die Grundfunktionen und -bedürfnisse, die die Mythenkonstruktionen in beiden Fällen erfüllen, sind sicherlich sehr ähnlich, obwohl die dahinterstehenden ideologischen Konzepte gegensätzlich sind. Vor allen Dingen bleibt aber eine Frage offen: Wieso beruft sich der Kommunismus, der ja zumindest auf ein Grundmaß an ideologischer Schulung und vorgeblich historisch-materialistische Analysekategorien setzt, auf derart irrational-mythische Kategorien? Generell ersetzen Parteimärtyrer natürlich abstrakte propagandistische Belehrung durch Anschaulichkeit sowie einprägsame Bilder und Heldenviten383 und erlangen somit eine populäre Massenwirksamkeit, die der Kommunismus ja ebenfalls anstrebt. Doch insbesondere Naumann verweist darauf, dass im Marxismus vielfach mythische Kategorien bedient werden, wo ökonomische Erklärungsmuster versagen oder Niederlagen nachträglich zu langfristigen Siegen umgedeutet werden. An die Stelle der „historischen Aufklärung“ trete in diesen Fällen vielmehr die „heroische[ ] Verklärung“.384 Wie sehr gerade die Romane, die auf die eigentlich gescheiterten zeitgenössischen Arbeiterkämpfe der Weimarer Republik aufbauen, dieses Schema bedienen, um zur Weiterführung der Kämpfe zu animieren, zeigt beispielhaft das heroisch-verklärte Ende von Sturm auf Essen, das durchaus eine eschatologische Heilserwartung formuliert. Alle Krisen, die die Arbeiter erleben, werden im Roman als Durchgangsstadium gedeutet und tragen zur Abhärtung bzw. Stärkung

381 Schirmer: Politisch-kulturelle Deutungsmuster, S. 60. 382 Stefan Zwicker: „Nationale Märtyrer“. Albert Leo Schlageter und Julius Fučìk. Heldenkult, Propaganda und Erinnerungskultur. Paderborn [u. a.] 2006, S. 274. 383 Vgl. Luckey: Personifizierte Ideologie, S. 60. 384 Michael Naumann: Strukturwandel des Heroismus. Vom sakralen zum revolutionären Heldentum. Königstein im Taunus 1984, S. 50 [Hervorhebungen aus dem Text übernommen].



364 

 5 Analyse ausgewählter Romane

der Arbeiter bei, die als von Durchhaltevermögen geprägt dargestellt werden.385 Das Ende des Buches ist von der unerschütterlichen Siegesgewissheit der Spartakisten bestimmt („Wir kommen wieder!“386), welche bedingt ist durch das kommunistische Verständnis vom linearen, zielgerichteten Ablauf von Geschichte hin zur klassenlosen Gesellschaft. Das momentane Scheitern wird demnach als Etappenziel gedeutet und die Prolepse am Ende des Buches eröffnet eine siegreiche Perspektive durch die Weiterführung der Kämpfe in der Zukunft: „Nur eins wird sprechen: Unsere Gewehre!“387 Damit wird an dieser Stelle zumindest implizit ein Happy-End eröffnet. Dieses ist jedoch gebunden an einen Kampfauftrag, der das Bild der schier sich selbst perpetuierenden ‚Bewegung‘ einschließt – das in seiner äußeren Erscheinungsform den Schilderungen in den rechtspolitischen ‚Kampfzeitmythen‘ von Viera nicht unähnlich ist. Daneben wird eine Zeitenwende signalisiert: Wenn die Arbeiter die Revolution vollendet haben, also quasi von der Verlierer- auf die Gewinnerseite gewechselt haben, wird mit dem politischen Gegner abgerechnet; diese Vorstellung von ‚gerechter Strafe‘ trägt somit durchaus apokalyptische Züge388 und dient der Affektabfuhr: [Zermack:] „[Es] ist […] unmöglich, unsere Idee aus unseren Herzen auszulöschen! Die tausend Gräber der roten Ruhr-Rebellen werden stets der Wegweiser sein für die frischen roten Bataillone, die wir neu formieren werden, Genosse! Der Prolet wird wieder eines Tages mit seinen Fäusten in die Räder greifen, die Gewehre an sich reißen! Dann gibt es keinen Waffenstillstand mehr! Wir werden die, die ihn predigen, in die Ruhr werfen! Wir werden die Schwätzer aufs Maul schlagen! Nur eins wird sprechen: Unsere Gewehre!“389

Darüber hinaus korrelieren insbesondere in Sturm auf Essen die zahlreichen Lichtmetaphern, Wärme und die Sonne mit positiven Emotionen wie Zuversicht und Hoffnung auf die kommende Revolution sowie Mut und Kampfesentschlos-

385 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 146: „[…] die Gefahr verlieh ihm fast unmenschliche Kräfte […]“, S. 145: „‚Ich habe wieder Lust am Leben!‘, sagte Franz Kreusat. ‚Es stirbt sich nicht so leicht!‘ erwiderte Murr, ‚auch wenn einem die Noskiten auf dem Halse sitzen!‘“, S. 55: „Nicht nur ihn allein, auch die anderen machte es härter.“. 386 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 155. Vgl. auch S. 160. 387 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 160. 388 Vgl. dazu Dietmar Schirmer: Mythos  – Heilshoffnung  – Modernität. Politisch-kulturelle Deutungscodes in der Weimarer Republik. Opladen 1992, S. 207: „Unter der Hand wird durch die Transformation der marxistischen Geschichtstheorie in eine Alltagstheorie (nicht im Sinne einer Theorie des Alltags, sondern einer Theorie für den alltäglichen Gebrauch) die moderne Vorstellung von der Struktur der geschichtlichen Zeit von deterministischen Verkürzungen eingeholt und mit apokalyptischen Zügen – die Revolution als Weltgericht, die radikale Spannung zwischen defizienter Gegenwart und künftiger Fülle – ausgestattet.“ 389 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 160.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 365

senheit390 und spiegeln auf diese Weise nicht nur die Gefühlslage der Protagonisten wider, sondern nehmen im Sinne einer Rhetorik der Zeitenwende durchaus vorausdeutende Funktion ein und symbolisieren zukunftsgewisse ‚neue Menschen‘ auf dem Weg in eine ‚neue Zeit‘.391 Auch in Schenzingers Roman Der Hitlerjunge Quex und insbesondere in den Romanen von Viera nimmt die Lichtsymbolik, wie in der gesamten Selbstinszenierung und den Repräsentationsformen der Nazis, eine noch zentralere Bedeutung ein. Lichtmetaphern wie „das neue Licht“392 symbolisieren hier nicht lediglich den Aufbruch in eine ‚neue Zeit‘, sind mit Konversionserlebnissen, Hoffnung, Zuversicht, Zeitenwende und der Inszenierung der Machtübernahme verbunden,393 sondern verkörpern durchaus

390 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 112–113: Die Lichtmetaphorik kommt vor allem beim emphatischen Monolog von Murr zum Tragen, der die Kämpfe als ‚gerechten Krieg‘ bezeichnet und sie damit legitimiert: S. 112: „Ins Fenster fiel Sonnenlicht und gab dem verräucherten Raum ein freundlicheres Aussehen. Auch die Augen der Arbeiter bekamen einen lebendigeren Glanz.“ (Atmosphäre), S. 113: „Die Sonne, der sein Gesicht während er sprach zugewandt war, lichtete es und machte es schöner.“ (Sonne als Sinnbild für die kommende Revolution), S. 113: „Die Sonne steckt an Genossen!“ (Nach der emphatischen Rede, die ebenso ansteckend wirken soll), S. 75: „Die Sonne spiegelt sich in den Gewehren.“ (Siegesgewissheit), S. 102: „Am westlichen Horizont hing die Sonne wie ein riesiger Blutstropfen.“ (Kampfansage). Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 111: „Helle kräftige Sonnenstrahlen durchschossen die Gardinen. Wie lange Speere bohrten sie sich in den Boden. Vor den Augen des Heizers brach die Messingreeling der Maschine plötzlich aus den Fassungen. Wie von unsichtbarer Hand wurde ihr Gestänge ins Maschinendeck hinabgeschossen. […] Gestoppt!“. Die Sonne und ein technischer Defekt, der für den kurzzeitigen Stop der Maschine sorgt, verschaffen der Mannschaft den Eindruck eines nahenden Streiks. 391 Einen kompakten Einblick in die heroische Vorstellung vom ‚neuen Menschen‘ liefert Naumann: Strukturwandel des Heroismus, S. IX: „[S]o überwindet der Revolutionär in seinen enthusiastischen Aktionen der Gewalt die profane Zeit und gibt der ganzen Welt im magischen Selbstund Fremdopfer ein neues Leben, neue Jugend.“ Zur Denkfigur des ‚neuen Menschen‘ vgl. auch Gottfried Küenzlen: Der Neue Mensch. Eine Untersuchung zur säkularen Religionsgeschichte der Moderne. Frankfurt a. M. 1997; Barbara Zehnpfennig: Der „Neue Mensch“ – von der religiösen zur säkularen Verheißung. In: Säkularisierung und Resakralisierung in westlichen Gesellschaften. Ideengeschichte und theoretische Perspektiven. Hg. v. Mathias Hildebrandt, Manfred Brocker und Hartmut Behr. Wiesbaden 2001, S. 81–95. 392 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 59. 393 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 44–48: Heinis Bekehrungserlebnis im Wald wird durch die Lichtsymbolik und die Anziehungskraft des Lagerfeuers versinnbildlicht, S. 157: nach dem Selbstmord der Mutter schöpft Heini neue Hoffnung und Lebensmut durch den Zuspruch des Kameradschaftsführers Kaß: „Heini trat dicht zu Kaß und sah aus dem Fenster. ‚Draußen scheint ja die Sonne‘, sagte er und sah mit einemmal froh aus.“, S. 264: schließlich schreiten im Rahmen einer Ellipse auf den Reichsjugendtag 75.000 Jungen [!] „im Schein der Fackeln, Schein der Sonne“ „mit strahlend hellen Gesichtern“ der Zukunft entgegen. Die Lichtmetaphorik strukturiert im Roman Schenzingers also zentrale Abschnitte der Handlung. Auch das Bekehrungserlebnis von Utz wird analog zu Schenzingers Quex-Roman durch Lichtsymbolik im Rahmen des



366 

 5 Analyse ausgewählter Romane

auch Opferbereitschaft, Märtyrertum und den Gestus der Unsterblichkeit, worauf Thöne verweist: Ein wesentlicher Zug nationalsozialistischer Ideologie und Propaganda bestand darin, mittels Licht- und Feuersymbolik den Opfertod aus Erlebniszusammenhängen, die mit „Düsternis“ verbunden sind, zu lösen[.] […] Flammen können zudem das „Sich-Verzehren“ im Dienste höchster „ewiger“ Ideen symbolisieren, darüber hinaus auch die Sehnsucht, sich von irdischer Schwere zu lösen und hinweggetragen zu werden in eine andere Seinsweise.394

Die Amalgamierung von bereitwilligem Leiden und „verordnete[m] Optimismus“395 zeigt sich so beispielhaft an folgendem Erzählerkommentar aus dem Horst Wessel-Roman von Viera: „Aber alle sind guten Mutes, sie leiden, aber sie leiden für Hitler und Deutschland.“396 Auffällig sind darüber hinaus die zahlreichen Metaphernkomplexe aus dem Bereich ‚Weg‘ und ‚Bewegung‘,397 die insbesondere die rechtspolitischen Romane prägen.398 Vor allem das Muster des ‚Weges zu Hitler‘ ist zentrales Element der Opfer- wie Zeitenwenderhetorik von Viera: „[E]ine unendlich lange Reihe SA.Männer, die alle den Weg zu Hitler gehen. Das ist ein beglückender, zugleich aber auch ein bitterer Weg.“399 Auch diese Weg-Ziel-Strukturen implizieren teleologisch-eschatologische Vorstellungen vom zielgerichteten Ablauf der (Partei-)

Liedes „Flamme empor“ inszeniert, vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 29–35. Vgl. außerdem: Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 26: „Durch das Dämmerlicht des Novemberabends leuchtet hell die rote Armbinde mit dem Hakenkreuz.“; Viera: Horst Wessel, S. 71: „Horsts Augen leuchten die Besucher an, sprechen Mutter und Schwester Mut zu.“; Viera: SA.-Mann Schott, S. 73: „Die Sonne kommt stärker, küßt das rote Tuch.“ 394 Albrecht W. Thöne: Das Licht der Arier. Licht-, Feuer- und Dunkelsymbolik des Nationalsozialismus. München 1979, S. 70–71. 395 Zwicker: „Nationale Märtyrer“, S. 293. 396 Viera: Horst Wessel, S. 53. 397 Eine Aufschlüsselung der lexikalischen Komponenten der Weg-Metapher nimmt folgende Studie vor: Josef Klein: „Weg“ und „Bewegung“. Metaphorische Konzepte im politischen Sprachgebrauch und ein frame-theoretischer Repräsentationsvorschlag. In: Politische Konzepte und verbale Strategien. Brisante Wörter – Begriffsfelder – Sprachbilder. Hg. v. Oswald Panagl und Horst Stürmer. Frankfurt a. M. [u. a.] 2002, S. 221–235. 398 So findet sich zumindest an zwei Stellen im Quex-Roman eine explizite Weg-Metapher mit dynamischer Fortwertbewegung auf ein Ziel hin. Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 187: „Nie zog ein Weg wie dieser nach vorn.“, S. 26: „[…] fühlte sich mitgezogen, eingereiht in den großen Marsch nach vorn.“ 399 Viera: SA.-Mann Schott, S. 11. Vgl. außerdem Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 70–71: „[…] den mühsamen, beschwerlichen und doch so wundervollen Weg zu Hitler.“, vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 74: „Das ist ein langer und ein harter Weg.“





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 367

Geschichte. Das Ziel ist hier aber überwiegend nicht zukunftsoffen, wie in den Rote Eine-Mark-Romanen und in Schenzingers Quex-Roman400, denn die VieraRomane können durch die realgeschichtliche Machtübernahme der Nationalsozialisten auf die sich unmittelbar ereignende ‚Zeitenwende‘ verweisen, was sie voller Aufbruchspathos in drei der vier401 untersuchten Romane auch tun. Dramaturgisch zugespitzt ereignet sich vor allem im Horst Wessel-Roman und in Der Kampf um die Feldherrnhalle in unmittelbarem Anschluss an das geschilderte Martyrium durch elliptische Zeitsprünge und Raffungen von drei bzw. zehn Jahren die scheinbare Umsetzung der politischen Idealvorstellung in die Tat, sodass am Ende von Der Kampf um die Feldherrnhalle befriedigt festgestellt werden kann: „[D]er Weg von zehn Jahren ist vollendet!“402, „Und ihr habt doch gesiegt!“403 Auch an diesen Stellen zeigt sich in der Selbstdarstellung, dass die vorübergehenden Niederlagen nur als Durchgangsstationen zum Sieg gedeutet werden.404 Die Opfer erscheinen als gerechtfertigt. Hier wird dann auch ausgeführt, was in Sturm auf Essen nur angedacht ist: das „Gericht der Geschichte“405 als Sieg der Guten über die Bösen und der „letzte[ ] entscheidende[ ]Schlag“406 sowie die Abrechnung mit den politischen Feinden und Gegnern. Doch damit ist

400 Der Quex-Roman endet nach dem Märtyrertod Heinis im Rahmen einer Ellipse von wenigen Wochen im zukunftsgewissen Bild der sich selbst perpetuierenden ‚Bewegung‘ in der Nachfolge des Märtyrers am Reichsjugendtag 1932 in Potsdam. Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 264: „Fünfundsiebzigtausend Jungens ziehen mit den gleichen Fahnen, mit dem gleichen Lied, aber mit strahlend hellen Gesichtern an ihrem Führer vorbei.“ 401 Die einzige Ausnahme bildet der Roman Utz kämpft für Hitler, der dem Muster des QuexRomans folgend mit einem impliziten Happy-End des Märtyrertodes und der Eröffnung einer positiven Zukunftsperspektive durch den Erzähler abschließt. Am Ende des Buches steht ein sakralisierter Analogieschluss, ausgehend vom individuellen Bekenntnis eines jugendlichen Blutzeugen (Utz) zu Hitler, das auf ein allgemeines politisches ‚Glaubensbekenntnis‘ ausgeweitet wird, welches den Leser durch ein inkludierendes Wir einschließt. Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 74. 402 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 77. 403 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 79. Dieser Slogan prägte als Inschrift auch das nationalsozialistische ‚Ehrenmal‘ für die 16 ‚Blutzeugen‘ in der Feldherrnhalle. Auch SA.-Mann Schott endet mit dem entsprechenden Leitspruch. Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 78: „Bitterschwer hat man euch den Kampf gemacht, und ihr habt doch gesiegt.“ 404 Vgl. dazu Sabine Behrenbeck: Gefallenengedenken in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“. In: Politische Inszenierung im 20. Jahrhundert. Zur Sinnlichkeit der Macht. Hg. v. Sabine Arnold, Christian Fuhrmeister und Dietmar Schiller. Wien [u. a.] 1998, S. 35–55 [hier: S. 47]: „[D]er Tod der Märtyrer hatte sich durch die Machtergreifung in einen Sieg verwandelt, der 9. November wurde zum Anbruch einer neuen Zeit erklärt.“ 405 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 75. 406 Viera: SA.-Mann Schott, S. 67.



368 

 5 Analyse ausgewählter Romane

letztlich der ‚Weg‘ der säkularen Märtyrer noch längst nicht zu Ende, wie Reichardt verdeutlicht: Die nationale Erlösung vollzog sich somit nicht durch einen metaphysischen Zusammenhang, sondern durch das tätige Beschreiten eines populistisch wie gewaltsam gestützten Weges der Machterringung. […] Im Unterschied zum Opfertod Christi, der den Menschen schon das ewige Leben geschenkt hatte, beendeten die faschistischen Toten keinen Zyklus, sondern appellierten an das Weitermachen der Lebenden, was immer wieder neue Opfer, quasi Christustode am Fließband, erforderte.407

Genau dies erklärt auch die funktionale Reaktivierung der Märtyrergestalten insbesondere zu Beginn des Zweiten Weltkrieges und die 1940 erfolgte Neuauflage eines Werkes wie Utz kämpft für Hitler des als ‚Konjunkturschriftsteller‘ deklarierten Autors Viera (vgl. 3.1.5). Mit den Begriffen ‚nationalsozialistische Revolution‘ und ‚Machtergreifung‘ erschufen die Nationalsozialisten dann selbst das, was gemeinhin als ‚Reichgründungsmythos‘ bezeichnet wird. Schließlich fand eben keine soziale Umwälzung der Lebensverhältnisse (insbesondere von Arbeitern) statt und auch die Macht erlangte Hitler zunächst durch eine verfassungsmäßige Machtübergabe. Klaus Vondung spricht daher vor dem Hintergrund der propagandistisch geprägten nationalsozialistischen Selbstdarstellung und Außenwirkung in Bezug auf den Begriff der ‚nationalsozialistischen Revolution‘ von einer bewussten Mythenkonstruktion, die nur als „Bewußtseinsphänomen“ gelten könne: Was die „Revolution“ im Sinne einer fundamentalen Umwälzung für die Nationalsozialisten war, wurde durch Ritual und Mythos nicht nur erhellt, sondern überhaupt erst konstituiert. Dies bedeutet, daß es die nationalsozialistische Revolution als fundamentale Umwälzung des ganzen Lebens lediglich als Bewußtseinsphänomen gab, allerdings vergegenwärtigt und dadurch erlebbar gemacht im Ritual und bekräftigt durch den Mythos.408

Doch nicht nur vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Machtübernahme konnte die ‚Wahrwerdung‘ der NS-Visionen der ‚Kampfzeit‘ als ‚Beweis‘ gefeiert werden, auch die Roten Eine-Mark-Romane haben mit der realen Existenz des Sowjetstaates „den Wahrheitsbeweis der Revolution“409 (vgl. dazu 5.1.1) für sich gepachtet, wie S.S. Utah eindrücklich demonstriert. Hier wird ebenfalls

407 Reichardt: „Märtyrer“ der Nation, S. 201. 408 Klaus Vondung: Revolution als Ritual. Der Mythos des Nationalsozialismus. In: Hier, hier ist Deutschland… Von nationalen Kulturkonzepten zur nationalsozialistischen Kulturpolitik. Hg. v. Ursula Härtl, Burkhard Stenzel und Justus Ulbricht. Göttingen 1997, S. 45–56 [hier: S. 55]. 409 Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 234.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 369

vor dem Hintergrund des ‚Sowjetmythos‘ an unbedingte Nachfolge und Opferbereitschaft appelliert und die baldige Realisierung eines kommunistischen Staates nach sowjetischem Vorbild in Aussicht gestellt: „Jeder Arbeiter muß erkennen, daß unsere russischen Kameraden den Beweis für all diese Dinge führen, und daß deshalb die Sowjetunion unser wirkliches Vaterland ist, daß wir bis zum letzten Mann verteidigen müssen!“410 Die stetige Bekräftigung dieser Aussagen und ‚Beweise‘, nicht nur in literarischen Medien und in der parteipolitischen Berichterstattung, sondern vor allem durch ritualisierte Gedenkveranstaltungen, Lieder, öffentliche Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen mit der Sowjetunion, parteipolitische Reliquien (wie rechtspolitisch der ‚Blutfahne‘ und linkspolitisch der ‚Lenin-Ecke‘) sowie die parteipolitische Inszenierung der Beerdigung der im Straßenkampf ums Leben gekommenen Parteimitglieder von linker wie rechter Seite mit den jeweils gegenseitigen Störmanövern, festigten den Gehalt der Märtyrermythen und verliehen ihnen durch ritualisierte Formen Erlebnisgehalt und lebensweltlich-sinnliche Nachvollziehbarkeit. Die untersuchten Romane bauen auf eben diese Wahrnehmungsformen und tradierten Märtyrerkonzepte auf und liefern dabei gleichzeitig ihren literarischen Beitrag zur fortschreitenden Märtyrerstilisierung.411 Die Konstruktion solcher zumeist emotional aufgeladener „Wahrnehmungsfilter“412 und Scheinkausalitäten, aus denen Handlungsbedarf abgeleitet wird, dient somit nicht nur der eigenen Opferbereitschaft und positiven Selbstdarstellung wie heroischen Selbstaufwertung, sondern inkludiert auch die Bereitschaft, andere zu opfern bzw. zu töten, festigt tradierte Feindbilder und kreiert neue, legitimiert Gewalt und lenkt den Blick auf den ‚inneren Feind‘ sowie

410 Pell: S.S. Utah, S. 17. 411 Am deutlichsten wird dies am Beispiel des Horst Wessel-Romans von Viera, der sich mit zahlreichen intertextuellen Bezügen auf das konkrete zeitgeschichtliche parteipolitische Gedenken an Wessel bezieht und dieses zusätzlich überhöht. So wird nicht nur das in der nationalsozialistischen Gedenkpraxis ritualisierte Aufrufen der ‚Blutzeugen‘ und deren absolute Nachfolge, signalisiert durch die Mitglieder der SA und deren „Hier!“-Rufe, am Ende des Romans imitiert (vgl. Viera: Horst Wessel, S. 74), sondern auch das Horst-Wessel-Lied ist komplett abgedruckt und wird besonders zum Romanende hin ständig wiederholt (S. 38–39, 70, 73, 74, 76, 78). Darüber hinaus stehen die beiden Zeilen des Liedes, die konkret auf verstorbene Kameraden und Märtyrertum verweisen, ganz am Schluss des Buches: „Kam’raden, die Rotfront und Reaktion erschossen, marschier’n in unseren Reihen mit.“ (S. 78) und sollen somit appellativ zur Nachfolge der Märtyrer bzw. zur Bekämpfung des genannten Gegners anspornen. Zur immensen Bedeutung des Horst-Wessel-Lieds das „nach 1933 zur zweiten Nationalhymne“ wurde vgl. Alfred Roth: Das nationalsozialistische Massenlied. Untersuchungen zur Genese, Ideologie und Funktion. Würzburg 1993, S. 105–106. 412 Behrenbeck: Der Kult um die toten Helden, S. 152.



370 

 5 Analyse ausgewählter Romane

auf soziale Disziplinierungsverfahren. Auf diese Weise schließt das Bild vom Helden bzw. Märtyrer immer auch den Feind mit ein, den es auf dem Weg zur Umsetzung der jeweiligen politischen Idealvorstellung als feindliches Prinzip zu vernichten gilt (vgl. 5.3.3). Trotz vieler Gemeinsamkeiten in der Stilisierung, Präsentation und Funktionalisierung der Märtyrerfiguren gibt es doch entscheidende Unterschiede zwischen den hier untersuchten rechts- und linkspolitischen Konzeptionen. Dies ist zuallererst natürlich die ideologische Basisdifferenz, also die inhaltliche Ausfüllung dessen, wofür es sich zu sterben lohnt und welches Gesellschaftsmodell angestrebt bzw. mit aufgebaut werden soll: Volk, Nation und rassenbasierte ‚Volksgemeinschaft‘ auf der einen oder Klasse, Internationalismus und kommunistische Solidargemeinschaft auf der anderen Seite. Daraus resultiert auch in gewissem Maße die Unterscheidung der Märtyrer bezüglich ihrer Verortung in Zeit und Raum, funktionalisierten die Nationalsozialisten doch das Sterben für Volk und Vaterland im Ersten Weltkrieg für ihre Zwecke. Diesen Unterschied betont auch Grunenberg: „Während der rechte Helden-Typus aus der Vergangenheit ersteht und der Zukunft zugewandt ist, erhebt sich der linke Held aus der Projektion einer lichten Zukunft, die auf die Gegenwart zurückstrahlt. Beide aber denken in Freund-Feind-Schemata.“413 Schließlich unterscheiden sich auch die Phasen der (literarischen) Konjunktur der jeweiligen Märtyrermythen. Erweisen sich die ‚Kampfzeitmythen‘ der Nationalsozialisten vor allem in der Endphase der Weimarer Republik und der Zeit der Machtübernahme, also um 1933, als besonders funktional und werden insbesondere nochmals kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs reaktiviert (vgl. 3.1.5), so spielen sie nach 1945 begründeterweise kaum eine Rolle.414 Der Serie der Roten Eine-Mark-Romane würde Unrecht widerfahren, wenn sie lediglich auf die gewalttätige Schilderung mythisch verklärter ‚Arbeiterkämpfe‘ reduziert wird. Wie die Untersuchung von Konzept und Realisation der Reihe gezeigt hat, stützen sich lediglich die ersten drei Romane sowie der letzte Roman auf die heroische Schilderung vergangener Arbeiterkämpfe (vgl 2.1.1). Das Profil

413 Grunenberg: Antifaschismus – ein deutscher Mythos, S. 81. 414 Ein erschreckendes Beispiel für die Reaktivierung der ‚Blutzeugen‘ in der neonazistischen Szene ist die nun bereits in zweiter Auflage erschienene, gleichermaßen tendenziös wie aufwändig gestaltete, 616 Seiten umfassende Publikation von A.[ndré] K. Busch: Blutzeugen. Ein Beitrag zur Praxis politischer Konflikte in der Weimarer Republik. 2., überarb. und erw. Auflage. Fretterode 2010. Was von dieser äußerst fragwürdigen Schrift mit Vor- und Nachworten aus dem rechtspolitischen Umfeld zu halten ist, erläutert zumindest in Grundzügen die Rezension von Elmar Vieregge: Literatur aus der „Szene“. Nationalsozialistischer Märtyrerkult. In: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 22 (2010), S. 308–312.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 371

der Reihe, deren Romane auch das Leben und die Organisation in Betriebs- und Straßenzellen (wenn auch mit ebenfalls heroischer Färbung der Kollektiv- und Arbeitshelden) sowie die spezifische Problematik des Abtreibungsparagraphen § 218 schildern, ist somit konzeptuell sehr viel ambitionierter, auch an Alltagsfragen orientiert und daher thematisch weitaus vielfältiger als beispielsweise die Viera-Romane, die im Prinzip allesamt Variationen des einen Themas sind: heroisches Märtyrertum in der ‚Kampfzeit‘. Für die SED hingegen waren die ‚antifaschistischen Helden‘ der Weimarer Republik und des ‚Dritten Reiches‘ im Rahmen des Kalten Krieges und für die Legitimation der DDR als sozialistischer Staat wieder durchaus funktional, soweit sie sich zur Konsolidierung von Herrschaft einsetzen ließen (vgl. 3.2.1).

5.3.3 Feinde und Verräter als ‚Mächte des Bösen‘ Konstitutiver Bestandteil eines dualistischen Weltbildes, in dem die Welt lediglich in Freunde und Feinde, Gute und Böse, Junge und Alte, Reiche und Arme etc. gespalten ist, ist natürlich neben dem positiven Helden bzw. dem heldenhaften Kollektiv, die sich in dieser Welt bewähren und die empfundene politische wie soziale Mangelsituation in der Weimarer Republik durch eine ‚Revolution‘ zum Besseren wenden sollen, der Widerpart, der eben diese zielgerichtete Umwälzung zum vermeintlich ‚besseren Leben‘ mit allen Mittel verhindern möchte und darum aus dem eigenen Selbstverständnis heraus rigoros bekämpft werden muss. Jede Darstellung eines Helden, insbesondere die des Märtyrerhelden, ist also mit der Identifizierung und dem Appell zur Unschädlichmachung des Feindes verbunden, beide Prinzipien scheinen nicht ohne einander auszukommen, sind vielmehr interdependent aufeinander bezogen, was auch Günther betont: Die auffällige Kontrastierung unterstreicht, daß Held und dämonischer Feind untrennbar zusammengehören, sich gegenseitig bedingen. Der Feind fordert das Handeln des Helden heraus, und der Held artikuliert sich im Konflikt mit dem Feind.415

Ohne Feind also kein Handlungsanlass und keine heldenhafte Bewährung des Protagonisten. Nur das Zusammenspiel der beiden feindlichen Prinzipien entwickelt folglich die notwendige (Eigen-)Dynamik zur Kanalisierung und Bündelung

415 Hans Günther: Der Feind in der totalitären Kultur. In: Kultur im Stalinismus. Sowjetische Kultur und Kunst der 1930er bis 1950er Jahre. Hg. v. Gabriele Gorzka. Bremen 1994, S. 89–100 [hier S. 95].



372 

 5 Analyse ausgewählter Romane

frei flottierender diffuser Gefühle von Angst und Deprivation, denen auf diese Weise ein konkretes Ziel, Grund und Anlass zum Handeln zugleich gegeben wird. Im Zusammenhang mit tradierten, allgemein bekannten Sprachmustern und Assoziationen werden so plastische Bilder vom Feind und Verhaltenslatenzen geformt: Die emotionalen Sprachformeln und Bilder, die zur Vermittlung von Feindbildern eingesetzt werden, prägen die spontanen Vorstellungen vom Feind. Auf diese Weise erhalten die vorhandenen Ängste einen greifbaren Grund, die dunklen Antriebskräfte und Aggressionen ein konkretes Ziel. Verhaltensabsichten werden erzeugt, die in Gewalt und Zerstörung umgesetzt werden (können). […] Das zentrale Problem ist also darin zu sehen, daß die pathologischen Feindbilder differenziertes Denken beeinträchtigen, die überlegte Steuerung des Verhaltens außer Kurs setzen und gewalttätige Auseinandersetzungen unterstützen, möglicherweise sogar verursachen. Da solche Auseinandersetzungen eine Eigendynamik entfalten, sind sie Sprengstoff für jede Gesellschaft.416

Dabei tritt in allen untersuchten Romanen der Feind sowohl als allumfassender Kollektivaktant417 zum Schüren diffuser Ängste und einer übermächtigen Bedrohung als auch in Form von konkreten personalen Aktanten418 auf, die exemp-

416 Werner Kroeber-Riel: Feindbilder – zur Pathologie zwischenmenschlicher Beziehungen. In: Kommunikative Beeinflussung in der Gesellschaft. Kontrollierte und unbewusste Anwendung von Sozialtechniken. Hg. v. Werner Kroeber-Riel, Gerold Behrens, Ines Dombrowski. Wiesbaden 1998, S. 163–200 [hier: S. 173, 175]. 417 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 37: „Die Grünen lachten laut und schlugen auf den immer wieder Hinstürzenden ein.“ Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 69: „Die Sozialdemokraten haben Euch verraten.“ Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 54: „[…] mit der üblichen Medizin-Mixtur der Faschisten – Patriotismus, Religion, Rassenhaß und Bolschewistenfraß.“ Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 38: ironischer Erzählerkommentar in Bezug auf ‚gemeinschaftsschädliche‘ Kriegsgewinnler: „Wenn so vielen der Appetit vergeht, haben die Vielfraße gute Zeit.“ Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 160–161: „Der Gegner lauert im Hinterhalt und knallt sie ab, sowie eine Gelegenheit sich bietet. […] [W]o hundert Gegner auf einen von ihnen kommen, wo in jeder Toreinfahrt verdächtige Gestalten sich ducken.“ Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 19: „Aber wir Nationalsozialisten haben es doch mit verbrecherischen Drahtziehern zu tun, die in Moskau sitzen, und hier in Berlin im Karl-Liebknecht-Haus. Und unterstützt werden diese Volksfeinde von den Dummen und Feigen, von den Verbrechern der Unterwelt und von den Bonzen, denen um ihre einträglichen Posten bange ist.“ 418 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 53: das Gesicht des ‚Sozialfaschismus‘ wird von Trauten verkörpert: „Trauten hatte ihm mit seinem widerwärtigen Grinsen die Politik seiner Partei offenbart.“ Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 71: Der Krankenkassenangestellte Mädicke als einfältiger, feiger und schwächlicher Repräsentant der aufstrebenden Angestelltenschicht, der von seiner Frau unterdrückt wird, den von ihr angestrebten Lebensstatus finanzieren soll und sich dem Elend der Arbeiter gegenüber ignorant zeigt: „Meinetwegen können sie alle krepieren…“ Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 15: Blacky als „Typ eines jungen Faschisten“ mit bürgerlicher Her-





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 373

larisch eine sehr viel plastischere Ausgestaltung der „Gesichter des Bösen“419 ermöglichen. Wie bereits unter 1.2 erläutert, kommen stereotyper Wahrnehmung und vor allem Feindbildern in gesellschaftlich unübersichtlichen Krisenzeiten besondere Bedeutung zu, da sie Komplexität reduzieren, (Gruppen-)Identitäten stabilisieren, für den Erhalt von Gruppenkohäsion sorgen sowie Aggression kanalisieren und somit durchaus als Entlastungsmechanismus wie als Rechtfertigungsmuster von Gewalt dienen können. Dabei handelt es sich auch bei den Feindbildern mehr oder minder um ‚Bewusstseinsphänomene‘, die oftmals eher Rückschlüsse auf den Träger des Feindbildes als auf den eigentlichen Feind zulassen: Feindbilder sind vor allem die Konsequenz kollektiver Ängste und Krisenstimmungen, deren Ausprägung weit über das hinausgehen kann, was sie ursprünglich auslöste. Sie haben insofern mehr mit der Situation des Wahrnehmenden zu tun als mit dem vermeintlichen „Feind“; sie sagen mehr über das Selbstverständnis des Individuums oder der Gruppe aus als über das, was ihre Ängste auslöste.420

Diesbezüglich ist eine weitere Differenzierung in Bezug auf die Feindbilder essenziell: die Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Feind; wobei es durchaus möglich ist, dass es Überschneidungen zwischen beiden gibt (vgl. Schaubild Personenstruktur) und der Gegner aus den eigenen Reihen, dem ohnehin ein starkes bis vorrangiges Maß an Aufmerksamkeit gewidmet wird, als vom äußeren Feind infiltrierte, ‚zersetzende‘ Kraft gilt und in Funktion des Verräters oder Spitzels auftritt. So stehen bei Beumelburg im Rahmen des präsentierten Mikrokosmos der Kameradschaft deutlich die zahlreichen Varianten des inneren Feindes vor dem

kunft: „Bürgerwehr“, „Bibelglauben“, „Chrysler-Wagen“, „Villa“. Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 64: lächerlich machende Beschreibung von Spieß Braschke als ‚Kameradenschwein‘, der Geppert aus der Etappe beim Hauptmann verpetzt: „Braschke schnaubt wie ein Nilpferd, das aus dem Wasser kommt. […] Braschkes Gesicht ist ein Hohn auf den letzten Schöpfungstag.“ Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 19: „Stoppel steht vor Heini, gegen den leuchtenden Hintergrund, breit, massig, schwer, ein großes drohendes Tier.“ Vgl. Viera: SA.-Mann Schott: Vater Nürpke als Verkörperung der Sozialdemokratie, der mit dem jüdischen ‚Genossen‘ Mosessohn unlautere Geschäfte macht und in der Kapitelüberschrift auf S. 22 als „Ein widerlicher Bonze“ bezeichnet wird; Mosessohn möchte „Berge von Devisen“ „zum Schaden des deutschen Volkes ins Ausland verschieben“ (S. 76), wird in letzter Sekunde von SA.-Mann Schott aufgehalten und als ‚Volksverräter‘ und ‚Volksschädling‘ entlarvt. 419 Sam Keen: Gesichter des Bösen. Über die Entstehung unserer Feindbilder. München 1993. 420 Hans-Michael Bernhardt: Voraussetzungen, Struktur und Funktion von Feindbildern. In: Feindbilder in der deutschen Geschichte. Studien zur Vorurteilsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Christoph Jahr, Uwe Mai und Kathrin Roller. Berlin 1994, S. 9–24 [hier: S. 14].



374 

 5 Analyse ausgewählter Romane

eigentlichen äußeren Kriegsfeind, dem Franzosen. Die inneren Konfliktlinien von praxisfernem Stab und Etappe gegenüber der kampferprobten Gruppe der Frontkämpfer, der Gegensatz von Heimat und Front sowie Verachtung und Misstrauen gegenüber allen ‚Gemeinschaftsschädlingen‘, die als Zweifler, Kriegsgewinnler, Schwächlinge, Drückeberger – zusammengefasst: als „Schlappschisser“421 – stigmatisiert werden, stellen den Fokus des Feindbildes dar und fallen zumeist der Verspottung anheim. Humor dient hier dezidierter als in allen anderen untersuchten Romanen zur Ab- und Ausgrenzung unerwünschter Verhaltensweisen prototypisch gestalteter Charaktere und markiert sehr eindrücklich den Bereich zwischen In- und Outgroup.422 Dabei ist die allgemeine Erinnerung an die ‚Kameradenschweine‘, wie sie in Gruppe Bosemüller und darüber hinaus in vielen weiteren Kriegsromanen unterschiedlichster politischer Couleur artikuliert wird, ohne explizite Kontextualisierung zunächst noch multifunktional einsetzbar und enthält dadurch vielfältig nutzbares politisches Potenzial, das sich vor dem Hintergrund der Weimarer Republik mit unterschiedlichen (ideologisch motivierten) Feindvalenzen aufladen lässt. Erll konkretisiert diese Realisierungsmöglichkeiten folgendermaßen: „Sie [die Darstellung] kann gleichermaßen für die Erinnerung an die verlorene Generation, für die kommunistische Kriegsgegnerschaft wie auch für die kriegsbejahende Dolchstoßlegende funktionalisiert werden.“423 Vor dem weiteren Kontext des Romans, der die (Kriegs-)Kameradschaft als zentrales Gesellschaftskonzept in den Mittelpunkt rückt und damit nahezu nahtlos für den nationalsozialistischen Gedanken der ‚Volksgemeinschaft‘ anschlussfähig macht (vgl. 5.3.1), wird jedoch ganz deutlich, wie sehr Beumelburg und weitere konservativ-nationale Autoren letztendlich im Sinne der Dolchstoßlegende mit ihren rechtspolitischen Versionen der Kriegsausdeutung Erinnerungshoheit gewannen. Die quasi

421 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 350. 422 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 303: Kritik am Stab durch die Fäkalsprache der Truppe: „Die haben einfach die Hosen voll, diese Schleimscheißer. […] [D]iese Kerle sind ja zu nichts fähig, als ihre Hosen vollzukleckern…“; S. 222–223: Major in Unterhosen, sowie längere, ironisch geprägte Erzählerkommentare zum Verhalten des Stabs (S. 306–308), die zu dessen doppelter Verdammung führen. Vgl. die Charaktere Benzin, als „raffinierte[r] Taktiker“ (S. 93) und Simulant von Darmproblemen (S. 28, 84, 93, 103), und Krakowka, der Typus des verfressenen Kriegsgewinnlers (S. 29, 30, 58, 102, 109), deren redundante und bizarre Beschreibungen von unkameradschaftlichem Verhalten zur Affektabfuhr des Lesers führen und anscheinend auch innerhalb der fiktiven Gruppe Affekte umleiten, wie Bosemüller auf S. 184 formuliert: „[…]‚ das mit dem Krakowka ist eine elende Sache. Ich meine, jetzt könnten wir überhaupt nicht mehr lachen in der Gruppe.“ 423 Erll: Gedächtnisromane, S. 295.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 375

‚didaktische‘ Funktion des Krieges und dessen Lektionen in Sachen Kameradschaft sind es dann auch, die die innere Dynamik der Gruppe und das Bewusstsein für Abweichler stärker in den Vordergrund drängen als das Bewusstsein für den äußeren Kriegsfeind, den Franzosen. Busch bemerkt hierzu: [D]as „Kriegserlebnis“ und die „Erziehung“ der deutschen Frontsoldaten zu einer Gemeinschaft, aus der später die nationale entstehen soll, [stehen] so sehr im Vordergrund […], daß der jeweilige [äußere, Ergänzung M.M.] Gegner kaum Aufmerksamkeit verdient.424

Die Franzosen werden zumindest im Kampf Mann-gegen-Mann als faire, ebenbürtige Gegner geschildert, was zumeist zur eigenen Selbstaufwertung geschieht.425 Vor allem vor dem Hintergrund moderner Kriegsführung und zunehmend anonymisierter Kriegshandlungen wird am Beispiel der Unterlegenheit der Deutschen in der Luft doch eine deutliche Feindvalenz geschaffen: Bewundert Siewers die Fliegerkunst der Franzosen anfänglich noch und werden seine Wahrnehmungen plastisch und zunächst recht verharmlosend anhand von Analogien beschrieben („wie muntere Käfer“, „wie behende Katzen“, „wie ein Meteor“426), so werden anschließend die französischen Jagdflieger im Rahmen eines Luftangriffs umso eindrücklicher als „Schlächter“427 und „Räuber“428 geschildert, gegen die der gemeine Soldat keine Chance hat. Dass die Deutschen sich im Ersten Weltkrieg ebenfalls moderner Kriegsmittel (insbesondere des Gasangriffs) bedienten, wird an dieser Stelle verschwiegen. Die neuen Dimensionen des modernen Massenkriegs mit Gas, Luftangriffen, Maschinengewehren und Granaten sind es dann auch, die die ‚Besserwisser‘ an der Heimatfront, die immer noch von Bajonettkämpfen reden und denen die neue „Kriegsführung unnötig kompliziert“429 erscheint, in ihren Einschätzungen als vollkommen an der Kriegsrealität vorbei und weltfremd erscheinen lassen.430 Die traditionelle Schilderung eines zumindest kräftemäßig ebenbürtigen Gegners zur heroischen Selbstaufwertung bleibt offenbar ein tradiertes Mittel von Feindbildkonstruktionen,431 das sich auch in den anderen untersuchten Romanen im Rahmen der innenpolitischen Auseinandersetzungen findet, natür-

424 Busch: „Und gestern, da hörte uns Deutschland“, S. 108. 425 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 60, 180–181, 188–190. 426 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 219. 427 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 226. 428 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 227. 429 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 80. 430 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 79–82. 431 Vgl. dazu u. a. Keen: Gesichter des Bösen, S. 69–75.



376 

 5 Analyse ausgewählter Romane

lich auch deshalb, weil sie alle als Kampf Mann-gegen-Mann beschrieben werden und die Mittel moderner Kriegsführung hier keine Rolle spielen. Diese Konstruktion von Ebenbürtigkeit soll zum einen Glaubwürdigkeit sichern, zum anderen auf die Größe der drohenden Gefahr, die die Mobilisierung fast übermenschlicher Eigenkräfte verlangt, hinweisen. Die heroische Selbstaufwertung impliziert dabei auch die Darstellung ethischer Überlegenheit, wie z. B. die eigene Fairness im Kampf, der in der Selbstdarstellung immer mit angemessenen Mitteln und in Notwehr gegen einen Aggressor ausgeführt wird. Dementsprechend werden auch bei Schenzinger die Kommunisten im Rahmen der atmosphärischen Schilderung der bedrohlich wirkenden Straßenkämpfe als ernstzunehmende Gegner bezeichnet: In Reinickendorf standen Tausende vor den Häusern, nicht weniger in Neukölln, am Wedding, im Osten, am Knie432, in Moabit. Sie standen wuchtig da, drohend, gefährlich. Die Hälfte von ihnen war seit Jahr und Tag ohne Arbeit, vergrämt, verbissen, hoffnungslos. Männer und Frauen standen da, Mädchen, halbwüchsige Burschen. Sie grüßten sich mit erhobener Faust. Ihre Gesichter waren hart vor Haß. Grau und schwer lag der Himmel auf den Dächern. Kein Kind war heute auf der Straße zu sehen. […] Überall flackerte die Empörung, die Drohung, der Zorn. […] Es wurde immer ruhiger in der Straße. Das Schweigen kroch hörbar näher.433

Die Darstellung ist sehr konkret, die Enumeratio der Stadtteile sowie die Schilderung des Rotfront-Grußes als gegnerisches Erkennungszeichen verbürgen Authentizität und schaffen Bezugspunkte zur Lebensrealität des Lesers; daneben bewirkt die Personifikation von Abstrakta Unmittelbarkeit sowie die emotionale Nachvollziehbarkeit der Anspannung und drohenden Gefahr. Bis auf eine Ausnahme434 verzichtet der Autor des Quex-Romans auf die Evokation diffuser Verschwörungstheorien, wie sie in den Viera-Romanen häufig zu finden sind; die komplexitätsreduzierende Zusammenziehung des Feindes ist jedoch auch für Schenzinger ein äußerst funktionales Verfahren, um je nach politischem Kurs und Adressatenkreis eine möglichst breite Projektionsfläche für Feindvalenzen zu bieten. Dieses Zusammenfassen des Gegners wird dabei erneut durch Authentizität verbürgende Verfahren geschickt verdeckt bzw. überlagert: So deutet Schenzinger, im Gegensatz zu den klaren Frontstellungen in den Viera-Romanen, in denen sich das Reichsbanner oder der Rotfrontbund (RFB) und HJ oder SA

432 Heute: Ernst-Reuter-Platz. 433 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 112–114. 434 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 160–161: „Der Gegner lauert im Hinterhalt und knallt sie ab, sowie eine Gelegenheit sich bietet. […] [W]o hundert Gegner auf einen von ihnen kommen, wo in jeder Toreinfahrt verdächtige Gestalten sich ducken.“





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 377

gegenüberstehen, zumindest die existierende Pluralität von Jugendverbänden in Rahmen der Weimarer Republik an435  – ohne daraus aber größere Konsequenzen zu ziehen, denn bereits auf der nächsten Romanseite läuft alles auf die Etablierung einer deutlichen Frontstellung und die Zusammenziehung des Feindes hinaus: Alle Jugendlichen, die aus der Perspektive des Romans unangemessenes Verhalten an den Tag legen, werden, im Kontrast zum disziplinierten Verhalten der HJ, der Clique zugeordnet, diese wiederum wird politisch aufgeladen und mit dem kommunistischen Gegner identifiziert: „Sie stehen fast durchweg in Verbindung mit der Kommune.“436 Ab diesem Zeitpunkt wird die Clique durchgehend als kommunistisch antizipiert, ohne dass über deren politische Gesinnung noch viele Worte gemacht werden. Vielmehr steht die Kriminalisierung ihrer Mitglieder, deren Gier nach Schnaps und Zigaretten,437 aber auch die geschickte Verwirrungstaktik des Gegners im Mittelpunkt, die es sogar vermag, in Heini Zweifel gegenüber den von ihm so bewunderten Nationalsozialisten zu wecken. So konfrontiert ihn ein proletarischer Junge mit „Schiffermütze[ ]“438 (dem zuvor anhand des Cliquenanführers Stoppel eingeführten äußeren Kennzeichen für linkspolitische Zugehörigkeit) mit dem Argument, die Überfälle auf SA-Heime seien von den Nazis selbst inszeniert worden, um Übergriffe auf Kommunisten als ‚Notwehr‘ zu legitimieren: „[…] Jeder Proletenjunge weiß, daß eure eigenen Leute die Kiste an der Apostelkirche gedreht haben. Eure eigenen Leute! Verstehst du. Glotz nicht so blöd. Einen Vorwand wollten sie sich verschaffen, kapierst du denn nicht? Es muß doch etwas passieren. Einer muß doch hernach angefangen haben, und das muß doch jedesmal der andere sein. So schießt man halt auf seine eigenen Leute. Was liegt schon daran. Ein paar mehr oder weniger. Das nehmen deine sauberen Brüder nicht so genau.“439

Unterstützt wird diese Argumentation von zahlreichen Zeitungsnachrichten der „Linksbl[ä]tt[er]“440. Heini ist daraufhin zunächst mundtot („er brachte kein Wort heraus“441); die von ihm als ungeheuerlich wahrgenommenen Vorwürfe lassen ihm jedoch keine Ruhe und er vertraut sich der Figur seines Mentors, dem Bann-

435 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 28: „Eine ganze Reihe von Trupps hatte sich angesammelt, meist Wandervögel, Jugendvereine, Wanderbünde.“ 436 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 29. 437 Vgl. u. a. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 29–33, 38. 438 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 181: „Burschen in Schiffermützen“. S. 18: Beschreibung von Stoppel: „trägt eine Schiffermütze tief in die Stirn gezogen“. 439 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 181. 440 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 180. 441 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 182.



378 

 5 Analyse ausgewählter Romane

führer, an, der  – innerhalb eines vorgeblich freien Meinungsaustauschs  – alle Zweifel im Nu zerstreut und mittels didaktischer Kommentare auf die feindliche Propaganda verweist, wobei er die Metapher vom ‚Wort als Waffe‘ bedient und den Gegner der Lüge und „Verdrehung“ vermeintlicher ‚Tatsachen‘ bezichtigt: „Unser Gegner benützt dauernd die Verdrehung als Waffe. Wie du siehst, ist sie gefährlicher für uns als seine Pistolen.“442 Den Gegner unter einseitiger Betrachtung von Sachverhalten und Weglassung von Details, die der Feindbildkonstruktion unzuträglich wären, auf das Schema des infamen ‚Lügners‘ zu reduzieren ist dabei Grundelement fast aller untersuchten Romane. Immer wird offensiv dem Feind das vorgeworfen, was zu großen Teilen Taktik der eigenen Propaganda ist: Die ‚Verdrehung‘ bzw. Auslegung von ‚Tatsachen‘ zum eigenen Vorteil. So heißt es beispielweise in den ironischen Erzählerkommentaren der Viera-Romane: „So ist es richtig! Nur die Tatsachen recht häßlich ins Gegenteil verdrehen!“443, „So ist es recht! Erst soll der dicke Lausejunge dem wehrlosen Will den Kopf einschlagen und weil das nun nicht geht, wird aus dem feigen Angreifer schnell ein bedauernswertes Opfer gemacht.“444 Der Vorwurf der Inversion von Täter- und Opferstrukturen ist typisch für die Viera-Romane. Stets wird die Eigengruppe als Opfer raffiniert getarnter gegnerischer Angriffe dargestellt, letztendlich wird in diesem Zusammenhang auch der Vorwurf an die Rechtsprechung der Weimarer Republik erhoben, nicht adäquat zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden und immer ungerechtfertigter Weise die Nationalsozialisten anzuklagen.445 Die äußerst undifferenzierte Selektivität der Eigenwahrnehmung ist an diesen Stellen besonders augenfällig und wirkt recht plump, ist aber im Rahmen von Feindbildkonstruktionen nicht unüblich: Charakteristisch für die Verfechter derart manichäischer Weltbilder war, sich als Leidtragende, als verfolgte Unschuld sehen zu wollen. Man wähnte sich von Feinden umgeben und sah es prinzipiell als gerechtfertigt an, als bedrängtes Opfer in einer existenziell bedrohlichen Situation gewaltsamen Widerstand zu leisten.446

Werden bei Schenzinger die didaktischen Warnungen vor der gegnerischen Propaganda und der Vorwurf der Lüge zumindest mit dem Plot verknüpft und sorgen sogar für eine kurzfristige Verunsicherung des Helden, so wird bei Viera der Feind,

442 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 187. 443 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 30. 444 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 8. 445 Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 74: „Und nicht die Verräter stehen als Angeklagte vor Gericht, sondern die Verratenen.“ 446 Bernhardt: Voraussetzungen, Struktur und Funktion von Feindbildern, S. 17.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 379

wann immer er nur auftritt oder thematisiert wird, pauschal der Lüge bezichtigt, ohne darauf einzugehen, wie der Gegner argumentiert oder zumindest scheinrational unter Suggestion einer freien Aussprache dessen Argumente zu entkräften. Letztendlich illustrieren alle Viera-Romane das in SA.-Mann Schott formulierte bipolare Prinzip: „Die Guten sammeln sich um Adolf Hitler, die Schlechten rüsten sich zu neuem Verrat, neuer Tücke, Hinterhalt, Lüge und Mord.“447 Auch hier ist die Zusammenziehung der genannten Gegner essentiell für das vermittelte Feindbild, wobei sich die unterschiedlichsten Kombinationen finden: „Aber darin sind sich die Roten und die Bürgerlichen ja seit Beginn der großen Bewegung einig: keine Lüge ist so gemein und dick, um sie nicht als hinterlistiges Geschoß auf die NSDAP und ihren großen Führer loslassen zu können.“448, „Sozialdemokraten verbünden sich mit Kommunisten“449 sowie die für die Nationalsozialisten besonders charakteristische Zusammenziehung antisemitischer und antimarxistischer Bilder vom Feind zur ‚jüdisch-marxistischen Weltverschwörung‘,450 wie sie beispielsweise im Utz-Roman im Rahmen des Decknamens „Alt-Zionisten“451 für die geheimen Treffen des Rotfrontbundes zum Ausdruck kommt. Plakative und vor allem affektiv aufgeladene Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die zumeist im Rahmen manifester Gewaltdarstellungen von Angriff und Abwehr zum Tragen kommen, dominieren die Handlungsepisoden der Viera-Romane so sehr, dass die eigentliche politische Sache, für die hier eingetreten und geworben wird, stark in den Hintergrund rückt und schließlich nur durch die Nennung eines begrenzten Inventars an Schlagworten, Phrasen, Parteiabzeichen, -märtyrern und -politikern aufgefüllt wird. Insbesondere Viera setzt auf die Kontrafaktur bekannter kommunistischer Schlagworte und Slogans, wie sie vor allem im

447 Viera: SA.-Mann Schott, S. 67. 448 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 30. 449 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 54. 450 Zur Amalgamierung von antisemitischen und antimarxistischen Stereotypen als Feindbildkonstruktion der Nationalsozialisten vgl. Andreas Ristau: „Die marxistische Weltpest“. Das antimarxistische Feindbild der Nationalsozialisten. Entstehung, Entwicklung und Struktur bis 1923. In: Feindbilder in der deutschen Geschichte. Studien zur Vorurteilsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Christoph Jahr, Uwe Mai und Kathrin Roller. Berlin 1994, S. 143–172. 451 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 35–37. Vgl. auch Viera: Horst Wessel, S. 8: „Und diese Männer, Rotfrontler und Jude, knechten Berlin, bekämpfen die Freiheitsbewegung Adolf Hitlers mit allen Mitteln, auch mit ungesetzlichen.“ Auch hier wieder die für die Darstellungen von Viera typische Metapher der ‚Knechtschaft‘, um sich einerseits als verfolgtes Opfer auszugeben und den Gegner zu kriminalisieren („ungesetzlich[ ]“), andererseits kontrastiv dazu die Betonung des Ethos der Eigengruppe unter Referenz auf das politische Hochwertwort der ‚Freiheit‘.



380 

 5 Analyse ausgewählter Romane

zeitgeschichtlichen Straßenkampf in Form von Liedern452 und Singsprüchen zu finden ist. So wird der im Rahmen der ‚Sozialfaschismusthese‘ ursprünglich gegen die SPD gerichtete Slogan: „‚Wer hat uns ver.r.a.a.a.t.e.n?‘ […] ‚Die Sozialdemok.r.a.a.t.e.n!‘ […] ‚Wer macht uns fr.e.i!‘“ nicht mit ‚Die Kommunistische Partei‘, sondern mit „Die Hitlerpart.e.i!“453 beantwortet. Wie unter 5.2 erläutert, beginnen die Viera-Romane allesamt nach der Nennung einer Feindesliste mit den Prinzipien von Angriff und Abwehr und enden (bis auf den Utz-Roman) mit dem Sieg der eigenen Partei. Die Personenhülsen von Gut und Böse beinhalten dabei derart stereotype und überzeichnete Attribute, dass von Bewusstseinsschilderungen oder Argumentationsgängen nicht die Rede sein kann. Zur Ausgestaltung und Charakterisierung der Personen tragen u. a. die hohe Zahl an sprechenden Namen454 und die Simulierung des jiddischen Akzents455, der zur Verstärkung antisemitischer Vorurteile eingesetzt wird, bei. Überzeugen muss hier lediglich die affektive Dimension, sich auf der sicheren Seite der Guten zu wähnen und es den Bösen einmal richtig heimzahlen zu können, um eigene Gefühle der Deprivation (zumindest zeitweise) zu kompensieren  – ein, für an abenteuerliche Heftchenromane gewöhntes Publikum, bekanntes und geschätztes Schema, das sicherlich nicht seine Wirkung verfehlte. Doch die Schilderung von Gewalt dient nicht nur im Sinne der ‚Trivialliteratur‘ der ‚Affektabfuhr‘; die links- wie rechtspolitischen Romane nutzen diese populären Schemata vielmehr, um dazu aufzurufen, notfalls mit Waffengewalt den Kampf – je nach politischen Standpunkt – um die ‚Volksgemeinschaft‘ oder die klassenlose Gesellschaft fortzuführen. Nusser verweist auf den problematischen Aspekt von Gewaltdarstellungen in ‚Trivialliteratur‘, die oftmals der (bewussten) Schürung von Aggression und Gewaltbereitschaft dienen kann:

452 Vgl. Reinhard Dithmar: Das „gestohlene“ Lied. Adaptionen vom Liedgut der Arbeiterbewegung in NS-Liedern. In: Lieder in Politik und Alltag des Nationalsozialismus. Hg. v. Gottfried Neidhart und George Broderick. Frankfurt a. M. [u. a.] 1999, S. 17–33. Vgl. außerdem Roth: Das nationalsozialistische Massenlied, S. 119–137 [Kapitel 4.2.1: „‚Entwendungen aus der Kommune‘: Adaptionen, Bearbeitungen und Kontrafakturen von Arbeiterliedern“]. 453 Viera: Horst Wessel, S. 25. 454 So die als Vertreter des „rote[n] Mob[s]“ gekennzeichneten Schlägertypen Bumms Bruno und Messer Paule (vgl. Viera: Horst Wessel) sowie Athletenkarl (vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler), Karl Henselmann als intriganter und provozierender sozialdemokratischer Jugendlicher (vgl. Viera: Horst Wessel), Herr Muffig als überkommener Vertreter der Republik im Reichsbanner, Genosse Angstwurm als Bürodiener des SPD-Stadtrats Liesegang, Professor Marx als linksbürgerlicher Geschichtslehrer, sowie der Jude Genosse Mosessohn (alle in: Viera: SA.-Mann Schott). 455 Auf diese Weise wird z. B. die ‚Weltrevolution‘ als mit Geld und Auftragsmorden erkauft dargestellt, vgl. Viera: Horst Wessel, S. 69: „Die Wälträvolution wird es aich danken. Hier ist Gäld, wir verlangen von unseren Laiten nichts umäsonst.“





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 381

Zwar können die Aggressionen der Leser durch die gewaltsamen, meist durch Notwehrsituationen vordergründig legitimierten Aktionen der Identifikationsobjekte (der Helden) in der Phantasie abgeführt werden, […] doch geht diese mögliche Wirkung stets mit der Verfestigung von Feindbildern einher […]. Im übrigen können die Darstellungen gewalttätiger Handlungen, wenn sie wie die der Helden legitimiert erscheinen und mit Erfolg belohnt werden, durchaus auch aggressionsaufbauende Wirkung haben […].456

In Bezug auf die sprachliche Schilderung der Feindbilder besonders eindringlich ist die Dehumanisierung bzw. Dämonisierung des Feindes durch Metaphern aus dem Referenzbereich des Tierreiches und der Sphäre des Bösen. Die enthumanisierte Beschreibung des Gegners als Bestie oder Tier ermöglicht, die eigenen gewalttätigen Aktionen als ‚Notwehr‘ zu rechtfertigen. Wird in Der Hitlerjunge Quex lediglich der als feindlich wahrgenommene Cliquenanführer Stoppel als „ein großes drohendes Tier“457 beschrieben, der Heini sogar in Albträumen verfolgt: „Er fühlte sich plötzlich von einen großen Tier bedroht. […] Er wußte, Stoppel war hinter ihm her […]“458, so findet sich bei Viera vor allem in Der Kampf um die Feldherrnhalle nahezu das komplette Arsenal der Ungeziefer- und Krankheitsmetaphorik, um das Gesellschaftssystem der Weimarer Republik als überkommen, von „Fäulnis und Tod“459 geprägt darzustellen sowie die entsprechenden Feinde auf entmenschlichende Art und Weise zu diskreditieren und somit letztendlich auch die Vernichtung des Feindes nahezulegen.460 Zur Krankheitsmetaphorik bemerkt Pörksen: Eine derartige Etikettierung erlaubt es, die argumentative Auseinandersetzung mit den Ideen, die sich mit den genannten Weltanschauungen und Bewegungen verbinden, zu vermeiden. Sie sind nicht mehr diskursiv relevant, sondern allein in medizinisch-therapeutischer Hinsicht von Bedeutung. Es kommt aus dieser Perspektive, die stets eine existenzielle Bedrohung evoziert, nunmehr nur noch drauf an, diese zu beseitigen […].461

456 Nusser: Trivialliteratur, S. 138. 457 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 19. 458 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 44–45. 459 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 54. 460 Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 54: „Eiterfeld des heutigen Marxistendeutschlands“, S. 61: „Deutschland ist von fremdstämmigen Parasiten überwuchert, die den letzten Blutstropfen aus dem sterbenden Volk heraussaugen.“, S. 68: „Pesthöhle der roten ‚Münchner Post‘“. Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 64: Juden als „Schädlinge am Volkstum“. 461 Bernhard Pörksen: Die Konstruktion von Feindbildern. Zum Sprachgebrauch in neonazistischen Medien. Wiesbaden 2000, S. 182.



382 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Das Konzeptmuster der Darstellung von Feinden als Tier, insbesondere als „Parasit[ ]“462, findet sich hingegen auch in den Roten Eine-Mark-Romanen. Die enthumanisierte Beschreibung des Gegners als Bestie oder Tier soll vor allem in Sturm auf Essen zur Rechtfertigung der ‚Notwehr‘ der Arbeiter durch Waffengewalt dienen: „Wenn wir die Gewehre abgeben, dann fallen Tausende der Besten der Bestie in die Klauen.“463 Die Gegnerschaft von Polizei und Reichswehr, aber auch Bürger und Sozialdemokraten, Streikbrecher oder die konservative Schiffsleitung in S.S. Utah werden darüber hinaus mit einer Vielzahl von Tiernamen beschimpft.464 Das tradierte Schema der Darstellung von Menschen, insbesondere Gegnern, als Tiere gilt nach Silke Satjukow und Rainer Gries als „klassische[s]“ Feindbildmotiv465 und ist daher besonders effektiv: „Feind-Bild-Propaganda ist demnach dann besonders wirksam, wenn die eingesetzten, den vielen angebotenen Bildmotive auf ein bereits internalisiertes und verbreitetes inneres Feind-BildSchema ‚treffen‘ und wenn sie emotional stark besetzt sind.“466 Unabhängig von der jeweils vertretenen Ideologie zeigt vor allem diese entmenschlichte Wahrnehmung des Feindes die Radikalität der unterschiedlichen ‚Bewegungen‘ auf: „Das Gesicht des Gegners wird zur Fratze […] – aller menschlichen Züge beraubt, kann der politische Gegner so zum absoluten Feindbild gemacht werden […].“467 Dem Feind steht im Roten Eine-Mark-Roman die Masse der Proletarier gegenüber, die meist als natürliche und dynamisch-kraftvolle Einheit dargestellt wird. Dies geschieht in den untersuchten Romanen überwiegend anhand von

462 Pell: S.S. Utah, S. 17. Vgl. auch Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 51: „arbeiterschädliches Wurmzeug”, S. 95: „faule[s] Geschmeiß“. 463 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 149. 464 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 8: „fettes Schwein“ (als Sinnbild für Sozialfaschisten und Bonzen), S. 21, 41 u. a.: „das Vieh“ (für Mitglieder von Polizei und Bürgerwehr), S. 23, 33 u. a.: „verfluchte Saubande“, S. 27: „Hunde erbärmliche“ (gemeint ist jeweils die Polizei), S. 35: „Dreckaffen“ (zur Bürgerwehr), S. 51: „arbeiterschädliches Wurmzeug“, S. 95: „faule[s] Geschmeiß“, S. 149: „Bluthund Watter“. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 122: „Faschistenhunde!“, S. 34: „Du fettes Aast!“ (saturierter Metzger), S. 120: „Die Schweine schlagen wir zu Puppendreck!“ (gemeint sind die Nazis), S. 117: „Kommunistenfresser“ (Feind als Bestie). Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 7: „Hundesöhne“ (Kapitalisten), S. 19: „Bulldoggengesicht“ (Kapitän), S. 20: „Ratte“ (Verräter), S. 21: „Promenadenmischung“ (Professor), S. 48, 82, 84 u. a.: „Hunde“, S. 60: „kapitalistische Wölfe“, S. 45: „Bulle“ (Polizist), S. 50: „dreckige[s] Stinktier“. 465 Vgl. Silke Satjukow und Rainer Gries: Feindbilder des Sozialismus. Eine theoretische Einführung. In: Unsere Feinde. Konstruktionen des Anderen im Sozialismus. Hg. v. Silke Satjukow und Rainer Gries. Leipzig 2004, S. 13–70 [hier: S. 38]. 466 Satjukow/Gries: Feindbilder des Sozialismus, S. 29. 467 Eggerstorfer: Schönheit und Adel der Arbeit, S. 64.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 383

Demonstrationsszenen, die die Vorwärtsbewegung und die Macht der Masse, oft durch zahlreiche Naturmetaphern, eindringlich bis pathetisch schildern.468 In Kämpfende Jugend werden die unermüdliche und unaufhaltsame Vorwärtsbewegung und Kraft der proletarischen Massen sowie die Ohnmacht der Polizei in zwei unterschiedlichen Demonstrationsszenen auf gleiche Weise veranschaulicht, indem die sprachlosen Polizisten von der Masse „wie Puppen“469 zur Seite gestellt werden. Die Kampfbereitschaft der Arbeiter wird hier besonders durch die Beschreibung der angespannten Muskeln vergegenständlicht.470 Viele solcher Szenen enden mit dem Bewusstsein des Einzelnen, durch die Macht der Masse etwas verändern zu können. So formuliert Fritz Raup in Sturm auf Essen: „Man müsste doch glauben, daß wir mit der Masse die ganze Polizei mit all ihrem Krempel in die Tasche stecken können!“471 und Karl betont nach dem Nazi-Überfall auf die Nostitzstraße in Kämpfende Jugend: „Uns nützt nur die Massenaktion. Mobilisierung der gesamten Bevölkerung. An ihrem geschlossenen Widerstand müssen solche Ueberfälle scheitern.“472 Die martialische Schilderung der Revolutionäre Fritz Raup, Jupp Zermack und Murr als muskulöse Tatmenschen473 ergibt zusammen mit linkspolitischen

468 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 14: „Der Menschenwall schob sich zu ihm hin. […] Ein Wald Arme reckte sich hoch. […] Wie ein Sturmblock presste sich der erste Schwarm durch den dämmrigen Flur[.] […] In die Masse kam Bewegung. […] Immer größer schwoll der Menschenstrom an, schob sich hin und her, schwankte.“, S. 15: „Aus allen Häusern kamen sie, schlossen sich fragend und debattierend an. […] Es summte wie ein großer Bienenschwarm.“, S. 19: „Als hätte alle ein mächtiger Orkan aufgewühlt, aus dem Gemäuer ihrer Fabriken und Erdtiefen emporgeschleudert, hinausgespien. So standen sie, stampften ungeduldig den gesteinten Straßenboden. So marschierten sie unter brausenden Hochrufen und revolutionärem Gesang.“ Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 68: „Eine riesige rote Fahne flatterte hoch über den Demonstranten, schloß sie zur Einheit zusammen.“, S. 115: „Immer mehr schlossen sich an, auch Aeltere. […] Weiter. Immer weiter. […] ‚Na Jungs? Los, weiter! Immer mit! Immer mit!‘ […] Draußen drängte die dunkle Masse vorwärts. […] Ein Beben lief durch die Menge, einen Augenblick lang schreckte sie zurück, aber die Vordersten gingen weiter, rissen alles mit. ‚Vorwärts!‘“. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 143: „Die Streikposten drängten vorbei. Das Feuer des Kampfes springt plötzlich auch auf die Hafenarbeiter über. Sie rufen: ‚Wir machen mit Kollegen! Wir machen mit!‘“ 469 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 116: „Ein Knäuel von Armen packte zu und stellte sie wie Puppen auf den Bürgersteig“, vgl. S. 68 „Jemand packte ihn unter den Armen und stellte ihn beiseite. Weiter wogte der Zug. Der Gendarm staunte, viel trauriger als sonst hing sein Bart nach unten.“ 470 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 115, 127. 471 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 19. 472 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 124. 473 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 10: „Fritz Raup hat’s begriffen, der faßt das Ding bei den Hörnern!“, S. 11: „Es war Fritz Raup, ein Hauer in den Dreißig, mittelgroß, kräftig.“, S. 11:



384 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Märtyrervisionen (vgl. 5.3.2), dem Unterlaufen der rechtsstaatlichen Institutionen, denen gegenüber höchstes Misstrauen ausgesprochen wird und einem Funktionärsmonolog über den ‚gerechten Krieg‘ (vgl. 5.4.2) in Sturm auf Essen das Bild einer immer weiter voranschreitenden Radikalisierung der Arbeiter, die durch die möglichst unmittelbare Darstellung und oft emotional aufgeladene Schilderung vom Leser nachvollzogen werden soll. Wenn Rohrwasser von einem „proletarischen Lavaterismus“474 spricht, was die martialische Schilderung der Physiognomie der Arbeiter angeht und Christian Schultz-Gerstein allgemein für proletarisch-revolutionäre Romane postuliert: „Jeder Satz kommt hier wie aus der Pistole geschossen.“475, muss ihnen zumindest bei näherer Untersuchung der Originalausgabe von Sturm auf Essen beigepflichtet werden, zumal hier tatsächlich Aussagen und Forderungen mit Waffengewalt bekräftigt werden.476 Jedoch kann dieses Urteil nicht pauschal auf alle proletarisch-revolutionären Romane oder auf die Rote Eine-Mark-Roman-Reihe ausgedehnt werden, wie dies die Autoren tun. Die Untersuchung der anderen Romane hat gezeigt, dass neben gewalttätigen Auseinandersetzungen in S.S. Utah eine geschickte Streikpolitik zur Durchsetzung von Forderungen genutzt wird und in Kämpfende Jugend, außer bei der Abwehr eines Naziüberfalls, überwiegend verbale Gewalt und die Agitation durch Medien zum Tragen kommen. An zahlreichen Stellen von Kämpfende Jugend findet sich so im Sinne der Feindbildkonstruktion eine Gegenüberstellung von kommunistischer Parteipresse und bürgerlich-konservativer Presse.477 Dabei dienen die Montagen von

„[…] Jupp Zermack, ein langer, breitschultriger Ostpreuße.“, S. 44: [Zermack:] „Der einzige Weg ist – anpacken!“, S. 151: [Zermack:] „Jetzt genug mit dem Geschwätz, Kameraden, auf der Wache sind noch Gewehre! Nehmt sie und hin, den blutenden Kumpels an der Front zur Hilfe! Jetzt hilft nur noch eins: auf die Zähne gebissen und dringehauen!“, S. 113: „Unter dem Rock spannten sich die kraftvollen Muskeln.“ (Murr nach seinem Monolog über den ‚gerechten Krieg‘). 474 Rohrwasser: Saubere Mädel – Starke Genossen, S. 22 [Fußnote 6]. 475 Christian Schultz-Gerstein: Proletarisch-revolutionäre Romane. Wie aus der Pistole geschossen. Die Ideologie kommunistischer Agitationsliteratur. In: Die Zeit, Nr. 17 (18. April 1975), S. 22. 476 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 66: „Er wuchtete dabei zur Bekräftigung mit der Armeepistole.“, S. 95: „Er spielte wieder auffällig mit der Pistole: […] ‚Sie besorgen es!‘“, S. 95: „Zermack wuchtete mit der Pistole durch die Luft.“, S. 105: „[D]er Materialverwalter hat sich ja erst gesträubt; als wir ihm [sic!] aber die Knarre riechen ließen, kriegten wir gleich Benzin! So bereitwillig hat mich noch keiner bedient, nicht wahr?“ [falscher Kasus möglicherweise Ausdruck des Dialekts], S. 109: „Wenn ihr euch in fünf Minuten nicht spurlos verduftet habt, dann laß ich jeden, der erwischt wird, an die Wand stellen!“. 477 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 75: Text eines Flugblatts; S. 5, 56, 116–117: Plakattexte; S. 35: Text einer Radiomeldung; S. 29: Kontrastierung der unterschiedliche Zeitungstexte zum Tod Emils aus der Roten Fahne und einem bürgerlichen Blatt.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 385

Zeitungsmeldungen einerseits dazu, Slogans und Parolen der eigenen Partei, die teilweise sogar in Fettschrift optisch hervorgehoben sind, unaufhörlich zu repetieren und rufen andererseits zur kritischen Behandlung der gegnerischen Presse auf.478 Der Einsatz von Medien als zentrale ‚Waffe‘ im politischen Kampf drückt sich also nicht nur inhaltlich in der vorbildlichen Agitationsarbeit der Genossen aus, sondern wird auch formal durch die eingefügten Textbeispiele vermittelt, die dem Leser so plastische Vorstellungen davon geben, wie ein Flugblatt oder ein Artikel aus einer Straßenzeitung sprachlich aufgebaut sein muss. Außerdem stellen einige Textpassagen die gegnerische Rhetorik dar, welche in anschließenden Kommentaren oder durch die vorher geschilderten Umstände als verlogen und ‚wirklichkeitsverzerrend‘ entlarvt wird.479 Die Meldungen aus dem eigenen politischen Lager gelten dabei durchgängig als wichtiges Informationsmedium der Aufklärung über die gesellschaftlichen Verhältnisse, was sich im Roman daran zeigt, dass die unorganisierten Cliquenmitglieder Franz, Orje und Gustav erst nach der Lektüre eines Flugblattes und eines Artikels aus der Roten Fahne vollends einsehen, dass organisiertes politisches Engagement wichtig ist.480 Durch intertextuelle Verweise auf das Zeitungswesen der Weimarer Republik werden aber vor allem die aus Sicht der Kommunisten manipulativen, bürgerlichen Berichte des sozialdemokratischen Vorwärts und die Angriff-Berichterstattung der Nationalsozialisten als verlogen dargestellt, während das Lesen der Rote Fahne und der Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ) als notwendig aufgezeigt wird, um politisch umfassend informiert zu sein.481 Mit diesen Verweisen auf die reale Presselandschaft der Weimarer Republik verbindet Schönstedt also ein didaktisches Moment, das den Leser darüber aufklären

478 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 76: „Werktätige Jugend Berlins! Im Betrieb und auf der Stempelstelle! Hört den Ruf der jungen Kommunisten, reiht Euch ein in den kommunistischen Jugendverband! Kämpft mit uns gegen Arbeitsdienstpflicht und Jugendausbeutung! Für Jugendschutz und Jugendrecht! Für ein Sowjetdeutschland!“, S. 86: „Abonniert die ‚Junge Garde‘! Protestiert, kämpft mit uns! Sozialdemokratischer Jungarbeiter, her zu uns! Hinein in den Kommunistischen Jugendverband!“, S. 117: „Darum hinein in die KPD! Jungwerktätige, hinein in den Kommunistischen Jugendverband!“, S. 35: konservative Radiomeldung, S. 29: Zeitungstexte zu Emils Tod. 479 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 123: „Lies doch heute abend [sic!] die Zeitungen, fast alle bringen verlogene Berichte.“, S. 64: „Es ist doch klar, daß man die Landbevölkerung falsch unterrichtet, um kein Bündnis zwischen Stadt- und Landarbeitern zustande kommen zu lassen.“, S. 29: „[…] schrieben die Zeitungen gleichgültig und zynisch“. 480 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 76, 81. 481 Zu den intertextuellen Verweisen auf das Pressewesen vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 20, 81 [Vorwärts], S. 81, 90, 109–110 [Der Angriff], S. 97, 29, 81 [Die Rote Fahne], S. 67 [AIZ].



386 

 5 Analyse ausgewählter Romane

soll, welche Zeitung für ihn das angemessene Informationsmedium ist und vor der angeblichen ‚Lüge‘ und Verwirrungstaktik der gegnerischen Presseberichterstattung warnt. Der Verwirrungstaktik des politischen Gegners wird auch in S.S. Utah durch Verweise darauf, dass das Ausspielen der Arbeiter gegeneinander zur Strategie der Feinde gehöre, verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet.482 Ein Verfahren, das sich – wie bereits gezeigt – nicht in dieser Ausführlichkeit, aber zumindest partiell auch in Der Hitlerjunge Quex sowie in den Viera-Romanen wiederfindet und durchaus Rückschlüsse darauf zulässt, dass der Publizistik innerhalb der Weimarer Republik von beiden politischen Gruppierungen ein hohes Maß an politischer Mobilisierungskraft zugesprochen wurde. Konstitutiv in Bezug auf die Darstellungen des Feindes ist im Rahmen der Roten Eine-Mark-Romane ebenfalls das Zusammenziehen von Feindbildern und damit eine überwiegend monolithische Feindwahrnehmung, die in allen untersuchten Romanen wesentlich bedingt ist durch die ‚Sozialfaschismusthese‘. So konzentrierte sich die KPD, trotz erstarkendem Nationalsozialismus, vor allem auf die Sozialdemokraten als Gegner und nahm sogar an dem von der NSDAP und DNVP getragenen Volksentscheid zur Auflösung des Preußischen Landtages 1931 teil, was nicht nur Ausdruck der Spaltung der Arbeiterschaft war; die Teilnahme erfolgte insbesondere auf Bestreben der sowjetischen Komintern und hatte die Zerstörung der sozialdemokratischen Machtposition zum Ziel. Bis zur offiziellen Propagierung der ‚Einheitsfront‘ gegen die Nationalsozialisten dauerte es fast bis kurz vor deren Machübernahme.483 Auch die historisch geprägten Roten EineMark-Romane wie Sturm auf Essen illustrieren parteilinientreu zunächst fast ausschließlich das Versagen der Sozialdemokratie, die späteren Romane der Reihe stellen zumeist parallel die Nationalsozialisten sowie die SPD als Feindbilder dar. Sogar der als neunte Band 1932 erschienene amerikanische Roman S.S. Utah, der primär die Bedeutung internationaler Solidarität hervorhebt, verweist immer noch auf die verräterische Rolle der Sozialdemokraten.484 Im Bereich der untersuchten Roten Eine-Mark-Romane ist es somit einzig der Roman Kämpfende Jugend, der einen Nazi-Überfall und dabei das Fremdbild des Nationalsozialisten ausführlicher – wenn auch in verkürzender Art und Weise  – beschreibt. Der Gegensatz zu den Nationalsozialisten wird hier also

482 Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 55: „Die Kapitalisten suchen nach immer neuen Methoden, um die Arbeiter noch mehr zu zersplittern. So treiben sie die Arbeiter in einen Kleinkrieg untereinander und verhindern den Klassenkrieg gegen die Reichen.“ 483 Offiziell wurde sogar erst 1935 von der Komintern die ‚Einheitsfront gegen den Faschismus‘ propagiert. 484 Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 17, 80.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 387

nicht nur durch deren vermeintlich ‚verlogene‘ Meldungen, unterschiedliche Symbole und Begriffe sowie überhebliche Verhaltensweisen des Gegners betont, sondern im Rahmen eines manifesten Angriffs der Nazis und dessen heldenhafte Abwehr durch die Kommunisten betont. Dabei wird die SA als eine bürgerliche ‚Bewegung‘ dargestellt, die fast nur aus Gymnasiasten und „ahnungslose[n] Kleinbürgersöhne[n]“485 bestehe, die versuchen würden „sich proletarisch zu benehmen“486 und so werden die Rhodens an mehreren Stellen als die „armen, irren Freunde“487 bezeichnet, für deren Beschränktheit die Kommunisten nur mehr Mitleid ausdrücken. Durch das Aufstellen der Gleichung, dass proletarisch genuin kommunistisch bedeute (so soll auch die Figur des Doktors durch Praxisarbeit und direkten Kontakt mit den Arbeitern „verproletarisier[t]“488 werden) und die Vergröberung der Realität sowie die Darstellung einer ‚roten‘ Nostitzstraße489 wird die NSDAP dieser als nahezu einheitlich bürgerliche ‚Bewegung‘ und Feind gegenübergestellt. Dass in der Realität eine hohe Anzahl proletarischer Wähler zu der NSDAP übergelaufen ist, wie die unter 5.2 aufgeführten Zahlen aus der Studie von Köster belegen, wird verschwiegen. Das Bild einer traditionell ‚roten‘ Nostitzstraße appelliert an das Selbstbewusstsein der Proletarier, macht sie als ‚ihre‘ Straße sogleich zum politischen Identifikationsobjekt, signalisiert Einheit und bringt damit auch den kommunistischen Führungsanspruch zum Ausdruck. Von der Gegenseite der Polizei wird die ‚rote‘ Straße hingegen eher als „Aufruhrherd“490 aufgefasst und von der gegnerischen Nazi-Presse gar als „rotes Chicago“491, also als Gangsterviertel, bezeichnet. Zwar wohnen auch vereinzelt Vertreter kleinbürgerlicher Schichten wie die Mädickes oder die Rhodens sowie der Sozialdemokrat Langscheidt in der Straße, sie scheinen aber vom Alltag und der Einheit der Straße größtenteils ausgenommen zu sein und heben sich durch ihr Verhalten, die politische Einstellung und vor allem dadurch, dass sie als Angestellte oder Selbstständige beschäftigt sind, deutlich von den (meist arbeitslosen) Proletariern ab. Auch Mallmann zeigt, dass das Stereotyp der ‚roten‘ Straße kaum haltbar ist, da sich die Milieus weiterhin überlappten:

485 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 97. 486 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 98. 487 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 90. Vgl. auch S. 99. 488 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 109. 489 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 25: Kommunistisches (proletarisches) Selbstbewusstsein sowie den Anspruch auf die Besetzung der öffentlichen Sphäre demonstriert die Umbenennung der Nostitzstraße in Thälmannstraße. Vgl. auch: S. 14, 40. 490 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 112. 491 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 90.



388 

 5 Analyse ausgewählter Romane

So richtig es ist, daß die KPD gerade in den überbevölkerten und teilweise verslumten Altstädten, aber auch in den heruntergekommenen Mietskasernenvierteln der Gründerzeit sublokale Hochburgen gewonnen hatte, während besser verdienende Arbeiter in Neubausiedlungen auszuweichen versuchten, so falsch ist es, darin automatisch auch eine politische Separation zu sehen, so zu tun als habe es sozialdemokratische Erwerbslose und Minderqualifizierte nicht gegeben, als ließe sich die alle Berufs- und Qualifikationsgruppen erfassende Arbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise fein säuberlich nach politischen Optionen verrechnen – es sei denn man unterstellt dem KPD-Theorem von der ‚arbeiteraristokratischen‘ SPD, der ‚Partei der Satten‘, gesteigerten Realitätsgehalt.492

Die Konfliktlinie zwischen Proletariern und Bürgern zeichnet sich in Kämpfende Jugend ab in der bürgerlichen Saturiertheit und Doppelmoral, die insbesondere von Frau Mädicke repräsentiert wird, in der Bürokratie sowie bürgerlichen Wohlfahrt und in der ‚Klassenjustiz‘, die bei den Kommunisten Wut und Hass hervorrufen. Nichtsdestotrotz zeigt Schönstedt auf, dass die polar angeordneten Ebenen in einseitiger Richtung durchlässig sind: Dann nämlich, wenn der bürgerliche Hermann Rhoden durch einen unvermittelten Bewusstseinswandel den Kommunisten beitritt und auch die Mitglieder der Clique erkennen, dass der Kommunismus die einzige sinnstiftende Alternative für sie ist. Genau hier wird die Folie für den unter 5.3.4 beschriebenen Typus des konversionsfähigen Gegners geschaffen, der zur Anwerbung von Mitgliedern wie zur Selbstdarstellung als überzeugungskräftige politische ‚Bewegung‘ essentiell ist. Zusammenfassend zeigt sich auch bei der Analyse der linkspolitischen Romane, dass die Feindbilder eine fast identische (Basis-)Struktur besitzen und somit eine flexible Projektionsfläche bieten, die sich – je nach politischem Kurs – unterschiedlich funktionalisieren lässt. Die Darstellungen von SPD-Mitgliedern (‚Sozialfaschisten‘), Kapitalisten bzw. saturierten Bürgern und Nazis stützen sich dabei in ihrer Grundstruktur allesamt auf folgende Konstituenten: Verrat an der Arbeiterschaft, Warnung vor der feindlichen Propaganda, ein im Gegensatz zu den Arbeitern wenig dynamisches, träges und saturiertes, oft gekünsteltes oder überhebliches Auftreten, körperliche wie geistige Unterlegenheit, Dickleibigkeit oder ein wenig ansprechendes Äußeres, Unternehmertum oder ein bürgerlicher Beruf, vorzugsweise Beamter oder Polizist, der als Verkörperung und Ausführungsorgan der ‚Klassenjustiz‘ sowie der ‚verlogenen‘ bürgerlichen Bürokratie und Wohlfahrt dargestellt wird und systemstabilisierend den Kapitalismus aufrecht erhält, sowie nicht zuletzt die Aggressorrolle, welche die Feinde einnehmen.

492 Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 258.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 389

Ganz ähnliche Füllwerte bzw. Bestandteile finden sich, wie gezeigt, in Bezug auf die Feindbilder der rechtspolitischen Romane, die vor der Folie einer konträren Ideologie auf Kommunismus, Judentum, aber auch auf die Sozialdemokratie und teilweise sogar auf kapitalistische Tendenzen und die Saturiertheit des Bürgertums im Rahmen einer pseudo-revolutionären Rhetorik abzielen. Die Weimarer Republik gilt hier ebenfalls im Rahmen des Feindbildes als überkommener ‚Systemstaat‘. Beiderseits zeigen sich deutliche Tendenzen, Feindbilder nicht lediglich affektiv aufzuladen, sondern unter Berufung auf Daten und vermeintliche Fakten sowie durch Verschweigen der unzuträglichen Tatsachen Feindvalenzen als objektivierbar darzustellen. Diese sind indes prinzipiell nicht falsifizierbar, da es sich um „weitgehend fiktive Kategorien, die aber für die Personen, die sie im LZG [Langzeitgedächtnis] gespeichert haben, absolute Verbindlichkeit besitzen“493 handelt, die dogmatischen Charakter besitzen und damit „zugleich Glaubensbekenntnis und Handlungsmaxime“494 sind. Feindbilder konstituieren somit grundlegende Verhaltenslatenzen. Diese sind jedoch wiederum an die in der Realität vorhanden politischen und sozialen Faktoren gekoppelt; erst zusammen mit dieser gesellschaftlichen Komponente erhalten sie mobilisierenden Charakter. Daher ist es von grundlegender Bedeutung, die soziohistorischen Bedingungen, vor denen Feindbilder entstanden und in die sie eingebettet sind, bei der literarischen Analyse verstärkt zu betrachten. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt sich dann auch die extensive Untersuchung sowohl der literaturpolitischen wie rezeptionellen Rahmenbedingungen der untersuchten Romane in Kapitel 2 und 3, die verdeutlichen, welches Wirkungspotenzial den Romanen einerseits von parteipolitischer Seite zugemessen wurde, andererseits wie die primäre Zielgruppe aufgrund mentalitätsgeschichtlicher wie wirtschaftlicher Rahmenbedingungen diese spezifische Art von Literatur rezipierte.

5.3.4 ‚Noch ist es nicht zu spät…‘ – Konversionsfähige Gegner Für die jeweilige Selbstdarstellung als überzeugungskräftige politische Partei und zur Anwerbung von Mitgliedern ist die Darstellung von politischen (Massen-) Konversionen essentiell, suggeriert sie doch, dass selbst der Gegner früher oder später einsieht, dass nur die politische Gegenseite für die Verwirklichung seiner persönlichen und gesellschaftlichen Ziele einsteht, also eine Loslösung aus ‚alten‘

493 Schwarz-Friesel: Sprache und Emotion, S. 338. 494 Satjukow/Gries: Feindbilder des Sozialismus, S. 47.



390 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Parteizusammenhängen und -strukturen, die als unauthentisch, unaufrichtig, statisch und ineffektiv – gar schädlich für den Einzelnen und die Gesellschaft – bezeichnet werden, notwendig ist. Das Werben um den Gegner setzt dabei jedoch eine gemeinsame ‚Sprache‘ – eine Verstehensgrundlage und ähnliche Wahrnehmungsmuster der Realität sowie ein Verständnis für die Bedürfnisstrukturen möglicherweise deprivierter und unzufriedener Parteigänger der Gegenseite  – voraus oder muss diese Unzufriedenheit vor der Idealfolie der eigenen Parteientwicklung und durch Versprechungen, teilweise aber auch durch die Evokation von Existenzängsten, erst noch schüren. Der ursprünglich zumeist auf religiöse Zusammenhänge angewandte Begriff der Konversion, der eine ‚Umkehr‘ und die Übernahme neuer Glaubensgrundsätze bzw. Dogmen signalisiert, wird jedoch ebenfalls zur Darstellung von politischen Konversionen „vor allem in Phasen der politischen Polarisierung“495 genutzt, umfasst Verfahren der Inklusion sowie Exklusion und stellt einen „doppelte[n] Mechanismus […], nämlich die Herauslösung aus Sinnbezügen und die Integration in neue Sinnstrukturen“496 dar. Die jeweilige Reichweite und Dimension der politischen Konversion wird u. a. davon bestimmt, ob sie als Wendung zum Positiven oder Negativen gezeigt wird, unter Zwang oder freiwillig erfolgt, sich als individueller Bewusstseins- und Entwicklungsprozess geriert oder sich unvermittelt, gar massenhaft vollzieht sowie in welchen (politischen) Rahmen der Vollzug oder der Bericht der Konversion gestellt wird. Fast alle im vorliegenden Romankorpus untersuchten Konversionsschemata werden im Sinne der Anwerbung neuer Mitglieder als positive ‚Umkehr‘ bzw. ‚Bekehrung‘ zur vermeintlich ‚guten‘ oder ‚besseren‘ Partei und meist ohne die Ausübung von (physischem) Zwang geschildert. Verbale Drohungen von Funktionären, die zur Umkehr aufrufen und apokalyptische Szenarien des individuellen Abstiegs wie gesellschaftlichen Niedergangs abrufen, erscheinen in einigen

495 Heinz-Gerhard Haupt: Politische Konversionen in historischer Perspektive. Methodische und empirische Überlegungen. In: Zeitperspektiven. Studien zu Kultur und Gesellschaft. Beiträge aus der Geschichte, Soziologie, Philosophie und Literaturwissenschaft Hg. v. Uta Gerhardt. Stuttgart 2003, S. 267–304 [hier: S. 269]. Haupt nennt als virulente Phasen politischer Konversionen im 20. Jahrhundert beispielsweise die Zwischenkriegszeit bzw. die Weimarer Republik sowie die Zeit des Kalten Krieges bzw. der Studentenbewegung (vgl. dazu S. 269, 278) und betont den Stellenwert politischer Konversionen für die gegenwärtige kulturgeschichtliche Forschung: „[…] wie ein politischer Meinungswandel als Konversion definiert wird, gibt […] Aufschlüsse über die politische Kultur einer Zeit“ (S. 278). 496 Haupt: Politische Konversionen in historischer Perspektive, S. 277.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 391

Romanen jedoch als durchaus probates Mittel, um dem Appell zur Notwendigkeit einer Konversion Nachdruck zu verleihen: So beispielsweise im Rahmen eines langen Monologs des kommunistischen Funktionärs Theo zur Anwerbung von Cliquenmitgliedern, in dem dieser unmittelbar auf die gesellschaftliche Perspektivlosigkeit und Benachteiligung verweist: „Ihr dürft nicht vergessen, dass man Euch verkommen lässt! Ihr seid jung, steht mitten im Leben. Aber wie sieht Euer Leben aus. […] Was ist der Sinn Eurer Klicke?“497, um dann ein Negativszenario vom Abstieg ins Lumpenproletariat zu zeichnen und Angst zu schüren: „Gottseidank seid Ihr alle miteinander noch knorke Kerls. Euch hat die bürgerliche Gesellschaft noch nicht zu Lumpenproletariern gemacht. Aber dorthin führt Euer Weg, meine Lieben. Und wenn Ihr dort seid, taugt Ihr nichts mehr für Eure Klasse, dann seid ihr verloren.“498

Theo verdeutlicht schließlich recht drastisch, dass die Jungs  – falls sie nicht politisch aktiv werden – nicht mehr auf die Solidarität der Kommunisten zählen könnten sowie von deren Seite gar geächtet würden und übt damit starken Druck aus: „Wenn Ihr andere für Euch verbluten laßt und in die Zuchthäuser stecken laßt, dann gut, landet auf dem Misthaufen des Lumpenproletariats oder der Kleinbürger, […] [a]ber dann wollen wir mit Euch nichts mehr zu tun haben.“499 Ähnliche apokalyptische und Angst schürende Szenarien finden sich in den rechtspolitischen Romanen („der vom Feind bewußt gewollte Zerfall des Reiches steht unmittelbar bevor“500; oder die drohende Inaussichtstellung einer Abrechnung mit Bonzen, Marxisten und Juden nach dem „letzten entscheidenden Schlag“: „‚Für euch wird es schlimm!‘ ruft das Volk, das an Hitler glaubt.“501), die parallel dazu jedoch vorgebliches ‚Mitleid‘ mit den ‚verirrten‘ und als vom Kommunismus ‚verblendet‘ dargestellten Arbeitern suggerieren und Konversionsangebote eröffnen: So wird der Proletarierjunge Utz vor seiner Konversion im Erzählerbericht als „armer, kranker Kerl, der seine Kräfte zu Besserem brauchte, als sie auf einer sinnlosen Hetzjagd zu verpulvern“502 beschrieben. Die Erzählinstanz suggeriert hier bereits, dass die Kräfte nur in die ‚richtige‘ politische Richtung kanalisiert werden müssen, wie der anschließende Anwerbungsversuch

497 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 95. 498 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 95. 499 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 95. 500 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 61. 501 Viera: SA.-Mann Schott, S. 67. 502 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 16.



392 

 5 Analyse ausgewählter Romane

des Hitlerjungen Will eindrücklich veranschaulicht: Dieser versucht in einer „flammend[en]“503 Rede alle Vorurteile des scheinbar ‚verblendenden‘ Arbeiters („Eure wahren Bedrücker machen euch blind.“504) zu entkräften, beruft sich dabei primär auf das Ethos der „anständigen Jungens“505, suggeriert aufgrund der angeblich durch das Parteiengagement verursachten Arbeitslosigkeit des Vaters in ähnlicher Armut wie Utz zu leben, demonstriert Idealismus und lädt Utz, seine Mutter und proletarischen Freunde vorgeblich ganz unverbindlich und unter vermeintlich freier, rationaler Meinungsbildung („Ihr sollt hören und sehen und dann urteilen.“506) zum Werbeabend der HJ ein. Im Anschluss an den Werbeabend, dessen Darstellung primär in der Aneinanderreihung von Liedern, Singsprüchen und Funktionärsmonologen unter Betonung der dynamischen und beeindruckenden affektiven Wirkung besteht,507 scheint sich das Bekenntnis von Utz („Mutter, ich glaube an Hitler!“508) fast zwangsläufig zu ergeben, aber eben nicht aus rational-abwägendem Urteil, sondern durch affektive Überwältigung. Die Darstellung und Motivation von Konversionen hebt somit durchaus auf differente Aspekte ab und wird jeweils sehr unterschiedlich detailliert präsentiert. Hans Günther ordnet in Bezug auf die Präsentation von Konversionen die Konzeption des ‚werdenden Helden‘ dem sozialistischen Realismus zu: Das Polarisierungsschema sozialistisch-realistischer Literatur läßt kein Mittelfeld der Unentschiedenen zu. Entweder beharrt der ehemalige Klassengegner auf der Position des absoluten Feindes oder er „gestaltet sich um“. 509 Der umerzogene oder „umgestaltete“ ehemalige Klassenfeind, dessen Entwicklung oft in den Romanen gezeigt wird, ist dem „werdenden“ positiven Helden verwandt, der seine bewußtseinsmäßigen Defizite im Lauf der Romanhandlung überwindet.510

503 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 18. 504 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 18. 505 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 18. Will zählt Utz, dessen Mutter und alle weiteren „anständig[en]“ Arbeiter also alleine durch das ethische Argument zur politischen Bündnisschicht und konstatiert diesbezüglich: „Hitler will den Arbeiter zu sich heranziehen.“ 506 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 19. 507 Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 34 Erzählerbericht: „Herrgott, ist da ein Tempo drin. Schlag auf Schlag geht es. […] Lebende Bilder. […] Und alles machen die Jungens allein […] Alle singen stehend mit. Alle!“ 508 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 35. 509 Hans Günther: Held und Feind als Archetypen des totalitären Mythos. In: Terroristische Diktaturen im 20. Jahrhundert. Strukturelemente der nationalsozialistischen und stalinistischen Herrschaft. Hg. v. Matthias Vetter. Opladen 1996, S. 42–63 [hier: S. 58]. 510 Günther: Held und Feind als Archetypen des totalitären Mythos, S. 59 [Fußnote 48].





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 393

Günthers These ist jedoch hinsichtlich der untersuchten Romane etwas zu relativieren bzw. auszudifferenzieren. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Darstellungen der jeweiligen Konversionen lassen sich nämlich nicht auf eine ideologische Basisdifferenz zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus festlegen bzw. reduzieren. So findet sich einerseits sowohl die ausführliche Schilderung von Entwicklungs-/ und Bewusstseinsprozessen, die zu Konversionen führen, in den rechtspolitischen Romanen wieder, wie am eindrücklichsten das Beispiel von Heini Völker aus Der Hitlerjunge Quex belegt. Die extensive Darstellung der von Heini teilweise reflektierten wie emotionalen Anziehungskraft, die der Nationalsozialismus allmählich auf ihn ausübt (vgl. Kapitel 5.1.6), kommt somit dem Typus des ‚werdenden Helden‘ bzw. Entwicklungshelden zumindest an der Oberfläche nach (vgl. 1.4.3). Andererseits existieren auch in den kommunistischen Rote Eine-Mark-Romanen mehr oder wenige ‚spontane‘ und unvermittelte Konversionen, bei denen von einer Schilderung von Entwicklungsprozessen oder ‚werdenden Helden‘ nicht die Rede sein kann, wie die recht unvermittelte massenhafte Mitgliederschwemme am Buchende von Kämpfende Jugend511 oder die spontane Wende des Doktors aus S.S. Utah, der beginnt, sich „plötzlich proletarisch“512 zu benehmen, zeigen. Stahl veranschaulicht hingegen die Struktur von Konversionserzählungen primär am rechtspolitischen Beispiel des Romans Der Hitlerjunge Quex, hebt in seiner anfänglichen, recht allgemein gehaltenen Definition, die sich auch auf andere politische Zusammenhänge übertragen ließe, vor allem auf identitäre Aspekte ab und deutet ebenfalls Entwicklungsprozesse an: The structure of conversion may be defined as follows: it is embodied in a story in which the protagonist encounters an entity greater than himself, yet representative of his potential self. Through his quest for knowledge and identity, given purpose by his early recognition, the hero merges with the larger entity, paradoxically loosing and finding himself in this process. The parallels to religious conversion are inescapable […].513

Am Beispiel von Der Hitlerjunge Quex erscheint diese Definition schlüssig, daneben finden sich aber in den untersuchten Romanen, wie soeben gezeigt, durchaus unvermittelte und/oder massenhafte Konversionen, die weniger stark begründet oder in umfangreichere Entwicklungsprozesse eingebettet sind und

511 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 127. 512 Pell: S.S. Utah, S. 84. 513 Stahl: Literature and Propaganda, S. 129.



394 

 5 Analyse ausgewählter Romane

eher dem entsprechen, was Suleiman als „last-minute conversion“514 bezeichnet – ein relativ unvermittelter Bewusstseinswandel in letzter Sekunde. Vor allem in den Roten Eine-Mark-Romanen tritt ein recht spontaner und unvermittelter politischer Bewusstseinswandel oftmals in Bezug auf die Darstellung der Integration von potenziellen Bündnisschichten des Proletariats wie den Cliquen, (Klein-)Bürgern und Intellektuellen auf – insbesondere in den späteren Romanen der Reihe, z. B. in Kämpfende Jugend oder auch S.S. Utah, die zumindest partiell den Gedanken der ‚Einheitsfront‘ verfolgen. Somit weist beispielsweise Kämpfende Jugend zwar ein breiteres Repertoire an Themen und Personen(-gruppen) auf als die meisten anderen Rote Eine-Mark-Romane, die Darstellungsweise hat sich jedoch kaum verändert und umfassende, ‚gestaltete‘ Entwicklungsprozesse, wie sie Lukács bereits 1931 forderte (vgl. Kapitel 2.1), sind in der Figur von Erich und dessen Wandlung vom lethargischen Jugendlichen zum aktiven KJVDFunktionär zwar rudimentär angedeutet, jedoch alles andere als explizit erklärt. Zum Ende des Romans hin zeichnet sich ein immer stärker hervortretender Führungsanspruch der KPD, auch über Bevölkerungsschichten wie die Landbevölkerung und den Mittelstand sowie Intellektuelle, die zur politischen Praxisarbeit angeleitet werden sollen, ab, der somit über die ursprüngliche proletarische Zielgruppe hinausreicht und in dessen Rahmen immer wieder die Wichtigkeit der politischen Organisation durch einen Parteibeitritt betont wird. Dies steht im eigentümlichen Kontrast zur parallelen (eher vom Proletkult inspirierten) Ausstattung fast aller Gegner mit unproletarischen, bürgerlichen Attributen und zu einer gewissen Intellektuellenfeindlichkeit, die sich in der Figur des Doktors ausdrückt. Diese Ressentiments gegenüber dem Bürgertum zeigen sich des Weiteren in der Darstellung der NSDAP als bürgerliche ‚Bewegung‘, die versucht „sich proletarisch zu benehmen“515, in der Bezeichnung des Sozialdemokraten Langscheidt als bürgerlich-saturierter „Achtgroschenjunge“516 sowie in der Figur des intellektuellen Doktors, der als lebensferner Theoretiker erst noch durch Praxisarbeit „verproletarisier[t]“517 werden muss. Hier drückt sich erneut das Verständnis vom Proletariat als führende Klasse aus, der sich alle anderen gesellschaftlichen Schichten zu fügen haben bzw. die als Vorbild gilt. So widmet sich der Doktor scheinbar wie von selbst der Praxisarbeit, es wird prophezeit, dass Mitglieder der SPD scharenweise zur KPD überlaufen werden und auch Hermann Rhoden wechselt von den Nazis zu den Kommunis-

514 Suleiman: Authoritarian Fictions, S. 89. 515 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 98. 516 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 5. 517 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 109.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 395

ten, was deutlich auf einen überhöhten Standpunkt der eigenen Partei verweist, von dem aus die KPD wie selbstverständlich als einzige politische Alternative zur Verbesserung der bestehenden Gesellschaftsverhältnisse präsentiert wird. Leser, die (noch) nicht diesen Standpunkt eingenommen haben, insbesondere Bürger und Intellektuelle, werden sich durch solche eindimensionalen Darstellungen, die die Bildung einer ‚Einheitsfront‘ gegen den Nationalsozialismus ausschließlich von der Führung der KPD abhängig machen, sicher nicht bekehren lassen. Hier tritt also deutlich hervor, dass – trotz des Angebots einer ‚Einheitsfront‘ – die Masse weitestgehend auf die Klasse beschränkt bleibt. Doch auch die nationalsozialistischen Romane zeigen bei fast allen Schilderungen von Konversionen, dass die bipolaren Grenzen nur einseitig durchlässig sind, nämlich nur in Richtung des positiv bewerteten Bewusstseinswandels ursprünglicher Gegner hin zum als sinnvoll und ‚richtig‘ bewerteten Engagement in der NSDAP; sie demonstrieren somit ebenfalls den absoluten Führungsanspruch der eigenen Partei. Als einzige Ausnahme mag hier die NegativKonversion von Oskar Wisnewski gelten, dem Zimmergenossen von Heini im HJ-Heim, der von Anfang an mangelnde Überzeugung („Meine Mutter hat mich da reingesteckt.“518) sowie unkameradschaftliches Verhalten gegenüber Heini an den Tag legt und als Negativfolie zur positiven Bewusstseinsentwicklung Heinis aufzufassen ist. Die äußerlichen, als moralisch verdammenswert dargestellten Handlungen und Eigenschaften von Oskar werden jedoch in Bezug auf sein Überlaufen zum politischen Gegner nicht explizit als innere Bewusstseinschilderung, wie Heinis Wandlung, erklärt, sondern von außen, aus der Sicht von Heini  – sprich aus der Sicht des positiven Helden und der Perspektive seiner Partei  – wahrgenommen. So kann Oskar nur als schändlicher Überläufer und Verräter an der eigenen Partei gelten, der sich mit den kommunistischen „Nutten“519 der Gegenseite einlässt, was äußerlich als primäre Motivation für seinen politischen Wandel geschildert wird. Heini identifiziert Oskars Überlaufen schließlich mit eigenen Augen, als er ihn auf dem Rummel bei der Karussellfahrt mit Mädchen beobachtet und Wisnewski als eindeutiges Signum ein fremdes Parteiabzeichen520 trägt, was den politischen Wandel schließlich manifestiert und Oskar zum absolut verdammenswerten Feind macht. Insgesamt sind die untersuchten rechtpolitischen Romane und vor allen die Schilderungen der Konversionen darauf ausgerichtet, primär die Zielgruppe

518 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 221. 519 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 220. Zu der von Heini ausgehenden Identifikation der Mädchen mit einem „roten Jugendverbund“ vgl. S. 219. 520 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 240.



396 

 5 Analyse ausgewählter Romane

der Arbeiter(-jugendlichen) zu gewinnen und das Image der ‚Arbeiterpartei‘, vor allem anhand der Schilderung sozialer Harmonisierungstendenzen zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, zu etablieren. Sie bleiben daher, im Gegensatz zu den Roten Eine-Mark-Romanen, auf die Darstellung des Typus des ‚verirrten Arbeiters‘ und dessen Konversionspotenzial beschränkt. Die literarische Darstellung von Konversionen hat durchaus Anknüpfungspunkte in der parteipolitischen Realität, wo beispielsweise Reden von Konvertiten auf Parteiversammlungen sowie der von der KPD publikumswirksam inszenierte Präzedenzfall des Offiziers Richard Scheringer521 und dessen Konversion von der NSDAP zur KPD als populäres Mittel der Propaganda genutzt wurden: Naturally, an ex-army officer [Scheringer] was not the sort of member who easily fit into the KPD’s carefully constructed ideal of the male proletarian, but the party certainly did not want to turn him away. Indeed Scheringer was accepted with open arms, and his criticism of the Nazi „false revolution“ was used in many party pamphlets and brochures. The NSDAP also used former Communists as propaganda tools; the converts commonly appeared on stage at Nazi rallies (preferably wearing the uniform from their earlier KPD days) to tell the audience of their conversions.522

Swett verweist diesbezüglich auf die ähnlichen Wahrnehmungs- und Beschreibungsstrukturen der Realität durch die eigentlich gegnerischen Parteien, d. h. sie betont „a common rhetorical realm“523 und einen durchaus selbstverständlichen Kontakt zwischen den Parteien, der nicht nur in der Ausübung von physischer Gewalt bestanden habe sowie Diskussionen und Mitgliederfluktuationen erst ermöglicht habe: Sharing the language of revolution, class solidarity and concerns about their own status at home and in their communities meant that in the last years of the republic Nazi and Communist identities remained fluid.524

Fast eins zu eins findet sich sowohl der Scheringer-Kurs als auch das Auftreten von Konvertiten in nationalsozialistischen Parteiveranstaltungen in den untersuchten Romanen wieder. So der bei Viera abermals als „flammende[ ] Rede“ in Berlinerisch geschilderte Auftritt eines früheren Rotfrontlers bei einem Werbe-

521 Zum Scheringer-Kurs der KPD und Scheringers politischem Konzept des ‚Nationalbolschewismus‘ vgl. u. a. Otto-Ernst Schüddekopf: Nationalbolschewismus in Deutschland 1918–1933. Frankfurt a. M. [u. a.] 1973 [zum Scheringer-Kurs: S. 285–307]. 522 Swett: Neighbors and Enemies, S. 213. 523 Swett: Neighbors and Enemies, S. 211. 524 Swett: Neighbors and Enemies, S. 211.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 397

abend der NSDAP, der als Anlass für eine Saalschlacht und schließlich für weitere spontane Massenkonversionen, d. h. als voller Erfolg, inszeniert wird: „Genossen“, so fängt er an, „ich weiß jenau, wo euch der Schuh drückt. Ick war einer von euch, nu aber hab ick Hitler und ihr seid immer noch hinterm Mond.“ […] „Wer ist denn so dumm, daß er unbelehrbar bleibt sein Leben lang? Von euch hoffentlich keiner! Wenn aber doch einer unter euch is, der auf den Ohren sitzengeblieben is, der soll sich nachher nicht wundern, wenn’s ihm dreckig jeht.“ […] „[…] Was eure Hetzblätter schreiben. Jedes Wort erstunken und erlogen. Ick aber sage euch…“ In diesem Augenblick schleudert jemand einen Bierkrug durch das Lokal […] und nun ist die Saalschlacht fertig. […] Worauf der Naziredner auf einen anderen Tisch steigt und in seiner flammenden Rede fortfährt, so, als ob nichts geschehen wäre. Die unentwegteren unter den Kommunisten drängen wieder zur Tür herein, staunen, wundern sich und hören diesmal ohne weitere Unterbrechung den Vortrag an. Und der erfreuliche Erfolg ist, daß am Schluß dieses denkwürdigen Abends zwanzig Mann sich in die Hitlerpartei einschreiben lassen. Zwanzig Mann bilden den ersten „Block“, bald wird der Block mit seinem Blockwart eine „Zelle“ sein, und die letzten unbelehrbaren Kommunisten in der Langen Gasse haben nichts mehr zu lachen.525

Auch hier zeigt sich einerseits das Referieren auf eine gemeinsame Basis („ich weiß jenau, wo euch der Schuh drückt“), andererseits das Schüren von Ängsten und offenen Drohungen („soll sich nachher nicht wundern, wenns ihm dreckig geht“, „die letzten unbelehrbaren Kommunisten […] haben nichts mehr zu lachen“). Auffällig ist darüber hinaus die für die Viera-Romane typische Wiederholung von Parteistrukturen, im obenstehenden Zitat in Form des Erzählerberichts, der im Rahmen einer Klimax vom Mitglied zum „Block“ zur „Zelle“ einen zukunftsgewissen Anstieg der Mitglieder prophezeit. Auch in Vieras Horst WesselRoman wird Wessel dafür gerühmt „Tausende von de Besten von de Kommune abspenstig jemacht“526 zu haben, was im Anschluss durch ein generalisierendes und leidenschaftlich-bekennendes Zitat eines Proletariers untermauert wird: „Hartkorn nickt. ‚Ich war Kommuniste und wat for eener, aber Horst hat mich jepackt, und nu laß ick mir zu Brei quetschen für unseren Sturmführa. Un so jeht et uns allen.‘“527 Der realpolitische Scheringer-Kurs der KPD wird in Kämpfende Jugend dazu genutzt, den fiktionalen Konversionsprozess des zweifelnden Nationalsozialisten Hermann Rhoden in Gang zu setzten, der über einen Artikel der oppositionellen SA-Zeitung mit seinem betont nationalsozialistischen Zwillingsbruder

525 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 57–58. 526 Viera: Horst Wessel, S. 63. 527 Viera: Horst Wessel, S. 63.



398 

 5 Analyse ausgewählter Romane

in erbitterte Diskussionen und Streit gerät.528 Dieser Konflikt führt letztlich zur Entzweiung der Brüder und zu Hermanns Eintritt in die KPD.529 Hermann findet sich im Artikel der oppositionellen SA-Zeitung, der in langen Passagen wiedergegeben ist, in seiner Erfahrung und seinen Ansichten bestätigt, dass die NSDAP im Grunde weder (sozial-)revolutionäre noch andere Interessen der Arbeiter vertrete sowie aus „Akademiker[n], Hoffräuleins, Offiziere[n] und sonstige[n] Monokelträger[n]“530 bestehe und lehnt sich gegen die unreflektierte Unterordnung sowie Einreihung in die NSDAP auf: „[…] Ich will jedenfalls nicht nur gehorchen, wie Hitler sagte, ich will überzeugt sein, will wissen wofür ich kämpfe. Die erste Zeit ging das ja. Aber ich finde nicht das Wissen, das ich brauche. Unsere Gegner können uns alles widerlegen. Vor allem die Sache mit Leutnant Scheringer hat mir zu denken gegeben, hier liegt eine Broschüre von ihm, seine Briefe aus der Festung.“531

Diese Darstellung impliziert, dass gerade die KPD fundiertes Wissen und sachliche, überzeugende Argumente liefert sowie ihre Zielgruppe ernstnimmt, politisch ‚aufklärt‘ und nicht lediglich bevormundet; auf diese Weise wird genau die Authentizität vermittelt, die gerade dem politischen Gegner abgesprochen wird. Dass die KPD, wie oben verdeutlicht, jedoch ebenfalls im Rahmen ihres absoluten Führungsanspruchs eine kompromisslose Unterordnung ihrer Mitglieder unter die Parteidoktrin forderte, wird hier selbstverständlich nicht gezeigt; vielmehr wird Hermanns Bekenntnis zur KPD gegen den Widerstand des Bruders zum Akt der persönlichen wie politischen Reife, Selbstverwirklichung und -findung stilisiert. In der politischen Realität hingegen hatte der publikumswirksam inszenierte Präzedenzfall der Konversion von Scheringer kaum positive Auswirkungen auf die Mitgliederzahlen der KPD: The campaign built around Richard Scheringer neither provoked a mass defection from the SA nor succeeded in building a significant bridge between the militarist bourgeoisie and the KPD. The KPD’s nationalist rhetoric was less convincing to potential converts from the right than the Nazis’ social revolutionary rhetoric was to those from the left, and Communist

528 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 102–105. 529 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 122: Hermanns Loslösung von den Nazis, S. 127: Eintritt in die Straßenzelle des KJVD. 530 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 105. 531 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 104.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 399

success in infiltrating and building cells within the Nazi mass organisations came nowhere close to what the KPD hoped for or would have needed to make its strategy work.532

Auch Mallmann belegt dies mit Datenmaterial und betont, dass „der vielfach beschworene Austausch der Extreme“533 nicht stattgefunden habe. Vor allem der Authentizitätsanspruch und die moralische Aufladung der politischen Sphäre gehörten zu der diskursiven Struktur der beiden entgegengesetzten politischen Extreme. Die von beiden Seiten instrumentalisierte Konversionsthematik verdeutlicht dies ebenfalls. Sehr viel stärker als um ein ausdifferenziertes programmatisches Profil ging es also um strategische Flexibilität und um die Bestimmung von Themen und Begriffen (v. a. von Hochwertwörtern) von hohem öffentlichen Interesse und häufiger Frequenz, ergo um die Bestimmung der politischen Agenda und die Dominanz in der politischen Öffentlichkeit. Genau in diesem Zusammenhang ist die untenstehend thematisierte diskursive Strategie der ‚Besetzung‘ von Begriffen (vgl. 5.4.1) von essentieller strategischer Bedeutung. 5.3.5 Frauen und Familie – ‚Kampfgefährt(inn)en‘ oder „Hemmschuh“534? Frauenfiguren sowie der Bereich der Familie nehmen in den untersuchten rechtswie linkspolitisch ausgerichteten Romanen eine weitgehend marginale Position ein; im Vordergrund steht der jeweilige heldenhaft kämpfende Männerbund, der sich in den bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen der Endphase der Weimarer Republik bewährt. Frauen spielen zumeist nur insofern eine Rolle, als dass sie im geschilderten Idealfall die politische Arbeit der Männer als ‚Kampfgefährtinnen‘ unterstützend begleiten und den Männern für die politische Arbeit den Rücken frei halten von alltäglichen Problemen des Familienlebens und der Haushaltsführung (unter Bedingungen der sozialen Not). Als Parteimitglied mit eigener Stimme treten Frauen, im wiederum sehr beschränken Bereich der Familienpolitik und in Reproduktionsfragen, lediglich im Roten Eine-Mark-Roman Kämpfende Jugend auf. Die überwiegende Mehrheit der linken und rechten Romane konzentriert sich hingegen primär darauf, die

532 Timothy Brown: Weimar Radicals. Nazis and Communists between Authenticity and Performance. New York [u. a.] 2009, S. 117. 533 Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 120. 534 Vgl. Rohrwasser: Saubere Mädel – Starke Genossen, S. 67: Kapitelüberschrift: „Die Frau als Hemmschuh der politischen Arbeit des Mannes“.



400 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Überwindung familiärer und privater Hemmnisse zu propagieren. Diese Hindernisse werden meist als aus egoistischen Privatinteressen der Frauen und Mütter resultierend dargestellt, die ihre Männer und Söhne nicht den übergeordneten, als revolutionär dargestellten politischen Kämpfen opfern wollen. Das vorgeblich ‚falsche‘ privatistische Bewusstsein dieser Frauen gilt es zu überwinden und die Familie und Frauen zurückzulassen, falls diese sich nicht in den übergeordneten politischen Kampf einreihen lassen und sich nicht selbst sowie ihre familiären Belange entsprechend unterordnen. Hier wird einmal mehr deutlich, dass die politische Sphäre und unbedingte revolutionäre Kampfbereitschaft, die sich aus dem Bewusstsein heraus speist, an einer geschichtlich einmaligen Umbruchsituation und der Erschaffung einer neuen Gesellschaftsordnung teilzuhaben, absoluten Vorrang vor dem Privatbereich sowie vor individuellen, familiären Interessen und gemessen an der ‚revolutionären‘ Ausnahmesituation als profan dargestellten Alltagsproblemen haben; diese, so suggerieren die Romane allenthalben, hätten sich nach dem politischen Umbruch ohnehin erledigt, weshalb dem großen Ganzen der Politik unbedingter Vorrang vor alltäglichen Privatinteressen eingeräumt werden müsse. Letztendlich werden die Frauengestalten also nach ebenso bipolarem Schema in die Kategorie ‚Kampfgefährtin‘ oder ‚Hemmschuh‘ der politischen Aktionen der Männer eingeordnet. Die Darstellung einer potenziellen Entfremdung zwischen kämpfendem, kameradschaftlich organisiertem Männer- bzw. Soldatenbund und Frauen an der Heimatfront zeichnet sich bereits im Weltkriegsroman ab, wie die kurze Passage aus Beumelburgs Gruppe Bosemüller zeigt, in der Bosemüller sich wegen der Geburt seines Sohnes auf Heimaturlaub befindet.535 Frauen und familiäre Beziehungen außerhalb des Kollektivs der ‚Frontfamilie‘ spielen in der Gesamtheit des Romans kaum eine Rolle und müssen zugunsten der übergeordneten politischen Aufgabe, v. a. aber eines rigorosen und als unumstößlich internalisierten Tugendkodexes von Kameradschaft, Treue und Ehre vernachlässigt bzw. auf Distanz gehalten werden. Dies zeigt sich nicht nur in dem bereits erwähnten Verzicht auf Heimaturlaub zugunsten übergeordneter Kriegsaufgaben oder anderer Gruppenmitglieder, sondern auch im konkreten Umgang mit Frauen. So wiederholt Bosemüller mehrmals im Gespräch mit seiner Ehefrau: „Ach laß mich doch, Martha…“,536 wehrt ihre körperlich-sexuellen Bedürfnisse ab537 und scheint die von seiner Frau formulierten familiären Verpflichtungen sogar als Last zu emp-

535 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 75–90. 536 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 77. 537 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 86.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 401

finden: „Wir müssen…wir müssen…wir müssen, denkt Bosemüller…es ist zum Verzweifeln.“538 Zudem wird die Ehefrau von Bosemüller als harmoniebedürftig und ängstlich beschrieben, unterschlägt zunächst einen Brief von der Front, da sie denkt, ihr Mann müsse den Heimaturlaub frühzeitig beenden und will Bosemüller am Gefallenenaushang vorbeidrängen.539 Letztendlich wird sie somit in die Beschreibungen der Heimatfront als apolitisch und sentimental eingereiht, die im Roman weitestgehend aus „schwatzenden alten Männern und Müttern“540 besteht und an der Realität des modernen Massenkriegs vorbeilebt (vgl. dazu 5.3.3). Ein Bewusstsein für die Probleme an der Heimatfront wird hier absichtsvoll unterschlagen – zugunsten der angeblich ‚höheren‘ Kriegsaufgaben, männlicher Kameradschaft, Kampftugenden und Opferbereitschaft, die ganz eindeutig im Fokus des Romans stehen. Auch der jugendliche Held Siewers, der im Verlauf des Romans immer deutlicher ins Zentrum des Geschehens rückt, zeigt keinerlei Anzeichen von adoleszenter Sexualität; lediglich in einem Gespräch zwischen Esser und Siewers wird am Rande ein Kuss mit einer Frau erwähnt.541 Im Vordergrund steht jedoch die Männerfreundschaft, die dieses Gespräch auch beschließt, denn am Ende der Unterhaltung mit Siewers bekundet Esser: „[D]u hast mir das Leben gerettet. Ich habe dich sehr lieb.“542 Der junge Siewers, der zunächst als verzärteltes Muttersöhnchen eingeführt wird, verzichtet im Laufe seines als ‚Mannwerdung‘ geschilderten Kriegseinsatzes sogar darauf, den Heimaturlaub anzutreten, der es ihm ermöglicht hätte, seine Mutter noch einmal vor ihrem Tod zu sehen.543 Die Kriegsmutter in ihrer Sorge, aber auch in ihrem Verständnis, wird im Opfern ihrer Söhne, insbesondere bei der Darstellung von jungen (Bürger-) Kriegshelden, pseudo-religiös zur Figur der mater dolorosa stilisiert, zur trauernden, opferbereiten Frau. Dieses Muster prägt auch die Darstellung der Mutter von Siewers: „Wissen Sie, daß Ihre Mutter in jeder Nacht geweint hat?“,544 „Mutter…

538 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 85. 539 Vgl. Beumelburg : Gruppe Bosemüller, S. 83, 85. 540 Vorwald: Kriegsliteratur im Unterricht zwischen 1929 und 1939 und Werner Beumelburgs Roman „Die Gruppe Bosemüller“, S. 66. 541 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 134. 542 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 136. Zahlreiche weitere Stellen verweisen auf die (platonische) Liebe der Kriegskameraden untereinander, wie beispielsweise die Loyalitätsbekundung des jugendlichen Siewers der Beschützerfigur Wammsch gegenüber auf S. 158: „[I]ch habe keinen in der Gruppe so lieb wie dich.“ 543 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 223–224, 256. 544 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 71, dieselben Worte des Leutnants klingen in der Erinnerung von Siewers an die tote Mutter nach (S. 255).



402 

 5 Analyse ausgewählter Romane

fragte jeden Tag…vielleicht fünfzig Mal…[nach Siewers]“545. Doch Siewers „hatte da draußen noch etwas zu erledigen, das konnte nicht aufgeschoben werden“,546 nämlich die Wiedergutmachung seiner Schuldgefühle in Bezug auf den Tod von Esser. Dass Siewers das Pflichtbewusstsein an der Front über den Tod der Mutter geht, wird jedoch durch einen Selbstentlastungsmechanismus legitimiert, der am Beispiel von Siewers exemplarisch vorgeführt wird. In der Imagination von Siewers erteilt die tote Mutter ihm die Absolution bzw. Gewissensentlastung, indem sie von ihm zur verständnisvollen mater dolorosa gemacht wird und der Krieg als erhellender Reifungsprozess ausgegeben wird, der notwendigerweise eine Ablösung von der leiblichen Familie veranlasst. Diese Wahrnehmung schildert Siewers in Form eines Briefes an Wammsch: „Es ist so schwer das Richtige zu bekennen, ohne anderen wehzutun, die einen liebhaben. Aber am Grabe meiner Mutter denke ich oft daran, und dann ist mir, als ob sie mich zum zweitenmal [sic!] nicht leichteren, aber doch freiwilligeren Herzens hinausgehen lassen würde. Denn jetzt bin ich ein Wissender, und damals war ich ein Tor.“547

Das Muster der verständigen und verständnisvollen Mutter, die sich jedoch in dauernder Sorge und bisweilen auch in Trauer um den durch (Bürger-)Kriegshandlungen ums Leben gekommenen Heldensohn befindet, diesen aber bereitwillig vermeintlich ‚höheren‘ politischen Zielen opfert, findet sich insbesondere in den HJ- und SA-Romanen der ‚Kampfzeit‘ wieder und wird dort ausgebaut, allen voran in den Büchern, die Horst Wessel zum ‚Blutzeugen‘ stilisieren,548 wie in Vieras Wessel-Roman: „Und im Pfarrhaus an der Jüdenstraße bricht eine Mutter in die Knie. Werner, den Jüngsten, hat ihr das grausame Schicksal genommen. Nun schießt ihr Rotmord den Horst, ihren Einzigen, nieder.“549 Und auch die Soldatenmütter des Ersten Weltkrieges werden bei Viera in einem pathetischen Erzählerkommentar in hyperbolischem Sprachstil erwähnt: „Die Tränen, die deutsche Mütter über ihre sterbenden Kinder vergießen, würden den Rhein füllen […]“.550 Dass die weitgehend in der öffentlichen und symbolischen Gedenkpraxis der Weimarer Republik vernachlässigte Figur der Soldatenmutter insbesondere in der Zwischenkriegszeit eine funktionale Erinnerungsfigur für die Nationalsozialisten bildete, die das Bild der mater dolorosa geschickt mit dem von ihnen

545 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 256 [Ergänzung durch Michaela Menger]. 546 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 256. 547 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 262. 548 Vgl. dazu Siemens: Horst Wessel, S. 138. 549 Viera: Horst Wessel, S. 70. 550 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 10.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 403

praktizierten Mutter- und Totenkult amalgamierten und auch zum zukünftigen Leitbild einer ‚Heldenmutter‘-Propaganda machten, zeigt Fehlemann.551 Sie geht dabei von drei Phasen dieser NS-Strategie aus: In der ersten Phase ging es zunächst darum, den SA-Schlägern ein seriöses Gesicht zu geben, indem man die Mütter der „Blutzeugen der Bewegung“ den sogenannten Heldenmüttern des Ersten Weltkriegs gleichstellte. In der zweiten Phase  – nach der Machtübernahme – ging es darum, die Herrschaft zu stabilisieren: die toten Söhne des Ersten Weltkriegs wurden als sakrifizielles, als sinnvolles Opfer konstruiert. Sie waren gefallen, um ein neues „starkes“, also nationalsozialistisches Deutsches Reich zu schaffen. In der dritten Phase wurden die neuen Soldatenmütter auf den Krieg vorbereitet.552

Eine Variante des Motivs der ‚aufopfernden Mütterlichkeit‘ findet sich in Schenzingers Roman Der Hitlerjunge Quex. Hier handelt die Mutter zwar aus Sicht der Nationalsozialisten einerseits falsch, da sie Heini in ihren Freitod einbezieht, ihn „mitnehmen“ will, anstatt ihn direkt in die Obhut der Ersatzfamilie der HJ zu geben, andererseits ist nach dem Tod der Mutter die ‚Konkurrenz‘ der leiblichen Familie so gut wie ausgeschaltet, der kommunistische Vater wird nicht mehr erwähnt, Heini zieht in das HJ-Heim ein. Wie der Freitod der Mutter seitens des Kameradschaftsführers Kaß zu einem fast heroischen Ereignis verklärt und von den Nationalsozialisten vereinnahmt wird, veranschaulicht folgende Textstelle: „Sie ist um dich gestorben. Sie wollte nicht, daß dein Vater dich mißhandelt, sie wollte nicht, daß dieser Stoppel dich mit seiner Bande verfolgt. Sie wollte dich schützen. Sie wollte dich ‚mitnehmen‘, hat sie auf einen Zettel geschrieben, ‚mitnehmen‘!“ […] „Sie hat es gut gemeint. Was sie machte, war falsch, aber sehr tapfer, mein Junge. Ich marschiere morgen mit meiner ganzen Kameradschaft zum Friedhof. Wir wollen einen Kranz auf ihr Grab legen, mit roter Schleife und Hakenkreuz.“553

Den Anspruch der Nationalsozialisten, die öffentliche Sphäre und auch das Totengedenken immer eingehender zu okkupieren, vor allem im Kampf um öffentlichkeitswirksame Symbolik, zeigt das Zitat sehr deutlich. Nicht nur den jugendlichen Siewers, sondern auch Heini Völker begleitet die tote Mutter, pathetisch zu einer Art ‚Schutzpatronin‘ verklärt, weiterhin im

551 Silke Fehlemann: „Heldenmütter“? Deutsche Soldatenmütter in der Zwischenkriegszeit. In: Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg. Hg. v. Gerd Krumeich in Verbindung mit Anke Hoffstadt und Arndt Weinrich. Essen 2010, S. 227–242. 552 Fehlemann: „Heldenmütter“?, S. 242. 553 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 156.



404 

 5 Analyse ausgewählter Romane

(Tag-)Traum und spornt dort die jungen Kämpfer zu neuen Heldentaten an.554 Auf diese Weise lässt sich einerseits die durch den Tod drastisch geschilderte Abnabelung bzw. Abgrenzung vom Elternhaus etwas entschärfen, andererseits werden die toten Mütter dazu vereinnahmt, als internalisierte Stimme und moralische Instanz den Kampfauftrag der (Partei-)Soldaten eindringlich zu repetieren und somit die Selbstüberwindung bzw. Leistungssteigerung der jeweiligen jungen Helden zu fordern und zu fördern. Ist Siewers als komplett asexueller adoleszenter Held gezeichnet und beschäftigen sich lediglich die negativ gezeichneten Charaktere in Gruppe Bosemüller mit „Weibergeschichten“,555 so ist Heini zumindest am Rande mit adoleszentem erotischen Interesse an dem BDM-Mädchen Ulla, der Schwester seines HJ-Kameraden Fritz Dörries, ausgestattet, das jedoch durch unbedingten Triebverzicht in Form von gesteigerter Parteiarbeit sublimiert werden muss, um die ‚Reinheit‘ der geschätzten Kameradin nicht zu gefährden. Das erotische Interesse Heinis äußert sich so lediglich im Traum und selbst dort greift noch die (Selbst-) Kontrolle des Sexualtriebs: In der ganzen letzten Zeit war dies das Schönste an all diesen wachen Träumen, daß immer Ulla in ihnen zu finden war. […] Heute früh hatte sie, während er weg war, sein bißchen Wäsche zum Waschen abgeholt. Heute abend [sic!] verband sie in seinen Gedanken verwundete Schützen, kam auch zu ihm, wie er so dalag und blutete. […] Das merkwürdigste aber war, dass Ulla bei ihrem schweren Dienst nicht etwa das Kleid einer Schwester, sondern einen Badeanzug trug. Er hatte schon viele Mädchen im Badeanzug gesehen und sich nie etwas Besonderes dabei gedacht. Dies war aber etwas vollkommen anderes. […] Er wehrte sich gegen ihre Nähe, suchte nach einem Tuch oder Mantel, um ihr damit aus der Not zu helfen, und hatte doch nur wieder das eine Verlangen, mit der Hand über ihren Hals und

554 Vgl. Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 144: Die Mutter ruft Siewers im Traum zur Selbstüberwindung auf: „[…] ‚es hilft ja nichts. Komm, sei lieb… wir müssen noch über diesen Berg, mein Kind.‘ ‚Ich kann nicht, Mutter, ich habe fürchterliche Angst vor dem Berg.‘ ‚Du mußt, mein Junge, du mußt! Noch ein einziges Mal…dahinter ist es gut.‘“ Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 191: „Er [Heini] spricht die Gebetsworte, die der Scharführer vorsagt. ‚Mutter ist in mir‘, überfällt es ihn plötzlich, ‚etwas ist noch da von ihr, ich spüre es.‘ Er wird wieder froher.“ Heini scheint aus diesem Gedanken Kraft zu schöpfen, denn im Anschluss handelt er eigenverantwortlich und durch „Kriegslist“ sowie unermüdlichen Einsatz verhilft er seiner Gruppe beim Geländespiel zum Sieg, was ihn emotional deutlich rührt (S. 193–195). 555 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, S. 9. So sind die zahlreichen Affären des Leutnants als Ausdruck seines Sinndefizits dargestellt, Stracke wird wegen seines unehelichen Kindes zum Gespött der Truppe und muss Alimente zahlen und Wammsch sowie Bosemüller distanzieren sich deutlich vom Zerstreuungsbedürfnis und den sexuellen Bemerkungen der Etappe, die sich den Film „Minna, die Soldatenbraut“ anschaut. Vgl. S. 9, 128, 109, 200, 202, 245–246.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 405

ihren Arm zu streifen. Er kämpfte mit sich, wie mit einem Fremden, der ihn mit Gewalt zu etwas Ungehörigem zwingen wollte.556

Zwei Seiten weiter zeigt sich dann, wie Heini ohne Probleme seine erotischen Phantasien im Alltag sublimiert: „Am Tage brachte der Dienst von selbst die Lösung aller nächtlichen Nöte. Der Dienst fuhr wie ein Windstoß in die entlegensten Seelenwinkel und fegte die Schwaden auseinander.“557 Schenzinger zeichnet, indem er sexuelle Bedürfnisse anspricht (wenn auch nur sehr vereinzelt), ein realistischeres Bild von Adoleszenz. Erotische Anziehung wird jedoch sogleich sublimiert und entsexualisiert; denn letztendlich kann die Liebe zu Ulla als Nebenprodukt der Anziehung des Nationalsozialismus gelten. Ulla, der in den Gedanken Heinis einerseits die durch Fürsorglichkeit und Mütterlichkeit geprägte traditionelle Rolle der Krankenschwester und des Mutterersatzes zugeschrieben wird, löst andererseits durch ihr kameradschaftliches Verhalten Heinis Beschützerinstinkt aus. Heini ist als ehrenwerter ‚Parteisoldat‘ um die Unversehrtheit der Kameradin bekümmert und will Ulla vor dem Zugriff der Kommunisten beschützen.558 Dennoch wirkt Ulla, die im Roman als Prototyp des BDM-Mädchens gezeichnet wird, nicht wie ein bieder-bürgerlicher Backfisch, der einem rückwärtsgewandten Ideal von Mütterlichkeit entspricht. Im Gegenteil wird Ulla als durchaus burschikos-zupackender Typ geschildert, die sich im Straßenkampf – „schlank und groß gewachsen“559 – couragiert gegen Handgreiflichkeiten der Kommunisten wehrt560 und bei der Theaterprobe der HJ gegenüber dem schüchternen Heini zupackend-unverkrampft die Initiative bei der Kussszene ergreift: […] Ulla probte nebenan mit Heini, d. h. sie schalt ihn gründlich aus, er könne sie ruhig anfassen, sie sei nicht aus Porzellan. Sie packte seinen Kopf und küßte ihn herzhaft auf den

556 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 215. 557 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 217. 558 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 85, 200–201. 559 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 201. Ein weiteres äußeres Attribut, das Ulla zugeschrieben wird, ist, dass sie mittels Lichtsymbolik in der Wahrnehmung von Heini als „eine blonde Helle“ beschrieben wird, die von der ersten Begegnung an immer in Verbindung mit dem „Eifer“ der Parteiarbeit eine spezifische Faszination auf ihn ausübt, vgl. dazu S. 64–65. 560 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 197. An dieser Stelle entspricht Ulla durchaus dem Mädchentypus der ‚Kampfzeit‘, wie ihn Klaus beschreibt. Vgl. Martin Klaus: Mädchen im 3. Reich. Der Bund Deutscher Mädel. 3., aktual. Auflage. Köln 1998, S. 87–88: „In der ‚Kampfzeit‘ entstand auch der Mythos des körperlich-kämpfenden, sich raufenden Mädchens, das es den Jungen in Saal- und Straßenschlachten gleichtat.“ Dieses Bild wird jedoch im Laufe des Romans deutlich relativiert.



406 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Mund. „– so!“ Mit hochroten Gesichtern sahen sie sich sekundenlang an. „Davon ist noch keiner gestorben“, lachte ihm Ulla endlich ins Gesicht. Heini schnappte nach Luft, lachte dann auch, und hernach ging die Szene wie am Schnürchen.561

Was auf den ersten Blick so wirkt, als vertrete Ulla den Typus einer sexuell selbstbestimmten, emanzipierten Frau, die durchaus dem doch von den Nationalsozialisten so verdammten und als lasterhaft-promisk beschriebenen Typus der ‚neuen Frau‘ der Weimarer Republik ähnelt, ist ein Trugschluss, der im Folgenden durch eine eingehendere Untersuchung des NS-Frauenbildes (v. a. der ‚Kampfzeit‘) aufgelöst werden kann. Das Changieren der Rolle von Ulla zwischen Krankenschwester, Mutter und vorgeblich selbstständig-emanzipativer Kameradin ist nicht so widersprüchlich, wie dies auf den erstem Blick anmuten mag, sondern gehört in seiner Ambiguität zum bewussten Kalkül der Nationalsozialisten in Bezug auf das propagierte Frauenbild. Als im Rahmen des Nationalsozialismus konstitutiv und funktional kann letztendlich „die doppelte Kodierung des NS-Frauenbildes aus der Ideologie als Mutterbild und aus der gesellschaftlichen Funktion als ‚Arbeits- und Kampfgefährtin‘[…]“562 gelten. Die Neudefinition von Geschlechterbeziehungen als ‚Arbeitsgemeinschaft‘ und das Konzept der ‚Kameradschaftsehe‘ sowie die explizite Einbeziehung von Mädchen in einen Jugendbund und somit das Zugeständnis von Jugendlichkeit als eigenständiger Phase sowie betont versachlichte Geschlechterbeziehungen muten zunächst progressiv an. Doch der entscheidende Unterschied zur wirklich sexuell selbstbestimmten ‚neuen Frau‘ der Weimarer Republik ist, im Bild der ‚neuen Frau‘ wie es der Nationalsozialismus propagiert, folgender: „Erotik und Sinnlichkeit sind aus dem Idealbild der ‚neuen‘ Frau [des Nationalsozialismus] ausgeklammert.“563 Dies zeigt sich auch in Schenzingers Roman, der letztendlich jugendliche Sexualität lediglich oberflächlich anspricht und die sich bewusst aufgeschlossen für jugendliche Belange und progressiv gebende Haltung sofort wieder einbindet

561 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 260. 562 Gisela Miller-Kipp: Politische Ästhetik: Bilder der Frau und der weiblichen Jugend. Einführung. In: „Auch du gehörst dem Führer“. Die Geschichte des Bundes Deutscher Mädel (BDM) in Quellen und Dokumenten. Hg. v. Gisela Miller-Kipp. Weinheim/München 2001, S. 269–276 [hier: S. 269]. 563 Regine Häusler: Weiblichkeitsentwürfe in der Mädchenliteratur des Nationalsozialismus. Ein Vergleich zwischen favorisierten Mädchenbüchern und „Konjunkturschriften“. In: Inszenierungen von Weiblichkeit. Weibliche Kindheit und Adoleszenz in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Gertrud Lehnert. Opladen 1996, S. 215–233 [hier: S. 222, Ergänzung durch Michaela Menger].





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 407

in Strukturen des Triebverzichts, wie die obenstehende Traumsequenz beispielhaft illustriert. Die Kuss-Szene ist ähnlich unverfänglich konzipiert. Schließlich ist sie Teil der Theaterprobe der HJ und bleibt damit bloßes Bühnenspiel, der äußeren Notwendigkeit des Dienstes geschuldet, und kann somit als vollkommen unanstößig bzw. unschuldig aufgefasst werden. Wie Ulla in ihrer Initiative zum (Bühnen-)Kuss abgesetzt wird von der negativ besetzten, sexuell aufreizenden ‚neuen Frau‘ der Weimarer Republik, verdeutlicht Schmidt-Ott: Ullas takes the initiative, but the kiss is reduced to a game, being part of a rehersal, rather than genuine sexual desire. It is within bounds, part of the stage directions, therefore legitimate and innocent, and all the reader learns is that this now makes them act with much more ease and fun. Nevertheless, Ulla fulfils the National Socialist ideal of the ‚natural‘, comradely, fresh and spirited young girl, open but by no means sexually challenging.564

So bleibt die Beziehung zwischen beiden letztendlich asexuell und mit politischer Haltung verknüpft; Sexualität wird ganz im Sinne der von den Nationalsozialisten (zumindest gegenüber Frauen) vertretenen Sexualmoral als äußere Notwendigkeit im Dienste der Partei geschildert und nicht lustvoll besetzt, sondern dient, vor dem Hintergrund des rassistischen Selbstverständnisses, primär der Zeugung neuer ‚Volksgenossen‘. Letztendlich bildet das positiv besetzte Bild der Ulla in Schenzingers Roman lediglich eine Personenhülle, die vorwiegend besetzt ist von den positiven Zuschreibungen der männlichen HJ-Mitglieder, allen voran den positiven Urteilen Heini Völkers. Ulla ist, im Gegensatz zu den kommunistischen Genossinnen Trude und Elly in Schönstedts Kämpfende Jugend, größtenteils nicht mit einer eigenen Stimme ausgestattet und beteiligt sich somit auch nicht an politischen Diskussionen (die ohnehin in der Gesamtheit des Romans keine vordergründige Rolle spielen). Von ihrem unmittelbaren Bewusstsein erfährt der Leser nichts. Schmidt-Ott konstatiert daher sehr prägnant: „statements are usually made about her [Ulla], not by her“.565 Damit bleibt der vermeintlich ‚moderne‘ Frauentypus, den Ulla zumindest partiell verkörpern soll, nicht mehr als reine Oberflächengestaltung, von emanzipatorischem bzw. einem eigenständigen, inhaltlichen politischen Bewusstsein kann bei Ulla (aber auch bei den dargestellten männlichen Akteuren der HJ) keine Rede sein.

564 Anja Schmidt-Ott: Young Love – Negotiations of the Self and Society in Selected German Novels of the 1930s. Hans Fallada, Aloys Schenzinger, Maria Leitner, Irmgard Keun, Marie Luise Kaschnitz, Anna Gmeyner and Ödön von Horváth. Frankfurt a. M. [u. a.] 2002, S. 144. 565 Schmidt-Ott: Young Love, S. 144.



408 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Jedoch bietet die Einbindung der männlichen wie weiblichen Figuren in die Diskurse von Kameradschaft und Jugendlichkeit Schenzinger die Möglichkeit, durch Anknüpfung an aktuelle, parteiübergreifende Themen, Modernität und Fortschrittlichkeit zu suggerieren und auf diese Weise auch die Attraktivität des Bildes der HJ in der Außenwirkung zu steigern. In wieweit der Topos der ‚Kameradschaft‘ durch seine begriffliche Offenheit auch für junge Frauen attraktiv war, verdeutlich Kudrus: Auch die nationalsozialistische Bewegung lässt sich nicht allein als rückwärtsgewandte Männerbündelei verorten. […] Im öffentlichen Auftreten wurde der Inszenierung des militarisierten Männerbundes – den „Männern der Tat“ – Vorrang eingeräumt. Diskursiv wurde aber spätestens ab 1928 der neue Topos von einer hierarchisch angeordneten „Kameradschaft“ von Mann und Frau aufgegriffen. […] Die nationalsozialistische Bewegung versprach an Stelle von irritierendem Wandel und beängstigender Vielfalt eine ordnende Versöhnung der Geschlechter. Der Begriff der „Kameradschaft“ war taktisch gut gewählt. Er bot Projektionsfläche für viele Lebensentwürfe und blieb dabei gleichzeitig inhaltlich höchst vage. Erstens sprach er Egalitätsvorstellungen an, ohne jedoch Hierarchien auszuschließen. Zweitens gründet das Wesen der Kameradschaft gerade eben nicht im Persönlichen und Indviduellen [sic!], sondern sie ist nach Martin Brozat – „Kodex und Pflicht“. Durch diese anklingende Emotionalisierung und Versachlichung der Geschlechterbeziehungen stand der Begriff im Einklang mit Haltungen und Lebensgefühlen, die offenbar die jüngere Generation, die den Krieg nicht aktiv miterlebt hatte, sowohl der völkischen Rechten als auch der Linken in der Weimarer Republik attraktiv fanden.566

Dabei führte die Teilnahme an Fahrten und sonstigen Freizeitaktivitäten sowie die Übernahme von vermeintlich ‚verantwortungsvollen‘ Aufgaben im BDM durchaus im Selbstempfinden vieler Mädchen zu einem subjektiven Gefühl der Autonomie gegenüber tradierten Autoritäten bzw. zur Selbstaufwertung.567 Dass dieses Gefühl jedoch trügerisch war und von der Partei bewusst evoziert wurde,

566 Birthe Kudrus: Geschlechterkriege. Der Erste Weltkrieg und die Deutung der Geschlechterverhältnisse in der Weimarer Republik. In: Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege. Hg. v. Karen Hagemann und Stefanie Schüler-Springorum. Frankfurt a. M./New York 2002, S. 171–187 [hier: S. 179]. Kudrus bezieht sich mit dem Zitat „Kodex und Pflicht“ (S. 179) auf: Martin Brozat: Einleitung. In: Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß. Hg. v. Martin Brozat. München 1987, S. 21. In der mir vorliegenden Auflage befindet sich das Brozat-Zitat an folgender Stelle: Martin Brozat: Einleitung. In: Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß. Hg. v. Martin Brozat. 16. Auflage. München 1998, S. 7–30 [hier: S. 28]: „Sie [die Kameradschaft] ist Kodex und Pflicht und erfordert gerade nicht das Sich-Einlassen auf das Besondere und Individuelle des Partners, sondern gilt im Gegensatz zur Freundschaft ohne Ansehen der Person.“ 567 Vgl. dazu u. a. Klaus: Mädchen im 3. Reich, S. 179.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 409

um Mädchen zu „willigen Komplizinnen“568 im Rahmen der Ausführung von parteilichen Direktiven zu machen, zeigt Reese: Indem der Nationalsozialismus die Mädchen der Jugend zurechnete, ordnete er sich das Emanzipationsbestreben der Mädchen unter, ohne daß damit indes Emanzipation impliziert gewesen wäre. Zwar beinhaltete die Organisation im Bund Deutscher Mädel die Loslösung aus dem Traditionsverband der Familie, aber an die Stelle väterlicher oder mütterlicher Autorität trat immer nur die Autorität des Staates. […] [Es] zeigt sich, daß die Erfassung der Mädchen durch den Nationalsozialismus vor allem dort erfolgreich sein konnte, wo Bedürfnisse nach Freiheit und Selbstverwirklichung vorlagen, denen der Bund Deutscher Mädel Schützenhilfe leistete und für die er ein Terrain bot. Doch entlastete der Nationalsozialismus die Mädchen weitgehend von eigenem Einsatz für ihre emanzipativen Wünsche und Vorstellungen. Indem er den Aufbruch forcierte, ohne ein Ziel zu benennen, verhinderte er jede reflektierte Auseinandersetzung und machte sich darüber die Mädchen gefügig.569

Doch nicht nur zwecks Attraktivitätssteigerung des BDM für junge Frauen wurde das duale Frauenbild von Hausfrau/Mutter und Kameradin geschaffen, sondern auch in Bezug auf den ökonomisch-flexiblen Einsatz für Parteizwecke, wie Hopster betont: Die Frau wurde von vornherein auf die Rolle der „Mutter“ und der „Arbeitskameradin“ konditioniert. Im Unterschied zum „Mann“ wurde ihr die Fähigkeit zur Übernahme mehrerer unterschiedlicher Rollen abverlangt, die sie allererst befähigte, im privaten und sozialen Bereich die für den NS-Staat lebensnotwendigen ökonomisch-organisatorischen Prinzipien durchzusetzen bzw. einzuhalten und die sie darüberhinaus so „mobil“ und „tatfreudig“ werden ließ, als industrielle Ressource „benutzt“ werden zu können.570

Vor diesem gesellschaftspolitischen Hintergrund wird bewusst, warum der Gestalt der Ulla in Der Hitlerjunge Quex das doppelt codierte Frauenbild des Nationalsozialismus inhärent ist, das durchaus ermöglicht, BDM-Mädchen vordergründig als fortschrittlich und selbstbewusst zu präsentieren. Die Zwiespältigkeit und letztendliche Täuschung, die von diesem Bild ausgeht, wird im Roman am eindrücklichsten an der Stelle deutlich, als Heini – ganz im Sinne des männlichen Helden in Abenteuerromanen oder Märchen  – nach tradiertem (bürgerlichem) Schema, das von ihm ersehnte Mädchen zugesprochen wird. Von revoluti-

568 Dagmar Reese: Emanzipation oder Vergesellschaftung: Mädchen im „Bund Deutscher Mädel“. In: Politische Formierung und soziale Erziehung im Nationalsozialismus. Hg. v. HansUwe Otto und Heinz Sünker. Frankfurt a. M. 1991, S. 203–225 [hier: S. 223]. 569 Reese: Emanzipation oder Vergesellschaftung, S. 212, 222–223 [Ergänzung durch Michaela Menger]. 570 Norbert Hopster: Mädchenbild und Mädchenliteratur im Nationalsozialismus. In: Schiefertafel 9 (1986), H. 1, S. 21–35 [hier: S. 32].



410 

 5 Analyse ausgewählter Romane

onierten Geschlechterrollen und emanzipierter Weiblichkeit kann an dieser Stelle nicht die Rede sein – ganz im Gegenteil bleibt die Frau auf ihre passive Rolle der Bewunderin des Helden festgelegt. Wie dieses bewährte Schema nahezu ohne Modifikationen in den Parteikontext eingefügt wird, zeigt die entsprechende Textstelle, an der Fritz seinem HJ-Kameraden Heini erzählt, wie sehr sich seine Schwester Ulla auf ihre (Theater-)Rolle als Partnerin von Heini freue: „Du kannst dir gar nicht denken, Quex, wie sich Ulla auf ihre Rolle freut. Sie spreizt die Federn wie eine Henne. Aller Welt erzählt sie, daß ihr Partner der neugebackene Kameradschaftsführer sei. Kannst dir was einbilden, du! […]“571

Auch hier kommt Ulla nicht direkt zu Wort, ihre angeblichen Gedanken und ihr Stolz werden per Aussage des Bruders572 vermittelt und durch die Analogie sowie die Hyperbel („[a]ller Welt“) in ihrer Darstellung intensiviert. Zudem scheint die Beförderung auf den Posten des Kameradschaftsführers Heinis Attraktivität zu steigern, was durchaus auch als (nicht gerade subtiler) Ansporn für den adoleszenten männlichen Leser gesehen werden kann, seine politische Karriere voranzutreiben, um bei den ‚richtigen‘ Mädchen gut anzukommen. Letztendlich beinhaltet die Szene die von Heini so stark erwünschte und erarbeitete Bestätigung aus dem Kreis der HJ, die ihm endgültig vermittelt, ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft zu sein und so heißt es noch auf der gleichen Seite: „[…] er war dabei, er gehörte mit dazu, ein unfaßlicher Gedanke war das, ein unsagbares Gefühl.“573 Eigentlich am Ziel seiner Wünsche angelangt, gesteigert nur noch durch die Kusszene mit Ulla, konstatiert Heini „plötzlich mit einem merkwürdigen Klang in der Stimme: ‚es war eigentlich so mein schönster Tag heute.‘“574 An dieser Stelle wird sehr rasch und unmittelbar die tragische Fallhöhe des Helden etabliert, den Ulla und Fritz noch auf der gleichen Romanseite nach dem Abschied und einem

571 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 259. 572 Theweleit verweist in seiner nicht unumstrittenen psychoanalytisch motivierten Studie der 1970er Jahre zur Freikorpsliteratur bereits darauf, dass die ‚Kameradenschwester‘ oft als bevorzugte Partnerin gelte. Vgl. Klaus Theweleit. Männerphantasien. Band 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte. Frankfurt a. M. 1977, S. 159: „Die Heiraten, die möglich sind, geschehen fast immer nach dem Muster: die eigene Schwester für den Kameraden/guten Freund/bewunderten Mann […]“. Für eine kritische Auseinandersetzung mit Theweleits Werk vgl. Sven Reichardt: Klaus Theweleits „Männerphantasien“ – ein Erfolgsbuch der 1970er Jahre. In Zeithistorische Studien/Studies in Contemporary History 3 (2006), H. 3, S. 401–421. 573 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 259. 574 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 261.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 411

Schrei tödlich verletzt auf der Straße liegend auffinden. Die tragische Dimension des Todes von Heini wird somit ganz deutlich hervorgehoben. Eindeutig stehen so männliches Heldentum und männlicher Opfergeist im Vordergrund des Buches; die bewusste Konzeption der Ulla als Prototyp des BDM-Mädchens, die das von der Partei propagierte duale Frauenbild vertritt, ist jedoch durchaus als Identifikationsfolie für weibliche Leserinnen angelegt und im Sinne der Partei funktional modelliert. Dass die weibliche Figur der Ulla aus Der Hitlerjunge Quex damit sogar exemplarischen Charakter für weitere, schnell produzierte Titel der ‚Konjunkturliteratur‘ gewann, betont Hopster: „Ulla hatte ‚Konjunktur‘ in Nachfolge der ‚Ulla‘ in Schenzingers Der Hitlerjunge Quex […], die zum Vorbild für viele ‚Ullas‘ oder ‚Ursulas‘ in anderen Titeln wurde, aber nach dem Urteil der NS-Zensoren offenbar unerreicht blieb.“575 Dem Typus der Ulla entsprechen in den Viera-Romanen am ehesten die weiblichen Figuren im Wessel-Roman, die Heldenschwester und ‚Kampfgenossin‘ Inge Wessel576 sowie der fiktive Charakter der Tine Walkotte, deren Bekehrungserlebnis ausgelöst wird durch das angebliche Charisma von Wessel, dessen „starke[r] Blick“577 die emotionale Zuwendung hin zum Nationalsozialismus einleitet. Ansonsten ist in den Viera-Romanen jedoch die Mutterrolle prädominierend; alle der vier untersuchten Romane besitzen im Figureninventar den Typus der Mutter, dessen auffällige Rollenzweisung und Schematisierung bereits im Namen vorherrschend ist: Die Mütter besitzen überwiegend keine Vornamen, auf sie wird lediglich als „Mutter Schott“, „Mutter Wörlein“ etc. referiert. Auch die Ausgestaltung der jeweiligen Mutterrollen ist dementsprechend schematisch und variiert nur minimal. Alle Mütter lassen sich bei Viera umstandslos in die Parteiarbeit der Söhne integrieren. Entspricht „Mutter Wessel“, wie bereits oben betont, dem tradierten Typus der mater dolorosa, so wird „Mutter Schott“ als verständnisvolle, sich zwar sorgende, aber die Parteiarbeit ihres Sohnes unterstützende Mutter

575 Hopster: Mädchenbild und Mädchenliteratur im Nationalsozialismus, S. 25. Vgl. z. B. den bereits im Kapitel 2.2.2 erwähnten Titel, der wie die Viera-Bände im Franz Schneider Verlag erschienen ist: Helga Knöpke-Joest: Ulla, ein Hitlermädel. Leipzig 1933. 576 Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 18: „[…] hat Mut und Schneid wie kein anderes Mädel.“ 577 Viera: Horst Wessel, S. 26: „Eine Sekunde lang ist es ihr [Tine], als schauten diese kühlen und doch so heißen Augen [von Wessel] tief in ihr Herz. Sie erschrickt über diesen starken Blick.“



412 

 5 Analyse ausgewählter Romane

beschrieben,578 während „Mutter Siebenhaar“ als Konvertit modelliert ist579 und „Mutter Wörlein“ hilfsbedürftig-flehend Hitler anruft: „Hilf, Hitler hilf!“580 Das komplette Personenarsenal ist bei Viera asexuell konzipiert, Paarbeziehungen spielen keine Rolle. So ergibt sich auch der entscheidende Unterschied in der Darstellung der sexuellen Denunziation der Frauen der Gegner, die lediglich im Quex-Roman vorkommt. Heini bezeichnet die kommunistischen Mädchen als „Nutten“581, die Wisnewski durch kalkulierte sexuelle Verführung vom ‚rechten Weg‘ des Nationalsozialismus abbringen, ihn zur Gegenseite hinüberziehen und so letztendlich zum Verräter werden lassen. Die unberechenbare sexuelle Energie des Gegners dient also der ‚Zersetzung‘ in den eigenen Reihen. Heini nimmt ohnehin voller Abscheu bereits zu Anfang des Romans Abstand von den als promisk gezeichneten Frauen der kommunistischen Clique, insbesondere von Gerda, die ihn auf herausfordernde, anzügliche Art und Weise anflirtet: Wie ihm der Junge gefalle? meinte sein Nachbar und stieß ihm mit dem Ellbogen vielsagend in die Seite. […] Heini fühlte, wie er über und über rot wurde. Er konnte allerlei vertragen, aber so etwas mochte er nicht leiden. Seine Umgebung schien aber sein Erröten anders zu verstehen. Es gab ein allgemeines Halloh [sic!]. Heini kochte innerlich vor Wut. Er sprang hoch: „Ich verbitte mir eure Anpöbeleien, ihr Schweine!“ schrie er so laut er konnte. […] Jetzt erhob sich auch der Junge mit dem zarten Gesicht, streifte die Windjacke ab und zog die Baskenmütze vom Kopf. […] „Gestatten“, sagte eine heisere Stimme neben ihm, „darf ich bekannt machen? Das ist Gerda, die schönste ‚Cliquenkuh‘, die wir haben. Gib der Dame einen Kuß, mein Junge! Du kannst von Glück sagen, daß sie dich leiden mag!“ Heini fuhr zurück. „Ich denke nicht daran!“ Gerda packte ihn bei der Schulter: „Warum nicht, du Knirps?“ „Weil du ekelhaft bist!“582

An dieser Stelle zeigt sich erneut das Bild von Heini als keuschem, unbeflecktem Knaben, dem die sexuellen Ausschweifungen und Zoten der Clique zuwider sind, der vor homoerotischen Anspielungen zurückschreckt und die als aufdringlich und herausfordernd androgyn gezeichnete Gerda ablehnt. Gerda steht in ihrem androgynen Wesen hier für den auch sexuell selbstbestimmt und liberal eingestellten Typus der ‚neuen Frau‘ der Weimarer Republik, der im Gegensatz zum Typus der ‚neuen Frau‘ des Nationalsozialismus, wie Ulla ihn beispielhaft verkörpert, als lasterhaft, ‚unanständig‘, undiszipliniert sowie unkontrollierbar

578 Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 29, S. 77: „Was die Mutter nicht weiß, daß ihr Junge in dieser Nacht der Erhebung im letzten Kampf mit Rotfront und Marxismus sein Leben für Deutschlands Befreiung in die Schanze schlug, das ahnt das Mutterherz.“ 579 Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 38: „Sie ist auch von Hitlers Botschaft erfaßt.“ 580 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 46. 581 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 220. 582 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 35–36.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 413

beschrieben wird und daher eine gegnerische Gefahr darstellt, zu der es  – im Sinne der Parteidisziplin – Distanz zu halten gilt. Die Diffamierung der gegnerischen Frauen beschränkt sich jedoch nicht auf den nationalsozialistischen Roman. Vor allem im Roten Eine-Mark-Roman Sturm auf Essen, der zuvorderst das Versagen der Sozialdemokratie im Sinne der ‚Sozialfaschismusthese‘ illustriert, sind es die SPD-nahen oder apolitischen Frauen, die die politische Arbeit der kommunistischen Männer behindern. So gehört Frau Kreusat beispielsweise zu den negativ gezeichneten, revolutionshemmenden Frauen. Sie wird als übervorsichtige, ihr noch einzig lebendes Kind bemutternde Frau beschrieben, die ihre beiden älteren Söhne im Ersten Weltkrieg verloren hat.583 Sie ist also, der Darstellung des Romans nach, aus egoistischen Gründen gegen die Revolution, gibt sich politisch indifferent und beschimpft die Genossen, da sie den Sohn im Haus behalten möchte.584 Auch die Freundin von Franz Kreusat, Theres Trauten, wird in Analogie zum sozialdemokratischen Vater als selbstgerecht und schnippisch beschrieben und ihr wird durch die Infragestellung der Männlichkeit von Franz die Rolle der bösen Verführerin zugeschrieben.585 Frau Bramm kann als überzeugte SPD-Parteifunktionärin die Hinwendung ihres Mannes zu den Revolutionären nicht nachvollziehen und ringt mit ihm um sein Gewehr.586 Die anderen in Sturm auf Essen dargestellten Frauen, wie Frau Zermack, Frau Raup, Frau Mahler und die tratschende Frau Neumann unterstützen die Männer weitestgehend, verstecken sie, verraten sie nicht und beschimpfen Polizei und Reichswehr.587 Einzig die Sanitäterin, im Buch in sexistischer Weise

583 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 80–81. 584 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 16: „Es leben alle! Ich weiß nicht, daß schon mal einer verhungert ist!“, S. 25: „Bis ihm wat passiert! Ihr schafft doch ’n Dreck mit! Den Jungen macht ihr mir nur verrückt!“. 585 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 10: „Mensch, wie ein Schaf stehste da! Du bist mir ein Bräutigam! Wie ein Stock biste!“, S. 10 „Das will ein Mann sein!“, S. 85 „[Sie] sagte schnippisch: ‚Ich bin das Warten leid, daß du’s weißt!‘“. 586 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 53–54: „Geh’ zu deinen neuen Freunden, aber mit uns ist es aus!“ 587 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 157: [Frau Raup:] „Ihr könnt es ruhig tun, ich weiß nicht, wo mein Mann ist!“, S. 159: „‚Im Arsch‘ – wurde nun auch die Zermacksche ruppig. ‚Was wollt ihr von meinem Mann?‘“, S. 160: „Die Naumannsche hatte ihn geschickt aus der Gefahr geführt.“, S. 33: zeternde Frau Mahler. Dass und wie Frauen in der Weimarer Republik ganz spezifische Formen des (politischen) Protests artikulierten, zeigt u. a. Karen Hagemann: Frauenprotest und Männerdemonstration. Zum geschlechtsspezifischen Aktionsverhalten im großstädtischen Arbeitermilieu der Weimarer Republik. In: Massenmedium Straße. Zur Kulturgeschichte der Demonstration. Hg. v. Bernd Jürgen Warneken. Frankfurt a. M./New York 1991, S. 202–230.



414 

 5 Analyse ausgewählter Romane

als „Karbolmäuschen“588 bezeichnet und auch sonst eher auf ihre körperlichen Vorzüge reduziert, möchte mit an die Front, wird aber darauf verwiesen, dass dies nichts für Frauen sei und in belehrendem Ton darauf aufmerksam gemacht, ob sie wisse, dass dort geschossen werde.589 Insgesamt prägen die Frauen also auch hier nur die Hintergrundkulisse; Streitigkeiten zwischen Männern und Frauen bilden schemenhaft die Konfliktlinie zwischen Privatsphäre und politischer Sphäre ab, ohne jedoch auf den privaten Bereich näher einzugehen. Zwar bezog die KPD in Frauenfragen theoretisch die fortschrittlichsten Positionen, beispielweise in der öffentlichkeitswirksamen Kampagne gegen den § 218, der die Abtreibung verbot. Der Rote Eine-Mark-Roman Bd. 5 Maria und der Paragraph (1931) von Franz Krey ist Ausdruck dieser Bestrebungen. In der Parteipraxis und an der Basis kann jedoch zumindest in der Endphase der Weimarer Republik durchaus von einem männlich dominierten Kommunismus und von der traditionellen Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre und der dementsprechenden Rollenverteilung gesprochen werden, wie Mallmann betont: In der Geschlechterfrage erhob die KPD zwar die radikalsten Gleichheitsforderungen aller Parteien, sie war und blieb jedoch ein Männerbund. […] Die Männer debattierten in den Betrieben, Kneipen und Versammlungen, die Frauen trafen sich in den Läden und auf den Märkten. Die Männer waren auf das Symbol des Achtstundentages fixiert, die Frauen auf die Beschaffung von Nahrung, für die sie Verantwortung trugen. Die Männer betrieben eine Politik der Organisation, orientiert auf Produktionssphäre und öffentlichen Raum, dachten in klassenzentrierten Mustern, in denen Frauen bestenfalls als Hilfstruppen, als ‚Mitkämpferinnen‘ auftauchten, die die Auseinandersetzung der Männer unterstützten.590

Auch Sewell verweist auf diesen tiefgreifenden Widerspruch und stellt vor allem im Zusammenhang mit den zahlreichen Straßenkämpfen in der Endphase der Weimarer Republik eine zusehende Maskulinisierung der Erscheinungsform der Partei sowie eine Verengung auf männliche Kampftugenden fest: On the one hand, the KPD consistently advocated women’s rights; on the other hand, the cadre as well as as party leaders never fully committed themselves to gender equality. That Rosa Luxemburg, Ruth Fischer, and Clara Zetkin occupied the highest echelons of the KPD should not obscure the fact that women’s presence at all ranks in the party was marginal. […] Thus, despite the KPD’s profeminist stance and despite its efforts to appeal to workingclass women, communists’ attitudes towards women’s political activism, especially at the

588 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 102. 589 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 102: „Die Augen der Männer tasteten wohlgefällig und begehrlich ihren Körper ab. Ihre volle Brust hob sich beim Lachen prall vor und lockte.“, S. 103: „Weißt du, daß dort geschossen wird?“, S. 111: „Es ist nichts für Frauen!“. 590 Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, S. 131, 140.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 415

grassroots level, were laced with a deep ambivalence, as a culture of gender inequality resonated more widely with communists than the party rhetoric of equality. […] By the early 1930s, the rhetoric and images of men and women united together in revolutionary struggle vanished in KPD publications, supplanted by a linguistic and visual lexicon that emphasized a hypermasculinity that was defined foremost by the commitment to armed struggle against Nazism.591

Im Roten Eine-Mark-Roman S.S. Utah ist diese ambivalente Haltung in Bezug auf die Frauenfrage ebenfalls zu bemerken. Frauen nehmen dort auch keine handlungstragende Funktion ein. Die vorbildlichen Klassenkämpfer und Helden sind, wie in Sturm auf Essen, die kollektiv handelnden Männerbünde. Nichtsdestotrotz wird hier das Elend vieler Frauen durch Prostitution, Misshandlungen, ungewollte Schwangerschaften und ihre Stigmatisierung zu Sünderinnen durch die bürgerliche Sexualmoral und die Kirchen stark kritisiert:592 „Je früher wir die ganze bürgerliche Geschlechtsmoral hinausfegen können, die uns durch Kino und Presse immer wieder aufgetischt wird, desto eher werden wir die Wahrheit dieser Dinge sehen  – nämlich daß das heutige System die arbeitenden Frauen zu Sklaven und Huren macht und die Weiber der sogenannten ‚besseren Stände‘ zu parfümierten Speichelleckerinnen und Maitressen!“593 „Hinter diesen blauverhängten Fenstern mit ihren kleinen Blumentöpfen – wie viel Elend durch den Segen der Kirche! – wie viel kirchlich gezüchtete Scheinheiligkeit, wie viel kirchlich gefestigter Aberglaube…“594

Dem wird kontrastierend die Autonomie der russischen Frauen gegenübergestellt, die einen Arbeitsplatz mit gleichem Lohn wie die Männer haben und legal abtreiben können: „Ja, aber weißt du, die haben gar nicht so viel Angst, daß sie schwanger werden. Und hier ist es auch wurscht, ob ein Kind ehelich oder unehelich ist.“595, „Die Frauen in der Sowjetunion haben es nicht nötig als Prostituierte loszugehen. Sie haben Arbeit und sie haben den gleichen Lohn wie die Männer.“596 Damit spricht der Roman am Rande auch weibliche Leser thematisch an und soll bei männlichen Lesern Verständnis für die Lage der Frauen hervorrufen, womit der im Vorwort geäußerte Anspruch an S.S. Utah als Roman für die

591 Sara Ann Sewell: The Party Does Indeed Fight Like a Man: The Construction of a Masculine Ideal in the Weimar Communist Party. In: Weimar Culture Revisited. Hg. v. John Alexander Williams. New York [u. a.] 2011, S. 161–182 [hier: S. 162, 167, 172]. 592 Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 44, 56: Misshandlungen von Prostituierten. 593 Pell: S.S. Utah, S. 12. 594 Pell: S.S. Utah, S. 109. 595 Pell: S.S. Utah, S. 72. 596 Pell: S.S. Utah, S. 67.



416 

 5 Analyse ausgewählter Romane

ganze „Arbeiterfamilie“597 zumindest ansatzweise verwirklicht wird. Dieser Eindruck wird jedoch durch zahlreiche zotenhafte Bemerkungen der sexuell fixierten Seemänner nivelliert, die die Frau zum Lustobjekt degradieren,598 was zumindest teilweise vom vorbildlichen Genossen Slim gerügt wird, der die allgemeine „Gier nach Schnaps und Weibern“599 der Matrosen durch sinnvolles gesellschaftliches Engagement ersetzen möchte. Mit sprachlichem und politischem Artikulationsvermögen ausgestattet sind lediglich die beiden kommunistischen Funktionärinnen Trude und Elly aus Kämpfende Jugend. In diesem Roman ist also nicht nur das Repertoire der geschilderten Personen und sozialen Schichten umfangreicher und vielfältiger gestaltet als in den anderen untersuchten Rote Eine-Mark-Romanen (vgl. dazu 5.3), sondern insbesondere die Genossinnen des KJVD ergreifen öfters die Initiative und bringen durch pragmatische Ideen die Parteiarbeit voran. In ihrem parteilichen Aktivismus werden sie jedoch zumeist mit männlichen Attributen belegt. So geht nicht nur die Genossin Elly „Kleben wie ein Junge“ auch die Kassiererin Trude wird als „jungenhaft“ und als „Kerl“ bezeichnet, da sie durchsetzungsfähig ist, als überzeugende Rednerin gilt und die umgehende Umsetzung ihrer praktischen Ideen veranlasst:600 „Trude schlug so energisch auf den Tisch und bestand so nachdrücklich auf ihre Forderungen, dass sie damit jeden Widerstand brach.“601 Diese Maskulinisierung der Frau in ihrer Rolle als ‚Kampfgenossin‘ verdeutlicht Sewell ebenfalls: Guided by the belief that a communist state was on the immediate horizon, communists asserted that women would occupy pivotal roles in the new society, and their representations prominently featured strong female warriors. The fact that these female representations display distinctly masculine features, including builds that suggest masculine physical prowess and facial structures that depict strong bone lines and pronounced jaws, underscores the ambivalent nature of communist femininity.602

597 Pell: S.S. Utah, S. 2. 598 Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 44: „Ein breiter Lederriemen um ihr Mitschiff ließ keinen Irrtum über ihre Landkarte aufkommen.“, Bezeichnung von Frauen als: S. 56: „Unterröcke“, S. 57: „Männerwürger“, S. 38: „Schlachtbeil“. 599 Pell: S.S. Utah, S. 42. 600 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 56: „geht Kleben wie ein Junge“, S. 37: „jungenhaft“, S. 66: „Kerl“. Praktische Ideen Trudes: S. 66: Austauschprogramm zwischen Stadt und Land, S. 64: Verkauf von Broschüren zugunsten der Genossen auf dem Land. 601 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 65. 602 Sewell: The Party Does Indeed Fight Like a Man, S. 162. Zur maskulinisierten Darstellung von politisch aktiven Frauen im Umfeld der KPD vgl. auch: Eric D. Weitz: Creating German Communism 1890–1990. From Popular Protests to Socialist State. Princeton (New Jersey) 1997, S. 215.





5.3 „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ 

 417

Auch Kontos formuliert dieses Phänomen eines in seiner äußeren Erscheinungsform und in seiner Parteisprache primär männlich auftretenden Kommunismus prägnant im Titel ihrer Studie Die Partei kämpft wie ein Mann.603 Elly und Trude werden auf diese Weise jedoch in Schönstedts Roman auf den ersten Blick argumentatorisch sowie handlungsmäßig Sphären der Autonomie eingeräumt. Elly, die in Liebesdingen selbstbestimmt entscheidet und die Initiative beim zurückhaltenden Neumitglied Erich ergreift,604 trägt dadurch zu dessen Integration in den KJVD bei, tritt jedoch mit zunehmendem politischen Engagement von Erich, dessen positive Entwicklung hervorgehoben wird, eher in den Hintergrund. Vor allem Rohrwasser betrachtet die Darstellung der Beziehung zwischen Elly und Erich kritisch, für ihn gilt Elly letztendlich lediglich als sexuelle „Belohnung“ für den politisch geläuterten Erich: Was vordergründig im Gewand der Emanzipation auftaucht, entpuppt sich als Belohnungsmechanismus, der auch dem bürgerlichen Trivialroman schon unentbehrlich schien. Derjenige, er sich den immanenten Anforderungen der propagierten Struktur angepasst hatte, der Erfolgreiche [sic!] wird libidinös belohnt.605

Trudes Engagement wird hingegen durchgängig geschildert und mündet in einen emphatischen (Funktionärs-)Monolog. Als Grundlage für eine intakte Privatsphäre betrachtet sie die klassenlose Gesellschaft, welche die freie Entfaltung des Individuums mit sich bringe. Bis dahin seien persönliche Probleme, Emotionen und die Liebe dem Klassenkampf untergeordnet: „Unsere Parole ist: alles für die proletarische Klasse. Auch die Liebe. Dient sie dem Klassenkampf, fördert sie, gibt sie neue Kraft, dann ist es gut, egal wie es die Menschen fertiggebracht haben. Stiftet sie aber Verwirrung und schafft sie Fesseln, dann fort mit ihr, dann ist sie kleinbürgerlich, sentimental und rückständig.“606

Indessen sieht sie fast alle Probleme des privaten Bereichs mit technischen Mitteln wie Empfängnisverhütung oder besseren Wohnverhältnisse zu lösen.607 Trude legt ein außerordentlich funktionalistisches und sozialdarwinistisches

603 Vgl. Silvia Kontos: Die Partei kämpft wie ein Mann. Frauenpolitik der KPD in der Weimarer Republik. Frankfurt a. M. 1979. Die Studie ist zwar vom frauenbewegten Geist der 1970er Jahre bestimmt, stellt aber bisher eine der wenigen ausführlicheren Überblickswerke zur Frauenpolitik der KPD in der Weimarer Republik dar. 604 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 70. 605 Rohrwasser: Saubere Mädel – Starke Genossen, S. 61. 606 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 88. 607 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 88.



418 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Bild vom Menschen an den Tag, der als Maschine alle seine Kraft der Revolution zur Verfügung stellen soll und austauschbar ist: „Und wenn eine Maschine, oder ein Teil von ihr, verbraucht ist, dann wird sie eben abmontiert, mein Lieber. Das ist bolschewistisch. In der jetzigen Situation brauchen wir nur Kämpfer, Arbeiter, die wissen wo ihr Platz ist.“608 So wird alles Schwache, Alte oder Emotionale von fortschrittlich, scheinbar rein rational und zielgerichtet handelnden Klassenkämpfern unterdrückt. Ähnlich abgeklärte Vorstellungen vom Menschen als Mittel zum Zweck vertritt Karl, wenn er äußert, dass es sich nicht lohne mit einer alten Frau zu diskutieren, da diese sowieso bald sterbe.609 Die rigorose und sozialdarwinistisch anmutende Versachlichung des Menschenbildes und der Geschlechterbeziehungen, die in ihrer Gesamtheit an der Funktionalität für die Parteiarbeit und an parteilichen Direktiven ausgerichtet ist sowie die Zurückstellung individueller Interessen und Regungen beinhaltet, findet sich somit nicht nur im rechts-,610 sondern auch im linkspolitischen Spektrum der Weimarer Republik. Dies betont auch Reese: Versachlichte Geschlechterbeziehungen galten ebenso in nationalsozialistischen wie kommunistischen Organisationen als gewünschte Norm  – auch wenn dies vielfach mit der Realität konfligierte. […] Die Versachlichung rührte also keineswegs aus einer spezifischen ideologischen Haltung, sondern ergab sich aus der Organisierung selber und war Resultat dessen, daß Inhalte und Ziele der Organisation einerseits zwischen die Geschlechter traten, andererseits ihre Interessen auf einer neuen rationalen Ebene zusammenfassten.611

Die ambivalenten Frauenbilder, die sowohl die rechts- als auch die linkspolitischen Romane zeichnen, sind aber keinesfalls gleichzusetzen und resultieren aus unterschiedlichen Grundvoraussetzungen bzw. Politikverständnissen. Das nationalsozialistische Frauenbild ist, wie oben gezeigt wurde, auf der Basis von strategischen und ökonomischen Überlegungen bewusst vieldeutig modelliert. Das ‚moderne‘ Elemente einschließende Bild der Frau erweist sich als kalkuliertes Evozieren von Autonomiegefühlen junger Frauen und bleibt letztendlich nicht mehr als ein scheinemanzipatorisches Bewusstseinsphänomen, das die „fort-

608 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 87. 609 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 124. 610 Vgl. u. a. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 64: rassistisch fundiertes Leistungsprinzip: „Es gibt bei uns keine Klassen. Es gibt nur solche, die etwas leisten und Schmarotzer, und die müssen weg.“ 611 Dagmar Reese: Straff, aber nicht stramm – herb, aber nicht derb. Zur Vergesellschaftung von Mädchen durch den Bund Deutscher Mädel im sozialkulturellen Vergleich zweier Milieus. Weinheim/Basel 1989, S. 184–185.





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 419

dauernde Illusion befriedigender Selbstverwirklichung“612 zu erzeugen hatte. Der Frau hingegen wurde durch das mehrfach kodierte NS-Frauenbild die doppelte Last von Hausfrauen-/Mutterrolle und ‚Arbeitskameradin‘ aufgebürdet, womit sich die Nationalsozialisten einen flexiblen Zugriff auf die Ressourcen weiblicher Arbeitskraft sicherten. Das ambivalente Frauenbild im Kommunismus ergibt sich hingegen eher aus der starken Kluft zwischen theoretischen, in ihren Grundzügen tatsächlich emanzipativen politischen Ansprüchen und Forderungen in Frauenfragen (Legalisierung von Abtreibung, gleicher Lohn für gleiche Arbeit etc.) und der gelebten Parteipraxis. Den beiden entgegengesetzten politischen Positionen ist jedoch in der Frage der Geschlechterverhältnisse die gleiche kompromisslose und allumfassende Anspruchshaltung gegenüber den Parteimitgliedern inhärent, denn sie erheben die Forderung, auch noch die allerprivatesten Bereiche, wie Sexualität und Liebe, der Politik unterzuordnen und in den Dienst der Partei zu stellen.

5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane Abschließend sollen zwei Verfahren untersucht werden, die die links- wie rechtspolitischen Romane nutzen, um das in ihnen vermittelte Weltbild möglichst kohärent darzustellen und sich insbesondere als Vertreter der umkämpften Zielgruppe der Arbeiter auszugeben. Ausdruck findet diese Konkurrenzsituation nicht nur in der Metapher von Literatur als ‚Waffe‘ und einer Militarisierung des Sprachgebrauchs, die obenstehend mehrfach thematisiert wurden, sondern im manifesten ‚Kampf‘ um besonders symbolträchtige und werbewirksame, oft zunächst deutungsoffene Worte, die durch die jeweilige Partei mit ideologiespezifischen Inhalten aufgeladen werden. Letztendlich handelt es sich dabei um den Anspruch, die Bedeutungs- bzw. Verwendungshoheit von Wörtern für eigene ideologische Zwecke zu sichern und um nichts anderes als den Versuch, Diskurshoheit zu gewinnen, indem Worte und die damit verbundenen Themenfelder ‚besetzt‘ werden. Anhand der für den Kommunismus wie Nationalsozialismus wohl symbolträchtigsten und in ihrer Frequenz am häufigsten in den Romanen vorkommenden Begriffe bzw. Begriffsfelder, ‚Arbeit(er)‘ und ‚Kampf‘, sollen das jeweilige Vokabular zur Integration und Aktivierung von Arbeitern für ideologische Zwecke

612 Reese: Emanzipation oder Vergesellschaftung, S. 205.



420 

 5 Analyse ausgewählter Romane

sowie die unterschiedlichen Begriffsinhalte, die den Worten von jeweiliger Seite zugemessen werden, im Verwendungszusammenhang untersucht werden. Auf diese Weise können zusammenfassend Rückschlüsse auf das jeweils vermittelte Bild des Arbeiters und die verwendeten Kommunikationsstrategien einerseits gezogen werden, andererseits lassen sich daraus auch die Ansprüche, die vor allem in der ‚Parteiarbeit‘ sowie im ‚Kampf‘ um eine vermeintlich neue Weltordnung an ihn gestellt werden, ableiten. Vor allem im Roten Eine-Mark-Roman Sturm auf Essen findet sich explizit das Argumentationschema vom ‚gerechten Krieg‘, das für kommunistische Zusammenhänge nutzbar gemacht wird. Wie diesbezüglich argumentiert wird und welche Anknüpfungspunkte dieses Rechtfertigungsmuster von Gewaltanwendung im theoretischen Kontext des Kommunismus hat, soll im letzten Abschnitt dieser Arbeit untersucht werden. Hier bleibt auch zu klären, warum sich das Muster vom ‚gerechten Krieg‘ nicht in den untersuchten rechtspolitischen Romanen wiederfindet, wie die Nationalsozialisten Gewalt gegen den politischen Gegner rechtfertigen und welche Rolle in diesem Zusammenhang die Etablierung ganz spezifischer Muster von Moralvorstellungen spielt. 5.4.1 ‚Begriffe besetzen‘613 – Zur ideologischen Vereinnahmung von ‚Arbeit(er)‘ und ‚Kampf‘ In einer politischen Umbruchsituation, wie sie die Weimarer Republik zweifelsfrei darstellt, ringen unterschiedliche Parteien verstärkt um öffentliche Aufmerksamkeit und um die Dominanz über öffentlichkeitswirksame Begriffe und Diskurse, mit dem Ziel, sich als zukunftsgestaltende Partei zu inszenieren. Welche Bedeutung und Dimensionen der „Kampf um Worte“ im Zeitraum der Weimarer Republik annahm, zeigt Horst Dieter Schlosser: Der Kampf zwischen dem Alten und Neuen nach 1918 ist sogar in erster Linie ein Kampf um Worte, nicht zuletzt um die semantische Besetzung von Schlüsselbegriffen. Dieser Kampf wird nicht nur im Parlament und im weiteren Parteienstreit, sondern auch in der Publizis-

613 Zur allgemeinen Begriffsprägung der Metapher und Strategie des ‚Begriffe Besetzens‘ aus sprachwissenschaftlicher Perspektive vgl. Girnth (2002), S. 62–70. Vgl. außerdem folgenden Sammelband: Begriffe besetzen. Strategien des Sprachgebrauchs in der Politik. Hg. v. Frank Liedtke, Martin Wengler und Karin Böke. Opladen 1991.





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 421

tik, in der Literatur und anderen künstlerischen und kunsttheoretischen Manifestationen, ja sogar in Neuansätzen der kommerziellen Werbung ausgetragen.614

Inwieweit das ‚Besetzen von Begriffen‘ tatsächlich bis in den Bereich der Literatur ausstrahlt, verdeutlichen die untersuchten Romane, die diese Strategie nicht nur anwenden, sondern teilweise bewusst thematisieren. So gerät der Konvertit aus kommunistischem Elternhaus, Eugen Kappelmann, der ohne Wissen seiner Familie Mitglied in der HJ ist, in Der Hitlerjunge Quex durch einen Zeitungsartikel in einen Streit mit seinen kommunistischen Brüdern, in dem das ‚Pachten‘ von Begriffen eine bedeutende Rolle einnimmt: [Eugen]: „Mein Bruder hat die ‚Welt am Abend‘ mit nach Hause gebracht und hat uns was vorgelesen. Von den Werktätigen war da die Rede, und die Leute tun gerade so, als ob nur die Kommunisten Werktätige wären. Sie haben das Wort für sich gepachtet. So was kann mich blödsinnig ärgern. Ich hab’ mir das eine Weile angehört, bis es mir zu dumm wurde. […] Mit welchem Recht sie [die Kommunisten] denn die Macht in Deutschland verlangten, habe ich sie [die Brüder] gefragt, sie hätten ja noch nicht ein Sechstel der Wähler hinter sich, und allein die Nazis seien fast dreimal so stark wie sie.“615

Das Zitat verweist eindeutig auf die Situation des politischen Kräftemessens zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten und die in diesem Zusammenhang angewandte Strategie des ‚Begriffe Besetzens‘, die hier dem politischen Gegner zugeschrieben wird, der sich ungerechtfertigter Weise als (alleiniger) Vertreter der Arbeiterschaft ausgebe. Auch an dieser Stelle zeigt sich das eigentümliche und bewusst funktional kalkulierte Verhältnis von Realität und Fiktion, wie es bereits zu Anfang des Kapitels unter 5.1 identifiziert wurde: Ausgehend von einem intertextuellen Verweis auf die real existierende Medienlandschaft der Weimarer Republik, der Authentizität suggeriert – die Welt am Abend war eine überaus erfolgreiche Tageszeitung aus dem Umfeld der kommunistischen Presse um Willi Münzenberg – , wird die Strategie des ‚Besetzens von Begriffen‘ anhand des Wortes „Werktätige“ thematisiert und zugleich affektiv aufgeladen („So was kann mich blödsinnig ärgern.“). Schließlich wird der Grund für die emotionale Verstimmung von Eugen von ihm selbst als rationaler Fakt, unter Berufung auf

614 Horst Dieter Schlosser: Einleitung. „Das Deutsche Reich ist eine Republik“. Vom inneren Zwiespalt des Weimarer Staates. In: Das Deutsche Reich ist eine Republik. Beiträge zur Kommunikation und Sprache der Weimarer Zeit. Hg. v. Horst Dieter Schlosser. Frankfurt a. M. [u. a.] 2003, S. 7–16 [hier: S. 8]. 615 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 90–91 [sinngemäße Ergänzungen durch Michaela Menger].



422 

 5 Analyse ausgewählter Romane

scheinbar reelle Machtverhältnisse in Form von Zahlen, nachgeliefert und so der Anspruch der Kommunisten auf den Begriff des ‚Werktätigen‘ als unverhältnismäßig ausgegeben. Dass vor allem der Begriff der ‚Arbeit‘ und die Zielgruppe des ‚Arbeiters‘ vor dem Hintergrund der Weimarer Republik umkämpft war, zeigt nicht zuletzt der Anspruch der NSDAP, der sich in ihrer Selbstbezeichnung als ‚Arbeiterpartei‘ ausdrückt. Dabei ist der Begriff der ‚Arbeit‘ zunächst relativ deutungsoffen und lässt sich mit unterschiedlichen ideologischen Werten aufladen, besitzt aber in hohem Maße integratives Potenzial, was ihn für die Verwendung in vielfältigen Zusammenhängen und für unterschiedliche politische Zwecke äußerst attraktiv macht: Aus der thematisierten Arbeit lässt sich jede, auch noch so abwegige Deutung belegen. […] Eine bedeutende Zahl von Metaphern und Vergleichen enthüllt eine tiefgreifende Ambivalenz, die jedoch überlagert ist von deutlichen Tendenzen, die Arbeit als positives und bestimmendes Element in der Persönlichkeitsentwicklung zu deuten. Arbeit begünstigt die Identifizierung mit einer Gruppe oder Gemeinschaft, ist unerläßlich für die gesellschaftliche Eingliederung […].616

Vor allem die Verbindung von individuellen Dispositionen mit gesellschaftlichen Zusammenhängen, die dem Begriff der ‚Arbeit‘ in obenstehendem Zitat ganz allgemein zugewiesen wird, ist für die Anwendung des Wortes in politischer Belletristik von hoher Relevanz, was im Folgenden anhand konkreter Analysen zu zeigen ist. Eine spezifischere Deutung des Derivats ‚Arbeiter‘ aus Perspektive der Sprache-und-Politik-Forschung nimmt Straßner vor, der vor allem die Möglichkeit der breiten Zielgruppenansprache durch dieses Wort betont, die im Kampf um Wählerstimmen essentielle Bedeutung hat: Die politische Suggestivkraft des Arbeiter-Namens wird vor allem in den Wahlkämpfen eingesetzt bzw. erweitert auf das schaffende und arbeitende Volk. In ihm werden alle ‚Lohnund Gehaltsempfänger‘ zusammen gesehen und zugleich versucht, den Arbeiter-Begriff auszudehnen, die ‚Arbeiterpartei‘ zur Volkspartei umzugestalten. Die kommunistische Partei setzt ebenfalls auf diesen Begriff der Hochwertung, verwendet daneben Werktätige und nur höchst selten das wenig werbeträchtige Proletarier.617

Die Selbststilisierung zur Volkspartei, die der Begriff ermöglicht, daneben die suggerierte Dynamik und Aufwertung, die von ihm ausgeht, sowie das Zusam-

616 Horst und Ingrid Daemmrich: Arbeit. In: Dies.: Themen und Motive in der Literatur. Ein Handbuch. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen [u. a.] 1995, S. 53–55 [hier: S. 53]. 617 Straßner: Ideologie  – Sprache  – Politik, S. 104 [Hervorhebungen aus dem Text übernommen].





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 423

menspiel von Individuum und Gesellschaft, das das Wortfeld der ‚Arbeit‘ darzustellen ermöglicht, begründen den hohen integrativen Wert und die politische Nutzbarmachung des Begriffs – aber letztendlich auch die Bedeutungskämpfe, die er auslöst. Auf welcher gemeinsamen Basis der Begriff der ‚Arbeit‘ im Kommunismus wie Nationalsozialismus (wo er beiderseits fraglos einen hohen Stellenwert einnimmt, der teilweise bis zur kultischen Verklärung reicht) nicht nur werbend, sondern auch um Ansprüche an die ‚Arbeiter‘ bzw. die Parteimitglieder zu stellen und diese in die parteipolitische Pflicht zu nehmen, verwendet wird, zeigt Zwicker: Leben und auch Sterben soll zum Wohle von „Volksgemeinschaft“ und „Kollektiv“ vor sich gehen, und die in beiden Systemen verklärte „Arbeit“ ist kein egoistischer Broterwerb oder Selbstverwirklichung, sondern eine Pflicht im Dienste von etwas Höherem.618

Dass die jeweiligen Begriffsausprägungen und Bedeutungen je nach unterschiedlichem ideologischen Bezugssystem differieren, versteht sich im Rahmen des ‚Kampfes um Worte‘ von selbst, der unbedingte Anspruch der allumfassenden Indienstnahme des Parteimitglieds ist jedoch auf beiden politischen Seiten vorhanden. Letztendlich geht es im ideologischen Sprachgebrauch also um Folgendes: Wichtigste Aufgabe des [ideologischen] Sprachgebrauchs ist es, jede andere als die in der jeweiligen Ideologie enthaltene Wirklichkeit auszuschalten, die Realität so abzubilden, erfahrbar zu machen, wie es der weltanschaulichen Denk- und Sehensweise zukommt.619

Die denotative Lesarten-Konkurrenz,620 die die beiden unterschiedlichen Ideologien von Kommunismus und Nationalsozialismus in Bezug auf die Begriffe bzw. Begriffsfelder von ‚Arbeit‘ und ‚Kampf‘ etablieren, ist dabei ein hervorragendes Beispiel für die im obenstehenden Zitat angesprochene ideologische Perspektivierung und Ausrichtung von Begriffen. Der kommunistische Begriff der ‚Arbeit‘ ist, im Gegensatz zur von den Nationalsozialisten primär positiv und mit Tugenden belegten ‚Arbeit‘, durchaus

618 Zwicker: „Nationale Märtyrer“, S. 255. 619 Straßner: Ideologie – Sprache – Politik, S. 36. 620 Vgl. Girnth: Sprache und Sprachverwendung in der Politik, S. 63: „Die denotative LesartenKonkurrenz ist in der politischen Auseinandersetzung am wichtigsten, da es hier zumeist um parteiübergreifende, positiv konnotierte Symbolwörter […] geht, die parteispezifisch ‚besetzt‘ werden sollen.“



424 

 5 Analyse ausgewählter Romane

von Ambivalenzen geprägt und umfasst darüber hinaus auch potenziell emanzipatorische Elemente, die in der nationalsozialistischen Weltanschauung nicht angelegt sind. Einen Überblick über die hochgradig ambivalente Auffassung des Begriffs der ‚Arbeit‘ aus Sicht des Marxismus verschafft Frigga Haug: In der „A[rbeit]“ kreuzen sich Herrschaft und Befreiung, Mühsal und Genuß, Entfremdung und Selbstverwirklichung, Entwicklung und Nichtentwicklung, Notwendigkeit und Freiheit. […] Die Emanzipation der Menschen liegt in der entwickelten Verausgabung von Kraft zum gemeinschaftlich selbstbestimmten Zweck.621

Genau diesen ambivalenten Charakter nimmt die ‚Arbeit‘ in den Schilderungen der Roten Eine-Mark-Romane ein. Einerseits wird sie als Tugend aufgefasst: Tüchtigkeit gilt hier, ähnlich wie in den nationalsozialistischen Romanen, durchaus als moralische Tugend, vor allem wenn sie im Dienste der Partei steht. Dem dynamischen Begriff der ‚Arbeit‘, der semantisch in engem Zusammenhang mit ‚handeln‘ steht,622 kommt somit auch auf kommunistischer Seite ein hoher agitatorischer Wert zu, da er es ermöglicht, die Arbeiter als Tatmenschen darzustellen und identifikatorisches Potenzial hervorzurufen, das die heroische Teilhabe an der Schaffung einer neuen, vermeintlich besseren Weltordnung suggeriert, wenn der klassenbewusste Arbeiter es den dargestellten vorbildlich-dynamischen Funktionären in ihrer unermüdlichen Parteiarbeit nur gleichtue: Franz stand fertig angezogen. „Ich will erst zur Wache, wir treffen uns dort! Es kann sein, daß ich wieder fort muss! Sorg’ dich nicht Mutter!“ Dann war er wieder hinaus. […] Frau Kreusat sah die Robuste beklommen an […] und erwiderte: „Kaum war der Junge hier, schon zieht er wieder raus! Wat sagen Sie dazu?“ „Ich müßte nur nicht die vielen Blagen haben, verflucht, ich ging selbst mit!“ sagte die Naumannsche und stemmte herausfordernd die starken Arme in die Hüften. „Franz ist nun einmal ein Junge, der nicht rumspökt, sondern zupackt! Freut euch doch!“623 „Mach, Mutter, mach! Ich muss rasch wieder weg. Wir haben Flugblätter verteilt […]. Mach schnell, ich habe keine Zeit.“624 „[…] Hauptsache die Arbeit. – Mir gehts ja auch manchmal so. Vor allem, wenn ich verliebt bin. Da gibts dann so dumme Stimmungen. Man kann nicht einschlafen, denkt sinnloses

621 Frigga Haug: Arbeit. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Hg. v. Wolfgang Fritz Haug. Band  1: Abbau des Staates bis Avantgarde. Hamburg [u. a.] 1994, S. 401–421 [hier: S. 401, S. 409]. 622 Vgl. Colin C. Good: Die deutsche Sprache und die kommunistische Ideologie. Frankfurt a. M. 1975, S. 153. 623 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 86. 624 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 50.





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 425

Zeug und bildet sich ein, man müßte mehr Zeit für persönliche Dinge haben. Aber dann ist die Arbeit wieder da und alles wird besser.“625

Wie die Zitate zeigen, hat auch im kommunistischen Roman die Parteiarbeit bzw. der Klassenkampf oberste Priorität und ist durchweg privaten Belangen übergeordnet. Die Arbeiter identifizieren sich sogar mit ihren politischen Führern durch Referenz auf den ‚Arbeiter‘-Begriff: „[D]et kann ick Dir sagen: wie ein Arbeiter. Wenn der [Thälmann] spricht, staunste Bauklötzer. Da merkste gleich: det is derjenige, welcher… det is unser Führer.“626 Andererseits thematisieren die Roten Eine-Mark-Romane, im Gegensatz zu den untersuchten nationalsozialistischen Romanen, durchweg auch die negativen Seiten des Arbeitsbegriffs. Arbeit wird, neben der Möglichkeit der politischen Organisation im Sinne der Parteiarbeit, durchweg als Ausdruck des kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisses und somit im Kontext der marxistischen Ideologie auch als ‚entfremdete Arbeit‘ dargestellt. Unmenschliche Arbeitsbedingungen, Berufsunfälle, durch den Beruf verursachte Krankheiten,627 Lohnkürzungen und Arbeitslosigkeit aufgrund von Rationalisierungen628 werden hier als den Arbeiteralltag prägend präsentiert und sollen verdeutlichen, dass die Arbeiter nur durch politische Organisation etwas an diesen grundlegenden Missständen ändern können. Als probates Mittel zur Durchsetzung von Arbeiterinteressen und als politischer Machtfaktor im Klassenkampf wird die Arbeitsverweigerung in Form des Streiks in allen untersuchten Romanen propagiert.629 Die alltägliche Arbeitswelt und deren Unzulänglichkeiten, die ja durchaus emanzipatives Potenzial der Arbeiter zu schüren vermögen, oder gar eine Streikpolitik liegen außerhalb des Interessen- und Blickfeldes der Nationalsozialisten, die die Arbeit ihres Konflikt- und damit auch ihres emanzipatorischen Potenzials vollkommen entledigen, den Verweis der Kommunisten auf ‚entfremdete Arbeit‘ und Ausbeutung durch den Klassenbegriff gar als gesellschaftlich kontraproduktives Spaltertum darstellen:

625 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 124. 626 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 25 [sinngemäße Ergänzung durch Michaela Menger]. 627 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 5. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 27, 48. 628 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 5, 20–26. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 18, 50. 629 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 48. Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 96. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 12, 101, 128.



426 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Proletariat und Klassenhaß! Künstlich genährt und gezüchtet von den roten Volksverführern. Dem deutschen Arbeiter der Faust so tief ins Blut geimpft, daß die Kluft bereits unüberbrückbar scheint.630 „Wir müssen hinein in die schlimmsten Rotfrontnester, die verhetzten Jungens zu gewinnen. So will es unser Führer. Adolf Hitler sagt: das neue Deutschland gehört dem Arbeiter. Dem Arbeiter der Stirn und der Faust. Den Arbeiter müssen wir gewinnen für ein neues freies Vaterland. An Stelle des Klassenhasses, in dem der Arbeiter großgezogen worden ist, wird der Arbeiterstolz gesetzt.“631

Die Zitate zeigen zum einen wie gegnerische Begriffe, wie beispielsweise „Proletariat“, negativ umgewertet werden, indem sie in den Kontext von negativ konnotiertem „Klassenhaß“ anstelle von ‚Klassenkampf‘ gestellt werden. Der Gegner wird mit Worten wie „Volksverführer[ ]“ und „Rotfrontnester“ stigmatisiert. Zum anderen wird kontrastiv ein bestimmtes Vokabular zur positiven Selbstbezeichnung benutzt, das den (alleinigen) Anspruch auf die Interessenvertretung der Arbeiter ausdrückt und den Arbeiter ideell aufwertet. Versprechungen wie „das neue Deutschland gehört dem Arbeiter“, „ein neues freies Vaterland“ und „Arbeiterstolz“ sollen nicht nur dem Arbeiter schmeicheln und zur Integration in den Nationalsozialismus beitragen, sondern nationalisieren den Begriff der ‚Arbeit‘632 im Sinne der NS-Ideologie. So ist, zumindest in den Viera-Romanen, aber auch durch etwas subtilere Verweise bei Schenzinger, der den Arbeiterjungen Heini allmählich ‚deutsch fühlen‘ lässt, überwiegend vom ‚deutschen Arbeiter‘ und ‚deutscher Arbeit‘ die Rede, womit in Bezug auf die ‚Arbeit‘ ein parteispezifisches denotatives (Zusatz-) Merkmal etabliert wird.633 Zwar beziehen sich die Nationalsozialisten deutlich auf

630 Viera: Horst Wessel, S. 40. 631 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 13. 632 Für einen weitreichenden historischen Überblick über die Nationalisierung der Arbeit im 19. und 20. Jahrhundert vgl. Frank Trommler: Die Nationalisierung der Arbeit. In: Arbeit als Thema in der deutschen Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. v. Reinhold Grimm und Jost Hermand. Königstein/Taunus 1979, S. 102–125. 633 Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 12: „Unverständlich, daß sich deutsche Arbeiter diesen politischen Brei als Weltanschauung vorsetzen lassen.“ Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 22 Flugblattext: „Ein neues Deutschland muss geschmiedet werden, das nicht mehr Bürger- und nicht mehr Klassenstaat ist. Ein Deutschland der Arbeit und der Disziplin.“ Vgl. S. 37 Flugblattext: „60 Jahre kämpfst du, deutscher Arbeiter, für ein sozialistisches Deutschland mit dem Ergebnis, daß über Deutschland restlos die Judenbörse triumphiert.“ [Hervorhebungen der Flugblattexte nicht übernommen.] Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 71: „Daß sie dieses Deutschland liebten, war doch nur natürlich, und Vater war doch auch hier geboren und Mutter doch auch. Wenn er [Heini] nur wüßte, wie er das alles sagen sollte.“ Vgl. auch S. 47: „Dies war deutscher Boden, deutscher Wald, dies waren deutsche Jungens, […]“.





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 427

linkspolitische Arbeiter, wie das obenstehende Zitat verdeutlicht („verhetzte[ ] Jungens“), jedoch lediglich, um deren Begriff von Arbeit zu entleeren und durch spezifische NS-Elemente anzureichern („deutsche[ ] Arbeiter der Faust“). An die Stelle von Klassenbewusstsein (hier negativ gewendet zu „Klassenhass[ ]“) tritt der „Arbeiterstolz“. Die Illusion der ideellen Aufwertung der Arbeiter im Nationalsozialismus soll darüber hinaus ein eigenes, NS-spezifisches, integratives Begriffsarsenal im Kontext des Begriffsfeldes der ‚Arbeit‘ bewirken. Auffällig ist, dass ‚Arbeit‘ dabei mit festgefügten Adjektivattributen oder in feststehenden Formeln auftritt, die beständig repetiert werden: „Deutsch“ und „national“ dienen dabei mehr der bloßen Zuordnung zum Eigenbereich, „ehrlich“ und „schaffend“ enthalten eine stärker moralische Komponente. Alle vier Adjektive implizieren eine positive Wertung [der Arbeit]. […] Die Nationalsozialisten verwenden immer wieder die gleichen Formeln, wiederholen dieselben Sätze, benutzen typische Wortketten, wenige Worte in immer gleicher Weise, um agitatorische Wirkung zu erzielen.634

Zu diesen formelhaften Begriffsprägungen mit dem Zweck der Integration von Arbeitern gehört u. a. die bereits angesprochene Vokabel der ‚deutschen Arbeit/ des deutschen Arbeiters‘, die sozialharmonisierende Formel der Einheit der ‚Arbeiter der Stirn und Faust‘635 in der ‚Volksgemeinschaft‘, die sich deutlich vom kommunistischen Klassenbegriff und Klassenkampfgedanken abhebt, die Militarisierung des Begriffsbereichs der ‚Arbeit‘ beispielsweise durch die bereits unter 2.2.1 angesprochene, von Ernst Jünger geprägte Begriffsformel des ‚Arbeiter-Soldaten‘ sowie schließlich die Differenzierung zwischen ‚schaffendem‘ und ‚raffendem Kapital‘,636 die das eigene, aufbauende Bildarsenal der nationalen Arbeit

634 Wolfgang Werner Sauer: Der Sprachgebrauch von Nationalsozialisten vor 1933. Hamburg 1978, S. 98, 162. 635 Für weitere Stellen, die den ‚Arbeiter der Stirn und Faust‘ thematisieren, vgl. u. a. Viera: SA.-Mann Schott, S. 68: „Sie wissen, nicht mehr wird der Arbeiter der Stirn und der Faust wegen aufrechter deutscher Gesinnung auf die Straße geworfen.“ Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 10: „Peter Schott, der achtzehnjährige Oberprimaner, ist Scharführer. Es könnte aber ebensogut ein Handwerkerlehrling Scharführer sein.“ 636 Vgl. Detlef Grieswelle: Propaganda der Friedlosigkeit. Eine Studie zu Hitlers Rhetorik 1920– 1933. Stuttgart 1972, S. 96: „Wenn Hitler das ‚raffende Kapital‘, das böse, mit der jüdischen Finanzmacht gleichstellte, so konnte er von Angriffen gegen die deutsche Hochfinanz ablenken, zum andern jedoch den antikapitalistischen Affekten des bürgerlichen Mittelstands, besonders der Gewerbetreibenden, Handwerker und kleinen Unternehmer, ein Ziel geben, zumal gerade diese Kreise gegen Kreditschwierigkeiten und zu hohe Zinsen protestierten.“



428 

 5 Analyse ausgewählter Romane

dem als zerstörerisch dargestellten, internationalen (vorwiegend als jüdisch bezeichneten) Kapitalismus gegenüberstellt.637 Natürlich finden sich auch im kommunistischen Bereich feststehende ideologiesprachliche Begriffsformeln, die sich jedoch zumeist aus den Traditionen der Arbeiterbewegung und der kommunistischen Theorie speisen und damit deutlich weniger aus einem heterogenen Konglomerat aus Neubildungen sowie der Umwertung allgemeiner und gegnerischer Begriffe des aktuellen Zeitgeschehens, des politischen Kontrahenten sowie des bürgerlichen Sprachgebrauchs bestehen, wie es der Nationalsozialismus etabliert. Hier zeigt sich im Bereich der (Ideologie-)Sprache, was Pohlmann ganz allgemein für den Zusammenhang zwischen kommunistischer und nationalsozialistischer Ideologie konstatiert, nämlich „dass für den Nationalsozialismus der feindliche Bezug auf den vorgängigen Kommunismus konstitutiv war“638. Ein Beispiel für die Umwertung und Okkupation einer originär aus der sozialdemokratischen wie kommunistischen Arbeiterbewegung stammenden Formel bzw. eines Slogans, ist die Forderung nach ‚Arbeit und Brot‘ bzw. ‚Freiheit und Brot‘ wie sie exemplarisch im Rahmen einer Demonstrationsszene im Roten EineMark-Roman Kämpfende Jugend zum Tragen kommt: „Nieder mit dem Demonstrationsverbot! Wir wollen Arbeit und Brot!“639 Vor ideologisch konträrem Hintergrund und in einem völlig anderen, aus dem Streik losgelösten Zusammenhang verwenden auch die nationalsozialistischen Viera-Romane diese Formeln: Das erwachende Deutschland fordert sein Recht: Freiheit und Brot.640 [Wessel:] „Der Kommunismus, der bloß nimmt und nischt jibt, der den Menschen das Brot nimmt und die Freiheit und schließlich ooch det bisken Leben.“641

637 Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 25: „[…] Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war.“ Viera nimmt hier Bezug auf eine populäre Stelle aus Hitlers Mein Kampf, die die (Farb-)Symbolik der Hakenkreuzfahne erörtert. Zu ausführlichen Informationen zur Entstehung und Symbolik der Hakenkreuzfahne und zur Kontextualisierung der entsprechenden Stellen aus Mein Kampf, die diese Symbolik thematisieren, vgl. Weißmann: Schwarze Fahnen, Runenzeichen, S. 136–146. 638 Friedrich Pohlmann: Zusammenhänge zwischen der kommunistischen und nationalsozialistischen Ideologie. In: Ideologie und Verbrechen. Kommunismus und Nationalsozialismus im Vergleich. Hg. v. Frank-Lothar Kroll und Barbara Zehnpfennig. München 2014, S. 187–210 [hier: S. 187]. 639 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 115. 640 Viera: Horst Wessel, S. 74. 641 Viera: Horst Wessel, S. 52.





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 429

„Freiheit und Brot“ tauchen hier im Kontext eines ‚erwachenden Deutschlands‘, dem von Dietrich Eckart geprägten nationalsozialistischen Slogan, auf. Damit reklamieren die Nationalsozialisten diese Forderung für sich und besetzen sie mit ideologiespezifischem Gehalt. Aus einer ursprünglich emanzipativen Forderung der linken Arbeiterschaft im Streik wird so die verheißungsvolle Formel von „Freiheit und Brot“; Grundbedürfnisse die im zukünftigen nationalsozialistischen Deutschland für alle ‚Volksgenossen‘ gesichert sein sollen, über die wirtschaftliche Realisierung dieser Ziele findet sich aber an keiner Stelle eine Aussage. Schließlich wird versucht den kommunistischen Gegner mit dessen eigenem Sprachgebrauch zu schlagen, indem im Rahmen eines ideologischen Monologs Horst Wessel in berlinerisch die Formel von ‚Freiheit und Brot‘ in den Mund gelegt wird, der diese gegen die Kommunisten wendet und ihnen somit abspricht. Was von Bormann bezüglich der Phrase von ‚Freiheit und Brot‘ konstatiert, zeigt sich somit auch in der Untersuchung und Gegenüberstellung der Verwendung der entsprechenden Formel in dem Viera-Roman Horst Wessel und dem Roten Eine-Mark-Roman Kämpfende Jugend: […] es bleibt festzuhalten, daß es einen Unterschied ausmacht, ob man Freiheit und Brot für Millionen als Kampfaufruf für die Selbstbestimmung der Arbeiterklasse versteht oder als Aufruf sich treu dem Führer zu ergeben.642

Eine ähnliche Aufnahme und Umwertung gegnerischer Begriffe lässt sich vor allem in Bezug auf den Begriff ‚Sozialismus‘, den die Nationalsozialisten ebenfalls für sich beanspruchen, sowie in Hinsicht auf die linkspolitische aus dem Klassenkampf heraus geprägte Negativformel von ‚Herren und Knechten‘ finden, die von den Nationalsozialisten umgekehrt wird zur ‚Knechtschaft des Kommunismus‘: Und das ist die unerhört große Sünde des Marxismus, daß er die Armut und das Elend betont, anstatt Armut und Elend zu überwinden. Der Sozialismus der Roten läßt die Menschheit auf zwei Ufern marschieren. Im Morast und Sumpf des linken Ufers hält er seine Klassengenossen fest. Auf dem rechten kultivierten Ufer marschieren Bauern und Bürger. Statt nun alles daranzusetzen, daß da irgendwie und irgendwo schleunigst eine Brücke geschlagen wird, damit die auf dem linken Ufer den Weg finden zu einem besseren Dasein, gräbt der Marxismus das Bett des Stromes noch tiefer, damit ja kein Proletarier auf die bessere Seite hinüber wechseln kann. ‚Hungert!‘ denkt der Bonze. […] Und heimlich lacht

642 Alexander von Bormann: Das nationalsozialistische Gemeinschaftslied. In: Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Themen  – Traditionen –Wirkungen. Hg. v. Horst Denkler und Karl Prümm. Stuttgart 1976, S. 256–280 [hier: S. 267].



430 

 5 Analyse ausgewählter Romane

sich der Bonze ins Fäustchen. Solange es klassenbewußte Proletarier gibt, gibt es Bonzen. Es lebe das Proletariat! Es lebe der Bonze!643 Welcher Hohn! Ausgerechnet „Freiheit“ soll die Losung der Knechte der Kommune heißen.644

Die ausführliche Allegorie der zwei Ufer symbolisiert erneut die Gesellschaftsspaltung, die die Nationalsozialisten den Kommunisten vorwerfen und wodurch sie den Kommunismus letztendlich als ‚arbeiterfeindlich‘ darstellen. Mit der Bezeichnung „Sünde“ wird der politische Gegner zusätzlich moralisch diskreditiert. Durch den Zusatz ‚roter Sozialismus‘ findet eine Abhebung des feindlich besetzten Kommunismus vom positiv besetzten Selbstbild des ‚nationalen Sozialismus‘ statt. Das im Kommunismus positiv belegte, ideologiespezifische Symbolwort des „klassenbewusste[n] Proletarier[s]“ wird in sein Gegenteil gewendet, indem es in ursächlichen Zusammenhang mit ‚Bonzentum‘ gestellt wird: Aspekte, die sich der obenstehenden Argumentation nach gegenseitig bedingen und zur tieferen Spaltung der Gesellschaft beitragen würden, was formal im anaphorischen Satzbau der beiden ironisch gewendeten, abschließenden Interjektionen seinen polemisch gesteigerten und komprimierten Ausdruck findet. Das zweite Zitat spricht im Gestus der Empörung den Kommunisten das in modalisierende Anführungszeichen gesetzte Hochwertwort ‚Freiheit‘ ab, das vor allem in den Viera-Romanen zusammen mit dem Hochwertwort ‚Frieden‘ inflationär in der Form von N+N-Komposita und Antonomasien zur Aufwertung der eigenen Partei benutzt wird („Freiheitsbewegung“, „Freiheitsjahr“ [1933], „Freiheitslied“, „Freiheitsflagge“, „Friedenskanzler“ [für Hitler] etc.645). Die Antithese von ‚Herren und Knechten‘, die aus der linken Arbeiterbewegung stammt und in den Viera-Romanen an einigen Stellen vermeintlich ‚verblendeten‘ linken Arbeitern in den Mund gelegt wird,646 wird hier gegen den Kommunismus gewendet,

643 Viera: SA.-Mann Schott, S. 32–33. 644 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 28. 645 Exemplarisch für die zahlreichen Begriffsbildungen auf ‚Freiheit‘ und ‚Frieden‘ in Bezug auf den Nationalsozialismus in den Viera-Romanen vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 23: „Adolf Hitlers Freiheitsbewegung“. Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 77: „Freiheitsjahr“ [1933], S. 29: „Freiheitsbewegung“, S. 72: „Friedenssoldaten“ [SA]. Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 13: „die Guten herüberzuholen ins Lager der Freiheitsbewegung“, S. 25: „Freiheitssymbol“ [Hakenkreuzfahne], S. 70: „Freiheitslied“, S. 76: „nationalsozialistische[ ] Freiheitsflagge“. Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 68: „Friedenskanzler“ [für Hitler]. 646 Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 43 [Arbeitermonolog]: „Du belüchst den Arbeeter und den Proletarier, wenn du dir Bruda nennst. […] Een Herrensöhnchen biste und die Arbeeter, um die es hier jeht, sind Knechte.“ Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 17 [Arbeitermonolog]: „Daß es uns so schlecht geht, daran seid ihr Nazis schuld. Ihr wollt wieder einführen Herren und Knechte.“





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 431

indem die Kommunisten selbst als „Knechte“ bezeichnet werden, denen angeblich jede Form der Freiheit abginge, so suggeriert das Zitat. Zwar sehen sich die Kommunisten in den Roten Eine-Mark-Romanen im Rahmen ihres Selbstbildes auch als ‚Freiheitsbringer‘: „Sie wußten, warum! Nicht für eine winzige Gruppe Kriegsgewinnler und Ausbeuter – für sich! Für die Freiheit der werktätigen Klasse!“647 An keiner Stelle werden in den kommunistischen Romanen jedoch die Worte ‚Frieden‘ und ‚Freiheit‘ so inflationär gebraucht wie in den Viera-Romanen. Wie bereits betont, sind die kommunistischen Romane auch in der Umwertung gegnerischer Begriffe zurückhaltender als die nationalsozialistischen. Ganz eindeutig wird jedoch in Sturm auf Essen der als ‚sozialfaschistisch‘ eingestuften SPD das Symbolwort des ‚Sozialismus‘ aus kommunistischer Sicht abgesprochen: „Wenn man vom Sozialismus spricht, dann läßt man keine Arbeiter niederschießen.“648 Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nimmt im Rahmen der untersuchten Rote Eine-Mark-Romane lediglich Kämpfende Jugend vor, doch auch hier wird kaum Bezug auf die Wortwahl der Gegner genommen, es finden sich aber an einigen Stellen ironische Verwendungen und Verballhornungen gegnerischer Begriffe: Beispielsweise, wenn Theo seine kommunistischen Genossen mit der eigentlich abwertenden rassenbiologischen Formel: „Rot Front! Ihr Untermenschen!“649 begrüßt. Auch zeitgenössische, populäre kommunistische Slogans, die als Schriftzüge die Arbeiterviertel prägen und damit auf die Dominanz der Eigengruppe in der öffentlichen Sphäre abheben, werden beschrieben: „An einigen Hauswänden waren mit frischer Farbe Losungen gemalt: Rot Front in allen Ecken, der Hitler muss verrecken!“650 Wenn Schönstedt auf die Nationalsozialisten referiert, so evoziert er vor allem durch standardisierte Beschreibung des Äußeren („Fresse der Fememörder“, „ahnungslose Kleinbürgersöhne“, „Mundwinkel blasiert herabgezogen“, „Offiziersgesten“651) wie der Verhaltensweisen („versuchten, sich proletarisch zu benehmen“652) ein negatives Bild des Gegners, dem sowohl das Verständnis für die Lage der Arbeiter als auch das Monopol, die Proletarier organisieren und vertreten zu können,

Diese beiden ‚verblendeten‘ kommunistischen Arbeiter werden natürlich im Laufe der Romanhandlung eines vermeintlich ‚Besseren‘ belehrt und konvertieren schließlich zum Nationalsozialismus. 647 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 73. 648 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 51. 649 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 35. 650 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 19. 651 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 97–98. 652 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 98.



432 

 5 Analyse ausgewählter Romane

abgesprochen wird und der sich lediglich darauf beschränke, proletarische Verhaltensweisen zu imitieren. Was bei Viera die ‚verirrten Arbeiter‘ sind, stellen in Kämpfende Jugend die nationalsozialistischen Rhoden-Zwillinge dar: Viktor wird hier als „armer, irrer Freund“653 bezeichnet, Hermann kann später für die Kommunisten gewonnen werden. Natürlich stigmatisiert Kämpfende Jugend, ebenso wie die Viera-Romane, die politische Gegenseite als ‚arbeiterfeindlich‘ und stilisiert die KPD so zum ‚wahren‘ Vertreter der Interessen der Arbeiter: „Faschistenhunde! Nieder mit den Arbeitermördern!“654 lautet demnach die Parole der Kommunisten bei dem im Roman geschilderten nationalsozialistischen Überfall auf das Arbeiterviertel. Insgesamt unterscheiden sich die kommunistischen Romane von den nationalsozialsozialistischen deutlich darin, mit welchen Inhalten sie den Begriff der ‚Arbeit‘ belegen, aber auch in der Frequenz mit der gegnerische Worte wie allgemeine Hochwertworte übernommen und umgewertet werden, die im nationalsozialistischen Bereich, insbesondere in den Viera-Romanen, sehr viel höher ist. Bezieht sich das kommunistische Begriffsfeld der ‚Arbeit‘ primär auf den ‚Kampf‘ für eine vermeintlich ‚gerechtere‘ Weltordnung und auf die (internationale) Veränderung der gesellschaftlichen Klassenstruktur, die aus der gesellschaftlichhistorischen Lage heraus im Sinne der marxistischen Theorie fundiert werden, so wird der Begriff der ‚Arbeit‘ im Nationalsozialismus ‚völkisch‘ aufgeladen sowie gleichzeitig seines gesellschaftskritischen Potenzials entledigt und dient letztendlich primär der Befestigung des „sozialen Status quo“: Arbeit soll nichts anderes sein als Kampf, und das Ziel dieses Kampfes sei die Sicherung der notwendigen Existenzmittel, aber auch die Abwehr von Feinden und die Verfügung über einen existenzsichernden „Lebensraum“. Die Verdichtung von „Arbeit“ mit den Paradigmen von „Volk“ (bzw. „Volk ohne Raum“) und „Nation“ und deren aggressive Wendung gegen fremde Völker und Nationen kündigt sich an. […] Indem der Arbeiter sich erkennt als „Mensch“ statt als „Prolet“ und als „deutscher Mensch“ bzw. „deutscher Arbeiter“ statt als „internationaler Proletarier“, tritt er bewußt ein in die große Gemeinschaft derer, die durch die Identität ihrer völkischen Natur und ihrer Arbeitstätigkeit immer schon gleich waren, sich aber erst jetzt als befriedete Gemeinschaft unter dem Zeichen des Nationalsozialismus erkennen und formieren. Der Anspruch auf gesellschaftliche Wertschätzung, dessen Erfüllung für den Tag und die Stunde der Nationalsozialismus verspricht, wird geknüpft an die Verpflichtung, sich dieses Wertes auch würdig zu erweisen durch tätige Affirmation des sozialen Status quo. 655

653 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 99. 654 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 122. 655 Heuel: Der umworbene Stand, S. 388, 399.





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 433

Dabei zeichnet sich nicht nur in den rechtspolitischen, sondern auch in den linken Romanen verstärkt die Tendenz ab, das Begriffsfeld der (politischen) ‚Arbeit‘ mit dem des ‚Kampfes‘ zu amalgamieren, wie es exemplarisch im vom kommunistischen Funktionär Erich ausgedrückten Selbstverständnis am Ende des Romans Kämpfende Jugend zum Ausdruck kommt: „Ich habe den Marxismus auch nicht mit dem Löffel gefressen. Aber arbeiten will ich, das verspreche ich Euch, Genossen. Und wir haben noch viel, viel Arbeit. Ich bin noch nicht lange Mitglied der Organisation. Aber das weiß ich heute: Kampf und nochmals Kampf. Um jeden Jungarbeiter müssen wir kämpfen. Um jeden in Betrieb und Straßenzelle. Um jeden in den gegnerischen Organisationen. Ich habe Theo versprochen, daß ich jetzt doppelt arbeiten werde. Und das verspreche ich Euch auch.“656

Dass im Rahmen der Weimarer Republik im Sinne einer ‚Tatrhetorik‘ vor allem von der extremen Rechten und Linken ‚Arbeit‘ zusehends durch ‚Kampf‘ ersetzt und mit heroischen Elementen der Opferbereitschaft und Pflicht angereichert wird, betont auch Rüdiger Graf: Dabei gebrauchten insbesondere die Kommunisten und die Nationalsozialisten den Begriff des Kampfes. Dieser drückte die besonders hohe Intensität und Radikalität der Aktivitäten aus, die die Extremisten für sich in Anspruch nahmen. Über diesen kämpferischen Aktivismus grenzten sie sich auch vom politischen Gegner ab. […] Im Unterschied zu den Pragmatikern oder Reformern beschrieben die Revolutionäre die notwendige Aktivität jedoch zumeist nicht neutral als Arbeit, sondern vielmehr als „Kampf“ – ein Begriff, der oft metaphorisch, angesichts der gewalttätigen Auseinandersetzungen der paramilitärischen Verbände aber auch ganz konkret gemeint war.657

(Partei-)Arbeit dient somit im extremistischen Lager den jeweiligen übergeordneten parteipolitischen Anforderungen im kommunistischen Klassenkampf oder im nationalsozialistischen Rassenkampf. Dass sich in der Endphase der Weimarer Republik die beiden verfeindeten politischen Gegner letztendlich nur noch im Rahmen von antagonistischen Kampfkonstellationen wahrnehmen, zeigt eine Stelle aus Der Hitlerjunge Quex, an der linke und rechte Sprechchöre und deren unterschiedliche Schlagworte wie politische Ziele durcheinander klingen; die unablässige Repetition des Wortes ‚Kampf‘ gegen bzw. für bestimmte Ziele, Anschauungen und Parteien verdeutlicht dabei dessen zentrale Bedeutung:

656 Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 128. 657 Rüdiger Graf: Die Zukunft der Weimarer Republik. Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918–1933. München 2008, S. 281, 307.



434 

 5 Analyse ausgewählter Romane

[I]n den Höfen schrien die Sprechchöre Kampf dem Faschismus, Kampf der Regierung, Kampf dem Geld, Kampf dem Terror, Kampf gegen Moskau, Kampf um Glück, um Freiheit, um das tägliche Brot. […] Ein Kampf gegen alle, ein Kampf der Willen und Pläne, ein Kampf der Überzeugungen, des Glaubens, der Verzweiflung, des Hoffens, ein Kampf nur noch von links gegen rechts, ein Kampf vor allem der Jungen.658

In den links- wie rechtspolitischen Romanen zeichnet sich die heroische Parteiarbeit dann auch durch das Bewusstsein aus, auf „Leben und Tod“659 für die übergeordneten Parteiziele, die zu allgemeinmenschlichen Zielen absolut gesetzt werden, zu kämpfen sowie durch die jeweils unumstößliche Gewissheit der moralischen Überlegenheit im Kampf aus (vgl. dazu 5.4.2). Steht zwar auch in S.S. Utah im Rahmen des Klassenkampfes die „Armee der Arbeiter“ den „Armeen der Kapitalisten“ gegenüber,660 so fällt die intensivere Militarisierung des Begriffsfeldes der ‚Arbeit‘ und die Stilisierung der Parteimitglieder zu ‚Parteisoldaten‘661 im Anschluss an die Frontgemeinschaft des Ersten Weltkriegs im Bereich der rechtspolitischen Romane stärker ins Gewicht. Dies bemerkt auch Lauf-Immesberger: Einerseits wird hier der Mythos von der Frontkameradschaft als Grundlage eines deutschen Sozialismus beschworen, andererseits soll die Ausdehnung des Kampfes und des heroischen Prinzips auf Friedenszeiten die Produktion von Helden auch im zivilen Leben zulassen, d. h. einen Ansporn zu erhöhtem Einsatz geben. Zudem überträgt die Kriegsmetaphorik den Begriff der Pflicht, der im militärischen Bereich sehr viel intensiver gefordert wird als anderswo, auch auf den Gegenstand der Arbeit.662

658 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 223. 659 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 54: „Es ging ja um Leben oder Tod.“; S. 123: „[…] ihr habt es alle gewußt, daß es auf Tod und Leben geht!“; S. 125: „[…], daß es diesmal auf Leben und Tod ging.“; S. 134: „Es war ein Kampf auf Leben und Tod.“; S. 146: „Wettlauf auf Leben und Tod“. Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 62: „einen Kampf mit der Unterwelt auf Leben und Tod“. Vgl. Viera: SA.-Mann Schott, S. 11: „Sie sehen nicht, daß dieses rote Unheil den Tod bedeutet. […] Aber die SA.-Männer nehmen den Kampf auf wider die Sittenverderbnis […].“ Vgl. für die zahlreichen Szenen, in denen die Parteimärtyrer ihr Leben riskieren, Kapitel 5.3.2. 660 Pell: S.S. Utah, S. 15. 661 Vgl. Viera: Horst Wessel, S. 74: „braune[ ] Soldaten“. Vgl. Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 24: „politische Kampfsoldaten“, S. 72: „Friedenssoldaten“, S. 52: „Eiserne Pflicht der SA., politische Soldaten Adolf Hitlers zu sein, die Bewegung vorwärtszutragen, zu schützen, den roten Terror zu brechen.“ Vgl. auch Heini Völker in seinem Selbstverständnis als ‚politischer Soldat‘, das sich exemplarisch in seiner Referenz auf den Frontsoldatengeist ausdrückt; vgl. dazu: Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 253. 662 Lauf-Immesberger: Literatur, Schule und Nationalsozialismus, S. 249.





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 435

Letztendlich werden jedoch ‚Arbeit‘ und ‚Kampf‘ von Seiten des Kommunismus wie des Nationalsozialismus zum unhinterfragbaren Selbstzweck im Namen eines, wie immer auch gearteten, ‚höheren‘ gesellschaftlichen Ziels stilisiert, dessen handlungsanleitenden Pflichten im Rahmen der heroischen Schaffung einer neuen Gesellschaftordnung sich das Parteimitglied nicht entziehen darf bzw. kann, will es nicht zu den verdammenswerten ‚revolutionsfeindlichen‘ Subjekten gehören.

5.4.2 Der ‚gerechte Krieg‘ und Partikularmoral Ob und mit welchen rhetorischen Mustern die beiden entgegengesetzten politischen Strömungen die Anwendung von Gewalt, die beide als unablässig für die Etablierung der jeweils vertretenen ‚neuen Weltordnung‘ ansehen, auch im Rahmen der politischen Prosa rechtfertigen, steht abschließend im Zentrum dieses Unterkapitels. In dem stark auf Kampfhandlungen abhebenden Roman Sturm auf Essen kommen neben der Erzeugung von Spannung durch die manifeste Schilderung von Angriff und Abwehr durchaus auch rhetorische Strategien zum Tragen, die die Anwendung von Gewalt legitimieren sollen. Dass Überzeugung nicht nur durch Muskelkraft geschehen muss, zeigt beispielsweise die Figur Fritz Raup auf, der in einem Monolog zahlreiche Persuasionsstrategien wie die Herstellung scheinbarer Ursache-Wirkungsbezüge, die Berufung auf Authentizität durch Augenzeugenhaftigkeit sowie Kontrastierungen nutzt.663 Dies soll den Anschein des rationalen Argumentierens vermitteln. So gelingt es dem Funktionär Raup, dem im Roman generell die Funktion des überzeugenden und wortkräftigen Agitators zukommt,664 den nachdenklichen Bramm von der Richtigkeit der revolutionären Bestrebungen zu überzeugen, indem er sich gleichzeitig auf vermeintliche Fakten und emotional aufgeladene Begriffe beruft, um Bramms These von einer zu nachsichtigen Regierung zu entkräften: „Die Regierung hat das arbeiterschädliche Wurmzeug geduldet und großgezüchtet! Nur gegen die Kappisten war sie nachsichtig, August! Gegen uns weniger“, sagte Raup. „Als wir vergangenes Jahr wegen der Sechsstundenschicht streikten, da hat sie uns die Reichswehr hergeschickt. Mit Handgranaten wurde Ordnung gemacht, hier im Ruhrgebiet, überall unter den Arbeitern, weil sie ihr Recht forderten! Nein, August, da war sie nicht nachsich-

663 Für einen knappen Überblick über Persuasionsstrategien vgl. Schwarz-Friesel: Sprache und Emotion, S. 223–224. 664 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 51, 60, 62.



436 

 5 Analyse ausgewählter Romane

tig. Warum hat sie nicht gegen die Kappisten gehandelt? Nicht einen Schuß! Kein Versuch, denen die Zähne zu zeigen! Sie trat aber an uns heran und forderte den Generalstreik! Wir haben es getan! Was macht sie jetzt? Sie läßt durch die Grünen, die mit Kapp-Lüttwitz geliebäugelt haben, die Ordnung herstellen! Du solltest gestern in der Stadt mitgewesen sein, wie sie dreinschlugen, wie sie rinknallten, wie wir gekrochen sind, um nicht im Feuer zu verrecken! Das nennt man dann Ruhe und Ordnung!“ Sie trennten sich. August Bramm hatte wie vordem rebellierende Gedanken. Es war für ihn hart, sich mit den Tatsachen abzufinden. Ein Mensch wie er, der jedes Blutvergießen haßte. Und doch, Raup hatte recht. „Wenn man vom Sozialismus spricht, dann läßt man keine Arbeiter niederschießen.“ – – – 665

Der Monolog von Raup beginnt mit einer emotional höchst negativ gezeichneten Metapher, die durch den Bezug zum Tierreich das entmenschlichte Bild der rechtsgerichteten Politiker Kapp und Lüttwitz als ‚Schädlinge‘ evoziert. Die Bezeichnung der ihn unterstützenden Anhänger, die größtenteils aus dem ehemaligen Heer oder der DNVP stammen, als „Kappisten“, eine sprachliche Analogiebildung zu ‚Putschisten‘, personalisiert den Konflikt und stellt eine Einheit zwischen Befehlshaber und Ausführenden her. Solche Metonymien finden sich an weiteren Stellen beispielweise in der Verwendung von „Noskes“ oder „Noskiten“ als Bezeichnung für die Mitglieder der Reichswehr unter dem SPD-Politiker Gustav Noske.666 Die Personalisierung des Konflikts ist, wie unter 1.3 beschrieben, eine typische Strategie populärer Gattungen, die sich auch dazu eignet, abstrakten politischen Gegnern ein Gesicht zu geben. Diese Strategie der Personalisierung politischer Parteien und Richtungen wird inhaltlich ebenfalls bei der Personengestaltung verfolgt, wie bereits am Beispiel von Trauten aufgezeigt wurde (vgl. 5.3). Den Bezug zwischen „arbeiterschädliche[m] Wurmzeug“ und „Kappisten“ kann nur der erschließen, der weiß, dass Kapp ein Feind der Arbeiterschaft ist, dann aber reichern sich die Metapher und die Personalisierung gegenseitig an und verstärken sich in ihrer Wirkung. Dies wird unterstützt durch eine polarisierende Gegenüberstellung der feindlichen Putschisten und der kontrastiv dazu stehenden inklusiven Bezeichnung „uns“, die Bramm Zugehörigkeit zur Gruppe der Arbeiter signalisiert. Zusätzlich wird er bei seinem Vornamen genannt, was die Aufmerksamkeit und Intensität der persönlichen Ansprache erhöhen soll. Der nachgestellten inquit-Formel folgen chronologisch aufgezählt die von der Regierung gegenüber den Arbeitern begangenen Ungerechtigkeiten bei gleichzeitiger

665 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 51. 666 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 23 „Noskiten”, S. 101 „Noskes“. Exemplarisch seinen nur diese zwei Textstellen genannt. Die beiden Begriffe werden fast durch das gesamte Buch hinweg als Synonyme für Mitglieder der Reichswehr benutzt.





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 437

Duldung der Kapp-Lüttwitz-Putschisten und sogar die Schilderung eines Sympathisierens der Reichswehr und Polizei mit diesen. Damit werden die Regierung und besonders die Reichswehr unter Noske in die Nähe der rechten Putschisten gerückt sowie die ‚Sozialfaschismusthese‘ erhärtet. Zunächst versucht Bramm jedoch kausale Ursache-Wirkungsbezüge zwischen den als legitim und aus Sicht der Arbeiter als objektivierbar und rechtmäßig dargestellten Forderungen und Streiks und dem somit als übertrieben klassifizierten gewalttätigen Einschreiten der Regierung im Namen von „Ruhe und Ordnung“ herzustellen. Mit der ironischen Wendung am Ende des Monologs wird auf den aus Sicht der Arbeiter ungerechtfertigten und subjektiven Begriff von „Ruhe und Ordnung“ und auf einen Missbrauch des staatlichen Gewaltmonopols hingewiesen. Damit wird der Regierung wegen des brutalen Vorgehens gegen die Arbeiter die Rolle eines Unrechtsstaates zugewiesen. Die suggerierte Sachlichkeit der Argumentation verschweigt jedoch die konkrete, subjektiv geprägte Vorstellung der Arbeiter von Recht bzw. sozialer Gerechtigkeit und macht auch keine Aussagen zur Demonstrationsweise der Arbeiter. Alleine das an den Arbeitern begangene Unrecht steht im Vordergrund, welches durch den Augenzeugenbericht, der Authentizität suggeriert, verstärkt an Objektivierbarkeit gewinnen soll. Die Reaktion Bramms, die vom heterodiegetischen Erzähler als Gedankenbericht vermittelt wird, zeigt, dass das zuvor Gesagte als Tatsache aufgefasst wird, mit der man sich abzufinden hat. Hinterfragt wird die Argumentation von Raup nicht, sie wird als gegeben und tatsachengetreu hingenommen und damit für den Leser durch die Gedanken des zunächst noch zweifelnden Bramms ein zweites Mal verifiziert. Es folgt ein Satz, der als innerer Monolog von Bramm dargestellt ist. Die Erkenntnis, zu der Bramm geführt wurde, wird darin als Quintessenz zusammengefasst und somit dem Leser erneut und in komprimierter Form eingeprägt. Solche Argumentationsschemata liefern letztendlich die Rechtfertigung des Bürgerkriegs und kommen in Sturm auf Essen häufig zum Tragen. Am explizitesten tritt diese Legitimationsstrategie hervor, wenn die Kämpfe von den Protagonisten selbst als ‚gerechter Krieg‘667 deklariert werden, wie der Funktionärsmonolog von Murr verdeutlicht:

667 Für einen guten historischen Überblick über das Argumentationsmuster vom ‚gerechten Krieg‘ von Augustinus bis hin zum modernen Völkerrecht vgl. u. a. Otto Kimminich: Der gerechte Krieg im Spiegel des Völkerrechts. In: Der gerechte Krieg: Christentum, Islam, Marxismus. Hg. v. Reiner Steinweg. Frankfurt a. M. 1980, S. 206–223. Vgl. Ulrike Kleemeier: Krieg, Recht, Gerechtigkeit  – eine ideengeschichtliche Skizze. In: Gerechter Krieg. Ideengeschichtliche, rechtsphilosophische und ethische Beiträge. Hg. v. Dieter Janssen und Michael Quante. Paderborn 2003, S. 11–28.



438 

 5 Analyse ausgewählter Romane

„[J]eder Krieg ist blutig und grausam! Es kommt nur darauf an, warum man einen Krieg führt!“ Die Rotarmisten wandten ihre Gesichter dem Sprecher zu. Der fuhr fort: „Wenn sich Arbeiter für eine kleine Schicht von Unterdrückern in die Schützengräben hetzen lassen, sich dafür gegenseitig die Bajonette in die Leiber rennen, dann ist es ein Krieg, der nur durch den Geldsack hervorgerufen wurde, Arbeiter krepieren läßt, ohne etwas an ihrer Not zu ändern!“ „Jetzt führen wir doch auch einen Krieg!“ rief der Schlepper über den Tisch hinüber. „Diesmal ist es ein anderer Krieg! Es ist ein Krieg Klasse gegen Klasse, Unterdrückte gegen ihre Unterdrücker! Der Kampf geht um die Freiheit der schaffenden Hände, es ist ein ebenso grausamer, aber ein gerechter Krieg, Genosse!“668 „Wenn du mit Zweifeln hinausgehst, dann ist der Erfolg unseres Kampfes ebenfalls zweifelhaft! Wir bringen nicht die vielen Opfer, um zu verlieren […]. Was uns hinaustrieb, ist, dieser Ordnung ein Ende zu machen, eine gerechtere Ordnung zu erkämpfen!“ […] „Darum ist unser Krieg ein gerechter Krieg, Genossen!“ sagte er nach einer Pause. „Die Arbeiteropfer, die in diesem Kampfe fallen, sind heilig! Die Faust, die in diesem Kriege das Gewehr zu ihrer Befreiung erhoben hat, ist berechtigt, eine gerechtere Ordnung zu fordern!“ „Also ist unser Krieg doch schön?“ sagte der blonde Schlepper. Murr sah zu dem begeisterten Jungen hinüber: „Unser Krieg ist gerecht, die Gerechtigkeit ist gut! Die Gerechtigkeit wird uns ein neues Leben geben, unser Denken wird gut und schön! Wir werden das, was man in uns während der harten Zeit der Unterdrückung nicht geachtet hat – Mensch!“ Er stand auf und reckte sich. Unter dem Rock spannten sich die kraftvollen Muskeln. Er lachte fröhlich: „Die Sonne steckt an, Genossen!“669

Der Monolog wird eingeführt durch den Verweis auf die causa iusta, den (ge-) rechten Grund für den (Klassen-)Krieg, der am Ende des ersten Abschnitts angegeben wird: „die Freiheit der schaffenden Hände“. Im Verlauf seines Monologs hebt sich Murr kontrastiv von den aus kommunistischer Perspektive geächteten imperialistischen Kriegen, was aus dieser Auffassung heraus auch für den Ersten Weltkrieg670 gilt, ab, die durch Ausbeutungs- und Klassenstrukturen geprägt seien. Immer wieder finden sich Einwürfe und Fragen der umstehenden Arbeiter, die einen dialogischen Schlagabtausch suggerieren; letztendlich dienen sie jedoch lediglich dazu, den Funktionärsmonolog voranzutreiben und vorgebliche

668 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 112. 669 Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 113. 670 Zahlreiche Stellen der untersuchten Rote Eine-Mark-Romane verweisen auf die Negativerfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg und auf die verpasste Revolution von 1918. Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 42: „Achtzehn hatten wir’s in der Faust, […].“, S. 51: „Haben wir durch den Krieg nicht genug geblutet und gelitten?“, S. 73: „Ohne den verhaßten Kadavergehorsam. […] Nicht für eine winzige Gruppe Kriegsgewinnler und Ausbeuter  – für sich! Für die Freiheit der werktätigen Klasse!“ Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 20: verpasste Revolution von 1918. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 75: „‚Haben uns in der Armee sattmarschiert!‘ ‚Well, das ist eine andere Art Marsch!‘ antwortete der Delegierte. ‚Morgen sollt ihr in der Armee der befreiten Arbeiter marschieren, […].‘“





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 439

Zweifel zu entkräften, was sich schließlich auch im quantitativ dominierenden Redeanteil von Murr zeigt. Er verweist zudem auf die historische wie inhaltliche Einzigartigkeit des nicht minder „grausame[n]“, doch „gerechte[n] Krieges“, der ohne zu zögern zu führen sei und deklariert somit eine Art Ausnahmezustand, der ein besonderes (revolutionäres) Bewusstsein erfordere und in dem auch vor gewaltsamen Mitteln nicht zurückgeschreckt werden dürfe. Persönliche Zweifel und damit eine persönliche Reflexion der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten gewaltsamen Mittel dürfen erst gar nicht erfolgen und werden sofort durch den Verweis auf die zahlreichen heroischen Opfer, die für das übergeordnete gesellschaftliche Ziel gebracht werden, und eine siegesgewisse Haltung verdrängt. Dem folgt ein erneuter Verweis auf die grundlegende Motivation „eine gerechtere Ordnung zu erkämpfen“, ergo eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaftsstrukturen zu erlangen („dieser Ordnung ein Ende zu machen“) sowie eine Selbstermächtigung über den Einsatz gewaltsamer Mittel („Die Faust […] ist berechtigt, eine gerechte Ordnung zu fordern!“). Nach unablässiger Wiederholung des Adjektivs ‚gerecht‘ werden auf pathetische Art und Weise die Arbeiteropfer, die zu bringen sind, als „heilig“ bezeichnet, womit eine säkulare Heilsgeschichte etabliert wird. Diese eschatologische Perspektive zieht sich weiter durch den Monolog von Murr, der in den Begriffen der ‚Menschwerdung‘ und eines ‚neuen Lebens‘ sowie unter Verwendung der normativen Adjektive „gut und schön“ eine innerweltliche Erlösungsvision in Aussicht stellt. Unterstützt durch die heroische Schilderung des äußeren Erscheinungsbildes des Arbeiters Murr („kraftvolle[ ] Muskeln“; vgl. dazu insbesondere Kapitel 4) und durch die pathetische Lichtmetaphorik werden die eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen, d. h. die Vorstellungen des Kommunismus, zur universellen Norm erklärt und der Krieg durch das übergeordnete Ziel der klassenlosen Gesellschaft ethisch gerechtfertigt. Im weiteren Verlauf seines Romans versucht Marchwitza immer wieder zu veranschaulichen, dass der politische Weg über die etablierten Institutionen ineffektiv und ungeeignet sei, um die Interessen der Arbeiter zu vertreten, da das ganze System auf der Unterdrückung der Arbeiter basiere.671 Letztendlich folgt er, insbesondere mit dem Motiv des ‚gerechten Krieges‘, nahezu eins zu eins den

671 Vgl. Marchwitza: Sturm auf Essen, S. 94–95. Insbesondere der USPD Vertrauensmann Mahler wird diesbezüglich vom Revolutionär Zermack eines ‚Besseren‘ belehrt (S. 93): „Im Kriege ist jedes Mittel erlaubt!“, postuliert dieser und verweist somit darauf, dass zur Erreichung des Ziels der klassenlosen Gesellschaft letztendlich der ‚gute Zweck‘ die Mittel heilige. Eine radikale Auffassung, die von Mahler zumindest zurückgewiesen wird, die jedoch die im Buch immer weiter voranschreitende Radikalisierung der Arbeiter ausdrückt.



440 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Äußerungen, die Lenin diesbezüglich macht. Einen ersten Eindruck über die prinzipielle Anerkennung ‚gerechter Kriege‘ durch den Marxismus und dessen begriffliche Anwendung durch Lenin verschafft das Kritische Wörterbuch des Marxismus, das unter dem Lemma ‚Krieg‘ darauf verweist, das Lenin sehr wohl zwischen ‚gerechten‘ und ‚ungerechten‘ Kriegen unterscheide und dessen Selbstverständnis verdeutlicht: Die gerechten Kriege können, als Befreiungskriege gegen den Imperialismus, bald die Form eines „Bürgerkriegs“ (der unterdrückten Klassen), bald die eines „Verteidigungskriegs“ (der unterdrückten Nationen und Völker) annehmen.672

Hier zeigt sich, was auch bei Marchwitza angesprochen wird: Marxistische Kriege definieren sich generell als „Befreiungskriege gegen den Imperialismus“. Des Weiteren ist auffällig, dass Lenin scheinbar nicht trennschaft zwischen Angriffsund Verteidigungskriegen unterscheidet. Ein Blick in Lenins Werke bestätigt dies. Dort heißt es, „daß […] nicht der Angriffs- oder Verteidigungscharakter des Krieges, sondern die Interessen des Klassenkampfes des Proletariats oder, besser gesagt, die Interessen der internationalen Bewegung des Proletariats jenen einzig möglichen Standpunkt bilden […].“673 Und auch Jahn, der bisher als einer der wenigen eine Skizze bzw. Kritik des (sowjet-)marxistischen Verständnisses vom ‚gerechten Krieg‘ liefert, betont: Für die marxistisch-leninistische Lehre ist also der Begriff „Verteidigung“ wesentlich abhängig von den Interessen des internationalen Klassenkampfs und nicht bestimmt durch die Frage, wer die Kriegshandlungen beginnt oder wer auf das Territorium der anderen Partei vorrückt. […] Für den Marxismus-Leninismus ist der entscheidende Maßstab für die Gerechtigkeit und Fortschrittlichkeit eines Krieges die Frage, ob er gewissermaßen im Vollzug der angenommenen historischen Gesetzmäßigkeit und Mission zur weltweiten Durchsetzung des Sozialismus und Kommunismus (in der Definition des jeweils anerkannten nationalen Parteizentrums) geführt wird; die Beurteilung ist also im Prinzip unabhängig vom politi-

672 Georges Labica: Krieg. Übersetzt von Thomas Heilmann. In: Kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 4: Kadetten bis Lyssenkismus. Hg. v. Georges Labica und Gérard Bensussan. Herausgeber der deutschen Fassung: Wolfgang Fritz Haug. Berlin (Ost) 1986, S. 706–712 [hier: S. 709–710]. 673 W.[ladimir] I.[ljitsch] Lenin: Der streitbare Militarismus und die antimilitaristische Taktik. In: W. I. Lenin. Werke. Band 15: März 1908–August 1909. Ins Deutsche übertragen nach der vierten russischen Ausgabe. Deutsche Ausgabe besorgt vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED. 5. Auflage. Berlin (Ost) 1972, S. 186–196 [hier: S. 194]. [Erstabdruck in: Proletari (23. Juli/5. August 1908), Nr. 33.]





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 441

schen Bewusstseinszustand der Volksmassen, auch wenn dieser als ein politisch- militärischer Faktor in Rechnung zu stellen ist.674

An dieser Stelle wird erneut das kommunistische ‚Sendungsbewusstsein‘ deutlich, das es sich selbst zur Mission macht „die Menschheit zu einer höheren Geschichtsstufe [zu] führen“,675 unter absolutem Deutungsmonopol der jeweiligen kommunistischen Partei, die sich selbst die Entscheidungshoheit darüber anmisst, was im Einzelfall als ‚fortschrittlich‘ und ‚gerecht‘ zu gelten hat und welche (gewaltsamen) Mittel zur Erfüllung dieses Ziels angewandt werden. Dieses problematische Selbstverständnis der Kommunisten als innerweltlicher ‚Heilsbringer‘ drückt sich nicht nur in der Deklarierung des kommunistischen Krieges als „heilig“ durch die Romanfigur Murr aus, sondern findet seine realweltliche Entsprechung in einer Formulierung Lenins, der kommunistische Kriege ebenfalls als „heilig“ bezeichnet: Wenn die Klasse der Ausbeuter einen Krieg führt, um ihre Herrschaft als Klasse zu stärken, so ist das ein verbrecherischer Krieg, und die „Vaterlandsverteidigung“ in einem solchen Krieg ist eine Niedertracht und ein Verrat am Sozialismus. Wenn das Proletariat, das bei sich die Bourgeoisie besiegt hat, einen Krieg führt zur Festigung und zur Entwicklung des Sozialismus, dann ist der Krieg berechtigt und „heilig“.676

Zwar werden in allen Roten Eine-Mark-Romanen klassenbewusste Proletarier oder erwachendes Klassenbewusstsein auf idealistische Weise präsentiert und solidarisches Handeln unter klassenbewussten Arbeitern als emanzipativ ausgegeben, letztendlich findet, wie bereits gezeigt wurde, jedoch in allen Fällen der Appell zur Unterordnung individueller Interessen, Aktionen und Bedürfnisse unter die Parteiführung statt; alles andere gilt als ‚anarchisches‘ Einzelgängertum, das als kontraproduktiv ausgegeben und damit auf das Schärfste verurteilt wird. Diesbezüglich ist natürlich fraglich, wie viel von dem emanzipativen Potenzial, das den Romanen zumindest konzeptuell inhärent ist (vgl. Kapitel 2.1.1, 2.1.2 und 3.1.4), tatsächlich beim Arbeiter ankommt und in wieweit dieser in der

674 Egbert Jahn: Eine Kritik der sowjet-marxistischen Lehre vom „gerechten Krieg“. In: Der gerechte Krieg: Christentum, Islam, Marxismus. Hg. v. Reiner Steinweg. Frankfurt a. M. 1980, S. 163–185 [hier: S. 175, 179]. 675 Jahn: Eine Kritik der sowjet-marxistischen Lehre vom „gerechten Krieg“, S. 167. 676 W.[ladimir] I.[ljitsch] Lenin: Über „linke“ Kinderei und über Kleinbürgerlichkeit. In: W. I. Lenin. Werke. Band 27: Februar-Juli 1918. Ins Deutsche übertragen nach der vierten russischen Ausgabe. Deutsche Ausgabe besorgt vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED. 3. Auflage. Berlin (Ost) 1972, S. 315–347 [hier: S. 324]. [Erstabdruck in: Prawda (9., 10., 11. Mai 1918).]



442 

 5 Analyse ausgewählter Romane

parteilichen Praxis nicht lediglich zu einem Ausführungsinstrument parteilicher Direktiven reduziert wird. Auch die konkrete Untersuchung der Roten Eine-MarkRomane stimmt diesbezüglich in vielen Fällen skeptisch, denn oftmals stellen die tatsächlichen Alltagsprobleme der Arbeiter lediglich den Ausgangspunkt dar, an den die ideologischen Monologe der Funktionäre anknüpfen,677 die häufig eher agitierend mit diffusen Heilsversprechen aufwarten, statt konkrete emanzipatorische Lösungsvorschläge zu liefern.678 Als problematisch erweist sich im obengenannten Monolog vom ‚gerechten Krieg‘ aus Sturm aus Essen auch, dass der Einsatz und die Verhältnismäßigkeit gewaltsamer Mittel nicht abgewogen wird – eine diesbezügliche Reflexion durch den impulshaften Verweis auf die Arbeiteropfer gar verhindert werden soll. Bedenklich an dem oben dargebotenen Rechtfertigungsmuster ist letztlich, dass es zur Entgrenzung von Gewalt führt, egal welche ‚höheren‘ und ‚friedlichen‘ Menschheitsziele schlussendlich angestrebt werden und dass es im Sinne dezisionistischer Handlungsbegründungen „moralischen Zwang zum Mitmachen“ kreiert; auf Letzteres verweist auch Lothar Fritze: Der kommunistische Revolutionär engagiert sich in einem Projekt der Unheilvermeidung und Leidminimierung. […] Nichthandeln bedeutet, das zur Befreiung von Menschenleben aus Unterdrückung und das zur Rettung von Menschenleben Mögliche nicht zu tun. […] Akzeptiert man diese Sicht der Dinge, kann zum einen bereits der Indifferente, der Abseitsstehende, der Nichthandelnde Schuld auf sich laden. Die kommunistische Ideologie verführte dergestalt nicht nur dazu, sich für (vermeintlich) grandios gute Ziele zu begeistern, sondern sie entfaltete darüber hinaus einen moralischen Zwang zum Mitmachen. Zum anderen ist die Idee entscheidend, dass im Prozess des revolutionären Handels Opfer hingenommen werden dürfen. Denn wenn es darum geht, das denkbar Schlimmste zu vermeiden und den unvermeidbar gewaltsamen Übergang zum Sozialismus leidminimierend zu steuern, dann sind die dabei in Kauf zu nehmenden Opfer nicht Opfer des revolutionären Handelns, sondern Opfer der zu überwindenden Verhältnisse […] Das kommunistische Selbstverständnis sorgt aber nicht nur für das gute Gewissen des Revolutionärs, der bereit ist und sich vielleicht sogar gegen moralische Bedenken dazu durchgerungen hat, auch Opfer in Kauf zu nehmen. Indem die marxistische Theorie die revolutionäre Aufhebung der alten Ausbeutergesellschaft als ein Befreiungs- und Rettungsunternehmen erscheinen lässt, ist gerade die Nichtbereitschaft, Opfer bewusst in Kauf zu nehmen, moralisch nicht zu verantworten.679

677 Vgl. Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 71–72. Vgl. Pell: S.S. Utah, S. 30–33. 678 Als ein Beispiel unter vielen sei hier genannt Schönstedt: Kämpfende Jugend, S. 26: „Sie sollen zu uns kommen. Das müssen sie einfach, wenn sie nicht vollständig stupide und stur werden wollen, wenn sie in ein besseres, schöneres Leben hineinwollen…“ 679 Lothar Fritze: Kommunistische Ideologie und die Rechtfertigung von Zwang und Gewalt. In: Ideologie und Verbrechen. Kommunismus und Nationalsozialismus im Vergleich. Hg. v. FrankLothar Kroll und Barbara Zehnpfennig. München 2014, S. 93–111 [hier: S. 97].





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 443

In den nationalsozialistischen Romanen findet sich das explizite Rechtfertigungsmuster des ‚gerechten Krieges‘ nicht wieder, sehr wohl jedoch der „moralische[ ] Zwang zum Mitmachen“, der im Rahmen der ‚Volksgemeinschaft‘ in einer ganz spezifischen Form der Partikularmoral zum Ausdruck kommt. Doch warum bedienen sich die Nationalsozialisten nicht des Musters des ‚gerechten Krieges‘, um Gewalt zu rechtfertigen? Einen Erklärungsansatz hierzu liefert Werner Konitzer, der auf den Bellizismus der NS-Ideologie verweist, die Krieg letztendlich als anthropologische Grundkomponente eines immerwährenden Lebenskampfes auffasst und somit nicht auf eine theoretische Begründung eines ‚gerechten Krieges‘ angewiesen ist, da im NS-Weltbild der Lebenskampf und -krieg quasi als Grundvoraussetzung für Fortschritt und Innovation angesehen wird und als dem Leben inhärent gilt.680 Konitzer betont diesbezüglich: Ein Gedanke, der bei allen NS-Ideologen trotz vieler Verschiedenheiten auftaucht, ist die grundsätzliche und prinzipielle Bejahung des Krieges. Damit richten sie sich gegen alle Positionen, für die Krieg überhaupt einer besonderen Begründung bedarf, also alle Theorien des gerechten Krieges. Diese Abkehr von Theorien des gerechten Krieges, die oft, aber nicht immer mit einer prinzipiellen Bejahung des Krieges einhergeht und die sich gegen den englischen Utilitarismus wie auch gegen alle vertragstheoretischen Konzeptionen von Moral richtet, entsteht bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, wird aber dann im Weltkrieg weiter ausgebaut und verfestigt. […] Entscheidend ist […], dass sie [die NS-Ideologen] die Frage, ob ein Krieg gerechtfertigt ist, nicht mehr einer allgemeinen, das heißt unparteiischen moralischen Überlegung überantworten wollen.681

680 Welche Bedeutung Kampf bzw. Krieg für den Nationalsozialismus in Gegenüberstellung und Gegensatz zum kommunistischen Klassenkampf hat, zeigt ein triadisches, von Barbara Zehnpfennig entwickeltes Strukturschema. In Bezug auf den Begriff des Kampfes betont sie: „Die inhaltliche Entgegensetzung wird besonders an dem Verhältnis zum Kampf deutlich. Für Marx ist Kampf das schlechthin zu Überwindende. [I]m Kommunismus, der weltumspannend sein soll, gibt es keine Konflikte unter den Völkern und keinen individuellen Lebenskampf mehr, weil die Produktivkräfte ein Leben im Überfluss ermöglichen. Für Hitler ist dies das Programm zur Herabzüchtung des Menschen, der am Ende überhaupt nicht mehr kämpfen will und sich seinem Herdendasein gefügt hat. Deshalb geht es darum, dem Kampf als Grundbedingung für Ordnung und Höherentwicklung wieder zu seinem Recht zu verhelfen.“ Barbara Zehnpfennig: Hitlers Weltanschauung. In: Ideologie und Verbrechen. Kommunismus und Nationalsozialismus im Vergleich. Hg. v. Frank-Lothar Kroll und Barbara Zehnpfennig. München 2014, S. 67–89 [hier: S. 88; das Strukturschema findet sich auf S. 87]. 681 Werner Konitzer: Moral oder „Moral“? Einige Überlegungen zum Thema „Moral und Nationalsozialismus“. In: Moralität des Bösen. Ethik und nationalsozialistisches Verbrechen. Hg. v. Werner Konitzer und Raphael Gross. Frankfurt a. M./New York 2009, S. 97–115 [hier: S. 102–103].



444 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Trotzdem finden sich, wie bereits u. a. in 5.1.4 gezeigt, zahlreiche ethisch belegte Begriffe, die in den nationalsozialistischen Romanen nahezu inflationär gebraucht werden, z. B. das Konzept der Kameradschaft (vgl. 5.3.1), das Berufen auf moralische Integrität im Kampf („Ohne Waffen geht sie [die SA] in den Kampf […]“682) und immer wieder die Betonung von ‚Treue‘683, ‚Ehrlichkeit‘ und ‚Anständigkeit‘.684 Die gegenseitige Einforderung von und Berufung auf ethische Werte gilt jedoch exklusiv nur für die Mitglieder der ‚Volksgemeinschaft‘. ‚Gemeinschaftsfremde‘, insbesondere Juden, werden von der Gemeinschaft und ihrem Moralsystem ausgeschlossen. Dieses partikulare Bewusstsein wird dann auch ganz direkt im Viera-Roman Der Kampf um die Feldherrnhalle ausgesprochen: „Kein Jude und kein Fremdstämmiger kann Volksgenosse und Staatsbürger sein. […] Ziel ist ein sauberes Deutschland, in dem Gemeinnutz vor Eigennutz geht.“685 Hier zeigt sich drastisch, dass insbesondere die jüdische Identität nicht aufkündbar ist, Juden also prinzipiell von den oben geschilderten Konversionsmechanismen (vgl. 5.3.4) ausgegrenzt sind. Der normative Leitsatz der NS-‚Volksgemeinschaft‘, ‚Gemeinnutz geht vor Eigennutz‘, besitzt somit eine ganz spezifische, rassistische Deutungskomponente: „[G]ut“ ist nicht, was vielen Einzelnen aus dieser Gruppe nützt, sondern was der Gruppe „als solcher“ nützt, und gemeint ist hiermit: die Fiktion der eigenen Art. […] Die „Binnenmoral“ der Gruppe ist ebenso eine Rationalisierung des rassistischen Gefühls, also eine Fiktion, wie die ihr entgegengesetzten Vorstellungen von einer „jüdischen Moral“.686

682 Viera: Horst Wessel, S. 53. Vgl. auch Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 228 „[…] war nie eine Waffe zur Verwendung gekommen“. 683 Zum ethischen Begriff der ‚Treue‘ und dessen Bedeutung im Kontext des Nationalsozialismus vgl. Raphael Gross: „Treue“ im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Moralgeschichte der NS-Zeit. In: Treue. Politische Loyalität und militärische Gefolgschaft in der Moderne. Hg. v. Nikolaus Buschmann und Karl Borromäus Murr. Göttingen 2008, S. 253–273. 684 Vgl. Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 252: „Wir brauchen Jungens, die wissen, was Kameradschaft ist, die Ehrgefühl im Leibe haben, die treu zu unserer Sache stehen und den Teufel nicht fürchten.“, S. 253: Heini bekommt vom Bannführer die Führerschnur unter Verpflichtung auf moralische Werte überreicht: „Versprich mir unter Freunden, die Kameradschaft Beußelkietz treu und ehrlich zu führen.“ Vgl. Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 18: „[…] daß Hitler ein neues Reich gründen will. Ein Reich, in dem es deiner Mutter gut geht und dir und allen anständigen Jungens.“, S. 32: „Schieber stehen im Ansehen über dem Arbeiter, Betrüger über den ehrlichen Volksgenossen.“, S. 73: „[…] Lemke machte sein Wort wahr: mit verdoppeltem Eifer hielt in den kommenden Wochen die treue SA. und SS. Wacht.“ 685 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 19. 686 Konitzer: Moral oder „Moral“?, S. 112.





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 445

Doch wie definiert sich die nationalsozialistische Partikularmoral konkret? Gross versteht sie als ein Moralsystem, dessen Normen explizit nur für eine bestimmte Gruppe gelten. Ein solches System, das gar nicht den Anspruch erhebt, für alle Menschen gültig zu sein, können wir auch nicht als universell beschreiben. […] Extreme partikulare Moralsysteme wie dasjenige des Nationalsozialismus gehen sogar davon aus, dass Menschen, die ihnen nicht zugehören, ihre Normen und Werte gar nicht verstehen können. […] Von Anfang an war er [der Nationalsozialismus] bestrebt, in das moralische Bewusstsein die Bevorzugung einer bestimmten Gruppe einzuschreiben und damit andere Gruppen entweder zu benachteiligen oder vollends auszuschließen. Die Bevorzugung einer Gruppe war sogar so sehr in sein System eingebaut, dass die Einteilung der Menschheit in „Rassen“ selbst das höhere Prinzip abgab, auf das die einzelnen Handlungen und Normen sich beziehen sollten. Während es bei den traditionellen Moralen aber die Einsicht in die Existenz des höheren Prinzips war, die zumindest theoretisch jedem den Zugang zur moralischen Gemeinschaft ermöglichte, verzichtete der Nationalsozialismus vollständig auf eine Begründung gegenüber denen, die er ausschloss und setzte stattdessen von Anfang an auf Gewalt.687

Zehnpfenning hingegen betont, dass das Gegensatzpaar von Universalismus und Partikularismus zumindest zur Beschreibung des Verhältnisses von Marxismus und Nationalsozialismus gänzlich ungeeignet sei und gibt diesbezüglich zu bedenken: „Auch Hitler glaubt, einem Menschheitsanliegen zu dienen, auch seine Weltanschauung soll universell gelten.“688 Gross wie Zehnpfennig artikulieren beide bestimmte Aspekte des durchaus ambigen Moralbegriffes der Nationalsozialisten, die nicht so unvermittelbar sind, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Verbindung zwischen den beiden geschilderten Prinzipien schafft ein Konzept, das unter der kontradiktorisch anmutenden Bezeichnung ‚universaler Partikularismus‘689 von Aurel Kolnai bereits 1938 entwickelt wurde, bisher jedoch wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Insbesondere Werner Konitzer bezieht sich explizit auf dieses Konzept und schildert überzeugend, wie es die doch sehr spezifische Form der Partikularität der NS-Moral abzubilden vermag: Mit der paradoxen Formulierung „universaler Partikularismus“ beschreibt er [Kolnai] eine Struktur, die für den NS charakteristisch ist und die sich daraus ergibt, dass man eine besondere Gruppe, nämlich die, der die Nationalsozialisten sich zugehörig fühlen (die Deutschen oder die Arier) und deren Elite sie sein wollen, in ihrer Besonderheit, also mit den nur ihr eigenen Werten und Normen, und ohne dass sie diese Besonderheit verliert, zugleich zur

687 Raphael Gross: Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral. Bonn 2010, S. 14, S. 208– 209. 688 Zehnpfennig: Hitlers Weltanschauung, S. 88. 689 Vgl. Aurel Kolnai: The War Against the West. London 1938.



446 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Quelle und zum Maßstab aller Werte und aller ethischen Normen erklärt. […] Menschen leben in nationalen Gruppen und folgen deren Geboten und haben ihnen und nur ihnen zu folgen. Zugleich aber, und das in einem deutlichen Widerspruch dazu, nehmen Nationalsozialisten an, dass ihre Gruppe die bessere sei und daher gegen die anderen kämpfen müsse. Sie muss also darum kämpfen, als partikulare universal zu werden, ohne ihre Partikularität aufzugeben. […] Entscheidend ist, […] dass diese Gruppe als besondere zugleich als „Quelle“ aller Moral gedacht werden soll. Das heißt: Alle Begründungen, warum etwas verboten oder erlaubt, warum etwas als gut empfohlen oder von etwas als schlecht abgeraten wird, verweisen auf die besondere Gruppe als Ursprung letztlich aller Normativität.690

Damit wird ‚Deutschsein‘ zur Letztbegründung, Rechtfertigung und Richtschnur allen normativen Handelns zugleich, was sich exemplarisch hervorragend an den untersuchten nationalsozialistischen Romanen belegen lässt. So wird dann im Viera-Roman Der Kampf um die Feldherrnhalle die entscheidende Gewissensfrage an den ‚Volksgenossen‘ Hitler in den Mund gelegt: „Wie stehst du zu deinem Volk? Erfüllst du die höchsten Pflichten gegenüber deinem Volk? Wenn ja, dann bist du unser Bruder! Wenn nein, dann bist du Todfeind für uns!“691 Auch hier zeigt sich die Festlegung auf absolutes Gehorsam und bedingungslose Pflichterfüllung für die ‚Volksgemeinschaft‘, deren Pflichten primär autoritativ durch die Partei und ihren ‚Führer‘ definiert werden. Anderenfalls, und das wird hier sehr deutlich, greifen die aggressiven Ausschlussmechanismen der als exklusiv definierten ‚Volksgemeinschaft‘, die die Bekämpfung des Gegners bis auf den Tod nahelegen, um ihre angeblich alternativlose Gesellschaftsvision durchzusetzen. Die Zwangsläufigkeit dieser ‚Argumentation‘, die die Dezision in den Mittelpunkt stellt und sich sendungsbewusst gibt, verdeutlicht auch folgender Funktionärsmonolog aus SA.-Mann Schott: „[P]arteilos sein kann man nicht. Heute nicht. Heute muß jeder politisch Stellung nehmen, das heißt, er muss sich eingliedern in die große Volksbewegung zur Rettung des Vaterlandes. Für oder gegen das Vaterland. Gibt es da eine Entscheidung, die schwer fallen könnte? Und Heini hat sich entschieden. Er hat sich für Hitler und für ein besseres Deutschland entschieden, das kommen wird und muß.“692

So können dann auch die vorbildlichen jugendlichen Protagonisten der VieraRomane gar nicht anders, als sich unablässig zu ihrem Deutschtum zu bekennen („Ich bin doch ein deutscher Junge!“693) sowie die ihnen auferlegten Pflich-

690 Konitzer: Moral oder „Moral“?, S. 103–105 [Hervorhebungen aus dem Text übernommen]. 691 Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle, S. 56. 692 Viera: SA.-Mann Schott, S. 39. 693 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 40.





5.4 Weitere schematische Strategien und Argumentationsmuster der Romane 

 447

ten zu erfüllen („Nein, Utz darf nicht säumen.“694). Und auch in Der Hitlerjunge Quex wird absolute Unter- und Einordnung in die Partei gefordert: „Du gehörst zu deiner Kameradschaft! Eigensinn gibt es nicht.“695 Heini empfindet demnach auch ganz selbstverständlich ‚deutsch‘: „Daß sie dieses Deutschland liebten, war doch nur natürlich, und Vater war doch auch hier geboren und die Mutter doch auch.“696 Zugehörigkeit zur ‚Volksgemeinschaft‘, aber auch die mit ihr verbundenen Pflichten, erwirbt man aus nationalsozialistischer Perspektive also quasi ‚schicksalhaft‘ qua Geburt, sie wird somit zu einer unhinterfragbaren Größe absolutgesetzt, die als höchster Wert gilt und auf diese Weise gegen eine kritische Hinterfragung immunisiert. Letztendlich läuft alle moralische Beurteilung im Sinne dieser Partikularmoral auf die bereits unter 5.1.5 geschilderte Formel bzw. den Umkehrschluss hinaus: „Wie könnte ich ein guter Deutscher sein, wenn ich ein schlechter Mensch wäre?“697, d. h. ‚gute Menschen = (gute) Deutsche‘. Derart moralisch mit einem kollektiv ‚guten Gewissen‘ ausgestattet, sollen die Einfügung in die Partei sowie die Erfüllung der von ihr an jedes Mitglied gestellten ‚höheren Pflichten‘ zur Erlangung einer nationalsozialistischen Weltordnung und die Mechanismen der In- und vor allem der radikalen Exklusion auch nicht individuell reflektiert werden, sie gelten quasi als normativ-ontologisch gegeben. Somit sichert sich letztendlich die NSDAP das Deutungsmonopol darüber, was als ‚deutsch‘ bzw. ‚undeutsch‘ zu gelten hat und welche moralischen Verbindlichkeiten sie im Einzelfall von den Mitgliedern der rassistisch fundierten ‚Volksgemeinschaft‘ einfordern kann – natürlich auch unter der Androhung bzw. Anwendung von Zwang und Exklusion. Schließlich sollen die hier genannten links- wie rechtspolitischen Beispiele und Argumentationsschemata, wie unterschiedlich sie im Einzelnen auch ausfallen, im Namen der Partei für eine Suspendierung individueller Moral zugunsten von höheren abstrakten Entitäten wie Volk/Rasse oder Klasse sorgen, die sich mittels absolutem ‚Wahrheitsanspruch‘ ihrer Ideologie das jeweilige Deutungsmonopol und die Entscheidungsgewalt über das Vorgehen im Rassen- bzw. Klassenkampf sichert. Die eingeforderte Abgabe individueller Verantwortung und das jeweilige Beharren auf absoluten Wahrheiten erzeugt so auf beiden Seiten ‚Täter mit gutem Gewissen‘.

694 Viera: Utz kämpft für Hitler, S. 63. 695 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 232. 696 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 71. 697 Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex, S. 250.



448 

 5 Analyse ausgewählter Romane

Bettet der kommunistische Roman Sturm auf Essen seine Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt noch in umfangreichere Argumentationsstrukturen ein, so wird die Letztbegründung des ‚Deutschseins‘ und des ‚ewigen Daseinskampfes‘ im Bereich der untersuchten nationalsozialistischen Romane im Sinne der partikularen Moral derart absolut gesetzt, dass umfassendere Begründungen der jeweils eingeforderten (gewaltsamen) Verhaltensweisen unterbleiben. Mit der unablässigen Betonung der moralischen Überlegenheit, in deren Besitz sich die jeweilige Partei wähnt, geht es also um nichts anderes als, wie Bittner es treffend formuliert, „die strategischen Höhen im moralischen Gelände zu besetzen“;698 derart wird der Moralbegriff letztendlich pervertiert zur „Produktion kriegsdienlicher Abgrenzungen unter Menschen“.699

698 Rüdiger Bittner: Gute Kriege, böse Feinde. In: Information Philosophie 31 (2003), H. 4, S. 7–14 [hier: S. 14]. 699 Bittner: Gute Kriege, böse Feinde, S. 14.



Schluss Vorliegende Studie zeigt, dass die Beschäftigung mit populären Schemata, insbesondere vor dem Hintergrund ihrer Nutzbarmachung zur politischen Agitation, ein vielfältiges und ausbaufähiges Forschungsfeld ist. Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges erscheint eine Thematisierung und explizite Untersuchung dieser spezifischen Erscheinungsform von Literatur und ihrer Vermarktungsformen wie Rezeption jenseits der durch den Systemkonflikt bedingten ideologisch gefärbten Wahrnehmungsmuster als längst überfällig. Vor allem die proletarisch-revolutionäre Literatur, aber durchaus das gesamte „Minenfeld des Ästhetisch-Politischen“700 erfreute sich jedoch innerhalb der letzten Jahre im Rahmen der germanistischen Forschung nicht unbedingt einer ‚Hochkonjunktur‘. Umso wichtiger ist es, einen neuen Zugang zu dieser stark von zeit- und sozialgeschichtlichen Faktoren abhängigen Literatur zu gewinnen, um sie in ihrem Funktionszusammenhang adäquat analysieren zu können. Auf der Basis neuerer (mentalitäts-)geschichtlicher wie soziokultureller Erkenntnisse zum Zeitabschnitt der Endphase der Weimarer Republik sowie aktueller Ergebnisse der schematheoretischen Forschung und ihrer Funktionalisierung für die Germanistik eröffnet sich solcherart eine interdisziplinäre Perspektive auf eine Literatur jenseits des ‚Höhenkamms‘, die in ein komplexes Geflecht von theoretischen und ideologischen Konzepten sowie Wirkungsabsichten vor dem Hintergrund spezifischer zeitgenössischer politischer Faktoren, Mentalitäten und Wirkungsbedingungen eingebunden ist. Dieses Geflecht ist nicht widerspruchsfrei aufzulösen  – was auch keinesfalls der Anspruch der vorliegenden Studie sein soll und kann. Vielmehr möchte sie für die zahlreichen Ambivalenzen, Einflussfaktoren, Perspektiven und Forschungslücken sensibilisieren, die sich aus einer intensiven Beschäftigung mit der ideologischen Nutzbarmachung populärer Schemata vor dem historischen Hintergrund der Weimarer Republik ergeben. Die zahlreichen, häufig gegenläufigen Tendenzen und Einflussfaktoren, die sich im Verlauf der Arbeit immer deutlicher abzeichnen, stellen sich folgendermaßen dar: Die versatzstückhafte Rekombination von unterschiedlichen populären Gattungsmustern und Textmerkmalen erweist sich als bewusst kalkulierte Strategie, ideologische Inhalte in das Format der Unterhaltungsfunktion zu integrieren, mit dem Ziel, eine möglichst breite Leserschaft zu erreichen. Folgende populäre

700 Fähnders: Zur Erforschung proletarischer Literaturtraditionen anhand eines Lexikons, S. 258. DOI 10.1515/9783110468434-007



450 

 Schluss

Gattungen werden dazu nutzbringend eingesetzt: Wie Kapitel 1.4.1 anhand erster konkreter Beispiele zeigt, bietet der Zeitroman vor allem die Möglichkeit, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zu verwischen und aus diesem spezifischen Mischverhältnis politischen Gebrauchswert zu ziehen, ein Sachverhalt, der im Analysekapitel unter 5.1 ausführlich dargelegt wird. In Bezug auf die Abenteuerliteratur kommt die Untersuchung zu folgendem Ergebnis: Abenteuerliterarische Aspekte bieten sich vor allem dazu an, über die Schilderung von heroischem Heldentum und die schematische Identifikation von Freund und Feind bzw. Gut und Böse eine Komplexitätsreduzierung der politischen Sachverhalte unter Einfügung in ein als einheitlich präsentiertes ideologisches Weltbild zu bewirken, an das sich konkrete politische Handlungsanweisungen knüpfen lassen. Auf diese Weise wird ‚Abenteuerlichkeit‘ als Erlebniskategorie in die Realität übertragen, was ermöglicht, den Kampf für die jeweilige politische Partei zum Abenteuer zu stilisieren und derart durchaus zur Gewaltanwendung aufzurufen bzw. diese zu legitimieren. Auch die nähere Betrachtung der Elemente des Entwicklungsromans und ihrer spezifischen politischen Funktionalität erwies sich als aufschlussreich, vor allem weil sich hier bereits erste Unterschiede zwischen den kommunistischen und nationalsozialistischen Agitationsmustern zeigen: Insgesamt wird deutlich, dass sich die Struktur des Entwicklungsromans dazu eignet, im Sinne der Ideologie eine säkulare, eschatologische Zukunftsvision mit teleologischem Verlauf zu etablieren, in der der positive Held bzw. das heldenhaft handelnde Kollektiv dem ideologischen Ziel entgegenstrebt. Außerdem erscheint das Gattungsmuster des Entwicklungsromans prädestiniert dafür, Aspekte der ‚Bekehrung‘ und ‚Wandlung‘ zur vermeintlich ‚richtigen‘ Weltanschauung darzustellen, wie sie exemplarisch in der für alle Romane funktionalen Figur des Konvertiten auftreten (vgl. 5.3.4). Unterschiede existieren jedoch in der jeweiligen Realisierung dieser Muster: In den Roten Eine-Mark-Romanen steht weniger die ausführlich thematisierte Einzelentwicklung eines Individuums, sondern vielmehr das solidarisch agierende Kollektiv im Vordergrund. Eine typenhafte Verweisfunktion und weniger intensiv auf individuelle Emotionalität abhebende Darstellungsformen als im nationalsozialistischen Roman sind hier kennzeichnend. Die rechtspolitischen Romane propagieren hingegen offensiver einzelne Helden- und Märtyrerfiguren und zielen graduell stärker auf individuelle emotionale und irrationale Aspekte ab. Im Bereich der Literaturpolitik treten folgende, oft widersprüchliche Tendenzen zu Tage: Das innovative Konzept des Roten Eine-Mark-Romans erweist sich als Austarierungsprozess zwischen unterschiedlichen Ansprüchen und Kontroversen im BPRS, in der Linkskurve, der KPD, den sowjetischen Vorgaben der RAPP und nicht zuletzt dem individuelle Stil der Schriftsteller. Diese Kon

Schluss 

 451

troversen finden ihren prominentesten Ausdruck in der Bredel-Lukács-Debatte. Das Resultat ist eine weder inhaltlich noch formal einheitliche Gestaltung der Reihe. Die Diskussion um den ‚proletarischen Massenroman‘ wird auch zu einer Debatte darüber, wer als ‚Masse‘ durch die Romane angesprochen werden soll und verdeutlicht den Spagat zwischen proletarischen und kleinbürgerlichen Leseinteressen, dem sich die Reihe stellen muss. Lässt sich zwar nach der Charkower Konferenz (1931) eine konzeptuelle Zielgruppenerweiterung feststellen, die sich auch auf die Gestaltung der Romane auswirkte, so zeigt das Rezeptionskapitel unter 3.1.4 jedoch, dass die Wirkungsbedingungen des ambitionierten Konzeptes der Roten Eine-Mark-Romane aus den unterschiedlichsten Gründen stark eingeschränkt waren und dass auf dem marktwirtschaftlich organisierten Buchmarkt aufgrund der Verbote der Roten Eine-Mark-Romane erhebliche Wettbewerbsnachteile gegenüber den hier untersuchten nationalsozialistischen Romanen existierten, die regulär vermarktet werden konnten. Die im Schaubild unter 3.1.4 dargestellten Distributionsbedingungen der Roten Eine-Mark-Romane verdeutlichen, dass die durch die Verbote immer mehr in den Rahmen der Illegalität abgedrängten Romane in ihren Vertriebsstrukturen vorwiegend auf das Parteiumfeld beschränkt waren. Die Verbote, Vertriebsschwierigkeiten, die konzeptuelle Uneinheitlichkeit, tagespolitische Anforderungen, organisatorische wie finanzielle Probleme stellen nur einige der vielfältig verflochtenen Aspekte dar, die dazu beitrugen, dass die vereinfachende Formel von angesprochener ‚Masse gleich Klasse‘ für die Rezeption der Romanreihe innerhalb der Weimarer Republik Bestand hatte. Die nationalsozialistische Literaturpolitik zeichnet sich im Gegensatz zum innovativen Konzept des Roten Eine-Mark-Romans vielmehr durch die Verwendung bewährter kultureller Versatzstücke und praktische Zugeständnisse an den privatwirtschaftlich organisierten Buchmarkt aus. Die ‚Masse‘ wird hier durch den Begriff der ‚Volksgemeinschaft‘ von vorneherein sehr viel vager und weiter gefasst als durch den sozioökonomischen Begriff der ‚Klasse‘. Soziale Harmonisierungstendenzen (vgl. auch 5.1.5), affektive Stimulierung, statt ein Mindestmaß an politischer Bildung, sowie die Aussparung arbeitsweltlicher Themen und die heroische Stilisierung des Kameradschaftserlebnisses des Ersten Weltkrieges sollen hier voll allem die Zielgruppe der Arbeiter ihres klassenkämpferischen Potenzials entbinden und sie in die nationalsozialistische ‚Volksgemeinschaft‘ einbinden – ohne eine realpolitische Veränderung der Produktionsverhältnisse. Das im Zuge der nationalsozialistischen Machtübernahme entstandene Phänomen der ‚Konjunkturliteratur‘ wurde von den nationalsozialistischen Literaturwaltern ambivalent beurteilt. Nicht nur die hohen Auflagenzahlen (vgl. 3.1.5) und Neuauflagen, sondern auch die äußerst populäre, massenwirksame Aufmachung dieser Romane und ihre Konsumierbarkeit sprechen letztendlich für ihre Funk

452 

 Schluss

tionalität, dem gegenüber bestand für die nationalsozialistischen Instanzen die Gefahr, dass die hyperbolisch dargestellte Überangepasstheit der Helden Potenzial dazu hatte, eine gegenläufige, subversiv-‚zersetzende‘ bzw. parodistische Wirkung zu entfalten. Die Untersuchung der Rezeptionsbedingungen unter Kapitel 3 verdeutlicht, dass neben einer Vielzahl an ökonomischen und sozialen Faktoren, die die Lektüreauswahl der Arbeiter beeinflussten und begrenzten, die Romane nicht im Sinne eines simplen Stimulus-Response Mechanismus wirkten. Die Rezipienten waren somit alles andere als passive Empfänger von Propagandakommunikaten. Sie wählten eigensinnig und nach individuellen Verfahren und Bedürfnissen aus dem gesamten, durchaus vielfältigen und heterogenen Lektüreangebot der Weimarer Republik im Allgemeinen und den Propagandakommunikaten im Speziellen aus. Eine einseitige Festlegung auf politische Inhalte schien kaum gegeben. Insgesamt zeigt sich, dass die politische Belletristik am ehesten dann auf Resonanz stieß, wenn es ihr gelang im unmittelbaren Sozialmilieu der potenziellen Rezipienten zu zirkulieren. Vor allem die jugendlichen Peer-Groups, die Straße bzw. das Arbeiterviertel, Kollegen sowie die Familie und primär der Einfluss von Meinungsführern, also insgesamt der persönliche Kontakt erscheint deutlich erfolgsversprechender als didaktisch motivierte Beeinflussungsversuche von Bibliothekaren, Lehrern und sonstigen (parteipolitisch motivierten) professionellen Literaturvermittlern. Darüber hinaus sind der ‚Erfolg‘ dieser spezifischen Art von Literatur und ihre Leserzahlen nicht an den reinen Verkaufszahlen abzulesen, denn das Leseverhalten der unteren Einkommensklassen war bestimmt durch gegenseitigen Austausch der Lektüre, der Rezeption durch den gesamten Familienverband, durch die Ausleihpraxis in öffentlichen Volks- oder kommerziellen Leihbibliotheken und insbesondere im Bereich der Roten Eine-Mark-Romane durch den illegalen Straßenverkauf. Die Wirkungsbedingungen der untersuchten Romane über die Weimarer Republik hinaus erweisen sich als äußerst heterogen (vgl. 3.2). Begünstigt durch das letztlich ambivalente Konzept der Reihe der Roten Eine-Mark-Romane erfuhren im geteilten Deutschland deutlich unterschiedliche Aspekte eine Reaktivierung. In der DDR besann sich das Regime mittels einiger Rote Eine-Mark-Romane bereits in der Gründungsphase auf seine proletarischen Wurzeln und eine antifaschistische Vergangenheit. Die Romane dienten somit zur Selbstlegitimierung der DDR und Konsolidierung von Herrschaft. Etwa zehn Jahre später erwachte im Rahmen der westdeutschen Studentenbewegung das Interesse an den Roten Eine-Mark-Romanen, hier wurde, im Gegensatz, jedoch das revolutionäre und emanzipative Potenzial der Reihe hervorgehoben. Das Wirken der behandelten nationalsozialistischen Autoren im Nachkriegsdeutschland ist kaum durch eine aktive Vergangenheitsbewältigung bestimmt. 

Schluss 

 453

Das Ausweichen auf, zumindest an der Oberfläche, apolitische Themen und eine nicht unproblematische Wiederaufnahme der alten, nur minimal modifizierten Unterhaltungsstrategien sind in diesem Bereich kennzeichnend. Die Untersuchung der paratextuellen Gestaltung (Kapitel 4) zeigt, dass die Buchgestaltung und der Inhalt nicht unbedingt immer in kongruentem Verhältnis zueinander stehen müssen. Spiegeln die reduktionistischen Gestaltungsweisen des Konstruktivismus, die in der Covergestaltung der Reihe der Roten Eine-MarkRomane zum Tragen kommen, durchaus die sozialreformerischen Absichten wider, die einen Großteil des inhaltlichen Themenspektrums der Romane prägen, so ist das Profil der nationalsozialistischen Buchgestaltung bewusst heterogener und diffuser angelegt. Vielfach zeigt sich, dass eine genuin ‚moderne‘, an die ästhetischen Gestaltungsmittel der politischen Linken angelehnte Verpackung für letztlich ‚reaktionäre‘ nationalsozialistische Inhalte gewählt wurde, um vor allem jugendliche Leser aus dem Arbeitermilieu mit den ihnen bekannten ästhetischen Formen anzusprechen und sich als ‚jugendliche‘ und ‚fortschrittliche‘ politische ‚Bewegung‘ auszugeben. Hier entstanden oftmals interessante ästhetische Mischformen, die Potential für weitere (buchgestalterische) Untersuchungen bilden. Auch in der Vermarktung der Bücher durch die Anzeigen-, Werbebroschüren- und Plakatgestaltung werden Unterschiede zwischen den nationalsozialistischen Romanen und den Rote Eine-Mark-Romanen deutlich, die zuvorderst bedingt sind durch die Verbote der linken Romane. So baut die nationalsozialistische Seite stärker auf bewährte Absatzformen (Weihnachtsgeschäft, autorenzentrierte Werbung etc.), während der Rote Eine-Mark-Roman unter dem Slogan „Von der Masse für die Masse“ vielmehr mit dem innovativen Konzept wirbt. In der Vermarktung der linkspolitischen Romane zeigt sich (nicht zuletzt durch die starke Beschränkung der Wirkungsbedingungen) jedoch eine deutliche Präferenz für die Arbeiter bzw. Werktätigen als Zielgruppe. Beide politische Seiten werben mit erschwinglichen Buchpreisen, Absatzzahlen, Neuauflagen und der positiven Selbstpositionierung der jeweiligen Verlagshäuser. Im Vordergrund der Werbung für die Roten Eine-Mark-Romane steht hingegen die tagespolitische Aktualität sowie das Werben mit den Verboten, die auch konkrete Auswirkungen auf die ästhetische Gestaltung der Buchwerbung haben: Der Wiedererkennungswert im illegalen Straßenverkauf hat absoluten Vorrang, was optisch am stark hervorgehobenen Reihencharakter der Cover, den das prägnant gestaltete Kleinplakat ebenfalls aufnimmt, sowie in dem wiederkehrenden Reihensignet im Bereich der Anzeigenwerbung evident wird. Kapitel 5.1 zeigt, dass alle Romane das Verhältnis von Realität und Fiktion bzw. auf Authentizität abhebende Darstellungsformen, die an stark affekt- wie effekthaltige Passagen angebunden werden, zur politischen Agitation nutzen. 

454 

 Schluss

Trotz häufiger Verwendung von Versatzstücken der zeitgenössischen Realität, beispielsweise in Form von intertextuellen wie intermedialen Verweisen, durch Verweise auf das zeitgemäße Gepräge der Großstadt sowie den Weltkriegs- und Generationendiskurs, die sich nicht zuletzt in der Montage von Dokumenten äußern, ist die Darstellungsabsicht alles andere als sachlich-neutral. Die Realität wird vielmehr der jeweiligen Weltanschauung untergeordnet. Es existieren jedoch essentielle Unterschiede zwischen nationalsozialistischen und kommunistischen Darstellungsformen. Betonen die kommunistischen Romane ein Mindestmaß an politischer Bildung und verweisen auf das emanzipatorische Potenzial von Arbeiterkämpfen, so spielen diese Aspekte in den nationalsozialistischen Romanen keine Rolle. Das Pathos der ‚Volksgemeinschaft‘ und konkrete materielle Versprechen in Bezug auf Wohlstand, sozialen Aufstieg und Freizeit dienen in den nationalsozialistischen Romanen hingegen als attraktive Verpackung für einen Leistungs- und Tugendkodex, der nicht minder streng ist als der der Kommunisten. Kapitel 5.2 verdeutlicht, dass die Romane durchaus nach ähnlichen ‚Bauplänen‘ konstruiert sind. Während die Tabelle zum prototypischen Handlungsverlauf und das Schaubild über die strukturellen Basismerkmale die Romane auf grundlegende Muster reduzieren, verdeutlichen Anhang VIII und IX synoptisch die konkrete Ausfüllung dieser Schemata. Die Personengestaltung, die im Fokus von 5.3 steht, entspricht dem schematischen Handlungsablauf und repräsentiert bipolar strukturierte Erzählwelten. Die Protagonisten treten somit als Repräsentanten einer politischen Ideologie auf und werden zweifelsfrei einer der beiden dargestellten Welten in stereotyper Weise zugeordnet. Diese klare Rollenverteilung ermöglicht die Zuordnung in ein vereinfachtes Aktantenschema (vgl. das Schaubild unter 5.3), das die Struktur von Selbst- und Feindbildern und deren jeweilige Funktionen erfasst. Die sich daran anschließende spezifischere Untersuchung gruppenbasierter Konzepte und dargestellter Personengruppen kommt zu folgenden Ergebnissen: Das Konzept der Kameradschaft und das Weltkriegsgedenken werden vor allem in den nationalsozialistischen Romanen als flexibles Instrument zur ideologischen Beeinflussung eingesetzt (vgl. 5.3.1). Die prägenden Erlebnisse des Ersten Weltkrieges und dessen Folgen sind jedoch auch in den Roten Eine-MarkRomanen als historische Determinante präsent. Dem rechtspolitisch eingesetzten Begriff der Kameradschaft steht auf linkspolitischer Seite die (internationale) Solidarität gegenüber, die ebenfalls an Gemeinschaftsgefühle appelliert und Gruppenzusammenhalt schüren soll. Solidarität wird jedoch nicht aus dem Weltkriegserlebnis abgeleitet, sondern bezieht sich grundlegend auf unterschiedliche Bereiche des proletarischen Lebensalltags. Die Roten Eine-Mark-Romane zeigen primär ein desillusionierendes Bild des Ersten Weltkrieges, aus dem jedoch 

Schluss 

 455

kaum pazifistische Konsequenzen gezogen werden. Vielmehr wird auf die verpasste Chance der kommunistischen Revolution verwiesen, die mit kriegerischen Mitteln nachgeholt werden soll. Dazu aktivieren auch die kommunistischen Romane kriegerische Helden und säkulare Märtyrer mit kollektiver Vorbildfunktion (vgl. 5.3.2). Im Unterschied zu den NS-Romanen entstehen hier die Heldenkonstruktionen jedoch nicht aus der Vergangenheit des Ersten Weltkrieges und werden für zukünftige agitatorische Zwecke eingesetzt, sondern sind stark auf die Projektion einer besseren Zukunft ausgerichtet, die auf die Gegenwart ausstrahlen soll und orientieren sich am Vorbild des Aufbaus in der Sowjetunion, das zu heldenhaften Kämpfen anspornen soll. Ritualisierte Gedenkveranstaltungen, Demonstrationen, die öffentliche Inszenierung der Beerdigung von ‚Parteimärtyrern‘ und die jeweiligen Störungsmanöver der politischen Gegenseite, Lieder und parteipolitische Reliquien verleihen den Märtyrermythen Erlebnisgehalt in der lebensweltlichen Sphäre sowie sinnliche Nachvollziehbarkeit, auf die die links- wie rechtspolitischen Romane einerseits aufbauen können, andererseits liefern sie mit ihren literarischen Darstellungen einen eigenen Beitrag zur fortschreitenden Märtyrerstilisierung. Feindbilder werden links- wie rechtspolitisch in ihrer Grundstruktur als flexible Projektionsflächen konzipiert (vgl. 5.3.3). Die Gegenwart der Weimarer Republik und ihre parteipolitischen Repräsentanten werden von beiden Seiten diskreditiert. Die Ablehnung der Weimarer Republik stützt sich dabei auf (vorgeblichen) Antikapitalismus unter ausschließlichem Führungsanspruch der NSDAP bzw. KPD und Ausschaltung jeglicher Parteienkonkurrenz. Das Feindbild der NSDAP ist zusätzlich durch anti-internationale, antisemitische, sowie antikommunistische Wendungen geprägt. Das Feindbild der KPD ist durch eine Frontstellung zum National(sozial)ismus und den fast noch schwerer wiegenden Vorwurf des ‚Sozialfaschismus‘ an die des ‚Arbeiterverrats‘ bezichtigte SPD gekennzeichnet. Auf beiden politischen Seiten besteht die Tendenz, Feindbilder als objektivierbar darzustellen, indem sie nicht nur affektiv aufgeladen werden, sondern ihnen unter Verschweigung unzuträglicher Tatsachen und unter Referenz auf vermeintliche Daten und Fakten Realitätsgehalt zugesprochen wird. Die unter 5.3.4 thematisierte Figur des Konvertiten zeigt am deutlichsten, wie Entwicklungsschemata politisch funktionalisiert werden und ist Ausdruck des jeweils überhöhten eigenen Parteistandpunktes: Bei fast allen dargestellten politischen Konversionen sind die bipolaren Grenzen lediglich einseitig durchlässig – in Richtung des als positiv geschilderten Wandels ursprünglicher politischer Gegner hin zum ‚sinnvollen‘ Engagement in der jeweils vertretenen Partei. Präsentieren die Roten Eine-Mark-Romane recht unvermittelt die Integration unterschiedlicher Bündnisschichten in die KPD, so schildern die nationalsozia

456 

 Schluss

listischen Romane Konversionen primär in Bezug auf Arbeiter(-jugendliche), die auf den Typus des ‚verirrten Arbeiters‘ reduziert werden, der im Rahmen der dargestellten sozialen Harmonisierungstendenzen in die NSDAP integriert wird, was insgesamt das Image der NSDAP als ‚Arbeiterpartei‘ verstärken soll. In allen untersuchten Romanen steht der heldenhaft kämpfende Männerbund im Vordergrund. Frauen bekommen, abgesehen vom Roten Eine-MarkRoman Kämpfende Jugend, keine eigene politische Stimme. Die Gesamtheit der Romane konzentriert sich stattdessen vielmehr darauf, die Überwindung privater und familiärer Hemmnisse zu propagieren. Das Bild der Frau changiert zwischen auf den Privatbereich beschränkter fürsorglicher Mütterlichkeit und dem vorgeblich emanzipatorisch geprägten Entwurf der politischen ‚Kampfgefährtin‘. Dieses links- wie rechtspolitisch existierende ambivalente Bild der Frau resultiert jedoch aus fundamental unterschiedlichen Voraussetzungen und Politikverständnissen: Die Nationalsozialisten zeichnen aus strategischen wie ökonomischen Gründen ein bewusst heterogenes Frauenbild. Die Integration von Elementen ‚moderner‘, emanzipierter Weiblichkeit erweist sich diesbezüglich als kalkulierte Evokation scheinemanzipatorischer Gefühle der Selbstverwirklichung, die letztendlich nicht mehr sind als Bewusstseinsphänomene. Nur so konnte Frauen die doppelte Last von Hausfrauen-/Mutterrolle sowie die Rolle der ‚Arbeitskameradin‘ aufgebürdet werden, um ökonomisch flexibel und nutzenmaximierend auf die weibliche Arbeitskraft zurückgreifen zu können. Das ambivalente Frauenbild im Kommunismus ist hingegen Ausdruck einer starken Kluft zwischen theoretischen, emanzipativen politischen Ansprüchen – die KPD vertrat in der Weimarer Republik die weitreichendsten Forderungen in Frauenfragen – und der gelebten Parteipraxis. Trotz aller Gegensätze erheben jedoch sowohl die NSDAP als auch die KPD den Anspruch darauf, dass Parteimitglieder den Privatbereich kompromisslos der Politik unterordnen und in den Dienst der Partei stellen. Die abschließende Untersuchung des Verfahrens öffentlich wirksame Begriffe wie ‚Arbeit‘ und ‚Kampf‘ parteipolitisch zu besetzen (vgl. 5.4.1) zeigt erneut sowohl die strategische Flexibilität als auch die starke Konkurrenz der beiden Parteien um die Zielgruppe der Arbeiter. Hier wird ganz deutlich, wie die politische Agenda und der öffentliche Diskurs von der jeweiligen Seite dominiert und mit Deutungshoheit ausgestattet werden sollen. ‚Arbeit‘ und ‚Kampf‘ werden, unabhängig von ihrer jeweiligen Auffüllung mit ideologischen Gehalten, auf beiden Seiten jedoch letztendlich zum unhinterfragbaren Selbstzweck im Namen des ‚Menschheitsfortschritts‘ stilisiert dessen handlungsanleitenden Pflichten sich das Parteimitglied nicht entziehen kann. Auch die Rechtfertigungsmuster von Gewalt, wie unterschiedlich sie sich im Einzelnen darstellen, beruhen auf solchen Immunisierungsstrategien (vgl. 5.4.2): Die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von Gewalt wird an keiner Stelle abgewogen, Mechanismen der In- wie 

Schluss 

 457

Exklusion nicht reflektiert. Letztendlich laufen diese Strategien auf die Suspendierung individueller Moral- und Gewissensentscheidungen hinaus, zugunsten von höheren Entitäten wie Volk/Rasse oder Masse, wodurch sich die Partei den jeweiligen ‚Wahrheitsanspruch‘ und das Deutungsmonopol sichert. Obenstehende Ergebnisse weisen die Untersuchung des Bereichs der Nutzbarmachung populärer Schemata zur politischen Agitation als äußerst ertragreich, erweiterungsfähig und aufgrund seiner Komplexität auch für weitere Studien als spannendes Forschungsfeld aus, auf dem das letzte Wort (hoffentlich) noch nicht gesprochen ist. Neben den bereits innerhalb der einzelnen Kapitel angeführten Forschungsdesideraten sind vor allem folgende Fragen bzw. Zusammenhänge für eine intensivere und weiterführende Untersuchung zu berücksichtigen: In synchroner Perspektive bietet sich eine systematische Ermittlung und Untersuchung zahlreicher weiterer Romane aus dem Bereich der Weimarer Republik an, die populäre Schemata zur politischen Agitation nutzen, um zuverlässige Aussagen zur Verwendung populärer Schemata und zu den eingesetzten narrativen Verfahren vor dem zeitgenössischen Hintergrund zu machen. Diachron betrachtet lässt sich der Zusammenhang von populären Schemata und politischer Agitationsliteratur durchaus auch auf andere Epochen und Zeitabschnitte übertragen  – mit den jeweils notwendigen, primär zeitgenössisch bedingten Modifikationen. In direkter Erweiterung des Fokus auf die Weimarer Republik ließe sich beispielsweise das Verhältnis von populären Schemata und politischer Agitationsliteratur auf das Kaiserreich bzw. auf entsprechende Belletristik ausdehnen, die der Mobilmachung für den Ersten Weltkrieg dienen sollte. Auch die Untersuchung der (Selbst-)Legitimation der DDR als sozialistischer ‚Arbeiter- und Bauernstaat‘ anhand populärer Schemata in der Literatur erscheint als lohnenswert. Insgesamt verdient bei einer konkreten (narratologischen) Analyse von politisch motivierter Agitationsliteratur in Form von Belletristik das Verhältnis von suggerierter Faktizität und Fiktionen vor dem Hintergrund des ihm inhärenten politischen Gebrauchswertes gesteigerte Aufmerksamkeit. Nur so lassen sich zeitgenössische politische Darstellungsabsichten und die genutzten narratologischen Verfahrensweisen in einen angemessenen Zusammenhang bringen. Schließlich sind der Bereich der Rezeption und Vermarktung bzw. die Frage, wie die Rezipienten und die entsprechenden Zielgruppen mit den jeweiligen Propagandakommunikaten umgehen, essentiell  – auch oder gerade weil sich dieses Verhältnis als hochgradig ambivalent erweist. In diesem Zusammenhang sollte die Betrachtung paratextueller Elemente sehr viel stärker in den Fokus geraten, da sie zentrale Elemente der propagandistischen Kommunikation und des Wirkungspotenzials der Romane darstellen (vgl. Kapitel 4), die bisher nur 

458 

 Schluss

unzureichend beachtet wurden. Auch hier zeigt sich die für die Literaturwissenschaft unabdingbare Notwendigkeit, soziokulturelle und buchwissenschaftliche Aspekte in interdisziplinärer Perspektive einzubinden, um dem Forschungsgegenstand gerecht zu werden und zu differenzierten Ergebnissen zu kommen.



Literaturverzeichnis Primärliteratur (Romankorpus) [Die Textfassungen der zitierten Neuauflagen sind mit der Originalausgabe der Weimarer Republik identisch. Einen Überblick zu den (teils bearbeiteten) Neuauflagen der Roten Eine-MarkRomane in Ost und West verschafft die Tabelle II im Anhang.] Beumelburg, Werner: [Die] Gruppe Bosemüller. Oldenburg 1930. Beumelburg, Werner: Gruppe Bosemüller erstürmt das Fort Souville. Hg. v. dem Ausschuß für Verwaltung des Lesebuchs in Wiesbaden. Mit Illustrationen von Willy Mulot. Wiesbaden 1931 (Brunnenbücher; Heft 7). Beumelburg, Werner: Mit 17 Jahren vor Verdun. Frankfurt a. M. 1935 (Kranzbücherei; Bd. 200). Beumelburg, Werner: Soldaten-Kameraden in der Hölle von Verdun. Aus Beumelburgs Roman des Frontsoldaten „Gruppe Bosemüller“. Bielefeld/Leipzig 1941 (Deutsche Ausgaben; 507). Bredel, Willi: Maschinenfabrik N+K. Ein Roman aus dem proletarischen Alltag. Reprint der Originalausgabe von 1930. Berlin 1971 (Der Rote Eine-Mark-Roman; 4). Bredel, Willi: Rosenhofstraße. Roman einer Hamburger Arbeiterstraße. Reprint der Originalausgabe von 1931. Berlin 1974 (Der Rote Eine-Mark-Roman; 6). Gotsche, Otto: Märzstürme. Ein Jungarbeiter erzählt von den Kämpfen in Mitteldeutschland. Berlin/Wien/Zürich 1933 (Der Rote Eine-Mark-Roman; 10). [Erstauflage komplett von den Nationalsozialisten vernichtet. Eine vermutlich überarbeitete und stark erweiterte Fassung erschien unter: Gotsche, Otto: Märzstürme. Berlin (Ost) 1953.] Krey, Franz: Maria und der Paragraph. Ein Roman um § 218. Berlin/Wien/Zürich 1931 (Der Rote Eine-Mark-Roman; 5). Marchwitza, Hans: Schlacht vor Kohle. Aus dem Leben der Ruhrkumpels. Berlin/Wien/Zürich 1931 (Der Rote Eine-Mark-Roman; 7). Marchwitza, Hans: Sturm auf Essen. Die Kämpfe der Ruhrarbeiter gegen Kapp, Watter und Severing. Reprint der Originalausgabe von 1930. Köln 1976 (Der Rote Eine-Mark-Roman; 1). Neukrantz, Klaus: Barrikaden am Wedding. Der Roman einer Straße aus den Berliner Maitagen 1929. Orthographisch korrigierte Fassung des Originals von 1930. Mit einem Nachwort von Rüdiger Safranski. Berlin 1978 (Der Rote Eine-Mark-Roman; 2). Orschansky, B.: Zwischen den Fronten. Berlin/Wien/Zürich 1930 (Der Rote Eine-Mark-Roman; 3). Pell, Mike: S.S. Utah. Reprint der Originalausgabe von 1932. Köln 1975 (Der Rote Eine-Mark-Roman; 9). Schenzinger, Karl Aloys: Der Hitlerjunge Quex. Berlin/Leipzig 1932. Schenzinger, Karl Aloys: Der Hitlerjunge Quex. Im Auftrag des NS-Lehrerbundes in deutscher Einheitskurzschrift. Darmstadt 1933 (Deutsches Volk und deutsche Männer; Bd. 11). Schenzinger, Karl Aloys: Der Hitlerjunge Quex [Ausschnitt: Kapitel 5, Abschnitt 5]. In: Der junge Sturmtrupp. Kampfblatt der österreichischen Hitlerjugend. Januar 1933 (Folge 2) [o.S.]. (Quelle: Bundesarchiv NS 26: Hauptarchiv der NSDAP/356) Schönstedt, Walter: Kämpfende Jugend. Roman der arbeitenden Jugend. Reprint der Originalausgabe von 1932. 4. Auflage. Berlin 1976 (Der Rote Eine-Mark-Roman; 8). Viera, Josef: Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches. Leipzig 1933a. DOI 10.1515/9783110468434-008



460 

 Literaturverzeichnis

Viera, Josef: Der Kampf um die Feldherrnhalle. Leipzig 1933b. Viera, Josef: SA.-Mann Schott. Leipzig 1933c. Viera, Josef: Utz kämpft für Hitler. Leipzig 1933d.

Zeitgenössische Werbeanzeigen und -prospekte (in Reihenfolge ihrer Abbildung bzw. Erwähnung) „‚Der Rote 1 Mark-Roman‘ erscheint“. Ganzseitige Werbeanzeige. In: Die Linkskurve 2 (1930), H. 9, [o.S.] [→ vgl. Kapitel 4.2.1, Abb. 20]. Vorankündigung unter dem vorläufigen Reihentitel Der proletarische 1 Mark Roman zu Hans Marchwitza: Roman Sturm auf Essen sowie Klaus Neukrantz: Barrikaden am Wedding in: Die Linkskurve 2 (1930), H. 5, S. 17 [Sturm auf Essen], S. 21 [Barrikaden am Wedding], S. 19 [allgemeine „Voranzeige“ des IAV] [→ohne Abbildung]. „Der Rote 1 Mark Roman ist da!“. Ankündigung der zweiten Auflage. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 6, [o.S.] [→ vgl. Kapitel 4.2.1, Abb. 21]. Ankündigung des Romans Rosenhof-Straße bei gleichzeitiger Bekanntgabe der Verbote von Romanen der Reihe. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 9, [o.S.] [→ vgl. Kapitel 4.2.1, Abb. 22]. Ankündigung des Romans Schlacht vor Kohle unter Verweis auf die Aktualität des Titels. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 11, [o.S.] [→ vgl. Kapitel 4.2.1, Abb. 23]. „Propagiert die Roten 1 Mark-Romane!“ Schriftbanner. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 2, S. 7 [→ ohne Abbildung]. Reihensignet Roter Eine-Mark-Roman. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 10, [o.S.] [→ vgl. Kapitel 4.2.1, Abb. 24]. „Jeder Werktätige liest den ‚Roten Eine-Mark-Roman‘“. Ganzseitiger Werbeaufruf unter Nennung aller 10 Titel. In: Die Linkskurve 4 (1932), H.11/12 [o.S.] [→ vgl. Kapitel 4.2.1, Abb. 25]. „Der Monat des proletarischen Buches: 23. Nov. bis 23. Dez.“ Ganzseitige Werbeanzeige mit Anzeigenblock des Internationalen Arbeiter-Verlags und Nennung der Roten Eine-Mark-Romane. In: Die literarische Welt 6 (1930), H. 49, S. 22 [→ vgl. Anhang III]. Anzeigenspalte des Internationalen Arbeiter-Verlags u. a. mit der Neuerscheinung Schlacht vor Kohle. In: Die literarische Welt 7 (1931), H. 44, S. 7 [→ ohne Abbildung]. Ankündigung zweier neuer Romane unter Verwendung des charakteristischen Reihensignets. In: Die literarische Welt 8 (1932), H. 53, S. 6 [→ vgl. Kapitel 4.2.1, Abb. 26]. „Der große Erfolg! Wir lieferten bis heute 300000 Rote-Eine-Mark Romane aus“. Ganzseitige Werbeanzeige. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 99 (12.12.1932), Nr. 289, Anzeigenseite 6027 [→ vgl. Anhang IV]. Ék, Sándor: Der Rote 1 Mark Roman. Plakat. Berlin, City Druckerei AG. Im Auftrag des Internationalen Arbeiter-Verlags, Berlin 1930. Originalgröße: 50 x 35 cm. Photolithographie [→ vgl. Kapitel 4.2.1, Abb. 27]. © VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Engelhardt, Willi: Werbeprospekt für den Franz Schneider Verlag. [ca. 1933/4] [→ vgl. Kapitel 4.2.2, Abb. 28]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Schneider, Franz, Verlag. Werbekampagne des Franz Schneider Verlags innerhalb der Viera Bände. Sammelaktion Adressen aus: Josef Viera: Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches. 1.–5.





Zeitgenössische Werbeanzeigen und -prospekte 

 461

Tausend. Leipzig 1933 [o.S.] und Josef Viera: SA.-Mann Schott. 16.–20. Tausend. Leipzig [o.J.o.S.]. Sammelanzeige am Ende der Bände aus: Josef Viera: Utz kämpft für Hitler. 42.–43. Tausend. Leipzig/Wien [o.J.o.S.] [→vgl. Anhang V]. Prospekt des Zeitgeschichte-Verlags, das u. a. für Der Hitlerjunge Quex wirbt [ca. 1935/6] [→ vgl. Kapitel 4.2.2, Abb. 29]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Zeitgeschichte, Verlag. Werbeprospekt des Zeitgeschichte-Verlags zur 140.000 Auflage von Der Hitlerjunge Quex [o.J.] [→ ohne Abbildung]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Zeitgeschichte, Verlag. Seite aus einem Werbeprospekt des Zeitgeschichte-Verlags, die auf die VerlagsPublikationen von Schenzinger verweist [ca. 1939] [→ vgl. Kapitel 4.2.2, Abb. 30]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Zeitgeschichte, Verlag. „Unser neuer Roman […]“. Ankündigung der Veröffentlichung von Der Hitlerjunge Quex als Fortsetzungsroman im Völkischen Beobachter. In: Völkischer Beobachter 46 (01./02.01.1933), Nr. 1, zweites Beiblatt, S. 2 (Norddeutsche Ausgabe) [→ vgl. Anhang VI]. „Vorzugs-Angebot“ für Der Hitlerjunge Quex in einer an die Buchhändlerschaft gerichteten Werbeanzeige. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 99 (17.12.1932), Umschlagseite [→ vgl. Anhang VI]. Die Bücher vom Krieg. Aus dem Verlag Gerhard Stalling. Verlagsprospekt, das u. a. für Gruppe Bosemüller wirbt [o.J.] [→ vgl. Kapitel 4.2.2, Abb. 31]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Stalling, Gerhard, Verlag. Wehr und Waffe. Die militärischen Bücher des Verlags Gerhard Stalling. Verlagsbroschüre, die u. a. für Gruppe Bosemüller wirbt [o.J.]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Stalling, Gerhard, Verlag [→ ohne Abbildung]. Werbeprospekt des Stalling Verlags zu Gruppe Bosemüller von Werner Beumelburg [o.J.] [→ vgl. Anhang VII]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Stalling, Gerhard, Verlag. „Neue Stalling-Bücher für den Weihnachtstisch“. Ganzseitige Werbeanzeige: In: Buch und Volk 11 (1934), H. 6, S. 13 [→ ohne Abbildung]. „Das Weihnachtsgeschenk jedes Deutschen an jeden Deutschen“. Werbehandzettel Gruppe Bosemüller [o.J.] [→ vgl. Kapitel 4.2.2, Abb. 32]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Stalling, Gerhard, Verlag. Doppelseitige Foto-Anzeige des Stalling Verlags mit zentraler Positionierung des Titels Gruppe Bosemüller. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 100 (02.01.1933), Nr. 1, Anzeigenseite 132/3 [→ vgl. Kapitel 4.2.2, Abb. 33]. Werbung für drei Neuauflagen der Werke Beumelburgs im Stalling Verlag unter Nennung der Auflagenhöhe. Darunter: Gruppe Bosemüller (Aufl. 61.-65. Tsd.). In: Börsenblatt für den



462 

 Literaturverzeichnis

Deutschen Buchhandel 100 (24.01.1933), Nr. 20, Anzeigenseite 480 [→ vgl. Kapitel 4.2.2, Abb. 34].

Weitere Quellen und (Forschungs-)Literatur (bis 1945) Anonymus: Vor neuen Aufgaben. In: Die Linkskurve 2 (1930), H. 12, S. 3–5. Anonymus: Grosse Zensur-Koalition. In: Die Linkskurve 3 (1931a), H. 9, S. 28. Anonymus: Das Totenschiff. In: Die Linkskurve 3 (1931b), H. 9, S. 23/4. Anonymus: Schriftsteller, heran an die Massen. In: Die Linkskurve 3 (1931c), H. 3, S. 33. Anonymus: Unsere Literatur wächst. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 4, S. 39. Anonymus: Vom Schicksalsweg des deutschen Buches. Frontberichte zur Leser- und Schrifttumskunde. 2. Das Buch vom Weltkrieg. In: Bücherkunde 2 (1935), H. 12, S. 401/2. Anonymus: Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution. Reproduktion der Auflage Berlin 1929. Frankfurt a. M. 1968. Anton, L.: Ein Buch der Jugend. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 2, S. 25–28. Arnim, Brigitte von: Manfreds Weg zu Hitler. Ein Buch aus unseren Tagen. Leipzig 1933. Bartlett, Frederic: Remembering. A Study in Experimental and Social Psychology. London 1932. Becher, Johannes R.: Einen Schritt weiter! In: Die Linkskurve 2 (1930), H. 1, S. 1–5. Becher, Johannes R.: Unsere Wendung. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 10, S. 1–8. Beumelburg, Werner: Das jugendliche Reich. Reden und Aufsätze zur Zeitenwende. Oldenburg 1933. Biha, O.[tto]: Der proletarische Massenroman. Eine neue Eine-Mark-Serie des ‚internationalen Arbeiterverlages‘. In: Die Rote Fahne (02.08.1930a), Nr. 178, S. 10. Biha, Otto: Der Soldat und der Kumpel. In: Die Linkskurve 2 (1930b), H. 11, S. 19–21. Bosch, Bernhard: Das Schrifttum der Gegenwart und die Höhere Schule. In: Zeitschrift für Deutschkunde 46 (1932), H. 15, S. 221–231. Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS): Entwurf eines Aktionsprogramms. In: Die Rote Fahne (28.10.1928), Nr. 255, [o.S.] 4. Beilage. Czech-Jochberg, Erich: Das Jugendbuch von Horst Wessel. Mit 13. Abbildungen. Stuttgart 1933. Daum, Fritz: SA-Sturmführer Horst Wessel. Ein Lebensbild von Opfertreue. Für Deutschlands Jugend. Mit Bildern. Reutlingen 1933. Delegierte des V. Kongresses der Kommunistischen Internationale (Komintern): Resolution der Konferenz der Delegierten des V. Kongresses zur Frage der künstlerischen Literatur. In: Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Eine Auswahl von Dokumenten. Hg. u. kommentiert v. der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin, Sektion Dichtkunst und Sprachpflege. Abteilung Geschichte der sozialistischen Literatur. 2. durchgesehene und erweiterte Auflage, Berlin/Weimar 1967, S. 739–740 [laut Anthologie zuerst abgedruckt in: Internationale Presse-Korrespondenz 42 (1924)]. Dinse, Robert: Das Freizeitleben der Großstadtjugend. Berlin 1932. Döblin, Alfred: Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf. Berlin 1929. Durius, [ ]: Photomontage und Buchgraphik. Zur 3. Ausstellung des Bundes revolutionärer Künstler. In: Die Rote Fahne (22.01.1932), Nr. 17, S. 5 (Erste Beilage). Erpenbeck, Fritz: Leihbibliothek am Wedding. In: Die Linkskurve 2 (1930), H. 7, S. 14/5. Ewers, Hanns Heinz: Horst Wessel. Ein deutsches Schicksal. Stuttgart/Berlin 1933. Fabricius, Hans: Schiller als Kampfgenosse Hitlers. Bayreuth 1932.





Weitere Quellen und (Forschungs-)Literatur (bis 1945) 

 463

Felke, Karl August: Werktätige Jugend und Buch. Beobachtungen und Erfahrungen eines Buchhändlers. In: Jugendschriften-Warte 35 (1930), H. 3, S. 23–24. Forsythe, Robert: What America Needs. In: The New Masses 10 (Feb 13th, 1934), S. 27. Freitag, Martin: Hermann, der Hitlerjunge. Der Werdegang eines deutschen Jungen. Reutlingen 1933. Freitag, Martin: Albert Leo Schlageter. Ein deutscher Held. Mit Bildern. Reutlingen 1934. Freud, Sigmund: Massenpsychologie und Ich-Analyse. Leipzig [u. a.] 1921. Fromm, Erich: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine sozialpsychologische Untersuchung. Bearbeitet und hg. von Wolfgang Bonss. Stuttgart 1980. [Erhebungszeitraum der Fragebogenstudie: 1929–1931.] Gensch, Willy: Was liest unsere Jugend? Ergebnisse einer Umfrage. In: Was liest unsere Jugend? Ergebnisse von Feststellungen an Schulen aller Gattungen und Erziehungsanstalten sowie bei Jugendorganisationen und Jugendlichen. Bearbeitet von Hertha Siemering, Erna Barschak, Willy Gensch. Berlin 1930, S. 33–118. Glaßbrenner, Adolf: Berliner Eckensteher. In: Adolf Glaßbrenner: Berlin, wie es ist und – trinkt, Heft 1. Berlin 1832, S. 5–10. [auch in: Adolf Glaßbrenner: Unterrichtung der Nation. Ausgewählte Werke und Briefe in drei Bänden. Hg. v. Horst Denkler [u. a.]. Band 1. Köln 1981, S. 56–59. Sowie in: Adolf Glaßbrenner: Der politisierende Eckensteher. Auswahl und Nachwort v. Jost Hermand. Stuttgart 1969, S. 55–59.] Gotsche, Otto: Kritik der Anderen. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 4, S. 28–30. Helke, Fritz: Schluß mit dem Kitsch! In: Nationalsozialistische Monatshefte 6 (1935), H. 68, S. 1034–1036. Henckel, Heinz: Konstruierter oder lebendiger Sozialismus? Ein Wort gegen die Literaten. In: Nationalsozialistische Monatshefte 1 (1930), H. 5, S. 242–243. Hitler, Adolf: Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. Erster Band: Eine Abrechnung. Zweiter Band: Die nationalsozialistische Bewegung. 131.000–132.000 Auflage. München 1935. Hitler, Adolf: Mein Kampf. Eine kritische Edition. Hg. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin von Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel. 2 Bände. München/Berlin 2016. Jünger, Ernst: Der Kampf als inneres Erlebnis. Berlin 1922. Jünger, Ernst: Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt. Hamburg 1932. Jürgens, Fr.[anz]: Jugend und Buch im neuen Reich. Eine Buchbesprechung. In: Jugendschriften-Warte 39 (1934), H. 12, S. 85–87. Kläber, Kurt: Der proletarische Massenroman. In. Die Linkskurve 2 (1930a), H. 5, S. 22–25. Kläber, Kurt: Marsch auf die Fabriken. In: Die Linkskurve 2 (1930b), H. 11, S. 14–16. Kliemann, Horst: Die Werbung fürs Buch. Leitfaden der buchhändlerischen Reklame. Stuttgart 1923 [2., vermehrte Auflage 1925; 3., vollständig neubearbeitete Auflage 1937, 4., neubearbeitete Auflage 1950]. Knöpke-Joest, Helga: Ulla, ein Hitlermädel. Leipzig 1933. Kolnai, Aurel: The War Against the West. London 1938. Kracauer, Siegfried: Das Ornament der Masse. In: Ders.: Das Ornament der Masse. Essays. 2. Auflage. Frankfurt a. M. 1984, S. 50–63. [Erstabdruck: Frankfurter Zeitung vom 9./10. Juni 1927.] Kracauer, Siegfried: Über Erfolgsbücher und ihr Publikum. In: Ders.: Das Ornament der Masse. Essays. 2. Auflage. Frankfurt a. M. 1984, S. 64–74. [Erstabdruck: Frankfurter Zeitung vom 27. Juni 1931.]



464 

 Literaturverzeichnis

Kullak, Max: Nationalsozialistische Dichtung für Schule und Feier. In: Die deutsche höhere Schule 2 (1935), H. 8, S. 242–251. Lazarsfeld, Paul/Berelson, Bernhard/Gaudet, Hazel: The People’s Choice. How the Voter Makes up His Mind in a Presidential Campaign. New York 1944. Le Bon, Gustave: Psychologie der Massen [frz.: Psychologie des foules. Paris 1895]. Übersetzt von Rudolf Eisler. Leipzig 1908. Lenin, W.[ladimir] I.[ljitsch]: Womit beginnen? In: W. I. Lenin. Werke. Band 5: Mai 1901–Februar 1902. Ins Deutsche übertragen nach der vierten russischen Ausgabe. Deutsche Ausgabe besorgt vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED. 5. Auflage. Berlin (Ost) 1971, S. 5–13. [Erstabdruck in: Iskra (Mai 1901), Nr. 4, Titelseite.] Lenin, W.[ladimir] I.[ljitsch]: Der streitbare Militarismus und die antimilitaristische Taktik. In: W. I. Lenin. Werke. Band 15: März 1908–August 1909. Ins Deutsche übertragen nach der vierten russischen Ausgabe. Deutsche Ausgabe besorgt vom Institut für MarxismusLeninismus beim Zentralkomitee der SED. 5. Auflage. Berlin (Ost) 1972, S. 186–196. [Erstabdruck in: Proletari (23. Juli/5. August 1908), Nr. 33.] Lenin, W.[ladimir] I.[ljitsch]: Über „linke“ Kinderei und über Kleinbürgerlichkeit. In: W. I. Lenin. Werke. Band 27: Februar-Juli 1918. Ins Deutsche übertragen nach der vierten russischen Ausgabe. Deutsche Ausgabe besorgt vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED. 3. Auflage. Berlin (Ost) 1972, S. 315–347. [Erstabdruck in: Prawda (9., 10., 11. Mai 1918)] Littmann, Arnold: Herbert Norkus und die Hitlerjungen vom Beusselkietz. Nach dem Tagebuch von Gerd Mondt und nach Mitteilungen der Familie. Berlin 1934. Lukács, Georg: Willi Bredels Romane. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 11, S. 23–27. Lukács, Georg: Reportage oder Gestaltung? In: Die Linkskurve 4 (1932a), H. 7, S. 23–30. Lukács, Georg: Reportage oder Gestaltung? (Teil II.) In: Die Linkskurve 4 (1932b), H. 8, S. 26–31. Mann, Heinrich: Detektiv Romane. In: Die literarische Welt (23.08.1929), Nr. 34, S. 1–2. Mannheim, Karl: Das Problem der Generationen. In: Karl Mannheim: Wissenssoziologie. Hg. u. eingel. v. Kurt Wolff. Berlin [u. a.] 1964, S. 509–565. [Zuerst erschienen in: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie 7 (1928/9), S. 157–185, 309–330.] Marchwitza, Hans: Von der ersten Arbeiterkorrespondenz zur ersten Kurzgeschichte. In: Die Linkskurve 1 (1929), H. 8, S. 18–19. Maurer, Hans: Jugend und Buch im neuen Reich. Leipzig 1934. Maurer, Hans: Jugend und Buch im neuen Reich. An die Leser meiner Schrift in der deutschen Erzieherschaft. In: Jugendschriften-Warte 40 (1935), H. 5, S. 33–35. Mohr, Hans: Zur Frage der politischen Jugendschrift. In: Jugendschriften-Warte 39 (1934), H. 6, S. 41–44. Nolden, Arnold: Auf Schiffen, Schienen, Pneus. Eine Reise. Berlin 1930. Ortega y Gasset, José: Der Aufstand der Massen [span.: La rebelión de las masas. Madrid 1929]. Übersetzt von Helene Weyl. Reinbek bei Hamburg 1930. Petersen, Julius: Die literarischen Generationen. In: Philosophie der Literaturwissenschaft. Hg. v. Emil Ermatinger. Berlin 1930, S. 130–187. Pinder, Wilhelm: Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas. 2., durchgesehene und um ein Vorwort ergänzte Auflage. Berlin 1928 [Berlin 1926]. Ramlow, Rudolf: Herbert Norkus? – Hier! Opfer und Sieg der Hitlerjugend. Stuttgart 1933. Reichsjugendführung, Berlin/Reichsamtsleitung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, Bayreuth/Reichsstelle zur Förderung des Deutschen Schrifttums, Berlin (Hg.): Das Buch





Weitere Quellen und (Forschungs-)Literatur (bis 1945) 

 465

der Jugend 1934/35 (1935/36; 1936/37). Ein Auswahlverzeichnis empfehlenswerter Bücher für die deutsche Jugend. Stuttgart [1934; 1935; 1936]. Reichsleitung d. Nationalsozialistischen Lehrerbundes, Bayreuth (Hg.): Das Jugendbuch im Dritten Reich. Verzeichnis empfehlenswerter Jugendschriften. Stuttgart [1933]. Reichswaltung des NS-Lehrerbundes (Hg.): Deutsches Wesen und Schicksal. Billiges Schrifttum für junge Deutsche. Bayreuth 1936. Remarque, Erich Maria: Im Westen nichts Neues. Berlin 1929. Renn, Ludwig: Krieg. Frankfurt a. M. 1928. Rosenberg, Alfred: Rebellion der Jugend. In: Nationalsozialistische Monatshefte 1 (1930), H. 2, S. 50–59. Rosenblatt, Curt: Die nationalsozialistische Revolution. Ereignisse, Reden und Aufbauarbeit. Ein Lese- und Arbeitsbüchlein für den Schulgebrauch. 3., erw. Auflage. Breslau [1934]. Rothemund, Eduard: Der Weltkrieg im Spiegel des billigen Schrifttums. In: Jugendschriften-Warte 40 (1935), H. 8, S. 53–56. Scharrer, Adam: Traven und sein Erfolg. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 3, S. 29–32. Schauwecker, Franz: Aufbruch der Nation. Berlin 1929. Schemm, Hans: Geleitwort: In: Das Jugendbuch im Dritten Reich. Verzeichnis empfehlenswerter Jugendschriften. Hg. v. der Reichsleitung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, Bayreuth. Stuttgart [1933], S. 1. Schmitt, Carl: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. Leipzig 1922. Schücking, Levin Ludwig: Soziologie der literarischen Geschmacksbildung. 3., neu bearbeitete Auflage. Bern/München 1961 [München 1923]. Steffen, Erich: Die Urzelle proletarischer Literatur. In: Die Linkskurve 2 (1930), H. 2, S. 8/9. Thier, Erich: Gestaltwandel des Arbeiters im Spiegel seiner Lektüre. Ein Beitrag zu Volkskunde und Leserführung. Leipzig 1939. Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. 2., erheblich veränderte u. vermehrte Auflage. Berlin 1912. Utermann, Wilhelm: Junger Nationalsozialismus und Buch. In: Das Deutsche Wort 10 (1934), H. 16, S. 9–10. Viera, Josef: Brief an den Staatskommissar im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Berlin vom 29.10.1933. Betreff: Verbot des Buches „Horst Wessel“ von Josef Viera. (Quelle: Bundesarchiv R 56 I: Reichskulturkammer, Zentrale einschließlich Büro Hinkel. Allgemeines und Korrespondenzen/92) Voegelin, Eric: Die politischen Religionen. Wien 1938. Wedding, Alex: Ede und Unku. Ein Roman für Jungen und Mädchen. Berlin 1931. Wehner, Josef Magnus: Sieben vor Verdun. München 1930. Wehner, Josef Magnus: Albert Leo Schlageter. Leipzig 1934. Wessel, Ingeborg: Mein Bruder Horst. Ein Vermächtnis. München 1934. Wittek, Erhard: Das Buch als Werbemittel. Leipzig 1926. Wolf, Friedrich: Kunst ist Waffe! Eine Feststellung. Faksimile-Druck der Erstausgabe Berlin 1928. Berlin (Ost) 1976. Zweig, Arnold: Der Streit um den Sergeanten Grischa. Potsdam 1927.



466 

 Literaturverzeichnis

Sekundärliteratur Aarne, Antti/Thompson, Stith: The Types of the Folktale. A Classification and Bibliography. Helsinki 1961. Achternkamp, Thomas: Das Schattenjahr 1932. Subjekt zwischen Krise und Katastrophe im späten Roman der Weimarer Republik. München 2002. Adam, Christian: Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich. Berlin 2010. Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik (Hg.): Literatur der Arbeiterklasse. Aufsätze über die Herausbildung der deutschen sozialistischen Literatur 1918–1933. Berlin/Weimar 1971. Albert, Claudia (Hg.): Deutsche Klassiker im Nationalsozialismus. Schiller – Kleist – Hölderlin. Stuttgart 1994. Aley, Peter: Jugendliteratur im Dritten Reich. Dokumente und Kommentare. Gütersloh 1967. Anderegg, Johannes: Fiktionalität, Schematismus und Sprache der Wirklichkeit. Methodologische Überlegungen. In: Unterhaltungsliteratur. Zu ihrer Theorie und Verteidigung. Hg. v. Jörg Hienger. Göttingen 1976, S. 7–31. Anderson, Benedict: Die Erfindung der Nation: Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts [engl.: Imagined Communities. Reflections on the Origins and Spread of Nationalism. London 1983]. Ins Deutsche übersetzt von Christoph Münz und Benedikt Burkard. 2., um ein Nachwort erw. Auflage der Neuausgabe 1996. Frankfurt a. M./New York 2005. Anonymus: Schenzinger. Berichten, was los ist. In: Der Spiegel (23.05.1951), S. 32–33. Anonymus: Kriegsgeschichte. Eine Sargbreite Leben. In: Der Spiegel (4.02.1953), S. 31–33. Anonymus: Mulot, Willy. In: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts. Unter Mitwirkung von Fachgelehrten des In- und Auslandes. Bearbeitet, redigiert und hg. v. Hans Vollmer. Band 3: K–P. Leipzig 1956, S. 446. Anonymus: Walter Schönstedt. In: Lexikon sozialistischer deutscher Literatur. Von den Anfängen bis 1945. Monographisch-biographische Darstellungen. Hg. v. Inge Diersen [u. a.]. Halle (Saale) 1963, S. 450–452. Arnold, Heinz Ludwig: Handbuch zur deutschen Arbeiterliteratur. Bd. 2: Bibliographie. München 1977. Arnold, Klaus: Propaganda als ideologische Kommunikation. In: Publizistik 48 (März 2003), H. 1, S. 63–82. Aust, Hugo: Der historische Roman. Stuttgart/Weimar 1994. Avruscio, Nicola: Kulturpolitik im Dritten Reich: Buchgestaltung als Teil nationalsozialistischer Propaganda. In: Buchgestaltung in Deutschland 1900–1945. Ausstellung der Universitätsbibliothek Bielefeld vom 16.12.1987–31.1.1988. Hg. v. Walter Kambartel. Bielefeld 1987, S. 75–89. Balle, Hermann: Die propagandistische Auseinandersetzung des Nationalsozialismus mit der Weimarer Republik und ihre Bedeutung für den Aufstieg des Nationalsozialismus. Phil. Diss. Erlangen-Nürnberg 1963. Barbian, Jan-Pieter: Literaturpolitik im „Dritten Reich“. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. Frankfurt a. M. 1993. Barbian, Jan-Pieter: Nationalsozialismus und Literaturpolitik. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jhd. bis zur Gegenwart. Begründet v. Rolf Grimminger. Bd. 9: Nationalsozialismus und Exil 1933–1945. Hg. v. Wilhelm Haefs. München 2009, S. 53–98. Barbian, Jan-Pieter: Literaturpolitik im NS-Staat. Von der „Gleichschaltung“ bis zum Ruin. Frankfurt a. M. 2010.



Sekundärliteratur 

 467

Barck, Simone (Hg.): Lexikon sozialistischer Literatur. Stuttgart 1994. Barthes, Roland: Mythen des Alltags [frz.: Mythologies. Paris 1957]. Vollständige Ausgabe. Aus dem Französischen von Horst Brühmann. Berlin 2010. Bartholmes, Herbert: Bruder, Bürger, Freund, Genosse und andere Wörter der sozialistischen Terminologie. Wuppertal-Barmen 1970. Baumgärtner, Alfred Clemens: Das Abenteuer und die Jugendliteratur. Überlegungen zu einem literarischen Motiv. In: sub tua platano. Festgabe für Alexander Beinlich. Hg. v. Dorothea Ader [u. a.]. Emsdetten 1981, S. 218–225. Bavaj, Riccardo: Die Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus. München 2003. Becker, Jörg: Alltäglicher Rassismus. Die afro-amerikanischen Rassenkonflikte im Kinder- und Jugendbuch der Bundesrepublik. Frankfurt a. M./New York 1977. Becker, Susanne: Gattungskonstruktionen in der Geschichte der zirkulierenden Literatur. Rekonstruktionsverfahren am Beispiel des abenteuerliterarischen Netzes 1840 bis 1935. Trier 2000. Beckett, Sandra L. (Hg.): Transcending Boundaries. Writing for a Dual Audience of Children and Adults. New York/London 1999. Behrenbeck, Sabine: Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923 bis 1945. Vierow bei Greifswald 1996. Behrenbeck, Sabine: Gefallenengedenken in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“. In: Politische Inszenierung im 20. Jahrhundert. Zur Sinnlichkeit der Macht. Hg. v. Sabine Arnold, Christian Fuhrmeister und Dietmar Schiller. Wien [u. a.] 1998, S. 35–55. Berger, Wolfhart: Aufgearbeitet oder abgelegt? Deutsche Literatur 1933 bis 1945 im Spiegel der Nachkriegslesebücher. In: Literatur für Leser 6 (1983), H. 4, S. 244–255. Berghoff, Peter: Der Tod des politischen Kollektivs. Politische Religion und das Sterben und Töten für Volk, Nation und Rasse. Berlin 1997. Bernhardt, Hans-Michael: Voraussetzungen, Struktur und Funktion von Feindbildern. In: Feindbilder in der deutschen Geschichte. Studien zur Vorurteilsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Christoph Jahr, Uwe Mai und Kathrin Roller. Berlin 1994, S. 9–24. Bessel, Richard: Kriegserfahrung und Kriegserinnerungen: Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges auf das politische und soziale Leben der Weimarer Republik. In: Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung. Interdisziplinäre Studien. Hg. v. Marcel van der Linden und Gottfried Merger. Berlin 1991, S. 125–140. Beyer, Friedemann: Vorwort des Herausgebers. In: Arbeitsmaterialien zum Nationalsozialistischen Propagandafilm: Hitlerjunge Quex. Zusammenstellung und Text: Gerd Albrecht. Hg. v. der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung. CD-ROM. Wiesbaden 2006, S. 3–5. [Abhandlung nur auf CD-ROM im geschlossenen Textformat mit Seitenzahlen erhältlich.] Bittner, Rüdiger: Gute Kriege, böse Feinde. In: Information Philosophie 31 (2003), H. 4, S. 7–14. Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. Dritter Band: Kapitel 43–55. Frankfurt a. M. 1968 [Berlin (Ost) 1959]. Blume, Peter: Fiktion und Weltwissen. Der Beitrag nichtfiktionaler Konzepte zur Sinnkonstitution fiktionaler Erzählliteratur. Berlin 2004. Blume, Svenja: Texte ohne Grenzen für Leser jeden Alters. Zur Neustrukturierung des Jugendliteraturbegriffs in der literarischen Postmoderne. Freiburg 2006. Bollenbeck, Georg: Tradition, Avantgarde, Reaktion. Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880–1945. Frankfurt a. M. 1999.



468 

 Literaturverzeichnis

Bollmus, Reinhard: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Stuttgart 1970. Bons, Joachim: Nationalsozialismus und Arbeiterfrage. Zu den Motiven, Inhalten und Wirkungsgründen nationalsozialistischer Arbeiterpolitik vor 1933. Pfaffenweiler 1995. Bork, Siegfried: Mißbrauch der Sprache. Tendenzen nationalsozialistischer Sprachlenkung. Bern/München 1970. Bormann, Alexander von: Vom Traum zur Tat. Über völkische Literatur. In: Die deutsche Literatur in der Weimarer Republik. Hg. v. Wolfgang Rothe. Stuttgart 1974, S. 304–333. Bormann, Alexander von: Das nationalsozialistische Gemeinschaftslied. In: Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Themen – Traditionen – Wirkungen. Hg. v. Horst Denkler und Karl Prümm. Stuttgart 1976, S. 256–280. Bosmajian, Hamida: Sparing the Child. Grief and the Unspeakable in Youth Literature about Nazism and the Holocaust. New York/London 2002. Bowlt, John E.: Schreibt nichts! Lest nichts! Sagt nichts! Druckt nichts! In: Aus vollem Halse. Russische Buchillustration und Typographie 1900–1930. Hg. v. John E. Bowlt und Béatrice Hernad. München/New York 1993, S. 11–38. Braun, Christian A.: Nationalsozialistischer Sprachstil. Theoretischer Zugang und praktische Analysen auf der Grundlage einer pragmatisch-textlinguistisch orientierten Stilistik. Heidelberg 2007. Brauneck, Manfred (Hg.): Die Rote Fahne. Kritik, Theorie, Feuilleton 1918–1933. München 1973. Brauneck, Manfred: Revolutionäre Presse und Feuilleton. „Die Rote Fahne“ das zentrale Organ der kommunistischen Partei Deutschlands (1918–1933). In: Die Rote Fahne. Kritik, Theorie, Feuilleton 1918–1933. Hg. v. Manfred Brauneck. München 1973, S. 9–54. Brenner, Hildegard: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Reinbek bei Hamburg 1963. Brewer, William/Lichtenstein, Edward: Event Schemas, Story Schemas and Story Grammars. In: Attention and Performance. Hg. v. John Long und Alan Baddeley. Hillsdale/New Jersey 1981, S. 363–379. Brône, Geert/Vandaele, Jeroen (Hg.): Cognitive Poetics. Goals, Gains and Gaps. Berlin/New York 2009. Brown, Timothy: Weimar Radicals. Nazis and Communists between Authenticity and Performance. New York [u. a.] 2009. Brozat, Martin: Einleitung. In: Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß. Hg. v. Martin Brozat. 16. Auflage. München 1998, S. 7–30. Brunken, Otto: Kinder- und Jugendliteratur von den Anfängen bis 1945. Ein Überblick. In: Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur. Hg. v. Günter Lange. Bd. 1: Grundlagen, Gattungen. 2. korr. Auflage. Baltmannsweiler 2000, S. 17–96. Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 8 Bde. Stuttgart 1972–1997. Brunotte, Ulrike: Martyrium, Vaterland und der Kult der toten Krieger. Männlichkeit und Soteriologie im Krieg. In: Tinte und Blut. Politik, Erotik und Poetik des Martyriums. Hg. v. Andreas Krass und Thomas Frank. Frankfurt a. M. 2008, S. 95–117. Buchheim, Hans: Despotie, Ersatzreligion, Religionsersatz. In: „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“. Konzepte des Diktaturvergleichs. Band 1. Hg. v. Hans Maier. Paderborn [u. a.] 1996, S. 260–263. Bunke, Horst/Stern, Hans: Buchgestaltung für die Arbeiterklasse 1918–1933. Leipzig 1982.



Sekundärliteratur 

 469

Busch, A.[ndré] K.: Blutzeugen. Ein Beitrag zur Praxis politischer Konflikte in der Weimarer Republik. 2., überarb. und erw. Auflage. Fretterode 2010. Busch, Stefan: „Und gestern, da hörte uns Deutschland“. NS-Autoren in der Bundesrepublik. Kontinuität und Diskontinuität bei Friedrich Griese, Werner Beumelburg, Eberhard Wolfgang Möller und Kurt Ziesel. Würzburg 1998. Busse, Jan-Philipp: Zur Analyse der Handlung. In: Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorien, Modelle, Probleme. Hg. v. Peter Wenzel. Trier 2004, S. 23–50. Bussemer, Thymian: Propaganda und Populärkultur. Konstruierte Erlebniswelten im Nationalsozialismus. Wiesbaden 2000. Bussemer, Thymian: Propaganda. Konzepte und Theorien. Wiesbaden 2005. Christmann, Ursula/Groeben, Norbert: Psychologie des Lesens. In: Handbuch Lesen. Hg. v. Bodo Franzmann. Baltmannsweiler 2001, S. 145–223. Clark, Katerina: The Soviet Novel. History as Ritual. Chicago/London 1981. Daemmrich, Horst und Ingrid: Arbeit. In: Dies.: Themen und Motive in der Literatur. Ein Handbuch. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen [u. a.] 1995, S. 53–55. Dahm, Volker: Systemische Grundlagen und Lenkungsinstrumente der Kulturpolitik des Dritten Reiches. In: Im Dschungel der Macht. Intellektuelle Professionen unter Stalin und Hitler. Hg. v. Dietrich Beyrau. Göttingen 2000, S. 244–259. Dahrendorf, Ralf: Kulturpessimismus vs. Fortschrittshoffnung. Eine notwendige Abgrenzung. In: Stichworte zur „Geistigen Situation der Zeit“. Band 1: Nation und Republik. Hg. v. Jürgen Habermas. Frankfurt a. M. 1979, S. 213–228. Damus, Martin: Sozialistischer Realismus und Kunst im Nationalsozialismus. Frankfurt a. M. 1981. Davidson, Mortimer: Albert Reich. In: Ders.: Kunst in Deutschland 1933–1945. Eine wissenschaftliche Enzyklopädie der Kunst im Dritten Reich. Band 2/2: Malerei R–Z. Tübingen 1992, S. 396–397. Deutsche Akademie der Künste zu Berlin, Sektion Dichtkunst und Sprachpflege. Abteilung Geschichte der sozialistischen Literatur (Hg.): Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Eine Auswahl von Dokumenten. 2. durchgesehene und erweiterte Auflage, Berlin/Weimar 1967. Dieckmann, Walther: Information oder Überredung. Zum Wortgebrauch der politischen Werbung in Deutschland seit der Französischen Revolution. Marburg 1964. Diedrichs, Reiner/Grübling, Richard: Sozialismus als Reklame. Zur faschistischen Fotomontage. In: Die Dekoration der Gewalt. Kunst und Medien im Faschismus. Hg. v. Berthold Hinz [u. a.]. Gießen 1979, S. 123–136. Dithmar, Reinhard: Erziehung zum Frieden durch Kriegsliteratur? In: Zeitschrift für Pädagogik 5 (1983), S. 725–733. Dithmar, Reinhard: Wirkung wider Willen? Remarques Erfolgsroman „Im Westen nichts Neues“ und die zeitgenössische Rezeption. In: Blätter für den Deutschlehrer 2 (1984), S. 34–47. Dithmar, Reinhard: Das „gestohlene“ Lied. Adaptionen vom Liedgut der Arbeiterbewegung in NS-Liedern. In: Lieder in Politik und Alltag des Nationalsozialismus. Hg. v. Gottfried Neidhart und George Broderick. Frankfurt a. M. [u. a.] 1999, S. 17–33. Dorén, Peter Nils: Die Kunst, Blicke zu fangen. Über die Typographie auf Buchumschlägen und Einbänden. In: Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919–1933. 1000 Beispiele, illustriert und dokumentiert. Hg. v. Jürgen Holstein. Berlin 2005, S. 357–373.



470 

 Literaturverzeichnis

Dörner, Andreas: Politischer Mythos und symbolische Politik. Der Hermannmythos: zur Entstehung des Nationalbewußtseins der Deutschen. Reinbek bei Hamburg 1996. Dudek, Peter: Die Rolle der „jungen Generation“ und ihr Bedeutungswandel in der nationalsozialistischen Ideologie. In: Bildung und Erziehung 40 (1987), H. 2, S. 183–199. Duvigneau, Volker: Zwischen Quadrat und Hakenkreuz. Notwendige Randbemerkungen zu einem deutschen Reklamekünstler. In: Ludwig Hohlwein. Kunstgewerbe und Reklamekunst. Hg. v. Volker Duvigneau und Norbert Götz. München/Berlin 1996, S. 23–28. Eggebrecht, Jürgen: Werner Beumelburg. Seine Aufgabe und sein Werk. In: Die neue Literatur 36 (1935), H.5, S. 252–261 [Bibliographie zusammengestellt von Ernst Metelmann: S. 259–261]. Eggerstorfer, Wolfgang: Schönheit und Adel der Arbeit. Arbeitsliteratur im Dritten Reich. Frankfurt a. M. [u. a.] 1988. Ehrke-Rotermund, Heidrun: Der nationalsozialistische Kriegsroman – eine Erbschaft aus der Zeit der Weimarer Republik. In: Literatur für Leser 7 (1984), H. 4, S. 240–254. Ehrke-Rotermund, Heidrun: „Durch die Erkenntnis des Schrecklichen zu seiner Überwindung“? Werner Beumelburg: Gruppe Bosemüller (1930). In: Von Richthofen bis Remarque. Deutschsprachige Prosa zum I. Weltkrieg. Hg. v. Thomas Schneider u. Hans Wagener. Amsterdam/New York 2003, S. 299–318. Ehrlich, Lothar (Hg.): Das Dritte Weimar. Klassik und Kultur im Nationalsozialismus. Köln 1999. Eichberg, Henning: Lebenswelten und Alltagswissen. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Hg. v. Christa Berg [u. a.]. Band 5: 1918–1945. Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur. Hg. v. Dieter Langewiesche und Heinz-Elmar Tenorth. München 1989, S. 25–64. Emmerich, Wolfgang/Rooney, Martin: The Red One-Mark-Novel and the „Heritage of Our Time“: Notes on Michael Rohrwasser’s Saubere Mädel. Starke Genossen: Proletarische Massenliteratur? In: New German Critique, No. 10 (Winter 1977), S. 179–189. Emmott, Catherine: Narrative Comprehension. A Discourse Perspective. Oxford 1997. Erll, Astrid: Gedächtnisromane. Literatur über den Ersten Weltkrieg als Medium englischer und deutscher Erinnerungskulturen in den 1920er Jahren. Trier 2003. Esselborn-Krumbiegel, Helga: Der „Held“ im Roman. Formen des deutschen Entwicklungsromans im frühen 20. Jahrhundert. Darmstadt 1983. Ewers, Hans-Heino: Literatur für Kinder und Jugendliche. Eine Einführung in grundlegende Aspekte des Handlungs- und Symbolsystems Kinder und Jugendliteratur. Mit einer Auswahlbibliographie Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft. München 2000. F.[omenko], V.[alentyn]: Eggert, Werner. In: Saur Allgemeines Künstlerlexikon. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker. Begr. u. mithrsg. v. Günter Meißner. Band 32: Ebersbach– Eimbke. München/Leipzig 2002, S. 348. Fähnders, Walter (Hg.): Literatur im Klassenkampf. Zur proletarisch-revolutionären Literaturtheorie (1919–1923). Eine Dokumentation. Frankfurt a. M. 1974. Fähnders, Walter: Zur Erforschung proletarischer Literaturtraditionen anhand eines Lexikons. In: Literaturtheorie und Geschichte. Zur Diskussion materialistischer Literaturwissenschaft. Hg. v. Rüdiger Scholz und Klaus-Michael Bogdal. Opladen 1996, S. 254–265. Fähnders, Walter: ‚Linkskunst‘ oder ‚reaktionäre Angelegenheit‘? Zur Tatsachenpoetik der Neuen Sachlichkeit. In: Literatur und Kultur im Österreich der Zwanziger Jahre. Vorschläge zu einem transdisziplinären Epochenprofil. Hg. v. Primus-Heinz Kucher. Bielefeld 2007, S. 83–102.



Sekundärliteratur 

 471

Fähnders, Walter/Karrenbrock, Helga: Die Republik von Weimar. Proletarisch-revolutionäre Literatur und Arbeiterdichtung. In: Sozialgeschichte der deutschen Literatur von 1918 bis zur Gegenwart. Hg. von Jan Berg. Frankfurt a. M. 1981, S. 7–83. Fähnders, Walter/Rector, Martin: Linksradikalismus und Literatur. Untersuchungen zur Geschichte der sozialistischen Literatur in der Weimarer Republik. Teil 1. Hamburg 1974. Fehlemann, Silke: „Heldenmütter“? Deutsche Soldatenmütter in der Zwischenkriegszeit. In: Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg. Hg. v. Gerd Krumeich in Verbindung mit Anke Hoffstadt und Arndt Weinrich. Essen 2010, S. 227–242. Fergg-Frowein, Charlotte: Engelhardt, Willi. In: Kürschners Graphiker Handbuch. Deutschland, Österreich Schweiz. Illustratoren, Gebrauchsgraphiker, Typographen. Hg. v. Charlotte Fergg-Frowein. 2., erw. Auflage. Berlin 1967, S. 66. Festinger, Leon: Theorie der kognitiven Dissonanz. Bern [u. a.] 1978. Fetzer, Günther: Wertungsprobleme in der Trivialliteraturforschung. München 1980. Fischer, Conan: The German Communists and the Rise of Nazism. Houndmills [u. a.] 1991. Fischer, Ernst/Füssel, Stephan: Kultur und Gesellschaft. Signaturen der Epoche. In: Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 2: Die Weimarer Republik 1918–1933. Hg. von Ernst Fischer und Stephan Füssel. München 2007, S. 5–28. Fiske, Susan/Taylor, Shelley: Social Cognition. 2. Auflage. New York [u. a.] 1991. Flemming, Klaus: Einleitung. In: Die Bilderwelt im Kinderbuch. Kinder- und Jugendbücher aus fünf Jahrhunderten. Katalog zur Ausstellung der Kunst- und Museumsbibliothek und des Rheinischen Bildarchivs der Stadt Köln. Josef-Haubich-Kunsthalle Köln, 17. Juni 1988–11. September 1988. Hg. v. Albert Schug. Köln 1988, S. 12–19. Frank, Horst Joachim: Geschichte des Deutschunterrichts. Von den Anfängen bis 1945. München 1973. Friedrich, Gerhard: Proletarische Literatur und politische Organisation. Die Literaturpolitik der KPD in der Weimarer Republik und die proletarisch-revolutionäre Literatur. Frankfurt a. M. 1981. Frind, Sigrid: Die Sprache als Propagandainstrument in der Publizistik des Dritten Reiches. Untersucht an Hitlers „Mein Kampf“ und den Kriegsjahrgängen des „Völkischen Beobachters“. Dissertation Freie Universität Berlin. Berlin 1964. Fritze, Lothar: Kommunistische Ideologie und die Rechtfertigung von Zwang und Gewalt. In: Ideologie und Verbrechen. Kommunismus und Nationalsozialismus im Vergleich. Hg. v. Frank-Lothar Kroll und Barbara Zehnpfennig. München 2014, S. 93–111. Fuge, Janina: Zwischen Kontroverse und Konsens: „Geschichtspolitik“ als pluralistische Bewährungsprobe der deutschen Nachkriegsgesellschaft in der Weimarer Republik. In: Geschichtspolitik und kollektives Gedächtnis. Erinnerungskulturen in Theorie und Praxis. Hg. v. Harald Schmidt. Göttingen 2009, S. 123–141. Füssel, Stephan: Das Buch in der Medienkonkurrenz der zwanziger Jahre. In: GutenbergJahrbuch 71 (1996), S. 322–340. Gallas, Helga: Marxistische Literaturtheorie. Kontroversen im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Neuwied/Berlin 1971. Gallas, Helga: Proletarische Literatur und bürgerliche Rezipienten. Bericht über einen Einführungskurs in das Studium der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft anhand von Willi Bredels Roman „Maschinenfabrik N&K“. In: Alternative. Zeitschrift für Dichtung und Diskussion (bzw. Zeitschrift für Literatur und Diskussion) 16 (1973), H. 90, S. 138–147.



472 

 Literaturverzeichnis

Galle, Heinz: Serienliteratur im „Dritten Reich“. In: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. Autoren, Illustratoren, Verlage, Begriffe. Begründet v. Alfred Clemens Baumgärtner. Hg. v. Kurt Franz. Teil 6: Themen/Motive/Stoffe. Meitingen. 12. Erg.-Lfg. Juni 2001, S. 1–18. Gärtner, Hans: Franz Schneider Verlag München. In: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. Autoren, Illustratoren, Verlage, Begriffe. Begründet v. Alfred Clemens Baumgärtner. Hg. v. Kurt Franz. Teil 3: Verlage. Meitingen. Grundwerk Juli 1995, S. 1–3. Geissler, Rolf: Dekadenz und Heroismus. Zeitroman und völkisch-nationalsozialistische Literaturkritik. Stuttgart 1964. Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches [frz.: Seuils. Paris 1987]. Mit einem Vorwort von Harald Weinrich. Aus dem Französischen übersetzt von Dieter Hornig. Frankfurt a. M./New York 1989. Gerrig, Richard J./Egidi, Giovanna: Cognitive Psychological Foundations of Narrative Experience. In: Narrative Theory and the Cognitive Sciences. Hg. v. David Herman. Stanford 2003, S. 33–55. Geyer, Martin H.: „Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“. Zeitsemantik und die Suche nach der Gegenwart in der Weimarer Republik. In: Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900–1933. Hg. v. Wolfgang Hardtwig. München 2007, S. 165–187. Gies, Horst: Die verweigerte Identifikation mit der Demokratie: Geschichtslehrer und Geschichtsunterricht in der Weimarer Republik. In: Schule und Unterricht in der Endphase der Weimarer Republik. Hg. v. Reinhard Dithmar. Neuwied [u. a.] 1993, S. 89–114. Gimmel, Jürgen: Die politische Organisation kulturellen Ressentiments. Der „Kampfbund für deutsche Kultur“ und das bildungsbürgerliche Unbehagen an der Moderne. Münster 2001. Girnth, Heiko: Sprache und Sprachverwendung in der Politik. Eine Einführung in die linguistische Analyse öffentlich-politischer Kommunikation. Tübingen 2002. Goette, Jürgen-Wolfgang: Arbeiterliteratur. Texte zur Theorie und Praxis. Frankfurt a. M. 1975. Gollbach, Michael: Die Wiederkehr des Weltkrieges in der Literatur. Zu den Frontromanen der späten Zwanziger Jahre. Kronberg im Taunus 1978. Good, Colin C.: Die deutsche Sprache und die kommunistische Ideologie. Frankfurt a. M. 1975. Gorsen, Peter/Knödler-Bunte, Eberhard (Hg.): Proletkult. Bd 1: System einer proletarischen Kultur. Stuttgart/Bad Cannstatt 1974. Bd 2: Zur Praxis und Theorie einer proletarischen Kulturrevolution in Sowjetrussland 1917–1925. Stuttgart/Bad Cannstatt 1975. Gotsche, Otto: Unser kleiner Trompeter. Halle a. d. Saale 1961. Göttsche, Dirk: Zeitroman. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 3: P–Z. Hg. v. Jan-Dirk Müller. 3., neubearb. Auflage. Berlin 2003, S. 881–883. Graeb-Könneker, Sebastian: Autochthone Modernität. Eine Untersuchung der vom Nationalsozialismus geförderten Literatur. Opladen 1996. Graeb-Könneker, Sebastian (Hg.): Literatur im Dritten Reich. Dokumente und Texte. Stuttgart 2001. Graf, Rüdiger: Die Zukunft der Weimarer Republik. Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918–1933. München 2008. Graf, Werner: Lesen und Biographie. Eine empirische Fallstudie zur Lektüre der Hitlerjugendgeneration. Tübingen/Basel 1997. Greimas, Algirdas Julien: Sémantique structurale. Recherche de méthode. Paris 1966. Grenz, Dagmar: Entwicklung als Bekehrung und Wandlung. Zu einem Typus der nationalsozialistischen Jugendliteratur. In: Literatur für Kinder. Studien über ihr



Sekundärliteratur 

 473

Verhältnis zur Gesamtliteratur. Hg. v. Maria Lypp. Göttingen 1977 (= Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik; Beiheft 7), S. 123–154. Grenz, Dagmar (Hg.): Kinderliteratur – Literatur auch für Erwachsene? Zum Verhältnis von Kinder- und Erwachsenenliteratur. München 1990. Gries, Rainer: Zur Ästhetik und Architektur von Propagemen. Überlegungen zu einer Propagandageschichte als Literaturgeschichte. In: Kultur der Propaganda. Hg. v. Rainer Gries und Wolfgang Schmale. Bochum 2005, S. 9–35. Grieswelle, Detlef: Propaganda der Friedlosigkeit. Eine Studie zu Hitlers Rhetorik 1920–1933. Stuttgart 1972. Groeben, Norbert: Leserpsychologie. Teil 1: Textverständnis – Textverständlichkeit. Münster 1982. Gross, Raphael: „Treue“ im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Moralgeschichte der NS-Zeit. In: Treue. Politische Loyalität und militärische Gefolgschaft in der Moderne. Hg. v. Nikolaus Buschmann und Karl Borromäus Murr. Göttingen 2008, S. 253–273. Gross, Raphael: Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral. Bonn 2010. Gross, Sabine: Lese-Zeichen: Kognition, Medium und Materialität im Leseprozeß. Darmstadt 1994. Grunenberg, Antonia: Antifaschismus – ein deutscher Mythos. Reinbek bei Hamburg 1993. Grünewald, Dietrich: Denk-Provokationen. Zu Funktion und Wirkung von Illustrationen im Kinder- und Jugendbuch. In: Text und Illustration im Kinder- und Jugendbuch. Hg. v. Alfred Clemens Baumgärtner und Max Schmidt. Würzburg 1991, S. 49–59. Günther, Hans: Education and Conversion: The Road to the New Man in the Totalitarian Bildungsroman. In: The Culture of the Stalin Period. Hg. v. Hans Günther. Houndmills [u. a.] 1990, S. 193–209. Günther, Hans: Der Feind in der totalitären Kultur. In: Kultur im Stalinismus. Sowjetische Kultur und Kunst der 1930er bis 1950er Jahre. Hg. v. Gabriele Gorzka. Bremen 1994, S. 89–100. Günther, Hans: Held und Feind als Archetypen des totalitären Mythos. In: Terroristische Diktaturen im 20. Jahrhundert. Strukturelemente der nationalsozialistischen und stalinistischen Herrschaft. Hg. v. Matthias Vetter. Opladen 1996, S. 42–63. Haefs, Wilhelm: Ästhetische Aspekte des Gebrauchsbuchs in der Weimarer Republik. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 6 (1996), S. 353–382. Hagemann, Karen: Frauenprotest und Männerdemonstration. Zum geschlechtsspezifischen Aktionsverhalten im großstädtischen Arbeitermilieu der Weimarer Republik. In: Massenmedium Straße. Zur Kulturgeschichte der Demonstration. Hg. v. Bernd Jürgen Warneken. Frankfurt a. M./New York 1991, S. 202–230. Hahn, Michael: Scheinblüte, Krisenzeit, Nationalsozialismus. Die Weimarer Republik im Spiegel später Zeitromane (1928–1932/3). Bern [u. a.] 1995. Hallet, Wolfgang: Gattungen als kognitive Schemata: Die multigenerische Interpretation literarischer Texte. In: Gattungstheorie und Gattungsgeschichte. Hg. v. Marion Gymnich, Birgit Neumann und Ansgar Nünning. Trier 2007, S. 53–71. Haring, Sabine: Verheißung und Erlösung. Religion und ihre weltlichen Ersatzbildungen in Politik und Wissenschaft. Wien 2008. Haug, Christine: Populäre Lesestoffe. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 3: P–Z. Hg. v. Jan-Dirk Müller. 3., neubearb. Auflage. Berlin 2003, S. 124–127. Haug, Frigga: Arbeit. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Hg. v. Wolfgang Fritz Haug. Band 1: Abbau des Staates bis Avantgarde. Hamburg [u. a.] 1994, S. 401–421.



474 

 Literaturverzeichnis

Haupt, Heinz-Gerhard: Politische Konversionen in historischer Perspektive. Methodische und empirische Überlegungen. In: Zeitperspektiven. Studien zu Kultur und Gesellschaft. Beiträge aus der Geschichte, Soziologie, Philosophie und Literaturwissenschaft Hg. v. Uta Gerhardt. Stuttgart 2003, S. 267–304. Häusler, Regine: Weiblichkeitsentwürfe in der Mädchenliteratur des Nationalsozialismus. Ein Vergleich zwischen favorisierten Mädchenbüchern und „Konjunkturschriften“. In: Inszenierungen von Weiblichkeit. Weibliche Kindheit und Adoleszenz in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Gertrud Lehnert. Opladen 1996, S. 215–233. Hebenstreit, Desiree: Der Volksbegriff und seine Bedeutung für die kommunistische Arbeiterliteratur der Weimarer Republik. Eine Untersuchung anhand der Romanreihe: Der Rote Eine-Mark-Roman. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 32 (2007), H. 2, S. 143–160. Heidtmann, Horst: Von der „Schmutz und Schund“-Bekämpfung zur „Ausmerzung von Büchern“. In: 100 Jahre Jugendschriftenwarte 1893–1993. Hg. v. Geralde Schmidt-Dumont. Überlingen 1993, S. 8. Hein, Christoph M.: Der „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands“. Biographie eines kulturpolitischen Experiments in der Weimarer Republik. Münster 1991. Heinemann, Margot: Konzepte von Stereotypen – statt einer Einleitung. In: Sprachliche und soziale Stereotype. Hg. v. Margot Heinemann. Frankfurt a. M. [u. a.] 1998, S. 7–10. Heinrich-Jost, Ingrid: Literarische Publizistik Adolf Glaßbrenners (1810–1876). Die List beim Schreiben der Wahrheit. München [u. a.] 1980. Herf, Jeffrey: Reactionary Modernism. Technology, Culture and Politics in Weimar and the Third Reich. Cambridge [u. a.] 1984. Herman, David (Hg.): Narrative Theory and the Cognitive Sciences. Stanford 2003. Hermand, Jost: Erik Regers „Union der festen Hand“ (1931). Roman oder Reportage? In: Angewandte Literatur. Politische Strategien in den Massenmedien. Hg. v. Jost Hermand. Berlin 1996, S. 21–40. Heuel, Eberhard: Der umworbene Stand. Die ideologische Integration der Arbeiter im Nationalsozialismus 1933–1935. Frankfurt a. M./New York 1989. Hiepe, Richard: Riese Proletariat und große Maschine. Revolutionäre Bildvorstellungen in der Kunst des 19. Jahrhunderts. In: Kunst und Unterricht 6 (1973), H. 19, S. 22–26. Hildebrand, Klaus (Hg.): Zwischen Politik und Religion. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus. München 2003. Hillesheim, Jürgen/Michael, Elisabeth: Werner Beumelburg. In: Dies.: Lexikon nationalsozialistischer Dichter. Biographien, Analysen, Bibliographien. Würzburg 1993, S. 53–59. Hohmann, Joachim: Einleitung. In: Erster Weltkrieg und nationalsozialistische „Bewegung“ im deutschen Lesebuch 1933–1945. Hg. v. Joachim Hohmann. Frankfurt a. M. [u. a.] 1988, S. 5–32. Hölder, Anneliese: Das Abenteuerbuch im Spiegel männlicher Reifezeit. Die Entwicklung des literarischen Interesses beim männlichen Jugendlichen. Ratingen 1967. Holstein, Jürgen (Hg.): Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919–1933. 1000 Beispiele, illustriert und dokumentiert. Berlin 2005. Holstein, Jürgen: Werner Eggert – politischer Photomonteur. In: Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919–1933. 1000 Beispiele, illustriert und dokumentiert. Hg. v. Jürgen Holstein. Berlin 2005, S. 90–92.



Sekundärliteratur 

 475

Hopster, Norbert: Mädchenbild und Mädchenliteratur im Nationalsozialismus. In: Schiefertafel 9 (1986), H. 1, S. 21–35. Hopster, Norbert: Lesen und jugendlicher Leser in Deutschland unter dem Nationalsozialismus. In: Wirkendes Wort 37 (1987), H. 3, S. 216–227. Hopster, Norbert: Literatur und „Leben“ in der Ästhetik des Nationalsozialismus. In: Wirkendes Wort 43 (1993), H.1, S. 99–115. Hopster, Norbert: Literatur der Organisationen und Dienste. In: Kinder- und Jugendliteratur 1933–1945. Ein Handbuch. Band 2: Darstellender Teil. Hg. v. Norbert Hopster, Petra Josting und Joachim Neuhaus. Stuttgart 2005a, S. 121–186. Hopster, Norbert: Abenteuer und Reisen: In: Kinder- und Jugendliteratur 1933–1945. Ein Handbuch. Band 2: Darstellender Teil. Hg. v. Norbert Hopster, Petra Josting und Joachim Neuhaus. Stuttgart 2005b, S. 503–540. Hopster, Norbert/Josting, Petra/Neuhaus, Joachim (Hg.): Kinder- und Jugendliteratur 1933–1945. Ein Handbuch. Band 1: Bibliographischer Teil mit Registern. Stuttgart/Weimar 2001. Hopster, Norbert/Nassen, Ulrich: „Jugend und Buch im neuen Reich“. Die nationalsozialistische Jugendpädagogik im „Kampf“ um das „gute Jugendschrifttum“. In: Diskussion Deutsch 14 (1983), S. 551–568. Hopster, Norbert/Nassen, Ulrich: Vom „Bekenntnis“ zum „Kampf“. Jugend und Jugendliteratur auf dem Weg ins „jugendliche Reich“. In: „Mit uns zieht die neue Zeit“. Der Mythos Jugend. Hg. v. Thomas Koebner, Rolf-Peter Janz und Frank Trommler. Frankfurt a. M. 1985, S. 546–562. Huber, Martin/Winko, Susanne: Literatur und Kognition. Perspektiven eines Arbeitsfeldes. In: Literatur und Kognition. Bestandsaufnahmen und Perspektiven eines Arbeitsfeldes. Hg. v. Martin Huber und Susanne Winko. Paderborn 2009, S. 7–26. Hüppauf, Bernd: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg“. Todesbilder aus dem Ersten Weltkrieg und der Nachkriegszeit. In: Ansichten vom Krieg. Vergleichende Studien zum Ersten Weltkrieg in Literatur und Gesellschaft. Hg. v. Bernd Hüppauf. Königstein im Taunus 1984, S. 55–91. Hüppauf, Bernd: Schlachtenmythen und die Konstruktion des „Neuen Menschen“. In: Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch… Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs. Hg. v. Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Irina Renz. Essen 1993, S. 43–84. Jacobs, Jürgen: Bildungsroman. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1: A–G. Hg. v. Klaus Weimar. 3., neubearb. Auflage. Berlin 1997, S. 230–233. Jahn, Egbert: Eine Kritik der sowjet-marxistischen Lehre vom „gerechten Krieg“. In: Der gerechte Krieg: Christentum, Islam, Marxismus. Hg. v. Reiner Steinweg. Frankfurt a. M. 1980, S. 163–185. Janka, Franz: Die braune Gesellschaft. Eine soziologische Thematisierung der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Univ.-Diss. Regensburg 1993. Jaroslawski, Renate/Steinlein, Rüdiger: Die „politische Jugendschrift“. Zur Theorie und Praxis faschistischer deutscher Jugendliteratur. In: Die deutsche Literatur im Dritten Reich: Themen, Traditionen, Wirkungen. Hg. v. Horst Denkler und Karl Prümm. Stuttgart 1976, S. 305–329. Jäschke, Petra: Produktionsbedingungen und gesellschaftliche Einschätzungen. In: Jugendliteratur zwischen Trümmern und Wohlstand 1945–1960. Hg. v. Klaus Doderer. Erarbeitet von Martin Hussong, Petra Jäschke und Winfred Kaminski. Weinheim/Basel 1993, S. 209–520.



476 

 Literaturverzeichnis

Josting, Petra: Der Jugendschrifttums-Kampf des nationalsozialistischen Lehrerbundes. Hildesheim [u. a.] 1995. Josting, Petra: Der ‚Schmutz- und Schundkampf‘ im „Dritten Reich“. In: Kinder- und Jugendliteraturforschung (1995/6), S. 17–38. Jureit, Ulrike: Generationenforschung. Göttingen 2006. Jureit, Ulrike/Wildt, Michael (Hg.): Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs. Hamburg 2005. Kaes, Anton (Hg.): Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918–1933. Stuttgart 1983. Kallmayer, Werner: Sprachliche Verfahren der sozialen Integration und Ausgrenzung. In: Fremdbilder – Feindbilder – Zerrbilder. Zur Wahrnehmung und diskursiven Konstruktion des Fremden. Hg. v. Karin Liebhart, Elisabeth Menasse und Heinz Steinert. Klagenfurt 2002, S. 153–182. Kambartel, Walter: Nationale „Buchkunst“ und internationale „Buchgestaltung“ als ästhetische und politische Antithese. In: Buchgestaltung in Deutschland 1900–1945. Ausstellung der Universitätsbibliothek Bielefeld vom 16.12.1987–31.1.1988. Hg. v. Walter Kambartel. Bielefeld 1987, S. 35–38. Kamenetsky, Christa: Children’s Literature in Hitler’s Germany. The Cultural Policy of National Socialism. Athens (Ohio)/London 1984. Kaminski, Winfred: Schenzinger, Karl Aloys. In: Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Hg. v. Klaus Doderer. Band 3: P–Z. Weinheim 1979, S. 275–277. Kaminski, Winfred: Viera, Josef S. In: Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Personen-, Länder- und Sachartikel zu Geschichte und Gegenwart der Kinder- und Jugendliteratur. Hg. v. Klaus Doderer. Erg.- und Reg.-Bd. Weinheim 1982, S. 529–531. Kaminski, Winfred: Einführung in die Kinder- und Jugendliteratur: Literarische Phantasie und gesellschaftliche Wirklichkeit. Weinheim/München 1987a. Kaminski, Winfred: Heroische Innerlichkeit. Studien zur Jugendliteratur vor und nach 1945. Frankfurt a. M. 1987b. Kaminski, Winfred: Weimarer Republik. In: Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Hg. v. Reiner Wild unter Mitarbeit von Otto Brunken. Stuttgart 1990, S. 251–265. Kapr, Albert: Buchgestaltung. Dresden 1963. Karrenbrock, Helga: Weimarer Republik. In: Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Hg. v. Reiner Wild. 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart/Weimar 2008, S. 241–259. Kater, Michael: Generationenkonflikte als Entwicklungsfaktor in der NS-Bewegung vor 1933. In: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 217–243. Keen, Sam: Gesichter des Bösen. Über die Entstehung unserer Feindbilder. München 1993. Kershaw, Ian: „Volksgemeinschaft“. Potenzial und Grenzen eines neuen Forschungskonzepts. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), H. 1, S. 1–17. Ketelsen, Uwe-Karsten: Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literatur in Deutschland 1890–1945. Stuttgart 1976. Ketelsen, Uwe-Karsten: Kulturpolitik des Dritten Reiches und Ansätze zu ihrer Interpretation. In: Text & Kontext 8 (1980), S. 217–242. Ketelsen, Uwe-Karsten: Literatur und Drittes Reich. Schernfeld 1992. Kimminich, Otto: Der gerechte Krieg im Spiegel des Völkerrechts. In: Der gerechte Krieg: Christentum, Islam, Marxismus. Hg. v. Reiner Steinweg. Frankfurt a. M. 1980, S. 206–223.



Sekundärliteratur 

 477

Kirchhoff, Ursula: „Meine schönen, reichen Träume“. Arbeiterautobiographien als Dokumente kind- und jugendlicher Literaturrezeption im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. In: Alltag, Traum und Utopie. Lesegeschichten – Lebensgeschichten. Hg. v. Rainer Noltenius. Essen 1988, S. 110–123. Klauer, Karl Christoph: Soziale Kategorisierung und Stereotypisierung. In: Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen. Hg. v. Lars-Eric Petersen und Bernd Six. Weinheim [u. a.] 2008, S. 23–32. Klaus, Martin: Mädchen im 3. Reich. Der Bund Deutscher Mädel. 3., aktual. Auflage. Köln 1998. Klee, Ernst: Albert Reich. In: Ders.: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Überarb. Ausgabe. Frankfurt a. M. 2009, S. 432. Kleemeier, Ulrike: Krieg, Recht, Gerechtigkeit – eine ideengeschichtliche Skizze. In: Gerechter Krieg. Ideengeschichtliche, rechtsphilosophische und ethische Beiträge. Hg. v. Dieter Janssen und Michael Quante. Paderborn 2003, S. 11–28. Klein, Alfred: Im Auftrag ihrer Klasse. Weg und Leistung der deutschen Arbeiterschriftsteller. 2. Auflage. Berlin/Weimar 1976. Klein, Josef: „Weg“ und „Bewegung“. Metaphorische Konzepte im politischen Sprachgebrauch und ein frame-theoretischer Repräsentationsvorschlag. In: Politische Konzepte und verbale Strategien. Brisante Wörter – Begriffsfelder – Sprachbilder. Hg. v. Oswald Panagl und Horst Stürmer. Frankfurt a. M. [u. a.] 2002, S. 221–235. Kleindienst, Jonas: Die Wilden Cliquen Berlins. „Wild und frei“ trotz Krieg und Krise. Geschichte einer Jugendkultur. Frankfurt a. M. [u. a.] 2011. Kliche, Dieter/Seidel, Gerhard: Die Linkskurve. Berlin 1929–1932. Bibliographie einer Zeitschrift. Berlin/Weimar 1972. Klönne, Arno: Jugend im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner. Köln 2003. Klotz, Aiga: Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1840–1950. Gesamtverzeichnis der Veröffentlichungen in deutscher Sprache. 6 Bände. Stuttgart [u. a.] 1990–2000. Klotz, Volker: Abenteuer-Romane. Sue, Dumas, Ferry, Retcliffe, May, Verne. München [u. a.] 1979. Köhn, Lothar: Entwicklungs- und Bildungsroman. Ein Forschungsbericht. Stuttgart 1969. Kohpeiß, Ralph: Der historische Roman der Gegenwart in der Bundesrepublik Deutschland. Ästhetische Konzeption und Wirkungsintention. Stuttgart 1993. Könczöl, Barbara: Märtyrer des Sozialismus. Die SED und das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Frankfurt a. M./New York 2008. Konitzer, Ulrich: Materialstudie für eine unterrichtliche Analyse des Arbeiterromans „Kämpfende Jugend“ von Walter Schönstedt. In: Diskussion Deutsch 5 (1974), H. 18. S. 317–325. Konitzer, Werner: Moral oder „Moral“? Einige Überlegungen zum Thema „Moral und Nationalsozialismus“. In: Moralität des Bösen. Ethik und nationalsozialistisches Verbrechen. Hg. v. Werner Konitzer und Raphael Gross. Frankfurt a. M./New York 2009, S. 97–115. Kontos, Silvia: Die Partei kämpft wie ein Mann. Frauenpolitik der KPD in der Weimarer Republik. Frankfurt a. M. 1979. Korff, Gottfried: Rote Fahnen und geballte Faust. Zur Symbolik der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. In: Transformationen der Arbeiterkultur. Beiträge der 3. Arbeitstagung der Kommission „Arbeiterkultur“ in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Marburg von 3. bis 6 Juni 1985. Hg. v. Peter Assion. Marburg 1986, S. 86–107. Köster, Udo: Zum Verhältnis von proletarisch-revolutionärer Belletristik. In: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz, Heft 17 (1972), S. 1–15.



478 

 Literaturverzeichnis

Köster, Udo: Willi Bredel „Maschinenfabrik N&K“. Politische Praxis und Literaturtheorie 1929–1932. In: Der deutsche Roman im 20. Jahrhundert. Analysen und Materialien zur Theorie und Soziologie des Romans. Band 2. Hg. v. Manfred Brauneck. Bamberg 1976, S. 253–278. Krah, Hans: Literatur und „Modernität“: das Beispiel Karl Aloys Schenzinger. In: Modern Times? German Literature and Arts Beyond Political Chronologies/Kontinuitäten der Kultur 1925–1955. Hg. v. Gustav Frank. Bielefeld 2005, S. 45–72. Krah, Hans: Der Hitlerjunge Quex – Erzählstrategien 1932/1933: vom Großstadtroman der Weimarer Republik zum ‚mythischen Erzählen‘ im NS-Film. In: Literaturverfilmung. Perspektiven und Analysen. Hg. v. Eugen Spedicato und Sven Hanuschek unter Mitwirkung von Tomas Sommadossi. Würzburg 2008, S. 11–38. Kreimeier, Klaus/Stanitzek, Georg: Vorwort. In: Paratexte in Literatur, Film, Fernsehen. Hg. v. Klaus Kreimeier und Georg Stanitzek. Berlin 2004, S. VII-VIII. Kretschmann, Carsten: Generation und politische Kultur in der Weimarer Republik. In: Politik, Kommunikation und Kultur in der Weimarer Republik. Hg. v. Hans-Peter Becht, Carsten Kretschmann und Wolfram Pyta. Heidelberg [u. a.] 2009, S. 11–30. Kroeber-Riel, Werner: Feindbilder – zur Pathologie zwischenmenschlicher Beziehungen. In: Kommunikative Beeinflussung in der Gesellschaft. Kontrollierte und unbewusste Anwendung von Sozialtechniken. Hg. v. Werner Kroeber-Riel, Gerold Behrens, Ines Dombrowski. Wiesbaden 1998, S. 163–200. Kröhnke, Friedrich: Jungen in schlechter Gesellschaft. Zum Bild des Jugendlichen in deutscher Literatur 1900–1933. Bonn 1981. Krumeich, Gerd: Zwischen soldatischem Nationalismus und NS-Ideologie. Werner Beumelburg und die Erzählung des Ersten Weltkrieges. In: Burgfrieden und Union sacrée. Literarische Deutungen und politische Ordnungsvorstellungen in Deutschland und Frankreich 1914–1933. Hg. v. Wolfram Pyta. München 2011 (= Beiheft Historische Zeitschrift, N. F.; Bd. 54), S. 295–312. Krumeich, Gerd/Hoffstadt, Anke/Weinrich, Arndt (Hg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg. Essen 2010. Kudrus, Birthe: Geschlechterkriege. Der Erste Weltkrieg und die Deutung der Geschlechterverhältnisse in der Weimarer Republik. In: Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege. Hg. v. Karen Hagemann und Stefanie Schüler-Springorum. Frankfurt a. M./New York 2002, S. 171–187. Küenzlen, Gottfried: Der Neue Mensch. Eine Untersuchung zur säkularen Religionsgeschichte der Moderne. Frankfurt a. M. 1997. Kuhirt, Ullrich: Sándor Ék (dt. Pseudonym: Alex Keil). In: Revolution und Realismus. Revolutionäre Kunst in Deutschland 1917 bis 1933. Ausstellung im Alten Museum vom 8. November 1978 bis 25. Februar 1979. Hg. v. Christine Hoffmeister. Berlin (Ost) 1978, S. 21 [Künstlerbiographien]. Kühne, Thomas: Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert. Göttingen 2006. Künnemann, Horst: Von Campe bis Caravelle. Kritische Chronik eines Jugendbuchverlages. In: Rückblick für die Zukunft. Berichte über Bücher, Buchhändler und Verleger zum 150. Geburtstag des Ensslin-Verlages. Hg. v. Joachim-Ulrich Hebsacker. Reutlingen 1968, S. 135–210. Labica, Georges: Krieg. Übersetzt von Thomas Heilmann. In: Kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 4: Kadetten bis Lyssenkismus. Hg. v. Georges Labica und Gérard



Sekundärliteratur 

 479

Bensussan. Herausgeber der deutschen Fassung: Wolfgang Fritz Haug. Berlin (Ost) 1986, S. 706–712. Lang, Lothar: Konstruktivismus und Buchkunst. Leipzig 1990. Lange, Thomas: Literatur des technokratischen Bewusstseins. Zum Sachbuch im Dritten Reich. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 10 (1980), H. 40, S. 52–81. Langewiesche, Dieter/Schönhoven, Klaus: Arbeiterbibliotheken und Arbeiterlektüre im Wilhelminischen Deutschland. In: Archiv für Sozialgeschichte 16 (1976), S. 135–204. Laser, Björn: Kulturbolschewismus! Zur Diskurssemantik der „totalen Krise“ 1929–1933. Frankfurt a. M. 2010. Lauf-Immesberger, Karin: Literatur, Schule und Nationalsozialismus. Zum Lektürekanon der höheren Schule im Dritten Reich. St. Ingberg 1987. Lessing, Hellmut/Liebel, Manfred: Wilde Cliquen. Szenen einer anderen Arbeiterjugend Bensheim 1981. Lethen, Helmut: Chicago und Moskau. In: Die Metropole. Industriekultur in Berlin im 20. Jahrhundert. Hg. v. Jochen Boberg, Tilman Fichter und Eckhart Gillen. München 1986, S. 190–213. Lethen, Helmut: Unheimliche Nachbarschaften. Neues vom neusachlichen Jahrzehnt. In: Jahrbuch zur Literatur der Weimarer Republik 1 (1995), S. 76–92. Leutheuser, Karsten: Freie, geführte und verführte Jugend. Politisch motivierte Jugendliteratur in Deutschland 1919–1989. Paderborn 1995. Loewy, Ernst (Hg.): Literatur unterm Hakenkreuz. Das Dritte Reich und seine Dichtung. Eine Dokumentation. Frankfurt a. M. 1990. Lucius, Wulf D. von: Buchgestaltung und Buchkunst. In: Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 2: Die Weimarer Republik 1918–1933. Hg. v. Ernst Fischer und Stephan Füssel. München 2007, S. 315–340. Luckey, Heiko: Personifizierte Ideologie. Zur Konstruktion, Funktion und Rezeption von Identifikationsfiguren im Nationalsozialismus und im Stalinismus. Göttingen 2008. Lüdtke, Alf: Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrung und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus. Hamburg 1993. Lüthi, Max: Das Volksmärchen als Dichtung. Ästhetik und Anthropologie. 2., durchges. Auflage. Göttingen 1990. Maier, Hans (Hg.): „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“. Konzepte des Diktaturvergleichs. Band 1: Paderborn [u. a.] 1996. Band 2: Paderborn [u. a.] 1997. Band 3: Deutungsgeschichte und Theorie. Paderborn [u. a.] 2003. Maier, Hans (Hg.): Wege in die Gewalt. Die modernen politischen Religionen. Frankfurt a. M. 2000. Mallmann, Klaus-Michael: Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung. Darmstadt 1996. Mandler, Jean Matter: Stories, Scripts, and Scenes: Aspects of Schema Theory. Hillsdale/New Jersey/London 1984. Mathieu, Thomas: Kunstauffassungen und Kulturpolitik im Nationalsozialismus. Studien zu Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg, Baldur von Schirach, Heinrich Himmler, Albert Speer, Wilhelm Frick. Saarbrücken 1997. Matschiner, Arno: Historischer Roman. In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hg. v. Walther Killy. 15 Bde. Gütersloh [u. a.] 1988–1993. Bd. 13: Begriffe A–Lei. Gütersloh [u. a.] 1992, S. 401–404.



480 

 Literaturverzeichnis

Melzer, Helmut: Trivialliteratur II. Comics und triviales Jugendbuch in der Sekundarstufe I. München 1975. Melzwig, Brigitte: Deutsche sozialistische Literatur 1918–1945. Bibliographie der Buchveröffentlichungen. Berlin (Ost) 1975. Miller-Kipp, Gisela (Hg.): „Auch du gehörst dem Führer“. Die Geschichte des Bundes Deutscher Mädel (BDM) in Quellen und Dokumenten. Weinheim/München 2001. Miller-Kipp, Gisela: Politische Ästhetik: Bilder der Frau und der weiblichen Jugend. Einführung. In: „Auch du gehörst dem Führer“. Die Geschichte des Bundes Deutscher Mädel (BDM) in Quellen und Dokumenten. Hg. v. Gisela Miller-Kipp. Weinheim/München 2001, S. 269–276. Mittenzwei, Werner: Die Mentalität des ewigen Deutschen. Nationalkonservative Dichter 1918 bis 1947 und der Untergang einer Akademie. 2. Auflage. Leipzig 2003. Möbius, Hanno: Der Rote Eine-Mark-Roman. In: Archiv für Sozialgeschichte 14 (1974), S. 157–211. Möbius, Hanno: Progressive Massenliteratur? Revolutionäre Arbeiterromane 1927–1932. Stuttgart 1977. Mommsen, Hans: Generationenkonflikt und Jugendrevolte in der Weimarer Republik. In: „Mit uns zieht die neue Zeit“. Der Mythos Jugend. Hg. v. Thomas Koebner, Rolf-Peter Janz und Frank Trommler. Frankfurt a. M. 1985, S. 50–67. Mommsen, Hans: Generationenkonflikt und politische Entwicklung in der Weimarer Republik. In: Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert. Hg. v. Jürgen Reulecke u. Elisabeth Müller-Luckner. München 2003, S. 115–126. Mosse, George: Gefallen für das Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben. Stuttgart 1993. Müller-Funk, Wolfgang: Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Wien/New York 2008. Nassen, Ulrich: Jugend, Buch und Konjunktur 1933–1945. Studien zum Ideologiepotenzial des genuin nationalsozialistischen und des konjunkturellen „Jugendschrifttums“. München 1987. Nassen, Ulrich: Die Jüngsten. Selbstverständnis und Mentalität eines männlichen Jugendtypus‘ in der Endphase der Weimarer Republik als Modernisierungsphänomene. In: Bücher haben ihre Geschichte. Kinder- und Jugendliteratur. Literatur und Nationalsozialismus. Deutschdidaktik. Norbert Hopster zum 60. Geburtstag. Hg. v. Petra Josting und Jan Wirrer. Hildesheim [u. a.] 1996a, S. 150–160. Nassen, Ulrich: Konservative und nationalsozialistische Positionen der Jugendschrifttumskritik. Jugendliteratur als Bestandteil praktischer Sozialhygiene (1927–1933). In: Theorien der Jugendlektüre. Beiträge zur Kinder- und Jugendliteraturkritik seit Heinrich Wolgast. Hg. v. Bernd Dolle-Weinkauf und Hans-Heino Ewers. Weinheim/München 1996b, S. 151–164. Naumann, Michael: Strukturwandel des Heroismus. Vom sakralen zum revolutionären Heldentum. Königstein im Taunus 1984. Neumeyer, Harald: Der Flaneur. Konzeptionen der Moderne. Würzburg 1999. Noebel, Heino: Der Buchumschlag. Eine kleine Exkursion durch Geschichte, Aufgabe und Gestaltung des Buchumschlags. In: Der junge Buchhandel 23 (1970), H. 3, S. 25–31 [Beilage zum Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel vom 03.03.1970, Nr. 18]. Nössig, Manfred/Rosenberg, Johanna/Schrader, Bärbel: Literaturdebatten in der Weimarer Republik. Zur Entwicklung des marxistischen literaturtheoretischen Denkens 1918–1933. Berlin/Weimar 1980.



Sekundärliteratur 

 481

Nottelmann, Nicole: Strategien des Erfolges. Narratologische Analysen exemplarischer Romane Vicki Baums. Würzburg 2002. Nünning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar 1998. Nusser, Peter: Romane für die Unterschicht. Groschenhefte und ihre Leser. 5., mit einer Bibliogr. und einem Nachw. versehene Auflage. Stuttgart 1981. Nusser, Peter: Trivialliteratur. Stuttgart 1991. Nusser, Peter: Unterhaltung und Aufklärung. Studien zur Theorie, Geschichte und Didaktik der populären Lesestoffe. Frankfurt a. M. [u. a.] 2000. Nutz, Walter: Trivialliteratur und Popularkultur. Vom Heftromanleser zum Fernsehzuschauer. Eine literatursoziologische Analyse unter Einschluss der Trivialliteratur der DDR. Opladen 1999. Oberschelp, Reinhard (Hg.): Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums 1911–1965. 150 Bände. München 1976–1981. Oertel, Thomas: Horst Wessel. Untersuchung einer Legende. Köln/Wien 1988. P.[artsch], S.[usanna]: Engelhart, Willi (Wem). In: Saur Allgemeines Künstlerlexikon. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker. Begr. u. mithrsg. v. Günter Meißner. Band 34: Engel–Eschini. München/Leipzig 2002, S. 40. Pätzold, Kurt/Weißbecker, Manfred: Die Geschichte der NSDAP 1920 bis 1945. Köln 2002. Paul, Gerhard: „Mjölnir“. Eine deutsche Künstlerkarriere. In: Journal Geschichte 13 (1991), H. 2/3, S. 44–59. Paul, Gerhard: Aufstand der Bilder. Die NS-Propaganda vor 1933. 2. Auflage. Bonn 1992. Perlwitz, Olaf: NS-Jugendorganisationen im Dritten Reich. Förderung der historischen Urteilsbildung durch die Erprobung ausgewählter Zugänge zur Zeitgeschichte. Ein Unterrichtsvorhaben im Fach Geschichte in einer 10. Klasse der Bühring-Oberschule (Gymnasium) in Berlin-Pankow. Schriftliche Prüfungsarbeit zur Zweiten Staatsprüfung für das Amt des Studienrates. Berlin 2003. Online abrufbar unter: http://cultusev.de/cms2/ front_content.php?idcat=44 (letzter Zugriff: 25.06.2016, 15:38 Uhr). Petersen, Klaus: Literatur und Justiz in der Weimarer Republik. Stuttgart 1988. Peukert, Detlev: Der Schund- und Schmutzkampf als „Sozialpolitik der Seele“. In: „Das war ein Vorspiel nur…“ Bücherverbrennung Deutschland 1933: Voraussetzungen und Folgen. Ausstellung der Akademie der Künste von 8. Mai bis 3. Juli. Ausstellungskatalog Hg. v. Hermann Haarmann, Walter Huder, Klaus Siebenhaar. Berlin 1983, S. 51–63. Peukert, Detlev: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der klassischen Moderne. Frankfurt a. M. 1987. Pohlmann, Friedrich: Zusammenhänge zwischen der kommunistischen und nationalsozialistischen Ideologie. In: Ideologie und Verbrechen. Kommunismus und Nationalsozialismus im Vergleich. Hg. v. Frank-Lothar Kroll und Barbara Zehnpfennig. München 2014, S. 187–210. Pöhlmann, Markus: „Das große Erleben da draußen“. Die Reihe „Schlachten des Weltkrieges“ (1921–1930). In: Von Richthofen bis Remarque: Deutschsprachige Prosa zum I. Weltkrieg. Hg. v. Thomas F. Schneider und Hans Wagener. Amsterdam/New York 2003, S. 113–132. Pörksen, Bernhard: Die Konstruktion von Feindbildern. Zum Sprachgebrauch in neonazistischen Medien. Wiesbaden 2000. Pöttker, Horst: Epilog. Warum dürfen die normalen Deutschen nicht „Hitlerjunge Quex“ anschauen oder „Mein Kampf“ lesen? In: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur



482 

 Literaturverzeichnis

deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Hg. v. Horst Pöttker. Köln 2005, S. 248–250. Propp, Vladimir: Morphologie des Märchens. Frankfurt a. M. 1975. Prümm, Karl: Das Erbe der Front. Der antidemokratische Kriegsroman der Weimarer Republik und seine nationalsozialistische Fortsetzung. In: Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Themen, Traditionen, Wirkungen. Hg. v. Horst Denkler und Karl Prümm. Stuttgart 1976, S. 138–164. Prümm, Karl: Tendenzen des deutschen Kriegsromans nach 1918. In: Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen. Hg. v. Klaus Vondung. Göttingen 1980, S. 215–217. Pyta, Wolfram: Die expressive Kraft von Literatur: Der Beitrag der Weltkriegsliteratur zur Imagination politisch-kultureller Leitvorstellungen in der Weimarer Republik. In: Angermion 2 (2009), S. 57–76. Pyta, Wolfram: Die Privilegierung des Frontkämpfers gegenüber dem Feldmarschall. Zur Politikmächtigkeit literarischer Imagination des Ersten Weltkrieges in Deutschland. In: Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren. Hg. v. Ute Daniel, Inge Marszolek, Wolfram Pyta und Thomas Welskopp. München 2010, S. 147–180. Quasthoff, Uta: Stereotype in Alltagssituationen: Ein Beitrag zur Dynamisierung der Stereotypenforschung. In: Sprachliche und soziale Stereotype. Hg. v. Margot Heinemann. Frankfurt a. M. [u. a.] 1998, S. 47–72. Reardon, Kathleen Kelley: Persuasion in Practice. London [u. a.] 1991. Reese, Dagmar: Straff, aber nicht stramm – herb, aber nicht derb. Zur Vergesellschaftung von Mädchen durch den Bund Deutscher Mädel im sozialkulturellen Vergleich zweier Milieus. Weinheim/Basel 1989. Reese, Dagmar: Emanzipation oder Vergesellschaftung: Mädchen im „Bund Deutscher Mädel“. In: Politische Formierung und soziale Erziehung im Nationalsozialismus. Hg. v. Hans-Uwe Otto und Heinz Sünker. Frankfurt a. M. 1991, S. 203–225. Reichardt, Sven: „Märtyrer“ der Nation. Überlegungen zum Nationalismus in der Weimarer Republik. In: Die Politik der Nation. Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760–1960. Hg. v. Jörg Echternkamp und Sven Oliver Müller. München 2002, S. 173–202. Reichardt, Sven: Gewalt, Körper, Politik. Paradoxien in der deutschen Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit. In: Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit. Hg. v. Wolfgang Hardtwig. Göttingen 2005, S. 205–240. Reichardt, Sven: Klaus Theweleits „Männerphantasien“ – ein Erfolgsbuch der 1970er Jahre. In Zeithistorische Studien/Studies in Contemporary History 3 (2006), H. 3, S. 401–421. Reichel, Peter: Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus. München [u. a.] 1991. [Reich-Ranicki], Marcel: Hüben und drüben. Die Legende vom Dichter Marchwitza. Ein dreifacher Nationalpreisträger. In: Die Zeit (30.10.1964), Nr. 44, S. 24. Rentschler, Eric: The Ministry of Illusion. Nazi Cinema and Its Afterlife. Cambridge, Massachusetts/London 1996. Reuveni, Gideon: Reading Germany. Literature and Consumer Culture in Germany before 1933. New York/Oxford 2006. Richards, Donald Ray: The German Bestseller in the 20th Century. A Complete Bibliography and Analysis 1915–1940. Bern 1968. Richardson, Alan/Steen, Francis F. (Hg.): Literature, Culture and the Cognitive Revolution. North Carolina 2002 [=Poetics Today 23 (Spring 2002), No. 1].



Sekundärliteratur 

 483

Ries, Hans: Grundsätzliche Überlegungen zur Illustration von Kinder- und Jugendliteratur. In: Text und Illustration im Kinder- und Jugendbuch. Hg. v. Alfred Clemens Baumgärtner und Max Schmidt. Würzburg 1991, S. 9–19. Ries, Hans: Illustration und Illustratoren des Kinder- und Jugendbuchs im deutschsprachigen Raum 1871–1914. Das Bildangebot der Wilhelminischen Zeit, Geschichte und Ästhetik der Original- und Drucktechniken, internationales Lexikon der Illustratoren, Bibliographie ihrer Arbeiten in deutschsprachigen Büchern und Zeitschriften, auf Bilderbogen und Wandtafeln. Osnabrück 1992. Riese, Hans-Peter: Kunst: Konstruktiv/Konkret. Gesellschaftliche Utopien der Moderne. München/Berlin 2008. Ristau, Andreas: „Die marxistische Weltpest“. Das antimarxistische Feindbild der Nationalsozialisten. Entstehung, Entwicklung und Struktur bis 1923. In: Feindbilder in der deutschen Geschichte. Studien zur Vorurteilsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Christoph Jahr, Uwe Mai und Kathrin Roller. Berlin 1994, S. 143–172. Robin, Régine: Socialist Realism. An Impossible Aesthetic [frz.: Le Réalisme socialiste: Une esthétique impossible. Paris 1986]. Translated by Catherine Porter. Stanford (California) 1992. Rohrwasser, Michael: Saubere Mädel – Starke Genossen. Proletarische Massenliteratur? Frankfurt a. M. 1975. Rosenhaft, Eve: Links gleich rechts? Militante Straßengewalt um 1930. Übersetzt von Thomas Lindenberger und Alf Lüdtke. In: Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit. Hg. v. Thomas Lindenberger und Alf Lüdtke. Frankfurt a. M. 1995, S. 238–275. Rössler, Patrick: Die „Neue Typographie“ und das Buch. Fachdiskurse und Umschlagentwürfe zwischen den Kriegen. In: Wissen im Druck. Zur Epistemologie der modernen Buchgestaltung. Hg. v. Christof Windgätter. Wiesbaden 2010, S. 68–98. Roßmeißl, Esther: Märtyrerstilisierung in der Literatur des Dritten Reiches. Taunusstein 2000. Roth, Alfred: Das nationalsozialistische Massenlied. Untersuchungen zur Genese, Ideologie und Funktion. Würzburg 1993. Roth, Karl Jürgen: Bibliographie Viera, Josef S. In: Lexikon der Reise- und Abenteuerliteratur. Hg. v. Friedrich Schegk. Teil 1: Autoren. Meitingen. 11. Erg.-Lfg. September 1991, S. 1–18, 49. Erg.-Lfg. August 2001, S. 19–25. Rücker, Wilma: Handzeichnungen für die Heimat. Willy Mulot schuf Illustrationen für Kalender und Bücher der Region. In: Rhein-Zeitung, Ausgabe RD 59 (25.02.2004), Nr. 47 [o.S.]. Rülcker, Christoph: Zur Rolle und Funktion des Arbeiters in der NS-Literatur. In: Die deutsche Literatur im Dritten Reich: Themen, Traditionen, Wirkungen. Hg. v. Horst Denkler und Karl Prümm. Stuttgart 1976, S. 240–255. Rumelhart, David: Notes on a Schema for Stories. In: Representation and Understanding. Studies in Cognitive Science. Hg. v. Daniel Bobrow und Allan Collins. New York/San Francisco/London 1975, S. 211–236. Rumelhart, David: Schemata: The Building Blocks of Cognition. In: Theoretical Issues in Reading Comprehension: Perspectives from Cognitive Psychology, Linguistics, Artificial Intelligence and Education. Hg. v. Rand Spiro, Bertram Bruce und William Brewer. Hillsdale 1980, S. 33–58. Rumelhart, David/Ortony, Andrew: The Representation of Knowledge in Memory. In: Schooling and the Acquisition of Knowledge. Hg. v. Richard Anderson, Rand Spero und William Montague. Hillsdale/New Jersey 1977, S. 99–135.



484 

 Literaturverzeichnis

Saldern, Adelheid von: Häuserleben. Zur Geschichte städtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute. Bonn 1995. Saldern, Adelheid von: Klassenidentität und Aktionseinheit: Deutungs- und Handlungsschemata der Arbeiterparteien in der Weimarer Republik. In: Politik – Stadt – Kultur. Aufsätze zur Gesellschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Inge Marßolek und Michael Wildt. Hamburg 1999, S. 54–76. Sarkowicz, Hans/Mentzer, Alf: Beumelburg, Werner. In: Dies.: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biographisches Lexikon. Erweiterte Neuauflage. Hamburg/Wien 2002, S. 96–98. Satjukow, Silke/Gries, Rainer: Feindbilder des Sozialismus. Eine theoretische Einführung. In: Unsere Feinde. Konstruktionen des Anderen im Sozialismus. Hg. v. Silke Satjukow und Rainer Gries. Leipzig 2004, S. 13–70. Sauer, Wolfgang Werner: Der Sprachgebrauch von Nationalsozialisten vor 1933. Hamburg 1978. Schäfer, Hans Dieter: Das gespaltene Bewusstsein. Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933–1945. München/Wien 1981. Schank, Roger/Abelson, Robert: Scripts, Plans, Goals and Understanding. Hillsdale (New Jersey) 1977a. Schank, Roger/Abelson, Robert: Scripts, Plans, Knowledge. In: Thinking. Readings in Cognitive Science. Hg. v. Philip Nicholas Johnson-Laird. Cambridge [u. a.] 1977b, S. 421–432. Schauer, Georg Kurt: Kleine Geschichte des deutschen Buchumschlages im 20. Jahrhundert. Königsstein im Taunus 1962. Scheck, Frank Rainer (Hg.): „Erobert die Literatur!“ – Proletarisch-revolutionäre Literaturtheorie und -debatte in der „Linkskurve“ 1929–1932. Köln 1973. Scheffler, Walter/Fiege, Gertrud: Zeittendenzen. In: Dies.: Buchumschläge 1900–1950. Aus der Sammlung Curt Tillmann. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im SchillerNationalmuseum Marbach a. N. Marbach a. N. 1971, S. 124–135. Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Tübingen 2007. Scheuer, Helmut: Das „Dritte Reich“ im Literaturunterricht. In: Der Deutschunterricht 55 (2003), H. 4, S. 2–6. Schikorsky, Isa: Kinder- und Jugendliteratur. Köln 2003. Schilde, Kurt: „Hitlerjunge Quex“ – Welturaufführung am 11. September 1933 in München. Ein Blick hinter die Kulissen des NS-Propagandafilms. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Zeitschrift des Verbandes der Geschichtslehrer in Deutschland 59 (2008), H. 10, S. 540–550. Schiller, Dieter: Alternative zum bürgerlichen Literaturbetrieb? Rückblicke auf die proletarischrevolutionäre Literatur der 20er/30er Jahre in Deutschland. Berlin 2010 (Pankower Vorträge; 147). Schiller, Dieter: Lukács im Streit um den proletarischen Roman in der „Linkskurve“. In: Lukács. Jahrbuch der Internationalen Georg-Lukács-Gesellschaft 12/13 (2012/2013), S. 261–271. Schirmer, Dietmar: Politisch-kulturelle Deutungsmuster: Vorstellungen von der Welt der Politik in der Weimarer Republik. In: Detlef Lehnert und Klaus Megerle: Politische Identität und nationale Gedenktage. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik. Opladen 1989, S. 31–60. Schirmer, Dietmar: Mythos – Heilshoffnung – Modernität. Politisch-kulturelle Deutungscodes in der Weimarer Republik. Opladen 1992. Schlosser, Horst Dieter: Einleitung. „Das Deutsche Reich ist eine Republik“. Vom inneren Zwiespalt des Weimarer Staates. In: Das Deutsche Reich ist eine Republik. Beiträge zur



Sekundärliteratur 

 485

Kommunikation und Sprache der Weimarer Zeit. Hg. v. Horst Dieter Schlosser. Frankfurt a. M. [u. a.] 2003, S. 7–16. Schlosser, Horst Dieter: Sprache unterm Hakenkreuz. Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus. Köln/Weimar/Wien 2013. Schmidt, Heiko: Einführung. In: Buchgestaltung linker Verlage in der Weimarer Republik. Ausstellung in der Galerie Kraftwerk vom 12. Juni bis 7. Juli 2004. Ausstellungskatalog hg. v. Heiko Schmidt und Christian Bartsch. Berlin 2004, S. 1–4. Schmidt-Ott, Anja: Young Love – Negotiations of the Self and Society in Selected German Novels of the 1930s. Hans Fallada, Aloys Schenzinger, Maria Leitner, Irmgard Keun, Marie Luise Kaschnitz, Anna Gmeyner and Ödön von Horváth. Frankfurt a. M. [u. a.] 2002. Schmiechen-Ackermann, Detlef: Nationalsozialismus und Arbeitermilieus. Der nationalsozialistische Angriff auf die proletarischen Wohnquartiere und die Reaktion in den sozialistischen Vereinen. Bonn 1998. Schmiedt, Helmut: Abenteuerroman. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1: A–G. Hg. v. Klaus Weimar. 3., neubearb. Auflage. Berlin 1997, S. 1–4. Schmitt Claudia/Vanheiden, Marna: „Der Hitlerjunge Quex“ – heute gelesen. In: Literatur und Erfahrung, H. 26/27 (1992), S. 67–75. Schmitt, Michael: Der rauhe Ton der kleinen Leute. „Große Stadt“ und „Berliner Witz“ im Werk Adolf Glaßbrenners (zwischen 1832 und 1841). Frankfurt a. M. [u. a.] 1989. Schmitz-Berning, Cornelia: Volksgemeinschaft. In: Dies.: Vokabular des Nationalsozialismus. 2., durchges. u. überarb. Auflage. Berlin 2007, S. 654–659. Schneider, Thomas F. (Hg.): Die Autoren und Bücher der deutschsprachigen Literatur zum Ersten Weltkrieg 1914–1939. Ein bio-bibliographisches Handbuch. Göttingen 2008. Schneider, Tobias: Bestseller im Dritten Reich. Ermittlung und Analyse der meistverkauften Romane in Deutschland 1933–1944. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. 52 (2004), H. 1, S. 77–97. Schneider, Ute: Lektürebudgets in Privathaushalten der zwanziger Jahre. In: GutenbergJahrbuch 71 (1996), S. 341–351. Schneider, Ute: Buchkäufer und Leserschaft. In: Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 2: Die Weimarer Republik 1918–1933. Hg. v. Ernst Fischer und Stephan Füssel. München 2007, S. 149–196. Schnell, Ralf: Werner Beumelburg. In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hg. v. Walther Killy unter Mitarbeit von Hans Fromm [u. a.]. Band 1: Autoren und Werke von A bis Z: A–Bis. Gütersloh/München 1988, S. 486. Schöberl, Susanne: Kontinuität und Bruch. Proletarisch-revolutionäre Romane in der Weimarer Republik und Betriebsromane in der DDR-Aufbauphase. Zwei Beispiele zu Literatur im gesellschaftlichen Prozeß. Frankfurt a. M. 1986. Schön, Erich: Geschichte des Lesens. In: Handbuch Lesen. Hg. v. Bodo Franzmann [u. a.]. München 1999, S. 1–85. Schonauer, Franz: Der rote Eine-Mark-Roman. In: Kürbiskern 2 (1966), H. 3, S. 91–107. Schonauer, Franz: Die Partei und die Schöne Literatur. Kommunistische Literaturpolitik in der Weimarer Republik. In: Die deutsche Literatur in der Weimarer Republik. Hg. v. Wolfgang Rothe. Stuttgart 1974, S. 114–142. Schöning, Matthias: Versprengte Gemeinschaft. Kriegsroman und intellektuelle Mobilmachung in Deutschland 1914–1933. Göttingen 2009.



486 

 Literaturverzeichnis

Schreiber, Jürgen: Politische Religion. Geschichtswissenschaftliche Perspektiven und Kritik eines interdisziplinären Konzepts zur Erforschung des Nationalsozialismus. Marburg 2009. Schröder-Kehler, Heidrun: Künstler erobern die Warenwelt. Neue Typographie in der Werbegestaltung. In: Wechselwirkungen. Ungarische Avantgarde in der Weimarer Republik. Ausstellungskatalog Neue Galerie Kassel (9. November 1986 bis 1. Januar 1987), Museum Bochum (10. Januar 1987 bis 15. Februar 1987). Hg. v. Hubertus Gaßner. Marburg 1986, S. 388–412. Schüddekopf, Otto-Ernst: Nationalbolschewismus in Deutschland 1918–1933. Frankfurt a. M. [u. a.] 1973. Schulte-Sasse, Jochen: Literarische Wertung. 2., völlig neu bearb. Auflage. Stuttgart 1976. Schultze-Gisevius, Cornelia: Buchwerbung in der Weimarer Republik. Bd. 1: Text. Bd. 2: Abbildungen. Magisterarbeit. Mainz 1995. Schultz-Gerstein, Christian: Proletarisch-revolutionäre Romane. Wie aus der Pistole geschossen. Die Ideologie kommunistischer Agitationsliteratur. In: Die Zeit, Nr. 17 (18. April 1975), S. 22. Schulz, Petra Maria: Die Ästhetisierung von Gewalt in der Weimarer Republik. Münster 2004. Schwarz-Friesel, Monika: Sprache und Emotion. Tübingen/Basel 2007. Seibel, Anke: Zur Entwicklung des Buchumschlages bis 1945. In: Buchgestaltung in Deutschland 1900–1945. Ausstellung der Universitätsbibliothek Bielefeld vom 16.12.1987 – 31.1.1988. Hg. v. Walter Kambartel. Bielefeld 1987, S. 91–97. Semino, Elena/Culpeper, Jonathan (Hg.): Cognitive Stylistics. Language and Cognition in Text Analysis. Amsterdam/Philadelphia 2002. Sewell, Sara Ann: The Party Does Indeed Fight Like a Man: The Construction of a Masculine Ideal in the Weimar Communist Party. In: Weimar Culture Revisited. Hg. v. John Alexander Williams. New York [u. a.] 2011, S. 161–182. Siemens, Daniel: Horst Wessel. Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten. München 2009. Sommer, Monika: Literarische Jugendbilder zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit. Studien zum Adoleszenzroman in der Weimarer Republik. Frankfurt a. M. [u. a.] 1996. Sontheimer, Kurt: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. München 1968. Sösemann, Bernd: Der instrumentalisierte Klassiker – Goethe in der nationalsozialistischen Propaganda. In: Liber Amicorum. Katharina Mommsen zum 85. Geburtstag. Hg. v. Andreas und Paul Remmel. Bonn 2010, S. 517–540. Springman, Luke: Comrades, Friends and Companions. Utopian Projections and Social Action in German Literature for Young People 1926–1934. New York/Bern/ Frankfurt a. M. [u. a.] 1989. Stach, Reinhard: Josef S. Viera. In: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. Autoren, Illustratoren, Verlage, Begriffe. Begründet v. Alfred Clemens Baumgärtner. Hg. v. Kurt Franz. Teil 1: Autoren. Meitingen. 6. Erg.-Lfg. September 1998, S. 1–9. Stahl, John Daniel: Literature and Propaganda. The Structure of Conversion in Schenzinger’s Hitlerjunge Quex. In: Studies in Twentieth Century Literature 12 (Summer 1988), No. 2, S. 129–147. Stambolis, Barbara: Mythos Jugend. Leitbild und Krisensymptom. Ein Aspekt der politischen Kultur im 20. Jahrhundert. Schwalbach im Taunus 2003.



Sekundärliteratur 

 487

Stammermann, Hendrik: Gedanken zur Verwendung nationalsozialistischer Texte im Deutschunterricht. In: Kritische Ausgabe. Zeitschrift für Germanistik und Literatur 8 (2004), H. 2, S. 52–55. Stanitzek, Georg: Texte, Paratexte, in Medien: Einleitung. In: Paratexte in Literatur, Film, Fernsehen. Hg. v. Klaus Kreimeier und Georg Stanitzek. Berlin 2004, S. 3–19. Stein, Gerd: Arbeiterliteratur. Ein Kurskonzept für die Sekundarstufe II. In: Diskussion Deutsch 5 (1974), H. 18, S. 300–317. Steinbach, Markus: Semantik. In: Einführung in die germanistische Linguistik. Hg. v. Jörg Meibauer. Stuttgart/Weimar 2002, S. 162–207. Stieg, Gerald/Witte, Bernd: Abriß einer Geschichte der deutschen Arbeiterliteratur. Stuttgart 1973. Stockwell, Peter: Cognitive Poetics. An Introduction. London [u. a.] 2002. Stollmann, Rainer: Ästhetisierung der Politik. Literaturstudien zum subjektiven Faschismus. Stuttgart 1978a. Stollmann, Rainer: Das Nazi-Selbstbildnis im SA-Roman. In: Literaturwissenschaften und Sozialwissenschaften. Band 10: Kunst und Kultur im deutschen Faschismus. Hg. v. Ralph Schnell. Stuttgart 1978b, S. 191–215. Straßner, Erich: Ideologie – Sprache – Politik. Grundfragen ihres Zusammenhangs. Tübingen 1987. Strothmann, Dietrich: Nationalsozialistische Literaturpolitik. Ein Beitrag zur Publizistik im Dritten Reich. 3. Auflage. Bonn 1968. Stucki-Volz, Germaine: Der Malik-Verlag und der Buchmarkt der Weimarer Republik. Bern [u. a.] 1993. Suleiman, Susan Rubin: Authoritarian Fictions. The Ideological Novel as a Literary Genre. Princeton/New Jersey 1993. Swett, Pamela: Neighbors and Enemies. The Culture of Radicalism in Berlin 1929–1933. Cambridge 2004. T.[eichmann], M.[ichael]: Albert Reich. In: Münchner Maler im 19./20. Jahrhundert. Geburtsjahrgänge 1871–1900. Bearbeitet von Horst Ludwig. Band 6: Landschreiber–Zintl. München 1994, S. 212–213. Tallafuss, Petra: „Literatur als Waffe“ – Literarischer Aktivismus im „Bund proletarischrevolutionärer Schriftsteller“ und im „Kampfbund für deutsche Kultur“. In: Totalitarismus und Literatur. Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert – Literarische Öffentlichkeit im Spannungsfeld totalitärer Meinungsbildung. Hg. v. Hans-Jörg Schmidt. Göttingen 2007, S. 55–75. Tanner, Jakob. Die Instrumentalisierung der Gefühle. Propaganda im Krieg. In: Der Blaue Reiter. Journal für Philosophie. Heft 20 (2004), S. 48–51. Thamer, Hans-Ulrich: Repräsentation von Gewalt in Deutschland und Italien in den 1920er und 1930er Jahren. Zur Ästhetisierung von Politik. In: Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930–1945. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin in Zusammenarbeit mit The Wolfsonian-Florida International University, Miami Beach, Florida. Hg. v. Hans-Jörg Czech und Nicola Doll. Dresden 2007, S. 28–30. Theweleit, Klaus: Männerphantasien. Band 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte. Frankfurt a. M. 1977. Thöne, Albrecht W.: Das Licht der Arier. Licht-, Feuer- und Dunkelsymbolik des Nationalsozialismus. München 1979.



488 

 Literaturverzeichnis

Treder, Heidi: Karl Aloys Schenzinger (2006), [o.S.]. Online abrufbar unter: www.polunbi. de/pers/schenzinger-01.html (letzter Zugriff am 25.06.2016, 15:44 Uhr). [Ausführliche Biographie und Bibliographie] Trommler, Frank: Die Nationalisierung der Arbeit. In: Arbeit als Thema in der deutschen Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. v. Reinhold Grimm und Jost Hermand. Königstein/Taunus 1979, S. 102–125. Tsur, Reuven: Toward a Theory of Cognitive Poetics. 2. Auflage. Amsterdam 2008. Uecker, Matthias: Wirklichkeit und Literatur. Strategien dokumentarischen Schreibens in der Weimarer Republik. Bern 2007. Ulonska, Ulrich: Suggestion der Glaubwürdigkeit. Untersuchungen zu Hitlers rhetorischer Selbstdarstellung zwischen 1920 und 1933. Ammersbek bei Hamburg 1990. Ulrich, Bernd/Ziemann, Benjamin (Hg.): Krieg im Frieden. Die umkämpfte Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Quellen und Dokumente. Frankfurt a. M. 1997. Unbescheid, Rudolf: Der Schutzumschlag – Werbemittel und Gebrauchsgegenstand. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe (30.03.1965), Nr. 25, S. 626–628. Uzarewicz, Michael und Charlotte: Kollektive Identität und Tod. Zur Bedeutung ethnischer und nationaler Konstruktionen. Frankfurt a. M. [u. a.] 1998. Van linthout, Ine: „Dichter schreibt Unterhaltungsromane!“ Der Stellenwert der Unterhaltungsliteratur im „Dritten Reich“. In: Im Pausenraum des „Dritten Reiches“. Zur Populärkultur im nationalsozialistischen Deutschland. Hg. v. Carsten Würmann und Ansgar Warner. Bern [u. a.] 2008, S. 111–124. Van linthout, Ine: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik. Berlin/Boston 2012. Vieregge, Elmar: Literatur aus der „Szene“. Nationalsozialistischer Märtyrerkult. In: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 22 (2010), S. 308–312. Vogel, Anke: Crossreading – publikumszentrierte Ansätze zur Erklärung des All-Age-Booms im Buchmarkt. In: Quo vadis, Kinderbuch? Gegenwart und Zukunft der Literatur für junge Leser. Hg. v. Christine Haug und Anke Vogel. Wiesbaden 2011, S. 23–35. Vogl, Joseph: Kriegserfahrung und Literatur. Kriterien zur Analyse literarischer Kriegsapologetik. In: Der Deutschunterricht 35 (1983), H. 5, S. 88–102. Vondung, Klaus: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus. Göttingen 1971. Vondung, Klaus: Klaus: Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literaturtheorie. München 1973. Vondung, Klaus: Der literarische Nationalsozialismus. Ideologische, politische und sozialhistorische Zusammenhänge. In: Die deutsche Literatur im Dritten Reich: Themen, Traditionen, Wirkungen. Hg. v. Horst Denkler und Karl Prümm. Stuttgart 1976, S. 44–65. Vondung, Klaus: Revolution als Ritual. Der Mythos des Nationalsozialismus. In: Hier, hier ist Deutschland… Von nationalen Kulturkonzepten zur nationalsozialistischen Kulturpolitik. Hg. v. Ursula Härtl, Burkhard Stenzel und Justus Ulbricht. Göttingen 1997, S. 45–56. Vorwald, Ulrike: Kriegsliteratur im Unterricht zwischen 1929 und 1939 und Werner Beumelburgs Roman „Die Gruppe Bosemüller“. Ludwigsfelde 2005. Wagner, Patrick/Weinhauer, Klaus: Tartarenblut und Immertreu. Wilde Cliquen und Ringvereine um 1930 – Ordnungsfaktoren und Krisensymbole in unsicheren Zeiten. In: Unsichere Großstädte? Vom Mittelalter bis zur Postmoderne. Hg. v. Marin Dinges und Fritz Sack. Konstanz 2000, S. 265–290.



Sekundärliteratur 

 489

Weber, Thomas: Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg – Mythos und Wahrheit. Berlin 2011. Wehde, Susanne: Typographische Kultur. Eine zeichentheoretische und kulturgeschichtliche Studie zur Typographie und ihrer Entwicklung. Tübingen 2000. Weil, Marianne: Anilin von Karl Aloys Schenzinger. In: Wehrwolf und Biene Maja. Der deutsche Bücherschrank zwischen den Kriegen. Hg. v. Marianne Weil. Berlin 1986, S. 227–239. Weinrich, Arndt: Der Weltkrieg als Erzieher. Jugend zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus. Essen 2013. Weißbecker, Manfred: Deutschland erwache. In: Schlagwörter und Schlachtrufe. Aus zwei Jahrhunderten deutscher Geschichte. Band 2. Hg. v. Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker. Leipzig 2002, S. 299–306. Weißmann, Karlheinz: Schwarze Fahnen, Runenzeichen. Die Entwicklung der politischen Symbolik der deutschen Rechten zwischen 1890 und 1945. Düsseldorf 1991. Weitz, Eric D.: Creating German Communism 1890–1990. From Popular Protests to Socialist State. Princeton (New Jersey) 1997. Weyergraf, Bernhard: Einleitung. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jhd. bis zur Gegenwart. Begründet v. Rolf Grimminger. Bd. 8: Literatur der Weimarer Republik. Hg. v. Bernhard Weyergraf. München 1995, S. 7–37. Wickert, Erwin: Von der Wahrheit im historischen Roman und in der Historie. In: Abhandlungen der Klasse der Literatur der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (1993), H. 1, S. 1–19. Widdig, Bernd: Männerbünde und Massen. Zur Krise männlicher Identität in der Literatur der Moderne. Opladen 1992. Wildt, Michael: Die Ungleichheit des Volkes. „Volksgemeinschaft“ in der politischen Kommunikation der Weimarer Republik. In: Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus. Hg. v. Frank Bajohr und Michael Wildt. Frankfurt a. M. 2009, S. 24–40. Wildt, Michael: Volksgemeinschaft und Führererwartung in der Weimarer Republik. In: Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren. Hg. v. Ute Daniel [u. a.] München 2010, S. 181–204. Winkler, Heinrich August: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930–1933. Berlin/Bonn 1987. Wolbert, Klaus: Bildsprache. Zu Motiven und Gestaltungsmitteln. In: Politische Plakate der Weimarer Republik 1918–1933. Ausstellung vom 18. September 1980 bis 23. November 1980. Hg. v. Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Darmstadt 1980, S. 139–141. Wulf, Joseph (Hg.): Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh 1963. Wulf, Joseph (Hg.): Musik im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh 1963. Wulf, Joseph (Hg.): Presse und Funk im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh 1964. Wulf, Joseph (Hg.): Theater und Film im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh 1964. Zehnpfennig, Barbara: Der „Neue Mensch“ – von der religiösen zur säkularen Verheißung. In: Säkularisierung und Resakralisierung in westlichen Gesellschaften. Ideengeschichte und theoretische Perspektiven. Hg. v. Mathias Hildebrandt, Manfred Brocker und Hartmut Behr. Wiesbaden 2001, S. 81–95. Zehnpfennig, Barbara: Hitlers Weltanschauung. In: Ideologie und Verbrechen. Kommunismus und Nationalsozialismus im Vergleich. Hg. v. Frank-Lothar Kroll und Barbara Zehnpfennig. München 2014, S. 67–89.



490 

 Literaturverzeichnis

Zeller, Bernhard/Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar (Hg.): Klassiker in finsteren Zeiten 1933–1945. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar. 2 Bde. Marbach 1983. Zeller, Regine: „Einer von Millionen Gleichen“. Masse und Individuum im Zeitroman der Weimarer Republik. Heidelberg 2011. Ziemann, Benjamin: Das „Fronterlebnis“ des Ersten Weltkrieges – eine sozialhistorische Zäsur? Deutungen und Wirkungen in Deutschland und Frankreich. In: Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung. Sozialer Wandel und Formveränderung der Politik. Hg. v. Hans Mommsen. Köln/Weimar/Wien 2000a, S. 43–82. Ziemann, Benjamin: Die deutsche Nation und ihr zentraler Erinnerungsort. Das „Nationaldenkmal für die Gefallenen im Weltkriege“ und die Idee des „Unbekannten Soldaten“ 1914–1935. In: Krieg und Erinnerung. Fallstudien zum 19. und 20 Jahrhundert. Hg. v. Helmut Berding, Klaus Heller und Winfried Speitkamp. Göttingen 2000b, S. 67–91. Zimmermann, Hans Dieter: Trivialliteratur? Schema-Literatur! Entstehung, Formen, Bewertung. Stuttgart [u. a.] 1982. Zwicker, Stefan: „Nationale Märtyrer“. Albert Leo Schlageter und Julius Fučìk. Heldenkult, Propaganda und Erinnerungskultur. Paderborn [u. a.] 2006.



Abbildungsverzeichnis Die Abbildung dienen nicht der Illustration, sondern sind als Bildzitate angelegt, die ausführlich wissenschaftlich besprochen und untersucht werden. Trotz intensiver Recherchen konnten nicht in allen Fällen die Inhaber der Bildrechte ausfindig gemacht werden.

Kapitel 3 Diagramm 1: Übersicht über die Preisgestaltung der Romane Schaubild Kapitel 3.1.4: Distributionsbedingungen der Roten Eine-Mark-Romane in der Weimarer Republik Diagramm 2: Auflagenentwicklung

Kapitel 4 Abbildung 1: Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Berlin/Wien/Zürich: Internationaler Arbeiter-Verlag, 1930 [Cover: Werner Eggert]. Quelle: Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, Dortmund. Abbildung 2: Walter Schönstedt: Kämpfende Jugend. Berlin/Wien/Zürich: Internationaler Arbeiter-Verlag, 1932 [Cover: Werner Eggert]. Quelle: Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, Dortmund. Abbildung 3: Rückseite von Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Berlin/Wien/Zürich: Internationaler Arbeiter-Verlag, 1930 [Cover: Werner Eggert]. Die Rückseiten aller Roten Eine-Mark-Romane verweisen auf erschienene oder noch zu erscheinende Bände. Quelle: Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, Dortmund. Abbildung 4: Walter Schönstedt: Kämpfende Jugend. 4. Auflage. Berlin: Oberbaumverlag, 1976. [Text entspricht dem der Originalausgabe.] Abbildung 5: Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1972. [Textfassung des Originals von 1930.] © 1972, Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln. Abbildung 6: Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Reprint der Originalausgabe. Köln: Produktion Ruhrkampf, 1976. Abbildung 7: Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Essen: Verlag Dein Buch, 1952 [Überarbeitete DDR-Textfassung]. Abbildung 8: Hans Marchwitza: Sturm auf Essen. Tübingen: Verlag Neuer Weg, 1971 [Überarbeitete DDR-Textfassung]. Abbildung 9: Josef Viera: Utz kämpft für Hitler. Leipzig: Franz Schneider Verlag, 1933 [Cover und Illustrationen: Albert Reich]. Abbildung 10: Josef Viera: Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches. Leipzig: Franz Schneider Verlag, 1933 [Cover und Illustrationen: Willi Engelhardt]. Abbildung 11: Josef Viera: SA.-Mann Schott. Leipzig: Franz Schneider Verlag, 1933 [Cover und Illustrationen: Willi Engelhardt]. Abbildung 12: Josef Viera: Der Kampf um die Feldherrnhalle. Leipzig: Franz Schneider Verlag, 1933 [Cover und Illustrationen: Albert Reich]. DOI 10.1515/9783110468434-009



492 

 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 13: Schutzumschlag zu Karl Aloys Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex. Berlin: Zeitgeschichte-Verlag, 1935. Abbildung 14: Leineneinband zu Karl Aloys Schenzinger: Der Hitlerjunge Quex. Berlin: Zeitgeschichte-Verlag, 1935. Abbildung 15: Schutzumschlag zu Werner Beumelburg: Gruppe Bosemüller. Der grosse Roman des Frontsoldaten. Oldenburg: Stalling [ca. 1933]. Abbildung 16: Schulausgabe von Gruppe Bosemüller: Werner Beumelburg: Mit 17 Jahren vor Verdun. Frankfurt a. M.: Diesterweg-Verlag, 1935 [Kranzbücherei; Bd. 200]. Quelle des vom Diesterweg-Verlag 1935 verwendeten Coverfotos: „Im Schutz von Nebelbomben gehen Sturmtruppen vor“. Champagne im September 1917. Scherls Bilderdienst, Berlin. Archiviert unter: Bundesarchiv, Bild 183-R05944/Fotograf: unbekannt. Abbildung 17: Schutzumschlag zu Werner Beumelburg: Gruppe Bosemüller. Oldenburg: Stalling, 1940. Abbildung 18: Schulausgabe von Gruppe Bosemüller: Werner Beumelburg: SoldatenKameraden in der Hölle von Verdun. Bielefeld/Leipzig: Velhagen & Klasing 1941 [Deutsche Ausgaben, 507]. Abbildung 19: Titelblatt der Schulausgabe von Gruppe Bosemüller: Werner Beumelburg: Gruppe Bosemüller erstürmt das Fort Souville. Wiesbaden: Kommissionsverlag Limbarth-Denn, 1931 [Brunnenbücher, Heft 7. Hg. v. Ausschuss für Verwaltung des Lesebuchs, Wiesbaden, Titelblatt u. Illustrationen: Willy Mulot]. Abbildung 20: Ganzseitige Ankündigung der Roten Eine-Mark-Roman Reihe. In: Die Linkskurve 2 (1930), H. 9, [o.S.]. Abbildung 21: Ankündigung der zweiten Auflage. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 6, [o.S.]. Abbildung 22: Ankündigung des Romans Rosenhof-Straße bei gleichzeitiger Bekanntgabe der Verbote von Romanen der Reihe. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 9, [o.S.]. Abbildung 23: Ankündigung des Romans Schlacht vor Kohle unter Verweis auf die Aktualität des Titels. In: Die Linkskurve 3 (1931), H. 11, [o.S.]. Abbildung 24: Typisches Reihensignet zum Roten Eine-Mark-Roman, wie es ab 1932 in zahlreichen Anzeigen zu finden ist. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 10, [o.S.]. Abbildung 25: Ganzseitiger Werbeaufruf unter Nennung aller 10 Titel. In: Die Linkskurve 4 (1932), H. 11/12, [o.S.]. Abbildung 26: Ankündigung zweier neuer Romane unter Verwendung des charakteristischen Reihensignets. In: Die literarische Welt 8 (1932), H. 53, S. 6. Abbildung 27: Von Sándor Ék gestaltetes Plakat. Sándor Ék: Der Rote 1 Mark Roman. Plakat. Berlin, City Druckerei AG. Im Auftrag des Internationalen Arbeiter-Verlags, Berlin 1930. Originalgröße: 50 x 35 cm. Photolithographie. © VG Bild-Kunst, Bonn 2016. Abbildung 28: Von Willi Engelhardt gestaltetes Werbeprospekt für den Franz Schneider Verlag, Leipzig [ca. 1933/4]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Schneider, Franz, Verlag. Abbildung 29: Prospekt des Zeitgeschichte-Verlags, das u. a. für Der Hitlerjunge Quex wirbt [ca. 1935/6]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Zeitgeschichte, Verlag. Abbildung 30: Seite aus einem Prospekt des Zeitgeschichte-Verlags, das u. a. die Publikationen Schenzingers bewirbt [ca. 1939]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des



Abbildungsverzeichnis 

 493

Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Zeitgeschichte, Verlag. Abbildung 31: Prospekt, das im Innenteil u. a. für Gruppe Bosemüller wirbt [o.J.]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Stalling, Gerhard, Verlag. Abbildung 32: Handzettel, der Gruppe Bosemüller im Rahmen des Weihnachtsgeschäfts bewirbt [o.J.]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M., Signatur: HA/BV 12: Stalling, Gerhard, Verlag. Abbildung 33: Doppelseitige Foto-Anzeige des Stalling Verlags mit zentraler Positionierung des Titels Gruppe Bosemüller. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 100 (02.01.1933), Nr. 1, Anzeigenseite 132/3. Abbildung 34: Werbung für drei Neuauflagen der Werke Beumelburgs im Stalling Verlag unter Nennung der Auflagenhöhe. Darunter: Gruppe Bosemüller (Aufl. 61.–65. Tsd.). In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 100 (24.01.1933), Nr. 20, Anzeigenseite 480.

Kapitel 5 Tabelle: Prototypischer Handlungsverlauf der Romane Schaubild 1: Basismerkmale Schaubild 2: Allgemeine Personenstruktur der ideologisch geprägten Romane (linkspolitischer wie rechtspolitischer Orientierung)

Anhang Anhang I (zu 3.1.4/3.1.5): Übersicht über die Auflagenentwicklung der Romane Anhang II (zu 3.2): Neuauflagen der Roten Eine-Mark-Romane in Ost und West Anhang III (zu 4.2.1): Anzeige zum Monat des proletarischen Buches in Die literarische Welt mit Anzeigenblock des Internationalen Arbeiter-Verlags und Nennung der Roten Eine-Mark-Romane. In: Die literarische Welt 6 (1930), H. 49, S. 22. Anhang IV (zu 4.2.1): Anzeige für den Roten Eine-Mark-Roman im Börsenblatt. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 99 (12.12.1932), Nr. 289, Anzeigenseite 6027. Anhang V (zu 4.2.2): Werbekampagne des Franz Schneider Verlags innerhalb der Viera Bände. Sammelaktion Adressen aus: Josef Viera: Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches. 1.–5. Tausend. Leipzig 1933 [o.S.] und Josef Viera: SA.-Mann Schott. 16.–20. Tausend. Leipzig [o.J.o.S.]. Sammelanzeige am Ende der Bände aus: Josef Viera: Utz kämpft für Hitler. 42.–43. Tausend. Leipzig/Wien [o.J.o.S.]. Anhang VI (zu 4.2.2): Werbemaßnahmen für den Roman Der Hitlerjunge Quex. An die Buchhändlerschaft gerichtete Werbung für den Roman in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 99 (17.12.1932), Nr. 294, Umschlagseite. Ankündigung der Veröffentlichung von Der Hitlerjunge Quex als Fortsetzungsroman in: Völkischer Beobachter 46 (01./02.01.1933), Nr. 1, zweites Beiblatt, S. 2 (Norddeutsche Ausgabe).



494 

 Abbildungsverzeichnis

Anhang VII (zu 4.2.2): Prospekt des Stalling Verlags zu Gruppe Bosemüller von Werner Beumelburg [o.J.]. Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Signatur HA/BV 12: Stalling, Gerhard, Verlag. Anhang VIII (zu 5.2): Synopse der schematischen Handlungsgerüste der Roten Eine-Mark-Romane Anhang IX (zu 5.2): Synopse der schematischen Handlungsgerüste der Viera-Romane



Anhang Anhang I (zu 3.1.4 / 3.1.5): Übersicht über die Auflagen­ entwicklung der Romane vor 1933

1933

1934–1945

Marchwitza, Hans: Sturm auf Essen. 1930: 20.000 (Der Rote Eine-Mark-Roman; Bd. 1) Interna- 1931: 30.000 tionaler Arbeiter-Verlag. (160 S.) (1.-/Hlw 2.-) Deutsche Fassung im Ausland1: Moskau (1932), Kiew/Charkow (1932) Übersetzungen: Russisch/Moskau (1931), Englisch/London (1932), Chinesisch/Peking (1954), Tschechisch/Prag (1956) Nach 1945: DDR → überarbeitete Fassung ab 1952 BRD → überarbeitete Fassung 1952, ab 1972 Originalfassung bei Kiepenheuer & Witsch





1932: 20.000





Schönstedt, Walter: Kämpfende Jugend (Der Rote Eine-Mark-Roman; Bd. 8) Internationaler Arbeiter-Verlag. (128 S.)

(1.-/Hlw. 2.-)

Deutsche Fassung im Ausland2: Kiew/Charkow (1933) Nach 1945: DDR → nicht mehr aufgelegt BRD → 1971–1976 Oberbaum Verlag (13.000)

1 Brigitte Melzwig: Deutsche sozialistische Literatur 1918–1945. Bibliographie der Buchveröffentlichungen. Berlin (Ost) 1975. 2 Vgl. Melzwig: Deutsche sozialistische Literatur 1918–1945. DOI 10.1515/9783110468434-010



496 

 Anhang

vor 1933

1933

1934–1945

1932: 20.000





1930: 30.000* 1931: 50.000* 1932: 65.000*

75.000* (ab 1933 Untertitel: Der große Roman des Frontsoldaten)

1934: 85.000* 1935: 90.000* 1936: 120.000 1937: 135.000 1938: 150.000 1939: 170.000 1940: 200.000 1941: 230.000 1942: 250.000 (Hlw 4,80)

Beumelburg, Werner: Mit 17 Jahren vor Verdun. Kranzbücherei; Bd. 200. (Schulausgabe: Bosemüller, 36 S.)

1931 (0,36/0,80)

???

1935: 41.000 (0,30/kart. 0,80) 1940: 142.000 (0,25)

Beumelburg, Werner: Gruppe Bosemüller erstürmt das Fort Souville, Brunnenbücher; Heft 7 (Schulausgabe: Bosemüller, 31 S.)

1931 (0,40)







1941 (0,90)

Pell, Mike: S.S. Utah. Die Chronik einer Mannschaft. (Der Rote Eine-Mark-Roman; Bd. 9) Internationaler Arbeiter-Verlag. (143 S.)

(1.-/Hlw. 2.-)

Nach 1945: BRD → Verlag Kämpfende Jugend Beumelburg, Werner: Gruppe Bosemüller. Stalling. (332 S.)

Übersetzung: Ungarisch/Budapest (1942), (4,50/Lw Norwegisch/Oslo (1943), Französisch 5,80/5,20) (1933*) (Vgl. Die neue Literatur*3)

Beumelburg, Werner: Soldaten-Kameraden – in der Hölle vor Verdun. Velhagen&Klasing, Deutsche Ausgaben; 507 (Schulausgabe: Bosemüller, 103 S.)

3 Jürgen Eggebrecht: Werner Beumelburg. Seine Aufgabe und sein Werk. In: Die neue Literatur 36 (1935), H.5, S. 252–261 [Bibliographie zusammengestellt von Ernst Metelmann: S. 259–261]. 4 Vgl. Strothmann (1968), S. 202. 5 Falsche Angabe einer Auflagenhöhe von „nahezu einer halben Million“ bei Aley (1967), S. 153, übernommen von Jaroslawski/Steinlein (1976), S. 325 [Fußnote 31]. Schneider (2004), S. 84 arbeitet ebenfalls mit der berichtigten Auflagenzahl von 324.000.



Anhang I 



 497

vor 1933

1933

1934–1945

1932: 10.000 (Lw 3,75)

1933: 75.000 (???)

1934: 120.000 1937: 171.000 1940: 244.000 1941: 264.000 1942: 324.0005 (2,85/Lw 3,75)

Schenzinger, Karl Aloys: Der Hitlerjunge Quex. Winkler, Deutsches Volk und deutsche Männer; Bd. 11. (Schulausgabe, 80 S.)



1933 (1.-/Hlw 1,40)



Viera, Josef: Utz kämpft für Hitler Franz Schneider Verlag. (79 S.)



1933: 25.000 (Hlw 1,50)

1940: 56.000

Viera, Josef: Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches. Franz Schneider Verlag. (79 S.)



1933: 20.000 (Hlw 1,50)

1934: 25.0006

Viera, Josef: S.A. Mann Schott. Franz Schneider Verlag. (79 S.)



1933: 25.000 (Hlw 1,50)



Viera, Josef: Der Kampf um die Feld­ herrnhalle. Franz Schneider Verlag. (79 S.)



1933: 10.000 (Hlw 1,50)

1934: 15.000

Schenzinger, Karl Aloys: Der Hitlerjunge Quex. Zeitgeschichte-Verlag. (264 S.) Übersetzung: Norwegisch (???)4

Angaben der Auflagenzahlen und Ausstattung vgl. Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums 1911–1965. Hg. v. Reinhard Oberschelp. 150 Bände. München 1976–1981. Vgl. außerdem insbesondere zu Viera: Kinder- und Jugendliteratur 1933–1945. Ein Handbuch. Band 1: Bibliographischer Teil mit Registern. Hg. v. Norbert Hopster, Petra Josting und Joachim Neuhaus. Stuttgart/Weimar 2001. Vgl. zu Beumelburg und Schenzinger: Donald Ray Richards: The German Bestseller in the 20th Century. A complete Bibliography and Analysis 1915–1940. Bern 1968. Diese Angaben wurden abgeglichen mit bzw. ergänzt durch Angaben des KVK (Karlsruher Virtueller Katalog) sowie des Online-Katalogs der Deutschen Nationalbibliothek (DNB).

6 Vgl. KVK. Ungeklärt ist jedoch, ob das Verbot des Buches von 1933 im Jahre 1934 wieder aufgehoben wurde. Vgl. dazu: Brief von Josef Viera. In: Bundesarchiv R 56 I/92.



498 

 Anhang

Anhang II (zu 3.2): Neuauflagen der Roten Eine-Mark-Romane in Ost und West1 Band

Autor/Titel

BRD

DDR (alle: Berlin-Ost)

1

Marchwitza, Hans: Sturm auf Essen (1930)

1952 (Verlag Dein Buch, Essen → überarbeitete Fassung) 1972 (Kiepenheuer & Witsch, Köln→ Textfassung des Originals von 1930)

1952 (Verlag Neues Leben →überarbeitete Fassung)

2

Neukrantz, Klaus:Barrikaden am Wedding (1930)

1970 (Oberbaum Verlag, Berlin-West)

1958 (Verlag des Ministeriums für nationale Verteidigung)

3

Orschansky, B.: Zwischen den Fronten (1930)





4

Bredel, Willi: Maschinenfabrik N+K (1930)

1971 (Oberbaum Verlag, Berlin-West)

1960 (Rote Dietz Reihe Nr. 1)

5

Krey, Franz: Maria und der Paragraph (1931)

1972 (Verlag Neuer Kurs, Berlin-Kreuzberg)



6

Bredel, Willi: Rosenhofstraße (1931)

1974 (Oberbaum Verlag, Berlin-West)

1960 (Rote Dietz Reihe Nr. 5)

7

Marchwitza, Hans: Schlacht vor Kohle (1931)

1972 (Verlag Neuer Kurs, Berlin-Kreuzberg)

1960 (Verlag des Ministeriums für nationale Verteidigung)

8

Schönstedt, Walter: Kämpfende Jugend 1971 (1932) (Oberbaum Verlag)



1 Für die bis in die 1960er Jahre und vorwiegend in der DDR erschienenen Neuauflagen: Brigitte Melzwig: Deutsche sozialistische Literatur 1918–1945. Bibliographie der Buchveröffentlichungen. Berlin (Ost) 1975. Alle übrigen Angaben wurden im KVK ermittelt.



Anhang II 



 499

Band

Autor/Titel

BRD

DDR (alle: Berlin-Ost)

9

Pell, Mike: S.S. Utah (1932)

1975 (Verlag Kämpfende Jugend, Köln)



10

Gotsche, Otto: Märzstürme (1933→ ge- 1953 1953 samte Auflage vor Auslieferung von den (Verlag Das Neue (Dietz) Nationalsozialisten vernichtet) Wort, Stuttgart) → Textfassung konnte nicht überprüft werden



500 

 Anhang

Anhang III (zu 4.2.1): Anzeige zum Monat des proletarischen Buches in Die literarische Welt mit Anzeigenblock des IAVs und Nennung der Roten Eine-Mark-Romane In: Die literarische Welt 6 (1930), H. 49, S. 22.





Anhang IV 

 501

Anhang IV (zu 4.2.1): Anzeige für den Roten Eine-Mark-Roman im Börsenblatt

 uch diese Anzeige wirbt mit den Verkaufserfolgen (vgl. Kapitel 3). Im Börsenblatt haben die A Anzeigen des IAV jedoch einen deutlich geringeren kämpferischen Charakter als in der politisch linksgerichteten Zeitschrift Die Linkskurve. Die Romane werden im Anzeigentext lediglich als „wichtige Versuche“ bezeichnet. Dies ist die letzte Anzeige für die Romanreihe vor der NS-‚Machtergreifung‘. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 99 (12.12.1932), Nr. 289, Anzeigenseite 6027.



502 

 Anhang

Anhang V (zu 4.2.2): Werbekampagne des Franz Schneider Verlags innerhalb der Viera-Bände 



Folgende Werbeaktion des Franz Schneider Verlags findet sich am Ende der Viera-Bände Horst Wessel (1.–5. Tsd. 1933) und SA.- Mann Schott (16.–20. Tsd.). Die Leser der Bücher werden dazu aufgerufen, Werbefeldzüge für den Verlag zu starten und Adressen von Freunden zu sammeln, denen dann Werbeprospekte zugesandt werden. Zwei Pfennige plus Porto bekommen die Leser pro Adresse, dazu werden die fünf erfolgreichsten Adressensammler mit einem SchneiderBuch nach eigener Wahl belohnt. Das Geschäft mit den Adressen potenzieller Kunden blühte also bereits in der Weimarer Republik. Josef Viera: Horst Wessel. Künder und Kämpfer des Dritten Reiches. 1.–5. Tausend. Leipzig 1933 [o.S.]. Josef Viera: SA.-Mann Schott. 16.–20. Tausend. Leipzig [o.J.o.S.].



Anhang V 

 503

 er Franz Schneider Verlag verweist in einer Sammelanzeige in jedem der Viera-Bände auf D weitere „betont nationale[ ] bzw. nationalsozialistische[ ]“ Titel, die im Verlag erschienen sind. Josef Viera kann mit sechs aufgeführten Titeln als Spitzenreiter unter den ‚Konjunkturschriftstellern‘ des Franz Schneider Verlags gelten. Anzeige aus: Josef Viera: Utz kämpft für Hitler. 42.–43. Tausend. Leipzig/Wien [o.J.o.S.].



504 

 Anhang

Anhang VI (zu 4.2.2): Werbemaßnahmen für den Roman Der Hitlerjunge Quex

l inks: An die Buchhändlerschaft gerichtete Werbung für den Roman Der Hitlerjunge Quex, der im Rahmen eines „Vorzugs-Angebot[es]“ vermarktet wird. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 99 (17.12.1932), Nr. 294, Umschlagseite. unten: Ankündigung der Veröffentlichung von Der Hitlerjunge Quex als Fortsetzungsroman im Völkischen Beobachter. Dort erschien der Roman vom 01./02.01.–24.02.1933. In: Völkischer Beobachter 46 (01./02.01.1933), Nr. 1, zweites Beiblatt, S. 2 (Norddeutsche Ausgabe).





Anhang VII 

 505

Anhang VII (zu 4.2.2): Prospekt des Stalling Verlags zu Gruppe Bosemüller von Werner Beumelburg [o.J.] Quelle: Prospektsammlung des Historischen Archivs des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der DNB, Ffm. Signatur HA/BV 12: Stalling, Gerhard, Verlag. Außenseite:

Innenseite:





Sturm auf Essen (Teil I: 25 Kap.; Teil II: 26 Kap.), 160 S.

Kapitel 1–6: Wohnverhältnisse (Schabenplage), Armut, hungrige Kinder, von der Arbeit im Kohlewerk kranker Martin Kreusat, Macht der Masse Demos/Streik (S. 14–19)   

„Wie kommen wir nur weiter?“ (S. 22) „So geht’s nicht mehr weiter!“ (S. 23)

– Bildung einer wehrfähigen Gruppe → Versammlung (S. 28–31) – Streik bis Mahler und Kreusat wieder frei sind (S. 49/50) – Franz Kreusat übernimmt eine eigene Abteilung (S. 92)

Allgemeines Schema

1. Vorgeschichte/Exposition → Arbeits- und Lebensbedingungen, Einführung zentraler Charaktere

Erkenntnis/Bewusstsein der aussichtslosen Lage, Feststellung von Handlungsbedarf

2. Entwicklung einer Handlungsstrategie a) Gründung einer handlungsfähigen Gruppe b) Streik als zentrales Element c) Nutzung von Medien zur Agitation

a) Klicke: Plünderungen (S. 33/4) b) KJV: Zeitungsgründung (S. 40) Landagitation (S. 40/1), sofortige Umsetzung → Tatmenschen c) bürgerl. Rhodens: Beitritt zu den Nazis (S. 47)

„Was soll nur werden?“ (S. 8, 17, 22, 47) „Wir gehen ja alle kaputt…wir alle.“ (S. 22) Freitod Emil (S. 29)

Kapitel 1/2: Alltag in der Straße (iterative Erzählabschnitte), Armut, Kinderreichtum, Wohnverhältnisse (Wanzenplage), Arbeitslosigkeit, Existenzängste

Kämpfende Jugend (10 Kapitel), dreisträngiger Aufbau, 128 S.

– Mitglieder gewinnen zur Stärkung der Kampfinternationalen (S. 26) – Entwicklung Streikstrategie (S. 85) – Gruppenbildung: Streikkomitee (S. 89), Bordgruppe (S. 105), Schiffskomitee → Einheit Deck u. Maschine (S. 110) – Medien zur Agitation: Wandzeitung (S. 29), Broschüren, kommunist. Literatur, Zeitungen (S. 5/6, 8, 19).

Plakat-Aktion Bobby: „Hier fehlt eine Birne, Herrschaften!“ (S. 22/3)

Kapitel 1–8: Arbeitsbedingungen, „Sklavenschiff“ (S. 24), Slim betont die Macht der Masse durch Streiks: „Der bloße Gedanke an ihre Kraft tat den Leuten wohl“ (S. 12)

S.S. Utah (53 Kapitel), Kapitelüberschriften, 143 S.

Anhang VIII (zu 5.2): Synopse der schematischen Handlungsgerüste der Roten Eine-Mark-Romane

506   Anhang

Krise: Festnahme von Franz Kreusat und Mahler, Ohnmacht (S. 33–46) Optimierung: „Besser vorbereiten.“ (S. 44) Erfolge: Gewinnung von Bramm (S. 49/50), erste Erfolge im Kampf (S. 62–70) Krise: mehrere tote Arbeiter (S. 68/70) („Ohne Opfer gibt es keinen Kampf!“), spontaner Rückschlag der Polizei von äußerster Brutalität (S. 71/2) Optimierung: Bestrafung von Plünderern und Minenwerfer (S. 77/78) Akkumulation weiterer Erfolge: Befreiung Kreusat (S. 83), Eroberung Rathaus, Post, Wasserturm (S. 79–90/1) Bestrafung: Entwaffung untätiger Mitläufer, Gewährung neuer Chance (S. 108/9) Krise: erster Toter in der Abteilung von Franz (S. 131), Tod Schnidder (S. 135), Tod Murr (S. 146), Rückmarsch der Arbeiter (S. 148) neue Hoffnung, neuer Generalstreik (S. 149) Krise: Tod Kreusats (S. 153), Zerfall der Arbeiterfront, Plünderungen (S. 155), Siegesgewissheit Spartakisten: „Wir kommen wieder.“

3. Aktionsketten → Dynamik von Erfolg

und Krise Überwindung der Krise (Optimierung der Handlungsstrategie, Suche nach Verantwortlichen→ Bestrafung/ Disziplinarverfahren/soziale Kontrolle)

Sturm auf Essen (Teil I: 25 Kap.; Teil II: 26 Kap.), 160 S.

Allgemeines Schema

a) Klicke: Krise: Festnahme Peikbeen wg. Plünderungen (S. 34/5), Gründung der Klicke „Edelsau“ (S. 73), Krise 2: Zerschlagung der Klicke (S. 96) Beitritt KJV (S. 127) b) KJV: Krise: Hemmungen beim Aufbau der Zeitung (S. 52/3) Erfolg: Landagitation (S. 64/67/69/70/88), erste Zeitung (S. 85) Krise: Mängel Betriebsarbeit: Streik abgebrochen (S. 96), Ernst wg. Zeitungsverkauf festgenommen (S. 106) Erfolg: Ernst frei (S. 111), Krise: Bauchschuss Theo (S. 122) c) bürgerl. Rhodens: Krise: Zweifel Hermanns → Bruderstreit (S. 104/5) Loslösung Hermanns von den Nazis (S. 122) → Beitritt KJV (S. 127)

Kämpfende Jugend (10 Kapitel), dreisträngiger Aufbau, 128 S. Krise: Verrat von Slim wg. Verteilung von Agitationslektüre (S. 19) Erfolg: Aktion von Bobby, Erwachen von kommunistischem Bewusstsein (S. 22/3) Krise: Streikbruch aus den Reihen der eigenen Mannschaft (S. 41) Erfolg: erster Beitritt: Chief (S. 52) Erfolg: Zunächst skeptische Matrosen beeindruckt Aufbau in Russland, Streik- und Wohlfahrtspolitik, gebildete russ. Arbeiterinnen, Völkerverständigung: „Wir Arbeiter sind Brüder.“ (S. 62), Gunnar: Russen sprechen „Prawda“ (Wahrheit) (S. 81) Erfolg: S. 101 Streik, Durchsetzung von Forderungen Erfolg: S. 105 Beitritt von Pitts → Bildung einer Bordgruppe Optimierung: besser planen (S. 110), geheime Vorbereitungen (S. 114), Bestrafung von Leuten, die sich persönlich bereichern (S. 115/6) Erfolg: Aktion Pitts: erstellte Resolution wird vom Zweiten des Vorderschiffs unterschrieben (Einheit Besatzung) (S. 118) Erfolg: spontaner Wandel Bobbys zum Kommunisten → erweiterte Bordgruppe (S. 121) Erfolg: Streik für besseres Essen (S. 128) Erfolg: Bildung eines Schiffskomitees (→ Einheit aller Ressorts) (S. 133–136), Aufstellung eines Forderungskatalogs für die gesamte Mannschaft (S. 137/8), gemeinsame Streikvorbereitung für NY (S. 137/139)

S.S. Utah (53 Kapitel), Kapitelüberschriften, 143 S.

 Anhang VIII   507





Sturm auf Essen (Teil I: 25 Kap.; Teil II: 26 Kap.), 160 S.

implizites Happy-End: momentanes Scheitern als Etappenziel hin zur klassenlosen Gesellschaft gedeutet → Eröffnung einer Perspektive durch die Weiterführung der Kämpfe in der Zukunft: (S. 160: „Nur eins wird sprechen: Unsere Gewehre!“), Siegesgewissheit

Allgemeines Schema

4. Finale: explizites oder implizites Happy-End Weiterführung der Kämpfe unter absoluter Siegesgewissheit, da lineares Verständnis vom zielgerichteten Ablauf der Geschichte hin zur klassenlosen Gesellschaft, Eröffnung einer Zukunftsperspektive Kapitel 10: explizites Happy-End – Mitgliederschwemme (Integration großer Teilen der Klicke und von Hermann Rhoden → Einheitsfront) – Gelungene Abwehr der Nazis – Ernst als würdiger Vertreter Theos – Gründung Betriebszelle wg. Praxisarbeit d. Doktors → Bewährung im Klassenkampf

Kämpfende Jugend (10 Kapitel), dreisträngiger Aufbau, 128 S.

explizites Happy-End: Streik in NY an dem sich alle beteiligen → Einheitsfront zwischen den einzelnen Ressorts am Schiff und zwischen Mannschaft und Hafenarbeitern → unmittelbarer Kampf: „Es lebe der Kampf der S.S. Utah“ (S. 143)

S.S. Utah (53 Kapitel), Kapitelüberschriften, 143 S.

508   Anhang

1. Vorge­ schichte/­ Exposition → Einführung zentraler Charaktere – Nennung zentraler Hochwertworte/ Tugenden in Bezug auf das Selbstbild – Nennung der Feinde Zielformulie–  rung

Allgemeines Schema

Kapitel 1–5: Anlage der Personen-/und Konflikt­ konstellationen: – Kap. 2: Peter Schott (Held) vs. Gustav Nürpke bzw. Familie Nürpke (Kap. 4/5/7 „Bonzen“) → Antiheld, Spiegelcharakter, – Kap. 3: Peter Schott (Mentor, Vorbild) vs. HJ Heini Klewe (Schüler, Gefolgschaft) – Kap. 4: „Genosse Mosessohn“ (→ Antisemitismus) – Geschlossenheit der SA (S. 7, 11), Aufzählung von Tugenden (S. 7/8) Feindesliste vs. eigene Tugenden –  auf der ersten Seite (S. 7/8)

→ Literatur der Organisationen, Typus des ‚unbekannten SA-Manns‘

→ Konversionsgeschichte HJ mit Märtyrerstruktur (­Grundschema: HJ Quex)

Kapitel 1–4: – Kap. 1: HJ Will erfährt Feidseligkeit im „Rotfrontnest“ (Angriff-Abwehr) – Kap. 2: Einführung HJPersonal und Scharführer Schott, Organisationsstruktur, Zielformulierung: Arbeiter agitieren (S. 13) – Kap. 3+4: Verfolgungsjagd, anschließend Eingeschlossensein der Kontrahenten Will (HJ) und Utz, Dialog: „Hakenkreuz oder Sowjetstern?“, Will agitiert den ‚roten‘ Utz („verhetzter Arbeiter“) für den Werbeabend der HJ (S. 19)

SA.-Mann Schott (18 Kapitel, 78 Seiten)

Utz kämpft für Hitler (15 Kapitel, 74 Seiten)

→ fiktionalisierte Version des Gründungsmythos (Parteigeschichte) unter Anknüpfung an das realhistor. Ereignis des Hitler-Ludendorff-Putschs (‚Blutzeugen‘ → Märtyrer)

Kampf um die Feldherrnhalle (15 Kapitel, 79 Seiten, Parteigeschichte chronologisch, daneben mehrere unverbundene Episoden)

Kapitel 1–4: Kapitel 1–3: – Etablierung eines klaren Antagonismus – Hitler als Mitglied der Reichswehr (vgl. Überschriften): (Demobilmachungskompanie) in „Der rote Mob“ (Kap. 1) vs. „Trupp 34“ München, verzahnt mit dem fiktiven (Kap. 2) Proletarierschicksal der Kinder Peperl – Kap. 2: Einführung Wessels unter Nenund Toni Wörlein, denen Hitler Brot nung zentraler Tugenden (S. 9), Kindschenkt und die im Folgenden immer heit (Kap. 4, biographisch motiviert) wieder in Beobachterposition auftre–  Ziele Wessels: in 4 Wochen 100 Mann ten (identifikator. Aspekt) im Trupp (S. 10), neues Lied zur Agitati- – Kap. 2/3: Parteigeschichte, von der on (S. 17) DAP zur NSDAP, Hitler als Redner, – Kap. 3: Diskreditierung der SchlagworAnwachsen der Gruppe, 25-Punktete der Gegner (S. 12/3), Agitieren v. Programm der NSDAP vs. Inkrafttreten ‚verirrten Arbeitern‘, Ziel v. 100 Mann der Versailler Verträge erreicht (S. 16)

→ Märtyrer-Roman mit Anknüpfung an realhistor. Heldenbiographie, Konver­ sionsgeschichte im 2. Erzählstrang

Horst Wessel (18 Kapitel, 78 Seiten, zweisträngiger Aufbau)

Anhang IX (zu 5.2): Synopse der schematischen Handlungsgerüste der Viera-Romane

 Anhang IX   509



 Gegnerischer Plan: Betrügerisches Geschäft zw. „Bonze“ und Jude mit Alkohol besiegelt (S. 21) Angriff des Reichsbanners auf SA-Heim zwischen Nürpke jun. und sen. mit Alkohol besiegelt und Geld bezahlt (S. 31) Angriff: Überfall auf SA-Heim (Kap. 8), SA-Mann Sost erstochen (S. 35) → vom Einzelfall zum Allgemeinen: „Feiger Mordversuch aus dem Hinterhalt immer und immer wieder“ (S. 35) Abwehr: „das Rotmordnest wird ausgehoben“, Strafe/„Abreibung“ für Gustav Nürpke (S. 36) Gegnerischer Plan: SA.-Mann Schott „hochnehmen lassen“ (S. 44), SA-Männer aus Betrieb entlassen (S. 44–46) Heini berichtet Schott von geplantem Attentat der ‚Roten‘, Schott geht dem nach, entdeckt Waffenlager in der ‚roten‘ Kneipe (S. 47–50) Abwehr: Überfall der SA auf die Kneipe, Entwaffnung der ‚Roten‘ als Notwehr legitimiert [„jede Pistole in Marxistenhänden kann zur Mordwaffe werden“ (S. 52)], Aktionsketten

Gegnerischer Plan: Athlethenkarl will mit Stinkbomben den Werbeabend sprengen (S. 28) Abwehr: er wird mit der Aussicht auf Bier aus dem Saal gelockt, dann von der SA mit einer Waffe bedroht (S. 31) Kapitel 6: Konversionserlebnis Utz nach Werbeabend Gegnerische Verschwörung: geheime ‚Rotfrontreffen‘ von Will entdeckt (S. 20–23, 35–37, 42–46) Opfer von Utz und seiner Mutter: Repressionen und weniger Einkommen wg. Utzʼ Mitgliedschaft in HJ (Kundenverlust S. 41/2, Die Rote Fahne nicht mehr austragen S. 39) Bewährung: mutiges Bekenntnis von Utz zu Hitler gegenüber den ‚Roten‘ (S. 40/1), Utz erklärt sich bereit als Kegeljunge unter Gefahr bei den ‚Rotfronttreffen‘ zu spionieren (S. 48/9)

2. direktes Einsetzen der Aktionsketten → Dynamik von Angriff (bzw. geplanter Verschwörung im übergroßen Ausmaß)

und Abwehr (legitimierte ‚Notwehr‘, Strafe)

SA.-Mann Schott (18 Kapitel, 78 Seiten)

Utz kämpft für Hitler (15 Kapitel, 74 Seiten)

Allgemeines Schema

– Erzählstrang 2: Einführung Edi Walkotte, personales Bekehr-ungserlebnis durch Umzug des Wessel-Sturms (Kap. 5), Komplikation: im Zweifel gegen Eltern und Schwester sein (Verdacht: komm. Spitzel, Kap. 6) (→ Gesinnungsprobe) Wessel = Edis Vorbild (S. 34) – Erzählstrang 1: Horst-Wessel-Lied etabliert (kompletter Text), als „Lied der deutschen Revolution“ exponiert zwischen den beiden Erzählsträngen hervorgehoben und in der Mitte des Romans situiert (S. 38/9) – Erzählstrang 2: Edis Identi-fikation mit dem HW-Lied (S. 41), dafür Prügel von ‚roten‘ Jungs, Abwehr: Edi schmiert Karl Henselmann eine „Stulle“ ins Gesicht, Spottreim über Karl (S. 42) – Erzählstrang 1: Proletarisierung Wessels (Stilisierung zum Arbeiter → Taxifahrer und Bauarbeiter, Kap. 11/12), Agitieren am Arbeitsplatz, Akzeptanz und Erfolg – Saalschlacht (S. 53): Angreifer „wie mit Maschinengewehren“, Abwehr durch SA („ohne Waffen“)

Horst Wessel (18 Kapitel, 78 Seiten, zweisträngiger Aufbau)

– Episode Emil Klein: zur NSDAP mit 16, Gründer der HJ (Kap. 4) – NS-Symbolik (Kap. 5) –  Saalschlacht als „Feuertaufe“ der SA (Kap. 6), „waffenlos[e]“ Parteigenossen vs. „entschlossene Mordkommunisten und Sozis“→ 46 „siegreiche SA.-Männer“ gegen 800 ‚Rote‘ (S. 27–29), Identifikation von Peperl und Toni mit NSDAP, Schlacht im Kleinen mit 10 gegen 20 ‚Rote‘, die in die Flucht geschlagen werden (S. 31), bereitwillige Opfer: Verletzungen (S. 28, 31) –  vereinzelte Episoden im Zuge der Inflation: Familie Something („Dollarmillionäre“) profitiert von der Inflation, kontastierend Sanktjohanser (S. 40–44), der sein Haus an den Juden Naphtali verkaufen muss (S. 42) – keine neuen Schuhe für Kellner Karl (S. 38/9, 44) – Armut Familie Wörlein, Naphtali erhöht Miete (S. 42–3/45) → AntiInternationalismus, -Kapitalismus, -Semitismus, Rheinlandbesetzung durch Franzosen, Regierung der „Volksverräter“ (S. 36)

Kampf um die Feldherrnhalle (15 Kapitel, 79 Seiten, Parteigeschichte chronologisch, daneben mehrere unverbundene Episoden)

510   Anhang

3. explizites oder implizites Happy-End a) Märtyrertod, Appell: Weiterführung der Kämpfe unter absoluter Siegesgewissheit, Eröffnung einer Zukunftsperspektive b) unmittelbar angebrochenes ‚Drittes Reich‘ (‚Zeitenwende‘)

Allgemeines Schema

explizites Happy-End: „heilige Stunde der nationalen Erhebung“ (S. 68) als Sieg der ‚Guten‘ über die ‚Bösen‘ (S. 67) und „letzten entscheidenden Schlag“ (S. 67) – Freilassung Schott – Jubel der Massen – Bestrafung von Mosessohn ‚Zeitenwende‘ im Dreischritt: Revolution (Volksaufstand, Kap. 16), ‚Aufräumen‘/‘Abrechnen‘ (Kap. 17), Aufbau des ‚Dritten Reiches‘ (Kap. 18)

Angriff: Verrat an SA.-Mann Schott (Plan s. o.), Unterschieben eines staatsfeindlichen Dokuments, führt zu Schotts Verhaftung, Rest des Sturm 11 verhaftet (S. 13/4) Abwehr: erst erwirkt ein Jurist die Freilassung des Sturm 11, dann plötzliche Zeitenwende („Aber über Nacht kommt es anders.“, S. 52)

Angriff: Gockerell schreibt der Mutter einen „groben Brief“ (S. 50) Abwehr: „dem Buchhälter Gockerell machen wir die Hölle heiß“ (S. 56), neue Aufträge für die Mutter von NS vermittelt (S. 56) Angriff-Abwehr: Saalschlacht (S. 59) → Gegner flüchten, 20 Neumitglieder, Frau Plinsippe ermahnt (S. 59, S. 7) Pflichtbewußtsein Utz (S. 63)

implizites Happy-End: Märtyrertod (Kap. 14) Eröffnung einer positiven Zukunftsperspektive durch den Erzähler (Kap. 15) Sakralisierter Analogieschluss: vom individuellen ‚Blutzeugen‘ und dessen Bekenntnis zu Hitler zum allg. Glaubensbekenntnis, das den Leser durch ein inkludierendes Wir einschließt (S. 74)

SA.-Mann Schott (18 Kapitel, 78 Seiten)

Utz kämpft für Hitler (15 Kapitel, 74 Seiten)

explizites Happy-End: Martyrium und Zeitenwende (Ellipse: 3 Jahre später) – Kap. 16: Leidensweg Wessels im Krankenhaus – Kap. 17: Beerdigung Wessels unter Störung der Kommunisten –  Kap. 18: Ellipse: ‚neue Zeit‘ → „die Bösen sind hinweggeschwemmt. Die Guten jubeln und weinen vor Glück.“ (S. 76) Kontinuität, Märtyrergedenken und Nachfolge („Beweis heldischen deutschen Soldatengeistes“) (S. 78)

– Erzählstrang 2: Auflösung (Kap. 12): Edis Schwester kein Spitzel, sondern „Kameradin“ – Kap. 13: Tod von Werner Wessel (biograph.-tragischer Moment, mater dolorosa) – Kap. 14: Erfolge, Massen-konversionen, Edi als Informant (Bewährung, Pflichtbewußtsein) – Kap. 15: Feindbild: Wessels Mörder und die Witwe Salm (biograph. inspiriert), Verschwörung und Attentat auf Wessel (Angriff), mater dolorosa (S. 70)

Horst Wessel (18 Kapitel, 78 Seiten, zweisträngiger Aufbau)

explizites Happy-End: Martyrium und Zeitenwende (extreme Raffung:10 Jahre später) Hitler-Ludendorff Putsch als nationale –  Revolution (S. 64), Besetzung Rathaus und Presse (S. 68) – ‚Verräter‘: Kahr, Lossow, Seiffer (S. 69, 74), ‚Marsch zur Feldherrnhalle‘, wo Putschisten auf die Polizei treffen, 16 ‚Blutzeugen‘, Unrechtsstaat Ellipse (Kap. 15): „Gericht der Geschichte“ (S. 75), 1933 als Zeitenwende, „Weg von zehn Jahren ist vollendet!“ (S. 77), Peperl und Toni in der SA (S. 79)

→ Zusammenführung der Einzelfälle in dem Hilfeschrei der Mutter Wörlein: „Hilf, Hitler, hilf!“ (S. 46): Antwort: „Sturmlied“ von Dietrich Eckart (ganzer Text): „Deutschland erwache!“ (S. 46/7) – „Deutscher Tag“ in Koburg: linke Arbeiter vs. SA-Männer „roten Terror […] brechen“ (Kap. 10), ‚doppelter Dolchstoß‘: 1. WK + Ruhr (S. 55/6), ‚gut‘ vs. ‚böse‘ (S. 59) – Zusammenführung Einzelepisoden Inflationselend (Kap. 12)

Kampf um die Feldherrnhalle (15 Kapitel, 79 Seiten, Parteigeschichte chronologisch, daneben mehrere unverbundene Episoden)

 Anhang IX   511



Personenregister A Aarne, Antti 18 Abelson, Robert 13, 16, 17 Abusch, Alexander 43 Adam, Christian 96, 97, 112, 123, 156, 172 Aley, Peter 95, 101, 140, 496 Anderegg, Johannes 27 Anderson, Benedict 353 Arnold, Klaus 25 Aust, Hugo 42 B Balle, Hermann 285, 286, 345, 350, 351 Barbian, Jan-Pieter 68, 85, 86, 105, 106, 142 Barthes, Roland 352 Bartholmes, Herbert 361 Bartlett, Frederic 13 Bavaj, Riccardo 228 Becher, Johannes R. 79–82, 189 Becker, Susanne 27, 47, 50, 52–54, 57, 264 Behrenbeck, Sabine 345, 352, 360, 361, 367, 369 Berghoff, Peter 356 Bernhardt, Hans-Michael 373, 378 Bessel, Richard 356 Beumelburg, Werner 4, 6, 38, 41–43, 49, 55, 63, 93, 97, 102, 103, 122, 138, 171, 172, 178, 219–225, 234, 253–255, 257, 258, 268–276, 291–295, 306, 310, 328–330, 336–343, 355–357, 372–375, 400–404, 496, 497, 505 Biha, Otto 25, 36, 65, 72, 73, 77, 81 Bittner, Rüdiger 448 Bloch, Ernst 360, 361 Blume, Peter 16, 17 Bogdanov, Alexander 77 Bollenbeck, Georg 104, 227 Bons, Joachim 277, 288, 289 Bormann, Alexander von 90, 275, 429 Brauneck, Manfred 84, 119 Brecht, Bertolt 47, 162, 269 Bredel, Willi 37, 65, 75, 76, 78, 81, 84, 106, 134, 135, 161, 165, 166, 196, 246, 451, 498



Brenner, Hildegard 68, 69, 87, 88, 93, 105 Brewer, William 13, 18 Bröger, Karl 94 Brown, Timothy 399 Brozat, Martin 408 Brunken, Otto 47, 56 Buchheim, Hans 360 Bunke, Horst 187, 188, 191, 193, 194 Busch, Stefan 6, 138, 171, 172, 270, 275, 276, 375 Bussemer, Thymian 24, 135, 136, 144 C Christmann, Ursula 13–18 Clark, Katerina 309, 310, 324, 327 D Daemmrich, Horst und Ingrid 422 Dahm, Volker 96 Dahrendorf, Ralf 227 Damus, Martin 201 Daumier, Honoré 200 Denkler, Horst 38, 85, 94, 95, 239, 429 Dieckmann, Walther 20 Dithmar, Reinhard 96, 148, 149, 380 Döblin, Alfred 79, 279, 280 Dörner, Andreas 350 Dudek, Peter 145 Duvigneau, Volker 208 E Ebert, Friedrich 42 Eckart, Dietrich 140, 203, 314, 429, 511 Eggerstorfer, Wolfgang 320, 321, 349, 362, 382 Eggert, Werner 188–190, 192, 259 Egidi, Giovanna 15 Ehrke-Rotermund, Heidrun 6, 41, 64, 97, 275 Ehrlich, Lothar 86 Emmott, Catherine 18, 19 Engelhardt, Willi 203, 204, 206, 208, 213, 247, 248, 259 Erll, Astrid 272, 294, 374 Erpenbeck, Fritz 54, 124, 129

Personenregister 

Esselborn-Krumbiegel, Helga 61, 66 Ewers, Hans-Heino 39, 56 F Fähnders, Walter 22, 77, 81, 158, 163, 166, 167, 269, 449 Fehlemann, Silke 403 Festinger, Leon 326 Fetzer, Günther 28 Fischer, Conan 152 Fischer, Ernst 118, 184, 187 Fischer, Ruth 414 Fiske, Susan 23 Frank, Horst Joachim 148, 149 Franzmann, Bodo 13, 117 Freud, Sigmund 116, 136 Friedrich, Gerhard 69, 80, 83, 132, 137, 233, 234 Fritze, Lothar 442 Fromm, Erich 128 Füssel, Stephan 97, 118, 121, 134, 184, 187 G Gallas, Helga 68, 69, 81, 82, 165 Geissler, Rolf 41, 44, 58, 64, 272 Genette, Gérard 181, 182 Gensch, Willy 118–120, 123, 127, 128, 143 Gerrig, Richard J. 15 Geyer, Martin H. 147 Girnth, Heiko 261, 420, 423 Glaßbrenner, Adolf 239, 240 Goebbels, Joseph 70, 117, 212, 286, 345, 354 Goethe, Johann Wolfgang von 58, 86 Gollbach, Michael 338 Good, Colin C. 424 Gotsche, Otto 76, 134, 135, 156, 161, 355, 499 Graeb-Könneker, Sebastian 228, 276 Graf, Rüdiger 433 Graf, Werner 149, 150 Greimas, Algirdas Julien 67, 309 Grenz, Dagmar 6, 37, 38, 56, 59, 61, 62 Gries, Rainer 194, 382, 389 Grieswelle, Detlef 427 Groeben, Norbert 13–18 Gross, Raphael 443–445 Grunenberg, Antonia 349, 370 Grünewald, Dietrich 211, 213

 513

Guggenheimer, Emil 286 Günther, Hans 38, 60, 63, 371, 392, 393 Gymnich, Marion 35 H Haefs, Wilhelm 86, 187 Hagemann, Karen 408, 413 Hallet, Wolfgang 35, 36 Hanuschek, Sven 5, 6 Hartmann, Christian 176 Haug, Frigga 424 Haug, Wolfgang Fritz 424, 440 Haupt, Heinz-Gerhard 390 Häusler, Regine 406 Heartfield, John 188, 189, 196, 214 Hebenstreit, Desiree 6, 69, 83 Hein, Christoph M. 68, 69, 78 Heinemann, Margot 21, 326 Heinrich-Jost, Ingrid 239, 240 Helke, Fritz 110 Herf, Jeffrey 227 Herman, David 13, 15 Hermand, Jost 38, 137, 239, 426 Heuel, Eberhard 99, 100, 432 Hiepe, Richard 200 Hillesheim, Jürgen 93, 171 Hitler, Adolf 40, 53, 60, 70, 86, 88, 96, 97, 112, 118, 123, 127, 130, 131, 136, 156, 172, 176, 210–212, 252, 285, 299, 303, 305, 306, 311, 312, 314, 335, 344–346, 357, 359, 366–368, 379, 391, 392, 397, 398, 412, 426–428, 430, 431, 434, 443–446, 509–511 Hoffmann, Heinrich 212 Hohlwein, Ludwig 208 Hohmann, Joachim 148 Hölder, Anneliese 48, 55 Holstein, Jürgen 184, 188, 216, 244–246 Hopster, Norbert 6, 37–39, 42, 54, 55, 57, 85, 89, 90, 94, 103, 107–109, 111, 138, 145, 321, 409, 411, 497 Huber, Martin 14 Hüppauf, Bernd 225, 356 J Jahn, Egbert 440, 441 Janka, Franz 91, 92, 228



514 

 Personenregister

Jaroslawski, Renate 95, 496 Jäschke, Petra 169, 170 Josting, Petra 6, 37–39, 96, 99, 101, 126, 138, 141, 142, 145, 497 Jünger, Ernst 100, 149, 150, 427 Jureit, Ulrike 144 K Kallmayer, Werner 24 Kambartel, Walter 183, 207, 217 Kaminski, Winfred 21, 22, 56, 93, 168–170, 173 Kapp, Wolfgang 3, 36, 40, 42, 49, 74, 190, 270, 271, 304, 310, 331, 332, 436, 437 Kapr, Albert 184, 221, 222 Karrenbrock, Helga 22, 81, 214 Kater, Michael 145 Keen, Sam 373, 375 Keilson, Max 188, 189 Kershaw, Ian 91, 92 Ketelsen, Uwe-Karsten 41, 56, 68, 85, 92, 229 Kirchhoff, Ursula 129 Kläber, Kurt 36, 72, 73, 75, 80, 192 Klaus, Martin 405, 408 Klein, Alfred 69 Klein, Josef 366 Kliemann, Horst 231, 244, 250 Klönne, Arno 108, 111, 112, 140 Klotz, Volker 31, 50–52, 55, 118 Knöpke-Joest, Helga 109, 203, 248, 411 Koebner, Thomas 42, 145 Kolnai, Aurel 445, 446 Könczöl, Barbara 350–352 Konitzer, Werner 443–446 Kontos, Silvia 417 Korff, Gottfried 195 Köster, Udo 69, 74, 84, 166, 318, 319, 387 Kracauer, Siegfried 47, 116, 124, 125 Krah, Hans 5, 168, 173, 174, 228, 276, 280 Kreimeier, Klaus 183 Krey, Franz 75, 81, 160, 414, 498 Kroeber-Riel, Werner 372 Krumeich, Gerd 6, 225, 269, 345, 403 Kudrus, Birthe 408 Küenzlen, Gottfried 365 Kühne, Thomas 335, 340



L Labica, Georges 440 Lang, Lothar 193 Lange, Thomas 143, 173, 174, 228 Langewiesche, Dieter 124, 130, 131 Lauf-Immesberger, Karin 86, 87, 90, 434 Lazarsfeld, Paul 155 Le Bon, Gustave 136 Lenin, Wladimir Iljitsch 77, 117, 135, 241, 266, 350, 355, 369, 440, 441 Lersch, Heinrich 94 Lethen, Helmut 269, 280, 281 Leutheuser, Karsten 7, 313 Lichtenstein, Edward 18 Liebknecht, Karl 188, 266, 281, 282, 350, 352, 355, 372 London, Jack 37, 54, 55 Lucius, Wulf D. von 184, 187, 188, 192, 193, 230 Luckey, Heiko 351, 352, 363 Ludendorff, Erich 40, 210, 211, 311, 509, 511 Lüdtke, Alf 152, 153 Lukács, Georg 65, 75, 77, 78, 81–83, 135, 236, 246, 394, 451 Lunatscharski, Anatoli 77 Lüthi, Max 18, 30 Lüttwitz, Walther von 3, 40, 42, 190, 304, 436, 437 Luxemburg, Rosa 266, 350, 352, 355, 414 M Maier, Hans 360 Mallmann, Klaus-Michael 117, 120, 129, 130, 265, 350, 368, 387, 388, 399, 414 Mandler, Jean Matter 13 Mannheim, Karl 146 Mann, Heinrich 47, 59 Mann, Thomas 59, 120, 272 Marchwitza, Hans 3, 40, 43, 52, 60, 63, 65, 71, 74, 75, 80, 122, 159, 161, 190, 192, 196, 198, 199, 232, 235, 241, 262, 266–268, 270, 291, 292, 295, 300, 301, 304, 315–318, 325, 328, 330–332, 334, 335, 346–348, 354, 355, 361, 362, 364, 365, 372, 382–384, 413, 414, 424, 425, 431, 434–436, 438–440, 495, 498 Maurer, Hans 101, 102, 110, 202

Personenregister 

Mendelssohn-Bartholdy, Albrecht 286 Michael, Elisabeth 93, 171 Miller-Kipp, Gisela 406 Mittenzwei, Werner 171, 172 Möbius, Hanno 69, 78, 81–83, 106, 132 Mohr, Hans 36, 37, 89, 110 Mommsen, Hans 145, 151, 336 Mosse, George 356 Müller-Funk, Wolfgang 353 Mulot, Willy 55, 224, 225 Münzenberg, Willi 188, 421 Musil, Robert 59 N Nassen, Ulrich 6, 38, 39, 42, 57, 109, 145, 215, 228 Naumann, Michael 363, 365 Neuhaus, Joachim 6, 37, 38, 138, 497 Neumann, Birgit 35 Neumeyer, Harald 239 Norkus, Herbert 43, 53, 107, 343, 344, 352, 354, 355, 357, 358 Noske, Gustav 42, 304, 436, 437 Nottelmann, Nicole 27, 38 Nünning, Ansgar 35 Nusser, Peter 29–31, 33, 34, 43, 51, 53, 380, 381 Nutz, Walter 161, 162 O Oertel, Thomas 356 Ortega y Gasset, José 116 Ortony, Andrew 13, 16 P Pätzold, Kurt 314 Paul, Gerhard 117, 118, 208, 359 Pell, Mike 4, 25, 36, 37, 40, 41, 54, 71, 75, 76, 160, 262–266, 291, 292, 301, 311, 315–317, 319, 325, 328, 331, 334, 335, 346–348, 355, 361, 365, 369, 372, 382, 383, 386, 393, 415, 416, 425, 434, 438, 442, 496, 499 Petersen, Julius 147 Petersen, Klaus 105, 106 Peukert, Detlev 104, 146 Pinder, Wilhelm 146, 147

 515

Pohlmann, Friedrich 428 Pörksen, Bernhard 381 Pöttker, Horst 175, 176 Preiser, Georg 53, 343, 344, 357, 358 Propp, Vladimir 18, 309 Prümm, Karl 38, 85, 94–96, 275, 293, 329, 337, 338, 341, 429 Pyta, Wolfram 6, 147, 269, 336, 337, 339 Q Quasthoff, Uta 326 R Rathenau, Walther 286 Reardon, Kathleen Kelley 23, 24 Rector, Martin 77 Reese, Dagmar 409, 418, 419 Reich, Albert 202–204, 208–210, 213, 248 Reichardt, Sven 147–149, 356, 368, 410 Reichel, Peter 180, 227 Reich-Ranicki, Marcel 161 Remarque, Erich Maria 6, 96, 97, 105, 270, 272 Renn, Ludwig 96, 97 Rentschler, Eric 277 Reuveni, Gideon 124, 125, 128 Richardson, Alan 13 Ries, Hans 211, 212 Riese, Hans-Peter 186, 195 Ristau, Andreas 379 Robin, Régine 310, 326 Röhm, Ernst 290 Rohrwasser, Michael 49, 55, 69, 83, 84, 106, 119, 165, 166, 235, 334, 384, 399, 417 Rosenberg, Alfred 25, 26, 68–70, 88, 91, 93, 94, 104, 105, 252 Rosenhaft, Eve 152, 153 Rössler, Patrick 209, 217, 218, 226 Roßmeißl, Esther 361 Roth, Alfred 369, 380 Rülcker, Christoph 93, 94, 99 Rumelhart, David 13–17 S Saldern, Adelheid von 140, 353 Satjukow, Silke 382, 389 Sauer, Wolfgang Werner 427



516 

 Personenregister

Schank, Roger 13, 16, 17 Scharrer, Adam 54, 189 Schauer, Georg Kurt 183, 222, 223 Schauwecker, Franz 97, 354 Schemm, Hans 89, 108 Schenk, Michael 155 Schenzinger, Karl Aloys 4–7, 36, 37, 43, 49, 50, 52, 53, 61, 63, 64, 66, 93, 94, 111, 112, 119, 143, 153, 157, 167, 168, 171–175, 214, 216, 228, 250–252, 258, 276–284, 288–292, 296–298, 303, 305–307, 310, 312, 313, 325, 328, 330, 331, 333, 334, 341, 343, 344, 355, 357, 358, 365–367, 372, 373, 376–378, 381, 395, 403–408, 410–412, 418, 421, 426, 434, 444, 447, 497 Scheringer, Richard 396–398 Schilde, Kurt 352 Schiller, Dieter 69, 78 Schiller, Friedrich 86 Schirach, Baldur von 70, 252 Schirmer, Dietmar 362–364 Schlageter, Albert Leo 107, 363 Schlosser, Horst Dieter 302, 359, 420, 421 Schmidt, Heiko 187, 188, 217 Schmidt-Ott, Anja 407 Schmiechen-Ackermann, Detlef 152 Schmitt, Carl 65 Schmitz-Berning, Cornelia 91 Schneider, Thomas 6, 270 Schneider, Tobias 142, 143, 168, 496 Schneider, Ute 118–120, 123–125, 127 Schöberl, Susanne 159, 160, 162 Schonauer, Franz 84, 134–136 Schön, Erich 117, 124, 129 Schönhoven, Klaus 124, 130 Schöning, Matthias 339 Schönstedt, Walter 3, 22, 43, 52, 60, 63, 66, 71, 75, 153, 160, 161, 164, 190, 196, 263, 266–268, 281, 291, 292, 296, 300, 301, 303, 304, 316–319, 328, 330–334, 346–349, 354, 355, 361, 372, 382–385, 387, 388, 391, 393, 394, 398, 407, 416–418, 424, 425, 428, 431–433, 438, 442, 495, 498 Schreiber, Jürgen 360 Schücking, Levin Ludwig 114, 115



Schüddekopf, Otto-Ernst 396 Schulte-Sasse, Jochen 28, 32, 33 Schultz-Gerstein, Christian 384 Schultze-Gisevius, Cornelia 134, 231, 234, 235, 240, 249, 256, 259 Schulz, Petra Maria 149, 150, 200, 207, 208 Schwarz-Friesel, Monika 20, 261, 302, 361, 389, 435 Schweitzer, Hans (Mjölnir) 207, 208 Seibel, Anke 183, 201 Semino, Elena 13 Severing, Carl Wilhelm 3, 36, 40, 42, 43, 270, 331 Sewell, Sara Ann 414–416 Siemens, Daniel 354, 356, 402 Sinclair, Upton 37, 47, 124, 196 Sommer, Monika 7, 301, 312 Sontheimer, Kurt 97 Sösemann, Bernd 86 Spiro, Rand 13 Springman, Luke 7 Stach, Reinhard 169, 171 Stahl, John Daniel 6, 297, 393 Stambolis, Barbara 149 Stammermann, Hendrik 179, 180 Stanitzek, Georg 183 Steffen, Erich 79, 93 Stein, Gerd 163, 164 Steinlein, Rüdiger 95 Stern, Hans 187, 188, 191, 193, 194 Stieg, Gerald 78, 134, 161, 162 Stockwell, Peter 13–17 Stollmann, Rainer 45, 46, 57, 308, 354 Strasser, Gregor 290 Straßner, Erich 20, 262, 267, 422, 423 Strothmann, Dietrich 68, 69, 496 Stucki-Volz, Germaine 133, 195 Suleiman, Susan Rubin 19, 32, 33, 66, 67, 272, 273, 279, 294, 298, 309, 310, 327, 332, 394 Swett, Pamela 146, 151, 153, 289, 396 T Tallafuss, Petra 25, 26, 68 Taylor, Shelley 23 Thälmann, Ernst 166, 425 Theweleit, Klaus 410

Personenregister 

Thier, Erich 125, 126 Thompson, Stith 18 Thöne, Albrecht 366 Tönnies, Ferdinand 91, 92, 327 Traven, B. 54, 124 Trommler, Frank 42, 145, 426 Tschichold, Jan 186 Tsur, Reuven 14 U Uecker, Matthias 26, 37, 38, 44, 80, 82 Ulonska, Ulrich 285 Ulrich, Bernd 349 Uzarewicz, Michael und Charlotte 353 V Van linthout, Ine 26, 27, 44, 45, 68, 85, 87, 141, 302 Viera, Josef 5, 6, 9, 22, 36–38, 40, 43, 53, 60, 63–65, 93, 94, 109–111, 121, 141, 168–171, 201–216, 225, 226, 230, 247, 248, 256, 259, 280–282, 284–288, 291, 292, 296, 297, 299, 300, 303–306, 310–318, 320, 322–325, 328–335, 341, 342, 344, 345, 353–359, 364–369, 371–373, 376–381, 386, 391, 392, 396, 397, 402, 411, 412, 426–432, 434, 444, 446, 447, 497, 502, 503, 509–511 Voegelin, Eric 360 Vondung, Klaus 41, 84, 85, 93, 341, 350, 368 Vorwald, Ulrike 6, 96, 122, 401 W Watter, Oskar von 3, 36, 40, 42, 262, 270, 331, 382 Weber, Thomas 345 Wedding, Alex 214

 517

Wehde, Susanne 209, 219, 226, 227 Wehner, Josef Magnus 97, 107 Weineck, Friedrich August 355 Weinrich, Arndt 181, 341, 342, 345, 403 Weiß, Bernhard 286 Weißbecker, Manfred 314 Weißmann, Karlheinz 205, 210, 428 Weitz, Eric D. 416 Wessel, Horst 5, 22, 36, 37, 40, 43, 53, 64, 65, 107, 109, 170, 202–209, 212, 213, 225, 247, 248, 280, 281, 285–287, 292, 303, 311, 314, 316–318, 320, 328, 331, 333, 334, 342, 344, 352, 354, 356–359, 366, 367, 369, 372, 379, 380, 397, 402, 411, 426, 428–430, 434, 444, 497, 502, 509–511 Weyergraf, Bernhard 74 Widdig, Bernd 136 Wild, Reiner 56, 214 Wildt, Michael 91, 144, 353 Winko, Susanne 14 Witte, Bernd 78, 134, 161, 162 Wittek, Erhard 183, 184 Wolf, Friedrich 26 Z Zehnpfennig, Barbara 365, 428, 442, 443, 445 Zeller, Bernhard 86 Zeller, Regine 7 Zetkin, Clara 414 Ziemann, Benjamin 336, 345, 346, 349 Zimmermann, Hans Dieter 28, 29 Zola, Émile 124 Zweig, Arnold 96 Zwicker, Stefan 363, 366, 423