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German Pages 360 [361] Year 2003
ULRICH FÜLBIER
Die Religionsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika unter spezieller Berücksichtigung der jeweiligen Methodik der Verfassungsinterpretation
Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Otto Depenheuer· Alexander Hollerbach . Josef Isensee Joseph Listl . Wolfgang Loschelder . Hans Maier· Paul Mikat Stefan Muckel . Wolfgang Rüfner . Christian Starck
Band 40
Die Religionsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika unter spezieller Berücksichtigung der jeweiligen Methodik der Verfassungsinterpretation Eine rechtsvergleichende Studie
Von
Ulrich Fülbier
Duncker & Humblot . Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 3-428-11185-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
e
Meinen Eltern Barbara und Klaus-Dieter Fülbier In Liebe und Dankbarkeit
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im September 2002 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Den infolge einiger erschwerender Begleitumstände nicht immer absehbaren Erfolg des Promotionsverfahrens habe ich nicht nur der Freude an dem gewählten Thema, sondern auch dem Zuspruch und der Unterstützung einiger Menschen zu verdanken. An erster Stelle sei dabei der Betreuer dieser Arbeit, Herr Prof. Dr. Stefan Muckel, genannt. Er hat den Fortgang der Arbeit in jeder Hinsicht engagiert und erfolgreich unterstützt, zeigte sich stets hilfsbereit und hat darüber hinaus mit seiner zügigen Durchsicht den Grundstein dafür gelegt, daß das Verfahren noch vor meiner 2. juristischen Staatsprüfung abgeschlossen werden konnte. Für die Zweitkorrektur der Arbeit danke ich Herrn Prof. Dr. Arnulf Schmitt-Kammler ganz herzlich. Nicht vergessen möchte ich aber auch meine beiden vorherigen, im Verlauf der Arbeit leider verstorbenen Betreuer, Herrn Prof. Dr. Hartrnut Krüger und Herrn Prof. Dr. Joachim Burmeister, an deren Sachverstand und Menschlichkeit ich mich gerne erinnere. In diesem Zusammenhang danke ich auch Herrn Prof. Michael C. Dorf ("Mike"), dessen Mitwirkung mir nicht nur einen erlebnis- und erkenntnisreichen Forschungsaufenthalt an der Columbia University School of Law in New York City ermöglichte, sondern der mir auch jederzeit für Diskussionen und Fragen zum US-amerikanischen Verfassungsrecht zur Verfügung stand. Seine herzliche, fast freundschaftliche Art hat mich nachhaltig beeindruckt. Der Aufenthalt an der Columbia Law School wurde durch ein "DAAD Doktorandenstipendium im Rahmen des gemeinsamen Hochschulsonderprogramms III von Bund und Ländern" gefördert. Es erfüllt mich mit Freude, daß die Arbeit in die Schriftenreihe "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen" aufgenommen wurde. Dafür bin ich den Herausgebern der Reihe zu Dank verpflichtet. Ein Wort des Dankes gilt überdies dem Erzbistum Köln, das die Drucklegung dieser Arbeit mit einem großzügigen Druckkostenzuschuß gefördert hat. Danken möchte ich auch meinem gesamten Freundeskreis, insbesondere aber Peter Antwerber, der auch von Spanien aus immer für mich da war, meiner einzigartigen "Busenfreundin" Ariane Giesecke und Helge Dedek, der mir nicht nur mit seinem freundschaftlichen, sondern auch mit seinem unschätzbaren juristischen Rat zur Seite stand, sowie nicht zuletzt meiner Freundin Suzee Lee. Für deren
8
Vorwort
große Hilfe bei der abschließenden Durchsicht des Manuskripts danke ich auch Berit Bäumerich und Christian Giesecke ganz herzlich. Abschließend möchte ich meiner Familie danken, die stets ihre schützende Hand über ihren "Jüngsten" hielt. Meine Brüder Rolf Uwe und Klaus-Peter, deren akademische Leistungen mir immer Ansporn und Vorbild zugleich waren, sind mir in nahezu allen Lebenslagen zum ersten Ansprechpartner geworden. Meinem Vater, Klaus-Dieter Fülbier, der in den letzten Jahren über sich hinausgewachsen ist, kann ich nicht genug dafür danken, daß er mir in jeglicher Hinsicht den Rücken freigehalten hat. Widmen aber möchte ich die Arbeit in erster Linie meiner im März 200 I viel zu früh verstorbenen Mutter, Barbara Fülbier, die mir alle Liebe dieser Welt hat zukommen lassen und der ich mit dem Abschluß dieser Dissertation gewiß viel Freude und Stolz bereitet hätte. Worte können nicht ausdrücken, wie sehr sie mir fehlt. Köln, im Juni 2003
Ulrich Fülbier
Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
Erster Teil
Vorbemerkungen zu den Rechts- und Grundrechtssystemen
24
§ I USA ..............................................................................
24
I. Common Law ................................................................
24
II. Verankerung verfassungsgerichtlicher Kontrolle ..............................
26
III. Zuständigkeit bei Verfassungsfragen ..........................................
28
§ 2 Deutschland.......................................................................
30
1. Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
lI. Verankerung verfassungsgerichtlicher Kontrolle ....... . ... . ..................
31
III. Zuständigkeit bei Verfassungsfragen ..........................................
32
Zweiter Teil
Methodik der Verfassungsinterpretation
34
§ I Problemstellung............... . .......... . .......... . .......... . ..................
34
§ 2 Deutschland.......................................................................
35
1. Auslegungsmethoden ........................... . .......... . ..................
35
l. Objektive und subjektive Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
a) Objektive Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
b) Subjektive Theorie.....................................................
37
c) Zusammenschau von objektiver und subjektiver Theorie ...............
37
10
Inhaltsverzeichnis d) Unmöglichkeit einer exakten Trennung objektiver und subjektiver Gesichtspunkte ...........................................................
38
2. Ergebnis ..................................................................
40
11. Auslegungssprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
1. Prinzip von der Einheit der Verfassung ....................................
41
2. Konkretisierung grundlegender Prinzipien der Verfassung .................
42
III. Probleme der Verfassungsinterpretation .......................................
44
§ 3 USA ..............................................................................
45
I. Auslegungsmethoden .........................................................
46
1. Law and Economics sowie Critical Legal Studies ..........................
47
2. Privileged Factor Theories . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
3. Balancing Theories ................................................... . ....
49
4. Open-System Theories ....................................................
50
5. Ansatz des Supreme Court ................................................
51
6. Notwendigkeit einer gleichberechtigten Anwendung der wichtigsten Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
11. Auslegungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
1. Stare decisis und Einheit der Verfassungsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
2. Judicial self-restraint und der Grundsatz verfassungskonformer Auslegung
59
3. Political question-Doktrin .................................................
60
III. Probleme der Verfassungsinterpretation und Vergleich ........................
61
§ 4 Einheitliche Anwendung der Methodik ..................................... . ......
63
Dritter Teil
Staatskirchenrechtliche Systeme
64
§ I Einleitung.........................................................................
64
§ 2 Typologie des Staatskirchenrechts .................................................
65
§ 3 Deutschland.......................................................................
66
I. Wortlaut .......... . ................... . .................................. . ....
66
Inhaltsverzeichnis
11
11. Historische Auslegung ........................................................
67
l. Geschichtliche Grundlagen ................................................
67
a) Entwicklung im 19. Jahrhundert........................................
68
aa) Paulskirchenverfassung ............................................
68
bb) Revidierte preußische Verfassung ..................................
70
b) Zeit der Weimarer Republik ............................................
72
aa) Ende des Kaiserreichs .............................................
72
bb) Neugestaltung durch die Weimarer Reichsverfassung ..............
72
(a) Ausschluß des Staatskirchentums im strengen Sinne...........
74
(b) Ausschluß des evangelischen Landeskirchentums ..............
75
(c) Strenge Trennung..............................................
76
(d) Ausschluß einer Staatsreligion.... .. .. ........ .. ........ .... ...
76
(e) Art. 137 I WRV jedenfalls als Absage an das landesherrliche Kirchenregiment ..............................................
77
c) Weiterer geschichtlicher Verlauf (1933 -1945) .........................
78
d) Schaffung des Grundgesetzes ..........................................
80
2. Wille des Verfassungsgebers . . .. .. . . .. .. .. .. .. . .. . . . .. .. .. . . .. .. . .. . . . .. .. .
82
3. Ergebnis ..................................................................
85
III. Systematische Auslegung ................................... .. .......... .. ....
85
l. Wertung des Art. 137 V WRV .............................................
86
a) Strenge Trennung ......................................................
86
b) Formal-organisatorische Trennung .....................................
88
c) System grundsätzlicher Trennung ......................................
89
2. Wertung des Art. 4 GG ....................................... . ............
91
a) Verbot staatlicher Indifferenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
b) Grundsätze der Neutralität und der Parität ..............................
94
3. Ergebnis ..................................................................
95
IV. Teleologische Auslegung .....................................................
95
I. Bezweckte Trennung durch historisch bedingten Klimawechsel im Rechtsbewußtsein ................................................................
95
2. Bezweckte Trennung als Freiheitsgarantie durch Einfluß der Systematik ...
96
3. Telos des Art. 137 V WRVals Auflockerung des Trennungsprinzips .......
97
a) Herrschende Ansicht ...................................................
97
b) Gegenauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
12
Inhaltsverzeichnis c) Dreiteilung der Religionsgemeinschaften............................... 100 aa) Unterschied zwischen Religionsgemeinschaften mit öffentlichrechtlichem und privatrechtlichem Status .......................... 100 bb) Unterschied zwischen den Großkirchen und den anderen Religionsgemeinschaften mit öffentlich-rechtlichem Körperschaftsstatus .... 104 (a) Soziologischer Befund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 106 (b) Christliche Prägung des Grundgesetzes ........................ 113 4. Grenze der Privilegien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 5. Ergebnis .................................................................. 116 V. Gesamtergebnis............................................................... 117 VI. Abschließende Bemerkungen zur methodischen Vorgehensweise von Bundesverfassungsgericht und Literatur .............................................. 117 1. Rechtsprechung ................................ . .......................... 117 2. Literatur............................. . ............ . ........ . ... . ........ . .. 120
§ 4 USA .............................................................................. 124
I. Wortlaut ...................................................................... 124
11. Historische Auslegung .......................................... .. .. . . . . .. .. .. 126 1. Geschichtliche Grundlagen ................................................ 126 a) Neuenglandstaaten ..................................................... 129 b) Südstaaten ..................... . ..................... . . . .......... . . . .. 130 c) Mittlere Staaten........................................................ 132 d) Staaten ohne Staatskirchentum......................................... 132 e) Auflösung staatskirchlicher Systeme ................................... 133 2. Wille des Verfassungsgebers ... . .. . . . . .. . . .. .. . . . . .. . . . . .. . . . .. .. . . . .. . . .. . 134 a) Strict separationists und nonpreferentialists . . . . .. . . . .. . . . . ... . . . . . . . . . . . 134 b) Debatten von Repräsentantenhaus und Senat ........................... 135 c) Schlußfolgerungen ..................................................... 139 aa) Repräsentantenhaus ............................................... 139 bb) Senat.............................................................. 140 cc) James Madison.................................................... 141 dd) Thomas Jefferson .................................................. 143 d) Ergebnis.......... . . . .................................................. 144
Inhaltsverzeichnis
13
III. Systematische Auslegung..................................................... 147 1. Test clause ................................................................ 147
2. Free exercise clause ....................................................... 147 a) Gleichzeitige Betroffenheit von establishment clause und free exercise clause .................................................................. 148 aa) Einheitliches Prinzip .............................................. 148 bb) Rangfolge der Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 cc) Balancing approach! Ansatz des Supreme Court..... . ............. 149 dd) Lösung im Sinne der no preference-Lehre ......................... 157 b) Fälle ohne direkte Verletzung der Religionsfreiheit Anderer ............ 161 3. Ergebnis .................................................................. 164 IV. Teleologische Auslegung .................................. . .................. 164 1. Strenges Trennungssystem ................................................ 164
2. Einmischungsverbot des Bundesgesetzgebers .............................. 167 3. Reichweite der no preference-Lehre......... . . . ..................... . ..... 168 4. Ergebnis .................................................................. 169 V. Gesamtergebnis............................................................... 169
VI. Abschließende Bemerkungen zur methodischen Vorgehensweise von Supreme Court und Literatur ........................................................... 170 1. Supreme Court ............................................................ 170
2. Literatur................................................................... 173
Vierter Teil
Die Religionsfreiheit
174
§ 1 Deutschland... . .......... . .......... . .......... . .......... . .......... . .......... . . 174 I. Wortlaut...................................................................... 174 11. Historische Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Geschichtliche Grundlagen ................................................ 177
a) Paulskirchenverfassung ................................................ 178 b) Revidierte preußische Verfassung ...................................... 180 c) Weimarer Reichsverfassung ............................................ 181 d) Zeit unter der Herrschaft der Nationalsozialisten .......... . ............ 184
14
Inhaltsverzeichnis 2. Wille des Verfassungsgebers ............................................... 184 3. Folgerungen............................................................... 187 4. Eigenständige Bedeutung der Religionsausübungsfreiheit .................. 189 a) Einheitliches Grundrecht in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG .................... 189 b) Mehrere selbständige Grundrechte .................... . ................ 190 c) Notwendige Abgrenzung der Einzelverbürgungen ...................... 191 5. Christliche Prägung des Religionsbegriffs ................................. 194 a) Problemstellung........................................................ 194 b) Befürworter des christlich geprägten Re1igionsbegriffs ................. 196 c) Grundsätzliche Offenheit des Religionsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 196 6. Ergebnis .................................................................. 198 III. Systematische Auslegung ..................................................... 200 1. Schutzbereich ............................................................. 200
a) Glaubensfreiheit ....................................................... 201 b) Bekenntnisfreiheit ..................................................... 202 c) Religionsausübungsfreiheit ............................................. 203 d) Gewissensfreiheit ...................................................... 203 e) Eingrenzung des Schutzbereichs durch das Kriterium der Verfassungskonformität ............................................................ 204 f) Verfassungsimmanente Grenzen des Gewaitverbots und der Rechte
Dritter ................................................................. 206
2. Schranken ................................................................. 208 a) Schrankenleihe ........................................................ 209 b) Verfassungsimmanente Schranken ..................................... 209 c) Art. 140 GG i.Y.m. Art. 136 Abs. 1 WRV .............................. 210 d) Regelungszusammenhang von Art. 4 GG und Art. 140 GG ............. 211 e) Typisierende Güterabwägung im Rahmen von Art. 140 GG i.Y.m. Art. 136 Abs. 1 WRV .................................................. 213 f) Schranken der Gewissensfreiheit....................................... 215
3. Kollektive Religionsfreiheit ............................................... 217 a) Religiöse Vereinigungsfreiheit ......................................... 217 b) Verhältnis des Einzelnen zur Lehre seiner Religionsgemeinschaft. . . . . .. 218 c) Selbstbestimmungsrecht der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 220 d) Spannungsverhältnis kollektiver positiver und individueller negativer Religionsfreiheit ....................................................... 223
Inhaltsverzeichnis
15
4. Einfluß anderer Verfassungsnormen ....................................... 228 a) Staatskirchenrechtlicher Rahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 228 b) Grundrechte ........................................................... 228 c) Präambel .............................................................. 231 5. Ergebnis .................................................................. 232 IV. Teleologische Auslegung ..................................................... 232 1. Umfang der Religionsausübungsfreiheit ................................... 232
2. Umfang der Gewissensfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 234 3. Konkretisierung der Begriffe von Religion und Weltanschauung........... 235 4. Schutz der Extrembetätigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 242 5. Ergebnis .................................. . ........ . ............ . ......... 243 V. Gesamtergebnis..... . ............ . ............................................ 244 VI. Abschließende Bemerkungen zur methodischen Vorgehensweise von Bundesverfassungsgericht und Literatur .............................................. 245 1. Rechtsprechung ........................................................... 245
2. Literatur................................................................... 247 § 2 USA .............................................................................. 249
I. Wortlaut ...................................................................... 249
11. Historische Auslegung ........................................................ 252 1. Geschichtliche Grundlagen ................................................ 252
a) Prägung durch das Mutterland England ................................. 252 b) Entwicklung in den Kolonien .......................................... 253 aa) Neuenglandstaaten ................................................ 253 bb) Südstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 254 cc) Mittlere Staaten ................................................... 254 dd) Staaten ohne Staatskirchentum .................................... 255 c) Beginn der gesetzlichen Absicherung .................................. 255 d) Einfluß John Lockes ................................................... 256 e) Gesetzliche Regelungen nach Erlangung der Unabhängigkeit........... 258 2. Wille des Verfassungs gebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 260 3. Ansichten von Thomas Jefferson und James Madison...................... 262
Inhaltsverzeichnis
16
40
Schlußfolgerungen
264
a) Belief/action distinction-Modell
000000000000000000000000000000000000000
b) Bedeutung von "prohibiting" .......................................... c) Gewissensbezogenheit der Religiösität aa) Schutz des forum extemum
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bb) Kollektive Religionsfreiheit
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cc) Schutz lediglich religiöser Gewissensentscheidungen d) Schutz der Atheisten e) Schranken 50
Ergebnis
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1. Test clause
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Establishment clause
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IV. Teleologische Auslegung
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1. Befreiung von den Wirkungen allgemeiner Gesetze
a) No-exemptions view
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Keine gesonderte Gewissensfreiheit Ergebnis
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b) Einheitlicher Religionsbegriff Weitere Grundrechte
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a) Grenzen des Schutzes
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IIIo Systematische Auslegung
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b) Exemptions view ........
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..........................................
c) Rechtsprechung des Supreme Court aa) Bisherige Rechtsprechung bb) Neue Rechtsprechung
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(a) Employment Division, Department of Human Resources of Oregon Vo Smith 000
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(b) RFRA ........................................................ (c) City of Boerne Vo PoF. Flores, Archbishop of San Antonio d) Reaktionen der Literatur
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aa) Befürworter bb) Gegner
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e) Anwendung des "compelling interest test" auch bei bloß mittelbaren Eingriffen .. 0
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297
Inhaltsverzeichnis
17
2. Begriff der Religion ....................................................... 300 a) Rechtsprechung.... . ................................................... 301 b) Literatur ............................................................... 303 c) Untauglichkeit schutzbereichsbegrenzender Kriterien .................. 307 3. Kollektive Religionsfreiheit ............................ . ........ . . . ....... 310 4. Schranken ........... . ....................... . .......... . .......... . ....... 313 5. Ergebnis .................................... . ............................. 314 V. Gesamtergebnis ............................................................... 314 VI. Abschließende Bemerkungen zur methodischen Vorgehensweise von Supreme Court und Literatur ........................................................... 315 1. Supreme Court ...... . ...................... , .............................. 315
2. Literatur................................................................... 317
Fünfter Teil
Vergleichende Schlußbetrachtung
319
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 326
Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 352
2 Fülbier
Einleitung Wohl kaum ein Faktor prägt eine Gesellschaft als Ganzes in dem Maße, wie es die Religion tut. Der Umgang eines Staates mit der Religion kennzeichnet in der Regel auch seine Gesamtausrichtung. Die Art und Weise, wie seine Verantwortlichen mit der eigenen Religion, aber auch und vor allem mit anderen, ihnen nicht nahestehenden Religionsgemeinschaften umgehen, bestimmt darüber, ob man einen Staat eher als "liberal", "intolerant", "fundamentalistisch" oder gar "radikal und gewalttätig" einordnet. Gerade der 11. September 2001, an dem Terroristen unter vermeintlicher Berufung auf den Islam einen verheerenden Anschlag auf das World Trade Center in New York City verübten, hat uns schlagartig wieder ins Bewußtsein gerufen, daß Religion auch eine politische und wirtschaftliche, eben eine gesamtgesellschaftliche Dimension hat. Für das Wohl eines Staates kann es demnach von entscheidender Bedeutung sein, wie er dem Bedürfnis seiner Bürger nach möglichst ungestörter und uneingeschränkter Religionsausübung nachkommt, aber auch wie er mit Gruppierungen umgeht, denen es in Wahrheit weniger um die Verfolgung religiöser Interessen geht, als vielmehr um die Erlangung politischer Kontrolle, gegebenenfalls auch unter Inkaufnahme von Straftaten. In den westlichen Demokratien ist das Verhältnis von Staat und Kirche sowie die Freiheit der Religion grundsätzlich auf der Ebene der Verfassung geregelt und abgesichert. Die Verfassung gibt Inhalt und Grenzen der Religionsfreiheit vor. Diese Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, zunächst die diesbezüglichen Vorgaben des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen. Darüber hinaus ist es das Ziel, der Darstellung der Rechtslage in Deutschland die der Vereinigten Staaten von Amerika gegenüberzustellen. Dies rechtfertigt sich aus einer Vielzahl von Überlegungen. Zunächst einmal kommt dem Verfassungsgefüge der Vereinigten Staaten von Amerika im internationalen Verfassungsrecht traditionell besonderes Gewicht zu. Die Rechtspraxis des Bundesverfassungsgerichts hat sich immer wieder von der amerikanischen Rechtsprechung beeinflussen lassen. Dies läßt sich zum einen damit erklären, daß unser gegenwärtiges Verständnis von Verfassungsgerichtsbarkeit nachweislich auf das US-amerikanische Verfassungsrecht zurückgeht, l zum anderen mit der Bedeutung und dem Ansehen, welches das US-amerikanische Höchstgericht, der U.S. Supreme Court, weltweit genießt. Er gilt als "das wohl legendenreichste,,2 und "schillerndste Gericht der westlichen Welt'" 3 das wie "kein anderes Gericht auf der Welt so häufig im Rampenlicht der 1 2
3 2*
von Brüneck, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 15. Kroll, in: JuS 1987,944. Maaßen, V.S. Supreme Court, S. 7.
20
Einleitung
Öffentlichkeit steht".4 Er wird gewürdigt als "Schwerpunkt des Landes" der Vereinigten Staaten von Amerika, der eine "Schlüsselstellung unter den eingesetzten Gewaltenträgern" in den USA einnehme; kein anderes Tribunal komme ihm an Macht, Einfluß und Ansehen gleich. 5 Seine Richter bezeichnet man als "the most powerful and irresponsible of all men in the world who govern men".6 Der Supreme Court galt den meisten heutigen Verfassungs gerichten, speziell auch dem deutschen Bundesverfassungsgericht, bei ihrer Schaffung als Vorbild.? Neben dieser grundsätzlichen Bedeutung des amerikanischen Verfassungsrechts ist aus deutscher Sicht aber speziell die Behandlung der Religion durch die Verfassungsorgane der Vereinigten Staaten von Interesse, weil die amerikanische Gesellschaft bekannt ist für ihre außerordentliche religiöse Vielfalt. Dort weiß man von über 1200 verschiedenen religiösen Gruppierungen. 8 Außerdem genießt in den USA keine Kirche eine privilegierte Stellung, die vergleichbar wäre mit der Rolle der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche in Deutschland. Allerdings schwindet hierzulande der Einfluß der Großkirchen zugunsten vieler kleiner und neuartiger Glaubensgruppierungen,9 so daß im Hinblick auf die religiöse Landschaft in Deutschland möglicherweise bald von "amerikanischen Verhältnissen" die Rede sein wird. Auch aus diesem Grunde bietet es sich an, den Blick nach Amerika zu richten, um zu sehen, wie sich dort das Miteinander von Staat und Religion gestaltet. Dabei wird sich zeigen, inwieweit die gern bemühte, schlagwortartige Gegenüberstellung des deutschen und des US-amerikanischen Staatskirchenrechts ihre Berechtigung hat. Bislang ist das deutsche Modell eher für eine Kooperation von Staat und Kirche bekannt, \0 während die Vereinigten Staaten von Amerika "als ein klassisches Beispiel für ein Regime strikter Trennung von Staat und Kirche" gelten. I I Der jeweilige Umfang der in beiden Ländern gewährleisteten Religionsfreiheit, gerade auch im direkten Vergleich, ist in den letzten Jahren insbesondere durch die öffentliche Diskussion um die Church of Scientology in den Mittelpunkt des InterSpies, in: JA 1987, 124. Loewenstein, Verfassungsrecht, S. 400. 6 Rodel\, History of the Supreme Court, S. 4. 7 Mann, in: JA 1989,72, 79. 8 Note, in: Harvard Law Review 100 (1987),1606, 1613. Trotzdem kann man davon sprechen, daß in den USA drei Religionen aus der Menge der Religionsgemeinschaften herausragen: Protestantismus, Katholizismus und Judentum. 1980 waren 54,5% der 133 Millionen Kirchenmitglieder in den USA als Protestanten registriert, 40% als Katholiken und 4% als Juden. Zu den Nachweisen siehe Note, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1606, 1613, Fn.8. 9 Ausführlich dazu im 3. Teil, § 3 IV 3. 10 Vgl. diesbezüglich nur Art. 7 III GG. 11 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 396; Herz/ Jetzlsperger, in: Höver (Hrsg.), Religion und Menschenrechte, 73, 76; Brenner, in: VVDStRL 59 (2000), 264, 270; 297 ("rein laizistisches Modell"). 4
5
Einleitung
21
esses gerückt. Deren rechtliche Behandlung hat Gerichte und Schrifttum in Deutschland l2 und den USA I3 gleichermaßen beschäftigt. Nachdem in Deutschland Politiker zum Boykott von Filmen aufriefen, an denen prominente Anhänger von Scientology als Schauspieler mitwirkten, und Bayern damit begann, von seinen Bewerbern für den Öffentlichen Dienst Auskunft darüber zu verlangen, ob sie Scientology-Mitglied seien, wurde die Angelegenheit sogar zum deutsch-amerikanischen Politikum. 14 Zunächst befaßten sich sowohl die US-Regierung als auch der amerikanische Kongreß mit der Behandlung der Scientologen in Deutschland, kurz darauf griff auch die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen das Thema auf. Durch die Diskussion entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, daß die Religionsfreiheit in den USA nahezu unbegrenzten Schutz erfahre, in Deutschland dagegen durch ein enges Verständnis von Religionsfreiheit sowie den Einfluß der althergebrachten Amtskirchen die Ausbreitung kleinerer Religionsgemeinschaften ganz gezielt verhindert werde. Es ist auch ein Anliegen dieser Arbeit, diesem Vorwurf nachzugehen. Fest steht jedenfalls, daß dem Grundrecht der Religionsfreiheit in beiden Verfassungen, dem bundesdeutschen Grundgesetz und der U.S. Constitution, eine überragende Bedeutung zukommt. In Deutschland war schon zur Weimarer Zeit die Rede davon, daß die Religionsartikel "Grundrechte ersten Grades,,15 seien und sie in der Entwicklungsgeschichte der Grundrechte "einen hervorragenden, allgemein anerkannten Platz" einnähmen. 16 Die Religionsfreiheit gehöre "zum Kernbestand traditioneller Grundrechtskataloge,,17 und habe für das demokratische Gemeinwesen den Rang eines "konstitutionierenden" - nicht nur eines korrigierenden - Elements gewonnen. 18 Die Gewährleistung umfassender Religionsfreiheit bilde eine "Grundvoraussetzung für ein freies Geistesleben" und stelle damit eine "Vorbedingung für die Existenzmöglichkeit eines menschenwürdigen und freiheitlichen Staates" dar. 19 Nach Abel gilt das Grundrecht der Glaubens-, Gewissens- und 12 Vgl. dazu etwa Muckei, in: Gennan Yearbook of International Law 41 (1998),299 ff.; ders. in: FriauflHöfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 12; ders. in: JA 1995, 343,345; Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 93; Thüsing, in: ZevKR 45 (2000), 592,596 f.; Dostmann, in: DÖV 1999,993 ff.; Winter, Staatskirchenrecht, S. 70 ff. 13 Vgl. Greenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753, 773 f.; Stokeld, in: Tax Notes 67 (1995), 324 f.; Streckfuss, in: Tax Notes 67 (1995), 1697 ff.; ders., in: Tax Notes 62 (1994), 131 f.; Wright, in: Tax Notes 74 (1997), 1634 ff.; Perrotti, in: The Tax Lawyer 43 (1990),491 ff.; Malm, in: UWLA Law Review 20 (1988-89), 193 ff.; Geier, in: Hamline Law Review 13 (1990), 433 ff.; Eaton, in: Emory Law Journal 45 (1996), 987 ff.; Bowles, in: Texas Tech Law Review 27 (1996), 1011 ff.; ausführlich auch hierzu Thüsing, in: ZevKR 45 (2000), 592, 598 ff. 14 Vgl. Brenner, in: VVDStRL 59 (2000), 264, 268. 15 Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 326. 16 Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 320. 17 von Münch I Kunig-von Münch, GG, Bd. 1, Art. 4 Rdn. 2. 18 Kästner, in: JZ 1998, 974, 975. 19 Listl, in: HdbStKirchR, Bd. 1,439,446.
22
Einleitung
Bekenntnisfreiheit nach heutigem Verständnis sogar als eines der fundamentalen Menschenrechte überhaupt. Es sei dem Menschen von Natur aus gegeben und somit überstaatlich, unverlierbar, unveräußerlich, unverzichtbar, unverwirkbar und unabänderlich. Aufgrund des hohen Rangs des Grundrechts zähle die Religionsfreiheit zu "jenem Normgeflecht, von dem Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung Richtlinien und Impulse empfangen", und an dem sich vor allen Dingen der Richter zu orientieren habe, wenn es wertausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe zu interpretieren oder Gesetzeslücken auszufüllen gelte. 20 Auch in den USA wird die Garantie der Religionsfreiheit von Vielen sogar als das Wichtigste aller Grundrechte der amerikanischen Verfassung angesehen: 21 "Religious liberty is one of the most fundamental and important values in American life. ,,22 Sie beansprucht vor amerikanisch-innenpolitischem Selbstverständnis eine Sonderstellung in der allgemeinen internationalen Menschenrechtspolitik. 23 Es wird behauptet, daß es ohne den Glauben an Gott gar keinen eigenen amerikanischen Staat gäbe?4 Eine rechtsvergleichende Arbeit hat jedoch weitere Ziele: Die internationale Perspektive soll Anregungen für die eigene dogmatische Arbeit geben, sie kann das Bewußtsein für mögliche Problemfelder schärfen 25 und die inländische wissenschaftliche Diskussion auf eine breitere Basis stellen. Die Entwicklung der Gegenwart macht bei der Lösung verfassungsrechtlicher Probleme allgemein und in zunehmendem Maße Rechtsvergleichung erforderlich, die mit Recht als unentbehrlicher Bestandteil moderner Verfassungsinterpretation bezeichnet worden ist. 26 Am Ende der Darstellung soll und kann jedoch nicht die Empfehlung stehen, Teile des einen Systems auf das jeweils andere zu übertragen. 27 Dies verbietet sich Abel, in: Engstfeld/Haack, u. a. (Hrsg.), Juristische Probleme, 34, 36. So z. B. Supreme Court-Richter Stewart in Sherbert v. Verner 374 U.S. 398, 413 ff. (1963): "I am convinced that no liberty is more essential to the continued vitality of the free society which our constitution guarantees than is the religious liberty protected by the Free Exercise Clause explicit in the First Amendment and imbedded in the Fourteenth." 22 Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967),1381,1385. 23 Robbers, in: VVDStRL 59 (2000), 231, 234, unter Hinweis auf den 1998 vom amerikanischen Kongreß erlassenen "International Religious Freedom Act", der Sanktionen gegen Staaten begründet, die Verletzungen der Religionsfreiheit begehen oder tolerieren. 24 "It is important to realize that most Americans would never have endorsed a colonial separation from the mother country unless they believed that it had God's sanction." Davis, in: Journal of Church and State 36 (1994), 469. Diese Aussage ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund zu betrachten, daß die USA als eine sehr gläubige und gottesfürchtige Nation gelten. In einer Umfrage der Washington Post, der Henry J. Kaiser Family Foundation und der Haryard University aus dem Jahre 1998 bezeichneten insgesamt 68% der Amerikaner Religion als "sehr wichtig" in ihrem Leben (davon antworteten 19% mit "das wichtigste in meinem Leben", 20% mit "extrem" und weitere 29% mit "sehr wichtig"); ganze 8% gaben an, Religion sei für ihr persönliches Leben ohne jede Bedeutung. Zitiert bei Herz I Jetzlsperger, in: Höver (Hrsg.), Religion und Menschenrechte, 73, 75 f. Fn. 5. 25 Vgl. dazu Fleischer, in: JZ 1995,1001. 26 Hesse, Grundzüge, Rdn. 71. 20 21
Einleitung
23
schon wegen der verschiedenen verfassungsrechtlichen Ausgangslage und der unterschiedlichen Rechtstraditionen, die eine Vergleichbarkeit erschweren?8 Da Verfassungsnormen im allgemeinen sehr vage formuliert sind, kommt es für deren Auslegung und Inhaltsbestimmung entscheidend auf die Methodik an, die der Verfassungsinterpret für seine Untersuchung bemüht. Ist es das Ziel der Untersuchung, die "objektive" Aussage von Verfassungsbestimmungen zu ermitteln, die in unterschiedlichen Rechtssystemen verankert sind, so ist es eigentlich unerläßlich, eine einheitliche Methodik der Verfassungsinterpretation anzuwenden. Die Behandlung der Frage, ob dies in concreto aber überhaupt möglich und angezeigt ist, wird ein Schwerpunkt der Bearbeitung sein. Angestrebt ist jedenfalls, sich nicht auf die Ermittlung der - möglichst objektiven - Aussage der Norm zu beschränken, sondern sich auch mit den tatsächlichen Verhältnissen, mithin der Verfassungswirklichkeit der Länder auseinanderzusetzen. Bezogen auf ein Rechtssystem, das auf dem common law beruht,29 bedeutet das die besondere Berücksichtigung der Präzedenzien.
27 Vgl. Fleischer, in: JZ 1995, 1001, 1005: Die Rechtsvergleichung kann keine vorgefertigten Lösungen anbieten, sie trägt allerdings zur Versachlichung der Diskussion bei. 28 So schon Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen, S. 22 f. 29 Siehe hierzu I. Teil, § 1 I.
Erster Teil
Vorbemerkungen zu den Rechtsund Grundrechtssystemen Der Vergleich zweier Verfassungsgarantien, die in verschiedenen Rechtssystemen verankert sind, leidet grundsätzlich darunter, daß die Vergleichbarkeit infolge der unterschiedlichen Rechtstraditionen und dem daraus folgenden unterschiedlichen Rechtsverständnis beider Länder eingeschränkt ist. Um diese Schwierigkeiten zunächst begreifen und anschließend auch einordnen zu können, ist es notwendig, die Natur des Rechtskreises, in dessen Rahmen die betreffenden Rechte gewährleistet werden, zu skizzieren und kurz darzustellen, auf welche Art und Weise Grundrechte jeweils geschützt werden und Grundrechtsverletzungen geltend gemacht werden können. Es muß deutlich sein, aus welchem Selbstverständnis heraus Verfassungsgerichtsbarkeit erfolgt.
§ 1 USA I. Common Law Das US-amerikanische Recht steht in der Tradition des englischen "common law", einer Art Richter- und Gewohnheitsrecht. Im Gegensatz zu den römischrechtlich geprägten kodifizierten Rechtsordnungen Kontinentaleuropas ist für das common law charakteristisch, daß aus einer Reihe von gerichtlichen Entscheidungen zumindest provisorisch ein Prinzip abgeleitet wird, welches in späteren Fällen als Entscheidungsgrundlage dient. I Die jeweils gefällten Urteile haben dann bei gleichgelagerten Fällen, die durch rangniedrigere Gerichte entschieden werden, bindende Wirkung (case law)? Allerdings entfaltet ein Urteil nur im Rahmen seiner "Zuständigkeit" Präzedenzwirkung. Eine Entscheidung des Supreme Court of Califomia ist etwa nicht bindend für die unteren Gerichte in Ohio oder Vermont, eine Entscheidung des Supreme Court of the United States wiederum nicht bindend für die einzel staatlichen Gerichte, wenn es nicht um eine bundesrechtliche I
2
Morrison, Fundamentals, S. 2l. Avenarius, Rechtswörterbuch, S. \02.
§1 USA
25
Frage geht. 3 Wichtigste Aufgabe des Anwalts im Gerichtsprozeß ist es demzufolge, in seiner Argumentation aufzuzeigen, daß der vorliegende Sachverhalt anders geartet ist als der einer scheinbar ungünstigen vorhergehenden Entscheidung (common-law-method of distinguishing cases)4 oder, sofern die vorhergehende Entscheidung günstig zu sein scheint, die Vergleichbarkeit zum anhängigen Fall herauszustellen. Die zunehmende staatliche Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung hat zwar dazu geführt, daß es auch im angelsächsischen Rechtskreis kein generelles Präzedenzfall-Recht mehr gibt, sondern weite Bereiche nunmehr durch Gesetzesrecht (statutory law) geregelt werden. 5 Auch bei der Anwendung gesetzlicher Regelungen ist es jedoch kennzeichnend für die Rechtsprechung der USA, nicht nach der "Aussage des Gesetzes" zu forschen, sondern das zu ermitteln, was die Präzedenzien bislang zum Inhalt des Gesetzes ermittelt haben. Die Frage, was das Gesetz objektiv aussagt, wird automatisch damit beantwortet, was der Supreme Court bislang zum Inhalt der Bestimmung gesagt hat. Besonders deutlich zeigt sich diese Tendenz bei der Auslegung der Verfassung. Der Supreme Court muß sich häufig mit Fällen auseinandersetzen, in denen die Verfassungs be stimmungen wegen ihrer generalklauselartigen Formulierung keine zweifelsfreie Lösung nahelegen. In diesen Fällen wird der Sinn einer Regelung oft nur danach beurteilt, was das Gericht selbst in seinen früheren Urteilen und Ansichten zuvor zu der Bestimmung sagte. Je strittiger die Frage erscheint, desto intensiver erfolgt die Auseinandersetzung mit der eigenen Judikatur, um zu einem tragbaren Ergebnis zu gelangen und dieses argumentativ stützen zu können. 6 Um die Vorgehensweise des Supreme Court im Bereich des Verfassungsrechts nachvollziehen zu können, ist die Kenntnis um diesen Hintergrund äußerst bedeutsam. Allerdings darf dieses Charakteristikum auch nicht als allgegenwärtiges Prinzip eines common law-geprägten Rechtssystems verstanden werden. Immer wieder finden sich auch Bemühungen seitens der Rechtsprechung, unabhängig von den bisherigen Präzedenzfällen zu einer Norm nach deren "objektiven Sinn und Zweck" zu fragen. 7
3 Jones / Kernochan / Murphy, Legal Method, S. 5: ,,[ ... ] that is, one involving the interpretation or effect of a federal statute or regulation or of the Constitution of the United States." 4 Quint, in: JZ 1986,619,625. 5 Gesetzesrecht ist in den USA etwa das Arbeits-, Erb- und Familienrecht, common law dagegen die meisten Bereiche des übrigen Privatrechts, insbesondere das Deliktsrecht (law oi torts). 6 Morrison, Fundamentals, S. 14. 7 Vgl. hierzu 2. Teil, § 3 I.
26
1. Teil: Vorbemerkungen zu den Rechts- und Grundrechtssystemen
11. Verankerung verfassungsgerichtlicher Kontrolle Der Wesenskem der richterlichen Tätigkeit wurde vom Supreme Court selbst wie folgt definiert: "The power to decide cases and controversies in conformity with law and by the methods established by usages and principles of law. ,,8 Eine ausdrückliche konstitutionelle Regelung, nach der der Supreme Court über die Auslegung der Verfassung und die Vereinbarkeit von nachrangigem Recht mit der Verfassung entscheidet, gibt es in den USA nicht; das richterliche Prüfungsrecht von staatlichen Akten ist in der amerikanischen Verfassung mit keinem Wort erwähnt. Der Grundstein für die Einrichtung des judicial review wurde in einer fast 30 Jahre währenden Entwicklung aber bereits im 18. und 19. Jahrhundert gelegt, die sich gegen den etablierten englischen Rechtsstandpunkt durchsetzen mußte. 9 Als erster ersichtlicher Vorläufer des judicial review hat der sog. Dr. Bonham-Fall aus dem Jahre 1610 durch die berühmte Sentenz des englischen Richters Sir Edward Coke Bekanntheit erlangt. 10 Coke stellte bei der Überprüfung der Übereinstimmung eines Parlamentsakts mit dem common law den Grundsatz auf: "And it appears in our books that in many cases the common law will control acts of parliament and sometimes adjudge them to be utterly void: for when an act of parliament is against common right or reason, or repugnant or impossible to be performed ( .... ).,,11 Beeinflußt durch die Ideen Lockes und Montesquieus über die Gewaltenteilung und den Verlust der Vertrauenswürdigkeit der englischen Krone 12 fiel dieser Gedanke, daß Akte der Legislative gegen ein "fundamental higher law" verstoßen und insoweit nichtig sein können, in den nordamerikanischen Kolonien auf fruchtbaren Boden und entwickelte sich während des Unabhängigkeitskrieges mit dem englischen Mutterland zur häufig verwendeten Kampfparole. 13 Nicht zuletzt dadurch war der Boden bereitet für "das wichtigste Urteil der amerikanischen Verfassungsgeschichte,,14 Marbury v. Madison 15 aus dem Jahre 1803. Hier hatte Chief Justice lohn Marshall zunächst einen Konflikt zwischen Verfassungs- und Parlamentsrecht in einem konkret anhängigen und streitigen Fall konstruiert. Er griff dann einen Gedanken Alexander Hamiltons auf, wonach es eine Rangordnung unter Gesetzen gäbe und begründete, warum gerade die VerfasPrentis v. Atlantic Coast Line Co., 211 V.S. 210 (1908). Dieser sieht keine Rangabstufung von Gesetzes- und Verfassungsrecht vor, nach ihm legt das Parlament selbst die Maßstäbe seines rechtlichen Handeins fest getreu dem Grundsatz "An Act of Parliament can do no wrong". 10 Ausführlich hierzu Cogan, Contexts of the Constitution, S. 109 ff. 11 8. Coke Rep. 118 a (1610). 12 Vgl. Cho, Gleichheitsprüfung, S. 26. 13 Steinberger, Konzeption und Grenzen, S. 127 Fn. 541. 14 Quint, in: JZ 1986,619,622. 15 5 V.S. (1 Cranch) 137 (1803). 8
9
§ 1 VSA
27
sung "the fundamental and paramount law of the nation" sei. 16 So verwies er darauf, daß es gerade Sinn der Verfassung sei, die Kompetenzen der eingesetzten Gewalten und Regierungsorgane zu begrenzen; im übrigen hätten die eigenen Verfassungsväter in Art. VI Sec. 2 U.S. Const. 17 eine Vorrangklausel für die Verfassung integriert. Konsequenterweise seien verfassungswidrige Akte der Legislative ungültiges Recht, ansonsten könnten geschriebene Verfassungen nur als absurde Versuche des Volkes betrachtet weren, einer Gewalt Grenzen zu setzen, die aufgrund ihrer Natur unbegrenzbar sei. Diesbezüglich verwies Marshall auf den von den Richtern zu leistenden Amtseid auf die Verfassung. Es sei unsittlich, die Richter schwören zu lassen, ihre Verfassung zu unterstützen, wenn sie diese durch die eigenen Entscheidungen entkräfteten. 18 Zudem habe das amerikanische Volk keine absolutistische Regierungsform gewählt, sondern eine solche, deren Träger in ihren Machtbefugnissen beschränkt seien. Durch dieses Urteil wurde damals - eher unauffällig - die Grundlage des judicial review geschaffen, die bis zum heutigen Tag Fundament für die Normenkontrollkompetenz amerikanischer Gerichte ist. 19 Dies ist umso überraschender, als im Laufe der Jahre vielfach darauf hingewiesen wurde, daß Marshall mehrere Möglichkeiten gehabt hätte, den Fall so zu entscheiden, daß sich die Frage eines Konflikts zwischen Bundes- und Verfassungsrecht gar nicht erst gestellt hätte?O Er hätte etwa den Prozeß an eines der unteren Gerichte verweisen 21 oder dem zu überprüfenden Gesetz schlicht eine andere, mit dem Wortlaut der Verfassung zu vereinbarende Auslegung geben können,22 doch es kam ihm offensichtlich auf die Klarstellung allgemeiner Prinzipien an: es ging ihm um die Verankerung verfassungsgerichtlicher Kontrolle. 23 So nimmt es auch nicht wunder, daß die Berechtigung des richterlichen Prüfungsrechts, zumindest im Hinblick auf seine recht eigenwillig geschaffene "Rechtsgrundlage", noch heute vielfach angezweifelt wird. 24 Geäußert wird beispielsweise, daß die Quintessenzen Marshalls keineswegs zwingend seien, sich vielmehr der Verdacht aufdränge, daß es sich hier um einen Fall von bloßer Usurpation oder eigenmächtiger Verfassungsergänzung handele. 25 Letziich ist der 5 V.S. (1 Cranch) 177 (1803). Art. VI Sec. 2 V.S. Const.: "This Constitution, and the Laws of the Vnited States which shall be made in Pursuance thereof. .. ". 18 5 V.S. (1 Cranch) 180 (1803). 19 Mann, in: JA 1989,72,75. 20 Brugger, Öffentliches Recht, S. 8. 21 Carr, The Supreme Court, S. 67 ff. 22 Mc Laughlin, Constitutional History, S. 307. 23 Brugger, Öfentliches Recht, S. 8. 24 Vgl. nur Klein, in: ZaöRV 1974,83 ff.; Egerer, in: ZVgIRWiss 88 (1989),416 ff. 25 Egerer, in: ZVgIRWiss 88 (1989), 416, 424. 16 17
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1. Teil: Vorbemerkungen zu den Rechts- und Grundrechtssystemen
judicial review in den USA aber mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkanntes Institut und als solcher fester Bestandteil der amerikanischen Verfassungswirklichkeit.
111. Zuständigkeit bei Verfassungsfragen Ein optimaler Grundrechtschutz, und daraus resultierend auch der Schutz religiöser Freiheit, setzt nicht nur die rein materielle Gewährleistung des Rechts, sondern auch die Möglichkeit seiner Durchsetzung voraus.
In den USA können grundsätzlich alle Gerichte auf Bundes- und einzelstaatlicher Ebene die Frage der Verfassungsmäßigkeit staatlicher Akte selbst entscheiden, mithin sowohl Landes- als auch Bundesrecht für verfassungswidrig erklären. Ein der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG vergleichbares Verfahren, in der der normale Prozeß ausgesetzt wird, um die Entscheidung des obersten Gerichts über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes einzuholen, gibt es in den USA nicht. 26 Deshalb werden viele Detailfragen im amerikanischen Verfassungsrecht auch von Untergerichten entschieden. 27 Wegen der für das common law typischen Bindungswirkung von Präzedenzfällen sind von vordringlichster Bedeutung jedoch die Urteile des Supreme Court. Seine Zuständigkeit regelt Art. III Sect. 2 Cl. 2 der amerikanischen Verfassung. 28 Hiernach ist der Supreme Court originär zuständig nur in Fällen, die das diplomatische Personal betreffen oder in denen ein Gliedstaat als Prozeßpartei beteiligt ist. Diese original jurisdiction ist abschließend geregelt, d. h. der Kongreß kann sie nicht ausweiten. Von viel wesentlicherer Bedeutung ist jedoch die sogenannte appellate jurisdiction. Art. III Sec. 2 Cl. 3 U.S. Const. bestimmt, daß der Supreme Court die generelle Berufungszuständigkeit hat, jedoch mit Ausnahmen, die der Kongreß nach seinem Ermessen vorschreiben kann. Letztlich haben sich im Rahmen der Berufungszuständigkeit zwei Verfahrenstypen herauskristallisiert, in denen der Supreme Court eine Entscheidung trifft. Zunächst bestimmt Kap. 81 des 28. Titels des United States Code die Zuständigkeit des höchsten US-Gerichts für das sogenannte Appeal-Verfahren, das in den folgenden drei Fällen zur Anwendung kommt:
Haller, in: JöR NF 22 (1973), 539 f.; Casper, in: DÖV 1976,695,697. Linde, in: DÖV 1969,299,306; Quint, in: JZ 1986,619,623. 28 Dort heißt es: "In all Cases affecting Ambassadors, other public Ministers and Consuls, and those in which aState shall be Party, the supreme Court shall have original jurisdiction. In all the other Cases before mentioned, the supreme Court shall have appellate jurisdiction, both as to Law and Fact, with such Exceptions, and under such Regulations as the Congress shall make." 26
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§1 USA
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• Ein State Supreme Court erklärt ein Bundes- oder Staatengesetz für unvereinbar mit der Bundesverfassung oder lehnt eine Berufung ab, mit der eine solche Unvereinbarkeit geltend gemacht wird?9 • Ein Federal Court of Appeals entscheidet über die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes anders als der untergeordnete District Court, und zwar im Rahmen eines Zivilverfahrens, in dem die Vereinigten Staaten oder einer ihrer Untergliederungen Kläger oder Beklagter sind. 3o • Ein Federal Court of Appeals hält die Rechtsnorm eines Bundesstaates für unvereinbar mit Bundesrecht oder der Verfassung. 31 In diesem Verfahren hat der Beschwerdeführer eigentlich einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Vorlage seines Falles beim Supreme Court, und dieser müßte sodann eine Entscheidung treffen. 32 Dennoch hat die Überlastung des Gerichts dazu geführt, daß auch hier nur die meritorious cases (vorzugswürdigen Fälle) zur eingehenden Beratung durch das Gericht gelangen. In den übrigen Fällen geht das Gericht mangels einer substantial federal question nicht auf die Berufung ein oder lehnt sie mit einer summarischen Begründung ab. 33 Überwiegend, d. h. in ca. 90% aller Fälle,34 gelangen Revisionsbegehren im sog. Certiorari-Verfahren an den Supreme Court. Hierbei kann die beschwerte Partei einen Antrag beim Gericht stellen, die Sache zum Zwecke der Entscheidung an sich zu ziehen, soweit der Instanzenzug erschöpft ist. Der Supreme Court kann dann nach freiem Ermessen bestimmen, ob die Wichtigkeit der Sache eine materielle Entscheidung rechtfertigt. 35 Dies kann insbesondere der Fall sein bei bedeutsamen verfassungsrechtlichen Problemen, widersprechenden Entscheidungen der Mittelinstanzen, bei Neuartigkeit und allgemeiner Bedeutung des Falles für die Rechtsentwicklung oder einem Vorentscheid, der im Widerspruch zur Rechtsprechung des Supreme Court steht. 36 Die Freiheit, die der Supreme Court bei der Gewährung eines solchen writ of certiorari genießt, ermöglicht ihm, großen Einfluß auf die Fortbildung des Verfassungsrechts in den ihm wichtig erscheinenden Bereichen zu nehmen. Dadurch kommt dem Gericht eine große Machtfülle zu. Eine zulässige Klage vor dem Supreme Court erfordert neben der Zuständigkeit des Gerichts zudem, daß ein Fall oder eine Streitigkeit (case or controversy) zu entscheiden ist, Art. 3 Sect. 2, 3 U.S. Const., d. h. bestimmte und konkrete Angelegenheiten, die die Rechtsbeziehungen von Parteien mit gegensätzlichen Rechts29 28 U.S.c. § 1257 (1) und (2). 30
28 U.S.c. § 1252 (1).
31 28 U.S.c. § 1254 (2). 32 Carstens, Grundgedanken, S. 78.
Walker I Epstein, Supreme Court, S. 81 ff. Mann, in: JA 1989,72,76. 35 Hempel, Freiheit der Kunst, S. 23. 36 Loewenstein, Verfassungsrecht, S. 450. 33
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1. Teil: Vorbemerkungen zu den Rechts- und Grundrechtssystemen
interessen betreffen. 37 Auf der Ebene des Gesamtstaates gibt es in den USA folglich auch keine der abstrakten Normenkontrolle vergleichbare Institution. Die Streitigkeit bedarf ferner der Entscheidungsreife (ripeness). Die Fallgestaltung muß dazu auf feststellbaren Tatsachen beruhen und klar umrissen sein. 38 Überdies muß der Kläger auch ein standing haben, d. h. in seinen Rechtsinteressen betroffen sein, und dieses muß zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinreichung noch bestehen (mootness). Eine solche Beschwerdebefugnis ist regelmäßig dann gegeben, wenn einer Partei ein direkter und unmittelbarer Schaden droht. 39 Rügt ein Bürger lediglich die Verletzung verfassungsrechtlicher Normen durch staatliches Handeln oder dritte Personen, so reicht dies allein noch nicht aus, um einen hinreichend konkretisierten Schaden anzunehmen. 4o Die Entscheidung rein politischer Fragen lehnt der Supreme Court vollständig ab. 41
§ 2 Deutschland I. (;esetzesrecht Anders als in England, das über eine gewachsene Rechtstradition verfügte, gab es in Deutschland bis in das 19. Jahrhundert lediglich eine Ansammlung verschiedener Einzelstaaten und eine daraus resultierende Rechtsvielfalt, die erst durch Kodifikation überwunden werden mußte. Kodifikation war notwendiges Mittel zur Vereinheitlichung der Rechtsverhältnisse. 42 Die Rechtstradition Deutschlands ist von dieser damaligen Notwendigkeit noch heute geprägt. Tendenziell bedient man sich hierzulande eher der theoretischen, deduktiven Methode, während die common law-geprägte Gerichtsbarkeit der USA eher dazu neigt, sich den Rechtsquellen induktiv, d. h. fall- und problemorientiert, zu nähern,43 auch und gerade im Bereich des Verfassungsrechts. Aetna Life Insurance CO.ofHartford v. Haworth, 300 V.S. 227, 240 f. (1937). Brugger, Grundrechte, S. 14. 39 Sierra Club v. Morton, 405 V.S. 727,735 (1972). 40 Allen v. Wright, 104 S.Ct. 3315, 3324 (1984); Schlesinger v. Reservists Committee, 418 V.S. 208 ff. (1974). 41 Als solche werden v.a. außenpolitische Entscheidungen des Kongresses oder der Regierung angesehen. 42 Stein, Römisches Recht und Europa, S. 181. Erste Kodifikationsbemühungen in deutschsprachigen Ländern gab es jedoch schon im Jahrhundert zuvor. Die erste vollendete Serie von Kodifikationen enstand beispielsweise im Kurfürstentum Bayern. Der Kanzler des bayrischen Kurfürsten Max Joseph III verfaßte zunächst eine Kodifikation des Strafrechts und des Zivilprozeßrechts und vollendete dann im Jahr 1756 die Kodifikation des Privatrechts. Vgl. dazu Stein, ebenda, S. 183 ff. 43 Lockhart/Kamisar/Choper/Shiffrin, Constitutional Rights, S. 26 ff.; Cho, Gleichheitsprüfung, S. 6; vgl. auch Brugger, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 408. 37 38
§ 2 Deutschland
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Die Maxime der Achtung der Präzedenzfälle ist, anders als in den USA, wo sie historischer Bestandteil des amerikanischen Fallrechts ist,44 kein offizieller Bestandteil des deutschen Rechtssystems. Die Bindung an Gesetz und Recht nach Art. 20 III GG beinhaltet nicht zugleich auch eine Bindung an Richterrecht. 45 Sie gilt nur kraft konkreter gesetzlicher Anordnung, insbesondere § 31 BVerfGG. 46 Allerdings läßt sich sehr wohl behaupten, daß die Achtung der Präzedenzfälle zumindest faktischer Bestandteil des deutschen Rechtssystems ist, da die unteren Gerichte in der Regel die Entscheidungen der deutschen Höchstgerichte ebenso beachten - und sei es auch nur, weil zu befürchten steht, daß ihre Urteile in der nächsten Instanz wieder aufgehoben werden. Aus dem Grunde kommt dem Richterrecht - selbst wenn es nicht den "organisierten Rechtsquellen" zugerechnet wird47 - in Deutschland wohl jedenfalls eine "de facto-Bindungswirkung" zu.
11. Verankerung verfassungsgerichtlicher Kontrolle Im Gegensatz zu der Prüfungskompetenz des US-amerikanischen Supreme Court leitet das Bundesverfassungsgericht seine Rolle als "Hüter der Verfassung" nicht aus Gewohnheitsrecht ab. Das deutsche Höchstgericht kann sich auf klare gesetzliche Vorgaben berufen, die im Grundgesetz und in dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu finden sind. Hintergrund ist, daß das Grundgesetz erst seit gut 50 Jahren in Kraft ist und sich das Prinzip des richterlichen Prüfungsrechts bereits zu diesem Zeitpunkt schon in vielen Ländern bewährt hatte. Insbesondere die USA dienten hier als Vorbild. 48 Es gab also keinen Grund, darauf zu verzichten, die Befugnisse der drei Gewalten vefassungsrechtlich festzuschreiben. In bezug auf die möglichen Folgeprobleme einer undeutlichen Kompetenzabgrenzung mögen die Vereinigten Staaten auch hier - wenngleich negatives - Vorbild gewesen sein, was im Umkehrschluß aber nicht bedeutet, daß das Bundesverfassungsgericht trotz mehr oder minder klar umschriebener Befugnisse sich nicht auch immer wieder dem Einwand ausgesetzt sähe, insbesondere in die Rechte der Legislative einzugreifen. Dies mag aber auch mit dem Umstand zu tun haben, daß sich die Vertreter 44 "The Anglo-American legal system, unlike the "civil law" system which prevails with variations in most of the countries of the western world, explicitly recognizes the doctrine of precedent, [ ... ]. It is the distinctive policy of a "common law" legal system that past judicial decisions are "generally binding" for the disposition of factually similar present controversies." Jones/Kernochan/Murphy, Legal Method, S. 5. 45 BVerfGE 84, 212, 227; Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rdn. 26. 46 Vgl. Brugger, in: JöR 42 (1994), 571, 577. 47 HbdStR-Ossenbühl, Bd. III, § 61 Rdn. 35. 48 Es ist aber wohl auch nicht falsch, von einer spezifisch deutschen Tradition der Verfassungsgerichtsbarkeit zu reden. So sehen Schlaich / Korioth beispielsweise die heutige Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland in der Tradition der Rechtsprechung der Reichsgerichte des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rdn. 1.
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1. Teil: Vorbemerkungen zu den Rechts- und Grundrechtssystemen
der Parteien zusehends nicht in der Lage zeigen, die politischen Probleme eigenständig und im parteipolitischen Konsens zu lösen.
IH. Zuständigkeit bei Verfassungsfragen Das Bundesverfassungsgericht hat eine umfassende Befugnis zur Kontrolle aller drei staatlichen Gewalten. Der weite Aufgabenkatalog des Bundesverfassungsgerichts übertrifft die verfassungsgerichtlichen Kontrollmöglichkeiten des V.S. Supreme Court. 49 Geht es um die Überprüfung staatlicher Akte anhand der Verfassung, kommt dem Gericht eine letztverbindliche Entscheidungsbefugnis zu. Es gibt allerdings keinen einheitlichen Rechtsweg zum Verfassungsgericht, der - wie etwa §§ 40 I VwGO, 13 GVG - durch eine Generalklausel eröffnet würde. Vielmehr ist das Bundesverfassungsgericht im Sinne des sogenannten "Enumerationsprinzips"sO nur aufgrund einzelner ausdrücklicher gesetzlicher Zuweisungen im GG und im BVerfGG für einzelne Verfahrens arten zuständig. Die aus Sicht des einzelnen Bürgers wichtigste Verfahrensart ist zugleich die praktisch bedeutendste, da sie den Großteil der von dem Gericht zu entscheidenden Verfahren ausmacht. S1 Im Wege der "Verfassungsbeschwerde" nach Art. 93 I Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a, §§ 90 ff. BVerfGG kann "jedermann" vorgehen, der behauptet, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder einem seiner in Art. 20 IV, 33, 38 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte verletzt zu sein. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zusätzlicher Rechtsbehelf für das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten oder den Verwaltungsgerichten, sondern "außerordentlicher, letzter und subsidiärer Rechtsbehelf,.s2 Dabei erschöpft sich die Funktion der Verfassungsbeschwerde nicht im individuellen Grundrechtsschutz; sie gilt auch als "spezifisches Rechtsschutzmittel des objektiven Verfassungsrechts".s3 Dies hängt vor allem damit zusammen, daß sich das Gericht im Rahmen der zulässigen Beschwerde nicht darauf beschränkt zu prüfen, ob die gerügte Grundrechtsverletzung vorliegt, sondern die angegriffene Maßnahme im Hinblick auf alle in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte untersucht. Als wichtigste Voraussetzungen der Verfassungsbeschwerde müssen Beteiligten-, Prozeß- und Postulationsfähigkeit sowie die Beschwerdebefugnis und das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis unter Einschluß der "Subsidiarität" der Beschwerde und der 49 So die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Limbaeh, in: NJW 2001, 2913, die in diesem Zusammenhang besonders an die Möglichkeit des Verbots einer verfassungswidrigen Partei erinnert. 50 Vgl. Schlaich / Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rdn. 8. 51 Nach der vom Gericht herausgegebenen Gesamtstatistik per 31. 12. 1989 betrafen von den insgesamt 78.596 anhängig gewordenen Verfahren allein 75.140 Verfassungsbeschwerden. Siehe Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, S. 164. 52 Schlaich / Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rdn. 187. 53 BVerfGE 33, 247, 258 f.; 45, 63, 74.
§ 2 Deutschland
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Rechtswegerschöpfung beachtet werden, damit das Verhalten der öffentlichen Gewalt angegriffen werden kann. Darüber hinaus entscheidet das Bundesverfassungsgericht auch konkrete Streitigkeiten, etwa zwischen zwei Verfassungsorganen um ihre Rechte und Pflichten aus der Verfassung nach Art. 93 I Nr. I GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG oder zwischen dem Bund und mindestens einem Bundesland auf der anderen Seite nach Art. 93 I Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG. Es überprüft auch die Verfassungsmäßigkeit von Normen. Diese Kontrolle kann entweder "abstrakt" nach Art. 93 I Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG sein mit dem Ziel der generellen und allgemein verbindlichen Feststellung über die Gültigkeit einer Norm, oder ein deutsches Gericht befindet ein förmliches Gesetz, das in einem konkret anhängigen Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, für verfassungswidrig. Dann hat es das Verfahren gemäß Art. 100 GG, § 80 BVerfGG auszusetzen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Dieses prüft dann die Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem Grundgesetz. Bezweckt wird dadurch, daß durch eine allseits verbindliche Klärung verfassungsrechtlicher Fragen divergierende Entscheidungen der Gerichte, Rechtsunsicherheit und Rechtszerspliuerung vermieden werden. 54 Außerdem ist die Richtervorlage von elementarer Bedeutung für den Schutz der Grundrechte. Sie hat gegenüber der Verfassungsbeschwerde zudem den Vorteil, daß der Senat immer selbst entscheiden muß. Die weiteren Verfahrensarten sind im Hinblick auf den Schutz der Religionsfreiheit nur von untergeordneter Bedeutung, so daß deren weitere Erläuterung dahinstehen kann. 55
BVerfGE 54, 47, 51; 63,131,141. Vgl. dazu etwa die ausführliche Darstellung bei Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, s. 65 ff. 54 55
3 Fülbier
Zweiter Teil
Methodik der Verfassungsinterpretation § 1 Problemstellung Die Art und Weise, mit der man einen auslegungsbedürftigen Verfassungsbegriff mit Inhalt ausfüllt und dadurch die Reichweite des Anwendungsbereichs einer Norm konkretisiert, bestimmt sich nach der jeweiligen Methodik der Verfassungsinterpretation. Die Interpretation bezweckt das Finden des verfassungsmäßig "richtigen" Ergebnisses in einem rationalen und kontrollierbaren Verfahren sowie die rationale und kontrollierbare Begründung des Ergebnisses, um Rechtsgewißheit und Voraussehbarkeit zu schaffen. 1 Interpretation ist immer dann nötig, wo sich eine verfassungsrechtliche Frage mit Hilfe der Verfassung nicht eindeutig beantworten läßt; wo keine Zweifel bestehen, bedarf es auch keiner Auslegung. 2 Je nachdem, welches Verfassungsverständnis das Gericht dann seiner Interpretation unterlegt und in welchem Maße es die einzelnen Sätze der Verfassung inhaltlich auffüllt oder gar überdehnt, weitet es seinen Kontroll- und Einflußbereich aus oder begrenzt ihn. 3 Deshalb ist eine gewisse Systematik hier von großer Bedeutung, da "die machtbegrenzende Funktion der Verfassung" eine zuverlässige, voraussehbare Bestimmung des Rahmens verlangt. 4 Der gesamte Problemkreis der Auslegungsmethoden, von der Frage, welche Auslegungsmomente relevant sein sollen, angefangen, über die Frage ihrer Gewichtung bis hin zur bloßen Benennung der Methoden, ist außerordentlich umstritten. So hat Stern die Verfassungsauslegungsproblematik als das "Kardinalproblem" der Interpretation in der Rechtswissenschaft bezeichnet. 5 Eine umfassende Darstellung des Streitstandes kann im Rahmen dieser Arbeit unmöglich erfolgen. 6 Es muß genügen, einige Eckpfeiler aufzuzeigen.
Hesse, Grundzüge, Rdn. 51. BVerfGE 1,263,264; Hesse, Grundzüge, Rdn. 49. 3 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rdn. 13. Nach Listl zeigt sich das ganze Ausmaß der "dynamisierenden Macht", die den Gerichten in Deutschland übertragen ist, besonders an der Judikatur, die seit dem Ende des 2. Weltkrieges von den Gerichten aller Gerichtszweige in den Religions- und Kirchensachen entwickelt wurde. Listl, in: HdbStKirchR, Bd. 1,439. 4 HbdStR-Starck, Bd. VII, § 164 Rdn. 7. 5 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4 III 1. 6 Vgl. dazu etwa die umfassenden Literaturnachweise in dem Sammelband von Dreier I Schwegmann, Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 329 ff. I
2
§ 2 Deutschland
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§ 2 Deutschland I. Auslegungsmethoden Das Bundesverfassungsgericht hat sich schon früh zur methodischen Vorgehensweise ausdrücklich geäußert. In BVerfGE 1, 299 ff. hat es dazu folgendes bemerkt: "Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können."? Darin kommen die als "Auslegungscanones" bekannten, auf Savignys8 Lehre beruhenden, heute weithin anerkannten vier Auslegungskriterien des Wortlauts, des Bedeutungszusammenhangs, des Zwecks der Norm und der Entstehungsgeschichte zur Sprache. 9 Die auch als "grammatische Auslegung" bekannte Interpretation des Wortlauts erforscht dabei den Wortsinn. Die Interpretation des Bedeutungszusammenhangs wird auch als "systematische Auslegung" bezeichnet, weil sie aus dem System der Rechtsordnung beziehungsweise des Gesetzes auslegt. Sie bezieht sich auf den Zusammenhang und die Stellung eines Rechtsinstituts, einer Rechtsvorschrift, im Gesamtkomplex des Gesetzes oder der Rechtsordnung. Die als "teleologische Auslegung" bekannte Interpretation des Zwecks der Norm ist eine mehrdimensionale Methode, die die letztlich maßgeblichen Wert- und Zweckprinzipien der Vorschrift aufzudecken sucht. Sie erforscht die ratio legis, das telos der Vorschrift. Die sogenannte "historische Auslegung" untersucht dagegen den Rechtssatz in seiner Geschichtlichkeit, seiner historischen Verwurzelimg. IO Abhängig von der Frage, ob man subjektive Elemente als zulässige Ergänzung erachtet, forscht sie überdies nach Vorarbeiten, Entwürfen, Motiven und Verhandlungen im Rahmen der Gesetzesberatung, kurz den Gesetzesmaterialien. 11 Diese Methoden schließen einander nicht aus, sondern stützen und ergänzen sich, indem z. B. aus dem Sinnzusammenhang oder BVerfGE 1,299,312. Vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 1, S. 212 ff. Die teleologische Auslegung geht dabei nicht unmittelbar auf Savigny zurück, sondern wurde erst später hinzugefügt. Vgl. Brugger, in: The American Journal of Comparative Law 42 (1994),395,396. 9 Vgl. BVerfGE 11,126,130; 35, 263, 278 f.; 50,177,194; HbdStR-Starck, Bd. VII, § 164 Rdn. 16; Hesse, Grundzüge, Rdn. 54. 10 Zu alldem Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4 III la). 1I Letzteres wird zuweilen auch separat als "genetische Auslegung" bezeichnet. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4 III la). 7
8
3*
2. Teil: Methodik der Verfassungsinterpretation
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der Entstehungsgeschichte auf die Wortbedeutung oder den Zweck geschlossen wirdY
1. Objektive und subjektive Theorie a) Objektive Theorie
Nach der sogenannten objektiven Theorie ist ein Gesetz nicht nach dem "Willen des Gesetzgebers" (subjektive Theorie), sondern nach dem "Willen des Gesetzes" auszulegen. 13 Die große Frage sei nicht, was der einstige Gesetzgeber, die Gesetzesredaktoren oder die an der Gesetzgebung beteiligten Einzelpersonen gewollt hätten, sondern was eine vernünftige Rechtsnonn zu leisten habe, wenn sie ihre Aufgabe im Volksleben erfüllen wolle. 14 Rechtlich maßgebend sei allein die "objektive", dem Gesetz immanente Bedeutung. Das Gesetz sei nämlich "vernünftiger" als seine Urheber und stehe, einmal in Kraft getreten, für sich selbst. Dem liegt freilich jeweils die Annahme zugrunde, daß das Gesetz seinem Wesen nach stets eine "vernünftige" Ordnung sei. l5 Die Auslegung des Rechtssatzes müsse sich dem Wandel anpassen, mithin stets gegenwartsbezogen sein. Speziell im Rahmen der historischen Interpretation verlangt die objektive Theorie die Darstellung der geschichtlichen Rahmenbedingungen, in denen die betreffende Rechtsnonn geschaffen wurde. Erkenntnisse werden gewonnen durch die Erläuterung der konkreten historischen Verwurzelung. 16 Auf den Boden der "objektiven Theorie" der Interpretation hat sich auch das Bundesverfassungsgericht gestellt. Nach dem Willen des Gerichts ist es zwar möglich, trotz der Entscheidung zugunsten der objektiven Theorie die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung zu berücksichtigen. Wenn es diesen Willen aber als "nicht entscheidend" und "für die Auslegung ohnehin nur unterstützend"l7 erachtet, so kommt darin eine Entscheidung für die Nachrangigkeit der Entstehungsgeschichte als Auslegungsmittel zum Ausdruck. Sie soll als Auslegungsmethode offensichtlich nur subsidiär und hilfsweise und nur bei Versagen der anderen Kriterien heranzuziehen sein. 18
BVerfGE 11, 126, 130; Hesse, Grundzüge, Rdn. 54. Binding, Handbuch des Strafrechts I, S. 450 ff.; Wach, Handbuch des deutschen Civilprozeßrechts I, S. 254 ff. 14 Sauer, Juristische Methodenlehre, S. 294. 15 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 33. 16 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4 III 1. 17 BVerfGE 48,246,260. 18 Sachs, in: DVBI. 1984,73,75. 12 13
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b) Subjektive Theorie
Nach der subjektiven Theorie ist ein Gesetz in erster Linie als Willensbekundung der verfassungsmäßig zur Ausübung der gesetzgebenden Gewalt berufenen lebendigen Menschen anzusehen. 19 Die Auslegung der Gesetze habe daher zuerst zu tun mit der Feststellung des Sinns, welchen der Gesetzgeber mit den von ihn gebrauchten Worten verbunden habe. Vorbedingung dazu sei, daß vorher die von dem Gesetzgeber gebrauchten Worte selbst festgestellt würden. 2o Je vollständiger es gelinge, sich in die "Seele" des Gesetzgebers hineinzuarbeiten, mit desto größerer Sicherheit sei der Sinn der vom Gesetzgeber gebrauchten Worte zu be stimmen. 21 Die Auffassung von einem sein eigenes Leben führenden Gesetz sei ein "unklares und mystisches Etwas", während der Begriff "Wille des Gesetzgebers" für jeden Unbefangenen vollkommen klar und deutlich sei?2 Das Streben nach den wirklichen Vorstellungen sei schließlich auch für die Deutung der übrigen Geisteswissenschaften bezeichnend. 23 Dem Bundesverfassungsgericht wird vorgeworfen, daß die konsequente Befolgung der objektiven Theorie gar keine Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens zulasse. Die Ermittlung des gegenwartsbezogenen immanenten Gesetzessinns und nicht des vom historischen Urheber Gewollten als Ziel der Auslegung schlösse eine Einbeziehung der Gesetzesmaterialien in den Bereich maßgeblicher Auslegungskriterien schlechthin aus?4 Das Bundesverfassungsgericht habe sich in Wahrheit der subjektiven Theorie in der gemäßigten Form der Andeutungstheorie angeschlossen,25 und insofern sei dem Gericht auch durchaus zuzustimmen. Schließlich sei auch nach der subjektiven Theorie nicht der Wille als solcher Auslegungsgegenstand, sondern immer noch das Gesetz, das durch Zurückgehen auf die Vorstellungen des Gesetzgebers ausgelegt werde?6
c) Zusammenschau von objektiver und subjektiver Theorie
Nach anderer Auffassung bedürfe die Interpretation sowohl der bei der Gesetzgebung deutlich gewordenen Absichten, als auch der unmittelbaren Enstehungsgeschichte und der Regelungstraditionen, das heißt weiter zurückliegenden Entwicklungen, besonders wenn Umstände dafür sprächen, daß daran angeknüpft 19 20
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Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 4, S. 259. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I, S. 98. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, S. 99. Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 4, S. 258 f. Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, S. 57. Müller, in: JZ 1962,471 f. Müller, in: JZ 1962,471,473; Bender, in: JZ 1957,593,594. Müller, in: JZ 1962,471,474.
2. Teil: Methodik der Verfassungsinterpretation
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werden solle?7 Wichtige Schlüsse ließen sich vor allem aus den Beratungen des Parlamentarischen Rats in bezug auf die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung ziehen, die vom Grundgesetz übernommen worden seien. 28 Die Zusammenschau von subjektiver und objektiver Theorie sei vonnöten, weil beide Theorien für sich allein nicht befriedigen könnten. 29 Im übrigen stellten die canones losgelöst vom konkreten Fall gleichberechtigte Gesichtspunkte dar, die argumentativ zueinander in Beziehung gesetzt werden müßten. Jede Willkür oder Zufälligkeit in der Methodik sei zu vermeiden?O
d) Unmöglichkeit einer exakten Trennung objektiver und subjektiver Gesichtspunkte
Der letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen. Die Auffassung von der subjektiven Theorie geht fehl, weil sie verkennt, daß sich objektive und subjektive Methode aus hermeneutischer Sicht kaum trennen lassen. Sie sind weder abgeschlossen noch stehen sie einander gegenüber?1 Die Aufgabe des auslegenden Juristen ist es schließlich, die Antwort eines "alten" Gesetzes auf einen "neuen" Fall zu finden und dabei die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers mit der heutigen Sicht des Gesetzes zu harmonisieren, also das Alte auf das Neue und das Neue auf das Alte hin zu verstehen. Das Eine steht immer nur hinsichtlich des Anderen in Frage; nur historisch-faktisch ist die Fragestellung des Rechtspraktikers nie. 32 Insofern liegt beiden Theorien eine Teilwahrheit zugrunde. Die objektive Theorie verschafft der Tatsache Geltung, daß ein Gesetz, sobald es angewandt wird, eine ihm eigene Wirksamkeit entfaltet, die über das hinausgeht, was der Gesetzgeber beabsichtigt hatte. Somit kann die Erforschung des Willens des historischen Gesetzgebers nicht das letzte Ziel der Auslegung gewesen sein. Allerdings ginge es viel zu weit, den Regelungsabsichten des historischen Gesetzgebers jede Bedeutung für die Auslegung abzusprechen. Schließlich fließen in ein Gesetz gleichermaßen die subjektiven Vorstellungen und Willensziele seiner Urheber wie auch objektive rechtliche Zwecke und Sachzwänge ein, derer sich der Gesetzgeber zumindest nicht in vollem Umfang bewußt gewesen zu sein braucht. 33 Dem methodischen Ansatz des Bundesverfassungsgerichts ist neben diesen Erwägungen auch und vor allem seine eigene Rechtsprechung entgegenzuhalten. HbdStR-Starck, Band VII, § 164 Rdn. 20. HbdStR-Starck, Band VII, § 164 Rdn. 57. 29 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4 III 1 a); Gröschner, in: JZ 1982,622,625; Sachs, in: DVBI. 1984,73,82. 30 HbdStR-Starck, Band VII, § 164 Rdn. 22. 31 Müller, Methodik, S. 207. 32 Gröschner, in: JZ 1982,622,625. 33 Zu alldem Larenz, Methodenlehre, S. 316 ff. 27 28
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Bereits die "schiere Häufigkeit", mit der das höchste Gericht in seiner Auslegungspraxis zu entstehungsgeschichtlichen Argumenten greift, steht in "auffälligem Gegensatz zu dem diesen ausdrücklich zugeschriebenen bescheidenen Stellenwert,,?4 Und auch sachlich-inhaltlich beschränkt sich die Bedeutung der Genese keineswegs darauf, anderweitig gefundene Ergebnisse lediglich zu bestätigen oder die Diskussion um ein Reserveargument für den Fall des Versagens der übrigen Methoden zu bereichern. So wird der Wille des Gesetzgebers nicht nur immer wieder ohne ersichtliche Abstufung neben anderen Auslegungsmethoden herangezogen,35 sondern es wird teilweise sogar ausdrücklich sein Vorrang gegenüber anderen Auslegungskriterien betont. So wird etwa davon gesprochen, daß Ziel und Zweck dahingestellt bleiben könnten, da jedenfalls die Entstehungsgeschichte Hinweise liefere 36 oder daß einer vom Wortlaut gedeckten Auslegung jedoch "entscheidend" die Entstehungsgeschichte der Vorschrift entgegenstehe?? Zusätzlich finden sich auch Urteile, in denen die Entstehungsgeschichte als alleiniges Auslegunsgmittel herangezogen wird. 38 Die offenbar vom Ansatz der objektiven Auslegungstheorie ausgehende, jedoch in diesem Umfang nicht geforderte theoretische Zurückstufung der Entstehungsgeschichte auf eine nur bestätigende oder subsidiäre Bedeutung wird mithin in der Praxis offen ignoriert. Hier ist die historische Auslegung eines unter mehreren, prinzipiell gleichwertigen Auslegungselementen. 39 Aus dem Grunde gilt folgendes: Alle vier genannten, herkömmlichen Auslegungsmethoden sind als gleichwertige Interpretationsmittel zu betrachten und zu verwenden. Keine Auslegungsmethode darf verabsolutiert oder vernachlässigt werden. Dies gilt auch für die historische Interpretation, und zwar aus subjektiver wie aus objektiver Sicht. Sie bestimmt so wenig wie andere Elemente allein das Auslegungsergebnis, ist andererseits aber nicht darauf beschränkt, dieses nur zu bestätigen, sondern kann durchaus auch (mit)begründen. 4o "Richtig" ist allein das Ergebnis, das unter sukzessiver Anwendung aller Auslegungsmethoden den Sinn des Gesetzes ermittelt hat. 41 Die Begründung einer problematischen Rechtsentscheidung ohne Eingehen auf alle klassischen canones würde auch von den Vertretern Sachs, in: DVBl. 1984,73,76. Vgl. BVerfGE 8,155, 163f.; 18, 192, 194 f.; 41,399,411 f.; 54, 94, 97f. 36 BVerfGE 13,97, 121 f. 37 BVerfGE 58, 45,57. 38 BVerfGE 11, 168, 178; 56,192,204 ff. 39 Sachs, in: DVBl. 1984, 73, 78. 40 Sachs, in: DVBl. 1984,73,78. 41 Larenz, Methodenlehre, S. 363; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4 III 1 a). Damit ist auch die Auffassung abzulehnen, die zwar gegen eine Rangordnung unter den Methoden ist, es aber pauschal vorn Einzelfall abhängig machen lassen will, welche Methode angesichts der jeweiligen Fallkonstellation bevorzugt wird. Vgl. Pestalozza, in: Der Staat 2 (1963), 425, 433. Es geht weniger darum, welche Methode "bevorzugt" wird, als vielmehr welche Methode unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Ergebnisse der anderen Methoden das Ergebnis besonders überzeugend zu begründen vermag. 34 35
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2. Teil: Methodik der Verfassungsinterpretation
einer speziellen Auslegungslehre für das Verfassungsrecht als unzureichend, wenn nicht willkürlich empfunden werden. 42 Ein Grund für die pauschale Außerachtlassung subjektiver Elemente ist nicht ersichtlich, im Gegenteil, ohne sie wird es oftmals gar nicht möglich sein, den objektiven Sinn des Gesetzes zu erhellen. Das Problem einer Rangfolge stellt sich nur dann, wenn der Wille des Gesetzgebers deutlich im Widerspruch zu der normativen Aussage steht, die im Wege aller übrigen Methoden ermittelt wurde. Hier ist im Zweifel dem "objektiven Sinn" der Vorschrift der Vorzug einzuräumen, ansonsten wäre nicht mehr von "Auslegung", sondern von "Hineinlegung" zu sprechen. 43 In dem Falle ist zu bedenken, daß die Verfassung letztlich ein "lebendiges Kleid,,44 und Verfassunggebung ein ständig fortgeführter Vorgang ist. Der Gesetzgeber war nun einmal nicht in der Lage, sämtliche zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungen und deren Einfluß auf die Wirkung einer Norm im Detail vorauszusehen. 2. Ergebnis Objektive und subjektive Theorie erweisen sich schon vom Ansatz her als sachlich ineinander verwoben, sind mithin gleichberechtigte Gesichtspunkte. Nur dann, wenn sich der subjektive Wille der Verfassungsväter als obsolet und als in bezug auf den objektiven Willen der Norm widersprüchlich herausstellt, ist dem objektiven Ansatz zu folgen. Für die Überzeugungskraft von Entscheidungen ist dann entscheidend, wie man mit Hilfe der canones die Begründung führt: Alle Auslegungsmethoden müssen einspielen und argumentativ zueinander in Beziehung gesetzt und abgewogen werden. Als schädlich muß jeglicher Versuch zurückgewiesen werden, der zwischen den verschiedenen Gesichtspunkten eine stufenweise Rangordnung aufzustellen beabsichtigt.
11. Auslegungsprinzipien Prinzipien der Verfassunginterpretation im technischen Sinne sind Hilfsmittel im hermeneutischen Bereich der Verfassungstheorie, die nicht auf der gleichen Stufe stehen wie die Auslegungsmethoden. 45 Im Gegensatz zu den gegenüber der Sache verselbständigten "Auslegungsmethoden" stellen sie "am Problem entwickelte, sachliche Regeln für Problemlösungen" dar, die sich allein aus einer freiHbdStR-Starck, Band VII, § 164 Rdn. 18. Larenz, Methodenlehre, S. 318. 44 Krüger, in: DVBI. 1961,685,686. 45 Vgl. Burrneister, Verfassungsorientierung, S. 7. Dies schon deshalb, weil die Auslegungsmethoden auch im Bereich der einfachen Gesetzesauslegung Anwendung finden, während die die Auslegungsprinzipien nur im Rahmen der Interpretation von Verfassungsnormen zur Geltung kommen. 42 43
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heitlich-demokratischen Ordnung zu ergeben scheinen. 46 Sie sind Ausdruck des verfassungs theoretischen Vorverständnisses bestimmter verfassungsrechtlicher Probleme. 47 Die nun darzustellenden Prinzipien sind als besondere, auf das Verfassungsrecht bezogene Ausprägungen der systematischen Auslegung48 in der Prüfung nicht gesondert anzusprechen, sondern fließen in die systematische Interpretation ein.
1. Prinzip von der Einheit der Verfassung
Nach dem Prinzip von der Einheit der Verfassung ist die Verfassung als in sich geschlossenes, prinzipiell harmonisches Ganzes zu betrachten. 49 Dieser an sich allgemeingültige Rechtssatz erlangt im Verfassungsrecht besondere Bedeutung, weil man hier in noch größerem Maße davon ausgeht, daß der Gesetzgeber nicht programmlos Vorschrift an Vorschrift gereiht hat, sondern sein Werk nach einer vorgefaßten Konzeption ausrichtete und die einzelnen Verfassungsnormen Ausdruck dieses Gesamtbildes sind. 5o Dies heißt jedoch nicht, daß die Verfassung als spannungsloses Ganzes zu verstehen wäre; dies ließe unberücksichtigt, daß sich auch in der Verfassungsordnung Kompromisse und Gegensätzlichkeiten widerspiegeln. 51 Die Maxime dient lediglich als Auslegungsrichtlinie mit dem Ziel, divergierende oder gar konträre Spannungsverhältnisse innerhalb der Verfassung zu harmonisieren. 52 Schließlich ist die Verfassungsauslegung als "Ringen um das rechte Selbstverständnis eines Gemeinwesens,,53 kein statischer, in sich ruhender Prozeß, sondern ein ständiger Integrationsprozeß gesellschaftlicher Entwicklungen, jedoch ohne Veränderung der Grundaussagen der Verfassung. 54 Durch diese Dynamik entsteht auch immer wieder neues Konfliktpotential. Gewisse Fundamentalnormen und Prinzipien, wie etwa das Demokratie- oder das Rechtsstaatsprinzip, erweisen sich hierbei als besonders integrativ und einheitsstiftend. 55 Roellecke, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 22, 24. Ehmke, in: VVDStRL 20 (1963), 53, 72. 48 Vgl. HbdStR-Starck, Band VII, § 164 Rdn. 19. 49 Als solches geht von der Verfassung im übrigen nicht nur eine einheitsstiftende Wirkung im Hinblick auf einzelne, widersprüchlich erscheinende Normen des Grundgesetzes aus, sondern hinsichtlich der gesamten Rechtsordnung. Vgl. dazu ausführlich Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 180 ff. 50 Ossenbühl, in: DÖV 1965,649,654. 5\ Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 183. 52 Ehmke, in: VVDStRL 20 (1963), 53, 77. 53 Ehmke, in: VVDStRL 20 (1963), 53, 69. 54 Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 190. 55 Ossenbühl, in: DÖV 1965,649,655. Nach Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 4 III 8 c) ist die "einheitsstiftende Wirkung der Verfassung" eigenes Auslegungsprinzip. Verfassungsnormen, die Funktionen zuweisen oder Organe mit Kompetenzen ausstatten, sind mit Rücksicht auf 46 47
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2. Teil: Methodik der Verfassungsinterpretation
Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung dieses "vornehmsten Interpretationsprinzips,,56 immer wieder herausgestellt, es aber teilweise widersprüchlich angewendet. So hat etwa der Zweite Senat im Südwest-Staat-Urteil unter Hinweis auf Art. 79 Abs. 3 GG die Verfassung als hierarchisch und die Einzelbestimmungen als den tragenden Grundsätzen der Verfassung untergeordnet verstanden. 57 Der Erste Senat dagegen hat im Gleichberechtigungsurteil zu Recht gefolgert, daß es auf der Ebene der Verfassung keine höher- oder niederrangigen Normen geben könne. 58 Die Vorstellung von der hierarchischen Struktur des Grundgesetzes gibt nämlich die Idee von der Einheit der Verfassung im Grunde auf. 59 Richtigerweise ist davon auszugehen, daß keine Verfassungsnorm die Wirkkraft einer anderen völlig beseitigen kann. 6o Harmonisierung von Verfassungsrechtssätzen bedeutet, einen Ausgleich herbeizuführen, der einem Rechtssatz zwar Grenzen zieht, aber seine Wertung nicht völlig negiert. 61 Weitgehend enthalten in diesem Grundsatz ist die teilweise zum eigenen Verfassungsprinzip erhobene sogenannte "normative Kraft der Verfassung". Danach ist bei der Lösung verfassungsrechtlicher Probleme denjenigen Gesichtspunkten der Vorzug zu geben, die unter den jeweiligen Voraussetzungen den Normen der Verfassung zu optimaler Wirkungskraft verhelfen. 62 2. Konkretisierung grundlegender Prinzipien der Verfassung
Besonders bei den grundlegenden Prinzipien der Verfassung wie der Rechts-, der Sozial-, der Bundesstaatlichkeit, der Demokratie, der freiheitlich demokratischen Grundordnung und des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gestaltet sich die interpretative Konkretisierung mit den klassischen Interpretationsmitteln als äußerst schwierig. Ihre Deutung verlangt zusätzlich ein schöpferisches Element. 63 dieses Prinzip auszulegen. Zu diesem Bereich gehört auch das Verhältnis der Verfassungsgerichtsbarkeit zu Gesetzgeber und Regierung, in dessen Zusammenhang das Bundesverfassungsgericht sich den aus dem US-amerikanischen Recht rezipierten Grundsatz des ,judicial self-restraint" zu eigen gemacht hat. Vgl. BVerfGE 36, I, 14 f. Mehr dazu unten unter 2. Teil, § 3 11 2. Als eigenes Verfassungsprinzip kennzeichnet u. a. auch Hesse diesen Grundsatz, den er "Maßstab funktioneller Richtigkeit" nennt. Hesse, Grundzüge, Rdn. 73. 56 BVerfGE 19,206,220. 57 BVerfGE I, 14, 32. 58 BVerfGE 3, 225, 231 ff. Eine Ausnahme gilt wohl nur für die in Art. I GG garantierte Menschenwürde, was sich über ihre systematischen Stellung und ihre Unabänderlichkeit (Art. 79 III GG) hinaus an ihrer strikten Fonnulierung, am ausdrücklichen Nebeneinander von Antastungsverbot und Schutzverpflichtung und schließlich am Verzicht auf Grundrechtsschranken zeigt. Vgl. von Münchl Kunig-von Münch, GG, Vorb. Art. 1-19 Rdn. 46; Art. 1 Rdn.4. 59 Ehrnke, in: VVDStRL 20 (1963), 53, 79. 60 Ossenbühl, in: DÖV 1965,649,656. 61 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 4 III 8 b). 62 Hesse, Grundzüge, Rdn. 75. 63 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 4 III 8 e).
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Dabei wird vorgeschlagen, daß im normativ gebundenen, "topischen" Vorgehen leitende Gesichtspunkte gefunden werden, die "im Wege der inventio aufgesucht, im Für und Wider des Meinungsmäßigen gebraucht werden und die Entscheidung möglichst einleuchtend und überzeugend begründen (topoi)".64 Aus der Vielzahl der denkbaren Gesichtspunkte dürfe der Interpret jedoch nur die wirklich problembezogenen, d. h. keine sachfremden, verwenden. 65 Teilweise wird die Zugrundelegung des "Konsenses aller Vernünftig- und Gerecht-Denkenden" gefordert, dem vor allem die Rechtslehrer und Richter sowie das Gemeinwesen zugehörten. 66 Häberle dagegen verlangt, in den Prozeß der Verfassungsinterpretation, der bislang zu sehr Sache einer "geschlossenen Gesellschaft" gewesen sei, "alle Staatsorgane, alle öffentlichen Potenzen, alle Bürger und Gruppen", zumindest als "Vorinterpreten", einzuschalten. Wer die Norm lebe, der interpretiere sie auch mit. Dahinter verbirgt sich sich wohl in erster Linie die Forderung nach stärkerer Anbindung der juristischen Interpretation an die tatsächlichen, aktuellen Gegebenheiten der "pluralistischen Öffentlichkeit und Wirklichkeit".67 Stern wiederum sieht als allein entscheidend an die Konzeption des Verfassungsgebers. Diese sei zu erschließen und jede Konkretisierung an ihr zu orientieren. 68 Und Kriele schlägt zur Vermeidung von Willkür die Präjudizienvermutung für das Bundesverfassungsgericht und die Präjudizienbindung für alle übrigen Organe des Bundes und der Länder vor. So könne beliebige Methodenwahl und die Beeinflussung der Rechtsprechung durch die Politik verhindert werden, da die Präjudizien unparteiliche, vorausschauende und auch flexible Ergebnisse erlaubende Prinzipien seien. 69 Neben den Bedenken, die gegen die letzte Ansicht unter dem Gesichtspunkt des in Art. 20 11 2 GG verbürgten Grundsatzes der Gewaltenteilung geltend gemacht werden müssen, sind letztlich alle genannten Kriterien recht unbestimmt, so daß sie nur bedingt zu überzeugen vermögen. Im einzelnen kann dies jedoch dahingestellt bleiben, da es hier nicht um die Auslegung solcher Verfassungsprinzipien geht.
Vgl. hierzu Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1974. Hesse, Grundzüge, Rdn. 67. 66 Ehmke, in: VVDStRL 20 (1963), 53, 71 f. 67 Vgl. Häberle, in: JZ 1975,297,303. Häberle geht jedoch fehl, wenn er die "Notwendigkeiten und Möglichkeiten des Gemeinwesens, die vor, in und hinter den Verfasungstexten stehen" über die Bedeutung des Textes der Verfassung stellt. Interpretation ist nur im Rahmen des Wortlauts möglich. Korrespondiert dieser nicht mehr mit den praktischen Verhältnissen, so ist er vom Gesetzgeber zu ändern. Es obliegt nicht dem Verfassungsgericht, sich über den Wortlaut der Verfassung hinwegzusetzen, wenn es keinen Ansatz für eine sinnvolle Problemlösung findet. Das Hinwegsetzen über den Wortlaut stellt keine Interpretation mehr da, sondern ist de facto eine Verfassungsänderung durch die Judikative. Genau hier ist auch die Grenze der Verfassungsinterpretation. 68 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4 III 8 e). 69 HbdStR-Krie1e, Bd. V, § 110 Rdn. 29 ff. 64
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2. Teil: Methodik der Verfassungsinterpretation
III. Probleme der Verfassungsinterpretation Als problematisch hat sich im Rahmen der Verfassungsinterpretation stets die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit erwiesen. Wie Hesse richtig bemerkt, kann das Ziel der Verfassungsinterpretation nur bedingt die Ermittlung eines in der Verfassung vorgegebenen objektiven oder subjektiven Willens sein. 7o Denn in den Fällen, in denen die Verfassung selbst keine eindeutigen Maßstäbe enthält, haben Verfassung oder Verfassungsgeber in Wahrheit noch nicht entschieden. Und wo noch nichts entschieden ist, kann auch kein wirklicher, sondern allenfalls ein vermuteter oder fiktiver Wille ermittelt werden. Auch die Methoden an sich versprechen keine definitive Klarheit. So könnte beim Wortlaut etwa zweifelhaft sein, ob man für die Frage seiner tatsächlichen Bedeutung an den allgemeinen Sprachgebrauch oder einen speziellen juristischen anknüpft. Bei der systematischen Auslegung könnte allein der formale Zusammenhang oder auch der sachliche ausschlaggebend sein. Besonders umstritten aber ist die teleologische Auslegung. Sie kommt vor allem dann zum Tragen, wenn eine Fallkonstellation zur Entscheidung steht, die vom Gesetz erkennbar nicht erfaßt ist und aus den zunächst heranzuziehenden canones keine zuverlässigen Schlüsse gezogen werden können. Von Seiten der Literatur wird ihr genau in diesen Fällen eine Anwendung teilweise sogar ganz versagt, weil man in ihr kein selbständiges Element der Konkretisierung erblickt. Gesichtspunkte von "Sinn und Zweck" der zu deutenden Norm könnten nur insoweit herangezogen werden, als sie mit Hilfe der anderen Elemente zu belegen seien. 71 In der Praxis jedoch wird die Norm in solchen Fällen in ihren Konsequenzen durchdacht und dann im Rahmen der teleologischen Auslegung geprüft, wie sie "vernünftigerweise" auf die neue Tatsachenkonstellation wirken sol1. 72 Auf diese Art und Weise wird die teleologische Auslegung zuweilen zum "Sammelbecken subjektiver oder jedenfalls subjektiv vermittelter Wertungen von normbezogener und nicht-normbezogener, im ganzen von vorwiegend rechts- und verfassungspolitischer oder allgemeinpolitischer Art".73 Man verwendet sie für solche Sachgesichtspunkte aus dem Normbereich, die sich sonst unter Floskeln wie "Zweckmäßigkeit", "Natur der Sache" oder "Berücksichtigung sozialer und politischer Gegebenheiten" verbergen. 74 Das ist insbesondere dann gefährlich, wenn mit Hilfe dieser Wendungen die Anpassung der Verfassung an die aktuellen Zeitströmungen75 angestrebt wird, weil hierbei oftmals nicht die Hesse, Grundzüge, Rdn. 56. Müller, Methodik, S. 208. 72 HbdStR-Starck, Band VII, § 164 Rdn. 21. 73 Müller, Methodik, S. 208. 74 Müller, Methodik, S. 208. 75 Dieses Bemühen um Berücksichtigung außernormativer Faktoren und um Sinn und Wirklichkeit als Grundlage der Interpretation wird auch als "wirklichkeitswissenschaftliche Interpretation" bezeichnet. Vgl. HbdStR-Starck, Band VII, § 164 Rdn. 26; Böckenförde, in: NJW 1976,2089,2094 f. 70 71
§3 USA
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Mehrheitsmeinung (die im übrigen kaum feststellbar sein wird) zum Ausdruck kommt, sondern lediglich die Meinung derjenigen, die den Zeitgeist über die Massenmedien, besonders die suggestiv wirkenden, prägen. 76 Sowohl hinter den nebulösen Formulierungen im Rahmen der teleologischen Auslegung, als auch der als "Methoden-Chaos,,77 bezeichneten unübersichtlichen Vielfalt des höchstrichterlichen Vorgehens bei der Verfassungsinterpretation steht letztlich eine gewisse Unbeholfenheit in dem verständlichen Bestreben, die Verfassung realitätsnah und den tatsächlichen Umständen angemessen zu interpretieren. Oft scheint es aber so, als würde versucht werden, nachträglich eine auf anderem Wege gefundene sachbezogene und als "gerecht" und "richtig" empfundene Problemlösung in das Korsett der Auslegungsmethoden zu zwingen. Hesse sieht als Grund dafür "das häufige Versagen der Regeln" an und fordert ein Verfahren der Urteilsbildung, das sich auch wirklich einhalten lasse. 78 Dem kann zwar grundsätzlich gefolgt werden, aber wirkliche Alternativen zu den herkömmlichen Methoden sind bislang nicht ersichtlich. Nach Roellecke kann es wegen der "Unlösbarkeit des Anwendungsproblems" überhaupt keine letztverbindliche Auslegungsmethode geben. 79 Deshalb muß zunächst weiter auf die traditionelle Methodik zurückgegriffen und das oft willkürlich anmutende Diktat der Sachzwänge im Rahmen der teleologischen Auslegung in Kauf genommen werden. Dabei ist jedoch stets die erschöpfende Diskussion aller gegeneinander abzuwägender Methoden einzufordern. Als Hauptgrund für die anhaltende Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung erscheint nämlich weniger die Ablehnung der Ergebnisse, als vielmehr das Fehlen einer von Widersprüchlichkeiten freien, klaren Formulierung der Position des Bundesverfassungsgerichts und ihrer dann konsequenten Befolgung in der Auslegungspraxis. 8o
§3 USA Die Auseinandersetzung um die "richtige" Methodik der Verfassungsinterpretation wird in den USA vorwiegend im Lichte der Rechtsprechung des Supreme Court und dabei noch schärfer und lebhafter geführt, als dies in Deutschland schon der Fall ist. Grund dafür ist die dort viel stärkere Politisierung der Debatte. Ausgehend von der scheinbar selbstverständlichen Prämisse, daß der Interpretationsvorgang ganz maßgeblich von den Eigenheiten des Interpreten beeinflußt wird,81 76 HbdStR-Starck, Band VII, § 164 Rdn. 25. 77
Ehrnke, in: VVDStRL 20 (1963), 53, 59.
78 Hesse, Grundzüge, Rdn. 59. 79 Roellecke, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 22, 25. 80
So auch Sachs, in: DVBI. 1984, 73, 82.
81 Pestalozza, in: Der Staat 2 (1963), 425, 430 f. Auch in den USA ist man sich natürlich
der Problematik bewußt, daß sich im Extremfall der Interpret zunächst für das ihm gemäße Ergebnis entscheiden und erst dann überlegen könnte, wie dieses Ergbnis am besten zu er-
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2. Teil: Methodik der Verfassungsinterpretation
werden die Entscheidungen des Supreme Court dort weniger als Ergebnis nachvollziehbarer Auslegung, sondern als Produkt der einzelnen Rechts- und Politikauffassungen der Mehrheit der urteilenden Richter betrachtet. Wichtiger als die Methodik erscheint das politische Verständnis des einzelnen Richters, was dazu führt, daß die Richterernennungen des Präsidenten immer wieder "Kriegsatmosphäre aufkommen und Schlachtengetümmel" haben erahnen lassen, und zwar in einem für deutsche Verhältnisse unvorstellbaren Maße. 82 Das berühmteste Beispiel dieser politisierten Debatte stammt aus dem Jahre 1987, als Präsident Reagan Richter Robert H. Bork zum Justice of the Supreme Court of the United States ernennen wollte und der Senat seinem Vorschlag - entgegen seiner sonstigen Gewohnheit - vor allem deshalb die notwendige Mehrheit versagte, weil Bork die Suche nach dem "original intent" der Verfassungsväter, der sog. Framers, als die einzig richtige Methode der Verfassungsauslegung propagierte. 83 Dies zeigt, wie umstritten die Auffassungen auch hier sind.
I. Auslegungsmethoden Literatur und Rechtsprechung in den USA bieten ein unübersichtliches Bild an diskutierten und in der Praxis tatsächlich verwendeten Auslegungsgmethoden zur Verfassungsinterpretation, so daß jeder Versuch einer Systematisierung, der den Anspruch auf vollständige Berücksichtigung aller vertretenen Ansätze erhebt, geradezu anmaßend wäre. Die Divergenzen der einzelnen Positionen und Ansatzpunkte sind auf den unterschiedlichsten Ebenen angesiedelt: textliche, historische, reichen wäre. Dieser Vorgehensweise verdächtigen sich selbst die Wissenschaftler untereinander. Vgl. Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 95. 82 Brugger, in: ZRP 1987, 52, 56 f. Die in den USA heftig geführte Diskussion um die geistige Unabhängigkeit der Richter ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die Auswahl der Richter ohne jede sachliche Beschränkung allein dem Ermessen des Präsidenten obliegt. So kann der Präsident vor allem parteipolitische Erwägungen bei seiner Auswahl walten lassen - was in der Regel auch geschieht. Fast ausnahmslos wurden bisher Kandidaten vorgeschlagen, bei denen das höchste amerikanische Exekutivorgan die gleiche politische Anschauung vermutete. Dadurch erhoffen sich die Präsidenten ganz offenkundig eine Einflußnahme auf die Politik dergestalt, daß die Grundlagen ihres politischen Selbstverständnisses selbst im Falle ihres späteren persönlichen Ausscheidens durch die Judikative bewahrt werden. Dies hat in der Vergangenheit auch tatsächlich zu Auseinandersetzungen zwischen dem neugewählten Präsidenten, mit dem ein "ideologischer Erdrutsch" ausgelöst wurde, und den "alten" Richtern des Obersten Gerichts geführt. Oft wurden diese Erwartungen aber auch nicht erfüllt. So genoß der ehemalige Chief Justice Earl Warren einen Ruf als sehr konservativer Republikaner, den er sich als Gouverneur von Kalifornien in drei Legislaturperioden erworben hatte. Dieser konservative Politiker wurde zum Symbol einer liberalen Rechtsprechung, was den ihn 1953 ernennenden Präsidenten Eisenhower später zu der Aussage verleitete, daß die Bestellung von Warren zum Chief Justice "the biggest damned-fool-mistake I ever made" war. Zitiert in: Heller, in: EuGRZ 1985,685,594. 83 Tribe/Dorf, Constitution, S. 3. Ausführlich hierzu Bobbitt, Constitutional Interpretation, S. 83 ff.
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funktionelle, strukturelle, pragmatische, ethische, expressive, doktrinelle, symbolische oder gar mystische Argumente, ferner solche der Vernunft, des Zwecks, oder auch Wertargumente werden interpretatorisch gebraucht. 84 Bei großzügiger Betrachtung wird man aber erkennen, daß der aus Deutschland gewohnte klassische Kanon der Gesetzesinterpretation - grammatische, historische, systematische und teleologische Auslegung - die meisten der genannten Gesichtspunkte abdeckt. 85 Zwar gibt es auch in den USA kein klares methodologisches Argumentationsschema, das einheitlich angewandt wird. Folgende Ansichten lassen sich jedoch im Streben nach einer solchen einheitlichen Vorgehensweise im Prozeß verfassungsrechtlicher Interpretation - grob - unterscheiden. 1. Law and Economics sowie Critical Legal Studies Im Rahmen der rechtstheoretischen Diskussion in den USA haben sich zwei Schulen etabliert, die der juristischen Dogmatik als eigenständiger Methode der Rechtsfindung die Daseinsberechtigung absprechen und Recht als ein Konglomerat sozialer Regeln ansehen. 86 Die Law and Economics-Bewegung fordert dabei eine auf ökonomische Effizienz abzielende Ausrichtung des Rechts und erklärt rechtliche Institute ausschließlich mittels ökonomischer Kriterien. 87 Bei der Auslegung und Fortentwicklung des Rechts gehe es im wesentlichen um die Frage, welche Regelung im konkreten Fall am effektivsten sei und den marktwirtschaftlichen Erfordernissen am besten gerecht werde. 88 Nach der wegen ihrer Vielgestaltigkeit und ihres bewußt uneinheitlich gewählten methodischen Ansatzes 89 nur schwer generalisierbaren Critical Legal StudiesBewegung90 spiegele der Prozeß der Verfassungskonkretisierung nur die vorherr84 Vgl. dazu etwa Bobbitt, Constitutional Interpretation, S. 12 ff.; ü'Brien, Constitutional Law and Politics, Vol. 1, S. 77 ff.; Fallon, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1189, 1I94ff.; Murphy I Fleming I Harris, Interpretation, S. 291 ff.; Dorf, in: Harvard Journal of Law & Public Policy 19 (1996), 351, 354. Von deutscher Seite aus bietet Brugger, Grundrechte, S. 345 ff. einen sehr ausführlichen und profunden Überblick über die Materie. 8S Michael C. Doif spricht sogar ausdrücklich von "text, history, structure, and purpose" als den entscheidenden Kriterien der Interpretation. Dorf, in: Harvard Law Review 109 (1996), 1175, 1179 ff. Seiner dortigen Untersuchung der "Ineidental Burdens of Fundamental Rights" legt er genau diese Kriterien als Ausgangspunkt zugrunde. Vgl. auch Brugger, in: JöR 42 (1994), 571, 576. 86 Martin, in: Rechtstheorie 22 (1991), 525, 526. 87 Vgl. Richard A. Posner, Econornic analysis of law, 1988; ders: The Econornics of Justice, Massachussetts 1981; Murphy I Colernan, The Philosophy of Law, S. 211 ff.; Horn, in: AcP 176 (1976), 307 ff. 88 Horn, in: AcP 176 (1976), 307, 310. 89 Martin, in: Rechtstheorie 22 (1991), 525, 527. 90 Vgl. M. Unger, The Critical Legal Studies Movernent, 1986; Unger, in: Harvard Law Review 96 (1983), 561 ff.; Ewald, in: Yale Law Journal 97 (1988), S. 665 ff.; Keiman,
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2. Teil: Methodik der Verfassungsinterpretation
sehenden Machtverhältnisse wider, in denen Minderheiten wie Arme, Schwache oder Afro-Amerikaner nach wie vor benachteiligt würden. Die reale Funktion des richterlichen HandeIns sei in erster Linie die "ideologische Verharmlosung" oder Legitimierung dieses Sachverhalts. 91 Eine Verbesserung der Lage sei erst dann zu erwarten, wenn die unterprivilegierten Minoritäten es geschafft hätten, ihre Bedürnisse und Ansichten durchzusetzen. Bis dahin könne die in der Judikatur übliche Berufung auf Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde nicht mehr sein als rein subjektiv bestimmte "künstliche Legitimationsformeln".92 Eine einheitliche konkrete Lösungsmöglichkeit bieten die Anhänger der Critical Legal Studies aber nicht an. Während sie in der Beurteilung der gegenwärtigen Lage noch weitgehend übereinstimmen, reicht das Spektrum vertretener Auswege von marxistischen Ansätzen über linksliberal-progressives Denken zu aufklärerischutopischen Entwürfen neuen oder wiederzuentdeckenden wirklichen Gemeinschaftslebens. 93 2. Privileged Factor Theories
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an Autoren, die sich für eine besondere Gewichtung einzelner Methoden oder sogar für eine Hierarchie der Methoden aussprechen. Innerhalb dieser Auffassung wird teilweise exklusiv oder zumindest primär auf den Text und Kontext abgestellt94 ("textualism"; "formalism") und teilweise auf einen oder mehrere übergreifende teleologische Gesichtspunkte, deren Gewicht im Vergleich zum geschriebenen Text und dem historisch Gewollten überwiegen soll. Hier gibt es ein weit gefächertes Spektrum an Strömungen, "das den Pluralismus und teilweise Antagonismus der Werthaltungen der gesellschaftlichen Gruppen widerspiegelt".95 Eine besonders exponierte Stellung· innerhalb dieser Meinung, sowohl gemessen an der Zahl ihrer Verfechter als auch an ihrer tatsächlichen Bedeutung, nimmt dabei die Richtung des "interpretivism" ein, nach der die Verfassung nur unter Beachtung von Text und insbesondere "intent of the framers", dem Willen der Verfassungsväter, ausgelegt werden soll. Diese, vor allem den Ausschluß von teleologischen Argumenten und die Loslösung von der Bindungswirkung an die Präzedenzfälle96 bezweckende Ansicht gibt es in den Spielarten des A Guide to Critical Legal Studies, 1987; Hutchinson, Critical Legal Studies, 1989; Altman, Critical Legal Studies, 1950. 91 Brugger, in: JöR 42 (1994), 571, 573. 92 Brugger, in: ZRP 1987, 52, 60. 93 Brugger, in: JöR 42 (1994), 571, 574. 94 So Fallon, der eine Hierarchie mit den Bestandteilen text, historical intent, theory, precedent und value (in abnehmender Priorität) befürwortet. Fallon, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1189, 1244-46; ebenso Laycock, in: Notre Dame Journal of Law, Ethics & Public Policy 4 (1990), 683, 686 ff. 95 Sehr übersichtlich und umfassend dazu Brugger, Öffentliches Recht der USA, S. 159 f. 96 Vgl. Fallon, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1189, 1210.
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"originalism,,97 und des "moderate interpretivism",98 von denen sich erstere bei der Interpretation rigoros auf das ursprüngliche Verständnis des Verfassungstextes und den ganz spezifischen Willen der Framers verläßt99 und letztere die zusätzliche Berücksichtigung des zeitgenössischen Verständnisses der Sprache sowie der ganz abstrakten Wertvorstellungen der Verfassungsväter lOO erlaubt. Nach dem Willen ihrer Verfechter dient diese Auffassung vor allem zwei Zielen: zum einen dem Ausschluß der richterlichen Wertvorstellungen bei der Interpretation; Richter, die die Verfassung nicht im Einklang mit dem "original intent" der Framers auslegten, zwängen in Wahrheit den übrigen Menschen ihre eigenen moralischen Maßstäbe unter dem Deckmantel der Verfassung auf. 101 Politische und moralische Entscheidungen oblägen aber der Legislative und nicht den Richtern des Supreme Court. Zum anderen soll die Befolgung des gesetzgeberischen Willens bezwecken, daß Recht und Rechtsprechung eine gewisse Beständigkeit aufweisen und nicht dem Einfluß der immer wechselnden, gerade aktuellen philosophischen Strömungen ausgesetzt sind. 102 3. Balancing Theories
Eine weitere Position nehmen die Theorien ein, deren Grundgedanke die Notwendigkeit der Integration aller wesentlichen methodischen Leitlinien ist und die jedenfalls eine strikte Hierarchie bzw. die kategorische Ausschaltung einzelner Gesichtspunkte ablehnen. I03 Nach dieser Auffassung zählen alle Gesichtspunkte grundsätzlich gleichrangig, weshalb keine der Methoden außer acht gelassen, aber auch nicht verabsolutiert werden darf. Dies gelte insbesondere für den Willen der Verfassungsväter, der zwar als "Teil der amerikanischen Geschichte" und als Lehre 97 Vertreter dieser Richtung sind etwa Berger, Government by Judiciary, S. 283 ff., 363 ff.; Monaghan, in: New York University Law Review 56 (1981), 353, 374 ff.; Messe, in: South Texas Law Review 27 (1986), 455, 466; Berns, Taking the Constitution Seriously, 1987; Wills, Inventing America: Jefferson's Declaration of Independence, S. 14 ff.\ 98 Brest, The Misconceived Quest for the Original Understanding, in: B.U. Law Review 60 (1980),204,223 f., 231 ff.; Lawson, in: The Georgetown Law Journal 85 (1997), 1823 ff. Der Ansicht zugeneigt ist wohl auch Sunstein, der allerdings von "hard" und "soft originalism" spricht. Sunstein, in: Harvard Journal ofLaw & Policy 19 (1996), 311, 312 ff. 99 Berger, Government by Judiciary, S. 8: The original intent of the Framers is "as good as written into the text" of the Constitution. 100 Mit der Konsequenz, daß auch Überlegungen mit in die Interpretation einfließen, die die Framers gar nicht angestellt hatten oder die sie sogar eher ablehnten. Fallon, in: Harvard Law Review 100 (1987),1189,1199. 101 Bork, in: Humanities 7 (1986), 22, 26 f. 102 Walker/Epstein, Supreme Court, S. 119. 103 So Grey, in: Stanford Law Review 37 (1984), 1 ff.; Gunther, in: Stanford Law Review 24 (1972), 1001 ff.; Mendelson, in: California Law Review 50 (1962), 821 ff. Aus rechtsvergleichender Sicht auch Brugger, in: The American Journal of Comparative Law 42 (1994), 395,420.
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daraus Bestandteil der Verfassungsauslegung sein solle, aber nur als einer unter mehreren. 104 Der Rechtfertigung von originalism liege die Annahme zugrunde, daß die Bindung an Recht und Gesetz eine Auslegung fordere, die den Sinn der Norm zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens erforsche. Nur eine solche Deutung spiegele den Willen des Souveräns wider, der stets zu achten sei. Tatsächlich aber legitimiere sich die Verfassung durch ein "self-defining People's commitment to live in accordance with it over time",105 das eine Bindung an den Willen nur einer ganz bestimmten Personengruppe geradezu ausschließe. Das im Text und Kontext Gesagte, das historisch Gewollte und das in der Gegenwart sinnvollerweise Intendierte müssen hiernach zunächst grundsätzlich unabhängig voneinander festgestellt und anschließend argumentativ zueinander in Beziehung gesetzt werden, um unter Berücksichtigung der Dogmatik zu plausiblen Ergebnissen zu gelangen. 106 Gerade die Historie sei auf ihre wirklichen Lehren hin zu untersuchen und nicht auf die Darstellung bloßer "constitutional moments" zu reduzieren. 107 4. Open-System Theories
Zumindest gewisse Ähnlichkeit mit der gerade dargestellten Auffassung haben die Meinungen in der Literaur, die Fallon als Open-System Theories 108 bezeichnet, weil sie bestreiten, daß es überhaupt allgemeinverbindliche Regeln der Auslegung oder wenigstens Prinzipien gibt, die als Leitlinien vorgeben können, wie die verschiedenen Argumente miteinander in Beziehung zu setzen sind. I09 Hiernach wird 104 Dorf, in: Washington University Law Quarterly 73 (1995),983,987. Doifgilt als einer der namhaftesten "non-originalists" unter den US-amerikanischen Verfassungsrechtlern. Darunter sind all die zu zählen, die dem Willen der Framers keine privilegierte Stellung unter den Auslegungsmethoden einräumen. V gl. Dorf, in: Harvard Journal of Law & Public Policy 19 (1996), 351, 354. Allerdings ist sein Standpunkt wohl nicht eindeutig dem der balancing theories zuzurechnen, wenngleich seine Untersuchungen zweifellos eine Art "balancing" erkennen lassen. Vgl. nur Dorf, ebenda, S. 356 f. Seine Position ist vielmehr eine eklektische bei offenkundiger Sympathie für die common law-Methode, vgl. Tribe/Dorf, Constitution, S. 114 ff.; Dorf, in: Harvard Law Review 109 (1996), 1175, 1185 ff.; Dorf, in: The Georgetown Law Journal 85 (1997),1765,1787 ff.; 1857 ff. Vgl. neuerdings auch Dorf, in Harvard Law Review 112 (1998), 4 ff., wo er ein wenig von seiner Vorliebe für die common lawmethod abzurücken scheint und stattdessen den Schwerpunkt mehr auf pragmatische und empirische Erwägungen setzt. 105 Dorf, in: Harvard Journal of Law & Public Policy 19 (1996), 351, 359. 106 Vgl. Brugger, Öffentliches Recht der USA, S. 161; Fallon, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1189, 1228. 107 Dorf, in: The Georgetown Law Journal 85 (1997),1765,1814: "Looking to history for lessons rather than for constitutional moments dispenses with the need to distinguish between the events that qualify as constitutional moments and all other historical events that fall short of the threshold." 108 Vgl. Fallon, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1189, 1223 ff. 109 Tribe, Constitutional Choices, S. 3 ff.; Fish, in: Stanford Law Review 36 (1984), S. 1325 ff.; Lessig, in: The Georgetown Law Journal 85 (1997),1837 ff.
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nicht geleugnet, daß verschiedene methodische Argumente kombiniert werden müssen, um tragbare Ergebnisse erzielen zu können. Allerdings hänge der Auslegungskonsens nicht von der Befolgung irgendwelcher Regelungen und Prinzipien ab. Solche brächten angesichts der Komplexität und Unbestimmtheit der Materie keine Klarheit, sondern stifteten nur Verwirrung. Das für richtig gehaltene Ergebnis müsse vielmehr in Einklang stehen mit dem Gespür des Interpreten für das, was im jeweiligen Fall möglich und unmöglich oder gut und schlecht sei. 110 Eine als "gerecht" empfundene Entscheidung würde immer gutgeheißen, unabhängig davon, auf welcher Basis sie getroffen worden sei. Aus diesem Grunde komme es auch nur auf das Ergebnis an, und nicht auf vorgegebene Leitlinien. 1I1 Die Auffassung, daß hinter jeder Praxis auch eine Theorie stecken müsse, sei nicht nur überflüssig und überholt, sondern schlichtweg falsch. 112 5. Ansatz des Supreme Court Der Supreme Court hat seine institutionelle Rolle nicht darauf beschränkt, die politische Macht zu maximieren und verfassungsrechtliche Eingriffe zu minimieren, sondern gerade in aktivistischen Phasen 113 die Generalklausein der Verfassung behutsam mit Inhalt ausgefüllt und dabei höchst unterschiedliche interpretative Ansätze vertreten. Das Gericht lehnt die ideologiekritischen Ansätze der Law and Economics und der Critical Legal Studies-Bewegung ab, bedient sich aber ansonsten aller genannten Methoden. Anders als das Bundesverfassungsgericht hat das US-amerikanische Höchstgericht nie ausführlich zur Methodik der Entscheidungsführung Stellung genommenY4 Im Grundsatz hat es sich aber erkennbar der subjektiv-historischen Methode angeschlossen. Die Untersuchung der Ansichten der Framers ist in der Regel als erster Schritt obligatorisch für die Beantwortung der Verfassungsfragen. 115 Nicht einmal diejenigen Richter des Supreme Court, die als besonders "konservativ" gelten, sind jedoch als Anhänger des strengen "originalism" anzusehenY6 Vielmehr erachten auch sie den Willen der Verfassungsväter zwar als stets wichtiges, aber nicht allein entscheidendes Kriterium der Verfassungsauslegung, 117 das bei Bedarf auch vollständig ignoriert wird. 118 Fish, in: Stanford Law Review 36 (1984), 1325, 1332 ff. Bobbitt, Constitutional Interpretation, S. 145 ff. Bobbitt geht in dieser Hinsicht mit Tribe und Fish völlig konform, obwohl er seinen Standpunkt explizit von demjenigen Fishs abgrenzt. Siehe ebenda, S. 38-42. 112 Lessig, in: The Georgetown Law louma185 (1997), 1837, 1838. 113 Zu denken ist hierbei insbesondere an die Ära unter Chief lustice Earl Warren (19531969). Vgl. dazu Brugger, in: ZRP 1987, 52, 53 f. 114 Bungert, in: AöR 117 (1992), 71, 90. 115 Vgl. z. B. Dred Scott v. Sandford, 60 V.S. (19 Howard) 393, 426 (1857); Bell v. Maryland, 378 V.S. 226, 288 f. (1964). 116 Tribe/Dorf, Constitution, S. 13. 110 111
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Konsequent sind die Richter auch nicht im Hinblick auf andere Methoden. Auf den Wortlaut wird sich teilweise ausdrücklich berufen, 119 teilweise wird er bewußt überschritten. 12o Die Verfassung selbst wird sowohl isoliert, als auch ganzheitlich gelesen. 121 Welche Auslegungsmethode jeweils zur Anwendung kommt, hängt immer vom Einzelfall ab. Daß alle Kriterien zur Argumentation herangezogen werden, ist eine Seltenheit. Regelmäßig greift man nur diejenige Auslegungsmethode heraus, die gerade als tauglich erscheint, um im Einzelfall das Ergebnis zu begründen. 122 Trotz offenkundiger Sympathie für den Willen des Verfassungsgebers läßt der Supreme Court auch keine Hierarchie innerhalb der Methoden erkennen. Alle Methoden zählen, aber die konkrete Richtung und Gewichtung wechselt je nach Fallgruppe, Periode und Gerichtsbesetzung. 123 Dem immer wieder geforderten größeren Maß an Objektivierung käme der Supreme Court möglicherweise dann näher, wenn er zumindest mit nur einer Stimme spräche. Auch dies ist jedoch kaum der Fall. 124 Selbst solide Mehrheitsentschei117 Vgl. dazu Chief Justice Rehnquist, in: Texas Law Review 54 (1976), 693, 694: "The framers of the Constitution wisely spoke in general language and left to succeeding generations the task of applying that language to the unceasingly changing environment in which they would live. [ ... ] Where the framers [ ... ] used generallanguage, they [gave ]latitude to those who would later interpret the instrument to make that language applicable to cases that the framers might not have foreseen." Ebenda, S. 698: "Any sophisticated student of the subject knows that judges need not limit themselves to the intent of the framers, which is very dificult to detemine in any event. Because of the general language used in the Constitution, judges should not hesitate to use their authority to make the Constitution relevant and useful in solving the problems of modern society." Insofern geht Heun fehl, wenn er Rehnquist als einen "eminenten" Vertreter der Jurisprudence of Original Intention bezeichnet. Vgl. Heun, in: AöR 116 (1991), 185. 118 Vgl. Harper v. Virginia Board of Elections, 383 V.S. 663, 669 (1966): "In determining what lines are unconstitutionally discriminatory, we have never been confined to historie notions of quality, any more than we have restricted due process to a fixed catalogue of what was at a given time deemed to be the limits of fundamental rights." Im Gegensatz dazu vgl. etwa Richardson v. Ramirez, 418 V.S. 24, 54 (1974): "We hold that the understanding of those who adopted the Fourteenth Amendment [ ... ] is of controlling significance [ ... ]. 119 Martin v. Hunter's Lessee, 14 V.S. (1 Wheat.), 304,326 (1816). 120 Vgl. die Abtreibungsurteile des Supreme Court: Roe v. Wade, 410 V.S. 113 (1973); Doe v. Bolton, 410 V.S. 179,214 (1973). Dort wurde das Verbot der Abtreibung als Verstoß gegen das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre beurteilt, das der Supreme Court als Bestandteil des 14. Zusatzartikel ansieht. In der einschlägigen Bestimmung des Sect. 1 heißt es jedoch nur: [ ... ] "nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without dues process of law;" [ ... ]. Hierzu ausführlich Brugger, in: NJW 1986, 896 ff.; vgl. auch derselbe in: Der Staat 2000, 425, 426. 121 Zur isolierten Betrachtung vgl. Youngstown Sheet & Tube Co. v. Sawyer, 343 V.S. 579, 635 (1952). 122 Bungert, in: AöR 117 (1992), 71, 89. 123 Brugger, in: JöR 42 (1994), 571, 578. 124 Im Jahre 1990 beispielsweise endeten 37 der 129 vor den Supreme Court gebrachten Fälle mit einem 5:4-Mehrheitsvotum. New York Times, July 1, 1990, S. E 3. Vgl. auch Loewenstein, Verfassungsrecht, S. 402 ff.
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dungen schließen nicht aus, daß im Detail gravierende Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten unter den Richtern zutage treten. So ist es nicht ungewöhnlich, daß sich die Richter gerade noch über ein konkretes Ergebnis, nicht aber über die Auslegung des verfassungsrechtlichen Standards oder die leitenden Gründe einigen können. 125 Dazu tragen auch die in der Praxis des Supreme Court fast ständig angefertigten concurring und dissenting opinions bei, die - obwohl als Ausdruck des gesellschaftlichen Wertpluralismus vielfach gelobt l26 - verdeutlichen, wie sehr die Richter darauf bedacht sind, ihre eigenen Rechtsauffassungen mitzuteilen und zugleich wie umstritten auch innerhalb des amerikanischen Höchstgerichts die Auslegungsmethodik ist. 127 6. Notwendigkeit einer gleichberechtigten Anwendung der wichtigsten Auslegungsmethoden
Die Auffassungen von Law and Economics sowie Critical Legal Studies sind schon deshalb zu verwerfen, weil sie irrtümlich vom Idealbild eines gänzlich objektivierten und voraussehbaren Interpretationsprozesses ausgehen. 128 Gerichtsentscheidungen, die in einem so differenzierten sozialen Umfeld wie dem US-amerikanischen ergehen, können nicht einseitig von ökonomischer Effizienz oder gesellschaftlichen Erwägungen bestimmt sein. Von einem solch einheitlich geprägten Willen in einer pluralistischen Gesellschaft auszugehen, zeigt nicht nur mangelndes Realitätsverständnis, sondern vernachlässigt auch völlig den stets erforderlichen Blickpunkt der Einzelgerechtigkeit. Zudem bestünde hier zum einen die Gefahr, die als unrichtig und ungerecht empfundenen Wertungen lediglich durch eigene Wertungen zu ersetzen (und damit der eigenen Forderung nach objektiveren Entscheidungen den Boden zu entziehen), zum anderen, daß Rechtsstreitigkeiten nach sachfremden Kriterien entschieden würden. 129 Auch die Privileged Factors Theories vermögen nicht zu überzeugen, weil sie von vornherein eine Rangordnung der Methoden festlegen und damit außer acht lassen, daß eine rangniedrigere Methode im Einzelfall ein viel besseres Argument zur Problemlösung beitragen kann als ein ranghöheres. 130 Es ist kein Grund ersichtlich, etwa der Historie größere Bedeutung zukommen zu lassen, als der Systematik des Gesetzes. Unbehagen bereitet dem deutschen Juristen vor allem die Brugger, in: ZRP 1987,52,60. Brugger, in: JZ 1989, 809, 816. 127 Nicht unüblich sind daher Urteile wie New York Times v. United States, das mit sechs unterschiedlichen Begründungen für die Mehrheit und drei abweichenden Voten für die Minderheit ausfiel. New York Times v. United States, 403 U.S. 713 (1971). 128 Brugger, in: ZRP 1987,52,60 f. 129 Martin, in: Rechtstheorie 22 (1991), 525, 539 f. 130 Dorf, in: The Georgetown Law Journal 85 (1997), 1765, 1794. 125
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im US-amerikanischen Recht vorherrschende subjektiv-historische Auslegung. Grund für die ausgiebige Erforschung des Verständnisses der Verfassungsväter von der betroffenen Verfassungsbestimmung ist die beispiellose Glorifizierung der Framers als große Staatsmänner. 131 Gerade unter Berücksichtigung dieser kulturell-historischen, US-amerikanischen Eigenart ist der Wille des Verfassungsgebers - wie in Deutschland auch - in die Interpretationserwägungen miteinzubeziehen. Abzulehnen ist jedoch eine Bevorzugung der subjektiv-historischen Auslegungsmethode im Rahmen einer hierarchischen Rangordnung zu Lasten der anderen Methoden. Dafür sprechen viele Gründe. Zunächst einmal gingen selbst unter denen, die den Text der Verfassung entwarfen oder zumindest seiner Ratifizierung zustimmten, viele davon aus, daß der Text flexibel ausgelegt werden kann und einmal eine Bedeutung haben könnte, an die zur Zeit seiner Formulierung noch nicht gedacht worden war. 132 Darüber hinaus ist es schwierig, den Willen der Verfassungsväter herausfinden zu wollen, wenn es einen einheitlichen Willen in dem Sinne gar nicht gab. Ähnlich wie bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat waren auch die Framers oft unterschiedlicher Meinung, so daß die gefundenen Sprachregelungen häufig bloße Kompromisse der entgegengesetzten Standpunkte waren. 133 Und nicht zuletzt ist der historische Wille oft rein praktisch kaum feststell bar, weil es nur unzureichende Aufzeichnungen über die geheim geführten Debatten der Constitutional Convention in Philadelphia gibt, die den Verfassungsentwurf erstellt hat. 134 Die einzigen umfassenden Aufzeichnungen stammen aus privater Hand von James Madison, der der Veröffentlichung jedoch erst 1840 zustimmte,135 52 Jahre nach Inkrafttreten der Verfassung und auch etliche Jahre nach dem "wichtigsten Urteil der amerikanischen Verfassungsgeschichte" 136 Marbury v. Madison l37 aus dem Jahre 1803, das das richterliche Prüfungsrecht als Verfassungsprinzip etablierte. Zuletzt darf man nicht vergessen, daß die Vorstellungen der Verfassungsväter eingebettet waren in die Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts, die sich nur nach eingehender historischer Forschung erschließt, zu der die Richter wohl weder sachlich noch zeitlich befähigt sind. 138 Bungert, in: AöR 117 (1992), 71, 90. Tribe/Dorf, Constitution, S. 10. In dem Sinne auch Rehnquist, in: Texas Law Review 54 (1976), 693, 699. 133 O'Brien, Constitutional Law and Politics, Vol. 1, S. 80; vgl. auch Tribe/Dorf, Constitution, S. 24 ff. 134 Levy, Original Intent and the Framers Constitution, S. 285 ff.; Heun, in: AöR 116 (1991), 185, 189. 135 O'Brien, Constitutional Law and Politics, Vol. 1, S. 81. 136 Quint, in: JZ 1986,619,622. !37 5 U.S. (1 Cranch) 137 (1803); Vgl. hierzu auch Dorf, in: University of Pennsylvania Law Review 142 (1994), 1997, 2009 f.; Egerer, in: ZVglRWiss 88 (1989), S. 416 ff.; Carstens, Grundgedanken, S. 94 ff., sowie 1. Teil, § 1 11. 138 Tribe/Dorf, Constitution, S. 101; Heun, in: AöR 116 (1991), 185, 189. Darauf lassen auch Äußerungen des Supreme Court-Richters Antonin Scalia - obwohl dem originalism zugeneigt - schließen, der darauf hinweist, daß die Anwendung der subjektiv-historischen 131
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Der als Open-System Theories bezeichneten Gruppe von Autoren ist entgegenzutreten, weil ihre Auffassung unter rechtstheoretischen Gesichtspunkten Unbehagen bereitet. Die Lösung zu der diffizilen Problematik der Methodik der Verfassungsinterpretation kann nicht sein, sich angesichts großer Bestimmtheitsprobleme von jeglicher Methodik zu verabschieden und allein auf die Weisheit und den Gerechtigkeitssinn der Richter und Rechtsexperten zu vertrauen. Zwar wird jeder Fallentscheid, bei dem es um die Interpretation weiter, auslegungsbedürftiger Verfassungsbegriffe geht, bis zu einem gewissen Grad immer von der persönlichen Rechtsauffassung des urteilenden Richters abhängig sein,139 aber oberstes Ziel der Interpretation muß es immer sein, größtmögliche Objektivität zu wahren. Dazu ist ein gewisses Maß an Voraussehbarkeit und methodischer Beständigkeit notwendig, der man zumindest näher kommt, wenn sich die Interpreten an die bewährten Auslegungsmittel halten und diese stets gleichberechtigt in ihre Argumentation einfließen lassen. Natürlich kann nicht bezweifelt werden, daß auch innerhalb der Methoden noch genug Spielraum vorhanden ist, die persönlichen Überzeugungen des Interpreten zum Ausdruck zu bringen. Das wird sich nie vollends ausschließen lassen. Wichtig erscheint aber noch ein anderer Aspekt: Jedes richterliche Urteil muß erkennen lassen, worauf sich die Entscheidung konkret stützt, weil es immer direkt betroffene Prozeßparteien gibt, die ein Recht darauf haben zu erfahren, aus welchen Gründen eine Entscheidung in ihrem Sinne oder nicht in ihrem Sinne getroffen wurde. Ein Ergebnis, das auf uneingeschränkte Zustimmung trifft, gibt es nur sehr selten. Auf höchstricherlicher Ebene ist dieser Bedarf noch gesteigert, weil die Öffentlichkeit verstärkt Anteil nimmt an den von dort ausgehenden (Weiter-) Entwicklungen des Rechts. Besonders in den meist sehr umstrittenen und hochpolitischen Entscheidungen im Bereich des Verfassungsrechts kommt es darauf an, daß die Urteile gut und für alle Parteien nachvollziehbar begründet sind. Diesem Anspruch wird aber nicht genügt, wenn deutlich wird, daß die Richter - ungeachtet des konkreten Ergebnisses - offenkundig frei nach ihrem eigenen Rechtsgefühl fernab jeglicher methodischer Vorgaben entscheiden. Hier würde sich besonders in den USA, wo das Recht des Supreme Court auf "judicial review" nicht ausdrücklich verfassungsrechtlich verankert ist, wieder die Frage nach der Legitimation der Rechtsprechung stellen, Gesetze der vom Volk direkt gewählten Legislative für nichtig oder nicht anwendbar zu erklären. 140 Somit ist die Flexibilität der auf die Anwendung fester Auslegungsprinzipien verzichtenden Open-System Theories nicht nur ihre Stärke, sondern zugleich ihre Schwäche. Vorzugswürdig ist demnach auch hier die Theorie der gleichrangigen Behandlung der Ansätze, wenngleich dem balancing-Ansatz insofern widersprochen werMethode die Lektüre von "an enonnous mass of material" und "immersing oneself in the political and intellectual atmosphere of the time" erfordert. ScaJia, in: University of Cincinnati Law Review 57 (1989), 849, 856 f. In dem Sinne auch Rehnquist, in: Texas Law Review 54 (1976), 693, 698. 139 Rehnquist, in: Texas Law Review 54 (1976), 693, 697. 140 Vgl. dazu Brugger, in: Der Staat 2000, 425, 426.
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den muß, als er die einzelnen Methoden als völlig unabhängig voneinander betrachtet. Die Abwägung muß nicht erst nach Erzielen der einzelnen Ergebnisse vollzogen werden; zur Diskussion der verschiedenen methodischen Argumente kann es auch schon innerhalb der jeweiligen Methode kommen. In Konsequenz der zuvor eingenommenen Ansicht l41 ist auch hier einer Methodik der Vorzug einzuräumen, die die wichtigsten Aspekte der Auslegung gleichrangig diskutiert und abwägend zueinander in Beziehung setzt. Als ausreichend erweist sich dabei die Berücksichtigung des Wortsinns, des systematischen Zusammenhangs, des Sinn und Zwecks der Norm und der Historie. Traditionell kommt dem Willen der Framers bei der Subsumtion ein besonderer Stellenwert zu. Dabei darf jedoch nicht nur auf deren Aussagen zu einem konkreten Bereich geachtet werden; vielmehr ist der "level of generality" beim Rekurs auf die Ideen der Framers zu ermitteln. Maßgeblich sind deren Gesamtvorstellungen. Zu fragen ist nicht bloß danach, "what did the framers and ratifiers think", sondern auch, "why did they think it".142 Nur wenn dieser Wille offenkundig von dem Ergebnis der "objektiven" grammatischen, systematischen und teleologischen Interpretation abweicht, ist aus den hinreichend erläuterten Gründen auch bei der Inhaltsbestimmung der amerikanischen Verfassungsnormen die objektive Methode zu bevorzugen. 143
11. Auslegunsgprinzipien Ähnlich wie im deutschen Recht gibt es im US-amerikanischen Verfassungsrecht einige Auslegungsprinzipien, die in der Regel nicht als gesonderte Prinzipien der Auslegung in Abgrenzung zu den Auslegungsmethoden, sondern als gleichberechtigte dogmatische Aspekte neben den anderen Methoden diskutiert werden. Auch hier gibt es keine einheitliche Praxis bezüglich der Frage ihrer Anwendung und Stellung im Prozeß der Interpretation. Manchmal dienen sie als wichtigstes Argument bei der Normauslegung, ein anderes Mal werden sie gar nicht angesprochen. Die wohl relevantesten sollen im folgenden skizziert werden. 1. Stare decisis und Einheit der Verfassungsrechtsprechung
Ein wesentliches Merkmal des common law ist die Lehre von stare decisis oder precedent,l44 nach der Rechtssätze, die die Gerichte zur Entscheidung konkreter Fälle entwickeln, bindende Wirkung haben. Im Idealfall gilt diese nicht nur für die 141 Siehe 2. Teil, § 2 lid). 142 Dorf, in: Harvard Journal ofLaw & Public Policy 19 (1996), 351, 358. 143 In diesem Sinne auch Brugger, in: The American Journal of Comparative Law 42
(1994),395,401, der sich dabei allerdings auf das deutsche Verfassungsrecht stützt. 144 Dazu etwa Monaghan, in: Columbia Law Review 88 (1988), 723 ff.; Schauer, in: Stanford Law Review 39 (1987), 571 ff.; Walker I Epstein, Supreme Court, S. 123 ff.
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unteren und mittleren Gerichte, sondern auch für den Supreme Court hinsichtlich seiner eigenen Entscheidungen. Der Vorteil dieses Grundsatzes liegt zweifellos in der Stabilität und Kontinuität, die die Rechtsprechung durch ihn erhält, seine Gefahr besteht darin, daß er zur Starrheit führt. 145 Die Richter richten ihr Augenmerk im Prozeß der Entscheidungsfindung regelmäßig auf etwaige Präzedenzfälle. Das in England ohnehin viel rigoroser befolgte stare decisis-Prinzip wird jedoch gerade bei Verfassungsfragen vom Supreme Court vernachlässigt, um die Verfassungsdynamik im Einklang mit eventuell geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen zu halten. 146 Möglich wird dies vor allem dadurch, daß der Grundsatz nur bei gleichen Tatbeständen gelten soll. Da der Supreme Court es möglichst vermeidet, einen Richtungswechsel offen zuzugeben, wird ein solcher Wechsel in der Praxis hinter der Behauptung versteckt, daß sich der Fall in wesentlichen Punkten von den angeführten Präzedenzfällen unterscheide und die stare decisis-doctrine somit nicht angewendet werden könne. 147 Da sich zwei Tatbestände aber letztlich nie vollständig gleichen, bleibt den Richtern in der Regel ein großer Spielraum bei der Frage, ob sie eine Anwendung des Prinzips im jeweiligen Fall gutheißen oder nicht. Auch bezüglich der Art und Weise der Einbeziehung der Präzedenzien in den Entscheidungsprozeß gibt es Kritik. Obwohl die Richter nach common lawTradition stets angehalten wären, bei klärungsbedürftigen Rechtsfragen nach einschlägigen Präzedenzurteilen zu suchen, um so Vorgaben für die aktuelle Entscheidung zu erhalten, sehen viele in den Supreme Court-Urteilen Anhaltspunkte dafür, daß die Richter umgekehrt bereits eine bestehende Auffassung zu einem Rechtsproblern haben und sich erst dann die entsprechenden Präzedenzien suchen, um diese zu begründen. 148 Dazu kommt, daß grundsätzliche Unsicherheit darüber besteht, ob sich das Gericht nur an seine holdings 149 oder auch an seine (obiter) dicta 150 gebunden fühlt; 151 hierzu hat es nie ausdrücklich Stellung genommen. Es Carstens, Grundgedanken, S. 127. Loewenstein, Verfassungsrecht, S. 426; Egerer, in: ZVglRWiss 88 (1989), 416, 426; Walker/Epstein, Supreme Court, S. 124: "Following precedent, while a general guide, is not an absolute rule of judicial decision making." 147 Besonders beispielhaft für dieses Vorgehen ist die zu einem späteren Zeitpunkt ausführlich illustrierte Entscheidung Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872 (1990), in der es dem Supreme Court darauf ankam, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern und er sodann - fälschlich - behauptete, daß die bisher in diesem Bereich geltenden, höchstrichterlichen Grundsätze auf Entscheidungen beruhten, die mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar seien. Siehe 4. Teil, § 2 IV 1 e). Vgl. zu dem Vorwurf auch Mermann, in: Mercer Law Review 42 (1991),1597,1611; 1616 f. 148 Walker/Epstein, Supreme Court, S. 124 f., die darauf hinweisen, daß dies ungeachtet der ideologischen Vorlieben einzelner Richter angesichts der über 200-jährigen Geschichte verfassungs gerichtlicher Urteile keine Schwierigkeit darstellt. 149 Darunter versteht man eine Regel oder ein Prinzip, das den Fall entscheidet. 150 Darunter versteht man die Ausführungen eines richterlichen Votums, die in bezug auf den konkreten Fall nebensächlich, d. h. nicht notwendig sind, um das gefundene Ergebnis des Gerichts zu stützen. 145
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2. Teil: Methodik der Verfassungsinterpretation
erscheint, als ob die Doktrin faktisch nur so viel und so lange Gewicht hat, als es der Richtigkeitsüberzeugung der jeweiligen Gerichtsmehrheit dienlich ist. 152 Grundsätzlich gelten die unterrangigen Gerichte in bezug auf die Urteile des Supreme Court aber auch wesentlich strenger an den Grundsatz gebunden,153 so daß die Präzedenzwirkung hier auch deutlicher zutage tritt. In engem sachlichen Zusammenhang mit diesem Prinzip steht der Grundsatz von der Einheit der Verfassungsrechtsprechung. Da der Supreme Court Gesetze weniger im kontinentaleuropäischen Sinne rational und deduktiv auslegt, sondern vielmehr in der Tradition des common laws fall- und problemorientiert und induktiv ausgerichtet ist,154 kommt dem aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannten Topos der "Einheit der Verfassung" nicht der Stellenwert zu, den er in unserem Rechtsdenken einnimmt. 155 Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Verfassungsrechtsprechung hat es aber auch der Supreme Court schon früh vermieden, die Verfassung nur als Konglomerat individueller und isolierter Bestimmungen anzusehen. 156 Auch in den USA kommt der Verfassung die Stellung eines umfassenden sinn- und ordnungsstiftenden Gebildes zu, dessen einzelne Normen im Ethos der Verfassung selbst zusammenzufinden und aus diesem als einem rationalem Ordnungskontinuum auszulegen sind. 157 Dahinter verbirgt sich das Bemühen der Rechtsprechung, im Wege einer systematisierenden und harmonisierenden Interpretation der Verfassung und vor allem der Verfassungsrechtsprechung die leitenden Gedanken der Verfassung prinzipiell festzustellen und zu ordnen. 158 In dem Sinne unterscheidet sich diese systematische Konzeption kaum von der deutschen. 151 Vgl. Dorf, in: University of Pennsylvania Law Review 142 (1994), 1997,2024 ff., der in der unzureichenden Unterscheidung dieser beiden Begriffe einen maßgeblichen Grund für die bestehende Unsicherheit der Gerichte erblickt, welche Aussagen überhaupt Präzedenzwirkung entfalten sollen. Diese Unsicherheit betrifft im übrigen nicht nur den Supreme Court selbst, sondern auch die Untergerichte, die bei der Frage der Reichweite der Bindungswirkung unterschiedlicher Auffassung sind. Siehe die Nachweise bei Dorf, in: University of Pennsylvania Law Review 142 (1994), 1997,2026. 152 Brugger, in: ZRP 1987,52,56. 153 Dorf, in: University ofPennsylvania Law Review 142 (1994),1997,2025 f., der allerdings auch aufzeigt, daß sich untere Gerichte nicht immer an diese Maßgabe halten. 154 Vgl. 1. Teil, § 1 I. 155 Brugger, Grundrechte, S. 408 f. 156 Ansatzweise findet sich der Gedanke etwa schon in Marbury v. Madison, vgl. 5 U.S. (1 Cranch) 137, 174 1803): "Es kann nicht angenommen werden, daß irgendeine Klausel der Verfassung ohne Wirkung sein soll; deshalb ist eine solche Auslegung nicht zulässig, solange sie nicht durch den Text geboten ist." 157 Brugger, Grundrechte, S. 410, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen. Siehe auch Dorf, in: The Georgetown Law Journal 85 (1997),1765, 1820: "When a constitutional provision is first enacted, it typically functions as a sort of super-statute. Situations within the core of such new provisions present the strongest cases for intentionalism. With the passage of time, an amendment becomes absorbed into the entire corpus of the Constitution." 158 Vgl. Martin v. Hunter's Lessee 14 U.S. (l Wheat.) 304, 347 f. (1816). "That motive is the importance, and even necessity of uniformity of decisions throughout the whole United
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2. Judicial self-restraint und der Grundsatz verfassungskonformer Auslegung Entscheidungen des Supreme Court, die legislative Akte für ungültig erklären, werden im Rahmen der amerikanischen Demokratiekonzeption zuweilen immer noch als "potentielle richterliche Anmaßungen" empfunden. Deshalb hat das Gericht seine Kompetenzen äußerst behutsam und auf den konkreten Fall beziehungsweise die Rechtsinteressen des Klägers bezogen auszuüben. 159 An diesen Grundsatz richterlicher Zurückhaltung hat sich das Gericht seit jeher, wenn auch nicht immer konsequent,160 gehalten. Bei Bundesgesetzen führt das Prinzip des judicial se1f-restraint dazu, daß der Supreme Court zunächst prüft, ob eine Interpretation des Gesetzes vertretbar ist, durch die die Streitfrage vermieden werden kann. 161 Nach der Vernünftigkeit oder Zweckmäßigkeit eines Gesetzes fragt auch der Supreme Court nicht, sofern sich die legislative Entscheidung nur innerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen hält. Im Zweifel wird die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vermutet. 162 Gesetze im wirtschaftlichen Bereich werden vom Supreme Court nur auf Willkür nachgeprüft; im übrigen müsse die Beseitigung einer einschränkenden Wirtschaftsgesetzgebung der demokratischen Auseinandersetzung überlassen bleiben. 163 Auch die materielle Richtigkeit von Anordnungen der Verwaltung und im Bereich der Sozialgesetzgebung wird im allgemeinen nur mit größter Zurückhaltung kontrolliert. l64 Angegriffene Gliedstaatengesetze überprüft der Supreme Court, sofern eine abschließende Entscheidung des höchsten Staatengerichts vorliegt, nur auf substantial federal questions, d. h. Verstöße gegen die Bundesverfassung oder sonstiges bindendes Bundesrecht, nicht aber Verstöße innerhalb der gliedstaatlichen Normenhierarchie. 165 Grundsätzlich nur bei Eingriffen in Grundrechte, fundamentale Rechte und Verfahrensgarantien agiert der Supreme Court verhältnismäßig aktivistisch. 166
States [ ... ]. Judges [ ... ] might differently interpret astatute, or a treaty of the United States, or even the Constitution itself. If there were no revising authority to control these jarring and discordant judgments, and harmonize them into uniformity, the laws, the treaties, and the Constitution of the United States would be different in different states, and might, perhaps, never have precisely the same construction, obligation, or efficacy, in any two states." 159 Brugger, Grundrechte, S. 16. Dies wird auch "the doctrine of strict necessity" genannt. Vgl. D'Brien, Constitutional Law and Politics, Vol. 1, S. 116: ,,[Thejustices] thereupon formulate and decide only the narrowest possible issue." 160 Vgl. Haller, in: JöR 22 (1973), 539, 561. 161 Vgl. Rescue Army v. Municipal Court, 331 U.S. 549, 569 (1947). 162 Haller, in: JöR 22 (1973), 539, 552. 163 Sog. "preferred freedoms"-Doktrin. Ehmke, in: VVDStRL 20 (1963), 53, 76 f. 164 Haller, in: JöR 22 (1973), 539, 555. 165 Brugger, Grundrechte, S. 17. 166 Haller, in: JöR 22 (1973), 539, 555 ff.; Brugger, Grundrechte, S. 16 Fn. 33.
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2. Teil: Methodik der Verfassungsinterpretation
3. Political question-Doktrin Letztlich nur ein Teilaspekt des judicial self-restraint ist die political questionDoktrin, 167 die der Supreme Court seit dem Urteil Luther v. Borden l68 aus dem Jahre 1849 anwendet. Wie bei jeder anderen gerichtlichen Doktrin wird auch der Inhalt dieses Prinzips von den Richtern selbst bestimmt. 169 Von political questions spricht man im amerikanischen Verfassungsrecht bei Situationen, in denen der Supreme Court sich weigert, einen Fall zu entscheiden, weil die Klärung der in Rede stehenden Frage einem Bereich angehöre, der qua Verfassung einem der "politischen" Gewalten zugeteilt sei, d. h. der Legislative oder der Exekutive. l7O Hier handele es sich um Streitigkeiten rein politischer Natur. Dahinter verbirgt sich der Respekt vor dem Grundsatz der Gewaltenteilung: die Einmischung in den demokratischen Prozeß soll vermieden und zugleich soll gewährleistet werden, daß der Gesetzgeber und nicht der Supreme Court Initiator politischer Reformen ist. Als politische Fragen gelten vor allem außenpolitische Entscheidungen des Kongresses oder der Regierung,171 weil diese schon wesensmäßig in die alleinige Zuständigkeit von Legislative und Exekutive gehörten. In Das Prinzip sieht vor, daß das Gericht in Prozessen, die offenkundig politische Fragen beinhalten, nur dann eine Sachentscheidung trifft, wenn es die Gegebenheiten des Sachverhalts als bindend hinnimmt. Ist die political question die einzige entscheidungserhebliche Frage, dann ist eine Entscheidung ausgeschlossen. Allerdings ist unklar, wann eine Frage überhaupt als political question eingestuft werden kann,173 was nicht zuletzt damit zu tun hat, daß Fragen des Verfassungsrechts meistens einen politischen Bezug haben. 174 Wohl deshalb mutmaßte etwa Alexis de Tocqueville schon gegen 1830, daß kaum eine ungelöste politische Frage der Vereinigten Staaten nicht früher oder später zu einer juristischen Frage werde. 175 In erster Linie ist die Doktrin wohl als Hilfsmittel des Supreme Court anzusehen, 167 Hierzu vgl. etwa Henkin, in: Yale Law Journal 85 (1976), S. 597 ff.; Ü'Brien, Constitutional Law and Politics, Vol. 1, S. 113 ff.; Strum, The Supreme Court and "Political Questions": A Study in Judicial Evasion, 1974; Loewenstein, Verfassungsrecht, S. 431 ff.; Brugger, Verfassungsrecht, S. 17 ff. 168 7 How. 1 (1849). 169 Ü'Brien, Constitutional Law and Politics, Vol. 1, S. 113. 170 Strum, The Supreme Court and "Political Questions", S. 2. 171 Zum Beispiel die Anerkennung ausländischer Staaten und Regierungen, die Bestimmung der Grenzen der amerikanischen oder der ausländischen Gebietshoheit, was unter einer republikanischen Regierungsform zu verstehen ist, die Zuerkennung des diplomatischen Status, die Bestimmung von Beginn und Dauer des Krieges im Hinblick auf die daraus resultierenden völkerrechtlichen Konsequenzen. 172 Tribe, American Constitutional Law, S. 72. 173 Heller, in: EuGRZ 1985,685,690. 174 Wie oben gezeigt, geht eine Meinungsruppe innerhalb der amerikanischen Fachliteratur ja sogar generell von dem Grundsatz "law is politics" aus. Vgl. 2. Teil, § 3 I 1. 175 Alexis de Tocqueville, Democracy in America, Vol. 1, New York 1900, S. 96 ff.
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äußerlich seine Neutralität zu wahren und "unangenehme" Fragen, deren Entscheidung die soziale Balance erschüttern könnte, bei Bedarf für nicht justiziabel zu erklären. 176 In der Praxis spielt die in der Öffentlichkeit heftig geführte Diskussion um die political question-Doktrin aber ohnehin nur eine untergeordnete Rolle, weil Fälle, in denen die Richter der Meinung sind, es werde eine politische Frage zur Entscheidung gestellt, ohne Begründung gar nicht erst angenommen werden. 177
III. Probleme der Verfassungsinterpretation und Vergleich Die Probleme der Verfassungsinterpretation in den USA unterscheiden sich nicht wesentlich von denen, auf die wir auch in Deuschland immer wieder stoßen. Auch der Supreme Court sieht sich in bezug auf seine methodische Vorgehensweise bei der Verfassungsinterpretation ständig dem Vorwurf ausgesetzt, sich bewußt über bewährte Auslegungsmaßstäbe hinwegzusetzen, beziehungsweise anerkannte, stets zu befolgende Maßstäbe noch gar nicht entwickelt zu haben. Die Verfassungsauslegung des Gerichts habe weniger gemein mit der eng am Wortlaut verhafteten Auslegungsmethode, die die angelsächsischen Gerichte bei der Interpretation des einfachen Rechts gewöhnlich einzuhalten pflegen, sondern vielmehr mit der freien rechtschöpferischen Tätigkeit der common law-Gerichte im nichtkodifizierten Bereich. I78 Auch hier wird gemutmaßt, daß dem Gericht methodische Argumente nur dazu dienten, aufgrund subjektiver Vor-Urteile getroffene Entscheidungen nachträglich zu "rationalisieren".179 Das Gericht hat sicherlich zu diesem Vorwurf beigetragen, indem es sich, wie erwähnt,180 noch nie ausführlich zu seiner methodischen Vorgehensweise äußerte und in der Regel auch nicht auf die methodologische Legitimation eines Arguments eingeht. Wie die hitzigen Diskussionen zeigen, die sich im Gefolge der Richterernennungen regelmäßig ereignen, 181 spielt in den Vereinigten Staaten zumindest unterschwellig der Vorwurf ein, daß der Prozeß der Verfassungsinterpretation durch den Supreme Court weniger durch sein methodisches Vorgehen bestimmt ist, als vielmehr durch das jeweilige politische und gesamtgesellschaftliche Bild der Richter. Strum, The Supreme Court and "Political Questions", S. 142 f. Heller, in: EuGRZ 1985,685,691. 178 Egerer, in: ZVglRWiss 88 (1989), 416, 428. 179 Pestalozza, in: Der Staat 2 (1963), 425, 431, der aus dieser Erkenntnis heraus aber anregt, vom amerikanischen Verständnis aus das "Interpretationsproblem" in Deutschland von seiner "rein methodologischen Verkleidung" zu befreien und das Vorverständnis des Auslegenden als notwendig zu legitimieren. Im Ergebnis erscheint dieser Vorschlag aber wenig praktikabel. 180 Siehe 2. Teil, § 3 I 5. 181 Siehe 2. Teil. § 3. 176 177
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2. Teil: Methodik der Verfassungsinterpretation
Entscheidende Bedeutung, so die fast einhellige Auffassung, komme den Vorverständnissen der beteiligten Richter von Demokratie, Recht, Rechtsprechung und Substanzwerten wie Freiheit und Gerechtigkeit zu, "die durch den Verfassungstext höchstens konturiert und strukturiert, nicht aber determiniert sind".182 Dadurch rückt die methodische Diskussion automatisch in den Hintergrund. Auch der traditionell hohe Stellenwert, der dem gesetzgeberischen Willen im Rahmen der Verfassungsauslegung zukommt, trägt eher zur Verkomplizierung der methodischen Diskussion bei. So stellt sich etwa bei der Suche nach dem Wortsinn neben der Frage, ob man bei dem Text an den allgemeinen Sprachgebrauch oder einen speziell juristischen anknüpft, auch das Problem, ob man darauf abstellt, was der Text zur Zeit seiner Ratifizierung bedeutete oder den Sinn, dem man ihm heute unterlegen würde. 183 Auch der Umfang der teleologischen Auslegung in den USA ist nicht genau geklärt. Sicher ist nur, daß teleologische Auslegung extensiv verstanden wird "im Sinne eines jeden übergreifenden Wert- oder Funktionsaspekts", der einem auszulegenden Rechtssatz im ganzen faktisch unterliegt oder normativ unterlegt werden sollte. 184 Dies umfaßt alle moralischen, politischen und sozialen Werturteile sowie die ethischen und auf Klugheit abstellenden Aspekte. Terminologisch ist darauf zu achten, daß die amerikanische Rechtswissenschaft gewöhnlich nicht von "teleological interpretation" spricht. Stattdessen wird diese Auslegungsmethode "value", "constitutional theory", "pragmatic", "prudential argument" oder ähnlich genannt. 185 Ungerechtfertigt ist jedoch die schlagwortartige Gegenüberstellung auch in diesem Bereich, wonach in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts "meist erschöpfend der gesamte Kanon der Auslegungsmethoden diskutiert" sein soll, während amerikanische Entscheidungen topisch vorgingen und Methoden nur kasuistisch herangezogen würden. 186 Im Gegenteil, bei genauer Betrachtung ähneln sich die Vorgehensweisen sehr. Auch das Bundesverfassungsgericht bedient sich regelmäßig der Methode, die im Einzelfall das Ergebnis am besten zu begründen vermag. Die "gewohnte klare methodologische Trennung der vier Grundtypen der Auslegung,,187 hat sich das Bundesverfassungsgericht nur zum Ziel gesetzt; in den Urteilen findet eine vollständige Subsumtion und durchgängige Methodik ebensowenig statt wie in den Vereinigten Staaten von Amerika.
182 Brugger, Grundrechte, S. 400 f. 183 Gewöhnlich wird auf beides abgestellt, vgl. Fallon, in: Harvard Law Review 100
(1987), 1189, 1198. 184 Brugger, in: JöR 42 (1994), 571, 576. 185 Vgl. Brugger, Öffentliches Recht der USA, S. 160, Fn. 22. 186 So etwa Bungert, in: AöR 117 (1992), 71, 94. 187 Bungert, in: AöR 117 (1992), 71, 89.
§ 4 Einheitliche Anwendung der Methodik
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§ 4 Einheitliche Anwendung der Methodik Im Hinblick darauf, daß der in Deutschland gebräuchliche Auslegungskanon auch in den Vereinigten Staaten durchaus bekannt ist und die eingehende Diskussion aller vier Interpretationsmethoden auch dort gefordert wird, rechtfertigt es sich, die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit in beiden Staaten mit Hilfe dieser Methodik zu untersuchen. 188 Diese Vorgehensweise verspricht nicht nur größtmögliche Objektivität bezüglich der konkreten verfassungsrechtlichen Situation in Deutschland und den USA, sondern auch bezüglich des Verfassungsvergleichs der beiden Staaten. Zwar legt das common law geprägte Rechtsverständnis der USA die Anwendung dieser Methodik auch hinsichtlich der amerikanischen Verfassung nicht unbedingt nahe. Gegen diese Bedenken spricht jedoch, daß im Rahmen dieser Methodik durchaus auch die Bedeutung der Rechtsprechung und ihrer Argumentation, mithin die Veifassungswirklichkeit der USA,189 gewürdigt werden kann. Es ist allerdings evident, daß ein Aufbau, der sich an den einzelnen Auslegungsmethoden orientiert, nicht immer konsequent eingehalten werden kann. Teleologische Argumente etwa beruhen vielfach auf historischen oder systematischen Erkenntnissen. Streitigkeiten um die Deutung historischer Fakten wiederum können teilweise nur dann überzeugend entschieden werden, indem die Unvereinbarkeit einer beteiligten Auffassung mit der eindeutigen Textaussage der Norm oder einer offenkundigen systematischen Gegebenheit aufgezeigt wird. Hier stößt die Möglichkeit der methodologischen Abgrenzung vielfach an ihre Grenzen. Dennoch soll sichtbar bleiben, auf welcher interpretatorischen Ebene eine Problematik primär angesiedelt ist und welchen Bedenken eine Erkenntnis, die durch eine Auslegungsmethode gewonnen wurde, möglicherweise durch die Anwendung einer anderen Auslegungsmethode ausgesetzt ist.
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Kritisch hierzu wohl Vögele, Menschenwürde zwischen Recht und Theologie, S. 123. Vgl. hierzu schon oben unter "Einleitung" (a.E.).
Dritter Teil
Staatskirchenrechtliche Systeme § 1 Einleitung Das staatskirchenrechtliche System, in dem die Religionsfreiheit verfassungsrechtlich abgesichert ist, ist zwar kein unmittelbarer Bestandteil der hier vorrangig zu untersuchenden "Religionsfreiheit". Das konkrete Verhältnis von Staat und Kirche ist jedoch von großer Bedeutung für die Auslegung und Anwendung der Normen, die die Religionsfreiheit garantieren. 1 Eine Freiheit kann nicht losgelöst vom institutionellen Rahmen, in den sie eingebettet ist, betrachtet werden, nicht zuletzt deshalb, weil dieser für das Ausmaß und die Grenzen religiöser Freiheit wesentlich ist. Dies gilt insbesondere für den Bereich der kollektiven Religionsfreiheit. Zudem sind die einzelnen Normen mit religiösem oder kirchlichem Bezug inhaltlich oft kaum zu trennen. So hob das Bundesverfassungsgericht zutreffend hervor, daß es Teilbereiche der Rechtsordnung gibt, die sowohl der staatskirchenrechtlichen Ordnung (Art. 140 GG) zurechenbar, als auch in ihrer funktionalen Bedeutung auf Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der kollektiven kirchlichen Bekenntnis- und Kultusfreiheit (Art. 4 GG) angelegt sind? Für das Verhältnis von Staat und Kirche entwickelte Begriffe sind objektiv in Art. 4 GG enthalten und tragen zu dessen Sinnfülle bei; sie sind zudem "unverzichtbare Interpretamenta" bei der Verwirklichung der Religionsfreiheit?
1 Forsthoff, Körperschaft, S. 111, weist zu Recht darauf hin, daß der ganze Staat seinem Wesen nach determiniert wird durch seine Stellung zur Kirche. In diesem Sinne auch List!, in: HdbStKirchR, Bd. 1,439,446. Siehe oben auch unter "Einleitung". 2 BVerfGE 42,312,322. Jetzt aber weniger differenziert in BVerfGE 102,370,387: "Die Gewährleistungen der Weimarer Kirchenartikel sind funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG)." Kritisch hierzu Mucke!, in: Stimmen der Zeit 219 (2001), 463, 473 ff.; ders. in: Jura 2001, 456,458 f. Vgl. hierzu auch 3. Teil, § 3 IV 3 c) aa). 3 Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 8.
§ 2 Typologie des Staatskirchenrechts
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§ 2 Typologie des Staatskirchenrechts Menschen, die einer Religionsgemeinschaft angehören, fühlen sich nicht nur - zumindest moralisch - ihrer Religion gegenüber verpflichtet, sondern unterstehen als Staatsbürger zugleich der Gewalt des Staates. Dies führt zu einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen Kirche und Staat, da die kirchliche Obrigkeit von Anfang an eine Macht nicht nur im spirituellen Bereich, sondern ebenso eine fundamentale lnstitution des innerweltlichen Daseins war. 4 Aus dem Grunde ist der Staat angehalten, das Verhältnis rechtlichen Rahmenbedingungen zu unterwerfen, die die beiden Tlitigkeitsbereiche voneinander abgrenzen und Rechte und Pflichten von Staat auf der einen und Religionsgemeinschaften auf der anderen Seite bestimmen. Nach von Campenhausen haben sich historisch drei Ordnungsmodelle herausgebildet, denen die einzelnen staatskirchenrechtlichen Verhältnisse in der Regel zugeordnet werden können: 5 I) Die Verbindung von Kirche und Staat. 2) Der Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche, wobei sich idealtypischerweise das Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften genauso darstellt wie das Verhältnis des Staates zu anderen in seinen Bereichen bestehenden Vereinen. 3) Die Scheidung der staatlichen und kirchlichen Bereiche unter Aufrechterhaltung des öffentlich-rechtlichen Status der Kirchen und der kirchlichen Autonomie. Zugleich räumt er aber zutreffend ein, daß eine eindeutige Zuordnung im Einzelfall nur schwer möglich sei, weil zahlreiche Übergangs- und Mischformen der Systeme entstanden seien durch "Abschwächung des einen Systems und der Übernahme einzelner Elemente aus dem anderen".6 Eine Klassifizierung staatskirchenrechtlicher Modelle erscheint angesichts der Differenziertheit der Ausgestaltungen demnach wenig ergiebig. Richtigerweise ist stets das konkrete Modell in seinen speziellen Ausprägungen zu untersuchen.
4 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I, § 23 I 1, S. 388. Dadurch entstehe eine "starke Wechselwirkung", kraft derer die Kirche in den Raum des Staates, der Staat in den Raum der Kirche fördernd, kontrollierend oder hemmend hineinwirkt. Vgl. auch Ehlers, in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, 85, 95: Da Staat und Kirche nicht nur "dieselben Menschen als Glieder" hätten, sondern diese auch ganzheitlich und nicht nur partiell ansprächen, sei eine Zusammenarbeit vonnöten. 5 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 2. In dem Sinne auch Herz/Jetzlsperger, in: Höver (Hrsg.), Religion und Menschenrechte, 73, 78. 6 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 2.
5 Fülbier
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
§ 3 Deutschland I. Wortlaut Mit Ausnahme des von Art. 4 GG erfaBten Teilaspekts der staatskirchenrechtlichen Ordnung wird das Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche, das "Statusverhältnis",7 durch Art. 140 GG geregelt, der Bezug nimmt auf einzelne Bestimmungen der Weimarer Reichverfassung, namentlich Art. 136, 137, 138, 139 und 141 WRY. Eine exponierte Stellung in dieser Normenkette nimmt Art. 137 WRV ein, dessen Abs. 1 die wohl entscheidende Bedeutung zukommt. 8 Darin wird festgelegt, daß "keine Staatskirche" bestehe. Was darunter genau zu verstehen ist, erscheint zumindest nicht offenkundig. Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist unter einer "Staatskirche" eine Kirche zu verstehen, "die mit dem Staat eng verbunden, mit Vorrechten gegenüber anderen Religionsgemeinschaften ausgestattet, aber auch staatlichen Eingriffen in das kirchliche Leben unterworfen ist".9 Wenn von "Staat" die Rede ist, dann ist damit die politische Herrschaftsform gemeint, die das Zusammenleben einer Gesellschaftsformation innerhalb der festgelegten territorialen Grenzen regelt. 10 Das Wort "Kirche" wiederum geht zurück auf das althochdeutsche Wort "kirihha" (8. Jahrhundert), das mittelhochdeutsche "kirche", das angelsächsische "kerika" beziehungsweise "kirica", auch das altenglische "cirice" (dem späteren englischen "church"), das wiederum dem spätgriechischen "kyrikon" - Gotteshaus - (4. Jahrhundert) entlehnt ist. ll Die Aufnahme des Wortes in das griechisch-lateinisch geprägte Christentum der römischen Kolonialstädte (z. B. Metz, Trier, Köln) erfolgte höchstwahrscheinlich im Rahmen der Bautätigkeit der konstantinischen Epoche. Bereits das althochdeutsche "kirihha" bezeichnete sowohl das "Gotteshaus" und die dort "versammelte Gemeinde", als auch die "geistige Kirche". 12 Das im Berliner Zentralinstitut für Sprachwissenschaften erarbeitete etymologische Wörterbuch entnimmt dem Begriff offenbar einen speziell christlichen Bezug; Kirche sei zu verstehen als "christliches Gotteshaus, Gemeinschaft gläubiger Christen gleichen Bekenntnisses".13 BVerfGE 42, 312, 322. "Die wohl wichtigste Vorschrift der in das Grundgesetz inkorporierten Weimarer Kirchenartikel". Ehlers, in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, 85, 89, der in diesem Zusammenhang von einem "Paukenschlag" spricht. 9 Klappenbach / Steinitz, Wörterbuch, Bd. 5, S. 3530; ähnlich Duden, Bd. 8, S. 3684. IO Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, M-Z, S. 1337. 11 Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 443; Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, A-L, S.656. 12 Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, A-L, S. 656. 13 Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, A-L, S. 656. Eine solche Einschränkung auf den christlichen Bereich findet sich aber etwa bei Kluge nicht, vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 443. 7
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Speziell von juristischer Seite wird in die Formulierung des Verbots der Staatskirche teilweise "eine Reihe von liberalistischen, ja anti kirchlichen Untertönen" hineingelesen, die "auf Verdrängung der großen Volkskirehen aus ihrem öffentlichen Wirkungskreis in Staat und Gesellschaft in den Raum privater Überzeugungsgemeinschaften gerichtet sind".14 Nach anderer Auffasung sollte wegen der Anknüpfung des Wortlauts an die Frankfurter Grundrechte und an die revidierte preußische Verfassung vom 31. 1. 1850 15 hier nichts grundlegend Neues geschaffen, sondern lediglich die ältere Entwicklung fortgesetzt werden. 16 Dem Wortlaut allein ist weder die eine noch die andere Ansicht zu entnehmen. Klarheit verspricht hier nur der zusätzliche Rückgriff auf die übrigen Methoden.
11. Historische Auslegung In Anknüpfung an das oben Diskutierte J7 soll sowohl der Wille des Gesetzes als auch der Wille des Gesetzgebers Eingang finden in die Interpretation der Norm. Demnach ist zum einen der Rechtsatz in seiner objektiven Geschichtlichkeit, in seiner historischen Verwurzelung, zu untersuchen, und zum anderen danach zu fragen, wie der Gesetzgeber subjektiv den auslegungsbedürftigen Begriff verstanden hat.
1. Geschichtliche Grundlagen Das Verhältnis von Staat und Kirche in der Gegenwart ist aus langer geschichtlicher Entwicklung erwachsen. 18 Die Auslegung der heutigen staatskirchenrechtlichen Bestimmungen ist ohne den Rekurs auf die historischen Wurzeln praktisch unmöglich,19 weil das heutige Modell an einen über Jahrhunderte zu verfolgenden entwicklungsgeschichtlichen Prozeß anknüpft20 und wohl nur wenige Sachgebiete des öffentlichen Rechts eine solche geschichtliche Konstanz aufweisen wie die Normen des Staatskirchenrechts. 21 Diesen Prozeß gilt es im folgenden zu skizzieren. Im Hinblick auf die heutigen Verfassungsbestimmungen des Staatskirchenrechts ist es ausreichend, dabei an die Entwicklung ab dem 19. Jahrhundert anzu14 Link, in: BayVBI. 1966,297,298. 15 Siehe unter 3. Teil, § 3 II 1 a) bb). Lilienthai, Staatsaufsicht, S. 10. Siehe 2. Teil, § 2 lid). 18 Vgl. Scheuner, in: ZevKR 7 (1959/60), 225, 231. Zu aIldem siehe auch Link, Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 2000; Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 5 ff.; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 3 ff. 19 Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 1; Link, in: BayVBI. 1966, S.297. 20 Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 6. 21 Link, in: BayVBI. 1966, S. 297. 16 17
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
knüpfen, das Deutschland die Vollendung und den Ausbau der neuen politischen Ordnungsform des Staates und zugleich das Hineinstellen dieses Staates in eine konstitutionelle Ordnung brachte. 22 a) Entwicklung im 19. Jahrhundert
Durch die zunehmende Säkularisation und die grundlegende territoriale Veränderung, die das Reich durch den Reichsdeputationshauptschluß vom 25. 2. 1803 erfahren hatte, war im Jahre 1806 das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zusammengebrochen. Dies hatte zu einer Umgestaltung des Reichs in seinem geschichtlich gewachsenen Wesenskern geführt?3 Mit dem Reichsdeputationshauptschluß wurde aber auch eine neue Phase des Verhältnisses von Staat und Kirche eingeleitet. 24 Das Reichsgesetz entzog der Vorstellung einer noch bestehenden religiös-politischen Einheitswelt endgültig den Boden, beendete das alte Reichskirchenrecht und hob fast alle geistlichen Fürstentümer auf. Die Säkularisierung des Kirchenguts wurde gestattet 25 und die letzten Reste der kirchlichen Jurisdiktionsgewalt beseitigt. Dazu setzte sich die Erkenntnis durch, daß der Staat im Hinblick auf die Gewissensfreiheit seiner Bürger grundlegende Bereiche des Rechts und der öffentlichen Vorsorge nicht mehr den großen Konfessionen überlassen kann, ohne die Anhänger kleinerer Konfessionen und die Konfessionslosen zu benachteiligen. 26 Die durch den Reichsdeputationshauptschluß geschaffene kirchenpolitische Lage wurde zunächst auf dem Wiener Kongreß (1814-1815) bestätigt. Die Tatsache, daß die Staaten überwiegend ihre konfessionelle Geschlossenheit verloren hatten, machte nun ein Mehr an paritätischer Behandlung der Religionsangehörigen notwendig, um auch den Einwohnern der neuerworbenen Gebiete den Anschluß im neuen Staatsgefüge zu ermöglichen. aa) Paulskirchenverfassung Der im Zuge des Wiener Kongresses etablierte Deutsche Bund fand bald sein Ende, weil er die bestehenden freiheitlichen Bestrebungen unterdrückte, anstatt sich für nationale Belange, die damals im Vordergrund des politischen Interesses der Öffentlichkeit standen, einzusetzen. 27 Getragen von den französischen RevoBöckenförde, in: Böckenförde (Hrsg.), Verfassungsgeschichte, S. 13. Peters, Geschichtliche Entwicklung, S. 61. 24 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I, § 23 11 3, S. 395: "große Wende im Staatskirchenrecht"; ebenso Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 23. 25 Der Untergang der geistlichen Fürstentümer und die Schaffung von drei neuen protestantischen Kurfürstentümern machte überdies dem Übergewicht der katholischen Reichsstände ein Ende. 26 Scheuner, in: ZevKR 7 (1959/60), 225, 237. 27 Peters, Geschichtliche Entwicklung, S. 65. 22 23
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lutionsunruhen im Februar 1848 28 und den kräftiger durchbrechenden nationalen Bestrebungen trat der Wunsch nach einer einheitlichen deutschen Verfassung, nach der Wiedervereinigung Deutschlands in einem Gesamtstaate, fortan immer stärker zutage. 29 Auf Drängen dieser nationalen freiheitlichen Kräfte willigten die Einzelstaaten des Deutschen Bundes schließlich ein, ein gesamtdeutsches Parlament wählen zu lassen, das in der Frankfurter Paulskirche zusammentrat und eine Verfassung ausarbeitete, die am 28. März 1849 verabschiedet wurde. Die Verfassung trat zwar nie in Kraft, hat aber noch die deutschen Verfassungen des 20. Jahrhunderts beeinflußt30 und ist daher auch für die Auslegung von Art. 137 I WRV von Bedeutung. 3l In Frankfurt wurde erstmals in der deutschen Geschichte überhaupt der Versuch gewagt, Grundrechte zu formulieren und diese als unmittelbar geltendes Recht durch Verfassungsbeschwerden vor einem Staatsgerichtshof zu schützen?2 Zugleich wurde zum ersten Mal auch offiziell die grundsätzliche Trennung von Staat und Kirche festgelegt, indem der Grundsatz verankert wurde, daß "fernerhin keine Staatskirche" bestehen solle. 33 Die Verfassungskommission hatte der Nationalversammlung zunächst einen Vorschlag zur Gewährleistung der Glaubensund Gewissensfreiheit vorgelegt, der das Prinzip der Trennung noch nicht beinhaltete. Da dies in Form von zahlreichen Anträgen und Petitionen beklagt wurde, kam es aber zur Aufnahme des Prinzips in den Entwurf?4 Interessant war dabei die Zusammenarbeit von Politikern und Klerikalen mit dem gemeinsamen Ziel einer Trennung von Staat und Kirche, wenngleich der Hintergrund der Bemühungen ein verschiedener war. Die Vertreter der Kirchen erhofften sich durch die Trennung die Loslösung der Kirche und der Schule vom Staat sowie ihre volle Unabhängigkeit von den gesetzlichen und polizeilichen Verordnungen. Die Kirche sollte zur selbständigen Macht, zum unabhängigen Staat im Staate, werden. Die Demokraten dagegen forderten die Trennung in der Absicht, den Gedanken des christlichen Müller, Schlaglichter der deutschen Geschichte, S. 156. Peters, Geschichtliche Entwicklung, S. 65. 30 Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 241. 31 "Die Bedeutung [der Frankfurter Grundrechte], auch als Vorbild für die preußische Gesetzgebung und die Gestaltung in anderen Ländern, ist höher zu veranschlagen, und ihre Fernwirkung auf die Weimarer Verfassung bezeugt die bedeutende geistige Wirkung, die von ihnen ausging." Scheuner, in: Böckenförde (Hrsg.), Verfassungsgeschichte, 319, 330. 32 Müller, Schlaglichter der deutschen Geschichte, S. 159. 33 Abschnitt VI Art. V § 147 Abs. 2: "Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche." Abgedruckt bei Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 391. 34 Zu Art. III der Verfassungskommission, der die Gewährleistung der Glaubens- und Gewissensfreiheit zum Gegenstand hatte, lagen außer dem Majoritätsgutachten fünf Anträge der Minoritäten des Verfassungsausschusses, vier Verbesserungsanträge einzelner Abgeordneter, die sich auf den gesamten Artikel bezogen, und nicht weniger als 41 Abänderungsanträge zu den einzelnen Paragraphen vor. Die meisten behandelten das Verhältnis von Staat und Kirche. Das zeigt das Interesse, das die Mitglieder des Parlaments und das Volk diesem Beratungsgegenstand widmeten. Siehe Akademischer Freibund München, Staat und Kirche, S. 4 (Vorwort). 28
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Staats, das Staatskirchentum und das Bestätigungs- und Pfarrerwahlrecht des Staats zu vernichten. 35 Die Schule sollte ausschließliche Staatseinrichtung sein. 36 Die Trennung von Staat und Kirche wurde als notwendig für Kirche und Staat, insbesondere aber für die einzelnen Bürger bezeichnet?7 Sie sollte zudem sehr weit reichen, da die Verfassung keine Auflockerung des Trennungsprinzips in anderen Bestimmungen vorsah?8 Allerdings waren die Kirchen nach wie vor den Staatsgesetzen unterworfen. Die Begriffe "Kirche" und "Religionsgesellschaft" wurden im übrigen ausdrücklich als Synonyme behandelt. 39 28 Einzelstaaten erkannten die Reichsverfassung an, aber die Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König ließ das gesamte Verfassungswerk scheitern. Der erste Versuch, ein geeintes Deutschland zu schaffen und in diesem Staatswesen auch die Rechte des Volkes fest zu verankern, war mißlungen. Die Arbeit der Paulskirchenparlamentarier war jedoch nicht vergebens, da die Grundrechte der Paulskirchenverfassung zum großen Teil in die Weimarer Verfassung aufgenommen wurden. 4o bb) Revidierte preußische Verfassung Nach dem Scheitern der Paulskirchenverfassung und den anschließenden Einheitsbemühungen Preußens ging das Schwergewicht der grundrechtlichen Entwicklung auf die Einzelstaaten über. Der mächtigste deutsche Staat, Preußen, übernahm in die oktroyierte Verfassung von 1849, noch mehr aber in die revidierte Ver35 Vgl. etwa der Abgeordnete Vogt, in: Akademischer Freibund München, Staat und Kirche, S. 62 ff., der "eine jede Kirche, ohne Ausnahme" als "Hemmschuh einer freien Entwicklung des Menschengeistes" betrachtete. 36 Akademischer Freibund München, Staat und Kirche, S. 4 (Vorwort). In den diesbezüglichen parlamentarischen Verhandlungen zu der Norm wurde offenkundig, daß sich die Abgeordneten der zukunftsweisenden Bedeutung ihres Handeins auch bewußt waren. So äußerte sich der Abgeordnete Zimmermann in einer Generaldebatte zu dem Thema: "Ich stimme für die volle Freiheit der Kirche schon darum, weil wir hier in der Paulskirche Gesetze machen nicht für den Augenblick, sondern für die Zukunft, hoffentlich auf eine lange Dauer. Wenn wir jetzt beschliessen, dass die Kirche frei sei, so beschliessen wir eben damit die Freiheit nicht sowohl der jetzigen Kirche, als der zukünftigen. Wenn wir aber jetzt noch die Kirche fest anbinden wollten an den Inspektorstab des Staates, so würde die Kirche noch lange eine gebundene bleiben [ ... ]. Akademischer Freibund München, Staat und Kirche, S. 97. 37 So etwa die Abgeordneten Biedermann und Nauwerck, in: Akademischer Freibund München, Staat und Kirche, S. 16; 84 f. 38 So forderte etwa der Abgeordnete Biedermann ausdrücklich die "völlige Trennung", vgl. Akademischer Freibund München, Staat und Kirche, S. 21. 39 Vgl. § 14 der Fassung in der ersten Lesung, in der es heißt: "Jede Religionsgesellschaft (Kirche) ordnet und verwaltet ...... Abgedruckt bei Akademischer Freibund München, Staat und Kirche, S. 5 (Vorwort). 40 Müller, Schlaglichter der deutschen Geschichte, S. 159; Winter, Staatskirchenrecht, S. 10; 23.
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fassungsurkunde vom 31. 1. 1850 wesentliche Grundzüge des kirchenpolitischen Programms von Frankfurt. 41 Art. 13 der Revidierten Verfassung verwies zunächst die Religionsgesellschaften, die keine Korporationsrechte besaßen, für deren Erwerb auf den Weg der Gesetzgebung. 42 Zur Begründung dieser Rechte war jeweils ein Individualgesetz erforderlich. Der Gesetzgeber konnte nach freiem Ermessen sowohl über die Verleihung als auch die Entziehung des Status entscheiden; ein gesetzesfestes Recht auf den einmal erreichten korporationsrechtlichen status quo gab es nicht. 43 Art. 14 der Revidierten Verfassung wiederum sollte klarstellen, daß die preußische Verfassung weder die absolute Trennung von Staat und Kirche noch die uneingeschränkte Gleichberechtigung aller religiösen Richtungen wollte; er schloß dieses "reine Trennungsprinzip" bewußt aus. 44 Anders noch als die oktroyierte Verfassung war nach dieser Vorschrift auch bei allen Staatseinrichtungen, "welche mit der Religionsausübung im Zusammenhang stehen," die christliche Religion zugrunde zu legen. Das hatte zwar "unbeschadet der im Art. 12 gewährleisteten Religionsfreiheit" zu geschehen, bedeutete aber doch, daß der Staat trotz der Gewährung der Religionsfreiheit für alle Religionsgesellschaften an der öffentlichen Bevorzugung der in den beiden Hauptkonfessionen verkörperten christlichen Religion festhielt. 45 Die Bestimmung wurde vor allem als Garantienorm für eine fortdauernde christliche Prägung von Ehe und Schule verstanden. 46 Die Forderung des kirchenpolitischen Liberalismus nach korporativer Parität der Religionsgesellschaften im staatlichen Rechtsraum wurde nicht erfüllt. Besonders die evangelische Kirche hatte die Fortdauer der landeskirchlichen Privilegien mit der Aufrechterhaltung des landesherrlichen Kirchenregiments zu bezahlen. 47 Kernstück der institutionellen Gewährleistung wurde Art. 15 der Revidierten Verfassung, der evangelischer und katholischer Kirche sowie jeder sonstigen Religionsgesellschaft das Recht zur selbständigen Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten übertrug. Die Norm schützte auch den Besitz und den Genuß der für die Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds aller Religionsgesellschaften. Wahrend aber etwa die Bischöfe für 41 Link, in: BayVBI. 1966,297,298; Erler/Kaufmann, in: Link (Hrsg.), Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, ll, 34; Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 29. 42 Unter "Korporationsrechten" waren sowohl der Rechtsstatus einer rechtsfähigen Körperschaft des Privatrechts wie auch der Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verstehen. Huber, in: Verfassungsgeschichte, Bd. III, § 7 I 1, S. 114. 43 Huber, in: Verfassungsgeschichte, Bd. III, § 7 I 1, S. 115. 44 Anschütz, Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, S. 265. 45 Jeserich/Pohl/v.Unruh, in: Link (Hrsg.), Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 49, 57; Huber, in: Verfassungsgeschichte, Bd. III, § 7 I I, S. 115. 46 Link, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte 111, S. 527, 534. 47 Link, in: BayVBI. 1966,297,298.
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die katholische Kirche imstande waren, das Recht sofort auch wahrzunehmen, blieb die evangelische Kirche Preußens wegen des fortbestehenden landesherrlichen Kirchenregiments weiterhin "der stärksten staatlichen Einwirkung unterworfen".48 Prägend für das 19. Jahrhundert waren auch zwei wesentliche Konflikte - die Kölner Wirren (1830 -1841) und der Kulturkampf (1870 - 1878) -, die die katholische Kirche mit dem preußischen Staat austrug, und aus denen sie insgesamt gestärkt hervorging. 49 Wieder einmal hatte man staatlicherseits versucht, die Aufsichtsrechte über die Kirche zu verstärken und die kirchliche Disziplinargewalt einzuengen; die Erbitterung der katholischen Bevölkerung als Reaktion darauf veranlaßte Bismarck jedoch zur Rücknahme bereits eingeleiteter diesbezüglicher Schritte, sofern die Maßnahmen nicht ausdrücklich von der Kirche toleriert wurden. 50 b) Zeit der Weimarer Republik
aa) Ende des Kaiserreichs Nach dem Zerfall des Kaiserreiches 1918 wurde das Kirchenregiment in Preußen und anderen Staaten zunächst auf die Revolutionsregierungen übergeleitet. Damit verband man die Hoffnung, die kirchliche Ordnung bei der Gleichschaltung im Sinne revolutionärer Ziele beeinflussen zu können. 51 Angesichts dieser Zielvorstellung wurden alsbald die finanziellen Grundlagen der Kirche in Frage gestellt und die Möglichkeiten des Kirchenaustritts vereinfacht. 52 Darüber hinaus versuchte man, den hergebrachten kirchlichen Einfluß, insbesondere im Bereich der Schule, zu untergraben. Erbitterte Massenproteste auf Seiten von Katholiken und Protestanten zwangen die Machthaber aber auch hier zum Einlenken und führten letztlich zum berühmten "Kulturkompromiß von Weimar".53 bb) Neugestaltung durch die Weimarer Reichsverfassung Im Bewußtsein dieser staatskirchenrechtlichen Entwicklung kam es 1919 zur Ausarbeitung der Weimarer Reichsverfassung (11. August 1919). Während die Huber, in: Verfassungsgeschichte, Bd. III, § 7 I I, S. 116. Hierzu ausführlich Jeserich/Pohl/v.Unruh, in: Link (Hrsg.), Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 49, 65 ff. 50 So etwa im Falle der Zivilehe. Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 35; Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 25. 51 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 39; in anderen Staaten gelang es den Kirchen, die vakanten Positionen durch kircheneigene Organe neu zu besetzen, vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V, § 50 11 4, S. 878. 52 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V, § 50 III 3, S. 882 ff. 53 Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 39. 48
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wesentlichen staatskirchenrechtlichen Entscheidungen seit dem Ende des alten Reichs in den einzelnen deutschen Staaten getroffen wurden, etablierte man die verfassungsrechtlichen Grundlagen des modernen Staatskirchenrechts nunmehr auf der Ebene des Gesamtreichs. Der angesprochene Kulturkompromiß kam dabei in den Kirchen- und Schulartikein der Verfassung zum Ausdruck. Die Reichsverfassung brachte dem Staat Freiheit von der Kirche und umgekehrt brachte sie den Kirchen, insbesondere der bis dahin weniger unabhängigen evangelischen Kirche, Freiheit vom Staat. Maßgeblich trug dazu bei, daß den Religionsgesellschaften nun durch Art. 137 III WRV das Selbstbestimmungsrecht in allen eigenen Angelegenheiten gewährleistet wurde und nicht nur in den rein inneren Angelegenheiten von Dogma und Liturgie, wie man dies noch von den älteren Kirchenverfassungsgarantien gewohnt war. 54 Zugleich wurde die Distanz des Staates zu den Kirchen betont, welche zusammen mit allen anderen Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften durch den nivellierenden Begriff der "Religionsgesellschaften" rechtlich gleichgestellt wurden. 55 Zwar wurde den großen Kirchen durch Art. 137 V WRV das Privileg des Status öffentlich-rechtlicher Körperschaften bewahrt. Jedoch gab Satz 2 der Norm auch allen anderen Religionsgesellschaften die Möglichkeit, diese Stellung zu erwerben, sofern sie "durch Verfassung und Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer" boten. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß "jede Körperschaft des öffentlichen Rechts als solche eine besondere Bedeutung für die Öffentlichkeit, für das staatliche und gesellschaftliche Leben besitzen muß".56 Art. 137 V WRV sollte vedeutlichen, daß die korporierten Religionsgemeinschaften in einer bestimmten, historisch besonderen Beziehung zum Staat stehen. 57 Aus historischer Sicht bezweckte die Norm jedoch lediglich die Wahrung der Vorrechte, die die Landeskirchen bislang genossen hauen. 58 Es war klar, daß der "Normalbegriff' der "Körperschaft des öffentlichen Rechts" nur für Verbände galt, die zum Staat in einem subordinationsrechtlichen Verhältnis standen. Hinsichtlich der Kirchen stand dagegen seit langem fest, daß deren Aufgaben zwar öffentliche, aber ihrer Art nach außerhalb des Staatsbereichs liegende Tätigkeiten waren. Aus diesen "festen Rechtstraditionen" schloß man, daß die Kirchen unter der Weimarer Verfassung öffentlich-rechtliche Körperschaften sui generis seien. 59 Das Verfahren des Art. 137 54 Jeserich/Pohl/v. Unruh, in: Link (Hrsg.), Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 99, 106. Siehe dazu auch Link, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte III, S. 527, 532 ff. 55 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 41. 56 So der Abgeordnete Mausbach im Plenum, in: Verhandlungen der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, Stenographische Berichte, S. 1645. 57 Muckel, in: Der Staat 1999,569,586. 58 v. Mangoldt/Klein/Starck-von Campenhausen, Art. l37 WRV Rdn. 220. Ausführlich zu der historischen Bedeutung von Art. 140 GG i.Y.m. Art. l37 V WRV siehe MuckeJ, in: Der Staat 1999,569,571 ff. 59 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. VI, § 58 II 3, S. 870.
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V WRV war als bloße Bestätigung der ohnehin schon bestehenden tatsächlichen Rechtslage aufzufassen, mithin als Anerkennungsakt, und nicht als Verleihungsakt. Von dem "Gesetz über die religiöse Kindererziehung,,60 abgesehen machte das Reich in den Jahren der Weimarer Republik infolge parteipolitischer Gegensätze nicht sehr häufig von seiner neu erlangten staatskirchenrechtlichen Gesetzgebungskompetenz Gebrauch. 61 Der Großteil staatskirchenrechtlicher Initiative und Gestaltung blieb bei den Ländern, die sowohl im Wege der Gesetzgebung als auch durch Abschluß von Konkordaten und daran orientierten Kirchenverträgen mit der evangelischen Kirche zur Entwicklung des Kirchenrechts beitrugen. Das Kirchenvertragsrecht bewirkte eine Differenzierung zwischen den großen und kleinen Religionsgemeinschaften im Sinne einer Heraushebung der großen christlichen Kirchen als "vertragsgesicherte autonome Trennungskirchen,,62 aus der Reihe der übrigen religiösen Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die als "Partner von Verfassungsrang" angesehenen christlichen Hauptkonfessionen konnten mithin auch verstärkt religiösen und sozialen Einfluß auf das Volk ausüben. 63 Im Laufe der Weimarer Zeit kam es zu einem System, das die großen Religionsgemeinschaften als gesellschaftliche Ordnungsrnächte respektierte, ohne dabei den Bürger unentrinnbaren Zwängen zu unterwerfen. 64 In Art. 137 I WRV fand nun auch die später ins Bonner Grundgesetz übernommene Bestimmung Eingang, die postulierte, daß "keine Staatskirche" bestehe. Innerhalb der Literatur besteht Streit darüber, wie diese Aussage objektiv aus ihrer historischen Verwurzelung heraus zu verstehen ist. (a) Ausschluß des Staatskirchentums im strengen Sinne
Einem Deutungsversuch zufolge ist das in der Weimarer Reichsverfassung aufgestellte Verbot der Staatskirche lediglich als Absage an eine Ordnung aufzufassen, die auf dem Gedanken der Einheit von Staat und Kirche beruht. Bei dieser auch als "Staatskirchenturn im strengen Sinne" bezeichneten denkbar engsten Verbindung ist die Kirche Teil des Staatsorganismus,65 sie wird als Staatsanstalt aufgefaßt. 66 Wie anhand der obigen Darstellung des geschichtlichen Verlaufs jedoch ersichtlich,67 wäre ein solches Verbot gegenstandslos und überflüssig gewesen, Gesetz vom 15.7.1921 (RGB!. II S. 939,1263). Das Reich hatte weitreichende kirchenpolitische Zuständigkeiten an sich gezogen (Grundsatzgesetzgebung des Art. 10 Ziff. I WRV); vor allem die Rahmengesetzgebung für das Schulwesen wurde übernommen, Art. 10 Ziff. 2 WRV. 62 Stutz, Konkordat und Codex, S. 14. 63 Heckei, in: FS für Rudolf Smend, 103, 108. 64 Link, in: FS für Thieme, 95, 108. 65 Anschütz, Verfassung, Art. 137, I. Abs. 1, S. 630. 66 Schoen, Neue Verfassungsrecht, S. 22. 67 V g!. 3. Teil, § 3 11 I. 60 61
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weil es eine tatsächliche Verschmelzung von Staat und Kirche schon lange vor Ausarbeitung der Weimarer Reichsverfassung in Deutschland nicht mehr gab. 68 In Preußen etwa hatte man diese Art von Staatskirchenturn schon durch die Verfassungen von 1848 und 1850 beseitigt. 69 Zudem war der Emanzipationsprozeß der Kirchen zu dem Zeitpunkt schon so weit fortgeschritten, daß man einen solchen Zustand auch nicht mehr befürchtete. Es liegt daher nahe, daß sich die Formulierung objektiv gegen etwas anderes richten mußte. Vermieden werden sollte jedenfalls eine bestimmte, enge Verbindung von Kirche und Staat, die entweder noch vorhanden war oder deren Wiedereinführung zumindest drohte. (b) Ausschluß des evangelischen Landeskirchentums
Eine derartige Verbindung existierte nach dem Sturz der Monarchie noch in Gestalt des landesherrlichen Kirchenregiments ("Summepiskopats") der evangelischen Landeskirche. 7o Dieses kam zwar nicht unbedingt in seiner theoretischen Ausgestaltung, wohl aber in seiner praktischen Auswirkung dem Staatskirchenturn sehr nahe. 71 Wenngleich die evangelische Landeskirche in den letzten Jahrzehnten vor der Staatsumwälzung keine Staatsanstalt mehr war, sondern eine vom Staat wesensverschiedene Körperschaft mit Rechtsfähigkeit und Selbstbestimmungsrecht, bestand doch weiterhin eine sehr "enge organische Verbindung" dergestalt, daß der Landesherr, respektive in den Hansestädten der Senat, noch Träger der Regierungsgewalt der Kirche war. Die Kirche wurde von ihnen und den untergeordneten staatlichen Behörden und staatlich ernannten Beamten verwaltet. 72 Ganz überwiegend wird die Formulierung des Art. 137 I WRVaus seiner Entstehungsgeschichte heraus mithin als Verbot der Fortführung oder Wiedereinführung eben dieses Landeskirchenturns und ähnlicher institutioneller Verbindungen aufgefaßt. 73 Damit galt es in erster Linie, jegliche Verwaltung innerkirchlicher Angelegenheiten durch Staatsorgane oder staatlich bestellte beziehungsweise besetzte Kirchenorgane zu verhindern. Rieder, Staat und Kirche, S. 20; Huber, Verfassungsgeschichte, Band VI, § 58 11 2, S. 868. Anschütz, Verfassung, Art. 137, 1. Abs. I, S. 630. 70 Vgl. dazu ausführlich Jeserich/Pohllv.Unruh, in: Link (Hrsg.), Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 99 ff. 71 Lilienthai, Staatsaufsicht, S. 11. 72 Anschütz, Verfassung, Art. 137, 1. Abs. I, S. 631 f. 73 Winter, Staatskirchenrecht, S. 102; Jeserich/Pohllv.Unruh, in: Link (Hrsg.), Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 99, 105 f.; Köttgen, in: Staat und Kirchen, 79, 80; Link, in: BayVBI. 1966, 297, 298 f.; Hesse, in: JöR N.F. 10 (1961), 3, 24; Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 22; Lilienthai, Staatsaufsicht, S. 11; Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 159; von Ähnlichem scheint auch das Bundesverfassungsgericht auszugehen, wenn es sagt, daß es Landeskirchen im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs seit dem Verbot der Staatskirche (Art. 137 I WRV) nicht mehr gibt; BVerfGE 19,206,217. 68 69
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(c) Strenge Trennung
Über die Abschaffung des Summepiskopats hinaus könnte das Verbot der Staatskirche nach Art. 137 I WRV historisch aber auch als strikte Trennung von Staat und Kirche im Sinne strenger Bereichsscheidung zu interpretieren sein. 74 Eine solche vollständige Trennung hätte jedenfalls völlige Entstaatlichung der Kirche zur Folge dergestalt, daß alle Religionsgemeinschaften ihre öffentlich-rechtlichen Befugnisse verlören und gleichrangig auf die Ebene des Privatrechts herabgedTÜckt oder dort verharren würden. 75 Der Blick auf die objektive Entstehungsgeschichte der Norm scheint diese Auslegung zuzulassen, zumal etwa bei der Ausarbeitung der Frankfurter Grundrechte, an deren Wortlaut Art. 137 I WRV anknüpft, auch Forderungen nach einer vollständigen Trennung zutage getreten waren. 76 Selbst davon ausgehend, daß durch das Verbot einer Staatskirche in erster Linie das Landeskirchentum verboten und dessen Wiedereinführung verhindert werden sollte, ist aus objektiv historischer Sicht nicht zu beurteilen, wie weit diese Trennung reichen und welche Art von Verbindung zwischen Staat und Kirche gegebenenfalls noch zulässig sein sollte. Dies gilt freilich nicht für den mehrheitlichen Willen der verfassungsgebenden Weimarer Nationalversammlung, der erst an späterer Stelle behandelt werden soll.77 (d) Ausschluß einer Staatsreligion
Einer Gegenauffassung zufolge galt das Verbot der Staatskirche nicht dem Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments, da dieser nach dem Sturz der Monarchie offenkundig gewesen sei und seine Wiederherstellung undenkbar erschien. 78 Damit der Satz in der konkreten Zeit seiner Verabschiedung nicht zur inhaltsleeren Formel verkomme, müsse sein damaliger Zweck darin gesehen werden, die rechtliche Vorherrschaft einer oder mehrerer Glaubensrichtungen zu verhindern. Gedroht habe die Erhebung einer Konfession zur "Staatsreligion",79 wie dies noch im 19. Jahrhundert bei den drei christlichen Hauptreligionen der Fall gewesen sei. so Aufgrund ihrer "besonderen Stellung zum Staate" und ihrer daraus resultierenden Bevorzugung gegenüber allen anderen Religionsgesellschaften seien namentlich 74 Diese Auslegung macht sich ausdrücklich Schoen zu eigen, vgl. Schoen, Das neue Verfassungsrecht, S. 22. 75 Jeserich/Pohllv.Unruh, in: Link (Hrsg.), Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 99, 105. 76 Siehe 3. Teil, § 3 11 I a) aa) Fn. 37. 77 Siehe hierzu die "subjektiv" historische Auslegung im 3. Teil, § 3 11 2. 78 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. VI, § 58 11 2, S. 868. 79 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. VI, § 58 11 2, S. 868 f.; die Gefahr des Konfessionsstaates spricht auch Hecket an; Heckei, in: VVDStRL 26 (1968), 5, 28. 80 Dieses Prinzip lag vor allem noch der Verfassung des Deutschen Bundes zugrunde, die für Besitz und Ausübung der bürgerlichen und politischen Rechte die Gleichstellung nur der drei großen christlichen Religionsgemeinschaften vorsah.
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die katholische und evangelische Religionsgemeinschaft als "Landeskirche" betrachtet und auch so bezeichnet worden. Sie seien die "Kirchen" im Unterschied zu den übrigen Religionsgesellschaften gewesen,81 ihre Vorzugsstellung galt es zu beseitigen. (e) Art. 1371 WRV jedenfalls als Absage an das landesherrliche Kirchenregiment
Der zuletzt dargelegten Auffassung ist zu widersprechen. Zunächst einmal bedeutete der Umsturz der Monarchie nicht automatisch den Wegfall des Landeskirchentums. 82 Landeskirchentum gab es im vorrevolutionären Deutschland nicht bloß in fast allen monarchischen Gliedstaaten, sondern auch in den drei republikanischen Gliedstaaten Hamburg, Bremen und Lübeck; theoretisch bestanden also keine Bedenken, dieses kirchenpolitische System auch für die Reichsrepublik des nachrevolutionären Deutschlands fortbestehen zu lassen. 83 Diese Art der Verbindung von Kirche und Staat hatte nach dem Sturz der Monarchie nicht ohne weiteres aufgehört zu existieren. In Preußen beispielsweise wurde sie vorübergehend in der Art beibehalten, daß die ehedem dem König zustehenden kirchenregimentlichen Rechte auf Minister evangelischen Glaubens übergingen, die von der Regierung zuvor ernannt worden waren. 84 Überdies gab es schon zum Zeitpunkt der Paulskirchenverfassung zumindest eine offizielle Gleichstellung der Begriffe "Kirche" und "Religionsgesellschaft"; rein sprachlich knüpfte man daran keine Unterschiede. Darüber hinaus erscheint die Ansicht aber nur auf den ersten Blick konträr, denn es spricht nichts dagegen, das Verbot der Staatskirche auch als endgültige Beseitigung der verbliebenen staatlichen Tendenzen zur grundsätzlich verschiedenen Behandlung von Religionsgemeinschaften zu verstehen. 85 Die eine Interpretation schließt die andere nicht aus, sie ergänzt sie. 86 Ganz abzulehnen ist die erstgenannte Ansicht, die in dem Verbot der Staatskirche die historische Absage an die Einheit von Staat und Kirche erblickt, weil genau diese Art der Verbindung - zumindest in seiner theoretischen Ausgestaltung schon bei der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung geschichtlich überholt war. Nach der Entstehungsgeschichte der Norm ist daher eine Interpretation im Sinne der Ansichten zwingend, die Art. 137 I WRV objektiv historisch entweder als Löhr, Kirchenhoheit, S. 7. Link, in: BayVBI. 1966,297,299, Fn. 12; a.A. offenbar Badura, Staatsrecht, L 41. 83 Giese, in: AöR NF 7 (1924), I, 19 ff. 84 Link, in: BayVBI. 1966,297,299, Fn. 12; Anschütz, Verfassung, Art. 137, I. Abs. I, S.632. 85 In diesem Sinne wohl auch Lilienthai, Staatsaufsicht, S. 11. 86 So auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es darauf hinweist, daß Art. 137 I WRV "auch" die Privi1egierung bestimmter Bekenntnisse untersagt; BVerfGE 19,206,216. 81
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
Bestimmung zur Abschaffung des evangelischen Landeskirchenturns oder darüber hinaus sogar als Regelung zur Einführung einer strengen Trennung auffassen. Es obliegt der Untersuchung des weiteren geschichtlichen Verlaufs und vor allem der systematischen87 und teleologischen Auslegung,88 das Trennungsverhältnis, wie es nunmehr von dem Grundgesetz geregelt wird, weiter zu konkretisieren.
c) Weiterer geschichtlicher Verlauf (1933 -1945)
Mit der Machtübernahme Hitlers und der Nationalsozialisten am 30. 1. 1933 endete die Verfassungsgeschichte der Weimarer Zeit. Die Weimarer Reichsverfassung stellte für die Nationalsozialisten die Basis und den rechtlichen Rahmen eines politischen Systems dar, das man mit aller Macht bekämpfte. 89 Dieser Einschnitt markierte nicht bloß einen Wechsel der Regierungsform und führte nicht nur zu einigen Verfassungsrevisionen, sondern zur "totalen Verfassungsvernichtung".9o Diese "Nullifizierung des Verfassungssystems trat auch unmittelbar mit dem 30. 1. 1933 ein, selbst wenn der Wortlaut der Verfassung zunächst noch unberührt schien. 91 Das Leitbild des Nationalsozialismus war ein totalitärer Führungsstaat mit einer beispiellosen Machtzusammenballung in der Hand des "Führers" und seiner Gefolgsleute. Damit waren Prinzipien wie der übergesetzliche Rang der Verfassung oder die Existenz von Grundrechten nicht zu vereinbaren. 92 Damit begann aber auch speziell für das Staatskirchenrecht in Deutschland eine neue Epoche. 93 Die praktische Außerkraftsetzung der diesbezüglichen Regelungen wurde zu einer bedeutenden Zäsur, der bisherige Entwicklungsprozeß des Verhältnisses von Staat und Kirche jäh unterbrochen. Weder die katholische noch die evangelische Kirche stand dem autoritären Regime zunächst unfreundlich gegenüber. 94 Das im Verhältnis zur katholischen Seite abgeschlossene Reichskonkordat vom 20. Juli 193395 , welches das kirchenpolitische System der Weimarer Republik weitestgehend übernahm,96 schien diese Haltung zunächst auch zu rechtfertigen. Die darauf aufbauenden Erwartungen an die neuen Herrscher wurden aber rasch Vg\. unten 3. Teil, § 3 III. Vg\. unten 3. Teil, § 3 IV. 89 Echterhölter, Das öffentliche Recht, S. 13. 90 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. VII, § 84 IV 2, S. 1266. 91 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. VII, § 84 IV 2, S. 1266. 92 Echterhölter, Das öffentliche Recht, S. 15. 93 Ausführlich hierzu Jeand'Heur I Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 34 ff. 94 Winter, Staatskirchenrecht, S. 24; Erier/Kaufmann, in: Link (Hrsg.), Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 11, 39 f. 95 Bekanntmachung über das Konkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl vom 12. 9. 1933 (RGB\. 11 S. 679). Gesetz zur Durchführung des Reichskonkordats vom 12. 9. 1933 (RGB\. I S. 625). 96 Hesse, in: JöR NF 10 (1961), 3, 7; Weber, in: FS für Rudolf Smend, 365, 366. 87 88
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enttäuscht. Die Nationalsozialisten weigerten sich nicht nur, ihren Verpflichtungen aus dem Konkordat nachzukommen, sondern versuchten schnell, die Kontrolle über das gesamte Kirchenwesen zu erlangen. Weil das Gefüge der evangelischen Kirche nicht die Festigkeit der katholischen Kirche besaß, setzte man bei ihnen als der vermeintlich schwächeren Religionsgemeinschaft an. 97 Bald richtete sich das Bemühen der Gleichschaltung und der Errichtung einer "Reichskirche" jedoch gegen die Religionsgemeinschaften insgesamt. 98 Unter den Schlagworten der "Entpolitisierung der Kirchen" und der "Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens,,99 wurde auch das Christentum durch zahlreiche Maßnahmen 100 bekämpft, an deren Ende das Ziel stand, die Kirchen von ihrem Platz im öfftlichen Leben des Volkes zu verdrängen. 101 Durch die angesprochenen Maßnahmen wurden die beiden Großkirchen unterschiedlich schwer getroffen. Der katholischen Kirche, durch viele Verfolgungen dieser Art zuvor institutionell stärker verfestigt und sicherer in der Gemeinschaft des katholischen Kirchenvolkes verankert, gelang es wesentlich besser, sich in ihrem Wesen unverändert zu halten, während die bislang eher geschützte und geförderte evangelische Kirche durch die staatlichen Repressionen schwer erschüttert wurde. 102 In der "Theologischen Erklärung von Bannen" vom 29. / 31. Mai 1934 zog sie aus den noch jungen Erfahrungen des kirchenfeindlichen Regimes die Konsequenz, jegliche Unterordnung der Kirche unter den Staat abzulehnen; nicht einmal der vermeintlich indifferente Bereich der äußeren Angelegenheiten dürfe der jeweils herrschenden Weltanschauung oder politischen Überzeugung überlassen werden. 103 Diese Erkenntnisse sowie die daraus resultierende Rückbesinnung der Kirche auf ihr eigenes Wesen förderte ein neues Selbstbewußtsein der Kirchen zutage und ließ sie gefestigt aus dem Zusammenbruch des Jahres 1945 hervorgehen. 104 Echterhölter, Das öffentliche Recht, S. 79. Schon kurz nach der "Machtübernahme" wurde etwa gegen die "Ernsten Bibelforscher" (die heutigen ,,zeugen Jehovas") mit allen polizeilichen Maßnahmen vorgegangen. In Preußen wurde sie beispielsweise mit Anordnung vorn 24. 6. 1933 verboten und aufgelöst, ihr Vermögen beschlagnahmt. Echterhölter, Das öffentliche Recht, S. 29. 99 Winter, Staatskirchenrecht, S. 24; Weber, in: FS für Rudolf Smend, 365, 370; Hesse, in: JöR NF 10, 3, 8. 100 So z. B. das Verbot der Doppelmitgliedschaft in Verbänden der Kirche einerseits und Zwangsorganisationen von Staat oder Partei andererseits, polizeiliche Zwangsauflösungen, Zerstörung der kirchlichen Finanzordnung, Betätigungsverbote, Verhinderung von Kirchenbauten, Relativierung der kirchlichen Feiertage, Abbau und Aufhebung theologischer Fakultäten, Konzessionsentziehungen sowie generell der Abbau hoheitlicher Privilegien der Kirchen. 101 Weber, in: FS für Rudolf Smend, 365, 373; 385. Weber nennt dieses Unterfangen in seinem zeitgenössischen Aufsatz aus dem Jahr 1941 bezeichnenderweise das Betreiben der "modernen Form der Trennung von Staat und Kirche." 102 Hesse, in: JöR NF 10 (1961), 3, 7; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 47. 103 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 47; Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 38. 104 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 48. 97 98
3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
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d) Schaffung des Grundgesetzes
Nach dem Ende des "Dritten Reiches" wurde das nationalsozialistische Staatskirchenrecht mit Ausnahme des Reichskonkordats von den Besatzungsmächten aufgehoben, so daß das nur überlagerte Weimarer Staatskirchenrecht zunächst nahezu vollständig wieder zur Geltung kam. 105 Dem deutschen Volk wurde von den Alliierten die Befugnis eingeräumt, eine eigene Verfassung auszuarbeiten, die am 23. Mai 1949 wegen des ihr zunächst nur zugedachten provisorischen Charakters als "Grundgesetz" in Kraft trat. Die Frage, wie man das staatskirchenrechtliche System darin zu regeln habe, wurde mit der Übernahme der relevanten Bestimmungen der Weimarer Verfassung beantwortet. I06 Auch das Verbot der Staatskirche nach Art. 137 I WRV wurde durch Art. 140 GG als Fundamentalnonn des staatskirchenrechtlichen Modells in das neue Gesetz aufgenommen und bildet seitdem die Grundlage des heutigen nonnativen Verhältnisses von Staat und Kirche. Hesse, in: JöR NF 10 (1961), 3,10. Eine Rolle spielten dabei auch die kirchenpolitischen Artikel der einzelnen Landesverfassungen, die zum Teil vor Inkrafttreten, zum Teil nach Inkrafttreten des Grundgesetzes verabschiedet wurden. Frei von wesentlichen Beschränkungen durch die Besatzungsmächte verfügten die Landesverfassungsgeber zunächst bis 1949 über einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Neuordnung des staatskirchenrechtlichen Systems. Ziel der zu schaffenden Regelungen sollte es in erster Linie sein, ein kirchenpolitisches Konzept zu entwickeln, das ein positives Zusammenwirken von Staat und Kirchen ermöglichen würde. Die Forderungen der Kirche konzentrierten sich dabei jedoch weniger auf eine wirkliche Neugestaltung des Verhältnisses, als auf Fragen des Erziehungswesens, namentlich der Existenz von Bekenntnisschulen, der Ordnung des Religionsunterrichts und der Anerkennung der Kirchen als Erziehungsträger. So kam es, daß auf landesrechtlicher Ebene gar nicht erst der Versuch der Etablierung einer neuen staatskirchlichen Ordnung unternommen wurde, sondern die Grundentscheidungen der Weimarer Reichsverfassung durchgehend in die Landesverfassungen übernommen wurden. Zu alldem Hesse, in: JöR NF 10 (1961), 3, 11. Eine wichtige normative Änderung der staatskirchenrechtlichen Lage im Vergleich zur Weimarer Zeit ergab sich jedoch auf Bundesebene im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen. Art. 10 Nr. 1 WRVerteilte dem Reich noch die Grundsatzkompetenz zum Erlaß solcher Gesetze, die die Rechte und Pflichten der Religionsgesellschaften betrafen. Eine derartige Vorschrift wurde in das Grundgesetz nicht aufgenommen, so daß sich hier eine Schwerpunktverlagerung zugunsten der Länder ergab. Zudem wurde dem Bund die Möglichkeit genommen, die Einhaltung der staatskirchenrechtlichen Normierungen des Grundgesetzes durch die Landesgesetzgeber im Wege der Bundesaufsicht zu kontrollieren. BVerfGE 6, 309, 329 f. Da aber jedenfalls die Grundlagen des staatskirchenrechtlichen Systems der Bundesrepublik verfassungsrechtlich abgesichert sind, d. h. nach wie vor Gegenstand des Bundesrechts sind, und für abweichende Regelungen in den Landesverfassungen nur begrenzt Spielraum zur Verfügung steht, ist der Einfluß des Bundes auf die Ausgestaltung des kirchenpolitischen Systems de facto nicht nennenswert verringert worden. Im Ergebnis enthalten die Bestimmungen der Landesverfassungen lediglich Ergänzungen oder Differenzierungen im Wortlaut, die die bestehende Rechtslage verdeutlichen oder näher ausführen sollen. Hesse, in: JöR NF 10 (1961), 3, 19 ff. Dies gilt, ungeachtet einiger noch zu treffender vertragskirchenrechtlicher Bestimmungen, auch für die fünf neuen Bundesländer, so daß insgesamt von einem einheitlichen deutschen Staatskirchenrecht gesprochen werden kann. Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 3. 105
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Allerdings lassen gerade die historischen Erfahrungen der Weimarer Republik und des nationalsozialistischen Regimes Zweifel daran, daß die Regelung weiter zuvörderst als Absage an das Summepiskopat zu verstehen ist, oder ob die Norm nicht vielmehr einem Bedeutungswandel unterlag. 107 Zunächst gilt festzuhalten, daß die Wiedereinführung des schon zur Zeit Weimars nicht mehr existenten Landeskirchenturns nun wirklich nicht mehr zu befürchten stand. lOS Hinzu kommt, daß die Erlebnisse der Nazi-Diktatur zu einem insgesamt gesteigerten Verständnis für den kirchlichen Auftrag geführt hatten. 109 Auch die kirchliche Organisation ging größen teils intakt aus der Katastrophe hervor, während sich die deutsche Staatlichkeit nur langsam erholte. lIo Somit wurde deutlich, daß die Erfahrungen einer totalitären Staatsgestaltung eine Anknüpfung an solche älteren Vorstellungen verwehren, die entweder von staatlicher Kirchenaufsicht ausgingen, wie noch die Praxis und die Lehre der Weimarer Zeit, oder die "die Kirchen in Distanz und Beliebigkeit nur negativ als Objekte von Schrankenund Ausgrenzungsregelungen zur Kenntnis nahmen". 11 1 Wenn nun die gleichen Bestimmungen mit dem identischen Wortlaut in das Grundgesetz übernommen wurden, dann konnte dies nur deshalb geschehen, weil die Normen Raum für eine Interpretation ließen, die genau diesen veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen - Schwächung des Staates zugunsten einer stärkeren Stellung der Kirchen - noch gerecht werden konnte. Das Verbot der Staatskirche erfüllte diese Voraussetzung. Konsequenterweise mußte dem Bedürfnis nach Berücksichtigung der neuen Verhältnisse und besonders dem Wunsch der Kirchen nach noch größerer Distanz im Sinne einer stärkeren Unabhängigkeit vom Staat im Wege der Interpretation Rechnung getragen werden. 1l2 Im Ergebnis heißt das, daß angesichts der "veränderten Lage der Dinge" die wörtlich übernommenen Sätze der Weimarer Verfassung in der grundgesetzlichen Ordnung unvermeidlich etwas anderes bedeuten als früher im Kontext der Weimarer Verfas107 Smend warf diese Problematik als erster mit der These auf: "Wenn zwei Grundgesetze dasselbe sagen, so ist es nicht dasselbe." Smend, in: ZevKR I (1951), 1,4. 108 Hesse, in: JöR N.F. 10 (1961), 3, 24. 109 Peters, in: Staat und Kirchen, 88, 96; Link, in: BayVBI. 1966,297,300. 110 Link, in: BayVBI. 1966,297,300. 111 v. Mangoldt/KJein/ Starck-von Campenhausen, Art. 140 Rdn. 9. 112 Link, in: BayVBI. 1966, 297, 300; Link will neue Sinngebungen der Weimarer Kirchenartikel wegen der "gewandelten Bewußtseinslage" nur zulassen, soweit diese im Wege juristischer Auslegungsmethoden gewonnen werden können. Allerdings geht es hier gar nicht darum, die gewandelten Verhältnisse erst festzustellen und erst dann zu überlegen, wie man diese dann nachträglich im Wege der Interpretation in die Verfassung "hineinlesen" kann. Entscheidend ist, daß die gewandelten Verhältnisse schon bei Ausarbeitung des Grundgesetzes feststanden und damit unumgänglicher Bestandteil der historischen Auslegung sind. Die historische Auslegung ergibt gerade diesen Bedeutungswandel. Die Artikel konnten nur inkorporiert werden, weil man sich bewußt gewesen ist, daß der Wortlaut auch der neuen Situation noch gerecht wird, weil er wegen seiner weiten Formulierung in diese Richtung interpretiert werden konnte, ja sogar mußte.
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sung. 113 Sowohl nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts 114 als auch der herrschenden Meinung in der Literatur l15 konnten nun keinesfalls mehr solche institutionellen und organisatorischen Verbindungen zwischen Staat und Kirche eingeführt werden, wie sie sonst nur innerhalb der Staatsverwaltung üblich sind. 116 Der Blick auf die Entstehungsgeschichte von Art. 137 I WRV erlaubt aber darüber hinausgehend auch ein Verständnis von der Norm im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche. Jegliche staatliche Einflußnahme, nicht zuletzt auch auf interne Abläufe, sollte nicht mehr erlaubt sein.
2. Wille des Verfassungsgebers
Schon im Verfassungsausschuß der Nationalversammlung zur Weimarer Reichsverfassung stellte sich in bezug auf die Ausarbeitung einer neuen staatskirchenrechtlichen Ordnung das Problem entgegengesetzter Interessenlagen der Mitglieder. Zwischen der Forderung des "Zentrums" nach möglichst weitgehender Privilegierung der christlichen Kirchen und verfassungsmäßiger Gewährleistung des bisherigen Rechtszustandes sowie der der Sozialdemokraten nach absoluter Gleichheit aller Religionsgesellschaften unter möglichst weitgehenden Ausschlusses ihres Einflusses auf das öffentliche Leben und den Staat im Sinne einer reinen und absoluten Trennung konnte nur ein Ausgleich als Lösung in Betracht kommen. 117 Es galt, sowohl die historische Entwicklung der gegenseitigen Lösung von Kirche und Staat fortzusetzen, als auch der damaligen tatsächlichen Ausgestaltung des religiösen und religionsgesellschaftlichen Lebens gerecht zu werden. 118 Im Hinblick speziell auf Art. 137 I WRV spielte sowohl die angesprochene Abschaffung des Summepiskopats als auch die Hervorhebung des Paritäts gedankens eine Rolle bei den Überlegungen der Abgeordneten. 119 Fest steht aber, daß sie eine reine laizistische Trennung unter Verbot von Rücksichtnahme, Förderung und Zusammenarbeit bewußt ablehnten,120 daß die in der Reichsverfassung beabsichtigte Trennung von Staat und Kirche "niemals eine plötzliche und absolute Zusammenhangslosigkeit beider Organismen herbeiführen sollte". 121 Smend, in: Zev KR 1 (1951), 1, 11. BVerfGE 19,206,216. 115 Hesse, in: JöR N.F. 10 (1961), 3, 24; Hesse, in: Staat und Kirchen, 121, 122. 116 Jarass/Pieroth, GG, Art 140 GG/ Art. 137 WRV, Rdn. 2. Selbst Autoren der Weimarer Zeit - wenngleich die klare Minderheit - sahen in Art. 137 I WRVein solches Verbot jeder institutionellen Verbindung von Staat und Kirche, obwohl sie mit dem Ausdruck "Staatskirche" ebenso nur die evangelischen Landeskirchen meinten, vgl. Forsthoff, Körperschaft, S.112. 117 Tillmanns, in: DÖV 1999,441,443; Rieder, Staat und Kirche, S. 11. 118 Lilienthal, Staatsaufsicht, S. 11. 119 Vgl. Löhr, Kirchenhoheit, S. 6 f. mit weiteren Nachweisen. 120 Heckei, in: VVDStRL 26 (1968), 5, 27. 113
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Entscheidend für die subjektive Methode historischer Interpretation sind vorliegend jedoch allein die Beratungen des Parlamentarischen Rats, der den Text des Grundgesetzes erarbeitete. 122 Die Inkorporation der meisten Weimarer Kirchenartikel wird vielfach als Resultat einer "Verlegenheitslage im Parlamentarischen Rat" bezeichnet; 123 Art. 140 GG sei nicht das Ergebnis einer klar bewußten staatskirchenpolitischen Entscheidung, sondern eher Verlegenheitsergebnis, nicht weit entfernt vom Typus der sogenannten Formelkompromisse. 124 Bereits die Einfügung in die Übergangs- und Schlußbestimrnungen des Gesetzes habe das Vorläufige, bewußt auf eine grundsätzliche Neuordnung Verzichtende dieser Regelung sichtbar zum Ausdruck gebracht. 125 Der Entwurf des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee, Grundlage für die Beratungen des Parlamentarischen Rates, hatte keine Bestimmungen über das Verhältnis von Staat und Kirche vorgesehen. Erst aufgrund eines Antrags der Fraktionen der eDU / esu, des Zentrums und der Deutschen Partei wurde diese Frage zum Gegenstand der Beratungen des Hauptausschusses gemacht. 126 Der Antrag hatte den folgenden Wortlaut: (1) Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Wahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlage des menschlichen Lebens anerkannt. Es besteht keine Staatskirche. (2) Die Kirchen und Religionsgesellschaften ordnen ihre Angelegenheiten selbständig aus eigenem Recht. Sie haben das Recht, ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates und der politischen Gemeinden zu verleihen und zu entziehen. (3) Kirchen und Religionsgesellschaften sowie ihre Einrichtungen behalten, ohne deshalb einer besonderen Staatsaufsicht zu unterliegen, die Rechte von Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie diese bisher besaßen. Anderen sind die gleichen Rechte auf Antrag zu verleihen, wenn sie durch die Verfassung oder die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Bei der Ausübung des ihnen eigenen Rechts, Steuern zu erheben, können Kirchen und Religionsgesellschaften sich der staatlichen Steuerlisten bedienen. (4) Das Eigentum und andere Rechte der Kirchen und Religionsgesellschaften sowie ihrer Einrichtungen an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen sowie das Recht zum Neuerwerb von Eigentum, auch von Grundbesitz, zur Erfüllung ihrer Aufgaben werden gewährleistet. (5) Die den Kirchen und Religionsgesellschaften gemäß Gesetz, Vertrag oder anderen Rechtstiteln zustehenden Leistungen des Staates, der politischen Gemeinden oder Gemeindeverbände können nur durch Vereinbarungen abgelöst werden. 121 Rieder, Staat und Kirche, S. 12 f.; Löhr, Kirchenhoheit, S. 5, jeweils mit den entsprechenden Zitaten der am Verfassungsgebungsprozeß beteiligten Abgeordneten. 122 "Weimar ist nicht Bonn." Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968), 57, 58. 123 Smend, in: ZevKR 1 (1951), 1, 10; Hesse, in: JöR N.F. 10 (1961),3, 14. 124 Smend, in: ZevKR 1 (1951), 1, 11. 125 Hesse, in: JöR N.F. 10 (1961), 3,14. 126 Hesse, in: JöR N.F. 10 (1961), 3,12.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
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(6) Die von den Kirchen und Religionsgesellschaften oder ihren Organisationen unterhaltenen Wohlfahrts- und Erziehungseinrichtungen werden als gemeinnützig im Sinne der Steuergesetzgebung anerkannt. (7) Die am 1. Januar 1945 bestehenden Verträge mit den Kirchen bleiben in Kraft, bis sie durch neue, von den Ländern abzuschließende Vereinbarungen abgelöst sind.
Die Vertreter der antragstellenden Fraktion begründeten diesen Vorschlag mit der Notwendigkeit einer einheitlichen Rahmenregelung, die das geltende Recht zum Ausdruck bringen sollte. In dem Antrag sei die folgerichtige Parallele zu Art. 4 GG zu sehen, der den Mittlern des Glaubens Anerkennung verschaffe. Insbesondere durch ihre Haltung in den letzten Jahren hätten die Kirchen es verdient, daß ihre Rechte verfassungsrechtlich verankert und geschützt würden. 127 Die inhaltliche Auseinandersetzung wich jedoch schnell der Frage, ob eine derartige Regelung überhaupt in das zu schaffende Provisorium gehöre und ob sie dann in die Regelungszuständigkeit des Bundes oder der Länder falle. Es war schließlich der Abgeordnete Heuß von der FDP, der davor warnte, einen Problemkreis von derartiger Schwierigkeit und Unübersehbarkeit ohne sorgfältige Vorbereitung neu zu regeln. Stattdessen schlug er eine grundsätzliche Fortgeltung der Weimarer Regelungen vor. 128 Überdies sah man teilweise den Antrag als mit dem geltenden Recht nicht vereinbar 129 oder als in Teilen bereits durch die Grundrechte abgedeckt an. 130 Der vorher beantragte, weitgehend von der Weimarer Konzeption abweichende Artikel wurde daraufhin im Hauptausschuß mit 11 zu 10 Stimmen abgelehnt. Hinsichtlich der Bezugnahme auf die Artikel der Weimarer Verfassung wurden vor allem gesetzestechnische Bedenken geäußert. Man diskutierte, ob man Teile einer unter Umständen nicht mehr in Kraft befindlichen Verfassung einfach durch Bezugnahme aufrechterhalten könne oder man sie nicht vielmehr im Wortlaut übernehmen müsse. l3l Der Abgeordnete Seebohm (DP) forderte eine "klare Entscheidung über das Verhältnis von Staat und Kirche". Dabei sei zu berücksichtigen, daß das staatliche Aufsichtsrecht, das "ius circa sacra", durch den Kirchenkampf eine Korrektur erfahren habe, die den Staat zur Zurückhaltung zwinge. Es dürfe nicht vergessen werden, welche Bedeutung den Kirchen für die Verteidigung der Gewissensfreiheit im Kampf gegen totalitäre Ansprüche des Staates zukomme. 132 Letztlich setzten sich diese Bedenken aber nicht durch, so daß der dann vom Abgeordneten Süsterhenn (CDU) gemachte Vorschlag, die Artikel 137, 138 Abs. 2, v. Doemming/Füsslein/Matz, in: JöR N.F. I (1951), 1,900 f. Hauptausschuß 22. Sitzung vom 8.12.1948, HA-Steno S. 255 (Abgeordneter Heuß). 129 Hauptausschuß 22. Sitzung vom 8. 12. 1948, HA-Steno S. 258 f. (Abgeordneter Höpker-AschoftJ· 130 Hauptausschuß 22. Sitzung vom 8. 12. 1948, HA-Steno S. 255 ff. (Abgeordneter Bergsträßer). 131 v. Doemming/Füsslein/Matz, in: JöR N.F. 1 (1951), 1,903 f. 132 Hauptausschuß 39. Sitzung vom 14. 1. 1949, HA-Steno S. 489 (Abgeordneter Seebohm). 127 128
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139 und 141 WRV, später auch die Art. 136 und 138 Abs. 1 WRV, aufrechtzuerhalten, in den Wortlaut des Art. 140 GG im Plenum ohne Aussprache angenommen wurde. 133 Der Komprorniß der Weimarer Reichsverfassung wurde damit zum "doppelten Kompromiß".134
3. Ergebnis Nach der historischen Auslegung wandte sich das Verbot der Staatskirche zunächst gegen die Bereichsteilung von Staat und Kirche, später speziell und "in erster Linie,,135 gegen das evangelische Landeskirchenturn, das heißt gegen die Möglichkeit des Staates, seinen Einfluß in der Kirche zumindest durch die Bekleidung der führenden Kirchenämter geltend zu machen. Die Erfahrungen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus brachten jedoch ein noch stärkeres Bedürfnis nach Trennung von Staat und Kirche zutage. Daher ist eine über das Verbot des Summepiskopats hinausgehende Auslegung angezeigt, die der veränderten Rolle der Kirchen gerecht wird. Eine solche kann nur den Inhalt einer weitergehenden Trennung mit dem Ziel weiterer Eigenständigkeit der Kirchen haben, zumindest im Umfang eines Verbots institutioneller Verbindungen, wie sie sonst nur innerhalb der Staatsverwaltung üblich sind. Mangels entsprechender inhaltlicher Diskussionen liefert der Wille der am verfassungsgebenden Verfahren beteiligten Mitglieder keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, inwieweit die wörtlich übernommenen Sätze der Weimarer Verfassung tatsächlich "unbeabsichtigt", wie oftmals behauptet,136 im Zusammenhang des Grundgesetzes etwas anderes bedeuten als vorher. In den Äußerungen der teilnehmenden Angeordneten klang jedoch das Bewußtsein um die gesteigerte soziale und gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen an, die eine veränderte Interpretation der Weimarer Normen in dem angesprochenen Sinne zumindest nahelegt.
III. Systematische Auslegung Indem man die Regelungen zum Verhältnis von Staat und Kirche über Art. 140 GG in die Übergangs- und Schluß bestimmungen des Grundgesetzes einbrachte, kam zwar das Vorläufige, bewußt auf eine grundsätzliche Neuordnung Verzichtende zum Ausdruck. Aber da das Verhältnis von Staat und Kirche nun bundeseinheitlich auf Verfassungsebene geregelt wurde, war klar, daß Art. 140 GG fortan maßgebliche Bedeutung für die Rolle von Religion und Kirche in der rechtlichen ReaHesse, in: JöR N.F. 10 (1961), 3,13. Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968), 57, 59; Mucke!, in: Tillmanns (Hrsg.), Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen, 23, 32. 135 Sachs-Ehlers, GG, Art. 140 GG/ Art. 137 WRV Rdn. 2. 136 Smend, in: ZevKR 1 (1951), 1, 11. 133
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
lität zukommen und die Weimarer Regelungen als Nonnen des Grundgesetzes die Fortentwicklung des staatskirchenrechtlichen Systems entscheidend prägen würden. 137
1. Wertung des Art. 137 V WRV Schon zur Weimarer Zeit realisierte man schnell, daß der durch Art. 137 I WRVaufgestellte Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche im Nonnengefüge der staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der Reichsverfassung wieder aufgeweicht wurde. 138 Von besonderer Relevanz war und ist dabei der bereits angesprochene Art. 137 V WRV. 139 Auf den ersten Blick erscheint es in der Tat kurios, in Abs. 1 der Nonn ein Verbot der Staatskirche auszusprechen und damit ein - im Detail wie auch immer geartetes - Trennungssystem zu etablieren, und einige Absätze weiter, Religionsgesellschaften die Möglichkeit einzuräumen, öffentlich-rechtliche Körperschaften zu werden oder, soweit sie es vorher schon waren, solche zu bleiben. 14o Dies gilt insbesondere dann, wenn man diese - wie heute üblich - als durch staatlichen Hoheitsakt geschaffene, mit Rechtsfähigkeit ausgestattete Personen verbände versteht, die unter staatlicher Aufsicht Staatsaufgaben wahrnehmen,141 denn eine Verbindung dieser Art stellt sicher eine der denkbar engsten Fonnen der Zusammenarbeit mit dem Staat dar. Sie ist überdies "eine Besonderheit des deutschen Staatskirchenrechts, die es vom Staatskirchenrecht anderer Staaten deutlich abhebt".142 a) Strenge Trennung
Zweifelhaft ist zunächst, ob sich die (nach der historischen Interpretation grundsätzlich noch zulässige) Auffassung von der strengen Trennung im Hinblick auf den systematischen Kontext von Art. 137 I WRV halten läßt. Geht man von der gerade genannten, heutigen Definition einer Körperschaft des öffentlichen Rechts aus, die die Eingliederung der Kirchen in den Staatsapparat voraussetzt, so ist diese Frage unzweifelhaft zu verneinen. Die Wahrnehmung von Staats aufgaben unter strenger staatlicher Aufsicht steht geradezu im krassen Gegensatz zu einer strengen Bereichsscheidung von Staat und Kirche. Hesse, in: JöR N.F. 10 (1961), 5, 14. Dort beispielsweise schon durch die Aufnahme der Sperrartikel bei Schule und Eigentum in Art. 173, 174 WRY. 139 Vgl. 3. Teil, § 3 II 1 b) bb). 140 Tillmanns spricht in diesem Zusammenhang nicht ganz zu Unrecht von einern "besonders delikaten" Verhältnis. Vgl. Tillmanns, in: Neumann/Tillmanns (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Probleme, 161, 189. 141 Maurer, Verwaltungsrecht, § 23 Rdn. 37. 142 Mucket, in: Der Staat 1999,569,571. 137
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Zu einem anderen Ergebnis gelangt man aber möglicherweise, wenn man den Begriff der "Körperschaft des öffentlichen Rechts" nicht im heutigen Sinne begreift, sondern ihm den Sinn unterlegt, den er zum Zeitpunkt seiner Einführung in das Gesetz besaß, das heißt das Resultat der historischen Auslegung in die Interpretation des systematischen Zusammenhangs einfließen läßt. Es wurde zuvor festgestellt, daß mit der Beibehaltung des Status allein die Wahrung der Vorrechte beabsichtigt war, die die Kirchen bereits vor Erlaß der Weimarer Reichsverfassung genossen hatten. 143 Es ging nicht darum, sie in den Staats aufbau zu integrieren und einen Teilbereich staatlicher Tätigkeit selbständig ausführen zu lassen, sondern sie den eigenen kirchlichen Bereich mit staatlicher Hilfe verwalten und regeln zu lassen. Wie Muckel überzeugend ausführt, trägt die Verfassung mit dem Körperschaftsstatus dem Umstand Rechnung, daß "von allen gesellschaftlichen Gruppen nur die Religionsgemeinschaften sich ähnlich wie der Staat an den ganzen Menschen und die ganze Gesellschaft wenden, und zwar nicht, um sie aufgrund spezieller Interessen zu beeinflussen, sondern um der rechten Ordnung willen".I44 Der kirchliche Wirkungskreis sollte dadurch kein Stück, sondern ein Gegenstück des staatlichen Wirkungskreises darstellen. 145 Zu den zu sichernden Privilegien gehörten insbesondere das kirchliche Besteuerungsrecht zur Sicherung der finanziellen Unabhängigkeit, die Diensthermfähigkeit, Organisationsgewalt, Parochialrecht und die öffentlich-rechtliche Rechtsetzungsbefugnis. 146 Damit einher geht jedoch auch ein nicht zu unterschätzender Prestigegewinn. 147 Auch diese Interpretation gerät jedoch in Widerspruch mit dem strengen Trennungssystem, weil dieses jedwede Zusammenarbeit ausschließt und nicht einmal Raum für die bloße Garantie historischer Begünstigungen zuläßt. Die Durchsetzung der strengen Trennung hätte nämlich die völlige Abschaffung der öffentlichrechtlichen Privilegierungen zur Folge. Genau das Gegenteil aber, deren Aufrechterhaltung, ist das Ergebnis der entstehungsgeschichtlichen Betrachtung von Art. 137 V WRY. Die Norm verdeutlicht somit, daß eine laizistische, vollkommene Scheidung des Staates von der Kirche nicht gemeint und gewollt sein kann. Befürworter der strengen Trennung versuchen diesen Widerspruch zwar damit zu entkräften, daß sie entweder in Abs. I oder in Abs. 5 einen bloßen Programmsatz sehen, der keine Verbindlichkeit erzeugt. 148 Dieser Ansicht ist jedoch vehement entgegenzutreten, weil sie nicht nur aus historischer Sicht auf Bedenken stößt, 149 Siehe 3. Teil, § 3 11 1 b) bb). MuckeI, in: DÖV 1995,311,313. 145 Anschütz, Verfassung, Art. 137,8. Abs. 5, S. 645; Peters, in: Staat und Kirchen, 88, 97; v. Mangoldt/KJein/Starck-von Campenhausen, Art. 137 WRV Rdn. 220. 146 Winter, Staatskirchenrecht, S. 137 ff. Ausfürlich zu diesen Begriffen auch MuckeI, in: Der Staat 1999,569,575 ff.; derselbe in: Jura 2001, 456, 457. 147 Mucke!, in: Der Staat 1999, 569, 578. 148 Schoen, Das neue Verfassungsrecht, S. 22. 149 Vgl. Link, in: BayVBI. 1966, S. 297: Gerade die Entschärfung des Art. 137 I WRV durch eine einflußreiche Meinung der staatskirchenrechtlichen Theorie von Weimar bot den 143
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
sondern auch in der Sache unzutreffend ist. Abs. 5 nur eine politische, aber keine rechtliche Bedeutung beizumessen,150 hieße, die Verfassung nicht ernst zu nehmen. 151 Auch die Einordnung von Abs. 1 als lediglich unverbindliche Richtlinie macht nur wenig Sinn, wenn man die Befolgung dieser Richtlinie durch Abs. 5 praktisch wieder unmöglich macht. 152 Vollkommen haltlos ist die These, Art. 137 V WRV sei eine verfassungswidrige Norm. 153 Im übrigen erscheint eine totale Trennung nicht nur mit Art. 137 V WRV unvereinbar. Verschränkungen zwischen Staat und Kirche sieht das Grundgesetz auch an anderer Stelle vor, z. B. bei Bekenntnisschulen, Religion als Lehrfach (Art. 7 III GG), Kirchensteuerrecht (Art. 137 VI WRV), Staatsleistungen (Art. 138 WRV) und Militärseelsorge (Art. 141 WRV). Aufgrunddessen ist ein vollständiges Trennungssystem im Sinne des neuzeitlichen Laizismus nicht mit der systematischen Auslegung zu vereinbaren.
b) Formal-organisatorische Trennung Mit einer älteren Auffassung könnte man die Körperschaftsqualität lediglich als formal-organisatorische Kennzeichnung verstehen. Diese Ansicht sieht in Art. 137 I WRV die Untersagung jeder institutionellen Verbindung von Kirche und Staat; dies bedeute jedoch nicht die völlige Entstaatlichung der Kirchen. Bei der Trennung im rein "formaljuristischen Sinne" sei vielmehr scharf zwischen "öffentlich" und "staatlich" zu trennen. Die Kirchen seien öffentlichen Charakters mit der Konsequenz, daß die kirchlichen Beamten öffentliche Beamte seien und die kirchlichen Verwaltungsstellen ihren staatsrechtlichen Behördencharakter beibehalten können. 154 Streng davon zu unterscheiden seien aber die materiellen Tatigkeiten, die jeweils völlig unabhängig voneinander durchgeführt würden. Unter Aussonderung ihres Wirkungskreises aus dem Staatszweck seien die Kirchen dem Staat angegliedert, aber nicht in ihn eingegliedert. 155 Nationalsozialisten eine formelle Handhabe, ihre Konzeption vor allem gegen die evangelischen Gemeinden rechtlich durchzusetzen. 150 Dann garantierte Abs. 5 zwar das Wirken innerhalb der vom Staat beanspruchten Souveränitätssphäre, würde aber als Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat unbrauchbar. So Rieder, Staat und Kirche, S. 16. Allerdings liegt Rieder nicht falsch, wenn er mutmaßt, daß der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften grundsätzlich von anderer Natur und Tragweite sein muß als der der übrigen Körperschaften. 151 So richtig deutend Forsthoff, Körperschaft, S. 113 f. 152 Forsthoff, Körperschaft, S. 113. 153 So Schmidt-Eichstaedt, Körperschaften, S. 108 ff., der die Bestimmung zumindest als unvereinbar mit dem Gleichheitssatz, dem Gebot religiöser Neutralität und dem Selbstbestimmungsrecht ansieht. Dabei geht er jedoch irrig davon aus, daß Art. 137 V WRV nicht verfassungskonform ausgelegt werden kann (vgl. ebenda, S. 116). 154 Forsthoff, Körperschaft, S. 114. 155 Forsthoff, Körperschaft, S. 118.
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Dieser Auffassung ist entgegenzutreten, weil sie letztlich die Befolgung der inzwischen überholten Korrelatentheorie ennöglichen soll, nach der aus dem Körperschaftsstatus zwangsläufig eine besondere und gesteigerte staatliche Rechtsaufsicht fOlgt. 156 Mit der heute wohl einhelligen Ansicht 157 ist die Unterwerfung der Kirchen unter die staatliche Aufsicht, ja sogar "ein Mindestmaß an Amtlichkeit", 158 vornehmlich mit einem systematischen Argument abzulehnen. Diese wäre nämlich unvereinbar zumindest mit dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG i.Y.m. Art. 137 III WRY.
c) System grundsätzlicher Trennung
Bislang steht fest, daß die Verfassung durch Art. 137 I WRV im Sinne der historischen Interpretation zunächst die Absage an das Summepiskopat vollzog, die Bestimmung jetzt aber als Fundamentalnonn eines Systems prinzipieller Trennung fungiert, welches mit der Bestandsgarantie des Art. 137 V WRV zugleich eine bestimmte Fonn der Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften zuläßt, ja sogar vorsieht. Am Ende der historischen Auslegung steht auch die Forderung nach einer möglichst weitgehenden Trennung von Staat und Kirche. Den Kirchen ist danach Selbständigkeit, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zuzubilligen. Diese Wertung ist zwingender Schluß der historischen Erfahrungen und prägt auch das Zusammenspiel von Art. 137 I und V WRY. Bei dieser Art von Verhältnis wird daher von einer "hinkenden",159 "abgemilderten",160 "freundlichen,,161 oder "positiven",162 auch einer Trennung von Kirche und Staat "eigener Art",163 teilweise von einer "wechselseitigen Selbständigkeit innerhalb eines Koordinatensystems"l64 oder sogar von einer "gelockerten Fortset156 Vgl. Forsthoff, Körperschaft, S. 115; auch Link, in: BayVBI. 1966, 297, 299; Erler/ Kaufmann, in: Link (Hrsg.), Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 11,38; Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 200. 157 Vgl. nur BVerfGE 18, 385, 387; 30, 415, 428; 66, 1, 19 f.; Seifert/Hömig, GG, Art. 140 Rdn. 12; v.Mangoldt/ Klein/ Starck-von Campen hausen, Art. 137 WRV Rdn. 7; Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 22; Badura, Staatsrecht, L 50; Peters, in: Staat und Kirchen, 88, 97. 158 Jarass/Pieroth, GG, Art. 140 GG/ Art. 137 WRV Rdn. 6a. 159 Stutz, Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII, S. 54, Fn. 2; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 40. 160 Kern, Staat und Kirche in der Gegenwart, S. 61. 161 Starck, in: JZ 2000, 1, 6. Diese "freundliche Trennung" grenzt Starck ab gegenüber dem System der "eher negativen Trennung" von Staat und religiösen Institutionen, zu dem er beispielsweise auch die USA zählt. Von "freundschaftlicher Trennung" sprechen Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 30. 162 Ridder, Art. Kirche und Staat, in: Staatslexikon. Bd. IV, Sp. 1028. 163 Ebers, Staat und Kirche, S. 132. 164 BVerfGE 42,312,331.
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zung der Verbindung von Staat und Kirche,,165 gesprochen. Ebenso wird in Anspielung auf die bekannten Probleme auf eine Bezeichnung ganz verzichtet. 166 All diese Bezeichnungen deuten die Gegebenheiten des staatskirchlichen Systems in Deutschland in richtiger Weise an. Es erscheint jedoch zutreffender, schon in diesem Stadium der Auslegung - vorbehaltlich des Ergebnisses teleologischer Interpretation - von einem "System grundsätzlicher Trennung" zu sprechen. 167 Dies bringt zum Ausdruck, daß das Leitbild staatskirchenrechtlicher Beziehungen eine Trennung von Staat und Kirche ist, daß von diesem Prinzip aber zumindest historisch und systematisch zu rechtfertigende Ausnahmen vorgesehen sind. Wann immer die Trennung möglich ist, das heißt ihr keine verfassungsrechtlich begründete Bedenken entgegenstehen, muß sie verwirklicht werden. Umgekehrt schlägt sich aber auch die Wertung des Art. 137 I auf die Interpretation des Begriffs der "Körperschaften des öffentlichen Rechts" nieder. Art. 137 Abs. 1 und Abs. 5 WRV bilden eine aus zwei Komponenten bestehende Einheit. Sowohl das Verbot institutioneller Verbindungen von Staat und Kirche als auch der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts können jeweils nur mit Blick auf die andere Bestimmung ausgelegt werden; sie bieten einander Interpretationsrichtlinien. 168 Keiner dieser Aspekte ist zudem "absolut"; organisatorische Trennung und unbefangene Zusammenarbeit von Staat und Kirche in körperschaftlicher Struktur stehen nach der Verfassung nebeneinander. 169 In Art. 137 I WRV zumindest vom Grundsatz her ein Trennungssystem als etabliert anzusehen, selbst eines, das gewisse Verbindungen zwischen Staat und Kirche ausnahmsweise zuläßt, hieße, im Gegenzug die historische Interpretation von Abs. 5 zu bestätigen und verbietet zugleich, den Begriff der öffentlich-rechtlichen Körperschaften in dem heute allgemein bekannten Wortsinn zu verstehen. Denn wo ein System der Trennung und darüber hinaus eine Selbstbestimmungsgarantie im Sinne des Art. 137 III WRV gegeben ist, können die Religionsgemeinschaften nicht wie alle anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften behandelt und in den Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung einbezogen werden. Weder sollen die Kirchen die Staatsverwaltung entlasten, noch nehmen sie staatliche Aufgaben wahr, noch wäre es zulässig, sie einer besonderen Staatsaufsicht zu unterstellen. Religionsgemeinschaften pflegen lediglich Gemeinschaftsinteressen im Bereich des Öffentlichen. 170 Nur soweit sie ihnen vom Staat übertragene Befugnisse wahrnehmen, z. B. bei der Verwaltung öffentlicher Friedhöfe, stellt ihre Tatigkeit eine nach allgemeinen Grundsätzen zu behandelnde öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit dar, die staatScheuner, in: ZevKR 7 (1959/60), 225, 245. Hesse, in: Staat und Kirchen, 121, 138; Weber, in: NJW 1983,2541,2554. 167 So auch Fischer, Volkskirche, S. 92, dessen Trennungsverständnis sich aber deutlich von dem hier vertretenen unterscheidet, vgl. anschließend im 3. Teil, § 3 IV 3 b). 168 Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 21. 169 Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 161; Muckei, in: Jura 2001, 456, 457. 170 Mucke\, in: DÖV 1995,311,313. 165
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licher Regelung zugänglich ist. 171 Körperschaften des öffentlichen Rechts im herkömmlichen Sinne sind die Kirchen demnach nicht, da der Zusammenhang mit der mittelbaren Staatsverwaltung konstituierendes Element des heutigen Begriffs der öffentlichen Körperschaft ist. 172 Sie sind vielmehr wirklich als Körperschaften sui generis zu betrachten. 173
2. Wertung des Art. 4 GG Besondere Beachtung bei der Untersuchung des systematischen Zusammenhangs von Art. 137 I WRV verdient Art. 4 GG. Dies vor allem deshalb, weil man durch die bloße Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel die religiöse Freiheit offenkundig als noch nicht ausreichend berücksichtigt und geschützt ansah und mit der Neueinfügung von Art. 4 GG in den exponierten Grundrechtsteil der Verfassung eine ganz bestimmte Grundaussage treffen wollte. Das Verhältnis der inkorporierten Weimarer Kirchenartikel zu den anderen Bestimmungen des Grundgesetzes ist aus dem Zusammenhang der grundgesetzlichen Ordnung selbst zu bestimmen. 174 Hier ist aber auch von Bedeutung, daß das GG nicht alle Artikel der WRV über Kirche und Staat, insbesondere nicht Art. 135 WRV, übernommen hat. 175 Diese in erster Linie historische Überlegung gewinnt hier insofern Bedeutung, als das Grundrecht der Religionsfreiheit im Vergleich zu dem nicht aufgenommenen Art. 135 WRV nicht mehr unter dem Vorbehalt der "allgemeinen Staatsgesetze" steht, was zu einer erheblichen Ausweitung des Schutzbereichs geführt hat. Damit hat auch das Verhältnis von Staat und Kirche eine breitere Fundierung als in früheren Zeiten gefunden,176 was im Ergebnis zu einer verstärkten Ausstrahlung des Grundrechts der Religionsfreiheit auf die inkorporierten Weimarer Normen führen muß. An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts, weil die Norm nicht im Komplex des Art. 140 GG zu finden ist. Getreu dem Interpretationsprinzip von der "Einheit der Verfassung,,177 als Teil des Verfahrens systematischer Interpretation ist bei der Verfassungskonkretisierung der Blick nie nur auf die einzelne Norm zu richten, sondern ist stets auf den Gesamtzusammenhang zu erstrecken, in den diese zu stellen iSt. 178 Art. 4 GG ist sachlich und inhaltlich Art. 140 GG zugeBVerfG DVBI. 1993, 1204; Badura, Staatsrecht, L 50. Hesse, in: Staat und Kirchen, 121, 123. 173 Zustimmend etwa Winter, Staatskirchenrecht, S. 136; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. VI, § 58 11 3, S. 870; Mucke), in: Jura 2001, 456. 174 "Die inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Verfassung bilden mit dem Grundgesetz ein organisches Ganzes." BVerfGE 53, 366, 400. 175 BVerfGE 19, 206, 219. 176 Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 7. m Siehe 2. Teil, § 2 11 1. 178 Müller, Methodik, S. 216. 171
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hörig. Die Normen sind zwar voneinander getrennt, bilden aber funktionell zusammen mit weiteren Normen eine aus mehreren Komponenten bestehende Einheit. 179 a) Verbot staatlicher Indifferenz
In concreto heißt das, daß die inkorporierten Normen der Weimarer Reichsverfassung mit dem neuen Staatsbild des Grundgesetzes und speziell mit Art. 4 GG in Einklang stehen müssen. Mit Art. 4 GG wurde ein historischer Prozeß abgeschlossen, der von der Religionsfreiheit als einem Recht der Fürsten und Reichsstände hin zur Religionsfreiheit als einem Recht der Individuen und Religionsgemeinschaften führte. Gerade dieses verstärkte individualistische, "personale" Gewicht der Religionsfreiheit nach Art. 4 GG hat nach Ansicht vieler zu einem gewissen "Bedeutungswandel" der kirchenpolitischen Artikel im Vergleich zu der Zeit der Weimarer Reichsverfassung geführt. 18o Geschützt werden soll das "Bedürfnis des Menschen nach weltanschaulicher Orientierung und Ausrichtung seines Lebens".181 Eine solche Grundausrichtung der Verfassung mit dem Ziel, die Entscheidung eines jeden Menschen für ein Bekenntnis in der Ordnung des öffentlichen Lebens nun auch in diesem Ausmaß bewähren und ausleben zu lassen, hindert den Staat daran, den Kirchen und Religionsgemeinschaften insgesamt indifferent oder gar ablehnend gegenüberzustehen. Das Grundgesetz erkennt die Glaubensfreiheit und Religionsausübung als wesentlichen Bestandteil personaler Freiheit an. Das schließt jegliche staatliche Gleichgültigkeit aus. Das Verbot der Staatskirche gern. Art. 140 GG/ 137 I WRVals Aufforderung an den Staat zu verstehen, religiös-weltanschauliche Tatsachen zu ignorieren, hieße, das Staatskirchenverbot des Grundgesetzes in ein Verfassungsprinzip umzudeuten, nach dem die Staatsbürger so zu behandeln wären, als hätten sie keinerlei religiöse Bindungen. Gerade das verbietet aber die Wertung des Art. 4 GG. 182 Hier droht die Etablierung einer säkularen Weltanschauung und dadurch die Verletzung der religiösen Freiheitsrechte derjenigen, die sich zum Glauben an Gott als eine transzendente Macht bekennen. 183 Daß der Staat religiöse Aktivitäten sogar aktiv fördern darf, erklärt sich beispielsweise auch aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des Religionsunterrichts als ordentlichem Lehrfach an öffentlichen Schulen, Art. 7 III GG, oder der Militärseelsorge, Art. 140 GG i.Y.m. 141 WRy' 184 Gegenteiliges 179 "Ein organisches Ganzes." BVerfGE 53, 366, 400; Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 3. 180 Smend, in: ZevKR 1 (1951), 1,4 ff.; BVerfGE 33, 23, 31; Winter, Staatskirchenrecht, S. 11; Badura, Staatsrecht, L 46. Vgl auch schon 3. Teil, § 3 11 1 d). 181 Maunz/Dürig-Herzog, GG, Art. 4 Rdn. 13. 182 Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 11. 183 BK-Obermayer, Art. 140 Rdn. 79. 184 Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 167.
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läßt sich auch dem Gebot der Neutralität,185 beziehungsweise der "friendensstiftenden Funktion der Neutralität,,186 nicht entnehmen. Diese wird auch gewahrt durch gleichmäßige Offenheit des Staates für religiösen Pluralismus. 187 Die heute wieder verstärkt geforderte radikale Trennung, nach der Glaube und Bekenntnis in einem außerstaatlichen Bereich angesiedelt werden, dem der Staat distanziert und beziehungslos gegenübersteht,188 geht fehl, weil sie genau die verfassungsrechtlich abgesicherte Bedeutung religiösen und kirchlichen Lebens als Aktualisierung personaler Freiheit für den Einzelnen verkennt. Wird die Religionsfreiheit zu Unrecht auf das Gebot religiöser Indifferenz des Staates verkürzt, dann droht sie, in ihr Gegenteil verkehrt zu werden, nämlich daß der Staat auf bestimmte religiöse und weltanschauliche Inhalte festgelegt werden sol1. 189 Umgekehrt wird gerade dieser Vorwurf der religiösen Festlegung auch von denjenigen erhoben, die sich für eine strenge Trennung aussprechen. ledwedes Festlegen des Staates auf einen materiellen Gehalt führe dazu, daß der Bürger in genau diesem Bereich seine Wahlmöglichkeit verliere, da sich Identifikation des Staates als gleichbedeutend mit Unfreiheit auf Seiten des Bürgers erweise. 190 Dem ist jedoch insofern zu widersprechen, als der Wertung von Art. 4 GG lediglich ein grundsätzliches Bekenntnis des Staates zu einer von religiösen Werten geprägten Gesellschaft und zum Schutz religiöser Freiheit zu entnehmen ist, jedoch keine Identifikation mit einer einzelnen Konfession oder Glaubensrichtung. Eine solches Bekenntnis verleiht eine geistige Substanz, die verhindert, daß der Staat "zum inhumanen Zerrbild einer Friendensordnung" entartet. 191 Folglich darf die Inhaltsbestimmung des Trennungsprinzips auch nicht nur "negativ" erfolgen, etwa im Geiste einer laizistischen Staatsideologie, die im Sinne der Behauptung "Religion ist Privatsache" darauf bedacht wäre, alles Religiöse aus der Ordnung und Verwaltung der Institutionen und Sachbereiche des staatlich geordneten Kultur-, Erziehungs- und Soziallebens herauszuhalten. 192 Vielmehr ist auch der Religionsfreiheit in ihrer "positiven" Form Geltung zu verschaffen. Dies setzt eine freiheitlich offene staatliche Haltung und eine freiheitliche Ordnung der InstiHierzu 3. Teil, § 3 III 2 b). Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 167. 187 Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 167. 188 Fischer, Volkskirche, S. 90 ff.; wohl auch Krüger, in: DÖV 1961,721,727. 189 Hesse, in: ZevKR 11 (1964/65),337,355. 190 Krüger, Staatslehre, S. 181. 191 BK-Obermayer, Art. 140 Rdn. 81. Zustimmend auch Walter, in: Grote/Marauhn, Religionsfreiheit, 215, 217, der zutreffend darauf hinweist, daß die Vertreter einer strengen Trennungsideologie die Religionsfreiheit "heranziehen", um die staatskirchenrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung "grundsätzlich in Frage zu stellen." 192 Vgl. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 112; 115: "Die strikte Bereichsscheidung verfehlt die freiheitlichen Gehalte der staatskirchenrechtlichen Normierungen des Grundgesetzes, indem sie die Kirchen verfassungsrechtlich ins private religiöse Abseits von der Gesellschaft drängt." 185
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tutionen voraus, auf die der Einzelne angewiesen ist und in denen er sein soziales Wesen lebt. Nicht zuletzt deshalb bezeichnet man das Trennungssystem des Art. 140 GG auch als "institutionellen Sicherungsring" der Religionsfreiheit. 193 Es bleibt mithin festzuhalten, daß durch die qualitative Akzentverscheibung religionsfreiheitlicher Gewährleistungen unter dem Grundgesetz im Verhältnis zur Weimarer Zeit weder einseitig die Begrenzung staatlicher Machtfülle noch ein strenges Trennungssystem gemeint ist. Vielmehr legt Art. 140 GG der Rechtsordnung die Verpflichtung auf, den Bürgern die Möglichkeit zu erhalten, ihren religiös-weltanschaulichen Überzeugungen im öffentlichen Leben soweit wie möglich Geltung zu verschaffen. 194
b) Grundsätze der Neutralität und der Parität Dieses Prinzip erfährt zusätzliche Konkretisierung, wenn man über Art. 140 i.Y.m. Art. 4 GG hinausblickt und die Wertung weiterer Normen einfließen läßt. Eine ganze Reihe verfassungsrechtlicher Normen statuiert das Recht auf gleiche Behandlung ungeachtet des religiösen Bekenntnisses. Dadurch ist die staatliche Bevorzugung einer einzelnen Religionsgemeinschaft oder deren Angehöriger ausgeschlossen. Jede Privilegierung ist verwehrt, die zu einer im einzelnen ungleichen Behandlung gegenüber den Nichtbekennenden oder Angehörigen anderer Konfessionen führen würde. 195 Der Staat hat sich in weltanschaulichen Fragen des Urteils und der Parteinahme zu enthalten. 196 Diese Notwendigkeit ergibt sich bereits aus dem Umstand, daß es auch dem sich dem staatlichen Gewaltmonopol unterwerfenden Atheisten und Nichtchristen möglich sein muß, sich mit "seinem" Staat zu identifizieren. Dies setzt jedoch voraus, daß sich der Staat seinerseits nicht mit einer bestimmten Konfession oder Glaubenslehre identifiziert. 197 Säkulare Gleichheit dient hier der Pflege der Verschiedenheit der Religionen. 198 Innerhalb des Systems grundsätzlicher Trennung besteht somit konkret nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 I, Art. 136 I und IV WRV sowie aus Art. 3 III 1, Art. 4 I und Art. 33 III die Verpflichtung des säkularen Staates zur religiös-weltanschaulichen Neutralität und zur Gleichbehandlung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (Parität).199 Teilweise wird dies unter Verweis auf die histori193
Hecke!, in: VVDStRL 26 (1968), 5, 29.
194 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 422. 195 Schmidt-Eichstaedt, Körperschaften, S. 108, 116; Hesse, in: ZevKR 11 (1964/65), 337,354. 196 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 422. 197 leand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 50. 198 Hecke!, in: VVDStRL 59 (2000), 303, 307 ("Rechtsgleichheit differenziert!") 199 BVerfGE 19, 206,216; 30, 415, 422; Seifert/Hömig, GG, Art. 140 Rdn. 5; Winter, Staatskirchenrecht, S. 51 f.; 59 ff.
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sche Tradition schon Art. 137 I WRV entnommen,200 richtigerweise ist das Prinzip jedoch ein Ergebnis der Zusammenschau der oben genannten Normen. Die religiöse Neutralität des Staates ist jedoch nicht als ein starres Prinzip, als Verpflichtung zu absolut schematischer Parität aufzufassen. Vielmehr ist eine Ungleichbehandlung in diesem Bereich genau wie jede andere Ungleichbehandlung, die sich am grundgesetzlichen Gleichheitsmaßstab messen läßt, insofern zulässig, als dafür ein sachlicher Differenzierungsgrund gegeben iSt. 201 Was dafür in Betracht kommt, ist jedoch erst an späterer Stelle zu erörtern?02
3. Ergebnis Nach historischer und systematischer Auslegung konnte das staatskirchenrechtliche System in Deutschland bislang als ein System konkretisiert werden, daß im ersten Interpretationsschritt Kirchen und Staat so weit wie möglich voneinander trennt und im zweiten Schritt durch die Aufnahme geschichtlich bewährter Strukturen in Art. 137 Abs. 5 WRVeine Grenze erfahrt:. Sowohl ein strenges Trennungssystem als auch die staatliche Aufsicht über die Religionsgemeinschaften ist abzulehnen. Vielmehr ist von einem System grundsätzlicher Trennung auszugehen, welches von den Grundsätzen der konfessionellen Neutralität und Parität gekennzeichnet ist und verbietet, daß der Staat den Religionsgemeinschaften indifferent oder gar ablehnend gegenübersteht.
IV. Teleologische Auslegung Mit der teleologischen Methode sollen nun die "letzten maßgeblichen Wert- und Zweckprinzipien der Vorschrift,,203 aufzudecken versucht werden. Erforscht wird die ratio legis, das telos der Vorschrift.
1. Bezweckte Trennung durch historisch bedingten Klimawechsel im Rechtsbewußtsein Der Sinn des Trennungsgebotes ergibt sich aus der historischen Erfahrung und dem Systemzusammenhang des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 I WRY. Nach der Weimarer Zeit und den Erschütterungen des Nationalsozialismus trat ein neues Verständnis von Sinn und Aufgabe der kirchenpolitischen VerfassungsBadura, Staatsrecht, L 44. Vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rdn. 15 f.; von Campenhausen, Staatskichenrecht, S. 422; MuckeI, in: Jura 2001, 456 f. 202 Siehe 3. Teil, § 3 IV. 203 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 4 III 1. 200 201
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artikel zutage. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung hatte man sich zuvor noch überwiegend auf das Abwehr- und Schrankendenken, das Verständnis der Kirchen- und Religionsfreiheit als bloßer Ausgrenzungsfreiheit sowie auf verschiedene Organisationsprobleme konzentriert,z04 Das entsprach der "inneren Fremdheit und Unbeteiligt seins am Leben und Wirken des Partners" in der Weimarer Situation, aber nicht mehr der "neuen Nähe von Staat und Kirche" zum Zeitpunkt der Verfassungsentstehung. 205 Diese "neue Nähe" von Staat und Religionsgemeinschaften als Folgerung aus der Bewährung der Kirche im Kirchenkampf führte zu einem Klimawechsel im allgemeinen Rechtsbewußtsein. Man war sich fortan bewußt darüber, daß den Religionsgemeinschaften Unabhängigkeit und Eigenständigkeit einzuräumen ist, indem ihnen ein Feld freien Wirkens eröffnet und die kirchlichen Berufsaufgaben rechtlich abgesichert werden müssen. Um das zu erreichen, mußten die staatskirchenrechtlichen Artikel des Grundgesetzes verhindern, daß es zu einem System der gegenseitigen Abhängigkeiten von Staat und Kirche kommt. Das von der Verfassung selbst als positiv bewertete öffentliche Wirken der Kirchen mußte durch Anerkennung eines öffentlichen Gesamtstatus geschützt werden, der der tatsächlichen Bedeutung der Kirchen für das soziale Leben und für den Staat selbst entsprach. 206 Dies konnte nur mit einer grundsätzlichen Trennung der Institutionen vollzogen werden. In grundsätzlicher Trennung von der staatlichen Tätigkeit bezwecken die Kirchenartikel daher die Ordnung jener Lebensverhältnisse und Lebensbereiche, in denen die Kirchen ihre Aufgabe erfüllen. Indem sie die Erfüllung des kirchlichen Auftrags als öffentliches, die Gesellschaft als Ganzes betreffendes Wirken anerkennen und als einen solchen öffentlichen Dienst - und nicht als private Missionstätigkeit - auch achten und schützen,207 gestehen sie den Kirchen gleichzeitig einen durch diese Aufgaben bestimmten sachlichen Gesamtstatus zu, der ausreichend Raum für die freie Entfaltung kirchlicher Aktivität sicherstellt. Im selben Zug kommt dadurch die Verantwortung des Staates für eine sachlich begründete Gesamtordnung zum Ausdruck. 208
2. Bezweckte Trennung als Freiheitsgarantie durch Einfluß der Systematik Als Mittel zur Freiheit ist die Trennung aber auch in den vielfältigen Zusammenhang der personalen wie der institutionellen Freiheitsgarantien der Verfassung einzuordnen. Sie soll als "Norm der Emanzipation" den Einzelnen schützen vor 204 Vgl. etwa Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 319 ff.; Anschütz, Verfassung, Art. 135, 1 ff., S. 618 ff. In diesem Sinne auch Hecke!, in: VVDStRL 26 (1968), 5, 22. 205 Vgl. dazu Hesse, in: JöR NF 10 (1961), 5, 23. 206 Smend, in: ZevKR 2 (1952/53), 374, 376; Peters, in: VVDStRL 11 (1954), 177, 187; Link, in: BayVBI. 1966,297,301; Hesse, in: JöRNF 10 (1961), 3, 25 207 Link, in: BayVBI. 1966,297,301. 208 Hesse, in: JöR NF 10 (1961),3,23.
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einer konfessionellen Nötigung des Konfessionsstaates und der Staatskirche, den Staat vor der kirchlichen Gewalt und die Kirche vor dem Staatsdiktat des absoluten Staatskirchenturns. 209 Die Trennung dient daher gleichermaßen Staat, Kirche und den einzelnen Bürgern als Freiheitsgarantie. Mitentscheidende Bedeutung kommt dabei dem Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 III WRV zu. Aber auch die Übernahme des kirchlichen Besteuerungsrechts, Art. 137 VI WRV, die Garantie der Staatsleistungen, Art. 138 I WRV, und der des Kirchengutes, Art. 138 11 WRV, als unerläßliche Vervollständigung des kirchlichen Selbstbstimmungsrechts nach der Seite des materiellen Substrates hin sind für die Selbständigkeit und den öffentlichen Status der Kirchen unabdingbar. Denn erst durch die materielle Sicherstellung der Kirchen wird die Freiheit der Kirchen zur vollen Freiheit. 2IO
3. Telos des Art. 137 V WRVais Auflockerung des Trennungsprinzips Auch im Rahmen der teleologischen Auslegung ist jedoch die Frage aufzuwerfen, ob die Verfassung in dem Bemühen, diesen Erfordernissen nachzukommen, nicht vielmehr beabsichtigt, durch Art. 137 I WRVeine strenge Trennung herbeizuführen. In diesem Rahmen ist der Zweck des Art. 137 V WRVergänzend zu berücksichtigen, der nach dem Stand der bisherigen Interpretation einer solchen strengen Trennung entgegensteht.
a) Herrschende Ansicht Nach herrschender Auffassung in Literatur und Rechtssprechung wollte weder die Weimarer Reichsverfassung 211 noch das Grundgesetz die vielgestaltigen, aus langer Tradition erwachsenen Verbindungen mit einem Schlage zerreißen. Die bewußte Aufnahme der Bestimmung in das Grundgesetz belege vielmehr, daß Art. 137 V WRV nun nicht mehr nur "Liquidationsrest vergangenen Staatskirchenturns" oder bloßer Sammelbegriff für historisch zufällig überkommene Rechte und Privilegien sei?I2 Die Organisationsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts werde den Kirchen durch das Staatskirchenrecht zuerkannt, um ihre herausragende öffentliche Bedeutung und Wirksamkeit zu kennzeichnen und die Kirchen organisatorisch vom privatrechtlichen Vereinsrecht abzuheben. Der Staat erkenne eine Religionsgemeinschaft als Integrationskraft an und hebe sie auf die Ebene des öffentlichen Rechts, wenn sie den Bereich des Partikularen überschreite, ihr eine das Gesellschaftsganze umgreifende Bedeutung zukomme und darüber hinaus der 209 210 211 212
Heckei, in: VVDStRL 26 (1968), 3, 28. Heckei, in: FS für Smend, 103, 105. Forsthoff, Öffentliche Körperschaft, S. 113. Smend, in: ZevKR 2 (1952/53), 374, 376.
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Staat aufgrund einer "vorkonstitutionelJ" getroffenen Wertung diese Wirksamkeit als förderlich für den Bestand des politischen Gemeinwesens insgesamt befände?13 Deswegen sei Art. 137 V WRVauch "Ausdruck der Religionsoffenheit und positiven Religionsfreundlichkeit des Staates"?14 Eine Aufweichung des strengen Trennungsgrundsatzes bezwecke die Norm aber nur bei solchen Religionsgemeinschaften, die durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer böten, d. h. die ihre Bedeutung für die Gesellschaft und demgemäß auch für die staatliche Rechtsordnung schon ausreichend nachgewiesen haben. 215 Diese dürften Privilegien in Anspruch nehmen, die der Erfüllung ihres Auftrags dienlich seien. Eine Einordnung der Kirchen in den organisatorischen Bereich des Staates oder der Exekutive werde damit nicht ausgedrückt. 216
b) Gegenauffasung Diese Auffassung stößt jedoch auf scharfe Kritik. Die öffentlich-rechtliche Stellung der Kirche wird von namhafter Seite als "die Crux der staatskirchenrechtlichen Problematik der Gegenwart" bezeichnet. 217 Dabei werden die Legitimierung dieses Status und die daraus resultierenden Privilegien, insbesondere des kirchlichen Besteuerungsrechts, angezweifelt. So wird geäußert, daß der besondere Auftrag der Kirche - Grundlage der Gewährleistung ihrer Freiheit - diesen Status nicht fordere; dieser könne sich sogar als Hemmnis erweisen. Auch die tatsächliche Bedeutung der Kirche für den Gesamtzusammenhang der öffentlichen Ordnung hänge - wie das Beispiel der Kirche in den Vereinigten Staaten zeige - nicht von ihrer Körperschaftsqualität ab, um so weniger, als der Bereich sachlicher Öffentlichkeit sich längst nicht mehr mit dem des staatlichen öffentlichen Rechts decke. Wenn daher ein notwendiger Zusammenhang zwischen Öffentlichkeitsauftrag, öffentlicher Bedeutung und öffentlich-rechtlicher Stellung der Kirche nicht bestehe, bleibe nur die historische Rechtfertigung. Die sei im modernen Staat aber fragwürdig, weil in ihm jedes historische Recht, das sich nicht mehr zu legitimieren vermag, verjähre. Aus diesen Gründen dürfe sich eine Kirche nicht weiter auf ihre Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts verlassen, sondern müsse sich in "das offene Feld freier Selbstbehauptung" hinauswagen. 218 Nach dieser Ansicht ergibt sich durch das Telos des Art. 137 V WRV keine Einschränkung für das Trennungsgebot des Art. 137 I WRY. Teilweise wird den Kirchen in diesem Zusammenhang schlicht die Möglichkeit abgesprochen, sich auf den öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus zu berufen, weil die Voraussetzungen dafür entfallen 213 214 215 216 217 218
Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 23. Morlok/Heinig, in: NVwZ 1999,697,702. BVerfGE 66,1,20. BVerfGE 30, 415, 428; Badura, Staatsrecht, L 50. Hesse, in: ZevKR 11 (1964/65),337,357. Hesse, in: ZevKR 11 (1964/65),337,359.
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seien,219 teilweise wird Art. 137 V WRVund der darin verbürgte Körperschaftsstatus auf eine bloße "singuläre Besonderheit,,220 herabgestuft. Als "prinzipienwidriges Verfassungsrecht" beziehungsweise "legaler Verfassungswiderspruch,,221 zu den konstitutionellen Grundgedanken des Art. 4 GG müsse die Norm entweder im Wege der Revision oder der Interpretation "verändert" werden. 222 Die Kritik ist nicht neu, wird jedoch immer häufiger geäußert?23 Insbesondere Fische?24 tritt vehement für eine Beseitigung der seiner Meinung nach auch durch ihren Charakter als öffentlich-rechtliche Körperschaft aufrechterhaltenen Sonderstellung der beiden Großkirchen ein. Auch er bezeichnet sein Auslegungsergebnis der staatskirchlichen Verfassungsbestimmungen als "grundsätzliche Trennung von Staat und Kirche", tritt de facto aber für eine strenge Trennung von Staat und Kirche ein, wenn er die Verpflichtung des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität als "Gebot der Indifferenz" interpretiert. 225 Die Kirche habe sich allein in einem zwar immer noch öffentlichen gesellschaftlichen Freiheitsraum zu bewegen, der aber klar und deutlich vom staatlichen Bereich abzugrenzen und zu unterscheiden sei. 226 Dies gelte für alle Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften unbeschadet ihrer Rechtsform. 227 Daher hätten sich die beiden Großkirchen aus der Zusammenarbeit mit dem Staat zurückzuziehen, etwa im Bereich des Religionsunterrichts, der Theologischen Fakultäten sowie die Aufgabe der Privilegien wie Körperschaftssatus und Kirchensteuer. 228 Zur Begründung führt er vor allem den schwindenden Einfluß der beiden Großkirchen an. Es finde ein Prozeß der "Entchristlichung" in der Gesellschaft statt, der sich deutlich in den steigenden Kirchenaustrittszahlen äußere; weder gebe es noch "den seit Jahrzehnten zitierten 95-Prozent-Anteil an der Gesamtbevölkerung" noch die "Mehrheit der praktizierenden Kirchenmitglieder".229 Ohne aktive Teilnahme der meisten Hesse, in: ZevKR 11 (1964/65),337,360 f. Renck, in: BayVBI. 1999,70,73. 221 Renck, in: BayVBI. 1999,70,74. 222 Renck, in: BayVBI. 1999,70,77. 223 Zuletzt von Sailer, in: ZRP 1999,455 ff., und Renck, in: BayVBI. 1999,70,76. Sailer fonnuliert scharf, daß eine staatlich geförderte Großkirehe aus zwei Konfessionen entstanden sei, deren vielfältige Privilegien darauf angelegt seien, "politische Vorherrschaft in Sachen Religion und Weltanschauuung zu stabilisieren". Er sieht gar ein Wiederaufkeimen des "alten Inquisitionsgeists" der Großkirehen, ZRP 1999,455,457. 224 Fischer, Volkskirehe, S. 83 ff. 225 Fischer, Volkskirehe, S. 94 ff. 226 Fischer, Volkskirehe, S. 98. 227 Fischer, Volkskirehe, S. 99. 228 Zumindest ist dies die Konsequenz seiner Ansicht. Nach der derzeitigen, durch das Grundgesetz geschaffenen Rechtslage gilt für ihn "nur" das Verbot weltanschaulicher-religiöser Neutralität des Staates sowie die ausdrücklich erwähnten "Ausnahmen" des Grundgesetzes. Diese Ausnahmen empfindet er aber als systemwidrig und fordert daher die entsprechenden verfassungsrechtlichen Änderungen. Vgl. Fischer, Volkskirehe, S. 24; 175. 229 So noch ausdrücklich in BVerfGE 19, 1, 10. 219 220
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Kirchenmitglieder degeneriere die Kirche zu einer sozialen Anstalt ohne spezifisch religiösen Bezug. 23o Schlaich scheint ihm im Grundsatz beizupflichten, wenn er behauptet, daß sich Kirchensteuer, Religionsunterricht und staatliche Subventionen nicht mehr legitimieren lassen, wenn sich die Bürger durch Aufgabe ihrer Mitgliedschaft und Aktivität nicht mehr zu den Kirchen bekennen. 231 Daher sei die "Volkskirche" schon längst in Auflösung begriffen. 232 Die Situation der Großkirchen selbst in den traditionell christlich geprägten Ländern gleiche mittlerweile der einer Diaspora. Am Ende davon mag bestenfalls noch "eine glanzvolle Fassade" stehen, hinter der sich "ein öde gewordenes Haus verbirgt." Diese institutionelle Schwäche müsse die Legitimität weitgehender institutioneller Sicherung in Frage stellen. 233 Gegenläufige Ansichten würden ihrer Beweisführung nicht den Verfassungstext, sondern allein die Geschichte zugrunde legen,z34
c) Dreiteilung der Religionsgemeinschaften
Der letztgenannten Ansicht ist zu widersprechen. Die Privilegierung der beiden Großkirchen vornehmlich durch ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht "nur" mit dem Blick auf die geschichtlichen Traditionen zu begründen - obwohl immerhin auch die Historie wesentlicher Bestandteil verfassungsrechtlicher Auslegung ist -, sondern findet genauso im Verfassungstext und den tatsächlichen Gegebenheiten, die als Teil der teleologischen Auslegung mit in die Interpretation einfließen und auf die Fischers Argumentation im wesentlichen fußt, ihre Stütze. aa) Unterschied zwischen Religionsgemeinschaften mit öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Status Zunächst einmal ist zu unterscheiden zwischen den Religionsgemeinschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfaßt sind, und denen, die privatrechtlich organisiert sind. Soweit die Religionsgemeinschaften schon zum Zeitpunkt der Grundgesetzverabschiedung öffentlich-rechtliche Körperschaft waren, rechtfertigt sich deren unterschiedliche Behandlung bereits explizit durch den Wortlaut des Grundgesetzes. Art. 140 GG i.Vm. Art. 137 V WRV bestimmt, daß den Religionsgemeinschaften, Fischer, Volkskirche, S. 87. Schlaich, in: Kirche und Staat, 427, 444. 232 Fischer, Volkskirche, S. 85. Ganz in diesem Sinne auch Sailer, in: ZRP 1999, 455, 458; Renck, in: BayVBI. 1999,70,76, die davon sprechen, daß den Kirchen durch die Austrittsbewegung ihre "Geschäftsgrundlage" entfallen sei. 233 Hesse, in: ZevKR 11 (1964/65),337,348. 234 Fischer, Volkskirche, S. 86. 230 231
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die "bisher" Körperschaften des öffentlichen Rechts waren, der Status und die damit verbundenen Rechte weiterhin erhalten bleiben. Unter ihnen ist das Recht auf Steuererhebung in Art. 137 VI WRV sogar ausdrücklich genannt. Damit knüpft der Verfassungswortlaut an faktische Verhältnisse an, die in leicht bestimmbarer Weise die Großkirehen als die vornehmlich ins Auge Gefaßten erkennen lassen?35 Wichtig ist aber, daß dies im Gegenzug nicht bedeutet, daß es anderen Religionsgemeinschaften verwehrt ist, den Status ebenfalls zu erlangen. Dies ergibt sich bereits aus der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates. 236 Das Grundgesetz enthält keine enumerativ abgeschlossene Aufzählung, sondern bietet jeder anderen Religionsgemeinschaft, die gewisse objektive Kriterien erfüllt und zu dem Schritt bereit ist, die Statuserlangung an. Erforderlich ist, daß der Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte von einer Religionsgemeinschaft 237 gestellt wurde, die durch ihre Verfassung238 und die Zahl ihrer Mitgliede~39 die Gewähr der Dauer bietet. 24o Als ungeschriebene Verleihensvoraussetzung ist zudem einzufordern, daß die Religionsgesellschaft nicht nur die Achtung der Rechtsordnung,241 mithin eine "Rechtstreue",242 sonSo unmißverständlich etwa auch HiJIgruber, in: JZ 1999,538,546. Muckei, in: DÖV 1995,311,312. 237 Darunter versteht man heute einhellig einen Verband, der die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses - oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse - zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfaßt. Anschütz, Verfassung, Art. 137 Anm. 2, S. 633. Nicht darunter fällt etwa ein reiner Dachverband. Mucke!, in: DVBl. 1999,558,559. 238 Gemeint ist hiermit der qualitative Gesamtzustand der Religionsgemeinschaft, die Summe der Lebensbedingungen, denen die Religionsgemeinschaft unterworfen ist. OVG Berlin NVwZ 1996,478,480; Bettermann/Nipperdey/Scheuner-Mikat, Die Grundrechte, Bd. IV 1, 111, 157. In diesem Zusammenhang ist zudem zu fordern, daß die Religionsgemeinschaft über eine Organisationsstruktur verfügt, die eine Zusammenarbeit mit dem Staat überhaupt erst ermöglicht, vgl. Muckei, in: DÖV 1995, 311, 314 f. Grundsätzlich muß jemand von der Glaubensgemeinschaft befugt sein, für alle Gläubigen in bindender Weise zu sprechen, Zuck, in: NJW 1999, 2948, 2949. Daran dürfen im Hinblick auf Art. 140 GG LV.m. Art. 137 III WRV jedoch nicht allzu strenge Anforderungen gestellt werden. 239 Es läßt sich nicht eindeutig sagen, wie viele Mitglieder im einzelnen zu fordern sind. Nach den "Empfehlungen der Kultusministerkonferenz über die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religionsgesellschaften und We!tanschauungsvereinigungen von 1954 muß die Mitgliederzahl jedenfalls so groß sein, daß die Organisation "eine gewisse Bedeutung im öffentlichen Leben" hat. Nachweis bei Muckei, in: DÖV 1995,311,315. 240 Siehe schon unter 3. Teil, § 3 11 I b) bb). Vgl. zu den Voraussetzungen jetzt grundlegend das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 102, 370, 384 ff.; siehe auch die sehr anschauliche Subsumtion Muckeis in bezug auf die muslimischen Gemeinschaften in DÖV 1995,311,312 ff. Hinsichtlich der "Church of Scientology" siehe Muckei, in: German Yearbook of International Law 41 (1998), 299, 315 f. Allgemein zu den Voraussetzungen TiJImanns, in: DÖV 1999,441,444 ff. 241 VG Berlin NVwZ 1994,609,611. Nicht erforderlich ist jedoch die ständige Übereinstimmung des Verhaltens mit dem geltenden Recht. Robbers, in: FS für Martin Hecke!, 411, 413. 235
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dem darüber hinausgehend auch eine gewisse Loyalität gegenüber dem Staat erkennen läßt. 243 Letzteres Kriterium hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt in seiner Entscheidung zu den Zeugen Jehovas 244 zwar ausdrücklich abge1ehnt. 245 Wenn es aber zugleich bestimmt, daß die Religionsgemeinschaft die Gewähr dafür bieten muß, daß ihr künftiges Verhalten "die in Art. 79 III GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem Staat anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet",246 dann scheint es im Ergebnis nichts substantiell anderes zu fordern. Grundgedanke ist der, daß es schon eines partnerschaftlichen, auf Kooperation angelegten Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaft bedarf,247 um den Staat dazu zu bewegen, Kompetenzen abzugeben, die an sich nur ihm zustehen. Hierzu ist es zwingend notwendig, daß die Religionsgemeinschaft den Staat und seine grundgesetzliche Ordnung bejaht und deren Legitimität nicht in Frage stellt. 248 Es geht nicht darum, eine Religionsgemeinschaft durch Privilegien zur Kooperation mit dem Staat anzuhalten249 oder gar die "Parallelität einer Wertorientierung" zwischen den Religionsgemeinschaften und den staatlichen Institutionen einzufordern,25o sondern einzig darum, daß eine solche Kooperation keine Aussicht auf Erfolg hat, wenn Aufgabe und Wesen des einen Partners durch Lehre und Wirken des anderen Partners torpediert wird. 251 Ebenso wäre es widersprüchlich, wenn der Staat einerseits eine Religions242 BVerfGE 102, 370, 390 ff.; MuckeI, in: JZ 2001, 58, 62; Huster, in: JuS 1998, 117 ff. Das Erfordernis folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes. 243 BVerwG NJW 1997,2396,2398 f.; Thüsing, in: DÖV 1998,25,26 ff.; wohl auch Tillmanns, in: DÖV 1999,441,449 ff.; Hollerbach, in: JZ 1997, 1117, 1118; Janssen, in: FS für Alexander Hollerbach, 707, 731. Janssen sieht das Kriterium der "Loyalität" aber bereits in dem Kriterium der "Verfassungstreue" enthalten. Dagegen etwa Huster, in: JuS 1998, 117, 121 sowie Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 235 f. und Morlok I Heinig, in: NVwZ 1999, 697 ff., die allerdings bereits gegen ein ungeschriebenes Tatbestandmerkmal der "Rechtstreue" sind. 244 BVerfGE 102, 370 ff. 245 BVerfGE 102,370,395 ff. Vgl. hierzu MuckeI, in: Jura 2001, 456 ff. 246 BVerfGE 102, 370, 392. 247 Auch insofern a.A.das Bundesverfassungsgericht, in: BVerfGE 102, 370, 396. 248 MuckeI, in: DÖV 1995,311,316; ders. in: Der Staat 1999,569,588; Hillgruber, in: JZ 1999,538,546; Thüsing, in: DÖV 1998,25,27. Noch weitergehend Rüfner, in: FS für Alexander Hollerbach, 691, 694: "Für Religionsgemeinschaften, die in Fundamentalopposition zum Staat stehen, paßt das System nicht." 249 Vgl. BVerfGE 102, 370, 396. Darüber hinaus ist dem Bundesverfassungsgericht zu widersprechen, wenn es behauptet, daß der Begriff der "Loyalität" zu einer Annährung von Religionsgemeinschaft und Staat führe, "die das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes weder verlange noch billige". Wie Muckel zutreffend ausführt, bezweckte das Bundesverwaltungsgericht mit der Verwendung des Kriteriums keine solche Annährung, sondern lediglich den Schutz der Grundlagen des demokratischen Staates. Im Hinblick darauf darf der Staat von korporierten Religionsgemeinschaften auch mehr verlangen als vom einzelnen Bürger. Siehe MuckeI, in: Jura 2001, 456, 460. 250 So zutreffend Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 249.
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gemeinschaft durch Verleihung des Körperschaftsstatus fördern, andererseits aber infolge seiner grundrechtlichen Schutzpflicht die Bürger vor derselben Gemeinschaft warnen müßte. 252 Insofern ist dem Bundesverwaltungsgericht sowie Muckel und Thüsing wohl auch zuzustimmen, daß sich in diesem Sinne nicht loyal verhält, wer seinen Mitgliedern die Teilnahme an staatlichen Wahlen verbietet, weil darin eine Ablehnung des Staates und seines demokratischen Willensbildungsprozesses zu sehen ist. 253 Bei der Beurteilung dieser Umstände ist nicht nur auf die religiösen Vorstellungen abzustellen, sondern auch auf das Verhalten der den Körperschaftsstatus anstrebenden Religionsgemeinschaft. Dafür spricht vor allem der Grundsatz religiösweltanschaulicher Neutralität, der es dem Staat verwehrt, Glaube und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten. 254 Sofern in diesem Zusammenhang der Vorwurf ungleicher Behandlung geäußert wird, ist auch nicht zu verschweigen, daß viele Religionsgemeinschaften die Erlangung des Status gar nicht anstreben, weil sie ihn als unvereinbar mit dem eigenen freiheitlichen Selbstverständnis erachten. Viele privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften leben in einer bewußten Distanz zum Staat und seinen Institutionen, was einen öffentlich-rechtlichen Status bereits begrifflich ausschließt. 255 Diese Entscheidung, im staatlichen Bereich nicht begünstigt zu werden, wird frei und eigenverantwortlich getroffen. 256 Keinesfalls geht mit dem fehlenden Status eine automatische Beeinträchtigung der Religionsausübung einher,257 zumal der Körperschaftsstatus ohnehin nur mittelbar der religiösen Selbstverwirklichung der Bürger dient und als "genuin staatskirchenrechtliches Institut" lediglich die Beziehungen der Religionsgemeinschaften zum Staat betrifft. 258 Unzulässig wäre es erst, 251 Hinsichtlich der Etablierung islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen in Deutschland hierzu ausführlich Muckei, in: JZ 2001, 58, 62 f. 252 Muckei, in: Jura 2001,456,459. 253 BVerwG NJW 1997,2396 ff.; Muckei, in: Der Staat 1999,569,593; Thüsing, in: DÖV 1998, 25, 28. A.A. das Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 102, 370, 397 f., unter Hervorhebung, daß die Wahrnehmung des Wahlrechts keine Rechtspflicht sei. Im Ergebnis dem Gericht beipflichtend Korioth, in: Gedächtnisschrift für Bemd Jeand'Heur, 221, 242 ("Das deutet den Körperschaftsstatus in eine Belohnung für Wohlverhalten um."); Robbers, in: FS für Martin Hecke!, 411, 421 ff.; ebenso Winter, Staatskirchenrecht, S. 143, der ein Kriterium der "Staatsloyalität" ablehnt, weil es im Wortlaut des Art. 137 V WRV keinen Anhaltspunkt finde und die Gefahr in sich berge, den Anspruch darauf letztlich von politischen Bewertungen abhängig zu machen. 254 BVerfGE 102, 370, 394. 255 Solte, in: HdbStKirchR, Bd. 1, S. 429. 256 Dies gilt im übrigen auch für die tatsächliche Wahrnehmung der Privilegien durch die bereits korporierten Religionsgemeinschaften. Vgl. Tillmanns, in: DÖV 1999,441,444. 257 Rüfner, in : FS für Alexander Hollerbach, 691, 700. 258 Muckei, in: Jura 2001, 456, 458; ders. in: Stimmen der Zeit 219 (2001), 463, 476. Anderer Auffassung jetzt aber das Bundesverfassungsgericht, das behauptet, die Weimarer Kirchenartikel seien funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grund-
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wenn die Erlangung des Status in unzumutbarer Weise erschwert würde, obwohl die materiellen Voraussetzungen dazu erfüllt sind?59 ~s ist aber nicht zu beanstanden, wenn einer Religionsgemeinschaft der Status nicht verliehen wird, weil Zweifel an der Rechtstreue und Widersprüche zum Demokratieprinzip bestehen. 26o Der Text des Grundgesetzes ist in bezug auf die verschiedene Behandlung von Religionsgemeinschaften mit und ohne öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus jedenfalls eindeutig. Soweit die Gegner einer Privi1egierung der Religionsgemeinschaften durch Erteilung der öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstellung argumentieren, daß die tatsächliche Bedeutung der Kirche für den Gesamtzusammenhang der öffentlichen Ordnung nicht vom Status abhänge und er daher entbehrlich sei, so ist dies ein falscher Ansatzpunkt. Es ist vollkommen richtig, daß die Kirchen nicht erst durch den Status Bedeutung erlangen, sondern umgekehrt wird gewissen bedeutenden, rechtstreuen und zuverlässigen Religionsgemeinschaften der Status eingeräumt, um ihrer de facto vorhandenen wichtigen Stellung gerecht zu werden, in dem man ihnen durch den Status die Möglichkeit gibt, ihre Aufgaben besser und wirkungsvoller zu erfüllen. Gerade im Falle der Großkirchen geht man zu Recht davon aus, daß ihr öffentlicher Status originär ist und er sich nicht erst durch ihr Auftreten als öffentlich-rechtliche Körperschaft realisiert. 26 ! Und daß sich dieser Auftrag, "als geistliche Gemeinschaft in freier Betätigung auf die Öffentlichkeit zu wirken und ihre Verkündigung in den modemen Formen des öffentlichen Lebens wahrzunehmen",262 als Körperschaft des öffentlichen Rechts wirkungsvoller erreichen läßt, dies wird man kaum bestreiten können. bb) Unterschied zwischen den Großkirchen und den anderen Religionsgemeinschaften mit öffentlich-rechtlichem Körperschaftsstatus Größere Berechtigung hat die Kritik, sofern sie auf Privilegien abzielt, die allein den Großkirchen, nicht aber anderen Religionsgemeinschaften mit öffentlichrechtlichem Körperschaftsstatus zustehen, wie etwa das Recht auf Bestimmung der Inhalte des Religionsunterrichts. 263 Zu den kleineren Religionsgemeinschaften mit rechts der Religionsfreiheit angelegt. BVerfGE 102, 370, 387. Eine solche Sichtweise verkennt jedoch, daß Art. 137 V WRVeher den Charakter einer "Organisationsnorm" hat. Dadurch, daß die Norm Religionsgemeinschaften in ein Näheverhältnis zum Staat bringt, wird die in Art. 4 I, 11 GG verbürgte Distanz ja gerade verkürzt. Zu Recht spricht Tillmanns daher von "gegenläufigem Verfassungsrecht". Vgl. Tillmanns, in: DÖV 1999,441,447. 259 BVerfGE 19, 129, 134 f. 260 BVerwGE 105, 117 ff.; Schmidt-B1eibtreu/Klein-Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 140 Rdn. Sb. 26\ Hesse, in: Staat und Kirchen, 121, 124; Thüsing, in: DÖV 1998,25,26. 262 v. Mangoldtl Klein I Starck-von Carnpenhausen, Art. 137 WRV Rdn. 8. 263 In dieser spezifischen Problematik hat das VG Berlin - möglicherweise wegweisend unlängst entschieden, daß die Schul verwaltung der "Islamischen Föderation" in Berlin ge-
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öffentlich-rechtlichem Körperschaftscharakter gehören etwa die Neuapostolische Kirche, der Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland, die Altkatholische Kirche, die Griechisch-Orthodoxe Metropolie in Deutschland und die jüdischen Gemeinden. 264 Während die wohl herrschende Auffassung in der Weimarer Zeit noch eine Sonderstellung der großen Kirchen ablehnte,265 spricht sich mittlerweile die überwiegende Auffassung wegen ihrer "überragenden historischen und kulturellen Bedeutung" dafür aus. 266 Der staatskirchenrechtliche Teil des Grundgesetzes kennt keinen prinzipiellen statusrechtlichen Unterschied zwischen den Religionsgemeinschaften mit Körperschaftstatus. Im Falle einer tatsächlichen Ungleichbehandlung können sich die anderen Religionsgemeinschaften in dem Bestreben nach den gleichen Befugnissen und Gestaltungsmöglichkeiten, über die die großen Kirchen verfügen und wie sie auch in den Staatskirchenverträgen vereinbart sind, zwar nicht auf Art. 140 GG i.Y.m. Art. 137 V WRV berufen. Möglicherweise kommt ihnen aber der Grundsatz der Parität zugute, der die Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften im Staat fordert. 267 Dieses wichtige Prinzip ist nicht nur in Art. 137 I WRVals Bestandteil des Trennungssystems angelegt, sondern findet seine Grundnorm nach der ganz herrschenden Judikatur und Literatur268 im allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. I GG. Der Begriff der Parität ist als Konkretisierung des Art. 3 GG für den Bereich des Staatskirchenrechts zu verstehen?69 Alle staatskirchenrechtlichen Paritätselemente sind auf Art. 3 Abs. 1 GG bezogen und deshalb aus der Interpretation des Gleichheitssatzes zu erfassen. 270 Aus dem gleichen Grund verpflichtet das Prinzip den Staat aber auch nicht zu schematischer, Unterschiede zwischen den einzelnen Religionsgemeinschaften negierender Gleichbehandlung. 271 Vielmehr gestattet die prinzipielle Statusgleichheit aller Religionsgemeinschaften dann eine Differenzierung bei der Ausgestaltung ihres Verhältnisses zum Staat, wenn diese durch die tatsächlichen Verschiedenheiten der einzelnen Religionsgemeinschaften bedingt ist. 272 statten muß, an den Schulen Religionsunterricht zu erteilen. VG Berlin, Urteil vom 25. Oktober 2001; AZ: VG 27 A 254.Dl. 264 Eine knappe Übesicht über die kleineren Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus gibt Solte, in: HdbStKirchR, Bd. 1, S. 417 ff. 265 So vor allem Ebers, Staat und Kirche, S. 182 f.; 204 ff. 266 Smend, in: ZevKR 2 (1952/53), 374, 378; Hesse, in: JöR NF 10 (1961), 5, 28; vgl. auch Weber, in: VVDStRL 11 (1954), 153, 171 f. 267 Solte, in: HdbStKirchR, Bd. 1, S. 428. 268 Vgl. die ausführlichen Quellenangaben bei Heckei, in: HdbStKirchR, Bd. 1, S. 589. 269 BK-Obermayer, Art. 140 Rdn. 72. 270 Hecke!, in: HdbStKirchR, Bd. 1,589,590. 271 "Gleichbehandlung heißt nicht schematische Gleichmacherei." Daher dürfe auf Größe und Bedeutung abgestellt werden. Ehlers, in: ZevKR 45 (2000),201,208. 272 BVerfGE 19,1,8; Solte, in: HdbStKirchR, Bd. 1, S. 428; v. Mangoldt/Klein/Starckvon Campenhausen, Art. 137 WRV Rdn. 233; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 151.
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Ob diese tatsächlichen Verschiedenheiten bestehen - und genau das scheint Fischer zu bestreiten -, ist nunmehr zu klären, indem die kulturell-religiöse Prägung unserer Gesellschaft, so wie sie sich auch in den Normen des Grundgesetzes niedergeschlagen hat, untersucht werden soll. Dies trägt maßgeblich zur Konkretisierung des Inhalts von Art. 137 I WRV bei?73 (a) Soziologischer Befund
Unbestritten ist die jahrhundertelange historische Verwurzelung des Christentums in unserer Gesellschaft. 274 Unsere Gesellschaft ist eine christliche, wenigstens aber eine christlich geprägte?75 Christliche Werte bestimmen noch immer unsere Kultur und unser gesellschaftliches Miteinander. So hat auch das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung christlicher Elemente in unserer Rechts- und Kulturordnung herausgestellt und erklärt: ,,[Es] sind über die Jahrhunderte zahlreiche christliche Traditionen in die allgemeinen kulturellen Grundlagen der Gesellschaft eingegangen, denen sich auch Gegner des Christentums und Kritiker seines historischen Erbes nicht entziehen können. [ ... ] Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend gewährleistet und sich damit selber zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet, kann die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht und von denen auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben abhängt. Der christliche Glaube und die christlichen Kirchen sind dabei, wie immer man ihr Erbe heute beurteilen mag, von überragender Prägekraft gewesen. Die darauf zurückgehenden Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster können dem Staat nicht gleichgültig sein. ,,276 Beispielhaft für die christliche Prägung nennt das Gericht den Gedanken der Toleranz für Andersdenkende. 277 Allerdings ist weder ein gewisser Prozeß der Atheisierung unserer Gesellschaft zu bestreiten, noch der augenscheinliche Mitgliederschwund der beiden Großkirchen in den letzten Jahren?78 Ebenso ist das Ansehen und die Autorität der Kirchen im öffentlichen Leben der Bundesrepublik nicht mehr von der gleichen Selbstverständlichkeit wie noch vor Jahren?79 Die Neigung zu distanzierender Hesse, in: Staat und Kirchen, 121. Vgl. hierzu etwa die ausführliche Studie von Möde, 2000 Jahre Christentum, 1999. 275 Rendtorff, Christentum außerhalb der Kirche, S. 25. 276 BVerfG NJW 1995,2477,2479. 277 BVerfG NJW 1995,2477,2480. 278 Dies tun nicht einmal ranghohe Vertreter der Kirche. So äußerte etwa der Erzbischof von Köln, Kardinal Joachim Meisner, in einem Interview die Sorge, daß "Gott kein Thema mehr in der Gesellschaft", Deutschland "Missionsland" geworden sei. Kölnische Rundschau vom 4. Februar 1999, S. 3. Vgl. zu den Zahlen auch Kaufmann, in: Pottmeyer (Hrsg.), Kirche im Kontext der modemen Gesellschaft, 8, 9 f.; Kaufmann, Wie überlebt das Christentum, S. 11 ff.; Rüfner, in: FS für Alexander Hollerbach, 691 f. 273 274
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oder gar ablehnender Einstellung wächst. 28o Dafür gibt es sicherlich viele Gründe. Auch die Großkirehen selbst, insbesondere die katholische Kirche, haben durch Fehlverhalten in der Vergangenheit zu dieser Entwicklung beigetragen. Rigorose, als wirklichkeitsfremd empfundene Moraldoktrin, mangelnde Lebensbezogenheit oder die Unterdrückung von Kritik aus den eigenen Reihen haben ihren Anteil daran geleistet, daß Kirche von vielen Menschen nur noch als Selbstzweck verstanden wird und diese Menschen nicht mehr bereit sind, ihrer Religiösität durch fortgesetzte Mitgliedschaft Ausdruck zu verleihen.28I Daneben sind gesamtgesellschaftliche Entwicklungen zu nennen, wie etwa die fortschreitende Säkularisierung des Denkens oder das zunehmende Mißtrauen, das die Menschen in Deutschland Autoritäten und Großorganisationen mittlerweile auf allen Ebenen entgegenbringen?82 Religiöse Bindung wird heute als Angelegenheit freier Entscheidung betrachtet, was Ausdruck einer zunehmenden Individualisierung in unserer Gesellschaft ist - ein Prozeß, der bereits in der jüdisch-christlichen Betonung des persönlichen Glaubens angelegt ist, in der Aufklärung ideenpolitisch zum Durchbruch kam und im Rahmen unserer Wohlfahrtsgesellschaft mehr und mehr zur erfahrbaren Wirklichkeit wird?83 Keine größere Institution ist heutzutage strukturell in der Lage, in ihren Leitbildern und Normsystemen einen Satz von Entscheidungskriterien zu formulieren, der den komplexen Entscheidungssituationen des Einzelnen gerecht wird. 284 Konsequenz ist eine "zunehmende Staatsverdrossenheit",285 die auch andere gesellschaftliche Einrichtungen erfaßt hat, die wie die Kirchen ihren selbstverständlichen, institutionellen Charakter verloren haben. Speziell Verbände, Gewerkschaften, politische Parteien oder staatliche Einrichtungen, beispielsweise die Lehrer an den Schulen, leiden unter diesem Phänomen im gleichen Maße wie die christlichen Kirchen,286 die im Auge der Öffentlichkeit mittlerweile zuvörderst als bürokratische Organisationen wahrgenommen werden, denn als Ursprung moralischer Maßstäbe. 287 Zweifellos haben es da die kleinen Glaubensgemeinschaften wesentlich leichter, die oft nicht den Anspruch haben, eine Einrichtung für "alle" oder möglichst viele zu sein. Die im Vergleich zu den Großkirehen überschaubare Zahl der Mitglieder ermöglicht ihnen ein stärkeres Zugehörigkeitsgefühl und ein höheres Maß an wechsel279 Sehr plastisch zu diesem Prozeß Fincke, in: Bergunder (Hrsg.), Religiöser Pluralismus und das Christentum, S. 27 ff. 280 Hesse, in: ZevKR 11 (1964/65),337,338; Kaufmann, in: Pottmeyer (Hrsg.), Kirche im Kontext der modemen Gesellschaft, 8 ff. 281 Zu dieser Kritik etwa Pfürtner, Macht, Recht, Gewissen, S. 23 ff. 282 Rendtorff, Christentum außerhalb der Kirche, S. 30 f. 283 Kaufmann, in: Pottmeyer (Hrsg.), Kirche im Kontext der modemen Gesellschaft, 8, 11. 284 Kaufmann, Wie überlebt das Christentum, S. 118. 285 Kaufmann, in: Pottmeyer (Hrsg.), Kirche im Kontext der modemen Gesellschaft, 8,23. 286 Fincke, in: Bergunder (Hrsg.), Religiöser Pluralismus und das Christentum, 27, 30; Kaufmann, Wie überlebt das Christentum, S. 118. 287 Kaufmann, in: Bertschl Schlösser, Kirchliche und nichtkirchliche Religiösität, 11,38 f.
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sei tiger sozialer Kontrolle; auch können sie höhere religiöse und ethische Anforderungen stellen?88 Dennoch, diese Entwicklung kann nicht alleiniges und entscheidendes Kriterium sein, um den beiden Hauptkonfessionen die Legitimität ihrer rechtlichen Privilegierung abzusprechen. 289 Die Großkirchen nehmen immer noch eine absolut hervorgehobene Rolle unter den Religionsgemeinschaften in Deutschland ein, sowohl von der Zahl ihrer Mitglieder her als auch ihrer faktischen Bedeutung. 29o Zudem ermöglicht die Feststellung von Kirchenaustritten oder Kirchgangshäufigkeit zwar Aussagen über das Ausmaß und die Veränderung ritueller Verhaltensweisen; eine zuverlässige Messung der Dimensionen der Religiösität und Christlichkeit findet anhand dieser nur indirekten Indikatoren jedoch nicht statt?91 Gültige und verläßliche Meßinstrumente dafür hat die Religionssoziologie zwar bis heute nicht entwickeln können?92 Es scheint jedoch Einigkeit darüber zu bestehen, daß zur Beurteilung des Ausmaßes der Orientierung von Verhaltensweisen und Einstellung an der christlichen Religion unterschieden werden muß zwischen "Christlichkeit" auf der einen und der bloßen "Kirchlichkeit" auf der anderen Seite. 293 Von Seiten der 288 Höllinger, VolksreIigion und Herrschaftskirche, S. 68. Wie Möde zutreffend bemerkt, besagt "Individualisierung" nicht nur Freiheitsgewinn, sondern auch Verlust an Bindungen und Vorgegebenheiten, Gefahr der Außenlenkung oder Entfremdung und der Überforderung mit Entscheidungszumutungen. Siehe Möde, 2000 Jahre Christentum, S. 143. 289 Vgl. Rüfner, in: FS für Alexander Hollerbach, 691, 692: "Solange die Wertgrundlagen von Staat und christlichen Kirchen im wesentlichen gleich sind, müssen Schwierigkeiten nicht entstehen. Die kulturelle Identität eines von christlicher Tradition geprägten Staates wird nicht unmittelbar und sofort in Frage gestellt, wenn nur noch eine Minderheit der Bevölkerung christlichen Kirchen angehört." 290 Hahn, in: Lehmann (Hrsg.), Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa, 17, 26. Hahn weist darauf hin, daß sich aus dem Rückgang der kirchlicher Bindungen keinesfalls ableiten lasse, daß die Kirchen als Kulturmacht unerheblich geworden seien. Das ergebe sich rein äußerlich schon daraus, daß mit dem sinkenden Einfluß für die existenziellen Orientierungen keineswegs eine öffentliche Gegnerschaft gegen die Kirchen einhergehe, wie dies etwa im 19. Jahrhundert der Fall gewesen sei. Nach wie vor sei die überwiegende Merhzahl der Bevölkerung in der alten Bundesrepublik zumindest formal Mitglied einer der beiden großen Konfessionen. Zudem seien die Kirchen auch für das private Leben zumindest in einigen zentralen Bereichen von "unersetzlicher Bedeutung". Dies gelte vor allem für die biographischen Wendepunkte wie Geburt, Heirat und Tod. 291 So die Beurteilung aus soziologischer Sicht von Kecskes I Wolf, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 45 (1993), 271, 274: ,,[ ... ) Religion und Religiösität erschöpft sich nicht in Handlungen wie dem Kirchgang oder dem Beten und geht über KirchIichkeit hinaus. Noch weniger sagt die nominelle Zugehörigkeit zu einer Konfession etwas darüber aus, ob eine Person als religiös zu bezeichnen ist. Die vermittelten Werte und Normen wirken vielmehr auf unterschiedliche Dimensionen der Religiösität, die unabhängig voneinander variieren können." 292 Kecskes I Wolf, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 45 (1993), 271. 293 Rendtorff, Christentum außerhalb der Kirche, S. 9 ff.; Kaufmann, in: Bertschl Schlösser (Hrsg.), Kirchliche und nichtkirchliche Religiösität, 11, 16. Vgl. dazu auch die korrespon-
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Soziologie geht der Vorschlag aus, christliche Religiösität an Faktoren zu messen wie der Erwartung, daß sich ein religiöser Mensch zu bestimmten Glaubenssätzen seiner Religion bekennt, den Kenntnissen und dem Wissen von dem Inhalt einer Glaubenslehre, der Frage des subjektiven religiösen Erlebens oder der religiösen Emotionen?94 Speziell auf unsere Gesellschaft bezogen wird in diesem Zusammenhang einmütig geäußert, daß sich hierzulande "bestimmte volkskirchliche Motive internalisiert haben".295 Viele christliche Ideen und Denkformen seien "in kaum mehr erkennbarer Weise im profanen Denken präsent"296 beziehungsweise sind in "scheinbar profan gewordenen Wertorientierungen implizit vorhanden,,?97 Der Soziologe Franz-Xaver Kaufmann stellt hierzu zu Recht fest: "Wenn sich die Kirchen heute, insbesondere im Bereich der Menschenrechte und im Kampf um soziale Gerechtigkeit, als Advokaten säkularisierter Bestände christlichen Gedankengutes zu profilieren suchen, stehen sie vor dem Dilemma, daß ihnen dieses Gedankengut nicht mehr als das ihrige zugerechnet wird. Denn diese Wertideen sind [ ... ] Bestandteil eines allgemeinen normativen Konsenses geworden; die Kirchen dagegen werden als etwas Partikuläres und Parteiliches wahrgenommen. Sie werden ihrem sinnhaften Anspruch nach als religiöse Institutionen qualifiziert, wobei gleichzeitig Religion nun nicht mehr als das Allgemein-Verbindende, sondern in einem qualifizierten Sinne als Privatsache gilt. ,,298 Nach RendtorJf gehöre die "universale christliche Überlieferung" zu den "tragenden Gemeinsamkeiten der ganzen Gesellschaft"; ohne sie seien die grundlegenden Institutionen unserer Gesellschaft, ihr Freiheitswille wie ihr Gerechtigkeitsbewußtsein nicht zu denken. 299 Zu dem gemeinsam anerkannten Werten christlichen Ursprungs, die in unserer Gesellschaft als "ethische Selbstverständlichkeiten,,300 gelten, zählen neben dem bereits erwähnten Toleranzgedanken etwa die Personenwürde des Menschen, die Bedeutung dierende Einschätzung seitens der evangelischen Kirche: Evangelische Kirche in Deutschland I Kirchenamt, Christsein gestalten, S. 11 ff. 294 Boos-Nünning, Dimensionen der Religiösität, S. 46 f. 295 Kaufmann, in: Bertsch I Schlösser (Hrsg.), Kirchliche und nichtkirchliche Religiösität, 11,20. 296 Kaufmann, Wie überlebt das Christentum, S. 96. Vgl. auch Hoye, Demokratie und Christentum, S. 65: "Es gibt demokratische Elemente, die nicht den Anschein des Christlichen haben, die nichtsdestoweniger aber in ihrer Bedeutung und Wirkung Christliches vergegenwärtigen." Rendtorff redet in diesem Zusammenhang vom "verborgenen Christentum in unserer Gesellschaft". Vgl. Rendtorff, Christentum außerhalb der Kirche, S. 13. 297 Kaufmann, in: Bertschl Schlösser, Kirchliche und nichtkirchliche Religiösität, 11,23. 298 Kaufmann, Wie überlebt das Christentum, S. 97. 299 Rendtorff, Christentum außerhalb der Kirche, S. 36. Vgl. auch Möde, 2000 Jahre Christentum, S. 139: "Wesentliche Leitbilder der Modeme erscheinen als transformiertes christliches Ideengut: So verweist z. B. der Fortschrittsglaube der Aufklärung und überhaupt unsere lineare Zeitauffassung auf das eschatologische Denken, und die Vorstellungen der Französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - haben ihre Quellen in christlichen Glaubensvorstellungen. " 300 Evangelische Kirche in Deutschland I Deutsche Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, S. 17.
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des Gewissens, die Erwartung einer ausgleichenden Gerechtigkeit, die Brüderlichkeit unter den Menschen, die· Gleichrangigkeit von Mann und Frau, Gnade und Erlösung, Nächstenliebe, Wahrhaftigkeit, Vergebung und Demut. 301 Wichtig ist, daß Bestandteil dieser christlichen Wertegemeinschaft auch die religiös Ungebundenen in unserer Gesellschaft sind. 302 Ungeachtet der tatsächlichen Mitgliederzahl dürften daher kaum Zweifel darüber bestehen, daß die meisten Deutschen die Maßstäbe für ihr sittliches Handeln sicherlich am ehesten den Lehren der beiden großen christlichen Konfessionen entnehmen,303 sie sich mithin diesen Bekenntnissen am ehesten zugehörig fühlen. 304 Teil des großkirchlichen Dilemmas ist auch ein Mangel an Transparenz und Medienfreundlichkeit, der es erschwert, daß den Menschen nicht nur die Inhalte der kirchlichen Botschaft, sondern gerade auch das große soziale Engagement der kirchlichen Institutionen vor Augen geführt wird. Es dient dem freiheitlichen Staat, daß die Kirchen in ihrem religiösen Auftrag und mit ihrer gemeinnützigen Arbeit die Gesellschaftsordnung mitgestalten. 305 Aus ideellen wie aus finanziellen Gründen ist er sogar darauf angewiesen, daß die großen Kirchen subsidiär Aufgaben in der Wohlfahrtspflege, im Gesundheitswesen oder bei der Erziehung junger Menschen erfüllen,306 zumal er ehrenamtliches Engagement nicht im gleichen Umfang wie die Kirchen wecken kann. Die Pfarren der beiden großen Konfes301 Holzhausen, Werte, Moral und Gewissen, S. 14; Evangelische Kirche in Deutschland/ Deutsche Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot, S. 17. Zum Einfluß des christlichen Freiheitsverständnisses auf das staatliche Recht siehe auch Heckei, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 30 (1996), 82 ff. 302 Holzhausen, Werte, Moral und Gewissen, S. 58 f. Rendtorff weist in diesem Kontext darauf hin, daß es gerade Verdienst des christlichen Einflusses ist, daß die Menschen heute in freier Entscheidung auch darüber befinden können, inwieweit sie ihren christlichen Glauben zum Audruck bringen: "Wenn heute viele Menschen dem kirchlichen Leben und der kirchlichen Verkündigung zwar mit Reserve begegnen, sich aber dennoch als Christen wissen und ihre Bindung an die Kirche nicht preisgeben, wenn sie sich also nicht die Entscheidung aufzwingen lassen, entweder gute Kirchenchristen oder gar keine zu sein, dann haben wir das der christlichen Aufklärung zu verdanken, die uns von dieser Alternative befreit hat." Rendtorff, Christentum außerhalb der Kirche, S. 15. 303 BVerfGE 6,389,435; Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968), 57, 65. 304 Diese Argumentation gilt übrigens in gleichem Maße für die fünf neuen Bundesländer der ehemaligen DDR, wenngleich die Zahl der Kirchenmitglieder dort noch wesentlich geringer ist. So zutreffend Höllinger, Volksreligion und Herrschaftskirche, S. 189. Bereits deshalb rechtfertigt sich nicht die von dem Land Brandenburg angestrebte Einführung des Schulfachs "Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde" (LER), ohne zugleich den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach anzubieten. Vgl. dazu Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Juni 2001, S. 1 f.; Tillmanns, in: Neumann/Tillmanns (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Probleme, 161,234 ff. Hier läge im übrigen bereits ein Verstoß gegen Art. 7 III 1 GG vor. 305 Ehlers, in: ZevKR 45 (2000), 201, 209 f.; Muckei, in: DVBI. 1997, 873, 877, deren Gedanken man jedoch nicht unbedingt als allein auf die Großkirehen bezogen verstehen muß. 306 Hillgruber, in: JZ 1999, 538, 547, spricht in diesem Zusammenhang zu Recht davon, daß der Staat hier nicht altruistisch, sondern in seinem ureigenen Interesse handele.
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sionen sind mittlerweile nicht nur religiöser Versammlungsort, sondern auch soziale und kulturelle Zentren, von denen vielfältige Aktivitäten ausgehen, an denen nicht nur der "kirchliche Ritualkern" teilnimmt. 307 Nicht zuletzt die Erhebung der Kirchensteuer aufgrund des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus ermöglicht den evangelischen und katholischen Gemeinden, sich mit ihren Angeboten an die verschiedensten sozialen Gruppen, wie Familien, Junge und Alte, soziale Außenseiter und Ausländer, zu wenden. Soziologische Untersuchungen zeigen, daß dieser Aspekt großkirchlicher Tätigkeit von großen Teilen der Bevölkerung außerordentlich positiv bewertet wird?08 Er gewährleistet, daß selbst "viele, die sich von den kirchlich-religiösen Angeboten im engeren Sinn distanzieren," die Großkirchen "weiterhin als wichtige und unterstützenswerte gesellschaftliche Einrichtungen betrachten".309 Christlichkeit erweist sich hier als aktive, sozial ordnende Kraft. 310 Dies gilt um so mehr, als einer Studie von Höllinger zufolge aktive Kirchenmitglieder auch deutlich mehr Vertrauen in die staatlichen Organisationen, in das Parlament, in die öffentliche Verwaltung und in das Rechtssystem haben als Befragte mit nur gelegentlicher oder ohne religiöse Praxis. Besonders Mitglieder von "Sekten" und Konfessionslose sind zu sozialem Nonkonformismus bereit. 311 Angesichts dessen ist es in der modernen Gesellschaft geradezu eine Notwendigkeit, daß sich die Religionsgemeinschaften nicht aus dem öffentlichen Raum heraus- und in den religiös geprägten Binnenraum zurückziehen. Die Aufrechterhaltung der Privilegien, vor allem der Kirchenfinanzierung, ist nicht zuletzt auch eine Wertefrage?12 Wenn sich die Gegner der privilegierten Stellung der Großkirchen im Rahmen der teleologischen Auslegung insbesondere auf den Gesichtspunkt schwindender Mitgliedszahlen versteifen, dann ist ihnen nicht zuletzt diese Tatsache entgegenzuhalten. Aber selbst Schlaich, offenkundiger Gegner eines öffentlich-rechtlichen Sonderstatus der Großkirchen, sieht es als mitentscheidend für die Legitimation der Privilegien der Großkirchen an, daß sich weiterhin Menschen finden, die in den Einrichtungen der Kirchen, wie Kindergarten oder Altenheime, betreut werden wollen und daß Christen und Kirchen der Gesellschaft bei der Bewältigung ihrer politischen, sozialen und kulturellen Probleme "gute" Höllinger, Volksreligion und Herrschaftskirche, S. 188. Siehe Höllinger, Volksreligion und Herrschaftskirche, S. 133; 188 ff. 309 Höllinger, Volksreligion und Herrschaftskirche, S. 188 f. 310 Vgl. Kuhn, Die Kirche, S. 15. 311 Höllinger, Volksreligion und Herrschaftskirche, S. 294. 312 Aus diesem Grund wird nun ja sogar diskutiert, ob man wegen der Kirchenaustritte und der anstehenden schrumpfenden Bemesssungsgrundlage für die Kirchensteuer (bedingt durch die absehbare Änderung des Verhältnisses von direkter und indirekter Steuer) nicht durch Änderung der Kirchensteuergesetze neue Finanzierungsinstrumente für die Kirchen schafft. Durch die Erosion des Kirchensteueraufkommens befürchtet man nämlich zu Recht, daß die Großkirchen nicht mehr wie bisher ihren so außerordentlich wichtigen Dienst an der Gesellschaft wahrnehmen können. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. März 1999, S.5. 307 308
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Dienste leisten. 313 Daß dies der Fall ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Die sozialen kirchlichen Einrichtungen, in deren Struktur und Organisation sich der spezifisch-religiöse Inhalt der Großkirehen niederschlägt,314 erfreuen sich weiterhin regen Zulaufs und erweisen der Gesellschaft dadurch eine wichtige Hilfe. Zuletzt ist es von Bedeutung, daß den Kirchen darüber hinaus auch zugestanden wird, in bestimmten Bereichen als "Gewissen der Nation" aufzutreten, etwa in Fragen der rassischen Diskriminierung, der "Dritten Welt", der Abtreibung oder Euthanasie. 315 Ohne die privilegierte Stellung und der daraus resultierenden Bekanntheit und den entsprechenden Einflußmöglichkeiten würden die Großkirchen in dieser Funktion aber überhaupt nicht wahrgenommen. In das Feld gesellschaftlicher Wahrnehmung treten die Kirchen erst als repräsentative Vertreter gesellschaftlicher Ethik. Zwar gelten sie nicht mehr als Autoritäten für die private Moral, wohl aber weiterhin als wichtige Repräsentanten der öffentlichen Mora1. 316 Als solche sind sie staatlicherseits entsprechend auch zu fördern. Nach alledem kann trotz der angesprochenen Entwicklung der "Entchristlichung" kaum davon gesprochen werden, daß es gerechtfertigt wäre, die Großkirchen mit allen anderen Religionsgemeinschaften gleichzustellen. Die Unterschiede sind immer noch evident. Und sie ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der objektiven Bedeutung der Großkirehen für das Volksleben, nicht unter dem der subjektiven Vorliebe des Gesetzgebers für eine derselben. Der besondere Rang der Kirchen ist "geschichtlich fundiert und staats soziologisch legitimiert,,?17 Aus dem Verbot der Staatskirche folgt mithin keine schematische Gleichbehandlung der Großkirehen mit den übrigen Religionsgemeinschaften. Im Gegenteil, das "Außerachtlassen der soziologischen Präponderanz der Großkirehen mit ihrem ungleich stärker ausgeprägten Einfluß auf das Volksleben" liefe letztlich auf eine Gleichbehandlung ungleicher Tatbestände hinaus. 318 Auch wenn einer kleineren Glaubensgemeinschaft der öffentlich-rechtliche Status zugebilligt wird, so ist sie dadurch noch nicht automatisch Mitträger und verantwortliche Ordnungsmacht innerhalb der öffentlichen Ordnung wie die großen Kirchen. Folglich hat die Gewährung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts für die kleinen Religionsgemeinschaften auch nicht affirmative, sondern konstitutive Bedeutung. 319 Im Ergebnis ist Heckel somit zuzustimmen, daß man immer noch von einer Dreiteilung der Religionsgemeinschaften ausgehen muß, an deren Spitze die großen Kirchen stehen, gefolgt von den sonstigen als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannten Religionsverbänden und den Religions- und Weltanschauungsver313 314 315 316 317 318 319
Schlaich, in: Kirche und Staat, 427, 444. BVerfGE 53, 366,403. Höllinger, Volksreligion und Herrschaftskirche, S. 189, mit weiteren Nachweisen. Kaufmann, Wie überlebt das Christentum, S. 103. Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 1. Link, in: BayVBI. 1966,297,302. Hesse, in: Staat und Kirchen, 121, 136 f.
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bänden des Privatrechts. 32o Dies gilt aber ausdrücklich nicht im Verhältnis zum Einzelnen; hier bleibt der Staat zur Neutralität verpflichtet. 321 (b) Christliche Prägung des Grundgesetzes
Dieser Befund wird durch den Umstand bestätigt, daß sich die kulturell-gesellschaftliche Prägung unserer Gesellschaft durch das Christentum auch im Grundgesetz niedergeschlagen hat. Das Grundgesetz ist heute noch gekennzeichnet von ethischen und moralischen Maßstäben, bezüglich deren Entwicklung die christlichen Kirchen staatstragend waren. Offenkundiger Beleg dafür ist die Präambel, in der die "Verantwortung vor Gott" hervorgehoben wird. Darin ist sicher keine prochristliche Auslegungsmaxime für andere Bestimmungen der Verfassung, insbesondere der Religionsfreiheit, zu sehen,322 wohl aber zeigt sich auch hierdurch, daß unsere Demokratie christliche Wahrheiten zugrunde legt und ihre universale Gültigkeit voraussetzt. 323 Wie Hoye diesbezüglich überzeugend herleitet, liegen die Wurzeln des Wortes "Verantwortung" im Lateinischen. Noch im Mittelalter gab es nur das Verb "respondere", nicht auch das Substantiv "responsabilitas".324 Auch das Christentum hat bis zur Neuzeit keinen Verantwortungsbegriff gekannt, allerdings etwas nahe Verwandtes, nämlich das Endgericht am Ende der Menschheitsgeschichte. Dieses christliche Bild des Endgerichts hat es möglich gemacht, sich die gesamte Moral als ein Gerichtsverfahren vorzustellen, und den Begriff vom Bereich des Rechtslebens auch auf den Bereich der gesamten Ethik in Deutschland zu übertragen. 325 Der in der Präambel zu findende Ausdruck der Verantwortung, den das Grundgesetz - den Begriff "Verantwortlichkeit" eingeschlossen - noch weitere dreizehn Mal verwendet,326 stammt demnach nicht nur aus der christlichen Moral, sondern aus der spezifisch christlichen Eschatologie. 327 Wie Hoye weiter ausführt, wird beispielsweise auch der Begriff der "Menschenwürde" häufig für eine Errungenschaft der Aufklärung gehalten; tatsächlich lasse sich aber beweisen, daß er christlicher Herkunft sei?28 Und auch andere demokratische Elemente, die nicht den Anschein des Christlichen hätten, vergegenwärtigten in ihrer Bedeutung und Wirkung Christliches, beziehungsweise seien nur reli320 Heckei, in: FS für Smend, 103, 109. Zustimmend etwa Weber, Die Religionsgemeinschaften, S. 25. 321 Hesse, in: JöR NF 10 (1961), 3, 28. 322 Jarass/Pieroth, GG, Päambel, Rdn. 3. Siehe auch weiter unten 4. Teil, § 111 5 c). 323 Hoye, Demokratie und Christentum, S. 39. 324 Hoye, Demokratie und Christentum, S. 73. 325 Picht, Wahrheit Vernunft Verantwortung, S. 319. 326 Vgl. etwa Art. 20 a, 28 11, 34, 46 I, 65 GG. 327 Hoye, Demokratie und Christentum, S. 78. 328 Zur Herleitung ausdrücklich Hoye, Demokratie und Christentum, S. 340 ff.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
giös oder christlich zu erklären. 329 Beispielhaft erläutert er dies ausführlich anhand der Begriffe des "Gewissens,,33o oder der "Wissenschaftsfreiheit".331 Nicht nur das Grundgesetz konserviert jedoch christliche Werte, auch weitere Bereiche unserer Rechtsordnung?32 Das christliche Ideengut hat auf breiter Ebene Niederschlag gefunden in den Grundsätzen des modemen Sozial- und Rechtsstaates. 333 Einzelne Landesverfassungen der Bundesrepublik stellen etwa einen ausdrücklichen Bezug zum Christentum her, so zum Beispiel in Art. 32 der Freien Hansestadt Bremen, wenn vom "Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage" die Rede ist, oder in Art. 30 der Verfassung des Saarlandes, wenn es heißt, daß die Jugend "in der Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe" zu erziehen sei. Nach Kaufmann geht sogar die gesamte modeme Menschenrechtsdoktrin auf das christliche Personen- und Gewissensverständnis zurück. 334 Es seien die kulturell-geistigen Impulse gewesen, die vom christlichen Freiheitsdenken ausgegangen seien und bis zur Anerkennung unveräußerlicher Menschenrechte in den modemen Verfassungen, ja selbst durch die Vereinten Nationen in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, geführt hätten. 335
4. Grenze der Privilegien
Es wird nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden können, wann das Prinzip der (grundsätzlichen) Trennung noch gewahrt ist und wann es im Einzelfall verletzt ist. Zweifellos ist aber dort eine unzulässige Vermengung von Staat und Kirche und eine Verletzung der Grundsätze von Neutralität und Parität gegeben, wo sich der Staat direkt oder indirekt zu einer bestimmten Konfession auf Kosten anderer Glaubensrichtungen bekennt. Dies wird zum Beispiel regelmäßig der Fall sein bei der staatlich angeordneten Aufstellung von religiösen Symbolen einer bestimmten Konfession in staatlichen Räumen, wie das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Kruzifix-Beschluß zutreffend ausgeführt hat. 336 Jene Aufstellung erfolgt von Staats wegen und ist allein dem Staat zuzurechnen, wodurch sich dieser Fall auch etwa von dem der Kopftuch tragenden Lehrerin 33? unterscheidet. In dem Hoye, Demokratie und Christentum, S. 39. Hoye, Demokratie und Christentum, S. 297 ff. 331 Hoye, Demokratie und Christentum, S. 187 ff. 332 Vgl. allgemein zur Durchdringung des Rechts mit christlicher Ethik Möde, 2000 Jahre Christentum, S. 85 ff. Siehe auch Döpfner/Dietzfelbinger, Das Gesetz des Staates, S. 13: "Jede Rechtsordnung stellt eine geschichtlich geprägte Ordnung dar. Für unsere Ordnung ist anzuerkennen, daß sie von christlichen Überzeugungen geprägt wurde und geprägt wird, auch wenn dies vielen nicht mehr bewußt zu sein scheint." 333 Vgl. Goertz, Moraltheologie unter Modemisierungsdruck, S. 328. 334 Kaufmann, Wie überlebt das Christentum, S. 96 f.; 48 ff. 335 Kaufmann, Wie überlebt das Christentum, S. 59. 336 BVerfG NJW 1995,2477 ff. 329
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letztgenannten Fall geht es nämlich um einen persönlichen Bekenntnisakt der Lehrerin, der primär ihr zuzurechnen ist und die ihr eigenes Grundrecht wahrnimmt. 338 Darüber hinaus umfaßt das Verbot jeglicher staatskirchlicher Rechtsformen institutionelle oder organisatorische Verbindungen zwischen Staat und Kirche, wie sie sonst nur innerhalb der Staatsverwaltung üblich sind. 339 Dazu gehört, daß Vertreter des Staates keine entscheidenden Stellen im Gefüge einer Religionsgemeinschaft einnehmen dürfen, um diese kontrollieren und entsprechenden staatlichen Einfluß ausüben zu können. 34o Art. 137 I WRV will jegliche staatliche Bevormundung verhindern. Grundsätzlich unzulässig sind daher auch konfessionsgebundene Staatsämter, vgl. Art. 33 III GG. Ferner dürfen die Religionsgemeinschaften in ihrem Eigenbereich keine staatliche Aufgaben wahrnehmen. Hier wäre die Grenze zu den anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts überschritten. 341 Dies ist jedoch noch nicht gegeben, wenn sich die Religionsgemeinschaften als "Interessenverbände" an der Willensbildung öffentlich-rechtlicher Gremien beteiligen, die zur optimalen Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe die wichtigsten gesellschaftlichen Strömungen und Gruppen in einem organisatorisch selbständigen Sonderbereich der öffentlichen Gewalt repräsentieren. Diese Art von öffentlicher Tätigkeit enthält in ihrer pluralistischen Struktur eine Neutralitätsgarantie?42 Sogenannte institutionalisierte kirchliche Mitwirkungsrechte wie die Teilnahme an Rundfunkräten sind mithin noch verfassungsgemäß. 343 Entscheidend ist aber letztlich die Art der Ausgestaltung und Zuordnung des Verhältnisses und die Intensität der Kooperation im Einzelfall. Die Kooperation muß begrenzt sein. Die Identifizierung mit einer bestimmten Staatsreligion ist ebenso verwehrt wie eine freundschaftliche Zusammenarbeit des Staates mit den Kirchen, wenn sie nicht in Distanz und Freiheit der Partner geschieht. 344 Findet eine Kooperation statt, ist darauf zu achten, daß der Staat zur Wahrung der gegenseitigen Unabhängigkeit Herr der weltlichen Aspekte bleibt und die Kirchen im Bereich der religiösen Angelegenheiten nicht bevormundet werden?45 Eine sach337 Das VG Stuttgart hat eine entsprechende Klage zu Unrecht abgewiesen, die eine muslimische Lehramtanwärterin angestrengt hatte, welche zuvor ihre Absicht erklärt hatte, ein religiös motiviertes Kopftuch auch im Unterricht tragen zu wollen, weshalb ihr die persönliche Eignung als Lehrerin abgesprochen wurde, NVwZ 2000, 959. Dagegen hat das VG Lüneburg mit überzeugender Begründung in dem vergleichbaren Fall einer zum Islam konvertierten Lehrerin entgegengesetzt entschieden, NJW 2001, 767. 338 Böckenförde, in: NJW 2001, 723, 726. Im Ergebnis zustimmend Winter, Staatskirchenrecht, S. 67. 339 Jarass I Pieroth, GG, Art. 140 GGI Art. 137 WRV Rdn. 2. 340 Winter, Staatskirchenrecht, S. 103. 341 BVerfGE 19, 1,5. 342 BK-Obermayer, Art. 140 Rdn. 79. 343 Link, in: BayVBI. 1966,297,303. 344 Heckei, in: VVDStRL 26 (1968), 5, 39 f. 345 Tillmanns, in: Neumann/Tillmanns (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Probleme, 161, 193.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
gemäße, juristisch korrekte Lösung unterliegt aber letztlich der Kasuistik; Staatskirchenrecht ist im pluralistischen Staat notwendig Konflikt- und Kompromißrecht,346 eine allgemeinverbindliche Lösung unmöglich.
5. Ergebnis Aus den historischen Erfahrungen und der Systematik des Grundgesetzes ergibt sich auch der Zweck der grundsätzlichen Trennung von Staat und Kirche. Indem man die Religionsgemeinschaften grundsätzlich von den staatlichen Institutionen trennt, gibt man ihnen und dem Staat die Freiheit zu eigenständigem und unabhängigem Handeln. Vom Prinzip der Trennung sind aber Ausnahmen zu machen. Wegen der bestehenden Identität des idem civis et christianus würde eine laizistische Trennung wohl nicht nur praktisch scheitern, sie ist auch verfassungsrechtlich nicht gewollt und daher unzulässig. 347 Dies bringt insbesondere Art. 137 V WRV zum Ausdruck. Hinter der scheinbar nur technischen Bestimmung verbirgt sich die Entscheidung für die Fortsetzung bestimmter Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Die korporierten Kirchen wurden damit als Teile der öffentlichen Ordnung anerkannt und der Versuch abgewehrt, sie in den Bereich des für den Staat Beliebigen, Unwesentlichen zu verbannen. Genauso kann jeder weiteren Religionsgemeinschaft derselbe öffentlich-rechtliche Status verliehen werden, wenn der Staat aufgrund einer "vorkonstitutionell" getroffenen Wertung ihre das Gesellschaftsganze betreffende Bedeutung anerkennt. Der Körperschaftsstatus soll ihnen besondere Hilfe bei der durch das Trennungsprinzip zugedachten Betätigungsfreiheit sein, ihnen soll das zur Erfüllung ihres Dienstes unabdingbare materielle Fundament eingeräumt werden. Unter den Körperschaften des öffentlichen Rechts nehmen die beiden Großkirchen noch eine Sonderstellung ein, die nicht "nur" historisch legitimiert ist, sondern auch in der tatsächlichen soziologischen Bedeutung der Großkirchen ihren Grund hat. Ein Verstoß gegen die Grundsätze von Neutralität und Parität ist damit nicht verbunden, da ihre Gleichbehandlung mit den anderen Religionsgemeinschaften aufgrund ihrer tatsächlichen, noch immer gegebenen, überragenden Bedeutung eine gleiche Behandlung von Ungleichem zur Folge hätte. Die Grenze der gegenseitigen Kenntnis- und Rücksichtnahme sowie der Zusammenarbeit von Staat und Kirche ist jedoch dann durchbrochen, wenn Staat und Kirche institutionell kooperieren, jedenfalls aber immer dann, wenn sich der Staat mit einem Bekenntnis, wenn auch nur faktisch und inoffiziell, identifiziert.
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Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 74. v. Mangoldt/Klein/Starck-von Campenhausen, Art. 137 I WRV Rdn. 12.
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V. Gesamtergebnis Die Auslegung von Text, geschichtlicher Betrachtung, systematischem Kontext und Telos der staatskirchenrechtlichen Normen zeigt, daß das Grundgesetz ein System grundsätzlicher Trennung von Staat und Kirche etabliert hat, das von prinzipieller staatlich-kirchlicher Bereichsscheidung ausgeht, im Einzelfall jedoch eine Zusammenarbeit der wesensverschiedenen, aber koordinierten Mächte vorsieht. Diese Zusammenarbeit ist Ausdruck einer sozial-partnerschaftlichen Mitverantwortung bei der Daseinsmächte, der Bedeutung der christlichen Großkirchen in Deutschland und der praktischen Notwendigkeiten. Prägend für dieses Modell sind die Grundsätze der Nichtidentifikation mit nur einer Konfession oder Weltanschauung, der Parität und der religiös-weltanschaulichen Neutralität. Das System ist dabei nicht einseitig festgelegt und inhaltlich komplett ausgestaltet, sondern offen und positiven Ausformungen zugänglich.
VI. Abschließende Bemerkungen zur methodischen Vorgehensweise von Bundesverfassungsgericht und Literatur 1. Rechtsprechung Wie in den anderen Bereichen des Verfassungsrechts sieht sich das Bundesverfassungsgericht auch im Staatskirchenrecht dem Vorwurf unüberschaubarer Methodik ausgesetzt. Die Rechtsprechung bietet hier ein undurchsichtiges, unsystematisches Bild und eine irgendwie geartete Entwicklung hinsichtlich Auswahl und Anwendung der Methodik im Laufe der Jahrzehnte ist nicht auszumachen. Zu Recht wirft man dem Bundesverfassungsgericht daher vor, im Bereich des Staatskirchenrechts "der nach Grundgedanken suchenden Betrachtung ein Bild verwirrender Vielfalt und Gegensätzlichkeit" zu bieten. 348 Theoretisch stellen auch hier alle vier üblichen Auslegungsmethoden gleichberechtigte Gesichtspunkte dar, die argumentativ zueinander in Beziehung zu setzen sind. Sie ergänzen einander bei der Ermittlung des Sinngehalts. Dennoch ist für viele Urteile im Bereich des Staatskirchenrechts eine teilweise ganz einseitige Auslegung mit Hilfe nur einer Methode bei gleichzeitiger Mißachtung oder wenigstens starker Vernachlässigung anderer Methoden kennzeichnend. In einem leitenden Urteil zur Rechtmäßigkeit der Kirchensteuer 349 beispielsweise hat das Bundesverfassungsgericht als "vornehmstes Interpretationsprinzip" die "Einheit der Verfassung als eines logisch-teleologischen Sinngebildes" bezeichnet und dann auch vornehmlich systematisch ausgelegt bei gleichzeitiger "schroffer Zurückweisung" der Historie. 35o Die Entstehungsgeschichte des dort in 348 349
Hesse, in: JöR NF 10 (1961), 3, 23. BVerfGE 19,206 ff.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
Rede stehenden Art. 137 Abs. 6 WRV wird zwar kurz angesprochen; konkrete Schlüsse werden aus ihr jedoch nicht gezogen. Dies könne nach Ansicht des Gerichts auch "dahingestellt bleiben", da die Regelung jedenfalls Bestandteil des Grundgesetzes geworden sei und somit "im Zusammenhang dieser Ordnung" heraus ausgelegt werden müsse?51 An anderer Stelle betont das Gericht dagegen, daß der von Art. 140 GG in Bezug genommene Art. 137 Abs. 3 WRV in einer "geschichtlichen Kontinuität" stehe, dessen Verständnis bei der Interpretation der Norm "nicht außer acht gelassen werden könne,,?52 Anschließend wird der Entstehungsprozeß der inkorporierten Artikel breit erörtert. Auffallend oft kommt der systematischen Auslegung die entscheidende Bedeutung zu, indem die Ausstrahlungswirkung des Art. 4 GG auf die inkorporierten Kirchenartikel hervorgehoben wird. 353 In einem Urteil zur Befreiung der Religionsgemeinschaften von staatlichen Gebühren 354 wiederum ist von dem Einfluß des Art. 4 GG keine Rede. Zur Auslegung des Begriffs "Kirche" bedient sich das Gericht neben einem knappen geschichtlichen Rekurs und Orientierungen am Gleichheitssatz in erster Linie Erwägungen zur tatsächlichen Stellung und Bedeutung der Religionsgemeinschaften in der heutigen Gesellschaft. 355 Aus auslegungsmethodischer Sicht ist beispielhaft positiv hervorzuheben ein abweichendes Votum des Richters Rottmann zu dem Beschluß des Zweiten Senats vom 25. März 1980,356 selbst wenn dies auf inhaltliche Bedenken, vor allem im Hinblick auf Art. 137 III WRV, stößt. Dort erläutert er zunächst die grundsätzliche Vorgehensweise: "Die Anwendung des Art. 140 GG hat in der Weise zu erfolgen, daß zunächst der Inhalt der inkorporierten Vorschriften als solcher ermittelt und dieser Norminhalt sodann in seinem Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des Grundgesetzes ausgelegt wird. ,,357 Dies ist zwar insofern ein wenig unstimmig, als der Inhalt gerade im Wege der Auslegung ermittelt wird und nicht per se feststeht, aber zumindest nimmt Rottmann anschließend zu allen Auslegungsmethoden kurz Stellung. 350 Vgl. Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968), 57, 58, Fn. 9; Hollerbach, in: AöR 92 (1967),99,114. 351 BVerfGE 19,206,218. 352 BVerfGE 42,312,330 f. 353 BVerfGE 19, 129, 134 f.; E 19,206, 220; E 24, 236, 246 ff.; E 42, 312, 332; zuletzt auch in dem Urteil zum Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas, BVerfG NJW 2001, 429, 430. Obgleich auch diese Entscheidung maßgeblich von systematischen Argumenten geprägt ist, ist ihr das Bemühen des Verfassungsgerichts um eine umfassende Methodik nicht abzusprechen, da sich das Gericht hier ebenso entstehungsgeschichtlicher wie teleologischer Argumente unter jeweiliger Beachtung des Wortlauts bedient. 354 BVerfGE 19, 1 ff. 355 BVerfGE 19, 1,5 ff. 356 BVerfGE 53, 366 ff.; Votum ab S. 408. 357 BVerfGE 53, 408.
§ 3 Deutschland
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Daneben hat das Bundesverfassungsgericht bei der Konkretisierung staatskirchenrechtlicher Auslegung bisweilen den Versuch unternommen, eine Rangfolge unter den Normen zu erstellen, besonders in bezug auf die inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung. So beruft sich das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 19, 206 ff. auf die Ausführungen von Brentanos, der zu der Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel ausführt, daß ihre Auslegung nicht primär aus dem Blickpunkt der früheren Reichsverfassung oder ihre Betrachtung isoliert erfolgen soll. Ihr Sinn und Zweck ergebe sich vielmehr aus der Tatsache ihrer Einbettung in das gesamte Wertesystem des Grundgesetzes. Zu beachten sei, "daß, soweit das Grundgesetz selbst durch eine an anderer Stelle - sei es im Grundrechtsteil oder anderwärts - vorgenommenen Formulierung den rechtlichen Gehalt eines Rechtsgedankens der Artikel 136 ff. der Weimarer Verfassung in erkennbarer Weise verstärken will, die entsprechenden Vorschriften der früheren Reichsverfassung durch die einschlägige anderweitige Regelung ergänzt und damit erweitert ("überhöht") werden. Soweit die Weimarer Verfassungsartikel zu anderen Bestimmungen des Grundgesetzes in Widerspruch stehen, gehen letztere vor, und erstere sind nicht mehr anwendbar. ,,358 Dadurch kommt nicht nur der Hinweis auf das Prinzip von der Einheit der Verfassung zum Ausdruck, sondern auch eine Rangfolge innerhalb der Verfassungsbestimmungen. Dies verwundert jedoch, weil das Gericht im gleichen Urteil an vorheriger Stelle festlegt, daß die inkorporierten Artikel "vollgültiges Verfassungsrecht" sind und gegenüber den anderen Artikeln "nicht etwa auf einer Stufe minderen Ranges stehen".359 Diese Vorgehensweise ist zu kritiseren; die Annahme einer Hierarchie unter den Verfassungsbestimmungen ist abzulehnen, weil sie dem Prinzip von der Einheit der Verfassung zuwiderläuft. Überdies wird hier nicht genug beachtet, daß die allgemeinen Aussagen über Kirche und Staat seit den Anfängen deutscher Verfassungen in gleicher Weise wie das Grundrecht der Glaubensfreiheit zum alten überlieferten Grundrechtsbestand des deutschen Rechts gehören. 36o Die Religionsfreiheit darf nicht isoliert und zum "Moment einer staatskirchenrechtlichen Gestaltung" gemacht werden, sonst gewinnt sie ein Gefälle gegen Einrichtungen der Zusammenarbeit von Staat und Kirche, das der bestehenden und vom Grundgesetz intendierten Ordnung nicht gerecht wird. Sie muß ihrerseits im Lichte des Systems staatskirchlicher Ordnung verstanden und ausgelegt werden. 361 Eine derart einseitige Gewichtung zu Lasten des Art. 140 GG ist daher nicht wünschenswert. Sicher ist Obermayer zuzustimmen, daß es ebenso unzulässig ist, Art. 4 GG zugunsten der großen Kirchen mit dem lapidaren Hinweis einzuschränken, daß eine andere Interpretation der bestehenden und vom Grundgesetz intendierten Ordnung nicht gerecht wird. 362 Zwar 358 Schriftlicher Bericht zum XI. Abschnitt des Grundgesetzes, S. 73 f., abgedruckt in: BVerfGE 19,206,220. 359 BVerfGE 19,206,219. 360 Scheuner, in: DÖV 1967,585,587. 361 Scheuner, in: DÖV 1967,585,587. 362 BK-Obermayer, Art. 140 Rdn. 73.
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mag der "Grundakzent" für das künftige Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften durch das Grundrecht der Religionsfreiheit und nicht durch "die aus der Vergangenheit überkommenen institutionellen Privilegierungen" gesetzt werden. 363 Dies rechtfertigt aber weder eine Normenhierarchie in dem Sinne, daß im Rahmen der staatskirchenrechtlichen Ordnung Art. 4 GG stets der Vorrang einzuräumen wäre, noch generell eine Überbetonung der systematischen Auslegung zu Lasten der übrigen Interpretationsmethoden. Denn wie das Bundesverfassungsgericht selbst richtig festgestellt hat, kann das Grundgesetz nur als Einheit unter Aufrechterhaltung der Bedeutung und des inneren Gewichts der einzelnen Normen begriffen werden. 364 2. Literatur
Die Forderung nach mehr Systematik und Methodik bei der Auslegung der staatskirchenrechtlichen Verfassungsnormen ist jedoch auch im Hinblick auf die Literatur berechtigt. Zunächst fällt auf, daß sich dort die Ergebnisse bei der Interpretation der staatskirchenrechtlichen Regelungen nach Verabschiedung des Bonner Grundgesetzes sehr stark angenähert haben. Erst in jüngerer Vergangenheit hat sich die Meinungsgruppe herausgebildet, die angesichts der wachsenden Kirchenaustrittszahlen ein Ende der Privilegien für die großen Kirchen verlangt. Zwar kritisieren die Vertreter dieser Ansicht zu Recht die unzureichende Methodik bei der Auslegung der staatskirchenrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes,365 insbesondere die einseitige Orientierung an der Geschichte und nicht am Verfassungstext. Allerdings ist der Verfassungstext ungenau, so daß bei der Ermittlung des Sinngehalts der staatskirchlichen Grundrechtsnormen die geschichtlichen Wurzeln eine wichtige Rolle spielen. Diese sind im gleichen Maße zu berücksichtigen, wie etwa systematische Argumente, insbesondere dann, wenn die traditionell verbürgte, über den bloßen Gesetzeswortlaut hinausgehende Interpretation wie im Falle der rechtlichen Behandlung der großen Kirchen mit den sozialen Anschauungen von heute im Einklang steht. 366 Die geschichtlichen Faktoren sind hier nach wie vor von normativer Aktualität. Genau aus dem Grunde geht die Auslegung der kritisierenden Gegenauffassung auch fehl. Genauso wenig ist es jedoch gerechtfertigt, deren Kritik als "typisch-juristische Versuchung,,367 abzutun und ihrem strikten Trennungsverständnis pauschal "Kirchenfeindlichkeit" vorzuhalten. 368 Dies erscheint vor allem dann bedenklich, wenn juristischen Erwägungen ständig das "Machbare" und die Bedürfnisse der Praxis entgegengebracht BK-Obermayer, Art. 140 Rdn. 73. BVerfGE 3, 225, 232; E 19,206,219. 365 Fischer, Volks kirche, S. 83 ff. 366 BK-Obermayer, Art. 140 Rdn. 71. 367 Heckei, in: VVDStRL 26 (1968), 5, 32. 368 VgJ. die entsprechenden Literaturangaben bei Fischer, Trennung von Staat und Kirche, 3. Auflage, S. 38 ff. 363
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werden. 369 Es ist sicher darauf zu achten, angesichts der aufgezeigten, immer noch überragenden Bedeutung der Großkirchen und des Christentums in unserer Gesellschaft nicht deren Selbstverständnis zur Grundlage allgemeingültiger Auslegungsmaßstäbe aller Kirchenartikel zu machen. 37o Die Auslegung staatskirchenrechtlicher Normen muß für jede Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft in gleicher Weise verbindlich sein, denn Verfassungsbegriffe sind "für alle Bekenntnisse und Weltanschauungen gleich zu interpretieren".371 Wie die Rechtsprechung muß sich auch die Literatur insgesamt den Vorwurf gefallen lassen, einzelne Auslegungsmethoden einseitig zu gewichten. 372 Typisch für die Diskussion um die Auslegung der staatskirchenrechtlichen Artikel in der Literatur ist die immer wieder geäußerte Feststellung eines "Bedeutungswandels" der Normen im Vergleich zur Interpretation der Weimarer Zeit. 373 Die Begründung dazu ist jedoch in der Regel unzureichend. 374 Oftmals bleibt es nur bei der Forderung, daß sich die Auslegung des Art. 140 GG verändern müsse, weil sich auch die tatsächlichen Gegebenheiten ("die Eckpfeiler des staatskirchenrechtlichen Systems") durch die geschichtlichen Ereignisse geändert hätten,375 ohne daß besonders konkretisiert würde, was sich denn genau zu ändern hat oder ob sich dies auch mit den anderen Auslegungsmethoden verträgt. Teilweise wird der "Bedeutungswandel" der Weimarer Kirchenartikel allein aus der Tatsache ihrer Übernahme in das Grundgesetz und der damit verbundenen Unterwerfung unter ein neues Staatsbild erklärt,376 ein rein systematisches Argument mithin. Eine andere Auffassung geht schlicht davon aus, daß die früheren Auslegungen der Kirchenartikel verwendbar bleiben, nur "nicht mehr in vollem Umfang". Ein "Bedeutungswandel" sei nur insoweit eingetreten, als sich die heutige Auslegung der in Rede stehenden Artikel auch an "Sinn und Geist der grundgesetzlichen Werteordnung" 369
Vgl. etwa Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968), 57, 68; Hecke\, VVDStRL 26 (1968),
370
BK-Obermayer, Art. 140 Rdn. 70. BVerfGE 12,45,54.
5,38. 371
372 Vgl. etwa Anschütz, Verfassung, Art. 137, 1 Abs. 1, S. 631, nach dem sich der Sinn des Art. 137 I WRV "aus seiner Entstehungsgeschichte" ergebe. 373 Vgl. hierzu Smend, in: ZevKR 1 (1951), 1, 4 ff.; Menger, in: MDR 1955, 512 ff.; Mucke\, in: Stimmen der Zeit 219 (2001), 463, 474 f.; Weber, Die Religionsgemeinschaften, S. 23 ff.; Bachof, in: DÖV 1958,557; Tillmanns, in: Neumann/Tillmanns (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Probleme, 161, 184 f.; Quaritsch, in: NJW 1967, 764, 765; sowie jüngst Ehlers, in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, 85 ff. 374 Anders aber die ausführliche Darstellung Webers, die in ihrem methodischen Bemühen vorbildlich ist. Vgl. Weber, Die Religionsgemeinschaften, S. 23 ff. 375 Köttgen, in: Staat und Kirchen, 79, 81. 376 Badura, Staatsrecht, L 46. In diese Richtung wohl auch Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 108: "Vielmehr kommt den staatskirchenrechtlichen Normen des Grundgesetzes schon deshalb eine andere Bedeutung als den Normen der Weimarer Reichsverfassung zu, weil sie im Rahmen des Grundgesetzes unter den veränderten normativen Verhältnissen nach anderen Prinzipien der Verfassungsauslegung zu lesen sind."
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
zu orientieren habe. Eine "grundlegende" Veränderung des Verhältnisses von Staat, Religion und Kirche habe gegenüber der Weimarer Zeit jedoch nicht stattgefunden und sei auch heute nicht aktuell. 377 Was sich letztlich im Detail geändert haben soll, bleibt aber offen. Eine stringente, methodisch saubere Diskussion, Subsumtion und anschließende Abwägung aller Methoden ist selten. Nicht nur durch die Kritiker der großkirchlichen Sonderstellung wird im Hinblick auf die Auslegung der staatskirchenrechtlichen Normen immer wieder gefordert, sich auf "die juristische Methode", speziell auf den Text der Verfassung, rückzubesinnen. 378 Muckel erinnert im Hinblick auf diese Forderung jedoch zu Recht daran, daß das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes ein zweifacher Verfassungskompromiß ist, weshalb dem Wortlaut "etwas Zufälliges" zukomme?79 Entscheidend sei vielmehr die Frage, "welchen Sinn und Zweck die Verfassung ihren staatskirchenrechtlichen Bestimmungen zugrunde gelegt hat,,?80 Muckel ist insofern zuzustimmen, daß der Blick auf den Wortlaut nicht dazu führen darf, die Genese des Rechts zu vernachlässigen, weil der Entstehungsgeschichte der Normen im Bereich des Staatskirchenrechts eine herausragende Bedeutung zukommt. Das Staatskirchenrecht ist eine historisch gewachsene Materie; bei Auslegungsschwierigkeiten kann der Text der Weimarer Kirchenartikel allein die Antwort nicht geben?81 Die Tatsache, daß die Verfassung Elemente der Trennung und der Verbindung, beziehungsweise der Zusammenarbeit, prinzipiell gleichrangig nebeneinander gestellt hat,382 und daraus die konkrete Eigenart des Verhältnisses von Staat und Kirche in Deutschland resultiert, ist jedoch bereits eine systematische Erkenntnis. Hierzu bedarf es nicht des Rückgriffs auf die Historie der Norm. Überhaupt Seifert I Hömig, GG, Art. 140 Rdn. 1. Vgl. etwa Weber, Die Religionsgemeinschaften, S. 18 ff.; Quaritsch, in: NJW 1967, 764 ff.; Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 211 f.; 228 ff. 379 Muckei, in: Tillmanns (Hrsg.), Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen, 23, 32 f. Vgl. hierzu auch schon 3. Teil, § 3112. 380 Mucke!, in: Tillmanns (Hrsg.), Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen, 23, 33. Nach Muckelliege im Staatskirchenrecht falsch, wer bei der Interpretation der einzelnen Verfassungsvorschriften entscheidendes Gewicht auf Systematik und Wortlaut lege. Jeand'Heur I Korioth vertreten dagegen, daß historische Gesichtspunkte regelmäßig gegenüber den "direkt normtextbezogenen systematischen Konkretisierungselementen" in den Hintergrund träten. Sie könnten ein auf systematischem Wege gefundenes Auslegungsergebnis "bestenfalls abstützen, nicht aber konterkarieren." Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 163. In dieser Pauschalheit ist der Auffassung von Jeand'Heur und Korioth allerdings zu widersprechen. Ausgehend von der Prämisse, daß allen Methoden grundsätzlich die gleiche Bedeutung zukommt, ist immer im Einzelfall durch Abwägung der gefundenen Auslegungsergebnisse zu beurteilen, welche Methode in concreto das letztlich überzeugende Argument liefert. Dies kann sehr wohl dazu führen, daß historische Argumente systematische überwiegen. In bezug auf die staatskirchenrechtlichen Regelungen ergibt sich jedoch kein Widerspruch zwischen den Methoden; sie ergänzen sich vielmehr. 381 von Tiling, in: ZevKR 33 (1988), 370, 373. 382 Mucke!, in: Tillmanns (Hrsg.), Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen, 23, 33; Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 161. 377
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sind die Regelungen des Staatskirchemechts anschauliches Beispiel dafür, wie nur die umfassende Zusammenschau von Wortlaut, Historie, Systematik und Telos zu tragbaren und befriedigenden Ergebnissen führt. Für die Interpretation staatskirchemechtlicher Normen gilt hier nichts anderes als für die Verfassungsauslegung und die Gesetzesinterpretation im allgemeinen. 383 Konsequenterweise müssen daher auch die Begriffe, deren Bedeutung sich nicht auf den juristischen Bereich beschränkt, sondern etwa auch oder vor allem einen religiösen oder soziologischen Hintergrund haben, mit den Methoden des staatlichen Rechts bestimmt werden. 384 Immer wieder wird - nicht ganz zu Umecht - kritisiert, daß hier juristische, soziologische und theologische Elemente unzulässig vermengt würden und deren Resultate verfassungsrechtliche Novitäten darstellten. 385 Ebenso werde gerade im Staatskirchemecht zu sehr und auf Kosten der juristischen Methode von den jeweiligen staats- und kirchentheoretischen Prämissen, das heißt vom jeweiligen Vorverständnis des Interpreten, her diskutiert?86 Abhilfe schafft hier nur die erschöpfende Diskussion aller Methoden des klassischen Auslegungskanons. Was von denen, die eine stärkere Beachtung der "juristischen Methode" fordern, jedoch oft mißachtet wird, ist der Umstand, daß auch die teleologische Interpretation - gleichbedeutender - Teil dieser Gesamtauslegung ist. 387 Die Betrachtungsweise wird nicht erst dadurch "normativ", daß auf teleologische Erwägungen gänzlich verzichtet wird. 388 Die "Mißbrauchsgefahr" ,389 daß veränderte gesellschaftliche Bedingungen zur Aufgabe der herkömmlichen Interpretationen im Bereich des Staatskirchemechts führen könnten, erweist sich bereits daher als unbegründet, weil sich teleologische Erwägungen wiederum an Wortlaut, Genese und Systematik, die relativ unabhängig von den tatsächlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten sind, messen lassen müssen. Wenn etwa Kleine sich vom Körperschaftsprivileg ganz verabschieden möchte,390 weil dieses angeblich nur noch von teleologischen 383
leand'Heur / Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 70; Quaritsch, in: Der Staat 1962, 175,
384
Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 40. Vgl. nur Weber, Die Religionsgemeinschaften, S. 21; Quaritsch, in: NJW 1967, 764,
190.
385
765.
386 Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 203; leand'Heur / Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 72. 387 Vgl. hierzu Robbers, in: VVDStRL 59 (2000), 231, 237: "Der demokratische Staat darf und muß [ ... ] die Lebensverständnisse und Strukturerwartungen und damit auch religiös motivierte Verhaltensweisen der Bevölkerung in der Gestalt seiner Rechtsordnung aufnehmen." 388 In diesem Sinne wohl Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 230: "Informelle Absprachen, liebgewordene Gewohnheiten, umfangreiche Vertragswerke und einfaches Gesetzesrecht sind nicht nur Ausdruck einer permanenten Mißachtung des Grundgesetzes, sondern stellen die Funktion der Verfassung an sich in Frage." Wohl auch S. 211: "Allein pragmatische Erwägungen sind keine juristischen Argumente." Kleine übersieht hier jedoch, daß etwa Gesetze oder Verträge regelmäßig im Einklang, oft sogar aufgrund der Verfassung und ihrer Wertungen erlassen und abgeschlossen werden. 389 Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 202 f. 390 Vgl. Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 203.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
Argumenten getragen werde, so ist dem energisch zu widersprechen. Auch Wortlaut, Historie und Systematik stützen den status quo. Sofern er sich selbst auf die Systematik, insbesondere auf die Wertung von Art. 137 I WRV, beruft, so verkennt er, daß Art. 137 I WRV seinerseits im Lichte des Art. 137 V WRV ausgelegt werden muß. Ansonsten gelangte man zu einer verschiedenen Wertigkeit der Nonnen des Grundgesetzes. Genauso wenig wie Art. 137 V WRVeine grundsätzliche Trennung verbietet, schließt Art. 137 I WRV die Erlangung und Beibehaltung des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus für Religionsgemeinschaften aus. 391
§4 USA Wie bereits oben ausgeführt,392 ist nun anhand der vier traditionellen Auslegungsmethoden das Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche in den Vereinigten Staaten von Amerika zu untersuchen, das die dort verfassungsrechtlich garantierte Religionsfreiheit wesentlich prägt, ja, ähnlich wie in Deutschland, von dieser gar nicht getrennt betrachtet werden kann.
I. Wortlaut In dem ersten Zusatzartikel der 1791 in Kraft getretenen Bill of Rights heißt es: "Congress shall make no law respecting an establishment of religion, [ ... ]"?93 Diese Regelung, die sogenannte establishment c1ause, steht für die (venneintliche) Trennung von Staat und Kirche; zusammen mit der ihr im Verfassungstext folgenden "free exercise c1ause,,394 bildet sie die Grundlage für das gesamte staatskirchenrechtliche System der USA. Der Begriff "Congress" bezieht sich eigentlich nur auf den Bundesgesetzgeber der Vereinigten Staaten. Indem der Supreme Court diesen Verfassungssatz nachträglich durch die sogenannte due process c1ause des 14. Zusatzartikels aber auch für die einzelnen Staaten verbindlich machte, hat er das Amendment faktisch neu geschrieben. 395 Nunmehr gilt die Nonn für jede Person mit staatlichen 391 In diesem Sinne auch Tillmanns, in: DÖV 1999, 441, 442: "Die staatskirchenrechtlichen Nonnen des Grundgesetzes haben nicht gleiches Gewicht und gleiche Bedeutung, jedoch gleichen Rang. Vereinzelte Versuche, das Trennungsprinzip unter Rückgriff auf Art. 4 Abs. I und 2 GG zu verabsolutieren und die verbindenden Elemente als prinzipienwidrige Ausnahmen zu marginalisieren oder als verfassungswidriges Verfassungsrecht auszuschalten, gehen von daher fehl." So auch Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 122. 392 2. Teil, § 3 I; III; besonders 2. Teil, § 4. 393 "Der Kongreß darf kein Gesetz erlassen, das die Errichtung einer Religion zum Gegenstand hat, [ ... ]." 394 Ausführlich hierzu 4. Teil, § 2.
§4 USA
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Befugnissen, von den Lehrern der öffentlichen Schulen bis hin zum Präsidenten der USA. 396 Fraglich ist in erster Linie, was unter einem "establishment" zu verstehen ist. 397 Übersetzt wird das Wort mit ,,(Be-)Grundung", "Bildung, "Schaffung", "Einführung", "Herstellung" oder "Errichtung,,?98 Es wird abgeleitet aus dem Verb "to establish", was im Englischen umschrieben wird als "set up", "put on a firm foundation", "settle, place aperson, oneself in a position, office, place, etc.", auch als "ta cause people to accept a belief, claim, custom", sowie vor allem "to make (a church) national by law".399 Damit könnte es verboten sein, durch Gesetz eine Religion oder Religionsgemeinschaft erst zu schaffen. Auch die Förderung einer bereits bestehenden Religionsgemeinschaft durch staatliche Regelungen mit dem 395 Ursprünglich war es offenbar eine der Aufgaben des I. Amendments, die vorhandenen einzelstaatlichen Kirchenstrukturen zu schützen, d. h. auch die Systeme mit einer Staatskirche. Siehe hierzu ausführlich 3. Teil, § 4 11 2. Aufgrunddessen existierten diese staatskirchlichen Rechtsverhältnisse in den Bundesstaaten auch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein; auf der Ebene des Gesamtstaates hingegen erlangte die Vorschrift zunächst kaum Bedeutung, da es insbesondere an einer Bundeskirche mangelte. Schlaich, Neutralität, S. 142. Im Jahre 1868, d. h. 77 Jahre nach Erlaß des I. Amendments, wurde jedoch die due process cJause des 14. Zusatzartikels der U.S. Constitution verabschiedet, die sich ausdrücklich an die EinzeIstaaten wandte und für diese nunmehr bestimmte, daß sie keine Gesetze erlassen oder durchführen dürften, die die Vorrechte oder Freiheiten von Bürgern der Vereinigten Staaten beschränkten: "No State shall make or enforce any law which shall abridge the privileges or immunities of citizens of the United States; nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law; ( ... )". Unbestritten führte dies zunächst dazu, daß zumindest die free exercise cJause als "Freiheit" in diesem Sinne nun auch für die Gliedstaaten verbindlich wurde. Ob auch die Einrichtungsklausel als ein solches verbindliches Freiheitsrecht für die Einzelstaaten zu betrachten sei, mithin ob der 14. Zusatzartikel auch als Brückenvorschrift für die establishment cJause dient, wurde lange Zeit unterschiedlich beurteilt. Da der Supreme Court dies aber mittlerweile in ständiger Rechtsprechung vertritt, besitzt der Streit nur noch theoretische Relevanz. Vgl. hierzu nur CantweIl v. Connecticut, 310 U.S. 296, 303 (1940); Zorach v. Clauson, 343 U.S. 306, 309 (1952). Konsequenz der Auffassung des Supreme Court ist jedenfalls eine verfassungsrechtliche Situation, die vielfach als "Paradoxie" bezeichnet wird. Unterstellt man nämlich, daß das I. Amendment in seiner ursprünglichen Auslegung auch das Ziel verfolgte, die damaligen staatskirchlichen Verhältnisse in den Einzelstaaten zu wahren, d. h. die bestehenden establishments of religion der Staaten vor Eingriffen des Bundesgesetzgebers zu schützen, so verwundert es, wenn heute den Einzelstaaten das establishment of religion gerade untersagt wird. Dadurch wird der Vorschrift durch die Einführung des 14. Zusatzartikels im Ergebnis nunmehr die genau entgegengesetzte Intention unterlegt, ein" völliger Bedeutungswandel" ist eingetreten. Zu alldem Katz, in: University of Chicago Law Review 20, 426, 435; Bayer, in: ZaöRV 24, 201, 229 ff.; Kurland, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 843 f.; Schlaich, Neutralität, S. 143. 396 Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 96. 397 Das Wort "respecting" (=bezüglich) ist relativ unstreitig; als Synonyme gelten "concerning", "touching upon", "in relation to", "with respect to", "with regard to". Vgl. Swomley, Religious Liberty, S. 48. 398 Breitsprecher / Calderwood-Schnoor /Terrell / Morris, Pons-Globalwörterbuch, S. 361. 399 Hornby, Oxford Advanced Leamer's Dictionary ofCurrent English, S. 291.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
Ziel, ihr zu einer "nationalen", das heißt landesweiten Bedeutung zu verhelfen, könnte gemeint sein. Eine solche "Errichtung" wäre auch denkbar, wenn der Gesetzgeber die Einführung nicht ausdrücklich anordnet, sondern Maßnahmen beschließt, die in ihren Auswirkungen einer Errichtung faktisch gleichkommen. Was der Wortlaut jedenfalls anzudeuten scheint, ist die Aufforderung an den Staat, gegenüber der Religion und den religiösen Institutionen eine wie auch immer geartete Position der Neutralität einzunehmen. Offen bleibt aber das genaue Ausmaß einer solchen Neutralität. Die staatliche "Errichtung einer Religion" weckt die Assoziation einer monopolisierten "Staatsreligion" oder einer "Staats kirche" und könnte dementsprechend für ein Verbot der Privilegierung einer oder mehrerer Religionsgemeinschaften - gegebenenfalls bei gleichzeitiger Diskriminierung anderer - sprechen. Vom Wortlaut gedeckt erscheint aber genauso die weit darüber hinausgehende Absage an jegliche Form staatlicher Tätigkeit in bezug auf die Religion, mithin auch ein Verbot bloß geringfügig unterstützender Maßnahmen. 400 Insofern wird klar, daß die genaue Bedeutung der Konkretisierung durch die übrigen Interpretationsmethoden vorbehalten ist.
11. Historische Auslegung 1. Geschichtliche Grundlagen
Bereits kurz nach der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 begannen die amerikanischen Kolonien damit, sich republikanische Verfassungen auf der Grundlage von Volkssouveränität und Gewaltenteilung zu geben. In den 1781 ratifizierten "Artic1es of Confederation" schlossen sie sich zu einem losen Staatenbund ohne Finanzhoheit und Zwangsgewalt zusammen, dessen Willensbildung jedoch besonders nach dem Krieg gegen das Mutterland England (1775 - 83) durch den Partikularismus der Einzelstaaten, vor allem in der Finanz- und Handelspolitik, fast unmöglich gemacht wurde. Im Lichte dieser Erkenntnis trat arn 25. 5. 1787 in Philadelphia ein Verfassungskonvent, die "Constitutional Convention", zusammen, um eine bundesstaatliche Verfassung mit gestärkter Zentralgewalt, aber auch föderalistischen und institutionellen Gegengewichten gegen eventuellen Machtmißbrauch, auszuarbeiten. 400 Swomley sieht einen Beleg für diese Auffassung darin, weil es schließlich nicht heiße: "Congress shall make no law establishing religion", sondern eben "no law respecting an establishment of religion". Diese Fassung gehe viel weiter und könne nicht dahingehend ausgelegt werden, daß dem Kongreß die Unterstützung von Religionsgemeinschaften erlaubt wäre. Vgl. Swomley, Religious Liberty, S. 49. Dieses Argument vermag jedoch nicht wirklich zu überzeugen, weil diese sprachliche Feinheit die Grundaussage der Bestimmung nicht maßgeblich beeinflußt. Entscheidende Bedeutung kommt nicht dem "respecting" zu, sondern vielmehr der Frage, was unter einem "establishment" zu verstehen ist. Der Gesetzeswortlaut verbietet auch nicht jedes Gesetz im Hinblick auf Religion ("no law respecting religion"), sondern jedes Gesetz im Hinblick auf ein "establishment of religion".
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Diese Zielsetzung wurde erreicht; am 17.9. 1787 nahm der Philadelphia Konvent die erarbeitete Verfassung an. Im Zuge der Ratifizierung durch die Einzelstaaten kam es jedoch zum Streit zweier Bewegungen, deren gegensätzliche Vorstellungen die Bevölkerung spalteten. Zum einen war dies eine stärkere Gruppierung, die die Ratifizierung der neuen Verfassung zu verhindern versuchte. Diese sogenannten antifederalists mißtrauten der neuen Zentralregierung und wandten sich daher vor allem gegen deren Stärkung sowie gegen die Kommerzialisierung des Gemeinwesens. Die Gegenbewegung der Jederalists hingegen machte insbesondere im Zeitraum zwischen Oktober 1787 und August 1788 auf sich aufmerksam, als drei ihrer prominentesten Vertreter, Alexander Hamilton, lames Madison und lohn lay, eine Serie von 85 Essays über die neue Verfassung in New Yorker Zeitungen veröffentlichten, mit denen insbesondere im Schlüsselstaat New York für die Ratifizierung der neuen Verfassung geworben wurde. 401 Dieser Streit erlangte auch Bedeutung für den Schutz religiöser Freiheit und die Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Beide Bereiche waren noch nicht Bestandteil der Verfassung, die der Philadelphia Konvent ausgearbeitet und verabschiedet hatte. Allein eine Gleichheitsbestimmung mit religiösem Bezug fand darin Eingang. 402 George Mason aus Virginia hatte der Constitutional Convention zwar die Ausarbeitung eines besonderen Teils zum Schutz der Grundrechte vorgeschlagen. Zu dem Zeitpunkt stimmten aber noch die Vertreter aller Staaten dagegen. Selbst lames Madison und Alexander Hamilton standen für diese ablehnende Haltung, weil sie den vorhanden Schutz offenkundig als ausreichend empfanden und befürchteten, daß zusätzliche Bestimmungen sich eher negativ auf die bestehenden Freiheiten auswirken könnten. 403 Allerdings gab es unter denJederalists auch viele, die zunehmend bereit waren, die Bill of Rights in die Verfassung zu schreiben, um die antifederalists zu beruhigen, das heißt jene, die sich in erster Linie vor der Macht der neuen Bundesregierung, daraus resultierend aber auch vor der Bedrohung der Individualfreiheiten durch die neue Verfassung fürchteten. Diese Kompromißbereitschaft war durchaus angezeigt, hatten zwei Einzelstaaten 401 Diese sogenannten "Federalist Papers" werden auch heute noch als brauchbare Kommentierung der Verfassung angesehen. 402 In Art. VI Sect. 3 heißt es dort: ,,[ ... ] but no religious Test shall ever be required as a Qualification to any Office or public Trust under the United States." Der Grund für den Erlaß dieser Vorschrift ist aus historischer Sicht nicht ganz nachzuvollziehen, weil zum Zeitpunkt der Philadelphia Convention 11 von 13 Staaten die öffentlichen Ämter nur den Christen, manchmal sogar nur den Protestanten, zugänglich machten. Diese historische Tatsache zeigt, wie die einzelnen Staaten sich selbst regierten und was sie von der neuen Zentralregierung erwarteten. Es scheint, daß Katholizismus oder Judentum, nicht zu sprechen von dem Islam oder anderen nicht-christlichen Gruppen, als Bestandteil religiöser Realität in den Einzelstaaten oder im Gesamtstaat kaum wahrgenommen, geschweige denn gefördert werden sollten. Für viele ist dieser Absatz daher nur Ausdruck des Wunsches des Kongresses, den Faktor "Religion" im Verfassungstext überhaupt einmal erwähnt zu haben. Vgl. Drakeman, ChurchState Constitutional Issues, S. 59; Curry, The first freedoms, S. 221. 403 Swomley, Religious Liberty, S. 43; Kurland, in: William and Mary Law Review 27 (1986),839,851.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
- Rhode Island und North Carolina - die Ratifizierung der Verfassung mangels eigenen Grundrechtskataloges bereits abgelehnt. Auch Madison wurde mittlerweile von seinem Vater informiert, daß die Baptisten in Virginia gegen die Verfassung seien, unter anderem auch genau deshalb, weil die Religionsfreiheit nicht geschützt sei. 404 Auf Anraten seiner politischen Berater und entgegen seiner eigentlichen Überzeugung machte er die verfassungsrechtliche Sicherung der Religionsfreiheit kurzerhand zum zentralen Wahlkampfthema für die Abgeordnetenwahl zum Repräsentantenhaus, was heute als mitentscheidend für dessen knappen Sieg über seinen Konkurrenten farnes Monroe angesehen wird. 405 Andere Staaten stimmten der Ratifizierung zu, schlugen mit der Verabschiedung aber gleich eine Reihe von Zusatzartikeln vor, unter denen sich stets auch einer zum Schutz der Religionsfreiheit befand. 406 Somit zeichnete sich ein einvernehmliches Bestreben ab, den Schutz der Religionsfreiheit in die Verfassung aufzunehmen, allerdings weniger, um konkrete Streitigkeiten und Mißstände zu beseitigen, als vielmehr eventuellen bedrohlichen zukünftigen Entwicklungen vorzubeugen. 407 In dieser Hinsicht äußerte sich etwa Richard Henry Lee, der zu bedenken gab, daß eine generationsübergreifende Verfassung stets die freie Religionsausübung garantieren müsse, und zwar ungeachtet der Tatsache, daß das damalige Amerika gar kein klassisches System religiöser Unterdrückung auf eigenem Boden kannte. 408 Die neue Verfassung wurde schließlich durch 9 der 13 Staaten ratifiziert und konnte am 21. 6. 1788 in Kraft treten. Unter dem Druck der Einzelstaaten sah sich aber bereits der erste Kongreß im Jahre 1789 dazu aufgefordert, der Verfassung einen eigenen Grundrechtskatalog, die angesprochene Bill of Rights, beizufügen. Den Verhandlungen des Kongresses lag folgende staatskirchenrechtliche Situation in den einzelnen Staaten zugrunde. 409
Curry, The first freedoms, S. 195. McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1477. 406 Ausführlich zum Ratifikationsprozeß in den Einzelstaaten Drakeman, Church-State Constitutiona1 Issues, S. 59 ff. Nur vier Staaten sprachen sich speziell gegen ein religiöses establishment aus und von denen brachte nur New Hampshire zum Ausdruck, daß es keinerlei Verstrickung von Staat und Kirche wolle (no "touching"). Alle anderen Staaten, die sich mit dem Entwurf einer establishment clause beschäftigten, versuchten lediglich, die Einführung einer Religion bei gleichzeitigem Ausschluß aller anderen zu verhindern. Über die Ratifikationsdebatten der Einzelstaaten zu der Bill of Rights gibt es allerdings keine brauchbaren Aufzeichnungen. 407 Curry, The first freedoms, S. 194. 408 Zitiert bei Curry, The first freedoms, S. 195. 409 Vgl. Heun, in: FS für Martin Heckei, 341, 342 ff. 404 405
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a) Neuenglandstaaten
Zwar wurde die Kolonie Plymouth41O 1620 auch deshalb gegründet, damit die Pilgrim Fathers dort losgelöst von den Repressalien der englischen Staatskirche auf der Grundlage ihrer eigenen religiösen Anschauungen leben konnten. 411 Schon sehr bald wurde in den Neuenglandstaaten Massachusetts, Connecticut und New Hampshire - mit Ausnahme Rhode Islands - jedoch der calvinistische Kongregationalismus zur Staatskirche nach europäischem Muster erhoben mit der Folge, daß sich kirchliche und staatliche Macht größtenteils in den Händen des Klerus vereinigte, der über die Einhaltung der Gesetze wachte. 412 In Massachusetts kam es sogar zur Verfolgung religiöser Dissidenten, hauptsächlich der Quäker; das Fernbleiben vom Gottesdienst sowie das Leugnen puritanischer Glaubensinhalte wurde unter Strafe gestellt. 413 Massachusetts steht zudem für die Widersprüchlichkeit der religiösen Unabhängigkeitsbewegung des frühen Amerikas. Im Grunde gab es dort im 17. und 18. Jahrhundert nur ein wirkliches establishment-Thema, nämlich die Frage der Zulässigkeit direkter staatlicher Unterstützung von Religionsgemeinschaften, vor allem in Fonn von steuerlichen Zuwendungen. Gestritten wurde dabei etwa um die Höhe der Steuern, wer zum Kreise der Steuerbefreiten zu zählen sei und wer die Verteilung des Steueraufkommens überwachen sollte. Klärungsbedürftig erschienen demnach im wesentlichen finanzielle Modalitäten, weniger - oder gar nicht - die indirekten, oft symbolischen Verbindungen zwischen Staat und Kirche, die heute Gegenstand der Verfassungsrechtsprechung des Supreme Court sind. 414 Beispielhaft dafür ist die Tatsache, daß dieselben Bürger Massachusetts, die ihre Landesverfassung wegen der von ihr eingeräumten Möglichkeit finanzieller Zuwendungen an die Religionsgemeinschaften eine Verletzung der Religionsfreiheit kritisierten, sich zugleich dafür einsetzten, daß die Ausübung staatlicher Ämter den Protestanten vorbehalten sein sollte.415 In dieser Hinsicht erblickte man offenbar keine Bedrohung der Religionsfreiheit. Es oblag vornehmlich den Baptisten wie Samuel und lohn Adams, das tief verwurzelte und stabile establishment-System zu bekämpfen und zu schwächen,416 wenngleich dessen Grundzüge noch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts beiPlymouth wurde 1691 mit Massachusetts vereingt. Bayer, in: ZaöRV 24 (1964), 201, 214. 412 Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen, S. 26. 413 Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen, S. 26. Die Baptisten wurden ausdrücklich per Gesetz im Jahre 1644 verbannt. Vier Quäker, die zuvor ausgewiesen worden waren und darauf bestanden, zurückkehren zu dürfen, wurden gar gehängt. Andere Dissidenten wurden ausgepeitscht oder verhaftet. McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1423. 414 Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 57. 415 Curry, The first freedoms, S. 196. 416 Hierzu ausführlich Witte, in: Journal ofChurch and State 41 (1999),213,233 ff. 410 411
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behalten wurden. Aufgelöst wurde das Staatskirchenturn in Connecticut erst im Jahre 1818, in New Hampshire 1819 und in Massachusetts im Jahre 1833.417 b) Südstaaten
In den Südstaaten Virginia, North Carolina und South Carolina herrschte ein Staatskirchenturn nach englischem Muster; hier führte die englische Krone die Church of England als Staatskirche ein. 418 Von dem establishment in den Neuenglandstaaten unterschied sich das Staatskirchensystem vor allem Virginias dadurch, daß es nicht von der Überzeugung getragen war, daß die Gesellschaft allein durch die "Wahrheit der Religion" kontrolliert werde. Das establishment Virginias wurde von oben verordnet und diente vielmehr der Überwachung der Religion durch den Staat. 419 Im Gegensatz zu den Neuenglandstaaten blieb hier auch England selbst der Sitz staatlicher und kirchlicher Autorität. Wegen dieser Abhängigkeit setzte der Autoritätsverfall der Kirche in den Südstaaten nicht nur ein halbes Jahrhundert eher ein als in Neuengland,42o sie war auch Hauptgrund für die Aufgabe des dortigen Staatskirchenturns. Während sich nämlich in den Neuenglandstaaten der Druck ganz gezielt gegen das establishment-System richtete, führte in den Südstaaten der seit der Revolution intensivierte Prozeß der politischen Loslösung vom Mutterland automatisch auch zur Aufgabe der kirchenpolitischen Ordnung. 421 Trotzdem wurde gerade Virginia zum Ort einer kirchenpolitischen Auseinandersetzung um die Frage der staatlichen Finanzierung,422 die Berühmtheit erlangt hat und zur historischen Auslegung des ersten Amendments regelmäßig herangezogen wird. Der dort den Zusammenbruch der anglikanischen Kirche als Staatskirche markierende "Act for Exempting the different Societies of Dissenters from Contributing to the Support of the Church as by Law" aus dem Jahre 1776 ließ noch ausdrücklich die umstrittene Frage der Zulässigkeit der staatlichen Kirchenfinanzierung offen. Patrick Henry brachte 1784 jedoch einen Gesetzentwurr23 in das Parlament ein, der eine allgemeine Kultussteuer zum Zwecke der Kirchenfinanzierung 417 Levy, Judgments, S. 198. 418 Die englische Staatskirche in Virginia wurde durch Freibriefe Jakobs I. von 1606 und
1609 eingeführt. Vgl. Rothenbücher, Die Trennung von Staat und Kirche, S. 122 f. 419 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1423. 420 Stokes, Church and State, Vol. 1, S. 165. 421 Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 55. 422 Hierzu ausführlich Pfeffer, Church, State, and Freedom, S. 104 ff.; Stokes, Church and State, Vol. 1, S. 366 ff. 423 Den "Bill Establishing a Provision for Teachers of the Christian Religion", auf den gewöhnlich jedoch nur als "General Assessment Bill" Bezug genommen wird. Abgedruckt in Everson v. Board ofEducation 330 V.S. 1,72 ff. (1947).
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erhob, dabei den abgabepflichtigen Gläubigen aber die Entscheidung vorbehielt, welcher Glaubensgemeinschaft ihr Beitrag zufließen sollte. Wegen der großen Anzahl der Christen im Staate wäre dieses scheinbar konfessionsneutrale Vorhaben jedoch vor allem auf eine Förderung des Christentums hinausgelaufen, das anstelle der abgeschafften anglikanischen Kirche als neue "Staatsreligion" eingeführt werden sollte. 424 In dem Bestreben, diese Verordnung zu verhindern, erreichte farnes Madison nicht nur den Aufschub ihrer geplanten Verabschiedung, er veröffentlichte kurze Zeit später auch seine berühmte Denkschrift "Memorial and Remonstrance against Religious Assessments".425 In dieser, vom Supreme Court einmal als "präziseste und akkurateste Aussage des Autors des 1. Amendments zu dem, was ein establishment of religion ist",426 bezeichneten Schrift wehrt sich Madison gegen jede staatliche Kompetenz in religiösen Angelegenheiten. 427 Eine Einmischung sei eine naturrechtswidrige Kompetenzanmaßung, die vor allem zu Lasten religiöser Minderheiten gehe. Derjenige, der einem Bürger auferlege, 3 Pence seines Vermögens an eine etablierte Kirche abzutreten, um diese finanziell zu unterstützen, könne genauso zu jeder weiteren Form der Anpassung an ein establishment zwingen. 428 Die gewaltigen positiven Reaktionen auf die Memorial-Schrift brachten nicht nur den Gesetzentwurf Henrys zu Fall, sie ebneten auch den Weg für die von Thomas fefferson ausgearbeitete "Bill for Establishing Religious Freedom in Virgina",429 mit deren Verabschiedung im Januar 1786 der "krönende Abschluß des jahrelangen Ringens um die Beziehungen von Staat und Kirche in Virginia,,43o erreicht wurde. Dieses Gesetz war vom Grundsatz der Glaubensfreiheit sowie davon geprägt, daß kein staatlicher Zwang zur Unterstützung einer oder mehrerer Religionsgemeinschaften angewandt werden dürfe. 431 Klärend wird dort festgestellt: "We [enactl that no man shall be compelled to frequent or to support any religious worship, place, or ministry whatsoever, nor shall be enforced, restrained, molested or burthened in his body or goods, nor shall otherwise suffer, on account of his religious opinions or belief; but that all men shall be free to profess, and by argument to maintain, their opinions in maUers of religion, and that the same shall in no wise diminish, enlarge or effect their civil capacities.,,432
424 Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen, S. 37. 425 Abgedruckt in Everson v. Board ofEducation 330 V.S. 1,64 ff. (1947). 426 Everson v. Board ofEducation 330 V.S. 1,37. (1947). 427 "We maintain therefore that in maUers of Religion, no man's right is abridged by the insitution of Civil Society, and that Religion is wholly exempt from ist cognizance." Zitiert bei Everson v. Board of Education 330 V.S. 1,64 (1947). 428 Zitiert bei Everson v. Board ofEducation 330 V.S. 1,65 (1947). 429 Abgedruckt bei Stokes, Church and State, Bd. 1, S. 392 ff. 430 Zipperer, Thomas Jeffersons Act for Establishing Religious Freedom in Virginia, S. 29. 431 Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen, S. 38. 432 Zitiert bei Stokes, Church and State, Vol. 1, S. 393 f. 9*
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c) Mittlere Staaten Die kirchenpolitische Situation in den mittleren Staaten New York, New Jersey, Maryland und Georgia, der zuletzt besiedelten Kolonie, stellte sich ein wenig differenzierter dar. In New York etwa, dem ursprünglichen New Amsterdam, hatte sich zunächst die holländisch reformierte Kirche als Staatskirche etabliert. Nach der Eroberung der Kolonie durch England 1664 wurden bald die sogenannten "Duke Laws" erlassen, die ein System der multiple establishments errichteten, d. h. eine kirchliche Ordnung, die allen Kirchen protestantischen Glaubens 433 die Inanspruchnahme staatlicher Privilegien zusicherte. 434 New York gelang es damit als erstem Staate, mehrere gleichberechtigte Staatskirchen nebeneinander gewähren zu lassen, wenngleich das staatliche Oberhaupt auch die Funktion des Oberhauptes der zugelassenen Kirchen übernahm. 435 Maryland, das als erste amerikanische Kolonie die Freiheit des religiösen Bekenntnisses anerkannte, wurde von lohn Calvert zunächst als Zufluchtstätte für die verhaßten Anhänger des Katholizismus gegründet, verlor durch die starke Zuwanderung, vor allem von protestantischen Siedlern, aber zunehmend seinen homogenen religiösen Charakter. Ähnlich wie in den Kolonien von Georgia und New Jersey436 regierte seit dem Ende des 17. Jahrhunderts dort zunächst die Church of England - später als Episcopal Church bezeichnet -, die ihre Vormachtstellung durch die Verfassung von 1776 jedoch auch zugunsten multipler establishments einbüßte. 437 d) Staaten ohne Staatskirchentum Als Staaten ohne erkennbares Staatskirchenturn galten nur die Kolonien von Rhode Island, Pennsylvania und Delaware. Besonders Rhode Island genoß schon damals den Ruf einer sehr liberalen und frei denkenden Kolonie und war bekannt dafür, daß Religionsgemeinschaften keine öffentlichen Hilfen gewährt wurden. 438 Der Baptist Roger Williams (1603 -1682) errichtete dort ein System, das allen Nonkonformisten zu voller Religionsfreiheit und gegenseitiger Unabhängigkeit von Staat und Kirche verhalf und dafür von den anderen Staaten teilweise mit Bitterkeit bedacht wurde. 439 Seine Schriften, insbesondere die gegen den Puritaner lohn Cotton, einem Anhänger des Staatskirchenturns in Massachusetts, gerichtete 433 Namentlich die Anglikaner, die Reformierten, die Presbyterianer und die Kongregationalisten. 434 Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen, S. 27. 435 Pfeffer, Church, State, and Freedom, S. 79 f. 436 Vgl. Levy, Judgments, S. 198 f.; Pfeffer, Church, State, and Freedom, S. 81 ff. 437 Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen, S. 27. 438 Curry, The first freedoms, S. 195. 439 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1425 ff.
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Streitschrift "The bloudy tenet of persecution for cause of conscience discussed in a conference betweene truth and peace",440 gelten als tragend in der Geschichte des Trennungssystems. Pennsylvania und das 1702 davon abgetrennte Delaware waren dagegen Bastionen der Quäker, deren Selbstverständnis maßgeblich vom Grundsatz religiöser Toleranz auch gegenüber anderen Religionsgemeinschaften geprägt war. In erster Linie aus dieser Einstellung heraus blieben diese beiden Staaten ohne Staatskirchenturn. 441 e) Auflösung staatskirchlicher Systeme
Wie gezeigt, hatten die meisten amerikanischen Staaten zum Zeitpunkt der Verfassungserarbeitung wieder Systeme strengen Staatskirchenturns, deren diskrimininatorischer Charakter dem des englischen Systems stark ähnelte;442 gerade dessentwegen hatten viele Siedler der neuen Kolonien das Mutterland aber überhaupt erst verlassen. Erst im Aufbegehren gegen diese Kirchenregimente wuchs die Idee einer Trennung von staatlichem und kirchlichem Bereich. 443 In der Zeit ab 1776 kam es zur allmählichen Disetablierung der kolonialen Staatskirchen aus den verschiedensten Gründen. Im Rahmen der Umwandlung von Kolonien zu Einzelstaaten änderte jeder der 13 Gründerstaaten das Verhältnis zwischen Staat und Kirche. 444 Drei Gruppierungen mit jeweils unterschiedlichen Motiven trieben den Trennungsprozeß voran. Zum einen waren es diejenigen um Thomas lefferson, Thomas Paine und anderen, die stark vom europäischen Denken der Aufklärung geprägt waren. Dieser intellektuelle Rationalismus bewirkte ein Mißtrauen gegenüber Religion im allgemeinen und religiösen Institutionen im speziellen. Hiernach mußte der Staat vor der Umklammerung durch die Kirchen geschützt werden, da jede Art von Verstrickung in der Vergangenheit nur zu Intoleranz und Korruption geführt habe. Staat und Kirche mußten demnach zum Wohle des Staates getrennt werden. 445 Eine andere Gruppe von disestablishmentarians, vornehmlich Baptisten und Quäker, fanden ihre intellektuellen und theologischen Wurzeln in der Tradition Abgedruckt bei Blau, Cornerstones of Religious Freedoms in America, S. 36 ff. Rothenbücher, Die Trennung von Staat und Kirche, S. 124; Stokes, Church and State, Vol. I, S. 168 f., 206 ff.; Pfeffer, Church, State, and Freedom, S. 88 ff. 442 Vgl. Schwartz, Bill of Rights, Vol. I, S. 90: "It is an unfortunate fact of history that when some of the very groups which had been most strongly persecuted by the established Church of England found themse1ves in control of Colonial govemments, they immediately tumed from oppressed into oppressors so far as those of other religious beliefs were concemed." 443 Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen, S. 25. 444 Heun, in: FS für Martin Heckei, 341, 343. 445 Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 55. 440 441
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der sog. "Wiedertäufer" (anabaptists) des Reformationszeitalters. Diese frommen Koloniebewohner strengten die Loslösung der Kirche vom Staat an, weil sie in jeder Verbindung dieser Art die Gefahr sahen, daß es zum Kontakt mit dem dem Staate inhärenten Bösen und Sündigen komme. Konsequenterweise wandten sich die Anhänger dieser Bewegung nicht nur gegen die Etablierung anderer Religionsgemeinschaften, sondern darüber hinaus sogar gegen die staatliche Unterstützung ihren eigenen Aktivitäten. 446 Eine dritte Gruppe hingegen strebte die Trennung zum beiderseitigen Wohle von Kirche und Staat an. Ihr prominentester Vertreter lames Madison faßte 15 Jahrhunderte etablierten Christentums mit den Worten zusammen: "More or less in all places, pride and indolence in the Clergy, ignorance and servility in the laity; in both, superstition, bigotry and persecution. ,,447 Kirche und Staat seien für sich genommen prächtige Institutionen, aber die Kombination aus beiden sei zu mächtig und selbstgefällig, um Korruption und Tyrannei zu widerstehen. 448 Neben diversen gesellschaftlichen Strömungen wie Pluralismus und Pragmatismus trug weiterhin zum Trennungsprozeß die Tatsache bei, daß bereits eine große Vielzahl verschiedener religiöser Gruppen existierte, die sich über dogmatische Streitfragen weiter spaltete, sowie ein außerordentlich hoher Anteil an Siedlern, der sich trotz vorhandener Religiösität keiner der bestehenden Religionsgemeinschaften anschließen wollte. 449 Eine bevorzugte Stellung nur einer ganz bestimmten Religionsgemeinschaft erschien unter diesen Umständen nicht weiter möglich. 2. Wille des Verfassungsgebers a) Strict separationists und nonpreJerentialists Die Auslegung der establishment c1ause wird seit jeher durch zwei Auffassungen geprägt, deren Konzepte sich zwar inhaltlich ausschließen, die sich aber beide stark auf historische Argumente stützen. Sie gehen übereinstimmend davon aus, daß es einen einheitlichen, klaren gesetzgeberischen Willen hinter der establishment c1ause gebe, der Beleg für die jeweils eigene Ansicht sei. Die ganz überwiegend auf die Schriften von lames Madison und Thomas lefferson, insbesondere Madisons "Memorial and Remonstrance", vertrauenden strict separationists450 sehen dabei eine strenge Trennung von Kirche und Staat als beabsichtigt an, die Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 56. Abgedruckt in Everson v. Board ofEducation 330 V.S. 1,67 (1947). 448 Vgl. Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 56. 449 Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen, S. 29. 450 Dazu zählen vor allem Levy: The Establishment Clause: Religion and the First Amendment, 1994; Pfeffer, Church, State and Freedom, 1967, sowie die überwiegende Mehrzahl der Supreme Court-Richter des 20. Jahrhunderts. Vgl. insbesondere Justice Black, in: Everson v. Board of Education, 330 V.S. 1, 15 f. (1947). 446 447
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jede Fonn der staatlichen Unterstützung von Religionsgemeinschaften ausschließt. Die entgegengesetzte Meinung der nonpreferentialists beziehungsweise accornodationists451 versteht den Willen der Verfassungsväter dahingehend, daß eine solche staatliche Unterstützung zumindest insoweit zulässig sein soll, als diese Begünstigung andere Religionsgemeinschaften nicht diskriminiert. Es gilt zu klären, wessen Verständnis der Vorzug einzuräumen ist. b) Debatten von Repräsentantenhaus und Senat
Am 4. Mai 1789 schlug farnes Madison im Repräsentantenhaus die Ausarbeitung diverser Zusatzartikel zur Verfassung vor. Er war alsfederalist nur knapp gegen den Widerstand der antifederalists und nur wegen der Versicherung gegenüber den Baptisten, sich für die Einführung der Religionsfreiheit einzusetzen, als Abgeordneter Virginias in den Kongreß gewählt worden und fühlte sich jetzt an diese Versprechungen gebunden. Deren Umsetzung fiel jedoch nicht leicht, zeigten sich doch viele Kongreßabgeordnete unwillig, überhaupt kostbare Zeit für die Ausarbeitung von Zusatzartikeln aufzubringen, die sie als völlig überflüssig ansahen. Tatsächlich verbrachten die Kongreßabgeordneten im Ergebnis mehr Zeit damit, die generelle Notwendigkeit solcher Amendments zu debattieren, als sich mit der Frage zu beschäftigen, welche weiteren Freiheitsverbürgungen in den Text der bereits bestehenden Verfassung eingefügt werden sollten.452 Unter den von Madison eingebrachten Fonnulierungsvorschlägen zur Fassung eines "Bill of Rights"-Kataloges betraf der folgende das Verhältnis von Staat und Kirche: "The civil rights of none shall be abridged on account of religious belief or worship, nor shall any national religion be established, nor shall the full and equal rights of conscience be in any manner, or on any pretext, infringed [ ... ]. No State shall violate the equal rights of conscience, [ ... ]. ,,453
Dieser Vorschlag Madisons wurde einem einberufenen Sonderausschuß des Hauses, dem Madison selbst angehörte, zur Diskussion vorgelegt. Der entwarf daraufhin eine verkürzte Fassung, die fortan dem Repräsentantenhaus als Grundlage der Erörterungen diente. In dem Entwurf hieß es: "No religion shall be established by law, nor shall the equal rights of conscience be infringed." 451 Dazu zählen vor allem Cord, Separation of Church and State: Historical Fact and Current Fiction, Michigan 1988; Bems, The First Amendment and the Future of American Democracy, New York 1976; Smith, Public Prayer and the Constitution: A Case Study in Constitutional Interpretation, 1987; Drakeman, Church-State Constitutional Issues, sowie Justice William Rehnquist. Vgl. Wallace v. Jaffree, 472 U.S. 38, 91 ff. (1985). 452 Curry, The first freedoms, S. 198 f. 453 Zitiert bei Schwartz, Bill ofRights, Vol. 2, S. 1026 f.; Stokes, Church and State, Vol. 1, S.541.
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Im Verlauf der Debatte454 zu diesem Vorschlag kamen die gegensätzlichen Standpunkte zum Ausdruck. Einige Vertreter waren weiterhin der Auffassung, daß eine solche Regelung unangebracht oder überflüssig sei, etwa weil dem Kongreß die Befugnis zum Erlaß einer solchen Regelung abgesprochen wurde oder weil die Zusatzartikel Rechte sichern sollten, die überhaupt nicht bedroht seien. Teilweise wurde den Vorschlägen inhaltlich zugestimmt, obwohl offenkundig wurde, daß der Wortlaut unterschiedlich verstanden wurde. So wurde etwa abweichend beurteilt, wann eine Verletzung der Gewissensfreiheit vorliege. Weil man sich darüber einig war, daß dies zu bestimmen den Einzelstaaten obliegen sollte, und nicht der Bundesverfassung, traten die gegensätzlichen Meinungen nicht offen zutage. 455 Madison ließ es offen, ob die Regelung nun wirklich notwendig sei oder nicht, unterstrich aber, daß sie ausdrücklich von einigen Einzelstaaten gewünscht worden sei. Dem Abgeordneten und Antifederalisten Elbridge Gerry aus Massachusetts bereitete im Hinblick auf den Vorschlag Madisons das Wort "national" Unbehagen, weil er dadurch den Unionscharakter unangemessen hervorgehoben sah. Madison entgegnete, daß dies nicht intendiert sei. Er verwies auf die Angst der Bevölkerung, daß eine einzelne Religionsgemeinschaft überragende Bedeutung erlangen könnte beziehungsweise daß sich zwei religiöse Gruppen zu einer großen Glaubensgemeinschaft zusammenschließen könnten, deren übermächtige Stellung kleine Religionsgemeinschaften nötigen könnte, sich entsprechend anzupassen. Seiner Ansicht nach deutete das Wort "national" an, daß genau dieser Entwicklung entgegengewirkt werden solle. 456 Letztlich rückte er aber von seiner Wortwahl ab, wohl um die Ratifizierung des Amendments durch die Einzelstaaten zu erleichtern. Benjamin Huntington wiederum befürchtete, daß der Zusatzartikel dem Kongreß die Möglichkeit gebe, die bestehenden kirchenpolitischen Verhältnisse in den Einzelstaaten anzugreifen. Dabei ging es ihm besonders darum, die kirchenpolitische Ordnung in seinem Heimatstaat Connecticut bewahren zu können, die als "establishment"-System angesehen wurde. Ausdrücklich sprach er sich für den Schutz der Gewissens- und der Religionsausübungsfreiheit und gegen den Schutz derer aus, die sich zu gar keiner Religion bekannten. 457 Damit lag er auf der Linie der Neuenglandstaaten, die er auch als Abgeordneter vertrat, wonach die Religion notwendiger Bestandteil einer Gesellschaft sei und der Staat sie entsprechend unterstützen müsse. Eine Verletzung der Gewissensfreiheit Einzelner drohe dadurch nicht, solange niemand zu Zahlungen für eine Religionsgemeinschaft gezwungen werde, der er gar nicht angehöre. 458 454 Der vollständige Wortlaut der kurzen Debatte ist abgedruckt u. a. bei Levy, Judgements, S. 180 ff. 455 Curry, The first freedoms, S. 202. 456 Swomley, Religious Liberty, S. 45 f. 457 Siehe Levy, Judgements, S. 181. 458 Curry, The first freedoms, S. 203.
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Auch der Abgeordnete Samuel Livermore aus New Hampshire zeigte sich unzufrieden mit dem Amendment, wollte sich mit dem Thema aber nicht länger befassen. Er brachte einen eigenen Vorschlag ein, der für die strict separation-Theorie zu sprechen scheint: "Congress shall make no Iaw touching religion, or infringing the rights of conscience. ,,459
Diese Version fand zwar die grundsätzliche Zustimmung des Repräsentantenhauses, verfehlte jedoch die erforderliche Zweidrittelmehrheit, weshalb erneut beraten werden mußte. Den aktiven Schutz der Religionsfreiheit empfand Madison als das wichtigste Anliegen aller Amendments. 460 Weder ihm noch den anderen Abgeordneten war aber offensichtlich bewußt, daß eine diesbezügliche Bestimmung unweigerlich auch die bestehenden Verhältnisse zwischen Staat und Kirche tangieren mußte, was nicht gewollt war. Ein Hinweis des Abgeordneten Tuckers in diese Richtung fand praktisch kein Gehör. Zu erklären ist dies möglicherweise damit, daß es an Detailkenntnissen von den jeweils anderen staatskirchenrechtlichen Systemen mangelte. Insbesondere von den Spannungen und Meinungsverschiedenheiten in den Neuenglandstaaten, in denen die Problematik von der aktiven Unterstützung der Religion deutlich zutage getreten war, war offenbar nicht viel bekannt. Die Baptisten etwa, strikte Gegner eines Systems staatlicher Unterstützung der Kirchen, waren als mögliche Vertreter der Neuenglandstaaten im Kongreß gar nicht vertreten, während wiederum die anwesenden Kongregationalisten ihr System nicht als ungerecht empfanden. 461 Die schließlich vom Repräsentantenhaus verabschiedete und dem Senat zur Entscheidung vorgelegte Fassung geht auf den Abgeordneten Fisher Ames aus Massachusetts zurück: "Congress shall make no law establishing religion, or to prevent the free exercise thereof, or to infringe the rights of conscience.,,462
Die Mitglieder des Senats lehnten den Vorschlag des Hauses aber ab und einigten sich stattdessen nach geheimer Beratung auf folgenden Wortlaut: "Congress shall make no law establishing articles of faith or a mode of worship, or prohibiting the free exercise of religion, [ ... ]".463
Diese Version hatte drei im Senat erfolglose Vorläufer: 464 1. "Congress shall make no law establishing one religion, sect or society in preference to others, nor shall the rights of conscience be infringed." 459 460 461 462 463 464
Zitiert bei Levy, Judgments, S. 182. Vgl. Curry, The first freedoms, S. 204. Curry, The first freedoms, S. 205. Zitiert bei Levy, Judgments, S. 185. Zitiert bei Stokes, Church and State, Vol. I, S. 546. Zitiert bei Levy, Judgments, S. 185.
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2. "Congress shall not make any law infringing the rights of conscience, or establishing any religion, sect or society." 3. "Congress shall make no law establishing any particular denomination of religion in preference to another."
Auf den ersten Blick scheinen die Vorschläge zu verdeutlichen, daß im Senat genau das enge und weite Verständnis von "establishment" aufeinanderprallten, wenngleich nicht erkennbar ist, welche Auffassung sich letztlich durchsetzte. Obwohl die beiden, schon sprachlich eindeutig der no preference-Doktrin zuzuordnenden Versionen abgelehnt wurden, spricht wohl auch der vom Senat letztlich angenommene Vorschlag für diese Auslegungsvariante. Ein bloßes Verbot der staatlichen Einführung bestimmter Glaubensartikel oder einer bestimmten Art der Glaubensbezeugung schließt dem Wortlaut nach staatliche Unterstützung von Religionsgemeinschaften nicht aus. 465 Allerdings versagte das Repräsentantenhaus der Senatsfassung die Zustimmung, so daß ein Vermiulungsausschuß gebildet wurde, der sich aus je drei Vertretern von Haus und Senat zusammensetzte. Die Abgeordneten des Repräsentantenhauses, unter ihnen Madison, machten ihren Senatskollegen deutlich, daß sie die enge Fassung der establishment clause so nicht akzeptieren würden. 466 Daraufhin nahmen letztere von ihrem Vorschlag Abstand. Man einigte sich dann rasch auf einen neuen Vorschlag des Repräsentantenhauses, der nach der erforderlichen Zustimmung beider Teile des Kongresses und der Einzelstaaten467 am 15. 12. 1791 als Bestandteil des 1. Amendments zusammen mit den anderen Bestimmungen der Bill of Rights in Kraft treten konnte: "Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof."
Diese Version ist bis zum heutigen Tage gültig.
465 Dies wird selbst von den Anhängern der vollständigen Trennung nicht bezweifelt. V gl. Swomley, Religious Liberty, S. 50: ,,[ ... ] the final Senate version dealt only with "artic1es of faith or a mode of worship," whereas an establishment of religion also inc1udes religious education, church finances, and medical, charitable, and other enterprises of churches." 466 Quaas, Staatliche Hilfen an Kirchen, S. 34. 467 Neun Staaten ratifizierten die Bill of Rights zügig und ohne weitere nennenswerte Dis. kussionen. Georgia und Connecticut verweigerten ihre Zustimmung, weil sie die Klauseln als unnötig ansahen. In Massachusetts stimmten zwar beide Häuser den Amendments zu, darunter auch dem ersten, allerdings kam es hier nie zu einem entsprechenden formalen Beschluß. Virginia, dessen Zustimmung Ende 1791 erst die erforderliche Dreiviertel-Mehrheit brachte, zögerte seine Entscheidung noch lange hinaus, jedoch nicht wegen spezieller Bedenken gegen die Zusatzartikel, sondern wegen der anhaltenden Opposition der Antifederalisten gegen die gesamte Verfassung.
§4 USA
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c) Schlußfolgerungen
aa) Repräsentantenhaus Dem Blick auf die Beratungen des Repräsentantenhauses liegt zunächst einmal die Erkenntnis zugrunde, daß sich das koloniale Amerika als strenggläubiges Land, als Land Gottes, betrachtete. Man war - und ist heute immer noch - der Ansicht, daß der Glaube die Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens sei. 468 Die einzelnen Staaten zogen daraus nur unterschiedliche Schlußfolgerungen: Wahrend einige Gesetzgeber, wie in Massachusetts, die Ansicht vertraten, daß die Kirchen bei der Bewältigung ihres Auftrages unterstützt werden müssen, glaubten andere Staaten, wie Virginia, daß sich die Religionsfreiheit nur frei von den Fesseln der Staatlichkeit entfalten könne. Den Kongreßabgeordneten ging es aber vor allem darum, ihrem jeweiligen Heimatstaat die als richtig empfundene staatskirchenrechtliche Struktur zu erhalten; keinesfalls sollte daher auf Bundesebene eine völlig neue Ordnung etabliert werden. 469 Diese Zielsetzung spiegelt sich auch in den Beratungen des Repräsentantenhauses wider. Die Diskussionen um die establishment clause waren mehr fonnaler als inhaltlicher Art. 470 Es scheint den Abgeordneten eher darum gegangen zu sein, mit einer Bestimmung zur Trennung von Staat und Kirche zu verhindern, daß eine Religionsgemeinschaft durch einseitige staatliche Hilfe eine überragende Bedeutung erlangt, die zu Lasten anderer Gruppierungen geht. Kein Abgeordneter äußerte etwa die Besorgnis, daß der Kongreß ein Gesetz erlassen könnte, durch das den Religionsgemeinschaften eine finanzielle Unterstützung zukäme. 471 Darin sah man offenkundig keine Bedrohung. Da sich einige Aussagen der Abgeordneten aber auch im Sinne der strengen Trennungsvariante auslegen lassen, wird man sagen müssen, daß die Äußerungen letztlich keinen genauen Aufschluß darüber geben, ob jede Fonn der Verbindung und Unterstützung verboten werden sollte. Schlösse man sich dieser Ansicht an, dann hätte man etwa Mühe zu erklären, warum der Kongreß schon kurz nach Verabschiedung der Bill of Rights einen Be468 Curry, The first freedoms, S. 219: "true religion and good morals are the only solid foundation of public liberty and happiness". 469 Glendon/Yanes, in: Michigan Law Review 90 (1991), 477, 541: "Der Umstand, daß sich der Verfassungsgeber für die Formulierung "Congress shall make no law respecting an establishment of religion" entschied, spricht dafür, daß es ihm nicht bloß darum ging, die Religionsfreiheit dadurch zu fördern, daß man eine Einheitsreligion (national religion) verhindern wollte (dann hätte er das auch so hinschreiben können), sondern auch und vor allem, um die verschiedenen bestehenden Regelungen der Einzelstaaten gegen die Einmischung durch den Kongreß abzuschirmen." 470 Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 60 f.; Curry, The first freedoms, S.215. 471 Dem entgegnen die strict separationists, daß es bei der gesamten Frage des establishments nur um die Unterstützung von Religionsgemeinschaften ging; ein anderes wesentliches establishemt-Problem hätten die Kolonien nach Einführung von Art. 6 U.S. Constitution gar nicht mehr gekannt. Vgl. Swomley, Religious Liberty, S. 50.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
schluß zur Einführung eines "day of public thanksgiving and prayer to be observed ... [for]the many signals favors of Almighty God,,472 faßte. Der Einwand, daß dies eine religiöse Angelegenheit sei und demzufolge dem Kongreß eine Regelung untersagt sei, wurde offensichtlich als unbegründet empfunden. 473 Noch in seiner ersten Legislaturperiode verabschiedete der Kongreß eine sogenannte "Northwest Ordinance", in der es u. a. hieß: "Religion, morality, and knowledge being necessary to good government, ... schools and the means of education shall fore ver be encouraged.,,474 Darüber hinaus als Gesetzgeber den Segen Gottes zu erbitten475 oder als Gouverneur Gebet- und Fastentage auszurufen, sogar in einem eindeutig protestantischem Sinne, all das war für die Amerikaner des 18. Jahrhunderts offenkundig weniger ein establishment-Problem, als ein natürlicher Bestandteil des kulturellen Lebens. 476 Im Lichte dieser historischen Tatsachen sind vor allem die Gesetzesvorschläge des Kongresses zu sehen, die vom Wortlaut her eher den Schluß nahelegen, daß eine strikte Trennung gewollt war. Letztlich ist aber festzustellen, daß es keinen einheitlichen Willen des Repräsentantenhauses zur establishment c1ause gab, und es der Kammer vielmehr darauf ankam, einen Entwurf zu finden, in dem sich die Vorstellungen aller am Verfahren beteiligten Parteien niederschlug. Dieses Ziel konnte offenbar nur mit einer solch weiten Formulierung erreicht werden, wie sie der Kongreß schließlich erarbeitet hat. bb) Senat Auch aus den Verhandlungen des Senats wird man kaum ein eindeutiges Ergebnis zur Interpretation der establishment c1ause herauslesen können. Der Wortlaut der eingebrachten Vorschläge läßt zunächst den Schluß zu, daß hier die Auffassungen der strict separation- und der no preference-Sichtweise aufeinanderprallten. Dann aber fällt es schwer, in der endgültig angenommen Version des Kongresses einen Beleg dafür zu erblicken, daß sich am Ende eine der beiden Ansichten durchgesetzt haben soll. Nähme man das etwa zugunsten der völligen Bereichsscheidung von Staat und Kirche an, erschiene es wenig verständlich, warum sich die Befürworter der no preference-Theorie im Senat zunächst dreimal mit einem eigenen Vorschlag einbringen und damit auch durchsetzen, sich aber anschließend ohne nennenswerten Widerstand der Version des Repräsentantenhauses fügen sollten. Dies scheint eher dafür zu sprechen, daß die konkurrierenden Ansichten jedenfalls Zitiert bei Curry, The first freedoms, S. 217. Curry, The first freedoms, S. 217. 474 Curry, The first freedoms, S. 218. 475 Benjamin Franklin schlug vor, daß der Kongreß seine Arbeit mit einem Gebet aufnehmen solle. farnes Madison wiederum bestimmte nicht nur den ersten Pfarrer des Kongresses, sondern unterstützte in Virginia den Gesetzentwurf feffersons zur Bestrafung derer, die den Sabbat mißachteten. 476 Ausführlich hierzu Witte, in: Notre Dame Law Review 71 (1996),372,406. 472
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damals nicht so weit auseinanderlagen. 477 Insofern ist Curry zuzustimmen, daß wohl auch die Senatsdebatte eher als Diskussion über Form als über Inhalt zu verstehen ist. 478 In dieser "Formdebatte" waren die Einzelstaaten anscheinend bemüht, ihre Belange bestmöglich dadurch zu wahren, daß man sich für Formulierungen einsetzte, die der eigenen Staatsverfassung am nächsten kamen. So ist etwa von den Staaten North Carolina, Delaware oder New Jersey bekannt, daß sich deren Senatoren - entsprechend dem Wortlaut ihrer Staatsverfassung - für das Verbot eines "establishments of any sect" einsetzten, obwohl sie in der Wirklichkeit sogar ausdrücklich befürworteten, daß Religion auf freiwilliger Basis unterstützt werden kann. 479 cc) J ames Madison Die Ansicht von farnes Madison ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil er nicht nur als geistiger Vater des 1. Amendments gilt,48o sondern weil sich gerade die Verfechter der strengen Trennung regelmäßig auf ihn und auf die Ausführungen Thornas feffersons berufen, um den eigenen Standpunkt argumentativ zu stützen. So hat es der Supreme Court in seinem Grundsatz-Urteil zur establishment c1ause "Everson v. Board of Education" aus dem Jahre 1947 als erwiesen erachtet, daß Madison gegen jede Form einer offiziellen Verbindung von Staat und Religion eingetreten sei; er habe Religion als eine gänzlich private Angelegenheit angesehen, fernab von öffentlichem Einfluß, sowohl in bezug auf staatliche Beschränkungen als auch staatliche Unterstützung. 481 Tatsächlich finden sich vor allem in der Memorial and Remonstrance-Schrift Madisons einige Aussagen, die für diese These sprechen. So führt er aus, daß die Religion vollständig aus der Zuständigkeit des Staat befreit sei,482 oder daß sich Religion selbst im Widerstand behauptet habe und deshalb keiner Unterstützung von staatlicher Seite bedürfe. 483 Auch deutet er an, daß der Staat sich keine religiösen Symbole zu eigen machen dürfe. 484 Darüber 477 Die Anhänger der strict separation-Lehre sehen jedenfalls in der bloßen Tatsache der Zurückweisung des Vorschlages des Senats ein deutliches Anzeichen dafür, daß allein ein Verbot der staatlichen Bevorzugung nicht gewollt war. Vgl. Swomley, Religious Liberty,
S.48.
Curry, The first freedoms, S. 213. Curry, The first freedoms, S. 214. 480 "Madison was the principal drafter and sponsor of the religion clauses of the first amendment." Laycock, in: Ohio State Law Joumal47 (1986),409,410. 481 Everson v. Board of Education 330 V.S. 1,39 (1947). 482 Vgl. Everson v. Board of Education 330 V.S. 1,64 (1947). 483 Vgl. Everson v. Board ofEducation 330 V.S. 1,67 (1947). 484 Vgl. Everson v. Board ofEducation 330 V.S. 1,67 ff. (1947): ,,[to] employ Religion as an engine of Civil policy [is] an unhallowed perversion of the means of salvation. [ ... ] lt degrades from the equal rank of citizens all those whose opinions in Religion do not bend to those of the Legislative authority." Van Alstyne sieht darin vor allem das Verbot des Staates, sich bei der Ausübung seiner Tätigkeit mit Symbolen wie Kreuzen, Invokationen, religiösen 478 479
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hinaus gibt er zu erkennen, daß er etablierte Kirchensysteme als gesellschaftliches Übel empfinde. 485 Was Madison allerdings genau unter einem "establishment of religion" verstand, hat er im einzelnen nie dargetan. 486 Einmal spricht er beispielsweise von "establishment" des Christentums "in exc1usion of all other Religions" und bedient sich dabei einer Terminologie, auf die die Anhänger der no preference-Lehre eigentlich gerne zurückgreifen. 487 Bekanntheit erlangte auch ein Zitat Madisons aus einer Rede vor dem ersten Kongreß, wonach es die Sorge der Menschen sei, daß eine Religionsgemeinschaft allein oder zusammen mit einer anderen eine Vormachtstellung erlangen und eine Religion etablieren könnte, nach der sich die anderen dann zu richten hätten. 488 Daß seine Einstellung möglicherweise nicht so eindeutig war, wie dies die strict separationists glauben machen wollen, zeigt zudem die Tatsache, daß Madison dem Sonderausschuß des Kongresses angehörte, der den eigenen Kaplan ernannte und verschiedene Gebet- und Fastentage beschloß. Und nicht zuletzt die Hilfe für leffersons "Virginia Bill for Punishing Sabbath Breakers" wurde weithin bekannt. 489 Selbst unterstellt, Madison strebte die vollständige Trennung von Staat und Kirche an, so ist fraglich, inwieweit seine Vorstellungen tatsächlich Eingang in den Wortlaut des 1. Zusatzartikels gefunden haben. Zunächst darf nicht vergessen werden, daß sogar der leidenschaftliche disestablishmentarian Madison eine solche Regelung ursprünglich als unnötig ansah und somit eine gewisse Vermutung dafür spricht, daß er beinahe mit jeder Form eines Amendments in dieser Richtung zufrieden gewesen wäre. 490 Des weiteren wurde sein Vorschlag erst noch von Livermore geändert und später überarbeitet von Fisher Ames - beides Vertreter von Staaten, die daran interessiert waren, ihre etablierten Kirchensysteme vor bundesstaatlichem Verhalten zu schützen. 491 Man wird somit konstatieren können, daß Madison grundSätzlich wohl jede Verbindung von weltlicher und kirchlicher Macht suspekt gewesen ist; unklar ist Leitsätzen, Ikonen, Pfarrern oder Kirchenliedern zu schmücken. Van Alstyne, in: North Carolina Law Review 65 (1987), 909, 915. 485 Vgl. Everson v. Board of Education 330 V.S. 1, 68 (1947): "What influence in fact have ecclesiastical establishments had on Civil Society? In some instances they have been seen to erect aspiritual tyranny on the ruins of Civil authority; in many instances they have been seen upholding the thrones of political tyranny; in no instance have they been seen the guardians ofthe liberties of the people." 486 Vgl. Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen, S. 38. 487 Vgl. Everson v. Board of Education 330 V.S. 1,65 (1947): "Who does not see that the same authority which can establish Christianity, in exclusion of all other Religions, may establish with the same ease any particular sect of Christians, in exclusion of all other Sects?" 488 Zitiert bei McConnell, in: Tbe Vniversity of Chicago Law Review 59 (1992), 115, 168 f. Vgl. hierzu auch 3. Teil, § 4 11 2 b). 489 Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 52. 490 So jedenfalls Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 72. 491 Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 52.
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jedoch, ob er sich nur gegen die Privilegierung einer Religion unter Zurücksetzung aller übrigen wandte492 - quasi als Mindestziel - oder ob er wirklich die vollständige Trennung von Staat und Kirche anstrebte. dd) Thomas Jefferson
lefferson war an den Beratungen über die Bill of Rights nicht unmittelbar beteiligt, hatte sich in späterer Zeit jedoch mehrfach zur Bedeutung des 1. Zusatzartikels geäußert. Berühmtheit erlangte vor allem seine Danksagung an die "Danbury Connecticut Baptist Association" im Jahre 1802,493 als er bereits Präsident der Vereinigten Staaten war. Dort hieß es: "I contemplate with sovereign reference that act of the whole American people which decJared that their legislature should "make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof", thus building a wall 0/ separation between church and State."
In der US-amerikanischen Verfassungsliteratur wird die wall of separationAussage leffersons von den Anhängern der strict separation-Lehre als authentische Interpretation der establishment clause betrachtet. lefferson habe hier deutlich zu verstehen gegeben, daß das 1. Amendment sich nicht nur gegen die Privilegierung einer einzelnen Religion richte, sondern gegen jede Unterstützung religiöser Einrichtungen durch den Staat.494 Die Befürworter der no preference-Theorie betonen jedoch den rein metaphorischen Charakter der Aussage; eine vollständige Trennung habe lefferson damit nicht andeuten wollen. 495 Wie die meisten Siedler des kolonialen Amerikas habe auch lefferson bei der Frage des establishment das Bild der tyrannischen Staatskirche Englands vor Augen gehabt. Nur deshalb habe er das Schreckgespenst von "millions of innocent men, women, and children [who] since the introduction of Christianity have been tortured, fined, imprisoned, because governments had exceeded their legitimate power and set up establishments of religion"496 heraufbeschworen. Zudem war er im Hinblick auf etablierte Kirchensysteme durch die Erfahrungen mit der anglikanischen Kirche Virginias geprägt, die selbst jene Bürger zu finanziellen Leistungen gezwungen hatte, die offen gegen die Church of So etwa Bayer, in: ZaöRV 24 (1964), 201, 216. Abgedruckt bei 0' Neill, Religion and Education under the Constitution, New York 1949, S. 286. 494 Vgl. Pfeffer, Church, State and Freedom, S. 120, Bayer, in: ZaöRV 24 (1964), 201, 218. 495 Engel v. Vitale, 370 U.S. 421, 445 f. (1962), lustice Stewart, dissenting. Walter sieht es zumindest als erwiesen an, daß leffersons Formulierung von der "wall of separation" jedenfalls nicht die tatsächliche Situation der Gründungsphase repräsentiere. V gl. Walter, in: Grote/Marauhn, Religionsfreiheit, 215, 226. 496 Vgl. Curry, The first freedoms, S. 211. 492 493
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England waren. 497 Tatsächlich habe selbst lefferson lediglich die Privilegierung einer einzelnen Religion verbieten wollen,498 was in seiner 1776 entworfen "Bill for Establishing Religious Freedom in Virginia" auch Niederschlag gefunden habe, wenn er von "discontinuing the establishment of the English Church by law, taking away all privileges and preeminence of one religion over another,,499 spricht. Als weiterer Beleg dafür gilt die Tatsache, daß er in seiner Amtszeit als Präsident wiederholt die Verwendung öffentlicher Mittel für religiöse Zwecke befürwortet hat. 50o Auf der anderen Seite betonte er bei den Plänen zur Schaffung der University of Virginia, daß die Studenten zwar nahe der Universität Vorlesungen der Religionsschulen besuchen dürften, aber "always understanding that these schools shall be independent of the University and of each other".501 Überdies brach er als Präsident mit der Tradition, einen nationalen Danksagungs- und Gebetstag zu proklamieren, da dies die Religionsausübungsfreiheit beeinträchtige. 502 Auch in bezug auf Thomas lefferson wird man somit nicht mit letzter Bestimmtheit beurteilen können, ob die establishment c1ause seiner Intention nach jede rechtliche Verbindung des Staates mit einer oder mit allen Religionen verbietet. Die überlieferten Aufzeichnungen sind insofern nicht einheitlich. d) Ergebnis
Die historische Auslegung des 1. Amendments der U.S. Constitution zeigt zwar den geschichtlichen Rahmen auf, in den die Vorschrift eingebettet ist, und läßt erkennen, wie es zu der Verabschiedung der Norm kam. Zugleich verdeutlicht sie aber auch die typischen Probleme, die diese Art der Interpretation gewöhnlich mit sich bringt und die ihre Gegner zu Recht gegen sie anführen. 503 Fast jedes Ergebnis läßt sich historisch begründen, indem man einzelne geschichtliche Aussagen aus dem Zusammenhang löst und sie für die eigene Ansicht aufführt. Darüber hinaus mangelt es an umfassenden Aufzeichnungen, die ein klares Zeugnis über die Kurland, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 859. Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 52; Bayer, in: ZaöRV 24 (1964), 201,218, wenngleich er diese Erkenntnis meines Erachtens irrig daraus gewinnt, daß lefferson das Trennungsgebot vor allem als ein Mittel zur Gewährleistung der Gewissensfreiheit betrachtet habe und diese Gewissensfreiheit nur durch die Verbindung des Staates mit "einer" Kirche bedroht sei. Es ist ja gerade typisch für die Verfechter einer strengen Trennung - auch in Deutschland -, daß sie nur die vollständige Trennung als taugliches Mittel zur Verwirklichung der Religionsfreiheit ansehen. Das Argument scheint demnach eher für die Gegenauffassung zu sprechen. 499 Abgedruckt bei Curry, The first freedoms, S. 212. 500 O'Neill, Religion and Education under the Constitution, S. 77. So erlaubte er etwa die staatliche Unterstützung religiöser Missionen zu den Indianern. 501 Levy, Judgments, S. 213. 502 Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen, S. 40. 503 Vgl. 2. Teil, § 2 I 1; § 3 I. 497
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Intention der Autoren der Vorschrift ablegen. 504 Insbesondere über die Absichten der Mitglieder des Senats kann nur spekuliert werden, weil von dem Verlauf der dortigen geheimen Beratungen nichts bekannt ist. Weiterhin ist zu bedenken, daß die Regelung des ersten Zusatzartikels nicht der zum Ausdruck gebrachte einheitliche Wille einer bestimmten Meinungsgruppe oder einer speziellen Anschauung ist, die sich gegenüber einer klaren Opposition durchgesetzt hätte, sondern die Meinung eines ganzen, pluralistisch besetzten Kongresses und der dahinter stehenden Nation. Diese scheinbare Selbstverständlichkeit macht es fast unmöglich, von "dem" gesetzgeberischen Willen zu sprechen und herauszufinden, welche Motive tragend waren bei der Verabschiedung der Vorschrift im gegenwärtigen Wortlaut. 505 Zwar bekämpften viele Amerikaner im späten 18. Jahrhundert die etablierten Kirchen, aber aus den unterschiedlichsten Gründen, die oft nichts miteinander zu tun hatten. Aus den überlieferten Aufzeichnungen lassen sich letztlich genügend Belege für jede der folgenden, noch einmal skizzierten Auffassungen finden: 506 So spricht einiges dafür, daß die damaligen Koloniebewohner davon ausgingen, daß Angelegenheiten zwischen Kirche und Staat ausreichend von den einzelnen Staaten geregelt seien. Man war sich einig darüber, daß der Bund in diesem Bereich keine Befugnisse haben sollte und wollte diesen Umstand explizit festgelegt wissen. 507 So gesehen beschränkte sich der Sinn der Bestimmung darauf, dem Kongreß zu verbieten, die bestehenden einzelstaatlichen Systeme anzutasten, gleichgültig, ob sie "established" waren oder nicht. Eine derartige Sichtweise der Intention der Founding Fathers hätte zur Folge, daß die Bestimmung keine aktuelle Bedeutung mehr hätte; unterstützende Maßnahmen wären dem Staat weiterhin gestattet. Auch für die Auffassung von der strengen Trennung von Staat und Kirche lassen sich viele historische Belege anführen. 508 Danach wollte der Verfassungsgeber 504 ,,[ ••. ] all of these suggestions about how to interpret the establishment clause based on the framers' intention are [ ... ] based solelyon the extremely sparse and highly questionable historical records. The records simply contain too little evidence." Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 71. 505 ,,[ •.. ] there is no clear and convincing evidence as to what the Founding Fathers intended when they enacted the establishment clause, but we have seen that there may weil be no original intent at all. The record of congressional debates, ratification debates, commentary, and the like discloses a combination of disinterest and confusion about the meaning of the establishment clause on the part of virtually all the people we could concievably call Founding Fathers. Their various "intents" can hardly be synthesized into a coherent, consistent mandate." Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 99. 506 In diesem Sinne auch Kurland, der darauf hinweist, daß man den Willen der Verfassungsväter nie wird genau bestimmen können. Man könne nur die verschiedenen möglichen Bedeutungsvarianten aufzeigen. Vgl. Kurland, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839,841 f. 507 Kurland, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 843 ff. mit weiteren Nachweisen; Curry, The first freedoms, S. 194.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
dem Kongreß nicht nur die Einmischung in die Systeme der Einzelstaaten untersagen, sondern jegliche Einmischung, d. h. auch unterstützende Maßnahmen, in religiösen Fragen verhindern. 509 Diese Auffasung umfaßt wohl auch das Verbot des Staates, sich religiöse Symbole zu eigen zu machen. 510 Allerdings bietet die amerikanische Geschichte des 18. Jahrhunderts auch eine Vielzahl an beispielhafter Aussagen, die sich ausdrücklich gegen jede Form staatlicher Unterstützung für Religionsgemeinschaften wandten, obwohl sie offenkundig auf ein System der staatlichen Bevorzugung einer oder mehrerer Religionen abzielten. 51I Man sprach von "establishment" und dachte dabei wohl an die Tyrannei der Church of England, nicht aber an ein System, das jede Art von staatlicher Kooperation mit den Kirchen verbietet. Im Sinne der no preference-Lehre sollen die Äußerungen und Aufzeichnungen der Debatten daher allein als staatliches Verbot einer Bevorzugung einer oder mehrerer Glaubensgemeinschaften zu deuten sein. Aus historischer Sicht ist der Wortlaut der Religionsklausel in erster Linie wohl als Kompromiß zu verstehen, in dem die unterschiedlichen Vorstellungen der Kongreßabgeordneten aufgingen. 512 Offensichtlich haben sich die Verfassungsväter eher mit sprachlichen Feinheiten als mit inhaltlichen Dingen des Trennungsmodells auseinandergesetzt und sich nur deshalb für diese Formulierung entschieden, weil sie ihnen als die glücklichste erschien. Dem inhaltlichen Anliegen hätten die anderen Formulierungen aber möglicherweise ähnlich gut gedient, wenn man bedenkt, daß viele derer, die sich für eine strenge Trennung aussprachen, augenscheinlich ein Verbot der Privilegierung beabsichtigten. Angesichts dieser Ausgangslage ist der Ertrag der Entstehungsgeschichte der Norm eher karg, eine positive Bestimmung des Inhalts der establishment c1ause daraus kaum zu gewinnen. 513 508 Als ganz bedeutender Beleg dient dieser Auffassung eine der wenigen Definitionsversuche dessen, was die Amerikaner des 18. Jahrhunderts unter einem establishment verstanden. So definierte Alexander Hamilton in seinen "Remarks on the Quebec Bill" im Jahre 1775 eine etablierte Religion als "a religion, which the civil authority engages, not only to protect, but to support." Abgedruckt bei Swomley, Religious Liberty, S. 44. 509 Vgl. van Alstyne, in: North Carolina Law Review 65 (1987), 909, 912: "Congress, in short, is to keep hands off. Each religious establishment is on its own, subject to how weil or ilI may fare under the different state constitutions, but not subject to Congress in any way." 510 A.A. offenbar van Alstyne, in: North Carolina Law Review 65 (1987),909,913 ff. Dieser beruft sich dafür jedoch auf Aussagen Madisons, die eher auf ein möglichst weites Verständnis von Trennung schließen lassen. 511 Curry, The first freedoms, S. 211 f. mit vielen Literatumachweisen. 512 Eine Absage ist demnach all denen zu erteilen, die die Entstehungsgeschichte als "eindeutigen" Beweis für die eine oder andere Auffassung betrachten. Dies verkennt etwa Heun, der Chief Justice Rehnquist und seinem Plädoyer gegen die wall of separation-Doktrin vorwirft, damit im "glatten Widerspruch zu den Intentionen der Verfassungsväter" zu stehen. Vgl. Heun, in: AöR 116 (1991),185, 19l. 513 Vgl. Heun, in: FS für Martin HeckeI, 341, 347.
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III. Systematische Auslegung Außer der establishment clause gibt es in der U.S. Constitution nur zwei Bestimmungen, die in direktem sachlichen Zusammenhang mit dem Thema "Religion" stehen. Zum einen ist dies die test clause des Art. 6 Sect. 3 der Verfassung,514 zum anderen die der establishment clause im Text der Verfassung unmittelbar folgende free exercise clause,515 die die Freiheit der Religionsausübung schützt.
1. Test clause
Die test clause des Art. 6 Sect. 3 U.S. Constitution verbietet es, ein religiöses Bekenntnis zur Voraussetzung für den Antritt eines Amtes oder einer öffentlichen Vertrauensstellung im Dienste der Vereinigten Staaten zu machen. Diese Bestimmung erklärt sich historisch aus der Tatsache, daß zum Zeitpunkt der Philadelphia Convention elf von dreizehn Staaten die öffentlichen Ämter nur den Christen, in der Regel sogar nur den Protestanten, vorenthielten. 516 Nach Einfügung der Vorschrift in die Verfassung gaben die Staaten dieses Einstellungskriterium aber nach und nach auf. Im Hinblick auf die establishment clause stellt die Norm lediglich eine Spezialvorschrift dar, die darüber hinaus auch den Gleichheitssatz der amerikanischen Verfassung, die equal protection clause in Art. 14 U.S. Constitution, konkretisiert. Für die Auslegung der establishment clause ist sie nur wenig hilfreich, weil die Verfassungsväter bei der Verabschiedung der test clause ohnehin eher den Schutz der Religionsfreiheit als die Auflösung ungewollter Verbindungen von Staat und Kirche im Auge hatten. 517 Eine systematische Aussage zugunsten einer laizistischen Trennungsidee ist der test clause jedenfalls nicht zu entnehmen.
2. Free exercise clause Die free exercise clause schützt grundsätzlich, ohne bereits der nachfolgenden Untersuchung zu weit vorzugreifen, die Freiheit eines jeden zu glauben, seinen Glauben zu bekennen, und im Sinne seines Glaubens zu leben. 518 Streit besteht darüber, wie sich diese umfassende Garantie auf das staatskirchenpolitische Modell der USA auswirkt. 514 .. [ ••• ] but no religious Test shall ever be required as a Qualification to any Office or public Trust under the United States." Siehe bereits oben 3. Teil, § 4 11 I. 515 .. [Congress shall make no law respecting an establishment of religion,] or prohibiting the free exercise thereof." 516 Vgl. 3. Teil, § 4 11 I. Ausführlich zur Vorgeschichte der test clause vgl. Kurland, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 845 ff. 517 Siehe dazu unten unter 4. Teil, § 2 III I. 518 Brugger, Grundrechte, S. 296.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
a) Gleichzeitige Betroffenheit von establishment clause und free exercise clause
Folgt man der strict separation-Theorie und sieht man in der establishment clause eine Bestimmung, die die vollständige Bereichsscheidung von Staat und Kirche statuiert und dabei jede Art staatlicher Zuwendungen ausschließt, kommt es zu einem deutlichen Konflikt zwischen den beiden Sätzen. Es ist nämlich nicht möglich, einerseits die Religionsfreiheit in vollem Umfang schützen und andererseits den Staat von allen religiösen Angelegenheiten fernhalten zu wollen. S19 Gerade in den hierzulande als "Sonderrechtsverhältnissen"s2o bezeichneten Bereichen wie dem Schul- und Anstaltsverhältnis,521 aber auch bei den Streitkräften, würde eine vollständige Trennung regelmäßig zur Beschneidung der Religionsfreiheit führen. 522 In der Rechtsprechung hat sich dieses Spannungsverhältnis gerade in dem Bereich staatlicher Hilfen aktualisiert. Die große Zahl der strict separationists in Rechtsprechung und Schrifttum hat dem hier regelmäßig entstehenden Wertungswiderspruch auf die unterschiedlichste Weise abzuhelfen versucht. aa) Einheitliches Prinzip Nach einer vornehmlich von Philip Kurland vertretenen Auffassung ist dem Konflikt dadurch aus dem Weg zu gehen, daß man die beiden Religionsklausein des 1. Amendments zu einem einheitlichen Prinzip der Neutralität zusammenfaßt. 523 Da sich beide Klauseln gegen Differenzierungen aufgrund religiöser Zugehörigkeit richteten, sowohl in bezug auf unterstützende als auch belastende Maßnahmen, hätte ein solches Recht das allgemeine Verbot zum Inhalt, Religion zum Maßstab für staatliches Handeln oder Nichthandeln zu machen. 524 Kurland sieht Katz, in: The University of Chicago Law Review 20 (1953), 426, 429. Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rdn. 29. 521 Schwarz weist darauf hin, daß durch die staatliche Weigerung, Konfessionsschulen dieselbe Hilfe einzuräumen, die den staatlichen Schulen zuteil wird, den dortigen Schülern nicht derselbe Ausbildungsstandard geboten werden könne wie auf den öffentlichen Schulen. Und obwohl die free exercise clause keinen Anspruch auf staatliche Leistungen einräume, könnte dies dazu führen, daß sich die Eltern für eine staatliche Schule entscheiden und ihnen dadurch eine religiös motivierte Entscheidung verbaut werde. Dies sei im Hinblick auf Religionsfreiheit zumindest bedenklich. Schwarz, in: The Yale Law Journal 77 1968), 692, 699 f. 522 Die Betroffenen sind hier in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zum Staat. Kommt der Staat deren Wunsch nach, innerhalb dieses Verhältnisses ihre Religiösität auszuüben, stellt dies nicht nur automatisch eine Hilfe dar, sondern führt darüber hinaus zu einer Verwicklung von Staat und Kirche. 523 Vgl. Kurland, in: University of Chicago Law Review 29 (1961), 1 ff. In der amerikanischen Verfassungsliteratur wird in diesem Zusammenhang immer vom "principle of strict neutrality" geredet. Vgl. etwa Tribe, American Constitutional Law, § 14-7, S. 1188. Der Ansicht Kurlands zugeneigt zeigt sich offenbar auch Giannella, der die Auffassung insbesondere durch die historische Auslegung als bestätigt ansieht. Vgl. Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967),1381,1387. 519
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darin eine wichtige Ausprägung des Gleichheitsgrundsatzes,525 die den offensichtlichen Vorteil habe, daß jede Widersprüchlichkeit zwischen den beiden Klauseln ausgeschlossen wäre. Jedenfalls sei dadurch sichergestellt, daß religiöse Aktivitäten im Vergleich zu säkularen nicht benachteiligt würden und die Religionsgemeinschaften den gleichen Anspruch auf staatliche Leistungen hätten wie nichtreligiöse Gruppierungen. Tushnet, der sich diesem Ansatz angeschlossen hat, weist zudem darauf hin, daß der Vorschlag Kurlands zwar ein doktrinärer sei und sich als solcher nicht auf den Willen des Verfassungsgebers stützen könne, dafür aber "einfach zu verstehen sei" und nicht dazu neige, verzerrte Ergebnisse aufgrund unbewußter Voreingenommenheit der Richter zu produzieren. 526 bb) Rangfolge der Klauseln Einzelne Richter des Supreme Court haben sich zuweilen bemüht, zwischen den beiden ReligionsklauseIn des 1. Zusatzartikels eine ständige Rangfolge festzulegen, nach der sich entweder die establishment c1ause der free exercise527 oder umgekehrt die free exercise c1ause der establishment c1ause528 unterordnet. Diese Lösung habe den Vorteil, daß sie zu Klarheit und Rechtssicherheit beitrüge und bei Aufeinandertreffen der beiden Klauseln zu voraussehbaren Ergebnissen führe. Die Überordnung der establishment c1ause sei darüber hinaus das richtige Mittel zur Beruhigung derer, die immer noch eine Ausweitung des Einflusses der römischkatholischen Kirche fürchteten. 529 cc) Balancing approach / Ansatz des Supreme Court Überwiegend bevorzugen die Anhänger der strict separation jedoch den "baI ancing approach", das heißt sie versuchen, durch Abwägung der im Einzelfall betroffenen Interessen herauszufinden, ob dem Prinzip der absoluten Trennung oder der Religionsfreiheit des Einzelnen der Vorzug einzuräumen ist. 530 Für diese Auffassung steht in erster Linie die Mehrheit der Supreme Court-Richter. Kurland, in: University of Chicago Law Review 29 (1961), I, 6. Kurland, in: University ofChicago Law Review 29 (1961),1,96. 526 Tushnet, in: The Supreme Court Review 1989,373,374; 400. 527 So wohl der Supreme Court-Richter Brennan in einer concurring opinion in School District of Abington Township v. Schempp, 374 U.S. 203, 299 (1963). Im Ergebnis auch Tribe, American Constitutional Law, § 14- 8, S. 1201. 528 So der Supreme Court-Richter Rutledge in den Fällen der Busgelderstattung. Vgl. etwa in Everson v. Board of Education 330 U.S. 1,28 ff. (1947). Siehe auch Katz, in: The Uni versity of Chicago Law Review 20 (1953), 426, 436. 529 Vgl. Katz, in: The University of Chicago Law Review 20 (1953), 426, 436. 530 Umfassend zur Abwägung etwa Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967), 1381, 1390 ff. 524 525
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Die Verfassungswirklichkeit in den USA ist dafür bekannt, daß sie keine übergreifende Schutzbereich-Schranken-Tenninologie kennt, die einheitlich bei allen Grundrechtsverbürgungen angewandt wird. Vielmehr haben sich im Laufe der Jahrzehnte richterliche Prüfungsmaßstäbe herausgebildet, die stets auf einzelne Grundrechte oder Grundrechtsgruppen bezogen sind. Anhand derer untersucht der Supreme Court, ob ein ausreichend intensiver Eingriff vorliegt, um den Schutzbereich des konkret in Rede stehenden Grundrechts zu aktualisieren. Der auf die konkrete Verbürgung bezogene Prüfungsmaßstab legt auch fest, welche Schranken die öffentliche Gewalt bei den Eingriffen einzuhalten hat. Durch den Text der Verfassung ist die Fonnulierung der Grundrechtsschranken nur marginal angelegt. 531 Den Prüfungsmaßstab für die establishment clause hat der Supreme Court im letzten Jahrhundert entwickelt. Schon frühzeitig hat sich das Gericht dabei auf ein striktes Trennungsverständnis von Staat und Kirche festgelegt; gleich in seinem ersten bedeutenden Urteil zur establishment clause, Everson v. Board 01 Education,532 erklärte es: "The establishment of religion means at least this: Neither a state nor the Federal Govemment can set up a church. Neither can pass laws which aid one religion, aid all religions, or prefer one religion over another. Neither can force nor influence a person to go to or to remain away from church against his will or force hirn to profess a belief or disbelief in any religion. No person can be punished for entertaining or professing religious beliefs or disbeliefs, for church attendance or non-attendance. No tax in any amount, large or small, can be levied to support any religious activities or institutions, whatever they may be called, or whatever fonn they mayadopt to teach or practice religion. Neither astate nor the Federal Govemment can, openly or secretly, participate in the affairs of any religious organizations or groups and vice versa. In the words of Jefferson, the clause against establishment of religion by law was intended to erect a wall of separation between Church and State."533 Ein Jahr später, in McCollum v. Board 01 Education,534 hat das Gericht diese Auffassung noch einmal ausdrücklich bestätigt. In dem Urteil ging es um die Erteilung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen durch Lehrer, die privat auf Veranlassung einzelner Religionsgemeinschaften angestellt wurden. Dadurch konnten einige Schüler auf ihren Wunsch hin in ihrer jeweiligen Religion unterrichtet werden, während die anderen Schüler zur gleichen Zeit an diversen "säkularen" Pflichtveranstaltungen teilnahmen. Das Gericht gelangte zu der Auffassung, daß bereits in der Bereitstellung von Unterrichtsräumen und Schulzeit sowie der Inanspruchnahme der öffentlichen Schulpflicht eine verfassungswidrige steuerfinanzierte Begünstigung von Religion zu sehen sei: 535 "Separation means separation, not something less. Jefferson's metaphor in describing 531 532 533 534 535
Brugger, Öffentliches Recht der VSA, S. 90. Everson v. Board ofEducation 330 V.S. 1 (1947). Everson v. Board ofEducation 330 V.S. 1, 15 f. (1947). McCollum v. Board of Education, 333 V.S. 203 (1948). McCollum v. Board of Education, 333 V.S. 203, 209 ff. (1948).
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the relation between Church and State speaks of a wall of separation, not of a fine line easily overstepped.,,536 Auch in den 60er Jahren, als es erstmals die Zulässigkeit von Schul gebeten zu beurteilen galt, behielt das Gericht diese Linie bei. In Engel v. Vitale 537 wurde die Anordnung einer Schulbehörde im Staate New York, allmorgendlich überkonfessionelle Gebete in den Schulklassen halten zu lassen, für verfassungswidrig erklärt. Es sei nicht Sache der Regierung "to compose official prayers for any group of the American people to recite as a part of a religious program carried on by government".538 Jede Regierung des Landes "should stay out of the business of writing or sanctioning official prayers and leave that purely religious function to the people themselves and to those the people choose to look to for religious guidance".539 Dies sei in keiner Weise religionsfeindlich. Daran ändere auch der überkonfessionelle Charakter des Gebets nichts, denn "the same authority which can establish Christianity, in exclusion of all other Religions, may establish with the same ease any particular sect of Christians, in exclusion of all other Sects".540 Schon in der Everson-Entscheidung hatte sich jedoch die Einsicht des Supreme Court angedeutet, daß eine strenge Trennung von Staat und Kirche nicht immer würde durchsetzbar sein und gerade die Beschneidung staatlicher Hilfen zu Lasten der Religionsfreiheit gehen kann. Ausnahmsweise sah das Gericht staatliche Hilfe daher als erlaubt an, wenn sie einem säkularen Ziel diene, einer Religionsgemeinschaft nur zufällig zugute komme und überdies geringfügig sei. 541 In School District of Abington Township v. Schempp wurde zusätzlich verlangt, daß auch die tatsächlichen Auswirkungen der staatlichen Hilfe zumindest überwiegend säkular sind. 542 Einige Jahre später kam es dann zu einer weiteren Präzisierung des Prüfungsmaßstabs. In Walz v. Tax Commission of the City of New York 543 bestätigte McColium v. Board ofEducation, 333 V.S. 203, 231 (1948). 370 V.S. 421 (1962). 538 Engel v. Vitale, 370 V.S. 421, 425 (1962). 539 Engel v. Vitale, 370 V.S. 421, 435 (1962). 540 Engel v. Vitale, 370 V.S. 421, 436 (1962) (Jarnes Madison zitierend). 541 Noch deutlicher als in der Everson-Entscheidung hat das Gericht in Zorach v. Clauson die Notwendigkeit von Abweichungen zum strikten Trennungsprinzip betont: "There cannot be the slightest doubt that the First Amendment reflects the philosophy that Church and State should be separated. And so far as interference with the "free exercise" of religion and an "establishment" of religion are concemed, the separation must be complete and unequivocal. The First Amendment within the scope of its coverage permits no exception; the prohibition is absolute. The First Amendment, however, does not say that in every and all respects there shall be aseparation of Church and State. Rather, it studiously defines the manner, the specific ways, in which there shall be no concert or union or dependency one on the other." 343 V.S. 306, 312 (1952). Die Entscheidung ist insbesondere daher auch von Interesse, weil die Konstellation derjenigen in der McCollurn-Entscheidung stark ähnelte. Das in Zorach für verfassungsgemäß befundene Religionsunterrichtsprogramm wich nur insoweit von dem vorgenannten ab, als der Vnterricht außerhalb des Schulgebäudes stattfand. 542 School District of Abington Township v. Schempp, 374 V.S. 203, 222 (1963). 543 397 V.S. 664 (1970). 536 537
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
der Supreme Court eine gesetzliche Befreiung der Kirchen von der Vermögenssteuer. Nach Auffassung des Gerichts liege darin zwar ein indirekter wirtschaftlicher Vorteil der Religionsgemeinschaften. Der Staat begebe sich jedoch in ein viel stärkeres Beziehungsgeflecht mit den Kirchen, wenn er keine Befreiung zulasse. Dann müsse der kirchliche Besitz nämlich steuerlich bewertet werden, es komme gegebenenfalls zu steuerlichen Zurückbehaltungsrechten und Darlehen sowie zu direkten Konflikten im Zuge gerichtlicher Auseinandersetzungen. Dies habe eine exzessive Verwicklung von Staat und Kirche zur Folge, was die establishment clause erkennbar nicht gewollt habe. 544 Mit diesen Kriterien war der Boden bereitet für die Entscheidung Lemon v. Kurtzman 545 . Darin fügte der Supreme Court die zuvor erarbeiteten Elemente zusammen und fand auf diese Weise eine Formel, die ihm in der Folgezeit in nahezu allen Fällen der establishment clause bis in die jüngste Vergangenheit hinein als Prüfungsmaßstab diente (sog. Lemon-Test). Danach muß staatliches Handeln, um nicht gegen die Einrichtungsklausel zu verstoßen, (1) ein säkulares Ziel haben; (2) der primäre Effekt der Regelung darf Religion weder fördern noch beeinträchtigen; und (3) die staatliche Regelung darf nicht zu einer exzessiven Verwicklung von Staat und Kirche führen. 546 Der Lemon-Test wurde auf der Vorstellung formuliert, daß die establishment clause drei Übel zu verhindern trachtet: "sponsorship", "financial support" und "active involvement of the sovereign in religious activity".547 Dazu stellte der Supreme Court klar: "Under our system the choice has been made that government is to be entirely excluded from the area of religious instruction and churches excluded from the affairs of government. The Constituti on decrees that religion must be a private matter for the individual, the family, and the institutions of private choice, and that while some involvement and entanglement are inevitable, lines must be drawn.,,548 Auf der Basis dieser Grundsätze urteilte der Supreme Court zunächst weiter im Sinne der strengen Trennung, häufig zu Lasten der gleichzeitig betroffenen Religionsfreiheit. Im Bereich der staatlichen Förderung konfessioneller Bildungseinrichtungen wies das Gericht darauf hin, daß der establishment clause besonders dann Gefahr drohe, wenn der Staat direkte Geldzahlungen an konfessionelle Einrichtungen vornehme. 549 Im Lichte dieser Einschätzung urteilte der Supreme Court im Jahre 1973 in Committeefor Public Education & Religious Liberty v. Nyquist550 Walz v. Tax Commission of the City of New York, 397 V.S. 664, 674 (1970). 403 V.S. 602 (1971). 546 Lemon v. Kurtzman 403 V.S. 602, 612 f. (1971). 547 Lemon v. Kurtzman 403 V.S. 602, 612 (1971). 548 Lemon v. Kurtzman 403 V.S. 602, 625 (1971). 549 Vgl. etwa Roemer v. Board of Public Works of Maryland, 426 V.S. 736, 747 (1976): "The Court has taken the view that a secular purpose and a facial neutrality may not be enough, if in fact the State is lending direct support to a religious activity." 550 413 V.S. 756 (1973). 544 545
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über drei Hilfsprogramme für private Schulen. 55 ! Das erste sollte privaten Schulen direkte Hilfe zukommen lassen und dazu dienen, die Schuleinrichtungen instandzuhalten und die Schulen so auszurüsten, daß die Gesundheit und Sicherheit der Schüler gewährleistet ist. Um sicherzustellen, daß die Zahlungen auch bestimmungsgemäß verwendet werden, sollten die Schulen über die genaue Verwendung des Geldes Bericht erstatten. 552 Das zweite Förderprogramm sah vor, einkommensschwachen Eltern von Kindern, die eine Privatschule besuchen, einen Teil der Unterrichtsgebühren zu erstatten, während das dritte Programm Steuervergünstigungen für solche Eltern vorsah, die sich nicht für das zweite Programm qualifizieren konnten. Das Gericht wertete alle drei Programme als Verstoß gegen die establishment c1ause. Zwar seien auch direkte Hilfen an Konfessionsschulen möglich, sofern diese in säkulare Aufgaben flössen, die die Schulen zwangsläufig wahrzunehmen hätten. Ebenso sei eine staatliche Maßnahme nicht automatisch unwirksam, nur weil sie zugleich indirekte, eher zufällige Vorteile für eine Religionsgemeinschaft enthalte. 553 Allerdings würden durch die Hilfsprogramme die konfessionellen Zwecke der Schulen gefördert. Gerade ein System zur Überprüfung der Ausgaben würde eine zu starke Verflechtung von Staat und Kirche darstellen. 554 Das Argument, die Programme dienten der Ausübung der Religionsfreiheit, überzeugte das Gericht nicht. 555 Wenig später, in Meek v. Pittenger,556 entschied das Gericht über ein Förderprogramm Pennsylvanias. Dabei urteilte es, daß es verfassungsgemäß sei, Lehrbücher an Privatschulen zu verleihen,557 nicht aber sonstige Ausstattung, wie etwa Zeitschriften, Karten, Filme, Projektoren oder Laborrnaterialien. 558 Auch mit Belegschaft dürfte der Staat nicht aushelfen, weil hier zu befürchten sei, daß sich religiöse Doktrin mit säkularem Unterricht verrnische. ss9 Das Risiko, daß Religion durch öffentliche Angestellte gefördert werde, sei zu groß. In den Fällen School District of the City of Grand Rapids v. BaU560 und Aguilar v. Felton 56 ! ent55! Tatsächlich war klar, daß davon überwiegend konfessionelle Schulen betroffen sein würden. 552 Cornrnittee for Public Education & Re1igious Liberty v. Nyquist, 413 V.S. 756, 763 (1973). 553 Committee for Public Education & Religious Liberty v. Nyquist, 413 V.S. 756, 775 (1973). 554 Committee for Public Education & Religious Liberty v. Nyquist, 413 V.S. 756, 780 (1973): ,,[ ... ] assuring the secular use of all funds requires too intrusive and continuing a relationship between Church and State." 555 Committee for Public Education & Religious Liberty v. Nyquist, 413 V.S. 756, 788 f. (1973). 556 421 V.S. 349 (1975). 557 Meek v. Pittenger, 421 V.S. 349, 359 f. (1975). 558 Meek v. Pittenger, 421 V.S. 349, 364 f. (1975). 559 Meek v. Pittenger, 421 V.S. 349, 370 (1975): ,,[Whatever] the subject is [ ... ], a teacher remains a teacher, and the danger that religious doctrine will become intertwined with secular instruction persists." 560 473 V.S. 373 (1985).
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
schied das Gericht über öffentlich finanzierte Förderprogramme, bei denen Lehrer von öffentlichen Schulen bestimmte "säkulare" Fächer an Konfessionsschulen unterrichten sollten. In dem erstgenannten Fall vermittelte nach Ansicht des Gerichts der bloße Umstand, daß kommunale Lehrer an einer Konfessionsschule unterrichteten, die symbolische Botschaft einer staatlichen Unterstützung von Religion; damit sei das "säkulare Ziel"-Erfordernis des Lemon-Tests verletzt. Das in dem Aguilar-Urteil überprüfte Programm wiederum wurde wegen exzessiver Verwicklung von Staat und Kirche zu Fall gebracht. Begründet wurde dies damit, daß die Bereitstellung von Lehrern an eine Konfessionsschule eine ständige Überwachung durch die staatlichen Behörden notwendig mache dahingehend, ob keine "religious message" überbracht werde. 562 Die Lehrer stellten eine verfassungswidrige "permanent and pervasive state presence,,563 in den Konfessionsschulen dar. Die Anwendung des Lemon-Tests564 hat jedoch zu keiner klaren und eindeutigen Linie in der Rechtsprechung des Supreme Court geführt,565 zumal das Gericht immer wieder zu erkennen gab, den Test nicht schematisch anwenden zu wollen. 566 Folgerichtig hat der Supreme Court in den 90er Jahren von der Anwendung des Tests zunehmend Abstand genommen, jedoch ohne ihn oder die Entscheidungen, die auf seiner Grundlage getroffen wurden, ausdrücklich zurückzuweisen. 567 473 U.S. 402 (1985). Aguilar v. Feiton, 473 U.S. 402, 412 (1985). 563 Aguilar v. Feiton, 473 U.S. 402, 413 (1985). 564 Hierzu im einzelnen siehe auch 3. Teil, § 4 III 2 a) dd). 565 Heun, in: FS für Martin Heckei, 341, 352; Walter, in: Grote I Marauhn, Religionsfreiheit, 215, 227. 566 Lynch v. Donnelly, 465 U.S. 668, 678 f. (1984). 567 Vgl. Nowak/Rotunda, Constitutional Law, § 17.3, S. 1224; LeMoine, in: Missouri Law Review 64 (1999), 709, 713: "However, the Court continues to use the Lemon test as the primary vehic1e for determining whether astate statute unconstitutionally infringes upon religion." Zwischenzeitlich erwägte das Gericht zwei weitere Ansätze: Zum einen den von Richterin O'Connor entwickelten "no endorsement test", demzufolge die offensichtlichste Verletzung der establishment c1ause "government endorsement" beziehungsweise "disapproval of religion" sei. Umschrieben hat O'Connor ein solches "government endorsement" folgendermaßen: "Endorsement sends a message to nonadherents that they are outsiders, not full members of the political community, and an accompanying message to adherents that they are insiders, favored members of the political community. Disapproval sends the opposite message." Lynch v. Donnelly 104 S.Ct. 1355, 1367 (1984). Dem Ansatz liegt der Gedanke zugrunde, daß eine Unterstützung von Religion verfassungswidrig sein soll, wenn ein "objektiver Beobachter" sie als Ausdruck einer zu engen Verbindung von Staat und Religionsgemeinschaft verstehen kann. Neben O'Connor haben sich diesem Ansatz auch die Richter Stevens und Blackmun zugeneigt gezeigt. Die Richter Rehnquist. White und Scalia haben dagegen den "no coercion approach" von lustice Kennedy befürwortet, demzufolge staatliche Stellen niemanden dazu zwingen dürfen, eine Religion zu unterstützen oder sich an einer Religion oder der Ausübung einer Religion zu beteiligen. Abgestellt wird hierbei mithin auf die Zwangswirkung, die von einer staatlichen Maßnahme auf den Einzelnen ausgeht. County of Allegheny v. American Civil Liberties Union, 492 U.S. 573,659 (1989), lustice Kennedy 561
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Auch rückte das Gericht in dieser Zeit - zumindest in dem Bereich der staatlichen Vorteils gewährung - von seinem strengen Trennungsverständnis ab. Bemerkbar machte sich dies zunächst in den sogenannten equal access-cases. 568 In diesen Fällen ging es um Schüler öffentlicher Schulen, die verlangten, in Zeiten, die für außerschulische Aktivitäten innerhalb des Schulgeländes vorgesehen waren, religiösen Betätigungen nachgehen zu können. Habe die Schule ihren Schülern einmal die Möglichkeit eröffnet, unter einer Vielzahl von sogenannten "extracurricular activities" die für sie interessanteste auszuwählen, dann gebiete die free exercise c1ause nach Ansicht der beschwerdeführenden Schüler, daß auch religiöse Betätigungen wie gemeinschaftliches Bibellesen oder Gruppengebete darunter fielen, zumal diese Aktivitäten dem Sinn und Zweck einer "extracurricular activity" durchaus gerecht würden. Der Supreme Court hat sich dieser Argumentation angeschlossen und eine solche Verbindung von Staat und Religion für zulässig erklärt. 569 Auch in Lamb's Chapel v. Center Moriches Union Free School Districr70 befand das Gericht in einer einstimmigen Entscheidung, daß es einer religiösen Gruppierung nicht verboten werden könne, die Räumlichkeiten einer öffentlichen Schule außerhalb der Schulzeit zu benutzen, sofern die Einrichtungen auch für andere offenständen. Hier bestünde keine realistische Gefahr, daß die Gemeinde den Eindruck erwecke, bewußt Religion zu fördern. Eventueller Nutzen der Religionsgemeinschaften sei eher zufälliger Art. 57 ! In Zobrest v. Catalina Foothilis School Districr72 hielt der Supreme Court dann ein Programm für verfassungs gemäß, das schwerhörigen Schülern das Recht auf einen Dolmetscher für Zeichensprache einräumte, und zwar auch Zobrest, dem Schüler einer katholischen High School. Das Programm war nach Auffassung des Gerichts neutral, weil es das Recht allen Schulen zuteil werden ließ, das heißt öffentlichen wie privaten, konfessionsgebundenen wie konfessionsneutralen Schulen. Außerdem sei die Hilfe nur indirekter Natur, weil sie der Schule nur aufgrund der zuvor getroffenen, freien Entscheidung des Einzelnen, gerade diese Schule zu besuchen, zufließe. 573 Der angeforderte concurring in part and dissenting in part. Die Konturen bei der Ansätze sind im einzelnen jedoch unklar geblieben. Ausführlich dazu McConnell, in: The University of Chicago Law Review 59 (1992), 115, 147 ff.; Smith, in: Michigan Law Review 86 (1987), 266, 267 ff.; Choper, Journal ofChurch and State 34 (1992), 363, 365; sowie jetzt auch von deutscher Seite sehr übersichtlich Walter, in: Grote/Marauhn, Religionsfreiheit, 215, 229 f. 568 Vgl. insbesondere Board ofEducation v. Mergens, 110 S.Ct. 2356 (1990). 569 110 S.Ct. 2356, 2370 ff. (1990). Das Gericht hat sich hier hauptsächlich darauf berufen, daß das in Rede stehende Verhalten in den Anwendungsbereich des "Equal Access Act" falle, der unter anderem Diskriminierung nach religiösen Kriterien verbietet. Da der Act Privilegien für säkulare wie für religiöse Tätigkeit einräume, werde Religion auch nicht "gefördert". Das Gesetz halte dem Lemon-Test stand. 110 S.Ct. 2356, 2371 (1990). 570 113 S.o. 2141 (1993) 57! Lamb's Chapel v. Center Moriches Union Free School District, 113 S.Ct.2141, 2148 (1993). 572 509 U.S. I (1993). 573 Zobrest v. Catalina Foothills School District, 509 U.S. 1,9 ff. (1993).
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
Dolmetscher wirke an den Lerninhalten in keiner beeinflussenden Weise mit. 574 In Rosenberger v. Rector and Visitors 0/ the University 0/ Virginia 575 hatte die University of Virginia Gelder für eine christliche Publikation versagt, weil diese Publikation der Verbreitung religiösen Glaubens gedient hätte. Das Gericht gab den Studenten Recht, weil die begehrten Mittel aus einem Fonds kamen, der mit Studentenmitteln finanziert wurde und auf neutraler Basis allen Gruppierungen, religiösen wie nichtreligiösen, zugute kam. Die Entscheidung Agostini v. Felton 576 markierte dann die endgültige Wende in diesem Bereich. Das Urteil hob die Aguilar-Entscheidung auf, der der identische Sachverhalt zugrunde lag, und bestimmte, daß fortan weder die Anwesenheit von öffentlichen Angestellten an kirchlichen Schulen, noch direkte staatliche Hilfe, die unmittelbar der Erziehungsfunktion der Konfessionsschulen zugute komme, einen generellen Verstoß gegen die establishment clause konstituierten. 577 Stattdessen bestimmte Agostini, daß Förderprogramme, die auf neutralen Kriterien beruhten und damit sowohl konfessionellen wie nichtkonfessionellen Schulen zugute kämen, nicht (mehr) bedenklich seien. Selbst eine Kooperation auf Verwaltungsebene habe nicht mehr automatisch eine exzessive Verwicklung von Staat und Kirche zur Folge. Diese Grundsätze wurden in Mitchell v. Helms 578 ausdrücklich bestätigt. In dem Urteil bestimmte der Supreme Court, daß die Gewährung von Mitteln zur Bereitstellung von Lehrmaterialien und Schulausrüstung, die privaten und öffentlichen Schulen gleichermaßen zukome,579 mit der establishment clause vereinbar und damit verfassungsgemäß sei. Zugleich hob das Gericht die entgegenstehenden Entscheidungen Meek v. Pittenger580 und Wolman v. WalterS) auf. 582 Auch zuletzt in Zelman v. Simmons-Harris 583 hielt das Gericht ein Schüler-Förderprogramm aufrecht, welches allein an das Kriterium der Bedürftigkeit anknüpfte, im Ergebnis aber fast ausschließlich Schülern von Konfessionsschulen zugute kam. Hierbei stellte es ebenso nur darauf ab, daß die "Förderung" von Religion "zufällig" sei, weil sie auf eine freie Entscheidung der Schüler zurückgehe. Im Ergebnis ist das Gericht damit zumindest in dem Bereich staatlicher Hilfen 584 wesentlich von dem no aid-Prinzip abgerückt; auch der Lemon-Test wurde Zobrest v. Catalina FoothilIs School District, 509 V.S. I, 13 (1993). 115 S.o. 2510 (1995). 576 521 V.S. 203 (1997). 577 Agostini v. Feiton, 521 V.S. 203, 223 (1997). 578 530 V.S. 793 (2000). 579 Ca. 30% der Gelder gingen nach dem zugrunde liegenden Programm an Privatschulen, von denen die meisten katholische oder andere Konfessionschulen waren. Vgl. Mitchell v. Helms, 530 V.S. 793, 803 (2000). 580 421 V.S 349 (1975). 581 97 S.o. 2593 (1977). 582 "Meek and Wo/man are anomalies in our case law. We therefore conclude that they are no longer good law." Mitchell v. Helms, 530 V.S. 793,808 (2000). 583 Vrteil vom 27. Juni 2002, No. 00-1751 (536 V.S . ..... 2002). 574 575
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dadurch entscheidend abgeschwächt. 585 In seiner jetzigen Fonn überprüft er nur noch die beiden ersten Kriterien,586 fragt mithin nur noch danach, ob (1) ein säkulares Ziel verfolgt wird und (2) der primäre Effekt der Regelung Religion fördert. Letzteres soll dann der Fall sein, wenn ein Programm (1) zu staatlicher Indoktrinierung führt; (2) seine Empfänger nach religiösen Kriterien definiert und (3) eine exzessive Verwicklung von Staat und Kirche zur Folge hat. 587 Wenn ein Förderprogramm konfessionellen wie nichtkonfessionellen Institutionen nach neutralen, säkularen Kriterien Hilfe zuteil werden läßt, und diese Hilfe sich zudem als Ergebnis mehrerer privater Entscheidungen des Empfängers darstellt, dient der primäre Zweck des Programms nicht der Förderung von Religion, so daß das zweite Element des Lemon-Tests erfüllt ist. Dies gilt auch für direkte und nicht nur beiläufige staatliche Hilfen. 588 Nun ist auch kein Kriterium mehr vorhanden, das grundsätzliche Bedenken bezüglich finanzieller Hilfen an Religionsgemeinschaften anmeldet. 589 dd) Lösung im Sinne der no preference-Lehre Gegen ein einheitliches Prinzip der Neutralität spricht vor allem die Tatsache, daß religiöse Aktivitäten hiernach nie bevorzugt behandelt werden könnten, das heißt eine Religionsgemeinschaft dürfte etwa nicht anders behandelt werden als ein Schachclub oder gar das rechtmäßig durchgeführte Pokerspiel, so lange beide Aktivitäten nur staatlichen Schutzes bedürfen, um effektiv ausgeübt werden zu können. 59o Eine solche Auffassung hätte zur Folge, daß Ungleiches gleich behandelt würde. Zwar beruft sich Kurland darauf, daß sich das Neutralitätsprinzip gerade gegen die Ungleichbehandlung vergleichbarer Gruppen wende. Wegen der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Religion fehlt es aber oft an der Vergleichbarkeit von religiösen und nichtreligiösen Gruppen, so daß es nicht gerechtfertigt erscheint, staatliche Leistungen allen Gruppierungen in dem gleichen Umfang zukommen zu lassen, unabhängig von der Frage der religiösen Zugehörigkeit. Säkulare Organisationen können sich in der Regel nicht auf den expliziten Schutz durch die U.S. Constitution berufen. 584 Auf diesen Bereich scheint die Abänderung des Lemon-Tests noch beschränkt zu sein. Vgl. Mitchen v. Helms, 530 V.S. 793, 807 (2000): ,,[ ... ] in Agostini we modified Lemon for purposes of evaluating aid to schools and examined only the first and second factors." 585 LeMoine, in: Missouri Law Review 64 (1999), 709, 725. 586 Mitchen v. Helms, 530 V.S. 793, 794 (2000). 587 Agostini v. FeIton, 521 V.S. 203, 234 (1997). 588 "Whether a program is labeled "direct" or "indirect" is a rather arbitrary choice that does not further the consitutional analysis." Mitchen v. Helms, 530 V.S. 793, 795 (2000). 589 LeMoine, in: Missouri Law Review 64 (1999), 709, 733. 590 Beispiel bei Schwarz, in: The Yale Law Journal 77 (1968), 692, 695. Vgl. dazu auch Tribe, American Constitutional Law, § 14-4, S. 1167 f.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
Das Prinzip von der Rangfolge der Klauseln birgt, zumindest abstrakt gesehen, die Gefahr in sich, daß die Festlegung einer dauerhaften Reihenfolge die untergeordnete Verfassungsvorschrift in ihrer Substanz zu entleeren droht. Schließlich kennt auch das US-amerikanische Verfassungsrecht das Prinzip von der Einheit der Verfassung 591 - wenn auch in abgeschwächter Form -, das von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Normen ausgeht. Auch die Vorgehensweise der Rechtsprechung ist abzulehnen, weil sie an dem gleichen Mangel leidet wie die anderen Auffassungen, die im Grundsatz von einer strengen Trennung ausgehen. Nach wohl einheitlicher Auffassung ist es das Ziel beider Klauseln, das heißt auch der establishment clause,592 die Religionsfreiheit zu schützen. 593 Es ist daher systematische Erkenntnis, daß das Trennungsverständnis nicht so überspannt ausgelegt werden darf, daß dadurch die Religionsausübung nachhaltig beeinträchtigt wird. Zu dieser Konsequenz hatte aber gerade der Lemon-Test immer wieder geführt. So wurden staatliche Maßnahmen zur Verbesserung der Religionsfreiheit immer wieder als verfassungswidrig angesehen, weil sie kein säkulares Ziel hatten und damit nicht dem secular purpose-Element des Tests genügten. Auf dieser Basis wäre aber die free exercise clause selbst ein Verstoß gegen die establishment clause. 594 Die der Religionsfreiheit dienende establishment clause wird auf diese Weise in ihr Gegenteil verkehrt. Aber auch die weiteren Kriterien des Lemon-Tests haben in der Vergangenheit zu widersprüchlichen und teilweise willkürlich erscheinenden Entscheidungen geführt. 595 Das Kriterium des primären Effekts etwa eröffnete große Unsicherheiten, wenn ein staatliches Programm einem weiten Spektrum an privaten Gruppen, säkularen wie religiösen, Vorteile gewährte. Die Frage, ob darin eine "Förderung" von Religion liegt, hat die Rechtsprechung manchmal bejaht, manchmal verneint; die Bejahung der Siehe 2. Teil, § 3 II 1. Vgl. Note, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1606, 1644 f.: "Die establishment clause verlangt, die Religionsfreiheit zu bewahren, die historische Bedeutung der Religion in der amerikanischen Kultur anzuerkennen und den sozialen Zusammenhang zu fördern." 593 Choper, in: University of Pittsburgh Law Review 41 (1980), 673, 678; 686; 700; Everson v. Board ofEducation 330 U.S. 1,40 (1947). Vgl. auch Tribe, American Constitutional Law, § 14-2, S. 1156; Katz, in: The University of Chicago Law Review 20 (1953), 426, 428; Kurland, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 860: "Constitutional history almost always suffers from what T.S. Eliot described as the cruelty of mixing memory with desire. [ ... ] Despite these problems, I think I can confidently say that the intended direction of the first amendment was the enhancement of individual freedom. I also am confident that the objectives were to establish an equality among persons, so that each individual could choose without interference how to commune with his god, and to avoid the havoc that religious conflicts had imposed on mankind throughout history." 594 McConnell, in: The University of Chicago Law Review 59 (1992), 115, 143 ff.; ders. in: ABA Journal, February 1997,46. 595 Vgl. etwa Cornelius: in: 16 St. Mary's Law Journal 1, 8 (1984), der feststellt, daß die Beobachter "praktisch einheitlich" die Einschätzung teilten, daß die establishment clauseEntscheidungen "inconsistent and unprincipled" seien; Paulsen: in: 61 Notre Dame Law Review 311, 315 (1986): "schizophrenie pattern of decisions". 591
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§4 DSA
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Frage hat dazu geführt, daß Gläubigen Vorteile verwehrt wurden, die anderen zuteil wurden. Tatsächlich wurde damit Religion diskriminiert. 596 Nach der neuen Rechtsprechung ist zwar gesichert, daß die Religion wenigstens nicht schlechter gestellt wird als säkulare Aktivitäten. Allerdings ähnelt sie nun dem Ansatz Kurlands, dessen indifferente Behandlung von Religion sich ebenfalls den Vorwurf gefallen lassen muß, der (systematischen) Wertung der free exercise clause zu widersprechen. Die verfassungsmäßige Privilegierung von Religion darf nicht zum bloßen Gleichbehandlungsgebot verkümmern und muß im Einzelfall über das hinausgehen, was säkularen Vorhaben zuteil wird. Ansonsten könnte kein Verhalten mehr gerade wegen seines religiösen Charakters entschuldigt oder erlaubt werden, weil darin schon eine Form von unerlaubter staatlicher Hilfe zu erblicken wäre. Als geradezu unlösbares Problem des Lemon-Tests hat es sich darüber hinaus erwiesen, zu entscheiden, wann eine "Verwicklung von Staat und Kirche" im Sinne des Tests gegeben ist. Da jede Religionsgemeinschaft vielseitige Kontakte zu den staatlichen Stellen pflegt, ist es fast unmöglich zu sagen, wann eine Verwicklung "exzessiv" ist. Die Anwendung dieser mehrdeutigen Kriterien hat daher folgerichtig zu einer "jurisprudence of confusion and inconsistency - with a heavy dose of hostility to religion thrown in,,597 geführt. Obwohl der Prüfungsmaßstab über einen so langen Zeitraum bis zum heutigen Tage erhalten wurde, gibt es nur wenige, die den Test jemals befürwortet haben. 598 Dies gilt umso mehr, als dem Supreme Court vorgeworfen wird, den Test auch immer wieder verzerrt oder falsch angewandt zu haben. 599 Tatsächlich ist nicht nachvollziehbar, daß etwa religiöse Colleges allgemeine finanzielle Unterstützung erhalten durften, religiöse High Schools aber nicht; daß der Staat die Beförderung zu religiösen Schulen bezuschussen darf, nicht aber die Beförderung der Schüler dieser Schulen zu Ausflügen;600 daß der Staat den Konfessionsschulen Bücher bezahlen darf,601 nicht aber Karten oder Filmprojektoren;602 daß er die Kosten staatlich vorgeschriebener Schulprüfungen erstatten darf, nicht aber die Kosten staatlich vorgeschriebener Sicherheitsstandards. 603 Angesichts dieser verworrenen Rechtsprechung des Supreme Court haben auch die unteren Bundesgerichte und einzelstaatlichen Gerichte den LemonTest sehr unterschiedlich, teilweise widersprüchlich interpretiert, oftmals sogar ganz übergangen, um unerwünschte Ergebnisse zu vermeiden. 604 Gegen den balanMcConnell, in: ABA Journal, February 1997,46. McConnell, in: ABA Journal, February 1997,46,47. 598 Tushnet bemerkt hierzu, daß "virtually everyone who has thought about the religious clauses [ ... ] finds the Supreme Court's treatment of religion clause issues unsatisfactory." Tushnet, in: 27 William & Mary Law Review 997 (1986). 599 Smith, in: Michigan Law Review 86 (1987), 266, 269. 600 Wolman v. WaIter, 433 D.S. 229, 255 (1977). 601 Board ofEducation v. Allen, 392 D.S. 236 (1968). 602 Wolman v. Walter, 433 D.S. 229 (1977). 603 Aufzählung bei McConnell, in: ABA Journal, February 1997,46,47. 604 McConnell, in: ABA Journal, February 1997,46. 596 597
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
cing approach des Supreme Court spricht aber noch ein weiteres Argument. Das Abwägen diverser Belange ist bereits eine schwierige und oft unstrukturierte Technik, wenn Identität und Reichweite der in Rede stehenden Rechtsgüter bekannt sind. Die Abwägung gestaltet sich jedoch noch ungleich schwieriger, wenn - wie durch den Supreme Court - ein säkularer mit einem religiösen Effekt abgewogen wird. 605 Da hier im Grunde ganz verschiedene Dinge miteinander verglichen und auf ihre Betroffenheit überprüft werden, hat diese Technik Mühe, einen Vorrang im Einzelfall herauszuarbeiten und diesen überzeugend zu begründen, geschweige denn, ein Ergebnis vorausahnen zu lassen. Im Ergebnis ist demnach keiner der dargestellten Lösungswege vorzugswürdig. Es zeigt sich, daß die Lehre von der strict separation keinen überzeugenden Ansatz bietet, um die Klauseln zu harmonisieren. Es ist vielmehr eine Auslegung zu bevorzugen, nach der sich die Normen nicht konträr gegenüberstehen, sondern nach der sie sich gegenseitig abgrenzen und ergänzen. Dafür bietet die no preferenceLehre den richtigen Ansatz. Staatliche Hilfen an Religionsgemeinschaften sind nicht grundsätzlich und von vornherein unzulässig. Im Gegenteil, staatliche Hilfen werden zuweilen sogar notwendig sein, um die Religionsfreiheit gewährleisten zu können. Es ist allerdings zu beachten, daß sie den Religionsgemeinschaften grundsätzlich im gleichen Umfang zustehen. Wortlaut und Historie der establishment clause legen ganz überwiegend nahe, daß jedenfalls die bevorzugte Behandlung einer oder mehrerer Religionsgemeinschaften von der establishment clause verboten werden sollte. Die Zusammenarbeit von Staat und einer Religionsgemeinschaft in Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts wäre zweifellos nicht mit der U.S. Constitution vereinbar. Eine dem Art. 140 GG i.Y.m. Art. 137 V WRV vergleichbare Vorschrift ist der amerikanischen Verfassung fremd. Damit geht die Trennung etwas weiter als die des deutschen Grundgesetzes. Die Religionsfreiheit als das Ziel aller religionsrechtlichen Bestimmungen muß zwangsläufig die Grenzen des institutionellen Rahmens bestimmen. 606 Daher sind 605 Schwarz zeigt auf, daß diese Abwägung schier unmöglich ist. Dafür nennt er beispielhaft die staatliche Unterstützung in Form von Freifahrten für die Schüler und Schülerinnen einer Konfessionsschule. Hier wäre der säkulare Effekt "größere Sicherheit für alle Schulkinder". Unterstellt, die Hilfen würden dazu führen, daß eine Konfessionsschule ihre Schülerzahlen tatsächlich um 20% steigern könnte, die Unfallrate der Schüler ginge gleichzeitig aber nur um 10% zurück, so frage sich, ob die Regelung ernsthaft außer Kraft gesetzt werden könne, weil der "primary effect" Religion fördere. Es zeige sich hier, daß eine solche Technik "unangemessen" sei. Vgl. Schwarz, in: The Yale Law Journal 77 (1968), 692, 702 f. 606 Moore, in: 42 Texas Law Review (1963),142,196; Katz, in: The University ofChicago Law Review 20 (1953), 426, 428. Dieser Ansicht zugeneigt sind wohl auch Tribe, American Constitutional Law, § 14-5, S. 1168 f.; Choper, in: University of Pittsburgh Law Review 41 (1980),673,675; ders. in: Journal ofChurch and State 34 (1992), 363, 375; Justice Brennan in Sherbert v. Verner 374 U.S. 398, 406 (1963). Brennan stellt auf die Verletzung der Religionsfreiheit ab, obgleich nach dem establishment c1ause test des Supreme Court jedes staatliche Handeln verboten ist, das einen religiösen Zweck verfolgt, und dieser hier unzweifelhaft gegeben ist. Dagegen etwa Pfeffer, in: Minnesota Law Review 64 (1980), 561, 569, der für eine solche Auslegung keine Anhaltspunkte im Text der Verfassung sieht.
§4 USA
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Verbindungen zwischen Kirche und Staat jedenfalls dann unzulässig, wenn deren wesentliche Wirkung darin besteht, die Religionsfreiheit oder -ausübung zu beeinträchtigen. Im Hinblick auf den Bereich staatlicher Hilfen wäre demnach etwa die Ausgabe von Unterrichtsmaterialien an Konfessionsschulen als unproblematisch zu beurteilen, weil die Religionsfreiheit Anderer hierdurch nicht betroffen wäre. Im Gegenzug wären aber staatliche Hilfen, die darauf angelegt sind, Gläubige zu bekehren, nicht erlaubt. 607 Das der establishment clause zugrunde liegende Prinzip beschreibt Choper zutreffend: "The establishment clause should forbid only govemment action whose purpose is solely religious and that is likely to impair religious freedom by coercing, compromising, or influencing religious beliefs. ,,608
b) Fälle ohne direkte Verletzung der Religionsfreiheit Anderer
Eine weitere Gruppe von establishment clause-Fällen hat den Supreme Court beschäftigt, bei denen nicht unbedingt eine Verletzung der Religionsfreiheit einherging, etwa weil das staatliche Handeln nicht die Schwelle eines Eingriff erreichte, oder es vordergründig jedenfalls nicht darauf ankam. Typisch hierfür sind die Konstellationen, in denen der Staat beziehungsweise dessen Institutionen sich bestimmter religiöser Symbole oder Rituale bedienen und dies zu einer Verwicklung von Staat und Kirche führt. 609 Besonders beispielhaft hierfür wurde der Fall Marsh v. Chambers,610 in dem es um die Finanzierung eines protestantischen Kaplans mit Steuergeldern des Staates Nebraska ging. Dessen Aufgabe war es, die Sitzungen des dortigen Parlaments mit einem überkonfessionellen Gebet zu eröffnen. Das Gericht ignorierte den Lemon-Test in seiner Entscheidung und ließ die Beschäftigung des Kaplans unbeanstandet. Selbst der Kongreß habe bereits in seiner ersten Legislaturperiode, in der er auch die Bill of Rights verabschiedete, auf eine parlamentarische Tradition zurückgegriffen und sogenannte "legislative chaplains" bestellt. 611 Ein derartiges Gebet in einem Parlament stelle keine "Errichtung" einer 607 Mueh1hoff, in: 28 Ga. J. Int'1 & Comp. Law 405, 483 (2000). In diesem Sinne auch Schwarz, der dies den "imposition standard" nennt. Vgl. Schwarz, in: The Ya1e Law Journal 77 (1968), 692, 693. Der Ansicht ebenso zugeneigt ist u. a. Choper, in: University of Pittsburgh Law Review 41 (1980),673,686. 608 Choper, in: University of Pittsburgh Law Review 41 (1980), 673, 675. Dazu erläutert er: "Students' religious beliefs are "compromised" if they do something that is forbidden by their religion; their religious beliefs are "influenced" if they engage in religious activities that, although not contrary to their religion, they would not otherwise undertake." 609 Vgl. zur Ausstellung religiöser Symbole in der Öffentlichkeit Parish, in: The Uni versity of Chicago Law Review 61 (1994), 253 ff.; Commission on Law and Social Action of the American Jewish Congress, Memorandum on Display of Crosses, 1957; Gregory I Russo, in: 28 Loyola University of Chicago Law Journal 1997,419 ff.; Devins, in: Journal ofChurch and State 27 (1985), 19 ff. 610 463 U.S. 783 (1983). 611 "The opening of sessions of legislative and other deliberative public bodies with prayer is deeply embedded in the history and tradition of this country. From colonial times through
II Fülbier
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
Religion dar, sondern eine "erträgliche Anerkennung von Glaubensinhalten, die von einer breiten Bevölkerungsmehrheit geteilt würden".612 In diese Kategorie dürfte ebenso fallen etwa das Bedrucken amerikanischen Münzgeldes mit dem Aufdruck "In God We Trust", oder die Eröffnung der Sitzungen des Supreme Court mit den Worten "God bless this honorable Court." Kurz nach der Marsh-Entscheidung hat das Gericht in Lynch v. DoneUl 13 unter "angeblicher Anwendung des LemonTests,,614 die Verwendung einer Krippe in der öffentlichen Weihnachtsdekoration der City of Pawtucket in Rhode Island gebilligt. Obwohl der Supreme Court eingestand, daß mit der Krippe ein bestimmter Glaube identifiziert werde,615 betrachtete er den mit der Aufstellung der Krippe verfolgten Zweck als "säkular", weil dadurch das religiöse Wesen der Menschen und das kulturelle Erbe der Nation gewürdigt werde; die Krippe bezwecke lediglich die Schaffung eines "friendly community spirit of good will in keeping with the season".616 Die Verwendung eines solchen "passiven Symbols" zu dieser Jahreszeit zu verbieten, während gleichzeitig Parlamente ihre Sitzungen mit Gebeten von engagierten Pfarrern eröffneten, wäre eine "stilted overreaction contrary to our history and to our holdings".617 Einige Jahre später wurden die Lynch-Grundsätze dann ein wenig modifiziert und die Zurschaustellung eines religiösen Symbols in der Öffentlichkeit nur noch dann als verfassungsgemäß eingestuft, wenn das Symbol in den Kontext anderer Gegenstände mit Bezug zu anderen Religionen oder außerreligiösen Ideen gestellt und dadurch die Weihnachtszeit mehr in ihrem säkularem Gesamtcharakter symbolisiert werde. 618 In dem Fall hatte der Supreme Court die private Errichtung einer Krippe in einem Bezirksgericht für verfassungswidrig erklärt, eine privat finanzierte und zentral auf öffentlichem Gelände plazierte Menora, die neben einem großen Weihnachtsbaum, "a secular symbol",619 stand, dagegen für verfassungsgemäß. Diese Fälle bringen den großen Stellenwert zum Audruck, den "Religion" in der Lebenswirklichkeit der Amerikaner einnimmt, die sich seit jeher als "religious the founding of the Republic and ever since, the practice of legislative prayer has coexisted with the principles of disestablishment and religious freedom." Marsh v. Chambers, 463 U.S. 783, 786 (1983); vgl. auch Nowak I Rotunda, Constitutional Law, § 17.5 S. 1269. 612 Marsh v. Chambers, 463 U.S. 783, 792 (1983). Wie Krings zutreffend ausführt, wäre diese Formulierung, "erhöbe man sie zum Verfassungsprinzip in der Auslegung der establishment c\ause", in der Lage, einen Großteil der Judikatur des Supreme Court in diesem Bereich aus den Angeln zu heben. Krings, in: ZevKR 45 (2000), 505, 521. 613 465 U.S. 668 (1984). 614 Smith, in: Michigan Law Review 86 (1987), 266, 269. 615 Lynch v. Donnelly, 465 U.S. 668, 685 (1984): "Of course the creche is identified with one religious faith but no more so than examples we have set out from prior cases in which we found no conflict with the Establishment Clause." 616 Lynch v. Donnelly, 465 U.S. 668, 685 (1984). 617 Lynch v. Donnelly, 465 U.S. 668, 686 (1984). 618 County of Allegheny v. ACLU, 492 U.S. 573 (1989). Vgl. hierzu Parish, in: The University of Chicago Law Review 61 (1994), 253, 258 ff. 619 County of Allegheny v. ACLU, 492 U.S. 573, 617 (1989).
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people" betrachtet haben620 und es nachweislich immer noch sind. 621 Obwohl gewisse Symbole eindeutig religiöser Herkunft sind und sie sich gegebenfalls sogar einer bestimmten Konfession zurechnen lassen, werden sie als fester Bestandteil gesellschaftlicher Tradition der USA hingenommen und gewürdigt. Religion zu ignorieren, oder sie völlig aus dem staatlichen Bereich auszuschließen, wäre weder mit der Intention der Verfassungsväter, noch mit der Wertung der free exercise clause, noch mit dem Bedürfnis der Menschen vereinbar. Der Staat muß neutral sein im Umgang mit den Religionsgemeinschaften und den einzelnen Gläubigen, aber er muß nicht neutral sein gegenüber der Religion an sich. Diese erachtet er als unterstützungs- und förderungs würdig. Der Grat zwischen erlaubter Förderung und unerlaubter Bevorzugung ist dabei zugegebenermaßen schwer auszumachen, aber dennoch fixierbar. Alle genannten Fälle stehen zwar für gewisse Verbindungen zwischen Staat und Kirche, aber in keinem stellt sich der Staat auf die Seite nur einer einzigen Religionsgemeinschaft, sondern bezeugt lediglich seine religiöse Verbundenheit. Allerdings müßte man es im Sinne der no preference-Theorie auch den anderen Religionsgemeinschaften zugestehen, ihre Symbole auszustellen. Diese Auslegung ist nicht zuletzt notwendige Folge der historischen Interpretation. Selbst wenn einige der Founding Fathers im Zusammenhang mit der establishment clause von einer absoluten Trennung sprachen, so wurde doch aufgezeigt, daß gerade Verbindungen der angesprochenen Art und Weise damals als Selbstverständlichkeit empfunden wurden. 622 Im Ergebnis legt die systematische Auslegung mithin die Interpretation von der no preference-Doktrin nahe, das heißt dem Zweck der establishment clause wird am ehesten eine Auslegung gerecht, die nicht nur die staatliche Etablierung einer Nationalkirche ausschließt, sondern sich gegen jede staatliche Tätigkeit richtet, die auf die Bevorzugung einer oder mehrerer Religionsgemeinschaften hinausläuft. Der neuen Rechtsprechung ist lediglich insofern zuzustimmen, als Religionsgemeinschaften das eingeräumt werden muß, was "vergleichbaren" nichtreligiösen Gruppierungen von staatlicher Seite eingeräumt wird. Den kirchlichen Organisationen und den einzelnen Gläubigen die Privilegien zu versagen, die anderen bedenkenlos offenstehen, widerspräche der Wertung des Gesetzes. Dadurch ist der Umfang der Norm klar umrissen. Eine diese Wertung unterstützende Wirkung hat auch die equal protection-clause. Allerdings geht die establishment clause weiter Siehe etwa Sullivan, Paying the Words Extra, S. xxiv (Einleitung). Sowohl der Glaube an Gott als auch die Häufigkeit des Kirchenbesuchs ist in den USA ungebrochen. 1944 bescheinigten 96% (!) der Amerikaner, an "Gott" zu glauben; 50 Jahre später, im Jahre 1994, war diese Zahl unverändert geblieben. 1939 gaben wiederum 41 % der Amerikaner an, in den letzten 70 Tagen wenigstens einmal an einem Gottesdienst teilgenommen zu haben. 1995 waren es sogar 43%: "The United States remains one of the most religious countries in the world. It ranks second only to South Africa on the question of whether God is of major importance in people's lives." Marshall, in: 63 Law & Conternp. Prob. 453, 459 (2000). 622 Auf diesen Punkt verweist ausdrücklich Cord, in: Notre Dame Journal of Law 4 (1990), 731, 735 ff. 620 621
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
als der Gleichheitssatz, weil deren unabhängiges endgültiges Ziel sich nicht in dem Schutz vor Ungleichheit erschöpft, sondern auch vor einer möglichen Konsequenz von Ungleichheit bewahren will, nämlich der Einschränkung von Religion. 623
3. Ergebnis Das wesentliche Ziel der establishment clause ist es, den Staat davon abzuhalten, eine offizielle Religion zu gründen oder eine bestehende zu bevorzugen. Eine darüber hinausgehende vollständige Trennung von Staat und Kirche, und daraus resultierend die Verwirklichung des no aid-Prinzips, wird durch die systematische Auslegung ausgeschlossen. Eine derartige staatliche Indifferenz in bezug auf kirchliche Angelegenheiten insgesamt ist nicht nur unnötig,624 sondern auch nicht mit der Wertung der free exercise clause zu vereinbaren, zu deren Verwirklichung die Einschränkung der Trennung zuweilen geboten ist. Weil sich der Staat mit der Religion selbst verbunden fühlt, gilt dies auch in Fällen, in denen Staat und Kirche "verwickelt" sind und keine Beeinträchtigung der Religionsfreiheit einhergeht.
IV. Teleologische Auslegung 1. Strenges Trennungssystem Auch in bezug auf die establishment clause ergibt sich das Telos der Norm vorwiegend aus Historie und Systematik. Geprägt von den Erfahrungen mit der autoritären Staatskirche Englands sollten die religionsrechtlichen Regelungen der neuen Verfassung dem nachhaltigen Schutz der Religionsfreiheit dienen. Wie gezeigt, ist dies unstreitig das gemeinsame Ziel beider Klauseln. 625 Zu diesem Zweck strebten viele der Verfassungsväter in den USA die grundsätzliche Trennung von Kirche und Staat an, weil mit der Verbindung aus Staat und Kirche damals die Vorstellung einherging, daß Andersdenkende automatisch Repressionen zu befürchten hätten. Selbst wenn man unterstellt, daß die Framers zum Zeitpunkt der Verabschiedung der U.S. Constitution eine strenge Trennung im Auge hatten - es wurde bereits geklärt, daß die historische Sicht diesbezüglich nicht eindeutig ist und die systematische klar dagegen spricht -, so gilt es zu berücksichtigen, daß sie die Entwicklung bis hin zu den heutigen Problemen nicht voraussehen konnten. 626 Der geschichtliche Rekurs zeigt vielmehr, daß erst viel später die Zulässigkeit gewisser Verbindungen zwischen Staat und Kirche angezweifelt wurde, die damals offenbar Schwarz, in: The Yale Law Journal 77 (1968), 692, 720. "Unnecessarily broad reading of the establishment clause". Schwarz, in: The Yale Law Journal 77 (1968), 692, 693. 625 Siehe 3. Teil, § 4 III 2 a) dd). 626 Choper, in: University of Pittsburgh Law Review 41 (1980),673,676. 623
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noch ohne Beanstandung hingenommen wurden. 627 Die Trennung war kein Selbstzweck, sondern sollte Mittel zur Wahrung der Religionsfreiheit sein. Wo sich aber herausstellt, daß die Bestimmung ihrem eigentlichen Ziel zuwiderläuft und es im Ergebnis auf eine religionsfeindliche Haltung des Staates hinausläuft, besteht Bedarf, die Auslegung zu korrigieren. 628 Dies wird durch ein Wertungsargument belegt: Nach der strict separation-Theorie sind "freedom of religion" und "establishment" miteinander unvereinbare, sich gegenseitig ausschließende Größen. 629 Kommt es zu einem establishment, ist die Religionsfreiheit bedroht. Die Doktrin verhängt demnach auch über jede staatliche Hilfe ein Unwerturteil;63o entscheidet sich der Staat zur aktiven Unterstützung einer religiösen Tatigkeit, so müßte darin automatisch eine potentielle Freiheitsbedrohung zu sehen sein. Tatsächlich aber ist genau das Gegenteil der Fall: Staatliche Hilfen sind - insofern unbestritten 631 oftmals sogar notwendig, um eine Freiheit garantieren zu können. 632 Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß die Verfassung etwas, was für die Einhaltung der Religionsfreiheit oft notwendig sein wird, an anderer Stelle verbietet. Dies wäre ein Wertungswiderspruch. Der Supreme Court hat sich dieser Erkenntnis nicht verschlossen und sich immer weiter von der strict separation-Doktrin entfernt, offenbar weil er deren Praxisuntauglichkeit erkannte. 633 Durch Hilfeleistungen, die für den Bestand und den Tatigkeitsbereich der Religionsgemeinschaften und ihrer Anhänger notwendig sind, wird von staatlicher Seite gezeigt, daß Religionsausübung eine für das Gemeinwohl wichtige Angelegenheit ist, die es zu fördern gilt. Dies entspricht der Wertung der free exercise clause. Eine Auslegung, nach der keinerlei staatliche Hilfe den Religionsgemeinschaften zukommen darf, widerspricht demnach der Intention der Nonn. Gleiches gilt für gewisse Verbindungen zwischen Staat und Kirche, die ohne Rücksicht auf eine bestimmte Konfession bestehen, und durch die sich niemand nachhaltig in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt sehen könnte. Die praktischen Bedenken, die von den Mitgliedern der strengen Trennungslehre geäußert werden, greifen nicht durch. So erweist sich das immer wieder vorge627 Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. llO. Hauptgrund dafür ist wohl die Tatsache, daß die Klausel seit Verabschiedung des 14. Zusatzartikels nicht mehr nur für den Bundesgesetzgeber gilt. 628 Vgl. zu diesem Aspekt Katz, in: The University of Chicago Law Review 20 (1953), 426,427. 629 Pfeffer, in: Minnesota Law Review 64 (1980), 561, 564. 630 Muehlhoff, in: 28 Ga. J. Int'! & Comp. Law 405, 412 (2000). 631 Vgl. nur Katz, in: The University of Chicago Law Review 20 (1953), 426, 429. 632 So jetzt auch Walter, der zu Recht ausführt, daß der Religionsfreiheit in bestimmten Situationen nur angemessen Rechnung getragen werden kann, wenn Sonderregelungen erlassen werden. Walter, in: Grote/ Marauhn, Religionsfreiheit, 215, 235. 633 Brugger hat diese sich bereits 1987 ankündigende Entwicklung auf die Neubesetzung des Supreme Court durch aktivistischere Richter zurückgeführt. Vgl. Brugger, in: ZRP 1987, 52,58.
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
brachte Argument, wenn der Staat Religionsgemeinschaften erst einmal aktiv helfen dürfe, dann könne er ihnen auch Vorschriften machen, die im Ergebnis zu einer Beeinträchtigung der Religionsfreiheit führten,634 als unbegründet. Die staatliche Seite in den USA hat Religion immer unterstützt, entweder auf gleichberechtigter Basis mit allen anderen Gruppierungen durch öffentliche Institutionen wie dem Schutz durch Feuerwehr oder Polizei, oder bevorzugt etwa im Bereich des Steuerrechts oder der Militäreinberufung. Die Religionsfreiheit beschränkende Vorschriften resultierten daraus nicht. 635 Auch die Sorge, daß Hilfen gesellschaftliche Zwietracht bewirken, namentlich den Zorn anderer Religionsgemeinschaften erregen könnten, die nicht unterstützt werden oder die denken, daß sie einen unangemessen niedrigen Anteil erhalten haben,636 erweist sich als unzutreffend, da genau solche Ungerechtigkeiten durch die establishment clause verhindert werden. Überdies gibt es zu diesem Zweck auch noch den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Wenn die "Vermeidung von Unfrieden" ein unabhängiges Verfassungsrechtsgut sein soll, dann könnte wohl kein Gesetz mehr erlassen werden, das eine umstrittene Rechtslage zu klären bemüht ist. Es erschiene aus dem Blickwinkel der erforderlichen Gleichbehandlung eher bedenklich, Angehörige einer bestimmten Glaubensgemeinschaft Steuern zahlen zu lassen, die unter anderem dazu verwendet werden, die Ausbildung an den öffentlichen Schulen zu verbessern, sie dann aber noch einmal gesondertes Schulgeld für die Ausbildung ihrer Kinder an einer Konfessionsschule zahlen zu lassen, damit diese den gleichen Ausbildungsstandard garantieren kann. Zuletzt wird von den Verfechtern des no aid-Prinzips immer wieder kritisiert, daß die staatliche Unterstützung einer Religionsgemeinschaft dazu führt, daß diese auch mit Mitteln (Steuergeldern) von Nichtgläubigen oder Anhängern anderer Konfessionen erfolgt. Dies könne jedoch nicht sein, weil Religion ausschließlich eine private Angelegenheit sei. 637 Dem ist jedoch auch hier zu entgegnen, daß Religion gerade nach amerikanischer Ansicht unabdingbar für die gesellschaftliche Moral ist, das soziale Glück geradezu von ihr abhängig ist. Die Religionsausübung demnach als bloße Privatangelegenheit abzutun ginge an den realen Vorstellungen vorbei. Davon abgesehen ist die Verteilung des Steueraufkommens in erster Linie eine politische Frage, die durch Wahlen, und nicht durch die Verfassung entschie634 Siehe etwa Everson v. Board of Education 330 V.S. 1,27 (1947); Fahy, in: The Wall between Church and State 26, 39 (1963). 635 Schwarz, in: The Yale Law Journal 77 (1968), 692, 710. Schwarz weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, daß selbst die vehemenstesten Vertreter des strict separation-Ansatzes unter gewissen Vmstäden Fonnen von nonpreferential aid zulassen. 636 So Engel v. Vitale, 370 V.S. 421, 429 (1962); Everson v. Board of Education 330 V.S. 1,53 f. (1947); Choper, in: Minnesota Law Review 47 (1963), 329, 331 Fn. 8; Fahy, in: The WaU between Church and State 26, 39 (1963). 637 Supreme Court-Richter Black, sich auf die ..Virginia Bill for ReIigious Liberty" berufend, etwa: .. [ ... ] to compel a man to furnish contributions of money for the propagation of opinions which he disbelieves, is sinful and tyrannical;[ ... ]" Everson v. Board of Educati on 330 V.S. I, 13 (1947).
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den wird. 638 Letztlich sind die Anhänger der Lehre von der strengen Trennung ohnehin inkonsequent, sofern sie dann für eine Auflockerung der Trennung eintreten, wenn es ihren Zwecken entspricht. 639 So wurde etwa die "National Association of Evangelicals" für ihre Opposition gegen jede Form der staatlichen Förderung des Schulwesens bekannt, während sie gleichzeitig vom Staat forderten, daß er sich für öffentliches Bibellesen und Gebete einsetzt. 64o Somit ist die immer noch geläufige Interpretation von der strengen Trennung auch im Rahmen der teleologischen Auslegung abzulehnen. 2. Einmischungsverbot des Bundesgesetzgebers
Nach der historischen Auslegung deutet einiges darauf hin, daß man im Amerika des 18. Jahrhunderts davon ausging, daß die Angelegenheiten zwischen Kirche und Staat ausreichend von den einzelnen Staaten geregelt seien. Für viele der Teilnehmer der Philadelphia Convention kam es daher bei der Verabschiedung der establishment clause wohl vor allem darauf an festzulegen, daß der Bund in religiösen Angelegenheiten keine Befugnisse haben sollte. Nach deren Wunsch beschränkte sich der Sinn der establishment clause darauf, dem Kongreß zu verbieten, die bestehenden einzelstaatlichen Systeme anzutasten, gleichgültig, ob sie "established" waren oder nicht. Würde sich das Telos der Norm auf diese Sichtweise reduzieren, dann hätte die Bestimmung jedoch spätestens seit ihrer Bezugnahme durch die due process-clause, deretwegen sie mittlerweile auch für die Einzelstaaten gilt,64 I keine aktuelle Bedeutung mehr. Zum einen wurde jedoch geklärt, daß viele Abgeordnete mit der establishment clause weitreichendere Interessen verfolgten und es keinen einheitlichen Willen des Verfassungsgebers gab, zum anderen würde hier - unterstellt, es gäbe einen solchen einheitlichen Willen mit dem angesprochenen Inhalt - der objektive Zweck der Norm den damals vom Gesetzgeber angestrebten Zweck überwiegen. Als primär der Religionsfreiheit dienende Norm hat die establishment clause nach wie vor auch aktuelle Bedeutung für das Verhältnis von Kirche und Staat. Auch die Auslegung von der establishment clause als bloßer Zuständigkeitsregelung entspricht mithin nicht dem Telos der Norm.
Schwarz, in: The Yale Law Journal 77 (1968), 692, 713 ff. Benjamin, in: A Journal of Church and State 11 (1969),93, 101: "Separationists are usually not consistent on church and state. They employ the metaphor of the "wall" [of separation] as a fortress in opposition to both Catholics and Protestant "modernists"; [ ... ]. [They], nevertheless, breach their hallowed wall when it suits their purpose." 640 Benjamin, in: A Journal of Church and State 11 (1969),93, 101. 641 Siehe 3. Teil, § 4 I. 638
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3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
3. Reichweite der no preference-Lehre
Von Seiten der Literatur wird teilweise geäußert, daß das von der establishment clause ausgehende Verbot der Bevorzugung nicht nur zwischen den Religionsgemeinschaften gelten soll,642 sondern zwischen allen Gemeinschaften, deren Handeln gewissensgeleitet ist. 643 Einer weitergehenden Auffassung zufolge sollen sich sogar nichtreligiöse Gruppierungen auf die establishment clause berufen können, nämlich dann, wenn sie von staatlicher Seite in vergleichbaren Angelegenheiten gegenüber religiösen Gemeinschaften nachteilig behandelt werden. 644 Es entspräche zwar dem Gedanken der Trennung von Staat und Kirche, wenn der Staat dazu verpflichtet wäre, nichtreligiösen Gruppierungen grundsätzlich diejenigen Privilegien einzuräumen, die auch religiöse genießen. Zudem wird oft kaum zu beurteilen sein, wann eine Gruppe "religiös" ist oder wann sie eher "Weltanschauung" oder auf andere Weise gewissens geleitet ist. Diese Abgrenzungsschwierigkeiten in der Praxis dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß nach der U.S. Constitution, wie zu einem späteren Zeitpunkt noch ausgeführt wird,645 der Schutz des 1. Zusatzartikels lediglich den religiösen Gruppierungen zukommen soll, nicht auch anderweitig gewissensgeleiteten Gemeinschaften, was insbesondere historische Gründe hat. Es soll möglich sein, religiöse Vorhaben zu unterstützen. Ihr Status ist insofern privilegiert; das ist die Wertung der Verfassung. Der Schutz der nichtreligiösen Gruppen wiederum wird durch die equal protection clause, den Gleichheitssatz der amerikanischen Verfassung, gewährleistet. Soweit es ihnen gelingt darzutun, daß ihre Gemeinschaft in vergleichbarer Weise schützenswert ist, dürfte ihnen der Zugang zu staatlichen Leistungen gleicher Art nicht verwehrt werden. Je nach Bedeutung der Gruppierung wird hier aber differenziert werden können, um nicht Ungleiches gleich zu behandeln. Auf den Schutz der establishment clause können sich nichtreligiöse Gemeinschaften nach der no preference-Lehre aber nicht berufen.
642
So ausdrücklich etwa die Auffassung von Justice Rehnquist in Wallace v. Jaffree, 472
V.S. 38, 106 (1985) (dissenting).
643 Smith, in: 65 St. John's Law Review 245 ff. (1991). Zu dieser Ansicht tendiert wohl auch Michael Dorf, der es für angemessen hielte, "a general principle of freedom of conscience" zu etablieren. Dorf, in: 84 Virginia Law Review 843, 852 (1998). 644 "This means that the state must not favor religion over nonreligion, nonreligion over religion, or one religion over another [ ... l." McConnell, in: The Vniversity of Chicago Law Review 59 (1992), 115, 194; Sullivan, Paying the Words Extra, S. 164 f.; Laycock, in: 27 William & Mary Law Review 875 ff. (1986); Katz, in: The Vniversity of Chicago Law Review 20 (1953), 426 ff. 645 Siehe 4. Teil, § 2 II 4 c) ce); d).
§4 USA
169
4. Ergebnis
Der sich aus geschichtlichem Zusammenhang und Systematik ergebende Sinn und Zweck der establishment c1ause legt ein Trennungssystem von Staat und Kirche nahe mit dem Ziel, die Religionsfreiheit aller optimal zu verwirklichen. Wo es auf eine Beeinträchtigung der Religionsfreiheit hinausläuft, etwa durch die Versagung staatlicher Hilfen, aber auch, wo der Staat die Verbundenheit des Volkes der Vereinigten Staaten von Amerika mit Gott und der Religion demonstrieren möchte, muß diese Trennung daher eingeschränkt werden. Die establishment c1ause wurde nicht nur errichtet, um eine Nationalkirche oder -religion, sondern auch die Bevorzugung einer Religionsgemeinschaft, einer Konfession oder religiösen Tradition zu verhindern. 646 Ziel ist es, Staat und Kirche in einem System der "free cooperation" und "benevo1ent neutrality" wirken zu lassen. Der Staat verhält sich wohlwollend gegenüber der Religion und den religiösen Kräften als Ganzes, aber neutral in bezug auf jeweils eine bestimmte Kirche. 647 Auch in den USA ist es dem Staat untersagt, die Religionsgemeinschaften zu bevormunden. Der diesem Bild von staatskirchenrechtlichem System entsprechenden no preferenceLehre ist somit zuzustimmen.
v. Gesamtergebnis Die establishment c1ause des ersten Zusatzartikels ist in erster Linie eine pauschalisierte, zukunfts weisende Bestimmung, die ursprünglich weniger das Verhältnis von Kirche und Staat mit einer wohl durchdachten Formulierung abschließend regeln wollte, als vielmehr diejenigen zu beschwichtigen trachtete, die befürchteten, daß die Zentralregierung die neu erlangte religiöse Freiheit der Einzelstaaten einschränken könnte. Die Vorschrift ist als ein Komprorniß der im Verfassungskonvent aufeinandergeprallten unterschiedlichen Auffassungen zu verstehen, denen sie mit ihrer weiten Formulierung gerecht wird. Als gesichert kann gelten, daß die establishment c1ause vorwiegend dem Schutz der Religionsfreiheit dient. Darüber hinaus bieten alle vier Auslegungsmethoden hinreichend Anzeichen dafür, daß nicht nur eine Nationalkirche oder staatliche Religion verhindert werden soll, sondern auch die einseitige staatliche Bevorzugung einer Religionsgemeinschaft, einer Konfession oder religiösen Tradition. Die "Religion" wird als Voraussetzung gesellschaftlichen Glücks staatlich gewürdigt und Hilfen an Religionsgemeinschaften werden geleistet, ohne daß dabei nach glaubensinhaltlichen Fragen differenziert werden dürfte. Gegenüber den religiösen Gruppierungen verhält sich der Staat neutral. Die Idee von der absoluten Trennung von Staat und Kirche verträgt sich nicht mit diesem Gedanken. Sie liefe auf eine religionsfeindliche Haltung des Staates hinaus. 646 64?
Cord, in: Notre Dame Journal of Law, Ethics & Policy 4 (1990), 731, 739. Vgl. Benjamin, in: Journal ofChurch and State 11 (1969),93, 105.
170
3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
VI. Abschließende Bemerkungen zur methodischen Vorgehensweise von Supreme Court und Literatur 1. Supreme Court
Wie in Deutschland das Bundesverfassungsgericht, so sieht sich auch der U.S. Supreme Court dem Vorwurf unüberschaubarer Methodik und willkürlicher Vorgehensweise ausgesetzt. Im Sinne des common law-Prinzips steht es zumeist im Vordergrund der Gerichtsentscheidungen, sich mit den eigenen Präzedenzien ausgiebig zu beschäftigen und dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Allerdings beschränkt sich die Entscheidungsfindung des Supreme Court oftmals auf diesen Vorgang. Eine vollständige Diskussion von Wortlaut, Systematik, Historie und Telos erfolgt nicht. Abgesehen davon gilt die besondere Aufmerksamkeit des Supreme Court regelmäßig der historischen Interpretation. Dem Großteil seiner Urteile zur establishment clause liegt ein ausführlicher Rekurs auf die Entstehungsgeschichte der Norm zugrunde,648 angefangen bei der Grundentscheidung zur establishment clause Everson v. Board of Education, auf die das Gericht später immer wieder verwies, bis hin zu den aktuellen Entscheidungen. In Everson stützte zunächst Justice Black die Mehrheitsmeinung des Gerichts auf die historische Auslegung, indem er die geschichtlichen Gegebenheiten aus der Zeit der Verabschiedung des Amendments erläuterte und sich anschließend auf die Meinungen von lefferson und Madison berief,649 was in der berühmt gewordenen Feststellung endete, daß die establishment clause eine "wall of separation between Church and State" errichte, die "high und impregnable" sein müsse und bei der nicht "the slightest breach" hingenommen werden dürfe. 65o Auch die anschließende, von den Richtern lackson, Frankfurter und Burton mitgetragene dissenting opinion von Justice Rutledge stellte fast ausschließlich auf "original intent"-Argumente ab und teilte die Einschätzung, daß die Framers eine strenge Trennung von Staat und Kirche angestrebt hatten: "The 648 ,,[ ... ] the Supreme Court has almost exciusively relied upon historical and "original intent" arguments when fashioning its interpretation as to what the establishment clause constitutionally precludes and permits." Cord, in: Notre Dame Journal of Law, Ethics & Policy 4 (1990), 731, 733. 649 Abgesehen davon, daß nicht einmal die Ansichten leffersons und Madisons frei von Widersprüchen sind, weist Howe zu Recht darauf hin, daß deren Gefühlslage von den Erfahrungen der Tyrannei der englischen Kirche und denen Virginias geprägt war, die Haltung der Neuengländer um Roger Williams aber etwa eine ganz andere war. Ihm sei es lediglich darauf angekommen, den Staat von der Einmischung in kirchliche Angelegenheiten abzuhalten. In einer staatlichen Unterstützung habe er aber sicher keine solche Einmischung erblickt. Und ob sich nun die Ansichten von lefferson und Madison oder die von Williams durchgesetzt hätten, sei unbestrittenermaßen völlig unklar. Howe, The Garden and the Wilderness, S. 26; vgl. auch Kuriand, in: Williarn and Mary Law Review 27 (1986), 839, 859. 650 Everson v. Board ofEducation 330 U.S. 1, 16 ff. (1947).
§4 DSA
171
Amendment's purpose was not to strike merely at the official establishment of a single sect, creed or religion, outlawing only a formal relation such as had prevailed in England and some of the colonies. Necessarily it was to uproot all such relationships. But the object was broader than separating church and state in this narrow sense. It was to create a complete and permanent separation of the spheres of religious activity and ci viI authority by comprehensively forbidding every form of public aid or support for religion.,,651 Wegen dieser Auslegung hat sich der Supreme Court von seinen Kritikern bittere Vorwürfe gefallen lassen müssen, nicht, weil er sich beinahe ausschließlich auf die historischen Ursprünge verlassen hatte, sondern weil man ihm vorwarf, die Geschichte zu verfälschen und den ursprünglichen Willen der Vorschrift zu untergraben. 652 Selbst der heutige Chief lustice Rehnquist sieht für den "wall of separation"-Ansatz der Everson-Entscheidung keine historische Grundlage. Er rief das Gericht dazu auf, die "wahre Bedeutung" der establishment clause hinzunehmen, so wie sie die accommodationists beschrieben. 653 Es ist dem Supreme Court jedoch nicht nur vorzuwerfen, daß er die widersprüchlichen historischen Ereignisse und Aussagen der Verfassungsväter einseitig im Sinne einer strengen Trennung auslegte. Auch die regelmäßig unverhältnismäßige Bemühung der historischen Auslegung bei gleichzeitiger Mißachtung der grundsätzlich gleichberechtigten anderen Methoden hat dazu geführt, daß sich das Gericht so lange auf den Boden der strict separation-Theorie gestellt hat. Der Supreme Court hat es insbesondere immer vermieden, sich zu dem komplizierten Verhältnis von establishment und free exercise clause zu äußern und die Wertung letzterer in die Interpretation der establishment clause miteinzubeziehen. 654 Statt dessen hielt das Gericht bis in die jüngste Vergangenheit an seiner Auslegung von einer strengen Trennung fest und entschied die Fälle, in denen die beiden Klauseln kollidierten, gewöhnlich auf der Grundlage jeweils einer der beiden Klauseln, ohne sich dabei zu dem potentiellen Konflikt zu äußern. Teilweise wurde selbst aus den eigenen Reihen gefordert, daß sich das Gericht endlich zu dem Thema zu äußern habe. So schrieb etwa lustice Stewart einmal: "With all respect, I think it is the Court's duty to face up to the dilemma posed by the conflict between Everson v. Board ofEducation 330 D.S. 1,31 f. (1947) (Justice Rutledge, dissenting). Curry, The first freedoms, S. 207. Heftige Kritik an dieser Lösung kam in den Jahren auch immer wieder aus dem Supreme Court selbst. Vgl. Justice Stewart, in: Sherbert v. Verner 374 D.S. 398,415 (1962): u[ ... ] I think the Court's mechanistic concept of the Establishment Clause is historically unsound and constitutionally wrong." 653. Wallace v. Jaffree, 472 D.S. 38, 91 ff. (1985). 654 Diese Kritik formuliert beispielsweise Choper ausdrücklich. Er wirft dem Supreme Court vor, sich nicht dazu zu äußern, wie sich die establishment c1ause in der Auslegung der strict separation mit der free exercise c1ause vereinbaren lasse. Wenn das Gericht etwa feststelle, daß staatliche Hilfen gegen die establishment c1ause verstießen, dann gehe es nicht darauf ein, inwieweit diese staatliche Hilfe möglicherweise von der free exercise c1ause verlangt würde. Choper, in: Dniversity ofPittsburgh Law Review 41 (1980),673,674 f. 651
652
172
3. Teil: Staatskirchenrechtliche Systeme
the Free Exercise Clause and the Establishment Clause as interpreted by the Court." 655 Das Gericht kam dieser Forderung jedoch nie nach, sondern begab sich bestenfalls in einen Abwägungsvorgang zwischen den beiden Klauseln, der, wie gezeigt, entbehrlich war, wenn man richtigerweise der no preference-Lehre gefolgt wäre. Da das Gericht auch den entwickelten Lemon-Test nicht berücksichtigte, wenn dieser einem gewünschten Ergebnis entgegenstand,656 konnte die Vorgehensweise des Supreme Court nie aufzeigen, wie im Rahmen der establishment clause zu prüfen ist. 657 Methodische Inkonsequenz658 führte zur Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse. 659 Selbst in den Fällen, in denen das Gericht den Grundsatz der Trennung ausdrücklich sehr weit interpretierte, stützte es sich nahezu exklusiv auf historische Gegebenheiten. In dem Lynch-Urteil etwa berief sich lustice Burger in dem Votum der Mehrheit fast ausschließlich auf die Verbindungen zwischen Staat und Kirche, die schon zur Gründerzeit der Verfassung bestanden hätten. 66o Darüber hinaus zeigte er die zahlreichen Verbindungen zwischen Staat und Kirche auf, die noch immer das gesellschaftliche Bild der USA prägen. Auch hier ging das Gericht neben den objektiven historischen Umständen und den teleologischen Gesichtspunkten auf den systematischen Kontext der establishment clause nicht ein. Sogar die Agostini-Entscheidung, die die Rechtsprechung zumindest in dem Bereich staatlicher Hilfen nachhaltig änderte, sowie das später folgende Mitchell-Urteil beschränkten sich in methodischer Sicht auf eine Auseinandersetzung mit der bisherigen eigenen Rechtsprechung des Supreme Court und einige wenige teleologische Argumente; hier spielte nicht einmal der historische Ursprung der Norm eine Rolle. Wünschenswert ist also auch hier die Rückbesinnung auf die methodischen Grundlagen, die zu einer Überarbeitung des eigenen Interpretationsansatzes führen und dann vor allem konsequent angewandt werden sollten.
655 Diese Kritik wurde in der Regel von den Gegnern der strict separation-Lehre unter den Richtern zur Sprache gebracht. Vgl. Sherbert v. Verner 374 V.S. 398, 416 (1962) (Justice Stewart, concurring); auch in School District of Abington Township v. Schempp, 374 V.S. 203, 309 (1963) (dissenting opinion). 656 So etwa in Marsh v. Chambers, 463 V.S. 783 (1983). Vgl. auch Drakeman, ChurchState Constitutional Issues, S. 95. 657 Choper, Vniversity of Pittsburgh Law Review 41 (1980), 673, 674. 658 "But there has been no consistency in the judicial opinions of the Court." Kurland, in: The Vniversity of Chicago Law Review 29 (1961), 1,96. 659 So Choper, Vniversity of Pittsburgh Law Review 41 (1980), 673, 681, der von "conceptual chaos" redet. 660 Vgl. Lynch v. Donnelly, 465 V.S. 668, 674 ff. (1984).
§4 USA
173
2. Literatur Aus methodischer Sicht kommt der historischen Auslegungsmethode auch seitens der Literatur die entscheidende Bedeutung zu. Anders als in Deutschland erfolgt hier kein Versuch der Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche ohne Rekurs auf die Geschichte. Sie wird im Ergebnis jedoch ganz unterschiedlich gedeutet, was ihre Tauglichkeit insgesamt fragwürdig erscheinen läßt. In den USA hat sich die wissenschaftliche Diskussion immer auf die Frage versteift, ob unter "establishment of religion" nun eine Auslegung im Sinne der strict separationoder der no preference-Lehre gemeint ist. Argumentiert wird regelmäßig von einem dieser beiden - miteinander unvereinbaren - Standpunkte aus,661 während die Erörterung anderer Interpretationsmöglichkeiten regelmäßig unterbleibt. Dies verwundert, weil die Auslegung der establishment clause keine Frage von Zweideutigkeit, sondern von allgemeiner Vagheit und Unbestimmtheit ist. 662 Selbst Autoren, von denen bekannt ist, daß sie die Effizienz der geschichtlichen Betrachtung als eher gering einschätzen, stellen regelmäßig Entstehungsgeschichte und Beratungen der Philadelphia Convention ausführlich dar. Kommen sie zu dem Schluß, daß das historische Zeugnis nicht eindeutig ist, dann bestimmt sich deren Lösung maßgeblich nach Gesichtspunkten der Praktikabilität. 663 Im übrigen gilt die gegen das Höchstgericht gerichtete Kritik auch für die US-amerikanische Literatur. Eine vollständige Untersuchung anhand der einzelnen - zumindest in Deutschland gleichberechtigeten - Elemente des Auslegungskanons findet in der Regel nicht statt. Es ist sicherlich als Besonderheit des anglo-amerikanischen Rechtskreises zu werten, daß der historischen Auslegung die maßgebliche Bedeutung zukommt. Daß sie aber selbst dort streitentscheidend sein soll, wo sie keine eindeutige Lösung zu liefern vermag, ist nicht einzusehen.
661 Dabei beansprucht jeder der Interpreten immer die ausschließliche Richtigkeit "seiner" geschichtlichen Analyse. Vgl. dazu Levy, Judgments, S. 170 f. 662 Zu diesem Aspekt Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 97. 663 Vgl. etwa Choper, in: University of Pittsburgh Law Review 41 (1980), 673, 686 ff.; Drakeman, Church-State Constitutional Issues, S. 95 ff.
Vierter Teil
Die Religionsfreiheit § 1 Deutschland
Anhand des Auslegungskanons' sind nun Umfang und Grenzen der Religionsfreiheit zu bestimmen, wie sie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vorgibt.
I. Wortlaut Zentrale Norm im Hinblick auf die Religionsfreiheit ist Art. 4 GG. 2 Gewährleistet wird danach die Freiheit des Glaubens, des Gewissens, des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, Abs. 1, und das Recht auf ungestörte Religionsausübung, Abs. 2. Darüber hinaus regelt Art. 4 Abs. 3 GG als Spezialfall der Gewissensfreiheit das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Aus der Textaussage lassen sich bereits einige Erkenntnisse gewinnen. Zunächst wird deutlich, daß die Verbürgungen in Art. 4 GG, vom Spezialfall des Abs. 3 einmal abgesehen, unter keinem Vorbehalt stehen, da der Wortlaut von Art. 4 I, 11 GG selbst keine Eingriffsermächtigung für staatliches Handeln vorsieht. Bezüglich des Kreises der Grundrechtsberechtigten ist dem Text der Bestimmung keine Einschränkung zu entnehmen. Demnach kann sich auf die Religionsfreiheit als Menschenrecht jedermann berufen, das heißt nicht nur ein deutscher Staatsbürger, und ebensowenig nur der Einzelne, sondern auch religiöse und weltanschauliche Vereinigungen. Überdies setzt der Wortlaut ganz offensichtlich inhaltliche Unterschiede zwischen Glauben, Gewissen und Bekenntnis voraus. Dies spricht dafür, daß das Grundrecht mehrere Schutzbereiche enthält. Mit Blick auf Abs. 2 ist zunächst davon auszugehen, daß Abs. 1 lediglich den inneren Bereich, das heißt das Denken gewisser Überzeugungen, regelt. Das überzeugungsgeleitete Handeln wiederum ist ausdrücklich nur im Hinblick auf die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und die Religionsausübung abgesichert. Der Wortsinn der in Art. 4 GG genannten Begriffe weckt natürliche Assoziationen bereits im Bereich des allgemeinen Sprachgebrauchs. Allen Garantien ist geVgl. 2. Teil, § 2 I. Stein spricht gelungen von der "Magna Charta" der Religionsfreiheit, vgl. Stein, in: Gedenkschrift für Ingeborg Röbbelen, 237, 239. I
2
§ 1 Deutschland
175
meinsam, daß sie als "Freiheiten" gewährleistet sind. Der Begriff "Freiheit" wird konkret im Hinblick auf Staat und Gesellschaft umschrieben als "Unabhängigkeit von äußerer und innerer Unterdrückung",3 allgemein als "Möglichkeit, Recht, etwas ungehindert tun zu können".4 Das Wort scheint auf das althochdeutsche "friheit" (um 1000) und das mittelhochdeutsche "vriheit" zurückzugehen, was als "Privileg, privilegierter Bezirk" galt. 5 "Glaube" wird definiert als "das auf einer inneren Überzeugung beruhende Fürwahrhalten von Dingen, Erscheinungen, die nicht bewiesen sind,,6 beziehungsweise als "gefühlsmäßige, nicht von Beweisen, Fakten o.Ä. bestimmte unbedingte Gewißheit, Überzeugung".? Konkret der Begriff der "Glaubensfreiheit" wird umschrieben als "das Recht, seinen religiösen Glauben frei zu wählen, sich zu einer bestimmten Konfession zu bekennen".8 Das Wort "Glaube" hat seine historischen Wurzeln offenbar im 8. Jahrhundert; abgeleitet wurde es vorwiegend aus dem althochdeutschen "giloubo", womit man "Vertrauen, Zuversicht, innere Gewißheit von Gott, religiöse Überzeugung, Bekenntnis" verband. Auch das zugrunde liegende Verb "glauben" bezog sich wohl bereits in vorchristlicher Zeit auf das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Mensch und "heidnischem Gott".9 Obwohl wir "glauben" heute auch als religionsneutralen Begriff kennen, charakterisierte der Begriff zum Zeitpunkt seiner Entstehung offenbar gerade die Beziehung des Einzelnen zu seinem Gott. Ob hier allerdings wirklich nur der religiöse Glaube gemeint ist, ist dem Text nicht zu entnehmen. "Gewissen" wiederum ist das "sittliche Bewußtsein, die innere Stimme, die Fähigkeit des Menschen, Rechenschaft vor sich selbst abzulegen,dO oder das "Bewußtsein von Gut und Böse des eigenen Tuns, das Bewußtsein der Verpflichtung einer bestimmten Instanz gegenüber".u Die "Gewissensfreiheit" gilt im allgemeinen Sprachgebrauch als "das Recht des Menschen, in seinen Äußerungen und Handlungen nur seinem Gewissen zu folgen".12 Während der Begriff der "Gewissensfreiheit" wohl auf das französische "liberte de conscience" (17. Jahrhundert) zurückgeht, findet das eigentliche Wort "Gewissen" seinen Ursprung in dem altdeutschen "giwizzani" und dem mittelhochdeutschen "gewizzen" (11. Jahrhundert). Ursprünglich war damit lediglich "Wissen, Kenntnis, Kunde, Erkenntnis dessen, was sich schickt" gemeint. Im antiken Griechenland entstand der Begriff des Klappenbach / Steinitz, Wörterbuch, Bd. 2, S. 1378. Klappenbach / Steinitz, Wörterbuch, Bd. 2, S. 1378. 5 Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, A-L, S. 372. 6 Klappenbach/Steinitz, Wörterbuch, Bd. 2, S. 1600. 7 Duden, Bd. 4, S. 1529. 8 Duden, Bd. 4, S. 1530. 9 Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, A-L, S. 454. IO Klappenbach/Steinitz, Wörterbuch, Bd. 2, S. 1585. 11 Duden, Bd. 4, S. 1512. 12 Duden, Bd. 4, S. 1513. 3
4
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
Gewissens aus der Vorstellung, daß es für alle Handlungen und Verhaltensweisen gegenüber Göttern und Menschen einen inneren Mitwisser gibt. Später wurde der Begriff zum Terminus des Christentums. In der christlichen Ethik wird das Gewissen zu einem zentralen Begriff menschlichen sittlichen Verhaltens und des Vermögens, seine Handlungen selbst einzuschätzen. 13 Von dort fand der Begriff offenbar Eingang in den modemen Wortschatz. "Bekenntnis" wird in mehreren Bedeutungen verwendet, als "Geständnis", "Eingeständnis", als "Erklärung für etwas" oder als "Religionszugehörigkeit, Konfession".14 Der Begriff der "Bekenntnisfreiheit" wird gleichgesetzt mit der "Glaubensfreiheit".15 "Bekenntnis" wurde abgeleitet aus dem althochdeutschen "bikantnussi" (12. Jahrhundert) und dem mittelhochdeutschen "bekanntnisse, bekenntnisse"; darunter verstand man "Kenntnis, Geständnis, Zeugnis". Der bei den Mystikern einsetzende Sondergebrauch ist vom 16. Jahrhundert an verbreitet ("Eintreten für eine Gaubenslehre"), dazu stellte sich die Bedeutung "christliche Glaubenslehre, Konfession" im 19. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert setzte sich das allgemein neutrale Genus durch. 16 Unter einer "Weltanschauung" ist zu verstehen "die in ein System gebrachten Vorstellungen und Ansichten von Natur und Gesellschaft, von der Welt als Ganzem und der Stellung des Menschen in ihr"Y Offenbar ist der Begriff erst seit dem 18. Jahrhundert bekannt; dort zunächst in der Bedeutung "subjektive Vorstellung von der Welt".18 Der Begriff wird teilweise Immanuel Kant zugeschrieben, der mit ihm eine "Anschauung der Welt als rein sinnliche Gegebenheit" bezeichnet habe. 19 Der zentrale Begriff der "Religion" wiederum wird definiert als "Glaube an vermeintliche überirdische Mächte, Wesen, besonders Götter oder einen Gott als Schöpfer und Lenker der Welt und der Menschen sowie die entsprechende kultische Verehrung",20 beziehungsweise als ,,(meist von einer größeren Gemeinschaft angenommener) bestimmter, durch Lehre und Satzungen festgelegter Glaube und sein Bekenntnis".21 Das Wort wurde in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus dem lateinischen "religio" entlehnt, worunter man die "gewissenhafte Beachtung 13 Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 323; Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, A-L, S.447. 14 Klappenbach I Steinitz, Wörterbuch, Bd. 1, S. 500; Duden, Bd. 2, S. 515. 15 Duden, Bd. 2, S. 515. 16 Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, A-L, S. 117. 17 Klappenbach I Steinitz, Wörterbuch, Bd. 6, S. 4307; ähnlich Duden, Bd. 10, S. 4480. Nach Kokott bieten Weltanschauungen eine wertende Stellungnahme zum Sinn des Weltgeschehens, ohne dabei auf Gott, das Jenseits oder die Idee der Transzendenz zurückzugreifen. Darunter fielen regelmäßig auch die Modelle der Philosophie und der Wissenschaft zur Erklärung des Weltgeschehens. Sachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 18. 18 Duden, Herkunftswärterbuch, S. 922. 19 Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, S. 18. 20 Klappenbach/Steinitz, Wörterbuch, Bd. 4, S. 3017.
§ 1 Deutschland
177
dessen" verstand, "was sich auf die Verehrung der Götter bezieht, Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit (gegenüber dem Heiligen), fromme Scheu, Gottesfurcht," etc. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Bildung aus dem lateinischen "relegere", "von neuem in Gedanken durchgehen", eigentlich auch "wieder zurücknehmen,,?2 Eine andere, ebenfalls antike, jedoch bereits christlich geprägte Auffassung (bei Lactanius, um 300) stellt hinsichtlich der Ursprünge des Begriffs "religio" auf das lateinische "religare" ab, was "zurück-, auf-, anbinden, befestigen" bedeutet. Diese Ansicht wurde auch von Augustin aufgenommen, der "religio" als "Bindung des Menschen an Gott" begriff, wodurch das Wort Bestandteil der älteren Kirchensprache wurde. 23 Art. 4 11 GG spricht davon, daß die (ungestörte) Religionsausübung gewährleistet ist. Als "Ausübung" versteht man die "Ausführung einer Tätigkeit regelmäßig oder längere Zeit,,?4 Hierdurch wird deutlich, daß der Schutz eines aktiven Tuns angestrebt wurde. Abstrakt gesehen werfen die Begriffe demnach keine besonderen Fragen auf, ihnen läßt sich jeweils ein natürlicher Wortsinn unterlegen. Allerdings bleibt unklar, wann ein konkretes Verhalten religiös ist oder etwa als Ausdruck des Gewissens oder der Weltanschauung zu werten sein wird. Hierüber ist dem Wortlaut des Art. 4 GG nichts zu entnehmen. Eine weitere tatbestandliche Konkretisierung ist durch die anderen Auslegungmethoden vorzunehmen. 25
11. Historische Auslegung 1. Geschichtliche Grundlagen
Der Grundstein für den Entwicklungsschritt hin zu einer weitgehenden individuellen Religionsfreiheit wurde zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert zunächst in anderen Ländern gelegt und fand von dort aus Eingang in die deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts. Obwohl sich die Wurzeln der Auffassungen von menschlicher Würde und Freiheit bis in das Mittelalter zurückverfolgen lassen, Duden, Bd. 7, S. 3166. Bock vertritt die Auffassung, daß ein allgemeiner Begriff "religio" erst seit dem Zeitalter der Reformation und Glaubensspaltung geprägt worden sei, weil innerhalb eines Territoriums verschiedene Glaubensrichtungen unter einen Oberbegriff zusammenzufassen waren. Der neuzeitliche Begriff der Religion sei erst als Reaktion darauf entstanden, daß es keine gemeinsame GJaubensgewißheit und -übereinstimmung mehr gebe. Bock, in: AöR 123 (1998),444,454. 23 Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, M-Z, S. 1113; Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S.679. 24 Duden, Bd. I, S. 424. 25 Eine weitere Bestimmung muß schon deshalb erfolgen, weil das Grundrecht als objektive Auslegungsmaxime auch auf das einfache Recht ausstrahlt und dessen Anwendung maßgeblich beeinflußt. Vgl. Kästner, in: JZ 1998,974,977. 21
22
12 Fülbier
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
gilt das England des 17. Jahrhunderts als Ursprung der Geschichte der modemen Freiheitsrechte?6 Im Zuge der Weiterentwicklung dieser Ideen in den amerikanischen Kolonien, auf die neben Pufendorfund lohn Locke die Gedanken der allgemeinen Naturrechtslehre einwirkte, fanden Menschenrechte schließlich Aufnahme in die Virginia Bill von 1776 und die Verfassungen der amerikanischen Einzelstaaten. 27 Von dort nahm der Gedanke seinen Weg nach Frankreich und gelangte über die Erklärung der Menschenrechte von 1789 nach Deutschland. Zwar gab es Freiheitsrechte unter erheblichen Beschränkungen bereits in den süddeutschen Verfassungen des frühen Konstitutionalismus, aber die größeren Staaten hatten sich von dieser Entwicklung noch ausgeschlossen. 28 § 30 der Verfassung des Kurfürstentums Hessens vom 5. 1. 1831 garantierte etwa in Anlehnung an die französische Charta vom 4. Juni 1814 bereits die volle Freiheit des Gewissens und der Religionsausübung. Als erster wirklich wesentlicher Ausgangspunkt der Religionsfreiheit in der Gestalt der heutigen grundgesetzlichen Verbürgung dient jedoch auch hier die 1849 verabschiedete Frankfurter Paulskirchenverfassung.
a) Paulskirchenverfassung Die entscheidenden Bestimmungen zur Religionsfreiheit befanden sich in Artikel V der Reichsverfassung. Dort hieß es?9 § 144. Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiösen Überzeugungen zu offenbaren.
§ 145. Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Uebung seiner Religion. Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetze zu bestrafen. § 146. Durch das religiöse Bekenntniß wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun. § 147. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche. 26 Dort wurde zunächst Wilhelm III. von Oranien durch die "glorreiche Revolution" 1688 König. Ein Jahr später, 1689, begrenzte die "Bill of Rights" die Königsmacht, und gleichzeitig gewährte die Toleranzakte den puritanischen Gruppen kirchliche Freiheit. Wenn sich in England die Forderung nach der Sicherung von liberty and property erhob, so vereinten sich hier "eine politische Mißdeutung christlicher Freiheit mit naturrechtlicher Auffassung und historischer Wiederbelebung älterer Freiheitsgedanken." Scheuner, in: Böckenförde (Hrsg.), Verfassungsgeschichte, 319, 322. 27 Vgl. hierzu ausführlich 4. Teil, § 2 11 1. 28 Scheuner, in: Böckenförde (Hrsg.), Verfassungsgeschichte, 319 f. 29 Abgedruckt bei Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 391.
§ 1 Deutschland
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Neue Religionsgesellschaften dürfen sich bilden; einer Anerkennung ihres Bekenntnisses durch den Staat bedarf es nicht. § 148. Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden.
Damit fielen die Unterschiede, die im überlieferten Staatskirchenrecht zwischen den christlichen Hauptkonfessionen, den zugelassenen Sekten und den nur geduldeten privaten Religionsgemeinschaften bestanden hatten,30 fort. Bereits in den Verhandlungen war, wenn auch nicht einheitlich, die Absicht zutage getreten, die Religionsfreiheit nicht nur dem Christentum einzuräumen, das als "Religion der Freiheit" gelte,31 sondern daß Toleranz gegenüber allen Religionen zu gelten habe, mithin auch gegenüber den "sich neu bildenden Sekten,,32 und den "verhaßten Religionen".33 Es war ein außerordentlicher Erfolg für alle Religionsgemeinschaften, insbesondere aber der großen christlichen Kirchen, daß die Grundrechte ihnen nunmehr Autonomie gegenüber dem Staat einräumten. Da die Staatshoheit auf die "allgemeinen Staatsgesetze" beschränkt war, war die Unterwerfung der Kirchen unter "besondere Staatsgesetze", insbesondere solche, die auf die Unterdrückung, Fesselung oder Hemmung der Kirchen in ihrer geistlichen Funktion abzielten, verboten?4 Die "volle Glaubens- und Gewissensfreiheit" nach § 144 Abs. 1 der Paulskirchenverfassung sollte offenbar überwiegend das forum internum schützen,35 während der Schutz des forum externum durch die anderen Bestimmungen der Paulskirchenverfassung, insbesondere der Religionsausübungsfreiheit in § 145 FRV und der religiösen Assoziationsfreiheit, abgedeckt werden sollte. 36 Nur über den Wortlaut dieser Bestimmungen hinaus sollte § 144 I FRV für das Handeln nach außen noch herangezogen werden können, wie beispielsweise den Religionsaustritt. Ansonsten blieben für Gewissensbetätigungen im forum externum aber noch Huber, in: Verfassungsgeschichte, Bd. II, § 57 II 2 b), S. 779. ,,[Das Christentum] hat zuerst den Gedanken verwirklicht, dass alle Menschen sich gleich, untereinander Brüder seien; es verträgt sich auch mit allen Staatsformen, ja, es ist das eigentliche staatsbildende Prinzip. Wir können also nicht gewaltsam auf Irreligiösität lossteuern, weil kein Staat ohne Religion bestehen kann. Keine Nation aber hat der Religion und Kirche mehr zu danken, als die deutsche. [ ... ] Mir scheint es wirklich sehr bedenklich, dass wir, nach dem was das Christentum der Völker besonders an dem deutschen Volke vollzogen hat, jetzt bei der Gründung einer deutschen Reichsverfassung von dem Christentum geradezu absehen wollen, ja, dass wir es kaum mit Namen zu nennen wagen. Wir können ohne dasselbe gar keine Frage des Staates lösen [ ... ]. So der Abgeordnete Sepp, in: Akademischer Freibund München, Staat und Kirche, S. 77 f. 32 Sepp, in: Akademischer Freibund München, Staat und Kirche, S. 77. 33 So der Abgeordnete Nauwerck, in: Akademischer Freibund München, Staat und Kirche, S. 85 (speziell im Hinblick auf die Jesuiten). 34 Huber, in: Verfassungsgeschichte, Bd. II, § 57 II 2 b), S. 779. 35 Der Antrag des Abgeordneten Kotschy, wonach "die Ausübung voller Glaubens- und Gewissensfreiheit durch Wort, Schrift und Tat gewährleistet" sein sollte, wurde ausdrücklich abgelehnt. Vgl. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 475. 36 Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 474 f. 30
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
die anderen Grundrechte, wie die Meinungsfreiheit in § 143 FRv. 37 Durch die zunehmende Autonomie der Persönlichkeit war im 19. Jahrhundert in bezug auf die "Gewissensfreiheit" immer stärker die Entwicklung deutlich geworden, daß sich die zuvor scheinbar selbstverständliche Verbindung von Glaube und Gewissen löste. Das Gewissen wurde zunehmend auf sich gestellt und "als letzte und höchste Instanz der autonomen Persönlichkeit,,38 begriffen. Gewissensfreiheit bedeutete bereits hier nicht mehr nur Freiheit zum eigenen Glauben, sondern auch Freiheit vom Glauben und das Handeln nach den eigenen moralischen Erkenntnissen?9
b) Revidierte preußische Verfassung Nach dem Scheitern der von der Nationalversammlung eingeführten Frankfurter Verfassung und dem Übergang des Schwergewichts grundrechtlicher Entwicklung auf die Einzelstaaten erlangte die preußische Verfassungsurkunde vom 31. 1. 1850 auch hinsichtlich der Religionsfreiheit grundlegende Bedeutung. Der Einfluß der Reichsverfassung auf sie war dabei unverkennbar. Art. 12 der preußischen Verfassung bestimmte: Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgesellschaften (Art. 30 und 31) und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsausübung wird gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen. 4o
Damit gewährleistete Art. 12 der Revidierten Verfassung Bekenntnisfreiheit, religiöse Vereinigungsfreiheit und Kultusfreiheit. Noch das preußische Re1igionsrecht des 18. Jahrhunderts hatte nur die individuelle Bekenntnisfreiheit anerkannt, das religiöse Vereinigungsrecht wie das Recht der Religionsausübung hingegen erheblichen Beschränkungen unterworfen. 41 Die volle Vereinigungsfreiheit für die Anhänger aller Bekenntnisse und das uneingeschränkte Recht zur öffentlichen Religionsausübung jeder Glaubensrichtung brachte erst jetzt Art. 11 der oktroyierten, beziehungsweise Art. 12 der revidierten Verfassung. 42 Die Regierung versuchte die Garantie in der Folgezeit zwischen 1850-1858 zwar zu einem bloßen Programmsatz abzuwerten, aber in Lehre und Praxis hatte sich die Auffassung durch37 Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 475; Mucke\, Religiöse Freiheit, S. 158. 38 Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), 33, 40. 39 Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), 33,41. 40 Abgedruckt bei BK-Zippelius, Art. 4 Rdn. 8. 41 Jeserich/Pohllv.Unruh, in: Link (Hrsg.), Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 49, 54; Huber, in: Verfassungsgeschichte, Bd. III, § 611 3, S. 105 f. 42 Die religiöse Vereinigungsfreiheit war allerdings beschränkt auf die "Religionsgesellschaften". Damit waren lediglich die Bekenntnisgemeinschaften gemeint; die gemeinsame Pflege des Bekenntnisses mußte der konstitutive Zweck der Vereinigung, nicht bloß die Vor-
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gesetzt, daß Art. 12 aktuell geltendes Recht sei. Offenbar verstand die herrschende Lehre Art. 12 sogar als eine Schranke der Gesetzgebung,43 wohingegen die sonstigen Grundrechte nur als Schranken der Verwaltung und Rechtsprechung galten. 44 Überdies wurde Art. 12 der Revidierten Verfassung als Gewährleistung nicht nur der positiven, sondern auch der negativen Religionsfreiheit verstanden. Die Bekenntnisfreiheit galt als Freiheit, einen Glauben zu haben oder nicht zu haben, einen Glauben in Worte zu bekennen oder nicht zu bekennen, sich einer Glaubensgemeinschaft anzuschließen oder nicht anzuschließen und an Religionsübungen teilzunehmen oder nicht teilzunehmen. 45 Wie Huber betont, war diese Auslegung "von epochemachender Bedeutung" nicht nur für die Religionsfreiheit, sondern für das Verfassungsrecht überhaupt: "Die Argumentation, daß jedem positiven Freiheitsrecht (der Freiheit, etwas zu tun) kraft der Logik der Sache das entsprechende negative Freiheitsrecht (die Freiheit, etwas nicht zu tun) innewohne, hatte hier ihre Wurzel. ,,46 c) Weimarer Reichsverfassung
Die Reichsverfassung vom 16. 4. 1871 brachte einen gewissen Rückschritt in der geschichtlichen Entwicklung der Religionsfreiheit, weil man unter Rücksichtnahme auf die Zuständigkeiten der Einze1staaten auf einen Grundrechtskatalog verzichtete. Zwar wurde die Gleichberechtigung der Bekenntnisse per Reichsgesetz garantiert. Die fehlende Garantie der Rechte der Kirchen und Religionsgemeinschaften als solcher ermöglichte jedoch weiterhin Landesgesetze, die die Bildung von Religionsgemeinschaften vorheriger staatlicher Erlaubnis unterwarfen 47 und gewissen Gruppierungen Vorrechte einräumten. 48 Erst die Weimarer Reichsverfassung aus dem Jahre 1919 regelte die Religionsfreiheit wieder zentral und damit verbindlich für alle Einze1staaten. 49 Die Bedeutung der Religionsfreiheit wurde hier durch den Umstand hervorgehoben, daß sie als eines von sieben Grundrechten nicht von dem Reichspräsidenten nach Art. 48 aussetzung ihrer Tätigkeit sein. Vgl. Huber, in: Verfassungsgeschichte, Bd. III, § 6 11 3, S.107. 43 Vgl. Jeserich/Pohl/v.Unruh, in: Link (Hrsg.), Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 49, 54. 44 Huber, in: Verfassungsgeschichte, Bd. III, § 6 11 3, S. 106. 45 Anschütz, Verfassungsurkunde für den preußischen Staat, S. 192 ff. 46 Huber, in: Verfassungsgeschichte, Bd. III, § 6 11 3, S. 106. 47 Eine Übersicht über die entsprechende Landesgesetzgebung gibt Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts, S. 191 ff. 48 HbdStR-von Campenhausen, Band VI, § 136 Rdn. 30. 49 Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 326, weist darauf hin, daß einige religionsfeindliche Bestimmungen in den neuen Landesverfassungen durch die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung zu nichtigen Bestandteilen der Landesgrundgesetze wurden.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
Abs. 2, 4 WRV außer Kraft gesetzt werden konnte. Die relevanten Bestimmungen lauteten: Art. 124 WRV: Alle Deutschen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Dies Recht kann nicht durch Vorbeugungsmaßregeln beschränkt werden. Für religiöse Vereine und Gesellschaften gelten dieselben Bestimmungen. Der Erwerb der Rechtsfahigkeit steht jedem Verein gemäß den Vorschriften des bürgerlichen Rechts frei. Er darf einem Vereine nicht aus dem Grunde versagt werden, daß er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt. Art. 135 WRV: Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt. Art. 136 WRV: Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt. Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert. Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden. Art. 137 Abs. 2, 3 WRV: Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde. Art. 140 WRV: Den Angehörigen der Wehrmacht ist die nötige Zeit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten zu gewähren. Art. 149 Abs. 2 WRV: Die Erteilung religiösen Unterrichts und die Vornahme kirchlicher Verrichtungen bleibt der Willenserklärung der Lehrer, die Teilnahme an religiösen Unterrichtsfächern und an kirchlichen Feiern und Handlungen der Willenserklärung desjenigen überlassen, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat. Art. 177 WRV: Wo in den bestehenden Gesetzen die Eidesleistung unter Benutzung einer religiösen Eidesform vorgesehen ist, kann die Eidesleistung rechtswirksam auch in der Weise erfolgen, daß der Schwörende unter Weglassung der religiösen Eidesform erklärt: "ich schwöre". Im übrigen bleibt der in den Gesetzen vorgesehene Inhalt des Eides unberührt.
Zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung empfand man die Religionsfreiheit schon als "selbstverständlich gewordenen Bestandteil unserer Rechtsordnung und Kultur".50 Da die Ausweitung der religiösen Freiheit entwicklungsgeschichtlich einhergegangen war mit der zunehmenden Trennung von Staat und Kirche, bestand nunmehr Einigkeit darin, daß die Toleranz der Religionsgemeinschaften gegenüber 50
Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 319.
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ihren Mitgliedern nicht mehr Gegenstand der Religionsfreiheit sein konnten. Dies mußte fortan dem Bereich kirchlicher Autonomie überlassen bleiben. 51 Die Zentralnorm des Art. 135 WRV richtete sich abweichend von dem Text der meisten anderen Grundrechte nicht nur an die Deutschen, sondern an "alle Bewohner des Reichs" und dokumentierte mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit als "echtem Individualrecht,,52 den Verzicht des Staates, irgendwie in das Verhältnis des Einzelnen zu Gott einzugreifen. 53 Die Weimarer Lehre ging dabei offenbar von einer identischen Schutzrichtung der Begriffe der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit aus. 54 Als notwendige Ergänzung für den Bereich des forum externum schützte die Religionsausübungsfreiheit in Art. 135 WRV gegenständlich "alle Handlungen, die ihren wesentlichen Eigenschaften nach als Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft und religiöser Anschauungen einzuschätzen sind".55 Die entwicklungsgeschichtlich wichtige Unterscheidung von privater, häuslicher und öffentlicher Religionsausübung war damit hinfällig geworden. Die Weimarer Verfassung beschränkte sich aber nicht auf die bloße Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung, sie stellte sie darüber hinaus ausdrücklich unter "staatlichen Schutz." Auf diese Weise wurde einmal mehr zum Audruck gebracht, welche große Bedeutung man der Religionsfreiheit im Gefüge der Verfassung beimaß. Die Frage, was unter "Religion" selbst zu verstehen sei, war nach überwiegender Auffassung der Weimarer Literatur ausschließlich aus der religiösen Sphäre des Einzelnen zu beurteilen. Der aus ihr erwachsende, alsbald in das Kollektive hinübergleitende Betätigungsdrang vertrage keine Begrenzung und finde seine Berechtigung nicht im Verhältnis zum Staat, sondern im Verhältnis zu Gott, der religiösen Idee und Aufgabe. 56 Art. 135 WRV stand jedoch unter dem Vorbehalt der "allgemeinen Staatsgesetze", das heißt solcher Gesetze, die sich gegen eine religionsbezogene Anschauung als solche richteten. 57
51 Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 321. Als Staat und Kirche noch Einheit waren, stellte sich diese Frage natürlich anders dar. Wo Staat und Kirche eine Einheit sind, ist kein Raum für die staatliche Religionsfreiheit. Vgl. auch Scheuner, in: DÖV 1967,585,590. 52 Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 328. 53 Ausführlich zu den in dieser Freiheit enthaltenen Rechten vgl. Anschütz, Verfassung, Art. 135,4., S. 619 ff. 54 Vgl. Anschütz, Verfassung, Art. 135,4., S. 619; Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 322. Das Fehlen der Bekenntnisfreiheit dachte man offenbar im Wege der Interpretation kompensieren zu können. 55 Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 344. Beispielhaft nennt Mirbt Gottesdienst, Prozessionen, Sakramente wie Taufe, Konfirmation, Firmung, Beichte, Abendmahl, Kommunion, Eheschließung, letzte Ölung und kirchliches Begräbnis. 56 Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 324.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
d) Zeit unter der Herrschaft der Nationalsozialisten Die Herrschaft der Nationalsozialisten seit der Machtübernahme Hitlers am 30. 1. 1933 stellte auch für die Gewährleistung der Religionsfreiheit eine tiefe Zäsur dar und unterbrach den Prozeß ihrer kontinuierlichen Fortentwicklung. Punkt 24 des nationalsozialistischen Parteiprogramms hatte zwar noch "die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefahrden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen" gefordert. Die Partei vertrete "den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden". 58 Tatsächlich aber gingen die Nationalsozialisten schon kurz nach der "Machtübernahme" mit allen polizeilichen Mitteln gegen religiöse Minderheiten vor. 59 Die Herstellung von Traktaten und anderen "propagandistischen Schriften" wurde verboten, später auch die Lehr- und Versammlungstätigkeit vieler Religionsgemeinschaften. 6o Obwohl die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung in der Zeit des Nationalsozialismus nicht offiziell aufgehoben wurden, waren sie schon bald von neuen Vorschriften überlagert. Die dann zutage getretene religionsfeindliche Haltung des Hitler-Regimes machte die wirksame Berufung auf die Religionsfreiheit unmöglich. Von "voller Glaubens- und Gewissensfreiheit" konnte keine Rede mehr sein.
2. WiJle des Verfassungsgebers Im Bewußtsein dieser geschichtlichen Entwicklung kam es zur Ausarbeitung des Grundgesetzes und zur Neufassung der Religionsfreiheit. Im Gegensatz zu den Auseinandersetzungen, die im Parlamentarischen Rat bezüglich der zukünftigen Regelung des institutionellen Verhältnisses von Staat und Kirche stattfanden, verlief die Aufnahme der Religionsfreiheit in die neue Verfassung eher unproblematisch. Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee hatte folgenden Entwurf vorgeschlagen: (1) Glaube, Gewissen und Überzeugung sind frei. (2) Der Staat gewährleistet die ungestörte Religionsausübung.
Ein Redaktionskomitee des Grundsatzausschusses schlug dagegen eine wesentlich umfangreichere Fassung vor, die ebenfalls zur Grundlage der Beratungen wurde: 57 Anschütz, Verfassung, Art. 135, 6., S. 621 f.: "Was die Staatsgesetze als staatsgeflihrlieh, sicherheits- oder sittenwidrig, ordnungswidrig oder aus sonst einem Grunde verbieten, wird nicht dadurch erlaubt, daß es in Ausübung einer religiösen Überzeugung getan wird." 58 Echterhölter, Das öffentliche Recht, S. 29. 59 Siehe 3. Teil, § 3 11 1 c). 60 Echterhölter, Das öffentliche Recht, S. 29.
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(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung ist unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird im Rahmen der allgemeinen Gesetze gewährleistet. (3) Niemand darf gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder religiösen Übungen teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. (4) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft darf nur gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert.
Die Abgeordnete Weber und der Abgeordnete v. Mangoldt (beide CDU) wiesen in Anlehnung an die Weimarer Bestimmungen darauf hin, daß man in Abs. 1 auch "moralische Grundsätze und Überzeugungen" habe einbeziehen wollen, da die Beschränkung auf Glaube und Gewissen nicht ausgereicht hätte. 61 In einer als "Kritischen Würdigung" bezeichneten Kommentierung dieses Vorschlags entgegnete Thoma, daß es nicht darum gehen solle, die Freiheit des Glaubens und Gewissens zu schützen, weil diese ohnehin nicht angetastet werden könne, als vielmehr um die Freiheit des offenen Bekenntnisses aller Überzeugungen. 62 Deshalb stellte er folgenden Vorschlag für Abs. 1 zur Diskussion: "Es besteht unbeschränkte Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses."
Der Allgemeine Redaktionsausschuß schließlich formulierte in seiner Fassung vom 16.11. 1948: 63 (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses ist unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Die allgemeinen Gesetze bleiben unberührt. (3) Niemand darf gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder einer religiösen Übung teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. (4) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Angaben über die Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft dürfen nur verlangt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung es erfordert.
All diese Vorschläge sowie die entsprechende Bestimmung des UNO-Kommissionsentwurfs der Menschenrechte64 wurden dann in der 24. Sitzung des Grundvon Doemrning/Füsslein/Matz, in: JöR N.F. 1 (1951), 1,73. Drs. 244, S. 6. 63 Drs. 282 vom 16.11. 1948. 64 Dort heißt es in Art. 16: "Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, die Religion oder den Glauben zu wechseln, wie auch die Freiheit, seine Religion oder seinen Glauben allein oder gemeinsam, sowohl öffentlich wie privat, durch Unterricht, Übungen, Kultus und Befolgung von Riten zum Ausdruck zu bringen." Drs. 144. 61
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
satzausschusses vom 23. 11. 1948 eingehend beraten. Im Hinblick auf Abs. 1 begann zunächst eine längere Diskussion über den Unterschied von innerer und äußerer Religions- und Gewissensfreiheit, den viele Abgeordnete ausdrücklich festgelegt wissen wollten. So wies der Abgeordnete Süsterhenn (CDU) darauf hin, daß die Religionsausübung über das bloße Bekenntnis hinausgehe und sich in Kulthandlungen, Liturgie und Ähnlichem äußere und auf diese Weise in den öffentlichen Raum hineinwirke. 65 Zu Abs. 2 wurde ein Antrag der CDU / CSU-Fraktion beraten, die sich für die Streichung des Gesetzesvorbehalts einsetzte. Wiederum der Abgeordnete Süsterhenn führte dazu aus, daß bereits einfaches Recht den Anspruch auf ungestörte Religionsausübung beseitigen könne, was nicht sein dürfe. Zwar müsse sich auch das Religionsausübungsrecht in den Grenzen der allgemeinen öffentlichen Ordnung bewegen, aber dies sei schon mit der Formulierung des neuen Art. 2 GG erreicht, dessen Schranken auch für die Religionsausübung gelten. 66 Dem gegenüber äußerte v. Mangoldt, daß die Streichung des Gesetzesvorbehalts in Abs. 2 die Auslegung ermögliche, daß dann jedes die Religionsfreiheit irgendwie einschränkende Gesetz insoweit verfassungswidrig sei. Zudem gab er zu bedenken, daß die Freiheit der Religionsausübung nach Art. 4 lex specialis gegenüber dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 sei. Dessen Schranken seien mithin nicht auf Art. 4 übertragbar. 67 Die Mehrheit im Grundsatzausschuß sprach sich jedoch für die Streichung des Gesetzesvorbehalts in Abs. 2 aus. Anschließend wurden Eingaben von Seiten der Kirche behandelt, die etwa das Recht der Religionsgemeinschaften einforderten, ihre Angelegenheiten selbständig und aus eigenem Recht zu ordnen und zu verwalten. Im Hinblick auf die Kompliziertheit dieser Materie verzichtete man auf Beratungen über diese Gesichtspunkte zunächst aber ebenso wie auf die Entscheidung, ob das Verhältnis von Staat und Kirche bereits im Grundrechtsteil abgehandelt werden solle. 68 Keine Bedenken wurden jedoch eingewandt gegen den Vorschlag v. Mangoldts, hier - in Abs. 1 die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften zu regeln. In seiner 26. Sitzung vom 30. 11. 1948 diskutierte der Grundsatzausschuß, ob es notwendig sei, explizit die ungestörte "öffentliche und private" Religionsausübung zu garantieren. Dies wurde jedoch verneint, da es als unbestritten galt, daß sich die Religionsausübung sowohl auf die private wie auf die öffentliche Sphäre bezog. 69 Später brachte die Abgeordnete Nadig (SPD) einen Antrag mit dem Inhalt ein, in der neuen Verfassung das Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Grundsatzausschuß 24. Sitzung vom 23. 11. 1948, Stenographisches Protokoll S. 4 f. Grundsatzausschuß 24. Sitzung vom 23.11. 1948, Stenographisches Protokoll S. 9 f. 67 Grundsatzausschuß 24. Sitzung vom 23.11. 1948, Stenographisches Protokoll S. 10 ff. 68 von Doemming/Füsslein/Matz, in: JöR N.F. 1 (1951), 1,75 f. Der Abgeordnete Bergsträßer (SPD) setzte sich etwa dafür ein, daß der Grundrechtsteil der Verfassung nur die subjektiven Rechte mit ihren Konsequenzen erfaßt. Alles zur "Gesellschaftsordnung" Gehörende sei wegzulassen. 69 Grundsatzausschuß 26. Sitzung vom 30. 11. 1948, Stenographisches Protokoll S. 83. 65
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Waffe aus Gewissensgründen festzuschreiben. Nach lebhaften Debatten, vor allem in der zweiten Lesung des Hauptausschusses vom 18. 1. 1949,70 wurde diesem Anliegen letztlich auch entsprochen. Davor und danach hatte es noch geringfügige sprachliche Änderungen gegeben. Dem Abgeordneten Süsterhenn kam es vor allem darauf an, den vorher in Abs. 1 Satz 2 eingefügten Begriff "religiöse und weltanschauliche Gemeinschaft" wieder durch die Wendung "Religions- und Weltanschauungs gemeinschaft" zu ersetzen, weil letzterer ein terminus technicus der staatskirchenrechtlichen Praxis sei und der Begriff religiöse Gemeinschaft auch "irgendwelche sonst nicht faßbaren freien Gebilde" umfassen würde. 71 Nachdem diesem Antrag entsprochen wurde, kam es am 10. 2. 1949 zu folgendem Wortlaut: 72 (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Das Recht der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungs gemeinschaften wird anerkannt. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. (3) Niemand darf gehindert oder gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder an religiösen Übungen teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen. (4) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft darf nur gefragt werden, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete Erhebung es erfordert. (5) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Der vierten Lesung des Hauptausschusses am 5. 5. 1949 schließlich lag eine Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vor, die die Streichung von Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 und 4 vorsah, was dadurch möglich geworden war, daß Art. 140 GG nunmehr auch Art. 136 WRV inkorporierte. Der Antrag wurde angenommen und die Endfassung damit gefunden.
3. Folgerungen Die historische Entwicklung der Religionsfreiheit verlief weitestgehend parallel mit der geschichtlichen Entwicklung hin zur institutionellen Trennung von Staat und Kirche. Schritt für Schritt wurde die grundsätzliche Trennung verwirklicht, und ebenso kontinuierlich wurden die Rechte der Religionsgemeinschaften und 70 HA-Steno S. 545 f. Besonders der Abgeordnete Heuß (FDP) wandte sich gegen die Aufnahme dieses Rechts, weil er die allgemeine Wehrpflicht als "das legitime Kind der Demokratie" betrachtete, das nicht durch einen drohenden "Massenverschleiß des Gewissens" in Gefahr gebracht werden solle. 71 Zitiert bei von Doemrning I Füsslein I Matz, in: JöR N.F. 1 (1951),1,78. 72 Drs.604/679.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
des Einzelnen zur Entfaltung des eigenen Bekenntnisses erweitert. Bereits die Regelungen der Weimarer Verfassung schließlich gewährten einen recht umfassenden Schutz, an den die Formulierungen des Grundgesetzes in weiten Teilen anknüpften. Für die Auslegung von Art. 4 GG ist deshalb nicht nur das interessant, was von dem Weimarer Regelungswerk übernommen wurde, sondern auch das, was nicht übernommen wurde. Auffälligste Änderung gegenüber den Weimarer Regelungen ist der Fortfall der Schranke in Art. 135 WRY. Wie gezeigt, gab es hierzu Stimmen, die dafür eintraten, daß das Grundrecht nicht bereits durch einfache Gesetze eingeschränkt werden kann. In diesem Zusammenhang wurde auf die Wichtigkeit der Regelung hingewiesen. Gerechtfertigt wurde der Schrankenfortfall unter anderem auch damit, daß die Schranken des neuen Art. 2 GG - Rechte anderer, verfassungsmäßige Ordnung, Sittengesetz - auch für die Religionsfreiheit gelten könnten. Dies stieß jedoch auf Bedenken. Zwar wurde dem Antrag auf Streichung der beschränkenden Worte entsprochen, unklar bleibt aber, welches letztlich das dafür ausschlaggebende Argument war. Festzustehen scheint jedenfalls, daß angesichts der Bedeutung des Grundrechts die Beschränkung der absolute Ausnahmefall sein sollte. In bezug auf die Gewissensfreiheit ist aus historischer Sicht von Bedeutung, daß noch die preußische Verfassung von 1850 in Art. 14 bestimmte, daß - ungeachtet der gewährleisteten Religionsfreiheit - bei den im Zusammenhang mit der Religionsausübung stehenden Einrichtungen des Staates die christliche Religion zugrunde gelegt werde. 73 Dieser Vorbehalt gegen die religiös-weltanschauliche Neutralität wurde durch die Weimarer Verfassung dem Prinzip nach aufgehoben, was zu einer Neubestimmung der Gewissensfreiheit führen mußte dergestalt, daß nicht nur eine religiöse, sondern jede Gewissensüberzeugung, unabhängig von ihrer Grundlage, geschützt wird. 74 Die Gewissensfreiheit ist nicht von einer religiösen Perspektive her zu bestimmen; da sie sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung von der Religionsfreiheit gelöst hat, ist sie als eigenständiges Grundrecht anzusehen. 75 Eine wichtige historisch-systematische Erkenntnis ergibt sich zudem in bezug auf die Frage, was im einzelnen unter "Glaube" zu verstehen ist. Die Glaubensfreiheit war in der Weimarer Reichsverfassung im Rahmen von Art. 135 WRV systematisch Bestandteil der Vorschriften über "Religion und Religionsgesellschaften" (Art. 135 -141 WRV) und ist geschichtlich daher - insofern im Einklang mit der Untersuchung des Wortlauts 76 - als Freiheit des religiösen Glaubens zu versteSiehe dazu 3. Teil, § 3 II 1 a) bb). Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), 33,43; 46. 75 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 155. Siehe auch Scheuner, in: DÖV 1967,585, 588: Die Gewissensfreiheit ist gegenüber der Religionsfreiheit "auch ersichtlich geistig auf einem speziellen, vorwiegend wohl kantisch geprägten Boden sittlicher Autonomie erwachsen" und ist bereits daher "schärfer gesondert" zu betrachten. 76 Vgl. 4. Teil, § 1 I. 73
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hen. 77 Aus historischer Sicht gewährleistet sie demnach nicht das "Fürwahrhalten jedes beliebigen Meinungsinhalts", sondern nur die als verpflichtend empfundene Annehmung der Grundsätze einer Religion oder Weltanschauung. 78 In bezug auf diese Auffassungen ist die Glaubensfreiheit lex specialis gegenüber Art. 5 GG. 79 Inwieweit der historischen Auslegung weitere Erkenntnisse zu entnehmen sind, ist im folgenden zu überprüfen.
4. Eigenständige Bedeutung der Religionsausübungsfreiheit Der Textaussage zufolge schützt Art. 4 GG vom überzeugungsgeleiteten Handeln neben der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen lediglich die Religionsausübung. In der Konsequenz bedeutete das nicht nur eine - nur schwer erklärbare - Privilegierung der Religion gegenüber anderen Gewissen und Weltanschauungen; es führte auch zu echten Schutzlücken im Bereich glaubensmotivierter Handlungen. 8o Aus diesem Grund besteht Uneinigkeit über die Funktion von Art. 4 Abs. 2 GG; argumentiert wird in diesem Zusammenhang vorwiegend auf der Basis historischer Argumente.
a) Einheitliches Grundrecht in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Nach dem Bundesverfassungsgericht81 und der herrschenden Meinung in der Literatur82 sind es ausschließlich geschichtliche Gründe, die die Existenz von Art. 4 Abs. 2 GG rechtfertigen. Die gesonderte Gewährleistung der Religionsausübung erkläre sich historisch aus der besonderen deutschen Tradition, nach der sich der Schutz des exercitium religionis seit dem 19. Jahrhundert zu einer besonderen Verfassungsgarantie entwickelt habe,83 insbesondere aber aus der AbwehrSachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 16. Vgl. BK-Zippelius, Art. 4 Rdn. 32. 79 Vgl. BVerfGE 32, 98, 107; Sachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 106; Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rdn. 5. A.A. Scheuner, in: DÖV 1967, 585, 590; HbdStR-von Campenhausen, Band VI, § 136 Rdn. 87. 80 Pieroth I Schlink, Staatsrecht 11, Rdn. 506. 81 BVerfGE 24, 236, 245. 82 Vgl. nur Burmeister, in: FS für Günther Winkler, 139, 145 f.; Halfmann, in: NVwZ 2000, 862, 863; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 61; Sachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 11 f.; v. Mangoldtl Klein I Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn. 5; Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rdn. 1; Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung, S. 34; Steiner, in: JuS 1982, 157, 158 f.; Fehlau, in: JuS 1993, 441, 442; Bleckmann, Staatsrecht 11, § 25 Rdn. 2 ff.; Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 74 (die anschließend aber trotzdem die Einzelausprägungen begrifflich abgrenzen). 83 Scheuner, in: DÖV 1967, 585, 589; v. Mangoldtl Klein I Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn.33. 77
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
haltung gegenüber den Störungen der Re1igionsausübung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. 84 Die Bedeutung von Abs. 2 erschöpfe sich in einer deklaratorischen Funktion,85 denn "mindestens" seit Inkrafttreten der Weimarer Verfassung gehe die Freiheit der Religionsausübung inhaltlich in der Bekenntnisfreiheit auf. 86 Diese umfasse nämlich, ungeachtet dessen, ob es sich um ein religiöses Bekenntnis oder eine re1igionsfremde Weltanschauung handele, nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern genauso die Freiheit des kultischen Handeins, des Werbens, der Propaganda. 87 Die in der Verfassung benutzten Begriffe der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie der freien Religionsausübung stellten sich heute als weitgehend überlagernde und überschneidende Synonyme dar. Eine begriffliche Abgrenzung biete ein "Betätigungsfeld für im wesentlichen folgenlosen Scharfsinn".88 Das Bundesverfassungsgericht läßt sich auf terminologische Abgrenzungsbemühungen in dieser Richtung gar nicht mehr ein. 89 Nach dieser Auffassung enthält Art. 4 GG ein einheitliches, umfassendes Recht der Religionsfreiheit mit gegliedertem Schutzgehalt, das aus Gründen der KlarsteIlung in seinen verschiedenen Ausprägungen aufgezählt ist. 9o Umstritten ist innerhalb dieser Ansicht lediglich, ob die Norm ein eigenständiges Recht der Gewissensfreiheit enthält.91 b) Mehrere selbständige Grundrechte
Diese Auslegung wird jedoch zunehmend, und heute besonders von Muckel, als zu extensiv kritisiert,92 weil sie zu einem Recht der Religionsfreiheit führe, das dem Einzelnen das Recht gewähre, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und gemäß seiner inneren Überzeugung zu handeln. 93 So BVerfGE 24, 236, 245. List!, in: HdbStKirchR, Bd. 1,439,461. 86 BVerfGE 24, 236, 245, unter Hinweis auf Bettennann 1Nipperdey 1Scheuner-Harnel, Die Grundrechte, Bd. IV 11, S. 37, 54, 62; List!, in: HdbStKirchR, Bd. 1,439,461. 87 BVerfGE 12, 1,3 f.; BVerfGE 24, 236, 245. 88 HbdStR-von Carnpenhausen, Band VI, § 136 Rdn. 36. 89 Vgl. etwa BVerfGE 32, 98, 106. Das Gericht spricht hier nur noch von der auch die äußere Freiheit umfassenden "Glaubensfreiheit". 90 von Carnpenhausen, Staatskirchenrecht, S. 61. 91 Dafür etwa BK-Zippelius, Art. 4 Rdn. 34; Dreier-Morlok, GG, Art. 4 Rdn. 30 f.; v. Mangoldtl Klein 1Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn. 6; dagegen beispielsweise Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 383; HbdStR-von Carnpenhausen, Band VI, § 136 Rdn. 36; List!, in: HdbStKirchR, Bd. 1,439,460; Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung, S. 24, 34 f. 92 Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 127 ff.; auch v. Münch/Kunig-Mager, GG, Art. 4 Rdn. 11; Goerlich, in: JZ 1995,955,955; Fehlau, in: JuS 1993,441,442; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rdn. 507; Kästner, in: JZ 1998, 974, 979 ff.; Mückl, in: Der Staat 2001, 96, 104 ff. 93 MuckeI, Religiöse Freiheit, S. 126; vgl. auch BVerfGE 32, 98, 106. 84 85
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werde Art. 4 I, 11 GG zu einem allgemeinen Freiheitsrecht. 94 Damit nähme die Notwendigkeit und die Schwierigkeit zu, Eingriffe in Art. 4 GG zu rechtfertigen. 95 Überdies seien Normen möglichst so auszulegen, daß sie eine eigenständige Bedeutung hätten und nicht überflüssig seien. In erster Linie ignoriere die Gegenmeinung jedoch den eindeutigen Wortlaut der Verfassung. Hiernach gebe es in Art. 4 GG jeweils ein Grundrecht der Glaubensfreiheit, Bekenntnisfreiheit, Religionsausübungsfreiheit und der Gewissensfreiheit. Sowohl die Grundrechtsträgerschaft, der Gegenstand des Schutzes als auch das Bedürfnis nach effizienten normativen Schranken stellten sich in den einzelnen Bezügen der Vorschrift unterschiedlich dar. 96 Die Freiheit der Religionsausübung sei nicht nur in Art. 4 Abs. 2 als eigenständige Gewährleistung vorausgesetzt, sondern auch in Art 140 GG i.Y.m. Art. 136 IV WRY. Dies spreche für ihre selbständige Bedeutung,97 die sich aber ohnehin schon aus dem verschiedenen Wortsinn ergebe. 98 Zusätzlich berufen sich auch die Kritiker von der Interpretation des einheitlichen Grundrechts auf die historische Interpretation. 99 Die Beratungen der entsprechenden verfassungs gebenden Ausschüsse ergäben keine Anzeichen dafür, daß Art. 4 Abs. 2 GG bloß deklaratorischer Charakter habe zukommen sollen. Im Gegenteil, die Verfassungsväter hätten gerade die besondere Erwähnung der Religionsausübung für notwendig gehalten. So habe der Abgeordnete Süsterhenn betont, daß und in welcher Hinsicht die Freiheit der Religionsausübung den Schutz des religiösen Bekenntnissses ergänze. 100 Daher sei in Abs. 2 der Norm eine bewußte Entscheidung des Verfassungsgebers für einen eigenständigen grundrechtlichen Schutz der Religionsausübung zu sehen.
c) Notwendige Abgrenzung der Einzelverbürgungen Das Bundesverfassungsgericht und die ihm zustimmenden Vertreter der Literatur können sich auf gewichtige Argumente berufen, und ihnen ist aus historischer Sicht zuzustimmen, daß das exercitium religionis traditionell mit besonderen Garantien bedacht wurde. Bei der Schaffung der Religionsfreiheit wurde in concreto an die Formulierungen der Weimarer Verfassung angeknüpft. Auch dort wurde aus dem Bereich der Glaubensäußerung ausdrücklich nur die Religionsausübung gewährleistet, Art. 135 WRY. Aber bereits hier sah die zeitgenössische Literatur 94 Friauf/Höfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 4; Janz/Rademacher, in: NVwZ 1999, 706, 709. 95 Pieroth I Schlink, Staatsrecht 11, Rdn. 507. 96 Kästner, in: JZ 1998,974,979. 97 Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 127. 98 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 130. 99 Vgl. etwa Kästner, in: JZ 1998,974,979. 100 Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 128.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
"Notwendigkeit und Recht, die Art. 135, 136 WRVals eine Einheit zu behande1n".101 Als "Begriff bestimmten historischen Inhalts" umschließe die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit "in der geltenden Rechtsgestaltung" gerade und auch das Recht, eine religiöse Überzeugung zu äußern und dem Gewissen entsprechend zu handeln. 102 Diese gängige Auslegung zur Weimarer Zeit war den Vätern des Grundgesetzes bekannt und es spricht zunächst nichts dafür, daß sie bei Übernahme des beinahe identischen Wortlauts an eine andere Interpretation der Norm dachten. Darüber hinaus ist der Aspekt zu würdigen, daß die Verfassungsväter entschieden, im Vergleich zur Weimarer Verfassung neben der Glaubens- und Gewissensfreiheit nun auch die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses ausdrücklich zu gewährleisten, um Lücken im Schutz moralischer Überzeugungen zu schließen. In diesem Zusammenhang deutet der Blick auf die Verhandlungen eher darauf hin, daß mit dem Schutz des "offenen" Bekenntnisses vor allem der äußere Bereich, das heißt der Bereich tatsächlicher Verwirklichung der Religionsfreiheit durch die Äußerung bestehender Überzeugungen, gemeint war. Grund für diese Annahme ist nicht zuletzt der Umstand, daß die 24. Sitzung des Grundsatzausschusses vom 23. 11. 1948, in der es zu der Diskussion über die äußere und innere Religionsfreiheit kam, auf der Grundlage der sog. "Kritischen Würdigung" von Thoma lO3 erfolgte. Dieser hob hervor, daß es weniger darum gehe, die Freiheit des Glaubens und der Überzeugung zu schützen, weil diese kaum angetastet werden könne, als vielmehr das offene Bekennen der Überzeugungen. Zugleich schlug er eine Formulierung zum Schutz der Bekenntnisfreiheit vor, die mit dem Wortlaut der entsprechenden Grundgesetzklausel fast identisch ist. 104 Möglich wäre daher, daß die Verfassungsväter all das glaubensgeleitete Verhalten, das nicht unbedingt inhaltlich als "Religionsausübung" einzuordnen ist, als VOn Abs. 1 geschützt ansahen. Schließlich zog man in der erwähnten Diskussion auch Art. 16 des UNOKommissionsentwurfs der Menschenrechte heran, der ausdrücklich festlegte, daß das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit auch die Freiheit einschließt, seine Religion oder seinen Glauben allein oder gemeinsam, sowohl öffentlich wie privat zum Ausdruck zu bringen. 105 Dennoch erscheint die im Vordringen befindliche Gegenauffassung insgesamt vorzugswürdig. Aus subjektiv-historischer Sicht ist zunächst nicht zu bestreiten, daß in den Aussagen des Abgeordneten Süsterhenns das Bestreben anklang, die in Abs. 1 garantierten Freiheiten von der Religionsausübungsfreiheit abzugrenzen. Er führte in den Beratungen aus, daß die Religionsausübung gerade über das bloße Bekenntnis hinausgehe und - im Gegensatz dazu - in den öffentlichen Raum hin101 102 103 104 105
Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 328. Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 323, 328. Drs. 244, S. 6. Vgl. von Doernrning/Füsslein/Matz, in: JöR N.F. 1 (1951), 1,73. Siehe 4. Teil, 11 2.
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einwirke. 106 Welcher Inhalt den Einzelverbürgungen hierbei im Einzelfall auch zugedacht war, sicher ist daraus im Umkehrschluß jedenfalls zu folgern, daß man im Grundsatzausschuß von eigenständigen Grundrechten mit unterschiedlichem Schutzgehalt ausging. Dafür spricht auch der eindeutige Wortlaut der Bestimmungen. Im Grunde werden diese Fakten von den Vertretern eines einheitlichen Grundrechts auch gar nicht geleugnet,107 beziehungsweise können nicht geleugnet werden. Dies gilt im gleichen Maße für die Verletzbarkeit der bloßen Überzeugung. 108 Im Gegenzug allerdings kann die Gegenauffassung kaum abstreiten, daß eine wirkliche Unterscheidung im Einzelfall kaum möglich ist und die Festlegung verbindlicher Abgrenzungskriterien angesichts der unübersehbaren Überschneidungen der Schutzbereiche nur bedingt erfolgversprechend ist. Letztlich ist davon auszugehen, daß sich die herrschende Meinung angesichts des eindeutigen Wortlauts von Art. 4 GG bewußt ist, daß die Einzelverbürgungen abgegrenzt werden müßten, man der Abgrenzung aber aus Gründen der Einfachheit und Praktikabilität aus dem Weg geht. Die Gegenauffassung dagegen grenzt ab, muß sich aber gleichzeitig eingestehen, daß diese Abgrenzung nicht konsequent eingehalten werden kann. So wird zwar einerseits angeführt, daß die Verfassung auch im Falle von "Religion" und "Weltanschauung" von inhaltlich klar voneinander zu unterscheidenden Begriffen ausgeht, andererseits wird dort aber eine juristisch faßbare Abgrenzung als unmöglich und daher entbehrlich empfunden. 109 Zumindest das gewichtige Wortlautargument kommt hier nur noch bedingt zum Tragen. Diese gewisse Inkonsequenz wiegt aber beispielsweise auch nicht schwerer als das Verständnis einiger Vertreter der herrschenden Meinung, die von einem einheitlichen Grundrecht der Religionsfreiheit ausgehen, jedoch zumindest die Gewissensfreiheit als eigenständige Garantie behandelnYo Im Ergebnis ist den Kritikern des Bundesverfassungsgerichts zuzustimmen, weil ihr Ansatz der methodisch richtige ist und die "nivellierende" Auslegung von der Religionsfreiheit als einheitlichem Grundrecht die Gefahr in sich birgt, daß die Grenzen des Rechts und der thematisch naheliegenden Rechte verwischt werden. Dem Grundrecht droht neben der Konturlosigkeit auch das Risiko, mißbräuchlich in Anspruch genommen zu werden, und den Gerichten, die immer noch das SelbstVgl. von Doemrning I Füsslein I Matz, in: JöR N.F. I (1951), 1,74. "Ungeachtet dessen legen es der objektive Wortlaut des Grundgesetzes und die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmungen im Lichte der deutschen religionsrechtlichen Verfassungstradition nahe, in diesen Einzelgewährleistungen ( ... ) vor allem auch im Interesse ihres rechtlichen Schutzes verschiedene Einze1bereiche, Stufen und Schichten des Gesamtgrundrechts der Religionsfreiheit mit Deutlichkeit voneinander abzuheben." Listl, in: HdbStKirchR, Bd. I, 439, 454. 108 Vgl. Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), 33, 51, der - in bezug auf die Gewissensfreiheit - auf die Mittel unserer modemen technischen Zivilisation hinweist, die sehr wohl dazu in der Lage sind, das forum internum zu zerstören oder außer Funktion zu setzen. 109 Vgl. Muckei, Religiöse Freiheit, S. 135 ff. 110 Siehe oben 4. Teil, § I 11 4 a). 106 107
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
verständnis der Religionsgemeinschaften als entscheidendes Kriterium für die Frage, ob der Schutzbereich betroffen ist oder nicht, gelten lassen, werden kaum Prüfungskriterien auferlegt, anhand derer sie diese wichtige Frage zu beantworten haben. Möglicherweise ist infolge dieser Konturenlosigkeit sogar zu befürchten, daß die grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 4 GG leerlaufen. 111 Daher muß man den beschwerlichen Weg der Abgrenzung der Einzelverbürgungen gehen,112 unter Inkaufnahme der angesprochenen Unsicherheiten im Rahmen der Subsumtion. Dem kann man nicht aus dem Weg gehen, nur weil die Abgrenzung zuweilen "müßig erscheint". I 13 Grundrechtsschutz kann sich nur wirksam entfalten, wenn seine Voraussetzungen klar zutage treten. 114
5. Christliche Prägung des ReligionsbegritTs Darüber hinaus ist fraglich, ob der historischen Auslegung Anzeichen dafür zu entnehmen sind, daß der Schutz des Art. 4 GG ausschließlich oder zumindest vornehmlich den christlichen Lehren gelten soll. a) Problemstellung
Hintergrund dieser Frage ist die von Rechtsprechung 1l5 und Literatur l16 immer häufiger geforderte Schutzbereichsbegrenzung der Religionsfreiheit angesichts des zunehmenden gesellschaftlichen Einflusses des Islam 1l7 und vor allem der sogenannten "Sekten" und "Jugendsekten", 118 denen häufig eine Kommerzialisierung Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, S. 202. Maßgeblich dafür sind Regeln der Verfassungsinterpretation. Vgl. Mückl, in: Der Staat 2001,96, 109: "Vor dieser nach der jeweiligen grundrechtlichen Gewährleistung differenzierenden und analytisch korrekten Methode hält die pauschalisierende These des BVerfG von der angeblich extensiv auszulegenden Religionsfreiheit nicht stand." 113 So Dreier-Morlok, GG, Bd. 1, Art. 4 Rdn. 31. 114 Mückl, in: Der Staat 2001,96,107. 115 Vgl. etwa BVerwGE 90,112,116 ff.; BAG JZ 1995,951,952 ff. 116 Betterrnann 1Nipperdey 1Scheuner-Hamel, Die Grundrechte, Bd. IV 11, S. 77 ff.; Isensee, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 19 (1985), 142 ff. In diese Richtung wohl auch Kästner: "Ein Grundrecht, auf das man sich systembedingt mißbräuchlich berufen kann, wird auflängere Sicht diskreditiert." JZ 1998, 974, 975. 117 Nach übereinstimmenden Auskünften des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden und des Zentralrats der Muslime in Deutschland e.Y. dürften sich derzeit hierzulande ca. 3 Millionen Muslime befinden. Diese Zahl basiert auf Statistiken zu Ausländern aus Herkunftsländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit sowie zu deutschen Muslimen (inklusive eingebürgerter Muslime); Stand 31. 12. 1998. 118 Vgl. dazu etwa Hummel, in: Essener Gespräche 19 (1985), S. 64 ff.; Haack, Jugendreligionen, 1979; Scholz: Probleme mit Jugendsekten, 1993; Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1985), S. 111 ff.; Franz, in: NVwZ 1985, 81 ff.; Müller-Küppers 1Specht, 111
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der Religiösität vorgehalten wird. 119 Die Befürworter einer solchen Begrenzung empfinden diese als notwendig, weil nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Religion oder Weltanschauung zu betrachten ist, das Selbstverständnis der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften von maßgeblicher Relevanz sein soll. 120 Zwar genießt auch nach dieser Auffassung nicht jede Sekte per se den Schutz des Grundgesetzes, weil die Behauptung, eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zu sein, erst noch plausibel gemacht werden muß. Darunter ist zu verstehen, daß es sich auch nach dem geistigen Gehalt und dem äußeren Erscheinungsbild um eine Religion oder Religionsgemeinschaft handeln muß. 121 Aber dennoch ist es bereits VOn entscheidender Bedeutung, ob man das Selbstverständnis zum ausschlaggebenden Kriterium für Maß und Grenze des Grundrechtsschutzes bestimmt. Denn, wie Burmeister richtig bemerkt, ist die Plausibilität der Behauptung eine für die meisten Gruppierungen "nicht besonders schwer erfüllbare Voraussetzung". 122 Überdies hilft auch der Aspekt der Einschränkbarkeit auf der Ebene der (verfassungsimmanenten) Schranken nicht wirklich weiter. Wurde der Grundrechtstatbestand nämlich einmal akzeptiert, dann kann den Grundrechtsfolgen prinzipiell nicht mehr ausgewichen werden. 123 Das Verhalten gilt dann zunächst als grundrechts ge schützt. Ihm muß bei einer Abwägung mit den gegenläufigen Interessen Rechnung getragen werden, das heißt auch das VOn dem Selbstverständnis geleitete Verhalten muß bei der Abwägung zu optimaler Wirksamkeit gelangen und darf nicht dauerhaft übergangen werden. 124 Zudem knüpft das Grundgesetz zuweilen an das Bestehen einer Religion oder Weltanschauung an, ohne daß es überhaupt auf einen Schrankenvorbehalt ankäme. So stünde nach der Feststellung, daß eine Gruppierung nach ihrem plausibel dargelegten Selbstverständnis eine Religions- oder Weltanschauungs gemeinschaft ist, der Verleihung des Körperschaftsstatus oder der Errichtung einer Bekenntnis- oder Weltanschau"Neue Jugendreligionen", 1979; SchölI, Handbuch Jugendreligionen, 1981. Allgemein dazu auch Abel, in: NJW 1997,426 ff.; NJW 1999,331 ff.; NJW 2001, 410 ff. Daß dies ein weltweites Phänomen ist, führt Witte aus, vgl. Witte, in: Cumberland Law Review 31 (2000), 619 f. 119 Vgl. Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1985), I I 1,119 ff., der im Detail erläutert, wie einige der Sekten ihre Mitglieder durch "Psychowucher" oder "Gottfindung zu horrenden Preisen" ausbeuten und dadurch nicht selten die Mittel beschaffen, um ganze wirtschaftliche Unternehmen betreiben zu können. Es mehren sich im Gegenzug jedoch auch Stimmen, die in der Diskussion um dieses neue religiöse Phänomen eine wahre "Hysterie" erblicken wollen, vgl. nur Kriele, in: ZRP 1998,231 ff.; 349 ff. 120 BVerfGE 24, 236, 247. Zustimmend etwa Janz/Rademacher, in: NVwZ 1999, 706, 709; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 62; Müller-Volbehr, in: DÖV 1995,301,304. 121 BVerfGE 83, 341, 353. 122 Burmeister, in: FS für Günther Winkler, 139, 146. 123 Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 30 f.; ebenso Muckei, Religiöse Freiheit, S.9. 124 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 10; Alexy: Theorie der Grundrechte, S. 152. 13*
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
ungsschule im Sinne des Art. 7 Abs. 5 GG grundsätzlich nichts mehr im Wege, sofern die entsprechenden Anträge gestellt wurden. 125
b) Befürworter des christlich geprägten Religionsbegriffs
Aus Sicht der Befürworter eines christlich geprägten Religionsbegriffs zwingt die geistesgeschichtliche und politische Tradition des Grundgesetzes zu der Einschränkung des Kreises derer, die sich auf Art. 4 GG berufen dürfen. Die Festschreibung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit basiere auf den Grundsätzen christlicher Naturrechtslehre, die bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates entscheidend miteingeflossen seien. 126 Die Begriffe und Institutionen der Verfassung seien aus der konkreten historischen und politischen Situation und Tradition Mittel- und Westeuropas erwachsen und daher in einem christlich geprägten Horizont entstanden. Dies müsse sich auf den Begriff der Religion zumindest derart auswirken, daß die hergebrachten Formen des Christentums den Schutzbereich des Art. 4 GG absteckten. 127 Es stehe nirgendwo geschrieben, daß das Grundgesetz seinen Rechtsbegriff der Religionssoziologie entnommen habe und darunter "unbedingt jedes exotische und jedes modische religiöse Phänomen sowie der Buddhismus in seinen sämtlichen Erscheinungen, angefangen von der sinnlichsten und frömmsten Volksreligion bis hin zur sublimsten, areligiösen Philosophie, subsumiert werden müßte".128 Nach Harnel könne der Staat über (andere) Religionen überhaupt nur urteilen, wenn ihm ein Verständnis zugrunde liege, das auf absoluten vorgegeben Ordnungswerten basiere. 129 Allein die säkulare ratio verleihe keine allgemein anerkannten Maßstäbe, mit deren Hilfe gewisse Handlungen wie Sklaverei, Menschenopfer oder Kinderehe verboten werden könnten. Das Fundament unserer Gesellschaft sei ein christliches; Freiheit des Bekenntnisses sei daher nur in diesem Rahmen möglich. 130
c) Grundsätzliche Offenheit des Religionsbegriffs
Das Bestreben dieser Ansicht, viele der sogenannten Jugendreligionen vom Schutz des Art. 4 GG auszuschließen, ist sicherlich nachvollziehbar. Allerdings ist die historische Argumentation dazu nicht das geeignete Mittel. Zuzustimmen ist 125 MuckeI, Religiöse Freiheit, S. 10. Vgl. zu den Voraussetzungen der Verleihung des Körperschaftsstatus 3. Teil, § 3 IV 3c) aa). 126 Vgl. Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, S. 61 ff.; Krebs, Hoheitliche Äußerungen, S. 45 (i.E. allerdings anderer Auffassung). 127 Isensee, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 19 (1985),142,144. 128 Isensee, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 19 (1985),142,143 f. 129 Bettermann / Nipperdey / Scheuner-Hamel, Die Grundrechte, Bd. IV / 1, S. 78. 130 Bettermann/Nipperdey / Scheuner-Hamel, Die Grundrechte, Bd. IV /1, S. 79 f.
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Isensee zwar insofern, als nicht nur unsere Verfassung, sondern unser gesamtes Wertesystem in christlicher Tradition steht. 131 Dieser Umstand war zweifellos nicht nur prägend für die Vorstellungen der am Verfassungsgebungsverfahren beteiligten Mitglieder, sondern ist immer noch bedeutsam für das Rechtsgefühl der heutigen Interpreten. Der überragende Teil unserer Bevölkerung entnimmt - bewußt oder unbewußt - die moralischen Maßstäbe seines Handeins christlicher Glaubenslehre, selbst wenn man in Einzelheiten von ihnen abweicht oder sie für nicht mehr zeitgemäß hält. Dies ist für die Beurteilung dessen, was unter "Religion" fällt, sicher nicht außer acht zu lassen. Auf der anderen Seite gilt es, den kontinuierlichen Entwicklungsprozeß weg von Staatskirche und Bikonfessionalität hin zur staatlichen und gesellschaftlichen Akzeptanz der Pluralität der Bekenntnisse zu berücksichtigen. 132 In Kenntnis der mangelnden staatlichen Neutralität und der offensichtlichen Bevorzugung der Hauptkonfessionen wurde bereits in Weimar nach einem System gesucht, was zwar auf der einen Seite dem tatsächlichen überragenden Einfluß der Großkirchen gerecht wird, aber auf der anderen Seite den Mitgliedern sämtlicher kleinerer Religionsgemeinschaften das Recht zur freien Betätigung einräumt, fernab staatlicher Bestimmung und Einflußnahme. Die Religionsfreiheit sollte allem religiös motivierten Verhalten zugute kommen. Als besonders schutzbedürftige Grundrechtsempfänger mußten jedoch in erster Linie die Angehörigen kleiner Glaubensgemeinschaften gelten. Art. 4 GG ist geschichtlich nicht zuletzt als Antwort auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus zu verstehen. 133 Die damaligen Beeinträchtigungen der Religionsausübung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft betrafen zwar alle Konfessionen, die Minderheit der jüdischen Gemeinde jedoch mit Abstand am härtesten. Die Religionsfreiheit sollte mithin zuvörderst ein Recht der Minderheiten sein. Dies war und ist die Lektion der Geschichte. Der diesbezüglich zutage getretene Wille der Verfassungsväter läßt trotz der Tatsache, daß unser Kulturkreis beispiellos christlich geprägt ist, keine andere Deutung zu. Gestützt wird diese historische Erkenntnis durch eine systematische: Auch die Verpflichtung des säkularen Staates zu religiös-weltanschaulicher Neutralität l34 zwingt zu pluralistischer Offenheit; der neutrale Staat darf nicht unterstellen, alle Bürger seien dem Christentum verbunden, sowenig er mit einem strengen Trennungssystem davon ausgehen darf, alle Bürger seien religionslos.1 35 Die verfassungsrechtlichen Begriffe hat er nach allgemeingültigen, nicht nach konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten zu interpretieren. 136 Daraus 3. Teil, § 3 IV 3c) bb). Vgl. hierzu Bock, in: AöR 123 (1998), 444, 448. 133 Vgl. BVerfGE 24, 236, 245. 134 Siehe hierzu bereits 3. Teil, § 3 III 2 b). 135 Schlaich, in: Kirche und Staat, 427, 441; 445 f. 136 Zustimmend etwa Schmitt-Kammler (im Zusammenhang mit der "Kruzifix"-Problematik): "Sofern in die Verfassungsessenz christliches Gedankengut eingegangen sein sollte, 131
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folgt das durch den Grundsatz der Neutralität als "dem Maßstab der Verfassung unterliegende Offenheit des Staates für Religion und Weltanschauungen bei gleichzeitiger Nichtidentifikation,,137 auferlegte Verbot, den Schutzbereich von Art. 4 GG nach Maßgabe christlicher Wertvorstellungen abzustecken. 138 6. Ergebnis
Somit ist als Ergebnis der historischen Auslegung festzuhalten: Bei der Frage dessen, was unter "Religion" zu verstehen ist, hatte der Verfassungsgeber sicher das vor Augen, was das Christentum zumindest als ungefähren Rahmen vorgibt. Das Verständnis derer, die die Religionsfreiheit in Deutschland zur Verfassungsgarantie erhoben, war von christlicher Wertetradition geprägt. Aus diesem Grunde wird man Zippelius zustimmen müssen, daß nach unseren christlich geprägten Wertvorstellungen als wirkliche Extrembetätigungen anzusehende Tätigkeiten, wie etwa Polygamie, Tempelunzucht, Menschenopfer und Witwenverbrennung, selbst wenn sie aus religiöser Überzeugung heraus ausgeübt werden, nicht den Schutz des Art. 4 GG beanspruchen können. 139 Dies ergibt sich zumindest aus der historischen Auslegung der Norm. Allerdings wird an späterer Stelle noch zu prüfen sein, ob sich diese Auslegung auch unter systematischen Gesichtspunkten l40 vertreten sowie mit dem objektiven Telos der Bestimmung vereinbaren läßt. 141 Was im übrigen als eine solche "Extrembetätigung" zu bewerten ist, ist Auslegungsfrage, die nur von dem Richter im Einzelfall entschieden werden kann. 142 Außerhalb dieser Extremfälle gebietet die historische Auslegung jedoch, daß jedem einzelnen Gläubigen die Ausübung seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen grundsätzlich eingeräumt wird, und zwar gerade auch dann, wenn er sich zu einer Glaubensgemeinschaft von Andersdenkenden zählt, deren Praktiken jedenfalls nach christlichem Verständnis als "fremd" und "anders" erscheinen. Deshalb bedeutet die Anerkennung der christlichen Grundlagen dieser Gesellschaft gilt dieses Gedankengut nicht in seiner Eigenschaft als christliches Gebot, sondern in seiner Eigenschaft als positiv gewordener Inhalt der staatlichen Verfassung. Dazu gehört aber jedenfalls nicht die Symbolik einer von mehreren vorhandenen Religionsgemeinschaften." Schmitt-Kammler, in: FS für Karl Heinrich Friauf, 343, 345. 137 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 80 f. 138 Siehe dazu auch 4. Teil, § I IV 4. 139 BK-Zippelius, Art. 4 Rdn. 85. In diesen Extremfällen kämen jedoch auch die Vertreter eines wesentlich extensiveren Religionsbegriffs zum gleichen Ergebnis, weil sie im Zweifel den einmal gewährten Schutz auf der Ebene der Schranken wieder begrenzen würden. Zu praktischen Unterschieden führen diese Fälle mithin nicht. 140 Siehe hierzu insbesondere 4. Teil, § 1 III 1 f.). \4\ 4. Teil, § I IV 4. \42 Dabei kann er freilich keine freie Bestimmungsmacht ausüben, sondern hat die "aktuelle Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und allgemeines wie auch religionswissenschaftliches Verständnis" zugrunde zu legen. BVerfGE 83, 341, 353; BAG JZ 1995,951,952.
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auch weder, daß der Inhalt der Religions- und Weltanschauungsfreiheit für neue Entwicklungen verschlossen würde,143 noch die Mißachtung der Tatsache, daß die religiös-ethischen Anschauungen in besonderem Maße den allgemeinen geistigen Strömungen und dem Wandel der Zeit unterliegen. 144 Die These Harnels, daß Religion im Sinne des Art. 4 GG nur die christliche sei,145 ist damit aus historischer Sicht unhaltbar. Was die Frage der Subsumtion der sogenannten Jugendsekten unter den Begriff der "Religion" anbelangt, so zeigt sich hier ein klassisches Problem der historischen Interpretation. Die angesprochene Problematik ist nämlich ein "neues religiöses Phänomen in der Bundesrepublik", 146 das der Gründerzeit der Verfassung noch gänzlich fremd war. Daß sich viele Gruppierungen heute in Wahrheit unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit wirtschaftlich betätigen, vielfach sogar über den wachsenden gesellschaftlichen Einfluß auch die politische Kontrolle anstreben und dabei oft in ihren Mitteln zu skrupellosem Zwang und Druck gegenüber den Mitgliedern neigen, ist eine Tendenz, die erst lange nach Verabschiedung des Grundgesetzes einsetzte und von dem Verfassungsgeber nicht voraussehbar war. Sie wurde erst ermöglicht durch die zunehmende Säkularisierung der westlichen Gesellschaften und der damit einhergehenden Abkehr vom Christentum. In das dadurch eingetretene spirituelle und religiöse Vakuum gelang es den neuen Gemeinschaften einzufallen. Insofern mag man, wie gesagt, dem grundsätzlichen Bedürfnis nach einer Verkürzung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit, um derartige Gruppierungen von dem Schutz des Art. 4 GG auszunehmen, zwar zustimmen. Die historische Auslegung dient dabei, wie gezeigt, jedoch nicht als geeignetes Mittel. Möglicherweise liefern jedoch systematische und teleologische Interpretation entsprechende Anhaltspunkte. Die historische Auslegung hat jedoch auch gezeigt, daß Art. 4 I, 11 GG nicht lediglich ein einheitliches Grundrecht der Religionsfreiheit enthält, sondern aus mehreren Einzelverbürgungen besteht. Neben den Grundrechten der Glaubensfreiheit, der Religionsausübungsfreiheit und der Bekenntnisfreiheit enthält es das separate Grundrecht der Gewissensfreiheit. Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung nach Art. 4 III GG wird im Rahmen dieser Abhandlung nicht weiter untersucht.
143 Zu diesem Vorwurf siehe Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, S. 66; Krebs, Hoheitliche Äußerungen, S. 46. 144 Vgl. Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1985),111,115. Die aktuelle Lebenswirklichkeit muß schließlich auch vom Richter berücksichtigt werden, wenn er entscheidet, ob ein Extremfall in dem angesprochenen Sinne vorliegt. 145 Bettermann / Nipperdey / Scheuner-Hamel, Die Grundrechte, Bd. IV /1, S. 77 ff. 146 MuckeI, Religiöse Freiheit, S. 3.
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III. Systematische Auslegung 1. Schutzbereich
Aus systematischer Sicht ist der Schutzbereich der Religionsfreiheit sehr weit zu verstehen. Der Blick auf das Grundgesetz veranschaulicht zunächst, daß sich die Norm nicht mehr - wie noch zu Zeiten der Weimarer Verfassung - in dem Komplex der Normen befindet, die das Verhältnis von Staat und Kirche regeln. Durch seine exponierte Stellung im Grundrechtsteil der Verfassung soll Art. 4 GG offenkundig eine herausragende Bedeutung zukommen. Darüber hinaus zeigt der Vergleich mit den anderen Bestimmungen des Gesetzes, daß die Religionsfreiheit auch nicht mehr, wie noch in Art. 135 WRV, durch einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt eingeschränkt ist. Unabhängig von der Frage, ob dies gleichbedeutend ist mit der Uneinschränkbarkeit der Norm, kommt dadurch jedenfalls zum Ausdruck, daß die Religionsfreiheit ein Recht von besonderem Gewicht ist. Im Hinblick auf die historischen Erfahrungen kam es dem Verfassungs geber ungeachtet der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Verfassungs bestimmungen deutlich sichtbar darauf an, der Religionsfreiheit eine gewisse Sonderrolle einzuräumen und die Einschränkung der Religionsfreiheit immer dann zu verbieten, wenn dies unter gesamtverfassungsrechtlichen Gesichtpunkten noch vertretbar erscheint. Die Entfaltung der Religionsfreiheit soll der Regelfall sein, dessen Einschränkung die absolute Ausnahme. Dieser Eindruck findet unterstützende Rechtfertigung durch den Umstand, daß die Religionsfreiheit nicht nur nicht verwirkt werden kann nach Art. 18 GG, sondern sogar über Art. 4 GG hinaus durch weitere verfassungsrechtliche Sonderregelungen ausdrücklich geschützt ist. Für den Verfassungsinterpreten ergibt sich dadurch das dringende Gebot extensiver Auslegung. 147 Aus systematischen Erwägungen ergeben sich auch die Abgrenzungskriterien der einzelnen Verbürgungen. Die jeweiligen Grundrechte grenzen sich in ihrem Anspruch auf Eigenständigkeit nicht zuletzt selbst voneinander ab; wenn das Verhalten eines Grundrechtsträgers vom Schutzbereich mehrerer Grundrechte beziehungsweise grundrechtsgleicher Rechte erfaßt wird, so wird in einer systematischen Betrachtung zu ermitteln sein, ob eines der Grundrechte als lex specialis eingestuft werden kann, das dann das oder die gleichsam betroffenen Grundrechte verdrängt. Entscheidend ist stets, welches Grundrecht "nach seinem Sinngehalt die stärkere sachliche Beziehung zu dem zu prüfenden Sachverhalt" aufweist. 148 Im Rahmen dieses Grundrechts werden dann die spezifischen Gehalte des verdrängten Grundrechts mitberücksichtigt. 149 Voraussetzung dafür ist jedoch zunächst die möglichst konkrete Ermittlung des spezifischen Gehalts der EinzeIverbürgungen.
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BVerfGE 24, 236, 246. BVerfGE 64,229,238 f.; 67, 186, 195. BVerfGE 13,290,296 ff.; 65, 104, 113.
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a) Glaubensfreiheit
Die Glaubensfreiheit umfaßt, insbesondere in Abgrenzung zur Bekenntnisfreiheit, lediglich das forum internum; es wird die Freiheit gewährleistet, zu glauben oder nicht zu glauben, ohne daß der Staat auch nur im Vorstadium der Glaubensbildung hierauf Einfluß nehmen dürfte. 150 Geschützt ist demnach auch der Zugang zu den Hilfsmitteln, wie etwa entsprechende Schriften, die zu der Bildung des Glaubens benötigt werden. l5l Obwohl es auf den ersten Blick kaum möglich erscheint, die Bildung einer Glaubensvorstellung zu verhindern oder zu erzwingen, besteht in den Zeiten heutiger Kommunikationsmittel gleichwohl Schutzbedarf vor Glaubenszwang, Indoktrination und Gehirnwäsche. 152 Solch drastischer Mittel bedarf es aber gar nicht; man wird bereits dann einen Eingriff in die Glaubensfreiheit bejahen müssen, wenn der Einzelne von staatlicher Seite der Gefahr der Manipulation seines Glaubens ausgesetzt wird. Wie das Bundesverfassungsgericht in dem Kruzifix-Beschluß zutreffend ausführte,153 ist dies bei schulpflichtigen Kindern im Hinblick auf ihre mangelnde Reife und der daraus resultierenden Beeinflußbarkeit bereits dann anzunehmen, wenn sie permanent mit religiösen Symbolen eines anderen Bekenntnisses konfrontiert werden. 154 Aus dem Gesagten ergibt sich, daß das Recht neben einer positiven auch eine negative Komponente hat; der Einzelne besitzt zugleich die Freiheit zu einer areligiösen, antireligiösen und glaubens- bzw. weltanschauungs skeptischen Überzeugung. 155 Notwendig gehört hierzu auch die Glaubenswahlfreiheit mit ihren Vorstadien. Die Gebote der Neutralität und der Parität verhindern, daß hinsichtlich des Inhalts des Glaubens unterschieden werden darf. Die Glaubensfreiheit kommt in dem gleichen Maße den Angehörigen kleiner Glaubensgemeinschaften zu. Dabei macht es auch keinen Unterschied, ob sich der Glaube eher auf die Lehre einer Religion oder einer Weltanschauung bezieht. Da Art. 4 GG neben der Freiheit des religiösen Bekenntnisses auch die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses schützt, soll die Gedankenfreiheit auch in beide Richtungen garantiert sein, 150
Sachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 23; leand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 75.
151 Friauf I Höfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 18.
152 Dreier-Morlok, GG, Art. 4 Rdn. 35. Vgl. dazu auch Gasper/Müller/Valentin-Hemminger, Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen, Sp. 854 ff., in bezug auf die Manipulierbarkeit des Bewußtseins. 153 BVerfG N1W 1995,2477,2479. 154 Im Gegensatz zu Wilms, der diesbezüglich keinen Eingriff zu erkennen vermag, ist hierin sicherlich kein bloßer "Appell" zu erblicken. Er verkennt, daß angesichts dieser Manipulierbarkeit für die Kinder - und die dadurch ebenfalls betroffenen Eltern - die Situation bereits objektiv "unerträglich" ist. Vgl. Wilms, in: FS für Kriele, 341, 347 ff. A.A. auch Friauf/Höfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 45; leand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 113. 155 Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 143.
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da das Bekennen des Glaubens notwendig auch dessen vorherige Bildung voraussetzt. 156
b) Bekenntnisfreiheit Die Bekenntnisfreiheit gewährt die Befugnis, religiöse und weltanschaulich motivierte Überzeugungen in der Öffentlichkeit zu vertreten. Geschützt wird das Äußern, das Aussprechen einer Glaubensüberzeugung, allerdings nur im Wege geistiger Kommunikation. 157 Als religiöse Meinungsäußerung in diesem Sinne ist die Bekenntnisfreiheit lex specialis zu Art. 5 GG. 158 Umfaßt ist etwa die Werbung für einen religiösen Glauben oder eine weltanschauliche Überzeugung, einschließlich des Rechts auf Abwerbung von einem anderen Glauben. 159 Nicht geschützt ist sowohl die über die verbale oder zeichenhafte Glaubensäußerung hinausgehende gesamte Ausrichtung der Lebensführung nach der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung, als auch die bloße Zurschaustellung religiöser Symbole, wie etwa das Tragen eines Kopftuchs oder Tschadors l6o oder die Glaubenswerbung durch die Gewährung von Genußmitteln. 161 Ein solches Verhalten geht ebenfalls über den Schutzbereich der Bekenntnisfreiheit hinaus und ist sachlich dem Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit zuzuordnen. Anders wäre dies nur, wenn die genannten Handlungen zum Zwecke des Bekenntnisses im Sinne einer religiösen Meinungsäußerung geschehen. Bei der Beurteilung dessen kommt es auf das Selbstverständnis des Einzelnen und nicht auf den Eindruck, der in seinem sozialem Umfeld entsteht, an. 162 Die negative Bekenntnisfreiheit schützt das Recht, die eigene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung nicht zu offenbaren. Sie ist etwa berührt bei Fragen nach der Religionszugehörigkeit, zum Beispiel für die Eintragung auf der Lohnsteuerkarte oder bei der Aufnahme in staatliche Anstalten. 163 Entgegen der wohl Muckei, Religiöse Freiheit, S. 139. Abel, in: Engstfeld/Haack, u. a., Juristische Probleme, 34, 38; Muckei, Religiöse Freiheit, S. 146. 158 Stein/Frank, Staatsrecht, S. 258; AK-GG-Preuß, Art. 4 Abs. 1,2, Rdn. 19. 159 Friauf / Höfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 22. 160 Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 146; differenzierter ders. jetzt aber in Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 23. Danach soll das Tragen besagter Kleidungsstücke durch die Bekenntnisfreiheit geschützt sein, wenn es zum Zwecke des Bekenntnisses im Sinne einer religiösen Meinungsäußerung geschehe. Entscheidend hierfür sei das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers. Für die generelle Einordnung dieses Verhaltens unter die Bekenntnisfreiheit dagegen Jeand'Heur / Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 77. Nach Mückl stellt das bloße Tragen von Kopftuch und Schleier eine Form der geistigen Kommunikation dar, was nach seiner Auffassung sogar die Subsumtion unter Art. 5 I GG rechtfertigt. Mückl, in: Der Staat 2001, 96,120. 161 BVerfGE 12,1,4 f.; Abel, in: Engstfeld/Haack, u. a., Juristische Probleme, 34, 38. 162 FriauflHöfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 23. 163 Friauf / Höfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 25. 156 157
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herrschenden Auffassung l64 tritt Art. 4 GG hier aber gegenüber dem spezielleren Art. 140 GG i.Y.m. Art. 136 III I WRV zurück, der eben nicht nur verfassungsdeklaratorische - und damit überflüssige - Verdeutlichung der in Art. 4 I GG gewährleisteten negativen Bekenntnisfreiheit ist, sondern eigenständige Bedeutung hat.
c) Religionsausübungsfreiheit Die in Art. 4 11 GG gewährleistete Religionsausübungsfreiheit umfaßt zunächst unstrittig die sogenannten kultischen Handlungen und die Beachtung und Ausübung religiöser Bräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen und Glockenläuten. 165 Da diese Verhaltensweisen jedoch in der Regel christlicher Natur sind, das Grundrecht aber grundsätzlich in gleicher Weise den anderen Religionsgemeinschaften zugänglich ist,166 muß auch darüber hinausgehendes, in die Öffentlichkeit getragenes religiöses Verhalten geschützt werden. So wird man auch den Bau von Moscheen, Minaretten und Tempeln als Akt der Religionsausübung einordnen müssen. 167 Das Verhalten muß sich aber stets messen lassen an den Vorgaben der religiösen Gemeinschaft, der der Grundrechtsträger angehört,168 was zugegebenermaßen dann Schwierigkeiten bereitet, wenn eine Glaubensgemeinschaft erst im Entstehen begriffen ist. Auch diesen Gruppierungen darf sich das Grundgesetz nicht per se verschließen. Das bloße Äußern einer religiösen Meinung ist nicht vom Schutzbereich des Art. 4 11 GG umfaßt. Insofern ist, wie bereits ausgeführt, die Bekenntnisfreiheit die speziellere Verbürgung. Auch im Rahmen der Religionsausübungsfreiheit tritt Art. 4 GG in bezug auf den Schutz der negativen Seite, jedenfalls in wichtigen Aspekten, gegenüber Art. 140 GG zurück. Der über Art. 140 GG inkorporierte Art. 136 IV WRV bestimmt nämlich, daß niemand zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden darf.
d) Gewissensfreiheit Verhalten, das dem Schutz der Gewissensfreiheit unterfällt, geht typischerweise auf eine vorherige Gewissensentscheidung zurück. Als eine solche GewissensentVgl. nur Listl, in: HdbStKirchR, Bd. I, 439, 456. von Münch I Kunig-Mager, GG, Art. 4 Rdn. 54 ff.; leand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 79. 166 Siehe 4. Teil, § 1 11 5. 167 Friauf I Höfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 30. 168 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 153. 164
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scheidung hat das Bundesverfassungsgericht "jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von "Gut und Böse" orientierte Entscheidung" angesehen, "die der einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte".169 Besonderer Wert ist dabei zu legen auf den "affektiven Druck", der einer Gewissensentscheidung innewohnen muß und der bei einer Mißachtung der Gewissensempfehlung einen ernsten Gewissenskonflikt auszulösen droht. Bloße "Gewissensbedenken", die das Selbstverständnis des Einzelnen nicht wirklich erschüttern, genügen nicht. 17o Allerdings muß der innere Druck auch nicht pathologische Ausmaße annehmen; 17l hier wäre nicht mehr VOn einer gewissensgeleiteten Entscheidung, sondern von einer krankheitsbedingten zu sprechen. Trotzdem können sich noch gewisse Überschneidungen zur Glaubensfreiheit oder auch zur Bekenntnisfreiheit ergeben. Bei nicht religiös motiviertem Gewissenshandeln greift allein die Gewissensfreiheit ein; so viel ergibt sich bereits aus der historischen Auslegung. l72 Bei Gewissensentscheidungen aufgrund religiöser oder weltanschaulicher Überzeugung 173 kann jedoch nicht per se VOn einem Vorrang der Glaubens-, der Bekenntnis- oder der Religionsausübungsfreiheit ausgegangen werden. Hier ist die Gewissensfreiheit ebenso einschlägig. 174 Im einzelnen wird im Rahmen der teleologischen Auslegung 175 zu prüfen sein, ob sich noch weitere Kriterien zur genaueren Bestimmung des Schutzbereichs der Gewissensfreiheit finden lassen.
e) Eingrenzung des Schutzbereichs durch das Kriterium der Verfassungskonformität
Die Problematik um die sogenannten Jugendsekten und die Schwierigkeiten bei der Definition des Begriffs der "Religion" haben dazu geführt, daß eine Eingrenzung des Schutzbereichs vornehmlich aus systematischer Sicht gefordert wird. Dies nicht zuletzt im Hinblick darauf, daß sich diese Gruppierungen "in den allermeisten Fällen" als Sondergesellschaften und jeweils als Gegenentwurf zur BVerfGE 12,45, 55. Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), 33, 64. 171 Herdegen, in: HdbStKirchR, Bd. 1,481,488. 172 Vgl. 4. Teil, § 1 11 3. 173 Es steht außer Frage, daß eine Gewissensenstscheidung auch religiös motiviert sein kann. Aus dem Grunde ist es auch nicht ganz richtig, von der Gewissensfreiheit als einer "Art nichtreligiöser Ergänzung zur Glaubens- und Religionsfreiheit" zu sprechen. So aber Maunz/Dürig-Herzog, GG, Art. 4 Rdn. 123; Abel, in: Engstfeld/Haack, u. a., Juristische Probleme, 34, 37. 174 Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), 33, 50; Kästner, in: JZ 1998,974,980; Muckei, Religiöse Freiheit, S. 155. 175 Siehe 4. Teil, § I IV 2. 169 170
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Gesamtgesellschaft verstehen, und ihr Modell als unverzichtbare Struktur einer kommenden "geretteten" oder "idealen" Gesellschaft betrachten. 176 Es gehöre zu den "konstituierenden Eigenschaften einer Religion oder Weltanschauung im Sinne des Grundgesetzes", daß sich ihre wesentlichen Lehren und Praktiken mit den tragenden Grundsätzen der Verfassung und Grundentscheidungen des Verfassungsgebers in Einklang befinden. 177 Insbesondere die sachliche Nähe zu Art. 9 11 GG gebiete es, einer Gemeinschaft den Status einer Religion oder Weltanschauung zu versagen, wenn diese die freiheitlich demokratische Grundordnung gefahrdeten. Allerdings sei zwischen unerheblichen verfassungswidrigen Randerscheinungen und zentralen verfassungswidrigen Tendenzen zu unterscheiden; nur wenn die verfassungsfeindlichen Bestrebungen einer Gruppe einen wesentlichen Teil ihrer Doktrin darstellten, sei der Gemeinschaft die Grundrechtsfähigkeit aus Art. 4 GG abzusprechen. 178 Wenngleich dieser Auffassung im Ergebnis insoweit zuzustimmen ist, daß eine Gruppe, die etwa nur kriminell in Erscheinung tritt, regelmäßig nicht den Schutz von Art. 4 GG wird beanspruchen können,179 so ist sie doch aus verfassungssystematischen Gründen insgesamt abzulehnen. Als Abwehrrechte gegen den Staat kann der Schutz der Grundrechte grundsätzlich nicht von einer verfassungskonformen Gesinnung des Grundrechtsträgers abhängig gemacht werden. 180 Das derzeit herrschende grundrechtsdogmatische Aufbauschema "Schutzbereich - Eingriff Schranken" macht den Grundrechtsmißbrauch als eigenständige Rechtsfigur entbehrlich; er hat außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 18 GG, der genau für den Fall geschaffen wurde, daß Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Ordnung mißbraucht werden, keine selbständige Bedeutung. 181 Eine allgemeine Pflicht zur Verfassungstreue ist dem Grundgesetz nicht zu entnehmen. 182 Einem Grundrechtsmißbrauch durch die Verletzung rechtlich geschützter Interessen Dritter oder der Allgemeinheit kann am sinnvollsten durch eine Aktualisierung der jeweiligen Grundrechtsschranken oder verfassungsimmanter Schranken begegnet werden. 183 Zudem ändern auch verfassungsfeindliche Aktivitäten nichts daran, daß zunächst einmal das Religiöse im Mittelpunkt der gemeinsamen Überzeugung der Mitglieder steht. 184 Aus dem Grunde ist auch Müller- Volhehr zu widersprechen, Abel, in: Engstfeld/Haack, u. a., Juristische Probleme, 34, 45 f. Obermayer, in: ZevKR 27 (1982), 253, 262; Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1985), 111, 130; Loschelder, in: Essener Gespräche 20 (1986), 149, 159. Vgl. auch Scholz, in: NVwZ 1992, 1152, 1154. 178 Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1985), 111, 131 f. 179 Siehe unten 4. Teil, § 1 IV 3. 180 Fehlau, in: JuS 1993,441,444 f. 181 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 205. 182 Stern, Staatsrecht, Bd. III 12, § 88 III 3. 183 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 205 f. 176 177
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wenn er dafür eintritt, in den Fällen nichtverfassungskonfonnen Verhaltens gleichennaßen tatbestandliche Grenzen zu setzen wie bei überwiegend kommerziellem oder politischem Tätigwerden einer Gemeinschaft. 185 Während objektiv wirtschaftliches oder politisches Streben als vorrangige Gesinnung nämlich ausschließt, daß ein glaubens geleitetes Handeln noch vorliegt, kann ein Tätigwerden, das gegen die obersten Werte der Verfassung verstößt, abhängig von der Lehre der Glaubensgemeinschaft, doch nach wie vor auch immer religiös motiviert sein. f) Veifassungsimmanente Grenzen des Gewaltverbots und der Rechte Dritter
Eine andere Beurteilung wird teilweise verlangt, wenn religiös motiviertes Verhalten gegen Verfassungswerte verstößt, die scheinbar bereits offenkundigen Vorrang genießen und ein Schutz nach Art. 4 GG daher möglicherweise ebenso offenkundig system widrig wäre. Als notwendige Folge des staatlichen Gewaltmonopols wird vornehmlich die Anwendung von Gewalt l86 als immanente Schutzbereichsbegrenzung aufgefaßt. 187 Grundrechte könnten niemals Rechtsgrund für die Anwendung von Gewalt sein; die Rechte des Opfers und die Position des gewalttätigen Störers seien keine vergleichbaren Größen, die in eine Abwägung gestellt werden könnten. 188 Zudem könne der modeme Verfassungsstaat eine Relativierung der Friedenspflicht seiner Bürger nicht akzeptieren. 189 Denkbar sei sogar, den gewalifreien Angriff auf den Bestand des Staates als Grenze der Grundrechtsausübung aufzufassen, weil der Staat das Recht habe, die Grundprinzipien seiner Staatsgestaltung gegen alle Angriffe zu verteidigen. 190 Aus ähnlichen Erwägungen erwiesen sich auch die Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 I GG und das Recht auf Leben aus Art. 2 11 1 GG als Begren184 Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 292; Abel, in: Engstfeld/Haack, u. a. Juristische Probleme, 34,46. 185 Vgl. Müller-Volbehr, in: EssenerGespräche 19 (1985), 111, 133. 186 Bereits aus Gründen der Rechtssicherheit ist darunter - entgegen des zuweilen sehr extensiv interpretierten strafrechtlichen Gewaltbegriffs - lediglich der körperlich wirkende Zwang gegenüber Personen zu verstehen. Das Werfen mit Farbbeuteln ist danach Gewalt, der bloße Sitzstreik nicht. Vgl. Mucke], Religiöse Freiheit, S. 209 ff. 18? So etwa Herdegen, Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, S. 198 ff.; Steinberger, Konzeption und Grenzen, S. 597 f.; Isensee, in: Festschrift für H. Sendler, S. 39 f.; FriauflHöfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 17; ders. jetzt auch ausführlich in: FS für Hartmut Schiedermair, 347, 353 ff. 188 Isensee, Diskussionsbeitrag, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 22 (1988), 148, 150; MuckeI, Religiöse Freiheit, S. 213. 189 MuckeI, in: FS für Hartmut Schiedermair, 347, 354. 190 Dies solle jedoch nur in den begrenzten Regelungsbereichen der Verfassung möglich sein, wie etwa innerhalb des von Art. 9 II, 18, 21 II GG vorgegebenen Rahmens. Ein allgemeiner Vorbehalt der "Verfassungstreue" existiere dagegen nicht. Zu alldem MuckeI, in: FS für Hartmut Schiedermair, 347, 355 f.
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zung des Schutzbereichs. 191 Dies sei mit ihrer "herausgehobenen Stellung"l92 zu rechtfertigen. Die Menschenwürdegarantie eigne sich nicht zur Herstellung eines "schonenden Ausgleichs", eine Abwägung wäre hier unredlich. 193 Gleiches gelte für das menschliche Leben wegen seiner engen thematischen Beziehung zur Menschenwürde. Da ohne das Leben kein Grundrecht ausgeübt werden könne, sei es auch "allgemeinste, elementarste Grundrechtsvoraussetzung".194 Dieser Auffassung ist insofern zuzustimmen, als die Verfassung ein teleologisches Sinngebilde ist, das einheitlich zu betrachten ist. Dort, wo Rechtsgüter von Verfassungsrang zumindest im Ergebnis offenkundig Vorrang beanspruchen können, spricht zunächst nicht viel dagegen, diese Gewichtung bereits auf der Ebene des Tatbestandes zu treffen und damit zugleich die richtungsweisende Wertentscheidung zu treffen, daß gewisse Verhaltensweisen per se nicht den Schutz von Art. 4 GG beanspruchen können. Allerdings ist es gerade nicht Aufgabe der systematischen Auslegung, eine Art "Rangliste" der Verfassungsnormen aufzustellen, um dadurch im Einzelfall auf eine Abwägung verzichten zu können. Das Grundgesetz geht vielmehr von der prinzipiellen Gleichwertigkeit seiner Normen aus. Kollidieren sie, ist festzustellen, welcher Norm im Einzelfall Vorrang zukommt. Die Gegenauffassung sieht selbst, daß auf diese Abwägung nicht verzichtet werden kann, etwa um festzustellen, wann überhaupt ein Verstoß gegen die Menschenwürde voliegt. 195 Zwar weist sie darauf hin, daß es auch Fälle gebe, die "keinem Zweifel" unterlägen,196 aber hier wird auch die Abwägung knapp und unproblematisch sein. Demnach wird der Abwägungsprozeß lediglich auf die Ebene des Tatbestandes vorverlagert. Im Ergebnis ist mit der Gegenauffassung also nichts gewonnen. Im Sinne einer "strukturell einheitlichen Lösung,,197 und dem zuvor Ausgeführten 198 spricht mithin nichts dafür, von der gängigen Prüfung dieser gegenläufigen Verfassungsbelange auf der Ebene der Schranken abzurücken. Die Unsicherheiten, die durch die richterlichen Abwägungen entstehen, werden durch die Vorgehensweise der Gegenauffassung nicht beseitigt, sondern nur anders verortet. Da eben keine abstrakte Wertigkeitsrangfolge der Grundrechte besteht, ist auch nicht mit Bestimmtheit zu sagen, welche Verfassungsgüter einen generellen Vorrang verdienen. Überdies mag im Einzelfall ein solches Gut gar nicht eindeutig tangiert sein, was die Unsicherheiten verstärkt. So wird bei der Verfechtung des allgemeinen Vgl. Mückl, in: Der Staat 2001,96, 113. Friauf / Höfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 17. 193 Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 31 ff.; Muckei, in: FS für Hartmut Schiedermair, 347, 357. Vgl. auch Höfling, in: JuS 1995,857,859; Tettinger, in: JZ 1983, 317, 320. 194 Kloepfer, Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2,405,412. 195 Vgl. Muckei, Religiöse Freiheit, S. 216. 196 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 216. 197 Stern-Sachs, Staatsrecht, Bd. III/2, § 81 V 1 b). 198 Vgl. 4. Teil § 1 III 1 e). 191
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Friedlichkeitsvorbehalts etwa wie selbstverständlich die Möglichkeit der Notwehr vom Gewaltverbot ausgenommen,199 obgleich selbst in der strafrechtlichen Literatur heftig umstritten ist, wann eine Handlung als solche überhaupt angesehen werden kann?OO Zuletzt unterliegt die Gegenauffassung auch der Gefahr, den Begriff der Religionsausübung wieder mit einem christlich geprägten Vorverständnis auszufüllen. Es erscheint konsequenter, jedes nachweisbar religiös motivierte Verhalten zunächst dem Schutz des Art. 4 GG zu unterstellen und erst auf der Ebene der Schranken die Fälle, die die Gegenmeinung bereits im Vorfeld auszusondern gedenkt,201 entsprechend zu beurteilen.
2. Schranken Ausgehend von der Verpflichtung zur extensiven Auslegung des Grundrechts gilt es zu klären, ob das Grundrecht wirklich schrankenlos - wie von dem Wortlaut nahege1egt - gewährleistet ist. Dies liefe auf eine dauernde Privilegierung der Religionsfreiheit gegenüber anderen Verfassungs garantien hinaus, und zwar unabhängig von der Frage, ob das Recht im Einzelfall im Kernbereich oder nur peripher tangiert ist, und der Frage, welche anderen Rechte gegebenenfalls gleichzeitig betroffen sind. Selbst unter Berücksichtigung der angesprochenen besonderen Rolle der Religionsfreiheit im Gefüge des Grundgesetzes wäre dies jedoch ein untragbares Ergebnis. Jeder Rechtsordnung liegt ein überindividueller Charakter zugrunde, der die unbegrenzte Freiheit des Einzelnen ausschließt. 202 Im Falle der Religionsfreiheit wird dieser Gedanke besonders aktuell im Hinblick auf den sehr extensiv zu verstehenden Schutz bereich und der Frage, was im Einzelfall noch als religiöse Betätigung anzusehen ist, was nicht immer leicht zu beantworten sein wird. Daher muß auch das grundsätzlich geschützte religiöse Verhalten im Einzelfall einschränkbar sein, um seinem überindividuellen Charakter gerecht werden zu können. Hinsichtlich der Problematik, unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist, werden verschiedene Meinungen vertreten. Einigkeit besteht nur hinsichtlich der Tatsache, daß sich angesichts des unbegrenzt gewährleisteten Grundrechts der Religionsfreiheit die Schranken aus dem Grundgesetz selbst ergeben, sie durch das Grundgesetz selbst legitimiert sein müssen. Gesetzliche Einschränkungen haben Isensee, in: Festschrift für H. Sendler, 39, 52; Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 217. So zu Recht der Hinweis von Stern-Sachs, Staatsrecht, Bd. III/2, § 81 IV 4 b) Fn. 222. Beispielhaft führt er die Fragen an, die im Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeit von Notwehrhandlungen diskutiert werden. Vgl. dazu nur Tröndle / Fischer, StGB, § 32 Rdn. 4 ff. 201 Muckel erwähnt hier beispielhaft die gewaltsame Beseitigung der staatlichen Ordnung, etwa in einem heiligen Krieg, gewaltsame Missionen und Körperverletzungen, wie die Prügelstrafe in Koranschulen, die gewaltsame Durchsetzung von Bekleidungsvorschriften oder die Beschneidung von Mädchen. Friauf / Höfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 17. 202 HbdStR-von Campenhausen, Band VI, § 136 Rdn. 79. 199
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demnach nur dann Bestand, wenn sie sich als Ausgestaltung einer Begrenzung erweisen, die im Grundgesetz selbst enthalten ist. 203
a) Schrankenleihe Im Zusammenhang mit Art. 4 GG wurde immer wieder vorgeschlagen, zur Bestimmung der Schranken des Rechts auf die Schranken anderer Grundrechtsverbürgungen zurückzugreifen?04 Dabei hat man vor allem eine entsprechende Anwendung der in Art. 5 11 GG und Art. 2 I GG enthaltenen Schranken erwogen. 205 Diese Auffassung kann sich in erster Linie darauf berufen, daß in den Beratungen des Grundsatzausschusses der für den Wegfall des Gesetzesvorbehaltes plädierende Süsterhenn offenbar davon ausging, daß die Freiheit der Religionsausübung nur im "R~men der öffentlichen Ordnung" garantiert sei und zugleich dem Vorbehalt von Art. 2 I GG unterstehe. 206 Der Forderung einer entsprechenden Anwendung von Art. 5 Abs. 2 GG hingegen liegt zumeist der Hinweis auf die thematische Nähe von Meinungs- und Bekenntnisfreiheit zugrunde. Das OLG Düsseldorf etwa hat der Glaubensfreiheit ganz allgemein die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung gezogen, weil hier dasselbe gelte wie bei dem Grundrecht der Entfaltung der Persönlichkeit. 207
b) Verfassungsimmanente Schranken Nach dem Bundesverfassungsgericht und einer weit verbreiteten Auffassung in der Literatur zeigt sich die Notwendigkeit der Begrenzung scheinbar uneinschränkbarer Grundrechte gerade dann, wenn Grundrechte des Einzelnen auf der einen und Rechte Dritter sowie der Verfassung auf der anderen Seite kollidieren?08 Dann müsse der einen oder anderen Seite der Vorzug eingeräumt werden. In dem Falle müsse eines der betroffenen Rechtsgüter schon zwangsläufig zurücktreten. Das eine Grundrecht oder ein sonstiges verfassungsrechtlich geschütztes Gut avanciere dann zur verfassungsimmanenten Schranke des anderen Grundrechts. 209 HbdStR-Isensee, Band I, § 13 Rdn. 142; III, § 57 Rdn. 126. Zur Diskussion der Schrankenleihe vgl. BVerfGE 32, 98, 107; Scheuner, in: DÖV 1967,585,589 f. 205 BFHE 166, 315, 318; Hess. StGH DÖV 1966, 52, 54; OLG Düsseldorf NJW 1966, 1933; Maunz I Dürig-Herzog, GG, Art. 4 Rdn. 91,114 ff. 206 Vgl. 4. Teil, § I 11 2. 207 OLG Düsseldorf NJW 1966, 1933. 208 Vgl. Kind, Die rechtlichen Grenzen der Glaubenswerbung, S. 35 ff.; von Münch/Kunig-Hemmrich, GG, Art. 140 Rdn. 7 ff.; Trute, in: Jura 1996,462,466; Dreier-Morlok, GG, Art. 4 Rdn. 89 ff.; Sachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 87 ff.; Halfmann, in: NVwZ 2000, 862, 863; Winter, Staatskirchenrecht, S. 75 f. 209 Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. I Rdn. 37 f. 203
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Eine solche Begrenzung verlange methodisch zunächst die Benennung und Spezifizierung der mit Art. 4 GG kollidierenden Verfassungsposition. 210 Es müsse festgestellt werden, ob sich die geltend gemachte Beschränkung aus der Verfassung selbst ergebe. Anschließend seien die betroffenen Rechtsgüter im Wege einer Abwägung, der sogenannten praktischen Konkordanz,211 unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung zu einem verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen?12 Ziel sei es, diesen Ausgleich mit dem Ziel zu verfolgen, alle Rechtspositionen zu möglichst großer Wirksamkeit gelangen zu lassen?13 Dabei dürfe allerdings der "uneinschränkbare Kernbereich" der Religionsfreiheit, der in dem Schutz der inneren religiösen Überzeugung zu sehen sei, durch die staatlich-hoheitliche Gewalt niemals angetastet werden?14 Unterschiedlich wird im Rahmen dieser Auffassung lediglich beurteilt, ob die auf kollidierendes Verfassungsrecht gestützte Begrenzung des Grundrechts der Ermächtigung durch ein Gesetz bedarf215 oder eher nicht. 216 c) Art. 140 GG i. v.m. Art. 136 Abs. 1 WRV
Nach einer weiteren Auffassung steht die in Art. 4 Abs. 1 und 2 gewährleistete Religionsfreiheit unter dem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt in Art. 140 GG i.Y.m. Art. 136 Abs. 1 WRy' 217 Hiernach werden die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt. Der Gegenauffassung um das Bundesverfassungsgericht wird vorgeworfen, zwar einerseits die durch Art. 140 GG inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung als "vollgültiges Verfassungsrecht" zu erklären, das gegenüber den übrigen Artikeln des Grundgesetzes nicht auf einer Stufe minderen Ranges stehe, aber andererseits festzulegen, daß nur nach Maßgabe der in Art. 4 Abs. 1 getroffenen Wertentscheidung zu beurteilen sei, welche staatsbürgerlichen Pflichten im Sinne des Art. 136 Abs. 1 WRV gegenüber dem Freiheitsrecht Dreier-Morlok, GG, Art. 4 Rdn. 93. Dreier-Morlok, GG, Art. 4 Rdn. 93. 212 Sachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 90. 213 Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 124. 214 Listl, in: HdbStKirchR, Bd. I, 439, 467. 215 In diesem Sinne etwa Jarass 1Pieroth, GG, Art. 4 Rdn. 19; Dreier-Morlok, GG, Art. 4 Rdn.94. 216 Dieser Ansicht wohl zugeneigt BVerfG NJW 1989,3269,3270; BVerwG NJW 1991, 1770, 1770 ff. 217 So vor allem Muckel, Religiöse Freiheit, S. 224 ff.; ders. in: NWVBl. 1998, 1, 3; HbdStR-von Campenhausen, Band VI, § 136 Rdn. 82; Herdegen, in: HdbStKirchR, Bd. I, 481,496; AK-GG-Preuß, Art. 4 Rdn. 29; Bock, in: AöR 123 (1998),444,469 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn. 46; Kästner, in: JZ 1998, 974, 982; SachsEhlers, GG, Art. 140 Rdn. 4 u. Art. 140/136 WRV Rdn. 1; Müller-Freienfels, in: JZ 1964, 344,346; wohl auch Starck, in: JZ 2000, 1,7, sowie jetzt auch das Bundesverwaltungsgericht jüngst in seinem Urteil zum sog. Schächten, BVerwG NJW 2001 1225, 1226 f. 210
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aus Art. 4 Abs. 1 mit staatlichem Zwang durchgesetzt werden dürften. Dies sei ein unüberbrückbarer Widerspruch, weil die Norm des Art. 136 Abs. 1 WRV dadurch praktisch für bedeutungslos erklärt werde?18 Zudem stehe das Bundesverfassungsgericht vor der Schwierigkeit, besonders bei lediglich einfachgesetzlichen, die Religionsfreiheit einschränkenden Regelungen nachweisen zu müssen, daß auch gerade diese Norm Ausdruck eines verfassungsrechtlich anerkannten Belanges ist, der gegenüber der Religionsfreiheit den Vorrang genießt. 219 Unter Berufung auf die geschichtliche Entwicklung der Norm 22o deutet diese
Ansicht die in Art. 136 Abs. 1 WRV aufgeführten "staatsbürgerlichen Pflichten" als qualifizierten Gesetzesvorbehalt, der die Ausübung der Religionsfreiheit von der Beachtung der "allgemeinen Gesetze" abhängig macht. Art. 136 I WRV sei nämlich schon zu Weimarer Zeiten als Wiederholung des in Art. 135 Satz 3 WRV normierten Vorbehalts der "allgemeinen Staatsgesetze" angesehen worden. In Anlehnung an Art. 5 GG seien darunter die Gesetze zu verstehen, die sich nicht gegen Glauben, Bekenntnis, Weltanschauung oder Religionsausübung als solche wenden, sondern die Religionsfreiheit aus allgemeinen, nicht gegen den Gedankeninhalt gerichteten Gründen beschränken?21 Maßgeblich sei der gesetzgeberische Zweck; es dürfe sich nicht um eine "durch religionspolitische Erwägungen beeinflußte staatliche Regelung" handeln. 222 Letztlich ermittelt diese Auffassung anhand einer wertenden Auslegung in Gestalt der vom Bundesverfassungsgericht im LüthUrteil 223 zur Schrankenproblematik der Meinungsfreiheit entwickelten Leitlinien, welche Pflichten im Einzelfall Vorrang vor der Religionsausübung beanspruchen dürfen. 224 d) Regelungszusammenhang von Art. 4 GG und Art. 140 GG
Mit der insoweit nahezu einhelligen herrschenden Meinung ist die Ansicht von der "Schrankenleihe" abzulehnen, weil sie auf eine Nivellierung des differenzierten Schrankensystems innerhalb der Freiheitsgrundrechte hinausläuft. Zudem leugnet diese Ansicht den mittlerweile kaum mehr angezweifelten Charakter von Art. 2 218 Ehlers, in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, 85, 110; v. MangoldtlKlein/Starck-v.Camphausen, GG, Art. 136 WRV Rdn. 6; Herdegen, in: HdbStKirchR, Bd. 1,481,496. 219 MuckeI, in: German Yearbook oflntemational Law 41 (1998),299,305. 220 AK-GG-Preuß, Art. 4 Rdn. 29 f. 221 MuckeI, in: NVWBI. 1998, 1,3. Anhand der Diskussion um die Zulässigkeit des muslirnischen Gebetsrufs nennt Muckel hierbei etwa die Regelungen des Immissionsschutzrechts und des Straßenverkehrsrechts. Des weiteren zählen dazu etwa die Normen des Gewerberechts, des Schulrechts, des Familienrechts, des Beamtenrechts und des Friedhofrechts über das Bestattungswesen, vgl. Friauf / Höfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 49 ff. 222 Mirbt, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 319, 350. 223 Vgl. BVerfGE 7, 198,208 ff. 224 HbdStR-von Campenhausen, Band VI, § 136 Rdn. 82.
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I GG als lex generalis;225 die Schranken des subsidiären Grundrechts auf die speziellere grundrechtliche Freiheitsverbürgung zu übertragen, ist aber schlechterdings undenkbar. Nicht zuletzt wird die Schranke der "verfassungsmäßigen Ordnung" in Art. 2 I GG extensiv im Sinne der verfassungsmäßigen Rechtsordnung ausgelegt; die Übernahme dieser Schranke hätte damit zur Folge, daß jedes verfassungsmäßige Gesetz den eigentlich vorbehaltlos garantierten Art. 4 GG einschränken könnte. 226 Art. 5 11 GG wiederum kommt bereits deshalb als Schranke nicht in Betracht, weil die für eine analoge Anwendung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke fehlt; die bloße "thematische Nähe" zu Art. 4 GG reicht nicht aus.2 27 Auch die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts geht fehl. Zwar verweist diese Auffassung nicht ganz zu Unrecht darauf, daß der Grundgesetzgeber die Glaubensund Gewissensfreiheit aus dem Zusammenhang der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung gelöst und ohne jeden Gesetzesvorbehalt in den an der Spitze der Verfassung stehenden Katalog unmittelbar verbindlicher Grundrechte aufgenommen hat. 228 Wiewohl dieses Argument von zweifelhaftem historischen Wert ist, kann ihm zumindest eine systematische Bedeutung nicht abgesprochen werden. Auf den ersten Blick spricht dies für eine auch inhaltliche Loslösung des Grundrechts der Religionsfreiheit von den staatskirchlichen Normen, die in Art. 140 GG verankert sind. Es rechtfertigt aber per se weder die Annahme, daß Art. 136 Abs. 1 WRV deswegen "nach Bedeutung und innerem Gewicht" von Art. 4 Abs. 1 GG überlagert wird, noch die Feststellung, daß die staatsbürgerlichen Pflichten im Sinne von Art. 136 Abs. 1 WRV allein nach Maßgabe der in Art. 4 Abs. 1 GG getroffenen Wertentscheidung bestimmt werden.2 29 Damit wird Art. 136 Abs. 1 WRV, der vollgültiges Verfassungsrecht darstellt,230 jede Bedeutung abgesprochen, die Norm um ihren eigenständigen Gehalt gebracht. Art. 4 GG muß sich genauso am Maßstab des Art. 140 GG messen lassen, wie dies umgekehrt der Fall ist. Die Bestimmungen bilden einen einheitlich zu verstehenden Regelungszusammenhang. 231 Dies entspricht nicht nur dem - vom Bundesverfassungsgericht selbst anerkannten Prinzip von der Einheit der Verfassung,232 dies ist geradezu zwingendes Ergebnis der systematischen Auslegung. Darüber hinaus versagt die Lösung des Bundesverfassungsgerichts gerade in dem von ihm selbst ausgerufenen Bemühen, die Glaubensfreiheit keiner "unbestimmten Güterabwägungsklausel,,233 zu unterwerfen. Wenn es die im Rahmen der Religionsfreiheit auftretenden Konflikte 225 226 227 228 229 230 231 232 233
Vgl. nur BVerfGE 32, 98, 107. Vgl. Sachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 86. Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, S. 30. BVerfGE 33, 23, 31; Janz/Rademacher, in: NVwZ 1999,706,709. So in BVerfGE 33, 23, 31. HbdStR-von Campenhausen, Band VI, § 136 Rdn. 82. Badura, in: HdbStKirchR, Bd. I, S. 211, 241. Siehe 2. Teil, § 2 II 1. So in BVerfGE 33, 23, 29.
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"nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung,,234 zu lösen gedenkt, tritt es in eine ebenso freischwebende wie unbestimmte Güterabwägung ein, die es eigentlich zu vermeiden trachtet. Vorzugswürdig ist demnach die Ansicht, nach der Art. 140 GG i.Y.m. Art. 136 Abs. I WRV die Schranke der in Art. 4 GG garantierten Religionsfreiheit konstituiert.
e) Typisierende Güterabwägung im Rahmen von Art. 140 GG i. v.m. Art. 136 Abs. 1 WRV Bei der Frage nach dem materiellen Gehalt der Schranke des Art. 136 Abs. I WRV ist zunächst anzuknüpfen an den Begriff der "allgemeinen Gesetze" in Art. 5 Abs. 2 GG. In Ansehung des gesetzgeberischen Konflikts, auf der einen Seite nach Art. lAbs. 3 GG an die Grundrechte gebunden zu sein, diese auf der anderen Seite aber durch Schrankenziehung auch zu begrenzen, hat das Bundesverfassungsgericht für Art. 5 GG eine sog. "Wechselwirkung" zwischen Grundrecht und allgemeinem Gesetz konstatiert. Allgemeine Gesetze seien ihrerseits aus "der Erkenntnis der Bedeutung" dieser Grundrechte "im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und so in ihrer diese Grundrechte beschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken".235 Notwendig sei eine fallbezogene Güterabwägung zwischen dem beeinträchtigten Grundrecht und den Interessen, die mit den allgemeinen Gesetzen verfolgt werden. 236 Fraglich ist, ob eine solche einzelfallbezogene Abwägung auch im Rahmen von Art. 4 GG gerechtfertigt erscheint. 237 Zu Recht werden der Wechselwirkungslehre nämlich eine Vielzahl von Bedenken entgegengebracht. Aus Gründen der Logik wird etwa angeführt, daß "eine das Grundrecht beschränkende Norm" nicht "in der Reichweite der Beschränkung wegen der inhaltlichen Wertigkeit des grundrechtlichen Rechtsguts beschränkt werden" kann. 23B Das Bundesverfassungsgericht ignoriere die Tatsache, daß der Verfassungsgeber ganz dezidierte Entscheidungen bezüglich der Einschränkbarkeit der Grundrechte getroffen habe. Die Unterschiede zwischen Grundrechten mit und ohne Gesetzesvorbehalt bzw. zwischen solchen mit einfachem und solchen mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt würden schlichtweg "weginterpretiert,,239 bzw. "ausgeblendet",240 wenn deren Vorgaben durch BVerfGE 32, 98, 108. BVerfGE 71, 206, 214. 236 BVerfGE 35, 202, 223 ff.; 85, I, 16. 237 Zuweilen zeigt sich die Tendenz innerhalb der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, in derartiger Form auch im Rahmen von anderen Freiheitsrechten abzuwägen, so etwa bei Art. 8 GG, vgl. BVerfGE 69, 315, 348 f. Schmitt Glaeser sieht es sogar als erwiesen an, daß das höchste Gericht bei allen Freiheitsrechten auf diese Art und Weise verfahre, in: AöR 97 (1972), 276, 280 f. 238 Hamann/Lenz, GG, Art. 5 Anm. 9, S. 195 f.; in dem Sinne auch üssenbühl, in: Der Staat 10 (1971),53,73 f.; Schmitt Glaeser, in: AöR 97 (1972), 276, 280. 239 Schmitt Glaeser, in: AöR 97 (1972), 276, 280. 234 235
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eine Abwägung des Grundrechts mit gegenläufigen Belangen ersetzt würden, und zwar ohne daß für diese Einzelabwägung bislang überhaupt verläßliche Kriterien gefunden worden wären?41 Die Ansicht des Gerichts führe überdies zu einer wesentlichen Kompetenzverlagerung vom Gesetzgeber, der eigentlich das Organ ist, dem die Verfassung in den Gesetzesvorbehalten das Recht einräume, zu bestimmen, ob und wie ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, auf die Gerichte. Wenn diese eine rein einzelfallbezogene Interessenabwägung durchführen dürften, werde der Gesetzesvorbehalt auf Kosten der Rechtssicherheit zu einem "Urteilsvorbehalt,,?42 Aus dem Grunde fordern die Gegner der Wechselwirkungslehre, daß über den Einzelfall hinausgehende Abwägungsbelange in die Verhältnismäßigkeitsprüfung miteinzubeziehen sind. 243 Von einer rein einzelfallbezogenen Interessenabwägung sei überzugehen zu einer abstrakt-generellen Rechtsgüterabwägung. Hierzu bedürfe es typischer Abwägungsgesichtspunkte, die man durch Herausbildung von Fallgruppen erhalte, an denen sich der Verfassungsinterpret zu orientieren habe. Bemühe sich das Bundesverfassungsgericht zunächst um verallgemeinerungsfähige Ergebnisse und anschließend um die verstärkte Achtung der allgemeingültigen Inhalte früherer Entscheidungen, verleihe das der Abwägung Stringenz und Berechenbarkeit. 244 Dieser Argumentation ist vorbehaltlos zuzustimmen. Zwar dient die nivellierende Einzelabwägung des Bundesverfassungsgerichts wohl in erster Linie dem berechtigten Ziel, die verfassungsrechtlichen Garantien wiederum nicht vollständig dem politischen Belieben des Gesetzgebers zu überlassen und ein größtmögliches Maß an Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten. Dieses Anliegen kann jedoch nicht dadurch erreicht werden, daß man die Bestimmung der Verfassungs schranken in das Belieben der Judikative stellt. Wie Mucke! zu Recht betont, sind - subjektiv geprägte - Abwägungen angesichts der im Grundgesetz angelegten Konfliktlagen nie ganz auszuschließen,245 sie sind jedoch weitestgehend zu objektivieren oder jedenfalls nach Möglichkeit zu vermeiden. Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung ist in der aufgezeigten abstrakten Ermittlung der Grundrechtsschranken zu erblicken; im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist danach zu fragen, ob das einschränkende Gesetz die grundrechtliche Freiheit übermäßig weit zurückdrängt, was durch eine wertende Gegenüberstellung auf abstrakter Ebene zu beantworten ist. 246 Literatur und Rechtsprechung 240
Muckei, Religiöse Freiheit, S. 239.
241 Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 239. Lerche, Übennaß und Verfassungsrecht, S. ISO. Muckei, Religiöse Freiheit, S. 241 ff.; Oeter, in: AöR 119 (1994), 529, 541 f.; Ossenbühl, in: Der Staat 1971,53,80. 244 Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 249. 245 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 245. 246 Im Grundsatz gilt auch hier, daß in den Kembereich nur unter engeren Voraussetzungen eingegriffen werden kann als bei Handlungen an der Peripherie des Grundrechts. Vgl. dazu Müller-Volbehr, in: DÖV 1995,301,307. 242 243
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sind dabei angehalten, Fallgruppen zu entwickeln, wie sie in Ansätzen auch bereits vorhanden sind?47 Damit diese auch in das Bewußtsein der Rechtsanwender gelangen und ein gewisses Maß an Rechtssicherheit erlangt werden kann, ist die Rechtsprechung darüber hinaus zur verstärkten Achtung von Präzedenzfällen aufgerufen. Dies entspricht nicht nur dem wichtigen Grundsatz des "judicial selfrestraint", sondern dient auch in erheblichem Maße der Rechtssicherheit aller.
f) Schranken der Gewissensfreiheit Es liegt nahe, die Schrankenregelung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV auch für das Grundrecht der Gewissensfreiheit anzuwenden, da diese nicht mehr oder weniger schutzwürdig erscheint, als die Glaubens-, Bekenntnis- oder die Religionsausübungsfreiheit. Die Einzelverbürgungen erscheinen vielmehr als gleichwertige Freiheiten, die "wegen der Gleichheit der Interessenlage" auch den gleichen Schranken zu unterwerfen sind?48 Argumentativ ließe sich für diese Ansicht anführen der Vergleich mit Art. 2 11 1 GG; dort steht die Gewährleistung der physischen Unversehrtheit insgesamt unter einem Gesetzesvorbehalt in Art. 2 11 3 GG. Wegen der Gleichwertigkeit der Rechtsgüter könnte Gleiches für den Schutz der seelischen Integrität in Art. 4 I GG und der dortigen Schrankenziehung gelten. 249 Eine solche Auslegung verbietet sich jedoch im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Art. 136 Abs. 1 WRV bezieht sich ausdrücklich nur auf die Ausübung der Religionsfreiheit. Daß die Gewissensfreiheit jedoch bereits aus historischer Sicht kein Bestandteil der Religionsfreiheit ist, wurde bereits aufgezeigt. 25o Im übrigen greift der Vergleich mit Art. 2 11 GG bereits deshalb nicht durch, weil die "seelische Integrität" in Art. 4 GG nur zu einem Bruchteil abgesichert wird. So sind etwa auch und vor allem Art. 1 und Art 2 11 1 GG selbst dem Schutz der Psyche zu dienen bestimmt. 251 Insofern ist eine vereinheitlichte Schrankensystematik im Rahmen des Art. 4 GG abzulehnen. Für die Gewissensfreiheit als vorbehaltlos garantiertem Grundrecht gelten vielmehr die aus der Verfassung selbst begründeten Schranken, namentlich aus Grundrechten Dritter und anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern. 252 Im letzteren Falle stellt sich vor allem die Frage, wie der Kreis der dafür in Betracht kommenden Verfassungsnormen zu bestimmen ist. Die "Sicherung von Staat und Verfassung" als pauschaler Schutzbelang zählt dazu jedenfalls 247 248 249 250 251 252
Ausführlich dazu Muckei, Religiöse Freiheit, S. 247 ff., insbesondere S. 250 ff. Vgl. Betterrnann, Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 28 (1970),128,129. Herdegen, in: HdbStKirchR, Bd. I, 481, 496. Siehe 4. Teil, § I II I a); 3. Muckei, Religiöse Freiheit, S. 257 f. BVerfGE 28, 243, 261.
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nicht?53 Allerdings werden immer wieder die Vorschriften des Staatsorganisationsrechts herangezogen, um den Verfassungsrang einzelner Belange zu begründen. So finde etwa die "Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken" ihre verfassungsrechtliche Absicherung durch die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. Ha GG,254 die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG wiederum rechtfertige Eingriffe in die Religionsausübungsfreiheit zum Wohle des Tierschutzes. 255 Die kompetenzrechtliche Erwähnung eines Belanges durch das Grundgesetz führe zu dessen grundsätzlicher verfassungsrecht licher Anerkennung und Billigung. Damit könne auch dessen Verfassungsmäßigkeit nicht ohne weiteres in Frage gestellt werden. 256 Dies ergebe sich nicht zuletzt aus dem Prinzip der Einheit der Verfassung. 257 Dieser Argumentation ist jedoch nicht zuzustimmen, weil sie zum einen in der Konsequenz bedeutet, daß vorbehaltlos garantierte Grundrechte unter einen ungeschriebenen Gesetzesvorbehalt gestellt werden, dessen Ausfüllung noch dahinsteht. 258 Zum anderen ist die Einheit der Verfassung hier im Regelfall gar nicht betroffen. Nur ausnahmsweise, nämlich wenn eine Kompetenznorm nur bei gleichzeitiger Einschränkung eines Grundrechts vom Gesetzgeber aktualisisiert werden kann und die Kompetenzvorschrift ansonsten leerliefe, ist das Prinzip tangiert. 259 Gleiches gilt für den Fall, daß das Grundgesetz dem Staat außerhalb der Kompetenzvorschriften vereinzelt Aufgaben zuweist, deren Erfüllung zu einer faktischen Grundrechtsbegrenzung führt. 260 Darüber hinaus bleibt es aber bei dem Grundsatz, daß Gemeinwohlbelange grundrechtliche Freiheiten nur einschränken können, wenn dies ein Gesetzesvorbehalt ausdrücklich vorsieht.
In erster Linie kann die Gewissensfreiheit durch kollidierende Grundrechte Dritter beschränkt werden. Dabei ist darauf zu achten, daß die Freiheit beider betroffener Grundrechte in größtmöglichem Maße gewährleistet wird. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn das vorbehaltlos garantierte Grundrecht mit einem unter Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrecht kollidiert. Nach der Wesentlichkeitstheorie, die zu einer Geltung des allgemeinen Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes für alle Entscheidungen, die für das Zusammenleben im Staate wesentlich sind, führt,261 bedarf es zur Einschränkung eines Grundrechts aber einer gesetzlichen 253 254 255 256 257 258
Vgl. dazu ausführlich Muckei, Religiöse Freiheit, S. 261 ff. BVerfGE 53, 30, 56. OVG Hamburg NVwZ 1994,592,594 f.; Kluge, in: ZRP 1992,141,143 f. BVerfGE 53, 30, 56. Vgl. Selk, in: JuS 1990,895,896, m.w.Nachw. in Fn. 18. Muckei, in: NJW 2000,689,691.
Muckei, in: NJW 2000, 689, 691; ders. in: Religiöse Freiheit, S. 265. Als Hauptbeispiel nennt Muckel in diesem Zusammenhang Art. 7 Abs. 1 GG. Der Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates führe zwangsläufig zu einem Spannungsverhältnis mit dem Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 II GG, gegebenenfalls auch mit den Grundrechten der Eltern aus Art. 4 I, II GG. Mucke!, in: NJW 2000, 689, 691. 261 BVerfGE 58, 257, 268; Baader, in: JZ 1992,394,394 f. m.w.Nachw. 259 260
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Grundlage?62 Sodann ist ein Ausgleich der widerstreitenden Interessen im Sinne einer praktischen Konkordanz herzustellen. Problematisch ist hierbei, daß ein "schonender Ausgleich" im Bereich der Gewissensfreiheit nur sehr schwer zu erreichen sein wird, eine Kompromißlösung mithin kaum möglich ist. 263 Wenngleich er nicht dazu verpflichtet ist, könnte der Staat diese Problematik entschärfen, wenn er die Verwirklichung der Gewissensfreiheit im Einzelfall an eine gewissensschonende Bedingung knüpft. 264 Durch die Bereitstellung einer Verhaltensalternative wird auch demjenigen etwas abverlangt, dessen Gewissensbetätigung gesichert wird. So kann auch hier ein schonender Ausgleich erreicht werden, was nicht zuletzt im Sinne des aus Art. 4 I GG folgenden "Wohlwollensgebots,,265 ist. Dieses bietet etwa die Möglichkeit, die Gewissensentscheidung bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und der Ausübung von Ermessen in Ansatz zu bringen. 266
3. Kollektive Religionsfreiheit Aus historischer Sicht liegt der Beginn der Idee der religiösen Freiheit nicht in dem Gedanken rein individueller Freiheit, sondern in dem der Toleranz, des Nebeneinanders mehrerer Bekenntnisse. 267 Der Schutz der kollektiven Seite der Religionsfreiheit ergibt sich aber auch aus einer teleologischen Erwägung: Gerade der religiöse Glaube äußert sich zumeist in Gemeinschaft und Gemeinschaftsbildung, er kann sich gerade auch in gottesdienstlicher und gemeinschaftlicher Verbindung erfüllen?68 a) Religiöse Vereinigungsjreiheit Die von Art. 4 GG gelöste und in Art. 140 GG i.Y.m. Art. 137 Abs. 2 WRV gesondert gewährleistete religiöse Vereinigungsfreiheit beinhaltet das Recht, sich zum Zwecke gemeinsamer Betätigung der religiösen Überzeugung zu religiösen Vereinen und Religionsgemeinschaften zusammenzuschließen. Das Recht, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu bilden, wird dabei exklusiv über Art. 140 GG i.Y.m. Art. 13711, VII WRV geschützt. 269 Auch das Recht der religiöVgl. hierzu auch Muckei, in: JA 1995,343,346. Mucke!, in: NJW 2000, 689, 690; ders. in: Religiöse Freiheit, S. 259. 264 Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rdn. 42; Mucke!, in: NJW 2000, 689, 690. Beispiele hierfür sind der Ersatzdienst nach Art. 12a 11 1 GG und das freie Arbeitsverhältnis in einer Pflegeeinrichtung nach § ISa ZDG. 265 Vgl. BVerfGE 23,127,134. 266 MuckeI, in: NJW 2000, 689, 690; ders. in: Religiöse Freiheit, S. 261. 267 Scheuner, in: DÖV 1967,585,589. 268 Scheuner, in: DÖV 1967,585,589; Winter, Staatskirchenrecht, S. 11. 262 263
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
sen Vereinigungsfreiheit hat eine sogenannte negative Seite, nach der niemand verpflichtet ist, einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft anzugehören. Wahrend der Zustand nach Verlassen einer Religionsgemeinschaft allein dem Schutz des Art. 140 GG i.Y.m. Art. 137 11 WRV unterfällt, kann der Austritt aus einer solchen Gemeinschaft selbst auch ein Bekenntnisakt im Sinne von Art. 4 I GG sein. 27o Die in Art. 140 GG i.Y.m. Art. 138 Abs. 2 WRVerwähnten religiösen Vereine, die hinsichtlich der Pflege des religiösen Lebens ihrer Mitglieder nur eine partielle Zielsetzung haben 271 und nicht den Anspruch erheben, alle wesentlichen Fragen des menschlichen Daseins zu behandeln, sind nicht vom Wortlaut des Art. 137 WRV gedeckt. Die Bildung und der Bestand derartiger Zusammenschlüsse wird durch Art. 9 I, 11 GG garantiert,272 ihre Tätigkeit je nach deren Zielrichtung durch das jeweils sachlich einschlägige Grundrecht, vornehmlich aber durch Art. 4 I, 11 GG. 273
b) Verhältnis des Einzelnen zur Lehre seiner Religionsgemeinschaft Es ist heute unstreitig, daß auch Personengemeinschaften den Schutz von Art. 4 GG genießen. Da eine Mehrheit von Personen zwar begrifflich schon keinen "Glauben" haben kann, gilt dieser Grundsatz für das Grundrecht der Glaubensfreiheit zwar genauso wenig wie für die Gewissensfreiheit. 274 Eine Religionsgemeinschaft kann die religiöse Überzeugung ihrer Mitglieder jedoch nach außen tragen und dort vertreten, so daß Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit in diesen Fällen einschlägig sind. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts liegt der eigentliche Sinn von Art. 4 11 GG sogar darin, die besonders wichtige und historisch auch besonders gefahrdete kollektive Ausübung der von Art. 4 I GG gewährleisteten Rechte zu garantieren?75 269 Überwiegend wird der Zusammenschluß zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften noch als Bestandteil von Art. 4 GG angesehen, vgl. nur BVerfGE 83, 341, 355; Winter, Staatskirchenrecht, S. 103 f.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rdn. 23 f.; Sachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 44. Dogmatisch stringenter es erscheint jedoch, in Art. 140 GG i.V.m. Art. 13711, VII WRVeine Ergänzung von Art. 4 GG zu sehen, die zwar materiell eigenständig ist, verfassungsprozessual aber über Art. 4 GG geltend zu machen ist. Im Ergebnis unterscheiden sich die Ansichten jedenfalls nicht, vgl. Muckei, in: Religiöse Freiheit, S. 164 f. 270 BVerfGE 44,37,53; wohl auch Dreier-Morlok, GG, Art. 4 Rdn. 54; Muckei, Religiöse Freiheit, S. 167. 271 Muckei, in: HdbStKirchR, Bd. I, 827, 828. Dort auch eine beispielhafte Aufzählung religiöser Vereine. Der bekannteste unter ihnen dürfte wohl die "Caritas" sein. 272 Allerdings auch mit der Folge des Art. 9 Abs. 2 GG, sofern dessen Voraussetzungen gegeben sind. 273 v. Mangoldt/Klein/ Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn. 30. 274 Zu einem anderen Ergebnis kommen nur die, die in der Glaubensfreiheit auch eine Betätigungsfreiheit erblicken, vgl. BK-Zippelius, Art. 4 Rdn. 50; 72.
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Träger der kollektiven Rechte sind juristische Personen, aber auch sonstige Vereinigungen, deren Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses oder die Verkündung des Glaubens ihrer Mitglieder ist,276 unabhängig davon, ob sie öffentlich-rechtlich oder privatrechtlieh organisiert sind. Geschützt sind aber auch alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordnete Einrichtungen, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis, ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück kirchlichen Auftrags wahrzunehmen,277 wie z. B. konfessionelle Krankenhäuser oder ein nicht rechtsfähiger katholischer Jugendverein. Nicht zuletzt dürfte das Grundrecht auch allen anderen Gesellschaften zustehen, die nach Privatrecht als juristische Person auftreten dürfen. 278 Konflikte können auftreten, wenn das religiöse Selbstverständnis des Einzelnen von dem der Religionsgemeinschaft abweicht, der er angehört. In diesem Fall ist entscheidend, daß allein den Religionsgemeinschaften die Befugnis zusteht, die Inhalte der Lehre zu bestimmen, und nicht dem einzelnen Religionszugehörigen?79 Die staatlichen Stellen, die diese Konflikte zu entscheiden haben, müssen die Glaubensgrundsätze der Gemeinschaft zugrunde legen. Dies ist wichtiges Kriterium bei der Beantwortung der Frage, ob jemand überhaupt glaubhaft machen kann, aus religiösen Motiven gehandelt zu haben. Es ist eine weitere Möglichkeit, weg vom Selbstverständnis des Einzelnen den Schutzbereich der Religionsfreiheit zu objektivieren. Mit Recht weist Müller- Volbehr darauf hin, daß Religions- und Weltanschauungs gemeinschaften durch einen weitgehenden inhaltlichen Konsens gekennzeichnet sind und dieser Konsens gerade bei neueren Gemeinschaften sorgfaltig überprüft werden muß. 280 Dies heißt im Umkehrschluß jedoch nicht, daß dem Einzelnen automatisch der Schutz des Art. 4 GG versagt bleibt, sobald er sich in Widerspruch mit der offiziellen Lehre seiner Religionsgemeinschaft begibt. Dies entspräche nicht dem Charakter des Grundrechts als Recht der Minderheiten?81 Denkbar ist auch, daß jedenfalls die Gewissensfreiheit des Bürgers berührt ist. 282 In jedem Fall trifft ihn allerdings eine verstärkte Substantiierungspflicht hin275 BVerfGE 24, 236, 245 f. Dies ergibt sich aus dem Umstand, daß nach der Rechtsprechung des Gerichts die Freiheit der Religionsausübung bereits umfassend durch Art. 4 I GG geschützt ist und Art. 4 11 GG demnach konstitutiver Inhalt nur hinsichtlich der kollektiven Freiheit der Religionsausübung zukommt. 276 BVerfGE 19, 129, 132; 70, 138, 160 f. 277 BVerfGE 53,366,391; 57, 220, 242. 278 HbdStR-Rüfner, Band V, § 116 Rdn. 41; MuckeI, Religiöse Freiheit, S. 170. A.A. etwa Jarass/Pieroth, GG, Art. 29. 279 Rüfner, in: FS Rechtswissenschaftliche Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 797, 799 f.; Weber, in: FS für Obermayer, 263, 268 f.; Hesse, in: HdbStKirchR, Bd. I, 521,539 f. 280 Müller-Volbehr, in: JZ 1981,41,42. So etwa auch Scholz, in: NVwZ 1992, 1152, 1153. 281 Vgl. 4. Teil, § 1 11 5 c). 282 Zu weitgehend aber Mückl, in: Der Staat 2001, 96, 115 f., nach dem die Gewissensfreiheit offenbar generell als Auffangtatbestand der Religionsfreiheit fungieren soll, wenn der
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
sichtlich seiner religiösen Motivation oder seiner Gewissensbetroffenheit, da der Einzelne eher selten wird plausibel darlegen können, daß im Falle eines Gewissenskonflikts, für den die Lehre seiner Religionsgemeinschaft keine Grundlage bietet, sein Gewissen an ihn höhere Anforderungen stellt als die Religionsgemeinschaft. 283 Gesteigerten Anforderungen an die Glaubhaftmachung unterliegen demnach erst recht diejenigen, die gar keiner Religionsgemeinschaft angehören. 284
c) Selbstbestimmungsrecht der Religions- und
Weltanschauungsgemeinschaften
Nach Art. 140 GG i.Y.m. Art. 137 III WRV 285 ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Die Vorschrift schützt die Selbstbestimmung einer Religionsgemeinschaft - und nach Art. 137 VII WRVauch die einer Weltanschauungsgemeinschaft - über die eigene Organisation, Nonnsetzung und Verwaltung,286 wofür im Grundsatz nach Art. 137 IV WRVauch privatrechtliche Organisations- und Handlungsfonnen zur Verfügung stehen. Die Rechtsfonnen des Privatrechts sind dabei großzügig zu ennöglichen, wenn anderenfalls das religiöse Selbstverständnis betroffen wäre. 287 Damit geht die Nonn als rechtlich eigenständige Garantie und "notwendige Ergänzung,,288 über den Anwendungsbereich von Art. 4 11 GG hinaus,289 der nur die Tatigkeiten schützt, die in Erfüllung des religiösen Auftrags erfolgen und sichtbarer Vollzug des Glaubens sind?90 Art. 4 GG tritt dann zurück, wenn es um die rein "organisatorische Seite,,291 geht, die weit auszulegen ist?92 Hierunter fällt etwa die kirchliche Rechtsetzung und Gerichtsbarkeit, die freie Ämterbesetzung und Vennögensverwaltung, die Berufsbildung im kirchlichen Dienst, der Zusammenschluß mit anderen Glaubensgemeinschaften (Art. 147112 WRV), Mitbestimmung und Personalvertretung, Hausrecht und territoriale Grenzen. 293 Einzelne Verhaltensweisen ausübt, von denen sich die Religionsgemeinschaft distanziert oder die von ihr nicht gefordert werden. 283 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 174. 284 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 175. 285 Vgl. hierzu ausführlich die Monographie von Wolfgang Bock, Das für alle geltende Gesetz und die kirchliche Selbstbestimmung, 1996. 286 BVerfGE 53, 366, 401. 287 BVerfGE 83,341,356 ff.. 288 BVerfGE 53,366,401; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 106 f. 289 Winter, Staatskirchenrecht, S. 106; a.A. etwa Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 369 ff. 290 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 183. 291 Weber, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 17 (1983), 35. 292 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 108.
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Neben den Religionsgemeinschaften 294 können sich auf das Selbstbestimmungsrecht auch religiöse Vereine sowie kirchennahe Einrichtungen und Vereinigungen berufen, sofern sie sich einer Religions- oder Weltanschauungs gemeinschaft formal zuordnen lassen, d. h. ihr entweder organisatorisch verbunden sind oder sich ihr zumindest eindeutig verbunden erklären?95 Schwieriger gestaltet sich die Frage, wann eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft überhaupt in ihren eigenen Angelegenheiten betroffen ist. Der Richter des Bundesverfassungsgerichts Rottmann hat in einem abweichendem Votum einmal die Formel bemüht, daß die Unterscheidung, was "eigene Angelegenheiten" sind, im Einzelfall danach vorzunehmen ist, was materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach als eigene Angelegenheit einer Religionsgemeinschaft anzusehen ist. 296 Da es dieser Grenzziehung an Schärfe fehlt, hat es auf Seiten der Literatur Bestrebungen gegeben, das Selbstbestimmungsrecht zu objektivieren. So wird das in Art. 137 III WRV verankerte Recht zuweilen weniger als Freiheitsrecht, sondern lediglich als Abgrenzung der Regelungsbefugnisse von Staat und Religionsgesellschaften verstanden. 297 Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften seien nur solche Aufgaben, die nicht in den staatlichen Bereich hineinreichen?98 Nicht geschützt seien demnach etwa karitative Tätigkeiten der Religionsgesellschaften?99 Dies gelte insbesondere dann, wenn die Religionsgesellschaften ihre karitativen Einrichtungen nicht einmal selbst betrieben. 3OO Auf diese Weise könne dann objektiv bestimmt werden, was von Art. 137 III WRV geschützt sei. Letztlich setzt sich hier aber die Erkenntnis durch, daß nur die Religionsgemeinschaften selbst bestimmen können, was zu deren Angelegenheiten gehört. Der weltanschaulich neutrale Staat hat kein eigenes Wissen von dem, was eine Religionsgemeinschaft als ihre Angelegenheit betrachtet. 301 Maßgeblich für die Einordnung einer Angelegenheit als eigene sind danach Auftrag und Selbstverständnis der Religionsgesellschaften. 302 Der Gefahr der Konturenlosigkeit der Norm kann 293 Auflistung bei Jarass I Pieroth, GG, Art. 4 Rdn. 27; Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 280 Fn. 83. 294 Zum Begriff vgl. 3. Teil, § 3 IV 3 c) aa). 295 Vgl. Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 194; Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn.173. 296 BVerfGE 53, 408, 410 (Abweichende Meinung des Richters Rottl'lumn). 297 AK-GG-Preuß, Art. 140 Rdn. 27; Wieland, in: Der Staat 1986,321,348. 298 Vgl. ausführlich zu der diesbezüglich zugrunde liegenden sog. "Bereichsscheidungslehre" Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 139 ff.; 181 ff.; 254 ff. (diese Lehre allerdings ablehnend). 299 Wie!and, in: Der Staat 1986, 321, 344 ff. 300 Wieland, in: Der Staat 1986, 321, 345. 301 Tillmanns, in: Neumann/Tillmanns (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Probleme, 161, 208; Muckei, Religiöse Freiheit, S. 192; Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 176. 302 Hesse, in: HdbStKirchR, Bd. I, 521, 543 m. Fn. 73; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 110; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, S. 437 f.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
am ehesten noch dadurch begegnet werden, daß das Selbstverständnis streng überprüft wird mit Hilfe der Beweisregelungen, die das jeweilige Prozeßrecht stellt, und einer verstärkten Berücksichtigung der Gewährleistungsschranken. 303 Dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften wird eine Grenze gezogen durch die Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Der Begriff des für alle geltenden Gesetzes ist inhaltlich ähnlich zu verstehen wie die für Art. 4 GG geltende Schranke des Art. 140 GG i.Y.m. Art. 136 I WRY. Ein Gesetz ist dann nicht mehr "allgemein" im Sinne der Norm, wenn es speziell auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften abzielt. 304 Das Gesetz muß für die Religionsgemeinschaften dieselbe Bedeutung haben wie für den Jedermann. 305 Es mag beiläufig und ungezielt auch das Selbstverständnis von Kirchen und Religionsgemeinschaften beeinträchtigen, aber es darf nicht gezielt und unmittelbar darauf Einfluß nehmen wollen?06 Literatur und Rechtsprechung gehen sodann überwiegend dazu über, entsprechend Art. 5 GG eine Abwägung im Einzelfall durchzuführen, um im Wege eines möglichst schonenden Ausgleichs den betroffenen Rechtsgütem zu optimaler Wirkung zu verhelfen?07 In diesem Rahmen soll dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht beigemessen werden. 308 Letzteres begegnet aber Bedenken, weil zum einen der Wortlaut keine Anzeichen für eine solche Wertigkeit nahelegt und es zum anderen system widrig wäre, das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften sowohl für die Bestimmung des Schutzbereichs als auch für dessen Schranken entscheidend zugrunde zu legen. Richtiger ist es, auch im Rahmen von Art. 137 III WRV dem Bemühen nach Berechenbarkeit und Transparenz im Prozeß der Entscheidungsfindung309 dadurch Rechnung zu tragen, daß eine abstrakte, an Fallgruppen orientierte Abwägung angestrebt wird,3IO die weniger Raum läßt für Gegebenheiten des Einzelfalls und damit auch für Rechtsunsicherheit. 31l Wie Muckel zutreffend nachweist,312 liefert bereits die Rechtsprechung des Bundes303 Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 152 ff.; 228 ff.; auch Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 184. 304 Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 312 ff. 305 BVerfGE 42, 312, 334; Isensee, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 30 (1996),141,143. 306 Hesse, in: HdbStKirchR, Bd. I, 521, 554 f.; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 121. 307 Auch hier soll die Wechselwirkungslehre den Rahmen der Abwägung vorgeben, vgl. BVerfGE 72, 278, 289; Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 29 Rdn. 27; HeckeI, in: VVDStRL 26 (1968), 5, 16; Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 272 ff. 308 BVerfGE 53, 366, 401; Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 147; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 123. 309 MuckeI, Religiöse Freiheit, S. 280. 310 Hierzu bereits 4. Teil, § 1 III 2 e). 311 Vgl. MuckeI, Religiöse Freiheit, S. 277 ff. 312 MuckeI, Religiöse Freiheit, S. 279 ff.
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verfassungs gerichts Anhaltspunkte für eine solche typenorientierte Abwägung. So unterscheidet das Gericht zwischen ausschließlich innerkirchlichen Maßnahmen und solchen mit unmittelbarer Außenwirkung, die in den staatlich-rechtlichen Bereich hineinreichen?13 Nur im letzteren Fall, wenn die Kirchen und Religionsgemeinschaften vom Staat verliehene Befugnisse ausüben oder ihre Maßnahmen den bloß innerkirchlichen Bereich verlassen, betätigen sie mittelbar auch staatliche Gewalt mit der Folge, daß ihre Selbstbestimmung auch eine in der Sache begründete Einschränkung erfahren könne;314 allein dann sollen staatliche Gerichte über die Streitigkeit erst entscheiden dürfen. Die Forderung nach einer abstrakt-typologischen Abwägung richtet sich in erster Linie an die Gerichte, die dazu angehalten werden, verbindliche Leitlinien im Rahmen der Rechtsgüterabwägung festzulegen. Im Ergebnis wird damit eine verstärkte Achtung der Präjudize - zumindest im Bereich ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe - eingefordert, wie sie für das common law typisch ist.
d) Spannungsverhältnis kollektiver positiver und individueller negativer Religionsfreiheit
In der Praxis ist es immer wieder zu Konflikten zwischen der positiven Religionsfreiheit einer Mehrheit von Personen und der negativen Religionsfreiheit eines Einzelnen gekommen,315 zuletzt in dem sogenannten Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts. 316 In der Entscheidung sah das Gericht eine Verfassungsbeschwerde als begründet an, die sich gegen § 13 I der Bayrischen Volksschulordnung richtete, nach dem unter anderem in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen war. Dadurch sollte die Schule die Erziehungsberechtigten bei der religiösen Erziehung der Kinder unterstützen. Beschwerde erhoben hatten die Eltern einiger minderjähriger schulpflichtiger Kinder, die Anhänger der antroposophischen Weltanschauung nach der Lehre Rudolf Steiners waren und befürchteten, daß die Kreuze in den Klassenräumen negativ im Sinne des Christentums auf ihre Kinder einwirkten. Das Gericht kam zu dem Entschluß, daß § 13 I BayVSO die Beschwerdeführer in ihren Rechten aus Art 4 I bzw. Art. 4 I i.Vm. Art. 6 11 GG verletze. Zutreffend hat das Gericht dabei ausgeführt, daß in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, zwar niemand ein Recht darauf habe, von fremden Glaubensüberzeugungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Allerdings sei davon zu unterscheiden eine Lage, BVerfGE 18,385,387. BVerfGE 18,385,387. 315 Wie Scheuner nicht ganz zu Unrecht behauptet, stellt sich die Aufgabe einer Interpretation der Religionsfreiheit unter korporativen Gesichtspunkten vor allem im Bereich der Schule, vgl. Scheuner, in: DÖV 1967,585,592. 316 BVerfG NJW 1995, 2477 ff. Vgl. auch das Schulgebetsurteil des Hessischen Staatsgerichtshofs, in: NJW 1966, 31 ff. sowie BVerfGE 52, 223 ff. 313
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
in der der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluß eines bestimmten Glaubens oder seiner Symbole ausgesetzt sei?l7 Art. 4 GG entfalte seine freiheitssichernde Wirkung gerade in Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden seien. Kritiker des Beschlusses wenden dagegen ein, daß die Entscheidung auf eine laizistische Schule hinauslaufe, die das Grundgesetz nicht fordere. Der vom Verfassungsgericht herangezogene Toleranzgedanke werde hier einseitig gegen die Mehrheit ins Spiel gebracht. 3l8 Diese Auffassung ignoriert aber einerseits das Gebot der religiösen Neutralität des Staates,3l9 das dann nicht mehr gewahrt ist, wenn der Staat die Anbringung verbindlich anordnet, und andererseits den Umstand, daß Art. 4 GG den Grundrechtsträgern keinen Anspruch auf uneingeschränkte Ausübung ihrer Glaubensüberzeugung im Rahmen staatlicher Institutionen einräumt. Wenn es zum Konflikt zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit kommt, kann nicht im Sinne des bloßen Mehrheitsprinzips verfahren werden, zumal Art. 4 GG gerade ein Recht der Minderheiten ist. Es gibt aber auch keinen generellen Vorrang der negativen gegenüber der positiven Religionsfreiheit. Es muß stets nach einem Ausgleich der widerstreitenden Interessen gesucht werden, der nach Möglichkeit alle Rechtspositionen zu denkbar größter Wirksamkeit gelangen läßt und nicht einseitig zu Lasten einer Seite geht. 320 In dem Kruzifix-Fall wurde entscheidend, daß die Schüler dem Kreuz nicht in zumutbarer Weise ausweichen konnten. Bei Schulgebeten und anderen religiösen Veranstaltungen wird dies in der Regel wieder anders zu beurteilen sein. 32l Die Streitigkeit um die Kruzifixe hätte auf dem Boden gegenseitiger Toleranz möglicherweise aber auch dadurch gelöst werden können, daß die Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften ihrerseits religiöse Symbole in den Klassenzimmern hätten anbringen können. 322 Von der Kruzifix-Streitigkeit zu unterscheiden ist der sogenannte "KopftuchStreit,,?23 Hintergrund dieses Streits sind einander entgegenstehende Urteile des VG Lüneburg 324 auf der einen Seite, sowie des VG Stuttgart,325 des VGH MannBVerfG NJW 1995,2477,2478. Vgl. Starck, in: JZ 2000,1,7. 319 Vgl. hierzu 3. Teil, § 3 III 2 b). Zustimmend Schmitt-Kammler, in: FS für Karl Heinrich Friauf, 343, 349. 320 Vgl. BVerfGE 52, 223, 241; Wilms, in: FS für Kriele, 341, 345; Mucke!, Religiöse Freiheit, S. 180; Goerlich, in: NJW 1999,2929,2932; Jeand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 124; Bock, in: AöR 123 (1998), 444, 460. 321 Vgl. auch BVerfG NJW 1995,2477,2480. 322 Kühne, in: NWVBI. 1991,253,259. Gegebenenfalls brächte eine solche Lösung aber neues Konfliktpotential mit sich, etwa wenn um die "besten Plätze im Klassenzimmer" oder um die Größe der Symbole gestritten würde. 323 Vgl. hierzu schon 3. Teil, § 3 IV 4. 324 NJW 2001, 767. 325 NVwZ 2000, 959. 317
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heim 326 (Berufung) und zuletzt des Bundesverwaltungsgerichts327 (Revision) auf der anderen Seite. In den zugrunde liegenden, vergleichbaren Sachverhalten versagten die Behörden einer Muslimin, die ihr Kopftuch auch während des Unterrichts tragen wollte, die Zulassung zum Lehramt in öffentlichen Schulen. Wahrend das VG Lüneburg der darautbin klagenden Lehramtsanwärterin ein subjektives Recht aus Art. 33 11 GG und damit einen Anspruch auf Einstellung als Beamtin auf Probe in den staatlichen Schuldienst zusprach, blieben Klage und Rechtsmittel der Anwärterin in Baden-Württemberg ohne Erfolg. Dort wurde befunden, daß das religiös motivierte Tragen eines Kopftuchs im Schulunterricht der staatlichen Neutralitätspflicht und damit auch den Dienstpflichten einer Lehrerin widerspräche?28 Unter Bezugnahme auf den Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts befanden die Gerichte, daß auch durch die Einstellung einer mit Kopftuch bekleideten Lehrerin eine vom Staat geschaffene Lage vorliege, in der der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeit dem Einfluß eines bestimmten Glaubens ausgesetzt sei. 329 Der Religionsfreiheit der Anwärterin stünde die Verpflichtung zur Verwirklichung des staatlichen Erziehungsauftrags nach Art. 7 I GG gegenüber, in deren Rahmen auch "die unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Schüler und ihrer erziehungsberechtigten Eltern, die jeweils durch die Grundrechte des Art. 4 I und Art. 6 11 1 GG geschützt werden", zu berücksichtigen seien. 33o Durch das Tragen des Kopftuchs seien Proteste von Eltern und Schülern zu befürchten, wodurch der "religiöse Friede" in der Schule gefahrdet werde?31 Zwar wies die Klägerin darauf hin, daß das Kopftuch zu ihrer islamischen Glaubensidentität gehöre, dessen Abnahme ihr wie eine Entblößung vorkäme und daß sie keinesfalls missionarisch für ihren Glauben tätig werden wolle. Nach Auffassung der baden-württembergischen Gerichte ergebe sich durch das Kopftuchtragen aber in jedem Fall "die Gefahr einer, wenn auch ungewollten, Beeinflussung durch den als Respektperson empfundenen Lehrer". 332 Es sei naheliegend, daß "die Schüler die mit dem Kopftuch verbundenen religiösen Vorstellungen der Klägerin aufgrund NJW 2001, 2899. BVerwG DÖV 2002, 997 ff. 328 Zustimmend Jeand'Heur I Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 130; Mückl, in: Der Staat 2001, 96. 123 ff.; Brenner, in: VVDStRL 59 (2000), 264, 283 f.; Janz/Rademacher, in: NVwZ 1999, 706, 712; dieselben in: JuS 2001, 440, 443 (allerdings mit der richtigen Konsequenz, daß dann auch der Träger eines Kreuzanhängers von auffälliger Größe gezwungen wäre, diesen in der Schule abzunehmen). Halfmann ergänzt hierzu, daß das Neutralitätsgebot für den Schul bereich in besonderem Maße gelte, weil die Schule neben dem Elternhaus der zentrale Ort sei, an dem über die Wertorientierung der nachwachsenden Generation entschieden werde. Halfmann, in: NVwZ 2000, 862, 865. 329 BVerwG DÖV 2002, 997, 998; VG Stuttgart NVwZ 2000, 959, 960. 330 VGH Mannheim NJW 2001, 2899, 2900. Ebenso Halfmann, in: NVwZ 2000, 862, 864. 331 VG Stuttgart NVwZ 2000,959,960; VGH Mannheim NJW 2001, 2899, 2904. So auch Halfmann, in: NVwZ 2000,862,866 (es drohe die Gefahr einer "zunehmenden Polarisierung des Schulunterrichts"). 332 VG Stuttgart NVwZ 2000, 959, 960. 326 327
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
der gegebenen Neigung zur Nachahmung von Vorbildern für sich aufgreifen und möglicherweise unüberlegt zu eigen machen,,?33 Das Tragen des Kopftuchs bewege "sich nicht in der Weise des sozial Üblichen, daß es von den Schülern in erster Linie als Kleidungsstück ohne wesentlichen religiösen Bezug wahrgenommen würde".334 Richtigerweise sind kopftuchbekleidete Frauen heute jedoch eine völlig übliche Alltagserscheinung. 335 Lediglich die Schule, die im Grunde Spiegelbild der Gesellschaft ist, von dieser Selbstverständlichkeit auszunehmen, wird daher gerade nicht dem "sozial Üblichen" gerecht. Noch weniger ist einer muslimischen Lehramtsanwärterin die Einstellung zu versagen, weil dadurch "der religiöse Friede" gefährdet werden könnte. Mit dieser Argumentation hätte das Bundesverfassungsgericht niemals das Kruzifix in den - bayrischen - Schulräumen verbieten dürfen, wie gerade die Reaktionen aus Bayern auf den Beschluß gezeigt haben. Wären Gerichtsentscheidungen primär darauf bedacht, "Proteste zu vermeiden", dann wäre es oft gar nicht möglich, Minderheitenrechte zu schützen. Die Grundsätze des Kruzifix-Beschlusses wiederum können in dem Kopftuch-Streit nicht herangezogen werden, weil die beiden Konstellationen nicht vergleichbar sind?36 Während die amtliche Ausstattung eines Klassenzimmers mit einem Kruzifix unmittelbar von Staats wegen erfolgt und daher allein dem Staat zuzurechnen ist, stellt das Kopftuch tragen einen Akt individueller Grundrechtsausübung, d. h. einen persönlichen Bekenntnisakt der Lehrerin, dar, der in erster Linie ihr zuzurechnen ist. 337 Im Kruzifx-Fall ging es tatsächlich um das Spannungsverhältnis von negativer und positiver Religionsfreiheit der betroffenen Schüler und deren Eltern. Im Falle der Ablehnung der Lehramtsanwärterinnen jedoch ging es allein um ein "künftig denkbares SpannungsverhäItnis",338 es wurde mithin "im vorhinein und gleichsam prophyVGH Mannheim NJW 2001, 2899, 2903. VGH Mannheim NJW 2001, 2899, 2904. 335 So zutreffend auch das VG Lüneburg NJW 2001, 767, 770: "Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Kinder sowohl im täglichen Leben als auch in der Schule - bei Mitschülerinnen - an den Anblick von muslimischen Frauen und Mädchen, die Kopftücher tragen, gewöhnt sind." 336 A.A. insbesondere Kästner, in: FS für Martin Heckei, 359, 365 f., der dafür allerdings zu Unrecht auf den Aspekt der "visuellen Konfrontation mit einem persönlich nicht bejahten religiösen Symbol" abstellt. Daher gelangt er auch zu der unzutreffenden conclusio, daß das religiös motivierte Kopftuch einer muslimischen Lehrerin ..erst recht" aus der öffentlichen Unterrichtserteilung femzuhalten sei, wenn schon das Kruzifix an der Wand einer öffentlichen Schule verfassungswidrig sei. Debus weist im Gegenzug darauf hin, daß das Kopftuch - anders als das Kruzifix - eben kein ..eindeutig religiös aufgeladenes", nicht explizit mehrdeutiges und daher neutralitätswidriges Symbol ist. Debus, in: NVwZ 2001, 1355 Fn. 4. 337 Böckenförde, in: NJW 2001, 723, 726. Auf Unverständnis muß die These eines .. Kopftuch-Gegners" stoßen, der Schulunterricht sei ..der falsche Ort" für die Grundrechtsausübung des Lehrers. Vgl. Mückl, in: Der Staat 2001, 96, 124. Es dürfte schwerlich eine Einteilung von Sphären, in denen die Ausübung eines Grundrechts tunlich ist, und solchen, wo sie untunlich ist, angezeigt sein. 338 va Lüneburg NJW 2001, 767, 769. 333
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laktisch" auf die möglicherweise kollidierenden Grundrechtspositionen von Eltern und Schülern zurückgegriffen. 339 Zudem folgt aus dem bloßen Kopftuchtragen nicht automatisch die mangelnde Eignung einer Muslimin für den Lehrerberuf. 340 Es ist nicht einzusehen, weshalb eine muslirnische Lehrerin, die ausdrücklich betont, sich nicht in der Schule religiös betätigen zu wollen, stets ein gutes Verhältnis zu Schülern und Pädagogen hatte und von ihrem ehemaligen Rektor als "fleißig, charmant und immer kooperativ" bezeichnet wurde,341 durch ihr Kopftuch "von vornherein einseitig Partei ergreift" und daher nicht die in der Schule vom Lehrer geforderte besondere "Ausgleichs- und Vermittlungsfunktion" wahrnehmen kann?42 Die Konfrontation der Schüler mit einer kopftuchbekleideten muslimischen Lehrerin führt nicht sofort zu einer muslimischen Prägung der Schüler in einer ansonsten pluralistischen oder gar christlich dominierten Gesellschaft, zumal die Lehrerin nicht nur durch ihr Kopftuch wirkt, sondern mit ihrer gesamten pädagogischen Arbeit und Persönlichkeit. 343 Das Tragen eines Kopftuchs ergänzt möglicherweise sogar die religiöse Entfaltung junger Menschen durch die Vielfalt erwachsener Vorbilder und ermöglicht ihnen das Lernen von Toleranz, Weltoffenheit und Achtung vor anderen Meinungen und Glauben. 344 In jedem Fall stellt der Ausschluß vom Lehramt aus dem bloßen Grund des Kopftuchtragens eine Anknüpfung an die religiöse Überzeugung der Anwärterin dar, eine Folge, die Art. 33 III 1 GG gerade zu verhindern trachtet. 345
Debus, in: NVwZ 2001, 1355, 1357. Vgl. Zuck, in: NJW 1999, 2948, 2949: "Das Kopftuch allein macht sicherlich noch keine aggressive Fundamentalistin." 341 Vgl. Alan/Steuten, in: ZRP 1999,209. 342 So aber Halfmann, in: NVwZ 2000, 862, 865. 343 Debus, in: NVwZ 2001, 1355, 1356. 344 Alan/ Steuten, in: ZRP 1999,209,210. 345 FriauflHöfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 50. A.A. Goerlich, in: NJW 1999, 2929, 2930, nach dessen Auffassung der Bewerber nicht wegen seiner Religion oder Weltanschauung, sondern "wegen fehlender Distanz und Neutralität" abgewiesen werde. Hierbei ignoriert er aber den Umstand, daß die Bewerberin sich aufgrund ihrer religiösen Überzeugung weigert, das Kopftuch abzunehmen. Muckel weist überdies darauf hin, daß von dem Kopftuch der Lehrerin keinerlei Zwangswirkung ausgehe, dies mithin auch zu keinem Eingriff in das Grundrecht der Schüler auf negative Glaubensfreiheit führe, sofern die Lehrerin nicht die Schüler im Sinne ihrer Überzeugung beeinflußt, sie die Schüler aus religiösen Gründen nicht bevorzugt oder benachteiligt oder in dem Tragen des Kopftuchs eine verfassungsfeindliche Einstellung sichtbar wird. Vgl. FriauflHöfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 46; 50. Mit einer Begründung in diesem Sinne sieht er jedoch auch das Kruzifix in den Klassenzimmern als verfassungsgemäß an. 339 340
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
4. Einfluß anderer Verfassungsnormen a) Staatskirchenrechtlicher Rahmen Die Religionsfreiheit ist verfassungsrechtlich eingebettet in das staatskirchenrechtliche System grundsätzlicher Trennung von Staat und Kirche. 346 Dessen tragende Prinzipien können nicht ohne Einfluß auf den Umfang der Religionsfreiheit sein?47 Wie Listl zur Austrahlungswirkung der staatskirchenrechtlichen Bestimmungen richtig ausführt, muß jeder Versuch einer Inhaltsbestimmung von Religion "methodisch von der Tatsache ausgehen, daß es dem zu religiöser, konfessioneller und weltanschaulicher Neutralität verpflichteten Staat untersagt ist, den Glauben oder Unglauben seiner Bürger zu bewerten. Dem Staat ist damit jede wertende Beurteilung der einzelnen Bekenntnisse unter der Rücksicht des Wahrheitsgehalts ihrer Lehre und damit jede auf einem solchen Urteil gründende Bevorzugung oder Benachteiligung einer Religion, Konfession oder Weltanschauung verboten. ,,348 Damit ist gewährleistet, daß die Glaubensfreiheit auch nicht nur den Mitgliedern der anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften zusteht, sondern daß sich auch die Angehörigen anderer Vereinigungen grundsätzlich ihres Schutzes sicher sein dürfen. Nach dem Neutralitätsgebot und dem Grundsatz der Parität der Kirchen und Bekenntnisse kommt es auf die zahlenmäßige Stärke oder die soziale Relevanz einer solchen Gemeinschaft nicht an. 349 Das bedeutet, daß auch die von den "offiziellen Lehren" der Kirchen und Religionsgemeinschaften abweichenden Glaubensüberzeugungen von Art. 4 GG geschützt werden,350 mithin auch die sog. Jugendsekten den grundsätzlichen Schutz der Verfassung beanspruchen können. Dieser Schutz wird auch dadurch nicht beeinträchtigt, daß sie möglicherweise nicht Körperschaften des öffentlichen Rechts und dadurch nicht Nutznießer gewisser Privilegien sind, zumal ihnen diese Rechte auch gewährt werden können, sofern sie nur durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. 351 b) Grundrechte Die Grundrechte aus Art. 4 GG sind in ihrem Verhältnis zu anderen Grundrechten besonders überschneidungsträchtig. 352 Dennoch - oder gerade deswegen - beSiehe 3. Teil, § 3 III 2. Vgl. Scheuner, in: DÖV 1967,585,587: "So sehr der Grundbestand der Religionsfreiheit einen festen Standard in allen Staatssystemen darstellt, so sehr werden die Konturen ihrer Ausübung durch das jeweilige Verhältnis von Staat und Kirche bestimmt." 348 List!, in: HdbStKirchR, Bd. I, 439, 449. 349 BVerfGE 32, 98, 106; 33, 23, 28. 350 BVerfGE 33, 23, 29; Pieroth / Schlink, Staatsrecht 11, Rdn. 511. 351 Starck, in: JZ 2000, 1,7. Vgl. hierzu ausführlich 3. Teil, § 3 IV 3 c) aa). 352 v. Münch/Kunig-von Münch, GG, Bd. 1,4. Aufl., Art. 4 Rdn. 83. 346 347
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darf es klarer Abgrenzungsbemühungen, um dem Anwendungsbereich von Art. 4 GG die nötigen Konturen zu verleihen und sicherzustellen, daß die weiten Schranken anderer Grundrechte nicht übertragen werden. Als Teil des grundrechtlichen Wertesystems ist die Glaubensfreiheit insbesondere auf die in Art. lAbs. 1 GG garantierte Würde des Menschen bezogen, die als oberster Wert das ganze grundrechtliche Wertsystem beherrscht. 353 Ein wirkliches Abgrenzungsproblem stellt sich hier jedoch nicht. Da Art. 4 GG eine wesentliche Seite der Persönlichkeitsentfaltung regelt, besteht auch zu Art. 2 Abs. 1 GG eine nahe Beziehung. Demgegenüber ist die Religionsfreiheit allerdings lex specialis,354 Art. 2 I GG wiederum fungiert als Auffangtatbestand von Art. 4 GG. 355 Die Diskriminierungsverbote in Art. 3 III, 33 III GG beziehungsweise die damit korrespondierende Norm des Art. 140 GG i.Y.m. Art. 13611 WRV werden in Verbindung mit Art. 4 GG angewandt. 356 Sie ziehen die Konsequenz aus der Freiheitsgarantie. Wer daher wegen eines religiösen Bekenntnisses benachteiligt wird, ist zugleich in seinem Recht aus Art. 4 GG betroffen. Daher ist die Argumentation über die Erlaubtheit der Differenzierung am Maßstab der Art. 3 III, 33 III GG materiell dieselbe wie die Argumentation über die Erlaubtheit der Beschränkung von Art. 4 I, 11 GG. 357 Das Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 5 GG ist in der Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der Schranken aktuell geworden. Da wegen der Eigenständigkeit beider Grundrechte für die Religionsfreiheit insbesondere nicht auf die Schrankenregelung des Art. 5 11 GG zurückgegriffen werden kann, ist die Abgrenzung der beiden Verbürgungen von Bedeutung. 358 Das Bundesverfassungsgericht spricht von "fundamentaler Verschiedenheit beider Freiheitsrechte".359 In Anknüpfung an das Bundesverfassungsgericht wertet man als Meinungsäußerung jede Kundgabe von beliebigen subjektiven Äußerungen und Werturteilen, mithin eine subjektiv geprägte Betrachtung von Tatsachen, Verhaltensweisen oder Verhältnissen. Demgegenüber hat die Religionsfreiheit eine mit der Person des Menschen verknüpfte Gewißheit über den Bestand und den Inhalt bestimmter Wahrheiten zum Gegenstand. 36o Zu einer Glaubensvorstellung gehört darüber hinaus ein zusammenhängendes System oder zumindest eine Gedankenkette über die Stellung des 353 BVerfGE 32, 98, 108. Vgl. auch Müller-Volbehr, in: DÖV 1995, 301, 307: Die Religionsfreiheit ist "bedeutsame Ausprägung" des Prinzips der Menschenwürde. 354 BVerfGE 17,302,306; Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rdn. 5. 355 BK-Zippe\ius, Art. 4 Rdn. 57. 356 BVerfGE 79, 69, 75; Sachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 105. 357 v. Mangoldt/ Klein/ Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn. 84. 358 v. Mangoldt/Klein/ Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn. 86. 359 BVerfGE 32, 98, 107. 360 BVerfGE 32, 98,107.
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Menschen in der Welt; nicht jede beliebige Äußerung ist geschützt. 361 Innerhalb dieser Bereiche kommt zwischen den beiden Rechten der Grundsatz der Spezialität zur Anwendung. 362 Diese Grundsätze gelten auch oder vor allem im Hinblick auf die Abgrenzung der Meinungsfreiheit von der Bekenntnisfreiheit, die nach der hier vertretenen Auffassung den Schutz der verbalen oder zeichenhaften Äußerung der Glaubensüberzeugung zum Ziel hat. 363 Auch Art. 7 Abs. 2 und 3 GG, der spezielle religionsrechtliche Vorschriften enthält, darf nicht isoliert von den übrigen Bestimmungen des Grundgesetzes, insbesondere Art. 4 GG, betrachtet werden. 364 Art. 4 I, 11 GG überlagert und ergänzt die religionsrechtlichen Vorschriften des Art. 7 GG. Lediglich soweit Art. 7 GG den Re1igionsunterricht regelt, geht er als Spezial vorschrift Art. 4 GG vor. 365 Im Verhältnis zu Art. 8 GG ist Art. 4 I, 11 GG lex specialis, soweit es um religiöse Versammlungen wie Gottesdienste oder Prozessionen geht. 366 Die sich aus Art. 4 I, 11 GG i.Y.m. Art. 140 GG, Art. 13711 WRV religiöse Vereinigungsfreiheit ist gegenüber Art. 9 I GG speziell. Da die kollektive Re1igionsausübung nicht von der Einhaltung der allgemeinen, nicht gegen Religionen und Weltanschauungen gerichteten Strafgesetze und der verfassungsmäßigen Ordnung entbindet (vgl. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 III WRV, Art. 136 I WRV), ist nach herrschender Auffassung aber auch die Schranke des Art. 9 11 GG als "allgemeines Gesetz" anwendbar, mit dem plausiblen Ergebnis, daß verfassungswidrige religiöse Vereinigungen verboten sind. 367 Die in Art. 138 11 WRV normierte Garantie des Eigentums und anderer Rechte der Religionsgemeinschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigem Vermögen geht Art. 14 GG als spezielleres Recht vor. 368 Sie berücksichtigt die Vermögensabhängigkeit gemeinsamer Religionsausübung. 369
361 Wilms, in: FS für Kriele, 341, 353; v. Mangoldt/Klein/Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn.86. 362 BVerfGE 32, 98, 107. 363 Nach Winter ist davon auszugehen, daß das Grundgesetz die Freiheit des religiösen Bekenntnisses gegenüber allen Formen der Meinungsäußerung in besonderem Maße privilegieren will. Vgl. Winter, Staatskirchenrecht, S. 74 f. 364 BVerfGE 41,29,46 f.; Friesenhahn, in: Essener Gespräche 5 (1971),67,73 ff. 365 v. Mangoldt/ Klein/ Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn. 81. 366 v. Münch / Kunig-von Münch, GG, Bd. I, 4. Aufl., Art. 4 Rdn. 83. 367 Sachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 107; v. Mangoldt / Klein / v.Campenhausen, GG, Art. 4 Rdn. 89; Maunz/Dürig-Herzog, GG, Art. 4 Rdn. 97. 368 Nach Winter gilt dies nur für die sogenannten "res sacrae"; ansonsten verkürze sich der Schutz, je größer die Distanz des Vern1ögens zur spezifisch kirchlichen Funktion werde. Winter, Staatskirchenrecht, S. 198. 369 v. Mangoldt/Klein/v.Campenhausen, GG, Art. 4 Rdn. 80.
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c) Präambel In der Präambel des Grundgesetzes heißt es: "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ... hat sich das deutsche Volk ... dieses Grundgesetz gegeben."
Dieser, häufig als "invocatio dei,,370 oder auch "nominatio dei,,37! bezeichneten Inbezugnahme Gottes wird unterschiedliche Bedeutung beigemessen?72 Die Meinungen reichen dabei von Verneinung jeglicher Rechtsrelevanz 373 bis hin zu denen, die die Inbezugnahme als Festlegung Deutschlands auf das Christentum 374 verstanden wissen wollen. Richtiger erscheint es, unter Zugrundelegung des zutreffenden Ausgangspunktes, daß die Präambel Auslegungshilfe für andere Verfassungsnormen ist,375 noch etwas über den Standpunkt, daß die Präambel eine "Unbefangenheit des Staates gegenüber Religion und Religionsgemeinschaften als Charakteristikum des grundgesetzlichen Staatskirchenrechts" statuiere,376 hinauszugehen. In ihr ist nämlich zumindest ein Beleg für eine gewisse Religionsfreundlichkeit des Staates zu erblicken. Der Staat ist säkular und weltanschaulich-neutral, aber er begrüßt die eigenverantwortliche Hinwendung zu Religion und Weltanschauung als sinngebendem Halt. Nicht gewollt ist erkennbar der Atheismus als "Staatsreligion" und auch ein laizistischer Staat mit völliger Ignorierung religiöser Momente. 377 Insofern dient die Präambel in gewisser bescheidener Weise auch der Auslegung von Art. 4 GG; ein Grundrecht, dessen Ausübung der Staat bereits in seiner grundgesetzlichen Präambel ausdrücklich gutheißt, soll einen möglichst weiten Anwendungsbereich haben. 378 Zudem dient die Präambel sicherlich nicht als argumentative Stütze für ein Verbot völliger Zusammenarbeit von Kirche und Staat. Man überspannt allerdings den Sinn der nominatio dei, wenn man darin eine Hilfe zur Lösung des Spannungsverhältnisses von positiver und negativer Religionsfreiheit sieht. 379 Das staatliche Bekenntnis zu einer Religionsfreundlichkeit 370 So etwa Sachs-Huber, GG, Präambel Rdn. 35; Häberle, in: FS für Zeidler, I, 1987, S. 3; Janz I Rademacher, in: NVwZ 1999,706,707. 371 Czermak, in: NJW 1999, 1300; Ennuschat, in: NJW 1998,953,954. 372 Umfassend hierzu Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, S. 69 ff. 373 BK-Obermayer, Art. 140 Rdn. 74; Renck, in: ZRP 1996, 16, 19. 374 Schlabrendorff, in: NJW 1972, 1185, 1186. 375 Ennuschat, in: NJW 1998,953,955. 376 Insofern zustimmend wohl auch Winter, Staatskirchenrecht, S. 54. 377 Czermak, in: NJW 1999, 1300, 1301. 378 "Die Anrufung Gottes in der Präambel bekräftigt das Grundrecht der Religionsfreiheit in seiner gesamten Breite." Von Münch I Kunig-Kunig, GG, Bd. 1, Präambel, Rdn. 16. 379 So wertet Ennuschat, Bezug nehmend auf den Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, die Präambel als Entscheidungskriterium zu Lasten der negativen Religionsfreiheit: "Der Verfassungsgeber hat also eine religiöse Überzeugung in die Verfassung einbezogen und mutet eben diese Nicht- und Andersgläubigen zu." Auf Unverständnis muß diese
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
sagt in keiner Weise etwas aus über den Vorrang einer Glaubensüberzeugung oder einer bestimmten Religionsbetroffenheit gegenüber einer anderen. 5. Ergebnis
Auch die Systematik fordert eine insgesamt extensive Auslegung des Grundrechts der Religionsfreiheit. Derjenige, der sich auf sie beruft, muß sich jedoch im Einklang befinden mit der offiziellen Lehre seiner Religionsgemeinschaft. Weicht er davon ab, unterliegt er einer stärkeren Substantiierungspflicht hinsichtlich seiner religiösen Betroffenheit. Dies gilt vor allem für die Anhänger der sog. Jugendsekten, denen es oftmals schwer fallen wird, verbindliche, bewährte Leitlinien vorzuweisen. Die Betrachtung des grundgesetzlichen Kontexts hat darüber hinaus bestätigt, daß Art. 4 GG mehrere Einzelverbürgungen enthält, namentlich der Glaubensfreiheit, der Bekenntnisfreiheit, der Religionsausübungsfreiheit und der Gewissensfreiheit, die kein eigentlicher Bestandteil der Religionsfreiheit ist. Während die Elemente der Religionsfreiheit der Schranke des Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV unterstehen und hierbei nur im Rahmen einer abstrakt-generellen, fallgruppenorientierten Rechtsgüterabwägung eingeschränkt werden können, ergeben sich die Schranken für die vorbehaltlos garantierte Gewissensfreiheit aus den Grundrechten Dritter und anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern. Des weiteren wird Art. 4 GG durch viele weitere Bestimmungen des Grundgesetzes konkretisiert und ergänzt. Dies gilt insbesondere für die kollektive Seite der Religionsfreiheit.
IV. Teleologische Auslegung Zu prüfen ist nunmehr, ob die Ergebnisse von Wortlaut, Historie und Systematik auch im Hinblick auf die teleologische Auslegung Bestand haben und ob weitere Kriterien, insbesondere zur Präzisierung der Schutzbereiche, gefunden werden können. 1. Umfang der Religionsausübungsfreiheit
Dem Wortlaut zufolge schützt Art. 4 11 GG lediglich die Ausübung von "Religion", nicht aber die Ausübung von "Weltanschauung". Gegenüber der BekenntAuffassung schon allein deshalb stoßen, weil Ennuschat sich zuvor noch ausdrücklich gegen eine Deutung der Präambel als normative FestIegung auf das Christentum entschieden hatte, vgl. Ennuschat, in: NJW 1998,953,954 f.; 956.
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nisfreiheit, so scheint es, ist die Religionsausübungsfreiheit nur eingeschränkt geschützt. Aus teleologischer Sicht ist dieses Ergebnis jedoch nicht hinzunehmen. Dies gilt zum einen deshalb, weil die Grenzen zwischen dem Bekennen und dem Ausüben fast fließend sind und die Abgrenzung - wenngleich theoretisch möglich und notwendig - im Einzelfall sehr schwierig sein kann. Zum anderen aber ist die Abgrenzung von "Religion" und "Weltanschauung" selbst nach der hier vertretenen Auffassung, die in Art. 4 GG mehrere Einzelgrundrechte sieht, nicht scharf zu vollziehen. Die Literatur hat sich dieser Unterscheidung zuweilen angenommen und behauptet, daß die Religion eine den Menschen überschreitende, transzendente Wirklichkeit zugrunde lege, während sich die Weltanschauung auf Innerweltliches, Immanentes beziehe?80 Der Ansatz wurde jedoch zu Recht verworfen, weil das Kriterium der Transzendenz nicht allein für Religionen wesenstypisch sein muß?81 Die Grenzen sind hier fließend. Letztlich müssen daher alle Differenzierungsversuche "gekünstelt und willkürlich anmuten",382 so daß die Frage, ob im Einzelfall eine Religion oder eine Weltanschauung vorliegt, allein nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft zu beurteilen sein wird. 383 Gemeinsam ist beiden jedenfalls ein einheitliches Konzept vom Sinn der menschlichen Existenz, von der Beziehung des Menschen zu der ihn umgebenden irdischen oder überirdischen Wirklichkeit und daraus resultierender wesentlicher und verbindlicher Lebensprinzipien. 384
Im Ergebnis ist klar, daß die hier vertretene Ansicht an dieser Stelle keine Unterstützung durch den Wortlaut findet, aber da aus historischer, systematischer und teleologischer Hinsicht feststeht, daß Schutzlücken dieser Art im Rahmen der Religionsfreiheit nicht gewollt sind, muß diese Folge hingenommen werden. Dies ist nicht zuletzt auch im Sinne der Gegenmeinung, nach der die Religionsausübungsfreiheit inhaltlich in der Bekenntnisfreiheit aufgeht und die weltanschaulichen Überzeugungen schon auf diese Weise geschützt sind.
380 Bock, in: AöR 123 (1998),444,461 Fn. 57; v. Mangoldt/Klein/Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn. 3, der "Weltanschauung" auch als Oberbegriff der Religion ansieht, der diese mitumfaßt. Vgl. auch Dreier-Morlok, GG, Art. 4 Rdn. 43, der "Weltanschauung" als Gegenbegriff zum "Glauben" versteht, der durch seine a- oder antireligiösen Sinnsysteme zu verstehen sei. Badura wiederum behauptet, daß Religion im Gegensatz zur Weltanschauung ein Teil der Existenz des Menschen sei. Badura, in: VVDStRL 59 (2000), 319, 320. 381 Vgl. Kluth, in: Jura 1993, 137, 138. 382 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 137. 383 Obermayer, in: DVBI. 1981,615,618; Müller-Volbehr, in: JZ 1981,41,42; ders. in: DÖV 1995, 301, 304; Muckei, Religiöse Freiheit, S. 137, der zutreffend darauf hinweist, daß ein Selbstverständnis, das darauf Wert legt, nicht Religion, sondern Weltanschauung zu sein, im Hinblick auf die Rechtsanwendung irrelevant ist, vgl. ebda, Fn. 79. 384 Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1985), 111, 114.
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2. Umfang der Gewissensfreiheit Um einer inflationären Beanspruchung des Grundrechts der Gewissensfreiheit entgegenzuwirken, sind weitere Eingrenzungskriterien zu finden, die der Telos der Norm nahelegt. Wie Herdegen zu Recht betont, kann sich das Gewissen nämlich fast jeden beliebigen Konflikts bemächtigen, so daß das Potential von Konflikten zwischen Gewissensentscheidungen und Rechtsbefehl "schier unerschöpflich" ist. 385 Zudem drohen inhaltliche Überlagerungen mit anderen Verbürgungen, insbesondere der Glaubensfreiheit. Dies legt es nahe, den Schutzbereich weiter zu konkretisieren. Aus teleologischer Sicht ist zunächst noch einmal ausdrücklich festzustellen, daß sich der Schutz der Gewissensfreiheit nicht auf den inneren Bereich, das bloße Denken, beschränkt. Eine Gewissensentscheidung wird regelmäßig erst durch ein entsprechendes Handeln zu einem gesellschaftlichen Konflikt, so daß auch insoweit Schutzbedarf besteht. Stets ist jedoch darauf zu achten, daß die Gewissensgeleitetheit des Handeins auch plausibel dargetan wurde. 386 Einige Fälle lassen sich bereits dadurch lösen, daß man von einer Gewissensentscheidung erwartet, daß sie in einem objektivierbaren Bezug zum persönlichen Verantwortungs bereich des Einzelnen steht. Es sollen nur solche Entscheidungen erfaßt sein, die sich dem Verantwortungsbewußtsein des Einzelnen zuordnen lassen. Nicht geschützt sind danach Fälle, in denen sich der Einzelne beispielsweise weigert, Steuern zu zahlen, weil ein Teil der Steuern für militärische Zwecke verwendet wird, oder Fälle der Arbeitsverweigerung aus Gewissensgründen. 387 Entscheidender teleologischer Aspekt ist jedoch der Umstand, daß die Gewissensfreiheit in erster Linie in Abwehifunktion auftritt. Sie schützt den Einzelnen vor Konflikten, die von außen - staatlicherseits - an ihn herangetragen werden. Daher gibt die Gewissensfreiheit lediglich das Recht zur Verweigerung staatlicher Befehle. In dem Grundrecht ist keine Ermächtigung für den Bürger zu sehen, selbst tätig zu werden. 388 Denn bei positivem Tun verfügt das Gewissen selbst über Alternativen; bloße Prinzipien oder Gebote lassen sich regelmäßig auf verschiedene Weise realisieren. 389 Daher sind die Mitglieder einer Kirchengemeinde, die von Abschiebung bedrohten Menschen "Kirchenasyl" gewähren, nicht durch die Gewissensfreiheit geschützt. Sie wehren sich nicht gegen einen von staatlicher Seite aufgezwungenen Konflikt, sondern bringen sich aufgrund eigenen Entschlusses in die Konfliktsituation. 39o Herdegen, in: HdbStKirchR, Bd. 1,481,488. Pieroth / Schlink, Staatsrecht 11, Rdn. 524. 387 Herdegen, in: HdbStKirchR, Bd. 1,481,489; MuckeI, Religiöse Freiheit, S. 162 f. 388 MuckeI, Religiöse Freiheit, S. 159 f.; vgl. auch Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), 33,36 f. 389 Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), 33, 68. 390 FriauflHöfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 59. 385
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Aus dem Gesagten ergibt sich zudem deutlich, daß eine Gewissensentscheidung - gemäß dem allgemeinen Sprachgebrauch391 - etwas höchst Individuelles392 ist. Sie setzt nicht notwendig ein allgemeines, umfassendes Gedankensystem voraus, sondern beschränkt sich auf das Gefühl der Verpflichtetheit im Einzelfall. Ein solcher Gewissenskonflikt kann daher schon begrifflich nicht korporativ empfunden werden,393 was eine gesonderte Betrachtung im Ergebnis rechtfertigt. Die Gewissensfreiheit ist nur gewährleistet als ein höchstpersönliches Individualrecht und nicht, im Unterschied zur Religionsausübungsfreiheit, als ein Recht von Gruppen oder Religionsgesellschaften. 394 Zuletzt sollte die Schutzbereichsbestimmung in Erinnerung rufen, daß ungeachtet der notwendig subjektiv geprägten Gewissensrelevanz eines Verhaltens der Schutz der Gewissensfreiheit de facto nicht tagtäglich beansprucht wird. Das Gewissen tritt ja nur in Erscheinung, wenn es als regulierende, fordernde Instanz gefragt wird, das heißt wenn die Persönlichkeit in ihrer Struktur, in der Möglichkeit, die eigene Identität zu wahren, kritisch berührt und betroffen ist. 395 Die Befürchtung einer "Inflation von Gewissensentscheidungen" verfehlt daher wohl die soziale Realität. 396 3. Konkretisierung der Begriffe von Religion und Weltanschauung
Art. 4 GG bezweckt den Schutz bestimmter menschlicher Überzeugungen,397 die von dem Menschen als verbindlich empfunden werden und damit untrennbar mit seiner personalen Identität verknüpft sind?98 Wie Fleischer richtig ausführt, entfaltet eine Überzeugung dann erhöhte Verbindlichkeit, wenn sie Fragen nach Herkunft und Ziel des Daseins, der Stellung des Menschen in der Welt und dem abstrakten Sinn des Lebens zum Gegenstand hat. 399 Solche Überzeugungen führen im Extremfall dazu, daß der Einzelne sein Leben an ihnen ausrichtet; im Mindest391 392
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BVerfGE 12,45,54. v. Mangoldtl Klein I Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn. 6; Bock, in: AöR 123 (1998),444,
Dreier-Morlok, GG, Art. 4 Rdn. 30. Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), 33, 65; Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 177. 395 Luhmann, in: AöR 90 (1965), 257, 267 f.; Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), 33, 67. 396 Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), 33, 69. 397 Kritisch zu diesem Begriff Bock, in: AöR 123 (1998), 444, 449 f. 398 Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, S. 96. 399 Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, S. 141 f.; 166. Nach Bock liegt allen sozialwissenschaftlichen und philosophischen Definitionen von "Religion" übereinstimmend die "Thematisierung und Aufgabe einer Bewältigung der Kontingenz, der menschlichen Erfahrung der Zufalligkeit des Lebens" zugrunde. Siehe Bock, in: AöR 123 (1998), 444,456. 393
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
maß wirkt sich die Verbindlichkeit aber dergestalt aus, daß der Einzelne damit eine gewisse Hoffnung verbindet, die ihm bei der Bewältigung seines Daseins hilft oder jedenfalls helfen sol1. 4oo Für den Einzelnen ist sie damit substantiel1. 401 Daraus ergibt sich auch die unmittelbare Nähe zur Würde des Menschen, die als oberster Wert der Verfassung gilt, und daraus erklärt sich auch der Stellenwert, der Art. 4 GG im Gesamtgefüge des Grundgesetzes zukommt. Handelt der Mensch im Bewußtsein dieser Überzeugungen, so kommt damit sein Wesen selbst zum Ausdruck. Wird er an der Ausübung dieses überzeugungsgeleiteten, für ihn verbindlichen HandeIns gehindert, dann mag er sich in seinem unverzichtbaren Persönlichkeitskern betroffen fühlen. Daraus ergibt sich, daß die subjektiv empfundene Verbindlichkeit der Glaubensüberzeugung eine Voraussetzung für den besonderen Schutz von Art. 4 GG ist. Ist offenkundig, daß die Religion oder Weltanschauung, oder auch nur das eigene Gewissen, als bloßer Vorwand verwendet wird, um in deren Gefolge Tätigkeiten nachgehen zu können, die subjektiv nur von begrenzter Wichtigkeit für den Einzelnen sind und objektiv in keinem erklärbaren Zusammenhang mehr mit der Glaubensüberzeugung stehen, dann ist schon nicht der Schutzbereich des Grundrechts betroffen. 402 Aus dem Grunde können sich auch Organisationen, deren Interessen ganz vorwiegend wirtschaftlicher oder politischer Natur sind, nicht auf Art. 4 GG berufen. 403 Ebenso fallen in diesem Zusammenhang aber auch Tätigkeiten aus dem Schutzbereich, die darauf abzielen, die Individualautonomie des Einzelnen auszuschalten oder die erkennbar auf solchen Techniken der vorsätzlichen Beeinflussung beruhen und daher ersichtlich nicht mehr von dem Willen des einzelnen Mitglieds der Glaubensgemeinschaft getragen werden. 404 Hier ist nicht mehr von einer "subjektiven Verbindlichkeit" zu sprechen, sondern von einer objektiven. Problematisch ist allerdings, daß die objektive Verbindlichkeit, die mit unlauteren Mitteln herbeigeführt worden ist, im Regelfall auch zu subjektiv empfundenem Zwang führt. Es wird deshalb kaum ersichtlich sein, ob sich ein einzelner Gläubiger im Einzelfall von der "offiziellen Linie" seiner 400 Kein Kriterium bei der Beurteilung, ob eine "Religion" vorliegt, darf daher eine "Glaubensgewißheit" sein. Religiöser Erfahrung ist eine "Enttäuschbarkeit und Anfechtbarkeit" inhärent, die dem rechtlichen Verständnis von Glauben als Gewißheit entgegensteht. So zu Recht Bock, in: AöR 123 (1998),444,450. 401 Vgl. Robbers, in: VVDStRL 59 (2000), 231, 232: "In Religionspflege wie in Religionsabwehr berührt der Staat Lebensäußerungen von besonderer Kraft und Sensibilität." 402 Allerdings ist hier darauf zu achten, daß die Anforderungen nicht überspannt werden, weil sich sonst wiederum Abgrenzungsschwierigkeiten zur Gewissensfreiheit ergeben, für die die Alternativlosigkeit des Verhaltens gerade charakteristisch ist. 403 Bock, in: AöR 123 (1998),444,461; Brenner, in: VVDStRL 59 (2000), 264, 292. Bereits aus dem Grunde verwehrt Art. 4 GG etwa der "Church of Scientology" den Schutz, vgl. Muckei, in: German Yearbook ofInternational Law 41 (1998),299,307 f. 404 Vgl. Hillgruber, in: JZ 1999, 538, 542; Abel, in: Engstfeld/Haack, u. a., Juristische Probleme, 34, 47 f. Abel nennt als Beispiele einer solchen Beeinflussung "Drogen, eine bestimmte Ernährungsweise oder Schlafentzug".
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Religionsgemeinschaft distanziert und in Wahrheit nur aus Gründen des "Gruppenzwangs" handelt. Zur Unterscheidung dessen, was noch geschützt ist und was nicht, hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt formuliert, daß primärer Anknüpfungspunkt zwar zunächst das Selbstverständnis einer Gemeinschaft sei, es aber nicht allein darauf ankomme, sondern daß es sich "auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und Religionsgemeinschaft handeln müsse".405 Ferner müsse die Behauptung, daß das Handeln glaubensgeleitet und -verpflichtet ist, auch plausibel sein. 406 Ob im Streitfall eine Religion oder eine Religionsgemeinschaft vorliege, sei letztlich von den Gerichten zu entscheiden. Diesen stünde dabei aber keine freie Bestimmungsmacht zu. Vielmehr müßten sie "den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrunde legen,,.407 Es scheide auch das Verhalten aus, das nur im äußeren Zusammenhang mit einer religiösen und weltanschaulichen Handlung stattfinde. 408 Im Ergebnis ist dieser Vorgabe zuzustimmen. Es ist zunächst richtig, das Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft als Ausgangspunkt der Überprüfung zugrunde zu legen. Der zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichtete Staat darf den Glauben oder Unglauben seiner Bürger grundsätzlich nicht bewerten, d. h. den Schutzbereich der Religionsfreiheit durch wertende Definitionen nicht einengen. 409 Es sogar gibt Bereiche, in denen der Staat nicht einmal Einsicht nehmen kann, selbst wenn er wollte. So ist es ihm sicher nicht möglich, einer neuen Glaubensgemeinschaft nachzuweisen, was noch Bestandteil ihres Glaubenskodex ist und was nicht. Auch wird er nicht beurteilen können, welches Motiv einem Handeln im Einzelfall wirklich zugrunde lag. Schließlich ist er nicht in der Lage, die "eigenen Angelegenheiten" einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft nach Art. 137 III WRV zu bestimmen. 410 Allerdings zwingen die "Gemeinwohlverantwortung und die zu ihrer Konkretisierung normativ ausgeformten verfassungsrechtlichen Schutzaufträge, insbesondere die grundrechtlichen Schutzpflichten",411 die staatlichen Stellen, dem Selbstverständnis Grenzen zu ziehen, wenn es ihnen offensichtlich erscheint, daß keine Glaubensbetätigung mehr vorliegt. Wie von Campenhausen zutreffend bemerkt, ist nur das geschützt, BVerfGE 83,341. Muckei, in: Gennan Yearbook ofintemational Law 41 (1998),299,306; Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 173. 407 BVerfGE 83, 341, 353. 408 Pieroth I Schlink, Staatsrecht 11, Rdn. 514. 409 Wilms, in: FS für Kriele, 341, 343; Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 172 ff.; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 73. 410 Siehe 4. Teil, § 1 III 3 c). Aus dem Grunde ist in diesem Zusammenhang zu Recht von einem "begrenztem Definitionsverbot" die Rede. Vgl. Bock, in: AöR 123 (1998), 444, 453 ff. 411 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 121 f.; auch Bunneister, in: FS für Winkler, 139, 146 f. 405
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was wirklich Religion und Weltanschauung ist und nicht Beliebiges, was sich dafür erklärt. 412 Oder, anders formuliert, der säkulare Staat darf zwar nicht entscheiden, was Religion ist, aber sehr wohl kann er entscheiden, was er in seiner Rechtsordnung als Religion oder Weltanschauung anerkennt. 413 Hier obliegt den zuständigen staatlichen Stellen nicht nur die Befugnis zu einer Grenzziehung, hier trifft sie sogar ein "Definitionsgebot,,414 zur näheren Bestimmung des Inhalts religiöser oder weltanschaulich geprägter Rechtsbegriffe anhand objektiver Kriterien. 415 Neben den zuvor bereits dargestellten Kriterien416 und der den Gerichten obliegenden Verpflichtung, die Behauptungen der jeweiligen Grundrechtsberechtigten streng auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen,417 sind die wichtigsten objektiven Gesichtspunkte der teleologischen Interpretation die der negativen Abgrenzung: Ausübung von Religion oder Weltanschauung kann dann nicht angenommen werden, wenn der Hauptzweck der nachweisbaren, tatsächlichen Betätigung der Vereinigung auf wirtschaftliches oder politisches Handeln gerichtet iSt. 418 Hier geht es nämlich nicht mehr um die Pflege von Wertvorstellungen und innerer Überzeugungen, hier geht es der Vereinigung auch nicht mehr primär um die Vermittlung von Sinnhaftigkeit, moralischen Maßstäben, seelischem Halt oder auch nur Gemeinschaftsgefühl, und deshalb entfällt hier auch jeder Schutzbedarf nach Art. 4 GG. Wie bereits die Unterscheidung von Religionsfreiheit einerseits sowie Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) andererseits zeigt, geht das Grundgesetz davon aus, daß zwischen religiösem und wirtschaftlich orientiertem Handeln differenziert werden kann. 419 Zwar sind auch den christlichen Großkirchen nahestehende Organisationen im Rahmen ihrer karitativen Arbeit im wirtschaftlichen Bereich tätig. Diese können jedoch eine Tradition auf dem Gebiet wirtschaftlichen Wirkens für sich beanspruchen, auf die die neuen Religionsgemeinschaften nicht zurückblicken können. 42o Diese mangelnde Vergleichbarkeit rechtfertigt eine verschiedene Behandlung. Es macht auch keinen Unterschied, ob man nun konkret darauf abstellt, daß eine Gemeinschaft "vorwiegend wirtschaftlich tätig ist" oder daß sie religiöse Aspekte von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 73. Kästner, in: JZ 1998,974,978. 414 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 122; ders. in: FriauflHöfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 6; Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte, S. 36; Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, S. 125 ("Definitionsauftrag"). Vgl. auch Mucke!, in: JA 1995,343,345. 415 Muckei, Religiöse Freiheit, S. 121. 416 Siehe unter 4. Teil, § 1 III 1. 417 Hillgruber, in: JZ 1999,538,541, spricht hier von einer "Emsthaftigkeitskontrolle". 418 Jeand'Heur / Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 92 ff. 419 Gleiches gilt für die Unterscheidbarkeit von Religion und Politik. Vgl. FriauflHöflingMucke!, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 13. 420 FriauflHöfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 11. 412
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nur als "Vorwand für andere, wirtschaftliche Ziele" benutzt. 421 Diese theoretisch richtige Differenzierung ist praktisch ohne Relevanz, weil keine objektiven Kriterien existieren, mit deren Hilfe einer ohnehin schon überwiegend wirtschaftlich tätigen Gemeinschaft noch nachgewiesen werden könnte, sie betätige sich darüber hinaus nur unter dem Vorwand von Religion oder Weltanschauung. Eine Gemeinschaft, die einen derartigen Verdacht auf sich gezogen hat, wird sich kaum dazu verleiten lassen, in einer Art "Satzung" wirtschaftliche Interessen als die wichtigsten Ziele auszugeben. Die Unterschiede liegen daher - wenn überhaupt - allein auf der subjektiven Seite,422 für deren Ermittlung ebenfalls an objektive Kriterien angeknüpft werden müßte,423 da nicht davon auszugehen ist, daß sich die Gemeinschaft offen zu ihren wirtschaftlichen Zielen bekennt. Aus dem Grunde ist in jedem Fall auf das äußere Gesamterscheinungsbild der betreffenden Gruppierung abzustellen. Wenn sich dabei zeigt, daß die wirtschaftliche Tätigkeit ganz offenkundig im Vordergrund steht, dann ist zugleich zu unterstellen, daß nur unter dem Vorwand von Religion oder Weltanschauung gehandelt wird. Zur Beantwortung der Frage, wann eine Gemeinschaft überhaupt "vorwiegend" wirtschaftliche Ziele verfolgt, empfiehlt sich eine betriebs wirtschaftliche Betrachtung. Eine Religionsgemeinschaft darf in der Substanz kein Wirtschaftsunternehmen sein. 424 Wirtschaftsunternehmen bilden das Erfahrungsobjekt der Betriebswirtschaftslehre und stellen hiernach planvoll organisierte Wirtschaftseinheiten dar, in der Sachgüter oder Dienstleistungen erstellt und abgesetzt werden. Triebfeder und damit auch Erkennungszeichen jeden wirtschaftlichen Handeins ist dabei das sogenannte "erwerbswirtschaftliche Prinzip",425 d. h. das primäre Bestreben, bei der Leistungserstellung und -verwertung das Gewinnmaximum zu erreichen. Nur auf nachrangiger Ebene dient wirtschaftliches Handeln auch anderen Zielen, wie z. B. der Sicherung von Arbeitsplätzen, der Verminderung von Umweltbelastungen oder auch der Erfüllung ethisch-moralischer Nebenbedingungen. Damit präsentiert sich das Zielsystem eines Wirtschaftsunternehmens, das durch die Gesamtheit der miteinander verknüpften Unternehmensziele gebildet wird, in seiner 421 A.A. aber BVerwGE 90, 112, 117 f.; Muckei, in: FriauflHöfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 11 f. Hiernach entfalle der Schutz des Art. 4 GG nicht schon dann, wenn sich eine Gemeinschaft "überwiegend" wirtschaftlich betätige, wohl aber wenn ihre religiöse oder weltanschauliche Lehre lediglich als Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen diene. 422 Insofern wohl zustimmend Muckel, in: FriauflHöfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 11 m. w. N., der von der "wahren Motivation" für die Aktivitäten der Gemeinschaft spricht. 423 Vgl. die ähnlich gelagerte Problematik von der Feststellung des "subjektiven Tatbestandes" im Strafrecht. Da innere Tatsachen im Prozeß schwer feststellbar sind, ist speziell die Praxis dazu übergegangen, Indizien aufzuzeigen, die Schlüsse auf den psychischen Sachverhalt zulassen. Siehe Schönkel Schröder-Cramer I Sternberg-Lieben, StGB, § 15 Rdn. 73a. 424 Vgl. Friauf I Höfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 12. 425 Begriff nach Erich Gutenberg; siehe Gutenberg, Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Bd. 1, S. 10.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
vertikalen Struktur immer als Hierarchie. 426 An der Spitze dieser Zielhierachie steht das Streben nach langfristiger Gewinnmaximierung als Ausdruck des erwerbswirtschaftlichen Prinzips. Für alle Gruppierungen, die von sich behaupten, Religionsgemeinschaften zu sein und keine Wirtschaftsunternehmen, folgt daraus nicht, daß sie auf bloße Kostendeckung aus sein müssen. Gewinnerzielung ist nicht per se ausgeschlossen. Wenn aber ersichtlich ist, daß unter einer Vielzahl von Zielvorstellungen das primäre Ziel der Gruppierung die "Gewinnmaximierung" ist, dann ist sie vorwiegend wirtschaftlich tätig und Religion wird nur noch unter einem Vorwand betrieben. Zur Feststellung dessen wird man etwa darauf zu achten haben, wie mit erwirtschafteten Summen verfahren wird. Jede Gemeinschaft hat sich aus einem ganz bestimmten Grund zusammengeschlossen, es geht ihr um die Verfolgung eines "Hauptzwecks".427 Daher wird die Gemeinschaft auch darauf bedacht sein, erwirtschaftete Beträge stets im Sinne dieses Zwecks - der Grundlage der Gruppierung ist - zu verwenden. Hauptzweck einer Religionsgemeinschaft sollte in jedem Fall die Pflege und Förderung der gemeinsamen, zugrunde liegenden Überzeugungen sein. Wenn der Hauptzweck aber nur noch darin besteht, sich im Sinne des erwerbswirtschaftlichen Prinzips persönlich zu bereichern bzw. Einkommen für diejenigen zu erwirtschaften, die als Entscheidungsträger der Gruppierung gelten und möglicherweise ursprünglich das "Eigenkapital" der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt haben, dann werden vorwiegend wirtschaftliche Ziele verfolgt. Hier kann nicht mehr von einer Religionsgemeinschaft gesprochen werden. Gleiches gilt für Gemeinschaften mit vorwiegend politischen Absichten: Wer überwiegend die politische Umsetzung seiner Gesellschaftsentwürfe im Auge hat und auf eine Veränderung von Staat und Gesellschaft abzielt, kann sich nicht auf Art. 4 GG berufen, sondern ist auf den Schutz anderer Grundrechte angewiesen. 428 Der Anschein praktischer Tauglichkeit dieser Begriffsmerkmale leidet zwar darunter, daß die Gerichte trotz Anwendung dieser Kriterien in bezug auf dieselbe Organisation zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können beziehungsweise bereits gekommen sind. 429 Jedoch garantieren auch die engsten und deutlichsten Vgl. Granger, in: Harvard Business Review 42 (1964), 63, 65. Insofern bietet sich eine Parallele zum Steuerverfahrensrecht an. Hiernach steht es der Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke gern. §§ 51 ff. AO nicht entgegen, einen sog. "Zweckbetrieb" gern. § 65 AO zu unterhalten. Dieser Begriff impliziert, daß neben einem begünstigten, d. h. gemeinnützigen (§ 52 AO), mildtätigen (§ 53 AO) oder kirchlichen "Hauptzweck" (§ 54 AO) auch wirtschaftliche Nebenzwecke verfolgt werden können, solange letztere in ihrer Gesamtausrichtung nur dazu dienen, die steuerbegünstigten Hauptzwecke zu verwirklichen. So wird man in den hier in Rede stehenden Fällen genau darauf zu achten haben, ob der sich nach außen manifestierende Hauptzweck der Gesellschaft eher in der Gewinnerzielung liegt oder der Verbreitung des gemeinsamen Bekenntnisses. 428 HbdStR-von Campenhausen, Band VI, § 136 Rdn. 73. 429 Vgl wiederum im Hinblick auf die Church of Scientology BAG NJW 1996, 143, 146 ff.; OVG Hamburg NVwZ 1995,498,499 ff. 426 427
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Tatbestandsvoraussetzungen keine Gleichheit in der Subsumtion. Letztlich überwiegt die Gewißheit, daß einer ausufernden Anwendung von Art. 4 GG wirksam entgegengetreten werden kann, wenn die genannten Kriterien von den Gerichten streng befolgt werden. Gerade in den Fällen, bei denen eine Ausübung von Religion oder Weltanschauung oder ein Gewissenskonflikt nicht schon offensichtlich ist, wird es dem Einzelnen gar nicht so leicht fallen, nachzuweisen, daß ein bestimmtes Verhalten Konsequenz einer bestimmten Überzeugung war. Zunächst muß er nämlich darlegen, daß er einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft angehört, die sich selbst auch wirklich als solche versteht. Die Gründe dafür sind ebenso plausibel darzulegen wie anschließend die Begründung, warum das Verhalten auch als persönlich verpflichtend empfunden wurde. Der Richter hat hierbei zu prüfen, ob das Verhalten auch im Rahmen dessen ist, was die Lehre seiner Gemeinschaft vorgibt. 43o Vorwiegend anhand äußerer Kriterien 431 ist sodann negativ abzugrenzen, ob die Glaubensgemeinschaft nicht vorwiegend wirtschaftliche oder politische Ziele verfolgt und bereits deshalb keinen Schutz nach Art. 4 GG beanspruchen kann. Man wird prüfen müssen, ob der Verdacht einer primär politischen Betätigung womöglich nicht bereits dann begründet ist, wenn Gruppierungen Lehren verbreiten und Einstellungen fördern, die ihre Mitglieder weit über den Bereich der "klassischen Konfliktfelder" hinaus in Widerspruch zu den gesellschaftlichen Normen bringen. 432 Beruft sich der Einzelne ungeachtet einer Zugehörigkeit zu einer Religion oder Weltanschauung auf seine Gewissensfreiheit, so sind an die Plausibilität seiner Behauptungen sogar noch höhere Anforderungen zu stellen, damit die Gewissensfreiheit nicht als "Hintertor" zum Schutz solcher Betätigungen dient, die nicht den Schutz der übrigen Verbürgungen von Art. 4 GG genießen. Diese Anforderungen stellen eine objektive Begrenzung des Schutzbereichs dar; die Überstrapazierung des Grundrechts durch die sogenannten Jugendsekten steht damit nicht zu befürchten.
430 Für kleinere Gemeinschaften stellt sich hier offenkundig das Problem, das ein solcher "Rahmen" kaum Konturen besitzen wird. Aber auch bei den hergebrachten Glaubensgemeinschaften ist dieser Rahmen nicht zu eng zu ziehen. Man denke etwa an einen "progressiven" katholischen Pfarrer, der im Detail auf Distanz zum Papst als dem Oberhaupt der katholischen Kirche geht und dadurch fürchten muß, nicht mehr dem Schutz des Art. 4 GG zu unterstehen. Hier ist bereits die Tätigkeit an sich ausreichender Beleg für ein glaubensgeleitetes Tun. Es gibt allerdings keine zwangsläufige Schlußfolgerung vom Status einer Kirche auf eine religiöse Tatbestandsmäßigkeit ihres gesamten Verhaltens, vgl. Kästner, in: JZ 1998, 974,979 f. 43\ Dazu zählen nicht nur die "offiziellen Texte" der Gemeinschaft, sondern auch ihr tatsächliches Verhalten, sowohl nach außen wie auch nach innen. Geprüft werden sollten auch Stellungnahmen der Glaubensgruppe zu gesellschaftlich relevanten Themen, ebenso wie die Aussagen aktueller und ehemaliger Mitglieder zum Leben in der Glaubensgemeinschaft. 432 Vgl. Abel, in: Engstfeld/Haack, u. a. Juristische Probleme, 34, 47.
\6 Fülbier
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
4. Schutz der Extrembetätigungen
Fraglich ist, ob es auch dem Telos der Nonn entspricht, daß die oben als "Extrembetätigungen" bezeichneten glaubensgeleiteten Handlungen,433 deren Bestimmung im Einzelfall dem Richter zufällt, nicht vom Schutzbereich des Art. 4 GG umfaßt sind. Die teleologische Auslegung bestätigt die historische zunächst darin, daß der Schutzbereich des Art. 4 GG über das Verständnis der Religionsfreiheit im abendländisch-christlichen Sinne weit hinausgeht und auch neuen, ganz anders gearteten Gemeinschaften offensteht. 434 Es ist nämlich insbesondere die Erforschung von Sinn und Zweck der Nonn, die dem Umstand Rechnung trägt, daß religiös-ethische Anschauungen dem Wandel der Zeit unterliegen und dementsprechend weit interpretiert werden müssen. Insofern erscheint aber zweifelhaft, ob bereits auf der Ebene des Schutzbereichs eine Art Selektion stattfinden muß. Dafür könnte sprechen, daß die Interpretation auch die aktuelle Lebenswirklichkeit, die Kulturtradition sowie das allgemeine und religions wissenschaftliche Verständnis berücksichtigen muß. 435 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang einmal behauptet, daß das Grundgesetz nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollte, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen herausgebildet hat. 436 Nicht zuletzt darauf wird die Forderung gestützt, "extreme" Praktiken wie Witwenverbrennung oder Menschenopfer aus dem Schutzbereich der Religionsfreiheit auszunehmen. 437 Allerdings ist Hamel im Grundsatz wohl zuzustimmen, daß der Staat in ein Bekenntnis nur dann eingreifen und bestimmte Verhaltensweisen verbieten kann, wenn er sich bestimmte absolute Sittengesetze zu eigen gemacht hat, die in diesem Falle genuin christlich sind. 438 Es erscheint zwar im Hinblick auf das, was zur Privi legierung der Großkirchen wegen des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus ausgeführt wurde,439 nicht völlig abwegig, zu behaupten, daß sich auch der Religionsbegriff jedenfalls im Kern nach den christlich geprägten Wertvorstellungen orientieren muß, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen. Dies wäre jedoch nicht zu vereinbaren mit den Grundsätzen der religiös-weltanschaulichen Neutralität Siehe 4. Teil, § 1 11 6. Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1985), 111, 115. 435 Vgl. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 83. 436 BVerfGE 12, 1,4; bestätigt in BVerfGE 24, 236, 246. Zustimmend auch Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung, S. 34; Abel, in: Engstfeld/Haack, u. a., Juristische Probleme, 34,40; 43. 437 Vgl. Franz, in: NVwZ 1985, 81, 83; Abel, in: Engstfeld/Haack, u. a., Juristische Probleme, 34, 40. 438 Vgl. Bettermann I Nipperdey IScheuner-Hamel, Die Grundrechte, Bd. IV 11, S. 77. 439 Siehe 3. Teil, § 3 IV 3 c). 433
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und der Parität, denen der Staat unterliegt. Danach darf er in den Wahrheitsfragen der Religionen und Weltanschauungen nicht Partei ergreifen; er folgt dem Grundsatz der Nichtidentifikation und der Gleichbehandlung. Die Ausführungen über die Bedeutung der christlichen Werte im Zusammenhang mit der Rechtfertigung des Körperschaftsstatus der Großkirchen taugen hier auch nicht als Vergleichsmaßstab. Bei der Verleihung oder Beibehaltung des Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft geht es um die Sicherstellung eines kooperativen, vertrauensvollen Miteinanders von Staat und kirchlichen Organisationen, kurz: um die Einräumung staatlicherseits gewährter Privilegien. Bei der Frage, was noch als religiöse Betätigung anzusehen ist, geht es jedoch um die Befugnis zum grundsätzlichen Tätigwerden, das heißt um die Existenzberechtigung einer Glaubensgemeinschaft in unserer Gesellschaft. Hier müssen notwendig auch andere Kriterien gelten. In Ansehung all dessen hat auch das Bundesverfassungsgericht nicht an seiner Kulturadäquanzformel festgehalten, sondern sich mittlerweile ausdrücklich gegen feste Maximen ethischer Grundanschauungen gewandt und die Offenheit gegenüber dem Pluralismus weltanschaulich-religiöser Bekenntnisse als "ethischen Standard" des Grundgesetzes betont. 44o Dem ist ausdrücklich zuzustimmen, weil die Kulturadäquanzformel die Wirkung einer "Sperre für die Herausbildung neuer Religionen oder Weltanschauungen" hat. 441 Das Telos von Art. 4 GG legt schlichtweg kein Ausscheiden gewisser glaubensgeleiteter Tätigkeiten nahe. Die Norm dient dem Schutz bestimmter, subjektiv verbindlicher Überzeugungen ohne Frage nach der Vereinbarkeit mit anderen Belangen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift fallen demnach auch die sogenannten "Extrembetätigungen" in den Schutzbereich der Norm. Insofern findet die historische Interpretation keine Bestätigung. 442 5. Ergebnis
Die Bestimmung der Schutzgüter von Art. 4 I, II GG hat anhand objektiver Kriterien zu erfolgen, wobei insbesondere von Bedeutung ist, daß ein Handeln, das den Schutz der Norm beansprucht, von persönlicher Verbindlichkeit für den Einzelnen ist, daß er diese Verbindlichkeit plausibel darlegen kann und daß er, oder die Glaubensgemeinschaft, der er angehört, nicht primär wirtschaftliche oder politische Ziele verfolgt, was nach dem äußeren Erscheinungsbild zu beurteilen ist. 440 BVerfGE 41, 29, 50. Zustimmend etwa MuckeI, in: NVWBI. 1998, 1,3; Heckel, in: FS für Kriele, 281, 289; Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 171 f.; leand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 97. Im übrigen entspricht es aber auch dem christlich geprägten Verständnis der heutigen Gesellschaft, derartige "Extrembetätigungen" durchaus als religiöse Handlungen anzuerkennen, selbst wenn die überragende Mehrheit diese im Ergebnis als fremd empfände und nicht billigen würde. 441 leand'Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 97. 442 Siehe 4. Teil, § 1 II 6.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
"Extrembetätigungen" wie Polygamie, Tempelunzucht, Menschenopfer und Witwenverbrennung werden grundsätzlich auch von dem Schutz der Religionsfreiheit umfaßt. Die Religionsausübungsfreiheit aus Art. 4 Abs. 2 GG, die nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts bereits deshalb extensiv ausgelegt werden muß, weil sie "zentrale Bedeutung für jeden Glauben und jedes Bekenntnis hat",443 schützt entgegen ihrem Wortlaut sowohl die Ausübung einer Religion als auch die einer Weltanschauung. Auch eine übermäßige Beanspruchung der Gewissensfreiheit ist nicht zu erwarten, wenn insbesondere der Zweck der Norm als Abwehrrecht ausreichend berücksichtigt wird.
v. Gesamtergebnis Die Zusammenschau aus Text, geschichtlicher Betrachtung, systematischem Kontext und Zweck der Norm zeigt, daß die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG nicht ein einheitliches, umfassendes Grundrecht ist, das nur aus Gründen der KlarsteIlung in seinen verschiedenen Ausprägungen aufgezählt ist. Art. 4 Abs. I und 2 GG beinhaltet vielmehr Einzelverbürgungen in Gestalt der Glaubensfreiheit, der Bekenntnisfreiheit, der Religionsausübungsfreiheit, die insgesamt unter dem Topos der "Religionsfreiheit" zusammengefaßt werden, und ein Grundrecht der Gewissensfreiheit, das trotz seiner Selbständigkeit in einem engen Sinnzusammenhang mit den übrigen Rechten der Norm steht. Alle Methoden kommen darüber hinaus zu dem Ergebnis, daß die Freiheiten extensiv ausgelegt werden müssen und eine Definition des Schutzbereichs trotz der deutlich christlichen Prägung unserer Werteordnung nicht ausschließlich nach christlichem Verständnis erfolgen darf. Im Gegenteil, das Grundrecht muß grundsätzlich all denjenigen offenstehen, deren Denken und Handeln glaubensgeleitet ist und die eine religiöse, weltanschauliche oder gewissensbedingte Motivation nicht nur als Vorwand benutzen, um in Wahrheit vielmehr einer politischen oder wirtschaftlichen Absicht nachzugehen. Religions- und Gewissensfreiheit unterliegen einer differenzierten Schrankensystematik. Glaubens-, Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit finden ihre Schranke in den "allgemeinen Gesetzen" des Art. 136 I WRV; ein völliger Verzicht auf Abwägungen angesichts der im Grundgesetz angelegten Konfliktlagen ist zwar auch hier nicht möglich. Allerdings kann die Abwägung durch Bildung von Fallgruppen und über den Einzelfall hinausgehende Belange objektiviert werden. Die Gewissensfreiheit dagegen ist nach dem Wortlaut uneingeschränkt gewährleistet. Sie kann lediglich durch Grundrechte Dritter und Werte von Verfassungsrang eingeschränkt werden. Widersprüchliche Ergebnisse haben sich lediglich in bezug auf die Frage des Schutzes der sogenannten "Extrembetätigungen" ergeben. Während die historische Interpretation nahelegt, diese Tlitigkeiten bereits nicht als "Religion" im Sinne der 443
BVerfGE 24, 236, 246.
§ I Deutschland
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Vorschrift anzusehen, sprechen die übrigen Auslegungsmethoden für einen sehr umfassenden Schutz der Vorschrift, der auch die Extrembetätigungen einschließt. In Abwägung der verschiedenen Ergebnisse gegeneinander ist festzustellen, daß sich die verschiedenen Lösungen in der praktischen Konsequenz nicht wesentlich voneinander unterscheiden werden. Die Schranken von Art. 4 GG, insbesondere die des Art. 140 GG i.Y.m. Art. 136 Abs. I WRV, bieten durchaus die Handhabe, derartigen Betätigungen den grundrechtlichen Schutz wieder zu entziehen. Im Rahmen der abstrakt-generellen Rechtsgüterabwägung werden diese Verhaltensweisen gegenüber gegenläufigen Belangen zurücktreten müssen. Regelmäßig werden in diesen Fällen darüber hinaus Grundrechte Anderer betroffen sein, die als weitere Schranke der durch Art. 4 GG geschützten Tätigkeiten dienen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß das Ergebnis der historischen Auslegung, Extrembetätigungen zunächst nach Art. 4 GG zu schützen, durchaus berechtigt ist. Nicht zuletzt die Erfahrungen des Nationalsozialismus erzwingen eine möglichst weite Auslegung des Grundrechts geradezu. Letztlich erscheint es gerechtfertigt, jedes noch so fremd und unverständlich anmutende Verhalten zunächst dem Schutz von Art. 4 GG zu unterstellen, wenn es religiös motiviert ist. Es ist daher keine vorherige inhaltliche Eingrenzung des Schutzbereichs vorzunehmen.
VI. Abschließende Bemerkungen zur methodischen Vorgehensweise von Bundesverfassungsgericht und Literatur 1. Rechtsprechung Die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Bereich von Art. 4 Abs. I, 2 GG wird, soweit ersichtlich, überwiegend positiv eingeschätzt. So äußerte sich etwa Listl geradezu enthusiastisch, als er davon sprach, daß es "zu den großen Leistungen des Bundesverfassungsgerichts" gehöre, durch seine auf dem Gebiete der Religions- und Kirchenfreiheit ergangenen Entscheidungen "eine auf festen, tragenden Grundsätzen beruhende, rational nachvollziehbare, konstante, im Ergebnis überzeugende und daher Zustimmung verdienende Rechtsprechung entwickelt zu haben.,,444 Zustimmung erfahrt diese Judikatur insbesondere im Hinblick auf das Ergebnis, weil sich die herrschende Meinung der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts insoweit angeschlossen hat. Richtigerweise stößt die Rechtsprechung des Verfassungs gerichts zu Art. 4 GG aber gerade wegen der - hier verworfenen - Auffassung, daß die ersten beiden Absätze des Art. 4 GG in ihren religiösen Bezügen als einheitliches Grundrecht aufzufassen ist, welches die gesamte religiös motivierte Lebensführung unter verfassungsrechtlichen Schutz stellt, auf Bedenken. 445 Dies gilt auch und vor allem für die metho444
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ListI, in: HdbStKirchR, Bd. 1,439. Vgl. Kästner, in: JZ 1998,974,977.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
disehe Vorgehensweise, die im Rahmen von Art. 4 GG stark ergebnisorientiert ist. Die gesamte Argumentation leidet darunter, daß das Gericht vereinheitlicht und die Grenzen der einzelnen Grundrechte aufhebt. Zu Recht wird deshalb darauf hingewiesen, daß die Tenninologie vom Gericht nie konsequent eingehalten werde. 446 Immer wieder werde etwa der tenninologisch und sachlich vorgegebene Unterschied zwischen der ein Internum bildenden Glaubensfreiheit und der Bekenntnisfreiheit völlig verwischt. 447 In seinen Leitentscheidungen zur Religionsfreiheit bemüht das Verfassungsgericht überwiegend historische Argumente, um einzelne Aspekte seiner Rechtsprechung zu belegen. So wird die ausdrückliche Erwähnung der Religionsausübungsfreiheit in Art. 4 11 GG - bei angeblicher Identität der Schutzrichtung von Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit - ebenso als historische Antwort auf den Nationalsozialismus verstanden,448 wie der Umstand, daß die Religionsfreiheit nicht nur in Teilfreiheiten, sondern umfassend gewährleistet sein sol1. 449 Die Entstehungsgeschichte wird auch explizit herangezogen, um zu begründen, daß die religiöse Vereingungsfreiheit verfassungsrechtlich gewährleistet und vornehmlich in Art. 4 GG verankert iSt. 450 Und nicht zuletzt in bezug auf die Schranken folgt das Gericht einer geschichtlichen Argumentation; durch die Loslösung der Glaubensund Gewissensfreiheit aus dem Zusammenhang der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung sei auch Art. 136 WRV in deren Licht auszulegen. Die Vorschrift werde dadurch nach Bedeutung und innerem Gewicht von Art. 4 GG überlagert. 451 Dadurch schließt das Gericht die Möglichkeit aus, daß Art. 4 GG durch die inkorporierten Nonnen der Weimarer Reichsverfassung eingeschränkt werden kann. Im übrigen stützt das Gericht seine Auffassung zu den Schranken auf systematische Argumente, um zu erläutern, daß die Religionsfreiheit "nach Maßgabe der grundgesetzlichen Ordnung", das heißt durch verfassungsimmanente Schranken, zu begrenzen sei. 452 Im Rahmen dieser systematischen Diskussion bewegt sich das Gericht zudem auf einem schmalen Grat, wenn es einerseits zwar die Übertragbarkeit der Schranke und damit auch des "Sittengesetzes" nach Art. 2 Abs. I GG auf die Religionsfreiheit ausdrücklich ablehnt,453 andererseits aber fonnuliert, daß sich eine Religionsgemeinschaft im Rahmen "gewisser übereinstimmender sittlicher 446 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 61, Fn. 5; Friauf/Höfling-Muckel, Berliner Kommentar, Art. 4 Rdn. 3, Fn. 24 mit entsprechenden Beispielen. 447 List!, in: HdbStKirchR, Bd. 1, 439, 457, Fn. 49. Vgl. nur BVerfGE 32, 98, 106, wo davon die Rede ist, daß die Glaubensfreiheit nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, umfasse, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten. 448 BVerfGE 24, 236, 245. 449 BVerfGE 83, 341, 354. 450 BVerfGE 83, 341, 354 f. 451 BVerfGE 33,23,31. 452 BVerfGE 32, 98, 108. 453 Vgl. etwa BVerfGE 32, 98,107.
§ 1 Deutschland
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Grundanschauungen der heutigen Kulturvölker" zu bewegen hat,454 was substantiell nichts anderes ist. Die Systematik bemüht das Gericht ferner, um zu verdeutlichen, daß Art. 4 GG in erster Linie ein Recht der Minderheiten sein soll. Dies führte es entweder konkret auf die Menschenwürde in Art. I GG zurück455 oder aus einem allgemeinen, angeblich aus Art. I I, 2 I, 3 III, 4 I GG abzuleitenden Toleranzprinzip ab. 456 In anderen Entscheidungen argumentiert das Gericht wiederum fast ausschließlich teleologisch. 457 Auf diese Weise rechtfertigt es etwa die Berücksichtigung des Selbstverständnisses bei der Frage, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist. 458 Letztlich fällt auf, daß das Gericht auf allen Ebenen argumentiert, aber selten zugleich im Rahmen einer Entscheidung. Gerade bei der Frage, ob Art. 4 GG als einheitliches Grundrecht aufzufassen ist, zieht sich das Bundesverfassungsgericht recht einseitig auf die Historie zurück, ohne das eigentlich viel gewichtigere Wortlautargument entkräften zu können. Kritischen Auseinandersetzungen mit Ansichten, die die Argumente anders gewichten, geht das Gericht spürbar aus dem Weg. Argumente dienen meist beliebig dafür, eine bestimmte Behauptung knapp zu belegen. Hat man dem Gericht in bezug auf die Rechtsprechung zum Verhältnis von Staat und Kirche vorgeworfen, ein "undurchsichtiges, unsystematisches Bild" zu bieten,459 so dürfte die Judikatur zu Art. 4 GG nicht dazu taugen, diese Aussage zu widerlegen. Eine erschöpfende Diskussion der Argumente im Lichte der Methodik findet auch hier nicht statt. Anders als dort befindet sich die Rechtsprechung zu Art. 4 GG aber vom Ergebnis her im Einklang mit der überwiegenden Literatur,460 so daß die Entscheidungen hierzu aus methodischer Sicht nicht gleichermaßen kontrovers beurteilt werden.
2. Literatur
Karl-Hermann Kästner hat einmal darauf hingewiesen, daß auf dem Gebiet der religions- und weltanschauungsbezogenen Freiheitsrechte methodisch "besondere Sorgfalt und Vorsicht am Platze" sei, da sich ein normativ fragwürdiger Umgang mit diesen Rechten für ihre "reale Wirkkraft" im Rechtsleben der Bundesrepublik BVerfGE 24, 236, 246. Vgl. dazu bereits oben unter 4. Teil, § 1 11 6. BVerfGE 33, 23, 29. 456 BVerfGE 33, 23, 32. 457 Beispielhaft dafür etwa die Kruzifix-Entscheidung in NJW 1995,2477 ff. 458 BVerfGE 24, 236, 247 f. 459 V gl. 3. Teil, § 3 VI 1. 460 In diesem Sinne auch Müller-Volbehr, in: DÖV 1995, 301, 310: "Kann man in den allermeisten Fällen zwar den Urteilstenor gutheißen, so lassen die Begründungen doch oft zu wünschen übrig, weil die Ergebnisse nicht sorgsam hergeleitet sind." 454
455
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
Deutschland auf Dauer rechtspolitisch kontraproduktiv auswirke. 46 ! Vielleicht gibt es aus dem Grunde einige sehr problembewußte und auch aus methodischer Sicht sehr ausführliche Darstellungen in den Reihen der Literatur. So überzeugt vor allem Bock mit einer präzisen methodischen Analyse der Garantie des Art. 4 GG. 462 Gerade seine Diskussion der Schrankenproblematik ist vorbildlich, weil sie historische, grammatikalische, systematische und teleologische Erkenntnisse gleichermaßen erarbeitet und anschließend zueinander argumentativ in Beziehung setzt.463 Auch Zippelius orientiert sich eng an den Auslegungsmethoden,464 insbesondere im Hinblick auf die Schrankendiskussion.465 Ebenfalls ist Morlok in diesem Sinne hervorzuheben, der Inhalt und Umfang des Schutzbereichs von Art. 4 GG unter Bezugnahme auf den "textlichen Befund", die "Systematik", die "historischen Kategorien" und den "sachlichen Gehalt" erläutert. 466 Auch die Darstellung von Campenhausens ist diesbezüglich zu erwähnen. 467 Von Campenhausen bietet eine der ausführlichsten Betrachtungen der Entstehungsgeschichte und der Systematik von Art. 4 GG. Zu kritisieren ist allerdings, daß er seiner Darstellung die Prämisse zugrunde legt, daß eine Abgrenzung der Verbürgungen "im wesentlichen folgenloser Scharfsinn" sei und er daher wenig zu den Abgrenzungsbemühungen der einzelnen Tatbestände beitragen kann. Auch die Arbeit von Krebs zeigt sich dogmatisch bemüht, wenngleich sie es leider versäumt, bei den Erkenntnissen aus den einzelnen Auslegungsmethoden in die Tiefe zu gehen. 468 In bezug auf den Begriff der "Religion" verdient die Ausarbeitung Fleischers besondere Hervorhebung. 469 Unter vollständiger Diskussion der bekannten Auslegungscanones versucht er, die Reichweite des Schutzes von glaubensgeleitetem Handeln zu bestimmen. Auch bei Bleckmann findet sich eine ausführliche Diskussion von Art. 4 GG anhand der gewohnten Interpretationsmethoden. Allerdings zieht er wohl die falschen Schlüsse, wenn er behauptet, daß die Grundrechte der Religions-, Weltanschauungs- und Gewissensfreiheit denselben Inhalt haben, weil sie sich historisch gesehen aus dem Stammgrundrecht der Religionsfreiheit entwickelt hätten und es gar dem Gleichheitssatz widersprechen würde, diese Grundrechte, "zwischen denen keine sachlichen Unterschiede bestehen", unterschiedlich auszulegen. 47o Es ist gerade das Ergebnis der Betrachtung des systematischen Kontexts, daß eine Abgrenzung erfolgen muß. Im übrigen ist dem Willkürverbot aus Art. 3 GG kein Gebot zur einheitlichen Auslegung von Verfassungsbestimmungen zu entnehmen. 461 462 463 464 465
466 467 468 469 470
Kästner, in: JZ 1998,974,975. Bock, in: AöR 123 (1998), 444 ff. Bock, in: AöR 123 (1998),444,462 ff. Vgl. etwa BK-Zippelius, GG, Art. 4 Rdn. 46; 72. BK-Zippelius, GG, Art. 4 Rdn. 84 ff. Dreier-Morlok, GG, Art. 4 Rdn. 29 ff. HbdStR-von Campenhausen, Band VI, § 136 Rdn. 1 ff. Vgl. etwa Krebs, Hoheitliche Äußerungen, S. 36 ff. Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, 1989. Bleckmann, Staatsrecht 11, § 25 Rdn. 8.
§2 USA
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Ohnehin ist dem Schrifttum vorzuwerfen, daß es oftmals voreilig der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt und damit einer tiefgehenderen methodischen Diskussion aus dem Weg geht. 471 Betrachtet man Art. 4 GG als einheintliches Grundrecht, das sämtliche der Einzelgewährleistungen mit umfaßt, so kommt es natürlich auf eine systematische Untersuchung des Schutzbereichs nicht mehr an. Hier stehen dann Ausführungen zu der geschichtlichen Herkunft des Rechts und die Herleitung der verfassungsimmanenten Schranken im Vordergrund. Gerade die systematische Betrachtung soll aber zur Abgrenzung der einzelnen Verbürgungen beitragen. Auch Pieroth / Schlink folgen etwa - aus Gründen der Übersichtlichkeit - der herrschenden Lehre, weisen aber zumindest auf die Folgeprobleme der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hin. 472 Insgesamt ist in dieser Hinsicht gerade die Monographie Muckels 473 beispielhaft, weil sie nicht den Weg der "mühsamen" Abgrenzungsversuche der Einzelverbürgungen scheut und dabei alle Auslegungsmethoden umfassend berücksichtigt.
§2 USA I. Wortlaut Die Religionsfreiheit wird in den USA wie das Verhältnis von Staat und Kirche durch den ersten Zusatzartikel der Verfassung geregelt. Dieser liest sich - zur Erinnerung - wie folgt: "Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peacably to assemble, and to petition the Government for aredress of grievances." Mit Ausnahme nur einer weiteren Erwähnung in der Verfassung 474 stellt der erste Fall der Bestimmung die alleinige konstitutionelle Grundlage der religiösen Freiheit dar. Unter Vergleichsgesichtspunkten fällt damit sogleich ins Auge, daß der US-Verfassung das dem deutschen Grundgesetz eigene beträchtliche Maß an Einzelverbürgungen fehlt. Fast schon zwangsläufig führt dies zu größerem Interpretationsspielraum und zu einem größerem Gewicht des Richterrechts. Das 1. Amendment wendet sich offenkundig nicht an den Bürger als Normadressaten, sondern an den Gesetzgeber. Er soll bestimmte Gesetze nicht erlassen dürfen, unter anderem auch solche, die die freie Ausübung von Religion betreffen. Obwohl mit dem Kongreß zunächst nur der Bundesgesetzgeber gemeint war, so besteht heute doch völlige Einigkeit darüber, daß auch die Gesetzgeber der einzel471 Vgl. etwa Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rdn. 6 ff.; Sachs-Kokott, GG, Art. 4 Rdn. 17 ff.; Badura, Staatsrecht, C 6. 472 Pieroth / Schlink, Staatsrecht 11, Rdn. 507. 473 Muckei, Religiöse Freiheit, 1997. 474 Vgl. die sog. test ciause in Art. IV U.S. Constitution; siehe auch 3. Teil, § 4 III 1.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
nen Staaten angesprochen und dementsprechend verpflichtet sind. 475 Die behauptete Verletzung der Religionsfreiheit muß lediglich durch eine "state action" herbeigeführt worden sein. 476 Darüber hinaus ist der Sinngehalt des 1. Zusatzartikels, auch der der hier relevanten free exercise clause, vieldeutig; nahezu jedes Wort bietet fundamentale Interpretationschwierigkeiten, die durch bloße Übersetzung nicht gelöst werden können. 477 Die Übersetzung dient jedoch als erster Ansatzpunkt zum Verständnis der US-amerikanischen Religionsfreiheit. "Prohibiting" ist zu verstehen als "verbieten, untersagen"478 und wird umschrieben mit "to forbid", "to say that something must be done, that somebody must not do something".479 Es ist mithin stärker als das "abridging" (= verkürzen, beschränken),48o das etwa auf die Meinungs- oder Pressefreiheit Bezug nimmt. Es kommt eine bestimmte Schärfe und Endgültigkeit zum Ausdruck, die dem Wort "abridging" fremd iSt. 481 Wie Garvey plausibel veranschaulicht, umfaßt der Wortlaut demnach keine Gesetze, die die Religionsausübung lediglich behindern oder erschweren. 482 Ein Gesetz, das etwa Arbeitslosenunterstützung versagt, wenn die letzte Beschäftigung aus persönlichen - d. h. auch religiösen - Gründen freiwillig beendet wurde,483 "verbietet" die Ausübung von Religion ausdrücklich nicht und müßte daher verfassungsgemäß sein. 484 Die free exercise clause verbietet dem Kongreß mithin nicht, so legt der Wortlaut nahe, Gesetze zu erlassen, die die Religionsausübung nur (mittelbar) beeinträchtigen. 485 Der Begriff "exercise" (= Ausübung, Anwendung)486 legt keine Grenze für den Umfang der Religionsfreiheit fest. Religion wird bereits dann ausgeübt, wenn sich ein Gläubiger rein mental mit religiösen Fragen beschäftigt. Dem Wortsinn zufolge umfaßt Ausübung aber genauso das religiös motivierte Handeln nach außen. Umschrieben wird es nämlich mit "employment or practice (of mental or physical powers, or rights)".487 Das Wort "exercise" kann somit als Beleg gewertet werden, Siehe 3. Teil, § 4 I. Vgl. nur Moose Lodge No. 107 v. Irvis, 407 U.S. 163 (1972); Jackson v. Metropolitan Edison Co., 419 U.S. 345, 350 (1974). 477 Schlaich, Neutralität, S. 140 f. 478 Breitsprecher / Calderwood-Schnoor / Terrelll Morris, Pons-Globalwörterbuch, S. 877. 479 Homby, Oxford Advanced Leamer's Dictionary of Current English, S. 667. 480 Breitsprecher / Calderwood-Schnoor / Terrell / Morris, Pons-Globalwörterbuch, S. 4. 481 U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 17. 482 Garvey, in: 1981 Supreme Court Review. 193, 198 ff. 483 So jeweils die den Fällen Sherbert v. Vemer, 374 U.S. 398 (1963) und Thomas v. Review Board, 450 U.S. 707 (1981) zugrunde liegende Konstellation. 484 So im Ergebnis wohl auch U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 18 f. 485 U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 29. 486 Breitsprecher / Calderwood-Schnoor /Terrelll Morris, Pons-Globalwörterbuch, S. 369. 487 Homby, Oxford Advanced Leamer's Dictionary of Current English, S. 297. 475
476
§ 2 VSA
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daß der Schutz über den bloßen Glauben hinaus auch im gleichen Maße religiöses Verhalten umfassen soll.488 Des weiteren soll es dem Staat verwehrt sein, Gesetze zu erlassen, die die "freie" Ausübung von Religion untersagen. Auf den ersten Blick erscheint der Zusatz "frei" als Oxymoron, weil nichts verboten werden kann, das frei ist, und wiederum nichts frei ausgeübt werden kann, was verboten ist. Allerdings kann das dem Wort "frei" zugrunde liegende Substantiv der "Freiheit" in Abgrenzung zum bloßen "Recht" für die nähere Bestimmung des Schutzbereichs hilfreich sein. Wiederum nach Garvey werde ein Recht in einem vorgegebenen Umfang "aufgezwungen",489 während für den Begriff der Freiheit charakteristisch sei, daß stets (mehrere) Wahlmöglichkeiten eingeräumt werden. Aus dieser Perspektive könnte der Wortlaut des 1. Amendments für die (Wahl-)Möglichkeit stehen, religiös zu sein, nicht religiös zu sein oder sich gar jeglichen Glaubens zu enthalten. 49o Damit wäre keine bestimmte Verhaltensweise "vorgegeben", sondern ein umfassender Schutz gewährleistet, der sich in positiver wie in negativer Form entfalten kann. Was die Bedeutung des Wortes "Religion" anbelangt, so wird dieses ähnlich kontrovers diskutiert wie in der Bundesrepublik. 491 Fest steht jedenfalls, daß der Begriff Raum bietet für immer wechselnde Auffassungen und Konzepte von Glauben. 492 Er ist nicht starr, und verschließt sich daher auch nicht neuen religiösen Minderheiten gegenüber, das heißt solchen Religionsgemeinschaften, die nicht seit jeher den Schutz der Verfassung genossen haben. 493 Darüber hinaus spricht die bloß einmalige Verwendung des Wortes "Religion" in den beiden Klauseln des 1. Zusatzartikels und das Bezug nehmende Wort "thereof' (= davon) dafür, daß dem Begriff Religion hier ein einheitliches Konzept unterliegt, er mithin in dem gleichen Sinne verwendet wird. 494 Eine noch weitergehende Auffassung entnimmt dem Wortlaut eine insgesamt religionsfreundliche Einstellung der Verfassung; er sei Beleg dafür, daß die amerikanische Verfassung der Religionsausübung nicht neutral gegenüberstehe. Die Formulierung lege es gar nahe, daß Glaubensangehörige zumindest unter gewissen Umständen von den Voraussetzungen allgemeiner Gesetze (laws of general applicability), die sie in ihrer Religionsfreiheit behinderten, befreit werden dürfen. 495 Eine derart weitreichende Interpretation findet in dem bloßen Wortlaut jedoch keine Stütze. Laycock, in: Notre Dame Journal ofLaw, Ethics & Public Policy 4 (1990), 683, 687. Garvey, in: 1981 Supreme Court Review 193, 198. 490 V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 20. 491 Siehe dazu unten unter 4. Teil, § 1 11 5; IV 3; 4. 492 Greenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753, 758. 493 V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 27. 494 Monsma, Positive Neutrality, S. 54; Greenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753,758. 495 V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 28. 488
489
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
11. Historische Auslegung Schon bei Ratifizierung der Klauseln des 1. Zusatzartikels im Jahre 1791 konnte man in Nordamerika auf eine gut 150 Jahre währende Religionsvielfalt zurückblikken, die zum damaligen Zeitpunkt in keinem anderen Land ausgeprägter war. In den Kolonien gab es die verschiedensten Beziehungen zwischen Staat und Kirche, von einer "Beinahe-Theokratie" über religiösen Pluralismus bis hin zu der staatlichen Herrschaft über die Kirche. Darüber hinaus waren die Kolonisten unmittelbarer Zeuge der religiösen Konflikte in England, was nicht ohne Einfluß auf die Willensbildung der Verfassungsgründer gewesen sein kann. Zum Verständnis der free exercise c1ause ist der Rekurs auf die geschichtliche Entwicklung demnach unerläßlich. 496 Ohnehin, so wird behauptet, stehe kein Grundrecht der amerikanischen Verfassung enger im historischen Zusammenhang bzw. bedürfe in größerem Umfang der inhaltlichen Ausfüllung durch ihre geschichtliche Entwicklung als die Verbürgungen des 1. Zusatzartikels. 497 1. Geschichtliche Grundlagen a) Prägung durch das Mutterland England Die Religionsfreiheit geht zwar nicht, wie so viele andere amerikanische Grundrechte, ausdrücklich auf englische Verfassungsdokumente zurück; eine vergleichbare Garantie findet sich dort nicht. 498 Dennoch sind die geschichtlichen Wurzeln des US-amerikanischen Verständnisses von Religionsfreiheit im Mutterland England zu suchen. Während der ersten Besiedlung der Kolonien litt England unter chronischer religiöser Zwietracht und Intoleranz. Die Church of England war die Staatskirche des Königreichs, in der sowohl Katholiken als auch Protestanten, von denen besonders die Puritaner Bekanntheit erlangten, unterdrückt wurden. Nach der Absetzung von Charles I in dem englischen Bürgerkrieg gelangten jedoch die protestantischen Dissenter an die Macht. Dabei kam es zu einer Neufassung des offiziellen Glaubensbekenntnisses und der Gebetsbücher sowie zu der Beschlagnahme der Bistümer. Fortan räumte das Parlament den meisten Protestanten das Recht auf Religionsausübung ein, nicht jedoch den Papisten als den "Vertretern einer blasphemischen, unzüchtigen sowie profanen Doktrin".499 Die Anführer der Baptisten wurden gar inhaftiert. 5oo 496 Fronzuto weist darauf hin, daß sogar die ausdrücklichen Gegner der "originalist interpretation" diese Auffassung teilen. Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 719. 497 Everson v. Board of Education, 330 V.S. 1,33 (1947); McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1413. 498 Beuennann/Neumann/Nipperdey-Carr, Die Grundrechte, Bd. I, S. 911. 499 Vgl. McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1421.
§ 2 USA
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Nach einer Weile gelang jedoch die Wiederherstellung der Monarchie im Jahre 1660; im Zuge dieser Restauration wurde auch die Church of England wieder etabliert. Fortan bestimmte der Test Act 0/1672, daß der Zugang zu öffentlichen und militärischen Ämtern den Anglikanern vorbehalten sei. Das Gesetz verlangte von den Amtsinhabern darüber hinaus die Anerkennung der Vorherrschaft des Königs über die Kirche. Die zuvor aufgenommene, offizielle Verfolgung der Protestanten wurde mit Einführung des Toleration Act 0/1688 beendet; die Katholiken hingegen blieben noch das gesamte nächste Jahrhundert Zielscheibe einer feindlich gesinnten Gesetzgebung. 50l
b) Entwicklung in den Kolonien Diese Haltung des Mutterlands erfaßte nicht automatisch die Kolonien. Obgleich die Kolonisten in diesem Sinne geprägt waren, fand dort eine separate Entwicklung statt, die durch vier verschiedene Ansätze geprägt war. 502 aa) Neuenglandstaaten Die Siedler der Neuenglandstaaten (mit Ausnahme Rhode Islands) waren überwiegend calvinistische Kongregationalisten,503 deren Bestreben es war, ein christliches Gemeinwesen zu errichten, das von dem überlieferten Wort Gottes gelenkt würde. Aus diesem Verständnis heraus wurden die einzelnen Gemeinden errichtet. Die Kirchen und die dort tätigen Geistlichen wurden durch Zwangssteuern finanziert, die zu diesem Zweck erhoben wurden. Das System war zwar dezentralisiert und demokratisch, die Richtung insgesamt aber vorgegeben. Wurde den Geistlichen ein größeres Maß an Selbständigkeit eingeräumt, prangerten diese oft sogleich den bürgerlichen und moralischen Verfall der Administration an. 504 Die Einstellung der Puritaner Neuenglands war von der Überzeugung bestimmt, daß den "gottlosen Individuen" keine Plattform gegeben werden sollte, ihre Auffassung eines christlichen Gemeinwesens kundzutun. Religiöse Toleranz oder gar religiöser Pluralismus wurden abgelehnt. Schließlich war es, nach den Worten des Geistlichen lohn Cotton, jene Toleranz, "die die Welt zu einer christlosen gemacht habe".505 Wie erwähnt,506 kam es in dem rigorosesten der kongregationalistischen 500 501
691.
McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1421. Vgl. Laycock, in: Notre Dame Journal of Law, Ethics & Public Policy 4 (1990), 683,
502 Insofern vgl. bereits die Ausführungen zu der geschichtlichen Herleitung der establishment clause, in deren Rahmen diese Vierteilung bereits vorgenommen wurde. 3. Teil, § 4 11 1 a) - d). 503 Siehe 3. Teil, § 4 11 I a). 504 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1422. 505 Zitiert bei Cobb, The Rise of Religious Liberty in America, S. 68. 506 3. Teil, § 4 11 1 a).
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
Neuenglandstaaten, Massachusetts, sogar zur aktiven Verfolgung Andersdenkender. Die gewaltsamen Maßnahmen wurden zwar gegen Ende des 17. Jahrhunderts eingestellt; die offenkundige Aversion gegen religiöse Vielfalt dauerte jedoch bis weit in das 19. Jahrhundert an. bb) Südstaaten
In Virginia hatte die englische Krone die Church of England etabliert. 507 Im ersten Jahrhundert seit Bestehen der Kolonie kam es kaum zu Zwang gegenüber Andersdenkenden; dazu gab es aber schon deshalb keinen Anlaß, weil nur wenige Dissenter überhaupt in die Kolonie gekommen waren. Als sich dies im 18. Jahrhundert änderte und sich viele Presbyterianer, Baptisten und Quäker niederließen, setzte auch die Unterdrückung der religiösen Minderheiten ein. Die Presbyterianer etwa wurden bei jeder Gelegenheit am Predigen gehindert, die Baptisten wurden dafür sogar ausgepeitscht und inhaftiert. 508 Im 18. Jahrhundert galt Virginia als die intoleranteste aller Kolonien. 509 North und South Carolina wurden mit Hilfe lohn Lackes, der als Anhänger der Toleranzprinzipien der Aufklärung galt, von einigen Landesherrn gegründet, die anderen Religionen gegenüber zunächst sehr freundlich eingestellt zu sein schienen. Nachdem dort aber im 18. Jahrhundert ein strenges establishment-System der Church of England nach dem Vorbild Virginias verankert wurde, ließ man von diesen Prinzipien ab. 510 cc) Mittlere Staaten
In New York und New Jersey entwickelte sich wegen der außergewöhnlichen religiösen Vielfalt unter den Einwohnern eine de facto-Toleranz, obgleich es eine offizielle Staatskirche gab. 511 Zwar wurde von offizieller Seite immer wieder versucht, eine religiöse Identität mit der anglikanischen Kirche herzustellen, aber größenteils blieben Protestanten, Quäker und Juden unbelästigt. 512 In Georgia wurde die etablierte Church of England vehement unterstützt; deren Geistliche wurden finanziert und überwacht, Kirchen wurden gebaut und der Besuch der Gottesdienste wurde öffentlich nahe gelegt. Allerdings bewies man in Georgia eine beachtliche Toleranz gegenüber den protestantischen Dissentern und den jüdischen Siedlern. Lediglich den Katholiken begegnete man mit großer Abneigung. Sie wurden aus der Kolonie ausgeschlossen. 5l3 507 508 509 510
511 512
Siehe hierzu ausführlich 3. Teil, § 4 II I b). Beth, Church and State, S. 49 ff. Cobb, The Rise of Religious Liberty in America, S. 93; 111 ff. McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1425. Vgl. zu alldem 3. Teil, § 4 II 1 c). McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1424.
§ 2 USA
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Das von dem katholischen Grundbesitzer George Calvert, wie erwähnt,514 gegründete Maryland sollte eigens als Zufluchtstätte für die Katholiken Englands dienen, doch nachdem die Protestanten sich in der Mehrheit wähnten, setzte auch dort eine Periode der Diskriminierung und Intoleranz ein, absurderweise gerade gegenüber den Katholiken. 515 dd) Staaten ohne Staatskirchenturn Rhode Island, Pennsylvania und Delaware wurden jeweils zum Wohle einer bestimmten Religionsgemeinschaft gegründet, entweder für die in Massachusetts Unterdrückten 516 oder die Quäker. Trotzdem wurde die Religionsfreiheit hier auch
auf die Angehörigen anderer Gemeinschaften ausgedehnt; religiöse Vielfalt wurde toleriert. 517 In diesen Kolonien - Rhode Island, Pennsylvania, Delaware sowie Maryland und Carolina - entstand auch die freie Ausübung der Religion als Rechtsprinzip. 518
c) Beginn der gesetzlichen Absicherung
In einem offiziellen US-amerikanischen Dokument fand sich der Ausdruck "free exercise" zum ersten Mal im Jahre 1648 in Maryland, als der neue protestantische Gouverneur und die Stadträte angewiesen wurden, die Christen, insbesondere die Katholiken, nicht in der "free exercise" ihrer Religion zu stören. 519 Die Formulierung "liberty of conscience" dagegen wurde zum ersten Mal in einer Charta Rhode Islands im Jahre 1663 benutzt. Dem Gründer Roger Williams war es gelungen, dort, mit wenigen Ausnahmen,52o ein System religiöser Freiheit zu etablieren, dessen Ausmaß bis nach der amerikanischen Revolution unerreicht blieb. 521 Offenbar diente es zunächst aber nicht als Vorbild für die anderen Kolonien; im Gegenteil, es hatte zu der damaligen Zeit eher den Ruf einer instabilen, ungeordneten Region. 522 Trotzdem gab es wenig später in Carolina und New Jersey Regelungen der Religionsfreiheit mit fast identischem Wortlaut. Diese speziellen Regelungen 513
Strickland, Religion and State in Georgia in the Eighteenth Century, S. 44 ff.
514 Siehe 3. Teil, § 4 II I c).
McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1424. So in Rhode Island, vgl. Cobb, The Rise of Religious Liberty in America, S. 422 f. 517 Witt, Guide to the U.S. Supreme Court, S. 449. 518 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1425. 519 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1425. 520 Rhode Island versagte Juden noch bis 1842 die Staatsbürgerschaft; Katholiken wurde der Zugang zu den öffentlichen Ämtern verwehrt, vgl. Rutland, Bill of Rights, S. 17. 521 Tribe, American Constitutional Law, § 14- 3, S. 1158 f.; Vogele, Menschenwürde zwischen Recht und Theologie, S. 104. 522 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1426. 515
516
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
wurden in der Folgezeit zwar allesamt wieder abgeschafft oder durch restriktivere Regelungen ersetzt. Wesentliche Inhalte jener frühen Vorschriften fanden sich jedoch als gängige Grundstruktur der einzelstaatlichen Verfassungen nach der Revolution wieder. Von Interesse ist dies insbesondere, weil sich diese Verbürgungen auf alle Gewissensentscheidungen in Fragen der Religion erstreckten, von Meinungen und Meinungsäußerungen über den Beruf bis hin zu den Kultushandlungen. 523 Eingeschränkt wurde die Religionsfreiheit hier nur, um Lasterhaftigkeit, Unmoral oder die Verletzung der Rechte Anderer zu verhindern. 524 d) Einfluß lohn Lackes
Die fortwährende Diskussion über den Umfang der Religionsfreiheit in den Kolonien wurde auch in Europa zur Kenntnis genommen und beschäftigte auch die dortigen großen politischen Denker, wie Montesquieu, Smith, Hobbes oder Voltaire. 525 Besonderes Augenmerk aus US-historischer Sicht gilt jedoch den Ideen lohn Lackes,526 dessen Ausführungen zu der Religionsproblematik nicht nur die detailliertesten waren, sondern auch nachweisbar unmittelbaren Einfluß auf die Amerikaner und die Entwicklung des 1. Amendments hatten. Lackes Vorstellungen gelten als wesentlicher Bestandteil des geistigen Hintergrundes der free exercise c1ause. 527 Es ist etwa bekannt, daß Thomas lefferson dessen Arbeiten las und anschließend umfangreiche Aufzeichnungen fertigte; weite Teile seines "Bill for Establishing Religious Freedom" stammen aus Lackes erstem "Letter Concerning Toleration".528 leffersons Bill wiederum gilt als eine der wichtigsten Interpretationshilfen für die Auslegung des 1. Zusatzartikels; vier von fünf Staaten, die einen Vorschlag für die Formulierung eines Zusatzartikels der Religionsfreiheit machten, griffen dafür auf die gängigen Formulierungen leffersons zurück. 529 Darüber hinaus wirkte lames Madison, der als vehementester Befürworter von leffersons Bill in Virginia galt,530 drei Jahre später als führendes Mitglied des Repräsentantenhauses an der Verfassung der Bill of Rights mit. Geprägt durch die religiöse Aufruhr in Europa, kam Lacke zu dem Schluß, daß religiöse Rivalität und Intoleranz zu den Hauptproblemen der Politik zählten. Sie seien mit den Zielen von öffentlichem Frieden und einer erfolgreichen RegierungsCobb, The Rise of Religious Liberty in America, S. 117. Cobb, The Rise of Religious Liberty in America, S. 117. 525 Kuriand, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 845. 526 Vgl. hierzu ausführlich Vögele, Menschenwürde zwischen Recht und Theologie, S. 93 ff. 527 Torpey, ludicial Doctrines, S. 15. 528 Malbin, Religion and Politics: The Intentions of the Authors of the First Amendment, S.29. 529 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1431. 530 Kuriand, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 854. 523
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arbeit nicht vereinbar. Meinungsvielfalt an sich sei weder ein Problem, noch sei sie zu verhindern; erst die mangelnde Toleranz gegenüber anderen religiösen Meinungen habe zu den zahlreichen Kriegen und Streitigkeiten in Europa geführt. Deshalb wurde Locke zu einem mitreißenden Fürsprecher religiöser Toleranz gegenüber Dissentern. 531 Ausgenommen davon waren lediglich die Kaholiken wegen ihrer Treue zu ausländischen Führern, Atheisten, sowie diejenigen, die sich weigerten, selbst Toleranz gegenüber Andersdenkenden zu üben. Ein weiterer Grund religiösen Unfriedens war nach Locke darin zu sehen, daß sowohl staatliche wie auch kirchliche Führer dazu tendierten, ihre Befugnisse zu überschreiten und sich in die Angelegenheiten des jeweils anderen Bereiches einzumischen. 532 Den Staat sah Locke auf den weltlichen Bereich beschränkt; die Kirche wiederum sollte sich aus den weltlichen Angelegenheiten heraushalten. In den (seltenen) Fällen des Zusammentreffens beider Bereiche sollte die staatliche Kompetenz überwiegen: Die staatliche Anerkennung öffentlicher Bedürfnisse definiere die Grenzen der Gewissensfreiheit. 533 Als Ausweg schlug Locke in diesen Fällen vor, daß der Einzelne das Gesetz übertreten und dafür die Bestrafung durch den Staat hinnehmen solle. 534 Möglicherweise sollte der - unbestrittene - Einfluß Lockes jedoch nicht überbewertet werden. Es spricht nämlich einiges dafür, daß das amerikanische Verständnis von Religionsfreiheit die Doktrin Lockes von der bloßen Tolerierung der religiösen Angelegenheiten weit überstieg. Lockes Vokabular ("toleration of religion") wurde in den ersten gesetzlichen Verbürgungen zugunsten weitreichenderer Formulierungen abgelehnt; nicht bloß die "exercise", sondern die "free exercise of religion" oder die "full and equal rights of conscience" sollten gewährleistet sein. farnes Madison hob in diesem Zusammenhang hervor, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, daß die Ausübung von Religion ein Akt legislativer Gnade sei. 535 Außerdem entsprach Lockes Auffassung von der Rolle der Religion und der Notwendigkeit religiöser Freiheit nicht den Vorstellungen derer, die sich in dem Kampf um eine solche Freiheitsgarantie am meisten engagierten und deren Ansichten maßgeblich in die Entwürfe für die free exercise clause einflossen. Die für Religionsfreiheit streitende Bewegung im 18. Jahrhundert ist nicht zuletzt als Reaktion auf die dominierende religiöse Kultur der Kongregationalisten Neuenglands und der Anglikaner des Südens zu verstehen. Die größten Befürworter von "disestablishment" und Religionsfreiheit waren die enthusiastischeren kleinen Religionsgemeinschaften wie die Baptisten und Quäker, Presbyterianer und LutheMcConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1431 f. "I esteem it above all things necessary to distinguish exactly the business of civil govemment from that of religion, and to settle the just bounds that lie between the one and the otlIer." Zitiert in McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1432. 533 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1434. 534 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1434. 535 Vgl. McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1443. 531
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raner. Wahrend sich nun Locke einseitig der staatlichen Sichtweise annahm, betonten diese kleinen Religionsgemeinschaften, daß ihre Verpflichtungen danach bestimmt werden, was dem persönlichen Glauben des Einzelnen zufolge für Gott relevant sei.
e) Gesetzliche Regelungen nach Erlangung der Unabhängigkeit
Nach der Revolution gaben sich zwischen 1776 und 1780 elf der dreizehn Einzelstaaten neue Landesverfassungen. Neun der dreizehn Staaten gaben ihrer Verfassung - entweder sofort oder in den folgenden Jahren - einen ausdrücklichen Grundrechtskatalog. Alle Landesverfassungen, mit Ausnahme Connecticuts, hatten bis zum Jahre 1789 eine Bestimmung zum Schutz der Religionsfreiheit, wenngleich Maryland und Delaware diesen Schutz ausdrücklich auf Christen und fünf weitere Staaten - New Hampshire, Massachusetts, New Jersey, Pennsylvania und North Carolina - auf Theisten beschränkten. Ein merklicher Unterschied zwischen den Bestimmungen in Staaten mit establishment und denen ohne bestand nicht. Generell wurde die Religionsfreiheit als unveräußerliches, originäres Recht angesehen;536 andere Rechte der Bill of Rights wurden als von der Gesellschaft abgeleitet betrachtet537 und waren vielleicht deshalb wesentlich umstrittener. Die Regelungen selbst sind von Bedeutung für das ursprüngliche Verständnis von Religionsfreiheit, weil davon auszugehen ist, daß die Verfassungs väter in bezug auf den Begriff "free exercise of religion" wohl zuvörderst an das dachten, was die Einzelstaaten darunter verstanden. Die die Religionsfreiheit betreffenden Regelungen waren sich allesamt ähnlich; typisch für sie bestimmte etwa die Verfassung New Yorks aus dem Jahre 1777: "That the free Exercise and Enjoyment of religious Profession and Worship, without Discrimination or Preference, shall fore ver hereafter be allowed within this State, to all Mankind: Provided, That the Liberty of Conscience hereby granted, shall not be so construed, as to excuse Acts of Licentiousness, or justify Practices inconsistent with the Peace or Safety of this State. ,,538 536 Damit wurde vornehmlich Bezug genommen auf die Wortwahl der Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahre 1776: "We hold these truths to be self-evident. That all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable rights; that among these are life, liberty, and the pursuit of happiness; [ ... ]" Die Erklärung sollte die gängigen Ideen der jungen Amerikaner von einer "natürlichen, gottgegebenen Ordnung" der Dinge im Universum widerspiegeln. Einige Rechte wurden deshalb als unveräußerlich angesehen, weil sie von fundamentaler Bedeutung für den Genuß des Lebens waren. Zu alldem Davis, in: Journal of Church and State 36 (1994), 469, 470 f. 537 So erklärte die Verfassung New Hampshires von 1783: "Among the natural rights, some are in their very nature unalienable, because no equivalent can be given or received for them. Of this kind are the rights of conscience." Abgedruckt bei Cogan, Bill of Rights, S.22. 538 Abgedruckt in Cogan, Bill of Rights, S. 26.
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Vergleichbar fonnulierte etwa die Verfassung New Hampshires von 1784: "Every individual has a natural and unalienable right to worship God according to the dictates of his own conscience, and reason; and no subject shall be hurt, molested, or restrained in his person, liberty or estate for worshipping God, in the manner and season most agreeable to the dictates of his own conscience, [ ... ] provided he doth not disturb the public peace, or disturb others, in their religious worship. ,,539
Gemein war allen Landesverfassungen, daß sie den Umfang der Religionsfreiheit an dem Gewissen des Einzelnen ausrichteten. Geschützt werden sollten Handlungen, die dem Diktat des Gewissens folgen. Keine der Verfassungen beschränkte die Religionsfreiheit zudem auf den Glauben an sich oder auf die bloße verbale Glaubensäußerung. Glaube, Glaubensäußerung und Glaubensausübung wurden sogar ausdrücklich nebeneinander genannt. 540 Das religiös motivierte Verhalten wurde jedoch in unterschiedlichem Umfang gewährleistet. Virginia, Georgia, Maryland und Rhode Island schützten grundsätzlich alle Handlungen, die aus religiöser Überzeugung vorgenommen wurden. So hieß es etwa in der Verfassung Virginias aus dem Jahre 1776: "All men are equally entitled to the free exercise of religion, according to the dictates of conscience"; "Religion" wurde dabei definiert als "the duty which we owe to our Creator; and the manner of discharging it".541 Wie McConnell hinweist, beinhalten "duties" gegenüber Gott nach biblischer Tradition zweifellos auch Handlungen, und nicht nur "speech" und "opinion".542 Acht Staaten dagegen, New York, Delaware, Massachusetts, South Carolina, New Hampshire, Pennsylvania, New Jersey und North Carolina, beschränkten ihren Schutz auf "acts of worship", d. h. auf die kultischen Handlungen, wie das Spenden der Sakramente oder das Singen von Kirchenliedern. 543 Diese Beschränkung wurde jedoch nicht in die Bundesverfassung übernommen, was dafür sprechen könnte, daß ein eher extensiver Schutz gewollt war, wenngleich nicht bekannt ist, ob ganz bewußt auf diese Einschränkung verzichtet wurde oder nicht. Ohnehin wird bezweifelt, ob die Beschränkung auf die "acts of worship" in der damaligen Praxis überhaupt zu einem geringeren Schutz führte, da kein Fall bekannt geworden ist, in dem religiös motiviertes Verhalten nicht geschützt wurde, weil es keine kultische Handlung war. 544 Zitiert aus Cogan, Bill of Rights, S. 22 f. Vgl. McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1459. 541 So in den "Memorial and Remonstrance Against Religious Assessments" von 1786. Abgedruckt bei Cogan, Bill of Rights, S. 46. 542 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1460. 543 Vgl. etwa die North Carolina Declaration of Rights von 1776: "That all men have a natural and unalienable right to worship Almighty God according to the dictates of their own consciences." Abgedruckt bei Cogan, Bill of Rights, S. 30. 544 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1461. Es weist zudem darauf hin, daß beispielsweise Pennsylvania 1790 seine Verfassung änderte und sich der weiten Formulierung annahm. Dies mag dafür sprechen, daß parallel zur Ratifizierung der Bundesverfassung auch auf einzelstaatlicher Verfassungsebene eine Bewegung hin zu der weiteren Fassung einsetzte. 539 540
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Darüber hinaus wurden alle free exercise-Regelungen der Staaten durch bestimmte staatliche Interessen begrenzt. Die meisten Landesverfassungen beschränkten die Freiheit der Religionsausübung auf "friedliche" Handlungen oder solche, die die Sicherheit des Staates nicht gefährdeten. Einige weitere verboten "unmoralische" Handlungen,545 Rhode Island, Massachusetts und New Hampshire solche, die in Konflikt geraten mit den Freiheitsrechten Anderer, insbesondere der Religionsausübung Anderer, und Delaware schließlich erhob neben den genannten Interessen auch "happiness" zum gegenläufigen Schutzgut. Diese Aufzählung verdeutlicht erneut, daß die Religionsfreiheit offenbar nicht auf das forum internum beschränkt war, da der öffentliche Friede bzw. die öffentliche Sicherheit allein dadurch kaum berührt werden könnte. Auch farnes Madison äußerte sich später einmal zu den Schranken und befand, daß das Recht auf Religionsausübung immer dann vorgehen sollte, solange es nicht private Rechte oder den öffentlichen Frieden verletzt. 546 Während die kolonialen Anfänge noch durch religiöse Intoleranz gekennzeichnet waren, die der des Mutterlandes Englands stark ähnelte, hatten jedenfalls nach der Revolution zum Zeitpunkt der Verfassungsgebung nahezu alle Bundesstaaten gesetzlich bestimmt, daß das Verhältnis des Einzelnen mit seinem Gott eine Angelegenheit des individuellen Gewissens sei, in die sich der Staat nicht einzumischen habe. 547 2. Wille des Verfassungsgebers Die ursprüngliche Version der Verfassung aus dem Jahr 1787 enthielt keine Regelung zum Schutz der Religionsfreiheit. Es scheint, als ob dieses Thema in den Beratungen gar nicht aufkam, zumal selbst dieJederalists, die Anhänger der neuen Verfassung, derartige zusätzliche Garantien als unnötig ansahen. Ausdrückliche Gewährleistungen dieser Art befand man sogar als kontraproduktiv, weil befürchtet wurde, daß dies zu Lasten anderer Rechte gehen könnte. 548 Die Jederalists argumentierten, daß die Struktur ihres Regierungssystems mit dem Kontrollmechanismus der "checks and balances" in Kombination mit der tatsächlichen Vielfalt des religiösen Lebens in den neuen Bundesstaaten eine ausreichende Sicherung der Religionsfreiheit darstelle. Auch habe die Bundesregierung gar nicht die Kompetenz, Gesetze zu erlassen, die die Religionsfreiheit beschränkten. 549 Allerdings gab es auch diejenigen, die der neuen Zentralregierung nicht das nötige Vertrauen entgegenbrachten und darum besorgt waren, daß sich diese über die auf Länderebene Hamburger, in: The George Washington Law Review 60 (1992), 915, 918. In einem Brief 1822 an Edward Livingston. zitiert bei McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1464. 547 Kurland, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 852. 548 Siehe 3. Teil, § 4 II 2. 549 Vgl. Levy, Judgments, S. 182. 545
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mittlerweile abgesicherte Religionsfreiheit hinwegsetzen würde. Die bestehenden Zuständigkeiten des Bundes, etwa in Fragen der Besteuerung, des Haushaltes, des Militärs, der Einbürgerung und der Indianer, ließen nach deren Ansicht noch genügend Raum für die Beeinträchtigung religiöser Freiheit. 55o Unter dem Druck der Öffentlichkeit sahen sich die Vertreter der meisten Staaten daher gezwungen, für die nachträgliche Verabschiedung eines Grundrechtskataloges, der insbesondere den Schutz der Religionsfreiheit beinhalten sollte, einzutreten. Die daraufhin ausgearbeiteten, an den Kongreß gerichteten Vorschläge der Staaten ähnelten sich allesamt in ihrer Wortwahl. So lautete der Vorschlag New Yorks etwa: "That the people have an equal, natural, and unalienable right freely and peacably to exercise their religion, according to the dictates of conscience .. .". Nur der Vorschlag New Hampshires wich davon ersichtlich ab; dort hieß es: "Congress shall make no laws touching religion, or to infringe the rights of conscience. ,,551 Die Beratungen des Repräsentantenhauses im Hinblick auf den ersten Zusatzartikel drehten sich vornehmlich um den establishment-Teil, so daß die diesbezüglichen Aufzeichnungen nur wenig zum Verständnis der free exercise-c1ause beitragen. James Madison unterbreitete dem Haus als erster Abgeordneter einen eigenen Formulierungsvorschlag als Diskussionsgrundlage; er hielt sich dabei nicht an die Wortwahl der Vorschläge der einzelnen Staaten: "The civil rights of none shall be abridged on account of religious belief or worship, nor shall any national religion be established, nor shall the Jull and equal rights of conscience be in any manner; nor on any pretext, infringed. ,,552 Die Begriffe ,,fulI" und "equal" deuten darauf hin, daß die Freiheit möglichst umfassend garantiert werden sollte, jenseits einer bloßen staatlichen Neutralität. "In any matter, nor on any pretext" wiederum läßt erkennen, daß wohl gerade auch der Schutz bloß mittelbarer Beeinträchtigungen bezweckt war. Diesen Vorschlag lehnten Repräsentantenhaus und Senat nach entsprechenden Beratungen jedoch ab. Stattdessen schlug der Sonderausschuß des Kongresses eine wesentlich knappere Version vor: "No religion shall be established by law, nor shall the equal rights of conscience be infringed. " Gerade die Bezugnahme der "civiI rights" erschien dem Ausschuß offenbar überflüssig. Wegen der die establishment c1ause betreffenden Regelung stieß der Vorschlag des Ausschusses im Repräsentantenhaus aber ebenso auf Ablehnung. Gerade die Staaten, in denen eine Religionsgemeinschaft dominierenden Einfluß besaß, meldeten Bedenken an, daß die Regelung die Staaten fortan daran hindern könnte, 550 Vgl. McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1477 f. Aber selbst die Antifederalisten, d. h. diejenigen, die sich grundsätzlich für Amendments einsetzten, galten als nicht bemüht, eine Bestimmung zum Schutz der Religionsfreiheit auszuarbeiten, weil sie diese zum Zeitpunkt der Verfassungsgebung offenbar auch nicht mehr als gefa"hrdet ansahen. So Kurland, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 851 ff. 551 Abgedruckt bei McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1480 f. 552 Zitiert bei Levy, Judgments, S. 179.
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Religion (aktiv) zu unterstützen. Auf einen Vorschlag des Abgeordneten Fisher Ames aus Massachusetts entschied sich das Repräsentantenhaus schließlich für die Formulierung: "Congress shall make no law establishing religion, or to prevent the free exercise thereof, or to infringe the rights of conscience. ,,553 Diese Version verwendete zum ersten Mal den Begriff "free exercise of religion"; bis dahin hatte man im Haus noch die Formulierung "rights of conscience" bevorzugt, die offenbar synonym verwendet wurde. Ames dagegen, der als sehr bedachter und sorgfaltiger Verfasser galt, scheint gerade die Erwähnung beider Begriffe als notwendig empfunden zu haben. Das Repräsentantenhaus billigte den Vorschlag von Ames ohne überlieferte Debatte oder Diskussion und legte ihn - nahezu unverändert554 - dem Senat vor, der ihn jedoch ablehnte und stattdessen eigene Vorschläge erarbeitete. 555 Alle Formulierungen sprachen hier alternativ entweder von "rights of conscience" oder von "free exercise of religion", keiner folgte insofern dem Vorschlag Ames von der gleichzeitigen Verwendung der Begriffe. Als der endgültige Vorschlag des Senats nun wiederum von dem Repräsentantenhaus abgelehnt wurde, erarbeitete ein Vermittlungsausschuß, dem auch James Madison angehörte, die Version, die letztlich angenommen wurde und noch bis zum heutigen Tage gilt. 556
3. Ansichten von Thomas JetTerson und James Madison Die Ansichten Madisons und leffersons sind auch für die Auslegung der free exercise c1ause von Bedeutung, weil die beiden nicht nur Schlüsselrollen bei der Formulierung der free exercise-Klausel in Virginia und der U.S.-Verfassung besaßen,557 sondern auch weil ihre unterschiedlichen Ansichten die Entwicklung der öffentlichen Meinung in den USA hinsichtlich der Religionsfreiheit weg von der engeren Auffassung Lockes verdeutlichen. 558 Wie Locke hatte auch Jefferson eine grundsätzlich tolerante, milde und rationale Sichtweise von Religion eingenommen. Er lehnte jedoch all das ab, was sich nicht im Einklang mit seinen naturwissenschaftlichen und natürlichen Moralvorstellungen befand. 559 Auch seine Antipathie gegenüber dem orthodoxen Christentum Vgl. 3. Teil, § 4112 b). Er wurde lediglich leicht stilistisch abgeändert und lautete dann: "Congress shall make no law establishing religion, or prohibiting the free exercise thereof, nor shall the rights of conscience be infringed." Abgedruckt bei Levy, Judgments, S. 185. 555 Siehe unter 3. Teil, § 4 11 2 b). 556 V gl. zu alldem 3. Teil, § 4 11 2 b). 557 "No other political figure played so large a role in the enactment of the religion c1auses as Jefferson and Madison." McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1455. Vgl. auch Eisgruber / Sager, in: The University of Chicago Law Review 61 (1994), 1245, 1272. 558 Fronzuto, in: Constitutional Law Joumal6 (1996), 713, 719. 559 V gl. Mayer, Thomas Jefferson, S. 161. 553
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ging über die von Locke hinaus. Er bestritt die Göttlichkeit Jesus Christus' und die Authentizität der Heiligen Schrift, verachtete die Protestanten für ihre Doktrin der Vergebung der Sünden durch bloße Reue, die Presbyterianer für ihren "Fanatismus" in religiösen Fragen und die Juden für ihre "abstoßende" Ethik. 56o Diese persönlichen Ansichten änderten aber nichts an seinem energischen Eintreten für religiöse Toleranz, die er auch gegenüber Katholiken und Atheisten angewandt wissen wollte. Im Gegenteil, die Protegierung der Religionsfreiheit war für ihn zu einem großen Teil ein Mittel zur Verhinderung religiöser Monopole. Allerdings trennte er scharf zwischen bloßem Glauben, der staatlicherseits geschützt sein sollte, und religiös motiviertem Verhalten, dem grundsätzlich kein Schutz zugedacht war. 56! Wenn das Gewissen einer Person nur durch die Person selbst definiert werde und sämtliche gewissensgeleitete Handlungen auch geschützt würden, dann räume letztlich die Gewissensfreiheit, so leffersons Befürchtung, einem Gläubigen das Recht ein, alle Gesetze zu übertreten, d. h. auch solche, die unerläßlich für die soziale Ordnung seien. 562 leffersons Auffassung entsprach dem demokratischen Ideal, daß individuelle Freiheiten nicht die Interessen und das Wohl der Gesellschaft als Ganzes überlagern dürfen. Die free exercise c1ause sollte nicht die Rolle der Religion fördern, sondern den öffentlichen Frieden aufrechterhalten. 563 Seine Sichtweise von der Aufteilung in Glauben und Verhalten galt aber eigentlich schon zu seiner Zeit als lange überholt. 564 Madison dagegen vertrat eine der Religion insgesamt weitaus wohlgesonnenere Haltung. Bereits bei der Ausarbeitung der Bill of Rights Virginias befürwortete Madison eine Formulierung, die viel Spielraum ließ für gesetzliche Befreiungen zur Ausübung von Religion. 565 In keiner seiner Veröffentlichungen trat eine Feindseligkeit gegenüber einer intensiveren Manifestierung des Glaubens zutage wie etwa bei lefferson. 566 Im Gegenteil, von ihm ist bekannt, daß ihm die Verfolgung Einzelner wegen der Ausübung von Religion tief verhaßt war. 567 So schrieb er in seinem Memorial and Remonstrance folgerichtig: "The Religion then of every man must be left to the conviction and conscience of every man; and it is the right McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1449 f. In seinem berühmten "wall of separation"-Brief an die Danbury Baptist Association schrieb er: " ... the legislative powers of government reach actions only, and not opinions ... man [ ... ] has no natural right in opposition to his social duties." Zitiert in: Meyer, Thomas Jefferson, S. 164. 562 Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 721. 563 Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 722. 564 "Jefferson's advocacy of a belief-action distinction placed hirn at least a century behind the argument for full freedom of religious exercise in America." McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1451. 565 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1454. 566 Vgl. Eisgruber/Sager, in: The University of Chicago Law Review 61 (1994), 1245, 1272. 567 Vgl. dazu McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1452 f. 560 561
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of every man to exercise it as these may dictate. [ ... ] It is the duty of every man to render to the Creator such homage, and such only, as he believes to be acceptable to hirn. ,,568 Er vertrat die Auffassung, daß die empfundene Verpflichtung gegenüber dem Schöpfer den Verpflichtungen, die dem Einzelnen durch den Staat auferlegt werden, jeweils vorgehen. 569 Dies heißt in der praktischen Konsequenz, daß es Madison nicht darauf ankam, ob ein Gesetz säkular oder aIlgemein war, stets soIlte die Verpflichtung gegenüber dem eigenen Gewissen Vorrang haben. 57o Obwohl die Argumentation Madisons mehr die Bedürfnisse der Religion widerspiegelte als die des Staates,57! prägte der Gedanke der Dezentralisierung auch seinen Einsatz für die Religionsfreiheit. Eine Vielzahl von Religionsgemeinschaften, die den religiösen Einfluß unter sich aufteilten, soIlte und würde auch verhindern, daß eine einzelne Gemeinschaft dominierte. Eine Gemeinschaft soIlte keine Freiheiten für sich beanspruchen können, wenn sie den Anderen diese Freiheiten nicht ebenso zugestünde. Dieser Gedanke entsprach dem des Systems gegenseitiger KontroIle der drei Staatsgewalten, der "checks und balances".572 4. Schlußfolgerungen
a) Belief/action distinction-Modell Der Supreme Court hat zu Beginn seiner free exercise c1ause-Rechtsprechung in Reynolds v. United States einmal geäußert, daß es in der Natur des Verhältnisses von Staat und Kirche liege, daß Gesetze religiösen Glauben oder persönliche religiöse Ansichten gar nicht beeinträchtigen könnten, sondern nur deren Ausübung,573 mit der Folge, daß sobald der Glaube auch praktiziert werde und nach außen gelange, er der gesetzlichen Regulierung auch zugänglich sei. Auch ein Teil der Literatur hat sich dieser Sichtweise angeschlossen; beide Seiten berufen sich dabei auf Jejferson, der geradezu der Begründer dieses "belief / action distinctionModeIls" gewesen sei. Er habe sogar bereits das Sprechen als Ausübung und daher auch als staatlich regulierbar betrachtet. 574 Seine Arbeiten seien als nahezu authenAbgedruckt in: Everson v. Board of Education, 330 V.S. 1,64 (1947). duty is precedent both in order of time and degree of obligation, to the claims of Civil Society. [ ... ] We maintain therefore that in matters of Religion, no man's right is abridged by the institution of Civil Society, and that Religion is wholly exempt from ist cognizance." Vgl. Everson v. Board of Education, 330 V.S. 1,64 (1947). 570 Fronzuto, in: Constitutional Law Joumal6 (1996), 713, 720. A.A. offenbar Hamburger, in: The George Washington Law Review 60 (1992), 915, 926. 571 Vgl. EisgruberlSager, in: The Vniversity of Chicago Law Review 61 (1994), 1245, 1272. 572 Kurland, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 857. 573 Reynolds v. Vnited States, 98 V.S. 145, 166 (1878). 574 Malbin, Religion and Politics: The Intentions of the Authors of the First Amendment, S. 28; 33 ff. 568
569 ..This
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tische Umschreibung von Umfang und Auswirkungen des 1. Zusatzartikels aufzufassen. 575 Stellte man die individuelle Religionsfreiheit über die zivilen Gesetze, dann erlaubte man jedem Bürger, sein eigenes Verhalten zum gesetzlichen Maßstab zu machen. 576 Diese Auffassung wird mit der wohl herrschenden Meinung aber abgelehnt. Sie sei zum einen nicht mit dem Wortlaut vereinbar, zum anderen spreche auch die historische Auslegung gegen sie. Die Framers hätten offenkundig beabsichtigt, lediglich solche religiösen Aktivitäten von den Gesetzen auszunehmen, die weder den öffentlichen Frieden noch die öffentliche Sicherheit gefährdeten. 577 Ansonsten komme religiösen Handlungen grundsätzlich der gleiche Schutz zu wie dem Glauben an sich. In der Tat hat die Untersuchung der geschichtlichen Entwicklung gezeigt, daß sich der Schutz der free exercise c1ause genauso auf religiöse Handlungen erstrecken sollte, was beispielsweise der Blick auf die damaligen Schrankenregelungen beweist. 578 Soweit erkennbar, hat von prominenter Seite tatsächlich lediglich lefferson vertreten, daß allein dem forum internum ein umfassender Schutz zukomme. Allerdings war er mit dieser Auffassung seiner Zeit hinterher. Um 1789 scheint man nahezu einhellig davon ausgegangen zu sein, daß es keine Gewissensfreiheit ohne die damit korrespondierende Ausübungsfreiheit gebe. 579 Es spricht viel dafür, daß Madison mit seiner großzügigeren Sichtweise dem weitverbreiteten Verständnis von Religionsfreiheit, wie es sich später sowohl in den Landesverfassungen als auch in der Bill of Rights niederschlug, insgesamt viel eher entsprach als lefferson. 58o leffersons gegenteilige Meinung kann in diesem Zusammenhang daher nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein. Dies gilt um so mehr, als der Wortlaut ("exercise") insofern eindeutig erscheint. Zuletzt spricht aber auch ein systematisch-teleologisches Argument gegen das belief/action distinction-Modell. Die Unterscheidung würde die free exercise c1ause insgesamt schwächen und sie zu einer zweitklassigen Garantie der Meinungsfreiheit degradieren, weil die Garantien der Meinungs- und Versammlungsfreiheit verbale religiöse Äußerungen bereits ausreichend schützen. 581 Deshalb kann als gesichert gelten, daß die free exercise c1ause jedenfalls aus historischer Sicht gerade auch das forum externum schützen wollte. Es liegt nahe, daß der Glaube an sich und selbst dessen Artikulierung Reynolds v. United States, 98 U.S. 145, 164 (1878). Reynolds v. United States, 98 U.S. 145, 166 f. (1878). 577 U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 31. 578 Siehe oben 4. Teil, § 2 II 1 e). 579 Vgl. Curry, The first freedoms, S. 15. 580 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1455. Nach Eisgruber/Sager sind die Ansichten von lefferson und Madison, da sie so unterschiedlich waren, als Stütze der historischen Auslegung dagegen kaum zu gebrauchen. The University of Chicago Law Review 61 (1945), 1245, 1273. 581 U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 31. 575
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
nicht so sehr dazu geeignet sind, mit der sonstigen Rechtsordnung in Widerspruch zu treten. Aber das belief / action distinction-Modell suggeriert, daß nur der Glaube den vollen Schutz der Verfassung genieße, während das aus dem Glauben folgende Verhalten nachlässig behandelt werden könnte. Weil dies aus historischer Sicht nicht angestrebt war, ist das Modell insgesamt abzulehnen.
b) Bedeutung von "prohibiting" Im Laufe der unterschiedlichen Entwürfe des 1. Amendments kam es immer wieder zu anderen Formulierungen, mittels derer die staatlichen Einschränkungsmöglichkeiten der Religionsfreiheit umschrieben wurden. Die Entwürfe, die den Überlegungen des Repräsentantenhauses zugrunde lagen, benutzten die Verben "infringing,,582 und "preventing",583 in den anderen Klauseln des ersten Zusatzartikels spricht die Verfassung von "abridging".584 Der textliche Befund, so wurde festgesteBt,585 spricht dafür, daß die scheinbar weitreicherende heutige Version "prohibiting" dem bloßen Erschweren der Religionsausübung, indem z. B. staatliche Vorteile nicht gewährt werden, nicht entgegensteht. Auch der Supreme Court hat bereits in diese Richtung argumentiert. 586 Aus historischer Sicht erscheint diese Interpretation jedoch sehr fraglich. Madison wurde zehn Jahre nach der Debatte im Kongreß mit einer Aussage lohn Marshalls konfrontiert, wonach die Pressefreiheit leichter einzuschränken sei als die establishment c1ause wegen des Wortes "abridging", im Gegensatz zu dem Wort "respecting". Er erwiderte daraufhin vehement, daß "the liberty of conscience and the freedom of the press were equally and completely exempted from aB authority whatever of the United States".587 McConnell weist ferner darauf hin, daß als Synonym für "to prohibit" der Literatur des 18. Jahrhunderts zufolge auch etwa "to hinder" (= behindern) verwendet wurde; niemand habe im übrigen in den Beratungen des Kongresses die Ansicht geäußert, daß mittelbare oder unbeabsichtigte Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit erlaubt sein sollten. 588 Es erscheint mithin wahrscheinlicher, in der Formulierung "prohibiting" lediglich das Bemühen einer "eleganten sprachlichen Variation" der Verfassungsväter im Hinblick auf die anderen Klauseln zu erblicken. 589 Dt. "Verletzen, übertreten". Dt. "Verhindern, vermeiden". 584 Dt. "verkürzen, beschränken". Vgl. oben unter 4. Teil, § 2 I. 585 Siehe 4. Teil, § 2 I. 586 So in Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association, 485 V.S. 439, 450 f. (1988): "The crucial word in the constitutional text is "prohibit"; daher verlange die free exercise clause vom Staat auch nicht, einen zwingenden Rechtfertigungsgrund nachzuweisen für Wirkungen "which may make it more difficult to practice certain religions but which have no tendency to coerce individuals into acting contrary to their religious beliefs." 587 Zitiert in McConnell, in: Harvard Law Review \03 (1990),1409,1487 f. 588 McConnell, in: Harvard Law Review \03 (1990), 1409, 1486 f. 589 So auch McConnell, in: Harvard Law Review \03 (1990),1409,1487 Fn. 395. 582 583
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c) Gewissensbezogenheit der Religiösität
aa) Schutz des forum externum Des weiteren fällt auf der Gebrauch der Begriffe "exercise of religion" und "rights of conscience" in den Debatten und Gesetzesdokumenten vor Ratifizierung der Bundesverfassung. Während der vorkonstitutionellen Debatten wurden die Konzepte der "Gewissensfreiheit" und der "freien Religionsausübung" zumeist als Synonyme verwendet. Allerdings gibt es, wie die Diskussion der Gewissensfreiheit im deutschen Verfassungsrecht bereits gezeigt hat, wesentliche inhaltliche Unterschiede zwischen diesen Begriffen. Die Formulierung "free exercise" spricht beispielsweise noch viel deutlicher dafür, daß auch die äußere Religionsfreiheit geschützt werden und daß dieser offenbar kein geringerer Schutz zukommen soll als der inneren. Wörterbücher aus der Zeit der Verfassungsgründung lassen keinen Zweifel daran, daß "exercise" begriffsnotwendig Handeln nach außen impliziert. 59o Das einzige Gesetzesdokument, das zwischen den beiden Begriffen unterschied, war die "Georgia Charter of 1732". Diese sicherte "that there shall be a liberty of conscience allowed in the worship of God, to all persons inhabiting, or which shall inhabit or be resident within our said province, and that all such persons, except papists, shall have a free exercise of religion".591 Die Tatsache, daß den Katholiken Gewissensfreiheit eingeräumt wurde, nicht aber "free exercise of religion", zeigt, daß der letztgenannte Begriff jedenfalls hier weiter verstanden wurde, als der erstgenannte. Den Katholiken sollte offenbar erlaubt werden, zu glauben, was sie wollten, nicht aber, diesen Glauben auch entsprechend in die Öffentlichkeit zu tragen. Durch die alleinige Erwähnung der "free exercise" macht die U.S. Constitution nunmehr deutlich, daß es allen Gläubigen gestattet sein soll, ihre Religiösität auch über den privaten Bereich hinaus in der Öffentlichkeit auszuüben. Auch hiernach zeigt sich, daß das "belief / action distinction-Modell" fehlgeht. bb) Kollektive Religionsfreiheit Wie bereits zuvor ausgeführt,592 setzt der Begriff des Gewissens naturgemäß eine individuelle Komponente voraus, während Religion auch die korporative oder institutionelle Seite des Glaubens mit umfaßt. "Free exercise of religion" legt somit zum einen nahe, daß der Zusammenschluß mehrerer zum Zwecke der gemeinsamen Betätigung und Ausübung religiöser Überzeugung geschützt wird, wie zum 590 "As definded by dictionaries at the time of the framing, the word "exercise" strongly connoted action." McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1489. Die von ihm beispielhaft zitierten Erklärungen aus der Gründerzeit der Verfassung deuten ebenfalls in diese Richtung (exercise = "to use or practice"; "Act of divine worship, whether public or private"). 591 Poore, Federal and State Constitutions, S. 369, 375. 592 Vgl. die Situation im deutschen Verfassungsrecht, 4. Teil § 1 IV 2.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
anderen, daß sich die staatliche Seite auch nicht in die Aktivitäten einer Religionsgemeinschaft einmischen darf, und zwar selbst dann, wenn die Einmischung keinen unmittelbaren Gewissensbezug hat. 593 Auch der Wortlaut der frühen Kodifikationen der US-amerikanischen Religionsfreiheit scheint den Religionsgemeinschaften das Recht zuzugestehen, ihre eigene Lehre, Mitgliedschaften, Organisation und sonstigen internen Belange fern von staatlicher Einmischung selbständig regeln zu können. Thomas lefferson äußerte sich in diesem Zusammenhang einmal ausdrücklich: "The government of the United States fis] interdicted by the Constitution from intermeddling with religious institutions, their doctrines, discipline, or exercises. ,,594 Fragen der inneren Ordnung und der Lehre waren für die Verfassungsväter Angelegenheiten außerhalb der Kompetenz des Staates. 595 cc) Schutz lediglich religiöser Gewissensentscheidungen Ferner steht fest, daß bloße Gewissensentscheidungen nicht ausdrücklich religiös motiviert sein müssen, sondern beispielsweise auch wissenschaftlich, geschichtlich, philosophisch, wirtschaftlich oder politisch bedingt sein können. Fraglich ist, welche Schlußfolgerung aus dieser Erkenntnis für den Schutzbereich der free exercise c1ause zu ziehen ist. McConnell sieht in der Abschaffung jeglicher Bezugnahme auf das Gewissen einen eindeutigen Beleg, daß die endgültige Version des ersten Zusatzartikels die Religion im Vergleich zu den übrigen Gewissensbelangen privilegiert und nur sie den Schutz der Verfassung beanspruchen kann. 596 Die Rechtsprechung des Supreme Court ist in dieser Hinsicht kontrovers; es wurde zwar vornehmlich die Sichtweise McConnells vertreten,597 aber auch die Auffassung, daß es verfassungswidrig sei, zwischen religiösen und säkularen Gewissensbelangen zu unterscheiden. 598 Für Teile der Literatur, deren Denken einem liberalen Individualismus nahesteht,599 ist Religion als Produkt individueller EntscheiMcConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1490. So in einern Brief an Richter Samuel Miller im Jahre 1808; abgedruckt in: McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1465. 595 U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 40 m. w. N. 596 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409, 149l. 597 Diese Sichtweise scheint das Gericht wohl auch zu bevorzugen; vgl. Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205, 215 f. (1972): "A way of life, however virtuous and admirable, may not be interposed as a barrier to reasonable state regulation [ ... ] if it is based on purely secular considerations; to have the protection of the Religion Clauses, the claims must be rooted in religious belief." Diese Position hat das Gericht einheitlich in Frazee v. IIIinois Dep't of Employment Sec., 109 S. Ct. 1514, 1517 (1989) bestätigt. Vgl. ferner in Marsh v. Chambers, 463 U.S. 783, 812 (1983): "In one important respect, the Constitution is not neutral on the subject of religion: Under the Free Exercise Clause, religiously motivated claims of conscience may give rise to constitutional rights that other strongly held beliefs do not." Justice Brennan, dissenting. 598 So etwa Justice Harlan in Welsh v. United States, 398 U.S. 333, 356 (1970), concurring. 593
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dung zu verstehen und als solches auch zu schützen. Es sei aber willkürlich, Glaubensvorstellungen, denen allesamt eine derartige individuelle Entscheidung zugrunde liege, danach zu unterscheiden, ob sie religiös motiviert sind oder nicht. Im übrigen gebiete bereits der Gedanke der Toleranz, den Schutz der Religionsfreiheit auf alle Glaubenssysteme auszuweiten, die den Grundsätzen von Moral, Vernunft und Billigkeit unterworfen seien. 6OO Die historische Auslegung scheint jedoch eher dafür zu sprechen, daß lediglich religiös motivierte Entscheidungen und Handlungen durch die amerikanische Verfassung geschützt werden sollten. Bereits die oftmals synonyme Verwendung der Begriffe von ,,rights of conscience" und "exercise of religion" deutet an, daß man ausschließlich an das "religiöse Gewissen" dachte. 601 Indiz dafür ist auch, daß es keine überlieferte Diskussion um die Frage gab, welcher Begriff zu bevorzugen sei. Dies läßt darauf schließen, daß entweder völlige Einigkeit darüber bestand, andere Gewissensentscheidungen nicht zu schützen und daher auf die "rights of conscience" bewußt verzichtet wurde, oder daß man ebenso einheitlich davon ausging, daß die Frage lediglich eine stilistische sei, weil eben nur die religiös motivierten Entscheidungen gemeint waren. Aus geschichtlicher Perspektive ist die alleinige Privilegierung der religiösen Gewissensnot auch durchaus erklärbar. Die Auffassung, daß jeglicher Gewissenskonflikt Ausdruck der Personalität des Einzelnen und daher schützenswert ist, ist eher eine modeme, eben eine individualistisch geprägte. Sie entsprach aber nicht dem Verständnis der amerikanischen Verfassungsväter. Um 1789 hätten wohl die meisten Amerikaner Locke darin zugestimmt, daß der durch einen Gesetzesbefehl ausgelöste Gewissenskonflikt nicht von der grundsätzlichen Verpflichtung befreie, das Gesetz auch zu befolgen. 602 Konflikte speziell aufgrund religiöser Überzeugungen empfand man im Gegensatz dazu nicht als Aufeinandertreffen von individueller und staatlicher Meinung, sondern als Konflikt zwischen weltlichem und spirituellem Souverän. Die Religionsfreiheit wurde als so hochwertig und unveräußerlich angesehen, weil es sie nicht nur per se als substantiellen Wert zu beschützen galt, sondern auch, weil man Religion als Gebiet ansah, das sich völlig außerhalb der staatlichen Kompetenz bewegt. 603 Religion galt als direkte Verpflichtung gegenüber Gott und stellte kein Privileg des Einzelnen dar. 604 Anders gesagt: Wahrend die Gewissensbetroffenheit aus religiösen Gründen als Pflicht gegenüber einer über dem Einzelnen stehenden Autorität eingeschätzt wurde, manifestierte die Gewissensbetroffenheit aus säkularen Gründen lediglich den persönlichen Willen oder die individuelle Meinung. 599 So etwa Dworkin, Taking rights seriously, S. 200 f.; Konvitz, Religious Liberty and Conscience, S. 73-106; Richards, Toleration and the Constitution, S. 136 ff. 600 Richards, Toleration and the Constitution, S. 138. 601 Vgl. Witte, in: Notre Dame Law Review 71 (1996),372,389 f. 602 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1496. 603 U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 46 f. 604 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1496 f. Vgl. auch Hamburger, in: The George Washington Law Review 60 (1992), 915, 938.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
Diese verdiente nach Auffassung des Verfassungs gebers aber keinen Schutz vor staatlicher Einwirkung. 6os d) Schutz der Atheisten Aus diesen Gründen kann sich nach US-amerikanischem Verfassungsrecht auch ein Atheist jedenfalls nicht auf die free exercise clause berufen. Wenn es darum geht, von der Rechtsfolge eines Gesetzes ausgenommen zu werden, so verlangt die free exercise clause dafür, wie zuvor dargestellt, den Gehorsam gegenüber einer transzendenten Autorität, die jenseits der Autorität des Staates liegt. Der Blick auf die Geschichte belegt, daß ursprünglich allein die Beziehung zu Gott geschützt werden sollte. 606 Wird eine solche religiöse Verpflichtung nicht empfunden, dann ist der Anwendungsbereich der free exercise clause auch nicht eröffnet. 607 In der Praxis dürfte diese Konsequenz jedoch weniger problematisch sein, weil der Schutz der negativen Religionsfreiheit regelmäßig durch die establishment clause zu erreichen ist. Ein Gesetz, das einen Atheisten zwingt, einen bestimmten Glauben anzunehmen oder eine bestimmte Glaubenshandlung vorzunehmen, stellt in jedem Falle ein "establishment of religion" dar. e) Schranken In bezug auf die Schranken gibt es kaum einen historischen Beleg dafür, daß die Framers den Begriff der Religion in irgendeiner Weise beschränkt haben oder beschränkt wissen wollten. 60S Die free exercise clause enthält jedenfalls keine ausdrückliche Schranke. Dennoch muß den Verfassungsvätern bewußt gewesen sein, daß kein Grundrecht unbegrenzt garantiert werden kann, was etwa eine Aussage Madisons aus seinem Memorial and Remonstrance-Dokument verdeutlicht: "Whilst we assert for ourselves a freedom to embrace, to profess and to observe the Religion which we believe to be of divine origin, we cannot deny an equal 605 So auch Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967), 1381, 1424 f., der zudem darauf hinweist, daß Fälle, in denen das Gewissen in anderer als religiöser Weise betroffen ist, über die equal protection oder die due process c1ause abgewickelt werden können. A.A. offenbar Vgl. Wiue, in: Notre Dame Law Review 71 (1996),372,394. 606 Kuriand, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 856: ,,[ ... ] I am hard put to find any evidence in the development of legal protection for religious freedom that indicates any intention to protect atheists. [ ... ] Quite the contrary, [the Founders] sought to protect man's relation to his god." 607 Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967),1381,1424. Aus dem Grunde wird aber teilweise dahingehend argumentiert, daß die free exercise c1ause zumindest im Hinblick auf deren Sinn und Zweck auch das Recht umfassen müsse, "irreligious" oder "nonreligious" zu sein. Vgl. O'Brien, Constitutional Law and Politics, Vol. 2, S. 631; V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 29; Abraham, in: Lee (Hrsg.), All Imaginable Liberty, 167, 183. 608 V.S. Department of lustice, Religious Liberty, S. 24.
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freedom to those whose minds have not yet yielded to the evidence which has convinced uso ,,609 Aus dieser Aussage wird deutlich, daß man auch zur Gründungszeit der Verfassung nicht davon ausgegangen ist, daß der Religionsfreiheit per se der Vorrang einzuräumen ist, wenn gleichzeitig andere Interessen betroffen sind. In der Frage der Schranken bleibt aus historischer Sicht somit allein der Blick auf die Verfassungen der Einzelstaaten vor Ausarbeitung der V.S. Constitution. 610 Wenngleich denen kein einheitliches Schrankensystem zugrunde lag, fällt doch auf, daß die Religionsfreiheit nur durch wenige ranghohe Schutzgüter eingeschränkt werden konnte. "Public peace" beziehungsweise "public safety" etwa waren zu jeder Zeit besonders wichtige Gemeinschaftsgüter, deren Verletzung nur sehr selten drohte. Auch die "Verletzung der Rechte anderer Personen" ist in der Regel eine bloß äußerste Grenze, die sich bereits aus dem Gefüge der Verfassung selbst ergibt. Ob auf diese Schutzgüter bei der Bestimmung der Schranken zurückgegriffen werden soll, kann jedoch nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Die Entscheidung, auf keine der damals geläufigen Einschränkungen ausdrücklich zurückzugreifen, mag bewußt als Aufforderung an die Rechtsprechung verstanden worden sein, die Grenzen des Rechts näher zu bestimmen. Möglicherweise war jedoch auch völlig unstrittig, daß die Religionsfreiheit nur zugunsten hochwertiger Allgemeinbelange eingeschränkt werden sollte. Letztlich ist die Historie insofern nicht eindeutig. Die Möglichkeit, religiöse Betätigung bereits durch bloß allgemeine Gesetze, die sich als solche nicht direkt gegen die Religionsfreiheit richten, einschränken zu können, war zu jener Zeit aber offenbar nicht bekannt. 611 5. Ergebnis
Angesichts der Erfahrungen mit der Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten in England und in den frühen amerikanischen Kolonien wurde die Religionsfreiheit sehr bald Regelungsgegenstand der Gesetzgebung in den einzelnen Bundesstaaten der USA. Nach der geschichtlichen Lektion galt es, religiöse Verfolgung in Zukunft zu unterlassen und kirchliche Zwietracht, wie sie nach der Reformation einsetzte, zu vermeiden. 612 Als Recht vorwiegend zum Schutz der Minderheiten sollte das Wort "Religion" nicht nur für zentrale, arrivierte Religionsgemeinschaften von besonders wichtiger Bedeutung gelten, sondern auch und gerade für die Zitiert in: Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1,66 (1947). Siehe 4. Teil, § 2 11 1 e). 611 Zu diesem Ergebnis kommen auch nahezu alle umfassenderen historischen Untersuchungen der free exercise c1ause, vgl. etwa Bems, The First Amendment and the Future of Amercian Democracy, 1976; Malbin, Religion and Politics: The Intentions of the Authors of the First Amendment, 1978; McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1414. 612 Laycock, in: Notre Dame Journal ofLaw, Ethics & Public Policy 4 (1990), 683, 693. 609
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Angehörigen nicht etablierter Re1igionsgemeinschaften. 613 Dabei wurde nicht nur der Glaube, sondern stets auch das Verhalten geschützt. Sowohl Glaubens- als auch Religionsausübungsfreiheit folgen historisch aus der Gewissensfreiheit. 614 Für die Amerikaner des 18. Jahrhunderts war die Beziehung des Einzelnen zum göttlichen Wesen eine Angelegenheit des Gewissens und als solche voll und ganz persönlich. 615 Man dachte jedoch nur an den Schutz der religiösen Gewissensfreiheit; Atheisten sollten sich beispielsweise nicht auf die free exercise c1ause berufen können. Das frühe Amerika interessierte sich vor allem für Lockes Ideen zur religiösen Toleranz, ging mit den ersten gesetzlichen Regelungen jedoch schnell über dessen Vorstellungen hinaus. Thomas fefferson und farnes Madison wurden zu den beiden Vorreitern und -denkern in Fragen der Religionsfreiheit, wobei sich die weitere Auffassung von Madison letztlich durchgesetzt zu haben scheint, zumal er die heute gültige Version der free exercise c1ause im Vermittlungsausschuß des Kongresses mitformulierte. Madison war der Auffassung, daß die empfundene individuelle religiöse Verpflichtung den staatlichen Verpflichtungen vorgehen müsse. Auch Madison erkannte jedoch die Notwendigkeit, die Religionsfreiheit einzuschränken, wenn jedenfalls die Interessen Anderer gleichzeitig betroffen sind. Darüber hinaus kann es als gesichert gelten, daß es üblich war, die Religionsfreiheit zugunsten überragender Gemeinschaftsgüter, wie etwa des öffentlichen Friedens oder der öffentlichen Sicherheit, einzuschränken. Abgesehen davon sollte sich die Religionsfreiheit offenbar stets gegenüber Regelungsbelangen des Staates durchsetzen.
III. Systematische Auslegung 1. Test clause
Die sogenannte test c1ause in Art. VI der V.S. Constitution stellt die einzige religiöse Bezugnahme innerhalb der Verfassung und außerhalb des 1. Zusatzartikels dar. Als Verbot, ein Bekenntnis zur Voraussetzung für den Antritt eines Amtes oder einer öffentlichen Vertrauensstellung zu machen, regelt sie einen Teilbereich der Re1igionsfreiheit. 616 So schrieb etwa Oliver Ellsworth aus Connecticut, der spätere Chief Justice of the Vnited States, zur Rechtfertigung der Bestimmung während des Ratifikationsprozesses: "Some very worthy persons, who have not had great advantages for information, have objected against that c1ause in the Constitution, which provides that no religious Test shall ever be required as a qualification to V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 28. v. Mangoldt/Klein/ Starck-Starck, GG, Art. 4 Rdn. 6. 615 Hamburger, in: The George Washington Law Review 60 (1992), 915, 933. 616 Als "Bekenntnis" in diesem Sinne dachte man in England und den Kolonien an die jeweils etablierte Kirche. Vgl. hierzu auch 3. Teil, § 4 III I. 613
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any office or public trust under the Uni ted States. They have been afraid that this c1ause is unfavourable to religion. But, my countrymen, the sole purpose and effect of it is to exc1ude persecution, and to secure to you the important right of religious liberty. We are almost the only people in the world, who have full enjoyment of this important right of human nature. In our country every man has a right to worship God in that way which is most agreeable to his own conscience. If he be a good and peacable citizen, he is liable to no penalties or incapacities on account of his religious sentiments; or in other words, he is not subject to persecution. ,,617 Über das grundsätzliche Ausmaß religiöser Freiheit trifft die Bestimmung jedoch keine Aussage.
2. Establishment dause a) Grenzen des Schutzes
Grenzen der Religionsfreiheit könnten sich aus der establishment c1ause des 1. Amendments ergeben; allein ihre Existenz verdeutlicht, daß eine Begrenzung der free exercise c1ause notwendig iSt. 618 Es wurde zwar festgestellt, daß auch die establishment c1ause dem gemeinsamen Ziel des Schutzes der Religionsfreiheit dient;619 weder Literatur noch Supreme Court haben die beiden ReligionsklauseIn hingegen jemals als absolut angesehen. 620 Die Rechtsprechung des Supreme Court, die im common law besonders für die Verfassungswirklichkeit des Landes steht, stellt bei der schwierigen Abgrenzung der beiden Klauseln keine Hilfe dar, was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß der Supreme Court sich abseits der Fälle staatlicher Hilfen immer noch nicht ausdrücklich von der strict separation-Lehre verabschiedet hat und sich die Klauseln dadurch praktisch unvereinbar gegenüberstehen. Zudem hat es das Höchstgericht stets vermieden, zu dem Konflikt Stellung zu nehmen. Das Bemühen des Gerichts, den Wertungen beider Klauseln gerecht zu werden, hat zu einer kaum nachvollziehbaren Kasuistik geführt, der es nicht nur an Konsequenz und Logik mangelt,621 sondern die immer wieder den Vorwurf der bloßen Willkür heraufbeschwört. Von den beiden, nach der bisherigen Auslegung des Supreme Court sich unvereinbar gegenüberstehenden Schutzgütern der "strengen Trennung" und der "Religionsfreiheit" setzt sich nach der Rechtsprechung des Supreme Court dasjenige durch, Zitiert bei Kurland, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 839, 846. V.S. Departrnent of Justice, Religious Liberty, S. 26. 619 Vgl. 3. Teil, § 4 III 2 a) dd). 620 Witt, Guide to the V.S. Supreme Court, S. 449. 621 "Along with the rest of the Bill of Rights, the two religion clauses of the First Amendrnent have been around for over 200 years. It seems incredible, but the Supreme Court has yet to develop a coherent and consistent approach to the application of these apparently simple clauses. [ ... ] the Court has proved unable to read the two clauses together in a sensible way." McCoy, in: Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1335 f. 617
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
dessen Beachtung die aktuelle Gerichtsmehrheit im Einzelfall gerade als vorzugswürdig erachtet. Dies hat aber unter anderem dazu geführt, daß das Gericht bestimmte Verhaltensweisen als "notwendig" im Sinne der free exercise c1ause bezeichnete, die sie in anderen Fällen als "unzulässig" nach der establishment c1ause einordnete - und umgekehrt. 622 Diese maßlose Widersprüchlichkeit hat der Supreme Court stets mit dem Hinweis auf die Spannung abgetan, die zwischen den Prinzipien der beiden Klauseln nun einmal bestünde. Damit hat er es zugleich versäumt, den Anwendungsbereich bei der Klauseln zu markieren und ihr Konkurrenzverhältnis durch feste Abgrenzungskriterien auszugestalten. 623 Zu größerer Klarheit hat erst die neue Rechtsprechung im Bereich staatlicher Hilfen, speziell im Schulwesen, geführt. 624 In Ermangelung verläßlicher, durch das Präzedenzfallrecht entwickelter Grundsätze hat eine Abgrenzung der bei den Religionssätze demnach in Weiterentwicklung des no preference-Ansatzes zu erfolgen, dessen Anwendung das Konfliktpotential zwischen den Klauseln nicht gänzlich beseitigt. Beide Bestimmungen hätten auch hiernach einen anderen Inhalt, wenn sie nur für sich allein in dem ersten Zusatzartikel stünden. 625 Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut, der nahelegt, daß die establishment c1ause eine (wie auch immer geartete) Neutralität und die free exercise c1ause im Gegensatz dazu eine (wie auch immer geartete) Bevorzugung der Religion verlangt. Würde beispielsweise eine gesetzliche Regelung festlegen, daß eine Religionsgemeinschaft von einer bestimmten Steuer befreit wird, dann stieße eine solche Vorschrift nach der establishment c1ause, die den Staat davon abhält, eine offizielle Religion zu gründen oder eine bestehende zu bevorzugen, zumindest auf verfassungsmäßige Bedenken, obwohl eine solche Befreiung möglicherweise gerade dem Recht der Religionsgemeinschaft auf free exercise ofreligion entsprechen mag. 626 Es wurde bereits beschrieben, wie die free exercise c1ause den Anwendungsbereich der establishment c1ause nachhaltig einengt;627 umgekehrt schränkt die Wertung der establishment c1ause auch die Reichweite der Religionsfreiheit ein. Die free exercise c1ause muß grundsätzlich dann zurücktreten, wenn der Schutz der Religionsfreiheit so überspannt wird, daß eine Religion staatlicherseits gegrünMcCoy, in: Vanderbilt Law Review 48 (1995),1335,1336. "The Court has struggled to find a neutral course between the two Religion Clauses, both of which are cast in absolute terms, and either of which, if expanded to a logical extreme, would tend to clash with the other." Walz v. Tax Commis si on, 397 U.S. 664, 668 f. (1970). 624 Vgl. hierzu 3. Teil, § 4 III 2 a) cc). 625 Mansfield, in: California Law Review 72 (1984), 847, 849. 626 Marshali, in: Southern California Law Review 59 (1986), 495, 506. Marshall führt in diesem Zusammenhang aus, daß je mehr die Werte der establishment clause in den Vordergrund gerückt werden, desto mehr rücken die free exercise clause-Werte in den Hintergrund - und umgekehrt. 627 Siehe unter 3. Teil, § 4 III 2. 622 623
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det und entsprechend gefördert, der Versuch der Bekehrung unternommen oder eine Religionsgemeinschaft gegenüber den Anderen einseitig bevorzugt wird. Eine Rangfolge der Religionsgemeinschaften kennt die amerikanische Verfassung nicht. Unabhängig von Größe und gesellschaftlichem Gewicht verlangt die U.S. Constitution die grundsätzliche Gleichbehandlung aller Glaubensgruppierungen. Diese Grenze gibt die establishment clause vor und ist zunächst einmal absolut, was sich aus der Überlegung rechtfertigt, daß die Wertung der free exercise clause bereits in die Auslegung der establishment clause mit eingeflossen ist. Es treffen keine gegenläufigen Belange aufeinander, die zum Ausgleich gebracht werden müßten. Die zwei religionsrechtlichen Regelungen sind zusammen im Lichte eines gemeinsamen, umfassenden Zwecks, dem Schutz der Religionsfreiheit, zu lesen. Beide hindern den Kongreß daran, die Religionsfreiheit in einer speziellen Weise - durch Gesetzgebung ("respecting an establishment of religion") - und in einer allgemeinen Weise ("or prohibiting the free exercise thereof') zu beeinträchtigen. 628 Fest steht demnach, daß nicht jede Erfüllung einer free exercise-Forderung dazu führt, daß die establishment clause verletzt ist. Indem einer Religionsgemeinschaft eine staatliche Hilfe zuteil wird, ist darin nicht automatisch die Verletzung des Bevorzugungsverbots der establishment clause zu sehen. Ähnlich wie in Deutschland sieht auch die amerikanische Verfassung nur bedingt die Möglichkeit vor, aus den Grundrechten Teilhaberechte zu formulieren. 629 Auch in den USA sind die Grundrechte zuvörderst Abwehrrechte gegen den Staat. 630 Dazu gibt es jedoch zwei AusGlendon/Yanes, in: Michigan Law Review 90 (1991), 477, 54l. Zu den derivativen Rechten auf Teilhabe in Deutschland vgl. etwa BVerfGE 33, 303; Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rdn. 7. Speziell zu Art. 4 GG vgl. Muckei, in: Jura 2001,456,459. 630 So beinhaltet das Recht auf Meinungsfreiheit beispielsweise nicht das Recht auf staatliche Unterstützung zur Ausübung der freien Rede, vgl. Rust v. Sullivan, 500 U.S. 173 (1991), wo es um die Unterstützung von Einrichtungen der Schwangerschaftsberatung ging. Das Recht auf Abtreibung etwa beinhaltet nicht zugleich das Recht zur staatlich finanzierten Abtreibung, vgl. Maher v. Roe, 432 U.S. 464 (1977). In DeShaney v. Winnebago County Dep't of Social Services, 489 U.S. 189 (1989) hat sich dieser Grundsatz besonders bemerkbar gemacht. Hier hatte eine Mutter von dem Sozialamt verlangt, ihr Kind aus den Händen des Vaters zu befreien, bei dem das Kind lebte. Erwiesenermaßen hatte dieser das Kind immer wieder geschlagen, und zwar so stark, daß "he suffered permanent brain damage and was rendered profoundly retarted." Trotzdem sah das Gericht darin keinen Verstoß gegen die due process clause. Diese verbiete zwar dem Staat, die Bürger ihrer Freiheit und Gesundheit zu berauben, aber "its language cannot fairly be read to impose an affirmative obligation on the State to ensure that those interests do not come to harm through other means." 489 U.S. 189 (1989). Vgl. hierzu ausführlich Tribe, in: Harvard Law Review 103 (1989), 1 ff. Im übrigen bedeutet das auch, daß die Rechte der Bill of Rights nicht zwischen den Bürgern gelten und gerichtlich geltend gemacht werden können. Vgl. hierzu Dorf, in: 84 Virginia Law Review 843 ff. (1998), der anläßlich einer entsprechenden untergerichtlichen Entscheidung ausführt, daß Studenten des Yale College keinen Anspruch gegenüber ihrer (privaten) Schule nach Amendment 1 haben, von der schulinternen Regelung, daß alle untergradigen Studenten in Wohnheimen unterzubringen sind, aus religiösen Gründen befreit zu werden. Hintergrund war eine Klage von vier jüdisch-orthodoxen Studenten aus Yale, die sich wegen 628 629
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nahmen: Wenn ein "positives" Recht notwendig ist, um die staatliche Beeinträchtigung des Grundrechts abzuwenden,63l und wenn es notwendig ist, um eine Gleichbehandlung sicherzustellen. So gibt es zwar keinen grundrechtlichen Anspruch auf Wohlfahrtsleistungen, aber wenn der Staat solche Leistungen vergibt, muß er sie gleichermaßen vergeben. Bezogen auf die Religionssätze des 1. Amendments heißt das: Wenn der Staat zum Beispiel eine Hilfe in Form einer Steuerbefreiung an protestantische Kirchen leistet, dann muß er diese Hilfe auch katholischen und orthodoxen Kirchen, Synagogen, Moscheen oder buddhistischen Tempeln einräumen. Allerdings begründet die free exercise clause nicht unbegrenzt Einrichtungsgarantien und Teilhaberechte. 632 Selbst wenn, wie gezeigt,633 die neue Rechtsprechung dazu übergegangen ist, staatliche Hilfsprogramme zugunsten religiöser Gruppierungen gegen die Wertung der establishment clause aufrechtzuerhalten, so verlangt der Supreme Court stets, daß diese Hilfe zugleich auch säkularen Institutionen, die dieselbe Funktion ausüben, zuteil wird. 634 b) Einheitlicher Religionsbegriff
Obwohl Grammatik und Struktur des 1. Zusatzartikels eindeutig dagegen sprechen,635 wurde immer wieder behauptet, daß der Begriff der "Religion" in establishment und free exercise clause inhaltlich nicht übereinstimmt. 636 So wird beispielsweise ausgeführt, daß sich in establishment-Fragen "religion" auf die Religion der Mehrheit beziehe, während sie sich in free exercise-Fragen auf die Religion der Minderheiten beziehe. 637 Außerdem beschäftige sich die establishment des ihrer Ansicht nach lasterhaftigen Lebenswandels der Kommilitonen weigerten, in derartigen Heimen zu wohnen. 631 So gibt es beispielsweise das Recht einer einkommensschwachen Person auf staatliche Übernahme der Anwaltskosten, wenn der Staat gegen die Person eine Strafverfolgung eingeleitet hat. Vgl. Gideon v. Wainwright, 372 V.S. 335 (1963). Ebenso hat eine solche Person einen Anspruch auf Erstattung der Gerichtskosten, wenn sie sich scheiden lassen will, siehe Boddie v. Connecticut, 401 V.S. 371 (1971). Hier wird argumentiert, daß die negative Freiheit nicht ausgeübt werden könnte, wenn nicht gleichzeitig der status positivus garantiert würde. 632 Wahrscheinlich kann man eher vorn Gegenteil sprechen; ansonsten bestünden wieder große Bedenken im Hinblick auf die establishment clause. 633 Siehe 3. Teil, § 4 III 2 a) cc). 634 Vgl. etwa Mitchell v. Helms, 530 V.S. 793 (2000). Mit anderen Worten: Wenn der Staat gemeinnützige Essenausgabestellen bezuschusst, dann ist es erlaubt, wenn einige dieser Stellen von Seiten der Kirche betrieben werden. Ein Gesetz aber, daß allein kirchlichen Essenausgabestellen Mittel zukommen lassen würde, wäre nach Ansicht des Supreme Court verfassungswidrig. 635 U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 24. 636 Vgl. nur Choper, in: 1982 U. Illinois Law Review 579, 605 f. 637 Galanter, in: 1966 Wisconsin Law Review 217, 266 ff.; Mere!, The Protection of Individual Choice: A Consistent Understanding of Religion Under the First Amendment, 45 Uni-
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clause mit der Institutionalisierung von Religion, die free exercise clause hingegen mit Fragen des Gewissens, was ein unterschiedliches Begriffsverständnis rechtfertige. 638 Geänderte Umstände hätten im übrigen dazu geführt, daß Religion in free exercise clause-Fällen extensiv ausgelegt werden müsse, im establishmentKontext dagegen enger. 639 Diese Auffassung ist mit der herrschenden Meinung jedoch abzulehnen. Nichts spricht dafür, daß der Begriff unterschiedlich auszulegen ist. Im gesamten Entstehungsprozeß des 1. Zusatzartikels findet sich keine Aussage, die sich in diese Richtung deuten ließe. Teleologische Argumente müssen im Hinblick auf den insoweit eindeutigen Text der Verfassung zurücktreten, zumal diese auch nicht zu überzeugen vermögen. Die eigenmächtige richterliche Auslegung unter Mißachtung des diesbezüglich unmißverständlichen Wortlauts wäre als offene Einladung anzusehen, das 1. Amendment neu zu schreiben. 64o "Religion" ist vielmehr einheitlich zu definieren: was als Religion im Rahmen der establishment clause behandelt wird, darf sich auf den Schutz der free exercise clause berufen; was umgekehrt von der free exercise clause geschützt wird, darf der Staat nicht errichten beziehungsweise etablieren. 641 3. Weitere Grundrechte
Die free exercise clause ist untrennbar auch mit den anderen Freiheitsgarantien des 1. Zusatzartikels verbunden. Die Meinungs- und Pressefreiheit etwa schützt die Äußerung und Verbreitung von Glaubensvorstellungen, die Versammlungsfreiheit die Möglichkeit, mit anderen privat oder öffentlich Glauben zu praktizieren. Die enge Verknüpfung der Freiheiten hat dazu geführt, daß der Supreme Court viele Fälle, in denen es um staatliche Einschränkungen der Religionsfreiheit ging, allein auf Grundlage der anderen Freiheiten löste. 642 So hat er etwa in Lovell v. Grijfin643 bestimmt, daß das gegenüber den Zeugen Jehovas ausgesprochene Verbot, religiöse Handzettel zu verteilen, als Verstoß gegen die Pressefreiheit einzuordnen sei. Andere Entscheidungen wiederum stützten sich gleichermaßen auf die free exercise clause wie auf die ebenfalls betroffene Freiheit. 644 Speziell konversity of Chicago Law Review 805 ff. (1978). A.A. etwa Comment, Defining Religion: Of God, the Constitution and the D.A.R., 32 Vniversity of Chicago Law Review 533, 558 f. (1965); V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 24. 638 Kurland, in: 75 West Virginia Law Review 213, 241 (1973). 639 Tribe, American Constitutional Law, § 14-6, S. 1186; Note, in: 91 Harvard Law Review 1056, 1083 ff. (1978). 640 V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 25. 641 V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 29. 642 Witt, Guide to the V.S. Supreme Court, S. 450. 643 Lovell v. City of Griffin, 303 V.S. 444 (1938). 644 Vgl. etwa CantweIl v. Conneticut, 310 V.S. 296 (1940), wo es um einen Anhänger der Zeugen Jehovas ging, der Leuten, denen er auf der Straße begegnete, eine Art Schallplatte
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kurrierende Verletzungen von Religions- und Meinungsfreiheit hat das Gericht geradezu austauschbar behandelt. 645 So hat es sich immer wieder auch der Prüfungsstandards bedient, die es eigentlich im Zusammenhang mit Beschränkungen der Meinungs- oder Pressefreiheit entwickelt hatte. 646 Eine ausdrückliche Stellungnahme in diese Richtung, etwa des Inhalts, daß die Vergleichbarkeit der Verbürgungen auch eine Annährung der Prüfungsstandards rechtfertige, hat der Supreme Court aber immer vermieden; im Gegenteil, in den free speech-Fällen verlangt das Gericht beispielsweise, daß neutrale Gesetze, die die Meinungsfreiheit tangieren, stets einer Abwägung mit dem betroffenen Gut unterzogen werden müssen,647 während es im Rahmen der Religionsfreiheit mittlerweile ein kategorisches Rangverhältnis entwickelt hat, demzufolge das betroffene Gut der Religion gar nicht erst verletzt sei, wenn es aufgrund eines allgemeines Gesetzes beeinträchtigt werde. 648 Eine Ausnahme davon soll unter anderem nur dann in Betracht kommen, wenn neben der free exercise clause auch noch andere Rechte betroffen seien, wie eben die Meinungs- oder die Pressefreiheit. 649 Für diese Rechtsprechung ist der Supreme Court zu Recht heftig von Seiten der Literatur kritisiert worden. 65o Die Religionsfreiheit ist nämlich kein Recht minderen Ranges, das nur in Verbindung mit anderen Rechten zur vollen Wirksamkeit gelangt. Diese Rechtsprechung ist nicht nur aus systematischen Gründen unhaltbar, sie wird auch widerlegt durch gefestigte richterliche Grundsätze, nach denen den einzelnen Garantien der Bill of Rights prinzipiell gleichrangige Bedeutung beizumessen ist. 651 Das unübersichtliche Konkurrenzverhältnis von Religionsfreiheit vorspielte, auf der der Katholizismus scharf angriffen wurde. Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit werden hier - auch in bezug auf die Schranken - stets in einem Atemzug genannt. 645 Greenawalt, in: Califomia Law Review 72 (1984), 753, 757. 646 Witt, Guide to the U.S. Supreme Court, S. 450. 647 Darauf ausdrücklich hinweisend die abweichende Meinung von lustice O'Connor in Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872, 891 ff. (1990).; vgl. StoneISeidman I Sunstein I Tushnet, Constitutional Law, S. 1526. 648 ,,[Respondents in the present case] assert, in other words, that "prohibiting the free exercise [of religion)" includes requiring any individual to observe a generally applicable law that requires (or forbids) the performance of an act that his religious belief forbids (or requires). As a textual matter, we do not think the words must be given that meaning. [ ... ] It is a permissible reading of the text [ ... ] to say that if prohibiting the exercise of religion (or burdening the activity of printing) is [ ... ] merely the incidental effect of a generally applicable and otherwise valid provision, the First Amendment has not been offended." Employment Division, Department of Human Resources v. Smith, 110 Supreme Court 1595, 1599 f. (1990). Ausführlich dazu unter 4. Teil, § 2 IV 1 c) bb) (a). 649 Employment Division, Department of Human Resources v. Smith, 110 Supreme Court 1595, 1601 f. (1990). Das Gericht nennt dies eine "hybrid situation". 650 Siehe 4. Teil., § 2 IV I d) bb). 651 Vgl. insofern nur Prince v. Massachusetts, 321 U.S. 158, 164 (1944): "It may be doubted that any of the generalliberties insured by the First Article can be given higher place than the others."
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und anderen Rechten macht jedenfalls deutlich, daß hier eine möglichst klare Abgrenzung vorzunehmen ist. Wenngleich vornehmlich Vertreter der Literatur immer wieder vorschlagen, eine einheitliche Systematik, vor allem im Hinblick auf die Schranken, zu entwickeln,652 hat sich in Fragen der Abgrenzung bei Rechtsprechung und Literatur noch keine klare Linie abgezeichnet. Bei religiösen Äußerungen etwa gibt es Stimmen, die darin hauptsächlich Meinungsäußerungen sehen und somit einen Schutz durch die free speech c1ause des I. Zusatzartikels befürworten; ihnen soll kein größerer Schutz zukommen als nichtreligiösen Äußerungen. 653 Ebenfalls wurde aber geäußert, daß die Wertung der establishment c1ause dafür spreche, religiöse Meinungsäußerungen weniger zu schützen als nichtreligiöse Meinungsäußerungen. 654 Und schließlich gibt es auch Stimmen, nach denen, besonders wegen der Wertung der free exercise clause, religiösen Meinungsäußerungen ein größeres Gewicht zukommen müsse als den nichtreligiösen. 655 Richtigerweise bietet es sich an, die Abgrenzung nach den in Deutschland geltenden und bewährten Kriterien vorzunehmen, was insbesondere heißt, daß die free exercise c1ause in den sich mit anderen Bestimmungen überschneidenden Bereichen lex specialis ist. 656 Beschränkungen religiöser Versammlungen, religiöser Meinungsäußerung oder des religiösen Pressebetriebes sind danach anhand der free exercise c1ause zu überprüfen, die all diese Bereiche sowohl nach Auffassung der Rechtsprechung als auch der Literatur in den USA grundsätzlich schützt. In diese Richtung läßt sich auch eine Meinung der Supreme Court-Richterin O'Connor deuten, die - allerdings im Rahmen einer dissenting opinion - zu Recht darauf hinwies, daß das 1. Amendment nicht zwischen religiösem Glauben und religiösem Verhalten ausdrücklich unterscheide und daher Verhalten, das durch ernsthaften religiösen Glauben motiviert sei, wie der Glaube selbst, zumindest mutmaßlich, von der free exercise clause geschützt werden müsse. 657 Ob sich auch die Mehrheit des Gerichts zukünftig dieser Auffassung anschließen wird, bleibt abzuwarten.
652 Ausführlich dazu McCoy, in: Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1335 ff., der die von der Rechtsprechung zur free speech clause entwickelten Grundsätze auf die Religionsartikel übertragen möchte. Er scheint dies jedoch auf den Bereich der bloß mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen beschränken zu wollen. Vgl. zu diesem Thema auch Mansfield, in: Califomia Law Review 72 (1984), 847, 852 ff. 653 Stone/Seidman/Sunstein/Tushnet, Constitutional Law, S. 1510. Vgl. auch Douglas v. City of leannette, 319 V.S. 157, 179 (1943), wo lustice Jackson die Ansicht äußerte, daß "it was to assure religious teaching as much freedom as secular discussion, rather than to assure it greater license, that led to its separate statement in the free exercise clause." 654 In diesem Sinne ist wohl auch die dissenting opinion von lustice White in Widmar v. Vincent, 454 V.S. 263, 284 ff. (1981) zu verstehen. 655 Mansfield, in: Califomia Law Review 72 (1984), 847, 853 f. 656 Vgl. ausführlich dazu 4. Teil, § 1 III 4 b). 657 Employment Division, Department of Human Resources v. Smith, 110 Supreme Court 1595, 1608 (1990). lustice O'Connor dissenting.
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4. Keine gesonderte Gewissensfreiheit Aus Gründen der KlarsteIlung gilt es auch im Rahmen der systematischen Auslegung zu erwähnen, daß die Gewissensfreiheit mangels entsprechender Regelung keinen ausdrücklichen Schutz durch die amerikanische Verfassung genießt. Zwar wird immer wieder hervorgehoben, daß die Stimme des Gewissens den religiösen Impuls gebe;658 das "religiöse Gewissen" sei das Herz der free exercise clause. 659 Der Verfassungs geber hat den Schutz der gewissensgeleiteten Entscheidungen aber auf den religiösen Bereich beschränkt. Von noch größerer Bedeutung als in Deutschland ist daher in den USA die Frage, wie der Begriff der "Religion" zu konkretisieren ist. 66o Nur Verhaltensweisen, die dieser Definition genügen, können auch den Schutz der Ausübungsklausel beanspruchen.
s. Ergebnis Das Verhältnis zwischen free exercise clause und establishment clause ist noch von großer Unsicherheit geprägt, was nicht zuletzt daran liegt, daß die Rechtsprechung noch nicht zu einer kohärenten Analyse der Religionsbestimmungen gefunden hat. Meist fehlt es schon an dem Bemühen, überhaupt eine Abgrenzung der beiden Klauseln vorzunehmen. 661 In Befolgung des no preference-Ansatzes stößt die free exercise clause an ihre Grenzen, wenn der Schutz der Religionsfreiheit dazu führt, daß eine Religion staatlicherseits gegründet und entsprechend gefördert oder eine Religionsgemeinschaft gegenüber den Anderen einseitig bevorzugt wird. Wird einer Religionsgemeinschaft im Einzelfall die Ausübung ihrer Religion gestattet und führt dies zu einer Verletzung der free exercise clause einer anderen Gruppierung, so ist durch Abwägung zu ennitteln, welchem Belang in concreto der Vorzug einzuräumen ist. Im Hinblick auf andere Verbürgungen der U.S. Constitution ist die free exercise clause spezieller, wenn deren originärer Bereich betroffen ist. Hier müssen die konkurrierenden Rechte der Bill of Rights zurücktreten.
658 Vgl. etwa Hamburger, in: The George Washington Law Review 60 (1992), 915, 933: "Each individual had an inalienable natural right to the free exercise of religion according to conscience [ ... )." 659 Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967), 1381, 1417; V.S. Department ofJustice, Religious Liberty, S. 55 f. 660 Vgl. dazu 4. Teil, § 2 IV 2. 661 Laycock, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373, 1378, mit Beispielen aus der Rechtsprechung.
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IV. Teleologische Auslegung 1. Befreiung von den Wirkungen allgemeiner Gesetze
Die Diskussion um die wohl umstrittenste Frage im Zusammenhang mit der free exercise clause, nämlich ob die Religionsfreiheit auch gegenüber Gesetzen gilt, die allgemein und neutral sind ("laws of general applicability"), beschäftigt Literatur und Rechtsprechung schon seit Jahren und wird auch auf teleologischer Ebene geführt. Ähnlich wie in Deutschland gelten auch in den USA Gesetze dann als neutral oder allgemein, wenn sie sich inhaltlich nicht ausdrücklich auf "Religion" beziehen und eine säkulare Berechtigung haben. 662 Religionsneutralität bemißt sich nach dem Wortlaut des Gesetzes, seinem gesetzgeberischen Zweck und seinen tatsächlichen Auswirkungen. a) No-exemptions view Nach der no-exemptions view 663 beruht die Fürsorge der Verfassung in bezug auf religiöse Praktiken weniger auf dem Wert der Religion an sich, als vielmehr auf der grundsätzlichen Anfälligkeit der Religion, Gegenstand diskriminierender Gesetzgebung zu werden. Dies liege daran, daß Religion notwendig Gruppenbezug habe. 664 Daher sei Religion lediglich vor Diskriminierung zu schützen, nicht aber gegenüber legitimen staatlichen Interessen zu privilegieren. 665 Eine solche Privilegierung komme nur bei Rechtsgütem in Betracht, die im Gefüge der Verfassung eine Vorrangstellung einnähmen. Die Religion besäße - im Gegensatz etwa zur Meinungsfreiheit - keine solche Vorrangstellung. 666 In einer Welt und speziell 662 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1419. Vgl. auch Greenawalt, in: Califomia Law Review 72 (1984), 753, 796: "Ein Gesetzeszweck ist dann als religiös anzusehen, wenn es gerade das Ziel des Staates ist, Glaubensvorstellungen, -aktivitäten oder organisationen zu unterstützen oder zu bekämpfen, die religiös sind." 663 Gesprochen wird hier auch von "Equal regard view" oder "Protection view". 664 Eisgruber/Sager, in: The University ofChicago Law Review 61 (1994), 1245, 1249. 665 Eisgruber/ Sager, in: The University of Chicago Law Review 61 (1994), 1245, 1248. 666 "Nähme man Religion von den Wirkungen dieser Gesetze aus, dann brächte man damit zum Ausdruck, daß die Verfassung in der Religionsfreiheit etwas sähe, was sie in den meisten anderen menschlichen Verpflichtungen, wie intensiv oder lobenswert sie auch sein mögen, nicht sieht." Eisgruber / Sager, in: The University of Chicago Law Review 61 (1994), 1245, 1251. Nach Eisgruber / Sager rechtfertigt sich eine verfassungsrechtliche Privilegierung der Religionsfreiheit auch noch nicht aus der Tatsache, daß viele Kolonialbewohner vor religiöser Verfolgung flüchteten. Diese Rechtfertigung müsse auf normativen Gründen beruhen. Es gelte schließlich auch zu berücksichtigen, daß es in der amerikanischen Gesellschaft viele gebe, die überhaupt nicht religiös seien. A.A. Supreme Court lustice O'Connor: "The compelling interest test effectuates the First Amendment's command that religious liberty is an independent liberty, that it occupies a preferred position, and that the Court will not permit encroachments upon this liberty, whether direct or indirect, unless required by clear and compelling govemmental interests "of the highest order". Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872, 895 (1990) lustice O'Connor dissenting).
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einem Land mit derartiger religiöser Vielfalt würden die Gläubigen anderenfalls dazu eingeladen, die kollektive Selbstherrschaft der Demokratie durch individuelle Selbstherrschaft zu ersetzen, wann immer das religiöse Gewissen sie dazu verleitete, es sei denn, es existiere ausnahmsweise ein überragender Gegenbelang. 667 Religion habe kein Monopol bei der Einschränkung der staatlichen Autorität. Es sei lediglich zu gewährleisten, daß religiöse Institutionen und religiöses Verhalten so behandelt werden, wie vergleichbare nichtreligiöse Institutionen und Praktiken. 668 Hiernach können Gläubige und Glaubensgemeinschaften sich nicht gegen grundsätzlich neutrale Gesetze wehren, unabhängig davon, welche Auswirkung das Gesetz auch auf die Ausübung ihrer Religiösität haben mag. 669 Allein der Gesetzgeber könnte eine Befreiung verbindlich festschreiben. 670 Die Gegenansicht verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung und den Grundsatz des judicial self-restraint. Selbst gesetzliche Ausnahmeregelungen diskriminierten aber die säkularen Glaubensvorstellungen. Hier finde eine "besondere Behandlung" statt, die auf eine Unterstützung von Religion hinauslaufe und daher schon bedenklich im Hinblick auf die establishment c1ause sei. 671 b) Exemptions view
Nach der Gegenauffassung soll die free exercise c1ause auch vor zufälligen Auswirkungen staatlicher Handlungen schützen, d. h. nicht nur vor schon offenkundig feindlichen Aktionen, sondern auch vor Ignoranz, Gleichgültigkeit und Unaufmerksamkeit. Hiernach soll die staatliche Handlungsforrn, zum Beispiel das zugrunde liegende Gesetz, grundsätzlich bestehen bleiben und nur eine gesetzliche Befreiung aus religiösen Gründen geschaffen werden. 672 Die Auslegung der Religionsklauseln müsse sich orientieren an einem angemessenen Verständnis ihrer Ziele und dessen, wogegen sie sich einst richteten. Dies sei staatlich aufgezwungene Homogenität - die Neigung des Staates, Unterschiede in Sachen Religion zu unterdrücken oder abzuwehren. 673 Ursprünglich sei der religiöse Pluralismus durch das Aufkommen einer dominierenden Mehrheitsreligion bedroht gewesen; heutzutage sei die Bedrohung in der Kombination von Gleichgültigkeit Eisgruberl Sager, in: The University ofChicago Law Review 61 (1994), 1245, 1254. Der Staat habe die tiefen, religiös motivierten Sorgen der Angehörigen kleiner Religionsgemeinschaften in dem gleichen Maße zu betrachten wie die von Bürgern im allgemeinen. "Equal regard" verhindere, daß der Staat sich eine kleine Religionsgemeinschaft aussuche und sie einer ungerechten Behandlung unterwerfe. Eisgruber I Sager, in: The University of Chicago Law Review 61 (1994), 1245, 1283 f. 669 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1418 f.; Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 752. 670 Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 752. 671 Vgl. McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1420. 672 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1418. 673 McConnell, in: The University ofChicago Law Review 59 (1992),115,168. 667 668
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gegenüber dem Verfall der kleinen Religionen und dem grundsätzlichen Vorzug des Säkularen in öffentlichen Angelegenheiten zu erblicken. 674 Dies führe zum Unwillen, der free exercise clause zur Geltung zu verhelfen und zu einem überzogenem Verständnis der establishment clause. 675 Eine pluralistische Republik im Sinne der beiden Klauseln setze jedoch voraus, daß die Bürger ihre religiösen Unterschiede frei ausüben können, ohne von dem Staat - aus religiösen oder nichtreligiösen Gründen - daran gehindert zu werden, es sei denn, dies sei für wichtige staatliche Zwecke notwendig. 676 Daher müsse der Staat auch Ausnahmen zulassen von allgemeinen Gesetzen, wenn diese Gesetze religiöse Überzeugungen oder Praktiken von Religionsgemeinschaften oder einzelnen Gläubigen beeinträchtigen. 677
c) Rechtsprechung des Supreme Court aa) Bisherige Rechtsprechung Ansatzpunkt für die Betrachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur free exercise clause und ihrer Entwicklung im Laufe der Jahre sind die späten 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Hier forderte der Supreme Court erstmals, daß der Staat zur Erreichung eines säkularen Ziels das mildeste Mittel einsetzen müsse. In Schneider v. New Jersel78 hob das Gericht die Verurteilung eines Zeugen Jehovas auf, der ohne entsprechende staatliche Genehmigung Handzettel verteilt und an den Haustüren Spenden gesammelt hatte. Das staatliche Interesse auf Verhinderung betrügerischer Machenschaften, auch im Namen von Religion, erkannte der Supreme Court dabei im Grundsatz an, befand jedoch, daß es mildere Mittel zur Erreichung dieses Zwecks gegeben hätte. Auf die free exercise clause ging des Gericht gar nicht ein, obwohl es den religiösen Charakter der in Rede stehenden Handlung durchaus zur Kenntnis nahm. 679 Auf den Zusammenhang mit der Ausübungsklausel ging das Gericht dann in Cantwell v. Connecticut680 ein, wo das Gericht einen Zeugen Jehovas freisprach, der neben dem Sammeln von Spenden auch noch eine antikatholische Schallplatte in der Öffentlichkeit abspielte und damit gegen lokale Gesetze verstieß. Das Sammeln von Geldern von einer staatlichen Genehmigung abhängig zu machen und dabei die Behörden entscheiden zu McConnell, in: The University ofChicago Law Review 59 (1992),115,169. McConnell, in: The University ofChicago Law Review 59 (1992),115,169. 676 McConnell, in: The University of Chicago Law Review 59 (1992), 115, 168. 677 Sullivan, Paying the Words Extra, S. 164 f. Diese Ausnahmen müssen allerdings grundsätzlich allen Religionsgemeinschaften im gleichen Umfang zustehen, was sich aus der Wertung der establishment clause ergibt. 678 308 U.S. 147 (1939). 679 Schneider v. New Jersey, 308 U.S. 147, 158 (1939). 680 310 U.S. 296 (1940). 674 675
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lassen, wann ein "religiöser Anlaß" vorliege, sei jedenfalls insofern eine Verletzung der free exercise c1ause, als der Staat weniger einschneidende Mittel zur Verfügung habe, um Betrügereien zu verhindern und "peace, safety, and order" zu bewahren. 681 Darüber hinaus verlangte das Gericht zum ersten Mal auch den Gebrauch eines "statute narrowly drawn to define and punish specific conduct as a c1ear and present danger to a substantial interest of the State";682 es müsse deutlich werden, daß der Gesetzgeber die Gefahren seines Handeins antezipiert und genau aus diesem Grund den zwingenden säkularen Zweck umschrieben habe - dies dürfe keine nachträgliche und (nur) im nachhinein angemessen erscheinende Maßnahme gewesen sein. 683 Drei Jahre nach Cantwell hatte der Supreme Court in Murdock v. Pennsylvania 684 erneut eine derartige Konstellation zu entscheiden. Er stellte klar, daß Religionsgemeinschaften keinen grundsätzlichen Anspruch darauf hätten, von finanziellen Belastungen seitens des Staates freigestellt zu werden. Aber da die Religionsfreiheit in einer "preferred position" sei,685 müsse sie allen zustehen, das heißt nicht nur denen, die entsprechende Straßennutzungsgebühren zu zahlen imstande seien. Aus diesem Grunde sei die Veranschlagung solcher Gebühren auch gegenüber Religionsgemeinschaften überaus problematisch. Das Gericht urteilte, daß der Staat ebenso angemessen regulieren und öffentliche Einnahmen erzielen könne, ohne einer religiösen Aktivität potentiell niederschlagende Bürden aufzuerlegen. Insgesamt kombinierte die Entscheidung damit die Grundsätze von Schneider und Cantwell zu einem einheitlichen Prinzip: Der säkulare Gesetzeszweck müsse in einem engem Zusammenhang stehen mit der Belastung, die der Religionsausübung auferlegt werde; könne der Staat sein Ziel voraussichtlich auch erreichen, ohne daß es zu einer Belastung der Religionsfreiheit komme, dann müsse er diesen Weg gehen, unabhängig davon, wie zwingend das gesetzgeberische Ziel auch sei. 686 Braunfeld v. Brown687 demonstrierte dann, daß die Religionsfreiheit nicht nur durch verfassungsrechtlich bedeutsame Rechtsgüter eingeschränkt werden kann. Die knappe Gerichtsmehrheit erklärte darin die sogenannten "sunday c10sing laws" für verfassungsgemäß. In dem Fall hatte ein orthodoxer Jude geklagt, dessen Glaube es verbot, an Samstagen zu arbeiten und dessen Bundesstaat ihm verbot, an Sonntagen zu arbeiten. In Ansehung des Gesetzeszwecks, "a weekly respite from alllabor",688 stellte das Gericht fest, daß der Kläger durch die Norm nur mittelbar beeinträchtigt sei, weil sie ihm seine Religionsausübung nicht verbot, sondern sie 681 682 683 684 685 686 687 688
CantweIl v. Connecticut, 310 D.S. 296, 306 f. (1940). CantweIl v. Connecticut, 310 D.S. 296, 311 (1940). Tribe, American Constitutional Law, § 14-13, S. 1252 f. 319D.S. 105 (1943). Murdock v. Pennsylvania, 319 D.S. 105,115 (1943). Tribe, American Constitutional Law, § 14-13, S. 1253. 366 D.S. 599 (1961). Braunfeld v. Brown, 366 D.S. 599,607 (1961).
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nur kostspieliger mache. Die Richter kamen zu der Auffassung, daß Gesetze mit nur mittelbaren Auswirkungen aus verfassungsmäßiger Sicht oft unangreifbar sein würden. Sie bestätigten die vorherigen Entscheidungen jedoch insofern, als sie zugleich hervorhoben, daß auch solche indirekten Beeinträchtigungen verfassungswidrig seien, wenn der Staat seine Zwecke auch auf anderem Wege, d. h. ohne derartige Belastungen, erreichen könne. In dem konkreten Fall kam das Gericht allerdings zu dem Ergebnis, daß ein solche Alternative zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht bereit stünde. 689 Zwei Jahre nach Braunfeld unternahm der Supreme Court einen wichtigen Schritt zur Weiterentwicklung der Präzedenzien. In Sherbert v. Vemer690 ging es um eine Angehörige der "Seventh-Day Adventist Church", die von ihrem Arbeitgeber entlassen wurde, weil sie sich weigerte, samstags, dem Ruhetag ihres Glaubens, zu arbeiten. Aus dem Grunde konnte sie auch keine andere Arbeitsstelle finden, so daß sie Arbeitslosenunterstützung nach dem South Carolina Unemployment Compensation Act beantragte. Das Gesetz sah keine Unterstützung für den Fall vor, daß der Antragsteller eine angemessene, ihm angebotene Arbeit, ohne trifftigen Grund ablehnt. Diese Voraussetzungen hielt die zuständige Behörde für gegeben, so daß sie der Gläubigen die Unterstützung verwehrte. Der Supreme Court befand jedoch, daß diese ablehnende Entscheidung Mrs. Sherbert in ihrem Recht auf free exercise of religion verletzte. Dabei ging das Gericht in zweierlei Hinsicht weit über seine bisherige Rechtsprechung hinaus und machte damit die free exercise clause zu einem "vastly more powerful instrument for generating government accommodations of religion".691 Zunächst hob es die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Belastungen wieder auf und stellte klar, daß die Klausel auch dann verletzt sei, wenn der Staat einen wirtschaftlichen Vorteil zurückhalte. 692 Zwar zwinge keine strafrechtliche Sanktion die Antragstellerin zu einer 6-Tage-Woche. Die behördliche Entscheidung zwinge sie aber dazu, entweder den Grundsätzen ihrer Religion zu folgen und damit auf die Unterstützung zu verzichten, oder aber einen ihrer religiösen Grundsätze aufzugeben, um so eine Arbeit akzeptieren zu können. Sie vor eine solche Entscheidung zu stellen, käme einer Beeinträchtigung der Religionsfreiheit durch direkte Verhängung eines Buß689 Braunfeld v. Brown, 366 D.S. 599. 607 (1961). Anders jedoch die berühmt gewordene dissenting opinion von lustice Stewart, der die Sache knapp auf den Punkt brachte: "Pennsylvania has passed a law which compels an Orthodox lew to choose between his religious faith and his economic survival. That is a cruel choice. It is a choice which I think no State can constitutionally demand. For me this is not something that can be swept under the rug and forgotten in the interest of enforced Sunday togethemess. I think the impact of this law upon these appellants grossly violates their constitutional right to the free exercise of their religion." 366 D.S. 599, 616 (1961). 690 374 D.S. 398 (1963). 691 Tribe, American Constitutional Law, § 14-13, S. 1255. 692 Sherbert v. Vemer, 374 D.S. 398, 404 (1963): "It is too late in the day to doubt that the liberties of religion and expression may be infringed by the denial of or placing of conditions upon a benefit or privilege."
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geldes im Falle von Samstagsarbeit gleich. 693 Der zweite doktrinelle Fortschritt des Sherbert-Urteils bestand in der formellen Aufnahme des "least restrictive alternative-compelling state interest" in den Kontext der free exercise clause. 694 Der compelling interest test wurde in den Folgejahren bis zum heutigen Tage zum wichtigsten Schlagwort in der free exercise clause-Diskussion. Alle Entscheidungen, die die Religionsfreiheit betrafen, wurden nunmehr im Lichte dieses Tests betrachtet, da er fortan als offizielle Supreme Court-Doktrin galt. Im Rahmen dieses Tests ist zunächst zu prüfen, ob das Gesetz sorgfältig das Verhalten umschreibt, das eingeschränkt oder verboten werden soll. Das Gesetz darl weder vage sein, noch darl es den ausführenden staatlichen Stellen zu viel Ermessensspielraum geben. 695 Anschließend muß zunächst der Kläger nachweisen, daß sein Glaube ernsthaft ist und daß staatliche Stellen die Ausübung dieses Glaubens beeinträchtig haben. 696 Gelingt ihm dieser Nachweis, dann wird sich sein Anspruch auf religiöse Betätigung durchsetzen, es sei denn, die staatliche Beschränkung ist unerläßlich, um ein zwingendes Interesse ("compelling interest") zu erreichen. Hierbei muß dann der Gesetzgeber zweierlei vorweisen, zum einen ein sehr überzeugendes Regelungsinteresse697 und zum anderen das Fehlen jeglicher schonender Alternativen. 698 Kann der Kläger somit nachweisen, daß er bei der Ausübung seiner Glaubensüberzeugungen beeinträchtigt worden ist, dann liegt es an den staatlichen Stellen nachzuweisen, daß das betreffende Gesetz oder die daraus folgende Praxis notwendig ist, um ein wichtiges weltliches Ziel zu verfolgen und daß das Gesetz die schonendste Möglichkeit ist, dieses Ziel zu erreichen. 699 Gelingt dieser Nachweis nicht, dann wird der Kläger von dem Gesetz befreit. Ob die Voraussetzungen jeweils vorliegen und welches Interesse letztlich überwiegt, prüft das Gericht im Rahmen einer Einzelabwägung. Aus dem Grunde wird der compelling interest test auch "balancing approach" oder "balancing test" genannt. 7OO Durch diese zwei Fortentwicklungen stellte Sherbert klar, daß der Staat nach Vorgabe des Supreme Court keine völlig religionsneutrale Haltung mehr würde Sherbert v. Verner, 374 U.S. 398, 404 (1963). Im Zusammenhang mit der free speech clause hatte der Supreme Court schon zuvor von dem Test Gebrauch gemacht, vgl. etwa N.A.A.C.P. v. Button, 371 U.S. 415, 438 (1963). 695 Witt, Guide to the U.S. Supreme Court, S. 449. 696 U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 53. 697 Obwohl der Supreme Court einige Kriterien angeboten hat, um ein solches Interesse näher zu bestimmen, hat er etwa nie bestimmt, daß das Interesse den Rang eines Verfassungsrechts haben muß. Dorf, in: Columbia Law Review 97 (1997),133,155 ff.: "Interests in economic stability, public safety, and the environment are not matters of constitutional right; yet, under appropriate circumstances, they could be invoked to defeat claims of constitutional rights." Vgl. auch Dorf in: Harvard Law Review 109, 1210 ff. 698 Vgl. Sherbert v. Verner, 374 U.S. 398 ff. (1963). 699 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990),1409,1416 f. 700 Vgl. U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 37. 693
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einnehmen können ("position of religion-blindness"). Im Gegenteil, das gesetzgeberische Ziel, Glaubensangehörige wie jedermann sonst zu behandeln, qualifizierte das Gericht als "religionsfeindlich" und damit als Verstoß gegen die free exercise clause. 701 Diese Grundsätze bestätigte der Supreme Court in Wisconsin v. Yoder. 702 Hier kam das Gericht zu dem Schluß, daß Strafgesetze nicht gegenüber Angehörigen des Amish faith gelten dürften, die sich weigerten, ihre Kinder über die 8. Klasse hinaus in der Schule zu lassen. Es befand, daß das staatliche Interesse an umfassender Ausbildung der Kinder einer Abwägung unterzogen werden müsse, wenn es andere fundamentale Rechte berühre, wie etwa das der free exercise clause. 703 Der drohende Schaden, der dadurch entstehe, daß jemand nach Ansicht der regierenden Mehrheit einer besseren Ausbildung und eines besseren Lebens beraubt werde, reiche nicht aus, um die Autonomie einer religiösen Gemeinschaft einschränken zu können. Überdies klang in den Ausführungen des Gerichts an, daß Wesen und Geschichte der Glaubensgemeinschaft Einfluß auf die Frage haben, ob eine gesetzliche Ausnahme zu gewähren sei. 704 bb) Neue Rechtsprechung (a) Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith
Auch in Thomas v. Review Board of the Indiana Employment Security Division705 und in Hobbie v. Unemployment Appeals Commission 706 wurden die Sherbert-Grundsätze bestätigt. Zwischen diesen beiden Urteilen wies der Supreme Court jedoch mehrere Begehren, die sich auf die free exercise clause stützten, zurück,707 was wohl auf eine Modifizierung des Tests zurückzuführen war. Die AnVgl. dazu ausführlich Tribe, American Constitutional Law, § 14-13, S. 1256 f. 406 U.S. 205 (1972). 703 Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205, 214 (1972). Geschützt sei dabei auch das Recht der Eltern auf die religiöse Erziehung ihrer Kinder. 704 Es drang durch, daß eine weniger angesehene oder auch nur eine jüngere Religionsgemeinschaft sich auf ein solches Recht möglicherweise nicht würden berufen können. So beschrieb das Gericht in detaillierter Länge "the Amish qualities of reliability, self-reliance, and dedication to work" und wies ferner darauf hin, daß "the Amish communities singularly parallel and reflect many of the virtues of lefferson's ideal of the "sturdy yeoman" who would form the basis of what he considered as the ideal of a democratic society." Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205,224 ff. (1972). Abweichend dagegen lustice Douglas: "A religion is a religion irrespective of what the misdemeanor or felony records of its members might be." 406 U.S. 205, 246 (1972). 705 450 U.S. 707 (1981). 706 107 S.Ct. 1046 (1987). 707 Vgl. etwa Bob Jones University v. United States, 461 U.S. 574 (1983); Tony & Susan Alamo Foundation v. Secretary ofLabor, 471 U.S. 290 (1985); Bowen v. Roy, 106 S.Ct. 2147 (1986); Goldman v. Weinberger, 475 U.S. 503 (1986). 701
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forderungen an den Antragsteller schienen unverändert, nicht jedoch die Anforderungen, die plötzlich an den Staat gestellt wurden. In United States v. Lee 708 etwa lehnte das Gericht den Antrag eines Amish ab, der eine Befreiung von der Pflicht zur Abführung von Sozialabgaben begehrte. Das Gericht hob die Wichtigkeit der Arbeitslosenunterstützungsprogramme im allgemeinen und die Notwendigkeit einer einheitlichen Teilnahme daran hervor, und sah das diesbezügliche staatliche Interesse als "sehr hoch" an. 709 Es stellte lapidar fest, daß staatliche Befreiungen von den Abgaben eine "unduly interference with fulfillment of the governmental interest" seien und befürchtete dabei offenbar, daß nach den Amish zukünftig auch andere Religionsgemeinschaften die Befreiung von staatlichen Steuern anstreben würden. Während die vorherigen Supreme Court-Entscheidungen von dem Staat verlangten, daß das von ihm verfolgte Interesse eng umrissen und zwingend sein müsse, und die Entscheidung für eine Befreiung dieses Interesse überwiegen sollte, schien Lee nur noch ein weit umschriebenes, zwingendes staatliches Interesse zu fordern; eine Befreiung würde dagegen das staatliche Interesse übermäßig beeinträchtigen. Letztlich geriet die Doktrin des Supreme Court seit Sherbert immer mehr ins Wanken. Jahrzehntelang wurden viele Verfahren, in denen sich die Kläger auf die Religionsfreiheit beriefen, sogar gar nicht mehr zur Entscheidung angenommen. Die urspriiglich als ausgesprochen religionsfreundliche Rechtsprechung verkehrte sich praktisch ins Gegenteil. 71 0 Einige Richter, wie der immer noch amtierende Chief Justice Rehnquist, brachten ihre Ablehnung gegenüber der Sherbert-Doktrin deutlich zum Ausdruck. Jeweils wurde darauf hingewiesen, daß man nicht wie selbstverständlich von einer "Ausnahme aus religiösen Griinden" ausgehen könne, wenn die Norm absolut neutral und säkular sei. 711 Endgültig in Employment Division, Department 0/ Human Resources o/Oregon v. Smith712 verließ die Gerichtsmehrheit des Supreme Court dann den Boden der exemptions-Doktrin. In dem Fall ging es um Mitglieder der "Native American Church", die aus einem privaten Drogenrehabilitationszentrum entlassen wurden, weil sie eine halluzinogene Droge ("peyote") im Rahmen einer sakramentalen Gottesdiensthandlung ihrer Religionsgemeinschaft einnahmen. Ihr Antrag auf Arbeitslosenunterstützung wurde vom Staat Oregon unter Berufung auf ein Landesgesetz abgelehnt, das Unterstützung verneint, wenn der Antragsteller wegen arbeitsbezogenen Fehlverhaltens entlassen wurde. Die Argumentation, daß diese Ablehnung gegen das Recht der Antragstellerin auf free exercise of religion verstöße, wies der Supreme Court zuriick. 455 V.S. 252 (1982). Vnited States v. Lee, 455 V.S. 252, 259 (1982). 710 McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1417. 711 Vnited States v. Lee, 455 V.S. 252, 263 (Justice Stevens, concurring); Thomas v. Review Board., 450 V.S. 707, 723 (Justice Rehnquist, dissenting). 712 494 V.S. 872 (1990). 708 709
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Der die Mehrheitsmeinung formulierende Richter Scalia unterschied in seiner Urteilsbegründung zunächst zwischen "freedom of religious belief' und "behaviour driven by religious belief' sowie zwischen "laws directed at religion" und "general laws that merely collide with behavior driven by religious belief'. Der religiöse Glaube sei vorbehaltlos geschützt, was jedoch nicht für alle religiösen Verhaltensweisen gelte.?!3 Gläubige hätten kein konstitutionelles Recht darauf, ansonsten gültige, allgemeine Regelungen nicht zu beachten, die im Widerspruch mit ihrem. Olaubensgebot stünden; es gebe keine besonderen Privilegien für religiöse Antragsteller im Hinblick auf allgemeine Gesetze. Anders sei dies nur, wenn der Gesetzgeber eine religiöse Praxis ausdrücklich per Gesetz erlaube, so daß diese auch gegenüber allgemeinen Gesetzen Geltung beanspruchen könnte.?!4 Für Justice Scalia und die Gerichtsmehrheit war der Gedanke, daß religiös motiviertes Verhalten von den Wirkungen eines allgemeinen Gesetzes zu befreien sei, völlig neu und weder vereinbar mit dem Verfassungsrecht, noch dem Primat des Rechts im allgemeinen. 715 Der compelling interest test sei hier nicht anwendbar, weil er in einem bestimmten Kontext zur individuellen staatlichen Beurteilung eines Verhaltens entwickelt wurde, es hier aber um die Beurteilung eines bestimmten Verhaltens durch ein allgemeines Strafgesetz gehe. Ginge man vom Gegenteil aus, dann entstünde ein Sonderrecht zur Mißachtung allgemeiner Gesetze, die sich nicht auf einen "compelling govemmental interest on the basis of religious belief' stützen könnten.?!6 Ein solches Recht könnte auch nicht auf solche Situationen beschränkt werden, in denen das Verhalten "zentral" für den individuellen Glauben sei, weil dies die Richter zu einer unerlaubten Untersuchung hinsichtlich der Zentralität bestimmter Glaubensvorstellungen zwinge. Obwohl es aus Verfassungssicht möglich sei, den sakramentalen Gebrauch von Drogen zu erlauben, sei er nicht konstitutionell vorgeschrieben.?!? Es sei zwar durchaus berechtigt zu behaupten, daß die Entscheidung, gesetzliche Ausnahmen der Festlegung durch den Gesetzgeber zu überlassen, solche Religionsgemeinschaften benachteilige, die nicht so verbreitet seien, aber diese "unavoidable consequence of democratic govemment must be preferred to a system in which each con713 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 V.S. 872, 877 f. (1990). Damit ließ der Supreme Court sein altes belief! action distinctionModell wieder aufleben. 714 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 V.S. 872, 890 (1990). 715 "We have never held that an individual's religious beliefs excuse hirn from compliance with an otherwise valid law prohibiting conduct that the State is free to regulate. On the contrary, the record of more than a century of our free exercise jurisprudence contradicts that proposition." Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 V.S. 872, 878 f. (1990). 716 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 V.S. 872, 873 (1990). 717 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 V.S. 872, 888 f. (1990).
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science is a law unto itself or in which judges weigh the social importance of all laws against the centrality of all religious beliefs".718 4 Richter in Gestalt der Gerichtsminderheit zeigten sich über die Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung empört. Das Urteil "dramatically departs from wellsettled First Amendment jurisprudence, appears unnecessary to resolve the question presented, and is incompatible with our Nation's fundamental commitment to individual religious liberty".719 Um zu dem Ergebnis zu gelangen, daß die free exercise c1ause bei allgemeinen Gesetzen gar nicht anwendbar sei, müsse nicht nur das 1. Amendment völlig lückenhaft gelesen werden, sondern es bedürfe auch der Mißachtung der ständigen, einheitlichen Doktrin, die der Supreme Court in den Fällen der free exercise clause entwickelt habe, wenn es jeweils um einen Verstoß durch allgemeine Gesetze gegangen sei. 72o Der erste Zusatzartikel unterscheide nicht zwischen religiösem Glaube und religiösem Verhalten, deshalb unterfalle religiös motiviertes Verhalten ebenso seinem Schutz, und zwar auch dann, wenn das Verhalten aufgrund eines allgemeinen Gesetzes eingeschränkt werde. Auch hier sei die free exercise c1ause verletzt. 721 Schließlich sei kaum ein Staat so naiv, ein religiöses Verhalten an sich zu verbieten und die Religionsfreiheit dadurch direkt einzuschränken. Bei allen Fällen im Zusammenhang mit der free exercise c1ause, mit denen sich der Supreme Court zu befassen gehabt habe, sei es um allgemeine Gesetze gegangen, die sich nicht direkt gegen die Religionsausübung gerichtet hätten. Wenn das erste Amendment irgendeine Wirksamkeit haben solle, dann könne es nicht so ausgelegt werden, daß es nur in extremen und hypothetischen Fällen zur Anwendung komme. 722 Natürlich sei auch nicht jedes religiöse Verhalten geschützt; nach fester Verfassungsdoktrin könnten aber nur staatliche Interessen der "highest order" eine Einmischung in religiöse Angelegenheiten rechtfertigen. 723 Zur Überprüfung dessen sei der compelling interest test weiterhin das angemessene Mittel. In jedem Fall müsse gesondert festgestellt werden, ob die konkrete Belastung des Antragstellers unter Verfassungsgesichtspunkten bedeutsam und ob das vom Staat vorgebrachte Regelungsinteresse auch zwingend sei. Das Gericht habe den Test im übrigen nie zurückgewiesen oder es abgelehnt, ihn in den jüngeren Fällen anzuwenden; er sei immer noch "a fundamental part of our First Amendment doctrine".724 718 Employment Division, Department of Human Resources U.S. 872, 890 (1990). 719 Employment Division, Department of Human Resources U.S. 872, 891 (1990) (Justice O'connor concurring) . 720 Employment Division, Department of Human Resources U.S. 872, 892 (1990) (Justice O'connor concurring) . 721 Employment Division, Department of Human Resources U.S. 872, 893 f. (1990) (Justice O'connor concurring) . 722 Employment Division, Department of Human Resources U .S. 872, 894 (1990) (Justice 0' connor concurring) . 723 Employment Division, Department of Human Resources U.S. 872, 895 (1990) (Justice O'connor concurring) sowie 907 ff. ing).
of Oregon v. Smith, 494 of Oregon v. Smith, 494 of Oregon v. Smith, 494 of Oregon v. Smith, 494 of Oregon v. Smith, 494 of Oregon v. Smith, 494 (Justice Blackmun dissent-
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(b)RFRA Auf den offensichtlichen Meinungswandel der Gerichtsmehrheit reagierte wiederum der Gesetzgeber, auch unter dem Druck der Literatur und einiger einflußreicher Religionsgemeinschaften. 725 Fast einhellig wurde konstatiert, daß Smith schlicht die Bedeutung der free exercise clause herabgesetzt hatte. 726 Mit überragenden Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus 727 verabschiedete der Kongreß daher den Religious Freedom Restoration Act of 1993 (RFRA),728 der von religiösen Gruppen als "most important religious liberty legislation in our nation's history" bezeichnet wurde. 729 Ausdrückliches Ziel des Gesetzes war die Wiederherstellung des Status vor Smith, vor allem aber des compelling interest tests, wie er in Sherbert und Yoder formuliert worden war. So bestimmte der RFRA: "Government shall not substantially burden a person's exercise of religion even if the burden results from a rule of general applicability... except that Government may substantially burden a person's exercise of religion ... if it demonstrates that application of the burden to the person (l) is in furtherance of a compelling governmental interest; and (2) is the least restrictive means of furthering that compelling governmental interest.,mo Mit "Government" meinte das Gesetz alle Stellen der ausführenden Gewalt, sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene. Eine der wesentlichen Feststellungen des RFRA war, daß religionsneutrale Gesetze die Religionsausübung genauso sicher einschränken können wie Gesetze, die sich ganz bewußt gegen die Religion richten. Außerdem wurde bestimmt, daß der RFRA keine Auswirkungen auf die establishment clause haben sollte. 731 Der Kongreß berief sich 724 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 D.S. 872, 900 (1990) (Justice 0' connor concurring). 725 Neuman, in: Constitutional Commentary 14 (1997), 33, 35; Greenawalt, in: The Supreme Court Review 1995,323,325. 726 Marin, in: The American University Law Review 40 (1991), 1431, 1465 f.; Greenawalt, in: The Supreme Court Review 1995,323,334. 727 Eisgruber/ Sager, in: The Dniversity of Chicago Law Review 61 (1994), 1245, 1249 f. Das Votum des Repräsentantenhauses war sogar einstimmig, das des Senats fast einstimmig (nur 3 Gegenstimmen). Valencia, in: SMU Law Review 49 (1996),1579, 1620: "There was a near unanimous sentiment in the Senate that Justice Sca1ia's opinion was contrary to the very essence of the Bill of Rights." 728 Zu dessen Auslegung vgl. Laycock/Thomas, in: Texas Law Review 73 (1994), 209 ff. 729 So lohn Buchanan, Vize-Präsident von "People for the American Way". Henry Siegman, Geschäftsführer des American Jewish Congress, sagte in diesem Zusammenhang: "Not since the adoption of the First Amendment have the Congress and the President done so much for religious freedom." Zitiert jeweils bei Conkle, in: Montana Law Review 56 (1995), 39. Ähnlich auch MarshalI, in: 63 Law & Contemp. Prob. 453 (2000): "the most dramatic and extensive piece oflegis1ation addressing freedom ofreligion issues in our nation's history." 730 Abgedruckt bei Greenawalt, in: The Supreme Court Review 1995,323,336. 731 "Section 7 provides that "Nothing in this Act shall be construed to affect, interpret or in any way address the Establishment Clause, and further, that any grants of govemment benefits and exemptions to the extent permissible under the Establishment Clause are not a violation ofthe act." Abgedruckt bei Greenawalt, in: The Supreme Court Review 1995,323,336.
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bei Erlaß des Gesetzes auf sein Recht aus dem 14. Zusatzartikel. Darin heißt es: "Section 1.... No State shall make or enforce any law which shall abridge the privi leges or immunities of citizens of the United States; nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law; nor deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws .... Section 5: The Congress shall have power to enforce, by appropriate legislation, the provisions of this article." Von dieser Befugnis machte er Gebrauch; sein Eintreten galt dem Schutz der free exercise clause.
(c) City oi Boerne v. P.F. Flores, Archbishop oi San Antonio Bereits vor dessen Inkrafttreten wurde der RFRA heftig und kontrovers diskutiert. Teile der Literatur erachteten das Gesetz als verfassungswidrig, insbesondere weil es als Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung gewertet wurde. 732 So dauerte es auch nicht lange, bis eine Streitigkeit auf Grundlage des RFRA dem Supreme Court vorgelegt wurde. Im Jahre 1997 hatte das Gericht den Fall City oi Boerne v. P.F. Flores, Archbishop oi San Antoni0733 zu entscheiden. Darin ging es um den Erzbischof von San Antonio, der für die St. Peter Catholic Church in Boerne, Texas, eine Baugenehmigung beantragte, weil sich die Kirche als zu klein für ihre Gemeinde erwiesen hatte. Der Rat der Stadt lehnte die Erteilung der Genehmigung auf Vergrößerung des Kirchgebäudes unter Berufung auf die einschlägigen städtischen Satzungen ab, weil die Kirche sich in einem historischen Bezirk befinde, der Bestandschutz genieße. Der Erzbischof berief sich unter anderem auf den RFRA, um die Aufhebung der belastenden Verwaltungsentscheidung und den Erlaß der Baugenehmigung zu erreichen. Der Supreme Court nahm dies zum Anlaß, das Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Das Gericht thematisierte in City oi Boerne v. P.F. Flores, Archbishop oi San Antonio primär die Frage, ob der Kongreß seine Kompetenzen, die ihm der 14. Zusatzartike1 verleiht, überschritten hatte, weshalb die Entscheidung in erster Linie als separation of powers-Fall angesehen wird. Unter Hinweis auf den Wortlaut des Amendments führte der Supreme Court aus: "Legislative which alters the meaning of the Free Exercise Clause cannot be said to be enforcing the Clause. Congress does not enforce a constitutional right by changing what the right iso It has been given the power "to enforce", not the power to determine what constitutes a constitutional violation.,,734 Die Befugnis aus dem 14. Zusatzartikel bezeichnete das Gericht als "Hilfskompetenz"; dadurch sei der Kongreß nicht zu "general legislation upon the rights of the citizen" ermächtigt, sondern nur zu korrektiver Gesetzge732 Vgl. nur Conkle, in: Montana Law Review 56 (1995), 39 ff.; Dillard, in: Journal of Contemporary Law 22 (1996), 435 ff.; Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713,742 ff.; EisgruberlSager, in: New York University Law Review 69 (1994), 437 ff. Zweifelnd auch Idleman, in: Texas Law Review 73 (1994),247 ff. 733 117 S.ct. 2157 (1997). 734 City ofBoerne v. P.P. Flores, Archbishop of San Antonio, 117 S.Ct. 2157, 2164 (1997).
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bung. 735 Der RFRA sei dagegen "so out of proportion to a supposed remedial or preventive object that it cannot be understood as responsive to, or designed to prevent, unconstitutional power. It appears, instead, to attempt a substantive change in constitutional protections.,,736 Wenn der Kongreß dadurch seine Befugnisse definieren könnte, indem er die Bedeutung des 14. Zusatzartikels änderte, dann wäre die Verfassung nicht mehr "superior paramount law, unchangeable by ordinary means", sondern auf der Ebene des einfachen Rechts ganz nach dem Geschmack des Kongresses jederzeit veränderbar. 737 Justice Steves schloß sich dem Ergebnis der Mehrheit in einer concurring opinion an, sah den RFRA aber weniger als Verstoß gegen das 14. Amendment an, als vielmehr gegen das 1. Amendment der U.S. Constitution. 738 In seiner Begründung ging er im wesentlichen auf die nach seiner Auffassung zutreffenden Argumente der Smith-Entscheindung ein. Die Gegenansicht sei zwar ohne Zweifel populär, denn "who can possibly be against the abstract proposition that government should not, even in its general, nondiscriminatory laws, place unreasonable burdens upon religious practice?" Leider müsse die abstrakte These aber auf konkrete Fälle reduziert werden. Die Frage, die durch Smith gestellt werde, sei schlicht, ob es das Volk, repräsentiert durch ihre gewählten Mitglieder, oder der Supreme Court sei, der das Ergebnis dieser Fälle kontrollierte: "It shall be the people.,,739 Wie schon in Smith brachte Justice O'Connor ihre abweichende Meinung sowie die Einschätzung zum Ausdruck, daß Smith falsch entschieden worden sei. 74o Die free exercise clause sei kein "antidiscrimination principle that protects only against those laws that single out religious practice for unfavorable treatment".741 Die Klausel sei vielmehr eine positive Garantie des Rechts, an religiösen Praktiken ohne unerlaubte staatliche Einmischung teilzunehmen, selbst wenn ein solches Verhalten mit einem neutralen, allgemeinen Gesetz kollidiere. Smith werde weder von der Geschichte noch von den eigenen Präzidenzien getragen; es schade der Religionsfreiheit. 742 O'Connor begründete dies anschließend mit einer umfassenden Untersuchung der Entwicklungsgeschichte der Norm. City of Boerne v. P.P. Flores, Archbishop of San Antonio, 117 S.Ct. 2157, 2166 (1997). City of Boerne v. P.P. Flores, Archbishop of San Antonio, 117 S.Ct. 2157, 2170 (1997). 737 City of Boerne v. P.P. Flores, Archbishop of San Antonio, 117 S.Ct. 2157, 2168 (1997) unter Verweis auf Marbury v. Madison. 738 City of Boerne v. P.P. Flores, Archbishop of San Antonio, 117 S.Ct. 2157, 2172 ff. (1997) (Justice Stevens, concurring). 739 City of Boerne v. P.P. Flores, Archbishop of San Antonio, 117 S.Ct. 2157, 2176 (1997) (Justice Stevens, concurring). 740 City of Boerne v. P.P. Flores, Archbishop of San Antonio, 117 S.Ct. 2157, 2176 ff. (1997) (Justice O'Connor, dissenting). Ihr folgend Justice Breyer. 741 City of Boerne v. P.P. Flores, Archbishop of San Antonio, 117 S.Ct. 2157, 2177 (1997) (Justice O'Connor, dissenting). 742 City of Boerne v. P.P. Flores, Archbishop of San Antonio, 117 S.Ct. 2157, 2177 (1997) (Justice O'Connor, dissenting). 735
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d) Reaktionen der Literatur
Die Literatur hat auf diese Zäsur in der Rechtsprechung zur free exercise cIause erwartungsgemäß unterschiedlich reagiert. aa) Befürworter Aus dem Lager der no-exemptions view wurden die Urteile begrüßt.743 Der Supreme Court habe das Richtige getan, indem er daran festhielt, daß Menschen, die aus religiösen Gründen Bedenken gegen bestimmte Gesetze hätten, diese zusammen mit den anderen Bedenkenträgem geltend machen sollten. 744 Die Gegenauffassung von der exemptions view gefährde die von der free exercise cIause unter Schutz gestellten Rechtsgüter. Sie zwinge die Gerichte nämlich dazu, zunächst auf einer definitorischen Ebene zu bestimmen, ob der in Rede stehende Glaube "religiös" und ob er "ernsthaft" sei. Beide Untersuchungen seien nicht nur schwierig, sondern auch kontraproduktiv/45 weil Einzelne dadurch ermuntert würden, die Teilnahme an Handlungen mit nur sehr zweifelhaftem religiösen Charakter zu behaupten, um den Auswirkungen allgemeiner Gesetze zu entkommen. 746 Durch die Definition von Religion bevorzuge man auch die arrivierten Religionsgemeinschaften, weil sich deren Grundsätze am ehesten in den vorherrschenden religiösen Traditionen widerspiegelten. Dies führe zu ernsthaften establishment cIause-Problemen. 747 Die Abwägung der staatlichen Interessen mit den betroffenen Interessen des Antragstellers im Einzelfall bewirke überdies "unpredictability in the process and potential inconsistency in result as each regulation may be subject to limitless challenges based upon the peculiar identity of the challenger". 748 Die Gesellschaft habe ein starkes Interesse daran, Probleme zu vermeiden, die aus will743 EisgruberlSager, in: New York University Law Review 69 (1994), 437, 446 ff.; Marshall, in: The University of Chicago Law Review 58 (1991), 308 ff.; Sherry, in: Constitutional Commentary 14 (1997), 27, 28; Rabkin, in: The American Spectator, September 1997, 48 f. 744 Rabkin, in: The American Spectator, September 1997,48,49. 745 MarshalI, in: The University of Chicago Law Review 58 (1991), 308, 310. In dieser Einschätzung ihm beipflichtend Lupu, in: Harvard Law Review 102 (1989), 933, 954 ff.; Stone, in: William and Mary Law Review 27 (1986), 985, 988. Obgleich Marshall ausdrücklich das Ergebnis von Smith begrüßt, kritisiert er vehement den Weg der Urteilsfindung: "The decision, as written, is neither persuasive nor weil crafted. It exhibits only a shallow understanding of free exercise jurisprudence and its use of precedent borders on fiction. The opini on is also a paradigmatic example of judicial overreaching. [ ... ] In fact, it appears that the Court framed the free exercise issue in virtually the broadest terms possible in order to allow it to reach its landmark result." MarshalI, in: The University of Chicago Law Review 58 (1991),308,309. 746 Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 754. 747 So wohl auch United States v. Lee, 455 U.S. 252, 263 Fn. 2 (Justice Stevens, concurring). 748 Marshall, in: The University of Chicago Law Review 58 (1991), 308, 311 f.
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kürlichen Entscheidungen von engstirnIgen, voreingenommenen und in einigen Fällen intoleranten Richtern resultierten. 749 Zuletzt führe der Abwägungsprozeß dazu, daß das Gewicht der gegenläufigen staatlichen Interessen als zu gering beurteilt werde. Das staatliche Regelungsziel sei nur selten bedroht, wenn lediglich einige Personen von dem Gesetz befreit zu werden versuchten. Wirklich "zwingend" sei ein staatliches Interesse oft nur in Verbindung mit kumulativen Zielen. 75o Der compelling interest test sei zu rigoros und der Staat könne seinen Anforderungen in den meisten Fällen nicht genügen. Free exercise-Begehren würden zu einer fast automatischen Befreiung von den allgemeinen Gesetzen und damit zu einem Zustand der Anarchie führen, weil jeder Gläubige sein eigener Gesetzgeber werde. Befreiungen "epidemischen Ausmaßes" seien die Folge.751 Im Gegensatz dazu stehe der test of general applicability: der sei einfach, objektiv, vorhersehbar und führe zu einem einheitlichen free exercise-Recht. 752 Letztlich habe der Supreme Court seine Reynolds-Linie auch nie verlassen; bis Smith habe er stets allgemeine Gesetze gegenüber free exercise-Begehren aufrechterhalten. 753 Smith wiederhole somit nur das wesentliche Prinzip, daß keine Befreiungen für Gläubige eingeräumt werden dürften, wenn das Gesetz im Rahmen der legislativen Gewalt des Staates erlassen worden sei, allgemein sei, und dessen Zweck und wesentliche Wirkung keine bestimmte religiöse Praxis verbiete oder diskriminiere. 754 Neben diesem allgemeinen Prinzip gebe es nur zwei zusätzliche Tendenzen in der Rechtsprechung des Supreme Court. Zum einen die sogenannten unemployment cases, in denen Befreiungen aus religiösen Gründen gewährt wurden, wenn sich der Gesetzgeber nicht auf ein zwingendes Interesse berufen könne. Diese Fälle seien mit anderen Konstellationen aber nicht vergleichbar, weil der Gesellschaft bei Mißachtung der Gesetze zur Regelung der Arbeitslosenunterstützung keine Gefahr drohe, wie dies bei Mißachtung etwa der Steuer-, Militär- oder Strafgesetze der Fall sei. 755 Zum anderen habe der Supreme Court Befreiungen von allgemeinen Gesetzen nur noch geduldet, wenn die free exercise-Begehren in Verbindung mit anderen Verfassungsverstößen vorgebracht worden seien. 756 In diesen 749 "Although accepting the necessity for some kind of "weighing" test, I categorically reject the "ad hoc balancing approach" as being arbitrary, useless, and too in sensitive to the special competencies of legislatures and judiciary. The appropriate role of the courts is not to balance policies [ ... ], but rather to define interests of both religion and government [ ... ]. Dodge, in: 67 Michigan Law Review 679, 685 f. (1969). 750 MarshalI, in: The University of Chicago Law Review 58 (1991), 308, 312. 751 Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 754 f. 752 Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 759. 753 Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 726; Mermann, in: Mercer Law Review 42 (1991), 1597, 1609. 754 Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 726 f. 755 Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 728. 756 Fronzuto, in: Constitutional Law Journal 6 (1996), 713, 729 mit Beispielen; auch Mermann, in: Mercer Law Review 42 (1991), 1597, 1609.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
sogenannten hybrid cases habe sich das Gericht in wesentlichen Teilen auf andere Verbürgungen gestützt. Eine Einschränkung der Reynolds-Linie sei auch darin nicht zu sehen, weil die Fälle nur partiell ein free exercise-Thema seien. 757 bb) Gegner Ganz überwiegend wurde der doktrinäre Schwenk des Supreme Court jedoch heftig kritisiert?58 So schrieb stellvertretend etwa Valencia: "Smith was an embarrassing, incoherent, ludicrous, absurd, lamentable, senseless, jurisprudential disaster.,,759 DOIfwiederum spricht von der "Smith parade ofhorribles".76o Das Gericht habe mit diesem Schritt seine Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Minderheiten zum Ausdruck gebracht. 761 Schließlich seien es gerade diese Gruppen, die des Schutzes durch die Gesetzgebung und der Gerichte bedürften. Den Supreme Court habe bislang nicht ein Antrag auf Befreiung von einem "mainstream Christian religious practitioner,,762 erreicht. Es sei zudem absurd, den Schutz der free exercise c1ause auf die Fälle zu beschränken, in denen sich das Gesetz direkt und ausdrücklich gegen die Religion wende. Solche Streitigkeiten seien nur ganz selten beziehungsweise überhaupt nicht bekannt. 763 Zudem habe sich der compelling interest test in den 27 Jahren nach Sherbert mehr als bewährt; es habe keinen Grund gegeben, von ihm Abstand zu nehmen. 764 Die Probleme, die der Abwägungsansatz mit sich brächte, habe der Supreme Court in Smith dadurch gelöst, indem es religiöses Verhalten gar nicht schützte. 765 Das Smith-Urteil habe die Garantie der Religionsfreiheit auf ein Prinzip der Gleicheit und der Neutralität reduziert und zugleich all 757 So auch Justice Scalia für die Gerichtsmehrheit in Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872, 881 ff. (1990). 758 Vgl. nur Tribe/Dorf, Constitution, S. 94 f.; Laycock, in: The Supreme Court Review 1990, 1 ff.; Drinan, in: The Georgetown Law Journal 86 (1997), 101 ff.; Carter, in: Harvard Law Review 107 (1993), 118, 119; Mennann, in: Mercer Law Review 42 (1991), 1597, 1616 ff.; Idleman, in: Texas Law Review 73 (1994), 247, 252; McConnell, in: Harvard Law Review 111 (1997), 153, 154 ff.; Witte, in: Notre Dame Law Review 71 (1996), 372, 419 ff.; Rains, in: University ofColorado Law Review 62 (1991), 687, 707; Marin, in: The American University Law Review 40 (1991), 1431, 1465 ff.; Valencia, in: SMU Law Review 49 (1996), 1579 ff.; DiIIard, in: Journal of Contemporary Law 22 (1996),435,456 (der allerdings den RFRA als Verstoß gegen die Gewaltenteilung empfindet), Doerr, in: The Humanist, September 19, 1997, Vol. 57, S. 37 f.; wohl auch Seeger, in: Michigan Law Review 95 (1997), 1472 ff.; Stewart, in: ABA Journal, September 1997, Vol. 83,46 f.; Dorf, in: Harvard LawReview 109(1996), 1175, 121Off. 759 Valencia, in: SMU Law Review 49 (1996),1579,1620, Fn. 254. 760 Dorf, in: 84 Virginia Law Review 843, 851 (1998). 761 Valencia, in: SMU Law Review 49 (1996),1579,1618. 762 Sullivan, in: 59 University of Chicago Law Review 195,216 (1992). 763 Stewart, in: ABA Journal, September 1997, Vol. 83,46. 764 Valencia, in: SMU Law Review 49 (1996), 1579, 1617 f. 765 Rains, in: University ofColorado Law Review 62 (1991), 687, 689.
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die anderen "essential rights and liberties of religion" aufgegeben, die stets traditioneller Gegenstand dieser Freiheit waren. 766 Die Begründung der Gerichtsmehrheit, in Smith sei keine Befreiung zu erteilen, weil kein hybrid case vorliege, empfand bereits lustice O'Connor in ihrem Sondervotum als kläglichen Versuch, die in Yoder und Cantwell aufgestellten Regeln zu unterlaufen. 767 Nur weil das Gericht seine Argumentation damals auch auf andere Verfassungsgarantien gestützt habe, hieße das, so Mermann, nicht, daß der compelling interest test außerhalb des Bereichs staatlicher Hilfen eines "hybrid claims" bedürfe, um angewandt werden zu können. 768 Dies sei nicht in Einklang zu bringen etwa mit der Aussage des Gerichts in Yoder, daß nur "those interests of the highest order and those not otherwise served can overbalance legitimate claims to the free exercise of religion".769 Es könne somit kein Zweifel darüber bestehen, daß Smith eine offensichtliche Abweichung und Veränderung der Rechtsprechung des Supreme Court darstelle. 77o
e) Anwendung des "compelling interest test" auch bei bloß mittelbaren Eingriffen
Die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in den USA im Bereich der Religionsfreiheit bis hin zur Boeme-Entscheidung verdient die größte Beachtung. Die besondere Bedeutung von Boeme liegt darin, daß der Supreme Court sich völlig unbeeindruckt zeigte angesichts einer fast einheitlichen öffentlichen Meinung und einer nicht minder einheitlichen Auffassung des Kongresses. Das Alles hat ihn nicht dazu veranlaßt, seine mittlerweile religionskritische Einstellung zu überprüfen. Es liegt bereits eine gewisse Ironie in der Tatsache, daß eigentlich der "falsche" - nämlich der legislative - Zweig versuchte, die Religionsfreiheit zu schützen und daran von dem vermeintlichen Hüter der Grundrechte geWitte, in: Notre Dame Law Review 71 (1996),372,420. Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872, 896 (1990) (lustice O'connor concurring). Zustimmend etwa Mermann, in: Mercer Law Review 42 (1991), 1597, 1616: "Such a sweeping declaration is wholly inconsistent with the decisions in both Cantwell and Yoder. The Court attempted to escape from this glaring disparity by labeling the claims involved in those cases as "hybrid". 768 Mermann, in: Mercer Law Review 42 (1991), 1597, 1617. 769 Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205, 215 (1972). 770 Mermann, in: Mercer Law Review 42 (1991), 1597, 1617: "The Court's decision in Smith, therefore, represents a clear departure from the principles espoused in Yader and Cantweil, rather than a subtle factual distinction." Das krampfhafte Bemühen, nicht die Yader und Cantweil-Grundsätze anwenden zu müssen, war für Richter wie die Literatur gleichermaßen unerklärlich. So mutmaßt etwa Supreme Court lustice Blackmun, daß dieses Urteil möglicherweise als Überreaktion auf die nationale Drogenkrise zu verstehen sei. Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872, 908 (1990) (lustice Blackmun dissenting). 766 767
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hindert wurde?7l Daß der Gesetzgeber ein zu restriktives Verständnis eines Grundrechts durch das Verfasungsgericht zu korrigieren und den Grundrechtsschutz auszuweiten versucht, und er von dem Gericht dabei der Kompetenzüberschreitung bezichtigt wird, ist wohl ein Novum in der Verfassungs geschichte überhaupt. Was die Verneinung der Zuständigkeit des Kongresses anbelangt, erinnert das Urteil an Marbury v. Madison, auf das sich der Supreme Court in Boeme sicher nicht zufällig berufen hat. 772 Der Supreme Court verlangt die Änderung der Verfassung, um seine Interpretation zu widerlegen,773 und er riskiert, daß diese Änderung vorgenommen wird. 774 Auf besonderes Unverständnis stößt aber die Art und Weise, mit der der Supreme Court seinen Meinungswandel begründete. Wie Justice O'Connor zu Recht hinwies, waren Cantwell und Yoder nach völlig unbestrittener Auffassung free exercise c1ause-Fälle und das Gericht hat diese Fälle auch immer als wesentlichen Bestandteil der free exercise c1ause-Rechtsprechung angesehen. 775 Die Begründung, der compelling interest test habe nur in den hybrid cases berechtigte Anwendung gefunden, ist als offensichtliche Ausflucht zu werten. Insgesamt ist die zuletzt genannte Ansicht, die der exemptions view entspricht, daher vorzugs würdig. Wohl nicht nur aus deutscher Sicht erscheint es sonderbar, wie das vormals so weit interpretierte Recht der Religionsfreiheit durch die jüngere Rechtsprechung des Supreme Court so viel von seiner ursprünglichen Bedeutung einbüßen konnte. Die gegenwärtige Auffassung des Gerichts führt dazu, daß die Religionsausübungsfreiheit durch allgemeine Gesetze nunmehr beliebig eingeschränkt werden kann, die free exercise c1ause mithin keinen Schutz mehr vor "nur" mittelbaren Beeinträchtigungen bietet. Dies ist insbesondere deshalb gravierend, weil Gesetze, die sich direkt gegen die Religionsausübung wenden oder ausdrücklich zwischen den Religionsgemeinschaften diskriminieren,776 in der Praxis kaum erwartet werden dürfen, und die free exercise c1ause gerade im Bereich der mittelbaren Beeinträchtigungen relevant würde. Zweifellos ist diese Rechtsprechung, die den denkbar geringsten Prüfungsmaßstab anlegt,777 jedem Abwägungsansatz in bezug auf Vorhersehbarkeit und voraussichtlicher Einheitlichkeit der Ergebnisse überlegen. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie weder dem Erfordernis der Einzelfallgerechtigkeit noch der Bedeutung der Religion im James, in: The National Law Journal, August 11, 1997, In Focus, S. B 13. City ofBoerne v. P.F. Flores, Archbishop of San Antonio, 117 S.Ct. 2157, 2162 (1997). 773 James, in: The National Law Journal, August ll, 1997, In Focus, S. B 13. 774 Trotz der Einmütigkeit bei Erlaß des RFRA ist aber nicht unbedingt zu erwarten, daß die Mitglieder des Kongresses auch hinsichtlich der Änderung des I. Zusatzartikels oder der Ausarbeitung eines weiteren Zusatzartikels ebenso geschlossen vorgehen werden, weil Änderungen der Verfassung nur sehr ungerne vorgenommen werden. 775 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 V.S. 872, 896 (1990) (Justice O'connor concurring). 776 Hier darf erwartet werden, daß der Test auch weiterhin angewandt wird. Greenawalt, in: The Supreme Court Review 1995,323,335. 771 James, in: The National Law Journal, August 11, 1997, In Focus, S. B 13. 771
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Leben der Menschen gerecht wird. Religion ist nicht nur eine von vielen starken Motivationen im Leben eines Einzelnen; religiöse Handlungen beruhen auf Gewissensentscheidungen, haben somit regelmäßig zwanghaften Charakter und genießen daher auch die verfassungsrechtliche Vorrangstellung,778 die ihr die Gegenansicht abspricht. 779 Der herrschenden Literatur ist bereits deshalb zu folgen, weil sich der compelling interest test durchaus im Laufe der Jahre bewährt hat und es keinen Grund gab, ihn aufzugeben. Eine Abwägung nach Maßgabe des Tests wird nicht nur dem hohen Gut der Religionsfreiheit gerecht, sondern läßt auch eine gerechte Beurteilung der konkret betroffenen Einzelfallinteressen zu. 780 Da der Supreme Court den Test weiterhin bei zielgerichteten, nicht neutralen Eingriffen 781 sowie etwa auch im Rahmen der Meinungsfreiheit und der equal protection c1ause anwendet,782 trägt er zu einer einheitlichen Vorgehensweise bei. 783 Der Test ist im übrigen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ähnlich, dem jedes staatliche Handeln in der Bundesrepublik Deutschland unterliegt und der sich hierzulande als allgemeines Rechtsprinzip bewährt hat. Nicht nachvollziehbar ist es, wenn die Gegenseite argumentiert, daß der Test zu rigoros sei und die Gefahr drohe, daß free exercise-Begehren zu einer fast automatischen Befreiung führen. Die Praxis spricht hier eine andere Sprache; staatliche Interessen wurden in der Vergangenheit nur in bescheidenem Ausmaß eingeschränkt. In keinem free exercise-Fall hat der Supreme Court einem wesentlichen staatlichen Ziel Hindernisse in den Weg gelegt. 784 Die Sherbert / Yoder-Linie erschien im Laufe der Jahre immer mehr als Ausnahme denn als Regel. Seit Yoder und außerhalb des Gebiets der Arbeitslosenunterstützung hat sich das Gericht zwar noch offiziell zu den Sherbert-Grundsätzen bekannt, aber in jedem der nachfolgen778 So auch Greenawalt, in: The Supreme Court Review 1995, 323, 340 f.: "In general, religious beliefs and practices place demands on people that are more intense, less subject to reasons that regulate civil society, more likely to generate conflicts with the state if not accommodated, than do nonreligious beliefs and pratices." 779 Siehe 4. Teil, § 2 IV 1 a). 780 ,,[ ••. 1 the compelling interest test may be problematic in principle, but in practice there is no plausible alternative that is more sympathetic to religios freedom claims [ ... l. Dorf, in: 84 Virginia Law Review 843, 851 (1998). 781 So in einem Urteil verdeutlicht, daß der Smith-Entscheidung zeitlich folgte: Church of the Lukumi BabaluAye, Inc. v. City of Hialeah 508 U.S. 520, 521 f. (1993). 782 Vgl. U.S. Department of Justice, Re1igious Liberty, S. 60 Fn. 118. 783 Gegen die einheitliche Anwendbarkeit der Prüfungsstandards wendet sich ausdrücklich Dorf. Personen, die aufgrund ihres religiösen Gewissen handelten, empfänden einen entsprechenden Zwang. Eine Person, die etwas ausdrücken wollte, hätte das Bedürfnis, dies effektiv zu tun, aber kaum den gleichen inneren Zwang, es genau auf eine bestimmte Weise tun zu müssen. Daher fehle es an der Vergleichbarkeit der Situationen, die eine Anwendung derselben Prüfungsmaßstäbe rechtfertige. Dorf, in: Harvard Law Review 109 (1996), 1175, 1215. 784 Greenawalt, in: The Supreme Court Review 1995, 323, 352 f.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
den Fälle hat es den compelling state interest test als erfüllt angesehen?85 Während der Test in anderen Bereichen des Verfassungsrechts gewöhnlich als "strict in theory and fatal in fact,,786 beschrieben wird, galt er im Bereich der Religionsfreiheit bereits vor Smith als "strict in theory but feeble in fact,,?87 Auch die Berufungsgerichte hatten weder Scheu noch Mühe, immer wieder die unterschiedlichsten legislativen Ziele festzustellen, deren Sicherung ihnen stets wichtiger war, als eine Befreiung des Antragstellers aus religiösen Gründen im Einzelfall. Der compelling state interest test verkam auf diese Weise zu einem bloßen Abwägungsgebot. 788 Eine zu rigorose Anwendung des Test steht demnach nicht zu befürchten, im Gegenteil, wünschenswert wäre eine stärkere Anerkennung der religiösen Belange, insbesondere der kleinen Religionsgemeinschaften. Sofern die neue Rechtsprechung auf Zustimmung stößt, weil durch sie die fast unmögliche Aufgabe vennieden wird, "Religion" zu definieren, so wird übersehen, daß dieses Problem auch nach den neuen Leitlinien des Supreme Court nicht obsolet ist. Auch nach Auffassung des Gerichts ist ein Gesetz wenigstens verfassungsrechtlich bedenklich, wenn es sich ausdrücklich gegen Religion wendet. Es ist allerdings immer Frage des Einzelfalls, wann eine derartige Zielrichtung vorliegt. Unzweifelhaft kann von einer direkten Beeinträchtigung der Religion nur die Rede sein, wenn das Gesetz ausdrücklich von "Religion" spricht; sobald es aber von "Weltanschauung", "Bekenntnis" oder "Glauben" spricht, wird sich die Frage nach der Definition von Religion und dem Schutzbereich der free exercise clause erneut aufdrängen. Nur weil es vor mittelbaren Beeinträchtigungen der Religionsausübung fortan keinen Schutz mehr geben soll, ist nicht per se die gesamte Problematik hinfällig. Von dem Supreme Court ist somit auch in Zukunft die Anwendung des compelling interest tests nicht nur bei zielgerichteten, sondern auch bei bloß mittelbaren Eingriffen zu fordern; Grundrechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn dies unerläßlich ist, um ein zwingendes, bestimmtes staatliches Ziel zu verfolgen. 2. Begriff der Religion
Ausgehend von der exemptions view und dem danach anzuwendenden compelling interest test ist im Einzelfall die Frage zu beantworten, ob eine Religionsausübung auf "ernsthaften religiösen Überzeugungen" beruht. Demnach ergibt sich auch im US-amerikanischen Verfassungsrecht die Notwendigkeit, "Religion" zu definieren oder jedenfalls umschreiben zu müssen. Dies gilt um so mehr, als lediglich "religiöse" und nicht auch sonstige Gewissensentscheidungen geschützt werden. 785 Eisgruber/Sager, in: The University of Chicago Law Review 61 (1994), 1245, 1247; 1260, mit Beispielen. 786 Gunther, in: 86 Harvard Law Review, 1,8 (1972). 787 Eisgruber/Sager, in: The University ofChicago Law Review 61 (1994), 1245, 1247. 788 Eisgruber / Sager, in: The University of Chicago Law Review 61 (1994), 1245, 1260.
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a) Rechtsprechung Der Supreme Court hat bislang nur sehr wenig dazu Stellung genommen, was er unter "Religion" versteht und wie der Begriff zu bestimmen ist. Die erste Stellungnahme dieser Art erfolgte im Jahre 1890. Unter Bezugnahme auf den Begriff der "Religion" wies das Gericht hierbei auf die "Vorstellungen jedes Einzelnen bezüglich seiner Schöpfers" hin, und auf "die Verpflichtungen und den Gehorsam, die seinem Schöpfer aus Ehrfurcht entgegengebracht werden".789 Danach wurde der Begriff Religion erst wieder in einer abweichenden Meinung des Chief Justice Hughes im Jahre 1931 behandelt. Hughes sprach von einem "Glauben, der mit Gott zusammenhängt, und Pflichten auferlegt, die jeder anläßlich einer menschlichen Beziehung entstandenen Verpflichtung übergeordnet sind".79o Im Jahre 1953 zeigte sich dann zum ersten Mal, daß der Supreme Court in dieser Frage womöglich an die Grenzen seiner Definitionsmacht stoßen könnte. In Fowler v. Rhode !sland schrieb Richter William O. Douglas: "It is no business of courts to say that which is religious practice or activity for one group is not religion under the protection of the First Amendment. ,,791 Einige Jahre später wagte der Supreme Court dann aber eine erneute Begriffsbestimmung. Religiöser Glaube sei der "Glaube des Einzelnen an die Beziehung zu einem höheren Wesen, er erlegt übergeordnete Pflichten auf und enthält nicht vorwiegend politische, soziologische oder philosophische Ansichten oder einen bloß persönlichen Moralkodex,,?92 Diese Definition übernahm schließlich auch der Kongreß nach einer langen, vorhergehenden Auseinandersetzung der Berufungsgerichte über die Frage, wie weit der Begriff Religion verstanden werden muß. 793 In der Folgezeit dehnte der Supreme Court den Schutz des 1. Zusatzartikels auch auf Leute wie Seeger aus, die eine Abhängigkeit von einem Schöpfer als moralischer Instanz ganz ablehnen und stattdessen an die Güte und Tugendhaftigkeit an sich glauben und sich dieser ergeben fühlen. Seegers Glaube ging auf ein rein ethisches Glaubensbekenntnis zurück. 794 In dem Fall Welsh v. United States795 ging die Gerichtsmehrheit dann noch einmal ein Stück weiter. Dort verweigerte ein Mann, der sich ausdrücklich als nicht religiös bezeichnete, den Militärdienst unter Hinweis auf die verschwenderische Art, mit der menschliche Ressourcen für militärischen Leistungen geopfert würden, und auf seine allgemeinen Vorstellungen zur Weltpolitik, die er dem Werk "History and Sociology" entnommen habe. Die Richter befanden ihn trotzdem als 789 790 791 792 793 794 795
Davis v. Beason, 133 V.S. 333, 342 (1890). Vnited States v. MacIntosh, 283 V.S. 605, 633 f. (1931). Fowler v. Rhode Island, 345 V.S. 67, 70 (1953). Vnited States v. Seeger, 380 V.S. 163, 165 (1965). Greenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753, 759. Vnited States v. Seeger, 380 V.S. 163, 166 (1965). 398 V.S. 333 (1970).
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
"religiös", weil sein Glaube die Rolle einer Religion ausübe und wie eine Religion in seinem Leben fungiere. 796 lustice Harlan von der Gerichtsmehrheit in der Welsh-Entscheidung stellte darüber hinaus einen Verstoß gegen die establishment clause fest, weil der Gesetzgeber in dem zugrunde liegenden Gesetz zwischen Kriegsdienstverweigerern aus religiösen Gründen und Kriegsdienstverweigerern aus nichtreligiösen Gründen, die mit der gleichen Intensität moralischer Überzeugung handelten, unterschied. Die Auffassung Harlans wurde teilweise dahingehend interpretiert, daß die Unterscheidung zwischen religiös und nicht religiös unzulässig und letztlich jedes Verweigern aus Gewissensgründen "religiös" im Sinne der Verfassung sein soll.797 In anderen Entscheidungen hat der Supreme Court dagegen seine Ansicht verdeutlicht, daß religiöses und nicht religiöses Verhalten abzugrenzen sei: ,,[ ... ] to have the protection of the Religion Clauses, the claims must be rooted in religious belief. [ ... ] if the Amish asserted their claims because of their subjective evaluation and rejection of the contemporary secular values accepted by the majority, much as Thoreau rejected the social values of his time and isolated himself at WaIden Pond, their claims would not rest on a religious basis. Thoreau's choice was philosophical and personal rather than religious, and such belief does not rise to the demands of the Religion Clauses."79S Zuletzt hatte der Supreme Court wiederholt betont, daß er nicht bestimmen könne, ob ein Glaube wahr sei, sondern nur, ob er "ernsthaft" sei. Dies setze jedoch nicht notwendig voraus, daß er konsequent, kohärent und klar artikuliert sein oder mit dem Glauben der Gemeinschaft, der er angehöre, übereinstimmen müsse. 799 Umfassend geschützt werde auch gerade erst übernommener Glaube. soo Obwohl das Gericht einmal ausführte, daß einige Glaubensvorstellungen "so bizarre, so clearly nonre1igious in motivation, as not to be entitled to protection under the Free Exercise Clause"SOI seien, scheint es die Anforderungen an die Glaubhaftmachung von religiösem Verhalten nicht zu überspannen. Insbesondere Sherbert und die nachfolgenden Urteile verdeutlichen einen Schwenk hin zu der Auffassung, daß das Wesen der Religion zunächst aus der Perspektive der Religion selbst zu bestimmen sei; es hat mithin eine Verschiebung von einer objektiven Sichtweise der Religion hin zu einer subjektiven stattgefunden. S02 Die verfasWelsh v. United States, 398 U.S. 333, 339 (1970). Greenawalt, in: Califomia Law Review 72 (1984), 753, 760. 798 Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205, 215 f. (1972). 799 Frazee v. Illinois Department of Employment Security, 109 S.Ct. 1514, 1517 f. (1989). In Bowen v. Roy, 106 S.Ct. 2147, 2150 und Fn. 3 (1986) war das Gericht sogar noch weiter gegangen. Hier erkannte es ein "religiöses" Begehren an, obwohl der dem Begehren zugrunde liegende Glaube offensichtlich von keiner religiösen Gruppierung vertreten wurde. 8()() Hobbie v. Unemployment Appeals Commission, 107 S.Ct. 1046, 1051 (1987). 801 Thomas v. Review Board, 450 U.S. 707, 715 (1981). 802 Tribe, American Constitutional Law, § 14-12, S. 1249 und Fn. 47; Note, in: Harvard Law Review 102 (1989), 1258, 1262 ff.; Note, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1606, 1625. 796 797
§2 USA
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sungsrechtliche Definition von Religion ist heute demnach viel extensiver als sie früher noch zu sein schien. S03 b) Literatur
Auch die Literatur in den USA hat sich eingehend mit der Problematik befaßt. Das von dem Supreme Court aufgeworfene Kriterium der Ernsthaftigkeit trifft dort auf grundsätzliche Zustimmung, weil es "seine historische und teleologische Berechtigung habe"; es gebe weder im Wortlaut noch in der geschichtlichen Entwicklung der Norm Anzeichen dafür, daß die free exercise c1ause auch unaufrichtige Glaubensvorstellungen und nicht ernst gemeinte religiöse Praktiken schützen sollte. Diese seien nicht auf der Grundlage eines "echten religiösen Gewissens" gewachsen; nur dieses aber hätten die Verfassungsväter vor staatlicher Einmischung bewahren wollen. S04 Die free exercise c1ause dürfe nicht zu einem unbegrenzten Befreiungsgrund für alle unangenehmen gesetzlichen Verpflichtungen werden. sos Der Kläger sollte daher verpflichtet sein, eine prima facie-Erklärung hinsichtlich der Art seines Glaubens und des Ursprungs seiner empfundenen Verpflichtung abzugeben. S06 Sodann müsse der Staat überprüfen, ob der Kläger nicht nur unter dem Vorwand der Religionsausübung gehandelt habe und in Wahrheit nicht von Hintergedanken wie Gier oder Unsittlichkeit geleitet worden sei. Wo es äußerliche Beweise gebe, daß Religion nur als betrügerischer Deckmantel diene, müßten derartige Beweise berücksichtigt werden. S07 Das Gericht könne sein Augenmerk etwa auf widersprüchliche Aussagen des Antragstellers zum Inhalt seines Glaubens richten; möglichweise berufe er sich auf religiöse Ansichten, die mit seinen übrigen Glaubensbekundungen nicht übereinstimmten. sos Da jeder Art von Prüfung aber die Gefahr anhafte, den Schutzbereich der Religionsfreiheit unnötig einzugrenzen, solle hier nur eine "minimal inquiry" stattfinden. s09 Es könne keine "demonstration of heart-felt commitment" gefordert werden, schon weil dies die Gefahr in sich berge, daß individuelle Glaubensüberzeugungen den korporativ oder institutionell ausgeübten vorgezogen würden. 810 Greenawalt, in: Califomia Law Review 72 (1984), 753, 761. U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 53. 805 Steinberg, in: Boston University Law Review 75 (1995), 241, 285; Tribe, American Constitutional Law, § 14-12, S. 1246 ff. 806 Note, in: Harvard Law Review 102 (1989), 1258, 1277; U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 54. 807 Tribe, American Constitutional Law, § 14-12, S. 1246. 808 Lupu, in: Harvard Law Review 102 (1989), 933, 954. 809 Tribe, American Constitutional Law, § 14-12, S. 1246 ff. 810 Lupu, in: Harvard Law Review 102 (1989), 933, 955 f. ("completely individualized quality"). 803 804
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
Der Einordnung als Religion stehe nicht entgegen, daß sich eine betroffene religiöse Bewegung noch nicht auf eine längere Tradition berufen könne oder daß ihre Riten nicht der Vorstellung des Interpreten von Religion entsprächen. SIl Der Glaube sei auch nicht bereits deshalb unaufrichtig, weil der Antragsteller nicht mehr eindeutig im Rahmen der Lehre seiner Religionsgemeinschaft handele, weil sein Glauben von niemandem sonst geteilt werde oder weil er angibt, mit seinem Glauben zu "kämpfen".sI2 Zwar werde sich ein Antragsteller regelmäßig auf traditionelle theistische Glaubensvorstellungen und eine gesetzte, ausformulierte Doktrin berufen können. Wenn dies aber nicht so sei, könne man das Begehren nicht per se abweisen. sB Die Religionsfreiheit gerade dem unorthodoxen Gläubigen zu versagen, wäre eine "Perversion des historischen Zwecks der free exercise clause".SI4 Daher müsse der Begriff grundsätzlich extensiv verstanden werden. Gerade wenn ein Antragsteller nicht in eine ausformulierte, traditionell anerkannte Form von Religion hineinpasse, dann müsse das Gericht nach Giannella zur Überprüfung der nichttheistischen Begehren eine Art rudimentäre Naturtheologie formulieren: sl5 "Only those nontheistic conscientious objections that are based on an intensely felt, selfless, and thoroughgoing personal commitment to the brotherhood of man should receive treatment equal to theistically based scruples."S16 Das Begehren müsse von Empfindungen getragen sein, deren Qualität denen von "religiöser Schuld und Qual" ähnelten. s17 Am ehesten könnten ethische Einwände anerkannt werden, die wichtige Angelegenheiten der Würde und des eigenen Wohlergehens beträfen. Die Verpflichtung müsse den Menschen jedenfalls im Kern seines Wesens treffen. sls Eine Möglichkeit, die Ernsthaftigkeit des Begehrens festzustellen, sei die Frage an den Antragsteller, zu welchem Grad er willens wäre, für seinen Glauben Opfer zu bringen. sl9 Mansfield wiederum schlägt Stahmer, in: Religion and the Public Order 1963, ll6, 124. V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 56. Gleichwohl wird erkannt, daß es denjenigen schwerer fallen dürfte, die Ernsthaftigkeit des Glaubens oder die persönliche Bedeutung des Glaubens überzeugend darzustellen. Deswegen sei auch eine Tendenz, den Religionsgemeinschaften, die bereits von gewisser gesellschaftlicher Bedeutung seien, mehr Achtung entgegenzubringen, nicht zu leugnen. Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967), 1381, 1424. 813 Auf das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft wird man aber zumindest dann abstellen müssen, wenn es um staatliche Hilfen für die Organisation geht. Greenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753, 769. 814 Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967), 1381, 1423. 815 Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967), 1381, 1430. 816 Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967),1381,1431. 817 Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967), 1381, 1429. Ansonsten könnte ein Mensch mit intensiven persönlichen, politischen, philosophischen Treuepflichten eine religiöse Befreiung beanspruchen, wann immer seine Emotionen extreme Ausmaßen annähmen - was erkennbar nicht gewollt sei. 818 Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967), 1381, 1429. 819 Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967), 1381, 1429. 811
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§2 DSA
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vor, nur den Glauben als religiös anzusehen, der die Existenz einer spirituellen Realität versichere. 82o Größere Popularität im Rahmen der Literatur hat der sogenannte centrality test erlangt. 821 Zur Eingrenzung des Schutzbereichs wird hierbei von dem Gläubigen, der sich auf die free exercise c1ause beruft, die Glaubhaftmachung verlangt, daß die in Rede stehende Religionsausübung wesentliche Bedeutung für seine persönliche Glaubensdoktrin hat, sie muß "zentral" sein. Auch der Supreme Court hat damit teilweise argumentiert, dies aber wohl nie zur Bedingung für den Schutz durch die free exercise c1ause gemacht. 822 Nach einer korrespondierenden Auffassung sei ein compulsion test durchzuführen; danach verdiene nur solches Verhalten den Schutz der free exercise c1ause, zu dem der Antragsteller durch seine Religion "gezwungen" werde. 823 Greenawalt hat die Debatte um einen weiteren Vorschlag angereichert. Nach seiner Auffassung sei die Prämisse aller Überlegungen, daß Religion kein wirklich spezifizierbares Wesen habe. 824 Die Suche nach Definitionskriterien sei fruchtlos, weil kein Kriterium wirkliche Voraussetzung von Religion sei; es gebe keinen Wesenszug, der allen Religionen gemeinsam anhafte. Wenn man in der Läge wäre, einen solchen auszumachen, dann wäre der wiederum so allgemein, daß er keine Hilfe bei der Einordnung der Problemfalle darstellte. 825 Diese Fälle seien vielmehr durch einen Vergleich mit solchen Verhaltensweisen zu lösen, bei denen nach unumstrittener Ansicht eine religiöse Handlung vorliege, wie etwa bei dem Glauben an Gott selbst, der Kommunikation mit Gott durch Gebet und anderen Riten, oder dem Gebrauch von heiligen Texten. 826 In einem letzten Schritt müsse der Interpret dann ermitteln, wie "nah" der zu entscheidende Streitfall von jenen unumstrittenen Mansfield, in: Califomia Law Review 72 (1984), 847, 85l. Rains, in: Dniversity of Colorado Law Review 62 (1991), 687, 690 ff.; Tribe, American Constitutional Law, § 14-12, S. 1248. Ausdrücklich dagegen D.S. Department of lustice, Religious Liberty, S. 56. 822 Seeger, in: Michigan Law Review 95 (1997), 1472, 1485. So auch Tribe: "centrality only partially describes the court's inquiry. True, centrality does help explain some holdings, and the Supreme Court in Sherbert and especially in Yoder emphasized the centrality of the burdened beliefs. However, the Court has never specifically required free exercise claimants to demonstrate that the state requirement burdens a central tenet of their beliefs." Tribe, American Constitutional Law, § 14-12, S. 1247. Ausdrücklich hat der Supreme Court das Kriterium sogar abgelehnt in Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 D.S. 872, 873 (1990). 823 Berg, in: 39 Villanova Law Review 1, 52 ff. (1994). Auch einige Entscheidungen des Supreme Court legen nahe, daß solchen religiösen Praktiken stärkeres Gewicht zukommen soll. Giannella, in: Harvard Law Review 80 (1967), 1381, 1419. 824 Greenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753 ff. 825 Greenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753, 766 ff. Ganz in diesem Sinne auch Note, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1606, 1623: "A truly comprehensive definition may be so broad as to be unhelpful; if religion is conceived of as a pattern of symbols that connote ultimate values, for example, all societies are arguably deemed religious." 826 Greenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753, 767. 820 821
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
Konstellationen entfernt sei. 827 Dies trage zu maßgeblicher Sicherheit im Umgang mit den zweifelhaften Fällen bei. Andere Versuche, den Begriff der Religion zu definieren oder zumindest dessen Wesensmerkmale herauszuarbeiten, stellen besonders auf den gruppenbezogenen Charakter von Religion ab. Carter etwa versteht Religion als eine Tradition gruppenbezogenen Kultus, der die Existenz einer Empfindung jenseits des Menschlichen und Greifbaren voraussetzt, dazu befähigt, sich außerhalb der bekannten Grundsätze und der naturwissenschaftlichen Grenzen zu bewegen, und seinen Anhängern irgendwie geartete Verpflichtungen auferlegt. 828 Smith befürwortet im Hinblick darauf eine verschiedene Behandlung von korporativ und individuell ausgeübter Religion. Während die institutionelle Seite von Religion auf "group belief, worship, and morality" angelegt sei, gehe es bei der individuellen Religionsfreiheit um die persönliche Freiheit des Einzelnen. Davon gehe jedoch keine Gefahrdung für die Allgemeinheit aus, weshalb ihr ein größerer Schutzbedarf zukomme. 829 Ferner wird vertreten, daß sich aus historischer Sicht vier "negative" Abgrenzungsmerkmale von Religion herauskristallisiert hätten: (1) das Wesen von Religion beruhe nicht auf privater Lebenserfahrung; (2) Religion lasse sich weder uneingeschränkt dem Irrationalen und Emotionalen, noch der Begrifflichkeit und Ratio zuordnen; (3) Religion sei nicht identisch mit Moral; und (4) Religion müsse nicht theistisch sein. 83o Nach Allport wiederum beinhalte Religion einen Wert, den sich jeder Demokrat bewahren müsse: "the right of each individual to work out his own philosophy of life, to find his personal niche in creation as best as he can".831 Choper dagegen stellt bei der Einordnung eines Verhaltens als "religiös" auf die folgenden Elemente ab: (1) das Vorliegen elementarer Betroffenheit; (2) die Bezugnahme auf Konsequenzen über den Tod hinaus; und (3) die Annahme einer transzendenten Welt, die diesseitigem, weltlichem Handeln einen besonderen Sinn verleihen kann. 832 Letztlich überwiegt aber wohl die Auffassung, daß trotz der prinzipiellen Notwendigkeit einer Definition eine solche "theoretisch und praktisch" unmöglich sei. 833 Greenawalt, in: Califomia Law Review 72 (1984), 753, 763. Carter, The Culture of Disbelief, S. 17. Vgl. dazu auch Vögele, Menschenwürde zwischen Recht und Theologie, S. 62 ff. 829 Smith, in: The Supreme Court Review 1983, 83, 90. 830 Note, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1606, 1624. 831 Allport, The Individual and his Religion, S. viii. 832 Choper, in: 1982 University of Illinois Law Review, 579, 594 ff. So auch U.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 70: "Unter "Religion" im Sinn der free exercise clause ist ein System von Glaubensvorstellungen zu verstehen, das entweder von einer einzelnen Person oder von einer Personenmehrheit getragen wird, und das entweder aus einer Verpflichtung gegenüber einer transzendenten Realität oder einer Anerkennung auBerweltlicher Folgen für weltliches Handeln stammt." Vgl. auch Brugger, Grundrechte, S. 299. 827 828
§2 USA
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c) Untauglichkeit schutzbereichsbegrenzender Kriterien
Wie in Deutschland wird auch in den USA die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft überprüft und festgestellt, ob der Gläubige im Rahmen der Lehre seiner Gruppierung handelte. Wenngleich dies ausdrücklich nicht zur Voraussetzung gemacht wird, besteht doch zumindest Einigkeit darin, daß die Mitgliedschaft zu einer Religionsgemeinschaft die Ernsthaftigkeit des Begehrens stützt und dazu führen kann, daß eine gesetzliche Befreiung akzeptabel erscheint. 834 Bei Gläubigen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, werden dagegen auch in den USA höhere Anforderungen an die Glaubhaftmachung ihrer Religiösität gestellt. Das Kriterium der "Ernsthaftigkeit" erweist sich jedoch nur als geringe Hürde im Rahmen des compelling interest tests. Auch weitergehende Bemühungen zur Einschränkung des Schutzbereichs der free exercise clause scheitern in erster Linie an ihrer mangelnden Praxistauglichkeit. Da die Problematik die gleiche ist, ähneln sich auch die Bemühungen und die Schlußfolgerungen von Literatur und Rechtsprechung in Deutschland und den USA bezüglich der Konkretisierung des Religionsbegriffs. Ausgehend von der Tatsache, daß eine zu weite Definition die Gefahr des Mißbrauchs der Verfassungsgarantie bewirkt und eine zu enge Definition den Kreis der Grundrechtsgeschützten unnötig zu beschränken droht, drehen sich die Überlegungen darum, wie man am besten der religiösen Vielfalt im Lande gerecht werden kann. Entgegen der Einschätzung Thüsings, die Diskussion um den Religionsbegriff habe im Ausland "einen sehr viel breiteren Argumentationsansatz" ,835 wird man nicht sagen können, daß Rechtsprechung und Literatur in den USA 833 Vgl. nur Abraham, in: Lee (Hrsg.), All Imaginable Liberty, 167, 186; Note, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1606, 1623; Note, in: Harvard Law Review 102 (1989), 1258, 1268 ff. Einschränkungen des Religionsbegriffs werden häufig auch gar nicht erst angestrebt, weil man es als Wert an sich ansieht, daß der Begriff offen für neue und zukünftige Entwicklungen ist. Vgl. hierzu durchaus repräsentativ Konvitz, in: Wood (Hrsg.), Religion and the State, 147, 163: "The vagueness of the terms in the First Amendment is part of their virtue. The imprecision gives the constitutional words the promise of a future. Their meaning and reach are not confined to what the words meant in the past. The terms are inherently elastic precise1y because they need a future and not only a history. [ ... ] The imprecision may not satisfy some logicians, but it is much more serviceable in law than would be terms that lend themselves to precise definition." 834 Greenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753, 785. 835 Thüsing, in: Gedächtnisschrift für Hartmut Krüger, 351, 356; ders. in: ZevKR 45 (2000), 592, 597. Im übrigen ist nicht ganz nachzuvollziehen, weshalb Thüsing herausstellt, daß hierzulande noch nicht eingehend erörtert wurde, ob "unabhängig von der wirtschaftlichen Betätigung" die in der Lehre von Scientology verbundene Gemeinschaft eine Religionsgemeinschaft sein kann. Wenn feststeht, daß das Streben nach Gewinnmaximierung Primärziel der Gruppierung ist und die Gemeinschaft damit nicht Religionsgemeinschaft, sondern Wirtschaftsunternehmen ist, dann kommt es auf die zur Erreichung dieses Ziels gewählten Mittel ebensowenig mehr an wie auf eventuelle Nebenziele. Für ein Wirtschaftsunternehmen ist gerade ein Konglomerat an Zielen typisch. Entscheidend ist lediglich, daß an der Spitze dieser Zielhierarchie die Gewinnmaximierung im Sinne des erwerbswirtschaftlichen Prinzips steht. Siehe hierzu 4. Teil, § 1 IV 3.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
praxistauglichere oder gar aus unserer Sicht neuartige Lösungen zur Bewältigung des Problems haben entwickeln können. Definitionsversuche, wie sie vom Supreme Court oder der Literatur unternommen wurden, hat es so oder in ähnlicher Weise auch in Deutschland immer wieder gegeben. 836 Auch Kriterien wie die der "Ernsthaftigkeit",837 "Zentralität,,838 oder des "persönlichen Zwangs,,839 sind hierzulande ebenso Gegenstand der Diskussion wie der Versuch, Analogien zu den Merkmalen anerkannter Religionen zu bilden, um in einer vergleichenden Betrachtung feststellen zukönnen, ob eine zweifelhafte Gruppe als Religion behandelt werden darf; sachlich handelt es sich hier um nichts Anderes als das aus Deutschland bekannte Bestreben, dem Begriff der Religion ein christliches Verständnis zu unterlegen, von dessen Boden aus die Zulässigkeit anderer Religionen zu beurteilen sei. 840 Wenn in den USA darüber hinaus aus einer gewissen Unbeholfenheit heraus angeregt wird, bei der Definitionssuche auf die Hilfe der Sozialwissenschaften zurückzugreifen,84I wenn Beispiele von anerkannten religiösen, weltanschaulichen und spirituellen Strömungen aufgezählt werden, um sich auf diese Weise einer Umschreibung von Religion zu nähern,842 und vor allem, wenn sich bei Rechtsprechung und Literatur immer stärker die Erkenntnis durchsetzt, daß unter Religion heute fast jede Art von "ultimate concern with or without an act of personal commitment" verstanden werden kann,843 so daß es für die Beurteilung dessen, was die Verfassung als "Religion" schütze, primär auf das Selbstverständnis des Einzelnen ankomme,844 dann wird deutlich, daß die Diskussion insgesamt er836 Vgl. nur BVerfGE 32, 98, 107; Bock, in: AöR 123 (1998), 444, 458; Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, S. 141 f.; 166; Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rdn. 6; Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung, S. 38; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 73. 837 Jeund'Heur / Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 90. 838 BVerwGE 61, 152, 155; Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung, S. 37. 839 Insofern synonym das Kriterium der "Verbindlichkeit" bei Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, S. 96. 840 Vgl. hierzu oben im 4. Teil, § 1 11 5. Gleiches gilt für die in der Literatur übliche Aufzählung "unumstrittener" Kultushandlungen (z. B. Gottesdienst, Gebet, Sakramente, Kollekten, Prozessionen), denen der Schutz von Art. 4 GG zuteil wird. Auch hier klingt immer an, daß auch vergleichbare Handlungen in den Schutzbereich der Norm fallen müssen. Vgl. etwa BVerfGE 24, 236, 246; Abel, in: Engstfeld/Haack, u. a., Juristische Probleme, 34, 38; Listl, in: HdbStKirchR, Bd. 1,439,462. 841 Vgl. etwa Note, in: Harvard Law Review 100 (1987), 1606, 1623. 842 Diese induktive Vorgehensweise wird zu Recht besonders dem Supreme Court nachgesagt, siehe Konvitz, in: Wood (Hrsg.), Religion and the State, 147, 149. Vgl. nur Tarcaso v. Watkins, 367 U .S. 488, 495 Fn. 11 (1961). 843 Stahmer, in: Religion and the Public Order 1963, 116, 128 f. 844 Vgl. nur Note, in: Harvard Law Review 102 (1989), 1258, 1269: "Because religious beliefs are so individualistic, free exercise jurisprudence must consider each person's particular conception of religious obligations and how they may be fulfilled. Individuals, even among those belonging to the same faith, may attribute varying degrees of sacredness to religious tenets."
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schöpft ist. Offenbar hat den Supreme Court gerade die Erkenntnis, daß der Schutzbereich einer Eingrenzung kaum zugänglich ist, auch dazu verleitet, in Smith nunmehr von dem compelling interest test bei nur mittelbaren Eingriffen abzurücken und den Schutz der Religionsausübungsfreiheit auf direkte, unmittelbare Eingriffe zu beschränken. Keines der dargestellten schutzbereichsbegrenzenden oder -konkretisierenden Kriterien hat sich bislang jedenfalls durchsetzen können. Es erscheint insbesondere nicht sinnvoll, auf die subjektive Wirkung und Bedeutung einer religiösen Handlung für den Einzelnen abzustellen. Hierdurch droht die Gefahr, daß plötzlich solche religiöse Praktiken vom Schutz ausgeschlossen werden, die nach allgemeiner Auffassung eigentlich völlig unproblematisch als Religionsausübung angesehen werden, nur weil sie persönlich nicht als "zwingend" oder als "zentral" empfunden werden. Gleichzeitig besteht hier die Gefahr einer völlig uneinheitlichen Rechtsprechung. Ein bestimmtes Verhalten mag für den einen zwingend, für den anderen nur motivierend sein. Hier drohen folgerichtig bei identischer objektiver Ausgangslage verschiedene Ergebnisse. Es gibt etwa auch keinen Grund, den Schutz der free exercise clause nur auf - subjektiv oder objektiv - zentrale Handlungen zu beschränken,845 weil den Antragsteller auch Verletzungen nur peripherer Bereiche der Religionsfreiheit unzumutbar belasten können. Praktikabilität wird mit einem solchen Verfahren auch schon deshalb nicht hinzugewonnen, weil dem Antragsteller die Behauptung, eine bestimmte Glaubensausübung sei zentral für seinen Glauben, kaum zu widerlegen sein wird846 - vor allem dann, wenn das Handeln nach Vorgabe der Religionsgemeinschaft nicht zur Bedingung gemacht wird. Einen allgemeinen Schutz gewissens geleiteter Entscheidungen durch die free exercise clause gibt es in den USA nach dem eindeutigen Wortlaut der Verfassung nicht, zumal die Unterscheidung zwischen "religiös" und "nicht religiös" bis heute nicht offiziell aufgegeben wurde. Neben politischen, wirtschaftlichen oder gar kriminellen Interessen sind daher jedenfalls in der Theorie auch allgemeine philosophische oder weltanschauliche Vorstellungen und die daraus resultierenden Handlungen nicht von der free exercise clause gewährleistet. Ein Schutz müßte hier gegebenenfalls durch andere Verfassungsbestimmungen, insbesondere die free speech clause, in Betracht kommen. 847 Allerdings sind die bisherigen Entscheidungen des Supreme Court so zu deuten, daß der Schutz der free 845 Seeger bemerkt hierzu, daß der RFRA beispielsweise eine solche Einschränkung ausdrücklich nicht vorsah, vgl. Seeger, in: Michigan Law Review 95 (1997), 1472, 1482 ff. 846 Dorf, in: Harvard Law Review 109 (1996), 1175, 1216. Dies gilt umso mehr, als sich die Beurteilung einer Religionsgemeinschaft, was die zentralen Aspekte ihres Glaubens sind, immer wieder ändern kann. Die offizielle Lehre einer Religionsgemeinschaft repräsentiert bestenfalls die überwiegende Meinung; sie kann aber nicht jedem einzelnen Gläubigen oder jeder angegliederten Gemeinde zugeschrieben werden. Laycock, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373, 1391. 847 Vgl. hierzu auch Brugger, Grundrechte, S. 298 ff.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
exercise c1ause über die offenkundig religiösen Handlungen hinaus auch auf Verhalten zu erstrecken ist, das diesen Handlungen zumindest in der Wirkung gleichkommt. Daraus resultiert ein in der Praxis recht umfassender Schutz der Gewissensentscheidungen. 848 3. Kollektive Religionsfreiheit Neben den bereits dargestellten historischen Grundlagen 849 sind es in erster Linie teleologische Gesichtspunkte, die verdeutlichen, daß die free exercise c1ause nicht nur die einzelnen Gläubigen, sondern auch die Religionsgemeinschaften in ihrer Gesamtheit schützt, und zwar sowohl in ihren internen als grundsätzlich auch in ihren externen Angelegenheiten. Gläubige üben ihren Glauben im Rahmen von Religionsgemeinschaften aus; die Gemeinschaft bildet den Glauben des Einzelnen aus und entwickelt ihn fort. Aus dem Grund muß auch die kollektive Religionsfreiheit geschützt werden. 85o Gerade wenn unsere Sorge der religiösen Freiheit des Einzelnen gilt, dann sollte erkannt werden, daß die meisten einzelnen Gläubigen in ihrer religiösen Gruppierung verankert sind. Durch den Schutz der Gemeinschaft werden auch die Einzelnen zufriedengestellt. 851 Nach Glendonl Yanes wird in der Literatur immer wieder zu einseitig betont, daß die Bill of Rights zum Wohl der Minderheiten geschaffen wurde. Ein noch älteres und genauso wichtiges Prinzip amerikanischer Verfassungsgeschichte sei der Schutz der Mehrheiten ("the people") vor zentralisierter und nicht repräsentativer Kontrolle gewesen. 852 Die Bill of Rights stünde für wichtige demokratische Themen; so bezweckte sie zum Zeitpunkt ihrer Ausarbeitung gerade auch den Schutz der bestehenden Gruppierungen und Gemeinschaften wie Kirchen, Milizen und Geschworenen, die allesamt der Stärkung des Gemeinwesens dienten. Sie sollten organisatorische Strukturen nicht schwächen, sondern stärken; sie sollten populäre Mehrheiten nicht behindern, sondern sie ermächtigen. 853 Die Bürger sollten nicht nur in ihren individuellen Glaubens- und Verhaltensweisen geschützt werden, sondern auch in den Gemeinschaften und Institutionen, in denen diese Vorstellungen und Handlungen erzeugt, gefördert, wiederbelebt und übertragen wurden. 854 Deshalb könne die individuelle Religionsfreiheit nicht ohne ihren 848 Vgl. Thüsing, in: Gedächtnisschrift für Hartmut Krüger, 351, 360 f.: "Damit wurden rein säkulare Überzeugungen funktionell religiösen Überzeugungen gleichgestellt, aus Glaubensfreiheit wurde Gewissensfreiheit." 849 Vgl. 4. Teil, § 211 4 c) bb). 850 Laycock, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373, 1389. 851 Garvey, in: Notre Dame Journal ofLaw, Ethics & Public Policy 4 (1990), 567, 574. 852 Amar, in: 100 Yale Law Journal 1131, 1136 (1991); Glendon/Yanes, in: Michigan Law Review 90 (1991), 477, 542. 853 Amar, in: 100 Yale Law Journal 1131, 1132 (1991). 854 Glendon/Yanes, in: Michigan Law Review 90 (1991), 477, 543.
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notwendigen Gruppenbezug gesehen werden. 855 Vereinigungsrechte seien schließlich auch in anderen konstitutionellen Bereichen anerkannt. 856 In erster Linie gewährleistet die free exercise c1ause die innere Organisation der Kirche. 857 Geschützt ist das Interesse der Kirchen, ihre eigenen Angelegenheiten fernab von staatlicher Einflußnahme zu regeln. 858 Als innerkirchliche Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften in diesem Sinne gelten etwa die Aufnahme und der Ausschluß von Mitgliedern, die Wahl oder die Entlassung der Geistlichen, Fragen der Doktrin,859 die Lösung interner Streitigkeiten, etwa mit den eigenen Angestellten,860 und das Betreiben der eigenen Institutionen. 861 Diese Angelegenheiten sind vor dem Hintergrund zu würdigen, daß sich jemand freiwillig einer Gemeinschaft angeschlossen und deren Regeln unterworfen hat. 862 Schon aus diesem Grunde muß sich der Staat hier zurückhalten. Wenn sich der Staat in die kirchliche Autonomie, speziell in die Verteilung von Kompetenzen und Einfluß innerhalb der Kirche einmischen kann, dann greift er in den Entwicklungsprozeß der Religion selbst ein; er verändert damit möglicherweise das zukünftige Gesicht der Religion. 863 Teilweise wird vertreten, daß das Recht auf Autonomie "logischerweise" alle Aspekte kirchlicher Handlungen umfasse. 864 Es gebe keine Anzeichen in der Rechtsprechung, daß der Supreme Court dies anders sehe. Das Gericht habe das Recht immer so weit wie nötig ausgedehnt, um die Fälle, mit denen er befaßt war, auch nach der free exercise c1ause entscheiden zu können. 865 Tatsächlich hat der Supreme Court das Recht auf kirchliche Autonomie bislang recht umfassend geschützt, etwa wenn es um kirchliches Eigentum, kirchliche Organisation und die Berechtigung zu kirchlichen Ämtern ging. 866 Ursprünglich sprach er den Gerichten einmal das Recht zu, kirchliche Entscheidungen auf "Schwindel, geheime Absprache und Willkür" überprüfen zu können,867 aber als sich der IlIinois Supreme Court später auf diese Entscheidung berief, wurde dessen Entscheidung Glendon/Yanes, in: Miehigan Law Review 90 (1991), 477, 544. Glendon I Yanes, in: Miehigan Law Review 90 (1991), 477, 545. 857 Greenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753, 788 ff.; Seheuner, in: DÖV 1967,585,591. 858 Layeoek, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373. 859 Kauper/Ellis, in: Michigan Law Review 71 (1973), 1499, 1567. 860 Greenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753, 788. 861 Layeoek, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373, 1389. 862 Garvey, in: Notre Dame Journal ofLaw, Ethics & Publie Poliey 4 (1990),567,572. 863 Layeoek, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373, 1391. 864 Layeoek, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373, 1398. 865 Layeoek, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373, 1397. 866 Vgl. etwa Serbian E. Orthodox Dioeese v. Milivojevich, 426 V.S. 696 (1976); Jones v. Wolf, 443 V.S. 595 (1979); Presbyterian Chureh v. Mary Elizabeth Blue Hull Memorial Presbyterian Chureh, 393 V.S. 440 (1969). 867 Gonzalez v. Roman Catholie Arehbishop, 280 V.S. 1, 16 (1929). 855
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
unverzüglich aufgehoben und Ausnahmen von der kirchlichen Autonomie abgelehnt. 868 Der Schutz der free exercise c1ause wäre aber überdehnt, wenn wirklich alle Handlungen, die eine Religionsgemeinschaft vornimmt, uneingeschränkt geschützt würden. Bei Handlungen mit Außenbezug tritt die Religionsgemeinschaft jedenfalls mit Außenstehenden in Kontakt, die nicht in die Autorität der Religionsgemeinschaft eingewilligt haben. Daher kann hier nicht mehr von internen Angelegenheiten gesprochen werden, das Recht auf kirchliche Autonomie ist hier nicht mehr betroffen. 869 Vielmehr wird dann grundsätzlich eine Einzelfallprüfung vorzunehmen sein, ob die Gemeinschaft in concreto eine religiöse Tätigkeit ausübt. 870 Auch dabei halten Rechtsprechung und Literatur in den USA eine sehr weite Auslegung jedoch für angezeigt. Politische Betätigung von Religionsgemeinschaften beispielsweise genieße eine lange und reiche Tradition in den USA. 871 Daher stehe den Religionsgemeinschaften ein Verfassungsrecht auf Teilnahme an der politischen Diskussion zu; das leidenschaftliche Vertreten legaler und konstitutioneller Positionen sei Kirchen genauso vorbehalten wie säkularen Gemeinschaften oder privaten Bürgern. 872 Auch wirtschaftliche Betätigung der Religionsgemeinschaften unterfalle grundsätzlich dem Schutz der free exercise c1ause. Selbst Tätigkeiten mit vorwiegend wirtschaftlichem Charakter könnten nämlich de facto der religiösen Missionierung dienen, wie etwa das Betreiben von kirchlichen Krankenhäusern auf gemeinnütziger Basis beweise. 873 Im extremen Falle könne ein solches Geschäft eine bloße Kapitalanlage darstellen, in deren Rahmen den Angestellten möglicherweise nicht einmal bewußt sei, daß sie für eine Kirche arbeiteten. Trotzdem liege auch hier eine religiöse Aktivität vor, da die Mittel letztendlich der Kirche zugeführt würden. 874 Da aber selbst die kultischen Handlungen nicht unbegrenzten Schutz genießen, ist eine Einschränkung der wirtschaftlichen Aktivitäten mindestens ebenso notwendig. Ob man mit einer Mindermeinung in diesem Zusammenhang darauf abstellt, daß Religionsgemeinschaften keinen Schutz nach der free exercise c1ause in Anspruch nehmen dürfen, wenn die in Rede stehende Tätigkeit nichts mehr mit Serbian E. Orthodox Diocese v. Milivojevich, 426 V.S. 696, 712 ff. (1976). Laycock, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373, 1406. 870 A.A. Ivers, in: Journal of Church and State 32 (1990), 775, nach dem die Verfasung keine Beschränkungen der Angelegenheiten der organisierten Religion enthalte. In diesem Sinne auch Laycock. demzufolge jede Aktivität, an der die Kirche als ein Organ teilnehme, eine Religionsausübung sei. Laycock, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373, 1390. 871 Ivers, in: Journal ofChurch and State 32 (1990), 775, 777. 872 Vgl. Marshali, in: 63 Law & Conternp. Prob. 453, 454 ff. (2000), der die politische Kraft der Religion in der amerikanischen Gesellschaft beschreibt. 873 Laycock, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373, 1410. 874 Laycock, in: Columbia Law Review 81 (1981), 1373, 1410. Zumindest geht Laycock aber davon aus, daß eine solche Tätigkeit nicht so "zwingend" sei, was dafür spricht, daß sie im Ergebnis vom Gesetzgeber leichter einzuschränken sein wird. 868 869
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religiöse Zwecken zu tun hat,875 oder im Rahmen von wichtigen kollidierenden staatlichen Regelungsinteressen die wirtschaftliche Tätigkeit zurücktritt, sei dahingestellt. Feststehen dürfte jedenfalls, daß der spezielle Charakter der ausgeübten Tätigkeit im Rahmen der compelling state interest test-Abwägung besonders zu berücksichtigen ist. Verfolgt eine Gruppe vorwiegend wirtschaftliche Ziele, so genießt sie auch nach der D.S. Constitution keinen Schutz. 876
4. Schranken Die Schranken der Religionsfreiheit ergeben sich aus den Erfordernissen des compelling interest tests. Während die Glaubensfreiheit nach allgemeiner Meinung uneingeschränkt garantiert wird, kann die Religionsausübungsfreiheit im Einzelfall durch "zwingende" staatliche Interessen beeinträchtigt werden, wenn das eingreifende Gesetz sich nicht direkt gegen die Religion wendet und deren Zweck im konkreten Fall als vorzugswürdig erachtet wird. Allerdings ist der Gesetzgeber angehalten, das wichtige Regelungsinteresse in aller Ausführlichkeit darzulegen. 877 Übertrieben weite Formulierungen wie das staatliche Interesse auf "providing education" oder "preventing discrimination" reichen dabei nicht aus. 878 Ansonsten wäre die Entscheidung zu Lasten der Religionsfreiheit bereits getroffen, bevor die eigentliche Abwägung überhaupt begonnen hat. 879 Die Ziele sollen zudem realistisch und erreichbar sein. Im Sinne der historischen Auslegung sind vor allem solche staatliche Handlungen legitim, die bezwecken, den Staat vor einer Existenzbedrohung zu bewahren, den öffentlichen Frieden, Sicherheit und die öffentliche Ordnung zu sichern und die Freiheit Anderer zu schützen. 88o Nach der bisherigen Rechtsprechung des Supreme Court muß das staatliche Interesse zur Einschränkung der Religionsfreiheit "compelling", "of the highest order", "overriding" oder "unusually important" sein. 88l Darunter werden auch die Strafgesetze fallen. Als unzulässig sind dagegen wohl Regelungsabsichten anzusehen, die darauf hinausGreenawalt, in: California Law Review 72 (1984), 753, 789. Vgl. Thüsing, in: ZevKR 45 (2000),592,604. 877 Die Maßnahmen dürfen nicht diskriminierend sein, müssen aber eng abgesteckt und präzise angewendet werden. Witt, Guide to the V.S. Supreme Court, S. 450. Verfolgt werden damit Ziele, wie sie im deutschen Verfassungsrecht etwa für das Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG typisch sind. Der Gesetzgeber soll in dem grundrechtseinschränkenden Gesetz Rechenschaft über die Regelungsabsicht ablegen und dadurch zu erkennen geben, daß mit dem Gesetz Grundrechtsbeeinträchtigungen drohen. 878 V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 60. 879 Fried, in: 76 Harvard Law Review 755, 763 (1963). 880 V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 61 f. Vgl. auch Curry, The first freedoms, S. 219,222: " ... as long as it did not break out into overt acts against peace and order." Dieser Satz geht auf Thomas lefferson zurück. 881 Vgl. Goldman v. Weinberger, 475 V.S. 503, 529 f. (1986), Justice Q'Connor, dis senting. 875
876
314
4. Teil: Die Religionsfreiheit
laufen, die "öffentliche Moral" oder die "Förderung des allgemeinen Wohls" zu schützen. Diese Ziele sind so allgemein und vage, daß der Staat sie eigenmächtig ausfüllen könnte; dem Schutz der Individualrechte ist damit nicht gedient. 882 5. Ergebnis Auch die teleologische Auslegung legt nahe, daß die free exercise clause nicht nur vor zielgerichteten Eingriffen gegen die Religionsfreiheit schützt, sondern auch vor bloß mittelbaren. Die neuere Rechtsprechung des Supreme Court geht fehl, wenn sie die individuelle und kollektive Religionsfreiheit, die von der free exercise clause ebenso gewährleistet wird, auf den Schutz vor direkten, zielgerichteten gesetzlichen Eingriffen beschränkt. Jeder Eingriff in die Religionsausübung muß sich an dem sogenannten compelling interest test messen lassen, nicht nur die zielgerichteten. Der Staat muß dabei aufzeigen, daß er mit der gesetzlichen Regelung, die zu der Beeinträchtigung der Religion führt, besonders wichtige Gemeinschaftsgüter zu schützen gedenkt.
v. Gesamtergebnis Während die free exercise clause nach allgemeiner Auffassung das forum internum uneingeschränkt schützt, soll die Gewissensfreiheit - entsprechend dem Wortlaut der Norm - diesen Schutz gar nicht beanspruchen dürfen. Gewissensgeleitete Entscheidungen sollen nur dann von dem Schutzbereich der free exercise clause umfaßt sein, wenn diese religiös motiviert sind. Allerdings hat der Supreme Court den Begriff der "Religion" in der Vergangenheit so extensiv interpretiert, daß die Garantie der Gewissensfreiheit de facto in dem Schutz der free exercise clause aufgeht. Im Hinblick auf den Schutz des forum externums besteht Uneinigkeit. Obwohl der Supreme Court nicht einmal den Schutzbereich der free exercise clause berührt sieht, wenn der Eingriff aufgrund eines allgemeinen Gesetzes erfolgt, legen sowohl Text, Geschichte, Systematik und Telos der Norm nahe, daß sich der Schutz der free exercise clause auch auf Eingriffe aufgrund neutraler Gesetze erstreckt. Richtigerweise bedarf jeder Eingriff in die Religionsfreiheit einer gesetzlichen Ermächtigung und eines staatlichen Regelungsinteresses zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes, was der Religionsfreiheit im Einzelfall vorgeht. Der Schutz der Religionsfreiheit wird vor allem begrenzt durch die establishment clause, die den Staat davon abhält, eine offizielle Religion zu gründen oder eine bestehende zu bevorzugen. Darüber hinaus können sich grundsätzlich auch neue Religionsgemeinschaften auf die free exercise clause berufen, weil nunmehr auch 882
D.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 67.
§ 2 VSA
315
der Supreme Court die Frage, was unter "Religion" zu verstehen ist, vornehmlich aus subjektiver Perspektive, das heißt aus Sicht der Antragsteller, beurteilt. Etwas anderes gilt lediglich für den Fall, daß die Religion nur als Vorwand benutzt wird, um in Wahrheit ein ganz anderes Ziel verfolgen zu können.
VI. Abschließende Bemerkungen zur methodischen Vorgehensweise von Supreme Court und Literatur 1. Supreme Court
Bis zur Smith-Entscheidung war die Rechtsprechung des Supreme Court in dem Bereich der Religionsfreiheit von großer prüfungstechnischer und methodologischer Inkonsequenz geprägt. Wie Greenawalt einmal zutreffend ausführte, gelänge es keinem Wissenschaftler, der die Rechtsprechung des Supreme Court in diesem Bereich studiert und analysiert, ein bevorzugtes und gängig angewandtes Prüfungsschema des Gerichts zu formulieren. 883 Es gab zwar grobe Leitlinien, wie den compelling interest test; diese wurden jedoch nicht einheitlich angewandt,884 so daß deren Umsetzung auch nicht den Eindruck durchgängiger Konsistenz hat vermitteln können. 885 Das Gericht hat vor allem den compelling state interest test immer wieder selbst geschwächt. Entweder gestand es staatlichen Zielen von nur mäßigem Gewicht "zwingenden" Status ein und schenkte möglichen Alternativen kaum Augenmerk. Oder es beschloß, dem Test schlichtweg auszuweichen und ihn nicht anzuwenden. Teilweise sprach der Supreme Court auch dem Antragsteller die Betroffenheit ab, indem er befand, daß die konkrete Erschwernis kein "prohibiting" sei. 886 In methodologischer Hinsicht fiel im Bereich der free exercise c1ause besonders die Vernachlässigung der Entstehungsgeschichte durch die Rechtsprechung auf, ganz im Gegensatz zu der Auslegung der establishment c1ause, deren Berechtigung immer wieder mit detaillierten Ausführungen zu der Historie zu begründen versucht wurde. 887 Argumentiert wurde hauptsächlich mit dem Sinn und Zweck der Norm, der einen bestimmten Aspekt der Religion entweder umfasse oder nicht umfasse,888 und eher selten systematisch, wenn der Supreme Court etwa darauf einging, warum in der Gewährung eines free exercise-Begehrens keine Verletzung anderer Verfassungs bestimmungen zu sehen sei. 889 883 884 885 886 887 888 889
Greenawalt, in: The Supreme Court Review 1995,323. Witt, Guide to the V.S. Supreme Court, S. 449. Brugger, Öffentliches Recht, S. 149. Greenawalt, in: The Supreme Court Review 1995,323,331 ff. McConnell, in: Harvard Law Review 103 (1990), 1409, 1413. Vgl. etwa Wisconsin v. Yoder, 406 V.S. 205 ff. (1971). Vgl. etwa Sherbert v. Verner, 374 V.S. 398,409 ff. (1963).
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
Nunmehr hat das Gericht durch seinen Wandel in der Rechtsprechung ein einfaches, schlüssiges Prüfungs schema formuliert, das eine einheitliche und stringente Beurteilung der zukünftigen free exercise c1ause-Begehren erlauben würde. 89o Die Grundsätze der Smith-Entscheidung basieren jedoch nicht auf einer sicheren methodischen Grundlage, so daß die Fortdauer der dort aufgestellten Prinzipien bereits aus diesem Grunde fraglich ist. Neben einem kurzen Hinweis auf den Wortlaut der Norm 891 fußt die Begründung für die Ablehnung des compelling interest tests und die Feststellung, daß die free exercise c1ause keinen Schutz vor allgemeinen Gesetzen bietet, allein auf eher allgemeinen und wenig überzeugenden teleologischen Erwägungen. Der Supreme Court äußert dabei in erster Linie die Sorge, daß der Schutz auch vor Eingriffen durch allgemeine Gesetze zur Folge hätte, daß die religiöse Motivation des Einzelnen über die Befugnisse des Staates gestellt würde892 und ein Zustand der Anarchie drohe, wenn ein staatliches Regelungsinteresse einmal nicht "of the highest order" sei. 893 Neben dem Umstand, daß diese Befürchtung reichlich übertrieben ist, verkennt der Supreme Court hier vor allem, daß ihr auch mit weitaus milderen Mitteln begegnet werden kann und keine Veranlassung besteht, allgemeinen Gesetzen einen generellen Vorrang einzuräumen. Ansonsten beschränkt sich die Argumentation des Gerichts in Smith ganz im Sinne der common-law-method of distinguishing cases darauf, aufzuzeigen, inwiefern sich die Konstellation des Falles von denjenigen, in denen der compelling interest test angewandt wurde, unterscheidet - was freilich meist mißlingt. Diese Diskussion orientiert sich nicht an methodischen Vorgaben und erscheint zudem losgelöst von der free exercise c1ause selbst. Gerade die historische Interpretation, sonst stets das "Allheilmittel" des Gerichts, bleibt in Smith völlig unberücksichtigt. Der Supreme Court stützt seine Aussagen nicht mit einem Wort auf den geschichtlichen Ursprung der Ausübungsklausel - möglicherweise aufgrund der Einsicht, daß dieser Rekurs dem eigenen Ergebnis nicht dienlich sein würde, wie etwa die umfangreiche geschichtliche Untersuchung von Justice 0 'Connor im Rahmen der City of Boeme-Entscheidung verdeutlicht. 894 Wie Valencia zu Recht in diesem Zusammenhang betont,895 war 890 Wegen seiner Auslegung der establishment clause wird der Supreme Court allerdings immer noch Probleme haben, die bei den Klauseln miteinander zu harmonieren. 891 "It is a permissible reading of the text [ ... ] to say that if prohibiting the exercise of religion is not the object of the tax but merely the incidental effect of a generally applicable and otherwise valid provision, the First Amendment has not been offended." Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 V.S. 872, 878 (1990). 892 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 V.S. 872, 879 (1990). 893 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 V.S. 872, 888 (1990). 894 Vgl. City of Boeme v. P.F. Flores, Archbishop of San Antonio, 117 S.Ct. 2157,2178 ff. (1997) (Justice O'Connor, dissenting). 895 Valencia, in: SMV Law Review 49 (1996),1579,1619.
§2 USA
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das Gericht in einem ähnlich gelagerten Fall noch anders vorgegangen und prompt zu einem anderen Ergebnis gelangt. 896 Diese unzureichende methodische Auseinandersetzung wiegt gerade in Smith so schwer, weil die Rechtsprechung hier einen sehr nachhaltigen doktrinären Schwenk vollzieht, den der Supreme Court auch noch zu verschleiern versucht, indem er schlicht behauptet, seine bis dahin geltenden Grundsätze seien bei allgemeinen Gesetzen nicht anwendbar, anstatt ihn argumentativ zu verteidigen und ihn auf eine sichere methodische Grundlage zu stellen.
2. Literatur Die wissenschaftliche Diskussion hinsichtlich Inhalt und Ausmaß der free exercise clause drehte sich in den letzten Jahrzehnten vorwiegend um den compelling interest test, dessen Anwendung von dem Großteil der US-amerikanischen Literatur befürwortet wurde, obgleich innerhalb der Literatur Uneinigkeit in der Beurteilung der Ergebnisse und der Vorgehensweise des Supreme Court bestand und weiter besteht. 897 Methodisch kommt der historischen Auslegung auch bei der Untersuchung der free exercise clause seitens der Literatur die größte Bedeutung zu. Ihre Vertreter machen den "framers' intent" oft zum Ansatzpunkt der Überlegungen, bevor davon ausgehend ein eigener Ansatz zur Lösung der religionsrechtlichen Problematik entwickelt wird, der - nach eigenem Verständnis - "einem modemen Verständnis von Religion und seinem Platz in der Gesellschaft" gerecht werden soll. 898 Die eigentlich unübersichtliche Vielfalt der Veröffentlichungen zu dem Thema verbietet aber weitgehende Verallgemeinerungen. So räumt etwa Choper der Historie keinen großen Stellenwert ein, weil die Geschichte der free exercise clause zu spärlich, oder zu unbestimmt, und damit wenig hilfreich sei. 899 Ähnliche Überlegungen finden sich zum Wortlaut, dessen Rolle bei der Auslegung der Norm teilweise explizit abgewertet wird: "If to accomplish the purposes of the religion clauses in a modem setting we need a different concept of religion for each clause, some straining of textual language is an acceptable cost. ,,900 An anderer Stelle wiederum gilt der Wortlaut als äußerste Grenze der Interpretation: "Taking the Constitution seriously requires that we start from the proposition that the Constitution is law. Its language is not precatory, aspirational, or merely descriptive of ethical or moral guidelines. [ ... ] Once we accept this premise, discussion of its meaning must begin by examining its language, just as we do with other forms of law. ,,901 896 897 898 899
900 901
Lee v. Weisman, 505 U.S. 577 (1992). Vgl. Greenawalt, in: The Supreme Court Review 1995,323,324. Greenawa1t, in: California Law Review 72 (1984), 753, 769. Choper, in: 41 University of Pittsburgh Law Review 673, 674 ff. (1980). GreenaWalt, in: California Law Review 72 (1984), 753, 758. U.S. Department of Justice, Re1igious Liberty, S. 11.
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4. Teil: Die Religionsfreiheit
Grundsätzlich gibt es wohl kein Argument, das etwa klassisch für die Diskussion über die Religionsfreiheit in Deutschland wäre und nicht auch von Seiten der USamerikanischen Literatur ausführlich diskutiert würde. Einige Werke sind aus methodischer Sicht geradezu vorbildlich. Die von dem US-amerikanischen Justizministerium etwa herausgegebene Monographie zur Religionsfreiheit in den USA würdigt alle bekannten methodischen Aspekte umfassend. 902 Das Bemühen um erschöpfende Diskussion der methodischen Wegweiser kommt aber auch in anderen Arbeiten zum Ausdruck. 903 Glendon / Yanes etwa formulieren: ,,[ ... ] the careful interpretive process [ ... ] that would commence, in the usual way, with a consideration of the textual passage as a whole, in the light of its history, purposes, and its relation to other parts of the Bill of Rights".904 Wohl kein deutscher Verfassungsjurist würde behaupten, sich in dieser Aussage nicht wiederfinden zu können. Wünschenswert wäre eine Befolgung dieser Grundsätze zukünftig aber auch durch den Supreme Court.
902 Vgl. etwa V.S. Department of Justice, Religious Liberty, S. 43: "The response to this first criticism is that it is appropriate to treat religion differently under certain circumstances because the text, history, and purposes of the First Amendment suggest that religion is differ-
ent."
903 Vgl. etwa Lupu, in: Harvard Law Review 102 (1989), 933 (Einleitung): "Prof. Lupu defends this approach on historicaJ, methodological, and structural grounds." 904 Glendon/Yanes, in: Michigan Law Review 90 (1991), 477, 540.
Fünfter Teil
Vergleichende Schluß betrachtung Die Untersuchung der staatskirchenrechtlichen Systeme und der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Religionsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland und den USA hat die Behauptung Schlaichs bestätigt, daß der deutsche Beobachter in der amerikanischen Literatur nur wenig finde, was die üblich gewordene, schlagwortartige Entgegensetzung der amerikanischen und der deutschen Rechtslage rechtfertige.' Die staatskirchenrechtlichen Systeme unterscheiden sich lediglich geringfügig, während die Religionsfreiheit in Deutschland - entgegen der weit verbreiteten öffentlichen Meinung - sogar weiter reicht als in den USA. Im Hinblick auf die Methodik der Verfassungsinterpretation unterscheidet sich die Auslegungspraxis der USA vor allem durch die beispiellose Präzedenzwirkung, die die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung des U.S. Supreme Court in allen Bereichen des Verfassungsrechts entfaltet, und die vorrangige Bedeutung, die der historischen Interpretation generell eingeräumt wird. Bei der Ermittlung des Inhalts einer Verfassungsnorm werden die Urteile des Supreme Court nicht bloß argumentativ hinzugezogen, sie werden als unmittelbar geltendes Recht behandelt. Gefragt wird zunächst nicht danach, was Text, Historie, Systematik und Telos nahelegen, sondern in erster Linie danach, was der Supreme Court über diese Norm gesagt hat. Dies hat vor allem mit der common law-Tradition des amerikanischen Rechts zu tun. Aber auch die Tatsache, daß die U.S. Constitution insgesamt nur aus sieben Artikeln sowie 27 Zusatzartikeln besteht, trägt dazu bei, daß der richterlichen Rechtsfortbildung zwangsläufig eine weitaus größere Rolle zukommt als in Deutschland. Zwar geht von dem Wortlaut auch der Bestimmungen des Grundgesetzes oft kaum mehr als Indizwirkung aus. Gerade der Blick auf die Ausgestaltung der Religionsfreiheit zeigt aber, daß viele Freiheitsverbürgungen an anderer Stelle, auch außerhalb des ersten Abschnitts des Grundgesetzes, ergänzt und konkretisiert werden. Systematische Erkenntnisse in bezug auf den Inhalt der noch vageren Formulierungen der amerikanischen Verfassung sind dagegen eher selten. Die rechtsetzende Tätigkeit der Gerichte ist in den USA daher von noch größerer Notwendigkeit als hierzulande. Dies gilt auch und vor allem im Bereich der Religionsfreiheit. 1 Schlaich, Neutralität, S. 152; vgl. auch von Campenhausen. Staatskirchenrecht, S. 397 Fn. 32, der die Formulierung Schlaichs aufgreift.
320
5. Teil: Vergleichende Schlußbetrachtung
Ferner wird die Verfassungsinterpretation in den USA von der historischen Auslegung dominiert, während das Bundesverfassungsgericht bislang keine Vorliebe für eine bestimmte Auslegungsmethode hat erkennen lassen. Die Erforschung des Willens der Verfassungsväter ist in den USA als erster Interpretationsschritt in der Regel obligatorisch. Allerdings hat die Untersuchung gezeigt, daß gerade der Supreme Court, der sich im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht ohnehin nie zu seiner Methodik geäußert hat, auch auf die historische Interpretation ganz verzichtet, wenn diese seine Auffassung im konkreten Fall nicht stützen, ja möglicherweise sogar widerlegen würde. Dies hat ihm oftmals Kritik eingebracht, deren Schärfe und Ausmaß im Hinblick auf das Ansehen, das das Gericht nach wie vor genießt, den deutschen Beobachter überrascht. Die Kritik an der neuen Rechtsprechung des Supreme Court zur free exercise clause ist dafür beispielhaft. Auch hier hat es das Gericht unterlassen, die Entstehungsgeschichte der Norm zu bemühen. Stattdessen hat es sich überwiegend auf teleologische Argumente verlassen. Ohnehin argumentieren Literatur und Supreme Court nicht ausschließlich auf der Basis von Präzedenzfällen und historischen Umständen, sondern verwenden durchaus auch die Argumente, die hierzulande dem "klassischen" Auslegungskanon zugerechnet werden. Dies vor allem hat es gerechtfertigt, dem Vergleich auf beiden Seiten die gleiche Methodik der Verfassungsinterpretation zugrunde zu legen. Am Ende der methodischen Betrachtung steht im Hinblick auf beide Staaten die Forderung nach einer weiteren Objektivierung des Prozesses der Verfasungsinterpretation. Verläßlichkeit und Vorhersehbarkeit ist am ehesten dadurch zu erreichen, daß nicht selektiv auf eine Interpretationsmethode zurückgegriffen, sondern der gesamte Kanon erschöpfend diskutiert wird. Sowohl in Deutschland als auch in den USA sieht die Verfassung ein System der Trennung von Staat und Kirche vor. Eine vollständige Trennung im Sinne strenger Bereichsscheidung war jedoch in beiden Staaten weder historisch gewollt, noch wäre sie realistisch durchsetzbar. Vielmehr ist die Entstehungsgeschichte beider Bestimmungen geprägt von Epochen religiöser Unterdrückung, die in beiden Ländern den Wunsch nach einem System weckte, in dem Staat und Kirche zusammen, aber unabhängig voneinander und in gegenseitiger Freiheit, agieren können. Die diesbezüglich geführten Debatten in den jeweiligen verfassungsgebenden Versammlungen waren von genau dieser Absicht bestimmt und führten zu Generalklauseln, die in ihrem Wortlaut miteinander vergleichbar sind. In Deutschland galt es jedoch, der Sonderstellung der beiden Großkirchen, das heißt der Katholiken und der Protestanten, gerecht zu werden. Man schuf direkt auf der Ebene der Verfassung ein System bloß grundsätzlicher Trennung, was dadurch aufgelockert wurde, daß man die bewährten Kirchen mit hoheitlichen Befugnissen ausstattete und ihnen den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft einräumte. Diese Art von Verbindung zwischen einer Religionsgemeinschaft und dem Staat ist dem US-amerikanischen Verfassungsrecht mangels einer dem Art. 140 GG i.Y.m. Art. 137 V WRV vergleichbaren Vorschrift fremd. Sie wäre auch rechtspolitisch nicht durchzusetzen:
5. Teil: Vergleichende Schlußbetrachtung
321
Zum einen ist der amerikanische Staat - jedenfalls in rechtlicher Hinsicht - nicht traditionell christlich geprägt, wie es für die Bundesrepublik kennzeichnend ist. Anders als in Amerika blieb das Christentum in Europa bis ins 20. Jahrhundert in den meisten Ländern staatskirchlich oder sonstwie konfessionell monopolistisch verfaßt. Dadurch wurde - und wird heute womöglich erst recht - die Zugehörigkeit zu einer Kirche, die als öffentlich-rechtliche Körperschaft für eine gewisse Verbundenheit mit dem Staat steht, tendenziell auch als freiheitsbeschränkendes Moment wahrgenommen. Auch darin ist einer der Gründe für die Zunahme der Kirchenaustritte zu sehen. In den Vereinigten Staaten dagegen setzte sich die Wahlfreiheit hinsichtlich eines bestimmten Bekenntnisses bereits früh durch. Dies führte nicht nur dazu, daß die Notwendigkeit einer freien Entscheidung für bestimmte weltanschauliche Orientierungen weit stärker in den kulturellen Selbstverständlichkeiten verankert ist als bei uns,2 sondern auch dazu, daß das Christentum in dem noch rechtjungen Staat der USA niemals diese Prägekraft entfalten konnte, wie es ihm in unserem Rechtskreis gelang. Während sich die Verfassung der Bundesrepublik daher folgerichtig für eine Förderung des christlichen Erbes entschieden hat, waren die USA von Beginn an ein aus religiöser Sicht pluralistischer Staat, dessen Besonderheit die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Religionsgemeinschaften war und ist. Zwar waren die damaligen Kolonialbewohner mehrheitlich protestantisch, aber eine hohe Anzahl der Siedler kam in die neuen Staaten, weil sie als Anhänger religiöser Minderheiten zu Hause verfolgt und geächtet wurden. Mit der schlichten Formel "Congress shall make no law respecting an establishment of religion" wurde demnach das Bedürfnis auf einen Nenner gebracht, die Vorzugsstellung einer oder mehrerer Religionsgemeinschaften zu verhindern. In Deutschland ist eine derartige staatliche Bevorzugung im Grundsatz zwar ebenso verboten, aber durch Art. 137 V WRV kommt es letztlich doch zu einer de facto-Privilegierung, die zwar zunehmend kritisiert wird, aus den genannten Gründen im Ergebnis aber zu akzeptieren ist. Zum anderen besteht in den USA die Auffassung, daß es zur Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften unbedingt erforderlich ist, daß sie für die Finanzierung ihrer Aktivitäten selbst Sorge zu tragen haben? Zwar ist dieser Ansicht insofern zuzustimmen, als die Möglichkeit der Erhebung von Steuern die Gefahr in sich birgt, daß einerseits die privilegierten Kirchen einer größeren Einflußnahme durch den Staat ausgesetzt sind und andererseits die Religionsgemeinschaften, die nicht Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, benachteiligt werden könnten. Gerade unter dem Blickwinkel der Unabhängigkeit erscheint es allerdings bedenklicher, daß eine Religionsgemeinschaft sich gegebenenfalls populistisch verhalten und von Traditionen und möglicherweise sogar Glaubensinhalten abrücken muß, um die Menschen nicht nur zum Kirchgang zu bewegen, sondern darüber hinaus auch zur finanziellen Unterstützung. Hier besteht die Gefahr, gegenüber potenten privaten Geldgebern und Sponsoren in Abhängigkeiten zu geraten. 2 3
Kaufmann, Wie überlebt das Christentum, S. 118. Siehe nur Swomley, Religious Liberty, S. 53 f.
21 Fülbier
322
5. Teil: Vergleichende Schlußbetrachtung
Im Ergebnis geht damit die Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften in den USA weiter. Insbesondere nach der neuen Rechtsprechung des Supreme Court, die verstärkt auf ein Prinzip der "neutralen" Behandlung von religiösen Gruppierungen im Vergleich zu säkularen Gemeinschaften abstellt, hat sich die Verfassungswirklichkeit der bei den Staaten im Hinblick auf das staatskirchenrechtliche System aber weiter angenähert. 4 Da sich der Supreme Court dadurch nämlich zugleich - jedenfalls in dem Bereich staatlicher Leistungen - von dem strengen Trennungsprinzip weiter entfernt hat, ist zumindest gewährleistet, daß Religionsgemeinschaften gegenüber nichtreligiösen Gruppen nun nicht mehr benachteiligt werden. Die den Körperschaften des öffentlichen Rechts und insbesondere den beiden Großkirchen in Deutschland zukommenden Privilegien, wie etwa die Teilnahme an den Rundfunkräten öffentlicher Sender oder die Erteilung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, sind nach amerikanischem Verfassungsrecht aber weiterhin nicht zulässig. Hier würde man in den USA davon sprechen, daß unzulässigerweise kein säkulares Ziel verfolgt würde. Wenn einer Religionsgemeinschaft eine derartige Beteiligung eingeräumt würde, dann hätten darüber hinaus die anderen Religionsgemeinschaften Gleichbehandlungsansprüche aus den Religionsklauseln. Es erscheint überaus zweifelhaft, ob ein System der strikten Trennung im Sinne völliger Bereichsscheidung von Staat und Kirche überhaupt realisierbar ist in einem modemen Wohlfahrtsstaat, der den Anspruch hat, nicht "nur" liberaler Rechtsstaat zu sein, sondern auch die unterstützen will, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Mit zunehmender Ausweitung des staatlichen Aufgabensektors und der daraus resultierenden Durchdringung von Staat und Gesellschaft läßt sich auch eine absolute Trennung immer weniger durchhalten, ohne daß gesellschaftlicher Freiraum in materielle Ungleichheit umzuschlagen droht. 5 Der Staat agiert gerade als Sozialstaat, indem er soziale, der Gesellschaft insgesamt zugute kommende Tätigkeiten, etwa solcher karitativer Art, unterstützt. Lediglich den Kirchen diese Unterstützung unter Hinweis auf eine angestrebte Trennung von Staat und Kirche versagen zu wollen, wäre nicht vereinbar mit der staatlichen Zielvorstellung, ein Mindestmaß an materieller Gleichheit auf möglichst breiter Basis herzustellen. Diesem Umstand trägt auch der U.S. Supreme Court mit seiner fortschreitenden Abkehr vom strengen Trennungsprinzip Rechnung, weil sich dieses in der Konsequenz als grundrechtsgefährdend erweist. Auch andere Staaten, deren Rechtsord4 Unhaltbar ist daher die These von Herz/ Jetzlsperger, daß die "Entwicklungen diesseits und jenseits des Atlantiks entgegengesetzt" verlaufen. Vgl. Herz/Jetzlsperger, in: Höver (Hrsg.), Religion und Menschenrechte, 73, 93. 5 Link bemerkt zu Recht, daß es undenkbar sei, staatliche Subventionen für alle möglichen sozialen Aktivitäten zu vergeben, aber nicht für religiös motivierte. Link, in: FS für Thieme, 95, 105. Nach Hollerbach ist es gerade auch ein rechtsvergleichender Befund, daß eine rigorose, puristische Trennungskonzeption nach positivistischer Manier hinein in die Richtung des Indifferenten in einer heutigen pluralistischen Gesellschaftsordnung zum Scheitern verurteilt sei. Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968), 57, 68. Vgl. auch Degenhart, Staatsrecht I, Rdn. 354 ff.
5. Teil: Vergleichende Schlußbetrachtung
323
nungen bislang für ein strenges Trennungssystem standen, legen diese mittlerweile den Erfordernissen der Praxis entsprechend aus. 6 So suchen etwa auch die Obergerichte Frankreichs - ein bekanntermaßen laizistischer Staat - nunmehr nach pragmatischen Lösungen, die letztlich der rechtsstaatlichen Freiheit gegenüber dem Trennungsprinzip den Vorrang einräumen. 7 Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit werden deutlichere Unterschiede zwischen den beiden Staaten sichtbar. Die Verfassung der USA kennt keine begriffliche Unterscheidung zwischen Glaubens-, Bekenntnis-, Religionsausübungs- und Gewissensfreiheit. Trotzdem bedienen sich Rechtsprechung und Literatur der Begriffe in einem vergleichbaren Sinn. Die Glaubensfreiheit - the freedom to believe or not to believe - wird in den USA vorbehaltlos geschützt, in Deutschland unterliegt sie wie die anderen Freiheiten nach Art. 4 I, 11 GG - mit Ausnahme der Gewissensfreiheit - dem Vorbehalt der "allgemeinen Gesetze" nach Art. 140 GG i.Y.m. Art. 136 I WRY. Hier wird im Rahmen der typisierenden Interessenabwägung entschieden, ob den staatlichen Regelungsinteressen im Einzelfall der Vorrang gegenüber der Glaubensfreiheit einzuräumen ist. Gewissensgeleitetes, nichtreligiöses Verhalten wiederum soll nicht in den Schutzbereich der free exercise clause fallen und nur über die übrigen Normen der amerikanischen Verfassung Schutz beanspruchen dürfen. Da der Supreme Court den Begriff "Religion" bislang jedoch außerordentlich weit ausgelegt hat, geht die Gewissensfreiheit tatsächlich in dem Schutz der free exercise clause auf. Damit wird die Gewissensfreiheit wie die Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit gleichermaßen als Bestandteil der free exercise clause geschützt. Den Umfang dieses Schutzes hat der Supreme Court durch einen neuen Prüfungsmaßstab in der jüngeren Vergangenheit jedoch eingeschränkt. Mittlerweile gibt es in den USA keinen Schutz mehr gegen Eingriffe aufgrund allgemeiner Gesetze, das heißt Gesetze, die sich nicht ausdrücklich gegen die Religion richten. Wenn der Schutzbereich religiöser Freiheit ungeachtet der Intensität des Eingriffs aufgrund eines solchen Gesetzes tangiert ist, dann gibt es fortan keine Möglichkeit, von den Auswirkungen der Norm aus religiösen Gründen befreit zu werden. Nach Auffassung des 6 Im Gegenzug geraten Systeme ohne vorgeschriebene strenge Trennung von Staat und Kirche oft in Kritik, weil die Trennung dort nicht nur unter dem Topos "Beschneidung der Religionsfreiheit" diskutiert wird, sondern umgekehrt zu Recht auch als wichtige Garantie zur Vermeidung religiös-gesellschaftlicher Unterdrückung angesehen wird. In Österreich beispielsweise fordern gerade die traditionellen Einwanderungsbefürworter im Zusammenhang mit der "Kopftuchdiskussion" eine stärkere Trennung von Staat und Kirche, weil das Tragen der Kopftücher in öffentlichen Schulen und Universitäten für einen "Rückfall in eine überwundene Epoche, ein Anti-Signal gegen Gleichberechtigung, Aufklärung und Fortschritt" stehe. Vgl. Coudenhove-Kalergi, in: Die Presse vom 8. Juni 2001, S. 8. 7 Walter, in: Grote/Marauhn, Religionsfreiheit, 215, 221 ff.; Robbers, in: VVDStRL 59 (2000), 231, 238 ff.; Link, in: FS für Thieme, 95, 106. Auf die Verhältnisse in Frankreich geht auch Heckel ein, der schon 1968 darauf hinwies, daß die dortigen Trennungsgesetze von 1904 durch die Dynamik der Lebensverhältnisse und die Sprengkraft der Religionsfreiheit allmählich zerbröckeln. Heckei, VVDStRL 26 (1968), 5, 33.
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5. Teil: Vergleichende Schlußbetrachtung
Supreme Court ist das staatliche Regelungsziel hier stets vorrangig. Nur wenn ein Eingriff sich direkt und zielgerichtet gegen die Religion richtet, überprüft der Supreme Court anhand einer Abwägung der betroffenen Interessen im Einzelfall, ob der Religionsfreiheit der Vorrang einzuräumen ist. Dadurch ist heute im Vergleich zur Bundesrepublik von einem Unterschied in der Wertigkeit der Rechtsgüter zu sprechen. So ist die Gewissensfreiheit in Deutschland - vom Spezialfall des Art. 4 III GG abgesehen - nach dem Wortlaut der Verfassung vorbehaltlos garantiert und kann nur durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden. Ein Eingriff in die übrigen Einzelverbürgungen aus Art. 4 GG ist hierzulande nur zu legitimieren, wenn dieser Eingriff aufgrund eines allgemeinen Gesetzes erfolgt. Erst dann ist mittels der typisierenden Güterabwägung festzustellen, ob das einschränkende Gesetz die grundrechtliehe Freiheit im Einzelfall übermäßig weit zurückdrängt. Erfolgt ein ausdrücklich religionspolitisch motivierter Eingriff in die Rechte des Art. 4 GG, so findet - anders als in den USA - nicht einmal eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter statt; hier überwiegt stets der Schutz der Grundrechte. Interessanterweise hat sich allerdings in Deutschland - jedenfalls nach der hier vertretenen Lösung im Bereich von Art. 4 GG - die Art und Weise der Abwägung der amerikanischen angenähert. Wenn hierzulande im Kontext der Schranken der religiösen Freiheitsrechte zu Recht "ein verstärkter Blick auf Präjudizien" und die Bereitschaft des (Verfassungs-)Richters verlangt wird, "die allgemeingültigen Inhalte früherer Entscheidungen auch in Zukunft zu beachten",8 so findet sich darin die gängige, common law-geprägte Struktur der US-amerikanischen Verfassungsinterpretation wieder. Die Diskussion um den Begriff der "Religion" wird in beiden Ländern mit ähnlichen Argumenten und Ansätzen bestritten. Im Hinblick auf die zutreffende These von Robbers, wonach die in einem vergleichbaren Staat als Religion angesehene Lebensäußerung auch für die Bundesrepublik religiösen Indizcharakter habe,9 leistet die US-amerikanische Verfassungsrechtspraxis keine Hilfestellung. Es bleibt festzuhalten, daß der Schutz der Religionsfreiheit, das heißt der Glaubens-, Bekenntnis-, Religionsausübungs- sowie der Gewissensfreiheit in Deutschland wesentlich weiter geht als in den USA - nicht unbedingt aufgrund der durch Wortlaut, Historie, Systematik und Telos gebotenen Auslegung der Verfassung, wohl aber nach der derzeitigen Interpretation des Supreme Court, der die Verfassungswirklichkeit der USA bestimmt. Allerdings erscheint es angesichts der anhaltenden Kritik und der eindringlichen Sondervoten in Smith und Boeme nicht unwahrscheinlich, daß der Supreme Court von seinem nun eingeschlagenen Weg, der zwar zu größerer dogmatischer Klarheit führt, den Schutz der Religionsfreiheit dagegen drastisch verkürzt, wieder abrückt. So bemerkt Dorf in diesem Zusammenhang zutreffend: "However, several dissenting Justices stated that they were eager to reexamine Smith, raising the possibility that within a decade, federal law will 8
9
Muckei, Religiöse Freiheit, S. 246. Robbers, in: VVDStRL 59 (2000), 231, 234 f.
5. Teil: Vergleichende Schlußbetrachtung
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have gone from purportedly requiring religious exemptions to not requiring them, back to requiring them, then back to not requiring them, and finally to requiring them again."IO Auch die Zukunft der neuen Rechtsprechung des Supreme Court zur establishment clause, die das Trennungsprinzip schwächt und die beiden Religionsklauseln verstärkt als einheitliches Konzept der Neutralität versteht, ist noch ungewiß, da die Änderung des dortigen Prüfungsmaßstabs zunächst auf den Bereich der staatlichen Hilfen beschränkt wurde. Es bleibt zu hoffen, daß die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Religion auch in der Rechtsprechung des Supreme Court wieder angemessen berücksichtigt und gewürdigt wird. Die umfassende methodische Interpretation der diesbezüglichen Verfassungsbestimmungen legt dies nahe.
10 Dorf, in: 84 Virginia Law Review 843, 850 (1998). Ganz in dem Sinne auch Friedelbaum, in: 63 Albany Law Review lO59, lO97 (2000).
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Sachverzeichnis Absolute Trennung, s. strenge Trennung Abstrakte Nonnenkontrolle, s. Nonnenkontrolle Abtreibung: 52 Fn. 120, 112,275 Fn. 630 Abwägung - Balancing approach: 149 ff., 159 f., 286 - Einzelfallbezogene Abwägung: 52, 149 ff., 207, 213 f., 222, 324 - Praktische Konkordanz: 195,210,217 - Typisierende Güterabwägung: 213 ff., 222 f., 324 Accomodation, s. no preference-Lehre Achtung der Präzendenzfälle, s. Präzedenzwirkung Allgemeine Gesetze, s. Schranken Allgemeiner Redaktionsausschuß: 185, 187 Altkatholische Kirche: 105 Ames, Fisher: 137, 142,262 Amish People: 287 f., 302 Anabaptists, s. Wiedertäufer Andeutungstheorie: 37 Antifederalists: 127, 135,261 Fn. 550 Appellate jurisdiction: 28 f. Articles of Confederation: 126 Atheismus - Als Staatsreligion: 231 - Prozeß der Atheisierung: 106 - Schutz der Atheisten: 94, 257, 263, 270, 272 Auslegungscanones, s. Auslegungsmethoden Auslegungsmethoden, s. Methodik der Verfassungsinterpretation Auslegungsprinzipien, s. Methodik der Verfassungsinterpretation Balancing approach, s. Abwägung Balancing Theories: 49 f. Baptisten: 128 f., 133, 137,252,254,257
Bedeutungswandel - 1. Amendment U.S. Constitution: 125 Fn.395 - Weimarer Kirchenartikel: 81, 92, 121 f. Bedeutungszusammenhang, s. systematische Auslegung Bekenntnisfreiheit - Abgrenzung zur Glaubensfreiheit: 201 - Abgrenzung zur Meinungsfreiheit: 202 - Abgrenzung zur Religionsausübungsfreiheit: 203, 232 f. - Begriff Bekenntnis: 174, 176 - Bekenntnis als Kriterium für ein öffentliches Amt: 147,227,229 - Eigenständige Gewährleistung: 190 ff. - Negative Seite: 202 f. - Revidierte preußische Verfassung: 180 - Weimarer Reichsverfassung: 181 ff. - USA: 323 Bekenntnisschulen, s. Konfessionsschulen Bekleidungsvorschriften: 208 Fn. 201 Belief / action distinction-Modell: 264 ff. Berufsfreiheit: 238 Berufungszuständigkeit, s. appellate jurisdiction Besteuerungsrecht: 87 f., 97 f., 100 f., 111, 117 Bibellesen, öffentliches: 155, 167 Bill for Establishing Religious Freedom in Virginia: 131, 144,256 Bill of Rights - Ausarbeitung: 128, 135 ff., 256, 258 ff. - Geltung zwischen den Bürgern: 275 Fn.630 - Rechte der Minderheiten: 310 Bindungswirkung, s. Präzedenzwirkung Bismarck, Otto von: 72 Bork, Robert H.: 46 Buddhismus: 196
Sachverzeichnis Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland: 105 Bundesverfassungsgericht - Gleichberechtigungsurteil: 42 - Kruzifix-Urteil, s. Kruzifix - Lüth-Urteil: 211 - Methodische Vorgehensweise: 117 ff., 245 ff. - Prüfungskompetenz: 31 ff. - Südwest-Staat-Urteil: 42 Bundesstaatlichkeit: 42, 126 Calvert, John: 132, 255 Case or controversy-Erfordernis: 29 Centrality test, s. Religion Certiorari-Verfahren: 29 Checks and balances: 260, 264 Christentum - Bekämpfung: 79 - Christliche Eschatologie: 109 Fn. 299, 113 - Christliche Naturrechtslehre: 196 - Christliche Prägung der Gesellschaft: 106 ff., 121, 176, 179 Fn. 31, 197, 244, 321 - Christliche Prägung des Grundgesetzes: 113 f., 231, 244 - Christliche Prägung des Religionsbegriffs, s. Religion Church of England: 129 f., 132, 143 f., 146, 164,252 ff. Church of Scientology, s. Scientology Coke, Sir Edward: 26 Commonlaw - Allgemeines: 24 ff., 50 Fn. 104, 58, 170, 223,249,273,319,324 - Common-Iaw-method of distinguishing cases: 25,316 Compelling interest test: 286 ff. Compulsion test, s. Religion Constitutional Convention, s. Philadelphia Convention Cotton, John: 132, 253 Critical Legal Studies: 47 f., 53 Danbury Connecticut Baptist Association: 143,263 Fn. 561 Definitionsgebot: 238 23 Fülbier
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Demokratieprinzip: 41 f., 62, 104,282 Deutscher Bund: 68, 76 Fn. 80 Dienstherrnfähigkeit: 87 Disestablishmentarian: 133, 142,257 District Court: 29 Dr. Bonham-Fall: 26 Drei Gewalten, s. Grundsatz der Gewaltenteilung Dreiteilung der Religionsgemeinschaften: 100 ff. Drittes Reich, s. Nationalsozialismus Due process c1ause: 124 f., 167 Duke Laws: 132 Eigene Angelegenheiten, s. Selbstbestimmungsrecht Eigentumsgarantie: 83, 230, 238, 311 Einheit der Verfassung, s. Auslegungsprinzipien Einheit von der Verfassungsrechtsprechung, s. Auslegungsprinzipien Einheitsstiftende Wirkung der Verfassung, s. Auslegungsprinzipien Eisenhower, Dwight D.: 46 Fn. 82 Englische Staatskirche, s. Church of England Entchristlichung, Prozeß der: 99, 112 Entkonfessionalisierung: 79 Entpolitisierung der Kirchen: 79 Entscheidungsreife, s. ripeness Entstehungsgeschichte, s. historische Auslegung Enumerationsprinzip: 32 Equal Access Act: 155 Fn. 569 Equal protection c1ause: 147, 149, 163 f., 166,299 Erklärung der Menschenrechte: 178 Erwerbswirtschaftliches Prinzip: 239 f., 307 Fn. 835 Erziehungsrecht der Eltern: 216 Fn. 260, 225 Establishment c1ause - Abgrenzung zur free exercise c1ause: 147 ff., 165 f., 171,273 ff. - Establishment (Begriff): 125 f. - Wirkung gegenüber dem Gesetzgeber der Einzelstaaten: 125 Fn. 395 Ethische Selbstverständlichkeiten: 109
354
Sachverzeichnis
Euthanasie: 112 Evangelisches Landeskirchentum: 75 ff. Exemptions view: 282 f., 298, 300 Extrembetätigungen: 196,198,242 ff. Fastentag: 140, 142 Federal Court of Appeals: 29 Federalist Papers: 127 Fn. 401 Federalists: 127, 135,260 Förderprogramme, s. staatliche Hilfen Formalism: 48 Formal-organisatorische Trennung, s. Trennung von Staat und Kirche Formelkompromiß: 83 Forum externum: 179 f., 183,265,267,314 Forum internum: 179, 193 Fn. 108,201,265 Founding Fathers, s. Framers Framers: 46,48,51, 54, 145, 163 f., 265 f., 270 Frankfurter Grundrechte, s. Paulskirchenverfassung Frankfurter Paulskirchenverfassung, s. Paulskirchenverfassung Frankreich: 178, 323 Französische Revolution: 68 f. Free exercise clause - Abgrenzung zu anderen Grundrechten: 277 ff. - Abgrenzung zur establishment clause: 147 ff., 165 f., 171,273 ff. - Schranken / Schutzbereich, s. Religionsfreiheit - Wirkung gegenüber dem Gesetzgeber der Einzelstaaten: 125 Fn. 395, 249 f. Freiheitlich demokratische Grundordnung: 40,42,205 Gebeuag: 140, 142, 144 Georgia Charter of 1732: 267 Gesetz über die religiöse Kindererziehung: 74 Gewaltverbot (als immanente Schutzbereichsbegrenzung): 206 Gewaltenteilung, s. Grundsatz der Gewaltenteilung Gewissen: 110, 114, 174 ff., 180, 185,259
Gewissensfreiheit - Abgrenzung zu anderen Bestimmungen: 204,267 ff. - Abwehrfunktion der Gewissensfreiheit: 234 - Affektiver Druck: 204 - Eigenständige Gewährleistung: 174, 179 f., 188, 190 ff. - Individualrecht: 218,234 f., 267 - Schranken: 215 ff., 257 - Schutzbereich: 203 f., 234 f., 268 ff., 280 Gewohnheitsrecht, s. common law Glaube: 174 f., 180, 188,259,304 f. Glaubensfreiheit - Abgrenzung zur Meinungsfreiheit: 189 - Eigenständige Gewährleistung: 190 ff. - Historische Entwicklung: 69, 119, 131, 178 ff., 259 - Individualrecht: 218 - Schranken: 174,208 ff., 323 - Schutzbedarf: 185,201 - Schutzbereich: 201 f. Glockenläuten: 203 Grammatische Auslegung, s. Auslegungsmethoden Griechisch-Orthodoxe Metropolie: 105 Großkirchen, s. Kirche Grundrechte - Als Abwehrrechte: 205, 244, 275 - Als Teilhaberechte: 275 f. Grundrechtsschranken, s. Schranken Grundsatz der Gewaltenteilung: 43, 60, 126, 282,292 Grundsatz der Nichtidentifikation: 115 f., 198,243 Grundsatz der Parität: 68, 71, 82, 94 f., 105, 114,116,201,228,243 Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität: 88 Fn. 153, 93 ff., 99, 101, 103, 114, 116, 163, 188, 197,201,224 f., 228,237,242 f. Grundsatzausschuß: 184 ff., 192 Grundsätzliche Trennung, s. Trennung von Staat und Kirche Hamilton, Alexander: 26, 127, 146 Fn. 508 Hauptausschuß: 187
Sachverzeichnis Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation: 68 Historische Auslegung, s. Auslegungsmethoden Holding: 57 Indifferenz, s. Verbot staatlicher Indifferenz Inkorporation (der Weimarer Kirchenartikel): 80 f., 83, 85, 91, 119 Innere Organisation, s. Selbstbestimmungsrecht Interpretivism: 48 lus circa sacra: 84 Jay, John: 127 Jefferson, Thomas: 131, 133 f., 141, 143 f., 256,262 ff. Judicial review, s. richterliches Prüfungsrecht Judicial self-restraint: 42 Fn. 55, 59, 215, 282 Jüdische Gemeinde: 105, 197,254 Jugendsekten, s. Sekten Kaiserreich: 72 Kant, Immanuei: 176 Kembereich der Religionsfreiheit, s. Religionsfreiheit Kirche - Allgemeines: 66,77,84,118,179,197 - Evangelische/katholische: 71 f., 77 ff., 106 ff., 147, 149 - Privilegierung der Großkirchen: 79 Fn. 100,82,87,97,99 ff., 108, 1ll f., 120 Kirchenasyl: 234 Kirchenaustritte: 99 f., 106, 108, 111 Fn.312,120,321 Kirchengut, Garantie des: 97 Kirchenkampf: 84,96 Kirchensteuer, s. Besteuerungsrecht Kirchenvertragsrecht: 74, 80 Fn. 106, 105 Kodifikation: 24, 30 Kollektive Religionsfreiheit, s. Religionsfreiheit Kölner Wirren: 72 Kolonien: 126 ff., 145,252 ff. Kompetenzvorschriften als Grundrechtsschranken, s. Schranken 23*
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Konfessionsschulen: 152 ff. Kongregationalismus: 129, 137,253,257 Konkrete Normenkontrolle, s. Normenkontrolle Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften: 10,89, 102, 115, 146 Kopftuch: 114, 202, 224 ff. Körperschaften sui generis: 73,91 Körperschaftsstatus, s. öffentlich-rechlicher Körperschaftsstatus Korrelatentheorie: 89 174, Kriegsdienstverweigerungsrecht: 186f.,189 Krippe: 162 Kruzifix: 114, 197 Fn. 136,201,223 ff. Kultische Handlungen: 186, 190, 203, 259, 308 Fn. 840,312 Kulturadäquanzformel: 243 Kulturkampf: 72 Kulturkompromiß von Weimar: 72 f. Laizistische Trennung, s. strenge Trennung Landesherrliches Kirchenregiment, s. evangelisches Landeskirchentum Landeskirchentum, s. evangelisches Landeskirchentum Landesverfassung: 80 Fn. 106, 114, 258 ff. Law and Economics-Bewegung: 47, 53 Laws of general applicability, s. allgemeine Gesetze Least restricti ve altemati ve-compelling state interest test, s. compelling interest test Lemon-Test: 152 ff. Locke, John: 26,178,254,256 ff., 269, 272 Loyalitätskriterium: 102 f. Madison, James: 54, 127 f., 131, 134 ff., 141 ff., 256 f., 262 ff. MarshalI, John: 26 ff., 266 Mason, George: 127 Maßstab funktioneller Richtigkeit, s. Auslegungsprinzipien Meinungsfreiheit: 180, 189, 211, 229 f., 265, 277 ff., 299 Memorial and Remonstrance against Religious Assessments: 131, 134, 141,263 f., 270 Menora: 162
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Menschenopfer, s. Extrembetätigungen Menschenwürde: 42 Fn. 58, 48, 109, 113, 178,206 f., 229, 236, 247 Meritorious cases: 29 Methodik der Verfassungsinterpretation - Auslegungsmethoden - Allgemeines: 35 ff., 46 ff., 63, 117 ff., 170 ff. - Grammatische Auslegung: 35, 47, 62, 66 ff., 100, 122, 124 ff., 160, 174 ff., 191,249 ff. - Historische Auslegung: 35, 47, 54, 62, 67ff., 117f., 120, 126ff., 160, 170ff., 177 ff., 246, 252 ff., 315, 317 - Objektive Theorie: 36 ff. - Rangordnung der Auslegungsmethoden: 40, 52 f. - Subjektive Theorie: 36 ff., 54 - Systematische Auslegung: 35, 41, 47, 85 ff., 118, 147 ff., 212, 246 f., 272 ff. - Teleologische Auslegung: 35, 47, 62, 95 ff., 117, 123 f., 164 ff., 232 ff. - Auslegungsprinzipien - Allgemeines: 40 ff., 56 - Einheit der Verfassung: 41 f., 91, 119, 158,210,212,216 - Einheit von der Verfassungsrechtsprechung: 56,58 - Einheitsstiftende Wirkung der Verfassung: 41 Fn. 55 - Maßstab funktioneller Richtigkeit, s. einheitsstiftende Wirkung der Verfassung - Topisches Vorgehen: 43 - Bedeutung: 23, 34 - Einfluß durch das cornrnon law: 25 - Grenze der Verfassungsinterpretation: 43 Fn.67 - Probleme: 44 f., 61 f. Militärseelsorge: 88, 92 Mittlere Staaten: 132, 254 f. Moderate interpretivism: 49 Monroe, James: 128 Moraldoktrin: 107 Muslime in Deutschland: 194 Nationalsozialismus: 78 ff., 88 Fn. 149, 95, 184,190,197,245
Neuapostolische Kirche: 105 Neue Bundesländer: 110 Fn. 304 Neuenglandstaaten: 129, 137,253 f. Neutralität, s. Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität Nichtidentifikation, s. Grundsatz der Nichtidentifikation No aid-Prinzip: 156, 164, 166 No coercion approach: 154 Fn. 567 No endorsement test: 154 Fn. 567 No preference-Lehre: 135, 138 ff., 157 ff., 168 f., 274 ff. No-exemptions view: 281 f., 294 ff. Normenkontrolle - Abstrakte: 30, 33 - Konkrete: 28, 33 Obiter dicta: 57 Objektive Theorie, s. Auslegungsmethoden Öffentliche Leistungen, s. staatliche Hilfen Öffentlich-rechlicher Körperschaftsstatus: 71 Fn. 42, 73, 86 ff., 97 ff., 112, 116, 124, 160,228,242 f., 320 ff. Österreich: 323 Fn. 6 Open-System Theories: 50 f., 55 Ordnungsmodelle, staatskirchenrechtliche: 65 Organisations gewalt: 87, 311 Original intent: 46, 49 Original jurisdiction: 28 Originalism: 49 f., 51, 54 Fn. 138 Paine, Thomas: 133 Paritätische Behandlung, s. Grundsatz der Parität Parlamentarischer Rat: 54, 83 ff., 184 ff., 196 Parochialrecht: 87 Paulskirchenverfassung: 67, 68 ff., 76 f., 178 ff. Pflicht zur Verfassungstreue: 205 Philadelphia Convention: 54, 126 f., 147, 167 Pilgrim Fathers: 129 Plausibilität der Behauptung, s. Selbstverständnis des Rechtsträgers Political question-Doktrin: 49, 60 f.
Sachverzeichnis Politische Fragen, s. political question-Doktrin Politische Tatigkeit von Religionsgemeinschaften, s. Religionsfreiheit Polygamie, s. Extrembetätigungen Präambel: 113,231 f. Präjudizienbindung, s. Präzedenzwirkung Präzedenzwirkung: 24 f., 31, 43, 56 ff., 215, 223,321,324 Presbyterianer: 132 Fn. 433, 254, 257, 263 Pressefreiheit: 266, 277 Principle of strict neutrality: 148 f., 157, 296,325 Prinzipien der Verfassungsinterpretation, s. Auslegungsprinzipien Privileged Factors Theories: 48 ff., 53 f. Privilegierung der Großkirchen, s. Kirche Public peace, s. überragende Gemeinschaftsgüter Public safety, s. überragende Gemeinschaftsgüter (luäker: 129,133,254,257 Rangfolge unter den Verfassungsbestimmungen: 119 f., 207, 278 Rangordnung der Auslegungsmethoden, s. Auslegungsmethoden Ratifizierungsprozeß: 127 ff., 272 Reagan, Ronald: 46 Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit: 186,209,229 Recht auf Leben: 206 f. Rechtsstaatsprinzip: 42, 114 Rechtstreue: 101 f. Reichsdeputationshauptschluß: 68 Reichskonkordat: 78 Religion - Abgrenzung zum Begriff der Weltanschauung: 168,235 ff. - Begriff: 176 f., 251, 301 ff. - Centrality test: 305 - Christliche Prägung des Religionsbegriffs: 194 ff. - Compulsion test: 305 - Einheitlicher Religionsbegriff in der V.S. Constitution: 276 f.
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- Offenheit des Religionsbegriffs: 196 ff. Religionsausübungsfreiheit - Abgrenzung zur Bekenntnisfreiheit: 186, 202 f. - Ausübung einer Weltanschauung: 232 f. - Begriff Religionsausübung: 176 f. - Eigenständige Gewährleistung: 189 ff. - Historische Entwicklung: 178 ff. - Schranken: 208 ff., 313 - Schutzbereich: 203 Religionsfreiheit - Abgrenzung zu anderen Bestimmungen: 192 ff., 228 ff. - Allgemeine Bedeutung: 21 f. - Einheitliches Grundrecht: 189 ff., 245 - Kernbereich: 208, 210 - Kollektive: 64, 183, 217 ff., 223 ff., 267 f., 310 ff. - Negative: 181,270 - Positive: 93, 181 - Recht der Minderheiten: 197,224,271 - Schranken - Allgemeine (Staats-)Gesetze: 179, 183, 211,222,230,251,278,281 ff., 323 - Allgemeines: 150, 181, 205, 208 ff., 260,270 f., 313 f. - Kompetenzbestimmungen: 216 - Schrankenleihe: 209,211 f. - Überragende Gemeinschaftsgüter: 271, 284, 290, 297, 313 f. - Verfassungsimmanente Schranken: 188, 195,209 f., 215 ff. - Schutz bei mittelbaren Beeinträchtigungen: 250, 261, 266, 284 f., 297 ff., 309, 314 - Schutzbereich: 200 ff., 267 ff., 300 ff. - Politische Tätigkeit: 206, 238, 240, 312 - Wirtschaftliche Tatigkeit: 199, 206, 238 ff., 312 Kriterien: - Schutzbereichsbegrenzende 194 ff., 204 ff., 307 ff. - Spannungsverhältnis individueller und kollektiver Religionsfreiheit: 223 ff., 231 Religionssoziologie: 106 ff., 196 Religionsunterricht: 92, 99 f., 104, 114, 150, 153 f., 161, 182,230 Religiöse Symbole: 114, 141, 146, 161 ff., 197 Fn. 136, 202, 223 ff.
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Religiöser Eid: 185,203 Religiösität: 108 ff. Religious Freedom Restoration Act (RFRA): 291 ff. Repräsentantenhaus: 128, 135, 137 ff., 261 f. Revidierte preußische Verfassung: 67,70 ff., 180 f., 188 RFRA, s. Religious Freedom Restoration Act Richterernennung: 46, 61 Richterliches PTÜfungsrecht: 26 ff., 31 f., 55 Richterrecht, s. common law Ripeness: 30 Rundfunkrat: 115 Sabbat: 140 Fn. 475, 142 Sakramente: 183 Fn. 55, 203, 308 Fn. 840 Säkularisation: 68, 107, 109, 199 Säkularisierung, s. Säkularisation Savigny, Friedrich Carl von: 35 Schächten: 210 Fn. 217 Schleier: 202 Fn. 160 Schranken, s. Religionsfreiheit Schrankenleihe, s. Religionsfreiheit Schulwesen: 71,74 Fn. 61, 107, 110 Fn. 304, 114 f., 144, 148, 150 ff., 166 f., 223 ff., 274,287 Schulgebete: 151,223 Fn. 316, 224 Scientology: 20 f., 101 Fn. 240, 236 Fn. 403, 307 Fn. 835 Strict separation-Theorie: 134 f., 137 ff., 164 ff. Sekten: 111, 179, 194ff., 204,228,232,241 Selbstbestimmungsrecht (der Religionsgemeinschaften): 71, 73, 75, 83, 88 Fn. 153, 89,97,178,182,186,220 ff., 268, 311 Selbstverständnis des Rechtsträgers: 193 f., 195,202,219,221 f., 237, 247 - Plausibilität der Behauptung: 195,237 f. Senat: 137 f., 145,261 f. Sinnzusammenhang, s. systematische Auslegung Sonderrechtsverhältnis: 148 Sozialstaatlichkeit: 42, 114 Staatliche Hilfen: 100, 129, 139, 144, 151 ff., 165 ff., 273, 276 Staatskirche: 66 f., 74 ff., 97, 197
Staatskirchenrechtliche Systeme: - Allgemeines: 20, 73 - Deutschland: 66 ff. - Typologie der Systeme: 65 - USA: 124 ff. Staatskirchentum im strengen Sinne: 74 f. Staatsleistungen, Garantie der: 88, 97 Staatsverdrossenheit: 107 Standing-Erfordemis: 30 Stare decisis, s. Präzedenzwirkung Statutory law: 25 Strenge Trennung, s. Trennung von Staat und Kirche Strict separation: 134 f. 273 Strikte Trennung, s. strenge Trennung Subjektive Theorie, s. Auslegungsmethoden Subjektive Verbindlichkeit: 235 ff. Substantial federal question: 29,59 Subventionen, staatliche, s. staatliche Leistungen Südstaaten: 130 Summepiskopat, s. evangelisches Landeskirchentum Sunday closing laws: 284 Supreme Court - Allgemeines: 19 f., 150 - Einzelentscheidungen - Agostini v. Feiton: 156, 172 - Aguilar v. Feiton: 153 f. - Braunfeld v. Brown: 284 - CantweIl v. Connecticut: 283 f., 298 - City of Boeme v. P.F. Flores, Archbishop of San Antonio: 292 ff., 324 - Committee for Public Education & Religious Liberty v. Nyquist: 152 f. - Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith: 288 ff., 316 f., 324 - Engel v. Vitale: 151 - Everson v. Board of Education: 141, 150, 170 - Fowler v. Rhode Island: 301 - Hobbie v. Unemployment Appeals Commission: 287 - Lamb's Chapel v. Center Moriches Union Free School District: 155 - Lemon v. Kurtzman: 152 - Lovell v. Griffin: 277
Sachverzeichnis Luther v. Borden: 60 Lynch v. Donelly: 162, 172 Marbury v. Madison: 26 ff., 54, 298 Marsh v. Chambers: 161 f. McCollum v. Board of Education: 150 Meek v. Pittenger: 153, 156 Mitchell v. Helms: 156, 172 Murdock v. Pennsylvania: 284 Reynolds v. United States: 264, 295 f. Rosenberger v. Rector and Visitors of the University of Virginia: 156 - Schneider v. New Jersey: 283 - School District of Abington Township v. Schempp: 151 - School District of the City of Grand Rapids v. Ball: 153 f. - Sherbert v. Vemer: 285 f., 291, 299 - Thomas v. Review Board of the Indiana Employment Security Division: 287 - Uni ted States v. Lee: 288 - United States v. Seeger: 301 - Walz v. Tax Commission of the City of New York: 151 f. - Welsh v. United States: 301 f. - Wisconsin v. Yoder: 287,291,298 f. - Wolman v. Walter: 156 - Zelman v. Simmons-Harris: 156 - Zobrest v. Catalina FoothilIs School District: 155 - Zorach v. Clauson: 151 Fn. 541 - Equal access-cases: 155 f. - Hybrid cases: 296 f., 298 - Methodische Vorgehensweise: 51 ff., 170 ff., 315 ff. - Prüfungskompetenz: 26 ff. - Prüfungsmaßstab: 150,278,298,315 f. - Unemployment cases: 250, 285, 288 ff., 295,299 Symbole, s. religiöse Symbole Systematische Auslegung, s. Auslegungsmethoden -
Teleologische Auslegung, s. Auslegungsmethoden Tempelunzucht, s. Extrembetätigungen Test Act: 253 Test clause: 147,272 f.
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Textualism: 48 Theologische Erklärung von Barmen: 79 Theologische Fakultäten: 79 Fn. 100, 99 Toleranzgedanke: 106, 109, 179, 183,217, 224,247,253,257,269 Toleration Act: 253 Topisches Vorgehen, s. Auslegungsprinzipien Trennung von Staat und Kirche - Allgemeines: 20, 70, 320 ff. - Fonnal-organisatorische Trennung: 88 f. - Grundsätzliche Trennung: 89 ff., 96, 117, 124,228 - Strenge Trennung: 71, 76, 78, 82, 86 ff., 93,95,97,99,116,322 Tschador: 202 Typisierende Güterabwägung, s. Abwägung Typologie des Staatskirchenrechts, s. staatskirchenrechtliche Systeme Überragende Gemeinschaftsgüter, s. Schranken Unabhängigkeitserklärung: 126,258 Fn. 536 U.S. Supreme Court, s. Supreme Court Verbot der Staatskirche, s. Staatskirche Verbot staatlicher Indifferenz: 92 ff., 164 Vereinigungsfreiheit, religiöse: 180, 186, 217 f., 230 Verfassungsbeschwerde: 32 f. Verfassungsimmanente Schranken, s. Religionsfreiheit Verfassungsinterpretation, s. Methodik der Verfassungsinterpretation Verfassungskonfonne Auslegung: 59, 88 Fn. 153 Verfassungskonvent von Herrenchiemsee: 83, 184 Verfassungsmäßige Ordnung, s. verfassungsimmanente Schranken Verfassungsväter, s. Framers Verhältnis von Staat und Kirche, s. staatskirchenrechtliche Systeme Verhältnismäßigkeit, Grundsatz der: 210, 214,299 Versammlungsfreiheit: 230, 265 Virginia Bill for Punishing Sabbath Breakers: 142
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Wahlen: 103, 166 Wall of separation: 143, 146 Fn. 512, 150 f., 167 Fn. 639, 171,263 Fn. 561 Warren, Earl: 46 Fn. 82, 51 Fn. 113 Wechselwirkungslehre: 213 f. Weimarer Reichsverfassung: 70, 72 ff.. 80, 84,181 ff., 188, 190 f., 210 Weimarer Republik: 72 ff., 211 Weltanschauungsfreiheit - Abgrenzung zur Religion, s. Religion - Begriff Weltanschauung: 176 Wesentlichkeitstheorie: 216 Wiedertäufer: 134 Wiener Kongreß: 68 Wille des Gesetzgebers, s. historische Auslegung
Williams, Roger: 132 f., 255 Wirtschaftliche Tätigkeit von Religionsgemeinschaften, s. Religionsfreiheit Wirtschaftsunternehmen: 239 f., 307 Fn. 835 Wissenschaftsfreiheit: 114 Witwenverbrennung, s. Extrembetätigungen Wohlfahrtspflege: 110 Wohlwollensgebot: 217 Wortlaut, s. grammatische Auslegung Writ of certiorari, s. Certiorari-Verfahren Zeugen Jehovas: 79 Fn. 98, 102,277,283 Zweck der Norm, s. teleologische Auslegung