Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld: Eine rechtsvergleichende Studie unter Hervorhebung der richterlichen Verfahrensleitung [1 ed.] 9783428491247, 9783428091249

Obwohl Italien zu den wichtigsten europäischen Handelspartnern Deutschlands gehört, sind wissenschaftliche Arbeiten über

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German Pages 423 Year 1998

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Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld: Eine rechtsvergleichende Studie unter Hervorhebung der richterlichen Verfahrensleitung [1 ed.]
 9783428491247, 9783428091249

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ANDREAS PIEKENBROCK

Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld

Schriften zum Prozessrecht Band 136

Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld Eine rechtsvergleichende Studie unter Hervorhebung der richterlichen Verfahrensleitung

Von Andreas Piekenbrock

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Piekenbrock, Andreas:

Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld : eine rechtsvergleichende Studie unter Hervorhebung der richterlichen Verfahrensleitung I von Andreas Piekenbrock. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum Prozessrecht ; Bd. 136) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-09124-8

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 1998 Duncker &

ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-09124-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

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Ma I'Eterno siede come re in eterno; egli ha preparato il suo trono per il giudizio. Ed egli giudichera il mondo con giustizia, giudichera i popoli con rettitudine.

Der HERR aber thront fUr ewig; er stellt seinen Thron auf zum Gericht. Er richtet den Erdkreis gerecht, er spricht den Völkern das Urteil, das sie verdienen. Psalm 9, 8 · 9

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg im Sommersemester 1995 als Dissertation vorgelegen. Das Manuskript war im August 1995 fertiggestellt, so daß die jüngsten italienischen Reformgesetze, die die Arbeit laufend begleitet haben, ausgewertet werden konnten. Spätere Änderungen wurden im wesentlichen bis Sommer 1996, teilweise noch bis Anfang 1997 berücksichtigt. Dafür, daß ich diese Arbeit überhaupt fertigstellen konnte, bin ich vielen Menschen zu Dank verpflichtet. Dies ist an erster Stelle mein verehrter Doktorvater, Herr Prof. Dr. Rolf Stürner, der die Untersuchung angeregt und sie auf vielfaltige Weise gefOrdert hat. Er hat mir auch den Kontakt zu Herrn Prof. Dr. Nicolo Trocker vom Istituto di diritto comparato e penale der Universität Florenz vermittelt, der mir optimale Arbeitsbedingungen in den Räumen der Fondazione Galamandrei zur Verfügung gestellt und mir stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Hierfür sowie für die Übernahme des Zweitgutachtens gebührt ihm ein besonderer Dank. Zu danken ist auch den Anwälten und Richtern in Florenz und Pesaro, die mir Einblicke in die italienische Rechtspraxis ermöglicht haben und für alle Fragen ein offenes Ohr hatten. Stellvertretend seien hier die Herren Avv. Prof. Dr. Alessandro Borgioli {Florenz) und Avv. Dr. Paolo Emilio Comandini (Pesaro) genannt, bei denen ich Teile meines Referendariats absolvieren konnte. Ein herzliches Dankeschön gilt auch Herrn Prof. Dr. Dieter Leipold für die Aufnahme in das Graduiertenkolleg "Internationalisierung des Privatrechts" an der Universität Freiburg und die damit verbundene finanzielle Förderung der Arbeit. Schließlich sei hier auch mein Bruder, Dipl. Inf. Dr. Stefan Piekenbrock, dankend erwähnt, der die gesamte "technische Seite" der Arbeit mit viel Mühe betreut hat. Stellvertretend für alle, die mich auf dem langen und manchmal einsamen Weg der Promotion persönlich begleitet haben, sei meine Frau Christirre genannt. Für ihre Mühe und Geduld möchte ich ihr auch auf diesem Wege noch einmal herzlich danken und ihr diese Arbeit widmen. Vorangestellt habe ich der Arbeit jedoch ein Psalmwort, da unser Urteil über Menschen, Völker oder Rechtssysteme nicht "letztinstanzlieh" ist. Freiburg i.Br., im Sommer 1997

Andreas Piekenbrack

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 A. Historischer Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Die vornapoleonische Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Die Zeit des römischen Reiches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

a) Das Legisaktionsverfahren.......... . ... . .................. . 26 b) Das Formularverfahren . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . . . . .. .. .. . . . .. .. 27 c) Das Kognitionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Die Zeit der Völkerwanderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

3. Italien vom Hochmittelalter bis zur Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

4. Frankreich, Deutschland und Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Der code de procMu.re civile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Seine Entstehung in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Seine Geltung in Italien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Seine Geltung in Deutschland und Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

a) Frankreich angegliederte Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Der Rheinbund.. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . . . . .. .. . . . . .. .. . 40 c) Preußen und Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 111. Restauration und nationale Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Italien bis zum codice di procedura civile von 1865 . . . . . . . . . . . . . . 42

2. Deutschland bis zur Zivilprozeßordnung von 1877 . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Österreich bis zur Zivilprozeßordnung von 1895 .. . . . . . . . . . . . . . . . . 47

IV. Die Entwicklung bis zur Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Die Entwicklung in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

a) Das Königreich Italien bis zum ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . 48 b) Die Nachkriegszeit und die Ära des Faschismus . . . . . . . . . . . . . 49 c) Die italienische Republik................................... 54

2. Die Entwicklung in Frankreich . .. .. .. . .. . . .. .. .. .. . . .. . . . .. . . . . 60 3. Die Entwicklung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

4. Die Entwicklung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

10

lnhal tsverzeichnis

B. Vorüberlegungen ........... . .............. . ........................ 68

I.

Das Gericht und der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Die Gerichte erster Instanz .. .. . .. .. .. . .. .. . . .. . . . . . .. . . . .. .. . .. 68

a) Das tribunale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 aa) Der Instruktionsrichter........ . ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (1) Die erste Tagsatzung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (2) Der deutsche Einzelrichter von 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (3) Der j uge charge de suivre la procedure . . . . . . . . . . . . . . 76 b b) Der Einzelrichter . .. .. .. .. .. . . . . .. .. .. . . . .. .. . .. . .. . .. . . 77 cc) Resurne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 b) Der pretore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 c) Der giudice di pace . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Die Rechtsmittelgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Die Richterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Die Alternativen zum ordentlichen Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . 90 1. Das lnjunktionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a} Das selbständige lnjunktionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b} Das lnjunktionsverfahren im Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Vollstreckbare Urkunden.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Der einstweilige Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 III. Die freiwillige Gerichtsbarkeit ............ . .. . ............... . .. . . . 100 C. Das Erkenntnisverfahren .. .. ............ . ..... . ........ . ... . .. . ... . 105

I.

Übersicht über das Erkenntnisverfahren ........ ..... ......... . .... 105 1. Das Eröffnungsverfahren .. .. ..... . .. .. . .. . ... . . . ... . .... . .. .. .. 105

2. Das lnstruktionsverfahren ..... . . . . . .... . .. . . . ...... . . .. . .. . ... . 110 3. Das Entscheidungsverfahren ....... . .. .. .... . . . .......... .. ... . 113 4. Die Rechtsmittel. .... . ................. . .. . ............ . ...... . 115 II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung . .. . . .. . 116 1. Die Verfahrenseröffnung .. . . . .. . . . ..... . .. . .. . .. . ......... . .... 116 a} Das italienisch-französische Konzept .. .. . .. . . .. ..... . ... . ... 117 b} Das deutsch-österreichische Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c} Die historische Entwicklung ........ . .. . ............. . .. .. .. 119 aa} Der code de procedure civile von 1806 . . ..... . .. . ... . .. . 120 bb} Italien im 19. Jahrhundert ... . ....... ... ..... . .. ..... .. 121 cc} Deutschland im 19. Jahrhundert .......... . .. . .. . . ...... 123 dd} Die Österreichische Zivilprozeßordnung von 1895 . ... .. . . 125

Inhaltsverzeichnis ee) Die weitere Entwicklung in Italien und Deutschland

11 125

2. Die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung .......... . .. . . . . 131 a) Die fehlerhafte Klageschrift .. ....... . .. . ............. . .. .. . . 131 aa) Die Nichtigkeit von Prozeßhandlungen ............ . ..... 131 bb) Maßnahmen bei Nichtigkeit der citazione ...... . . . .. . .. . 134 b) Die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung .... . .. . . . . . .. 137 aa) Anordnung des persönlichen Erscheinens ......... . .. . .. 143 bb) Vorbereitung der Beweisaufnahme .. ..... ..... . . .. . .. ... 145 cc) Beweisaufnahme vor der mündlichen Verhandlung ..... . III. Die Stellung des Richters bei der trattazione ............... .. ..... 1. Die mündliche Verhandlung .......... . . . . . .............. . . .. . . . a) Der Begriff der Mündlichkeit des Verfahrens ............. . ..

146 146 147 148

b) Die Entwicklung des mündlichen Verfahrens ... .... ......... 150 c) Gegenstand und Funktion der mündlichen Verhandlung . . . . . 155 2. Die Aufgaben des Richters .. . ........... . ................ . . . . .. 157 a) Die Klärung der Sachurteilsvoraussetzungen .......... . . .... 157 b) Richterliche Hinweispflicht und rechtliches Gehör ..... . .. . .. 158 c) Die formlose Anhörung der Parteien durch den Richter .. . .. aa) Das Fragerecht des Richters ... . ......... . .. . ...... . . ... bb) Der Beweiswert der Aussagen für den Richter ...... . .... (1) Die systematische Stellung der Anhörung ...... . . . .. (2) Ungünstige Aussagen ..... . .................. .. .... (3) Günstige Aussagen ........ .. .. .. ............. .... ..

165 165 168 169 170 172

3. Die Mitwirkungspflicht der Parteien ... . ......... . . ... ... .. . . . .. a) Das persönliche Nichterscheinen der Parteien . . ..... . .... .. . b) Die Säumnis .. . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. . . . .. .. aa) Das heutige Säumnisverfahren .... . ............. . . . . .. . . (1) Italien und Frankreich ..................... . ... .. .. (2) Deutschland und Österreich .... .... ........... .. .. . (3) Das Säumnisverfahren aus der Sicht des Richters . . . bb) Die historische Entwicklung .. .. .. .. ....... ........... .. (1) Der code de procedure civile von 1806 ......... . . . . . (2) Italien im 19. Jahrhundert . .... . .............. . ....

174 176 178 178 178 182 187 189 189 192

(3) Die Entwicklung in Deutschland und Österreich .. . . 193 (4) Die weitere Entwicklung in Italien ....... ... .... . . .. 198 (5) Die weitere Entwicklung in Frankreich ............ . . 200 c) Die Erklärungspflicht zu gegnerischem Sachvortrag .. . . . . . . .. 202

12

Inhaltsverzeichnis d) Die Präklusionen . . ................ . .. . . . ............. . . . . . . 205 aa) Die Präklusionen im heutigen italienischen Recht . ... . .. 205 (1) (2) (3) (4) (5) bb) cc) dd) e) Die

Die citazione ................ . ............... . .. . . . Die Klageerwiderung ......... . ............... . ... . . Die Einlassungsfrist nach dem Vortermin ... .... .. . . Die mündliche Verhandlung in der Sache ..... . . . . .. Der Beweisbeschluß ........ . .......................

206 208 210 215 217

Die Präklusionen in den übrigen Ländern ............. . . Die historische Entwicklung .... . .. . ............... . ... . Die Präklusionen aus der Sicht des Richters .... . . .. .... Wahrheitspflicht der Parteien ..... . . ............ . .. . ....

219 223 226 227

4. Die Gliederung des Prozeßstoffs ........................ . ....... 230 a) Fragen der Zuständigkeit . . . .. ........... .... . . ..... . ... . .. . 230 aa) bb) cc) b) Die

Die Frist für die Feststellung der Unzuständigkeit . .. . ... Zuständigkeitsbejahende Entscheidungen . . ......... . ... Zuständigkeitsverneinende Entscheidungen ..... .. . . . ... Beschränkung der Verhandlung ..... . ............ . .. . ...

231 235 240 244

c) Die gesonderte Verhandlung bei mehreren Ansprüchen .. .. .. 245 aa) Die Trennung bei Klagehäufung .. . . .. ......... . . . ... .. . 245 bb) Die Trennung bei Widerklage und Aufrechnung .. .. . .... 246 d) Die Verbindung mehrerer Verfahren .. . ..... .. ........ . ... . . 248 5. Die Beiladung ....... . ................... . ............. .. .. ... . 251 a) Die Beiladung zu Beweiszwecken ..... . ................... . . 252 b) c) d) e)

Die notwendige Streitgenossenschaft .. . ..... .. ... . . ... . .. . . . Die Beiladung bei Rechtskrafterstreckung . .. . ......... . ... . . Die Beiladung zur umfassenden Streiterledigung . . . ... . . . .. . Der Fall des Art. 107 c.p.c.... . .... . .. . ............... .. . .. .

253 254 255 258

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren ................ . .. .. 261 1. Der Beweisbeschluß ........ . .. . ........ . ..... . ............ . ... . 262

a) Das Wesen des Beweisbeschlusses . .. . ......... . . .. .. ... .... . 262 b) Anfechtbaxkeit des Beweisbeschlusses .. . ........ .. . .. ...... . 265 2. Die Beweiserhebung im ordentlichen Verfahren .. .. . .. . . . ...... . 267 a) Die Hinzuziehung eines Sachverständigen ........... . .. . ... . 268 b) Die Einnahme des Augenscheins ...... . . .. . . . . . . . ... . ...... . c) Der Urkundenbeweis . . .... . . . . ............ . .. . . .. .. .. .. . ... aa) Urkunden in der Hand des Beweisführers . . .. ...... . . .. . bb) Urkunden in der Hand der Gegenseite . ...... .. . . ... . ...

270 273 275 276

Inhaltsverzeichnis

13

cc) Urkunden in der Hand Dritter . .. . . ............ . . . .. . .. . 278 d) Der Zeugenbeweis . ............................ ..... . ....... 280 aa) Die Zulassung des Zeugenbeweises .. ........... .. . .. . .. . bb) Die Beweisaufnahme im Zeugenbeweis ...... . ...... . . .. . e) Der Eid und das Geständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Beweiserhebung in den Sonderverfahren . .... . ......... . . . ..

280 287 292 295

a) Das Arbeitsverfahren . . . . ...... .. .. . .. . .............. . .. . .. . 296 b) Gebrauchsüberlassung von Immobilien . . ........ ..... . . . . .. . 298 c) Trennungs- und Scheidungssachen . .. .. . ............. .. . . .. . 299 d) Fazit ........... . .. . ................................. .. ..... 300 4. Weitergehende Reformpläne ........... . . .. ................ .. . . . 301 5. Grenzen der Beweiserhebung von Amts wegen ........... . .. . .. . 304 a) Die drei Stufen von Befugnissen im Beweisverfahren . . .... . . 305 b) Die praktische Anwendung der drei Stufen ........... . . . . ... 305 aa) Die dritte Stufe .... . ................... .. .. .. .. .. .. . ... 306 bb) Die zweite Stufe ............... . .. . .. ............ . . ..... 309 cc) Die erste Stufe . .......... . ...... .. . ....... . ..... .... ... 312 dd) Fazit . . . ... . ..... . . ... . .......... . . . . .. .... ...... . .. . .. . 312 6. Der Schluß der Beweisaufnahme . ... . .... . . .... ... . ... .. . .. .. . . 313 V. Die Vorbereitung der Entscheidung ...... . ... . .... . .. . .. . .. . . .... . 314 1. Die Schlußschriftsätze .................... .. ...... . ..... .. ...... 314

2. Die mündliche Schlußverhandlung .... ... . . . ............. .. . . ... 316 3. Fazit ............ . . . ... ......... . ... . ..... . . . ... . ... .... . . . . .. . 319 VI. Die Rechtsmittel ..... .... .... .. ... .. .... . . .... .. .... ...... .... ... 320 1. Die Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 2. Die Kassationsbeschwerde ..... . .. . . ...... . ... . .... .. . ... . . .... 322 D. Zusammenfassung . . . .. .. .. . . ..... . ........ . . . .. . ........... . .. . .. . . 328

I.

Die formelle Verfahrensleitung .. . ....... ... .. . ... . ......... . .. . .. . 329

II. Die materielle Verfahrensleitung ... . . . ... . .. . ........ . . . . .... . . ... 336 Literaturverzeichnis ..... .... . ..... .. ... .. .. .. . . . . .. . .... . . . ... . .. . .... 342 Anhang . .. .. ................ . .. . .............................. . ... . . . .. . 361 Personen- und Sachregister . ..... . .. . . . . .... . .... . . . .. . .. ... .. . .. . .... 415

Abkürzungsverzeichnis A.A. ABGB Abs. AcP a.E. a.F. AktO Am.J.Com.L. Anm. ArbGG Art. ASGG AußStrG badPrO BAG bayPrO BGB BGBI. BGH BGHZ BRAGO BRAO Bull. civ. B.V. BVerfG BVerfGE c. Camb.L.J. Cass. civ. Cass. lre civ. Cass. 2e civ. Cass. com. c.c.

cc

COJ Corte cost.

Anderer Ansicht Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Absatz Archiv für civilistische Praxis am Ende alte Fassung Aktenordnung American Journal of Comparative Law Anmerkung Arbeitsgerichtsgesetz Artikel Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen badische Prozeß-Ordnung Bundesarbeitsgericht bayerische Prozeß-Ordnung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung Bundesrechtsanwaltsordnung Bulletin des arrets de la Cour de Cassation, chambres civiles Besloten Vennootschap (GmbH niederländischen Rechts) Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts contre The Cambridge Law Journal Corte suprema di cassazione, sezione civile Cour de cassation, premiere chambre civile Cour de cassation, deuxieme chambre civile Cour de cassation, chambre commerciale codice civile code civil code de l'organisation judiciaire Corte costituzionale

Abkürzungsverzeichnis cost. c.p.c. CPC c.p.p. cron. C.S.M. CT D. Dig. civ.4 dir. dv. Dir. giur. dir. proc. dv. dir. vig. disp. att. Diss. DJT DM doc. Doc. Giust. DR DRiG DRiZ DVEheG ediz. straord. EGMR EGZPO EMRK Enc. Dalloz Enc. dir. Enc. giur. EO Eph. Iur. Can. EuGH EuGRZ EuGVÜ EuZW f. Fase. F.A.Z. ff. FF

15

costituzione della Repubblica Italiana codice di procedura civile code de procedure dvile codice di procedura penale croniques Consiglio superiore della magistratura code du travail Recueils Dalloz et Sirey Dekret Digesto delle Discipline privatistiche Quarta edizione - Sezione civile diritto dvile Diritto e giurisprudenza diritto processuale dvile diritto vigente disposizioni per l'attuazione Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Mark doctrine Documenti Giustizia Deutsche Rechtswissenschaft Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Durchführungsverordnung zum Ehegesetz edizione straordinaria Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung Europäische Menschenrechtskonvention Encydopedie Dalloz Enddopedia di diritto Enddopedia giuridica Exekutionsordnung Ephemerides Iuris Canonid Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht folgende Fascicule Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende französische Francs

16 FGG FGO Foro it. Foro pad. G. Gaz. Pal. GBO G.-D. germ. GG Giur. compl. cass. civ. Giur. cost. Giur. it. Giur. tose. Giust. civ. GKG GmbH GOG greg. GS G.U. GVG GVS banPrO HausratsV HGB HS. inf. rap. IPR IPRax i.V.m. JbitR JBL

J.C.P. JN J.O. Jur. Class. JuS JW JZ

kan. K.D.

Abkürzungsverzeichnis Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Il Foro italiano Il Foro padano Gesetz Gazette du Palais Grundbuchordnung Gesetzes-Dekret germanistische Abteilung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Giurisprudenza completa della cassazione civile Giurisprudenza costituzionale Giurisprudenza italiana Giurisprudenza toscana Giustizia civile Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gerichtsorganisationsgesetz gregorianisch Gesetz-Sammlung Gazzetta Ufficiale del Regno d'Italia Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz- und Verordnungs-Sammlung hannoversche Prozeß-Ordnung Verordnung über die Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats Handelsgesetz buch Halbsatz information rapide Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts in Verbindung mit Jahrbuch für italienisches Recht Juristische Blätter Juris Classeur Periodique (La semaine juridique) Jurisdiktionsnorm Journal Officiel de la Republique franc;aise Juris Classeur Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung kanonistische Abteilung Königliches Dekret

Abkürzungsverzeichnis f,

LEC leg. Leggi civili LeipzZ LEX I. fall. lit. LPC l.p.g.c. L.Q.R. LugGVÜ M.-D. MDR m.w.N. n. Chr. NCPC n.F. NJW NJW-RR Noviss. dig. it. Nr. NZA OGH OGHG OLG OLGZ ord. giud. öAGO öBGBI. ÖJZ öRGBI. öRiZ öS öZPO parm. prAGO Proc. Civ. RabelsZ RAO RDG Rdnr. 2 Piekenbrack

17

italienische Lira Ley de enjuiciamiento civil legislation Le nuove Leggi civili commentate Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht LEX, legislazione italiana !egge fallimentare littera Loi sur Ia procedure civile leggi della procedura ne' giudizj civili Law Quaterly Review Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen Ministerial-Dekret Monatsschrift für Deutsches Recht mit weiteren Nachweisen nach Christus nouveau code de procedure civile neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechungsreport Zivilrecht Novissimo digesto italiano Nummer Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Oberster Gerichtshof Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof 0 berlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen ordinamento giudiziario Österreichische Allgemeine Gerichtsordnung österreichisches Bundesgesetzblatt Österreichische Juristenzeitung österreichisches Reichsgesetzblatt Österreichische Richterzeitung Österreichische Schilling Österreichische Zivilprozeßordnung parmesisch preußische Allgemeine Gerichtsordnung Procedure Civile Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabe! Rechtsanwaltsordnung Richterdienstgesetz Randnummer

18 Rec. gen. lois Rep. Foro it. Rev. int. dr. comp. Rev. trim. dr. civ. Rev. crit. lg. jur. RG RGBI. RGZ RheinZ Riv. dir. civ. Riv. dir. int. priv. proc. Riv. dir. proc. Riv. dir. proc. civ. Riv. trim. dir. proc. civ. RKGO r.l.g.a.c. rom. RPfi.G RV

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sard. Sch!HA SGG siz. som. Sp. StPO suppl. ord.

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Temi em. tosk. VerschG VersR vgl. VIZ

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Abkürzungsverzeichnis Recueil general des lois et des arrets Repertorio del Foro italiano Revue international de droit compare Revue trimestrielle de droit civil Revue critique de legislation et de jurisprudence Reichsgericht Reichsgesetzblatt Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht Rivista di diritto civile Rivista di diritto internazianale privato e processuale Rivista di diritto processuale Rivista di diritto processuale civile Rivista trimestriale di diritto e procedura civile Reichskammergerichtsordnung regolamento legislativo e giudiziario per gli affari civili romanistische Abteilung Rechtspflegergesetz Regierungsvorlage Satz Seite sardisch Schleswig-Holsteinische Anzeigen Sozialgerichtsgesetz sizilianisch sommaire de jurisprudence Spalte Strafprozeßordnung supplemento ordinario Sammlung von zivilrechtliehen Entscheidungen des k. k. obersten Gerichtshofes (bis 1918) Entscheidungen des Österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen (ab 1919) Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Temi emiliana toskanisch Verschollenheitsgesetz Versicherungsrecht vergleiche Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Verordnung Verwaltungsgerichtsordnung Wohnungseigentumsgesetz

Abkürzungsverzeichnis WGO WM WuB württPrO z.B. ZfRV

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ZPO ZustG ZvglRWiss ZZP ZZPint

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Einleitung "Der Richter darf als Staatsorgan dem Rechtsstreit nicht passiv zusehen, um am Schluß ein Urteil zu verkünden wie ein Automat, der, ausgelöst vom Gewicht der fallenden Münze, ein Bonbon oder eine Eintrittskarte auswirft." 1 Mit diesen Worten hat Giuseppe Chiovenda, der Begründer der modernen italienischen Prozessualistik,2 zu Beginn dieses Jahrhunderts die Passivität des Richters beschrieben, die er wesentlich für den schlechten Zustand der damaligen Zivilrechtspflege verantwortlich gemacht hat. Auch am Ende dieses Jahrhunderts steht Italien noch immer vor der schweren Aufgabe, den ordentlichen Zivilprozeß nicht nur zu reformieren und zu beschleunigen, sondern buchstäblich zu neuem Leben zu erwecken. 3 Wegen der überlangen Verfahrensdauer hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Italien inzwischen mehrfach die Verletzung von Art. 6 Abs. 1 der Menschenrechtskonvention bescheinigt. 4 Deutsche Gerichte sehen die Rechtshängigkeit in Italien aus demselben Grund nicht mehr notwendig als Verfahrenshindernis an. 5 Dieser Aufgabe hat sich das Land gestellt und sein Zivilprozeßrecht in den Jahre 1990 bis 1995 einer Teilreform unterzogen, die Anlaß zu dieser Arbeit gegeben hat. Ihr Ziel ist aufzuzeigen, wie sich dieser neue italienische Zivilprozeß gerade auch mit Blick auf die Rolle des Richters in das europäische Umfeld einfügt. In den meisten Ländern Europas ist seit den Zeiten Chiovendas 1 « .. . il giudice come organo dello Stato non debba assistere passivamente alla lite, per pronunciare alla fine una sentenza, come l'automa eccitato da! peso della moneta cadente emette un dolce o un biglietto d'ingresso: .. . », Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 385. 2 'Irocker, in: Habscheid, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlungen, s. 125. 3 Vgl. hierzu die Erklärungen des Senators und späteren Justizministers Vassalli, Questione Giustizia 1984, S. 1017, nach dessen Worten die Zivilrechtspflege praktisch nicht existiert. 4 Beispielsweise EGMR vom 25. Juni 1987, Capuano c. Italia, Serie A, Nr. 119, mit resignierender Anmerkung von Pizzorusso, Fora it. 1987 IV, Sp. 385. Zuletzt EGMR vom 23. November 1993, Scopelliti c. Italie, Serie A, Nr. 278, wo ein Verfahren beim tribunalesieben Jahre gedauert hatte. Bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte werden inzwischen die meisten Beschwerden wegen überlanger Verfahrensdauer eingelegt (F.A.Z. vom 6. Januar 1995, S. 2). 5 Siehe BGH, NJW 1983, S. 1269, wo ein Scheidungsverfahren schon über vier Jahre in erster Instanz anhängig war.

Einleitung

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eine ständige Stärkung der Richtermacht zu konstatieren. 6 Insofern ist es interessant zu untersuchen, ob und wenn ja inwieweit auch Italien diesem Trend gefolgt ist. Bei dieser Einordnung des italienischen Prozesses in den europäischen Rahmen sollen die Länder berücksichtigt werden, die das italienische Zivilprozeßrecht in den letzten zwei Jahrhunderten maßgeblich beeinßußt haben, nämlich Frankreich, Österreich und Deutschland. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt dabei auf der Neuzeit, insbesondere der Zeit nach der französischen Revolution und dem lokrafttreten des napoleonischen code de procedure civile. Doch soll auf die römische Antike und das Mittelalter nicht ganz verzichtet werden, weil sich schon ab dieser frühen Zeit wichtige Entwicklungslinien zum heutigen Prozeßrecht ziehen lassen und weil zu Beginn unseres Jahrhunderts um die Wurzeln des italienischen Verfahrensrechts ein kulturhistorischer Streit ausgetragen wurde, 7 der vor allem politisch von Bedeutung war. Die Darstellung dieser Epochen muß sich jedoch auf eine Übersicht anhand von Sekundärliteratur beschränken. Primärquellen konnten erst für die Zeit ab dem 16. Jahrhundert herangezogen werden. Um dem Leser die Lektüre zu erleichtern, sind alle Gesetze und Entwürfe bis auf die heutigen Gesetzbücher in ihrer aktuellen und früheren Fassung in einem Anhang dokumentiert. Wie gesagt, soll ein besonderes Augenmerk auf der Verfahrensleitung des Richter liegen. Spielt dieser nach wie vor die Rolle eines passiven Beobachters im Sinne Chiovendas, oder nimmt er die Zügel selbst in die Hand, um den Prozeß zügig zu einem mit der materiellen Rechtslage übereinstimmenden Sachurtei18 oder einer gütlichen Beilegung des Rechtsstreits zu führen? Diese Frage, die bis heute Gegenstand der rechtspolitischen Diskussion ist,9 wird uns ständig begleiten. Aktive Verfahrensgestaltung, S. 75. Chiovenda, Romanesima e germanesimo nel processo civile, Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 181. 8 Um die Jahrhundertwende war die Frage, ob der Zivilprozeß nur einer formellen Gerechtigkeit im Sinne der Streitbeendigung oder auch der Feststellung der materiellen Rechtslage und damit der materiellen Wahrheit diene, lebhaft umstritten. Für eine bloß formelle Gerechtigkeit sprach sich vor allem Wach, Vorträge 2 , S. 199, aus, während von Canstein, Die rationellen Grundlagen, S. 29, und Schwartz , Vierhundert Jahre deutscher Civilproceß-Gesetzgebung, S. 387 für die materielle Gerechtigkeit plädierten. Heute ist dagegen unbestritten, daß das Ziel des staatlichen Rechtsschutzes die Durchsetzung materiell-subjektiver Rechtspositionen (Rosenbergj SchwabjGottwald, Zivilprozeßrecht 15 , S. 2) und damit die materielle Wahrheitstindung ist (Schumann, in: Stein/Jonas 20 , ZPO, Einleitung Rdnr. 21; vgl. Solusj Perrot , Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 94, S. 97) . Da sich im Zivilprozeß zwei widerstreitende subjektive Rechte gegenüber stehen, denen der gerichtliche Rechtsschutz durch die Verfassung garantiert ist, kann der Richter dieser Lage nur gerecht werden, wenn er die materielle Rechtslage und damit die Wahrheit prüft (Stümer, Die Aufklärungspflicht der Parteien, S. 43) . Vgl. auch BVerfGE 42, 64, 73; 54, 277, 291. 9 Vgl. etwa für England Zuckerman, ZZPint 1 (1996), S. 84. 6 Fasching,

7 Grundlegend

Einleitung

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Methodisch will diese Arbeit im Sinne Franz Kleins 10 den Prozeß von der Klageerhebung bis zur rechtskräftigen Entscheidung nachzeichnen, beobachten und unter praktischen Gesichtspunkten analysieren, ohne bestimmten Dogmen oder Maximen anzuhangen. Dabei steht der ordentliche streitige Zivilprozeß als Prototyp der Zivilrechtspflege im Mittelpunkt der Untersuchung. Die vielen Sonderverfahren für bestimmte Streitgegenstände werden jedoch nicht außer Acht gelassen, da sie häufig Regelungen enthalten, die sich auch für den ordentlichen Prozeß anbieten und so innerhalb des italienischen Rechts mögliche Reformansätze aufzeigen. Bei der Darstellung des Prozesses habe ich mich bemüht, auch die gerichtliche Praxis zu berücksichtigen, die für das Verständnis einiger Regelungen der jüngsten Reform von großer Bedeutung ist. Denn das Prozeßrecht ist wie kein anderes in erster Linie gelebtes Recht, das der Anwendung und Ausformung durch die gerichtliche Praxis unterliegt; und bei kaum einem anderen Rechtsgebiet hängen Erfolg oder Mißerfolg so sehr von der praktischen Anwendung des Gesetzes ab wie beim Zivilprozeß. 11 Da die Arbeit jedoch keinen Platz für umfangreiche Rechtstatsachenforschung bietet, beschränken sich diese Feststellungen neben der vom Justizministerium herausgegebenen Justizstatistik ( Statistiche Giudiziarie) auf die Aussagen der einschlägigen Literatur, von Anwälten und Richtern und schließlich meine eigene Anschauung an den Gerichten in Florenz und Pesaro. Auch wenn diese Aussagen damit notgedrungen subjektiv und nicht immer verallgemeinerungsfähig sind, dienen sie doch einer realistischeren Betrachtung der heutigen italienischen Zivilrechtspflege. Schließlich soll auch auf Möglichkeiten hingewiesen werden, wie die vorhandenen Normen entgegen der gerichtlichen Praxis effizienter gehandhabt werden könnten. Zwar wurde in Italien ein "Stuttgarter Modell" nie praktiziert, doch ist es dort auf großes Interesse gestoßen, 12 und an vergleichbaren Vorschlägen fehlt es bis heute nicht. 13 Für den konkreten Gang der Darstellung ergibt sich daraus folgendes: Im ersten Kapitel (A.] wird in einem knappen historischen Überblick die europäische Zivilprozeßrechtsgeschichte von den Ursprüngen bis zur Gegenwart nachgezeichnet, um so den historischen Rahmen der Arbeit abzustecken, auf den im folgenden zurückgegriffen werden kann. Dabei werden vier verschiedene Epochen unterschieden, die vornapoleonische Zeit (A.I.], 10 V gl.

Esser, Festschrift zur Fünfzigjahrfeier der Österreichischen Zivilprozeßordnung,

s. 36, 38.

11 Klein, JBI. 1890, S. 508; Votum der Universita di Firenze , Reale, Per un nuovo processo civile, S. 5. 12 Siehe dazu die Darstellung von Grunsky, Riv. dir. proc. 1971, S. 354 ff. 13 Siehe Proto Pisani, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 28 ff., und Tarzia, Foro pad. 1986 li, Sp. 77 ff.

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Einleitung

die Zeit des napoleonischen code de procedure civile von 1806 [A.II.], die Zeit der Restauration bis zur staatlichen Einheit Italiens und Deutschlands [A.III.] und die Entwicklung bis zur Gegenwart [A.IV.]. Danach werden im zweiten Kapitel [B.] einige Vorüberlegungen angestellt, bevor wir uns dem eigentlichen Erkenntnisverfahren zuwenden. Zunächst werden die Gerichte und die Richterschaft vorgestellt [B.I.], da sich die richterliche Verfahrensleitung nicht ohne eine genauere Betrachtung des Gerichtsaufbaus und der Besetzung der Spruchkörper darstellen läßt. 14 Außerdem lassen sich hier sehr deutlich die gegenseitigen Einflüsse der verschiedenen Rechtsordnungen aufzeigen. Daraufhin werden kurz die praktischen Möglichkeiten aufgezeigt, ein ordentliches Erkenntnisverfahren ganz zu vermeiden [B.II.]. Wie wichtig diese beiden Fragen sind, zeigt sich auch daran, daß der Gerichtsaufbau und die Alternativen zum Erkenntnisverfahren Gegenstand der jüngsten Prozeßrechtsreform waren. Schließlich wird hier kurz auf die freiwillige Gerichtsbarkeit eingegangen [B.III.]. Das dritte Kapitel [C.] behandelt das eigentliche Erkenntnisverfahren, das aus der Sicht des Richters in seinen verschiedenen Etappen nachgezeichnet wird. Ausgangspunkt ist das ordentliche italienische Erkenntnisverfahren, wie es sich nach den jüngsten Reform darstellt. Es wird zunächst in einer Übersicht vorgestellt [C.I.]. Im weiteren wird das Erkenntnisverfahren aus der Sicht des Richters genauer untersucht, wobei die rechtsvergleichenden und historischen Bezüge neben das gegenwärtige italienische Recht gestellt werden. Die Gliederung folgt dabei den Abschnitten des italienischen Erkenntnisverfahreng und unterscheidet die Stellung des Richters im Vorfeld der mündlichen Verhandlung [C.II.], während der trattazione [C.III.], im Beweisverfahren [C.IV.], bei der Entscheidungstindung [C.V.] und im Rechtsmittelverfahren [C.VI.]. Die Zusammenfassung [D.] soll schließlich dazu dienen, aus der vorangegangenen Beschreibung des Verfahrensablaufs ein Bild der formellen [D.I.] und materiellen [D.II.] Prozeßleitung des Richters in den verschiedenen Ländern zu zeichnen und im internationalen Vergleich zu bewerten. Dabei wird auch untersucht, wie weit die richterliche Verfahrensleitung unter Beachtung der wesentlichen zivilprozessualen Grundsätze verstärkt werden kann. Die Terminologie folgt grundsätzlich der halbamtlichen Übersetzung für die Provinz Bozen, 15 die nach dem Autonomiestatut für die Region Trentin-Südtirol (Trentino-Alto Adige) 16 (Art. 116 cost.) von 1972 17 auch 14 Vgl. Relazione, Nr. 20, abgedruckt bei Franchi/Feroci, Nuovo codice di procedura civile 3 , S. XXXV. 15 Italienische Zivilprozeßordnung - Codice di Procedura Civile, Zweisprachige Ausgabe, 2. Auflage, Bozen 1996. 16 Die Region umfaßt außer der Provinz Bozen noch die Provinz Trient, für die die Regelungen über den Gebrauch der deutschen Sprache nicht gelten. 17 Bekanntgemacht mit Dekret des Präsidenten der Republik Approvazione del testo

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in der gerichtlichen Praxis verwendet wird. Da sich diese jedoch - wie auch im Vorwort ausdrücklich bestätigt wird - weitgehend an die Österreichische Terminologie anlehnt, wird davon zur Vermeidung von Verwechselungen beim deutschen Leser zum Teil abgewichen und bei den Bezeichnungen der Gerichte ganz auf eine Übersetzung verzichtet.

unico delle leggi costituzionali concernenti Ia statuto speciale per il Trentino-Aito Adige vom 31. August 1972, Nr. 670, G.U. vom 20. November 1972, Nr. 301, LEX 1972 I, S. 2485. Dazu sind inzwischen auch die Durchführungsbestimmungen erlassen worden: Dekret des Präsidenten der Republik Norme di attuazione dello stato speciale per Ia regione Trentino-Aito Adige in materia di uso della lingua tedesca e della lingua ladina nei rapporti dei cittadini con Ia pubblica amministrazione e nei procedimenti giudiziali vom 15. Juli 1988, Nr. 574, G.U. vom 8. Mai 1989, Nr. 105, LEX 1989 I, S. 1167.

A. Historischer Überblick Die vornapoleonische Zeit

I. 1.

Die Zeit des römischen Reiches

Die Wiege des italienischen Prozeßrechts wie des gesamten italienischen Rechts steht in Rom, 1 dem wir mit dem XII-Tafel-Gesetz von 450 vor Christus die älteste Rechtsquelle auf der italienischen Halbinsel verdanken, die auch Verfahrensfragen enthält. 2 a)

Das Legisaktionsverfahren

Gegenstand des Zivilverfahrens, das öffentlich auf dem forum oder dem angrenzenden comitium stattfand, 3 konnten in dieser Zeit nur Ansprüche aus den XII-Tafel-Gesetzen oder späteren Volksgesetzen sein, woraus sich der Name legis actiones ableitet. Das Verfahren, das von seiner Zweiteilung in iure und apud iudicem geprägt war, wurde damit eröffnet, daß der Kläger den Beklagten zu Gericht rief ( vocatio in ius). 4 Da der Beklagte verpflichtet war, dieser Ladung Folge zu leisten,5 und eine Verhandlung in seiner Abwesenheit nicht möglich war, konnte der Kläger ihn notfalls gewaltsam vor Gericht bringen.6 Dort entschied der praetor, ob die Klage nach dem Vorbringen des Klägers begründet war. In diesem Fall ließ er die Klage zur Verhandlung zu. 7 Andernfalls wurde die Klage bereits vom praetor zurückgewiesen ( denegatio actionis) .8 Soweit der Beklagte 1 Cappelletti,

Riv. dir. civ. 1963 I, S. 31. das Recht schon so früh niedergeschrieben wurde, war die Folge der Spannungen zwischen Patriziern und Plebejern im 5. Jahrhundert vor Christus. Die Plebejer wollten auf Dauer nicht mit dem von patrizischen Beamten verwalteten ungeschriebenen Recht leben und setzten durch das Volkstribunal die Schaffung geschriebenen Rechts durch (Dü./1, XII-Tafeln, S. 8) . 3 XII-Tafeln l, 7: «Ni pacunt, in comitio aut in foro ante meridiem caussam coiciunto . .. . » 4 KaserjHackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 64. 5 XII-Tafeln l, 1: «Si in ius vocat ito.::>.6 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 64. 7 Nach KaserjHackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 74, Fußnote 32, fand ein förmliches actionem dare nicht statt. A.A. noch Kaser, Römisches Zivilprozeßrecht, S. 57, Fußnote 31. 8 KaserjHackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 70. 2 Daß

I. Die vornapoleonische Zeit

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die entscheidungserheblichen Tatsachen nicht bereits mit der confessio in iure zugestanden hatte, 9 bestimmte er außerdem das Beweisthema und den für die Beweisaufnahme zuständigen Richter (iudex) 10 und ließ so die förmliche Streiteinsetzung (litis contestatio) durch die Parteien zu.l 1 Die eigentliche Beweisaufnahme fand im Anschluß daran apud iudicem statt, der bei der Beweiswürdigung an feste Regeln gebunden war.l2 Insgesamt war das rein mündlich durchgeführte Verfahren von einer typisch frühzeitliehen sakralen Förmlichkeit geprägt. b)

Das Formularverfahren

Das Formularverfahren der späten Republik war eine weiterentwickelte Form des Legisaktionsverfahrens, das dem wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg Roms Rechnung trug. So konnten ab dem 3. Jahrhundert vor Christus auch Ansprüche aus Treu und Glauben eingeklagt werden ( bonae fidei iudicia), der praetor erteilte statt der actio nun eine formula, mit der auch neue Ansprüche anerkannt werden konnten. 13 Den Nichtbürgern wurde durch die Einsetzung des praetor peregrinus die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglicht. 14 Die äußere Zweiteilung des Verfahrens wurde dagegen auch im Formularprozeß fortgeführt. Der praetor entschied über die Rechtsschutzwürdigkeit der Klage ( actio ) 15 und der dagegen vorgebrachten Einreden ( exceptiones).16 Auch sonst entsprach die formula inhaltlich der alten actio. Sie bestimmte wie eine Satzung Besetzung und Aufgaben des UrteilsgerichtsP Neuerdings wurde aber auch der praetor an der Tatsachenfeststellung beteiligt. Zum einen konnte er die Erteilung der formula wegen fehlender 9 Vgl.

Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 72.

°Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht2 , S. 113 f.

1

11 Kaser/Hackl,

12 Kaser/Hackl,

s. 11 f.

Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 74. Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 117; Walter, Freie Beweiswürdigung,

13 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 238. So entstand die klassische Trennung des römischen Rechts in ius civile und ius honorarium. Für Klagebegehren, die zuvor noch nicht anerkannt waren und für die folglich keine formula bestand, stand die actio in factum offen. Hier ist eine Parallele zum englischen writ of case nicht zu übersehen. Auch sonst weist die Entwicklung deutliche Ähnlichkeiten mit dem Erstarren des fOrmliehen englischen writ-Systems und der sich parallel entwickelnden equity auf. Hierin zeigt sich, wie stark die Entwicklung des englischen Rechts über die Kanonistik vom römischen Recht beeinflußt ist (Pringsheim, The inner Relationship between English and Roman Law, Camb.L.J. 5 (1935), S. 347; Pugliese, «lus honorarium» a Roma ed «equity» nei sistemi di «common law», Riv. trim. dir. proc. civ. 1988, S. 1105). 14 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 156. 15 Kaser/ Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 239. 16 Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß, Band 2, S. 386. 17 K aser/ Hackl, Römisches Zivil prozeßrecht 2 , S. 309.

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A. Historischer Überblick

Prozeßwürdigkeit verweigern, wenn er von der Unrichtigkeit des klägerischen Vorbringens überzeugt war. 18 Zum anderen konnte über streitige Tatsachen bereits in iure Beweis erhoben werden durch den freiwilligen oder auferlegten Eid. 19 Auch das Verfahren apud iudicem wurde von alten Form- und Fristbestimmungen befreit und der Grundsatz der freien Beweiswürdigung eingeführt, 20 so daß das Verfahren einen wesentlich moderneren Eindruck machte. c)

Das Kognitionsverfahren

Neben dem Formularverfahren entstand unter Kaiser Augustus die cognitio extra ordinem vor den kaiserlichen Gerichten, wo Ansprüche durchgesetzt werden konnten, die sich wie die Fideikommisse aus kaiserlichem Recht ergaben und von den praetores nicht anerkannt wurden. 21 Dieses Verfahren war frei von jedem Formzwang. Die kaiserlichen Beamten ( iudices ) 22 konnten den Prozeß straff und zielstrebig leiten, die Verhandlung nach ihrem Ermessen gestalten und die Beweismittel frei würdigen. 23 So entfiel insbesondere die Trennung zwischen dem Verfahren in iure und apud iudicem, womit eigentlich auch die litis contestatio überflüssig wurde. Sie blieb jedoch erhalten und bezeichnete von nun an den Zeitpunkt, bis zu dem der Beklagte Einreden (praescriptiones, exceptiones) erheben konnte. 24 In diesem Verfahren spiegelt sich die wohlfahrtsstaatliche Haltung von Kaiser Augustus wider, die auch das Richterbild prägte. 25 In der nachklassischen Phase der absoluten Monarchie wurde diese Beamtenkognition zur allgemeinen Verfahrensform. Doch wurde sie entsprechend dem Zeitgeist wesentlich stärker reglementiert. 26 Das Verfahren war in drei Abschnitte gegliedert. In der ersten Phase, dem principium , wurden die Sachurteilsvoraussetzungen geprüft. Es endete mit der litis contestatio, worunter jetzt der Abschluß der Sachvorträge der Parteien oder ihrer Anwälte zu verstehen war. 27 Hatte sich der Beklagte so sachlich auf den Streit eingelassen, schloß sich das kontradiktorische Verfahren (medium 18 KaserjHackl,

Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 239. Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 266 ff. 20 Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 12; Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 211 . 21 KaserjHackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 451. 22 KaserjHackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 460 ff. 23 KaserjHackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 438, 443, 481, 595. 24 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 491. 25 KaserjHackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 443. 26 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 595. 27 Simon, Justinianischer Zivilprozeß, S. 123 f.; Steinwenter, SZ (rom.) 50 (1930), s. 187 ff. 19 KaserjHackl,

I. Die vornapoleonische Zeit

29

litis) mit der Beweisaufnahme an. 28 Dazu wurde der Prozeßstoff in einzelne Beweisartikel ( capitulae) gegliedert. 29 Erst standen dem Kläger vier Versuche zu, seine Behauptungen zu beweisen, 30 danach konnte der Beklagte Beweis für seine Einreden antreten. 31 Der Schwerfälligkeit dieses Beweisverfahrens sollte durch Fristen begegnet werden, 32 die häufig voll ausgeschöpft wurden, um den Prozeß zu verschleppen. 33 Trotz seines ausgeprägten Hangs zur Ordnung ist es Justinian in vielen Versuchen nicht gelungen, das Problem der schikanösen Prozeßführung in den Griff zu bekommen. 34 Beendet wurde das medium litis durch eine interlocutio des Richters. 35 Ihm folgte als dritter Verfahrensabschnitt der terminus, 36 der der Abfassung und Verkündung des Urteils diente. Das oströmische Verfahren zur Zeit Justinians, das sich unter hellenistischem Einfluß immer mehr zur Schriftlichkeit entwickelte, 37 war damit besonders schwerfällig. Im Beweisrecht war zudem die Abkehr vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu beklagen; 38 insbesondere der Zeugenbeweis wurde abgewertet. 39 Auch die Öffentlichkeit wurde durch die Einrichtung fester Gerichtssitze in bestimmten Räumen eingeschränkt. 40 2.

Die Zeit der Völkerwanderungen

Diese letzte Entwicklung fand jedoch nicht mehr in Italien statt, sondern im oströmisch-byzantinischen Raum, während in weite Teile Nordund Mittelitaliens in der Zeit der Völkerwanderungen längst die Ostgothen unter Theoderich dem Großen eingefallen waren. Auch wenn es Justinian gelang, Italien nach langem Kampf wieder an sich zu bringen, so fiel es doch 568 n. Chr. endgültig an die Langobarden, deren Reich mit den abhängigen Fürstentümern Spoleto und Benevent fast die ganze italienische Halbinsel umfaßte. Nur die nördliche Adriaküste um Venedig, Ancona Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 589. Der römische Civilprozeß, Band 3, S. 291, 327. 30 Simon, Justinianischer Zivilprozeß, S. 354. 31 KaserjHackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 599. 32 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 520. 33 Simon, Justinianischer Zivilprozeß, S. 353. 34 Simon, Justinianischer Zivilprozeß, S. 373 f. 35 Nach Simon, Justinianischer Zivilprozeß, S. 24, hieß die Formel: « Si nihil superest, quod legatur, debere partes exire ut scribi possit plena sententia.» 36 Entgegen Steinwenter, Festschrift Wenger, Band 1, S. 196 f., ist der terminus ein eigener Verfahrensabschnitt, da es üblich war, daß das medium litis auf Assessoren übertragen wurde und der Richter anhand der Protokolle das Urteil fällte (Simon, Justinianischer Zivilprozeß, S. 13). 37 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 556. 38 Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 15. 39 Simon, Justinianischer Zivilprozeß, S. 247 f. 4 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 555. 28 KaserjHackl,

29 Bethmann-Hollweg,

°

30

A. Historischer Überblick

und Ravenna, die Gegend um Rom, Kalabrien und Sizilien blieben weiterhin unter byzantinischer Herrschaft und damit Teil des oströmischen Rechtsgebietes, 41 bis im Süden die Araber einfielen. Die Germanen hatten ein völlig anderes Prozeßverständnis, das im Gegensatz zum römischen von einem strafrechtlichen Grundverständnis geprägt war. 42 Gegenstand des Verfahrens war anders als im römischen Actionensystem 43 nicht die Durchsetzung des objektiven Rechts, sondern die Kompensation des subjektiv durch den Rechtsbruch erlittenen Unrechts des Klägers, 44 mit einem Wort: Sühne. 45 Daraus erklärt sich, daß die Erhebung einer Klage an sich schon einen Vorwurf an den Beklagten darstellte, von dem dieser sich selbst zu reinigen46 und dem er aktiv entgegenzutreten hatte. 47 Der römische Beklagte, der nur das Vorbringen des Klägers bestritt, verließ dagegen völlig gerechtfertigt den Gerichtsort, wenn dem Kläger der Nachweis seiner Behauptungen nicht gelang. 48 Daneben war der germanische Prozeß vom Genossenschaftsgedanken geprägt,49 der sich in den Volksgerichten (Ding) widerspiegelte. 5° Die Parteien traten nicht vor eine staatliche Institution, sondern vor ihresgleichen; 51 das germanische Urteil war ein Urteil der Gerichtsgemeinde. 52 Zwar wurde das Richteramt vom Monarchen ausgeübt, der die Wahrung des Gerichtsfriedens besorgte,53 doch nahm er keine rechtsprechende Funktion wahr, sondern war ein "Frager des Rechts" ,54 der den Urteilsspruch von den Dinggenossen erfragte. Wurde der Vorschlag von den übrigen Dinggenossen gutgeheißen, wurde er vom Richter verkündet; wurde er dagegen gescholten, entschied der Zweikampf. 55 Das Urteil war ein bedingtes oder Beweisurteil; 56 die Beweisführung erfolgte außergerichtlich durch Geschäftszeugen, Eid oder als Gottesurteil durch Los oder Zweikampf. 57 41 Engelmann, Der Civilprozeß, Band Il/3, S. 5. 42 Sehröder, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 85; Mitteis/ Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte19, S. 45. 43 Vgl. Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß, Band 1, S. 30. 44 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 1, S. 25. 45 Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 2 , Band 1, S. 253. 46 Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 43. 47 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 1, S. 28. 48 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 1, S. 27 f. 49 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 1, S. 9. 5 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Band 1, S. 42. 51 Planck, Beweisurtheil, S. 4. 52 Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 2 , Band 1, S. 209. 53 Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 2 , Band 1, S. 198; Planck, Beweisurtheil, S. 5. 54 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Band 1, S. 43. Gleiches gilt noch im deutschen Prozeß des Mittelalters (Planck, Deutsches Gerichtsverfahren im Mittelalter, S. 249) . 55 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Band 1, S. 44. 56 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Band 1, S. 45; Planck, Beweisurtheil, S. 82 f. 57 Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte2 , Band 1, S. 256, 262 f.; Schröder, Deutsche

°

I. Die vornapoleonische Zeit

31

Dieses Prozeßverständnis brachten die Langobarden mit nach Italien58 und etablierten es in ihrem Herrschaftsbereich. Das römische Recht blieb dagegen als personales Partikularrecht der römischen Stadtbevölkerung59 und des Klerus 60 in Kraft. Das langobardische Recht, das zunächst als Gewohnheitsrecht tradiert worden war, wurde erst im Jahre 643 n. Chr. von König Rothari niedergeschrieben. 61 Es hatte im Vergleich zum burgundischen und westgotischen Recht seinen altgermanischen Charakter besonders rein bewahrt. 62 Doch zeigen die späteren Ergänzungen zum Edictus Rotharius unter den Königen Grimoald (668 n. Chr.) und Liutprand (713 - 735 n. Chr.) den sich verstärkenden Einfluß des römisch-kanonischen Rechts, ein Spiegelbild der sich festigenden Stellung der Kirche. 63 So wurde der Gerichtsaufbau der spätrömischen Beamtenkognition angeglichen 64 und die Gerichtsbarkeit durch königliche Beamte wahrgenommen. 65 Damit ist zugleich der Schlüssel für das Verständnis der weiteren Entwicklung des mittelalterlichen Rechtssystems gefunden: die Stellung der Kirche. Mit der Bekehrung Kaiser Constantins zum christlichen Glauben im Jahre 312 n. Chr. hatte für das römische Reich eine neue Epoche begonnen, das römische Recht wurde das Recht der Kirche. Während die Ostgothen noch als Heiden in Italien eingefallen waren, hatten die Langobarden bereits Kontakt mit dem christlichen Glauben gehabt. 66 So ist es nur zu verständlich, daß sie das vorgefundene Recht für den Klerus und die römischen Laien unangetastet ließen und auch ihr eigenes Recht diesem immer mehr anpaßten.

Rechtsgeschichte, S. 87; Bethmann-Hol/weg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 1, S. 28, 30; Planck, Beweisurtheil, S. 39. 58 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 213. 59 B ethmann-Hol/weg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 1, S. 334; Pranzen, Kirchengeschichte, S. 126. 60 Ecclesia vivit lege Romana (Bethmann-Hol/weg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 1, S. 339; Franzen, Kirchengeschichte, S. 126). 61 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 1, S. 321; Enge/mann, Der Civilprozeß, Band 11/ 3, S. 9. Daneben konnte der Richter seine Urteile jedoch auch weiterhin nach Gewohnheitsrecht (per consuitudinem) und nach freier Überzeugung (per arbitrium) fällen. 62 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 1, S. 296, 325 f. 63 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 1, S. 327 ff. 64 Himstedt, Rechtsgedanken, S. 8; Enge/mann, Der Civilprozeß, Band 11/1, S. 9. 65 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 1, S. 345. 56 Zunächst hatte sich der Arianismus weit in den germanischen Stämmen verbreitet, eine von der Kirche als Häresie verurteilte Lehre, die sich zwar am christlichen Glauben orientierte, aber die Gottheit Jesu Christi leugnete (Franzen, Kirchengeschichte, S. 78, 122 f.). Die Langobarden bekannten sich seit der Zeit Papst Gregors des Großen (590 - 604 n. Chr.) zum christlich Glauben und der damals noch wahrhaft "einen heiligen katholischen und apostolischen Kirche" (Franzen , Kirchengeschichte, S. 142).

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A. Historischer Überblick 3.

Italien vom Hochmittelalter bis zur Neuzeit

Mit der Unterwerfung der Langobarden durch die Franken unter Karl dem Großen im Jahre 774 n. Chr. begann eine neue Epoche in der Geschichte der italienischen Halbinsel: die Zeit des Hochmittelalters. Das Verfahrensrecht war dabei zunächst geprägt von den karolingischen Kapitularien, die zum Beispiel bei der Verteilung der Beweislast weiterhin am germanischen Grundgedanken festhielten. 67 Mit Blick auf die weitere Untersuchung ist bemerkenswert, daß nach einem Kapitular Ludwigs des Frommen von 817 n. Chr. das Vermögen eines säumigen Beklagten, der der Ladung wiederholt nicht gefolgt war und damit nicht zu seinem Recht stehen wollte, unabhängig vom Gegenstand der Hauptsache allein wegen seines Ungehorsams zugunsten des Fiskus beschlagnahmt werden konnte. 68 Damit traf den Beklagten eine echte Pflicht, sich am Verfahren zu beteiligen. Bemerkenswert ist auch, daß der Richter ungenügenden Sachvortrag durch Fragen ( interrogatores) aufklären durfte. 69 Das bedeutet, daß die Parteien nun nicht mehr miteinander vor dem Gericht, sondern mit dem Gericht verhandelten. 70 Im Beweisrecht kam die subsidiäre Form des Inquisitionsbeweises auf, 71 wo der Richter von sich aus Zeugen mit bestem Leumund ( optimi pagenses) aus der Gerichtsgemeinde lud. 72 Grundsätzlich blieb es aber Sache der Parteien, nach dem Beweisurteil die Beweismittel, vor allem Zeugen und Urkunden, herbeizuschaffen.73 Der Zweikampf entschied nur noch, wenn sich zwei Zeugenaussagen widersprachen74 oder wenn keine Beweismittel vorlagen. Denn eine non-liquet-Entscheidung zugunsten des Beklagten konnte aufgrund der Beweislastregel nicht ergehen.75 Was den Gerichtsaufbau betrifft, wurde in Oberitalien das fränkische Schöffensystem eingeführt, wo dem für den Urteilsspruch zuständigen Richter rechtskundige Beisitzer (scabini) zur Seite standen.76 67 Bethmann-Hollweg,

Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 2, S. 121, 125. Civilprozeß, Band 2, S. 178 f. Fußnote 3. 70 Himstedt, Rechtsgedanken, S. 13. 71 Brunner, Forschungen, S. 227. 72 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 2, S. 148 f. Während der Fiskus die Kirche einen Anspruch darauf hatten, daß das Gericht eigene Nachforschungen anstellte (ius inquisitionis), stand es im übrigen im Ermessen des Gerichts, inwieweit es als Ausdruck der Fürsorge für schwächere Prozeßparteien (personae miserabiles), die selbst keine Zeugen finden konnten, von seinen inquisitorischen Befugnissen Gebrauch machen wollte (Brunner, Forschungen, S. 147 ff., 155 ff. , 217; Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 2, S. 152 ff.). 73 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 2, S. 123. 74 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 2, S. 146. 75 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß, Band 2, S. 170. 76 Engelmann, Der Civilprozeß, Band 11/3, S. 10; Himstedt, Rechtsgedanken, S. 11, Fußnote 1. Das System erinnert an die noch heute in der Schweiz gebräuchlichen Gerichtsschreiber. 68 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische 69 Himstedt, Rechtsgedanken, S. 11, ausführlich in

I. Die vornapoleonische Zeit

33

Als zu Beginn des 12. Jahrhunderts in Italien die ersten Universitäten gegründet wurden und die wissenschaftliche Bearbeitung der römischen und germanischen Quellen durch geistliche und weltliche77 Glossatoren wie die Papienser begann, entwickelte sich so ein Verfahren, das gemeinhin als italienisch-kanonischer Prozeß bezeichnet wird. Eine einheitliche Kodifikation des Zivilprozeßrechts hat es in Italien jedoch bis zum 18. Jahrhundert nicht gegeben. 78 Vielmehr bestanden die verschiedenen Rechtsquellen fort, ohne aufeinander abgestimmt gewesen zu sein. Von besonderer Bedeutung ist hier auf der Seite des kanonischen Rechts das Decretum Gratiani 79 aus dem 12. Jahrhundert, das zugleich den ersten Teil des Corpus iuris canonici bildet und in der Tradition des justinianischen Rechts stand. 80 Daneben schufen vor allem die oberitalienischen Städte, die im Mittelpunkt des Handels standen, eigene Prozeßgesetze, in denen verstärkt das langobardische Rechtsgut verankert war. 81 Wie nicht anders zu erwarten, kam es dabei immer wieder zu Zuständigkeitskonflikten zwischen den Städten, den Fürsten und der Kirche.82 Neben dem ordentlichen Verfahren bildete sich ab dem 12. Jahrhundert im kanonischen Recht auf biblischer Grundlage ein summarisches Verfahren heraus. Im Matthäus-Evangelium gibt Jesus die Weisung, daß ein Bruder, der sich an einem anderen Bruder versündigt hat, von der Gemeinde zurechtgewiesen werden soll. 83 Daraus leitete die Kirche die Kompetenz ab, über diese sogenannte denunciatio evangelica84 den sündigen Mitbruder durch Buße und Wiedergutmachung des Schadens wieder in die Gemeinde einzugliedern; 85 andernfalls war er getreu der biblischen Anordnung zu exkommunizieren. 86 Dieses kirchengerichtliche Verfahren war für 77 Aus der Sicht der heutigen säkularisierten Welt erscheint der Hinweis nötig, daß dem mittelalterlichen Menschen der Gedanke einer Trennung von Kirche und Staat völlig fremd war. Er erlebte die Welt als ein in sich geschlossenes Gefüge, in dem die eine Kirche Ausdruck der absoluten Autorität Gottes war. Die Unterscheidung zwischen weltlichen und geistlichen Gerichten betrifft daher lediglich die Gerichtsbarkeit für den Klerus und in sakramentalen Fragen wie Ehesachen auf der einen und für die Laien auf der anderen Seite und drückt keine unterschiedliche Weltanschauung aus. 78 Taruffo, La giustizia civile in ltalia, S. 7 f. 79 Vgl. dazu Jacobi, SZ (kan.) 3 (1913), S. 223 ff. 80 Jacobi, SZ (kan.) 3 (1913), S. 264, 268. 81 Himstedt, Rechtsgedanken, S. 38 ff. 82 Jacobi, SZ (kan.) 3 (1913), S. 233. 83 Matthäus 18, 17. 84 Zu ihrer Entwicklung seit dem Decretum Gratiani und ihrer Stellung zur accusatio und zur inquisitio vgl. Lefebvre, Gontribution a l'etude des origines et du developpement de Ia «denunciatio evangelica» en droit canonique, Eph. !ur. Can. VI (1950), S. 60 ff.; Jacobi, SZ (kan.) 3 (1913), S. 328 ff. Zum Einfluß auf die von englischen Kanonisten geprägte equity vgl. Coing, English Equity and the Denunciatio Evangelica ofthe Canon Law, L.Q.R. 71 (1955), S. 223 ff. 85 Lefebvre, Eph. I ur. Can. VI (1950), S. 61, 64. 86 Lefebvre, Eph. I ur. Can. VI (1950), S. 72. 3 Piekenbrack

34

A. Historischer Überblick

den Rechtsuchenden ein günstiger Weg, «sempliciter et de plano, sine strepitu ac figura iudicii» 87 zu seinem Recht zu kommen. 88 Daneben wurde auch im Recht der oberitalienischen Städte ein summarisches Verfahren in Handelssachen geschaffen, woraus sich die gemeinrechtliche Tradition herausbildete, die zwischen dem ordentlichen und dem summarischen Verfahren unterschied. 89 Das summarische Verfahren litt jedoch darunter, daß es immer mehr dem förmlichen Verfahren gleichgestellt wurde, bis sie sich ab dem 16. Jahrhundert weitgehend ähnelten. 90 Das förmliche Verfahren nach dem gemeinen italienischen Recht war von seiner strengen Förmlichkeit unter Einhaltung der Schriftform geprägt.91 Es wurde hauptsächlich von den Parteien oder besser gesagt ihren Anwälten geführt, die auch Zeugenaussagen von einem Notar beurkunden ließen und dann das Protokoll zu den Akten gaben, während sich der Richter weitgehend darauf beschränkte, über die unzähligen Zwischenfragen ( incidenti) zu entscheiden. 92 Hierunter fielen vor allem die zahlreichen Einreden ( eccezioni), die die Parteien gegen eine Verfahrenshandlung der Gegenseite vorbringen konnten und über die der Richter jedesmal durch ein Zwischenurteil ( sentenza interlocutoria) zu entscheiden hatte, das den ordentlichen Rechtsmitteln unterlag. 93 Die innere Struktur des Verfahren ging dadurch vollständig verloren. 94 War dieses komplizierte Verfahren schließlich nach Jahren oder Jahrzehnten zu einem Endurteil gelangt, so sorgte ein ausgefeiltes Rechtsmittelsystem mit bis zu drei Tatsacheninstanzen für einen progressus ad infinitum. 9 r. Möglich wurde dies durch eine bewußte Abkehr vom Recht Justinians. Hatte dort noch eine Höchstdauer von drei Jahren für das gesamte Verfahren gegolten, «ne lites fiant paene immortales»,96 wurde diese Regelung nun dahin umgedeutet, daß der Prozeß ohne Urteil erlöschen sollte, wenn drei Jahre lang keine weitere Verfahrenshandlung vorgenommen wurde (perenzione). 97 Ein Ende dieser Epoche wurde schließlich im 18. Jahrhundert, der Zeit der Aufklärung, eingeläutet. 98 Größere Reformen des Zivilprozesses, die deren Ideen verwirklicht hätten, blieben jedoch zunächst aus. So legte das 87 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 11; Pertile, Storia del diritto italiano, Band VI/2, S. 114. 88 Lefebvre, Eph. Iur. Can. VI (1950), S. 93. 89 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 11. 90 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 12. 91 Taruffo, La giustizia civile in ltalia, S. 8 f. 92 Taruffo, La giustizia civile in ltalia, S. 9. 93 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 10. 94 Taruffo, La giustizia civile in ltalia, S. 9. 95 Taruffo, La giustizia civile in ltalia, S. 10. 96 Chiovenda, Principii 3 , S. 883. 97 SattajPunzi, Diritto processuale civile 11 , S. 435. 98 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 24.

I. Die vornapoleonische Zeit

35

Fürstentum Piemont zwar sein gesamtes Recht in den Costituzioni von 1723, 1729 und 1770 nieder. Insbesondere im Prozeßrecht, das im III. Buch enthalten war, handelte es sich jedoch nicht um eine systematische, innovative Kodifikation, sondern lediglich um eine Kompilation der zerstreuten Rechtsquellen. 99 Gleiches gilt auch für den sogenannten Codice Estense des Herzogtums Modena von 1771.100 Als erste echte Kodifikation trat 1786 im habsburgischen Herzogtum Mailand das Regolmento del processo civile per la Lombardia austriaca in Kraft, bei dem es sich um eine italienische Fassung der Österreichischen Allgemeinen Gerichtsordnung Josephs Il. handelte. Die einzige wirklich italienische Kodifikation des Zivilprozeßrechts dieser Zeit, die aber ebenfalls von Österreich her beeinflußt war, war dagegen der Codice giudiziario nelle cause civili per il Principato di Trento von 1788. Dieser nach seinem Autor benannte Codice barbacoviano setzte zum ersten Mal alle übrigen Rechtsquellen außer Kraft und war damit eine umfassende Kodifikation, 101 die 1807 jedoch der Westgalizischen Gerichtsordnung weichen mußte. 4.

Frankreich, Deutschland und Österreich

Dieser italienisch-kanonische Prozeß, wie er an den Universitäten in Italien gelehrt wurde, fand seinen Weg über die Alpen sowohl nach Frankreich als auch nach Deutschland102 und Österreich,103 wo er sich als der sogenannte gemeine Prozeß etablierte. Die weitere Entwicklung hing aber von den politischen Verhältnissen in den einzelnen Ländern ab. In Frankreich besteht seit der Zeit des Absolutismus (1598 - 1789) ein starker Zentralstaat, der unter Ludwig XIV. seinen Höhepunkt erreichte. Dieser legte in der Ordonnance civile touchant la reformation de justice von 1667 auch ein einheitliches Zivilprozeßrecht für ganz Frankreich nieder, um der Vielfalt lokaler coii.tumes in seinem Reich entgegenzuwirken.104 Bestehen blieb dagegen bis zur französischen Revolution die große Zahl verschiedener Gerichte, so etwa die Cours de Parlement, der Grand Conseil, die Chambre des Comptes und die Cour des Aides. 105 99 Taruffo,

La giustizia civile in Italia, S. 28 f. La giustizia civile in ltalia, S. 31. 101 Taruffo, La giustizia civile in ltalia, S. 41. 102 Siehe ausführlich zu der in Nürnberg einsetzenden Rezeption in Deutschland Schwartz, Vierhundert Jahre deutscher Civilproceß-Gesetzgebung, S. 23 ff. 103 von Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht 2 , Band 1, S. 48. 104 Dah/manns, in: Coing, Handbuch, Band 111/2, Verfahrensrecht Frankreich, S. 2501, mit weiteren Hinweisen auf die Entstehung der ordonnance civi/e. 105 Vgl. auch die Aufzählung in Titel II, Art. 2 der ordonnance civile. 100 Taruffo,

36

A. Historischer Überblick

Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation schlug sich das rezipierte gemeine Recht außer in vielen lokalen Gesetzgebungen in den Reichskammergerichtsordnungen von 1495, 1517, 1521, 1527 und vor allem der von 1555 nieder, 106 die das größte und vollständigste Zivilprozeßgesetz des Reiches darstellte. 107 Eine der französischen ordonnance civile vergleichbare umfassende Verfahrensordnung für alle Gerichte des Reiches gab es dagegen nicht; in den Einzelstaaten galt vielmehr die Partikulargesetzgebung und subsidiär das gemeine Recht. Während sich die Partikulargesetzgebung vielerorts ebenfalls an dem rezipierten gemeinen Recht orientierte, lagen die Dinge in den sächsischen Landen doch etwas anders, da dort noch der Geist des Sachsenspiegels und seines Verfassers Eike von Repkow nachwirkte.l 08 Kursachsen und die sächsischen Fürstentümer spielten fortan daher eine eigene Rolle, die ihnen Kaiser Ferdinand I. kurz nach Inkrafttreten der dritten Reichskammergerichtsordnung dadurch sicherte, daß er ihnen das privilegium de non appellando verlieh. 109 Erst die beiden Protagonisten und Gegenspieler des 18. Jahrhunderts in deutschen Landen, König Friedrich der Große von Preußen und Kaiserin Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, brachten in ihren Ländern umfassende Gesetzeskodifikationen auch im Bereich des Zivilprozeßrechts auf den Weg, die aber inhaltlich völlig verschiedene Wege gingen. In Preußen führte König Friedrich der Große eine umfassende Staatsund Verwaltungsreform durch. Das von ihm geschaffene Corpus Iuris Fridericianum von 1781 regelte in seinem I. Buch ein völlig neues, einheitliches Verfahrensrecht, das den gemeinen Prozeß ablöste. Dieses Werk wurde zugleich der Vorläufer der Allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten (prAGO) von 1793. In Österreich wurde die Rechtsvereinheitlichung eingeleitet durch die Schaffung eines gemeinsamen Obersten Gerichtshofs für alle Österreichischen Erblande im Jahre 1749 und die Bildung einer Kommission, der die 106 Die Reichskammergerichtsordnungen sind abgdruckt in der "Neuen und vollständigen Sammlung der Reichs-Abschiede", Frankfurt a.M. 1747, Band 2, S. 6 ff, S. 166 ff., S. 179 ff., S. 289 ff., und Band 3, S. 43 ff. 107 Schwartz, Vierhundert Jahre deutscher Civilproceß-Gesetzgebung, S. 87. 108 Schwartz , Vierhundert Jahre deutscher Civilproceß-Gesetzgebung, S. 129. 109 Schwartz, Vierhundert Jahre deutscher Civilproceß-Gesetzgebung, S. 130. Als Quellen des sächsischen Rechts sind zunächst die sechs Hofgerichtsordnungen aus dem späten 15. und dem 16. Jahrhundert zu nennen. Ihnen folgten die Konstitutionen des Kurfürsten August vom 21. April 1572. Die wichtigste Prozeßordnung des sächsischen Kurfürstentums war die "Process- und Gerichts-Ordnung Churf. Johann Georgens des I. zu Sachsen, darnach man sich in dero Landenbey Ober- und Untergerichten gleichförmig zu achten" vom 28. Juli 1622. Sie wurde hundert Jahre später einer großen Revision unterzogen, deren Früchte die sogenannten "Erläuterungen und Verbesserungen der bißherigen Process und Gerichts-Ordnung" von 1724 waren (Dahlmanns, in: Coing, Handbuch, Band III/2, Verfahrensrecht Deutschland, S. 2660) .

II. Der code de procedure civile

37

Kodifikation des Zivilprozeßrechts übertragen wurde. 110 Sie arbeitete die "Allgemeine Gerichtsordnung für Böhmen, Mähren, Schlesien, Oesterreich ob, unter der Ennß, Steyermark, Kärnten, Krain, Görz, Gradiska, Triest, Tyrol, und die Vorlanden" (öAGO) aus, die im Gegensatz zur preußischen der gemeinrechtlichen Tradition treu blieb.l 11 Verkündet wurde sie im Jahre 1781 durch Maria Theresias Nachfolger, Kaiser Joseph II., und trat am 1. Mai 1782 in Kraft. Um die einheitliche Anwendung der neuen Verfahrensordnung zu gewährleisten, durften die Gerichte das Gesetz nach § 437 öAGO nicht selbst auslegen, sondern hatten die Fragen bei Hofe anzuzeigen. Diese Vorlagen erreichten einen solchen Umfang, daß sich Kaiser Leopold II. 1796 gezwungen sah, eine überarbeitete Fassung der Österreichischen Allgemeinen Gerichtsordung zu verkünden, die zunächst nur in Westgalizien in Kraft trat, die Allgemeine Gerichtsordnung für Westgalizien (WGO). In ganz Österreich ist diese Fassung aber nie in Kraft getreten, so daß die völlige Rechtseinheit für die nächsten hundert Jahre wieder verloren ging. Die Unterschiede zwischen den beiden Fassungen des josephinischen Gesetzes waren jedoch gering. 112

11.

Der code de procedure civile

Eine neue Epoche brach über Europa herein, als sich in Paris Napoleon Bonaparte zum Kaiser der Franzosen krönte. Denn er sorgte nicht nur für eine umfassende Kodifikation des französischen Zivil- und Strafrechts einschließlich der jeweiligen Prozeßordnungen, sondern "exportierte" diese codes bei seinen Feldzügen unter anderem nach Deutschland und Italien, wodurch das französische Recht zu einer Art neuzeitlichem Bindeglied zwischen diesen beiden Ländern wurde. 1.

Seine Entstehung in Frankreich

Zu den großen Kodifikationen der napoleonischen Zeit gehörte wie gesagt die Regelung des Zivilverfahrensrechts im code de procedure civile, der durch ein kaiserliches Dekret aus dem Jahre 1808 ergänzt wurdeY 3 Im Jahre 1806 verabschiedet und zum 1. Januar 1807 in Kraft getreten, 114 war der code jedoch « deja vieux en naissant» .115 Denn die Revolution 110 von

Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht 2 , Band 1, S. 50. Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 34. 112 von Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht 2 , Band 1, S. 53. 113 Kaiserliches Dekret contenant Reglement pour Ia Police et Ia Discipline des Cours et T'ribunaux vom 30. März 1808, Rec. gen. lois 1808 li, S. 145 ff. 114 Giasson/ Tissier, Traite de procedure civiie 3 , Band 1, Nr. 25, S. 62. 115 GiassonjTissier, Traite de procedure civiie 3 , Band 1, Nr. 25, S. 65. 111 Fasching,

A. Historischer Überblick

38

hatte vor allem wichtigen Anliegen der Aufklärung hinsichtlich der Gerichtsverfassung zum Durchbruch verholfen. Die alten feudalen Gerichte und die Cou.rs de Parlement wurden durch ein einheitliches tribunal ersetzt. Der juge de paix wurde als obligatorische Güteinstanz eingeführt, 116 und über die Gesetzesanwendung wachte nun das tribunal de cassation.U 7 Verhandelt wurde öffentlich, die Abstimmung erfolgte geheim, und die Entscheidungen mußten begründet werden. 118 Das eigentliche Verfahren folgte jedoch bis zum Erlaß des code de procedu.re civile zunächst weiterhin der ordonnance civile. 119 Auch unter dem neuen codebestanden viele gemeinrechtliche Regelungen fort. Beispielhaft sei hier nur die Trennung zwischen einem ordentlichen und einem summarischen Verfahren genannt, wobei letzteres vor allem bei Streitwerten bis FF 1.000,- Anwendung fand (Art. 404 Abs. 4 CPC 1806). Daß der code de procedure civile vielfach der Tradition treu blieb, mag der Grund dafür sein, daß er das schlechteste der fünf napoleonischen Gesetzbücher war, 120 dem bei weitem kein so großer Erfolg beschieden war wie seinem großen Bruder, dem code civiz.l 21 2.

Seine Geltung in Italien

Mit dem Einmarsch der französischen Thuppen in Italien im Jahre 1796 begann für das dortige Verfahrensrecht eine neue Zeitrechnung. 122 Die mit dem Vormarsch der Truppen nach Süden neu gegründeten jakobinischen Republiken gaben sich nun eigene Verfassungen nach dem Vorbild der französischen Verfassung von 1795, 123 womit die oben genannten Prinzipien einer vom Geist der Aufklärung inspirierten Gerichtsverfas116Vgl. das Gesetz vom 16./24. August 1790 (Dahlmanns, in: Coing, Handbuch, Band 111/2, Verfahrensrecht Frankreich, S. 2519). Siehe dazu B.I.l.c), S. 83. 117 Siehe dazu unten C.VI.2., S. 323. 118 Nachdem diese Regeln schon Bestandteil des Gesetzes vom 16./24. August 1790 waren, wurden sie später als Art. 208 Bestandteil der französischen Verfassung vom 5. fructidor III (22. August 1795). 119 Vgl. den Schluß (arrete) Nr. 268 vom 18. fructidor VIII (26. August 1800), B.L. Nr. 41, S. 22. 120 Vgl. Dahlmanns, Strukturwandel, S. 31 = Dahlmanns , Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 27, mit zeitgenössischer Kritik des Genfer Prozessualisten Bellot in Fußnote 99. 121 Glasson/ Tissier, Traite de procedure civile 3 , Band 1, Nr. 25, S. 63. So ist der code de procedure civile inzwischen sowohl in Belgien durch den code judiciaire von 1967 (dazu de Leval, Droit judiciaire, Nr. 22, S. 40) als auch in Frankreich selbst im Bereich des Erkenntnisverfahrens durch den nouveau code de procedure civile von 1975 (siehe unten A.IV.2., S. 62) ersetzt worden. 122 Ranieri, in: Coing, Handbuch, Band III/2, Verfahrensrecht Italien, S. 2340. 123 Repubblica Cispadana in Bologna, 1796 und 1797, später Teil der Repubblica Cisalpina in Mailand, 1797 und 1798; Repubblica Ligure in Genua, 1797; Repubblica Romana in Rom, 1798; Repubblica Napoletana in Neapel, 1799, die aber nicht mehr in Kraft trat ( Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 46).

Il. Der code de procedure civile

39

sung zum ersten mal nach Italien kamen. 124 Auf der Ebene der einfachen Verfahrensgesetze und der gerichtlichen Praxis wurden sie aber selbst in Norditalien nicht verwirklicht, wo der Repubblica Cispadana und späteren Repubblica Italiana noch die längste Lebensdauer aller italienischen Jakobinerrepubliken beschieden war. 125 Ihr Ende fand diese Phase "italienisch-jakobinischer Prozeßrechtskodifikationen"126 durch die Einführung des code de procedure civile ab 1807 auf der ganzen italienischen Halbinsel, während Sizilien und Sardinien nicht unter französischem Einfluß standen.127 Damit entstand in Italien unter Napoleon, der zugleich als erster den Titel eines Königs von Italien führte, erstmals ein einheitliches kodifiziertes Zivilverfahrensrecht. 128 3.

Seine Geltung in Deutschland und Österreich

Auch in Deutschland hat der Einmarsch französischer Truppen einen wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung des Zivilprozeßrechts gehabt. Doch war der Grad der Berührung mit dem code de procedure civile in den einzelnen Gegenden sehr verschieden. a)

Frankreich angegliederte Gebiete

1795 waren Frankreich im Frieden von Basel die während des ersten Koalitionskrieges besetzten linksrheinischen Gebiete zugesprochen worden, wodurch die Erzbistümer Trier und Köln sowie die Reichsstädte Aachen, La giustizia civile in Italia, S. 47. La giustizia civile in Italia, S. 48. So enthielten die dortigen Leggi organiche giudiziarie von 1797, die nie in Kraft getreten sind, eigenständige Regeln nur für das Verfahren vor dem giudice di pace und dem tribunale di cassazione. Die Vorschriften des Verfahrens vor dem tribunale waren dagegen eine fortgeschriebene und der neuen Verfassung angepaßte Fassung der Österreichischen Allgemeinen Gerichtsordnung (Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 48 f.; Ranieri, in: Coing, Handbuch, Band III/2, Verfahrensrecht Italien, S. 2345). Der Metodo generate di procedura nelle cause civili von 1801, der ebenfalls nie in Kraft getreten ist, lehnte sich sogar noch weiter an die Österreichische Allgemeine Gerichtsordnung an ( Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 49). In Kraft trat schließlich am 1. Januar 1805 der wiederum an das Österreichische Recht angelehnte Metodo giudiziario civile, der jedoch an den code civil angepaßt werden mußte (Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 57, 59). 126 Ranieri, in: Coing, Handbuch, Band III/2, Verfahrensrecht Italien, S. 2341. 127 Zeitpunkt und Umstände des Inkrafttretens des code de procedure civile hingen davon ab, ob die Gebiete Teil des französischen Kaiserreichs geworden (z.B. Piemont und Ligurien) oder offiziell davon getrennt geblieben waren (z.B. Neapel). Zu den Einzelheiten zu jedem Einzelstaat siehe Bo/Tappari, Codice di procedura civile, Band 1, S. V - XXXVII. 128 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 56, 69. 124 Taruffo,

125 Taruffo,

40

A. Historischer Überblick

Worms und Speyer unmittelbar von der französischen Gesetzgebung betroffen waren. Schon 1795 wurde in den linksrheinischen Departements mit dem Aufbau der französischen Gerichtsorganisation begonnen; der code de procedure civile trat 1807 in Kraft. 129 Ende 1810 wurde die französische Herrschaft auf die Hansestädte Bremen, Harnburg und Lübeck und den ganzen norddeutschen Raum erweitert, der in die Departements EmsSuperieur, Bauches-du- Weser und Bouches-de-l'Elbe aufgegliedert wurde. Schließlich wurde 1811 noch das Departement de la Lippe errichtet, wo mit dem code civil auch der code de procedure civile Einzug hielt. 130 b)

Der Rheinbund

Anders verhielt sich die Lage dagegen in den Staaten des Rheinbundes, die alle mehr oder weniger in Abhängigkeit von Frankreich standen. Am ausgeprägtesten war diese Abhängigkeit in den echten Vassallenstaaten, zum einen im Königreich Westphalen, in dem Napoleons Bruder Jeröme Bonaparte regierte, zum anderen im Großherzogtum Berg unter seinem Schwager Joachim Murat. Beide Staaten hatten das französische Zivilrecht des code civil übernommen, die Übernahme des Prozeßrechts erwies sich jedoch als schwieriger. In Westphalen wurde zwar die Gerichtsorganisation, nicht aber der code de procedure civile übernommen. Statt dessen wurde von 1808 bis 1810 eine eigene Bürgerliche Prozeßordnung geschaffen, die sich zwar eng an das französische Vorbild anlehnte, 131 aber mit der Beibehaltung des gemeinrechtlichen Beweisinterlokuts auch eigene Akzente setzte. 132 Die Übernahme dieser westphälischen Prozeßordnung stand auch in Berg zur Debatte, doch entschied man sich letztlich 1812 für den code de procedure civile, 133 zu einer Zeit, als die französische Herrschaft sich längst ihrem Ende näherte. Daneben waren es lediglich Kleinstaaten, die das französische Prozeßrecht übernahmen. 134 In den übrigen Staaten des Rheinbundes hat der code de procedure civile dagegen keine Aufnahme gefunden. Zum einen war die Beibehaltung Französisches Recht, S. 95 f. Französisches Recht, S. 152, 160, 577. 131 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch, Band III/2, Verfahrensrecht Deutschland, s. 2666. 132 Schubert, Französisches Recht, S. 105 ff., 579. 133 Schubert, Französisches Recht, S. 144 ff. 134 Das Herzogtum Anhalt-Köthen setzte 1811 den code de procedure civile in Kraft (Schubert, Französisches Recht, S. 120 ff.). Das Herzogtum Arenberg setzte 1809 eine eigene Prozeßordnung in Kraft, die die wichtigsten Grundsätze des französischen Verfahrensrechts zusammenfaßte. Dabei ist aber unter dem Blickwinkel dieser Untersuchung interessant, daß die völlige Übertragung der formellen Verfahrensleitung auf die Parteien, wie sie im code de procedure civile geregelt war, nicht übernommen wurde (Schubert, Französisches Recht, S. 117). 129 Schubert,

130 Schubert,

II. Der code de procedure civile

41

eines eigenständigen Verfahrensrechts Ausdruck der fortbestehenden Souveränität.135 Zum anderen zeigte sich hier, daß die Bewunderung für den code de procedure civile weder bei den deutschen Juristen 136 noch bei Napoleon selbst so groß war wie für den code civil. Während das französische Zivilrecht zum Beispiel in Baden137 und Frankfurt 138 zur Grundlage eines neuen Zivilgesetzbuches wurde, 139 blieb das Prozeßrecht vielfach ohne unmittelbaren Einfluß. So blieb in Baden nicht nur die vor Eintritt in den Rheinbund geschaffene Kur-Badische Obergerichtsordnung von 1803 den gemeinrechtlichen Prinzipien verpflichtet, sondern auch der Entwurf des badischen Staatsrats Johann Nikolaus Friedrich Brauer, der aus Frankreich vor allem die Friedensrichter einführen wollte. 140 Auch in den anderen Staaten des Rheinbundes blieb die ältere gemeinrechtliche Partikulargesetzgebung bestehen, so zum Beispiel in Bayern der von Xaverius von Kreittmayer geschaffene Codex Iuris Bavarici Judiciarii von 1753. 141 c)

Preußen und Österreich

Verschont vom direkten französischen Einflußbereich blieben nur die beiden deutschen Großmächte Preußen und Österreich. Preußen, das sich während des zweiten und dritten Koalitionskrieges neutral verhalten hatte, blieb dem Rheinbund fern und bewahrte sich seine Eigenständigkeit vollständig. Auch nach der Niederlage gegen Napoleon bei Jena und Auerstedt und der zwischenzeitliehen Besetzung Berlins blieb die Allgemeine Gerichtsordnung weiterhin in Geltung. Auch Österreich blieb vom code de procedure civile weitgehend unberührt. Lediglich entfernte habsburgische Lande wie die Österreichische Lombardei und die habsburgischen Niederlande mit Luxemburg gerieten unmittelbar unter französische Herrschaft. Soweit es Joseph Il. in den Niederlanden gelungen war, die Allgemeine Gerichtsordnung einzuführen, wurde diese wieder beseitigt, bis 1807 auch hier der code de procedure civile in Kraft trat. 142 Dieser Überblick über die napoleonische Zeit hat gezeigt, daß sich das französische Verfahrensrecht auf dem Gebiet des späteren deutschen Rei135 Schubert, 136 Siehe z.B.

Französisches Recht, S. 251. das Urteil von Gönners, zitiert von Schubert , Französisches Recht, S. 342. 137 Code Napoleon mit Zusätzen und Handelsgesetzen als Landrecht für das Großherzogthum Baden von 1809 (Gross, Der Code Civil in Baden, S. 18 ff.) . 138 Schubert, Französisches Recht, S. 245, 305 ff. 139 In wichtigen anderen Staaten wie Bayern wurden der Plan, das französische Recht zu rezipieren, ergebnislos fallengelassen (Schubert, Französisches Recht, S. 181, 192). 140 Schubert, Französisches Recht, S. 240 ff. 141 Dahlmanns, in: Coing , Handbuch, Band 111/2, Verfahrensrecht Deutschland , s. 2635. 142 Dahlmanns , in: Coing , Handbuch, Band III/2, Verfahrensrecht Belgien , S. 2582.

42

A. Historischer Überblick

ches großer Bekanntheit erfreute. Fast überall war es im Rheinbund Gegenstand politischer Diskussionen und wissenschaftlicher Betrachtungen geworden. Auch wenn seine unmittelbare Geltung räumlich begrenzt und zum Teil auch nur von kurzer Dauer war, auch wenn Neukodifikationen, die französische Ideen verwirklichen wollten, etwa in Baden nicht zur Vollendung gediehen waren, so war doch der französische Einfluß auf die folgende Epoche der Restauration vorgezeichnet. Für Österreich traf dies alles jedoch nicht zu, was für die weitere Entwicklung nicht ohne Bedeutung ist. III.

Restauration und nationale Einheit

Die Zeit der Restauration nach dem Wiener Kongreß von 1815 war in Deutschland wie in Italien geprägt von der Suche nach nationaler Einheit. Besonders interessant ist sie deshalb, weil hier die Einzelstaaten eine rege Kodifikationstätigkeit an den Tag legten, deren Wege zum Teil recht unterschiedlich verliefen. 1.

Italien bis zum codice di procedura civile von 1865

So standen in Italien auf der einen Seite Staaten wie das Königreich Sardinien und das Herzogtum Modena, die unmittelbar nach dem Sturz der napoleonischen Herrschaft ihre alten Rechtsquellen, die piemontischen Costituzioni von 1770 beziehungsweise den Codice Estense von 1771 wieder in Kraft setzten und so bis zur Fertigstellung neuer Kodifikationen 143 für längere Zeit zum alten Recht zurückkehrten. Oder das Großherzogtum Toskana, das 1814 die alte gemeinrechtliche Gerichtspraxis erstmals im neuen Codice di procedu.ra civile pei tribunali del Gran-Ducato di Toscana zusarnmenfaßte, ohne daß das französische Recht Einfluß hätte nehmen können. 144 Das auf dem Wiener Kongreß neugeschaffene und von den Habsburgern regierte Königreich Lombardo-Veneto schließlich knüpfte an seine Österreichische Tradition an 145 und erhielt 1815 mit dem Regolamento generale del processo civile pel Regno Lombardo- Veneto eine italienische Fassung die Westgalizische Gerichtsordnung von 1796. Mit der Einführung 143 Im Königreich Sardinien wurde der erste neue codice im Jahre 1854 geschaffen. Der neue Codice Estense trat im Herzogtum Modena 1852 in Kraft. 144 Taruf!o, La giustizia civile in ltalia, S. 74. 145 So hatte im Herzogtum Mailand schon von 1786 bis 1796 die Allgemeine Gerichtordnung von 1781 und in Venetien von 1803 bis 1806 die Westgalizische Gerichtsordnung von 1796 gegolten (Ranieri, in: Coing, Handbuch, Band 111/ 2, Verfahrensrecht Italien , S. 2354; Boj Tappari, Codice di procedura civile, Band 1, S. XII f .; Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 70).

111. Restauration und nationale Einheit

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des ABGB im Jahre 1811 146 wurde das Königreich bis zur staatlichen Einheit Italiens vollständig Teil des Österreichischen Rechtsgebiets. Auf der anderen Seite standen Staaten wie das mit der Restauration wiedergeschaffene Königreich beider Sizilien, wo das französische Recht zunächst in Kraft blieb und schließlich in den Leggi della procedura ne' giudizj civili, dem dritten Teil des Codice per lo Regno delle due Sicilie von 1836, unter geringen Anpassungen Fuß faßte. 147 Oder das kleine Herzogtum von Parma, Piacenza und Guastalla, dessen Codice di Processura Civile per gli Stati di Parma, Piacenza e Guastalla von 1820 sich an das französische Recht anlehnte, ohne ihm jedoch blind zu folgen. So handelt es sich um die bemerkenswerteste Kodifikation der frühen Restaurationszeit, 148 die auf die spätere Entwicklung einigen Einfluß gewinnen sollte.149 Eine Sonderrolle spielte dagegen der Kirchenstaat. Schon 1817 hatte Papst Pius VII. eine umfassende Prozeßrechtskodifi.kation in Kraft gesetzt, wodurch ein Rückfall in die Zeiten kanonischer Rechtsquellen vermieden wurde. Inhaltlich wurde jedoch nicht nur die alte, vielschichtige Gerichtsverfassung beibehalten, sondern auch ins Verfahrensrecht flossen viele kanonische Einflüsse mit ein. 150 Das Regolamento Legislativo e Giudiziario per gli Affari Civili von Papst Gregor XVI. vom 10. November 1834 folgte diesem Beispiel und versuchte, unter Berücksichtigung der kanonischen Tradition und des französischen Einflusses eigene Wege zu gehen.151 Als letzte präunitarische Reform setzte das Königreichs Sardinien 1859 seinen Codice di Procedura Civile per gli Stati di S. M. il Re di Sardegna in Kraft. Dieser codice diente zugleich als Vorbild für die Gesetzgebung des 1861 errichteten Königreichs Italien, der König von Sardinien wurde als Viktor Emanuel I. König von Italien. Die Prozeßrechtswissenschaft stand in dieser Zeit überwiegend unter französischem Einfluß.152 Eine systematische Bearbeitung des Prozeßrechts hatte nicht stattgefunden. Auch gab es nach der staatlichen Einigung keine gesetzgeberischen Vorarbeiten, sondern es wurde in kurzer Zeit eine Prozeßordnung geschaffen, die dem Aufbau des code de procedure civile folgte und in die neben französischen auch Österreichische und traditionell italienische Elemente einflossen, der Codice di Procedura Civile del Regno d'Italia von 1865. Mit der Vollendung 146 Dazu Ranieri, in: Coing, Handbuch, Band III/ 1, Kodifikation und Gesetzgebung des Allgemeinen Privatrechts Italien, S. 226 f. 147 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 80. 148 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 82. 149 Ranieri, in: Coing, Handbuch, Band III/2, Verfahrensrecht Italien, S. 2362. 150 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 78. 151 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 86, 88. 152 Trocker, in: Habscheid, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlungen, s. 122.

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A. Historischer Überblick

der staatlichen Einheit durch die Besetzung Roms und die Auflösung des Kirchenstaates wurde er zum Zivilprozeßgesetz für ganz Italien. Auch hier wurde weiterhin zwischen dem förmlichen und dem summarischen Verfahren unterschieden (Art. 155 Abs. 1 c.p.c. 1865). Während das förmliche Verfahren grundsätzlich vor dem tribunale civile anwendbar war (Art. 155 Abs. 2 c.p.c. 1865),153 wurde vor dem pretore und dem conciliatore im summarischen Verfahren verhandelt (Art. 155 Abs. 3 c.p.c. 1865). 2.

Deutschland bis zur Zivilprozeßordnung von 1877

In Deutschland wurde der code de procedure civile mit Beginn der Restauration in den deutschen Rheinprovinzen zunächst überall beibehalten.154 Das Land aber hatte in der napoleonischen Zeit sein politisches Gesicht völlig verändert. Das alte Reich war untergegangen und mit ihm die ungezählten weltlichen und geistlichen Herrschaften; die von Napoleon oder dem Wiener Kongreß neu geschaffenen Staaten des Deutschen Bundes waren im Regelfall größere Flächenstaaten, die auf der einen Seite eine starke Rechtszersplitterung auch auf dem Gebiete des Prozeßrechts zu verzeichnen hatten. Auf der anderen Seite besaßen sie aber auch die Kraft, eine eigene Kodifikation zu versuchen. Vor allem das Zivilprozeßrecht wurde von dieser Kodifikationswoge erfaßt und stand als Berührungspunkt des Bürgers mit der Staatsgewalt zugleich im Mittelpunkt der politischen Diskussion.165 So ist es nicht verwunderlich, daß die Paulskirchenversammlung die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens in den Rang eines Grundrechts erhob, 156 wodurch das deutsche Zivilprozeßrecht trotz des Scheiterns der Reichsgründung einen kräftigen Schub erhielt. 157 Die Folge waren Gesetze und Entwürfe in fast allen deutschen Staaten. Hier soll an vier Beispielen verdeutlicht werden, welchen Gang die Entwicklung nahm. Nicht näher eingegangen werden kann auf die Königreiche Württemberg 158 und Sachsen159 sowie andere, kleinere Staaten.160 153 Im einstweiligen Rechtsschutz, in Berufungsverfahren gegen Urteile des pretore und vor allem auf Anweisung des Gerichtspräsidenten wurde auch vor dem tribunale civile im summarischen Verfahren verhandelt (Art. 389 c.p.c. 1865). 154 Dahlmanns, Strukturwandel, S. 29 = Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 25. 155 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch, Band 111/ 2, Verfahrensrecht Deutschland, s. 2615. 156 Vgl. § 48 Abs. 1 des Gesetzes, betreffend die Grundrechts des deutschen Volkes, RGBI. vom 28. Dezember 1848, Nr. 8, abgedruckt bei Mick, Die Paulskirche, S. 373, Frankfurt/Main 1988. 157 Beschomer, AcP 34 (1851), S. 295. 158 Civil-Prozeß-Ordnung für das Königreich Württemberg vom 3. April 1868. 159 Siehe dazu oben Fußnote 109, S. 36. 160 Gesetz, den bürgerlichen Prozeß betreffend, vom 2. November 1857 im Großherzogtum Oldenburg; Civil-Proceß-Ordnung vom 19. März 1850 im Herzogtum Braunschweig,

111. Restauration und nationale Einheit

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Exemplarisch läßt sich die Entwicklung des deutschen Zivilprozeßrechts dieser Zeit besonders gut am neu geschaffenen Königreich Hannover ablesen. Dort wurde wie überall im rechtsrheinischen Raum der code de procedure civile beziehungsweise die westphälische Prozeßordnung, die im Göttinger Raum gegolten hatte, außer Kraft gesetzt. Man kehrte zum vornapoleonischen Recht zurück. 161 Im Bestreben nach einem einheitlichen Verfahrensrecht wurde 1827 wenigstens für die Untergerichte eine einheitliche Verfahrensordnung geschaffen, die weitgehend den Grundsätzen des gemeinen Rechts folgte; die Obergerichte praktizierten aber weiterhin ihr eigenes Verfahren. 162 1847 wurde schließlich die "Allgemeine Bürgerliche Prozeßordnung für das Königreich Hannover" verabschiedet, 163 eine im Aufbau gemeinrechtlich geprägte Kodifikation, die aber mehr mündliche Elemente enthielt und dem Richter ein Fragerecht einräumte. 164 Durch den Revolutionssturm der Märzereignisse wurde sie aber hinweggefegt und trat erst gar nicht in Kraft. Statt dessen arbeitete Gerhard Adolph Leonhardt die "Allgemeine Bürgerliche Prozess-Ordnung" von 1850 aus. 165 Zu bedeutenden Kodifikationen des Zivilprozeßrechts kam es in dieser Zeit auch im Großherzogtum Baden, wo 1832 die "Proceß-Ordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Grossherzogthum Baden" 166 in Kraft trat. 1864 wurde schließlich trotz der Beratungen im Deutschen Bund eine neue "Proceß-Ordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Grossherzogthum Baden" geschaffen, die bis 1879 in Kraft blieb. Das Königreich Bayern gehörte seit dem Rückerwerb der Rheinpfalz zu den Staaten, in denen das französische Recht weitergalt. Auch wenn der französische Einfluß in der Person Anselm von Feuerbachs in der Reformdiskussion beträchtlich war, gelangte man bis zur Märzrevolution nur zu einer Teilreform des alten Codex' im Jahre 1837. Erst die Revolutionsgesetzgebung 1848167 zeichnete das Wesen des neuen bayerischen Zivilverfahrens vor, das schließlich 1869 in der "Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Königreich Bayern" 168 kodifiziert wurde. braunschweigische GVS 1850, Nr. 14, S. 65 ff.; kurhessisches Gesetz, das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten betreffend, vom 28. Oktober 1863. 161 Schubert, Französisches Recht, S. 601. 162 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch, Band 111/2, Verfahrensrecht Deutschland, s. 2619. 163 Text bei Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 78 ff. 164 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch, Band 111/2, Verfahrensrecht Deutschland, s. 2620. 165 Text bei Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 341 ff. 166 Text bei Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 2, S. 1 ff. 167 Gesetz, die Grundlagen der Gesetzgebung über die Gerichtsorganisation, über das Verfahren in Civil- und Strafsachen und über das Strafrecht betreffend, vom 4. Juni 1848. 168 Text bei Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 4, S. 1 ff.

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A. Historischer Überblick

Besonders reichhaltig war die Facette der geltenden Verfahrensrechte schließlich im vergrößerten Königreich Preußen. Neben der Allgemeinen Gerichtsordnung in den östlichen Landesteilen und den Neuerwerbungen Berg169 und Westphalen galt linksrheinisch der code de procedure civile,110 im übrigen gemeines Recht. 171 Bis zum lnkrafttreten der Reichsjustizgesetze 1879 hat das Land die Rechtseinheit auf dem Gebiet des Zivilprozesses auch nicht wiedererlangt. Es blieb zunächst bei einer Reform des summarischen Verfahrens im Jahre 1833, 172 das im Jahre 1846 unter Abänderungen zum allgemeinen Verfahrenstypus erklärt wurde. 173 In der Zeit nach 1848 gelang in Preußen keine umfassende Kodifikation des Zivilprozeßrechts mehr. Es blieb bei einem Entwurf aus dem Jahre 1864, der den Triumph des rheinischen Rechts besiegeln sollte. 174 Gleichzeitig waren in Hannover die vierjährigen Beratungen des Entwurfs einer "allgemeinen Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten" abgeschlossen worden, bei denen die hannoversche Prozeßordnung von 1850 als Grundlage gedient hatte. 175 Preußen war diesen Beratungen jedoch von Anfang an fern geblieben. 176 Ohne Beteiligung einer der beiden Großmächte im Bund war der Versuch aber letztlich zum Scheitern verurteilt. Endgültig zu den Akten gelegt werden mußte er, als der Bund selbst in der Schlacht von Königgrätz sein trauriges Ende fand. Als nunmehr preußischer Justizminister hatte Leonhardt bei den Beratungen über die Ausarbeitung des Entwurfs einer "Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes" in erster Linie vom preußischen Entwurf auszugehen.177 An diesen norddeutschen Entwurf lehnte sich der schon im Jahre der Reichsgründung 1871 vorgelegte Entwurf einer "Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich" 178 an, auf dessen Grundlage die ZivilprozeßFranzösisches Recht, S. 149. Französisches Recht, S. 576. 171 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch, Band 111/2, Verfahrensrecht Deutschland, s. 2649. 172 Verordnung Nr. 1426, über den Mandats-, den summarischen und den Bagatellprozeß vom 1. Juni 1833, preußische GS 1833, Nr. 7, S. 37 ff. Vgl. dazu unten Fußnote 146, s. 91. 173 § 1 der Verordnung Nr. 2729 über das Verfahren in Zivilprozessen vom 21. Juli 1846, preußische GS 1846, Nr. 22, S. 291 ff. 174 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch, Band 111/2, Verfahrensrecht Deutschland, s. 2654. 175 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch, Band 111/2, Verfahrensrecht Deutschland, s. 2623. 176 Beteiligt waren lediglich Österreich, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Nassau und die Stadt Frankfurt (S. 1 f. der Protocolle der Commission zur Berathung einer allgemeinen Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten). 177 Vgl. die Protokolle der Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes, I. Sitzung, S. 5. 178 Text bei Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 3, S. 1 ff. 169 Schubert, 170 Schubert,

III. Restauration und nationale Einheit

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ordnung ausgearbeitet wurde. Daß damit nicht das hannoversche Modell von 1850, sondern das rheinisch-preußische von 1864 der Zivilprozeßordnung als Grundlage diente, mag seinen Grund auch darin haben, daß sich das Königreich Hannover 1866 auf die Seite Österreichs geschlagen hatte und nach dem verlorenen Krieg zu einer preußischen Provinz herabgesunken war. Die neue "Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich" wurde schließlich 1877 fertiggestellt und trat zusammen mit den übrigen Reichsjustizgesetzen am 1. Januar 1879 in Kraft. Der Rechtszersplitterung auf dem Gebiet des Zivilprozeßrechts war in Deutschland damit für die Zeit bis 1945 ein Ende gesetzt. 3.

Österreich bis zur Zivilprozeßordnung von 1895

In wesentlich ruhigeren Bahnen verlief das 19. Jahrhundert in Österreich. Von den politischen Entwicklungen in Deutschland und Italien nur mittelbar berührt, blieb im inneren vieles beim alten. Die josephinischen Prozeßgesetze sorgten für weitgehende Rechtseinheit im ganzen Land, und 1835179 wurde die Allgemeine der WestgaUzischen Gerichtsordnung noch weiter angepaßt. 180 Da auch der Deutsche Bund zerbrach, noch bevor die dafür ausgearbeitete Zivilprozeßordnung Wirklichkeit werden konnte, herrschte in der Entwicklung des ordentlichen Erkenntnisverfahrens lange Zeit Stillstand. 181 Bewegung herrschte dagegen wie in Preußen auf dem Gebiet des summarischen Verfahrens, das 1845 in einem Sondergesetz neu geordnet wurde. Außerdem wurden das Mandats- 182 {1855) 183 und das Mahnverfahren 184 (1873) 185 kodifiziert. Als letztes wurde im selben Jahr ein besonderes Bagatellverfahren eingeführt. 186 Einen neuen Impuls erhielt die Reformdiskussion in Österreich durch die deutsche Zivilprozeßordnung, die trotz des politischen Zerwürfnisses mit Preußen von 1866 als Leitbild diente. 187 Doch führten die Entwürfe 179 Hofdekret

vom 22. Juni 1835, Nr. 42. Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht 2 , Band 1, S. 54. 181 von Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht 2 , Band 1, S. 54. 18 2 Siehe dazu unten B.II.l., S. 90. 183 Kaiserliche Verordnung vom 21. Mai 1855, über das Verfahren zur Einliringung derjenigen Forderungen, welche durch Notariatsact bewiesen sind, öRGBI. 1855, Nr. 95, ergänzt durch die Verordnung des Justizministeriums vom 18. Juli 1859, über die beschleunigte Einbringung der, durch öffentliche oder legalisierte Urkunden bewiesenen, dann der landtäflich, stadt- oder grundbüchlich einverleibten Forderungen, und über die Execution zur Sicherstellung während eines, in der Hauptsache anhängigen Processes, öRGBI. 1859, Nr. 130. 184Siehe dazu unten Fußnote 149, S. 91. 185 Gesetz vom 27. April 1873, über das Mahnverfahren, öRGBI. 1873, Nr. 67. 186 Gesetz vom 27. April 1873, über das Verfahren in geringfügigen Rechtssachen (Bagatellverfahren), öRGBI. 1873, Nr. 66. 187 König, JBI. 1981, S. 588. 180 uon

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A. Historischer Überblick

von 1876 und 1881, die sich an das deutsche Recht anlehnten, nicht zum Erfolg. 188 So war es schließlich dem Wiener Privatdozenten Franz Klein vorbehalten, der Reformdiskussion mit seinem Aufsatz «Pro futuro» 189 den entscheidenden Anstoß zu geben 190 und selbst die neue Österreichische Zivilprozeßordnung auszuarbeiten. Sie wurde am 1. August 1895 verabschiedet191 und trat am 1. Januar 1898 in Kraft.

IV.

Die Entwicklung bis zur Gegenwart

Am Ende des letzten Jahrhunderts hatten damit alle vier Länder ihr Zivilprozeßrecht auf die Grundlage einer einheitlichen Kodifikation gestellt. Ein Ende der Entwicklung war damit jedoch keineswegs erreicht. 1.

a)

Die Entwicklung in Italien

Das Königreich Italien bis zum ersten Weltkrieg

Vielmehr setzte in Italien schon wenige Jahre nach Inkrafttreten des codice di procedura civile die Reformdiskussion erneut ein, die schon im letzten Jahrhundert zu vielen neuen Sondergesetzen und unzähligen Reformvorschlägen führte, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. 192 Zu greifbaren Ergebnissen führte die Diskussion mit der Reform des summarischen Verfahrens im Jahre 1901, 193 die auf Anregungen von Lodovico Mortara aus dem Jahre 1891 zurückgeht. 194 Damit wurde das summarische Verfahren, das schon vorher die Gerichtspraxis weitgehend beherrscht hatte, 195 nun auch offiziell zum ordentlichen Verfahren vor dem tribunale civilie erklärt (Art. 2 G. 107 /1901) und dieser neuen Funktion angepaßt. 188 Fasching,

Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 35. 1890, S. 507 bis 1891, S. 103. 19 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 35. 191 Gesetz vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, öRGBI. 1895, Nr. 113. 192 Zu den ~ntwürfen und Gesetzen vor 1900 siehe die Zusammenfassung bei Mortara, Commentario, Band 3, S. 362, Fußnote 1, S. 366, Fußnote 1. 193 Gesetz vom 31. März 1901, Nr. 107, G.U. vom 8. April1901, Nr. 83, in Verbindung mit dem Königlichen Dekret vom 31. August 1901, Nr. 413, G.U. vom 7. September 1901, Nr. 214. 194 Mortara, Manuale9 , Band 1, Nr. 275, S. 307, Fußnote 1. 195 Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 172; Mortara, Commentario, Band 3, S. 359. Diese Entwicklung war möglich, weil die Gerichtspräsidenten regelmäßig ihr Einverständnis zur summarischen Form der citazione a udienza fissa gaben (Art. 154 Abs. 1 HS. 2, 134 Nr. 6 Alt. 2, 389 Nr. 3 c.p.c. 1865). So wurden im Jahre 1900, ein Jahr vor Inkrafttreten der Reform, nur noch 3,44 % der Fälle im förmlichen Verfahren entschieden ( Chiovenda, Principii3 , S. 707, Fußnote 2). 189 JBI.

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IV. Die Entwicklung bis zur Gegenwart

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Damit setzte auch Italien wie viele Länder vor- und nachher auf das summarische Verfahren. 196 Der Erfolg war jedoch bescheiden, 197 so daß über die Notwendigkeit tiefgreifender Reformen Einigkeit bestand. 198 In diese Zeit fiel nun das Inkrafttreten der Österreichischen Zivilprozeßordnung, die bei den damals bedeutendsten italienischen Prozessualisten, Chiovenda und Mortara, 199 auf wohlwollendes Interesse stieß.200 Zu konkreten Reformen kam es vor dem Krieg aber nicht mehr, nachdem der von Mortara ausgearbeitete Entwurf von 1909 des Justizministers ( Guardasigilli) Orlando201 gescheitert war, weil er den Bedürfnissen nach einer weitreichenden Reform nicht genügte. 202 Auch der Versuch, den Einzelrichter am tribunale civile einzuführen,203 wurde schon bald wieder abgebrochen. 204 b)

Die Nachkriegszeit und die Ära des Faschismus

Nach dem Ende des ersten Weltkrieges setzte die Reformtätigkeit nun verstärkt ein. Bereichert wurde die Diskussion dadurch, daß Italien im Frieden von Saint-Germain-en-Laye mit Südtirol, dem Trentin und Istrien Österreichische Provinzen erworben hatte und das Land dadurch unmittelbar mit dem Österreichischen Zivilprozeßrecht in Berührung kam. Es blieb in den neuen Provinzen bis 1928 in Kraft 205 und lenkte die Diskussion in eine völlig neue Richtung. Praktische Konsequenzen hatte dies bei 196 Vorher hatte z.B. Preußen einen ähnlichen Weg beschritten (siehe oben A.III.2., S. 46), erst kürzlich tat es Spanien (Miros, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 144). 197 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 3, S. 288; Mortaro, Giur. it. 1923 IV, Sp. 138; Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 173. 198 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 3, S. 287. 199 Die große Bedeutung dieser beiden Prozessualisten liegt darin, daß sie die italienische Prozeßrechtswissenschaft von der französisch geprägten und auf die grammatische und historische Auslegung beschränkten Exegetik zu einer systematischen Betrachtungsweise des Prozeßrechts deutscher Prägung geführt haben ( Camelutti, ZZP 64 (1950), S. 33; Trocker, in: Habscheid, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlungen, S. 122, 124; Stümer, in: Habscheid, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlungen, S. 29). 20 Chiovenda , Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 370 f.; Mortaro, Commentario, Band 3, S. 361. 201 Abgedruckt bei Mortaro, Commentario, Band 5, S. 727 ff. 202 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 428. 203 Art. 18 Abs. 1 des Gesetzes vom 19. Dezember 1912, Nr. 1311, G.U. vom 21. Dezember 1912, Nr. 300, in Verbindung mit den Ausführungsbestimmungen im Königlichen Dekret vom 27. August 1913, Nr. 1015, G.U. vom l. September 1913, Nr. 204. 204 Gesetz vom 27. Dezember 1914, Nr. 1404. Siehe dazu Zanuttigh, Il giudice unico nella riforma del 1912, Riv. dir. proc. 1971, S. 688. 205 König, JBI. 1981, S. 589. Abgeschafft wurde es in Übereinstimmung mit dem Friedensvertrag durch das Königliche Dekret Disposizioni per l'unificazione legislativa nei territori annessi al regno vom 4. November 1928, Nr. 2325, G.U. vom 5. November 1928, Nr. 257, LEX 1928, S. 1463.

°

4 Piekenbrock

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A. Historischer Überblick

der Einführung des Injunktionsverfahrens206 nach österreichischem Vorbild im Jahre 1922.207 Daneben sei noch eine Reform zur Entlastung der Gerichtskanzleien aus demselben Jahr erwähnt.208 Chiovenda nahm als Berichterstatter der Nachkriegskommission ( Commissione per il dopo guerra) das Österreichische Modell auch für das ordentliche Erkenntnisverfahren zum Vorbild für den 1920 veröffentlichten Entwurf einer völlig neuen Prozeßordnung. 209 Als im Oktober 1922 mit der Berufung Benito Mussolinis zum Ministerpräsidenten die Ära des Faschismus begann, war es mit dem Vorhaben, auf der Grundlage dieses Entwurfs einen neuen codice di procedura civile zu erstellen, jedoch vorbei. Aber auch das neue Regime wollte den alten codice durch einen neuen ersetzen und ließ sich dazu vom Parlament die Ermächtigung übertragen, 210 wobei Mortara als Vorsitzender des zuständigen Ausschusses des Senats eine tragende Rolle spielte. Er wandte sich gegen die Ideen Chiovendas, weil er Italien weder personell noch organisatorisch in der Lage sah, das gewachsene System völlig aufzugeben. 211 Darüberhinaus spielten aber auch politische Gründe eine Rolle. Der faschistische Staat versuchte, ideologisch an die glorreiche Zeit des Imperium Romanum anzuknüpfen, und stand der deutschsprachigen Bevölkerung daher ablehnend gegenüber. Auch Mortara machte aus seiner anti-österreichischen Position keinen Hehl, 212 so daß 206Siehe

dazu unten B.II.l., S. 90. Dekret Nonne definitive e disposizioni tronsitorie e per I'attuazione della legge 9 luglio 1922 n. 1035 sul procedimento per ingiunzione vom 24. Juli 1922, Nr. 1036, G.U. vom 1. August 1922, Nr. 180, LEX 1922, S. 541. Die Regelungen wurde später ersetzt durch das Königliche Dekret Nuove norme sul procedimento di ingiunzione e su quello per convalida di sfratto vom 7. August 1936, Nr. 1531, G .U. vom 21. August 1936, Nr. 193, LEX 1936, S. 1342. 208 Königliches Dekret Provvedimenti per Ia semplificazione dei servizi di cancelleria vom 9. Oktober 1922, Nr. 1366, G .U . vom 13. November 1922, Nr. 265, LEX 1922, s. 917. 209 Abgedruckt mit Relazione bei Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, s. 1 ff., 114 ff. 210 Gesetz Delega al governo della facolta di arrecare apportuni emendamenti al codice civile e di pubblicare nuovi codici di proceduro civile e di commercio e per Ia marina mercantile in occasione della unificazione legislativa con le nuove provincie vom 30. Dezember 1923, Nr. 2814, G.U. vom 8. Januar 1924, Nr. 6, LEX 1924, S. 65. 211 Mortaro , Giur. it. 1923 IV, Sp. 140 f. So hielt er beispielsweise das Rechtsmittel der Revision für unvereinbar mit dem Bestehen einer Corte di cassazione. Zum Verständnis ist zu sagen, daß Mortara als Präsident der römischen Corte di cassazione seit Jahrzenten bemüht gewesen war, die Zuständigkeit "seiner" Corte di cassazione auf ganz Italien auszuweiten und die noch bestehenden Gerichtshöfe in Florenz, Thrin, Neapel und Palermo abzuschaffen (Calamandrei, RabelsZ 2 (1928), S. 61). Dieser Traum war Wirklichkeit geworden mit dem Königlichen Dekret Approvazione della nuova circoscrizione giudizionaria del regno vom 24. März 1923, Nr. 601, G.U. vom 19. April 1923, Nr. 92, LEX 1923, S. 727. 212 Wörtlich schrieb Mortaro, Giur. it. 1923 IV, Sp. 141:« .. . ; anche i piu fervidi 207 Königliches

ammirotori dell'ordinamento austriaco, quelli ehe lo sono per convinzione scientifica e

IV. Die Entwicklung bis zur Gegenwart

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jeder an das Österreichische Modell angelehnte Entwurf nun von vornherein diskreditiert war. 213 So legte er 1923 einen eigenen Entwurf vor, 214 der sich weitgehend am Modell des summarischen Verfahrens von 1901 orientierte. 215 Diese beiden verschiedenen Reformvorstellungen prallten unmittelbar aufeinander, als der neue Justizminister Aldo Oviglio Mortara zum Präsidenten und Chiovenda zum Vizepräsidenten der Unterkommission für die Reform des Zivilprozeßrechts berief. 216 Die eigentliche Arbeit wurde aber dem Inneren Ausschuß übertragen, an dem Chiovenda nicht mehr beteiligt war. Hier übernahm Francesco Carnelutti die führende Rolle und veröffentlichte im Jahre 1926 seinen Entwurf des Erkenntnisverfahrens für die königliche Unterkommission, 217 den diese unter nur geringfügigen Änderungen übernahm. 218 Dieser Entwurf trug eindeutig Carneluttis Handschrift und basierte wie das prozessuale Denken seines Verfassers auf dem Begriff des Rechtsstreits (lite) 219 (Art. 1), an dessen gerechter Beilegung das Gemeinwesen ein öffentliches Interesse habe. 220 Damit wandte er sich vom klassischen, individualistischen Begriff des Klaganspruchs ( azione) Chiovendas ab. 221 Auf Anregung Mortaras entfernte der damalige Justizminister Alfredo Rocco diese Ideen wieder aus dem Entwurf, 222 doch konnte er bis zu seinem frühen Tode nur noch den Allgemeinen Teil223 ausarbeiten. eon buona Jede, non insistono molto per Ia ineondizionata sua aeeetazione. Le segrete aspirazioni di qualcuno ehe dalle nuove provineie ne reclama Ia propagazione al resto d'ltalia, per inguaribile attaeeamento a un regime politico ehe invano spera non estinto per sempre, non devono neppur essere rilevate.» " ... ; auch die glühendsten Verehrer der Österreichischen Prozeßordnung, die dies aus wissenschaftlicher Überzeugung und in gutem Glauben sind, bestehen nicht sonderlich auf einer unbedingten Übernahme. Die geheimen Wünsche derer, die in unheilbarer Anhänglichkeit an ein politisches Regime, das sie vergeblich nicht für ewig ausgelöscht hoffen, ihre Verbreitung im übrigen Italien einfordern, brauchen nicht einmal erwähnt zu werden." 213 Chiovenda, Saggi di diritto proeessuale, Band 2, S. 207, stellte enttäuscht fest, daß die Anwälte und Richter in Bozen und Trient angesichts der Autorität Mortaras verängstigt verstummten. 214 Abgedruckt mit Relazione bei Mortara, Giur. it. 1923 IV, Sp. 136 ff., 1924 IV, Sp. 1 ff. 215 Mortara, Giur. it. 1923 IV, Sp. 141; Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 308. 216 Calamandrei, RabelsZ 2 (1928), S. 59, 61. 217 Veröffentlicht unter dem Titel Progetto del Codice di Proeedura Civile, Padova 1926. 218 Veröffentlicht unter dem Titel Commissione reale per Ia riforma dei Codiei. Sottoeommissione C - Codiee di procedura civile. Progetto, Roma 1926. 2 19 Carnelutti, Lezioni, Band 1, S. 131. 22 Carnelutti, Lezioni, Band 2 S. 94. Vgl. Calamandrei , Riv. dir. proc. civ. 1928, S. 5. 221 Taruffo, La giustizia civile in ltalia, S. 204. 222 D 'Amelio, Riv. dir. proc. civ. 1937 I, S. 3; Relazione, Nr. 3, abgedruckt bei Franehi/Feroci, Nuovo codice di procedura civile3 , S. X. 223 Abgedruckt in Riv. dir. proc. civ. 1937 I, S. 8 ff.

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Vergönnt war ihm aber noch die Neuregelung des individuellen Arbeitsverfahrens,224 das anstelle der collegi dei probiviri den ordentlichen Gerichten zugewiesen wurde. Außer der Neuordnung des Berufsrechts der avvocati und der procuratori legali 225 verlief die Reform zunächst im Sande.226 Wieder in Gang brachte sie Justizminister Pietro de Francisci, der Enrico Redenti mit der Ausarbeitung eines Entwurfs beauftragte. 227 Unter Berücksichtigung dieser Vorarbeiten legte Arrigo Solmi 1937 seinen Vorentwurf (progetto preliminare) 228 vor, zu dem Stellungnahmen der Gerichte, Anwaltskammern und Universitäten eingeholt wurden.229 Unter Berücksichtigung der Anregungen legte Solmi im Februar 1939 seinen endgültigen Entwurf (progetto definitivo ) 230 vor. Der zuständigen parlamentarischen Kommission wurde der Entwurf aber erst im Oktober 1939 nach weireichenden Änderungen durch seinem Amtsnachfolger Grandi zugeleitet. 231 Bei diesen letzten Beratungen wirkten mit Carnelutti, Redenti und Piero Calamandrei die bedeutendsten Prozessualisten dieser Zeit mit, 232 nachdem Mortara und Chiovenda 1937 verstorben waren. 233 Ein Jahr später wurde der neue codice di procedura civile bekanntgemacht234 und trat zusammen mit den letzten drei Büchern des neuen 224 Königliches Dekret Normeper Ia decisione delle contraversie individuali dellavoro vom 26. Februar 1928, Nr. 471, G .U. vom 22. März 1928, Nr. 69, LEX 1928, S. 448, geändert durch das Gesetz Autorizzazione al governo del Re a pubblicare le norme per Ia decisione delle contraversie individuali dellavoro vom 22. Januar 1934, Nr. 76, G .U. vom 6. Februar 1934, Nr. 30, LEX 1934, S. 260, und das Königliche Dekret Norme per Ia decisione delle contraversie individuali dellavoro vom 21. Mai 1934, Nr. 1073, G.U. vom 14. Juli 1934, Nr. 164, LEX 1934, S. 1275. 225 Königliches Gesetzes-Dekret Ordinamento delle professioni di avvocato e di procuratore vom 27. November 1933, Nr. 1578, G.U. vom 5. Dezember 1933, Nr. 281, LEX 1933, S. 1704; Gesetz Conversione in legge, con modificazioni, del R. D.-L. 27 novembre 1933, n. 1578, riguardante l'ordinamento delle professioni di avvocato e di procuratore vom 22. Januar 1934, Nr. 36, G .U. vom 30. Januar 1934, Nr. 24, LEX 1934, S. 199. 226 Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 185. 227 Veröffentlicht vom Justizministerium (Ministero di Grazia e Giustizia) unter dem Titel Lavori preparatori per Ia riforma del Codice di procedura civile. Schema di progetto del libro primo, Roma 1936. In Fachkreisen war der Entwurf aber schon vorher bekannt (Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 185). Siehe dazu auch Redenti, Sul nuovo progetto del codice di procedura civile, Foro it. 1934 IV, Sp. 177 ff. 228 Veröffentlicht vom Justizministerium unter dem Titel Codice di Procedura Civile, Progetto Freiiminare e Relazione, Roma 1937. 229 Veröffentlicht vom Justizministerium unter dem Titel Osservazioni e Proposte sul Progetto di Codice di Procedura Civile, Roma 1938. 230 Veröffentlicht vom Justizministerium unter dem Titel Codice di Procedura Civile, Progetto definitivo, Relazioone del guardasigilli on. Solmi e testo, Roma 1939. 231 Relazione, Nr. 4, abgedruckt bei Franchi/Feroci, Nuovo codice di procedura civiie 3 , S. XI. 2 3 2 Micheli , ZvglRWiss 55 (1942) , S. 98. 233 Siehe den Nachruf von Chiovenda auf Mortara, Riv. dir. proc. civ. 1937 I, S. 100, und den Nachruf von Carnelutti auf Chiovenda, Riv. dir. proc. civ. 1937 I, S. 297. 234 Königliches Dekret Approvazione del testo del Libro del Codice di procedura civi-

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codice civile235 am 21. April 1942 in Kraft. Hinsichtlich seines Aufbaus lehnte er in Abkehr vom alten codice di procedura civile an die Zivilprozeßordnungen Deutschlands und Österreichs an. Das erste Buch (Art. 1 162 c.p.c. 1940) enthielt nun einen Allgemeinen Teil (Disposizioni generali),236 der gleich im ersten Titel mit den Regelungen über den Richter und seine Zuständigkeit begann. 237 Die Entwürfe davor hatten dagegen alle mit den Regelungen über die Parteien begonnen. Im zweiten Buch (Art. 163 - 473 c.p.c. 1940) folgten die Bestimmungen für das Erkenntnisverfahren (Processo di cognizione),238 das im ersten Titel (Art. 163 310 c.p.c. 1940) zunächst beispielhaft für das Verfahren vor dem tribunale geregelt wurde (Del procedimento davanti al tribunale). Im zweiten Titel (Art. 311 - 322 c.p.c. 1940) waren einige Sondervorschriften für das Verfahren vor dem pretore und dem conciliatore enthalten (Del procedimento davanti al pretore e al conciliatore); im übrigen wurde aber auf das Verfahren vor dem tribunale verwiesen (Art. 311 c.p.c. 1940). Es folgten im dritten Titel (Art. 323- 408 c.p.c. 1940) die Regelungen über die Rechtsmittel (Delle impugnazioni). Zusätzlich wurde im vierten Titel (Art. 409 - 473 c.p.c. 1940) zum ersten Mal im hier untersuchten Raum das gesamte Arbeitsverfahren in den codice inkorporiert (Norme perle contraversie in materia corporativa). 239 Das dritte Buch (Art. 474 - 632 c.p.c. 1940) enthielt schließlich die Vorschriften über das Vollstreckungsverfahren (Del processo di esecuzione) und das vierte (Art. 633- 831 c.p.c. 1940) die Sonderverfahren (Dei procedimenti speciali). Zur Ergänzung des codice wurden Ausführungs- und Übergangsvorschriften (Disposizioni per l'attuazione del Codice di procedura civile e disposizioni transitorie) erlassen. 240 Schließle vom 28. Oktober 1940, Nr. 1443, Sonderausgabe der G .U. vom 28. Oktober 1940, Nr. 253, LEX 1940, S. 2009. 235 Verkündet durch das Königliche Dekret Approvazione del testo del codice civile vom 16. März 1942, Nr. 262, G .U. vom 4. April 1942, Nr. 79, LEX 1942, S. 566. 236 Darin zeigt sich der Einfluß Calamandreis, der das Fehlen eines Allgemeinen Teils im Vorentwurf von Solmi kritisiert hatte ( Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 300). Auch in seinem endgültigen Entwurf hatte Solmi ihn als unitalienisch abgelehnt ( Relazione, Nr. 2, Progetto definitivio, S. 5). 237 Dies sollte verdeutlichen, daß der Prozeß aus der Sicht des Richters gesehen wurde ( 'Irocker, ZZP 91 (1978), S. 238, Fußnote 1). Entsprechend der Aufbau der deutschen Zivilprozeßordnung, die aber nur die Regelungen der örtlichen Zuständigkeit ent hält, während sich im codice di procedura civile die gesamten Zuständigkeitsregeln finden. In Österreich sind sie in den Jurisdiktionsnormen zusammengefaßt. 238 Auch hier ist Galamandreis Einfluß deutlich, der sich gegen die Bezeichnung giudizio di cognizione im Vorentwurf von Solmi gewandt und für die jetzige Formulierung plädiert hatte ( Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 300). 239 Das kollektive Arbeitsverfahren war im ersten Abschnitt geregelt (Delle contraversie colletive ) (Art. 409- 428 c.p.c. 1940), das individuelle Arbeitsverfahren im zweiten Abschnitt (Delle controversie individuali di lavoro) (Art. 429- 458 c.p.c. 1940). 24°Königliches Dekret vom 18. Dezember 1941, Nr. 1368, suppl. ord. G.U. vom 24. Dezember 1941, Nr. 302.

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lieh wurden auch die Gerichtsverfassung und das Insolvenzrecht auf eine neue normative Grundlage gestellt, das ordinamento giudiziario 241 und die legge fallimentare. 242 Damit hatte Mussolini gut ein Jahr vor seinem Sturz sein gesetzgeberisches Werk vollendet. c)

Die italienische Republik

Gleich nach Ende des zweiten Weltkriegs sollten die neuen Gesetzbücher vom Ungeist der Vergangenheit befreit und überarbeitet werden. So wurde schon im Jahre 1946 ein Entwurf zur Reform des Erkenntnisverfahrens vorgelegt, 243 auf dessen Grundlage der neue codice, der sich unter anderem wegen seiner strengen Präklusionsvorschriften in der Praxis keiner großen Beliebtheit erfreute, zunächst vorläufig reformiert wurde. 244 1950 wurde diese Reform in ihren Grundzügen bestätigt und fortgeführt. 245 Da auch diese Reform nicht den erhofften Erfolg brachte, forderte der Senat der Republik die Regierung bereits anläßlich der Haushaltsdebatte für das Jahr 1954/55 auf, Vorschläge für eine weitreichende Reform zu erarbeiten. 246 Die Regierung erstellte daraufbin ähnlich wie 1937 ein Meinungsbild der Gerichte, Anwaltskammern und Universitäten, 247 die einer erneuten großen Reform überwiegend ablehnend gegenüberstanden.248 Der damalige Justizminister Gonella legte daraufbin lediglich den Entwurf einer Teilreform vor, 249 der aber auf allgemeine Ablehnung stieß.250 241 Königliches Dekret vom 30. Januar 1941, Nr. 12, G.U. vom 4. Februar 1941, Nr. 28, LEX 1941, S. 189, 397. 242 Königliches Dekret Disciplina del fallimento, del concordato preventivo, dell'amministrazione controllata e della liquidazione coatta amministrativa vom 16. März 1942, Nr. 267, suppl. ord. G.U. vom 6. April 1942, Nr. 81, LEX 1942, S. 567. 243 Veröffentlicht vom Justizministerium unter dem Titel Disegno di legge sulla riforma del codice di procedura civile, Relazione e testo, Roma 1946. 244 Verordnung Modificazioni e aggiunte al Codice di procedura civile vom 5. März 1948, Nr. 483, suppl. ord. G.U. vom 20. Mai 1948, Nr. 116, LEX 1948, S. 1151, 1177 ( Relazione und Text). 245 Gesetz Ratifica del decreto legislativo 5 maggio 1948 n. 483, contenente modificazioni e aggiunte al Codice di procedura civile vom 14. Juli 1950, Nr. 581, suppl. ord. G.U. vom 16. August 1950, Nr. 186, LEX 1950 I, S. 1102. 2 46 Taruf!o, La giustizia civile in ltalia, S. 322. 247 Veröffentlicht vom Justizministerium unter dem Titel Osservazioni e Proposte sulla Riforma del Codice di Procedura Civile, Roma 1956. 248 Stellungnahme der Corte di cassazione, Osservazioni e Proposte 1956, Band 1, S. 5; Calamandrei, Relazione der Universita di Firenze, Osservazioni e Proposte 1956, Band 1, S. 61. Das gleiche gilt für die Anfrage des Justizministers Reale zehn Jahre später (Reale, Per un nuovo processo civile, S. 7). 249 Der Gesetzentwurf Modificazioni del codice di procedura civile e delle disposizioni per l'attuazione dello stesso codice und die Relazione sind abgedruckt in Giust. civ. 1960 IV, S. 109 ff., 253 ff. 2SO Taruf!o, La giustizia civile in ltalia, S. 323.

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So kam es in den folgenden Jahren zu keinen bemerkenswerten Änderungen des codice, obwohl Virgio Andrioli, einer der großen italienischen Prozessualisten dieses Jahrhunderts, schon 1971 angesichtsder praktischen Erfahrungen mit dem Gesetz den Hilferuf ausstieß:«La casa brucia!» 251 Erwähnenswert ist lediglich die Einrichtung der Verwaltungsgerichte (tribunali amministrativi) im Jahre 1971. 252 Der erste bedeutende Eingriff in den codice erfolgte im Jahre 1973, als die Sonderregelungen über das kollektive Arbeitsverfahren aufgehoben und das individuelle Arbeits- und Sozialverfahren grundlegend umgestaltet wurde. 253 Es ist seither als Sonderverfahren vor dem pretore konzipiert (Art. 413 Abs. 1 c.p.c.) .254 Mit dieser Reform wurde zugleich ein Modell geschaffen, an dem sich auch die Reform des ordentlichen Verfahrens orientierten sollte. 255 Mit Inkrafttreten der jüngsten Reform wird es durch spezielle Verweisungsnormen auch auf viele andere Zivilverfahren beim pretore angewandt, beispielsweise in Mietsachen (Art. 447 bis Abs. 2 c.p.c.). Noch im selben Jahr beauftragte der Nachfolger Gonellas, Justizminister Zagari, eine Expertenkommission mit der Ausarbeitung konkreter Vorschläge zur Reform des codice di procedura civile, die schon bald in zwei Gruppen in Rom und Mailand aufgeteilt wurde. 256 Ausgehend von der Arbeit der Kommission in Rom legte der neue Justizminister Oronzo Reale den Gesetzentwurf 2246/S/VI257 vor, während die Mailänder Kommission unter dem Vorsitz von Enrico Tullio Liebman ihren Entwurf 1977 präsentierte. 258 Es setzte sich die Ansicht durch, daß nur eine 251 "Das Haus brennt!", Andrioli, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 104. 252 Gesetz lstituzione dei tribunali amministrativi regionali vom 6. Dezember 1971, Nr. 1034, G.U. vom 13. Dezember 1971, Nr. 314, LEX 1971 I, S. 3768. 253 Gesetz Disciplina delle controversie individuali di lavoro e delle controversie in materia di previdenza e assistenza obligatorie vom 11. August 1973, Nr. 533, G.U. vom 13. September 1973, Nr. 237, LEX 1973 I, S. 2747. Vgl. dazu auch den ersten Gesetzentwurf der Camera dei deputati, Foro it. 1971 V, Sp. 80. ff., und Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 349. 254 Zuvor war je nach Streitwert der pretore oder das tribunale zuständig (Art. 434 Abs. 1 c.p.c. 1940). 255 Vgl. Montesano, Riv. trim. dir. proc. civ. 1978, S. 476. 256 Taruffo, La giustizia civile in ltalia, S. 332. 257 Der Gesetzentwurf provvedimenti urgenti relativi al processo civile ist unter der angegebenen Nummer abgedruckt in den Drucksachen des Senats (Atti del Senato). Die Beratungen der italienischen Zivilprozeßrechtsgelehrtenvereinigung (Associazione italiana fra gli studiosi del processo civile) über den Entwurf fanden im Dezember 1975 statt und sind abgedruckt in Riv. trim. dir. proc. civ. 1976, S. 619 ff. 258 Der Text ist mit Erläuterung abgedruckt in Riv. dir. proc. 1977, S. 455 ff. Die Beratungen der Zivilprozeßrechtsgelehrtenvereinigung vom Mai 1978 sind abgedruckt in Riv. dir. proc. 1978, S. 454 ff.

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völlige Neugestaltung des gesamten codice die Krise würde überwinden können. 259 Im Dezember desselben Jahres wurde eine neue Expertenkommission unter dem Vorsitz von Liebman beauftragt, Leitlinien für einen neuen codice zu erarbeiten. Die Ergebnisse wurden 1981 vorgelegt 260 und mit einigen zm Teil gewichtigen Änderungen vom Ministerrat als Gesetzentwurf Nr. 1463/S/VIII261 beschlossen. Dabei wurde ähnlich wie 1923 der Versuch unternommen, den neuen codice durch Ermächtigungsgesetz im Wege der Rechtsverordnung ( decreto legislativo) zu erlassen, wie dies jüngst beim Erlaß des nuovo codice di procedura penale geschehen ist.262 Nach Ablauf der VIII. Legislaturperiode wurde der Entwurf unter der Nr. 634/S/IX erneut dem Senat vorgelegt und dort beraten, 263 schließlich aber ganz aufgegeben. 264 Als einzig sichtbarer Erfolg der Reformbestrebungen der vergangenen Jahre blieb somit die drastische Erweiterung der Zuständigkeit des pretore und des conciliatore im Jahre 1984.265 Statt der großen Reform wurde nun wieder eine Teilreform durch das Parlament angestrebt, die den schlimmsten Mißständen abhelfen, am Grundprinzip des Verfahrensrechts aber möglichst wenig ändern sollte. Die Regierung beauftragte eine neue Kommission, einen Entwurf für die Teilreform auszuarbeiten.266 Auch die Zivilprozeßrechtsgelehrtenvereinigung, 267 die Richtervereinigung Magistratura democratica 268 und Giuseppe Tarzia269 legten Entwürfe vor, die in den Gesetzentwurf Nr. 2214/S/IX des Justizministers Rognoni mündeten. 270 Zum vorläufigen Abschluß kamen die Arbeiten auf 259 Relazione

s. 646.

zum Gesetzentwurf Nr. 1463/S/VIII, Riv. trim. dir. proc. civ. 1981,

260 Abgedruckt 261 Zusammen

in Riv. dir. proc. 1981, S. 504. mit der Relazione abgedruckt in Riv. trim. dir. proc. civ. 1981 S. 645 ff.

262 Gesetz Delega legislativa al Governo della Repubblica per l'emanazione del nuovo codice di procedura penale vom 16. Februar 1987, Nr. 81, suppl. ord. G.U . vom

16. März 1987, Nr. 62, LEX 1987 I, S. 618. Das Ermächtigungsgesetz enthält in Art. 2 in über einhundert Stichwörtern die Leitlinien des Verfahrens. Dies ist aus deutscher Sicht bemerkenswert, da hier ein solches Vorgehen mit der in der Rechtsprechung des B VerfG zum Vorbehalt des Gesetzes entwickelten Wesentlichkeitstheorie ( B VerfG E 45, 400, 417 f.; 47, 46, 83; 49, 89, 126) nicht vereinbar wäre. Der nuovo codice di procedura penale wurde schließlich erlassen mit Dekret des Präsidenten der Republik Approvazione del codice di procedura penale vom 22. September 1988, Nr. 447, suppl. ord. G.U. vom 24. Oktober 1988, Nr. 250, LEX 1988 I, S. 2119. 263 Vgl. den Bericht von Senator Lipari, Riv. trim. dir. proc. civ. 1986, S. 318 ff. 264 Introduzione alle « riforme urgenti»del processo civile, Doc. Giust. 1991, Nr. 10, s. 5. 265 Gesetz Aumento dei limiti di competenza del conciliatore e del pretore vom 30. Juli 1984, Nr. 399, G.U. vom 1. August 1984, Nr. 210, LEX 1984 I, S. 1227. 266 Proto Pisani, Foro it. 1986 V, Sp. 511, Fußnote (*). 267 Abgedruckt in Foro it. 1986 V, Sp. 511 ff., überarbeitet in: Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 339 ff., ausgearbeitet von Andrea Proto Pisani und Giovanni Fabbrini. 268 Abgedruckt in Foro it. 1987 V, Sp. 74 ff., Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 295 ff. 269 Abgedruckt in Giur. it. 1988 IV Sp. 257 ff., Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 363 ff. 270 Abgedruckt in Foro it. 1987 V, Sp. 123 ff., Doc . Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 319 ff.

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der Grundlage des Regierungsentwurfs Nr. 1288/S/X des Justizministers Vassalli 271 mit der Verabschiedung der provvedimenti urgenti per il processo civile (Eilmaßnahmen für den Zivilprozeß) im November 1990. 272 Neben dieser Reform des Verfahrensrechts wurden auch die Gerichtsorganisation und -verfassung und jüngst auch das anwaltliehe Berufsrecht273 umgestaltet. Damit beherzigte der Gesetzgeber die alte Erkenntnis, daß es nicht genügt, einen neuen Mechanismus an die Stelle des alten zu setzen, solange niemand diesen vorteilhaft zu nutzen versteht. 274 Schon 1977 waren die Spruchkörper an der Corte d'appello und der Corte di cassazione verkleinert worden, 275 und 1989 hatte der Gesetzgeber die Gerichtsorganisation gestrafft. 276 In die Gerichtsverfassung selbst wurde schließlich durch die Einführung des giudice di pace 277 eingegriffen, der an die Stelle des früheren conciliatore trat. 278 Durch die unglückliche Verknüpfung der Verfahrensreform mit der Friedensrichternovelle279 haben die beim Aufbau der Friedensrichterämter aufgetretenen Schwierigkeiten280 auch zu ständigen Verzögerungen beim Inkrafttreten der provvedimenti urgenti geführt. Schon während der parlamentarischen Beratungen war der Termin für das lnkrafttreten immer weiter verschoben worden281 und schließlich auf den 1. Januar 1992 gelegt worden (Art. 92 G. 353/1990). Nur die Erhöhung des gesetzlichen Zinssatzes nach Art. 1284 c.c. von 5% auf 10% trat sofort 271 Abgedruckt mit Vorwort von Proto Pisani in Foro it. 1988 V, Sp. 325 ff., Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 215 ff. , Doc. Giust. 1991, Nr. 10, S. 97 ff. 272 Gesetz provvedimenti urgenti per il processo civile vom 26. November 1990, Nr. 353, suppl. ord. Nr. 76 G.U. vom 1. Dezember 1990, Nr. 281, LEX 1990 I, S. 2275. 273 Gesetz Soppressione dell'albo dei procuratori legali enorme in materia di esercizio della professione forense vom 24. Februar 1997, Nr. 27, G.U. vom 27. Februar 1997, Nr. 48, LEX 1997 I, S. 828. Vgl. hierzu unten Fußnote 12, S. 107. 2 74 Beschomer, AcP 34 (1851), S. 296. 275 Gesetz Provvedimenti urgenti in materia processuale e di ordinamento giudiziario vom 8. August 1977, Nr. 532, G.U. vom 20. August 1977, Nr. 226, LEX 1977 I, S. 1576. 276 Gesetz Costituzione delle preture circondariali e nuove norme relative alle sezioni distaccate vom 1. Februar 1989, Nr. 30, suppl. ord. G.U. vom 6. Februar 1989, Nr. 30, LEX 1989 I, S. 565. 277 Gesetz lstituzione de/ giudice di pace vom 21. November 1991, Nr. 374, suppl. ord. Nr. 76, G.U. vom 27. November 1991, Nr. 278, LEX 1991 I, S. 2657. Die Durchführungsbestimmungen wurden mit einiger Verzögerung erlassen durch das Dekret des Präsidenten der Republik Regolamento di esecuzione degli articoli 4 e 5 della !egge 21 novembre 1991, n. 374, recante istituzione del giudice dipace vom 28. August 1992, Nr. 404, G .U. vom 15. Oktober 1992, Nr. 243, LEX 1992 I, S. 3564. 278 Zu Einzelheiten siehe unten B.l.l.c), S. 81. 279 Stellungnahme des C.S.M. zum Gesetzentwurf über die Konversion der Gesetzesdekrete Nr. 121, Nr. 218 und Nr. 432, Notiziario del C.S.M., November 1995, S. 10. 280Vgl. Tarzia, Riv. dir. proc. 1994, S. 238. 281 Nach Art. 61 des Gesetzentwurfs 1288/S/X sollte die Reform anderthalb Monat e nach ihrer Verkündung in Kraft treten. Der Senat verlägerte diese Frist zunächst auf sechs Monate (Art. 87 des Entwurfs, Stenographische Berichte der 353. Sitzung des Senats der Republik am 28. Februar 1990, S. 58, abgedruckt in Doc. Giust. 1991, Nr. 10) .

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A. Historischer Überblick

nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft, um Prozeßverzögerungen den finanziellen Erfolg zu nehmen. Mit der Friedensrichternovelle (Art. 50 G. 374/1991) wurde das Inkrafttreten um ein Jahr und im Dezember 1992282 um ein weiteres Jahr verschoben.283 Die nächste Verschiebung auf Juli 1994 erfolgte im Dezember 1993 durch ein Gesetzes-Dekret nach Art. 77 Abs. 2 cost., 284 das jedoch mangels fristgerechter Konversion in ein Parlamentsgesetz nach Art. 77 Abs. 3 S. 1 cost. seine Wirkung verlor. 285 Ihm folgte ein neues GesetzesDekret,286 das zusätzlich noch einige inhaltliche Korrekturen an der Reform vornahm, auf die an gegebenem Ort287 hingewiesen wird. Auch dieses Gesetzes-Dekret verfiel 288 und wurde durch ein gleichlautendes ersetzt, 289 das ebenfalls verfallen ist. 290 Das nächste Gesetzes-Dekret, 291 das zugleich erhebliche Änderungen des Friedensrichtergesetzes mit sich brachte,292 bestimmte den 18. Dezember 1994 als Tag des Inkrafttretens der provvedimenti urgenti, die Friedensrichternovelle sollte am 19. Dezember 1994 in Kraft treten. Es wurde bei seinem Verfall 293 durch ein gleichlautendes 282 Gesetz Disposizioni sull'efficacia di norme della legge 21 novembre 1991, n. 374 istitutiva del giudice di pace e della legge 26 novembre 1990, n. 353 contenente provvedimenti urgenti per il processo civile vom 4. Dezember 1992, Nr. 477, G.U. vom 12. Dezember 1992, Nr. 292, LEX 1992 I, S. 3991. 283 Vgl. Art. 2 Abs. 5 G . 477/1992. Danach traten zum 1. Januar 1993 nur einige Vorschriften in Kraft, worauf jeweils hingewiesen wird. 284 Art. 1 Gesetzes-Dekret Modificazione delle leggi 21 novembre 1991, n. 374 istitutiva del giudice di pace, e 26 novembre 1990, n. 353 contenente provvedimenti urgenti per il processo civile vom 16. Dezember 1993, Nr. 521, G.U. vom 17. Dezember 1993, Nr. 295, LEX 1993 I, S. 3148. 285 Mitteilung des Justizministeriums, G.U. vom 16. Februar 1994, Nr. 38, LEX 1994 I, S.611. 286 Gesetzes-Dekret Modificazione delle leggi 21 novembre 1991, n. 374 istitutiva del giudice di pace, e 26 novembre 1990, n. 353 contenente provvedimenti urgenti per il processo civile vom 14. Februar 1994, Nr. 105, G.U. vom 16. Februar 1994, Nr. 38, LEX 1994 I, S. 594. 287 Siehe unten C.II.2.b), S. 140. 288 Mitteilung des Justizministeriums, G.U. vom 18. April 1994, Nr. 89, LEX 1994 I, s. 1406. 289 Gesetzes-Dekret Modificazione delle leggi 21 novembre 1991, n. 374 istitutiva del giudice di pace, e 26 novembre 1990, n. 353 contenente provvedimenti urgenti per il processo civile vom 14. April 1994, Nr. 235, G.U. vom 18. April 1994, Nr. 89, LEX 1994 I, S. 1388. 290 Mitteilung des Justizministeriums, G.U. vom 18. Juni 1994, Nr. 141, LEX 1994 I, s. 2372. 291 Gesetzes-Dekret Modificazioni delle leggi 21 novembre 1991, n. 374 istitutiva del giudice di pace, e 26 novembre 1990, n. 353 contenente provvedimenti urgenti per il processo civile vom 18. Juni 1994, Nr. 380, G .U. vom 18. Juni 1994, Nr. 141, LEX 1994 I, S. 2354. 292 Siehe unten Fußnote 87, S. 82. 293 Mitteilung des Justizministeriums, G .U. vom 18. August 1994, Nr. 192, LEX 1994 I, s. 2956.

IV. Die Entwicklung bis zur Gegenwart

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Gesetzes-Dekret ersetzt. 294 Nach Verfall dieses Gesetzes-Dekrets295 wiederholte sich die gleiche Prozedur noch einmal. 296 Zum Jahresende trat schließlich das Parlament als der nach der Verfassung eigentlich zuständige Gesetzgeber wieder in Aktion: 297 die Kursänderungen vom Februar wurden bestätigt und die Eingriffe ins Friedensrichtergesetz noch vertieft. 298 Als neuer Stichtag wurde nun der 30. April 1995 bestimmt, an dem die Reform endlich in Kraft treten konnte. Unmittelbar zuvor änderte die Regierung jedoch die praktisch höchst bedeutsamen Übergangsbestimmungen.299 Nachdem Art. 90 Abs. 8 G. 353/90 a.F. von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des neuen Rechts auf bereits anhängige Verfahren ausgegangen war, wurde nun der entgegengesetzte Grundsatz statuiert (Art. 90 Abs. 1 S. 1 G. 353/1990 n.F.). Nur die "Eilmaßnahmen", die schon zum 1. Januar 1993 in Kraft getreten waren, wurden nun für alle Altverfahren für anwendbar erklärt (Art. 90 Abs. 1 S. 2, 92 Abs. 1 G. 353/1990 n.F.). Nicht nur, daß damit, um im Bild Andriolis zu bleiben, schon die Glut des brennenden Hauses verloschen sein dürfte, 300 als die römische Feuerwehr endlich den Befehl erteilte :"Wasser, Marsch!" Nein, sie lenkte den Strahl zugleich am riesigen Berg der anhängigen Altverfahren vorbei. 301 Aber auch damit kehrte in die Gesetzgebung keine Ruhe ein. Nachdem die Neuregelung des Internationalen Privatrechts302 nur die inter294 Gesetzes-Dekret Modificazioni delle le99i 21 novembre 1991, n. 374 istitutiva del 9iudice di pace, e 26 novembre 1990, n. 353 contenente provvedimenti uryenti per il processo civile vom 8. August 1994, Nr. 493, G.U. vom 11. August 1994, Nr. 187, LEX 1994 I, S. 2922. 295 Mitteilung des Justizministeriums, G.U. vom 10. Oktober 1994, Nr. 237, LEX 1994 I, S. 3379. 296 Gesetzes-Dekret Modificazioni delle le99i 21 novembre 1991, n. 374 istitutiva del 9iudice di pace , e 26 novembre 1990, n. 353 contenente provvedimenti ur9enti per il processo civile vom 7. Oktober 1994, Nr. 571, G.U. vom 10. Oktober 1994, Nr. 237, LEX 1994 I, S. 3363. 297 Gesetz Conversione in le99e, con modificazioni, del decreto-le99e 7 ottobre 1994, n. 571 recante modificazioni delle le99i 21 novembre 1991, n. 374 istitutiva del 9iudice di pace, e 26 novembre 1990, n. 353 contenente provvedimenti ur9enti per il processo civile vom 6. Dezember 1994, Nr. 673, G.U. vom 9. Dezember 1994, Nr. 287, LEX 1994 I, s. 3968. 298 Siehe unten Fußnote 88, S. 82. 299 Gesetzes-Dekret Interventi uryenti sulla disciplina transitoria della le9ge 26 novembre 1990, n. 353, relativa al processo civile vom 21. April 1995, Nr. 121, G.U. vom 22. April 1995, Nr. 94, LEX 1995 I, S. 1161. Das Gesetzes-Dekret verfiel mangels Konversion (Mitteilung des Justizministeriums, G.U. vom 22. Juni 1995, Nr. 144, LEX 1995 I, S. 2113) und wurde dann Teil der Reform von Juni/Dezember 1995 (vgl. unten Fußnoten 303 - 305). 30 Colesanti, Riv. dir. proc. 1993, S. 22. 301 Ende 1991 waren beispielsweise 2.261.959 Erkenntnisverfahren in erster Instanz anhängig (Justizstatistik 1991 Tafel 2.1- Movimento dei procedimenti di co9nizione in complesso- Anno 1991). 302 Gesetz Riforma del sistema italiano di diritto intemazionale privato vom

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A. Historischer Überblick

nationale Zuständigkeit und die Anerkennung ausländischer Entscheidungen betroffen hatte, griff die Regierung Dini nicht einmal zwei Monate nach lokrafttreten der provvedimenti urgenti ganz wesentlich in den Ablauf des Verfahrens ein. 303 Diese Reform wurde nach zweimaligem Verfall der Gesetzes-Dekrete304 kurz vor Weihnachten 1995 mit geringen Änderungen vom Parlament bestätigt. 305 Nachdem der Gesetzgeber nun über fünf Jahre hinweg Änderungen des codice erlassen und durch den ständig wechselnden Kurs seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt hat, 306 dürfte nun endlich etwas Ruhe einkehren, um der Praxis die Gewöhnung an das neue Verfahrensmodell zu ermöglichen. 2.

Die Entwicklung in Frankreich

In wesentlich ruhigerem Fahrwasser bewegte sich zunächst der code de procedure civile, der 130 Jahre fast unverändert blieb. 307 Erwähnt sei

nur die Einführung eines vereinfachten Verfahrens zur Durchsetzung der Gebührenforderungen von Notaren, Anwälten und Gerichtsvollziehern. 308

31. Mai 1995, Nr. 218, suppl. ord. G.U. vom 3. Juni 1995, Nr. 128, LEX 1995 I, S. 1808. Die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit sollten zuletzt am 31. Dezember 1996 in Kraft treten (Art. 73 f. G. 218/95, zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes-Dekrets Differimento di termini previsti da disposizioni legislative in materia di interventi in campo economico e sociale vom 23. Oktober 1996, Nr. 542, G .U. vom 23. Oktober 1996, Nr. 249, LEX 1996 I, S. 3672). 303 Gesetzes-Dekret Interventi urgenti sul processo civile e sulla disciplina transitoria della legge 26 novembre 1990, n. 353, relativaal medesimo processo vom 21. Juni 1995, Nr. 238, G.U. vom 22. Juni 1995, Nr. 144, LEX 1995 I, S. 2100. 304 Das G.-D. 238/1995 verfiel laut Mitteilung des Justizministeriums, G.U. vom 22. August 1995, Nr. 195, LEX 1995 I, S. 2831. Ihm folgte das fast identische GesetzesDekret Interventi urgenti sul processo civile e sulla disciplina transitoria della le99e 26 novembre 1990, n. 353, relativaal medesimo processo vom 9. August 1995, Nr. 347, G.U. vom 22. August 1995, Nr. 195, LEX 1995 I, S. 2815. Nach dessen Verfall (Mitteilung des Justizministeriums, G.U. vom 21. Oktober 1995, Nr. 247, LEX 1995 I, S. 3433) fogte das identische Gesetzes-Dekret Interventi ur9enti sul processo civile e sulla disciplina transitoria della le99e 26 novembre 1990, n. 353, relativa al medesimo processo vom 18 Oktober 1995, Nr. 432, G .U. vom 21 Oktober 1995, Nr. 247, LEX 1995 I, s. 2417. 305 Gesetz Conversione in leg9e, con modificazioni, del decreto-le99e 18 ottobre 1995, n. 432, recante interventi urgenti sul processo civile e sulla disciplina transitoria della legge 26 novembre 1990, n. 353, relativaal m edesimo processo vom 20. Dezember 1995, Nr. 534, G.U. vom 20. Dezember 1995, Nr. 296, LEX 1995 I, S. 4077. Einen Verstoß gegen Art. 77 Abs. 3 cost. wegen des wiederholten Erlasses eines Gesetzes-Dekrets hat die Corte costituzionale hier nicht festgestellt ( Corte cost. vom 21. März 1996, Nr. 84, Giur. it. 1996 I, Sp. 372, 381 mit Anmerkung Celotto ). 306 Tommaseo, Studium iuris 1996, S. 148. 307 Siehe den Regierungsbericht, D. 1935 IV, S. 421, Fußnote 1. Zu den punktuellen Änderungen vgl. Glassonj Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 1, Nr. 25, S. 65. 308 Gesetz vom 21./27. Dezember 1897 relative au recouvrem ent des frais dus aux notaires, avoues et huissiers, J.O. vom 27. Dezember 1897, D. 1898 IV, S. 1.

IV. Die Entwicklung bis zur Gegenwart

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Durch den Frieden von Versailles erwarb auch Frankreich mit den ehemaligen Reichslanden Elsaß-Lothringen, wo 1879 die deutsche Zivilprozeßordnung in Kraft getreten war, Gebiete, in denen ein jüngeres Verfahrensrecht galt. Auch nach ihrer Abtretung an Frankreich 1919 blieb das deutsche Verfahrensrecht in den neuen Departements Haut-Rhin, BasRhin und Moselle als sogenannte procedure locale erhalten. 309 Über den code selbst brach ab 1933310 eine Flut von Gesetzen und Dekreten herein, von denen hier nur die wichtigsten berücksichtigt werden können. Dies sind zunächst die Novellen des ordentlichen Erkenntnisverfahrens von 1935,311 1942,312 1944,313 1958,314 und 1960315 sowie des Injunktionsverfahrens von 1937,316 1957317 und 1972.318 Der heutige Gerichtsaufbau wurde 1958 geschaffen. 319 1967320 und 1979321 folgten Reformen der Organisation und des Verfahrens der Cour de cassation. 1965 begann die experimentelle Phase der Prozeßrechtsreform vor einigen Cours d'appel und tribunaux de grande instan~e. 322 Dieses Verfahren 309 Bis heute enthalten der Annexe du Nouveau Code de procedure civile relative d son application dans les departements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de Ia Moselle sowie die Art. R. 911-1 bis 911-4 COJ einige Sonderregelungen für Elsaß-Lothringen, doch besteht seit dem 1. Januar 1977 im wesentlichen Rechtseinheit im Erkenntnisverfahren dem übrigen Frankreich ( Vincent/ Guinchard, Procedure civile23 , Rdnr. 34). 310 Gesetz vom 12. Januar 1933 modifiant les art. 61, 64 , 70, 456 et 1029 c. pr. civ. (assignations et actes d'appel}, J.O. vom 14. Januar 1933, D. 1933 IV, S. 77. 311 Dekret modifiant divers articles du code de procedure civile vom 30. Oktober 1935, J.O. vom 31. Oktober 1935, D. 1935 IV, S. 421. 312 Gesetz sur Ia comparution personelle des parties devant les tribuneaux vom 23. Mai 1942, Nr. 555, J.O. vom 11. Juni 1942, D. 1942 leg., S. 120. 313 Gesetz sur l'instruction des affaires devant les tribuneaux civils vom 15. Juli 1944, J.O. vom 27. Juli 1944, D. 1944 leg., S. 81. 314 Dekret Nr. 58-1289 relatif d certaines modifications en matiere de procedure civile vom 22. Dezember 1958, J.O. vom 23. Dezember 1958, D. 1959 leg., S. 45. 315 Dekret Nr. 60-802 modifiant diverses dispositions de procedure civile vom 2. August 1960, J.O. vom 5. August 1960, D. 1960 leg., S. 287. 316 Dekret instituant pour les petites creances commerciales une procedure de recouvrement simplifiee vom 25. August 1937, J.O. vom 27. August 1937, D. 1937 IV, S. 244. 317 Gesetz Nr. 57-756 relative au recouvrement de certaines creances vom 4. Juli 1957, J .0. vom 7. Juli 1957, D. 1957 leg., S. 210. 318 Dekret Nr. 72-790 relatif au recouvrement de certaines creances vom 28. August 1972, J .O . vom 30. August 1972, D. 1972 leg., S. 486 f. 319 Verordnung Nr. 58-1273 relative d l'organisation judiciaire vom 22. Dezember 1958, J.O. vom 23. Dezember 1958, D. 1959 leg., S. 26. 320 Gesetz Nr. 67-523 relative d Ia Cour de cassation vom 3. Juli 1967, J.O. vom 4. Juli 1967, D. 1967 h!g., S. 250. 321 Gesetz Nr. 79-3 modifiant certaines dispositions relatives d Ia Cour de cassation vom 3. Januar 1979, J .0. vom 4. Januar 1979, D. 1979 leg., S. 49. 322 Dekret N r. 65-872 modifiant certaines dispositions du code de procedure civile et relatif d Ia mise en etatdes causes vom 13. Oktober 1965, J.O. vom 14. Oktober 1965, D. 1965 leg., S. 318. Siehe vor allem Art. 21 des Dekrets sowie die Anordnung des Justizministers vom 13. Oktober 1965, J.O. vom 14. Oktober 1965, D. 1965 leg., S. 322.

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A. Historischer Überblick

wurde 1967 punktuell modifiziert323 und diente als Grundlage für die Reform von 1971,324 die das neue Verfahren auf alle Gerichte ausdehnte. Mit dem (partiellen) Inkraftsetzen des nouveau code de procedure civile im Jahre 1975 wurde der alte code als bisher einziges napoleonisches

Gesetzbuch zumindest für den Bereich des Erkenntnisverfahrens ganz abgeschafft.325 Die neue Kodifikation folgt nicht dem Aufbau, den wir in Deutschland, Österreich und Italien beobachten können, sondern regelt das Verfahren zunächst allgemein 326 und enthält anschließend Sondervorschriften für die einzelnen Gerichte. 327 Dieser Aufbau ist logischer als der deutsche, bei dem eine Begründung, warum eine bestimmte Vorschrift im allgemeinen Teil oder im Verfahren vor dem Landgericht steht, häufig fehlt. Auch das anwaltliehe Berufsrecht wurde inzwischen neu geordnet und die traditionelle Trennung zwischen avoue und avocat für die erste Instanz beseitigt. 328 In der Berufungsinstanz vor der Cour d'appel ist es dagegen bis heute bei dieser Unterscheidung geblieben. 3.

Die Entwicklung in Deutschland

Auch in Deutschland war man schon bald nach Inkrafttreten der Zivilprozeßordnung nicht glücklich mit ihrer praktischen Anwendung, bot sie doch zuviele Möglichkeiten zur Prozeßverschleppung. So rückte sie ähnlich wie der codice di procedura civile in Italien schon bald wieder in den Mittelpunkt der Reformbestrebungen. Die ersten größeren Eingriffe wurden vorgenommen, als sie 1898 an die neuen Bestimmungen des BGB 323 Dekret Nr. 67-1072 modifiant certaines dispositions du code de procedure civile relatives d Ia mise en etat des causes et l'article 6 de Ia loi du 22 janvier 1851 vom 7. Dezember 1967, J.O. vom 9. Dezember 1967, D. 1967 leg., S. 468. 324 Dekret N r. 71-740 instituant de nouvelles regles de procedure destinees d constituer partie d'un nouveau code de procedure civile vom 9. September 1971, J.O. vom 11. September 1971, D. 1971 leg., S. 362. 325 Dekret Nr. 75-1123 instituant un nouveau code de procedure civile vom 5. Dezember 1975, J.O. vom 9. Dezember 1975, D. 1975 leg., S. 426. 326 Dispositions communes d toutes les juridictions (Art. 1 - 749 NCPC) . Der Anwendungsbereich dieses allgemeinen Teils wird in einer dispositionfinale (Art. 749 NCPC) beschrieben. Er erstreckt sich auf alle Zivil-, Handels-, Sozial-, Landwirtschafts- und Arbeitsverfahren. 327 Als ordentliche Zivilgerichte erster Instanz sind dies die Dispositions particulieres au tribunal de grande instance (Art. 750 - 826-1 NCPC) und die Dispositions particulieres au tribunal d'instance (Art. 827 - 852-1 NCPC). Daneben sei noch wie in allen Ländern auf das Verfahren in Arbeitssachen verwiesen. Hier findet sich in Frankreich unter dem Titel Dispositions particulieres aux juridictions statuant en matiere prud'homale nur Art. 879 NCPC, der Art. R. 516-0 bis 518-2 CT inkorporiert. 328 Gesetz Nr. 71-1130 portant reforme de certaines professions judiciaires et juridiques vom 31. Dezember 1971, J.O. vom 5. Januar 1972, D. 1972 leg., S. 39.

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angepaßt wurde. 329 Am Verfahrensablauf änderte sich freilich nichts. Erst das Inkrafttreten der Österreichischen Zivilprozeßordnung im selben Jahr wies der Reformdiskussion eine neue Richtung und brachte vor allem solche Themen auf die Tagesordnung, die das Österreichische vom deutschen Recht unterschied. So befaßte sich der 26. Deutsche Juristentag in Berlin 1902 mit der Frage:" Bedarf die Civilprozeßordnung einer Aenderung in der Richtung, daß dem Richter eine größere Mitwirkung bei dem Parteibetriebe gewährt wird?" 330 Erste praktische Auswirkungen des Österreichischen Einflusses wurden bereits bei der Amtsgerichtsnovelle von 1909331 deutlich,332 wo der Amtsbetrieb eingeführt und dem Amtsrichter Befugnisse zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung übertragen wurden. Auch der 31. Deutsche Juristentag 1912 in Wien beschäftigte sich mit Kernfragen des Zivilprozeßrechts. Das Thema dort: "Sind die Grundsätze der Mündlichkeit der Verhandlung und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in dem jetzt geltenden deutschen Zivilprozesse zweckmäßig durchgeführt, oder welche Änderungen empfehlen sich für den Fall einer durchgreifenden Neugestaltung des bürgerlichen Rechtsstreits?" 333 Zu einer solchen durchgreifenden Neugestaltung der Zivilprozeßordnung sollte es jedoch sobald nicht mehr kommen, da sich die dunklen Gewitterwolken, die über dem Kontinent und seiner alten Ordnung aufgezogen waren, schon bald mit Blitz und Donner entluden. Über das Kaiserreich brach am 4. August 1914 eine Zeit großer Veränderungen und wirtschaftlicher Not herein, die in der großen Inflation der Weimarer Republik Anfang der zwanziger Jahre gipfelte und an deren Ende nichts mehr so sein sollte, wie es vorher war. Wie in Krisenzeiten üblich, wurde die Rechtssetzungskompetenz sowohl in der Kriegs- 334 als auch in der Nachkriegszeit335 vom Reichstag delegiert, so daß die kleinen und großen Reformen der Zivilprozeßordnung in den kommenden zehn Jahren im Verordnungsweg erlassen wurden. Dabei war vor allem der allgemeinen Ressourcenknappheit und 329 Gesetz, betreffend Aenderungen der Civilprozeßordnung vom 17. Mai 1898, RGBI. 1898, S. 256. Der Text der geänderten Zivilprozeßordnung mit den heute geläufigen Paragraphen wurde vom Reichskanzler im RGBI. 1898, S. 410 bekannt gemacht. 330 Vgl. die Gutachten von Neukamp (Band 1, S. 125 ff.) und Wach (Band 2, S. 3 ff.). 331 Gesetz, betreffend Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Zivilprozeßordnung, des Gerichtskostengesetzes und der Gebührenordnung für Rechtsanwälte vom 1. Juni 1909, RGBI. 1909, S. 475. 332 Rosenberg, Zivilprozeßrecht 5 , S. 21. 333 Siehe dazu die Gutachten von Degen (Band 1, S. 259 ff.) und Salinger (Band 1, s. 29 ff. ). 334 Gesetz über die Ermächtigung des Bundesrates zu wirtschaftlichen Maßnahmen und über die Verlängerung der Fristen des Wechsel- und Scheckrechts im Falle kriegerischer Ereignisse vom 4. August 1914, RGBI. 1914, S. 327. 335 Ermächtigungsgesetz vom 8. Dezember 1923, RGBI. 1923 I, S. 1179, das die Reichsregierung zum Erlaß von Verordnungen ermächtigte und bis zum 15. Februar 1924 befristet war.

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A. Historischer Überblick

der Prozeßflut der frühen Weimarer Zeit Rechnung zu tragen. Während die kriegsbedingten Maßnahmen zur Gerichtsentlastung336 zu keinen wesentlichen Einschnitten ins Verfahrensrecht führten und zum Teil nur von kurzer Dauer waren, 337 kam den Verordnungen aus der Zeit der Inflation wesentlich größere Bedeutung zu. Dies gilt neben einer ersten Verordnung von 1923338 namentlich für die nach dem damaligen Reichsjustizminister benannte "Emminger Verordnung" von 1924,339 die noch kurz vor Ablauf der Ermächtigung in Kraft trat. 340 Nachdem sich die politische und wirtschaftliche Lage wieder stabilisiert hatte, wurde 1926 das erste Arbeitsgerichtsgesetz geschaffen.341 Im übrigen wurde die andauernde Reformdiskussion dieser Zeit vor allem von der politisch motivierten Frage beherrscht, ob nicht Deutschland und Österreich, denen die staatliche Vereinigung verwehrt war, wenigstens durch Rechtsangleichung im Wege der Parallelgesetzgebung auch im Zivilprozeßrecht enger zusammenrücken sollten. Ausdruck dieser Bemühungen war beispielsweise die Tagung der Vereinigung deutscher Zivilprozeßrechtslehrer vom 27. bis 29. Oktober 1928 in Wien, 342 wo Carnelutti seinen Entwurf vorstellte. 343 1931 veröffentlichte das Reichsjustizministerium schließlich einen Kommissionsentwurf für eine neue Zivilprozeßordnung,344 der aber vor Ende der Weimarer Zeit nicht mehr verwirklicht wurde. Ähnlich wie in Italien 1923 brach auch in Deutschland 1933 mit dem Untergang der Weimarer Republik wiederum eine ganz neue Zeit heran, auch wenn die neuen Machthaber nicht der jakobinisch-mussolinischen Hybris verfielen, für sich eine neue Zeitrechnung zu proklamieren. Die Novelle von 1933345 war jedoch nicht ideologisch geprägt, sondern verwirklichte unter Anlehnung an das Österreichischen Vorbild346 dringend notwendige Re336 Verordnung

s. 562.

zur Entlastung d er Gerichte vorn 9. September 1915, RGBI. 1915,

337 So wurde die Verordnung von 1915 bereits durch die Verordnung über Änderungen der Verordnung zur Entlastung der Gerichte vorn 18. Mai 1916, RGBI. 1916, S. 393, wieder aufgehoben, soweit sie für Verfahren vor dem Landgericht die Durchführung des Mahnverfahrens vor Klageerhebung zwingend vorgeschrieben hatte. 338 Verordnung zur Beschleunigung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vorn 22. Dezember 1923, RGBI. 1923 I, S. 1239. 339 Verordnung über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vorn 13. Februar 1924, RGBI. 1924 I, S. 135. 340 Die Zivilprozeßordnung wurde neu bekannt gernacht im RGBI. 1924 I, S. 437. 341 Arbeitsgerichtsgesetz vorn 23. Dezember 1926, RGBI. 1926 I, S. 507. 342 Siehe JW 1928, S. 2623 ff. und Riv. dir. proc. civ. 1928 I, S. 367 ff. 343 Riv. dir. proc. civ. 1929 I, S. 1 ff. Vgl. Walsmann, RabelsZ 2 (1928), S. 370 ff. 344 Entwurf einer Zivilprozeßordnung, veröffentlicht vorn Reichsjustizrninisteriurn, Berlin 1931. 345 Gesetz zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vorn 27. Oktober 1933, RGBI. 1933 I, S. 780. 3 46 Rosenbery, Zivilprozeßrecht 5 , S. 21.

IV. Die Entwicklung bis zur Gegenwart

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formen wie die Einführung der Wahrheitspflicht und die Abschaffung des streitentscheidenden Eids. Damit wurde sie nach der Amtsgerichtsnovelle von 1909 zu einem weiteren Meilenstein in der Entwicklung der deutschen Zivilprozeßordnung. Weitere Reformen des Erkenntnisverfahrens blieben bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs aus. 347 Unmittelbar zeitgleich mit dem Angriff auf Polen folgten jedoch - wiederum im Verordnungswege- in schöner Regelmäßikeit insgesamt sechs Novellen, 348 die die Besetzung der Gerichte und das Verfahren einschließlich der immer stärker beschränkten Rechtsmittel mehr und mehr den Notwendigkeiten des sich ausweitenden Krieges anpaßten und schließlich ganz offen den Stillstand der Rechtspflege proklamierten. 349 Nach dem Zusammenbruch des Reiches ging die Gesetzgebungshoheit auf dem Gebiet des Zivilprozeßrechts zunächst auf den Alliierten Kontrollrat und die Militärregierungen über. Dies führte zu einer gewissen Rechtszersplitterung, da in den einzelnen neu gegründeten Ländern unterschiedliche Regelungen über die Fortgeltung der kriegsbedingten Maßnahmen getroffen wurden. Erst nachdem in den Westzonen am 23. Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet worden war und der Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Verfahrensrecht wiedererlangt hatte (Art. 74 Nr. 1 GG), konnte das Zivilprozeßrecht 1950350 für diesen Teil Deutsch347 Wenigstens in dieser Fußnote soll aber kurz erwähnt werden, daß mit dem Ersten Gesetz zur Überleitung der Rechtsplege auf das Reich vom 16. Februar 1934, RGBI. 1934 I, S. 91 und der Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung vom 20. März 1935, RGBI. 1935 I, S. 403 die gesamte Justiz auf das Reich überging, was in der gesamten deutschen Rechtsgeschichte einen einmaligen Vorgang darstellt. 348 Es sind dies: 1. Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege vom 1. September 1939, RGBI. 1939 I, S. 1658, 2. Verordnung zur Änderung der Vereinfachungsverordnung (Zweite Vereinfachungsverordnung - 2. VereinfV) vom 18. September 1940, RGBI. 1949 I, S. 1253, 3. Verordnung zur weiteren Vereinfachung der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege und des Kostenrechts (Dritte Vereinfachungsverordnung - 3. VereinfV) vom 16. Mai 1942, RGBI. 1942 I, S. 333, 4. Verordnung zur weiteren Vereinfachung der bürgerlichen Rechtspflege (Vierte Vereinfachungsverordnung - 4. VereinfV) vom 12. Januar 1943, RGBI. 1943 I, S. 7, 5. Verordnung über Kriegsmaßnahmen auf dem Gebiet der bürgerlichen Rechtspflege (Kriegsmaßnahmenverordnung) vom 12. Mai 1943, RGBI. 1943 I, S. 290, 6. Verordnung über außerordentliche Maßnahmen auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts, der bürgerlichen Rechtspflege und des Kostenrechts aus Anlaß des totalen Krieges (Zweite Kriegsmaßnahmenverordnung) vom 27. September 1944, RGBI. 1944 I, S. 229. 349 § 1 Kriegsmaßnahmenverordnung, wonach alle Verfahren, die nicht als dringlich anzusehen waren, durch unanfechtbaren Beschluß bis zum Ende des Krieges ausgesetzt werden konnten. 350 Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950, BGBI. 1950 I, S. 455.

5 Piekenbrack

66

A. Historischer Überblick

lands, auf den sich die Betrachtungen im nachfolgenden beschränken, vereinheitlicht werden. Mit Erlaß des Grundgestzes wurde auch der Aufbau fünf verschiedener Gerichtszweige beschlossen (Art. 95 Abs. 1 GG), 351 für die nach und nach neue Verfahrensordnungen in Kraft traten. 352 Seither ist die Zivilprozeßordnung wiederholt geändert worden. Die für die weitere Untersuchung wesentlichen Novellen betrafen zunächst den Gerichtsstand353 und das Verfahren vor dem Einzelrichter am Landgericht, 354 die 1974 neu geregelt wurden. 1976 folgten die Reformen des Verfahrens in Familiensachen355 und des ordentlichen Erkenntnisverfahrens.356 Die bisher letzten Änderungen datieren von 1990357 und 1993.358 4.

Die Entwicklung in Österreich

Auch in Österreich wurdetrotz der Erfolge bei der praktischen Anwendung des neuen Rechts bald spürbar, daß eine Entlastung der Gerichte nötig war. Diesem Ziel diente die Gerichtsentlastungsnovelle, 359 die den Einzelrichter am Gerichtshof erster Instanz eingeführt hat (§ 7 a JN) . Die nächsten Jahrzehnte verliefen in Österreich aber ruhig. Der Ablauf des ordentlichen Erkenntnisverfahrens erster Instanz blieb trotz weiterer fünf 351 Es sind dies die ordentlichen Gerichte, die Verwaltungsgerichte, die Finanzgerichte, die Arbeitsgerichte und die Sozialgerichte. 352 Zunächst wurden das Sozialgerichtsgesetz vom 3. September 1953, BGBI. 1953 I, S. 1239, und das neue Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. September 1953, BGBI. 1953 I, S. 1267, in Kraft gesetzt. Es trat an die Stelle des alten Arbeitsgerichtsgesetzes, das von den Alliierten 1946 in seiner ursprünglichen Fassung von 1926 provisorisch wieder in Kraft gesetzt worden war (vgl. GermelmannjMatthesj Prütting 2 , ArbGG, Einleitung Rdnr. 19). Erst später folgte auf dem landesrechtlich geprägten Gebiet des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960, BGBI. 1960 I, S. 17, und schließlich die F inanzgerichtsordnung vom 6. Oktober 1965 (BGBI. 1965 I, S. 1477). 353 Gesetz zur Änderung der Zivilprozeßordnung vom 21. März 1974, BGBI. 1974 I, s. 753. 354 Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls vom 20. Dezember 1974, BGBI. 1974 I, S. 3651. 355 Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976, BGBI. 1976 I, S. 1421. 356 Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren vom 3. Dezember 1976, BGBI. 1976 I , S. 3281. 357 Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17. Dezember 1990, BGBI. 1990 I, S. 2809; Gesetz über Verbraucherkredite, zur Änderung der Zivilprozeßordnung und anderer Gesetze vom 17. Dezember 1990, BGBI. 1990 I, S. 2840; Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1990, BGBl. 1990 I, S. 2847, alle in Kraft seit 1. April 1991. 358 Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993, BGBI. 1993 I, S. 50. 359 Kaiserliche Verordnung vom 1. Juni 1914, betreffend Änderungen des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten (Gerichtsentlast ungsnovelle), öRGBI. 1914, Nr. 118.

IV. Die Entwicklung bis zur Gegenwart

67

Gerichtsentlastungsnovellen bis zum Jahre 1929360 im goßen und ganzen unberührt. 361 Es dauerte bis 1979, bis das Konsumentenschutzgesetz362 zu einer ersten hier erwähnenswerten Neuregelung im Säumnisrecht kam. Einen tiefen Einschnitt erlebte die Zivilprozeßordnung dann 1983 mit der Zivilverfahrens-Novelle,363 der als Ergänzung die Zivilverfahrens-Novelle von 1986364 folgte. Als letztes sei noch die erweiterte Wertgrenzen-Novelle von 1989 erwähnt. 365 5.

Fazit

Dieser historische Überblick vor allem der letzten zwei Jahrhunderte hat gezeigt, daß das Verfahrensrecht wie kein anderes ständigem Reformdruck ausgesetzt ist. Insbesondere in Italien, aber keineswegs nur dort, ließe sichangesichtsder Nähe zur römischen Kurie der bekannte Satz umformulieren: Processus civilis semper reformandus est. Zugleich stellt sich die Frage, ob die ständige Reformtätigkeit die richtige Antwort auf die drängenden Fragen des Zivilprozeßrechts sein kann, insbesondere die lange Verfahrensdauer.

360 Bundesgesetz über Änderungen des gerichtlichen Verfahrens (sechste Gerichtsentlastungsnovelle) vom 2. Juli 1929, öBGBI. 1929, Nr. 222. 3 61 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 36. 362 Bundesgesetz vom 8. März 1979, mit dem Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher getroffen werden (Konsumentenschutzgesetz - KSchG), öBGBI. 1979, Nr. 140. 363 Bundesgesetz vom 2. Februar 1983, mit dem Vorschriften über das zivilgerichtliche Verfahren geändert werden (Zivilverfahrens-Novelle 1983), öBGBI. 1983, Nr. 135. 364 Bundesgesetz vom 24. Jänner 1986, mit dem die Jurisdiktionsnorm, die Zivilprozeßordnung, die Exekutionsordnung, das Lohnpfändungsgesetz, das Rechtsanwaltstarifgesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden (ZivilverfahrensNovelle 1986), öBGBI. 1986, Nr. 71. 365 Bundesgesetz vom 29. Juni 1989, mit dem Beträge und Wertgrenzen sowie damit zusammenhängende Regelungen des Zivilrechts und des Verfahrensrechts geändert werden (Erweiterte Wertgrenzeu-Novelle 1989 - WGN 1989), öBGBI. 1989, Nr. 343.

s•

B. Vorüberlegungen Das Gericht und der Richter

I.

Bevor wir uns mit den Befugnissen des Richters im Verfahren beschäftigen, soll vorab kurz die Gerichtsverfassung und die Richterschaft dargestellt werden. Handelt es sich bei dem "Richter" um einen Einzelrichter oder ein Kollegium, um einen haupt- oder nebenamtlichen Richter, um einen Berufsrichter oder einen Laien? Auf diese Fragen gibt es weder nach der italienischen Gerichtsverfassung noch in den übrigen Ländern eine einheitliche Antwort. Sie hängt vielmehr davon ab, welches Gericht für das Verfahren sachlich zuständig ist. In erster Instanz [B.I.l.] kann dies das tribunale [B.I.l.a)], der pretore [B.I.l.b)] oder der giudice di pace [B.I.l.c)] sein, als Rechtsmittelgerichte [B.I.2.] das tribunale, die Corte d'appello und die Corte di cassazione in Rom. Der Richterschaft ist schließlich der letzte Abschnitt [B.I.3.] gewidmet. 1.

Die Gerichte erster Instanz

a)

Das tribunale

Für die erste Instanz gibt es zunächst das tribunale (Art. 42 ord. guid.), 1 das mit dem deutschen Landgericht, dem Österreichischen Landes- oder Kreisgericht 2 und dem französischen tribunal de grande instance vergleich1Seit 1989 gibt es 159 tribunali, deren Sitze und Bezirke sich aus der Anlage A zum ordinamento giudiziario, abgedruckt in LEX 1989 I, S. 566 ff., ergeben. Mit Inkrafttreten des nuovo codice di procedura penale wurde das ordentliche tribunale durch Art. 10 des Dekrets des Präsidenten der Republik Attuazione delle norme per l'adeguamento dell'ordinamento giudiziario al nuovo processo penale ed a quello a carico degli imputati minorenni vom 22. September 1988, Nr. 449, suppl. ord. G.U. vom 24. Oktober 1988, Nr. 250, in tribunale ordinario umbenannt, um es besser vom Jugendgericht (tribunale per i minorenni) abzugrenzen, das jeweils nur am Sitz einer Corte d'appello besteht (Art. 49 Abs. 1 ord. giud.). Hier soll aber wie allgemeinen üblich nur vom tribunale die Rede sein. 2 Es gibt für jedes Bundesland nur ein Landesgericht, im übrigen heißen sie Kreisgerichte (Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 185). Ihre sachliche Zuständigkeit ist aber nahezu identisch. Die Zivilprozeßordnung bezeichnet sie daher zusammen als Gerichtshöfe erster Instanz. Für deutsche Ohren, die sich an die Kreisund Bezirksgerichte in den neuen· Bundesländern gewöhnt hatten, ist damit Vorsicht geboten: Die Hierarchie ist in Österreich genau umgekehrt.

I. Das Gericht und der Richter

69

bar ist. Die Spruchkörper sind grundsätzlich mit drei Berufsrichtern besetzt.3 Doch wird die Wahrnehmung der richterlichen Aufgaben häufig einem Mitglied der Kammer4 übertragen. aa)

Der Instruktionsrichter

Im Mittelpunkt des Erkenntnisverfahrens vor dem tribunale stand nach dem codice von 1940 die Person des Instruktionsrichters (giudice istruttore), der für die Verhandlung des Rechtsstreits vom Termin des ersten Erscheinens (Art. 183 c.p.c. 1940) bis zur Entscheidung durch die Kammer (Art. 189 c.p.c. 1940) zuständig war. Hielt der Instruktionsrichter den Rechtsstreit ohne Beweisaufnahme für entscheidungsreif, konnte er ihn direkt an die Kammer verweisen (Art. 187 c.p.c. 1940). Andernfalls führte er die gesamte Beweisaufnahme durch (Art. 188 c.p.c. 1940). Damit war der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nicht verwirklicht worden. 5 Ihm wurde aber dadurch Rechnung getragen, daß grundsätzlich 3 In Deutschland und Österreich entspricht dies der Besetzung der Kammer (§ 75 GVG) beziehungsweise des Senats (§ 7 Abs. 1 JN). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß hiermit lediglich die Besetzung der Kammer als Spruchkörper gemeint ist (Gummer, in: Zöller 20 , GVG, § 75 Rdnr. 1). Nach dem Geschäftsverteilungsplan kann sie dagegen einschließlich des Vorsitzenden bis zu fünf Mitglieder haben ( Gummer, in: Zöller 20 , GVG, § 21 e Rdnr. 9; BVerfGE 17, 294, 300; 18, 65, 70). Zu beachten ist dabei jedoch, daß nach dem jüngsten Pienarbeschluß des BVerfG, NJW 1997, 1497, 1498, nun auch nach abstrakten Merkmalen im voraus zu bestimmen ist, welche Richter an den jeweiligen Verfahren mitzuwirken haben, da als gesetzlicher Richter i.S.v. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG auch die jeweils im Einzelfall an der Entscheidung beteiligten Richter anzusehen sind. Nur der Berichterstatter kann noch ad hoc bestimmt werden, soweit dies keine Auswirkung auf die Zusammensetzung des Spruchkörpers hat. Ein so strenges Verständnis vom gesetzlichen Richter ist in der Welt wohl einmalig. Auch in Italien besteht der Spruchkörper ( organo giudicante) im Falle der Kammerentscheidung immer aus drei Richtern (Art. 48 Abs. 3 ord. giud.). Wie in Deutschland ist dieser Spruchkörper jedoch nicht mit den Sektionen ( sezioni) identisch, in die ein tribunale aufgeteilt sein kann (Art. 46 Abs. 1 ord. giud.). Diesen Sektionen gehören ähnlich wie in Deutschland vier oder fünf Richter an, wenn dies zur Wahrnehmung der Aufgaben erforderlich ist (Art. 46 Abs. 3 ord. giud.). Wer dann konkret dem Spruchkörper angehört, bestimmt der Gerichtspräsident alle vier Monate neu (Art. 114 Abs. 3 disp. att. c.p.c.). Regelmäßig sind dies der Sektionspräsident, der Instruktionsrichter als Berichterstatter und der älteste Richter der Sektion (Art. 114 Abs. 4 disp. att. c.p.c.). In Frankreich ist dagegen eine ungerade Zahl von mindestens drei Richtern an der Entscheidung beteiligt (Art. L. 311-7, L. 311-8 S. 1 COJ), es können aber auch mehr sein. 4 Diese Bezeichnung soll für das italienische collegio am tribunaleverwendet werden, auch wenn die amtliche Übersetzung in Anlehnung an das Österreichische Recht vom Senat spricht. Gleiches gilt auch für die französische chambre am tribunal de grande instance. Nur der Österreichische Senat am Landes- oder Kreisgericht wird als solcher bezeichnet. Soweit aber wie hier kollektiv von der "Kammer" die Rede ist, ist damit auch der Österreichische Senat gemeint. 5 Cappelletti, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 93.

70

B. Vorüberlegungen

ein und derselbe Richter als Instruktionsrichter mit der gesamten Beweisaufnahme betraut war, der zugleich der Kammer als Berichterstatter angehörte (Art. 174 c.p.c. 1940). Außerdem hatte die Kammer die Möglichkeit, die Beweisaufnahme in einem Kammertermin wiederholen zu lassen (Art. 281 c.p.c. 1940).6 Dieses Verfahren vor dem Instruktionsrichter findet zudem unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt (Art. 84 Abs. 1 disp. att. c.p.c.), während die Schlußverhandlung vor der Kammer öffentlich ist (Art. 128 c.p.c.). 7 Vergleicht man diese Regelung mit dem in Deutschland und Österreich gültigen Grundsatz, daß nur die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht öffentlich ist (§ 169 GVG; § 171 Abs. 1 öZPO) , nicht aber die vor einem beauftragten oder ersuchten Richter, stellt man fest, daß der Instruktionsrichter starke Ähnlichkeiten mit einem beauftragten Richter hat. Dafür spricht weiterhin, daß er grundsätzlich keine eigene Urteilskompetenz hatte, sondern jedes Prozeß- oder Sachurteil der Kammer vorbehalten blieb. Bemerkenswert ist schließlich auch, daß im endgültigen Entwurf von Solmi dem beauftragten Richter (giudice delegato) die gleichen Befugnisse übertragen werden sollten (Art. 306 Abs. 1, 307 Abs. 1). Damit ist der Instruktionsrichter nichts anderes als ein beauftragter Richter in neuem Gewand. Die Übertragung der Verhandlung und Beweisaufnahme auf den Instruktionsrichter ist als Kompromiß zwischen der Einführung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der Beibehaltung der Kollegialität des Spruchkörpers zu verstehen, die aus wirtschaftlichen Gründen nicht für das ganze Verfahren aufrechterhalten werden konnte. 8 Zugleich sollten die Vorteile genutzt werden, die der Einzelrichter gegenüber der Kammer und die Kammer gegenüber dem Einzelrichter aufweisen sollen. Nach einer weder zwingenden noch unbestrittenen, aber in Italien weit verbreiteten Auffassung soll der Einzelrichter die Grundsätze der Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit und der Verfahrenskonzentration besser verwirklichen können, 9 während bei der Entscheidung durch die Kammer zumindest in den aufgeworfenen Rechtsfragen der größere Sachverstand eines Kollegiums zum 6 Die

Regelung geht auf Art. 229 Abs. 3 des Entwurfs von Carnelutti zurück. dazu unten C.V.2., S. 316. 8 Carnelutti , Riv. dir. proc. 1955 I, S. 157 f.; Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 316; Allorio, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 65. 9 Carnelutti , Riv. dir. proc. civ. 1929, S. 44; Relazione zum Vorentwurf von Solmi, Progetto preliminare, S. 341; Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 337; Relazione, Nr. 20, abgedruckt bei FranchijFeroci, Nuovo codice di procedura civile3 , S. XXXV; Andrioli, Foro it. 1971 V, Sp. 79; Cappelletti, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 94. A.A. aber Zanzucchi, Relazione der Universita cattolica di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 1, S. 70; Segni , Scritti giuridici, Band 1, S. 359 ff. ; de Boor, Einzelrichter und Kollegium, S. 17: Esser, DR 7 (1942), S. 3. 7 Vgl.

I. Das Gericht und der Richter

71

Tragen kommt. 10 Dagegen erscheint es zweifelhaft, ob die Entscheidung des Kollegiums auch deshalb nötig ist, weil der Instruktionsrichter nach der Beweisaufnahme voreingenommen sein könnte. 11 Diese Unterteilung des Verfahrens in eine Phase vor dem Instruktionsrichter und eine vor der Kammer hat Carnelutti, der sich für den Instruktionsrichter eingesetzt hat, 12 theoretisch als Unterscheidung zweier verschiedener richterlicher Funktionen zu erfassen versucht: die Tatsachenfeststellung (ricerca) und die Entscheidung (giudizio), 13 oder anders ausgedrückt: die Instruktion und die Konstruktion. 14 Die Instruktion sollte einem Richter allein überlassen bleiben, der die dabei nötigen Entscheidungen in der Form des Beschlusses ( ordinanza) selbst sollte treffen können. Die Entscheidung in der Sache selbst sollte aber der Kammer vorbehalten bleiben, die darüber das Urteil (sentenza) spricht, 15 sei es ein Sach- oder nur ein Prozeßurteil. Hier offenbart sich aber zugleich die Schwäche dieser Theorie, denn bei der Zulassung eines bestimmten Beweismittels muß der Richter im Wege der Relation den Vortrag der Parteien rechtlich würdigen, um die Erheblichkeit der streitigen Tatsachen zu beurteilen. Damit beinhaltet die Befugnis, über die Beweisaufnahme zu entscheiden und Beweise zu erheben, zugleich auch die Befugnis zu einer vorläufigen Entscheidung in der Sache selbst. 16 Daß der vorbereitende Richter über die Erheblichkeit der Beweismittel entscheidet, ist damit keine Frage der Systematik, sondern der Praktikabilität. 17 Erscheint die Einsetzung des Instruktionsrichters damit auf den ersten Blick eine rein italienische Entwicklung zu sein, 18 so stellt man bei genauerem Hinsehen fest, daß sie dem Trend der damaligen Zeit entsprach. 10 Relazione, Nr. 20, abgedruckt bei Franchi/Feroci, Nuovo codice di procedura civile3 , S. XXXV; de Boor, Einzelrichter und Kollegium, S. 17. 11 So unter Hinweis auf das Strafverfahren Camelutti, Relazione der Universita und des Sindacato Fascista Avvocati e Proeurotori di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 1, S. 67. 12 Carnelutti, Relazione der Universita und des Sindacato Fascista Avvocati e Procuratori di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 1, S. 64 ff. 13 Carnelutti, Lezioni, Band 2, Nr. 93; Camelutti, Riv. dir. proc. 1955 I, S. 158. 14 de Boor, Einzelrichter und Kollegium, S. 18; Trocker, ZZPint 1 (1996), S. 11 f. 15 Siehe dazu den Entwurf von Carnelutti (Art. 256). 16 Heinsheimer, LeipzZ VIII (1914), Sp. 53.; de Boor, Einzelrichter und Kollegium, s. 18. 17 Heinsheimer, LeipzZ VIII (1914), Sp. 54. Da dies auch für die Frage gilt, in welcher Form die Entscheidung über die Zulassung der Beweismittel ergeht, sei ergänzend auf die diesbezüglichen Ausführungen unten C.IV.l.a), S. 262 verwiesen. 18 So Carnelutti, Riv. dir. proc. 1955 I, S. 157. In den Vorarbeiten zum neuen codice di procedura civile wurde der Instruktionsrichter erstmals unter diesem Namen im Entwurf von Redenti erwähnt (Art. 308), doch hatte er dort noch nicht die zentrale Rolle wie im späteren Gesetz. Er sollte nur dann vom Vorsitzenden mit der Beweisaufnahme beauftragt werden, wenn die Parteien sich über die Beweismittel einig waren.

72

B. Vorüberlegungen

Zum einen ist an den Instruktionsrichter im Strafverfahren zu denken, der trotz des grundsätzlich anderen Verfahrensaufbaus eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Zivilprozeßrechts gespielt hat und von Frankreich her schon lange bekannt war. 19 Zum anderen sollte nicht vergessen werden, daß es im gemeinen Prozeß und auch noch unter dem alten codice di procedura civile gängige Praxis war, die Beweisaufnahme einem beauftragten oder ersuchten Richter (Art. 208 Abs. 1, 2 c.p.c. 1865) zu übertragen. In Preußen wurde sogar schon ein einzelner Richter, der Instruent, mit der gesamten Beweisaufnahme beauftragt. Im Gegensatz zum Instruktionsrichter mußte er jedoch alle Streitfragen hinsichtlich der Erheblichkeit von Beweismitteln dem Kollegium vorlegen (Teil I Titel X § 45 prAGO), so daß es ihm verwehrt war, die Entscheidung in der Hauptsache auch nur vorläufig zu treffen. Auch durfte er dem Kollegium nicht angehören (Teil I Titel XIII § 2 prAG0). 20 Der Fortschritt der deutschen und der Österreichischen Zivilprozeßordnung bestand also gerade darin, daß die mittelbare Beweisaufnahme durch den beauftragten oder ersuchten Richter 21 durch die unmittelbare Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht ersetzt worden war. 22 Die Übertragung der Beweisaufnahme auf einen anderen Richter war also im Grunde nichts Neues, sondern widersprach eigentlich dem neuen Idealtypus einer mündlichen Verhandlung, bei der das gesamte Verfahren vor dem erkennenden Gericht stattfinden sollte. Während in Deutschland zunächst versucht wurde, diesen Idealtypus zu verwirklichen, und die ganze Verhandlung grundsätzlich vor der Kammer stattzufinden hatte, 23 gliederte die Österreichische Zivilprozeßordnung bereits einen Vortermin und das soeben kurz erwähnte Vorverfahren aus der Streitverhandlung vor dem Senat aus. 19 Carnelutti, 20 Vgl. Segni,

Riv. dir. proc. 1955 I, S. 158. Scritti giuridici, Band 1, S. 417. 21 Siehe zum beauftragten Richter § 326 ZPO 1877 = § 361 ZPO, § 34 JN und zum ersuchten Richter§ 327 ZPO 1877 = § 362 ZPO, § 36 Abs. 2 JN. 22 Ausgenommen blieben nur solche Fälle, in denen die Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht unmöglich war (Förster, ZPO, § 320 Anm. 1; Fasching, öZPO, § 276 Anm. 4, S. 298). Auch soweit in Österreich der Prozeßstoff in einem gesonderten Vorverfahren (§ 245 Nr. 1 öZPO a.F.) vom beauftragten Richter aufbereitet wurde, blieb die Beweisaufnahme grundsätzlich der mündlichen Streitverhandlung vor dem Senat vorbehalten (§ 245 Nr. 3 öZPO a.F. i.V.m. § 250 Abs. 2 S. 3 öZPO a.F . und§ 251 S. 2 öZP O a.F.). Große Bedeutung hat dieses nur in drei Ausnahmefä llen zulässige Vorverfa hren jedoch nie erlangt (Klein, Vorlesungen, S. 99) und versank nach der Einführung des st reitentscheidenden Einzelrichters (siehe unten B.l.l.a.bb), S. 78) endgültig in der Bedeutungslosigkeit (Fasching, öZPO, vor §§ 245 - 256, S. 181), bis es schließlich mit der Zivilverfahrens-Novelle von 1983 ganz abgeschafft wurde. Um so überraschender ist, daß Mortara, Manuale9 , Band 1, Nr. 286, S. 319, Fußnote 1, dieses Vorverfahren so besonders löblich hervorhob. 23 Kissel 2 , GVG, § 75 Rdnr. 2 ff., mit Hinweisen zur damaligen rechtspolitischen Diskussion.

I. Das Gericht und der Richter

(1)

73

Die erste Tagsatzung in Österreich

In Österreich ist seit Schaffung der Zivilprozeßordnung eine Verhandlung vorgesehen, die allein vor dem Vorsitzenden oder einem von ihm beauftragten Senatsmitglied stattfindet: die sogenannte erste Tagsatzung (§ 239 Abs. 1 öZPO). Dieser Termin dient zunächst dem Versuch, den Rechtsstreit gütlich beizulegen. 24 Gelingt dies nicht, ist über die prozessualen Einreden und insbesondere die Zuständigkeit des Gerichts, 25 die Prozeßfähigkeit und die wirksame Vertretung der Parteien zu verhandeln26 und zu entscheiden. Ausnahmsweise kann der Rechtsstreit in der ersten Tagsatzung sogar in der Sache entschieden werden, wenn die Voraussetzungen für ein Anerkenntnis-, Verzichts- oder Versäumungsurteil (§ 239 Abs. 2 S. 2 HS. 2 öZPO) vorliegen. Zwar ist weitergehendes Sach- und Beweisvorbringen in der ersten Tagsatzung ausdrücklich ausgeschlossen (§ 239 Abs. 4 öZP0),27 doch stellte die Einsetzung der ersten Tagsatzung einen ersten Schritt weg von der strengen Kollegialität dar. Und bis auf die fehlende Urteilskompetenz28 hatte der Instruktionsrichter die gleichen Aufgaben zu erfüllen wie der Österreichische Richter in der ersten Tagsatzung. {2)

Der deutsche Einzelrichter von 1924

In Deutschland sorgte dagegen zunächst die Praxis für eine spürbare Aufweichung des angestrebten Kollegialprinzips. Sie machte sich dabei eine unscharf gefaßte Vorschrift zunutze, wonach die Beweisaufnahme durch Zeugen und Parteivernehmung auch dann einem beauftragten Richter überlassen werden konnte, wenn der Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht "erhebliche Schwierigkeiten" entgegenstanden. 29 Indem man dafür bereits die starke Arbeitsbelastung der Kammer genügen ließ, 30 entwickelte sich die Beweisaufnahme durch den beauftragten Richter bald zum Regelfall.31 Diese Entwicklung der Praxis war letztlich aber auch systembedingt, da die Zivilprozeßordnung ursprünglich kein der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorausgehendes geordnetes Vorverfahren kannte,32 was zu einem ungeordneten und damit fruchtlosen Austausch von 24 Vgl.

zum Instruktionsrichter Art. 185 Abs. 1 c.p.c. 1940 =Art. 183 Abs. 1 S. 1 c.p.c. Fasching, öZPO, § 239 Anm. 20, S. 162. 26 Vgl. zum Instruktionsrichter Art. 182 Abs. 2 c.p.c. 27 Vgl. Fasching, öZPO, § 239 Anm. 22, S. 163. 28 de Boor, Einzelrichter und Kollegium, S. 23. 29 § 340 Abs. 1 Nr. 2 ZPO 1877 = § 375 Abs. 1 Nr. 2 ZPO 1898. 30 Volkmar, JW 1933, S. 2432. 31 Stein/Jonas 15 , ZPO, § 375 Anm.l.l. 32 Heinsheimer, LeipzZ VIII (1914), Sp. 50. 25 Vgl.

74

B. Vorüberlegungen

vorbereitenden Schriftsätzen zwischen den Parteien geführt hatte, in den der Richter nicht eingriff. 33 Jedoch hatte diese Praxis zu einer Verzögerung des Verfahrens geführt, da der Beweisaufnahme vor dem beauftragten Richter immer eine Verhandlung vor der Kammer vorauszugehen und eine zu folgen hatte. 34 Mit der Einsetzung des Einzelrichters am Landgericht35 sollte diesen geschilderten Mängeln abgeholfen werden. 36 Er hatte den Rechtsstreit nicht wie heute zu verhandeln und zu entscheiden, 37 sondern sich um eine gütliche Einigung zu bemühen (§ 349 Abs. 1 S. 1 ZPO 1924) und bei Scheitern dieses Versuchs den Verfahrensstoff zu sammeln und aufzubereiten, damit das Verfahren in einem Kammertermin erledigt werden konnte. 38 Ob er dazu selbst eine Beweisaufnahme durchführen wollte, war in sein Ermessen gestellt (§ 349 Abs. 2 S. 2 ZPO 1924), auch wenn Zeugenaussagen und Parteivernehmungen, bei denen es in besonderem Maße auf den persönlichen Eindruck ankommt, eher vor der Kammer erfolgen sollten.39 Eine eigene Urteilskompetenz hatte er dagegen nur in demselben Umfang wie der Österreichische Richter in der ersten Tagsatzung (§ 349 Abs. 1 S. 2 ZPO 1924). Die Aufgaben des Einzelrichters gingen damit weit über die des Österreichischen Richters in der ersten Tagsatzung40 hinaus. Wie später der italienische Instruktionsrichter war der Einzelrichter nun direkt mit dem Rechtsstreit befaßt, ohne daß ein Kammertermin vorausging. Beiden stand in ihrem Aufgabenbereich eine originäre, nicht mehr lediglich eine derivative Kompetenz zu wie dem beauftragten Richter. 41 Zwischen dem Instruktionsrichter und dem Einzelrichter blieb aber der wesentliche Unterschied, daß dieser den Rechtsstreit lediglich bis zur "Verhandlungsreife" (§ 348 Abs. 2 S. 2 ZPO a.F.), jener dagegen bis zur Entscheidungsreife zu führen hatte. Die Aufgabe des Einzelrichters war damit 33 Heinsheimer,

LeipzZ VIII (1914), Sp. 50. Volkmar, JW 1933, S. 2431. 35 Zum Vergleich mit dem französischen juge des mises en etat von 1965 vgl. Padis, Gaz. Pa!. 1966 doc., S. 30. 36 Heinsheimer, LeipzZ VIII (1914), Sp. 50, 52, der diesen vorbereitenden Richter den "Sachrichter" nannte. 37 Nur in erster Instanz konnte ihm die Sachurteilskompetenz von den Parteien übertragen werden (§§ 349 Abs. 3, 523 a ZPO 1924). 38 Hier dürfte sich die Erfahrung der preußischen Allgemeinen Gerichtsordnung durchgesetzt haben, die wie gesehen ebenfalls einen vorbereitenden Richter kannte (Heilberg, JW 1924, S. 446). 39 Stein/Jonas 12 , ZPO, vor § 349 Anm. IV. 40 Ein ausdrücklicher Verweis auf§ 239 öZPO findet sich in der zeitgenössischen Kommentierung von Stein/Jonas 12 , ZPO, vor § 348 Anm. II, Fußnote 2. 41 Carnelutti, Riv. dir. proc. 1955 I, S. 157.; de Boor, Einzelrichter und Kollegium, s. 30. 34

I. Das Gericht und der Richter

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abgeschlossen, sobald die Verhandlung vor der Kammer soweit vorbereitet war, daß das Verfahren mit einer möglichen Beweisaufnahme in einem Termin abgeschlossen werden konnte. Der Instruktionsrichter hatte dagegen die gesamte Beweisaufnahme durchzuführen. 42 Die Praxis ging aber noch einen Schritt weiter. Sie behielt das alte System bei, den Berichterstatter mit der gesamten Beweisaufnahme zu beauftragen und folgte nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers. Letztlich wurde der beauftragte Richter lediglich durch den Einzelrichter ersetzt,43 der den Kammertermin nicht etwa vorbereitete, sondern die dortige Verhandlung und Beweisaufnahme weitgehend ersetzte. 44 Damit war der Einzelrichter dem italienischen Instruktionsrichter faktisch erstaunlich ähnlich. Diese Entwicklungen der Praxis haben eine solche Eigendynamik entwickelt, daß selbst der Gesetzgeber sie letztlich nicht stoppen konnte. So durfte der Einzelrichter nach der Reform von 1933 nur noch einzelne Beweise erheben, wenn es auf den unmittelbaren Eindruck für die Würdigung des Beweismittels nicht ankam (§ 349 Abs. 2 S. 2 ZPO 1933). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten damit "Kleinigkeiten und Ballast" auf den Einzelrichter abgewälzt werden. 45 Gleichzeitig wurde auch § 375 Abs. 1 Nr. 2 ZPO 1898 gestrichen, um eine Rückverlagerung auf den beauftragten Richter zu verhindern. Die gerichtliche Praxis hat diese vom Gesetz gezogene Grenze für die Aufgaben des Einzelrichters in der Folgezeit bis zum äußersten strapaziert, um nicht zu sagen ignoriert. 46 Im Einvernehmen mit den Parteien wurde der Rechtsstreit nach einem für das Einzelrichterverfahren gar nicht vorgesehenen Kammertermin "zur Durchführung der Beweisaufnahme und zur weiteren Vorbereitung der Entscheidung an den Berichterstatter übertragen" ,47 so daß der Einzelrichter, stärker als vom Gesetzgeber vor allem nach der Reform von 1933 gewünscht, tatsächlich nach wie vor dem Instruktionsrichter glich. Boor, Einzelrichter und Kollegium, S. 15. JW 1924, S. 447. 44 SteinjJonas 15 , ZPO § 349 Anm. IV. 45 So Volkmar, JW 1933, S. 2432, der federführende Referent der Reform im Reichsjustizministerium. 46 Hartmann, NJW 1978, S. 1463. 47 Zitiert nach Werner/Pastor, NJW 1975, S. 329. In diesem Fall war der Berichterstatter trotz des fehlerhaften Verfahrensbeginns als Einzelrichter im Sinne des § 348 ZPO a.F. anzusehen. Fehlten in dem Überweisungsbeschluß hingegen die Worte "als Einzelrichter", so war der Berichterstatter als fehlerhaft beauftragter Richter anzusehen, da die Voraussetzungen des § 375 ZPO regelmäßig nicht vorlagen (vgl. Müller, NJW 1974, S. 681 f.) . Erfolgte diese Praxis im Einvernehmen mit den Parteien, so war sie auch höchstrichterlich sanktioniert (BGHZ 40, 179, 181; a.A. aber OLG Schleswig, SchlHA 1967, S. 183, 184. Dieses System stützte sich vor allem darauf, daß die Rüge dieses unverkennbaren Verfahrensfehlers im Sinne von § 295 Abs. 1 ZPO als verzichtbar angesehen wurde (BGHZ 40, 179, 182). 42 de

43 Heilberg,

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B. Vorüberlegungen

Angesichts dieser faktischen Übereinstimmung zwischen dem deutschen Einzelrichter und dem italienischen Instruktionsrichter ist davon auszugehen, daß die deutsche Praxis in Italien ihren Niederschlag gefunden hat. 48 Abgesehen von der fehlenden Urteilskompetenz des Instruktionsrichters bei der Entscheidung über prozessuale Einreden läßt sich vom Österreichischen Richter in der ersten Tagsatzung über den deutschen Einzelrichter bis hin zum italienischen Instruktionsrichter eine stetig steigende Kurve der Aufgaben des Einzelrichters ziehen. Für die These, daß es sich hierbei um keine zufällige Parallelität der Ereignisse in Österreich, Deutschland und Italien handelt, spricht zudem der intensive wissenschaftliche Austausch im Zivilprozeßrecht dieser drei Länder in den zwanziger Jahren. So berichtete Mendelssohn Bartholdy in Italien über die Reform von 1924,49 und Carnelutti hat wie oben erwähnt50 an der Tagung der Vereinigung deutscher Zivilprozeßrechtslehrer 1928 in Wien teilgenommen. {3)

Der juge charge de suivre la procedure

Daneben bestand aber auch ein Einfluß aus Frankreich, 51 wo genau in der Zeit der italienischen Reformdiskussion eine interessannte Entwicklung in Gang gekommen war. Nachdem es in Frankreich zunächst unter dem code de procedure civile von 1806 eine unmittelbare Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht nicht gegeben hatte, sondern das Gericht mit jedem Beweisbeschluß desaisiert worden war, wurde ab 1935 die Vorbereitung der Plädoyers vor dem tribunal dem sogenannten juge charge de suivre la procedure übertragen, dem Vorläufer des heutigen juge de la mise en etat (Art. 763 ff. NCPC) . Dessen Aufgabe bestand darin, das Verfahren bis zu den Plädoyers vor dem tribunal zu überwachen52 und dort als Berichterstatter in den Rechtsstreit einzuführen (Art. 82 e Abs. 1 CPC 1935). Die aktive Verfahrensleitung gehörte aber nicht zu seinen Aufgaben.53 Diese Reform ist für uns deshalb so interessant, weil die Ausgangslage in Italien und Frankreich ähnlich war. Während sich vor allem der deutsche Gesetzgeber mit der Zivilprozeßordnung von 1877 den Idealtypus des perfekten Kollegialsystems auf seine Fahnen geschrieben hatte und nun 48 So ausdrücklich Relazione, Nr. 20, abgedruckt bei Franchi/ Feroci, Nuovo codice di procedura civile3, S. XXXVI; Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 417. 49 Mendelssohn Bartholdy, Riv. dir. proc. civ. 1924 I, S. 261 ff. 5°Siehe oben A.IV.3., S. 64. 51 So ausdrücklich Relazione, Nr. 20, abgedruckt bei Franchi/Feroci, Nuovo codice di procedura civile3, S. XXXVI; Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 417. 52 Seine Befugnisse finden sich in Art. 82 c CPC 1935. Danach gehörte zu seinen Aufgaben auch die Entscheidung über Prozeßeinreden. 53 Rapport, D. 1935 h\g., S. 421, Fußnote 1.

I. Das Gericht und der Richter

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davon aus praktischen Gesichtspunkten Abstriche machen mußte, war es in Frankreich und Italien schon ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Praxis, wenn ein Mitglied der Kammer mit der ganzen Beweisaufnahme beauftragt wurde. Diesem Ziel diente sowohl die Einführung des juge charge de suivre la procedure als auch des Instruktionsrichters. Auch diese Reform war in Italien bekannt, 54 und die Übereinstimmung in einigen Details zeigt, daß das französische Recht ebenfalls seinen Einfluß auf den italienischen Instruktionsrichter gehabt hat. So stimmt die Vorschrift des Art. 82 a Abs. 4 CPC 1935, wonach der Gerichtspräsident den juge charge de suivre la procedure auf dem Rand des Antrags auf Eintragung ins Gerichtsregister bestimmt, fast wörtlich mit dem 1950 eingefügten Art. 168 bis Abs. 1 S. 1 c.p.c. überein. Damit findet sich der Instruktionsrichter in einem großen europäischen Rahmen wieder und ist sicherlich kein italienische~ Eigengewächs. 55 Heute ähnelt ihm vor allem der französische juge de la mise en etat, der den Rechtsstreit nach dem Termin vor dem Präsidenten überwiesen bekommt und ihn bis zur Schlußverhandlung vor der Kammer (Art. 779 Abs. 1 NCPC) führt. Wie der Instruktionsrichter ist der juge de la mise en etatMitgliedder erkennenden Kammer, was für den 1965 eingeführten juge des mises en etat 56 noch nicht gegolten hatte. 57 bb)

Der Einzelrichter

Mit der jüngsten Reform unternimmt Italien nun einen weiteren Versuch, den Einzelrichter (giudice unico) am tribunale einzusetzen, der den Rechtsstreit verhandelt und entscheidet. 58 Gemäß Art. 48 Abs. 4 ord. giud. ist der Einzelrichter für den Großteil der erstinstanzliehen Verfahren am tribunale zuständig, die nach dem 30. April 1994 anhängig geworden den Bericht von Goldschmidt, Riv. dir. proc. civ. 1936, S. 70. auch Esser, Festschrift zur Fünfzigjahrfeier der Österreichischen Zivilprozeßordnung, S. 47. 5 6Siehe oben Fußnote 322, 8.61. 57 Solus/Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 362, S. 320. 58 Nach dem gescheiterten Versuch von 1913/14 hatte sich der Vorschlag im Vorentwurf von Solmi, das tribunale immer durch den Einzelrichter entscheiden zu lassen (Art. 153), nicht durchgesetzt. Schon nach dem endgültigen Entwurf von Solmi konnte der Gerichtspräsident entweder den Einzelrichter oder in schwierigeren Fällen die Kammer mit dem Rechtsstreit beauftragen (Art. 164 Abs. 1) (Relazione, Nr. 5, Progetto definitivio, S. 7) . Im zweiten Fall war dies jedoch zugleich mit der Einsetzung eines beauftragten Richters zur Verhandlung und Beweisaufnahme verbunden (Art. 306 Abs. 1, 307 Abs. 1). Auch bei der Umfrage von 1965 standen Wissenschaft und Praxis der Einführung des Einzelrichters am tribunale noch weitgehend ablehnend gegenüber (Reale, Per un nuovo processo civile, S. 12). 54 Siehe 55 Vgl.

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B. Vorüberlegungen

sind (Art. 90 Abs. 1 G. 353/1990). Ist die Entscheidung in der ersten Instanz dagegen der Kammer vorbehalten (Art. 48 Abs. 2 ord. giud.), findet dagegen auch weiterhin das Verfahren vor dem Instruktionsrichter statt. 5 9 Auch diese Entscheidung für den Einzelrichter am tribunale liegt im Trend der hier untersuchten Länder. So hatte Österreich schon 1914 erfolgreich den streitentscheidenden Einzelrichter an den Landes- und Kreisgerichten eingeführt, auf den ein Großteil der vermögensrechtlichen Streitigkeiten übertragen werden (§ 7 a JN). 60 Zur gleichen Zeit war dieser Versuch in Italien nach nur einem Jahr als gescheitert angesehen worden. Sechzig Jahre später folgten auch Frankreich61 und Deutschland62 dieser Entwicklung. Im Gegensatz zu Österreich, Italien und Frankreich hat der deutsche Gesetzgeber aber weder 1974 bei der Einzelrichternovelle63 noch 1993 im Rechtspflege-Entlastungsgesetz64 die Übertragung auf den Einzelrichter zwingend vorgeschrieben. Dadurch werden Abgrenzungsschwierigkeiten wie jetzt in Italien vermieden. cc) Resurne Die Entwicklung der letzten hundert Jahre hat gezeigt, daß die Kollegialität des landgerichtliehen Verfahrens eine Illusion geblieben ist, von 59 Der Gesetzentwurf Nr. 2214/S/IX hatte den Instruktionsrichter dagegen völlig abschaffen und die Sache in diesen Fällen ganz der Kammer zuweisen wollen (Art. 3, 4 Abs. 1). Da es für den Gang des Verfahrens zunächst gleichgültig ist, ob der Instruktionsrichter den Rechtsstreit als Einzelrichter entscheidet oder der Kammer überweist, ist im weiteren nur vom Instruktionsrichter die Rede, wenn es nicht ausnahmsweise auf die Sachentscheidungskompetenz des Einzelrichters ankommt. 60 Die Zuständigkeit des Einzelrichters von heute öS 500.000 lag schon damals weit über der Bagatellgrenze. 61 Die Entwicklung wurde durch Art. 68 ff. D. 71-740 in Gang gesetzt. Siehe heute Art. 801 ff. NCPC und Art. L. 311-10 COJ, der die fakultative Übertragung regelt. Nach Art. L. 311-10-1, 311-11 COJ sind Straßenverkehrsunfallsachen und die Anerkennung ausländischer Entscheidungen zwingend auf den Einzelrichter zu übertragen. 62 Zuvor hatte es nur im Zweiten Weltkrieg einen streitentscheidenden Einzelrichter am Landgericht gegeben (§ 5 der Ersten Vereinfachungsverordnung, § 2 der Zweiten Vereinfachungsverordnung). 63 Der Entwurf der Bundesregierung hatte die Übertragung noch zwingend vorschreiben wollen (BT-Drucksache 7/1550, S. 7 f.; BT-Drucksache 7/2769, S. 3 f.), doch im Gesetzgebungsverfahren wurde die Regelung durch eine Ermessensentscheidung ersetzt, um Berufsanfangern bessere Möglichkeiten zu geben, sich zunächst in der Kammer einzuarbeiten (BT-Drucksache 7/1550, S. 4; BT-Drucksache 7/ 2769, S. 3). Als Folge dieses Ermessens schwankte die Zahl der Verfahren, die dem Einzelrichter übertragen wurden, stark von Kammer zu Kammer. Zahlenmaterial liefern z.B. BT-Drucksache 10/ 5317, S. 41 ff., 298 ff. und Rottleuthner, DRiZ 1987, S. 373. 64 Das Gesetz ersetzte lediglich die frühere "Kann"- durch eine "Soll"-Vorschrift. Damit hängt die weitere Handhabung davon ab, wie großzügig das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes angenommen wird (Deubner, in: Münchener Kommentar, Sonderheft zum Rechtspfiegeentlastungsgesetz, ZPO, § 348 Rdnr. 3).

I. Das Gericht und der Richter

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der Deutschland und Österreich schon bald wieder abgerückt sind, sei es durch einen vorbereitenden oder einen streitentscheidenden Einzelrichter. Dabei ist eine verstärkte Tendenz festzustellen, dem Einzelrichter auch die Sachentscheidungskompetenz zu übertragen, der nun auch Italien gefolgt ist. Damit verstärkt sich der Trend, letztlich den Unterschied zwischen Amts- und Landgericht einzuebnen, der gerade in der Kollegialität des landgerichtliehen Spruchkörpers lag. 65 In Italien geht die Entwicklung dabei in die Richtung, tribunale und pretura auch organisatorisch zusammenzufassen und so im Rahmen der Berufsjustiz ein einheitliches einzelrichterliches Eingangsgericht zu schaffen.66 Ausdruck dieser Bestrebungen ist insbesondere auch die Neuordnung der Gerichtsbezirke der preture im Jahre 1989 und die erhebliche Ausweitung ihrer Zuständigkeit.67 Soweit der Rechtsstreit (vorläufig) noch von einer Kammer entschieden wird, wird die Entscheidung überwiegend von einem Kammermitglied auch durch die Erhebung von Beweisen vorbereitet, sei es durch den juge de la mise en etat oder den Instruktionsrichter. Auch Deutschland ist diesem Trend inzwischen wieder gefolgt. Nachdem der vorbereitende Einzelrichter für die erste Instanz weggefallen68 und die frühere Praxis beendet war, den Berichterstatter mit der Beweisaufnahme zu beauftragen,69 wurde durch das Rechtsplege-Vereinfachungsgesetz der beaufragte Richter wieder zu neuem Leben erweckt. Dieser darf nun Zeugen (§ 375 Abs. 1 a ZPO), Parteien(§ 451 ZPO) und Sachverständige(§ 402 ZPOf0 anhören, wenn dies für die Verhandlung vor der Kammer zweckmäßig ist und die Beweisaufnahme auch ohne unmittelbaren Eindruck gewürdigt werden kann. 71 Bedenkt man, daß auch die Übertragung der Einnahme 65 Vgl. Borre, Relazione des C.S.M. zum Gesetzentwurf Nr. 2214/S/IX, Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 397. 56 Stellungnahme des C.S.M. zum Gesetzentwurf über die Konversion der Gesetzesdekrete vom 21. April1995, Nr. 121, vom 21. Juni 1995, Nr. 218 und vom 18. Oktober 1995, Nr. 432, Notiziario del C.S.M., November 1995, S. 9; Trocker, ZZPint 1 (1996), S. 3. Zur vergleichbaren Forderung nach einem dreistufigen Gerichtsaufbau in Deutschland vgl. jüngst Gottwald, Verhandlungen des 61. DJT, Gutachten, S. A 13 m.w.N. 67 Siehe dazu sogleich unten B.I.l.b), S. 80 f., insbesondere Fußnote 77. 68 Nur im Berufungsverfahren gibt es weiterhin den vorbereitenden Einzelrichter (§ 524 Abs. 2 ZPO), der mit Einverständnis der Parteien auch in der Sache entscheiden darf. Diese Vorschrift entspricht fast wörtlich dem früheren§ 349 Abs. 2 ZPO a.F., doch wurde die alte "Soll"-Vorschrift dadurch ersetzt, daß der Einzelrichter nur einzelne Beweise erheben "darr'. 69 Nach dem Zweck der Neuregelung war es auch nicht möglich, mit Duldung der Parteien nach § 295 Abs. 1 ZPO wieder auf den beauftragten Richter zurückzugreifen (Putzo, NJW 1975, S. 187; Wemer/ Pastor, NJW 1975, S. 331). Auch die Rechtsprechung machte klar, daß diese Praxis nunmehr einen Verfahrensfehler begründete, der auch in der Rechtsmittelinstanz noch gerügt werden konnte ( OLG Köln, NJW 1976, S. 1101; OLG Düsseldorf, NJW 1976, S. 1103). 70 Vgl. Damrau, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 402 Rdnr. 3. 71 Ein revisibler Rechtsfehler (Verstoß gegen § 355 ZPO) liegt aber dann vor, wenn im

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B. Vorüberlegungen

des Augenscheins auf einen beauftragten Richter im Ermessen des Gerichts steht (§ 372 Abs. 2 ZP0), 72 so kann heute auch in Deutschland die ganze Beweisaufnahme bis auf den wenig zeitaufwendigen Urkundenbeweis auf den Berichterstatter übertragen werden. Der beauftragte Richter hat damit in etwa die gleiche Funktion wie der Instruktionsrichter, der juge de la mise en etat oder der Einzelrichter bis 1974.73 Nur Österreich hat sich diesem Trend bisher verschließen können und hält dadurch am weitesten am Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme fest. b)

Der pretore

Neben dem tribunale gibt es als zweites Eingangsgericht am Sitz jedes tribunale gegenwärtig eine sogenannte pretura circondariale (Art. 30 ord. giud.), 74 wo der Rechtsstreit wie bei den anderen vergleichbaren Gerichten 75 von einem Berufsrichter, dem pretore, verhandelt und entschieden wird (Art. 31 Abs. 1 S. 1 ord. giud.). 76 Die Zuständigkeit des pretore ist mit den Reformen von 1990 und 1995 ganz erheblich erweitert worden. Zum einen ist die allgemeine Wertgrenze weit über den Inflationsausgleich hinaus auf nunmehr .L 50.000.000 (Art. 8 Abs. 1 c.p.c.) angehoben worden, 77 was dem Trend in den übrigen Ländern entspricht. 78 Daneben wurde wie in den übrigen Ländern eine umfassende Zuständigkeit für Streitigkeiten aus der Überlassung von Immobilien geschaffen (Art. 8 Abs. 2 Nr. 3 c.p.c.). 79 Urteil der unmittelbare Eindruck des beauftragten Richters verwertet wird, ohne daß dieser im Protokoll vermerkt ist (BGH, NJW 1991, S. 1180; NJW-RR 1994, S. 1537). 7 2 Vgl. BGH, NJW 1990, S. 2936. 73 Deubner, in: Münchener Kommentar, Sonderheft zum Rechtspf!egeentlastungsgesetz, ZPO, § 348 Rdnr. 1; Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 375 Rdnr. 5. 74 Die alten preture und deren Außenstellen (sedi distaccate) wurden zu Außenkammern (sezioni distaccate) (vgl. Art. 2 G. 30/1989), deren Sitze und Bezirke sich aus den Anlagen B und C zum ordinamento giudiziario, LEX 1989 I, S. 597, ergeben. 75 In Deutschland das Amtsgericht(§ 22 Abs. 1 GVG), in Österreich das Bezirksgericht (§ 5 JN) und in Frankreich das tribunal d'instance (Art. L. 321-4 COJ). 76 Es sei aber angemerkt, daß nach Art. 32 ord. giud. auch ehrenamtliche Richter als vice pretori onorari fungieren. Hierbei handelt es sich um studierte Juristen, z.B. Notare. Vgl. auch Trocker, Professional and non-professional judges, S. 324. 77 Nach der ursprünglichen Reform von 1990 sollte der pretore vorbehaltlich der Zuständigkeit des giudice di pace nur bis .C 20.000.000 zuständig sein. Zuvor betrug die Wertgrenze lediglich .C 5.000.000 (Art. 8 Abs. 1 c.p.c. a .F .), bis 1984 gar nur .C 750.000. 78 Beim Amtsgericht stieg die Wertgrenze von DM 5.000 im Jahre 1990 über 6.000 ab 1. April 1991 auf DM 10.000 seit 1. April 1993 (§ 23 Nr. 1 GVG), beim Bezirksgericht von öS 50.000 im Jahre 1989 über öS 75.000 ab ersten 1. Juli 1991 auf öS 100.000 seit 1. Juli 1993 (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 JN), beim tribunal d'instance von FF 10.000 im Jahre 1985 auf FF 30.000 (Art. R.* 321-1 Abs. 1 COJ) . 79 Vgl. in Deutschland § 23 Nr. 2 lit. a GVG (seit 1993 allerdings auf Wohnraum beschränkt), in Österreich § 49 Abs. 1 Nr. 5 JN i.V.m. § 560 öZPO und in Frankreich Art. R.* 321-2 COJ.

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Damit ist die Zuständigkeit des pretore, der zugleich noch die Funktion des Arbeitsrichters wahrnimmt, im Vergleich zu den übrigen Ländern am weitesten gefaßt. Er spielt eine ganz zentrale Rolle als Eingangsinstanz im italienischen Erkenntnisverfahren. c)

Der giudice di pace

Schließlich kann Italien noch mit einem dritten Eingangsgericht aufwarten, dem giudice di pace, der durch das Friedensrichtergesetz von 1991 zu neuem Leben erweckt worden ist und den conciliatore ablöst.80 Seine örtlicher Zuständigkeit fällt mit den früheren Gerichtsbezirken der pretori (mandamenti) vor der Straffung der Gerichtsorganisation im Jahre 1989 zusammen (Art. 2 Abs. 1 G. 374/1991). 81 Damit stehen den Berufsrichtern (giudici togati) 82 4.700 ehrenamtliche Richter (magistrati onorari) zur Seite (Art. 3 Abs. 1 G. 374/1991). Nach der Idee des Gesetzgebers, die sich am Vorbild von Gemeindeältesten orientierte, sollten sich die giudici di pace durch Sachkunde, Lebenserfahrung und Unabhängigkeit auszeichnen, um so durch ihre Reputation in ihrem sozialen Umfeld dem Friedensrichteramt eine natürliche Autorität zu verleihen (Art. 5 Abs. 3 G. 374/1991). Diesem Bild entsprach das gesetzliche Anforderungsprofil an die giudici di pace in besonderer Weise: Es sollte sich um examinierte Juristen handeln, die keine Staatsoder Parteiämter ausüben und nicht abhängig beschäftigt sind.83 Zur Sicherung der Berufs- und Lebenserfahrung sollten sie zwischen 50 und 71 Jahre alt sein. 84 Für Anwälte85 war darüberhinaus zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit bestimmt, daß sie das Friedensrichteramt nicht im Bezirk der Garte d'appello bekleiden dürfen, in dem sie ihre gerichtliche Tätigkeit ausüben. 86 Als aber mit der Zeit klar wurde, daß sich angesichts der strengen Kriterien nicht genügend Bewerber finden ließen, wurden die Altersgrenze und die Inkompatibilität für Anwälte zunächst gelockert87 und 80 Zum Werdegang dieses Gesetzes vgl. Acone, II giudice di pace dal dibattito culturale alla legge istitutiva, Riv. dir. proc. 1992, S. 1096 ff.; Chiarloni, Quattro progetti per un nuovo giudice onorario, Riv. trim. dir. proc. civ. 1989, S. 455 ff. 81 Hierin liegt ein ganz wesentlicher Unterschied zum conciliatore, von dem es in jeder Kommune mindestens einen gab (Art. 20 Abs. 1 ord. giud. a.F .). 82 Wörtlich übersetzt heißt das "Richter in Robe". 83 Vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. g, h, 8 Abs. 1 lit. a, b G. 374/ 1991. 84 Vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. e G. 374/1991 in der ursprünglichen Fassung. 8 5 Vg!. dazu unten Fußnote 12, S. 107. 86 Vg!. Art. 8 Abs. 2 G . 374/1991 in der ursprünglichen Fassung. 8 7 Die Altersgrenze wurde durch Art. 9 G.-D. 380/1994 auf 40 bis 73 Jahren ausgedehnt. Art. 11 G.-D. 380/1994 beschränkte die Inkompatibilität auf den Bezirk des tribunale (circondario) und führte zusätzlich einen neuen Art. 8 bis G . 374/ 1991 ein, 6 Piekenbrack

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B. Vorüberlegungen

schließlich so gut wie aufgehoben. 88 Damit entspricht das heutige Anforderungsprofil nicht mehr dem Bild des "weisen alten Mannes". Es ist zugeschnitten auf Anwälte sowie pensionierte Richter oder Verwaltungsbeamte, seit das Entgelt ausdrücklich mit Rentenzahlungen kumulierbar ist. 89 Die giudici di pace werden auf Vorschlag des zuständigen regionalen Justizrats vom Obersten Justizrat ( Consiglio superiore della magistratura - C.S.M.) (Art. 104 Abs. 2 cost.) 90 bestimmt (Art. 4 G. 374/1991) und vom Präsidenten ernannt. Keine Mehrheit fand dagegen der Vorschlag, sie nach Art. 106 Abs. 2 cost. direkt vom Volk wählen zu lassen,91 was ihrem ursprünglichen Profil besser entsprochen hätte. Die Bezahlung erfolgt Ieistungs bezogen. 92 Die Zuständigkeit des giudice di pace reicht bei Streitigkeiten über bewegliches Vermögen bis zu f, 5.000.000 (Art. 7 Abs. 1 c.p.c.), bei Schadensersatzforderungen aus Straßenverkehrsunfällen sogar bis f, 30.000.000 (Art. 7 Abs. 2 c.p.c.). Zusätzlich ist er bei einigen Nachbarstreitigkeiten und im Wohnungseigentumsrecht ( condominio) (Art. 1117 ff. c.c.) zuständig (Art. 7 Abs. 3 Nr. 1 - 3 c.p.c.). 93 Außerdem obliegt ihm der wonach der Anwalt von der Vertretung in allen Verfahren ausgeschlossen sein sollte, die vor einem Gericht im circondano seines Friedensrichteramtes anhängig waren. Dies sollte auch für die weiteren Instanzen gelten. 88 Durch das Konversionsgesetz Nr. 673/1994 wurde die untere Altersgrenze auf 30 Jahre gesenkt und für procuraton legali völlig aufgehoben. Die obere Altersgrenze beträgt nun 70 Jahre (Art. 5 Abs. llit. e G. 374/1991 n.F.). Gleichzeitig wurde die Inkompatibilität für Anwälte durch Streichung von Art. 8 Abs. 2 G. 374/1991 völlig aufgehoben. Das Vertretungsverbot wurde schließlich auf solche Verfahren beschränkt, die entweder vor demselben Friedensrichteramt anhängig sind oder dort ursprünglich anhängig waren (Art. 8 bis G. 374/1991 n.F.). 89 Vgl. Art. 11 Abs. 4 bis G. 374/1991, eingefügt durch Art. 15 G .-D. 380/ 1994. 90 Vgl. zu dessen Aufgaben das Gesetz Norme sulla costituzione e sul funzionamento del Consiglio supenore della Magistratura vom 24. März 1958, Nr. 195, G.U. vom 27. März 1958, Nr. 75, LEX 1958 I, S. 929 sowie Seiter, Organisation, Stellung und Funktionen des Obersten Richterrats in Italien, Diss., Freiburg, 1981. 91 Zur Diskussion vgl. Trocker, ZZPint 1 (1996), S. 7. Für die Direktwahl bis zuletzt Chiarloni, Foro it. 1989 V, Sp. 14, 19 ff.; Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 41. 374/ 1991, s. 932 ff. 92 Nach Art. 11 Abs. 2, 4 G. 374/1991 i.V.m. Art. 1 des Ministerialdekrets Adeguamento della misura delle indennita spettanti al giudice di pace vom 6. November 1996, G.U. vom 27. November 1996, LEX 1996 I, S. 4044, erhält der giudice di pace in Zivilsachen zur Zeit für höchstens zehn Sitzungstage pro Monat .C 45.360 am Tag und .C 56.700 für ein Urteil oder einen Vergleich. 93 Damit geht die Zuständigkeit des giudice di pace erheblich weiter als die des conciliatore, der nur bis zu .C 1.000.000 entscheiden konnte (Art. 7 Abs. 1 c.p.c. a.F.). Bis 1984 war er gar nur bis .C 50.000 zuständig. Hinzu sollten auf dem Gebiet der Verwaltungsbußen ( sanzioni amministrative) praktisch sehr bedeutsame Zuständigkeiten für Einsprüche gegen Bußgeldbescheide ( opposizioni all 'ordinanza-ingiunzione) (Art. 7 Abs. 3 c.p.c. 1991 i.V.m. Art. 22 des Gesetzes Modifiche al sistema penale vom 24. November 1981, Nr. 689, suppl. ord. G.U. vom 30. November 1981, N. 329,

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freiwillige Vergleichsversuch außerhalb des streitigen Verfahrens (Art. 322 Abs. 1 c.p.c. i.V.m. Art. 68 f. disp. att. c.p.c.), der aber kaum praktische Bedeutung hat.94 Daran wird deutlich, daß der giudice di pace überwiegend keine schlichtende, sondern eine richtende Funktion ausübt und mit dem juge de paix genausowenig gemein hat wie früher der conciliatore. 95 Der juge de paix war außer in Bagatellsachen96 vor allem für den obligatorischen Gütetermin97 (Art. 48 CPC 1806) 98 zuständig, der als Errungenschaft der Revolution gefeiert worden war. 99 Doch schon bei den Beratungen des code de procedure civile war die Begeisterung der Ernüchterung gewichen, 100 da die Erfolge des juge de paix als Schlichter in Paris und den anderen großen Städten bescheiden waren. 101 So hat Italien zwar das Friedensrichteramt übernommen, nicht aber den obligatorischen Gütetermin, 102 da man ihn nach den praktischen ErfahrunLEX 1981 I, S. 2817) und gegen sonstige Sanktionen wie Fahrverbote bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelrecht (Art. 7 Abs. 4 Nr. 4 c.p.c. 1991 i.V.m. Art. 75 des Dekrets des Präsidenten der Republik Testo unico delle leggi in materia di disciplina degli stupefacenti e sostanze psicotrope, prevenzione, euro e riabilitazione dei relativi stati di tossicodipendenza vom 9. Oktober 1990, Nr. 309, suppl. ord. G.U. vom 31. Oktober 1990, Nr. 255, LEX 1990 I, S. 1971) kommen, die aber durch Art. 1 G.-D. 238/1995 wieder beseitigt wurden. 94 Rota, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 322 n.F. Rdnr. 4. 9 5 Trocker, ZZPint 1 (1996), S. 9. 96 More!, Procedure civile, Nr. 216, S. 254; Glasson/ Tissier, Traite de procedure civile3 , Band 2, Nr. 343, S. 63 nennt als Grenze 50 Franken nach dem Gesetz vom 16./24. August 1790. 97 Er wurzelte in dem Staatsverständnis Jean Jacques Rousseaus, der mit seiner Theorie vom cantrat social auch die Einrichtung einer arbitrage volontaire verband (Dahlmanns, in: Coing, Handbuch, Band III/2, Verfahrensrecht Frankreich, S. 2519). 98 0hne Gütetermin war eine Klage vor dem tribunal unzulässig und ein trotzdem durchgeführtes Verfahren nichtig ( Glasson/Tissier, Traite de procedure civile3 , Band 2, Nr. 466, S. 408). 99 Zwar ist der juge de paix keine echte Erfindung der Revolution, sondern war schon vorher in Holland und Nordfrankreich bekannt und von Voltaire in einem Briefvon 1745 mit Begeisterung beschrieben worden ( Glasson/Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 2, Nr. 466, S. 407, Fußnote 1). Zu einer festen Institution wurde er aber erst mit der Revolution. 100 Garsonnet, Traite de Procedure, Band 2, S. 194 f.; Glasson/Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 2, Nr. 466, S. 409. 101 Garsonnet, Traite de Procedure, Band 2, S. 195; Glasson/ Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 2, Nr. 466, S. 410. In den ländlichen Gebieten war der juge de paix dagen erfolgreicher, weshalb sich beide Autoren für seine Beibehaltung aussprachen. Die Kritik von Frey, Frankreichs Civil- und Criminalverfassung, S. 53, und von Feuerbach, derangesichtsder auf eine Strafe von zehn Franken beschränkten Folge der Säumnis im Gütetermin (Art. 56 CPC 1806) vom juge de paix sprach als einer "Zollstätte, bei welcher man für die Erlaubniß, den Weg der Justiz zu betreten, einstweilen auf Abschlag ein Weggeld zu entrichten habe" (zitiert nach Frey, Frankreichs Civil- und Criminalverfassung, S. 53 f.), erscheint vor diesem Hintergrund zu hart. 102 Glasson/Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 2, Nr. 466, S. 409 f. ; Klein, JBI. 1891, S. 67.

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B . Vorüberlegungen

gen nicht nur für nutzlos, sondern sogar für kontraproduktiv hielt. 103 Statt dessen überließ man es den Parteien, ob sie den conciliatore für einen Vergleichsversuch anrufen wollten (Art. 1 c.p.c. 1865). Seit Inkrafttreten des neuen codice di procedura civile ist der Richter der Hauptsache beauftragt, den Versuch einer gütlichen Beilegung des Rechtsstreits zu unternehmen (Art. 185 Abs. 1 c.p.c. 1940), 104 während die Funktion des conciliatore als Schiedsstelle fast völlig verloren gegangen ist. Übrig blieb allein das unter französischem Einfluß geschaffene Amt und nun wieder der Name.l 05 Auch in Deutschland hat der obligatorische Güteversuch vor Klageerhebung im Zivilprozeß 106 nicht dauerhaft Fuß gefaßt. Anfängliche Bestrebungen, einen solchen Friedensrichter einzuführen, wie etwa im badischen Entwurf von Brauer,107 stießen später weitgehend auf Ablehnung. 108 Nur im Südwesten wurde bei besonderer persönlicher109 oder räumlicher 110 Nähe der Parteien ein obligatorischer Schlichtungsversuch vor Prozeßbeginn angeordnet. Statt dessen trug man dem Gedanken der gütlichen Streitbeilegung entweder durch die Einrichtung unabhängiger Schiedsstellen Rechnung, die vom gerichtlichen Verfahren losgelöst waren; 111 oder dem Kläger wurde gestattet, den Beklagten zu einem Vergleichsversuch vor einen Gemeindebeamten zu laden, wenn der Beklagte einverstanden 103 Relazione

ministeriale, Nr. 5, Bo/Tappari, Codice di procedura civile, Band 1, S. 5. Regelung wurde im wesentlichen übernommen in Art. 183 Abs. 1 S. 1 c.p.c. 105 Nur im Arbeitsverfahren hatte der Gesetzgeber zunächst noch einen obligatorischen Vergleichsversuch zwischen einem Gewerkschafts- und einem Arbeitgebervertreter vorgesehen (Art. 430 - 433 c.p.c. 1940). Seit der Reform des Arbeitsverfahrens im Jahre 1973 gibt es aber nur noch einen fakultativen Vergleichsversuch vor einer besonderen Schiedskommission (commissione di conciliazione) (Art. 410- 412 c.p.c.). 106 Dies gilt auch für das Arbeitsverfahren, da der Gütetermin ein eigener Verfahrensabschnitt vor dem zuständigen Gericht nach Erhebung der Klage ist (§ 54 Abs. 1 ArbGG). Nur im Strafverfahren gibt es noch den obligatorischen Sühneversuch vor dem Bürgermeister vor Erhebung der Privatklage (§ 380 StPO i.V.m. § 2 Abs. 2 der baden-württembergischen Sühneversuchsverordnung). 107 Vgl. Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 395, Fußnote 9. 108 Vgl. neben den oben in Fußnote 101, S. 83 genannten Stellen auch Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 395, Fußnote 9, der von der Erteilung eines Laufpasses und einem "testimonium paupertatis für die ordentlichen Gerichte" sprach, und die Bemerkungen zu §§ 175 - 177 hanPrO 1850, Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 463. Einen Verweis auf die Ablehnung des obligatorischen Güteversuchs in Italien enthält die Begründung zu § 258 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung2 , Band 1, S. 282. 109 So für die Streitigkeiten innerhalb der typischen Kleinfamilie, also zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern oder Geschwistern § 290 badPrO 1864. 110 So für Angehörige derselben Gemeinde das würrtembergische IV. Organisationsedikt vom 31. Dezember 1818, das bis 31. Januar 1869 in Kraft war. Noch im Vorentwurf zur Prozeß-Ordnung von 1868 war die Übernahme dieser Regelung vorgesehen gewesen (Fecht, Gerichtsgesetze des Königreichs Württemberg, Abteilung 3, Band 1, S. 421). 111 Dazu wurden in Preußen mit der Instruktion vom 1. Mai 1841 unabhängige Schiedsmänner eingeführt (vgl. Koch, Der Preußische Civil-Prozeß 2 , S. 5). 104 Die

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war. 112 Schließlich wurde in einigen Staaten der Richter der Hauptsache verpflichtet, auf eine gütliche Einigung der Parteien hinzuwirken. 113 Solche Bevormundungen der Parteien durch den Richter waren in der Blütezeit des Liberalismus jedoch nicht mehr gefragt, 114 so daß vom hannoverschen Recht von 1850 bis zur Reichsjustizgesetzgebung eine Entwicklung zu beobachten ist, wonach der Richter auf einen Vergleich hinwirken konnte, aber nicht mußteY 5 Gleichzeitig wurde ähnlich wie in Italien der freiwillige Vergleichsversuch vor Erhebung der Klage eingeführt, 116 für den das Amtsgericht zuständig war. Mit der Zuständigkeit des Amtsgerichts wich man in Deutschland von dem französischen Vorbild, das im hannoverschen Gesetz noch spürbar war, noch weiter ab als in Italien. Während dort mit dem conciliatore eine eigene Vergleichsinstanz neben den ordentlichen Gerichten geschaffen worden war, wurde der freiwillige Vergleichsversuch in Deutschland einem ordentlichen Gericht übertragen. Die Folgen des Ersten Weltkriegs und der wirtschaftliche Niedergang zwangen das Land, die Tore seiner Gerichte wieder etwas zu schließen, wozu man sich auf den obligatorischen Gütetermin nach französischem Vorbild besann. Während sich die Reform von 1915 noch mit der verstärkten Anwendung des Mahnverfahrens behelfen wollte(§§ 1- 17 VO 1915), wurde mit der "Emminger Verordnung" von 1924 ein obligatorischer Gütetermin im Verfahren vor dem Amtsgericht eingeführt(§ 495 a ZPO 1924). Anders als beim juge de paix war aber das Amtsgericht als Gericht der Hauptsache mit der Durchführung der Güteverhandlung betraut, so daß die Ergebnisse im weiteren Streitverfahren verwertet werden konntenY 7 Der Entwurf von 1931 sah darüberhinaus generell einen dem Arbeitsverfahren nachempfundenden obligatorischen Gütetermin nach Klageerhebung vor (§ 231 Abs. 1), verwirklicht wurde er aber nicht. Kurz vor Ende des Krieges wurde der "deutsche Friedensrichter" wieder beseitigt (§ 5 der Zweiten Kriegsmaßnahmenverordnung). Nach dem Krieg lebte er in einigen Ländern wie zum Beispiel Sachsen wieder auf, 118 bis er für das Gebiet der Bundesrepublik 1950 endgültig wieder beseitigt wurde. 112 So

beispielsweise Art. 308 Abs. 1 S. 1 württPrO 1868. § 791 badPrO 1832 = § 289 badPrO 1864; § 83 Abs. 1 banPrO 1847. 114 SteinjJonas 12 , ZPO, vor§ 495 Anm. Il. 115 § 176 Abs. 1 banPrO 1850; § 275 des preußischen Entwurfs von 1864; § 268 ZPO 1877 = § 296 ZPO 1898. Erst seit der Vereinfachungsnovelle von 1976 ist der Richter wieder verpflichtet, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung der Parteien hinzuwirken (§ 279 ZPO). 116 § 175 Abs. 1 banPrO 1850; § 221 Abs. 1 des Entwurfs einer allgemeinen Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten von 1866 (vgl. die Protokolle der Commission zur Beratung einer allgemeinen Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten, 80. Sitzung (1863), S. 1280); § 471 ZPO 1877 = § 510 ZPO 1898; § 510 c ZPO 1909. 117 Stein/Jonas 12 , ZPO, vor § 495 Anm. li. 118 Zur Rechtslage im einzelnen vgl. Baumbach 18 , ZPO vor§ 495 a Anm. 4.1.B. 113 Vgl.

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B. Vorüberlegungen

Auch in Österreich gibt es nach den Vorstellungen Kleins 119 nur einen fakultativen Vergleichsversuch, zu dem der Kläger den Beklagten vor der Klageerhebung vor das Bezirksgericht laden kann (§ 433 Abs. 1 öZPO). Daneben ist der Senatsvorsitzende in der ersten Tagsatzung zu einem Vergleichsversuch verpflichtet (§ 239 Abs. 2 öZPO). Frankreich hat den juge de paix 1958 wieder abgeschafft und durch eine zweite Eingangsinstanz, das tribunal d'instance ersetzt, 120 bei dem die historischen Wurzeln deutlich zu erkennen sind. So beginnt das Verfahren vor dem tribunal d'instance wie früher mit einem obligatorischen Gütetermin, der entweder aufgrund einer demande aux fins de tentative prealable de conciliation außerhalb des Streitverfahrens (Art. 830 ff. NCPC) oder aufgrund einer assignation a fin de conciliation et, a defaut, de jugement direkt vor der Verhandlung stattfindet (Art. 836 ff. NCPC). Im Verfahren vor dem tribunal de grande instance hat die Schlichtung heute ihren festen Platz dagegen im laufenden Verfahren (Art. 21, 128 NCPC), 121 ohne daß ein Schlichtungsverfahren vor einem juge de paix vorausgeht. 122 Die Situation deckt sich damit mit dem Zustand in Deutschland zwischen 1924 und 1950. Allerdings fand insofern eine gewisse Gegenbewegung statt, als 1978123 - vergleichbar dem preußischen Recht von 1841 - ehrenamtliche Schlichter ( conciliateurs) eingesetzt wurden, die aber außerhalb der Justiz stehen und mit dem alten juge de paix nicht vergleichbar sind. Ein Friedensrichter nach dem Vorbild der französischen Revolutionsgesetzgebung ist damit in den hier untersuchten Ländern nicht mehr anzutreffen. Auch Spanien hat das obligatorische Schlichtungsverfahren 1984 abgeschafft, 124 so daß es einen Friedensrichter nur noch in der Schweiz gibt. 125 In Frankreich ist aus dem juge de paix mit dem tribunal d 'instance das zweite Eingangsgericht geworden, während der conciliatore in Italien als dritte Kraft neben den pretore und das tribunale getreten ist. Zugleich hat diese Untersuchung aber gezeigt, daß der Vergleichsversuch in der einen oder anderen Form im hier untersuchten Raum überall zum selbstverständlichen Aufgabenbereich des Richters zählt. Ein Blick nach England zeigt, daß dies auch heute noch keine Selbstverständlichkeit ist. 126 ll9 Klein, JBI. 1891, S. 90. 120 Vincentj Guinchard, Procedure civiie23 , Rdnr. 268. 121 Eine Ausnahme stellt das besondere Verfahren für Gebührenforderungen

der avout!s dar, wo vor der Klage beim tribunal de gronde instance ein obligatorischer Vergleichsterminvor der Anwaltskammer stattzufinden hat (Art. 5 Abs. 2 G. 57-1420). 122 Daher nicht ganz zutreffend Stümer, Gedächtnisschrift Arens, S. 412. 123 Dekret Nr. 78-381 relatij aux conciliateurs vom 20. März 1978, J.O. vom 23. März 1978, D. 1978 h\g., S. 209. 124 Miros, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 145. 125 Vogel, Grundriss des Zivilprozessrechts3 , Kapitel 1 Rdnr. 57, S. 38, wonach nur die Kantone Bern, Basel-Stadt, Neuchätel und Jura keinen Friedensrichter kennen. 126 Vgl. etwa Singer, The use of conciliation, S. 372.

I. Das Gericht und der Richter

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Jedoch spielen richterliche Vergleichsbemühungen in der italienischen Praxis keine große Rolle. 127 So ist bei den Richtern ein deutlicher Vorbehalt zu spüren, bei dem Vergleichsgespräch die führende Rolle zu übernehmen oder gar konkrete Zahlen für einen Vergleichsvorschlag in den Raum zu stellen, da man sich an einen solchen Vorschlag für das weitere Verfahren gebunden fühlt. Folglich geschieht es nicht selten, daß der Richter im Arbeitsverfahren, wo der Vergleichsversuch in der ersten mündlichen Verhandlung schon lange Zeit verbindlich ist, die Parteien vor die Tür schickt, um sich zu einigen. Er selbst begnügt sich damit, einen möglichen Vergleich zu protokollieren. Diese Praxis schlägt sich auch in konkreten Zahlen nieder. So wurden im Jahre 1991 lediglich knapp 7 % der an den preture abgeschlossenen Verfahren durch einen gerichtlichen Vergleich beendet, bei den tribunali waren es gar nur knapp 1,5 %. 128 2.

Die Rechtsmittelgerichte

In der Berufungsinstanz wird der Rechtsstreit dagegen immer vor der Kammer verhandelt, einen Instruktionsrichter gibt es seit der jüngsten Reform nicht mehr (Art. 350 Abs. 1 c.p.c. ). 129 Dies gilt sowohl bei Berufungen gegen Urteile des pretore, die vor dem tribunale verhandelt werden, als auch für Berufungen gegen Urteile des tribunale, für die die Corte d'appello zuständig ist (Art. 341 c.p.c.). Wie am tribunalewird der Rechtsstreit auch an der Corte d'appello von drei Berufsrichtern entschieden, bis zur Reform von 1977 waren es fünf. Auch die Senate der deutschen und Österreichischen Oberlandesgerichte sind mit drei Berufsrichtern besetzt (§ 122 GVG; § 8 Abs. 1 JN) ,130 während bei den französischen Cours d'appel, die für alle Berufungen zuständig sind (Art. R.* 211-1 COJ), eine unbestimmte ungerade Zahl von Richtern entscheidet (Art. L. 213-1 COJ). Auf den Instruktionsrichter (Art. 350 c.p.c. a.F.) wurde bei der Neuordnung des Berufungsverfahrens verzichtet, da man ein Vorverfahren vor 127 Montesanoj

Vaccarella, Manuale di diritto processuale del lavoro 2 , S. 130. absoluten Zahlen waren es bei den preture von 449.001 abgeschlossenen Verfahren 31.300 gerichtliche Vergleiche, bei den tribunali von 296.168 abgeschlossenen Verfahren lediglich 4.442 (Justizstatistik 1991 Tafel 2.4 - Procedimenti di cognizione esauriti per motivo di esaurimento, ufficio giudiziario e distretto di Corte d 'appello Primo grado - Anno 1991 ). 129 Der Vorschlag von Tarzia, die Beweisaufnahme auch in der Berufungsinstanz einem Instruktionsrichter zu übertragen (Art. 356 Abs. 1), wurde nicht aufgegriffen ( Giussani, in: Commentario breve (appendice di aggiornamento), c.p.c., Art. 350 Rdnr. 1). 130 Eine Ausnahme besteht nur in Österreich bei Berufungen gegen Urteile der Handelsgerichte oder der Handelssenate eines Landes- oder Kreisgerichts, bei denen auch in der Berufungsinstanz ein Laienrichter aus dem Handelsstand mitwirkt (§ 8 Abs. 2 JN). 128 In

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B. Vorüberlegungen

dem Kammertermin zu Recht für überflüssig hielt. Schon früher glichen die Befungnisse des Instruktionsrichters in der Berufungsinstanz eher denen des Österreichischen Richters in der ersten Tagsatzung als denen eines erstinstanzliehen Instruktionsrichters. Auch in Österreich findet die gesamte Verhandlung vor dem Senat statt, auch wenn zunächst nur über die Zulässigkeit der Berufung verhandelt wird (§ 471 öZPO). In Deutschland und Frankreich besteht dagegen auch im Berufungsverfahren die Möglichkeit, die Beweisaufnahme einem Mitglied der Kammer zu übertragen (§ 524 ZPO; Art. 910 Abs. 1 NCPC), dem in Deutschland mit Einverständnis der Parteien auch die Entscheidung in der Sache übertragen werden kann (§ 524 Abs. 4 ZPO). Für das Rechtsmittel der Kassationsbeschwerde ist schließlich einzig und allein die Corte di cassazione in Rom zuständig, wo fünf Richter den Rechtsstreit gemeinsam verhandeln und entscheiden (Art. 67 Abs. 1 S. 1 ord. giud.). Dies entspricht der Besetzung eines Zivilsenats des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) (§ 139 Abs. 1 GVG) und eines sogenannten einfachen Senats des Österreichischen Obersten Gerichtshofs ( OGH) (§ 6 Abs. 1 OGHG), während die französische Cour de cassation mit mindestens fünf Richtern entscheidet (Art. L. 131-6 Abs. 1 COJ). Damit entspricht die Besetzung der Richterbank in Italien heute dem europäischen Standart, während bis 1977 noch sieben Richter über die Kassationsbeschwerde zu entscheiden hatten. Entscheiden jedoch die Vereinigten Senate (sezioni unite) der Corte di cassazione, sind neun Richter an der Entscheidung beteiligt (Art. 67 Abs. 1 S. 2 ord. giud.), bis 1977 waren es sogar fünfzehn. 131 Diese Vereinigten Senate haben jedoch nicht allein die Aufgabe, wie in den übrigen Ländern die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sichern und grundsätzliche Fragen zu entscheiden (Art. 374 Abs. 2 c.p.c.), 132 sondern entscheiden auch über Fragen der internationalen und der Rechtswegzuständigkeit (giurisdizione) .133 Dabei ist bemerkenswert, daß Fragen der giurisdizione von den Vereinigten Senaten getroffen werden müssen, während die Vorlagen zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nur fakultativ sind (Art. 374 Abs. 2 c.p.c.).

131 Beim BGH hängt die Zahl der Mitglieder des Großen Senats für Zivilsachen von der Anzahl der Zivisenate ab (§ 132 Abs. 5 S. 1 GVG). Einen etwas anderen Weg geht Österreich, wo es beim OGH einen sogenannten verstärkten Senat gibt, bei dem zu den fünf Mitgliedern des einfachen Senats sechs weitere hinzukommen (§ 8 Abs. 1 OGHG). Für die assemblee pleniere der Cour de cassation (Art. L. 121-4 Abs. 1 COJ) gibt es keine feste MitgliederzahL 132 Vgl. § 132 Abs. 2, 4 GVG; § 8 Abs. 1 OGHG; Art. L. 131-2 Abs. 2 COJ. 133Vgl. Art. 374 Abs. 1, 360 Nr. 1, 362 c.p.c.

I. Das Gericht und der Richter

3.

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Die Richterschaft

Abschließend soll noch kurz die Auswahl der Richter in Italien beschrieben werden. Wie in Frankreich beginnt die Richterlaufbahn eines Universitätsabgängers (laureato in giurisprudenza) mit einem nationalen Wettbewerb ( concorso nazionale), einer Staatsprüfung, der sich alle Kandidaten zu unterziehen haben. Hat ein Berufsanfänger diese Hürde überwunden, beginnt für ihn eine mehrjährige Ausbildung, die mit einer weiteren Prüfung und der Ernennung zum Berufsrichter endet. Damit findet aus der Sicht eines deutschen Einheitsjuristen134 in Italien eine sehr frühe Differenzierung der juristischen Laufbahn zwischen magistratura und avvocatura statt, die mitverantwortlich sein könnte für die spürbare Distanz zwischen den beiden forensischen Berufsgruppen. Sollte dieser Eindruck zutreffen, böte sich für Deutschland ein gewichtiges Argument für die Beibehaltung des vielgescholtenen Vorbereitungsdienstes (§ 5 b DRiG). Zumindest die praktische Ausbildung auf beiden Seiten der Gerichtsschranke sollte vor dem Hintergrund der italienischen Erfahrung auch in Zukunft gewährleistet bleiben. 135 Die weitere Laufbahn eines Richters hängt seit den Reformen von 1966 bezüglich der Corte d'appello 136 und von 1971 bezüglich der Corte di cassazione131 faktisch nur noch vom Dienstalter ab, ohne daß es noch einen wirksamen Auswahlmechanismus gäbe. 138 Bedenkt man weiterhin, daß innerhalb der Corte di cassazione kein wirksamer Mechanismus zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung besteht, daß die Kassationsbeschwerde von Verfassungs wegen gegen jedes Endurteil selbst des giudice di pace ohne Einschränkung zulässig ist (Art. 111 Abs. 2 S. 1 cost.) und der Gerichtshof damit zum Beispiel im Jahre 1992 in 13.759 Verfahren eine 1 3 4 § 5 Abs. 1 DRiG i.V.m. § 4 BRAO. 135 So gibt es in Österreich zwar keine einheitliche

Ausbildung für Richter und Rechtsanwälte, doch sehen beide Ausbildungswege ein mehrmonatiges Praktikum auf der jeweils "anderen Seite" vor. Der Richteramtsanwärter hat regelmäßig fünf Monate seines Ausbildungsdienstes bei einem Rechtsanwalt zu verbringen (§ 9 Abs. 2 RDG). Der zukünftige Rechtsanwalt muß sogar mindestens neun Monate seiner praktischen Verwendung bei Gericht absolvieren (§§ 1 Abs. 2 lit. d, 2 Abs. 2 S. 2 RAO) . 136 Gesetz Disposizioni sulla nomina a magistrato di Corte d'appello vom 25. Juli 1966, Nr. 570, G.U. vom 28. Juli 1966, Nr. 186, LEX 1966 I, S. 1267. 137 Gesetz Modifiche dell'ordinamento giudiziario per Ia nomina a magistrato di cassazione e per il conferimento degli uffici direttivi superiori vom 20. Dezember 1973, Nr. 831, G.U. vom 29. Dezember 1973, Nr. 333, LEX 1973 I, S. 3709. 138 La China, Diritto processuale civile, S. 64 f. Für alle Richter wird nach einer bestimmten Dienstzeit vom Obersten Justizrat ein Gutachten erstellt, ob sie zu Beförderung geeignet sind. Da aber weit mehr Richter ernannt werden als Stellen an den Obergerichten frei sind, bleiben sie zunächst weiterhin auf ihrem Posten, bis eine Stelle frei wird (Sgroi , Rev. int. dr. comp. 1978, S. 300).

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B. Vorüberlegungen

Entscheidung getroffen hat/ 39 so wird verständlich, daß sich häufig widersprechende Entscheidungen finden. Dies schwächt aber die Position der Instanzrichter, die nicht auf eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgreifen können und mit der Aufhebung ihrer Urteile durch die Corte di cassazione rechnen müssen. Aus der Sicht der unterlegenen Partei wirkt die Entscheidung damit leicht willkürlich, was den bestehenden Graben zwischen Anwälten und Richtern weiter vertieft. Zugleich sinkt die Überzeugungskraft der Entscheidung, was wiederum zu einer unangemessenen Betonung der Rechtsmittel, insbesondere der Kassationsbeschwerde (ricorso di cassazione) (Art. 360 ff. c.p.c.) führt .140 Ein Teufelskreis.

II.

Die Alternativen zum ordentlichen Erkenntnisverfahren

Haben die Parteien keine Schiedsklausel ( clausola compromissoria) vereinbart (Art. 808 Abs. 1 c.p.c.) und sich auch nicht nachträglich auf ein Schiedsverfahren ( compromesso) (Art. 806 c.p.c.) geeinigt, gibt es als Alternativen zum ordentlichen Erkenntnisverfahren zwei summarische Verfahren und die unmittelbare Vollstreckung aus bestimmten Urkunden. 1.

Das Injunktionsverfahren

Häufig läßt sich ein ordentlicher Prozeß durch ein Injunktionsverfahren141 (procedimento d'ingiunzione) (Art. 633 c.p.c.), 142 vermeiden, das in seiner heutigen Form auf das Jahr 1922 zurückgeht 143 und dem Österreichischen Mandatsverfahren (§§ 548 ff. öZP0) 144 nachgebildet worden 139 Die Entscheidungen werden jährlich vollständig erschlossen im Repertorio del Foro italiano und im Repertorio della Giurisprudenza italiana. 140 Vgl. zu Deutschland Gottwald , Verhandlungen des 61. DJT, Gutachten, S. A 9. 141 Hier wird zur Vermeidung von Verwechselungen von der amtlichen Übersetzung abgewichen, die in Anlehnung an die Österreichische Terminologie vom Mahnverfahren spricht, was aber auch aus österreichischer Sicht nicht ganz korrekt ist. 1 42Vgl. Trocker, ZZP 91 (1978), S. 255. 143 Siehe oben Fußnote 207, S. 50. Das Gesetz von 1922 geht wohl auf den Entwurf von Chiovenda zurück (Art. 197 Abs. 1), auch wenn Mortara von einem zufälligen Zusammentreffen der Arbeit der Kommission mit dem von ihm vorgelegten Gesetzentwurf spricht (Mortara, Manuale9 , Band 3, Nr. 71). Bis zur napoleonischen Eroberung hatte es jedoch vergleichbare Verfahren gegeben, die unter dem französischen Einfluß abgeschafft worden waren. Der Kirchenstaat hatte in §§ 931 f. greg.r.l.g.a.c. ein ähnliches Verfahren noch darüberhinaus bewahrt (Mortara, Manuale9 , Band 3, Nr. 72), so daß es sich letztlich um die Wiedereinführung eines längst bekannten Verfahrens handelte ( Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 107). 144 Proto Pisani, Riv. trim. dir. proc. civ. 1987, S. 293. In Österreich wurde das Mandatsverfahren erstmals 1855 für notarielle Urkunden eingeführt, 1859 auf andere öffentliche und private Urkunden ausgedehnt (siehe oben A.II1.3., S. 47) und wegen der guten

II. Die Alternativen zum ordentlichen Erkenntnisverfahren

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ist. Seiner Struktur nach entspricht es außerdem der französischen injonction de payer (Art. 1405 ff. NCPC), 145 während es in Deutschland kein solches Verfahren mehr gibt.146 Aus deutscher Sicht ist das Injunktionsverfahren eine Mischung aus Elementen des Urkundenprozesses und des Mahnverfahrens147 und kann als ein "im Urkundenprozeß ohne mündliche Verhandlung erlassener Vollstreckungsbescheid" umschrieben werden.148 Ein Mahnverfahren ohne Beweisaufnahme zur Titulierung unbestrittener Forderungen gibt es in Italien und Frankreich im Gegensatz zu Deutschland (§§ 688 ff. ZPO) und Österreich (§§ 448 ff. öZP0)1 49 aber nicht.150 a)

Das selbständige Injunktionsverfahren

Wer von einem inländischen Schuldner (Art. 633 Abs. 3 c.p.c.) 151 Geld, vertretbare Sachen oder eine bestimmte bewegliche Sache fordert, 152 kann praktischen Erfahrungen in die Zivilprozeßordnung übernommen (Erläuternde Bemerkungen zu §§ 570 bis 576 der Regierungs-Vorlage zur Civilprocessordnung, Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1, S. 376). 145 Die injonction de payer wurde 1937 für geringwertige Geldforderungen in Handelssachen eingeführt (siehe oben Fußnote 316, S. 61). Der rapport beruft sich ausdrücklich auf den Einfluß der commandement de payer nach der procedure locale (§ 688 ZPO 1898) {D. 1937 IV, S. 244, Fußnote 5), doch entspricht auch die injonction de payer eher dem Österreichischen Zahlungsauftrag im Mandatsverfahren als dem damaligen bedingten Zahlungsbefehl in Deutschland. Zu Deutschland, Österreich und Italien vor Inkrafttreten des französischen Gesetzes siehe Glasson/ Tissier, Traite de procedure civile3 , Band 4, Nr. 1012, S. 35 ff. Seit 1957 ist die injonction de payer auch außerhalb des Handelsverkehrs zulässig (siehe oben Fußnote 317, S. 61). 1972 wurde die summenmäßige Beschränkung aufgehoben (siehe oben Fußnote 318, S. 61). 146 Das Injunktionsverfahren entspricht jedoch weitgehend dem preußischen Mandatsprozeß nach §§ 1 ff. VO 1426/1833. Vgl. oben Fußnote 172, S. 46. 147 So auch zum Österreichischen Mandatsverfahren Glasson/ Tissier, Traite de procedure civile3 , Band 4, Nr. 1012, S. 37. Eine rechtsvergleichende Übersicht bietet Solus/Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 1395, S. 1189 ff. Sie ist aber nicht ganz fehlerfrei und erwähnt Österreich nicht. 148 Nicht zu vergleichen ist es mit dem Urkundenmahnbescheid, bei dem die Urkunden erst im streitigen Urkundenprozeß vorgelegt werden müssen(§ 703 a Abs. 2 Nr. 2 ZPO). 149 Das Mahnverfahren wurde 1873 für Geldforderungen im Rahmen der Zuständigkeit der Bezirksgerichte geschaffen. Eine Übersicht über das Mahnverfahren in Deutschland, Österreich und der Schweiz bietet Coester- Waltjen, Mahnbescheid und Zahlungsbefehl - ein Blick über die Grenzen, Festschrift Wolfram Henckel {1995), S. 53 ff. 150 Segni, Scritti giuridici, Band 2, S. 960 f. 151 Ebenso das französische Recht (Solusj Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 1399, S. 1192). Anders als § 688 Abs. 3 ZPO kennt Italien auch keine Ausnahme für Zustellungen im Bereich des EuGVÜ, was weder gegen das EuGVÜ ( Consolo, Riv. dir. int. priv. proc. 1991, S. 623) noch gegen die Verfassung verstößt ( Corte cost. vom 27. Juni 1989, Nr. 364, Foro it. 1990 I, Sp. 1095). In der Praxis sind aber trotzdem Zustellungen ins Ausland zu beobachten, wie etwa in der Entscheidung EuGH vom 13. Juli 1995, Hengst B. V. j Campese, EuZW 1995, S. 803 = IPRax 1996, S. 262. 152 Ursprünglich war das Injunktionsverfahren wie in Österreich (§ 548 öZPO) auf Zahlungsansprüche und die Leistung vertretbarer Sachen beschränkt (Art. 1

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B . Vorüberlegungen

beim Gericht der Hauptsache (Art. 637 Abs. 1 c.p.c.) 153 den Erlaß eines Injunktionsdekrets ( decreto d 'ingiunzione) beantragen, wenn er seinen Anspruch urkundlich 154 belegen kann (Art. 633 Abs. 1 Nr. 1 c.p.c.). Das Dekret ergeht nach Prüfung des Anspruchs anband der vorgelegten Beweise155 ohne mündliche Verhandlung (Art. 641 Abs. 1 c.p.c.). 156 Wird dem Antrag stattgegeben, hat der Schuldner zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung (Art. 647 Abs. 1 c.p.c.) binnen vierzig Tagen 157 Widerspruch (opposizione) (Art. 645 Abs. 1, 641 Abs. 1 c.p.c.) 158 zu erheben. Das Injunktionsdekret ist anders als der Mahnbescheid ein Vollstreckungstitel (Art. 647 Abs. 1 c.p.c.), 159 der bei Vorlage qualifizierter Urkunden Abs. 1 K.D. 1036/1922). Am weitesten anwendbar ist das Injunktionsverfahren heute in Frankreich, seit es dort neben der injonction de payer auch die injonction de faire (Art. 1425-1 ff. NCPC) gibt. 153 Gleiches ergibt sich in Österreich aus dem Schweigen des Gesetzes. In Frankreich ist sachlich dagegen immer das tribunal d 'instance zuständig, soweit es nicht um eine Handelssache geht, die vor das tribunal de commerce gehört (Art. 1406 Abs. 1 NCPC) . Dies entspricht dem deutschen Mahnverfahren, wo früher(§ 689 Abs. 1 ZPO a.F .) wie heute (§ 689 Abs. 1 S. 1 ZPO) ausschließlich das Amtsgericht sachlich zuständig ist. Örtlich ist in Frankreich dagegen anders als in Italien und Österreich ausschließlich das Gericht am Wohnsitz des Schuldners zuständig (Art. 1406 Abs. 2 NCPC). Das deutsche Recht entsprach bis zur Vereinfachungsnovelle bezüglich der örtlichen Zuständigkeit der österreichisch-italienischen Regel, wonach auch besondere Gerichtsstände der Hauptsache die Zuständigkeit des dortigen Amtsgerichts für das Mahnverfahren eröffneten (§ 689 Abs. 2 ZPO a.F.). Inzwischen ist jedoch ausschließlich das Amtsgericht am Wohnsitz des Antragstellers (§ 689 Abs. 2 ZPO) beziehungsweise das zentrale Amtsgericht in seinem Bundesland (§ 689 Abs. 3 S. 1 ZPO) zuständig. Diese im hier untersuchten Raum einmalige Regelung erklärt sich aus der besonderen Struktur des deutschen Mahnverfahrens. 154 Vgl. Art. 1407 Abs. 3 NCPC. In Österreich muß es sich dagegen wie früher in Preußen (§ 1 Nr. 1 VO 1426/1833) um qualifizierte Beweisurkunden handeln (§ 548 öZPO), wodurch die praktische Bedeutung des Mandatsverfahrens stark herabgesetzt wird (Fasching , öZPO, vor §§ 548 ff., S. 568). Vgl. im deutschen Urkundenprozeß § 595 ZPO. 155 Vgl. § 548 öZPO, Art. 1409 Abs. 1 NCPC. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zum deutschen Mahnverfahren, das keine materielle Prüfung des Anspruchs durch den Richter, sondern nur eine formelle Prüfung der Voraussetzungen für den Erlaß eines Mahnbescheids (§ 691 Abs. 1 ZPO) durch den Rechtspfleger (§ 20 Nr. 1 RPfiG) kennt. Vor der Vereinfachungsnovelle hatte eine Schlüssigkeitsprüfung anband des mitzuteilenden Anspruchsgrundes (§ 690 Nr. 3 ZPO a.F.) zu erfolgen (Vollkommer, in: Zöller 20 , ZPO, vor§ 688 Rdnr. 6). Jedoch begnügte sich die Praxis auch damals schon mit der bloßen Individualisierung des Anspruchs ( Thomasj Putzo 8 , ZPO, § 690 Anm. 2.c). Im Österreichischen Mahnverfahren wird dagegen eine Schlüssigkeitsprüfung vorgenommen (§ 448 Abs. 2 öZPO). 15 6Vgl. § 550 Abs. 1 S. 1 öZPO, Art. 1409 Abs. 1 NCPC. Dies entspricht dem Mahnverfahren. 157 Diese Frist betrug ursprünglich nur zwanzig Tage und wurde mit dem G.D. 238/1995 (vgl. oben Fußnote 303, S. 60) verdoppelt. 158 Vgl. §§ 550 Abs. 2, 552 Abs. 2 öZPO, Art. 1412 NCPC. Dies entspricht wiederum dem deutschen Mahnverfahren(§ 694 Abs. 1 ZPO). 159 Entsprechend § 1 Nr. 2 EO, Art. 1422 Abs. 1 NCPC nach Erteilung der delivrance de l'executoire.

II. Die Alternativen zum ordentlichen Erkenntnisverfahren

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oder bei Gefahr im Verzug auch vor Ablauf der Widerspruchsfrist für vorläufig vollstreckbar erklärt werden kann (Art. 642 Abs. 1, 2 c.p.c.). In den übrigen Fällen kann es nach Erhebung des Widerspruchs unter Berücksichtigung der dort vorgebrachten Einwendungen und der Beweismittel für vorläufig vollstreckbar erklärt werden (Art. 648 1 c.p.c.).l 60 Wird kein Widerspruch erhoben, erwächst das Injunktionsdekret in materielle Rechtskraft ( cosa giudicata), 161 eine zweite Einspruchsfrist oder ein Rechtsmittel gibt es nicht. 162 Wird der Erlaß eines Injunktionsdekrets abgelehnt, erfolgt dies im Regelfall als in der gewählten Verfahrensart unzulässig. 163 Eine italienische Besonderheit ist schließlich noch die Anwendbarkeit des Injunktionsverfahrens auf Gebührenansprüche von Rechtsanwälten und Notaren (Art. 633 Nr. 2, 3 c.p.c.), die vermutlich aus Frankreich stammt. 164 Das selbständige Injunktionsverfahren überniml_llt damit letztlich zwei verschiedene Aufgaben. Ähnlich wie das Mahnverfahren kann es ein ordentliches Erkenntnisverfahren vollständig ersetzen. Erhebt der Beklagte gegen den geltend gemachten Anspruch keine Einwände, wird dieser dem Kläger rechtskräftig zugesprochen. In diesen Fällen bezieht sich der Rechtsstreit der Parteien also nicht auf das Bestehen des Anspruchs, sondern auf die Frage, welche Mittel ein insolventer Schuldner zur Befriedigung des Gläubigers einzusetzen hat, also die Zwangsvollstreckung.165 Für diesen Fall ist das deutsche Mahnverfahren am besten geeignet, da es nur an wenige Voraussetzungen gebunden ist und sogar maschinell bearbeitet werden kann. Doch birgt es in besonderer Weise auch die Gefahr des Mißbrauchs, da sich der Anspruchsgegner im Mahnverfahren durch bloßes Nichtstun einer rechtskräftigen Entscheidung über einen Anspruch gegenüber sehen 160 Eine solche Vorschrift kennt weder das französische noch das Österreichische Recht, dem die vorläufige Vollstreckbarkeit als solche fremd ist. 161 Mandrioli, Corso di diritto processuale civile9 , Band 3, S. 197 f. Vgl. in Frankreich ausdrücklich Art. 1422 Abs. 2 S. 1, 480 Abs. 1 NCPC. 162 Art. 650 c.p.c., Art. 1422 Abs. 2 S. 2 NCPC, § 552 Abs. 2 öZPO. 163 Art. 640 Abs. 3 c.p.c., § 554 HS. 2 öZPO. Dies entspricht dem Urkundenprozeß (§ 597 Abs. 2 ZPO). 164 In Frankreich gab es dieses Privileg von 1897 (ausführlich Glasson/Tissier , Traite de procedure civile3 , Band 3, Nr. 800, S. 163 ff.) bis 1957. Seitern steht den avoues und den avocats ein abgekürztes Klageverfahren offen, das seit 1971 nur noch für die avoues gilt. In Italien wurde dieses Privileg bei Einführung des Injunktionsverfahrens übernommen (Art. 1 Abs. 4 S. 1 K.D. 1036/1922 i.V.m. Art. 379 Abs. 1, 103 Abs. 1 c.p.c. 1865) und 1936 auch auf Notare ausgeweitet (Art. 4 Abs. 2 K.D. 1531/1936). Zuvor konnten sich die procuratori und avvocati für Gebührenforderungen vom Vorsitzenden eine Zahlungsaufforderung ausstellen lassen, die bezüglich der Vollstreckung einem Urteil gleichkam (Art. 379 Abs. 1, 4, 103 Abs. 1 c.p.c. 1865). 165 Camelutti, Riv. dir. proc. civ. 1929 I, S. 7 f., bezeichnet diesen Fall als die bloße Verletzung des Erfüllungsinteresses ohne Bestreiten des Anspruchs (lesione dell'interesse senza contestazione).

B. Vorüberlegungen

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kann, dessen Schlüssigkeit nicht gerichtlich überprüft worden ist. 166 Daß sich dieser liberalistische Ansatz im Sozialstaat nicht durchhalten läßt, hat die Rechtsprechung zu § 826 BGB bei Wucherdarlehen gezeigt. 167 Daneben nimmt das Injunktionsverfahren aber auch die FUnktion einer cognitio summaria wahr. Der Gläubiger, der die anspruchsbegründenden Tatsachen urkundlich beweisen kann, kann so schnell zu einem Vollstreckungstitel kommen, bevor der Rechtsstreit endgültig entschieden ist. Damit erfüllt das vorläufig vollstreckbare Injunktionsdekret ähnliche Aufgaben wie das Vorbehaltsurteil im Urkundenprozeß nach§ 599 Abs. 3 ZPO, das immer ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären ist(§ 708 Nr. 4 ZP0). 168 Der Grund für dieses summarische Verfahren liegt also in der besonderen Beweislage zugunsten des Klägers und nicht in der Eilbedürftigkeit der Entscheidung wie im einstweiligen Rechtsschutz. b)

Das Injunktionsverfahren im Hauptverfahren

Nun kann der Richter dem Beklagten auch während des Erkenntnisverfahrens die vorläufige Erfüllung des Klageanspruchs auferlegen, was bisher nur bei Erlaß eines Grundurteils möglich war (Art. 278 Abs. 2 c.p.c.). Dies gilt erstens, soweit der Beklagte den geltend gemachten Anspruch nicht bestreitet (Art. 186 bis c.p.c.). 169 Diese Neuregelung ist vor dem Hin166 Hierin unterscheidet sich der Vollstreckungsbescheid sowohl vorn Anerkenntnisurteil nach § 307 Abs. 1 ZPO, wo die aktive Mitwirkung des Beklagten nötig ist, als auch vorn Versäumnisurteil nach § 331 Abs. 1 ZPO, dem eine Schlüssigkeitsprüfung vorausgeht. 167 Vgl. BGHZ 101, 380, 383. Danach muß die Rechtskraft zurücktreten, "wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, daß der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Mißachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt." Diese schon vorn Reichsgericht (RGZ 61, 359, 365; 67, 151, 153; 69, 277, 280; 78, 389, 393) zu ganz anderen Fällen entwickelte Rechtsprechung war in jüngerer Zeit von Bedeutung, wenn Darlehensgläubiger in Kenntnis der Sittenwidrigkeit des vereinbarten Zinssatzes das Mahnverfahren wählten in der Hoffnung, der Schuldner werde Widerspruch und Einspruch versäumen, um so ohne materielle Prüfung einen rechtskräftigen Titel zu bekommen. Vgl. zur Kritik an dieser Rechtsprechung Vollkommer, in: Zöller 20 , ZPO, vor§ 322 Rdnr. 72 rn.w.N.; Bau.r/ Stii.rner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band 1, Rdnr. 5.18. Inzwischen hat der Gesetzgeber reagiert und Ansprüche des Kreditgebers bei wucherverdächtigen Darlehensverträgen mit einem Zinssatz von mehr als 12 % über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank vorn Mahnverfahren ausgeschlossen (§ 688 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), um sie der gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen (Holch, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 688 Rdnr. 9). Für§ 826 BGB bleibt damit nur noch Raum, wenn der Antragsteller den Zinssatz falsch angibt (Bau.rjStürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band 1, Rdnr. 5.19) . 168 Vgl. dazu Segni, Scritti giuridici, Band 2, S. 960 f., der die Vermischung des Mahnverfahrens mit dem Urkundsprozeß in Italien kritisiert, da beide verschiedene Funktionen wahrnehmen. 169In Kraft seit 1. Januar 1993.

II. Die Alternativen zum ordentlichen Erkenntnisverfahren

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tergrund zu sehen, daß es in Italien bis heute kein Anerkenntnisurtei1 170 gibt. 171 An seine Stelle tritt nun der Zahlungsbeschluß ( ordinanza di pagamento), der auch ein an sich mögliches Teilurteil (Art. 277 Abs. 2 c.p.c.) überflüssig macht, das gegebenenfalls der Kammer vorbehalten wäre. Damit eine solche Zahlungsanordnung nach Art. 186 bis c.p.c. ergehen kann, muß sich der Beklagte bei Gericht konstituiert haben. Dies war in der 1973 eingeführten Parallelvorschrift im Arbeitsverfahren (Art. 423 Abs. 1 c.p.c.) nicht ausdrücklich vorgeschrieben, so daß sich besonders kurz nach Inkrafttreten der Reform Entscheidungen finden, die die Zahlungsanordnung nach Art. 186 bis c.p.c. allein auf die Säumnis des Beklagten gestützt haben. 172 Inzwischen hat sich aber die Corte di cassazione ausdrücklich in die andere Richtung geäußert, 173 und auch das Schrifttum hat sich überwiegend ablehnend ausgesprochen. 174 Zweitens kann der Richter den Beklagten auf Antrag des Kläger, der seinen Anspruch mit Urkunden beweisen kann, bis zum Ende des Instruktionsverfahrens mit einem Injunktionsbeschluß ( ordinanza d 'ingiunzione), der wie das Injunktionsdekret vorläufig vollstreckbar ist, zur Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs auffordern (Art. 186 ter c.p.c.)P5 Bestreitet der Beklagte jedoch die Echtheit der Privaturkunde ( disconoscimento della scrittura privata) (Art. 214 ff. c.p.c.) oder erhebt er bei öffentlichen Urkunden die Fälschungsklage (querela difalso) (Art. 221 ff. c.p.c.), ist die vorläufige Vollstreckung unzulässig (Art. 186 ter Abs. 2 S. 2 c.p.c.). Damit ist dem Richter jeder Beurteilungsspielraum genommen, ob die Zweifel an der Echtheit der Urkunden begründet erscheinen oder nur der Verzögerung dienen. Er kann nur schematisch prüfen, ob ein Injunktionsbeschluß zu erlassen und ob er für vollstreckbar zu erklären ist. Hier schimmert das Mißtrauen durch, das der Gesetzgeber früher wie heute gegen richterliches Ermessen hegtP6 170Vgl. § 307 Abs. 1 ZPO, § 395 öZPO. 171 Proto Pisani, in: AndriolijBaronej PezzanojProto Pisani, Contraversie di lavoro2 , S. 743, Fußnote 5. Auch Chiovenda, der sich für die Einführung des Anerkenntnisses eingesetzt hatte (vgl. Chiovenda, Principii 3 , S. 736), hatte es in seinem Entwurf nur für den Fall der vollständigen Beendigung des Rechtsstreits vorgesehen (Art. 79 Abs. 1 - 3). Im Gegensatz zum deutschen und Österreichischen Recht bedarf es nach Art. 186 bis c.p.c. aber keines ausdrücklichen Anerkenntnisses. 172 Tribunale di Genova vom 3. Juli 1974, Foro it. 1974 I, Sp. 2494, Riv. dir. proc. 1975, S. 151, 152 (obiter dictum); Pretura di Milano vom 9. Juli 1974, Riv. dir. proc. 1975, S. 151, 158 mit Anmerkung Fabbrini . 173 Cass. civ. vom 4. Oktober 1984, Nr. 4941, Giust. civ. 1985 I, S. 1426, 1427. 174 Tarzia, Manuale del processo dellavoro3 , S. 181; Montesano/ Vaccarella, Manuale di diritto processuale del lavoro2 , S. 183; a.A. Proto Pisani, in: AndriolijBaronej Pezzanoj Proto Pisani, Contraversie di lavoro 2, S. 523, 752 f. 175 In Kraft seit 1. Januar 1993. 176 Calamandrei, Riv. dir. proc. civ. 1928 I, S. 369; Chiarloni, Riv. dir. proc. 1991, s. 669.

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B. Vorüberlegungen

Im Arbeitsverfahren hat der Gesetzgeber dem Richter dagegen einen wesentlich größeren Beurteilungsspielraum zugestanden. Nach Art. 423 Abs. 2 c.p.c. ist er für den Erlaß eines vorläufigen Zahlungsbeschlusses177 nicht an die Vorlage Beweisurkunden gebunden, sondern kann selbst entscheiden, inwieweit er nach der bisherigen Beweisaufnahme den Anspruch für begründet und den Erlaß eines vorläufigen Zahlungsbeschlusses mit Blick auf den Stand des Verfahrens für sinnvoll hält. 178 Erläßt der Richter den Zahlungsbeschluß, so ist er immer für vorläufig vollstreckbar zu erklären (Art. 423 Abs. 3 c.p.c.). Damit kann der Richter im Arbeitsverfahren die vorläufige Erfüllung des Klageanspruchs in wesentlich weiterem Rahmen anordnen als im ordentlichen Verfahren. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß regelmäßig der um seinen Lohn prozessierende Arbeitnehmer in den Genuß dieser richterlichen Anordnung kommen wird. Eine allgemeine Tendenz zur Stärkung der Stellung des Richters läßt sich darin nicht erkennen. So blieben die verschiedenen Vorschläge, das im Arbeitsverfahren erprobte System auf den ordentlichen Prozeß zu übertragen, zunächst ohne Erfolg, 179 da sie beim Obersten Justizrat auf Ablehnung stießen. Dort war man der Meinung, daß es nicht der Verbesserung des ordentlichen Verfahrens diene, wenn dort indirekt auf ein summarisches Verfahren verwiesen werde. 180 Letztlich geht diese Kritik jedoch fehl. Denn die Befugnis des Richters, den Beklagten zur vorläufigen Erfüllung des Klaganspruchs zu verpflichten, soweit er ihn für begründet hält, würde das ordentliche Erkenntnisverfahren nicht schwächen, sondern stärken. Dem Beklagten würde so das wirtschaftliche Interesse an der Prozeßverschleppung genommen. Die Neuregelung krankt vor allem daran, daß sie praktisch bedeutungslos ist. Da für den Erlaß eines Injunktionsbeschlusses dieselben Voraus177 Die Vorläufigkeit ergibt sich insbesondere aus Art. 423 Abs. 4 c.p.c. Anders als für den Erlaß eines Teilurteils (Art. 277 Abs. 2 c.p.c., § 301 Abs 1 ZPO, § 391 Abs. 1 ZPO) ist Spruchreife nicht erforderlich. Die Zahlungsanordnung kann weder in materielle Rechtskraft erwachsen, noch ist sie anfechtbar, es sei denn, sie nimmt faktisch das Urteil vorweg ( Cass. civ. vom 12. April1980, Nr. 2321, Foro it. 1980 I, Sp. 1919, 1923). 178 Im Gegensatz zu Art. 423 Abs. 1 c.p.c. heißt es in Art. 423 Abs. 2 c.p.c. ausdrücklich, daß der Richter die Maßnahme ergreifen kann, womit ihm ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird, ob er eine vorläufige Entscheidung für sinnvoll hält oder nicht. A. A. jedoch Proto Pisani, in: Andrioli/ BaronejPezzanoj Proto Pisani, Contraversie di lavoro 2 , S. 742, Fußnote 1, der die Formulierung für bedeutungslos hält und von einer Pflicht des Richters ausgeht. 179 Dies gilt sowohl für den Entwurf der Magistratura Democratica, die für die fast wörtliche Übernahme des Art. 423 Abs. 2 c.p.c. plädierte (Art. 186 bis Abs. 1), als auch für den Gesetzentwurf 2214/S/ IX, wonach der Richter die vorläufige Zahlung auch dann sollte anordnen dürfen, wenn die Verurteilung wahrscheinlich war (Art. 182 Abs. 1 Nr. 3). 180 Risoluzione del C.S.M., Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 407. In dieselbe Richtung geht die Kritik von Fabbrini, Foro it. 1987 V, Sp. 176.

Il. Die Alternativen zum ordentlichen Erkenntnisverfahren

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setzungenvorliegen müssen wie für ein Injunktionsdekret, beschränkt sich der Anwendungsbereich auf die wenigen Fälle von negativen Feststellungsklagen181 und Auslandszustellungen. 182 Mit der jüngsten Reform von 1995 hat die Regierung versucht, der Kritik an der geringen praktischen Bedeutung der vorläufigen Beschlüsse Rechnung zu tragen. Nunmehr kann der Richter unmittelbar nach Schluß der Beweisaufnahme durch Beschluß die vorläufige Erfüllung des Klageanspruchs anordnen ( ordinanza di condanna postistruttoria), soweit dieser sich als begründet erwiesen hat (Art. 183 quater Abs. 1 c.p.c.). 183 Vor Abschluß des Instruktionsverfahrens hat der Richter im ordentlichen Verfahren jedoch nach wie vor keine dem Arbeitsrichter vergleichbaren Befugnisse. Damit läßt die Reform viele Wünsche offen. Der Injunktionsbeschluß ist im Vergleich zum französischen rejere (Art. 808, 848 NCPC) , der ursprünglich als Vorbild gedient hatte, 184 nur ein stumpfes Schwert. 185 Selbst in Verfahren in Mietsachen, für die grundsätzlich das Arbeitsverfahren anwendbar ist (Art. 447 bis Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 3 c.p.c.), kann kein Zahlungsbeschluß nach Art. 423 Abs. 2 c.p.c. ergehen, da hier meistens der als sozial schwächer angesehene Mieter davon betroffen wäre. 2.

Vollstreckbare Urkunden

In engem Zusammenhang zum Injunktionsverfahren steht die unmittelbare Vollstreckbarkeit verschiedener Urkunden. Neben den unmittelbar vollstreckbaren öffentlichen Urkunden 186 sind dies insbesondere der Wech181 Zwar stünde die Anhängigkeit einer negativen Feststellungsklage dem Erlaß eines Injunktionsdekrets nicht entgegen ( Cass. civ. vom 16. Oktober 1978, Nr. 4636, Rep. Foro it. 1978, ingiunzione (procedimento), Nr. 31; Consolo, Riv. trim. dir. proc. civ. 1982, S. 997), da der Anspruch wie beim deutschen Mahnverfahren (§ 696 Abs. 3 ZPO) erst mit der Einleitung des streitigen Verfahrens auf den Widerspruch des Schuldners hin rechtshägig würde. In diesem Fall wäre das Dekret jedoch aufzuheben und die Sache nach Art. 39 Abs. 1 c.p.c. von der Gerichtsrolle zu streichen, wenn die negative Feststellungsklage bei einem anderen Gericht anhängig wäre (Art. 645 Abs. 2 c.p.c.) ( Cass. civ. vom 12. Dezember 1989, Nr. 5554, Rep. Foro it. 1989, ingiunzione (procedimento), Nr. 18; Consolo, Riv. trim. dir. proc. civ. 1982, S. 1006). Bei Zuständigkeit desselben Gerichts wären die beiden Prozesse gemäß Art. 273 Abs. 1 c.p.c. von Amts wegen zu verbinden (Rampazzi, in: Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 186 ter, S. 249, Fußnote 17). Zu negativen Feststellungsklagen im Rahmen des EuGVÜ vgl. jüngst BGH, NJW 1997, s. 870. 182 Rampazzi, in: Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 186 ter, S. 248. 183 Siehe dazu unten C.V.l., S. 315. 18 4 Denti, Foro it. 1987 V, Sp. 174. 185 Chiarloni, Riv. dir. proc. 1991, S. 663. 186 Vgl. Art. 474 Abs. 2 Nr. 3 c.p.c.; § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. 7 Piekenbrack

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B. Vorüberlegungen

sel 187 und der Scheck. 188 Ein eigener Wechsel- und Scheckprozeß wie in §§ 602 - 605 a ZPO ist damit entbehrlich. Hier stellt sich aber die systematische Frage, ob das Bestreiten der Echtheit der Unterschrift auf dem Wechsel oder dem Scheck nicht dieselbe Wirkung auf die Vollstreckbarkeit haben muß wie beim Injunktionsbeschluß nach Art. 186 ter Abs. 2 S. 2 c.p.c. 189 Dann müßte der Vollstreckungsrichter (giudice dell'esecuzione) (Art. 484 Abs. 1 c.p.c.) auf Widerspruch des Vollstreckungsschuldners (Art. 615 c.p.c.) die Einstellung der Zwangsvollstreckung (Art. 624 Abs. 1 c.p.c.) 190 anordnen.191 3.

Der einstweilige Rechtsschutz

Von besonderer Bedeutung für die heutige Praxis sind die Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (procedimenti cautelari), wo nicht wegen der besonderen Beweislage zugunsten des Klägers auf das ordentliche Erkenntnisverfahren verzichtet wird, sondern aus Gründen der Dringlichkeit. In der Praxis spielen die Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes deshalb eine so große Rolle, weil allein die bekannte Dauer des ordentlichen Erkenntnisverfahrens einen Verfügungsgrund darstellt. 192 Zu nennen ist hier zunächst die Beschlagnahme ( sequestro) , die sich als Sicherungsbeschlagnahme (sequestro giudiziario) auf den Streitgegenstand (Art. 670 Nr. 1 c.p.c.) 193 oder als Sicherstellungsbeschlagnahme bei sonstigen Forderungen (sequestro conservatorio) wie der dingliche Arrest(§ 917 ZPO) auf das Vermögen des Schuldners beziehen kann (Art. 671 c.p.c.) .194 Daneben gibt es in (Art. 700 c.p.c.) 195 eine Generalklausel für einstweilige Verfügungen, die inzwischen Teil des von der Verfassung gebotenen effek187 Königliches Dekret Modificazioni alle norme sulla cambiale e sul vaglia cambiario vom 14. Dezember 1933, Nr. 1669, G.U. vom 19. Dezember 1933, Nr. 292, LE X 1933, S. 1937, Art. 63 Abs. 1 (gezogener Wechsel) und Art. 103 Abs. 1 (Solawechsel). 188 Königliches Dekret Disposizioni sull'assegno bancario, sull'assegno circolare e su aleuni titoli speciali dell'lstituto di emissione, del Banco di Napoli edel Banco di Sicilia vom 21. Dezember 1933, Nr. 1736, G.U. vom 29. Dezember 1933, Nr. 300, LEX 1933, S. 2038, Art. 55 Abs. 1. 189 Chiarloni, Riv. dir. proc. 1991, S. 669. 190 Die Vorschrift ist t rotz der strukturellen Unterschiede zwischen Art. 615 c.p.c. und § 767 ZPO in ihren Rechtsfolgen mit § 769 Abs. 1 ZPO vergleichbar. 1 9 1 Chiarloni, Riv. dir. proc. 1991, S. 670. 192 Tarzia, Foro pad. 1986 II, Sp. 79. 193 Vgl. § 382 Nr. 1 EO. 194 Vgl. § 379 Abs. 3 EO. 195 Früher war der einstweilige Rechtsschutz entgegen der Forderung von Chiovenda, Istituzioni 2 , Band 1, S. 256, nicht als generelles Prinzip anerkannt (Proto Pisani, Riv. dir. proc. 1988, S. 31). Erst der aktuelle Art. 700 c.p.c. verhalf der Generalklausel zum Durchbruch.

II. Die Alternativen zum ordentlichen Erkenntnisverfahren

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tiven Rechtsschutzes (Art. 24 cost.) geworden ist.196 Da die Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes längst ein Eigenleben zur endgültigen Regelung des Rechtsstreits führen, sah sich der Reformgesetzgeber genötigt, bei der Neuschaffung eines allgemeinen Teils 197 insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör zu stärken, 198 worin ein Schwerpunkt dieser Reform lag. Nach Art. 669 sexies Abs. 1 c.p.c. ist die Anhörung der Gegenseite nun auch im Arrestverfahren der Regelfall und nur aus Gründen der Zweckgefährdung ausnahmsweise entbehrlich (Art. 669 sexies Abs. 2 c.p.c.). 199 In diesem Fall wird von Amts wegen Termin zur mündlichen Verhandlung binnen 15 Tagen bestimmt; eines Widerspruchs gegen den Arrestbeschluß wie nach § 924 Abs. 1 ZPO bedarf es nicht. Gegen den Beschluß im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes 200 findet neuerdings als Rechtsmittel die Beschwerde (reclamo) statt (Art. 669 terdecies Abs. 1 c.p.c.). 201 Sie ersetzt die früher notwendige Bestätigung der Beschlagnahme ( convalida del sequestro) (Art. 680 f. c.p.c. a.F.), die der Antragsteller parallel zum Verfahren in der Hauptsache zu erwirken hatte. Der zweite Schwerpunkt der Reform des einstweiligen Rechtsschutzes lag auf der Sicherstellung der Vorläufigkeit der getroffenen Maßnahmen. 196 Corte cost. vom 28. Juni 1985, Nr. 190, Foro it. 1985 I, Sp. 1881; Proto Pisani, Riv. dir. proc. 1988, S. 34. 197 Art. 669 bis - quaterdecies c.p.c., in Kraft seit 1. Januar 1993. 198 Chiarloni, Riv. dir. proc. 1991, S. 671; Trocker, ZZPint 1 (1996), S. 29, 32. 199 Im Ergebnis entspricht dies der deutschen Regel nach § 921 Abs. 1 ZPO, wo zwar die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, nicht aber die Anhörung der Gegenseite ins Ermessen des Richters gestellt ist ( Vollkommer, in: Zöller 20 , ZPO, § 921 Rdnr. 1). Vielmehr ist die Anhörung vor dem Hintergrund des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nur entbehrlich, wenn sie den Zweck der Anordnung des Arrests gefährden würde (BVerfGE 9, 89, 98). 200 Die einstweilige Verfügung ergeht ohne Anhörung der Gegenseite als Dekret (Art. 669 sexies Abs. 2 S. 1 c.p.c.) und nach Anhörung als Beschluß (Art. 669 sexies Abs. 2 S. 3 c.p.c.), was der deutschen Unterscheidung zwischen Arrestbeschluß und Arresturteil (§ 922 Abs. 1 ZPO) ähnlich ist. 201 Nach dem Wortlaut war der Rechtsbehelf nur gegen Beschlüsse gegeben, durch die einstweilige Verfügungen getroffen oder bestätigt werden. Die Corte costituzionale hat durch zwei Urteile vom 23. Juni 1994, Nr. 253, Giur. it. 1994 I, Sp. 409, und vom 20. Mai 1995, Nr. 197, Giur. it. 1995 I, Sp. 369, klargestellt, daß nach dem Gleichheitssatz in Verbindung mit dem Recht auf Verteidigung vor Gericht (diritto di difesa) (Art. 3 Abs. 1, 24 Abs. 2 cost.) auch alle abweisenden Beschlüsse der befristeten Beschwerde unterliegen. Damit hat das italienische Recht im einstweiligen Rechtsschutz erstmals ein echtes Rechtsmittel eingeführt. Befürwortend statt vieler Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 368, auf dessen Entwurf (Art. 669 bis 13 Abs. 1) die Neuregelung zurückgeht. Ablehnend dagegen Chiarloni, Foro it. 1990 V, Sp. 500. Früher fand gegen Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes kein Rechtsmittel statt ( Cass. civ. vom 1. März 1985, Nr. 1782, Foro it. 1985 I, Sp. 1684, 1686). In Deutschland ergehen Arrest und einstweilige Verfügung im Falle einer mündlichen Verhandlung durch Endurteil (§ 922 Abs. 1 S. 1 ZPO), das mit der Berufung anfechtbar ist ( Thomasj Putzo 20 , ZPO, § 922 Rdnr. 5).

7*

100

B. Vorüberlegungen

Hiermit sollte der verbreiteten Kritik begegnet werden, der Gesetzgeber wolle die bisherige Praxis sanktionieren und den einstweiligen Rechtsschutz durch Stärkung der Verteidigungsrechte und Einführung der Beschwerde anstelle des ordentlichen Erkenntnisverfahrens zum Prototypus des gerichtlichen Rechtsschutzes ausbauen. 202 Daher muß der Antragsteller die Hauptsache nun binnen 30 Tagen anhängig machen (Art. 669 octies Abs. 1 c.p.c.), wenn die einstweiligen Maßnahmen nicht ihre Wirkung verlieren sollen (Art. 669 novies Abs. 1 c.p.c.). 203 Außerdem können die einstweiligen Maßnahmen auf Antrag bei veränderten Umständen wieder aufgehoben oder abgeändert werden (Art. 669 decies c.p.c.). Dies war von der Rechtsprechung bisher nur für die einstweiligen Verfügungen nach Art. 700 c.p.c. anerkannt, für die es kein Bestätigungsverfahren gab. 204 Die Beschlagnahme konnte dagegen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Bestätigung nicht mehr aufgehoben werden. Schließlich verlieren alle Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ihre Wirkung bereits mit einem klageabweisenden erstinstanzliehen Urteil (Art. 669 novies Abs. 3 S. 1 c.p.c.), ohne daß es der Rechtskraft bedürfte.205

111.

Die freiwillige Gerichtsbarkeit

Zur Abrundung dieses Überblicks über andere Verfahrensarten soll abschließend kurz die freiwillige Gerichtsbarkeit (giurisdizione volontaria) skizziert werden. Anders als die vorher genannten Verfahren stellt sie aus der Sicht der Parteien keine Alternative zum ordentlichen Erkenntnisverfahren dar, sondern ist ein eigenständiger Teil der Zivilrechtspflege. Doch so groß ihre praktische Bedeutung auch ist, so wenig ist bis heute klar, wie der Begriff der freiwilligen Gerichtsbarkeit entstanden ist und was er genau bedeutet; mit anderen Worten, was also das Wesen der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist. 206 Vielmehr kommt man angesichts ihrer immer verschiedeneren Anwendungsfälle um die Erkenntnis nicht umhin, daß es eine 202 Vgl. etwa die Kritik von Lanfranchi, Giur. it. 1996 IV, Sp. 163. Sie geht in die gleiche Richtung wie die oben Fußnot e 180, S. 96 geäußerte Kritik an der Einführung des Injunktionsbeschlusses im Hauptverfahren. 203 Für die Beschlagnahme galt diese notwendige Verbindung zur Hauptsache schon nach früherem Recht (Art. 680 Abs. 2 c.p.c. a.F.). Die Neueinführung auch für einstweilige Verfügungen nach Art. 700 c.p.c. kritisiert Chiarloni, Riv. dir. proc. 1991, S. 673 mit fehlerhaftem Hinweis auf Deutschland, der §§ 936, 926 ZPO nicht berücksichtigt. 204 Cass. civ. vom 1. März 1985, Nr. 1782, Foro it. 1985 I, Sp. 1684, 1687 ( obiter dictum). 205 Hierin kommt die Aufwertung des erstinzanzlichen Verfahrens zum Ausdruck, die sich auch in der vorläufigen Vollstreckbarkeit ex lege ausdrückt (Art. 282 c.p.c. , in Kraft seit 1. Januar 1993). 2 0 6 di Blasi , Noviss. dig. it. VII (1961), Giurisdizione volontaria, S. 1095.

III. Die freiwillige Gerichtsbarkeit

101

allgemeine Definition der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht gibt. 207 Ihre Ursprünge werden in der Zweiteilung des Legisaktionenverfahrens vermutet, wobei die iurisdictio volontaria eine Art Scheinprozeß bezeichnen soll, bei dem sich die Parteien schon im Verfahren in iure einig waren und lediglich im Wege des Anerkenntnisses einen Rechtstitel erhalten wollten. 208 Die Glossatoren verstanden aufgrund ihrer rein exegetischen Methode unter der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine iurisdictio inter volentes, deren wesentlicher Unterschied zur streitigen Gerichtsbarkeit im übereinstimmenden Willen der Beteiligten liege. 209 Auch der italienische Gesetzgeber von 1940 hatte diese Unterscheidung gelegentlich noch vor Augen, als er ein und dieselbe Materie teilweise dem Verfahren der streitigen und teilweise dem der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugeordnet hat. 210 Auch wenn es in der Tat bis heute viele Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit etwa in Register- oder Personenstandssachen gibt, in denen die Beteiligten freimütig vor das jeweils zuständige Staatsorgan treten, taugt dieses Merkmal letztlich nicht, um die streitige Gerichtsbarkeit vollständig von der freiwilligen abzugrenzen. 211 Zu häufig sind die echten Streitfälle, in denen sich die Beteiligten etwa im Streit um den Hausrat oder das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder gegenüberstehen. Folglich kamen Mortara und Chiovenda als Systematiker zu dem Ergebnis, daß die freiwillige Gerichtsbarkeit eigentlich weder Gerichtsbarkeit noch freiwillig sei. 212 Statt dessen wird die freiwillige Gerichtsbarkeit in Italien heute häufig als eine Art öffentlicher Verwaltung des Privatrechts durch die Gerichte bezeichnet. 213 Dabei stellt der Staat die Wirksamkeit privatrechtlicher Gestaltungen unter die Bedingung der hoheitlichen Teilnahme von Gerichten, Notaren oder Standesbeamten. 214 Aber auch dieser Ansatz wird den echten Streitfällen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, bei denen die Beteiligten ihre Rechtsbezie207 Baur,

s. 27.

Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 30; Bärmann, Freiwillige Gerichtsbarkeit,

208 di Blasi, Noviss. dig. it. VII (1961), Giurisdizione volontaria, S. 1095; Bärmann, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 1, 28. 209 di Blasi, Noviss. dig. it. VII (1961), Giurisdizione volontaria, S. 1096. 210 Siehe etwa das Verfahren hinsichtlich der Trennung der Ehegatten (separazione legale). Beantragten die Ehegatten gemeinsam die gerichtliche Bestätigung ihrer einverständlichen Trennung ( omologazione della separazione consensuale) (Art. 158 Abs. 1 c.c.), so wurde das Verfahren in camera di consiglio durchgeführt (Art. 711 Abs. 4 c.p.c. 1940) und war der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzurechnen (Mandrioli, Corso di diritto processuale civiie9 , Band 3, S. 222). Stimmte ein Ehegatte dagegen nicht zu, so wurde im streitigen Verfahren entschieden (Art. 706- 709 c.p.c. 1940). 211 Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit 7 , S. 19. 212 Mortara, Commentario, Band 2, S. 28, Fußnote 1; Chiovenda, Istituzioni, Band 2/ 1, s. 14. 21 3 Mandrioli, Corso di diritto processuale civiie9 , Band 1, S. 27. 214 Vgl. Dömer, FGG, Einleitung, S. I; Jolowicz, The active role ofthe court, S. 172, mit Verweis auf die Defintion der matiere gracieuse in Art. 25 NCPC.

102

8. Vorüberlegungen

hungen auch einvernehmlich regeln könnten und nur für den Konfliktfall ein gerichtliches Verfahren vorgesehen ist, nicht gerecht. 215 Angesichts dieser terminologischen Unsicherheit hat es der Gesetzgeber von 1940 weitestgehend vermieden, den Begriff überhaupt zu verwenden. 216 Statt dessen findet sich in Buch IV 217 Titel II218 des codice di procedura civile eine letzter Abschnitt VI mit der Bezeichnung "Gemeinschaftliche Bestimmungen für die nichtöffentlichen Verfahren" («Disposizioni communi ai procedimenti in camera di consiglio») (Art. 737 742 bis c.p.c.). Diese Vorschriften stellen heute so etwas wie den Allgemeinen Teil aller Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit dar, seit ihr Anwendungsbereich durch die Reform von 1950 auf alle Verfahren in camera di consiglio ausgeweitet worden ist (Art. 742 bis c.p.c.). 219 Versucht man, diesen Vorschriften eine Gemeinsamkeit zu entnehmen, stellt man fest, daß die im Rahmen eines Verfahrens in camera di consiglio erlassenen Dekrete (Art. 737 c.p.c.) grundsätzlich abänderbar sind (Art. 742 c.p.c.). Daraus wurde geschlossen, ein wesentliches Merkmal der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestehe darin, daß die getroffenen Entscheidungen nicht der materiellen Rechtskraft fähig seien. 220 Auch wenn sich damit die freiwillige Gerichtsbarkeit von der streitigen abgrenzen läßt, gilt dies jedenfalls heute nicht mehr für alle Verfahren in camera di consiglio, die damit mehr und mehr auch außerhalb der freiwilligen Gerichtsbarkeit anwendbar sind. So hat der Gesetzgeber beispielsweise mit der großen Familienrechtsreform von 1975221 in Art. 38 Abs. 3 disp. att. c.c. eine Generalklausel eingeführt, wonach die meisten Familiensachen in camera di consiglio durchgeführt werden, auch wenn Streitigkeiten zwischen mehreren Beteiligten rechtskräftig entschieden werden. 222 Auch an anderer Stelle hat der Gesetzgeber gezeigt, daß er immer mehr dazu neigt, ganz ver215 Zu denken ist etwa an die Verteilung des Hausrats anläßlich der Ehescheidung in Deutschland. Hier wird den Ehegatten für den Fall, daß sie sich nicht einigen können (§ 1 Abs. 1 HausratsV), ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 13 Abs. 1 HausratsV) quasi angeboten. Es hat damit nicht den Charakter einer hoheitlichen Kontrolle, sondern einer "Serviceeinrichtung". 216 Der Begriff giurisdizione volontaria wurde nur in Art. 32 disp. att. c.c. und Art. 801 c.p.c. 1940 erwähnt, der kürzlich durch Art. 66 G. 218/1995 (!PR-Gesetz) ersetzt wurde. Im übrigen wird er auch in Art. 9 G. 218/ 1995 gebraucht. 217 "Über die Sonderverfahren" («Dei procedimenti speciali»). 218 "Über die Verfahren in Familien- und Personenstandssachen" (« Dei procedimenti in materia di famiglia e di stato delle persone»). 219 Mandrioli, Corso di diritto processuale civile9 , Band 3, S. 341. 220 Mandrioli, Corso di diritto processuale civiie9 , Band 3, S. 341. Vgl. in die gleiche Richtung Barmann, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 29. 221 Gesetz Riforma del diritto di famiglia vom 19. Mai 1975, Nr. 151, ediz. straord. G.U. vom 23. Mai 1975, Nr. 135, LEX 1975 I, S. 852. 222 Siehe beispielhaft die Entscheidung Cass. civ. vom 22. April 1981, Nr. 2383, Foro it. 1982 I, Sp. 1383, zu einem Fall nach Art. 250 Abs. 4 c.c.

111. Die freiwillige Gerichtsbarkeit

103

schierlene und auch unter den Beteiligten streitige Materien aus Opportunitätsgründen dem Verfahren in camera di consiglio zuzuweisen. Dies gilt etwa für die Reform des Scheidungsrechts von 1987,223 das für die einverständliche Scheidung224 ein Verfahren in camera di consiglio vorsieht (Art. 4 Abs. 13 S. 1 G. 898/1970), während für die streitige Scheidung nach wie ein streitiges Verfahren durchgeführt wird (Art. 4 Abs. 1 - 11 G. 898/1970). Die Entscheidung erfolgt aber in beiden Fällen durch (Gestaltungs-)Urteil (Art. 4 Abs. 13 S. 2 G. 898/1970).225 Endgültig den Boden der Systematik verlassen hat der Gesetzgeber jedoch, indem er mit der gleichen Reform für die Berufung in Scheidungssachen- also auch bei streitigen Scheidungen - das Verfahren in camera di consiglio angeordnet hat (Art. 4 Abs. 12 G. 898/1970). 226 Für die hiesige Untersuchung besonders bedeutsam ist, daß die Stellung des Richters in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit regelmäßig wesentlich freier ist als im streitigen Verfahren. Dies betrifft zum einen die Beweisaufnahme von Amts wegen, die in Italien in einigen Sondergesetzen mit Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit enthalten ist,227 während in den übrigen Ländern für die ganze freiwillige Gerichtsbarkeit eine ent223 Vgl. das ursprüngliche Scheidungsgesetz Disciplina dei casi di scioglimento del matrimonio vom 1. Dezember 1970, Nr. 898, G.U. vom 3. Dezember 1970, Nr. 306, LEX 1970 I, S. 2365, wesentlich geändert durch das Gesetz Nuove norme sulla disciplina dei casi di scioglimento del matrimonio vom 6. März 1987, Nr. 74, G.U. vom 11. März 1987,

Nr. 58, LEX 1987 I, S. 597. 224 Terminologisch wird statt von Scheidung bei Zivilehen (Art. 84 ff. c.c.) von Eheauflösung (scioglimento del matrimonio) (Art. 1 G. 898/1970) und bei Konkordatsehen (Art. 82 f. c.c.) von der Beendigung ihrer bürgerlich-rechtlichen Wirkungen ( cessazione degli e.tfetti civili conseguenti al/a trascrizione del matrimonio) gesprochen (Art. 2 G. 898/1970). 225 Nach Mandrioli, Corso di diritto processuale civile9 , Band 3, S. 253, soll es sich auch bei der einverständlichen Scheidung nicht um einen administrativen Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit handeln, da hier über das Vorliegen der gesetzlichen Scheidungsvoraussetzungen gerichtlich entschieden würde. Er übersieht aber, daß es sich im gesamten Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit um gerichtliche Rechtsanwendung auf den Einzelfall handelt. So ist es interessant zu sehen, daß in Frankreich die einverständliche Scheidung (divorce sur demande conjointe) der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugewiesen ist (Art. 1088 NCPC). Andere Länder lassen sogar einvernehmliche Scheidungen durch die Standesämter (Art. 19 Abs. 1 des Familiengesetzbuchs der Russischen Föderation vom 8. Dezember 1995) oder Privatscheidungen zu, die lediglich zu regist rieren sind (Art. 763, 739 des japanischen Bürgerlichen Gesetzbuchs vom 22. Dezember 1947; §§ 1514 Abs. 2, 1515 des thailändischen Bürgerlichen Gesetzbuchs und Handelsgesetzbuchs). 226 Trotz des äußerst dünnen Wortlauts hat nach der Rechtsprechung die gesamte Instanz nach den Regeln der Art. 737 ff. c.p.c. zu erfolgen ( Cass. civ. vom 3. Mai 1991, Nr. 4876, Foro. it. 1992 I, Sp. 473; Cass. civ. vom 28. November 1991, Nr. 12805, Giur. it. 1993 I, Sp. 446; Cass. civ. vom 23. Februar 1992, Nr. 2317, Foro it. 1992 I , Sp. 1712, mit kritischer Anmerkung Proto Pisani). 227 Vgl. etwa Art. 6 Abs. 9 G . 898/1970 n.F. für die Entscheidung über das Sorgerecht bei Trennung oder Scheidung der Eltern. Siehe dazu unten C.IV.3.c), S. 299.

104

B. Vorüberlegungen

sprechende Generalklausel besteht. 228 Zum anderen beschränkt sich die Aufgabe des Richters hier zum Teil nicht auf die Entscheidung über die gestellten Anträge, sondern er hat zum Beispiel bei Fragen des Umgangsrechts oder der Verteilung des Hausrats selbständig konkrete Lösungen zu finden. 229 Die freiwillige Gerichtsbarkeit ist damit das verfahrensrechtliche Pendant zu einer materiellen Rechtsgestaltung durch den Richter, 230 bei der sich der Gesetzgeber auf die Bestimmung von Generalklauseln wie etwa das Kindeswohl beschränkt. Unter anderem deshalb ist sie in vielen Ländern gerade in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in Mode gekommen. Sie spiegelt den Wandel der richterlichen FUnktion hin zu einem "Sozialmanager" 231 wider, der das Zusammenleben von Menschen etwa in Familien- und Wohnungseigentümergemeinschaften gestaltet. 232 Für die klassischen Materien der streitigen Gerichtsbarkeit kann dies aber kein Leitbild sein, 233 auch wenn die richterlichen Aufgaben etwa bei Vergleichsbemühungen oder der Ausgestaltung von Regelungsverfügungen im einstweiligen Rechtsschutz (§ 940 ZP0) 234 Ähnlichkeiten mit denen in der freiwilligen Gerichtsbarkeit haben können.

§ 12 FGG; § 2 Abs. 5 AußStrG; Art. 26 f. NCP C. 6 Abs. 9 G. 898/1970; § 2 HausratsV. Vgl. auch Bärmann, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 6. 230 Baur, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 2. 231 Vgl. Trocker, ZZP 91 (1978), S. 237, 240. 232 Vgl. hierzu § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG. In Italien unterliegt diese Materie zwar nicht einem Verfahren in camera di consiglio, ist aber aus ähnlichen Erwägungen der Zuständigkeit des giudice di pace zugewiesen (Art. 7 Abs. 3 Nr. 2 c.p.c.), der sein Verfahren wesentlich freier gestalten kann als die Berufsgerichte (Art. 316- 321 c.p.c.). 233 So zu Recht Stümerj Stadler, Aktive Rolle des Richters, S. 179. 234 Vgl. Baur/ Stümer, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band 1, Rdnr. 53.14. 228 Vgl. 229 Art.

C. Das Erkenntnisverfahren Wie in der Einleitung erwähnt, soll zunächst das ordentliche Erkenntnisverfahren am tribunale, das als Modell für das Verfahren vor dem giudice di pace und dem pretore dient, im Zusammenhang dargestellt werden. Historische und rechtsvergleichende Bezüge bleiben dagegen den nachfolgenden Abschnitten vorbehalten, um dem mit dem italienischen Prozeß nicht vertrauten Leser zunächst eine kompakte Übersicht über den Verfahrensablauf zu bieten.

I.

Übersicht über das Erkenntnisverfahren

Das ordentliche Erkenntnisverfahren erster Instanz gliedert sich in drei Phasen. Es beginnt mit dem Eröffnungsverfahren (introduzione) (Art. 163 - 174 c. p.c.) [C .LI.], setzt sich mit dem Instruktionsverfahren ( istruzione) (Art. 175- 274 c.p.c.) fort (C.I.2.] und schließt mit dem Entscheidungsverfahren (decisione) (Art. 275- 281 c.p.c.) (C.I.3.]. Danach schließen sich gegebenenfalls als Rechtsmittel ( mezzi di impugnazione) die Berufung ( appello) (Art. 339 ff. c.p.c.) und die Kassationsbeschwerde (ricorso di cassazione) (Art. 360 ff. c.p.c.) an (C.I.4.]. 1.

Das Eröffnungsverfahren

Zur Einleitung des ordentlichen Erkenntnisverfahrens stellt der Kläger

( attore) dem Beklagten ( convenuto) die Klageschrift, die sogenannte citazione, direkt durch den Gerichtsvollzieher ( ufficiale giudiziario) zu. An Kosten fällt hierfür neben den Zustellungskosten ( costo per le notifiche) die berüchtigte Stempelsteuer (imposta di bollo) an. Sie beträgt zur Zeit pro Blatt (foglio) mit jeweils vier Seiten pauschal .L 20.000. 1 Der Ge-

1 Vgl. Art. 20 S. 1 der Anlage A zum Dekret des Präsidenten der Republik Disciplina dell'imposta di bollo vom 26. Oktober 1972, Nr. 642, suppl. ord. G.U. vom 11. November 1972, Nr. 292, LEX 1972 I, S. 2331, in der Fassung des Dekrets des Finanzministeriums Approvazione della tariffa dell'imposta di bollo vom 20. August 1992, suppl. ord. G.U. vom 21. August 1992, Nr. 196, LEX 1992 I, S. 3185. Der dort ausgewiesene Betrag von f. 15.000 wurde durch Art. 6 des Gesetzes-Dekrets Misure di completamento della manovra' di finanza pubblica vom 30. Dezember 1995, Nr. 565, G.U. vom 30. Dezember 1995, Nr. 303, LEX 1995 I, S. 4177, zuletzt ersetzt durch das gleichna-

106

C. Das Erkenntnisverfahren

richtsvollzieher überläßt dem Beklagten daraufhin eine Kopie der citazione (Art. 137 Abs. 2 c.p.c.) und vermerkt die Zustellung auf der Kopie und dem Original (Art. 148 Abs. 1 c.p.c.), 2 das er dem Kläger zurückgibt. Mit der citazione hat der Kläger zum einen ein bestimmtes Recht gegen den Beklagten geltend zu machen. 3 Da darauf im Laufe der Darstellung noch verschiedentlich zurückzukommen sein wird, soll hier ganz kurz dargestellt werden, was unter dem geltend gemachten Recht zu verstehen ist. Nach der in Italien üblichen Terminologie wird zwischen dem petitum und der causa petendi unterschieden, die zusammen mit den Angaben über die Parteien den Streitgegenstand objektiv und subjektiv begrenzen. Bei dem petitum handelt es sich um das gerichtlich geltend gemachte Recht ( diritto fatto valere in giudizio) (Art. 99 c.p.c. ), also den Streitgegenstand ( ogetto della domanda), der in der citazione anzugeben ist (Art. 125 Abs. 1, 163 Abs. 3 Nr. 3 c.p.c.). 4 Während das geltend gemachte Recht selbst, etwa ein Anspruch auf Zahlung von .L 1.000.000, als petitum mediaturn bezeichnet wird, meint das petitum immediaturn die konkrete Form des Rechtsschutzbegehrens, also etwa die Verurteilung zur Leistung oder die bloße Feststellung des Rechts. 5 Als causa petendi werden dagegen die tatsächlichen und rechtlichen Umstände bezeichnet, die den Anspruch tragen. 6 Auch sie sind in der citazione anzugeben (Art. 163 Abs. 3 Nr. 4 c.p.c.), gehören jedoch nicht in jedem Fall zur Bestimmung des Streitgegenstandes, was bei den Folgen eines Mangels der citazione von entscheidender Bedeutung ist. Klagt der Kläger zum Beispiel auf Feststellung seines Eigentums an einer bestimmten Sache, so ist der Streitgegenstand dadurch hinreichend bestimmt. Der Darlegung des möglichen Erwerbstatbestands bedarf es dazu nicht. Folglich spricht man hier von diritti autodeterminati. Eine Klage auf Zahlung mige Gesetzesdekret vom 23. Oktober 1996, Nr. 547, G.U. vom 23. Oktober 1996, Nr. 249, LEX 1996 I, S. 3686, zum 1. Januar 1996 auf f 20.000 erhöht. Noch vor zehn Jahren haben die bolli f 700 gekostet, so daß sich die Steuer in der Zwischenzeit um fast 3.000 % erhöht hat! Sie ist auch für alle weiteren Schriftsätze sowie für die Abschriften und selbst für Urteile und Vergleichsprotokolle zu bezahlen, wofür sich der Begriff der carta bollata. Nur soweit das Gesetz wie in Art. 168 Abs. 2 c.p.c. von Kopien in carta non bollata spricht, fällt die Steuer nicht an. 2 1m Falle der Postzustellung versendet der Gerichtsvollzieher die Kopie per Einschreiben mit Rückschein. Zum Nachweis der Zustellung heftet er den Rückschein an das Original der citazione (Art. 149 Abs. 2 c.p.c.). 3 Diese Funktion der citazione wird in Anlehnung an Art. 99 ff. c.p.c. als esercizio dell'azione oder nach Tradition des römischen Formularverfahrens (vgl. Kaserj Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 220) als editio actionis bezeichnet. 4 Wenn Art. 163 Abs. 2 Nr. 3 c.p.c. noch von der cosa ogetto della domanda sprach, so meinte dies doch nichts anderes, wie sich auch aus dem neuen Art. 414 Nr. 3 c.p.c. im Arbeitsverfahren ergibt (Proto Pisani, Lezioni, S. 61). 5 Proto Pisani, Lezioni, S. 61; Liebman, Manuale 4 , Band 1, S. 174. 6 Proto Pisani, Lezioni, S. 61; Liebman, Manuale\ Band 1, S. 173.

I. Übersicht über das Erkenntnisverfahren

107

von f. 1.000.000 wird dagegen erst durch die Angaben über den Grund des Anspruchs hinreichend bestimmt, so daß dieser Tatsachenvortrag zugleich Teil des geltend gemachten Rechts ist. Solche Rechte heißen dementsprechend diritti eterodeterminati. 7 Erwähnt sei schließlich noch, daß das Erfordernis eines bestimmten Antrages, wie es in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO enthalten ist, in Italien nicht mit der gleichen Strenge gehandhabt wird wie in Deutschland. So kann der Kläger auch außerhalb der Fälle des Schmerzensgeldes bei Schadensersatz auf die Angabe einer festen Summe verzichten und sich mit der Angabe eines Richtwertes begnügen. 8 Neben der Angabe des Streitgegenstandes und der ihn tragenden Tatsachen hat der Kläger den Beklagten in der citazione zugleich auf einen von ihm bestimmten Termin bei dem bezeichneten Gericht zu laden (Art. 163 Abs. 3 Nr. 7 c.p.c.). 9 Bei der Bestimmung dieses Termins hat der Kläger sich nach den für das Gerichtsjahr im voraus bestimmten und öffentlich ausgehängten Terminen zu richten, die für das erste Erscheinen der Parteien bestimmt sind. 10 Dabei hat er die Ladungsfristen für den Beklagten zu beachten, 11 die der Gerichtspräsident in Eilfällen auf Antrag bis auf die Hälfte verkürzen kann (Art. 163 bis Abs. 2 c.p.c.). Das Gericht wird erst dadurch mit der Streitsache befaßt, daß sich die Parteien bei Gericht konstituieren ( costituzione delle parti) und der Rechtsstreit in das Gerichtsregister eingetragen wird (iscrizione a ruolo) (Art. 166- 168 c.p.c.). Der Kläger hat sich spätestens zehn Tage nach Zustellung der citazione zu konstituieren, wozu er- regelmäßig durch seinen Anwalt 12 - auf der 7 Proto

Pisani, Lezioni, S. 70. solcher Klageantrag lautet dann typischerweise:«Piaccia al Pretore Jll.mo, ogni contraria istanza, eccezione e deduzione respinte, condannare il convenuto Caio al risarcimento del danno della somma di J: 15.000.000, o di quella maggiore o minore somma ehe sara ritenuta di giustizia.» Damit hat sich in Italien die Form des placet erhalten (vgl. VincentjGuinchard, Procedure civile21 , Nr. 608, Fußnote 35). 9 Für diese Funktion der citazione hat sich der ebenfalls aus dem römischen Formularverfahren bekannte Begriff der vocatio in ius (Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 221) eingebürgert. 10 Art. 163 Abs. 2 c.p.c. i.V.m. Art. 69 bis disp. att. c.p.c. llSeit der Reform von 1990 beträgt die Frist nach Art. 163 bis Abs. 1 c.p.c. bei Ladung im Inland 60, im Ausland 120 Tage. Nach Art. 163 bis Abs. 1 c.p.c. a.F. betrug sie für Ladungen innerhalb des Bezirks desselben tribunale 30 Tage, derselben Corte d'appello 45 Tage, im übrigen Italien 60 Tage, in Europa und dem Mittelmeerraum 90 Tage und sonst 180 Tage. Diese Regelung war besonders innerhalb Italiens Quelle vieler Fehler, die zur Nichtigkeit der citazione führten. 12 In Italien besteht außer in Verfahren vor dem giudice di pace bei einem Streitwert bis I: 1.000.000 generell Anwaltszwang (Art. 82 Abs. 1 c.p.c.). Da in Italien - vergleichbar der in Frankreich inzwischen weitgehend abgeschafften Trennung zwischen avoue und avocat (siehe oben Fußnote 328, S. 62) - bis vor kurzem zwischen dem procuratore legale und dem avvocato unterschieden worden ist, soll kurz dargestellt werden, was unter anwaltlicher Vertretung zu verstehen ist: Die gerichtliche Vertretung der Partei bei der Vornahme von Prozeßhandlungen und insbesondere beim 8 Ein

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C. Das Erkenntnisverfahren

Gerichtskanzlei ( cancelleria) den Eintragungsantrag ( nota d 'iscrizione a ruolo) 13 sowie seine Parteiakte (fascicolo di parte) hinterlegt, die gemäß Art. 165 Abs. 1 c.p.c. das Original der citazione mit dem Zustellungsvermerk, eine Abschrift der citazione für das Gericht (Art. 73 Abs. 1 disp. att. c.p.c.), die öffentlich beglaubigte Vollmacht (Art. 83 Abs. 2 c.p.c.) 14 und die zur Vorlage angebotenen Urkunden ( documenti offerti in communicazione) zu enthalten hat. Hierbei hat der Kläger neben den Kanzleigebühren ( diritti di cancelleria) in Höhe von f 21.000 15 noch einmal eine Stempelsteuer für die vom Gericht vorzunehmenden Handlungen zu bezahlen (Art. 1 Abs. 1 G. 59/1979). 16 Sie beträgt zur Zeit für ein ordentliches Erkenntnisverfahren beim pretore, dessen Streitwert f 5.000.000 übersteigt, f 90.000 und beim tribunale unabhängig vom Streitwert f 120.000.17 Stellen der Anträge (patrocinio) wurde von einem procuratore legale wahrgenommen (Art. 82 Abs. 3 HS. 1 c.p.c.), während der avvocato die Partei bei der forensischen Argumentation unterstützte (Art. 87 c.p.c.) (Mazzarella, Enc. Giur. IV (1988) , avvocato e procuratore II} diritto processuale, S. 1). Diese Aufgabentrennung schlägt sich in den Begriffen der rappresentanza und der assistenza della parte nieder (vgl. Art. 86 c.p.c.), die es auch heute noch in Frankreich gibt (Art. 411 f. NCPC). Soweit Anwaltszwang besteht, hieß dies also, daß die Partei einen procuratore legale mit der Prozeßvertretung beauftragen mußte. Nur an der Corte di cassazione wurde auch die Prozeßvertretung von den dort extra zugelassenen avvocati übernommen (Art. 82 Abs. 3 HS. 2 c.p.c.) , im übrigen war das Mitwirken eines avvocato nicht erforderlich. Wenn im Gesetz dagegen vom difensore die Rede ist, so meinte dies keine spezielle Berufsgruppe, sondern den Prozeßbevollmächtigten, der im weiteren schlicht als Anwalt bezeichnet werden soll. Um von der italienischen Rechtswirklichkeit jedoch kein falsches Bild zu erzeugen, sei darauf hingewiesen, daß sich ein procuratore legale nach sechs Jahren Berufszeit zunächst als avvocato registrieren lassen konnte (Art. 27 Abs. 1 Nr. 2 G.-D. 1578/ 1933) und nach weiteren acht Jahren auch bei der Corte di cassazione zugelassen wurde (Art. 33 Abs. 2 G.-D. 1578/1933). Anders als in Deutschland ist die alleinige Zulassung an der Corte di cassazione sogar verboten (Art. 33 Abs. 4 G.-D. 1578/ 1933) , was der Qualität der Rechtsprechung sicherlich nicht dienlich ist. Seit 1. März 1997 gibt es nun keine procuratori legali mehr (Art. 1 G. 27 /1997), sondern nur noch avvocati . Die zugelassenen procuratori legali wurden zu avvocati ernannt (Art 2 Abs. 1 G. 27 / 1997) und die Wartezeit für die Zulassung bei der Corte di cassazione auf 12 Jahre verkürzt (Art. 4 Abs. 1 G. 27 /1997). 13 Dieser Antrag enthält nach Art. 71 disp. att. c.p.c. die Angabe der Parteien, des sich konstituierenden Anwalts, des Streitgegenstandes, das Datum der Zustellung der citazione und den vom Kläger bestimmten Termin der ersten mündlichen Verhandlung. 14 Die Vollmacht für eine bestimmte Instanz (procura speciale ) (Art. 83 Abs. 4 c.p.c. ) kann auch auf dem ersten Schriftsatz einer P artei enthalten sein, wenn sie vom Anwalt beglaubigt ist (Art. 83 Abs. 3 c.p.c.) . Dies ist im Inland der Regelfall, die Beglaubigung durch einen ausländischen Anwalt genügt jedoch nicht. 15 Tabelle B zum Gesetz Modificazioni ai servizi di cancelleria in materia di spese processuali civili vom 7. Februar 1979, Nr. 59, G.U. vom 26. Februar 1979, Nr. 56, LEX 1979 I, S. 659, in der Fassung des Gesetzes Adeguamento degli importi dei diritti previsti dalle tabeile allegate alle leggi 24 dicembre 1976, n. 900, e 7 febbraio 1 g7g, Nr. 59 vom 6. April 1984, Nr. 57, G.U. vom 10. April 1984, Nr. 100, LE X 1984 I, s. 501. 16 Vgl. oben Fußnote 1, S. 105. 17 Vgl. Art. 20 S. 1 der Anlage zum D.P.R. 642/1972, Fußnote 1, S. 105.

I. Übersicht über das Erkenntnisverfahren

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Daraufhin trägt der Kanzleibeamte (cancelliere) (Art. 57 f. c.p.c.) die Sache ins Gerichtsregister ein (Art. 168 Abs. 1 c.p.c.) und legt die Gerichtsakte (fascicolo d'ufficio) an (Art. 168 Abs. 2 c.p.c.). Diese Akte hat er unverzüglich dem Gerichtspräsidenten vorzulegen, der spätestens zwei Tage nach der Konstituierung des Klägers auf dem Eintragungsantrag den zuständigen Instruktionsrichter bestimmt oder die Sache selbst übernimmt (Art. 168 bis Abs. 1 S .1 c.p.c.). Nachdem der Instruktionsrichter bestimmt ist, trägt der Kanzleibeamte die Sache sofort auch in dessen Register ein und läßt ihm die Gerichtsakte zukommen (Art. 168 bis Abs. 3 c.p.c.) . Der Instruktionsrichter kann binnen fünf Tagen den Termin der ersten mündlichen Verhandlung bis zu 45 Tage verschieben, was den Parteien durch die Gerichtskanzlei mitgeteilt wird (Art. 168 bis Abs. 5 c.p.c.). Der Beklagte hat sich grundsätzlich bis zwanzig Tage vor dem in der

citazione genannten Termin zu konstituieren, wozu auch er seine Partei-

akte18 hinterlegt. Sie enthält gemäß Art. 166 c.p.c: die zugestellte Kopie der citazione, die Vollmachtsurkunde, die Beweisurkunden und vor allem die Klageerwiderung ( comparsa di risposta), in der der Beklagte zu dem klagebegründenden Vortrag des Klägers Stellung zu nehmen hat (Art. 167 Abs. 1 c.p.c.), mit Abschriften für den Kläger und das Gericht (Art. 73 Abs. 1 disp. att. c.p.c.). Verschiebt der Instruktionsrichter jedoch den Termin, verlängert sich auch die Konstituierung- und Klageerwiderungsfrist für den Beklagten entsprechend (Art. 166 c.p.c.).19 Er muß daher rechtzeitig wissen, ob der Termin verschoben wird.20 Haben sich die Parteien ordnungsgemäß konstituiert, ist das Eröffnungsverfahren abgeschlossen. 18 Bei Gericht liegen damit für jedes Verfahren mindestens drei Akten, die Gerichtsakte und mindestens zwei Parteiakten. Wollen die Parteien ihre eigenen Akten entleihen, müssen sie dies beim Instruktionsrichter beantragen (Art. 169 Abs. 1 c.p.c. i.V.m. Art. 77 Abs. 1 disp. att. c.p.c.). Diese weitgehend überflüssige Regelung (Zanzucchi, Relazione der Universitd di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 2, S. 106; Batta, Relazione der Universitd di Padova, Osservazioni e P roposte 1938, Band 2, S. 107) ist wie so vieles historisch bedingt. Nach dem alten codice di procedura civile hatten die Parteien ihre Akten dem Gericht erst vor der mündlichen Schlußverhandlung vorzulegen, nachdem sie sich die zusammenfassenden Schriftsätze mit den jeweiligen Anträgen zugestellt hatten (siehe unten Fußnote 88, S. 123). Das Gericht selbst führte keine eigenen Akten ( Chiovenda, Principii 3 , S. 705). Dies entsprach der Tradition d es gemeinen Rechts, wo die Akten erst für die Urteilstindung dem Gericht zur "Inrotulierung" übergeben wurden (§ 238 öAGO; § 313 WGO). Die Anlegung der Gerichtsakte war damit eine wesentliche positive Neuerung ( Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 330). Daß daneben die Hinterlegung der Parteiakten beibehalten wurde, ist damit zu erklären, daß die von den Parteien vorgelegten Urkunden nicht zu den Gerichtsakten genommen werden, wie dies Chiovenda in seinem Entwurf vorgesehen hatte (Art. 103 Abs. 3). 19 Ursprünglich sollte nach Art. 166 c.p.c. auch in diesem Fall der in der citazione angegebene Termin maßgeblich sein. Vgl. hierzu unten C.II.2.b), S. 140. 20 Der Ansicht, bei der Frist für die Verschiebung der mündlichen Verhandlung handele es sich um eine sanktionslose Ordnungsvorschrift (Rota, in: Comment ario breve3 , c.p.c., Art. 168 bis n.F. Anm. 111 Rdnr . 2), kann daher nicht zugestimmt werden .

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C. Das Erkenntnisverfahren 2.

Das Instruktionsverfahren

Dem Eröffnungsverfahren folgt als zweites das Instruktionsverfahren vor dem Instruktionsrichter, das sich wiederum in zwei Phasen unterteilt, die trattazione 21 und die Beweisaufnahme ( assunzione di mezzi di prova). Am Anfang des Instruktionsverfahrens steht seit der Reform von 1995 (Art. 4 G.-D. 238/1995) ein Vortermin (prima udienza di comparizione) (Art. 180 c.p.c.), in dem der Instruktionsrichter den Rechtsstreit auf Unregelmäßigkeiten (regolarita del contraddittorio) prüft. Dazu stellt er fest, ob die Parteien die Klage und mögliche Widerklagen ordnungsgemäß erhoben und sich nach den gesetzlichen Vorschriften konstituiert haben. Gegebenenfalls bittet er um Ergänzung der Klageschrift (Art. 164 c.p.c.) oder der Klageerwiderung (Art. 167 c.p.c.) oder die Komplettierung der bei Gericht eingereichten Unterlagen (Art. 182 Abs. 1 c.p.c.). Außerdem prüft er die Partei- und Prozeßfähigkeit und bei juristischen Personen die Kompetenz des Vertreters (Art. 182 Abs. 2 c.p.c.). Schließlich stellt er fest, ob alle notwendigen Streitgenossen am Verfahren beteiligt sind und ordnet gegebenenfalls deren Ladung an (Art. 102 c.p.c.). Zum Abschluß des Vortermins bestimmt der Instruktionsrichter den Termin für die erste Verhandlung in der Sache (prima udienza di trattazione) und setzt dem Beklagten eine Frist, um seine Einreden zu erheben, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind (Art. 180 Abs. 2 S. 2 c.p.c.). Auf Antrag der Parteien kann der Richter darüberhinaus weitere Schriftsätze zulassen (Art. 180 Abs. 2 S. 1, 170 Abs. 4 c.p.c.). Bei der Verhandlung in der Sache, zu der die Parteien ex lege persönlich zu erscheinen haben, 22 soll sich der Richter zunächst um eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits bemühen (Art. 183 Abs. 1 S. 1 c.p.c.). Gelingt dies nicht, prüft er die Zuständigkeit (Art. 38 Abs. 1 c.p.c.)23 und 21 Dieser Begriff soll nicht übersetzt werden. Die amtliche Übersetzung trifft mit der Formulierung "Abwicklung des Rechtsstreits" sicherlich nicht ins Schwarze. Aber auch der Begriff "Verhandlung des Rechtsstreits" wird der Sache nicht gerecht, da hier nicht mehr zwischen der trattazione und der discussione unterschieden werden könnte. 22 Die Parteien können aber wie im Arbeitsverfahren auch einen Vertreter schicken, der den Rechtsstreit kennt und zum Abschluß eines Vergleichs befugt ist (Art. 183 Abs. 2 S. 1, 420 Abs. 2 c.p.c.). Die Regelung entspricht genau § 141 Abs. 3 S. 2 ZPO, während es in Frankreich (Art. 767 NCPC) und Österreich (§ 183 Abs. 1 Nr. 1 öZPO) keine vergleichbare Bestimmung gibt. 23 Zur Zuständigkeit gehören auch die Fragen der anderweitigen Rechtshängigkeit ( Giussani, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 39 Anm. I Rdnr. 1; a.A. Andrioli, Diritto processuale civi!e, Band 1, S. 209, der der deutschen Auffassung zuneigt und in der Rechtshängigkeit ein Sachurteilshindernis sieht.). Zu unterscheiden ist dabei die Rechtshängigkeit derselben Streitsache (litispendenza) (Art. 39 Abs. 1 c.p.c.), bei der causaund petitumübereinstimmen ( Gass. civ. vom 15. September 1981, Nr. 5100, Rep. Foro it. 1981, Gompetenza civile, Nr. 192; Giussani, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 39 Anm. I Rdnr. 2), die Teilrechtshängigkeit ( continenza) (Art. 39 Abs. 2 c.p.c.),

I. Übersicht über das Erkenntnisverfahren

111

das Rechtsschutzbedürfnis (interesse ad agire) (Art. 100 c.p.c.), 24 hört die Parteien zu ihrem Vorbringen formlos an ( interrogatorio Iibero delle parti) (Art. 183 Abs. 1 S. 1 c.p.c.) und nimmt ihre Aussagen zu Protokoll. Dabei soll der Instruktionsrichter die Parteien auf der Grundlage der vorgetragenen Tatsachen um die nötigen Klarstellungen bitten und selbst auf die Fragen hinweisen, auf die von Amts wegen einzugehen ist ( questioni rilevabili d'ufficio) (Art. 183 Abs. 3 c.p.c.). Der Kläger kann auf das Vorbringen des Beklagten mit neuen Klagebegehren ( nuove domande) und Einreden (nuove eccezioni) reagieren (Art. 183 Abs. 4 S. 1 c.p.c.) 25 und um die Erlaubnis zur Beteiligung eines Dritten am Rechtsstreit ( chiamata di un terzo in causa) (Art. 106 c.p.c.) 26 nachsuchen (Art. 183 Abs. 4 S. 2 c.p.c.). Außerdem können beide Parteien ihre Klagebegehren, Einreden und Anträge ( conclusioni) präzisieren und modifizieren (Art. 183 Abs. 4 S. 3 c.p.c.), 27 wofür ihnen auf Antrag eine Schriftsatzfrist von höchstens dreißig Tagen zu gewähren ist (Art. 183 Abs. 5 S. 1 c.p.c.). 28 Zur Antwort kann den Parteien eine weitere Schriftsatzfrist von bis zu dreißig Tagen gesetzt werden (Art. 183 Abs. 5 S. 2 c.p.c.). 29 Mit demselben Beschluß ( ordinanza) schließt der Instruktionsrichter die trattazione 30 und leitet in das Beweisverfahren (Art. 183 Abs. 5 S. 3 c.p.c.) wenn die geltend gemachten Ansprüche dieselbe causa betreffen, aber ein anderes petitum (Satta, Commentario, c.p.c., Art. 39, Nr. 3, S. 171; Monteleone, Enc. Giur. VIII (1988), continenza, S. 1) und die Konnexität der Streitgegenstände im Sinne von Art. 31 ff. c.p.c. (connessione) (Art. 40 Abs. 1 c.p.c.). Zur Abgrenzung der continenza von der litispendenza einerseits und der connessione andererseits siehe Lerenzetto Peserico, La continenza di cause, S. 160 ff. 24 Proto Pisani, Lezioni, S. 102. 25 Sollte ihm das in der Verhandlung nicht möglich sein, weil er durch verspätetes Vorbringen des Beklagten überrascht wurde, kann er dafür einen Schriftsatz nachreichen, auch wenn dies nach Art. 183 Abs. 5 c.p.c. nicht ausdrücklich vorgesehen ist (Ricci, in: Commentario breve (appendice di aggiornamento), c.p.c., Art. 183 Anm. IV Rdnr. 5). Misera, Die Eventualmaxime, S. 80, will den Kläger statt dessen auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Art. 184 bis c.p.c.) verweisen. 26 Siehe dazu unten C.III.3.d.aa.(2), S. 208. 27 Wie die nur ausnahmsweise zulässigen neuen Klagen von den inzwischen wieder unbeschränkt zulässigen Modifizierungen (anders noch Art. 183 Abs. 4 S. 3 c.p.c. 1990) und Präzisierungen abzugrenzen sind, gehört zu den schwierigsten Fragen des italienischen Prozeßrechts. Siehe dazu unten C.III.3.d.aa.(1), S. 206. 28 Von besonderen Voraussetzungen ist die Gewährung der Schriftsatzfrist nicht mehr abhängig. Nach der ursprünglichen Fassung sollte der Schriftsatzwechsel dagegen nur zugelassen werden, wenn die Komplexität des Rechtsstreits dies erforderlich machte (Art. 183 Abs. 5 S. 1 c.p.c. 1990) ( Tarzia, Lineamenti, S. 91; Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 146). Die jetzige Fassung beruht auf Art. 5 G.-D. 238/1995. 29 Nach der ursprünglichen Fassung war nur noch ein Schriftsatz für den Beklagten vorgesehen, um zum Vorbringen des Klägers nach Art. 183 Abs. 4 S. 1 c.p.c. Stellung zu nehmen (Art. 183 Abs. 5 S. 2 c.p.c. 1990). Die jetzige Fassung beruht auf Art. 5 G.D. 238/1995. 30 Nanni, in: Verde/Nanni, c.p.c., Art. 183, disp. att. Art. 128, Anm. 9, S. 85.

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C. Das Erkenntnisverfahren

über. Wird kein Schriftsatzannex beantragt, kann der Richter noch in der ersten Verhandlung mit den Parteien über die Zulässigkeit und Erheblichkeit der angebotenen Beweismittel (mezzi di prova) verhandeln und sie in einem Beweisbeschluß zur Beweisaufnahme zulassen (Art. 184 Abs. 1 HS. 1 c.p.c.) . Auf Antrag einer Partei hat er die Verhandlung jedoch zu vertagen, damit die Parteien weitere Beweismittel bezeichnen können (Art. 184 Abs. 1 HS. 2 c.p.c.) . Über diese Beweismittel wird dann erst im nächsten Termin verhandelt, in dem auch der Beweisbeschluß ergeht. Im Falle des Schriftsatzwechsels bestimmt der Instruktionsrichter dagegen zunächst den Termin, in dem über die Zulässigkeit der Beweismittel verhandelt wird (Art. 183 Abs. 5 S. 3 c.p.c.). In diesem Termin kann jede Partei den Antrag nach Art. 184 Abs. 1 HS. 2 c.p.c. stellen, um eine weitere Frist zur Bezeichnung der Beweismittel zu erhalten, so daß der Beweisbeschluß unter Berücksichtigung des Vortermins erst in der vierten Verhandlung ergehen kann. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen in diesem Beweisbeschluß nicht nur einzelne Beweismittel zugelassen werden. Er soll vielmehr wenn möglich wie ein Arbeitsprogramm alle erheblichen und zulässigen Beweismittel bezeichnen. Zu diesen Beweismitteln, die hauptsächlich im codice civile geregelt sind,31 gehören genau wie in Frankreich der Urkundenbeweis (prova documentale), 32 der Zeugenbeweis (prova testimoni ale), 33 die Vermutungen (presunzioni), 34 das Geständnis (confessione) 35 und der Eid (giuramento). 36 Daneben stehen außerhalb des codice civile noch der Sachverständige (consulente tecnico) (Art. 191- 201 c.p.c.) und die Einnahme des Augenscheins (ispezione) (Art. 258 - 261 c.p.c.) zur Verfügung, bei denen aber zweifelhaft ist, ob es sich um echte Beweismittel handelt. Als nächstes folgt die Beweisaufnahme, wo unter Wahrung der Parteiöffentlichkeit (Art. 206 c.p.c., 84 Abs. 2 disp. att. c.p.c.) die im Beweisbeschluß zugelassenen Beweismittel erhoben werden (Art. 188 c.p.c.). Das Beweisverfahren wird vom Instruktionsrichter geschlossen ( chiusura 31 Wie in Frankreich ist das materielle Beweisrecht im Zivilgesetzbuch geregelt, während die Prozeßordnung nur die formellen Beweisregeln enthält. An Versuchen, das Beweisrecht einheitlich im Prozeßrecht zu regeln und damit zu harmonisieren, hat es bis heute nicht gefehlt. Beispielhaft genannt seien hier für die Zeit vor 1940 der Entwurf von Carnelutti (Art. 104 ff.), in der Zeit danach die beiden Entwürfe der Kommission von Liebman (Art. 177 ff. des Entwurfs von 1977, Art. 2 Nr. 13 lit. g des Gesetzentwurfs Nr. 1463/S/VIII. 32 Art. 2699 - 2720 c.c. i.V.m. Art. 210 - 227 c.p.c.; vgl. Art. 1317 ff. CC (preuve litterale). 33 Art. 2721 - 2726 c.c. i.V.m. Art. 244 - 257 c.p.c. ; vgl. Art. 1341 ff. CC (preuve testimoniale). 34 Art. 2727 - 2729 c.c.; vgl. Art. 1349 ff. CC (pn!semptions ). 35 Art. 2730- 2735 c.c. i.V.m. Art. 228-232 c.p.c.; vgl. Art. 1354 ff. CC (aveu). 36 Art. 2736- 2739 c.c. i.V.m. Art. 233-243 c.p.c.; vgl. Art. 1357 ff. CC (serment).

I. Übersicht über das Erkenntnisverfahren

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dell'assunzione), wenn alle zugelassenen Beweise erhoben sind oder der Richter angesichts des bisherigen Ergebnisses die weitere Beweisaufnahme für überflüssig hält (Art. 209 c.p.c.), weil er zum Beispiel eine Behauptung, für die weiterer Beweis angeboten ist, bereits für bewiesen erachtet.

Nach Schluß der Beweisaufnahme fordert der Instruktionsrichter die Parteien auf, ihre Anträge ( conclusioni) aus den Schriftsätzen zu präzisieren, über die das Gericht entscheiden soll (Art. 189 Abs. 1 S. 1, 190 bis Abs. 1 c.p.c.). Dies geschieht unmittelbar nach Abschluß der Beweisaufnahme (Art. 188 c.p.c.)37 oder, in einem Verfahren ohne Beweisaufnahme, am Schluß der ersten mündlichen Verhandlung (Art. 187 Abs. 1 c.p.c. i.V.m. Art. 80 bis disp. att. c.p.c.), so daß kein weiterer Termin anberaumt zu werden braucht. Im Anschluß daran haben die Parteien sechzig Tage Zeit, ihre Anträge in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (in fatto e in diritto) zu begründen und den gesamten Prozeßstoff in ihren Schlußschriftsätzen ( comparse conclusionali) zusammenzufassen. 38 Dies gilt unabhängig davon, ob der Instruktionsrichter den Rechtsstreit als Einzelrichter entscheidet oder ihn zur Entscheidung an die Kammer überweist ( rimessione davanti al collegio). Für Eingaben zur Erwiderung auf den Schlußschriftsatz der Gegenseite (memorie di replica) bleiben den Parteien weitere zwanzig Tage Zeit. 3.

Das Entscheidungsverfahren

Seinen Abschluß findet das Erkenntnisverfahren in dem gesonderten Entscheidungsverfahren, das von der Trennung zwischen den Aufgaben des Instruktionsrichters und der Kammer geprägt ist. Soweit die Kammer den Rechtsstreit entscheidet, kann jede Partei bei der Präzisierung der Anträge vor dem Instruktionsrichter einen Kammertermin zur öffentlichen (Art. 128 c.p.c.) mündlichen Schlußverhandlung ( udienza di discussione) beantragen (Art. 275 Abs. 2 S. 1 c.p.c.). Der Antrag ist nach Ablauf der Erwiderungsfrist dem Gerichtspräsidenten vorzulegen (Art. 275 Abs. 2 S. 2 c.p.c.), der einen Termin innerhalb der nächsten sechzig Tage bestimmt (Art. 275 Abs. 3 c.p.c.). 39 In der mündlichen Schlußverhandlung führt zunächst der Instruktionsrichter als Berichterstatter in den Rechtsstreit ein (Art. 275 Abs. 3 S. 1 c.p.c.). Danach steht Zeit für die münd37 Dies ergibt sich aus der Streichung von Art. llO disp. att. c.p.c. (Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 170). 38 Der heutige Art. 190 c.p.c. enthält diese genaue Beschreibung des Inhalts der Schlußschriftsätze zwar nicht mehr, doch kann dafür nach wie vor auf Art. 190 c.p.c. a.F. zurückgegriffen werden. 39 Die Kammertermine sind wie die Termine für die erste mündliche Verhandlung schon zu Beginn des Gerichtsjahres festzulegen und öffentlich auszuhängen (Art. ll4 Abs. 1, 2 disp. att. c.p.c.).

8 Piekenbrack

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C. Das Erkenntnisverfahren

liehe Verhandlung zur Verfügung (Art. 275 Abs. 3 S. 2 HS. 1 c.p.c.). 40 Wenn nötig, kann die Kammer die Wiederholung der Beweisaufnahme im Kammertermin anordnen (Art. 281 i.V.m. Art. 280 Abs. 1 c.p.c.). Das Urteil ist schließlich binnen weiterer sechzig Tage nach der mündlichen Schlußverhandlung auf der Gerichtskanzlei zu hinterlegen (Art. 275 Abs. 3 S. 2 HS. 2 c.p.c.). 41 Wird bei der Präzisierung der Anträge vor dem Instruktionsrichter kein Antrag auf Durchführung der mündlichen Schlußverhandlung gestellt, ist das Urteil binnen sechzig Tage nach Ablauf der Erwiderungsfrist auf der Gerichtskanzlei zu hinterlegen (Art. 275 Abs. 1 S. 1 c.p.c.). Dieses Entscheidungsverfahren findet in gleicher Weise statt, wenn der Einzelrichter den Rechtsstreit entscheidet. Auch hier können die Parteien die mündliche Schlußverhandlung beantragen, für die sinngemäß das gleiche gilt wie für die mündliche Schlußverhandlung vor der Kammer (Art. 190 bis Abs. 2 c.p.c.). Lediglich die Wiederholung der Beweisaufnahme ist hier ausgeschlossen. Wird die mündliche Schlußverhandlung nicht beantragt, wird das Urteil auch hier auf der Kanzlei hinterlegt. Eine mündliche Verkündung des Urteils in einem gesonderten Termin gibt es in Italien nicht. Die Urteile werden regelmäßig durch Hinterlegung auf der Kanzlei veröffentlicht, die die Parteien vom Urteilstenor unterrichtet (Art. 133 c.p.c.). Damit die Rechtsmittelfristen zu laufen beginnen, muß das Urteil auf Betreiben der Parteien zugestellt werden (Art. 285 c.p.c.). Erst nach Ablauf eines Jahres seit der Veröffentlichung sind Rechtsmittel auch ohne Zustellung des Urteils verfristet (Art. 327 Abs. 1 c.p.c.) . Mit Blick auf das Urteil selbst soll hier nur auf drei Besonderheiten eingegangen werden. Erstens kennt das italienische Recht neben der Entscheidung nach Recht und Gesetz ( diritto) in drei Fällen die Entscheidung nach Billigkeit (equitd) (Art. 113 Abs. 1 c.p.c.). Dies gilt zunächst für alle Entscheidungen des giudice di pace, wenn der Streitwert .t 2.000.000 nicht übersteigt (Art. 113 Abs. 2 c.p.c.). Darüberhinaus können die Parteien in den Schlußanträgen die Entscheidung nach Billigkeit beantragen (Art. 114 c.p.c. i.V.m. Art. 112 disp. att. c.p.c.). Schließlich kann auch die Entscheidung über die Anspruchshöhe im Arbeitsverfahren nach billigem Ermessen ergehen (Art. 432 c.p.c.). Die entscheidende Rechtsfolge ist die, daß Urteile nach Billigkeit, die als solche ausdrücklich zu kennzeichnen sind (Art. 119 Abs. 4 c.p.c.), nicht der Berufung unterliegen (Art. 339 Abs. 2, 3 c.p.c.). Zweitens gibt es ein ausdrückliches Verbot, in den Urteilsgründen rechtswissenschaftliche Literatur zu zitieren (Art. 118 Abs. 3 disp. att. c.p.c.). Und drittens ist für ein Urteil noch eine besondere Registersteuer 40 Weitere 41 Die

Einzelheiten enthalten Art. 116 f. disp. att. c.p.c. Frist von dreißig Tagen nach Art. 120 disp. att. c.p.c. ist damit überholt.

I. Übersicht über das Erkenntnisverfahren

115

( imposta di registro) zu zahlen, die erst kürzlich empfindlich angehoben wurde und schon bei Streitwerten ab 1:, 2.000.00042 insgesamt 1:, 500.000 betragen kann. 43 4.

Die Rechtsmittel

Abschließend soll noch kurz auf die Berufung (Art. 339 ff. c.p.c.) und die Kassationsbeschwerde (Art. 360 ff. c.p.c.) eingegangen werden, die beide Gegenstand der letzten Reform waren. Auf die übrigen in Art. 323 c.p.c. genannten Rechtsmittel, also den Antrag auf Feststellung der Zuständigkeit (istanza di regolamento di competenza) (Art. 42 ff. c.p.c.),44 die Wiederaufnahmeklage (revocazione) (Art. 395 ff. c.p.c.) 45 und die opposizione del terzo 46 (Art. 404 ff. c.p.c.) 47 wird erst später eingegangen. Die Berufung findet grundsätzlich gegen alle erstinstanzliehen Urteile statt. Eine bestimmte Berufungssumme braucht nur im Arbeitsverfahren erreicht zu werden (Art. 339 Abs. 1, 440 c.p.c.). 48 Nicht der Berufung unterliegen lediglich die Billigkeitsentscheidungen (Art. 339 Abs. 2, 3 c.p.c.). Das Berufungsverfahren dient der tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung des erstinstanzliehen Urteils. Neuer Sachvortrag ist dagegen weitgehend ausgeschlossen (Art. 345 c.p.c.). Als weiteres Rechtsmittel besteht gegen jedes Urteil die Kassationsbeschwerde zur Corte di cassazione in Rom, mit der die Verletzung formel42Verfahren bis f. 2.000.000 sind völlig steuerfrei (Art. 46 Abs. 1 G. 374/1991). 43 Nach Art. 37 des Dekrets des Präsidenten der Republik Approvazione del testo unico delle disposizioni concernenti l'imposta di registro vom 26. April 1986, Nr. 131, suppl. ord. G.U. vom 30. April 1986, Nr. 99, LEX 1986 I, S. 848, i.V.m. Art. 8 lit. b des ersten Teils des beigefügten Tarifs ist für die Registrierung eines Leistungsurteils eine Steuer von 3 % des Streitwertes zu zahlen. Betrifft der Rechtsstreit jedoch eine der Mehrwertsteuer (imposta sul valore aggiunto) unterliegende Forderung, ist statt dessen eine Pauschale (misurn fissa) zu zahlen (Art. 40 Abs. 1 S. 1 D.P.R 131/ 1986 i.V.m. Anm. li zu Art. 8 des ersten Teils des Tarifs). Diese Pauschale beträgt seit der letzten Erhöhung durch Art. 10 Abs. 6 des Gesetzes-Dekrets Disposizioni urgenti per il risanamento della finanza pubblica vom 20. Juni 1996, Nr. 323, G.U. vom 20. Juni 1996, Nr. 143, LEX 1996 I, S. 2246, f. 250.000. Zusätzlich ist aber auch die Rechnung, eine nicht beglaubigte Privaturkunde (scritturo privata non autenticata), zu registrieren, da das Urteil auf dieser Rechnung beruht und von ihr damit Gebrauch gemacht worden ist (Art. 5 Abs. 2 S. 1 D.P.R. 131/1986 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 HS. 1 des zweiten Teils des Tarifs, zuletzt geändert durch Art. 10 Abs. 7 G.-D. 323/1996). Hierfür sind noch einmal f. 250.000 zu bezahlen. 44 Siehe unten C.III.4.a.bb), S. 238. 45Siehe unten Fußnote 505, S. 195. 46 Da die amtliche Übersetzung hier von Drittwiderspruchsklage spricht, soll zur Vermeidung von Verwechselungen mit § 771 ZPO von einer Übersetzung abgesehen werden. 47 Siehe unten Fußnote 855, S. 257. 48 Die Berufungssumme beträgt jedoch seit 1973 f. 50.000 und ist heute praktisch bedeutungslos.

C. Das Erkenntnisverfahren

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len und materiellen Rechts gerügt werden kann (Art. 360 c.p.c.). Diese schrankenlose Zulässigkeit der Kassationsbeschwerde selbst gegen Urteile des giudice di pace liegt an der einzigartigen Vorschrift des Art. 111 Abs. 2 S. 1 cost., der diesen Zustand verfassungsrechtlich festschreibt und die Kassationsbeschwerde zu einem prozessualen Grundrecht erhebt. 49 Auf die Kassationsbeschwerde hin kann die Corte di cassazione den Rechtsstreit in der Hauptsache entscheiden, wenn weitere tatsächliche Feststellungen nicht nötig sind (Art. 384 Abs. 1 c.p.c.). Stellt sie fest, daß die internationale oder die Rechtswegzuständigkeit fehlt, entscheidet sie ebenfalls ohne Rückverweisung (Art. 382 Abs. 3 c.p.c.). Andernfalls muß der Rechtsstreit an den Tatrichter zurückverwiesen werden, wo eine der Parteien die Fortsetzung des Verfahrens binnen eines Jahres beantragen muß (Art. 392 Abs. 1 c.p.c.), bevor der Prozeß erlischt (Art. 393 c.p.c.). Neben den Parteien kann aber auch der Generalanwalt (procuratore generale presso la Corte di cassazione) die Kassationsbeschwerde als ricorso nell'interesse della legge (Art. 363 c.p.c.) einlegen. Schließen sich die

Parteien dem Rechtsmittel nicht an, hat die Entscheidung keine Auswirkungen inter partes (Art. 363 Abs. 2 c.p.c.), sondern dient lediglich der möglichen Korrektur eines Präjudizes. II.

Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

Aus der Sicht des Richters stellt sich nun zunächst die Frage nach den Befugnissen vor der mündlichen Verhandlung, um diese vorbereiten und so auch effektiv leiten zu können. 1.

Die Verfahrenseröffnung

Wie sich schon aus der Übersicht ergibt, weicht das italienische Verfahren gleich zu Beginn in einigen wesentlichen Punkten von dem uns vertrauten deutschen System ab. Dabei sind mit Blick auf die richterliche Verfahrensleitung zwei Aspekte von besonderem Interesse. Dies ist zum einen die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Richter sich zum ersten Mal mit dem Rechtsstreit befaßt. Und zum anderen, ob der Richter den Termin zur mündlichen Verhandlung selbst bestimmen kann. Die Antwort auf beide Fragen hängt vom Inhalt und der Funktion der Klageschrift ab, wobei sich im hier untersuchten Raum zwei verschiedene Typen der Klageschrift unterscheiden lassen, je nachdem, wer Adressat der Klageschrift ist. 49 Cappelletti,

Giur. it. 1969 IV, Sp. 85.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

a)

117

Das italienisch-französische Konzept

Nach dem italienisch-französischen Konzept ist nicht der Richter Adressat der Klageschrift, sondern der Beklagte. Das Gericht ist lediglich durch den Gerichtsvollzieher bei der Zustellung behilflich. Dies gilt sowohl bei der italienischen citazione als auch bei der französischen assignation, die dem Beklagten ( defendeur) direkt vom Gerichtsvollzieher (huissier de justice) zugestellt wird (Art. 55 NCPC). Damit besteht nicht nur Parteibetrieb bei der Zustellung, sondern die Klageerhebung ist ein unmittelbarer Akt zwischen den Parteien. Während in Italien jedoch unmittelbar nach dieser außergerichtlichen Klageerhebung die Konstituierung des Klägers und damit die Einschaltung des Richters vorgeschrieben ist, ist dies in Frankreich jedenfalls in Verfahren vor dem tribunal de grande instance nicht der Fall. Hier bleiben dem Kläger bis zu vier Monate Zeit, die assignation auf der Geschäftsstelle des Gerichts ( secretariat-greffe) einzureichen und so den Rechtsstreit anhängig zu machen (saisi du tribunal) 50 (Art. 757 Abs. 1 NCPC), bis die assignation ihre Wirkung verliert (caducite de l'assignation) (Art. 757 Abs. 2 NCPC). Diese Frist wird er jedoch nur dann ausschöpfen, wenn er Möglichkeiten sieht, den Rechtsstreit auch nach Klageerhebung noch außergerichtlich beizulegen. 51 Regelmäßig wird er jedoch wie in Italien die Klageschrift unmittelbar nach ihrer Zustellung an den Beklagten auf der Geschäftsstelle einreichen, so daß der Richter bald nach Klageerhebung mit der Streitsache befaßt wird. Der Termin der ersten mündlichen Verhandlung wird in Italien ebenfalls zunächst ohne Mitwirkung des Richters durch den Kläger bestimmt (Art. 163 Abs. 3 Nr. 7 c.p.c.). Ausnahmsweise kann auch der Beklagte Einfluß darauf nehmen, wenn der Kläger bei seiner Terminierung die Ladungsfrist überschritten hat und der Gerichtspräsident den Termin auf Antrag des Beklagten nach vorne verlegt (Art. 163 bis Abs. 3 c.p.c.). Mit der Novelle von 1990 bekam der Instruktionsrichter erstmals die Möglichkeit, selbst auf den Verhandlungstermin Einfluß zu nehmen und ihn bis zu 45 Tage nach hinten zu verschieben. Daran hat auch die Reform von 1995 nichts geändert. Doch dient dieser zunächst vom Kläger bestimmte Termin nun nicht mehr der Verhandlung in der Sache, sondern ist ein bloßer Vortermin. Den besonders bedeutsamen Termin zur Verhandlung in der Sache kann der Richter dagegen selbst bestimmen (Art. 180 Abs. 2 S. 2 c.p.c.). 50 Da

die Sache wie in Italien in ein Register eingetragen wird, ist hier auch von der

mise au role die Rede (Solus/ Perrot , Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 155, S. 158).

51 Insofern ist der Fall vergleichbar mit dem eines deutschen Gläubigers, der nach Ablauf der Widerspruchsfrist im Mahnverfahren nicht sofort einen Vollstreckungsbescheid beantragt, sondern die Frist des § 701 S. 1 ZPO ausschöpft.

118

C. Das Erkenntnisverfahren

Wer in Frankreich den Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt, hängt davon ab, bei welchem Gericht die Klage erhoben wird. Im Verfahren vor dem tribunal de grande instance hat der Beklagte binnen zwei Wochen nach Zustellung der Klageschrift einen Anwalt zu bestellen ( constituer avocat) (Art. 755 NCPC), der dies dem Anwalt des Klägers im Wege der Zustellung von Anwalt zu Anwalt (Art. 672 f. NCPC) anzeigt (Art. 756, 814 NCPC). Anders als in Italien wird der Beklagte hier also weder zum Erscheinen bei Gericht aufgefordert, noch hat er sich binnen einer bestimmten Frist bei Gericht zu konstituieren. Der Anwalt des Beklagten kann sich regelmäßig damit begnügen, zunächst sein Mandat anzuzeigen und danach seinen Schriftsatz ( conclusion )52 dem Kläger zuzustellen (Art. 753 Abs. 1, 756 HS. 1 NCPC) und eine Kopie auf der Geschäftsstelle einzureichen (Art. 563 Abs. 2, 756 NCPC). Es steht dem Beklagten jedoch wie in Italien frei, den Rechtsstreit noch vor dem Kläger anhängig zu machen,53 indem er neben seinem Mandat und seinen Anträgen noch eine Kopie der Klageschrift einreicht. Wann der Rechtsstreit zur ersten Verhandlung vor dem Vorsitzenden kommt, bestimmt aber in jedem Fall der Gerichtspräsident nach Eingang der Klageschrift (Art. 758 NCPC), sei es durch den Kläger, sei es durch den Beklagten. Ausnahmsweise kann der Kläger mit Erlaubnis des Gerichtspräsidenten den Beklagten auch direkt zum Erscheinen vor Gericht zu einem bestimmten Termin auffordern (Art. 788 Abs. 1 S. 1 NCPC), was vor allem in rejen!-Verfahren von Bedeutung ist (Art. 788 Abs. 3 NCPC). Den Termin der Verhandlung bestimmt jedoch auch in diesem Fall der Gerichtspräsident (Art. 789 Abs. 1 S. 1 NCPC). Im Verfahren vor dem tribunal d'instance hat der Kläger dagegen wie in Italien in der Klageschrift den Termin zum Vergleichsversuch54 und zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen (Art. 836 Nr. 2 NCPC). Die Ladungsfrist beträgt mindestens fünfzehn Tage (Art. 837 NCPC). Spätestens acht Tage vor der Verhandlung ist die Klageschrift bei Gericht von einer der Parteien einzureichen und der Rechtsstreit dadurch anhängig zu machen (Art. 838 NCPC). Irgendeine Prozeßhandlung des Beklagten ist vor diesem Termin dagegen nicht vorgesehen und angesichts der kurzen Zeit auch kaum möglich. b)

Das deutsch-österreichische Konzept

In Deutschland(§ 253 Abs. 5 ZPO) und Österreich(§ 226 öZPO) wird die Klageschrift dagegen direkt an das Gericht gerichtet, womit die Sache 52 Nach VincentjGuinchard, Procedure civiie 23 , Rdnr. 828, umfassen die conclusions die elements constitutifs du debat' die questions de faits et de droit. 53 VincentjGuinchard, Procedure civiie 23 , Rdnr. 845. 54 Siehe oben B.I.l.c), S. 86.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

119

anhängig und das Gericht mit dem Rechtsstreit befaßt wird. Die Zustellung der Klageschrift an den Beklagten erfolgt von Amts wegen durch das Gericht (§ 270 Abs. 1 ZPO; § 87 Abs. 1 öZPO), die Terminierung der mündlichen Verhandlung durch den Vorsitzenden (§ 216 Abs. 2 ZPO; §§ 230 Abs. 1, 244 öZP0). 55 Damit stehen sich zwei verschiedene Modelle der Klageerhebung gegenüber.56 Die italienisch-französische Klage richtet sich direkt an den Beklagten; die Aufgabe des Gerichts beschränkt sich allein auf die amtliche Zustellung durch den Gerichtsvollzieher. Die deutsch-österteichische Klage ist dagegen direkt an das Gericht adressiert. Jedoch wäre es historisch nicht richtig, hier von einem romanischen und einem germanischen Modell zu sprechen, da beide in römischer wie in germanischer Zeit praktiziert worden sind. 57 c)

Die historische Entwicklung

Die heutige italienische Verfahrenseröffnung zeigt Ähnlichkeiten mit dem klassisch-römischen Formularverfahren, 58 in dem die Ladung ebenfalls direkt dem Beklagten gegenüber erfolgte. Doch schon im oströmischen Libellprozeß richtete der Kläger seine Klageschrift (libellus conventionis) direkt an den Richter, der daraufhin nach summarischer Prüfung die Ladung des Beklagten verfügte. 59 Zur Zeit Kaiser Karls des Großen waren beide Verfahrensarten nebeneinander im Gebrauch. Zum einen gab es die admallatio, bei der der Kläger den Beklagten unter Zeugen zum Termin vorlud. 60 Zum anderen war aber als Form der amtlichen Ladung die sogenannte bannitio in Gebrauch, vor allem im kanonische Recht.61 Unter dem Einfluß des justinianischen Rechts war es später im gemeinen Recht üblich, die Klage an das Gericht zu richten. Dies gilt sowohl für den deutschen gemeinen Prozeß, wo der Richter den Beklagten nach Prüfung des Klaglibells per Dekret von der Klageerhebung in Kenntnis setzte, 62 als auch für Österreich (§ 34 öAGO; § 30 WGO) und die Toskana (Art. 19, 55 In Österreich kann das Gericht die Tagsatzungen grundsätzlich nur auf Antrag anberaumen (§ 130 Abs. 1 öZPO), doch ist dieser Grundsatz für alle wichtigen Temine durch Spezialvorschriften durchbrochen (Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 558) . Insbesondere bestimmt der Vorsitzende wie in Deutschland den Termin zur mündlichen Verhandlung (§§ 230 Abs. 1, 244 öZPO) . 56 Vgl. Storme/ Coester- Waltjen, Der richterliche Aktivismus, Generalbericht , S. 426. 57 Chiovenda, Principii 3 , S. 640. 58 Calamandrei , Opere giuridiche, Band 1, S. 318. 59 Kaserj Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 570 f. 6 Fertile, Storia del diritto italiano, Band VI/ 2, S. 29. 61 F ertile, Storia del diritto italiano, Band VI/2, S. 31. 62 Endemann , Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 633 ff.

°

C. Das Erkenntnisverfahren

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20 S. 1 tosk. c.p.c. 1814). In Frankreich war es dagegen schon nach der ordonnance civile von 1667 üblich, daß der Kläger dem Beklagten durch den Gerichtsvollzieher eine Klageschrift zustellte (Titel 11 Art. 1- 3) 63 und ihm darin eine Frist zur Klageerwiderung setzte (Titel 111 Art. 1).64 Außerdem hatte sich der Beklagte binnen bestimmter Fristen bei der Geschäftsstelle des Gerichts einzufinden und seinen Anwalt anzugeben (Titel IV Art. 1). Eine Terminierung der Verhandlung durch die Parteien gab es aber nicht. aa)

Der code de procedure civile von 1806

In der Neuzeit wurde die heute in Italien gebräuchliche Form der Klageerhebung zuerst während der französischen Revolution wieder eingeführt65 und fand als Ladung zum Termin vor dem juge de paix Eingang in den code de procedure civile. Die citation hatte nach Art. 1 CPC 1806 unter anderem Tag und Stunde des Erscheinens vor dem juge de paix zu enthalten. Die von der Entfernung abhängige Ladungsfrist konnte wie heute vom Richter verkürzt werden (Art. 5 Abs. 1, 2, Art. 6 CPC 1806). Strebte der Kläger dagegen eine Klage vor einem tribunal an, hatte er den Beklagten zunächst mit der citation zum Gütetermin66 zu laden (Art. 50 CPC 1806). Damit stand in Frankreich am Anfang jedes Zivilverfahrens die citation vor den juge de paix, egal ob er als Richter oder als Schlichter fungierte. Das Verfahren vor dem tribunal, die eigentliche Instanz, wurde dagegen mit einer neuen Klageschrift eröffenet, dem exploit d'ajournement, der in der Tradition der ordonnance civile stand. Der Kläger setzte dem Beklagten damit eine verkürzbare Frist von acht Tagen (Art. 61, 72 CPC 1806), einen Anwalt zu benennen (constituer avoue) (Art. 75 S. 1 CPC 1806),67 woran sich ein Schriftsatzwechsel ohne Beteiligung des Gerichts anschloß. Vorgesehen waren dabei die Klageerwiderung und die Replik, auf die der Kläger jedoch verzichten konnte (Art. 80 CPC 1806). Eine zeitliche Obergrenze für den außergerichtlichen Schriftsatzwechsel gab es im Gegensatz zu heute aber nicht. 68 Erst nachdem einer der Anwälte die Sache durch 63 Vgl.

Jousse , Commentaire sur l'ordonnance civil, Idee de Ia Justice civile, Band 1,

64 Vgl.

Jousse , Commentaire sur l'ordonnance civil, Idee de Ia Justice civile, Band 1,

s. 57.

s. 59.

65 Tissier, Rev. trim. dr. civ. 1906, S. 627, Fußnote 2, nennt als Ursprung Art . 1 des Gesetzes vom 3. brumaire li (24. Oktober 1793). 66 Siehe oben B.l.l.a.cc), S. 83. 67 Daraus ergibt sich, daß mit dem Erscheinen (comparaitre) in Art. 61 CPC 1806 nichts anderes gemeint ist, als im Sinne des Art. 75 CPC 1806 einen Anwalt zu bestellen ( Garsonnet, Traite de Procedure, Band 2, S. 268; Morel , Procedure civile, Nr. 449, s. 483). 68 Chiovenda, Principii 3 , S. 701, meint, in Frankreich habe es eine Obergrenze gegeben.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

121

Einreichung des placet 69 ins Verhandlungsregister ( role general) hatte eintragen lassen (Art. 55 Abs. 1, 2 D. 1808),70 begann das gerichtliche Verfahren mit einem Termin vor dem Gerichtspräsidenten (Art. 58 D. 1808), in dem die Sachen entsprechend ihrer Reihenfolge im Register aufgerufen (Art. 59 D. 1808) und den einzelnen Kammern zugewiesen wurden (Art. 61 Abs. 1 D. 1808),71 die sie in ihr Register (role particulier de la chambre) eintrugen (Art. 62 D. 1808). Daraufhin sollten die Sachen vom Kammervorsitzenden entsprechend ihrer Reihenfolge terminiert und der Termin mindestens acht Tage vorher durch Aushang bekannt gegeben werden (Art. 67 D. 1808). Dieses Verfahren wurde jedoch kaum praktiziert. 72 Der Anwalt des Klägers hatte den Beklagten zu diesem Termin mit dem sogenannten avenir zu laden73 und ihm die Anträge ( conclusions) spätestens drei Tage vor der Verhandlung zuzustellen (Art. 70 D. 1808). bb)

Italien im 19. Jahrhundert

In Italien folgten das Königreich beider Sizilien74 und das Herzogtum von Parma, Piacenza und Gustalla75 dem französischen Verfahren vor dem tribunal, während im summarischen Verfahren der Beklagte wie beim juge de paix direkt zum Verhandlungstermin geladen wurde. 76 Im Kirchenstaat hatten sich die Anwälte dagegen bei Gericht zu konstituieren, wozu sie die citazione und ihre Urkunden zu hinterlegen hatten. 77 Auch im Königreich Sardinien und später im Königreich Italien hatte der Kläger den Beklagten im summarischen Verfahren direkt zum Verhandlungstermin zu laden. 78 Im förmlichen Verfahren wurde dem Beklag69 Diese an das Gericht gerichtete Note enthielt Namen und Anschrift der Parteien und ihrer Anwälte sowie die Anträge und ihre Begründung aus dem ajoumement ( GlassonjTissier, Traite de procedure civile3 , Band 2, Nr. 499, S. 486). Sie hatte also ähnliche Funktionen wie die italienische nota d'iscrizione a ruolo (vgl. oben Fußnote 13, S. 108). Das placet war aus der Zeit der ordonnance civile in Übung geblieben, obwohl Art. 3 des Gesetzes vom 21. ventose VII (11. März 1799) dies eigentlich verboten hatte (More!, Procedure civile, Nr. 451, Fußnote 3, S. 485). 70 Glasson/Tissier, Traite de procedure civile3 , Band 2, Nr. 499, S. 486. Vgl. daneben auch Art. 80 CPC 1806. 71 Vgl. Glasson/Tissier, Traite de procedure civile3 , Band 2, Nr. 499, S. 486. 72 More!, Procedure civile, Nr. 452, Fußnote 1, S. 486. 73 More!, Procedure civile, Nr. 452, S. 486. 74 Art. 153 Nr. 4, 169 siz. l.p.g.c. 1819. 75 Art. 176 Abs. 1, 5, 194 Abs. 1 parm. c.p.c. 1820. 76 Art. 565 Abs. 1 parm. c.p.c. 1820. 77 §§ 473 Nr. 1, 474 Abs. 1 Nr. 5, 541 Abs. 1, 542, 543 greg. r.l.g.a.c 1834. 78 Dies galt sowohl für die stempelsteuerfreie citazione per biglietto beim giudice di mandamento, dem conciliatore oder dem pretore bei Streitwerten bis zu f 100 (Art. 52 Abs. 2 Nr. 3 sard. c.p.c. 1859; Art. 37, 133 Abs. 1, 2 Nr. 6 c.p.c. 1865) als auch für alle übrigen summarischen Verfahren (Art. 134 Abs. 1 Nr. 6 Alt. 2 c.p.c. 1865).

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C. Das Erkenntnisverfahren

ten dagegen nur eine Frist19 zur Konstituierung eines Anwalts80 gesetzt,81 womit man sich dem französischen Modell anschloß. 82 Durch diese außergerichtliche Verfahrenseröffnung sollte der Beklagte, nachdem er durch die citazione in Verzug gesetzt worden war, die Möglichkeit erhalten, seine Verpflichtung freiwillig zu erfüllen oder sich außergerichtlich mit dem Kläger zu einigen. 83 Im Gegensatz zu Frankreich erfolgte die Konstituierung des Anwalts jedoch nicht völlig außergerichtlich, sondern durch Hinterlegung der Vollmachtsurkunde (mandato), der Angabe einer Zustelladresse ( dichiamzione di residenza) und der zur Vorlage angebotenen Urkunden in der Gerichtskanzlei.84 Jedoch wurde anders als im Kirchenstaat die citazione nicht hinterlegt, so daß das Gericht von dem Rechtsstreit faktisch genausowenig wußte wie das französische tribunal vor der mise au role. An die Konstituierung der Parteien schloß sich ähnlich wie in Frankreich ein schriftliches Verfahren zwischen den Anwälten an, an dem das Gericht ebenfalls nicht beteiligt war (Art. 163 Abs. 1 1865).85 Denn man hielt es für überflüssig, den Richter schon zu diesem Zeitpunkt von den gewechselten Schriftsätzen in Kenntnis zu setzen, da er sowieso erst mit dem Urteil entscheiden dürfe. 86 Folglich spielte der Richter bis zur Eintragung des Rechtsstreits ins Gerichtsregister (Art. 173 c.p.c. 1865)87 im Verfahren keine Rolle. Nach dieser Eintragung war neues Vorbringen jedoch ausgeschlossen, 88 so daß die gesamte Sammlung des Prozeßstoffes in 79 Der codice von 1865 enthielt sehr detaillierte Vorschriften über die Ladungsfristen, die zwischen zwei Tagen für Ladungen zum pretore in derselben Kommune und 180 Tagen für Ladungen aus Übersee lagen. Wie in Frankreich konnten sie vom Gericht auf Antrag bis auf die Hälfte verkürzt werden (Art. 154 Abs. 1 c.p.c. 1865). 80 Wie in Frankreich war mit comparire nicht das Erscheinen vor Gericht gemeint, sondern die Konstituierung eines Anwalts (Mortara, Manuale9 , Band 1, Nr. 258, S. 289) . 81 Art. 53 Abs. 1 Nr. 5, 144 Abs. 1 sard. c.p.c. 1859; Art. 134 Abs. 1 Nr. 6 Alt. 1 c.p.c. 1865. 82 Relazione ministeriale, Nr. 128, BojTappari, Codice di procedura civile, Band 1, s. 57. 83 Relazione ministeriale, Nr. 126, Bo/Tappari, Codice di procedura civile, Band 1, s. 56. 84 Art. 143, 144 Abs. 2 sard. c.p.c. 1859; Art. 158 f. c.p.c. 1865. 85 Zunächst hatte der Beklagte dem Kläger seine Klageerwiderung binnen fünfzehn Tagen nach Ablauf der in der citazione gesetzten Frist zuzustellen (Art. 164 c.p.c. 1865), worauf dem Kläger die gleiche Frist für seine Replik blieb (Art. 165 c.p.c. 1865). Danach setzte sich das schriftliche Verfahren auf die gleiche Weise fort. Eine zeitliche Obergrenze gab es nicht (Chiovenda, Principii 3 , S. 701). 86 Relazione ministeriale, Nr. 127, Bo/ Tappari, Codice di procedura civile, Band 1, s. 57. 87 Wollte eine Partei den Rechtsstreit ins Gerichtsregister eintragen lassen, mußte entweder die Schriftsatzfrist für die Gegenseite verstrichen sein (Art. 173 Abs. 1 c.p.c. 1865) oder sie selbst auf ihr Erwiderungsrecht verzichteten (Art. 173 Abs. 2 c.p.c.). 88 Dies ergibt sich daraus, daß nach der Eintragung weitere Schriftsätze nicht mehr

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

123

das schriftliche Verfahren verlagert wurde,89 noch bevor das Gericht damit befaßt war. Im summarischen Verfahren lag die Bestimmung des Termins dagegen in der Hand des Klägers, ein schriftliches Vorverfahren fand nicht statt. 90 Da dieses summarische Verfahren die gerichtliche Praxis weitgehend beherrschte, wurde praktisch jedes erstinstanzliehe Verfahren mit der citazione a udienza fissa eingeleitet. Es ist jedoch fraglich, ob diese für den juge de paix entwickelte Verfahrenseröffnung91 auf jedes Verfahren paßt. Schon im französischen System stellt sich die Frage, ob der Grund für den geringen Erfolg der Schlichtung auch darin zu suchen ist, daß der juge de paix gar nicht die Gelegenheit hatte, sich mit den Fällen zu befassen und einen vernünftigen Vergleichsvorschlag zu machen, weil die Parteien wie in einer öffentlichen Sprechstunde zu ihm kamen. Um so mehr stellt sich die Frage, ob so ein Gerichtsverfahren eingeleitet werden sollte. Der Richter hat dann jedenfalls keinen Spielraum, die Termine je nach Arbeitsbelastung und Umfang der Sache selbst zu wählen und sich vor der Verhandlung mit dem Gegenstand des Prozesses vertraut zu machen, so daß bloße Durchlauftermine vorprogrammiert sind. 92 cc)

Deutschland im 19. Jahrhundert

Auch in Deutschland setzte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts eine an das Modell der Verfahrenseröffnung vor dem französischen tribunal anzugelassen waren (Art. 175 c.p.c. 1865) und jedes Vorbringen der Parteien schriftlich zu erfolgen hatte (Art. 162 Abs. 1 c.p.c. 1865). Wegen dieser präklusiven Wirkung der Eintragung wurde die Gegenseite davon informiert und ihr eine letzte Schriftsatzfrist eingeräumt, bevor die Eintragung ihre Wirkung entfalten konnte (Art. 174 Abs. 1 c.p.c. 1865). Da in diesem Schriftsatz auch völlig neues Vorbringen enthalten sein konnte, konnte die Partei, die die Eintragung beantragt hatte, ihrerseits auf diesen Schriftsatz antworten, wodurch die Eintragung ihre präklusive Wirkung verlor (Art. 174 Abs. 2 c.p.c. 1865). Antwortete sie dagegen nicht, wurde die Eintragung wirksam (Art. 174 Abs. 3 c.p.c. 1865). Damit konnten die Parteien die Ausschlußfrist selbst beeinflussen und die Eintragung möglichst lange hinauszögern (Mortara, Commentario, Band 3, S. 356). Wurde sie einmal wirksam, hatten sich die Parteien binnen fünfzehn Tagen Schriftsätze zuzustellen, in denen sie ihr gesamtes Vorbringen zusammenfassen und die Anträge formulieren mußten ( comparse conclusionali) (Art. 176 Abs. 1 c.p.c. 1865), und ihre gesamten Akten in der Gerichtskanzlei einzureichen (Art. 177 Abs. 1 c.p.c. 1865). 89 Chiovenda, Principii 3 , S. 702 f. 90 Am tribunale civile wurde die Sache ins Gerichtsregister eingetragen und kam daraufhin zur Verhandlung (Art. 390 Abs. 1 c.p.c. 1865). Beim pretore und beim conciliatore kam es direkt zur Verhandlung, ein Gerichtsregister wie beim tribunale civile gab es nicht (Art. 415 Abs. 1, 450 c.p.c. 1865). 91 Vgl. Bo/Tappari, Codice di procedura civile, Band 3, S. 256, Fußnote (A). 92 Chiovenda, Principii 3 , S. 707.

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C. Das Erkenntnisverfahren

gelehnte Form der Klageerhebung gegen die gemeinrechtliche Tradition durch. Während sich in älteren Kodifikationen jener Zeit noch der an den Richter adressierte und von ihm geprüfte Klaglibell des gemeinen Rechts findet, 93 gewann in der Zeit nach der Paulskirche das französische Modell die Oberhand94 und floß schließlich in die Zivilprozeßordnung von 1877 ein. Damit herrschte in Frankreich, Italien und Deutschland darin Übereinstimmung, daß der Kläger seinen Anspruch dem Beklagten gegenüber geltend zu machen hatte und nicht dem Gericht. Die Terminierung durch die Parteien, die innerhalb der angegebenen "Sprechstunden des Gerichts" erscheinen können, hat sich in Deutschland dagegen nicht durchgesetzt. 95 Der Kläger hatte den Beklagten zwar nach § 230 Abs. 2 Nr. 3 ZPO 1877 zur mündlichen Verhandlung zu laden und im Verfahren vor dem Landgericht aufzufordern, einen Rechtsanwalt zu bestellen (§ 192 ZPO 1877). Zuvor hatte er die Ladung jedoch dem Gericht einzureichen, damit der Vorsitzende den Verhandlungstermin bestimmen konnte(§ 193 Abs. 2 ZPO 1877).96 Dabei prüfte dieser die eingereichte Klage auf ihre äußere Vollständigkeit. Eine materielle Prüfung der Zulässigkeit und Schlüssigkeit der erhobenen Klage wie im justinianischen97 und später im gemeinen Prozeß fand aber nicht statt. 98 Dieser Unterschied zwischen Italien und Deutschland deutet darauf hin, daß sich beide Länder verschiedene Teile des code de procedure civile zum Vorbild genommen haben. Während in Italien die citation, mit der das Verfahren vor dem juge de paix eröffnet wurde, über das summarische Verfahren als verfahrenseinleitender Schriftsatz zum Regelfall wurde, lehnte sich der deutsche Gesetzgeber an den exploit d'ajournement an, wie er im Verfahren vor dem tribunal prak93 Beispiele sind der neunte Titel der badischen Prozeßordnung von 1832 "Von der Klage und der richterlichen Verfügung daraur' sowie§§ 247 f. , 253 badPrO 1832, §§ 257, 259, 263 badPrO 1864 und § 94 banPrO 1847. 94 § 184 Nr. 4 banPrO 1850; § 296 Nr. 5 des preußischen Entwurfs von 1864; § 231 des Entwurfs einer allgemeinen Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten von 1866; § 403 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes von 1870. Abweichend aber beispielsweise Art. 317 württPrO 1868, zu der der Gesetzgeber eine sehr treffende Begründung lieferte:"Da die Rechtsstreitigkeiten nur von den Gerichten ausgetragen werden können, ist es das Natürlichste, wenn sie auch schon mit dem Beginne bei den Gerichten anhängig gemacht ... werden, . . . " (Fecht , Gerichtsgesetze des Königreichs Württemberg, Abteilung 3, Band 1, S. 10). 95 Förster, ZPO, § 193 Anm. 1. Lediglich nach § 303 des preußischen Entwurfs von 1864 sollte es Sache der Anwälte sein, sich nach Durchführung eines Art. 80 CPC 1806 nachempfundenen Schriftsatzwechsels zu einem speziellen Gerichtstermin zu laden, der für die Einleitung neuer Streitsachen bestimmt war. Die mündliche Verhandlung in der Sache sollte jedoch vom Vorsitzenden bestimmt werden (§ 311 des preußischen Entwurfs von 1864). 96 Die Vorschrift geht zurück auf§ 217 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes von 1870. 97 Siehe oben C.II.l.c), S. 119. 98 Stein/Jonas 12 , ZPO, § 216 Anm. II.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

125

tiziert wurde. Dabei verzichtete man allerdings auf die Einführung eines Verhandlungsregisters, so daß der Richter auch nicht wie in Frankreich an die Reihenfolge der Eintragungen gebunden war, sondern den Verhandlungstermin frei bestimmen konnte. dd)

Die Österreichische Zivilprozeßordnung von 1895

Nur in Österreich, wo nach wie vor die gemeinrechtliche Verfahrenseröffnung praktiziert wurde, war vom französischen Einfluß nichts zu spüren. Die Klage wurde als Prozeßgesuch dem Gericht zugeleitet. 99 Erst wenn der Richter sie formell und rechtlich für zulässig erachtete, 100 stellte er sie dem Beklagten zur Beantwortung zu (§ 34 öAGO; § 30 WGO). Damit brauchte die neue Zivilprozeßordnung, die ebenfalls das Gericht als Adressaten der Klage ansah (§ 226 öZPO), nur an das geltende Recht anzuknüpfen. Auch der Amtsbetrieb bei Ladungen und Terminierungen entsprach der herrschenden Praxis. Schließlich wurde auch die gemeinrechtliche Praxis beibehalten, daß der Richter noch vor der Zustellung der Klage die Prozeßvoraussetzungen prüfen und die Zustellung gegebenenfalls verweigern kann (§§ 230 Abs. 2, 6 öZPO). Mit dem Inkrafttreten dieser Reform kam auch in den übrigen Ländern neue Bewegung in die Diskussion. ee)

Die weitere Entwicklung in Italien und Deutschland

In Deutschland kam der Österreichische Einfluß schon 1909 zur Geltung. Seitdem wurden in amtsgerichtliehen Verfahren die Termine von Amts wegen durch das Gericht bestimmt(§ 497 ZPO 1909); Ladungen durch die Parteien fanden nicht mehr statt. An den Landgerichten blieb es dagegen zunächst beim französisch geprägten Modell. In Italien setzte sich mit der Reform des summarischen Verfahrens, das durch Art. 1 Abs. 1 G. 107/1901 offiziell zum regulären Verfahren erhoben wurde, zunächst die Ladung des Beklagten zu einem vom Kläger bestimmten Termin durch. 101 Damit der Termin jedoch nicht völlig ins Belieben des Klägers gestellt war, konnte der Beklagte, wenn er an einer schnellen Beendigung des Rechtsstreits interessiert war, nun von sich aus den Kläger mit der controcitazione zu einem früheren Termin laden (Art. 1 Abs. 2 G. 107/1901). 102 Dieser Termin fand jedoch zunächst 99 von

Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht 2 , Band 2, S. 38. Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht 2 , Band 2, S. 68. Muster einer citazione nach dem reformierten summarischen Verfahren findet sich bei Chiovenda, Principii 3 , S. 649, Fußnote 1. 102 Heute gibt es diese controcitazione nicht mehr ( Cass. civ. vorn 10. Oktober 1975, 100 von 101 Ein

126

C. Das Erkenntnisverfahren

nicht vor der Kammer statt, sondern allein vor dem Vorsitzenden (Art. 4 Abs. 1 G. 107/1901). Anders als in Frankreich und Österreich war dies jedoch kein Vortermin, der sich von der Verhandlung vor der Kammer (Art. 4 Abs. 2 G. 107/1901) absetzte, sondern es handelte sich lediglich um zwei Phasen ein und derselben Verhandlung. 103 Chiovenda war dagegen der Auffassung, daß der Richter mit Erhebung der Klage mit dem Rechtsstreit befaßt sein sollte. 104 Daher sollte es weder einen Schriftsatzwechsel unter Ausschluß des Richters noch eine Terminierung durch die Parteien geben.105 Dazu nahm er in seinen Entwurf sowohl Österreichische als auch deutsche Elemente auf. Wie in Österreich sollte die Klage ( domanda giudiziaria) bei der Gerichtskanzlei eingereicht werden, um den Rechtsstreit anhängig zu machen (Art. 6 Abs. 1, 3). Mit der Klage sollte der Kläger zugleich die Ladung des Beklagten beantragen, über die das Gericht binnen vierundzwanzig Stunden entscheiden sollte (Art. 7), was weitgehend dem damaligen deutschen Recht entsprach. 106 Schließlich sollte noch vor der Zustellung an den Beklagten die Klage auf ihre Vollständigkeit überprüft und gegebenenfalls dem Kläger zur Verbesserung zurückgegeben werden (Art. 8), was dem Österreichischen Recht entsprach (§§ 84 f. öZPO). Doch blieb der Umfang des Prüfungsrechts hinter § 230 öZPO zurück und glich mehr dem Prüfungsrecht des deutschen Richters dieser Zeit. Insbesondere die Zuständigkeit des Gerichts sollte hier noch nicht geprüft werden. Der Entwurf von Mortara hielt dagegen weitgehend am summarischen Verfahren von 1901 fest und behielt die Form der citazione bei (Art. 3 Nr. 4). Neu war bloß die Trennung der prozessualen Wirkungen der Klageschrift. Während die Verjährung schon mit der Zustellung unterbrochen werden sollte, sollte die Rechtshängigkeit (pendenza della lite) erst mit Erscheinen vor Gericht eintreten. 107 Daran wird deutlich, daß es Mortara anders als Chiovenda bei der Klageerhebung nicht um die direkte Beteiligung des Richters ging, sondern allein um das Verhältnis der Parteien untereinander. Nr. 3246, Giust. civ. 1976 I, S. 67, 69), sondern es ist Aufgabe des Gerichts, auf Antrag des Beklagten die Verhandlung vorzuverlegen (Art. 163 bis Abs. 3 c.p.c.) . Die Ähnlichkeiten zwischen der controcitazione und der Vorverlegung der Verhandlung sind jedoch nicht zu übersehen (Cerino Canova, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 163 bis, s. 305). 103 Mortara, Manuale9 , Band 1, Nr. 286, S. 309. 104 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 53. 105 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 56. 106 § 193 ZPO 1877 == § 216 ZPO 1898. Das Österreichische Recht hatte dagegen den Grundsatz der Terminierung auf Antrag (§ 130 Abs. 1 öZPO) für das Erkenntnisverfahren entscheidend eingeschränkt (§§ 230 Abs. 1, 244 öZPO). 107 Mortara, Giur. it. 1923 IV, Sp. 146.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

127

Einen Mittelweg ging der Entwurf von Carnelutti. Wie bei Chiovenda sollte die Klageschrift (ricorso) direkt an die Gerichtskanzlei gerichtet werden (Art. 202), um dort die Klage anhängig zu machen (Art. 207). Auch die Terminierung sollte ohne Antrag binnen vierundzwanzig Stunden erfolgen (Art. 203 lit. a). Zugestellt werden sollte der ricorso dagegen vom Kläger binnen einer vom Richter gesetzten und durch die Nichtigkeit der Klageerhebung sanktionierten Frist (Art. 203 lit. b, 177, 204). Auch eine Prüfung der Vollständigkeit des ricorso war in dem Entwurf nicht vorgesehen, womit er bezüglich der richterlichen Mitwirkung bei der Klageerhebung hinter dem Entwurf Chiovendas zurückblieb. Während dieser Entwurf bei der Neuregelung des Arbeitsverfahrens im Jahre 1928 sogleich in die Praxis umgesetzt wurde, 108 wurde er für das ordentliche Verfahren nicht weiter verfolgt. Der Gesetzgeber folgte vielmehr dem Vorentwurf von Solmi, der sich an den Entwurf von Redenti anlehnte und sich noch weiter am alten Recht orientierte. Danach wurde die Klage weiterhin mit der citazione erhoben, die unmittelbar dem Beklagten zuzustellen war (Art. 163 Abs. 3 c.p.c. 1940). Sie enthielt die Aufforderung an den Beklagten, sich bei Gericht durch Einreichung der Klageerwiderung zu konstituieren (Art. 163 Abs. 2 Nr. 7, 166 c.p.c. 1940.). 109 Selbst im Arbeitsverfahren kehrte der Gesetzgeber ricorso zur citazione zurück. Für den Bereich der damals weitgehend noch der freiwilligen Gerichtsbarkeit vorbehaltenen Verfahren in camera di consiglio110 wurde das Verfahren hingegen durch einen ricorso eröffnet. Dies zeigt, inwieweit der Gesetzgeber in der Vorstellung verhaftet war, nur die unmittelbare Ladung des Beklagten durch den Kläger vor Eröffnung des Gerichtsverfahrens sei geeignet, dessen Verteidigungsrechte, das Contradittorio delle parti, wirksam zu sichern. Der unmittelbar ans Gericht gerichtete ricorso blieb dagegen den weitgehend einseitigen Verfahren in camera di consiglio oder den summarischen Verfahren inav.diter altera parte 111 vorbehalten, in denen ein Contradittorio delle parti nicht notwendig war. Zwar enthielt der neue codice di procedv.ra civile in seiner ursprünglichen Fassung im Vollstreckungsrecht einige Fälle, in denen ein ordentliches Erkenntnisverfahren durch einen ricorso eröffnet wurde. Dies war jedoch an die Bedingung geknüpft, daß die Vollstreckung bereits begonnen hatte.ll 2 108 Vgl.

nur Denti, Riv. trim. dir. proc. civ. 1996, S. 414. Art. 201 Abs. 2, 274 Abs. 2 des Entwurfs von Redenti und Art. 131 Abs. 1 S. 2 Nr. 6, 144 des Vorentwurfs von Solmi. 110 Siehe dazu oben B.III., S. 100. 111 Beispielhaft Art. 638, 672 Abs. 1, 700 c.p.c. 1940 sowie heute Art. 669 bis c.p.c. Siehe dazu oben B.II.l., S. 90 und B.II.3., S. 98. 112 Dies gilt etwa für die Vollstreckungsgegenklage (opposizione all'esecuzione) (Art. 615 Abs. 2, 616 HS. 1 c.p.c. 1940) und die Vollstreckungserinnerung (opposizione agli atti esecutivi) (Art. 617 Abs. 2, 618 Abs. 2 c.p.c. 1940). Ähnliches galt auch schon im Konkursverfahren für die Klage der abgewiesenen Gläubiger auf Feststellung 109 Vgl.

128

C. Das Erkenntnisverfahren

Da der Beklagte hier bereits Partei des Vollstreckungsverfahrens war, 113 erschien eine nochmalige Ladung durch den Kläger im Wege der citazione entbehrlich. War die Vollstreckung dagegen noch nicht eingeleitet, war die Klage wie gewöhnlich durch eine citazione zu erheben.11 4 Damit blieb der Richter an der Verfahrenseröffnung weitgehend unbeteiligt, was dem damals ausgeprägten Verständnis vom öffentlichen Zweck des Zivilprozesses eigentlich nicht entsprach.11 5 Der Termin der Verhandlung wurde aber von Seiten des Gerichts bestimmt, nachdem eine Partei beim Gerichtspräsidenten die Bestimmung des zuständigen Instruktionsrichters beantragt hatte (Art. 172 c.p.c. 1940).11 6 Damit ähnelte das italienische Recht wie das deutsche dem Modell der französischen Verfahrenseröffnung vor dem tribunal. In zwei Punkten unterschied sich das italienische Recht jedoch vom französischen. Zum einen fand die Konstituierung der Parteien bei Gericht statt und nicht wie bis heute in Frankreich von Anwalt zu Anwalt. Zum anderen diente sie zugleich der Klageerwiderung, was in Frankreich ebenfalls nicht der Fall war. Interessant ist nun, wie sich das deutsche und das italienische Recht, die sich bei lokrafttreten des neuen codice di procedura civile sehr ähnlich waren, weiterentwickelt haben. In Deutschland wurde angesichts des Krieges zur Vereinfachung des Verfahrens der Amtsbetrieb am Landgericht eingeführt. 117 Auch nach dem Krieg behielten die Alliierten den Amtsbetrieb in ihren Zonen bei. 1950 wurde er durch das Rechtsvereinheitlichungsgesetz als neuer § 253 in die Zivilprozeßordnung übernommen. In Italien kehrte man dagegen bereits mit der Reform von 1948 zur Bestimmung des Verhandlungstermins durch den Kläger zurück (Art. 163 zur Tabelle ( opposizione dei creditori esclusi o ammessi con riserva al passivo) (Art. 98 Abs. 1, 101 Abs. 3 HS. 2 I. fall.). Ein noch älterer Fall findet sich im Bereich der Beitreibung öffentlich-rechtlicher Forderungen nach Art. 3 des bis heute gültigen Königlichen Dekretes Testo unico delle disposizioni di legge relative alla procedura coattiva per Ia riscossione delle entrate patrimoniali dello Stato e degli altri enti pubblici, dei proventi di Demanio pubblico e di pubblici servizi e delle tasse sugli affari vom 14. April 1910, Nr. 639, G.U. vom 30. September 1910, Nr. 227. 113 Hierzu muß man wissen, daß das gesamte Vollstreckungsverfahren unter der Leitung eines Vollstreckungsrichters (giudice dell 'esecuzione) steht (Art. 484 Abs. 1 c.p.c.), bei dem sämtliche Vollstreckungsmaßnahmen beantragt werden müssen (Art. 486 c.p.c.). Vgl. hierzu auch die kurze Darstellung bei Baur/ Stümer, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band 1, Rdnr. 59.57 ff. 114 Art. 615 Abs. 1, 617 Abs. 1 c.p.c. 115 Camelutti, Relazione der Universita und des Sindacato Fascista Avvocati e Procuratori di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 2, S. 46; Liebman, Relazione der Universita di Parma, Osservazioni e Proposte 1938, Band 2, S. 47; Rocco, Relazione der Universita di Napoli, Osservazioni e Proposte 1938, Band 2, S. 47. 116 Art. 153 des Vorentwurfs von Solmi. Im Entwurfvon Redenti war dagegen zu Beginn ein Termin vor dem Vorsitzenden vorgesehen (Art. 277). 117 § 2 der 4. Vereinfachungsverordnung von 1943.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

129

Abs. 3 Nr. 7 c.p.c. 1948) und setzte den eingeschlagenen Weg bei der "großen Gegenreform" von 1950 fort (Art. 163 Abs. 3 Nr. 7 c.p.c. 1950). Eine Ausnahme bildete aber das Verfahren bei Trennung der Ehegatten (seperazione dei coniugi) (Art. 150 c.c.) und der seit 1970 zulässigen Ehescheidung.118 Auch soweit sie nicht in camera di consiglio verhandelt werden, wird das Verfahren seit jeher mit einem ricorso eröffnet.ll 9 Diese Abweichung von der Grundregel, erst den Prozeßgegner von der Klageerhebung zu unterrichten und anschließend das Gericht, wird in diesem Spezialfall damit begründet, daß hier in limine litis ein Versöhnungsversuch vor dem Gerichtspräsidenten120 stattfindet. 121 Ein wesentlich weiteres Anwendungsfeld bei der Eröffnung streitiger Erkenntnisverfahren fand der ricorso bei der Novelle des Arbeitsverfahrens von 1973, die den Entwurf von Carnelutti wieder aufgegriffen hat. 122 Seitdem ist der ricorso in allen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Streitigkeiten anwendbar. 123 Die Pläne, dies auch auf das ordentliche Erkenntnisverfahren auszuweiten, 124 wurden mit dem Scheitern der Generalreform des codice di procedura civile jedoch auf Eis gelegt. Nach außen wurde die Beibehaltung der citazione damit begründet, daß der Verfahrensablauf anläßlich einer kleinen Reform möglichst wenig verändert werden sollte. Der wahre Grund dürfte aber darin liegen, daß namentlich Proto Pisani, einer der maßgeblichen Redakteure der provvedimenti urgenti, die These vertritt, der ricorso sei zur Eröffnung eines ordentlichen Erkenntnisverfahrens ungeeignet. 125 Diese auf die oben erwähnte ursprüngliche Abgrenzung von citazione und ricorso gestützte These wurde aber schon vom codice di procedura civile in seiner ursprünglichen Fassung widerlegt, wie das Beispiel der Trennung der 118 Vgl. 119 Vgl.

dazu oben B.III., S. 103. für die Trennung der Ehegatten schon Art. 706 Abs. c.p.c. 1940. Gleiches galt für die Ehescheidung nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 G. 898/1970 a.F. Nach Art. 23 Abs. 1 G. 74/1987 ist das Scheidungsverfahren bis zum Inkrafttreten eines neuen codice di procedura civile, worunter nicht die jetzige Teilreform zu verstehen ist (Luiso, Giur. it. 1996 IV, Sp. 233), auch für die Trennung der Ehegatten anwendbar, so daß nun einheitlich Art. 4 Abs. 2 G. 898/1970 n.F. gilt. Art. 706 ff.c.p.c. sind damit als unanwendbar anzusehen (A. Finocchiaro, in: Finocchiaro, Diritto di Famiglia, Band 3, Art. 23 I. 6 marzo 1987, n. 74, S. 713). 120 Art. 708 Abs. 1 c.p.c.; Art. 4 Abs. 4 G. 898/1970 a.F.; Art. 4 Abs. 7 G. 898/ 1970 n.F. 121 Vgl. A. Finocchiaro, in: Finocchiaro, Diritto di Famiglia, Band 3, Art. 4, S. 218; SattajPunzi, Diritto processuale civi!e 11 , S. 1053 f. Zu den Problemen, die die Einordnung dieses Termins vor dem Gerichtspräsidenten in den neuen Verfahrenstypus bringt, vgl. Luiso, Giur. it. 1996 IV, Sp. 234 f. 122 Pezzano, in: Andrioli/Barone/ Pezzano/Proto Pisani, Contraversie di lavoro 2 , S. 426. Der einzige kleine Unterschied lag darin, daß der Richter nun fünf Tage Zeit hatte für die Terminierung. (Art. 415 Abs. 2 c.p.c.). 123 Art. 414 Abs. 1 c.p.c. i.V.m. Art. 442 c.p.c. 124 So der erste Entwurf von Liebman (Art. 163), der zweite Entwurf von von Liebman (Nr. 13 lit. c) und der gleichlautende Gesetzentwurf Nr. 1463/S/VIII (Art. 2 Nr. 13 c). 125 Proto Pisani, Lezioni, S. 737. 9 Piekenbrack

130

C. Das Erkenntnisverfahren

Ehegatten gezeigt hat. 126 Auch der ricorso eignet sich für die Eröffnung eines streitigen Erkenntnisverfahrens, wenn der Richter vor der Zustellung keine maßgeblichen Verfügungen trifft. 127 Auch wenn die provvedimenti urgenti an der Verfahrenseröffnung durch die citazione festhielten, wurde doch versucht, dem Richter die Möglichkeit zu geben, auf den Termin Einfluß zu nehmen, damit pro Tag nur eine überschaubare Zahl von Verhandlungen stattfindet. Denn dies ist eine notwendige Voraussetzung für eine mündliche Erörterung des Sach- und Streitstandes und eine effizienten Verhandlungsleitung durch den Richter.128 Deshalb wurde zunächst dem Instruktionsrichter die Möglichkeit eingeräumt, den vom Kläger bestimmten Termin zu verschieben, um ihm genügend Zeit zur Vorbereitung der Verhandlung zu geben. Dadurch sollte verhindert werden, daß gleich im ersten Termin die Sache lediglich vertagt wird. 129 Zwar hätte man Bedenken haben können, ob die Frist von 45 Tagen bei starker Arbeitsbelastung des Richters wirklich ausgereicht hätte.130 Doch hätte sich dieses Problem ganz pragmatisch lösen lassen. Schon im Arbeitsverfahren war eine Frist von 60 Tagen für den Termin der ersten mündlichen Vehandlung eingeführt worden (Art. 415 Abs. 3 c.p.c.), die jedoch als sanktionslose Ordnungsvorschrift angesehen 131 und von der Praxis ignoriert wird. 132 Da Gleiches auch für die Neuregelung von 1990 zu erwarten gewesen wäre, 133 hätte der Richter den ersten Verhandlungstermin faktisch frei bestimmen können. Seit der Gesetzgeber diesen ersten Termin nun zu einem Vortermin umgestaltet hat, kann der Richter die Verde Francisco, Giur. it. 1995 IV, Sp. 342. A. Finocchiaro, in: Finocchiaro, Diritto di Famiglia, Band 3, Art. 4, S. 218. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des possessorischen Verfahrens (Art. 703 c.p.c.), das immer durch einen ricorso eröffnet wird (Art. 703 Abs. 1 c.p.c.) (de Francisco , Giur. it. 1995 IV, Sp. 344). Nach der alten Fassung vor der Reform des einstweiligen Rechtsschutzes konnte der Richter inauditer altera parte einstweilige Verfügungen treffen (Art. 703 Abs. 2, 3 HS. 1, 689 ff. c.p.c. a.F.). Andernfalls beschränkte er sich darauf, einen Termin zu bestimmen und die Zustellung anzuordnen (Art. 703 Abs. 3 HS. 2 c.p.c. a.F.). 128 Borre, Relazione des C.S.M. zum Gesetzentwurf Nr. 2214/S/IX, Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 400; so auch schon Carnelutti, Riv. dir. proc. 1948 I, S. 124 f., und die Relazione der Corte d'appello di Bari, Osservazioni e Proposte 1956, Band 1, S. 317. 12 9 Mandrioli, Modifiche2 , S. 48. 130 Centaro, Commento, S. 84. 131 Pezzano, in: Andrioli/ Barone/ Pezzano/ Proto Pisani , Contraversie di lavoro 2 , S. 454, schließt insbesondere die Haftung des Richters nach Art. 55 Abs. 1 Nr. 2 c.p.c. aus. A.A. Tarzia, Manualedel processo dellavoro 3 , S. 57, unter Hinweis auf die besondere Bedeutung der Fristen für den zügigen Prozeßverlauf. 132 Pezzano, in: AndriolijBaronej Pezzano/ Proto Pisani , Contraversie di lavoro 2 , S. 454, wonach zum Teil mehr als ein Jahr bis zum ersten Termin verstreicht. 133 Rota, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 168 bis n.F. Anm III Rdnr. 2; Chiarloni, Riv. dir. proc. 1991, S. 684; Costantino, in: Tarziaj Cipriani, P rovvediment i urgenti, c.p.c., Art. 181 e 183, S. 76. 1 26 Vgl. 127 Vgl.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

131

handlung in der Sache nun auch offiziell frei terminieren (Art. 180 Abs. 2 S. 2 c.p.c.) und dabei seiner Arbeitsbelastung Rechnung tragen. Für den Vortermin, der nicht der Verhandlung in der Sache dient, bedeutet dies, daß dem Richter die 45 Tage, um die er den Termin verschieben kann, genügen sollten, so daß es keiner wesentlichen Überschreitung dieser gesetzlichen Frist mehr bedarf. Damit kann der Richter erstmals auch nach dem Wortlaut des Gesetzes die Termine frei legen, was wesentlich zu einem gelungenen Prozeßauftakt beitragen wird. 2.

Die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung

Bei den richterlichen Maßnahmen im Vorfeld der mündlichen Verhandlung sind zwei Hypothesen zu unterscheiden. Zunächst geht es darum, wie der Richter reagieren kann, wenn er schon vor der mündlichen Verhandlung bemerkt, daß dem Kläger bei der Klageerhebung Fehler unterlaufen sind [C.II.2.a)). Schon weil die jüngste Reform dieser Frage große Aufmerksamkeit geschenkt hat, soll ihr auch hier nachgegangen werden. Danach wird untersucht, wie der Richter die mündliche Verhandlung vorbereiten kann [C.II.2.b)), um das Verfahren im Termin möglichst weit voranzutreiben. a)

Die fehlerhafte Klageschrift

Die Klageerhebung ist immer dann fehlerhaft, wenn die Klageschrift nicht die erforderlichen Angaben enthält, was nach italienischem Recht grundsätzlich zur Nichtigkeit (nullitd) der citazione (Art. 164 c.p.c.) führt. Da diese Sanktion, die auch für die assignation gilt (Art. 56 NCPC) , dem deutschen und dem Österreichischen Recht fremd ist, soll hier kurz auf die Nichtigkeit von Prozeßhandlungen im allgemeinen eingegangen werden. aa) Die Nichtigkeit von Prozeßhandlungen Die Nichtigkeit von Prozeßhandlungen ( nullita degli atti) ist in Italien in Art. 156 ff. c.p.c. ähnlich geregelt wie in Frankreich (nullite des actes pour vice de forme) (Art. 112 ff. NCPC). 134 In beiden Ländern ist eine Prozeßhandlung zum einen dann nichtig, wenn die Nichtigkeit ausdrücklich vom Gesetz vorgeschrieben ist, 135 zum anderen, wenn die für das Errei134Davon zu unterscheiden ist die nullite des actes pour irregularite de fond nach Art. 117 ff. NCPC bei Mängeln der Parteifähigkeit oder der Vertretungsmacht. Siehe dazu unten C .III.J.d.bb), S. 223. 135 Art. 156 Abs. 1 c.p.c.; Art. 114 Abs. 1 NCPC. Hierfür hat sich der Begriff der besonderen Bestimmung der Nichtigkeit ( detenninazione specifica della nullita) eingebürgert ( Camelutti, Sistema, Band 2, Nr. 558, S. 504 f.

132

C. Das Erkenntnisverfahren

chen des mit der Prozeßhandlung verbundenen Zwecks unverzichtbaren Formerfordernisse nicht erfüllt sind. 136 Die Nichtigkeit ist grundsätzlich eine verzichtbare Prozeßeinrede, die vor der Einlassung zur Sache zu erheben ist, 137 um jedem Formalismus entgegenzuwirken. 138 In Frankreich ist bei der Erhebung der Einrede zusätzlich geltend zu machen, daß der Formfehler einen Nachteil verursacht hat (Art. 114 Abs. 2 NCPC); 139 in Italien ist das nicht erforderlich. 140 Schließlich ist der italienische Richter aufgerufen, sich nicht auf die Feststellung der Nichtigkeit zu beschränken, sondern soweit wie möglich die Wiederholung der nichtigen Prozeßhandlung anzuordnen (Art. 162 Abs. 1 c.p.c.). Interessant ist ein Vergleich mit dem napoleonischen code de procedure civile, der sich bei der Frage der Nichtigkeit einer Prozeßhandlung an die ordonnance civile von 1667 anlehnte 141 und in seinen allgemeinen Bestimmungen zwei Vorschriften über die Nichtigkeit von Prozeßhandlungen enthielt (Art. 1029 f. CPC 1806). Es galt lediglich der Grundsatz der speziellen Bestimmung der Nichtigkeit (Art. 1030 CPC 1806), wobei dem Richter ausdrücklich kein Beurteilungsspielraum zustand (Art. 1029 CPC 1806). Die Folge war, daß keine Prozeßhandlung auch bei Mißachtung der fundamentalsten Formerfordernisse nichtig war, soweit das Gesetz keine entsprechende Vorschrift enthielt.142 Zum anderen trat die im Gesetz vorgesehene Nichtigkeit aber auch dann ein, wenn die Prozeßhandlung ihr Ziel erreicht hatte und die Gegenpartei durch den Verstoß nicht beschwert worden war. 143 In Übereinstimmung mit dem heutigen Recht war die Nichtigkeit 136 Art. 156 Abs. 2 c.p.c.; Art. 114 Abs. 1 NCPC. Dies kann als die allgemeine Bestimmung der Nichtigkeit ( detenninazione generica della nullita) bezeichnet werden ( Carnelutti, Sistema, Band 2, Nr. 558, S. 504 f. 137 Art. 157 c.p.c.; Art. 112 NCPC. Vgl. § 295 ZPO; § 196 öZPO. 138 Relazione, Nr. 15, abgedruckt bei Franchi/Feroci, Nuovo codice di procedura civile3 , S. XXVII. Dies ergibt sich auch aus der grundsätzlichen Formfreiheit (Art. 121 c.p.c.) und folgenden Einzelbestimmungen: Die Nichtigkeit kann dann nicht ausgesprochen werden, wenn die Prozeßhandlung ihr Ziel erreicht hat (Art. 156 Abs. 3 c.p.c.). Nur die Partei kann die Einrede erheben, in deren Interesse das Formerfordernis besteht (Art. 157 Abs. 2 c.p.c.). Die Nichtigkeit berührt weder vorhergehende noch unabhängige nachfolgende Prozeßhandlungen (Art. 159 Abs. 1 c.p.c.) oder Teile (Art. 159 Abs. 2 c.p.c.). Schließlich entfaltet die nichtige Prozeßhandlung alle Wirkungen, die von dem Mangel nicht berührt sind (Art. 159 Abs. 3 c.p.c.). 139 Dieser Grundsatz läßt sich auf die kurze Formel bringen:«pas de nullite sans grief. » 140 Oriani, Enc. Giur. XXI (1990), nullita degli atti I) diritto processuale civile, Nr. 4.7,

s. 11.

141 Glasson/Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 2, Nr. 441, S. 340; Morel, Procedure civile, Nr. 407, S. 441; Lobin, Enc. Dalloz Proc. Civ., Nullites (1979), Nr. 2. 142 Lobin, Enc. Dalloz Proc. Civ., Nullites (1979), Nr. 2 f. zitiert die Kurzformel:«pas de nullite sans texte.» 143 Japiot, Rev. trim. dr. civ. 1914, S. 233. Damit war dem Grundsatz «nullite sans grief n'opere rien» aus der Zeit vor der ordonnance civile von 1667 noch einmal eine deutliche Absage erteilt worden ( Glasson/Tissier, Traite de procedure civiie 3 , Band 2, Nr. 441, S. 340).

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

133

von Prozeßhandlungen aber auch schon damals durch rügelose Einlassung heilbar (Art. 173 CPC 1806). In Italien folgte man dieser rigiden Vorstellung von der Nichtigkeit einer Prozeßhandlung nicht und nahm neben der besonderen Bestimmung der Nichtigkeit (Art. 56 Abs. 1 c.p.c. 1865) auch die allgemeine ins Gesetz auf (Art. 56 Abs. 2 c.p.c. 1865). Dabei unterschied man die wichtigen Formerfordernisse (forma essenziale) von den bloß nützlichen Förmlichkeiten (forma accidentale), 144 eine Unterscheidung, die auch dem gemeinen Recht bekannt war .145 Hätte hiernach eigentlich die allgemeine Bestimmung der Nichtigkeit genügt, so trat die besondere zum Zwecke der Rechtssicherheit an ihre Seite.146 Eine ausdrückliche Regelung, daß Nichtigkeit niemals anzunehmen ist, wenn die Prozeßhandlung ihr Ziel erreicht hat, fehlte aber ebenso im alten codice wie die Bestimmung, daß der Richter möglichst auf die Wiederholung der nichtigen Prozeßhandlung hinwirken soll. Damit zeigt sich, daß der alte code de procedure civile im Bereich der Nichtigkeit von Prozeßhandlungen in Italien wenn überhaupt dann nur als Negativbeispiel gewirkt hat. Vielmehr hat sich hier im wesentlichen das gemeine Recht durchgesetzt. Auch Frankreich war auf die Dauer mit seinem sehr formalistischen Recht nicht zufrieden. Noch bevor der Gesetzgeber eingriff, versuchte man sich dadurch zu helfen, daß man sich wieder der Unterscheidung zwischen Essentialia und Förmlichkeiten besann. So sollte jede Prozeßhandlung auch ohne gesetzliche Anordnung nichtig sein, wenn ihr die wichtigsten Bestandteile fehlten. 147 Auf der anderen Seite näherte man sich entgegen Art. 1029 CPC 1806 wieder dem Grundsatz pas de nullite sans grief . 148 1933 reagierte der Gesetzgeber und strich einige zwingende Nichtigkeitsvorschriften, etwa im Art. 61 CPC 1806, für den Art. 1029 CPC 1806 fortan nicht mehr galt. Damit wurde der alte Grundsatz pas de nullite sans grief zu neuem Leben erweckt und 1935 in Art. 173 Abs. 1 CPC 1935 ausdrücklich wieder eingeführt. Der nouveau code de procedure civile ging diesen Weg wie gesehen konsequent weiter, so daß der Grundsatz pas de nullite sans grief heute wieder der wesentliche Unterschied zwischen Frankreich und Italien ist, wenn es um die Frage der Nichtigkeit von Prozeßhandlungen geht.

144 Relazione

s. 23.

145 Gönner,

ministeriale Nr. 41, BojTappari, Codice di procedura civile, Band 1,

Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses2 , Band 2, S. 115 f. ministeriale, Nr. 44, Bo/Tappari, Codice di procedura civile, Band 1,

146 Relazione

s. 26.

147 Morel, 148 Morel,

Procedure civile, Nr. 408, S. 442. Procedure civile, Nr. 409, S. 444.

134

C. Das Erkenntnisverfahren bb) Maßnahmen bei Nichtigkeit der citazione

Der heutige codice di procedura civile erklärte die citazione ursprünglich nur dann für nichtig, wenn sie nicht erkennen ließ, welches Rechtsverhältnis zwischen welchen Parteien bei welchem Gericht geltend gemacht werden sollte (Art. 164 c.p.c. 1940). Dies war sinnvoll, da dann kein Anspruch gerichtlich geltend gemacht worden war und die citazione ihre wichtigste Aufgabe, die editio actionis, 149 nicht erfüllen konnte. Trotzdem wurde die Nichtigkeit ex nunc geheilt, wenn sich der Beklagte auf die Klage einließ, indem er sich bei Gericht konstituierte. Andernfalls blieb dem Richter nichts anderes übrig, als die Nichtigkeit festzustellen und den Kläger aufzufordern, die Klageerhebung zu wiederholen (Art. 162 Abs. 2 c.p.c.). Damit war der Richter in seinem Verhalten abhängig von der Reaktion des Beklagten. Er hatte bis zur angesetzten mündlichen Verhandlung zu warten, ob sich der Beklagte vielleicht doch noch - verspätet - konstituierte (Art. 171 Abs. 2 c.p.c. 1940). Mit der Rückkehr zur Terminsbestimmung durch den Kläger trat eine wesentliche Änderung im System der Nichtigkeit ein. Von nun an war die citazione auch dann nichtig, wenn der Kläger vergessen hatte, den Termin für die Verhandlung zu bestimmen oder die Ladungsfrist zu kurz war (Art. 164 Abs. 1 c.p.c.). Damit konnte die Nichtigkeit sowohl in einem Fehler der editio actionis als auch der vocatio in ius liegen. 150 Doch wurde diesem Unterschied zunächst weder vom Gesetzgeber noch von der Rechtsprechung hinreichend Rechnung getragen. Zum einen trat nach dem klaren Gesetzeswortlaut die Heilung auch der Nichtigkeit wegen Unterschreitens der Ladungsfrist nur ex nunc ein, was eigentlich dem Grundprinzip des Art. 156 Abs. 3 c.p.c. widersprach, da die Ladung ihr Ziel erreicht hatte. 151 Zum anderen konnte die citazione nach der Rechtsprechung152 auch bei Fehlern der vocatio in ius zunächst keine Wirkungen entfalten. 153 Damit wurde von der allgemeinen Vorschrift des Art. 159 Abs. 3 c.p.c. kein Gebrauch gemacht, obwohl die editio actionis von dem Fehler der vocatio in ius überhaupt nicht betroffen war. Die citazione wurde vielmehr als umfassend nichtig angesehen. 154 Die Kehrtwende 149 Siehe

oben Fußnote 3, S. 106. Pisani, Nuova disciplina, S. 61. 151 Andrioli, Commento3 , c.p.c., Art. 164 Anm. li I, S. 15. 152 Cass. civ. vom 13. November 1990, Nr. 10946, Foro it. 1991 I, Sp. 775, 778. 153 Die citazione wurde lediglich umgedeutet (Art. 1424, 1324 c.c.; Art. 159 Abs. 3 c.p.c.), so daß ihr wie jeder schriftlichen Mahnung verjährungsunterbrechende Wirkung zukam (Art. 2943 Abs. 4, 1219 Abs. 1 c.c.). Dies gilt z.B. nicht für sogenannte diritti potestativi wie die Anfechtung eines Vertrages (Proto Pisani, Nuova disciplina, s. 62). 154 Die Folgen dieser Rechtsprechung zeigt die Entscheidung der Corte d'appello di Bari vom 9. März 1985, Riv. dir. civ. II, S. 541. Dort hatte der Berufungskläger die Ladungsfrist um einen Tag zu kurz bestimmt. Da sich der Berufungsbeklagte erst nach 150 Proto

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

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wurde erst durch die Einführung des ricorso im Arbeitsverfahren eingeleitet. Da der ricorso keine vocatio in ius enthält, trat auch bei der citazione die Trennung dieser FUnktionen wieder deutlicher ins Bewußtsein. Auch der Gesetzgeber hat dieser Trennung bei der jüngsten Reform Rechnung getragen und die Rechtsfolgen der Nichtigkeit wegen eines Mangels der vocatio in ius und der editio actionis differenziert geregelt. 155 Beruht die Nichtigkeit der citazione auf einem Mangel der vocatio in ius (Art. 164 Abs. 1 c.p.c.) und konstituiert sich der Beklagte nicht, weist der Richter den Kläger an, sie binnen einer Frist von bis zu sechs Monaten zu wiederholen (Art. 164 Abs. 2 S. 1, 307 Abs. 3 S. 2 c.p.c.), wodurch sie mit Wirkung ex tune geheilt wird (Art. 164 Abs. 2 S. 2 c.p.c.) . Im Ergebnis kann damit die citazione ihre materiellen Wirkungen trotz Nichtigkeit wegen mangelhafter vocatio in ius entfalten, wenn diese Mängel später beseitigt werden. Nur wenn der Kläger die citazione nicht erneuert, wird der Prozeß aus dem Register gestrichen und erlischt (Art. 164 Abs. 2 S. 3, 307 Abs. 3 S. 1 c.p.c.). Unbeantwortet bleibt aber die Frage, ob die citazione ihre prozessualen Wirkungen auch in der Schwebezeit entfalten kann, insbesondere die Rechtshängigkeit. 156 Hat der Kläger dagegen das geltend gemachte Recht nicht hinreichend bestimmt, führt dieser Mangel der editio actionis zur Nichtigkeit der citazione, die bei Wiederholung der Klageerhebung ex nunc geheilt werden kann (Art. 164 Abs. 4, 5 S. 2 c.p.c.). Insofern besteht kein Unterschied zum früheren Recht. Geändert hat sich dagegen die Rechtslage, wenn die Nichtigkeit der citazione durch die Konstituierung des Klägers geheilt wird. Da die Klageschrift, der die Bezeichnung des Streitgegenstandes fehlt, ihr materielles Ziel auch durch die Einlassung des Beklagten nicht erreicht, hat der Richter nun die Pflicht, bei Einlassung des Beklagten vom Kläger die Ergänzung des Klagvortrages zu verlangen, wodurch die Nichtigkeit ex nunc geheilt wird (Art. 164 Abs. 5 c.p.c. ). 157 Kommt der Kläger dieser Aufforderung nicht nach, wird der Prozeß aus dem Register gestrichen und erlischt, obwohl hier eine ausdrückliche Verweisung auf Art. 307 Abs. 3 S. 1 c.p.c. fehlt.158 Ablauf der Berufungsfrist konstituiert hatte, war die Berufung wegen Nicht igkeit der citazione unzulässig. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Corte d'appello wurden von der Corte costituzionale nicht geteilt. 155 Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 68; Mandrioli, Modifiche 2 , S. 55. 156 Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 72 plädiert für die Rechtshängigkeit nach der ersten Zustellung schon bei Gültigkeit der editio actionis, so daß der in der Zwischenzeit angerufene Richter die anderweitige Rechtshängigkeit zu erklären und die Streichung der Sache aus dem Register anzuordnen hätte (Art. 39 Abs. 1 c.p.c.) (Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 74, Fußnote 42). 157 Ähnliches gilt nun auch für nichtige Widerklagen. Hier hat der Richter im Vortermin die Ergänzung des Vortrags anzuordnen (Art. 167 Abs. 2, 180 Abs. 1 c.p.c.). 158 Tarzia, Lineamenti, S. 67; Proto Pisani, Nuova d isciplina, S. 71.

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C. Das Erkenntnisverfahren

Damit ist der Richter mehr als bisher in die Verfahrenseröffnung eingebunden und kann bei fehlerhaften Klagen und Widerklagen besser als bisher darauf hinwirken, daß der Prozeß zügig auf ein Sachurteil hin geführt wird. Dabei wirkt sich die Einführung des Vortermins vorteilhaft aus. Ursprünglich hätte der Richter bis zur ersten mündlichen Verhandlung im Sinne des Art. 183 c.p.c. warten müssen, um Wiederholung oder Ergänzung der Klageerhebung anzuordnen. Damit wäre es dem Richter nicht möglich gewesen, bereits im Vorfeld der Verhandlung zur Sache auf die Heilung der Klageerhebung hinzuwirken, sondern er hätte die Verhandlung vertagen müssen. Nun kann der Richter die Anordnungen zur Heilung der Klage und der Widerklage dagegen im Vortermin treffen (Art. 180 Abs. 1 c.p.c.), so daß der Prozeß seinen gewöhnlichen Gang nehmen kann und die Verhandlung in der Sache nicht beeinträchtigt wird. Zugleich treten hier aber auch die Schwächen der Terminierung durch den Kläger zutage. Denn nur, wenn der Termin vom Kläger bestimmt ist, kann die Klageerhebung wegen Unterschreitens der Ladefrist nichtig sein. Ein Vergleich dieser Regel ist daher nur möglich, soweit auch in anderen Ländern eine vergleichbare Verfahrenseröffnung stattfindet, nämlich vor dem tribunal d'instance in Frankreich (Art. 836 Abs. 1 Nr. 1 NCPC). Hat der Kläger dabei die fünfzehntägige Ladungsfrist (Art. 837 NCPC) nicht eingehalten und werden schon vor deren Ablauf weitere Prozeßhandlungen vorgenommen, sind diese Prozeßhandlungen nichtig. 159 Die assignation selbst leidet dagegen bloß an einem Formfehler, der nur dann zur Nichtigkeit führt, wenn der Beklagte dadurch einen Rechtsnachteil erleidet (Art. 114 Abs. 2 NCPC). 160 Dies wird regelmäßig nicht der Fall sein, wenn nicht vor Ablauf der Ladungsfrist verhandelt wird. Hat der Kläger die Frist zu kurz gesetzt, kann der Richter die Sache einfach auf einen späteren Zeitpunkt vertagen und den Beklagten davon informieren (Art. 841 S. 2 NCPC), ohne daß die Wirksamkeit der Klageerhebung durch die zu kurze Ladungsfrist betroffen würde. Damit geht das französische Recht über die Anwendung des Grundsatzes pas de nullite sans grief und die Verschiebung des Verhandlungstermins von Amts wegen einen wesentlich pragmatischeren Weg als das italienische. Im deutschen Recht, das keine ausdrücklichen Regelungen über die Nichtigkeit der Klageerhebung kennt, führen Mängel in der Klageerhebung, zum Beispiel das Stellen eines wegen Unbestimmtheit unzulässigen Antrags, zur Abweisung der Klage durch Prozeßurteil und damit zum Ende des Rechtsstreits. Allerdings sind Mängel der Klageschrift bis zum Ende der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz heilbar,161 wozu es 159 Solus/

160 Solusj

16 1 BGH,

Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 182, S. 185. Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 182, S. 186. ZZP 71 (1958), S. 478.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

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aber nicht einer vollständigen Wiederholung der Klageerhebung bedarf, sondern nur der nachträglichen Berichtigung. Außerdem hat der Richter gemäß § 139 ZPO darauf hinzuwirken, daß der Kläger seinen Antrag entsprechend präzisiert oder auch fehlerhafte Parteiangaben berichtigt. 162 Allerdings stellt sich auch im deutschen Recht die Frage, ob die fehlerhafte Klage, die im Laufe des Prozesses berichtigt wird, ihre prozessualen und materiellen Wirkungen ex tune oder ex nunc entfaltet. Dies läßt sich exemplarisch am Beispiel der Unterbrechung der Verjährung verdeutlichen (§ 209 Abs. 1 BGB). Hier wird ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung zwischen einer unzulässigen und einer unwirksamen Klage unterschieden. Während auch die unzulässige Klage die Verjährung unterbricht,163 kann eine unwirksame Klage diese Wirkung nicht entfalten. 164 Dies ist insbesondere bei fehlender Individualisierung des Streitgegenstandes der Fall,165 also bei Fehlern, die nach italienischer Terminologie der editio actionis zuzurechnen sind. Wie in Italien soll auch in Deutschland eine Heilung bei derartigen Fehlern nur mit Wirkung ex nunc möglich sein. 166 Ist die Klage dagegen nicht unwirksam, sondern nur unzulässig, kommt eine Heilung mit Wirkung ex tune in Betracht, die auch durch die rügelose Einlassung des Beklagten gemäߧ 295 ZPO erfolgen kann, soweit die Verfahrensvorschrift nicht auch öffentlichem Interesse dient. 167 b) Die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Neben diesen Möglichkeiten, schon im Vorfeld der mündlichen Verhandlung in der Sache auf eine Komplettierung der Angaben des Klägers und gegebenenfalls des Widerklägers hinzuwirken, sind aus der Sicht des Richters die Maßnahmen von besonderem Interesse, die er zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung ergreifen kann (vorbereitende Maßnahmen). 168 Hier fällt es jedoch schwer, sich am italienischen Recht zu orientieren, da es dort solche vorbereitenden Maßnahmen bis heute kaum gibt. Es herrscht vielmehr der Grundsatz, den Stein mit Blick auf den deutschen Zivilprozeß zur Zeit der Amtsgerichtsnovelle von 1909 mit den Worten umschrieben hat:"Die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung obliegt in: Zöller 20 , ZPO, § 139 Rdnr. 10, 10 c. ergibt sich aus § 212 Abs. 1, 2 S. 1 BGB, wonach die Verjährung als durch eine als unzulässig abgewiesene Klage unterbrochen gilt, wenn der Kläger binnen sechs Monaten eine zulässige Klage erhebt (vgl. Heinrichs, in: Palandt 56 , BGB § 209 Rdnr. 5) . 164 Heinrichs , in: Palandt 56 , BGB § 209 Rdnr. 4. 165 Pantle, Praxis des Zivilprozesses2 , Rdnr. 126. 166 Vgl. BGHZ 22, 254, 257, zur Einhaltung einer gesetzlichen Klagefrist. 167 Greger, in: Zöller 2 0, ZPO, § 295 Rdnr. 4. 168 Davon zu unterscheiden sind Möglichkeiten der Parteien, schon vor Beginn des Verfahrens insbesondere Maßnahmen zur Beweissicherung zu ergreifen (Art. 696 c.p.c.; § 485 Abs. 1 ZPO; § 384 öZPO; Art. 145 NCPC). Sie bleiben hier unberücksichtigt. 162 Greger, 163 Dies

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C. Das Erkenntnisverfahren

den Parteien." 169 Dieser Grundsatz stammte aus einer Zeit, als man die neu eingeführte Mündlichkeit der Streitverhandlung und ein damit verbundenes "persönliches Näherrücken von Richtern und Parteien" 170 für das Allheilmittel des Gerichtsverfahrens hielt. 171 An diesem Zustand wollte vor allem Chiovenda etwas ändern, der in Anlehnung an § 501 ZPO 1909 die Erledigung des Rechtsstreits in einem Termin zur Regel machen und dem Richter in einer Generalklausel die Befugnis für die erforderlichen vorbereitenden Maßnahmen übertragen wollte (Art. 32). Leider blieb er mit diesem Vorschlag erfolglos, so daß die unzureichende Vorbereitung der mündlichen Verhandlung lange Zeit zu den großen Schwächen des italienischen Verfahrens gehörte.172 Schuld daran war der äußere Verfahrensablauf. Um vorbereitende Maßnahmen ergreifen zu können, ist der Richter darauf angewiesen, daß ihm rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung die vorbereitenden Schriftsätze beider Parteien zur Verfügung stehen 173 und die "Karten auf dem Tisch liegen" .174 Nach bisherigem Recht war es jedoch sanktionslos möglich (Art. 171 Abs. 2 c.p.c. a.F.) und daher gängige Praxis, daß sich der Beklagte erst in der mündlichen Verhandlung konstituierte und seine Klageerwiderung übergab, so daß der Richter vor der Verhandlung den Sach- und Streitstand nicht kannte. Proto Pisani wollte diesem Mißstand dadurch begegnen, daß der Richter die erste mündliche Verhandlung direkt nach der Übergabe der Schriftsätze verschieben (Art. 175 Abs. 2 c.p.c.) und eine schriftliche Vorbereitung der mündlichen Verhandlung nach Art. 180 Abs. 1 S. 2 c.p.c., 83 bis disp. att. c.p.c. anordnen sollte. 175 Dieser Vorschlag wurde in ähnlicher Weise wieder aufgegriffen von Tarzia,176 der in seinem Entwurf (Art. 180) die prima udienza di comparizione zu einem reinen Vortermin machen wollte, den es in Österreich, Frankreich und nach österreichischem Vorbild seit 1984 auch in Spanien im juicio de menor cuantia gibt (Art. 691 ff. LEC). 177 169Stein 10 , ZPO, § 501 Anm. I. 170Die Formulierung findet sich in den ständischen Motiven zu § 228 der hannoverschen Prozeßordnung von 1847, Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 233. 171 V gl. beispielsweise die Regierungsmotive zur hannoverschen Prozeßordnung von 1850, Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 335. 172 Montesano, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell' Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 86. 173 Stein 1o, ZPO, § 501 Anm. I. 174 Proto Pisani, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 34. 175 Proto Pisani, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 34. 176 Tarzia, Foro pad. 1986 li, Sp. 81. 177 Vgl. Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 147; Tarzia, Foro pad. 1986 II, Sp. 82.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

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Der Gesetzgeber ging zunächst aber einen anderen Weg. So sollte der Beklagte nach der ursprünglich vom Parlament beschlossenen Fassung der provvedimenti urgenti seine Klageerwiderung in jedem Fall zwanzig Tage vor dem in der citazione angegebenen Datum einreichen müssen, auch wenn der Richter den Verhandlungstermin verschob (Art. 168 bis Abs. 5 S. 3 c.p.c. 1990). Damit wäre die Einlassungsfrist des Beklagten erstmals vom Termin zur mündlichen Verhandlung unabhängig gewesen. Der Richter hätte dadurch genügend Zeit gehabt, das Vorbringen beider Parteien vor dem Termin gründlich zu lesen und vorbereitende Maßnahmen zu ergreifen. 178 Dagegen hat es die Reform trotz der großen Bedeutung der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung 179 versäumt, diesen Raum auch sinnvoll zu nutzen. Der Richter hätte weder die Parteien auffordern können, zu bestimmten Fragen schriftsätzlich vor der Verhandlung Stellung zu nehmen, noch hätte er Zeugen zum ersten Termin laden oder gar einen Beweisbeschluß fassen können. Außerdem war die Pflicht der Parteien, schon in der citazione und der Klageerwiderung ihre Beweismittel zu benennen (Art. 163 Abs. 3 Nr. 5, 167 Abs. 1 c.p.c.), auch nach der Reform von 1990 im ordentlichen Erkenntnisverfahren bewußt sanktionslos geblieben. 180 So kann es nicht verwundern, daß die Reform auf herbe Kritik stieß. Vor allem die Anwälte waren besorgt, daß sie zur Vermeidung möglicher Präklusionen, deren genaue Tragweite noch niemand kennt (Art. 167 Abs. 2 c.p.c. 1990), 181 binnen relativ kurzer Zeit eine umfassende Klageerwiderung liefern müßten. Diese Kritik ist zumindest insofern verständlich, als dem Richter die Befugnis gefehlt hätte, die Klageerwiderungsfrist bei umfangreichen Prozessen angemessen zu verlängern. Im übrigen war die Einlassungsfrist des Beklagten von vierzig Tagen 182 nicht zu knapp bemessen. Selbst wenn man berücksichtigt, daß der Beklagte zur Vorbereitung seiner Klageerwiderung eventuell auf Dokumente zurückgreifen muß, die der Kläger erst binnen der ihm zustehenden Konstituierungsfrist von zehn Tagen bei Gericht hinterlegt (Art. 165 c.p.c.), so wäre ihm immer noch ein Monat Zeit geblieben, was jedem internationalen Vergleich standhält.l 83 178 Ricci, in: Commentario breve (appendice di aggiornamento ), c.p.c., Art. 168 bis Rdnr. 4. 179 Taru[fo, Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 71. 180 Siehe dazu und zur abweichenden Regelung im Arbeitsverfahren unten C.III.3.d.aa.(2), S. 210. 181 Siehe dazu ausführlich unten C.III.3.d.aa.(3), S. 210. 182 Die Frist von vierzig Tagen ergibt sich aus der Ladungsfrist von sechzig Tagen (Art. 163 bis Abs. 1 c.p.c.), von der die zwanzig Tage abzuziehen sind, die sich der Beklagte vor dem in der citazione angegebenen Termin zu konstituieren gehabt hätte (Art. 166 c.p.c. 1990). 183 So beträgt die Frist in Deutschland mindestens vier Wochen(§ 276 Abs. 1 S. 2 ZPO),

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C. Das Erkenntnisverfahren

Eine besondere Benachteiligung des Beklagten sahen die Kritiker darin, daß die Frist zur Konstituierung bei Gericht auch dann gelten sollte, wenn die mündliche Verhandlung um Wochen oder gar Monate verschoben wurde.184 Denn die unter Umständen lange Zeit zwischen der Klageerwiderung und der mündlichen Verhandlung wäre mangels richterlicher Befugnisse zum Ergreifen vorbereitender Maßnahmen nur der Vorbereitung des Klägers auf die mündliche Verhandlung zugute gekommen, der sowieso schon viel mehr Zeit für die Klageschrift hat als der Beklagte für seine Klageerwiderung. In dieselbe Richtung geht auch die Kritik von Chiarloni, der nicht verstehen konnte, warum Präklusionen, 185 die einen schnellen Prozeßverlauf garantieren sollen, auch dann wirken sollten, wenn die Verhandlung um Monate verschoben würde. 186 Doch setzte die Kritik meines Erachtens an der falschen Stelle an. Ihr ist zuzugeben, daß angesichts der fehlenden richterlichen Befugnisse im Vorfeld der mündlichen Verhandlung der Zeitraum bis zum Termin tatsächlich wie ein leerer Raum wirkte, der höchstens dem Kläger zur Verfügung gestanden hätte. Daher wäre es sinnvoll gewesen, diesen Raum für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung durch den Richter zu nutzen. Dazu wäre es entgegen der Kritik von Chiarloni auch sinnvoll gewesen, den Beklagten mit dem Mittel der Präklusion zu einer Klageerwiderung lange vor der mündlichen Verhandlung zu zwingen. Denn nur so wäre eine Aufbereitung des Prozeßstoffs durch weitere Schriftsätze möglich gewesen. Der Ministerrat der letzten Regierung Ciampi hat die Kritiker jedoch erhört und 1994 die provvedimenti urgenti noch vor ihrem Inkrafttreten durch ein Gesetzes-Dekret geändert. 187 Dabei wurde in Art. 166 c.p.c. der Zusatz eingefügt, daß sich die Frist von zwanzig Tagen auf den vom Richter bestimmten Termin bezieht, wenn die Verhandlung nach Art. 168 bis Abs. 5 S. 1 c.p.c. verschoben wird (Art. 1 G.-D. 105/1994). Konsequenterweise wurde Art. 168 bis Abs. 5 S. 3 c.p.c. 1990 gestrichen, wonach sich auch die Präklusionen auf den ursprünglichen Verhandlungstermin beziehen sollten (Art. 2 G.-D. 105/1994). Damit hatte der Gesetzgeber viel Substanz aus der ursprünglichen Reform herausgenommen. Sollte die Möglichkeit, die erste Verhandlung zu verschieben, ursprünglich dem Richin Österreich höchstens vier Wochen (§ 243 Abs. 1 S. 1 öZPO). Die fünfzehntägige Frist, binnen derer der Beklagte in Frankreich einen Anwalt zu konstituieren hat (Art. 755 NCPC), kann dagegen nicht zum Vergleich herangezogen werden, da mit der Konstituierung des Anwalts nach wie vor keine inhaltliche Klageerwiderung verbunden ist (vgl. oben C.ll.l.c.ee), S. 128). Die Konstituierung des Anwalts ist damit funktionell mit der Verteidigungsanzeige nach § 276 Abs. 1 S. 1 ZPO zu vergleichen. 184 Nanni, in: VerdejNanni, c.p.c., Art. 168 bis; disp. att. Art. 82 Anm. 7, S. 57; Tarzia, Lineamenti, S. 74. 185 Siehe unten C.III.J.d), S. 205. 186 Chiarloni, Riv. dir. proc. 1991, S. 684. 187Siehe oben Fußnote 286, S. 58.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

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ter und seiner inhaltlichen Vorbereitung auf den Prozeß dienen, 188 hätte sich der Beklagte nach alter Gewohnheit so spät wie möglich konstituieren können, also zwanzig Tage vor der mündlichen Verhandlung, ganz gleich, wann diese terminiert würde. Damit wäre jede Verschiebung des Termins nicht mehr dem Richter zugute gekommen, der die Klageerwiderung so oder so erst knapp drei Wochen vor dem Termin zu lesen bekommen hätte, sondern dem Beklagten. Der Gesetzgeber war wie so häufig von einem Extrem ins andere gefallen und hatte den Zeitraum bis zur mündlichen Verhandlung, der eigentlich dem Richter zur Verfügung stehen sollte, aber faktisch ungenutzt geblieben wäre, dem Beklagten übertragen. Auch wenn der Richter die Akten dann noch lesen könnte, wäre für vorbereitende Maßnahmen kein Raum mehr gewesen. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber seinen Fehlgriff kurz nach Inkrafttreten der Reform zu beheben versucht und unter maßgeblichem Einfluß von Tarzia und der von ihm geleiteten Reformkommission 189 einen echten Vortermin eingeführt. 190 Durch die Einführung dieses Vortermins steht nun wieder Zeit bis zur Verhandlung in der Sache zur Verfügung, die für vorbereitende Maßnahmen genutzt werden könnte. Doch bleibt dieser Zeitraum auch nach dem letzten Stand der Dinge jedenfalls für richterliche Maßnahmen weitgehend ungenutzt. Nach Art. 180 Abs. 2 S. 2 c.p.c. setzt der Richter dem Beklagten im Vortermin lediglich eine Ausschlußfrist für die Erhebung aller nicht von Amts wegen zu berücksichtigenden Einreden, die ursprünglich schon in der Klageerwiderung anzugeben waren (Art. 167 Abs. 2 c.p.c. 1990) und nun mit der Novelle von 1995 hierher verlagert wurden. 191 Im übrigen kann er lediglich auf Antrag der Parteien den Austausch weiterer Schriftsätze zulassen (Art. 180 Abs. 2 S. 1, 170 Abs. 4 c.p.c.) und dabei den äußeren Ablauf regeln, welche Partei als erste vorzutragen hat (Art. 83 bis c.p.c.). 192 Die Befugnis, die Parteien dabei aufzufordern, zu bestimmten Streitpunkten Stellung zu nehmen, wie dies der deutsche Richter kann (§ 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), sucht man hier aber genauso vergeblich wie im Entwurf von Tarzia (Art. 180 Abs. 3), der 188 Relazione der Berichterstatter Acone und Lipari der 2. ständigen Kommission (Justiz) des Senats der Republik, S. 13. 189 Vgl. Lanfranchi, Giur. it. 1996 IV, Sp. 162. 190 Vgl. auch Tarzia, Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 367. Bemerkenswert ist, daß Tarzia, Lineamenti, S. 80 f., den Vortermin sogar in Hinblick auf die Reform in der Fassung von 1990 für anwendbar hielt. 191 Im Gegensatz zur Klageerwiderungsfrist nach Art. 166 c.p.c. hängt die Länge dieser Frist nicht von der Terminierung der Verhandlung in der Sache ab, sondern kann vom Richter nach seinem Ermessen bestimmt werden. Dabei hat er lediglich zu beachten, daß die Frist mindestens 20 Tage vor dem Verhandlungstermin endet (Art. 180 Abs. 2 S. 2 c.p.c.), damit sie dem Kläger noch rechtzeitig zugeht. 192 Die Vorschrift, die noch auf Art. 180 Abs. 1 c.p.c. a.F. verweist und bei der Novelle von 1995 nicht angepaßt wurde, dürfte auch weiterhin anwendbar sein.

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C. Das Erkenntnisverfahren

großen Wert auf die ausreichende Vorbereitung der mündlichen Verhandlung gelegt hatte. Diese Befugnis läßt sich auch nicht aus der Generalklausel des Art. 175 Abs. 1 c.p.c. ableiten, da der Instruktionsrichter von sich aus grundsätzlich keine Ausschlußfristen ( termini perentorii) setzen kann (Art. 152 Abs. 1 c.p.c.) 193 wie zum Beispiel der deutsche Richter. 194 Auch die vorsorgliche Ladung von Zeugen ist im neuen Gesetz nicht vorgesehen. Sie war nur im Entwurf von Chiovenda enthalten (Art. 32) 195 und fehlte bereits im Entwurf von Carnelutti. 196 Denn in Italien sind große Bedenken spürbar, der Richter könne durch vorbereitende Maßnahmen, die noch vor Anhörung der Parteien in der mündlichen Verhandlung ergehen, seine Neutralität verlieren und zugunsten einer Partei voreingenommen sein. Dies gilt insbesondere bei der vorsorglichen Ladung eines Zeugen, mit der der Richter zumindest andeutet, daß er über die Zulässigkeit und Erheblichkeit der Vernehmung inauditis partibus faktisch vorweg entscheidet. Mißlich ist auch, daß der Richter den Verhandlungstermin in der Sache bereits im Vortermin bestimmen muß und nicht warten kann, bis der Rechtsstreit durch die Schriftsätze der Parteien nach seiner Überzeugung ausreichend aufbereitet ist. Doch sollen ihm im Gegensatz zu früher bei der Terminierung die Klageschrift und die Klageerwiderung vorliegen, so daß er den Umfang des Rechtsstreits überschauen kann. Abzuwarten bleibt, ob er den Termin nachträglich nach Art. 175 Abs. 2 c.p.c. ändern kann. Befugnisse des Richters, vor der mündlichen Verhandlung vorbereitende Maßnahmen zu ergreifen, gibt es bis heute ausdrücklich nur in Deutschland, wo seit der Vereinfachungsnovelle von 1976 der Rechtsstreit "in der Regel in einem umfassend vorbereiteten Termin zur mündlichen Verhandlung (Haupttermin) zu erledigen" ist (§ 272 Abs. 1 ZPO), egal ob der 193 Cappelletti, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974) , S. 92. 194 §§ 273 Abs. 2 Nr. 1, 275 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 4, 276 Abs. 3, 277 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 1 ZPO. Vgl. auch Stürner/Stadler, Aktive Rolle des Richters, S. 185. 195 Danach konnte der Richter Zeugen vorsorglich laden, wenn der Termin zur Verhandlung in der Sache bestimmt war (Art. 28). 196 Nach diesem Entwurf sollte zunächst eine erste Verhandlung (prima udienza di istruzione) vor dem Gerichtspräsidenten zur Abgabe der Verteidigungsanzeige und der Erhebung prozessualer Einreden stattfinden (Art. 211 Abs. 2) . Durch Beschluß sollte der Richter dann den äußeren Rahmen des nachfolgenden Schriftsatzwechsels festlegen und den Termin zur zweiten Verhandlung vor der Kammer (seconda udienza di istruzione ) bestimmen (Art. 218 Abs. 1). Der Schriftsatzwechsel sollte jedoch grundsät zlich ohne Beteiligung des Richters durchgeführt werden (Art. 220 Abs. 1), der nur bei etwaigen Schwierigkeiten die notwendigen Maßnahmen ergreifen sollte (Art. 222). Der Kammer sollten diese Schriftsätze erst im Termin zur zweiten mündlichen Verhandlung zusammen mit den Beweisanträgen der Parteien vorgelegt werden (Art. 223 Abs. 2). Sollten z.B. Zeugen vernommen werden, mußte erst ein Beweisbeschluß (Art. 224 Abs. 1) ergehen, mit dem der Termin für die Beweisaufnahme bestimmt werden sollte (Art. 230). Damit war eine gerichtliche Vorbereit ung der Beweisaufnahme schon zur ersten Verhandlung vor der Kammer ausgeschlossen.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

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Richter einen frühen ersten Termin bestimmt oder das schriftliche Vorverfahren anordnet (§ 272 Abs. 2 ZPO). Zunächst war 1909 für den Amtsrichter die Befugnis eingeführt worden, nach seinem Ermessen vorbereitende Maßnahmen zu ergreifen (§ 501 ZPO 1909). 197 1924 wurde die Vorschrift auch auf das landgerichtliche Verfahren übertragen, wobei der Richter nun verpflichtet wurde, vorbereitende Maßnahmen zu ergreifen (§ 272 b ZPO 1924). Mit der Vereinfachungsnovelle wurden die vorbereitenden Maßnahmen noch weiter ausgebaut (§§ 273 Abs. 2, 358 a ZPO). In Österreich können sich vorbereitende Maßnahmen per se nur auf die mündliche Streitverhandlung im Sinne des § 244 öZPO beziehen, da die erste Tagsatzung nicht zur Verhandlung in der Sache bestimmt ist (§§ 239 f. öZPO). Da die erste Tagsatzung früher im Verfahren vor dem Gerichtshof erster Instanz zwingend vorgeschrieben war, waren gerichtliche Maßnahmen vor Beginn der mündlichen Verhandlung also gar nicht denkbar. Für vorbereitende Maßnahmen im oben definierten Sinne war also nur Platz im bezirksgerichtliehen Verfahren, wo die erste Tagsatzung regelmäßig zugleich der mündlichen Streitverhandlung dient (§ 440 Abs. 1 öZPO). Seit der Zivilverfahrens-Novelle von 1983 ist aber auch im Gerichtshofverfahren die erste Tagsatzung nicht mehr zwingend vorgeschrieben(§ 243 Abs. 4 öZPO), so daß auch hier Platz ist für vorbereitende Maßnahmen. Im übrigen sollen nach dem Gebot des funktionellen Vergleichs auch solche Maßnahmen berücksichtigt werden, die erst nach der ersten Tagsatzung zur Vorbereitung der mündlichen Streitverhandlung getroffen werden. 198 Gleiches gilt auch für Frankreich, wo das Verfahren vor dem tribunal de grande instance mit der Verhandlung vor dem Kammervorsitzenden beginnt (Art. 759 NCPC). Hier kommen nur vorbereitende Maßnahmen des juge de la mise en etat in Betracht. Das Verfahren vor dem tribunal d'instance läßt dagegen keinen Raum für vorbereitende Maßnahmen, da hier die vom Kläger bestimmte Ladungsfrist zu kurz ist. Im folgenden soll unter Beachtung dieser unterschiedlichen Verfahrensabläufe untersucht werden, inwieweit der Richter auf Maßnahmen zurückgreifen kann, die den wichtigsten vorbereitenden Maßnahmen nach deutschen Recht entsprechen. aa)

Anordnung des persönlichen Erscheinens

Dies.ist zunächst die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien zur mündlichen Verhandlung, die inzwischen Bestandteil aller hier ZPO, § 501 Anm. III. Vgl. Klein/ Engel, Der Zivilprozeß Oesterreichs, S. 177.

197 Stein 10 , 198

144

C. Das Erkenntnisverfahren

untersuchten Rechtsordnungen ist. 199 Historisch gesehen ist dies jedoch keine Selbstverständlichkeit. So hatte der Richter im gemeinen Prozeß keine Befugnis, das persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen.200 In Frankreich konnte der Richter dagegen schon seit 1806 das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen (Art. 119 CPC 1806), während die ordonnance civile nur die förmliche Parteivernehmung (interrogatoire sur faits et articles) (Titel X, Art. 1 ff; Art. 324 ff. CPC 1806) kannte. 201 Diese Regelung des persönlichen Erscheinens wurde auch in Deutschland übernommen, etwa in Art. 76 westphPrO, der in seiner französischen Fassung mit Art. 119 CPC 1806 wörtlich übereinstimmte. Obwohl auch andere Partikulargesetze und Entwürfe die Befugnis zur Anordnung des persönlichen Erscheinens enthielten, 202 hatte der Regierungsentwurf der deutschen Zivilprozeßordnung noch auf diese Befugnis des Richters verzichten wollen, da ein solcher Eingriff in die persönliche Freiheit durch deren praktischen Nutzen nicht gerechtfertigt würde. 203 Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Befugnis zur Anordnung des persönlichen Erscheinens zwar ins Gesetz aufgenommen (§ 132 ZPO 1877), doch dauerte es lange Zeit, bis die Praxis von der Befugnis so regen Gebrauch machte wie heute, was auf eine langsame Abkehr vom liberalistischen Prozeßverständnis schließen läßt. 204 In Italien konnte der Richter außer im förmlichen Verfahren vor dem tribunale di commercio (Art. 401 c.p.c. 1865) das persönliche Erscheinen der Parteien bis weit in unser Jahrhundert nicht anordnen. 205 So ist es zu verstehen, daß die Einführung dieser Befugnis (Art. 117 c.p.c. 1940) als eine der wichtigsten Neuerungen des codice von 1940 bezeichnet wurde.206 Wie anfangs in Deutschland, so wurde diese aber auch dort von der Praxis zunächst stiefmütterlich behandelt. Dies lag zum einen an dem äußeren Rahmen der Verhandlung, der dem Richter keine Chance ließ, die Parteien überhaupt zu befragen, 207 und zum anderen an dem ungewissen Beweiswert der Aussagen. 208 Aus dieser Erfahrung heraus hat der Gesetzgeber zunächst bei der Reform des Arbeitsverfahrens von 1973 199 Art. 117 c.p.c.; Art. 184, 767 Abs. 1 NCPC; §§ 141 Abs. 1 S. 1, 273 Abs. 2 Nr. 3 ZPO; § 183 Abs. 1 Nr. 1 öZPO. 200 Dahlmanns, Strukturwandel, S. 24 = Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 20, m.w.N in Fußnote 64. 201 Morel, Procerlure civile, Nr. 507, S. 543. Vgl. dazu ausführlich C.IV.2.e) , S. 294. 202 Vgl. etwa § 28 Abs. 1 hanPrO 1847, gleichlautend mit § 66 Abs. 1 hanPrO 1850, § 263 Abs. 1 des preußischen Entwurfs von 1864 und Art. 155 bayPrO 1869. 203 Begründung zu § 126 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung 2 , Band 1, S. 215. 204 Vgl. Wassennann, Der soziale Zivilprozeß, S. 123 f. 20 5 Chiovenda , Principii 3 , S. 730. 206 Relazione , Nr. 29, abgedruckt bei Franchi/Feroci, Nuovo codice di procedura civile3 , S. LI. 207 Siehe dazu unten C.III.2.c.aa), S. 166. 208 Siehe dazu unten C.III.2.c.bb), S. 168.

II. Die Stellung des Richters vor der mündlichen Verhandlung

145

(Art. 420 Abs. 1 c.p.c.) und nun auch im ordentlichen Erkenntnisverfahren die persönliche Anwesenheit der Parteien in der ersten mündlichen Verhandlung zwingend vorgeschrieben (Art. 183 Abs. 1 c.p.c.), weshalb eine gesonderte Anordnung des Erscheinens inzwischen nicht mehr nötig ist. Ob diese zwingende Anordnung jedoch die richtige Antwort auf die bisherige Praxis ist, ist mehr als fraglich. 209 Auch wenn die persönliche Anwesenheit der Parteien bei einem Vergleichsversuch häufig hilfreich ist,2 10 erscheint es doch überzogen und nur vor dem Hintergrund der praktischen Erfahrungen der Vergangenheit als Gegenbewegung verständlich, das persönliche Erscheinen nun zwingend vorzuschreiben. Andererseits wird hier ein typischer Hang des Gesetzgebers deutlich, den Ablauf des Verfahrens möglichst im vorraus zu bestimmen und zu reglementieren. Dem Richter wird dadurch jedoch der nötige Freiraum genommen, das Verfahren dem Einzelfall anzupassen. 211 bb)

Vorbereitung der Beweisaufnahme

Von besonderer praktischer Bedeutung sind die Möglichkeiten des Richters, schon zur ersten mündlichen Verhandlung Beweismittel herbeizuschaffen und insbesondere Zeugen zu laden, wenn nach Eingang der Klageerwiderung abzusehen ist, inwieweit das entscheidungserhebliche Vorbringen bestritten wird. Diese Möglichkeit hat der deutsche Amtsrichter seit der Amtsgerichtsnovelle (§ 501 Abs. 2 Nr. 4 ZPO 1909) und der Richter am Landgericht seit 1924 (§ 272 b Abs. 2 Nr. 4 ZPO 1924). Heute kann jeder Richter nach § 273 Abs. 2 Nr. 4 ZPO Zeugen und Sachverständige zum ersten Termin laden und den Zeugen seit der Novelle von 1990 die Vorbereitung ihrer Aussage nach § 378 ZPO aufgeben. Auch in Österreich besteht eine vergleichbare Befugnis in § 183 Abs. 1 Nr. 4 öZPO, wonach der Vorsitzende zur Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung Zeugen vorsorglich laden kann. In Frankreich sind vorbereitende Maßnahmen zur Beweisaufnahme nach Art. 144 NCPC möglich, wonach in jeder Verfahrenslage die Beweiserhebung angeordnet werden kann, sobald der Rechtsstreit anhängig gemacht worden ist. 212 Für das Verfahren vor dem tribunal de grande instance bedeutet dies, daß der juge de la mise en etat als Herr über den äußeren Ablauf des Beweisverfahrens die erste Verhandlung in der Sache selbst terminieren und zum Beispiel Zeugen schon zu dieser Verhandlung laden kann. 209 Zweifelnd

21

z.B. Tarzia, Riv. dir. proc. 1989, S. 126; Tarzia, Lineamenti, S. 82.

°Chiarloni , Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 171.

211

212

Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 165. Vincentj Guinchard , Procedure civile 23 , Rdnr. 1048.

10 Piekenbrock

146

C. Das Erkenntnisverfahren cc)

Beweisaufnahme vor der mündlichen Verhandlung

Zusätzlich kann inzwischen auch ein Beweisbeschluß vor der mündlichen Verhandlung ergehen und ausnahmsweise auch die Beweisaufnahme durchgeführt werden, sofern diese in der mündlichen Verhandlung nicht möglich ist(§ 358 a ZPO). Diese Maßnahmen ergänzen die vorbereitenden Maßnahmen nach§ 273 ZP0. 213 Wohnt zum Beispiel ein Zeuge weit vom Verhandlungsort entfernt, kann der Richter statt der Ladung nach § 273 Abs. 2 Nr. 4 ZPO auch schon vor der ersten mündlichen Verhandlung die kommissarische Vernehmung des Zeugen durch einen ersuchten Richter anordnen (§ 358 a Nr. 1 ZPO), damit die Zeugenaussage im Termin vorliegt.214 Auch kann die Begutachtung durch einen Sachverständigen schon vor dem Termin angeordnet werden (§ 358 a Nr. 4 ZPO), wenn allein die Ladung des Sachverständigen nach§ 273 Abs. 2 Nr. 4 ZPO ohne vorherige Ausarbeitung eines Gutachtens nicht sinnvoll ist. Alle diese Maßnahmen bieten sich vor allem dann an, wenn kein früher erster Termin bestimmt wird, doch können sie auch schon vor dem frühen ersten Termin ergriffen werden. In den übrigen Ländern sind solche Möglichkeiten zur Beweisaufnahme noch vor der ersten mündlichen Verhandlung dagegen nicht ausdrücklich zu finden. In Frankreich ist allerdings nach der Generalklausel des Art. 144 NCPC eine Entscheidung über die Beweisaufnahme auch schon vor der ersten Verhandlung vor dem juge de la mise en etat möglich, da sie in jeder Verfahrenslage getroffen werden kann. In Italien ist der Beweisbeschluß dagegen ausdrücklich erst nach der ersten mündlichen Verhandlung möglich. 215 Auch in Österreich sind Beweisbeschlüsse (§ 277 öZPO) generell erst dann zu fassen, wenn bereits mündlich verhandelt worden ist.216 III.

Die Stellung des Richters bei der trattazione

Wie gesehen, steht im Mittelpunkt der trattazione die erste mündliche Verhandlung in der Sache [C.III.l.], die das Herzstück des gesamten Verfahrens sein soll. Zugleich entscheidet sich hier, ob das ganze Verfahren einen schriftlichen oder mündlichen Charakter hat. Zu diesem Zweck sollen zunächst einige terminologische, historische und systematische Vorüberlegungen angestellt werden. Anschließend werden die konkreten Aufgaben 2 13 Hartmann,

NJW 1978, S. 1460, 1463. wie in den übrigen Fällen des§ 358 a ZPO sei aber darauf hingewiesen, daß für den Beweisbeschluß nicht allein der Vorsitzende zuständig ist, sondern das erkennende Gericht ( Greger, in: Zö!!er 20 , ZPO, § 358 a Rdnr. 2). 215 Siehe oben C.I.2., S. 112. 216 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 907. 214 Hier

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

147

des Richters in der mündlichen Verhandlung genauer untersucht (C.III.2.]. Da für die richterliche Verfahrensleitung die Kooperation mit den Parteien unerläßlich ist, wird auch der Frage nachgegangen, wie sichergestellt wird, daß diese rechtzeitig substantiiert vortragen und zum Termin erscheinen [C.III.3.). Weiterhin wird dargestellt, inwieweit der Richter den Prozeßstoff ordnen kann, wenn etwa seine Zuständigkeit fraglich ist [C.III.4.]. Dabei geht es auch um die Frage, ob Zwischenentscheidungen Rechtsmitteln unterliegen und ob diese suspensive Wirkung haben. Abschließend wird den - speziell in Italien interessanten - Befugnissen des Richters nachgegangen, von sich aus Dritte am Prozeß zu beteiligen [C.III.5.). 1.

Die mündliche Verhandlung

Die hier untersuchten Verfahrensordnungen gehen alle davon aus, daß der Rechtsstreit mündlich verhandelt wird, 217 was historisch alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. So fand der ordentliche Prozeß in Österreich noch im letzten Jahrhundert rein schriftlich statt, ohne daß es zu einer mündlichen Verhandlung im Laufe des Verfahrens kam (§ 15 öAGO; § 16 S. 1 HS. 2 WGO). In Deutschland und Italien war dagegen zu dieser Zeit eine Kombination aus schriftlichem und mündlichem Verfahren weit verbreitet, bei der sich an das schriftliche Verfahren eine mündliche Schlußverhandlung218 anschloß. 219 So konnte zum Beispiel nach der badischen Prozeßordnung von 1832 der Rechtsstreit zunächst bis zum Beweisinterlokut (§ 393 badPrO 1832) schriftlich verhandelt werden (§ 216 badPrO 1832). Nach Abschluß der Beweisaufnahme war- jedenfalls in Verfahren vor den Kollegialgerichten- immer noch eine mündliche Schlußverhandlung durchzuführen (§ 1112 badPrO 1832).220 Auch in Italien folgte dem schriftlichen Instruktionsverfahren (Art. 162 Abs. 1, 176 Abs. 1 c.p.c. 1865) eine mündliche Schlußverhandlung (Art. 350 Abs. 1 c.p.c. 1865). Einen echten mündlichen Prozeß gab es dagegen schon zu Zeiten des gemeinen Rechts im summarischen Verfahren, zum Beispiel in Österreich für Bagatellangelegenheiten und "auf dem Lande" (§ 15 lit. a öAGO) . Was aber unter einem mündlichen Verfahren zu verstehen ist, war nicht nur in Italien immer heftig umstritten. 221 Aus diesem Grunde soll zunächst 217 Art. 180 Abs. 2 S. 1 c.p.c.; § 128 Abs. 1 ZPO; § 176 S. 1 öZPO. In Frankreich, wo sich kein ausdrücklicher Hinweis im Gesetz findet, siehe Art. 430 ff NCPC. 218 Siehe dazu ausführlich unten C .V.2., S. 316. 219 Dahlmanns, Strukturwandel, S. 27 = Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 23. 220 Reinem Wunschdenken entspricht die von Chiovenda , Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 8, geäußerte Einschätzung, der badische Prozeß von 1832 basiere auf dem Prinzip der Mündlichkeit. 221 Vgl. beispielhaft Klein, JBI. 1891, S. 29. 10•

148

C. Das Erkenntnisverfahren

versucht werden, dem Begriff der Mündlichkeit des Verfahrens zu mehr terminologischer Schärfe zu verhelfen [C.III.l.a)). Dem schließt sich eine Übersicht über die Entwicklung der Mündlichkeit an, wobei der Schwerpunkt der Betrachtung auf der Entwicklung in Italien in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts liegt [C.III.l.b)). Abschließend wird noch genauer untersucht, welche Stellung die mündliche Verhandlung des Rechtsstreits im heutigen italienischen Recht einnimmt [C.III.l.c)). a)

Der Begriff der Mündlichkeit des Verfahrens

In einem ersten Zugang kann von einem mündlichen Verfahren gesprochen werden, wenn die eigentliche Verhandlung des Rechtsstreits in einem Termin vor Gericht erfolgt, in dem der Richter mit den Parteien den Sachund Streitstand erörtert. Das bedeutet, daß der Prozeß mit einer mündlichen Verhandlung beginnt, der die Schriftsätze der Parteien und gegebenenfalls vorbereitende Maßnahmen des Richters vorausgehen. 222 Den Schriftsätzen kommt also grundsätzlich nur vorbereitende Funktion zu. 223 Ihr Inhalt und insbesondere die Anträge werden gegebenenfalls durch Bezugnahme zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. 224 Im Termin selbst wird dann der Sach- und Streitstand ohne weitere Förmlichkeit verhandelt, das schriftliche Protokoll dient lediglich der Aufzeichnung der wichtigsten Verfahrenshandlungen als Gedächtnisstütze für den Richter oder zu Beweiszwecken für die Rechtsmittelinstanz. Der Schriftform unterliegen damit sowohl die Vorbereitung der Verhandlung als auch ihre Dokumentation,225 nicht aber die Vornahme einer Prozeßhandlung in der Verhandlung selbst, wie dies beispielsweise in Italien nach Art. 162 Abs. 1, 176 Abs. 1 c.p.c. 1865 der Fall war. Daneben enthält der Grundsatz der Mündlichkeit, wie er in Italien von Chiovenda gelehrt und später von einem seiner Schüler, dem späteren Staatspräsidenten Antonio Segni, vertreten wurde, noch einen weiteren Aspekt: den der Unmittelbarkeit. 226 In personeller Hinsicht bedeutet dies, daß der Spruchkörper während des ganzen Verfahrens mit denselben Richtern besetzt ist und insbesondere die Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht stattfindet. In zeitlicher Hinsicht bedeutet Unmittelbarkeit dagegen, daß das Verfahren von der ersten mündlichen Verhandlung bis 222 Chiovenda,

Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 201. in Italien Art. 170 Abs. 4, 180 Abs. 1 S. 2 c.p.c., Art. 83 bis disp. att. c.p.c. sowie Cerino Canova, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 163, S. 275; Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 54. Vgl. auch § 129 ZPO und §§ 78, 176 S. 2 öZPO. Zu den sogenannten bestimmenden Schriftsätzen siehe Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 129 Rdnr. 3. 2 24 § 137 Abs. 3 ZPO, § 177 Abs. 2 öZPO. 225 Chiovenda, Principii 3 , S. 682 f.; Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 9. 226 Chiovenda, Principii 3 , S. 683; Calamandrei, Opere giuridiche, Band l , S. 316. 223 Vgl.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

149

zum Endurteil in einem überschaubaren Rahmen stattfindet, damit der unmittelbare Eindruck von der Verhandlung nicht verloren geht. In dieser Hinsicht kann daher auch von der Konzentration der mündlichen Verhandlung gesprochen werden, 227 die auch beinhaltet, daß Zwischenentscheidungen des Richters bis zum Urteil nicht anfechtbar sind. 228 Die persönliche und zeitliche Unmittelbarkeit ist schließlich das Bindeglied zu einem letzten Element des mündlichen Verfahrens: der freien Beweiswürdigung. 229 Der Richter braucht den unmittelbaren Kontakt mit den Parteien, Zeugen und Sachverständigen wie die Luft zum Atmen, wenn er ihre Aussagen bewerten will. 230 Dies bedeutet, daß der Richter grundsätzlich aus dem gesamten Prozeßstoff seine Überzeugung gewinnen kann und nicht an feste Beweisregeln gebunden ist. Es zeigt sich hiermit, daß die Mündlichkeit im Prozeß mehr ist als die Form der Verfahrenshandlungen231 oder die Durchführung einer mündlichen Schlußverhandlung. 232 Sie prägt vielmehr den gesamten Prozeß von Anfang bis Ende. 233 Chiovenda brachte zusätzlich die richterliche Verfahrensleitung mit dem Grundsatz der Mündlichkeit in Verbindung. 234 Dies ist jedoch nicht zwingend, da sich der Richter in einem mündlichen Verfahren wie in England in der Verhandlung im wesentlichen auf die Rolle eines Schiedsrichters beschränken kann. Er überwacht lediglich die Einhaltung der Spielregeln und überläßt ansonsten den Parteien das Feld, die zum Beispiel die Zeugen selbst stellen und in der Verhandlung befragen. 235 Andererseits ist nicht zu verkennen, daß richterliche Verfahrensleitung häufig erst in einem mündlichen Verfahren möglich ist. Die Mündlichkeit im oben beschriebenen Sinne ist daher eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine aktive Rolle des Richters. Auch Chiovenda selbst hat zugegeben, daß mit der Einführung eines mündlichen Prozesses nicht notwendig eine Stärkung der richterlichen Prozeßleitungsbefugnisse verbunden ist. 236 Wenn im folgenden daher von Mündlichkeit des Verfahrens die Rede ist, wird damit nichts über die richterliche Verfahrensleitung ausgesagt. 227 Chiovenda,

Principii 3 , S. 684; Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 11. Principii 3 , S. XV; Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 453. 229 Cappelletti , La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 139, 163. Vgl. auch Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 209 ff.; Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 331. 23 Chiovenda , Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 209. 231 Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 28. 232 Chiovenda , Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 413; Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 37. 233 Chiovenda, Principii 3 , S. XIV. 234 Chiovenda, Principii 3 , S. 686; ebenso de Boor, Einzelrichter und Kollegium, S. 16. 235 Vgl. Baur, Beiträge zur Gerichtsverfassung, S. 119 = Riv. trim. dir. proc. civ. 1965, s. 1688. 236 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 204. 228 Chiovenda,

°

150

C. Das Erkenntnisverfahren b)

Die Entwicklung des mündlichen Verfahrens

Als erste der hier untersuchten Verfahrensordnungen sah der französische code de procedure civile von 1806 für alle Zivilprozesse gleich zu Beginn des Verfahrens einen Termin zur mündlichen Verhandlung vor, während dies anderswo lediglich in summarischen Verfahren praktiziert wurde. 237 Die Zustellung der Klaganträge an den Gegner im Vorfeld der mündlichen Verhandlung nach Art. 70 D. 1808 hatte nur vorbereitenden Charakter. Entscheidend war die Verlesung der Anträge in der mündlichen Verhandlung, wodurch die Sache entscheidungsfähig ( en etat d 'etre jugee) wurde (Art. 343 Abs. 1 CPC 1806).238 Erst dadurch waren die Anträge der Parteien existent und konnten vom Gericht entschieden werden. 239 Damit wurde Frankreich in der kontinentaleuropäischen Entwicklung zum Vorreiter der Mündlichkeit, auch wenn der code de procedure civile sie durch seine Regelungen im Beweisrecht nur unvollkommen verwirklichte und nicht zu einer Konzentration des Prozesses beitrug. 240 So fand die Vernehmung von Zeugen grundsätzlich vor dem beauftragten Richter statt (Art . 256 Abs. 1 Nr. 2 CPC 1806), das tribunal wurde mit dem Beweisurteil desaisiert und das Verfahren nur auf Antrag der Parteien wieder aufgenommen (Art. 286 CPC 1806). Das französische Modell entfaltete bald seinen Einfluß auf Deutschland, wo es als rheinisches Recht schon praktiziert wurde. In eine neue Kodifikation wurde es zuerst in Hannover übernommen. Wie in Frankreich mußten sich die Anwälte bis drei Tage vor der Verhandlung die Anträge zustellen und zusätzlich auch dem Gericht eine Abschrift zukommen lassen (§ 94 Abs. 1 banPrO 1850). 241 Damit waren die Anträge aber wie in Frankreich nur angekündigt; die Anwälte waren daran nicht gebunden (§ 94 Abs. 2 hanPrO 1850).242 Gestellt wurden die Anträge erst in der mündlichen Verhandlung (§ 98 banPrO 1850). Mit Erlaß der Zivilprozeßordnungen wurde dem Grundsatz der Mündlichkeit sowohl in Deutschland als auch in Österreich243 landesweit zum Durchbruch verholfen. In Italien hat sich das schriftliche Verfahren dagegen wesentlich länger gehalten. So mußte auch in Parma der Anwalt des Klägers dem Anwalt Teil III Titel XII § 1 RKGO 1555; § 15 öAGO; § 16 S. 1 HS. 1 WGO. Procedure civile, Nr. 453, S. 487. 239 More!, Procedure civile, Nr. 454, S. 488. 24 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 6. 241 Hierin zeigt sich gegenüber dem französischen Recht eine Stärkung der Stellung des Richters, der vor der Verhandlung die Anträge der Parteien zur Kenntnis nehmen konnte. Eine ganz ähnliche Vorschrift enthielt § 306 Abs. 1 des preußischen Entwurfs von 1864. 242 Auch hier wird die Partei stärker als in Frankreich an die dem Gericht mitget eilten Anträge gebunden durch die mögliche Kostenlast (vgl. unten Fußnote 394, S. 175). 243 Wach, Die Mündlichkeit im Österreichischen Civilprocess-Entwurf, S. 5 f. 237 Vgl.

238 Morel,

°

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

151

des Beklagten drei Tage vor der Verhandlung seine Anträge zustellen (Art. 477 parm. c.p.c. 1820}. In der Verhandlung waren die Prozeßhandlungen ebenfalls an die Schriftform gebunden (Art. 476 Abs. 3 parm. c.p.c. 1820). Auch das förmliche Verfahren nach dem codice von 1865 ging, wie gesehen, 244 von dem Grundsatz aus, daß jede Prozeß durch einen Schriftsatz bewirkt wird (Art. 162 Abs. 1 c.p.c. 1865}. Die eigentliche Verhandlung bis zur präklusiven Eintragung ins Register erfolgte schriftlich. Auch fanden im förmlichen Verfahren die aus dem italienischkanonischen Recht übernommenen Regelungen über die Zwischenstreitigkeiten ( incidenti) 245 Anwendung. Stritten die Parteien zum Beispiel über die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, 246 die Nichtigkeit einer Verfahrenshandlung oder die Zulässigkeit und den Beweiswert eines Beweismittels, war die Frage mit einem Antrag auf Zwischenentscheidung (istanza incidentale) dem Vorsitzenden vorzulegen (Art. 181 Abs. 1 c.p.c. 1865), der für die Verhandlung dieser Zwischenfrage einen Termin bestimmte (Art. 181 Abs. 2 S. 2 c.p.c. 1865).247 Das Gericht hatte über den Antrag durch Urteil zu entscheiden, 248 das wie alle Urteile dem Rechtsmittel der Berufung (appelazione) (Art. 481 Abs. 1 c.p.c. 1865} unterworfen war, 249 aber für vorläufig vollstreckbar erklärt werden konnte (Art. 232 Abs. 3 c.p.c. 1865). 250 Von einem mündlichen Prozeß im oben definierten Sinne konnte also keine Rede sein, auch wenn sich an den Schriftsatzwechsel noch eine mündliche Verhandlung anschloß (Art. 348 ff. c.p.c. 1865). Aber auch das summarische Verfahren, in dem historisch gesehen eigentlich immer mündlich verhandelt wurde,2 51 war in Italien jedenfalls beim tribunale civile in der Praxis schriftlich geblieben. Zwar wurde das Verfahren wie gesehen mit einer citazione a udienza fissa eröffnet (Art. 134 Abs. 1 Nr. 6 Alt. 2 c.p.c. 1865) und so unmittelbar zur Verhandlung vor dem Richter gebracht, 252 doch diente der Termin in der Praxis lediglich dem Austausch der auch im summarischen Verfahren vorgeschriebenen Schlußschriftsätze (Art. 390 Abs. 2 c.p.c. 1865).253 Auch nach der Reform von 1901 hat sich daran faktisch nichts geändert (Art. 8 Abs. 1 G. 107/1901).254 Zwar konn244 Siehe

oben C.II.l.c.bb), S. 123. oben A.l.3., S. 34. dazu unten C.III.4.a), S. 230. 247 Vgl. Mortara, Manuale9 , Band 1, S. 363 f. 248 Vgl. Chiovenda, Istituzioni, Band 2, Teil 1, S. 449; Mortara, Manuale 9 , Band 1, s. 369. 249 Chiovenda, Principii 3 , S. 983. 2 50 Chiovenda, Principii 3 , S. 967. 2 5 1 Chiovenda, Principii 3 , S. 706. 252 Chiovenda, Principii 3 , S. 707. 253 de Boor, Einzelrichter und Kollegium, S. 11. 254 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 400, Band 2, S. 14, 16. 245 Siehe 246 Siehe

152

C. Das Erkenntnisverfahren

te der Vorsitzende die Verhandlung vor der Kammer verschieben, bis die Schriftsätze ausgetauscht und der Rechtsstreit für die mündliche Verhandlung (Art. 29 Abs. 2 K.D. 413/1901) reif war. Doch dienten die Schriftsätze eben nicht allein der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, sondern sie waren die notwendige Form für die Prozeßhandlungen der Parteien. 255 Dieser Formzwang wurde schließlich noch auf das Verfahren vor dem pretore übertragen, wenn eine Partei anwaltlieh vertreten war (Art. 1 Abs. 1 K.D. 1366/1922), um die Protokollbeamten zu entlasten. Die rechtspolitische Diskussion der damaligen Zeit spiegelt in besonderem Maße wieder, welche verschiedenen Geisteshaltungen sich hier trafen. Sie wirkt bis in die heutige Zeit nach und ist letztlich nur aus der italienischen Erfahrung heraus zu verstehen, daß im Termin faktisch nicht verhandelt wurde. So sollte es nach dem Entwurf von Chiovenda, in dessen Mittelpunkt die mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Gericht stand, 256 den Parteien ausdrücklich verboten sein, statt eines mündlichen Vortrags in freier Rede ( a viva voce) auf die Schriftsätze Bezug zu nehmen (Art. 34 Abs. 2). Nur die Anträge sollten aus den Schriftsätzen verlesen werden dürfen (Art. 34 Abs. 3). Hierin kommt ähnlich wie in § 137 Abs. 2 ZPO und § 177 Abs. 1 öZPO die Sorge zum Ausdruck, die Praxis könnte sich auch weiterhin in der Verhandlung auf den Austausch von Schriftsätzen beschränken. Chiovenda versuchte dem durch Formalisierung der mündlichen Verhandlung zu begegnen. Auf der Gegenseite versuchte Mortara, den, wie er ihn nannte, reinen mündlichen Prozeß verächtlich zu machen, indem er ihn in das Reich des Märchens vom guten König unter der Gerichtseiche verbannen wollte, 257 wobei die Anspielung an den Ort des alt-germanischen Gerichts wohl kaum zufällig sein dürfte. Dies war jedoch eine bewußt polemische Irreführung, denn mit dem von Chiovenda definierten Begriff der Mündlichkeit hatte dies nicht das Geringste zu tun.258 Auch seine Feststellung, daß der Prozeß schon wegen seiner Überprüfbarkeit in der Rechtsmittelinstanz nicht ohne schriftliche Aufzeichnungen auskäme, 259 traf den Kern der Sache nicht, da in der mündlichen Verhandlung selbstverständlich die wichtigsten Prozeßhandlungen und Verhandlungsergebnisse protokolliert werden. So steht völlig außer Frage, daß ein Prozeß nicht ohne Schriftsätze und Protokolle auskommt und in diesem Sinne nicht rein mündlich ist. 260 Bemerkenswert ist aber, daß Mortara die Verhandlung und Beweisaufnahme vor ein und 2 55

Chiovenda , Principii 3 , S. 709.

2 56 Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 176. 2 57 Mortara, Giur. it. 1923 IV, Sp. 142. 258 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, 2 59 Mortara, Giur. it. 1923 IV, Sp. 142.

Band 2, S. 202.

°Klein, JBI. 1891, S. 29; Cappelletti, Procerlure orale et procedure ecrite, S. 11.

26

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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demselben Richter jedenfalls in Italien für undurchfürbar hielt 261 und darin weder einen entscheidenden Aspekt des mündlichen Verfahrens noch ein wesentliches Ziel der Reform sah. 262 Zugleich stellte er einen unüberwindbaren Graben zwischen der damaligen Gerichtspraxis und einem mündlichen Prozeß im Sinne Chiovendas fest, 263 so daß er im Kern am alten summarischen Verfahren festhalten wollte und den entscheidenden Fortschritt seines Entwurfs in der Unanfechtbarkeit der Interlokute (Art. 61, 62) sah. 264 Chiovenda blieb mit seinem Vorschlag, den Schwerpunkt des Verfahrens auf die mündliche Verhandlung zu legen, hingegen lange ein Rufer in der Wüste. Soweit die nachfolgenden Entwürfe von einer mündlichen Verhandlung ausgingen, handelte es sich dabei regelmäßig um eine sogenannte udienza di discussione, die erst nach Abschluß der Beweisaufnahme stattfinden sollte, zu einem Zeitpunkt also, wo die Verhandlung bereits geschlossen war und sich nur noch auf den bisherigen Prozeßstoff beschränken konnte. Dabei gehört es doch gerade zum Wesen einer mündlichen Verhandlung, daß der Richter von den Parteien Dinge erfragt und erfährt, die in dieser Form noch nicht in den Akten stehen. 265 So sollte zum Beispiel im Entwurf von Carnelutti im ersten Termin vor der Kammer266 nicht etwa eine umfassende Erörterung des Sach- und Streitstandes erfolgen; sie sollte im wesentlichen nur dazu dienen, dem Gericht die Schriftsätze und die Urkunden vorzulegen, die seit dem Termin vor dem Vorsitzenden zwischen den Parteien gewechselt worden waren, und Beweisanträge zu stellen (Art. 223 Abs. 2). Bedenkt man, daß schon zu diesem Zeitpunkt weder neue tatsächliche noch rechtliche Gesichtspunkte in das Verfahren sollten eingebracht werden können267 und daß der Entwurf die Übertragung der Beweisaufnahme auf einen beauftragten Richter bei einem übereinstimmenden Antrag der Parteien oder bei wichtigen Gründen auch von Amts wegen vorsah (Art. 229 Abs. 2), konnte von einem mündlichen Verfahren im Sinne Chiovendas keine Rede sein. 268 Das gleiche gilt für den Entwurf von Redenti, der 261 Mortara, Giur. it. 1923 IV, Sp. 144. 262 Mortara, Commentario, Band 5, S. 357. Folglich konnte nach seinem Entwurf die Beweisaufnahme ohne weiteres einem beautragten oder auch einem ersuchten Richter übertragen werden (Art. 94). 263 Mortara , Giur. it. 1923 IV, Sp. 144. 264 Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 309 f. 265 Chiovenda, Principii 3 , S. 706. 266Siehe oben Fußnote 196, S. 142. 267 Diese Regelung lehnte sich an das alte förmliche Verfahren an (Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 183, Fußnote 2) . Sie war im Entwurf nicht ausdrücklich geregelt, sondern ergab sich aus seiner systematischen Betrachtung. In der Schlußverhandlung sollten nur tatsächliche und rechtliche Erwägungen zulässig sein, die in den vorbereitenden Schriftsätzen enthalten waren (Art. 239 Abs. 1). Solche Schriftsätze waren aber nach Beginn der Verhandlung vor der Kammer nicht mehr vorgesehen. 268 Das Urteil von Trocker, in: Habscheid, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine

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C. Das Erkenntnisverfahren

neben seinem sehr komplizierten Verfahrensablauf von strengen Präklusionsvorschriften geprägt war, die schon nach dem ersten Schriftsatz neues Vorbringen nur noch zuließen, wenn die Gegenseite zustimmte oder sie durch das Vorbringen der Gegenseite bedingt waren (Art. 300 Abs. 1, 337 Abs. 3). Dies widersprach dem Grundsatz der Mündlichkeit genauso wie die vorgesehene Mittelbarkeit der Beweisaufnahme (Art. 308, 369 Abs. 1). 269 Der Vorentwurfvon Solmi kam durch seinen wesentlich unkomplizierteren Verfahrensablauf und die Einführung des Einzelrichters dem Grundsatz der Mündlichkeit schon wesentlich näher als der Entwurf von Redenti. 270 Jedoch hielt auch er an der starren Aufteilung des Verfahrens in mehrere Phasen und der Trennung zwischen der Beweisaufnahme und der Schlußverhandlung fest. Die Zusammenfassung von Beweisaufnahme und streitiger Verhandlung wie insbesondere nach § 370 Abs. 1 ZPO oder § 281 Abs. 1 öZPO war auch im Vorentwurf von Solmi nicht vorgesehen, so daß Segni zu Recht die fehlende Verfahrenskonzentration bemängelte.271 Daneben enthielt der Entwurf ähnlich wie der von Redenti strenge Präklusionsvorschriften, die schon vor der mündlichen Verhandlung eingreifen sollten (Art. 162, 164), so daß eine freie Erörterung des Rechtsstreits in der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen gewesen wäre. Der neue codice di procedura civile versuchte, den Grundsatz der Mündlichkeit noch besser zu verwirklichen. Zum einen wurde nun ausdrücklich bestimmt, daß die Verhandlung vor dem Instruktionsrichter, der vorbereitende Schriftsätze272 vorauszugehen hatten, 273 in jedem Fall mündlich zu erfolgen hatte (Art. 180 Abs. 1 c.p.c. 1940), was ganz im Sinne Chiovendas war. Zum anderen hielt der Gesetzgeber zwar wie die Vorentwürfe von Redenti und Solmi an der Eventualmaxime fest, 274 doch trat die präklusive Ausstrahlungen, S. 149, der Entwurf habe die Grundsätze der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit begrenzt verwirklicht, erscheint dagegen noch wohlwollend. 269 In seiner Begründung äußerte Redenti, Foro it. 1934 IV, Sp. 188 f., einerseits ähnlich wie Mortara kulturelle Zweifel an der Anwendbarkeit eines konzentrierten Verfahrens in Italien. Zum anderen hielt er gerade bei Zeugenaussagen eine übereilte Entscheidung aufgrund des unmittelbaren Eindrucks für verfehlt. Vielmehr sollte der Richter die Aussage genau studieren und auf ihre Schlüssigkeit und Kohärenz überprüfen, um sich ein Bild von der Glaubwürdigkeit zu machen. 270 Zanzucchi, Relazione der Universita cattolica di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 1, S. 70; Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 338; Liebman, Relazione der Universita di Parma, Osserva.zioni e Proposte 1938, Band 1, S. 91 f. 271 Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 362. 272 Na.ch Art. 163, 167 c.p.c. 1940 waren dies zumindest die citazione und die Klageerwiderung. Der Richter konnte jedoch nach Art. 183 Abs. 4 c.p.c. 1940 in der ersten Verhandlung wenn nötig weiteren Schriftsatzwechsel zulassen und dafür die Verhandlung vertagen. 273 Relazione, Nr. 27, abgedruckt bei Franchi/Feroci, Nuovo codice di procedura civile3 , S. XLVII. 274 Relazione, Nr. 24, abgedruckt bei Franchi/Feroci, Nuovo codice di procedura civile3 , S. XLI.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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Wirkung nicht schon mit Einreichen der vorbereitenden Schriftsätze, sondern erst nach der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Instruktionsrichter ein (Art. 184 c.p.c. 1940), die so in den Mittelpunkt des Verfahrens rückte. Gegenüber dem Vorentwurf von Solmi war mit der Einführung des Instruktionsrichters die personelle Unmittelbarkeit am tribunale jedoch nur unvollkommen verwirklicht. Und die Einwände von Segni bezüglich der fehlenden Konzentration treffen hier schon wegen der notwendigen Schlußverhandlung vor der Kammer genauso zu. Mit der Reform von 1950 wurde der programmatische Grundsatz der Mündlichkeit der Verhandlung (Art. 180 Abs. 1 c.p.c. 1940) um den Zusatz erweitert, daß der Richter unter Verschiebung der trattazione weiteren Schriftsatzwechsel zulassen konnte (Art. 180 Abs. 1 S. 2 c.p.c. 1950). Dies entsprach im wesentlichen der schon vorher gültigen Regelung nach Art. 183 Abs. 4 c.p.c. und hätte eigentlich nichts umwerfend Neues bedeuten müssen. Vor allem hätte damit der Grundsatz der mündlichen Verhandlung vor dem Instruktionsrichter nicht notwendig eingeschränkt werden müssen, da sich der vorbereitende Schriftsatzwechsel bestens mit einem mündlichen Prozeß verträgt. 275 Zusammen mit der Abschaffung jeglicher Präklusionen (Art. 184 c.p.c. 1950) und dem damit verbundenen Verlust der Verfahrenskonzentration bedeutete dies jedoch faktisch das vorläufige Ende des Versuchs, in Italien einen mündlichen Prozeß einzuführen. 276 Der Richter besaß nun kein effizientes Mittel mehr, um die Parteien zum vollständigen schriftsätzlichen Vortrag im Vorfeld der mündlichen Verhandlung zu zwingen. Die mündliche Verhandlung bestand damit lediglich auf dem Papier und verkam wie schon im früheren summarischen Verfahren zu einem reinen Vertagungstermin, in dem Schriftsätze ausgetauscht wurden, ohne zu verhandeln. 277 c)

Gegenstand und Funktion der mündlichen Verhandlung

Bevor wir uns nun sogleich den Aufgaben des Richters in der mündlichen Verhandlung zuwenden, sollen hier vorab noch einige Anmerkungen zur systematischen Stellung der mündlichen Verhandlung gemacht werden. Wie in der Übersicht gesehen, findet nach dem ersten Erscheinen der Parteien in einem neuen Termin die eigentliche Verhandlung in der Sache statt. 275 Chiovenda,

Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 203. schon zum Dekret von 1948 Camelutti, Riv. dir. proc. 1948 I, S. 123 f.; Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 39; Liebman, Manuale 4 , Band 2, S. 7. 277 Camelutti, Riv. dir. proc. 1948 I S. 125. Bei der Neufassung des Art. 180 c.p.c. durch das G.-D. 238/1995 (vgl. oben Fußnote 303, S. 60) war der Grundsatz der Mündlichkeit aus Versehen vergessen worden. Dieser Lapsus wurde mit dem G.-D. 347/1995 (vgl. oben Fußnote 304, S. 60) korrigiert. 276 So

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C. Das Erkenntnisverfahren

Dabei ist nicht die Rede davon, daß die Parteien zu Beginn dieser Verhandlung ihre Anträge stellen, wie dies in Deutschland (§ 137 Abs. 1 ZPO) und Österreich (§ 177 Abs. 1 öZPO) der Fall ist. Sie findet vielmehr auf der Grundlage des vom Kläger in der citazione gestellten Sachantrags (Art. 163 Abs. 3 Nr. 3 c.p.c.) statt. Erst zum Abschluß des Verfahrens vor dem Instruktionsrichter werden diese Anträge dann vor dem Übergang in das Entscheidungsverfahren präzisiert (Art. 189 Abs. 1 c.p.c.). Dies entspricht im wesentlichen auch dem französischen Modell, bei dem die Anträge (pretentions) erst in der Schlußverhandlung nach dem Vortermin vor dem Kammervorsitzenden und gegebenenfalls der Beweisaufnahme durch den juge de la mise en etat verlesen werden (Art. 440 Abs. 2 NCPC). 278 Auch ein Bericht des Instruktionsrichters über den Sach- und Streitstand (relazione) ist in Italien ausdrücklich erst in der Schlußverhandlung vorgesehen, die gegebenenfalls nach der Hinterlegung der Schlußschriftsätze und der Erwiderungen stattfindet (Art. 275 Abs. 4 S. 1 c.p.c.). Dies entspricht zwar einerseits wiederum dem französischen Modell, wo ebenfalls in der Verhandlung vor der Kammer ein Bericht des juge de la mise en etat über den Sach- und Streitstand (report) vorgesehen ist (Art. 785, 440 Abs. 1 S. 2 NCPC). Anders als in Italien hat aber auch schon der Kammervorsitzende im ersten Termin den Sach- und Streitstand ( etat de la cause) mit den Parteien zu erörtern (Art. 759 Abs. 2 NCPC). In Deutschland führt dagegen der Vorsitzende seit der Vereinfachungs-Novelle gleich im ersten Termin in den Sach- und Streitstand ein (§ 278 Abs. 1 S. 1 ZPO), sei es vor oder nach Stellung der Anträge. 279 Aber auch schon vor dieser Reform hatte er darauf zu achten, daß die Sache erschöpfend erörtert wurde. Nur lag die Hauptinitiative dazu - jedenfalls nach dem Wortlaut des Gesetzes früher stärker bei den Parteien, die "das Streitverhältnis in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung" darzulegen hatten(§ 137 Abs. 2 ZPO). Gleiches gilt noch heute in Österreich, wo die deutschen Vorschriften fast wörtlich übernommen wurden (§ 177 Abs. 1 öZPO). Durch die VereinfachungsNovelle wurde nur der Schwerpunkt der Aktivität in der mündlichen Verhandlung von den Parteien auf den Richter übertragen, dessen Einführung den Vortrag der Parteien zwar nicht ersetzt,280 aber im wesentlichen auf Klarstellungen und Ergänzungen beschränkt. An der Grundaussage, daß der Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung auf der Grundlage der gestellten Anträge umfassend zu erörtern ist, hat sich aber seit Inkrafttreten der Zivilprozeßordnungen in Deutschland und Österreich nichts geändert. Diese kurze Übersicht zeigt, daß zwischen dem Beginn der mündlichen Verhandlung in Deutschland beziehungsweise der Streitverhandlung Vincentj Guinchard, Procedure civile 23 , Rdnr. 882. 109, 41, 44; Leipold, in: Steinj Jonas 2 1 , ZPO, § 137 Rdnr. 2. 280 Leipold, in: Steinj Jonas 21 , ZPO, § 137 Rdnr. 6. 278

279 BGHZ

III. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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in Österreich und der mündlichen Verhandlung vor dem Instruktionsrichter funktionell bemerkenswerte Unterschiede bestehen. Die mündliche Verhandlung vor dem Instruktionsrichter, in der die Anträge zunächst nicht gestellt werden, hat eine andere Funktion als die mündliche Verhandlung in Deutschland und Österreich, wo es einen der udienza di discussione vergleichbaren Schlußtermin nicht gibt. 2.

Die Aufgaben des Richters

Wie oben schon angesprochen, läßt allein die Durchführung einer mündlichen Verhandlung noch keinen Schluß darüber zu, ob der Richter tatsächlich die führende Rolle übernimmt. Dies ist zum einen davon abhängig, welche konkreten Befugnisse ihm in der mündlichen Verhandlung zugewiesen sind. 281 Zum anderen kommt es auf die Gepflogenheiten der Gerichtspraxis an, die sich einer gesetzlichen Ausformung weitgehend entziehen. Sie sollen bei der nachfolgenden Darstellung besonders berücksichtigt werden. Wie gesehen, hat der Richter in der ersten mündlichen Verhandlung zunächst auf eventuelle Formmängel der Konstituierung der Parteien hinzuweisen und Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage mit den Parteien zu erörtern [C.II1.2.a)] . In der Sache selbst dient der erste Termin dem Vergleichsversuch, dem Hinweis des Richters auf die von Amts wegen zu behandelnden Fragen und der Befragung der Parteien. Da vom Vergleichsversuch schon oben die Rede war, 282 sollen hier die richterliche Hinweispflicht [C.III.2.b)J und die Befragung der Parteien [C.III.2.c)] im Vordergrund stehen. a)

Die Klärung der Bachurteilsvoraussetzungen

Wie in der Übersicht gesehen, prüft der Richter vor allem im Vortermin die Sachurteilsvoraussetzungen und weist gegebenenfalls auf Unvollständigkeiten bei den eingereichten Unterlagen und sonstige Bedenken hin (Art. 180 Abs. 1 c.p.c.). Zu solchen Hinweisen ist der Richter nach einer Entscheidung der Corte di cassazione jedoch nicht verpflichtet,283 so daß die Hinweise in der Praxis keine große Rolle spielen. 284 Diese aus Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 360. oben B.l.l.c), S. 87. civ. vom 6. Dezember 1954, Nr. 4401, Rep. Foro it. 1954, Procedimento civile, Nr. 156, 297, zu Art. 182 Abs. 2 c.p.c. in einem Fall, in dem- soweit aus den mitgeteilten Leitsätzen ersichtlich- die Prozeßvollmacht unwirksam war, weil sie nicht auf einem der in Art. 83 Abs. 3 c.p.c. bestimmten Schriftsätze enthalten war, und der Richter vor dem Urteil nicht darauf hingewiesen hatte. 284 Trocker, ZZP 91 (1978), S. 240, Fußnote 5. 281 Vgl.

282 Siehe 283 Cass.

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C. Das Erkenntnisverfahren

deutscher Sicht überraschende Entscheidung soll zunächst unkommentiert stehen bleiben und im folgenden zusammen mit den Hinweispflichten in der Sache besprochen werden. b)

Richterliche Hinweispflicht und rechtliches Gehör

Nach Art. 183 Abs. 3 c.p.c. hat der Richter auch in der Hauptsache von sich aus auf alle Fragen hinzuweisen, die seiner Meinung nach von Amts wegen zu berücksichtigen sind, seien es Tatfragen, seien es Rechtsfragen.285 Ziel dieser richterlichen Hinweise, die schon seit Inkrafttreten des neuen codice di procedura civile Bestandteil jeder ersten mündlichen Verhandlung sein sollten (Art. 183 Abs. 3 c.p.c. 1940), war es, wie Andrioli so schön formuliert hat, daß der Richter nicht erst durch das Urteil zu den Parteien spricht, sondern von Mensch zu Mensch. 286 Doch leider blieb dies bis heute weitgehend Illusion. 287 Dies liegt zum einen an den schon oben beschriebenen tatsächlichen Verhältnissen in der mündlichen Verhandlung, zum anderen aber auch daran, daß sich italienische Richter häufig scheuen, ihre eigene Rechtsansicht schon frühzeitig zu offenbaren, um nicht der Parteilichkeit bezichtigt zu werden. 288 Aber selbst die von den Parteien schriftsätzlich vorgetragenen Rechtsansichten bleiben nicht selten ungelesen,289 was auf die hohe Zahl von Verfahren zurückzuführen ist, die ein Richter zu bearbeiten hat. So gehören überraschende Entscheidungen, in denen der Richter einer Rechtsansicht folgt, die weder in den Schriftsätzen der Parteien vertreten wurde noch Gegenstand der mündlichen Verhandlung war (sentenza della terza via), zum Alltag. 290 Der Hinweis auf die von Amts wegen zu behandelnden Fragen ist faktisch eine ins Ermessen des Richters gestellte Ordnungsvorschrift. 291 Diese Auffassung kann auf den Wortlaut von Art. 183 Abs. 3 c.p.c. stützen, wonach der Richter nur auf die Fragen hinweist, deren Besprechung er für zweckmäßig hält. 292 285 Denti,

Riv. dir. proc. 1968, S. 219. Commento3 , c.p.c., Art. 183, S. 82. 287 Andrioli, Commento3 , c.p.c., Art. 183, S. 83. 288 Diese Befürchtung schimmert auch bei Cappelletti , La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 41, durch, der dem Richter nahelegt, sich bei der Erörterung der Rechtslage zurückzuhalten. 289 Calamandrei, Delle buone relazioni fra i giudici e gli avvocati nel nuovo processo civile, S. 20 f. (zitiert nach Trocker, Processo civile e costituzione, S. 681, Fußnote 68), der sich bitterlich darüber beklagte, daß die in nächtelanger Arbeit sorgsam ausgearbeiteten Schriftsätze, die alle tatsächlichen und rechtlichen Aspekte zusammenfassen und die einschlägige Rechtsprechung und Literatur abwägen, von den Richtern nicht einmal gelesen werden. 290 Montesano , Temi 1967, S. 484. 291 So ausdrücklich Pajardi, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 183, 184, S. 571. 292 Ferri, Contraddittorio, Studi Urbinati 1980/82, S. 18; Denti, Riv. dir. proc. 1968, S. 217f. 286 Andrioli,

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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Vergleicht man diese Formulierung mit den Vorentwürfen, so kann man auch in historischer Auslegung eine Rechtfertigung der heutigen Praxis finden. Wie nicht anders zu erwarten, war eine ausdrückliche Hinweispflicht des Richters zum ersten Mal im Entwurf von Chiovenda enthalten (Art. 31). Danach sollte der Richter erstens die seiner Meinung nach angemessenen Fragen an die Parteien richten, damit diese ihre Anträge erläutern, sich vollständig erklären und die Beweismittel bezeichnen konnten (Art. 31 Abs. 1). Zweitens sollte der Richter verpflichtet sein, auf die von Amts wegen zu beachtenden Punkte hinzuweisen (Art. 31 Abs. 2). Drittens sollte er noch den Parteien eine Frist setzen, um fehlerhafte oder unvollständige Verfahrenshandlungen zu verbessern oder zu vervollständigen (Art. 31 Abs. 3). Die ersten beiden Absätze dieser Vorschrift hatte Chiovenda fast wörtlich den Bestimmungen in § 139 Abs. 1, 2 ZPO und § 183 Abs. 1, 2 öZPO entnommen. Sie waren für ihn Ausdruck eines neuen Prozeßverständnisses, wo der Staat ein eigenes Interesse daran hat, daß ein Zivilprozeß so schnell und so ökonomisch wie möglich zu einer Entscheidung führt, die mit der materiellen Rechtslage übereinstimmt. 293 Dafür war es seiner Meinung nach unerläßlich, daß der Richter sich als Organ dieses Staates aktiv am gesamten Prozeß beteiligt. 294 Besonders an diesem Schlüsselproblem läßt sich ablesen, wie weit die Reformvorstellungen von Mortara und Carnelutti von den Ideen Chiovendas entfernt waren, findet sich doch in deren Entwürfen zu richterlichen Hinweispflichten keine Silbe.295 Für sie sollte der Richter auch weiterhin eine zurückhaltende, distanzierte Rolle übernehmen und die Parteien oder besser gesagt ihre Anwälte- ihr Spiel weiterspielen lassen.296 Erst der Vorentwurf von Solmi nahm sich wieder der richterlichen Hinweispflichten an. Zum einen sollte der Richter die Parteien auf fehlerhafte Prozeßhandlungen aufmerksam machen (Art. 159 Abs. 1), was im Grundsatz Art. 31 Abs. 3 des Entwurfs von Chiovenda entsprach. Daneben sollte er auf die von Amts wegen zu beachtenden Punkte nur dann hinweisen, wenn ihm die Diskussion darüber notwendig erschien (Art. 163 Abs. 4). Ob es sich dabei um eine Pflicht des Richters oder eine bloße Möglichkeit handeln sollte, war nach dieser Formulierung aber schon weniger klar als bei Chiovenda. Vor allem war aber die eigentlich viel umfassendere Hinweispflicht aus Art. 31 Abs. 1 des Entwurfs von Chiovenda und damit das Kernstück seiner Vorstellungen von richterlicher Verfahrensleitung wegge293 Chiovenda,

Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 61. Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 385. 295 Ferri, Contraddittorio, Studi Urbinati 1980/82, S. 17. 296 So sah Camelutti, Riv. dir. proc. civ. 1929, S. 21, nach wie vor den Schlüssel des Zivilprozesses im direkten Aufeinandertreffen der Parteien, in Rede und Gegenrede. Vgl. dazu oben C.II.2.b), S. 138. 294

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C. Das Erkenntnisverfahren

fallen. Mit dem endgültigen Entwurfvon Solmi (Art. 173) wurde schließlich auch die Hinweispflicht auf die von Amts wegen zu beachtenden Punkte wie im späteren Gesetz (Art. 183 Abs. 2 c.p.c. 1940) zu einer bloßen Möglichkeit herabgestuft, die ins richterliche Ermessen gestellt wurde. Vom ursprünglichen Entwurf Chiovendas bis zur endgültigen Kodifizierung der richterlichen Hinweispflicht läßt sich mathematisch gesprochen also eine streng monoton fallende Kurve ziehen, so daß die heutige Hinweispflicht -jedenfalls ihrem Wortlaut nach- nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. 297 An Versuchen, aus diesem Schatten herauszutreten, hat es bisher nicht gefehlt. So finden sich in der Literatur mangels einer § 139 Abs. 1 ZPO oder § 182 Abs. 1 öZPO vergleichbaren Generalvorschrift Versuche, aus dem Begriff der von Amts wegen zu behandelnden Fragen so viel Honig zu saugen wie möglich, so daß letztlich alle Fragen davon erfaßt sein sollen, die für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sind, egal ob sie das tatsächliche Vorbringen der Parteien, die Beweiserhebung und würdigung oder Rechtsfragen betreffen. 298 Auch in den Reformvorschlägen finden sich weitreichende Hinweispflichten des Richters, etwa im Entwurf der Kommission von Liebman aus dem Jahre 1977 (Art. 174) und im Entwurf von Tarzia (Art. 183 Abs. 1). Eine besondere Rolle spielt dabei das Recht auf rechtliches Gehör (principio del contraddittorio), das seit Erlaß der republikanischen Verfassung

in Art. 24 Abs. 2 cost. niedergelegt ist. Unabhängig von der Frage, wann dieses Recht im Einzelfall verletzt ist, kann vorab festgehalten werden, daß jedenfalls der Schutzbereich dieses Grundrechts berührt ist, wenn der Richter Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, "mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter . . . nach dem bisherigen Prozeßverlauf nicht zu rechnen brauchte." 299 Der vorkonstitutionelle codice di procedura civile beschränkt sich unter dem Stichwort des rechtlichen Gehörs dagegen noch auf die Feststellung, daß gegen eine nicht ordentlich geladene Partei nicht in Abwesenheit verhandelt werden dürfe (Art. 101 c.p.c.). Bis heute gibt es in Italien auf der Ebene des einfachen Rechts keine ausdrückliche Regelung, die den Richter zur Gewährung rechtlichen Gehörs in diesem Sinne zwingt. In Frankreich besteht sie dagegen schon seit 1965 (Art. 82 Abs. 1 S. 2 CPC 1965) und findet sich heute in Art. 16 Abs. 3 NCPC. In Deutschland ist sie seit 1976 in § 278 Abs. 3 ZPO geregelt. Auch wenn diese Vorschriften nicht unbedingt verfassungsrechtlich zwingend sind,300 297 Denti,

s. 18.

298 Ferri,

Riv. dir. proc. 1968, S. 320; Fern, Contraddittorio, Studi Urbinati 1980/ 82,

Contraddittorio, Studi Urbinati 1980/82, S. 52, 53 ff. 84, 188, 190. 300 Vgl. Helbig, Überraschungsentscheidungen, S. 136, wonach die Hinweispflicht nicht 299 BVerfGE

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

161

ist nicht zu verkennen, daß sie der tatsächlichen Durchsetzung des Rechts auf rechtliches Gehör dienen. Eine vergleichbare Vorschrift war auch im Entwurf von Liebman von 1981 enthalten, der sich offensichtlich an das französische Vorbild anlehnte. Dieser Entwurf wollte das Recht auf rechtliches Gehör auf der Ebene des einfachen Rechts zum Grundsatz des gesamten Verfahrens erheben und forderte daneben genaue Bestimmungen über die Folgen der Versagung des rechtlichen Gehörs (Nr. 8). Im Regierungsentwurf wurde dieser zweite Teil jedoch durch den Grundsatz ne ultra petita ersetzt (Art. 2 Nr. 8). Sieht man sich die Begründung dieser Entscheidung der Regierung genauer an, wird deutlich, wie stiefmütterlich dort das Recht auf rechtliches Gehör behandelt wird. Sie stützt sich im wesentlichen auf zwei Argumente. Zum einen sollte dem Richter nicht die Befugnis genommen werden, eine Entscheidung auf Erwägungen zu stützen, die weder von den Parteien vorgetragen noch in der Verhandlung zur Sprache gekommen waren. Zum anderen habe die praktische Erfahrung gezeigt, daß Art. 183 Abs. 2 c.p.c. 1940 nie von großer praktischer Bedeutung gewesen sei. 301 Symptomatisch ist aber auch die Verknüpfung des Rechts auf rechtliches Gehör mit dem Grundsatz ne ultra petita. Zwar ist es zweifellos richtig, daß eine Entscheidung ultra petita auch das Recht auf rechtliches Gehör verletzen würde. Im Kern ist dieser Grundsatz jedoch Ausdruck der freien Disposition der Parteien über den Streitgegenstand, während das Recht auf rechtliches Gehör im Kern aussagt, daß die Parteien sich zu allen Aspekten des geltend gemachten Streitgegenstands äußern können. 302 Um das Bild dieses bis heute letztlich ergebnislosen Reformversuchs auf der Grundlage des zweiten Entwurfs der Kommission von Liebman abzurunden, sei aber erwähnt, daß bei den parlamentarischen Beratungen über den Gesetzentwurf der Regierung deutliche Kritik an dem Entwurf laut wurde, die zu Änderungsvorschlägen im Sinne des Kommissionsentwurfes führte.303 Da sich die einschlägigen Vorschriften des codice jedoch nicht geändert haben und wirksame Regeln, die eine richterliche Hinweispflicht begründen und Überraschungsentscheidungen verbieten könnten, auf der Ebene des unmittelbar aus dem Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) abgeleitet werden kann, sondern es ergänzt. Auch das Bundesverfassungsgericht betont, daß dem Anspruch auf rechtliches Gehör keine generelle Aufklärungs- und Hinweispflicht zu entnehmen sei (BVerfGE 42, 64, 85 (abweichende Meinung); 66, 116, 147; 67, 90, 96). Auch zu einem Rechtsgespräch ist der Richter von Verfassungs wegen nicht verpflichtet (BVerfG, NJW 1994, S. 1274). 301 Relazione, Nr. 8, Riv. trim. dir. proc. civ. 1981, S. 655. 302 Vgl. Ferri, Contraddittorio, Studi Urbinati 1980/82, S. 11. 303 Vgl. den Antrag des Senators Lipari, Riv. trim. dir. proc. civ. 1986, S. 336, wonach der Richter auf alle von Amts wegen zu beachtenden Punkte hinweisen und das Urteil andernfalls insoweit nichtig sein sollte. II Piekenbrock

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C. Das Erkenntnisverfahren

einfachen Prozeßrechts fehlen, wird zu diesem Zweck vielfach unmittelbar auf Art. 24 Abs. 2 cost. zurückgegriffen. Denn die heutige Praxis, die alle Hinweise ins Ermessen des Richters stellt, trägt dem Einfluß der Verfassung auf die vorkonstitutionellen Bestimmungen in Art. 101, 183 Abs. 2 c.p.c. 1940 nach Meinung vieler Autoren nicht in ausreichendem Maße Rechnung. 304 Jedoch ist nicht hinreichend geklärt, wie weit dieses Grundrecht in Italien konkret reicht. Auch ein klärendes Wort der Gorte costituzionale, die sich bis jetzt noch nicht zu dem Problem geäußert hat, 305 ob angesichts der fehlenden gesetzlichen Regelung eine allgemeine Hinweispflicht aus der Verfassung abgeleitet werden kann, ist nicht zu erwarten, da es in Italien eine der Verfassungsbeschwerde vergleichbare Klagebefugnis des Bürgers nicht gibt. 306 Die Corte di cassazione hat jedenfalls in einer älteren Entscheidung geurteilt, daß eine Überraschungsentscheidung nicht zur Nichtigkeit des Verfahrens im Sinne von Art. 360 Abs. 1 Nr. 4 c.p.c. führt. 307 Geht man der Frage nach der Reichweite des Rechts auf rechtliches Gehör genauer nach, stellt man aber deutliche Parallelen zwischen Italien und Deutschland fest. So geht beispielsweise Chiarloni davon aus, daß das Recht auf rechtliches Gehör durch eine überraschende Entscheidung nicht unbedingt verletzt ist. Vielmehr solllediglich ein sanktionsloser Verstoß gegen die Kooperationsmaxime vorliegen.308 Begründet wird dies mit einer ex post Betrachtung des Prozesses. 309 Ist das überraschende Urteil aus der Sicht des Rechtsmittelgerichts inhaltlich richtig, wäre es bloßer Formalismus, es nur wegen dieses Verfahrensfehlers aufzuheben. War die Entscheidung dagegen inhaltlich falsch, genügt dies zur Begründung des Rechtsmittels, das nicht zusätzlich auf einen Verfahrensfehler gestützt zu werden braucht. 310 Ein erheblicher Verfahrensfehler würde demnach nur vorliegen, wenn der Partei keine Gelegenheit gegeben wurde, Tatsachen vorzubringen, die zu einer ihr günstigen Entscheidung geführt hätten. In diesem Fall soll das Verfahren wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs nichtig sein. 311 Dies entspricht weitgehend der deutschen Judikatur. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Revision auf eine Verletzung von §§ 139 Abs. 1, 278 Abs. 3 ZPO nur gestützt werden, wenn im einzelnen dargelegt wird, was im Falle des Hinweises hätte vorgetragen werden 304 Montesano, Temi 1967, S. 484; Denti, Riv. dir. proc. 1968, S. 223; Trocker, Processo civile e costituzione, S. 683 f.; Comoglio, in: Branca , Commentario, cost., Art. 24, S. 58 f. 305 Ferri, Contraddittorio, Studi Urbinati 1980/82, S. 22. 306Vgl. dazu unten Fußnote 136, S. 283. 307 Cass. civ. vom 10. August 1953, Nr. 2694, Giur. civ. 1953, S. 3507. 308 Chiarloni, Riv. trim. dir. proc. civ. 1987, S. 578. 309 Chiarloni, Riv. trim. dir. proc. civ. 1987, S. 575. 3 1 Chiarloni , Riv. trim. dir. proc. civ. 1987, S. 582. 311 Chiarloni, Riv. t rim. dir. proc. civ. 1987, S. 583.

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111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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können. 312 Nur wenn sich dieses Vorbringen als erheblich erweist, beruht das Urteil im Sinne des§ 549 Abs. 1 ZPO auf dem Verfahrensfehler. Auch das Bundesverfassungsgericht hat Verletzungen von Art. 103 Abs. 1 GG nur bejaht, wenn das Urteil in diesem Sinne auf dem Verfahrensfehler beruht. 313 Durch den Rückgriff auf das Verfassungsrecht ließe sich möglicherweise erreichen, daß der Richter entgegen Art. 183 Abs. 3 c.p.c. zu Hinweisen verpflichtet wird. Sanktioniert wäre die Pflicht aber auch weiterhin nur dann, wenn in der Rechtsmittelinstanz geltend gemacht werden kann, wie sich der unterbliebene Hinweis im Einzelfall zum Nachteil der unterlegenen Partei ausgewirkt haben kann. Man fühlt sich damit an den Grundsatzpas de nullite sans grief erinnert. 314 Diese retroperspektivische Betrachtung der Folgen der Beeinträchtigung des rechtlichen Gehörs wird jedoch der praktischen Bedeutung der mündlichen Erörterung nicht gerecht.315 Zunächst ist festzuhalten, daß nicht unbedingtjedes Urteil einem Rechtsmittel unterliegt. In diesen Fällen nützt es der unterlegenen Partei nichts, daß sich das Urteil aus der Sicht des Rechtsmittelgerichts als unrichtig erweisen würde. Unterliegt das Urteil keinem Rechtsmittel, ist es in besonderer Weise geboten, die Parteien rechtzeitig auch auf Rechtsansichten des Gerichts hinzuweisen, die sich bei einer Erörterung mit den Parteien als rechtsirrtümlich erweisen könnte. Allerdings ist zuzugeben, daß dieses Problem in Italien solange nicht akut wird, wie Art. 111 Abs. 2 S. 1 cost. die Kassationsbeschwerde schrankenlos gewährleistet. 316 Aber auch trotz der umfassenden Rechtskontrolle bestehen auch in Italien erhebliche Bedenken gegen diese rein retroperspektivische Sicht. Zum einen werden so Fehlurteile ermöglicht, die in der Rechtsmittelinstanz wieder aufzuheben sind, was der angestrebten zügigen Sachentscheidung nicht dienlich ist. Zum anderen ergibt sich die angemessene Entscheidung einer Tat- oder Rechtsfrage erst in der Diskussion, die eine so große Eigendynamik bei der Wahrheitsfindung hat, daß Platon darauf wesentliche Elemente seiner Dialektik aufbaute. Es geht also um eine andere Prozeßphilosophie,317 eine andere Prozeßkultur, 318 in deren Licht die retroperspektivische Betrachtung, ob die unterbliebene Erörterung die Entscheidung beeinflußt hat, hölzern und steif wirkt. So ist es sehr gut möglich, daß ein Rich312 BGH, MDR 1988, S. 309. 313 BVerfGE 84, 188, 190, BVerjG,

46.

314 Vgl.

NJW 1994, S. 1274 und BVerfG, NJW 1996, S. 45,

dazu oben Fußnote 139, S. 132. Riv. trim. dir. proc. civ. 1988, S. 783. 31 6Vgl. oben C.l.4., S. 116. 317 Lipari, Riv. trim. dir. proc. civ. 1986, S. 335. Tarzia , Rev. int. dr. comp. 1982, S. 797, spricht treffend von einem « imperatif de moralite processuelle». 318 Tarzia, Riv. dir. proc. 1982, S. 48. 315 Fern,

II*

164

C. Das Erkenntnisverfahren

ter nach einer ausgiebigen Erörterung des Sach- und Streitstandes mit den Parteien zu einer anderen Lösung gekommen wäre, ohne daß das Urteil im einen oder anderen Fall aus Sicht eines Rechtsmittelgerichts und insbesondere eines Revisions- oder Kassationsgerichts, das keine eigene Beweiswürdigung mehr durchführt und beispielsweise die Auslegung von Individualverträgen gar nicht oder nur sehr eingeschränkt überprüft, 319 als richtig oder falsch im Sinne von Art. 360 Abs. 1 Nr. 3 c.p.c. oder§ 549 Abs. 1 ZPO anzusehen wäre. Die Vorstellung, Überraschungsentscheidungen verletzten die Parteien nicht in ihren Rechten, beruht regelmäßig auf einem verfehlten Verständnis des Grundsatzes iura novit curia. 320 Selbstverständlich ist und bleibt die Rechtsanwendung ureigenste Aufgabe des Richters. Doch ist nicht zu verkennen, daß diese Aufgabe durch rechtliche Ausführungen der Parteien wesentlich erleichtert wird. Die deutsche Rechtsprechung geht sogar von einer Pflicht der Anwälte zu rechtlichen Ausführungen aus und sanktioniert diese mit möglichen Haftungsfolgen. 321 Dieser Pflicht kann der Anwalt aber nur nachkommen, wenn auch das Gericht seine vorläufige Rechtsauffassung mitteilt. Um diese Pflicht tatsächlich durchzusetzen, wäre es de lege ferrenda wünschenswert, wenn Überraschungsentscheidungen in jedem Fall zur

Nichtigkeit des Verfahrens führen (Art. 360 Abs. 1 Nr. 4 c.p.c.) beziehungsweise einen absoluten Revisionsgrund (§ 551 ZPO) darstellen würden. Wenn zum Beispiel Urteile aufgehoben werden, die inhaltlich richtig sind, aber keine Begründung enthalten,322 erscheint es durchaus auch plausibel, diese Rechtsfolge auch für Überraschungsentscheidungen anzuordnen, was auch vorbeugenden Charakter hätte. Verfassungsrechtlich geboten ist dies jedoch weder nach Art. 24 Abs. 2 c.p.c. noch nach Art. 103 Abs. 1 GG. Gleiches gilt für eine generelle richterliche Hinweispflicht. Daher wird man warten müssen, bis auch in Italien ausdrückliche einfachgesetzliche Regelungen geschaffen werden, 323 um unmißverständlich klar zu machen, daß der Richter nicht nur die Möglichkeit, sondern die Pflicht hat, auf die vollständige Erörterung des Sach- und Streitstandes hinzuwirken.324 Dabei sollte der Richter in tatsächlicher Hinsicht bei der Befragung der Parteien darauf achten, daß sie sich zum Vorbringen der Gegenseite vollständig er319 Vgl. Caponi, Dir. giur. 1996, S. 17; Grunsky, in: Stein/ Jonas 21 , ZPO, § 549 Rdnr. 38. 32 Comoglio, Dig. civ. 4 IV (1989), Contraddittorio, S. 27. Vgl. auch Helbig, Überraschungsentscheidungen, S. 7, 11. 321 BGH, NJW 1974, S. 1865, 1988, S. 486. 3 22 Vgl. Art. 360 Abs. 1 Nr. 5 c.p.c.; §§ 503 Nr. 1, 477 Nr. 9 öZPO; § 551 Nr. 7 ZPO. 323 Grasso, Riv. dir. proc. 1993, S. 729, Fußnote 38; Tarzia, Foro pad. 1986 11, Sp. 83. Es überrascht, daß sich im Entwurf von Tarzia eine solche Regelung nicht findet, sondern die alte Formulierung beibehalten wird, wonach der Richter nur auf die Fragen hinweist, deren Erörterung er für opportun hält (Art. 183 Abs. 1). 324 Tarzia, Lineamenti, S. 85.

°

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

165

klären 325 und darüberhinaus ein Rechtsgespräch mit den Parteien führen, bei dem auch er seine eigene Rechtsansicht mitteilt und nicht bis zum Urteil aufspart.326 Verglichen mit der heutigen Praxis ist dies zumindest im ordentlichen Verfahren weitgehend Zukunftsmusik. Bleibt zu hoffen, daß solche Töne in den zum Teil wunderschönen italienischen RenaissanceGerichtssälen häufiger zu hören sein werden, wenn die Widerstände des Gesetzgebers und vor allem der Praxis gegen eine aktivere Beteiligung des Richters an der Erörterung der Sach- und Rechtslage überwunden sind. 327 c)

Die formlose Anhörung der Parteien durch den Richter

Die mündliche Verhandlung soll durch die richterlichen Hinweise also einerseits dazu dienen, daß die Parteien vom Richter dessen Einschätzung von der jeweiligen Rechtslage erfahren, um ihr weiteres Vorbringen darauf abstellen zu können. Andererseits dient sie aber auch dazu, daß der Richter von den Parteien Ergänzungen und Klarstellungen ihres tatsächlichen Vorbringens erhält, wozu ihm ein entsprechendes Fragerecht zusteht. aa)

Das Fragerecht des Richters

Nach Art. 183 Abs. 3 c.p.c. hat der Richter die Parteien in der ersten mündlichen Verhandlung persönlich zu ihrem tatsächlichen Vorbringen in der citazione oder der Klageerwiderung zu befragen und sie um die nötigen Klarstellungen zu bitten. Ziel dieser im codice di procedura civile von 1940 eingeführten Befragung der Parteien (Art. 183 Abs. 3 c.p.c. 1940) 328 war es, den Parteien durch die Fragen des Richters Gelegenheit zu geben, ihren schriftlichen Vortrag dem Richter zu erläutern und gegebenenfalls zu ergänzen, wenn er lückenhaft erschien. 329 Es handelt sich also um ein interrogatorium ad clarificandum, 330 wie es schon im Hochmittelalter seit den Zeiten der Karolinger und später im Decretum Gratiani bekannt war, 331 zu dem die persönliche Anwesenheit der Parteien angeordnet werden konnte, wenn sie dem Richter zur Aufklärung des Sachverhalts sinnvoll erschien (Art. 117 S. 1 c.p.c.). Dabei war jedoch darauf zu achten, 325 Andrioli,

Noviss. dig. it. XIV (1968), Prova (Dir. proc. civ.), S. 275. Tarzia, Lineamenti, S. 84i Consolo/ Luiso/ Sassani , La riforma del processo civile, Band 1, S. 91. 327 Tarzia, Riv. dir. proc. 1991, S. 643. 328 Die Regelung galt als Art. 183 Abs. 2 c.p.c. 1950 auch nach der Reform von 1950. 329 Relazione, Nr. 29, abgedruckt bei Franchi/ Feroci , Nuovo codice di procedura civile3 , S. LI. 33°Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 62. 331 Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 2, S. 550 ff. 326

166

C. Das Erkenntnisverfahren

daß jede Partei bei der Befragung der anderen anwesend sein konnte. 332 Eine richterliche Aufklärungspfticht, wie sie in Deutschland schon nach § 130 ZPO 1877 und noch ausgeprägter nach § 139 Abs. 1 ZPO 1924 bestand,333 wollte der Gesetzgeber aber nicht einführen. Er begnügte sich mit einem Fragerecht des Richters und stellte damit die Befragung der Parteien zur Klärung ihres Vorbringens in dessen Ermessen. 334 Die Folge war jedoch, daß es in der Praxis kaum zur Befragung der Parteien kam, die im ordentlichen Verfahren bis heute ein bescheidenes Mauerblümchendasein fristet. 335 Denn eine eingefahrene Praxis, die an die mündliche Verhandlung des Rechtsstreits nicht gewöhnt ist, läßt sich nur durch zwingende Vorschriften ändern. Der Richter gleicht insoweit dem selig schlummernden Dornröschen, dem man nicht nur mit Prozeßleitungsbefugnissen die Tür zu seiner Kammer öffnen, sondern auch mit Prozeßleitungspftichten aus seinem Schlaf küssen muß. So ist es bemerkenswert, daß sich Gerichte und Anwälte anläßlich einer Umfrage im Jahre 1956 dafür aussprachen, Art. 117 c.p.c., der ein Herzstück des neuen codice di procedura civile sein sollte, 336 einfach abzuschaffen, 337 da es fraglich sei, ob sich die formlose Befragung der Parteien überhaupt mit den italienischen Gepflogenheiten vereinbaren ließe. 338 Doch ist dies nicht nur auf die traditionell eher passivdistanzierte Grundhaltung der italienischen Richter zurückzuführen, sondern ergibt sich fast zwangsläufig aus den tatsächlichen Umständen, unter denen bisher die mündliche Verhandlung eröffnet wurde. 339 Bedingt durch 332 Diese ausdrückliche Gewährung rechtlichen Gehörs geht zurück auf Carnelutti, Relazione der Universita und des Sindacato Fascista Avvocati e Proeurotori di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 2, S. 158, der heftige Kritik am Vorentwurf von Solmi geübt hatte, weil dort die Anwesenheit der Gegenseite nicht vorgeschrieben war (Art. 158 Abs. 1). 333 Vg!. Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 2, S. 599 f. Vg!. zum deutschen Recht eindrucksvoll Peters, Richterliche Hinweispflichten, S. 7, Fußnote 13, mit umfangreichen Nachweisen von Entscheidungen des Reichsgerichts, in denen es die Berufungsgerichte versäumt hatten, auf die Notwendigkeit der Ergänzung ungenügenden Sachvortrags hinzuwirken. 334 Relazione, Nr. 29, abgedruckt bei Franchi/Feroci, Nuovo codice di procedura civile3 , S. LI. Historisch gesehen blieb das italienische Recht damit auf der Stufe des Hochmittelalters stehen, wo dem Richter bereits ein solches Fragerecht zugestandan hatte ( Cappelletti , La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 2, S. 550 ff.). 335 Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 170; Tarzia, Fora pad. 1986 li, Sp. 83; Tarzia, Rev. int. dr. camp. 1981, S. 797. 336 Siehe Relazione, Nr. 29, abgedruckt bei Franchi/ Feroci, Nuovo codice di procedura civi!e3 , S. LI. 337 So kurz und knapp die Relazione der Corte d 'appello di Milano, Osservazioni e Proposte 1956, Band 1, S. 217, und die Relazione des Consiglio dell'ordine degli avvocati e procuratori di Lecce, Osservazioni e Proposte 1956, Band 1, S. 218. 338 Relazione des Consiglio dell'ordine degli avvocati e procuratori di Genova, Osservazioni e Proposte 1956, Band 1, S. 217 f. 339 Vg!. Pezzano, in: Andrioli/ Baronej Pezzano/ Proto Pisani, Contraversie di lavoro 2 , s. 638.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

167

die Terminierung der Verhandlung durch die Parteien und die regelmäßige Konstituierung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung sah sich der Richter zwangsläufig in einem Termin einer Fülle von Rechtsstreiten gegenüber, deren Inhalt er nur unvollständig oder gar nicht kannte. 340 Daß unter diesen Umständen eine mündliche Verhandlung nicht stattfinden konnte, bedarf keiner weiteren Erläuterung, weshalb auch die persönliche Anwesenheit der Parteien überflüssig war. Die mündliche Verhandlung vor dem Instruktionsrichter glich eher einem großen Familientreffen, bei dem gewann, wer am lautesten schrie, und der Richter sich möglichst aus allem heraus hielt, bis er den Parteien "mit einem Seraphinischen Lächeln mitteilte, daß der Termin vertagt werden müsse, weil ihn die Strafverhandlung oder die Kammerberatung rufe. " 341 Daneben ist aber auch zu berücksichtigen, daß sich in Italien eine Tendenz zum logisch-abstrakten Denken festgesetzt hat, die ihre Wurzeln wohl in der Scholastik findet und die das Lösen juristischer Probleme zu einem Gedankenspiel werden läßt, bei dem die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls nicht mehr von großer Bedeutung sind. 342 Der erste Versuch, die Erörterung der Sachlage mit den Parteien selbst in der ersten mündlichen Verhandlung in den Vordergrund zu rücken, wurde bei der Reform des Arbeitsverfahrens unternommen, wo Art. 420 Abs. 1 S. 1 c.p.c. die persönliche Anwesenheit der Parteien und deren Befragung schon seit 1973 vorschreibt. Um der alten Praxis ausdrücklich eine Absage zu erteilen, wurden die reinen Vertagungstermine ( udienze di mero rinvio) sogar ausdrücklich verboten (Art. 420 Abs. 12 c.p.c.). 343 Das bedeutet, daß die Befragung der Parteien auch dann stattzufinden hat, wenn sich der Beklagte nach alter Sitte erst in der mündlichen Verhandlung konstituiert. 344 Selbst wenn sich die Partei überhaupt nicht konstituiert, sondern einfach nur persönlich zur Verhandlung erscheint, soll die Befragung stattfinden, da es sich bei den Parteiaussagen an dieser Stelle nicht um Prozeßhandlungen im eigentlichen Sinne handelt, für die gegebenenfalls die anwaltliehe Vertretung notwendig wäre. 345 34

°Camelutti, Riv. dir. proc. 1948, S. 124 f.

341 Molinari ,

Riv. dir. proc. 1946 I, S. 171; vgl. zum Zustand vor der Reform Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 200; Redenti , Foro it. 1934 IV, Sp. 181. 342 Cappelletti , La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 46; Calamandrei, Elogio dei giudici, S. 96 f. Ähnliches klingt auch bei Mortara , Giur. it. 1934 IV, Sp. 142, an, der großen Wert auf die Auseinandersetzung des Richters mit Rechtsprechung und Literatur gelegt hat. Ausdruck dieses Denkens ist auch die Universitätsausbildung, bei der das Lösen praktischer Fälle keine Rolle spielt. 343 Vgl. Tarzia, Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 368. 344 Tribunale di Genova vom 3. Juli 1974, Foro it. 1974, Sp. 2494 = Riv. dir. proc. 1975, s. 151, 153. 345 Cass. civ. vom 5. Mai 1982, Nr. 2818, Rep. Foro it. 1982, Lavoro e previdenza (controversie}, Nr. 209.

C. Das Erkenntnisverfahren

168

Jedoch fiel die Reform nicht überall auf fruchtbaren Boden, 346 sondern die Befragung der Parteien wurde zum Teil weiterhin stiefmütterlich behandelt. 347 Begünstigt wurde diese Praxis durch eine inzwischen gefestigte Rechtsprechung der Corte di cassazione. Danach führt der Verfahrensfehler, daß die Parteien nicht persönlich angehört worden sind, nicht zur Nichtigkeit des Verfahrens nach Art. 360 Abs. 1 Nr. 4 c.p.c., die mit der Kassationsbeschwerde gerügt werden könnte. 348 Diese auf Art. 156 Abs. 1 c.p.c. gestützte Rechtsprechung, die im Arbeitsverfahren der Beibehaltung der alten Praxis Tür und Tor geöffnet hat, 349 ist jedoch völlig zu recht als zu oberflächlich und zu formalistisch angegriffen worden. 350 Sie wird insbesondere der großen Bedeutung nicht gerecht, die die Befragung der Parteien gleich zu Beginn der Verhandlung für den weiteren Gang des Prozesses351 und für eine effiziente Zusammenarbeit des Richters mit den Parteien im Sinne der Kooperationsmaxime hat. 352 Zumindest in den Fällen, in denen eine Partei durch die unterbliebene Anhörung prozeßerhebliche Aussagen nicht hat machen können, kann dies nicht übergangen werden. Als Ausweg zur Vermeidung der Nichtigkeit des gesamten Verfahrens wäre hier daran zu denken, der betroffenen Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Art. 184 bis Abs. 1 c.p.c.). 353 bb)

Der Beweiswert der Aussagen für den Richter

Um realistisch einzuschätzen, welchen Wert diese im Arbeits- und nun auch im ordentlichen Verfahren vorgeschriebene Befragung unter persönlicher Anwesenheit des Richters hat, stellt sich die Frage nach dem Beweiswert der Parteiaussagen in der formlosen Anhörung ( valore probatorio dell 'interrogatorio Iibero). Diese Frage hat nicht nur auf den Stellenwert der mündlichen Verhandlung entscheidenden Einfluß354 und damit auf die 346 Vgl.

Matthäus 13: 3 ff.

3 47 Tarzia, Lineamenti, S. 82. 348 Cass. civ. vom 8. März 1978,

Nr. 1171, Foro it. 1978 I, Sp. 1682; Cass. civ. vom 23. Oktober 1982, Nr. 5520, Rep. Foro it. 1982, Lavoro e previdenza (controversie}, Nr. 204; Cass. civ. vom 27. Februar 1984, Nr. 1406, Giust. civ. 1984 I, S. 1448; Cass. civ. vom 21. März 1986, Nr. 2030, Rep. Foro it. 1986, Lavoro e previdenza (controversie}, Nr. 243. 349 Montesano/ Vaccarella, Manuale di diritto processuale del lavoro 2 , S. 130. 350 Proto Pisani, Noviss. Dig. it. (Appendice) IV (1983), Lavoro ( contraversie individuali in materia di}, S. 650, Fußnote 277. 351 Montesano/ Vaccarella, Manuale di diritto processuale del lavoro 2 , S. 130; Nicoletti, Riv. trim. dir. proc. civ. 1984, S. 936; Proto Pisani, Dig. civ. 4 X (1993), Lavoro (controversie individuali in materia di} , S. 371. 352 Grasso, Riv. dir. proc. 1967, S. 603. 353 Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 138 ff.; Proto Pisani , Dig. civ. 4 X (1993) , Lavoro (controversie individuali in materia di}, S. 371. 3 54 Cappelletti , La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 16, 26.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

169

tatsächlichen Befugnisse des Richters, sondern sie gehört zugleich zu den schwierigsten Materien des heutigen italienischen Prozeßrechts. 355 {1)

Die systematische Stellung der Anhörung

Hierzu bedarf es zunächst einiger systematischer Überlegungen, um die formlose Anhörung richtig in den Prozeß einordnen zu können. Das italienische Recht kennt bis heute zwei echte Beweismittel, mit denen die Parteien ihre eigenen Aussagen unter Beweis stellen können. Dies ist zum einen für Aussagen, die eine Partei zu ihren Gunsten vorträgt ( dichiarazioni pro se), der Eid, 356 zum anderen für Aussagen, die ihr ungünstig sind und den Vortrag der Gegenseite bestätigen ( dichiarazioni contra se), das Geständnis. 357 Diese beiden mit voller Beweiswirkung versehenen Beweismittel sind bis heute die einzigen echten Beweismittel, mit denen der italienische Richter das Wissen der Parteien um den Streitgegenstand verwerten kann. Dagegen gibt es in Italien bis heute kein frei zu würdigendes Beweismittel für die Aussagen der Parteien, 358 wie etwa die Parteivernehmung in Österreich (§§ 371 ff. öZPO) und Deutschland (§§ 445 ff. ZPO 1933) oder die Befragung der Parteien in Frankreich (Art. 184 ff. NCPC), wo die formlose Anhörung seit 1942 mit der förmlichen Vernehmung (interrogatoire sur faits et articles) (Art. 324, 336 CPC 1806) verschmolzen ist. 359 In Italien ist die formlose Anhörung ist dagegen kein Beweismittel und findet nicht bei der Beweisaufnahme statt, sondern zu Beginn der Verhandlung, in limine litis. Ausgangspunkt der Überlegungen, welcher Beweiswert den Aussagen bei der formlosen Anhörung zukommt, ist Art. 116 Abs. 2 c.p.c. Danach können die Aussagen der Parteien dem Richter als bloße Beweisargumente (argomenti di prova) dienen.360 Diese Vorschrift findet jedoch nicht nur 355 Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 2, S. 779; Nagel, Grundzüge des Beweisrechts, S. 318. 356 Siehe oben C.l.2., S. 112, und unten C.IV.2.e), S. 292. 357 Siehe oben C.l.2., S. 112, und unten C.IV.2.e), S. 292. 358 Die förmliche Vernehmung (interrogatorio formale) (Art. 228, 230 c.p.c.) dient nur dazu, ein Geständnis der befragten Partei zu erwirken. Gesteht die Partei die Tatsache nicht ein, kann der Richter die Aussage nicht frei würdigen (vgl. Nagel, Grundzüge des Beweisrechts, S. 318). Gleiches galt im übrigen auch für das französische interrogatoire sur faits et articles (Art. 324, 336 CPC 1806) (Polyzogopoulos, Parteianhörung und Parteivernehmung, S. 38). Vgl. dazu auch unten C.IV.2.e), S. 294. 359 Siehe dazu soeben Fußnote 358 sowie unten C.IV.2.e), S. 294. 360 Mag der deutsche Jurist unserer Tage, der sich an die freie Beweiswürdigung gewöhnt hat, zunächst erstaunt fragen, was damit gemeint ist, so findet er bei genauerem Hinsehen sowohl in der römischen als auch in der eigenen Geschichte des deutschen gemeinen Prozesses genau dieselben Gedanken wieder, die Art. 116 Abs. 2 c.p.c. zugrunde liegen (Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 761 ff.).

170

C. Das Erkenntnisverfahren

auf die Aussagen der Parteien während der formlosen Befragung Anwendung, sondern darüberhinaus auf viele andere Fälle, so zum Beispiel das Nichterscheinen zur formlosen Anhörung (Art. 183 Abs. 1 S. 2 c.p.c.) oder das gesamte Prozeßverhalten im Hinblick auf die Pflicht zur Aufrichtigkeit (Art. 88 Abs. 1 c.p.c.). 361 Dieser Anwendungsbereich ist so vielschichtig, daß eine einheitliche Antwort auf die Frage nach dem Wert der Beweisargumente nicht möglich ist. Zugleich ist dies einer der Gründe, warum in dieser Frage soviel Unsicherheit herrscht. Daneben ist die Unsicherheit auch dadurch bedingt, daß der Gesetzgeber bei der Einführung der formlosen Anhörung letztlich die Quadratur des Kreises versucht hat, indem er zum einen die freie Befragung eingeführt, daneben aber auch an den legalen Beweismitteln des Eids und des Geständnisses festgehalten hat. 362 Um festzustellen, welchen Beweiswert die Aussagen der Parteien bei der formlosen Anhörung für den Richter haben, ist wie bei den Beweismitteln des Eids und des Geständnisses zwischen ungünstigen und günstigen Aussagen zu unterscheiden. 363 {2)

Ungünstige Aussagen

Sollte man zunächst meinen, daß dieser Fall einfach zu lösen ist, weil zugestandene und nicht bestrittene Tatsachen nicht beweisbedürftig und vom Richter seiner Entscheidung zugrunde zu legen sind, 364 ergeben sich in Italien erhebliche Schwierigkeiten. 365 Dies liegt wie angedeutet daran, daß das italienische Recht auf der einen Seite das Geständnis ( confessione) weiterhin als Beweismittel mit legalem Beweiswert betrachtet (Art. 2733 Abs. 2 c.c.) und nicht wie heute in Deutschland und Österreich als Außerstreitstellung bestimmter Tatsachen, die damit nicht mehr beweisbedürftig sind. 366 Mit der Einführung der formlosen Anhörung der Parteien, die nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers im Gegensatz zur förmlichen Parteivernehmung (interrogatorio formale) (Art. 228, 230 c.p.c.) nicht dazu dienen soll, ein Geständnis zu erwirken, 367 wurde auf der anderen Seite eine zweite Form der dichiarazione contra se eingeführt, die Übersicht zu Art. 116 Abs. 2 c.p.c. findet sich bei Proto Pisani, Lezioni, S. 474. La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 8. 363 Proto Pisani, Lezioni, S. 105. 364 Vgl. in Deutschland §§ 288 Abs. 1, 138 Abs. 3 ZPO und in Österreich§§ 266 Abs. 1 S. 1, 267 öZPO, wo allerdings die Vorschriften über das fiktive Geständnis im Falle des Nichtbestreitens nicht so stark formalisiert sind, sondern es auf die freie Überzeugung des Richters ankommt. 365 De Marini, Enc. dir. II (1958), Ammissione, S. 251. 366 Vgl. dazu unten Fußnote 194, S. 295. 367 Relazione, Nr. 29, abgedruckt bei FranchijFeroci, Nuovo codice di procedura civile 3 , S. LI. 361 Eine

362 Cappelletti,

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

171

ammissione, 368 die zur Vermeidung von Mißverständnissen im folgenden als Eingeständnis bezeichnet wird. Daß dieses Eingeständnis bei der formlosen Anhörung die Bedeutung eines Geständnisses haben könnte, wurde in Art. 229 c.p.c., der das freiwillige Geständnis außerhalb der Parteivernehmung ( confessione spontanea) regelt, folgerichtig ausdrücklich ausgeschlossen. 369 Damit sollte verhindert werden, daß den Parteien, denen unter Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit zugemutet wird, persönlich vor dem Instruktionsrichter zu erscheinen, aus dieser Pflicht Nachteile erwachsen und ihre Antworten auf Fragen, die sie vorher nicht kannten, als Geständnis gewertet werden.370 Damit war aber die Ratlosigkeit groß, wie das Eingeständnis im Unterschied zum Geständnis beweisrechtlich zu bewerten sei. So haben sich um den Beweiswert des Eingeständnisses viele Theorien entwickelt, die ihr entweder die Wirkung einer gesetzlichen Vermutung (Art. 2727 c.c.}, einer Beweislastumkehr oder eines ordentlichen, frei zu würdigenden Beweismittels zukommen lassen wollten. 371 Unabhängig von der genauen Einordnung des Eingeständnisses und vieler Unklarheiten in Rechtsprechung und Literatur läßt sich aber als Leitlinie vom praktischen Standpunkt des Richters aus festhalten, daß dieser die in der formlosen Anhörung eingestandenen Tatsachen auch ohne (weitere) Beweisaufnahme seiner Entscheidung zugrunde legen kann und muß. 372 Damit unterscheidet sich das Eingeständnis nur dadurch, daß die Partei daran nicht wie an ein Geständnis gebunden ist (Art. 2732 c.c.) ,373 und 368 De Marini, Enc. dir. II {1958), Ammissione, S. 245, 250; Carnelutti, Ist ituzioni, Band 1, S. 403. Der Begriff ist im Gesetz nicht definiert, so daß ähnlich wie bei den Beweisargumenten viele verschiedene Fälle darunter gefaßt werden (Einzelheiten bei De Marini, Enc. dir. II (1958), Ammissione, S. 245 ff.). Furno, Enc. dir. VIII (1961), Confessione {dir. proc. civ.), S. 914, bezeichnet jede Form des ausdrücklichen Zugeständnisses unabhängig vom Beweiswert als confessione, doch soll hier der Terminologie von Carnelutti gefolgt werden. 369 Dies war wohl schon nach dem alten französischen Recht anders. Nach Vincent/Guinchard, Procedure civile23 , Rdnr. 1070, konnte das Geständnis entweder durch ein interrogatoire sur faits et articles erreicht werden (Art. 324, 336 CPC 1806) oder durch die comparution personelle (Art. 119, 428 CPC 1806). 370 Vgl. Furno, Enc. dir. VIII (1961), Confessione {dir. proc. civ.), S. 875. 371 Die einzelnen Theorien aus der zum Teil älteren Literatur sind zusammengestellt bei De Marini, Enc. dir. II (1958), Ammissione, S. 253 f., der die letzte Theorie vertritt. 372 Tarzia, Manualedel processo dellavoro 3 , S. 96, Fußnote 93; Pezzano, in: Andrioli/ Barone/Pezzano/ Proto Pisani, Contraversie di lavoro2 , S. 643. Nach Proto Pisani, Lezioni, S. 105, wirken sie im Sinne eines Nichtbestreitens, so daß die Tatsache nicht mehr zum thema probandum gehört. Tarzia, Lineamenti, S. 40 hat jedoch Bedenken, die eingestandenen Tatsachen aus dem thema probandum herauszunehmen. 373 Die Vorschrift entspricht Art. 1356 Abs. 4 CC und § 290 ZPO, während § 266 Abs. 2 öZPO den Widerruf an keine festen Voraussetzungen knüpft, sondern seine Wirkung der freien Beweiswürdigung des Gerichts überläßt. Damit ist das widerrufene Geständnis in Österreich ein normales Beweismittel, das der Richter nach § 272 öZPO frei würdigen kann (Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 848). Der Österreichische Richter ist hier freier als die übrigen.

172

C. Das Erkenntnisverfahren

hat funktionell die gleiche Bedeutung wie die Erklärung, eine Tatsache nicht zu bestreiten (§ 138 Abs. 3 ZP0). 374 Aus Sicht des Richters spielt dies jedoch zunächst keine Rolle. Er muß die eingestandene Tatsache bei seiner Entscheidung als gegeben ansehen. Nur wenn die Parteien- wie etwa in Statussachen- nicht frei über den Streitgegenstand verfügen können, ist der Richter an das Eingeständnis nicht gebunden. Hier bleibt es ein bloßes Beweisargument. Hält er die übereinstimmenden Angaben der Parteien für glaubhaft, kann er seine Entscheidung darauf stützen, andernfalls ist eine weitere Beweisaufnahme nach 209 c.p.c. zulässig. 375

{3}

Günstige Aussagen

Schwieriger wird es dagegen, wenn die Parteien in der Anhörung das gegnerische Vorbringen auch weiterhin bestreiten, mit anderen Worten die Bewertung der dichiarazioni pro se. Die formlose Anhörung der Parteien war und ist ihrer systematischen Stellung nach zweifellos zunächst dazu bestimmt, das thema probandum zu bestimmen und nicht eine Beweisaufnahme zu ersetzen. Folglich besteht Einigkeit darüber, daß allein durch die Aussagen in der Verhandlung die (weitere) Beweisaufnahme über streitige Tatsachen nicht überflüssig wird. 376 Ob aber der Richter, dem sonst keine Beweismittel zur Verfügung stehen, seine Überzeugung allein auf die Aussagen der beweisbelasteten Partei stützen kann, weil er das Vorbringen der Gegenseite für unglaubhaft hält, ist heftig umstritten. In systematischer Hinsicht ist zu bedenken, daß der Gesetzgeber wie bei den dichiarazioni contra se ein Beweismittel mit legaler Beweiswirkung beibehalten hat, den Eid (Art. 2738 Abs. 1 c.c.). 377 Dieser blieb damit aber auch das einzige Beweismittel für Aussagen der Parteien zu ihren Gunsten. Insbesondere eine als Beweismittel frei zu bewertende Parteivernehmung wie nach § 371 öZPO oder § 445 ZPO 1933 wurde nicht eingeführt. Historisch gesehen ist daher davon auszugehen, daß der Gesetzgeber, der noch stark der alten legalen Beweistheorie verbunden war, mit der bewußten Gegenüberstellung von Beweismitteln (Art. 116 Abs. 1 c.p.c.) und Beweisargumenten (Art. 116 Abs. 2 c.p.c.) der biblischen378 und gemeinrechtlichen Devise nemo testis in causa propria treu 374 BGH,

NJW 1983, S. 1496, 1497; ThomasjPutzo 20 , ZPO, § 288 Rdnr. 3. Pisani, Lezioni, S. 105. 376 Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 173; Proto Pisani, Lezioni, S. 476. Dies 375 Proto

gilt sowohl für den völligen Verzicht auf die Beweisaufnahme (Art. 187 Abs. 1 c.p.c.) als auch für deren vorzeitige Beendigung (Art. 209 c.p.c.). 377 Vgl. dazu unten C.IV.2.e), S. 292. 378 Johannes 5: 51; 8: 13.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

173

bleiben wollte, so daß sich allein auf die Aussage der Partei kein Urteil stützen ließe. 379 Vor allem auf dieses systematische Argument können sich die Vertreter der Ansicht stützen, daß der Richter seine Überzeugung nicht allein auf die Antworten der Parteien stützen darf. 380 Ein deutliches Gegengewicht zu dieser These hat Cappelletti zu setzen versucht, der die begünstigenden Aussagen der Parteien bei der formlosen Anhörung im Sinne einer testimonianza delle parti der freien Beweiswürdigung des Richters unterstellen wollte. 381 Auch in der Rechtsprechung hat sich inzwischen eine Tendenz herausgebildet, die es dem Richter ermöglichen will, seine Entscheidung auch ohne Beweisaufnahme auf die Aussagen der Parteien im Rahmen der Anhörung zu stützen. Während die Aussagen zunächst als Anknüpfungspunkt für eine einfache Vermutung (presunzioni semplici) (Art. 2729 Abs. 1 c.c.) angesehen wurden, 382 werden sie nun einfach als tauglich angesehen, die Entscheidung des Richters allein zu tragen. 383 Diese Tendenz ist besonders im Arbeitsverfahren zu beobachten, 384 wo sie der großen Bedeutung der Befragung der Parteien nach der Reform von 1973 Rechnung trägt. 385 Bedenkt man, daß die Befragung der Parteien nun auch im ordentlichen Verfahren dieselbe zentrale Stellung einnimmt wie im Arbeitsverfahren, ist zu hoffen, daß sich diese Tendenz fortsetzt, damit der Richter aus den Aussagen den größtmöglichen Nutzen ziehen und sich selbst in freier Überzeugung ein Bild von ihrem Wahrheitsgehalt machen kann. In den übrigen Ländern stellt sich die Frage, welchen Wert die Aussagen der Parteien bei ihrer formlosen Anhörung haben, dagegen nicht in gleicher Weise wie in Italien. Wie gesehen, hat Frankreich die Unterscheidung zwischen der förmlichen Parteivernehmung und der form379 Taruffo, Riv. trim. dir. proc. civ. 1977, S. 1564; Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 761. 380 In dieser Richtung Montesano, Riv. dir. proc. 1980, S. 238; G.F. Ricci, Riv. trim. dir. proc. civ. 1988, S. 1101; Art. 2 Nr. 13 lit. I des Gesetzentwurfs Nr. 1463/ S/VIII. 381 Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 16. 382 Cass. civ. vom 29. Mai 1972, Nr. 1684, Rep. Foro it. 1972, Prova civile in generale, Nr. 63. 383 Cass. civ. vom 6. Januar 1982, Nr. 6, Rep. Foro it. 1982, Prova civile in generale, Nr. 34; Cass. civ. vom 23. April 1983, Nr. 2806, Rep. Foro it. 1983, Prova civile in generale, Nr. 34. 384 Tribunale di Genova vom 13. November 1978, Foro it. 1979 I, Sp. 523; Cass. civ. vom 11. März 1981, Nr. 1377, Rep. Foro it. 1981, Prova civile in generale, Nr. 26; Cass. civ. vom 21. Mai 1984, Nr. 3139, Rep. Foro it. 1984, Lavoro e previdenza (controversie), Nr. 194, mit dem Zusatz, daß der Richter jedenfalls dann seine Entscheidung auf die Aussagen der Parteien stützen kann, wenn es um Umstände geht, die nur den Parteien bekannt sein können. 385 Pezzano, in: Andrioli/Barone/Pezzano/Proto Pisani, Controversie di lavoro 2 , S. 639; Denti/ Simoneschi, II nuovo processo di lavoro, S. 109. Ablehnend jedoch weiterhin MontesanojVaccarella, Manuale di diritto processuale del lavoro2 , S. 131.

C. Das Erkenntnisverfahren

174

losen Anhörung völlig abgeschafft; der Richter kann die Aussagen frei würdigen. In Fällen des obligatorischen Urkundenbeweises ersetzen sie sogar den urkundlichen Anfangsbeweis ( commencement de preuve par ecrit) (Art. 198 NCPC, Art. 1347 Abs. 3 CC). 386 In Österreich und Deutschland besteht diese Unterscheidung zwar auch weiterhin fort, doch kann der Richter die Parteivernehmung von Amts wegen anordnen (§ 371 HS. 2 öZPO; § 448 ZP0) ,387 womit es auf den Wert der Aussage bei der Erörterung des Sach- und Streitstandes nicht entscheidend ankommt. Ordnet er die Parteivernehmung dagegen nicht durch einen Beweisbeschluß an (§ 450 Abs. 1 S. ZPO), sondern nimmt ohne förmliche Beweisaufnahme nur eine Würdigung der sich widersprechenden formlosen Aussagen vor, so liegt darin ein Verfahrensfehler, 388 der jedoch nach § 295 ZPO geheilt werden kann. 389 Mit Einverständnis der Parteien kann der Richter also nahtlos von der formlosen Anhörung zur Parteivernehmung übergehen. 3.

Die Mitwirkungspflicht der Parteien

Wie schon im vorherigen Unterabschnitt angeklungen ist, hängen die tatsächlichen Möglichkeiten des Richters, die Verhandlung zu leiten, in großem Maße von der Mitwirkung der Parteien ab, was sich auch in dem Begriff der Kooperationsmaxime widerspiegelt. Es stellt sich damit die Frage, mit welchen Sanktionen eine Partei zu rechnen hat, die ihren prozessualen Obliegenheiten nicht gehörig nachkommt und eine Prozeßhandlung gar nicht, nicht hinreichend oder verspätet vornimmt. In der Terminologie des deutschen gemeinen Prozesses geht es also um die Rechtsnachteile, die eine Partei als Folge ihres "Ungehorsams" 390 erleidet. Denn diese Rechtsnachteile entscheiden darüber, wie scharf das Schwert ist, daß dem Richter zur Verfahrensleitung in die Hand gegeben wird. 391 386 Vgl. SolusjPerrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 827, S. 699. Dabei handelt es sich gemäß Art. 1347 Abs. 2 CC um ein Beweismittel, das das Beweisthema wahrscheinlich macht, z.B. einen Brief, in dem der Beklagte den streitigen Vertragsabschluß erwähnt (Terrej Simler/Lequette, Droit civil, Les obligations, Nr. 152, S. 122 f.). 387 Vgl. zu Einzelheiten unten C.IV.2.e), S. 294. 388 Leipold, in: Steinj Jonas 20 , ZPO, vor § 445 Rdnr. 4 f. Nach Pantle, Praxis des Zivilprozesses2 Rdnr. 393, "sollte der Richter, wenn er den Vortrag .. . nach der Lebenserfahrung für ganz unwahrscheinlich hält, zunächst nach § 448 (ZPO] eine Parteivernehmung . . . durchführen." Gegen die Verpflichtung zur Beweisaufnahme durch Parteivernehmung schon de lege lata Rüßmann, in: Alternativkommentar, ZPO, vor § 445 Rdnr. 5, der wie in Frankreich die Trennung zwischen der formlosen Anhörung und der förmlichen Parteivernehmung aufheben will. 389 Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 450 Rdnr. 1; Nagel, Grundzüge des Beweisrechts, s. 318. 390 So nannte man im gemeinen Prozeß die contumacia. 391 Vgl. Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses 2 , Band 1, S. 446 f. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß Endemann, Das deutsche Ci-

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

175

Am wichtigsten ist es für eine effiziente Verfahrensleitung, daß die Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung erscheinen und sich auf das Vorbringen der Gegenseite hin erklären. Zunächst ist also zu unterscheiden, welche Folgen es hat, wenn eine Partei ihrer persönlichen Anwesenheitspflicht nach Art. 183 Abs. 1 c.p.c. nicht nachkommt und nur ihren Anwalt zum Termin schickt [C.III.3.a)] oder wenn auch der Anwalt im Termin nicht erscheint, die Partei also säumig ist (C.III.3.b)]. 392 Denn je mehr die Säumnis ohne Folgen bleibt, um so mehr verkommt die Mitwirkungspflicht der Parteien zu einer bloßen Leerformel, 393 so daß die Kooperation zwischen Richter und Parteien reine Theorie bleibt. Daneben ist es für den Richter von großer Bedeutung, wie sichergestellt wird, daß die Parteien einerseits vor der mündlichen Verhandlung ihr Vorbringen schriftlich mitteilen, ohne daß andererseits dadurch Ergänzungen des bisherigen Vorbringens, die insbesondere durch Fragen oder Hinweise des Richters angeregt werden, ausgeschlossen sind, damit die mündliche Verhandlung die ihr eigene Dynamik entfalten kann. Erklärt sich eine Partei über das Vorbringen der Gegenseite nicht, kann dies grundsätzlich zwei Auswirkungen haben. Die eine ist auf der Ebene der Beweiswürdigung angesiedelt und führt dazu, daß das unbestrittene Vorbringen als erwiesen oder nicht mehr beweisbedürftig gilt [C.III.3.c)]. Die andere Auswirkung kann darin bestehen, daß eine Partei mit der verspäteten Prozeßhandlung ausgeschlossen ist, wobei hiervon nicht nur tatsächliches Vorbringen, sondern zum Beispiel auch Beweisanträge erfaßt sein können. Es stellt sich also die Frage nach der Präklusion von Prozeßhandlungen [C.III.3.d)] .394 Die letzten drei Themenkomplexe, die Säumnis, die Folgen des Nichtbestreitens und die Präklusionen, sind auch deshalb von besonderem Interesse, vilprozeßrecht, S. 463 ff., den Ungehorsam im Kapitel "Die Thätigkeit des Gerichts" unter dem Stichwort "Formelle Prozeßleitung" behandelt. 392 In Anlehnung an das deutsche und das Österreichische Recht wird unter Säumnis im folgenden jedoch außerdem die Mißachtung der Klageerwiderungsfrist verstanden, soweit dies in den Rechtsfolgen der Säumnis in der mündlichen Verhandlung gleichkommt. Dies kommt in Deutschland im schriftlichen Vorverfahren in Betracht, wenn der Beklagte keine Verteidigungsanzeige abgibt (§§ 331 Abs. 3, 276 Abs. 2 ZPO), in Österreich, wenn der Beklagte die Frist zur Klagbeantwortung versäumt (§ 398 Abs. 1 öZPO), egal ob auf die erste Tagsatzung verzichtet wurde (§ 243 Abs. 4 öZPO) oder nicht. In Frankreich ist die Mißachtung der Frist zur Verteidigungsanzeige dagegen sanktionslos möglich, es ergeht weder ein Säumnisurteil noch treten Präklusionen ein ( VincentjGuinchard, Procedure civile23 , Rdnr. 839). 393 Camelutti, Sistema, Band 2, Nr. 587, S. 596. 394 Die Präklusion der versäumten Prozeßhandlung gehörte im deutschen gemeinen Recht zu den sogenannten "Spezialrechtsnachtheilen" (poenae contumaciae speciales) , die neben die allgemeine Strafe (poena contumaciae generalis) traten, die Kosten der Säumnis zu tragen (Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 466 f.). Diese Kostenregelung ist heute in §§ 95, 344 ZPO; § 48 Abs. 1 öZPO zu finden. Vgl. auch die typisch gemeinrechtliche Vorschrift des § 62 hanPrO 1847, wonach Präklusion und Kostenpflicht die allgemeinen Rechtsnachteile waren.

176

C. Das Erkenntnisverfahren

da sich an ihnen gut aufzeigen läßt, wie sich die hier untersuchten Rechtsordnungen gegenseitig beeinflußt haben. Und nicht zuletzt standen die Präklusionen im Mittelpunkt der jüngsten Reform in Italien. Abschließend soll noch kurz der Frage nachgegangen werden, ob die Parteien verpflichtet sind, wahrheitsgemäße Angaben zu machen [C.III.3.e)J. a)

Das persönliche Nichterscheinen der Parteien

Zunächst kann das Nichterscheinen der persönlich geladenen Partei in allen untersuchten Prozeßordnungen auf der Ebene der Beweiswürdigung berücksichtigt werden. 395 Ein Geständnis ist damit aber außerhalb der förmlichen Parteivernehmung396 nicht verbunden. 397 So kann der Richter in Italien das Nichterscheinen bei der Entscheidung lediglich als Beweisargument im Sinne des Art. 116 Abs. 2 c.p.c. verwenden (Art. 183 Abs. 1 S. 2 c.p.c.), 398 auf das allein, anders als bei der Bewertung der Aussagen der Parteien bei der formlosen Anhörung, keine Verurteilung gestützt werden kann. Ordnungs- oder Zwangsmittel gegen die nicht erschienene Partei gibt es in Italien dagegen genauso wenig wie in Frankreich und grundsätzlich auch nicht in Österreich. 399 In Deutschland kann dagegen seit 1924 ein Ordnungsgeld gegen die nicht erschienene Partei verhängt werden (§ 141 395 Art. 116 Abs. 2 c.p.c.; Art. 198 NCPC; zu Deutschland siehe Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 141 Rdnr. 10; zu Österreich siehe Fasching, öZPO, § 183 Anm. 2, S. 876. In Deutschland war dies ausdrücklich geregelt beispielsweise in Art. 156 bayPrO 1869. 396 Vgl. dazu Art. 232 c.p.c.; §§ 446, 454 ZPO; § 381 öZPO. In Frankreich gibt es keine Trennung mehr zwischen der einfachen Befragung der Parteien und der förmlichen Parteivernehmung (vgl. oben C.III.2.c.bb.(1), S. 169; unten C.IV.2.e), S. 294). 397 So aber § 265 Abs. 1 des preußischen Entwurfs von 1864. Zu Art. 158 Abs. 1 des Vorentwurfs von Solmi vgl. Zanzucchi, Relazione der Universita cattolica di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 2, S. 159. 398 Dies gilt nach der herrschenden Meinung (Montesanoj Vaccarella, Manuale di diritto processuale dellavoro2 , S. 132; Proto Pisani, Lezioni, S. 103; Cass. civ. vom 30. Januar 1984, Nr. 721, Rep. Foro it. 1984, Lavoro e previdenza (controversie), Nr. 191) auch im Falle des Nichterscheinens im Arbeitsverfahren, obwohl Art. 420 Abs. 1 S. 2 c.p.c. keinen ausdrücklichen Verweis auf Art. 116 Abs. 2 c.p.c. enthält. Die Entscheidungen Cass. civ. vom 20. Juli 1985, Nr. 4301, Rep. Foro it. 1985, Lavoro e previdenza (controversie), Nr. 230, und Cass. civ. vom 7. März 1987, Nr. 2427, Rep. Foro it. 1987, Lavoro e previdenza (controversie), Nr. 181, wollen dem Nichterscheinen jedoch den gleichen Wert einräumen wie bei der förmlichen Parteivernehmung (Art. 232 c.p.c.), wonach der Richter die Behauptungen des Gegners auch als zugestanden bewerten kann . Auch nach Denti/Simoneschi, II nuovo processo di lavoro, S. 110, wiegt das Nichterscheienn im Arbeitsverfahren stärker als ein Beweisargument im Sinne des Art. 116 Abs. 2 c.p.c. Ähnlich wohl auch Pezzano, in: Andrioli/BaronejPezzano/Proto Pisani, Contraversie di lavoro2 , S. 639. 399 Fasching, öZPO, § 183 Anm. 2, S. 876. Eine Ausnahme besteht lediglich in Ehesachen nach § 460 Nr. 1 öZPO i.V.m. § 87 GOG.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

177

Abs. 3 ZPO 1924). 400 Diese Vorschrift ist darum so interessant, weil der Vorentwurf von Solmi in Art. 28 Abs. 2 eine ganz ähnliche Regelung vorgesehen hatte, die auf einigen Widerstand stieß401 und eines der Elemente war, in denen Calamandrei zusammen mit der strafsanktionierten Wahrheitspflicht (Art. 26 Abs. 2) 402 eine vom nationalsozialistischen Deutschland her einfließende Tendenz zur "Poenalisierung des Zivilprozesses" zu erkennen glaubte. 403 Auch wenn dieser Einwand jedenfalls bezüglich der Ordnungsmaßnahmen gegen die nicht persönlich erschienene Partei historisch gesehen nicht korrekt ist, weil die Sanktion in Deutschland schon 1924 eingeführt wurde und eine ähnliche Vorschrift bereits zur Blütezeit des Liberalismus in Hannover gegolten hatte (§ 66 Abs. 2 banPrO 1850), ist nicht zu übersehen, daß diese Befugnis des Richters nicht gerade Ausdruck eines "urliberalen" Prozeßverständnisses ist, in dessen Mittelpunkt allein die persönliche Freiheit der Parteien steht. 404 Vielmehr beruht die Regel auf der zutreffenden Erwägung, daß es vielfach leichter ist, mit den Parteien persönlich zu verhandeln, um den tatsächlichen Hergang des streitigen Geschehens zu ermitteln und sie wenn möglich zu einer gütlichen Einigung zu bewegen. Genau diese Erwägungen haben dazu geführt, daß sich Italien nun dazu entschlossen hat, die persönliche Anwesenheit der Parteien in der ersten Verhandlung gesetzlich vorzuschreiben. Wirksam ist diese gesetzliche Anordnung aber nur, wenn sie hinreichend sanktioniert ist. Die freie Würdigung des Nichterscheinens kann aber die fehlenden Aufklärungen der Parteien letztlich nicht ersetzen, so daß der Richter entweder auf der Grundlage eines weniger aufgeklärten Sachverhalts entscheiden muß, was die Gefahr eines unrichtigen Urteils erhöht. Oder er muß die Verhandlung verschieben, um die Partei beim nächsten Mal anzuhören. Da beide Wege nicht dem eingangs beschriebenen Ziel des Zivilprozesses entsprechen, den Rechtsstreit zügig zu einem mit der materiellen Rechtslage übereinstimmenden Sachurteil zu führen, ist die Befugnis, angemessene Ordnungsmaßnahmen zu verhängen, einer effizienten richterlichen Verfahrensleitung durchaus dienlich und daher zu begrüßen. Für die Situation in Italien ist dagegen der Vorschlag von Chiarloni bezeichnend, der sich angesichtsder neu eingeführten obligatorischen Anwesenheit der Parteien im ersten Termin dafür ausgesprochen hat, daß die Parteien diese Pflicht gegebenenfalls 400 Das Ordnungsgeld beträgt DM 5,- bis DM 1.000,- (Art. 6 Abs. 1 S. 1 EGStGB). 401 Camelutti, Relazione der Universita und des Sindacato Fascista Avvocati e Procuratori di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 1, S. 270. 402Siehe dazu unten C .III.3.e), S. 229. 403 Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 306. Damit meinte er die Tendenz, einen einheitlichen Prozeß nach den Regeln des Strafprozesses auch für Zivilsachen zu schaffen. 404 Vgl. Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S. 100. 12 Piekenbrack

178

C. Das Erkenntnisverfahren

schlicht ignorieren sollten. 405 Es ist zwar richtig, daß es Verhandlungen gibt, in denen die persönliche Anwesenheit der Parteien nicht nötig ist. Doch sollten nicht die Parteien darüber befinden, wann ein solcher Fall vorliegt, sondern der Richter.

b) Die Säumnis Am weitreichendsten verletzen die Parteien ihre Mitwirkungspfiicht, wenn sie sich auf das Verfahren gar nicht einlassen, also säumig bleiben. Hier ist es aus Sicht des Richters von besonderem Interesse, ob dies letztlich sanktionslos geschehen kann oder ob er wirksame Möglichkeiten hat, die bloß taktische Säumnis zu verhindern. aa)

Das heutige Säumnisverfahren

Bei der Säumnis im oben definierten Sinne406 lassen sich im heutigen Recht die hier untersuchten Länder in zwei Gruppen einteilen. Auf der einen Seite stehen Frankreich und Italien, auf der anderen Deutschland und Österreich, die jeweils deutliche Ähnlichkeit im Recht der Säumnis aufweisen.

(1) Italien und Frankreich Das italienische Säumnisverfahren unterscheidet in dogmatischer Hinsicht bis heute die Säumnis im eigentlichen Sinne ( contumacia) und das bloße Nichterscheinen (mancata comparizione). Eine Partei ist säumig, wenn sie sich nicht bei Gericht konstituiert, was vorn Instruktionsrichter in der ersten mündlichen Verhandlung, im Falle des Beklagten nach Überprüfung der ordnungsgernäßen Zustellung der citazione,401 ausdrücklich festgestellt wird (Art. 171 Abs. 3 c.p.c.). 408 Ihr werden Ladungen zur förmlichen Vernehmung und zum Eid sowie Schriftsätze, die neue Klage- oder Widerklageanträge beinhalten, persönlich zugestellt (Art. 292 c.p.c.), um ihr die Gelegenheit zu geben, sich als Partei vernehmen zu lassen oder sich nachträglich zu konstituieren, was bis zum Abschluß des Instruktionsverfahrens möglich ist (Art. 293 Abs. 1 c.p.c.). Bloßes Nichterscheinen liegt 405 Chiarloni , Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 171. 406Siehe oben Fußnote 392, S. 175. 407 War die Zustellung fehlerhaft, ordnet der Richter ihre Wiederholung durch den Kläger an (Art. 291 Abs. 1 S. 1 c.p.c.). 408 Der pretore und der giudice di pace haben gemäß Art. 59 disp. att. c.p.c . mindestens eine Stunde mit der Feststellung zu warten.

III. Die Stellung des Richters bei der trattazione

179

dagegen vor, wenn eine bei Gericht konstituierte und damit im Rechtssinne anwesende Partei409 nicht zur mündlichen Verhandlung erscheint. Zustellungen an die nicht erschienene Partei sind hier nicht nötig, da sie sowieso an den Anwalt erfolgen (Art. 170 c.p.c.). Als drittes ist noch der Fall der verspäteten Einlassung ( costituzione tardiva) nach Ablauf der gesetzlichen Fristen zu berücksichtigen, der jedoch nur unter dem Gesichtspunkt der Präklusionen von Bedeutung ist und damit hier zunächst übergangen wird. In Frankreich gibt es heute dagegen nur noch eine Form der Säumnis (defaut), den defaut de comparution. Bedenkt man, daß unter comparution nicht unbedingt das Erscheinen in der mündlichen Verhandlung verstanden wird, sondern die Bestellung eines Anwalts, 410 bedeutet dies, daß beim tribunal de grande instance säumig ist, wer keinen Anwalt bestellt, beim tribunal d'instance dagegen, wo kein Anwaltszwang besteht, wer zur mündlichen Verhandlung persönlich nicht erscheint. 411 Erscheint der Anwalt nach seiner Bestellung nicht zum Termin, liegt dagegen kein eigentlicher defaut vor, auch wenn sich für diesen Fall die Bezeichnung defaut d'accomplissement des actes de la procedure dans les delais requis eingebürgert hat. 412 Er ähnelt dem bloßen Nichterscheinen in Italien. Ist der ordnungsgemäß geladene Bekagte säumig oder erscheint er nicht, wird in seiner Abwesenheit verhandelt und über die Behauptungen des Klägers Beweis erhoben.413 Zwar hat die Säumnis unter Umständen beweisrechtliche Nachteile für den Beklagten,414 doch kann er nicht allein wegen seiner Säumnis verurteilt werden. 415 Doch scheint die Vielzahl der 409 SattajPu.nzi,

Diritto processuale civiie 11 , S. 416, spricht von presenza legale. oben Fußnote 67, S. 120. 411 Solu.sjPerrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 183, S. 186; Michelet, Jur. Class. Proc. civ., Fase. Nr. 538, Ju.gement par defau.t et opposition, Nr. 3 f., S. 2. 412 Michelet, Jur. Class. Proc. civ., Fase. Nr. 542, Ju.gement par defau.t et opposition, Nr. 1, S. 2. 413 Vgl. Proto Pisani 129; Costantino, in: Tarzia/ Cipriani, Provvedimenti urgenti, c.p.c., Art. 181 e 183, S. 81; Misera, Die Eventualmaxime, S. 12. Zu Frankreich vgl. Art. 472 Abs. 1 NCPC. 414 Vgl. Art. 11 Abs. 1 NCPC; Art. 183 Abs. 1 S. 2, 116 Abs. 2 c.p.c. Im Falle der eigentlichen Säumnis soll dies in Italien nach einer verbreiteten Auffassung jedoch nicht gelten. Außerdem gelten in Italien Privaturkunden des Klägers als anerkannt (Art. 215 Abs. 1 Nr. 1 c.p.c.), wobei es nach Corte cost. vom 6. Juni 1989 Nr. 317, Foro it. 1989 I, Sp. 2388, nach Art. 24 Abs. 2 cost. geboten ist, der säumigen Partei das Protokoll über die Beweisaufnahme zukommen zu lassen, damit sie nach Art. 293 Abs. 3 c.p.c. nachträglich die Echtheit der Urkunde bestreiten kann. 415 Michelet, Jur. Class. Proc. civ., Fase. Nr. 538, Ju.gement par defaut et opposition, Nr. 80, S. 12; SolusjPerrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 193, S. 195. Die Cour de cassation prüft streng, ob die Instanzgerichte der Klage nur insoweit stattgeben, wie sie reguliere, recevable und bien fondee ist (Art. 472 Abs. 2 NCPC), und sich nicht mit einer pauschalen Begründung begnügen. Vgl. dazu Cass. 2• civ. vom 17. Dezember 1979, Bull. civ. 1979 li, Nr. 295, S. 204; Cass. 2• civ. vom 6. Februar 1980, Bull. civ. 1980 li, Nr. 28, S. 20; Cass. com. vom 18. Juni 1985, Bull. civ. 1985 IV, Nr. 194, S. 162 f.; Cass. 2• civ. vom 5. November 1985, D. 1986 inf. rap., S. 457. 4 10Vgl.

12•

180

C. Das Erkenntnisverfahren

Entscheidungen, mit denen die Cour de cassation tatrichterliche Entscheidungen wegen Verstoßes gegen Art. 472 Abs. 2 NCPC aufhebt, darauf hinzudeuten, daß die Instanzgerichte sich in Frankreich häufig mit weniger zufrieden geben als einem vollen Beweis des Klagvortrags. In Italien ist diese Tendenz in der Praxis dagegen nicht festzustellen. Eine Besonderheit gilt schließlich noch in Frankreich im Falle des defaut d'accomplissement des actes de la procedure dans les delais requis. Zwar gilt auch hier, daß die Klage in analoger Anwendung von Art. 472 Abs. 2 NCPC bien fondee zu sein hat.416 Hatte der Richter jedoch das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet, kann er das Nichterscheinen nach Art. 198 NCPC frei würdigen. 417 Der säumige oder nicht erschienene Beklagte läuft damit wesentlich leichter Gefahr, daß ein Sachurteil gegen ihn ergeht, als in Italien. Ist der Kläger säumig418 oder erscheint er nicht, kann in seiner Abwesenheit in der Sache verhandelt werden, wenn der Beklagte dies beantragt.419 Dabei kann gegebenenfalls auch eine Beweisaufnahme stattfinden. 420 Stellt der Beklagte diesen Antrag nicht, so hat der Richter entweder die Sache aus dem Register zu streichen ( cancellazione dal ruolo), wodurch der Prozeß erlischt (estinzione del processo) (Art. 290, 307 Abs. 1 c.p.c.), 421 beziehungsweise festzustellen, daß die Klage als nicht erhoben gilt ( caducite de la citation) (Art. 468 Abs. 2, 469 Abs. 2 NCPC), 422 oder aber die Verhandlung zu vertagen. 423 416 Michelet, Jur. Class. Proc. civ., Fase. Nr. 542, Jugement par defaut et opposition, Nr. 40, S. 6. 417 Vgl. Solus/ Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 224, S. 216. 418 Eine Säumnis im eigentlichen Sinne ist in Frankreich bei Verfahren vor dem tribunal de gronde instance nicht möglich, da die Klageerhebung ohne Anwalt nichtig wäre (Art. 752 Nr. 1 NCPC) (Solusj Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 183, S. 186). 419 Vgl. in Italien bei Säumnis Art. 290, 187 c.p.c., bei Nichterscheinen Art. 181 Abs. 2 S. 1 c.p.c. In Frankreich bei Säumnis Art. 468 Abs. 1 NCPC, bei Nichterscheinen Art. 469 Abs. 1 NCPC, wo jedoch kein Antrag des Beklagt en erforderlich ist. 420 Art. 290 c.p.c. verweist auf die Anordnungen des Richters nach Art. 187 c.p.c. Früher war dort in Abs. 4 auch der Beweisbeschluß geregelt, der heute in Art. 184 c.p.c. steht. Es handelt sich somit um ein Redaktionsversehen, daß die Verweisungsnorm nicht entsprechend angepaßt wurde. Soweit der Kläger die Darlegungs- und Beweislast trägt, ist die Beweisaufnahme entbehrlich. Doch sind durchaus Fälle denkbar, in denen auch der Beklagte ein Interesse an der Durchführung der Beweisaufnahme hat, z.B. bei negativen Feststellungsklagen, Zwischenfeststellungsanträgen und Widerklagen. 421 Bei bloßem Nichterscheinen kann dies erst geschehen, wenn der Termin einmal vertagt worden ist und der Kläger auch zu diesem Termin nicht erscheint (Art. 181 Abs. 2 S. 2, 307 Abs. 1 c.p.c.). 422 Solus/ Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 188, S. 190. Bei bloßem Nichterscheinen bedarf es dafür jedoch eines Antrags des Beklagten, da dort die Sachentscheidung der Regelfall ist. 423 Dies ist möglich beim bloßen Nichterscheinen in Italien nach Art. 181 Abs. 2 S. 1 c.p.c., in Frankreich im Falle der Säumnis nach Art. 468 Abs. 1 NCPC .

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

181

Bei Säumnis beider Parteien findet kein Säumnisverfahren statt,424 da das Gericht mit der Streitsache ohne die Konstituierung wenigstens einer Partei gar nicht befaßt wird. Nach Art. 171 Abs. 1, 307 Abs. 1 c.p.c. kann der Kläger den Prozeß jedoch binnen Jahresfrist wieder aufnehmen, wenn sich keine Partei innerhalb der von Art. 166 c.p.c. bestimmten Frist konstituiert hat. 425 Nach Ablauf dieser Frist erlischt der Prozeß. Erscheinen dagegen beide Parteien nicht zur mündlichen Verhandlung, kann der Prozeß ohne Sachurteil zu Ende gehen. Wenn bei der ersten oder einer späteren Verhandlung niemand erscheint, wird die Sache zunächst vertagt und bei wiederholtem Nichterscheinen aus dem Register gestrichen (Art. 181 Abs. 1, 309 c.p.c.). 426 Wie bei der beiderseitigen Säumnis erlischt der Prozeß, wenn er nicht binnen eines Jahres nach der Streichung wieder aufgenommen wird (Art. 307 Abs. 1 c.p.c.). Ähnliches gilt auch in Frankreich, wo der Richter die Streichung (radiation) der Sache erklärt, wenn beide Parteien nicht erscheinen (Art. 470, 381 ff. NCPC), was der Streichung aus dem Register in Italien sehr ähnlich ist. Ergeht gegen eine der säumigen Parteien eine Sachentscheidung, geschieht dies regelmäßig durch ein streitiges Urteil, gegen das die Berufung stattfindet. Dem schuldlos säumigen Beklagten steht in Italien aber auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (rimessione in termine) offen, wenn er nachweist, daß die citazione oder die Zustellung nichtig war und er daher nichts von dem Verfahren wußte oder aus einem sonstigen nicht zu vertretenen Grund an der Konstituierung gehindert war (Art. 294 Abs. 1 c.p.c.). In Frankreich kann die Sachentscheidung gegen den Beklagten ausnahmsweise durch ein echtes Säumnisurteil (jugement par defaut) ergehen, das dem Rechtsbehelf des Einspruch ( opposition) (Art. 571 NCPC) unterliegt. Wegen seiner engen Voraussetzungen427 424 SattajPunzi,

Diritto processuale civile 11 , S. 416. die Wiederaufnahme muß er den Beklagten wie in der citazione zur Verhandlung laden und zur Konstituierung auffordern (Art. 125 disp. att. c.p.c.). 426 Hier offenbart sich in besonderer Weise der Zick-Zack-Kurs des Reformgesetzgebers. Ursprünglich sollte der Prozeß sofort erlöschen, wenn keine Partei erschien (Art. 181 Abs. 2 c.p.c. 1940). Nach der Reform von 1950 wurde die Verhandlung dagegen bei beiderseitigem Nichterscheinen vertagt (Art. 181 Abs. 1, 307 Abs. 1 c.p.c. 1950) und erst im Wiederholungsfall aus dem Register gestrichen. Damit war der Prozeß jedoch noch nicht erloschen, sondern konnte noch binnen eines Jahres wieder aufgenommen werden. Die Reform von 1990 knüpfte an die Tradition von 1940 an und sah die sofortige Streichung aus dem Register vor. Die vom Parlament durch Art. 4 Abs. 1 bis G .-D. 432/1995 in der Fassung des G. 534/1995 eingeführte Regelung stimmt ihrerseits fast wörtlich mit Art. 181 Abs. 1 c.p.c. 1950 überein. Sie hat damit auf Druck der Anwaltschaft ein weiteres Mosaiksteinehen aus dem Bild eines auf wenige Verfahrenstermine konzentrierten Prozesses herausgebrochen ( Chiarloni, Riv. trim. dir. proc. civ. 1996, S. 518 f.). 427 Ein Urteil gegen einen säumigen Beklagten ist nur dann als echtes Säumnisurteil anzusehen, wenn die Berufung ausnahmsweise unzulässig ist und wenn ihm die Ladung nicht persönlich zugestellt worden war. War die Ladung nicht persönlich zugestellt, 425 Für

182

C. Das Erkenntnisverfahren

findet es in der Praxis jedoch kaum Anwendung.428 Im übrigen gilt ein Urteil im Falle der Säumnis hinsichtlich der Rechtsmittel als ein streitiges Urteil (jugement repute contradictoire) (Art. 473 Abs. 2 NCPC) , bei bloßem Nichterscheinen ist das Urteil ein echtes streitiges Urteil (jugement contradictoire) (Art. 467 NCPC), die beide nur mit der Berufung ( appel) (Art. 543 NCPC) anfechtbar sind. Damit herrscht in Frankreich und Italien bezüglich der Rechtsmittel gegen die Säumnisurteile weitgehende Übereinstimmung. (2)

Deutschland und Österreich

Das deutsche und das Österreichische Recht gehen dagegendavon aus, daß bei Säumnis429 des Beklagten der Kläger sein Vorbringen nicht mehr beweisen muß und der säumige Kläger mit seiner Klage ohne Sachurteil abgewiesen wird. So gelten in Österreich im Falle der Säumnis des Klägers oder des Beklagten die von der Gegenseite behaupteten Tatsachen als wahr, soweit sie nicht durch bereits erhobene Beweise430 widerlegt (§ 396 öZPO) oder offenkundig falsch sind (§ 269 öZP0), 431 ohne daß die Schriftsätze der säumigen Partei berücksichtigt würden (§ 397 Abs. 1 öZPO). In Deutschland gilt bei Säumnis des Beklagten das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers dagegen als zugestanden (§ 331 Abs. 1 ZPO), soweit es zuvor kann der Richter die Wiederholung der Ladung veranlassen (Art. 471 NCPC), um auch in diesem Fall ein Säumnisurteil zu vermeiden. Damit werden die Fälle der schuldlosen Unkenntnis von der Klage erfaßt, die in Italien die Wiedereinsetzung rechtfertigen. 42 8 Solus/ Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 198, S. 198. 429 Säumnis liegt vor, wenn eine Partei - beziehungsweise im Anwaltsprozeß ihr Anwalt (§ 78 Abs. 1 ZPO) - trotz ordnungsgemäßer Ladung (§ 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) nicht erscheint oder nicht verhandelt (§ 333 ZPO). Auf die persönliche Zustellung der Ladung kommt es anders als in Frankreich nicht an. Es genügt vielmehr wie in Italien jede vom Gesetz als zulässig erachtete Zustellungsform, auch die öffentliche Zustellung (§ 203 ZPO; § 25 ZustG; Art. 143 c.p.c.). Jedoch hat das Gericht zu berücksichtigen, ob die Partei beziehungsweise ihr Anwalt unverschuldet ausgeblieben ist, und die Verhandlung gegebenenfalls zu vertagen (§ 337 S. 1 ZPO). 430 In Betracht kommen zu Beginn des Prozesses z.B. Urkunden, die der Kläger zusammen mit der Klageschrift eingereicht hat, die Ergebnisse einer Beweiserhebung zur Beweissicherung vor der mündlichen Verhandlung (§ 183 Abs. 3 öZPO) (Fasching, öZPO, § 396 Anm. 6, S. 621) oder einem vorangegangenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 378 EO). Die Feststellungen aus Strafurteilen ersetzen dagegen nicht die Beweisaufnahme des Zivilrichters, seit die Bindung des Zivilrichters an die Feststellungen des Strafurteils (§ 268 öZPO) vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden ist (öBGBI. 1990, Nr. 706). In Deutschland war diese Bindung bereits durch § 14 Abs. 1 Nr. 1 EGZPO beseitigt worden. In Italien ist der Zivilrichter gemäß Art. 2 Abs. 2 c.p.p. nicht an die Feststellungen des Strafrichters gebunden. 4 31 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1397.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

183

schriftsätzlich angekündigt war (§ 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Dadurch ist es im Gegensatz zum Österreichischen Recht nicht mehr beweisbedürftig; 432 für die Würdigung eventuell schon vorliegender Beweise ist kein Raum. Der säumige Kläger wird ohne weitere Prüfung seines Anspruchs mit der Klage durchSachurteil abgewiesen (§ 330 ZP0). 433 Außer in EhenichtigkeitBund Kindschaftssachen (§§ 635, 640 ZPO) ist es also nicht möglich, daß der Beklagte wie in Frankreich oder in Italien nur beantragt, die Rücknahme der Klage festzustellen. Da nur ausnahmsweise schon zu Beginn des Prozesses Beweismittel vorliegen, gilt in Deutschland wie in Österreich faktisch der Grundsatz, daß auf Antrag der Gegenseite der säumige Beklagte bei Schlüssigkeit der Klage durch Versäumnis- beziehungsweise Versäumungsurteil in der Sache verurteilt und der säumige Kläger mit der Klage abgewiesen wird. Völlig verschiedene Wege gehen beide Länder jedoch, wenn der Beklagte nicht gleich in der ersten mündlichen Verhandlung ausbleibt, sondern in einem späteren Termin. In Deutschland steht die Säumnis in einem späteren Termin (Teilsäumnis) in ihren Wirkungen grundsätzlich völlig gleich (§ 332 ZPO). Jede Partei kann gegen die andere nach den oben beschriebenen Grundsätzen ein Versäumnisurteil beantragen, der bisherige Prozeßverlauf wird ignoriert. 434 Hierin kommt das Bemühen des Gesetzgebers zum Ausdruck, dem Grundsatz der Mündlichkeit konsequent treu zu bleiben, 435 auch wenn damit der Grundsatz der Einheitlichkeit der mündlichen Verhandlung durchbrachen wird.436 Deshalb hat jede Partei ihr bisheriges Vorbringen in jedem Termin zur mündlichen Verhandlung wenigstens stillschweigend aufrechtzuerhalten, 437 was im Falle der Säumnis nicht geschieht. Bedenkt man, daß auch Beweistermine vor dem erkennenden Gericht zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt sind (§ 370 Abs. 1 ZPO), ergibt sich daraus, daß jede Partei in jedem Stadium des Prozesses den Erlaß eines Versäumnisurteils riskiert, wenn sie dem Verfahren fernbleibt. Nur die Beweisaufnahme selbst wird auch in Abwesenheit einer oder sogar beider Parteien vorgenommen(§ 367 Abs. 1 ZPO). Andererseits hat die erschienene Partei auch keine MöglichHerget, in: Zöller 20, ZPO, § 331 Rdnr. 6. wenn die Klage unzulässig ist, ergeht ein klagabweisendes, kontradiktorisches Prozeßurteil (BGH, NJW-RR 1986, S. 1041; OLG München, NJW-RR 1989, S. 1405). 434 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 15 , S. 609; Prütting, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 332 Rdnr. 1. 435 Dahlmanns , Strukturwandel, S. 80. 436 So ausdrücklich § 6 der Allgemeinen Begründung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung2 , Band 1, S. 129. Siehe heute beispielsweise Prütting, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 332 Rdnr. 1. 437 Vgl. § 6 der Allgemeinen Begründung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung2 , Band 1, S. 129. Vgl. auch Wach , Die Mündlichkeit im Österreichischen Civilprocess-Entwurf, S. 5. 432 Vgl. 433 Nur

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C. Das Erkenntnisverfahren

keit, in Abwesenheit streitig weiterzuverhandeln, auch wenn sie daran ein Interesse hätte. Wird kein Versäumnisurteil beantragt, gelten beide Parteien als säumig (§ 333, 251 a ZP0). 438 Der Richter hat dann das Ruhen des Verfahrens (§ 251 ZPO) anzuordnen, soweit er die Verhandlung nicht bei unverschuldeter Säumnis gemäß § 227 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vertagt439 oder den Rechtsstreit bei Entscheidungsreife440 nach einer durchgeführten mündlichen Verhandlung durch ein Urteil nach Lage der Akten entscheidet (§ 251 a Abs. 1 ZP0). 441 Unter den gleichen Umständen kann auch die erschienene Partei ein Urteil nach Lage der Akten beantragen(§ 331 a ZPO), eine streitige Verhandlung ist jedoch in jedem Fall ausgeschlossen. In Österreich ist dagegen ein echtes Versäumungsurteil mit den oben beschriebenen Wirkungen gegen den Beklagten nur bis zur Einlassung zur Sache möglich, 442 gegen den Kläger bis zur ersten Tagsatzung (§§ 396, 442 Abs. 1 öZPO). Danach kann das bisherige Vorbringen nicht ignoriert werden, 443 da die Säumnis nicht zurückwirkt, sondern bisherige Prozeßhandlungen unberührt läßt. 444 In diesem Fall kann in Abwesenheit der säumigen Partei weiterverhandelt werden, wobei die erschienene Partei auch neue Tatsachen behaupten, Beweismittel benennen (§ 179 Abs. 1 S. 1 öZPO) oder den Antrag ändern kann, soweit dafür nicht die Zustimmung der Gegenseite erforderlich ist(§ 235 Abs. 3-5 öZP0). 445 Der Prozeß wird dann bis zur Entscheidungsreife in Abwesenheit der säumigen Partei durchgeführt. Die erschienene Partei kann aber auch sofort ein streitiges in: Zöller 20 , ZPO, § 251 a Rdnr. 1. Zivilprozeßrecht 15 , S. 611. 440 BVerfG, NJW 1985, S. 3005, 3006. 441 Dagegen ist es untunlich, nur die Säumnis festzustellen, da so ein ungeregelter tatsächlicher Stillstand einträte (Jauemig, Zivilprozeßrecht 24 , S. 294; Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 251 a Rdnr. 1). Da es keine dem Erlöschen des Prozesses vergleichbare Sanktion gibt, kann das Verfahren auch nicht allein durch Zeitablauf beendet werden, sondern bleibt ewig anhängig. Wird es jedoch sechs Monate lang von den Parteien nicht betrieben, legt das Gericht die Akten beiseite (§ 7 Abs. 3 AktO), ohne daß dadurch das Prozeßrechtsverhältnis beendet würde. 442 Der Beklagte läßt sich im Verfahren vor einem Gerichtshof erster Instanz durch die schriftliche Klagebeantwortung sachlich auf die Klage ein, im bezirksgerichtliehen Verfahren, bei dem es keine schriftliche Klagebeantwortung gibt(§ 440 Abs. 2 öZPO), durch die mündliche Streitverhandlung. Daraus folgt, daß gegen den Beklagten im Gerichtshofverfahren vor ein Versäumungsurteil ergehen kann, wenn er zur ersten Tagsatzung nicht erscheint (§ 396 öZPO) oder die Frist zur schriftlichen Klagebeantwortung verstreichen läßt (§ 398 Abs. 1 öZPO), wobei es gleichgültig ist, ob eine erste Tagsatzung stattgefunden hat oder nicht (§ 243 Abs. 4 öZPO). Im bezirksgerichtliehen Verfahren kann gegen den Beklagten ein Versäumungsurteil ergehen, wenn er bei der ersten Tagsatzung oder, falls diese ausnahmsweise nicht auch der Streitverhandlung dient (§ 440 Abs. 1 S. 1 öZPO), im Termin zur Streitverhandlung (§ 442 Abs. 1 öZPO) ausbleibt. 443 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1409. 444 Klein/Engel, Der Zivilprozeß Oesterreichs, S. 285. 445 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1411. 438 Greger,

439 RosenbergjSchwabjGottwald,

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

185

Urteil beantragen(§§ 399, 442 Abs. 3 öZP0), 446 das einem Urteil nach Lage der Akten ähnelt. Der Rechtsstreit wird dann grundsätzlich in der Lage entschieden, in der er sich zu Beginn der Tagsatzung befand, womit nicht nur die säumige Partei mit weiterem Vorbringen ausgeschlossen wird, 447 sondern auch die erschienene, wenn sie das Vorbringen der säumigen Partei nicht zuvor schriftsätzlich mitgeteilt hat (§ 399 Abs. 1 S. 2 öZP0). 448 Da die erschienene Partei damit ihr eigenes Vorbringen präkludieren würde und schlechter stünde, als wenn die Gegenseite erschienen wäre, 449 spielt das Urteil nach § 399 öZPO in der Praxis keine große Rolle. Daher ist davon auszugehen, daß in Österreich die Säumnis nach Einlassung zur Sache schlicht ignoriert und in Abwesenheit verhandelt wird. Gegen das sogenannte erste Versäumnisurteil findet in Deutschland immer und ausschließlich der Rechtsbehelf des Einspruchs statt(§ 338 ZPO). Gegen das sogenannte zweite Versäumnisurteil, durch das der Einspruch bei erneuter Säumnis verworfen wird, findet dagegen ausschließlich die Berufung statt, die nur auf die Begründung gestützt werden kann, es habe keine Säumnis vorgelegen (§§ 345, 513 Abs. 2 S. 1 ZP0). 450 Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schließlich ist kein Rechtsbehelf gegen ein Versäumnisurteil, sondern kann nur neben Berufung oder Einspruch treten, wenn zusätzlich die Rechtsbehelfsfrist versäumt worden 446 Fasching,

Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1413. öZPO, § 399 Anm. 2, S. 632. 448 Im bezirksgerichtliehen Verfahren wird der erschienenen Partei statt der schriftsätzlichen Ankündigung auch gestattet, das neue Vorbringen zu Protokoll zu erklären, das der säumigen Partei zugestellt wird. Bei neuerlicher Säumnis ist der Inhalt dann verwertbar (§ 442 Abs. 3 öZPO). 449 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1409. 450 Nach BGHZ 112, 367, 373 f., kann bei Verwerfung eines Einspruchs gegen einen Vollstreckungsbescheid, der grundsätzlich einem ersten Versäumnisurteil gleichsteht (§ 700 Abs. 1 ZPO), die Berufung auch darauf gestützt werden, daß die Klage unzulässig oder unschlüssig war. Dieses Ergebnis wird wie folgt zutreffend begründet: Der Richter hätte vor Erlaß des zweiten Versäumnisurteils die Zulässigkeit und Schlüssigkeit prüfen müssen(§§ 700 Abs. 6 HS. 1, 331 Abs. 1, 2 HS. 1 ZPO), da dies vor dem Erlaß des Vollstreckungsbescheidsnicht geschieht (vgl. oben B.Il.l.a, Fußnote 155, S. 92 sowie S. 94). Dieser Prüfungsumfang der ersten Instanz nach § 345 ZPO müsse aber mit dem des Berufungsgerichts nach § 513 Abs. 2 S. 1 ZPO übereinstimmen. Nach richtiger Auffassung gilt dies also nicht für die Verwerfung des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil, dem bereits eine gerichtliche Prüfung der Zulässigkeit und der Schlüssigkeit vorausgeht (Prütting, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 345 Rdnr. 9 ff., mit ausführlicher Begründung; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach 5 5 , ZPO, § 345 Rdnr. 3. A.A. RosenbergjSchwabjGottwald, Zivilprozeßrecht 15 , S. 619 f.; Schumann, in: Steinj Jonas 20 , ZPO, § 345 Rdnr. 7; Herget, in: Zöller 20 , ZPO, § 345 Rdnr. 4; ThomasjPutzo 20 , ZPO, § 345 Rdnr. 4; Pieper, in: Alternativkommentar, ZPO, § 345 Rdnr. 3). BAG, JZ 1995, S. 523, 524, 525, hat jedoch der vom BGH geforderten Harmonisierung von § 345 ZPO und § 513 Abs. 2 ZPO widersprochen und entschieden, daß die Schlüssigkeit der Klage zwar vor der Verwerfung des Einspruchs erneut zu prüfen sei, nicht aber vom Berufungsgericht. 447 Fasching,

186

C. Das Erkenntnisverfahren

ist. Damit hat Deutschland im Säumnisverfahren das reine Oppositionssystem verwirklicht. 451 Das Versäumnisurteil wird durch den Einspruch nicht aufgehoben, sondern bleibt bis zum Abschluß der Instanz bestehen. Das instanzbeendende Urteillautet daher- im Falle der Säumnis des Beklagtenentweder, daß das Versäumnisurteil aufrechterhalten(§ 709 S. 2 ZPO) oder daß es aufgehoben und die Klage abgewiesen wird. Erscheint die säumige Partei zu der nach § 341 a ZPO anzuberaumenden mündlichen Verhandlung erneut nicht, wird der Einspruch durch das zweite Versäumnisurteil verworfen (§ 345 ZPO). War über den Einspruch dagegen bereits einmal mündlich verhandelt worden, kann der Einspruch nicht nach § 345 ZPO verworfen werden. 452 Der Richter kann lediglich ein sogenanntes weiteres Versäumnisurteil erlassen oder bei Entscheidungsreife gemäß § 331 a S. 1 ZPO nach Lage der Akten entscheiden. 453 Gegen das Österreichische Versäumungsurteil findet der Widerspruch dagegen nur bei Versäumen der ersten Tagsatzung (§§ 397 a Abs. 1 S. 1, 442 a Abs. 1 öZPO) oder der Klagebeantwortung (§ 398 öZPO) statt. 454 Dafür sind unabhängig von der Statthaftigkeit des Widerspruchs der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 146 öZP0) 455 und die Berufung(§ 461 öZPO) statthaft. 456 Mit dem Widerspruch hat der Beklagte zugleich die Klagebeantwortungeinzureichen (§ 397 a Abs. 1 S. 2 öZPO), wodurch ein zweites Versäumungsurteil schon begrifflich nicht möglich ist. Das Versäumungsurteil wird nach dem Widerspruch zu Beginn der Streitverhandlung aufgehoben(§ 397 a Abs. 3 S. 2 öZPO) , doch hat der Beklagte als allgemeine Säumnisfolge die Kosten zu tragen (§ 397 a Abs. 4 öZPO). Vollstreckt werden kann das Versäumungsurteil nur zur Sicherstellung

(§ 370 EO), da dem Österreichischen Recht die vorläufige Vollstreckbar-

keit fremd ist.457 Die Vollstreckung bleibt aber auch nach Erhebung des 451 Fasching,

Festschrift Baur, 1981, S. 389. schon ausdrücklich die Begründung zu § 300 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung 2 , Band 1, S. 298. Zugleich ständige Rechtsprechung seit RG, Gruchot 47 (1903), S. 1169. Der Gedanke von § 332 ZPO, wonach die Teilsäumnis grundsätzlich gleichsteht, kommt hier also nicht zum Tragen. 453 Vgl. Pieper, in: Alternativkommentar, ZPO, § 345 Rdnr. 1. 454 Ist der Beklagte entweder selbst Jurist (§ 28 ZPO) oder war bei der ersten Tagsatzung anwaltlieh vertreten (§ 398 Abs. 1 S. 3 öZPO), findet bei Versäumen der Klagebeantwortung der Widerspuch nicht statt. Gleiches gilt auch, soweit nach § 243 Abs. 4 öZPO auf die erste Tagsatzung vor der Klagebeantwortung verzichtet wurde (Pimmer, ÖJZ 1984, S. 144). Der Fall, daß der Beklagte bereits bei Zustellung der Klage einen Prozeßbevollmächtigten bestellt hatte, spielt aber praktisch keine Rolle (Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1178), so daß der Widerspruch in diesem Fall faktisch nur Juristen in eigener Sache nicht zusteht. 455 Um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, darf die Partei ihre Prozeßhandlung aber nicht grob fahrlässig versäumt haben (§ 146 Abs. 1 S. 2 öZPO). 456 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 576. 457 Fasching, Festschrift Baur, 1981, S. 400. 452 So

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

187

Widerspruchs zulässig, obwohl das Versäumungsurteil sofort aufgehoben wird. Erst wenn dem Gläubiger seine Forderung abgesprochen worden ist, wird die Vollstreckung unzulässig (§ 373 E0). 458 Das deutsche Versäumnisurteil ist gegen den Beklagten zunächst auch ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (§ 708 Nr. 1 ZPO), was dem Kläger eine günstige Position zu geben scheint. Doch ist dieser Titel nach dem Einspruch nicht viel wert, wenn die Zwangsvollstreckung vom Prozeßgericht vorläufig eingestellt wird (§§ 719 Abs. 1 S. 1, 707 ZP0), 459 was grundsätzlich nur gegen Sicherheitsleistung geschieht. 460 Hatten aber die Voraussetzungen für den Erlaß eines Versäumnisurteils gar nicht vorgelegen (§ 719 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 ZPO) oder kann der Beklagte glaubhaft machen, daß die Säumnis unverschuldet war, daß er zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und daß die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde (§ 719 Abs. 1 S. 2 Alt. 2, 707 Abs. 1 S. 2 ZP0), 461 ist die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung anzuordnen. Bei einer dilatorischen Säumnis des Beklagten wird dem Kläger durch das Versäumnisurteil somit das Insolvenzrisiko abgenommen.

{3) Das Säumnisverfahren aus der Sicht des Richters In Italien und Frankreich ist das Säumnisverfahren von dem Grundgedanken getragen, daß der Prozeß einerseits durch die Säumnis nicht blockiert werden soll, daß aber andererseits insbesondere dem säumigen 458 Vgl.

auch Fasching, Festschrift Baur, 1981, S. 401. zur verbreiteten Praxis "forrnularrnäßiger" Einstellungen zu Recht Baur/Stümer, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band 1, Rdnr. 14.16; Herget, in: Zöller 20 , ZPO, § 707 Rdnr. 7. 460 Herget, in: Zöller 20 , ZPO, § 719 Rdnr. 2. 461 Ob die Voraussetzung des § 707 Abs. 1 S. 2 ZPO neben der des § 719 Abs. 1 S. 2 ZPO vorliegen muß, ist umstritten (dagegen: OLG Hamm, MDR 1978, S. 412; OLG Düsseldorf, MDR 1980, S. 675, 676; Müssig, ZZP 98 (1985) , S. 331 ff.; Herget, in: Zöller 20 , ZPO, § 719 Rdnr. 2 rn.w.N.; dafür: OLG Hamburg, NJW 1979, S. 1464, 1465; Münzberg, in: Steinj Jonas 21 , ZPO, § 719 Rdnr. 4; Baurj Stümer, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band 1, Rdnr. 15.26, rn.w.N. in Fußnote 42). Richtigerweise ist in den Fällen, in denen ein Versäumnisurteil gar nicht ergehen durfte, weil beispielsweise der Kläger den Anspruch erst in der Verhandlung durch nicht angekündigten Tatsachenvortrag schlüssig gernacht hat (§ 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) oder der Beklagte nicht ordnungsgemäß geladen worden war (§ 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) , der erstgenannten Auffassung der Vorzug zu geben. Ansonsten müßte der Beklagte Sicherheit leisten, um die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Urteil zu erwirken, das nur aufgrundeines Verfahrensverstoßes des Gerichts ergangen ist (vgl. Müssig, ZZP 98 (1985), S. 328). Im Falle der unverschuldeteten Säumnis liegt dagegen eine ähnliche Interessenlage vor wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Fristversäurnung nach § 707 Abs. 1 ZPO. Hier ist daher § 707 Abs. 1 S. 2 ZPO entsprechend anzuwenden. 459 Kritisch

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C. Das Erkenntnisverfahren

Beklagten keine Nachteile durch die Säumnis entstehen sollen. 462 Die Beweislast ändert sich durch die Säumnis des Beklagten daher grundsätzlich nicht. 463 Der Kläger bleibt für die anspruchsbegründenden Tatsachen beweispftichtig; eine allgemeine Geständnisfiktion zu Lasten des säumigen Beklagten gibt es nicht. 464 Mit der Säumnis des Beklagten tritt also eine ficta contestatio ein, der gesamte Vortrag des Klägers gilt als bestritten. Aus der Sicht des Richters bedeutet dies, daß es für den Beklagten, der über keine eigenen Verteidigungsmittel verfügt, taktisch am sinnvollsten ist, dem Prozeß zunächst fern zu bleiben, wodurch er dem Richter als wichtige Informationsquelle verloren geht. Um dem entgegenzuwirken, kann der französische Richter schon für die erste mündliche Verhandlung das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen, 465 was ihm weitreichende beweisrechtliche Befugnisse in die Hand gibt, wenn eine Partei nicht erscheint (Art. 198 NCPC). Dem italienischen Richter stehen solche Befugnisse dagegen nicht zur Verfügung, da das persönliche Nichterscheinen beweisrechtlich bei weitem nicht die Bedeutung hat wie in Frankreich und im Falle der echten Säumnis sogar völlig bedeutungslos ist. Als einzige Möglichkeit, auf die Säumnis des Beklagten zu reagieren, kann der Kläger dessen förmliche Vernehmung zu bestimmten Fragen (Art. 228, 230 c.p.c.) 466 beantragen. Erst wenn der Beklagte auch dazu nicht erscheint, kann der Richter dies als Zugeständnis werten (Art. 232 c.p.c.). Von Amts wegen kann er die Parteivernehmung aber nicht anordnen, sondern der Säumnis nur tatenlos zusehen. Auch der Kläger wird durch das Säumnisverfahren nicht besonders stark zur Teilnahme am Prozeß motiviert, da er gegen sich kein Versäumnisurteil in der Sache zu fürchten hat. Zwar wird man davon ausgehen können, daß der Kläger grundsätzlich bestrebt ist, das Verfahren zügig voranzuführen. Zum einen kann erscheint es aber auch auf seiner Seite notwendig, gegen ihn wirksame Säumnismaßnahmen ergreifen zu können, um schludriges Prozessieren durch die Anwälte zu verhindern. Zum anderen sind die Parteirollen durchaus austauschbar, wenn man an Widerklagen und negative Feststellungsklagen denkt. In Deutschland und Österreich gilt dagegen bei Säumnis des Beklagten das tatsächliche Vorbringen des Klägers als zugestanden beziehungsweise als wahr, die Säumnis hat also die Wirkung einer ficta ammissione. Für den Richter folgt daraus, daß er gegen den Beklagten nach Prüfung der 462 Sattaj Punzi, Diritto processuale civile 11 , S. 417; Morel, Procedure civile, Nr. 581,

s. 607.

463 Cappelletti, RabelsZ 30 (1966) , S. 262. 464 Fabbrini, Incontro sul progetto di riforma del processo del Javoro, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXX, S. 21 f., 140. 465 Siehe oben C.II.2.b.aa), S. 143. 466Siehe oben Fußnote 358, S. 169.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

189

Schlüssigkeit der Klage ein Versäumnisurteil in der Sache erlassen kann. Insbesondere in Deutschland riskiert der Beklagte zu jedem Zeitpunkt ein Versäumnisurteil, weshalb es nicht ratsam ist, der mündlichen Verhandlung grundlos fernzubleiben. Gleiches gilt für den Kläger, der einSachurteil gegen sich riskiert. Durch den Einspruch kann die säumige Partei diese Folgen ihrer Säumnis aber fast sanktionslos beseitigen, da die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil nach Erhebung des Einspruchs regelmäßig eingestellt wird und dem Kläger nur die gegebenenfalls vom Beklagten zu leistende Sicherheit bleibt. Auch die wegen der Säumnis zu tragenden Kosten (§ 344 ZPO) sind nicht nennenswert hoch. Damit ist eine taktische Säumnis mindestens einmal, bei umfangreicheren Prozessen, bei denen eine Entscheidung nach Lage der Akten nicht schon nach einer mündlichen Verhandlung in Betracht kommt, auch mehrmals möglich, ohne daß der Richter dagegen viel tun könnte. 467 Dies liegt vor allem daran, daßer-außer im Verfahren nach § 495 a 468 - nicht wahlweise in Abwesenheit verhandeln und zum Beispiel vorsorglich geladene Zeugen vernehmen kann. Der versäumte Termin ist damit in jedem Fall verloren. Das Österreichische Recht versucht dagegen, durch das drohende Versäumungsurteil nur die Einlassung des Beklagten sicherzustellen. Während der späteren Streitverhandlung kann der Beklagte durch seine Säumnis dagegen die Verhandlung nicht mehr verhindern. Doch fehlt es hier an wirksamen Mechanismen, seine weitere Beteiligung sicherzustellen, da das Urteil nach § 399 öZPO wegen seiner präklusiven Wirkung auch für die erschienene Partei ein stumpfes Schwert ist. bb)

Die historische Entwicklung

Bei der Darstellung der historischen Entwicklung soll nun gezeigt werden, wie sich das Säumnisverfahren in den verschiedenen Ländern entwickelt hat, wobei auch hier darauf geachtet wird, wie sich diese Entwicklungen aus der Sicht des Richters ausgewirkt haben. ( 1)

Der code de proced-ure civile von 1806

Wie auch sonst lohnt sich für den historischen Vergleich zunächst ein Blick nach Frankreich, wo der code de procedure civile von 1806 verschiedene Grundsätze der hier untersuchten Rechtsordnungen in sich vereinigt 467 Die Begründung zu§ 300 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung2 , Band 1, S. 298, hatte vergeblich gehofft, durch die vorläufige Vollstreckbarkeit der weiteren Versäumnisurteile die taktische Säumnis zu verhindern. 468 Vgl. Hartmann, in: Baumbach/ Lauterbach 55 , ZPO, § 495 a Rdnr. 20 f. , 75.

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C. Das Erkenntnisverfahren

hatte. Ähnlich wie heute in Italien wurde die Säumnis vom bloßen Nichterscheinen unterschieden (Art. 149 CPC 1806), jedoch sprach das Gesetz in beiden Fällen von Säumnis ( defaut). Dem ersten Fall entsprach es, wenn der Beklagte im Verfahren vor dem tribunal keinen Anwalt bestellte ( defaut faute de comparaitre), 469 dem zweiten, wenn dieser nicht erschien oder nicht verhandelte (defaut faute de conclure). 470 Hatte der Anwalt einmal streitig verhandelt, war der Rechtsstreit damit en etat (Art. 343 CPC 1806), es lag kein Fall des defaut faute de conclure vor. Blieb er später der Verhandlung fern, war dies daher unschädlich, 471 da das französische Recht keinen defaut faute de plaider kannte. 472 Die Säumnis wurde wie heute in Italien bei Aufruf der Sache vom Richter festgestellt (Art. 150 CPC 1806), so daß der Anwalt zur Vermeidung der Säumnis noch in der ersten mündlichen Verhandlung bestellt werden konnte. 473 Auch die Rechtsfolgen zeigen deutliche Parallelen. Schon damals galt in Frankreich der Grundsatz, daß die Säumnis den Beklagten nicht benachteiligen sollte, 474 da zu seinen Gunsten vermutet wurde, daß er von der Klage nicht informiert war. 475 Diese Vermutung stützte sich auf die Erfahrungen im ancien regime, wo die Gerichtsvollzieher häufig die Zustellung bescheinigten, ohne das Schriftstück tatsächlich zuzustellen. 476 Im Falle des defaut faute de conclure war jedoch ausgeschlossen, daß der Beklagte nichts von der Klageerhebung wußte, weshalb nicht einzusehen ist, daß beide Arten des defaut auf der Rechtsfolgenseite weitgehend gleichbehandelt wurden. 477 In beiden Fällen galt wie heute in Frankreich und Italien der Grundsatz, daß eine Verurteilung des Beklagten allein wegen der Säumnis nicht zulässig war (Art. 150 CPC 1806), da sie weder die Annahme eines stillschweigenden Anerkenntnisses des Anspruchs noch eines Geständnisses des klägerischen Sachvortrags rechtfertigte. 478 Es hatte vielmehr wie schon nach Titel V Art. 3 der ordonnance civile 479 in Abwesenheit des Beklagten 469 Glasson/Tissier, Traite de procedure civi!e3 , Band 3, Nr. 815, S. 197. Hier ist terminologisch Vorsicht geboten. Wie oben gesehen (Fußnote 67, S. 120), bezeichnet comparaitre in der französischen Terminologie in Verfahren vor dem tribunal die Bestellung eines Anwalts, nicht aber das Erscheinen im Termin. Folglich ist der defaut faute de comparaitre nicht vergleichbar mit der mancata comparizione. 470 More!, Procedure civile, Nr. 581, S. 606. Vgl. heute in Deutschland § 333 ZPO. 411 Glasson/ Tissier, Traite de procedure civile3 , Band 3, Nr. 825, S. 218. 472 Garsonnet, Traite de Procedure, Band 2, S. 290. 473 Glasson/Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 3, Nr. 817, S. 201. 474 More!, Procedure civile, Nr. 581, S. 607. 475 Glasson/ Tissier, Traite de procedure civiie 3 , Band 3, Nr. 816, S. 200 f. 476 Glasson/Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 3, Nr. 816, S. 201. 477 More!, Procedure civile, Nr. 581, S. 607. 478 Glasson/Tissier, Traite de procedure civile3 , Band 3, Nr. 816, S. 199; unzutreffend Jauemig, Zivilprozeßrecht 24 , S. 243. 479 Jousse, Commentaire sur l'ordonnance civil, Titel V Art. 3 Anm. 11, Band 1, S. 65, nennt beispielhaft die Zeugenvernehmung.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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eine Beweisaufnahme stattzufinden.480 Daneben waren der säumigen Partei, die ja keinen Anwalt bestellt hatte und möglicherweise (!) nichts von dem Rechtsstreit wußte, ähnlich wie heute in Italien Beweisbeschlüsse und Ladungen zur Beweisaufnahme persönlich zuzustellen (Art. 257 Abs. 1, 261 CPC 1806). Für den Fall, daß der Kläger im Termin nicht erschien ( defaut conge), war im französischen Recht schon seit der ordonnance civile umstritten, ob gegen ihn einSachurteil ergehen sollte oder nicht. 481 Während die einen im Sinne des altfranzösischen Rechts davon ausgingen, daß die Säumnis des Klägers wie eine Klagerücknahme wirke482 und der Prozeß ohne Sachurteil zu enden habe, 483 ging die Rechtsprechung davon aus, daß über die Klage ohne Prüfung in der Sache durch Sachurteil entschieden werde. 484 Bemerkenswert ist jeoch die vermittelnde Auffassung von Glasson, der es dem Beklagten überlassen wollte, ob er ein Sachurteil anstrebt oder nicht.485 Denn diese Wahlmöglichkeit stimmt mit der heutigen Rechtslage in Italien überein. Wie heute in Deutschland erging bei Säumnis ein echtes Versäumnisurteil, das dem Einspruch unterlag. Anders als nach der ordonnance civile fand nach dem code de procedure civile der Einspruch auch dann statt, wenn gegen das Urteil an sich die Berufung zulässig war.486 Gemäß Art. 455 CPC 1806 war die Berufung aber nicht ausgeschlossen, sondern subsidiär nach Ablauf der Einspruchsfrist, die im Falle des defaut faute de comparaitre trotz besonderer Zustellung des Urteils (Art. 156 CPC 1806) bis zu dessen Vollstreckung lief (Art. 158 CPC 1806), zulässig. Erst das zweite Versäumnisurteil war wie heute in Deutschland nicht mit dem Einspruch anfechtbar (Art. 165 CPC 1806), dafür aber mit der Berufung, die anders als nach § 513 Abs. 2 ZPO eine volle zweite Tatsacheninstanz eröffnete. Damit hatte der code de procedure civile zwei Schutzmechanismen zugunsten des säumigen Beklagten kombiniert und sich ihm gegenüber besonders fürsorglich gezeigt, was schikanöser Prozeßführung, der der Richter 480 Morel, Procedure civile, Nr. 583, S. 609; Glasson/ Tissier , Traite de procedure civile3 , Band 3, Nr. 816, S. 199. Beide Autoren betonen aber, daß die Praxis die Prüfung des Anspruchs nicht sehr ernst genommen hat . 481 Glasson/ Tissier, Traite de procedure civile3 , Band 3, Nr. 828, S. 222 f.; Morel, Procedure civile, Nr. 586, S. 613. 482 Hebraud, Rev. crit. leg. jur. 1936, S. 93. 483 Glasson/ Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 3, Nr. 828, S. 223; Morel, Procedure civile, Nr. 586, S. 613. 484 Glasson/ Tissier, Traite de procedure civile3 , Band 3, Nr. 829, S. 225; Morel, Procedure civile, Nr. 586, S. 613; Hebraud, Rev. crit. leg. jur. 1936, S. 93. 485 Glasson/ Tissier, Traite de procedure civiie 3 , Band 3, Nr. 828, S. 224. 486 Glasson/ Tissier, Traite de procedure civiie 3 , Band 3, Nr. 842, S. 251.

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C. Das Erkenntnisverfahren

ohnmächtig zusehen mußte, Tür und Tor öffnete. 487 Zum einen war gegen den säumigen Beklagten Beweis zu erheben, zum anderen stand ihm der Einspruch gegen das Säumnisurteil offen. Es ist daher nur zu verständlich, daß die damalige französische Praxis auf die Beweisaufnahme gegen den säumigen Beklagten keine große Sorgfalt verwandte, was bis heute nachwirkt. (2}

Italien im 19. Jahrhundert

Auch in Italien wurden zunächst sowohl der defaut faute de comparaitre als auch der defaut faute de conclure übernommen, 488 doch war schon im Königreich Sardinien und später nach dem codice di procedura civile von 1865 eine Partei nur noch dann säumig, wenn sie sich nicht spätestens bis zu dem in der citazione angegebenen Termin konstituiert hatte. 489 Für den Fortgang des Verfahrens hatte diese Abschaffung des defaut faute de conclure jedoch keine wesentliche Bedeutung, sondern es galt in beiden Fällen wie in Frankreich der Grundsatz, daß sowohl gegen die säumige wie die nicht erschienene Partei in Abwesenheit zu verhandeln und Beweis zu erheben war (Art. 385 Abs. 1 c.p.c. 1865). Bei Säumnis des Klägers wurde dem Beklagten wie nach dem Vorschlag von Glasson die Wahl gelassen, ein Sachurteil zu beantragen oder nicht (Art. 381 c.p.c. 1865). Im Unterschied zu Frankreich wurde die Säumnis auch nicht in der mündlichen Verhandlung erklärt, sondern in einem besonderen Säumnisverfahren, in dem zugleich über die Anträge des Klägers entschieden wurde (Art. 383 Abs. 1, 384 Abs. 1 c.p.c. 1865). Das Beweisverfahren im Falle der Säumnis war gegenüber dem französischen für den Richter leichter durchzuführen, da sich das Gesetz mit der Fiktion der öffentlichen Zustellung der Beweisbeschlüsse begnügte (Art. 385 Abs. 2 c.p.c. 1865). Das Urteil war aber wie in Frankreich persönlich zuzustellen (Art. 285 Abs. 3 c.p.c.) . Bedeutung hatte die Abschaffung des defaut faute de conclure jedoch auf der Ebene der Rechtsbehelfe. Während im Königreich beider Sizilien ein Urteil in beiden Fällen der Säumnis mit dem Einspruch ( opposizione) angefochten werden konnte (Art. 243 Abs. 1 siz. l.p.g.c. 1819),490 beschränkte sich dies nach dem sardischen Recht, das keinen defaut faute de conclure kannte, auf die Fälle des defaut faute de comparaitre, bei dem der 487 Glassonj Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 3, Nr. 842, S. 251; Hebraud, Rev. crit. leg. jur. 1936, S. 73. 488 Vgl. Art. 242 siz. l.p.g.c. 1819; § 556 greg. r.l.g.a.c. 1834. 489 Art. 231. sard. c.p.c. 1859; Art. 380 f. c.p.c. 1865. Vgl. Boj Tappari, Codice di procedura civile, Band 3, Art. 380 Anm. (A). 490 Im Kirchenstaat waren dagegen alle Säumnisurteile bezüglich der Rechtsmittel als streitig anzusehen (§ 562 Abs. 2 greg. r.l.g.a.c. 1834).

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Einspruch jedoch immer zulässig war (Art. 240 Abs. 1 sard. c.p.c. 1859). Nach dem codice di procedura civile von 1865 stand der Einspruch wie heute in Frankreich nur dem säumigen Beklagten zu, dem die citazione nicht persönlich zugestellt worden war (Art. 474 c.p.c. 1865). Der Kläger konnte damit den Einspruch schon von vornherein ausschließen, wenn er die citazione an den Beklagten persönlich bewirkte oder zu Beginn des Verfahrens wiederholte (Art. 382 Abs. 1 c.p.c. 1865). Da im Falle des bloßen Nichterscheinens sowieso kein Säumnisurteil erging, gegen das der Einspruch statthaft gewesen wäre, war dieser in Italien in allen Fällen ausgeschlossen, wenn eine Partei von dem Rechtsstreit sichere Kenntnis hatte. Anders als in Frankreich hat der Einspruch gegen das Säumnisurteil somit seit der Einigung Italiens keine große praktische Bedeutung mehr gehabt, 491 sondern war nur noch in Fällen gegeben, in denen nicht sicher war, ob der Beklagte tatsächlich von dem Rechtsstreit Kenntnis hatte. 492 Damit sollte verhindert werden, daß der Beklagte bewußt dem Rechsstreit fernbleiben und nachher das Prozeßergebnis durch den Einspruch mit einem Streich vom Tisch wischen konnte, was aus der Sicht des Richters gegenüber dem französischen Recht ein Fortschritt bei der Bekämpfung der taktischen Säumnis war. {3)

Die Entwicklung in Deutschland und Österreich

In Deutschland und Österreich wurde schon damals das gegnerische Vorbringen im Falle der Säumnis als eingestanden oder erwiesen behandelt.493 Dies war jedoch nicht immer so. Mit der Rezeption des italienischkanonischen Rechts war zunächst eine Symbiose der germanischen und der romanischen Säumnisregeln entstanden, die sich in den Reichskammergerichtsordnungen wiederfindet. So konnte gegen einen säumigen Beklagten nach Wahl des Klägers statt der "Acht und Aberacht", mit er sich in "des Aechters Haab und Güter einsetzen" lassen konnte, 494 ein normales Erkenntnisverfahren mit Beweisaufnahme durchgeführt werden, 495 für das der säumige Beklagte aber auch im Falle seines Obsiegens die Kosten zu tragen hatte. 496 Auch gegen den säumigen Kläger konnte sie stattfinden, Carnelutti, Sistema, Band 2, Nr. 587, S. 597. ist an die Stelle dieses Einspruchs im heutigen Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 294 Abs. 1 c.p.c. getreten. Während aber früher zugunsten des säumigen Beklagten, dem die citazione nicht persönlich zugestellt worden war, vermutet wurde, daß er nichts von dem Rechsstreit wußte, muß er dies heute selbst beweisen. 493 Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 470. 494 Teil II1 Titel XLIII § 3 RKGO 1555. 495 Vgl. § 22 RKGO 1495; Teil III Titel XLIII §§ 1, 4 RKGO 1555. 496 Vgl. § 22 a.E. RKGO 1495; Teil III Titel XLIII § 4 S. 3 RKGO 1555. 491

492 Funktionell

13 Piekenbrack

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C. Das Erkenntnisverfahren

wenn "die Sach mit Klag und Antwort verfast" war, andernfalls wurde der Beklagte "ab instantia iudicii, das ist, von der Ladung, absolviert" (§ 21 RKGO 1495). Der Einfluß des italienisch-kanonischen Rechts und die Ähnlichkeit zur heutigen Rechtslage in Italien und Frankreich sind nicht zu übersehen. Dagegen behielt das sächsische Recht seine germanisch geprägte Linie bei und schloß allein aus der Säumnis des Beklagten, daß der gegen ihn erhobene Anspruch zu Recht bestand. 497 Damit sollte erreicht werden, daß die Verfahren nicht "der General- und ungewissen Litis-contestatio halber" zu lange dauern. 498 Aus diesen beiden Extrempositionen der Säumnis, dem fiktiven Bestreiten des klägerischen Vortrags auf der einen und dem fiktiven Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs auf der anderen Seite, entwickelte sich schließlich als vermittelnde Ansicht der heutige Grundsatz, daß lediglich die Tatsachenbehauptungen des Klägers keines Beweises mehr bedürfen. Entsprechende Vorschriften finden sich sowohl in den vornapoleonischen Kodifikationen in Deutschland499 und Österreich500 als auch in den nachnapoleonischen, die wie § 330 Abs. 1 Nr. 1 badPrO 1832 dem gemeinrechtlichen Säumnisverfahren folgten. Angesichts des überwiegend schriftlichen Verfahrens bestand die Säumnis aber nicht darin, die mündliche Verhandlung zu versäumen. Daher entsprach auch der Erlaß eines Versäumnisurteils in der Sache nicht der Struktur des gemeinen Prozesses. Die Säumnis und die verwirkten Rechtsnachteile wurden auf Antrag festgestellt, ohne daß damit bereits ein Urteil in der Sache verbunden gewesen wäre. 501 Folglich war im gemeinen Prozeß das "Contumacialerkenntnis" von der Entscheidung in der Sache selbst zu unterscheiden. 502 Gegen das Urteil blieb der säumigen Partei damit nur das Rechtsmittel der Appellation, 503 der Einspruch war unbekannt. Angesichts des strengen Verbots des ius novorum im Rechtsmittelverfahren504 brachte die Appellation dem säumigen Beklagten aber nur dann etwas, wenn das Urteil von den als zugestanden behandelten 497 So z.B. die wittenbergische Hofgerichtsordnung von 1550, die letzte der sechs sächsischen Hofgerichtsordnungen (Schwartz, Vierhundert Jahre deutscher CivilproceßGesetzgebung, S. 134). 498 So wörtlich die Constitutio X der Konstitutionen von 1572, abgedruckt bei Schwartz, Vierhundert Jahre deutscher Civilproceß-Gesetzgebung, S. 134. 499 Siehe Teil I Titel VI § 4 f. Corpus Iuris Fridericianum und Teil I Titel VIII §§ 9 f. prAGO. 5oo§ 36 öAGO; § 32 WGO. 501 Vgl. § 654 badPrO 1832; § 64 Abs. 1 hanPrO 1847. Mit Unterschieden im Detail galt die Grundregel, daß der Rechtsnachteil außer bei der Mißachtung von Notfristen vorher angedroht werden mußte (§§ 653, 656 badPrO 1832; § 63 hanPrO 1847) . 502 Diese Trennung läßt sich auch in Italien nachweisen, wo Art. 384 Abs. 1 c.p.c. 1865 bestimmte, daß diese beiden Entscheidungen zusammen zu ergehen haben. 503 Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 472. 5 0 4 Vgl. § 257 öAGO; § 333 WGO sowie unten C.VI.l. , S. 322.

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Tatsachen nicht getragen wurde. Der Säumnis als solcher konnte so nicht abgeholfen werden. Das Contumacialerkenntnis, mit dem die säumige Partei mit der versäumten Prozeßhandlung ausgeschlossen wurde, konnte bei unverschuldeter oder nur leicht fahrlässiger Säumnis durch die Restitution (restitutio in integrum) beseitigt werden, die zu dieser Zeit neben der Restitution im heutigen Sinne505 auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand umfaßte. 506 Damit war aber das Contumacialerkenntnis ein mit dem Restitutionsantrag anfechtbares Interlokut, das häufig Anlaß zu einem Zwischenstreit durch die Instanzen gab.507 Auch soweit ein Contumacialerkenntnis mit einer Entscheidung in der Sache verbunden war, wie etwa in Preußen508 und in Österreich bei Säumnis der Klageerwiderung ("Einrede") (§ 36 öAGO; § 32 WGO), standen nur Appellation und Restitution offen. 509 Aus Sicht des Richters war dieses Säumnissystem in seinem theoretischen Ansatz in besonderem Maße dazu geeignet, die Parteien zur Mitwirkung im Prozeß zu animieren. Doch war es wegen der vielen Zwischenentscheidungen über die Restitutionsanträge höchst unpraktikabel. Zudem war es auf ein schriftliches Verfahren ausgerichtet und mit dem neu eingeführten Grundsatz der Mündlichkeit nicht vereinbar. In Hannover wurde nun ein Versuch unternommen, diesen unbefriedigenden Zustand des gemeinen Prozesses zu überwinden, wobei eine einmalige Symbiose des französischen und des gemeinen Prozesses unter Einfluß der Genfer Loi sur la procedure civile von 1819 (Loi-Bellot) entstand. 510 In Genf war in bewußter Abkehr vom französischen Recht 511 der Klage bei Säumnis des Beklagten stattzugeben (Art. 130 LPC), wenn sich nicht schon aus dem klägerischen Tatsachenvorbringen und seinen Urkunden die Unbegründetheit der Klage ergab (Art. 132 LPC) .512 505 Vgl. in Deutschland § 580 ZPO. In Österreich wird sie als Wiederaufnahmeklage bezeichnet (§ 530 öZPO), in Frankreich als recours en revision (Art. 595 NCPC), in Italien als revocazione (Art. 395 c.p.c.). 506 Vgl. § 371 f. öAGO; § 487 S. 1 WGO; § 67 Abs. 1 Nr. 1 hanPrO 1847. In Hannover gab es daneben noch die sogenannte Gegenvorstellung, einen Rechtsbehelf, mit dem gerügt werden konnte, daß die Voraussetzungen für das Versäumniserkenntnis nicht vorgelegen hatten (§ 65 hanPrO 1847). 507 Dahlmanns, Strukturwandel, S. 46 = Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 42. 508 Teil I Titel VI § 5 Corpus /uris Fridericianum; Teil I Titel VIII § 10 prAGO. 509 So ausdrücklich Teil I Titel XIV § 73 prAGO. 510 Regierungsmotive zu § 155 der hannoverschen Prozeßordnung von 1850, Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 447. 511 Motive, Titel XI, Bellot, Loi sur Ia procedure civile 4 , S. 57. 512 Im Ergebnis läuft dies auf eine Geständnisfiktion hinaus und nicht auf die Fiktion der Anerkennung des Anspruchs. Jedoch sprechen die Motive davon, daß das Nichterscheinen des Beklagten hinreichend andeutet, « que le droit est contre lui» (Motive, Titel XI, Bellot, Loi sur Ia procedure civile4 , S. 57).

13•

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C. Das Erkenntnisverfahren

Ganz im Geiste des gemeinen Prozesses unterschied auch die hannoversche Prozeßordnung von 1850 die allgemeinen und die besonderen Nachteile des Ungehorsams und zählte zu den allgemeinen die Präklusion und die Kostentragung (§ 155 Abs. 1 hanPrO 1850). Auch gab es weiterhin die gemeinrechtlichen Ungehorsams-Verfügungen, die nicht zu einer Entscheidung in der Hauptsache führten und nur auf Antrag ergingen (§ 155 Abs. 3 hanPrO 1850). In Abkehr vom gemeinen Prozeß waren diese Ungehorsams-Verfügungen jedoch inzwischen die Ausnahme, in der Regel wurden die Rechtsnachteile durch das Versäumen einer Prozeßhandlung ipso iure verwirkt (§ 155 Abs. 2 hanPrO 1850). Auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fand nur noch in den im Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen statt (§ 156 hanPrO 1850). Neben diese Ungehorsams-Verfügungen trat für den Fall der Säumnis in der mündlichen Verhandlung nach dem Vorbild des jugement par defaut das Ungehorsams-Urteil(§ 373 hanPrO 1850), mit dem das Verfahren auch in der Hauptsache entschieden wurde. Im Falle der Säumnis des Beklagten blieb es bei der traditionellen Geständnisfiktion (§ 368 hanPrO 1850), der sogenannten affirmativen Litiskontestation. 513 Bei Säumnis des Klägers konnte im Gegensatz zur französischen Praxis aber kein Sachurteil gegen den Kläger ergehen, da dieser in der allein maßgeblichen mündlichen Verhandlung noch keinen Sachantrag gestellt, sondern ihn nur angekündigt hatte. 514 Der Beklagte konnte sich lediglich von der Instanz entbinden lassen (§ 367 Abs. 1 hanPrO 1850). In diesem Punkt ging das spätere Reichsrecht über das hannoversche Gesetz hinaus. Um lange Zwischenstreits über die Restitution auszuschließen, wurde nach französischem Vorbild gegen die Ungehorsams-Verfügung (§ 157 Abs. 1 hanPrO 1850) und das Ungehorsams-Urteil (§ 373 hanPrO 1850) der Rechtsbehelf des Einspruchs eingeführt, der innerhalb der kurzen Einspruchsfrist (§ 158 hanPrO 1850) keinen weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen unterlag. Nach Ablauf der Frist war der Einspruch zulässig, wenn die Frist unverschuldet versäumt wurde (§ 159 hanPrO 1850). Hierin lebte der Gedanke der gemeinrechtlichen Restitution fort. Anders als nach französischem Recht war die Berufung gegen die Ungehorsams-Verfügung, die dem Einspruch unterlag, nur noch beschränkt möglich (§ 166 hanPrO 1850). Sie ganz auszuschließen, wie es damals schon das Genfer Recht und später das Reichsrecht taten, dafür konnte man sich aber nicht entscheiden.515 513 Regierungsmotive zu §§ 367 ff. der hannoverschen Prozeßordnung von 1850, Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 575. 514 Regierungsmotive zu §§ 367 ff. der hannoverschen Prozeßordnung von 1850, Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 575. Die dortigen An-

gaben über den code de procedure civile sind also nicht zutreffend.

III. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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Für das deutsche Recht waren damit die Weichen für die Zukunft gestellt. Bis auf die Beseitigung der sonstigen Ungehorsams-Entscheidungen und die Einführung des Sachurteils gegen den säumigen Kläger befand sich schon die hannoversche Prozeßordnung von 1850 auf dem Stand des heutigen Rechts. Das französische Recht hat sich vor allem in der Einführung des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil ausgewirkt, der aber anders als in Frankreich nicht neben die Berufung trat, sondern sie ersetzte. Völlig anders lief dagegen die Entwicklung zunächst in Österreich. Bei der Schaffung der Zivilprozeßordnung wurde das Säumnissystem zwar entsprechend dem deutschen Reichsrecht dem mündlichen Verfahrenstypus angepaßt und alle übrigen Säumnis-Verfügungen abgeschafft. Auch die Fiktion, das alle gegnerischen Behauptungen im Falle der Säumnis als wahr anzusehen waren, wenn nicht das Gegenteil bereits bewiesen war, wurde auf Seiten des Beklagten ins neue Recht übernommen516 und galt nun entgegen der Regierungsvorlage517 auch bei Säumnis des Klägers. Auf der Ebene der Rechtsbehelfe blieb das Österreichische Recht aber der gemeinrechtlichen Thadition treu und ließ nur die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 146 öZPO) und die Berufung (§ 461 öZPO) zu. Da diese auch weiterhin einem strengen Verbot des ius novorum unterlag (§ 482 Abs. 2 öZP0),518 blieb zur Beseitigung der Säumnis nur die Wiedereinsetzung. Einen dem Einspruch entsprechenden Rechtsbehelf, der durch fristgerechte Einlegung das Verfahren unabhängig vom Grund der Säumnis in den Stand vor dem Versäumungsurteil versetzt,519 führte Österreich aber trotz lauter Proteste seitens der Praxis nicht ein. 520 Und für die Wiedereinsetzung waren die Voraussetzungen äußerst streng, da sie ursprünglich ausschließlich dann gewährt wurde, wenn der Säumnis ein unabwendbares oder unvorhersehbares Ereignis zugrunde lag. Ziel der Österreichischen Regel war es, nicht nur der schikanösen Prozeßführung durch 515 Regierungsmotive zu § 155 der hannoverschen Prozeßordnung von 1850, Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 449. 516 Erlä.uternde Bemerkungen zu §§ 406 bis 420 der Regierungs-Vorlage zur Civilprocessordnung, Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1, S. 330. 517 Siehe § 412 öZPO-RV. Danach sollte der Beklagte bei Säumnis des Klägers kein Sachurteil erlangen können, sondern nur die Möglichkeit haben, durch Urteil die Klagrücknahme aussprechen zu lassen (vgl. Erläuternde Bemerkungen zu §§ 406 bis 420 der Regierungs-Vorlage zur Civilprocessordnung, Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1, S. 330). 518 Vgl. Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1725; Klein, Vorlesungen, s. 254 f. 519 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 573. Der dortige Hinweis auf das "Oppositionssystem der romanischen Länder" ist aber nur bedingt richtig, da es diesen Rechtsbehelf bei Säumnis z.B. in Italien gar nicht mehr gibt und er auch im Ursprungsland Frankreich seine Bedeutung fast völlig verloren hat. 52 Klein/Engel, Der Zivilprozess Oesterreichs, S. 255.

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C. Das Erkenntnisverfahren

bewußte Säumnis vorzubeugen, sondern durch die drohenden Säumnisfolgen auch Druck auf die Parteien auszuüben, den Prozeß sorgfältig zu führen. 521 Folglich war die heutige Möglichkeit, auch bei leicht fahrlässiger Säumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen(§ 146 Abs. 1 S. 2 öZPO), ursprünglich nicht gegeben, sondern wurde erst 1983 mit der Zivilverfahrens-Novelle eröffnet. Erst mit dem Konsumentenschutzgesetz aus dem Jahre 1979 wurde auch in Österreich der Rechtsbehelf des Widerspruchs eingeführt (§§ 397 a, 442 a öZPO). Doch stand er keineswegs nur Verbrauchern offen, sondern wurde zu einem allgemeinen Rechtsbehelf, weshalb kritisch von einer heimlichen Reform gesprochen wurde. Zunächst stand dieser Rechtsbehelf nur der in der ersten Tagsatzung säumigen Partei offen. Seit der Zivilverfahrens-Novelle ist er aber auch dann eröffnet, wenn die Klagebeantwortung nicht rechtzeitig erfolgt (§ 398 Abs. 1 S. 3 öZPO). Damit hat das Österreichische Recht nun auch das Oppositionssystem eingeführt, ohne aber die Berufung und die Wiedereinsetzung anzutasten (§ 397 a Abs. 1 S. 1 HS. 2 öZPO), und so das oben beschriebene Überangebot an Rechtsbehelfen geschaffen. (4)

Die weitere Entwicklung in Italien

Als Chiovenda sich der Reform in Italien annahm, stand das Säumnisverfahren in Österreich noch mitten in der Tradition des am Grundsatz der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit geläuterten gemeinen deutschen Prozesses. Davon war Chiovenda so begeistert, daß er es im wesentlichen in Italien einführen wollte. Insbesondere wollte er die affirmative Litiskontestation übernehmen, die seiner Meinung nach das Korrektiv dafür darstellte, daß der moderne Prozeß die Anwesenheit der Parteien nicht mehr wie früher im alten Rom, wo die Anwesenheit notfalls mit Gewalt erzwungen werden konnte, zwingend vorschrieb. 522 Damit wäre an die Stelle der früheren Teilnahmepflicht nun eine wirksam sanktionierte Teilnahmelast getreten. 523 Konkret sollten die Säumnisfolgen entsprechend § 396 öZPO geregelt werden (Art. 80 Abs. 1, 2). Auch bei Teilsäumnis folgte der Entwurf eher der Österreichischen Linie und berücksichtigte das bisherige Beweisergebnis. Die Anfechtungsmöglichkeiten der unterlegenen säumigen Partei ähnelten dem damaligen Österreichischen Recht. Zum einen stand als Rechtsbehelf gegen die unverschuldete Säumnis die Wiedereinsetzung 521 Klein/Engel, Der Zivilprozess Oesterreichs, S. 251, 254. 522 Chiovenda, Principii 3 , S. 743. 523 Vgl. zum Begriff der Prozelllast in diesem Sinne Stürner,

Die Aufklärungspflicht der Parteien, S. 75. Danach würde mit der Prozeßlast das rechtlich mißbilligte Verhalten sanktioniert, sich als Beklagter nicht am Prozeß zu beteiligen.

III. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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in den vorigen Stand offen (Art. 86 Abs. 2, 88). 524 Daneben stand den Parteien auch der Rechtsmittelweg offen. Doch obwohl nach dem Entwurf das ius novarum in der Berufung auch weiterhin gegeben war (Art. 180 Abs. 2), war es für den Fall des Versäumungsurteils ausgeschlossen. Es konnte nur unter den Gesichtspunkten angegriffen werden, daß die Klage unschlüssig gewesen sei (Art. 86 Abs. 1 Nr. 2), daß der Klage ohne weitere Beweisaufnahme stattzugeben gewesen wäre (Art. 86 Abs. 1 Nr. 3) oder daß nach Art. 81 kein Versäumungsurteil hätte ergehen dürfen (Art. 86 Abs. 1 Nr. 1). Wie in Österreich sollte vor allem die Berufung des Beklagten bei Versäumungsurteilen also auf Sach- und die Verfahrensrügen beschränkt bleiben und nicht die Folgen der Säumnis beseitigen. Entspricht der Österreichische Einfluß bei Chiovenda der Erwartung, überrascht er doch bei den Entwürfen Mortaras und Carneluttis. Mortara ging in seinem Entwurf zwar nicht ausdrücklich davon aus, daß der klägerische Tatsachenvortrag im Falle der Säumnis des Beklagten. als zugestanden anzusehen sei, doch sollte der Klage auch ohne Beweisaufnahme stattgegeben werden können, wenn die Klage persönlich zugestellt worden war (Art. 213 Abs. 1). Daneben stand die Säumnis anders als in Deutschland und Österreich einer Verhandlung in Abwesenheit nicht entgegen (Art. 212). Mortara versuchte also in der Frage der Säumnis, eine Mischung aus deutsch-österreichischenund französischen Einflüssen zu erreichen. Im Entwurf von Carnelutti war sogar ausdrücklich bestimmt, daß das gegnerische Vorbringen im Falle der Säumnis als zugestanden anzusehen sei (Art. 305 Abs. 1). Nicht vorgesehen war dagegen der sofortige Erlaß eines Versäumnisurteils. Erschien die säumige Partei zu einem späteren Termin, sollten die Folgen der Säumnis bestehen bleiben, wenn die Säumnis verschuldet war (Art. 307 Abs. 1). Auch hier ist der Österreichische Einfluß deutlich spürbar. Ab dem Entwurf von Redenti war von der Geständnisfiktion dagegen keine Rede mehr. Der Prozeß sollte vielmehr in Abwesenheit des säumigen Beklagten, der sich jederzeit auf das Verfahren einlassen konnte, stattfinden. Dabei hatte er den Rechtsstreit jedoch in dem gegenwärtigen Stand aufzunehmen. 525 Auch nach dem Vorentwurf von Solmi sollte die normale Beweislastverteilung Platz greifen (Art. 277 Abs. 1), wobei die Säumnis aber bei der Beweiswürdigung durch den Richter berücksichtigt werden 524 Die an dieser Stelle vorgesehene Generalklausel für die Wiedereinset zung einer schuldlos säumigen Partei in den vorigen Stand (Art. 88) war deshalb bemerkenswert, weil es sie in Italien lange Zeit nicht gab ( Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 107). Erst die Novelle von 1995 (Art. 6 G.-D. 238/1995) formte Art. 184 bis c.p.c. zu einer Generalklausel für die Wiedereinsetzung zumindest im Bereich des Erkenntnisverfahrens um. Art. 294 c.p.c. dürfte damit gegenstandslos geworden sein. 525 Redenti, Foro it. 1934 IV, Sp. 194.

200

C. Das Erkenntnisverfahren

sollte (Art. 277 Abs. 2). Bei Säumnis des Klägers sollten schließlich seine Beweisanträge aus der citazione als nicht gestellt gelten (Art. 277 Abs. 3). So kam es in Italien doch nicht zu einer Übernahme der affirmativen Litiskontestation, sondern es wurde schon bei Erlaß des heutigen codice di procedura civile die oben beschriebene Regelung gefunden, die unter Abschaffung des Einspruchs der Linie des alten Rechts treu blieb. Auch in der relazione zum neuen codice findet sich unter dem Stichwort Contro la malafede processuale 526 kein Wort zur Säumnis. Man konzentrierte sich vielmehr ganz auf die Präklusionen.527 (5}

Die weitere Entwicklung in Frankreich

In Frankreich reagierte der Gesetzgeber 1935 auf den Mißbrauch des Schutzes der säumigen Partei und strich den defaut faute de conclure (Art. 149 CPC 1935).528 Folglich fand gegen ein Urteil, das nach Konstituierung des Anwalts erging, kein Einspruch mehr statt; 529 es war als streitiges Urteil anzusehen (Art. 154 bis Abs. 2 CPC 1935). Erschien der Anwalt des Beklagten nicht im Termin, hatte ihm der Anwalt des Klägers aber eine Frist von fünfzehn Tagen zu setzen, bis in Abwesenheit des Beklagten verhandelt werden konnte. Nach Ablauf der Frist wurde der Klage auch weiterhin nur stattgegeben, wenn sie juste und bien verifiee war, 530 so daß über die anspruchsbegründenden Tatsachen in Abwesenheit des Beklagten Beweis zu erheben war. Auch auf Seiten des Klägers blieb die Abschaffung des defaut faute de conclure nicht ohne Folgen. Blieb dieser im Termin aus, konnte nun ein als

streitig anzusehendes Sachurteil ergehen (Art. 154 Abs. 3 CPC 1935),531 wenn er entsprechend Art. 154 bis CPC 1935 geladen worden war. Das Gericht konnte das Verfahren aber auch einstellen, ohne rechtskräftig über die Klage zu entscheiden (Art. 154 Abs. 2 CPC 1935).532 Mit der Reform von 1958 wurde das Säumnisurteil auch für den defaut faute de comparaftre fast völlig abgeschafft. Soweit gegen das vom Kläger

begehrte Urteil Berufung möglich war, wurde nicht mehr durch Säumnisurteil entschieden (Art. 149 CPC 1958). Der Einspruch war damit neben

526 Relazione, Nr. 17, abgedruckt bei FranchijFeroci , Nuovo codice di procedura civile 3 , S. XXIX. 52 7Siehe unten C.III.3.d), S. 205. 528 Siehe den rapport, D. 1935 IV, S. 421; Hebraud, Rev. crit. leg. jur. 1936, S. 86. 529 Morel, Procedure civile 2 , Nr. 581, S. 455; Glasson/ Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 5, Nr. 817, S. 589. 530 Hebraud, Rev. crit. leg. jur. 1936, S. 91, der den Schutz des Beklagten für unzureichend hielt, obwohl dieser zum zweiten Mal in Folge nicht erschienen war. 531 Hebraud, Rev. crit. leg. jur. 1936, S. 94. 53 2 Hebraud, Rev. crit. leg. jur. 1936, S. 95.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

201

der Berufung nicht mehr statthaft. Daneben wurde aber auch dann durch streitiges Sachurteil entschieden, wenn dem Beklagten die Klage persönlich zugestellt worden war (Art. 149 CPC 1958). Auch wenn das Gesetz diesbezüglich keine Regelung mehr enthielt, blieb es aber dabei, daß der Klage nur stattgegeben wurde, wenn sie juste und bien verifiee war. 533 War die Klage nicht persönlich zugestellt worden, konnte dagegen nicht streitig verhandelt werden. Es erging aber auch kein Säumnisurteil mehr, sondern die persönliche Zustellung der Klage war nun zu wiederholen (Art. 150 Abs. 1 S. 1 CPC 1958). Ein Säumnisurteil, gegen das der Einspruch statthaft war, fand damit nur noch Anwendung, wenn die persönliche Zustellung der Klage an den Beklagten auch im Wiederholungsfall nicht möglich war (Art. 150 Abs. 2 S. 2 CPC 1958). Läßt man diese Entwicklung abschließend Revue passieren, stellt man fest, daß der code de procedure civile von 1806 durch die Kombination der kontestativen Litiskontestation mit dem Oppositionssystem aus Sicht des Richters schikanöses Prozessieren durch das Versäumen von Terminen besonders gefördert hat. Während sich Frankreich und Italien ausgehend von diesem Zustand für die Beibehaltung der kontestativen Litiskontestation und die schrittweise Abschaffung des Oppositionssystems entschieden haben, haben Deutschland und schließlich auch Österreich den im französischen Recht entwickelten Einspruch übernommen und unter Beibehaltung der affirmativen Litiskontestation in ihr hergebrachtes Säumnissystem eingefügt. Dabei spielte sicherlich eine entscheidende Rolle, daß im römischen und germanischen Prozeß des Altertums die Beweislast, wie eingangs gesehen, unterschiedlich verteilt war. Während der römische Beklagte völlig gerechtfertigt nach Hause ging, wenn ihm kein Unrecht nachgewiesen werden konnte, mußte der germanische Beklagte dem Vorwurf aktiv entgegentreten und sich von ihm reinigen. Nun ist es zweifellos richtig, daß niemand wie im Altertum und im Mittelalter mit Zwangsmaßnahmen gegen seine Person oder sein Vermögen 534 gezwungen werden sollte, an einem Zivilprozeß535 gegen sich teilzunehmen. Hierin liegt gerade die historische Leistung der Überwindung der alten Lehre von der litis contestatio, wonach ein Prozeß nur nach der- notfalls zu erzwingenden- Unterwerfung des Beklagten unter die Gerichtsbarkeit durchgeführt werden konnte. 536 Auf der anderen Seite entspricht es auch nicht den Vorstellungen eines modernen Zivilprozesses, wenn die Säumnis zum fiktiven Anerkenntnis des Klaganspruchs ohne Prüfung der Schlüssigkeit führt, wie dies noch zu Zeiten der sächsischen Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 193, S. 194. etwa zur Zeit der Karolinger oben A.I.3., S. 32. 535 In Strafsachen ist es dagegen auch heute noch eine Selbstverständlichkeit, daß der Angeklagte persönlich in der Hauptverhandlung zu erscheinen hat, nachdem die gegen ihn erhobene Anklage zugelassen worden ist (§§ 230 ff. StPO). 53 6 Bii.low, AcP 62 (1879), S. 11. 533 Solusj 534 Vgl.

C. Das Erkenntnisverfahren

202

Konstitutionen der Fall war.537 An die Stelle dieser überzogenen Säumnisfolgen trat im germanisch geprägten Rechtsraum unter Anlehnung an die alte Beweislastregel jedoch als angemessene Folge die ficta ammissione, wonach der Beklagte jedenfalls bei einer schlüssigen Klage den Verlust des Rechtsstreits allein aufgrund seiner Säumnis riskiert. Damit wurde aus der früheren Verteidigungspflicht nun eine Verteidigungslast. Und auch in Frankreich gibt es seit der Einführung des Art. 198 NCPC eine echte Teilnahmelast der Parteien am Prozeß. Die italienische Rechtsentwicklung ist dagegen auf dem Stand der Überwindung der litis contestatio, zu der sie historisch einen großen Beitrag geleistet hat, stehengeblieben. 538 So hat sich in Italien ein "Recht auf Säumnis" entwickelt, das in der Praxis aus Sicht des Richters fatale Auswirkungen hat. So wird durchschnittlich jeder fünfte Rechtsstreit, der mit einer Sachentscheidung endet, in contumacia entschieden. 539 In wie vielen Fällen darüberhinaus eine konstituierte Partei nicht zum Prozeß erschienen ist, ist statistisch nicht erfaßt. Für den Richter bedeutet das, daß er oft genug über Fragen Beweis erheben muß, die bei persönlicher Anwesenheit beider Parteien und einer substantiierten Einlassungslast meistens ohne Beweisaufnahme geklärt werden könnten. c)

Die Erklärungspflicht zu gegnerischem Bachvortrag

Eng verbunden mit den Regelungen des Säumnisverfahrens ist die Frage, inwieweit die Parteien verpflichtet sind, sich auf den Sachvortrag der Gegenseite hin zu erklären. Wie gesehen, ist der Beklagte in Italien nicht säumig, wenn er sich durch Hinterlegung der Klageerwiderungsschrift bei Gericht konstituiert. Darin muß er nach Art. 167 Abs. 1, 416 Abs. 3 c.p.c. zum anspruchsbegründenden Vortrag des Klägers Stellung nehmen. Diese Vorschrift, die im ordentlichen Verfahren erst auf die Novelle von 1990 zurückgeht, scheint mit der Generalklausel des § 138 Abs. 2 ZPO übereinzustimmen,540 wonach jede Partei verpflichtet ist, sich über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Und in beiden Ländern herrscht Einigkeit darüber, daß über unbestrittene Tatsachen kein Beweis zu erheben ist. 541 537 Vgl. Constitutio X, Schwartz , Vierhundert Jahre deutscher Civilproceß-Gesetzgebung, S. 134. 538Vgl. etwa Bülow, AcP 62 (1879), S. 12. 539 Nach der Justizstatistik des Jahres 1991 wurden von den preture 1989 von 201.478 Sachurteilen 39.509 in contumacia entschieden, 1990 waren es 49.635 von 248.174 und 1991 50.918 von 258.328. Bei den tribunali waren es 1989 25.910 von 118.217, 1990 28.167 von 129.208 und 1991 30.007 von 147.218 (Tafel 1.2- Procedimenti di cognizione

esauriti con sentenza definitiva, secondo il modo di costituzione delle parti). 54 Ciaccia Cavallari, La contestazione nel processo civile, Band 1, S. 168 f. 541 Vgl. zu Deutschland § 138 Abs. 3 ZPO; zu Italien Andrioli, Noviss. dig. it. XIV (1968), Prova (Dir. proc. civ.), S. 274. Nach Cass. civ. vom 5. Oktober 1964, Nr. 2518,

°

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

203

Doch der Schein trügt. Nach deutschem Recht werden Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, als zugestanden angesehen, "wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht" (§ 138 Abs. 3 ZPO). Im Gegensatz dazu gelten in Italien Tatsachen, die nicht ausdrücklich eingestanden werden, als bestritten, wenn nicht die Absicht, sie nicht bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. 542 Damit gibt es im italienischen Recht neben der ausdrücklichen Erklärung, eine bestimmte Tatsache nicht bestreiten zu wollen, noch ein implizietes Nichtbestreiten, wenn sich der Beklagte auf Einreden stützt, die zwingend die vom Kläger vorgebrachte Tatsache voraussetzen. 543 Folgendes Schulbeispiel soll dies verdeutlichen: Macht der Kläger einen vertraglichen Anspruch geltend und erhebt der Beklagte die Einrede der Nichterfüllung, ist der Vertragsabschluß unstreitig. Beruft sich der Beklagte dagegen auf Verjährung, ohne zum Vertragsabschluß Stellung zu nehmen, ist der Abschluß des Vertrages weiterhin beweisbedürftig. 544 Das Nichtbestreiten ist damit in Italien mehr als das bloße Unterlassen des Bestreitens, das Versäumen einer eigenen Stellungnahme zum gegnerischen Vortrag. Es setzt eine eigene Stellungnahme voraus,545 die mit dem Vortrag des Gegners vereinbar ist. 546 Und so ist es auch zu verstehen, wenn gelegentlich zu lesen ist, daß auch über unbestrittene Tatsachen Beweis erhoben werden soll. 547 Das deutsche Recht geht dagegen, wie bei der Erörterung der Säumnis gesehen, von der affirmativen Litiskontestation aus, wonach unbestrittene Tatsachenbehauptungen als zugestanden anzusehen sind. 548 Dieses Bestreiten hat grundsätzlich substantiiert zu erfolgen. Das heißt, die bestreitende Partei muß angeben, wie sich die Dinge aus ihrer Sicht abgespielt Rep. Foro it. 1964, Prova civile in genemle, Nr. 10 f., soll dies aber nicht gelten, wenn der Abschluß eines formbedürftigen Rechtsgeschäftes nicht bestritten wird. Hier ist trotzdem die Vertragsurkunde vorzulegen. 542 Nach der Rechtsprechung zu Art. 416 Abs. 3 c.p.c. bleibt das klägerischeVorbringen auch dann beweisbedürftig, wenn der Beklagte zu den tatsächlichen Behauptungen nicht konkret Stellung genommen hat ( Cass. civ. vom 7. Juli 1987, Nr. 5933, Rep. Foro it. 1987, Lavoro e previdenza (controversie}, Nr. 166; Cass. civ. vom 18. Juli 1987, Nr. 6339, Rep. Foro it. 1987, Lavoro e previdenza (controversie}, Nr. 165). So wird der Verstoß gegen die Verpflichtung zur Stellungnahme auf das Vorbringen des Gegners wohl auch weiterhin sanktionslos bleiben. Vgl. in diesem Sinne Tarzia, Lineamenti, S. 69; Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 116; Rota, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 167 Anm. II Rdnr. 2; Rampazzi, in: Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 167, S. 123. 543 Ciaccia Cavallari, La contestazione nel processo civile, Band 1, S. 136. 54 4 Proto Pisani, Lezioni, S. 450. 545 Andrioli, Noviss. dig. it. XIV (1968) , Prova (Dir. proc. civ.), S. 275, wo von einem comportamento die Rede ist. 546 Andrioli, Noviss. dig. it. XIV (1968), Prova (Dir. proc. civ.) , S. 274. 547 Taru!Jo , Riv. trim. dir. proc. civ. 1977, S. 1570. 548 Stein/ Jonas 12 , ZPO, § 138 Anm. l.l.

204

C. Das Erkenntnisverfahren

haben. Nur wenn sie Behauptungen von Tatsachen bestreiten will, die nicht Gegenstand ihrer Wahrnehmung waren, kann sie sich damit begnügen, diese Behauptungen mit Nichtwissen zu bestreiten(§ 138 Abs. 4 ZPO) . Auch wenn sich in der Praxis keine allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungspflichtigen Partei549 durchgesetzt hat, gibt es in Einzelfällen eine sogenannte "sekundäre Behauptungslast", wonach der Beklagte Tatsachen vortragen muß, die nur er kennen kann, um einem an sich unsubstantiierten Vortrag des Klägers entgegenzutreten. 550 Andernfalls gelten auch unsubstantiierte Behauptungen des Klägers als zugestanden. In Italien ist substantiiertes Bestreiten dagegen nicht notwendig, sondern es genügt bereits das Bestreiten in toto 551 genau wie das Schweigen zu bestimmten Behauptungen. Erst bei der förmlichen Vernehmung kann der Richter das Fernbleiben oder Schweigen der Partei als fiktives Eingeständnis werten (Art. 232 Abs. 1 c.p.c.). 552 Dies liegt letztlich in den unterschiedlichen Folgen der Säumnis im deutschen und im italienischen Recht begründet. 553 Wenn sogar die Säumnis nicht dazu führt, daß der gegnerische Sachvortrag als eingestanden behandelt wird, ist es nur konsequent, daß auch das Versäumnis, zu einzelnen Behauptungen Stellung zu nehmen, nicht zu einer ficta ammissione führen kann. Will man ein Fazit ziehen, ist festzuhalten, daß eine Mitwirkungslast des Beklagten im italienischen Prozeß praktisch nicht besteht. 554 So konnte sich eine Prozeßkultur entwickeln, in der man zu den Behauptungen des Gegners möglichst knapp oder besser gar nicht Stellung nimmt, um nicht aus Versehen eine Tatsache einzugestehen. Für den Richter bedeutet dies jedoch, daß der Prozeßstoff durch die Schriftsätze der Parteien häufig nur unzureichend und lückenhaft aufbereitet wird, was eine effiziente Verfahrensleitungentscheidend erschwert und die Prozeßdauer verlängert. Die sächsische Constitutio X555 hatte also richtig vermutet. 5 49Vgl. dazu unten Fußnote 105, S. 277. 550 BGH, NJW 1990, 3151. 551 Pezzano , in: Andrioli/BaronejPezzanojProto

Pisani, Contraversie di lavoro 2 , S. 482. Abweichend insofern aber ausdrücklich Art. 439 Abs. 3 des Gesetzentwurfs zum Arbeitsverfahren von 1971. 552 Früher mußte der Richter die Tatsachen in diesem Fall als eingestanden ansehen (Art. 218 Abs. 2 c.p.c. 1865), heute kann er das Schweigen frei würdigen (Panuccio, Enc. giur. VIII (1988), Confessione I) Diritto civile, S. 8; Cappellettij Perillo, Civil procedure in Italy, S. 203). 5 53 Ciaccia Cavallari, La contestazione nel processo civile, Band 1, S. 169 f. 554 So schreibt Chiovenda, Principii 3 , S. 741, daß der Beklagte keine Pflicht (dovere) hat, sich auf den Prozeß einzulassen, da sein Fernbleiben nicht sanktioniert ist. In Wahrheit heißt das jedoch, daß er nicht einmal die Obliegenheit ( onere) hat zu kommen. 555Siehe oben Fußnote 498, S. 194.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

d)

205

Die Präklusionen

Daß es überhaupt Präklusionen gibt und neuer Vortrag nicht schrankenlos möglich ist, ist bereits eine notwendige Folge der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung, mit der alle vorher möglichen Prozeßhandlungen grundsätzlich ausgeschlossen werden. 556 Doch kann eine Partei schon im laufenden Verfahren mit einer Prozeßhandlung ausgeschlossen werden, ohne daß beireits eine der materiellen Rechtskraft fähige Zwischen- oder Endentscheidung gefallen wäre. Wie oben angedeutet, ist neben den soeben dargestellten Folgen der Säumnis in der mündlichen Verhandlung die Präklusion eine altbekannte Sanktion der Säumnis. Aus Sicht des Richters können die Präklusionen eine große Rolle spielen, wenn es darum geht, dem prozeßtaktischen Zurückhalten von Angriffs- oder Verteidigungsmitteln, von tatsächlichen Behauptungen, Beweisanträgen oder materiellen und prozessualen Einreden entgegenzuwirken. Auf der anderen Seite wurde aber schon oben bei der Untersuchung des Grundsatzes der Mündlichkeit deutlich, daß sich Präklusionen, die schon vor der mündlichen Verhandlung Platz greifen, für die Verfahrensleitung negativ auswirken können, wenn der Richter neues Vorbringen oder neue Anträge der Parteien nicht mehr anregen kann. 557 Präklusionen sollen also Prozeßverzögerungen verhindern, ohne sachdienlichen Prozeßhandlungen im Wege zu stehen. Bei der nun folgenden Darstellung soll grundsätzlich auf alle Angriffsund Verteidigungsmittel eingegangen werden. Nur von der Einrede der Nichtigkeit einer Prozeßhandlung war oben schon die Rede, 558 während die Rüge der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts weiter unten behandelt wird. 559 aa)

Die Präklusionen im heutigen italienischen Recht

Seit den jüngsten Reformen des Zivilprozeßrechts spielen die Präklusionen in Italien wieder eine große Rolle, hat doch der Reformgesetzgeber in den Verfahrensablauf vor dem tribunale und dem pretore 560 fünf gesetzliche Präklusionsbarrieren eingefügt, 561 die zum Teil schon vor der 556 Vgl. § 767Abs. 2 ZPO. Ausnahmen bilden nur die Restitutions- und Nichtigkeitsgründe (siehe oben Fußnote 505, S. 195). 557 Siehe oben C.III.l.b), S. 151, 154. 558 Siehe oben C.ll.2.a.aa), S. 131. 559 Siehe unten C.III.4.a.aa), S. 231. 560 Nur beim giudice di pace, wo es zum Teil keinen Anwaltszwang gibt, ist das Vorbringen noch in der ersten mündlichen Verhandlung zulässig (Art. 319 Abs. 1 c.p.c.). 561 Mandrioli, Modifiche2 , S. 61, 80. Vgl. auch jüngst die umfassende Darstellung von Liuzzi, La difesa del convenuto e dei terzi nella nuova fase introduttiva del processo ordinario di cognizione, Giur. it. 1996 IV, Sp. 73 ff.

206

C. Das Erkenntnisverfahren

mündlichen Verhandlung Platz greifen. Im Arbeitsverfahren gelten schon seit der Reform von 1973 ähnliche Präklusionsvorschriften, auf die jeweils kurz hingewiesen wird. (1)

Die citazione

Die erste Barriere betrifft das sogenannte ius poenitendi, also die Frage, welche Angriffsmittel dem Kläger bereits in der ersten mündlichen Verhandlung verwehrt sind und darum rechtzeitig nur in der citazione geltend gemacht werden können. Gemäß Art. 183 Abs. 4 S. 1 c.p.c. kann der Kläger neue Ansprüche ( nuove domande) in der mündlichen Verhandlung nur geltend machen, um auf die Verteidigung des Beklagten562 oder die Hinweise des Richters (Art. 183 Abs. 3 c.p.c.) 563 zu reagieren. Andernfalls ist diese sogenannte mutatio libelli ausgeschlossen. Eine Klageänderung ( modificazione della domanda), die sogenannte emendatio libelli, ist dagegen noch in der mündlichen Verhandlung ohne Einschränkung möglich, nachdem der Vorbehalt der richterlichen Genehmigung entfallen ist (Art. 183 Abs. 4 S. 3 c.p.c.). 564 Diese Abgrenzung der mutatio libelli von der emendatio libelli gehört jedoch mit zu den ältesten Streitfragen des italienischen Prozeßrechts überhaupt, 565 deren detaillierte Darstellung dem Ziel dieser Arbeit nicht dienlich wäre. Daher sollen nur ganz kurz die Aspekte mitgeteilt werden, die aus deutscher Sicht zum Verständnis nötig sind. Nach der Rechtsprechung liegt eine unzulässige mutatio libelli immer dann vor, wenn entweder das petitum oder die causa petendi wesentlich geändert werden. 566 Als zulässige emendatio libelli wurden dagegen Klagerweiterungen,567 das Vorbringen eines neuen Erwerbsgrundes bei der Geltendmachung absoluter Rechte568 oder Änderungen der rechtlichen 562 Auch wenn Art. 183 Abs. 4 S. 1 c.p.c. nur von eccezioni spricht, so ist darunter auch das bloße Bestreiten der anspruchsbegründenden Tatsachen zu verstehen ( Oriani, Foro it. 1991 V, Sp. 29; Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 141; Chiarloni , Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 187; Tarzia, Lineamenti, S. 89). 563 Luiso, in: Consolo/Luisoj Sassani, La riforma, S. 91; Misera, Die Eventualmaxime, s. 54. 564Vgl. oben Fußnote 27, S. 111. 565 Vgl. Chiovenda, Istituzioni 2 , Band 1, S. 312; Misera, Die Eventualmaxime, S. 59 ff. 566 Cass. civ. vom 2. März 1976, Nr. 691, Foro it. 1976 I, Sp. 2694, 2696. 567 Beispiele aus der Rechtsprechung sind die Erweiterung einer Schadensersatzklage auf weitere Schadenspositionen ( Cass. civ. vom 9. Februar 1980, Nr. 922, Rep. Foro it. 1980, Procedimento civile, Nr. 161) oder sonstige quantitativen Änderungen des Anspruchs ( Cass. civ. vom 2. März 1983, Nr. 1563, Rep. Foro it. 1983, Appello civile , Nr. 28). Nach Ricci, in: Commentario breve (appendice di aggiornamento), c.p.c., Art. 183 Anm. IV Rdnr. 2, soll es aber bereits nicht mehr möglich sein, den Zinsanspruch in der ersten mündlichen Verhandlung zu erheben. 568 So schon Chiovenda, Istituzioni 2 , Band 1, S. 312. Aus der Rechtsprechung siehe Cass. civ. vom 30. November 1988, Nr. 6504, Rep. Foro it. 1988, Appello civile, Nr. 36.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

207

Ausführungen569 angesehen, die in Deutschland von § 264 ZP0 570 erfaßt würden. Neuer Tatsachenvortrag des Klägers führt damit nicht automatisch zu einer unzulässigen mutatio libelli. 571 Von einer mutatio libelli ging die Corte di cassazione aber sowohl in einem Fall aus, bei dem der Anspruch auf Vertragsauflösung ( risoluzione del contratto) zunächst auf Nichterfüllung ( inadempimento) (Art. 1453 Abs. 1 c.c.),572 im weiteren Prozeßverlauf aber auf nachträgliche Unmöglichkeit ( impossibilitd sopravvenuta) (Art. 1463 c.c.) gestützt wurde, 573 als auch beim Übergang vom Vorwurf der arglistigen Täuschung (dolo) (Art. 1439 c.c.) zur Gewalt ( violenza) (Art. 1434 c.c.) zur Begründung einer Anfechtungsklage.574 Ohne die Frage im einzelnen zu vertiefen, zeigt sich bereits an diesen Beispielen die restriktive Haltung des italienischen Rechts gegenüber Klageänderungen, seien sie in der Änderung des petitum oder der causa petendi zu sehen. Für den Kläger bedeutet dies, daß er in besonders starkem Maße an sein Vorbringen in der citazione gebunden ist. Zu einer mutatio libelli ist er nur berechtigt, soweit sie sich aus der Verteidigung des Beklagten ergibt. Für den Richter bedeutet es dagegen, daß es ihm auch weiterhin verwehrt ist, sachdienliche Klageänderungen in der mündlichen Verhandlung zuzulassen, da sich seine neu eingeführte Befugnis, die modificazione della domanda zuzulassen (Art. 183 Abs. 4 S. 3 c.p.c.), auch weiterhin nur im Rahmen der emendatio libelli bewegt. Die Gegenmeinung, die auch die mutatio libelli unter den Genehmigungsvorbehalt des Richters stellt575 und dessen Befugnisse damit spürbar erweitern würde, hat sich bisher nicht durchgesetzt. Allerdings ist der Richter in diesem bescheidenen Rahmen freier als im Arbeitsverfahren, wo die emendatio libelli nur aus schwerwiegenden Gründen576 zugelassen werden darf (Art. 420 Abs. 1 S. 3 c.p.c.) .577 Bei der Entscheidung über die Zulassung der emendatio libelli 578 hat der Richter nun alle Änderungen des Vorbringens und der 569 Cass.

civ. vom 2. März 1976, Nr. 691, Foro it. 1976 I, Sp. 2694, 2696. Abs. 4 öZPO stimmt damit fast genau überein. Nur die Klageerweiterung ist in Österreich ein Fall der Klagsänderung nach § 235 Abs. 1 öZPO, die nach Rechtshängigkeit der Streitsache (Streitanhängigkeit) (§ 232 Abs. 1 ZPO) der Zustimmung der Gegenseite oder des Gerichts bedarf. 571 Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 144. 572 Anders als § 326 Abs. 1 S. 2 BGB kennt das italienische Recht keinen einseitigen Rücktritt. 573 Cass. Civ. vom 13. Juli 1983, Nr. 4780, Rep. Foro it. 1983, Appello civile, Nr. 44. 574 Cass. civ. vom 3. Dezember 1984, Nr. 6301, Rep. Foro it. 1984, Procedimento civile, Nr. 98. 57 5 Consolo, Giur. it. 1990 IV, Sp. 434. 5 76 Siehe dazu Pezzano, in: Andrioli/ Barone/ Pezzano/ Proto Pisani, Controversie di lavoro2 , S. 658 f., der auf das fehlende Verschulden abstellen will. 57 7 Grasso, Riv. dir. proc. 1992, S. 720. 578 Als prozeßleitende Maßnahme des Instruktionsrichters müßte die Ent scheidung gemäß Art. 176 Abs. 1 c.p.c. als Beschluß ergehen, der nach Art. 136 Abs. 1 c.p.c. 570 § 235

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C. Das Erkenntnisverfahren

entsprechenden Anträge zurückzuweisen, die nicht sachdienlich sind und allein der Prozeßverschleppung dienen. 579 Damit ist auch neuer Tatsachenvortrag in der ersten mündlichen Verhandlung nicht per se präkludiert. 580 Eine solch starre Präklusionsvorschrift würde der mündlichen Verhandlung, die im Mittelpunkt des Verfahrens stehen soll, ihren eigentlichen Sinne nehmen; insbesondere eine freie Erörterung der Sach- und Rechtslage des Richters mit den Parteien wäre nicht mehr möglich. 581 Für die Präklusion neuer oder modifizierter Klagen und Einreden im Arbeitsverfahren gilt das oben Gesagte sinngemäß mit der Einschränkung, daß nur die schon erwähnten schwerwiegenden Gründe die Modifizierung rechtfertigen können (Art. 420 Abs. 1 S. 3 c.p.c.). Doch geht die Präklusion noch weit darüber hinaus und erfaßt auch die Beweismittel, die grundsätzlich nur im ricorso bezeichnet werden können (Art. 416 Abs. 3 c.p.c.). 582 Später darf der Richter dagegen keine Beweismittel mehr zulassen, wenn sie auch früher hätten bezeichnet werden können (Art. 420 Abs. 5 c.p.c.). Werden sie dagegen ausnahmsweise zugelasen, kann die Gegenseite mit Beweisanträgen reagieren (Art. 420 Abs. 7 c.p.c.). (2}

Die Klageerwiderung

Der Beklagte hat Widerklagen ( domande riconvenzionali) in der Klageerwiderung zu erheben (Art. 167 Abs. 2 c.p.c.) 583 und dort die Beteiligung zu begründen wäre (so Grasso, Riv. dir. proc. 1992, S. 119). Nach der Reform erscheint es aber möglich und dem gewollten zügigen Verfahrensablauf angemessener, wenn auf einen Beschluß verzichtet werden kann und die Entscheidung nur implizit ergeht (so Oriani, Foro it. 1991 V, Sp. 30, Fußnote 128; Nanni, in: Verde/ Nanni, c.p.c., Art. 183, disp. att. Art. 128, Anm. 8.3, S. 83). Im Arbeitsverfahren hat die Garte di cassazione diesen Weg bereits akzeptiert ( Cass. civ. vom 22. Dezember 1989, Nr. 5783, Rep. Foro it. 1989, Lavoro e previdenza (controversie), Nr. 111). 579 Nanni, in: Verdej Nanni, c.p.c., Art. 183, disp. att. Art. 128, Anm. 8.3, S. 83; Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 193; Attardi, Foro it. 1990 V, Sp. 387. 580 So aber Mandrioli, Modifiche2 , S. 81, unter Hinweis auf Art. 183 Abs. 3 c.p.c., wonach der Richter die Parteien auf der Grundlage der vorgetragenen Tatsachen befragt. Ebenso Costantino, Riv. dir. proc. 1993, S. 440; Oberto, Giur. it. 1991 IV, Sp. 313. 581 Misera, Die Eventualmaxime, S. 73. 582 Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 217. Zur Einschränkung bei Urkunden siehe unten Fußnote 633, S. 217. 583 Darunter fallen auch Zwischenfeststellungsanträge ( domande di accertamento incidentale) nach Art. 34 c.p.c. (Mandrioli, Modifiche2 , S. 64; Attardi, Nuove disposizioni, S. 68; Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 118; zum Streitstand ausführlich Nappi, Riv. trim. dir. proc. civ. 1989, S. 756, 798 und Misera, Die Eventualmaxime, S. 41). Dabei handelt es sich nicht wie in Deutschland (§ 256 Abs. 2 ZPO) um eine selbst ändige Zwischenfeststellungsklage, sondern wie in Österreich (§§ 236, 259 Abs. 2 öZPO) um einen vom Hauptantrag abhängigen Antrag, über den nach Rücknahme der Klage nicht mehr entschieden wird (vgl. Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1076).

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

209

Dritter am Rechtsstreit (chiamata di un terzo in causa) (Art. 106 c.p.c.) anzukündigen (Art. 269 Abs. 2 S. 1, 167 Abs. 3 c.p.c.). Außerdem muß die Klageerwiderung fristgerecht (Art. 166 c.p.c.) eingereicht werden (Art. 171 Abs. 2 c.p.c.), da die Präklusion sonst bereits eingetreten ist.584 Dieser frühe Ausschluß von Widerklagen liegt darin begründet, daß der Beklagte in Verfahren vor dem giudice di pace oder dem pretore sonst im Laufe des Prozesses jederzeit die nachträgliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts herbeiführen könnte (Art. 34 ff. c.p.c.) . Der Ausschluß der Drittbeteiligung auf Antrag des Beklagten ist damit zu erklären, daß es sich hierbei nicht um eine Streitverkündung ( denuncia di lite) im Sinne des § 72 Abs. 1 ZP0 585 handelt, sondern um eine Klage des Beklagten gegen einen Dritten, die mit der Hauptklage in Zusammenhang steht ( communanza delle cause) (Art. 106 Alt. 1 c.p.c.). 586 Dem Dritten steht es daher nicht frei, ob er dem Prozeß beitritt, sondern er ist aufgrund der gegen ihn erhobenen Klage Prozeßbeteiligter. 587 Der Beklagte hat damit die Möglichkeit, durch Erhebung von Feststellungs-588 oder auch Leistungsklagen gegen einen Garanten (Art. 106 Alt. 2, 32 c.p.c.) 589 den Prozeß auf 584 Centaro, Commento, S. 61. Dies gilt auch für die Ladung eines Dritten, obwohl Art. 171 Abs. 2 c.p.c. eigentlich nur auf Art. 167 c.p.c. verweist, nicht aber auf Art. 269 Abs. 2 c.p.c., der die diesbezügliche Präklusionsvorschrift enthält (Rota, in: Commentario breve3, c.p.c., Art. 167 n.F. Anm. VII Rdnr. 2, Art. 171 n.F. Anm. V Rdnr. 2; Mandrioli, Modifiche2 , S. 68). 585 Für das historische Verständnis des Unterschieds zwischen Streitverkündung und Ladung eines Dritten in Italien ist es wichtig zu wissen, daß die Trennung zwischen Hauptintervention ( intervento principale) und Nebenintervention ( intervento adesivo) ursprünglich nicht bekannt war und sich von Deutschland her eingebürgert hat (SattajPunzi, Diritto processuale civile 11 , S. 172). Heute ist er vom Gesetzgeber angedeutet (Art. 105 Abs. 1, 2 c.p.c.), doch wird auch der Nebenintervenient Partei (Satta/ Punzi, Diritto processuale civile 11 , S. 173; a.A. früher Chiovenda, Principii 3 , S. 603). 586 Sie ist gegeben, wenn entweder das petitum oder die causa petendi übereinstimmen (Proto Pisani in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 106 S. 1174 m.w.N.). 587 Daher wird hier von einem erzwungenen Streitbeitritt (intervento coatto) gesprochen und nicht wie in der amtlichen Übersetzung von Streitverkündung. 588 Hier sind vor allem an zwei Fälle zu denken. Bestreitet der Beklagter im Prozeß seine Passivlegitimation, weil er z.B. als Vertreter eines Dritten gehandelt hat, kann er den vermeintlichen Schuldner durch Erhebung einer Feststellugsklage in den Prozeß hineinziehen (Proto Pisani, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 106, S. 1177). Bestreitet der Beklagte die Aktivlegit imation des Klägers, kann er durch eine Feststellungsklage den Prätendentenstreit (vgl. § 75 ZPO) einleiten (Proto Pisani, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 106, S. 1180). 589 Die Garantieklage, die aus Frankreich nach Italien kam ( Chiovenda, Principii 3 , S. 1120) und im deutschen Reichsrecht ausdrücklich verworfen wurde (Begründung zu § 71 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung 2 , Band 1, S. 183), dient sowohl der Prozeßökonomie, daß über die Hauptforderung und die Regreßforderung in einem Prozeß verhandelt wird ( Chiovenda, Principii 3 , S. 1120), und dem Schutz des Regreßverpftichtet en, der bei der Verteidigung gegen die Hauptforderung soll mitwirken können ( Carnelutti, Sistema, Band 1, Nr. 377,

14 Piekenbrock

210

C. Das Erkenntnisverfahren

weitere Personen auszudehnen und damit die subjektiven wie objektiven Grenzen des Rechtsstreits zu erweitern. Hätte nun der Beklagte diese Befugnis während der gesamten Dauer des Instruktionsverfahrens, so böte es sich förmlich an, den Prozeß durch die Ladung des Dritten zu verzögern. 590 Denn der Dritte ist wie der Erstbeklagte mittels der citazione unter Einhaltung der Ladungsfrist nach Art. 163 bis c.p.c. zu laden, wodurch das Verfahren vorübergehend zum Stillstand käme. Nach der ursprünglichen Fassung der provvedimenti urgenti sollte der Beklagte auch prozessuale und materielle Einreden, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, nur in der Klageerwiderung erheben können (Art. 167 Abs. 2 c.p.c. 1990). Seit Einführung des Vortermins hat er dazu jedoch Zeit bis zu einer vom Richter gesondert zu bestimmenden Frist (Art. 180 Abs. 2 S. 2 c.p.c.). Im Arbeitsverfahren greift wie auf Seiten des Klägers zusätzlich noch die Präklusion von Beweismitteln Platz (Art. 416 Abs. 3 c.p.c.). Das bedeutet, daß der Beklagte alle seine Beweismittel in der Klageerwiderung bezeichnen muß, um damit nicht ausgeschlossen zu werden. In das ordentliche Erkenntnisverfahren wurde diese Vorschrift, die schon bei der Reform des Arbeitsverfahrens umstritten und im Entwurf der Camera dei Deputati noch nicht vorgesehen war (Art. 438 bis Abs. 3), aber bewußt nicht übernommen. 591 {3)

Die Einlassungsfrist nach dem Vortermin

Innerhalb der vom Richter nach Art. 180 Abs. 2 S. 2 c.p.c. bestimmten Frist sind zum einen alle prozessualen Einreden zu erheben, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Die meisten dieser Einreden betreffen hier wie in den übrigen Ländern die Zuständigkeit, so daß für die Einzelheiten auf die Darstellung unten verwiesen werden kann.592 Hier sollen nur die Rüge der Nichtigkeit der citazione bei fehlerhafter vocatio in ius (Art. 157 Abs. 2, 164 Abs. 3 c.p.c.), das Bestreiten der Echtheit der mit der citazione vorgelegten privatschriftlichen Urkunden (Art. 215 Abs. Nr. 2 c.p.c.) und das Erlöschen des Prozesses (estinzione) (Art. 307 Abs. 4 c.p.c.) erwähnt werden. Nicht mehr zu den prozessualen Einreden S. 940). So hat z.B. nach Art. 1485 Abs. 1 S. 1 c.c. der Käufer einer Sache, der sich dinglichen Ansprüchen bezüglich der Kaufsache ausgesetzt sieht, den Verkäufer zu laden hat, um sich die Rückgriffsrechte zu sichern. Und der Verwahrer einer Sache hat zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen den Hinterleger zu laden, wenn ihm gegenüber dingliche Herausgabeansprüche geltend gernacht werden (Art. 1777 Abs. 2 c.c.). 59 Centaro, Cornrnento, S. 134. 59l Tarzia, Linearnenti, S. 69. 592 Siehe unten C.III.4.a.aa), S. 231.

°

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

211

zählt dagegen die fehlende Leistung von Prozeßkostensicherheit, seit die Corte costituzionale 593 Art. 98 c.p.c. wegen Verstoßes gegen Art. 3, 24 cost. für nichtig erklärt hat.594 Zum anderen sind auch die materiellen Einreden595 zu erheben, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Damit kommt der Frage heute allergrößte Bedeutung zu, welche Einreden davon erfaßt sind. Zu unterscheiden von den eigentlichen Einreden ist zunächst das bloße Bestreiten der anspruchsbegründenden Tatsachen, die difesa. 596 Bei der Abgrenzung zu den Einreden treten Schwierigkeiten regelmäßig nur bei den rechtshindernden Tatsachen (Jatti impeditivi) auf. Hier kann als Richtschnur einmal der Gesetzeswortlaut selbst dienen, zum anderen die Beweislastverteilung nach Art. 2697 c.c. Trifft die Darlegungs- und Beweislast den Beklagten, liegt eine Einrede im technischen Sinne vor. Einreden sind demnach alle materiellen Einwendungen, die das geltend gemachte Recht ausnahmsweise nicht entstehen lassen, es zum Erlöschen bringen, verändern oder die Ausübung verhindern. Bei den Einreden unterscheidet die Terminologie, die vor allem im materiellen Recht des codice civile jedoch nicht streng durchgehalten wird, Einreden im weiteren Sinne ( eccezioni in senso lato) und Einreden im engeren Sinne ( eccezioni in senso stretto). 597 Erstere sind solche, die auch von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Auf die Einreden im engeren Sinne muß sich die Partei dagegen ausdrücklich berufen. Das heißt, sie muß sich diese Einrede als ihr Verteidigungsmittel zueigen machen, der bloße Tatsachenvortrag genügt genausowenig598 wie der pauschale Klagabweisungsantrag. 599 Zu den Einreden im engeren Sinne zählen zunächst die Aufrechnung (compensazione) (Art. 1242 Abs. 1 S. 2 c.c), 600 die Verjährung (prescri593 Corte

rost. vom 29. November 1960, Nr. 67, Foro it. 1960 I, Sp. 1873. kennt Italien wie die übrigen Länder keine Prozeßkostensicherheit für Inländer mehr, womit Zwischenentscheidungen über diesen Punkt vermieden werden können (vgl. schon Klein, JBI. 1890, S. 580). 595 Zur Ableitung des Begriffs der eccezione aus der exceptio ad impugnandam actionem des justinianischen Rechts vgl. Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 1, s. 150 f. 596 Oriani, Foro it. 1991 V, Sp. 6; Misera, Die Eventualmaxime, S. 43. 597 Oriani, Foro it. 1991 V, Sp. 6. 59 8 Misera, Die Eventualmaxime, S. 48. 599 Cass. civ. vom 7. April 1982, Nr. 2158, Rep. Foro it. 1982, Lavoro e previdenza (controversie}, Nr. 505; einschränkend Oriani, Foro it. 1991 V, Sp. 27. 600 Ausgehend von der Legalkompensation des justinianischen Rechts (RagusaMaggiore, Enc. dir. VIII (1961), Compensazione (dir. civ.), S. 19) und des code civil (Art. 1289) hat Chiovenda, lstituzioni 2 , Band 1, S. 321, die compensazione vom Parteiwillen abhängig gemacht und damit der Aufrechnung angenähert. Von der Legalkompensation verbleibt die Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Aufrechenbarkeit (Art. 1242 Abs. 1 S. 1 c.c.) und die gesetzliche Fixierung der erloschenen Schuld (Art. 1249, 1193 Abs. 2 c.c.; Cass. civ. vom 26. Mai 1953, Nr. 1556, Foro it. 1954 I, Sp. 610, 612 f.) . 594 Damit

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C. Das Erkenntnisverfahren

zione) (Art. 2938 c.c.) 601 und der Verfall (decadenza) (Art. 2969 c.c.),602 die ausdrücklich nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Daneben gehören auch Gestaltungsrechte wie die Anfechtungsklage ( azione di annullamento) (Art. 1442 c.c.) 603 oder die Aufhebungungsklage bei Wucherverträgen (azione di rescissione) (Art. 1447 f. c.c.) und rechtshemmende Tatsachen wie die Nichterfüllung im gegenseitigen Vertrag (Art. 1460 c.c.), die Mängeleinrede (Art. 1495 Abs. 3, 1667 Abs. 3 c.c.), die Einrede der Vorausklage des Bürgen (Art. 1944 Abs. 2 c.c.) und des Gesellschafters (Art. 2268 c.c.) sowie das Zurückbehaltungsrecht zu den Einreden im engeren Sinne. 604 Fraglich ist aber, ob es daneben noch weitere Einreden im engeren Sinne gibt. Dabei geht es letztlich um das Regel-AusnahmeVerhältnis zwischen den Einreden im engeren und im weiteren Sinne.

Nach Carnelutti liegt ein Einrede im engeren Sinne vor, wenn das Gesetz nicht ausnahmsweise das Gegenteil bestimmt,605 da diesen insoweit auch die Darlegungs-und Beweislast trifft (Art. 2697 Abs. 2 c.c.). Danach soll jede Einrede, die nur im Interesse des Schuldners besteht, eine Einrede im engeren Sinne sein, auf die sich dieser ausdrücklich berufen muß. Tut er es nicht, kann dies zwar zu einer unrichtigen Verurteilung führen, doch ist dies hinzunehmen, 606 denn volenti non fit iniuria. Nur wenn auch öffentliche Interessen eine Rolle spielen wie in Fällen der Nichtigkeit eines Vertrages wegen einer causa illicita (Art. 1418 c.c.), soll eine Einrede im weiteren Sinne vorliegen. Danach dürfte der Richter z.B. die Erfüllung nur dann berücksichtigen, wenn sich der Schuldner ausdrücklich darauf beruft, nicht aber, wenn sie sich anderweitig aus dem Prozeß ergibt,607 601 Gera.de bei der Verjährung als dem wichtigsten Fall der Einrede im engeren Sinne entspricht das Ergebnis der Regelung in den übrigen Ländern (§ 222 Abs. 1 BGB; § 1501 ABGB; Art. 2223 CC). 602 Der Verfall ist im Gegensatz zur Verwirkung ein Unterfall des Rechtsverlustes nur durch Zeitablauf, für den die Hemmungs- und Unterbrechungsvorschriften des Verjährungsrechts nicht gelten. Deutlich wird der Unterschied in Art. 1495 c.c. : Rügt der Käufer einen Mangel nicht binnen acht Tagen nach Entdeckung, verfällt das Gewährleistungstecht (Art. 1495 Abs. 1 c.c.). Hat er aber gerügt, verjährt der Gewährleistungsanspruch binnen eines Jahres (Art. 1495 Abs. 3 c.c.). Ähnliches gilt im Werkvertragsrecht nach Art. 1667 Abs. 2, 3 c.c. Im deutschen Recht kommt§ 377 Abs. 2 HGB dem Verfall am nächsten, auch wenn dort von einer Genehmigungsfiktion ausgegangen wird. 603 Zum Verständnis aus deutscher Sicht sei darauf hingewiesen, daß in Italien die mangelnde Geschäftsfähigkeit nicht zur Nichtigkeit des Vertrages (nullitd), sondern nur zur Anfechtbarkeit (annullabilita) (Art. 1425) führt. Der Begriff der Anfechtung ist daher nicht im deutschen Sinne zu verstehen. Nach Art. 1441 c.c. kann nur der aus der Vorschrift Schutzberechtigte die Anfechtungsklage erheben. 604 Oriani, Foro it. 1991 V, Sp. 10. 605 Carnelutti, Istituzioni, Band 1, S. 209. 606 Carnelutti, Lezioni, Band 2, S. 353. 607 Daß privates Wissen des Richters nicht ausreicht, ist seit Azos Grundsatz ludex secundum allegata non secundum conscientiam iudicat unbestritten. Siehe auch Art. 97 disp. att. c.p.c.).

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

213

denn der Beklagte hätte sich auf diese Einrede, die nur seinen Interessen dient, nicht berufen, und damit wäre die Unrichtigkeit des Urteils zu seinen Lasten leicht zu ertragen. Dieses Ergebnis überzeugt nicht. Zum einen könnte man Art. 112 c.p.c. die entgegengesetzte Regel entnehmen, wonach alle Einreden von Amts wegen zu berücksichtigen sind, wenn sie nicht ausnahmsweise zu Einreden im engeren Sinne erklärt sind. 608 Auch läßt sich historisch argumentieren, daß einer exceptio immer eine actio gegenüberstehen mußte. 609 Bei Erfüllung weist der Richter die Klage aber nicht aufgrund einer exceptio gegen die actio ab, sondern weil die actio selbst erloschen ist. Dieser alte Gedanke läßt sich auch heute noch fruchtbar machen. Denn in den Fällen, in denen oben von einer Einrede im engeren Sinne ausgegangen wurde, ist die actio nicht erloschen. 610 Dieses historische Argument spricht also dafür, Tatbestände, die das Entstehen der actio verhindern611 oder sie zum Erlöschen bringen,612 nicht zu den Einreden im engeren Sinne zu zählen. Desweiteren spricht der Zweck eines Prozesses dagegen, Erlöschenstatbestände den Einreden im engeren Sinne zuzurechen. Denn der Prozeß dient dem Schutz bestehender Rechte und soll über ihr Bestehen oder Nichtbestehen entscheiden,613 nicht aber neue Rechtsbeziehungen erzeugen. Dies wäre aber der Fall, wenn der Richter sehenden Auges die Klage aus einem erloschenen Anspruch gutheißen müßte. Es ist daher davon auszugehen, daß nur ausnahmsweise eine Einrede im engeren Sinne vorliegt. 614 In der Rechtsprechung hat sich inzwischen eine ausgeprägte Kasuistik zu Art. 416 Abs. 2 c.p.c., der Parallelvorschrift zu Art. 167 Abs. 2 c.p.c., gebildet, die zum Beispiel bei der Zahlung von einer Einrede im weiteren Sinne ausgeht, 615 sich aber noch uneinheitlich verhält. Für Art. 167 Abs. 2 c.p.c. bleibt daher abzuwarten, welchen Weg die Rechtsprechung einschlagen wird. Um mit den Einreden im engeren Sinne gehört zu werden, muß sie der Beklagte innerhalb der vom Richter gesetzten Frist (Art. 180 Abs. 2 608 Oriani, Foro it. 1991 V, Sp. 11; Misera, Die Eventualmaxime, S. 46, m.w.N. in Fußnote 152. 609 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 153. 610 Eine Ausnahme stellt die compensazione dar, die zum Erlöschen der actio führt. 611 So z.B. beim Scheingeschäft (simulazione) (Art. 1414 Abs. 1 c.c.) oder der Nichtigkeit, wo dies sogar ausdrücklich erwähnt ist (Art. 1421 c.c.). 612 Insbesondere die Erfüllung (adempimento) (Art. 1176 ff. c.c.), die Schuldumwandlung (novazione) (Art. 1230) oder der Erlaß (remissione) (Art. 1236 c.c.). 613 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 154. 614 Oriani, Foro it. 1991 V, Sp. 11. 6 15 Cass. civ. vom 10. März 1979, Nr. 1523, Rep. Foro it. 1979, Lavoro e previdenza {controversie), Nr. 451; Cass. civ. vom 16. Dezember 1988, Nr. 6867, Rep. Foro it. 1988, Lavoro e previdenza (controversie}, Nr. 172, wo sogar von einer difesa ausgegangen wird.

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C. Das Erkenntnisverfahren

S. 2 c.p.c.) erheben. Andernfalls hat der Richter sie von Amts wegen zurückzuweisen,616 ohne daß die Gegenpartei sich auf die Präklusion berufen muß. Ihm bleibt keine Möglichkeit, das Vorbringen neuer Einreden im engeren Sinne später als sachdienlich zuzulassen, da er in der ersten mündlichen Verhandlung lediglich die modificazione dell'eccezione zulassen kann (Art. 183 Abs. 4 S. 3 c.p.c.), die wie die emendatio libelli den Kern der einredebegründenden Tatsachen nicht berühren darf. 617 Mit diesen Präklusionen im Vorfeld der mündlichen Verhandlung will der Gesetzgeber sicherstellen, daß sich der Beklagte nicht nach alter Sitte erst in der Verhandlung zur Sache einläßt. Nach der Einführung des Vortermins und der Änderung des Art. 167 Abs. 2 c.p.c. kann sich der Beklagte, der keine Widerklagen erheben will, allerding sanktionslos im Vortermin konstituieren; die Präklusionen sollen jetzt lediglich die rechtzeitige Einlassung vor der Verhandlung in der Sache garantieren. Sie haben jedoch den Nachteil, daß sie damit einen Teil des Prozeßstoffs in eine Phase des Verfahrens verlagern, in der der Richter nicht aktiv mitwirkt. So stellt sich in Italien nicht die in Deutschland nach wie vor umstrittene Frage, ob der Richter auf den Eintritt der Verjährung hinweisen darf, 618 da diese Einrede bereits vor der Verhandlung in der Sache präkludiert wäre. Zwar ist es durchaus verständlich, daß der Beklagte gezwungen werden soll, Einreden wie die Verjährung frühzeitig zu erheben, um eine überflüssige Beweisaufnahme zu vermeiden. Doch sollten solche Präklusionen nicht schon vor der mündlichen Verhandlung Platz greifen. Aus Sicht des Richters wäre es sinnvoller, wenn der Beklagte wie in Österreich durch ein drohendes Versäumungsurteil zur rechtzeitigen Klagbeantwortung angehalten wird als durch punktuelle Präklusionen unbestimmten Inhalts. Daneben will die Präklusion der Verjährungseinrede aus systematischen Gründen nicht recht ins Bild passen. Denn in Italien kann auch ein Gläubiger des Beklagten die Verjährungseinrede erheben, selbst wenn dieser selbst darauf verzichtet hat (Art. 2939 S. 2 c.c.) ( eccezione surrogatoria di prescrizione).619 Dies führt zu dem befremdlichen Ergebnis, daß die Einrede 616 Caputo, Nuova normativa, S. 83. So auch zu Art. 416 Abs. 2, 3 Cass. civ. vom 21. April1988, Nr. 3111, Rep. Foro it. 1988, Lavoro e previdenza (controversie) , Nr . 145. 6 17 Oriani, Foro it. 1991 V, Sp. 30. 618 Für den Hinweis Peters, Richterliche Hinweispfiichten, S. 137; dagegen Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, S. 60; Leipold, in: Stein/ Jonas 21 , ZPO, § 139 Rdnr. 24 a, m.w.N. in Fußnote 120; OLG Bremen, NJW 1979, S. 2215. 619 Diese Vorschrift ist Teil eines in Italien besonders ausgeprägten Gläubigerschutzes zur Sicherung des Schuldnervermögens ( conservazione della garanzia patrimoniale) (Art. 2900 - 2906 c.c.). Teil dieses Schutzes ist neben der Gläubigeranfechtung (azione revocativa) (Art. 2901 c.c.) und dem dinglichen Arrest (sequestro conservativo) (Art. 2905 c.c., 671 c.p.c.) auch die Befugnis des Gläubigers, Forderungen seines Schuldners, die nicht persönlicher Natur sind, in eigenem Namen geltend zu machen (azione surrogatoria) (Art. 2900 c.c.). Wegen der grundsätzlich sichernden Natur hat der

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

215

für den Beklagten präkludiert ist, während sie von seinen Gläubigern weiterhin erhoben werden kann. Dann müßte der Beklagte, der selbst mit der Einrede nicht mehr gehört würde, nur einen Gläubiger bitten, die Einrede an seiner Statt zu erheben, womit die Präklusion praktisch leerliefe.620 (4)

Die mündliche Verhandlung in der Sache

Die dritte Präklusionsbarriere hat der Reformgesetzgeber nun nach der ersten mündlichen Verhandlung in der Sache errichtet, der - gegebenenfalls nach dem Schriftsatzannex gemäß Art. 183 Abs. 5 c.p.c.- der Beweisbeschluß folgt. Dabei ist aber die oben bereits erwähnte Möglichkeit zu berücksichtigen, daß die "erste" mündliche Verhandlung in der Sache tatsächlich in mehreren Terminen stattfindet, weil zum Beispiel die Erörterung des Sach- und Streitstandes dies erforderlich macht. 621 Über die genaue Reichweite dieser Präklusionsvorschrift besteht ebenfalls Unklarheit. So ist zum Beispiel umstritten, ob die Parteien auch noch nach diesem Termin anspruchsbegründende Tatsachen vortragen oder Einreden im weiteren Sinne erheben können622 oder nicht. 623 Die Vertreter der ersten Ansicht verweisen zum einen darauf, daß im Gesetzgebungsverfahren die Präklusionsvorschrift für neuen Tatsachenvortrag gestrichen worden ist und Art. 345 Abs. 2 c.p.c. neue Einreden im weiteren Sinne sogar in der Berufungsinstanz zuläßt. 624 Nach Art. 183 Gläubiger regelmäßig Zahlung an den Schuldner zu verlangen. In Ausnahmefällen, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß der Schuldner das Geld der Zwangsvollstreckung entziehen könnte, ist aber auch Zahlung direkt an den Gläubiger möglich ( Cass. civ. vom 24. März 1978, Nr. 5, Rep. Foro it. 1978, Surrogatoria (azione), Nr. 1). Für die Prozeßführungsbefugnis des Gläubigers genügt es, daß dessen Forderung entstanden ist; Fälligkeit ist nicht erforderlich ( Cass. civ. vom 10. September 1992, Nr. 10353, Rep. Foro it. 1992, Surrogatoria (azione}, Nr. 2). Bei der Feststellung dieser Forderung ist der "Vollstreckungsschuldner" notwendiger Prozeßbeteiligter (Art. 2900 Abs. 2 c.c.) . 620 Anders wäre das Dilemma nur zu lösen, wenn die Präklusion entgegen Art. 2939 S. 2 c.c. auch gegen den Gläubiger wirken würde, was dessen Rechtsposition empfindlich verkürzen würde. Denn vor Ablauf der Frist nach Art. 180 Abs. 2 S. 2 c.p.c. wird dieser von dem Rechtsstreit nur in den seltensten Fällen Kenntnis erlangen. 621 Balena, La riforma, S. 173, 182; Colesanti, Riv. dir. proc. 1993, S. 56. 622 So Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 229; Tarzia, Lineamenti, S. 123; Balena, in: Tarzia/Cipriani, Provvedimenti urgenti, c.p.c., Art. 184, S. 92; ders, La riforma, S. 189; Nanni, in: VerdejNanni, c.p.c., Art. 183, disp. att. Art. 128, Anm. 8.5, S. 84, mit der Einschränkung, daß zumindest Einreden im weiteren Sinne noch nach der ersten mündlichen Verhandlung erhoben werden können. Nach Oriani Foro it. 1991 V, Sp. 33, soll der Tatsachenvortrag jedenfalls in der Verhandlung im Sinne des Art. 184 c.p.c. zulässig sein, wenn die Beweismittel zugelassen werden. 623 So Chiarloni, Le riforme, c.p .c., Art. 183, S. 177; Attardi, Nuove disposizioni, S. 80 f.; Costantino, in: Tarzia/ Cipriani, Provvedimenti urgenti, c.p.c., Art. 181 e 183,·S. 91; Misero, Die Eventualmaxime, S. 92 ff., mit ausführlicher Stellungnahme. 624 Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 226.

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C. Das Erkenntnisverfahren

Abs. 4 des Gesetzentwurfs Nr. 1288/S/X sollte schon in der mündlichen Verhandlung neuer Tatsachenvortrag ausgeschlossen sein. Dieser Vorschlag stieß jedoch auf Kritik, da er in sich widersprüchlich sei625 und nicht zu der zulässigen Änderung der Klage und der Einreden passe. Aber allein aus der Tatsache, daß neuer Tatsachenvortrag in der ersten mündlichen Verhandlung nicht generell ausgeschlossen ist, kann man nicht schließen, daß er auch nach dieser Verhandlung zulässig ist. 626 Zum anderen orientiert sich diese Auffassung an der Rechtsprechung der Corte di cassazione im Arbeitsverfahren (Art. 420 c.p.c.). 627 Da es dort jedoch im eigentlichen Sinne keine Trennung zwischen der ersten Verhandlung in der Sache und der Beweisaufnahme gibt, läßt sich diese Rechtsprechung nicht ohne weiteres auf das ordentliche Verfahren übertragen. So spricht die Systematik des neuen Verfahrens, das streng zwischen trattazione und istruzione trennt, gegen die These, neuer Tatsachenvortrag sei noch nach der ersten mündlichen Verhandlung in der Sache zulässig. Auch wenn Art. 183 c.p.c. nicht die ursprünglich vorgesehene Bestimmung enthält, daß der Richter die trattazione für geschlossen erklärt, bevor er zur Zulassung der Beweismittel übergeht (Art. 183 Abs. 5 des Gesetzentwurfs 1288/S/X),628 ist doch unbestritten, daß nach dem Termin im Sinne des Art. 184 Abs. 1 c.p.c. keine neuen Beweismittel in das Verfahren mehr eingeführt werden können. 629 Dann ist es aber widersprüchlich, neuen Tatsachenvortrag zuzulassen, wenn dafür kein Beweis mehr angeboten werden kann.630 Neuer Tatsachenvortrag ist damit erst wieder in der Berufungsinstanz möglich, wo im Rahmen des Art. 345 Abs. 3 c.p.c. auch neue Beweismittel zugelassen sind. Auch das Bestreiten des gegnerischen Vortrags ist nur bis zum Abschluß der trattazione möglich, damit die beweisbelastete Partei noch Beweisanträge stellen kann und das thema probandum ab diesem Zeitpunkt feststeht. 631 Durch diese Präklusion weiteren Tatsachenvortrags soll verhindert werden, daß die Parteien aus taktischen Gründen bestimmte Behauptungen 625 Tarv.ffo, Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 85; weitere Nachweise bei Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 221, und Misera, Die Eventualmaxime, S. 89. 626 Misera, Die Eventualmaxime, S. 92. 627 Nanni, in: Verde/Nanni, c.p.c., Art. 183, disp. att. Art . 128, Anm. 8.5, S. 84. 628 Wie sich aus der Relazione zum Gesetzentwurf ergibt (Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 436 ff.), sollte damit jedes neue Vorbringen ausgeschlossen sein. 629 Rampazzi, in: Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 184, S. 215; Attardi, Nuove disposizioni, S. 75. 63 Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 178. 631 Ricci, in: Commentario breve (appendice di aggiornamento), c.p.c., Art. 183 Anm. IV Rdnr. 5; Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 198; Misera, Die Eventualmaxime, S. 97; a.A. im Arbeitsverfahren Cass. civ. vom 3. Juli 1987, Nr. 5829, Rep. Foro it. 1987, Lavoro e previdenza (controversie), Nr. 508; Cass. civ. vom 13. Dezember 1986, Nr. 7476, Rep. Foro it. 1986, Lavoro e previdenza (controversie), Nr. 221.

°

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

217

zurückhalten und den Prozeß so in die falsche Richtung lenken. Der Richter soll in die Lage versetzt werden, den gesamten Prozeßstoff mit den Parteien in der ersten mündlichen Verhandlung zu erörtern und das thema probandum abzustecken. Jedoch hat diese starre Präklusionsvorschrift den Nachteil, daß es nicht in der Hand des Richters liegt, möglicherweise verspätetes oder gar bewußt dilatorisches Vorbringen auszuschließen. Allerdings hat er nun die Möglichkeit, durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 184 bis Abs. 1 c.p.c. schuldlos versäumten Tatsachenvortrag nachträglich zuzulassen. Dadurch kann der Richter die ansonsten starren Präklusionsvorschriften flexibler handhaben und dem jeweiligen Fall anpassen. Doch bleibt abzuwarten, wie diese neue Vorschrift in der Praxis aufgenommen wird. (5)

Der Beweisbeschluß

Die vierte und zugleich letzte Barriere betrifft die Präklusion weiterer Beweismittel, die nach dem Beweisbeschluß (Art. 184 Abs. 1 c.p.c.) nur noch neu bezeichnet werden können, wenn dies durch eine Beweiserhebung von Amts wegen motiviert ist (Art. 184 Abs. 3 c.p.c.). Von dieser Präklusion ist nach der absolut vorherrschenden Auffassung der Reformliteratur auch die Vorlage von Urkunden erfaßt, 632 auch wenn ihre Vorlage zu keiner Verzögerung des Verfahrens führen würde. Nach der Rechtsprechung der Corte di cassazione soll im Arbeitsverfahren dagegen kein Verstoß gegen die Präklusionsvorschriften vorliegen, wenn die nachträgliche Vorlage von Urkunden zugelassen wird, selbst wenn sie Tatsachenbehauptungen enthalten, die so noch nicht vorgetragen worden waren. 633 Die Zulassung steht aber im Ermessen des Gerichts. 634 Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß den Parteien nach Erlaß des Beweisbeschlusses empfindliche Präklusionen drohen, da sie von da an kein Recht zum Beweisantritt mehr haben. Jedenfalls ab dem Beweisbeschluß sind damit nach beiden oben genannten Auffassungen auch Tatsachenbehauptungenfaktisch ausgeschlossen, da sie nicht mehr unter Be632 Ricci, in: Commentario breve 3 , c.p.c., Art. 184 n.F. Rdnr. 3; Tarzia, Lineamenti, S. 111; Balena, La riforma, S. 197; Rampazzi, in: Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 184, S. 216; Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 210; Attardi, Nuove disposizioni , S. 160. 633 Cass. civ. vom 30. Mai 1989, Nr. 2618, Rep. Foro it. 1989, Lavoro e previdenza (controversie), Nr. 181; Cass. civ. vom 16. Dezember 1988, Nr. 6867, Rep. Foro it. 1988, Lavoro e previdenza (controversie), Nr. 172, unter ausdrücklichem Hinweis darauf, daß Urkunden als sogenannte prove precostituite, die keine eigene Beweisaufnahme erfordern, sondern einfach nur vorgelegt werden (produzione dei documenti) (Liebman, Manuale4 , Band 2, S. 102, 122), das Verfahren nicht verzögern . 634 So ist es z.B. an der Pretura di Firenze gängige Praxis, verspätet vorgelegte Urkunden nicht zuzulassen.

218

C. Das Erkenntnisverfahren

weis gestellt werden könnten635 und damit wertlos wären. 636 Diese starre zeitliche Begrenzung der Möglichkeit zur Bezeichnung der Beweismittel birgt nun aber wie jede Eventualmaxime die Gefahr der Überschwemmung des Richters mit Beweisanträgen.637 Auch hier wäre es geschickter, wenn der Richter verspätete Beweisanträge zurückweisen könnte, statt sie ab einem bestimmten Zeitpunkt im Verfahren generell zu präkludieren. Eine Besonderheit bezüglich der Beweismittel besteht im Arbeitsverfahren. Dort kann der Richter zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens Beweis von Amts wegen erheben (Art. 421 Abs. 2 c.p.c.), während dies den Parteien dann bereits verwehrt ist. Dies bedeutet, daß der Richter im Gegensatz zu den Parteien nicht der Präklusion von Beweismitteln unterliegt. Diese überschießende Befugnis des Richters im Beweisverfahren ist in einem von der Verhandlungsmaxime638 beherrschten Verfahren bemerkenswert und wird daher bei der Untersuchung der Stellung des Richters im Beweisverfahren zu vertiefen sein. 639 Aus Sicht der Parteien kann aber schon hier festgehalten werden, daß sie im Falle der Beweisaufnahme von Amts wegen darauf mit eigenen Beweisanträgen reagieren können. 640 Gegenüber diesen überschießenden richterlichen Befugnissen, mit denen es ihm möglich wäre, das recht strenge Präklusionssystem elastischer zu handhaben und bei der Ausübung seiner Befugnisse nach sachdienlichen oder dilatorischen Beweisanträgen zu differenzieren, ist jedoch in Wissenschaft und Praxis eine deutliche Zurückhaltung zu erkennen. Sie liegt letztlich in der Befürchtung begründet, der Richter könnte durch Zulassung eines Beweismittels von Amts wegen, das den Parteien bereits verwehrt ist, die Präklusionsvorschriften unterlaufen und damit eine Partei bevorzugen. 635 So Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 226, 229; Oriani, Foro it. 1991 V , Sp. 35. 636 Zu unterschiedlichen praktischen Ergebnissen gelangen die beiden Auffassungen nur dann, wenn eine Partei während der Beweisaufnahme neue Tatsachenbehauptungen mit bereits bezeichneten und zugelassenen Beweismittel unter Beweis stellen will. Ein solcher Fall wäre z.B. gegeben, wenn sich eine Partei die Aussagen eines Zeugen zu eigen macht, die sie vorher nicht konkret behauptet hat ( Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 179; Misera, Die Eventualmaxime, S. 95). 637 Tarzia, Lineamenti, S. 111. 638 Während die italienische Terminologie einheitlich nur vom principio dispositivo spricht, ist im Deutschen genau zwischen der Verhandlungs- und der Dispositionsmaxime zu unterscheiden. 639Siehe unten C.IV.3.a), S. 296. 640 Anders als im ordentlichen Verfahren (Art. 184 Abs. 3 c.p.c.) gibt es hier keine ausdrückliche Regelung, da Art. 421 Abs. 2 S. 2 c.p.c. nur auf Art. 420 Abs. 6 c.p.c. verweist. Deshalb ist Art. 420 Abs. 7 c.p.c. analog anzuwenden, wonach jede Partei eigene Beweisanträge stellen darf, wenn der Richter nach Art. 420 Abs. 5 c.p.c. Beweismit tel zuläßt, die die Gegenseite ohne ihr Verschulden verspätet bezeichnet hat (Proto Pisani, in: Andrioli/ Baronej Pezzanoj Proto Pisani, Contraversie di lavoro 2 , S. 715: Cavallone, II giudice e Ia prova, S. 326).

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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bb) Die Präklusionen in den übrigen Ländern Das deutsche und das Österreichische Recht folgen in ihrem Aufbau dagegen noch der Tradition des gemeinen Rechts641 und bestimmen die Präklusion der verspäteten Prozeßhandlung als allgemeine Folge der Säumnis (§ 230 ZPO; § 144 öZPO), die wie schon in§ 155 Abs. 2 hanPrO 1850 regelmäßig ipso iure eintritt (§ 231 Abs. 1 ZPO; § 145 Abs. 1 S. 2 öZPO). Als Hauptanwendungsfall soll uns hier aber nur die Präklusion verspäteter Angriffs- und Verteidigungsmittel beschäftigen. Ausgehend vom Grundsatz der Einheitlichkeit der mündlichen Verhandlung (§ 193 Abs. 2 öZPO), ist dem heutigen deutschen und Österreichischen Recht eine Zäsur wie der Beweisbeschluß in Italien fremd. Daher können beide Parteien grundsätzlich bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung642 neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in den Prozeß einführen. 643 Nur für die Einreden gegen die Zulässigkeit der Klage gilt noch heute die Eventualmaxime. Sie sind gemeinsam und vor der Verhandlung zur Sache(§ 282 Abs. 3 ZPO) beziehungsweise in der ersten Tagsatzung (§ 239 Abs. 2, 3 öZPO) zu erheben. 644 Diesem Grundsatz steht aber als Korrelativ die Pflicht der Parteien gegenüber, sich vollständig und der Wahrheit gemäß zu erklären(§ 138 Abs. 1 ZPO; § 178 öZP0) 645 und alle Angriffs- und Verteidigungsmittel so zeitig wie möglich vorzutragen (§ 282 Abs. 1 ZPO). Soweit die Vertretung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben ist (Anwaltsprozeß) (§ 78 Abs. 1 ZPO), haben die Parteien ihr Vorbringen außerdem vor der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich anzukündigen, damit sich die Gegenseite dazu erklären kann (§§ 282 Abs. 2, 129 Abs. 1 ZP0). 646 Um diese Pflicht zu sanktionieren und Prozeßverzögerungen vorzubeugen, besteht die Möglichkeit, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen. 647 Hat der deutsche Richter einer Partei eine Ausschlußfrist gesetzt, ist das Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach Ablauf der Frist präkludiert, wenn sich durch die Zulassung der Rechtsstreit verzögern würde und die Ver641 Siehe

oben C.III.3.b.bb.(3), S. 193 und Fußnote 395, S. 175. die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung kann in Deutschland die Schriftsatzfrist nach § 283 S. 1 HS. 1 ZPO, § 128 Abs. 2 S. 2 ZPO oder § 128 Abs. 3 S. 2 ZPO treten. 643 § 179 Abs. 1 S. 1 öZPO; in Deutschland gilt dasselbe, auch wenn es keine ausdrückliche Regelung gibt (RosenbergjSchwabjGottwald, Zivilprozeßrecht 15 , S. 380). 644 Siehe zu Einzelheiten unten C.III.4.a.aa), S. 231. 6 45 Siehe dazu unten C.III.3.e), S. 227. 646 Vgl. Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 282 Rdnr. 4; ThomasjPutzo 20 , ZPO, § 282 Rdnr. 3; Leipold, in: SteinjJonas 21 , ZPO, § 282 Rdnr. 22; Prü.tting, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 296 Rdnr. 143. 647 Vgl. Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht2 , Rdnr. 654. 642 An

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C. Das Erkenntnisverfahren

spätung nicht genügend entschuldigt wird. 648 Bei grobem Verstoß gegen die allgemeine Prozeßförderungspfiicht649 nach § 282 Abs. 1, 2 ZPO steht es im Ermessen des Richters, das verspätete Vorbringen zurückzuweisen, wenn es zu einer Verzögerung führen würde (§ 296 Abs. 2 ZP0) .650 In Österreich kann der Richter alle tatsächlichen Behauptungen und Beweisanträge zurückweisen, die in Verschleppungsabsicht vorgetragen werden und das Verfahren erheblich verzögern würden(§ 179 Abs. 1 S. 2 öZPO). Auch Beweismittel können präkludiert werden, wenn sie zwar rechtzeitig bezeichnet, aber nicht beigebracht werden (§ 181 Abs. 2 S. 2 öZP0). 651 Und auch nach Schluß der mündlichen Verhandlung, wo eigentlich keine neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel mehr zulässig sind (§ 296 a ZPO), hat es der Richter in der Hand, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (§ 156 ZPO; § 194 öZPO), um zum Beispiel das Vorbringen in einem Schriftsatz, der erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung eingegangen ist, noch zu berücksichtigen. 652 Eine Verpflichtung zur Wiedereröffnung besteht dagegen nur, wenn sich das Vorbringen schon in der mündlichen Verhandlung derart aufgedrängt hatte, daß das Gericht nach § 139 Abs. 1 ZPO danach hätte fragen müssen, 653 oder wenn eine Partei entscheidungserhebliche Unterlagen, deren Vorlage sie in der Verhandlung zugesagt hat, nachträglich einreicht. 654 648 Dabei kommt es nach der Rechtsprechung (BGHZ 86, 31, 37) darauf an, ob der Prozeß bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung (absolute Verzögerung). Unerheblich ist also, ob der Prozeß genausolange gedauert hätte, wenn das Vorbringen rechtzeitig erfolgt wäre (relative Verzögerung). Dieser absolute Verzögerungsbegriff ist mit dem verfassungsrechtlichen Gebot auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) solange vereinbar, wie sich nicht "ohne weitere Erwägung aufdrängt, daß dieselbe Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vorbringen eingetreten wäre" (BVerfGE 75, 302,316 f.). Vgl. auch Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 296 Rdnr. 2, 22; Stümerj Stadler, Aktive Rolle des Richters, S. 185. 649 Vgl. dazu Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 296 Rdnr. 8 b; Prütting, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 296 Rdnr. 145. 650 BGH, NJW 1981, S. 1218, WM 1982, S. 1281, 1282; Leipold, in: Steinj Jonas 21 , ZPO, § 296 Rdnr. 110. Dagegen halten Weth, Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 293, und Prütting, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 296 Rdnr. 177, ein Ermessen für unvereinbar mit der Waffengleichheit im Prozeß und plädieren daher für eine Pfticht zur Zurückweisung. Ablehnend zu Recht Leipold, ZZP 102 (1989), S. 447, der zumindest in der Prognose, ob das zugelassene Vorbringen für den Prozeßausgang erheblich sein wird, zu Recht eine tragfähige Begründung für die Ermessensentscheidung sieht. Hierzu ist auch eine vorweggenommene Beweiswürdigung statthaft (Leipold, in: Stein/ Jonas 21 , ZPO, § 296 Rdnr. 110). 651 Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß nach § 279 Abs. 1 öZPO ein Beweismittel unberücksichtigt bleiben kann, wenn die Beweisaufnahme schwierig ist und nicht binnen einer vom Richter gesetzten Frist erfolgt. Gleiches gilt nach §§ 332 Abs. 2, 365, 368 Abs. 3 öZPO für den Beweis durch Zeugen, Sachverständige oder Augenschein, wenn der Kostenvorschuß nicht einbezahlt wird. 652 Thomasj Putzo 20 , ZPO, § 156 Rdnr. 7. 65 3 BGH , NJW 1993, S. 134. 654 BGH , FamRZ 1996, S. 1067, 1069.

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Auch soweit mit dem neuen Vorbringen eine Klageänderung verbunden ist, sind die Richter in Deutschland und Österreich wesentlich freier als ihre italienischen Kollegen, da sie auch ohne Zustimmung des Beklagten alle sachdienlichen Änderungen des Streitgegenstandes zulassen können (§ 263 ZPO; § 235 Abs. 3 öZPO), egal ob sie den Klagegrund, den Klagantrag655 oder die Parteien betreffen. 656 Insgesamt können der deutsche und der Österreichische Richter also viel flexibler auf verspätetes Vorbringen reagieren als der italienische, der an die festen Präklusionsvorschriften gebunden und nur Verwalter des Verfahrens ist, nicht aber sein Leiter. Es ist aber zu bedenken, daß die Präklusionsvorschriften in Deutschland zu keiner wesentlichen Beschleunigung des Verfahrens beigetragen haben und ihre praktische Bedeutung äußerst bescheiden ist. In Österreich ist nach der Rechtsprechung von den Präklusionen mit Vorsicht und Verantwortung Gebrauch zu machen.657 Dies ist jedoch durchaus etwas Positives. Die Zurückweisung als verspätet birgt immer die Gefahr in sich, daß das Urteil nicht mit der materiellen Rechtslage übereinstimmt, was dem anfangs skizzierten Zweck des Zivilprozesses zuwider läuft. Es ist daher zu begrüßen, wenn die bloße Androhung von Präklusionen dazu führt, daß die Parteien ihr Vorbringen weder aus Schludrigkeit noch aus Boshafigkeit zurückhalten. Dies entspricht vielmehr der idealen Wirkung einer angedrohten Strafe, daß sie nicht verhängt werden muß, sondern bereits im Vorfeld zur Änderung des sanktionierten Verhaltens beiträgt. Auch das französische Recht geht von dem Grundsatz aus, daß bis zum Schluß der Verhandlung vor dem juge de la mise en etat658 neuer Vortrag möglich ist; Präklusionen treten zuvor grundsätzlich nicht ein. Auf Seiten des Klägers wird dieser Grundsatz ohne Einschränkung durchgehalten. Die einzige Grenze besteht darin, daß eine Klageänderung ( demande additionneUe) (Art. 65 NCPC) nur möglich ist, soweit zwischen dem alten und dem neuen Antrag eine hinreichende Verbindung (lien suffisant) besteht (Art. 70 Abs. 1 NCPC), was über die einfache Klageerweiterung659 hinausgeht.660 Der Beklagte kann nach Art. 72 NCPC materielle Einreden ( defenses au fond) (Art. 71 NCPC) gegen das geltend gemachte Recht 661 655 Siehe Lüke, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 263 Rdnr. 7 ff.; Greger, in: Zö//er 20 , ZPO, § 263 Rdnr. 1 ff. 656 BGHZ 65, 264, 268, BGH, NJW 1988, S. 128; zum gleichen E rgebnis kommt die Lehre, die sich neben § 263 ZPO an §§ 265 f. ZPO orientiert (Lüke, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 263 Rdnr. 67 ff.). 657 OGH vom 8. Juli 1975, öRiZ 1976, S. 27; OGH vom 28. Oktober 1975, öRiZ 1976, s. 44. 6 5 8 Vgl. unten C.IV.6., S. 313. 6 59 Dazu Cass. 2e civ. vom 15. Juni 1960, Bull. civ. 1960 li, Nr. 379, S. 265. 660 Solus/ Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 1029, S. 876. 661 Vincentj Guinchard, Procedure civile23 , Rdnr. 142.

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C. Das Erkenntnisverfahren

en tout etat de cause erheben. Nur die prozessualen Einreden ( exceptions de procedure) (Art. 73 NCPC) sind, wie üblich, gemeinsam vor der Verteidigung zur Sache zu erheben (Art. 74 Abs. 1 NCPC) .662

Doch beschränkt sich das französische Recht nicht auf die uns heute geläufige Unterscheidung von materiellen und prozessualen Einreden, sondern kennt als Zwischenform die fins de non-recevoir (Art. 122 NCPC), die auf die exceptiones peremptores des römischen Rechts zurückgehen. 663 Von den reinen prozessualen Einreden unterscheiden sie sich dadurch, daß sie nicht nur die Klage unzulässig machen, sondern die Durchsetzung des Anspruchs dauerhaft hemmen und damit stets peremptorischer Natur sind. 664 Nach dem Verständnis der übrigen hier untersuchten Rechtsordnungen gehören die fins de non-recevoir teilweise dem materiellen Recht an wie etwa die in Art. 122 NCPC ausdrücklich erwähnte Verjährung (prescription), teilweise dem Verfahrensrecht wie etwa der dort ebenfalls erwähnte Einwand der Rechtskraft ( chose jugee) . Die Zwitterstellung wird aber vor allem am defaut de qualite deutlich, da das französische Recht umfassend vom droit d'agir spricht und zwischen der materiell-rechtlichen Aktivlegitimation und der prozessualen Prozeßführungsbefugnis665 nicht unterscheidet. All diesen Einreden des Beklagten ist gemein, daß auch sie ohne zeitliche Begrenzung in den Rechtsstreit eingeführt werden können (Art. 123 NCPC). Geschieht dies in Verschleppungsabsicht, kann der Richter das Vorbringen nicht zurückweisen, sondern die Partei nur zu Schadensersatz und einer Verfahrensstrafe (Art. 32-1 NCPC) verurteilen. Von der Grundregel, daß die echten prozessualen Einreden mit der Verhandlung zur Sache präkludiert sind, ausgenommen ist die Nichtigkeit einer Prozeßhandlung wegen mangelnder Parteifähigkeit ( capacite de jouissance) oder Prozeßfähigkeit (capacite d'exercice) oder fehlender Vertre662 Dabei werden vier Arten von prozessualen Einreden unterschieden: die Unzuständigkeit (incompetence) (Art. 75 ff. NCPC) (siehe dazu unten C.lll.4.a.aa), S. 231), die Rechtshängigkeit (litispendance) und die Konnexität (connexite) (Art. 100 ff. NCPC), die dilatorischen Einreden (exceptions dilatoires) (Art. 108 ff. NCPC) und die Nichtigkeit (nullite) (Art. 112 ff. NCPC). Eine graphische Übersicht findet sich bei Fischer, Beschleunigungsmechanismen, S. 44. 663 Vincent/Guinchard, Procedure civile23 , Rdnr. 145. Diese Unterscheidung ergibt sich daraus, daß das französische Recht bis heute neben dem geltend gemachten materiellen Recht ( droit substantiel reclame) und der Klage ( demande) noch eine eigenständige action en justice (Art. 30 NCPC) kennt, der die fins de non-recevoir des Beklagten gegenüberstehen (Faucheres, Enc. Dalloz Proc. Civ., Defenses, exceptions, fins de non-recevoir (1979), Nr. 6; Motulsky J.C.P. 1963 II, Nr. 13191). Vgl. auch VincentjGuinchard, Procedure civi!e23 , Rdnr. 69, der sich kritisch zum Konzept der action äußert, sowie zu Deutschland und Italien Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 1 ff. 664 Vincent/ Guinchard, Procedure civile23 , Rdnr. 145; Fischer, Beschleunigungsmechanismen, S. 43. 665 RosenbergjSchwabjGottwald, Zivilprozeßrecht 15 , S. 234.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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tungsmacht (pouvoir), 666 die sogenannte nullite pour irregularite de fond (Art. 117 NCPC), die wie die fins de non-recevoir in jeder Verfahrenslage geltend gemacht werden kann. Bei Verzögerungsabsicht droht jedoch die Verurteilung zum Schadensersatz (Art. 118 NCPC). Schließlich kennt auch das französische Recht an einer Stelle eine besonders dem Österreichischen § 179 Abs 1 öZPO vergleichbare Regelung, wonach die Einrede der Konnexität zwar grundsätzlich in jeder Verfahrenslage erhoben, bei Verzögerungsabsieht aber vom Richter als verspätet zurückgewiesen werden kann (Art. 103 NCPC). Eine letzte Präklusion gibt es schließlich noch im Beweisrecht. Nach Art. 135 NCPC kann der Richter solche Urkunden von der Verhandlung ausschließen, die nicht rechtzeitig (en temps utile) vorgelegt worden sind. Dies gilt vor allem dann, wenn den Parteien zur Vorlage der Urkunden eine Frist gesetzt worden war und sie sie in Verzögerungsabsicht bis zum Schluß der Beweisaufnahme zurückgehalten haben. 667 Als Korrelativ für diese weitgehende Präklusionsfreiheit während des Instruktionsverfahrens kann der juge de la mise en etat von Amts wegen die cloture de l'instruction verfügen (Art. 780 NCPC), wenn eine Partei ihre Prozeßhandlungen nicht in der gebotenen Zeit vornimmt und damit pauschal jedes weitere Vorbringen ausschließen. cc)

Die historische Entwicklung

Wie diese Übersicht zeigt, bewegt sich das Recht der Präklusionen auch heute noch im weiten Spektrum zwischen der Eventualmaxime in Italien und weitgehender Präklusionsfreiheit in Frankreich. Auch in der Vergangenheit lassen sich diese Prinzipien gut nachweisen, wobei sich besonders in Italien ein stetiger Wechsel zeigt. Die Eventualmaxime, deren Wurzeln bis ins kanonische und oberitalienische Recht zurückreichen,668 wurde in Deutschland schon in Titel XIX § 5 der Reichskammergerichtsordnung von 1521 niedergelegt669 und war noch im letzten Jahrhundert das prägende Wesenselement des gemeinen Prozesses in Deutschland670 und Österreich. 671 Seinerzeit zur Prozeßbe666Vgl. dazu Vincent/ Guinchanl, Procerlure civi!e 23 , Rdnr. 490 ff. 667Vgl. Cass. 2• civ. vom 2. Februar 1977, Bull. civ. 1977 Il, Nr. 25, S. 20. 668 Schubert, SZ (germ.) 85 (1968), S. 134. 669 Schubert , SZ (germ.) 85 (1968), S. 137; Wetzell , System des ordentlichen Civilprozesses 3 , S. 969. 670 Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 588; Dahlmanns, Strukturwandel, S. 21 = Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 17. Vgl. auch § 96 Abs. 3 hanPrO 1847. 671 von Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht 2 , Band 1, S. 293; Fasching, öZPO § 179 Anm. I, S. 849; Schubert , SZ (germ.) 85 (1968), S. 141. Vgl. § 7 öAGO; § 6 WGO.

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C. Das Erkenntnisverfahren

schleunigung geschaffen, wurde die gemeinrechtliche Eventualmaxime in Preußen wieder abgeschafft, wovon man sich ebenfalls ein Ende der Prozeßverschleppung versprach. Neues Vorbringen war nun auch während der Instruktion möglich, nachdem das Verfahren vor dem Instruenten beendet und der Sach- und Streitstand dem Richter vorgelegt worden war (Teil I Titel X § 3 Abs. 1 S. 1 prAGO). Selbst wenn die Instruktion vollständig beendet war, konnte der Richter entscheidungserheblichen Tatsachenvortrag zulassen, mußte es aber nicht mehr (Teil I Titel X § 3 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 prAGO). Dem Mißbrauch sollte durch Auferlegung der Mehrkosten und Schadensersatz vorgebeugt werden (Teil I Titel X § 4 prAGO). Es steht zu vermuten, daß diese Entwicklung in Preußen von Frankreich beeinflußt war, wo die Eventualmaxime nie Fuß gefaßt hatte und der ordonnance civile fremd war. 672 Nur die dilatorischen Einreden mußten auf einmal und vor der Einlassung zur Sache erhoben werden. 673 Dieser Zustand blieb auch nach Inkrafttreten des code de procedure civile von 1806 erhalten und gehört damit zum traditionellen Bestand des französischen Verfahrensrechts. 674 Nur die fins de non-recevoir, die ursprünglich in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden konnten675 und damit den defenses angenähert waren, wurden zur Vermeidung schikanöser Prozeßführung676 zwischenzeitlich den exceptions angeglichen und waren in limine litis und vor der Verhandlung zur Sache zu erheben,677 bis man zum früheren Rechtszustand zurückkehrte. In Preußen war die gemeinrechtliche Eventualmaxime dagegen noch nicht überwunden, sondern wurde mit den Reformen von 1833 und 1846 wieder eingeführt. 678 Ihr Ende wurde erst nach den Revolutionsjahren 1848/49 eingeläutet, vor allem durch die neue hannoversche Prozeßordnung. Sie ließ Einreden ausdrücklich bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zu. Lag ein Restitutionsgrund vor, wurden sie auch noch später zugelassen(§ 204 hanPrO 1850). Damit sollte der Schritt vom schriftlichen zum mündlichen Prozeß vollzogen werden. Die Konzentration der Verhandlung hoffte man auf anderem Wege zu erreichen.679 Auch die Zivilprozeßordnung übernahm den Grundsatz, daß alle Angriffs- und VerteidigungsSZ (germ.) 85 (1968}, S. 148. SZ (germ.) 85 (1968), S. 148 f.; vgl. Art. 186 CPC 1806. 674 VincentjGuinchard, Procedure civiie23 , Rdnr. 142; Blanc/Viatte, NCPC, Art. 72, s. 86. 675 Blanc/Viatte, NCPC, Art. 123, S. 132. 676 Blanc/Viatte, NCPC, Art. 123, S. 132. 677 Cass. 2e civ. vom 12. Juli 1972, D. 1972 som., S. 203. 678 Dahlmanns, Strukturwandel, S. 21, Fußnote 45 = Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 17. 679 Regierungsmotive zur hannoverschen Prozeßordnung von 1850, Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen, Band 1, S. 336 f. 672 Schubert,

673 Schubert,

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

225

sowie Beweismittel bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vorgetragen werden können (§§ 251 Abs. 1, 256 Abs. 1 ZPO 1877) und sanktionierte verspätetes Vorbringen lediglich damit, daß der Richter der säumigen Partei die Kosten auferlegen konnte(§§ 251 Abs. 2, 256 Abs. 2 ZPO 1877).680 Zurückweisen konnte er nur verspäteten Vortrag des Beklagten auf Antrag des Klägers (§ 252 ZPO 1877). Beweismittel unterlagen keiner Präklusion. Auch Italien ließ sich vom französischen Geist und der liberalen Geisteshaltung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anstecken und ließ im Verfahren nach dem codice di procedura civile von 1865 jedes Vorbringen zur Sache in jeder Lage des Verfahrens zu, was zu beklagenswerten Prozeßverschleppungen Anlaß gab.681 In Österreich wurde die Eventualmaxime dagegen nicht ersatzlos gestrichen, sondern dem Richter die Befugnis übertragen, verspätetes Vorbringen von Amts wegen zurückzuweisen. 682 Chiovenda wollte dem Mißstand der Prozeßverschleppung mit Präklusionen lediglich nach deutschem Vorbild abhelfen durch die Kostenentscheidung (Art. 55 Abs. 2) und die Zurückweisungschuldhaft verspäteter Einreden des Beklagten (Art. 56). Doch sollten diese nicht für die gesamte Instanz präkludiert sein. Vielmehr sollte nach dem Vorbild des Wechselprozesses oder der Prozeßaufrechnung ein Vorbehaltsurteil ergehen, 683 das die verspäteten Einreden dem Nachverfahren zuwies. Nur verspätete Beweismittel sollte der Richter endgültig zurückweisen können (Art. 57). Damit versuchte Chiovenda, dilatorisches Prozeßverhalten zu bekämpfen und gleichzeit im weitest möglichen Umfang die Richtigkeit der später in Rechtskraft erwachsenden Entscheidung zu sichern. Der Gesetzgeber von 1940 entschied sich aber schließlich für die Rückkehr zur Eventualmaxime684 und schloß neues Vorbringen nach der ersten mündlichen Verhandlung weitgehend aus (Art. 184 c.p.c. 1940). Anders als heute nach Art. 167 Abs. 2, 3, 180 Abs. 2 S. 2 c.p.c. gab es aber keine Präklusionen im Vorfeld der mündlichen Verhandlung in der Sache. Doch schon mit der Gegenreform von 1950 kehrte der Gesetzgeber wieder zum "französischen" System zurück und ließ neuen Tatsachenvortrag bis zum Ende der Verhandlung vor dem Instruktionsrichter zu (Art. 184 c.p.c. a.F.). Damit gab er dem Druck vor allem aus der Anwaltschaft nach, die sich durch die Präklusionen in entscheidendem Maße in ihrer prozessualen Freiheit eingeschränkt sah und massiv auf deren Abschaffung gedrängt hatte.685 680 Vgl.

dazu heute neben § 95 ZPO auch§ 34 Abs. 1 S. 1 GKG. Relazione, Nr. 24, abgedruckt bei FranchijFeroci, Nuovo codice di procedura civiie3 , S. XLI. 682 Fasching, öZPO, § 179 Anm. 1, S. 849 f. 683 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 49. 684 Relazione, Nr. 24, abgedruckt bei FranchijFeroci , Nuovo codice di procedura civiie3 , S. XLI. 685 Molinari, Riv. dir. proc. 1946, S. 181. 681

15 Piekenbrack

C. Das Erkenntnisverfahren

226

Dem Richter blieb nur die Möglichkeit, die Verspätung des Vorbringens bei der Kostenentscheidung nach Art. 92 Abs. 1 c.p.c. wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Redlichkeit im Prozeß (Art. 88 c.p.c.) zu ahnden. Wie in Frankreich das Instruktionsverfahren vorzeitig beenden konnte er dagegen nicht. Mit der jüngsten Reform hat das Pendel nun wieder einmal in die Richtung der Eventualmaxime ausgeschlagen. Allerdings ist sie nicht ganz so streng ausgefallen, wie ursprünglich geplant. 686 Ein Präklusionssystem irt der Hand des Richters ist dem italienischen Recht dagegen bis heute fremd geblieben. Nur bei Chiovenda sind bescheidene Ansätze in dieser Richtung zu erkennen. Auch in Deutschland zeigte sich bald, daß das fast präklusionsfreie Verfahren nicht der Weisheit letzter Schluß war. Aus diesem Grund wurden die Präklusionsvorschriften schrittweise verschärft. Ab 1924 waren die Kosten der Verspätung zwingend der säumigen Partei aufzuerlegen (§ 278 Abs. 2 ZPO 1924) und der Richter konnte nun von Amts wegen alle Angriffs-, Verteidigungs- und Beweismittel als verspätet zurückweisen (§§ 279, 283 Abs. 2 ZPO 1924). Darüberhinaus konnte der Richter nun auch selbst Ausschlußfristen für die Erklärung zu bestimmten Punkten setzen (§ 279 a ZPO 1924). Ab 1933 konnten Angriffs-, Verteidigungsund Beweismittel auch dann zurückgewiesen werden, wenn sie nicht rechtzeitig durch einen vorbereitenden Schriftsatz angekündigt waren (§ 279 Abs. 2, 283 Abs. 2 ZPO 1933). Bei diesem Zustand blieb es bis zur Vereinfachungsnovellevon 1976. Auf den ersten Blick scheint diese Regelung auch völlig ausreichend, gibt sie dem Richter doch alle Möglichkeiten, auf verspätetes Vorbringen angemessen zu reagieren. Wie sich aus der zeitgenössischen Kommentierung ergibt, sollte der Richter aber sehr behutsam mit der Zurückweisung umgehen und davon nur Gebrauch machen, wenn die "Erweislichkeit bzw. Beweiskraft unwahrscheinlich ist." 687 So blieb die Vorschrift in der Praxis zunächst nur ein stumpfes Schwert. dd)

Die Präklusionen aus der Sicht des Richters

Die Untersuchung hat gezeigt, daß es eine völlige Freiheit der Parteien, wann sie Tatsachen vortragen oder Beweismittel bezeichnen wollen, nicht geben kann. Dies hat die Erfahrung in Frankreich, Deutschland und Italien gezeigt, Sie alle haben den Versuch unternommen, ohne Präklusionen auszukommen, während die Österreichische Zivilprozeßordnung von Anfang 686 Der Rognoni-Entwurf Nr. 2214/S/IX hatte ein sehr starres Präklusionskorsett vorgesehen, wonach nach der ersten mündlichen Verhandlung auch keine neuen Fragen mehr von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen wären (Art. 183). Ausdrücklich dagegen sprach sich der C.S.M., Doc. Giust. 1988, Nr. 10, S. 403 aus. 687SteinjJonas 15 , ZPO, § 279 Anm. 11.3.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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an in bescheidenem Umfang dem Richter die Möglichkeit gab, dilatorisches Vorbringen zurückzuweisen. Auf der anderen Seite ist es aus Sicht des Richters aber auch ungünstig, wenn ohne Ansehen des Einzelfalls feste Fristen für die Vornahme von Prozeßhandlungen bestehen. Hierbei besteht immer die Gefahr, daß er mit Hilfsvortrag und-anträgenüberschwemmt wird, nur weil die Parteien sonst Gefahr laufen, mit diesen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln ausgeschlossen zu werden. So gibt es mittlerweile in Deutschland und Österreich die Möglichkeit, einzelne Angriffs- oder Verteidigungsmittel auszuschließen, während der Richter in Frankreich durch das Anordnen der cloture de l 'instruction pauschal jedes weitere Vorbringen abschneiden kann. In Italien fehlt eine solche Befugnis des Richters, verspätetes Vorbringen selbst zurückzuweisen, dagegen bis heute. Auch hier verspürt man das fortwährende Mißtrauen gegen einen zu mächtigen Richter, der das Vorbringen einer Partei möglicherweise aus sachfremden, etwa gerichtsinternen Gründen zurückweisen könnte. 688 Daher hat er sich damit zu begnügen zu prüfen, ob das Vorbringen an der im Prozeßverlauf vorgesehenen Stelle erfolgt ist oder nicht, und kann bis auf die Ausnahme in Art. 180 Abs. 2 S. 2 c.p.c. keine eigenen Ausschlußfristen setzen. Insgesamt können damit der deutsche und der Österreichische Richter viel flexibler auf verspätetes Vorbringen reagieren als der italienische, der an feste Präklusionsvorschriften gebunden und damit nur Verwalter des Verfahrens ist, nicht aber dessen Leiter. Besonders mißlich ist es, wenn diese gesetzlichen Präklusionen zu einem Zeitpunkt Platz greifen, zu dem der Richter auf die Sammlung des Prozeßstoffs noch keinen Einfluß nehmen konnte, wie dies bei den allein vor der Verhandlung zur Sache zu bezeichnenden Angriffs- und Verteidigungsmittel der Fall ist. Hier kann der Richter auch kein neues Vorbringen mehr anregen. Abzuwarten bleibt allerdings, inwieweit die neu ins Gesetz aufgenommene Generalklausel zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (rimessione in termini) (Art. 184 bis c.p.c.) als Ventil dienen kann, die Präklusionsbarrieren flexibler zu machen und den Gegebenheiten des einzelnen Prozesses anzupassen. Hierin liegt nach dem gegenwärtigen Stand eine wirkliche Chance, richterliche Verfahrensleitung zu praktizieren. e)

Die Wahrheitspflicht der Parteien

Sind die Parteien persönlich erschienen, ist es aus Sicht des Richters schließlich von erheblicher Bedeutung, ob sie ihm gegenüber auch verpflichtet sind, wahrheitsgemäß und vollständig auszusagen, damit sein 688 Vgl. etwa die sympthomatischen Befürchtungen von Biavati, Riv. trim. dir. proc. civ. 1996, S. 497.

IS•

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C. Das Erkenntnisverfahren

Urteil möglichst mit der materiellen Rechtslage übereinstimmt. 689 Eine solche Pflicht wurde aus den genannten Gründen im hier untersuchten Raum erstmals ausdrücklich in Österreich in § 178 öZPO niedergelegt. In Deutschland tauchte sie zunächst in § 228 Abs. 3 des Regierungsentwurfs von 1931 auf und fand fast wörtlich Eingang in § 138 Abs. 1 ZPO 1933. Sie war Ausdruck eines Wandels des Wesens des Prozesses,690 der nun nicht mehr allein von den Parteien geführt wurde, sondern unter aktiver Beteiligung des Richters. 691 Dafür benötigte der Richter verläßliche Informationen über das tatsächliche Geschehen; die Wahrheitspflicht der Parteien war unerläßlich geworden. Die Parteien sind bei ihren Aussagen damit nicht nur verpflichtet, die ihnen günstigen Tatsachen wahrheitsgemäß vorzutragen, sondern müssen im Sinne der Vollständigkeit ihrer Aussagen darüberhinaus ihnen bekannte ungünstige Tatsachen mitteilen. 692 Die Wahrheitspflicht enthält also nicht nur das Verbot zu lügen, sondern auch das Gebot, die ganze Wahrheit zu sagen, 693 und gerät damit in ein besonderes Spannungsverhältnis zur Darlegungslast, wonach es Aufgabe jeder Partei ist, die ihren Antrag stützenden Tatsachen vorzutragen. 694 Auch in Frankreich gipt es seit 1972 eine umfassende Wahrheitspflicht der Parteien (Art. 10 Abs. 1 CC). In Italien sind sie bis heute dagegen nur unter Eid zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet (Art. 233 ff. c.p.c.), nicht aber bei der formlosen Anhörung und der förmlichen Parteivernehmung (Art. 230 c.p.c.). 695 Hieran ändert auch die den Parteien allgemein auferlegte Pflicht zur Aufrichtigkeit (lealta) und Redlichkeit (probita) (Art. 88 c.p.c.) nichts. 696 Dies ist gerade auch in historischer Hinsicht be689 Erläuternde Bemerkungen zu §§ 190 bis 195 der Regierungs-Vorlage zur Civilprocessordnung, Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1, S. 269. 69°Vgl. von Hippe!, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht, S. 162. 691 Erläuterungen zum Entwurf einer neuen deutschen Zivilprozeßordnung, Entwurf einer Zivilprozeßordnung von 1931, S. 286. 692 Rosenbergj Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 15 , S. 364; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien, S. 10; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 2 , S. 184, mit Einschränkungen für Tatsachen, die Einreden begründen können. Nach Leipold , in: Stein/Jonas 21 , ZPO, § 138 Rdnr. 3, 7 b, gilt das Gebot zur Vollständigkeit nur im Rahmen der Darlegungslast. 693 A.A. von Hippe!, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht, S. 94 f., 294 f., der in der Wahrheitpflicht nur ein Verbot sah und das Gebot der Vollständigkeit deshalb als verfehlt streichen wollte. 694 Stiirner, Die Aufklärungspflicht der Parteien, S. 9 f. 695 Zucconi Galli Fonseca, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 88 Rdnr. 2; Mazzarella, Enc. Giur. IV (1988), avvocato e procuratore I!) diritto processuale , S. 1; CappellettijPerillo, Civil procedure in ltaly, S. 203, 230; a.A. allerdings Grasso, Riv. dir. proc. 1966, S. 600, m.w.N. in Fußnote 42; Nagel, Grundzüge des Beweisrechts, S. 87. 696 Esser, Festschrift zur Fünfzigjahrfeier der Österreichischen Zivilprozeßordnung, s. 48.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

229

merkenswert, weil in den Vorentwürfen fast überall die Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Aussage enthalten war, 697 bei deren Verletzung nach dem Vorentwurf von Solmi sogar ein Ordnungsgeld (penale) verhängt werden konnte (Art. 26 Abs. 2). Daß die Wahrheitspflicht der Parteien damit von der rein moralischen auf eine rechtlich sanktionierte Ebene gehoben werden sollte, stieß in den Reaktionen zu dem Vorentwurf zum Teil auf heftige Kritik. 698 So erkannte Calamandrei auch hier die oben beschriebene Tendenz zur "Poenalisierung des Zivilprozesses", die zur Abschaffung des principio dispositivo und letztlich des Privatrechts führe.699 Diese Kritik ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß mit der Einführung der Wahrheitspflicht der Unterschied zwischen einer Partei und einem Zeugen verwischt würde und so jede Partei ohne Rücksicht auf die Darlegungsund Beweislast alle relevanten Fakten offenbaren müßte. 700 Sie ist sicherlich berechtigt, soweit die Neuregelung tatsächlich dazu geführt hätte, an die Aussagen der Parteien dieselben Maßstäbe anzulegen wie an die eines Zeugen. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie die Handhabung der Wahrheitspflicht in Deutschland und Österreich zeigt. Und auch die Sanktion eines Ordnungsgeldes ist fraglich, da hier anders als beim Nichterscheinen auch die subjektive Vorstellung der Partei von Bedeutung ist, die aber nicht Gegenstand eines Zivilprozesses sein sollte. 701 In Italien hat diese zum Teil berechtigte Kritik allerdings dazu geführt, daß schon im endgültigen Entwurf von Solmi von einer Wahrheitspflicht der Parteien überhaupt keine Rede mehr war (Art. 29) und bis heute nicht ist. So blieb für das Verhalten der Parteien vor Gericht lediglich eine bis auf die Kostenfolge (Art. 92 Abs. 1 c.p.c.) sanktionslose Generalklausel zur Aufrichtigkeit und Redlichkeit. 702 Eine strafrechtliche Sanktion wie den Prozeßbetrug gibt es in Italien nicht. 703 Auch die Pflicht zum Schadensersatz nach Art. 96 Abs. 1 c.p.c. tritt nicht schon bei einer bloßen Falschaussage ein. 704 Die 697 Siehe die Entwürfe von Chiovenda (Art. 20 Abs. 1), Carnelutti (Art. 28) und den Vorentwurf von Solmi (Art. 26 Abs. 1). 698 Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 351; Ricca-Barberis, Relazione der Universitd di Torino, Osservazioni e Proposte 1938, Band 1, S. 277. Die Gerichts begrüßten den Vorschlag hingegen bis auf die Höhe des Ordnungsgeldes (Relazione der Corte d'appello di Ancona, Osservazioni e Proposte 1938, Band 1, S. 261; Relazione der Gorte d'appello di Messina , Osservazioni e Proposte 1938, Band 1, S. 263; Relazione der Corte d'appello di Torino, Osservazioni e Proposte 1938, Band 1, S. 263). 699 Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, 306, 309. 70 Carnelutti, Relazione der Universita und des Sindacato Fascista Avvocati e Procuratori di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 1, S. 270. 701 Leipold, in: SteinjJonas 21 , ZPO, § 138 Rdnr. 14. 702 Cappelletti, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni deli'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 86. 703 Auch wenn man davon ausgeht , daß der Prozeßbetrug nicht erst durch § 138 Abs. ZPO 1933 möglich wurde, war die Vorschrift bei der Begründung dieses Tatbestandes sicherlich förderlich (Leipold, in: Steinj Jonas 2 1 , ZPO, § 138 Rdnr. 14). 704 In Deutschland ist § 138 Abs. 1 ZPO hingegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 823

°

C. Das Erkenntnisverfahren

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einzige Folge der bewußten Falschaussage einer Partei vor Gericht ist, daß die rechtskräftige Entscheidung unter Umständen durch die Restitutionsklage (Art. 395 Nr. 1 c.p.c.) beseitigt werden kann. 705 4.

Die Gliederung des Prozeßstoffs

Dieser Unterabschnitt widmet sich der Frage, wie der Richter den unter Umständen sehr komplexen Prozeßstoff gliedern kann, um eine effiziente Verhandlung über die einzelnen Punkte zu erreichen. 706 Dabei sind insgesamt vier Hypothesen zu unterscheiden. Wie in der Übersicht über den Ablauf des Instruktionsverfahrens gesehen, ist der Richter gehalten, vor der Verhandlung in der Sache die Zulässigkeit der Klage zu überprüfen. Daher wird auch hier mit der Frage begonnen, wie der Richter die Verhandlung über die Zulässigkeit abtrennen und darüber gesondert entscheiden kann [C.III.4.a)]. Der Frage soll aus zwei Gründen exemplarisch anband der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nachgegangen werden. Zum einen ist die Zuständigkeit eine der praktisch wichtigsten Sachurteilsvoraussetzungen. Zum anderen kann der Richter die Zuständigkeit durch Verweisung an das zuständige Gericht selbst herbeiführen. Als zweites wird die Frage untersucht, ob der Richter auch innerhalb der Verhandlung zur Sache einzelne Fragen wie zum Beispiel Vorfragen abtrennen und gesondert verhandeln und entscheiden kann [C .111.4. b)]. Die dritte Hypothese betrifft den Fall, daß in einem Verfahren mehrere prozessuale Ansprüche geltend gemacht werden. Dabei stellt sich die Frage, ob der Richter über die verschiedenen Ansprüche getrennt verhandeln und entscheiden kann [C.III.4.c)]. Auch wenn Ähnlichkeiten zum vorigen Fall nicht zu übersehen sind, ist doch eine gesonderte Darstellung ratsam. Als letztes wird der Frage nachgegangen, unter welchen Umständen der Richter mehrere anhängige Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbinden kann [C.III.4.d)], was den Kehrfall der dritten Hypothese darstellt. a)

Fragen der Zuständigkeit

Wenn vor der Verhandlung zur Sache über die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts verhandelt und entschieden wird, kommt eine Zwischenentscheidung über die Zuständigkeit eigentlich nur dann in Betracht, wenn Abs. 2 BGB, so daß sich die Partei, die dagegen verstößt, schadensersatzpflichtig macht (Leipold, in: Stein/Jonas 21 , ZPO, § 138 Rdnr. 19). 705 In Deutschland ist dies möglich, wenn die Gegenseite wegen Prozeßbetrugs rechtskräftig verurteilt worden ist (§§ 580 Nr. 5, 581 ZPO). 706 Vgl. § 7 der Allgemeinen Begründung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung2 , Band 1, S. 132.

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der Richter seine Zuständigkeit bejaht, da die Klage andernfalls unzulässig ist und vor dem angerufenen Gericht nicht in der Sache verhandelt werden kann. Verweist der unzuständige Richter den Rechtsstreit aber an das zuständige Gericht, stellt auch diese Verweisung letztlich eine Zwischenentscheidung dar, deren Anfechtbarkeit hier ebenfalls untersucht werden soll. Besondere Bedeutung kommt dabei auch der Frage zu, inwieweit Zuständigkeitsfragen von Rechtsmittelgerichten überhaupt überprüft werden. Diese Frage steht in engem Zusammenhang mit der oben ausgesparten Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt und festgestellt werden kann. aa)

Die Frist für die Feststellung der Unzuständigkeit

Denkbar sind hier zunächst zwei Extrempositionen, die sich auch in der Rechtsgeschichte wiederfinden. So war im justinianischen und später im gemeinen Recht die Rüge der Unzuständigkeit (praescriptio fori) vor der litis contestatio zu erheben; nach der Einlassung zur Sache war sie präkludiert. 707 In Frankreich und Italien konnte die Rüge der sachlichen Unzuständigkeit ( eccezione di incompetenza per materia o valore) dagegen früher in jedem Stadium des Verfahrens erhoben werden. 708 Nur die örtliche Zuständigkeit war vor der Verhandlung zur Sache zu rügen. 709 In jüngerer Zeit ist geht der Trend jedoch dahin, die Frist für die Rüge der Unzuständigkeit, wenn auch nach Materien differenziert, zu verkürzen. In Deutschland, Österreich und Frankreich sind heute grundsätzlich alle prozessualen Einreden, zu denen auch die Rügen der Unzuständigkeit gehören, gleichzeitig und vor der Verhandlung zur Sache zu erheben. 710 Inwieweit diese Vorschrift auch sanktioniert wird, bedarf in den einzelnen Ländern jedoch einer genaueren Untersuchung. Sicher ist, daß die Anordnung des § 282 Abs. 3 ZPO in Deutschland sanktionslos bleibt, soweit die Zuständigkeit des Prozeßgerichts nicht durch rügelose Einlassung begründet werden kann. Dies gilt bis heute neben der Frage der Rechtswegzuständigkeit in allen nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten und bei Bestehen eines ausschließlichen Gerichtstandes (§ 40 Abs. 2 ZPO). In diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Rüge, da 707 Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß, Band 3, S. 264; Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 649. 708 Art. 170 CPC 1806; Art. 187 Abs. 1 c.p.c. 1865. 709 Art. 168 f. CPC 1806; Art. 187 Abs. 2 c.p.c. 1865. 710 § 247 Abs. 1, 2 Nr. 1, 2 ZPO 1877 = § 274 Abs. 1, 2 Nr. 1, 2 ZPO 1898; § 282 Abs. 3 ZPO; Art. 74 f. NCPC. In Österreich spricht§ 240 Abs. 1 öZPO nur von der Rüge der Unzuständigkeit, doch sind auch die internationale Zuständigkeit (§ 42 Abs. 1 JN) und die Rechtswegzuständigkeit davon erfaßt (Fasching, öZPO, § 240 Anrn. 1, S. 165).

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die Zuständigkeit als notwendige Sachurteilsvoraussetzung nach wie vor von Amts wegen zu prüfen ist. 711 Darüberhinaus sind nach der Rechtsprechung § 282 Abs. 3 ZPO und die korrespondierende Präklusionsnorm in § 296 Abs. 3 ZPO für die Frage der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit gar nicht anwendbar, da hier § 39 ZPO als lex specialis vorgeht. 712 Diese Rechtsprechung folgt der Einsicht, daß dem Beklagten auch bei Präklusion der Unzuständigkeitsrüge immer noch die Flucht in die Säumnis bliebe. Ohne Einlassung zur Sache in der mündlichen Verhandlung würde die Zuständig nicht begründet. Das Gericht hätte die Unzuständigkeit von Amts wegen zu beachten, so daß gegen den Beklagten kein Versäumnisurteil ergehen dürfte. 713 Faktisch genügt es damit immer, wenn der Beklagte erst in der mündlichen Verhandlung die Unzuständigkeit rügt, so daߧ 282 Abs. 3 S. 2 ZPO läuft hinsichtlich der Zuständigkeit leer läuft. Auch § 282 Abs. 3 S. 1 ZPO ist in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten und bei ausschließlichen Gerichtsständen ohne praktische Bedeutung. Erst in der Rechtsmittelinstanz ist die Prüfung der Zuständigkeit des erstinstanzliehen Gerichts in vermögensrechtlichen Streitigkeiten stark eingeschränkt. So können in der Berufungsinstanz lediglich noch zwei Rügen hinsichtlich der Zuständigkeit erstmals erfolgreich erhoben werden. Dies ist zum einen die Rüge, daß ein ausländisches Gericht international ausschließlich zuständig ist, 714 da§ 512 a ZPO insofern nicht anwendbar ist. 715 Zum anderen kann in der Berufungsinstanz noch die Rüge erhoben werden, daß in erster Instanz anstelle des Amtsgerichts das Landgericht sachlich ausschließlich zuständig gewesen wäre, wenn der Beklagte genügend entschuldigen kann, warum er die Rüge nicht bereits vor dem Amtsgericht erhoben hat (§ 529 Abs. 2 HS. 2 ZPO). Von Amts wegen prüft das Berufungsgericht die erstinstanzliehe Zuständigkeit des Amtsgerichts dagegen nicht nach(§ 529 Abs. 2 HS. 2 ZPO). Die Rüge der örtlichen Unzuständig711 Vgl. zum alten Recht Thomasj Putzo 8 , ZPO, § 274 Anm. 1, zum neuen Thomas/Putzo20, ZPO, § 296 Rdnr. 40. 712 So BGH, WM 1996, S. 2294, jedoch ausdrücklich nur zur Frage der internationalen Zuständigkeit; OLG Frankfurt, OLGZ 1983, S. 99, 101 f. Zustimmend Patzina , in: Münchener Kommentar, ZPO, § 39 Rdnr. 5; Vollkommer , in: Zöller 20, ZPO, § 39 Rdnr. 5. A.A. jedoch Bork, in: Stein/ Jonas 21 , ZPO, § 39 Rdnr. 14; Thomasj Putzo 20 , ZPO, § 39 Rdnr. 8, 13. 71 3 Krämer , WuB VII A. § 549 ZPO 1.97, S. 481. 714 Dies richtet sich entweder nach Art. 16 EuGVÜ/LugGVÜ oder nach autonomem Recht. Letzterenfalls ist eine ausschließliche internationale Zuständigkeit ausländischer Gerichte anzunehmen, wenn diese nach ihrer Iex fori ausschließlich zuständig wären und auch deutsche Gerichte im umgekehrten Fall die ausschließliche Zuständigkeit für sich beanspruchen würden (vgl. Rosenbergj Schwabj Gottwald, Zivilprozeßrecht 15 , S. 98; Bork, in: Steinj Jonas 21 , ZPO, § 40 Rdnr. 7). Liegt dagegen keine ausschließliche ausländische Zuständigkeit vor, wäre die Zuständigkeit durch die rügelose Einlassung begründet (Art. 18 EuGVÜ/LugGVÜ; § 39 ZPO). 715 Vgl. Gummer, in: Zöller 20 , ZPO, § 512 a Rdnr. 5 m.w.N.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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keit kann dagegen auch bei ausschließlichen Gerichtständen716 nicht mehr erhoben werden, da darauf die Berufung in vermögensrechtlichen Streitigkeiten nicht mehr gestützt werden kann (§ 512 a ZPO). Folglich prüft das Gericht sie auch nicht von Amts wegen nach. Das gleiche gilt für die Rüge der sachlichen Unzuständigkeit, soweit statt des Amtsgerichts das Landgericht entschieden hat (§ 10 ZPO), und für die Rüge der Rechtswegunzuständigkeit, seit diese im Rechtsmittelverfahren in der Hauptsache nicht mehr geprüft wird(§ 17 a Abs. 5 GVG). 717 In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten können sich die Berufungsgerichte hingegen auch weiterhin erstmals mit der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit befassen, nicht aber mit der Rechtswegzuständigkeit. Insgesamt wirkt diese deutsche Regel wenig überzeugend. Sie hat den Grundsatz, die Obergerichte nicht mit Fragen der Zuständigkeit zu belasten, nur peu a peu und bruchstückhaft verwirklicht, wobei ein schwer zu durchschauendes Regelungswerk aus vielen verstreuten Einzelvorschriften entstanden ist. In Österreich wird die Pflicht zur frühzeitigen Rüge der Unzuständigkeit nur insoweit sanktioniert, als die Zuständigkeit durch die rügelose Einlassung zur Sache begründet werden kann (§ 104 Abs. 3 JN). Dies ist jedoch in wesentlich weiterem Umfang der Fall als in Deutschland, da in Österreich auch ausschließliche Gerichtsstände derogierbar sind718 und nur ausnahmsweise sogenannte Zwangsgerichtsstände bestehen. 719 Gummer, in: Zöller 20 , ZPO, § 512 a Rdnr. 1. ist eine klare Tendenz erkennbar, die Zuständigkeitsprüfung von den Rechtsmitteigerichten fernzuhalten und an den Anfang des Verfahrens zu verlagern (vgl. RGZ 110, 57, 58 f.). Nachdem es zunächst nur die Regelung des § 10 ZPO 1877 hinsichtlich der sachlichen Unzuständigkeit des Landgerichts gab, wurde bereits mit der Novelle von 1898 eine dem heutigen § 529 Abs. 2 ZPO vergleichbare Ausschlußregel für die Rüge der ausschließlichen Zuständigkeit eines anderen Gerichts geschaffen (§ 528 Abs. 1 S. 2 ZPO 1898). Das Fehlen der örtlichen Zuständigkeit in vermögensrechtlichen Streitigkeiten wurde 1905 als Revisionsgrund (§ 549 Abs. 2 ZPO 1905) und mit der "Emminger Verordnung" von 1924 als Berufungsgrund ausgeschlossen (§ 512 a ZPO 1924). Gleichzeitig wurde in § 528 S. 2 ZPO 1924 klargestellt, daß sich die Vorschrift - im Gegensatz zu RGZ 72, 296, 297 ff.- auch auf die ausschließliche sachliche Zuständigkeit einschließlich der Zuständigkeit der Gewerbe- und Kaufmannsgerichte (ab 1926: Arbeitsgerichte) bezog. Diese Vorschrift entspricht weitgehend § 529 Abs. 2 ZPO. Seit Inkrafttreten der Vereinfachungsnovelle wird auch die sachliche Zuständigkeit einschließlich der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte, soweit sie nach § 529 Abs. 2 ZPO noch Gegenstand der Berufungsverhandlung sein kann, im Revisionsverfahren nicht mehr überprüft(§ 549 Abs. 2 ZPO). Seit Inkrafttreten von § 17 a Abs. 5 GVG, der nach § 48 Abs. 1 ArbGG auch im Arbeitsverfahren Anwendung findet, ist § 529 Abs. 2 ZPO als Iex anterior hinsichtlich der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte unanwendbar ( Rimmelspacher, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 529 Rdnr. 21; Pantle, Praxis des Zivilprozesses 2 Rdnr. 348). Damit kann in der Berufungsinstanz nicht mehr erstmalig eingewandt werden, die Sache gehöre vor die Arbeitsgerichte, selbst wenn die Verspätung genügend entschuldigt wäre (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting 2 , ArbGG, § 48 Rdnr. 42). 718 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 280. 719 Fasching, JN, § 104 Anm. 19, S. 510. So kann die sachliche Zuständigkeit des Be716

717 Hier

234

C. Das Erkenntnisverfahren

In Frankreich muß der Richter seine Unzuständigkeit nie von Amts wegen feststellen. 720 Er darf es aber tun, wenn es entweder an der sachlichen Zuständigkeit ( competence d 'attribution) fehlt und die Vorschrift zum ordre public gehört oder der Beklagte säumig ist (Art. 92 NCPC). Im Gegensatz zu den übrigen Rechtsordnungen verzichtete das italienische Recht zunächst auf eine entsprechende Regelung, wonach alle Verfahrenseinreden schon vor der Verhandlung zur Sache vorzubringen sind. Nach Art. 38 Abs. 3 c.p.c. 1940 hatte der Beklagte nur die örtliche Unzuständigkeit bereits in der Klageerwiderung zu rügen, soweit diese Gegenstand einer Parteivereinbarung sein konnte (Art. 28 c.p.c.). 721 Gleiches galt für die internationale Unzuständigkeit, die der beklagte Ausländer nur solange rügen konnte, wie er sich nicht der italienischen Gerichtsbarkeit durch rügelose Verhandlung in der Sache unterworfen hatte (Art. 11 S. 1 G. 218/1995). 722 Ließ sich der Beklagte aber zunächst überhaupt nicht auf das Verfahren ein und blieb säumig,723 so genügte es, wenn er sich bei seiner Konstituierung (Art. 293 c.p.c.) in seinem ersten Schriftsatz auf die Unzuständigkeit berief (Art. 38 Abs. 3 S. 1 c.p.c. 1940).724 Soweit der Gerichtsstand einer Vereinbarung nicht zugänglich war, konnte der Beklagte die örtliche Unzuständigkeit in jedem Stadium des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelinstanz rügen (Art. 38 Abs. 1 c.p.c.), was auch für die sachliche Zuständigkeit galt, soweit sie sich nach dem Streitgegenstand richtet ( competenza per materia) (Art. 38 Abs. 1 c.p.c. 1940), während die Prüfung der sachlichen Unzuständigkeit nach dem Streitwert ( competenza per valore) nur in erster Instanz zugelassen war (Art. 38 Abs. 2 c.p.c. 1940). Schließlich konnte auch die Unzulässigkeit des Rechtswegs in jeder Phase des Verfahrens geltend gemacht werden (Art. 37 Abs. 1 c.p.c.). Dieses System hat der Gesetzgeber grundlegend umgestaltet. Zunächst wurde im Arbeitsverfahren eine strenge Präklusionsvorschrift für Rügen zirksgerichts nicht durch rügelose Einlassung begründet werden, wenn die Sache zwingend vor einen Gerichtshof erster Instanz gehört (§ 104 Abs. 3, 2 JN). Zu den sonstigen Einschränkungen der Derogation bei sachlicher Unzuständigkeit siehe ausführlich Fasching, JN, § 104 Anm. 13- 18, S. 508 ff. 720 Cass. 2e civ. vom 29. November 1978, Bull. civ. 1978 II, Nr. 252, S. 193. 721 Im Bereich des Erkenntnisverfahrens sind Gerichtsstandsvereinbarungen insbesondere in Ehe- und Statussachen (Art. 70 Nr. 2, 3 c.p.c.) sowie im individuellen Arbeitsverfahren (Art. 413 Abs. 6 c.p.c.) ausgeschlossen. 722 Vgl. noch zum alten Art. 37 Abs. 2 c.p.c. Cass. civ. vom 5. März 1979, Nr. 1354, Riv. dir. int. priv. proc. 1980, S. 220, 221; Cass. civ. vom 27. März 1980, Nr. 3797, Giur. it. 1981 I 1, Sp. 808, 810, mit Anmerkung F'ranchi. 723 Zum Verständnis sei erwähnt, daß die derogierbare örtliche Unzuständigkeit in Italien nicht von Amts wegen berücksichtigt wird (vgl. Oriani, in: Tarzia/ Cipriani , Provvedimenti urgenti, c.p.c., Art. 38, S. 16; Proto Pisani , Nuova disciplina, S. 16). 724 Cass. civ. vom 13. Januar 1982, Nr. 178, Rep. Foro it. 1982, Competenza civile, Nr. 136; Cass. civ. vom 30. Januar 1987, Nr. 897, Rep. Foro it. 1987, Competenza civile, Nr. 117.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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der Unzuständigkeit eingeführt. Nach Art. 428 Abs. 1 c.p.c. kann der Beklagte die örtliche oder sachliche Unzuständigkeit des Arbeitsrichters nur noch in der Klageerwiderung rügen. Auch von Amts wegen ist sie nur noch in der ersten Verhandlung zu berücksichtigen. Nach diesem Vorbild wurde nun auch die Rüge der Unzuständigkeit im ordentlichen Verfahren neu geregelt. 725 Zum einen wurde die nachträgliche Rüge der örtlichen Unzuständigkeit durch den säumigen Beklagten ausdrücklich präkludiert (Art. 38 Abs. 2 c.p.c.), im übrigen sind örtliche wie sachliche Zuständigkeit nach der prima udienza di trattazione nicht mehr zu rügen (Art. 38 Abs. 1 c.p.c.). Allein Mängel der Gerichtsbarkeit (giurisdizione) sind nach wie vor während des ganzen Verfahrens zu rügen und von Amts wegen zu beachten (Art. 37 Abs. 1 c.p.c.; Art. 11 G. 218/1995). Im Ergebnis haben damit Italien und Frankreich die Behandlung der Zuständigkeitsfragen am weitesten an den Anfang des Prozesses verlagert. In Italien wurde sogar die Verhandlung und Beweisaufnahme darüber eingeschränkt (Art. 38 Abs. 3 c.p.c.). Durch diese umfassende Rügeobliegenheit soll gewährleistet werden, daß Zuständigkeitsfragen vor der Verhandlung in der Sache erörtert und entschieden werden, um diese nachher nicht unterbrechen. Damit das Wesentliche des Zivilprozesses, die Verhandlung in der Sache, wieder verstärkt im Mittelpunkt des Verfahrens. bb)

Zuständigkeitsbejahende Entscheidungen

Bejaht das angerufene Gericht seine Zuständigkeit, stellt sich die Frage, ob es hierfür einer gesonderten Entscheidung bedarf, die eventuell selbständig anfechtbar ist und den Richter an der Verhandlung in der Sache hindert, oder ob das Verfahren bis zum Sachurteil beendet wird, um dann die Zuständigkeitsfragen mit der Entscheidung in der Hauptsache einem Rechtsmittel zu unterwerfen. Das italienische Recht ging früher davon aus, daß der Beklagte durch Erhebung der istanza incidentale eine Verhandlung über die Rüge der Unzuständigkeit des Gerichts erzwingen konnte. Über die Einrede war durch Zwischenurteil zu entscheiden, das den ordentlichen Rechtsmitteln unterlag. 726 Der Vorsitzende konnte aber die Verhandlung über die Einrede mit der Verhandlung zur Hauptsache verbinden (Art. 181 Abs. 2 S. 2 a.E. c.p.c. 1865), um Mißbrauch vorzubeugen. 727 Große praktische Bedeutung hat diese Möglichkeit jedoch nie erlangt.728 Wurde die Frage 725 Die heutige Regelung geht auf den Entwurf von Liebman von 1981 (Nr. 1 lit. m) zurück. 726 Siehe oben C.III.l.b), S. 151. 727 Pisanelli, Relazione an den Senat, Nr. 181, abgedruckt bei Bo/Tappari, Codice di procedura civile, Band 1, S. 92.

236

C. Das Erkenntnisverfahren

dem Gericht dagegen nicht gesondert vorgelegt, wurde sie inzident mit der Hauptsache entschieden. Die deutsche Zivilprozeßordnung gab dem Richter von Anfang an die Möglichkeit, über die Zulässigkeit der Klage und damit über die Zuständigkeit abgesondert zu verhandeln und zu entscheiden, um wertlose Sachverhandlungen vor dem unzuständigen Gericht zu vermeiden. 729 Verweigerte der Beklagte, der sich auf die Unzuständigkeit berief, jedoch die Einlassung zur Hauptsache, konnte dieser die abgesonderte Verhandlung und damit ein selbständig anfechtbares Zwischenurteil erzwingen, 730 so daß es nicht allein im Ermessen des Richters lag, über die Zuständigkeit abgesondert zu verhandeln und zu entscheiden. Auf Antrag des Klägers konnte er während des laufenden Rechtsmittelverfahrens über das Zwischenurteil zur Sache verhandeln, 731 von Amts wegen kann er es bis heute nicht ( § 280 Abs. 2 S. 2 ZPO). In Österreich, wo der Beklagte im 19. Jahrhundert außer im summarischen Verfahren und in Bagatellsachen vor der Verhandlung über seine Prozeßeinreden die Aussage zur Sache verweigern konnte,7 32 hatte dies zu beklagenswertem Mißbrauch geführt, 733 dem der Richter ohnmächtig zuschauen mußte. Deshalb wurde in der Zivilprozeßordnung von 1895 die Stellung des Richters bei der Prozeßleitung gestärkt, 734 indem dem Beklagten ausdrücklich verwehrt wurde, bei Vorbringen von Prozeßeinreden zum Beispiel der Unzuständigkeit(§ 239 Abs. 2 öZPO) die Einlassung zur Sache zu verweigern (§ 260 Abs. 1 S. 1 öZPO). Damit wurde die abgesonderte Verhandlung über die Zuständigkeit allein in das Ermessen des Gerichtes gelegt(§ 260 Abs. 1 S. 2 öZPO), ohne aber zu versäumen, dem Richter nahezulegen, von dieser Möglichkeit im Interesse einer zügigen Prozeßführung nur sehr zurückhaltend Gebrauch zu machen. 735 Hält das Gericht dennoch eine abgesonderte Verhandlung über die Zuständigkeit für angezeigt, ist damit noch nicht bestimmt, daß eine selbständig anfechtbare Zwischenentscheidung ergehen muß. Zwar ist es möglich, daß der Richter über die Zuständigkeit durch einen mit dem Rekurs (§ 514 öZPO) anfechtbaren gesondert ausgefertigten Beschluß entscheidet,736 was zu einer Art Ruhen des Verfahrens führt, bis der Beschluß rechtskräftig geworden ist (§ 261 728 Mortara, Manuale9 , Band 1, S. 371. 729 Stein 10 , ZPO, § 275 Anrn. I. 730 § 248 Abs. 1 ZPO 1877 = § 275 Abs. 1 ZPO 1898. 731 § 248 Abs. 2 HS. 2 ZPO 1877 = § 275 Abs. 2 HS. 2 ZPO 1898. 732 Neumann 2 , öZPO, §§ 260, 261, S. 933. 733 Klein, Vorlesungen, S. 90. 734 Erläuternde Bemerkungen zu §§ 265 bis 273 der Regierungs-Vorlage zur Civilprocessordnung, Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1, S. 295. 735 Klein, Vorlesungen, S. 90. 736 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht2, Rdnr. 229. Zu beachten ist aber,

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

237

Abs. 4 öZP0). 737 Doch kann der Österreichische Richter auch nach der Verhandlung über die Zuständigkeit direkt zur Sache verhandeln und den Beschluß über die Zuständigkeit in die Entscheidung in der Hauptsache mit aufnehmen, um einen gesondert auszufertigenden Beschluß über die Zulässigkeit der Klage zu vermeiden(§ 261 Abs. 2 öZP0). 738 Damit steht den Parteien nicht nur gegen die Anordnung, zur Sache zu verhandeln, kein eigenes Rechtsmittel zu, sondern zugleich auch gegen den Beschluß, mit dem das Gericht seine Zuständigkeit bejaht. 739 Der Österreichische Richter hat also ein besonders weites Spektrum an Möglichkeiten, wie er die Verhandlung über die Rüge der Unzuständigkeit führen will. Deutschland folgte 1924 insoweit dem Österreichischen Vorbild, als dem Beklagten die Möglichkeit genommen wurde, die Einlassung zur Sache zu verweigern (§ 275 Abs. 1 ZPO 1924), so daß es fortan allein im Ermessen des Richters lag, über die Zuständigkeit abgetrennt zu verhandeln.740 In diesem Fall hatte aber ein mit ordentlichen Rechtsmitteln anfechtbares Zwischenurteil zu ergehen. 741 Die Option des Österreichischen Richters, nach§ 261 Abs. 2 öZPO durch sofortige Verhandlung zur Sache ein Interlokut zu vermeiden, wurde in Deutschland erst mit der Vereinfachungsnovelle von 1976 eingeführt (§ 280 Abs. 2 ZP0). 742 Nur bei Streit um die Rechtswegzuständigkeit kann der Beklagte heute noch einen gesonderten Beschluß erzwingen(§ 17 a Abs. 3 S. 2 GVG), um die Rechtswegfrage vom Beschwerdegericht überprüfen zu lassen(§ 17 a Abs. 4 S. 3 GVG) .743 Wird daß der Rekurs gegen den die Zuständigkeit bejahenden Beschluß nur eingeschränkt zulässig ist. Nach der ursprünglichen Fassung war der Rekurs in Bagatellverfahren (§ 448 öZPO a.F.) ausgeschlossen. Nach der Abschaffung des Bagatellverfahrens ist er bei einem Streitwert bis einschließlich öS 15.000 generell ausgeschlossen (§ 517 Nr. 1 öZPO). In Verfahren mit einem höheren Streitwert war die Anfechtung von Entscheidungen eines Gerichtshofs erster Instanz über die sachliche Zuständigkeit ausgeschlossen (§ 45 Abs. 1 JN a.F .). Diese Regelung wurde von der Rechtsprechung ( OGH vom 2. Mai 1956, JBl. 1956, S. 562; OGH vom 15. April 1975, JBl. 1976, S. 323) entgegen dem Wortlaut (Fasching, JN, § 45 Anm. 1, S. 283; König, JBI. 1976, S. 323) auch auf inzidente Entscheidungen übertragen, was zu einer dem § 10 ZPO vergleichbaren Regelung führte. Nach der Zivilverfahrens-Novelle von 1983 kann nun kein Rechtsmittel mehr auf die Rüge der sachlichen Unzuständigkeit gestützt werden, sobald die Streitsache rechtshängig geworden ist (§ 45 JN). 737 Fasching, öZPO, § 261 Anm. 5, S. 211. 738 Ergeht der Beschluß nach § 261 Abs. 2 öZPO zusammen mit der Entscheidung in der Hauptsache, soll nach § 261 Abs. 3 nur das Rechtsmittel zulässig sein, daß auch gegen die Entscheidung in der Hauptsache zulässig ist. Trotzdem hält die Rechtsprechung ( OGH vom 19. Juni 1906, SZ 43 (IX) , Nr. 3448, S. 338; wohl auch OGH vom 8. Februar 1966, SZ XXXIX (1966), Nr. 26, S. 73) den Rekurs für zulässig, wenn lediglich der Beschluß über die Zuständigkeit angefochten werden soll, was nicht immer den Beifall der Literatur findet (ablehnend Fasching, öZPO, § 261 Anm. 4, S. 210). 739 Fasching, öZPO, § 261 Anm. 2, S. 208. 740 Steinj Jonas 12 , ZPO, § 276 Anm. 1.1. 741 Stein/ Jonas 12 , ZPO, § 276 Anm. I. 742 Thomasj Putzo 20 , ZPO, § 280 Rdnr. 5.

238

C. Das Erkenntnisverfahren

über die Rechtswegzuständigkeit dagegen nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 17 a Abs. 3 S. 1 GVG) nicht gesondert durch Beschluß entschieden, wird sie im Rechtsmittelverfahren in der Hauptsache nicht mehr geprüft (§ 17 a Abs. 5 GVG). Hier zeigt sich die oben schon abgedeutete Tendenz, die Fragen der Zuständigkeit von den Obergerichten dadurch fernzuhalten, daß die Möglichkeit, Rechtsmittel überhaupt auf die Unzuständigkeit des iudex a quo zu stützen, immer weiter eingeschränkt wird. 744 Dies führt im Ergebnis dazu, daß eine abgesonderte Verhandlung und Entscheidung über die Zuständigkeit in diesen Fällen obsolet wird. In Italien konnte schon der Instruktionsrichter die Frage der Zuständigkeit der Kammer entweder nach Art. 187 Abs. 3 c.p.c. gesondert zur Entscheidung vorlegen, so daß das Verfahren in der Sache solange ruhte, oder zusammen mit der Hauptsache (Art. 187 Abs. 3 c.p.c.). Dementsprechend steht es nun auch im Ermessen des Einzelrichters, über die Zuständigkeit abgesondert zu verhandeln und zu entscheiden. Die gesonderte Entscheidung über die Zuständigkeit ergeht durch Beschluß,745 der erst nach Erlaß des Urteils in der Sache angefochten werden kann. Für die Anfechtung der Zuständigkeitsentscheidung hält das italienische Recht mit dem Antrag auf Feststellung der Zuständigkeit ( regolamento di competenza) (Art. 43 Abs. 1 c.p.c.) ein besonderes Rechtsmittel bereit. Mit dem früheren, aus dem französischen Recht übernommenen Antrag auf Feststellung der Zuständigkeit nach Art. 108 c.p.c. 1865746 hat es nur noch den Namen gemein747 und ist im hier untersuchten Raum einmalig. Es handelt sich um eine Art Sprungrevision an die vereinigten Senate (sezioni unite) der Corte di cassazione, mit der ein Urteil nur unter dem Gesichtspunkt der Zuständigkeit angefochten werden kann,748 um das Rechtsmittelverfahren in Zuständigkeitsstreits abzukürzen. 749 Damit hat es auch Italien 743 Eriäßt das Gericht den beschwerdefähigen Beschluß trotz der Rüge nicht, hat das Berufungsgericht entgegen § 17 a Abs. 6 GVG über die Rechtswegzuständigkeit im Urteil zu entscheiden (BGHZ 121, 367, 370; BGH, NJW 1994, 387; 1996, 1890). 7 44 Vgl. oben C.III.4.a.aa), S. 233. 745 Dies ergibt sich im Umkehrschluß aus Art. 279 Abs. 2 Nr. 2 c.p.c., wonach durch Urteil zu entscheiden ist, wenn damit der Rechtsstreit beendet, die Zuständigkeit also verneint wird (Boneschi, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 279 Anm. 111 Rdnr. 1). 746 Art. 363 CPC 1806 enthielt eine Regelung über das reglement de juges, das in Art. 108 c.p.c. 1865 Eingang ins italienische Recht gefunden hat. Es diente aber lediglich der Lösung von Zuständigkeitskonflikten durch das nächsthöhere Gericht, die heute in Art. 45 c.p.c. geregelt ist. 747 Satta, Commentario, c.p.c., Art. 42, Nr. 1, S. 180. 748 Bei gleichzeitiger Anfechtung des Urteils in der Sache ist das ordentliche Rechtsmittel gegeben (Art. 43 Abs. 1 c.p.c.), was der Österreichischen Praxis ähnelt (vgl. oben Fußnote 738, S. 237). 749 Soweit ersichtlich, stammt diese Idee von Mortam, Giur. it. 1923 IV, Sp. 164, der in Art. 69 seines Entwurfs gegen die - allerdings generell noch als Urteil ergangene Entscheidung über die Zuständigkeit nur die Kassationsbeschwerde zulassen wollte.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

239

vermieden, Zwischenentscheidungen über die Zuständigkeit grundsätzlich einem gesonderten Rechtsmittel zu unterwerfen. Bedenkt man, daß seit der jüngsten Reform weder die örtliche noch die sachliche Unzuständigkeit nach der ersten mündlichen Verhandlung erster Instanz festgestellt werden kann, besteht für Urteilsanfechtungen wegen Unzuständigkeit des iudex a quo kein großer Raum mehr. Doch besteht von diesem Grundsatz eine in ihrer praktischen Bedeutung nicht zu unterschätzende Ausnahme. Denn neben dem Antrag auf Feststellung der Zuständigkeit kennt das italienische Recht noch den Antrag auf Feststellung der Gerichtsbarkeit ( regolamento di giurisdizione), mit dem die Corte di cassazione die Frage nach der Gerichtsbarkeit der ordentlichen Gerichte vorgelegt werden kann (Art. 41 c.p.c.). Hierunter ist neben der Frage der internationalen Zuständigkeit (Art. 3 G. 218/1995) auch die Rechtswegzuständigkeit, insbesondere bei der Abgrenzung der Zuständigkeit der 1971 neu geschaffenen Verwaltungsgerichte750 sowie sonstiger Sondergerichte (Art. 37 Abs. 1 c.p.c.), zu verstehen. Im Unterschied zum Antrag auf Feststellung der Zuständigkeit besteht hier aber für den Beklagten die Möglichkeit, noch vor der Entscheidung in der Sache die Frage der Gerichtsbarkeit der Corte di cassazione vorzulegen. Hierzu bedarf es nicht einmal einer gesonderten Entscheidung des erkennenden Gerichts in dieser Frage und keiner Beschwer des Rekurrenten, weshalb der Antrag auf Feststellung der Gerichtsbarkeit kein eigentliches Rechtsmittel ist. 751 Bedenkt man, daß die Vorlage bisher zugleich die Wirkung hatte, daß das Verfahren in der Sache zwingend auszusetzen war (Art. 367, 295 c.p.c. a.F.), kann man verstehen, daß in der gerichtlichen Praxis viele Wege nach Rom führten. 752 Um dem Mißbrauch zu wehren, behalf sich die Praxis zunächst damit, den Beklagten nach Art. 96 Abs. 1 c.p.c. wegen arglistiger Prozeßführung zum Ersatz des entstandenen Schadens zu verurteilen.753 Nunmehr kann nach dem neugefaßten Art. 367 c.p.c. der iudex a quo selbst darüber entscheiden, ob er den Antrag auf Feststellung der Gerichtsbarkeit für offensichtlich unzulässig oder unbegründet hält, um in diesem Fall mit der Verhandlung in der Sache fortzufahren. 750 Nach Art. 30 Abs. 3 G. 1034/1971 findet der Antrag auf Feststellung der Gerichtsbarkeit auch in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten Anwendung. 751 Massari, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 41, S. 426; Giussani, in: Goromentario breve 3 , c.p.c., Art. 41 Anm. I Rdnr. 2. Hierin liegt auch der Unterschied zu der sofortigen Beschwerde nach§ 17 a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 3 GVG, wo nur eine gesonderte Entscheidung des angerufenen Gerichts erzwungen werden kann, gegen die ein echtes Rechtsmittel stattfindet. 752 Zum Mißbrauch des Antrags auf Feststellung der Gerichtsbarkeit siehe beispielhaft Parimbelli, in: Commentario breve 2 , c.p.c., Art. 41 Anm. 4 Rdnr. 2. 753 Ständige Rechtsprechung seit Cass. civ. vom 2. März 1982, Nr. 1280, Foro it. 1982 I, Sp. 1006, 1009.

240

C. Das Erkenntnisverfahren

In Frankreich kann der Richter ebenfalls frei entscheiden, ob er über eine von den Parteien erhobene Rüge der Unzuständigkeit (incompetence soulevee par les parties) gesondert oder zusammen mit der Hauptsache entscheiden will (Art. 76 NCPC). Entscheidet er über die Zuständigkeit gesondert, findet gegen die Entscheidung der Widerspruch ( contredit) statt (Art. 80 Abs. 1 NCPC), wobei das Verfahren auszusetzen ist, bis die Widerspruchsfrist verstrichen beziehungsweise über den Widerspruch entschieden ist (Art. 81 NCPC). Ansonsten ist das Rechtsmittel der Berufung (appel) gegeben (Art. 78 NCPC). Will man ein Fazit ziehen, läßt sich sagen, daß der Richter mittlerweile in allen vier Ländern die Möglichkeit hat, selbst darüber zu entscheiden, ob er eine gesonderte Entscheidung über seine Zuständigkeit für sinnvoll hält. Entscheidet er aber über die Zuständigkeit gesondert, führt dies in Frankreich und Österreich zwangsläufig zum Ruhen des Verfahrens, während in Deutschland auf Antrag und in Italien sogar von Amts wegen in der Sache verhandelt werden kann. Auf der Ebene der Rechtsmittel ist festzustellen, daß in allen Ländern die Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung über die Zuständigkeit eingeschränkt worden ist. Gegen Zuständigkeitsentscheidungen finden nur in Deutschland die ordentlichen Rechtsmittel statt. Für den Richter bedeutet dies, daß er der Verhandlung und Entscheidung von Zuständigkeitsfragen nach seinem Ermessen den ihnen gebührenden Rahmen zuweisen kann, damit der eigentliche Zweck des Zivilprozesses wieder im Mittelpunkt steht, die Verhandlung zur Sache. Einen Fremdkörper in diesem an sich recht einheitlichen Bild bildet allerdings der Antrag auf Feststellung der Gerichtsbarkeit in Italien, über dessen Abschaffung nachgedacht werden sollte. cc)

Zuständigkeitsverneinende Entscheidungen

Hält sich das angerufene Gericht auf Rüge des Beklagten oder von Amts wegen für unzuständig, kann sich der Richter entweder mit dieser Entscheidung begnügen und die Klage als unzulässig abweisen oder aber durch Verweisung an das zuständige Gericht ein Sachurteil ermöglichen. Während es in Frankreich schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts üblich war, den Rechtsstreit im Falle der Unzuständigkeit auf Antrag der Parteien oder von Amts wegen an das zuständige Gericht zu verweisen, 754 begnügte man sich in den übrigen Ländern damit, den Prozeß zu beenden. So war die Verweisung an das zuständige Gericht in Deutschland ursprünglich nur im Falle der sachlichen Unzuständigkeit vorgesehen und 754 Art.

168, 170 CPC 1806. Vgl. heute Art. 96 Abs. 2, 97 NCPC.

III. Die Stellung des Richters bei der trattazione

241

wurde in der Form des Endurteils ausgesprochen. 755 Ansonsten wurde die Klage durch Prozeßurteil abgewiesen, das den ordentlichen Rechtsmitteln unterlag.756 Auch die Österreichische Zivilprozeßordnung kannte im ordentlichen Erkenntnisverfahren außer in der Berufung (§ 474 Abs. 1 öZPO) keine Verweisung an das zuständige Gericht (§§ 42 f. JN), 757 wohl aber in allen übrigen Zivilverfahren wie der freiwilligen Gerichtsbarkeit, dem Vollstreckungsverfahren und im einstweiligen Rechtsschutz (§ 44 JN). Allerdings erging die klagabweisende Entscheidung nicht durch Urteil, sondern durch Beschluß(§ 261 Abs. 1 S. 2 HS. 1 öZPO), da nach österreichischem Verständnis nur Sachentscheidungen in der Form des Urteils ergehen.758 Gegen die Entscheidung findet damit nur der Rekurs (§ 514 öZPO) statt, ein weiterer Rekurs ist regelmäßig unzulässig (§ 528 öZPO). Diese Rechtslage wurde in Deutschland schon bald als unbefriedigend empfunden. Schon 1898 wurde bestimmt, daß bei nachträglicher sachlicher Unzuständigkeit des Amtsgerichts, die durch Widerklagen leicht herbeizuführen war, die Verweisung an das Landgericht von Amts wegen durch unanfechtbaren Beschluß zu erfolgen hatte (§ 506 Abs. 1 ZPO 1898). Mit der Amtsgerichtsnovelle wurde dies auch auf die Fälle der ursprünglichen örtlichen wie sachlichen Unzuständigkeit übertragen (§ 505 ZPO 1909). Doch bedurfte es hierzu eines Antrages des Klägers, der im Rahmen seiner Dispositionsfreiheit über die Fortführung des Prozesses vor einem anderen Gericht selbst bestimmen sollte. Seit der Entlastungsverordnung von 1915 gilt diese Regelung der Verweisung an das zuständige Gericht durch unanfechtbaren Beschluß759 auf Antrag des Klägers auch für Verfahren am Landgericht. 760 Verweisungen an Gerichte eines anderen Ge755§ 249 ZPO 1877 = § 276 ZPO 1898 für das Verfahren vor dem Landgericht, § 466 ZPO 1877 § 505 ZPO 1898 für das Verfahren vor dem Amtsgericht. 756 Materiell-rechtlich wurden die Folgen der Klageabweisung durch Prozeßurteil gemildert, indem die Klage vor dem unzuständigen Gericht ihre verjährungsunterbrechende Wirkung {§ 209 Abs. 1 BGB i.V.m. § 207 ZP O) behielt, wenn binnen sechs Monaten vor dem zuständigen Gericht Klage erhoben wurde (§ 212 Abs. 2 BGB). 757 Fasching, JN, § 43 Anm. 2, S. 276. 758 Fasching, JN, § 42 Anm. 4, S. 269. 759 Daß der Verweisungsbeschluß unanfechtbar ist, ist bezüglich des Klägers gerechtfertigt, da dieser schon durch seinen Verweisungsantrag an der Entscheidung mitwirkt. Dagegen ist der Beklagte in seinen Rechten beschränkt, seit die unanfechtbare Entscheidung über die Verweisung an ein Gericht, dessen Unzust ändigkeit er ebenfalls nicht mehr rügen kann {§ 281 Abs. 2 S. 5 ZPO) , ohne mündliche Verhandlung ergehen kann (§ 281 Abs. 2 S. 2 ZPO 1990). Eine Verweisung ohne jede Anhörung verletzt daher dessen Recht auf rechtliches Gehör {Art. 103 Abs. 1 GG), weshalb hier entgegen § 281 Abs. 2 S. 3 ZPO die außerordentliche Beschwerde stattfindet (BGHZ 71, 69, 72; BGHZ 102, 338, 341; jüngst BGH, VersR 1992, S. 639; NJW 1996, S. 3013; Prütting, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 281 Rdnr. 55; Leipold, in: Stein/ Jonas 21 , ZP O, § 281 Rdnr. 31; Thomas/Putzo 20 , ZPO, § 281 Rdnr. 12). Gleiches gilt, wenn der Verweisungsbeschluß willkürlich ist (BGHZ 2, 278, 280; BGH, NJW 1964, S. 1416, 1418). 760 § 27 EntlastungsVO 1915; § 276 ZPO 1923; § 281 ZPO.

=

16 Piekenbrack

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C. Das Erkenntnisverfahren

richtszweigs wurden dagegen erst mit der Verwaltungsgerichtsordnung von 1960 möglich, die unter anderem in § 178 VwGO eine entscheidende Änderung des § 17 GVG vorsah. Danach konnten ein ordentliches Gericht, das einen anderen Rechtsweg für gegeben hielt, nun auf Antrag des Klägers durch Endurteil den Rechtsstreit an das erstinstanzliehe Gericht des richtigen Gerichtszweigs überweisen (§ 17 Abs. 3 GVG 1960).761 Stimmte der Beklagte dem Verweisungsantrag des Klägers zu, konnte die Verweisung auch durch einfachen Beschluß ergehen (§ 17 Abs. 4 GVG 1960). Seit 1990 erfolgt die Verweisung statt durch Endurteil generell durch Beschluß (§ 17 a GVG), so daß das Verfahren nur noch bei internationaler Unzuständigkeit mit einem Prozeßurteil endet, da eine Verweisung an ein ausländisches Gericht auch innerhalb der Europäischen Union bisher nicht möglich ist.762 Im Gegensatz zu § 281 ZPO erfolgt die Verweisung nach § 17 a GVG auch von Amts wegen. Auf der anderen Seite wurde aber die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß zugelassen (§ 17 a Abs. 4 S. 3 GVG), die an die Stelle der zuvor zulässigen Berufung gegen das Verweisungsurteil nach § 17 Abs. 4 GVG 1960 getreten ist. Darin liegt nach wie vor ein wesentlicher Unterschied zu § 281 Abs. 2 S. 3 ZP0. 763 Bei761 Kurz erinnert sei daran, daß Verweisungen an Arbeitsgerichte schon vor dieser Novelle nach § 48 Abs. 1 ArbGG a.F. i.V.m. § 281 ZPO ausdrücklich zulässig waren. Der Hintergrund dieser Regelung war, daß die Arbeitsgerichte ursprünglich als Sondergerichte im Sinne von§ 13 GVG angesehen wurden (BGHZ 24, 176, 177), für deren Verhältnis zur ordentlichen Gerichtsbarkeit die Regelungen über die sachliche Zuständigkeit galten. Nunmehr nehmen sie ihre dem Grundgesetz (Art. 95 Abs. 1 GG) entsprechende Stellung als selbständiger Gerichtszweig ein (BAG, NZA 1992, S. 954, 955; Kissel 2 , GVG, § 14 Rdnr. 17; Germelmann/Matthesj Prütting 2 , ArbGG, Einleitung Rdnr. 42) . Eine praktische Folge davon ist, daß das Amtsgericht in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten nicht mehr nach §§ 919 Alt. 2, 942 ZPO für Arrest und einstweilige Verfügung zuständig sein kann (Koch, NJW 1991, S. 1858; noch nicht berücksichtigt bei Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band 1, Rdnr. 51.11) . 762 Gleichzeitig wurden in den übrigen Verfahrensordnungen die speziellen Verweisungsnormen an Gerichte eines anderen Rechtszweigs, die keine bindende Zuweisung, sondern nur eine bindende Abweisung kannten (§ 41 VwGO a.F.; § 34 FGO a.F.; §52 SGG a.F.), aufgehoben. Statt dessen wurde§ 17 a GVG über seinen ursprünglichen Anwendungsbereich (§ 2 EGGVG) hinaus in den anderen Verfahrensordnungen für anwendbar erklärt (§ 48 Abs. 1 ArbGG, dazu Germelmannj Matthesj Prütting 2 , ArbGG, § 48 Rdnr. 1 ff.; § 173 VwGO, dazu Kopp 10 , VwGO, § 173 Rdnr. 3; § 155 FGO, dazu Koch, in: Gräber 3 , FGO, Anhang zu§ 33 Rdnr. 1 ff,; § 202 SGG, dazu Meyer-Ladewig 5 , SGG, § 51 Rdnr. 52) . Diese Vorschrift gilt damit für alle Gerichtszweige. 763 Die Vorschrift dient wie § 512 a ZPO dazu, die gerichtliche Festst ellung der Zuständigkeit möglichst nicht zu wiederholen (Leipold, in: Steinj Jonas 21 , ZPO, § 281 Rdnr. 27; Grunsky, in: SteinjJonas 21 , ZPO, § 512 a Rdnr. 1). Bemerkenswert ist, daß § 281 Abs. 2 S. 3 ZPO über § 512 a ZPO hinausgeht, da der Beschluß auch bei Verweisung an das mutmaßlich sachlich zuständige Amtsgericht sowie in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten bindend ist, obwohl in diesen Fällen die Berufung auf die Unzuständigkeit gestützt werden könnte. Ging dem erstinst anzliehen Urteil jedoch eine Verweisung nach § 281 ZPO voraus, ist auch das Berufungsgericht daran gebunden ( Thomas/ Putzo 20 , ZPO, § 281 Rdnr. 13). Es wäre daher konsequent, dem Vorschlag von

III. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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den Vorschriften ist jedoch gemein, daß das angewiesene Gericht an den Verweisungsbeschluß gebunden ist, soweit dieser reicht. 764 In Österreich kann der Richter den Rechtsstreit seit 1914 auch im ordentlichen Verfahren an das vom Kläger angegebene Gericht überweisen (§ 261 Abs. 6 öZP0), 765 doch ist wie in Deutschland ein Antrag des Klägers erforderlich; eine Verweisung von Amts wegen ist bis heute bedauerlicherweise unzulässig. 766 Daranhat auch die Novelle von 1983 nichts geändert, doch soll der Richter nun sicherstellen, daß der Kläger diesen Antrag nicht versäumt, um den unbefriedigenden klagabweisenden Beschluß zu verhindern, der in der Praxis bis zu diesem Zeitpunkt noch die Regel war. 767 Zum einen wurde dem Richter bei seiner Prozeßleitungspflicht ausdrücklich aufgetragen, bei Bedenken gegen die Zuständigkeit den Parteien Gelegenheit zu geben, den Mangel zu heilen oder aber einen Verweisungsantrag zu stellen (§ 182 Abs. 2 S. 3 öZPO). Zum anderen bleibt dem Kläger, der keine Gelegenheit hatte, den Verweisungsantrag nach § 261 Abs. 6 öZPO zu stellen, hierfür nach§ 230 a JN eine Notfrist von zwei Wochen nach Zustellung des klagabweisenden Beschlusses. Eine generelle Befugnis zur Verweisung von Amts gibt es dagegen inzwischen im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren (§ 38 Abs. 2 ASGG). In Italien wird eine wegen Unzuständigkeit oder mangels Gerichtsbarkeit unzulässige Klage dagegen bis heute durch ein prozeßbeendendes Urteil abgewiesen (Art. 279 Abs. 2 Nr. 2 c.p.c.); ein Verweisungsbeschluß wie in Frankreich, Deutschland und Österreich ist unbekannt. Doch ist auf zwei Besonderheiten hinzuweisen: Zum einen ist auch dieses klagabweisende Urteil nicht mit den ordentlichen Rechtsmitteln anfechtbar, sondern dem Kläger steht lediglich der Antrag auf Feststellung der Zuständigkeit nach Art. 42 c.p.c. oder der Gerichtsbarkeit offen. Damit liegt einer der vom Gesetz in Art. 339 Abs. 1 c.p.c. ausdrücklich vorbehaltenen Fälle vor, in denen gegen ein Urteil keine Berufung stattfindet. Rimmelspacher, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 512 a Rdnr. 4, folgend,§ 512 a ZPO entsprechend § 549 Abs. 2 ZPO neu zu fassen. Bei der Neuschaffung des § 17 a GVG hat der Gesetzgeber im übrigen den Gleichklang zwischen Bindung der Verweisung und Umfang der Berufung hergestellt, da der Beschluß bezüglich des Rechtswegs für das angewiesene Gericht bindend ist(§ 17 a Abs. 2 S. 3 GVG) und auch die Berufung nicht auf die Rechtswegunzuständigkeit gestützt werden kann (§ 17 a Abs. 5 GVG). 764 Bei § 281 Abs. 2 S. 5 ZPO ist der Beschluß bindend, soweit an das örtlich und/ oder sachlich zuständige Gericht verwiesen wird, bei § 17 a Abs. 2 S. 3 GVG nur hinsichtlich des Rechtswegs. 765 Die Vorschrift wurde mit der ersten Gerichtsentlastungsnovelle von 1914 eingeführt und mit der sechsten Gerichtsentlastungsnovelle von 1929 ergänzt. Wie § 281 ZPO ist auch § 261 Abs. 6 öZPO nur auf Verweisungen an Gerichte desselben Gerichtszweiges anwendbar. Da nach § 2 ASGG die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit aber von den ordentlichen Gerichten ausgeübt wird, ist auch hier eine Verweisung möglich. 76 6 Fasching, öZPO, § 261 Anm. 7, S. 211 f. 767 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 226. 16•

C. Das Erkenntnisverfahren

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Zum anderen enthält auch dieses klagabweisende Urteil ein Verweisungselement, da der Beklagte, der sich auf die örtliche Unzuständigkeit beruft (Art. 38 Abs. 2 S. 2 c.p.c-)168 und dem folgend der Richter (Art. 44 c.p.c.) das zuständige Gericht bezeichnen muß. Bei Rechtskraft dieses Urteils ist nicht nur die Unzuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts bindend festgestellt, sondern die Parteien sind auch an die dort festgestellte Zuständigkeit gebunden, wenn sie das Verfahren vor diesem Gericht innerhalb einer vom Richter zu bestimmenden Frist (Art. 50 c.p.c.) wiederaufnehmen. Der nunmehr angerufene Richter ist dagegen nicht an diese Verweisung gebunden. Hält er sich für unzuständig, stellt er von Amts wegen einen Antrag auf Feststellung der Zuständigkeit (Art. 45 c.p.c.). Einen Mangel der Gerichtsbarkeit kann er ohnehin selbst von Amts wegen in jedem Stadium des Verfahrens feststellen (Art. 37 c. p.c.), ohne die Corte di cassazione anzurufen. Damit ist das italienische Recht heute das einzige, in dem der unzuständige Richter nicht befugt ist, den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen und ihn dort anhängig zu machen. Er beschränkt sich vielmehr darauf, den Parteien den Weg zum zuständigen Gericht zu weisen, wo sie das Verfahren selbst wieder aufnehmen können, um die Wirkungen der Klageerhebung zu erhalten. Gegen die Entscheidung, mit der sich das angerufene Gericht für unzuständig erklärt und den Rechsstreit an das zuständige Gericht verweist beziehungsweise wie in Italien den Parteien den Weg dorthin weist, ist regelmäßig das gleiche Rechtsmittel gegeben, wie gegen die gesonderte Feststellung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Nur Deutschland schließt hier - abgesehen von § 17 a Abs. 4 S. 3 GVG - die Anfechtung generell aus. Auch ist die Verweisung außer in Deutschland für das angewiesene Gericht nicht bindend. Aus Sicht des Richters erscheint die Regelung des § 281 ZPO jedoch am effizientesten, da der Rechtsstreit nach einmaliger gerichtlicher Prüfung der Zuständigkeit direkt seiner Entscheidung in der Sache durch das angewiesene Gericht zugeführt wird. b)

Die Beschränkung der Verhandlung

Soeben haben wir gesehen, daß der Richter in allen Rechtsordnungen über einen Teil des Prozesses abgesondert verhandeln und entscheiden kann, nämlich über die Frage seiner Zuständigkeit. Aber auch innerhalb der Verhandlung zur Sache kann es für den Richter von Bedeutung sein, die Verhandlung erst einmal auf einzelne Punkte zu beschränken. Während der deutsche Richter die Verhandlung von sich aus zunächst auf einzelne 768 Gleichlautend

mit Art. 38 Abs. 3 S. 2 c.p.c. a.F.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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Angriffs- und Verteidigungsmittel beschränken (§ 146 ZPO) und darüber durch unanfechtbares Zwischenurteil entscheiden kann (§ 303 ZPO), kann der italienische Instruktionsrichter der Kammer Vorfragen nur dann zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung vorlegen, wenn dadurch der ganze Prozeß beendet werden kann (Art. 187 Abs. 2 c.p.c.). Auch der Österreichische Richter kann die Verhandlung von sich aus zunächst auf einige Streitpunkte beschränken (§ 189 Abs. 1 öZPO), ein unanfechtbares Zwischenurteil gibt es aber nicht. 769 Eine Besonderheit besteht jedoch für den Fall, daß der Richter zum Ergebnis kommt, daß ein Anspruch dem Grunde nach gegeben ist, ohne daß bereits Klarheit über die Höhe bestünde. Hier kann er überall ein selbständig anfechtbares Grundurteil fällen, 770 das jedoch nur der Verfahrensordnung dient und nicht in materielle Rechtskraft erwächst. 771 Dieses Grundurteil kann in Italien mit einer vorläufigen Verurteilung zur Zahlung verbunden werden. 772 c)

Die gesonderte Verhandlung bei mehreren Ansprüchen

Im folgenden soll nun davon ausgegangen werden, daß in einem Prozeß mehrere Ansprüche geltend gemacht worden sind. Dies kann sowohl auf Veranlassung des Klägers im Falle der Klagehäufung [C.III.4.c.aa)] als auch auf Veranlassung des Beklagten im Falle der Widerklage oder der Prozeßaufrechnung [C.III.4.c.bb)] geschehen. Hier kann es aus Sicht des Richters sinnvoll sein, über die verschiedenen Ansprüche getrennt zu verhandeln und gegebenenfalls zu entscheiden. aa)

Die Trennung bei Klagehäufung

Zunächst kommt eine Trennung in Betracht, wenn der Kläger selbst mehrere Ansprüche im selben Verfahren geltend macht, was sowohl bei subjektiver773 wie bei objektiver Klagehäufung774 möglich ist. 775 Da im 769 Nur soweit eine Partei einen Zwischenfeststellungsantrag (siehe oben Fußnote 583, S. 209) gestellt hat, ist darüber gesondert zu entscheiden (§ 393 Abs. 2 öZPO). Das Urteil ist dann jedoch bezüglich der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen (§ 393 Abs. 3 S. 1 öZPO), so daß es funktionell einem Teilurteil über eine Widerklage gleichkommt. 770 Art. 278 Abs. 1 c.p.c.; § 304 ZPO; § 393 Abs. 1 öZPO. 771 Musielak, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 304 Rdnr. 13; BGH, NJW-RR 1987, S. 1196, 1197; Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1432. 772 Siehe oben B.II.l.b), S. 94. 773 §§ 59, 60 ZPO; § 11 öZPO; Art. 103 Abs. 1 c.p.c.; Art. 323 NCPC. 774 § 260 ZPO; § 227 Abs. 1 öZPO; Art. 104 c.p.c. Zu Frankreich vgl. Solus/ Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 140, S. 148. 775 Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 145 Rdnr. 2; Franchi, Noviss. dig. it. XVII (1970), separazione di cause, S. 2.

C. Das Erkenntnisverfahren

246

letzteren Fall zwischen den Ansprüchen keinerlei rechtliche oder tatsächliche Verbindung bestehen muß, kann der Richter in allen hier untersuchten Ländern entweder Verfahrensteile abtrennen oder innerhalb desselben Verfahrens durch Teilurteil. 776 Aber auch im Falle der subjektiven Klagehäufung, die regelmäßig nur bei einer rechtlichen oder tatsächlichen Verbindung der Streitgegenstände zulässig ist, ist dem Richter inzwischen in allen Rechtsordnungen der Weg eröffnet, die Verfahren zu trennen. Bemerkenswert ist allerdings, daß auch der italienische codice di procedura civile von 1940 ursprünglich diese Befugnis nicht enthalten hatte. Erst die Reform von 1950 führte den heutigen Art. 103 Abs. 2 c.p.c. ein, wobei Zweifel laut wurden, ob es sinnvoll sei, die Trennung zweier konnexer Streitgegenstände ins Ermessen des Richters777 zu stellen. 778 Ihre Berechtigung findet diese Entscheidung des Reformgesetzgebers darin, daß dem Richter dadurch die spiegelbildliche Befugnis zur Verfahrensverbindung nach Art. 274 Abs. 1 c.p.c. eingeräumt wurde. Wenn es bei Konnexität der Streitgegenstände in seinem Ermessen steht, die Verfahren zu verbinden, ist es nur natürlich, daß er sie auch nach seinem Ermessen trennen darf. Ihre Grenze findet die Befugnis im Falle einer notwendigen Streitgenossenschaft.779 Im übrigen darf der Richter einzelne Streitgegenstände auch nicht willkürlich abtrennen, so daß für jedes einzelne Verfahren die Rechtsmittelsumme nicht mehr erreicht wird. 780 bb)

Die Trennung bei Widerklage und Aufrechnung

Aber auch der Beklagte kann durch Widerklage oder Aufrechnung dafür sorgen, daß in einem Verfahren über mehrere Ansprüche zu verhandeln ist. Im Fall der Widerklage781 kann der deutsche Richter getrennt verhandeln (§ 145 Abs. 2 ZPO) oder durch Teilurteil entscheiden (§ 301 Abs. 1 ZPO), es sei denn, die Widerklage betrifft einen zur Hauptsache konnexen Streitgegenstand. 782 In Österreich ist dies dagegen nicht nötig, 776 §§ 145 Abs. 1, 301 Abs. 1 ZPO; § 188 S. 1, 391 Abs. 1 öZPO; Art. 104 Abs. 2, 103 Abs. 2, 279 Abs. 2 Nr. 5 c.p.c.; Art. 367 Abs. 2 NCPC. 777 Proto Pisani, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 103, S. 1133; Silvestri, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 103 Anm. VI Rdnr. 1. 778 Kritisch besonders Satta, Commentario, c.p.c., Art. 103, Nr. 4, S. 374. 7 79 Greger, in: Zöller20 , ZPO, § 145 Rdnr. 4. 780 BGH, NJW 1995, S. 3120; BVerfG, NJW 1997, S. 644. 781 § 33 ZPO; § 96 JN; Art. 36 c.p.c.; Art. 64 NCPC. Außer in Frankreich wird die Widerklage nur rudimentär unter den Regeln der Zuständigkeit erwähnt. 782 Diese Vorschrift, die die Widerklage ohne rechtlichen Zusammenhang voraussetzt, spricht entscheidend gegen die von RosenbergjSchwabj Gottwald, Zivilprozeßrecht 15 , S. 554, vertretene Auffassung, die Konnexität im Sinne des § 33 Abs. 1 ZPO sei nicht nur Voraussetzung für den besonderen Gerichtsstand der Widerklage, sondern für ihre

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

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soweit man der Auffassung folgt, daß die Widerklage, die mit der Hauptklage in einem engen rechtlichen Zusammenhang stehen muß, 783 schon von sich aus von der Hauptklage getrennt zu behandeln sei. 784 Folgt man dem nicht, läßt sich die Trennung zur Verhandlung auf§ 188 S. 2 öZPO stützen; für die getrennte Entscheidung ist in § 391 Abs. 2 öZPO ausdrücklich ein Teilurteil vorgesehen. In Italien und Frankreich findet sich keine ausdrückliche Regelung über die Abtrennung der Verhandlung und Entscheidung über die Widerklage. Doch soll in Italien die Trennung nach Art. 103 Abs: 2 c.p.c. zulässig sein. 785 Daneben ist aber noch zu berücksichtigen, daß dem Richter nach ständiger Rechtsprechung schon bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Widerklage ein Ermessen darüber zusteht, ob die gemeinsame Verhandlung gerechtfertigt erscheint. Eines rechtlichen Zusammenhangs zwischen Klage und Widerklage bedarf es dagegen nicht. 786 In Frankreich ist die Erhebung der Widerklage ( demande reconventionelle) wie in Österreich von einer hinreichenden Verbindung zur Hauptsache (lien suffisant) abhängig (Art. 70 Abs. 1 NCPC). Eine ausdrückliche Befugnis zur Abtrennung der Widerklage gibt es aber nur für den Fall, daß mit der Widerklage die gerichtliche Aufrechnung ( compensation judiciaire) begehrt wird (Art. 70 Abs. 2 NCPC); 787 ansonsten ist Art. 367 Abs. 2 NCPC einschlägig. Der Beklagte kann sich aber auch darauf beschränken, einen eigenen Anspruch nicht klageweise, sondern nur als Einrede im Wege der Aufrechnung in den Prozeß einzuführen. Auch wenn der Anspruch damit weder in Deutschland noch in Österreich als rechtshängig angesehen wird, 788 kommt Zuläßsigkeit überhaupt (Röhl, in: Alternativkommentar, ZPO, § 33 Rdnr. 1; Zimmermann\ ZPO, § 33 Rdnr. 1). Im hier vertretenen Sinne schon RGZ 46, 424, 425, sowie die heute herrschende Meinung: (Vollkommer, in: Zöller 20 , ZPO, § 33 Rdnr. 1; Schumann, in: Stein/ Jonas 21 , ZPO, § 33 Rdnr. 6; Patzina, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 33 Rdnr. 2; Thomas/Putzo 20 , ZPO, § 33 Rdnr. 1; Hausmann, in: Wieczorek/ Schütze 3 , ZPO, § 33 Rdnr. 6). 783 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 306, nennt dafür die Konnexität, die Kompensabilität oder die Präjudizialität. 784 Fasching, öZPO, § 188 Anm. 3, S. 895; Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1302. 785 Franchi, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 36, S. 352. 786 Cass. civ. vom 7. Juli 1986, Nr. 4428, Rep. Foro it. 1986, Competenza civile, Nr. 79; Cass. civ. vom 30. März 1988, Nr. 2694, Rep. Foro it. 1988, Procedimento civile, Nr. 102. Gedanklich geht diese Auffassung, die zwischen Klage und Widerklage keine Verbindung fordert und im Schrifttum nicht nur Beifall findet, auf Camelutti, Istituzioni, Band 1, S. 145, 249, zurück. Zu einer neueren Sicht der Dinge siehe jüngst ausführlich Nappi, Riv. trim. dir. proc. civ. 1989, S. 751 ff. 787 Diese kommt zum Tragen, wenn die gesetztliehe Aufrechung nach Art. 1291 CC nicht möglich ist (Solus/ Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 1035, S. 881). 788 F ür Deutschland Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 145 Rdnr. 18, mit Verweis auf§ 209 Abs. 2 Nr. 3 BGB, der sonst überflüssig wäre.

C. Das Erkenntnisverfahren

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der Richter nicht umhin, auch über diesen Anspruch zu verhandeln und zu entscheiden. Auch in diesem Fall steht es ihm frei, über die Hauptund die Gegenforderung getrennt zu verhandeln. 789 Bei der Entscheidung stellt sich jedoch das Problem, daß das Bestehen der Klagforderung und damit das Urteil von der Entscheidung über die Gegenforderung abhängt. Trotzdem wird auch hier die getrennte Entscheidung zugelassen. Während Deutschland und Italien dabei den Weg des Vorbehaltsurteils ( condanna con riserva dell'eccezione di compensazione) gehen, das gegebenfalls durch das nachfolgende Urteil aufzuheben ist, 790 begnügt sich Österreich auch in diesem Fall mit einem Teilurteil (§ 391 Abs. 3 öZPO), das von dem nachfolgenden Urteil nicht aufgehoben, sondern lediglich getilgt wird/ 91 ein Vorbehaltsurteil ist dagegen nicht bekannt. 792 d)

Die Verbindung mehrerer Verfahren

Das spiegelbildliche Gegenstück zur Trennung mehrerer in einem Verfahren geltend gemachter Ansprüche ist die Verbindung mehrerer Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Die deutsche Zivilprozeßordnung eröffnete dem Richter von Anfang an die Möglichkeit, mehrere Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden. 793 Wie sich aus den Materialien ergibt, sollte durch diese Vorschrift der Richter in die Lage versetzt werden, sachlich zusammengehörige Verfahren auch zusammen durchzuführen. Damit sollte es nicht allein den Parteien überlassen bleiben, ob sie lieber getrennt prozessieren oder als Streitgenossen. Auch der Richter sollte in diesem Fall nachträglich die Verfahren aus Gründen der Prozeßökonomie verbinden können, 794 womit eine Art einfacher Streitgenossenschaft von Amts wegen geschaffen wurde. Durch die Verbindung werden zwei zuvor selbständige Verfahren zu einer Einheit zusammengefaßt195 und schließlich zusammen entschieden.796 Das 789 §

145 Abs. 3 ZPO; § 188 S. 2 öZPO (dazu Fasching, öZPO, § 188 Anm. 3, S. 895). Deutschland § 302 Abs. 4 S. 2 ZPO. Zu Italien, wo es keine Vorschrift dafür gibt, vgl. SattajPunzi, Diritto processuale civile 11 , S. 295, Fußnote 10; Franchi, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 35, S. 343. 791 Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 284, der dafür den Begriff" Vorbehaltsurteil" benutzt. Die Kostenentscheidung bleibt regelmäßig dem Endurteil, das dem deutschen Schlußurteil entspricht, vorbehalten (§§ 392 Abs. 2, 52 Abs. 2 öZPO) (vgl. Fasching, öZPO, nach § 391 Anm. IV b, S. 584). 792 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1445. 793 § 138 ZPO 1877 = § 147 ZPO. 794 Begründung zu § 132 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung 2 , Band 1, S. 172, 217. 795 Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 147 Rdnr. 8. Daß der Richter diese Einheit wieder beseitigen kann (§ 150 ZPO), steht dazu nicht im Widerspruch. 796 Die Verbindung nur zur gemeinsamen Entscheidung ist dagegen unzulässig ( Thomas/Putzo20, ZPO, § 147 Rdnr. 4). 790 In

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deutsche Recht legte damit bei der Verbindung von Prozessen den Akzent auf den inneren Zusammenhang der objektiven Streitgegenstände, genauer gesagt der causae. Einen völlig anderen Weg ging bald darauf das Österreichische Recht. Dort werden die Prozesse nach § 187 öZPO nur zur gemeinsamen Verhandlung, nicht aber zur gemeinsamen Entscheidung verbunden;797 eine Streitgenossenschaft entsteht nicht. 798 Folglich legt das Österreichische Recht seinen Akzent nicht auf die Verbindung der objektiven Streitgegenstände, sondern auf die (Teil-)Identität der Parteien. Da eine solche faktische Verbindung der Verhandlung in Deutschland auch ohne gesetzliche Regelung zulässig ist,799 kommen das deutsche und das Österreichische Recht- abgesehen von der Regelung des§ 147 ZPO- doch zu durchaus vergleichbaren Ergebnissen. Beiden Rechtsordnungen ist auch gemein, daß der Beschluß, die Prozesse zu verbinden, im Ermessen des Richters steht800 und von ihm widerrufen werden kann. 801 Auch ein Rechtsmittel findet gegen diesen Akt der Verfahrensleitung nicht statt. 802 Auch das italienische Recht regelt im neuen codice die Verbindung zweierVerfahren (riunione di procedimenti) auf den Spuren des deutschen und des Österreichischen Rechts, während es vorher entsprechende Vorschriften nicht gab. 803 Grundsätzlich folgt es dabei der deutschen Auffassung, durch die Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung eine neue Einheit zu schaffen, 804 wobei zwei Hypothesen zu unterscheiden sind. Der erste Fall ergänzt die Regeln über die Rechtshängigkeit (Art. 39 Abs. 1 c.p.c.). Sind vor demselben Gericht mehrere Verfahren anhängig und müßte sich bei Anhängigkeit der Verfahren bei verschiedenen Gerichten das zweite wegen der Rechtshängigkeit für unzuständig erklären,805 797 Klein,

Vorlesungen, S. 83; Fasching, öZPO, § 187 Anm. 2, S. 889.

798 Klein, Vorlesungen, S. 85. 799 Peters, in: Münchener Kommentar, Stein/ Jonas 21 , ZPO, § 147 Rdnr. 22; BGH,

ZPO, § 147 Rdnr. 15; Leipold, in: NJW 1957, S. 183. 80 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 786. Ausnahmen kennt das deutsche Recht im ordentlichen Verfahren bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 238 Abs. 1 ZPO) und im Berufungsverfahren bei Ergänzung des angefochtenen Urteils (§§ 517, 321 Abs. 1 ZPO). BOl§ 192 Abs. 1 öZPO; § 150 ZPO. 802 In Österreich explizit § 192 Abs. 2 öZPO; für Deutschland siehe Leipold, in: Stein/ Jonas 21 , ZPO, § 147 Rdnr. 19. 803 Franchi, Noviss. dig. it. XVI (1970), riunione di procedimenti, S. 220. 804 Franchi, Noviss. dig. it. XVI (1970), riunione di procedimenti, S. 220. 805 Siehe oben Fußnote 23, S. 110.

°

250

C. Das Erkenntnisverfahren

hat der Richter sie gemäß Art. 273 Abs. 1 c.p.c. zu verbinden,806 wenn er mit beiden Verfahren befaßt ist. Sind dagegen verschiedene Richter desselben Gerichts mit der Sache befaßt, entscheidet der Gerichtspräsident nach Anhörung der Parteien, welcher von beiden das verbundene Verfahren fortzuführen hat. 807 Dieser Fall der Verbindungzweier Verfahren ist somit nur in atypischen Verfahrensituationen einschlägig. 808 Da der Zweck der Regelung dem der Unzuständigkeit wegen Rechtshängigkeit gleicht, kann hier wie dort dem Richter kein Ermessen zustehen, ob er die Verfahren verbinden will. 809 Bei bloßer Konnexität der Streitgegenstände, für die eine rein faktische Verbindung ( connessione impropria) genügt,810 kann der Richter jedoch nach eigenem Ermessen entscheiden, ob er die Verfahren verbinden will (Art. 274 Abs. 1 c.p.c.). Nur in Arbeits- und Sozialversicherungssachen ist die Verbindung auch bei Konnexität der streitgegenständlichen causae vorgeschrieben (Art. 151 disp. att. c.p.c.). 811 Die rein faktische Verbindung zweierVerfahren ist in Italien dagegen unbekannt. Angesichts dieser Regelungen erscheint das französische Recht heute besonders ausgereift, wo in einer Generalklausel (Art. 367 Abs. 1 NCPC) die Verbindungzweier Verfahren (jonction d'instances) sowohl zur gemeinsamen Verhandlung oder auch Entscheidung in das Ermessen des Richters 806 SattajPunzi, Diritto processuale civile11 , S. 388 f.; Silvestri, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 273 Rdnr. 1; Satta, Commentario, c.p.c., Art. 273, Nr. 1, S. 309. Nach Cass. civ. vom 23. März 1984, Nr. 1935, Rep. Foro it. 1984, Procedimento civile, Nr. 123, war dies z.B. der Fall, als ein Vermieter zunächst eine Räumungsklage erhob mit der Begründung, der befristete Mietvertrag sei abgelaufen, und später eine weitere mit einer Eigenbedarfskündigung begründete. 807 Art. 273 Abs. 2 c.p.c. Dabei ist es egal, ob die Richter demselben Spruchkörper angehören oder nicht. Das deutsche Recht tut sich wegen des strengen Verständnisses vom gesetzlichen Richter (vgl. oben Fußnote 3, S. 69) schwerer, wenn verschiedene Spruchkörper desselben Gerichtes mit den Streitsachen betraut sind. In diesem Fall soll die Zustimmung aller Parteien Voraussetzung für die Verbindung sein (Leipold, in: SteinjJonas 21 , ZPO, § 147 Rdnr. 15; Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 147 Rdnr. 2). 808 Silvestri, in: Commentario breve3, c.p.c., Art. 273 Rdnr. 1; Satta, Commentario, c.p.c., Art. 273, Nr. 1, S. 309. 809 Franchi, Noviss. dig. it. XVI (1970), riunione di procedimenti, S. 220; Cass. civ. vom 25. Januar 1978, Nr. 331, Rep. Foro it. 1978, Procedimento civile, Nr. 132; Cass. civ. vom 11. November 1985, Nr. 5504, Rep. Foro it. 1985, Procedimento civile, Nr. 133. Zu einer Ermessensentscheidung des Richters tendieren dagegen die oben in Fußnote 806, S. 250, genannte Entscheidung Cass. civ. vom 23. März 1984, Nr. 1935, Rep. Foro it. 1984, Procedimento civile, Nr. 123 sowie Cass. civ. vom 11. Februar 1985, Nr. 1133, Rep. Foro it. 1985, Procedimento civile, Nr. 134. Für die Praxis ist diese Fra~e deshalb nicht von Bedeutung, da die Entscheidung über die Verbindung nicht der Uberprüfung durch die Corte di cassazione unterliegt. 810 Silvestri, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 274 Rdnr. 2. 811 Danach kann der Richter die Verbindung nur dann unterlassen, wenn der Prozeßstoff zu umfangreich oder das Verfahren unangemessen lange verzögert würde. Prozeßökonomische Ziele werden mit der Verbindung folglich nicht verfolgt.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

251

gestellt wird.812 Einzige Voraussetzung ist das Bestehen irgendeines Zusammenhangs zwischen den Streitsachen, der die Verbindung im Interesse einer guten Rechtspflege (l'interet d'une bonne justice) rechtfertigt. Die Entscheidung ist als Justizverwaltungsakt ( mesure d 'administration judiciaire) keinem Rechtsmittel unterworfen (Art. 368, 537 NCPC). Aus Sicht des Richters ist dies zweifellos die flexibelste und damit beste Lösung. 5.

Die Beiladung

Besondere Aufmerksamkeit unter dem Blickwinkel richterlicher Verfahrensleitung verdient die Beiladung813 ( intervento per ordine del giudice) (Art. 102, 107 c.p.c.) , das Gegenstück zur Streitbeteiligung durch eine Partei (Art. 106 c.p.c.). Zum einen ist sie in der heutigen Form in den hier untersuchten Rechtsordnungen einzigartig. So wurde die gemeinrechtliche Adcitation, die von der Wissenschaft entwickelt worden war814 und nie Eingang in eine Kodifikation gefunden hatte, 815 zunächst in den Partikularrechten816 und schließlich im Reichsrecht verworfen. 817 Heute ist die Beiladung im streitigen Zivilverfahren nur in Kindschaftssachen bekannt (§ 640 e ZPO), in Österreich gibt es sie gar nicht. Nur in Frankreich enthält Art. 332 Abs. 1 NCPC eine rudimentäre Regelung für das ordentliche Verfahren.818 Zum anderen gehen die Befugnisse des Richters hier über die der Parteien hinaus, da eine zeitliche Beschränkung für die Beiladung im Gegensatz zur Streitverkündung (Art. 167 Abs. 3 c.p.c.) nicht vorgesehen ist. Um zu verstehen, wie es zu der heutigen Regelung in Italien kam, soll ihre historische Entwicklung seit 1865 nachgezeichnet werden. Die Beiladung kam von Frankreich nach Italien und wurde zunächst ins sardische Recht (Art. 270 sard. c.p.c. 1859) und später ins nationale Recht übernommen (Art. 205 c.p.c. 1865).819 Danach konnte der Richter, der die Beteiligung eines Dritten am Rechtsstreit für opportun hielt, dessen Bei812 Cass.

1 re civ. vom 9. Oktober 1974, D. 1974 inf. rap., S. 247. wenn diese Übersetzung dem Rechtsinstitut nicht ganz gerecht wird, wird sie aus Gründen sprachlicher Leichtigkeit der amtlichen Übersetzung vorgezogen, die von der Intervention auf richterliche Anordnung spricht. 814 Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses 2 , Band 1, S. 413. 815 Weder Kapitel VIII § 4 S. 5 Codicis Iuris Bavarici Iudiciarii noch Teil I Titel XVII § 5 prAGO betraf eine Beiladung im eigentlichen Sinne. Vielmehr regelten die Vorschriften eine "Streitverkündung von Amts wegen" beziehungsweise richterliche Beweisbefugnisse ('Irocker, Studi senesi XCI (1979), S. 334, Fußnote 51, 52). 816 Vgl. § 118 badPrO 1832 = § 122 badPrO 1864; § 24 hanPrO 1847; § 42 hanPrO 1850. 817 Begründung zu § 71 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung2 , Band 1, S. 184. 818 Zur Geschichte der assignation en declaration de jugement commun siehe 'Irocker, Studi senesi XCI (1979), S. 352 ff. 81 97rocker, Studi senesi XCI (1979), S. 309. 813 Auch

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C. Das Erkenntnisverfahren

ladung von Amts wegen anordnen, ohne daß das Gesetz Vorschriften über die Rechtsfolgen dieser Anordnung enthielt. Bei der Übernahme dieser rudimentären Regelung aus Frankreich hatte sich der Gesetzgeber jedoch keine großen Gedanken gemacht, und auch bei den Kommentatoren stieß sie auf großes Unverständnis. Insbesondere die Vereinbarkeit der richterlichen Beiladung mit der Dispositionsmaxime, wonach es allein Aufgabe der Parteien ist, durch ihre Anträge die objektiven und subjektiven Grenzen des Rechtsstreits zu bestimmen, bereitete Schwierigkeiten. Folglich ist es kein Wunder, wenn die Dispositionsmaxime bis heute immer wieder wie eine Demarkationslinie zwischen Richter- und Parteibefugnissen in die Diskussion um die Beiladung eingebracht wird. 820 a)

Die Beiladung zu Beweiszwecken

Unter der Prämisse, daß der Richter durch die Beiladung keinesfalls die objektiven oder subjektiven Grenzen des Reichtsstreits beeinflussen dürfe, entwickelte Chiovenda die Theorie, es handele sich bei der Beiladung in Wahrheit um eine beweisrechtliche Befugnis des Richters, der zum Beispiel in Fällen der Prozeßstandschaft zur Aufklärung des Sachverhaltes auch den Inhaber des streitigen Rechts sollte laden können. 821 Damit folgte Chiovenda bewußt oder unbewußt der Theorie des preußischen Rechts von der gemeinrechtlichen Adcitation, wonach der Richter von Amts wegen bestimmte Personen als Zeugen vernehmen konnte (Teil I Titel XVII § 5 prAG0). 822 Er wahrte damit die Dispositionsmaxime und schränkte nur die Verhandlungsmaxime geringfügig ein. Gegen diese Theorie Chiovendas sprach jedoch sowohl der Wortlaut des Art. 205 c.p.c. 1865, der von der citazio del terzo, also der typischen Form der Ladung einer Partei sprach, 823 als auch die systematische Stellung der Vorschrift neben der Streitverkündung (Art. 203 c.p.c. 1865), die nach italienischer Lehre auf eine Parteierweiterung gerichtet ist. 824 Daher ist davon auszugehen, daß auch die Beiladung auf eine Parteierweiterung zielt.825 Die Beiladung des Dritten zu Beweiszwecken schied aus, da er dann als Zeuge zu laden gewesen wäre und nicht als Partei. 826 820 Mittermaier, AcP 3 (1822), S. 33; Chiovenda, Principii3, S. 730; Chiovenda, Istituzioni 2 , Band 1, S. 311; Spellenberg, ZZP 103 (1993), S. 287. 821 Chiovenda, Principii 3 , S. 730; Chiovenda, Istituzioni 2 , Band 1, S. 311. 822 Vgl. Koch, Der Preußische Civii-Prozeß2 , S. 185. 823 Camelutti, Lezioni, Band 4, S. 94. 824 7rocker, Intervento, S. 49. 825 Costa, Enc. dir. XXII (1972) , lntervento {dir. proc. civ.), S. 463, mit kurzem Überblick über die Auseinandersetzung um die Frage in der älteren Literatur. 82 6 Carnelutti, Lezioni, Band 4, S. 102. Ablehnend auch Mortara, Commentario, Band 3, S. 536.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

253

b) Die notwendige Streitgenossenschaft Ausgehend von der Erkenntnis, daß der Dritte durch die Beiladung Partei wird, stellt sich die Frage, ob die DispositionsmcÜime immer verletzt wird, wenn der Richter die Ladung eines Dritten anordnet. Dies ist jedoch zumindest dann nicht der Fall, wenn ohne die Beteiligung des Dritten das Verfahren nicht durch ein Sachurteil beendet werden könnte, also im Falle der notwendigen Streitgenossenschaft. Denn hier nimmt der Richter lediglich die Aufgabe wahr, für den ordentlichen Prozeßablauf Sorge zu tragen. 827 Hat zum Beispiel der Kläger nur gegen einen von mehreren notwendigen Streitgenossen Klage erhoben, kann keine Entscheidung in der Sache ergehen. Nach Auffassung Chiovendas sollte der Richter in diesem Fall nicht die Möglichkeit haben, die Parteien von Amts wegen zur Ladung des Dritten anzuhalten, sondern die Klage als unzulässig abweisen. 828 Hier bietet es sich jedoch an, daß der Richter von der Beiladung Gebrauch macht, 829 um das Verfahren im Sinne unserer Ausgangsfrage in Richtung auf ein Sachurteil voranzubringen. Auch die Praxis ließ in derartigen Fällen die Beiladung bald nach Inkrafttreten des codice di procedura civile zu830 und stimmte so mit der Theorie des deutschen gemeinen Prozesses überein.831 Bei den Arbeiten für den neuen codice fand die Beiladung der notwendigen Streitgenossen Eingang in Art. 15 des Entwurfs von Redenti und erlangte schließlich in Art. 102 c.p.c. Gesetzeskraft. 832 Danach hat der Richter die Ladung der übrigen notwendigen Streitgenossen anzuordnen ( integrazione del contraddittorio) (Art. 102 Abs. 2 c.p.c.). Die Ladung selbst erfolgt aber nicht von Amts wegen, sondern obliegt dem Kläger. Der Richter setzt ihm dafür nur eine Frist von ein bis sechs Monaten, bei deren Mißachtung der Prozeß erlischt (Art. 307 Abs. 3 S. 1, 2 c.p.c.). Die Befugnis des Richters reduziert sich also praktisch auf eine Anregung, die notwendigen Streitgenossen an dem Rechtsstreit zu beteiligen, weil sonst kein Sachurteil ergehen könnte. In diesem Fall ist die Beiladung - funktionell betrachtet - einem richterlichen Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO erstaunlich ähnlich. Auch der deutsche Richter hätte auf das Fehlen der übrigen notwendigen Streitgenossen hinzuweisen und müßte, wenn diese nicht am Verfahren beteiligt werden, die Klage ohne Entscheidung in der Sache als unzulässig abweisen. China, Diritto processuale civile, S. 549. Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 435. 829 Redenti, II giudizio civile con pluralita di parti, S. 262, 265. 830 Vgl. die Fundstellen bei Trocker, lntervento, S. 29 ff., wonach dies insbesondere für Erbauseinandersetzungen galt, soweit nicht alle Miterben bereits Partei waren. 83 1 Vgl. das Zitat von Ganz, De Adcitatione tertii ad Iitern, Tübingen 1759, bei Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses 2 , Band 1, S. 388. 832 Die Verwirklichung des Entwurfs von Redenti in Art. 102 c.p.c. bestätigt Trocker, lntervento, S. 91 f., Fußnote 10. 827 La

828 Chiovenda,

254

C. Das Erkenntnisverfahren

Wie gesehen, läßt Art. 102 c.p.c. dem Richter kein Ermessen. Dies ist sinnvoll, da es nicht in seinem Belieben stehen sollte, die Klage als unzulässig abzuweisen oder die übrigen Streitgenossen beizuladen. Da aber Art. 205 c.p.c. 1865 'ausdrücklich ein Ermessen vorsah, konnte die notwendige Streitgenossenschaft nur ein Unterfall der Beiladung sein, nicht aber den gesamten Anwendungsbereich erfassen. 833 c)

Die Beiladung bei Rechtskrafterstreckung

Nach der Theorie Sattas sollte die Beiladung nicht nur in Fällen der notwendigen Streitgenossenschaft zulässig sein, sondern immer dann, wenn das Urteil unmittelbare Wirkungen gegen einen Dritten entfalten konnte, der nicht am Prozeß teilgenommen hatte. 834 Eine solche Rechtskrafterstreckung auf Dritte war in Italien lange Zeit von großer Bedeutung, da sich die subjektiven Grenzen der Rechtskraft unter dem Einfluß der französischen Lehre von der representence 835 soweit verschoben hatten, daß zum Beispiel auch der Bürge als von seinem Hauptschuldner mit vertreten angesehen wurde und das Urteil ihm gegenüber ohne weiteres in Rechtskraft erwuchs. 836 Aber auch nach Überwindung dieser Lehre blieben noch Anwendungsfälle der Rechtskraftwirkung gegenüber Dritten, für die sich die richterliche Beiladung anbot, wie zum Beispiel die Veräußerung der streitbefangenen Sache. 837 In diesen Fällen, in denen die Beiladung im Interesse des Dritten angeordnet würde, 838 bliebe die Dispositionsfreiheit der bisherigen Parteien gewahrt, da sie gegen den Dritten keinen Antrag stellen müßten und der Streitgegenstand durch die Beiladung weder subjektiv noch objektiv erweitert würde. 839 Diese Theorie sah sich jedoch zwei wesentlichen Einwänden ausgesetzt. Zum einen paßt sie nicht zu der Ladung des Dritten als Partei, da es seinen Interessen völlig genügte, wenn er wie nach Kapitel VIII § 4 S. 5 Codicis /uris Bavarici Iudiciarii nur über den Rechtsstreit informiert würde. Und zum anderen ist auch hier nicht einzusehen, warum der Gesetzgeber die Beiladung und damit den Schutz des Dritten ausdrücklich dem Ermessen des Richtersanheim gestellt haben sollte. 840 8331hlcker, Intervento, S. 36. 834 Satta, Festschrift Mancaleoni, S. 585. 835 Vgl. dazu Glasson/Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 3, Nr. 775, S. 106. 836 1hlcker, Intervento, S. 22; Pugliese, Enc. dir. XVIII (1969), Giudicato civile {dir. vig.), S. 875. 8371hlcker, Intervento, S. 25. 838 Satta, Festschrift Mancaleoni, S. 583. 839 Satta, Festschrift Mancaleoni, S. 585. 840 'lhlcker, Intervento, S. 27.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

d}

255

Die Beiladung zur umfassenden Streiterledigung

Carnelutti wollte bei seiner Theorie der Beiladung dagegen über die bisherigen Fälle hinausgehen und sie immer dann zulassen, wenn dies zur umfassenden und gerechten Beilegung des Rechtsstreits (giusta composizione della lite) erforderlich war. Wie bereits eingangs erwähnt,841 stand dieser Prozeßzweck im Mittelpunkt seines prozessualen Denkens. Um diesen Zweck zu erfüllen, wollte Carnelutti die Dispositionsfreiheit der Parteien zugunsten der richterlichen Beiladung einschränken. 842 Damit stieß er jedoch auf schroffe Ablehnung von Seiten Chiovendas und vor allem Calamandreis, die am traditionellen Begriff der Klage ( azione) festhielten, mit der der Kläger den Gegenstand des Rechtsstreits bestimmt und dem Richter wie ein Assistent beim Mikroskopieren den Ausschnitt der Wirklichkeit darreicht, auf den er das Recht angewendet wissen will. 843 Auch wenn insbesondere die Vorwürfe Calamandreis gegen Carneluttis Ansatz zum Teil übertrieben oder ironisch-polemisch waren,844 mußte Carnelutti den Eingriff in die Dispositionsfreiheit rechtfertigen. Er tat dies vor allem mit zwei Argumenten: Erstens schränke schon das Rechtsinstitut der notwendigen Streitgenossenschaft die Dispositionsfreiheit ein, wenn ein Kläger gezwungen werde, seine Klage gegen mehrere Personen gleichzeitig zu stellen. 845 Dann sei es aber zur Stärkung der richterlichen Verfahrensleitung nur konsequent, wenn nicht nur das Gesetz die Erhebung einer Klage gegen mehrere Personen vorschreiben könne, sondern auch der Richter. Neben den gesetzlichen Fällen der notwendigen Streitgenossenschaft ( ex lege) sollte es also eine notwendige Streitgenossenschaft auf Anordnung des Richters ( iussu iudicis) geben,846 die systematisch zwischen der notwendigen und der einfachen Streitgenossenschaft stehe.847 Damit verbunden war eine grundsätzliche Kritik am klassischen Begriff der notwendigen Streitgenossenschaft. Nach Carnelutti sollte der Fehler der traditionellen Lehre in der Annahme 841 Siehe

oben A.IV.l.b), S. 51. Camelutti, Lezioni, Band 4, S. 96. 843 Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 433. 844 So behauptete Calamandrei, Carnelutti falle mit seiner Theorie in überwunden geglaubte Zeiten zurück, in denen der Staat sich zur Vermeidung von Fehde und Selbstjustiz der Beilegung aufkommender Rechtsstreitigkeiten annehme. Wenn es nur um Streitbeilegung gehe, könne man auch einfach würfeln ( Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 204 f.). Damit traf Galamandrei jedoch - wohl bewußt- nicht den Kern der Sache. Denn gerade aus dem Begriff der gerechten Streitbeilegung ergibt sich, daß auch nach dem Konzept Carneluttis das objektive Recht zur Anwendung kommen sollte, aber nicht in den starren Grenzen des ursprünglich erhobenen Anspruchs, sondern zur umfassenden gerechten Beilegung eines Rechtsstreits. 8 45 Camelutti, Lezioni, Band 4, S. 96. 8 46 Camelutti, Istituzioni, Band 1, S. 245. 847 Camelutti, Lezioni, Band 4, S. 97, 104. 842

256

C. Das Erkenntnisverfahren

liegen, daß eine Entscheidung gegen nur einen notwendigen Streitgenossen generell nicht ergehen könne, oder, wie Chiovenda es ausgedrückt hat, vergeblich ergehen würde (inutiliter datur). 848 Seiner Meinung nach sollte eine Sachentscheidung gegen nur einen notwendigen Streitgenossen sehr wohl möglich, aber nicht oppurtun sein. 849 Die notwendige Streitgenossenschaft sollte damit nichts anderes als eine gesetzliche Opportunitätsregel zur besseren Beilegung des gesamten Streits sein, die einer Sonderregelung wie in Art. 102 c.p.c. nicht bedurft hätte.850 Hält man dagegen am klassischen Begriff der notwendigen Streitgenossenschaft fest, kann der These Carneluttis, die Dispositionsfreiheit werde schon durch die notwendige Streitgenossenschaft eingeschränkt, nicht gefolgt werden. So bemerkte Satta kurz und knapp, daß die notwendige Streitgenossenschaft genauso wenig in die Dispositionsfreiheit eingreife wie die Pflicht des Klägers, den Schuldner überhaupt gerichtlich verklagen zu müssen. 851 In der Tat ist der Fall der notwendigen Streitgenossenschaft nach klassischem Verständnis nur eine Frage der legitimatio ad causam und kein Eingriff in die Dispositionsmaxime. Als zweites wollte Carnelutti den Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Klägers mit dem notwendigen Schutz der Interessen Dritter rechtfertigen. Ausgangspunkt der Überlegungen war der Fall, daß ein Gläubiger nur einen von mehreren Gesamtschuldnern verklagt und dieser den Prozeß nachlässig führt. Angesichts vermeintlich drohender Nachteile auch zu Lasten der übrigen Gesamtschuldner sollte der Richter hier die Möglichkeit haben, durch die Anordnung der Beiladung ein Sachurteil über den geltend gemachten Anspruch so lange zu verweigern, bis auch diese als Streitgenossen verklagt worden sind. 852 Doch vermag auch dieses Argument nicht zu überzeugen. So ist es bei dem gewählten Beispiel gerade Ausdruck der Gesamtschuld, daß der Gläubiger die freie Wahl hat, welchen der Gesamtschuldner er in Anspruch nehmen will. Der Schutz des Dritten kann dagegen durch eine angemessene Bestimmung der subjektiven Grenzen der Rechtskraft erreicht werden. Doch wies dieses zweite Argument Carneluttis letztlich in die richtige Richtung. Zwar haben alle hier untersuchten Rechtsordnungen die Rechtskraft grundsätzlich auf die am Prozeß beteiligten Parteien beschränkt,853 doch 848 Chiovenda,

Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 442. Carnelutti, Istituzioni, Band 1, S. 244. sso Carnelutti, lstituzioni, Band 1, S. 244. 851 Satta, Festschrift Mancaleoni, S. 582. 852 Carnelutti, Lezioni, Band 4, S. 98. 853 Art. 1351 CC; Art. 2909 c.c.; § 325 Abs. 1 ZPO; § 12 ABGB. Soweit Art. 2909 c.c. die Rechtskraft auf die aventi causa ausdehnt, sind damit nur die Rechtsnachfolger bezüglich des Streitgegenstandes nach Eintritt der Rechtshängigkeit gemeint (Liebman, 849 Vgl.

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

257

kann das Urteil auch Reflexwirkungen gegenüber Dritten haben, auf die sich die Rechtskraft nicht erstreckt. 854 Dies wird vor allem in Frankreich und Italien deutlich, wo der Dritte bis heute gegen das Urteil einen Drittwiderspruch (tierce Opposition; opposizione del terzo) erheben kann. 855 Liegt aber ein Fall vor, bei dem ein Dritter die opposizione del terzo einlegen könnte, so ist es in der Tat sinnvoller, ihn von vornherein an dem Rechtsstreit zu beteiligen. Die Praxis folgte daher dieser von Carnelutti vorgegebenen Linie und ließ die Beiladung auch außerhalb der Fälle einer notwendigen Streitgenossenschaft zu. 856 Dabei wurde aus der Vorschrift des Art. 203 c.p.c. 1865 das Erfordernis der causa comune hierher übertragen. 857 Läßt man diese Entwicklung Revue passieren, stellt man fest, daß die Beiladung nun nicht mehr allein dazu diente, auf die Schaffung der Sachurteilsvoraussetzungen hinzuwirken, sondern bisher unbeteiligte Dritte am Rechtsstreit zu beteiligen. Damit änderte sich zugleich die Rolle des Richters. War er zunächst nur zuständig, den Streit zwischen zwei Parteien zu entscheiden, wurde er nun aufgefordert, im Interesse einer gerechten Rechtsanwendung eine komplexe Streitsituation umfassend zu lösen. 858 Wollte man dabei die Dispositionsmaxime wahren, müßte sich die Befugnis des Richters darauf beschränken, die Beiladung des Dritten durch Manuale4 , Band 2, S. 439; a.A. Pugliese, Enc. dir. XVIII (1969), Giudicato civile (dir. vig.), S. 884). 854 Jhering, Gesammelte Aufsätze, Band 2, S. 115. Als Beispiel soll folgender Fall dienen: Der Schuldner aus einem Prozeßvergleich zahlt auf das Konto des Anwalts des Gläubigers. Dieser rechnet gegenüber seinem Mandanten mit einer eigenen Honorarforderung auf. Daraufhin betreibt der Gläubiger gegen den Schuldner aus dem Vergleich die Zwangsvollstreckung. Die Vollstreckungsgegenklage wird abgewiesen, da durch die Zahlung an den Anwalt keine Erfüllung eingetreten sei. Dieses Urteil entfaltet auch Reflexwirkungen gegenüber dem Anwalt, der nun die Rückforderung des Schuldners gewärtigen muß. 855 Dieser hat sich im gemeinen Recht des 17. Jahrhunderts entwickelt (Nicoletti, Enc. dir. XXX (1980), Opposizione di terzo, S. 478, Fußnote 1), wo man bemüht war, sich widersprechende Urteile auch zwischen verschiedenen Parteien zu vermeiden, während die Grenzen der Rechtskraft vor allem in Deutschland später möglichst eng gezogen wurden, um die Wirkung von Fehlurteilen zu begrenzen (Mendelssohn Bartholdy, Grenzen der Rechtskraft, S. 5 f.). Zum ersten Mal kodifiziert wurde die tierce Opposition in Frankreich in Art. 474 CPC 1806, wobei sie in Konflikt mit Art. 1351 CC trat, der meistens zugunsten der tierce opposition gelöst wurde (Mendelssohn Bartholdy, Grenzen der Rechtskraft, S. 56). Als opposizione del terzo fand sie schließlich ihren Weg nach Italien und wurde in Art. 510 c.p.c. 1865 kodifiziert. Sie eröffnet einem Dritten, der nicht Prozeßpartei war, die Möglichkeit, eine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung anzufechten, soweit sie für ihn nachteilig ist. 856 Siehe beispielhaft Cass. civ. vom 27. Februar 1926, Riv. dir. proc. civ. 1926 II, S. 285; Cass. civ. vom 7. Juni 1940, Temi em. 1940, S. 305. 857 Cass. civ. vom 26. Februar 1937, Nr. 587, Fora it. 1937 I, Sp. 769. 858 Trocker, Intervento, S. 61 f. 17 Piekenbrock

258

C. Das Erkenntnisverfahren

eine Partei anzuregen. 859 Oder, wenn man von einer richterlichen Anordnung ausgeht, müßte deren Mißachtung sanktionslos bleiben. 860 Damit wäre dem Richter ein Mittel in die Hand gegeben, um den Streitgegenstand in Zusammenarbeit mit den Parteien in subjektiver Hinsicht abzugrenzen; die entgültige Entscheidung darüber bliebe aber oei den Parteien. Diese Lösung hat sich insbesondere in Frankreich durchgesetzt,861 wo sie in Art. 332 NCPC ihren Niederschlag gefunden hat. Dort macht der Wortlaut deutlich, daß der Richter im streitigen Verfahren den Parteien die Streitverkündung vorschlagen862 und nur im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (matiere gracieuse) diese auch selbst anordnen kann. 863 e)

Der Fall des Art. 107 c.p.c.

Das italienische Recht folgte in Art. 107 c.p.c. dagegen der Auffassung Carneluttis, daß die Beiladung keine bloße Anregung sei, sondern eine richterliche Anordnung, deren Mißachtung zur Folge habe, daß kein Urteil in der Sache ergehen könne. 864 Während Carnelutti in der Weigerung der Parteien, den Dritten zu laden, ein Sachurteilshindernis sah, 865 hat der Gesetzgeber sie zu einem Unterfall des Erlöschens des Prozesses gemacht (Art. 207 Abs. 2, 307 Abs. 1 c.p.c.). Die Mißachtung der richterlichen Anordnung hat damit zur Folge, daß der Prozeß ohne Sachurteil erlischt, obwohl zunächst alle Sachurteilsvoraussetzungen gegeben waren. Untersucht man die richterliche Befugnis zur Beiladung mit Blick auf die Dispositionsmaxime, ist festzuhalten, daß der Grundsatz ne procedat iudex ex officio (Art. 99, 112 c.p.c.) unangetastet bleibt. 866 Denn wenn die Parteien den Dritten nicht laden oder gegen ihn keinen Antrag stellen, ergeht diesem gegenüber auch kein Sachurteil. Auch ist die Beiladung für die Partei keine Prozeßpflicht, sondern eine Prozeßlast, die sie erfüllen muß, wenn sie ein Sachurteil erreichen möchte. 867 Damit kann der Richter im Interesse der Prozeßökonomie und der Erzielung gleichlautender Urteile durch die Anordnung der Beiladung zumindest indirekt in die Disdiesem Sinne Mortaro, Commentario, Band 3, S. 535. Cass. civ. vom 27. Februar 1926, Riv. dir. proc. civ. 1926 II, S. 285, 286. 86l Trocker, Intervento, S. 83. 862 Art. 332 Abs. 1 NCPC spricht von inviter les parties a mettre en cause. Entsprechend auch Art. 768-1 NCPC für das Verfahren vor dem tribunal de gronde instance. 863 Art. 332 Abs. 2 NCPC spricht von ordonner Ia mise en cause. 864 Camelutti, Riv. dir. proc. civ. 1926 II, S. 287. 865 Einerseits sprach er von improcedibilita (Camelutti, Riv. dir. proc. civ. 1926 II, S. 285), andererseits davon, daß der Richter von der Pflicht zur Sachentscheidung entbunden werde (Art. 97 Abs. 2 seines Entwurfs). 866 Camelutti, Lezioni, Band 4, S. 96; Trocker, Intervento, S. 124. 8 67 Trocker, Intervento, S. 123. 859 In

860 So

111. Die Stellung des Richters bei der trattazione

259

positionsfreiheit der Parteien eingreifen,868 was durchaus bemerkenswert ist. Bemerkenswert ist weiterhin, daß der Richter die Beiladung in jedem Verfahrensstadium anordnen kann (Art. 270 Abs. 1 c.p.c.), 869 während der Beklagte dies schon in der Klageerwiderung anzukündigen hat (Art. 167 Abs. 3 c.p.c.). 870 Hierin spiegelt sich die Reaktion auf den Mißbrauch des Rechtsschutzes durch den Beklagten wider, dessen Befugnisse deshalb durch die Präklusion beschnitten wurden. Dagegen ist beim Richter nicht davon auszugehen, daß er seine Befugnisse zur Prozeßverzögerung ausübt, sondern mit dem Ziel, den anhängigen Rechtsstreit gegenüber allen interessierten Personen umfassend zu lösen. Wie kurz angedeutet, kann der Richter die Beiladung anordnen, wenn es sich bei dem Rechtsverhältnis gegenüber dem Dritten um eine causa comune handelt. Konkret zur Anwendung kommt die Beiladung, die nach der Rechtsprechung im Ermessen des Richters steht und im Rechtsmittelverfahren nicht nachprüfbar ist, 871 damit in Fällen, in denen die Passivlegitimation bestritten wird, bei streitigen Vorfragen oder wenn von dem anhängigen Rechtsstreit weitere Rechtsverhältnisse abhängen. Für den ersten Fall wäre zum Beispiel an eine Klage zu denken, mit der der Kläger seinen Frachtführer auf Schadensersatz wegen der Zerstörung des Transportguts in Anspruch nimmt. Wendet der Beklagte ein, der Schaden sei ausschließlich durch die Unachtsamkeit eines Dritten, zum Beispiel eines anderen Verkehrsteilnehmers verursacht worden, steht fest, daß entweder der eine oder der andere dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet ist. Streitig ist nur die Passivlegitimation, so daß eine Art Prätendentenstreit auf der Passivseite vorliegt, den man auch als alternative Streitgenossenschaft auf der Passivseite bezeichnen kann. 872 In diesem Fall kann es aus Sicht des Richters notwendig sein, die Beiladung des Dritten anzuordnen, wenn er zu der Überzeugung kommt, den Rechtsstreit nur bei Beteiligung der beiden möglichen Schuldner als Parteien entscheiden zu können, 873 während der deutsche Richter lediglich die Möglichkeit hätte, zwei bereits getrennt anhängige Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung 868 Camelutti, Lezioni, Band 4, S. 96; Trocker, Intervento, S. 234; Cass. civ. vom 5. März 1982, Nr. 1371, Foro it. 1982, Sp. 2275, 2280. 869 Der Dritte wird dadurch in seinen Verteidigungsrechten nicht beschnitten, da ihm bei seinem Streitbeitritt alle Verteidigungsmittel offenstehen und sich die Präklusionen in Art. 167 Abs. 2 c.p.c. auf seine eigene Klageerwiderung beziehen (vgl. Trocker, lntervento, S. 254; a.A. Costa, Enc. dir. XXII (1972), Interoento {dir. proc. civ.), S. 470. 870 Proto Pisani, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 107, S. 1199, will dies dahingehend korrigieren, daß der Richter die Beiladung im weiteren Verlauf nur auf Antrag anordnen dürfe, um dem Beklagten über die Präklusion nach Art. 167 Abs. 3 c.p.c. hinwegzuhelfen. Im Gesetz findet diese Interpretation jedoch keine Stütze. 871 Cass. civ. vom 23. Oktober 1968, Nr. 3429, Foro it. 1969 I, Sp. 1284, 1286. 872 Allorio, Problemi, Band 1, S. 515. Vgl. auch Trocker , Intervento, S. 225. 8 73 Trocker, Intervento, S. 246.

17*

260

C. Das Erkenntnisverfahren

und Entscheidung zu verbinden (§ 147 ZPO). Dabei kann auch eine Rolle spielen, daß der Dritte in dem Rechtsstreit als Zeuge gar nicht gehört werden könnte (Art. 246 c.p.c.), 874 sondern nur als Partei nach Art. 183 Abs. 1 S. 1, 228, 230 c.p.c. Ist der anhängige Rechtsstreit dagegen entscheidungsreif, weil der Richter keine Zweifel daran hat, ob der Beklagte passiv legitimiert ist oder nicht, kommt eine Beiladung nicht in Frage; die Klage ist vielmehr durch Sachurteil gutzuheißen oder abzuweisen. 875 Daneben kommt eine Beiladung in Betracht, wenn das streitige Rechtsverhältnis in seinem Tatbestand von einem anderen Rechtsverhältnis zwischen einer der Parteien und einem Dritten abhängt. 876 Ist diese Vorfrage zwischen den Parteien streitig, kann der Richter sie grundsätzlich ohne Beteiligung des Dritten inzident entscheiden. 877 Doch kommt unter Umständen auch die Beiladung des Dritten in Betracht, wenn der Richter aus ähnlichen Erwägungen wie bei der umstrittenen Passivlegitimation die Beteiligung des Dritten für erforderlich hält. 878 So schreibt Art. 23 des italienischen Pflichtversicherungsgesetzes879 vor, daß der Geschädigte bei der Klage gegen die Haftpflichtversicherung den verantwortlichen Schädiger laden muß, ohne daß hier eine notwendige Streitgenossenschaft vorliegen würde. Es handelt sich vielmehr um einen Fall, wo der Gesetzgeber selbst bestimmt hat, wann die Ladung eines Dritten opportun ist. 880 Nimmt der Geschädigte nun aber nicht die Haftpflichtversicherung in Anspruch, sondern den Halter des Kraftfahrzeuges (Art. 2054 Abs. 3 c.c.), gibt es keine gesetzliche Regel, wonach auch der Fahrer geladen werden müßte. Da hier die Unabwendbarkeit des Schadens (Art. 2054 Abs. 1 c.c.) aber genauso streitig sein kann wie bei der Klage gegen die Versicherung, kann hier der Richter entscheiden, ob er die Beiladung des Fahrers anordnet. Ein in der Praxis wichtiger Anwendungsbereich der Beiladung bei umstrittenen Vorfragen betrifft die Fälle der Sozialversicherung ( contraversie previdenziali), wo die Vorfrage des Besteheus eines Arbeitsverhältnisses von der Rechtsprechung als causa comune angesehen wird. 881 874 Siehe

dazu unten C.IV.2.d.aa), S. 280, und C.IV.3.a), S. 296. Riv. dir. proc. 1967, S. 722 f., wollte die Klage bei fehlender Passivlegitimation als unzulässig abweisen. Der Unterschied zwischen der Prozeßführungsbefugnis (legitimazione) als Teil der Zulässigkeit und der Sachlegitimation (titolarita) als Teil der Begründetheit der Klage ist aber schon 1947 von Allorio, Problemi, Band 1, S. 199, herausgearbeitet worden. Daher ist durch Sachurteil zu entscheiden ist. 876 So die Definition von Allorio, Cosa giudicata, S. 69 f. 877 Fabbrini, Giur. it. 1967 I 1, Sp. 250, wollte unter Hinweis auf das rechtliche Gehör (Art. 24 Abs. 2 cost.) auch die cognitio incidenter tantum ausschließen. 878 7rocker, Intervento, S. 344. 879 Gesetz Assicurazione obbligatoria della responsabilita civile derivante dei veicoli a motore e dei natanti vom 24. Dezember 1969, Nr. 990, G.U. vom 3. Januar 1970, Nr. 2, LEX 1970 I, S. 6. 880 Trocker, Intervento, S. 293, 296. 881 Trocker, Intervento, S. 329, 331, m.w.N. in Fußnote 109. 875 Liebman,

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

261

Als letztes kommt die Beiladung in Betracht, wenn das streitige Rechtsverhältnis selbst eine Vorfrage eines anderen Rechtsverhältnisses darstellt, das zwischen einer Partei und einem Dritten besteht. Um beim oben gebrauchten Beispiel zu bleiben, wäre dies der Fall, wenn der Geschädigte den Fahrer in Anspruch nehmen würde, da dessen Verantwortlichkeit sowohl für die Haftung des Halters als auch die der Versicherung maßgeblich ist. Der für die Beiladung nötige Sachzusammenhang zwischen dem anhängigen Rechtsstreit und dem Recht des Dritten wird also durch den Umstand vermittelt, daß das anhängige Rechtsverhältnis unmittelbar auch über die Rechtsposition des Dritten mitentscheidet. 882 In diesen Fällen kommt die Beiladung insbesondere zum Schutz des Dritten in Betracht, der indirekt durch die Entscheidung betroffen werden könnte, um kollusives Zusammenwirken der Prozeßparteien zu seinem Nachteil zu verhindern.883 Auf diesem Wege würden die Rechte des Dritten frühzeitiger geschützt als durch die nachträgliche opposizone del terzo nach Art. 404 c.p.c. , mit der er neben den genannten Fällen der Arglist und des kollusiven Zusammenwirkens lediglich nachlässige Prozeßführung rügen könnte. 884 Fechten die Prozeßparteien dagegen einen ordentlichen Rechtsstreit aus, kann der Richter die Beiladung nicht anordnen. Als Fazit kann somit festgehalten werden, daß sich die Idee Carneluttis von der möglichst umfassenden und gerechten Streitbeilegung im Gesetz niedergeschlagen hat. Dem Richter stehen Befugnisse zu, die es ihm erlauben, die Dispositionsfreiheit der Parteien einzuschränken. In der nachfolgenden Praxis hat die Beiladung - jedenfalls im klassischen Zivilprozeß- keine große Bedeutung erlangt und wirkt in einem Gesetz, das sich ausdrücklich zum individualistischen Klagebegriff bekennt (Art. 2907 c.c., Art. 99, 112 c.p.c.), wie ein Fremdkörper. Ein wesentlich weiteres Anwendungsfeld hat die Beiladung dagegen im Bereich des sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens gefunden, wo sie auch in Deutschland zulässig ist (§ 75 SGG).

IV.

Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

Mit der Darstellung des Beweisverfahrens wenden wir uns nun dem Kernstück des Verfahrens vor dem Instruktionsrichter 1 und damit des ge882

Trocker, Intervento, S. 388; Proto Pisani, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 107,

s. 1194.

883 Proto

Pisani, Riv. trim. dir. proc. civ. 1971, Pisani, Riv. trim. dir. proc. civ. 1971, 1 Diese Feststellung von Julien, Enc. Dalloz (1979), Nr. 2, bezüglich des Verfahrens vor dem für den Instruktionsrichter. 884 Proto

S. 1258. S. 1261. Proc. Civ., Instruction des Affaires juge de Ia mise en etat -gilt genauso

262

C. Das Erkenntnisverfahren

samten Prozesses zu, hängt doch die Entscheidung häufig von der Beweiserhebung über streitigen Tatsachenvortrag ab. 2 Am Anfang des Beweisverfahrens steht der Beweisbeschluß. 1.

Der Beweisbeschluß

Dieser Beweisbeschluß dient nach heutigem Recht nicht der Zulassung einzelner, sondern möglichst aller Beweismittel und stellt damit das Programm für die Beweisaufnahme dar. 3 a)

Das Wesen des Beweisbeschlusses

Die erste Frage, der hier kurz nachgegangen werden soll, ist die Form der Entscheidung, mit der bestimmte Beweismittel zur Beweisaufnahme zugelassen werden. Sie kann durch Urteil oder durch Beschluß ergehen. Ergeht sie durch Urteil, ist das Gericht daran grundsätzlich selbst gebunden und es finden die ordentlichen Rechtsmittel statt.4 Ergeht sie aber durch Beschluß, ist dieser nicht bindend und grundsätzlich auch nicht anfechtbar. Verkürzt läßt sich die Frage damit auf die Formel bringen, ob die Entscheidung über die Beweismittel prozeßleitend oder prozeßentscheidend wirkt. In den hier untersuchten Ländern ergeht die Entscheidung durch Beschluß.5 Historisch gesehen bedeutet dies den Schlußpunkt einer langen Entwicklung, bei der sich zwei grundsätzlich verschiedene Positionen gegenüberstanden. Auf der einen Seite war es vor allem im germanischen Rechtsraum lange Zeit üblich, das Verfahren mit einem Beweisurteil abzuschließen.6 Durch dieses Urteil wurde der Rechtsstreit unter der Bedingung der Beweisführung zugunsten einer Partei in der Sache entschieden. 7 Außerdem wurden im Gegensatz zum altrömischen Legisaktionen- und Formularverfahren auch die zulässigen Beweismittel bestimmt. 8 Dieses Urteil unterlag der üblichen Urteilsschelte; das Rechtsmittel der Berufung war zunächst nicht bekannt. Auf der anderen Seite war dem Recht Justinians ein Beweisurteil völlig fremd, 9 da die ganze Beweisaufnahme unter der Leitung des Richters stattfand. 10 Das germanische und das romanische Recht 2 Liebman,

Riv. dir. proc. 1960, S. 562. Trocker, ZZPint 1 (1996), S. 19 f. 4 Vgl. Planck, Beweisurtheil, S. 154. 5 Art. 184 Abs. 1, 176 Abs. 1 c.p.c.; Art. 144 NCPC; § 358 ZPO; § 277 öZPO. 6 Siehe oben A.l.2., S. 30. 7 Vgl. Planck, Beweisurtheil, S. 55, 82 f. 8 Planck, Beweisurtheil, S. 243. 9 Planck, Beweisurtheil, S. 145. 1 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 595. 3

°

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

263

waren ihrem Ursprung nach damit sehr verschieden, was in der Mitte des letzten Jahrhunderts in Deutschland zu einem häufig unsachlich geführten Schulenstreit zwischen Romanisten und Germanisten Anlaß gab, wobei letztere in den Personen von Planck11 und Leonhardt 12 die Rechtsnatur des Beweisinterlokuts zu einem Fundamentalprinzip des deutschen Prozesses hochstilisierten. 13 Zwischen diesen Extrempositionen, die sich durch den Einfall der Langobarden in Italien und die Rezeption des italienisch-kanonischen Rechts in Deutschland mehrfach vermischt haben, bestanden eine ganze Reihe von Mittelwegen. Fest in der germanischen Tradition verwurzelt war zum Beispiel das sächsische Beweisurteil, 14 aber auch die Österreichische Allgemeine Gerichtsordnung von 1781 kannte noch ein solches bedingtes Endurteil (§ 136 öAG0). 15 Auch das Beweisurteil des deutschen gemeinen Rechts schuf eine feste Trennung zwischen den Tatsachenbehauptungen und deren Beweis, weshalb von Gönner von einem "großen Drama in zwei Acten" sprach. 16 Der Rechtsstreit wurde also vor der Beweisaufnahme aufgrund der behaupteten Tatsachen und möglichen Einreden entschieden. 17 Zuletzt hielt noch die neue hannoversche Prozeßordnung von 1850 am gemeinrechtlich geprägten Beweisinterlokut fest, 18 an das auch der Richter selbst gebunden war(§ 218 Abs. 1 hanPrO 1850). Anfechtbar war es allerdings nur in Verbindung mit dem Endurteil (§§ 218 Abs. 2, 394 hanPrO 1850). Mit dem Entwurf des Norddeutschen Bundes, der sich gegen das gemeinrechtliche Beweisinterlokut ausgesprochen hatte, waren schließlich die Würfel zugunsten des prozeßleitenden Beweisbeschlusses gefallen. 19 Stärker von der römischen Tradition geprägt war dagegen das BeweisBeiurteil der Westgalizischen Gerichtsordnung (§§ 210, 259 WG0), 20 das 11 Vgl.

Planck, Beweisurtheil, S. 226 ff. Leonhardt, Zur Reform des Civilprozesses, S. 4 f. 13 Vgl. Dahlmanns, Strukturwandel, S. 56 f. 14 Planck, Beweisurtheil, S. 148, 156. 15 von Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht2 , Band 2, S. 139. 16 von Gönner, zitiert in den Protocollen der Commission zur Berathung einer allgemeinen Civilproceßordnung für die Deutschen Bundesstaaten, 110. Sitzung, S. 1755. 17 Planck, Beweisurtheil, S. 249. 18 Dahlmanns, Strukturwandel, S. 42 = Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifika.tionen, Band 1, S. 38. 19 Vgl. Protokolle der Kommission zur Ausarbeithung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes, 110. Sitzung, S. 642. Reste des alten Beweisurteils fanden sich in Deutschland noch bis 1933 in § 425 Abs. 1 ZPO 1977 = 460 Abs. 1 ZPO 1898, wonach die Pflicht zur Eidesleistung in einem bedingten Endurteil ausgesprochen wurde. Der Eid selbst wurde nach altem Brauch erst na.ch Rechtskraft des Urteils geleistet (§ 425 Abs. 2 ZPO 1977 = 460 Abs. 2 ZPO 1898). 20 In den übrigen Landesteilen wurde da.s Beweis-Beiurteil durch da.s Hofdekret vom 22. Juni 1835 Nr. 42 eingeführt (von Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht 2 , Band 2, S. 139). 12 Vgl.

264

C. Das Erkenntnisverfahren

eine Zwischenstellung zwischen einem echten Urteil und einem prozeßleitenden Beschluß einnahm. Es war zwar isoliert anfechtbar, doch war der Richter nicht daran gebunden.21 Seit es nach der Novelle von 1874 erst zusammen mit dem Endurteil anfechtbar war, 22 war es noch mehr einem Beweisbeschluß angenähert. So setzte sich auch in Österreich die Erkenntnis durch, daß die Entscheidung über die Zulassung von Beweismitteln trotz ihrer Bedeutung für die Entscheidung in der Sache nur prozeßleitende Funktion hat, 23 weshalb sie konsequenterweise durch Beschluß erging. Ähnlich verhielt es sich auch in Frankreich, wo der Zeugenbeweis immer durch ein Urteil angeordnet wurde (Art. 255 CPC 1806). Ob dieses Urteil separat mit dem Rechtsmittel des appel (Art. 443 ff. CPC 1806) anfechtbar war, hing davon ab, ob das Gericht mit der Zulassung des Beweismittels bereits inzident eine Entscheidung in der Sache getroffen hatte (jugement interlocutaire) oder nicht (jugement preparatoire) (Art. 451, 452 CPC 1806). 24 Der Richter selbst war aber auch im ersten Fall nicht an das Urteil gebunden und konnte nach der Anordnung des Beweises das Beweisthema im Endurteil für unerheblich erachten. 25 Insofern glich das jugement preparatoire schon weitgehend einem Beweißbeschluß. Anders als durch einen Beweisbeschluß wurde das tribunaldurch das Beweisurteil aber desaisiert und das Verfahren nur auf Antrag der Parteien wieder aufgenommen (Art. 286 CPC 1806). 26 Nach dem alten codice di procedura civile war im förmlichen Verfahren 27 die Form des Urteils zur Zulassung der Beweismittel wie bei der Entscheidung über alle incidenti nur dann erforderlich, wenn die Parteien sich darüber uneinig waren (Art. 181 Abs. 2 S. 1 c.p.c. 1865). 28 Das Beweisurteil unterlag wie jedes Urteil sofort dem Rechtsmittel der Berufung Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht 2 , Band 2, S. 140, 142. Canstein, Oesterreichisches Civilprozessrecht 2 , Band 2, S. 141. 23 Eriäuternde Bemerkungen zu §§ 285 bis 297 der Regierungs-Vorlage zur Civilprocessordnung, Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1, S. 301. 24 Diese in der Praxis nicht leichte Unterscheidung ist wie folgt zu verstehen: Trägt eine Partei eine Tatsache vor, die die Gegenseite nicht nur bestreitet, sondern für unerheblich hält, enthält die Entscheidung über die Zulassung des Beweismittels eine inzidente Entscheidung über die Erheblichkeit des streitigen Vortrags. Sind sich die Parteien dagegen einig, daß die Entscheidung von dem Bestehen oder Nichtbestehen einer bestimmten Tatsache abhängt, enthält die Zulassung des Beweismittels jedenfalls keine inzidente Entscheidung über eine zwischen den Parteien streitige Frage. Vgl. auch Morel, Procedure civile, Nr. 551, S. 578 f. 25 More!, Procerlure civile, Nr. 552, S. 580. 26 Diese aus Sicht des Richters besonders mißliche Situation ist inzwischen ausdrücklich geändert (Art. 153 NCPC). 27 1m summarischen Verfahren waren die Vorschriften über die incidenti nicht anwendbar (Chiovenda , Principii 3 , S. 707). 28 Vgl. Chiovenda, Istit uzioni, Band 2, Teil 1, S. 449; Trocker , in: Habscheid , Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlungen, S. 141. 21 von 22 von

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

265

(Art. 481 Abs. 1 c.p.c. 1865),29 konnte aber für vorläufig vollstreckbar erklärt werden (Art. 232 Abs. 3 c.p.c. 1865).30 Auch der Entwurfvon Chiovenda sah in diesem Fall ein Urteil vor (Art. 36 Abs. 2), andernfalls einen Beschluß (Art. 36 Abs. 1 S. 1). Jedoch sollte die durch Urteil angeordnete Beweisaufnahme noch in derselben Verhandlung durchgeführt werden (Art. 36 Abs. 2 S. 2), um die "Atomisierung" der mündlichen Verhandlung zu verhindern. 31 Die Beschlußform für die Zulassung der Beweismittel war dagegen in Italien erstmals ausdrücklich im Entwurf von Mortara vorgesehen, wonach über jeden incidente durch einen nur ausnahmsweise anfechtbaren Beschluß entschieden werden sollte (Art. 61, 62). 32 b}

Anfechtbarkeit des Beweisbeschlusses

Die Anfechtbarkeit des Beweisbeschlusses spielt für die Frage eine zentrale Rolle, ob der Richter die Beweisaufnahme zügig abwickeln kann, ohne die Entscheidung über mögliche Rechtsmittel abwarten zu müssen. Dieses Ziel läßt sich nur erreichen, wenn die Entscheidung über die Zulassung der Beweismittel in keinem Fall anfechtbar ist, ohne daß dabei eine Differenzierung wie früher in Frankreich oder nach dem Entwurf von Mortara vorgenommen würde, da es andernfalls zwangsläufig zu Streit um die Anfechtbarkeit kommt. 33 All diese Voraussetzungen erfüllte der Beweisbeschluß, der seit Schaffung der deutschen Zivilprozeßordnung seinen Siegeszug angetreten hat. Auch der italienische Instruktionsrichter entschied ursprünglich über die Zulassung der Beweismittel durch einen Beschluß, an den er selbst nicht gebunden war (Art. 177 Abs. 2 c.p.c. 1940), der die Entscheidung der Kammer in der Hauptsache nicht präjudizierte (Art. 177 Abs. 1 c.p.c. 1940) und der vor allem nicht selbständig anfechtbar war. Nur zusammen mit der Entscheidung der Hauptsache konnten die Parteien der Kammer alle Fragen vorlegen, die der Instruktionsrichter per Beschluß vorab entschieden hatte (Art. 178 c.p.c. 1940). Damit sollte der Zerfall des Beweisverfahrens in viele zeitlich weit auseinanderliegende Termine verhindert werden, ohne dem Instruktionsrichter die endgültige Entscheidung über alle Verfahrensfragen anzuvertrauen, die die Entscheidung durch die Kammer zu einer leeren Formalität verkommen lassen würde. 34 Doch schon bald scheinen die Beweggründe für die Unanfechtbar29 Chiovenda,

Principii 3 , S. 983. 3 , S. 967. 31 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 3, S. 299. 32 Ablehnend zur Einstufung aller Interlokute als Beschluß aber Calamandrei , Opere giuridiche, Band 1, S. 324. 33 Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 310. 34 Relazione, Nr. 22, abgedruckt bei Franchi/Feroci, Nuovo codice di procedura civile3 , S. XXXIX. 3

°Chiovenda, Principii

266

C. Das Erkenntnisverfahren

keit des Beweisbeschlusses in :Vergessenheit geraten zu sein. So wurde im Gesetzentwurf von 1946 vorgeschlagen, zunächst die Kammer durch Urteil über die Zulassung der Beweismittel entscheiden zu lassen (Art. 186). Dieses Urteil sollte im Falle der Berufung ex lege vorläufig vollstreckbar sein (Art. 282 Abs. 3). Ließ der Instruktionsrichter später weitere Beweismittel zu, sollte gegen diese Entscheidung die sofortige Beschwerde ( reclamo immediato) stattfinden, die bis zur Kammerentscheidung aufschiebende Wirkung entfalten sollte (Art. 187 Abs. 1, 188 Abs. 1, 2 S. 2). Während der Vorschlag, zum Beweisurteil zurückzukehren, nicht weiter verfolgt wurde, führte der Gesetzgeber wegen der "unausweichlichen psychologischen Beeinflussung durch einen fait accompli", der von einem nicht sofort anfechtbaren Beweisbeschluß des Instruktionsrichters ausgehe,35 den Rechtsbehelf der sofortigen Beschwerde an die Kammer ein (Art. 178 Abs. 2 c.p.c. 1950), der regelmäßig aufschiebende Wirkung entfaltete (Art. 178 Abs. 8 c.p.c. 1950). Damit sollte eine langwierige und kostspielige Beweisaufnahme verhindert werden, die sich im Ergebnis als unerheblich oder unzulässig erwies, da die Kammer dem Instruktionsrichter in rechtlicher Hinsicht nicht gefolgt war. 36 Dieser Einwand zeigt, wie sehr der Gesetzgeber noch vom Gedankengut des früheren schriftlichen Verfahrens geprägt war. Während dort nämlich die Unanfechtbarkeit von Zwischenentscheidungen tatsächlich eine zweischneidige Sache ist,37 ist sie für ein von Mündlichkeit und Konzentration beherrschtes Verfahren unentbehrlich.38 War der codice di procedura civile von 1940 diesem Prinzip zumindest teilweise gefolgt, stellte die Einführung der sofortigen Beschwerde nichts anderes als einen Rückfall in alte Zeiten dar. Dadurch wurde ein Rechtsbehelf geschaffen, der zum Mißbrauch wie geschaffen war, um den Prozeß für die Zeit bis zur Kammerentscheidung zum Stillstand zu bringen und die Befugnisse des Instruktionsrichters, der in dieser Phase Herr des Verfahrens sein sollte, entscheidend auszuhöhlen. 39 So ärgerlich die Reform auch war, wird man die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die sofortige Beschwerde40 doch nicht teilen können.41 35 Relazione

zum Gesetzes-Dekret vom 5. Mai 1948 Nr. 483, Nr. 4, LEX 1948, S. 1157. zum Gesetzentwurf von 1946, S. 8; Relazione zum Gesetzes-Dekret vom 5. Mai 1948 Nr. 483, Nr. 4, LEX 1948, S. 1157. 37 Segni, Scritti giuridici, Band 1, S. 311; Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 202. 38 Chiovenda, Principii 3 , S. XV; Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 453. 39 Andrioli, Commento3 , c.p.c., Art. 177, S. 50. 40 Tribunale di Ancona vom 24. Mai 1989, Giur. cost. 1989 II, S. 2538, 2542 = Rep. Foro it. 1990, sentenza civile, Nr. 34 (Leitsatz), hält sowohl einen Verstoß gegen den Gleichheittsatz (Art. 3 cost.) für denkbar, weil der Beschluß des pretore nicht anfechtbar ist, als auch eine Verletzung des Gebots der Effizienz der Verwaltung ( buon andamento dell'amministrazione) (Art. 97 Abs. 1 cost.) . 36 Relazione

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

267

Die letzte Reform hat im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, der bereits vor 1950 gegolten hatte, um Prozeßverzögerungen entgegenzuwirken.42 Dies ist zum einen schon dadurch bedingt, daß der Instruktionsrichter nun regelmäßig als Einzelrichter auch in der Sache selbst entscheidet und damit keiner Kontrolle durch die Kammer mehr unterliegt. 43 Aber auch für die Fälle, in denen die Sachentscheidung weiterhin der Kammer vorbehalten bleibt, findet die sofortige Beschwerde gegen einen Beweisbeschluß nicht mehr statt. 44 Damit steht nun auch das italienische Recht wieder mit den anderen hier untersuchten Rechtsordnungen in Einklang, in denen der Beweisbeschluß ebenfalls nicht isoliert anfechtbar ist.45 2.

Die Beweiserhebung im ordentlichen Verfahren

Mit der Frage, inwieweit der Richter die Beweisaufnahme von Amts wegen anordnen darf, kommen wir zu einem zentralen Aspekt richterlicher Verfahrensleitung. Dabei orientiert sich die Darstellung am Verfahren vor dem tribunale, doch wird auf abweichende Befugnisse des pretore und des giudice di pace hingewiesen. Eine am positiven Recht orientierte Untersuchung hat von Art. 115 Abs. 1 c.p.c. auszugehen, in dem überwiegend eine Gundsatzentscheidung für die Verhandlungsmaxime im Beweisrecht gesehen wird. 46 Zwar gibt der Wortlaut dies nicht zwingend her, weshalb verschiedentlich angenommen wird, in der Vorschrift sei lediglich ein Recht zum Beweis47 oder der alte Grundsatz verankert, wonach iudex secundum allegata et probata iudicare debet. 48 Für unsere Betrachtungen ist aber davon auszugehen, daß der 41 Corte cost. vom 12. April 1990, Nr. 199, Foro it. 1990 I, Sp. 2381 (Leitsatz) , hat in der Sache nicht entschieden und die Vorlagefrage als unzulässig verworfen. 42 Ricci, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 178 Anm. II Rdnr. 1. 43 Caputo, Nuova Normativa, c.p.c., Art. 178, S. 92. 44 Zustimmend Giancotti, in: Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 178, S. 152. Statt aber die 1950 eingefügten Vorschriften des Art. 178 Abs. 2 - 8 c.p.c. ganz zu streichen, wurden nur die drei letzten Absätze gestrichen und im übrigen der Anwendungsbereich geändert. So erklärt der neue Art. 178 Abs. 2 c. p.c. nicht mehr den Beweisbeschluß für anfechtbar, sondern den Beschluß des Instruktionsrichter, mit dem er nach Art. 308 Abs. 1 S. 1 c.p.c. das Erlöschen des Prozesses feststellt. Diese Neuregelung ist deshalb so grotesk, weil der Verweis auf Art. 178 Abs. 3 - 5 c.p.c. bereits in Art. 308 Abs. 1 S. 2 c.p.c. enthalten war (Balena, in: Tarzia/Cipriani, Provvedimenti urgenti, c.p.c., Art. 177- 178, S. 68). So stellt Mandrioli, Modifiche2 , S. 51 ff., zu Recht fest, daß die gesamte Regelung besser in Art. 308 c.p.c. erfolgt wäre. 45 Vgl. § 358 ZPO; § 277 Abs. 4 öZPO; Art. 150 NCPC. 46 Camelutti, Istituzioni, Band 1, S. 214; Grasso, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 115, S. 1300; Liebman, Manuale\ Band 2, S. 84; Amato, ZfRV 20 (1979), S. 85; La China, Diritto processuale civile, S. 631. 47 Ricci, Riv. dir. proc. 1974, S. 382 f. Ablehnend Cavallone, II giudice e Ia prova, s. 300 f. 48 Andrioli, Commento3 , c.p.c., Art. 115, S. 331.

C. Das Erkenntnisverfahren

268

Richter im italienischen Zivilprozeß grundsätzlich auf die von den Parteien angebotenen Beweismittel beschränkt ist, wie es zum Beispiel nach dem Entwurf von Carnelutti ausdrücklich der Fall war (Art. 105). Dies ergibt sich auch daraus, daß die im Vorentwurf von Solmi enthaltene Regelung, wonach der Richter jedes Beweismittel von Amts wegen erheben konnte, wenn es nicht ausdrücklich den Parteien vorbehalten war (Art. 158 Abs. 2), nach deutlicher Kritik49 nicht ins Gesetz aufgenommen wurde. Damit ist aber nicht gesagt, daß die richterliche Beweisinitiative tatsächlich nur eine untergeordnete Rolle zu spielen hat. Denn die Grundregel besagt nur, daß der Richter für den Beweisantritt von Amts wegen jedesmal eineausdrückliche Ermächtigung braucht. Es ist daher unumgänglich, sich dereinzelnen Beweismittel zu widmen, um ein realistisches Bild von der praktischen Bedeutung des Art. 115 Abs. 1 c.p.c. zu gewinnen. a)

Die Hinzuziehung eines Sachverständigen

Der Richter kann jederzeit von Amts wegen einen Sachverständigen bestimmen (Art. 191 Abs. 1, 187 Abs. 5 c.p.c.) 50 und anordnen, ob dieser ihn bei einzelnen Prozeßhandlungen oder dem ganzen Prozeß beraten (assistenza) (Art. 61 Abs. 1 c.p.c.) oder über bestimmte Fragen ein mündliches oder schriftliches Gutachten (indagine) anfertigen soll (Art. 62, 195 c.p.c.). Auch die Auswahl des Sachverständigen aus einem bei Gericht geführten Verzeichnis ( albo) steht im Ermessen des Richters (Art. 61 Abs. 2 c.p.c., 13 disp. att. c.p.c.), der sich damit bei der Hinzuziehung eines Sachverständigen einer großen Freiheit erfreut. 51 Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Sachverständige in Italien heute die Stellung einer richterlichen Hilfsperson hat52 und nicht als Beweismittel im eigentlichen Sinne angesehen wird. Nur so ist es zu erklären, daß die Parteien zusätzlich noch einen eigenen Parteisachverständigen ( consulente tecnico di parte) (Art. 87 c.p.c.) bestellen können, der sie in den Terminen vertritt, in denen der Sachverständige des Richters mitwirkt (Art. 201 Abs. 2 c.p.c.). In technischen Fragen können sich die Parteien also von ihrem Sachverständigen beraten lassen wie in Rechtsfragen von ihrem Anwalt. 49 Vgl. Carnelutti, Relazione der Universitd und des Sindacato Fascista Avvocati e Procuratori di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 2, S. 159; Lipari, Relazione der Universitd di Palermo, Osservazioni e Proposte 1938, Band 2, S. 159.

5°Daß regelmäßig nur ein Sachverständiger bestimmt werden kann (Art. 191 Abs. 2 c.p.c.), ist als Abkehr vom früheren Recht zu verstehen, das auch die Bestimmung von drei Sachverständigen vorsah (Art. 253 Abs. 1 c.p.c. 1865). 51 Liebman, Manuale4 , Band 2, S. 99. 52 Dei Pozzo, Enc. dir. IX (1961), consulente tecnico {dir. proc. civ.), S. 531.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

269

Damit hat das italienische Recht im hier untersuchten Raum Neuland betreten, war doch das Sachverständigengutachten (perizia) früher selbstverständlich als Beweismittel anzusehen (Art. 252 ff. c.p.c. 1865).53 Andererseits ist jedoch nicht zu übersehen, daß die Vorschriften über die Ablehnung des Richters (ricusazione del giudice) (Art. 52, 51 c.p.c.) 54 nicht erst seit 1940 auf den Sachverständigen anwendbar sind (Art. 63 Abs. 2 c.p.c.), sondern schon zu Zeiten des alten codice (Art. 254 Abs. 2 c.p.c. 1865). Gleiches gilt auch in den übrigen Rechtsordnungen. 55 So spielt es denn aus heutiger Sicht keine entscheidene Rolle für die Befugnisse des Richters bei der Anordnung der Begutachtung und der Auswahl des Sachverständigen, ob dieser eine Beweis- oder eine richterliche Hilfsperson ist. Auch in den übrigen Ländern kann das Sachverständigengutachten von Amts wegen angeordnet werden; 56 die Auswahl des Sachverständigen trifft das Gericht. 5 7 Und beim Umfang des Auftrags an den Sachverständigen kennt beispielsweise das heutige französische Recht eine ähnlich feine Abstufung je nach Umfang und Schwierigkeit der zu beantwortenden Frage wie das italienische. 58 Auch die Befugnis des Sachverständigen, die Parteien um Angaben und Unterlagen über die Beweisfrage zu ersuchen,59 ist nicht an die Stellung als richterliche Hilfsperson gebunden. Und erst kürzlich wurde in Deutschland noch einmal unterstrichen, daß der Sachverständige ein weisungsgebundener Gehilfe des Gerichts ist (§ 404 a ZPO) und daß das Gericht Herr des Verfahrens bleibt,60 ohne formell die Stellung des Sachverständigen als Beweismittel aufzugeben. Aus diesen genannten Gründen kann man zweifellos die Auffassung vertreten, daß es letztlich vom praktischen Gesichtspunkt gleichgültig ist, ob der Sachverständige formell als Beweismittel oder als richterliche Hilfsperson angesehen wird. Doch hatte diese Einstufung in Italien auch praktische Auswirkungen auf das Verhältnis des Richters zum Sachverständigen. 61 53 Dies ergibt sich wie heute noch in den übrigen Ländern aus der systematischen Stellung des Sachverständigen- im Anschluß an die Regelungen des Zeugenbeweises (§§ 402 ff. ZPO; §§ 351 ff. öZPO; Art. 232 ff. NCPC). Schon Wach, Vorträge 2 , S. 78, hat jedoch darauf hingewiesen, der Sachverständige sei kein eigentliches Beweismittel. 54 Vgl. §§ 42, 41 ZPO; §§ 21, 20 JN; Art. 341 NCPC. 55 § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO; § 355 Abs. 1 HS. 1 öZPO; Art. 234 Abs. 1 S. 1 NCPC. 56 § 144 Abs. 1 ZPO; § 183 Abs. 1 Nr. 4 öZPO; Art. 232 NCPC. 57 § 404 Abs. 1 S. 1 ZPO; § 351 Abs. 1 S. 1 öZPO; Art. 232 NCPC. 58 So werden seit der Reform von 1973 je nach Schwierigkeit der Frage die einfache constatation (Art. 249 ff. NCPC), die der italienischen assistenza vergleichbare consultation (Art. 256 ff.) und das der indagine vergleichbare mündliche oder schriftliche Gutachten (expertise) (Art. 263 ff., 282 Abs. 1, 2 NCPC) unterschieden (vgl. Vincentj Guinchard, Procedure civile23 , Rdnr. 1110). 59 Art. 194 Abs. 1 S. 2 c.p.c.; Art. 243 NCPC; § 404 a Abs. 4 ZPO. 60 Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 404 a Rdnr. 1. 61 Camelutti, Relazione der Universita und des Sindacato Fascista Avvocati e Procuratori di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 2, S. 384.

270

C. Das Erkenntnisverfahren

So konnte der Richter nach dem Vorentwurf von Solmi, der noch an der Einordnung des Sachverständigen als Beweismittel festgehalten hatte, den Beweis zwar ausdrücklich auch von Amts wegen anordnen, doch blieb es dabei, daß er im Beweisbeschluß die einzelnen Fragen genau bezeichnen mußte, die Gegenstand des Gutachtens sein sollten (Art. 240 Abs. 1). 62 Anders dagegen im Entwurf von Carnelutti, auf den das heutige Recht zurückgeht. Danach war es nicht erforderlich, daß der Richter das Beweisthema genau bezeichnete, da der Sachverständige ihm zur Not auch während des ganzen Verfahrens quasi als technischer Berater zur Seite stehen konnte (Art. 78, 112). Die Einstufung des Sachverständigen als richterliche Hilfsperson hat demnach in Italien dazu beigetragen hat, die Distanz zwischen ihm und dem Richter zu verkürzen, wodurch der Richter auch praktisch besser auf die Arbeit des Sachverständigen einwirken kann.

b) Die Einnahme des Augenscheins Ähnlich weite Befugnisse wie bei der Hinzuziehung eines Sachverständigen hat der Richter bei der Einnahme des Augenscheins ( ispezione), bei dem es sich im Gegensatz zum Sachverständigen um ein echtes Beweismittel handelt. 63 Nach Art. 118 Abs. 1, 258 c.p.c. kann er Ortsbesichtigungen anordnen und von den Parteien und sogar von Dritten verlangen, daß die in ihrem Besitz befindlichen Sachen in Augenschein genommen werden und daß sie sich körperlich untersuchen lassen, soweit sie dadurch keine Berufs-, Amts- oder Staatsgeheimnisse verletzen (Art. 200- 202 c.p.p.) 64 und ihnen keine schweren Nachteile entstehen. Damit hat der Gesetzgeber von 1940 in einer Generalklausel umfangreiche Befugnisse zur Einnahme des Augenscheins eingeführt, nachdem sie zuvor nur punktuell geregelt waren, 65 zum Beispiel in Art. 271 c.p.c. 1865 hinsichtlich der Ortsbesichtigung ( accesso giudiziale). Diese vor allem gegenüber Dritten äußerst weitreichenden Befugnisse sind letztlich vor dem Hintergrund der Zeit ihrer Entstehung zu sehen, wo sie als Ausdruck des neuen solidarischen Gemeinwesens angesehen wurden, in dem jeder Bürger nicht nur die Pflicht hatte, als möglicherweise rein zufälliger Zeuge vor Gericht seine Wahrnehmungen wiederzugeben, sondern auch die beschriebenen Untersuchungen 6 2 Mortara, Manuaie9 , Band 1, S. 440. 63 Cass. civ. vom 16. Mai 1955, Nr. 1415,

Rep. Foro it. 1955, lspezione giudiziale di persone e di cose, Nr. 1; Cass. civ. vom 17. Mai 1958, Nr. 1613, Rep. Foro it. 1958, lspezione giudiziale di persone e di cose , Nr. 2; Cass. civ. vom 1. August 1958, Nr. 2850, Rep. Foro it. 1958, lspezione giudiziale di persone e di cose, Nr. 1; Massari , Noviss. dig. it. IX (1968}, lspezione giudiziale , S. 188. 64 Diese Vorschriften entsprechen weitgehend Art. 351 f. c.p.p. a.F., auf die Art. 118 Abs. 1 c.p.c. heute noch verweist. 65 SattajPunzi, Diritto processuale civiie 11 , S. 352.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

271

seines Besitzes und seiner Person zu dulden. 66 In Österreich beschränkt sich die Befugnis zur Einnahme des Augenscheins dagegen ausdrücklich auf Gegenstände im Besitz der Parteien oder öffentlicher Behörden und Notare (§ 369 öZPO). Von Dritten kann der Richter die Vorlage von Gegenständen zur Einnahme des Augenscheins wie in Deutschland nicht verlangen, 67 da eine solche Vorschrift nur für Urkunden besteht. Im Hinblick auf die Begründung der italienischen Regelung ist bemerkenswert, daß die Analogie zur Zeugnispflicht sogar ausdrücklich abgelehnt wird. 68 Angesichts dieser weitgefaßten Befugnisse kann es nicht verwundern, daß nach lokrafttreten der republikanischen Verfassung eine deutliche Tendenz spürbar wurde, die richterlichen Befugnisse insbesondere gegenüber Dritten einzuschränken. So besteht heute Einigkeit darüber, daß die Befugnis zur Anordnung des Augenscheins insofern beschränkt ist, als der Richter nur solche Gegenstände in Augenschein nehmen darf, auf die sich die Parteien berufen haben. Die Anordnung des Augenscheins zu Zwecken der Ausforschung ist damit unzulässig. 69 Auch muß die Beschaffenheit des Augenscheinobjekts für die Entscheidung des Rechtsstreits unmittelbar von Bedeutung sein, 70 da es sich beim Augenschein um den typischen Fall eines direkten Beweismittels handelt. 71 Darüberhinaus wurde aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach der Richter den Augenschein nur anordnen darf, wenn er dies für die Klärung der Tatsachen für unbedingt notwendig erachtet, der Schluß gezogen, bei dem Augenschein handele es sich um eine ultima ratio für den Fall, daß keine anderen Beweismittel vorhan66 Relazione, Nr. 29, abgedruckt bei Franchi/Feroci, Nuovo codice di procedura civile3 , S. LI. 67 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1015; Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 371 Rdnr. 6, wonach das Beweismittel im Fall der Weigerung des Dritten ungeeignet ist. Will der Beweisführer die Vorlage im Wege einer eigenständigen Klage von dem Dritten erzwingen, braucht er dafür einen materiellen Anspruch ( OGH vom 9. Januar 1952, SZ XXV (1952), Nr. 9, S. 19). Auch in Frankreich findet sich in den Vorschriften über die verifications personelles du juge (Art. 179 ff. NCPC) kein Hinweis auf Befugnisse gegenüber Dritten. Vergleichbar ist die italienische Regelung allenfalls mit der Befugnis, von Dritten in Abstammungsprozessen eine Blutuntersuchung zu verlangen (§ 372 a ZPO), die aus der gleichen Zeit stammt. Zwar wurde § 372 a ZPO erst 1950 geschaffen, doch geht die Vorschrift zurück auf Art. 3 § 9 des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 12. April 1938, RGBI. 1938 I, S. 380. 68 Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 371 Rdnr. 6. Vgl. aber auch unten Fußnote 113, S. 279. 69 Liuzzi, Dig. civ. 4 X (1993), lspezione nel processo civile, S. 191; Liebman, Manuale4 , Band 2, S. 172; Balena, Enc. giur. XVII (1989), lspezione giudiziale I) Diritto processuale civile, S. 3; Grasso, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 118, S. 1332; La China, Diritto processuale civile, S. 652; Cass. civ. vom 15. Juni 1976, Nr. 2225, Rep. Foro it. 1976, Ispezione giudiziale di persone e di cose, Nr. 1. 7 Cavallone, II giudice e Ia prova, S. 219. 71 Liebman, Manuale4 , Band 2, S. 172; Mandrioli, Corso di diritto processuale civile8 , Band 2, S. 218, Fußnote 2.

°

272

C. Das Erkenntnisverfahren

den seien. 72 In dieselbe Richtung geht die Auffassung, der Richter dürfe den Augenschein nicht anordnen, um damit die nachlässige Beweisführung der beweispßichtigen Partei auszugleichen. 73 Dies ist jedoch schon vom Wortlaut her nicht zwingend, da dem Richter zugleich ein Ermessen eingeräumt ist, ob er den Augenschein für unbedingt erforderlich erachtet. 74 Aber auch vom Sinn und Zweck der Vorschrift ist diese Einschränkung der richterlichen Befugnisse bei der Anordnung des Augenscheins nur ausnahmsweise gerechtfertigt, wie bei Blutuntersuchungen zur Vaterschaftsfeststellung,75 bei sonstigen körperlichen Untersuchungen oder bei Anordnungen gegenüber Dritten. Im übrigen sollte der Richter den Augenschein aber nach seinem Ermessen frei anordnen können. 76 Denn sonst müßte er zunächst versuchen, sich die Beschaffenheit eines bestimmten Gegenstandes durch die von den Parteien benannten Zeugen beschreiben zu lassen. Erst, wenn er auch nach der Anhörung noch kein klares Bild gewonnen hat, dürfte er die Einnahme des unmittelbaren Augenscheins anordnen. 77 Dagegen ist es wesentlich praktikabler, wenn der Richter selbst entscheiden kann, ob er die unmittelbare Anschauung für notwendig hält oder sich mit der mittelbaren Beschreibung und Lichtbildern zufrieden geben will. Damit bleibt als Ergebnis festzuhalten, daß der Richter nach freiem Ermessen etwa einen Unfallort besichtigen78 oder die körperliche Untersuchung des Klägers zur Feststellung von Dauerschäden anordnen kann. 79 72 Andrioli, Commento 3 , c.p.c., Art. 118, S. 346 f .; Liuzzi, Dig. civ. 4 X (1993), lspezione nel processo civile, S. 191; Mandrioli, Corso di diritto processuale civiie8 , Band 2, S. 219, Fußnote 4; Massari, Noviss. dig. it. IX (1968), Ispezione giudiziale, S. 190; Grasso, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 118, S. 1333. 73 SattajPunzi, Diritto processuale civiie 11 , S. 216. 7 4 La China, Diritto processuale civile, S. 653. 75 In diesem Sinne Cass. civ. vom 30. Mai 1951, Nr. 1376, Giur. compl. cass. civ. 1951 III 1, S. 49; Cass. civ. vom 28. September 1957, Nr. 3537, Giust. civ. 1957 I, S. 2079; Cass. civ. vom 20. Februar 1958, Nr. 527, Giur. it. 958 I 1, Sp. 1174; Cass. civ. vom 4. März 1960, Nr. 400, Giur. it. 1960 I 1, Sp. 387; Cass. civ. vom 1. Februar 1962, Nr. 192, Giur. it. 1962 I 1, Sp. 619; Cass. civ. vom 12. Juni 1986, Nr. 3899, Rep. Fora it. 1986, Filiazione, Nr. 85. Bei der Ehelichkeitsanfechtung ist die Blutuntersuchung nach Art. 235 Abs. 1 Nr. 3 c.c. erst zulässig, wenn ein Ehebruch der Ehefrau in der Empfängniszeit nachgewiesen ist. Weist der Ehemann dagegen nach, daß er während der gesamten gesetzlichen Empfängniszeit mit seiner Frau geschlechtlich nicht verkehrt hat oder zeugungsunfahig war (Art. 235 Abs. 1 Nr. 1, 2 c.c.), ist der Anfechtungsklage ohne Blutuntersuchung stattzugeben. Vgl. ausführlich zum Problemkreis jüngst Ferrando, Prove genetiche, verita biologica e principio di responsabilita nell'accertamento della filiazione, Riv. trim. dir. proc. civ. 1996, S. 725 ff. 76 So Cavallone, I! giudice e Ia prova, S. 199; Liebman, Manuaie4 , Band 2, S. 174 f.; Cass. civ. vom 16. Mai 1955, Nr. 1415, Rep. Fora it. 1955, Ispezione giudiziale di persone e di cose, Nr. 1. 77 So aber SattajPunzi, Diritto processuale civile 11 , S. 217. 78 Cass. civ. vom 26. Mai 1959, Nr. 1618, Giust. civ. 1959 I, S. 1214, 1218 ( obiter

dictum). 79 Cass. civ. vom 12. Januar 1965, Nr. 47, Fora it. 1965 I, Sp. 821.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

273

Wie weit diese Befugnisse des Richters nach Art. 118 Abs. 1 c.p.c. wirklich reichen, zeigt sich jedoch erst auf der Ebene ihrer Durchsetzbarkeit. Hier läßt das italienische Recht weder gegen die Partei noch gegenüber Dritten den Einsatz unmittelbaren Zwangs zu. 80 Gegenüber Dritten war jedoch zunächst ein drakonisches Beugemittel in Form eines Zwangsgeldes von bis zu .f. 8.000 (Art. 118 Abs. 3 c.p.c. 1940) möglich, das inzwischen trotz der Erhöhung auf .f. 10.000 im Jahre 198181 aufgrund der Inflation ohne jede praktische Bedeutung ist. Ihnen gegenüber stehen die Befugnisse des Richters nach Art. 118 Abs. 1 c.p.c. also nur noch auf dem Papier, 82 so daß funktionell gesehen mit den übrigen Ländern, die gar keine Befugnisse gegenüber Dritten kennen, weitgehend Übereinstimmung besteht. Verweigert dagegen eine Partei die Inaugenscheinnahme zum Beispiel einer in ihrem Besitz befindlichen Sache, wird dieses Verhalten auf der Ebene der Beweiswürdigung sanktioniert; das Verhalten ist als Beweisargument nach Art. 116 Abs. 2 c.p.c. zu würdigen (Art. 118 Abs. 2 c.p.c.). Abschließend sei erwähnt, daß sich die Praxis im Bereich des Augenscheins hauptsächlich in das Beweissicherungsverfahren nach Art. 696 c.p.c. verlagert hat, 83 wo auch körperliche Untersuchungen des Klägers möglich sind. 84 c)

Der Urkundenbeweis

Umstritten ist, ob diese oben dargestellten Befugnisse des Richters auch auf Urkunden anwendbar sind, ob also der Richter die Vorlage von Urkunden in gleichem Rahmen anordnen kann wie die Einnahme des Augenscheins. Diese Frage ist deshalb von Bedeutung, da Art. 210 Abs. 1 c.p.c., in dem die Befugnis zur Anordnung der Vorlage von Urkunden enthalten ist, diese zwar grundsätzlich an die gleichen Voraussetzungen bindet wie die Anordnung des Augenscheins. Darüberhinaus ist der Richter hier jedoch ausdrücklich auf einen Antrag der beweisführenden Partei angewiesen. Von Amts wegen kann er die Vorlage nicht anordnen. 80 Dies gilt auch für die Blutuntersuchung in Vaterschaftsprozessen, wo Deutschland neben Schweden das einzige Land ist, in dem diese durch unmittelbare Zwangsmittel durchgesetzt werden kann (vgl. Frank, Festschrift Agell, S. 133, 136.). Wozu dies gerade auch im deutsch-italienischen Rechtsverkehr führt, zeigt der Fall BGH, JZ 1987, S. 42 ff. mit Anmerkung Stürner, S. 44 ff. 81 Art. 114 Abs. 2 des Gesetzes Modifiche del sistema penale vom 24. November 1981, Nr. 689, suppl. ord. G.U. vom 30. November 1981, Nr. 329, LEX 1981 I, S. 2817. Schon damals waren das umgerechnet nicht einmal DM 25,-. 82 Cappelletti, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell 'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 93. 83 Vgl. Cass. ciu. vom 19. Dezember 1965, Nr. 275, Giur. civ. 1965 I, S. 1406; Cass. ciu. vom 4. Mai 1960, Nr. 999, Giur. civ. 1960 I, S. 1344; Corte di appello di Firenze vom 2. September 1963, Giur. tose. 1964, S. 26. 84 Corte cost. vom 22. Oktober 1990, Nr. 471, Foro it. 1991 I, Sp. 14.

18 Piekenbrock

274

C. Das Erkenntnisverfahren

Nach einer Mindermeinung soll der llichter auch die Vorlage von Urkunden von Amts wegen anordnen können, da Art. 118 Abs. 1 c.p.c. bezüglich der Urkunden keine Einschränkung mache. 85 So sehr dies vom Ergebnis her wünschenswert wäre, wird man dieser Auffassung jedoch nicht folgen können. Denn der Gesetzgeber hat bei der Regelung des Beweisrechts bewußt zwischen dem Augenschein (ispezione) und der sogenannten esibizione von Beweismitteln unterschieden, zu der auch die Vorlage von Urkunden gehört. 86 Diese Unterscheidung findet ihre Rechtfertigung darin, daß der Urkundenbeweis im Gegensatz zum Augenschein ein indirektes Beweismittel ist, 87 mit dem nicht der Zustand der Urkunde bewiesen werden soll, sondern zum Beispiel der Abschluß eines Vertrages. Der Augenschein dient also der Feststellung eines gegenwärtigen Zustandes, während mit den Urkunden ein Vorgang aus der Vergangenheit bewiesen werden soll, was Heusler mit der Unterscheidung von Erkenntnis- und Beweismitteln auszudrücken versucht hat. 88 Folgerichtig spricht Art. 210 Abs. 1 c.p.c. davon, daß die Urkunden oder sonstige Gegenstände zu den Prozeßakten genommen werden ( acquisizione al processo). 89 Daraus ergibt sich, daß Urkunden, soweit sie als mittelbare Beweismittel und nicht als Augenscheinsobjekte dienen, nicht der ispezione unterliegen, 90 so daß der Richter ihre Vorlage gemäß rt. 210 Abs. 1 c.p.c. nur auf einen entsprechenden Antrag der beweisführenden Partei hin anordnen kann. Was bedeutet dies nun praktisch? Wie üblich unterscheidet das italienische Recht im Urkundenbeweis zwischen der freiwilligen Vorlage der Urkunde durch die beweisführende Partei (produzione dei documenti) 91 und der vom llichter angeordneten Vorlage durch die Gegenseite ( esibizio85 Grasso, in: A/lorio, Commentario, c.p.c., Art. 118, S. 1332; so wohl auch Finocchiaro, Enc. dir. XXII (1972), /spezione {dir. proc. civ.), S. 952. 86 Satta/ Punzi, Diritto processuale civile 11 , S. 351; La China, Enc. dir. XV (1966), Esibizione delle prove, S. 699. 87 Satta/Punzi, Diritto processuale civile 11 , S. 352. 88 Heusler, AcP 62 (1879), S. 237 ff., 252, 261 ff. Vgl. auch Canstein, Beweisrecht, S. 325 und Wach, Vorträge, S. 203 ff. 89 Cavallone, II giudice e Ia prova, S. 218. 90 So schon Heusler, AcP 62 (1879), S. 239, 241; Cavallone, II giudice e Ia prova, S. 218; La China, Enc. dir. XV (1966), Esibizione delle prove, S. 699; Andrioli, Commento3 , c.p.c., Art. 118, S. 344; Liuzzi, Dig. civ.4 X (1993), /spezione nel processo civile, S. 194; Silvestri, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 118 Anm. I Rdnr. 3. 91 Vgl. § 420 ZPO; § 297 öZPO; Art . 132 NCPC (production volontaire des pieces) ( VincentjGuinchard, Procerlure civile 23 , Rdnr. 1003). Dagegen bedeutet die communicazione dei documenti (Art. 165 Abs. 1, 166), auf die wir schon in der Übersicht über das Verfahren gestoßen sind, daß die Urkunden zur Sicherung des rechtlichen Gehörs auch der Gegenseite zugänglich gemacht werden ( Vincentj Guinchard , Procedure civile 23 , Rdnr. 1004). In Italien werden sie dafür in die Parteiakte gelegt, die wie gesehen (Fußnote 18, S. 109) in der Gerichtskanzlei zu hinterlegen ist. Dieser Grundsat z, daß der Gegenseite Einsicht in die vorgelegten Urkunden zu gewähren ist, findet sich audrücklich auch in § 298 Abs. 1 öZPO wieder.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

275

ne dei documenti). 92 Darüberhinaus erfaßt die esibizione noch die Vorlage von Urkunden durch Dritte. 93

aa)

Urkunden in der Hand des Beweisführers

Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung könnte man zunächst annehmen, daß sich aus der Sicht des Richters keine Probleme ergeben, wenn der Beweisführer über die Urkunden frei verfügen kann. 94 Legt er sie vor, kann er den Beweis führen, tut er es nicht, bleibt das Beweismittel außen vor. Und so kennt das italienische Recht tatsächlich keine Vorschrift, wonach der Richter dem Beweisführer von Amts wegen die Vorlage einer Urkunde auferlegen kann. Beigenauerem Hinsehen stellt man jedoch fest, daß das Fehlen einer solchen Befugnis für den Richter sehr mißlich sein kann. Denn wenn sich eine Partei in einem Schriftsatz auf eine in ihrem Besitz befindliche Urkunde bezieht, ohne sie sogleich vorzulegen, wäre es aus Sicht des Richters nützlich und im Interesse des eingangs beschriebenen Ziels des Prozesses auch wünschenswert, wenn er ihr die Vorlage der Urkunde auferlegen könnte, ohne auf einen eventuellen Antrag der Gegenseite warten zu müssen. Eine solche Befugnis gibt es in Deutschland schon seit Schaffung der Zivilprozeßordnung in § 133 ZPO 1877. Auch Österreich übernahm eine vergleichbare Regelung in § 183 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. In Frankreich ist es dagegen weitgehend bei einer dem italienischen Recht vergleichbaren Regelung geblieben.95 In Deutschland wurde diese Befugnis des Richters schließlich noch dadurch erweitert, daß spätestens seit Einführung des§ 272 b Abs. 2 Nr. 1 ZPO 192496 auch eine ausdrückliche Bezugnahme des Beweisführers nicht mehr notwendig ist. 97 Vielmehr kann 92 Vgl. § 421 ZPO; § 303 öZPO; Art. 11 Abs. 2, 142 NCPC. Vgl. Liebman, Manuale 4 , Band 2, S. 123; Cavallone, Dig. civ. 4 VII (1991), Esibizione delle prove nel diritto processua/e civile, S. 664 f. 93 Vgl. § 428 ZPO; § 308 öZPO; 138 NCPC. 94 So z.B. Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 956. 95 Die Änderung, die mit dem nouveau code de procedure civile eingeführt wurden, betreffen lediglich die Frage der Einsichtnahme durch den Gegner, nicht aber die Vorlage der Urkunden bei Gericht. Während früher die fehlende Möglichkeit der Einsichtnahme dem Gegner lediglich eine verzichtbare Einrede verschaffte, kann der Richter nun auf formlosen Antrag der Gegenseite unter Androhung der astreinte bestimmen, wann und wie der Beweisführer die Einsichtnahme zu ermöglichen hat (Art. 134 NCPC), und den Beweisführer mit dem Beweismittel ausschließen (Art. 135 NCPC) ( VincentjGuinchard, Procerlure civiie 23 , Rdnr. 1005 f.). 96 Die Regelung findet sich seit der Vereinfachungsnovelle in § 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. 97 Leipold, in: SteinjJonas 21 , ZPO, § 142 Rdnr. 2; Schöpftin, Beweiserhebung von Amts wegen, S. 234 f.; Peters, in: Münchener Kommentar, ZPO, §§ 142- 144 Rdnr. 11, der davon ausgeht, daß die Bezugnahme nie ein echtes Tatbestandsmerkmal war; a.A. RosenbergjSchwabjGottwald, Zivilprozeßrecht 15 , S. 702 und wohl auch Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 142 Rdnr. 1. 18*

C. Das Erkenntnisverfahren

276

der Richter der beweispflichtigen Partei die Vorlage von Urkunden immer von Amts wegen auferlegen, 98 auch wenn sich zum Beispiel die Gegenseite auf die Urkunde berufen hat. bb)

Urkunden in der Hand der Gegenseite

Schwieriger wird es dagegen bei der Frage, ob der Richter auch der nicht beweisbelasteten Partei die Vorlage von Urkunden auferlegen kann. Hier ist zum einen die Frage zu unterscheiden, unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist, und zum anderen, ob der Richter es gegebenenfalls von Amts wegen tun kann. Bei den Voraussetzungen ergibt sich zum einen die Notwendigkeit, daß der Richter sicher sein muß, daß die Gegenseite die fragliche Urkunde auch tatsächlich besitzt, was nötigenfalls zu beweisen ist (Art. 94 disp. att. c.p.c.). 99 Im übrigen geltend lediglich die gleichen Einschränkungen wie bei der Anordnung des Augenscheins (Art. 118 Abs. 1 c.p.c.), auf die Art. 210 Abs. 1 c.p.c. ausdrücklich verweist. Das bedeutet insbesondere, daß jeder Ausforschungsbeweis unzulässig ist 100 und die Partei in ihrem Antrag darlegen muß, daß die zu beweisenden Tatsachen in der Urkunde dokumentiert sind. 101 Abgesehen von dem auch hier teilweise bemühten Erfordernis, daß die Urkunde zum Beweis unbedingt notwendig ist,102 ist damit im Ergebnis festzuhalten, daß der Richter in Italien der nicht beweisbelasteten Partei die Vorlage von Urkunden auferlegen kann, ohne daß es hierfür eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf Herausgabe der Urkunden bedürfte. 103 Beschränkt werden die Befugnisse des Richters durch die Notwendigkeit eines Parteiantrags, vor allem aber dadurch, daß die Pflicht wie schon bei der Anordnung des Augenscheins nicht wirksam sanktioniert ist. 104 Obwohl Art. 210 c.p.c. nicht ausdrücklich auf Art. 118 Abs. 2 c.p.c. verweist, kann die Weigerung der Vorlage wenigstens nach der Generalklausel des Art. 116 Abs. 2 c.p.c. berücksichtigt werden. 98 Leipold,

in: Stein/Jonas 21 , ZPO, § 142 Rdnr. 3.

99 Ähnlich in Deutschland §§ 425 f. ZPO. 10 Cavallone , Dig. civ. 4 VII (1991), Esibizione

°

delle prove nel diritto processuale civile, S. 670, unter Hinweis auf Art. 94 disp. att. c.p.c. , wonach die Urkunde im Antrag der Partei genau bezeichnet werden muß. 101 Cass. civ. vom 12. Dezember 1988, Nr. 6734, Rep. Foro it. 1988, Esibizione delle prove in materia civile, Nr. 2; Cass. civ. vom 12. April 1984, Nr. 2369, Rep. Foro it. 1988, Esibizione delle prove in materia civile, Nr. 1. 10 2 Liebman, Manuale\ Band 2, S. 125. 103Vgl. La China, Enc. dir. XV (1966), Esibizione delle prove, S. 701 ff., der sich ausdrücklich gegen die teilweise auch in Italien vertretene These ausspricht, die Anordnung der Vorlage von Urkunden liege in einem materiellen Herausgabeanspruch begründet. 104 Cappelletti, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 93.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

277

In Deutschland kann der Richter dagegen seit 1924 auch von der nicht beweisbelasteten Partei die Vorlage einer Urkunde von Amts wegen anordnen (§ 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), wobei er jedoch nach wie vor an die ursprünglichen Grenzen der Vorlagepflicht gebunden ist. 105 Danach ist der Beweisführer regelmäßig auf einen materiellen Anspruch auf Herausgabe der Urkunde angewiesen (§ 422 ZPO), es sei denn, die Gegenseite hat sich selbst auf die in ihrem Besitz befindliche Urkunde in einem Schriftsatz berufen (§ 423 ZP0). 106 In diesem deutlich engeren Rahmen ist dafür die Sanktion, die die Partei bei Verweigerung der Vorlage trifft, strenger als in Italien. Im Gegensatz zum Grundsatz des Art. 116 Abs. 2 c.p.c. kann in Deutschland das Gericht nach freier Überzeugung den behaupteten Inhalt der Urkunde als bewiesen ansehen(§ 427 ZPO). Insgesamt wirkt das deutsche Recht in diesem Punkte jedoch im Vergleich zum italienischen eher unterentwickelt, insbesondere hat keine saubere Koordination der "neuen" Befugnisse nach§ 272 b Abs. 2 Nr. 1 ZPO 1924 mit den Vorschriften über die Vorlage der Urkunden durch die nicht beweisbelastete Partei stattgefunden. Ähnlich wie in Deutschland ist auch in Österreich die nicht beweispflichtige Partei zur Vorlage von Urkunden nur dann unbedingt verpflichtet, wenn entweder ein materiell-rechtlicher oder ein prozessualer Anspruch besteht. Auch dort begründet die Bezugnahme auf die Urkunde eine prozessuale Vorlagepflicht (§ 304 Abs. 1 Nr. 1 öZPO) . Daneben besteht diese Pflicht aber auch, wenn die Urkunde ihrem Inhalt nach beiden Parteien gemeinschaftlich ist (§ 304 Abs. 1 Nr. 3 öZPO), also zum Beispiel eine gemeinsame Vertragsurkunde. 107 Im übrigen ist die Gegenseite nur bedingt zur Vorlage der Urkunde verpflichtet, da sie sie in allen Fällen des § 305 öZPO sanktionslos verweigern darf. Ohne in die genauen Einzelheiten einzusteigen, sei hier nur erwähnt, daß das Recht zur Verweigerung der Vorlage einer Urkunde wesentlich weiter geht als das Zeugnisverweigerungsrecht(§ 321 öZPO) . So enthält§ 305 Nr. 5 öZPO eine Generalklausel, die auf eine konkrete Interessenahwägung zwischen einer möglichst umfassenden Sachverhaltsaufklärung und den geltend gemachten Nachteilen für die Gegenseite hinausläuft. Das mögliche Unterliegen im Prozeß ist allerdings keinesfalls als Verweigerungsgrund anzuerkennen. 108 Die Pflicht zur 105 Leipold, in: Steinj Jonas 21 , ZPO, § 273 Rdnr. 25; wohl auch Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 273 Rdnr. 6. Die Gegenmeinung, die über diese Grenzen der Vorlagepflicht hinausgeht, stützt sich dabei letztlich auf eine umfassende prozessuale Aufklärungspflicht auch der nicht beweisbelasteten Partei (Peters, in: Münchener Kommentar, ZPO, §§ 142 - 144 Rdnr. 10), wie sie vor allem von Stümer, Die Aufklärungspflicht der Parteien, S. 378 (Ergebnis), herausgearbeitet wurde. 106 Man könnte hier neben der materiell-rechtlichen von einer prozessualen Vorlagepflicht sprechen. 107 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 958. 108 Fasching, öZPO, § 305 Anm. 6, S. 392 f.

C. Das Erkenntnisverfahren

278

Vorlage von Urkunden ist in Österreich im Ergebnis also weiter gefaßt als in Deutschland. Daneben wurde auch das Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der richterlichen Anordnung der Vorlage von Urkunden umgedreht. Während in Deutschland die Anordnung nur ausnahmsweise ergehen kann, wenn die Gegenseite nach §§ 422 f. ZPO zur Vorlage verpflichtet ist (§ 425 ZPO), ist der Österreichische Richter primär an diese Voraussetzungen nicht gebunden(§ 303 Abs. 1 öZPO); sie werden erst auf der Ebene der Verweigerungsrechte geprüft. Dies gilt auch, wenn er die Vorlage von Amts wegen anordnet (§ 183 Abs. 1 Nr. 2 öZP0). 109 Erzwungen werden kann die Vorlage jedoch auch in Österreich nicht. Der Richter hat nur die Möglichkeit, die Weigerung wie in Deutschland auf der Beweisebene frei zu würdigen(§ 272 öZP0). 110 Mit dem italienischen Recht vergleichbare Befugnisse finden sich dagegen in Frankreich in der jüngsten hier untersuchten Prozeßordnung. Dort macht schon die allgemeine Vorschrift des Art. 11 Abs. 2 NCPC deutlich, daß grundsätzlich alle Beweismittel, die in der Hand einer Partei sind, auch der Gegenseite zugänglich sein sollen. Die einzige ausdrückliche Beschränkung hinsichtlich der Urkunden liegt darin, daß die Vorlage von beurkundeten oder privatschriftlichen Verträgen nicht angeordnet werden kann, wenn der Beweisführer selbst Vertragspartei war, da er dann selbst eine Abschrift haben müßte.U 1 Im Gegensatz zu den übrigen Verfahrensordnungen ist in Frankreich für die Durchsetzung der Vorlageverpflichtung sogar das Zwangsmittel der astreinte vorgesehen (Art. 142, 139 NCPC). Dafür ist der Richter aber wie in Italien in jedem Fall auf den Antrag der beweisführenden Partei angewiesen und kann die Vorlage nicht von Amts wegen anordnen (Art. 142, 138 NCPC). cc)

Urkunden in der Hand Dritter

Besonders delikat ist schließlich die Frage, ob der Richter die Vorlage von Urkunden auch von Dritten verlangen kann, die nicht am Prozeß beteiligt sind. Das deutsche Recht antwortet auf diese Frage bis heute mit einem klaren "Nein". Ist der Dritte nicht von sich aus bereit, die Urkunde vorzulegen, setzt das Gericht dem Beweisführer lediglich eine Frist, um die Urkunde zu beschaffen(§ 428 ZPO). Bei der Beschaffung der Urkunde wirkt der Richter der Hauptsache jedoch nicht mit, 112 da es eine der Zeugnispflicht vergleichbare Pflicht zur Vorlage von Urkunden bis heute nicht 109 Fasching, 11

öZPO, § 183 Anm. 3, S. 877.

°Fasching , Österreichisches Zivilprozeßrecht2 , Rdnr. 959.

111

VincentjGuinchard, Procedure civiie23 , Rdnr. 1010. in: Stein/Jonas 20 , ZPO, § 428 Rdnr. 1.

112 Leipold,

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

279

gibt. 113 Vielmehr hat der Beweisführer einen möglichen Anspruch gegen einen Dritten in einem eigenen Prozeß durchzusetzen (§ 429 ZPO). Der Anspruch auf Vorlage der Urkunde kann sich dabei nur aus dem materiellen Recht ergeben, wenn nicht der Dritte etwa als Streitgehilfe an dem Prozeß teilnimmt und sich in einem Schriftsatz auf die Urkunde bezogen hat. 114 Insbesondere in diesem Fall erscheint mißlich, daß der Richter von einem Nebenintervenienten nicht selbst die Vorlage der Urkunde anordnen kann. Andererseits ist die Vorlage durch den Dritten gegebenenfalls mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung(§§ 887 f. ZPO) durchsetzbar, da sie durch ein normales Endurteil angeordnet wird. Das Österreichische Recht hat die Befugnisse etwas weiter gefaßt. Dort ist der Dritte zwar nur unter ähnlichen Voraussetzungen zur Vorlage der Urkunde verpflichtet wie in Deutschland,115 doch erteilt der Richter der Hauptsache unter diesen Voraussetzungen einen vollstreckbaren Vorlegeauftrag (§ 308 Abs. 1 öZPO ). Eine Klage ist nur erforderlich, wenn der Dritte den Besitz der Urkunde abstreitet und der Beweisführer nicht in der Lage ist, dies glaubhaft zu machen(§ 309 Abs. 1 öZPO). In Italien (Art. 210 Abs. 1 c.p.c.) und Frankreich (Art. 138- 141 NCPC) wird dagegen auch gegenüber Dritten nicht auf materiell-rechtliche Beziehungen abgestellt, sondern der Richter kann die Vorlage auf Antrag der beweisführenden Partei im gleichen Umfang anordnen wie gegenüber den Parteien. Während diese Befugnis in Italien jedoch sanktionslos ist und damit leerläuft, 116 kann sie in Frankreich auch gegenüber Dritten mittels der astreinte durchgesetzt werden (Art. 139 NCPC). Hält man sich diesen Vergleich vor Augen, relativiert sich die Vorstellung, die weit gefaßten Befugnisse des Richters zur Anordnung der Vorlage von Urkunden gerade auch gegenüber Dritten nach Art. 210 Abs. 1 c.p.c. seien Ausdruck des damaligen faschistischen Staatsverständnisses, des neuen Geistes der Solidargemeinschaft, 117 in der jeder bei der Entscheidung 113 Vgl. dazu die ablehnende Begründung bei Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung2, Band 1, S. 325. Für den schon zu Zeiten Justinians gültigen Gleichlauf von Editions- und Zeugnispflicht (vgl. Koch, Der Preußische Civil-Prozeß 2, S. 438) hat sich in jüngster Zeit ausdrücklich Gottwald, Verhandlungen des 61. DJT, Gutachten, S. A 20 ausgesprochen. 114 Leipold, in: Stein/Jonas 20 , ZPO, § 429 Rdnr. 1. 115 Neben einem materiell-rechtlichen Anspruch kennt das Österreichische Recht noch die prozeßrechtliche Vorlagepflicht gegenüber Dritten, wenn es sich um eine gemeinschaftliche Urkunde handelt (§ 308 öZPO). 116 Cappelletti , Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell' Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 93. Dabei ist davon auszugehen, daß auch Art. 118 Abs. 3 c.p.c. hier nicht anwendbar ist (Sattaj Punzi, Diritto processuale civile 11 , S. 351). 117 Relazione, Nr. 29, abgedruckt bei FranchijFeroci, Nuovo codice di procedura civile3 , S. LI.

280

C. Das Erkenntnisverfahren

von Rechtsstreitigkeiten umfassend mitwirken müsse, ohne selbst beteiligt zu sein.U 8 Vielmehr zeigt sich im Laufe der Zeit in allen Ländern eine steigende Tendenz bei den Befugnissen des Richters, die Vorlage von Urkunden gegenüber Dritten anzuordnen. Denn ohne die Mitwirkung Dritter kommt letztlich keine moderne Prozeßordnung aus. 119 Um sO mißlicher ist es, daß Italien ähnlich wie Frankreich alle diese Befugnisse vom Antrag einer Partei abhängig gemacht hat, was letztlich bei einem Vergleich mit Art. 118 Abs. 1 c.p.c. widersprüchlich erscheint.l 20 Und daß auf der Ebene der Durchsetzung der Befugnisse große Defizite bestehen. d)

Der Zeugenbeweis

Mit dem Zeugenbeweis erreichen wir nun ein besonders bedeutsames Beweismittel, an dessen Zulassung von Amts wegen sich seit langem die Geister scheiden. 121 Der Zeugenbeweis ist die Nagelprobe für die Verwirklichung des Mündlichkeitsgrundsatzes, da es hier wie sonst nur bei den Aussagen der Parteien auf den unmitelbaren Kontakt des erkennenden Richters mit der Person des Zeugen ankommt. aa)

Die Zulassung des Zeugenbeweises

Zunächst kennt das italienische Recht wie sein französisches Vorbild etliche Verbote des Zeugenbeweises, in denen sich das alte Mißtrauen gegen den Zeugenbeweis ausdrückt, das schon bei Cicero zu finden ist. 122 Die Unzulässigkeit des Zeugenbeweises kann entweder im Beweisgegenstand begründet sein (objektives Beweisverbot) oder in der Person des Zeugen (subjektives Beweisverbot). Die Regelungen über die objektiven Beweisverbote finden sich im materiellen Beweisrecht des codice civile. Die wichtigste Einschränkung des 118 Cavallone , Dig. civ. 4 VII (1991), Esibizione delle prove nel diritto processuale civile, S. 667. 119 Fasching , Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 938. 120 Satta/ Punzi, Diritto processuale civile 11 , S. 215 f. 121 Ablehnend z.B. Mortara, Manuale 9 , Band 1, S. 418, und Camelutti, Relazione der Universitd und des Sindacato Fascista Avvocati e Proeurotori di Milano , Osservazioni e Proposte 1938, Band 2, S. 159, der ausdrücklich kritisierte, daß die Generalklausel für eine Beweisaufnahme von Amts wegen im Vorentwurf von Solmi keine Einschränkung für den Zeugenbeweis zuließ. Befürwortend dagegen Klein JBI. 1890 S. 546. Auch Baur , Beiträge zum IX. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung, S. 195, sah dagegen keinen tragfähigen Grund, warum der Richter nicht auch den Zeugenbeweis von Amts wegen sollte anordnen dürfen. 122 Cicero, De re publica, Buch 1, 38: «Video te, Scipio, testimoniis satis instructum, sed apud me, ut apud bonum iudicem, aryumenta plus quam testes valent.»

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

281

Zeugenbeweises betrifft das Vertragsrecht. Nach Art. 2721 Abs. 1 c.c. kann der Abschluß oder Inhalt eines Vertrages nur dann mit Zeugen bewiesen werden, wenn der Vertragswert t 5.000 nicht übersteigt, 123 was im Ergebnis einer materiell-rechtlichen Formvorschrift ähnelt. 124 Oberhalb dieser Grenze kann der Richter den Zeugenbeweis zulassen, wenn er dies angesichtsder Natur des Vertrages und der Personen der Vertragsparteien für angemessen hält (Art. 2721 Abs. 2 c.c.), was vor allem für Verträge im Handelsverkehr von Bedeutung war. Da die feste Wertgrenze von t 5.000 angesichts der rasanten Geldentwertung ihre praktische Bedeutung verloren hat, wendet die Rechtsprechung bei der Zulassung des Zeugenbeweises nun generell Art. 2721 Abs. 2 c.c. an. Dabei wird von der ratio legis ausgegangen, daß Verträge von bedeutendem wirtschaftlichen Wert, für die die Einhaltung der Schriftform üblich ist, nicht mit Zeugen bewiesen werden können. 125 Läßt der Richter den Zeugenbeweis nicht zu, hat er dies zu begründen; ein Ermessen steht ihm insoweit nicht zu. 126 Daneben hat die 123 Diese Regelung wurde direkt aus Frankreich übernommen und geht zurück auf die Ordonnance de Moulin von 1566 ( Chiovenda, lstituzioni, Band 2, Teil 1, S. 423; Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 244 f., Fußnote 1). 124 Jedoch ist zu beachten, daß schon im alten Art. 1341 Abs. 1 c.c. 1865, der weitgehend eine wörtliche Übersetzung von Art. 1341 Abs. 1 CC war, von dem Erfordernis der Schriftform nicht die Rede war, sondern nur vom Verbot des Zeugenbeweises. Während im französischen Recht nach wie vor Verträge ab einem bestimmten Wert von zur Zeit FF 5.000,- außerhalb des Handelsverkehrs ausdrücklich der Schriftform bedürfen und nicht mit Zeugen bewiesen werden können, unterscheidet das italienische Recht heute zwischen drei Typen von Verträgen: Zunächst gibt es solche, für die nach Art. 2721 c.c. der Zeugenbeweis ausgeschlossen ist. Die materielle Wirksamkeit des Vertrages wird dadurch jedoch nicht berührt. Daneben gibt es solche Verträge wie z.B. den Versicherungsvertrag (Art. 1888 Abs. 1 c.c.), die nur durch Urkunden bewiesen werden können. Auch diese Verträge sind damit materiell-rechtlich wirksam und werden nicht etwa erst durch die Erfüllung geheilt. Sie begründen daher keine bloße Naturalobligation, sondern einklagbare Forderungen. Man denke etwa an einen Fall, wo das Bestehen des Versicherungsvertrages unstreitig ist und der Versicherer nur den Eintritt des Versicherungsfalls leugnet. Schließlich gibt es noch Verträge wie den Grundstückskaufvertrag, die ohne Einhaltung der Schriftform auch materiell unwirksam sind (Art. 1350 c.c.). Diese Unterscheidung ist auch im Beweisrecht von praktischer Bedeutung. Denn im ersten Fall kann der Zeugenbeweis entweder zusätzlich zum Urkundenbeweis zugelassen werden (Art. 2724 Nr. 1 c.c.) oder auch ausnahmsweise ohne Vorlage von Urkunden, wenn es dem Beweisführer "psychisch oder physisch unmöglich war, sich einen schriftlichen Beweis zu verschaffen" (Art. 2724 Nr. 2 c.c.). Rein familiäre Rücksichten genügen dafür jedoch nicht ( Cass. civ. vom 26. März 1992, Nr. 3759, Rep. Foro it. 1992, Prova testimoniale, Nr. 8.). Im zweiten und dritten Fall muß der Vertrag dagegen in jedem Fall schriftlich abgeschlossen worden sein, damit die Beweisführung möglich ist. Hat der Beweisführer jedoch den Verlust der Urkunde nicht zu vertreten, kann er ausnahmsweise den schriftlichen Vertragsschluß auch mit Zeugen beweisen (Art. 2725, 2724 Nr. 3 c.c.). 125 Cass. civ. vom 2. August 1984, Nr. 4600, Rep. Foro it. 1984, Prova testimoniale, Nr. 3 f. 126 Cass. civ. vom 21. Februar 1986, Nr. 1050, Rep. Foro it. 1986, Prova testimoniale, Nr. 2; Cass. civ. vom 6. April 1992, Nr. 4210, Rep. Foro it . 1992, Prova testimoniale, Nr. 2.

282

C. Das Erkenntnisverfahren

Rechtsprechung versucht, durch eine restriktive Auslegung der Verbotsnormen127 das Verbot des Zeugenbeweises möglichst einzuschränken. 128 Die zweite Begrenzung betrifft das Zusammentreffen von Zeugen- und Urkundenbeweis. Nach Art. 2722, 2723 c.c. ist die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit von Urkunden durch Zeugenbeweis regelmäßig nicht widerlegbar. Diese Bestimmungen spielen in der Praxis eine große Rolle, da die Zulässigkeit des Zeugenbeweises von der Gegenseite häufig mit dem Argument bestritten wird, über die zu beweisende Tatsache bestehe eine Urkunde, aus der sich das Gegenteil ergebe. Doch ist diese Einschränkung äußerst bedenklich, da gerade bei Formularverträgen der Beweiswert für den tatsächlichen Vertragsinhalt gering sein kann. Gerade in solchen Fällen einer mündlichen Absprache zu einem Formularvertrag129 ist die Widerlegbarkeit der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit von Urkunden aber unbedingt notwendig. Bezüglich des Ausschlusses bestimmter Personen folgt auch der codice di procedura civile der sowohl biblischen 130 als auch gemeinrechtlichen Regelung, wonach nemo testis in causa propria. Dabei kann das Zeugnisverbot (incapacita) entweder auf dem besonderen Verhältnis zum Streitgegenstand oder zu einer Partei begründet sein. Zum einen betrifft dieses Zeugnisverbot alle Personen, die am Gegenstand des Prozesses ein eigenes rechtliches Interesse im Sinne des Art. 100 c.p.c. haben, das die Teilnahme am Prozeß als Haupt- oder Nebenintervenient zulassen würde (Art. 246 c.p.c.). 131 Ein tatsächliches Interesse genügt dagegen nicht.l 32 Zum anderen wurden bestimmte Familienangehörige vom Zeugnisrecht ausgeschlossen (Art. 247 c.p.c.). 133 Diese Regelung bedeutete aber nicht 127 So werden die Beweisverbote nur für anwendbar gehalten, wenn Ansprüche aus dem Vertrag geltend gernacht werden, nicht dagegen, wenn der Vertrag eine reine Vorfrage inter alios darstellt ( Cass. civ. vorn 28. Juni 1969, Nr. 2370, Foro it. 1969 I, Sp. 3087, 3090). Auch bei einseitigen Rechtsgeschäften wie dem Schuldanerkenntnis (Art. 1988 c.c., abweichend insoweit§ 781 S. 2 BGB) finden die Beweisverbotetrotz der Verweisung in Art. 1324 c.c. keine Anwendung ( Cass. civ. vorn 7. Mai 1980, Nr. 3004, Rep. Foro it. 1980, Prova testimoniale, Nr. 2.). 128 TarujJo, Riv. trirn. dir. proc. civ. 1977, S. 1559 f. 129 0bwohl Art. 1469 bis c.c. ff. keine § 4 AGBG vergleichbare ausdrückliche Regelung enthalten, ist davon auszugehen, daß mündliche Individualvereinbarungen Vorrang vor Allgerneinen Geschäftsbedingungen haben. 130 Johannes 5, 31; 8, 13. 131 Cass. civ. vorn 22. November 1978, Nr. 5450, Rep. Foro it. 1978, Prova testimoniale, Nr. 34. 132 Cass. civ. vorn 30. Mai 1990, Nr. 5079, Rep. Foro it. 1990, Prova testimoniale, Nr. 11. Einen aktuellen Überblick über den Stand der umfangreichen Rechtsprechung liefert Taruffo, Riv. trirn. dir. proc. civ. 1992, S. 285 ff. 133 Hier liegt das französische Recht zugrunde, das in Art. 267 CPC 1806 Verwandte in gerader Linie und Ehegatten vorn Zeugnis ausschloß. Zusätzlich stand dort noch der Gegenpartei ein Ablehnungrecht bei sonstiger persönlicher Nähe des Zeugen zum Beweisführer oder zum Streitgegenstand zu (Art. 283 CPC 1806).

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

283

nur historisch gesehen einen Rückschritt, da es im alten codice solche weitreichenden Zeugnisverbote nicht gab, 134 sondern sie beschnitt auch in besonderem Maße das Grundrecht auf wirksame Verteidigung aus Art. 24 Abs. 2 cost. Während die Corte costituzionale das Zeugnisverbot der Familienangehörigen aus diesem Grunde aufhob, 135 wurden mit der gleichen Entscheidung die gegen Art. 246 c.p.c. vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken als unbegründet zurückgewiesen. Die Zivilgerichte halten diese Bedenken seitdem für offensichtlich unbegründet. 136 Erwähnt sei hier aber, daß sich jüngst auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit den Fragen des Zeugnisverbots zu beschäftigen hatte und dabei in dem Zeugnisverbot eines Geschäftsführers einer niederländischen B.V. im Prozeß seiner Gesellschaft einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK sah. 137 Damit könnten nun alle Zeugnisverbote, die der nemo-testis-Regel folgen, in Frage gestellt werden, 138 und das nicht nur in Italien. 134 Taruffo, Enc. dir. XXXVII (1988), Prova testimoniale (dir. proc. civ.), S. 737. So gab es früher lediglich ein dem Art. 247 c.p.c. vergleichbares Zeugnisverbot für Familienangehörige (Art. 236 Abs. 1 c.p.c. 1865). Wenn jemand dagegen ein eigenes Interesse an der Streitsache hatte, war er damit nicht vom Zeugnisrecht ausgeschlossen, sondern wurde lediglich zu einem zweifelhaften Zeugen (Mortara, Manuale9 , Band 1, S. 433). Dabei mußte die Gegenseite allerdings die Gründe beweisen, die die Aussage des Zeugen des Beweisführers zweifelhaft erscheinen ließen (Art. 237 Abs. 1 c.p.c. 1865). In den meisten Entwürfen war auch das Zeugnisverbot für die Familienangehörigen nicht mehr vorgesehen, so etwa in denen von Chiovenda und Carnelutti. 135 Corte cost. vom 23. Juli 1974, Nr. 248, Fora it. 1974 I, Sp. 2220, 2221 = Riv. dir. proc. 1975, S. 99 mit Anmerkung Saletti. 136 Corte d'appello di Roma vom 23. Juli 1991, Rep. Fora it. 1992, Prova testimoniale, Nr. 11. Zum Verständnis dieser Rechtsprechung muß man wissen, daß die Parteien jederzeit die Frage der Verfassungskonformität einer Norm des einfachen Rechts aufwerfen können (Art. 23 Abs. 1 des Gesetzes Norme sulla costituzione e sul funzionamento della Corte costituzionale vom 11. März 1953, Nr. 87, G.U. vom 14. März 1953, Nr. 62, LEX 1953 I, S. 299). Das Fachgericht muß diese Frage der Corte costituzionale vorlegen, es sei denn, es hält sie für nicht entscheidungserheblich oder für offensichtlich unbegründet (manifestamente infondata) (Art. 23 Abs. 2 G. 87/1953 i.V.m. Art. 1 des Verfassungsgesetzes Norme sui giudizi di legittimita costituzionali e sulle garanzie d'indipendenza della Corte costituzionale vom 9. Februar 1948, Nr. 1, G.U. vom 20. Februar 1948, Nr. 43, LEX 1948 I, S. 331). Die konkrete Normenkontrolle ist in Italien daher praktisch wesentlich häufiger als in Deutschland, wo das Fachgericht für die Zulässigkeit der Vorlage selbst von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt sein muß (Art. 100 Abs. 1 GG). Funktionell ersetzt diese weite Vorlagepflicht zugleich die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 lit. b GG), die es in Italien nicht gibt. So werden - vergleichbar der Flut von Verfassungsbeschwerden in Deutschland - viele Anträge nach Art. 23 Abs. 1 G. 87/1953 gestellt, die von vornherein aussichtslos sind. Dies führt automatisch zu einer Verzögerung des Verfahrens vor dem Fachgericht, das dem Vorlageantrag entweder folgt und den Prozeß aussetzt (Art. 23 Abs. 2 G . 87/ 1953 i.V.m. Art. 295 c.p.c.) oder ihn mit einem gesondert begründeten Beschluß zurückweist (Art. 24 Abs. 1 G. 87/1953) . 137 EGMR vom 27. Oktober 1993, Dombo Beheer B. V. c. Pays-Bas, Serie A, Nr. 274 mit Besprechnung von Schlosser, NJW 1995, S. 1404. l3BSudre, J .C .P. 1994 I, Nr. 3742, Nr. 14, S. 110.

284

C. Das Erkenntnisverfahren

Diese Beweisverbote beschneiden jedoch nicht nur das Recht der Partei zum Beweis, sondern wirken sich auch negativ auf die Möglichkeiten des Richters aus, die Beweisaufnahme in möglichst konzentrierter Form durchzuführen.139 Denn die Beweisverbote und insbesondere die im Einzelfall höchst umstrittene Vorschrift des Art. 246 c.p.c. bietet häufig Anlaß zu Streitigkeiten über die Zulässigkeit des Zeugenbeweises, zu der der Richter der Gegenseite zunächst die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben hat, bis er sie mit Erlaß des Beweisbeschlusses entscheidet. Auch in der Rechtsmittelinstanz bietet gerade das Zeugnisverbot nach Art. 246 c.p.c. häufig Anlaß zu Streitigkeiten. Hinzu kommt jedoch ein weiteres. Der Richter hat bei der Zulassung des Zeugen nicht nur zu entscheiden, ob die genannte Person überhaupt als Zeuge gehört werden darf. Sondern er muß zugleich darüber entscheiden, auf welche Fragen er konkret antworten soll. Dies ergibt sich aus der Regelung des Art. 244 c.p.c., wonach der Zeugenbeweis nicht nur durch die Nennung des Zeugen angetreten wird, sondern zusätzlich durch die in einzelnen Artikeln formulierten Tatsachen, 140 zu denen der Zeuge befragt werden soll. Diese Regelung, die aus dem alten Recht übernommen wurde (Art. 229 Abs. 1 c.p.c. 1865) und bis ins justinianische und gemeine Recht zurückreicht, 141 fand früher ihre Rechtfertigung vor allem darin, daß mit der Befragung regelmäßig ein Richter beauftragt wurde, der mit dem Rechtsstreit nicht vertraut war. 142 Sie war Ausdruck eines schriftlichen Prozesses, bei dem es zu keinem direkten Zusammentreffen des erkennenden Richters mit dem Zeugen kam. Sie stand damit im Widerspruch zur neu proklamierten Mündlichkeit der Verhandlung vor dem Instruktionsrichter (Art. 180 c.p.c. 1940) und stellte eine entscheidendes Hindernis bei der Suche nach der Wahrheit im Zeugenbeweis dar. 143 Nach der Einführung des Instruktionsrichters war der innere Grund für die Beibehaltung der Beweisartikel darin zu sehen, daß damit die Gegenseite Gelegenheit erhielt, die Rügen der Zulässigkeit einzelner Fragen schon im Vorfeld 139 Vgl. Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 71, dessen Entwurf deshalb konsequenterweise die ersatzlose Streichung des Art. 1341 c.c. 1865 vorgesehen hatte (Art. 36 Abs. 3). 140 Dabei sind diese einzelnen Artikel jeweils in Form einer Frage zu formulieren, die mit den Worten "Ist es wahr, daß... " eingeleitet wird, so daß sich der Zeuge im Prinzip auf die Antwort "Ja" oder "Nein" beschränken könnte ( CappellettijPerillo, Civil procedure in Italy, S. 436). 141 de Boor, Einzelrichter und Kollegium, S. 34; Nagel, Grundzüge des Beweisrechts, s. 271. 142 So findet sich sowohl in Art. 255 Abs. 1 CPC 1806 als auch im fast wörtlich entsprechenden Art. 230 c.p.c. 1865 die Regelung, daß die Entscheidung, mit der der Zeugenbeweis zugelassen wird, neben dem Beweisthema auch den ersuchten Richter zu bezeichnen hat. 143 Satta, Relazione der Universitd di Padova, Osservazioni e Proposte 1938, Band 2, s. 363.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

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der Zeugenvernehmung zu erheben; 144 Rügen, die sich zum Beispiel auf die Unerheblichkeit der beantragten Frage oder auf eines der Beweisverbote des codice civile stützen konnten. In der Praxis wurde nach bisherigem Recht daher nicht selten zunächst über die Formulierung der Beweisartikel gestritten, noch ehe die Zeugen benannt wurden, die zu diesen Fragen aussagen sollten. Ja es war nach der Rechtsprechung sogar möglich, die Zeugen erst nach Erlaß des Beweisbeschlusses zu benennen. 145 So sieht sich der Richter einer großen Anzahl schwieriger Fragen hinsichtlich der Zulässigkeit des Zeugen überhaupt oder einzelner Fragen ausgesetzt, die er vor Erlaß des Beweisbeschlusses lösen muß. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum die vorsorgliche Ladung des Zeugen im Sinne des § 273 Abs. 2 Nr. 4 ZPO dem italienischen System fremd ist. Während der deutsche Richter den vorläufig geladenen Zeugen ohne Erlaß eines Beweisbeschlusses (§ 358 ZPO) und damit ohne genaue Fixierung des Beweisthemas vernehmen kann, würde sich in Italien in vielen Fällen noch ein Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Beweises ergeben, der schließlich mit dem Beweisbeschluß entschieden werden müßte. Und dieser Beweisbeschluß war bisher mit der sofortigen Beschwerde an die Kammer anfechtbar, die zu allem Überfluß aufschiebende Wirkung hatte. Für die Zulassung des Zeugenbeweises ist der Richter am tribunale grundsätzlich auf einen Antrag einer Partei angewiesen, der den Anforderungen des Art. 244 c.p.c. genügen muß. Damit ist nicht nur die Anordnung des Zeugenbeweises von Amts wegen grundsätzlich ausgeschlossen, sondern es bedarf sogar eines förmlichen Antrags. Die einzige Ausnahme besteht für den Fall, daß sich ein Zeuge bei seiner Aussage auf einen anderen Zeugen beruft. Dann kann die Vernehmung dieses Zeugen zu demselben Beweisartikel auch von Amts wegen angeordnet werden (Art. 257 Abs. 1 c.p.c.) .146 Der pretore und der giudice dipacekönnen dagegen den 144 Trogni,

in: Commentario breve 3 , c.p.c., Art. 244 n.F. Anm. II Rdnr. 2. civ. vom 11. November 1986, Nr. 6603, Rep. Fora it. 1986, Prova testimoniale, Nr. 11. Die Entscheidung wurde damit begründet, der Richter habe stillschweigend von der Befugnis nach Art. 244 Abs. 3 c.p.c. a.F. Gebrauch gemacht und dem Beweisführer eine Frist gesetzt, die Zeugen bis zum Beginn der Beweisaufnahme zu benennen. Sie setzt damit das alte Recht fort, wo der Beweisentscheid nur das Beweisthema und den ersuchten Richter enthielt, während der Beweisführer die Liste der zu vernehmenden Zeugen bis spätestens fünf Tage vor dem Beweistermin der Gegenseite zuzustellen hatte (Art. 234 Abs. 1 c.p.c. 1865). Mit der Zulassung des Zeugenbeweises wurde also zunächst nur entschieden, daß dem Zeugenbeweis kein materielles Beweisverbot entgegenstand. Diese Tradition setzt die Rechtsprechung damit entgegen dem Wortlaut des Art. 245 Abs. 1 c.p.c. fort , wodurch erst im Beweistermin über die manchmal schwierige Frage entschieden wird, ob der Zeuge nicht nach Art. 246 c.p.c. ausgeschlossen ist. 146 Die Regelung geht auf Art. 247 Abs. 1 des endgültigen Entwurfs von Solmi zurück. Vgl. zur Begründung Relazione, Nr. 185, Progetto definitivio, S. 71 f. 145 Cass.

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C. Das Erkenntnisverfahren

Zeugenbeweis auch von Amts wegen anordnen, wenn sich die Parteien bei der Darlegung der Tatsachen auf diese Personen bezogen haben (Art. 312 Abs. 1 c.p.c.).l 47 Dadurch fällt die Formulierung der Beweisartikel jedoch nicht weg, sondern ist nun Aufgabe des Richters. Damit kommt dem Richter hauptsächlich die Rolle eines Schiedsrichters zu, der darüber wacht, daß die Parteien die Beweisregeln im Zeugenbeweis beachten. Aktiv mitwirken kann er dagegen kaum. Um nicht jeden möglicherweise sachdienlichen Zeugen hören zu müssen, kann er wenigstens die Zahl der Zeugen beschränken, die zu einem Beweisthema gehört werden sollen (Art. 245 Abs. 1 c.p.c.); eine Befugnis, die schon die römischen Kaiser ihren Richtern zur Verfahrensbeschleunigung eingeräumt hatten. 148 Vergleicht man diese Regelungen mit denen in den übrigen Ländern, stellt man fest, daß das italienische Recht besonders beim Zeugenbeweis sehr weit zurückhinkt. So waren die objektiven Beweisverbote in Deutschland und Österreich schon im 19. Jahrhundert überwunden. 149 Auch die bestehenden subjektiven Beweisverbote und die Rechte der Gegenpartei, den Zeugen abzulehnen, 150 die zuletzt in §§ 463 f. des preußischen Entwurfs von 1864 zu finden waren, wurden in der Folgezeit durch das Recht des Zeugen ersetzt, das Zeugnis aus persönlichen oder sachlichen Gründen zu verweigern.151 Auch in Frankreich wurden 1973 die wichtigsten subjektiven Beweisverbote durch ein Aussageverweigerungsrecht ersetzt (Art. 206 S. 2 NCPC)/ 52 so daß nun grundsätzlich jeder als Zeuge vernommen 147 Die Vorschrift entspricht unter Anpassung an den neuen giudice dipacedem früheren Art. 317 Abs. 1 c.p.c. a.F. 148 Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß, Band 2, S. 598. 149 Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 725. Dies galt zunächst nicht für das französisch geprägte Bayern (Art. 399 bayPrO 1869) sowie für Baden und die preußischen Rheinprovinzen, wo der code civil als Landesrecht beziehungsweise unmittelbar galt. 150 Vgl. z.B.§ 508 badPrO 1832 und § 118 hanPrO 1847, wo es- wie im früheren italienischen Recht - noch eine Reihe verdächtiger Zeugen gab, die aber trotzdem zu hören waren (§ 509 badPrO 1832, § 119 hanPrO). Ganz ähnlich auch noch §§ 253 f. banPrO 1850. 151 Vgl. § 328 des Entwurfs einer allgemeinen Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten von 1866; § 512 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes von 1870; Art. 400, 401 bayPrO 1869, wo das subjektive Beweisverbot nur noch Ausdruck des Beicht-, des Amts- oder des Berufsgeheimnisses war und den Familienangehörigen ein Zeugnisverweigerungsrecht zustand; §§ 348 f. ZPO 1877; §§ 320 ff. öZPO, wo die Regelungen des Bagatellverfahrens übernommen wurden (Erläuternde Bemerkungen zu §§ 333 bis 340 der Regierungs-Vorlage zur Civilprocessordnung, Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1, s. 314). 152 Das italienische Recht ist hier zur Zeit in einem Schwebezustand. Da das Zeugnisverhot für die Familienangehörigen ersatzlos weggefallen ist, gibt es zur Zeit kein

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

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werden kann (Art. 205 Abs. 1 NCPC), der Dritter im Rechtssinne ist (Art. 199 NCPC). Auch die objektiven Beweisverbote beschränken sich in Frankreich auf den Fall der vertraglichen Ansprüche im Wert von über FF 5.000,- und damit auf eine materiell-rechtliche Formvorschrift. Aus der Sicht des Richters bedeutet dies eine wesentliche Erleichterung, da damit viele prozessuale Streitigkeiten wegfallen. Dafür hat er aber gegebenenfalls darüber zu entscheiden, ob der Zeuge die Aussage zu Recht verweigern darf. 153 Auch die Formulierung des Beweisthemas in einzelne Beweisartikel gibt es in den übrigen Ländern nicht mehr.154 In Österreich und Frankreich kann der Richter den Zeugenbeweis grundsätzlich auch von Amts wegen anordnen, 155 während er in Deutschland wie in Italien darauf angewiesen ist, daß die Parteien den Zeugenbeweis antreten (§ 373 ZPO). Da es in Deutschland jedoch keine Beweisartikel mehr gibt, genügt es, wenn eine Partei den Zeugen in einem Schriftsatz als Beweismittel anbietet. Ausnahmen wie in Italien nach Art. 257 Abs. 1 c.p.c. oder für das amtsgerichtliche Verfahren gibt es allerdings nicht. bb) Die Beweisaufnahme im Zeugenbeweis Auch bei der Beweisaufnahme selbst ist das italienische Recht bis heute dem Grundsatz treu geblieben, daß der impulso processuale auf Seiten der Parteien liegt. 156 Folglich hat grundsätzlich der Beweisführer beim Gerichtsvollzieher die Ladung der zugelassenen Zeugen zu dem im Beweisbeschluß bestimmten Termin zu beantragen (Art. 250 c.p.c.). Dies gilt nicht nur, soweit die Zeugen auf Antrag einer Partei vernommen werden sollen, sondern auch, wenn der Zeugenbeweis von Amts wegen angeordnet worden ist. Vorschläge, auch dem Richter die Ladung der Zeugen zu persönliches, sondern nur ein sachliches Zeugnisverweigerungsrecht ( astensione del testimone) (Art. 249 c.p.c.) (Saletti, Riv. dir. proc. 1975, S. 112). 153 § 387 Abs. 1 ZPO; § 349 Abs. 1 öZPO. In Österreich findet gegen den Beschluß, der die Rechtmäßigkeit der Aussageverweigerung feststellt, kein Rechtsmittel statt (§ 349 Abs. 1 öZPO). In Deutschland unterliegt das Zwischenurteil dagegen der sofortigen Beschwerde (§ 387 Abs. 3 ZPO), die aufschiebende Wirkung hat (Schumann, in: Stein/ Jonas 20 , ZPO, § 387 Rdnr. 17; Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 387 Rdnr. 8). 154 Während z.B. Art. 459 S. 2 badPrO 1832 noch ausdrücklich vorsah, daß die Bezeichnung des Beweisthemas durch Beweisartikel zu erfolgen habe, fiel diese Form schon nach Art. 120 S. 2 hanPrO 1847 ausdrücklich weg. Auch in Frankreich fiel die früher vorgeschriebene Artikulation des Beweisthemas (Art. 252 Abs. 1 CPC 1806) mit der Reform von 1958 weg. 155 Der Vorreiter war hier Frankreich, wo dies schon im alten Recht zulässig war (Art. 254 CPC 1806; Art. 81 Abs. 1 CPC 1944); heute ist die Regelung in Art. 143 NCPC enthalten. In Österreich kann der Richter einen Zeugen auch ohne Antrag der Parteien laden, wenn von ihm nach der Klage oder dem Gang der Verhandlung Aufklärung über erhebliche Tatsachen zu erwarten ist (§ 183 Abs. 1 Nr. 4 öZPO). 156 Chiovenda , Istituzioni, Band 2, Teil 1, S. 449; Trogni, in: Commentario breve3, c.p.c., Art. 250 Anm. I Rdnr. 2.

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C. Das Erkenntnisverfahren

ermöglichen wie etwa im Entwurf von Liebman von 1977 (Art. 212), sind bis heute nicht verwirklicht worden. Sind die Zeugen zum Beweistermin erschienen, hängt ihre Vernehmung von der Anwesenheit des Beweisführers ab, wenn nicht die Gegenseite die Beweisaufnahme in dessen Abwesenheit beantragt (Art. 208 Abs. 1 c.p.c.). Andernfalls bleibt dem Richter nichts anderes übrig, als die Zeugen wieder nach Hause zu schicken und den Beweisführer von Amts wegen mit diesem Beweismittel auszuschließen. Erscheinen beide Parteien nicht zum Beweistermin, wird die Sache aus dem Gerichtsregister gestrichen (Art. 309, 181 Abs. 1 c.p.c.). Auch in der jüngsten Reform ist der Gesetzgeber dieser Grundlinie treu geblieben und hat lediglich die Sanktionen verschärft, wenn die Parteien zum Beweistermin nicht erscheinen. 157 Der Richter kann daher auch weiterhin nicht einfach zur angegebenen Uhrzeit mit der Zeugenvernehmung beginnen, sondern muß auf den Beweisführer warten. In den übrigen Ländern ist es dagegen Aufgabe des Gerichts, die Zeugen zum Beweistermin zu laden. 158 Erscheint eine Partei nicht zum Beweistermin oder bleiben gar beide aus, kann der Richter trotzdem die Zeugen vernehmen(§ 367 Abs. 1 ZPO; § 289 Abs. 2 öZPO). Auch in Frankreich ist Voraussetzung der Beweisaufnahme lediglich, daß den Parteien der Beweistermin mitgeteilt worden ist (Art. 230 NCPC); ihre Anwesenheit ist nicht erforderlich (Art. 208 Abs. 1 NCPC). Sind Richter, Anwälte, Parteien und Zeugen schließlich glücklich vereint, kann die eigentliche Beweisaufnahme beginnen, bei der die Zeugen wie überall getrennt voneinander gehört werden (Art. 251 Abs. 1 c.p.c. ). 159 Die Anhörung der einzelnen Zeugen beginnt mit dem Hinweis auf die Wahrheitspfl.icht, der Ablegung des Zeugeneids (Art. 251 Abs. 1 c.p.c.), 160 der 157 Früher bedurfte es noch eines ausdrücklichen Antrags der erschienenen Partei, um den Beweisführer des Beweismittels für verlustig zu erklären (Art. 208 Abs. 2 c.p.c. a.F. ). Damit war es möglich und wurde wohl auch nicht selten praktiziert, daß der erschienene Anwalt aus Standesgründen den Antrag nicht stellte und der Beweistermin verschoben werden mußte (Borre, Relazione des C.S.M., Doc. Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 417). Erschienen früher beide Parteien nicht, wurde nur das konkrete Beweismittel ausgeschlossen, die Sache blieb aber ins Register eingetragen. 158 Vgl. zu Deutschland schon § 342 ZPO 1877, nachdem der Entwurf von 1871 neben der Ladung der Zeugen von Amts wegen auch die Ladung durch die Partei vorgesehen hatte(§ 315 Abs. 1). In Österreich vgl. §§ 288 Abs. 1, 329 Abs. 1 öZPO, in Frankreich für die enquete ordinaire Art. 228 NCPC. Doch können die Parteien die Zeugen auch selbst stellen, wenn sie z.B. die notwendigen Angaben nicht machen können (vgl. Art. 224 Abs. 1 NCPC; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach 5 5 , ZPO, § 273 Rdnr. 14). 159 Vgl. zu dieser deuterokanonischen Erkenntnis (Daniel 13, 51 ff.) in Deutschland § 394 Abs. 1 ZPO, in Österreich § 339 Abs. 2 S. 1 öZPO und in Frankreich Art. 208 Abs. 1 NCPC. 160 Dieser sogenannte Voreid entspricht der römischen Tradition seit der Zeit des Formularverfahrens (Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß, Band 2, S. 598). Heu-

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

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aber nicht als wesentliches Formerfordernis angesehen wird, 161 und den Angaben zur Person (Art. 252 Abs. 1 c.p.c.). Die Vernehmung des Zeugen steht nach dem Willen des Gesetzgebers in Italien ganz unter der Leitung des Richters, der den Zeugen nach Art. 253 Abs. 1 S. 1 c.p.c. über das Beweisthema zu befragen hat. Wie in Frankreich ist dieses Fragerecht des Richters - jedenfalls idealtypisch gesehen - exklusiv. Die Parteien dürfen den Zeugen selbst nicht fragen , sondern müssen ihre Fragen dem Richter vorlegen (Art. 253 Abs. 1, 2 c.p.c.). 162 Dies bedeutet aber nicht, daß der Richter die vom Anwalt gestellten Fragen wiederholt, sondern faktisch spricht auch der Anwalt direkt zum Zeugen. In einigen Gerichtsbezirken ist es sogar üblich, die Aussagen der Zeugen vollständig von den Anwälten protokollieren zu lassen. 163 Dies liegt daran, daß zu einem Beweistermin soviele Zeugen und Parteien erscheinen, daß es dem Richter faktisch unmöglich ist, alle Zeugen selbst zu vernehmen. Er bittet dann einfach die Anwälte, auf dem Flur die Zeugen zu den Beweisartikeln zu befragen und ihre Aussage zu protokollieren. Die Kontinuität mit dem förmlichen Verfahren des gemeinen italienischen Prozesses,164 in der diese Praxis steht, ist verblüffend. te gibt es ihn außer in Italien noch in Frankreich (Art. 211 Abs. 1 S. 1 NCPC) und grundsätzlich auch in Österreich (§ 337 öZPO). Auch in Deutschland wurde früher sowohl nach gemeinem Recht (Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 728) als auch den Partikularrechten (vgl. § 265 Abs. 2 hanPrO 1850; Art. 417 Abs. 2 bayPrO 1869) der Eid stets vor der Vernehmung verlangt. Nach § 341 Abs. 1 des Entwurfs einer allgemeinen Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten von 1866 und § 326 des Entwurfs einer Deutschen Civilprozeßordnung von 1871 sollte der Eid zwar noch vor der Vernehmung abgelegt werden, doch konnten die Parteien darauf verzichten. Als erstes war es in Österreich möglich, erst nach der Vernehmung über die Vereidigung zu entscheiden (§ 338 öZPO), was sinnvoll war, da erst zu dem Zeitpunkt die Glaubhaftigkeit der Aussage beurteilt werden konnte. Folglich schaffte Deutschland als bisher einziges Land den Voreid völlig ab und ersetzte ihn durch den fakultativen Nacheid (§ 392 ZPO 1909). 161 Cass. civ. vom 12. Mai 1980, Nr. 3132, Rep. Foro it. 1980, Prova testimoniale, Nr. 42. In Deutschland und Österreich ist der Zeugeneid sogar von Gesetzes wegen weitgehend verzichtbar (§ 391 ZPO; § 336 Abs. 2 öZPO) und spielt daher keine große Rolle mehr. Nur in Frankreich wird er noch heute als ein wesentliches Element der Zeugenaussage angesehen ( Vincent/ Guinchard, Procedure civile23 , Rdnr. 1099, S. 658, Fußnote 1), d essen Mißachtung zur Nichtigkeit der Aussage führt ( Cass. 2• civ. vom 23. April 1959, Bull. civ. 1959 II, Nr. 333). Dies entspricht der alten kanonistischen Auffassung (Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 728). 162 Vgl. Art. 214 Abs. 2 NCPC. Gleiches galt schon nach altem Recht (Art. 276 CPC 1806; Art. 243 Abs. 3 c.p.c. 1865), aber auch nach § 266 Abs. 2 hanPrO 1850. In Österreich kann der Richter auch die direkte Befragung durch die Parteien zulassen(§ 289 Abs. 1 öZPO), in Deutschland muß er dies heute jedenfalls der anwaltlieh vertretenen P artei gestatten (§ 397 Abs. 2 ZPO). 163 Taruffo, Riv. trim. dir. proc. civ. 1977, S. 1575 f.; Andrioli, Noviss. dig. it. XIV (1968), Prova testimoniale (Diritto processuale civile), S. 361. 16 4 Vgl. oben A.l.3., S. 34. 19 Piekenbrack

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C. Das Erkenntnisverfahren

Der Zeuge hat auf die Fragen des Richters zu antworten, ohne sich dabei auf das Ablesen von vorformulierten Texten zu beschränken (Art. 251 Abs. 3, 231 S. 2 c.p.c.), was auf Art. 271 CPC 1806 zurückgeht.165 Dieses Fragerecht des Richters beschränkt sich auf Klarstellungen zu den vorher bestimmten Beweisartikeln (Art. 253 Abs. 1 S. 2 c.p.c.). Weitergehende Fragen an den Zeugen sind regelmäßig unzulässig, 166 da der Richter damit das Darlegungs- und Beweisführungsrecht der Parteien verletzen würde. 167 Auch wenn es im Einzelfall sehr fraglich sein kann, wie weit das Fragerecht geht, 168 und die tatsächliche Handhabung der Zeugenbefragung von der Person des einzelnen Richters abhängt, lassen sich im Vergleich zu den übrigen Ländern doch einige Punkte festhalten. Anders als in Deutschland gibt es keine Vorschrift, wonach der Zeuge zunächst im Zusammenhang aussagt, bis ihm der Richter und die Parteien ergänzende Fragen stellen (§ 396 Abs. 1 ZP0). 169 Nur auf diesem Wege ließe sich aber sicherstellen, daß das Wissen des Zeugen umfassend in den Prozeß eingebracht wird 170 und sich die Parteien bestimmte Aussagen, die vorher so noch nicht vorgetragen worden waren, nachträglich zu eigen machen können. Aber es gibt auch keine dem Art. 213 NCPC vergleichbare Regelung, wonach der Richter den Zeugen zu allen Punkten befragen kann, für die der Zeugenbeweis zulässig ist, ohne streng an das Beweisthema im Beweisbeschluß gebunden zu sein. Oder eine § 360 S. 2 ZPO vergleichbare Vorschrift, wonach der Richter das Beweisthema des Beweisbeschlusses auch ohne Zustimmung der Parteien nachträglich erweitern kann, wenn die neuen Tatsachen mit den bisherigen in Zusammenhang stehen. 171 Damit besteht die Gefahr, daß die Aussagen des Zeugen hinter seinem Wissen zurückbleiben und sich die Glaubhaftigkeit mangels einer zusammenhängenden Schilderung des Geschehens kaum beurteilen läßt. Daß das italienische Recht bei der Befragung der Zeugen durch den Richter so zurückhaltend ist, liegt an der Formulierung der Beweisarti165Vgl. auch Art. 243 Abs. 1 c.p.c. 1865. Dies gilt in Deutschland (Damrau , in: Münchener Kommentar, ZPO, § 396 Rdnr. 2) und Österreich (Fasching, öZPO, § 340, Anm. 1, S. 458) ganz genauso, auch wenn es dort keine ausdrückliche Vorschrift gibt. 166 Trogni, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 253 Anm. I Rdnr. 2; Nagel, Grundzüge des Beweisrechts, S. 272. 167 Cass. civ. vom 1. Februar 1969, Nr. 301, Rep. Foro it. 1969, Prova testimoniale, Nr. 88. Cappelletti, RabelsZ 30 (1966), S. 273, hat den Richter daher treffend als Sprecher der Parteien bezeichnet. 168 Andrioli, Noviss. dig. it. XIV (1968), Prova testimoniale (Diritto processuale civile}, S. 361. 169 Dies entspricht der Tradition der moderneren Partikularrechte wie§ 266 Abs. 2 banPrO 1850 und Art. 419 bayPrO 1869. 170 Bezeichnend ist, daß es historisch gesehen gerade der Sinn der Beweisartikel war, daß der Zeuge nicht sein ganzes Wissen zu offenbaren hatte (Endemann, ZZP 15 (1891), s. 265). 171 Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 360 Rdnr. 5.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

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kel. Dem Zeugen wird seine Aussage zum großen Teil bereits vorgegeben, so daß er sich im Prinzip damit begnügen könnte, die gestellten Fragen zu bejahen oder zu verneinen. Diese Regelung, die weitgehend vom alten Art. 243 c.p.c. 1865 übernommen wurde, bedeutet einen wesentlichen Hemmschuh bei der Zeugenvernehmung und zeugt davon, wie weit das italienische Recht bis heute einer vergangeneu Epoche verhaftet ist, die wie etwa Art. 273 CPC 1806- von der mittelbaren oder sogar geheimen 172 Beweisaufnahme geprägt war, und nicht den Entwürfen gefolgt ist, die eine freie Befragung des Zeugen vorsahen.173 Ein letzter Punkt sei hier noch erwähnt, der zwar im wahrsten Sinne des Wortes technischer Natur ist, aber dem eine große praktische Bedeutung zukommt: Wie schon bei der Darlegung des Grundsatzes der Mündlichkeit gesehen, gehört zu einem mündlichen Verfahren auch, daß die Zeugenaussagen jedenfalls dann protokolliert werden, 174 wenn das Urteil einem Rechtsmittel unterliegt.175 Daß dabei auch die Beobachtungen des Richters über das Verhalten des Zeugen protokolliert werden sollen (Art. 207 Abs. 3 c.p.c.; Art. 220 Abs. 3 NCPC), 176 erinnert an den Versuch, in einem schriftlichen Verfahren den unmittelbaren Eindruck des Richters festzuhalten, was schon von der Natur der Sache her nicht möglich ist. Zur Protokollierung dieser Aussagen hat das Tonband bis heute in Italien außer im Arbeitsverfahren (Art. 422 c.p.c.) keinen Eingang gefunden, obwohl dies von den Gerichten schon vor dreißig Jahren fast einstimmig gefordert worden warP7 Auch dadurch wird die Praxis begünstigt, die Vernehmungsprotokolle gleich von den Anwälten schreiben zu lassen. So endet die Beweisaufnahme im Zeugenbeweis stets damit, daß der Zeuge das ihm vorgelesene Protokoll seiner Aussage unterschreibt (Art. 207 Abs. 2 c.p.c.). 172 Dies gilt für die kanonistische Lehre, wo die Parteien zur Beweisaufnahme nicht zugelassen waren und daher die genaue Fixierung des Beweisthemas nötig war (Endemann, ZZP 15 (1891), S. 265). 173 Vgl. etwa Art. 45 des Entwurfs von Chiovenda. Ähnlich auch der Entwurf von Liebman von 1977 (Art. 218 Abs. 3), der allerdings in Abkehr von der kontinentalen Tradition die Vernehmung der Zeugen durch die Parteien in einer Art Kreuzverhör einführen wollte (Art. 218 Abs. 1). 174 Vgl. Art. 207 Abs. 2 c.p.c., 219 Abs. 1 NCPC, § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO, § 343 Abs. 1 öZPO. 175 Vgl. zu dieser Einschränkung §§ 161 Abs. 1 Nr. 1, 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO; Art. 219 Abs. 2 NCPC. 176 Gleiches gilt in Deutschland, wenn der persönliche Eindruck nach einem Richterwechsel noch verwertet werden soll. Andernfalls wäre nach wie vor § 355 Abs. 1 ZPO verletzt. 177 Reale, Per un nuovo processo civile, S. 40. In den übrigen Ländern ist es dagegen möglich, auf einen Protokollführer zu verzichten und das Protokoll zunächst auf Tonband aufzunehmen (§ 160 a Abs. 1 ZPO; § 212 a Abs. 1 öZPO).

19•

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C. Das Erkenntnisverfahren e)

Der Eid und das Geständnis

Als letzte Beweismittel sollen hier noch kurz das Geständnis und der Eid behandelt werden. Wie oben gesehen, 178 sind diese beiden mit voller Beweiswirkung versehenen Beweismittel in Italien bis heute die einzigen, mit denen der Richter das Wissen der Parteien um den Streitgegenstand verwerten kann. Daraus folgt zugleich, daß Gegenstand des Eids nur Tatsachen sein können, von denen die Partei, die den Eid leisten soll, Kenntnis haben kann (Art. 2739 Abs. 2 c.c.). 179 Dabei werden nach der gemeinrechtlichen Tradition zwei verschiedene Eide unterschieden, je nachdem, ob er von der Gegenseite oder vom Richter auferlegt wird. Zum einen kann jede Partei der anderen in jeder Phase des Verfahrens den sogenannten streitentscheidenden Eid (giuramento dicisiorio) zuschieben (Art. 2736 Nr. 1 c.c., 233 Abs. 1 c.p.c.), 180 indem sie wie beim Zeugenbeweis das Beweisthema in klaren und eindeutigen Beweisartikeln formuliert (Art. 233 Abs. 2 c.p.c.),181 die die Gegenseite unter Eid zu wiederholen hat (Art. 238 Abs. 2 c.p.c.). Diese exakte Formulierung des Beweisthemas ist schon wegen der legalen Beweiswirkung von großer Bedeutung, damit der Richter weiß, welche Tatsachen er seiner Entscheidung zugrundezulegen hat. Denn die unter Eid bekräftigten Tatsachen gelten als erwiesen und sind dem Gegenbeweis nicht mehr zugänglich (Art. 2738 Abs. 1 c.c.) .182 Will die Partei den Eid nicht leisten, kann sie ihn zurückschieben, wenn auch die Gegenseite um die zu beweisende Tatsache Bescheid weiß, wenn es sich also um einen sogenannten fatto comune handelt (Art. 2739 Abs. 2 c.c.). Zum anderen kann der Richter 183 einer der Parteien den sogenannten Ergänzungseid (giuramento suppletorio) auferlegen, wenn die zu beweisenden Tatsachen nach Abschluß der Beweisaufnahme glaubhaft, aber nicht 178 Siehe

oben C.III.2.c.bb), S. 169. galt schon nach Art. 1359 CC und wurde auch in Italien in Art. 1365 c.c. 1865 übernommen. In Deutschland war dies dagegen der große Fortschritt der Zivilprozeßordnung gegenüber dem gemeinen und dem preußischen Recht (Begründung zu § 397 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung2 , Band 1, S. 331 f.). 180 Ausgenommen sind die F älle, in denen die Parteien nicht über den Streitgegenstand verfügen können. Außerdem gelten die Beweisverbote für den Zeugenbeweis und die volle Beweiskraft öffentlicher Urkunden, so daß auch hier der Eid als Beweismittel ausgeschlossen ist (Art. 2739 Abs. 1 c.c.). 181 Vgl. Liebman, Manuale4 , Band 2, S. 156. 182 Damit geht das italienische Recht über die Bindungswirkung des frühreren deutschen hinaus. Nicht einmal die Restitutionsklage (Art. 395 Nr. 2 c.p.c.) kann auf eine strafrechtliche Verurteilung wegen Meineids gestützt werden (Art. 2738 Abs. 1 c.c.), sondern nur eine neue Schadensersatzklage (Art. 2738 Abs. 2 c.c.). 183 In Streitigkeiten, in denen noch heute die Kammer ent scheidet, ist dies ausnahmsweise nicht der Instruktionsrichter, sondern die Kammer (Art. 240 c.p.c.). 179 Dies

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

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zur vollen Überzeugung bewiesen sind (Art. 2736 Nr. 2 c.c.), 184 so daß er seine Entscheidung andernfalls nach der Beweislast (Art. 2697 c.c.) fällen müßte (Art. 2736 Nr. 2 c.c.). Im Gegensatz zum streitentscheidenden Eid kann der Richter den Eid also nicht auferlegen, wenn ansonsten überhaupt keine Beweismittel für die fragliche Tatsache sprechen. Welcher Partei der Richter den Eid auferlegt, liegt beim Beweis von fatti comuni letztlich in seinem Ermessen, wobei er zu berücksichtigen hat, welche der Parteien um die Beweisfrage besser Bescheid weiß und in wieweit der Beweis bereits erbracht worden ist. 185 Das bedeutet, daß der Richter auch dem Beweisführer, der im Falle einer non-liquet-Entscheidung den Rechtsstreit verlieren würde, den Ergänzungseid auferlegen und ihm damit zu einem entscheidenden Beweismittel verhelfen kann, über das er ansonsten nicht verfügt. Denn andernfalls könnte er seine Behauptungen nicht auf eigene Initiative beschwören, sondern nur, wenn die Gegenseite den Eid zu- oder zurückschöbe.186 Historisch gesehen zeigt sich daran, daß der Ergänzungseid des gemeinen Rechts über den altgermanischen Reinigungseid, mit dem der Beklagte seine Unschuld beteuern konnte, hinausgeht. Angesichts dieser im wahrsten Sinne des Wortes entscheidenden Befugnis des Richters, dem Kläger eine Brücke über den Abgrund der ihn treffenden Beweislast zu bauen, wirken die Bedenken, die im übrigen gegen die Beweiserhebung von Amts wegen geltend gemacht werden, nicht sehr überzeugend. Denn dort wird dem Beweisführer nur die Beweisführungslast abgenommen, nicht aber die materielle Beweislast. 187 Vergleicht man diese Regelung des italienischen Rechts mit den übrigen Ländern, stellt man fest, daß es erstens historisch gesehen hinter den übrigen hier untersuchten Verfahrensordnungen zurückhinkt und daß zweitens das Wissen der Parteien um die causa petendi nur zur Feststellung einer formellen Wahrheit genutzt wird, nicht aber zur Aufklärung des tatsächlichen Geschehens. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts läßt sich eine deutliche Bewegung erkennen, den Parteieneid durch die vom Richter frei zu würdigende Parteivernehmung zu ersetzen, die gegebenenfalls durch den Eid zu bekräftigen ist. Diese Entwicklung nahm ihren Ursprung in England mit dem Evidence Further Amendment Act aus dem Jahre 1869. 188 Es folgte Österreich im Bagatellverfahren von 1873 und der Zivilprozeßordnung von 1895 (§§ 371 ff. öZPO). In Deutschland hielt der Gesetzgeber dagegen zunächst am Eid fest (§§ 410 ff. ZPO 1877) und ersetzte ihn erst 1933 durch die Parteivernehmung (§§ 445 ff. ZPO 1933). Dabei sind jedoch 184 Vgl. Liebman, Manuale4 , Band 2, S. 157, der von einer probatio semiplena spricht. 18 5 Liebman,

Manuale4 , Band 2, S. 158.

186 Vgl. Planck, Beweisurtheil, S. 47, der daher zu Recht von einem Beweisrecht und

keiner Beweislast durch den Eid spricht. 187Vgl. unten C.IV.5., S. 304. 188 Nagel, Grundzüge des Beweisrechts, S. 87.

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C. Das Erkenntnisverfahren

die Fundamente des alten Rechts in der Unterscheidung zwischen der Parteivernehmung auf Antrag der Gegenpartei (§ 445 Abs. 1 ZPO) und von Amts wegen (§ 448 ZPO) sichtbar geblieben, während in Österreich beide Formen in § 371 öZPO zusammengefaßt sind. Weiterhin wurde die Parteivernehmung in Deutschland lediglich als subsidiäres Beweismittel eingeführt, auf das der Richter von Amts wegen nur zurückgreifen darf, wenn für die zu beweisende Tatsache eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht und sich nicht einfach zwei Behauptungen ohne jeden Anhaltspunkt für ihren Wahrheitsgehalt gegenüberstehen. 189 Einer probatio semiplena wie beim Ergänzungseid nach italienischem Recht oder im deutschen gemeinen Prozeß bedarf es aber nicht. 190 In Österreich ist die Parteivernehmung dagegen ein vollwertiges Beweismittel, so daß der Richter hier wesentlich freier ist, die förmliche Vernehmung der Parteien anzuordnen. Insbesondere muß er nicht vor der Beweisaufnahme begründen, warum mehr für die eine als für die andere Aussage spricht. Allein in Frankreich sind die alten Regelungen über den Eid auch heute noch in Kraft. Sie wurden seit Inkrafttreten des code civil nicht geändert und entsprechen weitestgehend den italienischen Regelungen, denen sie als Vorbild gedient haben. 191 Doch sind in Frankreich Geständnis und Eid nicht mehr die einzigen Beweismittel, mit denen der Richter das Wissen der Parteien mit Beweiswert in den Prozeß einführen kann. Vielmehr wurden die Vorschriften über das Geständnis in Verbindung mit dem interrogatoire sur faits et articles 1942 durch eine genaue Regelung der zuvor nur fragmentarisch geregelten comparution personelle ersetzt, die heute in Art. 184- 198 NCPC zu finden ist. 192 Diese Erklärungen der Parteien sind als Beweismittel frei zu würdigen (Art. 198 NCPC) und können auch als Antritt des Urkundenbeweises angesehen werden (Art. 1347 CC) .193 Historisch gesehen muß man daher folgendes bedenken: In Deutschland gab es bis zur Reform von 1933 nur ein legales Beweismittel für das Wissen der Parteien, den Eid. Das Geständnis war dagegen schon längst aus dem Beweisrecht herausgenommen und in eine Prozeßhandlung umge189Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 448 Rdnr. 4; Leipold, in: Stein/Jonas20, ZPO, § 448 Rdnr. 2. 190 Vgl. Stein/ Jonas 12 , ZPO, § 475 Anm. I. Dieses Erfordernis der vorherigen Beweisaufnahme wurde aber nicht erst mit der Einführung der Parteivernehmung abgeschafft, sondern war schon bei den Regelungen zum Ergänzungseid nach § 437 ZPO 1877 = § 475 ZPO 1898 weggefallen. 191 Die Regelungen über den serment decisoire finden sich in Art. 1358- 1365 CC, die Regelungen über den serment defere d'office in Art. 1366- 1368 CC. Die ergänzenden Verfahrensregelungen finden sich heute in Art. 317- 322 NCPC. 192 Vgl. More!, Procerlure civile2 , Nr. 507 ff., S. 407 ff.; Solus/ Perrot, Droit judiciaire prive, Band 3, Nr. 804, S. 682; Polyzogopoulos, Parteianhörung und Parteivernehmung, s. 35. 193 Vgl. oben C .III.2.c.bb.(3), S. 174.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

295

staltet worden, die die fragliche Tatsache in verbindlicher Form unstreitig stellt und damit dem thema probandum entzieht. 194 Dieses einzige legale Beweismittel wurde dann durch die Parteivernehmung ersetzt. In Frankreich und Italien gab es dagegen zwei legale Beweismittel, den Eid und das Geständnis. 195 Von diesen beiden trat in Frankreich an die Stelle der Parteibefragung zum Hervorrufen eines Geständnisses die comparution personelle, wobei die Trennung zwischen der formlosen Anhörung und der förmlichen Vernehmung zur Beweisaufnahme aufgehoben wurde. So ist es zu erklären, daß der Eid weiterhin bestehen blieb. Aus Sicht des Richters spielt jedenfalls der serment dejere d'office keine große Rolle mehr, da er die Parteien auch auf anderem Wege befragen und die Aussagen frei würdigen kann. Betrachtet man die gesamten Beweismittel im Zusammenhang, stellt man fest, daß die Grundregel, wonach nur die Parteien über die Beweismittel verfügen können, durch die Sondervorschriften bei den einzelnen Beweismitteln faktisch umgedreht ist. 196 Einschränkungen gibt es aber noch im Zeugenbeweis beim tribunale und bei Urkunden. 3.

Die Beweiserhebung in den Sonderverfahren

In einigen Sonderverfahren kann der Richter dagegen schon seit langer Zeit alle Beweise von Amts wegen erheben. 194 Vgl. Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralitil., Band 2, S. 593. In Zeiten des gemeinen Rechts war das gerichtliche Geständniss noch als legales Beweismittel angesehen worden. Vgl. in Österreich§ 107 öAGO; § 173 WGO. Ähnlich noch nach Inkrafttreten der Zivilprozeßordnung Pollak , System des Österreichischen Zivilprozeßrechtes2 , S. 643; in Deutschland unter der Überschrift "Vom Beweise durch Zugeständnis" Teil I Titel X § 82 prAGO; zweifelnd über die Einordnung als Beweissurrogat oder als Beweisgrund aber schon Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 765. Über die Kodifizierung in Art. 1356 Abs. 2 CC hat diese Regelung Eingang in die vom französischen Recht dominierten Rechtsordnungen gefunden und gilt noch heute in Italien. Sagt in Deutschland dagegen eine Partei im Rahmen der Parteivernehmung zu ihren Ungunsten aus, handelt es sich grundsätzlich nicht um ein Geständnis im Sinne des§ 288 ZPO, da es eine Beweis- und keine Prozeßhandlung ist (BGHZ 129, 108, 109, unter Aufgabe der früheren Rechtsprechnung in BGHZ 8, 235, 237; wie heute aber schon RG, JW 1936, S. 1778, 1779; zustimmend Leipold, in: Steinj Jonas 20 , ZPO, vor § 445 Rdnr. 6; Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 288 Rdnr. 3 b; Thomas/ Pv.tzo 20 , ZPO, § 288 Rdnr. 4; a.A. RosenbergjSchwab/ Gottwald, Zivilprozeßrecht 15 , S. 728, unter Aufgabe der früheren Ansicht). Gleiches gilt auch bei der formlosen Anhörung nach §§ 137 Abs. 4, 141 ZPO ( OLG Hamm, WM 1996, S. 669, 671 ; Greger, in: Zöller 20 , ZPO, § 288 Rdnr. 3 c) . 195 Vgl. Polyzogopoulos, Parteianhörung und Parteivernehmung, S. 38 ff. 196 Grosso, in: Allorio, Commentario, c.p.c., Art. 115 S. 1301; Esser, Festschrift zur Fünfzigjahrfeier der Österreichischen Zivilprozeßordnung, S. 48.

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C. Das Erkenntnisverfahren a)

Das Arbeitsverfahren

Dies gilt in erster Linie für das individuelle Arbeitsverfahren, wo schon 1928 eine Generalklausel zur Beweisaufnahme von Amts wegen eingeführt wurde (Art. 11 Abs. 1 S. 2 lit. b K.D. 471/1928). Sie hat seitdem alle Reformen überdauert 197 und ist heute in Art. 421 Abs. 2 c.p.c. zu finden. Darüberhinaus war der Richter nach Art. 439 S. 2 c.p.c. 1940 bei der Anordnung des Zeugenbeweises nicht mehr an die Beschränkungen im codice civile gebunden. Inzwischen kann er auch die Personen anhören, die aus persönlichen Gründen (Art. 246 c.p.c.) nicht als Zeugen vernommen werden dürfen (Art. 421 Abs. 4 c.p.c.), 198 wobei es sich aber nicht um ein echtes Beweismittel handelt, sondern nur ein der formlosen Anhörung der Parteien vergleichbares Informationsmittel. 199 Diese Aussagen dienen daher lediglich als Beweisargumente im Sinne des Art. 116 Abs. 2 c.p.c. 200 Bemerkenswert ist jedoch, daß dem Richter hier ein Informationsmittel in die Hand gegeben ist, das dem Beweisführer nicht zur Verfügung steht. Dieser kann die Anhörung einer vom Zeugenbeweis ausgeschlossenen Person nur anregen, nicht aber durch einen Beweisantrag erzwingen. Damit übt der Richter hier ausnahmsweise keine Ersatzfunktion aus, indem er anstelle der Parteien eine Beweisaufnahme anordnet, 201 sondern kann ausschließlich über das Informationsmittel verfügen. Daneben soll auch an dieser Stelle noch einmal daran erinnert werden, daß die Parteien die Beweismittel zur Vermeidung der Präklusion regelmäßig in den verfahrenseröffnenden Schriftsätzen ankündigen müssen (Art. 416 Abs. 3, 420 Abs. 5 c.p.c.), 202 während der Richter an keine zeitlichen Beschränkungen gebunden ist. Diese überschießenden Beweisbefugnisse zugunsten des Richters sind für unsere Untersuchung von großem Interesse, da dem Richter damit in 197 Vgl. Art. 14 Abs. 1 S. 2 lit. b G. 76/1934 und Art. 14 Abs. 1 S. 2 lit. b G. 1073/ 1934, die mit Art. 11 Abs. 1 S. 2 lit. b K.D. 471/1928 wörtlich übereinstimmen, sowie Art. 439 S. 1 c.p.c. 1940. 198 Es ist bemerkenswert, daß eine ganz ähnliche Vorschrift auch im Vorentwurf von Solmi enthalten war (Art. 228). Sie wurde bezüglich der Personen, die ein eigenes Interesse an der Sache haben, aber schon im endgültigen Entwurf von Solmi gestrichen, weil ihre Vernehmung neben der Anhörung der Parteien angeblich nicht erforderlich sei. Bezüglich der Angehörigen wurde das Zeugnisverbot dagegen aufgehoben und in ein Aussageverweigerungsrecht umgewandelt (Art. 236). 199 La China, Diritto processuale civile, S. 622. Wie der förmlichen Vernehmung (Art. 228, 230 c.p.c.) die formlose Anhörung der Parteien (Art. 117, 183 Abs. 1, 420 Abs. 1 c.p.c.) gegenübersteht, steht dem Zeugenbeweis die formlose Anhörung der Personen gegenüber, die vom Zeugnis ausgeschlossen sind (Art. 421 Abs. 4 c.p.c.). (Proto Pisani, in: Andrioli/Barone/Pezzano/ Proto Pisani, Controversie di lavoro 2 , S. 725). 200 Proto Pisani, in: Andrioli/BaronejPezzanojProto Pisani, Controversie di lavoro 2 , s. 726. 201 V gl. Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, S. 16. 202 Pezzano, in: Andrioli/Barone/ Pezzano/Proto Pisani , Controversie di lavoro 2 , s. 443.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

297

einem vom principio della domanda beherrschten Verfahren Beweisbefugnisse zustehen, die den Parteien bereits verwehrt sind. 203 Und so wird denn auch die Auffassung vertreten, diese richterlichen Befugnisse seien mit der Verhandlungsmaxime nicht vereinbar. Daher müsse auch der Richter in dem Sinne an die Präklusion gebunden sein, daß er von Amts wegen nur solche Beweismittel zulassen könne, die sich aus dem Vorbringen der Parteien vor Eintritt der Präklusion ergäben. 204 Wird die Existenz des Beweismittels dem Richter von einer Partei erst später mitgeteilt, so daß sie selbst keinen Beweis mehr antreten könnte, soll dies nach dem Grundsatz der Nichtigkeit abhängiger Prozeßhandlungen205 auch die Beweisaufnahme von Amts wegen ausschließen. 206 Diese restriktive Interpretation stößt sich jedoch nicht nur am Wortlaut des Art. 421 Abs. 2 c.p.c., sondern nimmt insbesondere der formlosen Anhörung nach Art. 420 Abs. 1 S. 1 c.p.c. ihren Sinn. 207 Denn zu diesem Zeitpunkt ist den Parteien der Beweisantrag bereits verwehrt. Der Richter könnte damit die Aussagen der Parteien nicht als Ansatzpunkt für eine Beweisaufnahme von Amts wegen nutzen. Und schließlich wird das rechtliche Gehör der Parteien dadurch gewahrt, daß sie im Anschluß an eine Beweisaufnahme von Amts wegen eigene Beweisanträge stellen können und die Präklusion insofern nicht Platz greift. 208 Die Rechtsprechung unterwirft den Richter im Arbeitsverfahren daher zu Recht nicht den Präklusionsvorschriften der Parteien.209 Doch ist in der Praxis die Tendenz zu beobachten, daß sich Richter ihr freiwillig unterwerfen und von ihrer Befugnis zur Beweiserhebung nur sehr zurückhaltend Gebrauch machen. Denn hier steht anders als bei den rechtlichen Hinweisen tatsächlich die Unparteilichkeit des Richters auf dem Spiel,210 der nicht einseitig für eine Partei deren Prozeß führen darf. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß die Befugnisse des Arbeitsrichters in der Reform auch eine begrüßenswerte Einschränkung erfahren haben, seit dieser den anachronistischen211 streitentscheidenden Eid nicht mehr vom Amts wegen auferlegen kann. 203 Fabbrini,

Enc. dir. XXXIV (1985), Potere del giudice {dir. proc. civ.), S. 734. Enc. dir. XXXIV (1985), Potere del giudice {dir. proc. civ.), S. 736. 205 Aus Art. 159 Abs. 1 c.p.c. ergibt sich im Umkehrschluß, daß Prozeßhandlungen nichtig sind, wenn sie von einer vorherigen nichtigen Prozeßhandlung abhängig sind. 206 Fabbrini, Enc. dir. XXXIV (1985), Potere del giudice {dir. proc. civ.), S. 735; so auch wegen Art. 3, 24 cost. Montesano, Riv. trim. dir. proc. civ. 1978, S. 205 f. 207 Proto Pisani, in: Andrioli/Barone/Pezzano/Proto Pisani, Contraversie di lavoro 2 , s. 713. 208 Siehe oben Fußnote 640, S. 218. 209 Cass. civ. vom 6. Dezember 1986, Nr. 7244, Rep. Foro it. 1986, Lavoro e previdenza {controversie}, Nr. 275. 210 Proto Pisani, in: Andrioli/Barone/Pezzano/Proto Pisani, Contraversie di Javoro2 , s. 713. 2 ll So Cavallone, II giudice e Ia prova, S. 328, der bedauert, daß der Gesetzgeber hier auf halbem Wege stehen geblieben ist und den Eid nicht ganz abgeschafft hat. 204 Fabbrini,

298

C. Das Erkenntnisverfahren b)

Gebrauchsüberlassung von Immobilien

Auch in anderen Sonderverfahren hat dieser Trend zur Stärkung der Stellung des Richters im Beweisverfahren angehalten, 212 womit sich eine schon unter dem alten codice bekannte Entwicklung fortsetzt, daß es neben dem ordentliche Verfahren eine Vielzahl anderer Sonderverfahren gibt. Eines dieser Sonderverfahren hat sich bald nach Gründung der italienischen Republik auf dem Gebiet des Mietrechts entwickelt. So enthielt Art. 30 G. 253/1950,213 das Streitigkeiten hinsichtlich der Miethöhe regelte, Vorschriften für ein besonders formloses Verfahren unter der Leitung des Richters. Auch Art. 4 G. 1444/1963214 verwies in Art. 4 auf diese Vorschriften. Und im berühmten Gesetz Nr. 392 über den angemessenen Mietzins (legge sull'equo canone) aus dem Jahre 1978215 formte der Gesetzgeber den Prozeß in Mietsachen nach dem Vorbild des Arbeitsverfahrens um216 und räumte dem Richter in Art. 47 G. 392/78 die gleichen Befugnisse wie in Art. 421 Abs. 2 c.p.c. ein. Damit konnte der Richter217 auch in Mietsachen alle Beweismittel mit Ausnahme des streitentscheidenden Eids von Amts wegen erheben. Auch an die materiellen Beweisverbote war er nicht gebunden, wohl aber - im Gegensatz zum Arbeitsrichter (Art. 421 Abs. 4 c.p.c.) - an die subjektiven. In der jüngsten Reform hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich weiter Teile des Arbeitsverfahrens auf alle Streitigkeiten ausgedehnt, die eine Gebrauchsüberlassung von städtischen Immobilien durch Miete ( locazione) (Art. 1571 ff. c.c.) oder Leihe (comodato) (Art. 1803 ff. c.c.) oder eine Unternehmenspacht 218 (affitto dell'azienda) (Art. 2562, 2561, 1615 ff. c.c.) betreffen (Art. 447 bis Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 3 c.p.c.). Zuständig 212 Taroffo,

Riv. trim. dir. proc. civ. 1977, S. 1567. Disposizioni per /e locazioni e sublocazioni di immobili urbani vom 23. Mai 1950, Nr. 253, G.U. vom 26. Mai 1950, Nr. 120, LEX 1950 I, S. 583 ff. 214 Gesetz Norme relative alle locazioni degli immobili urbani ad uso di abitazione vom 6. November 1963, Nr. 1444, G .U. vom 7. November 1963, Nr. 290, LEX 1963 I, s. 2376. 215 Gesetz Disciplina del/e locazioni di immobili urbani vom 27. Juli 1978, Nr. 392, G.U. vom 29. Juli 1978, Nr. 211, LEX 1978 I, S. 1365. 216 Cavallone, Il giudice e Ia prova, S. 323. Daraus folgt, daß hinsichtlich der Schranken bei der Ausübung der Beweisbefugnisse auf die Ausführungen zum Arbeitsverfahren (S. 296) verwiesen werden kann ( Cavallone, Il giudice e Ia prova, S. 326). Das recht liche Gehör wird hier durch einen Generalverweis in Art. 46 G. 392/78 unter anderem auf Art. 420 c.p.c. sichergestellt. 217 Zuständig war nach Art. 45 Abs. 2 G. 392/78 bei einem monatlichen Mietzins bis t 50.000 der conciliatore, darüber der pretore. 218 Darunter wird eine universitas rerom produttiva verstanden. Unter dem Vorbehalt der Zuständigkeit der Kammern für Landwirtschaftssachen sind alle gewerblichen Unternehmen erfaßt (Acone, in: Tarzia/ Cipriani, Provvedimenti urgenti, c. p.c., Art. 8, S. 14; Buzzoni , in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 8 n.F. Anm. II Rdnr. 14). 213 Gesetz

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

299

ist dafür nun der pretore am Ort der belegenen Sache (Art. 8 Abs. 2 Nr. 3 c.p.c.), während Zuständigkeit und Verfahrensvorschriften vorher je nach dem genauen Streitgegenstand variierten. 219 Hinsichtlich der Befugnisse des Richters im Beweisrecht besteht jedoch eine Sondervorschrift in Art. 447 bis Abs. 3 c.p.c., wonach zwar die Beweisaufnahme von Amts wegen mit Ausnahme des giuramento suppletorio immer zulässig ist. Die Befreiung von den materiellen Beweisverboten ist dort aber ebensowenig aufgenommen wie die formlose Befragung der Personen, die als Zeugen aus persönlichen Gründen nicht zugelassen sind. Damit hat der Gesetzgeber220 nicht nur die alten Beweisbeschränkungen beibehalten,221 sondern sie im Vergleich zum früheren Art. 47 G. 392/1978 sogar wieder neu eingeführt.222 Daß der Richter dafür nun auch ausdrücklich jederzeit eine Ortsbesichtigung anordnen kann, bedeutet dagegen keine Neuerung; dies war ihm bereits nach bisherigem Recht durch Art. 118 Abs. 1 c.p.c. gestattet,223 weshalb diese neue ausdrückliche Befugnis wie eine Sondernutzungserlaubnis im Rahmen des Gemeingebrauchs wirkt. c)

Trennungs- und Scheidungssachen

Ein drittes Sonderverfahren, das traditionell für Beweisbefugnisse von Amts wegen bekannt ist, ist das Verfahren in Trennungs- und Scheidungssachen. Im Gegensatz zu den bisher behandelten Arbeits- und Mietverfahren fehlt es den Ehegatten hier an der materiellen Befugnis, über den Streitgegenstand zu verfügen und ihre Ehe allein kraft ihres gemeinsamen Willens zu scheiden. Während der codice di procedura civile in seiner ursprünglichen Fassung im Verfahren zur persönlichen Trennung der Ehegatten noch keine richterliche Beweisaufnahme von Amts wegen vorsah, sondern statt dessen die notwendige Beteiligung des Staatsanwalts (pubblico ministero) an einem ordentlichen Erkenntnisverfahren anordnete (Art. 70 Abs. 1 Nr. 2 c.p.c.),224 änderte sich dies erheblich mit dem Scheidungsgesetz von 1970,225 das erstmals die Scheidung der Ehegatten dem Bande nach zuließ. So enthielt Art. 4 Abs. 8 G. 898/1970 a.F. die Befugnis des Richters, alle Beweismittel von Amts zu erheben, ohne daß deshalb auf die notwendige Beteiligung des Staatsanwalts verzichtet worden wäre (Art. 5 Abs. 1 G. 898/1970). Diese Generalklausel galt nicht nur für das Verfahren 219 Costantino,

in: Tarzia/ Cipriani, Provvedimenti urgenti, c.p.c., Art. 447 bis, S. 286. 447 bis Abs. 3 c.p.c. geht auf Art. 448 des Entwurfs von Proto Pisani und Fabbrini zurück. Gleiches findet sich auch im Entwurf von Tarzia. 221 Ricci, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 447 bis Anm. II Rdnr. 2. 222 Attardi, Nuove disposizioni, S. 220. 223 Giancotti, in: Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 447 bis, S. 577. 224 Siehe dazu auch unten C.IV.5.b), S. 308. 225 Vgl. oben Fußnote 223, S. 103. 220 Art.

300

C. Das Erkenntnisverfahren

über den Scheidungsausspruch, sondern zugleich für die im Verbund verhandelten Fragen des nachehelichen Unterhalts, des Sorgerechts und des Kindesunterhalts, 226 bis sie anläßlich der Reform des Scheidungsrechts 1987227 wieder gestrichen wurde. 228 Bedenkt man aber, daß die frühere Generalklausel von der Rechtsprechung restriktiv ausgelegt worden war und sich auch heute noch verschiedene Beweisbefugnisse des Richters finden, stellt ihr Wegfall mehr eine formale als eine substantielle Änderung dar. 229 Nach wie vor kann der Richter bei den notwendigen Scheidungsfolgesachen Sorgerecht und Kindesunterhalt alle Beweismittel von Amts wegen zulassen und auch die Kinder selbst anhören (Art. 6 Abs. 9 G. 898/1970 n.F.). Beim nachehelichen Unterhalt sind die Ehegatten schon von Gesetzes wegen verpflichtet, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenzulegen. Bleiben diese streitig, kann das Gericht zur Feststellung der tatsächlichen Vermögensverhältnisse von Amts wegen die Steuerfahndung (polizia tributaria) einschalten (Art. 5 Abs. 9 G. 898/1970 n.F.). Zweifelhaft ist jedoch, ob diese Befugnisse auch für die persönliche Trennnung der Ehegatten gelten. Auch wenn Art. 23 Abs. 1 G. 74/1987 seinem Wortlaut nach nur auf Art. 4 G. 898/1970 n.F. verweist, sprechen doch systematische Erwägungen für eine analoge Anwendung, da der Gesetzgeber die Verfahren bei Trennung und Scheidung grundsätzlich gleich regeln wollte und die Interessenlage nahezu identisch ist. 230 d}

Fazit

Stellt man sich nun die Frage, warum der Richter in diesen Sonderverfahren mit solch weitreichenden Befugnissen im Beweisrecht ausgestattet worden ist, kommt man zum Ergebnis, daß hier zunächst vor allem soziale Gründe im Vordergrund gestanden haben. Insbesondere der Arbeitnehmer und der Mieter gelten a priori als die schwächere Prozeßpartei, denen der Richter beizustehen hat. 231 In Scheidungsfällen gibt es zwar keine schwächere Partei, doch wäre auch hier das Ergebnis unerträglich, daß ein Ehegatte nur wegen seiner Unerfahrenheit im Prozeß seinen Unterhalt und 226 Vgl. zum nachehelichen Unterhalt Art. 5 Abs. 4 G. 898/1970 a.F., zum Sorgerechtsentscheid (Art. 6 Abs. 2 S. 1 G. 898/1970 a.F. und zum Kindesunterhalt Art. 6 Abs. 4 G. 898/1970 a.F . Die Regelung des nachehelichen Unterhalts hängt aber anders als die des Kindesunterhalts und des Sorgerechts von einem Antrag ab und wird nicht von Amts wegen vorgenommen ( Grunsky, Italienisches Familienrecht, S. 99, m .w.N. in Fußnote 24). 22 7 Vgl. oben Fußnote 223, S. 103. 228 Vgl. dazu Cipriani, in: Lipari, Leggi civili 1987, S. 883. 229 A. Finocchiaro, in: Finocchiaro, Diritto di Famiglia, Band 3, Art. 4, S. 289. 230 A . Finocchiaro, in: Finocchiaro, Diritto di Famiglia, Band 3, Art. 23 1. 6 marzo 1987, n. 74, S. 716. 231 Satta/Punzi, Diritto processuale civile 11 , S. 1034.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

301

damit seine zukünftige Lebensgrundlage nicht zugesprochen bekäme. Somit ist in diesen Verfahren, vergleichbar einigen Fällen der freiwilligen Gerichtsbarkeit,232 eine aktive Rolle des Richters als "Sozialmanager" geboten.233 Dabei mag auch eine Rolle gespielt haben, daß die Parteien zumindest im Arbeitsverfahren nicht anwaltlieh vertreten sein müssen (Art. 417, 447 bis Abs. 1 c.p.c.), 234 auch wenn dies praktisch keine große Rolle spielt, da die Streitwertgrenze insoweit mit f, 250.000 außerordentlich niedrig ist. Inzwischen kann allein diese soziale Bedeutung der Sonderverfahren die richterlichen Befugnisse aber nicht mehr in allen Fällen rechtfertigen, seit diese auch in Fällen der gewerblichen Miete und der Unternehmenspacht anwendbar sind. Vielmehr deutet sich hier eine Tendenz an, die Stellung des Richters im Beweisverfahren allgemein weiter zu stärken. 4.

Weitergehende Reformpläne

So sollten nach den ursprünglichen Entwürfen von Proto Pisani und Fabbrini über den heutigen Rahmen hinaus alle Streitigkeiten aus MietPacht- und Leihverträgen über Immobilien und alle Straßenverkehrsunfälle nach den Grundsätzen des Arbeitsverfahrens verhandelt werden. Um aber die letztlich nicht praktikable Konsequenz zu vermeiden, auch vor dem tribunale nach dem Arbeitsverfahren zu verhandeln und dort zwei parallele Verfahrensarten einzuführen,235 sollte nach diesem Entwurf auch die Kompetenz für die fraglichen Materien dem pretore übertragen werden (Art. 8 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3). Dies war jedoch nicht zu realisieren. Soweit die Anwendung auf Mietverträge über bewegliche Sachen vorgeschlagen worden war, 236 wurde dies mit der Begründung abgelehnt, nur bei Immobilien sei die besondere Nähe des pretore zum Streitobjekt nötig, 237 was sich im übrigen auch in dem auf Immobilien beschränkten besonderen Gerichtsstand der Belegenheit der Sache ausdrückt (Art. 447 bis Abs. 2 c.p.c.). Warum aber außerstädtische Immobilien nicht erfaßt worden sind, läßt sich damit nicht erklären. 238 Hinsichtlich der Anwendung des Sonderver232Siehe oben B.III., S. 104. 233Vgl. Trocker, ZZP 91 (1978), S. 237, 240. 234 Proto Pisani, in: Andrioli/BaronejPezzano/Proto Pisani, Contraversie di lavoro 2, s. 708. 235 Verde, in: VerdejNanni, c.p.c., Art. 447 bis Anm. 1, S. 226. 236 So noch bei der Verhandlung der Justizkommission des Senates Unterstaatssekretär Coco, Stenographischer Bericht der Sitzung der 2. ständigen Kommission des Senats der Republik am 15. November 1989, S. 7, abgedruckt in Doc. Giust. 1991, Nr. 10. 237 Kommissionspräsident Covi, Stenographischer Bericht der Sitzung der 2. ständigen Kommission des Senats der Republik am 15. November 1989, S. 7, abgedruckt in Doc. Giust. 1991, Nr. 10. 238 Giussani, in: Commentario breve (appendice di aggiornamento), c.p.c., Art. 8 Anm. IV Rdnr. 2; Buzzoni, in: Commentario breve3 , c.p.c., Art. 8 Anm. II Rdnr. 15.

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C. Das Erkenntnisverfahren

fahrens auf Straßenverkehrsunfälle hatte sich schon der C.S.M. in seiner Stellungnahme dagegen ausgesprochen, dem pretore generell ohne Rücksicht auf den Streitwert alle Verkehrsunfallsachen zu übertragen, da er damit quantitativ und qualitativ überfordert werde. 239 Auch der Gesetzentwurf Nr. 1288/S/X, der insoweit mit nur geringen redaktionellen Änderungen Gesetz geworden ist, hatte in Art. 8, 448 Straßenverkehrsunfälle nicht mehr erwähnt. Folgt man den Argumenten gegen die Erweiterung der Kompetenz des

pretore, 240 ist die parallele Beschränkung des Anwendungsbereiches des

Arbeitsverfahrens konsequent. Denn in der Tat wäre es vor allem unter dem Blickwinkel unseres Themas wenig wahrscheinlich, daß ein Richter am tribunale die ihm plötzlich zufallenden Befugnisse im Beweisverfahren auch ausübt, solange sie ihm nicht generell zustehen und seinen ganzen Arbeits- und Verhandlungsstil prägen. So ist es denn auch nicht verwunderlich, daß der Trend der Ausweitung der richterlichen Befugnisse im Beweisverfahren, der sich mit dem Inkrafttreten des neuen codice und der weiteren Entwicklung in vielen Sonderverfahren feststellen läßt, in deutlichem Widerspruch zur Zurückhaltung der Praxis in der Ausübung der Befugnisse steht. 241 Zurückzuführen ist dies auch darauf, daß sich die nur vereinzelten Befugnisse in einem prozessualen Umfeld fehlender Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und Konzentration nicht entfalten können 242 und daß die Generalklausel in Art. 115 c.p.c. einen Geist verbreitet, der der Ausübung der richterlichen Befugnisse nicht dienlich ist. 243 Will Italien auf die Dauer die Rolle des Richters im Beweisverfahren tatsächlich stärker betonen, wird man daher um eine Änderung der Grundregel des heutigen Art. 115 c.p.c. nicht herumkommen. Eine solche entgegengesetzte Grundregel besteht insbesondere in Frankreich. Schon der alte code de procedure civile hatte die Beweiserhebung von Amts wegen grundsätzlich zugelassen, wenn sie nicht ausnahmsweise ausgeschlossen war (Art. 254 CPC 1806). Heute ist diese Grundregel in Art. 143, 771 Nr. 5 NCPC enthalten. Auch das Österreichische Recht geht seit 1895 davon aus, daß der Richter alle Beweismittel auch von Amts wegen erheben kann, wobei er nicht einmal an das konkrete Vorbringen der Parteien gebunden ist, sondern von sich aus sogar den Ausforschungs- oder Erkundungsbeweis anordnen kann. 244 Dies wird aber im Unterschied zu 239 Doc.

Giust. 1988, Nr. 10, Sp. 400. das Argument der quantitativen Überforderung ist sicherlich stichhaltig. Dagegen raUt es schwer, den qualitativen Unterschied zwischen dem pretore und dem Einzelrichter am tribunale nachzuvollziehen, und das nicht nur in Italien. 241 Tarutfo, Riv. trim. dir. proc. civ. 1977, S. 1568. 242 Tarutfo, Riv. trim. dir. proc. civ. 1977, S. 1568. 243 Ähnlich schon zur damaligen Situation in Österreich Klein, JBI. 1890, S. 522. 244 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 659. 240 Zumindest

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

303

Frankreich nicht durch eine Generalklausel ausgesprochen, 245 sondern die Erhebung von Amts wegen ist für jedes Beweismittel einzeln bestimmt. 246 Auch in Italien hat es an Vorschlägen nicht gefehlt, dem Richter weitreichende Befugnisse zur Beweiserhebung von Amts wegen zuzubilligen. Eine Schlüselrolle spielte dabei wie so oft Chiovenda, der auf den Spuren der Österreichischen Reform den Richter zu aktivieren versuchte. Art. 29 seines Entwurfs soll hier seiner Bedeutung wegen wörtlich wiedergegeben werden. Er lautete: "Verhandelt wird unter der Aufsicht und Leitung des Richters. Außer in den von diesem Gesetz ausdrücklich genannten Fällen hat dieser alle Anordnungen zu treffen, soweit dies erforderlich ist, um die Richtigkeit der Tatsachen aufzuklären und eine gerechte Entscheidung der Streitsache sicherzustellen; er hat die Gleichheit der Parteien zu wahren und darüber zu wachen, daß die Verhandlung der Streitsache so schnell und wirtschaftlich wie möglich durchgeführt wird." Diese Formel, insbesondere die Befugnis zur Wahrheitsfindung, läßt die Vermutung aufkommen, der Richter sei von sich aus befugt, jedes Beweismittel von Amts wegen zu erheben. Die dem Entwurf beigefügte Erläuterung deutet jedoch darauf hin, daß sich der Richter nur über Zweifel hinsichtlich des Wahrheitsbeweises äußern sollte, um weitere Beweisinitiativen der Parteien anzuregen, anstatt selbst in die Wahrheitsfindung einzugreifen,247 wie dies auch heute in Deutschland üblich ist. 248 Und so vermißt man in Art. 30 des Entwurfs, der zum Teil eine wörtliche Übersetzung des § 183 öZPO darstellte, denn auch den Zeugenbeweis.249 Hier hat sich bei Chiovenda der deutsche Einfluß durchgesetzt, den Zeugenbeweis von Amts wegen nicht zuzulassen. Unter dem jetzigen codice di procedura civile ist eine Generalklausel für die Beweisaufnahme von Amts wegen im Entwurf von Liebman von 1977 enthalten gewesen (Art. 174 Abs. 1 lit. c). 250 Dieser Umstand ist 245 § 182 Abs. 1 öZPO regelt zumindest seinem Wortlaut nach nur die Befugnis des Richters, weitere Parteiaktivitäten anzuregen. 246 Urkunden (§ 183 Nr. 2, 3 öZPO); Einnahme des Augenscheins (§ 183 Nr. 4 öZPO); Sachverständige (§ 183 Nr. 4 öZPO); Zeugen (§ 183 Nr. 5 öZPO); Parteivernehmung (§ 371 öZPO). 247 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 39 f., 62. 248 Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, S. 18, 40; Stürnerj Stadler, Aktive Rolle des Richters, S. 189. 249 In Österreich hatte sich Klein, Jur. BI. 1890, S. 546 für die Beweiserhebung durch Zeugen von Amts wegen ausgesprochen. Auch in Frankreich war schon damals der Zeugenbeweis von Amts wegen nach Art. 254 CPC 1806 zulässig, allerdings nur in den Grenzen, denen auch die Parteien unterworfen waren. 250 Der dort gemachte Vorbehalt zugunsten anderslautender Vorschriften sollte nur bei der beeideten Parteiaussage (Art. 207 Abs. 1) zum Tragen kommen.

C. Das Erkenntnisverfahren

304

bemerkenswert, weil sich Liebman noch 1960 vehement gegen jede richterliche Beweisinitiative ausgesprochen hatte. So hatte er die Verstärkung der Beweisbefugnisse des Richters als Schwächung der Trennung von Richterund Verwaltungsamt bezeichnet, die in den Zivilprozeß eine paternalistische Tendenz einführe, die keinerlei Unterstützung verdiene. 251 Besonders besorgt hatte er sich dabei um die Unparteilichkeit des Richters gezeigt, die am besten dadurch zu sichern sei, daß der Richter sich besonders in der Beweisaufnahme passiv verhalte. Um über streitige Tatsachen unparteilich zu entscheiden, müsse er von der Wahrheitssuche und der Zulassung der Beweismittel ausgeschlossen sein. 252 Und schließlich wisse bereits der Volksmund, daß niemand Richter in eigener Sache sein könne. 253 5.

Grenzen der Beweiserhebung von Amts wegen

Damit weist Liebman auf einen Gesichtspunkt hin, der schon weiter oben angeklungen ist: das Spannungsverhältnis zwischen der aktiven Rolle des Richters und seiner möglichen Befangenheit. 254 Ein Spannungsverhältnis, das nicht nur, aber eben auch bei Beweiserhebungen von Amts wegen eine Rolle spielen kann. 255 Daneben gerät die Beweisaufnahme von Amts wegen in den Verdacht, mit der Verhandlungsmaxime unvereinbar256 und Ausdruck der Untersuchungsmaxime zu sein, die in einem ordentlichen Zivilprozeß über frei verfügbare Streitgegenstände nichts verloren habe. Um diese Vorwürfe gegen die Beweisaufnahme von Amts wegen nicht nur pauschal zu bewerten oder in eine fruchtlose Maximendiskussion zu verfallen,257 soll geklärt werden, was unter einer Beweisaufnahme von Amts wegen zu verstehen ist. Dieser Aufgabe kommt um so größere Bedeutung zu, als mit der Untersuchungsmaxime oft sehr verschiedene Abstufungen richterlicher Beweisbefugnisse verbunden werden. 258 251 Liebman,

Riv. dir. proc. 1960, S. 564. Riv. dir. proc. 1960, S. 562. 2 53 Liebman, Riv. dir. proc. 1960 S. 559. 2 54 Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, S. 22, unter Hinweis auf die Worte Jesu, daß niemand zwei Herren gleichzeitig dienen könne (Matthäus 6, 24). 255 Liebman, Riv. dir. proc. 1960, S. 561; Montesano, Riv. trim. dir. proc. civ. 1978, s. 189. 256 Vgl. Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 309, für den das Verfügungsrecht der Parteien über die Beweismittel in einem Verfahren über einen frei verfügbaren Streitgegenstand zum Wesen des Zivilrechts gehört. 257 Vgl. zur Kritik an der Verhandlungsmaxime im Beweisrecht Klein, JBI. 1890, S. 520. Zur Kritik an den Prozeßmaximen insgesamt siehe in Deutschland Wassennann , Der soziale Zivilprozeß, S. 108, und in Italien Cavallone, I! giudice e Ia prova, S. 314 ff. = Riv. dir. proc. 1976, S. 700 ff. Kritisch gegenüber der Verhandlungsmaxime zur Eingrenzung richterlicher Aktivitäten auch Peters, Richterliche Hinweispflichten, S. 107. 258 So würde nach Stümer, Die Aufklärungspflicht der Parteien, S. 67, durch eine 252 Liebman,

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

a)

305

Die drei Stufen von Befugnissen im Beweisverfahren

Lassen wir den völlig passiven Richter beiseite, der nur über die Beweisanträge der Parteien zu entscheiden hat, ohne überhaupt in das Geschehen einzugreifen, sollen hier zunächst drei Stufen richterlicher Befugnisse unterschieden werden: 1. Auf der untersten Stufe kann der Richter lediglich über die von den Parteien vorgetragenen Tatsachen mit den Beweismitteln Beweis erheben, die sich aus diesem Vortrag ergeben. 2. Eine Mittelstellung bei der Abstufung richterlicher Befugnisse im Beweisverfahren nimmt der Fall ein, daß der Richter zwar an den streiterhebliche Sachvortrag gebunden ist und keine Haupttatsachen259 (fatti primi) von sich aus in den Prozeß einführen darf. Mit welchen Beweismitteln er die ihm unterbreiteten streitigen Tatsachen unter Beweis stellt, steht dagegen in seinem Ermessen. Dann wäre er insbesondere an die von den Parteien genannten Beweismittel nicht gebunden, sondern könnte auch von Amts wegen Tatsachen erforschen, die zwar nicht selbst entscheidungserheblich sind, wohl aber als Hilfstatsachen260 (fatti secondari) Rückschlüsse auf das Bestehen der Haupttatsachen zulassen. Hierunter sollen sowohl Beweismittel als auch Indizien verstanden werden. 3. Die weitreichendste Form richterlicher Aktivität ist die selbständige Ermittlung des tatsächlichen Geschehens. In diesem Fall ist der Richter nicht an den Tatsachenvortrag der Parteien gebunden. Er kann Beweise erheben über Tatsachen, die entweder von den Parteien so nicht vorgetragen oder unstreitig anders vorgetragen worden sind. Der Richter ist also befugt, selbständig Haupttatsachen, von deren Bestehen oder Nichtbestehen die Sachentscheidung unmittelbar abhängt, in den Prozeß einzuführen. Gebunden ist der Richter nur an das von den Parteien formulierte Rechtsschutzbegehren (petitum).261 b}

Die praktische Anwendung der drei Stufen

Nach dieser grundsätzlichen Begriffsklärung soll nun anband konkreter Beispiele geklärt werden, in welchem Umfang richterliche Befugnisse Verpflichtung des Richters, Beweise von Amts wegen zu erheben, "jeder - auch jeder theoretische- Unterschied zum Verfahren der Untersuchungsmaxime aufgegeben." 2 ~ 9 Fasching , Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 837; BGH, NJW 1989, S. 2947. 26 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 837; BGH, NJW 1989, S. 2947. 261 Klein, JBI. 1890, S. 544; Baur , Beiträge zur Gerichtsverfassung und zum Zivilprozeßrecht, S. 169.

°

20 Piekenbrock

306

C. Das Erkenntnisverfahren

im Beweisverfahren denkbar sind, ohne mit der Verhandlungsmaxime in Konflikt zu kommen oder den Richter dem Verdacht der Befangenheit auszusetzen. aa)

Die dritte Stufe

Die auf der dritten Stufe beschriebenen Befugnisse sind mit der Verhandlungsmaxime nicht in Einklang zu bringen. Zwar läge hier kein Verstoß gegen den Grundsatz vor, daß der Richter in Verfahren der streitigen Gerichtsbarkeit nicht von Amts wegen tätig wird (ne procedat iudex ex officio). 262 Doch bedeutet die freie Verfügung über den Streitgegenstand nicht nur, daß der Richter über ein vom Antragsteller nicht begehrtes petitum nicht entscheiden darf, sondern auch, daß die Parteien über die causa petendi verfügen können, die den Streitgegenstand wesentlich bestimmt. Die Parteien können in einem am Grundsatz der Dispositionsfreiheit orientierten Verfahren den Fall dem Gericht also so unterbreiten, wie er sich ihrer Meinung nach abgespielt hat. 263 Der Dispositionsfreiheit ist die Verhandlungsmaxime demnach insoweit immanent, als der entscheidungserhebliche Tatsachenvortrag allein in der Verantwortung der Parteien liegt. Befugnisse der dritten Stufe finden sich daher nur in Verfahren über Streitgegenstände, bei denen die Dispositionsmaxime ausdrücklich nicht gilt, vor allem in Ehe- und Kindschaftssachen. Dort kann der Richter (Haupt-)Tatsachen berücksichtigen, die von den Parteien nicht vorgetragen worden sind, und darüber von Amts wegen Beweis erheben (§§ 616 Abs. 1, 640 ZP0). 264 Folglich ist der Richter hier auch nicht an Geständnisse, Anerkenntnisse oder die Wirkungen des Nichtbestreitens gebunden (§§ 617, 640 ZPO). Deshalb kann hier zu Recht von einem inquisitorischen Verfahren gesprochen werden, das für das ordentliche Erkenntnisverfahren als Modell ausscheidet. 262 Dieser Grundsatz gilt nach Art. 737 c.p.c. auch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. dazu oben B.III., S. 100). Doch hat hier zum Teil auch der Staatsanwalt das Antragsrecht (vgl. Art. 48, 58, 67, 321 c.c., Art. 69 c.p.c.), so daß die Verfahrenseröffnung unabhängig vom Willen der Beteiligten ist. In Deutschland gibt es ein Antragsrecht des Staatsanwalts dagegen nur in wenigen Ausnahmefällen, etwa in §§ 16 Abs. 2 lit. a, 30 Abs. 1 VerschG. Im übrigen handelt es sich zumeist um Amtsverfahren wie etwa in Vormundschafts- oder Nachlaßsachen (§§ 1666, 1774, 1896, 1915, 1960, 2260, 2361 BGB) oder um reinen Antragsverfahren wie etwa in Registersachen (§ 1560 BGB, § 13 Abs. 1 GBO). 263 So im Ergebnis auch Klein, JBI. 1890, S. 544. 264 Zu Ehesachen in Österreich siehe § 460 Nr. 4 öZPO sowie Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 2340, 2355. Zu Frankreich siehe Art. 1078 NCPC i.V.m. Art. 287-2 CC, wonach das Gericht eine enqete sociale anordnen kann, wenn es sich für ungenügend informiert hält.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

307

Unter dieser Prämisse sind die in den einzelnen Ländern zu beobachtenden Tendenzen zu sehen, die Zweifel an der Gültigkeit des Grundsatzes begründen könnten, wonach der Richter an übereinstimmenden Tatsachenvortrag gebunden ist. So ist der Richter in Deutschland jedenfalls an das Geständnis einer offenkundig unmöglichen Tatsache nicht gebunden. 265 In Österreich soll dies bereits der Fall sein, wenn das Geständnis der bereits erfolgten Beweisaufnahme eindeutig widerspricht. 266 In Italien ging die Diskussion jedoch wesentlich weiter. Dort ist die Bindung des Richters an das Geständnis und damit an den übereinstimmenden Vortrag der Parteien von dem Sturm erfaßt worden, der über das weite Feld der legalen Beweisvorschriften hinwegfegt. So sollten nach den Entwürfen von Liebman von 1977 (Art. 208) und 1981 (Nr. 13 lit. i), 267 die das wünschenswerte Ziel der freien Beweiswürdigung verfolgten, 268 das Geständnis der freien Würdigung des Richters unterstellt werden. 269 In dieselbe Richtung geht auch der Vorstoß von Taruffo, der die legale Beweiswirkung des Geständnisses in einem Atemzug mit dem Verbot des Zeugnisses vom Hörensagen nach der anglo-amerikanischen hearsay rule270 nennt, die für ihn beide eine zu starre Verabsolutierung einer dem commonsenseentnommenen Beweisregel sind.271 Soweit diese Entwürfe den Richter generell von der Bindung an den übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien befreien und damit die Untersuchungsmaxime im Sinne der §§ 616 Abs. 1, 617 ZPO ins ordentliche Erkenntnisverfahren übertragen wollen, ist ihnen deutlich entgegenzutreten. Soweit sie aber, und so verstehe ich sie, lediglich um Einschränkungen des Grundsatzes der Bindung des Richters an den übereinstimmenden Sachvortrag in Fällen des Mißbrauchs oder des kollusiven Zusammenwirkens zulasten eines Dritten bemüht sind, sind sie zu begrüßen. Dabei ist es hilfreich, sich noch einmal vor Augen zu halten, daß der Zivilprozeß der Findung eines mit der tatsächlichen Rechtslage übereinstimmenden Sachurteils dient und als Einrichtung des staatlich garantierten Rechtsschutzes vor Mißbrauch zu schützen ist. Von solchen Fällen des offensichtlichen Mißbrauchs abgesehen, muß aber in jedem an der Verhandlungsmaxime orientierten Verfahren der NJW 1979, S. 2089. Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 851. 267 Gleichlautend Art. 2 Nr. 13 lit. i des Gesetzentwurfs Nr. 1463/S/VIII. 268 Relazione zum Kommissionsentwurf von Liebman, Riv. dir. proc. 1977, S. 457; Relazione zum Gesetzentwurf Nr. 2463/S/VIII, Riv. trim. dir. proc. civ. 1981, S. 660. 269 Ähnlich Proto Pisani, in: Andrioli/ Barone/ Pezzano/ Proto Pisani, Controversie di lavoro 2 , S. 718, der bestrittene und zugestandene Tatsachen jedenfalls im Arbeitsverfahren dem thema probandum unterstellen will. 270 Dazu Dondi, Riv. dir. proc. 1979, S. 97 ff., 223 ff. 271 Taruffo, Riv. trim. dir. proc. civ. 1992, S. 335. 265 BGH,

266 Fasching,

20•

308

C. Das Erkenntnisverfahren

Grundsatz gelten, daß der Richter an den übereinstimmenden Tatsachenvortag der Parteien gebunden ist, 272 auch wenn zum Beispiel ein Geständnis möglicherweise nicht mit der Wahrheit übereinstimmt.273 Eine Beweisaufnahme zu unstreitigen Tatsachen ist damit grundsätzlich untersagt. 274 Das bedeutet, daß der Richter unstreitigen Tatsachenvortrag275 als gegeben hinnehmen muß. Das bedeutet auch, daß er Tatsachen, die keine Partei vorgetragen hat, als nicht gegeben behandelt. Es bedeutet aber nicht, daß der Richter die Parteien nicht auch über unstreitigen Tatsachenvortrag befragen kann. So ist er in Deutschland schon von Amts wegen verpflichtet, durch seine Fragen darauf hinzuwirken, daß sich die Parteien über die Haupttatsachen vollständig erklären(§ 139 Abs. 1 ZPO). Auch kann er sie an ihre Wahrheitspflicht erinnern (§ 138 Abs. 1 ZPO), wenn ihm Zweifel an der Richtigkeit einer möglicherweise unbestrittenen Behauptung kommen. 276 Bleiben die Parteien jedoch bei ihren Angaben, stellen sie die Grenze der Beweisaufnahme dar. Obwohl die Befugnisse auf der obersten Stufe schon wegen ihres Verstoßes gegen die Verhandlungsmaxime nicht als Modell für ein ordentliches Erkenntnisverfahren taugen, soll trotzdem noch kurz der Frage nachgegangen werden, ob angesichtsdieser Machtfülle die Unparteilichkeit des Richters Schaden nehmen könnte. Während man in Deutschland und Österreich wie selbstverständlich hinnimmt, daß die Untersuchungsbefugnisse in der Hand des Richters gebündelt werden, der die Sache letztlich auch entscheidet, hat Italien bis heute daran festgehalten, nicht die richterlichen Befugnisse zu erweitern, sondern statt dessen die Beteiligung des Staatsanwalts an dem Verfahren vorzuschreiben und ihn mit weitreichenden Beweisantragsrechten auszustatten (Art. 70, 72 Abs. 2 c.p.c.) .277 Aus Sicht der Parteien und ihrer Herrschaft über den Prozeßstoff spielt es zwar 272 Proto Pisani, in: Andrioli/ BaronejPezzano/ Proto Pisani, Contraversie di lavoro 2 , S. 710 f.; Morel, Procedure civile, Nr. 471, S. 505. 273 BGHZ 37, 154, 155; Thomasj Putzo 20 , ZPO, § 288 Rdnr. 7; Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 851. 274 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 849; Chiovenda, Principii 3 , s. 734. 275 Dabei ist es gleichgültig, ob die Tatsachen lediglich nicht bestritten oder ausdrücklich zugestanden sind (vgl. dazu oben C.III.3.c), S. 202.). 276 Dabei ist aber sorgfältig darauf zu achten, daß sich der Richter bei diesen Fragen an den Tatsachenvortrag gebunden weiß und nicht allegationibus solutus eine Art polizeiliche Vernehmung mit den Parteien durchführt (vgl. Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 367 f.). 277 Liebman, Riv. dir. proc. 1960, S. 555 ff. Vgl. zum früheren Recht Art. 346 Nr. 3, 4 c.p.c. 1865 sowie Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 356. Diese Stellung des Staatsanwalts im Verfahren entspricht seinen weitreichenden Befugnissen zur Verfahrenseröffnung (vgl. oben Fußnote 262, S. 306). In Deutschland und Öst erreich kann der Staatsanwalts in Verfahren über die Ehenichtigkeit Beweisanträge st ellen (§ 634 ZPO; § 83 DVEheG), ist aber anders als in Italien kein notwendiger Verfahrensbeteiligter. Dies gilt inzwischen auch für Frankreich, wo es eine notwendige

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

309

keine Rolle, ob die "öffentlichen Beweisbefugnisse" dem Richter oder dem Staatsanwalt übertragen werden. Aus der Sicht des Richters und für sein Selbstverständnis ist es dagegen wichtig, ob er selbst aktiv am Beweisverfahren teilnimmt oder diesen Part dem Staatsanwalt zu überlassen hat. So entspricht die italienische Lösung, dem Staatsanwalt die Teilnahme an jedem Verfahren zu gestatten, in dem er öffentliche Interessen berührt sieht (Art. 70 Abs. 3 c.p.c.), 278 mehr einem Akkusations- als einem Inquisitionsprozeß, der durch besondere richterliche Beweisbefugnisse gekennzeichnet ist, nicht aber durch solche einer öffentlichen Partei.279 In dieser Verteilung der Beweisbefugnisse zugunsten des Staatsanwalts kommt die besondere Besorgnis um die Reinhaltung des Richteramts und die Unbefangenheit des Richters zum Ausdruck, der so in allen Verfahren seine gewohnt passiv-distanzierte Haltung beibehalten kann. In Deutschland, wo die Teilnahme des Staatsanwalts in Zivilsachen nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus auf ein Minimum zurückgeführt 280 und inzwischen noch weiter eingeschränkt wurde,281 ist die Wahrnehmung öffentlicher Interessen weitgehend dem Richter anvertraut, 282 der so zu einer aktiven Teilnahme am Prozeß aufgerufen ist. bb)

Die zweite Stufe

Wenden wir uns nun der zweiten Stufe zu. Ob die dort skizzierten Befugnisse mit der Verhandlungsmaxime in Einklang zu bringen sind, hängt von der Frage ab, ob die Parteien neben dem Streitgegenstand in Form des petitum und der causa petendi auch über die Beweismittel frei solTeilnahme des Staatsanwalts (ministere public) nicht mehr gibt. Er hat jedoch die Befugnis, als partie jointe dem Verfahren beizutreten, wenn er davon benachrichtigt wird (Art. 424 NCPC). Eine solche Benachrichtigung ist verschiedentlich vorgeschrieben (Art. 425 NCPC), unter anderem auch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Art. 798 NCPC), nicht aber in Ehesachen. 278 Vgl. dazu auch in rechtsvergleichender Sicht Cappelletti, The role of the ministere public, S. 45. 279 Vgl. Liebman, Riv. dir. proc. 1960, S. 558. 28 Cappelletti, The roJe of the ministere public, S. 46. 281 Entfallen ist z.B. durch die Familienrechtsreform von 1976 die allgemeine Befugnis des Staatsanwalts zur Teilnahme an allen Ehesachen (§§ 607 ZPO a.F) . Geblieben ist dagegen das Antrags- und Teilnahmerechte in Ehenichtigkeitsverfahren oder bei Feststellungsklagen hinsichtlich des Bestandes der Ehe(§ 24 Abs. 1 EheG i.V.m. §§ 632, 634, 638 ZPO). Weiterhin entfiel mit der Abschaffung der Entmündigung durch das Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz - BtG) vom 12. September 1990, BGBI. 1990 I, S. 2002, das entsprechende Antragsrecht des Staatsanwalts (§ 646 Abs. 2 ZPO a .F .) und wurde bei der Betreuung durch ein Amtsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ersetzt (§ 1896 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. §§ 65 ff. FGG). 282 Habscheid, Le röle du ministere public, S. 176 f.

°

310

C. Das Erkenntnisverfahren

len verfügen können, was nicht zwingend ist. 283 Oder anders ausgedrückt, ob die beweispflichtige Partei, die in jedem Fall die materielle Beweislast trägt, im Falle eines non liquet (Art. 2697 c.c.) den Prozeß zu verlieren, 284 auch die Beweisbeibringungslast trägt. 285 Praktisch werden kann die Frage zum Beispiel in einem Streit um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, in dem der Richter die polizeilichen Ermittlungsakten beizieht und Personen zu dem Vorfall vernehmen will, die zwar in den Ermittlungsakten erwähnt, aber von den Parteien nicht als Zeugen benannt worden sind. Gegenüber solchen Befugnissen, den Parteien die Beweisbeibringungslast abzunehmen, ist größte Zurückhaltung zu spüren. So geht das deutsche Recht in § 139 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht davon aus, daß der Richter von sich aus Beweismittel in den Prozeß einführt. Er soll vielmehr darauf hinwirken, daß die Parteien die Beweismittel bezeichnen. 286 Das heißt, der Richter soll die Aktivitäten der Parteien nur anregen, nicht aber ersetzen. In Italien ist die Frage heftig umstritten, 287 die Rechtsprechung läßt keine einheitliche Linie erkennen. 288 Jedenfalls läßt sich festhalten, daß der Richter erst dann Beweismittel von sich aus in das Verfahren einführen darf, wenn er ansonsten eine non-liquet-Entscheidung nach Art. 2697 c.c. fällen müßte. 289 Die Beweisbeibringung ist damit weiterhin grundsätzlich Aufgabe der Parteien, nur subsidiär kann sie vom Richter wahrgenommen werden. Außerdem ist dabei das Verbot des Gebrauchs von außergerichtlichen Wahrnehmungen für den Richter zu beachten.290 Dieses Verbot wäre 283 Vgl. Klein, JBI. 1890, S. 520; Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 1, S. 175; Liebman, Manuale\ Band 2, S. 84; Montesano, Riv. trim. dir. proc. civ. 1978, S. 189; Jellinek, in: Habscheid, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlungen, S. 87. Anderer Ansicht war aber Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 309 ff. 284 Andrioli, Commento3 , c.p.c., Art. 439, S. 709; Fazzalari, Riv. dir. proc. 1974, s. 593 f. 285 Satta/Punzi, Diritto processuale civile 11 , S. 216. Vgl. zur Unterscheidung der Beweislast und der Beweisbeibringungslast schon Rosenberg, Die Beweislast, S. 13. Terminologisch trennte er später zwischen der Beweislast im Sinne der Beweisführungslast ( onus probandi) und der Feststellungslast, im Falle des non liquet zu unterliegen ( Rosenberg, Die Beweislast2 , S. 23). 286 Vgl. Stürner/Stadler, Aktive Rolle des Richters, S. 190. 287 Grundsätzlich ablehnend z.B. Proto Pisani, in: Andrioli/Barone/ Pezzano/ Proto Pisani, Contraversie di lavoro2 , S. 711, der als mögliche Quellen der richterlichen Beweisaktivitäten nur die Schriftsätze und den mündlichen Vortrag der Parteien zulassen will. Ablehnend auch Montesano, Riv. trim. dir. proc. civ. 1978, S. 200, 202, und SattajPunzi, Diritto processuale civi!e11 , S. 216, die in Art. 2697 c.c. nicht nur die materielle Beweislast, sondern auch die formelle Beweisbeibringunglast geregelt sehen. Im einstweiligen Rechtsschutz, der zu keiner rechtskräftigen Entscheidung führen kann, soll dies aber nicht gelten. 288 Belle, Giust. civ. 1992 I, S. 2145 ff. 289 Fabbrini, Enc. dir. XXXIV (1985), Potere del giudice (dir. proc. civ.), S. 736, 737; Cass. civ. vom 8. November 1991, Nr. 11915, Giust. civ. 1992 I, S. 2143, 2144. So schon Klein, JBI. 1890, S. 544. 290 Historisch entspringt dieser Grundsatz, der im Hochmittelalter mit der Formel iu-

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

311

aber nicht erst dann verletzt, wenn der Richter sein außergerichtliches Wissen direkt seiner Entscheidung zugrundelegen, sondern auch, wenn er die ihm so bekannten Beweismittel in den Prozeß einführen würde. 291 Gegenüber der Beweisbeibringung durch den Richter werden zugleich Bedenken wegen der Gefahr der Befangenheit geltend gemacht, 292 da ihm die nötige Distanz zu den Beweismitteln fehle, die er selbst in das Verfahren eingeführt habe. Ich vermag diesen Bedenken jedoch nicht zu folgen. Ein Richter, der aufgerufen ist, einen Zivilprozeß möglichst zügig zu einem richtigen Sachurteil zu führen, sollte die Möglichkeit haben, auch Beweismittel in den Prozeß einzuführen, die ihm aus früheren Verfahren, Parallelverfahren oder aus beigezogenen Akten bekannt sind. Daß er den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gibt und nicht aus eigener Machtvollkommenheit zur Beweisaufnahme übergeht, gebietet nicht nur die Kooperationsmaxime, sondern das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 24 Abs. 2 cost.). Alle Bedenken zerstreuen könnte schließlich ein gemeinsames Vetorecht der Parteien gegen die vom Richter beabsichtigte Beweisaufnahme, wie es schon früher in Frankreich bestand293 und heute in § 183 Abs. 2 öZPO geregelt ist. Danach kann der Richter die Beweisaufnahme nicht auf solche Zeugen oder Urkunden erstrecken, denen beide Parteien widersprechen. In Österreich war dieses Vetorecht bei den parlamentarischen Beratungen in die Zivilprozeßordnung aufgenommen worden, 294 weil es in Zivilverfahren zulässig bleiben müsse, "dass die Kampftheile gewisse Kampfmittel ausschließen, wenn beide es wollen." 295 Diese an der Verhandlungsmaxidex secundum allegatum et probatum iudicare debet umschrieben wurde, dem Konflikt, vor dem die damalige Kanonistik stand, daß die kirchlichen Richter häufig auch die Beichtväter der Parteien waren. Dieses Wissen durften sie selbstverständlich nicht im Verfahren verwerten (Nörr, ludex secundum allegatum et probatum iudicare debet, s. 39 f.). 291 Cavallone, II giudice e Ia prova, S. 311 = Riv. dir. proc. 1976, S. 697). Anderer Ansicht ist aber Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 352 f., der das Verbot der Benutzung privaten Wissens durch den Richter nur unter dem Blickwinkel des rechtlichen Gehörs sieht. Folglich soll dieses Wissen verwendbar sein, nachdem der Richter es in den Prozeß eingeführt und den Parteien Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Zustimmend insoweit Montesano, Riv. trim. dir. proc. civ. 1978 S. 197, der dies aber, wie gesehen, im Ergebnis wegen Art. 2697 c.c. für unzulässig hält. 292 Montesano, Riv. trim. dir. proc. civ. 1978, S. 195. 293 Morel, Procedure civile, Nr. 471, S. 505. 294 § 199 der Regierungs-Vorlage hatte noch kein Vetorecht enthalten (Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1, S. 124). Es geht zurück auf§ 187 des Entwurfs des Permanenzausschusses (Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1, S. 864 mit Synopse der Regierungsvorlage). Die heutige sprachlich revidierte Fassung geht auf den Gemeinamen Beschluß zurück (Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 2, S. 407) . 295 So die Begründung des Permanenzausschusses, Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1 S. 776.

312

C. Das Erkenntnisverfahren

me orientierte Regelung, die konsequenterweise in Ehesachen nicht gilt (§ 460 Nr. 4 HS. 2 öZPO), ist auch deswegen zu begrüßen, weil es Teil der Dispositionsfreiheit der Parteien über den Streitgegenstand sein sollte zu entscheiden, mit welchem Aufwand sie ihren Prozeß führen wollen. cc)

Die erste Stufe

Auf der ersten, der untersten Stufe ist der Richter dagegen auf die Beweismittel beschränkt, die sich aus diesem Verfahren unmittelbar ergeben. Doch braucht er nicht erst einen ausdrücklichen Beweisantrag einer Partei abzuwarten, um die Beweisaufnahme anzuordnen. Solche Befugnisse finden sich zum Beispiel in Art. 257 c.p.c., wonach der Richter Personen als Zeugen laden kann, auf die sich andere Zeugen berufen haben, ohne daß sie eine Partei als ihr Beweismittel bezeichnet hat. Sie haben im wesentlichen den Zweck eines Antiformalismus, den Richter bei der Zulassung der Beweismittel von einem förmlichen Beweisantrag der Partei zu entbinden. 296 Die Verhandlungsmaxime wird dagegen sicherlich nicht durchbrachen, wenn der Richter zum Beispiel nach § 142 Abs. 1 ZPO gegenüber einer Partei die Vorlage von Urkunden anordnet, auf die sie sich selbst bezogen hat. 297 Oder wenn der giudice di pace und der pretore die Vernehmung eines Zeugen anordnen können, auf dessen Aussagen sich eine Partei bezogen hat, ohne sie aber unter Ausformulierung der Beweisartikel förmlich als Beweismittel zu bezeichnen (Art. 312 c.p.c.). Auch ist hier von der Gefahr der Befangenheit des Richters keine Rede mehr, da er keine Beweismittel von außen in den Prozeß einführt. 298 Letztlich wird durch diese Form der Beweisaufnahme von Amts wegen den Parteien zur Vermeidung eines unnötigen Formalismus lediglich die formelle Beweislast abgenommen. 299 Sie brauchen die von ihnen in den Prozeß eingeführten oder sich bei der Beweisaufnahme ergebenden Erkenntnisquellen also nicht förmlich als Beweismittel zu bezeichnen. dd)

Fazit

Will man die Ergebnisse dieser Untersuchung zusammenfassen, kann man festhalten, daß die Dispositionsmaxime der Einführung einer Generalklausel zur Beweisaufnahme von Amts wegen nicht im Wege steht. Auch die richterliche Anregung von Beweisinitiativen der Parteien oder 296 Montesano,

Riv. trim. dir. proc. civ. 1978 S. 204. Gronsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 2 , S. 172. 298 Montesano, Riv. trim. dir. proc. civ. 1978, S. 196. 299 Andrioli, Commento3 , c.p.c., Art. 439, S. 709; Fazzalari, Riv. dir. proc. 1974, S. 594. 297 A.A.

IV. Die Stellung des Richters im Beweisverfahren

313

ein subsidiäres Beweisbeibringungsrecht des Richters dienen dem zügigen Gang des Verfahrens und schränken die Parteien in ihren Rechten nicht ein, besonders wenn diese gemeinsam der Anordnung der Beweisaufnahme von Amts wegen widersprechen können. Voraussetzung für diese aktivere Rolle des Richters ist jedoch der nötige Vertrauensvorschuß. Daß dem Richter zu einem zurückhaltenden Umgang mit seinen Befugnissen geraten wird, um sich nicht dem Verdacht der Befangenheit auszusetzen, 300 hat dagegen der Vergangenheit anzugehören. Nur ganz ausnahmsweise sollte dem Richter auch erlaubt sein, von einem gemeinsamen Vortrag streitentscheidender Tatsachen abzuweichen, wenn sich die Gefahr ergibt, daß der Prozeß durch kollusives Zusammenwirken der Parteien zu Lasten Dritter mißbraucht wird. Neue streitentscheidende Tatsachen, auf die sich keine Partei berufen hat, darf der Richter dagegen in keinem Fall selbst in den Prozeß einführen, soweit die Parteien über den Streitgegenstand frei disponieren können. 6.

Der Schluß der Beweisaufnahme

Grundsätzlich endet das Instruktionsverfahren, wenn alle im Beweisbeschluß zugelassenen Beweismittel erhoben sind. Der Instruktionsrichter kann die Beweisaufnahme jedoch schon vorher für beendet erklären, wenn er die übrigen Beweismittel für überflüssig hält (Art. 209 c.p.c.). Diese Befugnis gibt dem Instruktionsrichter wie Art. 245 Abs. 1 c.p.c. im Zeugenbeweis eine Kontrollfunktion über den Umfang der Beweisaufnahme, damit die Parteien sie nicht ausufern lassen. Erklärt der Instruktionsrichter das Instruktionsverfahren für geschlossen ( chiusura dell 'istruzione), leitet er den Prozeß in das Entscheidungsverfahren über (Art. 188 c.p.c.). Diesem Schluß der Beweisaufnahme kommt im italienischen Recht seit der Rückkehr zur Eventualmaxime jedoch nicht mehr die präklusive Wirkung zu wie früher oder wie der cloture de l 'instruction durch den juge de la mise en etat in Frankreich, 301 wo grundsätzlich bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung neuer Sachvortrag und die Bezeichnung neuer Beweismittel zulässig sind. Auch ist sie nicht zu vergleichen mit dem Schluß der mündlichen Verhandlung im Sinne von § 136 Abs. 4 ZPO oder § 193 Abs. 1 öZPO, da sich noch die mündliche Schlußverhandlung an das Instruktionsverfahren anschließt. Doch kann der Instruktionsrichter auf Antrag des Klägers mit dem Schluß der Beweisaufnahme neuerdings eine vorläufige Entscheidung in der Sache verbinden ( ordinanza di condanna postistruttoria).

300 Vgl. 301 Vgl.

Montesano, .Riv. trim. dir. proc. civ. 1978, S. 194 ff. Art. 779 Abs. 2, 782 S. 1, 783 Abs. 1, 784 Abs. 1 NCPC.

314

C. Das Erkenntnisverfahren

V.

Die Vorbereitung der Entscheidung 1.

Die Schlußschriftsätze

Wie in der Übersicht gesehen, findet in den Verfahren vor dem tribunale nach dem Schluß der Beweisaufnahme und der Präzisierung der Anträge immer noch ein gesondertes Entscheidungsverfahren statt, bei dem zumindest der Austausch der Schlußschriftsätze zwingend vorgeschrieben ist. Hier wird der gesamte Prozeßstoff von den Parteien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht abschließend gewürdigt. Diese obligatorischen Schlußschriftsätze, die im hier untersuchten Raum einmalig sind, können in Italien auf eine längere lokale Tradition zurückblicken. Sie stammen aus den piemontesischen Costituzioni des 18. Jahrhunderts302 und fanden über das sardische Recht303 Eingang in den codice di procedura civile von 1865 (Art. 176 c.p.c. 1865).304 Nur so ist zu erklären, daß an ihnen auch im neuen codice di procedura civile von 1940 festgehalten wurde. Denn die ursprüngliche Trennung zwischen den Aufgaben des Instruktionsrichters und der Kammer machen solche Schlußschriftsätze nicht unbedingt erforderlich, wie das französische Beispiel zeigt. So verweist der juge de la mise en etat den Rechtsstreit unmittelbar nach Schluß der Beweisaufnahme an die Kammer (Art. 779 Abs. 1 NCPC) . Vielmehr unterstreichen die Schlußschriftsätze, durch die die zeitliche Unmittelbarkeit verloren geht, den schriftlichen Charakter des Verfahrens. Daranhat auch die jüngste Reform bedauerlicherweise nichts geändert. Anderslautende Entwürfe, die die obligatorischen Schlußschriftsätze abschaffen und so das Entscheidungsverfahren radikal verkürzen wollten,305 konnten sich dagegen nicht durchsetzen, da der äußere Verfahrensablauf möglichst nicht angetastet werden sollte. Deshalb sind die Schlußschriftsätze auch dann erforderlich, wenn der Instruktionsrichter den Rechtsstreit als Einzelrichter entscheidet, obwohl sie hier noch überflüssiger erscheinen. In Zukunft eröffnet aber die Reform von 1995 bisher ungeahnte Möglichkeiten, die Schlußschriftsätze zu vermeiden, wenn der Richter den Beklagten auf Antrag unmittelbar nach Schluß der Beweisaufnahme im Wege der ordinanza di condanna postistruttoria nach Art. 186 quater c.p.c. vorläufig verurteilt. 306 Der Kläger hätte damit einen Vollstreckungstitel und kein 302 Buch

III Titel XXII Art. 1 ff. ( Chiovenda, Principii 3 , S. 702). Art. 169 sard. c.p.c. 1854; Art. 159 sard. c.p.c. 1859 (Boj Tappari, Codice di procedura civile, Band 3, S. 145, Anmerkung zu Art. 176). 304 Vgl. oben Fußnote 88, S. 123. 305 So sollte nach Art. 180 Abs. 2, 184 Abs. 5 des Gesetzentwurfs 2214/ S/ IX statt dessen der Richter die Möglichkeit haben, in der ersten Verhandlung oder nach Abschluß der Beweisaufnahme sofort in die Schlußverhandlung einzusteigen oder bei Bedarf kurze Eingaben zuzulassen. 306 In diesem Sinne Tommaseo, Studium iuris 1996, S. 152. 303 Vgl.

V. Die Vorbereitung der Entscheidung

315

Interesse mehr an der Durchführung des Entscheidungsverfahrens. Auch für den Beklagten erscheint es nicht sinnvoll, die Instanz fortzusetzen, da insbesondere bei Einzelrichterentscheidungen kein anderes Urteil zu erwarten sein dürfte. Wenn er also nicht ausnahmsweise meint, den Richter durch weitere Rechtsausführungen in den Schlußschriftsätzen noch zu einer günstigeren Entscheidung bewegen zu können, wird auch der Beklagte sein Heil in der Berufung suchen. Dies hat der Reformgesetzgeber erkannt und deshalb bestimmt, daß die ordinanza di condanna postistruttoria die Wirkungen eines Endurteils entfaltet, wenn der Prozeß anschließend erlischt oder der Schuldner auf das Urteil ausdrücklich verzichtet (Art. 186 quatur Abs. 3, 4 c.p.c.). 307 Doch zeigt diese neue Regelung deutlich die Spuren der heißen Nadel, mit der sie gestrickt worden ist. So ist zum Beispiel ungeklärt, ob der Richter die Klage mit einem vergleichbaren Beschluß auch abweisen und zugunsten des Beklagten üb~r die Kosten entscheiden kann. 308 Auch ist sie nicht auf Prozesse anwendbar, mit denen der Kläger ein Gestaltungsurteil nach Art. 2908 c.c. begehrt. 309 Und drittens zeigen erste praktische Erfahrungen, daß die Gerichte aus dem Gesetzeswortlaut ein Ermessen herauslesen, ob sie den beantragten Beschluß erlassen wollen.310 Jedenfalls für die vielen anhängigen Altverfahren, für die die ordinanza di condanna postistruttoria zwar bereits anwendbar ist (Art. 90 Abs. 1 S. 1 G.353/1990), die aber noch von der Kammer entschieden werden, erfreut sich der Beschluß unterschiedlicher Beliebtheit. 311 Zwar hat er für den Richter den Vorteil, daß er ihn im Gegensatz zu einem Urteil (Art. 132 Abs. 2 Nr. 4 c.p.c.) nur "knapp und bündig" (succintamente) zu begründen braucht (Art. 134 Abs. 1 c.p.c.). 312 Doch zahlt sich dieser Vorteil nur aus, wenn die Instanz mit dem Beschluß tatsächlich beendet wird. Andernfalls bedeutet der Beschluß für den Richter nur doppelte Arbeit. Ob dies aber der Fall ist, liegt nicht in der Hand des Richters, sondern der Parteien. Jedenfalls solange die Entscheidung der Kammer überlassen bleibt, rechnen die Richter offensichtlich nicht mit einer Beendigung des Rechtsstreits durch einen einzelrichterliehen Beschluß. 307 Daß die ordinanza di condanna postistruttoria dazu geschaffen wurde, das Endurteil zu ersetzen, zeigt sich auch daran, daß es eine Kostenentscheidung enthält (Art. 186 quatur Abs. 1 S. 2 c.p.c.), die üblicherweise dem instanzbeendenden Urteil vorbehalten ist. 308 Dafür: Chiarloni, Riv. trim. dir. proc. civ. 1996, S. 529; dagegen: Bucci, Giust. civ. 1995, S. 302. Im Interesse der Chancengleichheit der Parteien erscheint die erste Auffassung vorzugswürdig. 309 Vgl. Chiarloni, Riv. trim. dir. proc. civ. 1996, S. 528; Sassani, Giur. it. 1996 IV, Sp. 194 m.w.N.; Beschluß des Tribunale di Chiarivi vom 7. Juli 1995, Foro it. 1995 I, Sp. 3306. 310 Vgl. etwa den Beschluß des TribunalediRoma vom 12. August 1995, Foro it. 1995 I, Sp. 3307. 311 Von ersten positiven Erfahrungen berichtet Tarzia, Lineamenti, S. 328 f. 312 Vgl. zum Problem der häufig zu ausführlichen Begründung insbesondere Chiarloni, Riv. trim. dir. proc. civ. 1996, S. 521 f.

C. Das Erkenntnisverfahren

316

Im Verfahren vor dem pretore kann der Richter das Entscheidungsverfahren dagegen weitgehend selbst bestimmen. So ist es seiner Entscheidung überlassen, ob er nach Abschluß der Beweisaufnahme noch eine mündliche Verhandlung für erforderlich hält oder nicht. 313 Entscheidet er sich für die mündliche Verhandlung (Art. 315 c.p.c.), kann sie direkt im Anschluß an die Beweisaufnahme erfolgen (Art. 62 Abs. 1 disp. att. c.p.c.). Er kann dafür aber auch einen neuen Termin bestimmen, ohne daß der Austausch von Schlußschriftsätzen erforderlich wäre. 314 Das Urteil wird dann unmittelbar im Anschluß an die mündliche Verhandlung als Stuhlurteil durch Verlesung des Tenors ( dispositivo) und kurze Mitteilung der tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen (ragioni di fatti e di diritto) verkündet (Art. 315 S. 1 c.p.c.). Sieht der Richter dagegen von der Durchführung einer mündlichen Schlußverhandlung ab, findet der normale Schriftsatzwechsel mit Schlußschriftsätzen und Erwiderungen statt, aber keine mündliche Schlußverhandlung. Das Urteil ist in diesem Fall binnen dreißig Tagen auf der Gerichtskanzlei zu hinterlegen (Art. 314 c.p.c.). 315 Als Arbeitsrichter verkündet der pretore das Urteil grundsätzlich ohne besonderes Entscheidungsverfahren unmittelbar nach Schluß der Beweisaufnahme durch Verlesung des Tenors (Art. 429 Abs. 1 c.p.c.). Das fertig abgefaßte Urteil ist dann binnen fünfzehn Tagen auf der Gerichtskanzlei zu hinterlegen (Art. 430 c.p.c.). Nur wenn er es für unbedingt erforderlich hält, kann der Richter auf Antrag der Parteien eine einmalige zehntägige Schriftsatzfrist gewähren, der sich eine letzte mündliche Verhandlung anschließt, in der das Urteil verkündet wird (Art. 429 Abs. 2 c.p.c.) . Im Verfahren vor dem giudice di pace findet grundsätzlich kein Austausch von Schlußschriftsätzen statt, doch könnte dies der Richter wohl kraft seiner Prozeßleitungsbefugnis nach Art. 175, 180 c.p.c. in Verbindung mit Art. 83 disp. att. c.p.c. ausnahmsweise anordnen. 316 Die Parteien stellen ihre Schlußanträge in der mündlichen Verhandlung (Art. 321 Abs. 1 c.p.c.), worauf der Richter das Urteil binnen fünfzehn Tagen auf der Gerichtskanzlei hinterlegt (Art. 321 Abs. 2 c.p.c.). 2.

Die mündliche Schlußverhandlung

Nach dem Austausch der Schlußschriftsätze fand nach dem bisherigen Recht immer eine mündliche Schlußverhandlung vor der Kammer statt (Art. 190 Abs. 1, 275 Abs. 1 c.p.c. a.F.), obwohl der Instruktionsrichter 313 Proto

Pisani, Nuova disciplina, S. 187. Pisani, Nuova disciplina, S. 188. 3 15 Die Frist von fünfzehn Tagen nach Art. 64 disp. att. c.p.c. ist damit überholt. 31 6So Proto Pisani, Nuova disciplina, S. 193.

314 Proto

V. Die Vorbereitung der Entscheidung

317

den Rechtsstreit eigentlich schon erschöpfend verhandelt und die Beweisaufnahme vollständig durchführt hatte. Der Grund lag darin, daß der Rechtsstreit damit der Kammer, die darüber abschließend zu befinden hatte, vorgetragen wurde. Insbesondere sollten so auch die Parteien die Möglichkeit haben, unmittelbar dem erkennenden Gericht die zu ihren Gunsten sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen vorzutragen. Dies ist grundsätzlich kein schlechter Gedanke, dem zum Beispiel auch das französische Recht folgt, soweit dort nach Abschluß des Verfahrens vor dem jv.ge de la mise en etat eine abschließende mündliche Verhandlung vor der Kammer stattfindet (Art. 785 Abs. 3, 432 ff. NCPC) . In Italien ist die mündliche Schlußverhandlung bis heute allerdings ein Mißerfolg geblieben, da sie schon von ihrer Konzeption her nur dazu bestimmt war, das Vorbringen aus den Schlußschriftsätzen mündlich zu wiederholen.317 Schon bei ihrer Einführung nach Art. 348 ff. c.p.c. 1865 war sie Ausdruck eines letztlich untauglichen Versuchs, den Grundsatz der Mündlichkeit in ein schriftliches Verfahren einzufügen. 318 Aber auch die mündliche Schlußverhandlung nach Art. 275 c.p.c. 1940 wirkt in Hinblick auf die obligatorischen Schlußschriftsätze wie ein Fremdkörper. So war es in der Praxis nicht selten, daß die Schlußverhandlung aus Termingründen erst nach Monaten oder gar Jahren stattfinden konnte, 319 dann aber durch Bezugnahme auf die Schlußschriftsätze in wenigen Minuten beendet war. 320 Aus diesem Grund war es konsequent, daß der Gesetzgeber auf diese Situation reagiert und die obligatorische mündliche Schlußverhandlung abgeschafft hat. 321 Völlig abgeschafft werden konnte die mündliche Schlußverhandlung dagegen nicht, da sie im Verfahren vor dem tribv.nale die einzige öffentliche Verhandlung ist (Art. 128 c.p.c.), während die Verhandlungen vor dem Instruktionsrichter von Gesetzes wegen nichtöffentlich stattfinden (Art. 84 Abs. 1 disp. att. c.p .c.) . Denn nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ist eine öffentliche Verhandlung des Rechtsstreits garantiert. Die Gefahr, daß diese Verhandlung nur zum Zwecke der Verzögerung beantragt wird, besteht damit weiterhin. Dabei erscheint die mündliche Schlußverhandlung besonders bei Verfahren vor dem Einzelrichter völlig unsinnig, da dieser der gesamten Verhandlung beigewohnt hat. Den Menschenrechten wäre 317 Esser, DR 7 (1942), S. 4. 318 Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralita, Band 1, S. 37. 319 Eine Frist, binnen derer dieser Termin stattzufinden hatte, bestand nicht einmal

auf dem Papier (Art. 190 Abs. 1 c.p.c. a.F.). Sassani, Giur. it. 1996 IV, Sp. 193, spricht daher völlig zu Recht davon, daß der Rechtsstreit nach Abschluß der Instruktion für Jahre geparkt wurde. 320 In dieser Richtung schon 1948 Esser, Festschrift zur Fünfzigjahrfeier der Österreichischen Zivilprozeßordnung, S. 47. 321 Historisch könnte man diesen Schritt auch als eine Hommage an Carnelutti verstehen, dessen Entwurf schon 1926 die Wahl zwischen einer mündlichen oder einer schriftlichen Schlußverhandlung vorgesehen hatte (Art. 240).

318

C. Das Erkenntnisverfahren

wesentlich besser Genüge getan worden, wenn man buchstäblich den Riegel des Art. 84 Abs. 1 disp. att. c.p.c. von der Tür des Instruktionsrichters entfernt hätte. Nicht nachvollziehbar ist dagegen, warum es eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellen soll, wenn der pretore von sich aus auf die mündliche Schlußverhandlung verzichtet.322 Denn die Parteien hatten bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung Gelegenheit, Erklärungen gegenüber dem erkennenden Gericht abzugeben und die späteren Schlußschriftsätze dürfen keine neuen Aspekte mehr beinhalten. Noch sinnvoller wäre es gewesen, zusammen mit der mündlichen Schlußverhandlung auf die Schlußschriftsätze zu verzichten, wie dies im Gesetzentwurf 2214/S/IX vorgesehen war. 323 Denn so bleibt es dem Einzelrichter am tribunale auch weiterhin verwehrt, direkt nach Schluß der Beweisaufnahme ein Urteil zu fällen. Doch könnte nun die ordinanza di condanna postistruttoria nach Art. 186 quater Abs. 1 c.p.c. diese Funktion übernehmen. 324 Die Verkündung des Urteils direkt im Anschluß an die mündliche Verhandlung auch im Zivilprozeß325 war gegen Ende des letzten Jahrhunderts eine Art IdealzieL So sah § 281 ZPO 1877 zwar sowohl die sofortige Verkündung der Entscheidung als auch die Anberaumung eines Verkündungstermins binnen einer Woche vor, doch ergibt sich aus den Materialien, daß im Regelfall sofort verkündet werden sollte. 326 In Österreich wurde dagegen durch§ 414 Abs. 1 S. 1 öZPO 1895 ausdrücklich angeordnet, die Entscheidung wenn möglich direkt im Anschluß an die mündliche Verhandlung zu fällen, um so der Bedeutung des unmittelbaren Eindrucks von der Verhandlung für die Entscheidungsfindung Rechnung zu tragen. 327 Soweit das Urteil ausnahmsweise nicht direkt im Anschluß an die mündliche Verhandlung erging, sollte es wenigstens binnen acht Tagen abgefaßt werden(§ 415 Abs. 1 S. 1 öZPO 1895). In Italien stießen diese Regelungen, wie nicht anders zu erwarten, bei Chiovenda auf offene Ohren (Art. 68 Abs. 1 des Entwurfs), bei Mortara aber auf starke Zurückhaltung. Aus Angst, der Richter könne mit zu großer Eile den Rechtsstreit prima facie entscheiden, ohne ausreichend Literatur und Rechtsprechung zu studieren, 328 sollte nach dessen Entwurf die sofortige Entscheidung der Sache nach Schluß der Beweisaufnahme zwar 322 So aber Besso, in: Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 314, S. 370, und Tarzia, Lineamenti, S. 198, der sogar verfassungsrechtliche Zweifel anmeldet. 323Vgl. oben Fußnote 305, S. 314. 324 Vgl. oben C.V.l., S. 315. 325 Zum Strafprozeß vgl. § 268 Abs. 3 S. 1 StPO. 326 Begründung zu § 271 des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung 2, Band 1, S. 286; vgl. auch Steinj Jonas 12 , ZPO, § 310 Anm. I. 327 Bericht des Permanenzausschusses zu den §§ 432 bis 434 der Civilprocessordnung, Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1, S. 793. 328 Mortara, Giur. it. 1923 IV, Sp. 142.

V. Die Vorbereitung der Entscheidung

319

möglich, aber nicht unbedingt erstrebenswert sein (Art. 39). Dadurch hätte sich faktisch aber nichts geändert,329 und tatsächlich ist es bis heute bei dem langwierigen Entscheidungsverfahren geblieben. 3.

Fazit

Will man an dieser Stelle ein Fazit ziehen, ist festzuhalten, daß das italienische Entscheidungsverfahren beim tribunale auch nach der Reform die Gelegenheit zu mancherlei Verzögerungen gibt, die verhindern, daß der Richter zügig zum Urteilsspruch übergehen kann. Dies liegt zum einen an dem vorgeschriebenen Austausch der Schlußschriftsätze, die das Verfahren allein schon um achtzig Tage verzögern (Art. 190 Abs. 1 c.p.c.), sofern die Schriftsatzfrist nicht nach Art. 190 Abs. 2 c.p.c. verkürzt wird. Bis zur Hinterlegung des Urteils können dann schon nach der gesetzlichen Regelung weitere sechzig Tage vergehen (Art. 275 Abs. 1 c.p.c.). Sollte dieser Frist genauso viel Beachtung geschenkt werden wie der Frist von drei Wochen in Deutschland (§ 310 Abs. 1 S. 2 ZP0) 330 beziehungsweise vier Wochen in Österreich(§ 415 Abs. 1 S. 1 öZP0),331 kann es aber auch wesentlich länger dauern, bis das Urteil vorliegt. Beantragt eine Partei eine mündliche Schlußverhandlung, so führt dies zu einer weiteren Verzögerung von bis zu sechzig Tagen (Art. 275 Abs. 3 c.p.c.). Das bedeutet, daß selbst bei Einhaltung der gesetzlichen Fristen das Urteil erst 200 Tage, also über ein halbes Jahr, nach dem Schluß der Beweisaufnahme vorzuliegen hat. Mißlich erscheint schließlich auch, das Urteil lediglich durch Hinterlegung auf der Gerichtskanzlei zu veröffentlichen (Art. 133 c.p.c.). Man mag sich darüber streiten, ob es sinnvoll ist, für die Verkündung einer Entscheidung, die nicht unmittelbar im Anschluß an die mündliche Verhandlung erfolgt, noch einen gesonderten Verkündungstermin anzuberaumen, von dem das Gesetz selbst annimmt, daß niemand erscheint (§ 311 Abs. 4 S. 2 ZPO), oder ob nicht dem Österreichischen Recht der Vorzug zu geben ist, das früher (§ 250 öAGO; § 327 WGO) wie heute (§ 415 S. 2, 416 Abs. 1 öZPO) für diesen Fall auf die Verkündung des UrSaggi di diritto processuale, Band 2, S. 206. Leipold, in: Steinj Jonas 20 , ZPO, § 310 Rdnr. 8; Vollkommer, in: Zöller20 , ZPO, § 310 Rdnr. 3, ähnelt die Vorschrift auch nach der Vereinfachungsnovelle einer Sollvorschrift. Bei unangemessener Überschreitung ist lediglich die Beschwerde analog § 252 ZPO zulässig (Leipold, in: SteinjJonas 20 , ZPO, § 310 Rdnr. 8; Musielak, in: Münchener Kommentar, ZPO, § 310 Rdnr. 5; Vollkommer, in: Zöller 20 , ZPO, § 310 Rdnr. 4), womit den Parteien nicht viel geholfen ist. Wirksam begegnet werden könnte der Fristversäumung nur, wenn sie ähnlich wie im Strafverfahren (§§ 275 Abs. 1 S. 2, 338 Nr. 7 StPO) einen absoluten Revisionsgrund darstellen würde. 331 Auch nach der Verlängerung der Frist von acht Tagen auf vier Wochen im Jahre 1989 weiß Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1469, von erheblichen Überschreitungen zu berichten. 329 Chiovenda, 330 Nach

320

C. Das Erkenntnisverfahren

teils verzichtet und es den Parteien statt dessen von Amts wegen zustellen läßt. 332 Durch die bloße Hinterlegung des Urteils auf der Gerichtskanzlei und die Zustellung im Parteibetrieb kann es dagegen passieren, daß ein Jahr lang unklar bleibt, ob das Urteil mit Rechtsmitteln angefochten wird, was nicht im Interesse einer zügigen Rechtspflege liegt. 333 Demgegenüber wirken die neuen Vorschriften über das Entscheidungsverfahren des pretore ohne Schlußschriftsätze in ordentlichen und Arbeitsverfahren wesentlich moderner. Das Urteil wird, wie allgemein üblich und von der Menschenrechtskonvention gefordert (Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK), öffentlich verkündet. 334

VI.

Die Rechtsmittel

Abschließend soll noch kurz auf die Rechtsmittel der Berufung und der Kassationsbeschwerde eingegangen werden. 1.

Die Berufung

Da sich das Verfahren vor dem Berufungsgericht im wesentlichen am erstinstanzliehen Verfahren orientiert, kann sich die hiesige Untersuchung 332 Gleiches gilt in Deutschland im Verwaltungsprozeß, wo ein gesonderter Verkündungstermin durch die Zustellung des Urteils ersetzt werden kann (§ 116 Abs. 2 VwGO). Zu beachten wäre aber in jedem Fall Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK, der seinem Wortlaut nach die öffentliche Verkündnung der Entscheidung vorschreibt. Nach der Rechtsprechung des EGMR vom 8. Dezember 1983, Pretto c. ltalie, Serie A 71, Nr. 25, S. 12 = EuGRZ 1985, S. 548, 550 ist diese Vorschrift jedoch nicht wörtlich zu interpretieren. Vielmehr soll jede Form der Veröffentlichung genügen, die der interessierten Öffentlichkeit Zugang zu der Entscheidung verschafft, was in Italien nach Art. 133 c.p.c. der Fall ist. Erst soweit auch dies - wie etwa im deutschen Verwaltungsprozeß - nicht mehr gewährleistet ist, bestehen in der Tat Bedenken gegen die Form der Verkündung der Entscheidung (so zu Recht Tomuschat, Festschrift Redeker, S. 285; Kopp 10 , VwGO, § 116 Rdnr. 9; vgl. auch EGMR vom 28. Juni 1984, Campbellet Fell c. Royaume Uni, Serie A, Nr. 80, S. 42). 333 Der Vollständigkeit halber sei aber erwähnt, daß es die Parteien auch in Deutschland in der Hand haben, den Lauf der Rechtsmittelfrist zu hemmen. Grundsätzlich würde die Frist mit der von Amts wegen zu bewirkenden Zustellung des vollständig abgefaßten Urteils in Lauf gesetzt (§ 270 Abs. 1, 317 Abs. 1 S. 1, 516 HS. 2, 552 HS. 2 ZPO). Die Parteien können jedoch beantragen, daß das verkündete Urteil bis zu fünf Monate nicht zugestellt wird (§ 317 Abs. 1 S. 3 ZPO), um die Rechtsmittelfrist entsprechend zu verlängern ( Vollkomer, in: Zöller 20 , ZPO, § 317 Rdnr. 2). Anders als in Italien genügt dafür jedoch nicht bloße Inaktivität, sondern es bedarf eines gemeinsamen Antrags beider Parteien, der nur gestellt werden wird, wenn tatsächlich Vergleichsgespräche stattfinden, die die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens überfiüsig machen können. 334 Vgl. Art. 451 NCPC; § 310 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 173 Abs. 1 GVG; §§ 414, 171 Abs. 1 öZPO.

VI. Die Rechtsmittel

321

auf die Gretchenfrage des Berufungsrechts beschränken, die zugleich die Frage nach dem Wesen der Berufung aufwirft: das ius novorum. Die Berufung kann entweder wie die römische appellatio seit der Zeit der klassischen Beamtenkognition335 eine zweite Tatsacheninstanz eröffnen, in der der Rechtsstreit auf der Grundlage des grundsätzlich unbeschränkt möglichen Sach- und Beweisvorbringens neu entschieden wird. Oder sie führt wie die Berufung des deutschen gemeinen Rechts 336 nur zu einer tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils auf der Grundlage des erstinstanzliehen Vorbringens. Traditionell folgten das französische Recht von 1806 und das italienische von 1865 der römisch-rechtlichen Auffassung und bekannten sich zum ius novorum. Die Präklusionsfreiheit galt also für beide als Einheit empfundenen Tatsacheninstanzen. Seine Grenze fand es nur darin, daß in der Berufungsinstanz kein neuer Streitgegenstand geltend gemacht werden konnte, die mutatio libelli war also unzulässig. Auch Deutschland entschied sich unter Einfluß des rheinischen Rechts 1877 für die römisch-rechtliche Berufung(§ 487 ZPO 1877).337 Nur in Österreich wurde an dem schon in den josephinischen Gesetzen sehr streng ausgeprägten gemeinrechtlichen Verbot des ius novorum festgehalten (§ 482 öZPO 1895).338 Denn die erstinstanzliehe Verhandlung sollte nicht dadurch abgewertet werden, daß ein nach dem Vortrag der Parteien völlig richtiges Urteil in der Berufungsinstanzaufgrund neuen Vorbringensaufgehoben wird. 339 In Italien hielt man in der Reformdiskussion nach dem ersten Weltkrieg einhellig am ius novorum fest. 340 Nicht einmal Chiovenda vermochte sich in seinem Entwurf (Art. 180 Abs. 2) dem Österreichischen Modell anzuschließen. Trotzdem schlug der codice von 1940 zunächst eine andere Richtung ein und beschränkte die Zulassung neuen Vortrags durch das Berufungsgericht auf wenige Ausnahmefälle (Art. 345 Abs. 2 c.p.c. 1940). Die Reform von 1950 stellte jedoch den alten Zustand weitgehend wieder her und bekannte sich zur Zulässigkeit neuen Vorbringens in der Be335Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht 2 , S. 507, 617 ff. 336 Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, S. 917. Entsprechend in Österreich § 257 öAGO; § 333 WGO. 337 § 12 der Allgemeinen Begündung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung 2 , Band 1, S. 139. 338 Neu eingeführt wurde nur die Ausnahme des § 482 Abs. 2 öZPO 1895, die eine Lockerung des Verbots bringen sollte, wenn die mangelnde Aufklärung des Sachverhalts in erster Instanz dem Richter anzulasten war (Klein, Vorlesungen, S. 254 f.), doch hat sie keine große praktische Bedeutung erlangt (Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1730). 339 V gl. Vorbemerkungen zur Regierungs-Vorlage zur Civilprozessordnung, Materialien der Österreichischen Civilprocessgesetze, Band 1, S. 194 f. 340 Vgl. Art. 361 des Entwurfs von Carnelutti; Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, s. 344, 367. 21 Piekenbrack

C. Das Erkenntnisverfahren

322

rufungsinstanz. Verspätetes Vorbringen konnte auch hier lediglich mit der Kostenfolge (Art. 92 c.p.c.) sanktioniert werden. Zusammen mit der fehlenden vorläufigen Vollstreckbarkeit erstinstanzlieber Urteile führte dies, wie in Österreich zu Recht befürchtet, zu einer beispiellosen Abwertung des erstinstanzliehen Verfahrens und einer "Glorifizierung des Rechtsmittels" .341 Konnte sich die Kommission von Liebman 1977 noch nicht auf die Beschränkung des ius novarum verständigen,342 ging der Gesetzgeber nun noch über den Zustand von 1940 hinaus. Nach Art. 345 Abs. 2 c.p.c. dürfen nur noch Einreden im weiteren Sinne neu erhoben werden. Neue Beweismittel sind nur noch ausnahmsweise vom Berufungsgericht zuzulassen (Art. 345 Abs. 3 c.p.c.). Bedenkt man allerdings, daß die meisten Einreden von Amts wegen zu berücksichtigen sind, hängen die praktischen Auswirkungen des Neuerungsverbots entscheidend davon ab, wie die Berufungsgerichte die Zulassung neuer Beweismittel handhaben werden. Damit herrscht in Italien heute wieder ein relativ strenges Neuerungsverbot. Es ist jedoch nicht so streng wie das Österreichische (§ 482 öZPO), das grundsätzlich alle neuen Tatsachenbehauptungen und Beweismittel betrifft. 343 Frankreich dagegen läßt neues Vorbringen in der Berufung innerhalb der gestellten Anträge in weitem Umfang zu (Art. 563 f. NCPC). Buropaweit dürfte Italien mit dieser Abkehr vom ius novarum allerdings im Trend liegen. So wird zur Zeit auch in Deutschland über eine Einschränkung des Novenrechts nachgedacht. 344 2.

Die Kassationsbeschwerde

Als weiteres Rechtsmittel gegen alle Berufungsurteile und gegen solche erstinstanzliehen Urteile, gegen die keine Berufung stattfindet, steht den Parteien die Kassationsbeschwerde zur römischen Corte di cassazione zu, die wie gesehen für ganz Italien zuständig ist, seit sie 1923 die regionalen Kassationshöfe verdrängt hat. 345 Da auf die verfassungsrechtliche Verankerung der Kassationsbeschwerde in Art. 111 Abs. 2 S. 1 cost. bereits in der Übersicht über das Erkenntnisverfahren hingewiesen wurde, 346 soll an dieser Stelle nur noch dargestellt werden, welche Stellung die Corte di cassazione heutzutage einnimmt und was daraus für ihre Befugnis folgt, den Rechtstreit zu entscheiden. 347 Cappelletti, Giur. it. 1969 IV, Sp. 84. Frage wurde offen gelassen. Siehe Riv. dir. proc. 1979 S. 453 und Art. 277 des Entwurfs. 343 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht2, Rdnr. 1725. 344 Gottwald, Verhandlungen des 61. DJT, Gutachten, S. A 13, 68 ff. 3 45 Siehe oben Fußnote 211, S. 50. 34 6 Siehe oben C.I.4., S. 116. 3 47 Vgl. dazu jüngst Caponi, Dir. giur. 1996, S. 33 ff. 3 41

342 Die

VI. Die Rechtsmittel

323

Historisch gesehen liegen die Wurzeln des Kassationsrechts in der Gesetzgebung der französischen Revolution, die mit dem Dekret vom 27. November/ 1. Dezember 1790 ein Tribunal de cassation eingerichtet hat. 348 Zwar gab es schon seit einer ordonnance Karls VIII. eine demande en cassation, über die der Grand Conseil zu entscheiden hatte. 349 Doch war deren praktische Bedeutung weit geringer als nach Schaffung des Tribunal de cassation, 350 das seit 1804 Cour de cassation heißt. Dessen Stellung wurde wesentlich von der Idee bestimmt, die Gewaltenteilung im Staat in möglichst reiner Form zu verwirklichen. Der Gesetzgeber sollte die Gesetze daher nicht nur schaffen, sondern auch selbst auslegen, 351 um die legislativen Befugnisse säuberlich von denen der Judikative zu trennen. Diese hatte sich im Sinne Mentesquieus mit der Rolle der bouche de la loi zu begnügen, was alter französischer Tradition entsprach. Schon zu Zeiten der ordonnance civile, also lange vor Montesquieu, durften die Instanzgerichte die Gesetze nicht selbst interpretieren (Titel I Art. 7), sondern hatten Auslegungsfragen dem Gesetzgeber vorzulegen (refere legislatif). 352 Ein Obergericht, das über die einheitliche Auslegung der Gesetze wachte, war also nicht erforderlich, da es eine eigenständige Rechtsprechung im Sinne einer Interpretation der Gesetze gar nicht geben sollte. 353 Das Tribunal de cassation hatte lediglich die Aufgabe, Urteile aufheben, die gegen den Wortlaut eines Gesetzes verstießen und damit in die Kompetenz des Gesetzgebers eingriffen. Die Instanzgerichte waren an dessen rein kassatorischen Entscheidungen nicht gebunden, sondern konnten erneut wie zuvor entscheiden. In einem solchen Fall sollte die die Frage zur abschließenden Klärung unmittelbar dem Gesetzgeber vorgelegt werden. 354 Das Tribunal de cassation war damit eigentlich keine dritte Instanz für die Parteien,355 sondern bestand primär im öffentlichen Interesse; 356 nach Titel I Art. 1 D. 27. November jl. Dezember 1790 war es nicht Teil der Judikative, sondern der Legislative. Gegenstand der Kassationsbeschwerde war daher nur die angefochtene Entscheidung, nicht aber der gesamte Rechtsstreit. Das das Tribunal entschied über Urteile, nicht über Prozesse.357 Daher begnügte es sich damit, das Urteil gegebenenfalls aufzuheben und die Sache an ein anderes Gericht gleicher Ordnung zu verweisen, ohne den Rechtsstreit in der Sache zu entscheiden (Titel I Art. 3 D. 27. No348 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 349 Garsonnet, Traite de Procedure, Band

45, Fußnote 128. 1, S. 157. 350 Glasson/ Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 3, Nr. 933, S. 449. 351 Morel, Procedure civile, Nr. 97, S. 136. 352 More!, Procedure civile, Nr. 97, S. 136; vgl. auch § 437 öAGO. 353 More!, Procedure civile, Nr. 97, S. 137. 354 Glasson/ Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 3, Nr. 980, S. 529. 355 Vgl. Glasson/Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 3, Nr. 933, S. 447. 356 More!, Procedure civile, Nr. 100, S. 139. 357 Glasson/Tissier, Traite de procedure civiie3 , Band 3, Nr. 933, S. 447.

324

C. Das Erkenntnisverfahren

vember/1. Dezember 1790). Darin bestand eines der Grundprinzipien des französischen Kassationsrechts.358 Hätte man nun die Entscheidung, ob ein Urteil dem Tribunal de cassation zur Überprüfung vorgelegt wurde, allein ins Ermessen der Parteien gestellt, wäre die Wahrnehmung eines öffentlichen Interesses von deren privater Initiative abhängig gewesen. Um dies zu vermeiden, wurde im Jahre 1800 dem Generalanwalt am Tribunal de cassation die Befugnis eingeräumt, die Kassationsbeschwerde im Interesse des Gesetzes (recours dans l'interet de la loi) zu erheben. 359 Dieses französische Kassationsmodell scheiterte jedoch schon bald an seiner Widersprüchlichkeit und lmpraktikabilität. Die referes legislatifs stapelten sich, ähnlich wie kurz zuvor in Österreich, 360 zu großen unbearbeiteten Haufen, so daß die ordentlichen Gerichte zwangsläufig selbst mit der Auslegung der Gesetze begannen. Diesem munteren Treiben hätte das Tribunal de Cassation tatenlos zusehen müssen, wenn es sich streng an seine Befugnisse gehalten hätte, nur solche Urteile aufzuheben, die gegen den Gesetzeswortlaut verstießen. Waren dagegen mehrere Auslegungen vom Wortlaut gedeckt, war das Tribunal eigentlich nicht befugt, der einen Auslegung den Vorzug zu geben, sondern hätte die abweichenden Entscheidungen bestätigen müssen. 361 Doch hielt sich insbesondere die Cour de Cassation schon bald nicht mehr an diese Begrenzung und hob Urteile auch wegen einer fehlerhaften Rechtsauslegung (fausse interpretation de la loi) auf, so daß sie auch ohne ausdrücklichen Auftrag zur Hüterinder Einheit der Rechtsprechung wurde. 362 Verstärkt wurde diese Rolle dadurch, daß die Instanzgerichte nach der Abschaffung der rejeres legislatifs an die Entscheidungen der vereinigten Senate ( chambres reunies) der Cour de cassation, die auf eine zweite, auf dieselben Gründe gestützte Kassationsbeschwerde hin ergingen, gebunden waren. 363 Dagegen blieb es dabei, daß die Cour de cassation nicht in der Sache entscheiden durfte. Auf dieser Entwicklungsstufe hat das Kassationsrecht auch in Italien Fuß gefaßt, wo es bis zur staatlichen Einheit sehr unterschiedlich ausgeprägt war. 364 Der Gesetzgeber von 1865 ging davon aus, daß das Verfahren zunächst mit dem Berufungsurteil beendet ist und die Kassationsbeschwerde keine dritte Instanz eröffnet. 365 Folglich galt sie zusammen mit der opposizione del terzo und der revocazione ausdrücklich als außerordentli358 Garsonnet, Traite de Procedure, Band 1, S. 158; Hebraud, D. 1979 cron., S. 210. 359 Morel, Procedure civile, Nr. 669, S. 680; Cappelletti, The roJe of the ministere public, S. 31 f. 36°Siehe oben A.I.4., S. 37. 361 Morel, Procedure civile, Nr. 98, S. 138. 362 Morel, Procedure civile, Nr. 98 f., S. 138 f. 363 Glassonj Tissier , Traite de procedure civiie 3, Band 3, Nr. 980, S. 532. 364 Satta, Enc. dir. X (1962), Corte di cassazione {dir. proc. civ.), S. 801 f. 365 Satta, Enc. dir. X (1962), Corte di cassazione {dir. proc. civ.), S. 802.

VI. Die Rechtsmittel

325

ches Rechtsmittel (Art. 465 Abs. 2 c.p.c. 1865). Das Berufungsurteil war ex lege vollstreckbar und die Vollstreckbarkeit wurde durch die Kassationsbeschwerde nicht gehemmt (Art. 520 c.p.c. 1865) . Wie in Frankreich konnte die Staatsanwaltschaft bei der Corte di cassazione die Kassationsbeschwerde im Interesse des Gesetzes einlegen (Art. 519 Abs. 1), die keine Wirkung inter partes entfalten konnte (Art. 519 Abs. 2 c.p.c. 1865). Das Urteil der Corte di cassazione selbst hatte fast ausschließlich die Wirkung, das Berufungsurteil gegebenenfalls aufzuheben und die Sache an ein anderes Gericht gleicher Instanz zurückzuverweisen (Art. 544 Abs. 2 c.p.c. 1865). Doch gab es schon zu dieser Zeit seltene Ausnahmefälle, in denen es der Zurückverweisung nicht bedurfte (Art. 544 Abs. 3 c.p.c. 1865). Auf der anderen Seite waren die Instanzgerichte wie zur selben Zeit in Frankreich an die Entscheidung der Corte di cassazione gebunden, wenn diese durch ihre sezioni unite ein Urteil zum zweiten Mal aus den selben Gründen aufgehoben hatte (Art. 547 Abs. 2 c.p.c. 1865). In Deutschland entschied man sich dagegen bei der Schaffung der Zivilprozeßordnung zu einer bewußten Abkehr vom französischen Modell der Kassations- oder Nichtigkeitsbeschwerde, wie es in den präunitarischen Gesetzen geheißen hatte. 366 Statt dessen wurde mit dem Reichsgericht eine dritte Gerichtsinstanz geschaffen, die über das ordentliche Rechtsmittel der Revision zu entscheiden hatte. Die Revision hatte wie jedes ordentliche Rechtsmittel Suspensiveffekt.367 Wie die Kassationsbeschwerde war der Umfang der Überprüfung bei der Revision jedoch auf mögliche Gesetzesverletzungen beschränkt (§ 511 ZPO 1877). Anders als die Corte di cassazione konnte das Reichsgericht jedoch auch in der Sache entscheiden, wenn der Rechtsstreit entscheidungsreif war (§ 528 Abs. 3 Nr. 1 ZPO 1877). 368 Andernfalls wurde er regelmäßig an das Berufungsgericht selbst zurückverwiesen (§ 528 Abs. 1 ZPO 1877),369 das an die tragenden Rechtsansichten des Reichsgerichts gebunden war (§ 528 Abs. 2 ZPO 1877). 366 § 14 der Allgemeinen Begündung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung2 , Band 1, S. 142. 367 § 14 der Allgemeinen Begündung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung 2 , Band 1, S. 142. 368 Für Revisionsbeklagten birgt die Bachentscheidung des Revisionsgerichts jedoch eine besondere Gefahr, wenn er unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Würdigung zusätzliche Tatsachen vorgetragen hätt e, auf die es nach der Auffassung des Berufungsgerichts nicht ankam (vgl. BGH, ZOV 1997, S. 175). Wenn das Berufungsgericht aufder Grundlage der rechtlichen Würdigung des Revisionsgerichts einen rechtlichen Hinweis nach §§ 139 Abs. 1, 278 Abs. 3 ZPO hätte geben müssen, ist daher die Zurückverweisung geboten, wenn nicht ausnahmsweise jeder neue Tatsachenvortrag ausgeschlossen erscheint (Piekenbrock, ZOV 1997, S. 157). 369 Insoweit wurde die Revision im Strafverfahren mehr dem französischen Modell nachgebildet, als dort die Zurückverweisung zwingend an einen anderen Spruchkörper zu erfolgen hat (§ 354 Abs. 2 StPO). Im Zivilprozeß ist die Zurückverweisung an einen anderen Senat des Berufungsgerichts (§ 565 Abs. 1 S. 2 ZPO) dagegen die Ausnahme.

C. Das Erkenntnisverfahren

326

Diese Entscheidung des deutschen Gesetzgebers von 1877 sollte für die weitere Entwicklung richtungsweisend sein. Als erstes richtete Österreich sein Revisionsrecht an den deutschen Vorschriften aus. Der Oberste Gerichtshof sollte als Revisionsgericht nun sogar im Regelfall in der Sache selbst entscheiden (§ 510 öZPO). Auch in Frankreich kann die Cour de cassation inzwischen in der Sache entscheiden. Zunächst galt dies ab 1967 für die assemblee pleniere (Art. 16 Abs. 1 G. 67-523) .370 Seit 1979 kann auch eine einzelne Kammer eine Entscheidung in der Sache selbst treffen, wenn der Rechtsstreit entscheidungsreif ist (Art. 627 NCPC i.V.m Art. L. 131-5 Abs. 2 COJ). 371 Muß der Rechtsstreit dagegen zurückverwiesen werden, wird weiterhin nicht derselbe Spruchkörper mit der Sache betraut, sondern andere Richter desselben Gerichts oder ein anderes Gericht gleicher Ordnung (Art. 626 NCPC i.V.m Art. L. 131-4 Abs. 1 COJ), das wie bisher nur an Entscheidungen der assemblee pleniere gebunden ist (Art. L. 131-4 Abs. 2 COJ). Der pourvoi en cassation ist bis heute ein außerordentliches Rechtsmittel ohne Suspensiveffekt (Art. 527, 529 NCPC), so daß die historischen Wurzeln weiterhin sichtbar sind, auch wenn sich Frankreich in einem wesentlichen Punkt, der Sachentscheidungskompetenz, an das Revisionsrecht angenähert hat. In Italien ging die Entwicklung dagegen über das französische Vorbild hinaus. Schon 1940 wurden zwei wesentliche Neuerungen eingeführt,372 die die Kassationsbeschwerde der Revision angenähert haben. Zum einen wurde nicht mehr zwischen ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmitteln unterschieden (Art. 323 c.p.c. 1940). Die Kassationsbeschwerde verhinderte nun den Eintritt der formellen Rechtskraft ( cosa giudicata formale) (Art. 324 c.p.c. 1940), doch entfaltete sie nach wie vor keinen Suspensiveffekt (Art. 373 Abs. 1 S. 1 c.p.c. 1940). Zum anderen war das Gericht, an das der Rechtsstreit zur Entscheidung in der Sache zurückverwiesen wurde, 373 wie in Deutschland (§ 565 Abs. 2 ZPO) und Österreich (§ 511 Abs. 1 ZPO) an die Rechtsauffassung der Corte di cassazione gebunden (Art. 384 Abs. 1 c.p.c. 1940). In der Sache selbst konnte die Corte di cassazione zwar auch weiterhin nicht entscheiden, doch war durch die Bindungswirkung in Fällen, in denen der Sachverhalt für die Entscheidung genügend aufgeklärt war, die Rückverweisung zu einer bloßen Formalität herabgesunken. 374 370 Vgl. 371 Vgl.

Bellet, Rev. int. dr. comp. 1978, S. 213.

Hebraud, D. 1979 cron., S. 211 .

372 Satta,

Enc. dir. X (1962), Corte di cassazione {dir. proc. civ.), S. 803. wurde der Rechtsstreit auch weiterhin nicht an das Berufungsgericht zurückverwiesen, sondern an ein anderes Gericht gleicher Ordnung (Art. 383 Abs. 1 c.p.c. 1940). 374 Satta, Enc. dir. X (1962), Corte di cassazione {dir. proc. civ.), S. 804. 373 Allerdings

VI. Die Rechtsmittel

327

Seit der jüngsten Reform ist nun auch die Corte di cassazione befugt, den Rechtsstreit in der Sache zu entscheiden (Art. 384 Abs. 1 c.p.c.) ,375 wenn es dazu keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen mehr bedarf. Damit setzte der italienische Gesetzgeber einen Schlußpunkt unter eine lange Diskussion über das Wesen der Kassationsbeschwerde und folgte in diesem Punkte schließlich dem Entwurf Chiovendas (Art. 196 Abs. 1), der unter Anlehnung an das Österreichische Vorbild die Sachentscheidung durch die Corte di cassazione zum Regelfall machen wollte. 376 Abschließend läßt sich damit festhalten, daß sich das französische Vorbild im italienischen Kassationsrecht nie vollständig durchgesetzt hat.377 Während aber die 1990 eingeführte Sachentscheidungskompetenz der Gorte di cassazione auch über Frankreich nach Italien gekommen sein kann, stammt die Bindung des Tatrichters an die Rechtsauffassung der Corte di cassazione, die schon 1940 eingeführt wurde und in Frankreich bis heute nicht existiert, sicherlich aus dem deutsch-österreichischen Raum.

375 In Kraft seit 1. Januar 1993. Zu den ersten Entscheidungen Cass. civ. vom 25. März 1996, Nr. 2629, und Cass. civ. vom 4. Mai 1996, Nr. 4140, vgl. ausführlich Caponi, Dir. giur. 1996, S. 65 ff. 376 Zum ersten Mal war ein vergleichbarer Entwurf 1872 vorgelegt worden, also ein Jahr nach Veröffentlichung des Entwurfs der deutschen Zivilprozeßordnung (Impagnatiello , in: Tarzia/ Cipriani, Provvedimenti urgenti, c.p.c., Art. 384, S. 246, Fußnote 1), was für einen Einfluß aus Deutschland spricht. 377 Ranieri, in: Coing, Handbuch, Band 111/2, Verfahrensrecht Italien, S. 2341.

D. Zusammenfassung Zum Abschluß wollen wir uns nun wieder der Ausgangsfrage zuwenden, ob und mit welchen Mitteln der Richter darauf hinwirkt, den Prozeß zügig zu einem mit der materiellen Rechtslage übereinstimmenden Sachurteil zu führen. Aus der Fragestellung läßt sich ableiten, daß sich zwei verschiedene Arten richterlicher Befugnisse unterscheiden lassen. Soweit der Richter nur den äußeren Verfahrensablauf fördert, daß sich der Prozeß in Richtung auf das Sachurteil zubewegt, handelt es sich um die formelle Verfahrensleitung, die in Italien als impulso processuale bezeichnet wird. Betreffen die Maßnahmen des Richters den Prozeßstoff, so daß davon unmittelbar der Ausgang des Prozesses und der Inhalt der Entscheidung beeinflußt werden, geht es dagegen um die materielle Verfahrensleitung .1 So einfach diese Abgrenzung der formellen von der materiellen Verfahrensleitung auf den ersten Blick ist, so schwierig kann es im konkreten Einzelfall sein, eine Befugnis des Richters der einen oder anderen Kategorie zuzuordnen. So dienen Ausschlußfristen, die der Richter den Parteien zur Vornahme von Prozeßhandlungen setzt, unmittelbar dem Fortgang des Verfahrens. Zugleich kann damit aber auch der Ausgang des Prozesses beeinflußt werden, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen und Beweismittel als verspätet zurückgewiesen werden. Weiterhin ist zu beachten, daß formelle und materielle Befugnisse häufig eng miteinander verwoben sind, was zum Beispiel beim Zeugenbeweis deutlich wird. Während die Zulassung des Zeugenbeweises von Amts wegen Teil der materiellen Verfahrensleitung ist, gehört die Befugnis, einen Zeugen zur Verhandlung zu laden, zur formellen Verfahrensleitung. Doch haben beide dasselbe Ziel, die Anhörung eines bestimmten Zeugen durch den Richter zu ermöglichen. Aus seiner Sicht sind formelle und materielle Befugnisse daher häufig nur zusammen sinnvoll; die materielle Verfahrensleitung läuft ohne die formelle leer. Besonders deutlich wurde dies bei der 1940 eingeführten Befugnis des Richters, von Amts wegen das persönliche Erscheinen der Parteien zur formlosen Anhörung anzuordnen. Diese materielle Befugnis ist nur von praktischer Bedeutung, wenn der Richter die Verhandlung entsprechend seiner Arbeitsbelastung terminieren kann und sich im Termin nicht einer 1 Vgl. dazu bereits Menger, System des oesterreichischen Civilprocessrechts, Band 1, S. 270, 272. Siehe heute Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 15 , S. 436, 438; Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 780, 781.

I. Die formelle Verfahrensleitung

329

unüberschaubaren Menge von Anwälten gegenüber sieht, die zwanzig Fälle gleichzeitig verhandeln wollen. Auch bei der freien Beweiswürdigung, die zu den materiellen Befugnissen des Richters zu zählen ist, haben wir gesehen, daß sie von der formellen Befugnis abhängt, die Beweisaufnahme in konzentrierter Form durchzuführen. Die formelle Verfahrensleitung ist damit häufig eine notwendige Bedingung für die materielle Verfahrensleitung. Deshalb soll in der abschließenden Würdigung zunächst dargelegt werden, wer für den äußeren Fortgang des Verfahrens verantwortlich ist. I.

Die formelle Verfahrensleitung

Sieht man sich den Ablauf des italienischen Erkenntnisverfahrens im Zusammenhang an, kommt man um die Erkenntnis nicht umhin, daß die formelle Verfahrensleitung im ordentlichen Verfahren, angefangen von der außergerichtlichen Klageerhebung bis hin zur Zustellung des Urteils im Parteibetrieb, in der Hand der Parteien und nicht beim Richter liegt. 2 Auch die fehlende Befugnis des Richters, die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen oder Zeugen zu laden, unterstreicht diese Grundhaltung des italienischen Prozesses. Hinzukommt, daß Zustellungen (Art. 170 c.p.c.) und Ladungen regelmäßig im Parteibetrieb erfolgen. 3 Nur die Terminierung der Verhandlungen, die nach der Novelle von 1948 zumindest für die erste Verhandlung wieder in die Hände der Parteien übergegangen war, 4 liegt inzwischen faktisch allein beim Richter. 5 Für diese Entscheidung, den impulso processuale wie früheren weitgehend bei den Parteien zu belassen, hatte sich in den zwanziger Jahren besonders Carnelutti eingesetzt. 6 Es ist bemerkenswert, daß auch hier zur Begründung richterlicher Passivität die Dispositionsmaxime herhalten mußte. So wurde aus dem unbestrittenen Grundsatz, daß das Verfahren nur auf Antrag eröffnet wird, gefolgert, daß es auch nicht ohne den Willen der Parteien fortgeführt werden dürfe. 7 Daran ist zwar richtig, daß der Kläger mit Erhebung der Klage nicht die Dispositionsbefugnis über den Streitgegenstand verliert. Deshalb kann er die Klage zurücknehmen, auf den Anspruch verzichten oder den Streitgegenstand außergerichtlich an Dritte veräußern. Auch können die Parteien 2 Relazione, Nr. 28, abgedruckt bei Franchi/ Feroci, Nuovo codice di procedura civiie3 , S. XLVIII; Micheli, ZvglRWiss 55 (1942), S. 101; Trocker, ZZP 91 (1978), S. 238. 3 Die Praxis hat hieran auch im Arbeitsverfahren festgehalten, obwohl Art. 420 Abs. 11 c.p.c. den Amtsbetrieb nahelegt. 4 Vgl. dazu Camelutti, Riv. dir. proc. 1948, S. 124. 5 Siehe für den Vortermin Art. 168 bis Abs. 5 S. 2 c.p.c., für die erste Verhandlung in der Sache Art. 180 Abs. 2 S. 2 c.p.c., für die Verhandlung über die Beweismittel Art. 183 Abs. 5 S. 3, 184 Abs. 1 HS. 2 c.p.c., für die weiteren Verhandlungen vor dem Instruktionsrichter Art. 175 Abs. 2 c.p.c. und die Schlußverhandlung Art. 275 Abs. 3 c.p.c. 6 Camelutti, Riv. dir. proc. civ. 1929 I, S. 27. 7 Camelutti, Riv. dir. proc. civ. 1929 I, S. 27.

330

D. Zusammenfassung

den Rechtsstreit jederzeit einvernehmlich beenden.8 Doch folgt aus der Dispositionsfreiheit nicht, daß der Kläger nach Klageerhebung Herr über das gerichtliche Verfahren sein muß. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Kläger den Fortgang des Prozesses wünscht, bis er das Gegenteil kundtut.9 Carnelutti hielt dagegen die Parteien grundsätzlich für sensibler, für den raschen Fortgang des Prozesses zu sorgen, als den Richter, "weshalb wohl die weiseste Lösung nicht darin besteht, daß der Prozeß trotz der Parteien fortschreitet, sondern daß die Parteien den Prozeß zügig vorantreiben können." 10 Um aber die Fortführung des Prozesses nicht ins Belieben der Parteien zu stellen, wurde in einer Generalklausel angeordnet, daß das Verfahren ohne Urteil erlischt, wenn es von beiden Parteien nicht mehr betrieben wird (Art. 307 Abs. 3 S. 1 c.p.c.), 11 Dies gilt insbesondere dann, wenn sie Ausschlußfristen für bestimmte Prozeßhandlungen verstreichen lassen. Im Beweisrecht soll die Aktivität des Beweisführers dagegen durch die drohende Präklusion seines Beweismittels angeregt werden (Art. 208 c.p.c.). Diese Ausschlußfristen werden grundsätzlich nicht wie in Deutschland 12 vom Richter, sondern vom Gesetzgeber bestimmt (Art. 152 Abs. 1 c.p.c.). 13 Will der Richter selbst eine Ausschlußfrist setzen oder eine gesetzliche Frist abkürzen oder verlängern (Art. 153 c.p.c.), benötigt er dazu jedesmal eine ausdrückliche Ermächtigung, die ursprünglich vor allem bei der Frist zur Wiederaufnahme des Verfahrens beim zuständigen Gericht (Art. 34, 50 Abs. 1 c.p.c.) und der Beiladung notwendiger Streitgenossen (Art. 102 c.p.c.) bestand. Bei der Einführung der trattazione scritta im Jahre 1950 (Art. 180 Abs. 1 S. 2 c.p.c. a.F.) wurde dem Richter aber verwehrt, den Parteien Ausschlußfristen für ihre Schriftsätze zu setzen (Art. 83 bis disp. att. c.p.c. i.V.m. Art. 152 Abs. 2 c.p.c.). Die jüngste Entwicklung bietet dagegen kein einheitliches Bild. Auf der einen Seite kann der Richter nun auch Ausschlußfristen für die Wieder8Vgl. StürnerjStadler, Aktive Rolle des Richters, S. 193. 9 Wach Vorträge 2 S. 63. 1 Camelutti, Lezioni, Band 2, S. 384 (Hervorhebungen im Original). Ähnlich auch Zanzucchi, Relazione der Universita cattolica di Milano, Osservazioni e Proposte 1938, Band 1, S. 69, der befürchtete, sonst würden die Parteien nach Klageerhebung zu Puppen in der Hand des Richters degradiert. 11 So schon der Entwurf von Carnelutti und der Vorentwurf von Solmi ( Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 332 f.). Zum heutigen Recht vgl. Relazione, Nr. 28, abgedruckt bei Franchi/ Feroci, Nuovo codice di procedura civiie3 , S. XLVIII. In der Praxis hat dies dazu geführt, daß mehr als zwei Drittel aller Prozesse am tribunale erlöschen. So wurden im Jahre 1991 von 296.168 abgeschlossenen Verfahren nur 90.878 mit einem Sachurteil abgeschlossen, aber 188.042 durch Streichung aus dem Register (Tafel 2.4

°

- Procedimenti di co9nizione esauriti per motivo di esaurimento, ufficio 9iudiziario e distretto di Corte d'appello - Primo 9rado - Anno 1991 ). 12 Stümer/ Stadler, Aktive Rolle des Richters, S. 185. 13 Cappelletti, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974) , S. 92.

I. Die formelle Verfahrensleitung

331

holung der Ladung des Beklagten (Art. 164 Abs. 2 S. 1 c.p.c. 1990}, für die Ergänzung der Klageschrift (Art. 164 Abs. 5 S. 1 c.p.c. 1990} und der Widerklage (Art. 167 Abs. 2 S. 2 c.p.c.), für die Erhebung von Einreden im engeren Sinne (Art. 180 Abs. 2 c.p.c.) und die Bezeichnung der Beweismittel (Art. 184 Abs. 1 HS. 2 c.p.c. 1990} setzen. Auf der anderen Seite wurde dagegen die Befugnis, eine Ausschlußfrist für die Ausformulierung der Beweisartikel im Zeugenbeweis zu setzen (Art. 244 Abs. 3 c.p.c. a.F.), inzwischen wieder gestrichen, da der Gesetzgeber hier zur Eventualmaxime und damit zur gesetzlichen Bestimmung der Ausschlußfrist zurückgekehrt ist (Art. 184 c.p.c. 1990). Damit kann der Richter Ausschlußfristen häufig nur für solche Prozeßhandlungen setzen, die aus seiner Sicht besser von Amts wegen erfolgen sollten. Dies gilt sowohl für die Verweisung an das zuständige Gericht als auch die Ladung von Zeugen (Art. 250 c.p.c.). In den Bereichen, in denen dagegen die Vornahme einer Prozeßhandlung seitens der Parteien unerläßlich ist, wie etwa dem tatsächlichen Vorbringen oder der Bezeichnung von Beweismitteln, setzt regelmäßig nicht der Richter die Ausschlußfristen, sondern der Gesetzgeber. Insbesondere mit den beiden letzten Reformen von 1990 und 1995 wurde versucht, in das Verfahren vor dem Instruktionsrichter, das seit dem Wegfall der Präklusionen (Art. 184 c.p.c. 1940) ohne jede innere Ordnung abgelaufen war, wieder eine Struktur zu bringen. Doch kehrte man nicht zum alten Recht zurück, das den Richter in einer Generalklausel ermächtigt hatte, weitere Angriffs- und Verteidigungsmittel auch im weiteren Verlauf des Verfahrens zuzulassen, und damit die Verantwortung für die Zurückweisung verspäteten oder bewußt dilatorischen Vorbringens in die Hand des Richters legte (Art. 184 c.p.c. 1940}. Sondern es wurden - noch über die schon lange bestehende Trennung von Instruktion und Konstruktion hinaus - weitere starre Präklusionsbarrieren in das Verfahren eingebaut, die - anders als vor 1950 - teilweise schon vor der eigentlichen Streitverhandlung Platz greifen. So hat jede Prozeßhandlung im Verfahren ihren festen Platz, 14 was an das Reihenfolgeprinzip im justinianischen und italienisch-kanonischen Prozeß erinnert. 15 Dem obligatorischen Vortermin (Art. 180 Abs. 1 c.p.c.) 16 14 7rocker,

ZZPint 1 (1996), S. 17. Nörr, ZZP 85 (1972), S. 161. Schon hinsichtlich des codice di procedura civile von 1942 kritisierte Esser, Festschrift zur Fünfzigjahrfeier der Österreichischen Zivilprozeßordnung, S. 47, diese Aufteilung des Verfahrens in einzelne Phasen, anstatt es zu einer homogenen Einheit auszuformen wie in Österreich. Vgl. auch Allorio, Giur. it. 1950, Sp. 49 ff. 16 Vgl. dazu auch die Kritik von Chiarloni, Riv. trim. dir. proc. civ. 1996, S. 516, der zu Recht bemerkt, daß dieser obligatorische Vortermin angesichts seines beschränkten Verhandlungsstoffs (vgl. oben C.l.2., S. llO) in den allermeisten Fällen überflüssig ist und damit gleich der erste Termin wieder zu einem reinen Vertagungstermin verkommt. 15 Vgl.

332

D. Zusammenfassung

folgt die erste Verhandlung in der Sache (Art. 183 Abs. 1 c.p.c.). Werden weitere Schriftsätze beantragt, hat der Richter sie zuzulassen und bestimmt den Termin für die Verhandlung über die Beweismittel (Art. 183 Abs. 5 S. 3 c.p.c.). In diesem Termin kann jede Partei verlangen, daß ihr eine weitere Frist für die Bezeichnung der Beweismittel gesetzt wird, so daß der Beweisbeschluß erst im vierten Termin erlassen werden kann (Art. 184 Abs. 1 HS. 2 c.p.c.). Kann die sich anschließende Beweisaufnahme in einem Termin abgeschlossen werden, kann der Richter in dieser fünften Verhandlung ins Entscheidungsverfahren überleitenP Auf Antrag einer Partei ist aber als sechstes noch die mündliche Schlußverhandlung abzuhalten (Art. 275 Abs. 2 S. 1 c.p.c.). Damit kann ein Beklagter, der - was durchaus vorkommen soll - eigentlich keine ernsthaften Einwände gegen den Anspruch des Klägers vorzubringen hat, das Verfahren auf insgesamt sechs Termine strecken, ohne daß der Richter dem entgegenwirken könnte. 18 Um trotzdem die Konzentration der mündlichen Verhandlung zu retten, hatte Art. 81 Abs. 2 disp. att. c.p.c. bestimmt, daß zwischen den Terminen im Instruktionsverfahren nicht mehr als fünfzehn Tage liegen dürfen. Doch wurde die sanktionslose Vorschrift schon bald überhaupt nicht mehr angewandt 19 und zeugt heute von dem schon von Justinian erfolglos unternommenen Versuch, den zügigen Fortgang des Verfahrens mit festen Fristen zu sichern. In Frankreich sind in Verfahren mit Beweisaufnahme nur drei Termine vor dem Vorsitzenden (Art. 759 Abs. 1 NCPC), dem juge de la m ise en etat (Art. 763 ff. NCPC) und der Kammer (Art. 779 Abs. 1 NCPC) erforderlich. In Deutschland und Österreich kann der Rechtsstreit sogar in einem Termin verhandelt werden, da es dem Richter freisteht, ob er einen frühen ersten Termin (§ 272 Abs. 2 ZPO) beziehungsweise eine erste Tagsatzung (§ 243 Abs. 4 öZPO) abhalten will. Daß die Konzentration der mündlichen Verfahren, die schon Chiovenda vergeblich angemahnt hatte, bis heute fehlt, ist auf der formellen Seite einer der großen Schwachpunkte des italienischen Zivilprozesses. Sie ist eng verbunden mit dem Fehlen nennenswerter vorbereitender Maßnahmen im Vorfeld der mündlichen Verhandlung. Dem Richter fehlen die Möglichkeiten, von sich aus den Ablauf des Prozesses an die Erfordernisse des Einzelfalls anzupassen.20 Hierin kommt eine Eigenart des italienischen Rechtsdenkens zum Ausdruck, die 17 Bis zur Streichung von Art. llO disp. att. c.p.c. war für die Überleitung ins Entscheidungsverfahren noch ein weiterer Termin erforderlich. 18 Nur wenn der Rechtsstreit bereits nach der ersten Verhandlung in der Sache entscheidungsreif ist, kann der Richter von Amts wegen direkt ins Entscheidungsverfahren überleiten (Art. 187 Abs. 1 c.p.c.) und so den Prozeß auf drei Termine verkürzen. 19 Chiarloni , Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 169. 20 Vgl. hierzu Stormej Coester- Waltjen, Der richterliche Aktivismus, Generalbericht zum IX Cogresso mundial de direito judiciario, S. 423.

I. Die formelle Verfahrensleitung

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sich im Prozeßrecht wie im materiellen Recht leicht in scharfsinnige dogmatische Konstruktionen verstrickt und dabei den konkreten Einzelfall aus den Augen verliert. 21 Dabei zeigt der Gesetzgeber bezüglich des formellen Ablaufs des Verfahrens einen deutlichen Hang zur Überreglementierung, der vom Mißtrauen gegen die richterliche Verfahrensleitung zeugt. 22 So erinnert der neu geschaffene Art. 183 Abs. 5 c.p.c., der den Schriftsatzannex im Anschluß an die Verhandlung in der Sache regelt, mehr an ein schriftliches als an ein mündliches Verfahren. 23 Der in diesem Punkt wesentlich flexiblere Gesetzentwurf Nr. 2214/S/IX (Art. 180) konnte sich nicht durchsetzen. Die Ideen Chiovendas, die formelle Verfahrensleitung weitgehend in die Hände des Richters zu legen, 24 um zu einer konzentrierten mündlichen Verhandlung zu kommen, sind damit bis heute nicht verwirklicht worden. 25 Auch wenn die Novellen von 1948 und 1950 dazu beigetragen haben, den Instruktionsrichter durch die Rückkehr zur citazione a udienza fissa, die Aufbebung der Präklusionen und die Einführung der sofortigen Beschwerde gegen den Beweisbeschluß noch weiter zu entmachten, 26 lag darin doch nicht der Anfang vom Ende der Leitlinien Chiovendas, wie Carnelutti glauben machen wollte, 27 sondern den Schlußpunkt einer Entwicklung, die ihren Ursprung bei Carnelutti selbst genommen hatte. 28 An dieser ablehnenden Haltung gegenüber flexibler Verfahrensgestaltung durch den Richter in weiten Teilen der italienischen Prozessualistik hat sich bis heute wenig geändert. So lobt Tarzia, einer der einflußreichsten Prozeßrechtslehrer, die von ihm forcierte Einführung des obligatorischen Vortermins (Art. 180 Abs. 1 c.p.c.) mit den Worten, daß es mit "offensichtlichen Unannehmlichkeiten für die Parteien und ihre Prozeßbevollmächtigten" verbunden sei, die Durchführung eines Vortermins ins Ermessen des 21 Vgl. dazu Cappelletti, La testimonianza della parte nel sistema dell'oralitil., Band 1, S. 46; Calamandrei, Elogio dei giudici, S. 96 f. 22 Cappelletti, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell' Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 93; Chiarloni, Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 170. Symptomatisch ist dafür der lesenswerte Vorschlag der Corte d'appello di Milano, Osservazioni e Proposte 1956, Band 1, S. 264. 23 Chiarloni , Le riforme, c.p.c., Art. 183, S. 167. 24 Chiovenda, Saggi di diritto processuale, Band 2, S. 63. 25 Cappelletti , Atti del IX convegno nazionale, Quaderni deli'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 92. Soweit Allorio, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 65, und Proto Pisani, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 16, meinen, der neue codice sei den Vorstellungen Chiovendas jedenfalls teilweise oder unter erheblichen Kompromissen gefolgt, kann dem jedenfalls hinsichtlich der formellen Verfahrensleitung nicht zugestimmt werden. 26 Habscheid, ZZP 81 (1968), S. 183; Trocker, ZZP 91 (1978), S. 238. 27 Camelutti, Riv. dir. proc. 1948 I, S. 122, 124. 28 Ähnlich auch Jelinek, in: Habscheid, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlungen, S. 76.

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Instruktionsrichters zu stellen. 29 Von einem den §§ 275 f. ZPO vergleichbaren Gestaltungsrecht des Richters über den Fortgang des Prozesses ist diese Vorstellungswelt erheblich weiter entfernt, als die kurze Flugzeit von Mailand nach München erwarten läßt. Sie erschließt sich dem ausländischen Beobachter erst langsam, wenn er vor Ort im gerichtlichen Alltag das tiefe Mißtrauen und die große persönliche Distanz zwischen Richtern und Anwälten spürt, die sich im Gesetz in der beklagten Überreglementierung zum Schutz vor Willkür widerspiegelt. Folglich blieben die Bekenntnisse zur richterlichen Verfahrensleitung, die sich im Gesetz selbst (Art. 175 Abs. 1 c.p.c.), in dessen Begründung30 und der zeitgenössischen Literatur finden, 31 leere Rhetorik. 32 Dies könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, daß der codice während des Faschismus von nichtfaschistischen Juristen ausgearbeitet wurde, die einen autoritären Richter verhindern wollten und deshalb an der Parteiherrschaft festhielten. 33 Über 50 Jahre nach dem Sturz Mussolinis sollten solche Erwägungen jedoch für die Zukunft keine Rolle mehr spielen. Wohin diese Zukunft in Italien führen wird, ist zur Zeit schwer zu sagen. Jedenfalls ist ein allgemeiner Konsens, die formelle Verfahrensleitung weitgehend in die Hand des Richters zu legen, zur Zeit nicht auszumachen. 34 Dies zeigt sich auch daran, daß die jüngste Novelle von 1995 weiterhin darauf verzichtet hat, den Richter von Amts wegen entscheiden zulassen, ob er nach Art. 186 quater c.p.c. entscheiden will. Sicher erscheint mir lediglich, daß Italien wie Frankreich grundsätzlich am Parteibetrieb bei Zustellungen festhalten wird, 35 was richterlicher Verfahrensleitung nicht grundsätzlich widerspricht. Ansonsten muß aber der Richter zukünftig stärker in die Verantwortung genommen werden, für den zügigen Fortgang des Verfahrens zu sorgen. Dies hat das Österreichische Vorbild, dem Deutschland und teilweise auch Frankreich gefolgt sind, 29 Tarzia, Lineamenti, S. 315. 30 Relazione, Nr. 12, abgedruckt bei Franchi/ Feroci, civile3 , S. XXIV. Hier wurden weitgehend Thesen Kleins

Nuovo codice di procedura und Chiovendas abgeschrieben, daß der Rechsstreit nach Anhängigkeit bei staatlichen Gerichten keine private Angelegenheit mehr sei, und als Leitlinien des faschistischen Staates verkauft. 31 Micheli, ZvglRWiss 55 (1942), S. 104; Esser, DR 7 (1942), S. 1; Riezler, RabelsZ 13 (1940/41), s. 739. 32 Trocker, ZZP 91 (1978), S. 238, Fußnote 2. 33 Vgl. Cappelletti, RabelsZ 30 (1966}, S. 279, Fußnote 114. 34 Bezeichnend ist, daß in der Umfrage von 1965 sogar die Frage gestellt wurde, ob es sinnvoll sei, den impulso processuale noch weiter den Parteien zu übertragen, um die Richter zu entlasten. Die Antwort fiel überwiegend negativ aus (Reale, Per un nuovo processo civile, S. 24 f.). 35 Der einzige Entwurf, der den Amtsbetrieb vorsah, kam von Andrioli, Foro it. 1971 V, Sp. 81, und betraf das Arbeitsverfahren (Art. 438 Abs. 4).

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hinreichend gelehrt.36 Nur so läßt sich die Konzentration der mündlichen Verhandlung erreichen, die sich der letzte Entwurf von Liebman - ganz im Sinne Chiovendas - auf die Fahnen geschrieben hatte (Nr. 13 lit. b, d). 37 Doch sollte man sich nicht der Illusion hingeben, die formelle richterliche Verfahrensleitung sei eine Art Allheilmittel gegen die überlange Verfahrensdauer. 38 Zum einen hängt das Gelingen einer Reform, die mit großem richterlichen Ermessen bei der Anpassung des Verfahrens an die Bedürfnisse des Einzelfalls operiert, unweigerlich von der Persönlichkeit des einzelnen Richters ab. 39 Und zum anderen kann selbst der beste Richter nur eine bestimmte Zahl an Prozessen pro Jahr bewältigen, so daß sich Verzögerungen aus der Überlastung der Gerichte ergeben können. 40 Hier wäre es besonders in Übergangszeiten fatal, an der Richtigkeit des Systems zu zweifeln, wie dies nach 1945 geschehen ist. 41 Denn an der Notwendigkeit richterlicher Verfahrensleitung führt letztlich kein Weg vorbei. Abschließend soll zu der Frage der formellen Verfahrensleitung noch auf einen bemerkenswerten Unterschied zwischen Italien und Deutschland hingewiesen werden, an den man zunächst gar nicht denkt: das liebe Geld. Nach der zur Zeit gültigen italienischen Gebührenordnung für avvocati und - bis vor kurzem - procuratori legali 42 gibt es eine einheitliche Prozeß- und Verhandlungsgebühr nur für die avvocati in Streitigkeiten vor dem Friedensrichter bei einem Streitwert bis f, 1.000.000.43 Ansonsten werden jede Teilnahme an einer Verhandlung, jede Beweisaufnahme und jeder Schrift36 Der Einschätzung von Wach, Vorträge 2 , S. 54, schon die Zivilprozeßordnung von 1877 habe die richterliche Verfahrensleitung entfesselt, kann für die formelle Verfahrensleitung nicht zugestimmt werden. Hier kamen die wesentlichen Anstöße aus Österreich. 37 Vgl. Trocker, in: Habscheid, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlungen, S. 157. Damit wäre auch der Abschied von der Auffassung Galamandreis verbunden, der meinte, ein zügiges Verfahren berge größere Gefahren für die Richtigkeit der Entscheidung als ein langsameres und daher sei das langsamere vorzuziehen ( Calamandrei, Opere giuridiche, Band 1, S. 307 f.). 38 Trocker, in: Habscheid, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlungen, s. 158. 39 Allorio, Atti del IX convegno nazionale, Quaderni dell'Associazione fra gli studiosi del processo civile XXXI (1974), S. 72. 40 Vgl. Grunsky, Riv. dir. proc. 1971, S. 357. 41 Damals unterlag man dem Irrtum, der langen Dauer bis zur ersten Verhandlung, die ursprünglich vorn Gerichtspräsidenten bestimmt wurde (Art. 173 Abs. 2 c.p.c. 1940), durch die Rückkehr zur Terrninierung durch den Kläger abhelfen zu können ( Carnelutti, Riv. dir. proc. 1948, S. 124). 42 Ministerial-Dekret Regolamento recante approvazione della delibera del Consiglio nazianale forense in data 12 giugno 1993, ehe stabilisce i criteri per Ia determinazione degli onorari, dei diritti e delle indennita spettanti agli avvocati ed ai procuratori per le prestazioni giudiziali, in materia civile e penale, e stragiudiziali vom 5. Oktober 1994, Nr. 585, G.U. vom 21. Oktober 1994, Nr. 247, LEX 1994 I, S. 3446. 43 Die Gebühren sind nach Streitwerten gestaffelt und als Rahmengebühren ausgestaltet. Die genauen Zahlen ergeben sich aus Anlage A I. zum M.-D. 585/1994.

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satz einzeln abgerechnet. 44 Dadurch wird das Interesse der Anwälte, ein Verfahren möglichst schnell in einem Termin- möglicherweise durch Vergleich - zu beenden, nicht sonderlich gefördert. Dies sieht bei deutschen Rechtsanwälten, die neben der Prozeßgebühr eine von der Zahl der Termine unabhängige Verhandlungsgebühr erhalten (§ 31 Abs. 1 BRAGO) und für einen Vergleich mit einer Vergleichsgebühr (§ 23 Abs. 1 BRAGO) belohnt werden, ganz anders aus. Auch der Staat fördert den Vergleich, indem er von den eingezahlten drei Gerichtsgebühren zwei zurückzahlt. 45 II.

Die materielle Verfahrensleitung

Auf der Ebene der materiellen Verfahrensleitung wird dem Richter in Italien keine herausragende Stellung zugewiesen, sondern die Initiativen weitgehend den Parteien überlassen. Dies soll kurz anhand der Antragstellung, des Tatsachenvortrags, der Beweiserhebung und der rechtlichen Würdigung verdeutlicht werden. Daß die Sachanträge von den Parteien gestellt werden müssen, die damit den Gegenstand des Prozesses bestimmen, ergibt sich aus so heeren Grundsätzen wie ne procedat iudex ex officio und ne ultra petita, die in Italien selbstverständlich genauso gelten (Art. 99, 112 c.p.c.) wie in den übrigen Ländern. Doch besagen diese Grundsätze nicht, daß sich der Richter bei der Antragstellung völlig passiv verhalten muß. Vielmehr kann es im Interesse einer materiell richtigen Entscheidung geboten sein, eine Partei darauf hinzuweisen, daß sie mit ihrem Antrag in der jetzigen Form keinen Erfolg haben kann, und eine Klagänderung anzuregen. In Italien gibt es hierfür keine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die mit § 139 Abs. 1 S. 1 ZPO vergleichbar wäre. Nur wenn der in der Klage oder der Widerklage gestellte Antrag nicht hinreichend präzise und damit nichtig ist, hat der Richter die Partei darauf hinzuweisen (Art. 164 Abs. 5, 167 Abs. 2 S. 2 c.p.c.). Die einzige Ausnahme, die es in Italien zu dem Grundsatz gibt, daß der Richter über zulässige Anträge zu entscheiden hat, ohne auch nur indirekt auf die Antragstellung Einfluß zu nehmen, ist die Beiladung (Art. 102, 107 c.p.c.). Sie erfolgt aber nicht im Interesse der prozeßführenden Partei, sondern im Interesse des Dritten und der Öffentlichkeit an der umfassenden Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses und der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen. Im übrigen 44 Auch hier gelten für die avvocati nach Streitwert gestaffelte Rahmengebühren (Anlage A li. ff. zum M.-D. 585/1994.). Für die procuratori legali lagen die Gebühren für jede Prozeßhandlung dagegen genau fest (Anlage B I. - IV.) und wurden je nach Streitwert mit einem Koeffizienten multipliziert (Anlage B V. zum M.-D. 585/1994). 45 Siehe Nr. 1202 lit. c des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz in der Fassung vom 1. Juli 1994.

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hält sich die Praxis bei der Anleitung der Parteien, sachdienliche Anträge zu stellen, weitgehend zurück. Stattdessen hat man sich lieber für einen sehr weitreichenden Anwaltszwang bis hinunter zu den giudici di pace entschieden, der die Unterstützung durch den Richter bei der Antragstellung ersetzen soll. 46 In Österreich entschied man sich dagegen dafür, an den Bezirksgerichten die notwendige Vertretung durch Rechtsanwälte durch die richterliche Mandukation zu ersetzen (§ 432 öZP0). 47 · Auch auf der Ebene der tatsächlichen Grundlagen des Rechtsstreits fehlt es an einer Vorschrift wie § 139 Abs. 1 S. 1 ZPO, wonach der Richter die Pflicht hat, darauf hinzuwirken, daß sich die Parteien zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig erklären. Das Gesetz stellt lediglich fest, daß der Richter die Parteien befragt (Art. 183 Abs. 1 S. 1 c.p.c.) und auf der Grundlage ihres Vorbringens um die nötigen Klarstellungen bittet (Art. 183 Abs. 3 c.p.c.) . Auch bei den Novellen des Arbeitsverfahrens von 1973 und des ordentlichen Erkenntnisverfahrens von 1990 ist die umfassende Erörterung des Sach- und Streitstands in der Wissenschaft nicht auf ungeteilte Gegenliebe gestoßen48 und fand im Gesetz keine ausdrückliche Regelung. Folglich findet sie auch in der Praxis regelmäßig nicht statt. Man beschränkt sich lieber darauf, die von den Parteien bereits schriftsätzlich vorgetragenen Behauptungen zu Protokoll zu nehmen. Mitverantwortlich für diese Misere ist, daß die Mitwirkung des Beklagten bis heute nicht wirksam gesichert ist. Wenn er zu den Behauptungen des Klägers nicht substantiiert Stellung nimmt oder sich gar nicht auf den Rechtsstreit einläßt, bleibt dies weitestgehend sanktionslos. Insbesondere dieser im Vergleich zu den übrigen Ländern sehr weitreichende Schutz des säumigen Beklagten verhindert in vielen Fällen, daß der Richter den Rechtsstreit mit beiden Parteien umfassend erörtern kann. Im Beweisrecht gilt im ordentlichen Verfahren der Grundsatz, daß nur die Parteien über die Beweismittel verfügen können (Art. 115 c.p.c.). Praktisch zum Tragen kommt er beim Zeugenbeweis, bei Urkunden und der förmlichen Parteivernehmung zur Erlangung eines Geständnisses. Insgesamt vermittelt das Beweisrecht jedoch kein einheitliches Bild. Auf der einen Seite verfügt der Richter gegenüber Sachverständigen und beim Augenschein über weitreichende Befugnisse, die sich sogar gegen Dritten richten können, auch wenn sie ihnen gegenüber faktisch nicht durchgesetzt werden können. Im Urkundsbeweis ist er zwar auf einen Antrag des Beweisführers angewiesen, kann dann aber auch von der Gegenseite die Vorlage von Urkunden verlangen. Insoweit ist eine deutliche Steigerung der 46 Vgl. dazu auch 47 Heute gilt dies

BVerfG, NJW 1979, S. 1925, 1928. nur noch bis öS 30.000 (§ 27Abs. 1 öZPO). Das Bezirksgericht ist aber inzwischen bis öS 100.000 zuständig (§ 49 Abs. 1 JN). 48 Trocker, ZZP 91 (1978), S. 241, insbesondere Fußnote 9. 22 Piekenbrack

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richterlichen Befugnisse gegenüber dem alten codice di procedura civile erkennbar. Auf der anderen Seite stehen diesen weitreichenden Befugnissen jedoch die veraltete Ausformung des Zeugenbeweises unter Beibehaltung objektiver und subjektiver Beweisverbote und der mittelalterlichen Beweisartikel sowie der archaisch anmutende Eid gegenüber. Insbesondere bei der Vernehmung der Zeugen und Parteien hat der Richter damit zu wenig Möglichkeiten, den Sachverhalt richtig aufzuklären49 und muß sich häufig mit einer formellen Wahrheit begnügen. Soweit er aber die Befugnis hat, Beweismittel von Amts wegen zuzulassen, zeigt sich die Praxis auch hier äußerst zurückhaltend. 5° Dies gilt auch im Arbeitsverfahren (Art. 421 Abs. 2 c.p.c.). Wie die Stellung der Sachanträge Aufgabe der Parteien ist, ist die Rechtsanwendung nach dem Grundsatz iura novit curia die ureigene Aufgabe des Richters. 51 Doch heißt dies nicht, daß der Richter die Parteien daran nicht zu beteiligen habe. Im Gegenteil: In Deutschland und Frankreich muß der Richter die Parteien auf rechtliche Gesichtspunkte, die sie übersehen haben, hinweisen, wenn er darauf seine Entscheidung stützen will. 52 In Italien kann der Richter dagegen selbst entscheiden, ob er die von Amts wegen zu berücksichtigenden Fragen mit den Parteien erörtern will (Art. 183 Abs. 3 c.p.c.), weshalb Überraschungsentscheidungen an der Tagesordnung sind. Ein Rechtsgespräch mit den Parteien ist dagegen praktisch höchst selten anzutreffen. 53 Damit ist auf allen Ebenen der materiellen Verfahrensleitung in Italien eine ausgeprägte Zurückhaltung zu beobachten. Sie wird dadurch begünstigt, daß die materiellen Befugnisse des Richters nur punktuell geregelt sind und das Verfahren nicht prägen. So gibt es im ordentlichen Verfahren keine Generalklausel, die wie § 139 ZPO, Art. 143 NCPC und § 182 f. öZPO zur Erörterung des Sach- und Streitstands, zu richterlichen Hinweisen und zu Beweiserhebungen von Amts wegen ermächtigt oder gar verpflichtet. Um das eingangs skizzierte Ziel des Zivilprozesses zu erreichen, ist es notwendig, daß der Richter die materielle Verfahrensleitung in die Hand nimmt, sobald er merkt, daß der Prozeßstoff durch die Parteien unzureichend vorgetragen wird und eine materiell unrichtige RabelsZ 30 (1966), S. 273. ZfRV 20 (1979), S. 85. 51 Die Frage, ob dies mehr eine bloße Anwendung geschriebener Rechtssätze als bouche de Ia loi im Sinne Montesquieus ist, wie dies lange in Italien der Fall war ( Carnelutti, ZZP 64 (1950) , S. 31) oder auch die Rechtsfortbildung und Rechtsschöpfung umfaßt (vgl. Stürner/ Stadler, Aktive Rolle des Richters, S. 175), kann hier dahingestellt bleiben. 52 Vgl. §§ 139 Abs. 2, 278 Abs. 3 ZPO; Art. 16 Abs. 3 NCPC. 53 Vgl. dazu Zapparoli, Diritto comparato e costume giudiziario comparato in tema di dialogo processuale, Temi ciociara 1984, S. 199 ff. 49 Cappelletti,

50 Amato,

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Entscheidung ergehen könnte. Dies kann in erster Linie durch richterliche Hinweise und Fragen geschehen und muß sich in Verfahren über frei verfügbare Streitgegenstände bei der Formulierung der Sachanträge, der Erhebung verzichtbarer Einreden und dem Vortrag der streiterhebliehen Tatsachen auch darauf beschränken. 54 Im Beweisrecht begegnet es dagegen keinen grundsätzlichen Bedenken und entspricht dem heutigen Trend, wenn der Richter Beweise auch selbst von Amts wegen erheben kann. 55 Die Beweismittel müssen sich aber aus dem Vorbringen der Parteien oder dem übrigen Prozeßstoff wie Zeugenaussagen oder beigezogenen Akten ergeben. Dabei ist selbstverständlich, daß der Richter keinerlei Informationen ohne Anhörung der Parteien verwerten darf (Art. 82 Abs. 1 S. 2 CPC 1965).56 Auch sollte den Parteien ein gemeinsames Vetorecht gegen die Beweiserhebung von Amts wegen zustehen, um selbst zu bestimmen, mit welchem (Kosten-)Aufwand sie den Prozeß betreiben wollen. Damit wirkt die Beweiserhebung von Amts wegen lediglich antiformalistisch, da sie die förmliche Bezeichnung der Erkenntnisquellen als Beweismittel entbehrlich macht. Inquisitorischen Charakter hat sie dagegen nicht. Auch ist es sinnvoll, daß der Richter zu den wesentlichen rechtlichen Gesichtspunkten Stellung nimmt, und das nicht erst im Urteil. Damit wird der Richter nicht in die Rolle eines Vaters gedrängt, der sich von seinem Richtertisch zu den Parteien herabbeugt, um ihnen zu sagen, wie es um ihre Rechte bestellt ist. Sondern es soll vielmehr der Einsicht Rechnung getragen werden, daß auch ein Richter fehlbar ist. Deshalb sollte er seine Ansicht den Parteien mitteilen, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihn von der Unrichtigkeit seines Standpunkts zu überzeugen. Wer dagegen meint, der Richter solle die Parteien lediglich anhören, um hinterher milde lächelnd sein Urteil zu verkünden, der verharrt in einer obrigkeitsstaatliehen Distanz zwischen der "Gerichtsbehörde" und den Parteien, wo es der Richter nicht für nötig erachtet, sich der argumentativen Kritik zu stellen. Zum Abschluß sei noch auf einen Aspekt eingegangen, der immer wieder im Zusammenhang mit der materiellen Verfahrensleitung in Verbindung gebracht wird: die Unparteilichkeit des Richters. 57 Daß zwischen beiden Fragen ein innerer Zusammenhang besteht, ist eine alte Erkenntnis, die schon den Österreichischen Gesetzgeber von 1796 zu einer ausdrücklichen Regelung in § 21 WGO bewogen hat. Danach sollte der Richter auf der 54 Vgl. Wach, Vorträge2 , S. 79, der die materielle Verfahrensleitung auf Fragen und Anregungen beschränken wollte. 5 5 Habscheid, ZZP 81 (1968), S. 176. 56 Wozu es führt, wenn ein Gericht meint, es könne Akten informatorisch beiziehen, ohne dies den Parteien mitzuteilen, verdeutlicht die Entscheidung BVerfG, NJW 1994, S. 1210, 1211: zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. 57 Fasching, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 , Rdnr. 1611; BVerfG, NJW 1979, s. 1925, 1927.

22*

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einen Seite die Parteien weitreichend unterstützen und gleichzeitig auf seine Unparteilichkeit acht geben. Diese Aufgabe ist mit der paradoxen Situation umschrieben worden, der Richter müsse quasi gegen sich selbst Schach spielen. 5 8 Doch dieser Vergleich, der jeden Leser von Stefan Zweigs Schachnovelle, jeden, dem die seelischen Qualen des unglücklichen Österreichers Dr. B. im Gedächtnis geblieben sind, erschaudern läßt, mag nicht so recht passen. Ein Schachspiel steht vor Beginn der Partie immer auf remis, da der Anzugsvorteil für Weiß nicht zum Gewinnen reicht. Das bedeutet, daß einer der beiden Spieler schlauer sein muß als der andere oder der Gegner einen Fehler machen muß, damit ein Sieger gekürt werden kann. Im Zivilprozeß gibt es dagegen eine "vorprozessuale materielle Rechtslage", 59 der der Richter wenn möglich zum Siege verhelfen soll. So kann es durchaus geboten sein, daß der Richter einer Partei einen Hinweis gibt, wie sie ihr Rechtsschutzziel besser erreichen kann, 60 ohne daß er dadurch gleich parteiisch wäre. Um im Bild des Schachspielers zu bleiben, würde dies eher einem Beobachter einer Partie gleichen, der einem Spieler ein einzügiges Matt aufzeigt, das dieser übersehen hatte. Im Sport wäre dies unfair und parteiisch, nicht aber vor Gericht. Damit wird, um es noch einmal zu betonen, nicht einer über den Parteien schwebenden richterlichen Vaterfigur das Wort geredet. Es geht vielmehr um eine wirkliche Zusammenarbeit, bei der der Richter die Parteien auf mögliche Fehler hinweist und ihnen seine eigene - vorläufige - Meinung frühzeitig mitteilt, um sich selbst auf mögliche Fehler aufmerksam machen zu lassen. Auch wenn dies in Italien, anders als noch in Frankreich zu Zeiten des fuge charge de suivre la procedure (Art. 82 e Abs. 1 S. 2 CPC 1935), nicht ausdrücklich verboten ist, ist ein solches Verhalten für einen italienischen Richter bis heute in vielen Fällen unvorstellbar. Außerdem erscheint es widersprüchlich, daß der Richter in den Verfahren, in denen er mangels anwaltlieber Vertretung der Parteien zur Mandukation aufgerufen ist, 61 dies ohne Besorgnis der Befangenheit tun kann, aber nicht im Anwaltsprozeß. 62 Dieser Widerspruch läßt sich nur auflösen, wenn man entweder in allen Verfahrensarten an der Reinhaltung des Richteramtes nach der liberalistischen Prozeßauffassung festhält, 58 Langer, JZ 1977, 59 Dabei wird nicht

S. 381; Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, S. 22. übersehen, daß diese materielle Rechtslage in vielen Fällen Wertungen enthält, die sich - wie etwa bei Schadensquoten - einem einfachen Subsurntionsvorgang entziehen. Das ändert aber nichts daran, daß es eine, wenn auch erst im Prozeß vorn Richter durch Wertung zu findende materielle Rechtslage gibt, die auf dem tatsächlichen Geschehen basiert. 60 Vgl. BVerfGE 42, 64 ff.; in diese Richtung auch Taruffo, Riv. trirn. dir. proc. civ. 1977, S. 1569; sehr skeptisch dagegen Montesano, Riv. dir. proc. 1978, S. 476. 61 Dies gilt neben dem schon erwähnten bezirksgerichtliehen Verfahren in Österreich in besonderem Maße im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, wo das Gericht nicht nur den Sachverhalt von Amts wegen zu errnittelln hat(§ 86 Abs. 1 VwGO), sondern nicht selten das Rechtsschutzbegehren des klagenden Bürgers klären muß (§ 86 Abs. 3 VwGO). 62 Amato, ZfRV 20 (1979), S. 87.

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die das Selbstverständnis vieler Richter in Italien bis heute prägt. 63 Oder man bekennt sich zum aktiven Richter, der dann aber auch nicht aufgefordert werden sollte, zu den Parteien eine möglichst große Distanz zu halten und von seinen Befugnissen zurückhaltend Gebrauch zu machen. 64 Eine solche Einstellung führt nicht nur zu einer engherzigen Handhabung des richterlichen Frage- und Hinweisrechts, wodurch mündliche Verhandlungen als "Pokerface-Verhandlungen" zur Farce geraten, 5 5 sondern leicht sogar zu einer Verkürzung der Aufgaben contra legem. 66 Tatsächlich setzt sich nämlich der passive Richter der Gefahr aus, zu Recht als abwesend und damit als voreingenommen angesehen zu werden, weshalb er nach Möglichkeit das Gespräch mit den Parteien suchen sollte. 67 Denn "der Richter darf als Staatsorgan dem Rechtsstreit nicht passiv zusehen, um am Schluß ein Urteil zu verkünden wie ein Automat, der, ausgelöst vom Gewicht der allenden Münze, ein Bonbon oder eine Eintrittskarte auswirft."

63 Dazu sagte mir ein Arbeitsrichter in Florenz, die Parteien spielten Tennis und er zähle die Punkte! Vgl. auch Jolowicz, The active roJe of the court, S. 168; Lanfranchi, Giur. it. 1996 IV, Sp. 159. 64 So aber Stümer, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, S. 25, 41. Zu Recht ablehnend Frohn, JuS 1996, S. 245, Fußnote 11. 65 Vgl. die treffenden Bemerkungen von Zuck, MDR 1988, S. 281. 66 Peters, Richterliche Hinweispflichten, S. 109. 67 Vgl. dazu die Gedanken von Calamandrei, Elogio dei giudici, S. 49 f., 62 f.

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