167 84 64MB
German Pages 227 [232] Year 1993
Linguistische Arbeiten
302
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Monika Rothweüer
Der Erwerb von Nebensätzen im Deutschen Eine Pilotstudie
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1993
D 2l
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Rothweiler, Monika : Der Erwerb von Nebensätzen im Deutschen : eine Pilotstudie / Monika Rothweiler. -Tübingen : Niemeyer, 1993 (Linguistische Arbeiten ; 302) NE:GT ISBN 3-484-30302-6
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1993 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nadele, Nehren
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung
l
2. 2. l 2.2 2.3
Satzstruktur und Nebensätze im Deutschen Strukturbeschreibung und Strukturerwerb Die Beziehung zwischen COMP und INFL Positionen an der linken Satzperipherie
6 6 9 17
3. 3.1 3.2. 3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.2.3 3.3.2.4 3.3.2.5 3.3.2.6 3.3.2.7 3.3.2.8 3.4 3.5
Der Erwerb der Nebensatzstruktur Die Satzstruktur vor den ersten Nebensätzen Nebensatzerwerb im Prinzipien- und Parametermodell Alternative Analysen zum Erwerb der CP . Nebensatz und Kopfparameter - eine Hypothese zum Erwerb der CP Die ersten Nebensätze: empirische Befunde Finitheit, Kongruenz und die Stellung des Verbs DerWegzurCP Verbstellungsfehler in Nebensätzen Uneingeleitete Nebensätze Präkonjunktionale Sätze Nebensätze ohne w-Einleiter Undifferenziert eingeleitete Verbletztsätze Subjektauslassungen in Nebensätzen Abhängige Verbzweitsätze Zusammenfassung der Ergebnisse Variationen über ein Thema Konsequenzen
23 23 31 31 33 38 38 41 41 42 44 46 48 49 50 51 52 54
4. 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
Nebensatzklassifikation Traditionelle Grammatiken Der Duden Die Akademiegrammatik Helbigs Klärungsversuch Kreuzklassifikation Komplementierer und Subjunktionen Freie Relativsätze Korrelate Vergleichs-und Konsekutivsätze Was leistet die Kreuzklassifikation?
56 56 56 58 59 59 63 66 68 71 73
VI
5. 5. l 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.3 5.3.1 5.3. l. l 5.3.1.2 5.3.1.3 5.3.1.4 5.3.2 5.3.2.1 5.3.2.2 5.3.3 5.3.3.1 5.3.3.2 5.3.4 5.4 5.4. l 5.4.2 5.4.2.1 5.4.2.2 5.4.2.3 5.4.3 5.5
Der Erwerb verschiedener Nebensatztypen Quantitative Analyse: Komplement- und Adverbialsätze Komplementsätze Korrelatformen als Zwischenstufe im Erwerb? Matrixprädikate Komplementsatzeinleiter Abhängige Verbzweitsätze Entwicklung und komplexe Formen Generalisierungen zum Komplementsatzerwerb Adverbialsätze Wenn-Sätze Korrelate und die Abfolge von Matrix- und wenn-Sati Temporales und konditionales wenn Profunktoren Fehleranalyse W«7-Sätze Verbstellung in w«7-Sätzen Fehleranalyse und die Position von wiiV-Satzen Weitere Adverbialsätze Temporalsätze Final- und Konsekutivsätze Generalisierungen zum Adverbialsatzerwerb Relativsätze Ergebnisse aus experimentellen Untersuchungen Spontane Produktion von Relativsätzen im Spracherwerb Relativsatzeinleiter Freie Relativsätze Fehleranalyse Generalisierungen zum Relativsatzerwerb Vergleichssätze
74 75 82 82 85 92 96 99 101 103 103 104 109 110 113 117 118 119 120 120 125 126 127 128 130 130 136 138 139 139
6.
Kemgrammatik und Peripherie im Erwerb von Nebensätzen
140
7.
Literatur
147
VII
Anhang A A.l A. 1.1 A.1.2 A. l .3 A. 1.4 A. 1.5
Empirische Grundlagen Die Korpora Die Kinder Psychosozialer Hintergrund Die Aufnahmesituation Transkription
153 153 154 156 157 158
A.2 A.2. l A.2.2 A.2.3 A.2.4
Datenanalyse Exzerption MLU Profilanalyse Computeranalyse
159 159 159 163 164
Anhang B Liste 0: Liste 1: Liste 2: Liste 3: Liste 4: Liste 5: Liste 6: Liste 7: Liste 8: Liste 9: Liste 10: Liste 11:
Übersicht über die Korpora , Eingeleitete Verb-Zweit-Sätze Undifferenziert eingeleitete Nebensätze Uneingeleitete Verbletztsätze Abhängige Verb-Zweit-Sätze Komplementsätze mit Komplementierer Komplementsätze mit W-Einleiter Komplementsätze mit Korrelat Adverbialsätze Relativsätze Freie Relativsätze Vergleichssätze
168 170 ..171 173 178 180 183 192 193 215 219 220
Danksagung
Mein Dank richtet sich an Marga Reis, Rosemarie Tracy und David Reibel für ihre Unterstützung sowie an Prof. Äugst und Prof. Wagner für die Bereitstellung umfangreichen Datenmaterials. Ein ganz besonderes Dankeschön aber geht an die Kinder Marianne, Daniel, Simone und Xilla, deren Spielgast ich sein durfte, und an ihre Mütter, die mir die Aufnahmen mit ihren Kindern ermöglichten und mir geduldig viele Fragen beantworteten. August 1993
Monika Rothweiler
1.
Einleitung
Der kindliche Erstspracherwerb ist in den vergangenen dreißig Jahren vor allem im Zusammenhang mit den Vorstellungen der generativen Linguistik immer mehr in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses von Sprachwissenschaftlern und Psychologen gerückt. Neben die Beschreibung kindlicher Sprache und Sprachentwicklung tritt die Frage nach der Erklärung des Spracherwerbs. Damit wird die Erstellung einer Theorie des Spracherwerbs zu einer zentralen Aufgabe. Das wesentliche Erkenntnisziel einer solchen Theorie ist die Erklärung der Lembarkeit natürlicher Sprachen. Die Frage ist zu beantworten, wie Kinder Wissen über sprachliche Strukturen erwerben, das ihnen niemand explizit mitteilt, z.B. Wissen darüber, welche Sätze grammatisch oder welche mehrdeutig sind. Nativistische Ansätze lösen dieses logische Problem des Spracherwerbs durch die Annahme sprachspezifischer Prinzipien, die zur genetischen Ausstattung des Menschen gehören und mögliche Grammatiken von Sprachen beschränken. An dieser Stelle wird schon deutlich, daß Spracherwerb hier als Grammatikerwerb verstanden wird. Naturlich ist Sprache als kommunikatives und kognitives System mehr als Grammatik, und der Erwerb einer Sprache bedeutet mehr als der Erwerb grammatischer Strukturen. Hier und im folgenden geht es aber ausschließlich um Grammatikerwerb. Spracherwerb wird als der Erwerb grammatischer Strukturen, als der Erwerb einer einzelsprachlichen Grammatik verstanden. Dabei richtet sich das Forschungsinteresse sowohl auf die Frage nach der Lembarkeit von Grammatik als auch auf die Entwicklung im Spracherwerb, also auf Erwerbsabläufe und -Stadien, die sich aus der Annahme angeborener grammatischer Prinzipien allein nicht ergeben. Behaviouristische Ansätze (Bloomfield 1933, Skinner 1957) machten die ersten Versuche, Spracherwerb zu erklären. Die im Behaviourismus angenommenen, sehr generellen kognitiven Operationen Assoziationsbildung und Konditionierung werden als notwendig und hinreichend für den Erwerb von Sprache postuliert Wie mit diesen Mitteln abstrakte grammatische Regeln erkannt und erworben werden können, bleibt offen. In den siebziger Jahren dominierten interaktive und kommunikative Ansätze in der Spracherwerbsforschung (z.B. Bruner 1974, Miller 1976). Spracherwerb und damit auch der Erwerb grammatischer Strukturen gilt als im wesentlichen durch die Interaktion von Mutter und Kind gesteuert Der Zugang zu sprachlichen Strukturen soll dem Kind durch bestimmte sprachliche und nicht-sprachliche Verhaltensmuster der Mutter (bzw. der primären Bezugspersonen) erleichtert werden. Dazu zählt das mofherese, was nichts anderes bedeutet, als daß die an das Kind gerichtete Sprache grammatisch vereinfacht wird. Außerdem erlaubt die Mutter-KindDiade dem Kind, implizit zu bleiben und Teile seiner beabsichtigten propositionalen Akte nicht auszudrücken. Die pragmatische Angemessenheit seiner Äußerungen sichert das Kind allein durch kontextreferentielle Akte (Miller 1976). Erst die weitere kognitive und soziale Entwicklung zwingt das Kind zu expliziteren Äußerungen und damit zum Erwerb geeigneter grammatischer Strukturen. Wie allerdings die Art der Interaktion mit dem Erwerb und vor allem der Form grammatischer Strukturen korrespondieren soll, wird in diesen Ansätzen nicht näher spezifiert
In der aktuellen Erwerbsdiskussion konkurrieren psychologisch orientierte Theorien mit nativistischen Ansätzen. Erstere halten generelle kognitive Lernmechanismen und Verarbeitungsstrategien für hinreichende Bedingungen, um Generalisierungen über Grammatiken abzuleiten. Hierzu zählt u.a. der funktionalistische Ansatz von Bates & McWhinney (1982). Sie gehen davon aus, daß Kinder zum Aufbau grammatischer Strukturen Form-Funktions-Zusammenhänge aus dem Input aufnehmen und verarbeiten. Man nimmt an, daß semantische und/oder pragmatische Funktionen mit grammatischen Formen fest verknüpft sind, und läßt unberücksichtigt, daß es grammatische Strukturen gibt, zu denen keine offensichtliche kommunikative Funktion existiert. Es soll nicht bestritten werden, daß Korrelationen zwischen grammatischen Formen und semantischen und/oder pragmatischen Funktionen bestehen und daß sie von Kindern im Spracherwerb genutzt werden. Die entscheidende Frage ist aber, ob sie allein für den Grammatikerwerb ausreichen. Seit Chomsky (1965) argumentiert man in nativistischen Ansätzen dafür, daß Sprache als ein komplexes, hierarchisch strukturiertes System nur auf der Grundlage angeborener, sprachspezifischer Prinzipien zu erlernen sei. Zentral für diese mentalistische Sicht ist die Autonomiehypothese, d.h. die Annahme, daß der Mensch über eine spezielle kognitive Komponente für Sprache verfugt, die zumindest teilweise mit Mechanismen arbeitet, die für andere kognitive Domänen nicht gelten. Der Input ist defizitär und liefert zu wenige und zu uneindeutige Informationen für den Grammatikerwerb. Offensichtlich gibt es Faktoren, die mögliche Strukturen in natürlichen Sprachen vorgeben und begrenzen. Starke Evidenz für diese Hypothese liefern Kreolsprachen. Diese Sprachen werden von Kindern "erfunden11, deren Inputsprachen Pidgins, also nicht-natürliche Sprachen sind. Zumindest die ersten Generationen von Kindern, deren Eltern Pidgin sprechen, haben keinen einheitlichen Kredsprachen-Input Die Kinder entnehmen ihrer sprachlichen Umgebung lexikalische Einheiten (Wörter und Morpheme), benutzen aber ihr Bioprogramm zur Konstruktion einer Grammatik (Bickerton 1984). Gestutzt wird die Annahme eines Bioprogramms durch die Tatsache, daß Kreolgrammatiken auf der ganzen Welt große Ähnlichkeiten untereinander aufweisen. Weiter spricht für die Annahme von angeborenen, Grammatik begrenzenden und konstituierenden Faktoren die Beobachtung, daß Grammatikerwerb auf der Grundlage positiver Evidenz stattfindet, negative Evidenz von Kindern aber einfach ignoriert wird (vgl. Tracy 1990). Limitierende Faktoren müssen verhindern, daß von der Zielgrammatik abweichende Strukturen und Regeln in der kindlichen Grammatik entstehen, die allein durch positive Evidenz nicht mehr zu eliminieren wären. Diese Faktoren formuliert Chomsky als universalgrammatische Prinzipien (UG-Prinzipien) (Chomsky 1981). Unter einem UG-Prinzip kann man eine allgemeine und generelle grammatische Eigenschaft verstehen. Zumindest einige UG-Prinzipien sind unterspezifiziert und parametrisiert Das Kopfprinzip z.B. besagt, daß jede Phrase einen Kopf hat und daß dieser Kopf eine periphere Position in der Phrase besetzt Dieses Prinzip ist parametrisiert, was nichts anderes heißt, als daß die UG verschiedene Optionen vorgibt Die möglichen Parameterwerte sind "links" und "rechts" und werden je nach Phrasentyp und Sprache fixiert. Unter der Kerngrammatik einer Sprache versteht man den zentralen Bereich grammatischer Regularitäten, die sich aus generellen UG-Prinzipien und aus den für diese Sprache geltenden Parameterwerten weiterer UG-Prinzipien zusammensetzen. Grammatikerwerb heißt dann, daß das Kind vor-
gegebene Parameter auf die für die Zielsprache gültigen Werte festlegt. Die eigentliche Aufgabe, vor der das Kind steht, ist, aus dem Input die Eigenschaften herauszufiltern, die die Fixierung von Parametern triggem können. Nun ist Chomsky's Theorie eine Grammatiktheorie und keine Erwerbstheorie. Die Verbindung zwischen beiden ergibt sich aus dem Anspruch, daß eine Grammatik lernbar sein muß und zwar mit dem gegebenen Input In einer Grammatiktheorie werden die Veränderungen, die sich während des Erwerbs durch Parameterfixierung ergeben, nicht untersucht Man braucht also zusätzlich eine Theorie des Erwerbs und des Lernens, die erklärt, warum sich kindliche Grammatiken im Laufe der Entwicklung verändern, wieso nicht alle Parameter zugleich fixiert werden, wie jedes Stadium strukturiert ist und wie das Kind von einem Stadium ins nächste übergeht Eine Erwerbstheorie befaßt sich mit Faktoren, die die kindliche Sprachkompetenz beeinflussen und die Stadien bedingen, die die kindliche Sprache bis zur Zielgrammatik durchläuft. Darüberhinaus gibt es Performanzfaktoren, die in Verstehen und Produktion wirksam sind. Solche Faktoren sagen etwas darüber aus, wie das Kind Information erhält und ausdrückt, aber sie sagen nichts über das grammatische Regelsystem eines Kindes (vgl. Ingram 1989). Dazu zählen z.B. die Operating Principles von Slobin, die sich auf sprachliche Informationsverarbeitung beziehen (Slobin 1973, 1985). Will man Spracherwerb auf dem Hintergrund einer linguistischen Theorie wie der Prinzipien- und Parametertheorie erklären, müssen zusätzliche Annahmen gemacht werden, um Spracherwerb als einen Prozeß mit verschiedenen Entwicklungsstadien verstehen zu können. Dazu werden z.Zt. zwei Lösungen vorgeschlagen: 1. die Reifungshypothese (z.B. Borer & Wexler 1987, Felix 1984) und 2. die Kontinuitätshypothese (z.B. Pinker 1984,Clahsen 199l).1 Kontrovers wird in diesen beiden Vorschlägen die Frage behandelt, ob dem Kind alle UG-Prinapien von Beginn des Erwerbs an zugänglich sind (Kontinuität) oder ob sie dem Kind erst allmählich im Laufe der Entwicklung zugänglich werden (Reifung). Die Reifungshypothese läuft Gefahr, intermediäre Grammatiken zu erlauben, die gegen (noch nicht herangereifte) Prinzipien der Universalgrammatik verstoßen. Daher ist sie sehr viel weniger restriktiv und schwerer falsifizierbar als die Kontinuitätshypothese, nach der alle intermediären kindlichen Grammatiken UG-konform sein müssen. Aus diesem Grund ist die Kontinuitätshypothese vorzuziehen (Clahsen 1991). Aber dieses Modell kann nicht unmittelbar erklären, wieso sich kindliche Grammatiken von der Zielgrammatik unterscheiden und wieso der Grammatikerwerb einer invarianten Ordnung folgt Es bleibt offen, was der Motor für die Grammatikentwicklung ist Eine mögliche Lösung für dieses Problem ist die Hypothese des Lexikalischen Lernens (Clahsen 1991, Pinker 1984). Die Erweiterung des Lexikons im Spracherwerb liefert die Auslöser (Trigger) für Parameterfestlegungen. So könnte z.B. der Erwerb funktionaler Kategorien offene Parameter aufrufen und dazu führen, daß sie auf ihre zielsprachlichen Werte fixiert werden. Strukturelle Festlegungen hängen damit von lexikalischen Elementen bzw. von Eigenschaften lexikalischer
1
Eine ausführliche Diskussion der beiden Richtungen liefert Verrips (l 990).
Elemente ab. Das Erwerbsproblem wird dadurch allerdings nur verlagert, nämlich von der Syntax ins Lexikon. Eine befriedigende Theorie des Lexikalischen Lernens steht noch aus. Auch wenn der aktuelle Forschungsstand nicht definitiv sicherstellt, daß Kinder eine generative Grammatik erwerben, die den Prinzipien einer Universalgrammatik folgt, die - in welchem Ausmaß auch immer - zur biologischen Grundausstattung des Menschen gehört, bietet der Prinzipien- und Parameteransatz einen vielversprechenden Rahmen für die Untersuchung des Erwerbs syntaktischer Strukturen. The contention that children acquire a generative grammar, and do so with the help of linguistic universals, should be regarded as a claim - afalsiable claim about human cognition. If it is incorrect, then it should be rejected. But the fact that no one to date has 'proven' the validity of this claim is completly irrelevant to the determination of its merit as a scientific theory (Solan 1983:14). Probleme ergeben sich daraus, daß noch nicht endgültig geklärt ist, welche syntaktischen Regularitäten als UG-Prinzipien zu formulieren sind, welche UG-Prinzipien parametrisiert sind und welche nicht. Weiterhin gibt es eine rege Diskussion zu der Frage, wieviele Optionen ein Parameter vorgeben kann, wie ein Trigger beschaffen sein muß, ob Parameter nur einmal gesetzt werden können oder umbesetzbar sind, ob sich Parameter gegenseitig triggern können, usw. (vgl. u.a. Borer & Wexler 1987; Clahsen 1991; Hyams 1987; Wexler & Manzini 1987). Andererseits sind diese Fragen nur auf der Grundlage empirisch gewonnener Sprach(erwerbs)daten zu möglichst vielen Sprachen zu klären. Mehr aus heuristischen als aus empirisch evidenten Gründen herrscht weitgehende Übereinstimmung über folgende Annahmen zum Parametermodell: - nur auf der Grundlage positiver Evidenz können Parameter fixiert werden; negative Evidenz spielt keine Rolle; - es gibt zwei Typen von Werten für einen Parameter den unmarkierten Wert (default oder initial setting), auf den ein Parameter universal gesetzt ist, und markierte Werte, die auf der Grundlage von grammatischen und/oder lexikalischen Eigenschaften, die aus dem Input aufgenommen werden, gesetzt werden müssen; - ein Parameter kann nur einmal von einem de/ault-Wert auf einen einzelsprachlichen Wert umgestellt werden. Wieso nun ist auf diesem theoretischen Hintergrund der Erwerb der deutschen Nebensatzstruktur interessant? Clahsen (1982,1986a) und Clahsen & Penke (1991) konnten zeigen, daß Kinder, sobald sie am Verb Subjekt-Verb-Kongruenz markieren, auch die zielsprachlich geforderte Zweitstellung des finiten Verbs beherrschen. Nebensätze treten zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf. Im Deutschen aber steht in eingeleiteten Nebensätzen anders als in Hauptsätzen das finite Verb satzfinal. Die Verbletztstruktur in abhängigen Sätzen gehört als zentrale syntaktische Eigenschaft des Deutschen zur Kerngrammatik. Aus diesem Grund sollte sich der Erwerb der Nebensatzstruktur genau wie der Erwerb der Verb-Zweit-Stellung als eine Parameterfestlegung erklären lassen. Nahegelegt wird diese Annahme durch die Beobachtung, daß die Endstellung des finiten Verbs im Nebensatz auffallend fehlerfrei erworben wird (vgl. z.B. Stern & Stern 1928). Um weichein) Pa-rameter es sich dabei handelt und wie die Festlegung erfolgt, soll im ersten Teil der
Arbeit untersucht werden, die sich auf den Erwerb der Verbletztstruktur in abhängigen Sätzen konzentriert und sie im Rahmen des vorgestellten Prinzipien- und Parameteransatzes interpretiert (Kapitel 2 und 3). Der zweite Teil der Arbeit (Kapitel 4 und 5) untersucht, wie verschiedene Nebensatztypen, z.B. Komplement- und Relativsätze ausdifferenziert werden. Hier geht es im wesentlichen um idiosynkratische syntaktische Eigenschaften des Deutschen, die nicht in den Bereich der Kemgrammatik fallen. Die vorliegende Untersuchung basiert ausschließlich auf Spontansprachaufnahmen. Aus der spontanen und aktiven Verwendung grammatischer Konstruktionen kann man direkt schließen, welche Eigenschaften der Kemgrammatik ein Kind zum jeweiligen Zeitpunkt erworben hat. Damit weiß man etwas über die grammatische Kompetenz. Ein Nachteil dieses Vorgehens ist, daß über nicht-produzierte Formen keine vergleichbaren Aussagen gemacht werden können. Daraus, daß eine Form nicht auftritt, kann nie geschlossen werden, daß das Kind nicht über sie verfügt, daß das Kind sie nicht in anderen Kontexten und Situationen doch bildet Auch empirische Untersuchungen, die ausschließlich mit Sprachtests arbeiten, ertauben keine direkten Rückschlüsse auf die grammatische Kompetenz (Pinker & Lebeaux & Frost 1987). Sie sagen mehr aus über Perceptions- und Verarbeitungsstrategien und eventuell über grammatische AnalysefähigkeiL Ideal wäre daher eine Kombination von spontanen und elizitierten Daten mit Verstehenstests. Solch aufwendige Untersuchungen allerdings sind nur im Rahmen von Forschungsprojekten durchführbar.2 Da es in dieser Arbeit nicht darum geht zu zeigen, wann Kinder welche Nebensätze verstehen (was mittels Tests zu ermitteln wäre), sondern wann und vor allem wie sie spontan beginnen, diese zu produzieren, wie sie beginnen, sich diese Struktur dienstbar zu machen, und wie dann der Formenausbau erfolgt, ist es legitim, das hier untersuchte Sprachmaterial auf spontane Kindersprache zu beschränken.
Seit einigen Jahren arbeitet an der Universität Tübingen ein DFG-Projekt unter der Leitung von R. Tracy zum Erwerb der komplexen Syntax des Deutschen im Kindesalter.
2.
Satzstruktur und Nebensätze im Deutschen
2.1 Strukturbeschreibung und Strukturerwerb Was ist ein Nebensatz? oder besser Wann ist ein Satz ein Nebensatz? Härtung (1971:20 gibt folgende Definition: ...wenn (...) zwei Sätze so miteinander verbunden werden, daß der eine vom ändern unmittelbarabhängig wird, nennt man die Art der Zusammensetzung subordinativ und ihr Ergebnis ein Satzgefiige. Die Ungleichwertigkeit der beiden Teilsätze fährt zur Unterscheidung von Hauptund Nebensatz. Damit faßt Härtung unter den Begriff Nebensatz alle abhängigen oder subordinierten Sätze. Der Zusammenhang zwischen Matrixsatz und abhängigem Satz ist mit der Formel S über S zu beschreiben. Ein Nebensatz ist also ein in einen anderen Satz (= Matrixsatz) als Satzglied oder Attribut eines Satzgliedes integrierter Satz. Diese Definition unterscheidet Haupt- und Nebensatz ausschließlich aufgrund der hierarchischen Beziehung, die zwischen Matrixsatz und eingebettetem Satz besteht Interne strukturelle Unterschiede werden nicht berücksichtigt Tut man dies, lassen sich vier Typen abhängiger Sätze im Deutschen unterscheiden: Verbzweitsätze (1), Verberstsätze (2), Infinitivsätze (3) sowie eingeleitete Verbletztsätze (4). (1) ( ) (2) (2') (3) (4)
Ich glaube, du liest zu viele Krimis. Ich glaube, daß du zu viele Krimis liest. Würdest du mehr Zeitung lesen, hättest du mehr Angst vorm Autofahren als vor Einbrechern. Wenn du mehr Zeitung lesen würdest, ... Es gibt wirklich keinen Grund, vor dem Schlafengehen unters Bett zu gucken. Wenn sich jemand da verstecken würde, würde er sich durch Husten verraten, bei all dem Staub, der sich da angesammelt hat.
Im folgenden werden diese vier Typen unter den Übergeordneten Begriff Abhängige Sätze zusammengefaßt, und ausschließlich eingeleitete Verbletztsätze (4) werden als Nebensätze bezeichnet Die vorliegende Arbeit untersucht den Erwerb dieser prototypischen Nebensätze, die sich strukturell von Matrixsätzen wesentlich in der Position des finiten Verbs unterscheiden. Satzwertige Infinitive werden in dieser Arbeit nicht behandelt Sie kommen selbst bei den älteren der hier untersuchten Kinder nur vereinzelt vor. Verberst- (1) und Verbzweitformen (2) sind markierte Alternativen zu eingeleiteten Konditional- bzw. Komplementsätzen (vgl. (l1) und (2')). Auf abhängige Verbzweitsätze werde ich in den Kapiteln 3.3.2.7 und 5.2.4 eingehen.1 Im Modell der topologischen Felder unterscheiden sich Haupt- und Nebensatz in der unterschiedlichen Besetzung der Satzklammern, vgl. (5). Das finite Verb bildet im Hauptsatz die linke Satzklammer (s. (5f-g)). Die rechte Klammer ist entweder durch infinite Verbformen oder Verberstformen kommen in meinen Kopora nicht vor. Zur AWeitung dieser Sätze verweise ich z.B. auf Haider (1986).
durch das distanzierte Präfix eines Präfixverbs besetzt. Treten solche Elemente nicht auf, bleibt die rechte Klammer leer. Im Nebensatz werden immer beide Klammern durch je ein Element belegt (s. (5a-e)). Andernfalls ist der Satz ungrammatisch. Die linke Satzklammer besetzt die einleitende Partikel, die rechte Klammer wird immer durch das finite Verb belegt. Ein wesentliches Unterscheidungskriterium also ist die Position des finiten Verbs, das sowohl im Hauptwie auch im Nebensatz an der Satzklammer beteiligt ist. Ein weiterer Unterschied zwischen Haupt- und Nebensatz ist, daß im Nebensatz kein Vorfeld existiert. Vor einer Konjunktion, einem Relativ- oder einem Interrogativpronomen steht kein weiteres Element, das zum Nebensatz gehört. Der Nebensatz unterscheidet sich also topologisch eindeutig vom Hauptsatz.2 Vorfeld
(5) a. b. c. d.
Natürlich hör ich, Das Schild steht hier, Dann frag ich dich, Und ich frage mich,
e. f.
Gib ihm doch die Wurst, — —
gh.
— —
— Was Wir
linke Klammer
Mittelfeld
rechte Klammer
daß weil was mit welchem Mittel die Mach wollen essen
der Hund das Biest wir jetzt wir ihn
bellt. beißt. tun. ablenken.
du in der Tasche hast. die Pelle aber vorher ab. wir dann heute abend essen? eben die Pelle.
Da der Nebensatz eine eindeutig andere syntaktische Struktur hat als der Hauptsatz, liegt die Frage nahe, ob diese Struktur mit bestimmten pragmatischen oder semanü'schen Funktionen verknüpft ist, die sich von denen des Hauptsatzes unterscheiden. Eine Sprache braucht mehr als nur einfache Nomen, um auf Objekte zu referieren. Kein noch so umfangreiches Lexikon ist ausreichend, um dem normalen täglichen Leben zu genügen. Wir benötigen zu jedem Zeitpunkt modifizierende Ausdrücke, mit denen wir neue, komplexere Bezeichnungen für all die spezifischen Vorkommen eines Objektes, über das wir sprechen wollen, konstruieren. Daneben müssen auch Nominale mit rein konnotativcr Bedeutung gebildet werden können (Limber 1973). Während des Grammatikerwerbs ist das Kind vorübergehend in einem Dilemma Es verfügt nicht über genügend Nomen (Prädikate) im Lexikon, um alle Objekte angemessen zu individuieren, die es sich vorstellen kann und über die es sprechen will. Der Erwerb von Nebensätzen stellt dem Kind eine grammatische Struktur zur Verfügung, mit der es eine Vielzahl von konkreten und abstrakten Endtäten sprachlich erfassen kann, für die einfache Ausdrücke nicht ausreichen. So können nun z.B. satzwertige Komplemente gebildet werden, wobei ein Matrixverb einem satzwertigen Argument eine -Rolle zuwei-
Wie die Beispielsätze (1) und (2) zeigen, gibt es abhängige Sätze mit Hauptsatztopologie, genauso wie es Matrixsätze mit finalem finiten Verb gibt, z.B.: Ob das wohl gutgeht! Es handelt sich jeweils um markierte Alternativen. Sowohl Hauptsätze mit Verbletztstniktur als auch abhängige Verb-Erst- bzw. Veib-Zwat-Sätze sind nur unter bestimmten Bedingungen möglich, vgl. Reis (1985).
8 sen kann; oder mit Relativsätzen können Nomen beliebig modifiziert werden. Auf diese Art und Weise wird eine neue Möglichkeit geschaffen, "Nomen" zu bilden. Darüberhinaus können nun logische Beziehungen, die zwischen Propositionen wie in (6) und (8) hergestellt werden, subordinativ wie in (7) oder (9) ausgedrückt werden. Das heißt, der logische Zusammenhang zwischen zwei Sätzen, zwischen zwei Propositionen wird in einer übergeordneten Struktur integriert. Dabei stehen diese Propositionen aber nicht gleichgewichtig nebeneinander. Die subordinierte Proposition verliert ihre illokutionäre Kraft. Ein Nebensatz ist eine reine Proposition. Er ist nicht nur syntaktisch, sondern auch pragmatisch untergeordnet, so daß in der Regel die subordinierte Proposition präsupponiert wird. (6) (7) (8) (9)
Natürlich hast du Dienstagabend keine Zeit. Du darfst ja Dallas nicht verpassen. Du hast Dienstag keine Zeit, weil du Dallas nicht verpassen willst Du hast keine Zeit. Ich weiß das. Daß du keine Zeit hast, weiß ich.
Wir können zusammenfassen, daß der Nebensatz einerseits eine eindeutig andere syntaktische Struktur hat als der Hauptsatz und daß andererseits diese Struktur mit bestimmten pragmatischen Funktionen verknüpft ist, die sich von denen des Hauptsatzes unterscheiden. Das bedeutet, daß der Erwerb der Nebensatzstruktur mehr ist als nur der Erwerb einer neuen grammatischen Konstruktion. Das Kind erwirbt ein syntaktisches Mittel, Informationen pragmatisch gewichtet auszudrücken und ein syntaktisches Mittel, komplexe "Nomen" zu bilden. Der Erwerb der Nebensatzstruktur soll im Rahmen des Prinzipien- und Parametermodells untersucht werden. Dieses Modell hat einen universalgrammatischen Anspruch. Die Universalgrammatik (UG) soll sowohl für alle Sprachen gültige grammatischen Prinzipien liefern als auch den Syntaxerwerb erklären, soweit er parametrisierte Prinzipien betrifft. When the parameters ofUG are fixed in one of the permitted ways, a particular grammar is determined, what I will call a 'core grammar'. In a highly idealized picture of language acquisition, UG is taken to be a characterization of the child's pre-linguistic initial state (Chomsky 1981:7). Die Fixierung der Parameter auf bestimmte Werte, die zu je einzelsprachlichen Grammatiken führen, ist also in zweierlei Hinsicht zu verstehen: 1. Aus der UG sind alle existierenden Grammatiken ableitbar. Sie unterscheiden sich dadurch, daß universale Parameter unterschiedlich fixiert sind. 2. Die UG ist der Ausgangspunkt für Spracherwerb. Über die Festlegung universaler Parameter auf je einzelsprachliche Werte wird die Kerngrammatik der Zielsprache erworbea Generative Ansätze gehen in der Regel davon aus, daß jede Sprache über eine einzige Basisstruktur verfügt, aus der alle oberflächenstrukturellen Formen abgeleitet werden. Deutsch ist eine SOV-Sprache, d.h. in der zugrundeliegenden Struktur steht das Verb final, und sie ist eine V-Zweit-Sprache (V2), dh. im Hauptsatz wird das finite Verb in eine vordere Position bewegt. Alle anderen Verbpositionen entstehen sekundär durch Bewegung anderer Satzelemente. Es ist allgemein bekannt, daß Nebensätze zu den spät erworbenen Strukturen im Deutschen gehören (vgl. Stern & Stern 1928, Mills 1985). Eine Untersuchung des Erwerbs von Nebensätzen muß
also fragen, wie die Strukturen für Haupt- und Nebensätze im Deutschen zu beschreiben sind, ob sie tatsächlich auf eine einzige Basisstruktur zurückzuführen sind, welche Strukturen Kinder vor den ersten Nebensätzen beherrschen, wie sie diese generieren und wie sie dann die Nebensatzstruktur erwerben. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, daß Kinder vor den ersten Nebensätzen über eine Basisstruktur verfügen, aus der sie Hauptsätze mit Verbzweitstellung durch Bewegung ableiten. Daraus ergäbe sich die Frage, ob für Nebensätze nur Bedingungen und Beschränkungen für die Ableitung einer neuen Oberflächenstruktur erworben werden oder ob mit dem Erwerb dieser topologisch neuen Form nicht auch eine andere Basisstruktur verbunden ist. Die erste Alternative könnte durch den Erwerb einer neuen lexikalischen Klasse, nämlich Komplementierer3, erklärt werden. Komplementierer würden als Basis-COMP-Elemente die Bewegung des finiten Verbs in eben diese COMP-Position verhindern und somit Verbletztstellung bedingen. Im anderen Fall würde etwa eine einfachere Basisstruktur erst um die COMP-Position erweitert. Weiter ist zu klären, ob und wie diese Umstrukturierung der kindlichen Grammatik als Parameterfestlegung beschrieben werden kann. Bevor im folgenden Kapitel 3 auf die Erwerbsfrage eingegangen werden kann, sollen zunächst verschiedene Vorschläge zur Beschreibung der deutschen Satzstruktur diskutiert werden.
2.2 Die Beziehung zwischen COMP und INFL In Chomsky (1981) werden die unter (10) formulierten Generierungsregeln und die damit generierte Basisstruktur (11) für das Englische vorgeschlagen. (10)
S'->COMP S S -> NP INFL VP
(11)
COMP COMP ist die Basisposition für Komplementierer. Chomsky (1981) schreibt dieser Position Tempusmerkmale zu, da es sowohl finite Komplementierer (z.B. that) als auch nicht-fmite (for) gibt Außerdem sind in COMP die Satzoperatormerkmale [+/-WH] lokalisiert, die ebenfalls Ich benutze den Ausdruck Komplementierer vorerst sowohl für daß, ob als auch für subonüniercnde Konjunktionen wie weil, als usw., die alle in der COMP-Position generiert werden und damit VerWeOlslcUung des finiten Verbs bedingen (s. dazu Kapitel 43). Ab Kapitel 4 wird der Ausdruck Komplementierer im eingeschränkten Sinn gebraucht. Adverbiale Einleiter sind Subjunktionen.
10
durch Komplementierer realisiert sein können, etwa that = [-WH] oder whether = [+WH]. Als kategoriale Basisposition vor VP wird INFL eingeführt Damit werden do-support sowie die besonderen Stellungseigenschaften von Modalverben und Auxiliaren im Englischen erfaßt. Diese Position ist spezifiziert für die Merkmale Tempus, Modus, Aspekt sowie [AGR], d.h. für die Kongruenzmerkmale zwischen Subjekt und finitem Verb. Nun läßt sich Struktur (11) nicht unmittelbar auf das Deutsche übertragen. Eine Analyse der Sätze (12) bis (17) zeigt, daß das finite Verb, das die Merkmale Tempus und [AGR] trägt, entweder in der VI-, der V2- oder in satzfinaler Position steht Für eine zentrale INFL-Position wie in (11) gibt es im Deutschen keine Evidenz. (12) (13) (14) (15) (16) Ich frage mich, (17) Mal sehen,
Peter kauft Will Er hat Wo hat ob was wenn daß
nun schon sein zweites Buch innerhalb von fünf Jahren. er es denn lesen! es tatsächlich für sich gekauft. die Kaufaktion denn stattgefunden1} er damit Isabella imponieren will. sie sagt, sie entdeckt, er gar nicht lesen kann.
Nimmt man an, daß auch der deutsche Satz eine CP ist, dann steht das finite Verb in COMP, wenn diese Position nicht von einem Komplementierer besetzt ist, oder es steht satzfinal, wenn der Satz durch einen Komplementierer eingeleitet ist (vgl. (12) bis (17)).4 Das spricht für die Annahme, daß die COMP-Position im Deutschen das Merkmal [+fmit] trägt Unter Finitheit sollen hier vorläufig die Merkmale für Tempus und Kongruenz (Person und Numerus) gefaßt werden, also die Merkmale, die Chomsky (1981) der Position INFL zuschreibt. Ein weiteres Argument für f+finit] in COMP sollen süddeutsche Dialekte liefern. Hier kann ein Komplementierer in Sätzen mit pronominalen Subjekt du mit dem 2.Ps.Sg.-Flexiv -st flektiert werden, wobei Pronomen und Flexiv klitisieren (18a) (Grewendorf 1988:207). Es fragt sich allerdings, ob Dialekte, die sich syntaktisch auch in anderen Details vom Standarddeutschen unterscheiden, Evidenzen für eben dieses Standarddeutsche liefern können. Die von Grewendorf im weiteren noch angeführten Belege aus der Umgangssprache werden nach meiner Erfahrung von linguistisch uninfizierten Mitmenschen durchweg nicht akzeptiert - obwohl sie mir leidlich akzeptabel vorkommen (vgl. (18b) (Grewendorf 1988:207) und (18c)). Bevorzugt werden immer Varianten, in denen ausschließlich das Pronomen an den Einleiter klitisiert, also (18d) und (18e). (18) a. b. c. d. e.
I woaß, obst du a Spitzbua bist. ??? Ich weiß, wenste getroffen hast. ??? Woher soll ich denn wissen, obste lieber Walnüsse oder Haselnüsse magst? Ich weiß, wende getroffen hast. Woher soll ich denn wissen, obde lieber Walnüsse oder Haselnüsse magst?
Die einleitende Partikel ist in den genannten Beispielen nicht immer ein Komplementierer. Der Status und die exakte Position von d- und w-Eänleitern soll erst im Abschnitt 23 behandelt werden.
11 Erste Ansätze, die für Deutsch und andere germanische Sprachen die Kategorie INFL neben COMP einführten, konzentrierten sich zunächst auf den offensichtlichen Zusammenhang zwischen COMP und dem bewegten finiten Verb und ließen beide Positionen zu einer zusammenfallen wie in Struktur (19) (u.a. Platzack 1983, Lenerz 1984, Scherpenisse 1986, Haider 1986). Platzack (1983) schlug einen COMP/INFL-Parameter vor, der für das Deutsche so festgelegt wird, daß beide Kategorien zu einer CONFL-Kategorie verschmelzen, so daß in CONFL neben den COMP-Merkmalen sämtliche INFL-Merkmale lokalisiert sind, während im Englischen die Kategorien eigenständig bleiben (vgl. auch Lenerz und Scherpenisse).5
Die Zusammenführung von COMP und INFL aber birgt verschiedene Probleme. Entweder steht das finite Verb in der Basis und vor allem im Nebensatz in einer Nicht-INFL-Position, nämlich in V, oder das Verb trägt vor der Bewegung nach CONFL noch keine INFL-Merkmale. In beiden Fällen würde das Strukturerhaltungsgesetz verletzt (Emonds 1976). Dieses Gesetz besagt, daß ein Element nur in eine Position bewegt werden darf, die für Elemente dieser Kategorie spezifiziert ist. In der stärksten Version fordert das Gesetz, daß sich die Merkmale der bewegten Kategorie vollständig mit denen der Zielposition decken. Wenn ein finites Verb aus V nach COMP bewegt würde, deckten sich zwar die Merkmale der bewegten Kategorie mit denen von COMP, aber nicht mit denen der Ausgangsposition. Im umgekehrten Fall würde ein V-Hement in eine INFL-Position bewegt, um dort erst die INFL-Merkmale zu erhalten. In Chomsky (1986) wird eine wesentlich schwächere Version des Gesetzes formuliert Strukturerhaltende Bewegungen liegen vor, wenn Köpfe ausschließlich in Kopfpositionen und Phrasen ausschließlich in Xmax-Positionen-bewegt werden. Um Kopf-zu-Kopf-Bewegung handelt es sich in jedem Fall, so daß diese schwache Form des Strukturerhaltungsgesetzes nicht verletzt wird Trotzdem bleiben kategoriale Probleme: Wie kann ein Verb mit INFL-Merkmalen überhaupt in der V-Position generiert werden? Oder wie kommen die Finitheitsmerkmale im Nebensatz ans Verb, wenn das Verb seine Finitheitsmerkmale nur in COMP erhalten kann? In Haiders Modell (1986) werden die INFL-Merkmale ganz konkret als Affixe in COMP realisiert. INFL wird als Merkmalset in COMP integriert. Sind Elemente in COMP basisgeneriert, kann das Verb nicht nach COMP, um sich mit den Affixen zu vereinigen. Sie müssen aber zusammenkommen, da morphologisch realisierte Affixe einen syntaktisch geeigneten Träger brauchen. Daß COMP und INFL Kategorien sind, die universal aufeinander bezogen sind, zeigt sich in typologisch mit dem Deutschen nicht verwandten Sprachen. So gilt für alle Sprachen mit kiitiscben, clause final COMPPartikeln, daß diese sich mit dem finiten Verb verbinden. Yaqui zJ). hat eine satzewlatcnde COMP-Partikel sowie eine klitische COMP-Partikel am finalen finiten Verb, wovon nur eine realisiert sein muß (vgl. Noonan 1985).
12 Geht der Prophet nicht zum Berg, sagt sich Haider, muß der Berg eben zum Propheten. Ein basisgenerierter Komplementierer also verdrängt die INFL-Merkmale, d.h. im Nebensatz wandern die Affixe zum Verb. In diesem Modell entstehen keine Kategorieprobleme in den Basispositionen. Unklar aber bleibt, wie in der Basis Komplementierer und INFL-Affixe, die ja beide lexikalische Köpfe in COMP sind, gleichzeitig generiert werden können. Es ist offensichtlich, daß es zwei Positionen im Satz für finite Verben gibt, nämlich COMP und die letzte Position im Satz (vgl. (12) - (17)). Anders ist nicht zu erklären, wieso mehrteilige Verbkomplexe im Nebensatz derart geordnet sind, daß das finite Verb in der Regel am Ende steht (s. (16), (17)). Finite Verben haben ein anderes Stellungsverhalten als infinite. In Endstellung können sowohl finite als auch infinite Verben stehen - und zwar nebeneinander, dh. infinite vor finiten, während in Zweitstellung nur finite Verben vorkommen.6. Im Englischen wird für finite Verben eine Position vor V eingeführt, im Deutschen muß sie V folgen.
(20)
(21) a. b.
(daß) (daß)
Peter Peter
den Kuchen den Kuchen
kaufkaufen
t will
Die Annahme einer satzfinalen INFL-Position und einer satzinitialen COMP-Position, in die das finite Verb bewegt wird, wenn COMP in der Basis unbesetzt ist, löst die bisher angeführten Probleme. Die Merkmale basisgenerierter Elemente müssen mit den kategorialen Merkmalen ihrer Basispositionen übereinstimmen. INFL trägt die Merkmale [AGR] für Person und Numerus sowie ] für Tempus, also [+finit]. Verben, die durch diese Position gegangen sind, sind finit. In der COMP-Position werden Komplementierer basisgeneriert; das sind lexikalische Elemente, die für [±w] und [+F] spezifiziert sind. Wie [±w] soll [+F] als eine Art Operator in COMP verstanden werden (Platzack & Holmberg 1989). [+F] sorgt dafür, daß COMP ein geeigneter Landeplatz für finite Verben ist und daß Komplementierer im Deutschen finite Komplemente nehmen und keine infiniten. Diese Überlegungen und grundsätzliche Prinzipien der X-Bar-
Infinite VertoaJteüe in VerberstsleUung kommen durch Topikalisienmg in diese Positon (z.B. Aufessen wollte er die Spaghetti doch nicht.).
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Theorie führen dazu, für das Deutsche eine Basisstruktur wie (20) anzunehmen (vgl. z.B. Grewendorf 1988).7
(22)
CP Spec XP denkuchenj
(23)
kaufen
Eine Variante der Struktur (20) schlägt Kratzer (1984) vor. Sie nimmt eine kategonale Identität der Positionen COMP und INFL an, so daß die Bewegung finiter Verben von der salzfinalen INFL-Position in die COMP-Position erfolgt. Diese Struktur unterscheidet sich von (20) nur darin, daß sie sowohl COMP als auch INFL als INFL-Positionen bezeichnet und damit zwei IPs generiert. Eine absolute Identifizierung der beiden Positionen allerdings müßte auch salzfinale Komplementierer erlauben.
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Der Satz selbst gilt nun als maximale Projektion von COMP mit COMP als Kopf dieser Projektion. Verbstämme werden in V0 generiert und Flexionssuffixe in adjazenter I0-Position. In der Basis sowie im Nebensatz besetzen finite Verben die INFL-Position (s.(20), (21)). Die Bewegung des fimten Verbs (im Hauptsatz) nach COMP unter Zurücklassung einer Spur folgt dem Prinzip der Kopf-zu-Kopf-Bewegung und genügt damit dem Strukturerhaltungsgesetz. In (22) und (23) ist jeweils die strukturelle Ableitung für den Haupt- bzw. Fragesatz (22) und für den Nebensatz (23) illustriert. In allen bisher vorgestellten Strukturanalysen des Deutschen werden V2- und VEnd-Sätze aus einer gemeinsamen Basisstruktur abgeleitet Die Verteilung von Komplementierern und finitem Verb legt einen Zusammenhang zwischen beiden Kategorien nahe, so daß V2 als Bewegung des Verbs aus einer satzfinalen Position nach COMP interpretiert wird (vgl. (22)), (s.a. Thiersch 1978). Das finite Verb kann in diese Position bewegt werden, da im Hauptsatz die COMP-Position in der Basis nicht besetzt ist. Die entscheidende Frage aber ist wieso muß das finite Verb in Hauptsätzen in die Verbzweitposition bewegt werden? Deskriptiv ist klar, daß in unemgeleiteten Sätzen, also in typischen Hauptsätzen Zweitstellung des fimten Verbs obligatorisch ist. In den bisher vorgestellten Ansätzen aber bleibt die Verbbewegung fakultativ. Das heißt nichts anderes, als daß die Theorie uneingeleitete Sätze mit finitem Verb in Endstellung übergeneriert (s. (24)).8 (24) *Ich das jetzt überlegen muß. Offensichtlich darf COMP nicht leer sein; und die Spezifikation von COMP legt fest, daß in Aussage- und Fragesätzen nur das finite Verb dorthin bewegt werden kann. Die einfachste Losung unter der Annahme einer gemeinsamen Basisstruktur für Haupt- und Nebensätze scheint mir folgende Überlegung zu liefern. Geht man davon aus, daß es keine leeren Köpfe geben darf (Haider 1987), folgt daraus unmittelbar, daß es keine maximalen Projektionen von leeren Köpfen gibt. Eine leere COMP-Position kann keine CP projizieren. Nimmt man weiterhin an, daß jeder Satz eine CP ist, heißt das, daß überhaupt kein Satz entsteht, wenn COMP in der Basis leer ist. Nach Oppenrieder (1991) müssen Sätze CPs sein, weil in COMP Statusmerkmale realisiert werden, die den Satz erst zu einem solchen machen. Also muß im Hauptsatz das finite Verb nach COMP bewegt werden, um die CP zu retten. Ähnlich kann man auch Lenerz (1984) verstehen. Verbbewegung nach COMP findet statt, weil eine leere Kategorie in COMP auf der Ebene der Logischen Form (= LF) nicht zu interpretieren ist. Bisher wurde davon ausgegangen, daß COMP und INFL die für die Unterscheidung von Haupt- und Nebensatz wesentlichen funktionalen Kategorien sind. Seit Pollock (1989) wird diskutiert, ob nicht die in INFL lokalisierten Tempus- und Agreement-Merkmale eigenständige funktionale Kategorien sind.9 In diesem Fall projizieren - getreu den X-Bar-Prinzipien - die Kategorien AGR und T (= Tempus) eigene maximale Phrasen (vgl. Chomsky 1989). Finitheit wird nun mit der Kategorie T identifiziert und ist als Merkmal [+F] ein Operator in T. Platzack 8 9
S. dazu auch Reis 1985. Siehe aber latridou (1990), die sich in ihrer Replik gegen Pollocks Analyse wendet.
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& Holmberg (1989) übernehmen diese Split-INFL-Hypothese für V2-Sprachen. Allerdings soll in V2-Sprachcn der Finithcitsopcrator [+F] in COMP lokalisiert sein, was nichts anderes heißt, als daß die Kategorie T mit COMP zusammenfällt. INFL wird aufgespalten in AGR und T. Aber COMP fusioniert mit T, so daß sich - anders als in Pollocks Analyse - die Anzahl der Projektionen nicht erhöht. Vcrbbcwcgung nach COMP wird mit der Forderung nach Lcxikalisierung von f+F] motiviert, falls COMP in der Basis nicht besetzt ist [+F] muß lexikalisicrt werden, denn nur so kann [+F] Nominativ lizensieren. AGRP wird als rechtsköpfige Phrase über VP eingeführt.1 ° Daraus entsteht für das Deutsche eine Basisstruktur wie (25). Die Ableitung von Haupt- und Nebensätzen erfolgt parallel zu den unter (22) und (23) beschriebenen. Struktur (25) unterscheidet sich von Struktur (20) nur dadurch, daß die INFL-Phrase durch die AGR-Phrasc ersetzt ist, wobei genaugenommen nur die Merkmale der ursprünglichen IP reduziert werden. Die INFL-Mcrkmalc [T.AGR] werden dissoziiert, und AGR generiert nun allein eine satzfinale verbale Position. CP
(25)
C1
Spec XP
AGRP
COMP [+F] Spec
Auch in dieser Analyse entsteht ein katcgorialcs Problem bei der Besetzung der Basispositionen. Finite Verben in Endstellung, also im Nebensatz tragen Tempusmerkmale, die nicht mit den Merkmalen der Kategorie AGR identisch sind. Es entstehen Unklarheiten wie in früheren Strukturmodcllcn, in denen satzfinal nur eine V-Position angenommen wird (vgl. (19)). Entweder sind Verben, die in AGR basisgeneriert werden (bzw. sich aus adjazentem V und AGR zusammcnbildcn), schon mit [+F/+T] für Tempus markiert und sind aufgrund dieses Merkmals geeignet, nach COMP bewegt zu werden - dann sollte aber auch die Basisposition für [+F/+T] spezifiziert sein; oder diese Verben tragen nur die AGR-Merkmale und bekommen das [+FJMcrkmal erst in COMP - dann stellt sich die Frage, wie [+F] bzw.Tcmpusmcrkmalc an finite Verben im Nebensatz kommen. Wie bei der CONFL-Analyse entsteht das Problem aus der Forderung, daß die Merkmale basisgenerierter Elemente mit den Kategoriemerkmalen ihrer Basisposition übereinstimmen müssen. Mit anderen Worten: wenn Finitheit mit Tempus (und verwandten Kategorien wie Aspekt, Modus usw.) gleichgesetzt wird, dann ist AGR # finit Ent10
In Hatzack & Holmberg (1989) wird Deutsch nicht untersucht. Aus den Analysen anderer V2-Sprachen aber kann man auf eine rechtsköpfige AGRP oder IP schließen, in der nur die AGR-Merkmale lokalisiert sind.
16 weder gibt es im Deutschen satzfinal eine AGRP und eine TP oder eben eine IP, die mit den Merkmalen [+F/+T] für Tempus und [AGR] die satzfinale Basisposition kategorial qualifiziert. Ich ziehe aus folgendem Grund die IP-Analyse vor. Finite Verben sind im Deutschen immer Formen, die sowohl Kongrucnzmerkmale als auch Tempusmerkmale tragen. Es gibt keine verbalen Elemente, die nur für Kongruenz oder für Tempus spezifiziert wären. Für eine Sprache wie Portugiesisch, in der auch am Infinitiv Subjektkongruenz markiert werden kann, ist es weit sinnvoller, eine Dissoziation von AGR und T in der Syntax anzunehmen. Flektierte Infinitive aber sind im Deutschen nicht möglich. Aus diesen Gründen wird die Sp/i/-/WFL-Hypothese hier nicht weiter verfolgt. Wenn in der weiteren Diskussion auf eine gemeinsame Basisstruktur für Haupt- und Nebensatz referiert wird, ist damit Struktur (20) gemeint, in der ein satzfinales INFL sowohl die [AGR]- als auch die (T]-Merkniale trägt, während in COMP die Satzoperatoren [+F] und [±w] lokalisiert sind, d.h. Merkmale die Aussagen über den Status des Satzes machen. Nun ist allerdings zu fragen, ob es tatsächlich sinnvoll ist, von einer gemeinsamen Basisstruktur für Haupt- und Nebensatz auszugehen. Vertreter der sogenannten Differenzhypothese nehmen im Gegensatz zu Vertretern der bisher vorgestellten Uniformitätshypothese an, daß sich Haupt- und Nebensätze kategorial voneinander unterscheiden und auf verschiedene Basisstrukturen zurückzuführen sind (u.a. Reis 1985, Stechow & Stemefeld 1988). Begründet wird die Differenzhypothese vor allem damit, daß die Ableitung von Vl/V2-Strukturen und von Verbletztsätzen aus einer gemeinsamen Basisstrukur Zusatzannahmen fordert, die nur zur Erklärung dieser Ableitung gemacht werden, und nicht unabhängig zu begründen sind. Dazu zählen vor allem Festlegungen, die die Verbbewegung nach COMP im Hauptsatz betreffen, d.h. die COMP zu einem geeigneten Landeplatz für das finite Verb machen.
(26)
e
i
«2
kaufen kauf-
Unter der Differenzhypothese wird für die Generierung von Nebensätzen eine Struktur wie (20) angenommen, während für Haupt- und Fragesätze eine IP ausreicht Wie COMP eignet sich auch INFL als Kopf eines Satzes. In INFL werden die Flexive generiert, die die Finitheitsmerkmale tragen. Diese Satz-IP unterscheidet sich von der CP-intemen IP durch die Position
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von INFL: der Kopf ist nun linksperipher (vgl. (26)). V2-Strukturen entstehen durch Bewegung von V nach INFL, Diese Bewegung ist obligatorisch, da die INFL-Merkmale als Rexive in INFL generiert werden und einen geeigneten morphologischen Träger brauchen. Da die Flexive in INFL als oberster funktionaler Kategorie Satzoperatormerkmale lexikalisieren, dürfen sie INFL nicht verlassen. Deshalb muß V nach INFL bewegt werden, und eine Bewegung der Rexive von INFL nach V ist nicht möglich. Zu den Operatormerkmalen in INFL gehören neben Tempus und Kongruenz auch Satzmodusmerkmale (Imperativ, Indikativ vs. Konjunktiv), die das finite Verb tragen kann. Die Annahme, daß die selbständige INFL-Phrase linksköpfig, die von CP dominierte aber rechtsköpfig ist, steht im Widerspruch zu der Forderung, daß der Kopfparameter innerhalb einer Sprache für jeden Phrasentyp nur auf einen Wert festgelegt sein soll. Es gibt aber Ausnahmen von diesem Prinzip. So unterscheiden sich Sprachen u.a. darin, ob sie über Präpositionen oder Postpositionen verfügen. Typischerweise hat eine PP innerhalb einer Sprache den Kopf entweder linksperipher, d.h. P ist eine Präposition, oder rechtsperipher, dann ist P eine Postposition. Im Deutschen dominieren Präpositionen, also linksköpf ige PPs, aber es gibt auch einige Postpositionen11. Weitere Evidenz dafür, daß eine Phrase nicht immer auf links- oder rechtsköpfig festgelegt sein muß, liefert das Althochdeutsche (AHD). Neben den auch im Neuhochdeutschen (NHD) vorkommenden V1-/V2- und V-Endsätzen gab es im AHD VerWetztHauptsätze ohne Einleiter (vgl. dazu Lenerz 1984). Mit einer Struktur wie (20) allein sind diese Sätze nicht zu erfassen. Eine mögliche Erklärung wäre, daß Verbbewegung nach COMP (noch) nicht obligatorisch ist, so daß V2- und V-End-Hauptsätze koexistieren. In V-End-Hauptsätzen müßten wir dann allerdings annehmen, daß COMP sowohl in der Basis- als auch in der Oberflächenstruktur leer ist. Eine elegantere Lösung bietet die Annahme, daß die Basisstruktur dieser Sätze eine IP mit rechtsperipherem Kopf ist. Die Verb-End-Stellung ergibt sich dann daraus, daß es keine Position gibt, in die das finite Verb bewegt werden könnte. Alle übrigen Strukturen werden aus (20) abgeleitet oder - wie unter der Differenzhyposthese - aus (20) und (26). Die Koexistenz einer kopfinitialen IP und einer kopffinalen IP zur Generierung von Hauptsätzen wäre dann im Laufe der Zeit zugunsten der kopfinitialen IP aufgegeben worden. Der Punkt, der sich für die Differenzhypothese machen läßt, ist, daß es durchaus Sinn machen kann, zwei (oder gar drei) Basisstrukturen für eine Sprache anzunehmen.12 Trotzdem läßt sich eine Entscheidung darüber, ob mehrere Basisstrukturen im Deutschen angenommen werden müssen, nicht endgültig treffen.
11
12
Dazu zählen halber, zufolge sowie die auch als Präpositionen voikommenden Postpositional wegen, zugunsten, zufolge, entlang, längs usw. VerglddibsreVorechläge macht Diesing (1989) für das Yiddische.
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2.3 Positionen an der linken Satzperipherie Neben der Ausdifferenzierung der verbalen Positionen V, INFL und COMP ist die interne Struktur der COMP-Phrase und die Besetzung der Positionen in der CP immer wieder diskutiert worden. Nach dem generellen X-Bar-Bauplan besteht die CP aus einem Kopf C, einer Spezifiziererposition SpecCP und einem Komplement In Struktur (20) ist das die IP. Gehen wir zunächst von Struktur (20) als gemeinsamer Basis für Haupt- und Nebensatz aus. Unter der Uniformitätshypothese muß die CP eine Reihe unterschiedlicher Positionen an der linken Satzperipherie zur Verfügung stellen, (s. (27)). (27) Positionen an der linken Satzperipherie eine Position für basisgenerierte Komplementierer und Subjunktionen, s. (28a,b,) eine Position für nebensatzeinleitende d-/w-Pronomen und -Phrasen in indirekten Fragesätzen und Relativsätzen, s. (28c-e) eine Position für Fragepronomen in direkten Fragesätzen, s. (28g), eine Position für topikalisierte XPs, s. (28h) eine Position für das bewegte finite Verb, s. (28f-h)
(28)
Vorfeld
a. b. c. d.
Natürlich hör ich, Das Schild steht hier, Dann frag ich dich, Und ich frage mich,
e. f.
Gib ihm doch die Wurst, — — — Was Wir
gh.
— — —
linke Klammer
Mittelfeld
rechte Klammer
der Hund weil das Biest was wir jetzt mit welchem wir ihn Mittel die du in der Tasche Mach die Pelle aber vorher wollen wir dann heute abend essen eben die Pelle.
bellt. beißt tun. ablenken.
daß
hast.
ab. essen? ___
Im Modell der topologischen Felder werden diese Elemente mit zwei Positionen assoziiert, mit dem Vorfeld und der linken Satzklammer (vgl. (5), hier wiederholt als (28)). In der linken Satzklammer steht im Nebensatz eine einleitende Partikel (Subjunktion, Komplementierer oder Pronomen) und im Hauptsatz das finite Verb. Das Vorfeld existiert nur im Haupt- und Fragesatz und kann von höchstens einem Satzglied besetzt werden. Es liegt nahe, das Vorfeld mit SpecCP und die linke Satzklammer mit COMP zu assoziieren. In der Spezifiziererposition stehen dann alle topikalisierten Phrasen sowie die durch w-Bewegung vor das finite Verb bewegten Fragepronomen.13 In COMP werden Komplementierer und 13
Haider (1986) nimmt an, daß nebensatzeudeiteiide [±w]-Hemente die COMP-Pöätion besetzen, da sie Subkategonsienmgsanfofdenmgen bzw. Kongroenzforderungfn des Matiixsatzes erfüllen. Nur in COMP, in einer Kopfposition können die Subkategorisierungsmeritmale des Matrixverbs bzw. Kongruenzmerkmale von
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Subjunktionen basisgeneriert; im Hauptsatz wird das finite Verb in diese Position bewegt. Unklar sind der kategoriale Status und die Position der nebensatzeinleitenden w-/d-Pronomen bzw. -Phrasen (s. (28c-e)). Wie Komplementierer verhindern sie die Bewegung des finiten Verbs nach COMP; demnach müßten sie genau diese Position besetzen.Wie die Pronomen in direkten Fragen aber sind sie aus einer Basisposition herausbewegte, maximale Projektionen; das bedeutet, daß sie gar nicht in der Kopfposition, sondern wie topikalisierte XPs nur in der SpecCP stehen können. Einerseits kann die positionale Trennung zwischen w-Landeplatz und Komplementiererposition wegen der Indirekten Fragesätze nicht aufrecht erhalten werden, andererseits muß sie bestehen bleiben wegen des Unterschieds zwischen Indirekten Fragesätzen und Ergänzungsfragen (vgl. Reis 1985, Reis & Rosengren 1988).14 Drei Fragen sind zu beantworten: 1. Welche Position besetzen nebensatzeinleitende d-/w-Partikeln und -Phrasen: COMP wie Komplementierer oder SpecCP wie Fragepronomen? 2. Wenn sie in SpecCP stehen, wie wird dann Verbbewegung in die leere COMP-Position verhindert? 3. Wieso gibt es in Nebensätzen, die mit Komplementierern eingeleitet sind, keine Position vor COMP?15 Nebensatzeinleitende Pronomen und Phrasen sind bewegte XPs.16 Nach dem Strukturerhaltungsgesetz können XPs nur in Spezifiziererpositionen bewegt werden (Chomsky 1986). Das heißt, daß d-/w-Pronomen sowohl im Nebensatz wie im Hauptsatz in der Spec-Position stehen müssen. Sowohl Topikalisierung wie auch w-Bewegung sind Instanzen von XP-Bewegung in eine A-Bar-Position (Reis & Rosengren 1988). Also kann auch im Nebensatz die Spezifiziererposition von COMP besetzt sein, und zwar genau dann, wenn der Nebensatz durch ein Pronomen eingeleitet ist. Wenn das Pronomen in SpecCP steht, ist COMP nicht besetzt In eine leere Relativpronomen erfüllt weiden. Haider übergeht, daß d-/w-Phrasen maximale Projektionen sind, die nicht in der Kopfposition COMP stehen dürfen. Ein Problem für die Analyse ist auch die Generierung selbständiger w-Verbletztsätze. Nach Lenerz (1985) sind nebensatzeinleitende d-/w-Pronomen analog der diachronen Entwicklung von daß in die lexikalische Kategorie Komplementierer überführt worden. Das hieße allerdings, daß sie in COMP basisgeneriert werden müßten, wogegen entschieden die Tatsache spricht, daß sie im Nebensatz ein Satzglied repräsentieren. Vertreter der sogenannten Doppelkopfanalyse (z.B. Ijenerz 1981, Olsen 1982/84) versuchten, dieses Problem mit der Annahme von zwei strukturellen Positionen in COMP zu lösen. Die erste Position (A) ist Landeplatz für w-Bewegung, d.h. für alle bewegten XPs, ob sie nun einen Nebensatz einleiten oder das klassische Vorfeld darstellen. Die zweite Position (B) entspricht der Basis-COMP-Position. B ist also die Position für Komplementierer oder für das finite Verb. Zur Diskussion dieser Analyse vgl. Reis (1985). Wesentlich gegen diese Analyse spricht, daß ein doppelter COMP-Knoten aus unabhängigen Prinzipien nicht abzuleiten ist, d.h. daß die Analyse nicht den X-Bar-Prinzipien folgt und daß die Doppelbesetzung durch zusätzliche Filter verbindert werden muß. Auch in Entscheidungsfragen und Aufforderungen bleibt das Vorfeld unbesetzt. Ich setze mich mit dieser Problematik nicht weiter auseinander, sondern verweise dazu auf Haider (1986), Reis (1985) und Scherpenisse (1986). Ich spreche im folgenden der Einfachheit halber nur noch von einleitenden Pronomen oder Partikeln, meine aber auch vollständige Phrasen wie in (28d).
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COMP-Position aber muß das finite Verb bewegt werden. Da das nicht geschieht, nimmt man an, daß COMP auf der Ebene der S-Struktur lexikalisch besetzt ist. In COMP werden die vom Matrixverb geforderten Subkategorisierungsmerkmale des Nebensatzes bzw. die Kongruenzmerkmale der Relativphrase realisiert. Nur ein Komplementierer kann diese Merkmale in COMP lexikalisieren. Also wird ein 0-Komplementierer angenommen, ein Komplementierer, der auf der Ebene der Phonologischen Form (PF) nicht realisiert wird (vgl. Grewendorf 1988, Diesing 1989). Nun ist das zunächst nichts weiter als eine ad-hoc-Erklärung: offensichtlich wird das finite Verb in mit d-/w-Pronomen eingeleiteten Nebensätzen nicht in die COMP-Position bewegt, also kann die COMP-Position nicht leer sein. Evidenz für die Annahme, daß in COMP ein 0-Komplementierer steht, der die Bewegung des finiten Verbs nach COMP verhindert, findet man in dialektalen und umgangssprachlichen Varianten sowie in diachronen Formen, s. (29) (Lenerz 1985, Fries 1985). Hier sind offensichtllich zwei einleitende Positionen besetzt (29) a. Da läuft der Mann, der wo das Auto gestohlen hat. b. Josef hat gefragt, wem daß der Mantel gehört. Allerdings ist genau wie bei der Diskussion um die Klitisierung von Pronomen an Komplementierer zu fragen, ob aus dialektalen Varianten Argumente für die Standardsprache abgeleitet werden dürfen. Weiterhin stellt sich die Frage, wieso in Nebensätzen, die durch einen Komplementierer eingeleitet sind, kein Vorfeld besteht. Nach dem X-Bar-Bauplan müßten sie erlaubt sein. Es wurde im vorhergehenden Abschnitt deutlich, daß die COMP-Position Satzoperatormerkmale bzw. statuskennzeichnende Merkmale des Satzes trägt (s.u.a Grewendorf 1988, Oppenrieder 1991). Diese werden als die Merkmale [±w] und [+F] realisiert. Die einzige lexikalische Kategorie, die beide Merkmale trägt, ist die Kategorie der Komplementierer (Stechow & Sterncfeld 1988). Das Merkmal [+F] legt fest, daß Komplementierer im Deutschen finite Nebensätze einleiten. Indirekte Fragesätze unterscheiden sich von anderen Nebensätzen durch das Merkmal [+w]. Im Hauptsatz wird [+F] lexikalisiert, indem das finite Verb nach COMP bewegt wird. Die [±w]-Merkmale bleiben frei und können in SpecCP an einer XP realisiert werden (s.u.a. Haider 1986, Scherpenisse 1986). D.h. ein Vorfeld entsteht genau dann, wenn SpecCP die [±w]-Merkmale von COMP erbt Da die Statusmerkmale des Satzes in COMP bzw. SpecCP realisiert sein müssen, und Relativ- und w-Ausdriicke entsprechende Operatormerkmale tragen, müssen diese Pronomen an den Satzanfang (vgl. Oppenrieder 1991, Reis & Rosengren 1988). In deklarativen Sätzen muß diese Position von einer [-w]-XP besetzt sein. Wenn keine XP aus dem Satz nach SpecCP geht, lexikalisiert expletives es dieses Merkmal. Da die SpecCP-Position nur entsteht, wenn die [±w]-Merkmale in COMP nicht lexikalisiert werden, verhindern basisgenerierte Komplementierer, daß die Spezifiziererposition generiert wird. Diese Erklärung zur Beschränkung bzw. Generierung des Vorfelds läßt allerdings verschiedene Probleme ungelöst. Anders als lexikalisch realisierte Kompletnentierer verhindert der 0Komplementierer die Generierung eines Vorfelds nicht. Also unterscheidet er sich von daß und ob. Für ihn muß angenommen werden, daß er nur [+F] besetzt und damit Verbbewegung verhindert, während [±w] unbesetzt bleibt, so daß Pronomen nach SpecCP bewegt werden dürfen.
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Offen ist weiterhin, was mit [±w] in Vl-Sätzen, also in Imperativsätzen und Entscheidungsfragen geschieht. Diese Fragen werden auch von der Differenzhypothese nicht gelost, da auch hier für Nebensätze von der Basisstruktur (20) ausgegangen wird. Unter der Differenzhypothese werden die in (27) zusammengestellten Positionen auf die CP und die IP aufgeteilt Im Nebensatz werden COMP und SpecCP genauso besetzt wie unter der Uniformitätshypothese. Das Verb bewegt sich nicht nach COMP, sondern nur von V nach INFL. COMP ist für [±w,+F] spezifiziert. Das Merkmal [+F] in COMP legt fest, daß der Satz finit ist, d.h. daß in der INFL-Position ein finites Verb stehen muß. Da die CP nur Nebensätze generiert, so daß COMP in der Basis immer besetzt ist, ist V2 im Nebensatz ausgeschlossen. Daher wird anders als unter der Uniformitätshypothese das Finitheitsmerkmal nie durch ein finites Verb Icxikalisieit Für die Besetzung bzw. Generierung des Vorfeldes im Hauptsatz hat die Annahme zweier unterschiedlicher Basisstrukturen allerdings weitreichende Konsequenzen. Wenn V2-Sätze IPs wie in (26) sind, kann die Spezifiziererposition von IP nicht mehr die Basisposition für das Subjekt sein. SpecIP muß für topikalisierte Elemente und bewegte w-Phrasen zur Verfügung stehen. Das Subjekt wird VP-intern generiert, so daß die Spezifiziererposition von IP als ABar-Position definiert wird, in die Phrasen bewegt werden können (vgl. Diesing 1989, latridou 1990).17 Fragesätze werden durch das [+w]-Merkmal in satzinitialer Position definiert. Dieses Merkmal zieht w-FJemente an: in direkten Fragen wird ein w-FJement nach SpecIP und in Indirekten Fragesätzen nach SpecCP bewegt (Reis & Rosengren 1988). Der Satzmodus eines selbständigen Satzes wird in der obersten A-Bar-Position festgelegt, also in SpecIP,18 so daß ein [+w]-Merkmal an einer COMP-Phrase nie den Satzmodus FRAGE festlegen kann, während [+w] in SpecIP genau das tut Da CPs typischcrweise abhängige Sätze sind, werden die Merkmale in COMP und in SpecCP von außen festgelegt, so daß diese Sätze keine eigene illokutionäre Kraft haben (vgl. auch Lang & Pasch 1988:18). Matrixverben, die für finite Komplementsätze subkategorisiert sind, legen die [±w]-Merkmale und [+F] des Nebensatzes fest Alternativ zu den V-End-Nebensätzen erlaubt eine kleine Gruppe von Matrixverben, die sogenannten Brückenverben abhängige V2-Sätze, also IPs. Im Unterschied zu CP-Sätzen, darf ein IPKomplement nur das [-w]-Merkmal tragen, denn f+w] in SpecIP würde den Satzmodus des abhängigen Satzes auf FRAGE festlegen und damit in Konflikt geraten mit dem Satzmodus des Matrixsatzes. Aus diesem Grund sind abhängige V2-Sätze nie mit w-Pronomcn eingeleitet So sind [+w]/V2-Sätze immer selbständig, d.h. nie subkategorisiert, und in subkategorisierten [+w]-Sätzen steht das finite Verb nie in der V2-Position (Reis & Rosengren 1988).
18
Es gibt Evidenz dafür, daß auch innerhalb von mit Komplementieren! eingeleiteten Nebensätzen topikalisiert werden kann, wobei nur SpecIP die Landeposition sein kann; z.B. Ich glaube nicht, daß singen Peter besser kann als Saxophon spielen. Diese Beobachtung spricht dafür, daß das Subjekt generell in SpecVP generiert wird. In CPs wie in IPs ist die Zielposition für Yopikalisierung SpecIP. Topikalisierung nach SpecCP ist nicht möglich In diese Position können nur Phrasen mit bestimmten Operatormerkmalen ([+w], rd, je), d.h. w-Bewegung ist Bewegung nach SpecIP oder SpecCP (vgl. Reis & Rosengren 1988). Selbständige CPs sind markierte Fälle. Aber auch für diese selbständigen V-End-Sätze wie Ob Hans wohl noch kommt? gilt, daß Sat/modus bestimmende Merkmale in der obersten A-Bar-Position, in diesem Fall SpecCP, festgelegt sind.
22 Keiner der beiden Ansätze - weder die Uniformitätshypothese noch die Differenzhypothese löst alle Fragen, die sich aus der Besetzung bzw. Nicht-Besetzung des Vorfeldes im Deutschen ergeben. Daher soll und kann eine endgültige Entscheidung zugunsten der Uniformitäts- oder der Differenzhypothese hier nicht getroffen werden. Im Rahmen der hier vorgestellten Analysen soll im folgenden der Erwerb der Nebensatzstruktur untersucht werden (Kapitel 3). Für diese Analyse werde ich sowohl auf Struktur (20) als auch auf (26) zurückgreifen. Wie in Kapitel 3 gezeigt werden soll, gibt es Evidenz für die Hypothese, daß zumindest in der Phase, in der erste Nebensätze im Spracherwerb auftreten, zwei (oder mehr) Basisstrukturen in der kindlichen Grammatik existieren (können). Sobald es um den Erwerb unterschiedlicher Nebensatztypen geht, also in den an 3. anschließenden Kapiteln, werden die syntaktischen Bedingungen, die für diese Strukturen jeweils von Bedeutung sind, detaillierter dargestellt
3.
Der Erwerb der Nebensatzstruktur
Im folgenden soll ein Versuch gemacht werden, den Erwerb der Nebensatzstruktur im Prinzipien- und Parameteransatz zu analysieren. Um die Entwicklung dieser Struktur aus Vorläuferstrukturen erklären zu können, muß zunächst das syntaktische System beschrieben werden, über das Kinder vor dem Auftreten erster Nebensätze verfügen (s. 3.1). Da die für diese Arbeit erhobenen Daten diese Phase nicht erfassen, sondern erst mit dem Auftreten erster subordinierter Verbletztstrukturen beginnen, muß für diese Analyse auf andere Untersuchungen zum Syntaxerwerb des Deutschen zurückgegriffen werden. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wird in 3.2 eine Analyse des Erwerbs der Nebensatzstruktur entwickelt und in 3.3 an den Daten überprüft.
3.1 Die Satzstruktur vor den ersten Nebensätzen Die Frage nach der syntaktischen Struktur, die Kindern vor dem Erwerb der ersten Nebensätze zur Verfügung steht, ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: 1. Sie ist Ausgangspunkt und Basis für die grammatischen Prozesse, die zum Nebensatzerwerb führen. Damit stellt sie eine Bedingung für den Erwerb dieser Struktur dar. 2. Nur aus dem Vergleich des syntaktischen Systems vor mit dem nach dem Erwerb der Nebensatzstruktur kann geschlossen werden, welche Konsequenzen der Erwerb dieser Struktur für die kindliche Grammatik hat bzw. inwieweit syntaktische Umformungen stattfinden oder nicht. Die intensivsten und umfassendsten Arbeiten zum frühen Syntaxerwerb des Deutschen stammen von Clahsen (auf die ich mich in diesem Abschnitt überwiegend beziehen werde) und von Tracy (1991). Der Erwerb der funktionalen Kategorien INFL und COMP ist darüberhinaus zentrales Thema in neueren Arbeiten von Weissenbom (1990), Fritzenschaft et al. (1991) sowie in den Aufsätzen von Meisel (1990), Müller (1990) und Meisel & Müller (1990) zum Syntaxerwerb bei bilingualen Kindern (Deutsch/Franzosisch). Mills (1985) gibt außerdem einen umfangreichen Überblick über den Verlauf der syntaktischen Entwicklung im Spracherwerb, der einen Großteil der zu diesem Thema verfügbaren Arbeiten bis zum Anfang der 80er Jahre berücksichtigt Im allgemeinen geht man davon aus, daß erste Nebensätze im Alter von zweieinhalb bis dreieinhalb Jahren auftreten, wobei die individuelle Variation sehr hoch ist Die von Clahsen untersuchten Zwillinge produzierten ihre ersten Nebensätze erst nach dem 40. Lebensmonat (Clahsen 1982), während in den Daten von Stern & Stern (1928) erste Nebensätze ab zweieinhalb Jahren
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auftraten.1 Die Entwicklung der Syntax im dritten Lebensjahr sollte also die Basis für den Erwerb der Nebensatzstruktur sein. Clahsen (1986b) wertet eine große Anzahl der zum Erwerb des Deutschen bis Anfang der 80er Jahre entstandenen empirischen Untersuchungen aus und erstellt auf dieser Grundlage ein grammatisches Entwicklungsprofil. Das Profil umfaßt fünf Phasen: von der Einwortphase (= Phase 1) bis zum Erwerb von Kasusmarkierungen und Nebensätzen (= Phase V). In den Phasen II und III erwerben Kinder nach und nach Verbflexive, ohne sie aber systematisch zur Markierung von Subjekt-Verb-Kongruenz (SVK) zu benutzen. In diesen Phasen dominiert bei den meisten Kindern Verbletztstellung. In Phase IV wird als letztes Flexiv des Verbflexionsparadigmas -st erworben2. Flektierte Verben kongruieren nun mit dem Subjekt. Ab Phase IV beherrschen Kinder die V2-Regel im Deutschen, und Phase V wird u.a. durch das Auftreten erster Nebensätze definiert.3 Dieses Profil, das auf den Erwerbsdaten vieler Kinder basiert, legitimiert mein Vorgehen, für die Bestimmung des grammatischen Entwicklungsstands vor dem Auftreten erster Nebensätze auf andere Untersuchungen zum frühen Syntaxerwerb zurückzugreifen und anzunehmen, daß Kinder allgemein vor dem Erwerb erster Nebensätze die V2Regel im Hauptsatz anwenden. Den Zusammenhang zwischen dem Erwerb des Verbflexionsparadigmas und der Verbstellung im Hauptsatz untersucht Clahsen detailliert an den Daten von drei Kindern (Clahsen 1982, 1986a, 1988, 1991; Clahsen & Penke 1991). In Phase II treten die meisten Verben in der Stammform (-0) oder als Infinitiv auf (-n). Das Flexiv -t ist selten. Ab Phase III ist dann auch das Suffix -e (schwa) belegt. Wie im Standarddeutschen ist -e eine phonetische Variante der Stammform. In Phase II wird nur mit etwa der Hälfte der Stammformen und Infinitive SubjektVerb-Kongruenz (SVK) hergestellt. Da diese Formen unabhängig von Person und Numerus des Subjekts verwendet werden, gelten sie als default-Formen. Während Phase III steigen die Korrektheitsweite nur allmählich an. Ob das Suffix -t in den Phasen II/HI schon die Merkmale für die S.Ps.Sg. trägt (cf. Weissenborn 1990, Meisel 1990), oder ob es Aspekt (Tracy 1991) oder Intransitivität (Clahsen 1988) markiert, wird kontrovers diskutiert. Der entscheidende
Lundin & Platzack (1988) schließen aus der Beobachtung, daß in ihrem schwedischen Untersuchnngsmaterial Nebensätze ab dem 30. Monat belegt sind, während sie in Clahsen (1982) erst nach dem 40. Monat auftreten, daß die Ursache dafür in grammatischen Unterschieden zwischen der je zu erwerbenden Zielsprache (Schwedisch vs. Deutsch) liegt. Daß qualitative Unterschiede im Erwerb durch die unterschiedlichen Zielsprachen (z.B. Verbzwei tstellungsalternativen in eingeleiteten Nebensätzen im Schwedischen) erklärt werden müssen, ist richtig. Der Schluß auf eine Altersabhängigkeit aber ist, wenn auch verlockend, so doch entschieden zu früh: Sie vergleichen die Daten von drei schwedischen Kindern mit den von Clahsen untersuchten zwei Kindern. Die Ergebnisse des von Tracy geleiteten DFG-Prqjekts zum Erwerb komplexer syntaktischer Strukturen im Deutschen bestätigen, daß die Altersvariation sehr groß ist (vgl. Fritzenschaft et al. 1991). Radford untersucht die Entstehung der CP im Englischen und findet, daß Komplementierer frühestens bei Dreijährigen auftreten (Radford 1987:58). Zur Konzeption und Analyse des Erwerbs von Flexionsparadigmen verweise ich auf Clahsen (1988). Zur genauen Beschreibung der fünf Erwerbsphasen verweise ich auf Clahsen (1986a,b; 1988). Die Ergebnisse von Tracy (1987) basieren auf wöchentlichen Aufnahmen und verweisen eher auf allmähliche Restrukturie rungsprozesse als auf eine strikte Stufeneinteilung. Vgl. dazu auch A.2.3
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Schritt im Erwerb von SVK ist das Auftreten von -st an regulären Verben.4 Dieses Flexiv ist vom ersten Auftreten an korrekt, und sobald es verwendet wird, werden auch die anderen Flexive des Paradigmas mit den korrekten Bedeutungen für Person und Numerus belegt. Unmittelbar mit Erwerb von regulärem -st steigen die Korrektheitswerte der übrigen Flexive auf Werte zwischen 90% und 100% (Clahsen 1988). Bei einem der untersuchten Kinder (Simone) allerdings bleiben die Korrektheitswerte für -n auch nach dem Erwerb von -st niedrig, obwohl die Korrektheitwerte für die übrigen Flexive wie bei den beiden anderen Kindern auf über 90% ansteigen (Clahsen & Penke 1991). Offensichtlich hat das Flexiv -n zu diesem Zeitpunkt zwei Funktionen. Einerseits reiht es sich in das SVK-Paradigma ein, denn in obligatorischen Kontexten, d.h. in l.und S.Ps.Pl.-Kontexten flektiert Simone finite Verben korrekt mit -n. Andererseits behält -n default-Status, denn es tritt - anders als die übrigen Flexive - weiterhin auch mit Singularsubjekten auf. Das bedeutet, daß auch nach dem Erwerb von SVK Simone die Option hat, -n als default-Flexiv zu benutzen. Für alle untersuchten Kinder aber gilt, daß SVK nicht beherrscht wird, ehe nicht das Verbflexionsparadigma vollständig verfügbar ist. Mit dem Erwerb von SVK korreliert der Erwerb der Verbzweitstellung. In den Phasen II/III überwiegt bei allen drei Kindern Verbletztstellung. Die Kinder verfügen nur über eine begrenzte Anzahl finiter Verbelemente, die die V2-Position besetzen können. Dazu zählen Modalverben, Formen von sein und mit -t flektierte Verben. Die satzfinale V-Position wird durch infinite Verbformen, überwiegend durch Stämme und Infinitive besetzt. Mit dem Anstieg der Korrektheitswerte für SVK steigen auch die Werte für V2 auf über 90% (Clahsen 1988). Clahsen schließt daraus, daß das Kind nun in der Lage ist, produktiv finite Formen von beliebigen Verben zu generieren und damit durchgängig die V2-Position lexikalisch zu füllen. Zu diesem Zeitpunkt werden Auxiliar- und ModaJverbkonstruktionen häufiger, wobei Modalverben und Auxiliare in der zweiten Position stehen, während das infinite Verb die satzfinale Verbposition besetzt. Mit -st und mit -t flektierte Verben stehen von Beginn ihres Auftretens an in der V2-Position, während -n flektierte Formen und Stammformen regulärer Verben zunächst dominant die V-Position besetzen, was sich erst mit dem Erwerb von SVK ändert. Wie erwähnt hat das Flexiv -n in Simones Korpus von diesem Zeitpunkt an zwei Funktionen. Diesen unterschiedlichen Funktionen entspricht auch das Stellungsverhalten. Infinite Verben mit default- stehen weiterhin satzfinal, während Verben mit Plural- als finite Verbformen die V2-Position besetzen (Clahsen & Penke 1991). Zur Erklärung dieser Entwicklung im Bereich SVK und Verbstellung nehmen Clahsen (1991) und Clahsen & Penke (1991) an, daß Kinder von einer Struktur wie (1) in den Phasen II und III ausgehen und mit dem Erwerb von SVK Struktur (2) für die Phasen IV und V entwikkeln, die zugleich die Zielstruktur des Deutschen darstellen soll. Clahsen (1991) orientiert sich mit dieser Analyse an der split-INFL-Hypothese in der von Platzack & Holmberg (1989) vorgeschlagenen Version, wonach in V2-Sprachen der Finitheitsoperator [+F] in COMP lokalisiert ist (vgl. Kap. 2). Struktur (1) soll die syntaktische Satzstruktur beschreiben, über die Kinder vor Das Flexiv -st tritt auch vor Phase IV schon auf, dann aber ausschließlich an irregulären Verben wie sein, haben und Modalverben. Diese lexikalisch gespeicherten finiten Wertformen haben keinen (unmittelbaren) Einfluß auf den Erwerb von Subjekt-Verb-Kongruenz (Clahsen 1991. Clahsen & Penke 1991).
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dem Erwerb einer generalisierten V2-Regel verfügen. In (1) gibt es zwei Verbpositionen: eine V2-Position mit dem [+F]-Operator, in der die wenigen finiten, d.h. mit dem Merkmal [+F] markierten Verbformen stehen, die in den Phasen II und III schon in V2 auftreten, und eine satzfinale V-Position, in der alle infiniten Verben stehen. Die FP soll eine Projektion dieses [+F]-Merkmals sein, wobei die [+F]-Position unterspezifiziert ist, da es keine syntaktische Basiskategorie für diese Position gibt. Wofür Finitheit bzw. der [+F]-Operator genau steht, ist unklar. Die V2-FJemente, vor allem Modalverben, Formen von sein und das Flexiv -t sollen das Merkmal [+F] aufgrund ihrer irregulären Morphologie und/oder ihres semantischen Gehaltes (Intransitivität, Modalität) tragen (Clahsen 1991). Sie sind lexikalisch mit [+F] markiert und werden in der V2-Position basisgeneriert. Die Mehrzahl der V-FJemente, die Kinder in diesen Phasen produzieren, tragen dieses Merkmal nicht und können die V2-Position nicht lexikalisieren, so daß viele Sätze VPs sind. (D
(Clahsen 1991: (14)) CP
(2)
Spec AGRP
C [+F]
Spec
(Clahsen 1991: (15))
27 In Phase IV sollen nun die beiden von Platzack & Holmberg (1989) vorgeschlagenen Parameter, der V2- und der AGR-Parameter auf die Werte für das Deutsche festgelegt werden. Mit dem Erwerb von -st als letztem Element des Flexionsparadigmas für SVK soll AGR als funktionale Kategorie erkannt und die AGR-Phrase in die Syntax eingeführt werden (vgl. (2)). Das Kongruenzparadigma wird unter AGR satzfinal generiert, und da Rexive morphologisch gebunden werden müssen, wird V in Struktur (2) nach AGR bewegt. Es gibt nun keine Elemente mehr, die lexikalisch mit [+F] markiert sind und unter [+F] basisgeneriert werden.5 Die Spezifizierung der FP als CP führt Clahsen (1991) auf die Identifikation von Komplementierern und auf die veränderte Kategorisierung finiter Verben zurück. Der V2-Parameter wird auf den endgültigen Wert für das Deutsche festgelegt, auf [+F] in COMP, so daß finite Verben im Hauptsatz von AGR nach COMP bewegt werden müssen.6 Nun wurde in Kapitel 2.2 die split-INFL-Hypothese für das Deutsche abgelehnt, da es keine überzeugenden Argumente für AGR als selbständige funktionale Kategorie im Deutschen gibt, sondern im Gegenteil vieles für INFL als syntaktische Kategorie mit den Merkmalen [AGR] und [T] spricht Die Probleme, die die split-INFL-Hypothese für die Analyse des Deutschen aufwirft, schlagen sich auch in Clahsens Analyse nieder.7 Einerseits wird wie bei Platzack & Holmberg (1989) Finitheit mit Tempus (als [+F] in COMP) gleichgesetzt und AGR als eigene funktionale Projektion eingeführt, andererseits wird Finitheit mit den Kongruenzmerkmalen am Verb assoziiert. Der Erwerb des SVK-Flexionsparadigmas erlaube dem Kind, finite Formen für alle verbalen Elemente zu generieren (Clahsen & Penke 1991:28). Das beschreibt die Daten, paßt aber nicht zur split-INFL-Uypo\hese. Nimmt man die split-INFL-Hypoti\ese ernst, kann die Generierung eines Verbs in V und von Kongruenzflexiven in AGR in Struktur (2) gar kein finites Verb liefern, sondern genaugenommen nur einen mit Kongruenzsuffixen flektierten Infinitiv, der nicht nach COMP bewegt werden kann (da sich die Merkmalspezifikationen nicht überschneiden). Solche Formen aber existieren im Deutschen gar nicht (vgl. Kapitel 2.2). Ein zweiter Kritikpunkt an Clahsens Analyse ergibt sich daraus, daß Phase IV, die ursprünglich als die Phase vor dem Auftreten von Nebensätzen definiert wurde (s. Clahsen 1986a, 1988), nun mit Phase V zusammenfallen soll. Der Erwerb des Verbfiexionsparadigmas Modal- und Hilfsverben werden als flektierbare Verben erkannt, die in V generiert und nach Flexion in die V2Position bewegt werden. Entsprechend wird -t als Kongruenzflexiv umgedeutet Weissenborn (1990) nimmt an, daß Kinder schon vor dem Erwerb von Komplementierern über eine CP verfügen. Argumente dafür sollen präverbale Nicht-Subjekt-NPs, postverbale Subjekte, w-Fragen und finite Nebensätze ohne Einleiter befern. Im Gegensatz zu Weissenborn gehe ich von einer Analyse der IP aus, in der die Spezifiziererposition als A-Bar-Position interpretierbar ist, die die drei erstgenannten Phänome durchaus erfassen kann (s. Kap. 2). Präkonjunktionale Sätze erkläre ich ebenfalls als - allerdings rechtsköpfige - IPs (s.u.). Gegen die Annahme einer CP vor dem Erwerb von Komplementierern wenden sich u.a. auch Clahsen (1988); Fritzenschaft et al. (1991); Meisel & Müller (1990); Müller (1990); Radford (1987). Meisel & Müller (1990) und Müller (1990) gehen in ihrer Analyse wie Clahsen (1991) von der split-lNFLHypothese aus. Für die Phase vor dem Erwerb von Nebensätzen nehmen sie mit (1) vergleichbare Strukturen an. Im Gegensatz zu Clahsen allerdings unterscheiden sie zwischen einer frühen Phase, in der eine linksköpfige IP eine rechtsköpfige AGRP als Argument hat, und einer Phase, in der erste Nebensätze und die CP (wie in (2)) auftreten. Die angefühlten Argumente gegen AGR als selbständige Kategorie im Deutschen und im Spracherwerb sprechen damit auch gegen ihre Analyse.
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trigger! die AGRP, die Identifikation von Komplementierern triggert die CP, so daß in Phase IV Struktur (2) entsteht, die sowohl V2-Sätze als auch finite Verbletztsätze generiert. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn tatsächlich gleichzeitig mit dem Erwerb des Verbflexionsparadigmas auch Komplementierer und eingeleitete Nebensätze aufträten. Clahsen & Penke (1991) untersuchen in den Daten von Simone das Auftreten eingeleiteter Nebensätze nicht. Tatsächlich hat Simone im Alter von 2.4 nicht nur SVK und V2 erworben, sondern sie produziert auch die ersten Nebensätze (s.u. 3.4). Das bedeutet, daß der gleichzeitige Erwerb von V2 und eingeleiteten Verbletztstrukturen möglich ist. Für die Daten allerdings, auf die sich Clahsen (1991) bezieht, zeigt Clahsen (1982), daß die ersten eingeleiteten Nebensätze eindeutig nach V2 im Hauptsatz auftreten, nämlich erst nach dem 40. Monat, während V2 ab dem 37. Monat erworben ist. Natürlich ist es möglich, daß in den Aufnahmen vor dem 40. Monat zufällig keine Nebensätze belegt sind. Jeder, der mit Spontandaten arbeitet, lebt mit dem Risiko, aus dem zufälligen Nicht-Auftreten bestimmter Formen und Strukturen in den Daten falsche Schlüsse zu ziehen. In Clahsens Analyse aber ist die Annahme zwingend, daß bestimmte Formen, nämlich Komplementierer, bei bestimmten Kindern nur zufällig nicht belegt sind (s. Clahsen 1991). In einer Fußnote räumt er ein, daß, falls Komplementierer tatsächlich erst später auftreten, eine Übergangsstruktur zwischen (1) und (2) angenommen werden muß, in der zwar die AGRP schon besteht, die FP aber noch nicht als CP identifiziert wurde (s. Clahsen 1991: Fn. 15). Aber das Auftreten solch einer Struktur, die mit einer satzfinalen AGR-Position ausschließlich V2-Sätze generiert, ist unwahrscheinlich, weil aus der eindeutigen Position flektierter Verben in V2-Sätzen im Input und in der eigenen Produktion Kinder nur auf eine linksköpfige AGRP schließen können. Erst wenn sie für finite Nebensätze sensibel sind, d.h. sobald sie versuchen, Nebensätze zu generieren, könnten sie AGRP als rechtsköpfig identifizieren. Die Tatsache allein, daß der Input Nebensätze enthält und daß Kinder diese verstehen, ehe sie sie produzieren, reicht als Auslöser für eine rechtsköpfige AGRP nicht aus. Dann müßte es sehr viel früher im Erwerb Evidenz für eine rechtsköpfige AGRP oder FP geben. Ein weiteres Problem in Clahsens Analyse ist die Annahme, daß ein Merkmal, aber keine syntaktische Kategorie eine Phrase, die FP projiziert. Nach den X-Bar-Prinzipien gibt es funktionale und lexikalische Kategorien, die Phrasen projizieren können, Merkmalsphrasen sind nicht vorgesehen. Außerdem ist schwer vorstell bar, wie das Kind aus dem Input ein funktionales Merkmal, womöglich noch aus verschiedenen Lexemklassen, isolieren soll. Nach der Hypothese des Lexikalischen Lemens, die Clahsen vertritt, erwirbt ein Kind neue Phrasen, indem es eine neue Klasse lexikalischer oder funktionaler Elemente im Input entdeckt. Der Phrasenaufbau ergibt sich dann unmittelbar aus dem X-Bar-Schema Der Erwerb eines isolierten Merkmals wird in diesem Ansatz nicht diskutiert. Solange nicht vergleichbare Prozesse und Phänome für den Erwerb anderer funktionaler Kategorien nachgewiesen werden, ist eine Analyse vorzuziehen, die ohne diese Zusatzannahmen auskommt Zusammenfassend kann man sagen, daß sich die Kritik an Clahsens Analyse im wesentlichen daraus ergibt, daß er in Anlehnung an die split-INFL-Hypothese eine Basisstruktur mit einer selbständigen, satzfinalen AGR-Position für das Deutsche annimmt. Überzeugend aber sind seine Daten und quantitativen Auswertungen, die eindeutig einen Zusammenhang zwischen dem
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Erwerb des Verbflexionsparadigmas und generalisierter V2-Regel nachweisen (Clahscn 1988, 1991; Clahsen & Penke 199l).8 Ich möchte für den oben beschriebenen Erwerbsverlauf eine Analyse vorschlagen, die für die Phasen II bis IV eine einheitliche Struktur annimmt, nämlich Struktur (3).9 (3)
Spec
Spec
Schon in den Phasen II und III gibt es zwei Positionen im Satz, in denen verbale Elemente vorkommen können, wobei Endstellung des Verbs im Satz eindeutig dominiert (s.o.). Zu diesem Zeitpunkt treten noch keine Komplementierer auf, und so kann auch keine CP projiziert werden (vgl. Fn. 6). Es erweist sich als überflüssig, für diese Phasen eine CP anzunehmen, um SpecCP als A-Bar-Position z.B. für bewegte w-Elemente und für andere syntaktische Effekte zu generieren, wenn man eine IP annimmt, deren Spezifiziererposition sowohl als A- als auch als A-Bar-Position gilt SpecIP kann diese Funktionen erfüllen, wenn das Subjekt in SpecVP und nicht in SpecIP basisgeneriert wird Im Rahmen der Differenzhypothese übernimmt SpecIP alle Funktionen, die die SpecCP in V2-Sätzen unter der Uniformitätshypothese erfüllen muß. Dasselbe soll hier für die Satzstruktur in Phase IV gelten. Die Kategorie INFL ist in (3) die oberste funktionale Kategorie, die Position also, in der satzmodifizierende Merkmale realisiert werden müssen (vgl. Reis & Rosengren 1988). Dazu gehören neben Tempus auch Merkmale für Satzmodus ([±w], Indikativ vs. Konjunktiv), Modalität und Aspekt. Diese Merkmale werden wie AGR typischenveise am finiten Verb markiert In den frühen Phasen verfügen Kinder nur über eine beschränkte Gruppe von Elementen, die lexikalisch für in INFL zu realisierende Merkmale markiert sind und in INFL stehen (s.o). Schon in den Daten von Stern & Stern lasAudi Tracy (1991) zeigt, daß der Erwerb von SVK und V2-Stellung in einem engen Zusammenhang stehen. In Gänsen (1988) wird eine mit (3) vergleichbare Struktur für die Phasen II bis IV angenommen. Der Erwerb der VerbzweitsteUimg wird als Folge der Festlegung des V/INFL-Parameters erklärt (Kratzer 1984). Verbflexion findet danach im Lexikon statt. Durch den Erwerb des Verbflexionsparadigmas wird der Parameter auf den Wen für das Deutsche fixiert, d.h. während Verben in den Phasen / als V klassifiziert werden und nur wenige lexikalisch markierte INFL-Elemente zur Verfügung stehen, können ab Phase IV finite Verben im Lexikon gebildet werden, also INFL-Elemente. Diese INFL-Elemente werden lexikalisch in die INFLPosition eingesetzt. Der Erwerb der SVK ist also letztendlich eine Folge lexikalischen Lemens, so dafi die Fixierung des V/INFL-Parameters im Lexikon auf den zielsprachlichen Wert due oberflächliche Veränderung des Verbstellungssystems erzwingt, während die zugrundeliegende syntaktische Struktur unverändert bleibt. Nach dieser Analyse allerdings tritt generalisierte V2-Bewegung erst mit dem Erwerb der CP auf (vgl. Clahsen 1988).
30
sen sich solche Belege finden. So benutzt ihre Tochter Hilde im Alter von 2.0 erste Modalverben und zwar in Zweitstellung sowie mit 2.2 und 2.3 Auxiliare und -t-markierte Verben in der INFL-Position (Stern & Stern 1928:47ff). Aufgrund welcher Merkmale Formen von sein in der INFL-Position generiert werden, ist nicht eindeutig. Sie treten nicht ausschließlich als Kopula oder Auxiliar auf, sondern häufig als Vollverben. Im letzteren Fall tragen sie keine lexikalische Information, die sie als INFL-Elemente identifiziert, und ihre irreguläre Morphologie scheint mir kein ausreichender Grund sein, sie in INFL zu generieren. Es fällt auf, daß die Formen von sein von Anfang an überwiegend mit dem Subjekt kongruent sind (vgl. Clahsen & Penke 1991). Das spricht dafür, daß AGR schon vor Phase IV ein INFL-Merkmal ist10 und daß Elemente, die lexikalisch für AGR markiert sind, wie eben hochgradig unregelmäßige Formen wie Suppletiva, aufgrund dieses Merkmals in INFL stehen.11 Möglicherweise wird AGR in INFL gerade durch die häufig auftretenden Suppletivformen von sein identifiziert. Der Erwerb des Verbflexionsparadigmas bedeutet dann nichts anderes, als daß das morphologische Mittel erworben wird, um alle Verben mit dem Merkmal AGR zu markieren. Die AGR-Merkmale werden als Rexive in INFL generiert und erzwingen V2-Bewegung. Modalverben werden als flektierbare Verben erkannt und nicht mehr lexikalisch in INFL eingesetzt. Daraus folgt, daß sich in der Entwicklung von Phase II zu IV nicht die Basisstruktur ändert, sondern nur die Gruppe der Elemente, die die INFL-Position besetzen können.12 In Struktur (3) stehen in I0 finite Elemente. Das sind in den Phasen II/III nur Formen, die lexikalisch INFL-Merkmale tragen. Sobald das Verbflexionsparadigma für SVK erworben ist, stehen alle flektierten Verben in IQ. Im Deutschen fallen AGR und Finitheit zu einer Position zusammen. Daher kann man sagen, daß Kinder mit dem Erwerb des Verbflexionsparadigmas finite Verben produzieren können, d.h. Formen für die INFL-Position. Verbstämme und Infinitive werden in V0 generiert, Kongruenzflexive in I0. Finite Verben entstehen durch Verbbewegung in die INFL-Position. Für die syntaktischen Oberflächenstrukturen vor dem Auftreten der ersten Nebensätze bedeutet das, daß Kinder in Phase IV ohne nennenswerte Einschränkungen zielsprachlich korrekte Hauptsätze bilden können. Verbzweitstellung des finiten Elementes ist die Regel. Das Vorfeld, also SpecIP, kann mit beliebigen Konstituenten besetzt sein, in Ergänzungsfragen z.B. mit einem w-Pronomen. In Entscheidungsfragen und Aufforderungen bleibt das Vorfeld unbesetzt, ebenso wie in - zielsprachenadäquaten - Ellipsen (s. (4), (5)). (4) (5)
10
Kann ich selber. Will ich nicht haben.
Meisel (1990) und Meisel & Müller (1990) gehen ebenfalls davon aus, daß AGR schon in den frühen Phasen verfugbar ist. Meisel findet, daß ein Großteil der finiten Verben mit dem Subjekt kongruiert. Das gilt überwiegend für mit -t flektierte Verben. Als finit gelten dabei Verben in der V2-Position. Clahsen (1988, 1991) und Clahsen & Penke (1991) können für ihre Daten zeigen, daß Verbflexive vor dem Erwerb von -st nicht Subjekt-Kongruenz markieren. 11 Formen des (weniger) unregelmäßigen Verbs haben, das als Auxiliar und als Vollverb auftritt, müßten ebenso gedeutet werden. *2 Diese Annahme lag auch der Analyse in Clahsen (1988) zugrunde, vgl. Fn. 9.
31
Finite Verben stehen nicht in Endstellung, also in V0; sehr wohl aber das Partizip Perfekt, Infinitive in Modalverbkonstruktionen sowie distanzierte Präfixe von Präfixverben. In der INFLPosition kommen so gut wie keine infiniten Verben mehr vor. Sobald das korrekte Verbflexionsparadigma als erworben gelten kann, wird durchgängig SVK hergestellt. Die Generierung von Verbflexiven in der INFL-Position ist der Auslöser für die Zweitstellung des Verbs im Matrixsatz. Diese Eigenschaften der Phase IV stellen die Grundlage für die weitere syntaktische Entwicklung dar, also für den Erwerb der CP und von eingeleiteten finite n Nebensätzen.
3.2. 3.2. l
Nebensatzerwerb im Prinzipien- und Parametermodell Alternative Analysen zum Erwerb der CP
In diesem Abschnitt sollen kurz einige Analysen des CP-Erwerbs vorgestellt werden, die wie meine Analyse davon ausgehen, daß die Satzstruktur vor dem Erwerb von Komplementierern als IP zu beschreiben ist (vgl. Radford 1987). Ehe Kinder die ersten Nebensätze produzieren, verfügen sie über die Hauptsatztopologie und bilden parataktische Fügungen. Subjekt-VerbKongruenz wird am finiten Verb markiert, und Verbstellungsfehler kommen nur noch ausnahmsweise vor.13 Es liegt also nahe, den Erwerb der lexikalischen Klasse Komplementierer als Trigger für die Entstehung der COMP-Position und auch für die Umorganisaü'on der Satzstruktur zu deuten (Clahsen 1988, 1991; Müller 1990). Die Analyse von Clahsen (1991) wurde im vorangegangenen Abschnitt schon diskutiert, da in diesem Vorschlag der Erwerb von generalisiertem V2 mit dem Erwerb der CP und damit von Nebensätzen zusammenfallen soll. Diese Analyse wurde im wesentlichen aus zwei Gründen abgelehnt· zum einen, weil nach dieser Analyse V2 und CP gleichzeitig erworben werden müssen, wofür es keine eindeutige empirische Evidenz gibt; zum anderen, weil sie eine selbständige, satzfinale AGR-Phrase für das Deutsche annimmt, gegen die grundsätzliche Argumente sprechen (vgl. Kapitel 2.2). Letzteres spricht auch gegen die von Müller (1990) vorgeschlagene Analyse des Erwerbs der Nebensatzstruktur bei bilingualen Kindern (Deutsch/Französisch), die den Erwerb der CP als Festlegung des Kopfparameters für die IP und des von Platzack (1989) vorgeschlagenen Finitheitsparameters zu beschreiben versucht. Müllers Vorschlag unterscheidet
13 Darüber, daß Kinder vor dem Erwerb eingeleiteter Verb-Endsätze Subjekt-Verb-Kongruenz und die zielsprachliche Hauptsatztopologie erworben haben, herrscht weitgehende Übereinstimmung in der Erwerbsliteratur des Deutschen (Clahsen 1982, 1988; Mills 1985; Tracy 1991). Zur Erstellung eines grammatischen Entwicklungsprofils wertete Clahsen alle bis Mitte der 80er Jahre verfügbaren Studien zum Syntaxerwerb des Deutschen aus (Clahsen 1986b). Daraus entwickelte er die Entwicklungsphasen I-V, auf die ich mich in dieser Arbeit immer wieder beziehe. Als Phase IV gilt eine Stufe, in der V2 erworben ist, und erst in Phase V treten dann die ersten Nebensätze auf. Auch Autoren, die eine allmähliche Ausdifferenzierung von SVK und V2 annehmen und damit eine Gegenposition zu Clahsen (1988, 1991) und Tracy (1991) einnehmen, wenden sich nicht explizit dagegen, daß die Hauptsatztopologie vor dem Erwerb von Nebensätzen verfügbar ist (vgl. z.B. Weissenbom 1990, Meisel 1990). Fritzenschaft et al. (1991) finden allerdings in ihrer Untersuchung ein Kind (Benny), daß von diesem Erwerbs verlauf deutlich abweicht
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sich von Clahsens Analyse vor allem darin, daß sie für die IP-Struktur, über die die Kinder vor dem Erwerb der CP verfügen, schon eine satzfinale AGR-Position annimmt (vgl. dazu Fn. 10). Mit dem Erwerb der lexikalischen Klasse der Komplementierer (COMP) wird dann die CP über die IP gesetzt. In Clahsen (1988) wird der Erwerb von Nebensätzen als Festlegung des COMP/INFL-Pärameters interpretiert (Platzack 1983). In Phase IV ist die Basisstruktur eine linksköpflge IP wie (3). Sobald die lexikalische Klasse der Komplementierer erworben ist, erkennt das Kind, daß diese Lexeme mit finiten Verben in komplementärer Verteilung stehen. Dadurch wird der COMP/ INFL-Parameter so fixiert, daß die INFL-Position und die neue COMP-Position als eine einzige Position, nämlich CONFL identifziert werden. Wird die satzinitiale INFL-Position durch einen Komplementierer besetzt, steht für das finite Verb zunächst keine Position zur Verfügung. Also wird zusätzlich satzfinal eine neue INFL-Position geschaffen, wodurch der Kopfparameter für INFL auf den zielsprachlichen Wert festgelegt wird. Diese Analyse erklärt die auffällige Fehlerlosigkeit der Verbstellung im Erwerb von Nebensätzen, da es bei Besetzung der CONFL-Position durch einen Komplementierer keine Position mehr gibt, in die ein Unites Verb bewegt werden könnte. Es stellt sich allerdings die Frage, wieso das finite Verb die INFLPosition überhaupt für einen Komplementierer freigibt. Aufgrund seiner Merkmalspezifikation paßt das Verb viel besser in diese Position als ein Komplementierer. Außerdem erklärt diese Analyse nicht das Auftreten uneingeleiteter, finiter Verbletztsätze als Vorläufer von Nebensätzen (s.u. (9) - (14)). Weder sind sie mit einer linksköpfigen IP zu vereinbaren, noch mit der CONFL-Struktur. In unemgeleiteten Nebensätzen mit Verbletztstellung bliebe eine Position für Verbbewegung offen, nämlich CONFL, und es gäbe kein Element, daß Verbbewegung blockieren könnte. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, daß Platzack (1983) COMP und INFL zu einer Position zusammenfallen läßt, während satzfinal nur eine V-Position existiert Da Clahsen zu Recht davon ausgeht, daß es im Deutschen eine satzfinale Position für finite Verben geben muß, erweitert er Platzacks Struktur um eine satzfinale INFL-Position und steht nun vor dem Problem, daß der Satz zwei kategoriale INFL-Positionen hat. Es ist wohl eher so, daß der COMP/INFL-Parameter in dem Sinn, daß beide Kategorien in einer Position vereint werden, für das Deutsche nicht gilt Die Verbstellungsverhältnisse im deutschen Satz werden damit nicht adäquat erfaßt Daher kann der Erwerb von Nebensätzen nicht als Festlegung dieses Parameters interpretiert werden. Fritzenschaft et al. (1991) legen den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf die Variation im Erwerb von Nebensätzen. Bei einigen der von ihnen untersuchten Kinder finden sie Erwerbsverläufe, die meine Beobachtungen in vielen Aspekten bestätigen, so daß sie sich in einigen Punkten der von mir vorgeschlagenen Analyse anschließen. Sie zeigen aber auch, daß die Variation bei einigen Kindern, auch schon vor dem Erwerb der CP, so weit geht, daß individuelle Analysen erstellt werden müssen. Unter 3.4 werde ich darauf zurückkommen.
33
3.2.2
Nebensatz und Kopf parameter - eine Hypothese zum Erwerb der CP
Die Verbletztstruktur in Nebensätzen gehört in den Bereich der Kemgrammatik des Deutschen. Da die Stellung des finiten Verbs im Nebensatz außerdem auffallend fehlerfrei erworben wird (vgl. z.B. Stern & Stern 1928), liegt die Vermutung nahe, daß der Erwerb dieser Struktur durch die Fixierung eines Parameters erfolgt. Dabei muß es sich um einen Wortstellungsparameter handeln, da der syntaktische Unterschied zwischen Haupt- und Nebensatz wesentlich durch die Position des finiten Verbs bestimmt wird. Der klassische Parameter in der Wortstellung ist der Kopfparameter. Er legt fest, daß jede Phrase einen Kopf hat und daß dieser Kopf je nach Sprache und/oder lexikalischer Klasse links- oder rechtsperipher steht. Für die Phase vor dem Auftreten von Nebensätzen wird eine IP angenommen, die der zielsprachlichen Basisstruktur von Hauptsätzen entspricht (vgl. Kap. 3.1). In Struktur (6)14 liegt eine linksköpfige IP vor. Mit dieser Struktur werden alle in Phase IV produzierten Satztypen generiert Diese Struktur ist UG-konform, kann aber keine Nebensätze generieren, da sie keine Position für Komplementierer und keine satzfinale Position für finite Verben anbietet. Struktur (7) dann ist die Zielstruktur - ob nur für Nebensätze, wie in der Differenzhypothese angenommen wird, oder als Gesamtstruktur, wovon die Uniformitätshypthese ausgeht, soll zunächst vernachlässigt werden. IP
(6) Spec
VP
V
Spec NP
(7)
Struktur (6) ist mit (3) identisch und wird hier nur der Übersichtlichkeit halber wiederholt.
34 Struktur (7) unterscheidet sich von (6) durch die Position von INFL, d.h. durch die Position des Kopfes der IP und durch eine zusätzliche Projektion über der IP, nämlich CP. Der Erwerb der CP fordert also zwei strukturelle Neuheiten im Vergleich zu Struktur (6). Der Kopfparameter für die IP wird auf den Ziel wert gesetzt, und die CP erscheint als neue Projektionsstufe über dieser rechtsköpf i gen IP. Meine Hypothese ist, daß über die Zwischenstruktur einer rechtsköpfigen IP wie in (8) erst in einem zweiten Schritt die CP entsteht. Der Erwerb der CP als Projektion von COMP folgt direkt aus der Erweiterung des Lexikons um eine neue lexikalische Klasse, nämlich Komplementierer, die nach den X-Bar-Prinzipien unmittelbar eine CP projiziert. Nach dieser Analyse ist am Erwerb der Nebensatzstruktur nur ein einziger Parameter beteiligt, nämlich der Kopfparameter, der für die INFL-Phrase auf den Wert kopffinal gesetzt werden muß.
IP
(8) Spec
VP Spec
NP Für die Annahme einer Vorläuferstruktur für die CP gibt es empirische Evidenz: die Existenz uneingeleiteter, finiter Verbletztsätze, die eindeutig als Nebensätze zu verstehen sind. Schon Stern & Stern (1928: 59ff) und Grimm (1973) fanden in ihren Daten solche Formen zu Beginn des Nebensatzerwerbs (s. (9) - (l 1)), und auch in meinem Material sind zahlreiche Sätze dieser Art belegt (s. (12) - (14)).15 (9) (10) (11) (12) (13) (14)
sieh mal Hilde macht hat (= was) freust du mama wagen ekauft hat? (= daß) mein zimmer is so kalt fenster aufemacht is (= weil) du soils die mama sang ich immer einen umfall mach (= daß) ich eburtstag hab (= weil) (Antwort auf eine Warum-Frage) guck ma kind ich dir miteracht habe (= was)
St&St St&St St&St DA 3.02 MA3.03 MA3.05
Diese Beispiele verdeutlichen, daß a.) im Matrixsatz das finite Verb die V2-Position besetzt, b.) im abhängigen Satz das finite Verb satzfinal steht, und daß c.) die Interpretation als beigeordneter Hauptsatz mit Verbstellungsfehler ausgeschlossen ist, besonders im ersten Beispiel, in dem eindeutig ein subkategorisierter Satz vorliegt
Altersangaben immer in Jahren und Monaten.
35
Daß die einleitende Partikel zunächst fehlen kann, wird in der Literatur meist übergangen oder übersehen. Sicherlich finden sich nicht in allen Daten Belege dieser Art, oder sie sind so selten, daß sie nicht weiter beachtet werden. In den ausführlichen Tagebuchaufzeichnungen der Sterns finden sich allerdings reichlich Sätze dieser Art. Die ersten Nebensätze mögen oft verkannt werden, weil die charakteristische Partikel zunächst mehr oder weniger lange, latent bleiben oder durch einen undefinierbaren Universallaut (etwa ä oder mm) vertreten werden kann. Dabei ist für den aufmerksamen Hörer der Nebensatzcharakter dennoch zweifellos auf Grund der Betonung, der Modulation und der Wortstellung (Stern & Stern 1928:208). Wichtig ist, daß Stern & Stern diese Formen bei all ihren Kindern fanden, wenn auch unterschiedlich extensiv gebraucht, und daß sie vor den ersten eingeleiteten Sätzen auftreten, sowohl bei ihrer Tochter Hilde als auch vor allem bei ihrem Sohn Günther. In meinen Daten treten diese Formen parallel zu den ersten eingeleiteten Sätzen auf.16 Diese präkonjunktionalen Sätze sind nur über eine Struktur wie (8) zu erklären. Ausgelöst wird diese Struktur dadurch, daß das Kind die Funktion der Fjidstellung des finiten Verbs erkennt, nämlich Subordination. Die Verbstellung unterscheidet abhängige von unabhängigen Sätzen und hat daher nicht eine rein strukturelle Bedeutung, sondern auch eine funktionale Interpretation (vgl. Weerman 1989). Diese Interpretation ist vor allem eine pragmatische; Nebensätze erfüllen andere pragmatische Funktionen als Hauptsätze (s. Kapitel 2.1). Damit ist die Verbletztstruktur für finite Sätze eine Struktur mit Funktionen, die sich von denen des Hauptsatzes unterscheiden. Für eine gewisse Zeit werden die Strukturen (6) und (8) als zwei funktional eindeutig belegte Strukturen in unterschiedlichen Kontexten verwendet. Endstellung des finiten Verbs korreliert mit Subordination, die neue Form kodiert eine neue Funktion: und Zweitstellung klassifiziert Hauptsätze. Die funktionale Eindeutigkeit ist garantiert, solange weder eingeleitete, selbständige Verbletztsätze (vor allem Exklamative), noch abhängige Verbzweitsätze eine Rolle spielen. Erstere werden im Erwerb erst sehr spät beobachtet, zweitere lassen sich erst Wochen oder Monate nach den ersten eingeleiteten Nebensätzen belegen. Letztendlich führt dann der Erwerb der lexikalischen Klasse Komplementierer zur CP. Da Komplementierer aufgrund ihrer Subkategorisierung nur der funktionalen Einheit Nebensatz zugeordnet werden können, wird die strukturelle Einheit rechtsköpfige IP (8) um die C-Projektion erweitert und nicht die linksköpfige IP. Ob nun CP und linksköpfige IP koexistieren (Differenzhypothese) oder ob die IP zugunsten einer CP als Basisstruktur für alle Sätze aufgegeben wird (Uniformitätshypothese), soll später diskutiert werden. Die vorgestellte Hypothese zum Erwerb der CP wird von den nachfolgend genannten Beobachtungen aus den Erwerbsdaten gestützt
Müller (1990) beobachtet auch bei bilingualen Kindern solche Nebensatzvorläufer. Diese Formen werden in ihrer Analyse wie V2-Sätze vor dem Auftreten von Komplementieren! von einer Struktur mit rechtsköpfiger AGRP generiert. Neben den grundsätzlichen Problemen, die eine selbständige AGR-Phrase mit sich bringt (s.o.), steht Müller hier vor dem Problem, nicht erklären zu können, wieso in selbständigen Sätzen das finite Verb nach INFL bewegt wird, in diesen Nebensatzvorfonnen aber nicht.
36
1. Es treten so gut wie nie Stellungsfehler des finiten Verbs im Nebensatz auf. Zum gleichen Zeitpunkt, zu dem erste Nebensätze auftreten, gibt es weder infinite Verben in Zweitstellung noch Hauptsätze mit finitem Verb in Endstellung. 2. Es gibt uneingeleitete Sätze, die aufgrund ihrer Intonation und Bedeutung eindeutig als Nebensätze zu identifizieren sind und Endstellung des finiten Verbs aufweisen. Der im Nebensatzerwerb aktive Parameter ist der Kopf parameter, der für die Kategorie INFL gesetzt werden muß. Zunächst ist der Parameter auf den Wert linksköpfig festgelegt. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um den default-Wert, da die ersten im Grammatikerwerb zu identifizierenden INFL-Elemente bevorzugt in der V2-Position stehen (vgl. z.B. Clahsen & Penke 1991). Die Verbletztstruktur als neuer Satztyp entsteht, indem der alternative Parameterwert für die Kopfposition in der IP aktualisiert wird, so daß eine zweite IP-Struktur mit einer neuen Funktion entsteht. So ist diese Parameterfixierung funktional getriggert. Dafür sprechen empirische Belege. Für eine gewisse Zeitspanne im Erwerb läßt sich beobachten, daß die Verbzweitstellung eindeutig mit Hauptsätzen korreliert, also mit Deklarativ-, Imperativ- und Interrogativfunktionen. Nebensätze hingegen korrelieren strikt mit der Endstellung des finiten Verbs. Die Funktion der Subordination ist an die Endstellung des finiten Verbs gebunden, zunächst nicht an eine einleitende Partikel. Die Einleitung ist - wie sich noch zeigen wird - uneindeutiger als die Verbstellung, da auch Relativpartikeln schon früh Nebensätze einleiten können (s.u. 5.1). Daher findet die Umbesetzung des Kopfparameters für INFL vor oder zugleich mit dem Erwerb der Klasse Komplementierer statt. Der IP-Kopf ist nicht als schwankend im Sinne des Pendulum-Problems zu verstehen (vgl. Clahsen 1991). Es ist also nicht so, daß das Kind je nachdem, auf welche Struktur im Input es sich gerade konzentriert, den Parameter für den IP-Kopf jeweils neu setzt. Es gibt einen einzigen Fixierungsakt, der aber eben nicht, wie in der Prinzipienund Parametertheorie Üblicherweise angenommen wird, zu einer einzigen Struktur führt, sondern zu zwei Strukturen, eben zu zwei unterschiedlichen IPs, die nebeneinander bestehen. Für die IP werden beide Optionen realisiert, die der Kopfparameter vorgibt. Das ist sicherlich der markierte Fall, aber kein Einzelfall, wenn man an PPs im Deutschen denkt, die sowohl eine Präposition als Kopf haben können als auch eine Postposition. Diese Analyse liefert auch eine Erklärung, wieso Komplementierer erst so spät erworben werden, obwohl semantisch vergleichbare Elemente weitaus früher auftreten (vgl. Meisel & Müller 1990). In Struktur (6) gibt es keine Position für diese lexikalische Klasse. Die rechtsköpfige IP (8) mit der eindeutigeren Markierung für Subordination, nämlich mit satzfinaler INFL-Position, kann erst im Kontrast zu V2 entstehen, also erst nach oder mit dem Erwerb von generalisierter V2-Stellung im Hauptsatz. Diese rechtsköpfige IP (8) ist zwar die Ausgangsstruktur für die Generierung der CP, aber sie selbst hat noch keine Strukturposition für einen Einleiter. Was den Erwerb der Komplementierer verzögert, ist also die Notwendigkeit, neue syntaktische Positionen anzulegen (Fritzenschaft et al. 1991: 70). Die bisher vorgestellte Analyse möchte ich die funktionale Hypothese des CP-Erwerbs nennen. Eine Alternative dazu ist die lexikalische Hypothese. Hierbei führt der Weg nicht über eine Zwischenstrukur wie (8), sondern direkt zur CP, also Struktur (7). Der lexikalische Weg ver-
37 bindet den Erwerb von Komplementierern und die Generierung der COMP-Position unmittelbar mit der Entstehung einer satzfmalen INFL-Position. Hier also kann von einem lexikalischen Trigger für den Erwerb der CP gesprochen werden. Die CP ist zunächst eine reine Nebensatzstruktur. Hauptsätze werden weiterhin ausschließlich mit Struktur (6) generiert. In der CP ist COMP zu Beginn nur für Komplementiercr spezifiziert, COMP ist keine Landestelle für Verbbewegung. Das Kind hat noch nicht entdeckt, daß COMP finite Verben aufnehmen kann und das Merkmal [+F] trägt. Aus diesem Grund führt das Fehlen eines Komplementierers nicht zu Verbzweitstellung. Fehlt der Komplementierer, bleibt die Basisposition COMP unbesetzt. Da leere Köpfe keine Phrase projizieren können, entsteht keine CP, sondern eine rechtsköpfige IP als Teilstruktur der CP, die wiederum Struktur (8) entspricht. Die Entstehung dieser Ellipse ist mit der Entstehung von VP-Sätzen in der Phase IV vergleichbar, in denen nur infinite Verben auftreten und die INFL-Position unbesetzt bleibt (vgl. Clahsen 1991). Es handelt sich in beiden Fällen um Ellipsen im Sinn von Teilstrukturen. Ich gehe davon aus, daß beides Lösungen sind, die von Kindern praktiziert werden. Der funktionale Weg führt über eine Interimsstruktur wie (8). Der primäre Trigger ist die Endstellung des finiten Verbs, in einem ersten Schritt entsteht über die Festlegung des Kopfparameters die rechtsköpfige IP für präkonjunktionale Sätze. Der Erwerb der lexikalischen Klasse Komplementierer führt dann unmittelbar zu Struktur (7). Der lexikalische Weg verbindet den Erwerb von Komplementierern und damit der CP mit dem Erwerb der rechtsköpfigen IP in einem Schritt. Verbletztstellung und die lexikalische Klasse Komplementierer triggern gemeinsam die CP. Für beide Alternativen gilt, daß auch noch nach dem Auftreten der CP eine funktional eindeutige Zuordnung vorliegen kann, so daß alle drei Strukturen, (6) bis (8), zur gleichen Zeit verwendet werden. Dabei sind die Strukturen mit satzfinalem INFL, also (7) und (8), zunächst reine Nebensatzstrukturen. Es sind Subkategorisierungseigenschaften von Komplementierern, die garantieren, daß COMP nur eine rechtsköpfige IP als Argument nehmen kann. Diese lexikalische Information von COMP-Elementen verhindert, daß COMP an Struktur (6) adjungiert. Außerdem sorgt die Subkategorisierung von Komplementierern dafür, daß die kategoriale Position COMP letztendlich mit dem Merkmal |+FJ versehen wird. Unter der Uniformitätshypothese, unter der Struktur (7) als einheitliche Basisstruktur für Haupt- und Nebensätze für die Zielsprache gilt, wird die COMP-Position durch das Merkmal [+F] zur V2-Position. Geschieht das bei einem Kind, daß den lexikalischen Weg geht, unmittelbar mit dem Erwerb der CP, wird die präkonjunktionale Phase übersprungen. Diese Kinder produzieren zu keinem Zeitpunkt PK-Sätze. Möchte man nicht annehmen, daß weiterhin zwei Strukturen (oder gar drei) existieren, sondern nur die CP, muß der funktionale Aspekt in den Hintergrund treten. Das sollte spätestens in dem Moment geschehen, in dem abhängige Verbzweitsätze auftreten. Abhängige Verbzweitsätze schwächen die Korrelation von Subordination und finiter Verbletztstruktur. Damit verliert die rechtsköpfige IP (8) ihre funktionale Eindeutigkeit und wird nicht mehr verwendet Die Besetzung der COMP-Position mit einem COMP-Element ist nun notwendig zur Generierung eines Nebensatzes. In der Differenzhypothese sind damit beide Zielstrukturen erreicht: die linksköpfige IP und die CP. Unter der Uniformitätshypothese führt die Auflösung
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der funktionalen Eindeutigkeit der Strukturen dazu, daß beide IP-Strukturen zugunsten einer gemeinsamen Basisstruktur, der CP aufgegeben werden. Die Unterscheidung zwischen zwei Erwerbsvarianten - einer funktional getriggerten und einer lexikalisch getriggerten - aufrecht zu erhalten, erscheint mir aus folgendem Grund sinnvoll. Die Daten von Stern und Stern (1928) sprechen eindeutig dafür, daß manche Kinder vor dem Erwerb von Konjunktionen Nebensätze bilden. Das bedeutet, daß Verbletztstellung als funktionaler Trigger zuerst erfaßt wird. Da die Existenz einer CP ohne Komplementierer abgelehnt wird, muß der Erwerb über eine Zwischenstruktur wie (8) erfolgen. Auf der anderen Seite wird die präkonjunktionale Phase in der Spracherwerbsliteratur kaum erwähnt Die präkonjunktionale Phase ist nicht generell nachweisbar. Es ist wahrscheinlich, daß andere Kinder die CP direkt über den lexikalischen Erwerb von Komplementierern generieren. Kinder, die diesen lexikalischen Weg gehen, haben zwei Möglichkeiten. Entweder dient die CP zunächst nur zur Generierung von Nebensätzen; dann sind uneingeleitete, elliptische Nebensätze möglich (s.o.). Oder aber die COMP-Pösition ist sofort als Position für das Finite Verb spezifiziert; dann können Komplementierer nicht ausgelassen werden, ohne daß Verbbewegung einsetzen würde, und uneingeleitete Verbletztnebensätze entstehen nicht.
3.3 Die ersten Nebensätze: empirische Befunde Meine Hypothesen zum Erwerb der Nebensatzstruktur wurden aus theoretischen Überlegungen entwickelt, aber immer standen auch empirische Beobachtungen im Hintergrund. Hier nun soll das Modell an den Gesamtdaten überprüft werden. Folgende Fragen sollen die Auswertung leiten: 1. Ist der Erwerb der V2-Regel abgeschlossen, wenn die ersten Nebensätze auftreten? Gibt es Verbstellungsfehler in Nebensätzen? 2. Welche Arten von Nebensätzen können ohne Einleiter auftreten? Gibt es irgendwelche Beschränkungen vom Nebensatztyp her oder nach Art der einleitenden Partikeln? 3. Wie und wann treten die ersten abhängigen Verbzweitsälze auf? Gibt es parallel noch uneingeleitete Verbletztformen? Welche theoretischen Konsequenzen ergeben sich? In die Analyse gehen insgesamt 877 Sätze ein. Davon sind 842 Nebensätze und 35 abhängige V2-Sätze.
39
3.3.1
Finitheit, Kongruenz und die Stellung des Verbs
Die drei jüngsten Kinder in der Untersuchung, Marianne (3.3), Daniel (3.2) und Martin (2.9), haben in den ersten Erhebungen schon mindestens Phase IV erreicht.17 Hauptsätze mit Verbletztstellung, also Strukturen der Phase III treten nur noch ganz vereinzelt auf. Zugleich sind in den Daten schon einige Nebensätze erfaßt, die auf Eintritt in Phase V verweisen. Das Gesamtkorpus wurde hinsichtlich Verbstellung und Finitheit der Verben untersucht.18 Insgesamt finden sich bei allen Kindern mit Ausnahme von Marianne (s.u.) nur zwei eindeutige Belege für Endstellung des finiten Verbs im Hauptsatz, (15) und (16). Satz (17) ist unklar, da die Form passiert sowohl als finite Verbform als auch als Partizip verstanden werden kann. Außerdem gibt es vier Belege für satzfinale Infinitive bzw. Stämme in Hauptsätzen, die nicht mit dem Subjekt kongruieren. Dabei treten nur in zweien dieser Sätze Subjekte auf, nämlich in (18) und (19). Da in den beiden anderen Sätzen (20) und (21) kein Subjekt vorkommt, können sie als Verbalphrasen gelten. Diese Strukturen sind nicht zielsprachlich adäquat, aber die Besetzung der letzten Position, einer V-Position mit einem infiniten Verb ist korrekt. Solche Strukturen sind typisch für Phase III. Nicht als Abweichung gelten zielsprachengerechte Ellipsen und imperativische Formen wie: Alle Mann herkommen*, oder Essen fassen*. (15) (16) (17) (18) (19) (20) (21)
clemence sein lasche mitgenommen hat da hinten in der ecke is-(= Motorrad) - da komm ich gar nich dran ah. schon wieder was passiert (= ?da ist...) guck, du ma das vorlesen ich auch was trinken nis nach hause nehm einmal nur mach - machen (dann kann i wieder so - spie - fort spielen)
MT 3.01 ÖL 4.10 XI 5.06 SI 4.03 DA 3.02 DA 3.04 CA 3.06
Im Bereich von Hauptsätzen gibt es also insgesamt nur sieben Abweichungen auf mehrere tausend Äußerungen. Die hier untersuchten Kinder beherrschen die V2-Regel und Subjekt-VerbKongruenz. Allerdings sind außer Martin (2.9), Marianne (3.3) und Daniel (3.2) alle Kinder über die kritischen Phasen sowieso weit hinaus. Aber selbst bei Marianne, Daniel und Martin kann das Subjekt-Verb-Kongruenz-System schon in der ersten Erhebung als erworben gelten, wie die Verbflexionstabelle in (22) zeigt.19 Das Verbflexiv -st zur Markierung der 2.Ps.Sg. tritt in Mariannes ersten Korpora nur sehr vereinzelt auf. Im ersten Korpus (Alter 3.03) findet sich neben bist (wortspezifisches Paradigma) nur schummeis. Ansonsten steht das Verb bei 2.Ps.Sg.-Pronomen in der Stammform, auch bei Modalverben (du kann, du darf). Die übrigen Flexive kongruieren in der Regel mit dem Subjekt (vgl. (22)). Das Paradigma für SVK ist im wesentlichen erworben. Nur in einem Punkt weicht Mariannes System vom zielsprachlichen System ab. Die Stammform steht mit 17
Vgl. dazu A.2.3 Profilanalyse. 1° Vgl. dazu auch A.2.1 Exzerption. 19 Die Verbflexionstabdle basiert auf je ca. 100 analysierbaren, zusammenhängenden Äußerungen eines Korpus.
40 Subjekten der 1. und 2.Ps.Sg., während das 2.Ps.Sg.-Flexiv -st noch nicht konsequent verwendet wird. Fehler mit Pluralsubjekten sind selten. Gelegentlich stehen Modalverben (sie sind nach Clahsen (1988) für Kinder eo ipso INFL-Elemente) in der Stammform mit der l.Ps.PIural oder is steht für sind. Diese Element stehen immer in der INFL-Position.20 Noch in der 4. Aufnahme von Marianne (Alter 3.04) kann -st nicht als erworben gelten, da nur wortspezifische Paradigmen wie das von sein vollständig sind und die reguläre Endung für die 2.Ps.Sg. nur an Modalverben und auch da nur in der Hälfte der Fälle auftritt. Ansonsten stehen in 2.Ps.Sg.Kontexten nach wie vor Stammformen. Erst innerhalb der nächsten Monate wird -st erworben (vgl. Marianne 3.09 in (22)). (22) Verbflexion Alter
0
korr.
e
korr.
MA
3.03
MA
n
korr.
45
93
2
100
5
80
3.09
50
88
3
100
15
DA
3.02
49
92
5
100
MT
2.09
35
100
2
100
t
korr.
st
korr.
8
100
3
100
100
12
83
14
100
19
95
5
100
7
100
31
100
21
100
16
100
Die Rigidität, mit der Verbstellungsregeln befolgt werden, ist erstaunlich. Wie stark die V2Regel im Deutschen ist, wurde mir deutlich, als ich Mariannes Korpus daraufhin untersuchte. Bei der Exzerption der Abweichungen aus ihrem Korpus hatte ich zunächst den Eindruck, daß sie im Verbstellungsbereich auffällig ist.21 Als ich das Exzerpt auswertete, ergab sich daraus Tabelle (23). Die Tabelle zeigt, daß die Stellungsabweichungen nach der 3. Aufnahme aufhören, d.h. auf ein mit den anderen Korpora vergleichbares Maß zurückgehen. Die Abweichungen in Aufnahme 5 sind von der Art: Jetzt das vorlesen! also Imperativische Verbalphrasen, die auch in der Umgangssprache geläufig sind22. Das gleiche gilt für die fünf Belege in der gleichen 20 2
Vgl. dazu Kapitel 3.1 und 3.2.
* Mariannes Sprache ist neben lautlichen Abweichungen als stark elliptisch charakterisierbar. In den ersten Aufnahmen läßt sie noch häufig das ich-Subjekt und Funktionswörter, vor allem Präpositionen aus. Hin und wieder fehlen auch Verb oder Kopula Diese Merkmale finden sich bei den anderen Kindern in weit schwächerem Maße. Nach Tracy (1987) stehen Kindern durchaus eine begrenzte Anzahl verschiedener Wege zur Zielsprache offen. Ich vermute, daß man unterschiedliche Leroertypen festlegen kann. Mariannes Sprache erinnert in ihrem elliptischen Charakter der Sprache von Sterns Sohn Günther. Auch Günther kämpft noch mit lautlichen Schwierigkeiten, die sich erst zum fünften Lebensjahr hin endgültig abbauen. Sein Verbflexionssystem ist bei weitem rudimentärer als das von Marianne, aber er beginnt schon sehr früh mit Nebensätzen. Über mehrere Monate hin bildet er sie nur ohne Einleiter (Stern & Stern 1928:104ff), und auch bei Marianne kommen diese Formen bis zur 10. Aufnahme vor, d.h. im Alter von 3.3 bis 3.8. Ein Zusammenhang zwischen morphologischen Differenzierungsschwierigkeiten und den lautlichen Besonderheiten ist nicht auszuschließen. Beide Kinder lassen vor allem unbetonte Partikeln aus. 22 Diese Formen werden - soweit sie zielsprachlich adäquat sind - bei den anderen Kindern gar nicht berücksichtigt (s.o.).
41 Spalte aus Aufnahme 3. Berücksichtigt man den Umfang der Korpora, bedenkt man also, daß von mehreren hundert Mehrkonstituentenäußerungen pro Aufnahme auszugehen ist, so sind selbst die Abweichungen bei Marianne minimal. (23)
Verbstellungsabweichungen bei Marianne in Hauptsätzen V-ENDE
Korpus Alter MA01
3.03
MA02
3.03
MAQ3
3.04
MAOS
3.05
MA07
3.06
MA12
finit
1
1
Infinitiv + Subjekt
V-VORNE Infinitiv - Subjekt
Infinitiv
6
2
6
1
2
2
5
1
6
1
1
3.08
1
3.10
1
Wie aus Tabelle (23) hervorgeht, befolgt auch Marianne von der ersten Aufnahme an die V2Regel für finite Elemente strikt trotz der oben beschriebenen Abweichung vom zielsprachlichen Kongruenzsystem. Infinite Elemente werden in der V-Position generiert. Als infinite Verbformen zählen bei Marianne wie in der Zielsprache Infinitive und Partizipien. Wesentliche Voraussetzung für den Erwerb von Nebensätzen ist die zielsprachliche V2Regel. Daß trotzdem im Bereich von Subjekt-Verb-Kongruenz noch Abweichungen vom zielsprachlichen System auftreten können, obwohl SVK im wesentlichen markiert wird, zeigen auch die Simone-Daten (vgl. Clahsen & Penke 1991). Insgesamt gibt es in meinen Korpora nur fünf Matrixsätze mitfinitem Verb in Endstellung. Damit ist die Voraussetzung für die Interpretation der Endstellung des finiten Verbs als Funktionsträger für Subordination geschaffen. Infinitive, auch zielsprachlich nicht angemessene wie in (18) und (19), stehen in der V-Position, also am Satzende. Die wenigen Belege von - -flektierten Verben in Zweitstellung, die nur bei Marianne auftreten (vgl. (23)), sind als Kongruenzfehler zu interpretieren und widersprechen nicht der allgemeinen Feststellung, daß in der INFL-Position nur INFL-Elemente stehen. Zusammenfassend kann man sagen, daß diese Ergebnisse die Annahme stützen, daß der Erwerb der Nebensätze über die funktionale Zuordnung der Verbstellung zu Satztypen getnggert wird.
42
3.3.2
Der Weg zur CP
3.3.2.1 Verbstellungsfehler in Nebensätzen Neben der funktionalen Eindeutigkeit der Verbzweitstellung (s.o.) müssen zur Absicherung der hier vorgeschlagenen Hypothese zum Erwerb der CP Verbstellungsabweichungen in eingeleiteten Nebensätzen kontrolliert werden. In nur 11 von 753 (= 1,5%) eingeleiteten Nebensätzen steht das finite Verb in zweiter Position, (vgl. Liste l, Anhang B.). Schaut man sich die elf Sätze genauer an, so wirken nur zwei wirklich abweichend, nämlich (24) und (25). In Satz (24) liegt in was sing ich V2-Stellung in einem mit einem w-Pronomen eingeleiteten Satz vor. Da die erste Konstruktion abgebrochen wird, und Marianne was sing ich neu ansetzt, ist aber unklar, ob es sich noch um einen von sach (= sag) subkategorisierten Nebensatz (mit Verbstellungsfehler) oder um eine selbständige Frage handelt. In (25) liegt entweder ein Verbstellungsfehler vor, oder aber weil steht wie in den übrigen V2-Sätzen mit weil als koordinierende Konjunktion vor dem Satz, und in diesem einen Fall bleibt das Vorfeld unbesetzt23 Für diese Interpretation spricht die Subjekt-Verb-Inversion. Das fehlende Element im Vorfeld könnte ein pronominales Akkusativobjekt sein (z.B. das). (24) (25) (26) (27)
sach ich se - was sing ich (= sag, ich (singe) - was sing ich) (VL: ja du fängst ja nochmal von vorne an.) - weil möcht i doch es gibt menschen die werfen einfach dreck ausm me - aufm fenster soll ich da noch kleine pünktchen malen? - (VL: nö!) - weil da is kein gesich
MA 3.04 CA 3.06 XI 5.06 XI 5.06
In den übrigen neun Sätzen steht das Verb in der V2-Stellung. Es handelt sich um einen Relativsatz (26) und um mit weil eingeleitete Formen wie Satz (27). Beide Konstruktionstypen sind auch in der Umgangssprache möglich. In den w«7-Sätzen steht das finite Verb in dritter Position, so daß anzunehmen ist, daß weil keine Subjunktion ist, sondern analog zu denn eine koordinierende Konjunktion. Sie steht nicht direkt vor dem finiten Verb, sondern vor dem Vorfeld. In Satz (26) liegt ein Relativsatz vor, und kein anaphorisch anschließender Hauptsatz. Intonation und seine restriktive Funktion machen ihn zum Relativsatz. Solche restriktiven V2-Relativsätze sind nie in eingebetteter, sondern nur in extraponierter Position möglich. Es gibt im Gesamtkorpus nur diesen einen Beleg und zwar typischerweise beim ältesten Kind. Die syntaktische Ambivalenz dieser Form - es sind abhängige restriktive Verbzweitsätze mit einem einleitenden anaphorisch-relativischen Pronomen, das keine Verbletztstellung fordert - bedingt wohl ihren späten Erwerb, obwohl sie in der Umgangssprache recht geläufig sind. Insgesamt gibt es also nur zwei Fälle von Verbstellungsfehlern im Nebensatz. Die hier untersuchten Kinder erkennen Endstellung des finiten Verbs als eindeutiges syntaktisches Mittel zur Kodierung von Subordination. Kein Kind versucht, über die linksköpfige IP (6) die CP zu projizieren. Das zeigt, daß der wesentliche erste Schritt im CP-Erwerb die Festlegung des Kopf-
23
Zu den w«7-Sätzen s. auch 5.3.2.1.
43 parameters für INFL (= rechtsköpfig) ist und daß erst auf dieser Grundlage die CP als oberste Phrase eingeführt wird. 3.3.2.2 Uneingeleitete Nebensätze Es gibt zwei Arten von uneingeleiteten finiten Verbletztsätzen, die als Voriäuferformen finiter Nebensätze gelten können: - präkonjunkuonale Sätze, also Nebensätze, denen jegliches einleitende Element fehlt (s. (9) (14)), und • undifferenziert eingeleitete Nebensätze, die mit einem undifferenzierten Laut wie [d], [m] oder ähnlichem beginnen (s. (28), (29)). (28) (29)
e - me nich meine mama bis (= weil du...) guck mal mama hierher s de schon geschrieben hab(= was ich da...)
MA3.03 CA 3.06
Tabelle (30) gibt einen Überblick über diese Formen. (30)
Eingeleitete vs. uneingeleitete Nebensätze*
Erhebung Alter
V-ENDE eingel. UE
PK
V-ZWETT eingel. uneingel.
MAOl/3.03
2
3
9
-
-
MA02/3.03
3
2
11
-
-
MA03/3.04
9
-
7
1
-
MA04/3.04
5
3
5
-
-
MA05/3.05
2
1
11
-
-
MA06/3.05
-
3
5
-
-
MA07/3.06
-
3
13
-
-
6
-
-
5
-
4
MA08/3.07 MA09/3.07
2
-
MA10/3.08
-
-
5
-
MAI 1/3.09
22
-
-
-
MA12/3.10
9
-
-
-
2
MT01/2.09
2
1
-
-
MT02/2.10
13
1
-
MT03/2.11
33
-
1
8
-
ohne V eingel.
1
1
44
Erhebung Alter
V-ENDE eingel. UE
PK
V-ZWETT eingel. uneingel.
ohne V eingel.
ΧΠΌ4/3.01
38
-
1
ΜΤ053.02
18
-
1
ΜΤ063.03
11
ΜΤ073.04
34
1
ΜΤ083.04
30
1
ΜΤ093.08
31
DA013.02
27
DA023.04
36
DA033.06
37
CA013.06**
77
SI01 /G,-f,rel/ Die hier vorgestellte Kreuzklassifikation erfaßt einen Großteil aller vorkommender Nebensatztypen im Deutschen und zwar jeweils nur einmal. Darüberhinaus kann jeder Form eine ausreichende - und je nach Bedarf - weiter differenzierbare Definition zugeordnet werden. Der traditionellen Bezeichnung Attributsatz entsprechen die Typen (16) bis (19) und (29). Komplementsätze werden von Matrixausdrücken - Verben, Adjektiven und Nomen - gefordert wie in (17), (19), (21) und (22). Als Relativsätze gelten sowohl (29) als auch (16). Adverbialsätze sind vom Typ (23), und attributive Adverbialsätze sind vom Typ (18). Problematische Fälle und Übergangsformen zwischen verschiedenen Typen aber gibt es trotzdem genug. Dazu zählen abgeleitete Formen wie die Freien Relativsätze, deren Einordnung nicht eindeutig ist. Zu klaren bleibt weiterhin, ob Komplementierer und Subjunktionen tatsächlich derselben Kategorie angehören, wie es in der Klassifikation angenommen wird. Dazu kommt die Frage nach dem Status von Korrelaten zu Komplementsätzen. Und ob Vergleichsund Konsekutivsätze, bei denen eine quantifizierende Bezugsgröße im Matrixsatz eine Rolle spielt, überhaupt mit diesem Klassifikationsschema zu erfassen sind, ist offen. Mit diesen Fragestellungen befassen sich die folgenden Abschnitte.
liier zeigt sich der Unterschied zwischen restrikiven Relativsätzen und Attributsätzen in der Funktion von Valenzkomplementen. Zu deren Ableitung s. 4.4 Freie Relativsätze.
63
4.3 Komplementierer und Subjunktionen In den traditionellen Grammatiken wird in der Regel kein Unterschied zwischen Komplementierem (daß, ob) und Subjunktionen (weil, als, ...) gemacht. Auch hier wurde bisher davon ausgegangen, daß die topologische Einheitlichkeit der Nebensätze den Schluß erlaubt, daß Komplementierer und Subjunktionen in der Basis dieselbe Position besetzen, nämlich COMP und damit auch kategorial gleichwertig sind. Diese Annahme ist nicht unstrittig. Lang & Pasch (1988) gehen davon aus, daß Subjunktionen und Komplementierer nicht denselben kategorialen Status haben, und nur Komplementierer die COMP-Position besetzen können. Subjunktionen sollen in der Spezifiziererposition von COMP stehen, während die Kopfposition durch einen Nullkomplementierer belegt wird, der Endstellung des finiten Verbs garantiert und den Status des Nebensatzes festlegt. Gegen diesen Vorschlag spricht, daß Strukturerhaltung und X-BarSchema in einer Spezifiziererposition ausschließlich (bewegte) XPs und keine Xo-Elemente erlauben. Der lexikalische Status von Subjunktionen wie weil, obwohl oder als als Xo-Elemente ist eindeutig, auch wenn aus diachroner Sicht viele Subjunktionen aus Phrasen entstanden sind (s.u.). Inwieweit Komplementierer und Subjunktionen kategorial gleichwertig sind, soll eine nähere Betrachtung beider Klassen zeigen. Komplementierer sind typischerweise Einleiter von Argumentsätzen.11 Ihre Merkmalsmatrix ist beschränkt, aber nicht leer. Die Komplementierer ob und daß unterscheiden sich in ihren Operatormerkmalen: daß trägt das [-w]-Merkmal, und ob ist für [+w] spezifiziert. Diese Merkmale müssen mit dem von der Subkategorisierung des Matrixelements geforderten Status für den Komplementsatz übereinstimmen. Die Statusmerkmale werden in COMP realisiert (s.a. Kapitel 2). Das bedeutet, daß die Subkategorisierung des Matrixverbs (oder -prädikats) den Status des Nebensatzes festlegt, der dann in COMP als [+w]- oder [-w]-Operator angezeigt wird (vgl. (31) bis (38)).12 An Matrixverben, die sowohl [+w]-Sätze als auch [-w]-Sätze erlauben, kann der Bedeutungsunterschied der beiden Komplementierer demonstriert werden, (vgl. (30), (31)). (30) (31) (32) (33) (34) (35) 11
12
Nur die Hausmeisterin weiß, daß der Handwerker morgen kommt. Nur die Hausmeisterin weiß, ob der Handwerker morgen kommt. Nur die Hausmeisterin weiß, wer morgen kommt. Peter glaubt, daß der Handwerker morgen kommt. Peter glaubt, der Handwerker kommt/käme morgen. *Peter glaubt, ob der Handwerker morgen kommt.
Einige Matrixverben gestatten wenn, wie, als und als ob anstelle von Komplementieren! (vgl. Duden 1984: §1213). Sie verlieren dann ihre Bedeutung, von der nur aspekthaft Reste bleiben. Immer gibt es eine daß-Variante, immer ist diese die unmarkierte (vgl. auch Anm. 8). Als ob kommt wohl nur bei scheinen und verwandten Verben vor. Man kann auch sagen, daß Elemente in COMP Skopus über den Nebensatz haben. Skopus ist nicht zu verstehen als Aussage über den Wahrheitsgehalt der Proposition, sondern nach Lang & Pasch (1988:18) als Ausdruck der Unentschiedenheit bezüglich p bei ob, und als Ausdruck von Unbedenklichkeit bezüglich p bei
64
(36) Peter fragt, ob der Handwerker morgen kommt. (37) Peter fragt, wer morgen kommt. (38) *Peter fragt, daß der Handwerker morgen kommt. Maüixelemente sind zu Untergruppen hinsichtlich der Komplementsatztypen, die sie fordern bzw. erlauben subkategorisiert. Nur Matrixprädikate, die ob zulassen, also den [+w]-Operator können auch mit w-Partikeln eingeleitete Nebensätze haben (s. (32), (37)).13 Dabei entsprechen ofe-Sätze eingebetteten Bitscheidungsfragen und w-Sätze eingebetteten Ergänzungsfragen. Wie schon erwähnt gibt es eine Gruppe von Verben, die sowohl daß- als auch ob- und w-Anschlüsse erlaubt (s. (30) - (33)). Eine bestimmte Untergruppe von Matrixprädikaten, die [-w]Komplemente fordern, die sogenannten Briickenverben erlauben neben dqß-Sätzen uneingeleitete Verbzweitvarianten. Verbzweitvarianten sind markierte Alternativen zu daß-Sälzen ((34)). 14 Es sind also Subkategorisierungsmerkmale bestimmter Klassen von Matrixverben, die festlegen, ob die Verbzweitvariante oder w-Sätze usw. erlaubt sind (vgl. Fries 1985, Reis 1985).15 Da diese Merkmale in COMP angezeigt werden müssen, müssen auch die Komplementierer (und w-Einleiter) für diese Operator-Merkmale spezifiziert sein. Die thematische oder -Rolle, die der Komplementsatz im Matrixsatz einnimmt, wird ihm vom Matrixverb zugewiesen. Daher können Komplementsätze durch einen semantisch leeren Komplementierer angeschlossen werden. Da Suhjunktionen nie von einem Matrixprädikat selektierte Komplementsätze einleiten, sind die Merkmale, die in COMP durch die Subjunktion realisiert werden, vom Matrixsatz unabhängig. Das gilt sowohl für die Statusmerkmale als auch für die thematischen Rollen. Diese thematischen Rollen sind von der gleichen Art, wie sie Verben Argumenten zuweisen können, wie (39) bis (41) zeigen. (39) Er schämt sich (wegen) seiner Armut. (40) Das Fest dauerte die ganze Nacht. (41) Hans fährt nach/wohnt in Holland.
(= kausal) (= temporal) (= lokal/direktional)
Eine strikte Trennung von thematischen Rollen, die Argumente einerseits und freie Adverbiale andererseits tragen können, ist nicht gegeben, auch wenn es Präferenzen gibt. Da jedes Ereignis, jede Beschreibung, jeder Sachverhalt oder Zustand räumlich und zeitlich, modal und kausal bestimmbar ist, könnte man für Sätze einen Rahmen freier thematischer Rollen annehmen, so daß -Rollen nicht nur von Elementen im Satz, sondern auch vom Satz insgesamt vergeben werden. Da diese Rollen nicht als lexikalische Einträge von Matrixausdrucken festgelegt 13 Ausnahmen von dieser Regelmäßigkeit sind zweifeln, bezweifeln, anzweifeln, die keine w-Pronomina als Anschlüsse erlauben, bei denen aber auch und ob keinen klaren Bedeutungsunterschied ausmachen. l** Neben V2-Varianten erlauben Brückenverben auch Extraktion des w-Einleiters aus dem eingebetteten fuaten Satz; z.B. Wen, glaubt Üb, liebt Maria? (Grewendorf 1988). 15 Nach Oppenrieder erlaubt nur die Spezifikation von djß-Sätzen, aber nicht von cfe-Sätzen die Realisierung der Statusmerkmale in COMP durch das finite Verb. Er vermutet, daß eine Bedeutungsähnlichkeit mit dem Assertions-Operator, der selbständigen Verbzweitsätzen zugeordnet werden kann, dafür verantwortlich ist, daß manche Verben einen abhängigen Verbzweitsatz einbetten können (Oppenrieder 1991).
65
sind, werden sie durch Präpositionen oder eben durch Subjunktionen ausgedrückt. Präpositionen sind Köpfe von Präpositionalphrasen und weisen so ihrer NP sowohl -Roüe als auch Kasus zu. Entsprechend ist davon auszugehen, daß Subjunktionen in COMP basisgeneriert sind und als Kopf die thematische Rolle des Nebensatzes festlegen.l 6 Neben den bisher angeführten Gründen sprechen auch diachrone Argumente dafür, Subjunktionen in COMP zu generieren. Unter sprachgeschichtlichen Gesichtspunkten sind Phrasen wie AdvP oder PP, die als Komplement im Gegensatz zum heutigen Deutsch auch einen Satz ertauben, Ausgangspunkt für die Entwicklung von Subjunktionen. Adverb oder Präposition selektieren einen Nebensalz, wobei die COMP-Position durch daß besetzt ist Ebenso wie die durch [+V] spezifizierten Kategorien V und Adj weisen sie ihren satzförmigen Argumenten eine -Rolle, aber keinen Kasus zu. Diachron nun wird der kategoriale Status der vor COMP stehenden Präposition aufgeweicht, und die Partikel tritt unter Verdrängung von daß nach COMP über.17 Ursache für diesen Prozeß ist das Verblassen der Produktivität dieser Muster, im heutigen Deutsch können weder Adverbien noch Präpositionen finite Satzkomplemente nehmen. Ein reanalytischer Prozess also führt zu einem syntaktischen Wandel, so daß die ehemals vor COMP generierten Partikeln die kategorialen Merkmale des verdrängten Komplementierers erben, wobei sie aber ihre eigenen semantischen Merkmale und lexikalischen Eigenschaften ( -Rollen-Vergabe) behalten. Aufgrund dieser geerbten kategorialen Komplementierereigenschaften können auch Subjunktionen unterschiedlichen Satzstatus anzeigen. Da der Status aber nicht durch ein Matrixelement bestimmt ist, gilt meist der unmarkierte Fall, nämlich [-w]. Nur Konditionalsätze (wenn, falls) realisieren in COMP einen [+w]-Operator. Daraus erklärt sich die Möglichkeit von V l-Varianten zu Konditionalsätzen, also eine Form, die ansonsten Entscheidungsfragen vorbehalten i st. & Komplementierer und Subjunktionen unterscheiden sich also nicht im kategorialen Status: beides sind in COMP basisgenerierte Elemente. Das erklärt auch die - wenn auch sehr beschränkte - Austauschbarkeit (s. Anmn. 8 und 11) von Subjunktionen und Komplementierern. Die auftretenden Unterschiede sind darauf zurückzuführen, daß die von ihnen eingeleiteten Nebensätze unterschiedlichen Status im Verhältnis zum Matrixsatz haben. So müssen Subjunktionen selbst die -Rolle des Nebensatzes festlegen und dürfen nie fehlen, so daß Verbzweitvarianten nicht möglich sind.
16 Audi die in der voriiegenden Arbeit untersuchten Spracherwerbsdaten sprechen dafür, daß sowohl Komplementieret als auch Subjunktionen in COMP basisgeneriert sind. Adverbial- und Komplementsätze treten gleichzeitig auf, wobei in frühen Nebensätzen in beiden Typen der Einleiter fehlen kann. Geht man davon aus, daß Subjunktionen als lexikalische Kategorie den X-Bar-Prinzipien folgend eine Projektionsstufe oberhalb der CP generieren, mit der CP als Komplement von SUBJ (vergleichbar den NP-Kompleroenten in Präpositionalphrasen) müßte - außer bei einigen Doppelsubjunktionen wie als oder als ob - die COMPPosition in der Basis immer mit einem leerem Komplementierer besetzt sein. Adverbiale PK-Sätze stellen für diese Analyse ein Problem dar, da dann genau dasjenige Element fehlt, das die CP als Argument fordert. Ein adverbialer PK-Satz wäre nicht lizensiert 17 Zu Details vgl.Lenerz(1985:98ff) und Fries (1985:192ff) 18 Ebenfalls [+w]-Status haben mit als ob oder als wenn eingeleitete Sätze, d.h. das Statusmerkmal wird durch ob oder wenn angezeigt.
66
4.4 Freie Relativsätze Freie Relativsätze können als aus restriktiven Relativsätzen abgeleitete Sonderformen analysiert werden (vgl. Kapitel 4.2). Sie sind nicht als Satz von einem Matrixelement selektiert. Im Gegensatz zu Komplementsätzen können Freie Relativsätze jedes Satzglied ersetzen. Sie sind immer möglich, auch als Argumente in Sätzen, deren Verb nicht für Argumentsätze subkategorisiert ist Freie Relativsätze sind nicht mit Komplementsätzen austauschbar, die mit den Komplementierem daß oder ob eingeleitet werden. Oberflächlich betrachtet besetzen sie Positionen von Satzkomplementen, ersetzen eine Nominal- oder Präpositionalphrase durch einen Satz, der dann die Rolle des Subjekts, Objekts oder eines Adverbiale übernimmt. Man vergleiche dazu die Sätze (27), (28), (42) und (43) und die jeweils dazu in Beziehung stehenden Sätze (27)', (28)', (42)' und (43)'. (42) (43) (42)' (43)'
Oma küßt, wen sie will. Opa küßt, wen er will. Oma küßt jeden, den sie will. Opa küßt jede, die er will.
Es ist nicht korrekt, daß Sätze wie (42) und (43) direkt auf Sätze wie (42)' und (43)' zurückgehen, wie vielfach angenommen wird (s. z.B. Engel 1982; Engelen 1975)19. Freie Relativsätze sind eine Untergruppe der Generalisierenden Relativsätze, d.h. es sind Relativsätze, die mit wPronomen eingeleitet werden müssen, da der pronominale Bezugsausdruck so allgemein ist, daß er genus- und numerusneutral ist. Genau das gilt für (42)' und (43)' aber nicht, und so erfolgt auch der Relativanschluß mit einem d-Pronomen. Es mag zwar naheliegen, daß Opa lieber jede als jeden küßt, in (42)' und (43)' wird aber weder über den Sexus noch über das Genus der geküßten Opfer etwas ausgesagt. Es fehlt ein genus- und numerusneutrales, persönliches Bezugspronomen, das im Deutschen nicht lexikalisiert werden kann, (was bei sächlichen Pronomen anders aussieht, wie (28)' zeigt). Als zugrundeliegend ist eine Konstruktion mit einer genus- und numerusunspezifizierten Proform im Matrixsatz anzunehmen. Eine weitere Bedingung für die Auslassung des Bezugsausdrucks ist, daß das Relativum im Nebensatz den gleichen Kasus trägt wie das Bezugselement im Matrixsatz. Die Subkategorisierungsrahmen der beiden Verben müssen sich überschneiden, oder sie müssen die gleiche Art von Adverbialen erlauben.20 Engel (1982:189) spricht von dependentieller Gleichordnung. Ausnahmen ergeben sich in Sätzen wie (28) und (44). 19
Wird das prinzipiell fakultative Korrelat (Engel 1982:245) realisiert, besetzt es die Argumentstelle (oder Adverbialstelle) im Matrixsatz selbst, und der Nebensatz ist auch oberflächenstrukturell ein Attributsatz. Nach Engelen ist in Relativsätzen immer möglich, das w-Element in ein nominales oder pronominales Bezugselement + Relativpronomen aufzulösen (Engelen 1975:102). 2" Freie Relativsätze, die Adverbiale ersetzen, werden oft nicht behandelt, sollten aber den gleichen Gesetzmäßigkeiten unterliegen wie Subjekt- oder Objektsätze. Temporale Nebensätze sind häufig Grenzfalle zwischen Adverbialsätzen und freien Relativsätzen (vgl. auch Duden 1984:6750- Einige der dann,\vann-Fona sehr ähnliche Sätze sind z.B. - Er beginnt (dann), wenn alle da sind.
67
(44) Ich gebe dir (alles), worauf/auf was wir uns einigen. In (28) wird das Objekt des Matrixsatzes mit dem Subjekt des Nebensatzes identifiziert, was durch die Homonymie von was möglich wird. In Beispiel (44) tragen zwar sowohl die Bezugsproform als auch das Relativpronomen den Kasus Akkusativ, dependentiell gleichgeordnet aber sind sie nicht, da der Kasus im Nebensatz nicht vom Verb, sondern von der Präposition vergeben wird. Wir können also festhalten, daß Freie Relativsätze abgeleitete Formen sind, bei denen Bezugselement und Relativum im Unterschied zu restriktiven Relativsätzen einerseits keine Genus- und Numerusinformation tragen, also unmarkiert sind, und in denen andererseits die Kasusmarkierung beider Elemente übereinstimmt, so daß aus diesen Gründen das Bezugselement als grammatischer Informationsträger redundant wird. In der Basis allerdings wird der Kasus einem nominalen Dement im Matrixsatz zugewiesen. Gemäß den X-Bar-Prinzipien projiziert dieses Element eine Phrase, in der der Relativsatz als Attribut generiert wird. So besetzt ein Freier Relativsatz nur gemeinsam mit der dominierenden maximalen Kategorie eine Argumentstelle (oder Adverbialstelle). Kopf der Konstituente ist die an der Oberfläche getilgte Proform. Nur wenn NP -> S (bzw. PP -> S) eine akzeptable Phrasenstrukturregel wäre, könnte der Nebensatz das Argument darstellen und die Argumenteigenschaften direkt vom Matrixverb zugewiesen bekommen. Da das nicht der Fall ist und das Relativum auch nicht doppelt kasusmarkiert sein kann, muß für Freie Relativsätze angenommen werden, daß die Argumentstelle für eine NP (oder PP), die das Matrixverb eröffnet, in der d-Struktur besetzt ist. Bei Tilgung der Bezugs-NP bleibt eine Leerstelle: der abhängige Satz ist nicht regiert An diesem Punkt setzt ein reanalytischer Prozeß ein. Die gesamte NP-Position wird getilgt. Der Kopf der nächsten maximalen Projektion übernimmt die Rolle des Regenten für den untergeordneten Satz, also in der Regel das Verb, und der Relativsatz wird an der Oberfläche zum Komplement des Matrixverbs.21
- Er kam just (da), als ich gehen wollte. In beiden Fällen sind Korrelat und Subjunktion durch die Fügung in dem Moment, in dem ersetzbar. Es sind also Adverbialsätze mit Bezugselement oder freie Relativsätze, denn es findet sich wieder die Überschneidung einer referenzidentischen Satzgliedstelle in Matrix- und Nebensatz. Allerdings treten statt Relativa nun auch Subjunktionen auf. Als und wie sind funktionale Homonyme; wenn ist wann sehr nah verwandt. Außerdem liegt in der Regel Ersetzbarkeit durch ein Relativpronomen vor. Unter der Annahme, daß freie Relativsätze DPs ohne "head', also ohne Det sind und daß es keine kopflosen Projektionen gibt, sind für Haider (1987:13,22ff) freie Relativsätze als Matching Projections zu erklären. Das w-Pronomen ist dann der sekundäre "head" der DP. Diese Form der Reanalyse aber verbietet u.a., eine DP auf eine PP zu projizieren, so daß Satz (44) eigentlich ungrammatisch sein müßte. Ebenso entstehe Ungrammatikalität, wenn Matrixverb und eingebettetes Verb die gleiche PP fordern, da keine PP auf eine CP prqjiziert werden könne. Demnach müßte Satz a) ungrammatisch sein, während b) (Satz (52) bei Haider) eigentlich akzeptabel sein sollte, da hier die NP aus der PP auf die CP prqjizierbar sei. a) ?Wir streiten, worüber alle Paare streiten. b) Dieser Reporter stürzte sich, auf wen man ihm nannte.
68
4.5 Korrelate Attributsätze wurden als Nebensatze definiert, die sich auf ein Bezugselement im Matrixsatz beziehen und dieses spezifizieren. Auch in den Sätzen (45) bis (47) finden sich im Matrixsatz Bezugselemente, sogenannte Korrelate.22 Diese Sätze sind Komplementsätze, die vom Matrixverb selektiert werden. Welchen Status hat dann das Korrelat? (45) (45)' (46) (47) (48) (49) (49)'
Ich vertraue darauf, daß du kommst. *Ich vertraue, daß du kommst. Ich habe (es) gewußt, daß du kommst. Ich bin (davon) überzeugt, daß du kommst. ??Ich fürchte es, daß du kommst. ?Ich sage es Mutter, daß Hans kommt. Ich sag es dir. / Ich sag dir die Lösung.
Wie der Vergleich von (45) mit (45)' zeigt, ist das Korrelat in manchen Fällen obligatorisch. Andererseits gilt für einen Teil der Komplementsätze, die alternativ zu einem Akkusativobjekt gefordert werden, daß sie kein Korrelat erlauben oder mit Korrelat hochmarkiert wirken (s. (48), (49)). Das scheint genau für die Verben zu gelten, die NP-Objekte nur eingeschränkt zulassen (vgl. (49)'). So wie die Subkategorisierung des Matrixverbs den [±w]-Status des Komplementsatzes und die Möglichkeit von V2-Varianten festlegt, hängt von ihr auch ab, ob ein Komplementsatz mit einem Korrelat auftreten kann, darf oder muß. Verben (bzw. Nomen oder Adjektive) selektieren also verschiedene syntaktische Typen von Komplementsätzen (Fries 1985). Das Verb wissen beispielsweise ist subkategorisiert für Komplementsätze, die - entweder den [+w]- oder den [-w]-Status haben können, d.h. ob, daß und w-Phrasen sind mögliche Einleiter; - eine akkusativische Argumentstelle besetzen, - ein Korrelat im Matrixsatz haben können (s. (46)), - als abhängiger V2-Satz auftreten können. Korrelat und Nebensatz bilden eine Konstituente, wobei das Korrelat eine Art Spezifizierer des Satzes darstellt (vgl. Fries 1985). Würden Komplementsätze mit Korrelat zu Attributen, müßte das Korrelat (NP oder PP) als Kopf der Konstituente und somit als Regens dem Nebensatz seine -Rolle zuweisen (was es nicht kann), ähnlich wie es das Nomen in die Frage, wer tut. Tatsächlich aber scheint in Komplementsätzen das Matrixverb dem abhängigen Satz die -Rolle zuzuweisen und zwar unabhängig vom Auftreten eines Korrelats.23 22
23
Damit in diesen Fällen aus einem Ausbausatz kein Attributsatz wird, postuliert Engel (1982:243), daß das Korrelat die Valenz des Matrixsatzes erhöht. Damit hätte das Verb aber dann zwei identische Ergänzungen, wofür es m.E. keine konkreten Anhaltspunkte gibt. Im Duden (1973) werden Komplementsätze mit Korrelat tatsächlich als Attributsätze bezeichnet. Scherpenisse (1986) unterscheidet die anstelle von Präpositionalobjekten subkategorisierten Sätze von den übrigen Argumentsätzen. Während letztere direkt vom Verb gefordert werden, ist im Fall von Prepositional-
69
Entschieden gegen diese Analyse wendet sich Oppenrieder (1991). Seiner Meinung nach übersieht Fries, daß bei Elementen, die er unter dem Begriff Korrelat zusammenfaßt, zu unterscheiden ist zwischen Bezugsausdrucken einerseits, die betonbar und vorfeldfähig sind, und Platzhaltern andererseits, die unbetonbar und nicht vorfeidfähig sind. Während Fries (1985) davon ausgeht, daß Korrelat + Komplementsatz gemeinsam als eine Konstituente im Mittelfeld stehen oder ins Vor- oder Nachfeld verschoben werden können, zeigt Oppenrieder, daß das zumindest für die unbetonten oder unbetonbaren Versionen der Korrelate nicht gilt (Oppenrieder 1991). Gemeinsam stehen Platzhalter und Nebensatz nur im Nachfeld, wenn der Platzhalter ausgeklammert vor dem extraponierten Komplementsatz erscheint. Im Gegensatz zu unbetonbaren Platzhaltern aber haben Bezugsausdrücke die gleiche unbeschränkte Verteilung im Satz wie nominale Ausdrücke. Vor allem mit diesem divergierenden Stellungsverhalten von betonbaren und nicht betonbaren Korrelaten begründet Oppenrieder seine Unterscheidung in zwei syntaktisch verschiedene Kategorien. Platzhalter - das sind es oder Pronominaladverbien mit unbetontem db24 - besetzen die Position im Mittelfeld, in der äquivalente NPs oder PPs basisgeneriert werden, d.h. ein Platzhalter ist dem Kasus und der -Rolle nach der Argumentstelle zuzuordnen, der aufgrund seiner thematischen Rolle auch der extraponierte Argumcntsatz zugehört. Platzhalter werden nur im unmarkierten Fall realisiert, d.h. wenn der Komplementsatz extraponiert wird, aber nicht, wenn der Argumentsatz im Vor- oder Mittelfeld steht Die Funktion des Platzhalters ist, die formalen Markierungsanforderungen zu erfüllen, die mit der Besetzung der Argumentstelle verbunden sind und die satzförmige Argumente in der Extraposition nicht erfüllen können. So werden die formalen Merkmale separat und minimal in Form von schwachtonigen Elementen ohne eigene Semantik realisiert. Steht das Komplement im Vor- oder Mittelfeld, sind die formalen Merkmale nicht mehr verfügbar, und ein Platzhalter ist nicht möglich. Argumentsätze sind prinzipiell verträglich mit einem Platzhalter. Oppenrieder nimmt an, daß jedes Matrixprädikat einen Fakultaävitätswert im Hinblick auf Platzhalter hat. Das bedeutet, jeder extraponierte Argumentsatz kann einen Platzhalter haben. Ob ein Platzhalter realisiert wird oder nicht, ist von pragmatischen Faktoren abhängig (Oppenrieder 1991). Oppenrieders Argumentation scheint mir in einer Hinsicht angreifbar. Wenn Platzhalter die oben beschriebene Funktion haben, Merkmale der Argumentposition zu realisieren, die der extraponierte Satz im Nachfeld nicht realisieren kann, dann sollte die Frage nicht sein, unter welchen Bedingungen der Platzhalter auftritt, sondern wieso bei unmarkierter Stellung des Komplementsatzes, eben im Nachfeld, der Platzhalter überhaupt fehlen darf. Hier müssen strukturelle Gründe eine Rolle spielen und nicht pragmatische. Eine in diesem Zusammenhang Objekten das Verb für die Präposition subkategorisiert, und diese wiederum fordert einen Satz. Die Präposition verschmilzt mit einem pronominalen Element und lexikalisiert damit die PP-Position, da die Präposition die leere Kategorie NP nicht regieren kann. Damit erklärt Scherpenisse, daß Korrelate zu Präpositionalobjektsätzen nicht fehlen dürfen. Auf diese Weise kann dann der Nebensatz auch in extraponierter Position generiert werden. Wesentlich gegen Scherpenisses Vorschlag spricht, daß er nicht erklären kann, wieso auch Nebensätze anstelle von Dativ- und Genitivobjekten Korrelate im Matrixsatz verlangen. Pronominaladverbien, die Platzhalter sind, aber nicht Bezugsausdrücke sind phonetisch reduzierbar dariberdriiber, darauf- drauf usw.
70 wichtige Beobachtung ist, daß bei bestimmten Verben, besonders bei Verben des Mitteilens, die Verwendung von Platzhaltern zumindest markiert wirkt (vgl. (48), (49)). Zugleich erlauben diese Verben an der NP-Objekt-Position auch nur eingeschränkt volle NPs (vgl. (49), (49)'). Offensichtlich spielen Selektionsbeschränkungen, die das Matrixprädikat hinsichtlich der lexikalischen Kategorie für die Argumentstelle festschreibt, eine Rolle für die Notwendigkeit des Platzhalters. Da Platzhalter also fakultativ und nicht obligatorisch sind, kann angenommen werden, daß die formalen Markierungsanforderungen an den Argumentsatz auch im Nachfeld erfüllt werden können. Ein vorgezogener Platzhalter erleichtert das Satzverständnis, indem er diese Markierungen an der Argumentposition realisiert; notwendig aber ist er nicht. Als zweite Gruppe von Ausdrücken, die traditionell unter den Begriff Korrelat fallen, definiert Oppenrieder Bezugsausdrücke. Es handelt sich dabei um das und um auf der ersten Silbe betonbare Pronominaladverbien. Nur diese Elemente können alleine im Vorfeld oder gemeinsam mit dem Argumentsatz im Vor- oder Mittelfeld stehen. Sie sind dann immer betont und somit Bezugsausdruck. Der Komplementsatz hat den Status eines Attributs, und das Korrelat ist Kopf der Konstituente. Gemeinsam mit dem abhängigen Satz bildet es eine NP oder PP. Hier ergibt sich allerdings ein Problem mit der -Rollen-Zuweisung. Offensichtlich erhält der Komplementsatz die -Rolle auch dann vom Matrixprädikat, wenn ein Bezugsausdruck vorhanden ist. Die Annahme, Bezugsausdrücke seien syntaktisch transparent, läßt sich nicht halten, da Bezugsausdrücke, aber nicht Platzhalter V2-Varianten blockieren (Oppenrieder 1991) (vgl. (50) bis (53)). (50) (51) (52) (53)
Meier hatte drauf gehofft, daß er entlassen würde. Meier hatte drauf gehofft, er würde entlassen. Meier hatte darauf, daß er entlassen würde, gehofft. *Meier hatte darauf, er würde entlassen, gehofft.
Die Lösung liegt darin, daß der Bezugsausdruck semantisch undifferenziert ist. Köpfe müssen sowohl mit ihren Argumenten als auch mit ihren Modifizierem semantisch (und syntaktisch) verträglich sein. Bei bedeutungsarmen Bezugsausdrücken, wie Pro-PPn, soll nun ausschließlich der Gliedteilsatz über das Denotat des Gesamtkomplexes bestimmen (Oppenrieder 1991). So ist der Bezugsausdruck nur scheinbar transparent für die Subkategorisierung des Matrixprädikats. Es geht um rein semantische Selektionsbeschränkungen. Mit anderen Worten: das Objekt muß zum Matrixprädikat passen, das Attribut zum Objekt, und wenn das Objekt semantisch leer ist, wird die Kette verkürzt, und das Attribut wirkt, als würde es syntaktisch vom Matrixprädikat gesteuert, obwohl es - über den semantisch leeren Bezugsausdruck - nur seinen semantischen Selektionsrestriktionen entspricht Das aber hat - denke ich - auch strukturelle Folgen für die Form des Nebensatzes: es treten die gleichen Einleiter wie bei Komplementsätzen auf. Oppenrieder weist überzeugend nach, daß die Fries'sche Analyse von Korrelaten als Spezifizierer des Satzes nicht zu halten ist. So verhalten sich Platzhalter und Satz nicht wie eine Konstituente, sondern stehen nur zufällig nebeneinander, wenn die rechte Satzklammer fehlt oder
71
der Platzhalter ausgeklammert ist. Bei Bezugsausdriicken und Satz handelt es sich zwar um eine Konstituente, doch ist nicht der Satz sondern der Bezugsausdruck Kopf der Konstituente. Obwohl ich im folgenden, vor allem in Kapitel 5.2: Komplementsätze der Analyse von Oppenrieder folgen werde, wird im Kreuzklassifikationsschema das Auftreten eines Korrelats zunächst unabhängig von seinem Status als Platzhalter oder Bezugsausdruck als /G(+K)/ erfaßt. Der Nebensatz selbst wird als Komplementsatz, klassifiziert, was durch die einleitenden Komplementierer oder w-Pronomen gerechtfertigt ist. Eine Unterscheidung von Bezugsausdruck und Platzhalter wird dann erst in der Interpretation der Sätze berücksichtigt und - wie sich in 5.2 zeigen wird - durch die Spracherwerbsdaten gerechtfertigt Außer zu Ergänzungssätzen sind auch zu adverbialen Nebensätzen Korrelate möglich. Am häufigsten treten sie in der wenn,£/ann-Konstruktion auf. Es kann sich dabei nicht um dieselbe Art von Platzhalter handeln wie bei Ergänzungssätzen, die dazu dienen, die Merkmale einer Argumentstelle sichtbar zu machen. Entweder liegen betonte Bezugselemente vor (vgl. (55)) oder Platzhalter, die die Topikposition nach einem linksversetzten Adverbialsatz besetzen (vgl. (54)). Die folgenden Beispielsätze (54) bis (57) zeigen, daß der Übergang von Adverbial- zu Attributsätzen fließend ist. (54) Wenn du kommst, (dann) gibt es Kuchen. (55) Genau dann, wenn du kommst, gibt es Kuchen. (56) ? Genau zu dem Zeitpunkt, wenn du kommst, gibt es den Kuchen. (57) Nur an den Sonntagen, (?) wenn/ an denen du kommst, gibt es Kuchen. Im untersuchten Material finden sich Korrelate zu Adverbialsätzen nur in wenn-cfcmn-Konstruktionen. Auch diese Konstruktion wird bei Auftreten eines Korrelats als /G(+K)/, also als Adverbialsatz klassifiziert und unter 5.3: Adverbialsätze näher untersucht.
4.6 Vergleichs- und Konsekutivsätze Scherpenisse (1986) stellt Vergleichs- und Konsekutivsätze als Comparativ- und ResultClauses neben Adverbial-, Attribut- und Komplementsätze. Der Duden (1984) klassifiziert Vergleichssätze als modale Relativsätze und Konsekutivsätze als eine Unterklasse der Verhältnissätze. Aber Vergleichssätze (s. (58)-(62)) verhalten sich syntaktisch anders als Relativsätze, Konsekutivsätze (s. (63)-(66)) anders als andere Verhältnissätzc (in der Regel Adverbialsätze). Beide Typen sind meist an ein Bezugselement im Matrixsatz gebunden. Es handelt sich um eine Art Quantifizierer (oder Qualifizierer), um eine QP, deren Auftreten im Matrixsatz den Nebensatz erst ermöglicht Daher also sind diese Elemente nicht korrelatäquivalent Eher handelt es sich um Attributsätze, denn Quantifizierer und Nebensatz bilden gemeinsam eine Konstituente, deren Kopf die QP ist.
72
(58) (59) (60) (61) (61)' (62) (63) (64) (65) (66)
Der neue Tennislehrer ist genauso schön, wie ich erwartet habe. Außerdem verhält er sich (so), wie Anna prophezeit hat Er verhält sich (so), als ob er viel Geld hätte. Er ist noch schöner, als ich dachte. Er ist noch schöner, als wie ich dachte. Er kann mehr essen, als ich dachte. Ich mag ihn je/umso lieber, je länger ich ihn kenne. Ich hab so lange auf ihn gewartet, daß ich ganz schön ärgerlich bin. Ich habe ihn (so) gelobt, daß er ganz verlegen wurde. Der Tisch ist zu groß, als daß er durch die Tür paßte.
Der Status der einleitenden Partikeln ist so unterschiedlich, daß nicht von einer Klasse gesprochen werden kann. In restriktiven Vergleichssätzen wie (58) und (59) sollte wie als w-Pronomen betrachtet werden. Wie andere w-Pronomen kann es auch Komplementsätze einleiten. Die Klassifikation ist dann wie in (67), d.h. sie ist mit (16) identisch. Vergleichssätze zum Komparativ wie (61) bis (63) sollten dieselbe Klassifikation erhalten, auch wenn als usw. nicht als wPronomen klassifiziert werden können. Nach Grewendorf (1988: 88-91) liegt auch in Komparativsätzen w-Bewegung vor, wobei das w-Element an der Oberfläche getilgt ist. Evidenz dafür liefern umgangssprachliche Ersetzungen von als durch als wie. (s. (6l)1).
(67) / ,+ , ^ Der Status der Einleitung in (60) und (66) ist ein Problem. Als scheint mir eine Partikel zu sein, die für finite Nebensätze subkategorisiert ist. Diese werden dann durch die Komplementierer ob oder daß eingeleitet Gegen eine Analyse als Doppelkonjunktion spricht die Tatsache, daß es zu als ofc-Sätzen Verbzweitvarianten gibt, in denen nur das ob fehlt und die Komparativpartikel als aber erhalten bleibt (s. (60)'). Seltsamerweise sind V2-Varianten zu als aaß-Sätzjsn nicht möglich (s. (66)1). Dieses Verhältnis ist dem mit Komplementierern eingeleiteten Komplementsätzen genau entgegengesetzt. Da sind nur zu ifaß-Sätzen V2-Varianten erlaubt, nie zu ofe-Sätzen. Eine Erklärung für diesen Umstand habe ich zur Zeit nicht. (60)' Er verhält sich (so), als hätte er viel Geld. (66)' *Der Tisch ist zu groß, als paßte er durch die Tür. In Result-Clauses wie (64) und (65), die - wenn auch mit minimaler Bedeutungsverschiebung die ...so,daß-Variante zulassen, kann die so-Partikel an der Oberfläche getilgt sein, und zwar dann, wenn sie das Verb direkt quantifiziert und nicht ein anderes Element wie etwa in (65). Eine ausführliche Klärung all dieser Formen muß hier ausbleiben. Allerdings tauchen die meisten dieser Strukturen im Erwerb so spat auf, daß dieser Klassifikationsmangel nicht ins Gewicht fällt Die wenigen Konsekutivsätze mit so, die auftreten, werden - willkürlich - als Sätze mit Korrelat (/G(+K)/) erfaßt. Darüberhinaus treten nur Vergleichssätze mit wie auf.
73
4.7 Was leistet die Kreuzklassifikation? Auch die hier vorgeschlagene Klassifikation läßt viele Fragen offen, wie in den vorauf gehenden Abschnitten schon deutlich wurde. So ist beispielsweise der Status von Gradpartikeln in Sätzen wie (68) ungeklärt. Hier ist auch immer zusätzlich oder anstelle der Gradpartikel das Korrelat dann möglich. (68)
Das geschieht nur/sogar/auch...,wenn man sich davor fürchtet.
Wie sind doppelte Konjunktionen zu behandeln, also ohne, daß oder anstatt, daß ? In diesem Zusammenhang spielen diachrone Entwicklungen eine Rolle. Viele Subjunktionen sind aus Präpositionen oder Adverbien entstanden, die für einen Satz subkategorisiert waren. Die Partikel vor COMP verdrängte dann daß und besetzte selber COMP. Synchron liegen nun basisgenerierte Subjunktionen vor, u.a. weil, obwohl, indem, während, als. Nach Lenerz (1985:96ff) besetzen doppelte Konjunktionen wie ohne daß, als ob etc. heute gemeinsam die COMP-Position, da sie nicht distanziert voneinander auftreten können (s.a. Fries 1985:192ff)· Zumindest bei als ob spricht die Möglichkeit von Verbzweitvarianten gegen diese Annahme. Es ließen sich noch weit mehr problematische Fälle finden. Einen großen Komplex an Fragen habe ich hier umgangen, indem ich abhängige Verbzweit-, Verberst- und Infinitivsätze nicht berücksichtigt habe. Es zeigt sich aber, daß gerade die Nebensatztypen, die mit der vorgeschlagenen Kreuzklassifikation schwierig oder gar nicht zu erfassen sind, in der hier untersuchten Erwerbsphase keine Rolle spielen. Die Aufgabe der Klassifikation ist, die auftretenden Formen klar voneinander zu trennen und zu definieren. Diesem Anspruch genügt sie, was ein Indiz dafür sein mag, daß mit diesem Schema der Kembereich von Nebensätzen tatsächlich erfaßt wird, die Typen nämlich, die als erste von Kindern erworben werden.
5.
Der Erwerb verschiedener Nebensatztypen
Der Nebensatz wurde als abhängige eingeleitete Verbletztstruktur definiert Diese Festlegung ist aufgrund der topologischen und funktionalen Eindeutigkeit der Verbletztstruktur im Deutschen gerechtfertigt Der Erwerb der Nebensatzstruktur wurde in Kapitel 3 untersucht. Schon die nähere Betrachtung von präkonjunktionalen Sätzen ergab, daß sich verschiedene Nebensatztypen im Erwerbsverlauf unterschiedlich verhalten.1 Relevant sind für die früheste Phase des Erwerbs der Verbletztstruktur sowohl Komplementsät/e als auch Adverbialsätze, während Relativsätze so gut wie gar nicht auftreten. Das verzögerte Auftreten von Relativsätzen kann damit zusammenhängen, daß die Generierung eines Relativsatzes komplexer ist als die Generierung von Adverbial- und Komplementsätzen. Erstens sind Relativsätze tiefer eingebettet, und zweitens muß eine einleitende Relativpartikel in der Regel mit einem Matrixelement in Numerus und Genus kongruieren und trägt zudem eine Kasusmarkierung. Sieben der Typen, die sich aus dem Kreuzklassifikationsschema ergeben, werden von den hier untersuchten Kindern bis zum sechsten Lebensjahr produziert Das sind 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Komplementsätze vom Typ Komplementsätze vom Typ Adverbialsätze vom Typ Adverbialsätze vom Typ Restriktive Relativsätze vom Typ Vergleichssätze vom Typ Freie Relativsätze vom Typ
/G,-f,sub/ /G,-f,rel/ /G,+f,sub/ /A,+f,sub/ /A,+f,rel/ / ,+ , ^ / /A,+f,rel/->/G,-f,rel/
57 237 419 25 81 6 16
Das sind insgesamt 841 Sätze. Daneben gibt es im untersuchten Material 35 uneingeleitete Verbzweitkomplementsätze. Das ergibt insgesamt 876 von 877 klassifizierten Sätzen. Der letzte Satz ist ein Argumentsatz zu einem Nomen (Zettel, wieviel) der Form /A,-f,rel/ bei Oliver. Wir finden weder Komplementsätze vom Typ /A,-f,sub/ (die Frage, ob) noch weiterführende Sätze vom Typ /G,+f,rel/. Dieser quantitative Überblick weist darauf hin, daß die drei letztgenannten Typen für Kinder markierte Formen darstellen. Das bedeutet, daß es sich - wie in der Zielsprache - um einen markierten Fall handelt, wenn ein Attributsatz durch eine Subjunktion oder ein Adverbialsatz durch eine Relativpartikel eingeleitet wird, oder wenn ein Komplementsatz von einem Nomen gefordert wird. Die vorliegenden Verhältnisse rechtfertigen eine Dreiteilung in Komplementsätze (5.2), Adverbialsätze (5.3) und Relativsätze (5.4).
Zur Nebensatzklassifikation s. Kapitel 4.
75
5. l Quantitative Analyse: Komplement- und Adverbialsätze Ein großer Teil aller hier untersuchten abhängigen Sätze, nämlich 330 von 877, das sind 38%, sind Komplementsätze, d.h. Sätze, die von einem Matrixelement selektiert werden.2 Zu unterscheiden sind: 1. mit Komplementierer eingeleitete Sätze 2. mit w-Pronomen eingeleitete Sätze3 3. uneingeleitete Verbzweitsätze
57 238 35
Tabelle (1) gibt einen detaillierten Überblick über das Auftreten verschiedener Komplementsatzformen bei allen untersuchten Kindern. (1)
Komplementsätze4
Korpus/Alter*
K-SÄTZE PK UE Einl.
MAO 1/3.03 MA02/3.03
1
W-SÄTZE PK UE Einl.
V2-SÄTZE
GESAMT
2
2
1
2
MA03/3.04
5
MA04/3.04
1
MA05/3.05
5
11
6
1 1
6
1
3
5
8
MA08/3.07
1
1
MA09/3.07
3
MA06/3.05
2
MA07/3.06
2
MA10/3.08 MAI 1/3.09
1
2
4
3 1
5
2
MT01/2.09
1
MT02/2.10
1
14
13
MA12/3.10
1
7
2
4
6
8
5
6
Das sind alle Sätze mit dem Klassifikationswert /-f. Dazu zählt auch der ein/ige attributive Komplementsatz (s.o.). Genaue Angaben zu Alter und Entwicklungsstand der einzelnen Kinder finden sich in Kapitel A2: Datenavlyse (Anhang A). In dieser und allen weiteren Tabellen sind die Daten gemäß Alter und sprachlichem Entwicklungsstand in der Folge: Marianne < Martin < Daniel < Garsten < Simone < Oliver < Xilla geordnet.
76
Korpus/Alter*
K-SÄTZE PK UE Einl.
W-SÄTZE PK UE Einl.
MT032.11
11
V2-SÄTZE 1
GESAMT 12
MT043.01
2
12
14
53.02
3
8
11
4
6
1
MT063.03 MT073.04
1
MT083.04
1
MT093.08 DA013.02
I
1
7
3
11
5
3
1
10
2
8
3
13
2
8
11
15
18
DA023.04
1
DA033.06
3
CA013.06
10
SI014.01
2
6
3
12
19
1
31
1
21
2
24
SI024.02
1
3
4
SI034.03
2
12
14
OL01 4.00
1
1
1
3
OL024.05
2
3
2
7
OL034.06
4
11
6
21
OL044.10
1
14
1
16
2
3
5
4
2
9
205
35
330
1
XI01 5.03 XI025.06 Gesamt *
3
9
1
47
31
2
Namenskürzel: Ma = Marianne, Mt = Martin, Da = Daniel, Ca = Garsten, Si = Simone, Öl = Oliver, Xi = Xilla Abkürzungen: PK = präkonjunktional, UE - undifferenziert eingeleitet, Einl. = Einleiter realisiert, K-Sätze = mit Komplementierer eingeleitet, W-Sätze = mit w-Pronomen eingeleitet.
Mit w-Pronomen eingeleitete Sätze stellen die umfangreichste Gruppe dar. Selbst bei den präkonjunktionalen Formen (s. Marianne) kann wesentlich häufiger das Fehlen einer w-Partikel (in der Regel was) angenommen werden als das Fehlen eines Komplementierers. Die Tabellen (2) und (3) geben einen Überblick über alle Adverbialsätze im Gesamtkorpus aufgeschlüsselt nach den einleitenden Subjunktionen. Insgesamt gibt es 444 Adverbialsätze, das sind 51% aller untersuchten abhängigen Sätze. Über die Hälfte davon sind mit wenn eingeleitet
77 (250). Wie die weiV-Sätze, die die zweitgrößte Gruppe bilden (78), sind sie schon in den jeweils ersten Aufnahmen aller Kinder vertreten. Gemeinsam mit ihren Vorformen stellen wenn- und w«7-Sätze 86% der Adverbialsätze dar. Nach der Häufigkeit bilden die Subjunktionen damit (15x +2PK), bis (15x +2PK), als (12x +1PK) und finales oder konsekutives daß (9x) eine zweite Gruppe. Da damit und bis außerdem je zweimal als Vorformen auftreten, und beide schon von Marianne und Martin produziert werden, möchte ich diese beiden Subjunktionen gemeinsam mit wenn und weil zur Gruppe der frühen Subjunktionen zusammenfassen. Außer damit zählen diese Einleiter auch in anderen Spontansprachstudien zum Erwerb des Deutschen zu den ersten Nebensatzeinleitern.5 (2)
Adverbialsätze: Frühe Subjunktionen6
Korpus/Alter wenn
pk/ue
weil
pk/ue
l
6/2
bis
pk/ue
MAOl/3.03
l
MA02/3.03
2
2/0
MA03/3.04
3
2/0
MA04/3.04
3 3 / 2
MA05/3.05
3/0
l/1
MA0673.05
0/2
2/0
MA07/3.06
5/2
1/0
MA08/3.07
4/0
1/0
MA09/3.07
2/0
6/2
2/1
MAI 1/3.09
6
2
MA12/3.10
3
l
MT01/2.09
7
10
MT02/2.10
2
2
MT03/2.11
8
MT04/3.01
13
MT05/3.02
4
MT0673.03
4
MT07/3.04
15
MT08/3.04
21
5 6
damit
pk/ue
l
2/0
l
l 4
I l
4 l
Das sind vor allem Bielefeld (1972), Grimm (1973), Helmers (1969), Ramge (1973), Stern & Stern (1928). In MA10 und SI03 treten keine adveifoialen Subjunktionen auf.
78 Korpus/Alter wenn
pk/ue
weil
pk/ue
bis
pk/ue
damit
09>3.08
14
DA013.02
15
DA02-3.04
12
DA03'3.06
15
CA01 3.06
28
SI014.01
10
SI02/4.02
3
3
OL01 4.00
7
2
OL02-4.05
4
7
OL03/4.06
14
3
1
OL04/4.10
21
4
2
XI01/5.03
5
4
1
XI02/5.06
10
14
2
Gesamt
250
pk/ue
4
l/l
3
2
1
5 0/1
8
l/l
5
4 1
1/0
31
78
1
25
15
1
2
15
2
Die übrigen im Korpus belegten Subjunktionen kommen vereinzelt und spät vor (s. (3)). Das Repertoir vergrößert sich mit zunehmenden Alter nur allmählich. Es ist auch bei den Vier- und Fünfjährigen (Simone, Oliver, Xilla) noch auf wenige Subjunktionen beschränkt. Selbst die so umfangreichen Tagebuchaufzeichnungen der Sterns (1928) verzeichnen bis zum Alter von 4.5 Jahren keine weiteren Subjunktionen. Bei keinem der hier untersuchten Kinder ist der erste spontan produzierte Nebensatz protokolliert. Die erste Aufnahme von Marianne wurde unmittelbar nach dem ersten präkonjunktionalen Nebensatz (im folgenden PK-Sätzc genannt) gemacht, den sie in meiner Gegenwart äußerte. Daher finden sich bei ihr die meisten PK-Sätze und undifferenziert eingeleiteten Sätze (im folgenden UE-Sätzc genannt). Frühe PK-Sätze gibt es sowohl in der Gruppe der Komplement- als auch in der Gruppe der Adverbialsätze. Aus einem Vergleich der Tabellen (1): Komplementsätze und (2) und (3): Adverbialsätze läßt sich bei Marianne folgende Entwicklung ablesen: a. für beide Nebensatztypen sind von der ersten Aufnahme an PK- und UE-Sätze belegt; b. für Komplement- und Adverbialsätze gibt es spätestens ab der zweiten Aufnahme vereinzelte Belege mit realisiertem Einleiter; c. bis einschließlich Aufnahme 10 überwiegen PK-Sätze für beide Nebensatztypen (Ausnahme ist die 3. Aufnahme); d. in den beiden letzten Aufnahmen werden sowohl w-Pronomcn und Komplementierer als auch Subjunktionen überwiegend realisiert.
79
(3)
Adverbialsätze: Späte und/oder seltene Subjunktionen
Korpus/Alter
als
pk/ue
daß
wovor*
als wenn
wo**
MA04/3.04 MA09/3.07
l l
Ml 04/3.01
l
MT09/3.08
2
DA01/3.02
l
l
DA03/3.06
l
CA01/3.06
3
SI02/4.02
l
OL01/4.00
3
1/0
l
2
OL02/4.05
l
OL03/4.06
2
OL04/4.10
l
l
XI01/5.03
l
XI02/5.06
l
Gesamt
dann**
12 l
9
l
l
l
l
wovor ist temporal gebraucht, etwa als bevor, wo und dann sind im Sinne von wenn verwendet.
Bei allen anderen Kindern geben die wenigen PK- und UE-Sätze keinerlei Hinweise auf einen Entwicklungsverlauf7. Bei Martin finden wir nur fünf dieser Formen über sein Korpus verteilt und zwar ausschließlich bei Komplementsatzen. Garsten hingegen bildet vier Adverbialsätze als PK- (2x) oder UE-Sätze (2x), aber nur einen UE-Satz als Komplementsatz. Bei Daniel finden sich in den ersten beiden Erhebungen drei präkonjunktionale Komplement- und zwei präkonjunktionale Adverbialsätze. Die Übrigen Kinder sind über dieses Stadium hinaus. Die Verwendung von unemgeleiteten Nebensätzen, d.h. von UE- und PK-Sätzen kann für die hier vorliegenden Daten nicht damit begründet werden, daß noch keine Struktur mit einer COMP-Position verfügbar wäre. Alle Kinder produzieren auch eingeleitete Formen. Im Bereich der Adverbialsätze ersetzen 56 von insgesamt 61 PK- oder UE-Sätzen wenn- und vf«7-Sätze. Das bedeutet, daß genau die Subjunktionen ausgelassen werden, die die Kinder als erste und am sichersten beherrschen. Uneingeleitete Sätze stehen eindeutig nicht für solche Adverbialsätze, für die die passende Subjunktion noch nicht erworben ist. Das gilt auch und gerade für Abgesehen von der in Kapitel 33 analysierten Beobachtung, daß nach dem Auftreten abhangiger Verbzweitsätze präkonjunktionale Formen verschwinden.
80 Marianne, die über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg die COMP-Iose Struktur bevorzugt, obwohl sie Subjunktionen und Komplementierer produzieren kann, wie einige Belege zeigen. Dieselbe Beobachtung läßt sich für w-Einleiter machen (vgl. 5.2.3). Das bedeutet, daß eine Erklärung der präkonjunktionalen Phase, die davon ausgeht, daß Kinder zwar schon die korrekte und vollständige Struktur für Nebensätze erworben haben, aber zunächst aufgrund eines Mangels an geeigneten Einleitern uneingeleitete Verbletztsätze produzieren, ebenfalls abzulehnen ist. Vielmehr werden uneingeleitete Formen dann gebildet, wenn der Einleiter semantisch redundant ist. Das gilt für die Komplementsatzanschlüsse daß und was, sowie für die Subjunktionen wenn oder weil, deren semantischer Beitrag zum Satz sich aus dem Kontext ergibt. (4)
Das quantitative Verhältnis von Komplementsätzen zu Adverbialsätzen
Korpus
K-Sätze
Gesamt
1
Marianne Gesamt nurPK
1 1
Martin
W-Sätze
-Sätze
AH
Komplement
8
57/238/444
l
5
9 7
9/49/80 6/27/42
1 1
1,4 1,3
1
4
7
16/67/119
1
1,4
Daniel
1
4
9
7/31/63
1
1,7
Garsten
1
2
5
10/20/48
1
1,6
Simone
1
9
5
4/36/19
2,1
1
Oliver
1
4
10
S/29177
1
2,1
Xilla
1
o
13
3/6/38
1
4,2
:
4 c
:
Adverbial :
1,5
Abkürzungen: K-Sätze = mit Komplementierer eingeleitet; W-Sätze = mit w-Pronomeo eingeleitet; -Sätze = Adverbialsätze; AH = absolute Häufigkeiten
Tabelle (4) gibt die proportionalen Verhältnisse wieder, in denen Adverbial- und Komplementsätze zueinander stehen - letztere aufgeschlüsselt nach der Einleitung durch w-Pronomen oder Komplementierer. Die Werte der Tabelle (4) sind insoweit willkürlich, als sie jeweils aus allen Erhebungen zu einem Kind errechnet sind. Es wird also möglicherweise ein Entwicklungsverlauf unterschlagen und auf einen Punkt zusammengefaßt Andererseits aber werden dadurch situationsabhängige Bevorzugungen einer Konstruktion relativiert, die den Wert in einer Aufnahme beeinflussen können.8
Wie ein Vergleich der Tabellen (1), (2) und (3) zeigt, kann sich das Verhältnis zwischen W-Komplementsätzen und Adverbialsätzen in einzelnen Korpora umkehren, so z.B. bei Martin (05), oder es kann ausgeglichen sein wie bei Martin (02). Bei Simone finden sich auffällig viele W-Komplementsätze in der ersten Aufnahme, was auf die Gesprächssituation zurückzuführen ist: guck mal! rat mal!. In der zweiten Aufnähme ent-
81 Aus Tabelle (4) wird deutlich, daß mit Komplementierer eingeleitete Sätze immer seltener sind als W-Sätze und Adverbialsätze.9 W-Sätze wiederum sind seltener als Adverbialsätze. Dieses Verhältnis der drei Satztypen zueinander ist konstant und gilt von Anfang an, sogar für PKSätze (s. Marianne). Insgesamt zeigt sich, daß mit zunehmendem Alter Adverbialsätze einen immer größeren Anteil am Gesamtvorkommcn einnehmen. Ein möglicher Grund dafür ist der wenn auch beschränkte - Ausbau des Subjunktioneninventars. Diese Beobachtungen gelten für alle Kinder außer für Simone (s. Fn. 8). Selbst wenn wir zugestehen, daß Sprechstile, Situationsvariabein und Übungsfaktoren die Häufigkeit der Verwendung verschiedener Konstruktionen beeinflussen, lassen sich aus den bisherigen Beobachtungen folgende Generalisierungen ableiten:10 Gl G2
G3
G4 G5
G6 G7
9
10
11
Die ersten PK-Sätze können sowohl Adverbial- als auch Komplementsät?« sein. Mit oder kurz nach dem Auftreten der ersten abhängigen Verbletztsätze werden auch die ersten Komplementierer, w-Pronomen und Subjunktionen produziert, ohne daß diese drei Gruppen von Einleitern in einer festgelegten Erwerbsfolge auftreten.11 Bei den Adverbialsätzen finden wir eine Gruppe früher Subjunktionen: wenn, weil, bis und damit. In fast allen präkonjunktionalen Adverbialsätzen fehlt eine Subjunktion aus dieser Gruppe. Zugleich sind es die am häufigsten verwendeten Subjunktionen. Komplementsätze werden bei allen Kindern häufiger mit w-Pronomen als mit Komplementierem eingeleitet Für eine frühe Phase im Nebensatzerwerb, in der die Kinder je nur über eine begrenzte Anzahl adverbialer Subjunktionen verfügen, ist das Verhältnis Komplementsätze zu Adverbialsätze 2:3. Das gilt für Marianne, Martin, Daniel und Garsten. Mit Erweiterung des Inventars an semantisch differenzierten Anschlußmöglichkeitcn durch Subjunktionen steigt der Anteil der Adverbialsätze an (s. Oliver und Xilla). Insgesamt erweitem die Kinder ihr Repertoir an Einleitern nur sehr allmählich.
spricht das Verhältnis den Werten bei Marianne oder Martin. In der letzten Erhebung überwiegen wieder die gleichen Konstruktionen wie in der ersten, und Adverbialsätze fehlen ganz. Aus Tabelle (1) geht hervor, daß nur Martin (08) in dieser Beziehung eine Ausnahme macht: sechs K-Sätze (davon einer präkonjunktional) stehen gegen nur drei W-Sätze. Die fünf K-Sätze sind mit ob eingeleitet. Vier von ihnen stehen dicht beieinander je zweimal wommer ma gucken, ob... und wommer ma sehen, ob... Möglicherweise wird hier eine Konstruktion geübt. Einige der hier vorgestellten quantitativen Ergebnisse konnte auch schon Grimm (1973) nachweisen: So fand sie ähnliche Häufigkeitsverteilungen im Verhältnis von Komplement-, Angabe- und Attributsätzen. Dieses Verhältnis blieb aber über das Gesamtkorpus (Kinder im Alter von 2.7 bis 5.12) etwa konstant, was hier nicht bestätigt werden kann. Auch ihre Daten belegen ein begrenztes Repertoir und eine nur allmähliche Zunahme von Einleitera bis zum Alter von sechs Jahren. Trotz der Problematik, die sich daraus ergibt, daß ihrer Auswertung eine andere Nebensatzklassifikation zugrundeliegt (z.B. faßt sie Komplementsätze mit Freien Relativsätzen und Vergleichssätzen zu Ergänzungssätzen zusammen), werde ich auch im folgenden ihre Ergebnisse vergleichend berücksichtigen. Diese Beobachtung wird auch durch die Daten in Bielefeld (1972), Grimm (1973) und Stern & Stern (1928) bestätigt, (vgl. aber 5.23 zu
82
5.2 5.2.1
Komplementsätze Korrelatformen als Zwischenstufe im Erwerb?
Lange bevor die ersten Nebensätze auftreten, produzieren Kinder Sätze mit einem oder mehreren NP-Komplementen. Die Besetzung einer Argumentstelle mit einer NP könnte also auch im Erwerb von Komplementsätzen eine Rolle spielen. Möglicherweise sind die wenigen Formen mit einem pronominalen Objekt und einem Komplcmentsatz ((5) - (9)) und solche mit linksversetzten Argumenten ((10) bis (12)) in diesem Sinn zu interpretieren und geben Aufschluß über den Erwerbsverlauf·.12 (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13)
weißt wat? warum is studiere hier? weißt du wat? wat ich eima gesehn hab? ich seh'n ich seh'n wie der immer auf d der erde schwimmt (= 'n = ihn = ein Fisch im Aquarium) zeig mir doch mal deinen! - ob deiner auch von diese maiers das anspitzt ich seike bar-bar is (= ich zeig den Bär-wo der Bär is) guck mal der bagger was der macht P: dat is ja net groß! - MT: doch guck ma hier dat rennauto wat groß is (= was das groß ist) guck ma der zuch! der zuch wat der gemacht hat guck ma wat der zuch macht
MT 3.01 MT 3.01 MT CA MA CA
3.02 3.06 3.05 3.06
MT 3.01 MT 3.08 MT 3.08
Einige dieser Sätze wirken auffällig, wenn auch nicht abweichend. In (5) und (6) stehen w-Pronomen, die sowohl als Platzhalter als auch als Bezugsausdruck ungeeignet sind (vgl. 4.5). Die Sätze (5) bis (9) sind so zu erklären, daß die zuerst erworbene Selektion für eine Objekt-NP angewandt wird, so daß die Argumentstelle mit einer NP gefüllt wird. Das Anfügen des später erworbenen alternativen Satzkomplements führt dann zu diesen kontaminierten oder markierten Formen. Die Objekt-NP ist weder ein Bezugsausdruck zu einem Attributsatz, da sich der Nebensatz eindeutig an das Verb anschließt und nicht an die NP, noch ein Platzhalter, da sie betont ist (vgl. 4.5).1 3 Satz (8) zeigt diese parallele Konstruktion, das doppelte Besetzen derselben Argumentstelle besonders deutlich. Auch Satz (7) ist ein schöner Beleg für diese Hypothese. Das enklitische Pronomen n (für den/ihn) ist weder ein Platzhalter, da es ein Personalpronomen vertritt, noch ein Bezugselement, da es nicht isoliert betont werden kann, sondern nur in der Verbindung mit dem Verb. Die Kasusmarkierung verdeutlicht, daß das Pronomen wie in (8) die Argumentstelle besetzt Eine vergleichbare - allerdings präkonjunktionale - Konstruktion liegt in (9) vor. Damit könnten diese Formen Vorformen zu Komplementsätzen sein, und zwar in dem
12 Siehe dazu Liste 7, Anhang B. Im Kreuzklassifikationsschema wird das Auftreten eines Korrelats zunächst unabhängig von seinem Status als Platzhalter oder Bezugsausdruck als /G(+K)/ erfaßt. Der Nebensatz selbst wird als Komplementsatz klassifiziert, was durch die einleitenden Komplementierer oder w-Praoomen gerechtfertigt ist Eine Unterscheidung zwischen Bezugsausdruck und Hatzhaher ergibt erst die Interpretation der Sätze. 13 in Salz (7) liegt der Akzent auf seh'n.
83 Sinn, daß ein Argument doppelt realisiert wird. Da diese Sätze gerade bei den jüngeren Kindern, also bei Marianne, Martin und Garsten auftreten, ist die Interpretation dieser Konstruktionen als Übergangsformen im Komplementsatzerwerb naheliegend. In den Konstruktionen (10) und (12) wird die Subjekt-NP aus dem Nebensatz extrahiert und im Nebensatz als Pronomen wieder aufgenommen. Die linksversetzte NP trägt den Fokus.14 Die extrahierte NP wie das Pronomen im Nebensatz stehen im Nominativ, so daß die NP nicht als Akkusativobjekt zu einem Matrixverb gucken gedeutet werden kann. Die Kombination der Sätze (12) und (13) demonstriert direkt den Übergang zu unmarkierten Komplementsatzkonstruktionen. Anders als in (5) bis (9) handelt es sich hier nicht um doppelte Argumentbesetzung, sondern um auch in der Zielsprache übliche Mittel zur Fbkusmarkierung. Zu den folgenden beiden Konstruktionen bieten sich drei alternative Interpretationen an. (14) siehstet jetz darauf is? (= siehst du's, was jetz darauf ist?) (15) siehstet ich noch größer bin (= siehst du's, daß ich noch größer bin?)
MT 2.09 MT 3.04
Zunächst besteht die Möglichkeit, daß siehstet für Martin eine stereotype Einheit ist, die ein Satzkomplement nehmen kann. ^ Er verwendet diese Floskel auch schon vor den ersten Nebensätzen. Eine weitere Möglichkeit wäre, das enklitische t als Platzhalter zu deuten.16 Als drittes wäre die gleiche Erklärung wie für die Sätze (5) bis (9) denkbar, d.h. es liegen kontaminierte Konstruktionen mit einer Objekt-NP und einem Komplementsatz vor. Ich bevorzuge die Interpretation des Matrixsatzes als idiosynkratisches, unanalysiertes Stereotyp aus folgenden Gründen. Platzhalter zu präkonjunktionalen Sätzen sind sonst nicht belegt in den untersuchten Daten, und im Vergleich zu den Sätzen (5) bis (9) ist et unbetont, so daß das klitische et auch keine Argumentrealisierung darstellen dürfte. So bleiben nur sieben Sätze, in denen die hier untersuchten Kinder tatsächlich Korrelate verwenden, vgl. (16), (18).17 (16) oma, sag mir das mal! was der onkel thomas immer sagt (17) sag mir doch mal was der onkel thomas immer sagt (18) die mama will das nicht daß ich dir das schenke
CA 3.06 CA 3.06 SI 4.02
Insgesamt gibt es nur drei W-Sätze mit dem Korrelat das im Matrixsatz (z.B. (16)), vier Konstruktionen mit dem Korrelat dos zu lbis --------------- >
bevor.
MS ........... - .............. ----- >l... bevor--------->
5
Mit der Subjunktion wenn drücken die Kinder überwiegend Gleichzeitigkeit aus.77 Dabei stehen sowohl Matrix- als auch Adverbialsatz im Präsens. Außerdem produzieren fast alle Kinder (außer Carsten und Xilla) auch einige Konstruktionen mit Perfekt im wenn-Satz, also die Vorzeitigkeitsvariante. Erste Belege gibt es schon bei Marianne, Martin und Daniel (s. (114), ( 1 15)).78 Ist ein Matrixsatz realisiert, steht das Verb dort immer im Präsens. (l 14) ...wenn die geschmolzen sin kava die so - (= ... kann man die so) (115) wenn d - wenn du gegessen has fährst dann wieder? (116) dö - onkel helmut der hatte - tut das doch auch raus wenn der das haus (wollte) und so - die garage braucht dann tut der das auto raus (117) ÖL: eima ein stück hab ich nur draußen gespielt -P-OL-POL: als wer jetzt geschlafen haben dann (= bevor) ( 1 18) als der vater pflaumen pflückte dann war es schön ( 1 19) dreh dich ma rum bis ich wat ausgeschnitten hab 7
In den Konstruktionen, in denen wenn statt als oder als statt bevor steht, leitet sich ihre Interpretation vor allem aus dem Kontext ab, zu dem auch der Tempusgebrauch zählt. Die Tempora passen daher immer zu den Subjunktionen. 77 Nach Grimm (1973) wird zunächst nur Gleichzeitigkeit mit wenn kodiert. Außerdem ist in ihrem Material nur einmal als und erst bei Vierjährigen bis belegt. 78 MA02, DA02, MT(H
123 Unangemessen ist wenn nur in zwei Konstruktionen, in denen es Gleichzeitigkeit in der Vergangenheit ausdrückt ((89), (90)). Hier ersetzt wenn also als\. In einem Fall wird der Fehler sofort korrigiert: Martin formt den Satz in einen korrekten wenn-Saiz um (s. (90)).79 Die Subjunktion als kodiert nie die Relation der Vorzeitigkeit, nur der Gleichzeitigkeit (s. (118)) und dreimal inadäquat Nachzeitigkeit im Sinne von bevor (s. (l 17)).^ Satz (118) wirkt markiert, da die Verwendung von o&2, die hier vorliegt, die Abfolge MS