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German Pages 396 [379]
Clemens MARIA Tangerding
Der Drang zum Staat Lebenswelten in Würzburg zwischen 1795 und 1815
2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Unterfränkischen Kulturstiftung, der Ludwig Sievers Stiftung, des Stadtarchivs Würzburg und der Freunde mainfränkischer Kunst und Geschichte e. V.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: „Der Abschied des Conscribirten“ (links) und „Die Wiederkehr des Conscribirten aus dem Felde“, Radierungen, erschienen bei Friedrich Campe in Nürnberg laut Aufschrift „um 1807“. Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt.
© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: xPrint s.r.o., Pribram Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-20723-6
Danksagung
Die Arbeit ist mit der Hilfe vieler Menschen zustande gekommen. Dafür möchte ich Danke sagen. Mein Dank gilt Gerd Schwerhoff, meinem deutschen Betreuer. Er hat sich für Gespräche mit mir oft und selbstverständlich Zeit genommen und dabei eine Atmosphäre des gemeinsamen Nachdenkens geschaffen, die mir sehr geholfen hat. Nur dank seiner Anregungen konnte aus dem Interesse für das Thema auch tatsächlich eine Dissertation werden. Mein französischer Doktorvater, Jacques Le Rider, hat nicht minder zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Er hat mir in mehreren Diskussionen Wege aufgezeigt, wie ich mich der viel beforschten Napoleonischen Zeit nähern könnte, ohne dabei den eigenen Fokus aus den Augen zu verlieren. Wolfgang Neugebauer hat nicht nur meine ersten wissenschaftlichen Schritte begleitet, sondern dabei in mir die Lust zum Promovieren geweckt. Die hier vorliegende Veröffentlichung hat enorm durch die Kritik der weiteren Gutachter und Jurymitglieder Frédéric Barbier, Horst Carl, Mark Häberlein und Bruno Klein dazu gewonnen. Gernot Kamecke hat meinen Kollegen und mir als Koordinator des Europäischen Graduiertenkollegs 625 den Rücken freigehalten und mir persönlich darüber hinaus wertvolle Hinweise gegeben, die in die Studie eingeflossen sind. Den Betreuern des Graduiertenkollegs gilt mein Dank dafür, dass sie mir bei Projektpräsentationen und auf Tagungen geduldig zugehört und mich mit ihrer Kritik weitergebracht haben. Damit das Kolleg in Dresden und Paris überhaupt funktionieren konnte, bedurfte es des Engagements ihrer Leiter Sabine Frommel, und, noch einmal, Jacques Le Rider und Gerd Schwerhoff. Sehr profitiert habe ich auch von den Vorträgen an anderen Universitäten, für die sich die Betreuer und Doktoranden dort eigens Zeit genommen haben. Meine Wertschätzung gilt daneben meinen Mitstipendiaten in Dresden und Paris, denen ich wichtige Ratschläge verdanke. Außerhalb der Universität waren die Mitarbeiter des Würzburger Stadtarchivs diejenigen Menschen, die am meisten zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Ich danke Ulrich Wagner und seinen Mitarbeitern wie auch dem Personal vieler anderer Archive und Bibliotheken, die ich besucht habe. Dem Böhlau-Verlag danke ich für die Aufnahme des Titels in das Verlagsprogramm, Dorothee Rheker-Wunsch für die exzellente Betreuung und allen Einrichtungen, die mich bei der Publikation tatkräftig unterstützt haben: dem Stadtarchiv Würzburg und der Unterfränkischen Kulturstiftung, den Freunden mainfränkischer Kunst und Geschichte e. V. und der Ludwig Sievers Stiftung. Eine Unterstützung ganz anderer Art haben mir meine Würzburger Freunde zukommen lassen, die mich oft Wochen lang bei sich aufgenommen haben. Besonders häufig durfte ich
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Danksagung
bei Katharina Wäschle und Alexander Wienand wohnen und leben. Karin und Ulf Stockmann möchte ich dafür Danke sagen, dass sie mir zwei ganze Monate lang ihre wunderschöne Seehütte in Brandenburg überlassen haben. In der Endphase haben mich viele Freunde, Bekannte und Familienmitglieder mit einer Selbstverständlichkeit unterstützt, die mich sehr berührt. Corinna von Bredow hat mit großer Übersicht und Gründlichkeit die Arbeit gelesen und dabei sehr wichtige Kritikpunkte vorgebracht. Kaum einer meiner Freunde ist vor dem Korrekturlesen verschont geblieben. Ich danke daher Anselm Nölle, Guido Bröckling, Cordula Kiank, Thomas Chrometzka, Verena Axmann, Coralie Zermatten, Solveig Mayer, Annegret Hammer, Florian Kurth, Nicolai Zimmermann, Karin und Ulf Stockmann, meiner Schwester Teresa und meiner Mutter Mariele. In den letzten Wochen vor der Abgabe hat mir Anika Stockmann einen ganzen Berg von Arbeit abgenommen und mir bei vielen Entscheidungen geholfen. Dafür gebührt ihr mein tiefster Dank. Clemens Maria Tangerding Berlin, im Dezember 2010
Inhalt
1. Einleitung .............................................................................. 11 1.1. Fragestellung und Lebenswelt-Konzept .................................... 11 1.2. Der „Himmel der Christen“. Die Stadt Würzburg am Ende des Alten Reiches ..................................................................... 25 1.3. Forschungskontexte ................................................................... 35
2. Empfehlen und Verhindern: Die Professoren der Universität Würzburg zwischen 1795 und 1815................... 56 2.1. Einleitung ..................................................................................
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2.2. Briefe als Alltags-Medien der Gelehrten ...................................
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2.2.1. Merkmale des Briefsamples .......................................... 57 2.2.2. Bitten und Berichten: Formale Kriterien und Erzählstrategien ............................................................. 62 2.2.3. Briefe als Medien von Relevanzen ................................ 69 2.2.4. Freundschaft als Gattungsmerkmal ............................... 74 2.2.5. Andere Quellen .............................................................. 76 2.3. Berufen und Entlassen als politische Maßnahme ...................... 2.3.1. Berufungspolitik als Reformpolitik im 18. Jahrhundert .............................................................. 2.3.2. Die kurbayerische Regierung und der Einsatz von Vermittlern ..................................................................... 2.3.3. Die große Entlassungswelle nach 1806 ......................... 2.3.4. Erneutes Abwarten nach 1814 ....................................... 2.3.5. Personelle Kontinuität als Friedensgarant? Die medizinische Fakultät zum Vergleich .....................
80 80 86 100 106 108
2.4. Die Publikation als Einkommensquelle..................................... 110 2.4.1. Exkurs: Hohe Mietpreise als Zusatzbelastung ............... 117 2.4.2. Die Zensur als Widerstand im Arbeitsprozess ............... 119
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Inhalt
2.5. Der Hörsaal als Konfliktraum ................................................... 125 2.5.1. Der Kampf um die Studenten ........................................ 125 2.5.2. Der Streit um die Priesterseminaristen .......................... 128 2.6. Publizieren als Waffe ................................................................ 131 2.6.1. Die Publikation als Medium von Konflikten ................. 131 2.6.2. Das Buch als Geistesprodukt: Probleme bei der Verlagssuche .................................................................. 144 2.7. Professoren, Studenten und der Krieg ....................................... 151 2.8. Zusammenfassung ..................................................................... 159
3. Sich und dem Staat dienen: Johann Wilhelm von Hompesch und Maximilian von Lerchenfeld ................ 163 3.1. Einleitung .................................................................................. 163 3.2. Das Quellensample .................................................................... 164 3.3. Verdrängter und zurückgekehrter Adel: Das Milieu der hohen Staatsbeamten zwischen 1795 und 1815 .................. 168 3.4. Stillstand und Resignation: Die Inventur der Staatsverwaltung ................................................................. 174 3.5. „Gesprengte Ketten“: Hompesch und die Säkularisation .......... 179 3.6. Misstrauen gegenüber dem Volk ............................................... 182 3.7. Zusammenfassung ..................................................................... 184
4. Vom Hof zum Staat: Lebenswelten der Künstler ................. 186 4.1. Einleitung .................................................................................. 186 4.2. Der Staat als Förderer und Auftraggeber................................... 188 4.3. Nationalismus als Referenz: Joseph Küffner und Friedrich Rückert................................................................ 199 4.4. Zusammenfassung ..................................................................... 207
Inhalt
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5. Schaden und Entschädigung – Das kleine und mittlere Bürgertum ....................................... 209 5.1. Einleitung .................................................................................. 209 5.2. Suppliken als Medien von Bitte und Kritik ............................... 212 5.2.1. Merkmale des Supplikensamples................................... 5.2.2. Rechtliche Vorgaben: Die Supplikenverordnung von 1795 ........................................................................ 5.2.3. Norm und Wirklichkeit: Der Aufbau einer Supplik ...... 5.2.4. Präsenz und Schrift: Die Praxis des Supplizierens ........ 5.2.5. Exkurs: Die Bedeutung des „Anderen“ im Entschädigungsverfahren ......................................... 5.2.6. Suppliken als Medien von Relevanzen .......................... 5.2.7. Andere Quellen ..............................................................
212 213 219 222 225 227 231
5.3. Der Wehrdienst als Zäsur .......................................................... 231 5.3.1. Das Landfolgerecht in der Stadt Würzburg bis zu seiner Auflösung ................................................. 5.3.2. Das Ende des Privilegs .................................................. 5.3.3. Das Engagement des Rates gegen die Abschaffung des Landfolgerechts ....................................................... 5.3.4. Eine Flut von Befreiungsgesuchen ................................ 5.3.5. Die Gesellenwanderung als Flucht vor dem Militärdienst................................................................... 5.3.6. Die Anstellung beim Staat als Flucht vor dem Militärdienst...................................................................
231 237 246 252 256 258
5.4. Schaden und Entschädigung: Die Würzburger Lehenkutscher in den Napoleonischen Kriegen ................................................ 261 5.4.1. 5.4.2. 5.4.3. 5.4.4. 5.4.5.
Besetzungen als Blütezeiten des Transportgewerbes .... Der Kampf der Lehenkutscher um ihre Nahrung .......... Vom Befehl zum Auftrag: Die Bezahlung der Fuhren .. Die Verlässlichkeit des Entschädigungssystems ........... Im Windschatten des Krieges: Entschädigungen in anderen Berufszweigen .................
261 266 268 270 272
5.5. Zusammenfassung ..................................................................... 277
Inhalt
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6. Idyllische Beobachtungen: Reisende in Würzburg ............... 280 6.1. Einleitung .................................................................................. 280 6.1.1. 6.1.2. 6.1.3. 6.1.4.
Merkmale des Briefsamples.......................................... Andere Quellen .............................................................. Der Erzähler als Diener: Merkmale des Reisebriefs ...... Reisebriefe als Medien von Relevanzen ........................
283 285 285 293
6.2. Die ewig gültige Stadt Würzburg .............................................. 297 6.2.1. 6.2.2. 6.2.3. 6.2.4. 6.2.5. 6.2.6. 6.2.7. 6.2.8.
Begegnungen im leeren Raum ....................................... Selbsterfindung am Würzburger Talkessel .................... Den Kanon selbst entdecken .......................................... Der Fürst als Heilsbringer .............................................. Das Volk als Masse ....................................................... Soldaten als Randerscheinungen ................................... Empfindsame Beschreibungen und ihre Orte ................ Schönheit statt Neuigkeit: Rezensionen der Reisebriefe..........................................
297 299 302 305 308 312 313 315
6.3. Zusammenfassung ..................................................................... 322
7. Zäsurenpluralismus und Herrschaftsbindung ....................... 325 8. Abkürzungen ......................................................................... 331 9. Briefverzeichnis .................................................................... 333 10. Ungedruckte Quellen ............................................................ 345 11. Gedruckte Quellen ................................................................ 346 12. Literaturverzeichnis .............................................................. 350 13. Abbildungsverzeichnis .......................................................... 379
1. Einleitung
1.1. Fragestellung und Lebenswelt-Konzept Würzburg im Herbst des Jahres 1800: Der Einmarsch der französischen Armee steht kurz bevor. Das Militär, der Magistrat und die Landesregierung bereiten sich auf den Angriff durch die Grande Armée vor. Der Stadtkommandant lässt die veralteten Kanonen der Würzburger Garnison auf die Festung transportieren. Seine Soldaten bessern die brüchigen Befestigungsanlagen notdürftig aus. Fuhrleute schaffen Holz und Getreide in die Kaserne, den steilen Festungsberg hinauf. Wenn der Kampf lange dauert, müssen die Einheiten dort oben für den Winter versorgt sein. Diesmal will die Stadt nicht so schlecht vorbereitet sein wie 1796. Vier Jahre vorher hatte der Rat umgehend vor den herannahenden Franzosen kapituliert und infolge dessen Wochen lang unter Besatzung gestanden. Doch richtig glauben mag die Regierung an die erfolgreiche Verteidigung der Stadt nicht. Also verlässt der Fürstbischof wie schon 1796 mit seiner Entourage die Residenz und flüchtet aufs Land. In diesen Wochen kommt Heinrich von Kleist in Würzburg an.1 Mit seinem Freund Ludwig von Brockes zieht er Tage lang durch die Stadt, besucht Kirchen und andere Sehenswürdigkeiten wie das damals berühmte Juliusspital. Dabei unterhält er sich mit einigen Würzburgern. Von diesen Gesprächen und seinen Beobachtungen teilt er in mehreren Briefen seiner in Berlin lebenden Verlobten Wilhelmine von Zenge mit.2 Der ehemalige preußische Leutnant Kleist3 betrachtet etwa die Schutzmaßnahmen des Militärs mit Argwohn. Die Würzburger Festung, so der Spross einer alten Offiziersfamilie, „ist nach der Befestigungskunst des Mittelalters erbaut, das heißt, schlecht.“4 Die Stimmung in der Stadt beschreibt er als aufgeregt und ängstlich: „Was Dir das hier für ein Leben auf den Straßen ist, aus Furcht vor den Franzosen, das ist 1 2 3
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Über Kleists Würzburger Reise s. Gerhard Schulz: Kleist: eine Biographie, München 2007, S. 115 ff; Dirk Grathoff: Heinrich von Kleists Würzburger Reise – eine erweiterte Rekonstruktion, in: Kleist-Jahrbuch 1997, S. 38-56. Die Zitate folgen der Ausgabe von Roland Reuß, Peter Staengle (Hg.): Heinrich v. Kleist. Sämtliche Werke, Brandenburger Ausgabe, Basel 1996. Zum Verhältnis Kleists zur preußischen Armee s. Rudolph Vierhaus: Heinrich von Kleist und die Krise des Preußischen Staates um 1800, in: Ders. (Hg.): Deutschland im 18. Jahrhundert. Politische Verfassung, soziales Gefüge, geistige Bewegungen, Göttingen 1987, S. 216-234. Kleist an Wilhelmine von Zenge am 12.09.1800.
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Einleitung
unbeschreiblich. Bald Flüchtende, bald Pfaffen, bald Reichstruppen, das läuft alles buntscheckig durcheinander, und fragt und antwortet, und erzählt Neuigkeiten, die in zwei Stunden für falsch erklärt [werden].“5 Zur gleichen Zeit sitzt der Theologie-Professor Franz Oberthür in seinem Arbeitszimmer und überlegt, wie er die Bekanntheit seiner jüngsten Veröffentlichung, der „Idea biblica ecclesiae Dei“6, steigern könne. Noch kaum eine Rezension war über seine monumentale Dogmengeschichte erschienen. Also schreibt er an Carl August Böttiger in Weimar und damit einer Bekanntheit der literarischen Welt des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Als Herausgeber des „Journal des Luxus und der Moden“7 sollte er veranlassen, dass Oberthürs neueste Publikation besprochen würde, wenn möglich positiv. Doch der Würzburger Professor will nicht unhöflich erscheinen. Also bietet er Böttiger in seinem Brief zunächst an, selbst Beiträge für sein Journal zu schreiben und kommt erst dann auf den eigentlichen Punkt: „Wenn Sie glauben, daß es sich schicke, so können Sie in einer Note, die ich schon angegeben, etwas mehr von der idea biblica sagen.”8 Während sich Oberthür um seine Dogmengeschichte sorgt und Kleist die Menschen und ihre Angst vor den Franzosen beobachtet, kämpft der Würzburger Torwächter Georg Gachstetter um einen Teil seines Einkommens. Seit alters her hatten Schiffer, wenn sie auf dem Main durch die Stadt fuhren, vier Stück Holz als Wasserzoll an die Torwache abgegeben, die ihre Ladung prüfte.9 Nun weigert sich ein auswärtiger Schiffer auf ein Mal, die Holzstücke herauszugeben. Gachstetter will diesen Zustand nicht hinnehmen und schreibt eine Supplik an den Rat. Wahrscheinlich hatte er zuvor die Hilfe eines Schreibers oder Advokaten in Anspruch genommen. Er könne „ohnmöglich so bestehen“10, schreibt Gachstetter. Seine Nahrung würde dadurch schwer beeinträchtigt. Deshalb habe er schon einmal Beschwerde eingelegt. Doch es sei „trotzdem keine Änderung“11 eingetreten. Den Torwächter Georg Gachstetter, den Besucher Heinrich von Kleist und den Professor Franz Oberthür beschäftigten also völlig unterschiedliche Dinge im Herbst 1800. Nur einer von ihnen erwähnt in den vorliegenden Selbst5 6
Kleist an Wilhelmine von Zenge am 12.09.1800. Zur genannten Veröffentlichung und Franz Oberthür allgemein s. Karl Josef Lesch: Ar. Franz Oberthür, in: NDB, Bd. 19, S. 402 f; Otto Volk (Hg.): Professor Franz Oberthür. Persönlichkeit und Werk, Neustadt/Aisch 1966. 7 Zu Böttiger als Herausgeber des „Journals des Luxus und der Moden“ und anderer Zeitschriften s. Julia Schmidt-Funke: Karl August Böttiger (1760-1835). Weltmann und Gelehrter, Heidelberg 2006, S. 40 ff. 8 Oberthür an Karl August Böttiger am 10.11.1800. 9 Zum Wasserzoll s. Herbert Schott: Das Verhältnis der Stadt Würzburg zur Landesherrschaft im 18. Jahrhundert, Würzburg 1995, S. 298 ff. 10 StadtAW, Rp (139) 1800, Beilagenband, Nr. 176, fol. 298. 11 Ebda.
Einleitung
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zeugnissen den Einmarsch der Franzosen. Nur der Besucher nimmt den Krieg wahr. Die beiden Würzburger kreisen offenbar um ihre kleine eigene Welt, während vor ihrer Haustür Europa aus den Fugen gerät. Die Arbeit möchte Lebenswelten in der Stadt Würzburg in der Napoleonischen Zeit untersuchen. Inwiefern die einzelnen Individuen mit den Umbrüchen in Beziehung standen, so die Vermutung, hing davon ab, welcher Gruppe man angehörte. Für Professoren, Handwerker, Künstler, Staatsdiener und Reisende erlangten nicht dieselben, sondern unterschiedliche Aspekte dieser Umbruchszeit Bedeutung. Sie nahmen die Abdankungen und die Regierungswechsel verschieden wahr, die Besetzungen und Befreiungen, die Reformen und die Restaurationen. Diesen Unterschieden in den Lebenswelten geht die vorliegende Arbeit nach. Es scheint, so die These, als habe es keine Zäsur gegeben, die alle Gruppen gleichermaßen als Einschnitt empfunden hätten. Wahrscheinlicher ist, dass selbst in einer kleinen Stadt wie Würzburg ein ausgesprochen starker Zäsurenpluralismus12 herrschte. Die Professoren empfanden ganz andere Daten als Umbrüche als die Torwachen, die Handwerker andere als die Staatsdiener und diese wieder andere als die Künstler. Doch neben dieser Vereinzelung in den Wahrnehmungen scheint es auch etwas Verbindendes zwischen den Akteuren gegeben haben. Unter den Professoren wie den Staatsdienern, den Reisenden wie den Handwerkern herrschte ein auf den ersten Blick eigenartiges Bedürfnis nach Nähe zum Staat. Die Würzburger drängten zu ihm, baten ihn um seine Gunst und Gnade oder auch nur um ein paar Gulden Almosen, um Privilegien, um eine Stelle oder um Begnadigung. Eigenartig wirkt dieser Drang zum Staat deshalb, weil der Staat, dem die Würzburger angehörten, sich dauernd wandelte. In den zwanzig Jahren zwischen 1795 und 1815 lebte die Würzburger Bevölkerung in drei verschiedenen Staaten und wechselte vier Mal die Herrschaft, ohne sich einmal von der Stelle zu bewegen – die Besetzungen durch die Franzosen nicht mit eingerechnet. Diesem immer neuen Staat wollte man sich empfehlen, die neue Regierung sollte die Stellung bestätigen, die man vorher besessen hatte, oder endlich die Position verschaffen, die man im gerade vergangenen Staat nicht erlangt hatte. Die Napoleonische Zeit in Würzburg, so die Vermutung, war eine Zeit intensiver Herrschaftsbindung. Mit Herrschaftsbindung ist der Versuch eines Einzelnen oder einer Gruppe gemeint, sich der Obrigkeit zu empfehlen, sie zum Schutz der eigenen Rechte oder des eigenen Status anzurufen und sein Handeln auf das Wohlwollen des jeweils amtierenden Fürsten und dessen Regierung auszurichten. Herrschaftsbindung beschreibt hier keine formalen Akte wie das Stel-
12 Zur Diskussion um das Jahr 1806 als Zäsur s. die Anmerkungen im Kapitel über Staatsdiener.
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Einleitung
len von Bittgesuchen oder die Selbstempfehlung in Briefen, sondern den Drang, aus dem heraus diese Akte entstehen.13 Doch verfälschen die Quellen nicht von vorneherein den Blick? Gachstetter und Oberthür ging es um ihre Arbeit. Doch lässt sich daher sagen, dass für die beiden der Krieg bedeutungslos war und sie sich stattdessen um eigene Belange kümmerten? Handelt es sich bei der Supplik Gachstetters und bei Oberthürs Brief nicht nur um Ausschnitte, von denen man nicht auf die gesamte Lebenssituation schließen darf? Der Torwächter kann Holz eingeklagt und dennoch den Krieg gefürchtet haben. Der Professor kann um eine Rezension gebeten und dennoch unter der Herrschaft der französischen Truppen gelitten haben. Der Reflexion über die Quellen muss folglich in dieser Studie eine bedeutende Stellung zukommen. Das Untersuchungsobjekt bilden weder die Obrigkeit noch die Organisation Stadt, sondern die Lebenswelten der Menschen. Die Lebenswelt kennzeichnet laut Alfred Schütz den Wirklichkeitsbereich, „den der wache und normale Erwachsene in der Einstellung des gesunden Menschenverstandes als schlicht gegeben vorfindet“14. Er unterscheide sich damit von anderen Wirklichkeitsbereichen wie etwa der Phantasiewelt. Die Lebenswelt ist das „fraglos Gegebene“15 des Menschen. Es verhält sich wie ein „gewohnheitsmäßiger Besitz: Es stellt Lösungen zu Problemen meiner vorangegangenen Erfahrungen und Handlungen dar.“16 In der Lebenswelt existiert der Mensch vor einem „Hintergrund von Selbstverständlichem“17. Nun meint Schütz mit ‚schlicht gegeben’ nicht, dass die alltägliche Lebenswelt keine Kontingenzerfahrungen enthalten kann. Die Lebenswelt, so Schütz, „ist der unbefragte Boden aller Gegebenheiten sowie der fraglose Rahmen, in dem sich mir die Probleme stellen, die ich bewältigen muss.“18 Schütz schreibt der Lebenswelt nun verschiedene Dimensionen zu, eine räumliche19 und zeitliche20 ebenso wie eine sozia13 Herrschaftsbindung im hier verwendeten Sinn geht also von den Untertanen aus. Ernst Schubert versteht dagegen unter Herrschaftsbindung die Versuche von Fürsten, durch die Verteilung von Privilegien und anderem die Herrschaft an sich zu binden, s. Ernst Schubert, Königswahl und Königtum im spätmittelalterlichen Reich, in: Zeitschrift für Historische Forschung (ZHF) 4, 1977, S. 257-338, hier: S. 333; s. auch Ders., Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter, München 2006, S. 8. 14 Alfred Schütz, Thomas Luckmann: Strukturen der Lebenswelt , Konstanz 2003, S. 29. 15 Schütz: Lebenswelt, S. 35. 16 Schütz: Lebenswelt, S. 37. 17 Ebda. 18 Schütz: Lebenswelt, S. 30. 19 Die räumliche Lebenswelt unterteilt er in eine „Welt der aktuellen Reichweite“ und eine „Welt in potentieller Reichweite“, Schütz: Lebenswelt, S. 71-77. Weiterhin unterteilt er die Lebenswelt in Anlehnung an G. H. Mead in eine Wirkzone und eine Fernzone. Die Wirkzone stelle den Bereich der Lebenswelt dar, „auf die ich durch direktes Handeln einwirken kann“. Sie „umfasst jene Objekte, die sowohl gesehen als auch betastet werden können, im Gegensatz zur Zone der Ferndinge, die nicht durch
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le21 und nimmt innerhalb dieser verschiedenen Bereiche weitere Differenzierungen vor. Auf eine geschichtswissenschaftliche Arbeit lassen sich die genannten Dimensionen an sich nur schwer übertragen. Der Phänomenologe beschreibt die Lebenswelt anders als der Historiker. Ein lebensweltliches Problem liegt für Schütz dann vor, wenn ein Element in der Lebenswelt eines Akteurs den ihm bekannten Typen nicht entspricht. Probleme entstünden dann, so Schütz, wenn Elemente sich keinem im Wissensvorrat sedimentierten Typ zuordnen ließen. Dies sei zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Wanderer sich frage, ob der Gegenstand auf dem Waldboden neben ihm tatsächlich ein Pilz sei. Es sei deshalb aufgetreten, weil es sich nicht um einen dem Wanderer bekannten Pilz-Typen handele. So entstehe bei dem Mann im Wald die Frage, ob es sich überhaupt um einen Pilz oder um etwas ganz Anderes handele. Dies ließe sich nur durch „näheres Betasten, Besehen usw.“22 herausfinden. Wenn das Ding auf dem Waldboden tatsächlich als Pilz zu identifizieren sei, müsse der Wanderer entweder den gesehenen Gegenstand dem Typus Pilz zuordnen, wenn es kein Pilz sei, den Gegenstand von der Zugehörigkeit zum Typus Pilz ausschließen.
leiblichen Kontakt erfahren werden können, aber im Sehfeld liegen.“ Diese orthodoxe Differenzierung schwächt Schütz allerdings durch mehrere Einschränkungen wieder ab. Zunächst verfüge der Mensch über das „Wissen, dass Distanz durch Handlungen, nämlich zielgerichtete Ortsveränderungen, überwunden werden kann. In der natürlichen Einstellung ist die visuelle Wahrnehmung eines Ferndings unmittelbar mit der Erwartung verbunden, dass das Fernding durch Ortsveränderung in manipulative Nähe gebracht werden könnte“. Außerdem dehne der Mensch seine Erfahrungen aus der Wirkzone auf Dinge, die in der Fernzone liegen, aus, die „noch nicht besehen und betastet wurden“. Außerdem sei klar, „dass sich durch meine Ortsveränderungen die Welt in meiner Reichweite einschließlich der Wirkzone verändert.“ Schließlich schlägt er vor, angesichts der fortschreitenden Computertechnologie die Wirkzone in eine direkte nach Art der manipulativen Zone bei Mead und eine sekundäre Wirkzone zu unterscheiden, „die ihre Grenze am jeweiligen Stand der Technologie einer Gesellschaft findet“, Schütz: Lebenswelt, S. 80. 20 Die Zeitstruktur der Lebenswelt konstituiert sich aus der „Weltzeit“, der „Zeitstruktur der Reichweite“ und der „subjektiven Zeit“, Schütz: Lebenswelt, S. 1-98. 21 Bereits in der Einleitung macht Schütz darauf aufmerksam, dass die Anwesenheit anderer Menschen zu den Gegebenheiten der Lebenswelt zählt, „und zwar nicht nur leiblich wie andere Gegenstände und unter anderen Gegenständen, sondern als mit einem Bewusstsein begabt, das im wesentlichen dem meinen gleich ist. So ist meine Lebenswelt von Anfang an nicht meine Privatwelt, sondern intersubjektiv“. Die Menschen in meiner Lebenswelt interagieren nicht nur, indem sie voneinander Kenntnis erlangen, sondern auch, indem sie aufeinander bezogen handeln: „In der natürlichen Einstellung ist es mir selbstverständlich, dass ich auf meine Mitmenschen wirken kann, wie auch, dass sie auf mich wirken können“, Schütz: Lebenswelt, S. 30 ff. 22 Schütz: Lebenswelt, S. 39.
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Für einen Historiker besteht ein Problem unabhängig von der Frage, ob dem Akteur alle Elemente des besagten Vorgangs bekannt sind. Die wiederholte kriegsbedingte Erhöhung der Schatzung nach 1796 stellte in der Lebenswelt eines Würzburgers, aus Sicht des Historikers, unbenommen ein Problem dar, da sie sein Einkommen verringerte, seine Zukunftspläne unsicher machte und seine Stellung im Sozialgefüge der Stadt gefährden konnte. Im Sinne der Schützschen Phänomenologie dagegen erscheint die Steuererhöhung völlig unproblematisch, da dem Akteur alle Elemente des Vorgangs namens Schatzungserhöhung, von der Publikation des Gesetzes über die Fachtermini der Verordnung bis hin zur Zahlungsart, bekannt waren. Das Beispiel soll zeigen, dass man es hier mit zwei kaum zu vereinbarenden Begriffswelten zu tun hat. Die allermeisten Differenzierungen aus Schütz’ Konzept lassen sich daher nicht auf eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung übertragen, auch wegen der starken Filterung der Quellen. Der zentrale Begriff kann allerdings sehr wohl übertragen werden. Die Lebenswelt eines Professors in Würzburg setzt sich, im Einverständnis mit den Begriffen bei Schütz, zusammen aus seiner Arbeit wie dem Dozieren, Lesen von Fachliteratur und Schreiben von wissenschaftlichen Werken und Briefen, dem Besuch von Kollegen und Freunden sowie alltäglichen Verrichtungen wie Essen und Schlafen. Diese Tätigkeiten vollzieht er an Arbeitsorten wie dem Wohnhaus, dem Seminarraum und der Bibliothek der Universität. Seine Lebenswelt besteht ebenso aus seinen Gedanken, Ideen, Empfindungen, der Liebe zu seiner Frau und zu seinen Kindern und der Antipathie einigen Kollegen gegenüber. Diese unmittelbare Alltagswelt soll der Lebensbereich sein, den diese Arbeit in den Blick nimmt. Sie untersucht also etwa bei den Professoren nicht, welche gelehrten Diskurse an der neuen Universität geführt wurden, sondern ob und inwiefern diese Diskurse in die Lebenswelt des Professors überhaupt eingedrungen sind. Zwischen beiden Fragen bestehen Unterschiede. Das Kapitel über die Professoren wird etwa zeigen, dass wissenschaftliche Veröffentlichungen als eine der schärfsten und wirkungsvollsten Waffen im Kampf um unsicher gewordene Stellen eingesetzt wurden. Die analytische Ebene der Diskurse stand demgegenüber deutlich im Hintergrund. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass vieles von dem, was in der Lebenswelt des Professors und aller anderen Berufsvertreter eine Rolle spielte, heute nicht mehr in den Quellen greifbar ist. Diesem Problem werden sich die einzelnen Quellen-Kapitel widmen müssen. Schütz hat einen eigenen Begriff vorgeschlagen, um diesem bedingungsreichen Eindringen von Außen in die Lebenswelt des Einzelnen einen Namen zu geben: Relevanz. Das Handeln, so Schütz, beruhe immer auf Relevanzen. In der fraglos gegebenen Lebenswelt bestehe der Regelfall darin, dass die eigenen Relevanzen nicht zum Gegenstand der Reflexion werden, sie „nicht in
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den Griff des Bewusstseins kommen“23. Nur dann, wenn wir etwa fragen, „ob uns eine Sache ‚wirklich etwas angeht’“24, reflektieren wir unsere Relevanzen laut Schütz. Damit folgt Schütz Edmund Husserls Unterscheidung von „Inden-Relevanzen-Leben“ und „Auf-die-Relevanzen-Hinsehen“25. Aus einer Relevanz heraus handeln meint bei Schütz Handeln auf Grund von „mehr oder minder wahrscheinlichen Vorstellungen.“26 Sie stellen „eine Beziehung zwischen dem jeweiligen Wissensvorrat und aktuellen Erfahrungen und Handlungen her“27. Schütz nimmt hier einmal mehr sehr genaue Differenzierungen vor und trennt etwa „erzwungene Aufmerksamkeit“ von „freiwilliger Zuwendung“28. Diese Unterscheidungen können jedoch für diese Arbeit vernachlässigt werden, ebenso wie die vielfachen Entstehungsbedingungen der Relevanzen. Festzuhalten bleibt: Die Kategorie der Relevanz erlaubt zu erforschen, inwiefern die Welt in die Lebenswelt der Akteure eindringt. Die Relevanz als Hauptkategorie scheint auch deshalb für die Untersuchung von Lebenswelten geeignet zu sein, weil sie realitätsadäquat verfährt und keine Metakategorie annimmt, welche die Lebenswelt der Akteure notwendigerweise hierarchisieren würde. Die Kategorie des Konflikts etwa sondert Phänomene aus, welche die Menschen beschäftigten, jedoch nicht in Konflikte mit anderen mündeten.29 Der Wunsch der Autoren von Reisebriefen zum Beispiel, die Stadt als 23 Schütz: Lebenswelt, S. 273. 24 Schütz: Lebenswelt, S. 252. 25 Stephan Strasser (Hg.): Edmund Husserl, Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge, Den Haag 1950, §§ 34 und 46. 26 Schütz: Lebenswelt, S. 254. 27 Schütz: Lebenswelt, S. 253. 28 Die genannten Relevanztypen halten sich im Bereich der „Thematischen Relevanz“ auf. Gegenstände besitzen laut Schütz thematische Relevanz für den einen, während sie für den anderen bedeutungslos sind. Mit dem Begriff der „Interpretationsrelevanz“ meint er die verschiedenen, von Erfahrung und Wissen abhängigen Möglichkeiten der Deutung. Die „Motivationsrelevanz“ begreift die verschiedenen Stufen der Dringlichkeit und Wichtigkeit von Handlungsmöglichkeiten. Schütz hebt anschließend jedoch, wie im Fall von Wirk- und Fernzone, die starke gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Relevanzbereiche hervor, Schütz: Lebenswelt, S. 305 ff. 29 Bei Olaf Mörke etwa heißt es, der „Konflikt als aus der jeweils unterschiedlichen Interpretation eines Sachverhaltes entstehender Zugriff auf knappe Güter durch verschiedene Subjekte (‚Parteien‘) und sich daraus entwickelnde Handlungsbereitschaft ist entweder ursprünglich über den städtischen Rahmen hinausgehend, wenn wir die Interessenpole in Form von Stadt und Territorium oder anderen außerstädtischen Interessenten vorfinden, oder binnenstädtisch dort, wo die Interessenpole im Sozialspektrum der Stadt selbst zu finden sind. Mischformen sind möglich und wahrscheinlich.“, s. Olaf Mörke: Der ‚Konflikt‘ als Kategorie städtischer Sozialgeschichte der Reformationszeit. Ein Diskussionsbeitrag am Beispiel der Stadt Braunschweig, in: Bernhard Diestelkamp (Hg.): Beiträge zum spätmittelalterlichen Städtewesen, Köln/Wien 1982, S. 144-160, hier: S. 147; im Anschluss an Mörke unterscheidet Mark Häberlein zwischen „Normkonflikten“ und „Interessenkollisionen“, s. Mark Häberlein: Brüder,
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ewig gültiges Idyll darzustellen, führte nicht zu Konflikten, sondern erntete bei den Rezensenten Applaus. Die Darstellungsweise hatte für die Reiseschriftsteller eine enorme Bedeutung. Mit dem Konfliktparadigma ließe sich dieses Phänomen jedoch nicht erfassen. Für die Analyse der Lebenswelten von Reiseliteraten erscheint die Beschreibungsweise der Stadt jedoch als äußerst relevant. Auch die These vom Zäsurenpluralismus könnte mit der Kategorie des Konflikts nicht untersucht werden. Denn die Tatsache, dass unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Ereignisse als Einschnitte empfanden, stellt keinen Konflikt dar. Doch der Zäsurenpluralismus erscheint mir als ungemein bedeutend für das Verständnis der Stadt Würzburg in der NapoleonZeit. Die Relevanz soll die Hauptkategorie in dieser Arbeit bilden. Am nächsten kommen ihr die Begriffe Bedeutung, Beeinflussung und Beeinträchtigung, die daher manchmal synonym verwendet werden. Der Relevanz-Begriff bei Schütz unterscheidet sich jedoch von dem Relevanz-Begriff, wie er im Alltag gebraucht wird. Das Adjektiv ‚relevant’ verwenden die meisten Sprecher als Synonym für ‚notwendig’ oder ‚unverzichtbar’. In diesem Sinne hält es ein Deutschlehrer für relevant, dass die Einwandererkinder in seiner Klasse Deutsch lernen. Im Schützschen Sinne wäre der Vorschlag des Lehrers allein jedoch noch nicht ausreichend, um relevant für die betroffenen Schüler zu sein. Erst dann, wenn der Lehrer sie zum Kurs zwingt oder die Kinder freiwillig Nachhilfe in Deutsch nehmen oder auch nur über den Vorschlag sprechen, hat das Thema Deutschunterricht Relevanz erlangt. Denn dann ist es in ihre Lebenswelten eingedrungen. Daher ist lebensweltliche Relevanz auch nicht mit dem Begriff der gesellschaftlichen Relevanz gleichzusetzen, wie ihn etwa der Historiker Ulrich Mählert verwendet. Dieser schreibt, dass angesichts des fehlenden Verständnisses der Ostdeutschen für die Westdeutschen und umgekehrt „die Arbeit der Historiker eine greifbare gesellschaftliche Relevanz“30 gewinnt. Relevant im Sinne Schütz’ wäre die Arbeit der Historiker nur dann, wenn sie tatsächlich in die Lebenswelten der Deutschen eindringen würde.31
Freunde und Betrüger. Soziale Beziehungen, Normen und Konflikte in der Augsburger Kaufmannschaft um die Mitte des 16. Jahrhunderts, Berlin 1998, S. 31 ff. Valentin Groebner sieht Konflikte in Nürnberg um 1500 als Kampf um die „Wahrung der grundherrlichen Interessen“, s. Valentin Groebner: Ratsinteressen, Familieninteressen. Patrizische Konflikte in Nürnberg um 1500, in: Klaus Schreiner, Ulrich Meier (Hg.): Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Göttingen 1994, S. 278-308, hier: S. 288. 30 Ulrich Mählert: Kleine Geschichte der DDR, München 1999, S. 9. 31 Zu erinnern sei in diesem Zusammenhang auch an einen viel diskutierten Aufsatz von Thomas Nipperdey über Sinn und Zweck der Beschäftigung mit Geschichte, s. Thomas Nipperdey: Über Relevanz, in: Dietrich Kurze (Hg.): Aus Theorie und Praxis der
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Auf die Kategorie der Relevanz verzichtet Rudolf Vierhaus in seinem Versuch, das Konzept der Lebenswelt für die Geschichtswissenschaft fruchtbar zu machen. Auf die Frage, was mit dem Lebenswelt-Konzept erreicht werden könne antwortet er, die Forschung solle „an einem zunächst schwer verständlichen Quellenbericht über ein zunächst sehr fremdartiges Ereignis oder menschliches Verhalten ansetzen und zu dessen sozialen und naturalen Bedingungen und Voraussetzungen vorzudringen versuchen. Oder sie nimmt ihren Ausgang von einem noch gegenwärtigen Brauch, einer Institution, einem Kunstwerk, um ihre ursprüngliche symbolische Bedeutung und Funktion und deren Wandel zu verstehen. Macht sie Herrschaft oder Widerstand, Angst oder Stolz, Arbeit oder Freizeit, Geburt, Krankheit oder Tod zum Gegenstand, so geht es ihr nicht nur um die am konkreten Fall fassbare Tatsächlichkeit, sondern auch um den sozialen und kulturellen Kontext.“32 Hier offenbart sich ein Unterschied zwischen Schütz und Vierhaus: Schütz stellt es mit der Kategorie der Relevanz dem Akteur anheim, welche Aspekte seiner Lebenswelt er für bedeutend hält. Als Forscher richtet er sich daher letztlich danach, was der Akteur ihm vorgibt. Vierhaus dagegen nähert sich der Lebenswelt des Akteurs von außen und mit eigenen Kategorien, die noch dazu recht grenzenlos erscheinen. Die Analyse von Lebenswelten bedeute „die Rekonstruktion des ‚alltäglichen’ Lebens von einzelnen Gruppen und ihres von Tradition, Erfahrung und Wissen geprägten Bewusstseins, aus dem heraus sie handeln“33. Außerdem geht Vierhaus nicht wie Schütz von einer sich wandelnden Lebenswelt aus, die an den Akteur gebunden ist, sondern von bereits bestehenden Lebenswelten, in die sich der Akteur hineinbegibt wie in ein fremdes Haus. Hierzu nennt Vierhaus ein Beispiel aus der Geschichte des 19. Jahrhunderts: „Aus den preußischen Ostprovinzen kommende, polnisch sprechende, katholische Landarbeiter“, so Vierhaus, „die für die Tätigkeit in Kohlegruben und Eisenwerken des industriellen Ballungsraumes des Ruhrgebiets angeworben waren, traten hier in eine völlig andere Lebenswelt ein, der sie sich in vielem anpassten, in der sie jedoch … Lebensformen ihrer Herkunftswelt zu erhalten suchten.“34 Die Lebenswelt war also laut Vierhaus im Ruhrgebiet schon vorhanden, bevor die katholischen Landarbeiter als Ostpreußen in sie eintraten. Vierhaus plädiert folglich für eine Außenperspektive bei der Untersuchung von Lebenswelten. Darin sind ihm die meisten Arbeiten gefolgt, welche die Geschichtswissenschaft: Festschrift für Hans Herzfeld zum 80. Geburtstag, Berlin 1972, S. 1-26. 32 Rudolph Vierhaus: Die Rekonstruktion historischer Lebenswelten. Probleme moderner Kulturgeschichtsschreibung, in: Hartmut Lehmann (Hg.): Wege zu einer neuen Kulturgeschichte, Göttingen 1995, S. 7-28, hier: S. 24. 33 Vierhaus: Lebenswelten, S. 16. 34 Vierhaus: Lebenswelten, S. 19.
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Kategorie Lebenswelt verwendeten.35 Diese Ausweitung des Konzepts stellt zwar an sich kein Problem dar. Jedoch kann die Übertragung von Schütz’ Konzept nicht ohne eine Erweiterung erfolgen, da die Quellen der begrifflichen Detailliertheit des Ansatzes nicht entsprechen können. Wichtig ist nur, dass man etwa mit der Gleichsetzung von Lebenswelt und Stadt die Perspektivität historischen Handelns aus dem Blick verliert. Diese Perspektivität wird bei Schütz durch die Kategorie der Relevanz vermittelt. Nicht alles jedoch, was in der erweiterten Lebenswelt Stadt ablief, dringt in die Schützsche Lebenswelt ein. Der Kategorie der Lebenswelt entspricht die Quellenauswahl, die der akteurszentrierten Perspektive des Ansatzes folgt. Die Arbeit stützt sich auf Briefe, Suppliken, Reisebriefe und einige wenige Tagebücher. Daneben bezieht sie Rechtsquellen, administrative Quellen, zeitgenössische wissenschaftliche Publikationen und Rezensionen sowie, in dem Kapitel über Würzburger Künstler, einige wenige Gedichte und Kompositionen ein. Die Relevanzen erscheinen stark umgeformt und gefiltert durch die Bedingungen der Selbstzeugnisse. Als Widerstände erweisen sich nicht nur die äußere Form und der Aufbau, sondern auch die Sprache und ganz besonders stark die Beziehung zwischen Absender und Empfänger. Manches von dem, was den Akteuren bedeutend erschien, taucht in den Selbstzeugnissen folglich nur abgeschwächt auf, anderes überbetont, vieles gar nicht. Der Wert der Argumentation hängt entscheidend davon ab, inwiefern die verwendeten Quellen Relevanzen überhaupt freilegen. Aus diesem Grund und weil die Selbstzeugnisse so unterschiedliche Merkmale aufweisen, wird die Frage nach den Quellen als Medien 35 Marian Füssel zum Beispiel hat akademische Lebenswelten mit dem Habitus-Konzept Pierre Bourdieus untersucht. Seine Analysefelder sind die Wohn- und Arbeitsräume, die Kleidung und spezifische körperliche Gebrechen, s. Marian Füssel: Akademische Lebenswelten und gelehrter Habitus. Zur Alltagsgeschichte des deutschen Professors im 17. und 18. Jahrhundert, S. 35-51; Holger Zaunstöck analysierte „Denunziation und universitätsstädtische Lebenswelt“. Da er nicht nur im Titel von der „Lebenswelt Universitätsstadt“ spricht, zieht die Lebenswelt bei Zaunstöck einen viel weiteren Rahmen um den Akteur als Schütz es tut, s. Holger Zaunstöck: Denunziation und universitätsstädtische Lebenswelt. Überlegungen am Beispiel der Universität Halle um 1700, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9 (2006), S. 71-82; Stefan Kroll hat einen ähnlich weiten Lebenswelt-Begriff. Er widmete sich ebenso der Konskription, der Kriegsdienst-Verweigerung und dem Alltagsleben von Soldaten als auch der Interaktion zwischen Soldaten und der Zivilbevölkerung bei Besetzungen, s. Stefan Kroll: Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung. Lebenswelten und Kultur in der kursächsischen Armee 1728-1796, Paderborn 2006. Dem Schützschen Konzept kommt Frank Fätkenheuer nahe, der Lebenswelten mithilfe von Selbstzeugnissen in den Blick nahm und auf dieser Grundlage die Frage stellte, inwiefern sich Konfessionalisierung im konkreten Alltag von einigen Vertretern der fränkischen Oberschicht um 1600 ereignete, s. Frank Fätkenheuer: Lebenswelt und Religion: mikro-historische Untersuchungen an Beispielen aus Franken um 1600, Göttingen 2004.
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von Relevanzen für jede Gattung von Selbstzeugnissen eigens gestellt und diskutiert. Das Kapitel über die Professoren enthält einen Abschnitt über Briefe als Medien von Relevanzen und spricht damit auch für das Kapitel über Künstler und Staatsdiener, da sich beide ebenfalls hauptsächlich auf Briefe stützen. Der Abschnitt über das kleine und mittlere Bürgertum diskutiert die Quellengattung Supplik, das Unterkapitel über die Reisenden die Reisebriefe. Hier soll nur kurz auf den Quellenwert von Selbstzeugnissen als Ganzes und die Frage nach der Authentizität dieser Quellen eingegangen werden. Benigna von Krusentjern schlug 1994 vor, unter Selbstzeugnis die „Selbstthematisierung durch ein explizites Selbst“ zu fassen. Das bedeute, „die Person des Verfassers bzw. der Verfasserin tritt in ihrem Text selbst handelnd oder leidend in Erscheinung oder nimmt darin explizit auf sich selbst Bezug“. Selbstzeugnisse seien „selbst verfasst, in der Regel auch selbst geschrieben (zumindest diktiert) sowie aus eigenem Antrieb, also ‚von sich aus’, ‚von selbst’, entstanden.“36 Winfried Schulze fasst die Gruppe von Ego-Dokumenten enger als Krusenstjern die der Selbstzeugnisse, indem er nicht die Selbstthematisierung, sondern die „Selbstwahrnehmung eines Menschen“ als Eingangskriterium festlegt. Das „gemeinsame Kriterium aller Texte, die als Ego-Dokumente bezeichnet werden“ solle sein, „dass Aussagen oder Aussagepartikel vorliegen, die – wenn auch in rudimentärer und verdeckter Form – über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren.“37 In der Praxis spielt dieser Unterschied zwischen Selbstwahrnehmung hier und Selbstthematisierung dort jedoch keine Rolle. Dem Begriff „Ego-Dokument“ als historiographischer Quellengattung ist von Kaspar von Greyerz und Sabine Schmolinsky vorgeworfen worden, dass mit dem Begriff „Ego“ falsche Erwartungen beim Leser geweckt würden. Der Terminus sei von der Freudschen Psychoanalyse in einem so starken Maß geprägt worden, dass er „Assoziationen Freudscher Begrifflichkeit“38 wecken
36 Benigna von Krusenstjern: Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie, 1994, Nr. 3, S. 462-471, hier: S. 463. 37 Winfried Schulze: Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung „Ego-Dokumente“, in: Ders. (Hg.): Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996, S. 11-30, hier: S. 28. 38 Kaspar von Greyerz: Spuren eines vormodernen Individualismus in englischen Selbstzeugnissen des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Winfried Schulze (Hg.): Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996, S. 131-145, hier: S. 132; s. auch Sabine Schmolinsky: Selbstzeugnisse im Mittelalter, in: Klaus Arnold, Sabine Schmolinsky, Urs Martin Zahnd (Hg.): Das dargestellte Ich. Studien zu Selbst-
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müsse. Diese Bedenken scheinen jedoch unbegründet zu sein, da der Begriff des Selbst auch in anderen Fachsprachen vorkommt – sogar ebenfalls in der Psychologie, man denke nur an die Humanistische Psychologie mit ihren Leitbegriffen des „Selbst“ bzw. „Selbstkonzept“, „Selbstwert“, “Selbstwirksamkeit“ und „Selbstkontrolle“.39 Im Übrigen ist es unwahrscheinlich, dass der Begriff „Ego-Dokument“ dieselben Assoziationen weckt wie „Ego“ allein. Einige Autoren haben vorgeschlagen, die Selbstzeugnisse nach der Echtheit der Selbstthematisierung zu bemessen. Andreas Rutz etwa fragt in seinem Aufsatz mit dem sprechenden Titel „Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion?“ nach dem Grad der „Authentizität“ von Selbstzeugnissen.40 Die Leitfrage des Beitrages lautet, ob die Ego-Dokumente ein historisches Ich tatsächlich präsentieren oder lediglich Ich-Konstruktionen wiedergeben. Hierzu meint Rutz, dass der Historiker bei der Lektüre oft auf den ersten Blick den Eindruck gewinne, „dem Menschen in der Geschichte näher kommen“41 zu können. Doch „bei näherer Betrachtung erweist sich dieses Mehr an historischer Wahrheit oder Wahrhaftigkeit freilich als trügerisch.“42 Denn „auch erfahrungsnah im Alltag entstandene Quellen“ seien „von einer Vielzahl von Brechungen und Verfremdungen geprägt.“43 Im Sinne des historischen Konstruktivismus resümiert Rutz, dass der „Geschichtsschreibung immer ein konstruktiver Charakter eigne“44. Auch in einigen weiteren Arbeiten taucht diese Frage nach dem Wirklichkeits- oder gar Wahrheitsgrad von Selbstzeugnissen und EgoDokumenten auf. „Wer sagt uns, dass das, was er [der Armenbriefschreiber] schreibt, tatsächlich wahr ist? Ist wirklich alles, was dort schwarz auf weiß steht, ohne weiteres wörtlich zu nehmen. Seine Briefe sind voll von Wiederholungen und stereotypen Floskeln. Sind da nicht auch manche Ausschmückungen und Überzeichnungen, die sich beim Schreiben eingestellt haben? Vielleicht auch Aussagen, die eher als Produkte der literarischen Phantasie zu werten sind?“45, möchte Thomas Sokoll wissen. Jan Peters stellt in seinem Aufsatz über Selbstsichtzeugnisse schreibender Bauern fest: „Der schreibende
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zeugnissen des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bochum 1999, S. 19-28, hier: S. 25. Vgl. etwa die Begriffe bei Helmut Quitmann: Humanistische Psychologie: Psychologie, Philosophie, Organisationsentwicklung, Göttingen 1996. Andreas Rutz: Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion? Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2., Abs. 10. Rutz: Ich-Konstruktion, Abs. 11. Rutz: Ich-Konstruktion, Abs. 10. Rutz: Ich-Konstruktion, Abs. 12. Rutz: Ich-Konstruktion, Abs. 16. Thomas Sokoll: Selbstverständliche Armut. Armenbriefe in England 1750-1834, in: Schulze: Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996, S. 227-265, hier: S. 262.
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Bauer war nicht nur Subjekt eines zeiteigenen Sinnverständnisses, sondern auch Objekt von Manipulationen.“46 Und weiter: „Der Schreibebuchautor konnte selbst täuschende (oder auch sich selbst täuschende) Rollen spielen, insbesondere dann, wenn er mit dem Blick auf eine mögliche (wenn auch nur kleinere) Öffentlichkeit … schrieb und ihm die Betonung dieser bzw. die Abschwächung jener Seiten aus seiner individuellen Lebenserfahrung zweckmäßig schien.“ Fabian Brändle und Koautoren sehen einen Mangel der Selbstzeugnisse in der „kulturellen oder gattungsmäßigen Stilisierung, die möglicherweise gerade im Gefühlsbereich erheblich sein kann.“47 Diese Argumentation spiegelt ein Selbst-Verständnis wider, welches das Selbst als einen Kern denkt, um den sich verschiedene Sphären der Verfremdung bilden. Aufgabe des Historikers sei es nun, durch den Nebel-Schein der Sphären auf das Innenleben, auf den Kern, auf das Selbst zu blicken und die Verfremdungen zu analysieren. Die äußeren Sphären oder Verfremdungen stehen hier für die Einflüsse beim Verfassen eines Selbstzeugnisses. Das sozialpsychologische Konzept der ‚Multiple selves’ dagegen geht davon aus, dass es keinen Selbst-Kern gibt, dessen Erscheinung im selben Maße abnimmt wie äußere Einflüsse zunehmen.48 Es stellt hingegen fest, dass Menschen ohnehin aus einem multiplen Selbst bestehen, was nicht mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung gleichzusetzen sei. „Contradictory beliefs may coexist peacefully for a long time, if they belong to different realms of life”49, so John Elster. Als Beispiel nennt er „a child who believes in Santa Claus, yet asks his parents about the price of the Christmas gifts.“50 Ein weiteres Beispiel mag dieses einfache, aber für die Bewertung von Selbstzeugnissen folgenreiche Konzept verdeutlichen: Dorfrichter Adam aus 46 Jan Peters: Zur Auskunftsfähigkeit von Selbstsichtzeugnissen schreibender Bauern, in: Schulze: Ego-Dokumente, S. 175-190, hier: S. 176. 47 Fabian Brändle u.a.: Texte zwischen Erfahrung und Diskurs. Probleme der Selbstzeugnisforschung, in: Kaspar von Greyerz u.a. (Hg.): Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich: Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500-1850), Köln/Weimar/Wien 2001, S. 3-34, hier: S. 12. 48 Grundlegend: Eliot Smith, Diane M. Mackie: Social Psychology, New York 2007, S. 102 ff, mit weiterer Literatur; Hartmut Esser: Soziologie. Spezielle Grundlagen, Bd.6: Sinn und Kultur, Frankfurt/Main 2001, S. 358; für Erving Goffman dagegen wechselt zwar das Selbst auch, doch ist es für ihn nicht im Akteur angelegt, sondern entsteht in der Kommunikation mit anderen: „Wenn wir das Selbst analysieren, werden wir also von seinem Besitzer, von der Person, die am meisten dabei zu gewinnen oder verlieren hat, weggezogen; denn er und sein Körper bieten nur den vorübergehenden Aufhänger für etwas gemeinsam Hergestelltes. Und die Mittel, um ein Selbst zu produzieren und zu behaupten, liegen nicht bei dem Aufhänger.“, Erving Goffmann: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, München, Zürich 2003, S. 231. 49 John Elster: Introduction, in: Ders. (Hg.): The multiple self, Cambridge 1986, S. 1-34, hier: S. 4. 50 Ebda.
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Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ versucht während des Gerichtsprozesses zu verbergen, dass er selbst der Schuldige in dem verhandelten Fall ist. Gefährlich wird der Gerichtsprozess für den Dorfrichter jedoch nicht nur, weil er seine eigene Tat verdecken muss, sondern auch, weil ein Gerichtsrat aus Utrecht dem Prozess beiwohnt und er um sein Amt fürchten muss, wenn sein nächtlicher Besuch bei Eve Rull ans Licht gerät. Betrachtet man die Handlung mit dem ‚Multiple selves’-Konzept, lässt sich ein multiples Selbst bei Dorfrichter Adam unschwer erkennen. Adam versucht, durch und innerhalb seines Selbst als Dorfrichter, sein Selbst als Geliebter zu verbergen. John Elster würde die Situation als eine beschreiben, in der ein Selbst deutlich über das andere dominiert: „The self that constitutes the person is not the stronger or more decisive self, the self that gets its way: it is the self that entertains higher-order intentions about other selves.”51 Das Selbst als Dorfrichter versucht das Selbst als Geliebter aus dem Weg zu räumen, indem es Zeugenaussagen bewusst missversteht oder versucht, die Vorladung der entscheidenden Zeugin Eve zu verhindern. Ein multiples Selbst kennzeichnet nicht nur Adam, sondern auch Eve Rull. Eve hat sich in ihrem Selbst als Verführerin auf eine Affäre mit Dorfrichter Adam eingelassen, weil dieser ihr dafür versprochen hatte, bei der Militärdienstbefreiung ihres Verlobten Ruprecht Tümpel behilflich zu sein. Die Wehrdienstbefreiung ersann Eve in ihrem Selbst als Verlobte. Beide Selbst-Weisen gehören jedoch ein und derselben Eve an. Ein multiples Selbst ist nicht nur den Figuren des Lustspiels, sondern allen Menschen und daher ebenso den Autoren von Selbstzeugnissen im Würzburg der Napoleon-Zeit zu Eigen. Während ein Handwerker eine Supplik verfasste oder verfassen ließ, tat er dies innerhalb seines Selbst als Supplikant. Wenn er danach seiner Frau von dieser Supplik erzählte, sprach das Selbst als Ehemann. Wenn er schließlich auf seiner Zunft die Schwachpunkte seiner Supplik nannte, tat er das in seinem Selbst als Zunftbruder. Kein Selbst jedoch, so der ‚Multiple selves’-Ansatz, ist von höherer Qualität als ein anderes, kein Selbst ist mehr selbst als ein anderes, auch wenn eines ein anderes dominieren kann. „Distinct self-aspects in our mental representation of the self”, so die Sozialpsychologen Eliot R. Smith und Diane M. Mackie resümierend, “are the inner reflection oft the fact that we actually do think, feel, and behave differently when we are in different social roles, groups, and relationships.”52 Die Frage nach dem Kern des Selbst scheint mir daher überflüssig, da es diesen Kern nicht geben kann. Die Entstehungsbedingungen von Selbstzeugnissen zu beleuchten und zu fragen, wie diese den Text prägen, erscheint dagegen unerlässlich. Wichtig scheint es dabei nur, die weitreichenden Einflussfaktoren in 51 Elster: Introduction, S. 11. 52 Smith, Mackie: Social Psychology, S. 102.
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Selbstzeugnissen nicht als Verfremdungen des Selbst zu begreifen, sondern als deren Merkmale. Die Selbstzeugnisse in dieser Arbeit stammen von Professoren, Künstlern, Staatsdienern, Reisenden und dem kleinen und mittleren Bürgertum. Die Autoren der Selbstzeugnisse hielten sich aus verschiedenen Gründen in der Stadt auf. Auch die Zeitspannen, in denen die genannten Personen in Würzburg lebten, sind sehr unterschiedlich und reichen von wenigen Tagen bei Reisenden bis zu vielen Jahrzehnten bei Handwerkern. Gemeinsam ist den behandelten Gruppen, dass sie die Stadt in einer Epoche erlebten, die von Umbrüchen geprägt war.
1.2. Der „Himmel der Christen“. Die Stadt Würzburg am Ende des Alten Reiches Was den Besuchern Würzburgs im 18. und 19. Jahrhundert oft auffiel, waren die vielen Kirchen. Der Maler der Stadtansicht Würzburgs um 1750 hat den Reichtum an Gotteshäusern eindrucksvoll in Szene gesetzt (Abb. 1). „Seitdem wir in Würzburg sind, haben wir nichts gethan, als daß wir von einer Kirche zur andern gelaufen sind“, heißt es in einem Reisebrief von J. de Blainville aus dem Jahr 1764.53 Der Erzähler der „Malerischen Reise eines deutschen Künstlers nach Rom“ aus dem Jahr 1789 hält fest: „Würzburg ist ein feiner Ort, hat lange und breite Strasen, viele Kirchen und massive Gebäude. Dabey ist sie so reinlich, daß man einen beständigen feyertag vermuthet.“54 Und der bereits erwähnte Heinrich von Kleist schrieb an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge: „Das Ganze hat ein ächt katholisches Ansehn. Neun u. dreißig Thürme zeigen an, daß hier ein König begraben sei. Die ganze Stadt wimmelt von Heiligen, Aposteln u. Engeln, u. wenn man durch die Straßen geht, so glaubt man, man wandle durch den Himmel der Christen.“55 Aus der Menge der Kirchen ragte die Domkirche am weitesten in die Höhe.56 Eine breite Straße zog sich vom Mainviertel durch das Spalier der 53 J. de Blainville: Des Herren von Blainville ehemaligen Gesandtschaftssekretärs der Generalstaaten der vereinigten Niederlande an dem Spanischen Hofe Reisebeschreibung ..., Lemgo 1764, S. 181. 54 Johann Jakob Grund: Malerische Reise eines deutschen Künstlers nach Rom. Ein würdiger Pendant zu Volkmanns und von Archenholz Werken, Wien 1789, S. 37. 55 Kleist an Wilhelmine von Zenge am 11.09.1800. 56 Zum Folgenden s. Stefan Kummer: Architektur und bildende Kunst von den Anfängen der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, in: Wagner: Geschichte 2, S. 576-678; Hanswernfried Muth: Von der Baukunst des Barock zur Revolutionsarchitektur, in:
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Heiligenfiguren auf der Mainbrücke, vorbei am Renaissance-Bau des Rathauses bis kurz vor das Domportal. Links neben dem Dom stand die so genannte Neumünster-Kirche, eine von drei Stiftskirchen. Dekan des Stifts Neumünster war im 18. Jahrhundert mehrere Jahre lang der Sohn des Architekten Balthasar Neumann. Dieser hatte nicht nur die Residenz gebaut, sondern auch einige Domherrenhöfe entworfen, die sich in konzentrischen Kreisen um das Domareal legten. Die Bewohner dieser Gebäude entstammten mehrheitlich dem fränkischen Adel.57 Einen exemten Dombezirk hat es, obwohl im Terrain um den Dom fast ausschließlich Domherrenhöfe lagen, nicht gegeben. Die beiden anderen Kanoniker-Stifte lagen etwas abseits. Das neben Dom-Stift und Stift Neumünster dritte Kanonikerstift befand sich unterhalb der Festung Marienberg und somit am Außenrand der Stadt, nur wenige Fußschritte vom Stadttor entfernt. Im selben Viertel wie das Stift St. Burkhard unterhielt der Deutsche Orden seine Niederlassung, die in engem Kontakt mit der Ballei Bad Mergentheim stand. Von der Deutschordens-Kirche wiederum waren es nur wenige Meter zum Schottenkloster St. Jakob, in dem nach alter Tradition iroschottische Mönche lebten. Dieses Kloster St. Jakob war eine von drei Niederlassungen des Benediktinerordens in der Stadt. Benediktinerinnen lebten im Kloster St. Afra. Unweit davon befand sich die Abtei St. Stephan. Sie lag am südlichen Ende des Hofgartens der Residenz, einem Teil der Stadt, in dem noch weitere Kirchen und Klöster lagen: Die Kirche des Priesterseminars, dahinter die Universitätskirche, das Kloster der Franziskaner-Minoriten, etwas weiter der Konvent der unbeschuhten Karmeliten. Die beschuhten Karmeliten unterhielten eine Niederlassung hinter dem Rathauskomplex, angrenzend an den Markt. Westlich der Residenz befanden sich eine Kartause und ein Kapuzinerkloster. Auch die Frauenklöster lagen über das ganze Stadtgebiet verteilt. Das adelige Damenstift St. Anna, das nach der Säkularisation als Theater diente, leitete ein Mitglied der Schönborn-Familie als letzte Priorin.58 Außerdem standen auf dem Marktplatz eine Marienkappelle, auf einer Anhöhe außerhalb der Stadt eine Wallfahrtskirche. Zusätzlich verfügten die Stadtpfarreien über eigene Pfarrkirchen. Laut einer Stadtbeschreibung von 1804 standen in der Stadt 33 Kirchen und 18 Kapellen, 71 Höfe und 70 Häuser der Geistlichen,
Peter Kolb, Ernst-Günter Krenig (Hg.): Unterfränkische Geschichte, Bd. 4/2, Würzburg 1999, S. 247-310. 57 Vgl. Erik Soder von Güldenstubbe: Sozialgeschichte der Stadt Würzburg 1500-1815, in: Wagner: Geschichte 2, S. 464-488, hier: S. 475; Herbert Schott, Fürstlicher Absolutismus und barocke Stadt, in: Wagner: Geschichte 2, S. 130-202, hier: S. 158 ff. 58 S. Max Domarus: Äbtissin Eva Theresia von Schönborn und das adelige Damenstift zur hl. Anna in Würzburg, Würzburg 1964.
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neun Männer- und vier Frauenklöster.59 Angesichts dieser Vielfalt könnte man einen hohen Anteil von Ordensklerikern an der Stadtbevölkerung vermuten. Doch der Personalstand der Klöster in Würzburg hatte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts stark verringert.60 Insgesamt gehörten laut einer Statistik von 1787 501 Männer und 149 Frauen dem geistlichen Stand an. Damit machten sie etwa drei Prozent der Bevölkerung aus, die bei rund 20.000 Einwohnern lag. Reisenden aus Säkularstaaten wie Heinrich von Kleist fiel diese Personengruppe besonders auf. Er wunderte sich in einem Brief an Wilhelmine von Zenge über die „Heere von Pfaffen u. Mönchen buntscheckig montirt, wie die Reichstruppen“61, die durch die Stadt gezogen seien. Nicht nur die Kirchen und Klöster zeugten von dem Charakter der Stadt als Hauptstadt eines geistlichen Wahlstaats, sondern auch die zahlreichen Stiftungen, Pflegen und Spitäler.62 Das Juliusspital, eine Gründung des späten 16. Jahrhunderts, verfügte über ein weites Areal am nördlichen Rand der Stadt. Das Bürgerspital, das auf eine Stiftung des Patriziers Johannes von Steren im Jahr 1316 zurückgeht und vom Stadtmagistrat verwaltet wurde, befand sich auf halbem Weg zwischen der Residenz und dem Juliusspital. Außerdem gab es eine ganze Reihe weiterer von Stiftungen und Pflegen. Verwalter der Stifte und Pflegen waren Ratsherren des Magistrats und des Oberrats, die Domkapitulare, geistliche Regierungsräte, das Ursulinenkloster und einige Kommissionen der Landesregierung. Die Landesherrschaft verwaltete zwar mit dem Juliusspital nur eine Stiftung, doch dies war die größte des ganzen Hochstifts.63 Adam Joseph Hueber, ein ehemaliger Oberbürgermeister, gründete 1795 das Hospital zum Heiligen Joseph. Es sollte die letzte Gründung einer Einrichtung dieser Art im Hochstift sein. Nach dem Vorbild vieler anderer Pflegen und Stiftungen ordnete der Gründer im Stiftungsbrief genau an, welche Personengruppe unter welchen Bedingungen welche Leistungen zu erwarten hätte. Die Gründungsakte der Hueberspflege offenbart, wie stark differenziert das Stiftungs- und Pflegewesen in einer geistlichen Residenzstadt am Ende des Alten Reiches war. Hueber ordnete an, „daß in selbe zwölf arme, ledige und niemals verheurathet gewesene Dienstmägde, welche bey hiesigen Burgers Leuten lang gedient wenigstens zwanzig Jahre lang, sohin alt, 59 Zit. bei Herbert Schott: Das Verhältnis der Stadt Würzburg zur Landesherrschaft im 18. Jahrhundert, Würzburg 1995, S. 166. 60 Die Zahlen bei Pius Gams: Personalstand der ‚ständigen’ Klöster im Bisthume Würzburg zur Zeit ihrer Aufhebung im J. 1802-3, in: AU 27, S. 165-200; vgl. auch Alfred Wendehorst: Stadt und Kirche, in: Wagner: Geschichte 2, S. 308-326. 61 Kleist an Wilhelmine von Zenge am 11.09.1800. 62 Zum Folgenden s. Peter Kolb: Soziale Versorgungseinrichtungen, Medizinal- und Gesundheitswesen, in: Ders., Kolb, Krenig: Unterfränkische Geschichte 4/2, S. 367436; Peter Kolb: Das Spital- und Gesundheitswesen, in: Wagner: Geschichte 2, S. 540568. 63 Schott: Verhältnis, S. 470.
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unvermüglich und bedürftig seyn, die sämmtlich sehr gut ernähret und gepfleget werden, gute Kost und Trank nebst Ligerstadt und Logie, kurz bestens unterhalten, und von der Pflege selbst ihre Betten erhalten sollen.“64 Für das Portal des Altenheims ließ Hueber ein Relief fertigen. Es zeigt den Stifter, der den Stiftungsbrief an eine Gruppe alter und gebrechlicher Frauen überreicht, während ein Engel dem Wohltäter einen Lorbeerkranz aufsetzt.65 Mit dem Spital zum Heiligen Joseph vulgo Hueberspflege nahm ein Altenheim seinen Betreib auf, das ausschließlich Dienstboten aufnahm, die bei Bürgern gearbeitet hatten. Zum Sankt-Dietrich-Spital am oberen Markt, neben der Marienkapelle, hatten ausschließlich die Dienstboten des Domkapitels Zugang. Knechte und Mägde der Kanonikerstifte und des Hofes fanden in wieder anderen Pflegen Zuflucht. Alle Dienstboten konnten sich außerdem um eine Pfründe im Dienstboten-Institut des landesherrlichen Juliusspitals bewerben. Dass die Differenzierung der Versorgungseinrichtungen für das Dienstpersonal besonders stark war, liegt daran, dass es in einer geistlichen Residenzstadt einen starken Bedarf und somit ein hohes Aufkommen an Personal gab. Die Dienstboten machten am Ende des Alten Reiches elf Prozent der Gesamteinwohnerschaft aus.66 Die Schweinfurter Malerin Katharina Geiger hat eine Vertreterin dieses Berufsstandes in ihrem Skizzenbuch festgehalten (Abb. 2). Die ostentative Caritas für ihr Personal gehörte zum Selbstverständnis der Würzburger Oberschicht.67 Doch auch für andere Gruppen wie ausgediente Soldaten, Soldatenwitwen und Waisen standen Plätze in Pflegen, Spitälern und Siechenhäusern zur Verfügung. Peter Kolb hat errechnet, dass die städtischen Versorgungseinrichtungen um 1800 Platz für rund 500 Personen boten.68 Bedürftige konnten sich zudem um ein Almosen bemühen. Neben der städtischen Almosenkasse vergaben zahlreiche private Stiftungen Geld und Naturalien. „Einschließlich der vorgenannten Spitäler und Pflegen“, so Peter Kolb, „bestanden 1803/04 in der Stadt Würzburg 89 Stiftungen. Würzburg 64 Zit. nach Kolb: Spital- und Gesundheitswesen, S. 551. 65 Zur Hueberspflege s. Soder von Güldenstubbe: Sozialgeschichte, S. 465. 66 Bei insgesamt rund 20000 Einwohnern, zu denen auch die eximierten Gruppen wie Kleriker, Soldaten, Universitätsangehörige und das Hofpersonal zählen, lebten 2377 Dienstboten in der Stadt. Hierzu gehören jedoch nicht die Knechte, Mägde und Taglöhner, die in eigenen Wohnungen lebten. 67 Zur Sozialfürsorge in Geistlichen Staaten s. Wolfgang Zimmermann: Christliche Caritas und staatliche Wohlfahrt. Sozialfürsorge in den geistlichen Staaten am Ende des Alten Reiches, in: Kurt Andermann (Hg.): Die geistlichen Staaten am Ende des Alten Reiches. Versuch einer Bilanz, Epfendorf 2004, S. 115-131. 68 Allerdings bezeichnet diese Zahl nicht die tatsächlich vergebenen Pfründen, die Kolb nicht erwähnt, s. Kolb, Spital- und Gesundheitswesen, S. 558. Vgl. die Zahlen bei Schott: Verhältnis, S. 470. Bei Zimmermann weichen die Zahlen erheblich ab. Auf den Versorgungslisten des Armenfonds zwischen 1790 und 1794 hätten allein „fast 840 Menschen“ gestanden, s. Zimmermann: Caritas, S. 127.
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war damit die mit Abstand stiftungsreichste Stadt in Franken.“69 Der Unterhalt einer Stiftung und regelmäßige Dotationen gehörten zum festen Verhaltenskanon von Klerikern, Staatsdienern und reichen Kaufleuten. Allerdings wurden auch in Würzburg die üblichen Trennungen zwischen ehrenhaften Armen und unehrenhaften Bettlern und Vaganten vorgenommen. Der Zueignung einer Pfründe ging also auch hier ein Prüfungsverfahren voraus, in dem der Kandidat seine Rechtschaffenheit belegen musste.70 So gut das Netz an sozialen Versorgungseinrichtungen ausgebaut war, so schwach war es um das Assoziationswesen bestellt.71 Die einzige Lesegesellschaft im Alten Reich löste sich schon kurz nach ihrer Gründung wieder auf. 1785 planten einige Universitäts-Theologen um Franz Oberthür einen gelehrten Lesezirkel und stellten dem Fürstbischof ihr Anliegen vor. Franz Ludwig von Erthal gestattete das Vorhaben zwar formal, schränkte jedoch die Tätigkeiten so stark ein, dass seine Bewilligung einem faktischen Verbot gleichkam.72 Die Mitglieder lösten die Lesegesellschaft daraufhin wieder auf. Bei dieser kurzlebigen Initiative von Oberthür blieb es bis zum Ende des Hochstifts. Erst 1803/1804 und damit in der kurbayerischen Zeit gründeten Mitglieder der Universität eine Assoziation namens Musäum, die allerdings erst rund zehn Jahre später unter dem Namen „Harmonie“ regelmäßig zu Veranstaltungen einlud.73 Das Würzburger Vereinswesen war also selbst gegenüber anderen geistlichen Residenzstädten im Hintertreffen.74 Eva Pleticha-Geuder hat zwar darauf hingewiesen, dass man von einer Reihe von privaten Zirkeln ausgehen muss, welche die starken obrigkeitlichen Beschränkungen umgin-
69 Kolb: Spital- und Gesundheitswesen, S. 558. 70 Hildegunde Flurschütz: Die Verwaltung des Hochstifts Würzburg unter Franz Ludwig von Erthal (1779-1795), Würzburg 1965, S. 161 ff; Bernhard Sicken, Fremde in der Stadt. Beobachtungen zur ‚Fremdenpolitik’ und zur sozioökonomischen Attraktivität der Haupt- und Residenzstadt Würzburg gegen Ende des 18. Jahrhunderts, in: Kersten Krüger: Europäische Städte im Zeitalter des Barock, Köln/Wien 1988, S. 271-330, hier: S. 298 ff. 71 Zum Folgenden s. Peter Baumgart: Bildungswesen und Geistesleben (ca. 1525-1814), in: Wagner: Geschichte 2, S. 351-381; Eva Pleticha-Geuder: Würzburger Buch- und Bibliothekswesen, in: Wagner: Geschichte 2, S. 386-400. 72 Die Geschichte der Würzburger Lesegesellschaft im Vergleich zu den anderen geistlichen und weltlichen Staaten bewertet Heinz Duchhardt: Die geistlichen Staaten und die Aufklärung, in: Andermann: Die geistlichen Staaten, S. 55-66, hier: S. 61; vgl. auch Werner K. Blessing: Herrschaftswechsel im Umbruch – Zur inneren Staatsbildung Bayerns im 19. Jahrhundert, in: Helga Schnabel-Schüle, Andreas Gestrich (Hg.): Fremde Herrscher – fremdes Volk. Inklusions- und Exklusionsfiguren bei Herrschaftswechseln in Europa, Frankfurt/Main u.a. 2006, S. 169-187, hier: S. 180 ff. 73 Franz Bandorf: 200 Jahre Harmonie-Gesellschaft Würzburg – älteste Bürgervereinigung Würzburgs, Würzburg 2003. 74 S. Duchhardt: Geistliche Staaten, S. 61.
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gen.75 Würzburg blieb jedoch dennoch im Ganzen von der Umwandlung des Vereinswesens ausgespart, die Dieter Hein für das beginnende 19. Jahrhundert konstatiert hat. Die „faktische Rolle der Bildung“, so Reif, sei in dieser Phase zurückgetreten „hinter die geselligen Zielsetzungen und die sozialformierenden Wirkungen, auch die verdeckt politischen Tendenzen der Vereine.“76 Auch milieuübergreifende Assoziationen entwickelten sich in Würzburg nicht. Der Adel und die Hofgesellschaft verbrachten ihre Freizeit „abgeschlossen vom Volk“77, wozu auch das Wirtschaftsbürgertum zählte. Studenten vergnügten sich in Tabakshäusern und auf Weinwanderungen. Das gesellschaftliche Leben der handwerklichen und kaufmännischen Mittelschicht spielte sich in erster Linie in den Zünften oder Innungen ab, „die in Bruderschaften oder Sodalitäten auch religiös ausgerichtet waren, geistlich in der Regel von einem der ortsansässigen Klosterorden – meist der beliebten Bettelorden – betreut.“78 Das gehobene Bürgertum blieb auf seinen Entrée-Bällen und Hauskonzerten „für sich“79. Erst nach dem ersten Übergang an Bayern sei „eine Lockerung der strikten Standesgrenzen“80 eingetreten, so Erich Wimmer. Das Verhältnis zwischen Regierung und Stadt gestaltete sich vergleichbar mit anderen Residenzstädten.81 Die seit 1618 gültige Stadtverfassung82 reduzierte den Stadtmagistrat zu einer Erfüllungsbehörde. In den Protokollen des Rates vom Ende des 18. Jahrhunderts wird seine geringe Kompetenz deutlich. In mehr als der Hälfte der Vorgänge beschloss der Rat lediglich, den Beschluss der Regierung umzusetzen oder einen von der Regierung angeordneten Bericht zu erstellen. Genau an diesem Punkt entzündete sich die Kritik eines Stiftskanonikers, der das Verhalten des Rats bei der französischen Besetzung im Jahr 1796 beobachtete. Die „hohen Herren“ der Regierung, so der Kleriker, würden dem Stadtrat fernbleiben und von diesem statt dessen Berichte einfordern: „Wohl sollten alle Menschen den ganzen wohlweisen Stadt75 Eva Pleticha-Geuder: „Getruckt in der Stadt Würtzburg“. 525 Jahre Buchdruck in Würzburg, in: Dies., Angelika Pabel (Hg.): Abklatsch, Falz und Zwiebelfisch: 525 Jahre Buchdruck und Bucheinband in Würzburg, Würzburg 2004, S. 9-86, hier: S. 55. 76 Dieter Hein: Formen gesellschaftlicher Wissenspopularisierung: Die bürgerliche Vereinskultur, in: Lothar Gall, Andreas Schulz (Hg.): Wissenskommunikation im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2003, S. 147-170, hier: S. 150. 77 Erich Wimmer: Alltag, Feste und Bräuche, in: Wagner: Geschichte 2, S. 506-535, hier: S. 522. 78 Soder von Güldenstubbe: Sozialgeschichte, S. 483. 79 Wimmer: Alltag, S. 522. 80 Ebda. 81 S. dazu den Abschnitt „Zum Verhältnis geistlicher Fürsten und Residenzstädte“ bei Schott: Verhältnis, S.11 ff. 82 Nur im Jahr 1724 galt eine andere Ordnung, s. Hubert Drüppel: Ratsverfassung und städtisches Gerichtswesen, in: Wagner: Geschichte 2, S. 232-253, hier: S. 240 ff.
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rath auslachen, daß er sich so geschmieget und die Rescripten angenommen, und nicht auf der Stelle geantwortet hat, sie hätten keine Zeit Berichte abzustatten, so die hohe Landes Regierung alles wissen wollte möge sie sich gefallen lassen täglich auf das Rathaus zu kommen“83. Dem Autor war offenbar nicht klar, dass dieses Verhalten des Rates sich nicht auf die Besetzungszeit reduzierte, sondern der Regel entsprach. Der Rat verfügte nur über geringe Kompetenzbereiche und nicht über einen eigenen Machtkomplex wie etwa das Domkapitel oder die Räte in Reichsstädten. Innerhalb ihrer begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten verhielten sich die Ratsherren konservativ im wahrsten Sinne des Worts. Das lässt sich etwa an der Vergabe des Bürgerrechts erkennen, das sie bevorzugt an Bürgersöhne verliehen. Herbert Schott, der die städtische Politik des 18. Jahrhunderts eingehend untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis, der Würzburger Rat sei „im wesentlichen bestrebt [gewesen], alles beim Alten zu lassen.“84 Die Landesregierung dagegen „brachte fast alle wesentlichen Neuerungen des Untersuchungszeitraums [das 18. Jahrhundert, C.T.] auf den Weg“85, so Schott. Die Fürstbischöfe hielten jedoch nicht nur die Stadt unter Kontrolle, sondern auch die städtische Wirtschaft.86 Dabei gingen sie allerdings anders vor als in der Stadtpolitik. Während die Regierung die Rechte des Rates per Gesetz einschränkte, ignorierte sie die bestehenden Normen des Wirtschaftslebens, ohne sie umzuschreiben. Seit den großen Bautätigkeiten des späten 17. bis Mitte des 18. Jahrhunderts umgingen sie regelmäßig und systematisch den Korporationszwang für Handwerker. Die Regierungen holten in großer Zahl Handwerker und Künstler in die Stadt und beschäftigten sie als Hofhandwerker. Außerdem setzten sie für die neuen Hofhandwerker die Beschränkung der Gesellenzahl außer Kraft. Wenn es der Bedarf verlangte, verzichteten sie auf das Meisterrecht und die Wanderjahre. Die zünftigen Handwerker des Baugewerbes konnten „weder in der Preisgestaltung noch in der Arbeitsgeschwindigkeit mit den in fürstbischöflichen Diensten stehenden Handwerkern dauerhaft konkurrieren“87, so Ellen Christoforatou. „Die bewusste Privilegierung einzelner (Hof-) Handwerker und die Erweiterung ihrer Produktionska83 StadtAW, Rb 393, Johann Carl Caspar Dionys Jenum: Tagebuch über die Vorfälle während dem Dasein der Franzosen in Wirzburg (im Jahre 1796), gesammelt von einem unparteiischen und aufmerksamen Beobachter, Eintrag vom 26.08.1796. 84 Schott: Verhältnis, S. 657. 85 Ebda. 86 Zum folgenden s. Ellen Christoforatou: Aspekte der Wirtschaftsgeschichte Würzburgs vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zum Ausgang des Alten Reiches, in: Wagner: Geschichte der Stadt Würzburg 2, S. 424-444; Ellen Christoforatou: Wirtschaftsentwicklung in der Stadt Würzburg zwischen geistlicher Herrschaft und Eigenverantwortung (ca. 1650-1803), Würzburg 2009 (im Druck); Schott: Verhältnis, S. 539-555. 87 Christoforatou: Wirtschaftsgeschichte, S. 442.
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pazitäten führte langfristig zu einer Umstrukturierung des alten zünftischen Gepräges.“ Hinzu kam, dass die Fürsten auch die Kompetenzen der 1699 gegründeten Handlungsinnung nach Belieben missachteten. Die Landesregierung „unterstützte daher Juden und zuweilen Hausierer, die neben den Kaufleuten mit bestimmten Waren handeln durften, und warb seit der Mitte des 18. Jahrhunderts verstärkt um die Einwanderung auswärtiger Händler, deren Inkorporation in die Handlungsinnung sie wiederum begünstigte.“88 Allerdings betraf die Verletzung der Zunftrechte deutlich mehr Menschen in der Stadt als die Umgehung der Handelsordnungen. Der Handel konnte in Würzburg nie die Bedeutung erlangen wie im nahen Nürnberg oder in Frankfurt. Das kurbayerische Regierungsblatt von 1803 zählte gerade einmal 107 Händler.89 Dies hatte ab 1806 den Vorteil, dass Stadt und Hochstift die Kontinentalsperre relativ unbeschadet überstanden. Würzburgs Wirtschaft war auf die Belieferung des lokalen Marktes und des Hofes ausgerichtet. Die Wirtschaftsleistung der Stadt war auch deshalb begrenzt, weil der Merkantilismus nicht Fuß fassen konnte, der Gewinne in erster Linie im Außenhandel zu ersterben versuchte. Dazu hätte es einer langfristigen Wirtschaftspolitik bedurft, die sich wegen des ständigen Wechsels der Fürstbischöfe aus unterschiedlichen Familien nicht etablieren konnte. Bis auf drei Vertreter aus dem Hause Schönborn und zwei aus dem Hause Greiffenclau stammten alle Herrscher seit dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs aus unterschiedlichen Adelshäusern.90 Der Bischofsstuhl in Würzburg blieb nie längere Zeit in einer Hand und diente folglich nicht als Sekundo- oder Tertiogenitur einer Dynastie wie in Köln, Trier, Regensburg und Münster.91 Ebenso wie diese war Würzburg eine Residenzstadt.92 Gegenüber der Residenz konnte sich in der Stadt kein Gegengewicht bilden, weder von Seiten 88 Christoforatou: Wirtschaftsgeschichte, S. 443. 89 Regierungsblatt für die Churpfalzbaierischen Fürstenthümer in Franken, 7. Stück, 17. Februar 1803. 90 S. die Auflistung der Fürstbischöfe bei Ulrich Wagner: Würzburger Landesherren, Bürgermeister, Stadtschreiber und Oberschultheißen 1525-1814, in: Ders.: Geschichte 2, S. 854-862, hier: S. 854. 91 S. Helmut Neuhaus: Das Reich in der Frühen Neuzeit, München 2003, S. 28. 92 Eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Residenzstadt am Fall Würzburgs bei Schott: Verhältnis, S. 182 f; zur Residenzstadt allgemein s. Ulrich Rosseaux: Städte in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006, S. 31 ff, (mit weiterer Literatur); Zur Städtetypologie s. grundlegend Heinz Stoob: Über frühneuzeitliche Städtetypen, in: Ders. (Hg.): Forschungen zum Städtewesen in Europa, Bd. 1, Köln, Wien 1970, S. 246-284; Klaus Gerteis: Die deutschen Städte in der Frühneuzeit: Zur Vorgeschichte der „bürgerlichen Welt“, Darmstadt 1986, S. 18 ff; Vgl. auch Alfred Heit: Vielfalt in der Erscheinung – Einheit des Begriffs? Die Stadtdefinition in der deutschsprachigen Stadtgeschichtsforschung seit dem 18. Jahrhundert, in: Peter Johanek, Franz Joseph Post (Hg.): Vielerlei Städte, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 1-13; s. auch im selben Band Gerhard Dilcher: Einheit und Vielfalt in Geschichte und Begriff der europäischen Stadt, S. 13-30.
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des Magistrats noch von Seiten der Korporationen. Würzburg war also nicht nur deshalb Residenzstadt, weil hier ein Fürstbischof residierte, sondern weil an keinem Ort auch nur annähernd so viele und so weitreichende Entscheidungen für die Lebenswelten der Würzburger getroffen wurden wie dort. Über diese gefestigten Strukturen brach nun die Zeit der Koalitionskriege herein. Hiermit beginnt der Untersuchungszeitraum. Zwischen 1795 und 1815 lebten die Würzburger in drei unterschiedlichen Staaten.93 Ein Jahr, nachdem der Würzburger Fürstbischof Georg Karl von Fechenbach auf den Bischofsstuhl gestiegen war, eroberte die französische Armee die Stadt am 24. Juli 1796 zum ersten Mal. Der Fürstbischof ließ es geschehen. Das Militär leistete keinen Widerstand. Die Stadt kapitulierte vor der Sambre-Maas-Armee unter dem Oberbefehl von General Jourdan. Es folgten fünf Wochen der französischen Besatzung, welche Einquartierungen, Kontributionszahlungen, Geiselnahmen und Truppendurchzüge mit sich brachten. Am 2. und 3. September 1796 gelang es den Koalitionstruppen unter dem Befehl von Erzherzog Karl von Österreich, die Sambre-Maas-Armee vor den Toren der Stadt zu schlagen. Die nun folgenden Jahre zwischen 1797 und 1800 waren relativ stabil. Der Friede von Campo Formio hatte dem ersten Koalitionskrieg ein Ende gesetzt. Nach den gescheiterten Verhandlungen in Rastatt brachen die Kämpfe allerdings rasch wieder aus. Im März 1799 hatte die Armee Jourdans erneut den Rhein erreicht und bedrohte somit auch Stadt und Hochstift Würzburg. Angesichts der Erfolge der Franzosen schlossen die Kriegsparteien einen neuen Waffenstillstand, der Würzburg in zwei Hälften teilte. Denn die Demarkationslinie des Vertrags vom 15. Juli 1800 legte fest, dass die linksmainischen Gebiete der französischen Armee zufielen, während die rechtsmainischen beim Reich verblieben. Die Festung Marienberg und das unterhalb davon liegende Mainviertel standen damit den Franzosen zu. Allerdings weigerte sich die österreichische Schutzmacht, Stadt und Festung den Franzosen zu überlassen und blieb. Ohnehin kündigten die Franzosen den Waffenstillstand und somit die Demarkationslinie am 28. November 1800 auf und rückten gegen die Stadt vor. Die Stadt kapitulierte bereits zwei Tage später erneut. Sie konnte aber nur den rechtsmainischen Teil an die Besatzer übergeben, da sich die Koalitionstruppen auf der Festung und im Mainviertel verschanzt hatten. Zu einem Entscheidungsgefecht kam es allerdings nicht. Dies verhinderte ein neuer Waffenstillstand am 25. Dezember 1800. Die ganze Stadt fiel nun den Franzosen zu. Diese blieben bis zum 24. April 1801, ob93 Zum folgenden s. grundlegend Wolfgang Weiß: Übergang an Bayern (1795-1814), in: Wagner: Geschichte 2, S. 206-228; Rudolf Endres: Territoriale Veränderungen, Neugestaltung und Eingliederung Frankens in Bayern, in: Andreas Kraus, Max Spindler (Hg.): Handbuch der bayerischen Geschichte, Tl. 3/1, München 1997, S. 517-533; Harm-Hinrich Brandt: Würzburg von der Säkularisation bis zum endgültigen Übergang an Bayern, in: Kolb, Krenig: Unterfränkische Geschichte 4/1, S. 477-530.
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wohl der Frieden von Lunéville schon am 9. Februar 1801 den Abzug der Franzosen beschlossen hatte. Der Friedensschluss legte gleichzeitig den Grundstein für die Auflösung des Hochstifts. Die Auflösung des Hochstifts erfolgte für die Bürger der Stadt schrittweise. Am 3. September 1802 ergriffen kurpfalzbayerische Truppen unter dem Befehl des Grafen von Ysenburg provisorisch Besitz von der Stadt. Am 22. November ließ Max Joseph in der Stadt schriftlich verlauten, dass alle „Landsassen und Lehnsleute, Bediente, Beamte und Magistrate, alle Einwohner, wessen Standes, Würde, oder Wesen sie seyn mögen, dass sie Uns von nun an für ihren rechtmäßigen und einzigen Landesfürsten erkennen und ansehen, einen vollkommenen Gehorsam und unverbrüchliche Treue beweisen, und sobald Wir es erfordern, die feierliche Huldigung leisten“94. Sechs Tage später verabschiedete sich Georg Karl von Fechenbach als Herzog von Franken von seinen Untertanen. Das geistliche Bischofsamt übte er bis zu seinem Lebensende 1808 weiter aus. Am 30. November 1802 leisteten die Beamten den Eid auf den neuen Landesherren. Nur drei Jahre später setzte sich erneut das Karussell der Herrscher in Bewegung. Der Friede von Pressburg bestimmte am 26. Dezember 1805, dass Würzburg als Staat wiederauferstehen sollte. So entstand 1806 das Kurfürstentum, das in etwa den Grenzen des Hochstifts folgte. An der Spitze des Staates stand fortan der Sohn Kaiser Leopolds II. und Bruder von Kaiser Franz II. (I.), Großherzog Ferdinand von Habsburg-Lothringen, der kurz nach der Staatsgründung dem Rheinbund beitrat und damit der Bündnispolitik Bayerns treu blieb. Wie Kurbayern hatte also auch das Großherzogtum Truppen zu stellen, die fortan in den Reihen der französischen Armee kämpften und auch am Russlandfeldzug teilnahmen. Bald nach Napoleons gescheiterter Mission verließ Bayern am 8. Oktober 1813 den Rheinbund und kämpfte in der Völkerschlacht von Leipzig vom 16. bis 19. Oktober bereits auf Seiten Österreichs. Das Großherzogtum Würzburg verblieb im Bündnis mit Napoleon. Nach seiner Niederlage in Leipzig erschien die bayerisch-österreichische Armee unter General von Wrede am 24. Oktober 1813 vor der Stadt und forderte den französischen Stadtkommandanten zur Kapitulation auf. Dieser weigerte sich, also ließ von Wrede die Stadt beschießen. Daraufhin gab Großherzog Ferdinand in seinem Exil den Austritt aus dem Rheinbund bekannt. Die Franzosen verließen die Stadt jedoch noch nicht, sondern zogen sich auf die Festung und ins Mainviertel zurück. Wieder war Würzburg für mehrere Monate eine geteilte Stadt. Erst am 3./4. Mai 1814 gab der französische Stadtkommandant seine Stellung auf und zog ab. Von Wrede war es auch, der nach der Pariser Konvention vom 3. Juni 1814 militärisch von der Stadt Besitz ergriff. Am 21. Juni übergab Großherzog Ferdinand die Regierung an das Kö94 StadtAW, Nachlass Ziegler, Z 5284.
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nigreich Bayern. Diese neuerliche Besitzergreifung setzte den Endpunkt hinter eine 20 Jahre dauernde Umbruchsphase.
1.3. Forschungskontexte Viele Arbeiten über Würzburg zu dieser Zeit beschränken sich bezüglich der Reaktionen der Bevölkerung darauf, festzustellen, ob diese den neuen Regierungen zustimmte oder sie ablehnte. Dies lesen einige Autoren daran ab, ob die Einwohner den Herrscher bei seiner Ankunft in der Stadt freudig begrüßten oder der Veranstaltung fern blieben.95 Begründet werden die Zustimmungen und Ablehnungen der Stadtbewohner meist mit allgemeinen Einschätzungen wie der, dass die Bevölkerung die kurbayerischen Reformen ablehnte
95 Es habe nach dem Regierungswechsel von 1802, so Wolfgang Weiß in der kürzlich erschienenen Stadtgeschichte, „die beste Absicht [bestanden], sich auf die neue Situation einzulassen. Die Würzburger erwarteten die baldige Ankunft des neuen Landesherrn in ihren Mauern und trafen erste Vorbereitungen, diesem einen würdigen Empfang zu bereiten. Aber der Besuch des Kurfürsten ließ zur Enttäuschung der Würzburger auf sich warten.“, s. Weiß: Übergang, S. 216. Die „weit verbreitete antibayerische Stimmung“ habe sich auch bei der Ankunft Max. IV. Joseph in seinem kurzzeitigen Würzburger Exil bemerkbar gemacht, s. Weiß: Übergang, S. 217; Friedrich Wilhelm von Hoven dagegen erinnert sich nur an eine anfängliche Zurückhaltung dem Kurfürsten gegenüber, dann aber große Entzückung und eine „veränderte Stimmung“, s. Friedrich Wilhelm von Hoven: Lebenserinnerungen, Berlin 1984, S. 206. Am Tag des Einzugs Ferdinands am 1. Mai 1806 dagegen „herrschte Volksfeststimmung“, s. Weiß: Übergang, S. 218. Wolfgang Altgeld differenzierte, der Jubel habe bei der Ankunft des neuen Monarchen „mehr dem Habsburger gegolten, weniger Ferdinand persönlich.“, s. Wolfgang Altgeld: Zur Einführung: Unterfranken im Umbruch der europäischen Staatenwelt 1797 bis 1814, in: Ders., Matthias Stickler (Hg.): „Italien am Main“. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg, Rahden/Westfalen 2007, S. 17-32, hier: S. 18; Laetitia Böhm spricht von der freudigen Begrüßung „des inzwischen als säkularisationsabgeneigt bekannten neuen katholischen Landesherrn“ Ferdinand von Toskana, Laetitia Böhm: Säkularisation und Stadtkultur. Zur Auswirkung des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 auf süddeutsche Bischofsstädte, in: Gert Melville (Hg.): Geschichtsdenken. Bildungsgeschichte. Wissenschaftsorganisation, Berlin 1996, S. 823-868, hier: S. 853. Dieter Schäfer bringt die Reaktion der Bevölkerung auf die Formel: „Fast möchte man meinen, dieser Ferdinand sei den Würzburgern wie der Märchenprinz dem Dornröschen erschienen.“, Dieter Schäfer, Ferdinand von Österreich. Großherzog zu Würzburg, Köln/Graz/Wien 1987, S. 157. Der Empfang Kaiser Franz II. (I.) 1813 habe offenbart, so noch einmal Weiß, dass „das Herz der Mainfranken für Habsburg“ geschlagen habe, s. Weiß: Übergang, S. 226.
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oder sich über die Wiedererlangung der Eigenstaatlichkeit freute.96 Die Deutungen und Sichtweisen der verschiedenen Bevölkerungsteile kommen meist nicht zur Sprache. Differenzierungen bleiben oftmals aus. Die Stadtgeschichte Würzburgs steht damit nicht allein da. Auch die meisten anderen Studien über Städte am Übergang zum 19. Jahrhundert lassen eine nach der Sozialstruktur differenzierte Fragestellung vermissen. Von der Einwohnerschaft auch vieler anderer Städte des damaligen Deutschland heißt es oft etwas stereotypisch, sie habe Reformen abgelehnt und unter dem Krieg gelitten.97 Grund hierfür ist sicherlich nicht das geringe Interesse für die Einwohner der Städte, sondern die schwierige Quellenlage. Sie ist auch dafür verantwortlich, dass die Bewertung der Reaktion der Bevölkerung auf die Säkularisation über vage Vermutungen nicht recht hinauskommen mag.98 Die Lebenswelten der städtischen Bevölkerung in der Napoleonischen Zeit stellt die Stadtgeschichtsforschung also immer noch vor Herausforderungen. In jüngster Zeit haben Forschungsdisziplinen außerhalb der Stadthistoriografie allerdings einige bemerkenswerte Vorschläge geliefert, wie sich diese Lücken schließen lassen. An erster Stelle sei hier der Ansatz der Erfahrungsgeschich-
96 „Die ständige Reformiererei, der gewaltige Veränderungsdruck erweckten den tiefen Unmut breiter Bevölkerungskreise. Selbst die intellektuellen Schichten Würzburgs und die durchaus für Reformen aufgeschlossenen Kreise, die anfangs die bayerische Politik freudig begrüßt hatten, gingen zunehmend auf Distanz.“, Weiß: Übergang, S. 217. Laut Wolfgang Altgeld hoffte die Einwohnerschaft 1806, die „bayerischen RadikalModernisierer“ endlich „für alle Zeit losgeworden zu sein“, Altgeld: Umbruch, S. 17. 97 S. etwa Fabio Crivellari, Patrick Oelze: Vom Kaiser zum Großherzog. Der Übergang von Konstanz an Baden 1806-1848, Konstanz 2007, S. 29f, S. 40 f; Rolf Walter: Commerz, Contrebande und Continentalsystem. Die Wirtschaft Südwestdeutschlands in napoleonischer Zeit, in: Christian Väterlein (Hg.): Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Bd. 2, Stuttgart 1987, S. 193-218, hier: S. 203 ff; Jörg Engelbrecht: Bevor Napoleon kam: die ersten Jahre der französischen Herrschaft am Niederrhein, in: Veit Velzke (Hg.): Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser, Köln 2007, S. 71-88, hier: S. 74 f; Maria Elisabeth Gründig: Widerstand, Anpassung und Akzeptanz. Zum Verhältnis der Oberschwaben zu Baden und Württemberg – Das Beispiel Biberachs im 19. Jh., in: Hans Ulrich Rudolf, Markus Blatt (Hg.): Alte Klöster, neue Herren. Die Säkularisation im deutschen Südwesten 1803. Bd. 2/2, Ostfildern 2003, S. 1193-1208, hier: S. 1196 f. differenzierter dagegen Susanne Schlösser: 17981801. Eine Neigung für die rote Mütze? Im Zeitalter der Französischen Revolution, in: Ulrich Nieß, Michael Caroli (Hg.): Geschichte der Stadt Mannheim, Bd. 1, Heidelberg u.a. 2007, S. 587-645. 98 Das Quellenproblem thematisiert etwa Böhm: Stadtkultur, S. 852; S. auch Walter Poetzl: Reaktionen der Bevölkerung, in: Rainer Braun (Hg.): Bayern ohne Klöster? Die Säkularisation 1802/03 und die Folgen; eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, München 2003, S. 431-445, hier: S. 431; S. auch Karl Murk: Resignation und anständiges Frohlocken. Die Reaktion der Bevölkerung in den Mainzer Ämtern auf den Herrschaftswechsel (1802/03), in: ZHG 108 (2003), S. 29-48, hier: S. 29 f.
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te99 genannt, die der Tübinger Sonderforschungsbereich 437 mit dem Titel „Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“ ganz wesentlich geprägt hat. Die Arbeiten aus diesem Forschungsverbund haben zu einem umfassenden Perspektivwandel bei der Bewertung der sogenannten Befreiungskriege geführt. Bislang sind die Kriege gegen Napoleon meist als „Initialzündung“ (Planert) des deutschen Nationalismus begriffen worden. Seit einigen Jahren und befruchtet von der französischen und angelsächsischen Forschung ist diese Sichtweise überprüft und umfassend revidiert worden. Gegen die Festsetzung der Kriege von 1813 bis 1815 als Startpunkt des Nationalismus spricht, so hat die Forschung inzwischen gelernt, vor allem das Verhalten der Einwohner. Erstens sei der freiwillige Kampf gegen Napoleon deutlich geringer ausgefallen als vorher behauptet. „Die ‚nationale Erhebung’“, so Jörg Echternkamp, „fand nicht statt.“100 Zweitens sei die Nation als Bezugspunkt in der Bevölkerung längst nicht so stark ausgeprägt gewesen wie lange angenommen. Dieter Langewiesche hat vorgeschlagen, stattdessen ganz allgemein von einem „föderativen Nationalismus“ zu sprechen.101 Celia Applegate hat die Deutschen dieser Zeit als „Nation of Provincials“102 beschrieben. Michael Rowe spricht für die Rheinländer im Zeitalter Napoleons von „Divided Loyalties“.103 Drittens habe für die Zivilbevölkerung nur ein geringer Unterschied zwischen den Kriegen auf Seiten Napoleons und den Kriegen gegen diesen bestanden. Dies entspreche der „Wahrnehmung der Zeitgenossen“, so Ute Planert, „deren Verankerung in Zeit und Raum sich vorderhand weniger an makropolitischen Strukturen orientierte als an der einfachen Frage, ob man sich Frieden oder im Kriegszustand befinde.“104 99 Stellvertretend für eine große Zahl an Studien seien hier genannt: Nikolaus Buschmann, Horst Carl (Hg.): Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn 2001; Paul Münch (Hg.): „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte, München 2001. 100 Jörg Echternkamp: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770-1840), Frankfurt/Main 1998, S. 216. 101 S. Dieter Langewiesche: Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation: Über Föderalismus und Zentralismus in der deutschen Nationalgeschichte, in: Ders., Georg Schmidt (Hg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, S. 215-244. 102 Celia Applegate: A nation of provincials: the German idea of Heimat, Berkeley 1990; Dies.: Zwischen Heimat und Nation: die pfälzische Identität im 19. und 20. Jahrhundert, Kaiserslautern 2007. 103 Michael Rowe: Divided loyalties: Sovereignty, politics and public service in the Rhineland under French occupation, 1792–1801, in: ERH 5 (1998), S. 151-168, s. Ders.: From Reich to state. The Rhineland in the revolutionary age, 1780-1830, Cambridge 2003. 104 Ute Planert: Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden: Alltag – Wahrnehmung – Deutung 1792-1841, Paderborn 2007, S. 24.
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Ute Planert war es auch, die zum ersten Mal in einem großen Rahmen, nämlich für Bayern, Baden und Württemberg, Selbstzeugnisse aus vielen verschiedenen Bevölkerungsschichten zusammengetragen hat. „Dabei“, so die Autorin über die breite Quellenbasis, „erweist sich der Kreis derjenigen, von denen im weitesten Sinne subjektive Zeugnisse überliefert sind, als weit größer und auch sozial breiter gestreut als der häufig zu beobachtende redundante Rückgriff auf einen engen Kanon leicht zugänglicher Texte aus der Feder der literarischen Intelligenz vermuten lässt.“105 Der Grundgedanke dieser Studien, Erfahrung manifestiere sich in der alltäglichen Lebenswelt der Akteure und liege nicht außerhalb ihrer, ist für diese Arbeit von großer Bedeutung. Mit der Bevölkerung in Umbruchszeiten befasste sich auch ein Teilprojekt des Trierer Sonderforschungsbereichs „Fremdheit und Armut“. Helga Schnabel-Schüle, Andreas Gestrich, Bernhard Schmitt und andere haben die Inklusions- und Exklusionsversuche der Obrigkeit und der Untertanen gegenüber dem vorhergehenden Regenten untersucht und sind daher auch für diese Arbeit von Bedeutung.106 Allerdings nehmen die meisten Studien aus dem Teilbereich „Fremde Herrscher – fremdes Volk“ die obrigkeitliche Seite stärker in den Blick als die der Bevölkerung. Daneben stehen Forschungen zu den einzelnen Berufsgruppen zur Verfügung, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. Das Werk eines Professors erscheint in der Forschung oft als ein geschützter Raum, in den auch die schwersten lebensweltlichen Veränderungen nicht eindringen können. Die geistige Tätigkeit von Universitätslehrern betrachten einige Historiker so, als ob wissenschaftliche Autoren „ihre Ergebnisse in reiner Selbstversenkung [hätten] erzielen“107 können. Dies lässt sich anhand von Lexikonartikeln, kurzen und ausführlichen Biographien und Aufsätzen über einzelne Professoren oder intellektuelle Zirkel nachvollziehen. Hierzu ein 105 Planert: Mythos, S. 27. 106 S. etwa Schnabel-Schüle, Gestrich: Fremde Herrscher; Helga Schnabel-Schüle: Herrschaftswechsel. Vernachlässigte Aspekte eines bekannten Themas, in: Angela Giebmeyer, Helga Schnabel-Schüle (Hg.): „Das Wichtigste ist der Mensch“: Festschrift für Klaus Gerteis zum 60. Geburtstag, Mainz 2000, S. 421-430. Dies.: Wer gehört dazu? Zugehörigkeitsrechte und die Inklusion von Fremden in politische Räume, in: Andreas Gestrich, Lutz Raphael (Hg.): Inklusion/Exklusion. Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt/Main u.a. 2004, S. 51-61; Bernhard Schmitt: „… Bis in die Knochen militärfromm!“ Wehrpflicht zwischen Akzeptanz und Widerstand, in: Christian Jansen (Hg.): Der Bürger als Soldat: die Militarisierung europäischer Gesellschaften im langen 19. Jahrhundert. Ein internationaler Vergleich, Essen 2004, S. 109-129. 107 Peter J. Brenner: Die „Lebenswelt“ der Literaturwissenschaft als Forschungsgegenstand, in: Ders. (Hg.): Geist, Geld und Wissenschaft. Arbeits- und Darstellungsformen von Literaturwissenschaft, Frankfurt/Main 1998, S. 7-20, hier: S. 7.
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Beispiel: Der Artikel über den Mediziner und Naturforscher Lorenz Oken in der „Neuen Deutschen Biographie“ verliert kein Wort über Okens Lebenswelt und macht ausschließlich Angaben zu seinem Werk. In Würzburg seien „Untersuchungen zur Entwicklung des Darmtrakts bei Hühnerembryonen“ entstanden, ebenso „vergleichend-anatomische Studien zur Embryonalentwicklung verschiedener Säugetiere“108. Mehrere biografische Skizzen geben lediglich die großen Thesen Okens wieder, zeichnen die Rezeption seiner Schriften nach und garnieren die Ausführungen zum Werk mit einigen charmanten Charakterzeichnungen.109 Ein Sammelband zu Okens 150. Todestag aus dem Jahr 2002 stellt ebenfalls sein Werk in den Vordergrund und fragt vor allem nach dessen Wirkung.110 Zwar nennt der Autor des Aufsatzes „Oken in Würzburg“ einige seiner dortigen lebensweltlichen Schwierigkeiten. Doch eine Verbindung zu den Veröffentlichungen stellt der Autor nicht her. So erscheint das Werk frei von allen äußeren Zwängen. Der Lexikon-Eintrag, die Biographie und der Sammelband berichten nicht über Okens lange Suche nach einem Lehrstuhl oder über seine gravierenden finanziellen Schwierigkeiten. Die ‚Würzburger Zeit’ im Leben Lorenz Okens erscheint in den Publikationen als eine Schaffensphase im wahrsten Sinne, als ein System von Gedanken, Thesen und Ideen, das sich von den darauffolgenden Schaffensphasen, der ‚Jenaer Zeit’ und der ‚Zürcher Zeit’, abgrenzt. Ähnliches ließe sich auch über die Forschung zu den anderen Professoren sagen. Bei Studien über Gelehrte am Übergang zum 19. Jahrhundert findet in erster Linie das Werk Beachtung, weniger die Person. Dies verwundert nicht, denn die Arbeiten zu den Universitätslehrern des frühen 19. Jahrhunderts sind meistens ideengeschichtlich angelegt. Sozial- oder kulturhistorisch angelegte Arbeiten erwähnen lebensweltliche Aspekte häufiger. Hans-Ulrich Wehler etwa hat auf die Bedeutung der Gehälter an den Universitäten aufmerksam gemacht. „Ein prominenter Rechtslehrer wie Pütter“, so Wehler, „nahm von vermögenden Studenten für einen Semesterkurs 100 Taler.“111 Elisabeth Fehrenbach zum Beispiel hat in ihrer Überblicksdarstellung über die soziale Situation des Bildungsbürgertums nach der Französischen Revolution betont, „dass es zu viele Akademiker gab“. In der Folge „reichte das Stellenangebot nicht mehr aus, um alle Berufswünsche zu erfüllen. Die Zahl der kleinen Be108 Stefan Büttner: Art. Lorenz Oken, in: NDB, Bd. 19, S. 498 f. 109 So etwa Max Pfannenstiel: Lorenz Oken: sein Leben und Wirken, Freiburg 1953; Olaf Breidbach: Lorenz Oken (1779-1851). Ein politischer Naturphilosoph, Weimar 2001; Emil Kuhn-Schnyder: Lorenz Oken 1779-1851: erster Rektor der Universität Zürich, Zürich 1980. 110 Dietrich von Engelhardt (Hg.): Von Freiheit und Verantwortung in der Forschung: Symposium zum 150. Todestag von Lorenz Oken (1779 - 1851), Stuttgart 2002. 111 Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1 (1700-1815), München 1989, S. 295 f.
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amten, der ‚armen’ Gelehrten, der Hungerdichter, der Anwälte ohne Klienten, der Theologen ohne Amt, die sich jahrelang mit Hausdienerdiensten durchschlugen, wuchs an.“112 Ute Frevert hat in ihrem viel diskutierten Aufsatz über das Bürgertum in Deutschland zwischen 1780-1820 geschrieben, Akademiker und einige andere Gruppen „waren nicht nur räumlich mobiler, sondern auch geistig und ökonomisch beweglicher als die traditionellen Stadtbürger. Ihre berufliche Tätigkeit zwang ihnen eine Lebensweise auf, die auf Wechsel, auf Veränderung angelegt war.“113 Weiter heißt es, „fast alle Absolventen der landesherrlichen Universitäten suchten Arbeit und Brot in staatlichen Diensten, aber nicht alle fanden es. Viele harrten jahrelang auf unbequemen und minimal honorierten Posten als Hauslehrer, Hofmeister, Praktikanten aus, bevor ihnen die ersehnte Anstellung als Beamter winkte. … Reichtümer allerdings konnten auch bürgerliche Staatsdiener nicht erwerben. Ihre Gehälter waren knapp bemessen und reichten meist nur bei größter Sparsamkeit zu einer ‚standesgemäßen’ Lebensführung.“114 Doch die Studien schaffen keine Verbindung zwischen der Person eines Professors und seinem Werk. So entsteht der Eindruck, als hätte die Stellensuche oder der Verlust der Professur keine Auswirkung auf die Arbeiten gehabt, als entstammten die Thesen zu einem Werk einzig der Welt des gelehrten Diskurses und als entstünden Veröffentlichungen in einem konfliktfreien Raum gegenseitiger gelehrter Wertschätzung. Allerdings hat die Universitäts- und Bildungsgeschichtsschreibung inzwischen einige Studien zum Personal der Hochschulen hervor gebracht und dabei Brücken zwischen Leben und Werk gebaut. Eine Schwierigkeit der Bildungsgeschichte besteht nun aber darin, dass die Unterteilung des Faches in die drei Teildisziplinen Verfassungs- und Institutionengeschichte, Wissenschaftsgeschichte und Personengeschichte der m. E. fundamentalen Verbindung zwischen Lebenswelt und Werk einen Riegel vorschiebt115. Doch diese Regel kennt bemerkenswerte Ausnahmen. Wolfgang Weber hat in seiner Dissertation die Vertreter der Ranke-Schule im 19. Jahrhundert untersucht und 112 Elisabeth Fehrenbach: Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress, München 2008, S. 61. 113 Ute Frevert: „Tatenarm und gedankenvoll“? Bürgertum in Deutschland 1780-1820, in: Helmut Berding, Etienne François, Hans-Peter Ullmann (Hg.): Deutschland und Frankreich im Zeitalter der Französischen Revolution, Frankfurt/Main 1989, S. 263292, hier: S. 268. 114 Frevert: Bürgertum, S. 269 f. 115 Zur Unterteilung der Universitätsgeschichte in Verfassungs- und Institutionengeschichte, Wissenschaftsgeschichte und Personengeschichte s. Notker Hammerstein: Jubiläumsschrift und Alltagsarbeit. Tendenzen bildungsgeschichtlicher Literatur, in: HZ 236 (1983), S. 601-633, hier: S. 630; s. auch Stefan Ehrenpreis: Frühneuzeitliche Universitätsgeschichte: Leistungen und Defizite der deutschen Forschung seit 1990, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 6 (2003), S. 262-266.
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konnte die geschickte Berufungspolitik der Anhänger Rankes als eine der wichtigsten Voraussetzungen für ihren Erfolg identifizieren.116 Klaus Ries hat das „politische Professorentum“ im Jena des frühen 19. Jahrhunderts analysiert und dabei auch Fälle geschildert, in denen politisches Handeln lebensweltliche Auswirkungen mit sich brachte.117 Als Beispiel führt Ries die Entlassung Fichtes in Folge des so genannten Atheismusstreits an.118 Zu nennen sei darüber hinaus die grundlegende Studie von Hans-Werner Prahl zur „Sozialgeschichte des Hochschulwesens“119. Zuletzt hat Marian Füssel auf Grundlage von Pierre Bourdieus praxeologischem Ansatz die Rangkonflikte der Professoren an einigen Universitäten des Reiches der Frühen Neuzeit Jahrhundert analysiert. Füssel hat dabei gezeigt, wie stark „der Kampf um den Platz in der Kirche, den Rang in einer Prozession oder in der Sitzordnung akademischer Festlichkeiten“ in der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur einen „wesentlichen Bestandteil der sozialen Existenz des Homo Hierarchicus“ bildete.120 Die „Distanz gegenüber den Gelehrten“121 hat sich in den vergangenen Jahren verringert. Doch auch wenn diese Arbeiten das geistige Werk in Beziehung zu den Lebensumständen setzen, bleibt diese Zusammenschau meist hinter anderen Fragestellungen verborgen. „Geist, Geld und Wissenschaft“122 erscheinen in der Forschung meist noch immer als hermetisch voneinander abgetrennte Bereiche. Dies gilt auch für die Studien, die Professoren dezidiert nicht in ihrem Dasein als Gelehrte, sondern als Personen mit lebensweltlichen Bedürfnissen betrachtet haben. Konrad Jarausch zum Beispiel hat die Sozialstruktur der Akademiker im Kaiserreich in den Blick genommen und auf die „Überfüllung
116 Wolfgang E. J. Weber: Priester der Klio: Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800-1970, Frankfurt/Main/Bern/New York 1984. 117 Klaus Ries: Wort und Tat. Das politische Professorentum an der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart 2007. 118 Ries: Wort, S. 139 ff. 119 Hans-Werner Prahl: Sozialgeschichte des Hochschulwesens, München 1978; s. auch Ders., Ingrid Schmidt-Harzbach: Die Universität. Eine Kultur- und Sozialgeschichte, München/Luzern 1981. 120 Marian Füssel: Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006, hier: S. 2; s. auch Ders.: Akademische Lebenswelten, S. 35-51. 121 Alf Lüdtke, Reiner Prass: Einleitung: Gelehrtenleben. Wissenschaftspraxis in der Neuzeit, in: Dies (Hg.): Gelehrtenleben. Wissenschaftspraxis in der Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 1-29, hier: S. 3. 122 So der Titel eines Sammelbandes über die ‚Lebenswelt’ der Literaturwissenschaft als Forschungsgegenstand. Die Forschungen beziehen sich allerdings auf die Zeit nach 1990, s. Peter J. Brenner (Hg.): Geist, Geld und Wissenschaft, Frankfurt am Main 1993.
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der akademischen Berufskarrieren“ im Kaiserreich hingewiesen.123 Ulrich Rasche hat die „universitätsinternen Berechtigungssysteme und herrschaftlichen Finanzierungsstrategien“ vom 16. bis ins 19. Jahrhundert beleuchtet.124 Rainer C. Schwinges hat in mehreren Arbeiten die akademische Laufbahn in den Blick genommen und dabei über Einkommen, Graduierungen und Prüfungen der Universitätslehrer gearbeitet.125 Rainer A. Müller hat die Strukturen des Promotionswesens im Alten Reich beleuchtet.126 Katja Deinhart hat in ihrer Arbeit über Jena auch die lebensweltlichen Schwierigkeiten der Professorenschaft thematisiert.127 Mit den Künstlern verhält es sich in der Forschung ähnlich wie mit den Professoren. Werk und Person werden in aller Regel getrennt betrachtet. Kompositionen, Gemälde und Dramen scheinen sich nicht an Relevanzen wie dem Wunsch nach einem ausreichenden Einkommen oder ausreichenden Aufträgen orientiert haben zu müssen, sondern konnten abseits von alltäglichen Bedürfnissen entstehen. Das Kunstschaffen erscheint als eigene, von den lebensweltlichen Bindungen abgetrennter Wirkbereich. Dies lässt sich zum Beispiel in den Arbeiten über die Literaten nachvollziehen, die ab 1812 die „Lyrik der Befreiungskriege“128 geschrieben haben. In den Deutungsversuchen dieser Kriegsgedichte spielt die soziale Lage der Schriftsteller oft keine Rolle. Hans-Ulrich Wehler hat die Entstehung der Gedichte von Ernst Moritz Arndt, Friedrich Rückert, Theodor Körner und Friedrich de la Motte-Foquet als „Reaktion auf Modernisierungskrisen, Revolution
123 Konrad Jarausch: Universität und Hochschule, in: Christa Berg (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 4: 1870-1918, München 1991, S. 313-341, hier: S. 315 f; s. zum Arbeitsmarkt von Professoren auch Gangolf Hübinger: Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit. Eine Intellektuellengeschichte, Göttingen 2006, S. 233 ff. 124 Ulrich Rasche: Die deutschen Universitäten zwischen Beharrung und Reform. Über universitätsinterne Berechtigungssysteme und herrschaftliche Finanzierungsstrategien des 16. bis 19. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte, 2007, S. 13-33. 125 Rainer C. Schwinges: Studenten und Gelehrte. Students and Scholars. Studien zur Sozial- und Kulturgeschichte deutscher Universitäten im Mittelalter. A social and cultural history of German medieval universities, Leiden 2008; Ders. (Hg.): Examen, Titel, Promotionen, Basel 2007; Ders.: Finanzierung von Universität und Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart, Basel 2005. 126 Rainer A. Müller: Von der „Juristendominanz“ zur „Medizinerschwämme“. Zum Promotionswesen an deutschen Universitäten der Frühmoderne, in: Christian Hesse u.a. (Hg.): Personen der Geschichte – Geschichte der Personen. Studien zur Kreuzzugs-, Sozial- und Bildungsgeschichte. Festschrift für Rainer C. Schwinges, Basel 2003, S. 317-345. 127 Katja Deinhardt: Stapelstadt des Wissens. Jena als Universitätsstadt zwischen 1770 und 1830, Köln 2007. 128 Ernst Weber: Lyrik der Befreiungskriege (1812-1815). Gesellschaftspolitische Willensbildung durch Literatur, Stuttgart 1991.
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und Fremdherrschaft“129 gedeutet, an anderer Stelle als „Reaktion auf die grundstürzenden Erschütterungen dieses Zeitalters“130, verliert aber kein Wort über die Lebensumstände der Künstler. Die Autoren antinapoleonischer und nationalistischer Literatur und andere Gebildete131 seien von einem „ausgeprägten Sendungsbewusstsein und säkularisiertem Auserwähltheitsglauben, wie er für viele Nationalismen typisch war und ist“132, beseelt und in der „Suche nach einer neuen kollektiven Identität“133 vereint gewesen. Wie und ob sich die ideologisch aufgeladenen Texte in ihre berufliche Laufbahn einpassten, erfährt der Leser nicht. Diese Dimension fehlt auch bei Thomas Nipperdey. Hier heißt es, die Literaten, allen voran Ernst Moritz Arndt, hätten „diesen Geist popularisiert“ und „den Kampf als gesamtdeutschen, als nationalen Kampf propagiert.“134 Ernst Weber vernachlässigt in seinem grundlegenden Werk über diese Strömung der deutschen Literatur ebenfalls die schwierige Situation der Künstler in der Umbruchsphase der Napoleonischen Zeit. Zu den „sozial- und geistesgeschichtlichen Voraussetzungen“ der Entstehung zählt die Untersuchung ausschließlich Phänomene, die außerhalb der Lebenswelten der beteiligten Künstler liegen.135 Und Gert Ueding sieht in der
129 Wehler: Gesellschaftsgeschichte 1, S. 506. 130 Ebda. 131 Wehler zählt zur ersten Trägerschicht des Nationalismus „Bildungsbürger, denen der Umgang mit Geschichte, Kultur und Sprache vertraut war, Vertreter also der akademischen Intelligenz der Gelehrten, höheren Beamten und Theologen, Schriftsteller und Journalisten, dazu einige Politiker und Militärs“. An anderer Stelle fügt er Professoren und Studenten hinzu, s. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1, S. 512. 132 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1, S. 509. 133 Ebda. 134 Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866: Bürgerwelt und starker Staat, München 1994, S. 84. 135 Als Voraussetzungen nennt Weber „Die Patriotismus-Diskussion im 18. Jahrhundert“, weitere ideengeschichtliche Strömungen wie die Rede vom „Einzelnen und dem Staat“, das „Verständnis von öffentlicher Meinung zu Beginn des 19. Jahrhunderts“, „Pläne zu öffentlichen Meinungs- und Willensbildung unter den preußische Reformern“, eine Tradition der „Lyrik als Instrument der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung“ sowie „Napoleons Presse- und Informationspolitik“, s. Weber: Lyrik der Befreiungskriege, S. 56 ff. Zwar nennt er auch „soziale Verhaltensmuster“, doch diese versteht Weber ebenfalls ideen- bzw. geistesgeschichtlich: „Unter den Bedingungen der obrigkeitlich reglementierten Öffentlichkeit versucht die geistige Elite im Nachdenken über den geographisch-politisch-kulturellen Handlungs- und Bezugsraum eine politische Identität zu gewinnen und, geleitet von dem Begriff ‚patriotisch’, Wertnormen, Verhaltensmuster und Handlungsmaximen staatspolitischen Verhaltens zu gewinnen. Eben diese werden in den Befreiungskriegen die politisch-ethische Grundlage des Meinungs- und Willenbildungsprozesses mittels Lyrik abgeben. Was man im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts an Leitlinien sozialen Verhaltens entwirft, wird dann durch Lieder und Gedichte über die Grenzen der Gelehrtenrepublik hinausgetragen
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Befreiungskriegslyrik eine Antwort auf die Niederlage von Jena und Auerstedt. Er versteht die kriegstrunkenen Verse als „Behelf der sozialen Mittelschichten und der bürgerlichen Intelligenz, in einer nationalistischen Ideologie das kompensatorische Heil für die politischen Kränkungen und Katastrophen zu suchen.“136 Die ideengeschichtlichen Motive, welche die genannten Autoren anführen, sollen nicht in Abrede gestellt werden. Doch sie scheinen ergänzungsbedürftig. Was bereits für die Professoren festgestellt werden konnte, galt auch für die Künstler: Ihre Laufbahn wurde von den andauernden Herrschaftswechseln massiv beeinträchtigt. Und auf diese Krisensituation reagierten die Künstler – auch in ihren Kunstwerken. Die Forschung über die Staatsdiener hat in jüngster Zeit einigen Auftrieb bekommen. Wolfgang Burgdorf hat in seiner Arbeit über den „Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806“ den „Zäsurcharakter des Reichsendes“ betont.137 Damit hat er sich gegen eine ganze Reihe von Arbeiten gestellt, die den geringen Widerhall der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation beschrieben haben.138 Burgdorf hat seine These von der großen Bedeutung des Reichsendes auf Staatsdiener gestützt, sie allerdings auch auf andere Bevölkerungsteile ausgeweitet. Dieser Schritt hat nicht nur die Debatte über die Wahrnehmung von 1806 neu entfacht139, sondern die Forschung auch dahin geführt, Selbstbilder und Erfahrungsmuster in der Gruppe der Staatsdiener neu zu diskutieren. Ein Kapitel, das sich wegen der Quellenlage ausschließlich mit zwei von ihnen beschäftigen kann, ist der falsche Ort, um Burgdorfs These zu widerlegen oder zu bestätigen. Doch es kann zumindest überprüfen, ob und, wenn ja, inwiefern es tatsächlich politische Ereignisse waren, welche die beiden unter-
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und anderen gesellschaftlichen Schichten zugänglich gemacht.“, s. Weber: Lyrik der Befreiungskriege, S. 63. Gert Ueding: Klassik und Romantik. Deutsche Literatur im Zeitalter der Französischen Revolution 1789-1815, München 1987, S. 760. Burgdorf: Weltbild; in dieselbe Richtung argumentiert Bettina Braun: Das Reich blieb nicht stumm und kalt. Der Untergang des Alten Reiches in der Sicht der Zeitgenossen, in: Christine Roll, Matthias Schnettger (Hg.): Epochenjahr 1806? Das Ende des Alten Reiches in zeitgenössischen Perspektiven und Deutungen, Mainz 2008, S. 7-30; s. auch Christine Roll: Das Ende des Alten Reichs in zeitgenössischen Perspektiven und Sichtweisen. Erträge und neue Fragen, in: Dies: Epochenjahr, S. 139-148. Einen Überblick bietet Burgdorf: Weltbild, S. 154 ff; s. die Gegenposition zu Burgdorf, mit weiterer Literatur, auch bei Hans-Christof Kraus: Das Ende des alten Deutschland. Krise und Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806, Berlin 2006, S. 77 ff. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen Burgdorfs und seinen Kritikern bietet etwa der jüngst erschienen Sammelband Christine Roll, Matthias Schnettger (Hg.): Epochenjahr 1806? Das Ende des Alten Reiches in zeitgenössischen Perspektiven und Deutungen, Mainz 2008.
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suchten Personen am stärksten beschäftigten. Denn 1806 als politische Zäsur zu reflektieren ist etwas anderes als 1806 als Bruch der eigenen Zukunftspläne und Karriereplanung zu betrachten. Die kurbayerischen Staatsdiener, die im Auftrag der Regierung Besitz von Stadt und Hochstift ergriffen und erste Reformen einleiteten, sind in der Forschung zu geistlichen Residenzstädten oft als Schergen der Klosterplünderungen und als Gewährsleute einer zerstörerischen Kultur- und Religionspolitik wahrgenommen worden.140 Die Staatsdiener selbst fanden dabei zwar selten Beachtung, sie gerieten aber in den Sog der Kritik an dem, was sie politisch zu verantworten hatten: die Säkularisation, den Verlust der Eigenstaatlichkeit, die Bürokratisierung des Staatsapparats. Wolfgang Weiß etwa hat in den hohen bayerischen Staatsdienern Personen am Werk gesehen, die „begannen, in Würzburg so ziemlich auf jedem Gebiet die alte Ordnung umzukrempeln.“141 Wie die hohen Regierungsbeamten in der Provinz die Säkularisation erlebten und welchen Stellenwert die Klosteraufhebungen, Auflösungen der Stifte und Entmachtung der geistlichen Regierungsorgane in ihrem Arbeitsalltag einnahmen, wird in der Forschung deutlich seltener verhandelt. Für Würzburg hat Weiß die Säkularisation sehr genau rekonstruiert und dabei eine Fülle bislang nicht beachteter Quellen eingearbeitet. Seine Arbeit wendet sich jedoch nur am Rande den höchsten Staatsbeamten und ihren Relevanzen zu, Weiß konzentriert sich stärker auf die Staatsdiener des ehemaligen Hochstifts. Zu behaupten, das folgende Kapitel würde diese Lücke schließen, wäre unangebracht. Denn die Quellen geben nur kurze Ausschnitte aus dem Untersuchungszeitraum wider. Doch sie können auch hier die Forschungsfragen und ihre Prämissen zu überdenken helfen. Auch das kleine und mittlere Bürgertum der Zeit ist von der Mentalitätsgeschichte oft im Zusammenhang mit der Säkularisation erforscht worden. Komplementär zu den Staatsdienern als Tätern nimmt es dabei regelmäßig die Opferrolle ein. Bei dieser Gruppe stellt sich das Quellenproblem als besonders gravierend dar. Selbstzeugnisse sind Mangelware. Über vage Einschätzungen mag man deshalb auch bei der Frage, wie die Stadtbevölkerung auf die Säkularisation reagierte, nicht recht hinauskommen.142 140 Böhm: Säkularisation, S. 848 ff; Wolfgang Brückner: Konfessionsfrömmigkeit zwischen Trienter Konzil und kirchlicher Aufklärung, in: Kolb, Krenig: Unterfränkische Geschichte, Bd. 3, S. 161-225, hier: S. 210; Brandt: Würzburg, S. 488; Altgeld: Einführung, S. 18. 141 Weiß: Übergang, S. 216. 142 Walter Pötzl schreibt, in den Städten lassen sich Reaktionen nur schwer und nur selten fassen. In der Literatur finden sich nur selten Hinweise, was z. T. auch in der Quellenlage begründet liegt.“ Weiter heißt es, „man gewinnt den Eindruck, dass im Allgemeinen die herrschaftlichen Veränderungen hingenommen wurden, hatten doch die Französische Revolution und Koalitionskriege mehr und minder das Ende einer Epoche signalisiert“. Am Ende eines Aufsatzes, der sich ganz auf Proteste konzentriert, kommt
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Nach dem Abflauen der Bürgertums-Forschung in den 1990er Jahren hat sich auch die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Städte, ihrer Korporationen und damit dem handwerklichen Bürgertum neu angenommen. In jüngster Zeit diskutiert die Forschung etwa die Frage, ob das Ende der Zünfte und Innungen am Übergang zum 19. Jahrhundert tatsächlich den Endpunkt einer langen Geschichte des Niedergangs markierte oder ob die Korporationen nicht viel flexibler und integrativer handelten als lange angenommen.143 Einige Studien haben berechtigte Zweifel am Bild von der Korporation als „Faktor der Immobilität“144 angemeldet. Inzwischen sind auch die obrigkeitlichen Eingriffe in das städtische Wirtschaftsleben nach 1803 relativiert worden. Die er zum Schluss: „Die Frage, wie die Bevölkerung auf den Kern der Säkularisation, die Aufhebung der Klöster, reagierte, lässt sich, von den erheblichen Widerständen gegen Verbote volksfrommer Bräuche und Praktiken abgesehen, abschließend noch nicht generell beurteilen.“ Walter Pötzl: Reaktionen der Bevölkerung, in: Rainer Braun (Hg.): Bayern ohne Klöster?: die Säkularisation 1802/03 und die Folgen; eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, München: 2003, S. 431-445, hier: S. 431; 443. Ähnlich Wolfgang Weiß, der meint, angesichts der Quellenlage ließen sich die Reaktionen „kaum richtig beurteilen“, Wolfgang Weiß: Die Säkularisation des Hochstifts Würzburg und ihre Folgen für das kirchliche Selbstverständnis, in: WDGB, 1996, S. 201-218, hier: S. 211. Laetitia Böhm dagegen geht von starken Widerständen in den süddeutschen Bischofsstädten aus. „Während der Säkularisationsdurchführung, die vielfach Formen der Kirchenplünderung annahm, auf Empörung und Resignation stieß, scheinen Mediatisierung und Regierungswechsel in der Mehrzahl von geistlichen Residenzstädten die Bevölkerung fast ebenso wenig stärker erregt zu haben wie in den Reichstädten, wie ja überhaupt gegen die Auflösung der geistlichen Fürstentümer weder von Seiten der Betroffenen noch von Seiten des Volkes nennenswerter Widerstand laut wurde.“ Böhm: Säkularisation, S. 848. Barbara Goy beklagt ebenfalls die schlechte Quellenlage, geht aber von einer stillen Missbilligung aus, die sich auf die Reformen religiösen Lebens vor 1802/1803 bezogen habe, Barbara Goy: Aufklärung und Volksfrömmigkeit, in: QFGBHSW 21 (1969), S. 15-54, hier: S. 53. Erhellend sind die Ausführungen zur Rezeptionsgeschichte bei Winfried Müller: Die Säkularisation und ihre Folgen, in: Braun: Klöster, S. 239-250; Vgl. auch Winfried Müller: Die Säkularisation von 1803 als Zäsur, in: Bayerische Staatsbibliothek (Hg.): Bibliotheksforum Bayern, München: 2004, S. 3-14. 143 „Sollen die Zünfte als Institutionen“, fragt Heinz-Gerhard Haupt, „derartig lange die europäische Stadtwirtschaft geprägt haben, ohne dass in ihnen Veränderungen möglich waren, ohne dass sie sich in die veränderten ökonomischen und sozialen Bedingungen der Stadt einbrachten und ohne dass sie positive Funktionen für die Wirtschaft, Gesellschaft und Selbstverwaltung der Stadt oder der territorialstaatlichen Ordnung wahrnahmen?“, s. Heinz-Gerhard Haupt: Neue Wege zur Geschichte der Zünfte in Europa, in: Ders. (Hg.): Das Ende der Zünfte. Ein europäischer Vergleich, Göttingen 2002, S. 9-38, hier: S. 9; Philippe Minard betont im selben Band, „die erstaunliche Formbarkeit der Organisationsform ‚Zunft’ widersteht allen schnellen Zuordnungen“, s. Philippe Minard: Die Zünfte in Frankreich am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Haupt: Ende, S. 181-195, hier: S. 184. 144 Haupt: Neue Wege, S. 9.
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Forschung ist sich heute weitgehend einig, dass die Gewerbepolitik der Rheinbundstaaten keine neue Entwicklung in Gang setzte, sondern die Eindämmung der Zünfte145 im Alten Reich fortsetzte.146 Im einleitenden stadtgeschichtlichen Kapitel ist dies auf Grundlage neuerer Untersuchungen bestätigt worden. Bei aller Kontinuität der Handwerksreformen im 18. Jahrhundert hat man dennoch konstatiert, dass sich nach 1803 die Dichte und Geschwindigkeit der Maßnahmen änderte. Winfried Reininghaus hat daher die Gewerbereformen in Westfalen als „radikalen Schritt“147 bezeichnet. Wie die betroffenen Bevölkerungsgruppen in Würzburg, einer anderen Stadt Bayerns oder Süddeutschlands diese Maßnahmen wahrnahmen und auf sie reagierten, ist bislang nur am Rande thematisiert worden.148 Werner K. Blessing hat den Versuch unternommen, die „innere Staatsbildung“ Bayerns nach dem Reichsdeputationshauptschluss zu beschreiben und dabei als einer der wenigen den Zusammenhang zwischen Berufsgruppe und Betroffenheit von den Umbrüchen thematisiert. Blessing konstatierte, die „einfachen Leute“ hätten sich in ihren Verhaltensweisen dem Adel angeschlossen: „Ihnen wie allen Gruppen, die ihre gewohnten Lebensumstände erhalten wollten, erschien die neue Herrschaft änderungswütig, bedrängend, nicht allein in Alltagsformen, sondern für Hauptinteressen und wichtige Werte, ja für das tradierte Weltbild bedrohlich.“ Das Kleinbürgertum habe eine „fatalistische Haltung“ gezeigt, „mit der steten unterschwelligen Bereitschaft, wo immer möglich vor den neuen Geboten und Ansprüchen auszuweichen. Es gab auch sichtlich hinhaltende Renitenz, ja vereinzelt offenen Widerstand. Ob man sich in den unteren Schichten so oder so verhielt, man lehnte sich dabei nicht selten an die
145 Als eine der wichtigsten Voraussetzungen für obrigkeitliche Maßnahmen wird häufig die Reichshandwerksordnung von 1731 genannt, s. grundlegend Helmut Neuhaus: Das Reich in der Frühen Neuzeit, München 2003, S. 76. 146 So die Position bei Reinhold Reith: Zünfte im Süden des Alten Reiches, in: Haupt: Ende, S. 39-70; Ähnlich, aber mit stärkeren Abstufungen je nach Stadttyp, argumentiert im selben Band Wilfried Reininghaus: Zünfte und Zunftpolitik in Westfalen und im Rheinland am Ende des Alten Reiches, in: Haupt: Ende, S. 71-86. 147 Reininghaus: Zunftpolitik, S. 83. 148 Für andere Regionen liegen dagegen deutlich mehr Studien vor, s. etwa Hans-Georg Molitor: Vom Untertan zum Administré: Studien zur französischen Herrschaft und zum Verhalten der Bevölkerung im Rhein-Mosel-Raum von den Revolutionskriegen bis zum Ende der napoleonischen Zeit, Wiesbaden 1980; T.C.W. Blanning: The French Revolution in Germany. Occupation and Resistance in the Rhineland 17921802, Oxford 1983; Bernd von Münchow-Pohl: Zwischen Reform und Krieg. Untersuchungen zur Bewusstseinslage in Preußen 1809-1812, Göttingen 1987; Winfried Speitkamp: Sozialer und politischer Protest im napoleonischen Deutschland, in: Walter Heinemayer (Hg.): 100 Jahre Historische Kommission für Hessen, Marburg 1997, S. 713-730.
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demonstrative Distanz an, die ein Teil des Adels zu Bayern hielt.“149 Allerdings führte Blessing die These von der Anlehnung des Kleinbürgertums an den Adel nicht weiter aus und nannte auch keine Formen, in denen die Annäherungsversuche sich vollzogen hätten. Dies mag auch daran liegen, dass Blessing weniger die konkrete, lebensweltliche Dimension interessiert. Stattdessen geht es ihm um das Verhältnis zwischen den verschiedenen Bevölkerungsteilen und dem sich modernisierenden Staat: „Am gravierendsten wirkte der um 1800 tiefe Gegensatz zwischen fortschrittsgewissem Veränderungswillen und der Autorität vor Traditionen, ganz gleich ob sich diese noch aus dem Herkommen speiste oder bereits auf einem 'romantischen' Rückgriff beruhte.“150 Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Forschung zum kleinen und mittleren Bürgertum eher auf die Entstehung, den Verlauf und die Folgen der Veränderungen um 1800 sieht als auf die Akteure selbst. Vielleicht liegt es also an der differenzierten Betrachtung der „administrativen Integration“151 des frühmodernen Staatswesens, dass die Betroffenen in der Forschung in den Hintergrund gerieten. Doch dies ist nur eine Vermutung. Große Ausnahmen stellen daher die Studien von Reinhold Reith und Andreas Grießinger dar. Reith hat die Veränderungen des Augsburger Handwerks während der Koalitionskriege untersucht und dabei die starken Konjunkturschwankungen der Zeit nach Berufen differenziert herausgearbeitet.152 Reith ist zu dem Ergebnis gekommen, dass einige der untersuchten Handwerkergruppen wie die der Luxusgüterproduktion tiefe Einbrüche, andere wie die Vertreter der Lebensmittel-Gewerke aber Nachfragesteigerungen erlebten. Andreas Grießinger hat Gesellenproteste in Süddeutschland untersucht. Die Streikbewegungen, so könnte man eines der Hauptergebnisse für die letzten Jahre des Alten Reiches zusammenfassen, waren häufiger Teil von Konflikten innerhalb der Zunft als das sie sich gegen obrigkeitliche Eingriffe gewandt hätten.153 Allerdings kon149 Werner K. Blessing: Herrschaftswechsel im Umbruch – Zur inneren Staatsbildung Bayerns im 19. Jahrhundert, in: Helga Schnabel-Schüle, Andreas Gestrich (Hg.): Fremde Herrscher – fremdes Volk. Inklusions- und Exklusionsfiguren bei Herrschaftswechseln in Europa, Frankfurt/Main u.a. 2006, S. 169-187; hier: S. 182. 150 Blessing: Herrschaftswechsel, S. 180; ein älterer Aufsatz ging noch eher von Desorientierung und Verstörung der unteren Bevölkerungsschichten aus, s. Ders.: Umbruchkrise und „Verstörung“. Die „Napoleonische“ Erschütterung und ihre sozialpsychologische Bedeutung. (Bayern als Beispiel), in: ZBLG 42 (1979), S. 75-106. 151 Walter Demel: Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus, München 1993, S. 41. 152 Reinhold Reith: Arbeits- und Lebensweise im städtischen Handwerk. Zur Sozialgeschichte Augsburger Handwerksgesellen im 18. Jahrhundert (1700-1806), Göttingen 1988. 153 „Entsprechend der sich verhärtenden Konfliktlinie zwischen Meistern und Gesellen im Produktionsbereich treten auch die Konflikte zwischen Gesellenschaften und Obrig-
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zentriert sich die Arbeit von Grießinger auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Perspektiven der Bevölkerungsschichten unterhalb der gebildeten Oberschicht sind nach wie vor für diese Zeit wenig bekannt. Eine Ausnahme bildet der Forschungskomplex, der nach dem Verhältnis zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung und dem Krieg fragt. Die vorliegende Arbeit kann sich hierbei auf die Ergebnisse einiger erhellender Studien stützen. Horst Carl etwa untersuchte mehrere Bereiche des Zusammenlebens zwischen französischen Besatzern und nordwestdeutscher Zivilbevölkerung, nämlich „Plünderungen und Kontributionen“, „Zwangsmaßnahmen“ und „Repressalien“.154 Daniel Hohrath analysierte Festungsstädte unter „fremder“ Herrschaft und widmete sich dabei, ähnlich wie Horst Carl, der Schanzarbeit, der Zerstörung von Privateigentum und der Nahrungsmittelknappheit.155 Markus Meumann hat Protestformen der Bevölkerung bei Besetzungen untersucht.156 Den größten Nutzen hat die bereits erwähnte Habili-
keit in der Phase [ab 1791] deutlich in den Hintergrund.“, s. Andreas Grießinger: Das symbolische Kapital der Ehre. Streikbewegungen und kollektives Bewußtsein deutscher Handwerksgesellen im 18. Jahrhundert, Frankfurt/Main/Berlin/Wien 1981, S. 357. 154 Der so genannte ‚Kleine Krieg’ [die Ausbeutung des Landes durch Freiwilligenverbände], spielt in den Koalitionskriegen am Ende des 18. Jahrhunderts in Süddeutschland keine große Rolle. 155 Daniel Hohrath geht für Festungsstädte von einem sehr hohen Belastungsniveau aus. „Die Belagerung“, so Hohrath, „war der historische Vorgang, in dem die Stadt in ihrer baulichen Substanz und mit ihrer Bevölkerung dem Militärsystem der Epoche am unmittelbarsten und gewaltsamsten ausgeliefert wurde. Die Festungsstadt musste nicht wie andere Städte nur die verschiedensten materiellen Kriegslasten tragen. Die Festungsstadt wurde mit ihrer militärischen Besatzung und mit ihren Bewohnern selbst zum Mittelpunkt von Kampfhandlungen.“ Daniel Hohrath: Der Bürger im Krieg der Fürsten. Stadtbewohner und Soldaten in belagerten Städten um die Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Bernhard P. Kroener, Ralf Pröve (Hg.): Krieg und Frieden: Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Paderborn u.a. 1996, S. 305-329, hier: S. 310 f. Eine nach Akteuren differenzierte Sicht fordert dagegen Horst Carl: Militärische Okkupation im 18. Jahrhundert – Anmerkungen zu einer spezifischen Situation, in: Markus Meumann, Jörg Rogge (Hg.): Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, S. 351-362. 156 Markus Meumann: Einspruch und Widerstand bei militärischer Besetzung im 17. Jahrhundert. Komparatistische Überlegungen zur Kategorisierung einer Interessenbehauptung zwischen Recht und Gewalt, in: Cecilia Nubola, Andreas Würgler (Hg.): Operare la Resistenza: suppliche, gravamina e rivolte in Europa: (sec. XV-XIX). Praktiken des Widerstandes: Suppliken, Gravamina und Revolten in Europa (15.-19. Jahrhundert), Bologna/Berlin 2006, S. 131-175; zum Themenkomplex Militär und Zivilbevölkerung s. auch Christian Jansen, Einleitung: Die Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft im langen 19. Jahrhundert, in: Ders. (Hg): Der Bürger als Soldat: die Mi-
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tationsschrift von Ute Planert diesem Kapitel erwiesen.157 Planert gelingt es, Wahrnehmung, Deutungen und die Beeinträchtigungen der Landbevölkerung in einer Detailliertheit zu untersuchen, die ihresgleichen sucht. Sie belegt, dass sich in Bayern, Baden und Württemberg keinesfalls wie in manchen Städten Preußens ein flächendeckender Nationalismus ausbildete, der sich an der Feindschaft gegenüber Frankreich näherte. Die Bevölkerung des Südwestens verband dagegen die „Hoffnung auf ein Ende der fortwährenden Belastungen“158. Damit widerspricht sie überzeugend der Gleichstellung Preußens mit dem übrigen Reichsgebiet. Preußen, so Planert im Resümee, „war jedoch nicht Deutschland, und von einer auch nur annähernd gemeinsamen Geschichte der deutschsprachigen Territorien kann in den Jahren um 1800 nicht die Rede sein.“159 Sie belegt dies unter anderem mit dem Verhalten der Bevölkerung bei den Einberufungen zum Militärdienst: „Begeisterte Anhänger fand die neue Dienstpflicht jedoch nur in wenigen Fällen.“160 Zusammenfassend beschreibt sie die Napoleonische Zeit als eine Leidenszeit für die Bevölkerung, als eine Phase von „Krise, Krieg und Katastrophe“, welche „den bisherigen Erfahrungshorizont der Menschen sprengten“ und in der „das Geschehen alle Vorstellungen übertraf“161. Das lässt sich für Würzburg in dieser Generalität nicht bestätigen. Die Arbeit wird zwar auf der einen Seite von schwer beeinträchtigten Gruppen wie den Konskribierten sprechen und Planerts These an dieser Stelle bestätigen. Doch die Belastung der städtischen Handwerker während der Kriegszeiten stellte sich in Würzburg weit weniger prekär dar, als von Planert für die südwestdeutschen Flächenstaaten beschrieben. Stadt und Land verfügten über ein gut ausgebautes Entschädigungssystem, von dem alle Einwohner profitierten, die Leistungen für die französische Armee erbracht hatten. Das Kapitel über die Reiseschriftsteller nimmt eine Sonderrolle ein. Denn die Untersuchung von Reisebriefen widerspricht dem Ansatz dieser Arbeit, mit dem Begriff der Relevanz als Leitkategorie Lebenswelten in Würzburg zu untersuchen. Reisebriefe stellen eine literarische Gattung dar. Man lernt also
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litarisierung europäischer Gesellschaften im langen 19. Jahrhundert. Ein internationaler Vergleich, Essen 2004, S. 9-26. Planert: Mythos; s. Dies. (Hg.): Krieg und Umbruch in Mitteleuropa um 1800: Erfahrungsgeschichte(n) auf dem Weg in eine neue Zeit, Paderborn 2009. Planert: Mythos, S. 657. Planert: Mythos, S. 656. Zur starken Wirkung der preußischen Militärreformen nach 1806 s. Karen Hagemann, „Mannlicher Muth und teutsche Ehre“. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn u.a. 2002, S. 186 f. Planert: Mythos, S. 652. Planert: Mythos, S. 650.
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nicht den Autor als Person, sondern nur das Erzähler-Ich kennen.162 Eine fiktionale Figur wie der Erzähler kann nicht in einer Lebenswelt zuhause sein. Reisebriefe sind laut Michael Maurer „Artefakte, deren Verhältnis zur Wirklichkeit des Reisens jeweils eigener Prüfung bedarf. Ihre mögliche Determiniertheit durch poetologische Muster muss immerhin in Erwägung gezogen werden.“163 Andererseits aber würde es dem Ziel der Arbeit widersprechen, die Reisebriefe zu ignorieren. Denn erstens unterliegen auch die anderen hier untersuchten Selbstzeugnisse starken Formalisierungen. Andererseits sind die Reisebriefe in der Lage, durch die Art der Darstellung und durch die Auswahl der Beschreibungsobjekte Relevanzen ihrer Autoren abzubilden. Form und Inhalt der Briefe mussten dazu geeignet sein, den Autor zu stützen und ihm zur Reputation als Schriftsteller sowie, auch hier spielen direkte lebensweltliche Bedürfnisse eine große Rolle, zu einem ansehnlichen Honorar zu verhelfen. Die Arbeit kann sich bei der Beantwortung der Frage, inwiefern Reiseliteratur als historische Quelle von Nutzen sein kann, auf eine breite Forschung stützen, die sich in zwei Hauptstränge teilen lässt. Der eine Teil der Reiseforschung erforscht anhand der Reiseliteratur das Reisen als soziale Praxis und als Kulturtransfer.164 Die Arbeiten aus diesem Forschungsbereich sind hier 162 Unter literarischen Texten verstehen Jochen Schulte-Sasse und Renate Werner solche, „die einen Stoff beziehungsweise Erzählgegenstand in einen besonders strukturierten Geschehens- und Handlungszusammenhang ‚übersetzen’ und dabei von einer speziellen Kommunikationssituation ausgehen: der nämlich, in der ein Autor seinen Lesern oder Hörern mittels eines bestimmten Erzählverfahrens ein Geschehen als ein symbolisch transformiertes Bedeutungsganzes zu erkennen gibt. Dieses Erzählverfahren ist u.a. dadurch ausgezeichnet, dass der Autor als Erzähler ein Erzählmedium schafft, das im Werk selbst die Funktion des Erzählens übernimmt: im einfachsten Falle kommt die Erzählfunktion einem im Text als Personenrolle zu erkennenden ‚Erzähler’ zu“; s. Jochen Schulte-Sasse, Renate Werner: Einführung in die Literaturwissenschaft, München 2001, S. 137. 163 Michael Maurer: Reiseberichte, in: Ders. (Hg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 4: Quellen, Stuttgart 2002, S. 325-348, hier: S. 328. 164 S. zum Beispiel Maurer: Reiseberichte; Rainer Babel, Werner Paravicini (Hg.): Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, Ostfildern 2005; Steffen Schulz: Kavalierstouren im Raum Sachsen-Anhalt: zur Bildung und Ausbildung junger Adliger auf und durch Reisen (1717-1768), in: Eva Labouvie (Hg.): Adel in Sachsen-Anhalt: höfische Kultur zwischen Repräsentation, Unternehmertum und Familie, Köln 2007, S. 123-154; Albrecht Burkardt (Hg.): Commerce, voyage et expérience religieuse: XVIe - XVIIIe siècles, Rennes 2007; Antoni Maczak: Travel in early modern Europe, Cambridge 1995; Hermann Bausinger, Klaus Beyrer, Gottfried Korff (Hg): Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus, München 1991; Thomas Grosser: Reisen und soziale Eliten. Kavalierstour – Patrizierreise – bürgerliche Bildungsreise, in: Michael Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung, Berlin 1999, S. 135-176; Joachim Rees, Winfried Siebers: Erfahrungsraum Europa. Reisen politischer Funktionsträger des Alten Reichs 1750-1800, Berlin 2005.
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zum Teil eingearbeitet worden. Als bedeutender für dieses Kapitel erwiesen sich jedoch die Untersuchungen des zweiten Strangs. Dieser nutzt die Reiseaufzeichnungen, um etwas über die Wahrnehmung der Akteure, die Modi der Fremdheitserfahrung und die Deutungen der Heimat zu erfahren.165 Der akteurszentrierte Blick auf die Reisebriefe bringt es mit sich, dass der zweite Teilbereich im Folgenden deutlich stärker zum Tragen kommt als der erste. Denn hier sollen Relevanzen analysiert werden, was im Fall der Reisebriefe bedeutet: Relevanzen des Erzählers. Es gibt nicht allzu viele Historiker, die sich mit den „Reisen über die Epochenschwelle“166 auseinandergesetzt haben. Bernhard Struck ist einer von ihnen. Struck ist es auch, der in mehreren Publikationen die beiden Stränge der Reiseforschung miteinander verbunden hat, indem er sowohl „Akteure und Praxis“ als auch „Räume des Reisens“ sowie, drittens, Wahrnehmungsmuster untersucht hat. So konnten „die Wahrnehmungen von Reisenden und die Interpretation von Reisebeschreibungen im Rückbezug auf die Analyse der Trägerschichten und als Spurensuche nach einem Ideal von bürgerlicher Gesellschaft und Identität interpretiert werden.“167 Struck hat auch herausgearbeitet, dass die deutschen Polen-Reisenden zur Zeit der Regierung Poniatkowski und danach das deutsche Publikum in ihren Reiseberichten „über die Reformen in Polen unterrichtete und diese vehement befürwortete.“168 Die ständigen Reformen in Würzburg finden dagegen in der hier behandelten Reiseliteratur kaum Niederschlag. Strucks Arbeiten bilden für dieses Kapitel einen wichtigen Vergleich. Wie die Dissertation Strucks setzen sich die meisten Studien über deutsche Reiseliteratur um 1800 allerdings nicht mit Reisen im Heiligen Römischen Reich und den Rheinbundstaaten auseinander. Die große Mehrzahl der Studi165 Arnd Bauerkämper, Hans Erich Bödeker und Bernhard Struck zählen auch die „literarische Verarbeitung der Reise in den verschiedenen literarischen Genres“ zur „Konzeptualisierung von Reisen als einer kulturellen Praxis“ bzw. zum Reisen als „soziale Praxis“, was mir jedoch fraglich erscheint. Unterscheidet sich nicht die soziale Praxis des Reisens ganz wesentlich von der Literarisierung der Reise? Auch diese drei Autoren merken schließlich an, „dass sich die Reisen grundsätzlich von ihrer Darstellung unterscheiden.“ S. Arnd Bauerkämper, Hans Erich Bödeker, Bernhard Struck: Einleitung: Reisen als kulturelle Praxis, in: Dies. (Hg.): Die Welt erfahren: Reisen als kulturelle Begegnung von 1780 bis heute, Frankfurt/Main 2004, S. 9-32, hier: S. 9 f. 166 Gert Sautermeister: Reisen über die Epochenschwelle. Von der Spätaufklärung zum Biedermeier, in: Wolfgang Griep, Hans-Wolf Jäger (Hg.): Reisen im 18. Jahrhundert: neue Untersuchungen, Heidelberg 1986, S. 271-293. 167 Bernhard Struck: Nicht West – nicht Ost. Frankreich und Polen in der Wahrnehmung deutscher Reisender zwischen 1750 und 1850, Göttingen 2006, S. 18. 168 Bernhard Struck: Grenzen europäischer Zivilisation im Spiegel des Anderen. Reisende als Akteure der Zivilgesellschaft zwischen Inklusion und Exklusion, in: Arnd Bauerkämper (Hg.): Die Praxis der Zivilgesellschaft. Akteure, Handeln und Strukturen im internationalen Vergleich, Frankfurt/Main 2003, S. 319-342, hier: S. 335.
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en untersucht Reiseaufzeichnungen von Deutschen aus Frankreich und speziell Paris.169 Dies ist der Quellenlage und der Anziehung geschuldet, die Paris zur Zeit der Revolution auf deutsche Gebildete ausübte. Auch deutsche Reiseliteratur aus anderen europäischen Ländern ist inzwischen gut erforscht. Als ein eigenes kleines Forschungsgebiet könnte man angesichts der Fülle und Differenziertheit die Untersuchungen zu Seumes „Spaziergang nach Syrakus“ bezeichnen.170 Die Arbeiten, die Reiseliteratur über Deutschland untersucht haben, folgten den Reisenden oft zu den wichtigsten Anziehungspunkten für revolutionsbegeisterte Beobachter: nach Mainz. Daneben hat sich eine allerdings überschaubare Zahl an Arbeiten der Attraktion von Schlachtfeldern in Reiseaufzeichnungen beschrieben.171 Studien zur Reiseliteratur über die deutsche Provinz im Zeitalter Napoleons dagegen sind die große Seltenheit.172 Die große Mehrheit der Studien über Reiseliteratur integriert inzwischen recht selbstverständlich die Ergebnisse und Begriffe aus der germanistischen Reiseliteraturforschung, obwohl dies die „historische Verwertbarkeit [der Reiseaufzeichnungen] als Informationslieferanten wesentlich beeinträchtigt.“173 Kaum eine Arbeit verzichtet auf die gattungsgeschichtlichen Studien von Pe-
169 Zur Frankreichbegeisterung deutscher Reisender während der Revolution s. Thomas Grosser: Der lange Abschied von der Revolution. Wahrnehmung und mentalitätsgeschichtliche Verarbeitung der (post-) revolutionären Entwicklungen in den Reiseberichten deutscher Frankreichbesucher 1789 – 1814/15, in: Gudrun Gersmann, Hubertus Kohle (Hg.): Frankreich 1800: Gesellschaft, Kultur, Mentalitäten, Stuttgart 1990, S. 161-194, hier: S. 162 f. 170 Einen guten Überblick verschafft der Sammelband Jörg Drews (Hg.): „Wo man aufgehört hat zu handeln, fängt man gewöhnlich an zu schreiben“. Johann Gottfried Seume in seiner Zeit. Vorträge des Bielefelder Seume-Colloquiums 1989 und Materialien zu Seumes Werk und Leben. Bielefeld 1991. 171 S. z.B. Uwe Hentschel: Krieg als Unterhaltung in deutschen Reiseberichten über den I. Koalitionskrieg, in: Orbis Litterarum 58 (2003), S. 335-352. 172 S. aber Uwe Hentschel: Reisen in den Rheingegenden zwischen 1789 und 1797: die Reflexion der revolutionären Zeitereignisse in deutschen Reisebeschreibungen, Leipzig 1990; Ders.: Chemnitz und das sächsisch-böhmische Erzgebirge in alten Reisebeschreibungen, Chemnitz 2006; Harro Zimmermann: Der Antiquar und die Revolution. Friedrich Leopold von Stolbergs ‚Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien’, in: Wolfgang Griep, Hans Wolf Jäger (Hg.): Reise und soziale Realität am Ende des 18. Jahrhunderts, Heidelberg 1981, S. 94-126; Herbert Schwarzwälder, Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts über Norddeutschland. Verfasser – Entwicklung – geistiger Standort, in: Griep, Jäger: Soziale Realität, S. 127-168; Jost Hermand, Die touristische Erschließung und Nationalisierung des Harzes im 18. Jahrhundert, in: Griep, Jäger: Soziale Realität, S. 169-187; Nina Gockerell: Die Bayern in der Reiseliteratur um 1800, in: Glaser: Krone und Verfassung, S. 334-344. 173 Albert Meier: Textsorten-Dialektik. Überlegungen zur Gattungsgeschichte des Reiseberichts im späten 18. Jahrhundert, in: Maurer: Impulse, S. 237-245, hier: S. 237.
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ter J. Brenner174, Uwe Hentschel175 oder Wolfgang Griep.176 Klaus Herbers konnte folglich resümieren, dass auch die historische Forschung in jüngerer Zeit auf die Trennung von „Erlebnis- und Berichtsebene“ stärker Wert legt.177 Die „Suche nach der Gattung“178 scheint produktiv zu verlaufen. Der Aufbau der Arbeit folgt dem Versuch, die Relevanzen von fünf Berufsgruppen in der Stadt Würzburg zwischen 1795 und 1815 zu untersuchen. Die unterschiedliche Seitenstärke der Kapitel erklärt sich aus der verschieden großen Anzahl an Selbstzeugnissen für die jeweilige Berufsgruppe. Im Schlusskapitel wird diskutiert, inwiefern die Hauptthesen sich bestätigen ließen. Außerdem werden kurz die Möglichkeiten und Grenzen des Ansatzes der Arbeit, Lebenswelten auf Grundlage verschiedener Gattungen von Selbstzeugnissen zu analysieren, erörtert. Diese Arbeit haben fünf französische und deutsche Wissenschaftler aus verschiedenen Fächern bereits intensiv studiert und ihre Kritikpunkte in schriftlicher Form in Gutachten und mündlich bei der Soutenance in Dresden im Dezember 2009 vorgetragen. Ihre Namen nennt die Danksagung. Einige ihrer Punkte beruhten auf missverständlichen Formulierungen im Manuskript, das an diesen Stellen korrigiert worden ist. Andere Anmerkungen führten bei der Soutenance zu Diskussionen. Ein angeregter Austausch betraf etwa die Frage, ob der Titel „Drang zum Staat“ nicht zu Fehlinterpretationen Anlass gebe. „Drang“ kann auch als eine Gefühlsäußerung und der Titel daher so verstanden werden, als hätten die Würzburger in der Napoleonischen Zeit eine emotionale Bindung an die Herrscherfigur gesucht. Unterschiedliche Meinungen herrschten bezüglich der Aussagekraft von Suppliken. Liegt bei der These von der Herrschaftsbindung nicht ein Zirkelschluss vor? Schließlich richteten sich in Suppliken per se Untertanen an die Obrigkeit und baten um irgendetwas. Fragwürdig blieb auch der Nutzen des Begriffsapparates. Wozu diente Schütz’ Lebenswelt-Konzept am Ende wirklich? Diese und eine ganze Reihe 174 Peter J. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur: ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte, Tübingen 1990; s. auch Ders.: Der Reisebericht: die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur , Frankfurt/Main 1989. 175 Uwe Hentschel: Studien zur Reiseliteratur am Ausgang des 18. Jahrhunderts. Autoren – Formen – Ziele, Frankfurt/Main 1999; Ders.: Wegmarken. Studien zur Reiseliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt/Main u.a. 2010. 176 Wolfgang Griep, Hans-Wolf Jäger (Hg.): Reisen im 18. Jahrhundert: neue Untersuchungen, Heidelberg 1986; Wolfgang Griep (Hg.): Sehen und Beschreiben: europäische Reisen im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Eutin 1990. 177 Klaus Herbers: Reiseberichte als Quellen der historischen Forschung, in: Rainer Plappert (Hg.): Reise zur Verbotenen Stadt. Europäer unterwegs nach China, Erlangen 2004, S. 33-46, hier: S. 38. 178 S. Gerrit Walther: Auf der Suche nach der Gattung. Interdisziplinäre Reiseliteraturforschung, in: Archiv für Sozialgeschichte 32, S. 523-533.
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weiterer kritischer Fragen sind in diese Arbeit eingeflossen. Wo im Manuskript nur Argumente standen, sind diese nun durch Diskussionen ergänzt worden, die den Forderungen der Gutachten und Soutenance-Beiträge hoffentlich gerecht werden. Bevor die Analyse beginnt, möchte ich noch ein Wort zum Beispielbegriff verlieren. In der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft ist es üblich, die Stadt oder Region, über die man arbeitet, bereits im Titel als Beispiel zu bezeichnen. Es wäre möglich gewesen, der Arbeit etwa den Untertitel „Lebenswelten zwischen 1795 und 1815 am Beispiel der Stadt Würzburg“ zu geben. Diese Praxis erscheint mir jedoch problematisch. Durch diese Titelgebungen fallen Untersuchungsobjekt und Beispiel in eins. Dabei entsteht die Frage, wofür etwa im gedachten Fall die Stadt Würzburg das Beispiel darstellen soll. Wäre Würzburg ein Beispiel für „Lebenswelten zwischen 1795 und 1815“, dann müssten die „Lebenswelten“ eine These oder zumindest eine Behauptung darstellen, für die das Beispiel Würzburg herangezogen würde. Wenn der Begriff des Beispiels dagegen nicht als Teil der analytischen Trias von These, Argument und Beispiel verwendet wird, sondern im Sinne von Beispielhaftigkeit, so müsste die Verwendung durch die Analyse gedeckt sein. Es wäre dann zu erklären, worin die Beispielhaftigkeit des untersuchten Falls besteht. Dies unterbleibt jedoch in den mir bekannten Arbeiten, die ihr Untersuchungsobjekt als Beispiel bezeichnen, der Beispielbegriff wird meist gar nicht diskutiert. Es scheint, als ob die entsprechenden Arbeiten ihre Untersuchungsobjekte als Beispiele betiteln, aber als Fälle bearbeiten. Diese Arbeit möchte stattdessen, soweit es die Forschungslage erlaubt, Vergleiche ziehen und ihre Ergebnisse wo möglich zu anderen Studien in Beziehung setzen. Trotzdem bleibt die Stadt Würzburg ein Fall, einer von sehr vielen. Wie sich die Zivilbevölkerung in diesem Fall in den und zu den Veränderungen der Ära Napoleons verhielt, ist noch nicht systematisch erforscht worden. Dies soll nun geschehen.
2. Empfehlen und Verhindern: Die Professoren der Universität Würzburg zwischen 1795 und 1815
2.1. Einleitung Die Unsicherheit für die Berufsgruppe der Hochschullehrer entstand neben anderen Faktoren vor allem durch die Instabilität der Universitäten in der Napoleonischen Zeit. Diese kündigte sich, hierin liegt eine auffällige Parallele zur Säkularisation, durch die Entwicklung in Frankreich an. 1793 lösten die französischen Reformpolitiker alle Universitäten auf. An ihre Stelle traten Spezialhochschulen, die ihren Charakter als universale Lehr- und Forschungsanstalten eingebüßt hatten.1 Nach 1802 und bis zur Bestätigung der Territorialgrenzen im Wiener Kongress 1815 erfuhren auch die deutschen Universitäten mit jedem neuen Herrscher mehr oder weniger starke Veränderungen in der Größe und Zusammensetzung der Professorenschaft, der Fächerstruktur, der rechtlichen Organisation und der finanziellen Ausstattung.2 Der Schwund der Universitäten war enorm. „Im Jahr 1789 gab es auf dem Territorium des späteren Kaiserreichs noch 35 Universitäten, an denen 7900 Studenten eingeschrieben waren“, so R. Steven Turner. „Die Umwälzungen der folgenden Jahre verringerten die überkommene Zahl der Institutionen durch Auflösen oder Zusammenlegen auf 18 Universitäten“3. Für die Professoren brachte jede Ankündigung eines Regierungswechsels Unsicherheit mit sich. Nun galt es, sich entweder der neuen Regierung zu empfehlen oder den unsicheren Lehrstuhl möglichst bald gegen einen sicheren an einer anderen Universität einzutauschen. Diesen Drang empfanden nicht nur junge Universitätslehrer, nicht nur Doktoren und Privatdozenten. Auch bekannte Gelehrte wie Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (Abb. 3), Gottlieb
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Wolfgang E. J. Weber: Geschichte der europäischen Universität, Stuttgart 2002, S. 154. Die Ursachen für die Universitätsreformen im Reich nach 1802 sind komplex und lassen sich nicht auf die Verpflichtung zum profranzösischen Staatsumbau reduzieren. Die Universitäten in den geistlichen Wahlstaaten stellten bereits vor der Französischen Revolution das Ziel antischolastischer Angriffe dar. R. Steven Turner: Universitäten, in: Karl-Ernst Jeismann, Peter Lundgreen (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 3 (1800-1870). Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches, München 1987, S. 221-249, hier: S.221; s. zu den Auflösungen auch Prahl: Sozialgeschichte, S. 199 ff.
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Hufeland und Friedrich Schleiermacher mussten ihre beruflichen Tätigkeiten über rund zwanzig Jahre an den Regierungswechseln ausrichten. Während der Übergangsphasen von der alten zur neuen Regierung entstanden Konflikte. Die Professoren versuchten ebenso stark, sich bei der Regierung oder einflussreichen Kollegen zu empfehlen wie die Berufung von Konkurrenten zu verhindern. Die Konflikte an der Universität waren also oft eine direkte Folge der politischen Veränderungen. Die Fragen, die sich dieses Kapitel stellt, werden weniger von der Forschung und ihren oben skizzierten Desideraten als von den Briefen der Professoren vorgegeben. Wenn im Folgenden also die Motive des Publizierens, die Bedeutung der Empfehlungs- und Verhinderungskämpfe, die Publikation als Waffe analysiert werden, dann nicht deshalb, weil diese Zusammenhänge nach der Lektüre der Forschungsliteratur als besonders bearbeitungswürdig erscheinen, sondern weil die Briefe dies verlangen. Mit dem Schützschen Modell der Lebenswelt soll also auf den folgenden Seiten danach gefragt werden, welche Phänomene für die Professoren der Universität Würzburg4 in der Napoleonischen Zeit auf Grundlage ihrer Briefe die größte Relevanz besaßen.
2.2. Briefe als Alltags-Medien der Gelehrten 2.2.1. Merkmale des Briefsamples Dank des Autographen-Servers der Staatsbibliothek Berlin5 hat das Sample trotz der zeitlichen und räumlichen Enge des Untersuchungsobjekts eine Grö4
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Bemerkungen zum Milieu wie zur Größe der Professorenschaft, zur Herkunft der Professoren, zu gelehrten Assoziationen und den Verbindungen zum Staat finden dabei immer dann Erwähnung, wenn sie für einen oder mehrere Professoren konkrete lebensweltliche Bedeutung erlangten. Auf eine eigene Würdigung des ProfessorenMilieus konnte daher verzichtet werden. Zum Gelehrtenmilieu allg. Matti Klinge: Die Universitätslehrer, in: Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa, München 2004, S. 113-143; Füssel: Akademische Lebenswelten, S. 35-51; Für Würzburg liegt keine Studie zum Milieu der Professorenschaft in der Frühen Neuzeit vor. S. allgemein Peter Baumgart: Bildungswesen und Geistesleben (ca. 1525-1814), in: Wagner: Geschichte 2, S. 351-381; Zu Privatbibliotheken s. Fridolin Dressler: Fränkische Privatbibliotheken im Spiegel von Reiseberichten des 18. Jahrhunderts, in: Manfred von Arnim (Hg.): Festschrift Otto Schäfer zum 75. Geburtstag am 29. Juni 1987, Stuttgart 1987, S. 495-514. Dieser trägt den Namen „Kalliope“ und ist über die Homepage der Staatsbibliothek Berlin einzusehen: www.staatsbibliothek-berlin.de [letzter Zugriff am 15.11.2010].
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ße erreicht, die strukturelle Aussagen zulässt. Die Datenbank hat allein 236 Briefe zugänglich gemacht, wovon jedoch rund 60 von so geringem Quellenwert sind, dass sie nicht berücksichtigt werden konnten. Daneben stehen rund 50 edierte Briefe zur Verfügung. Horst Fuhrmans hat die Briefe von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling in zwei Bänden 1962 und 1975 herausgegeben und mit einem außerordentlich detaillierten kritischen Apparat versehen.6 Die Briefe von Schellings Frau, Caroline SchlegelSchelling, sind mehrfach in Teilen ediert worden.7 Die Korrespondenz einer der Erzfeinde Schellings in Würzburg, Johann Jakob Wagner, haben dessen beide Biografen Philipp Ludwig Adam und August Koelle zugänglich gemacht.8 August Koelle war, wie auch der Vater des Koautors, selbst Adressat einiger der 1849 edierten Briefe. Auch Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, der einflussreichste Gegner Schellings in Würzburg, ist eine zweibändige Biografie zugeeignet, welche die Briefe jedoch nicht in Gänze abdruckt.9 Daneben liefern Studien über einzelne Professoren Ausschnitte von Briefen, zum Beispiel die Dissertation über den als Dichter gelobten und als Professor belächelten Christian August Fischer oder eine Arbeit über die Mitglieder der Siebold-Familie.10 Die Zugänglichkeit zu diesen Briefen ist in der Regel deren Adressaten zu verdanken, welche die Schriftstücke als Erinnerung an den Freund oder Kol6
Horst Fuhrmans (Hg.): F.W.J. Schelling. Briefe und Dokumente, 2 Bde., Bonn 1962 und 1975. 7 Eine der Briefsammlungen hat die Schriftstellerin Ricarda Huch veröffentlicht und den Briefen ein bewunderndes Vorwort vorangestellt: Ricarda Huch: Carolines Leben in ihren Briefen, Leipzig 1914; s. auch Sigrid Damm (Hg.): Begegnung mit Caroline. Briefe von Caroline Schlegel-Schelling, Leipzig 1984; Auch Fuhrmans SchellingAusgaben enthalten Briefe seiner Frau. Zur Person Caroline Schlegel-Schellings (1763-1809) s. Brigitte Roßbeck: Zum Trotz glücklich. Caroline Schlegel-Schelling und die romantische Lebenskunst, München 2008; Eckart Kleßmann: Caroline. Das Leben der Caroline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling (1763-1809), München 1975. 8 Philipp Ludwig Adam, August Koelle (Hg.): Johann Jakob Wagner. Lebensnachrichten und Briefe, Ulm 1851. Zur Person Wagners (1775-1841), s. Heinze: Art. Johann Jakob Wagner, in: ADB, Bd. 40, S. 510-515. 9 Karl Alexander von Reichlin-Meldegg: Heinrich Eberhard Gottlob Paulus und seine Zeit, nach dessen literarischem Nachlasse, bisher ungedrucktem Briefwechsel und mündlichen Mittheilungen, Stuttgart 1853. Zur Person Paulus’ (1761-1858) s. Friedrich Wilhelm Graf: Art. Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, in: NDB, Bd. 20, S. 136 f., s. auch Ders.: Frühliberaler Rationalismus: Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (17611851), in: Ders. (Hg.): Profile des neuzeitlichen Protestantismus, Bd.1, Gütersloh 1990, S. 128-155. 10 Josef Huerkamp, Georg Meyer-Thurow: „Die Einsamkeit, die Natur und meine Feder, dies ist mein einziger Genuß.“ Christian August Fischer (1771-1829) – Schriftsteller und Universitätsprofessor, Bielefeld 2001; Hans Körner: Die Würzburger Siebold. Eine Gelehrtenfamilie des 18. und 19. Jahrhunderts, Neustadt/Aisch 1967.
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legen aufhoben. Daher handelt es sich bei den Briefen, ob sie später ediert wurden oder nicht, um die expedierten Originale. Ein Beispiel zeigt die erste Seite des Briefes von Heinrich Eberhard Gottlob Paulus an den Prediger Christian Friedrich Fritzsche aus dem Jahr 1805 (Abb. 4). Briefentwürfe enthält das Sample meiner Kenntnis nach nicht. Jede Arbeit, die sich auf Briefe stützt, steht vor dem Problem, dass sie nicht weiß, wie groß der Anteil der vorliegenden Briefe an den insgesamt geschriebenen Briefen ist. Fest steht, dass nur diejenigen Briefe überliefert sind, die zunächst den Briefadressaten, dann aber den Archivaren, Bibliothekaren und Privatsammlern als aufbewahrungswürdig erschienen. Die Briefe mussten sich ihre Konservierung durch irgendeine Art von Bedeutung erst verdienen. Erhalten sind deshalb vor allem Aktiv- und Passivkorrespondenzen, deren Autoren im Lauf der Zeit Anerkennung als Professoren oder Schriftsteller erfahren haben. Das gilt für Schelling und Schlegel ebenso wie für Friedrich Wilhelm von Hoven11 und Gottlieb Hufeland12. In einigen Fällen trifft diese Wertschätzung auch den Adressaten – oder die Adressatin. Die Liebesbriefe August Steigenteschs aus Würzburg sind als Passivkorrespondenz Sophie Brentanos, der Schwester von Clemens und selbst Schriftstellerin, aufbewahrt worden. Als Aktivkorrespondenz des Offiziers, Politikers und dilettierenden Dichters Steigentesch hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt. Dies scheint mir als Selbstverständigung bei der Arbeit mit den Briefen von Interesse zu sein, da sie deutlich macht, welche Schwellen die Briefe überschreiten mussten, um heute in einem Sample erscheinen zu können – und dass viele Briefe daher nicht mehr existieren. Wichtig scheint mir außerdem der Hinweis, dass von jungen Gelehrten, von Doktoranden, Privatdozenten und kürz zuvor berufenen Professoren deutlich weniger Briefe überliefert sind als von arrivierten. Nur wenige Briefe geben zum Beispiel darüber Auskunft, welche Bedeutung Publikationen für junge Universitätsabsolventen hatten, die eine Universitätslaufbahn anstrebten. Dies liegt m. E. aber nicht nur an der Überlieferungssituation. Vermutlich erhöhte sich die Schreibfrequenz der Personen deutlich mit der Annahme einer Professur. Das Spinnen eines weit verzweigten Korrespondenznetzes war erst nach der Erlangung eines Lehrstuhls möglich. Es sind also wohl auch deshalb mehr Professorenbriefe als Doktorandenbriefe erhalten, weil Professoren mehr geschrieben haben als Doktoranden. Zweitens ist anzunehmen, dass die Briefschreiber ihre reiferen Briefe häufiger dem Nachlass überließen als ihre frühen Studentenbriefe.
11 Zur Person s. Sabine Häusner: Der Arzt und Medizinalrat Friedrich Wilhelm von Hoven (1759-1838). Sein Leben, seine Werke und seine Freundschaft zu Friedrich Schiller, Würzburg 2003 12 Zur Person Hufelands (1762-1836) s. Ries: Wort, S. 94 ff.
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Die Passivkorrespondenzen der Würzburger Professoren zählen in dieser Arbeit nicht zum Sample, werden aber als Verständigungsmedien benutzt. Diese Einschränkung ist dem untersuchten Kontext, der Stadt Würzburg, geschuldet. In diesem Kapitel kommen ab und an auch andere Personen als Professoren zu Wort. Bereits erwähnt wurde Caroline Schlegel-Schelling, die Frau Schellings. Auch die Briefe von Studenten wie August Bréal, genannt Pirmasenzer, und Heinrich Rückert, dem Bruder Friedrichs, und weiterer Studenten sind eingearbeitet worden. Die Briefe von Regierungsbeamten, mit denen einige Professoren in Briefkontakt standen, finden ebenfalls Erwähnung. All diese Personen hielten sich, um mit Alfred Schütz zu sprechen, in der „Wirkzone“ der Professoren auf. Dies gilt auch für die Briefe von Verlegern, da sie in ständigem engen Kontakt mit den Professoren standen. Besonders die Beobachtungen zur Verlagssuche und zu dem Streit mit den Verlegern hätten sich ohne deren Briefe nicht schreiben lassen. Mit der Bezeichnung des Professors nimmt es dieses Kapitel nicht so genau, wie es die Universitätsverwaltungen taten. Das Kapitel über die Professoren behandelt auch Personen, die schon einmal einen Lehrstuhl an einer Universität inne hatten, diesen jedoch aufgegeben haben. August Wilhelm Schlegel etwa war ab 1798 außerordentlicher Professor in Jena. Zwei Jahre später kehrte er der Universität den Rücken und ließ sich von Germaine de Staël anstellen, obwohl dies ein „nicht seiner Professorenwürde entsprechendes Angebot“ darstellte.13 Gemeinsam mit Madame de Staël unternahm er einige Reisen, von denen eine durch Würzburg führte. Von diesem Aufenthalt zeugt ein Brief Schlegels an Schelling. Außerdem wurden Personen einbezogen, die ihre Promotion bereits veröffentlicht, jedoch noch keinen Ruf erhalten haben. Johann Peter von Hornthal14 etwa erhielt erst 1819 einen ersten Ruf als Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Freiburg. Die Jahre vorher verbrachte er unter anderem in Würzburg und auch damit, eine Gedichtanthologie zu erstellen und zu veröffentlichen, die im 19. Jahrhundert zum Hausschatz vieler Bürgerfamilien gehörte: Die ‚Deutschen Frühlingskränze’ erschienen in zwei Teilen 1815 und 1816 in Bamberg und Würzburg.15 Lorenz Oken lehrte nach seiner Promotion bei Friedrich Wilhelm Jo-
13 Bernard Dieterle: Jenseits des Rheins – Germaine de Staël und August Wilhelm Schlegel, in: Michael Knoche, Lea Ritter-Santini (Hg.): Die europäische République des lettres in der Zeit der Weimarer Klassik, Göttingen 2007, S. 175-192, hier: S. 177. 14 Zu Hornthal (1796-1864) s. Fridolin Dressler: Art. Johann Peter von Hornthal, in: NDB, Bd. 9, S. 640. 15 Johann Peter von Hornthal (Hg.): Deutsche Frühlingskränze, 2 Bde., Bamberg, Würzburg 1815 u. 1816.
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seph Schelling16 an der Universität Göttingen als Privatdozent und erhielt während dieser Zeit wiederholt Unterstützung von seinem Würzburger Lehrer. Sie und einige andere werden, um nicht in langwierige Differenzierungsdiskussionen eintreten zu müssen, zu den Professoren gerechnet, obwohl es ihnen oft Probleme bereitete, eben noch nicht zu diesem Kreis zu gehören. In dem Sample sind neben den Briefen von 27 Würzburger Professoren auch Auszüge aus den Korrespondenzen von acht Universitätslehrern enthalten, die nur zu Gast waren. Eine Verschiebung zugunsten dieser Berliner oder Erlanger Professoren wie Christoph Wilhelm Hufeland oder August Wilhelm Schlegel, deren Lebenswelten von ganz anderen historischen Konstellationen beeinflusst sein mussten, kann jedoch schon allein wegen der geringen Zahl an Briefen dieser Auswärtigen ausgeschlossen werden. Repräsentativität kann das Sample selbstverständlich nicht beanspruchen, und es scheint mir in Anschluss an Klaus Latzel fragwürdig, ob sich diese argumentativ einfordern lässt.17 Große Unterschiede bei der Überlieferung, in Anzahl und Aussagekraft der Briefe machen es undenkbar, das Sample als repräsentativ zu bezeichnen. Ein Ungleichgewicht entsteht durch die Tatsache, dass es von vielen Professoren wenige und von wenigen Professoren viele Briefe gibt. Schelling, von dem 50 Briefe zugänglich sind, muss in diesem Kapitel ein größeres Gewicht haben als der Professor für Naturgeschichte und Künstler Josef Bonavita Blank, von dem nur ein Brief erhalten ist. Über Blanks Kunstwerke aus Gräsern und Steinen sind zwar eine ganze Reihe be16 Die Publikationen über Schelling (1775-1854) sind nicht zu überblicken. Daher sei an dieser Stelle auf die im Internet zugängliche Schelling-Bibliographie der Internationalen Schelling-Gesellschaft e. V. in Leonberg hingewiesen. Sie ist einsehbar über www.schelling-gesellschaft.de [letzter Zugriff am 15.11.2010]. Diese Arbeit stützt sich im Wesentlichen auf die Einleitungskapitel und den kritischen Briefapparat bei Horst Fuhrmans. 17 Ein oft verwendetes Kriterium, um eine Auswahl als repräsentativ zu bezeichnen, so Latzel, „ist kein quantitatives etwa im Sinne einer bestimmten Samplegröße, sondern eines der Erfahrung im Forschungsgang: Ab einer nicht a priori zu bestimmenden, aber schließlich erkennbaren Menge vorhandener Quellen scheint die inhaltliche Variation der Aussagen dieser Quellen erschöpft, ein Phänomen, das vielen aus der Forschungspraxis bekannt sein wird. Bricht man also an diesem Punkt die weitere Sammlung von Quellen ab, so ist das zwar mit Unsicherheiten behaftet, denn natürlich lässt sich das unerwartete Auftauchen neuer Aspekte nie ausschließen, doch trifft dies im Prinzip auch für eine streng repräsentative Quellenauswahl zu. Die Konsequenz ist zum einen der Verzicht auf Aussagen über Verteilungsgrößen in der Grundgesamtheit, für welche die Quellen stehen; zum anderen wird der Charme der pragmatischen Lösung mit dem Nachteil eines eher von Intuition und Forschungserfahrung als von nachprüfbaren Kriterien bestimmten Vorgehens erkauft.“, s. Klaus Latzel: Vom Kriegserlebnis zur Kriegserfahrung. Theoretische und methodische Überlegungen zur erfahrungsgeschichtlichen Untersuchung von Feldpostbriefen, in: MGM 56 (1997), Nr. 1, S. 1-30, hier: S. 9 f.
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wundernde Beschreibungen in Reiseberichten und Stadt-Topographien erhalten.18 Doch diese verraten nichts darüber, was Blank selbst als relevant empfunden haben mag. Zweitens entscheidet die Aussagekraft eines Briefes darüber, wie oft er als Referenz genannt wird. Von Friedrich Wilhelm von Hoven sind zwar nur zwei Briefe erhalten, doch einer dieser beiden umfasst sieben Seiten, ist an seinen Freund Friedrich Schiller gerichtet und wartet mit einer Fülle von Einzelbeobachtungen über Würzburg auf, die Hovens Wahrnehmungen klar zu Tage treten lassen. Der Brief an Schiller enthält ein Resümee der ersten Wochen und damit eine erste Selbstbeschreibung an der neuen Wirkungsstätte. Die fünf Briefe von Johann Michael Feder19 dagegen, katholischer Theologe und Bibliothekar, geben nur über einige berufliche Details Auskunft und somit nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Handeln und Denken seines Autors preis. Der Unterschied zwischen Hovens Brief und Feders Briefen erklärt sich auch dadurch, dass erster in bemerkenswerter Offenheit an einen vertrauten Freund und zweiter formal und knapp an einen Regierungsbeamten schrieb. Dies führt zu einem weiteren Komplex, der die Analyse entscheidend vorprägt: dem der formalen Kriterien und Erzählstrategien.
2.2.2. Bitten und Berichten: Formale Kriterien und Erzählstrategien Die Gedanken des Professors mussten einige formale Kriterien erfüllen und sich mithilfe bestimmter Erzählstrategien ausdrücken lassen, bevor er sie zu Papier brachte. Das offensichtlichste, aber auch einflussreichste Merkmal und zugleich ein Schreibkriterium ist die Schriftlichkeit des Briefs.20 Durch die Schriftlichkeit wird „dem Augenblick Dauer“ verliehen, wie Winfried Woesler schreibt. Sie beschert dem Brief einen größeren Verstetigungs- und Gültigkeitsanspruch als ein Gespräch, da der Adressat den Brief „auch nach 18 Über Blank (1740-1827) berichten Gregor Schöpf: Historisch-statistische Beschreibung des Hochstifts Wirzburg, Hildburghausen 1802, S.433 f; Anonym [Carl Gottlieb Samuel Heun]: Carls vaterländische Reisen in Briefen an Eduard, Leipzig 1793, S. 270 f.; Anonym [Christian Friedrich Gottlieb Thon]: Romantische Reise von Jena, Weimar, Erfurth, Gotha, Eisenach, Salzungen, Schweinfurth, Würzburg, Aschaffenburg nach Frankfurth am Main, Eisenach 1802, S. 182 f.; Georg Wilhelm Keßler: Briefe auf einer Reise durch Süd-Deutschland, die Schweiz und Ober-Italien im Sommer 1808, Leipzig 1810, S. 38; Christian Ulrich Detlev von Eggers: Reise durch Franken, Baiern, Oesterreich, Preußen und Sachsen, Leipzig 1810, S. 193. 19 Zur Person Feders (1754-1824) s. Karl-Josef Lesch: Johann Michael Feder – ein Prediger der Aufklärungszeit, in: WDGB 41 (1979), S. 169-182. 20 S. zum Brief grundlegend Burckhard Dücker: Art. Brief, in: Walther Killy (Hg.): Literaturlexikon, Bd. 13, Gütersloh 1992, S. 124-129.
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Jahren, selbst nach dem Tode des Schreibers wieder zur Hand nehmen kann“21. Ein zweites Unterscheidungsmerkmal zum Gespräch ist der „Phasenverzug innerhalb der durch ihn konstituierten Kommunikation“22. Der Brief muss die verstrichene Zeit zwischen dem Erhalt und der Antwort, aber auch zwischen der Antwort und der erneuten Rückantwort berücksichtigen. Das tun die Briefschreiber in nahezu jedem Brief sehr konkret. Die Einleitung des Briefes bilden in aller Regel Dankesformeln für den erhaltenen Brief, die oft von einem Kompliment an den Korrespondenten begleitet sind. Daneben legitimieren die Schreiber die vergangenen Woche oder Monate zwischen Brieferhalt und Briefniederschrift, die der Briefschreiber immer als zu lang interpretiert. Aus diesem Grund hat nun eine Erklärung zu erfolgen. Der Briefschreiber legitimiert die Verspätung seiner Antwort durch die Aufzählung und Aufwertung seiner bisherigen Beschäftigungen, die ihn vom Briefschreiben abgehalten hätten. Die Legitimationsformeln werden meist durch eine unmissverständliche Zuneigungsbekundung abgelöst: „Wären alle meine Gedanken an Sie, mein verehrtester und geliebtester Freund, wären alle meine Wünsche für Sie, meine Unterredungen über Sie, meine Vorsätze Ihnen zu schreiben, wäre das Alles zu Briefen geworden, Sie hätten sich vor der Menge derselben nicht zu retten gewusst.“23 Friedrich Justin Bertuch, der sich zu Vertragsverhandlungen in einem Würzburger Hotel aufhält, versucht sein langes Schweigen gegenüber Carl August Böttiger mit seiner hohen Arbeitsbelastung und der fränkischen Küche zu begründen: „Verzeihen Sie, liebster Böttiger, daß ich Ihnen hier vom Ufer des Mayns, der unter meinem Fenster wegströhmet, noch kein Wörtchen geschrieben habe. Ich habe gearbeitet, bin hin und hergereist, und – habe gegeßen und assidue gefaullenzet, und damit ist mir alle Zeit darauf gegangen.“24 Die Selbstverpflichtung zur Rechtfertigung geht bei Franz Berg so weit, dass er sich trotz eines zuvor erlittenen Schlaganfalls für sein langes Schweigen entschuldigt: „Seit dieser Zeit bin ich an den edelsten Verrichtungen zum Theil gelähmt. Viel Zeit brauchte ich, bis meine Augen, und meine Hand wieder so weit hergestellt waren, um einen Brief schreiben zu können, und lesen zu können.“25 21 Winfried Woesler: Der Brief als Dokument, in: Wolfgang Frühwald (Hg.): Probleme der Brief-Edition, Boppard 1977, S. 41-60, hier: S. 41. 22 Peter Bürgel: Der Privatbrief. Entwurf eines heuristischen Modells, in: DVJSLG 50 Nr. 1, S. 281-297, hier: S. 285 ff. 23 Griesbach an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 25.02.1805. 24 Bertuch an Carl August Böttiger am 26.02.1796. Weiter heißt es in dem Brief: „Dieß muß man aber schlechterdings thun, wenn man in Francken Geschäfte machen will; sonst sieht man Einen nicht über die Achsel an.“ 25 Berg an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 22.05.1818.
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Nur dann, wenn der Autor einer untergebenen Person antwortet, fallen Zeitreferenz- und Legitimationsformeln weg. Den Brief an den Bibliotheksund Museumsdiener Johann Heinrich David Färber beginnt der Professor für Evangelische Theologie Friedrich Niethammer schlicht mit den Worten: „Ich antworte Ihnen, Mein Jahrelang gewesener treuer Gehülfe, mit Vergnügen auf Ihren … Brief, und danke für die pünktliche Bestellung auch des noch Nachgeschickten.“26 Auch das Briefende enthält wie die Einleitung Legitimationsformeln, die diesmal die Beendigung des Schreibens erklären sollen. Die Inhalte der Legitimationsformeln sind jedoch identisch. Der Schreiber gibt an, den Brief beenden zu müssen, da er, schneller als gewünscht, wieder seinen Verpflichtungen nachkommen müsse. Die Legitimationsformeln verwenden häufig das Gegensatzpaar von „Wollen“ und „Müssen“ und deren Synonyme, wobei das Briefschreiben mit dem ersten, die aufgezählten Verpflichtungen mit dem zweiten verbunden werden. Aufschlussreich ist, dass diejenigen Professoren, die einen hohen gesellschaftlichen Status besitzen wie Schelling oder Hufeland deutlich häufiger auf die einleitenden und abschließenden Legitimationen verzichten als die anderen. Finden sich keine Legitimationsformeln am Briefende, dann oft Einladungen zum Besuch und Ausdrücke der Vorfreude auf den Antwortbrief. Als drittes wichtiges Merkmal muss die Referenz an die räumliche Distanz genannt werden.27 Viele Briefautoren variieren den Gegensatz von Ferne und Nähe beziehungsweise Fremde und Bekanntheit und schreiben sich so die Vorlage für eine Einladung des Freundes oder für Bitten herbei. Der entlassene Philosophieprofessor Joseph Rückert beginnt einen Bittbrief an Carl August Böttiger mit der Formel: „Ew. Hochwohlgeboren erlauben dem Manne ein Wort aus der Ferne, der einst so glücklich war, mit Ihnen in der Nähe sprechen, in Ihnen eine menschenfreundliche Stütze seines bessern Geschickes verehren zu dürfen.“28 Johann Jakob Wagner schätzt am „fremden Orte Einen Mann, dessen Wohlwollen für mich nur nicht zweifelhaft ist“29, und Friedrich Niethammer beruhigt es, „in der Fremde fühlen zu können, dass ein treues bekanntes Herz mir durch Gedanken nahe ist.“30 Wilhelm von Hoven beendet einen Brief an Schiller mit den Sätzen: „Vielleicht komme ich, da ich dir jetzt viel näher bin, das nächste Jahr auf ein Paar Wochen zu dir. 26 Niethammer an Johann Heinrich David Färber am 30.10.1804. 27 S. hierzu Michael Maurer: Briefe, in: Ders. (Hg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 4: Quellen, Stuttgart 2002, S. 349-372, hier: S. 349. 28 Rückert an Carl August Böttiger am 22.03.1808. 29 Wagner an Unbekannt am 21.09.1809. 30 Niethammer an Sophie Méreau am 30.10.1804.
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Über die Freude, dich wieder zu sehen, kenne ich nichts.“31 Die Distanz zum Korrespondenten ist es auch, auf die der Briefbericht aufbaut. Er bildet das zweite und längste Element der Professorenbriefe. Der Bericht stellt keinen Bericht im administrativen Sinne dar, sondern ein faktenreiches und unterhaltsames Berichten des Vorgefallenen, also von Besuchen, Reisen, Konflikten an der Universität, Tätigkeiten wie dem Verfassen von Rezensionen und neuen Werken, Lektüren – sowie, sehr selten, von Ereignissen in der Stadt oder im Land. Der Briefbericht spielt mit dem Genre der literarischen Erzählung, indem er Erzählstrategien wie Einleitung, Klimax und Fall verwendet und rhetorische Mittel wie Ironie, Metapher und Allegorie: „Ich wollte an Sie schreiben, im Wagen an Sie schreiben, und meine Fantasie hielt ihre Charwoche und sah und besuchte nur Gräber. Die beste Probe meiner Laune ist das Nachtstück, oder Epistel oder wie Sie es nennen wollen, die ich auf meiner Reise für Sie bearbeitete, und Ihnen hier übersende. Es ist so fromm, so allgemein und so unterhaltend abgefasst, daß es eben so gut an die heilige Ursula als an Sie seyn könnte, und doch ist es Ihnen bestimmt.“32 Die Literarizität des Briefberichts entsteht daneben durch eine Fülle von literarischen Anspielungen, mit denen die Schreiber Alltagsbeobachtungen abrunden: „Unser Fürst geht diese Woche aufs Land und visitirt seine Aemter“33, heißt es in einem Brief über die Visitation des Fürstbischofs Georg Karl von Fechenbach. Ihr Sohn logiere den Regenten ein, weshalb seine Frau „vor lauter Vergnügen hierüber in ein Mausloch kriechen“ möge. Und weiter: „Ich kann gar nicht begreifen wie die Frau die in einem Poethaus erzogen, nicht mehr Herz und Welt erhalten hat ihre erl[auchte] Mutter ware doch nicht so, da heißt es recht George Dandin tu l’as voulu!“34 Die Verwendung des Sprichworts bewies dem Adressaten die Kenntnis des gleichnamigen Lustspiels von Molière. Zitaten aus der Literatur bediente sich auch Caroline Schlegel-Schelling gerne. In einem Brief an ihre Freundin Julie Gotter fügt sie den Satz aus Schillers Piccolomini-Drama ein: „Es geht ein finstrer Geist durch unser Haus“35, um die Streitigkeiten ihres Mannes mit einigen anderen Jenaer Professoren auf den Punkt zu bringen. Auch mit Aphorismen oder Sinnsprüchen, die einer Begebenheit allgemeine Gültigkeit verleihen sollten, operierten die Professoren gerne, so der Kleriker und Theologe Franz Berg: „Ich wünsche herzlich, daß die Welt besser werden und sich besser befinden 31 32 33 34 35
Hoven an Friedrich Schiller am 03.08.1804. Steigentesch an Sophie Brentano am 23.03.1797. Sauer an Friedrich Dominicus Ring am 17.04.1797. Ebda. Schlegel-Schelling an Julie Gotter am 04.01.1804; vgl. Friedrich Schiller: Die Piccolomini, Akt III, Sz. 9.
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möge. Nur glaube ich nicht, daß man beydes erhalten werde, wenn man das Reich Gottes durch Ungerechtigkeit sucht, oder wenn man das Leder raubt, um den Armen Schuhe zu machen.“36 Hierfür ließen sich noch viele weitere Beispiele anführen. Die Briefe aus Würzburg bestätigen die Beobachtung Jürgen Kockas, wonach sich die Zitierfähigkeit im 18. Jahrhundert zu einem Merkmal bürgerlicher Gelehrtheit entwickelte.37 Gelehrte Zitate stellten somit ein wichtiges „soziales Zeichen“ dar.38 Wolfgang Burgdorf hat darauf hingewiesen, dass die gelehrten Briefschreiber, wenn sie zeitnah über das Reichsende oder die Niederlage in Jena schrieben, deutlich seltener rhetorische Mittel einsetzten: „Andererseits zeigen die in Briefen dokumentierten Reaktionen auf die Augustereignisse des Jahres 1806 sehr oft große Erschütterung und Spontaneität, wodurch die stilistische Gestaltung deutlich in den Hintergrund tritt. Eher selten findet sich neben der unrhetorischen Fassungslosigkeit angesichts der Ereignisse der ersten Augustwoche 1806 ein sprühendes Apercu.“39. Als Gegensatz dazu verortet er die „Ästhetik der Erinnerungsliteratur“. Dazu heißt es, „bei den Memoiren der Generation von 1806 zeigt sich in der Regel ein Spannungsbogen, der finale Aufstieg in der neuen Ordnung der Welt oder restloser Zusammenbruch. Nicht selten kann man hierbei eine eigene Ästhetik des Untergangs erkennen.“40 Allerdings nennt seine eigene Studie eine ganze Reihe von rheto rischen Mitteln und Sprachbildern, mit denen die Autoren die Ereignisse umschrieben. Herzogin Luise von Sachsen-Weimar etwa wird mit der Briefstelle zitiert: „Ich bemerke, dass ich Ihnen auf schwarzumrandetem Papier hätte schreiben müssen, zum Zeichen unserer Trauer über das tragische Ende der deutschen Verfassung.“41 In den Briefen weist Burgdorf selbst die häufige 36 Berg an Unbekannt am 30.05.1799. Zu Franz Berg (1753-1821) s. J.B. Schwab: Art. Franz Berg, in: ADB, Bd. 2, S. 361-363. 37 Jürgen Kocka hält Zitierfähigkeit für eines der Merkmale von Bürgerlichkeit: Jürgen Kocka: Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 21-63, hier: S. 43; vgl. zur Bedeutung der Literatur für die gebildete Oberschicht auch Michael Maurer: Kulturgeschichte: eine Einführung, Köln 2008, S. 69 ff; Wolfgang Kaschuba: Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800. Kultur als symbolische Praxis, in: Jürgen Kocka (Hg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert. Bd. I: Einheit und Vielfalt Europas, Göttingen 1995, S. 92-127; Franz Mauelshagen: Netzwerke des Vertrauens. Gelehrtenkorrespondenzen und wissenschaftlicher Austausch in der Frühen Neuzeit, in: Ute Frevert (Hg.): Vertrauen. Historische Annäherungen, Göttingen 2003, S. 119-151. 38 Kaschuba: Bürgerlichkeit, S. 102. 39 Burgdorf: Weltbild, S. 174. 40 Ebda. 41 Burgdorf: Weltbild, S. 191.
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Verwendung der Deutung des Reichsendes als „Apokalypse“ nach.42 Weitere Beispiele lassen sich auch für den von Burgdorf so bezeichneten „Kreis der Romantiker“ finden, etwa der Vergleich von 1806 mit dem Untergang Trojas. Dazu schreibt Burgdorf: „Jede Katastrophe hat ihr Bild. … Um das Ausmaß der nationalen Katastrophe auf den Begriff zu bringen, verwendeten viele Gelehrte 1806 die Metapher vom Sturz Trojas, des in Flammen versinkenden Ilions.“43 Insofern ist seine These von der Stilarmut, die angesichts der Erschütterung der Akteure um sich gegriffen habe, nicht ganz nachzuvollziehen. Trotz des Anspruchs nach Gelehrtheit ist der Brief darum bemüht, die Korrektheit des Dargestellten nicht zu gefährden, weshalb die Autoren wie zum Ausgleich Erzählstrategien der Sachlichkeit einsetzten. Die Erzählzeit ist das berichtende Präteritum. Die Berichte sind mit Zeit- und Namensangaben versehen. Der Schreiber kennzeichnet Aussagen von anderen als Zitate und gibt diese im Konjunktiv wider. Der Briefbericht stellt, kurz gesagt, eine unterhaltsame autobiografische Miniatur dar. Aus dem Briefbericht heraus formuliert der Autor meist eine Bitte an den Adressaten, die sich aus dem Bericht ergibt: Der Schreiber berichtete über die Schwierigkeit bei der Verlagssuche und bat den Adressaten anschließend, einen ihm bekannten Verleger zu kontaktieren. Er gab das Sortiment der Würzburger Buchhandlungen wider und fragte den Korrespondenten im Anschluss, ob er ihm ein Buch zuschicken könne, das in Würzburg nicht greifbar sei. Er hatte eine Zeitschrift gegründet und ersuchte den Kollegen um Rezensionen. Die Bitte bildete einen festen Bestandteil des Briefes, ebenso wie die Antwort auf die Bitte des anderen. Bis auf wenige Briefe wie Liebesbriefe oder Reisebriefe enthielten alle Briefe eine meist sehr konkrete Bitte. Diese Bitte, umrahmt von charmanten Zuneigungsbekundungen und dem Briefbericht, macht deutlich, dass sich der Brief zwischen Geschäfts- und Privatkorrespondenz aufhält. Einige Briefe wiesen nur geschäftliche Inhalte auf. Der Brief des Würzburger Mineralogie-Professors Josef Bonavita Blank an den Kollegen und Bergkommissionsrat an Abraham Gottlob Werner in Freiberg zeigt keinerlei Merkmale einer persönlichen Beziehung.44 Allerdings scheint es mir dennoch nicht gerechtfertigt, diese Briefe als Geschäftsbriefe zu bezeichnen. Die Beziehung zwischen zwei Professoren um 1800 war grundsätzlich dazu geeignet, sowohl Privates als auch Berufliches auszutauschen. Treffender scheint es mir daher zu sein, die hier verwendeten Briefe als Alltagsbriefe zu bezeichnen. Die Bezeichnung des Alltagsbriefs grenzt die hier behandelten Briefe ab von 42 Burgdorf: Weltbild, S. 193 ff. 43 Burgdorf: Weltbild, S. 208. 44 Blank an Abraham Gottlob Werner am 22.10.1800.
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anderen Briefformen. Er zeigt andere Merkmale als der Gesellschaftsbrief45, der Reisebrief und der Privatbrief des 19. und 20. Jahrhunderts und andere als der literarische Brief.46 Dieser letzte ist nicht an eine Einzelperson oder an einen klar umgrenzten Personenkreis gerichtet, sondern an die Öffentlichkeit, „d.h. an einen unbestimmten (auch im Wesentlichen unbekannten) und prinzipiell unbegrenzten Empfängerkreis“47 und enthält auch Zeitreferenzen, Legitimationsformel und Bitte nicht. Für die Zeit des modernen Staats scheint die Unterteilung in Privat- und Geschäftskorrespondenz oder in Brief und Schreiben notwendig, da sich durch die Bürokratisierung eben diese Eignung von Briefen, sowohl private als auch berufliche Inhalte zu generieren, vermindert hat. Für die Moderne kann man bei den Schriftstücken beruflich miteinander verbundener Briefschreiber von Briefen dann nicht mehr sprechen, „wenn das Unternehmen einen Verwaltungsapparat ausgeprägt hat“48, der private Inhalte in schriftlicher Kommunikation nicht vorsieht und rein geschäftsmäßige Aktenschriftstücke produziert. Die Bezeichnung des Privatbriefes bietet sich für das 19. und 20. Jahrhundert und für Schreiben an, deren Korrespondenten „in einem persönlichen, nicht von amtlichen oder institutionellen Befugnissen bestimmten Verhältnis zueinander stehen“49. Die Alltagsbriefe zeichnen sich zuletzt durch ein „Moment der Freiwilligkeit“50 aus, wie Irmtraut Schmid treffend formulierte. Damit meint sie, dass die Briefautoren zum Schreiben nicht gezwungen oder unbedingt verpflichtet sind. Dies unterscheide die Briefe vom „funktionsgebundenen Aktenschriftstück, das der Schreiber nie aus eigener Machtvollkommenheit verfasst.“51 Freiwilligkeit lässt sich aber auch in den Briefinhalten ausmachen. Denn die Alltagsbriefe halten sich längst nicht so strikt an die Vorgaben in Aufbau und Stil wie etwa Kanzleibriefe des 19. Jahrhunderts. Die Autoren der hier vorliegenden Briefe liebten es, mit Aufbau und Inhalten zu spielen und verstanden es, sie zu variieren. Dies wiederum entsprang dem Bedürfnis nach 45 Zum Begriff des Gesellschaftsbriefs s. Paul Ziche, Peter Bornschlegell: Überregionale Wissenschaftskommunikation um 1800: Briefe und Reisen einer Jenaer Wissenschaftsgesellschaft, in: Holger Zaunstöck u.a. (Hg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation: neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung, Tübingen 2003, S. 251-268. 46 S. Bürgel: Privatbrief. 47 Irmtraut Schmid: Was ist ein Brief? Zur Begriffsbestimmung des Terminus „Brief“ als Bezeichnung einer quellenkundlichen Gattung, in: editio 2 (1988), S. 1-7, hier: S. 6. 48 Schmid: Brief, S. 4. Schmids Einteilung in Brief und Schreiben entspricht in etwa der Einteilung in Privatbrief und Geschäftsbrief. 49 Schmid: Brief, S. 5. 50 Ebda. 51 Ebda.
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Natürlichkeit in Gestalt und Inhalt ästhetischer Erfahrungen, nach der das Bildungsbürgertum ab der Mitte des 18. Jahrhunderts strebte. „Das über die Literatur sich emanzipierende Bürgertum des 18. Jh.“, so die viel zitierte These Reinhard Nickischs hat die Natürlichkeit und Leichtigkeit zu einer „wirksamen Waffe gemacht, mit der es den sozialen Vorrang des Adels erfolgreich in Frage stellte.“52 Jede Formulierung sollte selbstverständlich klingen und die Regeln verschleiern, nach denen die Sprache sie geformt hatte. Wie stark oder schwach durch diesen Schleier hindurchscheint, was die Professoren bewegte und besorgte, soll im Folgenden diskutiert werden.
2.2.3. Briefe als Medien von Relevanzen Die Briefe der Professoren zeugen von großer Sicherheit im Umgang mit der Sprache. Ebenso souverän und konsequent beherrschten sie es, das Erlebte zu unterteilen in den Teil, der es wert war, dem Kollegen oder Freund mitgeteilt zu werden und den Teil des dazu Ungeeigneten. Ganze Lebensbereiche sparten die Gelehrten aus. Die Leerstellen lassen sich bisweilen durch Vergleiche mit anderen Briefen nachweisen. Über andere Lücken in den Professorenbriefen informieren die Briefe von Studenten. Der Doktorand Lorenz Oken etwa berichtete seinem Freund Matthias Keller begeistert von seinen regelmäßigen vertrauten Gesprächen mit seinem Lehrer Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Auch der Erstsemester August Bréal, genannt Pirmasenzer, schreibt stolz über den engen Kontakt zu seinem bekannten Lehrer: „Ich sehe ihn täglich 2 Mahl, bey Tisch und bey Schelling.“53 Von diesen abendlichen Treffen erfährt man in den Schelling-Briefen nichts. Auch die Empfehlungsschreiben für seine Schüler, über die uns deren Briefe informieren, erwähnt der Chirurgie-Professor Johann Barthel von Siebold nicht mit einem Wort in seiner Korrespondenz. Dieselben Aussparungen lassen sich auch in den anderen Briefen beobachten. Die Professoren berichteten für gewöhnlich nicht über Interaktionen mit Studenten.54 Zwar 52 Reinhard M. Nickisch, Brief, Stuttgart 1991, S.48; s. auch Robert Vellusig, Schriftliche Gespräche. Briefkultur im 18. Jahrhundert, Wien 2000, S. 95 ff. 53 August Breál an Eduard von Schenk am 22.11.1805. 54 Ferdinand Franz Wallraff und Schelling tauschten allerdings mehrere Briefe aus; einen davon schrieb Schelling sogar an Heiligabend. Einer von Schellings ehemaligen und Wallraffs derzeitigen Studenten wurde in Köln schwer krank. Schelling, der davon erfuhr, bat Wallraff daraufhin, sich um den jungen Mann zu kümmern, s. Schelling an Ferdinand Franz Wallraff am 24.12.1803.
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nannten die Professoren oft die Studentenzahl in ihren Kollegien, doch darauf beschränkte sich die Darstellung der Kontakte mit Studenten. Erst dann, wenn die ehemaligen Studenten nach der Promotion auf der Suche nach einer Stelle waren, erfuhren auch die Kollegen regelmäßig von ihnen. Auch ohne das Heranziehen anderer Briefe erschließt sich eine große Lücke in den Briefen der Universitätslehrer. Lektüren etwa, die zum Alltagsleben des Professors gehört haben müssen, blieben unerwähnt, außer, es handelte sich um einen Text des Adressaten oder um Bücher, Rezensionen oder andere Journal-Beiträge, die den Verfasser oder Adressaten betrafen. Über alltägliche Erlebnisse in der Familie wie Geburtstage, den Schulbeginn der Kinder oder Krankheiten schrieben die Professoren ihren Briefpartnern im Regelfall nicht. Kinder oder die Ehefrau tauchten überhaupt nur in einer Handvoll Briefen auf, dann nämlich, wenn Nachwuchs auf die Welt kam, Frau oder Kinder schwer krank wurden oder starben. Den Alltag von Frauen aus diesem Milieu, wie Katharina Geiger ihn in einer Szene gezeichnet hat (Abb. 5), ist daher schwer zu greifen. Einzig bei Vertragsverhandlungen mit Verlegern und Buchhändlern erwähnten die Professoren ab und an ihre Familie, um mit dem Hinweis auf ihre Größe ein höheres Honorar zu erlangen. Eigene Krankheiten sparten die Professoren ohnehin aus. Die Selbstbeschreibung als Kranke scheint den Frauen dagegen gestattet gewesen zu sein. Die wenigen Briefe von Frauen stellten relativ häufig Krankheitsbeschreibungen dar. Sophie Brentano entschuldigte sich für die verspätete Antwort, „car j’ai été bien près d’un autre monde, un mal de gorge, très Sérieux, Suivi d’une fièvre de nerfs“55. Caroline Schlegel-Schelling beklagte sich über „einen schlimmen Tag gestern, einen meiner heftigen Kopfwehtage“56. Die Professoren dagegen verschwiegen ihre Krankheiten meistens. Eine der Ausnahmen stellt ein Brief von Schellings Freund Karl Hieronymus Windischmann dar, der über ein Augenleiden klagte. Caroline Schlegel-Schelling ging jedoch in ihrem Antwortschreiben weitaus empathischer und ausführlicher auf Windischmanns Krankheit ein als Schelling in seinem.57 Dies war vielleicht aber auch dem Umstand zuzuschreiben, dass Schelling und Windischmann gerade zu der Zeit heftig miteinander stritten. Schelling brach sogar vorüber55 Brentano an Sophie von La Roche am 29.12.1797. 56 Schlegel-Schelling an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 21.04.1806; Über Kopfschmerzen schrieb sie noch in anderen Briefen: Schlegel-Schelling an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 25.04.1806; Schlegel-Schelling an Meta Liebeskind am 27.04.1806. 57 Schlegel-Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 01.12.1804; Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 07.12.1804; Eine weitere Ausnahme stellt der Brief des Münchener Medizin-Professors Karl von Orff dar, s. Ders. an Unbekannt, 06.03.1813.
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gehend den Kontakt zu seinem Freund ab. Johann Jakob Wagner erwähnte in einem Brief in einem Nebensatz zwar seine Krankheit, aber auch die seiner Gattin: „Auch kämpfe ich mit meiner eigenen und meiner Frau Kränklichkeit.“58 In den wenigen Fällen im Sample, in denen Krankheiten lebensbedrohlich wurden, thematisieren die Professoren ihr Leiden allerdings sehr wohl. In dem bereits erwähnten Brief Franz Bergs über seinen Schlaganfall verabschiedete sich der Theologe von seinem langjährigen Korrespondenten „mit der Innigkeit eines Freundes, der eine Reise vorhat, von der sich fürchtet, nicht wiederzukehren.“59 Vorübergehenden Krankheiten hatte Berg in seinen vielen Briefen an Heinrich Paulus vorher nie Aufmerksamkeit geschenkt. Dies bestätigt die Vermutung, dass die Alltagsbriefe über Alltäglichkeiten nur wenig Preis geben. Dazu zählen neben Krankheiten private Vergnügungen wie Theaterbesuche, Spaziergänge, Abendgesellschaften oder Landausflüge, das Wetter wie auch tägliche Verrichtungen wie Essen und Schlafen. Aufschlussreich ist, dass sich die Professoren auch politischen Ereignissen nur selten zuwenden. Weder die große Bühne der europäischen Politik noch die Zeremonien bei den Regierungswechseln in Würzburg spielt in den Briefen eine große Rolle. Von den Professoren erwähnt niemand Huldigungen oder Besitzergreifungen in der Stadt. Caroline Schlegel-Schelling war die einzige, die über eine Regierungsübernahme in der Stadt schrieb. Die Briefe, in denen die Feierlichkeiten erwähnt werden, stammen also bezeichnenderweise nicht von einem Professor, sondern von Schellings Frau und sind an ihn gerichtet. Die Beobachtungen Schlegel-Schellings sind von einem unüberhörbaren Abgrenzungsbedürfnis bestimmt: „Ich habe heut die Anstalten vor dem Rathhause gesehn – horribler und geschmackloser ist selbst noch kein Heiliger der Kirche bedient worden. Auch ist das Ding in Form eines Hochaltars und einige Duzend bretterner Tugenden sind daran aufgepflanzt. Billig sollen sie eine recht colossale Hoffnung vor dem Einzugsthore aufstellen. Die Stadt sieht jetzt mit allen den Anstalten wie ein schlechtes Theater bey Tage aus.“60 Und weiter: „Es ist eine Menge Bauernvolk in der Stadt, sie führen die Kinder an der Hand und bleiben vor allen Häusern stehn, wo es was buntes giebt. Die Universität wird ganz einfach beleuchtet, auch der Thurm nicht, diese kluge Jungfrau sparet ihr Öhl. Dich würde der Spektakel entsetzlich amüsiren.”61 In einem weiteren Brief heißt es: „Man hat keinen ruhigen Augenblick mehr vor Bürgeraufzügen, exerciren, paradiren, Musik die ganze Nacht hindurch, wobey sie ein paar furchtbare Pauken, die irgendwo noch gesteckt haben mögen, in schmetternde Bewegung setzen, daß ich zittre, wenn ich sie von 58 59 60 61
Wagner an Andreas Adam am 29.04.1805. Berg an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 22.05.1818. Schlegel-Schelling an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 30.04.1806. Ebda.
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weiten inne werde.“62 Hier spricht die feinsinnige und gebildete Ehefrau eines Professors. Schlegel-Schelling lässt keinen Zweifel daran erscheinen, dass sie sich vom lauten Getöse des Volkes in den Gassen gestört fühlt und mit der Loyalität gegenüber dem Fürsten, denn dafür steht die Szene, nichts anfangen kann. Diese Briefstellen lassen vermuten, dass die Professoren auf die Beschreibung der Feierlichkeiten deshalb verzichtet haben, weil dies dem Selbstkonzept als Professor zuwiderlaufen wäre. Schließlich gehörte die docta ignorantia gegenüber politischen Ereignissen, besonders auf lokaler Ebene, zum Repertoire des Bildungsbürgers, wie etwa Bausinger und Kocka gezeigt haben.63 Die Aussparung von Frau und Familie, Krankheiten, Studenten und politischen Ereignissen bedeutet nicht, dass diese Bereiche keine Relevanz für die Professoren besaßen, sondern dass sie den Brief nicht als geeignetes Medium für solcher Art Informationen empfanden. Hinzu kommt, dass der Brief als Nachrichtenquelle gehörig an Bedeutung verloren hatte. Vom Weltgeschehen erfuhren die Universitätslehrer regelmäßig und ausführlich in den gelehrten Zeitungen. Es brauchte am Ende des 18. Jahrhunderts keine Briefe mehr, um Neuigkeiten aus Politik und Gesellschaft zu erfahren und weiterzugeben. Paul Ziche und Peter Bornschlegell haben resümiert, der Brief sei um 1800 „in seiner Funktion als Medium der Verbreitung von Informationen … durch Buch- und insbesondere Zeitschriftenpublikationen abgelöst“ worden.64 Politische Äußerungen tauchten sicher auch deshalb selten auf, weil man sich der Zustimmung des Adressaten nicht sicher sein konnte, zumal die Zeit um 1800 äußerst reich an politischen Standpunkten war. Außerdem darf man die Arbeitsbelastung von Professoren schon am Ende des 18. Jahrhunderts nicht vergessen. Universitätslehrer hatten, natürlich abhängig von ihrer Reputation und anderen Faktoren, täglich Briefe zu schreiben und darin meistens sehr konkrete Dinge zu verhandeln. Der Alltagsbrief war darauf angewiesen, schnell und zuverlässig einzelne Gegenstände der Arbeit auszutauschen und keine Politik- und Familienangelegenheiten auszutauschen. Für ihre Arbeit stellte der Brief ein unverzichtbares Mittel dar. Die Professoren korrespon62 Schlegel-Schelling an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 25.04.1806. 63 Hermann Bausinger: Bürgerlichkeit und Kultur, in: Kocka: Bürgerlichkeit, S. 121-142; s auch Jürgen Kocka: Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert, in: Ders.: Bürgerlichkeit, S. 2163. 64 Ziche, Bornschlegell: Wissenschaftskommunikation, S. 253. Über die Datierung ließe sich sicherlich streiten. Vermutlich setzte der Funktionswandel bereits vorher ein und war zu Beginn der Französischen Revolution bereits abgeschlossen. Hans-Jürgen Lüsebrink und Rolf Reichardt etwa haben auf Grundlage von Zeitungsrecherchen das hohe Informationsniveau der deutschen Stadtbevölkerung über den Bastillesturm nachgewiesen, s. Hans-Jürgen Lüsebrink, Rolf Reichardt: Die Bastille: zur Symbolgeschichte von Herrschaft und Freiheit, Frankfurt/Main 1990.
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dierten mit Freunden und Kollegen, die sie Jahre lang nicht oder nur wenige Tage lang sahen. Der Brief stellte folglich das einzige alltägliche und private Kommunikationsmedium dar, das den Professoren zum Austausch mit entfernten Personen zur Verfügung stand.65 Besuche waren selten und zur Zeit der Napoleonischen Kriege oft ohnehin nicht möglich. Das Konferenzwesen entstand erst gut einhundert Jahre später. Was der Professor aus Würzburg seinem Kollegen in Jena oder Heidelberg persönlich mitzuteilen hatte, musste er im Brief schreiben. Dieser Umstand erlaubt es, einen relativ klaren Blick auf das zu gewinnen, was die Professoren beschäftigte. Allerdings verbirgt der Brief insofern auch Bedeutendes, als es sich nicht um ein Medium der Selbstverständigung und Selbstreflexion handelt, sondern um ein Mitteilungsmedium. Die Adressiertheit an den Kollegen stellte m. E. einen zentralen Widerstand dar. Sie äußerte sich im Brief an der „Empfangsorientiertheit“ der Sprache.66 Der Leser der Briefe war folglich an einen bestimmten kommunikativen Rahmen gebunden. Insofern stellt es einen erheblichen Unterschied dar, ob sich die Analyse von Lebenswelten auf Briefe stützt oder auf andere Quellen wie Justizakten, Bildquellen oder gelehrte Zeitungen. Ein Teil von dem, was Bedeutung für Professoren erlangte, kann durch Selbstzeugnisse nicht erforscht werden. Allerdings ginge bei der gleichberechtigten Einbeziehung anderer Quellen die Perspektivität des Handelns der Akteure verloren. Die Quellenauswahl stellt also auch in dieser Arbeit einen folgereichen Schritt dar, da sie mögliche Ergebnisse ebenso bedingt wie von vorne herein ausschließt. Wolfgang Burgdorf hat in seiner Arbeit über den „Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806“ den Quellenwert von Briefen im Vergleich zu autobiografischen Texten diskutiert. Als Ergebnis spricht er den Briefen den größten wahrnehmungshistorischen Wert zu: Den Briefen, so Burgdorf, „wird man im Vergleich zur Memoirenliteratur Authentizität am wenigsten absprechen können.“67 Allerdings seien auch Briefe nicht frei von Einflüssen und transportieren „frühere Prägungen der Verfasser“68. Außerdem vermutet er, dass nicht nur Literaten „Briefe schon von der Intention her für ein größeres Lesepublikum bzw. für die spätere Veröffentlichung“ schrieben. Dies ist möglich. Allerdings muss man festhalten, dass die Regeln der gelehrten Korrespondenz den Ton der Briefe ohnehin stark begrenzten. Die Professoren hatten all das zu vermeiden, was der Kollegialität zum Adressaten
65 Vgl. Norbert Oellers, 66 Vgl. hierzu Jürgen Herold: Empfangsorientierung als Strukturprinzip. Zum Verhältnis von Zweck, Form und Funktion mittelalterlicher Briefe, in: Karl-Heinz Spieß (Hg.): Medien der Kommunikation im Mittelalter, Stuttgart 2003, S. 265-287. 67 Burgdorf: Weltbild, S. 174. 68 Ebda.
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im Wege stehen könnte, einer Kollegialität, die in den Briefen oft zur Freundschaft stilisiert wurde und als solche auf Form und Inhalt wirkte.
2.2.4. Freundschaft als Gattungsmerkmal Der Aufbau der Briefe, die Erzählstrategien und die Inhalte formten die Beziehung mit, die sich zwischen dem Briefschreiber und seinem Adressaten entfaltete. Diese Beziehung erweist sich ebenso wie die zuvor genannten Briefmerkmale als Filter der Relevanzen, nach denen diese Arbeit sucht. Daher scheint es nötig, die Regeln, welche die Beziehung zwischen Absender und Adressat gestalten, aufzuzeigen. Wahrscheinlich gab es keine bedeutendere Regel als die, sich gegenseitig seine Freundschaft zu versichern.69 Der Brief ist nicht nur eine Gattung der Gleichberechtigung, sondern, noch spezifischer, ein Medium der Freundschaft.70 Die Beschwörung der Freundschaft ermöglicht bei den Professoren jedoch nicht Ungezwungenheit und Regellockerung, wie sie Giacomo Meyerbeers Freund Gottfried Weber in einem Brief an Meyerbeer an den Tag legt: „Aber ich bitte Dich um Himmels Willen, was bist du für ein Mensch, noch immer keine Beantwortung so vieler Artikel früherer Briefe, Du bist wirklich ein elender Mensch.“71 Freundschaft erscheint stattdessen im Briefverkehr der Gelehrten als Appell zur Aufnahme oder zur Fortführung gegenseitiger Hilfestellungen. Freundschaft zum Kollegen beschwören die Professoren auffällig häufig, wenn sie den Adressaten um etwas bitten oder die Bitte des anderen erfüllen. Wenn es in einem Brief Karl Wilhelm Juchs, einem Assistenten des Professors für Chirurgie Johann Barthel von Siebold72, heißt, „eine Buchhandlung in Darmstadt schreibt alles für dich zu thun, und bittet um Freundschaft“73, dann äußert die genannte Buchhandlung damit den Wunsch, Publikationen Siebolds zu verlegen oder zu vertreiben. Christian 69 Zur Rolle von Freundschaft siehe den jüngst erschienen Sammelband: Klaus Oschema (Hg.): Freundschaft oder „amitié“? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.-17. Jahrhundert), Berlin 2007; s. auch Vellusig, Gespräche, S. 56 ff. 70 Insofern wäre die These von Paul Ziche und Peter Bornschlegell von der Bedeutungslosigkeit des Briefes als Informationsmedium vielleicht zu relativieren. Gegenseitige Informationen etwa über den beruflichen Werdegang von Kollegen spielen eine wichtige Rolle in den Briefen. Für politische Neuigkeiten scheint mir die Einschätzung dagegen sehr treffend zu sein, s. Ziche, Bornschlegell: Wissenschaftskommunikation, S. 253. 71 Gottfried Weber an Giacomo Meyerbeer am 23.05.1811. 72 Zu Johann Barthel von Siebold s. Körner: Siebold, S. 161-202. 73 Juch an Johann Barthel von Siebold am 23.07.1799.
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August Fischer schreibt an einen unbekannten, einflussreichen Professor: „Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, daß ich trotz dem ersten unangenehmen Eindruck, die Vorzüge von Wirzburg vollkommen zu schätzen weiß, daß schon allein der edle Charakter des Herrn Grafen von Thürheim, und Ihr freundschaftliches Wohlwollen mir alles ersetzen könnte.“74 Daraufhin bittet Fischer den Adressaten, ihm eine Stelle an der Universität Würzburg freizuhalten. Der Jurist Anton von Handel bedankt sich für die Hilfe eines Kollegen mit den Worten: „Ich werde es als einen Beweiß vorzüglicher Freundschaft anerkennen, und mit Vergnügen jede Gelegenheit benutzen, die Sie mir geben wollten, Ihnen meine Dienstbereitwilligkeit zu bezeugen.“75 Das bürgerliche Freundschaftskonzept sieht ein Hin- und Herpendeln der Freundschaftsleistung vor, die einige Briefschreiber sogar einklagen. Johann Michael Feder etwa schrieb an Heinrich Carl Abraham Eichstaedt, Redakteur der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung im Oktober 1803: „Es ist nun bereits ein Jahr, daß meine Predigten … eingeschickt sind, ein halbes Jahr, daß Gerard’s Vorlesungen über die Pastoraltheologie … eingesendet sind: aber, leider, sah ich von beyden Artikeln noch keine Rec. was mich - einen so warmen Freund Ihres Institutes - nicht anderst als schmerzen kann.“76 Wie bereits erwähnt, verfolgten die Briefe meistens sehr konkrete Ziele. Man erbat die Zusendung von Büchern, die Empfehlung bei einem Universitätskuratoren, die Veröffentlichung einer Rezension oder einfach die Adresse eines Kollegen. Professoren beantworteten ständig Anfragen von Kollegen und beauftragten den Adressaten mit einer Hilfeleistung. Sie waren vom Funktionieren dieses Systems der Freundschaftsdienste abhängig, um ihre Arbeit wie gewünscht verrichten zu können. Eine weitere kommunikative Gattungsregel der gelehrten Briefkommunikation bestand daher darin, dass der private Austausch die Erfüllung beruflicher Anliegen nicht gefährden durfte. Als Gefährdungsherde sind deutliche politische Ansichten wie religiöse Überzeugungen oder offensive Urteile über Kunst und Literatur denkbar, sofern der Absender die Haltung des Adressaten in den entsprechenden Themenbereichen nicht kennt oder sich dieser nicht sicher ist. Die gegenseitige Angewiesenheit erscheint mir als der zentrale Grund für die Seltenheit ernsthafter politischer Erwägungen. Eng verwandt damit scheint die Bedeutung der Gattung Brief als Schriftmedium zu sein. Der Absender musste jede Aussage im Brief danach befragen, ob sie geeignet wäre, unverbrüchlich an den Adressaten gerichtet zu werden, da diese nicht rückgängig gemacht, stattdessen aber jederzeit wieder kontrolliert werden konnten. Dies trug sicherlich dazu bei, dass man Kollegen
74 Fischer an Unbekannt: 07.05.1804. 75 Von Handel an Cottasche Buchhandlung am 06.03.1814. 76 Feder an Heinrich Carl Abraham Eichstaedt am 16.10.1803.
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im direkten Briefkontakt eher selten und dann vorsichtig kritisierte – gegenüber dritten dagegen allerdings umso heftiger. Bei den Bemerkungen zur Regelgeleitetheit von Briefen darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Bandbreite an Sprachstilen und Ausdrucksweise am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert in einem gebildeten Milieu wie der Würzburger Professorenschaft enorm groß war. Bei den hier genannten Gattungsregeln handelt es sich also um den Versuch, Regeln für eine Vielzahl von Varianten herauszufiltern. Es gibt nicht wenige Briefschreiber, die auf jegliche Form von Ironie verzichteten. Und im Sample befinden sich Briefe, in denen die Autoren den Adressaten ohne jegliche Freundschaftsbekundung gegenüber traten. Das „Moment der Freiwilligkeit“, das dem Brief, anders als den meisten anderen Quellengattungen zu eigen ist, lässt sich also nicht nur an äußerem und innerem Aufbau, sondern auch an der Freiheit des sprachlichen Ausdrucks erkennen.
2.2.5. Andere Quellen Neben den Briefen bezieht dieses Kapitel weitere Quellen ein. Gelehrte Zeitungen, Intelligenzblätter und Journale wie die Allgemeine Literaturzeitung, später die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, Der Freimüthige und die Oberdeutsche Literaturzeitung werden genannt, wenn sich das Briefgespräch auf darin erscheinende Rezensionen oder Aufsätze bezieht. Besonders Rezensionen sind hier von Interesse, da sie in den Briefen eine enorme Rolle spielen. Dies tun sie nicht zuletzt deswegen, weil einige Professoren ihre Rezensionen anonym veröffentlichten und das Rätselraten um den Autor die Briefpartner beschäftigt. Auch die offenen Briefe, eines der Kampfmittel im Gelehrtenstreit, erschienen meistens in mehreren Zeitungen gleichzeitig. Zeitungen dienten daneben dem Verständnis von Anspielungen und der Einordnung von Namen und Daten in den Briefen. Einige der wissenschaftlichen Werke oder herausgegebene Reihen der Professoren werden mit derselben Absicht wie die Zeitungen und Zeitschriften zu Rate gezogen: zum besseren Verständnis der Briefe. Die inhaltliche Dimension der Werke spielt eine untergeordnete Rolle, und das nicht aus eigener Entscheidung heraus, sondern weil die Thesen und Argumente in den Briefen nur selten Erwähnung finden. Stark dagegen beschäftigte die Professoren die Publikation als Qualifizierungsmedium für die akademische Laufbahn oder als Einkommensquelle. Auch Monografien machten sich die Professoren in fortgeschrittenen Phasen der Auseinandersetzung zunutze, um den Gegner zu disqualifizieren. Weiter seien die Schriften der Verleger erwähnt. Zu ihnen gehört die Streitschrift „Über den
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Zustand des Buchhandels“ in Würzburg, vorgelegt vom Würzburger Verleger Johann Joseph Stahel im Jahr 1803.77 Stahel gab in diesem kleinen Bändchen Auskunft über die Situation des Buchhandels in Deutschland im Allgemeinen und den Würzburger im Speziellen und reagierte damit gleichzeitig auf Vorwürfe aus dem Senat der Universität, die das Buch zu Beginn wiedergibt. Seine Schrift ergänzen einige Beiträge von anderen deutschen Buchhändlern und Verlegern, etwa Arnold Mallinckrodts Schrift „Über Deutschlands Litteratur und Buchhandel“ oder Heinrich Bensens „Ueber den gegenwärtigen Zustand des teutschen Buchhandels“78. Die Publikationen der Buchhändler und Verleger tragen zum Verständnis der Konflikte und Missverständnisse zwischen Professoren und Verlegern bei. Schließlich einige Bemerkungen zu autobiographischen Texten. Sicherlich wäre die Benutzung von autobiografischen Schriften eine große Hilfe, da sie Relevanzen klarer zutage treten lassen als Briefe. Autobiografien legen oft Lebenspläne, Wünsche und Nöte in einer Klarheit dar, welche die vielen Detailgeschäfte der Briefe verdecken. Auf der anderen Seite würde die Gleichstellung von Memoiren und Briefen dem Ziel der Arbeit entgegenstehen, Relevanzen zum Zeitpunkt der Veränderungen zu untersuchen. Denn Autobiografien geben die meisten der Relevanzen, die sich aus den Briefen ablesen lassen, gar nicht wieder. Die Schwierigkeiten bei der Verlagssuche oder die Einflusssicherung bei der Neubesetzung von Lehrstühlen und viele andere der weiter unten angesprochenen Handlungsfelder finden in den allermeisten autobiografischen und biografischen Texten keine Erwähnung. Über Christian August Fischer etwa, Professor für Kulturgeschichte an der Universität Würzburg zwischen 1804 bis 1809, veröffentlichte ein Freund nach Fischers Tod 1818 ein Buch mit dem Titel „Geschichte der Amtsführung und Entlassung des Professors C. A. Fischer zu Würzburg“79, das Briefe, Diarium und Amtsschriftgut versammelt, seine Entlassung unter Ferdinand von Habsburg auf langen 200 Seiten beleuchtet und seinen Ruf als Gelehrter zu verteidigen versucht. Untersuchte man die Relevanzen Fischers anhand dieses Werkes, müsste man zum Ergebnis kommen, dass es die Bewunderung Thürheims war, die Fischer zum Lehrstuhl verhalf. Fischer schildert in seinem nachträglich geschriebenen Diarium die ausführlichen Gespräche mit Thürheim, seine Einladungen zu abendlichen Diners bei dem Landeskommissär und gemeinsamen Schifffahrten. Die Verhandlungen über die Annahme der 77 Veit Joseph Stahel: Ueber den gegenwärtigen Zustand des Buchhandels in Würzburg, Würzburg 1803. 78 Beide Werke sind abgedruckt bei: Ernst Fischer (Hg.): Der Buchmarkt der Goethezeit. Eine Dokumentation, Hildesheim 1986. 79 Christian August Fischer: Geschichte der Amtsführung und Entlaßung des Profeßors C. A. Fischer zu Würzburg, von ihm selbst geschrieben; herausgegeben von Dr. Hermann Eckard, Leipzig 1818.
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Professur sei nach einigen Tagen „dahin beendigt [worden], dass an dem Erfolge kaum mehr zu zweifeln war.“80 Thürheims mündlich vorgetragene Bedingung, die Zusage müsse bindend sein, empfand Fischer demnach als „den Umständen angemessen, und bat mir bloß einen kurzen Termin zur Ordnung meiner Angelegenheiten aus. Eben wollte ich nun von dem vortreflichen, mir für immer so werth gewordenen Manne Abschied nehmen, als er mich noch für den Abend zum Essen einlud.“ Betrachtet man die Briefe Fischers von 1804, stellen sich leicht Zweifel ein, ob das selbstverständlich und freundschaftlich anmutende Verhältnis zu Thürheim der Wirklichkeit entsprach. Fischer konnte sich der Berufung ganz und gar nicht sicher sein und bat einen Kollegen darum, „bey Sr. Excellenz mein Apologet zu seyn“81. Diesen Wunsch erneuert er in dem Brief mehrmals, obwohl er ihn seinem Gegenüber schon in einem Gespräch genannt hatte: „Bey weiterer Überlegung habe ich es für das beste gehalten, Ihnen diese Erklärung schriftlich zu wiederholen, um Sie deshalb um Ihre gütige Verwendung bey Sr. Excellenz ausdrücklich zu ersuchen.“82 Auch die kurze Dauer des Berufungsverfahrens, von der das Diarium berichtet, entspricht nicht den Inhalten der Briefe: „Vielleicht wagte ich hinzuzusetzen - würde der Herr Graf mir erlauben können, meinen endlichen Entschluß noch einige Monate aufzuschieben, und unterdeßen keine weitere Schritte zur Besezung der bewußten Stelle thun.“83 Nicht zuletzt die Entscheidung für das Professorenamt stellen sich in Diarium und Briefverkehr ganz unterschiedlich dar. In der autobiografischen Schrift gibt Fischer Einblick in sein Leben als Reiseschriftsteller, dem ein Ordinariat nicht im Sinne stand: „Nicht, als ob ich nur im mindesten an eine Professur in Würzburg gedacht hätte, denn ein Amt lag damals noch außer meinem Plan.“84 Ganz anders bewerten Josef Huerkamp und Georg MeyerThurow das Fischersche Berufungsverfahren auf Grundlage seiner Briefe: „Endlich hatte das erniedrigende Antichambrieren ein Ende, die so lange vergeblich angestrebte Stelle war gefunden.“85 Ein zweites Beispiel: Friedrich Wilhelm von Hoven erwähnt in seiner Autobiograhie auch sein Verhältnis zu Schelling und Paulus. „Ihre Ankunft“, heißt es darin, „war mir umso erwünschter, da ich, ungeachtet der Freundschaftsversicherungen meiner Kollegen, doch im Grunde noch niemand in Würzburg hatte, an den ich mich mit Vertrauen hätte anschließen können, als diese Landsleute. Sie sind Württemberger, und die Württemberger mögen in der Welt zusammenkommen, wo sie wollen, sie begegnen sich als Freunde 80 81 82 83 84 85
Eckard: C. A. Fischer, S. 10. Fischer an Unbekannt am 07.05.1804. Ebda. Ebda. Eckard: C. A. Fischer, S. 3. Huerkamp, Meyer-Thurow: Einsamkeit, S. 245.
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und halten als solche zusammen und meistens fester als in dem Vaterlande selbst.“86 Dies schrieb Hoven, obwohl ihm bewusst gewesen sein muss, dass die gegenseitige Abneigung der Landsleute Paulus und Schelling nicht größer hätte sein können. In seinem Brief an Schiller aus dem Jahr 1804 fällt das Urteil über Schelling etwas anders aus. Er sei „ein herrschsüchtiger Mensch, der nach nichts geringerem, als nach der Einführung einer literarischen Hierarchie strebt, und seine Philosophie oder vielmehr Unphilosophie ist die verderblichste Art von Philosophie, welche je auf die praktischen Wissenschaften, und besonders auf die Medicin, Einfluß gehabt hat.“87 Selbstverständlich wäre es erkenntnisreich, genau diese Umformungen in der Eigengeschichte zu thematisieren und, ganz konkret, die Relevanzen der Professoren in der Napoleonischen Zeit mit dem zu vergleichen, was die Biografen und Autobiografen in der Rückschau als bedeutsam ausgeben. Einige Arbeiten in jüngster Zeit sind diesen Weg gegangen und haben die Interpretationen der selbst erlebten Geschichte durch bestimmte Gruppen thematisiert.88 Wolfgang Burgdorf etwa konnte in den Memoiren von Pfarrern und Hochschullehrern im Deutschen Bund eine „Verdrängung der Zeitgeschichte“89 konstatieren. Ute Planert ist der Instrumentalisierung der Koalitionskriege in den ehemaligen Rheinbundstaaten auf den Grund gegangen und hat die Nutzbarmachung der Kriegserinnerung zum Zweck der Staatsintegration aufgedeckt.90 Dies wäre auch für die Professoren in Würzburg möglich. Doch müsste dies in einem eigenen, nächsten Schritt und mit einem veränderten Ansatz geschehen. Das Schützsche Konzept der Lebenswelt erscheint für die Erforschung von Memoirenliteratur m. E. weniger gut 86 Friedrich Wilhelm von Hoven: Lebenserinnerungen, Berlin 1984, S. 175. 87 Hoven an Friedrich Schiller am 03.08.1804. 88 Für die Napoleonische Zeit sei auf die Studien zur Autobiographik der Soldaten verwiesen. Den nachträglichen Umdeutungen widmete sich zuletzt Julia Murken: Bayerische Soldaten im Russlandfeldzug 1812. Ihre Kriegserfahrungen und deren Umdeutungen im 19. und 20. Jahrhundert, München 2006, hier: S. 161-199. Auch die Zeitgeschichte widmet sich am häufigsten den Memoiren von Kriegsteilnehmern. Xosé-Manoel Núñez etwa geht in einem Aufsatz der Ostfronterfahrung der spanischen Blauen Division in Selbstzeugnissen und Autobiografien zwischen 1943 und 2004 nach. Dabei deckt er zwar einen auffällig stark ausgeprägten Realismus in der Darstellung des Kriegsgeschehens auf, spricht aber auch von „Tabus, die nur selten gebrochen wurden“. Dazu zählten „die Misshandlung von Zivilisten“, „Homosexualität unter Waffenkameraden“ und „die Exekution von Gefangenen“, s. Xosé-Manoel Núnez: „Russland war nicht schuldig“. Die Ostfronterfahrung der spanischen Blauen Division in Selbstzeugnissen und Autobiographien, 1943-2004, in: Michael Epkenhans, Stig Förster, Karen Hagemann (Hg.): Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, Paderborn u.a. 2006, S. 236-267, hier: S. 240 f. 89 Burgdorf: Weltbild, S. 251. 90 Planert: Mythos, S. 620-641.
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geeignet. Mit Schütz wäre es zwar möglich, die lebensweltlichen Interessen von Auslassungen und Überinterpretationen zu analysieren. Doch für die Analyse der Erinnerungen selbst wäre die Begrifflichkeit des LebensweltKonzepts nicht ausreichend.
2.3. Berufen und Entlassen als politische Maßnahme 2.3.1. Berufungspolitik als Reformpolitik im 18. Jahrhundert Schon im 17. und gesamten 18. Jahrhundert stellten Berufungen und Entlassungen ein zentrales Element der Universitätspolitik dar. Die Fürsten ließen Professoren quieszieren und neue Lehrer einstellen, um das entsprechende Fach an der Hohen Schule oder Universität neu auszurichten. Oder die Regierung entließ Professoren auf neu gegründete Lehrstühle, deren Zuschnitt gerade in Mode war. Die Personalveränderungen vollzogen sich im Kontext der allmählichen „Befreiung aus den Eierschalen des traditionell-aristotelisch geprägten scholastischen Denkgebäudes, ohne dessen Substanz gleichwohl die geistige Evolution nicht vorstellbar wäre.“91 Wenn aufgeklärte Ideen in die Universitäten gelangten und sich scholastisches Denken aus den Hochschulen verflüchtigte, dann auch deshalb, weil die Regierungen das Personal der Universitäten austauschten.
91 Laetitia Böhm: Die deutschen Universitäten im Sozialgefüge des absolutistischen Fürstenstaates. Zwischen scholastischer Tradition, normativer Wissenschaftsorganisation, adeligen und bürgerlichen Bildungsansprüchen, in: Wilfried Barner, Elisabeth Müller-Luckner (Hg.): Tradition, Norm, Innovation. Soziales und literarisches Traditionsverhalten in der Frühzeit der deutschen Aufklärung, München 1989, S. 251-273, hier: S. 267; die Reformpraxis betont ebenfalls Laetitia Böhm: Universität in der Krise? Aus der Forschungsgeschichte zu katholischen Universitäten in der Aufklärung am Beispiel der Reformen in Ingolstadt und Dillingen, ZBLG 54 (1991), S.107-157. Zu den Universitätsreformen des 18. Jahrhunderts s. im selben Sammelband auch Notker Hammerstein: Der Wandel der Wissenschafts-Hierarchie und das bürgerliche Selbstbewusstsein. Anmerkungen zur aufgeklärten Universitäts-Landschaft, S. 277-295; Ders.: Die deutsche Universitätslandschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert, in: Gerhard Müller, Klaus Ries (Hg.): Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800, Stuttgart 2001, S. 13-26; zu Universitätsreformen im europäischen Kontext und in der Konkurrenz zu Akademien Notker Hammerstein: Innovation und Tradition. Akademien und Universitäten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, in: HZ 287/3 (2004).
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Die erste Würzburger Reform im Geist der Aufklärung92 unternahm Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn (1729-1746). Schon in seiner vorigen Funktion als Reichsvizekanzler in Wien hatte er eine Kommission eingesetzt, welche die Reformbedürftigkeit der Alma Julia in Gesetze gießen sollte. Als Ergebnis langjähriger Arbeit der Kommission erließ Schönborn 1731 eine neue Studienordnung, die den gesamten Bildungs-Lebenslauf der Würzburger Landeskinder neu regelte. Zur Umsetzung der Reform befahl Schönborn auch Veränderungen bei der Lehrstuhlbesetzung. „Der pragmatischutilitaristische Charakter dieser Ordnung und ihre Betonung der Praxisnähe durchaus im Sinne der Aufklärung zeigten sich an zahlreichen Einzelbestimmungen für die Fächer, so etwa in der medizinischen Ausbildung am Krankenbett, mit der Einführung einer Professur für zivile und Militärarchitektur (Balthasar Neumann), mit dem Vordringen der deutschen Sprache in den Vorlesungen zunächst für Mathematik anstelle des obligaten Latein, bei der Zurückdrängung der Polemik in der Theologie, mit der Einschiebung eines gesonderten Studium historicum für Juristen und Theologen, ferner mit der Einführung des Studiengangs Kameralwissenschaften und nicht zuletzt mit der deutlichen Akzentverschiebung in der Jurisprudenz vom Römischen Recht zum Reichsstaatrecht, Lehnrecht auf historischer Grundlage sowie zum Natur- und Völkerrecht.“93 Schönborn berief für das Reichs-Staatsrecht Johann Adam Ickstadt, der von 1731 an zehn Jahre lang in Würzburg lehrte. „Ickstadt wurde eine Schlüsselfigur für die Ausbreitung der Aufklärung im katholischen Süden des Reiches und für den Kampf gegen das scholastische Ausbildungssystem der Jesuiten.“94 Für den jungen Ickstadt endete mit der Berufung auf den Lehrstuhl übrigens eine lange Phase unsicherer Arbeitsverhältnisse. Er hatte in Mainz und Paris die Hohen Schulen besucht und sich im Anschluss ab seinem 19. Lebensjahr als Soldat in französischen Diensten verdingt. Nach freiwilligem Ausscheiden aus dem Militärdienst und Jahren andauernder Reisen durch Europa kehrte er nach Deutschland und an die Universität zurück. Er hörte Christian Wolff in Marburg und promovierte auch bei ihm. Allerdings erhielt er dort in Marburg keine Stelle und, was nur selten vorkam, auch keine Lehrerlaubnis als Privatdozent. Die Berufung nach
92 Heinz Duchhardt hat allerdings darauf aufmerksam gemacht, wie stark die Bezeichnung von politischen Veränderungen in geistlichen Staaten des 18. Jahrhunderts als ‚aufgeklärt’ letztlich im Ermessen des Historiographen liegt, s. Heinz Duchhardt: Die geistlichen Staaten und die Aufklärung, in: Andermann: Die geistlichen Staaten, S. 5566, hier: S. 59 f. 93 Baumgart: Bildungswesen, S. 366. 94 Anton Schindling: Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit, 1999, S. 10; Schöpf: Beschreibung, S. 367 ff.
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Würzburg als ordentlicher Professor, verbunden mit der Ernennung zum Hofrat, bedeutete also einen blitzartigen Aufstieg für den jungen Juristen.95 Darüber hinaus ist der Kirchenrechtler Johann Kaspar Barthel zu nennen, der von 1727 bis 1771 kanonisches Recht lehrte. Anders als bei Ickstadt verlief die Laufbahn Barthels gerade und geplant. Nach der Ausbildung am Würzburger Jesuiten-Gymnasium und im dortigen Priesterseminar, die er mit der Priesterweihe abschloss, ging Barthel nach Rom, um bei Prosper Lambertini, dem späteren Papst Benedikt XIV., Kirchenrecht zu studieren. Zurückgekehrt, erhielt er 1727 einen Lehrstuhl an der theologischen Fakultät. Barthel stellte als einflussreicher Wegbereiter des deutschen Episkopalismus die päpstliche Autorität in Frage und historisierte in seinem Werk deren Zustandekommen. Auch stützte er sich auf die Thesen des Febrionianismus und wurde zu einem seiner Gewährsmänner. Barthel scharte eine ganze Schar junger Theologen um sich, von denen später viele Lehrstühle besetzten und das Reichskirchenrecht Barthelscher Prägung weiter verbreiteten. Der Erfolg seiner Schüler führte dazu, dass sich „von Würzburg ausgehend, eine neue Epoche in der Entwicklung der Kanonistik in Deutschland“ etablierte96. Die Auflösung des Jesuitenordens, die nächste Welle von Personalveränderungen, bedeutete zwar in der Geschichte der Würzburger Universität einen „sehr tiefen Schnitt“97. Doch im Vergleich zu anderen Universitäten behielten in Würzburg relativ viele Professoren der Societas Jesu ihre Lehrstühle, die sie fortan als Weltgeistliche bekleideten98. „Eine Stunde Null“, so resümiert Winfried Müller die nach-jesuitischen Reformen in Würzburg und
95 Johann Georg Meusel: Lexikon der vom Jahre 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, Bd. 6, Leipzig, 1806, S. 243 ff. 96 Anton Schindling: Die Julius-Universität im Zeitalter der Aufklärung, in: Peter Baumgart (Hg.): Vierhundert Jahre Universität Würzburg. Eine Festschrift, Neustadt/Aisch 1982, S. 77-127, hier: S. 87; zur Wirkung der Reform unter Schönborn s. auch Böhm: Krise, S. 125 ff.; Harald Dickerhoff differenziert verschiedene Etappen der aufgeklärten Reformen: Dickerhoff: Die katholischen Universitäten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation des 18. Jahrhunderts, in: Notker Hammerstein, Aufklärung und Universitäten in Hessen, in: Hessische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.): Aufklärung in Hessen, Wiesbaden 1999, S. 27-34, hier: S. 32; der Wortlaut der Universitätsordnung von 1731 bei Franz Xaver von Wegele: Geschichte der Universität Wirzburg, Teil 2: Urkundenbuch, Würzburg 1882 (ND Aalen 1969), S. 323. 97 Schindling: Julius-Universität, S. 89. 98 S. hierzu Winfred Müller: Die Exjesuiten. Eine Funktionselite ohne Aufgabe?, in: Rudolf Schieffer (Hg.): Kirche und Bildung vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Beiträge der Sektion für Geschichte auf der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft in Eichstätt, 23. bis 27. September 2000, München 2001, S. 43-52; Winfried Müller: Die Aufhebung des Jesuitenordens in Deutschland, in: Bernard Plongeron (Hg.): Aufklärung, Revolution, Restauration (1750-1830), Freiburg i.Br. 2000, S. 173-178.
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Ingolstadt, „war das Jahr 1773 weder in Ingolstadt noch in Würzburg. Dies war u. a. auch ein Ergebnis der Personalpolitik.“99 Verantwortlich für die Entmachtung der Jesuiten im Bistum Würzburg war Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim. Zunächst berief dieser Michael Ignaz Schmidt. Der Historiker erhielt eine nach seinen Vorstellungen geformte Professur für deutsche Reichsgeschichte. Bekanntheit erlangte Schmidt schlagartig, nachdem er die ersten Bände der „Geschichte der Deutschen“ (ab 1778) veröffentlicht hatte. Franz Oberthür erklärte ihn später zum „Geschichtsschreiber der Deutschen“.100 Schmidt stammte wie Barthel aus dem Hochstift Würzburg und durchlief die üblichen Stationen von Gymnasium, Priesterseminar und Studium an der Fakultät für Katholische Theologie. Nach einer kurzzeitigen Anstellung als Kaplan und einem eher außergewöhnlichen Umweg als Hofbibliothekar folgte die Professur an der Universität. Schmidt diente der Regierung außerdem als Vermittler. Die Regierung Adam Friedrich von Seinsheims berief mit Schmidt zunächst einen viel versprechenden jungen Universitätslehrer und ließ sich dann von diesem bei den weiteren Berufungen unterstützten – ein Muster, das nach 1803 wieder auftauchte, dann aber für erhebliche Konflikte sorgte. Wie stark Schmidt konkret in die Berufungen eingebunden war, ob er vorher Rücksprache mit den Betreffenden hielt oder er der Regierung lediglich Namen vorschlug und ob er eigene Wunschkandidaten durchsetzen konnte, ist nicht bekannt. Letztendlich behielten in der Philosophischen Fakultät drei ExJesuiten ihre Posten, allerdings in den weniger bedeutenden Fächern Physik und Mathematik. Die Lehrstühle für Logik und Ethik sowie für Geschichte der Philosophie besetzte die Regierung neu. Logik und Ethik lehrte künftig der Neuberufene Columban Rösser, ein Benediktiner aus dem Kloster Banz bei Bamberg.101 Den Lehrstuhl für Geschichte der Philosophie und Ethik erhielt Nikolaus Steinacher und damit ein vom Göttinger AufklärungsPhilosophen Georg Heinrich Feder geprägter Weltgeistlicher. An der philosophischen Fakultät behielten also drei Ex-Jesuiten ihre Stelle, nur zwei schieden aus. Bei den Theologen konnten drei Vertreter des aufgelösten Ordens im Amt bleiben, ebenso viele kamen neu hinzu. Einer war der bereits 99 Winfried Müller: Die Universitäten Würzburg und Ingolstadt. Vergleichende Aspekte der frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte, in: Ernst-Günter Krenig (Hg.): Wittelsbach und Unterfranken, Würzburg 1999, S. 72-84, hier: S. 80. 100 Franz Oberthür, Michael Ignaz Schmidt’s des Geschichtsschreibers der Deutschen Lebens-Geschichte: Ein so wichtiger als reichhaltiger Beytrag zur Kulturgeschichte der Deutschen, Hannover 1802; die Entstehung dieses Ehrentitels rekonstruiert Christina Sauter-Bergerhausen. Christina Sauter-Bergerhausen: Michael Ignaz Schmidt – „erster Geschichtsschreiber der Deutschen“? in: Peter Baumgart (Hg.): Michael Ignaz Schmidt (1736-1794) in seiner Zeit: der aufgeklärte Theologe, Bildungsreformer und „Historiker der Deutschen“ aus Franken in neuer Sicht, Würzburg 1996, S. 81-90. 101 Schöpf: Beschreibung, S. 282 ff.
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genannte Schmidt, ein anderer Franz Oberthür, der die Lehre der Jesuiten „mit Spott und Ironie“102 bekämpfte und sich damit deutlich von seinem Vorgänger an der Fakultät absetzte.103 Anders als bei der Neuausrichtung der Philosophischen und Theologischen Fakultät nach Auflösung des Jesuiten-Ordens kamen die Veränderungen in der medizinischen Fakultät in den 1780er Jahren ohne Stellenabbau aus. Die „Rivalität der Mainzer Reformuniversität unter der Regierung seines älteren Bruders Friedrich Karl“ bewegte Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal zur personellen Aufstockung der medizinischen und philosophisch-theologischen Fächer zum 200. Geburtstag der Alma Julia im Jahr 1782. Die Vorschläge stammten nicht von Erthal selbst, sondern von Karl Theodor von Dalberg, der in Würzburg als Domscholaster und Vorsitzender der Schulkommission tätig war und zwischen 1784 bis 1788 das Rektorat der Universität leitete.104 Dalberg und Erthal entschieden sich nicht nur für die Einführung neuer Lehrstühle wie den für Pharmazie und Chemie, sondern auch für die Aufstockung des übrigen medizinischen Personals. Damit einher ging die bauliche Erweiterung des Juliusspitals. In der Medizinischen Fakultät wurde ein eigener Lehrstuhl für Chemie eingerichtet, dessen Gründungs-Inhaber sich zunächst an den Kliniken in Wien und Göttingen weiterbilden musste. So erhöhte sich die Zahl der Ordinarien an der Medizinischen Fakultät bis auf acht im Jubiläumsjahr 1782. Erthal ließ an die Theologische und Philosophische Fakultät gezielt Gelehrte berufen, die aufgeklärte Autoren lasen und die Beliebtheit der Würzburger Universität bei den Studenten fördern sollten, kam dabei allerdings ohne Entlassungen aus. Dafür berief er eine ganze Reihe Professoren auf neue Lehrstühle. Die wichtigste Neuberufung zu diesem Zwecke stellte die Verpflichtung von Matern Reuss dar, der die Kantrezeption in Würzburg etablierte und dafür, wie erhofft, starken Zuspruch unter den Studenten fand.105 Die Neuberufungen an der philosophischen Fakultät entsprachen den Maßnahmen an den übrigen Fakultäten. An den vier Fakultäten unterrichteten bis zu Erthals Tod 1795 mehr Professoren als je zuvor. Sebastian Merkle, ein Würzburger Kirchenhistoriker des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, schreibt pointiert, dass die Reformen Erthals die einzigen Ereignisse des 18. Jahrhunderts waren, die über Würzburgs Universitätsgrenzen hinweg Bedeutung erlangten.106 Für die Wirkung der Maßnahmen Erthals über Franken 102 Schindling: Julius-Universität, S. 93. 103 Zu Oberthür s. Schöpf: Beschreibung, S. 416 f. 104 Außerdem führte ihn sein Amt als Kurmainzer Statthalter in Erfurt, das zum Hochstift Würzburg gehörte, regelmäßig nach Würzburg. 105 Baumgart: Bildungswesen, S. 371 ff; Schöpf: Beschreibung, S. 375 ff. 106 Sebastian Merkle: Würzburg im Zeitalter der Aufklärung, in: Sebastian Merkle (Hg.): Ausgewählte Reden und Aufsätze, Würzburg 1965, S. 421-441, hier: S.421.
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hinaus sprechen jedenfalls die Studentenzahlen während und nach seiner Regierungszeit.107 Der letzte Fürstbischof verzichtete auf den Austausch von Lehrstuhlinhabern, jedoch nicht auf die Lehrstuhlbesetzung als politisches Instrument. Georg Karl von Fechenbach gab im Laufe seiner kurzen Regierung restaurativen Strömungen der Theologie und Philosophie Gelegenheit, ein Gegengewicht zur Würzburger gemäßigten Aufklärung zu bilden.108 Fechenbach berief nach dem Tod eines gemäßigten Ex-Jesuiten den dezidiert antiaufklärerischen ehemaligen Jesuiten Georg Martin Bergold als Dogmatiker, der noch dazu in Würzburg seinen cursus honorum absolviert hatte. Dessen Engagement war Ausdruck des veränderten Umgangs der katholischen Universitäten mit aufgeklärten Ideen vor dem Hintergrund der Französischen Revolution, so Anton Schindling: „Bergolds Aktivitäten … signalisierten doch die sich anbahnende geistige Tendenzwende. Die Französische Revolution und der drohende Untergang der deutschen Reichskirche veränderten die Situation grundlegend; der frühere Optimismus der katholischen Aufklärung war verflogen. Es begannen sich jetzt Kräfte zu regen, die eine Überlebenschance für die katholische Kirche in Deutschland nur in der konsequenten Abkehr von der Aufklärung sahen.“109 Während Fechenbachs Regierungszeit kündigten sich außerdem noch viel weitreichendere Veränderungen an. Als die Franzosen am 4. Juli in die Stadt eindrangen, kam auch der Universitätsbetrieb zum Erliegen. Die Universitätskirche diente der Würzburger Garnison 1796 als Waffenlager.110 Es ist wahrscheinlich, dass viele der Universitätslehrer wie die übrigen Eliten schon vorher die Stadt verlassen hatten. Der vorübergehende Stillstand des Jahres 1796, und noch einmal im Winter 1800/1801, beeinträchtigte den Universitätsbetrieb zwar nicht stark, kündigte aber die folgenden Umwälzungen an. Der Friedensvertrag von Lunéville vom 9. Februar 1801 verpflichtete das Reich nicht nur zur Anerkennung der französischen Annexionen, sondern zur Entschädigung der Landesfürsten, die linksrheinisch Gebiete verloren hatten. Vor diesem Hintergrund fürchteten die Würzburger Universitätslehrer wie überall an den süddeutschen Hochschulen um ihren Arbeitsplatz. Wie rasch dieser bedroht sein konnte, hatte sich 1800 gezeigt, als Kurbayern aus Furcht
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Schindling: Julius-Universität, S. 80. Duchhardt: Geistliche Staaten, S. 61. Schindling: Julius-Universität, S. 120. StadtAW, Rb 393, Eintrag vom 20.07.1796, Tagebuch über die Vorfälle während dem Dasein der Franzosen in Wirzburg (im Jahre 1796). Gesammelt von einem unpartheiischen und aufmerksamen Beobachter.
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vor den Franzosen seine Landesuniversität von Ingolstadt nach Landshut verlegte.111 Die Reformen des 18. Jahrhunderts gingen insgesamt gemäßigt, schrittweise und ohne Entlassungswellen einher. Auf Lehrstühle berief die Regierung fast ausnahmslos Landeskinder. „Die Rekrutierung der Professoren“, so Laetitia Böhm, „vorwiegend aus fränkischen, mehrfach aus nichtakademischen, jedenfalls aus katholischen Familien, sowie auch der landsmannschaftliche Einzugsbereich der Studenten bewahrten der Würzburger Aufklärung Elemente der Bodenständigkeit und Volksverbundenheit, ohne deshalb in geistigen Provinzialismus zu verfallen.“112 Diese Traditionen endeten jäh mit der Auflösung des Hochstifts.
2.3.2. Die kurbayerische Regierung und der Einsatz von Vermittlern Man muss sich die Veränderungen der Universitätslandschaft in Folge der Napoleonischen Kriege in Erinnerung rufen, um nachvollziehen zu können, welchen Bedrohungen der Arbeitsplatz der Professoren spätestens 1801 ausgeliefert war. Der Friede von Lunéville vom 8. Februar 1801 stellte die Existenz der geistlichen Staaten, der Kleinstaaten und der Reichsstädte zur Disposition, und das deutlicher als je zuvor.113 „Das erste Viertel des 19. Jahrhunderts“, so Laetitia Böhm, „brachte für die gesamtdeutsche Universitätslandschaft die gravierendsten Veränderungen seit den Anfängen landesherrlicher Bildungspolitik und Schulgründungen auf dem Reichsboden im Spätmittelalter.“114 Die Zukunft aller süddeutscher Universitäten lag im Ungewissen. Um ihren Arbeits- und Studienplatz fürchten mussten die Universitätsangehörigen an den katholischen Hochschulen Würzburg, Dillingen, Bamberg und Salzburg. Gefahr bestand auch für die Professoren von Altdorf. Zudem kam, dass der Krieg den Universitätsbetrieb lahm legen konnte. Und in der Tat: Viele Befürchtungen bewahrheiteten sich. „Bis auf wenige Ausnahmen“, so R. Steven Turner, „wurden die kleineren, am wenigsten lebensfähigen Institutionen aufgelöst, zum Beispiel die katholischen Uni111 Laetitia Böhm, Johannes Spörl (Hg.): Ludwig-Maximilians-Universität IngolstadtLandshut-München (1472-1972), Berlin 1972. 112 Böhm: Hochschulen, S. 1157. 113 Laetitia Böhm: Bildung und Wissenschaft in Bayern im Zeitalter Maximilian Josephs. Die Erneuerung des Universitäts- und Akademiewesens zwischen fürstlichem Absolutismus, französischem Reformgeist und deutscher Romantik, in: Hubert Glaser (Hg.): Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat, Bd. 3/1, München 1980, S. 186-220. 114 Böhm, Bildung, S. 186.
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versitäten in den säkularisierten, früher kirchlichen Städten und Staaten.“115 Die katholische Hochschule Dillingen hörte nach der Eingliederung Augsburgs in das kurbayerische Territorium auf zu existieren. Altdorf wurde geschlossen, wegen des ungewissen Schicksals der überschuldeten Reichsstadt Nürnberg allerdings erst 1809. Auch die Schließung der Würzburger und der Bamberger Hochschule stand zur Debatte. Nach der Zivilbesitzergreifung beider ehemaliger Hochstifte im Norden des neuen Staates stellte die Regierung in München klar, dass nur eine der beiden Anstalten fortbestehen würde. Die Julius-Universität stand bei den Plänen zur Umgestaltung der akademischen Landschaft Kurbayerns folglich in Konkurrenz zur Hohen Schule in Bamberg. Die neue Hochschule sollte Landshut als zweite kurbayerische Landesuniversität ergänzen. Über die Zukunft beider Universitäten hatte der neue Landesherr Maximilian IV. Joseph auch zum Zeitpunkt der Inbesitznahme der beiden Hochstifte Bamberg und Würzburg, Ende November 1802, noch nicht entschieden. Würzburg hatte die bessere Ausgangsposition inne. Gegenüber der östlichen Nachbarstadt konnte es ein höheres Budget und den glänzenden Ruf der medizinischen Fakultät geltend machen. Außerdem engagierten sich die Würzburger Professoren eindeutiger für den Erhalt der Hochschule und suchten gleich nach dem Regierungswechsel in einer Huldigungsadresse an den Kurfürsten um den Fortbestand der Alma Julia an, in der sie ihr „rastloses Bestreben“ für die Wissenschaften versicherten116. Die Antwort des neuen Landesvaters entsprach den Wünschen der Würzburger und versicherte den Fortbestand „nicht nur in ihrer bisherigen Wesenheit“. Die Universität werde, so Maximilian Joseph, „zu einem Grad von Flor gebracht werden“, der sie „mit jeder Lehranstalt ähnlicher Art zu rivalisiren in den Stand setzt.“117 Damit war die Versicherung des Fortbestands zwar erteilt, doch noch nicht eingelöst. Nach wie vor war die Auflösung denkbar. Die Münchener Regierungsräte diskutierten weiter über die Schließung der einen oder anderen Hochschule. Die Zusage in der oben zitierten Adresse vom 6. Dezember 1802 bedeutete nicht den tatsächlichen Erhalt der Würzburger Universität, und das war auch den besser informierten Professoren bekannt. Diese versuchten weiterhin, ihren Einfluss bei den fränkischen Regierungsvertretern geltend zu machen. Auch Bamberg hatte seine Fürsprecher, selbst in Würzburg. Als bekanntester Verfechter der Bamberger Lösung unter den Professoren gilt Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der dem bayerischen Kurfürsten bereits 115 R. Steven Turner: Universitäten, in: Karl-Ernst Jeismann, Peter Lundgreen (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 3 (1800 - 1870). Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches, München 1987, S. 221249, hier: S. 222. 116 Wegele: Geschichte 2, S. 458. 117 Wegele: Geschichte 2, S. 459.
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seine Zusage für die Besetzung eines Philosophie-Lehrstuhls gegeben und diesen zum Wintersemester 1803/1804 bereits in Würzburg eingenommen hatte. Auch einige von Schellings Würzburger Kollegen favorisierten die Auflösung der Würzburger Universität zugunsten des kleineren Bamberg. Bernhard Spörlein hat gezeigt, dass das Pendel im Herbst 1803 während einiger Wochen noch einmal deutlich Richtung Bamberg ausschlug.118 Sowohl Friedrich Karl von Thürheim, erster Landeskommissar der kurbayerischen Regierung in den neuen Gebieten im Norden als auch Georg Friedrich Zentner, seit 1799 Geheimer Referendar im Münchner Department für geistliche Angelegenheiten, setzten sich zeitweilig für Bamberg ein. Erst um den 7. November 1803 stand die Schließung Bambergs zugunsten Würzburgs fest. Dies lässt sich aus einem Brief Thürheims an Schelling rekonstruieren: „Ich eile Ew. Wohlgeboren zu benachrichtigen, daß mir so eben das Rescript zugekommen ist, wonach die künftige Organisation der Universität bestimmt und weiters festgesetzt wird, daß dieselbe in Würzburg verbleiben soll.“119 Die offizielle und öffentlich gemachte Entscheidung für Würzburg ging also der eigentlichen voraus und fiel zu einem Zeitpunkt, als die Organisationsakte für die Würzburger Universität in München schon ausgearbeitet war. Die Offenheit der Situation spürten auch die bereits Berufenen. „Im Anfang des November kamen wir hier wieder an“, schreibt Caroline SchlegelSchelling an eine Freundin. Dabei fanden sie sich „fast ohne Wohnung, denn diejenige, welche uns von der Regierung zugesagt war, war nicht geräumt und nicht eingerichtet, weil einige Wochen über Ungewissheit obwaltete, ob nicht alles nach Bamberg verpflanzt würde.“120 Mit der Entscheidung für Würzburg war gleichzeitig ein Entschluss zu einer Reform gefallen, die massive Veränderungen für die Professoren mit sich brachte. Die Theologische Fakultät verlor ihren bisherigen hohen Status als eigene Fakultät. Theologie als Studienfach wie noch zuvor gab es ab 1803 nicht mehr. Diese Maßnahme vollzog die Regierung im Kontext der Entkonfessionalisierung der staatlichen Behörden. Im selben Jahr 1803 erließ sie das Edikt „im Betreff der Religionsfreiheit“, womit das „System der ausschließlichen Katholizität“121 auch in den Bildungseinrichtungen sein Ende fand. Die theologischen Fächer fanden sich zurechtgestutzt in der ersten Sektion der zweiten Klasse der Universität, die keine Fakultäten mehr kannte. Diese zweite Fächer-Hauptgruppe lehrte „besondere Wissenschaften, deren Formen 118 Bernhard Spörlein: Von der älteren Universität zum Lyzeum. Bamberg als eine der ersten Universitäten Teutschlands?, in: Renate Baumgärtel-Fleischmann (Hg.): Bamberg wird bayerisch, Bamberg 2003, S. 433-440, hier: 436. 119 Spörlein: Bamberg, S. 436. 120 Schlegel-Schelling an Luise Gotter am 04.01.1804. 121 Benno Hubensteiner: Bayerische Geschichte. Staat und Volk, Kunst und Kultur, München 1980, S. 245.
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mehr oder weniger gesetzlich vorgeschrieben sind, und welche daher zur Ausübung einer bestimmten Function im Staate erfordert werden“122. Das Staatsamt, zu dessen Vorbereitung theologisches Wissen vermittelt wurde, war das des religiösen Volkslehrers. Zu dessen Ausbildung lehrten Theologen beider Konfessionen fortan Fächer wie Homilethik, Exegese oder Dogmatik. In dieselbe Klasse fielen Rechtswissenschaft, Staats- und Kameralwissenschaft und Heilkunde. Die Abwertung der Theologie wird im Vergleich zur ersten Klasse deutlich, die „allgemeine Wissenschaften lehrte“123 und damit Kenntnisse, „welche zur höhern Geistes-Cultur überhaupt, ohne Rücksicht auf einen besonderen Stand im Staate“124 vermitteln sollte. In den Sektionen dieser zweiten Fächergruppe lehrten Schelling Naturphilosophie, Joseph Rückert Philosophiegeschichte, Andreas Metz Logik und Anthropologie und viele andere – aber kein Theologe. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass sich namhafte Theologen auf Lehrstühle der zweiten Klasse beriefen ließen. Die Neueinteilung der Fächer und die Auflösung der Fakultäten zugunsten von Klassen und Sektionen hielten etwa Heinrich Paulus und auch Friedrich Niethammer nicht von einer Zusage ab. Von einer Abwertung der Theologie kann man also nur insofern sprechen, als die Theologie an der kurbayerischen Universität keinen so privilegierten Stand mehr besaß wie an der Universität des Hochstifts Würzburg. Für die Professoren, die von außerhalb kamen, spielte dieser Privilegienverlust dagegen keine große Rolle. Als Zentralorgan der Universitätsverwaltung und -politik setzte die Münchener Regierung eine Kuratel ein, die keine Universitätsbehörde wie zuvor das Würzburger Rektorat darstellte, sondern eine Vermittlungsagentur zwischen der neuen Julius-Maximilians-Universität und dem Münchener Innenministerium. Auch die Verbindung von Universitäts- und Hofamt nahm ein Ende. Die Professoren verloren einen Teil ihrer Privilegien durch den Wegfall des Geheimrats- und Geistlicher-Rats-Titels. Fortan mussten sie sich mit den Vergünstigungen zufriedengeben, die auch für alle anderen gehobenen Staatsdiener vorgesehen waren. Zudem hörte die Universität als Korporation neben Stadt, Adel und Klerus auf zu existieren. Rechtsverfahren gegen Studenten und Professoren verhandelten nicht mehr die Juristen der Universitätsgerichtsbarkeit, sondern fortan die Richter der Obersten Justizstelle in Franken, auch diese eine Neugründung. Ab sofort hatte die Polizei Zugriffsrecht auf die Studenten: „Es sind nun staatliche Behörden, die schuldig oder auch nur verdächtig gewordene Studenten aus der Stadt verweisen und der Universität den Befehl erteilen,
122 Wegele: Geschichte 2, S. 470 f. 123 Ebda. 124 Wegele: Geschichte 2, S. 468.
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diese aus der Matrikel zu streichen.“125 Doch auch dieser Verlust an Selbstbestimmung brachte keinen nennenswerten Protest hervor. Nur ein angeblicher Senatsbeschluss gegen den Korporationsverlust beschäftigte die Landesdirektion kurzzeitig.126 Doch dieser erwies sich als von einer kleinen Gruppe von Professoren gefälscht. Dabei muss es sich um die alten Universitätslehrer gehandelt haben, also überwiegend Geistliche aus dem Hochstift. Denn die Neuen waren zur Zeit dieser kleinen Affäre noch gar nicht berufen. Bei all dem war der Regierung deutlich mehr an einem Reputationsgewinn als an der Konsolidierung der Universitätskassen gelegen. Der neubayerische Staat, so Peter Baumgart, betrachtete „die Würzburger Hochschule als ein bevorzugtes Exerzierfeld seiner staatlichen und universitären Reformpläne“127. Die einzelnen Maßnahmen, so urteilt Baumgart an anderer Stelle, „machten die Universität Würzburg zu einer den Staatszwecken untergeordneten säkularen Staatsanstalt“128. Max IV. Joseph und Montgelas hatten die Absicht, die neu dazu gewonnene Stadt im Norden wissenschaftspolitisch neu zu positionieren. Aus der katholischen Würzburger Universität für Studenten des Hochstifts sollte eine konfessionell übergreifende, aufgeklärte Lehranstalt für Studenten und Dozenten aus ganz Deutschland werden. Welche Bedeutung man den Neuberufungen beimaß, ist selbst in der sonst an Symbolik zurückhaltenden Organisationsakte von 1803 abzulesen. Darin sind die namentlich angegebenen Lehrenden in zwei Gruppen unterteilt, die „Neuvocirten“ und die „bisherigen Lehrer“.129 Ein ganzes Dutzend bisheriger Lehrstuhlinhaber hatte vorher eine Quieszierung bei vollen Bezügen erhalten, während knapp 30 von der kurbayerischen Universität übernommen wurden. Trotz des hohen Zeitdrucks legte das Ministerium Wert darauf, die renommiertesten Gelehrten an den Main zu holen. Friedrich Graf Stadion, Präsident des Universitätsrezeptorats, Rektor und Direktor der Schulkommission, hatte Montgelas in einem Memoire den Rat erteilt, vor allem Geistliche zu berufen, da diese „wohlfeiler als andere Lehrer“130 seien. Die 125 Werner Engelhorn: Der bayerische Staat und die Universität Würzburg im frühen 19. Jahrhundert (1802-1848), in: Baumgart: Universität Würzburg, S. 129-178, hier: S. 139. 126 In einer Erklärung wird diese kleine Gruppe denunziert als „Parthey, der vor dem, was geschehen könnte und sollte, banget“, s. Wegele: Geschichte 2, S. 466 f. 127 Peter Baumgart: Die Universität Würzburg während der ersten bayerischen und der großherzoglich-toskanischen Herrschaft (1802-1814), in: Wolfgang Altgeld, Matthias Stickler (Hg.): Italien am Main. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg, Rahden/Westfalen 2007, S. 93-103, hier: S. 96. 128 Baumgart: Bildungswesen, S. 378. 129 Hinweis bei Engelhorn: Staat, S. 136; die Organisationsakte bei: Wegele: Geschichte 2, S. 467 ff. 130 Zit. Bei Engelhorn, Staat, S. 136.
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beiden Angesprochenen nahmen Stadions Weisung aus oben genannten Gründen nicht ernst und warben mit hohen Gehältern in Jena, Landshut und Bamberg um profilierte Gelehrte: „Bei den von Thürheim geführten staatlichen Berufungsverhandlungen der Jahre 1803/1804 spielten finanzielle Überlegungen … nur eine untergeordnete Rolle. Die Belastbarkeit des Universitätsfonds wurde dabei nahezu gänzlich außer acht gelassen.“131 Zwei Professoren hatte man schon sicher und bereits sehr früh verpflichten können. Die früheste Zusage erhielt Thürheim von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Er kam aus Jena als Ordinarius für „den Vortrag des Systems der gesammten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere“132 und für Ästhetik. Über die Verhandlungen Schellings in München schreibt seine Frau Caroline: „Wir waren fast 3 Wochen da, aber in den ersten drei Tagen hatte man sich schon Schellings versichert und ihn vermocht dem Anfang der Universität seine Gegenwart und seinen Einfluss nicht zu versagen.“133 Schelling war 1803, obwohl erst 28 Jahre alt, bereits „weithin berühmt, in ganz Deutschland anerkannt als der junge Genius und führende Kopf der ‚neuen’ Philosophie“134, wie es der Schelling-Experte Horst Fuhrmans formuliert. Etwas später erhielt Würzburg die Zusage des evangelischen Theologen Heinrich Eberhard Gottlob Paulus. Auch Paulus verfügte bereits über einiges Ansehen. Bis zu Beginn seiner Würzburger Zeit war er bereits mit „einer Spinoza-Edition, zahlreichen exegetischen Schriften sowie seiner 1800 bis 1802 im Rahmen eines Evangelienkommentars entfalteten natürlichen bzw. psychologisch-pragmatischen Wundererklärung“135 hervorgetreten, so Friedrich Wilhelm Graf. Außerdem erlangte er zusätzlich Bekanntheit durch „Versuche von Konsistorien, ihn wegen seiner kritischen Exegese von seinem [Jenaer] Lehrstuhl zu entfernen“136, die allerdings scheiterten, wie Friedrich Wilhelm Graf erklärt. Paulus, wie Schelling aus Jena kommend, besetzte den Lehrstuhl für Auslegung, Kritik und Dogmatik. Mit Schelling und Paulus hatte Kurbayern nicht nur zwei renommierte Fachvertreter berufen, sondern auch einflussreiche Fachvertreter für die noch anstehenden Berufungen. Diese lagen in den Händen der kurbayerischen Regierung, die für die ehemaligen Hochstifte Würzburg und Bamberg einen außerordentlichen Landeskommissar ernannt hatte. Friedrich Karl Graf von Thürheim leitete gleichzeitig die beiden neu 131 132 133 134 135
Engelhorn: Staat, S. 136. Wegele: Geschichte 2, S. 470. Schlegel-Schelling an Luise Gotter am 04.01.1804. Fuhrmans: Schelling 1, S. 287. Friedrich Wilhelm Graf, in: Ders.: Art. Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, in: NDB, Bd.20, S. 135. 136 Ebda.
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geschaffenen Landesdirektorien Würzburg und Bamberg und war in dieser Funktion auch für die Universität Würzburg zuständig. Thürheim stand von Anfang an unter enormem Zeitdruck. Die Umstrukturierung der Universität und die Berufungen mussten gleichzeitig vonstatten gehen. Die Zeit für die Entscheidung über den Verbleib der bisherigen Lehrstuhlinhaber und für die Neubesetzung der Lehrstühle war eng begrenzt. Da im Oktober 1803, einen Monat vor Semesterbeginn, einzig Schelling von den zwölf Neuberufenen zugesagt hatte, musste die Regierung eine Ankündigung veröffentlichen, in der es hieß: „Damit indessen die Studirenden … noch in der gehörigen Zeit erfahren, was sie von den künftigen akademischen Anstalten in Würzburg zu erwarten haben, wird vorläufig im Allgemeinen bekannt gemacht: dass 1) alle Fächer und Zweige der Wissenschaften, theils durch die bereits angestellten, würdigen und auch in der literarischen Welt schon bekannten academischen Lehrer vorgetragen, theils von eigens hiezu vocirten Gelehrten gelesen werden sollen.“137 Einzig Schelling konnte die Ankündigung schon nennen. „Von den übrigen Gelehrten“, so die Ankündigung in der Organsationsakte, „an welche Vocationen ergingen, sind bis jetzt noch keine entscheidenden Aeusserungen eingekommen.“138 Da die kurbayerische Regierung den Lehrbetrieb jedoch ankündigen musste, erließ sie am 3. November 1803 in München eine Organisationsakte für die Universität Würzburg, in der sie die Namen der neuberufenen Professoren veröffentlichte, auch wenn die Verhandlungen mit einigen von ihnen noch gar nicht beendet waren. Thürheim war wegen des hohen Zeitdrucks auf die Beratung und Empfehlungen bereits berufener, einflussreicher Professoren geradezu angewiesen. Paulus und Schelling also traten als Vermittler in den Vordergrund. Dabei achteten die beiden ehemaligen Jenaer darauf, dass die Berufenen ihren eigenen Wunschvorstellungen entsprachen. Paulus bewirkte gleich nach seiner Berufung, dass Thürheim Friedrich Schleiermacher umwarb, der seit 1802 als Hofprediger im preußischen Stolpe lebte und sehr an dem Würzburger Lehrstuhl interessiert war. Doch seine Bemühungen blieben erfolglos. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen untersagte Schleiermachers Ausreise und bot ihm eine außerordentliche Professur in Halle an, die Schleiermacher statt der Würzburger 1804 annahm. Gleichzeitig drängte der in Jena lehrende Friedrich Niethammer seinen NeuWürzburger Kollegen Paulus, ihm die neuesten Entwicklungen über das Schleiermachersche Berufungsverfahren mitzuteilen. Noch im Februar 1804 konnte Paulus nur berichten: „Von Martin und Schleiermacher hat, soviel ich weiss, die Regierung noch keine decisive Antworten, erwartet sie aber alle 137 Wegele: Geschichte 2, S. 465. 138 Wegele: Geschichte 2, S. 465.
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Tage.“139 Paulus konnte folglich in Würzburg nichts für seinen Kollegen tun. Aber er setzte sich in den folgenden Monaten massiv für die Berufung Niethammers in Erlangen ein. Dafür nutzte er seine Verbindung zu Heinrich Karl Alexander Hänlein, einem Theologen und Konsistorialrat. Denn Paulus war sich dessen bewusst, dass er auf die Berufung insbesondere dann Einfluss ausüben konnte, wenn er bereits Vorverhandlungen mit dem Kandidaten geführt hatte und der Regierung dessen Bereitschaft zusichern konnte. Hänlein gegenüber galt es auch, Zweifel an Niethammers fehlender Qualifikation aus dem Weg zu räumen, die offenbar in der Luft lagen. Darüber berichtete Paulus an Niethammer: „Ich berührte ausdrücklich warum Sie in spaeteren Zeiten nichts theol. zum Druck gegeben haben“ und „dass man zu Gotha Ihnen persönlich ungünstig sey und blos dort Ihr Einrücken an meine Stelle bisher gehindert werde – dass die Familienbande, welche Sie an Jena sonst geknüpft hatten, jetzt fast ganz zerstört wären und Sie, ungeachtet Sie dort sehr possessioniert seyen, doch jezt auch auf die Einwilligung Ihrer Frau, eine andere passende Stelle bald anzutretten, würden rechnen können.“140 Paulus schätzte die Chancen Niethammers gut ein und schrieb diesem sogar, „wenn nicht ein besonderer Daemon im Spiele ist, so hoffe ich gewiss, alles Gute, was Haenlein ohnehin von Ihnen denkt, in Besorgung gebracht und alle möglichen Einwendungen abgeschnitten zu haben.“141 Paulus Bemühen in Erlangen scheiterten trotz der hohen Erwartungen. Hänlein berief Niethammer nicht. Doch nach Schleiermachers Absage empfahl Paulus Niethammer kurzerhand in Würzburg. Dies kam dem fränkischen Landeskommissär gelegen. Eine sofort bei diesem eingeholte Erklärung über seine Bedingungen konnte Paulus alsbald Thürheim vorlegen, der sie an Montgelas weitergab. Schon am 5. Juli wurde Thürheim durch ein Reskript des Kurfürsten Max IV. Joseph ermächtigt, Niethammer von seiner Ernennung zu unterrichten. Die Geschwindigkeit, mit der die Regierung Niethammers Berufung vorantrieb, dokumentiert den hohen Handlungsdruck, unter dem sie stand. Der Entscheidungsdrang stärkte die Rolle der professoralen Ratgeber. Niethammer zeigte sich bei seiner Ankunft zu Beginn des Wintersemesters 1804/1805 nicht nur überglücklich darüber, „Geld so viel wir bedürfen“142 zu besitzen, sondern
139 140 141 142
Paulus an Friedrich Immanuel Niethammer am 13.02.1804. Ebda. Paulus an Friedrich Immanuel Niethammer am 21.03.1804. Niethammer an Sophie Méreau am 30.10.1804. Friedrich Immanuel Niethammer müssen zu dieser Zeit Geldsorgen geplagt haben. Er bot Johann Wolfgang von Goethe an, Teile seiner Bibliothek an die Hallische Allgemeine Literatur-Zeitung zu kaufen und beklagte sich über den niedrigen Betrag, den Goethe im zu zahlen bereit war, s. Niethammer an Johann Heinrich David Färber am 31.10.1804.
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auch über die Aufnahme am neuen Wohnort: „Es geht und lebt sich gut in Würzburg, wir sind bald eingewohnt worden.“143 Schelling, der in Jena mit Niethammer befreundet gewesen war, begrüßte dessen Berufung, gesteht Hegel gegenüber jedoch ein, dass er sie selbst gerne in die Wege geleitet hätte: „Paulus hat im Anfang nichts dafür thun wollen und würde auf alle Weise entgegengearbeitet haben, so dass ich in der Sache nichts zu thun vermochte. Jetzt hat er selbst Veranlassung dazu gegeben und auf Niethammers Vocation angetragen.“144 Schelling distanzierte sich in Würzburg von Niethammer, weil er diesen nun zur Paulus-Partei zählte. Paulus wiederum intrigierte in Briefen an Niethammer gegen Schelling und „Madame Sch., die Kaze“145. Niethammer, der sowohl mit dem SchellingFeind Paulus als auch mit dem Schelling-Freund Hegel ein recht enges Verhältnis pflegte, verhielt sich zurückhaltend, auch in seinen Schriften. Offenbar ahnte er nicht, dass Schelling sich von seiner fehlenden Beachtung im Berufungsverfahren gekränkt fühlte: „Närrisch ist, dass Sch. mich zu seiner … Gegenpartei zu zählen scheint“146. Die Kränkung Schellings, nicht in die Berufung Niethammers eingebunden zu sein, offenbart, welch große Bedeutung Empfehlungen nicht nur für die Empfohlenen, sondern auch für die Empfehlenden hatten. Durch die Hilfestellungen stärkten die Berater ihre Position und konnten sich der „Freundschaft“ des neu berufenen Kollegen sicher sein. Jede neue Berufung schuf neue Loyalitäten. Die Berufung Niethammers zeigt auch: Die Professoren, die 1803 oder in den Folgejahren ihre Arbeit an der Universität aufnahmen, waren nicht immer diejenigen, um die Thürheim sich zuerst bemüht hatte. Zum Wintersemester 1803/1804 war Paulus die Zusage für einen Lehrstuhl an seinen Freund Carl Daub geglückt. Doch dieser sagte wie Schleiermacher ab. Erst dann folgte Niethammer. Die beratenden Professoren waren aber auch in umgekehrter Richtung tätig, nämlich als Verhinderer. Dies zeigt sich bei den Verhandlungen um die Berufung Jakob Fries’. Fries war erklärter Gegner Schellings und wandte sich 1803 in seiner Schrift „Reinhold, Fichte und Schelling“ ganz unverhohlen gegen die im Titel Genannten. Fries zählte eindeutig zu den kritischen Rationalisten und damit zur Paulus-Partei, dessen wichtigster Protagonist sich daher um dessen Berufung bemühte. Fries lehrte derzeit in Jena als Privatdozent. Die Briefe Paulus’ an Fries zeigen, wie sehr sich die beiden Protagonisten der Berufungspolitik voneinander entfernt hatten. Auch wenn Schelling in Würzburg lehre, versicherte Paulus, sei doch der Geist „unserer 143 144 145 146
Niethammer an Sophie Méreau am 30.10.1804. Schelling an Georg Wilhelm Friedrich Hegel am 14.07.1804. Paulus an Friedrich Immanuel Niethammer am 04.08.1804. Niethammer an Georg Wilhelm Friedrich Hegel am 19.12.1804.
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Studien Curatel nicht schellingitlich.“147 Außerdem sei „Schellings Credit … um viele Grade schon gefallen und noch immer im Decrescendo.“ Nebenbei sei auch die Höhe des Gehalts in Würzburg nicht zu verachten. Paulus’ Versuche verliefen zu Beginn erfolgreich. Die Verhandlungen um Fries gingen so weit, dass sich Thürheim ein schriftliches Angebot von Paulus erbat, unter welchen Bedingungen Fries einwilligen würde.148 Doch Thürheim konnte sich am Ende nicht gegen ein gleichzeitiges Angebot an Fries aus Weimar durchsetzen. Letztlich blieb Fries in Jena und nahm dort wie Hegel 1805 eine außerordentliche Professur an. Ein weiteres Beispiel: Der Einsatz Schellings für den Philosophen Johann Jakob Wagner stellte weniger eine Hilfestellung zu dessen Gunsten als den Versuch dar, einen anderen Kandidaten zu verhindern. Dabei hatte er einen einflussreichen Gegner. Friedrich Heinrich Jacobi trieb energisch die Berufung des Literaturwissenschaftlers Friedrich Bouterweks auf einen Würzburger Lehrstuhl voran, der Göttingen verlassen wollte. Bouterwek hatte soeben die Zeitschrift „Neues Museum für Philosophie und Literatur“ ins Leben gerufen, in welcher der Herausgeber „immer neu gegen Schelling polemisierte“149. Jacobi sah nun im Wechsel Bouterweks eine Chance, Schellings Einfluss in Würzburg zu schmälern und wandte sich in dieser Sache an die kurbayerische Regierung. Sein Einfluss in München war groß. Er wusste, dass ihm ein Ruf an die Akademie der Wissenschaften in München bevorstand. Außerdem arbeitete sein Vertrauter Heinrich von Schenk als Geheimer Referendar in Düsseldorf und damit an gehobener Position in der wittelsbachischen Verwaltung.150 Obwohl Thürheim sich wegen der zu erwartenden Kontroversen mit Schelling gegen die Berufung des Göttinger Professors opponierte, konnte er sich gegen Jacobi nicht durchsetzen. Jacobi gelang es sogar, das ursprünglich festgesetzte Gehalt von 1200 Gulden im Auftrag Bouterweks noch um 300 Gulden aufzustocken. Jacobi ignorierte in einem Brief den Widerstand gegen seinen Kandidaten, als würde hätte es ihn gar nicht geben: „Ich bin darum auch überzeugt, daß es keinem Menschen von der Regierung in den Sinn gekommen ist, Ihnen das Lesen philosophischer Collegien zu wehren.“151 Obwohl die Regierung Bouterweks Gehaltswünsche erfüllte und ihn nach Würzburg berief, lehnte dieser letztlich ab. Über Bouterweks Entscheidung erschien sogar ein Kommentar im „Neuen deutschen Merkur“, der Schellings Frau Caroline als „ein abschreckendes Ding“ für Bouterwek bezeichnete.152 Auch wenn die 147 148 149 150 151 152
Paulus an Jakob Friedrich Fries am 20.05.1804. Paulus an Jakob Friedrich Fries am 09.08.1804. Fuhrmans: Schelling 3, S. 35. Ebda. Jacobi an Friedrich Bouterwek am 02.02.1804. Fuhrmans: Schelling 3, S. 36.
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Berufung letztlich scheiterte, wird deutlich: Jacobis Bemühungen gründeten in erster Linie auf der Verleumdung Schellings bei der Regierung. Dies legte er Bouterwek in einem Brief offen dar: „Mein Spott über die Anstellung Schellings … hat geholfen, und wahrscheinlich die Sache, als eine Remedur, beschleunigt.“153 Schelling wandte sich, während Jacobi sich bei der Regierung für Bouterwek einsetzte, ebenfalls an das Münchener Ministerium, um seinen Gegenkandidaten Johann Jakob Wagner durchzusetzen. Mit der Werbung für „unseres Bekannten, des Salzburger Wagners“154 Sache, stand er auf Seiten der Regierung, die Schelling um eine Empfehlung gebeten hatte. Dieser empfahl Wagner laut einem Brief an seinen Freund Hegel „als allerdings brauchbar“155. Doch es war Bouterweks Absage nötig, um Wagner schließlich nach Würzburg zu berufen. Auch für den Schelling-Schüler Lorenz Oken gestaltete sich die Stellensuche angesichts der Konflikte seines Lehrers schwierig. Oken hatte in Freiburg Medizin studiert und erhielt dort 1804 die Doktorwürde. Im Anschluss daran immatrikulierte er sich in Würzburg. Dort hörte er vor allem Döllinger und Schelling. Döllingers Vorlesungen zog er denen Schellings vor, wenn sie zeitlich kollidierten, wie aus einem seiner Briefe zu erfahren ist.156 Ignaz Döllinger, Vater des Theologen gleichen Namens, lehrte seit 1803 Physiologie und Anatomie. Bei Döllinger arbeitete Oken 1805 seine Schrift über „Die Bildung des Darmkanals im Embryo“ aus, mit der er sich im folgenden Jahr in Göttingen habilitierte. Unter der Aufsicht Schellings fertigte er gleichzeitig eine zweite Studie mit dem Titel „Die Zeugung“ an, die 1805 erschien. Als Oken sich im Frühjahr desselben Jahres zu einem Wechsel nach Göttingen entschloss, tat er das auch, weil Schelling ihm keine Stelle hatte verschaffen können. Die Privatdozentur in Göttingen schaffte keine Erleichterung, da er nur durch die geringen Kolleggelder entlohnt wurde. Immer wieder hatte Oken in den vergangenen Jahren daran gedacht, die unsichere Universitätslaufbahn zugunsten einer sicheren Stelle als Mediziner aufzugeben. Er entschloss sich in Würzburg 1805 noch gegen diesen Weg und damit für den riskanteren an der Universität: „Wenn ich mich nun in die Praxis würfe, so wären ja alle diese Aussichten, alle diese Anstalten, Anstrengungen und Leiden von meiner Seite verloren. Daher will ich lieber noch einige Zeit darben, um den Plan wenigstens zu Ende zu treiben, sollte er auch gleichwohl mislingen.“157 In den Folgejahren in Göttingen sah er sich beinahe 153 154 155 156 157
Jacobi an Friedrich Bouterwek am 02.02.1804. Schelling an Georg Wilhelm Friedrich Hegel am 03.03.1804. Ebda. Oken an Matthias Keller am 02.11.1804. Oken an Matthias Keller am 20.03.1805.
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gezwungen, „in Ermangelung von Subsistenzmitteln der akademischen Laufbahn zu entsagen“158. Zwei Jahre später 1807 erhielt Oken zumindest eine gering dotierte Stelle als außerordentlicher Professor in Jena. Doch erst 1812 berief ihn die Universität Jena zum ordentlichen Professor. Dort blieb er bis 1819 und erlebte eine seiner reichsten Schaffensphasen.159 Wer verhinderte, dass der Schelling-Schüler Lorenz Oken einen Lehrstuhl erhielt, ist im Einzelnen unklar. Doch es spricht einiges dafür, dass seine lange Suche nach einer Festanstellung und seine mehrfachen erfolglosen Bewerbungen nicht nur auf den allgemeinen Stellenmangel zurückzuführen sind. Es ist wahrscheinlich, dass Okens Stellung als Schelling-Schüler ein Grund dafür war, dass er erst acht Jahre nach seiner Promotion, trotz vieler Bewerbungen und Veröffentlichungen, eine Professur erhielt. Schelling vermutet in einigen Briefen eine strategische Nichtbeachtung seines Schülers bei Lehrstuhlbesetzungen. Er äußerte in Bezug auf Oken eine „bewusste oder unbewusste, aber nur zu reelle Verschwörung gegen jedes wissenschaftliche Talent“160 und bemängelte an anderer Stelle, es herrsche „jetzt ein verruchter Zustand, der in Deutschland dem Geist und dessen Verdienst überall die Wege verrammelt.“161 Er selbst war es gewesen, der die Hoffnung seines Schülers anfänglich nährte, indem er ihm weitreichende Versprechungen machte: „Schelling hat mir letzthin gesagt, dass ich nur das geringste davon sagte, wenn es ihm möglich sei, mir eine Anstellung zu verschaffen, so sei ich sicher der erste“,162 schreibt dieser 1805 an einen Freund. Ähnliches hatte Schelling Oken bereits ein Jahr zuvor in Aussicht gestellt. Der Austausch zwischen Schelling und Oken fand sehr regelmäßig und auch in privatem Rahmen statt. Mehrmals berichtete der Doktorand in seinen Briefen von Abendessen mit seinem Lehrer in dessen Wohnung in einem der Universitätstrakte, von fachlichen Diskussionen mit seinem Lehrer und vom freundlichen Wesen Schellings’ Frau Caroline.163 Auch bei Oken selbst verstärkte sich im Laufe seiner Würzburger Jahre der Eindruck, dass seine Protektion durch Schelling für seine prekäre Lage mitverantwortlich sein könnte. Noch zu Beginn überwogen die Hoffnungen, die er in Schelling setzte: „Hier bin ich wohl – Schelling ist mein Freund“164, schrieb er im November 1804. Bereits einen Monat später nimmt der Mediziner in erster Linie die Angriffe gegen Schelling wahr und die weitreichenden und personalstarken Konflikte, in die sich sein Lehrer verstrickt 158 159 160 161 162 163 164
Arnold Lang: Art. Lorenz Oken, in: ADB, Bd. 24, S. 216. Klaus Ries: Lorenz Oken und die Universität Jena, in: von Engelhardt: Oken, S. 41-50. Schelling an Johann Peter Pauls am 26.12.1805. Schelling an Johann Peter Pauls im Herbst 1805. Oken an Matthias Keller am 20.03.1805. Oken an Matthias Keller am 02.11.1804. Ebda.
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hatte: „Er jammert immer, dass ich nicht voriges Jahr gekommen sei, nun wäre ich sicher Professor. Aber jetzt hat Schelling kein Gewicht mehr. Er ist verhasst bei Türkheim [gemeint ist: Thürheim165], und Paulus steht obenan, nebst dem erbärmlichen Wagner und Vanhoven [gemeint ist: von Hoven] und wie das Gesindel weiter heisst.“166 Oken nahm die zunehmende Isolation seines Lehrers an der Universität Würzburg deutlich wahr: „Der Wagner ist auch hier, der über die Natur der Dinge schrieb; er ist wüthender Feind von Schelling, so der Theolog Paulus und Dr. Paulus und der Aesthetiker Fischer, nebst Berg. Daher hat Schelling keine Gesellschaft.“167 Oken war sich der Gefahr für seine berufliche Zukunft bewusst, die ihm das enge Verhältnis zu Schelling einbringen konnte. Er wählte, mehr oder weniger bewusst, die Strategie, weiterhin engen Kontakt mit Schelling zu pflegen und sich von ihm protegieren zu lassen, dieses vertraute Verhältnis jedoch geheim zu halten. „Dir kann ich sagen, dass mich Schelling sehr gern hat“, schrieb er Keller und fügte hinzu: „Schweig zu dem wegen Schelling und mir.“168 Schelling selbst tat es ihm gleich. Er versicherte Oken seine Hilfe, ließ aber davon nichts nach außen dringen: „Schreiben Sie mir doch, ob Oken nicht mismuthig ist? Suchen Sie ihn zu ermuntern, soviel Sie können. Ich fürchte, daß sein äußerlicher Zustand nicht der beste ist. Schreiben Sie mir darüber. Doch muß es unter uns bleiben.”169 Sein Lehrer erwies sich, wenn man die Zusammenarbeit rückblickend wertet, in den ersten Monaten von Okens Würzburger Zeit als hilfreicher Mentor. Im Laufe weniger Monate jedoch verkleinerte sich der Kreis von Schellings Anhängern merklich und vergrößerte sich die Zahl seiner Gegner. Spätestens beim Wechsel Okens von Würzburg nach Göttingen war Schelling zur Gefahr für die Karriere des jungen Mediziners und Philosophen geworden. Diesmal war Schelling mit seinen Empfehlungen für einen seiner Kandidaten gescheitert. Schelling beschränkte sich nicht auf den Einsatz für oder gegen einzelne Kandidaten. Er wandte sich an die Regierung, um ganze Gruppen von Kollegen von seiner neuen Universität fernzuhalten. Den zuständigen Geheimen Rat im Münchener „Ministerialdepartement für die geistlichen Gegenstände“ Zentner bat er in einem Brief, die Berufung weiterer Jenenser Professoren zu unterbinden: „Nicht bloß junge Leute, die nur irgendwo festen Fuß zu fassen suchen, sondern solche, die auf andern Universitäten ihre Bahn überlebt haben, drängen sich zu dem neuen Institut, um sich aus der Verdrieß165 Graf Thürheim war Landeskommissär der kurbayerischen Regierung für die fränkischen ehemaligen Hochstifte. 166 Oken an Matthias Keller am 18.12.1804. 167 Oken an Matthias Keller am 02.11.1804. 168 Oken an Matthias Keller am 18.12.1804. 169 Schelling an Johann Peter Pauls im Herbst 1805.
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lichkeit ihrer Lage zu reißen und auf einer neuen Stelle der Verachtung zu entgehen.“170 Darin greift er konkret Heinrich Paulus an, den er im Zentrum eines „Feldes der Intrigue“171 verortet, dann Christian Gottfried Schütz, Paul Feuerbach und Gottlieb Hufeland. Der Jurist Gottlieb Hufeland hatte in Jena die Allgemeine Literatur-Zeitung mitherausgegeben, mit der sich Schelling überworfen hatte. Doch Schelling konnte die Berufung Hufelands auf den Lehrstuhl für „das gesammte System des Civil-Rechts, Rechtsgeschichte, Encyclopädie etc.“ nicht verhindern. Das Verhältnis zu vielen seiner Kollegen war also schon in Jena zerrüttet, wie es auch ein Brief von Caroline SchlegelSchelling nahelegt: „Die Jenaischen guten Freunde sind hier so hinterlistig wie dort, besonders sehr neidisch.“172 Mit seinem Brief an Zentner hatte Schelling seine Kompetenzen bereits überschritten. Doch noch dazu bemühte er sich ohne Rücksprache mit Thürheim um die Berufung des Anatomen Jakob Fidelis Ackermann von Mainz nach Würzburg. Allerdings überschätzte er in dieser Angelegenheit seinen Einfluss und meinte, er könne dessen Berufung alleinverantwortlich durchsetzen. Ackermann müsse lediglich seine Zusage geben, so schreibt er an einen Freund, und würde die Stelle erhalten: „Bejaht er es, so hat er binnen einiger Wochen die Vocation, verlassen Sie sich hierüber auf mein Wort.“173 Thürheim erfuhr von Schellings Treiben und erteilte diesem einen scharfen Verweis. Der fränkische Landeskommissar tadelte in einem offiziösen Schreiben sein Eingreifen in eine „Angelegenheit die nicht einmal in den eigentlichen Kreis Ihres Berufes liegt“174. Schellings Einsatz für Ackermann entsprang dem Wunsch, da nun die Paulus-Fraktion an Personal und Einfluss bedrohlich angewachsen war, einen Kreis von Medizinern um sich zu scharen, die seinen naturphilosophischen Lehren stärker zugetan waren als die Mehrheit der Philosophen, Theologen und Juristen. Nur gelang es Schelling nicht, seine Interessen mit den Anforderungen der Regierung in Einklang zu bringen. Die Distanz zu den politischen Entscheidungsträgern wie die dauernden Anfeindungen bewegten Schelling daher 1805 dazu, sich an einer anderen Universität oder Akademie zu bewerben. Resümierend lässt sich festhalten: Die Vermittler suchten durch die Empfehlungen ihre eigene Einflusssphäre auszubauen und hofften auf die anschließende Anerkennung ihrer Vermittlungsleistung. Die Empfehlung von Kollegen stellte also keinen Akt der Nächstenliebe dar, sondern eine wohl kalkulierte Strategie zur Stärkung des eigenen Wirkungskreises. So ist auch 170 171 172 173 174
Schelling an Georg Friedrich von Zentner im August 1803. Ebda. Schlegel-Schelling an Julie Gotter, 18.03.1804. Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 07.04.1804. Von Thürheim an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 22.04.1804.
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die Enttäuschung Paulus’ über die gescheiterte Empfehlung von Johann Ernst Christian Schmidt aus Gießen zu verstehen: „Hätte ich nicht erfahren, wie sehr sie zu Gießen festgehalten werden, so hätten Sie, seit ich hier bin, schon früher von mir Anfragen erhalten, deren Erfüllung für unsere glücklich neu werdende Universität und mich selbst von naechstem Interesse gewesen waere. So aber mussten wir uns anders wohin wenden.”175 Die berufenen Kollegen erwiesen ihren Gönnern in aller Regel ihre Gunst, in dem sich bei den anschließenden Konflikten auf ihre Seite stellten. Die Berufungen der meisten Professoren erfolgten also weniger deshalb, weil sich die Regierung, zusammen mit Kuratel und Senat über die fachliche Qualifikation eines oder mehrerer Bewerber geeinigt hatten. Vielmehr geschahen sie durch den Impetus einzelner Akteure. So entstanden „Verflechtungen“, zu denen als konstitutive Merkmale die Empfehlung ebenso wie die Verhinderung gehörten.176
2.3.3. Die große Entlassungswelle nach 1806 Der Friede von Pressburg verlangte im Dezember 1805 die Auflösung des erst zwei Jahre alten Kurfürstentums Salzburg. Es fiel an Österreich, das jedoch alle italienischen Gebiete an Napoleons Königreich Italien verlor, die das Haus Habsburg erst 1797 im Frieden von Campo Formio zugesprochen bekommen hatte. Der Friedensschluss, der den dritten Koalitionskrieg beendete, beschenkte Kurbayern wie die beiden anderen süddeutschen Mittelstaaten Baden und Württemberg mit Neuland und erhöhte den Rang ihrer Regenten. Einige kurbayerische Staatsteile wechselten erneut die Herrscher. Kurbayern verlor das Gebiet des ehemaligen Hochstifts Würzburg wieder, erhielt jedoch Tirol und Vorarlberg in Österreich, den größten Teil des ehemaligen Hochstifts Passau sowie die freie Reichsstadt Augsburg. Der Verlust im Norden fiel also geringer aus als der Zugewinn im Süden. Das ehemalige Hochstift und die ehemalige kurbayerische Landesdirektion Würzburg erlebten eine kurze zweite Phase der Eigenstaatlichkeit. Der Pressburger Friede gebar das Großherzogtum Würzburg, das von Ferdinand von Habsburg-Lothringen regiert wurde. Ferdinand trat am 25. September 1806 dem Rheinbund bei und knüpfte damit wie so viele andere Fürsten das Fortbestehen ihrer Staaten an die Kriegs-Fortune Napoleons.
175 Paulus an Johann Ernst Christian Schmidt am 12.03.1804. 176 Den Begriff der Verflechtung verwendet bereits Wolfgang E. J. Weber im Zusammenhang mit Stellenvergaben an Universitäten sehr treffend, s. Wolfgang E. J. Weber: Priester der Klio, S. 290 ff.
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Zu diesem Zeitpunkt hatten einige der namhaften Professoren die Universität bereits verlassen. Schelling reiste nach München und warb beim König erfolgreich um seine Wiederanstellung als Professor. Auf eine Zusage hatte er allerdings recht lange warten müssen. Noch im Februar 1806 schrieb er an Windischmann, sein Geschick schwebe „für mich selbst im Dunkeln“177. Einen Monat später bat er Montgelas in einem persönlichen Schreiben, ihn aus den Wirren des Universitätsbetriebs zu befreien: „La demande particulière“, heißt es in dem Brief an Montgelas, „… n’a principalement pour but, que de me soustraire aux tracasseries des Universités, pour me livrer en Serénité aus études, et surtout celui, d’être plus intimement lié à la Nation interéssante, qui sous les auspices de Votre Excellence a commencé à se constituer du coté intellectuel.“178 Dieser mehr als deutlich vorgetragene Wunsch, an der Akademie der Wissenschaften einen Posten zu erhalten, verfehlte sein Ziel nicht.179 Offenbar spielte bei der Entscheidung auch das höhere Gehalt an der Akademie eine Rolle. „Daß ich bey der Wahl eines Aufenthaltsortes und Wirkungskreises“, schrieb er kurz vor seinem Wegzug aus Würzburg an Eichstädt, „geistige Vortheile mit den physischen oder ökonomischen zugleich in Anschlag bringe, trauen Sie mir wohl von selbst zu.“180 Heinrich Paulus sollte einen Ruf nach Altdorf erhalten, wo die Regierung einen eigenen Studiengang für evangelische Theologie errichten wollte. Allerdings verhinderte Thürheim dessen Wechsel. In einem Bericht hatte Thürheim kritisiert, „daß er sich keineswegs als einen fleißigen Docenten charakterisirte“, und das „seines hohen Gehaltes ungeachtet“181. Statt der Professur erhielt Paulus das Amt eines Konsistorialrats und Oberschul- und Studienkommissär in Bamberg. Der Jurist Theodor Konrad Hartleben wechselte nach Freiburg. Gottlieb Hufeland folgte einem Ruf nach Landshut, ebenso der Mathematiker und Physiker Konrad Dietrich Martin Stahl. Die Mehrheit der nach 1803 berufenen Lehrer verließ die Stadt, so dass „der bedrohten Universität in schwieriger Zeit die namhaftesten Vertreter entzogen wurden“.182 Die meisten derjenigen, die Würzburg den Rücken kehrten, hatten die nun folgenden Reformen gar nicht mehr abgewartet. Paulus und Schelling etwa waren schon zur Vereidigung nicht mehr erschienen.183 Nach dem erneuten Herrschaftswechsel 1806 plante die Regierung des Großherzogtums, eine ganze Reihe gerade erst getroffener Bestimmungen wieder aufzuheben. Allerdings ließ sie sich drei Jahre Zeit und die Universi177 178 179 180 181 182 183
Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 21.02.1806. Schelling an Maximilian Graf von Montgelas am 15.03.1806. Zur Akademie s. Laetitia Böhm: Bildung, S. 206 ff. Schelling an Heinrich Carl Abraham Eichstädt am 02.04.1806. zit. bei: Reichlin-Meldegg: Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, S. 393 ff. Engelhorn: Staat, S. 142 f. S. Fuhrmans: Schelling 3, S. 325.
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tätsangehörigen ebenso lang im Unklaren, bis sie 1809 die Organisationsakte erließ, die eine erneute Reform einläutete. Die Professoren erfuhren direkt nach dem Regierungswechsel von 1806 lediglich von den Plänen zu neuerlichen Veränderungen an ihren Arbeitsplätzen, nicht jedoch von Zeitpunkt und Inhalten. 1809 also rereformierte die Regierung des Bruders Franz’ I. die säkulare kurbayerische Universität zu einer katholischen Bildungsanstalt. Die Organisationsakte machte keinen Hehl aus dem katholischen Geist, der nun wieder in der ehemaligen Hochstifts-Universität wehen sollte. Der erste Paragraph lautete: „Die Universität zu Würzburg ist nach dem Gesetze ihres Stifters und nach der Verfassung des Landes, welchem sie angehört und zunächst gewidmet ist, eine k a t h o l i s c h e Universität.“184 Diesen Anspruch, rückgebunden an den Stifter Julius Echter von Mespelbrunn, spiegeln vor allem aber die erlassenen Änderungen wider. Ferdinands Rektor Friedrich Zentner gliederte die wieder erstandene katholische Theologenfakultät dem Priesterseminar ein. Damit unterstand die Theologie nicht mehr der Universität, sondern dem Vikariat. Der protestantische Zweig der Theologie hörte auf zu existieren, die protestantischen Theologen wurden pensioniert. Dieter Schäfer weist jedoch darauf hin, dass die protestantische Theologenfakultät „ohnehin keine Studenten mehr“185 unterrichtete. Die katholische Fakultät dagegen „sollte zur Fachschule für Priesternachwuchs werden, aber in der Universität verankert und von ihr finanziert werden“186. Wie umfassend Ferdinand und sein Weihbischof Gregor Zirkel das Rekatholisierungsprogramm dachten, geht aus Paragraph 17 der Organisationsakte hervor. Dieser war einzig dem Gottesdienst gewidmet und bestimmte detailliert, welche Personengruppen sich zu welchen Zeiten zur Heiligen Messe einzufinden hätten. Ein Satz des Paragraphen schrieb vor, dass sowohl weltliche als auch geistliche Professoren an den Gottesdiensten an Sonn- und Feiertagen teilzunehmen hätten. Ein anderer legte fest, dass „die geistlichen Professoren der theologischen und philosophischen Fakultät, dann des Gymnasiums“ in der Universitätskirche täglich „nach der in Folge … zu bestimmenden Ordnung“187 eine Messe zelebrieren müssten. „Die Befreiung der theologischen Fakultät“, berichtet Chroust, „von dem Einfluss des bischöflichen Vicariats räumte wenigstens die Hindernisse aus dem Weg, welche der wissenschaftlichen Forschung im Gebiete der Gottesgelehrtheit entgegenstunden.“188 Das große Hindernis der Finanznot aber hielt auch die theologische Fakultät in engen Grenzen. Die Maßnahmen vollzog die 184 185 186 187 188
Fuhrmans: Schelling 3, S. 507. Schäfer: Ferdinand, S. 205. Baumgart: Universität Würzburg, S. 101. Zit bei: Wegele: Geschichte 2, S. 511. Anton Chroust: Das Würzburger Land vor hundert Jahren, Würzburg 1914, S. 259 f.
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Regierung im Kontext eines umfangreichen Rekatholisierungsprojekts des Landes. Die Ehegerichtsbarkeit befand sich nun wieder unter dem Dach des bischöflichen Konsistoriums. Ferdinand verzichtete auf seine Patronatsrechte zugunsten des Bischofs. Die Klöster erhielten das Recht zurück, Novizen aufzunehmen. Die Volksmission und die in Kurbayern teils verbotenen Kirchenbräuche waren nun wieder gestattet. Das Kloster der Ursulinen, 1804 aufgelöst, nahm im Mai 1808 seinen Schulbetrieb wieder auf.189 Ferdinand hatte schon einmal Reformen zurückgenommen, die das Ge wicht der katholischen Kirche gestärkt hatten. 1791 hatte er die Regierung der Toskana von seinem Vater Leopold übernommen und ein ganzes Bündel von Gesetzen zurückgenommen: „Die bischöflichen Rechte, die Peter Leopold eingeschränkt hatte, wurden wieder hergestellt. Die vom Vater verbotenen Bruderschaften wurden großenteils wieder zugelassen. Aufgelassene Klöster wurden den Orden zurückgegeben.“190 Einige Verordnungen der Organisationsakte lassen offen zu Tage treten, wie sehr die Finanznot bei der Neuordnung mitregierte. Sichtbar wird das bei den Anordnungen, jedes Fach dürfe nur von einer Person gelehrt werden191, und die Kuratel bestimme die Anzahl der Lehrfächer und die Zahl der Lehrer, die von nun an nicht mehr überschritten werden dürfe. Es war bekannt geworden, dass die ambitionierte Berufungspolitik Kurbayerns die Universität an den Rand des Bankrotts getrieben hatte. „Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen der nächsten Monate“, so Werner Engelhorn, „waren die Personalkosten, die in den zurückliegenden drei Jahren von 17.337 fl 30 xr auf 47.000 fl gestiegen waren“192. Zur Konsolidierung verlangte der neue Rektor daher mehr Lehrstunden von den Professoren bei durchschnittlich geringerer Vergütung. Das Lehrdeputat der Professoren erhöhte sich in der Folge auf mindestens drei Stunden pro Tag.193 Das Lehrangebot an der Universität jedoch verminderte sich drastisch. Auch das Ausscheiden der Protestanten sparte Geld, nach Angaben des Kurators Christian Wagner allein 18.500 fl. Zudem beschnitt die Organisationsakte die Lehrfreiheit. Sicherlich, auch die kurbayerischen Reformen hatten die Dozenten dazu verpflichtet, alle für 189 Zur Schulpolitik Kurbayerns s. mit weiteren Literaturangaben Annelie Hopfenmüller: Schule und Säkularisation: die bayerischen Schulen in den Jahren 1799 bis 1804, in: Rainer Braun (Hg.): Bayern ohne Klöster?: die Säkularisation 1802/03 und die Folgen; eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, München 2003, S. 411-430. 190 Schäfer: Ferdinand, S. 66. 191 Allerdings kann diese Maßnahme auch andere Gründe gehabt haben. Wilhelm Hoven beklagt in einem Brief die Tatsache, dass zu viele Lehrer dieselben Fächer unterrichteten: Hoven an Friedrich Schiller am 03.08.1804. 192 Engelhorn: Staat, S. 144. 193 § 17, Abschnitt h) § 17, Abschnitt d) der Organisationsakte des Großherzogs Ferdinand für die Universität Wirzburg vom 07.09.1809, zitiert bei: Wegele: Geschichte 2, S. 514.
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den späteren Beruf ihrer Studierenden nötigen Kenntnisse zu lehren. Doch die Bestimmungen von 1809 gingen viel weiter. Sie sahen vor, dass die Professoren ihre Lehrbücher zunächst von der Kuratel genehmigen lassen mussten und untersagten, „nach Manuscripten oder eigenen geschriebenen Heften zu lesen.“ Die Vermittlung von Wissen sollte durch die Veröffentlichung kontrolliert werden, denn „die Lehrbücher, nach welchen sie lesen, müssen – sie seien von ihnen selbst verfasst oder nicht – öffentlich gedruckt sein“194. Entsprechend dem Publikationszwang mussten die Professoren Konzepte für neue Vorlesungen, die sie zu halten gedachten, der Kuratel vorlegen und deren Entschluss abwarten. Die seit jeher schwerer zu kontrollierenden Privatdozenten verloren ihre Lehrbefugnis gänzlich. Den Senat, dem unter anderen Schelling angehört hatte, löste die Universitätsleitung auf. Seine Kompetenzen fielen der Kuratel und dem Rezeptorat zu, so dass sich die universitäre Selbstverwaltung nach den Reformen „auf ein Minimum reduziert“195 fand. „Eine derartig restaurative Universitätsgesetzgebung, die auch durch die späten Revisionen der Statuten von 1813 nicht substantiell verbessert wurde“, so resümiert pointiert der Universitätshistoriker Peter Baumgart, „war denkbar ungeeignet, der Würzburger Hochschule unter toskanischer Herrschaft ein anderes als restauratives Profil zu geben, das durch wiederholte Zeugnisse von Konzeptionslosigkeit und von Desinteresse noch verstärkt wurde“196. Der Organisationsakte folgte eine Welle von Entlassungen. Die Regierung stellte einige der aufgeklärten katholischen Theologen frei, stattete sie aber mit einer lebenslangen Pension aus. Die Entlassungen konnten also nicht nur als Konsolidierungsmaßnahme angelegt worden sein. Darunter waren Franz Oberthür, Franz Berg, Adam Joseph Onymus, Georg Lyborius Eyrich, der Mediziner Johann Vogelmann, der Naturhistoriker Christian August Fischer, der Historiker Johann Caspar Goldmayer sowie die Philosophen Johann Jakob Wagner und Joseph Rückert. An ihre Stelle traten einige „strenggläubige Gymnasiallehrer“197. Zum Teil blieben ihre Lehrstühle unbesetzt. Die Professoren, die vor und nach 1809 um ihre Stelle bangten, zählten nicht zum Kreis der bekannten Gelehrten wie Schelling und Paulus, Niethammer und Hufeland. Ihre Briefe legen Zeugnis ab von ihrer starken Vereinzelung. Jeder der Verbliebenen mühte sich einzeln um berufliche Sicherheit, ob in oder außerhalb Würzburgs. Der Theologe und Bibliothekar Johann Michael Feder versuchte der Regierung zu verdeutlichen, wie unangenehm seine Entlassung für ihn in der Öffentlichkeit sei, indem „ich nunmehr erst recht vor dem Publikum prostituirt wäre, wenn ich nicht wieder angestellt 194 195 196 197
§ 17, Abschnitt d), zitiert bei: Wegele: Geschichte 2, S. 513 f. Baumgart: Universität Würzburg, S. 102. Baumgart: Universität Würzburg, S. 102 f. Engelhorn: Staat, S. 147.
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wäret.“198 Außerdem könnte er sich der Zustimmung der Fakultät sicher sein.199 Auch Johann Jakob Wagner konnte sich an keinen Fürsprecher mehr wenden. Er habe, schreibt er an einen Freund, „… neuerdings ein paar Versuche gemacht, im Ausland anzuklopfen.“ 200 Auch beim Großherzogtum in Würzburg warb er, offenbar um eine Stelle als ordentlicher Professor: „Wie ich vorigen Winter in Schwulität war, reichte ich pour passer le temps eine Suplik um die andere ein. Es half auch nichts, als die Zeit passiren.“201 Doch die Versuche misslangen, wohl auch, weil sich kein Professor an einer anderen Universität mehr für ihn einsetzte wie noch 1803. Franz Berg befand sich in einer ähnlichen Situation und verlor durch den Wegzug Heinrich Paulus’ seinen einflussreichsten Kollegen in Würzburg. 1811 wurde er entlassen. Als sein Freund Paulus im selben Jahr eine Professur in Heidelberg annahm, gratulierte er Paulus mit den Worten, dass sein eigenes Schicksal „eine der Ihrigen entgegengesetzte Wendung genommen“202 habe. Sein letzter Brief habe bereits von „Spuren eines kommenden Sturms geschrieben“, so Berg. „Daß dieser aber so zerstörend seyn würde, wer hatte das ahnen können?“ Resigniert fügt er hinzu: „Ich bin lebendig begraben.“203 Die Korrespondenzen der Professoren nach 1806, die leider längst nicht so umfangreich erhalten sind wie aus den Jahren zuvor, offenbaren eine bemerkenswerte Isolierung derjenigen Professoren, die geblieben waren. Sie waren durch ihren Verbleib an einer im Ausland als restaurativ empfundenen Universität durch das Netz an Verflechtungen gefallen, das sie nach 1803 noch aufgefangen hatte. Die Verdrängungswettbewerbe der Professoren gingen zwar weiter, hatten jedoch den Schauplatz Würzburg hinter sich gelassen. Es sei unverkennbar, so Harm-Hinrich Brandt, „dass die bewusst herbeigeführte Provinzialität der Anstalt jegliche Anziehungskraft“204 nahm. Dies bestätigen auch die Immatrikulationen. Von 730 Studierenden im Wintersemester 1804/1805 sank deren Zahl kontinuierlich und erreichte ihren vorläufigen Tiefstand im Sommersemester 1814. Nur noch 247 Studenten besuchten zu diesem Zeitpunkt die Universität, von denen nur 56 aus anderen Staaten nach Würzburg gezogen waren.205 Den Rückgang der Einschreibungen hatte Ferdinand billigend in Kauf genommen, so Peter Baumgart. „Es war vorauszusehen, dass eine derartige restaurative Universitätsgesetzgebung im Zeitalter der 198 199 200 201 202 203 204 205
Feder an Unbekannt am 09.06.1806. Feder an Unbekannt am 24.01.1806. Wagner an Theodor Konrad von Kretschmann am 29.02.1808. Ebda. Berg an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 23.07.1811. Ebda. Brandt: Würzburg, S. 513. Engelhorn: Staat, S. 148.
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Humboldtschen Neugründung der Universität Berlin (1810) zum raschen Niedergang der Würzburger Hochschule, ihres akademischen Ansehens wie ihrer Frequenz, beitragen musste (…).“206
2.3.4. Erneutes Abwarten nach 1814 Die Belastung der Professoren durch Gehaltskürzungen erreichte beim zweiten Übergang Würzburgs an Bayern 1814 einen Höhepunkt. Prorektor Kleinschrod informierte die neue bayerische Kuratel im November des Jahres darüber, dass die „Anschaffung der Vorräthe für den Winter“207 für die Professoren kaum noch zu bewältigen seien. Der neue Kurator Stauffenberg spendete sogar einen Teil seines Einkommens für die Professorenschaft, deren „traurige Verhältnisse“ und „Nahrungs-Sorgen“208 er beklagte. Das Königreich Bayern hatte sich nach der Besitzergreifung einen Überblick vom Stand der Universität verschafft, indem es die Liegenschaften inventarisierte und die Finanzen prüfte. Um diese war es trotz der Konsolidierungsversuche Ferdinands schlecht bestellt. Maximilian von Lerchenfeld, um Wohlklang gegenüber der Regierung bemühter Hofkommissär in Würzburg, beklagt in einem Bericht von 1815 „sehr zerrüttete finanzielle Umstände der Universität“209. Es mussten alle Maßnahmen entfallen, die zusätzliche Kosten verursacht hätten. Das hohe Lehrdeputat der Toskana-Zeit blieb zunächst bestehen. Neuberufungen blieben aus. Ausgaben konnten nur in der Höhe der Pensionszahlungen getätigt werden, welche der Universitätsfonds beim Tod eines emeritierten Professors einsparte. Privatdozenten erhielten ihre Lehrbefugnis, die ihnen nach 1806 entzogen worden war, deshalb zurück, weil man damit zusätzlich Stellen einsparte. Die „Schuldenexplosion“210 in Folge der Koalitionskriege zog also auch den Universitätsbetrieb in Mitleidenschaft. Außerdem musste die bayerische Regierung die Universität angesichts der politischen Lage in den ersten Jahren als Provisorium betrachten. Die Zukunft der Hochschule blieb ungewiss, bis die Willenskundgebungen zwischen Bayern und Österreich aus den Präliminarien von Ried vom 8. Oktober 1813 als konkrete Bestimmungen in die Ausführungsverträge nach dem ersten 206 207 208 209 210
Baumgart: Bildungswesen, S. 380. Kleinschrod an die Universitäts-Kuratel am 05.11.1814. Stauffenberg an Hofkommission am 13.12.1814. Chroust: Würzburger Land, S. 260. Hans-Peter Ullmann, Staatsschulden und Reformpolitik. Die Entstehung moderner öffentlicher Schulden in Bayern und Baden (1780-1820), Bd. 1., Göttingen 1986, S. 34.
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Frieden von Paris vom 30. Mai 1814 mündeten und die europäischen Staaten die Vereinbarungen in der Wiener Schlussakte vom 9. Juni 1815 bestätigten. Diese segnete den erneuten Übergang Würzburgs an Bayern und somit das Ende von Großherzogtum und Würzburger Eigenstaatlichkeit ab. Danach hatte das Königreich Bayern wie 1803 darüber zu entscheiden, in welcher Form und mit welcher Verfassung die Julius-Maximilians-Universität bestehen bleiben sollte. Die Professoren machten in dieser Übergangsphase mit der Forderung auf sich aufmerksam, den Senat als Gremium der Universitätslehrer wieder einzuführen. Dessen Wiedererrichtung gestattete die Münchener Regierung 1817 zwar. Die Kompetenz des achtköpfigen Professoren-Gremiums wurde aber auf „eine beschränkte Mitbeteiligung bei der Verwaltung des Universitätsvermögens“211 reduziert. Die Zurückdrängung der Kuratel als Verwaltungsorgan und des Rezeptorats als Finanzaufsicht im Sinne universitärer Selbstverwaltung blieb ein unerfüllter Traum. Die unklare Situation machte sich auch bei den Berufungen bemerkbar. Lerchenfeld bemühte sich in dieser Zeit um die Berufung seines Freundes Gotthilf Heinrich Schubert an die Universität. Dessen „Symbolik des Traums“ war gerade in Druck, die ihm später einiges Renommee in der gelehrten Welt verschaffte und zu den meist gelesenen akademischen Autoren des frühen 19. Jahrhunderts machte. Schubert schrieb das Buch als Direktor der Realschule in Nürnberg. Ab 1814 suchte er eine Möglichkeit, die Schule zugunsten eines Berufes mit mehr Zeit für die Forschung einzutauschen. Doch Lerchenfeld, immerhin der höchste Regierungsbeamte in Würzburg, musste ihn vertrösten und konnte ihm eine Entscheidung erst für den Zeitpunkt in Aussicht stellen, „sobald die Verhältnisse es immer gestatten“.212 Aus diesen Jahren sind nur wenige Briefe von Professoren erhalten. In ihnen macht sich vor allem der Drang bemerkbar, sich wieder bei der neuen Regierung zu empfehlen. Adam Elias von Siebold bat seine Schwester um die Zusendung des Adelsdiploms seines Bruders, „da in Betreff dieser Sache bey der königlich bayerischen Regierung die Bestätigung demnächst nachgesucht werden muß.“213 Elias von Siebold, der Gynäkologe der Fakultät, wehrte sich ausgerechnet im Vorlesungskatalog, den die Professoren der Regierung vorlegen mussten, gegen Gerüchte, die im Ausland gestreut worden seien und besagten, dass die Universität sich seit dem Herrschaftswechsel von 1806 im Niedergang befinde.214 Wagner, der zeitweilig nach Heidelberg ausweichen
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Engelhorn: Staat, S. 153. Maximilian von Lerchenfeld an Gotthilf Heinrich von Schubert am 06.09.1816. von Siebold an Margarete von Siebold am 10.12.1814. Es handelte sich um den Vorlesungskatalog für das Wintersemester 1806/1807, s. F. Winckel: Art. Adam Elias von Siebold, in: ADB, Bd. 34, Leipzig 1892, S. 183 f.
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musste, zeigte sich darüber erleichtert, dass ihn die Regierung „vorerst“215 wieder angestellt hatte. Seine Briefe bezeugen andererseits seine finanzielle Drangsal. Er bemängelte, seinen Rückzug nach Würzburg „ohne einen Heller Zulage“216 habe bewerkstelligen müssen. Also versuchte er, einerseits die Zahl der Studenten zu erhöhen, um mehr Kollegiengelder zu erhalten. Andererseits bemühte er sich mit Blick auf die zu erzielenden Honorare intensiv um Publikationen. Wagner betrachtete seine Publikationen also in einer Zeit finanzieller Unsicherheit auch als Einkommensquelle. Damit stand er nicht allein da. Das Phänomen, dass Publikationen weniger aus wissenschaftlichen denn aus ökonomischen Interessen entstanden, soll sich eines der folgenden Kapitel widmen.
2.3.5. Personelle Kontinuität als Friedensgarant? Die medizinische Fakultät zum Vergleich Für Erstberufungen blühte auch in der Medizinischen Fakultät das Empfehlungswesen über Universitäts- und Landesgrenzen hinweg. Der junge Arzt und Schüler Johann Barthels von Siebold217 bat seinen Lehrer 1804 eindringlich darum, ein Referenzschreiben an die Gießener Universität zu senden. Der flehende Tonfall des Briefes war auch dem Umstand geschuldet, dass Siebold das zugesicherte Referenzschreiben trotz Zusage noch nicht erstellt hatte. Der junge Arzt Funcke gab zu bedenken: „Wieviel mich diese [Empfehlungen] in jeder Hinsicht nutzen können, können sie sich leicht vorstellen, indem alles bey uns auf Gunst ankömt.“218 Franz Kaspar Hesselbach, Professor für Anatomie, schickt einem heute unbekannten Geheimrat seine neueste Veröffentlichung mit dem Hinweis, sein Sohn habe die Zeichnungen darin angefertigt. Um dessen Chance bei der Aufnahme eines Zeichenstudiums zu erhöhen, bat Hesselbach den Adressaten, eine Empfehlung direkt nach München zu schicken, da dies „noch am kräfigsten wirken“219 würde. Doch es bildeten sich innerhalb der Medizinerschaft keine regelrecht befeindeten Parteien wie in der ersten Sektion der allgemeinen Wissenschaften. Dies lässt sich m. E. mit der größeren Kontinuität im Personalstand begründen. Wenn man die Organisationsakten von 1803 und 1809 betrachtet, fällt auf, dass die personelle Kontinuität bei den Medizinern über die Herr215 216 217 218 219
Wagner an Andreas Adam am 11.12.1815. Ebda. Zu Johann Barthel von Siebold s. Schöpf: Beschreibung, S. 429. Funcke an Johann Barthel von Siebold am 17.06.1804. Franz Kaspar Hesselbach an Unbekannt am 19.12.1814.
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schaftswechsel hinweg relativ hoch ausfiel, bei den Philosophen, Juristen, Theologen und Historikern, wie gesehen, relativ gering. Statt interne Auseinandersetzungen wie unter den philosophischen, theologischen und juristischen Fachvertretern zu führen, herrschte bei den Medizinern Uneinigkeit darüber, wie man mit Schelling umgehen solle. Denn die Studenten der Medizin strömten scharenweise in seine Kollegien, um seine naturphilosophischen Lehren zu hören. Einer der Mediziner, der den Einfluss Schellings als schädlich einstufte, war Friedrich Wilhelm von Hoven: „Drittens, was unserer Universität noch mehr, als das bisher angeführte, schadet“, schrieb er an seinen Jugendfreund Friedrich Schiller, „ist die Herrschaft, welche man der Schellingischen Naturphilosophie auf ihr eingeräumt hat. Ich habe allen Respekt vor Schellings Talenten: aber er ist ein herrschsüchtiger Mensch, der nach nichts geringerem, als nach der Einführung einer literarischen Hierarchie strebt, und seine Philosophie oder vielmehr Unphilosophie ist die verderblichste Art von Philosophie, welche je auf die praktischen Wissenschaften, und besonders auf die Medicin, Einfluß gehabt hat. …“220 Vor allem kritisierte er den geringen Nutzen seiner Vorlesungen für die Ausbildung von Ärzten: „Der junge Arzt soll jetzt keine Krankheit mehr beobachten, er soll sie konstruiren; der Anatomiker soll nicht mehr zeigen, wie der menschliche Organismus eingerichtet ist, das ist die Sache des Physiologen, der Anatomiker hat bloß das niedere Geschäft, das in der Sinnenwelt nachzuweisen, was jener aus der Idee eines Organismus abgeleitet hat.“221 Hoven prognostizierte, dass die Studenten sich von Schellings Lehren verzaubern und die Arbeit im Krankenhaus ruhen ließen: „Was es für ein Stück Arbeit ist, solche verschrobene Köpfe an das Krankenbette zu führen, kannst du dir vorstellen. … Sie studiren Medicin nicht um Kranke zu heilen, sondern um ihrer selbst, um der Wissenschaft willen. Dadurch wird aber nun die Zahl derer, die sich zu wirklichen Aerzten bilden, sehr klein, und dieß ist gewiß für einen Lehrer der Medicin an einer Universität, wie Würzburg, wo die Anstalten zur Bildung junger Aerzte vielleicht die ersten in der ganzen Welt sind, oder es doch werden können, ein sehr trauriger Gedanke, um so trauriger für mich, der ich, als Kliniker, so gerne alles thäte, um in alle Gegenden der Welt wohl unterrichtete Aerzte auszuschicken, anstatt daß so viele, die jetzt in Würzburg Medicin studiren, wenn sie die Universität verlassen, nicht einmahl im Stande seyn werden, eine Legal-Inspektion gehörig vorzunehmen, viel weniger einen Kranken zu heilen.“222 Es gab jedoch auch die gegenteilige Auffassung von Schelling. Ignaz Döllinger etwa arbeitete eng mit ihm zusammen. Barthel und Elias von
220 Friedrich Wilhelm Hoven an Friedrich Schiller am 03.08.1804. 221 Ebda. 222 Ebda.
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Siebold besuchten seine Kollegien.223 Mit einigen Medizinern in Bamberg wie Marcus und Röschlaub verbanden ihn sogar enge Freundschaften.224 Innerfachliche Auseinandersetzungen dagegen lassen sich bei den Medizinern deutlich seltener beobachten.225 Hinsichtlich der Empfehlungen für junge Mediziner scheint es zwar eine ähnlich stark ausgeprägte Aktivität wie bei Theologen, Philosophen und Juristen gegeben zu haben. Doch die größere Zukunftssicherheit scheint sich mildernd auf die Kommunikation unter den Kollegen ausgewirkt zu haben. Ein Wettkampf um Wirkungskreise und Stellen, wie er sich im Großkonflikt zwischen Schelling und Paulus, zwischen Naturphilosophen und kritischen Rationalisten offenbarte, schien bei den Medizinern viel weniger notwendig zu sein. Auch eine so strikte Gefolgschaftsbildung wie in den geisteswissenschaftlichen Fächern lässt sich in der Medizin nicht entdecken. Sicherlich lag dies jedoch auch daran, dass das Fach Medizin weniger dazu geeignet war, unterschiedliche Lager hervorzubringen. Das empirische Argumentieren der Mediziner bot weniger Raum für persönliche Angriffe.
2.4. Die Publikation als Einkommensquelle „Die Geschichte ist ein Feld, wo alle meine Kräfte ins Spiel kommen, und wo ich doch nicht immer aus mir selbst schöpfen muss. Bedenke dieses, so wirst Du mir zugeben müssen, dass kein Fach so gut dazu taugt, meine ökonomische Schriftstellerei darauf zu gründen, sowie auch eine gewisse Art von Reputation; denn es giebt auch einen ökonomischen Ruhm.“226 Friedrich Schiller schrieb dies am 1. März 1788 in einem Brief an seinen Freund Christian Gottfried Körner. Schiller war damals freier Schriftsteller und erhoffte sich, durch die Publikation historischer Arbeiten seine Finanzsorgen zu lindern. Das Ergebnis dieser Erwägungen legte er im selben Jahr vor: die „Geschichte des Abfalls der Niederlande von der spanischen Regierung“.227 223 Körner: Siebold, S. 175. 224 Fuhrmans: Schelling 3, S. IX. 225 Allerdings ist es wichtig, sich die Verteilung der Fächer im Quellensample in Erinnerung zu rufen. Von den Philosophen und Theologen sind weitaus mehr Briefe erhalten als von Medizinern. 226 Friedrich Schiller an Christian Gottfried Körner am 01.03.1788. 227 Tatsächlich verhalf ihm seine 1788 in Weimar erschienene Niederländische Geschichte zur Erfüllung der im Brief geäußerten Wünsche. Er erhielt im Folgejahr eine außerordentliche Professur an der Universität Jena. Im April erhielt er die Doktorwürde verliehen, am 26. Mai hielt er seine berühmte Antrittsvorlesung „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“. Zum ökonomischen Motiv von
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Die Publikation als Geldquelle zu betrachten, war auch den Würzburger Professoren nicht fremd, obwohl diese im Unterschied zu Schiller über eine Professur verfügten. Der Neu-Würzburger Jurist Gottlieb Hufeland schrieb Ende 1805 an seinen Verleger Georg Joachim Göschen in Leipzig: „Freylich gestehe ich, dass meine durch eine große Reise und durch darauf eingetretene unerwartete Umstände und Veränderungen ziemlich erschöpfte Kasse einen – etwa bey der Ablieferung des M[anu]s[krip]ts, oder wenigstens gleich nach vollendetem Druck zu hoffenden – Zufluß, zumal bey denen Ereignissen, die noch kommen könnten, höchst wünschenswerth macht.“ An anderer Stelle heißt es: „Was ich billiger Weise damit erwerben kann, gäbe ich zumal unter diesen Umständen, doch auch nicht gerne auf.“228 Ein Jahr zuvor hatte er mit Göschen länger um die Bezahlung von Belegexemplaren der „Neuen Grundlegung der Staatswirthschaft“ gerungen, die Hufeland Göschen überlassen hatte.229 Die Schulden, die Hufeland in Jena angesammelt hatte, müssen beträchtlich gewesen sein, denn in Würzburg bezog er ein hohes Gehalt.230 Selbst dieses reichte offenbar nicht aus. Gottlieb Hufeland wechselte häufiger die Stelle als jeder andere der untersuchten Professoren. Er war 1803 nach Würzburg gekommen. Als sich 1805 ein erneuter Regierungswechsel ankündigte, entschloss er sich, einem Ruf an die Universität Landshut zu folgen, um von dort wenig später an die Humboldt-Universität in Berlin zu wechseln. Auch dort hielt es ihn nicht lange und er nahm eine Stelle als Bürgermeister seiner Heimatstadt Danzig an, ein Amt, das er von 1808 bis 1812 ausübte. Ein anderer Professor, der eine Veröffentlichung anvisierte, war Joseph Rückert. Über diesen Rückert ist, im Gegensatz zu seinem fränkischen Namensvetter Friedrich Rückert, wenig bekannt, obwohl eines seiner Bücher heute zu den am häufigsten zitierten Werken aus der Zeit der Weimarer Klassik gehört, seine „Bemerkungen über Weimar“ aus dem Jahr 1799. Nach 1806 erwartete der ehemalige Zisterzienser wie die anderen Universitätslehrer drei Jahre lang in Unsicherheit die Neuorganisation der Universität des Großherzogtums. Da er Kinder hatte, wog die Belastung besonders schwer. Aus dieser Übergangsphase stammen die erhaltenen Briefe des PhilosophieProfessors. Aus diesen geht hervor, dass die Kürzung seines Gehalts Rückert Schillers Geschichtswerk s. Rüdiger Safranski: Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus, Bonn 2004, S. 271 ff. Geldnöte trieben auch August Wilhelm Schlegel um, den Schiller 1796 nach Weimar geholt hatte. Schlegel, finanziell unterstützt von seiner Frau Caroline, verdiente sich seinen Lebensunterhalt in Jena mit rund 300 veröffentlichten Rezensionen. Dies lässt sich sogar dem kurzen Artikel in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ entnehmen, s. Franz Muncker, Art. August Wilhelm Schlegel, in: ADB, Bd. 31, S. 354-368, hier: S. 356. 228 Hufeland an Georg Joachim Göschen am 24.11.1805. 229 Hufeland an Georg Joachim Göschen am 16.12.1804. 230 Michael Rohls: Kantisches Naturrecht und historisches Zivilrecht. Wissenschaft und bürgerliche Freiheit bei Gottlieb Hufeland (1760-1817), Baden-Baden 2004, S. 79.
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in eine schwierige Lage versetzte. Er versuchte daraufhin alles, um seine finanzielle Lage zu verbessern. Einerseits wollte der Philosoph eine anonyme Schrift unter dem Titel „Heiligengespräche“ veröffentlichen. Hierzu erbat er die Hilfe Carl August Böttigers, den er in einem Brief den Grund für sein Projekt darlegt. „Fände sich nun noch, was freylich eine Hauptsache – zu dieser Schrift ein Verleger, so sollte nur ein Theil des mäßigen Honorars dazu dienen, den Rest meiner alten Schulden in Weimar zu tilgen.“231 Um seine Familie ernähren zu können und seine Weimarer Rechnungen zu begleichen, plante er außerdem die Gründung eines gelehrten Journals. „Ich habe es zur Verbesserung meines äussern Zustandes versucht, unterstützt von einigen weitern Männern, … eine pädagogische Zeitschrift … auf die Beine zu bringen.“ Rückert schloss den Brief nicht, ohne Böttiger seinen Lebenstraum vorzustellen: „Hätte ich 2000 fl., oder auf einige Jahre Muse und Ruhe von Nahrungssorgen, so wollte ich, wie mich mehr als dünkt, nicht ein neues philosophisches System, sondern die Philosophie selbst herstellen, und für den Erfolg meine Person und – Freyheit als Caution selbst einsetzen.“232 Aus der Dringlichkeit seines Wunsches machte Rückert Böttiger gegenüber keinen Hehl. Er versicherte in dem Brief vom März 1808, dass er seine Finanznot nur durch Buchhonorare erleichtern könne, „welches mir ohne ein Nebenverdienst der Art bei meinem Gehalte von 600 Gulden, womit ich eine Familie zu ernähren habe, wenigstens unter den gegenwärtigen Umständen unserer Universität kaum, sobald möglich seyn dürfte.“ Neben Buchveröffentlichungen zieht er auch einen Stellenwechsel in Erwägung. „Meine Lage ist dermalen“, schreibt Rückert, „d.h. seitdem wir hier zu Lande wieder den bösen Wind (cattiva aria) gegen uns haben, ungefähr so, wie damals, als ich vor 14 Jahren mit Gefahr aus meinem Vaterlande floh. Weil aber unterdessen mein irdisches Gepäck um ein Beträchtliches schwerer geworden, muss ich diesmal dem erlösenden Ruf meines guten Genius abwarten. Wohin dieser auch führen mög; nur – aus der bösen Luft, und ich folge freudig.“233 Seine Publikationsprojekte scheiterten. Vom Antritt der Würzburger Professur bis zu seinem Tod 1813 erscheint lediglich ein Kommentar zu seiner PhilosophieVorlesung234. Rückert gelingt es auch nicht, eine Stelle an einer anderen Universität zu finden. Zudem verliert er 1809 seine Professur in Würzburg. 231 232 233 234
Rückert an Carl August Böttiger am 22.03.1808. Ebda. Ebda. „Über den Charakter aller wahren Philosophie“, Bamberg und Würzburg, 1805. Über Joseph Rückerts Leben ist nur wenig bekannt. In einer Ausgabe seiner „Bemerkungen über Weimar“ findet sich lediglich eine kurze biografische Skizze des Herausgebers: Eberhard Haufe: Joseph Rückert: Bemerkungen über Weimar (1799), Weimar 1969. Die bibliografischen Angaben zum Werk Rückerts stammen aus: Hilmar Schmuck, Willy Gorzny (Hg.): Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums (GV) 1700-1900, München u.a. 1984, S. 211.
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Joseph Rückert war wie Gottlieb Hufeland eines der „Nordlichter“235 die zum Wintersemester 1803/1804 aus Jena an die Würzburger Universität berufen wurden.236 Katja Deinhardt hat unlängst den „Niedergang der Universität“ Jena nach 1799 nachgezeichnet und somit erklärbar gemacht, weshalb so viele Professoren aus Jena für das Universitäts-Reformprojekt in Würzburg zur Verfügung standen. Insbesondere „mussten die deutschlandweit gestiegenen Lebenshaltungskosten die Entscheidung der Jenaer Dozenten begünstigen, der Universität mit ihrer ausgesprochen niedrigen Grundbesoldung und damit der Stadt den Rücken zu kehren“.237 Vielleicht liegt auch hierin ein Grund für die finanziellen Schwierigkeiten von Rückert und Hufeland. Sicher wog längst nicht bei allen Professoren das Einkommens-Argument bei der Entscheidung für eine Publikation so schwer. Auch lässt sich aus vielen Briefen nicht ablesen, wie stark der Autor auf das Honorar angewiesen war. Wenn ein Professor mit einem Verleger über die Veröffentlichung eines neuen Werkes verhandelte, stritten die beiden immer auch um die Höhe des Honorars. Wie wichtig das Geld für die Existenz des Professors im Einzelfall war, lässt sich daher oft nicht einschätzen. Allerdings ist klar, dass jeder Regierungswechsel die feste Anstellung beenden oder das Gehalt vermindern konnte und daher die Publikation als alternative Einkommensquelle an Bedeutung gewann. Auch für renommierte Gelehrte spielte die Veröffentlichung als Geldquelle daher eine Rolle. Als Caroline Schlegel-Schelling ihren Mann in einem Brief über die Ankunft von 270 Gulden Honorar für eines der Werke Schellings
235 S. Wolfgang Altgeld: Akademische Nordlichter. Ein Streit um Aufklärung, Religion und Nation nach der Neueröffnung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1807, in: Archiv für Kulturgeschichte 67 (1985), S. 339-388. 236 Gebürtig stammte er allerdings aus Franken. Er war nach dem Ausscheiden aus dem Kloster 1794 zum Studium nach Jena gegangen und wurde dort für kurze Zeit einer der Schüler des Kantianers Karl Leonhard Reinhold. Dieser wechselte noch im selben Jahr nach Kiel und überließ Johann Gottlieb Fichte den Lehrstuhl. Von diesem zeigte er sich allerdings deutlich weniger angetan als von Reinhold und beklagt besonders die anhaltenden Konflikte der Professoren, die sich in den Kollegien gegenseitig verleumden: „Ein Umstand, welcher, da dieser Ton in den Schulen endlich klassisch zu werden scheint, viel dazu beiträgt, meinen Geschmack an philosophischen Systemen gänzlich skeptisch und mir das akademische Leben überhaupt gehässig zu machen.“ Rückert verlässt daraufhin die Universität und verdient sich einige Jahre lang als Hauslehrer sein Geld. 1801 legte er bei Göschen in Leipzig eine Schrift mit dem Titel „Der Realismus, oder Grundsätze der Philosophie“ vor und empfahl sich so für einen Ruf an die Alma Julia. 1803 gehört er zur großen Gruppe junger Universitätslehrer, die den Weg von Jena nach Würzburg antraten, s. Eberhard Haufe: Einleitung, in: Joseph Rückert, Bemerkungen über Weimar (1799), Weimar 1969, S. 163. 237 Deinhardt: Stapelstadt, S. 306.
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informierte und sich über die Höhe des Betrags freute238, dann sicherlich auch, weil Schelling noch keine definitive Zusage für seine Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften erhalten hatte. Als dieser 1804 bei Hegel um Rezensionen für seine neuen „Jahrbücher der Medizin als Wissenschaft“239 mit dem Hinweis auf die hohen Honorare, die er zu zahlen imstande sei, wirbt, tat er dies sicher auch im Wissen um Hegels finanziell angespannte Situation als Privatdozent in Jena. Hegel wurde erst im Jahr darauf zunächst zum außerordentlichen Professor berufen. Nach Stationen als Journalist in Bamberg und Gymnasiallehrer erhielt er erst 1816 eine ordentliche Professur in Heidelberg. Für Lorenz Oken spielt die Publikation als Geldquelle eine noch stärkere Rolle als für Professoren, die um den Verlust ihres Amtes fürchten, zur Ernährung der Familie ein Zubrot erwerben wollen oder Schulden abbezahlen müssten. Oken war finanziell in Bedrängnis, da die Honorare für seine Publikationen und der Verkaufserlös für seine Freiexemplare seine einzigen Einnahmequellen darstellten. Zu Beginn seiner Würzburger Zeit verfügte er über keinerlei Rücklagen. Oken musste sich Geld leihen und dafür sein Hab und Gut verpfänden, um überhaupt nach Würzburg ziehen zu können. Der Mangel an finanzieller Sicherheit und die Strategien, Geld zu sparen, waren ein fester Bestandteil von Okens Lebenswelt in Würzburg. „Ich höre alles unentgeltlich“240, schrieb Oken im November 1804. Im März des folgenden Jahres überlegte er, wem er Freiexemplare einer Neuveröffentlichung schicken solle. Dazu fragte er seinen langjährigen Freund Keller, ob es nötig sei, dem „kranken Morin“ eines der Exemplare zu schicken. „Sollte er es nicht mehr lesen können, so machte ich mir unnöthige Kosten.“241 Die Druckkosten für ein anderes Werk plante er gar durch die Verpfändung seiner Freiexemplare zu bestreiten.242 Und den Umzug nach Göttingen im Jahr 1805 ermöglichte erst ein Honorar des Verlegers Göbhardt in Höhe von 20 fl. Um der prekären Situation zu entkommen, schrieb er in Würzburg an mehreren Werken gleichzeitig: „Hier lebe ich eingezogen; ich habe keine Kameraden und bin daher den ganzen Tag zu Hause, und wirklich arbeite ich an der Zeugung um. An den Grundriss [des Systems der Naturphilosophie] selbst werde ich wohl hier nicht mehr kommen.“243
238 Schlegel-Schelling an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 09.05.1806. 239 Schelling an Georg Wilhelm Friedrich Hegel am 14.07.1804; Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am, 14.07.1804. 240 Oken an Matthias Keller am 22.09.1804. 241 Oken an Matthias Keller am 20.03.1805. 242 Oken an Matthias Keller am 22.09.1804. 243 Ebda. Das letztgenannte Werk erschien schon 1803. Oken wollte es offenbar für eine zweite Auflage überarbeiten.
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Als der Philosophie-Professor Johann Jakob Wagner sich 1808 auf die Suche nach einem Verleger für mehrere neue Schriften machte, befand auch er sich in einer beruflich unsicheren Situation. Nur fünf Jahre zuvor stand er dank der Neuberufung nach Würzburg unzweifelhaft auf dem Höhepunkt seines beruflichen Werdegangs. Ab 1801 hatte er als freier Schriftsteller und Mitarbeiter zweier Literaturzeitungen in Salzburg gelebt. Dort hielt er gleichzeitig Vorlesungen als Privatdozent. Der Ruf aus München 1803, der auf Empfehlung Schellings erfolgt war, beendete somit eine mehrjährige freie Tätigkeit und führte ihn zurück zur Philosophie, der er sich in den Jahren zuvor notgedrungen nur stiefmütterlich hatte widmen können. In Würzburg allerdings kam es innerhalb weniger Monate zum Zerwürfnis mit Schelling. Ihre Wege entzweiten sich nach dem Bruch auch geografisch, da Wagner nach der Gründung des Großherzogtums in Würzburg blieb und Schelling gleich den meisten anderen 1803 und 1804 berufenen Professoren die Stadt verließ. Wagners Gehalt verringerte sich nach 1806 auf 800 fränkische Gulden. Also bewarb er sich auf einen besser dotierten Posten: „Ich habe jetzt hier um die (…) Professur der Geschichte mit 1200 fl. angehalten, und weiß nicht ob ich reussiren werde; aber wenn ich auch nicht reussire, so lebt in mir die Wahrheit, daß der Mensch nicht allein vom Brode lebt, und ich harre ruhig einer bessern äussern Lage und treibe mein Wesen muthig fort.“244 In eben diese Phase nun fiel die Suche nach einem Verleger für seine „Theodicee“, die schließlich 1809 bei Göbhardt in Würzburg und Bamberg erschien. Selbstverständlich publizierten die Professoren nicht nur aus finanziellen Erwägungen heraus. Auch wissenschaftlicher Erkenntnisdrang ließ sie zur Feder greifen. Außerdem stellten Veröffentlichungen Referenzen dar. „Indessen habe ich Zeit“, schrieb Oken, „wieder etwas druken zu lassen, und so erhalte ich Geld und werde bekannter.“245 Weiter heißt es: „Ich denke, es möchte auch etwas zu meiner Empfehlung in Würzburg beitragen, und es könnte mir etwas Repetition [gemeint ist wohl: Reputation] verschaffen, wenn ich die Rede über Zeugung, welche ganz empirisch ist, noch diese Vakanz drucken lasse.“246 Oken schätzte die Wirkung seiner Schriften hoch ein und war davon überzeugt, dass sie ihn bekannt machen sollte. „Dass meine Theorie muss Aufsehen machen, bin ich überzeugt, denn ich habe Behauptungen darinn, die schnurstraks allen bisherigen Meinungen über diese und andere Gegenstände zu wider sind und zwar den gangbarsten. … Wenn ich nur meine Theorie diesen Sommer ausarbeitete, so würde ich gleich nach der Erscheinung derselben, irgendwo anhalten um Privatdozent zu werden.“247
244 245 246 247
Wagner an Theodor Konrad von Kretschmann am 18.05.1808. Oken an Matthias Keller am 20.03.1805. Ebda. Oken an Matthias Keller am 20.03.1805.
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Okens Erwartung an die Wirkung seiner Schriften war auch deshalb so hoch, weil er Schelling an seiner Seite wusste. Und auch Schelling sah die Notwendigkeit, dass die Werke seines Schülers möglichst rasch Bekanntheit erlangen. Oken schrieb dazu: „Schelling druckt wirklich meine Zeugung; er hat mir ganz sicher einen Drucker versprochen und findet er diesen nicht, so kömt es in seine Jahrbücher, er sagte mir, es sei für mich zunächst besser, wenn es besonders erschiene, weil es bekannter werde“248. Auch hatte Schelling versprochen, auf die Rezension den nötigen Einfluss auszuüben. „Meine Abhandlung über die Zeugung wird er nach Bamberg an Göbhardt schicken zum Drucken und zugleich Markus bitten, dass er sie empfehle.“249 Und schließlich: „Wird es dann noch in Schellings Jahrbüchern rezensiert, woran ich nicht zweifle, so ist viel gewonnen.“250 Empfehlungsdruck in den Monaten der Herrschaftswechsel spürte nicht nur der junge Oken. Johann Jakob Wagner musste sich nach 1806 der neuen Regierung des Großherzogs empfehlen. „So bin ich dieser Tage willens zum Großherzog zu gehen mit meinem dicken Buche, und bei einigen Matadors bin ich gewesen.“251 Und Karl E. Schelling schrieb an seinen Bruder Friedrich Wilhelm in der Zeit, als er sich angestrengt um eine Professur bemühte: „Wäre ich im Stand etwas zu liefern, so wollte ich es gerne thun.“252 Allerdings sprachen die Professoren in ihren Briefen deutlich seltener von der Publikation als Referenz denn als Einkommensquelle. Empfehlungen scheinen realiter stärker von Zugehörigkeiten und Loyalitäten abhängig gewesen zu sein als von der Qualität der publizierten Forschungsleistungen. Das finanzielle Motiv überwog daher in den Korrespondenzen deutlich. Doch ist kein Fall bekannt, in dem sich der Wunsch eines Würzburgers Professors erfüllt hätte, seine finanzielle Situation durch eine Publikation merklich zu verbessern. Wagner, der sich wegen seines geringen Gehalt im Großherzogtum selbst um Publikationen bemüht, blickt mit einer Mischung aus Witz und Resignation auf den hoch dekorierten Münchener Philosophen Franz von Baader, der im Auftrag der Regierung Zar Alexanders wissenschaftliche Berichte verfasste.253 Er „hat von dem russischen Kaiser 5000, sage fünftausend, Dukaten bekommen, um eine Schrift über das Verhältniß der Menschheit zu Gott auszuarbeiten. Das heißt eine Frömmigkeit, die was einträgt!“254 248 249 250 251 252 253
Oken an Matthias Keller am 18.12.1804. Oken an Matthias Keller am 02.11.1804. Oken an Matthias Keller am 20.03.1805. Wagner an Theodor Konrad von Kretschmann am 29.02.1808. Karl E. Schelling an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 24.07.1804. Ernst Benz, Franz von Baader und Kotzebue. Das Russlandbild der Restaurationszeit, Mainz 1957. 254 Wagner an Andreas Adam am 01.06.1817.
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2.4.1. Exkurs: Hohe Mietpreise als Zusatzbelastung Das Renommee der Neuberufenen führte dazu, dass die Immatrikulationen ab dem Wintersemester 1803/1804 schlagartig anstiegen. Von 554 Immatrikulierten im akademischen Jahr 1802 steigerte sich deren Zahl auf 743 im Jahr 1803/1804 und noch einmal auf 826 im Folgejahr. Dies entspricht einer Erhöhung um 50 Prozent innerhalb von zwei Jahren.255 All diese Studenten mussten in Würzburg eine Herberge finden. Die gestiegene Nachfrage nach günstigen Zimmern für Studenten überstieg jedoch bei weitem das Angebot. Die Vermieter erhöhten die Mieten und minderten sie übrigens auch dann nicht, als die Frequenz der Universität nach 1809 wieder deutlich zurückging. Die Briefe von Professoren und Studenten legen nahe, dass sie besonders die hohen Mietpreise belasteten. Einer der Studenten, der Bruder des Dichters Friedrich Rückert, Heinrich, klagte seinem Vater gegenüber über die hohen Kosten und bat um zusätzliches Geld. Dieser Brief stammt aus dem Jahr 1811. Er habe bei einer Bücher-Auktion wichtige Studienbücher erworben, obwohl er, sein Vater, ihm den Kauf von Büchern verboten habe. Dadurch sei er in einen finanziellen Engpass geraten. Aus diesem wolle er sich zunächst aus eigenen Stücken und durch Sparsamkeit wieder befreien. „Abgeschreckt durch den ersten kleinen Verweis glaubte ich besser zu thun, wenn ich es verschwiege, um vielleicht die Ferien über durch Ersparnis meines Wochengeldes mich im Stand versetzt zu sehen, den dadurch verursachten Rückstand an Hausmiethe bezahlen zu können, allein mein Vorhaben scheiderte.“256 Was Rückert am eigenen Leib erfuhrt, beobachtete Friedrich Wilhelm Hoven von außen. Er prognostizierte der Universität 1805 einen baldigen Verfall – unter anderem wegen der hohen Mieten: „Erstlich scheint mir Würzburg, wie überhaupt jede große Stadt, zum Sitz einer Universität gar nicht geeignet zu seyn“257, schreibt er an Schiller. „Der hohe Preiß der Lebensmittel, der Mangel an bequemen und wohlfeilen Wohnungen für die Studierenden“ sei neben der starken Präsenz von Militär, dem großen Angebot an Vergnügungen und dem Sitz der Regierung in der Stadt einer der Gründe, weshalb die Zukunft der Universität ungewiss sei. „Die ärmern jungen Leute können sie [die Wohnungen, C.T.] nicht beziehen, weil es in Würzburg zu kostbar für sie zu leben ist“, prophezeit Hoven. Die reichen Studenten dagegen würden statt zu lernen, ihre Zeit in den Kaffeehäusern, Weinstuben und Casinos verbringen. „Wegen des erstern Umstands“, resümiert der Mediziner, „wird die Zahl der hier Studierenden nie sehr groß werden, und wegen der letztern 255 Sebastian Merkle (Hg.): Die Matrikel der Universität Würzburg, I, Bd. 2, Nendeln 1980, S. 855 ff. 256 Heinrich Rückert an Johann Adam Rückert am 12.12.1811. 257 Hoven an Friedrich Schiller am 30.08.1804.
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wird unsere Universität der Welt eben nie viele geschickte junge Männer zu liefern im Stande seyn.“258 Auch die Professoren scheinen die Mieten als zu hoch empfunden zu haben. Johann Jakob Wagner etwa bedauert noch im Jahr 1809: „Die Preise der Dinge scheinen in Heidelberg dieselben zu seyn wie hier, und auch hier ist ohne die jährlichen 1800 - 2000 fl. nicht viel zu machen.“259 Die Belastung durch zu hohe Mietsätze muss so viele Universitätsangehörige betroffen haben, dass sich der Senat der Sache annahm. Dieser wandte sich 1804 mit einer Supplik an den Verwaltungsrat. Diese beginnt mit dem Vorwurf, die Stadt wisse es nicht zu schätzen, dass die Universität nicht nach Bamberg verlegt wurde. „Dadurch, daß die Universität hier geblieben ist“, habe man vermutet, dass die Stadt die Professoren und Akademiker „billig behandelt und nicht durch übersetzte Preise übernommen werden würden“ 260. Zahlreiche Professoren hätten sich laut den Unterzeichnern der Supplik über die hohen Quartierpreise beschwert und darüber, dass die Kost zudem von geringer Qualität sei. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Mieter bei den horrenden Preisen „nicht einmal die nöthigsten Bedürfnisse erhalten“. Da dies der einzig denkbare Ausweg aus der Misere sei, schlugen die Senats-Mitglieder vor, „für Wohnungen von Professoren und Studierenden gewisse Taxen festzusetzen.“261 Die Landesdirektion machte sich in der Folge tatsächlich daran, die Steigerung der Mietpreise einzudämmen. Der Verwaltungsrate erklärt sich zu Kooperation bereit und plante die Gründung einer Deputation, die mithilfe der Vierteldiener und -schreiber drei Klassen von Quartieren unterscheiden und gerechte Mietpreise für die einzelnen Klassen festsetzen sollte, „damit man der Universitaet soviel an den Stadtmagistrate liege, genugthuende Antwort geben zu können, auch der Stadt und Bürgerschaft selbst hierdurch die allenfalls in dessen Entstehung und beharrender Theuerung zu beförchtende Gefährden abzuwenden.“262 Doch die Arbeit der Deputation hat zumindest in den Quellen des Verwaltungsrats keine Spuren hinterlassen. Allerdings versuchte ein Münchener Gesetz, des Problems Herr zu werden. Die Regierung schränkte 1804 die Kreditvergabe an Studenten per Gesetz stark ein, unterschied dabei aber zwischen „privilegierten Schulden“ und üblichen Schulden. Zur ersten gehörten Kredite „für Kost, Wohnung und Aufwartgeld“, zur zweiten Kredite für weniger dringliche Ausgaben. Das Regierungsblatt legte außerdem fest, dass Studenten ihre Mietschulden erst zum Ende jedes
258 259 260 261 262
Ebda. Wagner vom 21.09.1809. StadtAW, Rp 143 (1804), Eintrag vom 20.02.1804. Ebda. StadtAW, Rp (143) 1804, Eintrag vom 20.02.1804, S. 51
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Quartals begleichen mussten.263 Doch diese Initiative erübrigte sich wie so viele andere durch den kurz darauf erfolgenden Herrschaftswechsel. Wie die Professoren und Studenten insgesamt auf die hohen Mieten reagierten, lässt sich mangels Bemerkungen dazu in den Quellen nicht sagen. Heinrich Rückert bat bei seinem Vater erneut um Geld, entschuldigte sich für die angehäuften Schulden und versprach, künftig bescheidener zu leben. Eine Bemerkung Wagners legt nahe, dass es auch Studenten gab, die aus finanziellen Gründen auf den Besuch der bezahlten Kollegien verzichteten, sofern sie nicht ohnehin zu den Befreiten gehörten. Manche Studenten, so Wagner, „bleiben diesen Sommer der Theuerung wegen gar zu Hause.“264 Würde sich diese Beobachtungen durch andere Quellen bestätigen lassen, so hätte die bildungsgeschichtliche Forschung ein interessantes Detail über die Abhängigkeit von wissenschaftlicher Ausbildung und ökonomischem Status im frühen 19. Jahrhundert dazu gewonnen.
2.4.2. Die Zensur als Widerstand im Arbeitsprozess Laut Reinhold Grimm und Jost Hermand wirkte die Zensur als einflussreiches Instrument bei der Literatur-Produktion im 18. Jahrhundert.265 Sie untersuchten, ob die politischen Umstände die Literatur von Goethe und Schiller geprägt haben oder: inwiefern die Gesetzgebung das Werk der Weimarer Klassik mitgeschrieben hat. Grimm und Hermand zielten darauf ab, oft übersehene Widerstände bei der Literaturproduktion in den Fokus zu rücken, um die blinden Flecke der bundesdeutschen „Klassik-Legende“ sichtbar zu machen. Allerdings hat das Bedürfnis nach Aufdeckung „ideologischer Befangenheiten und aller möglichen repressiven Einwirkungen … für die Formation von Kunst und Kultur“266 inzwischen nachgelassen. Angesichts des starken Publikationsdrangs stellt sich die Frage, ob die Professoren die Zensur nicht als einen gewaltigen Widerstand empfanden. Dieses kurze Kapitel soll untersuchen, ob sich die Professoren in ihrer Arbeit von der Zensur beeinträchtigt zeigten oder nicht und ob die Zensur einen großen 263 „Vom Creditwesen der Akademiker“ (1805), zitiert bei Wegele: Geschichte 2, S. 493 ff. 264 Wagner an Theodor Konrad Kretschmann am 01.06.1817. 265 Reinhold Grimm, Jost Hermand: Vorwort, in: Dies. (Hg.): Die Klassik-Legende. Second Wisconsin Workshop, Frankfurt/Main 1971, S. 7-16. 266 Hartmut Reinhardt: „...man weiß nicht, was man schreiben darf...“ Die Weimarer Klassik und die Zensur: Zwei Fallstudien zu Schiller und Herder, in: Wilhelm Haefs, York-Gothard Mix (Hg.): Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte – Theorie – Praxis, Göttingen 2007, S. 203-223, hier: S. 206.
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Stellenwert im Veröffentlichungsprozess darstellte. Zur Erläuterung werden auch die Zensurgesetzgebungen der vier Verfassungen Würzburgs im Untersuchungszeitraum in aller Kürze wiedergegeben. Franz Ludwig von Erthal verschärfte gemäß dem Trend der Zeit267 die Zensur, um die Verbreitung von prorevolutionären Schriften einzudämmen. Der fränkische Herzog erweiterte 1793 das bestehende Zensurkolleg zu einer Zensurkommission, die im Übrigen nicht nur Schriftstücke, sondern auch Gemälde und Kupferstiche prüfte.268 Die Prohibitivzensur scheint die klandestine Beschaffung zensierter Bücher jedoch nicht behindert und die Beschaffungswege nicht unterbrochen zu haben. Eine Vielzahl von Reskripten gegen verbotenen Buchverkauf belegt die geringe Durchsetzungskraft und das niedrige Bedrohungspotential, das Zensurgesetze auf Buchhändler und Hausierhändler sowie deren Kunden bis zum Ende des Hochstifts ausübten. Für Erthals Zensurkollegium wie für den letzten Würzburger Fürstbischof gestaltete sich die Kontrolle des Hausierhandels als schwierig. Im Oberratsprotkoll von 1796 etwa heißt es, es hätten sich wieder „verschiedene Misbrauche im Betreff des Haußierengehens mit Bücher in der dahiesigen Stadt“ während und außerhalb der Messzeiten eingestellt, bei welchen vor allem „Juden allerhand Bücher in ihren Säcken verborgen in die Wohnungen der Studenten zuzubringen wussten“269. Auch andere Vertriebswege hatten sich fest etabliert. Es gehörte zum Alltag Würzburger Professoren, sich Bücher aus Staaten mit liberalerer Zensurpraxis zusenden zu lassen. Eva Pleticha-Geuder hat nachgewiesen, dass sich die Universitätslehrer indizierte Schriften und Bücher zusammen mit den Veröffentlichungen schicken ließen, die in Würzburg zwar erlaubt, aber nicht vorrätig waren.270 Die Würzburger Bildungsbürger erhielten zwar nicht das Recht, sich in aufgeklärten Assoziationen zu versammeln, teilten aber mit den Juristen oder Beamten aus Jena, Göttingen oder Berlin die Lektüre. Die Zensurpraxis unter Fechenbach orientierte sich am Vorgänger. Der letzte Fürstbischof versuchte wie Erthal eine Zensur von Studienbüchern durchzusetzen. Für Studenten galt nach wie vor die Referenzpflicht beim Kauf von Büchern. Der neu zugelassene Buchhändler Weigand etwa erhielt 1797 die 267 Vgl. etwa das Hofdekret des österreichischen Kaisers Franz II. zur „Vorsorge zur Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ruhe und Ordnung“ vom 9. Februar 1793, abgedruckt bei: Walter Demel, Uwe Puschner (Hg.): Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, Bd. 6: Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongress 1789-1815, Stuttgart 2003, S. 253f. 268 Die Ankündigung der Einsetzung eines Bücherzensurkollegiums findet sich: StadtAW, Orp (71) 1792, Eintrag vom 26.03.1792; Bewertungen dieser Maßnahme liefern Schott: Absolutismus, S. 156.; Baumgart: Bildungswesen, S. 352; Pleticha-Geuder: Buch- und Bibliothekswesen, S. 389. 269 StadtAW, Orp (75) 1796, Eintrag vom 18.01.1796. 270 Ebda.
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Erlaubnis zum Verkauf an Studenten nur dann, wenn diese eine Genehmigung für das gewünschte Buch von ihrem Professor vorweisen konnten.271 Erhellend für die Frage nach der lebensweltlichen Bedeutung der ZensurGesetzgebung ist eine Bemerkung Franz Oberthürs aus dem Jahr 1799: „Die Säcularisation meines Manuscripts, ohne alle Entschädigung“, schrieb Oberthür, „ertrage ich leichter, seit die solide Demonstration der OesterreichischRussischen Truppen die Säcularistion der Hochstifter abgewiesen hat.“272 Offenbar empfand Oberthür die Zensurpraxis als von der Zensurgesetzgebung vorgesehen. Nach dem ersten Übergang an Bayern löste das Zensur-Edikt vom 13. Juni 1803 alle Zensurbestimmungen sowie alle Kommissionen, Gremien und Kollegs, die mit der Einhaltung der Zensur in den verschiedenen Verwaltungsebenen des Staates betraut waren, auf. Allerdings bestand für politische Schriften sogar Vorzensur. Diese oblag einer Abteilung des Münchener Außenministeriums, dem Maximilian Graf Montgelas als Minister vorstand. Die Zensurbehörde war dem Außenministerium angeschlossen, da das Hauptmotiv der Zensur nach 1803 darin lag, keine Ressentiments mit Frankreich aufkommen zu lassen. Die Berichte und Einschätzungen der Befindlichkeiten des Auslands liefen im Münchener Außenministerium zusammen.273 Die Zensur beschäftigte die Professoren also auch nach 1802 kaum. Franz Oberthür verlegte zwar eine Publikation 1804 kurzerhand von Würzburg nach Salzburg, allerdings nur, weil das Außenministerium sich mit der Druckfreigabe mehrere Wochen Zeit ließ.274 Lorenz Oken entschied sich bei einer Veröffentlichung dagegen für Würzburg als Verlagsort, „da hier eine Druckerei sich vorfindet, welche wenig zu thun, und auch noch unter keiner Zensur steht, was das Geschäft verzögern konnte.“275 Dies war nach 1806 nicht mehr denkbar. Das Habsburgische Großherzogtum führte 1806 die Zensur für alle Druckerzeugnisse wieder ein, wie es der Publikationszwang von Vorlesungsskripten vermuten ließ. Zudem setzte es eine Theaterkommission ins Amt, die eine Vorzensur auf alle Stücke ausübte, die das Würzburger Theater zur Aufführung bringen wollte. „Zensur-Freiheit findet nicht statt“276, bestimmte eine entsprechende Regierungsverordnung kurz und unverblümt. 271 StadtAW, Orp (76) 1797, Eintrag vom 16.01.1797. 272 Berg an Unbekannt am 30.05.1799. 273 Zu den neuen bayerischen Zensurbestimmugen s. Eberhard Weis: Montgelas. Eine Biografie, München 2008 (einbändige Sonderausgabe), S. 642 ff; Zur veränderten Rolle der Zensur am Übergang des 19. Jahrhunderts allgemein s. Wolfram Siemann: Zensur im Übergang zur Moderne. Die Bedeutung des „langen 19. Jahrhunderts“, in: Haefs, Mix: Zensur, S. 357-387. 274 Oberthür an Unbekannt im Januar 1804. 275 Oken an Matthias Keller am 22.09.1804. 276 Baumgart: Universität Würzburg, S. 102.
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Die Zensurgesetzgebung entstammte demselben Geist, der auch die Universitätsreformen in die Wege geleitet hatte. Allerdings musste das Großherzogtum während der Rheinbund-Jahre wie Bayern ohnehin der von Napoleon diktierten Vor- und Prohibitivzensur folgen, das letztlich auch das Todesurteil gegen den Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm 1806 zur Folge hatte.277 Der Theologe Franz Berg beklagte nach der Rekatholisierung der Universität 1809 in einem wütenden Brief an Heinrich Paulus die Beschneidung wissenschaftlicher Diskussionen unter dem Deckmantel der Sicherung von Ruhe und Ordnung. Gegen die Zensur politischer Schriften an sich hatte er nichts einzuwenden, „man würde wohl gar dafür geneigt seyn zu danken, dass der Staat die Verantwortlichkeit auf sich nimmt.“278 Mit dieser Haltung lag er im Trend der Zeit. Spätestens seit den 1790er Jahren hatte sich innerhalb der gelehrten Eliten eine bedeutende Fraktion gebildet, welche das Institut der staatlichen Zensur verteidigte und die „auf die Ausdifferenzierung der sozialen Funktionsbereiche und die Entstehung und Expansion des literarischen Marktes (mit einem stetig steigenden Anteil ‚autonomer’ Unterhaltungsliteratur) mehrheitlich heftig ablehnend“279 reagierte. Franz Bergs Kritik richtete sich nicht gegen die staatliche Zensur an sich, sondern erstens gegen ihren Radius: „Da aber das Gesetz unumschränkt spricht, so geht sein Zweck auf einen allgemeinen Geistesdruck, dem die politische Nothwendigkeit nur zur Einleitung dient.“280 Zweitens betrachtete der Theologe die Anonymität des Prozesses als Skandal: „Der schlimmste Umstand dabey ist, daß es eine Ministeriums= Censur ist, das heißt, jeder mir unbekannte bekommt das Recht, mich als Schriftsteller – falls ich im Lande eine Schrift herausgeben will, zu meuchelmorden. Das Spanische Ketzergericht nennt den Kläger nicht, dieses Würzburgische Büchergericht verheimlicht den Richter. Denn das begreift sich von selbst, daß nichts der Minister oder sein Secretär censiren, sondern daß, z.b. bey philosophischen oder theologischen Artikeln, man sie gewissen trauten Dienern übergeben wird. Wir haben also weder einen bekannten Richter, noch Gesetze.”281 Berg vermutete, dass die Zensurbehörde nicht, wie es in seinem Sinne war, die Berge an Schundliteratur zu verhindern wusste, die sich in 277 Den politischen Kontext beleuchtet Roger Dufraisse: Napoleon und Bayern, in: Hubert Glaser (Hg.): Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat, Bd. 3/1, München 1980, S. 221-229, hier: S. 224. 278 Berg an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 18.05.1807. 279 Wilhelm Haefs: Zensur im Alten Reich des 18. Jahrhunderts. Konzepte, Perspektiven und Desiderata der Forschung, in: Wilhelm Haefs, York-Gothard Mix (Hg.): Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte – Theorie – Praxis, Göttingen 2007, S. 389-424, hier: S. 390. 280 Berg an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 18.05.1807. 281 Berg an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 18.05.1807.
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Staaten mit liberalerer Zensurgsetzgebung angetürmt hatten, sondern sich zu einem Ort der Intrige und der Verleumdung entwickeln würde. Diesem neuen, schädlichen Zensurorgan stellte Berg das alte, die politische und religiöse Ordnung verteidigende Zensurkollegium unter Franz Ludwig von Erthal gegenüber: „Da lobe ich mir den alten Zustand der Dinge unter Franz Ludwig, der nicht nur, was vorher schon da war, einen bestimmten Richter, sondern auch Censurgesetze gab, und statt des einzelnen Büchercensors, der vorher despotisirte, ein Collegium einsetzte.“282 Berg lehnte nicht die Zensurgesetzgebung ab, sondern deren Missbrauch. Schon mehrere Male hatten Würzburger Zensurbehörden Schriften des Theologen, der die Aufklärung als Garant für den Fortbestand des katholischen Glaubens betrachtete, zurückgezogen oder ihre Verbreitung zu verhindern gesucht. Bergs kirchengeschichtlichen Vorlesungen blieb die Veröffentlichung verwehrt. „Die ganze Art von Bergs Patristik“, bemerkt Anton Schindling, „war jedenfalls dazu angetan, bei den Hörern die Autorität der Kirchenväter zu erschüttern oder sogar (für die Eingeweihten!) ins Lächerliche zu ziehen. In den Schriften der Kirchenväter finde man ‚reiche Belege zur Geschichte der Verirrungen des menschlichen Verstandes’ – so skizzierte Berg selbst die Absicht seiner Vorlesungen.“283 Die Bedrohung vieler seiner Schriften durch die Zensur, übrigens auch der Leichenpredigt auf Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal, befand sich für Berg noch im Rahmen des Erträglichen, da er die Bestimmungen der Zensurgesetzgebung kannte und auf Übertretungen reagieren konnte. Er sprach einige Male selbstverständlich davon, Selbstzensur betrieben zu haben. Dieses Mittel schien dem fränkischen Theologen nun entrissen zu sein, da unter Ferdinand die Zensurgesetzgebung so stark ausgeweitet wurde, dass er nicht mehr wissen konnte, welche Aussagen seiner Schrift ihr Erscheinen verhindern würden. Berg nahm die Zensur deutlich als Repression einer katholischen Regierung wahr. Dies tat auch Joseph Rückert. Dieser entschied sich 1808, die Herausgabe einer geplanten Zeitschrift von Würzburg ins nahe Ausland zu verlegen. Grund hierfür wäre „die hiesige Censur – die wie die schwere Hand Gottes auf jedes hier erscheinende schriftstellerische Produkt unbarmherzig drückt“284. Rückerts Brief macht deutlich, dass die Autoren die Zensur relativ leicht zu umgehen verstanden, indem sie einen Verlagsort außerhalb ihres Staatsgebietes suchten. Bergs ausgefeilte und ausschweifende Zensur-Kritik steht somit singulär da. In den wenigen anderen Briefen, in denen Zensur vorkommt, beschrieben die Autoren die Zensur zwar als Hindernis, erläuterten aber anschließend ohne lange Umschweife Pläne, ihr auszuweichen. 282 Ebda. 283 Schindling: Julius-Universität, S.115. 284 Rückert an Carl August Böttiger am 22.03.1808.
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Die Vermutung, dass Zensur zwar eine große Bedeutung hatte, diese aber von den Professoren in den Briefen in Kenntnis der Briefzensur wohlweislich unterschlagen wurde, ist dagegen unwahrscheinlich. Es finden sich in den Briefen zum Teil krasse Angriffe gegen Kollegen und die Pläne zu anonymen Verleumdungen, die sicher nicht für die Lektüre von Zensoren bestimmt waren. Allerdings ist bekannt, dass die Rheinbundstaaten zu denen das Großherzogtum Würzburg zählte, den rigiden pressepolitischen Vorgaben Napoleons zu folgen hatten und das heimliche Öffnen von Briefen auch zu den politischen Kontrollmitteln zählte.285 Es ist also nach jetzigem Stand nicht zu vermuten, jedoch auch nicht völlig auszuschließen, dass Briefe im Großherzogtum Würzburg zensiert wurden und die Bevölkerung von dieser Zensur wusste oder sie erahnte. Die Bemerkung in einem Brief noch aus der Zeit des Hochstifts könnte immerhin als Hinweis auf Briefzensur verstanden werden. Der Assistent eines Chirurgen versichert seinem Lehrer: „Alle Briefe wurden von mir abgeholt, damit sie nicht in ungeweithe Hände kommen.“286 Auch eine Aussage Schellings aus dem Jahr 1804 könnte man als Vorsichtsmaßnahme gegen Briefzensur deuten. Er möge einen Brief, so bat er einen Freund, „aus Gründen, nicht auf die Post geben.“287 Doch diese wenigen Briefstellen können nur als Hinweise, nicht als Indizien, viel weniger noch als Belege dienen. Die Zensurgesetzgebung nach dem zweiten Übergang an Bayern schließlich entstand aus dem Willen zum wohlkalkulierten Antinapoleonismus. Während der Kriege von 1813 bis 1815 lockerte die bayerische Regierung die Zensur bewusst, da die Meinungsfreiheit ihr weniger schaden als nutzen konnte. Die Blüte der franzosenfeindlichen Satire in Wort und Bild ließ sich nur durch die Ausweitung publizistischer Freiheiten erreichen. Davon machte Bayern und, weniger umfassend, Preußen und Österreich Gebrauch.288 Die bayerische Verfassung beendete die kurze, aber ereignisreiche Zeit des presserechtlichen Freiraums seit dem Austritt Bayerns aus dem Rheinbund bald. Die Konstitution von 1818 stellte im Wesentlichen den status quo ante wieder her.289 Die Verfassung gewährte im „Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels“290 die relative Zensurfreiheit, die schon bis 1805 bestand.
285 Eberhard Weis, in: Walter Dehmel, Bernd Roeck (Hg.): Deutschland und Frankreich um 1800. Aufklärung – Revolution – Reform, München 1990, S. 209 f. 286 Juch an Johann Barthel von Siebold am 23.07.1799. 287 Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 01.02.1804. 288 Siemann, Übergang, S. 364 ff. 289 Engelhorn: Staat, S. 155. 290 S. Handbuch der Staatsverfassung und Staatsverwaltung des Königreichs Baiern, Bd. 1, München 1809, S. 220.
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Im Untersuchungszeitraum war Franz Berg der einzige Professor, von dem Briefe erhalten sind, die über Zensur als Politikum reflektieren. Ohnehin gibt es nur eine Handvoll Briefe, in denen sich die Autoren mit Zensur beschäftigen. Sie spielte folglich bei der Veröffentlichung von Werken nicht ansatzweise die gleiche Rolle wie etwa die Suche nach einem Verlag oder gefälligen Rezensionen. War eine Veröffentlichung von der Zensur bedroht oder ein Buch wegen der Würzburger Zensur nicht greifbar, fanden die Autoren recht einfache Lösungen, ließen das Buch an anderen Orten drucken und sich Bücher von Kollegen schicken. Zensur nahmen die Professoren folglich weniger als Repressivinstrument wahr und als solches auch nicht ernst, sondern bestenfalls als konkretes Problem im Veröffentlichungsprozess. Erst nach dem Wiener Kongress griff die Zensur wieder in das Leben vieler Gelehrter ein und trat in den Mittelpunkt akademischer Korrespondenzen. Die Karlsbader Beschlüsse nahmen die verfassungsgemäßen Freiheiten der Presse und Verlage und ihrer Autoren bereits ein Jahr nach den Bestimmungen der Verfassung von 1818 wieder zurück. Einer der Professoren, den die Regierung überwachen ließ, war der Professor für Rechtswissenschaft und Bürgermeister von Würzburg Wilhelm Joseph Behr, der nach jahrelangen Bespitzelungen und Gerichtsprozessen 1835 wegen Hochverrats und Majestätsbeleidigung verurteilt und aller seiner Ämter enthoben wurde.291 Die Würzburger Professoren beschäftigten sich also erst Jahre nach Ende des Untersuchungszeitraum wieder mit den ungeliebten Zensurgesetzen.
2.5. Der Hörsaal als Konfliktraum 2.5.1. Der Kampf um die Studenten „An 100 unterzeichneten Zuhörern“ könne er sich freuen, bemerkte Christian August Fischer im Wintersemester 1804/1805.292 „In der Vorlesung über Philosophie habe ich diesen Winter an die anderdhalbhundert Zuhörer“293, schrieb Schelling in der selben Zeit. Wagner berichtete, er habe „in der zweiten mehr als das Duplum der Zuhörer von der ersten Vorlesung“ gehabt, „ungeachtet die Morgenstunde von 8 – 9 Uhr jetzt unbequem ist.“294 Paulus 291 S. zum Prozess Ulrich Wagner: Wilhelm Joseph Behr. Eine biographische Skizze, in: Ders. (Hg.): Wilhelm Joseph Behr. Dokumentation zu Leben und Werk eines Würzburger Demokraten, Würzburg 1985, S. 17-62, hier: S. 25 ff. 292 Zitiert bei: Huerkamp, Meyer-Thurow: Einsamkeit, S. 260. 293 Schelling an Adolph Carl August Eschenmayer am 22.12.1804. 294 Wagner an Andras Adam am 19.01.1804.
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war genau darüber informiert, dass Wagner „mehr Zuhörer an sich“295 zog als Schelling. Auch Wilhelm von Hoven registrierte die Anzahl der Studenten in den Kollegien Schellings, ebenso wie Lorenz Oken und Franz Berg. Es ist oft die Zahl der Studenten in den Kollegien, mit denen die Professoren in ihren Briefen die Reputation eines Kollegen versinnbildlichen. Dass die Studentenzahlen so eine wichtige Währung im Beschreibungsrepertoire der Briefe darstellten, liegt m. E. an der großen Bedeutung, die Kollegien als Schauplatz von Auseinandersetzungen besaßen. Ein Student berichtete in einem Brief an einen Freund von einer Vorlesung Fischers: „So hospitirten auch einmal einige Jenenser bei ihm und in der Stunde fing er über einige Stellen aus den Schlegels [an], über die barbarische Sprache der Philosophen, vorzüglich brachte er Schellings Ausdrücke hervor, worüber er eigentlich nichts zu sagen wußte und nur darüber witzelte und als unsinnig erklärte.“296 Daraufhin hätten die Anhänger Schellings, hier als Jenenser bezeichnet, angefangen zu „scharren und pfeifen“. Fischer reagierte, indem er den Studenten mitteilte, den Vorfall der Regierung anzuzeigen.297 Niethammer kommentierte den Vorfall in einem Brief an Hegel, dass Fischers Ausfall gegen Schelling „zwar in forma, nicht aber in materia gefehlt war“298. Schelling erhielt nach diesem Vorfall einen Verweis der Regierung, da man glaubte, er habe die Studenten mit den Protesten beauftragt. Noch härter traf es die Studenten. Die Universität relegierte sechs von ihnen. Einen verpflichtete die Regierung zum Militärdienst, woraufhin dieser einen Selbstmordversuch unternahm. Auch davon spricht Niethammers Brief an Hegel.299 Auch andere Briefe sprechen von Katheder-Streitigkeiten. Johann Jakob Wagner griff in seinen Vorlesungen und Kollegien immer wieder Schelling an. Er hatte sich in einer Vorlesung hämisch von Schelling distanziert: „Diese Verwerfung habe ich bereits auf dem Katheder ausgesprochen, und sie wirkt schon unter den Studenten“300, schreibt Wagner. Die Studenten müssen also die Kollegien des einstigen Gönners und neuerlichen Erzfeindes verlassen und seine eigenen dafür stärker besucht haben. Schelling habe auf diese Entwicklung in seinen eigenen Vorlesungen mit Härte geantwortet, so Wagner. Der Wortlaut der Beleidigungen ist zwar nicht überliefert. Schelling wünscht sich in den Monaten des Konflikts mit Wagner von seinem Freund Eschenmayer jedoch, „daß Sie ihm mit der Verachtung begegnen, welche ein geistig und sittlich so niedriger Mensch verdient.“301 Wagner imaginierte sich in den 295 296 297 298 299 300 301
Paulus an Niethammer am 13.02.1804. Sacken an Henry Crabb Robinson am 07.01.1805. Huerkamp, Meyer-Thurow: Einsamkeit, S 278. Niethammer an Georg Wilhelm Friedrich Hegel am 19.12.1804. Ebda. Wagner an Andreas Adam am 11.05.1804. Schelling an Adolph Carl August Eschenmayer am 22.12.1804.
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Monaten des Katheder-Streits als Kämpfer um Leben und Tod: „Ich sehe ruhig dem Erfolge entgegen, der mich oder Schelling nothwendig vernichten muß.“302 Den Fall entschieden letztlich die Studenten: Schelling habe zwar zunächst ein „gewaltiges Übergewicht“ gehabt, „in diesem Semester aber sind wir an Zuhörern gleich“303, so Wagner. Die Verleumdungen von Kollegen in den Hörsälen wirkte daher so anziehend auf die Professoren, weil sie im Unterschied zu den anderen Konflikten zu deutlich sichtbaren Ergebnissen führten. Den Studenten kam die Rolle der Jury zu. Sie bewerteten die Konfliktgegner, indem sie in noch größerer Zahl in die Kollegien strömten oder stattdessen in die des Gegners wechselten. Wenn Wagner in dieser Zeit beklagt, er sehe „durch Schelling einen großen Theil meines wohlverdienten Wirkungskreises und Lohnes entrissen“304, dann ist damit auf der einen Seite der Verlust von Studenten gemeint, die im neuen Semester statt seiner Schellings Kollegien besuchen. Die Zahl der Studenten drückte neben der Beliebtheit des Professors noch mehr aus, die Angabe der Studentenzahl konnte dem Adressaten des Briefes auch mitteilen, wie hoch der finanzielle Zugewinn oder Verlust an Kollegiengeldern sich darstellte. Die große Beliebtheit Schellings bedeutete in diesem Fall auch einen finanziellen Nachteil für Wagner. Die Auswirkungen schwindender Studentenzahlen bekam er auch in der Universität des Großherzogtums zu spüren: „Das bischen Zuhörer, das hier ist, muss ich mir mit * theilen, der gratis liest. Die Philosophie theile ich mit einem ebenso armen Teufel.“305 Kollegiengelder erhielten die Professoren nur in Privatseminaren, nicht in öffentlichen Vorlesungen und nur von denen, die nicht als „pauperes“ von den Hörergeldern befreit waren. Zu diesen gehörte etwa Lorenz Oken: „Ich höre alles unendgeldlich.“306 Die Kollegiengelder stellten also für diejenigen, die entweder über geringe Grundgehälter verfügten oder trotz eines ausreichend hohen Einkommens von finanziellen Schwierigkeiten bedrängt waren, eine zusätzliche Einnahmequelle dar. Da die Höhe der Kollegiengelder von der Anzahl der zahlenden Studenten abhing, ist in den Kollegiengeldern als Teil des Einkommens m. E. eine weitere Konfliktursache zu sehen. Der finanzielle Vorteil einer großen Zuhörerschaft war natürlich nicht das einzige Motiv für „Persönlichkeiten“ vor den Studenten. Außerdem griffen sich die Professoren nicht weniger in öffentlichen Vorlesungen an als in Kollegien. Der Student, der Fischers Angriffen gegen Schelling beiwohnte, vermutete: „Fischer (…) liesst Aesthetik publice; vermuthlich weil er sonsten 302 303 304 305 306
Wagner an Andreas Adam am 11.05.1804. Wagner an Andreas Adam am 30.11.1805. Wagner an Andreas Adam am 29.04.1805. Wagner an Theodor Konrad Kretschmann am 18.05.1808. Oken an Matthias Keller am 02.11.1804.
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keine Zuhörer haben würde.“307 Der sich aufschaukelnde Kampf um Ehre und Rang suchte sich und fand auf dem Katheder eine weitere Bühne. Auf eine öffentliche Respektlosigkeit, von der man von Studenten oder Kollegen erfahren hatte, folgte die eigene Beleidigung in der Vorlesung, von welcher der Gegner danach erfuhr und vor den Studenten zum erneuten Gegenschlag ansetzte. So setzte sich ein Kampf in Gang, deren Sieger die Studenten mit ihrem Erscheinen küren sollten. Fischer vermutete, die große Zahl der Schellingschen Zuhörer beruhe nicht auf seiner Beliebtheit, sondern auf Zwang. Er benutze, so Fischer in der Zeitschrift „Der Freimüthige“, die akademischen Orden als „Werkzeuge“, die ihm „Zuhörer gleichsam zusammentreiben“ sollten.308 Hoven dagegen vermutete, Schelling würde keine Erkenntnisse weitergeben, sondern seine Studenten berauschen: „Alles strömt in die Schellingischen Vorlesungen, hört staunend seine Lehre von dem Absoluten, von dem er selbst nichts weiß, sieht die reale Welt - den Fall des Lucifers - von dem Absoluten abfallen, spricht, wie der Meister, von Polen, Dimensionen, Metamorphosen, und wie der Schellingische Galimathias weiter heißt; kurz, Alles lebt und schwebt in der Welt der Ideen, und sieht verächtlich herunter auf Alles, was empirisch heißt.“309 Die Anwesenheitsquoten offenbarten die Wertschätzung der Studenten für oder die Abneigung gegen einen Professoren. Die sichtbare Beliebtheit Schellings versuchten Hoven und Fischer daher umzudeuten, um sich nicht ihre eigene geringere Reputation eingestehen zu müssen. Der Hörsaal stellte unter allen Schauplätzen von Konflikten den einzigen dar, der Positionen konkret erkennbar machte. Bei allen anderen Kommunikationsmedien, sei es der Brief, der Journalbeitrag, die Monografie oder auch das persönliche Gespräch fehlte diese Offensichtlichkeit. Vor allem aber mangelte es an der Figur des Richters, welche die Studenten einnahmen – ob sie wollten oder nicht.
2.5.2. Der Streit um die Priesterseminaristen Ein außergewöhnlicher Streit, in dem auch der Besuch von Vorlesungen und Kollegien zur Debatte stand, ereignete sich 1804. Zum Beginn des Wintersemesters baten einige Mitglieder des Priesterseminars bei ihrem Regens um Erlaubnis, Kollegien bei Schelling und Paulus zu besuchen. Zunächst hatte sich ein bereits geweihter Kleriker, der sein Pastoraljahr absolvierte, an den geistlichen Leiter des Seminars gewandt. Dessen Bitte schlug dieser jedoch 307 Sacken an Henry Crabb Robinson am 07.01.1805. 308 Zit. bei Huerkamp, Meyer-Thurow: Einsamkeit, S. 284. 309 Hoven an Friedrich Schiller am 03.08.1804.
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mit dem Argument aus, wenn man es den bereits geweihten Klerikern erlaube, müsse man es auch den Kandidaten erlauben. Tatsächlich äußerten den Wunsch kurz darauf drei Alumnen. Nachdem der Regens deren Gesuch ebenso beantwortet hatte wie das vorherige, „solidarisierten sich die übrigen Alumnen mit ihnen“310. Der Regens bat daraufhin um seine Entlassung, die ihm Bischof Fechenbach allerdings nicht gewährte. Es folgte ein Streit zwischen Bischof Fechenbach, Weihbischof Zirkel, Vikariat und Priesterseminar einerseits und den Alumnen und der Landesdirektion andererseits, den Wolfgang Weiß treffend als „Kräftemessen zwischen Bischof und Regierung“311 bezeichnet hat. Die Kirche versuchte währenddessen, weitere Personen für sich zu gewinnen und wandte sich zusätzlich an Kurfürsterzkanzler Dalberg, den Kurfürsten in München, ihren Gesandten in Rom und sogar Papst Pius. Fechenbach konnte den regulär immatrikulierten Studenten des Priesterseminars den Besuch von Lehrveranstaltungen nicht verbieten. Thürheim gewährte den betreffenden Kandidaten als Zeichen seiner Unterstützung übrigens Kollegiengeld-Freiheit. Allerdings hatte der Bischof sehr wohl das Recht, den Kandidaten die Priesterweihe zu verweigern. Die Landesdirektion machte zwar in einer Note an das Vikariat deutlich, dass sie die Strafandrohung nicht nur für übertrieben, sondern auch für unlogisch halte. Schließlich sei an der Universität des Hochstifts auch Fichte und Kant gelehrt worden. Doch das Vikariat konnte in seiner Replik an die Landesdirektion mit der Berufung auf das Konzil von Trient glaubhaft versichern, dass die Ausbildung des Priesternachwuchses und damit auch die Weihe ureigene Sache der Kirche sei. Im Übrigen seien die Schriften Fichtes nur am Rande behandelt worden, die im Gegensatz zu Schellings Naturphilosophie auch noch nützliche Auffassungen für den christlichen Glauben enthielten. Das könne man von Schelling nicht behaupten. Schließlich kenne dieser gar keinen Gott.312 Schelling selbst kümmerte sich um die Auseinandersetzung kaum. Nur in einem einzigen der überlieferten Briefe äußerte er sich zur Sache. Wie wenig er im Bilde war, zeigt bereits, dass er fälschlicherweise annahm, den Priesteramtskandidaten drohe die Exkommunikation. Dieses Faktum sei „an sich zwar 310 Wolfgang Weiß: Kirche im Umbruch der Säkularisation. Die Diözese Würzburg in der ersten bayerischen Zeit (1802/1803-1806), Würzburg 1993, S. 202. 311 Weiß: Kirche im Umbruch, S. 207. Es fällt in dieser Arbeit in der Beschreibung der Konfliktaustragung eine gewisse Parteilichkeit des Autors auf. Zur Partei der Kirche heißt es, „die Unerschütterlichkeit des Bischofs war gefragt“, „das Verhalten der Landesdirektion“ dagegen beschreibt Weiß als „eine offene Kampfansage an Bischof und Vikariat, eine gezielte Demütigung, ein[en] offensichtliche[n] Angriff auf die bischöfliche Autorität“, S. 207. Könnte man nicht ebenso gut die Haltung des Bischofs als offene Kampfansage und Angriff auf die Autorität der Landesdirektion werten und Thürheims Verhalten als unerschütterlich? 312 Weiss, Kirche im Umbruch, S. 209.
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sehr gleichgültig“, allerdings „mir nicht, da ich hier an Ort und Stelle soviel möglich Frieden und Eintracht wünsche.“313 Aus dem Brief geht hervor, dass er sich vorher um die Unterstützung Dalbergs in der Sache bemüht und diese auch erhalten hatte. Seinen Aschaffenburger Korrespondenten bat er, Dalberg einen Dankesbrief zu übergeben. Denn dieser habe „wenigstens die geistliche Wuth gegen mich gemildert.“314 Für Paulus gestaltete sich die Situation etwas anders. Denn die Seminaristen machten einen bedeutenden Zuhörerkreis aus. Paulus unterrichtete anders als Schelling in der zweiten Hauptklasse der Universität. Diese widmete sich gezielt der Ausbildung von Priestern und Lehrern an Trivialschulen und Gymnasien. Da direkt nach dem Übergang an Bayern noch keine protestantischen Lehrer und zukünftige Pastoren an der Universität studierten, unterrichtete er, einer der profiliertesten protestantischen Exegeten an Deutschlands Universitäten, ausschließlich für Katholiken. Paulus hatte damit gerechnet, dass er im ersten Jahr gar keine Kollegien anzubieten hätte und sich nur seinen Publikation widmen könne: „Ich stand in der angenehmen Erwartung, weil noch keine protestantische Theologie Studirende hier sind, diesen Winter Ferien als Lehrer zu genießen.“315 Nun waren es eben diese Priesteramtkandidaten, die gegen den Willen von Regens und Bischof seine Kollegien besuchten. Mit den Seminaristen war Paulus hoch zufrieden, sie hätten „durch Privatfleiß mitten in ihrer Clausur sich viele Aufklärung verschafft.“316 In der Affäre störte ihn weniger das Schicksal der Studenten als vielmehr die übersteigerte Fürsorglichkeit Fechenbachs für seine Seminaristen. Der Bischof habe ihm versichert, „dass er nichts gegen meine Person habe und ‚seine Seminaristen’, wenn sie reifer wären, selbst zu mir schicken würde“317. Für Paulus jedoch wirkte sich der Streit nicht nachteilig aus. „Persönliche Unannehmlichkeit hat es mir noch keine zugezogen. Unsere Universität ist von bischöflichem Einfluß durchaus frei“318. Nach einem längeren Hin und Her bewegten sich Landesdirektion und Bischof aufeinander zu. Die Regierung verbot nun tatsächlich den aktiven Studenten die Teilnahme an den Kollegien bei Schelling und Paulus. Nur diejenigen, die ihr Theologiestudium erfolgreich absolviert hatten, erhielten das Recht, den Naturphilosophen und protestantischen Theologen zu hören. Bischof und Vikariat erklärten sich ihrerseits dazu bereit, die betreffenden Diakone und Subdiakone zu weihen. Für die Studenten allerdings galt nach wie vor der Ausschluss von der Weihe, falls sie den Kollegien nicht 313 314 315 316 317 318
Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 01.02.1804. Ebda. Paulus an Christian Friedrich von Schnurrer am 15.01.1804. Ebda. Ebda. Ebda.
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fernblieben. Sieben Priesteramtskandidaten von ursprünglich 21 „Oppositionellen“319 verließen am Ende das Seminar und damit den geistlichen Weg mit einem von Fechenbach gewährten Stipendium zur Fortsetzung ihres Studiums. Der Streit um die Würzburger Priesteramtskandidaten hat es in der Forschung zur Kirche im Zeitalter der Säkularisation zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. Der Würzburger Chronist Leo Günther hat den Besuch der Kollegien Paulus’ und Schellings aus den Reihen der Seminaristen einmal als „Revolution der Alumnen“320 bezeichnet. Diese Formulierung erscheint jedoch unangemessen. Erstens stellt der geschilderte Streit eine Ausnahme dar. An der neubayerischen Universität gab es weit weniger Konflikte zwischen dem alten katholischen Universitätsklerus und den protestantischen Neuankömmlingen als innerhalb der Gruppe der protestantischen Professoren. Die Auseinandersetzungen der ersten bayerischen Universität insgesamt als konfessionelle Konflikte zu beschreiben, übersieht die geringe Bedeutung des Seminaristen-Streits. Die Professoren, die nicht direkt beteiligt waren, nahmen in ihren Briefen nicht einmal Notiz von der Auseinandersetzung. Und Paulus und Schelling registrierten zwar den kirchlichen Widerstand, fühlten sich persönlich jedoch in keiner Weise bedrängt. Viel zu sehr waren diese mit internen Auseinandersetzungen beschäftigt, um einem Streit innerhalb der an der Universität entmachteten katholischen Kirche mehr als einige Zeilen zu widmen. Die sogenannte Revolution verdient den Namen einer auch deshalb nicht, weil die Auseinandersetzung eben nicht zu einem Umsturz führte.
2.6. Publizieren als Waffe 2.6.1. Die Publikation als Medium von Konflikten Wissenschaftlichen Austausch betrieben die Professoren in der Regel vor Erscheinen eines Buches. Stets schickten sie ihre Manuskripte an befreundete Universitätslehrer, um Verbesserungsvorschläge zu erhalten. Die Gefragten antworteten in langen Briefen mit oft sehr detaillierten Ausführungen zu einzelnen Passagen des neuen Werkes. Die Autoren antworteten, und so entstand ein reger Austausch über eigene Ideen und die Argumente anderer. Es waren Briefgespräche zwischen Experten, mit ausgesprochenem Hang zur Korrektheit und mit viel Liebe zum gelehrten Detail geführt. 319 Brandt: Würzburg, S. 493. 320 Zit. bei Weiss: Kirche im Umbruch, S. 202; die Bezeichnung entstammt Leo Günther: Würzburger Chronik. Personen und Ereignisse, Bd. 3, Würzburg 1925, ND Neustadt an der Aisch 1987.
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Nachdem das Werk jedoch erschienen und rezensiert worden war, versiegte der wissenschaftliche Austausch sehr rasch. Die Thesen gerieten wie das Buch selbst in den Hintergrund.321 Dafür stand die Rezension nun im Mittelpunkt. Anders als in dem kollegialen Briefgespräch über das Werk vor seinem Erscheinen ging es nun nicht mehr um das Verständnis, sondern um den Ton des Geschriebenen. Die Professoren nahmen die Rezension nicht als Medium von Forschungsdiskussionen oder als wissenschaftlichen Beitrag wahr, sondern als Forum der „Persönlichkeiten“, wie es oft heißt, als Schauplatz persönlicher Angriffe. Mit Judith Butler gesprochen, stellte die Rezension einen „Schauplatz der Macht“322 dar, in dem sich die hate speech zwischen den einzelnen Professoren entfaltete. Die hate speech zeichnet sich nach Butler dadurch aus, dass sie „das Subjekt in einer untergeordneten Position“323 konstituiert. Rezensionen waren eine sprudelnde Quelle von Wut, Enttäuschung und Rachesehnsüchten.324 „Meine Epikritik der Philosophie ward von lügenden Recensenten erstickt“325, schrieb Franz Berg 1812. Andreas Metz empörte sich 1802 über einen „albernen, und dümmlichen Scribler“ als Rezensenten, dem „die Zuchtruthe gebühre“326. Johann Jakob Wagner gestand seinem Korrespondenten die Fassungslosigkeit ein, die er angesichts einer Besprechung empfand: „Bei so wenig Anerkennung als ich finde, vergeht mir wahrlich die Geduld, wenn ich, der ich jedem Menschen so gerne menschlich entgegenkomme, nur überall auf das Gegentheil stoße, wie Du in [Friedrich] Creuzers Recension gefunden hast. Was hatte ich ihm denn gethan, daß er mich so gehässig anfallen mußte?“327 Nach der Lektüre von Rezensionen überwogen Enttäuschung und Ärger. Dazu stellte sich bei den Rezensierten ein Gefühl von Machtlosigkeit ein, vor allem dann, wenn es sich um eine anonym veröffentlichte Besprechung handelte, die der Autor als überzogen wertete. Die Rezension des eigenen Werkes war das Briefthema schlechthin, wenn einer der Professoren ein Werk herausgebracht oder der Adressat etwas Neues veröffentlicht hatte. Der Grund dafür, weshalb die Universitätslehrer Buchbe321 Auch in Gesellschaftsbriefen fällt „die Spärlichkeit an Sachinformationen bzw. an theoretischer Diskussion“ auf, s. Ziche, Bornschlegell: Wissenschaftskommunikation, S. 261. 322 Judith Butler: Haß spricht. Zur Politik des Performativen, Frankfurt/Main 2008, S. 25; Butler versteht hate speech als einen perlokutionären Sprechakt: „Das Sprechen führt zu bestimmten Wirkungen oder Effekten, ohne selbst dieser Effekt zu sein“, S. 68. Für den Hinweis auf dieses Werk danke ich Gernot Kamecke. 323 Butler: Haß spricht, S. 36. 324 S. dazu auch Martin Mulsow: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2007, S. 77 ff. 325 Berg an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 04.03.1812. 326 Metz an Johann Barthel von Siebold am 14.07.1802. 327 Wagner an Kretschmann am 18.05.1808.
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sprechungen so oft und so eindringlich reflektierten, lag selbstverständlich in der hohen Bedeutung, die Rezensionen zunächst einmal für den Erfolg der Neuerscheinung, dann aber auch für die Reputation ihres Autoren besaßen. Daher stellte die Besetzung des Rezensenten eine wichtige Aufgabe im Veröffentlichungsprozess dar. Besorgte nicht der Kollege oder Freund diese Aufgabe unaufgefordert – oder die Zeitschriften ohne Zutun, wandte sich der Autor an einen Kollegen oder ein Journal und bat um eine Besprechung. Johann Michael Feder, Professor für Moraltheologie und Patristik, schickte 1806 einem heute unbekannten Kollegen seine Fastenpredigt „unter dem Wunsche, daß auch sie Ihren Kennerbeyfall erhalten möchte“. Unverblümt schloss er mit den Worten, dass „eine Rec. für die Salz. Zeitung aus Ihrer Hand mir sehr willkommen“328 wäre. Der katholische Moraltheologe Feder hatte seit dem Übergang an Kurbayern Schwierigkeiten, Rezensionen seiner Werke in den großen Zeitschriften zu platzieren. In einem anderen Fall erinnerte Feder den Redakteur der Allgemeinen Literatur-Zeitung Jena, Heinrich Carl Abraham Eichstaedt, daran, wie regelmäßig er selbst Rezensionen für die Allgemeine Literatur-Zeitung (ALZ) beisteuerte, um anzuschließen: „Es ist nun bereits ein Jahr, daß meine Predigten, betitelt: die allergemeinsten Aeusserungen der Nächstenliebe etc. eingeschickt sind, ein halbes Jahr, daß Gerard’s Vorlesungen über die Pastoraltheol. aus dem Englischen von mir übersetzt eingesendet sind: aber, leider, sah ich von beyden Artikeln noch keine Rec. was mich - einen so warmen Freund Ihres Institutes - nicht anderst als schmerzen kann.”329 Auch Andreas Metz klagte bei Johann Barthel von Siebold, dem Redakteur der „Neuen Würzburger gelehrten Anzeigen“330 eine Rezension über ein neues Kant-Werk ein: „Es scheinet, Euer Wohlgebohren trage Bedenken, meine Recension über Kant’s Logik abdrucken zu laßen, in dem die selbe, schon seher lange eingeschickt, noch immer nicht abgedruckt ist. Ist meine Meinung richtig: so haben Sie die Güte, mir die selbe durch Überbringen dieses wieder zurück zu schicken.“331 Franz Oberthür wandte sich kleinlaut an Carl August Böttiger, den Herausgeber des „Teutschen Merkur“: „Wenn Sie glauben, daß es sich schicke, so können Sie in einer Note, die ich schon angegeben, etwas mehr von der idea biblica sagen.“332 Die Bedeutung, welche Universitätslehrer der Rezension beimessen, ist auch bei Lorenz Oken spürbar: „Wird es dann noch in Schellings Jahrbüchern rezensiert, woran ich nicht zweifle“, so der junge Mediziner, „so ist viel ge328 329 330 331 332
Feder an Unbekannt am 09.06.1806. Feder an Heinrich Carl Abraham Eichstaedt am 16.10.1803. Zu dieser Zeitschrift s. Körner: Siebold, S. 167 f. Metz an Johann Barthel von Siebold am 16.04.1801. Oberthür an Carl August Böttiger am 10.11.1800; Die „Idea biblica ecclesiae Dei“ erschienen in sechs Bänden zwischen 1790 und 1821, s. Karl Josef Lesch, Art. Franz Oberthür, in: NDB, Bd. 19, S. 402 ff.
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wonnen.“333 Oken wusste um die Gefahr, die Rezensionen in sich bargen und sorgte daher dafür, dass im Journal seines Lehrers Schelling eine anerkennende Besprechung erschien. Dies war häufig nicht der Fall. Denn häufig beauftragten die Zeitschriften die Gegner der Autoren mit Besprechungen. Rezensionen wiesen damit ein unvergleichlich hohes Konfliktpotential auf, und es wäre die Arbeit vieler Wochen, allein die Konflikte, die im Untersuchungszeitrum in und mit Rezensionen ausgetragen wurden, zu rekonstruieren. Es hat den Anschein, als wären viele der Auseinandersetzungen nicht aufgrund missliebiger, missverstandener oder missdeuteter Rezensionen entstanden, sondern als seien sie bereits vorhanden gewesen. Gegen das, was die Professoren als „Persönlichkeiten“ wahrnahmen, ließ sich von Seiten der Geschädigten wenig ausrichten. Andreas Metz versuchte es und wandte sich 1802 an den Redakteur der „Würzburger gelehrten Anzeigen“ mit dem Vorschlag, Rezensionen über seine Schriften mögen ihm vor Erscheinen vorgelegt werden.334 Andere versuchten, bestimmte Kollegen als Rezensenten zu verhindern. Das am häufigsten gewählte Gegenmittel gegen missliebige Rezensionen jedoch war die Rezension. Der Streit um Schellings Naturphilosophie und um Schellings Person mag die verheerende Wirkung illustrieren, die ein Konflikt entfalten konnte, in denen die Parteien ihre Standpunkte der Öffentlichkeit preisgaben und in Rezensionen, dann aber auch in eigenen Publikationen verewigten. Schelling hatte die Neuberufung einiger Professoren aus Jena zu verhindern gesucht und musste nun mit ansehen, wie seinem größten Widersacher Paulus sogar im selben Haus wie ihm, im sogenannten Borgias-Bau neben dem Hauptgebäude der Universität, eine Wohnung eingerichtet wurde. Schon bald setzte ein „Trommelfeuer“ (Fuhrmans) gegen Schelling ein: „In niveaulosen Rezensionen, in immer neuen Glossen und Broschüren griff man an, um die neuen ‚Obscuranten’ und ‚Mystiker’, diese ‚Hierophanten neuer Eleusinien’ anzugreifen und dem Vordringen, oder gar Sieg der romantischen Denkgesinnung zu wehren.“335 Es ist selbst mit dem Abstand von 200 Jahren schwer, die inhaltlichen Frontlinien der beiden größten Streitparteien aus deren Briefen heraus zu bestimmen. Denn es überwog der inhaltsarme oder gar inhaltsleere persönliche Angriffston, der eine Unterscheidung der Argumente, Konzepte und Ideen fast unmöglich macht. Horst Fuhrmans hat die beiden opponierenden Haltungen beschrieben als die einer romantisch bestimmten Religiosität auf der einen Seite und einem aufgeklärten Rationalismus sowohl protestantischer als auch katholischer Observanz auf der anderen Seite. Die Naturphilosophen folgten einer „Goethischen Weltauffassung, will sagen einer gotterfüllten, schönheits333 Oken an Matthias Keller am 02.11.1804. 334 Metz an Johann Barthel von Siebold am 17.06.1802. 335 Fuhrmans: Schelling 1, S. 297.
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durchtränkten Welt, von der sich erfüllen und tragen zu lassen, Schelling der Sinn des Daseins schien“336. Zu dieser Gruppe gehörten neben Schelling Mediziner wie Adalbert Friedrich Marcus in Bamberg, Ignaz Döllinger und Lorenz Oken in Würzburg, der Gymnasialprofessor Georg Michael Klein, Philipp Franz von Walther in Landshut, später auch Friedrich Karl von Savigny und Clemens Brentano sowie die Landshuter Romantiker um den Theologen Johann Michael Sailer. Allgemein erfreuten sich Schellings Lehren in seiner frühen Schaffensphase an Bayerns Universitäten, auch bei den Studenten, großer Beliebtheit. Die Gegner der naturphilosophischen Weltanschauung waren „faktisch katholische Theologen, aber solche die – in Distanz zu Dogma und Kirche stehend, völlig vom aufklärerischen Geist geprägt – sich ganz Kant ergeben hatten und deren dauernd wiederholte Devise die ‚Vernunft’ war und das ‚Moralische’ zumal.“337 Zu ihnen zählten Franz Berg und Johann Jakob Wagner sowie protestantische Theologen wie Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, Carl Daub, Johann Ernst Christian Schmidt und Christian Friedrich Fritzsche. Auch der Philosoph und Fichte-Schüler Jakob Friedrich Fries stand auf Paulus’ Seite. Eine der ersten Auffälligkeiten des folgenreichen Streits bildete die öffentliche Loslösung Johann Jakob Wagners von Schelling. Wagner war 1801 (oder 1802) als Privatdozent von Göttingen nach Jena gegangen und hatte sich dort unter die Schüler Schellings begeben. „Hier erwachte der feurige junge Mann zu neuem Leben“338, heißt es in einer biographischen Skizze aus dem späten 19. Jahrhundert empathisch. Weiter heißt es, „Schelling entflammte damals die Geister; ein lebhafter brieflicher Verkehr zwischen beiden Männern, der sich entsponnen hatte, bezeugte damals noch die vollste gegenseitige Anerkennung.“339 In Würzburg kam es innerhalb weniger Wochen zum völligen Kontaktabbruch, dessen Ursachen im Dunkeln liegen. Wagner selbst versuchte seine Distanz zu Schelling inhaltlich zu rechtfertigen: „Indeß hat mich seine neueste Schrift: Philosophie und Religion dahingebracht, mich auf dem Katheder und in meiner Idealphilosophie von seinem Systeme ganz loszusagen, indem mich jene Schrift überzeugte, dass in seinem Systeme das nie lag, was ich hineinlegte, so dass ich nun meine bisher gehabte Ansicht seines Systems wirklich als eine ihm ganz fremde und eigenthümliche erkenne, seine Ansicht aber als den aufgewärmten Neoplatonismus streng verwerfe.“340 In der Tat hatte Wagner in seiner 1804 erschienenen Schrift 336 Fuhrmans: Schelling 1, S. 287. 337 Ebda. 338 Art. Johann Jakob Wagner, in: K.A. Schmid (Hg.): Encyclopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens, Leipzig 1887, S. 187-208, hier: S. 189f. 339 Ebda. 340 Wagner an Unbekannt am 20.09.1804.
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„System der Idealphilosophie“ angekündigt, sich letztgültig von Schellings Lehren zu distanzieren. Diese Abkehr leistete Wagner jedoch nicht argumentativ, sondern in einer Art Anklage, die sich als roter Faden durch das gesamte Vorwort zieht und teilweise drastische Formulierungen beinhaltete. Darin stellte er Schellings „Pedanterey“341 der eigenen „Klarheit einer lebendigen Erkenntniß“ gegenüber und die „Leerheit der Spekulation“ der eigenen „Fülle einer frey poetischen Ansicht der Welt“342. Schellings „Selbstpeinigung an dem Faße der Danaiden“ sei daher „gar nicht erfreulich“343. Anhand der Anfangsphase des Streits zwischen Wagner und Schelling lässt sich ein Strukturmerkmal auch der anderen Konflikte beobachten. Die eigene Rezension, die eigene „Persönlichkeit“ im Vorwort, die eigene Stichelei im Brief oder die öffentliche Distanzierung vor Studenten vollzog sich im Bewusstsein der Professoren immer als Reaktion auf eine vorhergehende Anklage des Gegners. Keiner der Konflikte besaß daher im Bewusstsein der Professoren einen Anfangspunkt. Jeder Schritt war eine Antwort auf den Schritt des Gegners, zu dem man sich genötigt oder gar gezwungen fühlt. Auffällig ist weiterhin, dass die Konflikte in der Regel ohne direkte Kontakte zum Gegner ablief. Nur einen einzigen überlieferten Streit im Untersuchungszeitraum trugen die zwei Beteiligten untereinander aus. Schelling hatte die „Ideen zur Physik“ (1804) von Karl Joseph Hieronymus Windischmann, Professor für Philosophie an der Hohen Schule in Aschaffenburg, gelesen und fühlte sich von einigen Bemerkungen getroffen: „Misverstehen Sie mich nicht: ich tadle nicht, daß Sie meine spielende Vergleichung, wie Sie es nennen, tadeln, sondern, daß Sie diese Einzelheit ergreifen, einen allgemeinen Ausfall auf mich anzubringen, der dem großen Haufen wie aus dem Munde genommen ist und zu dem Sie durch nichts berechtigt waren weder an dieser Stelle noch in einer Schrift und noch viel weniger in diesem Abschnitt, der durch die Hauptideen so bestimmt an meine Darstellungen erinnert, ohne die er wahrscheinlich ganz anders ausgefallen wäre. - Kurz: der Ausfall dieser Stelle ist - unwürdig: und doch ist er mir lieber als die kahle Lob- und Schutzrede, die Sie mir am Ende halten und der ich nicht bedurft habe.“344 In der Tat hatte Windischmann in seinen „Ideen zur Physik“ einen persönlichen Angriff gegen Schelling platziert. Einige Überlegungen Schellings zum Planetensystem bezeichnete er darin als „Irrlichter, welche aber von vielen als Fackeln der Wahrheit angesehen werden“345. Wenige Monate später verschärfte sich der Ton in den Briefen so, dass 341 342 343 344 345
Johann Jakob Wagner: System der Idealphilosophie, Leipzig, 1804, S. IX. Ebda. Wagner: Idealphilosophie, S. XIV. Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 07.12.1804. Karl Joseph Hieronymus Windischmann: Ideen zur Physik, Würzburg/Bamberg 1805, S. 263.
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Schelling Konsequenzen zog: „Nach dem Ton, in welchem Sie, auf die in meinem letzten Briefe gemachte Erwähnung, gegen mich gefallen waren, schien es mir ratsam, daß unsre Correspondenz aufhöre.“346 Allerdings dauerte die Unterbrechung nicht lange. Schelling und Windischmann nahmen die Korrespondenz bald und unter den stärksten Freundschaftsbekundungen wieder auf. Diese Strategie des gemeinsamen Konfliktaustrags zwischen Schelling und Windischmann stellt jedoch die große Ausnahme dar. In der überwiegenden Mehrzahl der Konflikte sprachen sich die Konfliktparteien in öffentlichen Medien an, in Rezensionen, offenen Briefen347 in Journalen, Vorworten oder Vorlesungen, kommunizierten nicht aber miteinander. Der Konflikt zwischen Schelling und seinen Gegnern weitete sich bald auf andere Medien aus. Die beiden Parteien versuchten, sich nun auch durch die Veröffentlichung eigens angefertigter Streit- und Denkschriften zu bekriegen, ja sich regelrecht zu erniedrigen. Die Publikation von Denkschriften stellte einen qualitativen Sprung dar, der von den Parteinahmen in Rezensionen oder Vorworten ausgegangen war. Denkschriften wie die zahlreichen im Konflikt um Schelling wurden in der Regel nur dann verfasst, wenn der Professor oder die Verfechter einer bestimmten geistigen Strömung bereits einiges Gewicht hatten. Gegen Andreas Metz, Christian August Fischer oder Franz Oberthür schien es nicht nötig gewesen zu sein, eine Philippika zu richten, hierzu genügte die kleine Form der Rezension. Im Kampf gegen Schelling sowie in den Angriffen Schellings gegen einige der Würzburger und Münchener Aufklärer wurde die Denkschrift dagegen häufig eingesetzt. Schon die Titel verdeutlichen, wie sehr der persönliche Angriff und wie wenig wissenschaftlicher Wetteifer die Autoren antrieb. Die Denkschrift hatte den Zweck, dem anderen „verletzende Namen“ zu verleihen, um mit Butler zu sprechen. Ihre Absicht bestand darin, „ein Subjekt in der Unterwerfung zu zeigen und einzusetzen sowie seine gesellschaftlichen Umrisse in Raum und Zeit hervorzubringen.“348 Die Denkschriften wie die Rezensionen nahmen eine Verletzung des anderen nicht in Kauf, sie produzierten sie bewusst und willentlich. Von Jakob Fries, Privatdozent der Philosophie in Jena, erschien in Leipzig 1803 „Sonnenklarer Beweis, dass in Prof. Schelling’s Naturphilosophie nur die von Hofrath und Professor Voigt in Jena schon längst vorgetragenen Grundsätze der Physik wiederholt werden. Ein Neujahrsgeschenk für Freunde der Naturkunde“; Friedrich Köppen, protestantischer Theologe und in Göttingen ebenfalls Privatdozent, veröffentlichte im selben Jahr in Hamburg 346 Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 26.02.1805. 347 Zur Gattung des offenen Briefs s. Rolf-Bernhard Essig, Reinhard M. G. Nickisch (Hg.): Wer schweigt, wird schuldig! Offene Briefe von Martin Luther bis Ulrike Meinhof, Göttingen 2007. 348 Butler: Haß spricht, S. 59.
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„Schelling’s Lehre oder das Ganze der Philosophie des absoluten Nichts, nebst drey Briefen verwandten Inhalts von Friedr. Heinr. Jacobi“. Jakob Salat, Theologe und Gymnasialprofessor in München, legte 1805 in München die Denkschrift „Über den Geist der Verbesserung im Gegensatz mit dem Geist der Zerstörung mit besonderer Hinsicht auf gewisse Zeichen der Zeit“ vor. Im „Neuen Museum der Philosophie und Litteratur“ erschien in einer Ausgabe von 1805 eine anonyme, Dutzende Seiten umfassende Glosse gegen Schelling. Darin heißt es: „Die Schellingische Naturphilosophie, die jetzt von ihren Bekennern als die einzige verkündigt wird, ist im wesentlichen nichts weniger, als neu. Und dass ihre älteren Bekenner fast sämmtlich Aerzte, oder Theosophen, oder Rosenkreuzer, oder alles dieß zusammen, waren, ist eine historische Wahrheit, die in Erinnerung gebracht zu werden verdient.“349 Christian August Fischer, ein Anhänger Paulus’, publizierte in der Zeitschrift „Der Freimüthige“, deren Herausgeber August von Kotzebue war, anonym einen Bericht über eine seiner Vorlesungen, in denen Studenten Schellings lautstark den Unterricht gestört hätten. Hiervon war bereits die Rede. Schelling selbst sei, wenn nicht gar der Antreiber, so doch schmunzelnder Mitwisser gewesen: „Daß Herr Schelling Anstifter davon gewesen sey, läßt sich nicht beweisen; aber im Publikum schüttelt man häufig den Kopf, - denn dass er die sogenannten Kraftäußerungen der lieben Universitäts-Jugend nicht haßt, weiß man.“350 Die Trutzburg der Schelling-Feinde stand in München, dort hatte die Redaktion der Oberdeutschen Allgemeinen Literatur-Zeitung ihren Sitz. Horst Fuhrmans hat für die Jahre 1803 bis 1805 in mindestens 15 Beiträgen persönliche Angriffe gegen die Naturphilosophen allein in dieser Zeitschrift gefunden.351 Schelling und seine Anhänger wehrten sich gegen die Anschuldigungen, indem sie mit gleicher Währung zurückzahlten. Der Angegriffene ließ in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung einen Offenen Brief an die Redaktion der Oberdeutschen Allgemeinen Literatur-Zeitung abdrucken, der eine wahre Abrechnung mit seinen Münchener Gegnern beinhaltete. Schelling bezeichnete Jakob Salat darin als „alles beschniffelnden, alles verläumdenden, alles besser wissenden Schwätzer.“ Seine Bekanntschaft mit Salats Werken, fährt Schelling fort, „beschränkt sich auf das, was er bis weilen in diesen Blättern zum Besten gegeben hat, und heißt dies gleich nicht an der Klaue den Löwen, so heißt es doch, aus dem Blatte den ganzen Salat kennen.“352 Wenige 349 Anonym: Erinnerung an die Naturphilosophie einiger Aerzte, Kabbalisten und Rosenkreuzer aus den vorigen Jahrhunderten, in: Neues Museum der Philosophie und Litteratur 1 (1805), S. 23-46, hier: S. 23. 350 Huerkamp, Meyer-Thurow: Einsamkeit, S. 279. 351 „An die Redaktion der oberdeutschen Allg. Lit. Z.“, in: Fuhrmans: Schelling 3, S. 297. 352 Ebda.
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Wochen später nutzte Schelling dieselbe Strategie, um sich gegen Kajetan Weiler, auch er Theologe in München, zu wehren und seinen Spott über dessen „unendliches Wortgesprudel“353 zu ergießen. In dem Offenen Brief an Weiler, den die Allgemeine Justiz- und Policeyfama in ihr Blatt aufnahm, forderte Schelling Weiler dazu auf, seine anonymen Veröffentlichungen preis zu geben. Schelling schreibt beschwörend, er werde „die Ohnmacht, welche sich zu Kalumnien und Persönlichkeiten gedrungen fühlt, bis auf’s Letzte“ entlarven. Die Anonymität mancher Angriffe erwies sich in der Tat als gewichtiger Konflikttreiber.354 In zahlreichen Briefen machten sich die an den Kabalen beteiligten Professoren darüber Gedanken, wer hinter der neuen Rezension, der neuen Glosse oder der neuen Denkschrift stecken könnte: „Haben Sie nicht selbst die Vermuthung, daß der hallische Recensent ihrer Schrift Dr. Paulus ist? Wie es ist, da ich sie nicht selbst gelesen habe, aus den von Ihnen angefertigten Bruchstücken höchst wahrscheinlich. – Das ist ein von Gott verlassener Mensch …“355 Die Unkenntnis über die Autorschaft der Angriffe trug erheblich zur Ausweitung des Konfliktes bei. Erstens steigerte Anonymität das gegenseitige Misstrauen, das sich wiederum in Gegenvorwürfen entlud. Die Professoren konnten nicht sicher sein, ob Kollegen sie nicht als Autoren einer anonymen Denunziation verdächtigten. Umgekehrt wussten die Geschädigten nicht, welche Personen als Urheber oder Mitwisser in Frage kamen. Zweitens wurde es zur Mode, gegen das Mittel der Anonymität bewusst den mit Namen versehenen eigenen Standpunkt in einem Journal zu veröffentlichen. So erhielten die Konflikte ein noch größeres Publikum, da nun auch diejenigen von der anonymen Veröffentlichung erfuhren, die sie vielleicht vorher übersehen hatten. Die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung zum Beispiel veröffentlichte Thesen eines anonymen Autors, der behauptete, diese stammten von Heinrich Eberhard Gottlob Paulus. Es geht jedoch aus den so genannten Thesen hervor, dass der Anonymus sich über Paulus lustig machen und ihn bewusst demütigen wollte. Die Thesen lauteten etwa „Die christliche Religion ist eigentliche Religion der Wohllust“ und „Je sündiger der Mensch sich fühlt, desto christlicher ist er“356. Paulus wandte sich unter 353 „An die Redaktion der oberdeutschen Allg. Lit. Z.“, in: Fuhrmans, Schelling 3, S. 329 f. 354 Zur Bedeutung von Anonymität in Gelehrtenkonflikten, s. Martin Mulsow: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2007. Darin bemerkt Mulsow richtig, dass „von der Ideengeschichte und History of Scholarship aus … die Aufhellung des Verhältnisses von Anonymität und Aufdeckung bisher ein Desiderat geblieben“ sei, S. 237. 355 Schelling an Adolph Carl August Eschenmayer am 22.12.1804. 356 Zit. bei: Reichlin-Meldegg: Paulus, S. 378.
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seinem Namen in der „Fränkischen Staats- und Gelehrtenzeitung“ gegen die Satire und versicherte: „Selbst in der Fieberhitze müsste ich, wenn nicht die Psychologie ganz trügt, wenigstens anders phantasieren.“357 Auch Johann Jakob Wagner ließ mit Namensnennung einen offenen Brief erscheinen, der „An das philosophische Publikum“ gerichtet war, nachdem die „Zeitschrift für die elegante Welt“ eine vor Sticheleien überbordende Rezension über dessen „System der Idealphilosophie“ veröffentlicht hatte. Wagner antwortete mit einer öffentlichen Brandrede gegen Schelling.358 Mit den offenen Briefen schufen sich ihre Autoren eine Bühne, die ungleich stärker in den Blick der Öffentlichkeit geriet als die anonyme Rezension oder Schmähschrift, die den Briefen vorausgegangen waren. Die entweder anonym oder namentlich veröffentlichten Schriften stellten ein Problem auch für das Verlagswesen dar. Der Verlag von und der Handel mit Denk- und Streitschriften bargen hohe unternehmerische Risiken. Der Würzburger Verleger Johann Veit Joseph Stahel entschied sich daher, solcher Art Schrifttum gar nicht mehr zu publizieren – und legte seine Gründe in einer Denkschrift dar. Von vielen Seiten würden ihm in jüngster Zeit Schriften angeboten, die vor allem aus Angriffen gegen Kollegen bestünden. „Aber Brochüren ohne Werth, gelehrte Zänkereyen, personelle Angriffe, und ähnlichen Plunder verlegt unsre Handlung nicht.“359 Urteile von Rezensionen, auf die er sich bei der Wahl für oder gegen den Vertrieb eines Werkes zu stützen hatte, verlören zunehmend an Verlässlichkeit. Manche „von den Geiselhieben der Recensionen zerrissene Skarteke“ würde „mit einer Art von Wuth gekauft“360. Gerade diese letzte Bemerkung bezeugt allerdings, dass Stahel nicht nur das unternehmerische Risiko beim Verlag von Denkschriften fürchtete, sondern ein allgemeines Unbehagen dem gerade sich vergrößernden Würzburger Buchmarkt und seinen Unwägbarkeiten gegenüber empfand. Verantwortlich für die hohe Konfliktfrequenz und das erstaunliche Maß an Unsachlichkeit ist wohl zunächst einmal Selbstverständnis und Habitus der Beteiligten. Wer die Briefe Schellings, Wagners oder Paulus’ liest, aber auch die von Franz Berg, Friedrich Niethammer und Andreas Metz, lernt Gelehrte kennen, die ihren Hang zum Vorwurf als Schutzmaßnahme auslegten. Wagner schrieb im Januar 1804: „Ich sehe mich in die Nothwendigkeit versetzt, mit Schelling nicht nur zu rivalisiren sondern zu kämpfen.“361 Auch für Schellings Selbstkonzept stellte die Verteidigung einen Kampf dar, der Sieger und Verlierer hervorbringen musste: „Nachdem ich gewissermaßen den Anlauf 357 Reichlin-Meldegg: Paulus: S. 379. 358 Fuhrmans: Schelling 3, S. 154. 359 Veit Joseph Stahel: Über den Zustand des Buchhandels in Würzburg, Würzburg 1803, S. 11 f. 360 Ebda. 361 Wagner an Unbekannt am 20.02.1804.
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und Angriff des ganzen Zeitalters ertragen und überstanden habe, ist es billig, dass ich hinwiederum dieses Zeitalter angreife; um es mit Erfolg und Kenntnis zu thun, waren auch manche Vorbereitungen nothwendig, die ich in der Stille seit geraumer Zeit gemacht habe.“362 Die Gegenwehr erschien den Professoren als eine unumgängliche Notwendigkeit, als Muss, nicht als eine Form von hate speech. Dies reicht als Erklärung für die hohe Konfliktfrequenz jedoch nicht aus. Der persönliche Nutzen, den die Konfliktbeteiligen davon zu tragen glaubten, erscheint als ebenso einflussreich wie die oben genannten Aspekte. Da sowohl Schelling als auch Paulus großen Einfluss auf die Stellenbesetzungen ausgeübt hatten, fühlten sich ihre Protégés ganz offensichtlich ihren Mentoren und Gönnern zugehörig und verpflichtet. Der bereits erwähnte Streit zwischen Windischmann und Schelling kann dies veranschaulichen. Schelling hatte, bevor es zu der Auseinandersetzung kam, Windischmann mehrmals offensiv auf seine Seite zu ziehen versucht und ihn unter anderem zu Beiträgen in seinen „Jahrbüchern der Medizin“ eingeladen. Trotzdem distanziert sich Windischmann nicht ohne Häme in seinen „Ideen zur Physik“ von seinem Würzburger Kollegen. Einer der Gründe für diesen zunächst unüberlegt wirkenden Schritt könnte sein, dass es Paulus war, der Windischmann bei der Verlagssuche für die „Ideen zur Physik“ nicht nur geholfen, sondern auch um ein angemessenes Honorar gekämpft hatte. Paulus überließ Windischmann die Entscheidung, bot sich jedoch als Verhandlungspartner mit den Verlagen an: „Ist Ihnen am schnellen Abdruck soviel gelegen, dass Sie in dieses Anerbieten willigen wollen? Versuchen will ich immer noch, ob nicht 5 bis 6 Laubthaler bey ihm zu erhalten waeren, ehe ich, im Fall der Eile, abschließe. Wollen Sie aber laenger warten, so schreibe ich gerne an einige entferntere Buchhandlungen.“363 Von diesen Inhalten teilte Windischmann Schelling selbstverständlich nichts mit. Die Konflikte entstanden und verschärften sich also immer auch deshalb, weil viele der vormals protegierten Professoren aus Schutz ihrer Interessen heraus Parteien ergriffen. In der Folgezeit verleumdeten sie die Gegner ihrer Gönner, ohne unbedingt selbst einen Schaden durch diese erlitten zu haben. Außerdem waren die Anhänger beider Seiten in ihren eigenen Schriften einer der beiden Strömungen gefolgt und konnten es nicht zulassen, dass die Gewährsleute ihres Werkes an Reputation und Einfluss verloren. Christian August Fischer etwa verdankte seine Stelle dem Einsatz von Paulus bei Graf Thürheim und nahm im aufkeimenden Konflikt Paulus’ gegen Schelling „wohl nicht zu Unrecht an, dass seine anti-schellingischen Invektiven (un-) ausgesprochenen Erwartungen seines Mentors Paulus entsprächen.“364 362 Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 17.04.1806. 363 Paulus an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 21.07.1804. 364 Huerkamp, Meyer-Thurow: Einsamkeit, S. 277.
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Umgekehrt war Oken auf die Protektion Schellings angewiesen und sorgte mit seinen Gegenangriffen dafür, dass „die Kritik viel Stoff fand“365. Entscheidend für die Häufigkeit und Heftigkeit der persönlichen Angriffe gegen Schelling scheint auch gewesen zu sein, dass dieser nach und nach den Schutz der kurbayerischen Landesdirektion und dessen Vorsitzenden Graf Thürheim verlor, auf dessen Gunst die Professoren allesamt angewiesen waren. Spätestens zum Sommersemester 1804 hatte sich Schelling gegenüber Thürheim und Zentner isoliert, eine Entwicklung, die den anderen Professoren wohl bekannt sein musste. Die Invektive gegen Schelling nach dessen Abmahnung durch die Regierung stellten daher auch eine offene Hinwendung und Loyalitätsadresse gegenüber Thürheim dar, ein Signal, das für den beruflichen Werdegang entscheidend sein konnte. Dass dieser durch erneute Regierungswechsel leicht in Gefahr geraten konnte, war der gelehrten Oberschicht auch nach dem Frieden von Lunéville und dem Reichsdeputationshauptschluss bewusst. Caroline Schlegel-Schelling brachte die Unsicherheit treffend auf den Punkt, als sie 1806 einem Freund ihres Mannes gegenüber bedauerte „wie trostlos es in der Welt steht, wie wenig für jeden Einzelnen eine andre als höchst zufällige Verbesserung zu hoffen ist“366. Nicht nur Beiträge in Journalen, sondern auch die Herausgabe von Periodika diente mitunter als Positionierungsmedium. Dies mag die Entwicklung der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ (ALZ) verdeutlichen. 367 Die ALZ in Jena geriet unversehens 1803 in eine Krise, als sowohl ihre Autoren als auch die Redakteure Stadt und Universität verließen. In dieser Phase bemühte sich die kurbayerische Regierung um den Umzug der Redaktion nach Würzburg. Mehr noch, die Aussicht, die ALZ bald im eigenen Land herausgeben zu können, spielte sicherlich in die Entscheidung für Berufungsverfahren hinein. Die Tatsache, dass sich Thürheim besonders und besonders früh um Gottlieb Hufeland bemühte, lag sicher auch daran, dass er mit dem ehemaligen Herausgeber auch die Redaktion der ALZ an den Main holen wollte.368 Schelling wehrte sich heftig gegen diese Pläne des fränkischen Landeskommissariats und brachte seine Abneigung gegen die Redakteure auch zum Ausdruck. Die ALZ hatte sich in den Jahren zuvor recht deutlich gegen die Naturphilosophen und Romantiker und für die Kant-Schule entschieden. Schelling musste sich folglich auf die Dauerkritik eines der „großen meinungsbildenden Organe der bürgerlichen und stadtbürgerlichen Welt“369 einstellen und sich dazu verhalten. Folglich reagierte er mit einer 365 Fuhrmans: Schelling 1, S. 295. 366 Schlegel-Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 14.05.1806. 367 Zum Folgenden s. Julia-Schmidt-Funke: Der Konflikt um die Verlegung der Allgemeinen Literatur-Zeitung nach Halle im Jahr 1803, in: ZVTG 57 (2003), S. 105-126. 368 S. Rohls: Kantisches Naturrecht, S. 70 ff. 369 Wehler: Gesellschaftsgeschichte 1, München 1989, S. 310 f.
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Strategie, die auch ein halbes Dutzend weiterer Professoren im Untersuchungszeitraum wählten und gründete ein eigenes Journal. Doch zunächst setzte er sich noch gegen ein weiteres Zeitschriften-Projekt seiner Gegner zur Wehr. Der Mainzer Kurfürst Carl Theodor von Dalberg ließ nach 1803 einige Professoren und Staatsdiener von seinen Plänen wissen, einen Teil seiner Pension als Würzburger Domprobst zur Stiftung einer „gelehrten Gesellschaft nützlicher Wissenschaften“ in Würzburg zu spenden. Als Schelling erfuhr, dass Paulus dabei eine führende Rolle spielen sollte, versuchte er, die Gründung der Gesellschaft zu verhindern und bat Windischmann, bei Dalberg gegen diese Pläne vorzusprechen: „Können Sie ihn darüber sprechen oder sprechen lassen, dass er die Summe, die er großmüthigst schenken will, doch auf etwas Nützlicheres als auf eine Finanzspeculation des Prof. Paulus verwenden möchte – (der Universität kann auf vielfache andre Weise genützt werden) – so ist dies ein wahres Verdienst um die Sache.“370 Schelling plante nun die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift, auch mit dem Ziel, sich im konfliktreichen Universitätsleben besser zu positionieren. Die „Jahrbücher der Medizin als Wissenschaft“ sollten erstens dazu dienen, seine Ideen und die seiner Anhänger zu verbreiten, ohne ständige Kritik oder sogar Häme zu erfahren, zweitens, um seinen Anhängerkreis auch sichtbar an sich zu binden. Von den Gefährten Schellings bei diesem Projekt lehrte auffälligerweise fast niemand in Würzburg, sondern hauptsächlich in Bamberg und Landshut. Seit Mitte 1805, so lange hatten die schon früh begonnenen Vorbereitungen gedauert, erschienen die Jahrbücher mit Schelling und Karl Friedrich Marcus als Herausgeber. Marcus war Leiter der Medizinalanstalten in Bamberg und der neu gegründeten Chirurgenschule. Die meisten Autoren der Jahrbücher waren Mediziner, teilweise bedeutende wie der Physiologe Ignaz Döllinger, der Chirurg Philipp Franz von Walther und der Pathologe Andreas Röschlaub. Schellings Wunsch, mit den Jahrbüchern das Journal schlechthin für den Grenzbereich zwischen Philosophie und Medizin zu schaffen, äußerte er gegenüber Göbhard. Die Jahrbücher seien als „ein Vereinigungspunkt theoretischer Verhandlungen“ von Ideen gedacht, die in einer „Zeit des Missverständnisses“371 gegründet werde. Sich selbst sah Schelling als Zentralgestalt des ganzen Unternehmens an, sowohl was die Redaktion als auch die inhaltliche Ausrichtung anbelangt. Daher bestimmte Schelling laut einem internen Papier über den Aufbau des Heftes gleich im ersten Paragraphen: „Jeden Band eröffnet eine naturphilosophische Abhandlung die in Bezug auf Medizin steht, von mir, und gleich den ersten Band eine Kritik sämmtlicher bisher aus Medizin unternommener Anwendungen der Naturphilosophie“372. Den Jahrbüchern war nur eine kurze Dauer beschieden. 1805 370 Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 14.07.1804. 371 Schelling an Joseph Anton Göbhard am 31.07.1804. 372 Fuhrmans: Schelling 1, S. 317.
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erschien das erste, 1808 mit dem sechsten das letzte Heft. Ein Jahr später war „dieser medizinische Freundeskreis … fast völlig zurückgetreten“373. Interne Streitereien brachen den einst engen Kreis auf. Wie stark Schelling die Jahrbücher als Waffe im Kampf der Positionen verstand, verrät ein Brief an Andreas Röschlaub. „Was ich in diesem Heft der Naturphilosophie sowie von organ. Naturlehre vorgetragen habe“, schreibt Schelling, „soll wie ich hoffe, meinen Freunden Freude, den Gegnern aber Ärger machen.“374
2.6.2. Das Buch als Geistesprodukt: Probleme bei der Verlagssuche In den Verhandlungen mit mehreren Verlagshäusern stellte Wagner 1807 rasch fest, dass die Verleger ablehnend reagierten oder nur zu schlechten Bedingungen einwilligen wollten. An Andreas Adam schrieb er: „Der Ausbruch des Krieges mit Oesterreich scheint nun unvermeidlich. Ich bin immer sehr bange, daß Göbhard sich dadurch am Drucke meiner Theodicée irre machen lässt, und ohnehin verlangt mich, wie es mich noch nie verlangte, nach dem Drucke dieses Werkchens.“ Noch deutlicher wurde er an anderer Stelle: „Mit genauer Noth habe ich endlich einen Verleger erwischt, der zu Michaelis meine allg. Mythologie (ein reiches Werk) herausgiebt. Du glaubst nicht, wie die Buchhändler caput sind.“375 Wagner sah sich folglich gezwungen, ein geringeres Honorar für sein nächstes Werk in Kauf zu nehmen. „Ich kann nicht wissen“, schrieb Wagner 1808 im Hinblick auf seinen Verleger, „was die Zeitumstände dem Buchhändler erlauben, und erwarte daher, daß er sagt, was er geben kann, und bin auch geneigt, wenn ich einen ehrlichen Mann habe, von meiner Forderung nachzulassen.“ Von Kollegen erfuhr er, dass deren Verleger ähnlich geringe Honorare anboten. „Kanne schreibt mir eben auch ein miserere vom Buchhandel; dieß macht, daß ich meine Forderungen so herabspanne.“376 Nicht nur beim Honorar musste sich Wagner in den kommenden Jahren beugen, auch bei der Anzahl der Bögen, für die er bezahlt wurde. Bei einigen Werken verringerten die Verleger die Anzahl der bedruckten Blätter, nach deren Zahl sich das Honorar bemaß. Das Manuskript wurde gekürzt. Dies tat auch der Bamberger Verleger Göbhard bei Wagners Schrift über die Theodizee. Diese hatte Wagner Göbhard bereits einmal angeboten. Doch dessen erstes Angebot lehnte Wagner noch entschieden ab, wie er in einem Brief berichtete: „Meine Gespräche oder Theodizee habe ich zuerst Göbhard angeboten, der mir - pr. 373 Fuhrmans: Schelling 3, S. 288. 374 Schelling an Andreas Röschlaub am 30.07.1805. 375 Wagner an Andreas Adam am 14.04.1807. 376 Wagner an Theodor Konrad Kretschmann am 13.11.1808.
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Bogen zahlen wollte, aber erst zu Ostern 1810, und noch dazu, wenn bis dahin eine gewisse Anzahl verkauft wäre. Dann habe ich es (denn [auf] Göbhard Bedingung kann ich aus ökonomischen Gründen nicht eingehen) Hartknoch in Leipzig angeboten, der mir die Antwort noch schuldig ist.“377 Ob und, wenn ja, wie Hartknoch sich entschied, ist nicht bekannt. Jedenfalls bot es Wagner Göbhard ein zweites Mal an, willigte in dessen geringe Bezahlung und die Reduzierung der Bögen ein. So konnte die Theodizee 1809 erscheinen. Die Gründe für Wagners Einlenken sind vor allem in seiner Lebenslage zu suchen. Die Quieszierung hatte nicht nur den akademischen Wert seiner Schriften verringert, sondern auch seinen finanziellen Spielraum eingeschränkt. Allerdings kannte Wagner das „Miserere der Zeit, so dass ich mich glücklich schätze, mit meinen 800 fl. hier zu seyn, wo das Finanzsystem das solideste von der Welt ist, und wo man durch keine Zuvielregiererey genirt wird.“ Doch diese Bemerkung ist mit mehr Ironie als Überzeugung geschrieben, denn Wagner versuchte zu dieser Zeit, sich an anderen Universitäten zu bewerben. Auch Gottlieb Hufeland stand 1805 in Verhandlungen, die nicht günstig verliefen. „Hier ist fast mit allen nichts zu machen. Der einzige wäre noch Stahel, aber auch der hat mehr andere als bloß buchhändlerische Unternehmungen, fürchtet die Folgen des Krieges, und darum sprang er ab, eben wie ich abgeschlossen zu haben glaubte,“378 klagte er. Hufeland befand sich in einer sichereren Position als Wagner, sah sich jedoch aus finanziellen Gründen dazu genötigt, zu veröffentlichen. Außerdem sollte eine neue Publikation zur Staatswirtschaft seine Position bei einem erneuten Herrschaftswechsel verbessern. Die Abhängigkeit der Professoren von den Verlegern fiel, wenn man nur einmal die biografischen Kontexte Wagners und Hufelands vergleicht, unterschiedlich stark aus. Was Hufeland, Wagner und viele andere Würzburger Professoren jedoch verband, war ein gesteigertes Publikationsbedürfnis und somit eine gesteigerte Nachfrage nach Verlegern. Davon war bereits die Rede. Die Verleger jedoch gingen den entgegengesetzten Weg und veröffentlichten möglichst wenig. Zwischen beiden Berufsgruppen herrschte ein gespanntes Verhältnis. Zwar zeigten, wie oben erwähnt, Hufeland und Wagner einerseits Verständnis für die Verleger und bezogen den Kriegsausbruch in ihre Überlegungen ein. In anderen Briefpassagen tritt jedoch auch bei Wagner Misstrauen und Spott hervor: „Die Buchhändler klagen so jämmerlich, und böten, glaub’ ich, jetzt Gott Vater selbst ein schlechtes Honorar, wenn er noch eine Bibel heraus geben wollte.“379 Und Heinrich Eberhard Gottlob Paulus erwog in einem Brief an Niethammer, sogar rechtlich gegen den Würzburger Verleger 377 Ebda. 378 Hufeland an Georg Joachim Göschen am 24.11.1805. 379 Wagner an Theodor Konrad Kretschmann am 09.11.1808.
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Veit Joseph Stahel vorzugehen: „Wegen der Buchhandlung Stahel will ich nur noch bis nach der Messe warten. Bis dahin hat er Frist gebeten. Ich zweifle aber sehr, dass er Wort halten wird. Ist es nicht, so muss ich ihn verklagen und aufs neue Ihre Güte ansprechen.“380Auch Schelling hegte einen Verdacht, als er im Februar 1806 schrieb, Cotta „behauptet, das 2te Heft vor Ostern nicht mehr liefern zu können. Dieß mag vielleicht nur Vorgeben seyn. Ich habe ihm nochmals geschrieben, dass es erscheinen müsste.“381 Aus vielen Briefen lässt sich Misstrauen gegenüber den Verlegern ablesen. Diese würden sich, so die Professoren, vom Krieg verängstigen lassen oder den Krieg gar instrumentalisieren, um niedrigere Honorare durchsetzen zu können. Der Professor für Kultur-Geschichte Christian August Fischer befand im April 1809: „Auch wird ja der Buchhandel täglich schlechter, so dass man, sollte man auch die beste Arbeit geliefert haben, keinen Verleger findet, u. wenn man diesen gefunden hat, bloß rechtliche Ansprüche an denselben hat, ohne von ihm baar Geld zu bekommen.“382 Ein anonymer Verfasser ging sogar noch einen Schritt weiter und richtete sich im „Nationalblatt für die Kurfürstlich Baierischen Fürstenthümer in Franken“ 1803 gegen den „Eigennutz der Buchhändler zu Würzburg“383. Zur Belebung der Universität verlangte der Anonymus eine „völlige Umgestaltung“ des Buchhandels, denn in Würzburg würde man nichts finden „als Krämer, die auf Dreyer spekulieren, die sich mit Commissionswaaren mühsam fort behelfen, die höchstens nur einige Programmen oder Gebethbücher zu verlegen wagen, und selbst diese nur nachdrucken“384. Auch dieser Autor wehrte sich gegen die geringen Honorare. Mehr noch, er denunzierte den Würzburger Buchhändler und Verleger Veit Joseph Stahel persönlich und dafür, dass er Michael Ignatz Schmidt für die ersten Bände seines monumentalen Geschichtswerks „kaum ein paar Gulden Honorar [habe] geben“ wollen. Die wütenden Anklagen des Anonymus sind Ausdruck einer in ganz Deutschland zwischen Professoren und Verlegern auftretenden Spannung, die zum Teil, wie hier, in einen offenen Konflikt überging. Das Verlagswesen in Deutschland befand sich zur Zeit der Koalitionskriege in der Krise. Nach der enormen Steigerung der Verlagsbranche im letzten Quartal des 18. Jahrhunderts brach der Absatz kriegsbedingt ein. Noch 1800 hatte Armin Mallinckrodt seine Denkschrift „Ueber Deutschlands Litteratur und Buchhandel“ mit den Worten eingeleitet: „Wer erschrak nicht bei dem Anblick des diesjährigen Ostermess-Catalogen! Wird dieses Verzeichnis mit jedem Jahre 380 Paulus an Friedrich Immanuel Niethammer am 21.03.1804. 381 Schelling an Karl E. Schelling Anfang Februar 1806. 382 Christian August Fischer an das Großherzogliche Hofgericht in Würzburg am 12. 04.1809, zit. bei Huerkamp, Meyer-Thurow: Einsamkeit, S. 273. 383 Zit. bei Stahel: Zustand, S. 4. 384 Zit. bei Stahel: Zustand, S. 5.
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wachsen? Wo finden wir die Gränzen dieses Wachsthums?“385 Und Johann Gottlob Immanuel Breitkopf hatte 1793 in einem Aufsatz „Über Buchdruckerei und Buchhandel in Leipzig“ den „Flor der Buchdruckerei“ als „ein Werk von 300 Jahren“ gerühmt, als „eine Folge des nach und nach zugenommenen Flors der Wissenschaften in Sachsen“386. Die Schriftsteller hatten einerseits von der Hausse der 1780er und frühen 1790er Jahre profitiert. Andererseits unterstanden ihre Werke seitdem „dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage“387. Auf diesem rasch sich vergrößernden Markt stritten Verleger und Schriftsteller also schon seit längerer Zeit. „Beide [Gruppen] rangen miteinander um einen möglichst großen Gewinn, wobei die Verleger meist den größten Anteil beanspruchten und die Schriftsteller nur zögernd als gleichberechtigte Geschäftspartner akzeptierten.“388 Die Markttauglichkeit akademischer Schriften im Vergleich zur Trivialliteratur war schon vor den Koalitionskriegen ebenso gering wie heute. Die Kalkulation der Verleger zwang diese „nicht selten, umfangreichere oder geistig anspruchsvolle Werke zurückzuweisen.“389 Das Misstrauen zwischen Verlegern und Professoren hatte also zu Beginn des Untersuchungszeitraums bereits eine gewisse Tradition. Ab dem Ende der 1790er Jahre verschärfte sich der Konflikt. Die Verlagswirtschaft hatte unter dem Krieg zu leiden, etwa dann, wenn Papierlieferungen wochenlang ausblieben, aber auch durch die gesunkene Nachfrage. „Bey der Furcht, ob wir dereinst Brod genug haben werden, vergeht uns die Lust Bücher zu kaufen“390, schrieb der Würzburger Theologe Franz Berg 1799 resigniert. Die Konjunktur des Verlagswesens erreichte nach 1806 einen Tiefpunkt: „Die starke Beeinträchtigung des gesamten Wirtschaftslebens und auch des Buchmarktes durch die Napoleonischen Kriege ließ die Ziffern … bis 1813 stetig … sinken; erst mit dem Wiener Kongress konsolidierte sich die Zahl der Neuerscheinungen und übertraf 1821 die Marke von 1805.“391 Die Verleger hatten rasch auf die Nachfuhr- und Absatzprobleme zu reagieren und übten sich während dieser Jahre in Zurückhaltung. Sie nahmen deutlich weniger Autoren unter Vertrag und beschnitten deren Honorare. 385 Arnold Mallinckrodt: Über Deutschlands Litteratur und Buchhandel. Allen Gelehrten und Buchhändlern ans Herz gelegt (1800), in: Fischer: Buchmarkt, S. 201-214, hier: S. 213. 386 Johann Gottlob Immanuel Breitkopf: Über Buchdruckerei und Buchhandel in Leipzig (1793), in: Evi Rietzschel (Hg.): Gelehrsamkeit ein Handwerk? Bücherschreiben ein Gewerbe? Dokumente zum Verhältnis von Schriftsteller und Verleger im 18. Jahrhundert in Deutschland, Leipzig 1982, S. 7-12, hier: S. 7. 387 Evi Rietzschel: Nachwort, in: Rietzschel: Gelehrsamkeit, S. 249-276, hier: S. 261. 388 Rietzschel: Nachwort, S. 262. 389 Rietzschel: Nachwort, S. 264. 390 Berg an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 16.02.1799. 391 Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels, München 1999, S. 218.
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Die Eindringlichkeit, mit der die Professoren die Probleme bei der Verlagssuche beklagen, und die Schärfe der Anklagen dürfen jedoch nicht zu einem vorschnellen Urteil verleiten. Auch die häufige und oftmals anbiedernde Werbung der Professoren für ihre Werke in Briefen an Verleger kann nicht als Beleg für deren ökonomische Schwierigkeiten, sondern muss als Teil ihrer Verhandlungsstrategie betrachtet werden. Die Selbstaussagen sowohl der Universitätslehrer als auch der Verleger müssen daher noch genauer in den Kontext des Verlagswesens und Buchmarkts während der Koalitionskriege eingebettet werden. Der Würzburger Verleger Johann Veit Joseph Stahel legte während des kriegsbedingten Niedergangs des Verlagswesens eine Denkschrift „Ueber den Zustand des Buchhandels in Würzburg“392 vor, die eine Replik auf die oben zitierten anonymen Vorschläge aus dem kurbayerischen Nationalblatt beinhaltete. Stahel beschrieb darin die größten Hindernisse des Verlagsgeschäfts, und es ist offensichtlich, dass sich diese Erläuterungen in erster Linie an Professoren richteten. Der Verleger vermutete, dass es sich bei dem Anonymus um einen gekränkten akademischen Schriftsteller handeln müsse: „Warum wirft unser Verfasser dem Buchhändler Habsucht vor? Hat sich ein hiesiger Buchhändler erkühnt, seine Opera minora oder majora nicht in Verlag zu nehmen, hat er ihm nicht Honorar genug gegeben, wenn er ein Werk von ihm verlegte?“ Stahel wehrte sich besonders energisch gegen den Vorwurf, Michael Ignaz Schmitt eine zu geringe Entlohnung angeboten und diesen damit einem anderen Verleger in die Arme getrieben zu haben. Statt des geringen Honorars habe Schmitt damals die Zensur bewogen, den Verlagsort zu wechseln. Stahel zählt in der Folge viele Erfolgs-Hindernisse auf, von denen fast alle Folgen der Herrschaftswechsel darstellten. Die Professoren pflegten, obwohl die Zensurgesetze akademische Literatur nicht mehr verböten, weiterhin den im Hochstift praktizierten privaten Buchimport aus dem Ausland und brächten die Würzburger Buchhändler so um Profit. Außerdem sei das unternehmerische Risiko in Zeiten rasch überholter wechselnder wissenschaftlicher Erkenntnisse gestiegen: „Aus dem Gebiete der Philosophie, der Chemie und der Medicin ist die vorhin gangbarste Waare verdrängt, die vielen Compendien und Commentare sind werthlose Maculatur; durch die Revoluzion und die darauf gefolgten Veränderungen sind die älteren Erdbeschreibungen unbrauchbar geworden, die vielen Werke über Völker und Länderkunde, und über das Staatsrecht sind nicht mehr werth, als die Ruinen der alten Ritterburgen; der Genius der Menschheit hat die Mönchsorden vernichtet, und mit ihnen eine unzählige Menge von Erbauungsbüchern, Betrachtungen, Brevieren und Missalen.“ Interessant ist auch, dass Stahel den Mangel an 392 Stahel: Zustand.
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Lesezirkeln und Lesegesellschaften393 sowie die wenigen Leser in Würzburg beklagt und dies mit der Dominanz der Gewerbetreibenden begründet: „Das Bedürfniß der Lectüre ist in unserer Stadt bey weitem nicht so allgemein, als anderwärts, und es würde schwer seyn, unter den wohlhabenden Gewerbsleuten auch nur einen zu finden, der eine kleine, aber zweckmässige Bibliothek als Hülfsmittel ansähe, eine Erholungsstunde nützlich hinzubringen.“394 Allerdings ignorierte Stahel in seiner Enttäuschung über den mangelnden Absatz die Realitäten. Die Gewerbetreibenden, also die Handelsleute, stellten die mit Abstand kleinste Berufsgruppe der Mittel- und Oberschicht dar. Auch „politische Ereignisse, und ein zehnjähriger Krieg haben sehr viel zur Entvölkerung der Universität beygetragen, die, wenn wir das medicinische Fach ausnehmen, nur sehr wenig fremde Studirende zählt“. Es lohne sich dafür oft nicht, Studienbücher anzuschaffen, da der Kreis der Abnehmer viel zu klein wäre. Dass die Studentenzahlen in den kommenden Jahren einen Höchststand erreichen sollten, ahnte Stahel bei der Niederschrift noch nicht. Johann Veit Joseph Stahel war der Spross einer Verlegerfamilie, deren Buchhandlung in Würzburg seit 1753 bestand. 1763 kaufte Veit Joseph Stahel, der Vater Johann Veit Josephs, die Universitätsdruckerei und wurde 1769 zum Universitätsbuchhändler ernannt. Als solcher unterstand er der Universitätsgerichtsbarkeit. Sein Aufstieg als Universitätsbuchhändler begünstigte, dass die Regierung ihm kurz darauf zusätzlich das Privileg des Hofbuchhändlers übertrug. Stahel verlegte folglich bis zur Auflösung des Hochstifts Literatur, aus der an Würzburgs Hochschule gelehrt wurde und die von der Vorzensur die Druckerlaubnis erhalten hatte, darunter griechische und lateinische Werke wie die „Bibliothek der Kirchenväter“. Als Hofbuchdrucker ließ er Schulbücher ebenso drucken wie Amtsschriftgut. Die oben zitierten Äußerungen im Nationalblatt über den Würzburger Buchmarkt richteten sich daher, wenn auch im Schutz von Verbesserungsvorschlägen, auch gegen Stahel als Protégé der Regierung, als Profiteur kirchlicher Priviliegienvergabe und Verleger geistloser Frömmigkeits-Literatur. In den Forderungen des anonymen Autors nach einem Protestanten als Verleger und nach mehr Gemeinsinn bei Verlagsgeschäften blitzten deutlich sichtbar antikatholische Ressentiments auf. Ob dieser Standpunkt von vielen Professoren geteilt wurde, ist nicht bekannt. Auffällig ist jedoch, dass die Professoren Stahel in der kurbayerischen Zeit meistens umgingen. Die Autoren schlossen mit Göbhard in Bamberg, Cotta in Tübingen und Stuttgart und Göschen in Leipzig deutlich häufiger Verträge ab als mit dem Würzburger Verleger. Dies mag aber nicht nur auf eine Antipathie gegen den Würzburger Verleger zurückzuführen sein, sondern auch auf den größeren Namen der anderen. 393 Wittmann wertet die Lesezirkel und Leihbibliotheken dagegen als Auflagen schädigend: Wittmann: Buchhandel, S. 211. 394 Stahel: Zustand, S. 28.
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Die Spannungen zwischen Verlegern und Professoren offenbaren deren unterschiedliche Bedürfnisse in den unsicheren Zeiten der Napoleonischen Zeit. Das Publikationsbedürfnis der Gelehrten traf auf die Publikationszurückhaltung der Verleger, die während der Kriege weniger Schriften verlegten, bei der geringen Zahl an Neuerscheinungen möglichst geringe Risiken eingehen und keine Schriften drucken wollten, die morgen schon wieder überholt sein könnten. Die Professoren dagegen standen unter erhöhtem Empfehlungsdruck und waren auch finanziell auf Veröffentlichungen angewiesen. Also bewarben sie ihre Schriften bei den Verlegern und mussten dabei Ablehnungen als besonders schmerzlich empfinden. Der Professor für Staatsrecht und spätere Paulskirchen-Abgeordnete Joseph Wilhelm Behr versuchte der Vorsicht der Verleger gerecht zu werden, als er 1813 eine neue Zeitschrift mit dem Titel „Der deutsche Bund“ plante. Cotta schlug er vor, das Journal so schnell wie möglich publik zu machen, mit der Herausgabe des ersten Heftes jedoch so lange zu warten, „bis die Aussicht auf den Bestand der neuen Verhältnisse entweder durch Friedensverhandlungen, oder durch einen neuen Sieg der Alliierten auf der linken Rheinseite noch mehr consolidirt seyn wird“395. Als Vorbild für die eigene Zeitschrift führte Behr „Das rheinische Land“ ins Feld, das für Verleger und Redakteur einen außerordentlich hohen Gewinn abgeworfen hätte. Allerdings gestand Behr, dass dieser Erfolg nur „bis auf die Zeit des schwindenden Glaubens an den rheinischen Bund“ Bestand hatte. Auch daher solle die neue Zeitschrift erst erscheinen, wenn die politischen Verhältnisse sich stabilisiert hätten. Behrs Versuch, Verleger- und seine eigenen Interessen in Einklang zu bringen, misslang. Die geplante Zeitschrift erschien nicht. Die Angst des Verlegers vor Veralterung seiner Publikationen hatte über den Wunsch des Professors, politische Entwicklungen möglichst zeitnah in einer Zeitschrift diskutieren zu können, gesiegt. In die Verhandlungen spielte in einigen Fällen auch die religiöse Gesinnung von Autor und Schrift hinein. Franz Berg, aufgeklärter katholischer Theologe, musste sich mit einem niedrigen Honorar zufrieden geben, weil sein Verleger seine Schrift für zu unpopulär hielt: „Mein Verleger, H. Löffler, reihte mich zwar unter die katholischen Schriftsteller, und setzte deßwegen einer [n] geringen Preis auf meine Waare, weil ihr der Markt nicht günstig sey. Allein ich begreife das erste gar nicht, so begreiflich mir auch das letzte ist.“396 Joseph Rückert dagegen fürchtete, dass ihm seine Neuveröffentlichung an der rekatholisierten Universität des Großherzogtums schaden könnte: „Nicht minder einleuchtend wird es Ihnen seyn, wie viel ein Würzburger Professor gegenwärtig bei einer Herausgabe von Heiligen395 Behr an J. G. Cottasche Buchhandlung am 22.11.1813. 396 Berg an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 04.03.1812.
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Gesprächen wage.“397 Der Titel „Heiligen-Gespräche“ lässt zwar ein katholisches Programm vermuten. Bei Joseph Rückerts Schrift handelt es sich aber um die ironische Historisierung von Heiligenfiguren, nicht um eine Überhöhung im Duktus von Heiligenviten. Das Misstrauen zwischen beiden Berufsgruppen wurde auch wegen des dem damals weit verbreiteten Nachdrucks geschürt. Georg Joachim Göschen war sich der ungenügsamen Rechtslage bewusst, die weder den Autoren noch den Ursprungsverleger ausreichend in ihren Rechen schützten. Doch angesichts des angespannten Verhältnisses beider Berufsgruppen bewertete er die Aussichten eher nüchtern, die Vertragswerke zwischen Verleger und Schriftsteller im Sinne beider Parteien zu kodifizieren: „Wir können über das gegenseitige Recht der Schriftsteller und Verleger keine Artikel festsetzen, weil die Einwilligung beider Teile, des Schriftstellers wie des Verlegers, erfordert würde, wenn diese Artikel oder Gesetze gültig und obrigkeitliche Kraft bekommen sollten.“398 Erst nach dem Wiener Kongress, als sich die politischen Verhältnisse stabilisiert hatten, kam die Debatte über den Schutz der Autoren- wie der Verlegerrechte in Fahrt, angetrieben in den Anfangsjahren von einem Appell Friedrich Christoph Perthes’ an die Bundesversammlung mit dem Titel „Der deutsche Buchhandel als Bedingung des Daseyns einer deutschen Literatur“. Damit war der Ausgangspunkt geschaffen für die nach und nach sich etablierende Vereinheitlichung des Urheberrechts: „Der Autor konnte ein marktwirtschaftliches Honorar fordern und wurde zum gleichberechtigten Geschäftspartner des Verlags, dieser wiederum konnte des umfassenden Schutzes seiner Produktion in allen Staaten des Deutschen Bundes sicher sein.“399
2.7. Professoren, Studenten und der Krieg Die Briefe der Professoren enthalten nur sehr wenige Bemerkungen zum Kriegsgeschehen. Und immer sind es nur kurze Einschübe und Beobachtungen am Rande, weit davon entfernt, die gleiche Bedeutung wie die Bereiche Stellenwechsel, Publikationen oder Rezensionen zu erlangen. Naheliegenderweise beschäftigte die Professoren der Krieg dann am meisten, wenn er ihre Arbeit störte. „Ich schreibe diese Zeilen in der traurigen Er397 Rückert an Carl August Böttiger am 22.03.1808. 398 Georg Joachim Göschen: Meine Gedanken über den Buchhandel und über dessen Mängel, meine wenigen Erfahrungen und meine unmaßgeblichen Vorschläge, dieselben zu verbessern (1802), in: Rietzschel: Gelehrsamkeit, S. 158-159. 399 Wittmann: Buchhandel, S. 226.
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wartung des französischen Heeres“, schrieb Franz Berg im August 1800, als sich die französische Armee der Stadt näherte. „Mir banget vor der Zukunft. Ich habe heute Nacht wenig geschlafen. Mein Kopf taugt jetzt gar nicht zu gelehrten Untersuchungen. Nicht die Geschichte des Urchristentums, nur die Frage: Wo Geld hernehmen, um die weiten Lücken der französischen Finanzen zu füllen?“ Ähnlich erging es Wagner im September 1805. Zu dieser Zeit war der französische Feldzug gegen die Dritte Koalition in Gange, berührte allerdings nur Württemberg und Bayern. Der nördlichste Punkt, zu dem die Franzosen vordrangen, lag bei Ellwangen und damit mehrere Hundert Kilometer südlich von Würzburg. Dennoch fühlte sich der Philosoph bedroht: „Meine Stellung im Publikum ist jetzt so entschieden, dass ich eine frohe Zukunft vor mir sähe, wenn nicht die kriegerischen Umstände die Musen störten.“400 Zu Beginn des Fünften Koalitionskriegs im Jahr 1809, von dem Würzburg erneut verschont blieb, beklagte er: „Schon fangen die Einquartierungen hier wieder an, und wir haben Artillerie und Feldbäckerei auf der Festung. Mögen die Götter wachen, dass meine Zirkel nicht gestört werden.“401 Etwas übertrieben erscheint auch Wagners Formulierung im November 1808, die Stadt sei „von den Franzosen besetzt“. Daher habe er seinem Freund nicht schneller antworten können: „Ich kann nun nicht so lange still seyn.“402 Es ist zwar richtig, dass sich 1808 französische Truppen in der Stadt aufhielten, nur handelte es sich dabei nicht, wie 1796 oder 1800, um feindliche Besatzungstruppen, sondern um Verbündete. Das Großherzogtum gehörte zum Rheinbund. Nicht die Arbeit an einer Publikation, sondern die Zukunftsplanung ihres Mannes sah Caroline Schlegel-Schelling durch den Krieg beeinträchtigt. „Man kann hier nicht sicher auf ein Bleibendes denken“, schreibt sie im August 1805, „werden wir doch jetzt wieder mit Kriegsgeschrey und Tauschhandel beunruhiget.“403 Ihr Mann schien Klagen über die fehlende Muse zur Arbeit wegen des Krieges schon von mehreren Schriftstellern vernommen zu haben und sah mit einer gewissen Verachtung auf diese herab: „Man hat jetzt die schöne Gelegenheit, alles auf den Krieg zu schieben, mit dem sich auch unsere schlechten Autoren entschuldigen.“404 Diese Zeilen schrieb er wenige Wochen nach der Schlacht von Austerlitz vom 2. Dezember 1805, die den Dritten Koalitionskrieg beendete.
400 401 402 403 404
Wagner an Andreas Adam am 14.09.1805. Wagner an Andreas Adam am 15.03.1809. Wagner an Andreas Adam am 28.11.1808. Schlegel-Schelling an Pauline Gotter im August 1805. Schelling an Johann Peter Pauls am 26.12.1805.
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Der Krieg tritt in den Briefen am häufigsten als Arbeitshemmnis in Erscheinung, die geringe Zahl der Kriegs-Referenzen immer mitberücksichtigt. Noch seltener unterrichteten sich die Kollegen über das Kriegsgeschehen in ihrer Region. Für solche Informationen hatten die Professoren nur zu Zeitschriften zu greifen. Der Brief hatte, wie anfangs schon bemerkt, als Informationsorgan ausgedient. Die wenigen Briefe, die dennoch den Kriegsverlauf beschrieben, sind daher auch an Professoren gerichtet, die offenbar keinen Zugang zu gelehrten Blättern hatten. Der Botaniker und Naturphilosoph Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck lebte etwas abgelegen auf einem Hof in der Nähe von Kitzingen, damals eine knappe Tagesdistanz mit der Postkutsche von Würzburg entfernt, und ließ sich daher von seinem Kollegen Ambrosius Rau über die Flucht Napoleons von der Insel Elba informieren.405 Nachrichten von den Kriegsschauplätzen erhielt auch der kurbayerische Beamte Johann von Scherer von einem Würzburger Kollegen. Wo Scherer sich aufhielt ist nicht bekannt, jedenfalls bedauert der Autor des Briefes Scherers Aufenthalt „versezt aus unserem herrlichen Vaterlande, unter Halbwilde, die fremd in Sprache fremd in Sitten“ seien. An ihn richtet der Freund „Nachrichten aus dem lieben Vaterlande“406. Doch das sind Ausnahmen. Einige wenige Bemerkungen fallen über die Einquartierung von feindlichen oder verbündeten Soldaten. Wagner schreibt an einen Freund, er könne sich vorstellen, wie sehr ihn diese „genirt“407. Franz Berg gibt die Erzählungen der bei ihm einquartierten preußischen Offiziere weiter, die kurz zuvor in Jena gekämpft hatten.408 Und Schelling bemerkt: „Seit gestern liegen zwei Mann einquartiert in meinem Auditorium und rauchen ihren Lauswenzel.“409 Aus einem Brief seiner Ehefrau erfährt man, dass die beiden nur drei Wochen lang blieben.410 Doch die Einquartierung, zu der ab 1803 auch die Professoren verpflichtet waren, wie auch die anderen Aspekte des Kriegs waren nichts als eine Randerscheinung im Leben der Universitätslehrer. Der wichtigste Grund für die relative Bedeutungslosigkeit von Schlachten, Einquartierungen und Truppendurchzügen ist sicher, dass für die Bevölkerung der Stadt Würzburg der Krieg zu keiner Zeit ein lebensbedrohliches Maß erreichte. Außerdem haben die Franzosen die Stadt nie geplündert. Franz Bergs Bemerkung in einem seiner letzten Briefe, erscheinen daher ein wenig unglaubwürdig, wenn er schreibt: „Einmal schwebte mein Leben auf der Spitze eines französischen Degens, ein andermal war ich nahe daran, in dem 405 406 407 408 409 410
Rau an Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck am 09.03.1815. Schaeffer an Joseph von Scherer am 10.10.1795. Wagner an Andreas Adam am 28.11.1808. Berg an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 28.10.1806 Schelling an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 08.10.1805. Schlegel-Schelling an Julie Gotter am 01.12.1805.
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zweystündigen nächtlichen Bombardement unserer Stadt, da eine Kanonenkugel in mein Dach, und in das des Nachbarn eine Haubitzenkugel fuhr.“411 Sicherlich trugen die feindlichen Truppen zwischen 1796 und 1814 am Rande der Stadt und sogar innerhalb der Stadtgrenzen Kämpfe aus: Die Schlacht von Würzburg am 2. und 3. September 1796 fand auf den Anhöhen oberhalb des Weinbergs am Stein statt. In ihr standen rund 30.000 französische Soldaten den 44.000 Mann starken Koalitionstruppen gegenüber. Bei der Einnahme der Stadt am 25. Juli trafen Franzosen nahe dem Rathaus auf österreichische Einheiten und beschossen sich gegenseitig. Während der französischen Belagerung der Stadt im Winter 1800/1801 lieferten sich die gegnerischen Einheiten Scharmützel zwischen Festungsberg und dem westlich gelegenen Hexenbruch sowie dem Käppele. Der bayerische General Wrede ließ am 24. Oktober 1813 die Stadt beschießen, nachdem der französische Stadtkommandant die Kapitulation abgelehnt hatte. Doch all dies geschah, ohne dass Würzburger Bürger dabei zu Tode kamen. Offenbar wussten sich die Stadtbürger in relativer Sicherheit und fürchteten daher nicht um Leib und Leben. Der Kapitular des Stiftes Haug, Caspar Dionysus Jenum, berichtet im Juli 1796 sehr wohl von der anfänglichen Angst der Bürger vor den Franzosen. Daher hätten die Stadtbewohner ihre Habseligkeiten zu Scharen aufs Land zu Verwandten gebracht. Doch von einer Todesangst vor den Franzosen spricht selbst dieses zeitgenössische Diarium nicht. Der einzige Professor, den Fluchtgedanken plagten, war Schelling. „Seit einigen Wochen umwölkt sich der Himmel bey uns immer stärker und es ist denkbar, daß wir den gewaltsamsten Strömungen ausgesetzt werden“412, schrieb er im September 1805 an Goethe in Weimar. Daher bittet Schelling den bereits weitberühmten Goethe, ihm im Fall eines französischen Angriffs in seinem Haus in Weimar Zuflucht zu gewähren. Goethe willigte ein. Da jedoch der dritte Koalitionskrieg weit an Würzburg vorüber zog, musste Schelling nicht nach Weimar flüchten. Wortreich bedankte er sich Ende des Jahres beim Adressaten, der ihm auch im Streit mit der Allgemeinen LiteraturZeitung und bei der Suche nach einer Stelle für seinen Bruder schon behilflich gewesen war.413 Ganz anders verhielt es sich in den Städten, in denen die Truppen langwierige Straßenkämpfe austrugen oder in denen solch ein Befehlsnotstand herrschte, dass die Soldaten die Bewohner ausraubten. Die Briefe der Jenaer Professoren zeugen von dem großen Leid, das nach der Schlacht von Jena am 14. Oktober 1806 über die Stadt hereinbrach. In Jena griff die Schlacht auf die Stadt über, tagelang brannten Häuser. Franzosen plünderten in den ersten Tagen die Einwohner aus. Paulus’ Freund und Kollege, der Neutestamentler 411 Berg an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 29.12.1814. 412 Schelling an Johann Wolfgang von Goethe am 27.09.1805. 413 Schelling an Johann Wolfgang von Goethe Ende 1805.
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Johann Jakob Griesbach, schrieb Paulus über die Tage der Schlacht: „Die zwei Nächte vom 13. auf den 14. und vom 14. auf den 15. waren die schauderhaftesten, vornehmlich durch ein oben am Johannisthor ausgekommenes, öfter wieder aufloderndes Feuer, welches 16 Häuser … niederlegte, und, falls nur der geringste Wind sich erhoben hätte, die ganze Stadt in einen Aschenhaufen gar leicht hätte verwandeln können, weil die ungeheure Bestürzung und Angst der Menschen ordentliche Löschungsanstalten unmöglich machte. Viele Familien flüchteten aus der Stadt, ohne zu wissen, wohin, und verloren zum Theil aus dieser Veranlassung fast alles.“414 Für diese Universitätslehrer war der Krieg vorherrschend, da er sie nicht bloß ablenkte, wie bei Wagner oder Berg der Fall, sondern eine reale Bedrohung darstellte. Stärker vom Krieg betroffen waren auch diejenigen, die vor den Franzosen fließen mussten. Johann Heinrich Jakobi musste sein Haus in Pempelfort verlassen, Achim von Arnim flüchtete nach den Schlachten von Jena und Auerstedt nach Ostpreußen, August Wilhlem Iffland verließ 1796 nicht nur Mannheim, sondern auch seinen dortigen Posten als Schauspieler an der Mannheimer Bühne. Auf dem Weg nach Berlin, wo er fortan als Intendant das Nationaltheater leitete, kam er auch durch Würzburg. Von dort aus richtete er an einen Freund die Nachricht, er möge nicht nach Mannheim, sondern nach Hannover antworten, „wohin mich wieder die Franzosen jagen. Mein Eigenthum zu Mannheim, mußte ich zurücklaßen! Ihr Iffland“415. Iffland gehörte zur großen Zahl Menschen, die zwischen 1792 und 1800 aus den westlichen Gebieten Deutschlands in das Innere des Reiches flohen. All diese waren, wie die Bürger Jenas, Frankfurts, Karlsruhes und anderer Städte, vom Krieg weitaus stärker betroffen als Würzburg. Die untergeordnete Bedeutung, die der Krieg in den Briefen Würzburger Professoren hatte, lag also daran, dass der Krieg nur in geringem Maße in die Lebenswelt der Professoren eindrang. Vielleicht ist genau dies ein Grund für die geringe Zahl Freiwilliger in den Jägerkorps, die sich 1813 formierten. Ute Planert hat gezeigt, dass sich vornehmlich in den Gebieten Deutschlands Freiwillige zum Kampf gegen Napoleon meldeten, die besonders unter dem Krieg gelitten hatten. Das galt in erster Linie für Preußen. Das Rheinland dagegen und Sachsen hatten „jahrelang im Windschatten der politischen Auseinandersetzungen gelegen und wirtschaftlich deutlich von der Einbindung in das napoleonische Empire profitiert.“416 In Würzburg waren die Jahre des Großherzogtums und der Mitgliedschaft im Rheinbund die stabilsten seit Beginn der Koalitionskriege. Zweitens entfiel die lange Zugehörigkeit zu einer Monarchie als Motivationsgrund zum freiwilligen Einstehen. Der Staat Würzburg existierte, als Friedrich Wilhelm sich im März 1813 „An mein Volk“ wandte, seit gerade einmal sie414 Griesbach an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 16.11.1806. 415 Iffland an Georg Joachim Göschen am 13.07.1796. 416 Planert: Mythos, S. 488.
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ben Jahren. Für Franken war die Zurückdrängung Napoleons aus den eigenen Landen daher „ein wesentlich schwächer ausgeprägtes Anliegen als in Preußen“417. Vor diesem Hintergrund erscheint die Zahl der Freiwilligen weniger als „erstaunlich gering“418, sondern eher als folgerichtig. In Würzburg meldeten sich insgesamt nur 193 Männern und davon 14 Studenten zum freiwilligen Jägercorps.419 Es kann also nicht, wie es etwa Klaus Ries für Jena herausgearbeitet hat, von einer Politisierung von Studenten und Professoren gesprochen werden.420 Einer von diesen Freiwilligen war der Bruder des Dichters Friedrich Rückert, Heinrich. Die beiden waren Söhne eines Hofadvokaten aus Coburg. Heinrich Rückert hatte sich 1811 zum Studium der Rechtswissenschaft an der Universität immatrikuliert.421 Er war 1814, als Würzburg aus dem Rheinbund austrat, 24 Jahre alt. Von ihm sind einige Seiten seines Tagebuchs überliefert. Es umfasst die Zeit vom Beginn der bayerisch-österreichischen Belagerung Würzburgs am 26. Oktober 1813 bis zur Verdrängung der Franzosen von Festung und Mainviertel und der Wiedereinnahme der Stadt im Februar 1814422. Das Tagebuch bestätigt die These von der mangelnden Kampfbereitschaft im Großherzogtum. Noch im Oktober imaginierte er sich als Teil eines starken fränkischen Aufgebots nach preußischem Vorbild: „Der Sturm der Thaten, der mich von den preussischen Freywilligen mächtig umbraust, den möchte ich bald selbst erleben und zeigen, dass es auch bei uns noch Leute gibt, die den Todt fürs Vaterland nicht scheuen u. ihres ächten deutschen Stammes eingedenk sind. So wie ich denken gewiß alle Franken u. passen alle mit Schmerz auf eine Aufforderung.“423 Doch nach einigen Wochen musste er feststellen, dass der Aufruf des österreichischen Militärgouverneurs Heinrich von ReußGreitz zum Eintritt in das freiwillige Jägercorps die gewünschte Wirkung verfehlte. Allmählich wandelte sich die anfänglich gefühlte Verbundenheit zu seinen Landsleuten in Enttäuschung um: „Bald werden die siegreichen Fahnen auch jenseits des Rheins aufgepflanzt seyn, und hier geht alles so schläfrig u. träg, dass es eine Schande ist. Ist das ein deutsches Volk zu nennen, das jetzt nicht willig alle Kräfte darbietet? Von Seiten der hiesigen Einwohner 417 Rolf-Joachim Baum: Aus der Frühzeit der Würzburger Verbindungen (1777-1815), in: Ders. (Hg.): Studentenschaft und Korporationswesen an der Universität Würzburg: 1582 - 1982, Würzburg 1982, S. 48-74, hier: S. 67. 418 Ebda. 419 Baum: Aus der Frühzeit, S. 68; Weiß: Übergang, S. 226. 420 Ries: Wort, S. 192 f; s. dazu auch umfassend Planert: Mythos, S. 482. 421 S. Merkle: Matrikel 2, S. 807. 422 Der Herausgeber des Tagebuchs gibt versehentlich den Zeitraum 26.10.1814 bis 20.02.1815 an, s. Rüdiger Rückert (Hg.): Friedrich Rückert: Briefe, Bd. 4, Schweinfurt 1977, S. 18. 423 Rückert: Briefe 4, S. 18.
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geschieht wenig oder nichts.“424 Der Student empfand die Zurückhaltung geradezu als verächtlich: „Pfui über Euch Buben, hinter den Öfen.“425 Dagegen lobte Rückert die Aufforderung seines Fürsten, des Großherzogs, zum freiwilligen Einrücken und nahm diese mit Genugtuung an. Übrigens bewarb er sich nicht für den Offiziersrang, sondern ließ sich als gemeiner Soldat verpflichten, „weil ich es für ehrenvoller halte“426. Dementsprechend fühlte er mit dem Monarchen, als sich die geringe Beteiligung abzeichnet: „Es scheint, die Regierung verzweifelt selbst an der Mobilmachung des Jäger Korps.“427 Im Kontrast zu Rückerts Verbundenheit zum Herrscher stehen die Beobachtungen von Ambrosius Rau. Der Professor für Mineralogie an der Universität Würzburg ist der einzige der Professoren, in dessen Briefen die Kriege von 1813 bis 1815 Erwähnung finden.428 Rau berichtete seinem Freund Nees von Esenbeck von der Geburt seines Kindes und fügt an. „Wenn es mit der Vermehrung der Familie so fortgehet, kann ich bald dem König ½ Duzend Rekruten stellen denn dazu scheint [er] dann als Knabe nach der gegenwärtigen Vorstellung schon in die Wiege bestimmt zu sein.“429 Heinrich Rückerts Loyalitätsadressen stehen im Gegensatz zu Raus Kriegsspott. Rückerts Wut auf seine Landsleute war auch deshalb so groß, weil die Mühen seines Bruders Friedrich vergeblich waren, das Volk seiner Heimat mit deutschnationalen Gedichten an die Front zu treiben. Im Dezember 1813 hatte er seinem Bruder empfohlen, statt mit der Waffe zu kämpfen, „mit seiner Feder die schlaffen Gemüter auf[zu]donnern u. er wird reiche Erndte haben.“ Nun sei Friedrich „ergrimmt über die Würzburger Schlafmützen“ und habe folglich ein Jägerlied gedichtet, „das Muth u. Begeisterung in jedes deutsche Herz ausgießen muß.“ Gemeint war das „Lied eines fränkischen Jägers“, das 1814 pseudonym erschien.430 Die Enttäuschung über die spärlichen Meldungen zu den Waffen und die verfehlte Wirkung der Kampfes-Lyrik seines Bruders offenbaren in einem konkreten Fall das große Unverständnis eines Studenten für die Lebenswelten des mittel- und unterbürgerlichen Milieus zur Zeit der Koalitionskriege. Rückert verliert kein Wort darüber, dass die Handwerker und Dienstboten, anders als die Studenten, bereits seit zehn Jahren zum Dienst an der Waffe verpflichtet waren und zu Hunderten ihr Leben verloren hatten. Die Kämpfe der Würzburger Rheinbund-Truppen in Spanien und Russland bleiben 424 425 426 427 428
Rückert: Briefe 4, S. 20. Rückert: Briefe 4, Eintrag „im Decbr.“ 1813, S. 20. Rückert: Briefe 4, Eintrag vom 18.01.1814. Rückert: Briefe 4, Eintrag vom 26.01.1814. Allerdings stehen aus der Zeit des späten Rheinbunds ohnehin nur wenige Briefe zur Verfügung. 429 Rau an Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck am 09.03.1815. 430 Freimund Reimar [Friedrich Rückert]: Deutsche Gedichte, Heidelberg 1814.
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unerwähnt. Allgemein fehlte den Reflexionen Rückerts jede historische Dimension. Das mag auch an der bemerkenswert poetischen Stimmung liegen, in der Rückert seinen Waffendienst beschreibt. Die Einträge enthalten viele lyrisch formulierte Aufrufe zum Kampf wie „Die Stunde der Rache hat geschlagen!“ oder „Die Morgenröthe der Freiheit ist aufgegangen!“ oder auch „Nun heißt es: im Geschwindschritt Vorwärts, Marsch!“. Auch neigt der Autor dazu, sein persönliches Engagement zu einer überpersönlichen Pflicht zu überhöhen. „Nur der verdient der Freiheit heiliges Geschenk, der es zu erhalten wagt.“, heißt es aphoristisch oder „Nein es ist unmöglich, es kann nirgends so seyn, wie hier.“ Besonders fällt der Hang zur Poetisierung und Stilisierung bei der Schilderung des Abschieds auf. Nachdem er dem väterlichen Haus in Ebern den Rücken gekehrt hätte, habe er sich auf den Weg zum Bataillon gemacht. „Wie ich mich aber allein fand in der ausgestorbenen Flur, da blieb ich stehen, sah mich noch einmal um und sagte dann laut, so dass es in den öden Bergen widerhallte: Ehrenvoll, oder nie seht ihr mich wieder. Dann summte ich Körners Lied ‚Das Volk steht auf der Sturm bricht los p. p.’ und setzte meinen Weg frisch und heiter nach Würzburg fort.“431 Gerade in dieser Bemerkung offenbart sich der Stellenwert der deutschnationalen Lyrik, zu der Friedrich Rückerts Bruder einen besonders leichten Zugang hatte. Die Literatur taucht einerseits in Form von Zitaten auf: Beim Abschied vom Elternhaus sang Heinrich laut Tagebuch mit Theodor Körners „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“, eine der Hymnen der Befreiungsbewegung. 432Andererseits, wie oben bereits gezeigt, ist die ganze Sprache von den gängigen Motiven und Topoi der „Lyrik der Befreiungskriege“433 durchwirkt: der Vereinigung der Völker zur Nation, die Beschwörung des Rheins als natürliche Grenze Deutschlands, Treue zum Vaterland, Opferbereitschaft und der Kampf gegen den französischen Tyrannen. Wie sehr Rückert vom deutsch-nationalen Pathos umhüllt war, illustriert die Beschreibung von seinem Einsatz auf der Festung Würzburg. Auch diesen beschreibt Rückert weniger als historisches Ereignis. Nur Bruchstücke vermitteln die Geschichtlichkeit des Kampfes, so der Satz: „Ich bin der erste mit einigen Auserlesenen auf dem Glacis der Teufels Schanze“. Viel mehr dominieren auch in diesem Tagebucheintrag aus dem Februar 1814 die poetischen Kriegsbilder: „Die Trommeln wirbeln von der Front“, „Wir verbreiten Schrecken u. Verwirrung“, „nun sind wir im Besitz der ganzen Vestung und all die Dränger müssen über die Klinge springen“434.
431 432 433 434
Rückert: Briefe 4, Eintrag „im Decbr.“ 1814, S. 20. Theodor Körner: Leyer und Schwerdt, Berlin 1814. Weber: Lyrik der Befreiungskriege. Rückert: Briefe 4, Eintrag vom 20. Februar 1814, S. 23.
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Rückert verschweigt, dass es sich bei den Auseinandersetzungen zwischen den Franzosen auf der Festung und den österreichisch-bayerischen Besatzungstruppen nicht um eine Entscheidungsschlacht, sondern um ein unbedeutendes Säbelrasseln handelte. Die Hauptlinie der französischen Armee lag im Februar 1814 bereits viel zu weit im Westen, als dass sich der Kampf um Würzburg für die Franzosen noch gelohnt hätte. Blücher war bereits Anfang Januar über den Rhein geschritten und stand im März vor Paris. Die Franzosen harrten während dieser Zeit in Würzburg aus, ohne jedoch tatsächlich mit den österreichisch-bayerischen Truppen unter Wrede zu kämpfen, die einen Belagerungsring um Stadt und Festung gezogen hatten. Den Abzug der französischen Besatzung aus Würzburg am 4. Mai entschieden somit nicht die Kämpfe in Würzburg, sondern die Niederlagen der Großen Armee im Elsass. Doch die Würdigung der tatsächlichen Ereignisse hätte Rückerts Selbstintegration in die „neue Lebensgemeinschaft der Nation“435 gefährdet.
2.8. Zusammenfassung Die Napoleonische Zeit bedeutete für die Professoren der Universität Würzburg eine Zeit der Unsicherheit. Die Stelle an der Universität war nur bis zum nächsten Regierungswechsel sicher. Jede Regierung veränderte die Zusammensetzung der Professorenschaft. Die kurbayerische Regierung entließ rund ein Drittel der Professorenschaft und berief ein Dutzend Universitätslehrer auf zum Teil neu geschaffene Lehrstühle. Die Regierung des Großherzogs Ferdinand verkleinerte das Personal beträchtlich und erhöhte das Lehrdeputat des Einzelnen. Nach 1814 herrschte ein jahrelanger Stillstand, da die Regierung des Königreichs Bayern den Universitätshaushalt zu konsolidieren versuchte. In den Phasen der tatsächlichen und befürchteten Regierungswechsel entstanden schwerwiegende Konflikte um die Stellen. Es galt, befreundete Kollegen bei der neuen Universitätsleitung zu empfehlen und Professoren zu verhindern, die der eigenen Stellung und der Reputation als Gelehrter gefährlich werden könnten. Ganz besonders galten die Verdrängungsversuche denjenigen, die sich bereits öffentlich als Gegner hervorgetan hatten. Den Kampf führten die Professoren einerseits in Alltagsbriefen und persönlichen Gesprächen, andererseits in akademischen Veröffentlichungen. Die Publikation diente in der Napoleonischen Zeit oft als Waffe im Kampf gegen missliebige Kollegen.
435 Wehler: Gesellschaftsgeschichte 1, S. 508.
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Publikationen beruhten keineswegs allein auf Erkenntnisinteresse. Es lässt sich beobachten, dass die Professoren versuchten, mithilfe neuer Publikationen auf die Stellenunsicherheit zu reagieren. Die Veröffentlichung diente stärker als sonst als zusätzliche Einkommensquelle. Des Weiteren spielten Publikationen als Empfehlungsmedien eine wichtige Rolle. Diesen Zwecken dienten, wie gezeigt worden ist, längst nicht nur Dissertationen, sondern auch die Schriften arrivierter Universitätslehrer. Das gesteigerte Bedürfnis nach Publikationen traf auf eine Verlagsbranche, die selbst schwer von den Regierungswechseln beeinträchtigt wurde. Die schnell wechselnden Regierungsverhältnisse in Deutschland entwerteten die Ergebnisse ganzer Fächer wie der Staatswissenschaft, der Geographie und der Geschichtsschreibung innerhalb von Monaten. Auch die Säkularisation wirkte sich auf das Verlagswesen aus. Religiöse Literatur aller Art erlitt nach der Auflösung des Hochstifts in Würzburg einen Absatzeinbruch. Die Verleger antworteten auf die Geschwindigkeit der Ereignisse ab dem ersten Regierungswechsel 1802 mit Zurückhaltung, schränkten die Anzahl der Neuerscheinungen ein und verringerten die Honorare der Professoren. Den Publikationsdrang der Universitätslehrer konnten die Verleger also häufig nicht erfüllen. Die Professoren würdigten sich gegenseitig herab in Rezensionen, anonymen und signierten Journalbeiträgen, Offenen Briefen und Monografien. Selbst die Gründung von Zeitschriften diente auch der Positionierung im Kampf um Stellung und Stelle. Publikationen bildeten Kontexte für Hasstiraden und Verletzungen. Die Professoren setzten jedoch nicht nur bestimmte Arten von Benennungen und Beschreibungen als verletzende Handlung ein,436 indem sie sich gegenseitig Oberflächlichkeit, wissenschaftliche Ahnungslosigkeit oder Parteidenken vorwarfen. Ihre Angriffe sollten tief in die Lebenswelt des anderen eindringen, sollten ihm Schaden zufügen, seine wissenschaftliche Laufbahn schädigen und seine Reputation gefährden oder verhindern, dass er eine solche überhaupt erst erlangte. Es scheint mir daher vonnöten, dass die Universitätsgeschichte bei Professoren nicht nur die Bedingungen der Entstehung von wissenschaftlichen Erkenntnissen untersucht, sondern stärker die dahinter liegenden lebensweltlichen Bedürfnisse in den Blick nimmt. Die Lebenswelt eines Gelehrten in der Napoleonischen Zeit, und wohl auch zu anderen Zeiten, lag nicht allein im Spannungsfeld zwischen dem eigenen „Erkenntniswille[n] und Wissenskontrolle“437 durch den Staat. Die Konflikte innerhalb der Professorenschaft besaßen im Publikationsprozess
436 Über die Arten der Verletzung s. Butler: Haß spricht, S. 52. 437 Martin Kintzinger: Scientia mundus illuminatur. Gelehrtes Wissen zwischen Erkenntnis und Kontrolle, in: Rainer C. Schwinges (Hg.): Universität im öffentlichen Raum, Basel 2008, S. 229-258.
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für den untersuchten Kontext eine weitaus größere Relevanz als der Drang nach „Wissen für die Welt“438. Insofern scheint es vonnöten, dass die Forschung Qualifizierungen und Berechtigungen an den Universitäten nicht nur als staatliche Kontrollorgane untersucht. In einem nächsten Schritt müsste gefragt werden, inwiefern die Publikationen dazu dienten, sich an den Staat als Dienstherrn zu binden. In der Napoleonischen Zeit ging es den Professoren ganz und gar nicht darum, den Staat auf möglichst weitem Abstand von der eigenen Lebenswelt zu halten, um in einem kontrollfreien Raum arbeiten zu können.439 Einige Beispiele für diese Annäherungen der Professoren an den Staat hat die Arbeit geliefert. Ein weiteres und noch dazu recht illustres kann eine Publikation des Philosophen Johann Jakob Wagner liefern. Für Wagner kam, wie gezeigt wurde, die Zeit des Großherzogtums einem akademischen Niedergang gleich. Seine Veröffentlichungen stockten. Der lange Streit mit Schelling hatte ihn ausgezehrt. Zudem drohte der Stellenverlust, nachdem sich ein neuer Regierungswechsel ankündigte. Wagner hatte in den ersten zehn Jahren des 19. Jahrhunderts Veröffentlichungen zur Idealphilosophie, der Theodizee, zur griechischen Mythologie und einige weitere kleine Schriften vorgelegt. Als sich ein erneuter Regierungswechsel zu Bayern ankündigte und dort eine umfassende Staatsreform im Gange war, machte sich Wagner an die Arbeit für eine Veröffentlichung in einem für ihn völlig neuen Bereich. 1815 erschien „Der Staat“, eine Mischung aus platonischer Staatslehre und modernem Staatsrecht.440 Der Wandel Wagners zur Staatslehre erscheint vor dem Hintergrund der Lebenssituationen dieses Professors als ein Versuch der Herrschaftsbindung. Der Staat bildete in dieser Publikation und auch in der Lebenswelt Wagners den zentralen Bezugspunkt. Hierin stand der Philosophie-Professor nicht allein da. Die Hochschullehrer versuchten, der Unsicherheit der Reformära durch eine möglichst enge Bindung an den jeweiligen Herrscher zu begegnen. Der Staat und seine Vertreter sollten gewährleisten, die eigene 438 Kintzinger: Gelehrtes Wissen, S. 231. 439 S. hierzu etwa Kintzinger: Gelehrtes Wissen, S. 229 f; Lüdtke, Prass: Gelehrtenleben, S. 8 f; der Wunsch der Professoren nach Staatsferne stellt jedoch nicht nur eine These dar, sondern bisweilen auch eine Haltung, etwa bei Volker Sellin: Auftakt zur permanenten Reform. Die Grundordnung der Universität Heidelberg vom 31. März 1969, in: Armin Kohnle, Frank Engehausen (Hg.): Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2001, S. 563-583. 440 Johann Jakob Wagner: Der Staat, Würzburg 1815. Wagner hatte bislang nur eine, noch dazu recht kurze staatswissenschaftliche Arbeit vorgelegt, ein Werk „Über die Trennung der legislativen und executiven Staatsgewalt“, München 1804. Außerdem hatte er ein Lehrbuch für Studenten herausgebracht, den „Grundriß der Staatswissenschaft und Politik zum Gebrauche akademischer Vorlesungen“, Leipzig 1805.
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Stellung über den Herrschaftswechsel hinaus zu garantieren. Die Kämpfe um Empfehlungen und Verhinderungen liegt letztlich in diesem Bedürfnis begründet. Die gegenseitigen Verleumdungen in Briefen und hasserfüllten Bemerkungen in Veröffentlichungen sollten dazu dienen, die eigenen Chancen beim neuen Regenten zu erhöhen und die der Konkurrenten zu schmälern. Erst, nachdem die Zeit der Universitätsreformen 1815 ein vorläufiges Ende gefunden hatten, wagte es eine größere Zahl von Professoren, in Schriften und öffentlichen Vorträgen politisch Stellung zu nehmen und dabei auch den Fürsten als Dienstherren zu kritisieren.441 Grundlage für die Politisierung der Gelehrten nach 1815 war jedoch, dass sie eine lebensweltliche Sicherheit empfanden, auf die sie 20 Jahre lang hatten warten müssen.
441 Die Sicherheit der eigenen Stelle scheint mir mindestens ebenso wichtig für das Auftreten des politischen Professorentums wie der „Politisierungsprozess, der von der Französischen Revolution ausging“, s. Ries: Wort, S. 154. Die Professoren wie Fichte und Hufeland, die Klaus Ries schon vor 1815 als politische Professoren ausmacht, scheinen selbst in Jena Ausnahmen dargestellt zu haben, s. Ries: Wort, S. 94 ff.
3. Sich und dem Staat dienen: Johann Wilhelm von Hompesch und Maximilian von Lerchenfeld
3.1. Einleitung Unter Staatsdienern werden hier hohe Regierungsbeamte verstanden, nicht das Gros der subalternen Beamten. Der Mangel an Selbstzeugnissen für die kleinen Beamten ließ eine Analyse der unteren Ebene des Staatsapparats nicht zu. Das Verhalten der Beamten soll dennoch kurz ins Auge gefasst werden: Zum einen, indem es die Personalstruktur der Regierungs- und Verwaltungsbehörden über die Regierungswechsel hin kurz beleuchtet. Die Forschung hat in diesem Zusammenhang den Leitbegriff der „Elitenkontinuität“ hervorgebracht und damit gleichzeitig eine These vertreten, die inzwischen viele Arbeiten über Regierungswechsel im Zeitalter Napoleons bestätigt haben.1 Zum anderen lässt sich das Verhalten der subalternen Beamten aus der Korrespondenz der hier vorgestellten Personen beleuchten. Die kurbayerischen Beamte, die im Auftrag der Regierung 1802 Besitz von Stadt und Hochstift ergriffen und erste Reformen einleiteten, sind in der Forschung zu geistlichen Residenzstädten oft als Schergen der Klosterplünderungen und als Gewährsleute einer zerstörerischen Kultur- und Religionspolitik bewertet worden.2 Die Staatsdiener selbst fanden dabei zwar selten Beachtung, sie gerieten aber in den Sog der Kritik an dem, was sie politisch zu verantworten hatten: die Säkularisation, den Verlust der Eigenstaatlichkeit, die Bürokratisierung des Staatsapparats. 1
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Zum Beispiel hat Armin Kohnle für das Großherzogtum Baden nach Einverleibung der Kurpfalz konstatiert: „Zur Verwaltung der Bezirke wurden Landesadministrationen eingerichtet … . Ihre Beamten wurden zum großen Teil aus den ehemaligen kurpfälzischen Dienern rekrutiert, so dass man an dieser Stelle von Integration durch Personalpolitik sprechen kann.“, s. Armin Kohnle: Modernisierungspolitik und Integration. Der Übergang der Kurpfalz an Baden, in: Anton Schindling, Gerhard Taddey (Hg.): 1806 – Souveränität für Baden und Württemberg. Beginn der Modernisierung?, Stuttgart 2007, S. 77-98, hier: S. 93; über die vielfache Bestätigung der Elitenkontinuität und Gegenbeispiele s. Elisabeth Fehrenbach: Bürgertum und Liberalismus. Die Umbruchsperiode 1770-1815, in: Lothar Gall (Hg.): Bürgertum und bürgerlich-liberale Bewegung in Mitteleuropa seit dem 18. Jahrhundert, München 1997, S. 1-63, hier: S. 52. Böhm: Säkularisation, S. 848 ff; Wolfgang Brückner: Konfessionsfrömmigkeit zwischen Trienter Konzil und kirchlicher Aufklärung, in: Kolb, Krenig: Unterfränkische Geschichte, Bd. 3, S. 161-225, hier: S. 210; Brandt: Würzburg, S. 488; Altgeld: Einführung, S. 18.
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Wolfgang Weiß hat in den hohen bayerischen Staatsdiener Personen am Werk gesehen, die „begannen, in Würzburg so ziemlich auf jedem Gebiet die alte Ordnung umzukrempeln.“3 Wie die hohen Regierungsbeamten in der Provinz die Säkularisation erlebten und welchen Stellenwert die Klosteraufhebungen, Auflösungen der Stifte und Entmachtung der geistlichen Regierungsorgane in ihrem Arbeitsalltag einnahmen, hat deutlich weniger Aufmerksamkeit erhalten. Für Würzburg hat derselbe Wolfgang Weiß die Säkularisation sehr genau rekonstruiert und dabei eine Fülle bislang nicht bekannter Quellen eingearbeitet. Seine Arbeit wendet sich jedoch nur am Rande den höchsten Staatsbeamten und ihren Lebenswelten zu, Weiß konzentriert sich auf die Staatsdiener des ehemaligen Hochstifts. Zu behaupten, das folgende Kapitel würde diese Lücke schließen, wäre unangebracht. Denn die Quellen sprechen nur für kurze Ausschnitte aus dem Untersuchungszeitraum. Doch sie können zumindest einen Eindruck davon vermitteln, welche Arbeitsbereiche zwei hohe Regierungsvertreter stärker, welche weniger stark beschäftigten. Beide verstanden ihre Arbeit in Würzburg als notwendige Aufgabe, die sie als loyale Staatsdiener gewissenhaft zu verrichten hätten, so die These. Sie nahmen ihre Tätigkeit kaum politisch wahr. Sie handelten als Beamte, die sich erleichtert darüber zeigten, wenn ihnen Aufgaben leicht von der Hand gingen oder sie komplexe Probleme lösten. Dies war zum Beispiel der Fall bei den Säkularisationsmaßnahmen. Sie klagten darüber, wenn ein ihnen aufgetragenes Projekt nicht voran ging. Die Inventur der Verwaltung zum Beispiel stellte eine nicht versiegende Quelle der Resignation dar. Bevor sich die Arbeit den Relevanzen der Regierungsvertreter widmet, soll die Personalpolitik kurz beleuchtet werden. Daran lässt sich zwar nicht ablesen, welchen Stellenwert der Gewinn oder Verlust eines Staatsamtes für den Einzelnen hatte. Aber es lässt sich zumindest erahnen, für wie viele Menschen im Regierungs- und Verwaltungsapparat die Herrschaftswechsel mit lebensweltlichen Einschnitten verbunden waren.4
3.2. Das Quellensample Zwar sind Briefe von insgesamt 25 Staatsdienern der verschiedenen Regierungen erhalten. Es liegen Briefe von Regierungsvertretern des Hochstifts, des 3 4
Weiß: Übergang, S. 216. Über die Schwierigkeiten subalterner Beamten in der Napoleonischen Zeit berichten etwa alle fünf Beiträge des Kapitels „Herrschaftswechsel am Ende des Alten Reiches“ im Sammelband Schnabel-Schüle, Gestrich: Fremde Herrscher.
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Kommissariat für die ehemaligen Hochstifte Würzburg und Bamberg, der kurbayerischen Landesdirektion Würzburg, des Übernahmekommissariats von Großherzog Ferdinand von Habsburg, des Kurfürstentums und des königlich bayerischen Landeskommissariats vor. Doch berühren die meisten nur Detailgeschäfte und sind damit für dieses Kapitel nahezu wertlos. Schriftverkehr ist zwar in weitaus größerem Umfang erhalten. Das Staatsarchiv Würzburg und das Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien bewahren die umfangreichen diplomatischen Korrespondenzen zwischen Georg Karl von Fechenbach und seinen Gesandten auf dem Rastatter Kongress auf. Auch die Bemühungen des Diplomaten Johann Michael Seuffert um den Fortbestand des Hochstifts in Wien und Paris unmittelbar vor der Säkularisation sowie die Berichte von einer diplomatischen Mission nach München sind erhalten. Allerdings handelt es sich dabei um reine Geschäftsbriefe. Die Korrespondenzen, die tiefe Einblicke in die Diplomatie des Hochstifts gewähren, sind inzwischen gut erforscht.5 Alltagsbriefe jedoch, die den Blick freigeben auf die Lebenswelt der Staatsdiener, liegen nur von wenigen Personen vor. Im Zentrum der Untersuchung stehen quellenbedingt zwei Staatsdiener: Johann Wilhelm von Hompesch und Maximilian Freiherr von Lerchenfeld. Hompesch stammte aus der Herrschaft Bollheim, die mit dem Herzogtum Jülich 1795 an Frankreich überging.6 Die Zeit nach dem Frieden von Lunéville stellte für den jungen Adeligen aus dem Freiherrenstand eine Phase starker beruflicher Verantwortung und immenser Arbeitsbelastung dar. Im August 1802 ernannte ihn der bayerische Kurfürst zum Präsidenten der Bergischen Landesdirektion in Düsseldorf. Zusätzlich trug Maximilian Joseph ihm das Amt des Hofkommissärs beim bergischen Landtag an, der im Januar 1803 eröffnet wurde. Diese Ämter behielt er bis 1805, als auch Berg zu einem französischen Territorium wurde. Er war während dieser Zeit als Hofkommissär und Präsident der Landesdirektion in Berg, als der Kurfürst Hompesch nach Würzburg schickte. Dort sollte er vor allem drei Aufgaben erledigen. Erstens hatte er das provisorische Übernahmekommissariat zu leiten und es binnen Kurzem in eine dauerhafte Landesdirektion umzuwandeln. Zweitens sollte er eine Finanz- und Verwaltungsinventur veranlassen und beaufsichtigen. Drittens hatte er für die Ausführung der neu erlassenen Gesetze im ehemaligen Hochstift zu sorgen. Dazu zählten die Auflösung der Stifte und Klöster sowie die Entmachtung der Kapitel und geistlichen Regierungsorgane, aber auch der Einzug des kirchlichen Vermögens. 5 6
Thomas Hubertus Link: Die Reichspolitik des Hochstifts Würzburg und ihr Verhältnis zur Rechtswissenschaft am Ende des Alten Reiches, Frankfurt/Main u.a. 1995; Weiß: Kirche im Umbruch. Zu Hompesch s. Eisenhart, Artikel Johann Wilhelm von Hompesch, in: ADB, Bd. 13, S. 64-66.
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Hompeschs auf Französisch verfasste Briefe sind an seinen Freund Heinrich von Schenk gerichtet, der wie er aus Berg stammte und dort ebenfalls in der Landesverwaltung tätig war. Die 17 Briefe sind mit Sicherheit auch deshalb so reich an detaillierten Ausführungen zur Staatsverwaltung, weil hier zwei Fachleute miteinander kommunizierten. Heinrich Schenk hatte ab ca. 1775 zehn Jahre lang als Privatsekretär und Hofmeister Friedrich Heinrich Jacobis zugebracht. Zur gleichen Zeit absolvierte er ein Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Duisburg. Auf Jacobis Empfehlung erhielt Schenk 1793 die Stelle eines Militär-Ökonomie-Rates in den beiden Wittelsbacher Herzogtümern. Auch Schenk hielt sich 1805 mehrere Wochen lang in Würzburg auf und schrieb von dort aus Briefe an Hompesch. Schenk gehörte zur Entourage des Kurfürsten, der 1805 vor den Franzosen an den Main geflüchtet war. Nach wenigen Wochen kehrte er dorthin zurück. Von der Residenz aus besorgte er, in enger Absprache mit dem nach Düsseldorf zurückgekehrten Hompesch, den Transport der kurfürstlichen Gemäldegalerie von München nach Düsseldorf.7 Da Schenk nicht als Würzburger Staatsdiener in der Stadt weilte, werden seine Briefe hier nur am Rande erwähnt. Er und sein 13 Jahre jüngerer Freund kannten sich aus Rastatt. Er hatte Hompesch 1798 zum Rastatter Kongress begleitet und erhielt auf dessen Empfehlung kurze Zeit später eine Stelle als Finanzreferendar im Hofkommissariat. Die Zeit Hompeschs in Würzburg war eng begrenzt. Seine Zeit umfasste nur ein halbes Jahr, begann im Juli 1802 mit der militärischen Besitzergreifung und endete im Januar 1803 mit der Eröffnung des Landtags in Düsseldorf, zu der er als Präsident zurückgesandt wurde. Während seiner Zeit als Kommissar in Würzburg hatte er seine Düsseldorfer Amtsgeschäfte ruhen lassen. Maximilian von Lerchenfeld8 dagegen weilte trotz seines Regierungsamtes in Würzburg häufig als Verfassungsjurist in München. Lerchenfeld stammte aus Ingolstadt, besuchte dort auch Gymnasium und Universität, die er wie Hompesch mit einem juristischen Examen verließ. In München besuchte er ab dem Säkularisations-Jahr 1802 für ein Jahr die diplomatische Akademie, brach die Ausbildung jedoch ab, da er vom Generalkommissar für die neue Provinz Schwaben in die Landesdirektion nach Ulm berufen wurde. Darin stieg er 1807 zum Direktor der staatsrechtlichen Verhältnisse auf und musste fortan komplizierte Territorialverhandlungen mit den Nachbarstaaten, allen voran Württemberg, führen. Von 1808 bis 1813 verantwortete er in drei verschiedenen Territorien die bayerische Zivilübernahme, nämlich in den brand7 8
Zu den Umständen des Exils s. Eberhard Weis, Das neue Bayern – Max I. Joseph, Montgelas und die Entstehung und Ausgestaltung des Königreichs 1799 bis 1825, in: Glaser: Krone und Verfassung, S. 49-64, hier: S. 53 f. Zur Biografie Lerchenfelds s. Max von Lerchenfeld: Art. Maximilian von Lerchenfeld, in: ADB, Bd. 18, S. 423 f.
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enburgisch-preußischen Fürstentümern Ansbach-Bayreuth, in der Reichsstadt Nürnberg und in Tirol. Die Geschäfte in Innsbruck nahm Lerchenfeld unmittelbar nach der militärischen Besitzergreifung und damit nur wenige Wochen nach dem Tiroler Volksaufstand unter Andreas Hofer auf. Auch danach kam es bekanntlich zu schweren Auseinandersetzungen zwischen dem bayerischen Militär und Tirolern, die im Aufstand vom Dezember 1813 ihren Höhepunkt erreichten.9 Von Innsbruck aus schickte König Max I. Lerchenfeld nach Würzburg, um dort zum inzwischen fünften Mal und zum vierten Mal als höchster Regierungsvertreter die Zivilübernahme eines neuen Territoriums zu verantworten. Zu diesem Zeitpunkt war er erst 36 Jahre alt. In Würzburg blieb Lerchenfeld bis zum Sturz Montgelas’ 1817, in dessen Folge er die Ernennung zum Finanzminister erhielt. Außerdem gehörte der im Staatsrecht erfahrene Jurist zum Konvent, der die bayerische Verfassung von 1818 ausarbeitete.10 Aus der Würzburger Zeit Lerchenfelds sind 15 Briefe an seine Frau Louise, seinen Bruder Franz, seinen Kollegen von Andrian und seinen Freund Gotthilf Heinrich Schubert überliefert.11 Die meisten erhielt Letzterer. Schubert war zur Zeit der hier behandelten Korrespondenz zunächst Direktor der Realschule in Nürnberg und wechselte 1816 als Hoflehrer der Kinder des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin nach Ludwigslust. Der Briefwechsel zwischen Lerchenfeld und Schubert widmet sich im Unterschied zur Korrespondenz zwischen Hompesch und Schenk den Würzburger Amtsgeschäften weniger. Lerchenfeld schrieb allgemein nur sehr wenig über sich und dafür sehr viel über die Sorgen und Nöte des Freundes. Lerchenfelds Briefen ist die Hinneigung zum Lehrerberuf deutlich anzumerken, weshalb er die Schwierigkeiten Schuberts bei der Stellensuche mit viel Einfühlungsvermögen zu reflektieren versteht. Auch das Schicksal eines jungen Hoflehrers namens Wagner, der die Kinder von Lerchenfelds Kollegen von Adrian unterrichtete, beschäftigte Lerchenfeld mehrere Seiten lang. Streng genommen müssten die einfühlsamen Ratschläge Lerchenfelds an seine Freunde mit untersucht werden, da die Probleme seiner Freunde große Bedeutung für ihn besaßen. Da dieses Kapitel jedoch nach Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Akteuren einer Berufsgruppe sucht, finden diese Gedanken keine Beachtung. 9
Zur Übernahme Tirols s. Meinrad Pizzinini: Die bayerische Herrschaft in Tirol, in: Glaser: Krone und Verfassung, S. 254-260. 10 Zur Rolle Lerchenfelds bei der Ausarbeitung der Verfassung s. Karl Otmar von Aretin: Bayerns Weg zum souveränen Staat, München 1976, S. 210 ff; Weis: Montgelas, S. 779 f; zur bayerischen Verfassung allgemein s. Eberhard Weis: Die Begründung des modernen bayerischen Staates unter König Max I. (1799-1825), in: Max Spindler (Hg.): Handbuch der bayerischen Geschichte, München 1974, S. 3-86, hier: S. 51 ff; Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 330 f. 11 Max von Lerchenfeld: Aus den Papieren des k. b. Staatsministers Maximilian Freiherrn von Lerchenfeld, Nördlingen 1887.
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Das Sample ist äußerst dünn. Die Analyse bezieht daher die Arbeiten von Wolfgang Weiß und Ulrike Dorda ein, die einzelne der Würzburger Regierungswechsel untersucht und dies mit einem akteurszentrierten Fokus getan haben. Durch diese Studien erhält das Kapitel Zugang zum Übernahmekommissar Alois Freiherr von Hügel12, zum Geheimen Referendar im Hochstift und späteren Mitglied des kurbayerischen Kommissariats Johann Michael Seuffert13 und zum Regensburger Gesandten und ab 1802 ebenfalls im Kommissariat tätigen Lothar Franz von Stadion14. Allerdings dienen die Geschäftsbriefe nur als Referenzmedien, vergleichbar mit dem Amtsschriftgut der Universität und den Ratsakten im Kapitel über die Professoren, und nicht als Primärquelle.
3.3. Verdrängter und zurückgekehrter Adel: Das Milieu der hohen Staatsbeamten zwischen 1795 und 1815 Bevor sich die Arbeit den Briefen Hompeschs, Lerchenfelds und einiger weiterer Staatsdiener widmet, scheint es wichtig, zunächst zu fragen, ob sich das Milieu der Staatsdiener im Laufe des Untersuchungszeitraums personell verändert hat. Auf eine Untersuchung des Konfliktverhaltens der beteiligten Akteure bei personellen Veränderungen an der Staatsspitze muss aus Mangel an Selbstzeugnissen zwar verzichtet werden. Doch wie bei den Universitätslehrern kann nachvollzogen werden, wie viele Personen aus welchen Bevölkerungsschichten in Folge der Herrschaftswechsel ihre Stelle behielten, verloren, oder wieder erlangten. In den Würzburger Hof- und Staatskalendern des ausgehenden 18. Jahrhunderts dominieren bei den hohen Staatsämtern eindeutig die Adeligen aus dem Freiherren- und Grafenstand.15 Die Präsidenten der Hofkanzlei, Hofkammer, des Konsistoriums und des kaiserlichen Landgerichts sowie der Regierungskommissionen verfügten als Kleriker zusätzlich über Präbenden in einem der Würzburger Stifte, oft auch in anderen Diözesen. Einige fränkische Adelsfamilien waren seit vielen Generationen in der Regierung des Hochstifts vertreten, so die Freiherren Groß von Trockau, die Freiherren von Guttenberg, die Freiherren von Greiffenklau zu Vollraths, die Grafen von Rotenhan und 12 Ulrike Dorda: Johann Aloys Joseph Reichsfreiherr von Hügel (1754-1825). Ein Leben zwischen Kaiser und Reich im napoleonischen Deutschland, Würzburg 1969. 13 Weiß: Kirche im Umbruch, S. 26. 14 Ebda. 15 Alle folgenden Angaben entstammen dem Würzburger Hof- und Staatskalender für das Jahr 1800.
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die Schenken von Stauffenberg: Hofkammer-Präsident war Heinrich Carl Graf von Rotenhan, Domkapitular in Würzburg, der zugleich dem Hofkriegsrat und der Fürstlichen Obereinnahme als Präsident voran stand. Das Rektorat der Universität leitete Friedrich Lothar Franz Graf von Stadion, auch er ein Domkapitular in Würzburg und Bamberg. Ein weiterer Kapitularherr in Würzburg und Bamberg, Johann Joseph Freiherr von Würzburg, stand der Schulkommission vor. Sein Mitkapitular Anselm Philipp Freiherr Groß von und in Trockau war Präsident des Konsistoriums. Aus derselben Familie stammte Otto Philipp Groß von und in Trockau. Auch er unterhielt eine Präbende am Domstift, war Regierungspräsident in Würzburg und Gesandter des Hochstifts am Reichstag in Regensburg. Landrichter am Kaiserlichen Landgericht war Franz Karl Freiherr von Kerpen. Die Ehrenämter bei Hof wurden an dieselben Familien vergeben. Das Oberhofmarschallamt leitete Franz Wilhelm Freiherr von und zu Guttenberg, das Oberhofjägermeisteramt Konstantin Freiherr von Pöllnitz, das Oberstallmeisteramt Philipp Anton Freiherr von Greiffenklau zu Vollraths, ein direkter Nachkomme der Würzburger Fürstbischöfe Johann Philipp (1699-1719) und Karl Philipp von Greiffenklau zu Vollraths (1749-1754). Aus derselben Familie stammte ein Domkapitular des letzten Domkapitels. Carl Theodor von Dalberg stand beim ersten Übergang an Bayern der Dompropstei vor. Schließlich hielt der fränkische Adel auch den Generalstab der Würzburger Garnison sowie die Präsidien des Ober- und des Stadtrats fest in seinen Händen. Kein einziger Vertreter des Bürgertums übte 1802 ein Präsidenten-Amt aus. Jedoch besetzen zwei bürgerliche Juristen Referendars-Stellen. Das Amt des Geheimen Referendars der Geheimen Kanzlei hatte Johann Michael Seuffert inne, der zugleich Professor für Rechtswissenschaft an der Universität war. Das entsprechende Amt in der Hofkanzlei versah Johann Baptist Wagner, auch er Jurist. Damit waren bis auf zwei Ausnahmen alle „für den Adel akzeptablen Stellen“ an der zivilen und militärischen Staatsspitze, wie es Josef Matzerath bezeichnet hat, tatsächlich von Adeligen besetzt.16 Dass in einem Hochstift wie Würzburg für den Adel zusätzliche Ämter in der geistlichen Regierung bereitstanden, wurde mit der Vorstellung der Staatsspitze bereits gezeigt. Die Eliten des Hochstifts Würzburg entstammten nicht nur fast ausnahmslos dem ständischen Adel. Die überwiegende Mehrzahl der Staatsdiener war auch seit vielen Generationen im Hochstift ansässig und übertrug die innehabenden Ämter an die nachgeborenen Familienmitglieder. „Die besonderen Bedingungen der geistlichen Wahlstaaten“, womit vor allem die unangefoch16 Josef Matzerath: Adelsprobe an der Moderne: sächsischer Adel 1763 bis 1866. Entkonkretisierung einer traditionalen Sozialformation, Stuttgart 2006, S. 301. S. auch die Tabellen im Anhang, welche die geringe Differenz der für den Adel akzeptablen und der vom Adel tatsächlich besetzten Stellen aufzeigen, S. 513 ff.
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tene Position des Domkapitels gemeint ist, „hatten bisher absolutistischen Tendenzen zur Entmachtung des ständischen Adels enge Grenzen gesetzt.“17 Mit der Eingliederung in das bayerische Staatsgebiet spaltete sich das Milieu der Staatsdiener auf. Die Zerschlagung des Domkapitels und der geistlichen Regierung gehörte zu den am eiligsten vollzogenen Maßnahmen des Kommissariats unter Hompesch nach der Zivilokkupation Würzburgs am 29. November 1802. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass unter kurbayerischer Herrschaft die gesamte Staatsspitze ihre Ämter verlor. Ihr Amt durch Auflösung der Behörde, der sie voran standen, verloren der Präsident des Hofkriegsrats, der Obereinnahme und der Hofkammer Heinrich Carl Graf von Rotenhan. Auch die anderen hohen Hofämter wurden abgeschafft. Alle vier adeligen Hof- und Regierungsräte verloren mit der Auflösung der Regierung ihre Staatsämter. Dasselbe gilt auch für den Regierungspräsidenten Otto Philipp Freiherr von Groß zu Trockau. Die Präsidenten und Mitglieder aller Kommissionen wie der Schulkommission und der Einquartierungskommission beendeten ihre Arbeit. Die überwiegende Mehrzahl der Genannten war als Kleriker gleichzeitig von der Auflösung des Domkapitels betroffen. Die Würzburger Garnison wurde der bayerischen Armee einverleibt. Kriegsrat und Kriegsstaat gaben ihre Aufgaben nach München ab. Das Rektorat der Universität verlor alle seine Aufgaben und somit Rektor Friedrich Lothar Franz Graf von Stadion seinen Posten. Allein das kaiserliche Landgericht blieb bestehen. Bislang war nur von den Regierungsbehörden die Rede, noch nicht von den subalternen Einrichtungen. Hier nahm die neue Regierung deutlich weniger Einschnitte vor. Allerdings verteilte das Kommissariat die Kompetenzen neu. Der Stadtmagistrat etwa büßte mit dem Großteil seiner gesetzgeberischen Kompetenzen mehr als zwei Drittel der Ratsherrenstellen sowie das Amt des Vizedoms ein und musste sich von nun an als Verwaltungsrat bezeichnen. Die Adeligen und Kleriker verloren ihre Ämter jedoch nicht, weil sie als Adelige oder Kleriker zurückgedrängt wurden, sondern weil die Regierungsbehörden aufgelöst wurden, denen sie voran standen.18 Viele der hohen Kleriker verließen daraufhin ihre Domherrenhöfe rund um den Dom oder im westlich davon gelegenen Dietricher Viertel. Manche der Adelsfamilien räumten ihre Stadthöfe und zogen sich aufs Land zurück. Die Kleriker, die in der Stadt blieben, mussten Bürgereide ablegen und bürgerliche Lasten mittragen. Zwei Einträge in den Ratsprotokollen unterrichten darüber, dass einige sich dem zu
17 Fehrenbach: Ancien Régime, S. 73. 18 Diese Unterscheidung scheint mir vonnöten, da der Verlust von Ämtern in der Säkularisation etwas anderes war als die Abschaffung von Sonderprivilegien; zu wenig betont diesen Unterschied zum Beispiel Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1, S. 375; ähnlich Fehrenbach: Ancien Régime, S. 79.
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widersetzen versuchten und sich schlicht weigerten, Einquartierungen zu dulden19 oder ihr Bürgerrecht zu beantragen20. Nach der zivilen Besitzergreifung berief der Kommissär für die ehemaligen fränkischen Bistümer Wilhelm von Hompesch ausgerechnet die beiden bürgerlichen Juristen Johann Michael Seuffert und Johann Baptist Wagner in sein Kommissariat. Auch Friedrich Lothar Franz von Stadion erhielt eine Ernennung zum Beamten in der obersten Würzburger Behörde. Stadion war darin verantwortlich für „geistliche Angelegenheiten“ und damit in erster Linie für die Organisation der Auflösung von Stiften, Klöstern und geistlichen Regierungsbehörden. Seuffert und Stadion waren diejenigen gewesen, die bei den Verhandlungen in Regensburg und bei einer diplomatischen Mission nach München besonders um den Erhalt des Hochstifts gerungen hatten. Seuffert trat als Gesandter des Hochstifts bis zum letzten Moment als Wortführer der „Verteidiger der Fürstbischöfe“ auf und versuchte, die Existenz der geistlichen Wahlstaaten „mit den neuen vernunftrechtlichen Prinzipien der Vertragslehre und der Volkssouveränität“ zu rechtfertigen.21 Dies tat er in juristischen Veröffentlichungen und als Gesandter beim Reichstag in Regensburg, wo er als Sprecher der süddeutschen Fürsten agierte. Seufferts Verdienst war es, dass im Regensburger Vertragswerk „für die materielle Zukunft der supprimierten Geistlichkeit gesorgt“22 worden war. Über das Ergebnis der Reichsdeputation zeigte sich der Würzburger Fürstbischof daher trotz aller grundsätzlichen Enttäuschung zufrieden. Auf Geheiß des Geheimen Referendars Seuffert hin hatte der Rektor der Universität und Domkapitular Lothar Franz von Stadion parallel zu den Regensburger Verhandlungen eine diplomatische Mission in München angeführt. Diese hatte das Ziel, Montgelas davon zu überzeugen, dass „der Kurfürst von Bayern in die Rechte des bisherigen Fürsten eintritt, dass also nur der Regent wechselt, während ‚die übrigen Verhältnisse fortbestehen“23. Die Anstrengung Stadions hat Wolfgang Weiß als „einzigen Fehlschlag“ bezeichnet, denn „kein noch so großes Entgegenkommen konnte für Fürstentum und Bistum Würzburg den Bayern auch nur kleine Schritte der Annäherung abringen“.24 Seuffert und Stadion kehrten noch vor der Zivilokkupation Ende November 1802 nach Würzburg zurück.25
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StadtAW, Rp 143 (1802), Eintrag vom 26.12.1802. StadtAW, Rp 143 (1804), fol. 211. Fehrenbach: Ancien Régime, S. 73. Weiß: Kirche im Umbruch, S. 74 f. Weiß: Kirche im Umbruch, S. 82. Weiß: Kirche im Umbruch, S. 104. Weiß: Kirche im Umbruch, S. 77 und S. 104.
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Beide erhielten nach der kompletten „Ersetzung der alten fürstbischöflichen Behörden durch die Landesdirektionen“26, die sich ab April 1803 vollzog, hohe Ämter in Verwaltung und Justiz. Kurbayern bediente sich also auf höchstem Verwaltungs-Niveau, wie Harm-Hinrich Brandt bemerkt, des „eingespielten Würzburger Regierungspersonals“27. Die darunter liegende Ebene aus leitender Beamtenschaft des Kommissariats und später der Landesdirektion sowie der Gerichte wurde „teils aus Bayern mitgebracht, teils der fürstbischöflichen Verwaltung entnommen“28. Für Würzburg kann also die Behauptung Werner K. Blessings, der „Bürokratismus“ habe sich „über die alten Strukturen öffentlicher Macht und Ordnung“29 gelegt, nicht bestätigt werden. Blessing hat konstatiert: „Auf allen Stufen wurden diejenigen ersetzt, die in Gesinnung und Effizienz dem Münchner Leitbild eines neuen, besonders in Frankreich vorgeprägten Beamtentyps nicht entsprachen.“30 Die Realität in Würzburg sah anders aus. Die Jahre des Kurfürstentums veränderten das Milieu der hohen Staatsdiener erneut. Mit dem Weggang der kurbayerischen Beamten 1806 stellten sich habsburgische Beamte aus der Entourage Ferdinands an die Spitze des Staates, die Ferdinand schon im Kurfürstentum Salzburg und in der Toskana gedient hatten. Alois Reichsfreiherr von Hügel zog als Übernahmekommissar die Regierungsgeschäfte provisorisch an sich, bis Ferdinand die Regierung nach seinen Vorstellungen umgestaltete. Der neue Hofstaat Ferdinands in der wieder erstandenen Fürstenresidenz Würzburg „wies aber auch die Namen prominenter fränkischer Adelshäuser in den führenden Hofämtern auf und wurde damit zum Kristallisationspunkt einer wiederbelebten höfischen Gesellschaft mit neuen Akzenten.“31 An die Spitze gelangten zwei von Ferdinand mitgebrachte Österreicher und wurden Seuffert zur Seite gestellt. Ferdinand löste die Landesdirektionen auf und bildete einen Staatsrat nach österreichischem Vorbild. Diesem gehörten die beiden Habsburger Beamten Johann Nepomuk von Hennebrith und Friedrich Ludwig von Hartmann wie auch Johann Michael Seuffert und der vormalige Domdechant Lothar Anselm Freiherr von Gebsattel an. Seuffert schied allerdings 1810 aus dem Staatsrat aus und wurde zum Hofkommissär herabgestuft.32 Gebsattel ließ sich nach Rangstreitigkeiten bald als Gesandter nach München versetzen. An die Spitze der Unterbehörden traten nun erneut „in bemerkenswert hohem Maße Vertreter 26 27 28 29 30 31 32
Brandt: Würzburg, S. 487. Ebda. Ebda. Blessing: Herrschaftswechsel, S. 174. Ebda. Brandt: Würzburg, S. 503. Karl Theodor von Heige: Art. Johann Michael Seuffert, in: ADB, Bd. 34, S. 53-58, hier: S. 57.
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des fränkischen Adels“, von denen sehr viele in den vergangenen vier Jahren keine Staatsämter ausgeübt, sondern sich Privatgeschäften gewidmet hatten. Die Familien der Domkapitulare, Regierungs- und Hofräte hielten erneut Einzug in die Residenz, diesmal allerdings nicht mehr an der Regierungsspitze, sondern auf subalternen Posten.33 Damit waren in der Regierung nicht mehr, wie zwischen 1802 und 1806, nur zwei verschiedene Personengruppen tätig, nämlich ehemalige Staatsdiener des Hochstifts und kurbayerische Beamte, sondern vier: „eine Würzburger, bestehend aus den beiden ehemaligen fürstbischöflichen Staatsmännern Seuffert und Wagner, deren Verhältnis zueinander ambivalent war, einer salzburgischen, bestehend aus Wolkenstein, Hennebrith und Hartmann, von denen der erstere bald starb und die beiden anderen den Aufstieg und Einfluss Seufferts mit gemischten Gefühlen sahen, einer italienischen, als dem eigentlich innersten Zirkel, und aus einigen Adeligen wie Gebsattel, Guttenberg u.a. zu denen Ferdinand aus unterschiedlichem Anlass und zu unterschiedlichen Zeiten Vertrauen gewonnen hatte.“34 Nach 1814 verließen zwei der vier Gruppen, die Beamten aus Salzburg und der Toskana, die Stadt und zogen mit Ferdinand ab. Die königlich bayerische Regierung ging bei der Integration des Großherzogtums bedachter vor als die kurfürstliche. Das wirkte sich auch auf die Beamtenschaft aus. Lerchenfeld brachte von den bayerischen Beamten nur Freiherrn von Andrian mit, mit dem er lange befreundet war und der fortan das Amt eines Landesdirektionsrats ausübte. Seuffert durfte zwar nicht in Lerchenfelds Kommissariat zurückkehren, erhielt aber das Amt des Hofgerichtspräsidenten. Am Personalstand auf subalterner Ebene änderte Lerchenfeld lange nichts: „Die Würzburger Beamten blieben in ihren Stellen.“35 Der Adel hat also, den gesamten Untersuchungszeitraum betrachtend, seine bedeutende Stellung an der Staatsspitze nicht eingebüßt. Die Zuschnitte der Behörden und dementsprechend die Zahl der adeligen hohen Staatsdiener war zwar starken Veränderungen unterworfen. Und zunächst verloren die Adeligen des Hochstifts, vor allem die Kleriker unter ihnen, an Einfluss. Viele von ihnen erhielten im Großherzogtum jedoch wieder Stellen an der Spitze der Unterbehörden und konnten nach 1814 in ihren Ämtern verbleiben. Bei allen personellen Veränderungen blieb der Adel aus dem Freiherren- und Grafenstand die über alle Regierungswechsel hinweg dominierende Gruppe. Die Regel bestätigen die beiden Ausnahmen Johann Michael Seuffert und Johann Baptist Wagner. Die Dominanz des Adels in Würzburg lag durchaus im Trend
33 Brandt: Würzburg, S. 505; zum Beamtenapparat s. auch Schäfer: Ferdinand, S. 167 ff. 34 Schäfer: Ferdinand, S. 169. 35 Lerchenfeld: Aus den Papieren, S. 35.
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der Zeit und dauerte in Bayern noch mindestens bis 1918 an, wie Schärl gezeigt hat.36
3.4. Stillstand und Resignation: Die Inventur der Staatsverwaltung Gemeinsam war den Kommissaren und Landesdirektions-Präsidenten der oftmalige Wechsel ihrer Einsatzorte. Hompesch kam im Juli 1802 für wenige Wochen nach Würzburg und verließ die Stadt bereits am 13. September vorübergehend wieder Richtung Düsseldorf. Sein Vertreter war Friedrich Wilhelm Freiherr von Asbeck, der gleichzeitig die Übernahme in Bamberg leitete und daher ständig zwischen den beiden Orten hin- und herpendelte. Am 20. Oktober 1802 kehrte Hompesch nach Würzburg zurück, blieb jedoch nur bis Januar. Zwischen Januar und April 1803 vertrat ihn erneut Asbeck. In diesem Monat übernahm die neu gegründete Landesdirektion die Geschäfte des Kommissariats. Hompesch kehrte Würzburg endgültig den Rücken und machte Platz für Friedrich Wilhelm von Thürheim. Dieser blieb knapp drei Jahre. Allerdings musste er wie früher Asbeck zwischen Bamberg und Würzburg hin- und herreisen, da er beide neuen Provinzen als höchster Regierungsbeamter verwaltete. Am 1. Februar 1806 übergab Thürheim die Amtsgeschäfte an den habsburgischen Übernahmekommissar Alois Freiherr von Hügel. Einen Monat später übernahm Freiherr von Ow. Dessen Aufgaben wiederum erloschen mit der Gründung des Staatsrats und der Bestätigung der Landesdirektion noch im selben Jahr. Nur zwischen 1806 und 1814 verlangsamte sich der Rhythmus. Acht Jahre lang blieb der Stab der hohen Beamten relativ unverändert. Dies änderte sich 1814. Lerchenfeld blieb zwar drei Jahre und damit relativ lange vor Ort, wurde jedoch mehrmals für längere Wochen nach München bestellt und musste von dort aus die Würzburger Regierungsgeschäfte leiten. Aus den Briefen geht hervor, dass die Beamten sehr kurzfristig über ihren neuen Einsatzort in Würzburg informiert wurden. Nur wenige Tage blieben Maximilian von Lerchenfeld für den Umzug von Innsbruck: „Ich habe gleich bei meiner Ankunft erfahren, dass ich bereits in wenigen Tagen als Hofkommissär nach Würzburg reise, um dort die Oberleitung der Geschäfte
36 „Nun zur Herkunft der Minister und Verweser. 31 von ihnen oder 40,8% sind Adelige, 45 oder 59,2% bürgerlich, zu welchen wir auch die später geadelten Minister – dies war bei denselben ausnahmslos der Fall, wenn sie nicht adelig waren – zählen. Die tragende Rolle des Adels innerhalb der hohen und höchsten Beamtenschaft des Königreichs kommt hier genau zum Ausdruck.“, Walter Schärl: Die Zusammensetzung der bayerischen Beamtenschaft von 1806 bis 1918, Kallmünz 1955, S. 32.
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zu übernehmen.“37 Auch Hompesch war von seiner neuen Aufgabe überrascht: „Vous avez apris du ministre que ma mission a pris une tournure plus favorable, que je n'ai pu m'y attendre.“38 Im Laufe der Wochen und Monate in Würzburg äußerte Hompesch in unregelmäßigen Abständen Schenk gegenüber seinen Wunsch, wieder nach Düsseldorf zurückkehren zu dürfen, und dies oft in einem regelrecht flehenden Ton. „Je bénirai le ciel quand je pourai m’en retourner chez moi“39, heißt es dann, „je ne vous cache pas, que mes affections et mes idées se tournent toujours vers ma patrie et que c’est là, que je préfère de concentrer ma principale sphère d’activités“40 oder schlicht: „J’attends avec consensement d’y retourner.“41Ähnlich äußert sich auch Alois von Hügel nach einem Monat als österreichischer Übernahmekommissar in einem Schreiben an Stadion: „Nach einem Aufenthalt, wie der hiesige war, weiß ich den Werth der allerhöchsten Erlaubniß, mich Seiner Majestät zu Füßen zu legen, zweifach zu schätzen.“42 Die Beamten hatten also häufige, kurzfristig angeordnete Ortswechsel zu vollziehen und übten darüber hinaus mehrere Ämter gleichzeitig aus. Dies allein führte bei Hompesch und Lerchenfeld bereits zu dem Wunsch, Würzburg so schnell wie möglich wieder verlassen zu können. Doch noch stärker belastete die beiden Staatsdiener die Inventur des Staatsapparats. Von der Vielschichtigkeit des Unternehmens scheint der junge Hompesch selbst überrascht gewesen zu sein. „Il y a tant de rapports differens, que je sais chaque jour d’avantage … combien il faudra aller prise en main pour ne pas être obligé à des pas retrogrades.”43 Hompesch wie auch später Maximilian von Lerchenfeld beschreiben ihre Arbeit in ähnlicher Weise. „Vous n’avez pas d’idée, mon ami, combien je suis occupé“44, schreibt Hompesch und „je mène la vie d’un galerien et passe toute la journée, soit au bureau, ou dans les séances“45. Und Lerchenfeld beschreibt, „ich arbeite von morgens 5 Uhr bis abends 8 Uhr und erlaube mir in der Zwischenzeit nur 1-1 ½ Stunden zum Spazierenreiten, was meiner Gesundheit ganz unentbehrlich ist.“46 Doch stand die Arbeitsmenge in einem eigenartigen Widerspruch zu ihren Ergebnissen. Hompesch wünschte sich eine Arbeit, „qui fatigue à la foi.”47 und bewertet das Kommisariat als einen äußerlich bewegten, aber im Kern 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
Von Lerchenfeld an Franz von Lerchenfeld am 16.06.1814. Von Hompesch an Heinrich Schenk am 03.07.1802. Von Hompesch an Heinrich Schenk am 10.12. 1802. Von Hompesch an Heinrich Schenk am 25.10.1802. Von Hompesch an Heinrich Schenk am 06.11.1802. Von Hügel an Ferdinand von Habsburg am 16.03.1806. Von Hompesch an Heinrich Schenk am 06.11.1802. Von Hompesch an Heinrich Schenk am 07.12.1802. Von Hompesch an Heinrich Schenk am 25.12.1802. Von Lerchenfeld an Franz von Lerchenfeld, undatiert (1815). Von Hompesch an Heinrich Schenk am 25.11.1802.
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bewegungslosen Apparat. Er erklärte seinem Freund Schenk seine Situation mit einem poetischen Bild: „Il me semble que ma destinée est de ramer constamment d’un vaisseau à l’autre, sans arriver au port.”48 Für den Stillstand, den Hompesch hier beschreibt, war aus Sicht des Juristen der unübersichtliche Zustand der hochstiftischen Verwaltung und Finanzen verantwortlich. Die von Max IV. Joseph für alle Bereiche geforderte Inventur der neuen fränkischen Provinzen nahm weitaus mehr Zeit in Anspruch als erwartet und brachte den anvisierten Reform-Prozess zunächst zum Erliegen. Schenk könne sich nicht vorstellen, so Hompesch, „combien il coûte peines à percer le voile, qui couvre l’adiministration fautive des etats eclesiastiques.“49 Der Staatsapparat des Hochstifts sei „dans le plus grand désordre“, weshalb es fast unmöglich sei, auch nur Annäherungswerte über die Finanzsituation des Staates zu erhalten. Zwar verfüge das hinzugewonnene Gebiet über weitreichende Ressourcen. Und die Auflösung der Stifte und Klöster schaffe Werte, welche die Einnahmen der Hofkammer überstiegen. Doch sei man noch weit davon entfernt, die Verwaltung und damit auch die Finanzen in den kurbayerischen Behördenapparat eingliedern zu können. „Mais il faut du tems, et ce sera l’ouvrage d’une année entière pour sortir du chaos, qui existe dans toutes les branches.“50 Auch Alois von Hügel beklagte, allerdings nach vier Jahren kurbayerischer Herrschaft in Franken, die Unordnung in der Verwaltung der Provinz.51 Noch stärker beeinträchtigt sah sich der Habsburger Beamte allerdings von der bewussten Vernichtung oder Hinwegnahme von Amtsschriftgut durch die bayerischen Beamten. Nach 1814 hatte der Übernahmekommissar Lerchenfeld wie seine Vorgänger die Aufgabe, zunächst einmal den Ist-Zustand zu bewerten. Auch er klagte über die Komplexität der Aufgabe. „Ich tröste mich damit, dass aller Anfang schwer ist, und man erst nach und nach die genaue Kenntnis der Menschen und Verhältnisse erlangen und dann erst ganz so wirken könne, wie es sein solle.“52 In zwei Briefen schreibt Hompesch von seiner Hoffnung, dass die Zeit in Würzburg ihm wenigstens für seine weitere Laufbahn von Nutzen sei. „Je désire qu’on me laisse tranquillement, après avoir rempli ma tache preparatoire sur la situation des provinces en franconie“53. Wenn Hompesch seine Arbeit in Würzburg als „tache preparatoire“ bezeichnet, wird deutlich, dass er sie auch als einen Karriereschritt betrachtet, der ihm Referenzen für spätere Staatsdienste verschaffen sollte. Mehrmals fragte er sich, ob der Mi48 49 50 51 52 53
Von Hompesch an Heinrich Schenk am 13.01.1803. Von Hompesch an Heinrich Schenk am 07.12.1802. Von Hompesch an Heinrich Schenk am 25.12.1802. Dorda: Hügel, S. 205 f. Von Lerchenfeld an Gotthilf Heinrich Schubert am 09.01.1817. Von Hompesch an Heinrich Schenk am 10.01.1803.
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nister wohl mit den Ergebnissen seiner Arbeit zufrieden sein werde. Auch Lerchenfeld sorgt sich um seine berufliche Reputation und berichtete seiner Frau nach einem Treffen mit seinem Dienstherrn Montgelas stolz, dass „der Minister nicht nur mit sehr viel Achtung von mir gesprochen, sondern auch geäußert habe, der König habe keinen Staatsdiener, der ihm persönlich mehr ergeben sei.“54 Hügel wollte sich mit der Übernahme Würzburgs für höhere Aufgaben empfehlen. Er freue sich, so Hügel, „diesen wichtigen Theil des Ueberlieferungs-Geschäfts zum Vortheil des Landes und des Herrn dergestalt in Bewegung gesetzt und eingeleitet zu haben, dass nun der Ersatz und die weitere Behandlung von sich selbst ergeben.“55 Der Hang zur Bewertung der eigenen Arbeit und das Verständnis von der Regierungsaufgabe als Karriereschritt scheinen zunächst einmal keiner besonderen Beachtung würdig. Allerdings muss man sich in Erinnerung rufen, dass die Regierungswechsel für manche Staatsdiener mit massiven biografischen Brüchen verbunden waren. Auch Kurbayern konnte jederzeit wieder Gebiete verlieren und damit die Arbeit von Regierungsbeamten abrupt beenden. Dies stand sowohl Hompesch als auch Lerchenfeld vor Augen. Auffällig ist nun, wie die beiden Beamten auf diese Unsicherheit reagierten. „Je sais que lorsque l’on s’est voué au travail, le service du souverain, et de l’état peut designer des sacrifices, auxqu’els l’homme zelé ne peut se refuser.“56 Lerchenfeld spricht von sich als Staatsbeamten, der den „von der Vorsehung vorgezeichneten Wirkungskreis ganz ausfüllen“ wolle. Nachdem er in Folge des Sturzes Montgelas’ seine Ernennung zum Finanzminister erhalten hatte, teilt er seinem Bruder mit, dass „mich allein das Vertrauen des Königs, der mich selbst erwählt, in diesen hohen Beruf gesetzt“57. Beide Staatsbeamte geben in Briefen an Freunde und Familienmitglieder Loyalitätsadressen ab und zählen die Tugenden von Staatsdienern auf, als würden sie sich in einer Supplik an den Kurfürsten beziehungsweise König von Bayern wenden. Die beiden Regierungsbeamten verfügten offenbar über eine hohe Identifikation mit ihrer Rolle als Staatsdiener. Auch die Selbstbeschreibung als Staatsdiener in Alltagsbriefen erscheint, etwa im Vergleich zu den Professoren, auffällig. Die Professoren reagierten auf die ebenso starken beruflichen Unsicherheiten keineswegs mit einem Bekenntnis zum Leben als Professor. Auch Loyalitätsbekundungen finden ausschließlich in Schreiben an den Dienstherren, sonst nicht. An der Resignation, welche die Staatsbeamten bei der Inventur empfanden, konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass die Beamten des Hochstifts sich eindeutig den neuen Regierungsvertretern zuwandten. Das galt auch für 54 55 56 57
Von Lerchenfeld an Franz von Lerchenfeld, undat. (1817). Von Hügel an Stadion am 18.03.1806. Von Hompesch an Heinrich Schenk am 10.01.1803. Von Lerchenfeld an Franz von Lerchenfeld, undat. (1817).
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die Vertreter der höchsten Staatsämter. Der formal noch amtierende Regierungspräsident Otto Phillip von Groß zu Trockau und der Hofkanzler Johann Baptist Wagner unterstützten die kurbayerischen Beamten, vor allem indem sie Informationen beschafften. Seuffert dagegen tat Georg Karl von Fechenbach sein Misstrauen gegenüber den grassierenden „Ausdrücken des Ehrgeizes oder der Furchtsamkeit“ kund.58 Die Anpassungsbereitschaft an den neuen Landesherrn war also hoch. Es schien den Kommissären nicht wie in Bamberg nötig, sich von loyalen Staatsdienern Listen über die verwendbaren Beamten erstellen zu lassen.59 Die Staatsdiener des Hochstifts, die meisten von ihnen Kleriker, ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie gerne in den kurbayerischen Dienst übernommen werden würden. Adam Joseph Onymus, Kanoniker am Stift Neumünster, Regens des Priesterseminars, Gymnasialdirektor und Mitglied der Schulkommission, stellte dem neuen Landesherren einen Plan zur Reform von Priesterseminar und theologischer Fakultät vor, laut dem die landesherrliche Aufsicht in den genannten Anstalten erhöht werden sollte.60 Der Stiftskanonikus und Direktor des Schullehrerseminars Manger kündigte in einer eigens erstellten Geschichte des Seminars freudig „in Hinsicht des Erziehungswesens eine neue Epoche“61 an. In ähnlichem Ton wandte sich auch Gregor Zirkel als Direktor der geistlichen Regierung an Montgelas, so dass jener wenig später erwiderte, die Reformen in Würzburg würden „umso leichter gelingen, als ich allda auf die thätige Mitwirkung aufgeklärter Volkslehrer rechnen kann, bei welchen Euer Hochwürden nach Ihren Verdiensten und nach ihrem Amte an die Spitze gehören.“62 Auch Seuffert stellte sich bald auf das kurbayerische Regierungspersonal in der Residenz ein. Bald zeigte er sich vom Landeskommissär geradezu begeistert. Stadion gegenüber erwähnte er in einem Schreiben, er halte Hompesch für die denkbar beste Wahl für Würzburg. Wenige Tage später äußerte er wieder gegenüber Stadion, man habe allen Grund, mit den Pfälzern zufrieden zu sein. Wolfgang Weiß hat die Rolle Seufferts im Kommissariat 58 Zit. bei Weiß: Kirche im Umbruch, S. 106. Dies äußerte sich etwa bei der Arbeit einer von Fechenbach einberufenen Geheimen Hofkammerkommission, welche die künftigen bischöflichen Einkünfte berechnen sollte. Die Ergebnisse sollten dem Bischof als Grundlage für seine Pensionsverhandlungen dienen. Die beteiligten Kommissionsmitglieder benötigten jedoch weitaus mehr Zeit, als Fechenbach vorgegeben hatte. Seuffert wertete dies gegenüber Fechenbach als bewusste Verzögerung, um sich das Wohlwollen der kurbayerischen Kommissare zu verdienen, Ebda. 59 Dies war Aufgabe des Bamberger Hofrats Georg Michael Weber im Auftrag des Übernahmekommissars Wilhelm Franz von Asbeck, s. Günter Dippold: Die Anfänge der bayerischen Justiz in Bamberg, o.S. 60 Weiß: Kirche im Umbruch, S. 136. 61 Ebda. 62 Weiß: Kirche im Umbruch, S. 137.
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sehr kritisch beschrieben. Er, „der sich noch in seinen Berichten aus Regensburg geradezu als der letzte hochstiftische Fels in der Brandung darstellte, blieb nicht von der Versuchung verschont, sich mit dem bayerischen Kommissar zu arrangieren und ein gutes Verhältnis aufzubauen.“63 Wenn man die Biografien der ehemaligen Staatsdiener des Hochstifts betrachtet, muss der Versuch oder, in Weiß’ Worten, die „Versuchung“ der Annäherung an den neuen Landesherrn jedoch eher als Regel denn als Ausnahme gelten. Angesichts der Auflösung zahlreicher Behörden und Stellen für Staatsdiener erscheint mir Seufferts Verhalten nur als folgerichtig. Von Seuffert und wenigen anderen abgesehen, stand Hompesch dem Beamtenapparat des Hochstifts äußerst kritisch gegenüber. Er sah seine Arbeit gar massiv dadurch erschwert, dass er bei der Inventur der Verwaltung auf Beamte angewiesen sei, die nicht über die nötigen Sachkenntnisse verfügten. Hompesch litt unter dem „Mangel an geeigneten Funktionsträgern“64, den Jörg Engelbrecht für die linksrheinischen Départements konstatiert hat. „Il est incroiable tout ce que ces gens ignorent“, heißt es in einem Brief Hompeschs. Der Beamtenapparat sei zwar so groß, „que l’on ne saura qu’on faire“, doch unter ihnen sei nur „un fond d’emploiés capables“65.
3.5. „Gesprengte Ketten“: Hompesch und die Säkularisation Die Aufhebung der Stifte und Klöster hatte rasch zu erfolgen, während die Entscheidung über die künftige Kirchenstruktur des ehemaligen Hochstifts noch nicht zu den drängenden Fragen der ersten Monate nach der Zivilokkupation zählte. Im ersten Jahrgang des Regierungsblatts erließ Maximilian Joseph am 4. Dezember das Verbot, Novizen aufzunehmen.66 Außerdem hatten die Klöster einen ausführlichen Bericht über ihren Güter- und Wertbesitz einzureichen. Was das Novizenverbot anbelangt, gestaltete sich die Umsetzung für Hompesch so einfach, dass er an Schenk berichtet: „Les reformes genera-
63 Weiß: Kirche im Umbruch, S. 112. 64 Jörg Engelbrecht: Grundzüge der französischen Verwaltungspolitik auf dem linken Rheinufer (1794-1814), in: Christoph Dipper (Hg.): Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien – Verwaltung und Justiz, Berlin 1995, S. 79-92, hier: S. 84. Dort kamen Sprachprobleme erschwerend hinzu; s. dazu auch Gabriele B. Clemens: Beamte im napoleonischen Rheinland, in: Dipper: Herrschaft, S. 141-155, hier: S. 146 ff; Molitor, Untertan, S. 33 ff. 65 Von Hompesch an Heinrich Schenk am 06.11.1802. 66 Regierungsblatt, 2. Stück, 13.01.1803.
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les, que l’on désire, se feront a coup sur, sans difficultés en franconie.”67 Die Benediktinerabtei St. Stephan hatte dem Kommissär berichtet, ohnehin seit vier Jahren keine Novizen mehr aufgenommen zu haben. Ebenfalls ganz ohne Novizen waren das Karmeliten- und das Kapuzinerkloster. Das Dominikanerkloster meldete, tatsächlich einen Laienbruder als Novizen zu beheimaten. Dieser sei jedoch momentan abwesend und würde gleich nach seiner Rückkehr entlassen. Der Abt des Klosters Oberzell bat um einen Aufschub, da seine Novizen in Kürze die Profess abzulegen beabsichtigten. Diese hätte sie zu einer lebenslangen Pension berechtigt. Das Kommissariat lehnte diesen Antrag erwartungsgemäß ab. Auch von anderen Klöstern scheint kein Widerstand gegen das Verbot ausgegangen zu sein. Hompesch, der selbst einige Monate in einem Priesterseminar verbracht hatte, schrieb an Schenk, dass der niedere Klerus, zusammen mit dem Beamtenapparat, weitaus aufgeklärter sei als es gängigen Erwartungen entspreche: „On général mon ami on auroit une idée entièrement fausse, si on s'imaginoit que les gens de robes et même le bas clergé dans les états écclesiastiques soient du parti des métrés, des chanoines, et des abains, ce serait méconnoitre l'esprit du tems et le coeur humain.“68 Was Hompesch in dieser Annahme bestärkt haben mag, waren wohl nicht nur die gefälligen Antworten auf das Novizenverbot, sondern auch eine Supplik an ihn von sieben Patres der Zisterzienserabtei Bildhausen. Die Ordensleute kündigten darin ein an ihn gerichtetes Schreiben ihres Abtes an, in dem dieser gegen die Auflösung des Klosters protestiere. Die Supplikanten beschworen Hompesch nun, dass dieser Brief ihres Abtes ganz ohne ihre Zustimmung zustande gekommen sei und versicherten, vollkommen mit der Auflösung ihrer Abtei einverstanden zu sein: „Unaufhörliches bitteres Klagen füllt unsre Einöde: man ringt die Hände nach Rettung und wünscht nur einen leidentlichen Zustand, welche beide nach reifer Überlegung aller Umstände einzig nur in unserer Auflösung zu finden sind.“69 Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass Hompesch die Klosterinsassen zusammen mit dem Be67 Von Hompesch an Heinrich Schenk am 10.12.1802. 68 Von Hompesch an Heinrich Schenk am 10.12.1802. 69 Patres des Klosters Bildhausen an von Hompesch, abgedruckt bei Weiß: Kirche im Umbruch, S. 344 f. Weiß wertet das Schreiben der Patres als ein Sammelsurium gängiger antimonastischer „Standardvorwürfe“, wenn er vermutet, die Autoren „weisen sich als gute Kenner der aufgeklärten Klosterkritik aus und machen sie sogar zur eigenen Sache“. Weiter heißt es: „Eine jahrzehntelange Geringachtung monastischen Lebens zeigte ihre Wirkung in den Klöstern selbst, indem ihre Mitglieder unzufrieden mit ihrer Situation wurden, ihr Klosterleben als unliebsames Joch empfanden und abschütteln wollten.“ Warum Weiß ausschließt, dass die Klage der Mönche auf ihren Erfahrungen im Klosterleben beruht, ist nicht ersichtlich. Außerdem kritisierten die Patres nicht das Klosterleben an sich, sondern ihre spezifische Situation, in der sich ihr Abt über die klösterlichen Regeln hinwegsetzte und mit einer unechten Vollmacht im Namen der Mönche aufzutreten versuchte.
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amtenapparat zu der Gruppe zählt, die den Reformprozess von allen Berufsgruppen nicht etwa am wenigsten ablehnen, sondern am stärksten einfordern würden: „Ce sonst ces deux classes, qui se rejouissent le plus du changement, qui brise leurs anciennes chaines, et qui ne voudroit aller que trop vite en besogne.“70 Ähnlich überzeugt ist er von der Zustimmung der Domkapitulare zur Auflösung ihres Kollegiums. Die Geistlichen würden nicht nur diesen einzelnen Akt gut heißen, sondern innerhalb kürzester Zeit gar um den „Todesstoß“ bitten: „Le coup mortel aux chapitres et couvens est déjà porté par la suppression de toutes les juridictions eclesiastiques et je vous réponds, qu’il ne se passera pas une année, que les chapitres et les abbayes démanderont comme une grâce d’être supprimé.“71 Der Umgang der Klöster mit ihrem Vermögen schürte hingegen das Misstrauen des Kommissars. Das Generalkommissariat verpflichtete die Klöster im Namen der Geheimen Kanzlei zur Auflistung all ihrer Besitzungen in einer Tabelle, die auch alle Ämter des Hochstifts erhielten.72 Einen Tag, bevor die Geheime Kanzlei die Verordnung erließ, berichtete Hompesch seinem Freund: “Tous les Couvens ont déja du donner ihren real und personal Status, qui doit être renouvellé et révisé tous les 6 mois, c'est ainsi, que l'on a déja porté l'attention la plus scrupuleuse, pourque les couvens ne puissent distraire des capitaux, où autres mobiliers, ni faire sans inspection et consentement des coupes de bois dans leurs forets.“73 Besonders deutlich zeigt sich die Furcht Hompeschs, die Ordensgeistlichen könnten das Vermögen der Klöster und Stifte unbemerkt in klingende Münze umwandeln, bei der Diskussion um ein Getreideexportverbot für die ehemaligen fränkischen Bistümer. Hompesch spricht sich zunächst neben anderen Gründen für ein Getreide-Exportverbot aus, da er fürchtet, die Klöster würden sonst zum eigenen Profit all ihr Getreide verkaufen. Mit der Fruchtsperre wäre dies nur begrenzt möglich. „Les grands chapitres, les Abbayes p.p. profiteraient au plus vite de l’occasion pour se procurer la rentrée de ce qu’ils appellent leurs arrerages, les magasins du pays se trouveraient vides, et on rejetterait le blame sur le nouveau gouvernement.“74
70 Von Hompesch an Heinrich Schenk am 10.12.1802. 71 Von Hompesch an Heinrich Schenk am 07.01.1803. 72 Dabei handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die bei Weiß zitierte „Statistische Notizen über verschiedene Würzburger Ämter, Stifte und Klöster“ vom 15. November 1802, s. Weiß: Kirche, S. 112. 73 Von Hompesch an Heinrich Schenk am 14.11.1802. 74 Von Hompesch an Heinrich Schenk am 25.10.1802.
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Für die Stadt Würzburg ist kein einziger Fall von widerrechtlicher Veräußerung von Klostervermögen bekannt.75 Weshalb Hompesch sie dennoch fürchtete und sie in scharfen Worten als Gefahr beschrieb, liegt wohl daran, dass er aus München gewarnt worden war und die Warnung als Gefahr verstand. Das Misstrauen gegenüber der „Verschleppung“ von Klostervermögen zeigte sich im Übrigen nicht nur bei Hompesch, sondern auch bei anderen Übernahme- und Aufhebungskommissaren.76 Alles in allem aber gestalteten sich die ersten Maßnahmen der Säkularisation in der Stadt für Hompesch als deutlich leichter zu bewerkstelligen als erwartet. Auch nach seiner Dienstzeit in Würzburg fügten sich die Ordensleute den Aufhebungen ihrer Konvente.77 Die Einschätzung Laetitia Boehms über die Reaktionen auf die Klostersäkularisationen in geistlichen Residenzstädten scheint mir daher korrekturbedürftig. Boehm spricht davon, dass „die Säkularisationsdurchführung, die vielfach Formen der Kirchenplünderung annahm, auf Empörung und Resignation stieß.“78 Diese These kann mit Blick auf die Hompesch-Briefe nicht bestätigt werden. Die Säkularisation verlief nach Einschätzung des höchsten Regierungsvertreters so reibungslos, dass er die Kleriker zu den reformfreudigsten Gruppen des ehemaligen Hochstifts zählte. Und es ist kein Grund ersichtlich, warum Hompesch Schwierigkeiten gerade bei dieser Maßnahme hätte verheimlichen sollen, da er sie sonst in seinen Briefen offen ansprach.
3.6. Misstrauen gegenüber dem Volk Während Hompesch sich der Zustimmung des Klerus sicher war, hegte er Zweifel, ob „das Volk“, wie er es nennt, ebenso freundlich reagieren würde. Die als niederes Volk bezeichneten Schichten hält er für die am schwersten zu überzeugenden, wobei er nicht näher bestimmt, welche Berufe oder Milieus er 75 Allerdings hat sich auch noch keine Arbeit eigens dem Klostervermögen der Stadtwürzburger Kloster während der Säkularisation gewidmet. Am detailreichsten hat den Besitzstand der Klöster vor der Säkularisation aufgearbeitet: Werner Zeissner: Klöster, Stifte und religiöse Gemeinschaften, in: Kolb, Krenig: Unterfränkische Geschichte 4/2, S. 109-160. 76 Zum Umgang mit dem mobilen Klostervermögen s. Weis: Montgelas, S. 169 ff; s. auch Winfried Müller: Im Vorfeld der Säkularisation. Briefe aus bayerischen Klöstern 1794-1803(1812), Köln/Wien 1989. 77 Zur Aufhebung von St. Afra s. Fr. Ludwig: Weihbischof Zirkel von Würzburg in seiner Stellung zur theologischen Aufklärung und zur kirchlichen Restauration, Bd. 1, Paderborn 1904, S. 254 f. 78 Böhm: Säkularisation, S. 848.
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mit dieser Bezeichnung meint. Allein das niedere Volk, mache die Vorsicht unumgänglich, welche die Regierung bei den kommenden Reformen walten lassen müsse: „S’il y de la prudence et la moderation à observer c’est à cause du bas people, et il faut guigner concilier toutes les classes au nouveau gouvernement.”79 Daher sei es nötig, die Neuerungen mit der gebotenen Vorsicht publik zu machen und sich die Zustimmung des Volkes durch gezielte Wohltaten zu sichern. Hompesch beklagte sich daher bei Schenk, dass die Münchner Militäradministration einen Auftrag zur Herstellung von Armeestiefeln für die Einheiten des ehemaligen Hochstifts nicht an einen Würzburger Schuster vergeben habe, sondern an eine Lederfabrik in München.80 „Il est si interessant par des objets pareils a se concilier les nouveaux sujets, a alimenter leurs industries, et les affermir dans leurs esperances.“ Sich das Wohlwollen des Volkes etwa über Getreidesperren zu sichern, sei auch dann wichtig, wenn der ökonomische Verstand den Maßnahmen widerspreche.81 Noch stärker ausgeprägt ist dieser Gedanke beim pädagogisch versierten Lerchenfeld, der vom Staatsdiener verlangt, „sich nach und nach Vertrauen und Liebe [zu] erwerben“.82 Er versucht sogar, die von München angestrebten Reformen möglichst lange hinauszuzögern. Dies gelingt ihm im Fall der Besteuerung und der Staatsschulden. Auf Lerchenfelds Drängen erhielt Würzburg eine eigene Schuldentilgungsanstalt, statt direkt nach dem Übergang an Bayern dessen Schulden zu erben. Keinen Erfolg dagegen war ihm bei der Justizreform im ehemaligen Großherzogtum beschieden. Lerchenfeld hatte sich intensiv dagegen zu wehren versucht, das „Organische Edikt über die gutsherrlichen Gerichtsbarkeiten“ vom 12. August 1812 in Würzburg einzuführen, was ihm jedoch misslang.
79 Von Hompesch an Heinrich Schenk am 10.12.1802. 80 Von Hompeschs Missmut ist auch deswegen groß, weil das Angebot in Würzburg kostengünstiger gewesen sei. „Le militair ici a fait des representations contraires, tandis que le cuir est meilleur ici, et que les cordonniers et manufacturiers d’ici se sont offerts à des prix raisonnables”. Außerdem würden bei der Produktion in Würzburg keine Transportkosten anfallen, s. von Hompesch an Heinrich Schenk am 10.01.1803. 81 Von Hompesch an Heinrich Schenk am 10.01.1803. 82 Von Lerchenfeld an Franz von Lerchenfeld am 16.06.1814.
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3.7. Zusammenfassung Die Arbeit der Staatsdiener in Würzburg stand unter hohem Zeitdruck. Sie hatten innerhalb nur weniger Wochen und Monate komplexe Aufgaben wie die Inventur der Finanzen und des Verwaltungsapparats zu erledigen sowie die Säkularisation zu beaufsichtigen, bevor sie die Würzburger Amtsgeschäfte an einen Nachfolger übergaben. Die Klostersäkularisation und die Auflösung der geistlichen Regierungsgremien stieß dabei auf so wenig Widerstand, dass Hompesch die Kleriker als diejenige Gruppe würdigte, die zusammen mit den Beamten die Reformen der kurbayerischen Regierung am stärksten begrüßen würden. Allerdings sah Hompesch bei aller Zustimmung von Priestern und Ordensleuten die Gefahr, dass die Klosterinsassen ihr Vermögen heimlich veräußern könnten. Vorsicht waltete in der Landesdirektion nicht gegenüber dem Klerus, sondern gegenüber dem Volk. Die Inventur der Verwaltung stellte sich, allerdings nicht nur wegen der schlecht ausgebildeten Beamten, als nahezu unmöglich heraus. Schuld daran sei die große Unordnung in der Verwaltung des Hochstifts, die auch Lerchenfeld bemängelte. Die Beamten zeichneten sich zwar nach Auffassung Hompeschs durch eine unverbrüchliche Loyalität zur neuen Regierung aus, verfügten jedoch nur zu einem geringen Teil über ausreichende Qualifikationen. Beide Staatsdiener beschrieben die Verwaltungs- und Finanzreform als Stillstand – trotz des hohen Arbeitsaufkommens. Die Regierungsarbeit in Würzburg stellte für die beiden Staatsdiener Karriereschritte dar. Beide verfügten bei ihrer Ankunft in Würzburg bereits über einige Erfahrung bei der Übernahme und Verwaltung neuer bayerischer Provinzen. Die Leitung der Würzburger Amtsgeschäfte sollte sie für weitere und höhere Aufgaben empfehlen. Hompesch handelte nicht als „RadikalModernisierer“83, sondern als Staatsdiener, der für seine Arbeit die Anerkennung seines Dienstherren erhoffte. Die beiden untersuchten Staatsdiener betrachteten die Übernahmen also in erster Linie von einem persönlichen Standpunkt aus. Hompesch und Lerchenfeld legten viel Wert auf die Zufriedenheit ihres Dienstherrn in München. Denselben Drang, sich bei den verantwortlichen zu empfehlen, machten die beiden hohen Regierungsbeamten bei der subalternen Beamtenschaft in Würzburg aus. Diese schien besonders in der Auflösungsphase des Hochstifts darauf zu drängen, sich bei Hompesch zu empfehlen und so den Herrschaftswechsel unbeschadet zu überstehen. Das Handeln sowohl der hohen Staatsdiener als auch der niederen Beamten auf deren religiöse Grundüberzeugungen oder politische Haltungen zurückzuführen, scheint mir dagegen den Be83 Altgeld: Einführung, S. 18.
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fürchtungen und Zwängen dieser Gruppe in der Napoleonischen Zeit nicht gerecht zu werden. Die Würzburger Beamten schlossen sich den kurbayerischen Regierungsvertretern nicht an, weil sie die Strukturen der geistlichen Staaten für überkommen hielten, weil sie ein „energischer Leistungswille verband“84 oder weil sie die „Züge der rationalen Herrschaft“85 in der neuen Verwaltung so schätzten, sondern weil sie ihre Arbeitsstelle behalten wollten.
84 Blessing: Herrschaftswechsel, S. 174. 85 So eine der Begründungen Gabriele Clemens’ für die Hinwendung der Trierer Beamtenschaft zur französischen Herrschaft, Gabriele B. Clemens: Diener dreier Herren – Die Beamtenschaft in den linksrheinischen Gebieten vom ‚Ancien Régime‘ bis zur Restauration, in: Schnabel-Schüle, Gestrich: Fremde Herrscher, S. 73-102, hier: S. 97.
4. Vom Hof zum Staat: Lebenswelten der Künstler
4.1. Einleitung Die Selbstzeugnisse der Künstler in Würzburg sind wegen ihrer geringen Zahl nicht in der Lage, eindeutige Antworten für das gesamte Milieu der Künstler in Würzburg in der Napoleonischen Zeit zu liefern. Doch die Briefe können die gegenseitige Beeinflussung von Werk und Lebenswelt für zwei Künstler nachweisen und auf lebensweltliche Einflüsse auf den Ausschnitt ihres Werkes hinweisen, der in der kurzen Periode zwischen 1812 und 1815 entstanden ist. Die Vertonungen von Kriegs verherrlichenden Kampfliedern im Werk Joseph Küffners1 und das Auftreten Friedrich Rückerts2 als Lyriker der Befreiungskriege, so die These, sind auch auf deren Lebenssituation zurückzuführen, die von Zukunftsangst und Unsicherheit geprägt war. Die beiden Künstler waren in ihrem Kunstschaffen auf die Gunst des Staates und des Hofes angewiesen, denen sie sich mit ihren Kunstwerken andienen wollten. Das Gefühl starker Abhängigkeit von Staat und Hof wiederum lässt sich darauf zurückführen, dass sich das Würzburger Bürgertum in der Napoleonischen Zeit angesichts von Kriegen und Herrschaftswechseln bei Luxus-Ausgaben zurückhielt und kaum Aufträge an die Künstler erteilte.3 Die große Bereit1
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Zum heute fast völlig vergessenen Joseph Küffner (1776-1856) liegt glücklicherweise eine zweibändige Dissertation vor. Hier von Bedeutung ist vor allem der erste Band, Matthias Henke: Joseph Küffner. Leben und Werk des Würzburger Musikers im Spiegel der Geschichte, Bd. 1, Tutzing 1985; s. auch Ders.: Die heilige Caecilie oder die Macht des Geldes. Der Würzburger Komponist Joseph Küffner (177-1856), in: Ulrich Konrad (Hg.): Musikpflege und ‚Musikwissenschaft’ in Würzburg um 1800, Tutzing 1998, S. 29-36. Als Einführung zum Leben und Werk bietet sich die biografische Skizze der Islamwissenschaftlerin und Herausgeberin vieler Rückert-Werke Annemarie Schimmel an, s. Annemarie Schimmel: Friedrich Rückert. Lebensbild und Einführung in sein Werk, Freiburg 1987. S. dazu den instruktiven Sammelband von Michael North, Ders. (Hg.): Kunstsammeln und Geschmack im 18. Jahrhundert, Berlin 2002, S. 85-104; s. auch Ders.: Konsumgeschichte und Kulturkonsum im 18. Jahrhundert, in: GWU 58 (2007), S. 484-501; s. auch Karl-Siegbert Rehberg: Schatzhaus, Wissensverkörperung und ‚Ewigkeitsort‘. Eigenwelten des Sammelns aus institutionenanalytischer Perspektive, in: Barbara Marx, Christoph Oliver Mayer (Hg.): Sammeln als Institution: von der fürstlichen Wunderkammer zum Mäzenatentum des Staates, München 2006, S. XI-XXXI.
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schaft Küffners und Rückerts, propagandistische Kunst zu schaffen, lässt sich also nicht allein mit Kriegsbegeisterung erklären. Von einer Symphonie oder einem Sonett aus die Lebenswelt des Künstlers zu deuten, erscheint vielleicht zunächst absurd. Warum aber, könnte man andererseits fragen, sollte ein Künstler etwa finanzielle Schwierigkeiten nicht mit und in seinem Werk abzumildern versucht haben? Warum sollte das eine nicht eine Antwort auf das andere geben können? Der These soll in zwei Schritten nachgegangen werden. Zunächst soll der Nachweis erbracht werden, wie stark die Künstler von öffentlichen Gönnern und Auftraggebern abhängig waren und wie schwach das private Kunstinteresse in Würzburg ausgebildet war. Hierfür stehen deutlich mehr Briefe zur Verfügung als für den nächsten Schritt. In diesem soll die lebensweltliche Dimension der Kunst zwischen 1813 und 1815 bei Friedrich Rückert und Joseph Küffner herausgearbeitet werden. Neben den Briefen und Tagebüchern der Künstler dienen auch Selbstzeugnisse von Staatsdienern und Professoren wie auch die Reisebriefe als Referenzen. Der Arbeit stehen Quellen von verschiedenen und sehr unterschiedlichen Künstlern zur Verfügung. Differenzieren lassen sich die Künstler zum Beispiel hinsichtlich ihrer Einkommensquellen. Der Violinist und Komponist Joseph Küffner und der bildende Künstler Bonavita Blank hatten ein Staatsamt inne. Joseph Küffner war Militärmusikdirektor und zeitweilig auch Hofmusiker. Bonavita Blank war zugleich Professor für Naturgeschichte. Der junge Maler Martin von Wagner erhielt nach dem ersten Übergang an Bayern ein Stipendium für einen Aufenthalt in Rom und trat erst am Ende des Untersuchungszeitraums eine Stelle als Kunstagent des bayerischen Königs Ludwig I. und damit ein Staatsamt an. Der Komponist und Organist Franz Xaver Sterkel stand als Kapellmeister ebenfalls in Staatsdiensten. Alle anderen hier betrachteten waren freischaffende Künstler. Heinrich von Kleist, von dem einige Briefe überliefert sind, hatte kurz zuvor seine Militärkarriere aufgegeben. Giacomo Meyerbeer war gerade dabei, neben seinem Studium eine Laufbahn als freier Künstler zu beginnen. Zu diesem Kreis gehört auch Meyerbeers Lehrer Johann Joseph Vogler. Julius von Soden, der ehemalige preußische Gesandte in den Markgrafschaften Bayreuth und Ansbach, leitete zwischen 1804 bis 1806 das erste Würzburger Theater als Privatunternehmer. Friedrich Rückert studierte ab 1805 in Würzburg, wechselte später nach Heidelberg, kam nach Würzburg zurück, promovierte sich 1811 in Jena und arbeitete etwa ab dieser Zeit auch als freier Schriftsteller.4 Auch unterscheiden sie sich hinsichtlich ihres Alters und der Schaffensphase, in der sie sich befanden. Die meisten von ihnen, von Kleist, Meyerbeer, von Wagner, von Soden, Sterkel und Rückert standen am Anfang ihrer Lauf4
Schimmel: Rückert, S. 12 ff.
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bahn und konnten von den Honoraren noch nicht leben. Die einzigen beiden arrivierten Künstler, deren Briefe Aussagen über ihre Lebenswelten zulassen, sind Bonavita Blank und Johann Joseph Vogler, genannt Abbé Vogler. Blank und Vogler sind zugleich die einzigen beiden Kleriker unter den untersuchten Künstlern. Vogler war Weltpriester, Blank Franziskaner-Minorit. Doch von beiden sind nur wenige Briefe erhalten. Zuletzt sei angemerkt, dass die meisten hier behandelten Künstler sich nur zeitweilig in Würzburg aufhielten. Kleist befand sich im Herbst 1800 mehrere Wochen in Würzburg und verschwieg dabei in seinen Briefen beharrlich den Grund seines Aufenthalts.5 Meyerbeer folgte seinem Lehrer Abbé Vogler auf einer Konzertreise und verbrachte deshalb wartend einige Wochen des Jahres 1812 in der Stadt.6 Der Mainzer Musiker Franz Xaver Sterkel erledigte einige Verlagsgeschäfte. Wagners Briefe dagegen stammen aus Wien und Paris und sind an seine Familie in Würzburg gerichtet. In Wien bemühte er sich um den Zugang zur Akademie7, in Paris um die Gunst der Diplomaten. Der Fokus des ersten Teils der Untersuchung liegt also eindeutig auf den jungen Künstlern, die sich zeitweilig in Würzburg aufhielten. Für den zweiten Teil sind mit Friedrich Rückert und Joseph Küffner zwei Künstler ausgewählt worden, die beide in und um Würzburg ansässig waren. Aufgrund der Quellenlage sind einige der damals in der Stadt tätigen Künstler nicht zu erfassen. Weder von den beiden bekannten Würzburger Architekten der Toskana-Zeit, Nicolas Salins de Montfort und Peter Speeth, sind meines Wissens Briefe erhalten, noch von den Malern Kaspar und Matthäus Menna noch von vielen anderen Künstlern.8
4.2. Der Staat als Förderer und Auftraggeber Die Abhängigkeit der Künstler von Hof und Staat hatte im frühneuzeitlichen Würzburg eine gewisse Tradition. Auftraggeber waren in erster Linie der 5 6 7 8
S. Grathoff: Würzburger Reise. S. zu Vogler als Lehrer Meyerbeers Heinz Becker: Einleitung, in: Ders. (Hg.): Giacomo Meyerbeer. Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 1, Berlin 1960, S. 23-54, hier: S. 44 ff. Dies gelang ihm, „die Empfehlung [Carl Theodor von] Dalbergs ermöglichte dem nun Zwanzigjährigen im November 1797 den Eintritt in die Wiener Akademie“, s. Pölnitz, Ludwig I., S. 20. S. Kummer: Architektur; Ders.: Die Kunsttätigkeit in Würzburg unter Großherzog Ferdinand, in: Altgeld, Stickler: „Italien am Main“, S. 145-162; Ders.: Tiepolo und seine Söhne in Würzburg, in: Frankenland 51 (1999), H. 3, S. 182-194.
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Fürstbischof, das Domkapitel, die Stifte und Klöster sowie der Adel, der in der Stadt Herrenhöfe bewohnte.9 Dasselbe galt auch für die Musiker: „Mittelpunkt der Kunstmusikpflege war von Anfang an der Hof.“10 Stefan Kummer merkte zwar an, dass das Bürgertum „im Laufe des 18. Jahrhunderts mehr und mehr als Auftraggeber in Erscheinung“11 getreten sei. Allerdings scheint diese Entwicklung spätestens am Beginn des Untersuchungszeitraums zu einem vorläufigen Ende gekommen zu sein. Denn die Künstler richteten ihr Augenmerk nach den Regierungswechseln auf den Staat und bisweilen immer noch auf den Hof. Es galt, sich bei einflussreichen Staatsdienern Gehör zu verschaffen, um eine Anstellung zu erhalten, diese zu behalten oder sich einen großen Auftrag zu sichern. Der junge Martin von Wagner, Sohn des Würzburger Hofbildhauers Johann Peter Wagner12, stellte sich um die Zeit des ersten Übergangs an Bayern sowohl bei der Würzburger Regierung als auch beim Württemberger Hof vor. Das Herrscherpaar in Stuttgart interessierte sich für Wagner. Prinzessin Louise ernannte ihn nicht nur zum Hofmaler, sondern erhob ihn auch in den Grafenstand. Außerdem beauftragte sie Wagner, als Gesandter des Württemberger Hofs für Kunstsachen in Wien tätig zu werden. Von Wagner freute sich zwar über den Gesandtenposten und besonders über die Aufträge, „welche mir aeusserst willkommen waren“13. Doch stellte sich damit das Problem, dass die Gesandtschaftsreisen seine Arbeit jederzeit unterbrechen konnten. In einem Brief nach Stuttgart berichtete von Wagner, er arbeite gerade an einem neuen Bild, das, wenn es „nach meinen Wünschen ausfällt, für die Hofkapelle in Kanstat bestimt ist. Allein da noch einige Zeit bis zur Vollendung verstreichen wird, und ich auch nicht wissen kann, wie ich in meiner Arbeit vielleicht durch eine unvermuthete Gesandtschaftsreise verhindert werden konnte“14, müsse der Adressat zunächst mit einem Entwurf Vorlieb nehmen. Außerdem schienen die Aufträge aus Württemberg ihm längst nicht die Sicherheit zu verschaffen, die er sich wünschte. Parallel wandte sich von Wagner also an seinen neuen Landesherren. Seine Bemühungen um eine Stelle als Hofmaler in Würzburg direkt nach der Zivilübernahme müssen aussichtslos gewesen sein. An einen Vertreter des Württemberger Hofs schrieb er im Januar 1803: „Denn in Wirtzburg ist als 9 Kummer: Architektur, S. 576. 10 S. dazu Bernhard Janz: Zur Musikgeschichte der Stadt Würzburg bis zum Ende der Ferdinandäischen Zeit, in: Wagner: Geschichte 2, S. 750-761, hier: S. 752. 11 Kummer: Architektur, S. 576. 12 Peter Wagner war nach der Säkularisation als Gutachter für bildende Kunst tätig, s. Irma Wehgartner, Martin Wagners Jugendjahre, in: Kummer, Sinn: Wagner, S. 17-21, hier: S. 18. 13 Von Wagner an Friedrich Seyffer am 07.01.1803. 14 Ebda.
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Künstler in keiner Hinsicht etwas zu gewinnen.“15 Als er sich ein Jahr später in Paris aufhielt, versuchte er erneut, sich beim kurbayerischen Hof zu bewerben. Zu diesem Zwecke schickte er seinen Vater in Würzburg zu den hohen Regierungsbeamten der Landesdirektion und ließ ihn eine Anstellungssupplik für den Sohn vortragen. Der ehemalige Hofmaler wandte sich dabei an Joseph du Terrail Bayard16. Dieser gehörte zu der Gruppe von altbayerischen Beamten, die mit Wilhelm von Hompesch nach Würzburg gekommen war und in dessen Übernahmekommissariat arbeitete. Von Wagner plante für den Fall, dass er die Anstellung nicht erhalten sollte, sich in Paris bei anderen Fürsten zu empfehlen. Zu diesem Zeitpunkt schrieb er an seine Familie: „Ich sehe mit Sehnsucht einer baldigen Entscheidung entgegen.“17 Doch statt ihm eine feste Anstellung zuzusagen, ließ die bayerische Regierung die Entscheidung offen und stellte von Wagner für den Moment lediglich ein Empfehlungsschreiben aus. Enttäuscht schrieb er seiner Schwester in Würzburg: „So wie ich aus deinem Briefe ersehe, so ist, wenn ich alles zusammen nehme was man den Vater bey seinem Ansuchen sagte, nichts von der ganzen Sache zu verwarten, das ganze läuft auf eine Großthuerey hinaus, man will bey der ganzen Welt scheinen und das Ansehen haben, als ob man die Künste und Wissenschaften enger zu halten suche, dabey haben sie weder das Geld noch den ernstlichen Willen dazu. Das ganze, was man dem Vater sagte, sind leere Ausflüchten, von denen nicht das geringste zu erwarten ist.“18 Einer der Diplomaten empfahl von Wagner offenbar, nach Rom zu reisen und dort sein Glück zu versuchen, was dieser als Beleidigung empfand. „Sie haben gut sagen ich sollte noch reisen, wenn sie mir das Geld dazu geben so bin ich bereit, so gleich nach Rom zu gehen, und dort bleiben, so lange sie es haben wollen.“19 Den teuren und ergebnislosen Aufenthalt in Paris resümierte er voller Verbitterung: „Überhaupt finde ich alle Tag mehr wie wenig man von Großen zu erwarten habe, und ich zörne mich darüber so oft wegen diesen Schreiben gelaufen zu seyn, daß mir bis jezt nicht das geringste half und helfen wird.“20 Auch in Paris fand er niemanden, der sich für ihn interessierte. Die Schwierigkeit, in Paris Fuß zu fassen, hätten allerdings auch schon andere deutsche Künstler erlebt: „Es scheint durchaus hier kein Boden für Deutsche zu seyn, denn sie wollen hier nicht geteihen, und ich habe auch wenige gesehen, die
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Ebda. Zu Bayard s. Weiß: Kirche im Umbruch, S. III. Von Wagner an Margred Wagner am 28.01.1804. Von Wagner an Margred Wagner am 30.01.1804. Ebda. Ebda.
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hier viel profidiert haben, es ist aber auch fast unmöglich, hier viel zu thun und zu leisten, denn was kann man hier machen.“21 Trotz dieser generellen Skepsis gegenüber dem Hof als Kunstförderer bot sich ihm keine Alternative, als sich weiterhin an Fürstenhöfen zu bewerben, und das selbst dann, wenn diese weit entfernt lagen: „Wohin, bin ich noch nicht fest entschlossen vielleicht nach Rußland worüber du dich wundern wirst, der russische Gesande Marcoff, der hier ist, engagirt viele junge Künstler jeder Art für Rußland, und ich bin entschlossen, bey solchen Umständen alles zu unternehmen, und wenn man mir annehmbare Bedingniße macht, nach Rußland zu gehen, denn auf B. [Bayard] rechne ich nun nicht mehr, und werde in meinen Plänen nicht mehr die geringste Rücksichten darauf nehmen.“22 Mitten in dieser unsicheren Lage erhielt von Wagner im März 1804 die Nachricht, dass er ein Stipendium für einen Arbeitsaufenthalt in Rom erhalten würde. Das Stipendium war der erste Preis eines Wettbewerbs, an dem er teilgenommen hatte. Diesen hatten die Kunstfreunde Weimar ausgeschrieben, denen auch Goethe angehörte. Die Ängstlichkeit Wagners zu dieser Zeit äußerte sich auch daran, dass er auf die bloße Mitteilung vom Gewinn des Preisausschreibens nicht bauen wollte: „Überhaupt kann ich solange ich mein Dekret nicht habe, meiner Sache nicht gewieß seyn, und weiß daher auch nicht, ob ich meine Reise eher antreten werde.“23 Deshalb trieb er seine Schwester in Würzburg an: „Empfehle mich, wo du kannst, entschuldige mich, wo es nöthig ist.“24 Erst als er die erwünschten Papiere in den Händen hielt, heiterte sich seine Stimmung auf. Er habe, schrieb er seinem Vater schon von Lyon aus, Paris „ohne Thränen mit trokenen Augen [verlassen], davor aber war der Mund umso nasser“25. In Rom erlebte er die fruchtbarste Schaffensperiode seines Lebens. Gleichzeitig war ihm Goethe behilflich. Von Wagner hatte den Preis der „Weimarer Kunstfreunde“ gewonnen. Dies weckte die Aufmerksamkeit Goethes für den jungen Maler, der sich in der Folge erfolgreich für eine Professur von Wagners im Fach Zeichenkunst an der Universität Würzburg einsetzte.26 Da jedoch, wie Winfried von Pölnitz es formuliert hat, „die Vorbereitungen
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Von Wagner an Margred Wagner am 28.01.1804. Von Wagner an Margred Wagner am 30.01.1804. Von Wagner an Margred Wagner am 12.03.1804. Ebda. Von Wagner an Peter Wagner am 16.05.1804. Allerdings erhielt er diese Stelle erst nach Erlass der Organisationsakte. In dieser taucht von Wagners Name nicht auf, s. von Wegele: Geschichte 2, S. 471.
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für eine gedeihliche Lehrtätigkeit aber noch nicht beendigt waren“27, konnte Wagner seine Stelle noch nicht antreten und blieb in Paris. In allen Briefen Wagners aus der Zeit lässt sich nur anhand einer Randbemerkung vermuten, dass er neben den Bewerbungen beim Staat auch an private Aufträge dachte. Er habe in der Zeitung gelesen, dass „sich die hiesige Regierung der Reichs-Ritterschaft annehmen wolle“28, berichtete er aus Paris, und kommentierte: „Ich hoffe daher, daß diese Geschichte bald ausgehen wird.“ Für den Zeitungsbericht wird sich von Wagner wahrscheinlich nicht nur deshalb interessiert haben, weil er die geplante Eindämmung althergebrachter Rechte des kurbayerischen Adels zum Thema hatte.29 Vielmehr musste die Meldung von Wagner bekümmern, weil die Neuerungen eine seiner Käuferschichten betraf. Auch die in einer Pariser Zeitung gelesene Nachricht, „daß der Kaiser verbotten habe, allen bayer. Unterthanen Interessen auszuzahlen“30, lässt sich als Sorge lesen, dass private Auftraggeber in ihren finanziellen Möglichkeiten beschränkt werden könnten. Doch da von Wagner keine konkreten Bemerkungen hierzu fallen lässt, ist die Vermutung nicht zu verifizieren. Nun könnte man annehmen, dass der Drang zum Staat mit Wagners Biografie zusammenhängt. Für den Sohn eines Hofmalers lag es näher, sich die Stellung des Vaters zunutze zu machen und sich ebenfalls um eine Anstellung beim Staat oder bei Hofe zu bemühen als für Künstler aus anderen Familien. Doch ähnliche Versuche wie die Wagners lassen sich auch bei vielen anderen Künstlern nachweisen. Giacomo Meyerbeer nutzte die Zeit in Würzburg, um bei Hofe und bei Staatsdienern seine Kompositionen ins Gespräch zu bringen. Zu diesem Zwecke besuchte er etwa den Leiter der Würzburger Akademie Fröhlich. „Er wird vielleicht diesen Frühling ‚Gott und die Natur’ aufführen.“ 31 Meyerbeer erklärte sich im Gegenzug bereit, „über sein Institut einen Aufsatz zu machen“32. Einen aufschlussreichen Einblick in die Annäherungsstrategien der Künstler gewährt ein Streit zwischen Giacomo Meyerbeer und seiner Mutter. Seine Mutter hatte Meyerbeers Lehrer Abbé Vogler gebeten, sich beim Großherzog von Hessen-Darmstadt darum zu bemühen, dass ihr 27 Winfried von Pölnitz: Ludwig I. von Bayern und Johann Martin von Wagner. Ein Beitrag zur Geschichte der Kunstbestrebungen König Ludwigs I., München 1929, S. 23. 28 Von Wagner an Margred Wagner am 28.01.1804. 29 Über welches Gesetz von Wagner in der Zeitung las, geht aus dem Brief nicht hervor. In der Tat aber versuchte Bayern seit 1803, Wege zu finden, das Ämterprivileg aufzulösen, das bestimmte Stellen allein dem Adel zuschrieb. Bayern konnte die gesetzliche Angleichung von Bürgertum und Adel allerdings erst 1808 vollenden, s. Walter Demel: Die Entwicklung der Gesetzgebung in Bayern und Max I. Joseph, in: Glaser: Krone und Verfassung, S. 72-82, hier: S. 75f. 30 Von Wagner an Margred Wagner am 28.01.1804. 31 Meyerbeer an Gottfried Weber am 23.02.1813. 32 Ebda.
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Sohn ein Armenkonzert geben dürfe. Sie versprach, die Kosten selbst zu tragen. Vogler teilte Meyerbeer daraufhin den Vorschlag seiner Mutter mit und versprach, dass er die Angelegenheit „so zu enfiliren wissen werde, dass sie ein Bijou zum Präsent bekommen werden. Alsdann haben sie eine Wohlthat verübt, und haben die Ehre in Berlin ein Präsent vom Großherzoge von Hessen vorzeigen zu können.“33 Meyerbeer beschwerte sich bitterlich über den Brief seiner Mutter an seinen Lehrer und bezeichnete ihren Plan als eine „Hinterlistigkeit“34. Außerdem befürchtete er, dass „der Großherzog mir sein Präsent nicht in Gelde, (welches ich zur Einnahme legen könnte) geben soll, sondern statt dessen ein Bijou“35 überreichen würde. Es war jedoch der Übereifer seiner Mutter, der ihn gegen das Armenkonzert einnahm, nicht das Konzert an sich. Denn für Meyerbeer war der Wunsch, vor Staatsdienern oder gar im Auftrag des Fürsten Kunst schaffen zu dürfen, ebenso stark ausgeprägt wie bei vielen anderen. Christoph Fesel etwa, dessen Sohn ebenfalls Maler war, beantragte 1805 für diesen einen Wanderpass, um Carl Theodor von Dalberg zu treffen. Und Friedrich August Niethammer berichtete seinem Freund Clemens Brentano bei einem Treffen in Würzburg, dass August Wilhelm Schlegel „nun zur Stael ist, um zu sehen, ob er auch an ihren Hof kommen kann.“36 Sicherlich stellte der Hof bereits im Hochstift den wichtigsten Anlaufpunkt für Künstler dar. Franz Xaver Sterkel, Mainzer Komponist und 1799 für einige Wochen in Würzburg, tauschte sich mit seinem Verleger über den korrekten Titel der Frau des Mainzer Geheimrats Franz Joseph von Albini aus.37 Ganz offenbar sollte der Titel in einer Widmung erscheinen. Diesen Zueignungen von Publikationen schenkten die Künstler, das lässt sich an den Briefen ablesen, eine große Bedeutung. Sterkel fragte eigens in der Kanzlei, wie die Anrede für Frau von Albini zu lauten habe und erfuhr dort, „das Ihr das Praedicat Exzellenz gebührt“38. Musiker und Komponisten bemühten sich nicht nur um Engagements von Staat und Hof, sondern versuchten, ähnlich den Professoren nebenher zu publizieren. Meyerbeer bat seinen Verleger Ambrosius Kühnel inständig um die Veröffentlichung seiner Werke: „Im Falle daß Sie die Herausgabe dieses Werkes39 übernehmen, werde ich Ihnen auch eine Liste meiner übrigen kleinern Arbeiten mittheilen die bereits fertig sind, welche ich aber nicht vor der Erscheinung meines Oratoriums herausgeben will. Vielleicht findet sich 33 34 35 36 37 38 39
Meyerbeer an Aron Wolfssohn am 28.03.1812. Ebda. Ebda. Clemens Brentano an Sophie Méreau am 31.10.1804. Sterkel an Johann Anton André am 14.06.1799. Sterkel an Johann Anton André am 14.06.1799. Das Oratorium „Gott und die Natur“, s. Reiner Zimmermann: Giacomo Meyerbeer: eine Biographie nach Dokumenten, Berlin 1998, S. 347.
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auch hierunter einiges was Ihnen convenirt.“40 Außerdem zeigte er sich bei der Bezahlung zu Konzessionen bereit: „In Rücksicht auf unsre alte Bekanntschaft verlange ich für diesesmal durchaus kein Honorar, sondern nur die baldige Erscheinung (versteht sich in Partitur) und 6 Exemplare zu meinem Gebrauch.“41 Auffällig ist jedoch, welch geringe Bedeutung das ansässige Bürgertum und der Adel in den Briefen einnahm. Diese Beobachtung ist jedoch als Tendenz zu verstehen und nicht als ausnahmslose Regel. Musiker wie Joseph Küffner, der im nächsten Abschnitt des Kapitels zur Sprache kommt, erhielten sehr wohl private Aufträge. Und wenn Friedrich Rückert die Hilfe eines Staatsdieners in Anspruch nahm, ist davon auszugehen, dass er sich an diesen nicht nur als Staatsdiener, sondern als einflussreichen Literatur-Liebhaber wandte. Bei seinen Vertragsverhandlungen mit Cotta nahm er die Hilfe von Karl August von Wangenheim in Anspruch, einem hohen Württemberger Staatsbeamten und zeitweiligen Kurator der Tübinger Universität. Wangenheim war es auch, der ihm 1815 eine Stelle als Redakteur in Cottas „Morgenblatt“ verschafft. Außerdem ist es offensichtlich, dass ein Komponist wie Giacomo Meyerbeer nicht in gleicher Weise auf private Auftraggeber hoffen konnte wie Martin von Wagner. Doch wenn dieser Meyerbeer in seinem Tagebuch schrieb, die interessanteste Begegnung in Würzburg sei mit seiner Wirtin gewesen42, dann suggeriert das auch, dass die ortsansässige gebildete Oberschicht sich wenig für den jungen Musiker interessierte. Sein bekannter und einflussreicher Lehrer allerdings, der Priester und Organist Abbé Vogler, mit dem er in Würzburg weilte, erfuhr so starke Anerkennung, dass Meyerbeer darunter zu leiden begann. In der Gesamtschau der Künstler-Briefe lässt sich jedoch vermuten, dass das Kunstinteresse von Bürgern und Adeligen geringer ausgebildet war als in anderen Städten. Nun könnte man vermuten, dass die Maler zwar private Aufträge erhielten, sich hierüber jedoch nicht in Briefen absprachen und auch die Komponisten einem viel stärkeren Interesse begegneten als es ihre Korrespondenzen verraten. Doch auch die Briefe derjenigen, die als Mäzene, Käufer oder Interessenten in Frage kamen, stützen die Vermutung, das Bürgertum habe sich stark zurückgehalten. Bemerkungen über Kunst und Künstler in den Briefen der Professoren und ihres Umfelds sind rar. Die wenigen Kommentare über das Theater sind ausnahmslos kritisch und reichen von leiser Ironie bis zu offener Häme. Caroline Schlegel-Schelling schrieb: „Auch von dem hiesigen [Theater] läßt sich nur mit Toleranz sprechen, obschon ich selten fehle. Es ist theils die einzige Art, 40 Meyerbeer an Ambrosius Kühnel am 11.03.1812. 41 Ebda. 42 Daneben nennt er eine Bankierswitwe und ihren Sohn sowie eine Reihe von anderen Künstlern, s. Tagebuch, Eintrag April 1812.
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auf die ich an gemeinschaftlichen Vergnügungen hier theil nehmen mag, theils ist meine Liebe für das Sehen und Hören dieser erdichteten Welt so groß, daß ich auch mit recht wenig verlieb nehme.“43 Auch der Student und Schüler Schellings August Breál gen. Pirmasenzer besuchte regelmäßig das Theater und berichtete darüber an seinen Freund in Landshut, den späteren bayerischen Innenminister Eduard von Schenk. Als sein Lieblingsstück gegeben wurde, beschloss er, es sich nicht anzusehen, „weil ich mir den Genuß nicht verderben wollte den mir dieses Stück gewährt wenn ich mir es so denke, wie es in München gegeben wird.“44 Der Ruf des Theaters, das mehrmals den Besitzer wechselte, verbesserte sich bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nicht. Giacomo Meyerbeer beklagte 1812, „keiner der Schauspieler erhebt sich über das Mittelmäßige, Madame Renner ausgenommen. … In der Oper ist nur Herr Bader zu bemerken.“45 Vielleicht war dies der Grund, warum Meyerbeer trotz seiner angestrengten Suche nach Aufführungsmöglichkeiten nicht auf ein Angebot des späteren Theaterdirektors Franz von Holbein einging. Dieser hatte Meyerbeer nicht nur eine freie Loge für die Zeit seines Aufenthalts angeboten46, sondern bat ihn auch, „so oft ich eine neue Oper vollendet [haben] würde, sie doch seinem Theater mitzuteilen, wo er sie sogleich aufführen wollte.“47 Dieses Angebot nahm Meyerbeer trotz seiner schwierigen Lage nicht an. Übrigens berührte nicht ein einziger Brief, der das Theater erwähnte, die Geschichte des Theaterbaus, der früher das Damenstift St. Anna beherbergte. Dieses fiel 1803 der Säkularisation zum Opfer.48 Auch die Bemerkungen über bildende Kunst sind äußerst rar gesät. Eine Ausnahme stellt ein Brief aus dem Jahr 1808 dar. Der Lehrer eines Würzburger Gymnasiums schrieb einem Freund begeistert von einer Ausstellung eines Bildes des bereits erwähnten Martin von Wagners in der Residenz. Von Wagner muss in dieser Zeit ebenfalls in Würzburg gewesen sein, denn der Lehrer fuhr fort: „Seit 5 Wochen habe ich mich hier göttlich amusiert, mit einem Lands Manne, einem der guten Mahler unsrer Zeit, namens Wagner, der nach 43 Schlegel-Schelling an Pauline Gotter im August 1805. 44 August Bréal an Eduard von Schenk am 22.11.1805; in diesem Brief gibt der Autor das komplette Repertoire der Spielzeit wieder. Spöttische Bemerkungen enthält auch der Brief vom 05.11.1805. 45 S. Tagebucheintrag April 1812. 46 Dazu schreibt Meyerbeer ein wenig spöttisch an Wolfssohn: „Das Theater habe ich jetzt frei. Herr von Holbein hat mir mit ungemeiner Höflichkeit einen Logenplatz für die Zeit meines hiesigen Aufenthalts angeboten. Sie glauben nicht mit welcher bereitwilligen Leutseligkeit und Herablassung ich dieses annahm.“, Meyerbeer an Aron Wolfssohn am 15.03.1812. 47 Tagebucheintrag im April 1812, S. 159. 48 Zur Geschichte des Theatergebäudes s. Wolfgang Schulz: Würzburger Theater 16501814, in: Wagner: Stadtgeschichte 2, S. 737-749, hier: S. 742 ff.
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einem Aufenthalte von 4 Jahren in Rom über München hieher kam.“ 49 Das Bild von Wagners, „der Rat der Griechen von Troja“, habe „den Beyfall aller Kenner ungetheilt erhalten.“50 Ein weiterer Hinweis bestätigt zugleich die Vermutung, die Würzburger Bürger seien kaum für Kunst zu begeistern gewesen. Johann Barthel von Siebold, Medizinprofessor an der Universität, gab nebenher auch eine ZeitungsBeilage zu Kunst und Literatur in Franken heraus.51 Siebold sah sich gezwungen, diese spätestens 1810 wegen mangelnden Absatzes einzustellen. Einem Schriftsteller, der ihm nach dem Ende der Beilage noch einen Beitrag zugesandt hatte, empfahl er, diesen an eine andere Redaktion zu schicken und fügte hinzu: „Zu wünschen wäre freylich, daß ihre artistisch-literarische Schätze im Vaterlande oder wenigstens in Teutschland erstens verbleiben, allein von allen Seiten ist nichts mehr als zunehmende Unmuth und Abneigung gegen Wissenschaften und Künste zu sehen.“52 Auch in einem Brief an Böttiger beklagte er den Niedergang von Kunst und Wissenschaft.53 Allerdings ließ er 1812 das Projekt wieder aufleben und stellte von nun an regelmäßig die „neuste vaterländische Literatur“ vor.54 Aus demselben Jahr ist ein Brief überliefert, der auf die Gründung eines Kunstvereins unter den Medizinern hinweist. Der Professor für Medizin Hermann Josef Brünninghausen bedankte sich in einem Brief für die Übersendung der „Statuten des ärtzlichen Kunst Vereins“55 und erklärte seinen Beitritt. Er zweifle nicht, so Brünninghausen, „daß er zur Ehre der Kunst, und zum Nuzen und Vergnügen der Mitglieder gereichen würde.“56 Doch diese Bemerkungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Interesse für Kunst gegenüber anderen Städten zurücklag. Das gehobene Würzburger Wirtschafts- und Bildungsbürgertum und der Adel hatten offenbar das Mäzenatentum noch nicht für sich entdeckt. Es konnte dabei allerdings auch nicht auf ältere Strukturen zurückgreifen, denn in Würzburg lag das gelehrte Assoziationswesen gegenüber anderen Staaten im Hintertreffen. Während sich im übrigen Reich in den 1770er und 1780er Jahren flächendeckend Lesegesellschaften entwickelten, wurde die erste Assoziation dieser Art in Würzburg erst nach dem ersten Übergang an Bayern gegründet. Allerdings hat diese Würzburger Lesegesellschaft in den Briefen ab 1804 ebenfalls kaum Spuren hinterlassen. Dann muss die hohe Fluktuation an der 49 Georg Michael Klein an Pauls am 12.11.1808. 50 Ebda. 51 Wahrscheinlich handelte es sich dabei um die „Artistisch-literarischen Blätter von und für Franken“, s. Körner: Siebold, S. 189. 52 Von Siebold an Unbekannt am 05.02.1810. 53 Von Siebold an Carl August Böttiger am 10.02.1810. 54 Von Siebold an Johann Gottfried Bremser am 17.03.1812. 55 Brünninghausen an Unbekannt am 12.03.1812. 56 Ebda.
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Universität und bei den Staatsdienern in Betracht gezogen werden. Ein großer Teil derjenigen, die über Kunstverstand und finanzielle Möglichkeiten verfügten, verließ die Stadt schon nach wenigen Jahren oder gar Monaten wieder. Außerdem ließen wohl selbst diejenigen, die blieben und auch noch über ausreichende finanzielle Mittel verfügten, angesichts der anhaltenden Kriege eine gewisse Vorsicht walten und warteten mit Investitionen in die Kunst solange ab, bis wieder politische Stabilität einkehrte. Stefan Kummer sieht dagegen einen entscheidenden Grund für die Zurückhaltung des Bürgertums darin, dass dieses sich erst mit dem Verlust des Hofes als Vorbild abfinden musste und noch keinen eigenen Geschmack entwickelt hatte. „Unbestreitbar ist, dass das Würzburger Bürgertum, dem seit 1802 alle Verantwortung für das Kunstschaffen zufiel, auf diese Aufgabe nicht vorbereitet war. Denn es hatte sich in seinen künstlerischen Ambitionen stets an den Standards orientiert, die Hof, Kirche und Adel vorgaben, soweit es seine in der Regel begrenzten Mittel erlaubten. Seit 1802 mangelte es an einem leuchtenden Vorbild, an einem Landesherrn und einer Regierung, die in dieser Hinsicht klare Zeichen gesetzt hätten.“57 In anderen Städten dagegen, auch in der geistlichen Residenzstadt Münster, war der Kunstgeschmack bereits deutlich stärker ausdifferenziert. Rudolf Schlögl hat gezeigt, dass in Köln, Münster und Aachen die „Kunstsammler des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts einem nach sozialen Positionen stark unterschiedlichen Kunstverständnis folgten.“58 Keineswegs bestimmte in diesen Städten der höfische Adel. Schlögl konnte anhand von Nachlassverzeichnissen belegen, dass die Funktionselite andere Motive sammelte als der ortsansässige Adel. Die Funktionselite, so Schlögl, „verbannte die religiösen Motive fast vollständig aus ihren Sammlungen, interessierte sich kaum für Motive aus der Welt des Adels und konzentrierte sich statt dessen auf Motive, in denen Natur, Landschaften und ‚gemeines Volk’ dargestellt wurden.“59 Michael North hat vermutet, dass in einigen Residenzstädten schon am Ende des 18. Jahrhunderts der Hof sich geschmacklich dem Bürgertum angenähert hat.60
57 Kummer: Kunsttätigkeit, S. 145 f. 58 Rudolf Schlögl: Geschmack und Interesse. Private Kunstsammlungen zwischen ästhetischen Idealen und sozialer Repräsentation, in: Michael North (Hg.): Kunstsammeln und Geschmack im 18. Jahrhundert, Berlin 2002, S. 55-68, hier. S. 59 f; s. auch Ders.: Geschmack und Interesse. Privater Bildbesitz in rheinisch-westfälischen Städten vom 18. bis zum beginnenden 19. Jahrhundert, in: Hans-Ulrich Thamer (Hg.): Bürgertum und Kunst in der Neuzeit, Köln 2002, S. 125-157. 59 Schlögl: Private Kunstsammlungen, S. 62 f. 60 „Einblicke in die Sammlungen von Kassel, Karlsruhe oder Schwerin lassen zumindest vermuten, dass die höfischen Geschmackskonventionen in dieser Zeit partiell in Auflösung begriffen waren und die Höfe denselben Einflüssen unterlagen wie bürgerliche Sammler.“ S. Michael North: Kunstsammlungen und Geschmack im ausgehenden 18.
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Würzburg lag, was die private Sammlungstätigkeit betrifft, weit hinter Städten wie Frankfurt, Hamburg und Köln zurück. Das in diesen Handelszentren zu beobachtende Kunstsammeln von Stadtbürgern als „Ausweis ihres Wissensdurstes und ihres sozialen Anspruchs“61 entwickelte sich früher als etwa in Würzburg. Außerdem gab es dort keine Akademie, die Künstler hätte anziehen können.62 In Hamburg und Frankfurt fanden zusätzlich regelmäßige Auktionen statt, zu denen die Verlage Kataloge veröffentlichten.63 Sogenannte Connaisseurs unterstützten die Privatsammler bei der Auswahl.64 Maler „organisierten Auktionen und vermittelten Geschmackstrends durch Verkauf von Gemälden und Kopien geschätzter Meister, wenn sie nicht selbst im gewünschten Stil malten.“65 In Leipzig sammelten zwar nur wenige Privatiers Kunst. Dennoch verkauften die Leipziger Auktionshäuser allein zwischen 1790 und 1800 knapp 1000 Gemälde holländischer, deutscher und italienischer Schule.66 Der Mangel einer kaufbereiten Kunstszene wirkte sich recht unmittelbar auf die Lebenswelt der Künstler aus. Diese betrachteten Hof und Staat nach wie vor als die entscheidenden Weichensteller ihrer Karriere. Sie bemühten sich in der Regel nicht um Aufträge, sondern um die Gunst der Staatsdiener. Inwieweit der Staat überhaupt als Auftraggeber fungieren konnte, hing natürlich stark von der Kunstgattung ab. Doch auch Schriftsteller suchten die Nähe zum Staat und fanden dazu eine besondere Gelegenheit nach den Aufrufen zum Befreiungskrieg ab 1812.
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Jahrhundert: Frankfurt und Hamburg im Vergleich, in: North: Kunstsammeln, S. 85104, hier: S. 104. Hans Ulrich Thamer: Der Bürger als Sammler in der Frühen Neuzeit, in: Ders.: Bürgertum, S. 99-115, hier: S. 99. Zum Einfluss von Akademien auf die Arbeit der bildenden Künstler um 1800 s. Stefan Kummer, Versuch über den Maler Martin von Wagner, in: Ders., Sinn (Hg.): Johann Martin von Wagner. Künstler, Sammler und Mäzen. Sonderausstellung des Martin von Wagner Museums der Universität Würzburg, Würzburg 2007, S. 139-145, hier: S. 139. North: Kunstsammlungen, S. 97. North: Kunstsammlungen, S. 99. North: Kunstsammlungen, S. 98. Tillmann von Stockhausen: Leipzig: Bürgerliches Bildersammeln in der Bücherstadt im 18. Jahrhundert, in: North: Kunstsammeln, S. 105-116, hier: S. 112.
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4.3. Nationalismus als Referenz: Joseph Küffner und Friedrich Rückert Um den Zusammenhang zwischen Lebenswelt und Kunst im Geist der antinapoleonischen Kriege verstehen zu können, ist es nötig, den Drang der Künstler zum Staat anhand zweier Beispiele ein wenig genauer zu betrachten. Die Grundfrage dabei lautet, ob die künstlerisch verarbeiteten Aufrufe zum Kampf nicht einen weiteren Versuch dargestellt haben, sich dem Staat oder dem Hof als Künstler zu empfehlen. Dies soll im Folgenden auf Grundlage der Selbstzeugnisse des heute in Vergessenheit geratenen Musikers und Komponisten Joseph Küffner und des Lyrikers Friedrich Rückert diskutiert werden. Joseph Küffner, der in eine alte Würzburger Hofmusiker-Familie geboren wurde, studierte an der Universität des Hochstifts Philosophie und Jura. Neben seinem Studium nahm er Geigenunterricht und trat bei den Würzburger Winterkonzerten auf. Seit 1786 gaben Hof- und Laienmusiker unter diesem Namen Konzerte für das Würzburger Publikum, bei denen sich junge Musiker auszeichnen konnten. Über den Weg der Winterkonzerte erhielt Küffner Zugang zum Hoforchester, in dem er als Student regelmäßig Violine spielte. 1797 starb sein Vater. Küffner musste sein Studium aufgeben, da seine Familie ihn nicht mehr versorgen konnte. Nicht nur der Tod des Vaters, sondern auch die schlechten Aussichten für Küffner, als Jurist eine Stelle zu bekommen, drängten ihn schließlich dazu, um eine Anstellung als Hofmusiker oder um die Bezahlung seiner Tätigkeit im Hoforchester zu supplizieren.67 Küffner erhielt daraufhin zwar keine Festanstellung, aber einen Vertrag als Substitut und damit lediglich ein geringes Honorar für Proben und Auftritte. Die Anstellung als Substitut scheint „bei der Würzburger Hofmusik typisch gewesen zu sein“68. Die Einkünfte „reichten nicht zum Leben“69. Also gab Küffner Unterricht als Latein-, Geigen- und Klavierlehrer und trat bei Privatleuten auf. So verbrachte er die Zeit bis zu seiner Festanstellung als Hofmusiker 1800, für die er allerdings nur 120 fränkische Gulden pro Jahr erhielt. Gerade einmal gute zwei Jahre lang stand Küffner in einer relativ sicheren Anstellung, als das Hochstift und damit alle Hofämter aufhörten zu existieren. Die kurbayerische Regierung löste, da es in Würzburg keinen Hof mehr gab, auch das Hoforchester auf. Küffner verlor seine Anstellung. Allerdings war der Generalstab der kurbayerischen Armee bestrebt, die Militärmusiker in ihren Reihen besser auszubilden. Für diese Aufgabe zog man Küffner heran, der ab 1803 zunächst 67 Henke: Joseph Küffner, S. 31 f; aus Henkes Küffner-Biographie geht nicht eindeutig hervor, ob Küffner sein Jura-Studium an der Universität beendete. Auf derselben Seite bezeichnet Henke ihn dann allerdings als „Rechtswissenschaftler“. 68 Henke: Joseph Küffner, S. 30. 69 Henke: Joseph Küffner, S. 31.
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in einem, dann in zwei Regimentern unterrichtete. Die Ausbildung diente einerseits der Vorbereitung auf Kriegseinsätze der Militärmusiker. Andererseits traten die Instrumentalisten der bayerischen Armee nun häufig öffentlich auf. Sie spielten nicht nur täglich bei Wachablösungen, sondern gaben auch Freiluftkonzerte für das heimische Publikum. Zu diesen Anlässen arrangierte Küffner häufig gängige Opernmotive für Militärblasmusik um. Doch auch diese neue Verwendung war zwei Jahre später wieder bedroht. Bayern zog sich aus Würzburg zurück und überließ die Regierung Ferdinand von Habsburg. Zur Unterstützung des Musikers beim neuen Fürsten stellten die beiden Regiments-Kommandanten, für die Küffner arbeitete, vor dem Regierungswechsel von 1806 Empfehlungsschreiben aus, die seine Fähigkeiten als Musikpädagoge und Komponist äußerst wohlwollend beschrieben.70 Die Gründung des Kurfürstentums Würzburg bedeutete für Küffner einen erneuten Wandel. Es kam ihm allerdings zugute, dass sich mit der wiedererlangten Autonomie Würzburgs auch ein neuer Hof in der Residenz installierte. Außerdem verfügte er mit den Zeugnissen der zwei bayerischen Generäle über gute Referenzen. Dennoch blieb Küffners Ansuchen um Weiterverwendung zwei Jahre lang unbeantwortet. Erst 1808 ernannte Ferdinand ihn nicht nur zum Hof- und Kammermusiker, sondern auch zum Militärmusikdirektor. Küffners Aufgabe bestand wieder darin, die Musiker der zwei großherzoglichen Bataillone für den Ausmarsch vorzubereiten. Das Repertoire umfasste diesmal nicht mehr vorwiegend „Bearbeitungen von Melodien aus Opern wie seinerzeit unter der bayerischen Regierung. Vielmehr wird das Martialische im Vordergrund gestanden haben.“71 Küffners Kompositionen begleiteten die Rheinbundtruppen bei ihren Kämpfen. Er arrangierte und komponierte zur Zeit des Großherzogtums nicht nur für die Militärmusik, sondern auch für gelegentliche Tanzveranstaltungen in der Stadt, auf denen er mit seinem Hoforchester spielte. Bis 1814 erhielten drei Einwohner Konzessionen zur Eröffnung eines Kasinos, in denen zwischen November und Februar mehrmals wöchentlich Bälle gegeben wurden.72 Dazu luden adelige und zunehmend auch bürgerliche Familien zu Entréebällen, für die Küffner ebenfalls Stücke komponierte. 70 Zit. bei Henke: Joseph Küffner, S. 45 f. 71 Henke: Joseph Küffner, S. 62. 72 Im Dezember 1803 erhält der ehemalige Hofglaser Johann Baptist Limb die Erlaubnis, während der Karnevalszeit und „mit Ausnahme derjenigen [Dienstage], in welchen maskirte Bälle gehalten werden“, einen Entréeball zu veranstalten, s. StadtAW, Orp 82 (1803), Eintrag vom 23.12.1803; am selben Tag erhält Philipp Krenzinger eine Erlaubnis für Entréebälle an Sonntagen, s. StadtAW, Orp 82 (1803), Eintrag vom 32.12.1803; Im Juli 1804 werden Andres Leinecker, dem Eigenthümer des „vormals Huttenschen Garten“ zunächst „einige Entrée während der Sommer Monathen“ gestattet, s. StadtAW, Orp 83 (1804), Eintrag vom 09.07.1804.
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Die Liste der Küffnerschen Kompositionen weist den für diese Zeit typischen Hang zum volkstümlichen Deutschen auf. Er komponierte „Allemandes“73, auch Ländler oder deutsche Tänze genannt, die von den Komponisten der Wiener Klassik ausgingen.74 Der Frau des Regimentskommandanten von Gebsattel widmete Küffner seine „Romance et Rondeau militaire“75 für Klavier. Der Kriegsverlauf hatte einen weiteren Regierungswechsel zur Folge. Als sich die französischen Niederlagen mehrten und im Oktober 1813 bayerischösterreichische Truppen auch Würzburg belagerten, gab Ferdinand dem Druck nach, verließ das Bündnis und kapitulierte. Ein für die Koalition erfolgreicher Kriegsverlauf machte es für Küffner wahrscheinlich, dass seine Stellung nach dem ersten Übergang an Bayern und der Gründung des Großherzogtums zum dritten Mal innerhalb von gut zehn Jahren in Gefahr war. Küffner reagierte auf diese Unsicherheit, indem er innerhalb kürzester Zeit einige Kompositionen im Geist der Befreiungskriege schuf. Denn noch 1813 erging ein erneuter Aufruf Ferdinands zur freiwilligen Unterstützung der Alliierten. Dem Aufruf folgten im Kurfürstentum zwar wenige Bürger, Küffner aber versuchte die Appelle mit einigen Vertonungen zu befeuern. Dazu gehörte das Rondo „alla Cosacca“76. Dieses Stück ließ Küffner übrigens nicht nur bei Schott in Mainz, sondern auch in Paris verlegen. Nach dem erfolgreichen Vorstoß der Koalition in die französische Hauptstadt veröffentlichte Küffner eine Allemande unter dem Titel „Einzug der Alliierten in Paris“. Nachdem Wrede im Juni 1814 die militärische Besitzergreifung der Stadt befohlen und so den erneuten Übergang Würzburgs an Bayern eingeläutet hatte, schrieb Küffner die „Grande Marche zum festlichen Empfang des Fürsten von Wrede“77, wobei es sich bei diesem im Gegensatz zu den anderen auch um ein Auftragsstück gehandelt haben kann. Die militärische Besitzergreifung war ein offizieller Akt. Schließlich stimmte Küffner nach dem vorläufigen Sieg gegen Frankreich im Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 in den Chor derjenigen Musiker ein, die den lang ersehnten Sieg der deutschen Nation über die französische Tyrannei feierten. Für eine Dankesfeier in der Harmonie-Gesellschaft78 vertonte er die holprigen Verse eines unbekannten Lyri73 Matthias Henke: Joseph Küffner, Bd. 2: Thematisch-bibliographisches Verzeichnis der Werke Joseph Küffners, Tutzing 1985, S. 74 Henke: Joseph Küffner, S. 67, s. auch Henke: Joseph Küffner 2, S. 94, 100. 75 Das Werk ist „dediée à Madame de la Baronne Eleonore de Gebsattel/Dame de la Court chez les Princesses de S. A. I. R. Archiduc Grand-duc de Wurzbourg“, s. Henke: Joseph Küffner 2, S. 354. 76 S. Henke: Joseph Küffner 2, S. 135. 77 Henke: Joseph Küffner, S. 92. 78 S. dazu Franz Bandorf: 200 Jahre Harmonie-Gesellschaft Würzburg: älteste Bürgervereinigung Würzburgs, Würzburg 2003.
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kers, und publizierte das Stück als „Lied in der Scheidestunde des Jahres 1814“. Die Strophen lauten: „Langes Unheil ward bezwungen, Freiheit, Deutschland, dir errungen: Darum, weil es Frieden gebracht, Feiern fromm wir die Scheidenacht. Freundlich tagt der junge Morgen, Was auch Zukunft hält verborgen, Hoffend können wir auch vorwärts schau’n, Denn wir lernten uns selbst vertrau’n.“79
Der Regierungswechsel von 1814 stellte den Beginn Küffners beruflichen Niedergangs dar. Zwar bestätigte das königlich bayerische Regiment ihn in seiner Stellung als Militärmusikdirektor. Und erneut sprach ihm ein Zeugnis großes Lob aus, unter anderem für „die Verfaßung der Abgabe paßender und sehr schönen Compositionen“80. Doch die Hofkapelle hörte auf zu existieren. Küffner geriet in finanzielle Schwierigkeiten. „Weil es mir nothwendig ist, für eine bessere Existenz zu sorgen“81, beschloss er Ende des Jahres 1816, die Stadt zu verlassen. Um die Reise finanzieren zu können, gab er vorher ein Kammerkonzert mit fast ausschließlich eigenen Kompositionen. Bemerkenswert ist das Programm: kein einziges der Stücke gedachte mehr der Befreiungskriege. Auch damit entsprach die Stückauswahl dem Wunsch der neuen Regierung Bayerns, die den Geist des Aufruhrs möglichst schnell aus den Köpfen der Untertanen verbannen wollte. Die anschließende Reise durch bayerische Städte diente hauptsächlich dem Knüpfen von Kontakten. Er hoffte offenbar, in einer anderen Stadt wieder eine Festanstellung zu erhalten. Doch dies gelingt nicht. Hellsichtig schrieb er an Schott: „Meine Reise ist gut abgelaufen, aber meine Verhältnisse müssen immer bis daher dieselben bleiben, eine Folge der Regierung, …, ich tröste mich daher mit dem Lose anderer Künstler.“82 Einen großen Auftrag erhielt Küffner erst 1818. Der HarmonieVerein engagierte Küffner zur Komposition einer großen Ouvertüre. Anlass war der Erlass der bayerischen Verfassung am 27. Mai, zugleich Geburtstag des Königs. Damit diente Küffners Musik einmal mehr den politischen Ereignissen. Die Kompositionen Küffners zur Zeit der Befreiungskriege erscheinen mit Blick auf seine lebensweltlichen Bedürfnisse in der napoleonischen Zeit we79 80 81 82
Zit. bei Henke: Joseph Küffner, S. 95. Zit. bei Henke: Joseph Küffner, S. 98. Küffner an Johann Joseph Schott am 30.12.1816. Küffner an Johann Joseph Schott am 10.06.1817.
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niger als persönliche Reaktion auf die französische Vorherrschaft in Europa oder als deren Apologie, weniger als Engagement eines Künstlers zum Wohl seines Vaterlands noch als Beitrag zur nationalen Erhebung, sondern als lebensweltliche Notwendigkeit. Der Musiker und Familienvater Küffner war auf die Gunst der ständig wechselnden Regierungen angewiesen und tat dies, über den geforderten Rahmen hinaus, in privat angefertigten Kompositionen kund. Die Stücke im Geist der Befreiungsbewegung hatten vor allem die Funktion zu erfüllen, nach einem neuen Herrschaftswechsel zeigen zu können, schon vorher auf dessen Seite gestanden zu haben. Friedrich Rückert dagegen war als freier Schriftsteller in einer etwas anderen Lage als ein Musiker im Staatsdienst. Rückert war einer der Studenten gewesen, die bei den neuberufenen Professoren der Universität Würzburg nach 1803 Kollegien besuchte. Zunächst hörte er Rechtswissenschaft bei Hufeland, Kleinschrod und Mannert, wechselte dann jedoch zur Philosophie und Johann Jakob Wagner. 1808 verließ er Würzburg und folgte von Wagner nach Heidelberg, der dort inzwischen als Privatdozent lehrte. Daneben studierte er bei Heinrich Voß Griechisch und ebenfalls Philosophie. Rückert beobachtete schon während seiner Studienzeit die politischen und militärischen Unruhen sehr genau und schrieb von Truppenaushebungen, der Flucht des Hofstaats nach Würzburg und der Verlagerung des Depots von der Stadt auf die Festung. Auch positionierte er sich schon als 17-Jähriger politisch eindeutig. In den Gerüchten um den Vorstoß der Koalitionstruppen nach Wien und um die vermeintliche Gefangennahme des französischen Kaisers „findet der Patriote sowohl, als der Kaiserl. Gesinnte Nahrung für seine Wünsche.“83 Von Deutschland sprach er 1808 als seinem „Quasivaterlande“ 84. Über die Territorialreform nach 1803 ließ er die Bemerkung fallen, er sei froh, dass von diesem Land „noch einige Reste übrig geblieben sind, die bei dem großen Tranchement und den speisenden Gästen keine Ausspülung gefunden haben.“85 In den Briefen Rückerts fällt der starke Drang nach Metaphorisierung auf. Deutschlands Länder verbildlichte er, wie gesehen, als Exkremente der Herrscher, sein Studienortswechsel als „diese meine Illiade“86 und Briefe des Freundes als „goldne Kette, den [die] Vater Zeus aus seinem Donnergewölk hernieder zu ziehen vermöchte“87. Rückert neigte dazu, die Sprache der Kommilitonen zu korrigieren. Lorenz Sixt etwa, der sein Studium wie er als antiken Mythos überhöhte, musste sich von Rückert mit den Worten zurechtweisen lassen: „Nur du befindest dich da in deiner Sphäre, Du, der du Tropen und Bilder so vollkommen in Deiner Gewalt hast. Zwar fehlt diesen bei Dir 83 84 85 86 87
Rückert an Lorenz Sixt am 18.11.1805. Rückert an Alexander Haindorf am 23.05.1808. Ebda. Ebda. Ebda.
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nicht selten diejenige Einheit, die sie, verbunden mit der ihnen zugetheilten Fortgesetztheit, zu dem Namen einer Allegorie qualificiren könnten.“88 Den möglichen Widerspruch des Freundes bedachte er gleich mit und entwertet ihn von vorneherein als kindliches „Aber“. „Das Aber wirst du mir ersparen“89, forderte er von Sixt und bekrittelte die „allzeit fertigen Abers“90 bei Haindorf. Friedrich Rückert plagten Finanznöte wie übrigens auch seinen Bruder Heinrich. In fast allen seiner Briefe aus der Studienzeit spielt fehlendes Geld eine Rolle. Er bat Alexander Haindorf, ihm „baldmöglichst“ 24 Gulden zu schicken, die ein anderer ihm schuldete und diskutierte mit ihm seitenlang, welche Versandart seines Koffers von Würzburg nach Heidelberg die günstigste sei.91 Die Sorgen setzten sich über sein Studium hinaus fort. An Goethe schickte er 1811 sowohl seine Dissertation als auch erste Gedichte und bedauerte, dass er, „von äußern Umständen beschränkt“, nicht nach Weimar hätte reisen können. Dabei wäre der Weg nicht weit gewesen, denn Rückert lebte zu dieser Zeit kurzzeitig in Jena. 1813, als seine Finanzsorgen zur Qual geworden waren, überlegte er, ob er nicht eine schlecht dotierte Stelle am Gymnasium Hanau annehmen solle. Wie gering die Vergütung tatsächlich war, scheint er aber erst vor Ort erfahren zu haben. An Johannes Schulze schrieb er: „Wenn ich Ihnen nur sagen könnte, wie mir auf meinem Sessel war in der Session, als Sie verlasen, daß ich zum Professor angestellt sey mit 250 fl. … ich hätte mich zu Tode tragen müssen an den armseligen 14 Lectionen bis Ostern.“92 Rückert schlug die Anstellung aus und zog, um sich finanziell zu entlasten, in ein Haus auf dem Land. Dort, in Ebern, verbrachte er die Zeit mit Schreiben, ohne jedoch eines seiner Werke druckreif abzuschließen. Rückert quälte sich damit, die richtige Textgattung für seine Gedanken und Ideen zu finden. „Ich schwimme in Meeren von Entwürfen, Lustspiele und Trauerspiele, Sonette und Vaterlandsgesänge fluten durcheinander wie Schaumberge Abgrund und Spiegelflächen.“93 Er litt ganz offenbar stark darunter, dass er kein Werk abschloss und wertete seine Arbeit in extremer Weise ab. „Du fragst mich, was ich sonst treibe? Nichts!“94, schrieb Rückert im März 1813. „Komm doch und reiße mich aus dem Kothe“, bat er seinen Freund Christian Stockmar im Juni verzweifelt, „in dem ich bis über die Ohren verliebt stecke.“95 Und noch im Dezember heißt
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Rückert an Lorenz Sixt im Dezember 1805. Ebda. Rückert an Alexander Haindorf am 15.04.1808. Rückert an Alexander Haindorf am 23.05.1808. Rückert an Johannes Schulze im Januar 1813. Rückert an Christian Stockmar am 08.03.1813. Ebda. Rückert an Christian Stockmar im Juni 1813.
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es: „Mein Bruder … wird Dir gesagt haben, was aus mir geworden, nämlich das alte Nichts.“96 Mitten in Rückerts Schaffens- und Finanzkrise nun fiel der Aufruf Ferdinands zum Kriegsdienst. Rückert dachte nach der gescheiterten Anstellung in Hanau mehrere Male darüber nach, sich freiwillig zu melden. Neben dem Salär faszinierte ihn, mitten in der von Selbstabwertungen begleiteten Schaffenskrise, auch das Konkrete, Handfeste, Arglose des Soldatentums: „Und doch kann ich mirs nicht abwehren, daß manchmal ein in meine Verschlossenheit brechendes Waffengeräusch mich unter meinen Papierschnitzeln aufstört. Ich wollt’, ich könnte die Poesie von meinem Halse abschütteln, die schwerer d[arauf] hängt als ein Weib und zehn Kinder; so stände ich morgen unter den [preus]sichen Freiwilligen. Aber daraus wird nichts, wenn nicht alle mei[ne] Entwürfe vorher verbrennen.“97 Dem war nicht so. Ab 1813 veröffentlichte Rückert Gedichte im Geist der Befreiungsbewegung, als erstes das „Lied eines fränkischen Jägers“ unter dem Pseudonym Freimund Reimar.98 Dieses Stück vertonte übrigens noch im Erscheinungsjahr 1813 ein Kollege Küffners im Hoforchester. In Dichtern wie Theodor Körner, Ernst Moritz Arndt und Friedrich de la Motte-Fouquet, welche ebenfalls die Kampfaufrufe in ihren Gedichten sekundierten, sah der noch unbekannte Rückert dabei nicht nur Vorbilder, sondern auch Unterstützer. An letzteren wandte er sich im Dezember 1814. De la Motte-Fouquet hatte als Freiwilliger des preußischen Jägerkorps an den Kriegen teilgenommen, die inzwischen beendet waren. In dem Brief äußerte Rückert den Wunsch, de la Motte-Fouquet möge den Band doch bitte besprechen und ihm bei der Verlagssuche für einen weiteren behilflich sein. 99 Bei dem geplanten nächsten Werk handelte es sich um „Kranz der Zeit“, eine stark politisch eingefärbte Gedichtsammlung. In der darin enthaltenen „Ode“ etwa heißt es: „Daß ein Volk es ist!/ Daher ist es gekommen,/ Daß in kürzester Frist/ Der Fremde die Nacht genommen:/ Die Glieder und das Haupt/ Waren einander geraubt;/ So konnte das nicht sehen,/ und die nicht widerstehen.“100 Welches Ziel Rückert mit der Veröffentlichung verfolgte, äußerte er gegenüber de la Motte-Fouquet in ungewohnt bildarmer Sprache: „Das ist nun das Ganze! Ich sähe es gerne schon morgen gedruckt, einmal um seiner selbst willen, aber fast noch mehr aus sehr materieller Rücksicht, nämlich um so viel 96 Rückert an Christian Stockmar im Dezember 1813. 97 Rückert an Christian Stockmar am 08.03.1813. In einem Brief an Caroline Berger vom Dezember 1813 heißt es sogar: „Denn es hängt nur noch an einigen Zwirnsfäden, daß ich noch nicht meinem Bruder nachgelaufen bin, der bereits nach Würzburg ist, um der erste zu sein, sich dem ergangenen Aufruf der Freiwilligen zu stellen.“ 98 Freimund Reimar [Friedrich Rückert]: Deutsche Gedichte, Heidelberg 1814. 99 Rückert an Friedrich de la Motte-Fouquet am 24.10.1814. 100 Friedrich Rückert: Kranz der Zeit, Bd. 2, Stuttgart/Tübingen 1817, S. 3.
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Geld dafür zu kriegen, um wenigstens diesen Winter nicht mich hier einschneien lassen zu müssen, sondern nach Berlin zu gehen. Meine Verhältnisse sind so, daß ich diesen meinen heißesten Wunsch nicht wohl auf andere Weise zu erreichen hoffen mag.“101 Neben dem „Kranz der Zeit“ habe er allerhöchstens noch ein kleines Lustspiel, das er in Druck geben könne. Es laute „Napoleon und der Drache (die Revolution).“102 Letztlich folgte auch Rückert dem Aufruf vor allem, um endlich von seinen Honoraren leben zu können. Die Einschätzungen Ernst Webers erscheinen zwar treffend, der junge Rückert sei ein Autor gewesen, „der in der nationalen Idee kaum mehr zu sehen schien als ein Thema, sich als Dichter zu profilieren.“ Und weiter: „Seinen Briefen, vor allem an denen an Fouquet ist zu entnehmen, daß er patriotische Lyrik schrieb, um als Dichter bekannt zu werden.“103 Allerdings ist sie um die Feststellung zu ergänzen, dass es nicht nur Bekanntheit, sondern die Beendigung seiner prekären Lebenssituation war, die ihn mit dem Stift zu den Waffen greifen ließ. Mit Küffner und Rückert stellten zwei ganz unterschiedliche Künstler ihr Werk in den Dienst des nationalen Befreiungskampfes. Küffner verfügte zur Zeit der Befreiungskriege bereits über einiges Renommee in der süddeutschen Musikszene, Rückert war noch völlig unbekannt. Vor allem verfügte Küffner über feste Anstellungen, während Rückert auf Honorare und eine kostengünstige Lebenshaltung auf dem Land angewiesen war. Küffner war Musiker, Rückert Schriftsteller. Und doch sind beide in einem entscheidenden Punkt miteinander verbunden. Es war ihre Angewiesenheit, die sie zum Schaffen im Geist der Volkserhebung bewegte. Küffner fühlte sich davon abhängig, von der neuen Regierung als Hof- und Militärmusiker bestätigt zu werden, Rückert davon, nach Jahren der Erfolglosigkeit und der Entbehrung, ein Leben als freier Schriftsteller bestreiten zu können. Auch der bereits angesprochene Maler Martin von Wagner plante ein Gemälde, das die Siege der österreichischen Armee verherrlichen sollte und verfolgte dabei private Interessen. 1798 bemühte er sich inständig, Schüler von Füger an der Kunsthochschule Wien zu werden. Über die dabei verfolgte Strategie schrieb er: „Ich werde nächstens wieder etwas componiren, welches er gerne hat, und werde es ihm zeigen, denn von den leztern bin ich überzeicht daß es ihm gefallen hat, ich werde nächstens, das Zelden Gedicht mit der Büste Erzherzog Carls machen, dieß ist allegorisch.“104 Erzherzog Karl wurde in den Jahren nach 1796 in Österreich und dem Reich für seine Siege über die französische Armee gefeiert. Füger selbst beteiligte sich an der Apologie des 101 Rückert an Friedrich de la Motte-Fouquet am 24.10.1814. 102 Ebda. 103 Ernst Weber: Die nationale Idee in der Zeit der Romantik und des Vormärz, in: Gerd Langguth (Hg.): Die Intellektuellen und die nationale Frage, S. 65-106, hier: S. 79 f. 104 Von Wagner an Margred Wagner am 23.01.1798.
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erfolgreichen Generals Erzherzog Karl mit dem Bild „Apotheose des Erzherzogs Carl: Rudolf von Habsburg bekränzt den Erzherzog als Retter Deutschlands“105.
4.4. Zusammenfassung Die Korrespondenzen der Künstler bezeugen deren starken Drang zum Staat. Der Maler Martin von Wagner bemühte sich direkt nach dem ersten Übergang an Bayern um eine Anstellung beim Staat und wandte sich zu diesen Zwecken an die neuen kurbayerischen Regierungsbeamten. Giacomo Meyerbeer nahm Kontakt zum Leiter der Würzburger Musikakademie auf. Joseph Küffner bewarb sich nach den drei Regierungswechseln immer aufs Neue bei der Regierung. Die starke Abhängigkeit der Künstler vom Staat lässt sich auch mit der Zurückhaltung der gebildeten Oberschicht in Kunstdingen in Betracht gezogen werden. In Würzburg, wo bis zum Ende des Hochstifts nicht einmal eine Lesegesellschaft bestanden hatte, interessierten sich das ansässige Bürgertum und der Adel in der napoleonischen Zeit nur sehr mäßig für Kunst. Die Briefe der Künstler erwähnen Privatleute kaum, weder als Gönner noch als Freunde und noch viel weniger als Auftraggeber. Eine rege Sammlungsszene wie in Frankfurt, Hamburg oder Köln gab es nicht.106 Der Gegenvergleich stützt diese Vermutung. In den Korrespondenzen der Staatsdiener und Professoren finden Kunstveranstaltungen nur in ganz seltenen Fällen Erwähnung. Die Hinweise zum Besuch von Kunstveranstaltungen wie Konzerten, Theaterbesuchen und Ausstellungen sind rar gesät. Auch Kontakte zwischen der gebildeten Oberschicht und Künstlern hat es auf Grundlage der Selbstzeugnisse nicht oft gegeben. Anscheinend traten die Würzburger Bürger auch als Kunstmäzene zu dieser Zeit noch nicht in Erscheinung. Nicht in einem Brief ist etwas über einen Auftrag an einen Künstler zu lesen. Wohl auch um diesen Mangel auszugleichen, näherten sich die Künstler der Obrigkeit an. Der Drang zum Staat wirkte sich beim Musiker Joseph Küffner und dem Schriftsteller Friedrich Rückert auch auf das Programm ihrer Kunstwerke aus. Sie sekundierten ab 1813 mit ihren Werken die Aufrufe des Großherzogs Ferdinand zum Kampf gegen die Franzosen und versuchten so, sich zu empfehlen. Zwar unterschieden sich die Ziele der beiden Künstler. Küffner hoffte auf die Wiederanstellung nach einem erneuten Regierungswechsel. Rückert wollte sich eher aus einer Jahre andauernden finanziellen 105 Das Werk befindet sich in Wien, Heeresgeschichtliches Museum. 106 North: Kunstsammlungen, S. 104.
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Not als freischaffender Künstler befreien. Diese Ausrichtung der künstlerischen Inhalte an lebensweltlichen Bedürfnissen scheint in der Forschung über die Kunstschaffenden in den Übergangsjahren vom Rheinbund zum Deutschem Bund noch nicht genug Aufmerksamkeit zu finden. Es wäre zu überprüfen, ob die Beobachtungen aus diesem Kapitel sich auch auf andere Künstler ausweiten ließen, etwa auf Ernst Moritz Arndt.107 Sein Lebensweg lässt dies vermuten. Zwischen 1805 und 1809 hatte er für die schwedische Regierung gearbeitet, musste das Land jedoch 1809 nach dem Sturz Gustav IV. Adolphs verlassen. In der Folge war er längere Jahre ohne Arbeit, bis er im Jahr 1813 eine neue Anstellung als Privatsekretär bei Heinrich Friedrich Karl Freiherr von und zu Stein erhielt. In dieser Zeit entstand der Hauptteil der propagandistischen Lyrik. War sein Dienstherr es nicht, der in der Petersburger Denkschrift den Plan für einen erfolgreichen Krieg gegen Napoleon entwickelt hatte? Und diente der Dichter der „Lieder dem Vaterlande gesungen“108 nicht einem Mann, der vom „moralischen Schmutz“ der „scheußlichen französischen Nation“109 gesprochen hatte?
107 S. zum Folgenden Wolf D. Gruner: Ernst Moritz Arndt – die nationale Frage der Deutschen und ihre Instrumentalisierung für die historische Legitimierung des preußischkleindeutschen Kaiserreichs, in: Walter Erhard, Arne Koch (Hg.): Ernst Moritz Arndt (1769-1860). Deutscher Nationalismus – Europa – Transatlantische Perspektiven, Tübingen 2007, S. 31-64, hier: S. 37. 108 Weber: Lyrik der Befreiungskriege, S. 158. 109 Zit. nach Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 2007, S. 68.
5. Schaden und Entschädigung – Das kleine und mittlere Bürgertum
5.1. Einleitung Es verging kein Monat, in dem Kurbayern nicht ein neues Reformedikt oder die Ergänzung eines vorigen in seinem Regierungsblatt bekanntgab. Viele davon betrafen das kleine und mittlere Bürgertum. Das Großherzogtum Würzburg fügte den Reformen zwar keine wesentlichen Elemente hinzu, übernahm jedoch weitgehend die Politik und Gesetzeslage der Vorgängerregierung. Im August 1803 verfügte die Landesdirektion zum Beispiel, es würden nur noch Meisterstücke akzeptiert, die „Kaufmanns Gut sind, und leicht Abnahme finden“1. Im Januar 1804 gestattete Kurbayern allen Landmeistern die Arbeit in der Stadt2. Im selben Monat ersetzte es die fünf Lehr- und drei Wanderjahre für den Handlungsnachwuchs durch eine zweijährige Ausbildung an festem Ort.3 Im April 1807 ordnete die Regierung des Großherzogs eine Meisterprüfung für alle Gesellen des Baugewerbes beim Hofbauamtsdirektor Nicolas Salins de Montfort an.4 Wie verhielten sich die Betroffenen zu diesem Reformeifer? Wie bei den anderen Kapiteln prägt auch hier die Quelle die Analyse mit. Dieser Teil der Untersuchung beruht auf Suppliken und nicht auf Berichten, Tagebüchern und Chroniken. Als schwierig stellte sich heraus, die Relevanzen der kleinen und mittleren Stadtbürger in derselben Grundsätzlichkeit wie bei den Professoren anhand von Suppliken als Hauptquellen5 herauszuarbeiten. Im Kapitel über 1 2 3 4 5
StadtAW, Orp (82) 1803, Eintrag vom 26.08.1803. Kurbayerisches Regierungsblatt, 1. Stück, 12.01.1804. Kurbayerisches Regierungsblatt, 3. Stück, 26.01.1804. Großherzoglich Würzburgisches Regierungsblatt, 8. Stück, 17.04.1807. Zu Salins de Montfort s. Stefan Kummer: Die Kunsttätigkeit in Würzburg unter Großherzog Ferdinand, in: Altgeld, Stickler, „Italien am Main“, S. 145-162, hier: S. 147 ff. Zur Rolle der Supplik für die Beteiligung der Untertanen an politischen Prozessen s. Gerd Schwerhoff: Das Kölner Supplikenwesen in der Frühen Neuzeit. Annäherungen an ein Kommunikationsmedium zwischen Untertanen und Obrigkeit, in: Georg Mölich, Gerd Schwerhoff (Hg.): Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, Köln 2000, S. 473-496; Karl Härter: Das Aushandeln von Sanktionen und Normen: Zu Funktion und Bedeutung von Supplikationen in der frühneuzeitlichen Strafjustiz, in: Cecilia Nubola, Andreas Würgler (Hg.): Bittschriften und Gravamina. Politik, Verwaltung und Justiz in Europa (14.-18. Jahrhundert), Berlin 2005, S. 243-274; Cecilia Nubola, Andreas Würgler: Einführung, in: Dies., Bittschrif-
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die Hochschullehrer standen mehrere hunderte Briefe von einer Berufsgruppe zur Verfügung, in diesem Abschnitt von den einzelnen Gewerken allenfalls ein gutes Dutzend. Daran ändert die Tatsache nichts, dass das Supplikensample insgesamt sogar mit 450 Quellen ein wenig größer ist als das Briefsample. Außerdem fehlt den recht stark formalisierten Suppliken das „Moment der Freiwilligkeit“ der Briefe, das Handlungsmotive transparent macht. Inwiefern die Suppliken angesichts dessen überhaupt Relevanzen wiedergeben können, muss zunächst diskutiert werden. Diese Frage dient nicht nur der Vergleichbarkeit mit den anderen Berufsgruppen, sondern möchte auch auf die Diskussion um den Wandel des städtischen Wirtschaftslebens zur Zeit Napoleons eingehen. Immerhin hat der Wirtschaftshistoriker Werner Sombart einen, mit Schütz gesprochen, massiven Relevanzenwechsel im städtischen Handwerk genau in der Zeit des Untersuchungszeitraums gesehen. Um 1800 habe sich die Vorstellung des Einzelnen von der Teilhabe an der Nahrung der Zunft verflüchtigt zugunsten des Konkurrenzdenkens innerhalb eines Handwerkszweigs.6 Damit prägte Sombart ein Bild, das die Wirtschaftshistoriker erst seit wenigen Jahren systematisch überdenken.7 Ob der von Sombart angenommene Relevanzwechsel sich in Würzburg vollzog, wird mit der Frage nach den verbindenden Relevanzen mitbeantwortet. Die Idee der Nahrung, so die These, spielte in Würzburg deutlich weniger eine Rolle als man es für die Hauptstadt eines ehemaligen geistlichen Wahlstaates vermuten könnte. Die Handwerker betrachteten bei der Bittstellung andere Handwerker innerhalb und außerhalb des eigenen Gewerks als Konkurrenten, mit denen man sich verglich und denen gegenüber man vor dem Rat rechtliche Gleichstellung einforderte. Die Zunft als Rechts-
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ten, S. 7-16; Andreas Würgler: Bitten und Begehren. Suppliken und Gravamina in der deutschsprachigen Frühneuzeitforschung, in: Nubola, Würgler, Bittschriften, S. 17-52; Harriet Rudolph: „Sich der höchsten Gnade würdig machen“. Das frühneuzeitliche Supplikenwesen als Instrument symbolischer Interaktion zwischen Untertanen und Obrigkeit, in: Nubola, Würgler, Bittschriften, S. 420-449; Alexander Schlaak: An den Grenzen des Machbaren. Zur Entwicklung von Schriftlichkeit in frühneuzeitlichen Reichsstädten am Beispiel des Esslinger Supplikenwesens, in: Esslinger Studien, Bd. 44 (2005), S. 63-83; Gunda Ulbricht: „...fordern wir unterthänigst“. Von der Supplik zur Petition, in: Rainer Aurig u.a. (Hg.): Landesgeschichte in Sachsen. Tradition und Innovation, Bielefeld 1997, S. 217-234; Otto Ulbricht: Supplikationen als EgoDokumente. Bittschriften von Leibeigenen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Schulze, Ego-Dokumente, S. 149-174. Zum Begriff der Nahrung s. Werner Sombart: Der moderne Kapitalismus, Bd. 1: Die vorkapitalistische Wirtschaft, Berlin 1902 (ND 1969), S. 88 ff; s. auch Winfried Schulze: Vom Gemeinnutz zum Eigennutz, in: HZ 243 (1986), S. 591-626. Zur Revision des Sombartschen Nahrungsprinzips s. Robert Brandt, Thomas Buchner: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Nahrung, Markt oder Gemeinnutz. Werner Sombart und das vorindustrielle Handwerk, Bielefeld 2004, S. 9-35.
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instanz oder als Verfechter des Nahrungsgedankens spielte dagegen keine Rolle mehr. Anders als dieses übergeordnete Kapitel widmen sich die übrigen Abschnitte fest umrissenen Gruppen der Handwerkerschaft, mal einzelnen Berufsgruppen, mal Gruppen von Betroffenen. Da die Okkupationszeiten die mit Abstand zahlreichsten Suppliken hervorbrachten, stehen notwendigerweise Bittgesuche aus den Zeiten im Vordergrund, in denen die Franzosen die Stadt besetzten und die Dienste der lokalen Gewerke einforderten. Auch die Monate nach den Belagerungen sind überrepräsentiert, da viele Supplikanten erst nach Ende der Fremdherrschaft ihre Rechte einklagten. Die relativ hohe Zahl an Suppliken von Lehenkutschern und das reichlich überlieferte Amtsschriftgut aus den Besatzungszeiten erlaubt die Frage, welche Relevanzen die Gruppe von Transporteuren während der Koalitionskriege verband. So kann anhand der Lehenkutscher geklärt werden, wie sich eine Berufsgruppe in einer Residenzstadt mittlerer Größe auf den Krieg in der eigenen Stadt einstellte, sich in ihm und zu ihm verhielt. Um die Ergebnisse nicht auf die Lehenkutscher zu beschränken, soll anschließend diskutiert werden, inwiefern sich die Relevanzen der Kutscher auf andere zünftige und nicht zünftige Gewerke übertragen lassen. Für die Lehenkutscher, so die These, bedeuteten die Belagerungen Phasen der Hochkonjunktur. Hauptauftraggeber war die französische Besatzungsherrschaft. Aber auch Stadt und Regierung fragten Fuhren nach. Die Kutscher verteidigten sich vehement gegen Personen, die Transportfahrten ohne Zulassung anboten, unter anderem, indem sie das Zunftrecht für sich beanspruchten. Lohn für ihre Arbeit erhielten die Transporteure und alle übrigen Handwerker von der Stadt, den diese mit Steuererhöhungen finanzierte. Im Schadensfall stand den Kutschern und auch den anderen Handwerkern ein gut funktionierendes Entschädigungssystem zur Verfügung. Mit dem Heeresergänzungsgesetz trat dann aber eine Neuregelung in Kraft, die alle anderen Veränderungen der Napoleonischen Zeit an Bedeutung weit übertraf. Der Einführung dieses Gesetzes und seiner Folgen widmet sich das nächste Kapitel. Das Heeresergänzungsgesetz aus dem Jahr 1804 verursachte bei den Handwerkern Proteste großen Ausmaßes, die, obwohl von vorneherein zum Scheitern verurteilt, den Rat zum Einsatz für die betroffenen Stadtbürger veranlasste. Es soll gezeigt werden, dass die Abschaffung der Landfolge und somit die Auflösung eines alten Privilegs der Residenzstadt Würzburg die schwersten Beeinträchtigungen für das kleine und mittlere Bürgertum im ganzen Untersuchungszeitraum nach sich zogen.
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5.2. Suppliken als Medien von Bitte und Kritik 5.2.1. Merkmale des Supplikensamples Das Supplikensample muss in eine Zeit vor 1806 und eine Zeit danach eingeteilt werden. Für die ersten zehn Jahre liegen rund 430 Suppliken in ihrer expedierten Form vor. Diese befinden sich in den Beilagenbänden zu den Ratsprotokollen des Würzburger Stadtmagistrats. Die Überlieferungssituation ist daher für 1795 bis 1805 außerordentlich günstig. Ab 1806 allerdings änderte sich zum zweiten Mal nach 1803 nicht nur die Zusammensetzung und Zuständigkeit des Rates, sondern auch die Registratur der eingehenden Schreiben. Der Verwaltungsrat des Großherzogtums sammelte den Schrifteingang nicht länger in Beilagenbänden. Daher bricht die Zahl der überlieferten Suppliken für die Jahre nach 1805 ein. Es sind aus dem Großherzogtum jedoch wie aus den anderen Jahren8 des Untersuchungszeitraums die Protokollbände des Stadtmagistrats erhalten. Darin sind die Supplikeninhalte in Form von Regesten wiedergegeben. Die Regesten in den Ratsprotokollen konnten also trotz fehlender Suppliken die für dieses Kapitel wichtigsten Informationen liefern, nämlich die Supplikengründe. Diese sind damit für den gesamten Untersuchungszeitraum bekannt. Allerdings sind damit nur Suppliken erfasst, die beim Rat eingingen. Einzelne Bittgesuche an andere Behörden sind zwar auch erhalten. Einige Suppliken sind als Passivkorrespondenz des letzten Fürstbischofs im Adelsarchiv der Familie Fechenbach und im Militär-Oberkommissionsprotokoll der Regierung des Großherzogtums überliefert. Doch erstens ist ihre Zahl mit rund 50 recht gering, zweitens sind sie jeweils für einen nur kurzen Ausschnitt des Untersuchungszeitraums erhalten. Die Untersuchung muss sich daher stärker auf die ersten gut zehn Jahre zwischen 1795 und 1806 beziehen. Aus dem Sample finden nicht alle Bittgesuche Beachtung. Selbst die am häufigsten eingeforderten Rechte, die nach temporärem Aufenthalt und nach dem Bürgerrecht, bleiben in der Arbeit unerwähnt. Die Studie möchte sich auf die Einwohner Würzburgs9 beschränken und klammert deshalb alle Suppliken aus, die Personen mit anderen Heimatorten gestellt haben. Dieses Kapitel kann deshalb Relevanzen des kleinen und mittleren Bürgertums zu untersuchen, weil nahezu alle Suppliken des Samples von Vertretern der handwerklichen und kaufmännischen Mittelschicht eingereicht wurden. Von den Unterschichten grenzen die genannten Berufsgruppen sich dadurch 8 9
Das Ratsprotokoll von 1806 fehlt allerdings. Damit sind sowohl Bürger und Beisassen als auch illegal in der Stadt lebende Menschen gemeint. Aufenthalts- und Bürgerrechtssuppliken informieren jedoch fast ausschließlich über den Herkunfts- und viel weniger über den Zielort Würzburg.
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ab, dass sie über zivile Berufe mit regelmäßigem Einkommen in zünftischen oder nicht zünftischen Gewerken ausübten. Sie unterscheiden sich auch von den Soldaten niederen Rangs, die entweder „für die meiste Zeit des Jahres beurlaubt waren“ oder „bei gekürztem Sold Nebenbeschäftigungen als Diener, Kutscher, unzünftiger Handwerker, Tagelöhner, Heimarbeiter“10 übernahmen. Zwar nahm eine beträchtliche Gruppe von Handwerkersöhnen nach 1804 ihren Dienst in der kurbayerischen, dann in der großherzoglichen Armee auf, doch handelte es sich dabei nicht um die Gruppen, die sich durch den Waffendienst aus einer prekären Situation befreien wollten, sondern um Zwangsrekrutierte, die scharenweise gegen ihre Auslosung protestierten. Anders als Arme, Bettler und Kriminelle verfügten sie über einen festen Platz im Sozialgefüge der Stadt und befanden sich auf einer der anerkannten Karrierestufen bürgerlicher Berufe. Im Sample vertreten sind Suppliken von Gesellen und Meistern zünftischer und nicht zünftischer Berufe, von Handlungsbediensteten und Händlern und von Vertretern freier Berufe, mehrheitlich Ärzte und Wirte. Zum kleinen und mittleren Bürgertum zählten auch das niedere Personal der unteren Behörden wie Ratsdiener, Ratsboten, Vierteldiener, Viertelschreiber, Torwachen, Polizeidiener und Lakaien. Lehrer und niedere Klerus zählen zwar formal auch zu dieser Gruppe, doch sie sind im Sample unterrepräsentiert. Nach oben grenzen sich die Genannten zum gehobenen Bildungsund Wirtschaftsbürgertum ab. Ratsherren, Advokaten und Richter, Hofbedienstete mit akademischer Ausbildung, Künstler und Professoren sowie der höhere Klerus bleiben unberücksichtigt. Welche Gruppe im Folgenden am stärksten zur Sprache kommt, hängt selbstverständlich von der Supplikenfrequenz der einzelnen Berufsvertreter ab. Hier zeigt sich relativ zur Gesamtgröße des Samples, dass die größte Zahl an Suppliken von Gesellen und Meistern zünftischer Gewerbe stammte, die in kleinen Betrieben mit ein bis drei Mitarbeitern tätig waren. Die zweitgrößte Gruppe unter den Supplikanten bildete das niedere Personal der Regierungsund Stadtämter.
5.2.2. Rechtliche Vorgaben: Die Supplikenverordnung von 1795 Die Wirksamkeit rechtlicher Vorgaben beim Supplikenstellen kann für Würzburg deshalb recht deutlich herausgestellt werden, da der Landesfürst just zu Beginn des Untersuchungszeitraums eine neue Supplikenordnung erlassen hat. Georg Karl von Fechenbach erneuerte 1795 eine voran gegangene Ordnung, auf die er sich ausdrücklich bezog. Zwar habe sein Vorgänger Franz 10 Jürgen Kocka: Weder Stand noch Klasse: Unterschichten um 1800, Bonn 1990, S. 104.
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Ludwig von Erthal bereits eine „ganz zweckmäßige“ Suppliken-Verordnung im Jahr 1786 gestiftet, so die Präambel. Doch sei eine erneute Festschreibung dringend geboten: „Wir haben aber während der kurzen Zeit unserer Regierung schon die Erfahrung gemacht, dass der größte Teil der einkommenden Bittschriften mit einer unnötigen und ermüdenden Weitschweifigkeit abgefasst sei. Um daher die uns zu anderen wichtigen Geschäften so teure Zeit mit Durchlesung einer zur Sache nicht dienlichen und unbedeutenden Wörtermenge nicht zu verlieren, “11 sei eine Neuregelung vonnöten. Die Neuordnung zielte auf eine Formalisierung des Supplikationsverfahrens ab und damit auf die Beachtung der Ordnung der Vorgänger-Regierung, die bereits die Einhaltung formaler Vorgaben und Kürze der Darstellung gefordert hatte.12 Dem Landesherrn scheint daran gelegen gewesen zu sein, „einerseits eine gewisse Kontinuität zu wahren“, wie Karl Härter schreibt, „andererseits aber auch durch kritische Lektüre Mängel der bisherigen Gesetzgebung und Normdurchsetzung aufspüren zu können.“13 Im Folgenden listet die Ordnung auf, wie eine Supplik in Zukunft gestaltet zu sein habe. Zunächst heißt es, „in allen Bittschriften“ solle „keine Anredeformel als Gnädigster Herr“ gesetzt werden. Die Außenaufschrift des Schriftstücks habe aus der Formel zu bestehen „An Seiner Hochfürstlichen Gnaden unterthänigste Bitte des N.N.“14 Weiterhin sollten alle Suppliken den „Namen der Stelle, für welche die Schrift bestimmt ist“, nennen. Die übrigen Paragraphen der Supplikenverordnung bestimmen Aufbau und äußere Form der Supplik. Halbbrüchig beschrieben, habe der Bittsteller zunächst den Gegenstand des Bittgesuchs „mit Bestimmtheit und Kürze“ zu setzen, „zum Beispiel: Der Gegenstand meines Gesuchs ist folgender“. Danach haben die Beweggründe unter fortlaufender Ziffer aufzutauchen, „zum Beispiel: Die Gründe des Gesuchs sind folgende“. „Der Schluss der Bittschrift soll sein: Der Unterzeichnete getröstet sich daher der Gewährung seiner Bitte.“ Schließlich
11 StadtAW, Rp 135 (1795, Beilagen), gedruckte Verordnung vom 03.04.1795. Es ist also eindeutig, dass die Ordnung erlassen wurde, weil sie die Untertanen nicht an die bestehenden gehalten haben. 12 Zur Funktion von Republikation und Reskript s. Karl Härter: Gesetzgebungsprozess und gute Policey. Entstehungskontexte, Publikation und Geltungskraft frühneuzeitlicher Policeygesetze, in: PoliceyWorkingPapers 3 (2002), S. 1-32, hier: S. 7. 13 Härter: Gesetzgebungsprozess, S. 2. 14 Dies konnte jedoch nicht bedeuten, dass alle Suppliken an den Fürstbischof adressiert sein und anschließend von der Hofkammer verteilt werden sollten. Denn das hätte vor allem den Rat, aber auch den Oberrat, das Domkapitel und weitere Behörden als Suppliken-Empfänger ausgeschaltet. Es bedeutet lediglich, dass der Supplikant die von ihm für zuständig gehaltene Stelle anzugeben und die Supplik auch bei dieser Behörde einzureichen hatte.
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habe der Supplikant „unter Weglassung aller anderen Formeln“ zu unterschreiben und sein „Amt, Gewerbe und dergl.“ daneben zu setzen.15 Die Verordnung verlangte also vom Bittsteller die Eingliederung seines Gesuchs in einen komplett ausgearbeiteten Formelapparat, die eine raschere Bearbeitung gewährleisten sollte. Auf der Ebene der Interaktion dokumentiert sie den fürstbischöflichen Anspruch auf Zuständigkeit für alle Bereiche menschlicher Existenz. Die Forderung, alle Bittgesuche seien an den Fürsten zu richten, behauptete eine Ebene zwischen Untertan und Fürst, die faktisch nicht existierte. Fechenbach inszenierte sich damit als Patriarch und Guten Hirten, dem, und dem allein die Supplikanten ihre Anliegen vortragen sollten. Die Behörden, die mit der Bearbeitung der Suppliken beauftragt waren, degradierte die Ordnung damit zu Erfüllungsgehilfen fürstbischöflicher Herrschaft, obwohl die Entscheidung über die meisten Suppliken der Einwohner Würzburgs faktisch beim Magistrat lag. Seit der Ratsordnung von 1618 lag die Aufnahme der Neubürger „ausdrücklich wieder in der Kompetenz des Rats“, dem städtischen Quartieramt oblag weiterhin „die Erteilung befristeter Aufenthaltsbewilligungen, die Kontrolle des innerstädtischen Wohnungswesens, die Vereinnahmung der von den Viertelmeistern erhobenen Quartiergelder, ferner die Einquartierung von Schanzarbeitern und Truppen“16. Da der Rat auch mit der Entscheidung über die Pfründneraufnahme in mehrere Pflegen und Spitäler betraut war und über eine, „wenn auch beschränkte, Strafkompetenz“17 verfügte, entschied er über die Mehrzahl der Suppliken bis 1802 selbständig.18 Der Erlass von Steuern stand jedoch der Landesregierung zu, welche ihren Einfluss mittels Personalbesetzungen in den Ratsämtern ausübte statt die Entscheidungen über die betreffenden Suppliken selbst zu fällen.19 Die Antworten auf Bittgesuche stammten also entweder von der Stadt oder von der Regierung und ihren Unterbehörden. Als drittes Entscheidungsgremium trat der Oberrat auf, über das Domkapitel wachte und der zu einem Teil auch aus Domherren bestand.
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StadtAW, Rp 135 (1795, Beilagen), gedruckte Verordnung vom 03.04.1795. Drüppel: Ratsverfassung, S. 244. Drüppel: Ratsverfassung, S. 251. Kolb: Spital- und Gesundheitswesen, S. 543 ff. „Schärferen personellen Einfluss“, schreibt Drüppel, „nahm die fürstbischöfliche Regierung auf drei Ämter, die das unmittelbare fiskalische Interesse sowohl der Stadt als auch des Landesherrn wahrzunehmen hatten. Die Zuständigkeit des Stadtsteueramtes erstreckte sich im Wesentlichen auf die bürgerlichen Steuern, das Bürgergeld eintretender, die Nachsteuer abziehender Bürger den Brückenzoll, das Torschließgeld. Die Ungeldstube zog die Verbrauchssteuern, die Schatzungsstube die Landessteuern ein.“ Drüppel: Ratsverfassung, S. 244.
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Die Supplikenordnung von 1795 scheint kein Fall von „Erlaubnisrecht“20 gewesen zu sein, womit der Staat neue Supplikengründe schuf, um die Kontrolle über die Untertanen auszubauen. Auch eine Maßnahme, die Lokalverwaltung disziplinieren zu wollen, ist darin nicht erkennbar.21 In diesem Fall scheint die bewusst in Kauf genommene Nichtbeachtung der Vorgänger-Norm bei der Redaktion der Supplikenordnung die Feder geführt zu haben. Dies gab Fechenbach die Möglichkeit, sich als Patriarchen in Szene zu setzen, eine Strategie, die Wolfgang Zimmermann auch in Bezug auf Bettelverordnungen herausgearbeitet hat: Bei der Unwirksamkeit (und vermutlich deshalb der Fülle) an Bettelverordnungen setze die Frage an, „ob die gesamten obrigkeitlichen Regelungen immer nur auf eine partielle und selektive Rezeption hin angelegt waren, vielleicht sogar lediglich eine rituelle Selbstdarstellung des Staates intendierten.“22 In der Tat zeichneten sich die Suppliken der Jahre vor 1795 durch eine gewisse Formlosigkeit aus. Manche nannten die Supplikengründe nicht zu Beginn, sondern in der Mitte des Textes, andere schrieben ihren Namen an das Seitenende, nicht aber auf die Rückseite, wieder andere beschrieben ihr Anliegen äußerst weitläufig. Und auch nach 1795 änderte sich dieser Zustand nicht. Bei der Lektüre der Suppliken fällt folglich das strukturelle Anwendungs- oder Umsetzungsdefizit23 von einzelnen Paragraphen der Supplikenordnung auf, aber auch die recht stabile Beachtung einiger anderer Bestimmungen, wie die Ausführungen zum Aufbau der Suppliken zeigen wollen.
20 Der Begriff des „Erlaubnisrechts“ von André Holenstein besagt, der Staat habe neue Supplikationsgründe erfunden, um seine Gesetzgebung zu differenzieren und neue Kontrollen zu schaffen, s. André Holenstein: Ad supplicandum verweisen. Supplikationen, Dispensationen und die Policeygesetzgebung im Staat des Ancien Régime, in: Nubola, Würgler: Bittschriften, S. 167-210. 21 Vgl. hierzu die These Karl Härters über die Entstehung von Policey-Gesetzen. Am Beispiel einer Verordnung in Kurmainz Mitte des 18. Jahrhunderts erläutert Härter: „Motiv für diese Verordnung war jedoch keineswegs eine tatsächlich angestiegene und von der Regierung festgestellte massenhafte Nichtbefolgung der Policeygesetze. Vielmehr intendierte sie damit eine Disziplinierung der Lokalverwaltung hinsichtlich der Publikation und Durchsetzung der Policeynormen, die allgemein mit ‚Nichtbefolgung’ bzw. Devianz begründet wurden“, s. Härter: Gesetzgebungsprozess, S. 23. 22 Wolfgang Zimmermann: Christliche Caritas und staatliche Wohlfahrt. Sozialfürsorge in den geistlichen Staaten am Ende des Alten Reiches, in: Kurt Andermann (Hg.): Die geistlichen Staaten am Ende des Alten Reiches. Versuch einer Bilanz, Epfendorf 2004, S. 115-131, hier: S. 123; s. auch Karl Härter: Das Aushandeln von Sanktionen und Normen: Zu Funktion und Bedeutung von Supplikationen in der frühneuzeitlichen Strafjustiz, in: Nubola, Würgler: Bittschriften, S. 243-274. 23 Diese Position bei Jürgen Schlumbohm: Gesetze, die nicht durchgesetzt werden – ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates?, in: GuG 23 (1997), S. 647-663.
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Die verlangte Anrede ignorierten viele Bittsteller. Dies lässt sich jedoch nicht mit der Abwesenheit von Advokaten im Supplikenverfahren begründen, wie man vermuten könnte. Gegen diese Annahme spricht die sprachliche und formale Sicherheit in den Begründungen, die eine Konsultation von Advokaten und Schreibern wahrscheinlich erscheinen lässt. Die Suppliken, auch die von unterbürgerlichen Akteuren wie Dienstboten oder Kärrnern, weisen kaum sprachliche Mängel auf und reproduzieren die Elemente eines relativ stabilen Kanons aus Argumenten und Formulierungen. Die Formulierungen bei den gängigsten Begründungen wie der Herkunft aus Würzburg, dem Nachweis von Nahrungsstand und Vermögen weisen außerdem große Ähnlichkeiten auf. Selbst die Anordnung dieser Argumente scheint sich an einer Vorlage zu orientieren. Dies alles spricht für die Hinzunahme eines Rechtsbeistands, Schreibers oder zumindest eines Supplikenstellers.24 Dies könnte auch die sprachliche Sicherheit und die Ähnlichkeiten in Formulierungen und Aufbau erklären. Fest steht, dass der Einfluss der Anwälte auf die Verfahren im Vergleich zu anderen Staaten bis 1802 kaum gesetzlich reguliert war. Eine Pflicht zur Einsetzung eines Advokaten, der sogar haftbar gemacht werden konnte, wie sie im Hochstift Osnabrück bestand, gab es in Würzburg zu Beginn des Untersuchungszeitraums nicht.25 Auch in dieser Supplikenordnung von 1795 finden Rechtsbeistände keine Erwähnung. Den Advokatenzwang führte erst Kurbayern im Dezember 1802 ein. Er herrschte fortan für Bittgesuche, die an das General-Kommissariat und damit an die oberste Regierungsbehörde adressiert waren. Für Suppliken an alle anderen „churfürstlichen Stellen“, womit auch der Rat gemeint war, galten die Bestimmungen der Regierung des Hochstifts. Doch diese Regelung hat offenbar in der Praxis keine große Beachtung gefunden. In einem Fall im Jahr 1804 empfahl der Verwaltungsrat einer Bürgerdeputation sogar die Konsultation eines Advokaten, um die Erfolgschancen ihres Anliegens zu erhöhen. Auch die einheitliche Anrede und die Formalisierung des Inhalts übernahm der kurbayerische Landeskommissar Wilhelm von Hompesch in seiner SupplikenVerordnung.26 Advokatenzwang herrschte in Würzburg erst im Großherzogtum, also ab 1806. In der entsprechenden Verordnung teilt die Landesdirektion zunächst mit, dass jeden Tag „eine große Zahl von Bittschriften und Vorstellungen eingereicht“ würden, die gegen bestehende Ordnungen verstießen, da sie „nicht von recipirten Anwälten verfaßt“ seien. Nicht nur, „um die bestehende Ordnung zu schützen“, sondern auch, um „die Parteyen selbst vor Nachtheil zu 24 Härter: Sanktionen, S. 248. 25 Rudolph: Gnade, S. 434. 26 Im ersten Paragraphen der Verordnung „die Form der einzureichenden Bittschriften betr.“ heißt es: „Die Anrede ist: Churfürstliches General=Commissariat!“, Regierungsblatt, 2. Stück, 13.01.1803.
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sichern“, sollten alle Bittschriften künftig unberücksichtigt bleiben, die „nicht von den dazu berechtigten Personen verfaßt“27 worden seien. Diese Bestimmung und eine Vorgänger-Verordnung vom März 1806 vermutet, dass die Supplikanten statt der lizenzierten Advokaten häufig „Winkel-Advokaten“ einsetzten. Diesen nicht anerkannten Advokaten drohte sie „angemessene willkührliche“ Strafen an, wenn sich deren Einsatz in Zukunft nachweisen ließe.28 Nicht nur der Anwaltszwang ab 1806, auch die Stempelabgaben schufen eine neue Hürde im Verfahren. Kurbayern erhob ab 1805 Gebühren für Verwaltungsvorgänge, deren Höhe sich nach dem verhandelten Wert richtete.29 Auch mussten sich die Supplikanten mit den Kompetenzverschiebungen innerhalb der städtischen Behörden erst vertraut machen. Der Magistrat hörte am 1. April 1805 als solcher auf zu existieren. Seine Kompetenzen verteilten sich künftig auf den neuen Verwaltungsrat als direkte Nachfolgebehörde, auf das Stadtgericht und die Landes-Polizeidirektion. Die Landesdirektion verfolgte das Ziel, die Umstellung möglichst rasch zu vollführen und hielt den Verwaltungsrat am Tag seiner Auflösung an, „damit keine Stockung in den Geschäften vorgehe, die in Hand habende Acten, Urkunde, Gelder pp. überhaupt alle dahin gehörigen an die bestehende neuen städtische Behörde (...) ohne Verzug gegen Quittung aus zu händigen.“30 Viele Suppliken, die vorher der Rat bearbeitete, fielen nun in den Kompetenzbereich der Polizeidirektion. Sie behandelte Bittgesuche um die Annahme eines Gewerbes, die Anstellung in einer städtischen Behörde, um die Annahme zum Meister und Bürger, um die Vergabe von Konzessionen und stellte Wander- und Reisepässe aus. Die Behörde arbeitete offenbar in den Anfangsmonaten noch nicht effektiv. Das für April und Mai 1805 erhaltene Polizeiprotokoll listet zwar rund 100 eingegangene Suppliken auf. Doch erst für die Zeit ab Ende April sind Beschlüsse eingetragen.31 Der Kompetenzverlust des Rates lässt sich auch an der Mitgliederzahl und den Sitzungszeiten ablesen. Bis zum ersten Übergang an Bayern gehörten dem Rat neben dem Vizedom und dem Ober- und Unterbürgermeister noch 16 Ratsherren an. Das Kollegium tagte an drei Vormittagen pro Woche. Der kurbayerische Verwaltungsrat hatte zwar noch dieselbe Stärke, trat aber nur noch ein Mal wöchentlich zusammen. Im Großherzogtum versammelte sich der 27 Verordnung „die Einreichung der Bittschriften und Vorstellungen bey Seiner Königl.Hoheit betr.“, Würzburger Regierungsblatt, 9. Stück, 21.06.1806. 28 Verordnung „die Eingabe ungestempelter und mit der vorgeschriebenen Advocaten Unterschrift nicht versehener Vorstellungen betr.“, Würzburger Regierungsblatt vom 10.03.1806. 29 Brandt: Würzburg, S. 488. 30 StadtAW, Rp 143 (1805), Eintrag vom 01.04.1805. 31 StadtAW, Rb 251, Polizeiprotokoll 1799-1805.
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Verwaltungsrat zwei bis drei Mal pro Woche, bestand aber inklusiv der Bürgermeister nur noch aus fünf Ratsherren. Die Stärke des Rates und die Sitzungszeiten änderten sich auch nach 1814 nicht.32 Die Ratssitzungen leitete der Oberbürgermeister. Johann Ignaz Brock übernahm dieses Amt 1795 von Georg Ferdinand Schönig und blieb bis zum Ende des Untersuchungszeitraums im Amt. Die von ihm verfassten „Xenien“, in denen Brock das Schicksal der Stadt Würzburg in der Napoleonischen Zeit satirisch kommentierte, sind leider im Germanischen National-Museum Nürnberg nicht mehr auffindbar.33
5.2.3. Norm und Wirklichkeit: Der Aufbau einer Supplik Auch nach der Supplikenordnung von 1795 adressierten die Supplikanten ihr Gesuch an die Stelle, die sie für zuständig hielten. Die Anredeformeln der Suppliken, die in den Beilagenbänden erhalten sind, nannten mehrheitlich den Rat oder die Landesregierung und nur selten den Landesherrn. Lediglich zwölf Prozent der Suppliken trugen bis zum Ende des Hochstifts die gesetzlich vorgeschriebene Anrede und waren an den Fürsten selbst adressiert. 28 Prozent der Suppliken gingen dem „Wohllöblichen Stadtmagistrat“ als Bestimmungsort zu und trugen dementsprechend die Anrede „Hochlöblicher Stadtmagistrat“ oder wortreichere Varianten. 52 Prozent der in den Beilagenbänden enthaltenen Suppliken waren an die Landesregierung adressiert und mit der entsprechenden Anrede versehen.34 Diese Zahlen belegen, welch geringe Wirkung die Vorgaben der Supplikenordnung von 1795 ausübten, deren letzter Paragraph ankündigte, alle nonkonformen Suppliken würden „nicht der mindesten Rücksicht gewürdiget sondern ungelesen zerrissen“. Georg Karl hielt diese Ankündigung jedoch nicht ein, sonst hätten weder Rat noch Landesregierung die an sie gerichteten Suppliken bearbeiten können. Von der Supplikenordnung von 1795 wichen also nicht nur die Supplikanten ab, sondern auch deren Stifter.35
32 Allerdings kam mit dem Ratsassessor ein neues Amt hinzu, s. StadtAW, Rp 155 (1815). 33 Über die Existenz der „Xenien“ unterrichtet ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1953, s. StadtAW, Biogr. Mappe Georg Ignaz von Brock. 34 Viele der Suppliken, die an die Landesregierung gerichtet waren, hatten die Supplikanten vorher beim Rat eingebracht. Die restlichen Suppliken sind an Hofkammer oder Domkapitel gerichtet oder tragen keinen Adressaten. 35 S. hierzu Harriet Rudolph: Eine gelinde Regierungsart. Peinliche Strafjustiz im geistlichen Territorium, das Hochstift Osnabrück, 1716-1803, Konstanz 2001, S. 269-271.
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Der Grund für die Adressierung der Supplik an Rat und Regierung liegt auf der Hand. Da die Entscheidung über die meisten Suppliken in den Händen dieser beiden Behörden lagen, schienen es den Supplikanten oder deren Advokaten opportun, das Bittgesuch auch an diese zu adressieren.36 Die Ratsherren haben den Normbruch offenbar als willkommene Bestätigung ihrer Kompetenzen aufgefasst.37 Ein Teil der Supplikanten adressierte auch nach 1802 noch den Rat. Allerdings verminderten sich in den Folgejahren deutlich die an die städtische Behörde gerichteten Gesuche. Bis 1804 dämmte die kurbayerische Verwaltung auch diese Uneinheitlichkeit ein. Ab dann richtete nicht ein einziger Würzburger seine Supplik noch an den Rat, sondern an die Landesdirektion. Die Adresse behielten die Supplikanten auch in der Zeit des Großherzogtums bei. Nach der Anrede brachte der Supplikant sein Gesuch vor und fügte, wenn vorhanden, die Geschichte des bisherigen Suppliken-Verfahrens an. Im zweiten Fall zitierte der Autor das Dekret oder die Entscheidung des Rates, die sein erstes Bittgesuch abgelehnt hatten und führte an, weshalb er sich erneut an den Rat oder die Landesregierung wandte. Es folgten die Beweggründe, die häufig nummeriert waren. Die Supplik schloss mit einer längeren oder kürzeren Huldigungsformel. Die Angabe von Name, Wohnort und Beruf des Supplikanten beschlossen die Supplik. Der Aufbau der Suppliken blieb bis 1815 unverändert. Bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nannten die Supplikanten ihr Gesuch und fügten dann die Gründe an, die ihre Bitte unterstützen sollten. Deren Autoren hielten sich in der Gesamtschau recht eng an die verlangte Vorgabe nach Formalisierung der Argumente. Auch der Stil entsprach meistens der Norm. Die Suppliken zeichneten sich alles in allem durch eine grammatikalisch korrekte, formale Sprache aus, die ein gewisses Maß an Beratung von Advokaten oder geschulten Skribenten vermuten lässt. Auch die Hinzunahme von Supplikenstellern ist wahrscheinlich. Angesichts einer Mehrheit von relativ stilsicher formulierten Bittgesuchen fallen einzelne abnorme Suppliken besonders auf. Johann Baptist Hofmann beispielsweise ruft in seiner Supplik „Oh Gott, himmlischer Vater“ aus und verspricht für den Erfüllungsfall ein tägliches Gebet zur Erhaltung einer „allstets gesunden Regierung“38. Der Viertelschreiber bat um eine Quartier36 Zur Rolle des Rats in Gerichtsverfahren s. Rudolph: Regierungsart, bes. Teil 2, E: „Lauter treffliche Männer“. Die Beamten der Justizkanzlei als Soziale Gruppe, S. 189226. 37 In diese Richtung argumentiert auch Alexander Schlaak in seiner Antwort auf die Frage, weshalb der Rat in Dresden die Landesverordnungen nur zögerlich umsetzte, s. Alexander Schlaak: Schrift und Kontrolle. Die Normierung des Supplikenwesens im frühneuzeitlichen Dresden, (unveröff. Ms.), S.9. 38 StadtAW, Rp 135 (1795, Beilagen), lfd. Nr. 44.
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geldbefreiung weniger in Form einer Supplik als in einem Klagegesang, in dem er Hilfe aus seiner „bedrängten und jammervollen Not“ erflehte. Hofmann gehörte zu der kleinen Minderheit, die ihre Supplik tatsächlich an Fechenbach adressierten. Nicht häufig und daher besonders markant sind Spuren fränkischen Zungenschlags. Die Schreinergeschworenen verlangten 1804 Unterstützung für das „zur brofession erforderliche Werkzeug“39. Doch dies sind Ausnahmen. Die Würzburger Suppliken waren am Ende des Alten Reiches schon relativ weit ausdifferenziert, wenn man die Kriterien anlegt, die Otto Ulbrich vorgeschlagen hat und den Grad an Umgangssprachlichkeit oder die Frequenz wörtlicher Rede zugrunde legt.40 Die Begründungen für die Bitte zeugen in aller Regel von einer soliden Kenntnis der Rechtslage. Die Supplikanten arbeiteten in den Argumenten die relevanten rechtlichen Bedingungen ab, die das Gesetz verlangte. Nahezu jede Bürgerrechtssupplik enthielt die Versicherung, dass der Nahrungsstand gesichert sei, die Angabe der eigenen Vermögenshöhe und der des Eheweibs, dann die bereits in Würzburg verbrachten Jahre oder die Angabe Würzburgs als Geburtsort, weiter die Bestätigung eines tadellosen eigenen Lebenswandels und des sittlichen Betragens der Ehefrau und die Nennung der angestrebten Tätigkeit. Allerdings überschritten viele Begründungen die Bestätigung geltenden Rechts. Allein 30 Supplikanten mahnen die „dermalen so harten Zeiten“ oder die „teure Zeit“ an. 15 Suppliken erinnern an die Kriegszeiten, andere machten die „Anwesenheit der Franzosen“ geltend. Die Supplikanten zitieren also sehr wohl Phänomene, die sich juristisch nicht verwerten ließen. Das galt nicht nur für Suppliken, die bisweilen als Gnadensuppliken bezeichnet worden sind41 und deren Autoren nicht ein Recht einklagten, sondern um die Erfüllung einer Bitte ohne rechtliche Grundlage baten. Auch die Bürgerrechtssuppliken, die gemäß der Aufteilung von Gnaden- und Rechtssuppliken zu den Rechtssuppliken zu zählen wären, enthalten Gnadenappelle. Ein Bäckergeselle begann 1804 seine Bürgerrechtssupplik mit der Bemerkung, er sei schon häufig mit seinem Gesuch abgewiesen worden.42 Ein Büttnergeselle, der um das Meisterrecht ansuchte, befürchtete sein „Verderben“, wenn der Rat ihm die Bitte nicht erfüllen sollte. Denn ohne Meisterrecht würde die Kundschaft „nicht mehr bleiben“43. Ein Volkacher Weinhändler bat 39 StadtAW, Rp 143 (1804) Eintrag vom 02.11.1804. 40 Ulbricht: Supplikationen, S. 159 f. 41 Helmut Neuhaus: Supplikationen als landesgeschichtliche Quellen. Das Beispiel der Landgrafschaft Hessen im 16. Jahrhundert, Tl. 1, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 28 (1978), S. 110-190, hier: S. 120 f; Schwerhoff: Kölner Supplikenwesen, S. 476; Kritik an der Aufteilung bei Härter: Aushandeln, S. 245. 42 StadtAW, Rp 145 (1804), Eintrag vom 28.08.1804. 43 StadtAW, Rp 137 (1797, Beilagen), fol. 135, lfd. Nr. 226.
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darum, in Würzburg als solcher arbeiten zu dürfen, da an seinem Heimatort der Handel „nicht zuträglich“44 sei. Er fügte hinzu, dass offensichtlich „einige Bürger selbst in dergleichen Handelsschaften begriffen sind und daher befürchteten, durch meine Aufnahme beeinträchtiget zu werden.“45 Sein Gesuch war vorher vom Stadtrat abgelehnt worden. Auch manche der sogenannten Rechtssuppliken enthielten folglich nicht nur rechtlich verwertbare Angaben, sondern auch Selbstbeschreibungen, in denen der Supplikant die Schwierigkeit seiner Situation darlegte. Diese schienen den Angaben des Vermögens, des Nahrungsstandes und des sittlichen Lebenswandels als zusätzliche Stütze zu dienen und die Erfolgschancen des Gesuchs zu erhöhen. Es konnte die Erfolgsaussichten des Bittgesuchs nur erhöhen, an die Gnade des Adressaten zu appellieren. Hierauf soll der Abschnitt über die Supplik als Relevanz-Medium näher eingehen.
5.2.4. Präsenz und Schrift: Die Praxis des Supplizierens Personen, die der Rat als Zeugen gerufen hatte, mussten sich im sogenannten Roten Bau des Rathauses einfinden.46 Die Stockwerke lagen über einer offenen Halle. In der ersten Etage des Spätrenaissance-Baus befand sich die Ratsstube.47 Die Vorgeladenen warteten in der Vorhalle. Dort hingen Fürstenporträts „in Lebens-Grösse“. Außerdem sahen sie auf ein Gemälde, das den JesusVerräter Judas Ischariot in einer nächtlichen Landschaft zeigte.48 Nach dem Aufruf ihres Namens traten die Zeugen vor das Kollegium des Inneren Rates in der Ratsstube. An der Wand hingen nicht weniger als 14 44 StadtAW, Rp 137 (1797, Beilagen), fol. 39, lfd. Nr. 89. 45 Ebda. 46 Zur Ausstattung von Rathäusern als Machträumen s. etwa Thomas Weller: Der Ort der Macht und die Praktiken der Machtvisualisierung. Das Leipziger Rathaus in der Frühen Neuzeit als zeremonieller Raum, in: Christian Hochmuth, Susanne Rau (Hg.): Machträume der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz 2006, S. 285-307, hier: S. 287 f; zur Rolle der körperlichen Präsenz in Ratssitzungen s. grundlegend Rudolf Schlögl: Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden: Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: GuG 34 (2008), S. 155-224. 47 Thomas Heiler: Der Grafeneckart. Zur Geschichte des Würzburger Rathauses, Würzburg 1986, S. 22 f; zur Ablösung des alten Wenzelsaals durch den neuen Ratssaal und der Baugeschichte s. Ders.: Verklärtes Symbol der entgangenen Reichsfreiheit. Anmerkungen zum Namen und zur früheren Nutzung des Wenzelsaals, in: Stadt Würzburg (Hg.): Vom Rittersaal zur guten Stube – Der Wenzelsaal des Würzburger Rathauses im Laufe der Jahrhunderte, Würzburg: 2004, S. 53-67, hier: S. 56. 48 Ulrich Wagner: Das Rathausinventar im Jahre 1731, in: Ders. Geschichte 2, S. 260263, hier: S. 260.
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Fürstenporträts, zwei Historien-Gemälde und mehrere Bilder religiösen Inhalts: eine Szene mit dem Hl. Hieronymus, eine Dreifaltigkeits-Darstellung, ein Gemälde von Jesus als salvator mundi, dazu ein Marienbild auf Pergament, dann der Kalender des Domkapitels als auch der des Rats und eine Uhr mit Pendel. Neben dem Ofen befand sich eine hölzerne Registratur mit 28 Schubfächern. An einem viereckigen Eichentisch, den grüner Seidenstoff bedeckte, saßen der Oberbürgermeister und der Schreiber, bei Sitzungen des Oberen Rates zusätzlich der Vicedom als Vertreter der geistlichen Regierung.49 Während der Belagerungen mussten die Ratsherren die Ratsstube im Roten Bau vorläufig verlassen. Das Rathaus lag zwischen Mainbrücke und Dom und bildete daher das „topografische Zentrum politischer Macht der Stadt“50. Das Protokoll von der ersten Sitzung des Jahres 1801 hält fest, da „das Bombardement aufgehöret und der Waffenstillstand eingetretten“ sei, könnten die Ratssitzungen wieder im „Stadthause“51 stattfinden. Bei Zeugenverhören notiert das Protokoll nicht nur die Aussagen, sondern auch den äußeren Rahmen: „Hierauf wurden die Lehenkutscher, welche die Geiseln nach Charlemont geführet, allein ohne Pferd und Chaisen zurückgekommen vernommen, und gefraget wie sich dieses zugetragen. Diese redeten nun aus, sie wären glücklich nach Charlemont und von da wieder zurück“52 gekommen. Auch über die Präsenz von städtischen Bedienten unterrichtet das Protokoll eindeutig. Wenn der Rat etwa ein Dekret vom Landesherrn erhalten hatte, verlas es der Oberbürgermeister zunächst im Beisein des angesprochenen städtischen Personals, um es dann verteilen zu lassen. Am 14. Juli 1796, dem Tag vor Beginn der französischen Besetzung, „wurden auf den von Sr. Exzellenz H. Vicedom eröffneten Vortrag in Betreff der unverzüglichen Aufnahm der Fremden die Viertelschreiber und Diener hereingelassen, und anliegende Verordnung ihnen zur schleunigen Befolgung zugestellet“53. Die persönliche Anwesenheit hält das Protokoll auch in den Fällen fest, wenn ein Amtsträger oder Vertreter eines Ratsstube, einer Pflege oder des Militärs eine Urkunde übermittelte. Ein Diener des Kammerzollamts etwa „übergibt eine Quittung über 8375 fl. über weitere Anleihe für die Hochfürstliche Obereinnahme“54. 49 Ebda. 50 Gerd Schwerhoff: Öffentliche Räume und politische Kultur in der frühneuzeitlichen Stadt: Eine Skizze am Beispiel der Reichsstadt Köln, in: Rudolf Schlögl (Hg.): Interaktion und Herrschaft. Die Politik in der frühneuzeitlichen Stadt., Konstanz 2004, S. 113-136, hier: S. 118. 51 StadtAW, Rp 141 (1801), Eintrag vom 03.01.1801. 52 StadtAW, Rp 134 (1796), Eintrag vom 01.10.1796. 53 StadtAW, Rp 134 (1796), Eintrag vom 14.07.1796. 54 StadtAW, Rp 141 (1801), Eintrag vom 29.01.1801
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Bis 1802 war es üblich, dass auch Suppliken nicht nur eingereicht, sondern auch mündlich vorgetragen wurden. Das bezeugen etwa die Entschädigungssuppliken während und nach den französischen Besetzungen. Im Jahr 1796, nachdem die Franzosen im September die Stadt wieder verlassen hatten, „erschienen die hiesigen Kutscher und Kärner welche bey dem Hierseyn der franzosen ihre Pferde und Wägen hergegeben und in diesem Dienste zu Grunde gegangen, und foderten ganz zudringlich unter Lamentierung Entschädigung“55. Am selben Tag „kamen fünf französische chirurgi und verlangten Verpfleegung in der Kaserne“ und „Ignatz Behringer zeiget an, daß ihm gestern ein Pferd gefallen seye.“56 Nach jetzigem Kenntnisstand hat immer dann die genannte Person in der Ratssitzung vorgesprochen, wenn das Protokoll nicht auf ein Schriftstück verweist, das den Beginn und Grund der Bearbeitung eines Vorgangs durch den Rat markiert. In diesen Fällen heißt es im Protokoll, es „kam in der in den frz. Requisitions Acten befindliche Brief von einem gewissen (…) General de l’Armée“57 oder „kam ein hochfürstl. Regierungs Decret“58 usw. Wenn man die Zahl der Einträge, die Hinweise auf den Eingang eines Schriftstücks beinhalten, mit der Zahl der Vorgangs-Dokumentationen vergleicht, die ohne einen solchen Hinweis beginnen oder in denen PräsenzVerben auftauchen, lässt sich ein deutlicher Überhang von Fällen persönlicher Anwesenheit gegenüber Vorgängen ausmachen, die ausschließlich auf dem Eingang von Schriftstücken beruhten. Auch nach dem ersten Übergang Würzburgs an Bayern war es Einzelnen oder Gruppen möglich, vor dem Rat Ihr Anliegen auszusprechen. Allerdings schien dies nur noch bei besonderen Verfahren erlaubt gewesen zu sein. „Einige Bürger treten vor den Stadtrat“59, hält das Protokoll von 1804 fest, und bitten um die Befreiung von militärischen Pflichten für die Bürger der „Hauptstadt Würzburg“. Auch die Vorladung von Zeugen wurde seltener und blieb auf schwerwiegende Fälle beschränkt. Der Rat verpflichtete die Einwohner 1804, die Aufenthaltsorte von Emigranten preiszugeben und befahl den Gemeldeten anschließend, vor dem Rat zu erscheinen.60 Das Ratsprotokoll desselben Jahres enthält eine „Liste derer, die aufgrund der Bekanntmachung erschienen“. Der Umgang mit Emigranten während der Koalitionskriege stellte ein bedeutendes Politikum dar. Im Alltagsgeschäft gehörten Zeugen, Stadtdiener und Supplikanten in der Ratsstube bereits der Vergangenheit an. Im Regelfall erhielten 55 56 57 58 59 60
StadtAW, Rp (134) 1796, Eintrag vom 19.09.1796. Ebda. StadtAW, Rp 134 (1796), Eintrag vom 21.09.1796. StadtAW, Rp 134 (1796), Eintrag vom 16.09.1796. StadtAW, Rp 143 (1804), Eintrag vom 24.11.1803. StadtAW, Rp (143) 1804, Eintrag vom 18.04.1804.
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Supplikanten von nun an eine schriftliche Entscheidung auf schriftlich eingereichte Bittgesuche. Die Vermutung liegt nahe, dass das Erscheinen von Supplikanten vor dem Verwaltungsrat auch deshalb abnahm, weil dieser weitgehende Kompetenzen verlor. Alle Polizeisachen behandelte nach 1805, wie bereits erläutert, die neu geschaffene Polizeidirektion, die der Landesdirektion unterstand. Allerdings erschienen auch in diesem Amt keine Supplikanten. Laut Protokoll war die Anwesenheit von Personen, die kein Mitglied der Behörde waren, nicht mehr vorgesehen. Die Praxis der Anhörungen endete vollends im Verwaltungsrat des Großherzogtums ab 1806. Betrachtet man das Formular des VerwaltungsratsProtokolls aus der großherzoglichen Zeit, fällt die durchgehende Verschriftlichung der Vorgänge auf. Das Protokoll bestand aus einer doppelseitigen Tabelle mit den acht Fächern „Monatsdatum, wo das Stück eingegangen ist“, „Numerus des Stücks“, „Namen des Referenten und dessen Numerus“, „Inhalt des Stücks“, „Conclusum darüber“, „Tag des Rathsschlusses“, „Tag der Expedition und Zustellung“, schließlich „wo das Stück in der Registratur zu finden“ ist. Die Persönliche Präsenz von Zeugen61 oder Supplikanten war also nicht mehr vorgesehen. Außerdem verantwortet von nun an ein einzelner Rat als Referent die Suppliken. Die Bittgesuche wurden zu diesem Zweck in Rechtsgebiete unterteilt und je einem Ratsherrn ein Rechtsgebiet zugeteilt. Der Referent studierte die Suppliken, stellte sie dem Ratskollegium vor und legte Entscheidungen nahe. In ganz seltenen Fällen berichtet das Protokoll davon, dass Supplikanten noch vor dem Rat erschienen. So baten etwa im Januar 1807 zwei Eheleute um Schatzungsnachlass, „indem sie mehrere Schatzungs- und Steuer Zettel vorzeigen“62 und lassen die Ratsherren wissen, „dass sie aus Armut weder ihre Rückstände begleichen noch in Zukunft die anfallenden Forderungen bezahlen werden können.“. Weshalb gerade dieses Ehepaar dazu vor den Rat trat, ist nicht ersichtlich.
5.2.5. Exkurs: Die Bedeutung des „Anderen“ im Entschädigungsverfahren Die Suppliken hielten sich nahezu ausnahmslos im Rechtsgebiet der „Policey“ auf. Dieser beinhaltete mit André Holenstein „die inneren Verhältnisse in den Gemeinden und dabei insbesondere die Niederlassung neuer Untertanen mit 61 Zeugen treten jedoch auch deshalb nicht mehr auf, weil der „Verwaltungsrat“ seine gerichtlichen Kompetenzen verloren hat. Die Gerichte luden nach wie vor Zeugen vor. 62 StadtAW, Rp 147 (1807), Eintrag vom 03.01.1807.
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ihrer Weiterung in das Armenwesen, in die Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik, die Bauvorschriften mit ihrer Relevanz für die Holzversorgung und den Feuerschutz und die Bestimmungen gegen den übermäßigen Aufwand der Untertanen bei Hochzeiten und Taufen mit ihrer Bedeutung für die Bewahrung funktionstüchtiger und belastbarer Haushalte.“63 Um den vagen Bereich der „Policey“-Gesetzgebung weiter zu unterteilen, sind verschiedene Vorschläge gemacht worden. Andreas Würgler teilt die Suppliken nach „Inhalten“64 ein, André Holenstein nach „Ordnungsbereichen“65, Gerd Schwerhoff etwas weiter in Rechtssuppliken und Gnadensuppliken.66 Die Entschädigungssuppliken nehmen innerhalb dieser Einteilungen eine Sonderstellung ein. Die Supplikanten hatten eine Leistung erbracht und baten nun um deren Entlohnung. Damit bezog sich das Verfahren auf einen Punkt in der Vergangenheit. Bei den meisten anderen Gattungen wie Bürgerrechts- und Aufenthaltssuppliken, Pfründensuppliken, Anstellungssuppliken und Bitten um Schatzungsminderung zielte die Verhandlung auf einen Punkt in der Zukunft. Es wäre allerdings falsch, anzunehmen, dass die EntschädigungsSuppliken nach Art einer Rechnung nur die erbrachte Leistung und einige Details wie das Datum und den Auftraggeber nannten. Dies schien den „Erwartungen und Bewertungen des Adressaten“67 im Horizont der Supplikanten noch nicht zu genügen. Supplikanten fügten ihrem Gesuch noch weitere Gründe an, welche die Aussicht auf Erfolg aus ihrer Sicht erhöhten, so zum Beispiel in der Supplik des Wirts zum Storchen, der um die Erstattung einer Chaise und zweier Pferde ansuchte.68 Der Wirt hatte nach dem Entsatz der Stadt ausgeliehen, aber nicht zurückerhalten. Er gab in dem Bittgesuch mit dem „k.k. Militär“ nicht nur den Auftraggeber an, sondern auch den Ratsherren Franz Buchler, der ihm die Entschädigung zugesichert habe. Außerdem müsse er „mehrere Jahre arbeiten“ bis der Schaden ersetzt sei. In einer ganzen Reihe von Entschädigungssuppliken tritt zu den vom Storchenwirt genannten noch eine weitere Begründung auf – die vom ‚Anderen’. Der erboste Stadtbedienstete Friedrich verlangte in einer Supplik im Dezember 180069 seine Entlassung. In einer Ratssitzung sei er vor den französischen Kommissaren beschimpft worden, weil er einer vorigen Session ferngeblieben sei. Dabei habe er seit der französischen Besetzung, die Anfang September 1796 endete, jeder Sitzung beigewohnt und am fraglichen Ratstag zum ersten Mal gefehlt. „Andere“, so fügt Friedrich schließlich an, „tun gar nichts 63 64 65 66 67 68 69
Holenstein: Supplikationen, S. 169. Würgler: Bitten und Begehren, S. 17. Holenstein: Supplikationen, S. 172. Schwerhoff: Kölner Supplikenwesen, S. 476. Rudolph: Gnade, S. 445. StadtAW, Rp 135 (1796, Beilagen), 11.10.1796. StadtAW, Rp 139 (1800), Eintrag vom 18.12.1800.
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und haben keine Kinder“. Ein zweiter Fall: Der Kapitularkanoniker des Stifts Neumünster Wilhelm sucht das Generalkommissariat dringend um Befreiung seiner seit sieben Monaten dauernden Einquartierungen an. Viele Höfe und Häuser seien gänzlich befreit, führt Wilhelm an.70 Den „Anderen“ setzen die Supplikanten als diejenige Figur ein, die bereits etwas bekommen hatte, worum der Supplikant nun bat. Die Referenz soll dem Adressaten also einerseits die Erfüllbarkeit seines Gesuchs vor Augen führen. Man muss sich vor Augen führen, dass die Bittsteller mit ihren Entschädigungs-Suppliken Neuland betraten. Sicherlich sind auch aus früherer Zeit Fälle aktenkundig, in denen Handwerker um die Erstattung von Leistungen gebeten haben. Doch in diesen Fällen waren nur die Stadt und der ausführende Kutscher oder Zimmermann an dem Vertrag beteiligt. Jetzt erfuhr die Stadt oft erst im Nachhinein von den Leistungen der Bürger an den Franzosen oder Koalierten und musste dennoch dafür aufkommen. Dafür standen noch keine Normen zur Verfügung. M. E. appellierten die Supplikanten deshalb relativ häufig an den „Anderen“, weil sie damit das Verfahren zu normieren versuchten. Die Erfüllung der eigenen Supplik auf Grundlage der Erfüllung derselben Supplik eines „Anderen“ appellierte an die Gleichbehandlung als Grundnorm. Es wäre zu überlegen, ob der ‚Andere’ auch in anderen historischen Kontexten auftaucht, in denen neue Rechtsverfahren ausgehandelt wurden. Vielleicht erschien die Figur des ‚Anderen’ so lange, bis Normen die Bedingungen für den Erhalt bestimmter Rechte festgeschrieben hatten.
5.2.6. Suppliken als Medien von Relevanzen Der wirkungsvollste Filter von Relevanzen in einer Supplik ist das Argument. Während Briefe in erster Linie schildern und unterhaltsam berichten, besteht die Supplik fast ausschließlich aus Argumenten. Der Sprachgestus des Arguments unterscheidet die Supplik von allen anderen Selbstzeugnissen. Das Argument hat weitreichende Folgen für die Darstellung von Relevanzen: Es formalisiert den Bericht über Vergangenes oder die Darlegung der Zukunftspläne und schränkt das Geschriebene gleichzeitig auf die argumentativ vermittelbaren Anteile ein. Ausschließlich mittels Argumenten musste der Supplikant als Bittsteller Adressaten als Rechtsträger und Obrigkeit von seinem Anliegen überzeugen. Das Argument reproduzierte also die Machtbeziehung, die zwischen Autor und Adressat bestand. Zwar argumentierten auch Professoren in Briefen an Kollegen. Und auch sie setzten Argumente dann ein, wenn sie von der Ent70 StadtAW, Rp 143 (1803), Eintrag vom 28.02.1803.
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scheidung des Freundes oder Kollegen in einer bestimmten Sache abhängig waren. Der Unterschied liegt aber darin, dass die Professoren die Erfüllung der Bitten als Freundschaftsdienst verstanden und Briefe auch andere Sprachgesten wie den Briefbericht und die Freundschaftsbekundung enthielten. Supplikanten dagegen stand, um ihr Anliegen erfolgreich vorzubringen, einzig und allein das Argument zur Verfügung. Diesem Ziel ordneten die Supplikanten die einzelnen Elemente ihres Schreibens unter, nämlich die Wortwahl, die Länge der Ausführungen, die äußere Form, die Wahl des Adressaten und die Reihenfolge der Argumente. Erfolgsgefährdende und bedeutungslose Elemente aus dem Leben des Supplikanten schlossen sich daher von selbst aus, auch wenn diese ihr Leben zu jener Zeit bestimmten. Dazu konnten Stellenwechsel, Krankheiten und Todesfälle, aber auch wirtschaftliche Notlagen, gar die Aufgabe des Handwerksbetriebs und der Abstieg in die Armut gehören. Die Suppliken geben auch nur in sehr geringem Maß Einblick in das Familienleben. Nur in den Fällen, in denen sich die genannten Bereiche in einer Supplik vorbringen ließen, erfährt man davon als Relevanzen der Stadtbewohner. Über die Arbeits- und Familienverhältnisse der Betriebe unterrichten fast ausschließlich die Gesuche um Befreiung vom Militärdienst. Von Frauen erfährt man in aller Regel nur in den holzschnittartigen Formulierungen von Bürgerrechts- und Meisterrechtssuppliken, die ihren Vermögensstand und ihr tadelloses Verhalten bekunden. Als Supplikenstellerinnen traten Frauen nur dann auf, wenn sie als Witwen um Schatzungsnachlass, Quartiergeldbefreiung oder eine Armenpfründe baten. Um das Risiko einer negativen Entscheidung möglichst gering zu halten, konsultierten die Supplikanten offenbar regelmäßig Advokaten. Diese wirkten bis 1806 eher im Hintergrund, nach dem Advokatenzwang wurde ihr Einsatz sichtbar zur Regel. Dieser Rechtsbeistand veränderte die ursprünglich empfundenen Relevanzen. Es ist davon auszugehen, dass der Rechtsverständige die Supplikengründe und -argumente sprachlich und inhaltlich zentrierte und sie so stärker an die geltende Rechtslage anpasste. Suppliken unterrichten außerdem nur von Schwierigkeiten, auf die der Adressat im Horizont des Supplikanten mit einem Rechtsakt reagieren konnte. Dies unterscheidet Suppliken ebenfalls von Briefen. Professoren konnten Ideen und Gedanken etwa zur Empfehlung eines Kandidaten austauschen und so für diese Gruppe Bedeutendes sichtbar machen. Wie etwa die Schuster auf die stärker werdende Konkurrenz durch den Wegfall der Zunftschranken oder auf die Importbeschränkungen während der französischen Besetzungen reagierten, ist den Suppliken in der Regel nicht zu entnehmen – es sei denn, dieser Schuster bildete eine Partei in einem rechtsrelevanten Konflikt, den dieser oder sein Gegner in einer Supplik schilderte. Dies ist bei Wilhelm Buchler der Fall, einem Schuster, der für die Franzosen mehrere Hundert Paar Schuhe herzustellen hatte. Die französische Armee kaufte Buchler am Ende jedoch weni-
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ger Paare ab als angekündigt. Buchler forderte daraufhin vom Magistrat, ihm die übrigen abzukaufen. Der Fall Buchler, auf den noch einzugehen sein wird, verdeutlicht auch, dass Suppliken fast ausschließlich negative Veränderungen in der Lebenswelt abbilden. Den Bittgesuchen ist gemeinsam, dass sich ihre Autoren als in einer entscheidenden Situation befindlich darstellen, oft sogar in einer Krise, wenn man Krise als Entscheidungs-Zustand begreift, dessen Ausgang gravierende Konsequenzen in der Lebenswelt eines Akteurs nach sich zieht.71 Der genannte Fall des Lederfabrikanten Buchler hätte keine Spuren hinterlassen, wenn er für alle beteiligten Parteien erfolgreich verlaufen wäre. Die Profite der Handwerker, die Zunftschranken nicht mehr bremsen konnten, haben naheliegender Weise keine Bittgesuche produziert. Suppliken bilden nur kritische Lebenssituationen ab, keine Erfolgsgeschichten – abgesehen von den Erfolgen, die andere Akteure in den Misserfolg trieb. Die Eindringlichkeit der Krisendarstellung ist allerdings stark abhängig vom Supplikenmotiv. Pfründensuppliken stellten die Bedrohung durch eine Krise am stärksten heraus. Erstens wiesen die Supplikanten damit nach, dass ihre Krankheit sie zur Pfründe prädestinierte. Die Supplikanten erhoffen sich vom Adressaten die Rolle des dauerhaften Almosengebers, dessen Rollenverlust ein sofortiges Wiedereintreten der Krise bewirken würde. Zweitens schufen sie damit erst die Grundlage zur Applikation geltenden Rechts, das Krankheit und Armut als Zugangsberechtigung zur Pfründe festsetzte. Bei Pfründensuppliken dominierte folglich die Unsouveränität des schreibenden Ich. Bürgerrechtssupplikanten stellten sich selbst als weitaus souveräner dar. Sie setzten den Adressaten nur als einmaligen Krisenhelfer ein, auf dessen Hilfe sie danach nicht mehr angewiesen sein wollten. Die Autoren von Bürgerrechtssuppliken nannten zwar ihre prekäre Lebenssituation, legten aber andererseits mit ihren Zukunftsplänen eine Lösung vor, die aus dem Kauf oder Bau eines Hauses, dem Aufbau eines Handwerksbetriebs oder dem Bestellen 71 Krise soll jedoch dagegen nicht als Kollektiv im Sinne einer Systemkrise oder einer gesellschaftlichen Krise verstanden werden; Auch ist mit Krise hier keine totale Umbruchsituation gemeint, sondern lediglich eine „Entscheidungssituation unter Zeitdruck“ (Karl Wolfgang Deutsch), zit. bei: Rudolph Vierhaus: Art. Krisen, in: Stefan Jordan (Hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 193-197, hier: S. 195. Im Gegensatz dazu wird in der Geschichtswissenschaft Krise fast ausschließlich auf ein System bezogen, s. stellvertretend für eine große Zahl an Arbeiten zum Thema Helga Scholten (Hg.): Die Wahrnehmung von Krisenphänomenen. Fallbeispiele von der Antike bis in die Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 5-11; Moritz Föllmer, Rüdiger Graf (Hg.): Die „Krise“ der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters, 2005; s. auch Hans-Christof Kraus: Das Ende des alten Deutschland. Krise und Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806, S.51 ff.
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von Äckern und Beeten bestand.72 In Bürgerrechtssuppliken stellte sich die Krise im Vergleich zu Pfründensuppliken als relativ gering dar, da sonst der Nutzen des Supplikanten für das Gemeinwesen, auch dies eine Rechtsvorschrift, nicht mehr gewährleistet gewesen wäre. Alle Suppliken setzten den Rat als Entscheider ein. Es ist also in den einzelnen Abschnitten darauf zu achten, um welche Art von Supplik es sich handelt. Auch das Supplikenmotiv formte Relevanzen um. Wie bei den Briefen ist die Häufung von gleichen oder ähnlichen Anliegen ein starkes Indiz für dessen Bedeutung. Die Lehenkutscher supplizierten innerhalb weniger Jahre ein halbes Dutzend Mal um die Privilegierung ihrer Arbeit und die Abwehr von Konkurrenten. Die Vielzahl von Suppliken gegen die Einführung des Heeresergänzungsgesetzes, um die Befreiung des eigenen Sohns vom Militärdienst und die große Anzahl der Anträge auf Wanderschafts-Pässe nach 1804 zeichnet ein sehr klares Bild von der schweren Beeinträchtigung des kleinen und mittleren Bürgertums durch das neue Rekrutierungs-Reglement. Aus diesem Grund werden im Folgenden fast ausschließlich diejenigen Phänomene untersucht, die sich auf eine hinreichend große Anzahl an Suppliken berufen können. Einzelfälle bilden die Ausnahme. Nicht alle Häufungen deuten jedoch auf eine hohe Qualität der Beeinträchtigung hin. Die immer wieder auftretende Referenz an die „teuren Zeiten“ gehörte zum Repertoire der Suppliken, sowohl vor den Koalitionskriegen als auch der Zeit danach. Dabei ist fraglich, ob den Autoren die Teuerung tatsächlich so große Schwierigkeiten bereitete wie es dieses Argument vermuten lässt. Andererseits hat man bei einer Argumentation, die von einem bisweilen niedrigen Wirklichkeitsgrad der Argumente ausgeht, die möglichen sozialen Folgen einer Supplik noch nicht mitbedacht. Ohnehin sind diese bisher kaum erforscht. Das Eingeständnis von finanzieller Not muss auch an der Schwelle zum 19. Jahrhundert eine soziale Wirkung entfaltet haben. Begingen Personen, die in Zeiten hoher Kontributionszahlungen um Schatzungsnachlass baten, nicht eine deviante Handlung? Die sozialen Kosten mögen abgenommen haben, nachdem die Supplik als reines Schriftverfahren üblich wurde. Doch bis zum Übergang Würzburgs an Bayern trugen die Supplikanten ihr Gesuch mündlich vor – und damit in die Öffentlichkeit. Der häufige Gebrauch von Floskeln darf also weder dazu verleiten, die Klagen von vorneherein als unbegründet noch als begründet zu betrachten. Zur Prüfung des Argumentes der Teuerung müssen die entsprechenden Suppliken mit der Inflationsrate der Stadt verglichen werden. Im Fall der
72 Suppliken bilden also längst nicht nur das Leben des Supplikanten in seinem IstZustand ab. Sie dienten auch als Medien von Zukunftsvisionen.
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Teuerungsklagen in diesem Sample scheint es, als hätten die Supplikanten mit einer alten Floskel eine tatsächliche Notlage beschrieben.73 Im Fall der Befreiungsgesuche deutet auf eine starke Beeinträchtigung außerdem hin, dass die Supplikanten sich mit einem Gesuch an den Rat wandten, obwohl dies dessen Entscheidungsgewalt weit überschritt. Das Heeresergänzungsgesetz von 1804, das den Supplikanten bekannt gewesen sein muss, schrieb den städtischen Verwaltungsräten lediglich die regelgetreue Auswahl der Bürgersöhne für den Militärdienst zu. Dennoch supplizierte eine Abordnung städtischer Bürger und später viele einzelne Väter für ihre Söhne um die Wahrung des alten Exemtions-Rechts beim Rat.
5.2.7. Andere Quellen Neben Suppliken nimmt dieses Kapitel auch Bezug auf Rechtsquellen, am häufigsten auf Landesverordnungen der Regierung des Hochstifts, auf das Regierungsblatt für die Churpfalzbaierischen Fürstenthümer in Franken und das Regierungsblatt des Großherzogtums Würzburg. Auch die Befehle der französischen Besatzungstruppen und der Schriftverkehr des Rates mit den Koalitionstruppen dienen als Referenz. Ergänzend dazu werden in geringer Zahl Einträge aus Tagebüchern und Briefen genannt.
5.3. Der Wehrdienst als Zäsur 5.3.1. Das Landfolgerecht in der Stadt Würzburg bis zu seiner Auflösung Die untersuchte Personengruppe in diesem Abschnitt unterscheidet sich von den anderen dadurch, dass sie keinen Berufsstand darstellt, sondern eine Gruppe von Betroffenen. Diese Gruppe fand sich erst bei der Auflösung des Landfolgerechts zusammen, welches bestimmte, dass die Haupt- und Residenzstadt keine Soldaten zur Garnison und zur Landwehr stellen musste.74 73 Zur Teuerung zwischen dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs und dem Übergang zum 19. Jahrhundert s. Christoforatou: Wirtschaftsgeschichte, in: Wagner, Geschichte 2, S. 427 f. 74 zur Landfolge s. Ute Frevert: Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001, S. 26 ff; Planert, Mythos, S. 86 ff; Helmut Schnitter: Die überlieferte Defensionspflicht. Vorformen der allgemeinen Wehrpflicht
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Das Untersuchungsobjekt bilden damit diejenigen Bürger und Beisassen Würzburgs, die das Gesetz 1804 und bis zum Ende der Befreiungskriege zum Waffendienst verpflichtete. Bei den Supplikanten handelt es sich lediglich um eine kleine Teilgruppe der Betroffenen. Einblick in ihre Relevanzen gewähren nur die Bittgesuche der Akteure, die dem Zwang zunächst nicht folgten und in die Kaserne einrückten, sondern sich nachträglich auf Grundlage der selben Verordnung, die sie zum Waffendienst zwang, zu befreien versuchten. Noch vor diesen individuellen Befreiungsgesuchen versuchte ein Teil der Bürgerschaft, die Gültigkeit des Gesetzes für die „Hauptstadt“ Würzburg in Frage zu stellen. Mit dem Beginn der Rekrutierung städtischer Bürger fiel ein Privileg, das diesen Jahrhunderte lang und selbst in den ersten knapp 15 Jahren der Koalitionskriege zustand. Die beiden während der Napoleonischen Kriege regierenden Fürstbischöfe rührten auch dann nicht an das Privileg des ius sequale, als die Rekrutierung der Landbevölkerung sich als zu gering und die Verteidigung der Stadt als unzureichend herausstellte. Die Rekrutierungen in den ersten Jahren der Koalitionskriege von 1793 bis 1802 sollen die folgenden Seiten kurz nachzeichnen, auch wenn die Darstellung sich in diesem Teil nur auf einige wenige Suppliken beziehen kann. Um die Qualität der Neuerung des Heeresergänzungsgesetzes von 1804 und die Dimension der Proteste richtig bewerten zu können, scheint mir dies gerechtfertigt. Zusammen mit den Reservisten besaß das Hochstift am Ende des 18. Jahrhunderts „7507 waffenfähige Untertanen“.75 In Kriegszeiten konnte die Regierung auf etwa ebenso viele Soldaten der Landmiliz zurückgreifen. Die Würzburger Garnison war angesichts ihrer Struktur und ihrer geringen Größe zum Schutz des Hochstifts nicht in der Lage. Bernhard Sicken hat gezeigt, „dass die Würzburger Streitkräfte, die primär als Kontingentstruppe einzustufen sind, zum selbstständigen Operieren im Feld ungeeignet waren und ohne Rückhalt im Reich oder durch einen Verbündeten nicht einmal die Haupt- und Residenzstadt und die Feste Marienberg gegen einen energischen Angreifer mit Aussichten auf Erfolg verteidigen konnten, weil die Kräfte numerisch zu schwach waren.“76 Auch Herbert Schott hat auf den mangelhaften Schutz der
in Deutschland, in: Roland G. Foerster (Hg.): Die Wehrpflicht. Entstehung, Erscheinungsformen und politisch-militärische Wirkung, München 1994, S. 29-38. 75 Herrmann Helmes: Aus der Geschichte der Würzburger Truppen, in: NGFG, 1909, S. 86; s. auch Bernhard Sicken: Die Streitkräfte des Hochstifts Würzburg gegen Ende des Ancien Régime. Beobachtungen zur Organisation und Sozialstruktur, in: ZBLG 47 (1984), S. 691-744, hier: S. 696; Hildegunde Flurschütz: Die Verwaltung des Hochstifts Würzburg unter Franz Ludwig von Erthal (1779-1795), Würzburg 1965. 76 Sicken: Streitkräfte, S. 733.
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Stadt in Kriegszeiten aufmerksam gemacht: „In Würzburg verblieben zu wenige Soldaten, um die Stadt vor einem Angriff schützen zu können.“77 Die Würzburger Garnison diente folglich in erster Linie dem Einsatz als Subsidienverband oder als Teil des Reichskontingents. Die Einschiffung von Würzburger Einheiten zum Waffendienst in Luxemburg zeigt eine Schützenscheibe aus dem Jahr 1790 (Abb. 6). Die Verteidigung von Stadt und Hochstift gehörte zwar ebenso zu ihren Pflichten, doch im Angriffsfall griffen zusätzlich die Bündnisverpflichtungen im Reich. Für die Verteidigung des Hochstifts waren also nicht nur dessen Garnison, sondern auch die Reichstruppen zuständig. Bei kleineren Auseinandersetzungen zweier Staaten ließ der Kaiser selten Reichsverbände eingreifen, da er sich explizit für eine der beiden Konfliktparteien hätte entscheiden müssen. Einen solchen Fall erlebte das Hochstift Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Konflikt zwischen Mainz und Würzburg stellte die einzige kriegerische Auseinandersetzung dar, in dem die Regierung die Landfolge kurzzeitig aussetzte. 1749 geriet der Würzburger Fürstbischof mit dem Kurmainzer Fürsten in einen Streit um einen Holzdistrikt im Grenzgebiet der beiden Staaten, in der Nähe des Ortes Kist. Da diplomatische Verhandlungen keine Einigung herbeigeführt hatten, stellten die beiden Landesherren ihre Garnisonen in dem umstrittenen Waldgebiet gegeneinander. Karl Philipp von Greiffenclau zu Vollraths verlegte sowohl die etwa 3000 Mann umfassende Würzburger Garnison als auch die meisten Verbände der Landmiliz nach Impfingen. Der Residenzstadt fehlten Kräfte zur Stadtverteidigung. Der Würzburger Stadtkommandant ließ daraufhin dem Oberbürgermeister befehlen, die 300 zur Verteidigung der Festung nötigen Soldaten aus den Reihen der Würzburger Bürgerschaft zu ernennen. Die Verpflegung hatte das städtische Quartieramt zu tragen. Die Zwangsrekrutierung Würzburger Stadtbürger stellte eine Verletzung des Landfolgerechts dar. Vermutlich kam es nur deshalb nicht zu einem Machtkampf zwischen Stadtmagistrat und Regierung, weil der so genannte Holzkrieg nie ausbrach, die Angelegenheit nach nur drei Wochen beendet war und die 300 Würzburger ihren Posten auf der Festung wieder verlassen konnten. 77 Schott: Absolutismus, S. 150. Es erscheint daher fraglich, ob die Würzburger Fürstbischöfe mehr Truppen als von den Reichs- und Kreismatrikeln verlangt, aufstellten, um im Kriegsfall die Landesverteidigung noch sichern zu können: „Der Minimalstand wurde in Würzburg jedoch stets übertroffen, weil die Landesherren traditionell mehr als das Doppelte an Kriegsvolk unter Waffen hielten, um nach dem Ausmarsch des Reichs- und Kreiskontingents weiterhin über Bewaffnete verfügen zu können, was teils zum Schutz des Territoriums geboten erschien und teils zur Wahrung eines gewissen politischen Freiraums und zur Steigerung des Bündniswerts diente.“ Das hier an zweiter Stelle genannte Motiv scheint angesichts des eklatanten Mangels an Schutztruppen in Kriegszeiten doch sehr viel stärker ausschlaggebend gewesen zu sein, s. Sicken: Streitkräfte, S. 695.
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In allen Kriegen bis 1802 konnten feindliche Truppen das Hochstift oder einzelne Gebiete in ihm einnehmen. Bereits im Siebenjährigen Krieg standen zunächst preußische, dann hannoversche Truppen vor den Toren der Stadt, nahmen diese jedoch nicht ein. Allerdings mussten die Stadtbewohner Naturallieferungen leisten. Die Würzburger Garnison und die Landmiliz waren an Zahl und Stärke zu gering. Zu einem erfolgreichen Schutz Würzburgs zeigte sich der Kaiser wegen der relativ geringen Bedeutung des Hochstifts nicht bereit. Die Sicherung und Verteidigung der Stadt war während und auch schon vor den Koalitionskriegen nie das oberste Ziel der Verteidigungspolitik, sondern eher ein Folgeproblem. Schon während des Siebenjährigen Krieges, besonders aber ab dem Beginn der Koalitionskriege bestand das Hauptanliegen der Fürstbischöfe darin, ihren Subsidienverpflichtungen nachzukommen. Die mangelnde Fähigkeit zur Stadt- und Landesverteidigung ergab sich daraus, dass die Fürstbischöfe dem Reichskontingent die erforderlichen Truppen zur Verfügung zu stellen hatten. Dies trat 1756 ein, als Adam Friedrich von Seinsheim als erster Reichsfürst ein Bündnis mit Maria Theresia geschlossen und sich damit verpflichtet hatte, einen Teil seiner Truppen dem fränkischen Kreiskontingent zur Verfügung zu stellen. Dies galt ebenso ab dem Beginn der Koalitionskriege. Franz Ludwig von Erthal hatte 1790 in einen drei Jahre gültigen Subsidienvertrag mit Kaiser Leopold II. eingewilligt, woraufhin ein Würzburger Infanterieregiment von 2068 Mann verpflichtet war, die Festung Luxemburg im Verband der Koalitionsarmee mitzuverteidigen. 1793 legte ein Reichsschluss die Verdreifachung des Reichskontingents fest, auf den auch Franz Ludwig reagieren musste.78 Ein Jahr später ordnete ein weiterer Reichsschluss die Verfünffachung der Truppenstärke für das Reich an. Und auch Georg Karl von Fechenbach hatte nach der ersten französischen Einnahme der Stadt dem Kreiskontingent Truppen zur Verfügung zu stellen. Es war also die stetige Erhöhung der Bündnisverpflichtungen, die Truppenverstärkungen nötig machte und nicht in erster Linie die Verteidigung des Hochstifts. Nur bei der ersten Anforderung von Subsidientruppen 1790 war es Franz Ludwig von Erthal noch, wie es die Militärorganisation vorsah, gelungen, die auswärts eingesetzten Einheiten durch die Landmiliz zu ersetzen. Danach war der interne Ersatz nicht mehr möglich. Also setzte er vielfältige Strategien in Gang, mehr Soldaten zum Dienst in der Armee zu gewinnen. Franz Ludwig befahl zunächst eine flächendeckende Werbung und erhöhte das Anwerbegeld, außerdem schränkte er die Gründe für Beurlaubungen der im Feld stehenden Soldaten ein. Weiterhin bestellte er selbst Subsidientruppen ein, nämlich aus der Deutschordensballei Bad Mergentheim. Da die Werber nicht ausreichend Soldaten verpflichten konnten, ordnete er als erster Fürst des 78 S. Flurschütz: Verwaltung, S. 238 ff; Sicken: Streitkräfte, S 698 f.
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Hochstifts nach dem dreißigjährigen Krieg eine zwangsweise Aushebung an. Doch auch dies erbrachte mit lediglich 1000 nicht die benötigte Anzahl von Rekruten, so dass Franz Ludwig erneut seine Werber aussenden musste. 1793 griff Franz Ludwig zu einem anderen Mittel, um den Heeresersatz zu sichern. Die französischen Truppen waren ein zweites Mal in das benachbarte Hochstift Mainz eingedrungen und die Generalität der Würzburger Garnison fürchtete, dass die französische Armee nun auch Würzburg angreifen würde. Franz Ludwig befahl daher ein Allgemeines Aufgebot und verordnete, dass sich jeder waffenfähige 16- bis 60-Jährige bei dem in seinem Distrikt zuständigen Kommissar zu melden habe.79 Allerdings dauerte die Neuorganisation der Landmiliz in 15 Distrikte nach dem Vorbild der preußischen Kantone und die Erfassung der Rekruten so lange, dass die neue Landarmee bei der geplanten Aussendung von Kreistruppen nach dem Reichsschluss vom Oktober 1794 noch nicht einsatzfähig war. Um die erwünschte Truppenzahl zu erreichen, vermehrten sowohl Erthal als auch Georg Karl von Fechenbach die Vergünstigungen für die Zeit nach dem Armeedienst, mit denen Soldaten angelockt werden sollten. Franz Ludwig ließ unter bestimmten Umständen auch Verheiratete zu und stellte einen gänzlichen Erlass der Wanderjahre in Aussicht, die im Regelfall für die Erlangung des Meisterrechts eine unabdingbare Vorraussetzung darstellten. Georg Karl weitete 1797 die Rekrutierung auf die bisher verschonten Kammergüter aus und auch auf diejenigen Untertanen an, „die zwar von anderen Herrschaften besteuert wurden, jedoch dem Hochstift Würzburg Heerfolge zu leisten hatten oder mit ‚anderen Unterthanenpflichten zugethan’ waren.“80 Auf die Residenzstadt übertrugen Georg Karl und sein Vorgänger die Pflicht jedoch trotz des andauernden Soldatenmangels nicht. Dies macht deutlich, welch hohen Stellenwert das Landfolgerecht im Hochstift hatte. Immerhin lebten in der Hauptstadt rund zehn Prozent aller Einwohner.81 Wie viele Stadtwürzburger sich von den Werbungen und somit für einen freiwilligen Armeedienst ansprechen ließen, ist nur für die Zeit vor dem Beginn der Koalitionskriege bekannt. Eine Musterungstabelle aus dem Jahr 178982 gibt an, dass bei den Artillerie-Einheiten sogar, im Verhältnis zur Gesamteinwohnerschaft des Hochstifts, überproportional viele Einwohner der Hauptstadt standen. In den Infanterieverbänden stammten elf Prozent der Soldaten aus der Stadt Würzburg. Bernhard Sicken vermutet, dass wirtschaftliche Erwägungen der Soldaten für ihren Diensteintritt den Ausschlag gegeben ha-
79 80 81 82
Sicken: Streitkräfte, S 699. Sicken: Streitkräfte, S 701. Schott: Verhältnis, S. 96. StadtAW, Ra 1719 (Würzburger Regimenter), siehe auch Sicken: Streitkräfte, S. 722 ff.
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ben, und zwar die „Aussichten auf Nebeneinnahmen … in einer überschaubaren und vertrauten sozioökonomischen Umwelt“83. Erthal und Fechenbach setzten außerdem die in anderen Staaten bereits länger übliche Bestrafung von Kriminellen mit Armeedienst in die Tat um. Laut einer Supplik beauftragte die Regierung städtische Polizeidiener damit, die Delinquenten unvorbereitet und über Nacht in ihren Wohnungen abzuholen. Offenbar wollte man verhindern, dass die zum Armeedienst Verurteilten sich durch Desertion entzogen. Die Bäckerin Justina Schwarz gab in ihrem Bittgesuch zu Bedenken, ihr Mann, sei „durch die nächtliche Aushebung und den angethanen Schaden schon corrigirt, und gestraft genug“84. Eine Polizeiwache hatte den Bäckermeister wenige Tage vorher verhaftet, um ihn zum sechsjährigen Waffendienst in die Kaserne zu bringen. Grund für seine Verhaftung war Trunkenheit, weshalb Schwarz anmerkt, dass „das Vergehen des betroften nicht von der Art ist, das er das Verderben einer ganzen Famill nach sich ziehen müste.“85 Wie präsent den Bürgern der Stadt der Mangel an Rekruten im Hochstift war, zeigt ein weiteres Argument. Schwarz bot der Landesregierung an, ihren Mann wie einen Rekruten zu behandeln, den das Los getroffen hat. Konkret schlug sie vor, dass man die Bestrafung „billig einer Geld Strafe zu 5 bis 800 fl. gleich achten könne, indem es leuthe giebt, die ihre Söhne auf denen das Loos gefallen ist, gerne mit 800 fl. so gar mit 1000 fl. abkaufen.“86 Bestrafungen zum Militärdienst, Werbungen und alle weiteren genannten Maßnahmen, die bis zum Ende des Hochstifts erlassen wurden, brachten nicht annähernd die Truppenzahl zustande, die sich die Regierung erhofft hatte.87 Auch ausländische wehrfähige Männer ließen sich seltener als erwünscht anwerben. Viele Würzburger Untertanen machten, statt selbst in die Armee einzurücken, von ihren Rechten Gebrauch, sich freizukaufen oder einen Stellvertreter zu bestimmen. Andere desertierten oder versteckten sich erfolgreich.88 Erthal und Fechenbach beschnitten und erweiterten also in dichter Abfolge bestehende Gesetze, um das Soll an Rekruten zu erreichen. Beide rührten dennoch nicht an das ius sequale. Die Stadtbürger erfuhren in den ersten zehn Jahren der Napoleonischen Kriege, dass ihre Exemtion vom Militärdienst auch dann nicht verletzt wurde, 83 Ders.: Streitkräfte, S. 728. Zweitens vermutet Sicken, dass viele Stadtwürzburger Soldaten aus Soldatenfamilien stammten. Weshalb die Eltern dieser Soldaten in die Armee eintraten, bleibt dabei natürlich ungeklärt. 84 StadtAW, Rp 137 (1797, Beilagen), lfd. Nr. 21, fol. 54. 85 Ebda. 86 Ebda. 87 Flurschütz: Verwaltung, S. 240 f; Sicken: Streitkräfte, S. 698. 88 Dazu ausführlich Sicken: Streitkräfte, S. 106 ff; s. auch Ernst Schubert: Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts, Neustadt/Aisch 1983, S. 150.
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wenn der Staat seinen Bündnisverpflichtungen nicht nachkommen konnte und selbst wenn Stadt und Hochstift von feindlichen Truppen bedroht wurden. Auch der österreichische Stadtkommandant änderte daran nach der Schlacht von Würzburg im September 1796 nichts. Vinzenz Dall’Aglio erließ eine ganze Reihe Maßnahmen zum Schutz der Stadt vor neuen Angriffen, die Rekrutierung von Stadtbürgern zählte nicht dazu. Während die Landgemeinden in den Koalitionskriegen mehrere Werbungswellen und gar ein allgemeines Aufgebot über sich ergehen lassen mussten, hatte kein einziger Bürger- oder Beisassensohn aus der Hauptstadt gezwungener Maßen in die Armee einzurücken.
5.3.2. Das Ende des Privilegs Um angesichts der Kriege den Heeresersatz zu reformieren, beschloss die Regierung in München einige Neuregelungen für die Armee. Diese ließen das Ende der Befreiung von der Konskriptionspflicht für die Stadt Würzburg jedoch noch nicht erahnen. Die erste bestand in der Integration der Landmiliz in die regulären Truppen. Der fränkische Generalkommissar von Asbeck verkündete 1803, dass Kurfürst Maximilian I. Joseph die Auflösung des Würzburger Landregiments befohlen habe. Dies sei geschehen „in der Erwägung, dass die Verfassung desselben dem in Ihren älteren Churlanden angenommenen Militär-Systeme nicht entspreche.“89 Damit hatte Asbeck allerdings nicht nur die Umorganisation des Landregiments, sondern der gesamten Heeresverfassung in Aussicht gestellt. Die bislang als eine Art Reservearmee geführte Landmiliz wurde in die regulären Truppen eingegliedert. Diejenigen Soldaten, die noch mehr als drei Jahre Dienst im Landregiment hätten tun müssen, wechselten ohne weiteres in die Garnison, diejenigen, bei denen weniger Dienstzeit ausstand, konnten sich für 25 fränkische Gulden pro Jahr freikaufen. Soldaten mit mehr als drei Jahren Dienstzeit, die eine Heiratserlaubnis bekommen hatten, konnten sich ebenfalls freikaufen oder einen Ersatzmann stellen. Deren Frauen hatten, machten sie vom Freikaufrecht keinen Gebrauch, den Verzicht auf ihre Pension und die Unterbringung in einer Kaserne zu erklären.90 Die Soldaten hatten 14 Tage Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Danach hatten sich alle Armeeangehörigen eines Fleckens oder Dorfes zu versammeln und sich in Begleitung eines Amtsdieners nach Würzburg zu begeben. Dort erwarteten sie die Offiziere der kurbayerischen Armee zur Einkleidung. Ihr bisheriges Leben als Landsoldat, 89 Regierungsblatt, 26. Stück, 01.07.1803; für die einzelnen Bestimmungen s. Regierungsblatt, 32. Stück, 27.08.1803. 90 Ebda.
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der nur in Kriegszeiten zum Einsatz kam, nahm ein Ende. Binnen kurzem sollte ein neues „Completirungs-System“ für die kurbayerische Armee Gestalt annehmen, in das die Würzburger Garnison eingegliedert werden und das sich an den Erblanden ausrichten sollte. Die bestehenden drei Infanterie-Bataillone gingen in einem Regiment für schwere Infanterie auf. Zusätzlich schuf die Regierung ein Bataillon für leichte Infanterie. Max Joseph übernahm einige Offiziere des alten Generalstabs, andere entließ er. Die Bezahlung der Generalität erfolgte in der Zukunft nach den Einheitssätzen des kurbayerischen Reglements. Max Joseph ließ anfügen, dass Offiziere mit zwei Verwendungen in der Armee und als Hofkavaliere oder Kammerherren nicht mehr die doppelte Vergütung zuteil würde.91 Die Artillerie-Einheiten der Dragoner und Husaren aus Bamberg und Würzburg bildeten fortan ein Regiment von chevaux légers92, also der leichten Kavallerie. Alle Unteroffiziere und Mannschaften gingen in die kurbayerische Armee über. Die Zahl der Spielleute verringerte sich, indem nur diejenigen weiterhin als Musiker arbeiten sollten, die nicht über die zum Waffendienst erforderliche Statur verfügten. „Hätten hingegen einige dieser überzähligen Spielleute den vorgeschrieben Wachsthum, oder versprechen solche ihn zu erlangen; so könne selben, wenn sie auch im letztern Falle einen Zoll weniger als das vorgeschriebene Maß haben, das Gewehr gegeben werden, um der Ueberzahl bald möglichst enthoben zu seyn.“93 Die Stabsbandisten behielten ihre Verwendung. „Dagegen haben die bey den Bataillons seither angestellten Hautboisten in die Linie wieder rückzutreten.“94 Für einen Teil der Spielleute bedeutete diese Umgestaltung einen massiven Eingriff. Bisher waren die Musiker in erster Linie zu offiziellen Anlässen und bei öffentlichen Konzerten aufgetreten und hatten sich durch Unterricht und Privatengagements zusätzliche Einkommensquellen eröffnet. Die Biografie des Würzburger Militärmusikers und Komponisten Joseph Küffner kann dies belegen. Über ihn wird das Kapitel über die Künstler unterrichten. Eine tatsächliche militärische Verwendung dagegen lag den Musikern äußerst fern, nun sollten einige von ihnen mit einer Waffe in den Krieg ziehen. Mehrere Kundschafter aus München hatten vorher in Berichten ein erdrückendes Bild von der Wehrhaftigkeit der beiden geistlichen Staaten gezeichnet. Spöttisch merkte Johann Nepomuk von Triva, später erster bayerischer Kriegsminister, an: „Die Regierung hat einen Teil der geringeren Offiziers und Soldaten durch Leute führen lassen, welche nie einige Kenntnisse dieses Standes hatten. Der höhere Grad der Offiziers trug seine Uniform der Zierde 91 92 93 94
Regierungsblatt, 14. Stück, 14.04.1803. Regierungsblatt, 7. Stück, 05.05.1803. Regierungsblatt, 14. Stück, 14.04.1803. Ebda.
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wegen und blieb mit diesem Bewusstsein kenntnislos und untätig. Der adelige Offizier hatte weder Anleitung noch ernstlichen Auftrag Soldat zu sein, der unadelige hingegen sah blos dem Empfangstage der wenigen Gage entgegen, welches sein einziger Wunsch sein musste, weil sein sonstigen Bestreben bei kenntnislosen Leuten immer unbemerkt bleiben musste.“95 Die Armee der geistlichen Staaten als Sinekure nichtsnutzer, eitler Adeliger und geldgieriger Bürger: Die Vorurteile der Reformer um Maximilian Graf Montgelas, zu denen Triva zählt, gegenüber der Verfassung geistlicher Staaten brachen sich hier offen Bahn und motivierten ihre Autoren zu einer Heeresreform, die nicht nur die Landmiliz auflöste und die Garnison umstrukturierte, sondern auch den Heeresersatz auf die ehemaligen Hauptstädte ausweitete. Mit dem „Allgemeinen Reglement über die Ergänzung der churfürstlichen Armee für sämmtliche churfürstliche Erbstaaten“, das am 30. Mai 1804 im Regierungsblatt an die Öffentlichkeit gelangte, fasste Kurbayern erstens alle Bestimmungen zusammen, welche die Regierung bislang getroffen hatte. Zweitens normierte das Heeresergänzungsgesetz den kompletten militärischen Apparat neu, vom Ablauf der Rekrutierung und den Aufgaben der zuständigen Zivil- und Militärbehörden über die Festsetzung der Dienstzeiten, die Strafmaße für Desertion und das Vortäuschen von Krankheiten bis hin zur Bestimmung von Privilegien ausgedienter Soldaten beim Erwerb von zivilen Rechten. Das Gesetz war laut Maximilian I. Joseph deshalb nötig geworden, weil Kurbayern auf bisherigem Wege nicht genug Soldaten zum Dienst verpflichten konnte und man „insbesondere bey dem Rekrutirungs System wesentliche Gebrechen und ein willkührliches Verfahren wahrgenommen“96 habe. Es teilte Altbayern und die dazu gewonnenen Gebiete in elf Kantone ein (§ 8), wovon eines das ehemalige Hochstift Würzburg bildete.97 Die Städte, also auch Würzburg, erhielten bei der Zuteilung der Waffengattungen große Vorteile gegenüber den Landgemeinden. Hierin lag ganz offensichtlich die Reminiszenz an die vorher befreite Haupt- und Residenzstadt. Die Artillerie, so heißt es, „soll nach einer auf Billigkeit gegründeten Repartition aus allen Cantons, und zwar, insoweit es Umstände und die Fähigkeiten der Individuen zulassen, aus dem Bürgerstande rekrutiert werden.“ Der Gesetzgeber schuf also keineswegs vereinheitlichte Verhältnisse, sondern erneuerte die Privile-
95 Bericht von Triva, zit. bei Günter Dippold: Der Umbruch von 1802/04 im Fürstentum Bamberg, in: Baumgärtel-Fleischmann: Bamberg, S. 21-50, hier: S. 32. 96 Regierungsblatt, 18. Stück, Eintrag vom 30.05.1804. 97 Münich unterschlägt in seiner Darstellung die beiden fränkischen Kantone sowie den schwäbischen, Friedrich Münich: Geschichte der Entwickelung der bayerischen Armee seit zwei Jahrhunderten, München 1864 (ND Osnabrück 1984), S. 306.
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gien des Bürgertums. In der Artillerie kamen weitaus weniger Soldaten zu Tode als in der Infanterie.98 Gegenüber dem Landfolgerecht oder ius sequale stellte die Neuregelung einen unermesslichen Rechtsverlust dar und bürdete den betroffenen Stadtbewohnern nie da gewesene Pflichten auf. Die Landgerichte und Magistrate hatten jeden 16- bis 40-jährigen Mann im Kanton zu erfassen und einen Eintrag mit detaillierten Angaben zu jedem Konskribierten anzulegen – auch zu denjenigen, auf die einer der Befreiungsgründe zutraf. Zur Feststellung des Wohnorts sah das Gesetz übrigens auch, soweit bislang noch nicht geschehen, die Komplettierung der Hausnummerierung vor (§13). Der bisher geduldete Freikauf war ab sofort untersagt. Diesen Punkt begründet das Gesetz sehr ausführlich. Es weicht dabei auffällig vom sonst formal gehaltenen Ton ab und formuliert das Verbot wie einen naturrechtlichen Grundsatz. Der Gesetzgeber habe in Erwägung gezogen, „dass eine willkührliche Losmachung vom Militär-Dienste mit Geld dem Reicheren allein zu Gute komme, und dem Aermeren seine bleibende Verbindlichkeit nur desto drückender und gehässiger machen müsste“. (§ 26) Allein Juden und Menonniten konnten sich freikaufen, allerdings für eine vergleichbar hohe Summe von 180 fränkischen Gulden pro Kopf (§ 3). Die Umgehung des Militärdienstes durch den Einsatz von Stellvertretern war ebenfalls nicht mehr geduldet.99 Der erste Paragraph legte schlicht fest: „Es ist ihm nicht erlaubt, ein anderes Individuum für sich einzustellen.“ Es überrascht daher, dass Harm-Hinrich Brandt das Stellvertreterprinzip für nach wie vor gültig hält. Das Heeresergänzungsgesetz, so Brandt, „räumte jedoch zahlreiche Ausnahmen ein und sah insbesondere das Stellvertreterprinzip vor, wonach die achtjährige Dienstzeit durch eine Geldleistung abgelöst werden konnte. Die effektive Rekrutierung wurde damit zu einer Angelegenheit, die im wesentlichen die unter- und kleinbäuerlichen Schichten betraf.“100 Das Heeresergänzungsgesetz setzte genau dieser Regelung jedoch ein Ende.
98 Zur Angst vor dem Tod bei Soldaten s. Michael Kaiser: Zwischen „ars moriendi“ und „ars mortem evitandi“. Der Soldat und der Tod in der Frühen Neuzeit, in: Ders., Stefan Kroll (Hg.): Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit, Münster 2004, S. 323-343; Dem gleichen Thema, diesmal über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, nimmt sich an: Benigna von Krusenstjern: Seliges Sterben und böser Tod. Tod und Sterben in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Göttingen 1999. 99 Diese Regelung unterschied das Heeresergänzungsgesetz von den Vorgänger-Gesetzen und auch von der Heeresergänzung in den linksrheinischen Departements, s. etwa die Ausführungen bei Joachim Kermann: Pfälzer unter Napoleons Fahnen: Veteranen erinnern sich. Erlebnisberichte anlässlich der 200. Wiederkehr der Französischen Revolution, Speyer 1989, S. 22. 100 S. Brandt: Würzburg, S. 489. Die Erlaubnis, einen Stellvertreter zu stellen, erteilte erst das Konskriptionsgesetz von 1812 wieder, allerdings nur unter der Voraussetzung,
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Allerdings führte das Heeresergänzungsgesetz eine ganze Reihe von Befreiungsgründen auf, auf deren Erfüllung Dutzende von Suppliken an den Magistrat nach Inkrafttreten des Gesetzes drängten. Weniger bedeutend für die Bürger einer ehemals geistlichen Residenzstadt war die bereits genannte Befreiung aus religiösen Gründen, von größerem Belang dagegen der Befreiungsgrund „Stand“ (§ 4). Dadurch schieden sowohl der alte reichsständische wie auch der jüngere patrizische Adel der Reichsstädte, allerdings nicht ihre Söhne, sowie die Geistlichkeit aus. Eine Befreiung erhielten „die im Dienste des Staates stehenden vereideten Civil- und Militärbeamten für sich“, für ihre Söhne dann, wenn sie zur Klasse der Siegelmäßigen zählten; dann „das nöthige Schreiber-Personale, so lange es bey Unsern, oder ständischen, oder andern diesen gleich geachteten Gerichten Dienste leistet, jedoch nur für sich.“ Damit waren auch die Ratsherren, wegen der geforderten Siegelmäßigkeit jedoch nicht das niedere Personal der Stadt wie Ratsbediente, Ratsboten, Vierteldiener, Viertelschreiber, Torexaminatoren und Rumorwachen befreit.101 Alle über 36-Jährigen mussten nur dann einrücken, „wenn die Ergänzung ohne sie nicht bewerkstelligt werden konnte.“102 Der Heeresergänzung entgingen auch die Kammerdiener und Kammerschreiber, die „nach Ermessen der Obrigkeit unentbehrlichen“ Livreediener, die Angestellten des Adels und des hohen Klerus. Das Hofpersonal war befreit, die Söhne jedoch nur bei Siegelmäßigkeit der Väter. Wie bei den Adeligen, die selbst nicht mehr eingezogen wurden, ihre Söhne jedoch sehr wohl, verfuhr das Gesetz beim Stadtbürgertum. Bürger- und Beisassensöhne der Stadt Würzburg mussten folglich einrücken. Allerdings, das vermerkt das Gesetz hier ein zweites Mal, sollten diese vorzüglich in der Artillerie Verwendung finden. Keinen Dienst in der Armee tun mussten daneben Professoren an Universitäten, Lycäen, Akademien und Gymnasien und ihre Söhne. Die Söhne der Lehrer des niederen Schulwesens waren dagegen nicht befreit. Ärzte und Chirurgen mit Universitätsabschluss traf die Pflicht nicht, ihre Söhne nur dann nicht, wenn diese eine Universitäts-Laufbahn verfolgten. Damit fielen sie unter die Studenten, die ebenso nicht eingezogen wurden, wenn sie „von ihrer guten Aufführung, ihren Fähigkeiten und vorzüglichem Fleiße von den geeigneten Behörden günstige Zeugnisse beybringen.“ Allerdings scheinen die Studenten in der Praxis die-
dass den Rekruten „besondere Gründe hinderten, den Militärdienst in eigener Person zu übernehmen“, s. auch Münich: Entwickelung, S. 308; Frevert, Nation, S. 142 ff. 101 S. K. Buchner: Art. Siegelmäßigkeit, in: Carl von Rotteck, Carl Welcker (Hg.): Staatslexikon oder Enzyklopädie der Staatswissenschaft, Bd. 14, Altona 1843, S. 514 ff. 102 Münich: Entwickelung, S. 305.
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sen Nachweis nicht erbracht haben zu müssen.103 Haus- und Grundeigentum sowie Pacht berechtigte zur Befreiung (§5). Künstler und die ebenfalls Kunst schaffenden Söhne, Fabrik- und Manufakturbetreiber, Lehrjungen und Handwerksgesellen, vaterlose Söhne, „die mehrere Geschwister haben, welche sie ernähren müssen“, „die einzigen Söhne der Einwohner in Städten, wenn sie ihnen in ihrer bürgerlichen Nahrung unumgänglich nöthig sind“ mussten ebenfalls nicht einrücken (§ 6).104 Zum zehnjährigen Dienst105 vorgesehen waren dagegen „Handlanger oder nur grobe Arbeiten verrichtende Taglöhner“, „die kleinen Krämer und Herumträger, wenn sie nicht förmlich ansässig sind“ und alle anderen Personen, die keiner der aufgezählten eximierten Gruppen angehörten. Dazu zählten alle Söhne von Bürgern und Beisassen, deren Eltern keinen Hausbesitz hatten und für den elterlichen Nahrungsstand nicht nachweislich gebraucht wurden (§ 10). Betroffen waren auch Söhne von Lehrern des niederen Schulwesens, männliche Nachkommen von Häckern und allen Handwerkern ohne Gesellen sowie Diener, die als entbehrlich eingestuft wurden. Das Gesetz versprach bei all dem, auf neue Situationen in der Familie des Konskribierten einzugehen. Auch nach Beginn der Dienstzeit konnte sich der Soldat befreien lassen. Dazu musste er Zeugnisse vorlegen, die seine nun eingetroffene Unentbehrlichkeit nachwiesen. (§ 10) Auch die Aufgaben und Kompetenzen der Behörden regelte die Ordnung neu. Die Bestimmungen ermahnten alle zivilen und militärischen Amtsstellen, „dass solche Befreyungen zu Ungebühr nicht erweitert, noch auf solche Personen erstreckt werden, welche nur zum Scheine, und um der MilitärAushebung zu entgehen, ein davon ausgenommenes Gewerb ergriffen haben.“ (§ 7) Für Deserteure sah das Gesetz die übliche Vermögenskonfiskation vor. (§ 34) Mit ihnen stellte das Gesetz auch diejenigen Inländer gleich, die im Ausland als Diener, Bauern oder Hausknechte arbeiteten, und trotz ihrer Rekrutierung nicht zum Dienst erscheinen würden (§ 35). Das Heeresergänzungsgesetz zielte nicht zuletzt darauf ab, durch die Rekrutierung breiterer Schichten der Bevölkerung die hohen Desertionszahlen auszugleichen. Ein Problem bei der Verhinderung von Desertion war, dass die Einberufung vieler Soldaten weit vor Dienstbeginn lag und den Desertionswilligen so genug Zeit blieb, 103 Es findet sich jedenfalls in keinem der Hunderte von Briefen von Würzburger Professoren ein Hinweis über die Einberufung ihrer Studenten oder über die hier angesprochenen Zeugnisse. 104 Münich verkürzt diese Bestimmung auf „die einzigen Söhne in Städten oder auf dem Land“, s. Münich: Entwickelung, S. 305. Daneben befreite das Gesetz die Arbeiter mehrerer einzeln aufgeführter Betriebe wie die Salinen von Bad Reichenhall und die Schiffbauer von Griesbach. 105 Ein Kriegsjahr entsprach jedoch zwei Friedensjahren (§ 9). Münich dagegen spricht von einer achtjährigen Dienstzeit, s. Münich: Entwickelung, S. 305.
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ihre Flucht zu organisieren. Schließlich mussten nicht alle für tauglich erachteten Männer sofort einrücken, sondern wurden nach und nach ergänzt und traten an die Stelle der Verwundeten, Toten – und Deserteure (§ 17). Es solle „die Ergänzung der einschlägigen Regimenter in keinem Falle verschoben, und von Zufällen abhängig gemacht werden“ (§ 38), hieß es dazu. Allein durch Desertion verlor die Armee laut Regierungsblatt nur in den Jahren 1803 und 1804 ganze 214 Soldaten, darunter 21 aus der Stadt Würzburg. Der Erlass des Heeresergänzungsgesetzes und des darauf aufbauenden Militär-Cantons-Reglement vom 7. Januar 1805 „markieren in Bayern den Übergang vom Söldnerheer zur allgemeinen Wehrpflicht“106. Die Gesetze fielen in die Zeit des Dritten Koalitionskrieges, in denen Frankreich bereits erste Bündnisse mit süddeutschen Staaten schuf, darunter auch Kurbayern. Für das bayerische Militär kam der Krieg gegen Österreichaus militärischer Sicht zu früh. Es befand sich in einem völligen Umbau und kämpfte daher auch in den Schlachten nicht an vorderster Front, sondern im Hintergrund. An der Belagerung Ulms hatten bayerische Truppen keinen Anteil. In Austerlitz sicherten sie die Flanken. General von Wrede entschloss sich jedoch, trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit der Franzosen und der mangelnden Vorbereitung, die Einheiten in die Offensive zu schicken. Die bayerischen Einheiten erlitten daher in Austerlitz „nicht unbeträchtliche Verluste“ und mussten den Rückzug antreten.107 Als sich nach dem Frieden von Pressburg 1805 die Gründung des Kurfürstentums Würzburg ankündigte, hofften die Würzburger Bürger, dass ihr neuer Herrscher dem ius sequale wieder Gültigkeit verschaffen würde. Direkt nach dem Übergang ließ der Übernahmekommissar Freiherr von Ow jedoch ein Mandat veröffentlichen, das die Hoffnungen zunichte machte und bestimmte, dass „provisorisch alle bestehende Gesetze und Anordnungen beobachtet werden sollen“108. Damit war auch das Heeresergänzungsgesetz bestätigt. Die politische Situation Süddeutschlands nach dem Pressburger Frieden machte eine Reduzierung des Milizenzugs ohnehin unwahrscheinlich. Die Wiedergewinnung der Eigenstaatlichkeit Würzburgs vollzog sich zeitgleich mit der Gründung des Rheinbunds, dem sich der Habsburger Ferdinand als Regent eines kleinen süddeutschen Flächenstaats Ende September 1806 anschließen musste, wenn er keine dauerhafte Belagerung durch die napoleonische Armee hinnehmen wollte. Nach Protesten der Würzburger Bürgerschaft, deren Existenz und Inhalt sich aus der Replik Ferdinands erschließen lassen, führte der Großherzog das 106 Ernst Aichner: Das bayerische Heer in den Napoleonischen Kriegen, in: Glaser: Krone und Verfassung, S. 239-253, hier: S. 244. Aichners Aufsatz blendet sie sozialen Dimensionen der Kriege völlig aus. 107 Ebda. 108 Würzburger Regierungsblatt, 6. Stück, 15.03.1806.
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ius sequale tatsächlich wieder ein. Allerdings entwertete es die neue Heeresverordnung, das Nachfolge-Gesetz des Heeresergänzungsgesetzes, nur wenige Sätze später wieder.109 Für die Stadtwürzburger Bürger änderte sich an ihrer Dienstpflicht faktisch nichts. Der erste Paragraph verfügte zwar, „die Bürger Unserer Haupt- und Residenzstadt Würzburg, und ihre Söhne sollen von der allgemeinen Militär-Conscription des Landes frey gelassen werden.“110 Allerdings schloss der zweite die tatsächliche Befreiung aus, indem er bestimmte: „Dagegen soll Unsere Haupt- und Residenzstadt schuldig seyn, Unsere Artillerie-Corps stets in vollzähligen Stande zu erhalten“. Ein anderer Paragraph weichte selbst diese Beschränkung wieder auf, indem er bestimmte, dass Bürgersöhne „vorzugsweise zu dem Artillerie-Dienste zu verwenden sind.“111 Eine Bevorzugung der Würzburger Bürgersöhne bei der Artillerie-Rekrutierung hatte allerdings das kurbayerische Heeresergänzungsgesetz bereits verfügt. Der Unterschied lag nun darin, dass die Rekruten nicht jedes Jahr im Januar, sondern innerhalb nur weniger Tage als Ersatz eingezogen werden sollten: „So oft demnach ein Artillerist durch Tod oder Abschied an dem festgesetzten Stande abgeht, wird Unser Verwaltungsrath binnen 14 Tagen, von dem Tage der ihm zugehenden Benachrichtigung angerechnet, Unserem Militär-General-Commando einen mustermäßigen Rekruten stellen“. Dieser musste aus der Stadt Würzburg stammen, denn er dürfe „weder ein Ausländer seyn, weder aus der militärpflichtigen Mannschaft Unseres Landes entnommen werden“112. Außerdem bestätigte eine kurze Zeit darauf ergangene Verordnung, dass ärztliche Atteste künftig nicht mehr anerkannt werden sollten. Damit erkannte die Regierung des Großherzogtums zwar nur bestehendes Recht an, doch trotzdem hatten zahlreiche Supplikanten ihr Bittgesuch in den vergangen Jahren mit Gutachten von freiberuflichen Ärzten versehen. Dies untersagte ein Dekret nun ausdrücklich: „Militärpflichtige Individuen, welche sich … auf Untauglichkeit wegen körperlicher Gebrechen beriefen, [müssen] von der Militärspitals-Inspection visitirt, und nur die von besagter Stelle legalisirten Zeugnisse als geltend angenommen werden.“113 Die Würzburger Handwerkersöhne und Dienstboten hatten in der Folge als Rheinbundtruppen auf Seiten Frankreichs zu kämpfen. Sie waren beteiligt an den Schlachten von Jena und Auerstedt, an der Besetzung der schlesischen Städte Glogau, Breslau und Brieg, in den Schlachten von Wagram und Eggmühl und an den Kämpfen gegen die Tiroler Bauern. Sie zogen bis an die portugiesische Grenze im Westen und bis nach Russland im Osten. Im Feldzug Richtung Moskau starben aus den bayerischen Verbänden wie in den gesamten Rheinbund-Truppen und 109 110 111 112 113
StadtAW, Ra 2949. Ebda. Ebda. Ebda. Würzburgisches Regierungsblatt, 16. Stück, 13.08. 1808.
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der französischen Armee so viele Soldaten, dass am Ende „nur noch einige Häuflein von halb verhungerten Soldaten“114 existierten. Die bayerische Armee war de facto aufgelöst. Bis 1813 hatte die neue Heeresverfassung Ferdinands Gültigkeit. Die Regierung hob regelmäßig Würzburger Stadtbürger aus, nicht nur zum Ersatz der Rheinbundtruppen, sondern auch zur Sicherung des Großherzogtums. Beispielsweise verlangte 1812 die Militär-Oberkommission vom Verwaltungsrat, 24 Handwerker aus der Stadt zu rekrutieren, „denn durch diese Individuen würde so wohl die Citadelle als auch die sämtlichen Artillerie Gegenstände stets in einem guten Stande erhalten werden.“115 Der Austritt des Großherzogtums aus dem Rheinbund 1813 brachte Veränderungen, aber wieder keine Erleichterungen. Ferdinand stellte die neue Konskription der Bewohner Würzburgs wie in der Heeresverordnung von 1807 verschleiert dar. Bayern und Österreich hatten ihn zum Austritt aus dem Rheinbund regelrecht gezwungen und ihn zum Aufstellen einer Armee bewegt, die sich den Alliierten anschließen sollte. Ferdinand erkannte in seiner neuen Verordnung zunächst an, dass seine Untertanen bis dato „einer anderen Macht mehr als Mir angehöret“116 hätten und begründete damit den Sinn eines neuerlichen Kriegseinsatzes. Gegen Frankreich gelte es nun, mit allen Mitteln zu kämpfen und damit „für die deutsche Freiheit und Unabhängigkeit, für die Selbstständigkeit des Landes, welchem ihr angehört, unter welcher allein der freie Verkehr des Handels“, ein Hinweis auf die Kontinentalsperre, „und der Gewerbe aufblühen, und bürgerliches Glück und Wohlstand begründen kann.“ Da allerdings die Bewohner selbst wüssten, was Vaterlandsliebe bedeute, „überlasse [ich] es vor der Hand euerer freiwilligen Erklärung, was jeder erbietig sei, ob, und wie er durch persönliche Dienstleistung oder durch persönliche Unterstützung dieser Landesverteidigungs-Anstalt in anderer Art dem Vaterlande dienen wolle.“117 Als Bittsteller suchte er die Bevölkerung des Großherzogtums darum an, sich in den kommenden acht Tagen in die Scriptionsbücher einzutragen, die im Verwaltungsrat auslagen. Dem Aufruf folgten allerdings nur wenige Hundert Personen. Die Freiwilligen, die im Ratsprotokoll erfasst sind, waren noch dazu häufig Kleinkriminelle, deren Dienst der Rat ablehnte. Das Großherzogtum hatte jedoch 6000 Soldaten zu stellen. Also ließ die Militär-Oberkommission bald erneut Konskriptionen durchführen. Er erließ ein neues Konskriptionsgesetz, das sich am bayerischen orientierte. Dies erlaubte nun wieder die Stellung eines Ersatzmannes. Erst mit dem Pariser Frieden und dem Ende der Befreiungskriege endete auch die Waffenpflicht der Würzburger Bürger. Wie viele Soldaten aus Würzburg zwi114 115 116 117
Aichner, Bayerisches Heer, S.250. StaatsAW, Großherzogtum Würzburg, Militär-Oberkommission (MOK) Nr. 112. Schäfer: Ferdinand, S. 260. Schäfer: Ferdinand, S. 260 f.
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schen 1804 und 1814 rekrutiert worden waren, lässt sich anhand der Akten in den Würzburger Archiven nicht nachvollziehen. Auch die Zahl der Toten und Verwundeten ist bislang nicht rekonstruiert worden.
5.3.3. Das Engagement des Rates gegen die Abschaffung des Landfolgerechts Die Reaktion der Betroffenen auf das kurbayerische Heeresergänzungsgesetz und auf das Mandat zum Heeresersatz im Großherzogtum muss in zwei Phasen unterteilt werden. In der ersten Phase versuchte sowohl 1804 als auch 1807 eine Delegation der Bürgerschaft der eindeutigen Formulierungen in den Gesetzen zum Trotz, Würzburger Bürger vom Heeresersatz zu befreien. Nachdem diese Bemühungen gescheitert waren, setzte die zweite Phase ein, in der Konskribierte sich über den Weg der Supplik zu befreien versuchten. In der ersten Phase warfen die Bürger ein letztes Mal das alte Recht des ius sequale in die Waagschale. Einen Monat nach Erlass des Heeresergänzungsgesetzes „erscheinen Deputirte vor der Bürgerschaft“118. Diese bat den Rat „in Hinsicht der Aushebung der Bürgerssöhne zum Militär um Unterstützung“. Ziel sei, dies ein bemerkenswertes Detail, die Befreiung vom Militärdienst für die „Hauptstadt“ Würzburg. Das Wort Deputation, das die Gruppe in den Protokollen bezeichnet, legt nahe, dass es sich bei den Männern um eine mehr oder weniger feste Organisation handelte, die über Korporationsgrenzen hinweg agierte. Welchen Berufen diese Bürger angehörten, verraten die Quellen zwar nicht, lässt sich jedoch recht genau bestimmen. Es muss sich um Vertreter von Berufen gehandelt haben, für die keine Befreiungen vorgesehen waren und die Bürger- oder Beisassenrecht besaßen. Da das städtische Gewerbe „überwiegend für den lokalen Markt und den Bedarf des Hofes“119 produzierte, muss es sich um Vertreter des Bekleidungsproduktion wie Schumacher, Weber und Zeugmacher gehandelt haben, des Weiteren um Berufsvertreter der Nahrungsbranche wie Bäcker und Metzger, dann Müller und Schmiede, Schreiner, Tischler und nicht zuletzt die Hersteller von Luxusgütern wie Parapluie- und Perückenmacher, Borten- und Kammmacher.120 Da das Gesetz Fabrikanten und Manufakturiers ausschloss, können der Deputation nur Kleinhandwerker mit wenigen Gesellen angehört haben. Bei den Handwerkern machte das Gesetz keinen Unterschied zwischen zünftigen und nicht zünftigen Gewerben, so dass neben den aufgezählten Gewerben auch Häcker und Tagelöhner am Protest beteiligt gewesen sein können. Ruft 118 StadtAW, Rp 143 (1804), Eintrag vom 02.06.1804. 119 Christoforatou: Wirtschaftsentwicklung, S. 70. 120 Christoforatou: Wirtschaftsentwicklung, S. 71.
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man sich noch die Befreiung für alle Haus- und Grundeigentümer in Erinnerung, ergibt sich, dass die Deputation von Kleinhandwerkern und nicht zünftigen Berufen dominiert gewesen sein muss. Diese Eingrenzung bestätigen im Übrigen auch die Einzelsuppliken, die in der zweiten Protestphase beim Rat eingingen. Die Deputation, über deren Stärke nichts bekannt ist, scheint sehr vehement aufgetreten zu sein. Das suggeriert zumindest die Bitte des Rats an die Bürger um „Beybehaltung der gehörigen Unterthänigkeit“121 und bestätigt auch die später eingehende Antwort der Regierung auf die Supplik der Deputierten. Der Magistrat empfahl der Gruppe, „sich einen geschickten und bescheidenen Mann zum Konsulenten zu wählen, sodann eine ausführliche und gründliche Deductio mit Beybehaltung der gehörigen Unterthänigkeit machen zu lassen, und hierorts wieder Nachricht davon zu geben, wo man alsdann alles mögliche für die Bürgerschaft thun werde.“122 Diese Conclusio unterscheidet sich stark von den übrigen Anordnungen des Rates auf Anfragen. Es ist einmalig im gesamten Untersuchungszeitraum, dass der Rat einer Partei zum Widerstand gegen die Regierung rät. Es ist bezeichnend für das Selbstverständnis des Rats, dass er der Deputation die Konsultation eines Advokaten und die Einreichung einer Sammelsupplik empfiehlt, um der Heeresfolge zu entgehen. Die Ratsherren unterstützen damit eine offene Opposition gegen ein bedeutendes kurbayerisches Gesetz, von dessen Wirkungskraft der Kriegsverlauf abhängt. Abgesehen vom offensichtlichen Wohlwollen des Rates gegenüber der Initiative der Deputierten, das sich in der detaillierten Empfehlung an die Bürgerschaft ausdrückt, stellt der Beschluss eine eindeutige Kompetenz-Überschreitung dar. Der Magistrat hätte diesen Vorfall der Landesdirektion berichten und um Anordnungen bitten müssen. Damit lässt es der Rat jedoch nicht bewenden. Bereits zwei Tage nach dem ersten Erscheinen sucht die Deputation den Rat erneut auf, um sich nun ein juristisches Zertifikat auszustellen zu lassen über den „Besitz Stand der Freifrist und unfürdenklichen Exemtion von Militaire Diensten“123, also die Landfolge-Regelung des Hochstifts und die so genannte Enrollierungs-Freiheit der Residenzstadt. Der Rat beschloss, das erbetene Zeugnis auf Grundlage der älteren Akten von 1680 bis 1690 zu erstellen und sodann „eine besonder Deputation anzuberaumen, um eine Auswahl der sicher gehörigen Gründe und Erweg-Ursachen zu dieser unterthänigsten Bitte ermäßigen zu können“124. Außerdem trug ein Ratsdiener der Deputation in derselben Sitzung vom 4. Juni 1804 das gesamte Heeresergänzungsgesetz vor. Daraufhin erfolgte der 121 122 123 124
StadtAW, Rp 143 (1804), Eintrag vom 02.06.1804. Ebda. StadtAW, Rp 143 (1804), Eintrag vom 04.06.1804. Ebda.
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Ratsbeschluss, das in § 13 verlangte Verzeichnis über die wehrfähigen Männer der Stadt zu verfassen, jedoch nur dann, „wenn nicht auf die von der Bürgerschaft schon gethane unterthänigste Bitte gnädigst Rücksicht genommen werden sollte“125. Ein anderer Protokolleintrag legt jedoch nahe, dass die Stadt mit der Anlage der Konskriptionsliste de facto bereits begonnen hatte.126 Die Frage war deshalb wohl eher, ob man die Namensliste der Regierung übermitteln sollte. Das Heeresergänzungsgesetz hatte bestimmt: „Den Landrichtern und Magistraten in den Hauptstädten sämtlicher Bezirke, welche einen Canton ausmachen, muß darnach aufgetragen werden, ohne Verzögerung, sobald das gegenwärtige Mandat publicirt seyn wird, ein Verzeichnis sämmtlicher in ihren Gerichten und respective Städten befindlichen jungen Mannschaft von 16 – 40 Jahren in einer Tabelle zu entwerfen“ (§ 18). Die Zertifizierung des Befreiungsprivilegs stellte folglich eine weitere grobe Verletzung des Gesetzes dar, das keinen Zweifel daran ließ, dass die Befreiung der Stadt Würzburg ein Ende genommen hatte. Das Zeugnis sandten die Deputierten schließlich mit ihrem Bittgesuch an den Kurfürsten. Überraschend ist, dass das Antwortschreiben aus München auf die Kompetenzverletzung des Verwaltungsrates nicht eingeht. Der Deputation dagegen erteilt die Replik die zu erwartende Absage. Das Gesuch der Stadt um Befreiung von Militärdiensten, heißt es darin, wird abgeschlagen, denn „diesem Gesetze [werden] die Söhne der Bürger unserer hiesigen Residenzstadt, und alle übrigen Städte unserer Erbstaaten gleich anderen Unterthanen unterworfen“127, eine Ausnahme für die Würzburger sei daher „ohne Verletzung der Gleichheit der Rechte“ nicht möglich; außerdem seien bereits in dem Gesetz alle erforderlichen Ausnahmen aufgelistet, „welche das Staats- oder Familienwohl erfordern“128. Es folgt eine persönliche Bemerkung, welche vermuten lässt, dass die Supplik wenig diplomatisch formuliert war: „Die gewagte Ausdrucke der Bürgerschaft in ihrer Vorstellung wurde gleichwohl für diesmal übersehen, übrigens hätte sich der Unterthan die Schuldigkeit gegen einer Obrigkeit nicht zu vergessen.“129 Die Bürger-Deputation supplizierte von Mai 1804 an mehrere Male um die Gewährung von Sonderrechten – von nun an jedoch bei der Landesdirektion. Im August etwa fragten die Deputierten an, ob ihre Söhne nicht während des Kasernendienstes in Würzburg zu Hause essen und schlafen dürften. Die Landesdirektion gewährt ihnen daraufhin die Verpflegung im eigenen Zuhause. Allerdings sei „die Wohnung ausser den Kasernen aber als
125 126 127 128 129
Ebda. StadtAW, Rp 143 (1804), Eintrag vom 03.10.1804. StadtAW, Rp 143 (1804), Eintrag vom 28.06.1804. Ebda. StadtAW, Rp 143 (1804), Eintrag vom 12.07.1804.
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denen Diensten nicht entsprechend“130 und könne daher nicht gestattet werden. Auf die letzte Supplik, diesmal wieder ein grundsätzliches Befreiungsgesuch, antwortete die Regierung jedoch nicht wie bisher, sondern veröffentlichte ein Reskript als „finale Entschließung“ im Regierungsblatt. Darin führte die Regierung ein weiteres Mal unmissverständlich den hohen Wert des Gleichheitsgrundsatzes aus und bestätigte, „dass, da die hierunter angeführten Gründe keine andere sind, als solche, welche von den Bürgern der Städte in den übrigen Churlanden gleichmäßig gelten, indem der angesprochenen Exemtion wegen kein besonderer Vertrag mit den vormaligen Regenten des Fürstenthums Würzburg besteht, ein bloßes Herkommen aber, das dem Staats Zwecke zuwider ist, nie ein gültiger Titel sein kann.“131 Die „Abgaben, welche die Bürgerschaft zur Redimirung der Militär Dienstpflicht zu entrichten glaubt, [sind] von der Art, dass sie entweder unter die Local Lasten gehören, oder allen Unterthanen gemein fallen, und den vorgeschützten Zweck keineswegs haben.“132 Offenbar hatte die Abordnung in Rechnung stellen wollen, dass sie sich bereits per Steuern und Naturalleistungen ausreichend für das Wohl des Staats einsetze. Mit dieser Antwort endete das in den Quellen nachweisbare Engagement der Bürgerschaft zur Befreiung der Stadt und es begannen die Versuche zur Befreiung einzelner Bürgersöhne. Der Rat war als Gerichtsstelle der Niedergerichtsbarkeit mit der Anfertigung der Konskriptionslisten betraut – und mit der Entscheidung über die Suppliken um Befreiung. Vielleicht war es das Engagement des Rates, in erster Linie jedoch ohne Zweifel die Angst um das Leben des eigenen Sohnes, dass die Familien der Konskribierten auch nach dem Scheitern der Mission bewog, ihre Söhne über den Weg der Einzelsupplik noch auszulösen. Ähnlich verlief die Entwicklung nach 1806. Nach der Gründung des Großherzogtums bildete sich eine Bürgerdeputation und bat Ferdinand von Habsburg als neuen Regenten um die Wiedereinführung der Befreiung der Stadt vom Militärdienst. Die Bitte erging an den Rat noch vor Erlass der neuen Heeresordnung Ferdinands. Sein Antwortschreiben setzte sich deutlich vom Egalitäts-Prinzip der kurbayerischen Verwaltung ab und betonte die Kontinuität von Hochstift zum Großherzogtum: „Wir haben gleichwohl in billige Erwägung gezogen, daß Unsere getreue Bürgerschaft bis zu dem Eintritte der königl. baierischen Regierung zu jener Art von Militär-Conscription, welche unter dem Namen Landmiliz in dem Fürstenthume Würzburg vormale bestand, nicht beygezogen worden sey, daß die Meinung der vormaligen Regierung, welche ein so geehrter als geliebter Fürst, als weiland Fürst Franz Ludwig gottseligen Andenkens war, über die Conscriptions Freyheit Unserer 130 StadtAW, Rp 143 (1804), Eintrag vom 23.08.1804. 131 StadtAW, Regierungsblatt, 42. Stück, 20.12.1804. 132 Ebda.
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Bürgerschaft äußerte, Achtung und Rücksicht verdiene.“133 Allerdings gab er zu bedenken, dass kein „Privilegium, oder irgend ein mit den vorigen Regierungen geschlossener Vertrag Unsere lieben und treuen Bürger von Würzburg von der Pflicht entbinde, zum Schutze des Staates gemeinschaftlich mit allen Unseren Unterthanen Militairdienste zu leisten.“ Folglich erteilte Ferdinand wie sein Vorgänger dem Gesuch der Bürgerschaft eine Absage. Ferdinands Antwort unterschied sich nur insofern, als die Absage als Zusage getarnt war und er formal die Militärpflichtigkeit aufhob. Wie oben bereits geschildert, privilegierte er die Bürger Würzburgs für den Dienst in der Artillerie, weichte die Regelung anschließend jedoch sofort wieder auf. Wie schnell der Bürgerschaft der Winkelzug des Großherzogs einleuchtete, lässt sich daran erkennen, dass die Deputation wenige Tage nach dem Mandat Ferdinands einen erneuten Befreiungsversuch unternahm und dem Verwaltungsrat „eine Vorstellung mit Bitte wegen Befreyung von der Militair Conscription“134 überreichte. Diesmal engagierte sich der Verwaltungsrat zwar nicht mehr für die Bürgerschaft, da die Räte wohl aus dem Konflikt von 1804 gelernt hatten. Doch während der Rekrutierung für die Befreiungskriege entbrannte ein neuer Streit zwischen dem Rat und den hohen Regierungsbehörden. Wahrscheinlich hatten die Räte aus dem Konflikt 1804 gelernt und die Chancenlosigkeit weiterer Proteste akzeptiert. Ende August 1812 erhielt der Verwaltungsrat von der Militär-Oberkommission den Befehl, „bald möglichst“135 24 Mann zur Verstärkung der Artillerie auf der Festung aus den Reihen der städtischen Handwerker zu rekrutieren. Im Januar 1813, also ein halbes Jahr später, beklagte sich die Militärinspektion, der Verwaltungsrat habe die geforderten Männer noch immer nicht rekrutiert. Die bereits Ausgewählten seien „zum Feldkriegs Dienste untauglich“ und bis auf eine Ausnahme „wegen schlechter Conduite“ bereits verhaftet gewesen.136 Zwei hatten bereits im Arbeitshaus eine Strafe abgesessen. Von den 19 Gemeldeten konnten vier keinen Beruf angeben, die Mehrzahl gehörte klein- und unterbürgerlichen Berufen an. Die Liste enthielt Namen von Pflasterern, Häckern und Dachdeckern. Auch zwei Musiker waren darunter. Zu einem von ihnen bemerkte die Akte der Polizeidirektion, er wurde „vom Jahr 1805 bis hieher wegen verübten Schlägereyen, Gassen Schwärmereyen, unmäßigen Trinken und liederlichen Leben mehrmalen mit Polizey Arreste und Schlägen gezüchtiget, ist aber stäts liederlich geblieben, und seine ausschweifende Lebensart ist bekannt. Hat kein Vermögen und keines zu hoffen.“137 Das Profil dieser Männer legt nahe, dass der Rat auf Kleinkriminelle zurückgriff, um die restlichen Einwohner zu schonen. 133 134 135 136 137
StadtAW, Ra 2949, 13.01.1807. StadtAW, Rp 147, Eintrag vom 24.01.1807. StaatsAW, Großherzogtum Würzburg, Militär-Oberkommission (MOK) Nr. 112. Ebda. Ebda.
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Damit hatte der Rat nicht nur weniger Rekruten als befohlen konskribiert und dafür sehr lange gebraucht. Vor allem widersprachen die Kriminalitätsbiografien des rekrutierten Personals dem neuen Bild vom Soldaten als Ehrenmann, mit dem sich die bayerische Armee vom Bild der Armee als Strafanstalt abgrenzen wollte. Es galt, die Armee „in eine Bürgerarmee nach preußischem Vorbild umzuwandeln, in dem der Wehrdienst nicht mehr als verhaßter Zwang, sondern als patriotische Verpflichtung des selbstverantwortlichen Staatsbürgers empfunden werden sollte.“138 Bei freiwilligen Meldungen allerdings ließen die Militärbehörden ab 1813, offenbar wegen des großen Mangels, auch wieder Kriminelle zu. Die Militärreformer in Bayern brachen nicht nur mit der Tradition des Armeedienstes als Strafmaß, sondern forcierten die Verwendung von Gedienten in öffentlichen Behörden. Nicht von ungefähr erleichterte Kurbayern und später das Großherzogtum mittels Gesetz den ehemaligen Soldaten den späteren Eintritt in den Staatsdienst. Diesen programmatischen Wandel muss man bedenken, um den Konflikt zwischen Rat und Militärbehörden zu verstehen. Der Verwaltungsrat hatte mit der Rekrutierung von ehemaligen Arbeitshausinsassen und Kleinkriminellen diese Wende bewusst ignoriert. Die Militäroberkommission ließ daher verlauten, „daß diese Auswahl von Menschen einer allerhöchsten Entschließung vom 30ten August v. J. ganz entgegen ist.“139 Dies war nicht der einzige Streitfall zwischen den Militärbehörden und dem Verwaltungsrat. Wenige Tage nach dem Aufruf Ferdinands zum freiwilligen Beitritt in das Jägercorps musste sich der Rat mit einem Kritiker auseinandersetzen, dessen Namen ihm nicht mitgeteilt wurde. Die Regierung konfrontierte den Rat mit den Anschuldigungen. Der Anonymus warf dem Rat vor, die gerade angelaufene Rekrutierung durch bewusste Verschleppung zu sabotieren. Dieser entgegnete in scharfem Ton, „daß hierorts weder eine Stockung im fraglichen Geschäfte verursacht, noch sonst etwas vernachläßiget worden; weshalb die dießfallsige Angab als eine Verleumdung angesehen, oder der Angeber, um selben eines bessern zu belehren, genannt werden wolle.“140 Die Meldungen zum freiwilligen Jägercorps gingen weitaus schleppender voran, als von der Regierung erwartet. Deshalb nahm der Rat auch nach Ablauf der Aufnahmefrist noch Kandidaten an. Ein weiterer Fall ist aktenkundig, bei dem der Rat in Verhandlungen über die Konskription einen Sekretär der Landesdirektion beleidigt haben soll. Die Landesdirektion reagierte streng auf den Bericht des Bediensteten. Dem Verwaltungsrat sei wegen der „gebrauchten Ausdrücke der befohlene Verweis gegeben worden“141. Darüber hinaus befahl die Landesdirektion dem Rat, 138 139 140 141
Fehrenbach: Ancien Régime, S. 123. StaatsAW, Großherzogtum Würzburg, Militär-Oberkommission (MOK) Nr. 112. StadtAW, Rp 153 (1813), Eintrag vom 21.12.1813. StadtAW, Rp 154 (1814), Eintrag vom 04.01.1814.
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„daß auch hinsichtlich der übrigen Punkte die höchste Vorschrift genau befolgt werden solle“142. Dies ist unschwer als erneuter Vorwurf der Verschleppung zu verstehen. Der Rat setzte sich von 1804 an bis zum zweiten Übergang an Bayern wiederholt für die Einwohner der Stadt ein. Auf mehreren Wegen versuchte er, die Bürger vor dem Militärdienst zu bewahren. Direkt nach Erlass des Heeresergänzungsgesetzes von 1804 engagierte er sich durch die Unterstützung einer Bürgerdeputation dafür, die Abschaffung der Landfolge-Freiheit rückgängig zu machen. Ähnlich ging er 1807 vor, nachdem Großherzog Ferdinand das ius sequale für die Stadt zwar formal abgeschafft, de facto jedoch bestätigt hatte. Dieses offene Engagement gegen den Waffendienst der Stadtbewohner beendete der Rat bis spätestens 1812. In den letzten Rheinbund-Jahren lassen sich begrenzte Akte bewusster Sabotage des Rekrutierungsverfahrens beobachten. Der Rat schlug widerrechtlich Kleinkriminelle für den Dienst in der Artillerie vor und verlangsamte Rekrutierungen bewusst.
5.3.4. Eine Flut von Befreiungsgesuchen Schon während der Engagements der Deputationen in den Jahren 1804 und 1806/1807 gingen Bittgesuche von Vätern beim Rat ein, die um die Befreiung ihrer Söhne supplizierten. Dies wiederholte sich ab 1813. Die Suppliken erreichten den Rat im Regelfall erst, nachdem das Los gezogen war143, nicht aufgrund des Tauglichkeits-Zeugnisses in der Konskriptionsliste. Die Väter von Rekruten stellten also Suppliken, um eine Befreiung nachträglich zu erwirken, nachdem bei der Konskription für den entsprechenden jungen Mann kein Befreiungsgrund griff. In der Konskriptionsliste ließ die Regierung laut Heeresergänzungsgesetz neben den Grunddaten wie Wohnort, Körpergröße und Beruf auch verzeichnen, ob der Rekrut „zu Hause entbehrlich oder unentbehrlich“ (§ 13) sei. Den Sohn des Fischermeisters Georg Geißler zum Beispiel traf das Los im November 1804. Im Januar 1805 hatte er seinen Dienst anzutreten. Sein Vater versuchte nun beim Rat die Ausnahmeregel geltend zu machen, nach der alle einzigen Söhne befreit würden, deren Arbeit für den Fortbestand des elterlichen Gewerbes unverzichtbar sei. Dieser Befreiungsgrund traf auf den Sohn des Fischermeisters formal nicht zu. Denn Georg Geißler hatte weitere Söhne. Dies gestand Geißler zwar ein, gab aber an, er habe nur einen Sohn, „welchen ich zu meinem Gewerbe und zu meinem Nahrungszweige gebrauchen 142 Ebda. 143 Beim Auslosen beschrieben die Militärbehörden Zettel mit Nummern, die den Konskribierten zugeordnet waren; s. Kermann: Pfälzer, S. 18.
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kann“144 und fügte hinzu, dass der Sohn das Geschäft inzwischen allein führe, da er selbst seit langem krank sei. Würde sein Sohn eingezogen, würde sich sein Vater und seine Familie „dem größten Elende, Ja selbst dem Hunger ausgesetzt sehen, und dem Staate zur Last fallen“145; Da die Familie nicht über Hausbesitz, sondern nur über eine Mietwohnung verfügte, stellte die Anerkennung der Unentbehrlichkeit die einzige Chance dar, den Sohn zu Hause zu behalten. Zur Dokumentation seiner Krankheit legte Geißler das Attest eines Landphysikus bei. Dieses bestätigt, der 40-jährige Fischer Geißler sei „mit Gichtkrankheiten dermaßen behaftet, daß derselbe schon einige male längere Wochen bettlägerig“ gewesen sei. In einem weiteren Gutachten bezeugten die Fischergeschworenen die beispielhafte Aufopferung des 17-jährigen Georg jun. für seine Familie, der „mit vollem Ruhm und Auferbauen der ganzen Zunft, ja sämtlichen Viertelbewohnern“146 seine Arbeit verrichte. Auch die Viertelmeister bescheinigten die Bedeutung des Sohns für den Unterhalt der Familie. Die meisten eingereichten Befreiungssuppliken zeichneten sich dadurch aus, dass ihnen mindestens zwei Gutachten angefügt waren. Gewöhnlich lag das Attest eines Arztes und des Viertels bei.147 Diese Zeugnisse waren von großer Bedeutung für den Fortgang der Supplik und waren vom Gesetz sanktioniert. Das Heeresergänzungsgesetz hatte bestimmt, dass die Entscheidung der Landgerichte und Magistrate sich nicht auf die bloßen Behauptungen der Supplikanten, sondern auf Belege zu stützen habe (§ 7). Die Supplik Geißlers entsprach insofern dem Gros der Suppliken um Militärdienstbefreiung in der kurbayerischen Zeit, als sie die Krankheit des Vaters in den Vordergrund stellte. Einem weiteren Supplikanten bezeugte der Stadtchirurg „ebenmäßige Schwachheit“148, und dass er mit einem „veralteten Geschwür auf dem Rückgrad schon über 12 Jahr behaftet seye“149, wieder einem anderen, er „leidet beynahe 6 Jahre am Gesichte und Magenschmerzen, ist wegen Bludigkeit der Augen, wohin sich die Gichtsmaterie versetzet hat“ und sei daher „ausser Stand seiner Profession als Weber vorzustehen“150. Mit der Krankheit des Vaters die Unentbehrlichkeit des konskribierten Sohns zu beanspruchen, stellte von allen Befreiungsmotiven das häufigste dar. 144 145 146 147
StadtAW, Rp 146 (1804, Beilagen), fol. 321. Ebda. Ebda. Ab 1807 stellten die Viertelmeister selbst keine Zeugnisse mehr aus, sondern berichteten dem Rat in einem Gutachten von den Lebensumständen eines Supplikanten. Am Schluss dieses Gutachtens sprechen sich die Viertelvertreter für oder gegen ein Attest aus. Dieses Attest erstellte das Viertel jedoch nicht selbst, sondern der Verwaltungsrat. Der Rat stellte daraufhin im Bewilligungsfall ein Attest aus. 148 StadtAW, Rp 146 (184, Beilagen), fol. 387. 149 Ebda. 150 StadtAW, Rp 146 (1804, Beilagen), fol. 380.
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Auf das Gebrechen bezogen sich die meisten Argumente und Gutachten. Dies liegt daran, dass hier im Vergleich zu den meisten anderen Befreiungsgründen ein gewisser Ermessensspielraum beim Rat lag. Eine begrenzte Entscheidungsfreiheit überließ das Gesetz dem Verwaltungsrat bei der Befreiung von Künstlern. Nur besaßen diese keinen so eindeutigen Status wie die ebenfalls befreiten Studenten. Das Heeresergänzungsgesetz beinhaltete dazu mehrere ungenaue Formulierungen. Zur Abgrenzung von Handwerkern hieß es lediglich, es seien nur Künstler „im eigentlichen Sinne“ (§ 6) zu befreien. Welche Künstlergruppen allerdings zu den Befreiten und welche zu den Dienstpflichtigen zählten, ließ das Gesetz offen. Noch weniger exakt formuliert war die Befreiungsregel für die Söhne der Künstler. Diese seien dann zu befreien, wenn sie ebenfalls als Künstler arbeiteten oder Kunst studierten. Damit stellte die Regierung sie den Studenten gleich. Voraussetzung war aber, dass sie das „mit glücklichen Fortgängen“ (§ 6) tun. Die Regierung verlangte, dass diejenigen befreit wurden, die auch ihren Unterhalt mit Kunst sicherten. Diese Interpretation des Gesetzes geht aus der Praxis hervor. Der Vater des Klavierbauers Joseph Ignatz Janeck supplizierte 1805 um die Befreiung seines Sohnes.151 Laut Protokollauszug des Stadtrats war der Sohn zwar Instrumentenbauer und könnte sich daher darauf berufen, dass „für derley Künstler worunter auch die Orgel und Instrumentenmacher gezählt werden wolle eine gnädigste Ausnahme stattfindet“.152 Da er jedoch gelernter Glaser und im Hauptberuf Vierteldiener war, zählte der Klavierbau nur als Nebenerwerb. Auch der Hofmaler Christoph Fesel versuchte kurz vor seinem Tod 1805, seinen Sohn zu befreien.153 1807 wird Georg Menna nicht nur von der Militärpflicht befreit, sondern erhält auch die Erlaubnis, nachsteuerfrei nach Bamberg auszuwandern. Angesichts dieser Privilegien ist es wahrscheinlich, dass es sich dabei um einen ebenfalls als Künstler tätigen Verwandten, vielleicht den Sohn des Porträtmalers Matthäus Joseph Menna handelte.154 Das Sample enthält auch Suppliken, die belegen, dass die Regierung tatsächlich auf Änderungen in den Familienverhältnissen der Supplikanten einging. Franz Selzlein, „Wagnersohn und Bürger und derzeit als Artillerist in großherzoglichen Diensten stehend“ 155, bat um nachträgliche Befreiung, weil seine Mutter als Witwe die Wagnerei nicht allein zu führen imstande sei. Of151 StadtAW, Rp 146 (1805, Beilagen), 15.02.1805. 152 Ebda. 153 StadtAW, Rp 146 (1805, Beilagen), Landesdirektion an Stadtrat, 11.03.1805. Von Fesel stammt das Porträt des letzten Fürstbischofs Georg Karl von Fechenbach, das in der Ausstellung „Heiliges Römisches Reich deutscher Nation“ im Jahr 2006 im Deutschen Historischen Museum zu sehen war; Hans Ottomeyer, Jutta Götzmann, Ansgar Reiss (Hg.): Heiliges Römisches Reich deutscher Nation. 29. Ausstellung des Europarates in Berlin und Magdeburg, Dresden 2006, S. 368 ff. 154 StadtAW, Rp 147 (1807), Eintrag vom 07.10.1807. 155 StadtAW, Rp 147 (1807), Eintrag vom 07.01.1807.
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fenbar war sein Vater kurz zuvor gestorben, sonst hätte er die Supplik nicht selbst gestellt. Die Viertel-Deputation bestätigte, dass Selzlein „seiner Mutter die Nahrung erwerbe“. Der Rat stellte Selzlein daraufhin umgehend ein Attestat zur Befreiung aus. Wegen der lückenhaften Überlieferung der Ratsakten müssen zwei entscheidende Fragen unbeantwortet bleiben. Die erste lautet, wie viele Bittgesuche um Militärdienstbefreiung eingingen, die zweite, wie viele Erfolg hatten. Wenn auch keine Zahlen und Prozentsätze zur Verfügung stehen, lässt sich doch anhand des Verfahrens eine Vermutung anstellen. In den ersten Jahren überwogen die Empfehlungen für Befreiungen, im Laufe der Zeit scheint er sich mehr und mehr nach den Buchstaben des Gesetzes gerichtet zu haben.156 Zu Beginn der Konskriptionen, ab 1804, scheint der Rat mehr Bürger und Beisassen befreit zu haben, als es die Gesetzeslage erlaubte. Die Zahl der Befreiungen ist also höchst wahrscheinlich immer weiter zurückgegangen. Ab Oktober 1804 tadelt die Landesdirektion den Rat in unregelmäßigen Abständen für dessen Befreiungspraxis. In einem Fall befahl die Regierungsbehörde, der Rat habe sich „niemals an individuelle Attestate, sondern lediglich an Collegialrescripte, soviel die Verhältnisse der Unterthanen gegen den Landesherrn betrift, zu halten.“157 Im selben Monat äußerte sich die Regierung unzufrieden mit der Zahl der Konskribierten. Die „Landesdirektion fordert per Dekret Nachtrag für die Konskriptionliste der Stadt.“158 Im Januar 1807 bemängelt das Stadtkommissariat, dass schon mehrere Quartale verflossen seien, ohne dass die vorgeschriebenen Ein- und Auswanderungstabellen eingeschickt worden wären.159 Diese gaben auch die Namen und die Zahl der ausgewanderten wehrfähigen Männer an und waren daher für das Konskriptionsgeschäft von Bedeutung. Im Lauf der Jahre dämmte die Regierung so die Entscheidungsfreiheiten des Rates ein. Dies geschah auch dadurch, dass die Regierungen die Befreiungsverfahren im Laufe der Jahre immer stärker formalisierten. Die Supplikanten konnten ab 1807 keine selbst beschafften ärztlichen Gutachten mehr vorlegen, sondern wurden von einem Arzt im Auftrag der Regierung untersucht.
156 Joachim Kermann hat für die Konskriptionen von 1808 und 1812 im Pfälzer Departement Donnersberg zwar eine recht hohe Befreiungsquote festgestellt. Doch sind die sozialen Befreiungsgründe in Frankreich andere als im Heeresergänzungsgesetz. Bei der Konskription im Kanton Neustadt 1813 erhielten zwar 47 von 135 Rekruten eine nachträgliche Befreiung, doch entfielen von diesen 18 auf Rekruten, von denen mindestens ein Bruder der aktiven Armee angehörte oder bereits gefallen war und 15 auf Verheiratete. Beide dieser Gruppen erhielten laut Heeresergänzungsgesetz jedoch keine Befreiung, s. Kermann: Pfälzer, S. 20. 157 StadtAW, Rp 145 (1804, Beilagen), 22.10.1804. 158 StadtAW, Rp 145 (1804, Beilagen), 03.10.1804. 159 StadtAW, Rp 147 (1807), Eintrag vom 07.04.1807.
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Es ist auffällig, wie gering bei der Konskription für die Befreiungskriege die Zahl der Gesuche um freiwilligen Militärdienst, entweder als Einsteher oder als Freiwilliger war. Unter den wenigen befanden sich noch dazu eine ganze Reihe straffällige Bewerber. Offenbar reagierte die Regierung nun aber auf die niedrige Zahl an Freiwilligen, indem sie auch Kleinkriminelle wieder zum Waffendienst zuließ oder sich erst nach längerer Beratung zur Ablehnung entschloss. Ein pensionierter Hoboist etwa bat im Januar 1813 um die Aufnahme seines Sohnes, eines Tünchergesellen, „weilen er an seinem Metier kaum freude habe, übrigens gut leßen, schreiben und rechnen könne, auch ein wohlgewachsener junger Mann sey, und daher als Soldat sein Glück machen könne“160. Der Sohn befand sich jedoch zu dieser Zeit im Arbeitshaus. „Da nach Maasgabe einer allerhöchsten Verordnung“, so der Rat, „nur inkorrigible junge Läute, wenn sie anders noch nicht kriminal behandelt worden sind, und ihnen sonst keine Vergehungen zur Last liegen, an das Militair abgegeben werden dürfen“, müsse das Zeugnis der Polizeidirektion abgewartet werden. Diese berichtet wenig später, dass der Tünchergeselle „als ein aüßerst lüderlicher und [in] diebstählen geübter Bursche bekannt“ sei. Der Rat lehnt das Gesuch daraufhin allerdings keineswegs ab, wie er dies noch in kurbayerischer Zeit sofort getan hätte. Er teilte dem Supplikanten lediglich mit, dass die Entscheidung nicht in seiner Hand liege und verwies ihn an die Regierung. Die erstarkte Bereitschaft, auch Straffällige wieder zu konskribieren, belegt noch deutlicher die Supplik eines Dachdeckers für seinen Sohn. Dieser sei, so der Vater, zur Sicherung des Nahrungsstands der Eltern unentbehrlich. Dem Vater teilt der im Auftrag der Regierung jedoch mit, „daß, nachdem aus der pflichtmäßigen Untersuchung sich ergeben habe, daß ihr Sohn theils seines bisher geführten Lebens Wandels, theils seines Gewerbes wegen ihnen entbehrlich ist.“161
5.3.5. Die Gesellenwanderung als Flucht vor dem Militärdienst Die Supplik um Militärdienstbefreiung stellte nicht den einzigen Versuch dar, dem Waffendienst zu entgehen. Für Gesellen bestand die Möglichkeit, um die Ausstellung eines Wanderpasses zu bitten und Kurbayern für drei Jahre vorübergehend zu verlassen. Das Heeresergänzungsgesetz hatte dazu verordnet: „Dienstpflichtigen Handwerksburschen soll das Wandern ins Ausland nur gegen Wanderpässe, und zwar von den geendigten Lehrjahren an, wenn sie zum Militär-Dienste tauglich sind, auf 3 Jahre gestattet werden“ (§ 27). Die Bestimmungen für die Wanderjahre richteten sich nach den Notwendigkeiten des 160 StadtAW, Rp 153 (1813), Eintrag vom 08.01.1813. 161 Ebda.
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Heeresersatzes, wie ein weiteres Mandat vom 19. Juni 1804 festsetzte. An dieser Regel hielt Ferdinand von Habsburg fest. Außerdem führte er „in Erwägung der mannigfaltigen Nachtheile und Unterschleife“ ein neues Kontrollsystem ein. Gesellen auf Wanderschaft mussten ab 1810 ein Wanderbuch mit sich führen. Alle drei Monate hatte der Geselle ein neues Zeugnis von einem Meister einzufügen, sonst verlor das Dokument seine Gültigkeit.162 Während der Befreiungskriege durften nur noch diejenigen Gesellen wandern, die als entbehrlich eingestuft wurden. Auch die übrigen Befreiungsgründe schränkte das neue Konskriptionsgesetz von 1813 ein, so dass Befreiungen „nur noch für einen sehr kleinen Personenkreis“163 galten. Doch selbst in kurbayerischer Zeit also, in der grundsätzlich allen Gesellen die Wanderschaft gestattet war, entschied letztlich die Stärke des Militärs über die Ausstellung von Wanderpässen. An die Ausstellung eines Passes knüpfte die Regierung Bedingungen. Der Geselle musste entweder eine Kaution hinterlegen oder dem Magistrat einmal pro Jahr ein Zeugnis seines gegenwärtigen Aufenthaltsortes vorlegen, das auch seine „gute Aufführung“ bestätigte. Tat er das nicht, galt er als säumig. In diesem Fall ließ das Gesetz ihm ein Jahr zur Rückkehr Zeit, andernfalls hatte der Magistrat sein Vermögen wie bei einem Deserteur zu konfiszieren. Um den Konskriptionen ab 1804, ab 1807 und ab 1813 zu entgehen, mussten die Gesellen Auswanderungsgesuche stellen und hohe Summen „Reluitionsgeld“, eine Art Kaution, bezahlen.164 Die Ratsprotokolle zeigen, dass sehr viele Würzburger Gesellen den Befreiungsgrund der Wanderschaft für sich geltend zu machen versuchten. Bei der Befreiung von Gesellen scheint sich die Regierung 1804 und 1805 recht genau an die gesetzlichen Vorgaben gehalten zu haben. In diesem Fall spricht der Mangel an Suppliken für eine hohe Zahl an Wanderungen. Nur sehr wenige Supplikanten mussten eigens um einen Wanderpass bitten. Die Mehrheit scheint ihn ohne weiteres erhalten zu haben. Aus der Zeit des Rheinbunds sind zwar deutlich mehr Gesuche erhalten. Das legt nahe, dass die Regierung nun die Pässe nicht mehr so freigiebig herausgab wie ihre Vorgängerin. Doch der Rat stellte nahezu allen Bittstellern Wanderpässe aus, im Jahr 1807 allein 38. Bei den Konskriptionen ab 1813 stieg die Zahl der Gesuche um Wanderpässe noch einmal massiv an. Nun rekrutierte die Regierung die Armee jedoch auch Gesellen. Kaum einer der Bittsteller erhielt also den gewünschten Pass. Der Rat hatte sich, vielleicht angesichts der Vielzahl immergleicher Bitten, eine äußerst lakonische Antwort angewöhnt, auf die Wanderungs-Gesuche zu antworten. Statt die Absage zu begründen, teilte er den Gesellen oft schlicht
162 Würzburgisches Regierungsblatt, 22. Stück, 06.12.1809. 163 S. Aichner: Das bayerische Heer, S. 250. 164 Würzburgisches Regierungsblatt, 20. Stück, 04.11.1807.
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ihre Losnummer mit.165 Damit war nicht nur die Antwort erteilt, sondern auch der Grund genannt: Der Geselle musste in den Krieg ziehen.
5.3.6. Die Anstellung beim Staat als Flucht vor dem Militärdienst Nicht nur über den Weg von Befreiungs- und Auswanderungsgesuchen versuchten sich Vertreter des kleinen und mittleren Bürgertums dem Militärdienst zu entziehen. Einen alternativen Weg stellten Bittgesuche um Anstellungen beim Staat dar. Sowohl das Heeresergänzungsgesetz als auch die folgenden Konskriptionsgesetze mussten ein Funktionieren des zivilen Staatsapparates garantieren und befreiten daher zivile Dienstboten wie Ratsdiener, Polizeidiener und Torwachen. Nach Erlass des Heeresergänzungsgesetzes bewarben sich Dutzende von Männern um entsprechende Stellen.166 Die Bewerbungswelle unterstützte zusätzlich die Ausschreibung für neue Polizeidienerstellen.167 Allein im Monat April und Mai waren es 33 Bewerber, die sich entweder gezielt auf eine dieser Polizeidienerstellen bewarben oder aber um irgendeine Anstellung beim Staat baten. Einer dieser Supplikanten war der ehemalige Fabrikarbeiter und Tagelöhner Matheß Karl. Seine Supplik an den Rat (Abb. 7) um „gnädigste Anstellung als Gerichtsdiener bey irgend einer städtischen Behörde dahier“ zeigt, dass die Angst vor dem Krieg nicht das einzige Motiv für die Anstellungsgesuche darstellte: „Ich war nicht nur über 20 Jahre als Spiegelschleifer in der vormalig Hochfürstlichen Spiegelfabrick dahier gestanden, sondern kam auch als Tagelöhner /:nachdem die gedachte Fabrick in Pacht überlassen, und nichts mehr darinn auf Herrschaftliche Kosten gearbeitet wurde :/ zu den Arbeiten im Hofgarten, hier beschädigte ich mich bey einem Baumausgraben sehr an dem Fuße, und da solcher [trotz] aller angewandten Mühe nicht mehr ganz gut konnte hergestellt werden, und ich dadurch zu schweren Taglöhner Arbeiten nicht mehr tauglich war, so wurde ich als Aufseher in dem Hofgarten bereits vor 4 Jahren mit 20 Kreuzer Gehalt pro Tag aufgestellt. Allein, als zum 24. October vorigen Jahres [1803] die Hoftaglöhner abgeschafft wurden, hatte ich gleiches traurige Schicksal mit ihnen, daß ich nemlich auch ohne alle pension entlassen worden bin.“168 165 StadtAW, Rp 153 (1813), Einträge vom 18.05., 21.05., 25.05., 11.06., 09.07., 03.08., 07.09., 15.10., 19.11., 03.12.1813. 166 S. zu den Dienstboten in der Napoleonischen Zeit auch Armin Owzar: Eine Nation auf Widerruf – Zum politischen Bewusstseinswandel im Königreich Westphalen, in: Schnabel-Schüle, Gestrich: Fremde Herrscher, S. 43-72, hier: S 47. 167 StadtAW, Orp 83 (1804), Eintrag vom 25. 05.1804. 168 StadtAW, Rp 146 (1804), Beilagen 1804, Eintrag vom 13.12.1804.
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Das traf vor allem Vertreter des Kleinbürgertums. Sowohl die große Schar an privaten Dienstboten als auch die Hoflakaien, Livreediener, Boten und anderen Bedienten von Hof und Regierung waren direkt von den Regierungswechseln betroffen. Eine Aufstellung der Stadtviertel aus dem Jahr 1703 zählte 2661 Dienstboten und Ehehalten. Damit machten Dienstboten 19,5 Prozent der Stadtbevölkerung aus. 1787 betrug die Zahl der festangestellten männlichen Dienstboten 513 und die der weiblichen 1938. Der Anteil hatte sich also nahezu gehalten.169 Allein die Auflösung der geistlichen Behörden bedeutete ab 1802 einen erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen. Selbst wenn die Dienstboten in den weltlichen Behörden beibehalten wurden, hatten die Diener von geistlichen Amtsträgern unter der Säkularisation einen wichtigen Kundenzweig verloren. Alle Mitglieder der geistlichen Regierung, die Domkapitulare und Stiftskanoniker, Vikare, Domizellare und Dechanten, zusammen rund 100 Personen, beschäftigten allein mindestens zwei private Dienstleute.170 Sicherlich blieben die meisten hohen Kleriker in Würzburg und beschäftigten als Privatleute weiterhin Personal. Doch als Amtsäger konnten sie ihre Untergebenen nicht behalten. Wie viele Dienstboten bei den einzelnen Klöstern in der Stadt angestellt waren, ist zwar nicht bekannt, da die Ratsquellen lediglich über Handwerker berichten, die zeitlich begrenzte Aufträge für die Klöster ausführen. Allerdings hat Dietmar Stutzer eine Durchschnittszahl von 66 in Vollzeit beschäftigten Dienstboten für die ständischen Klöster in Bayern nach den Listen der Aufhebungskommission errechnet und festgestellt: „Das hervorstechende gemeinsame Merkmal aller Ordensniederlassungen ist vielmehr die sehr ausgeprägte Arbeitnehmerbeschäftigung und die hochdifferenzierte Lohnarbeitsverfassung.“171 Es ist folglich davon auszugehen, dass die Regierungswechsel auch in Würzburg für die vielen privat als auch öffentlich beschäftigten Dienstleute mit enormen Einschnitten in ihren Arbeitsbiografien verbunden waren. 169 Erik Soder von Güldenstubbe: Sozialgeschichte der Stadt Würzburg 1500-1815, in: Wagner: Geschichte 2, S. 464-488, hier: S. 469. Genauer zum Dienstbotenwesen s. den Sammelband von Gotthardt Frühsorge u.a. (Hg.): Gesinde im 18. Jahrhundert, Hamburg 1995; Renate Dürr: Mägde in der Stadt. Das Beispiel Schwäbisch Hall in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/Main 1995. 170 Alle Angaben sind entnommen dem Würzburger Hof- und Staatskalender für das Jahr 1800. Von den Genannten hatten einige mehrere Präbenden oder Kanonikate inne, so dass eine Rechnung von zwei bis drei Dienstboten pro Kleriker zu hoch ausfallen würde. Zur Ämterhäufung der Kleriker im Hochstift und zur Säkularisation der Klöster s. Werner Zeissner: Klöster, Stifte und religiöse Gemeinschaften, in: Kolb, Krenig: Unterfränkische Geschichte, S. 109-160, hier: S. 110 ff. 171 Dietmar Stutzer: Die Sozialverfassung der bayerischen Klöster vor der Säkularisation, in: Eberhard Weis (Hg.): Reformen im rheinbündischen Deutschland., München 1984, S. 33-43, hier: S. 34.
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Suppliken wie die Matheß Karls erreichten den Rat und die Landesdirektion unmittelbar nach der Besitzergreifung des Hochstifts und auch später noch. Die Regierung beklagte schon im Oktober 1803, dass „eine Menge ungeeigneter Gesuche um Dienstanstellungen“ eingegangen seien, die „theils ganz unbestimmte Bitten um Versorgung, theils um Plätze, die nicht erledigt sind, enthalten“172. Die Kandidaten waren jedoch nicht unbedingt deshalb ungeeignet, weil sie über zu wenig Berufserfahrung verfügten oder, wie Matheß Karl, durch ein körperliches Leiden eingeschränkt waren. Sie kamen deswegen nicht infrage, weil sie keinen Dienst in der Armee getan hatten. Am 30.11.1803, also bereits vor Erlass des Heeresergänzungsgesetzes, erging ein Mandat der Landesregierung, das besagte, dass ausgediente Unteroffiziere bei frei werdenden Zivilstellen zu bevorzugen seien. Dieses Privileg erstreckte sich auch auf Gediente der ehemaligen Würzburger Garnison. Das Heeresergänzungsgesetz bestätigte die Privilegierung 1804, die sich nicht nur auf die Übernahme von Ämtern erstreckte. § 41 bestimmte: „Die Ausgedienten sollen in Rücksicht ihrer Ansäßigmachung, Verheurathung, bey Handwerksconcessionen, bey Vertheilung der Culturs Gründe, wie auch bey Besetzung der gemeinen Ämter vorzüglich begünstiget werden.“ Die Qualifikation der Bewerber, auf welche die Regierung ab dem Übergang an Bayern sonst so großen Wert legte, trat hier zugunsten der generellen Aufwertung des Soldatentums zurück. Diese Regelung schränkte Ferdinand von Habsburg später wieder ein und bevorzugte diejenigen „Aspiranten um Staats- und Gemeindedienste“173 gegenüber Bewerbern, „welche nicht beigetreten sind, bei gleicher Qualifikation“. Allerdings sprach Ferdinand denjenigen eine Art Beschäftigungsgarantie aus, die bereits in Staatsdiensten standen. Ihnen wurde für die Zeit nach dem Krieg „gleicher Vorzug zu ihren weiteren Beförderungen versichert“174. Die Privilegierung von ehrenhaft entlassenen Soldaten hatte auch Auswirkungen auf die Laufbahn des erwähnten Matheß Karl. Wieder einmal hatte der Rat sich Anweisungen der Regierung widersetzt und einen Kandidaten eingestellt, der keinen Militärdienst vorweisen konnte. Die Ratsherren hatten, ohne sich bei der Armeeführung nach Aspiranten zu fragen, die Stelle an einen ehemaligen Hoflakaien vergeben. Daraufhin wandte sich General de la Motte an die Landesdirektion und forderte die Einhaltung geltendes Rechtes ein. Er drängte darauf, den amtierenden Ratsdiener umgehend zu entlassen und an seiner Statt einen entlassenen Unteroffizier einzustellen, der „bereits 23 Jahre frey und ununterbrochen
172 Regierungsblatt, 45. Stück, 17.11.1803. 173 Zit. bei Schäfer: Ferdinand, S. 261. 174 Ebda.
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in Feld und Garnison“175 gestanden hatte. Der Verwaltungsrat beschwerte sich daraufhin bei General de la Motte über dessen Eingreifen. Doch der Protest verlief erfolglos. Die Landesdirektion stellte sich auf die Seite von Gesetz und General und legte dem aufgebrachten Verwaltungsrat nahe, dass er sich „gegen Supplicanten um so mehr stets bescheiden benehmen werde, als es der Höchste Wille ist, auf gediente Militärpersonen Rücksicht zu nehmen.“176 Einmal mehr war es das Militär, das Kompetenzen des Verwaltungsrats einschränkte und einmal mehr lehnte sich der Rat gegen die neue Militärgesetzgebung und seine Verfechter auf. Im Vergleich mit früheren Konflikten stellt dieser allerdings eine Neuerung dar, denn zum ersten Mal bestimmte die Armee nun auch über Belange der Zivilbehörden. Damit berührte die Militärgesetzgebung die Arbeit des Verwaltungsrats in ihrem Innersten.
5.4. Schaden und Entschädigung: Die Würzburger Lehenkutscher in den Napoleonischen Kriegen 5.4.1. Besetzungen als Blütezeiten des Transportgewerbes Das Supplikensample erlaubt es leider nicht, die Relevanzen einer Berufsgruppe über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg zu erfassen, geschweige denn mehrere Berufe miteinander zu vergleichen. Zwar ließen sich Aussagen über den Aufschwung und Niedergang einiger Wirtschaftsbereiche in der Napoleonischen Zeit anhand des Datenmaterials aus den Aktenbeständen der einzelnen Regierungen treffen, doch die Perspektive der Berufsvertreter bliebe dabei außen vor. Das folgende Kapitel untersucht daher denjenigen Berufsstand des kleinen und mittleren Würzburger Bürgertums, der bei aller Lückenhaftigkeit noch das detailreichste Bild abgibt: die Würzburger Lehenkutscher. Über das Leben und Arbeiten der Lehenkutscher ist, die Suppliken einmal ausgeschlossen, nur sehr wenig bekannt. In den Ratsakten tauchen sie nur zu wenigen Gelegenheiten auf. Bisweilen treten sie als Unterzeichner von Zirkularen von Fremdenverordnungen oder anderen Normen in Erscheinung, die für das Transportgewerbe von Bedeutung waren. Sonst sprechen die Akten nur dann von ihnen, wenn sie den Verlust eines Wagens angeben.177 Auch über ihre Wohnverhältnisse und die Größe ihrer Betriebe sind nur allgemeine Aussagen möglich. Vertreter des Transportwesens wie Kerner, 175 StadtAW, Rp 146 (1804, Beilagen), 20.12.1804. 176 Ebda. 177 Z.B. bei einer nächtlichen Unruhe im Juli 1795, s. StadtAW, Orp 74 (1795), Eintrag vom 13.07.1795.
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Kutscher, Sackträger und Schröter wohnten seit dem Mittelalter in unmittelbarer Nähe zum Main. Im Gresser Viertel, das im Süden an den Fluss grenzte und in dem sich auch der Marktplatz befand, sowie in den zwei benachbarten Vierteln lebten die meisten Vertreter dieser Berufe. Im Gresser Viertel lag mit dem Kranen auch die zentrale Verladestelle für Schiffsfuhren. Der südlichste der Stadtteile, das Sander Viertel, in dem sich, am Mainufer, das städtische Magazin befand, beherbergte ebenfalls Lehenkutscher und Kerner.178 Bis zum Einbruch der Koalitionskriege diente das Transportgewerbe in erster Linie der innerstädtischen Subsistenzwirtschaft, der Versorgung des Hofes, der Stifte und Klöster.179 Die geringen Spuren der rund 30 städtischen Lehenkutscher in den Quellen sind vor allem dem Umstand geschuldet, dass sie keine Korporation bildeten. Anders als die produzierenden Gewerbe haben sie deshalb keine Ledigsprechbücher oder Zunftrechnungen hervorgebracht und besaßen keine Geschworenen, die der Rat als Sachverständige hätte vorladen können. Erst mit der Nachfrageexplosion im Transportsektor zu Beginn der Koalitionskriege und ihrem vermehrten Auftreten als Supplikensteller gewinnt das Bild der Lehenkutscher in den Quellen an Schärfe. Bereits mit dem Eindringen der französischen Truppen in das Hochstift 1796 vergrößerte sich das Transportvolumen horrend. Die Lehenkutscher erlebten mit dem Einbruch der Koalitionskriege in das Hochstift einen nie gekannten Aufschwung. Die Regierung beklagte schon im September 1795, „bei diesen mißlichen Kriegs Zeiten und beständig schwere Durchzug von große und klein Kriegs Leut und Civiel Personen fehlt sichs gar nicht, daß allerhand Gesindel mit in die Stadt herein kommen könne, welches sich meistentheils an Kutschen, Wägen und Transporte anschließet.“180 Dass in großem Maß Kutscher aus Würzburg mit den Transporten beauftragt wurden, belegen die Quellen reichlich. Georg Karl von Fechenbach ließ von Fuhrknechten die Residenz ausräumen, hohe Staatsdiener ihre Werte über die Brücke ins Mainviertel transportieren, bevor sie aus in die benachbarten Markgrafentümer Ansbach und Bayreuth flüchteten, die als Territorien der preußischen Hohenzollern vom Basler Friedensschluss von 1795 profitierten. Der Fürstbischof ging selbst „mit vielen Wägen ab“181. Mit Fechenbachs Fahrt ins Exil seien auch „alle guten Chaisen weg“182, so der Kapitular des Stiftes Haug Johann Kaspar Jenum in seinem Diarium. 178 Schott: Absolutismus, S. 162; zur Sozialstruktur der Stadtviertel s. Soder von Güldenstubbe: Sozialgeschichte, S. 475 ff. 179 Deswegen brachte ab 1806 auch die Kontinentalsperre in Würzburg „kaum Einschnitte für die Bevölkerung“ mit sich, Weiß: Übergang, S. 222. 180 StadtAW, Rp 134 (1795), Eintrag vom 24.09.1795. 181 StadtAW, Rb 393, Tagebuch, Eintrag vom 16.07.1796. 182 Ebda.
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Die Lehenkutscher kamen in den folgenden Wochen sogar noch häufiger zum Einsatz. Denn stärker als die flüchtenden Bürger und Mitglieder der Regierung nahm die französische Armee während der Zeit der Besetzungen vom 24. Juli bis 3. September 1796 und vom 28. November 1800 bis zum 6. April 1801 Fuhrleistungen in Anspruch. Bezeichnend für die große Nachfrage war die Antwort eines Regierungsbeamten auf eine Anzeige der Hofkammer. Diese hatte im Oktober den Verlust einiger Wagen angezeigt und den Beauftragten der Regierung für das Transportwesen mit der Untersuchung des Falls beauftragt. Die Wagen wurden nach Auffassung der Hofkammer „von den Kutschern und Kärner gestohlen“183. Der Regierungsdiener jedoch bestritt den Vorwurf, denn die Wagen der Hofkammer seien zu groß für die Ställe der Kutscher. Dass der Verlust jedoch geschehen konnte, leuchtete dem Staatsdiener ein, da die Wagen „zum allgemeinen Gebrauch gleichwie alles andere Geschirr in der Stadt aus Noth wäre benutzet“184 worden. Die französische Stadtkommandatur und das Kriegskommissariat fragten täglich Dutzende von Fuhrwagen nach.185 Mit Blick auf die Akten der französischen Armee lässt sich unschwer erkennen, dass die Organisation von Warentransporten das mit Abstand umfangreichste Betätigungsfeld der Besatzungstruppen darstellte. Die Franzosen hatten eigens Vordrucke für die Bestellung von Fuhrwagen anfertigen lassen, in die sie nur noch die geforderte Anzahl an Fuhrwerken mit Datum und Uhrzeit und die vorgesehene Verwendung eintrugen. Diese als „invitation“ bezeichneten Befehle forderten die Stadt etwa auf, „à faire fournir une voiture pour deux officiers français“186. Mittels der Vordrucke bestellte die Armeeführung auch Waren, welche die Stadt in einer bestimmten Frist zu besorgen hatte. Unter den verlangten Materialien fand sich auch „un certain nombre d’invitations“, also Vordrucke für weitere Befehle, welche die Stadt selbst drucken lassen und an die Franzosen abgeben musste, um danach auf diesen weitere Anordnungen zu erhalten. Leider ist aus den Akten nicht ersichtlich, wie die Vergabe der Fuhren praktisch organisiert war und nach welchen Prinzipien der Magistrat Kutscher engagierte. Fest steht nur, dass Ratsdiener die französischen Befehle entgegen nahmen und sie der Magistrat anschließend an die Kutscher weiterleitete. Nach der Schlacht zwischen Koalitionstruppen und der französischen Armee auf einer Anhöhe im Norden der Stadt transportierten Fuhrwerke im Auftrag der Armeen die verletzten und toten Soldaten in die Zivil- und Militärspitäler. Die Franzosen hatten nach der heute so genannten Schlacht von Würzburg 2000 Gefallene und Verwundete zu beklagen. Die Koalitionstruppen ver183 184 185 186
StadtAW, Orp 75 (1796), Eintrag vom 24.10.1796. EbdaZum Ausmaß des Transportwesens s. Planert: Mythos, S. 256. StadtAW, Ra 180, 182, 184.
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loren 1450 Soldaten. Insgesamt hatten rund 30000 Österreicher mit ihren Verbündeten und Subsidien etwa 44000 französischen Soldaten gegenüber gestanden.187 Auch schon vor diesem Kampf brachten Kutscher und Kerner im Auftrag der österreichischen Armee immer wieder Verletzte und Tote aus den verschiedenen Schlachten im Hochstift in die Stadt, die bei Schlachten im Hochstift verwundet oder getötet worden waren. „Die Todten wurden ausgezogen“, notierte Jenum, „in Strohe gebunden, auf einer Schubkarre in den Soldaten Kirchhof geführet und zu 4 auf 6 in ein Loch geworfen“188. Die Begräbnisse müssen länger als geplant gedauert haben, denn sie waren Mitte September 1796 noch nicht beendet. Wahrscheinlich war die große Zahl an Leichen von Franzosen und Koalitionssoldaten der Grund für die Verzögerung. Die Regierung befahl dem Totengräber des Mainviertels daraufhin, „mehrere [Gräber] vorräthig zu machen die Todten fleißiger wie geschehen zu begraben und auch die Gräber tiefer zu machen.“189 Nach dem Sieg Erzherzog Carls am 2. und 3. September 1796 installierten sich die Koalitionstruppen als Schutzmacht in der Stadt und auf der Festung. Der österreichische Stadtkommandant Vinzenz Dall’Aglio verlangte dem Magistrat in dichter Abfolge Fuhrfahrten ab. Im April 1797 etwa supplizierten die Kärnergeschworenen um die Bezahlung von 39 Pulverfuhren auf die Festung190. Da die Österreicher sich auf der Festung Marienberg stationiert hatten und diese auch bei weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen unbedingt halten wollten, mussten die Lehenkutscher und Kerner nun Nahrungsmittel, Brennholz und Waffen der Würzburger Garnison auf die Festung transportieren. Die Nachfrage der Truppen riss auch während der zweiten Besetzung nicht ab. Als die Franzosen die linksmainische Stadt von November 1800 bis Januar 1801 in ihrer Gewalt hatten, mussten die Lehenkutscher des Mainviertels die Koalitionstruppen versorgen. Dall’Aglio verlangte während der Blockade, dass jeden Tag Fuhrwerke zur Verfügung gestellt würden. Diese Transporte sind deshalb aktenkundig, weil sie offenbar für die Kutscher nicht frei von Risiko waren. Der Festungskommandant musste wegen „täglicher Gefahren aufs Schloss“ im Dezember 1800 „Abänderungen“191 versprechen. Schließlich kam es immer wieder zu Scharmützeln zwischen den Koalitionstruppen auf der Festung und den französischen Einheiten auf den rings um den Festungsberg liegenden Hügeln. 187 Hans-Peter Baum: Die Schlacht bei Würzburg vom 1. bis 3. September 1796, in: Wagner: Geschichte 2, S. 203-205. 188 StadtAW, Rb 393, Tagebuch, Eintrag vom 13.08.1796. 189 StadtAW, Rp 134 (1796), Eintrag vom 21.09.1796, s. auch StadtAW, Rp 135 (1796), Regierung an Stadtrat, Eintrag vom 18.09.1796. 190 StadtAW, Rp 137 (1797, Beilagen), 17.04.1797. 191 StadtAW, Rb 230 (1800), Eintrag vom 02.12.1800.
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Neben den Truppen fragten auch Regierungsbehörden Fuhren nach. Ein Geschäft für die Kutscher muss auch der Abtransport von Kunstwerken aus aufgelassenen Klöstern und der Residenz dargestellt haben, denn nicht alle Kunstwerke versteigerten die Beamten vor Ort: „Die wertvollsten Kunstschätze und einige wenige kostbare Möbel sollten nach München gebracht und in die pfalzbayerische Sammlungen eingegliedert werden.“192 Christoph von Mannlich, Direktor der kurfürstlichen Galerien und grafischen Kabinette, ließ allein aus der Residenz 72 Gemälde nach München transportieren.193 Auch die Verlagerung von Büchern aus den Klosterbibliotheken in die Universitätsbibliothek wird den Kutschern Großaufträge eingebracht haben.194 An diesem Punkt muss sich die Arbeit jedoch mit Indizien begnügen. Laut einem Bericht Mannlichs versuchte Montgelas, die hohen Transportkosten zu reduzieren: „Der Transport sämmtlicher ausgesuchter Malereyen ist hieher an einem dazu besonders zu bestimmenden Ort zu machen, und damit selber auf die sparsamste Art durch Klosterpferde geschehe, ist sich darüber mit den Local Kommissären zu benehmen.“195 In einem Brief Mannlichs an Goethe heißt es über den Transport leider nur, er habe die Kunstwerke „zusammentragen lassen“196. Ab 1814 werden erneut Koalitionstruppen in der Stadt stationiert, die wie die Franzosen den Transport großer Mengen Lebensmittel verfügten.197 Es ist davon auszugehen, dass auch in der Rheinbundzeit mit ihren Requisitionsforderungen die Auftragslage hoch blieb. Kurz nach der Ratifizierung erhielt die Regierung des neuen Großherzogtums die ersten Forderungen Frankreichs. Wer, wenn nicht die Kutscher aus Stadt und Land kann die Lebensmittel in die Magazine der neuen Hauptstadt beliefert haben? Allein zur Erfüllung der ersten Forderung von 19400 Zentnern Weizen und 2400 Zentnern Roggen, dazu mehrere Hundert Schlachtochsen waren umfangreiche Transportdienste erforderlich.198 Die Quellen offenbaren, dass Kutschfahrten diejenigen Leistungen waren, die von den militärischen und zivilen Amtsstellen aller Regierungen mit Ab192 Verena Friedrich: Die Folgen der Säkularisationen im Bereich der Kunst, in: Frankenland 55 (2003), S. 47-58, hier: S. 47. 193 Ebda. 194 Eva Pleticha-Geuder: Die Säkularisation und das „Zusammenschleppen der Bibliotheken“ : Gewinn und Verlust für das Bildungs- und Bibliothekswesen in Franken, in: Frankenland 55 (2003), S. 59-71. 195 Zit. bei Gisela Goldberg: Gemäldetransfer Bamberg – München. Spurensuche in den Jahren 1803/04, in: Baumgärtel-Fleischmann: Bamberg, S. 207-222, hier: S. 209. 196 Zit bei Berthold Roland: Johann Christian von Mannlich und die Kunstsammlungen des Hauses Wittelsbach, in: Glaser: Krone und Verfassung, S. 365-365, hier: S. 362. 197 Über die Naturalienforderung der österreichischen Armee informiert zum Beispiel StadtAW, Rp 154 (1814), Eintrag vom 04.01.1814. 198 Weiß: Übergang an Bayern, S. 220.
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stand am häufigsten nachgefragt wurden. Besonders die Besatzungsperioden waren für das Fuhrwesen Phasen der Hochkonjunktur. Ebenso stiegen die Privataufträge an die Fuhrunternehmer an. Aus Angst um ihr Hab und Gut ließen die Einwohner vor der ersten französischen Besetzung Wertgegenstände aus der Stadt bringen. Die „Bürger verpacken und verschicken ihre besten Effecten“199 und „schicken ihre besten Waaren den Main hinauf“200. Auch die Flüchtenden Landbewohner transportierten ihre Mobilien ab, wobei die Quellen nicht unterscheiden, ob sie eigenes Fuhrwerk benutzten oder Fuhrleute engagierten. Hunderte Auswärtige strömten durch die Residenzstadt und bildeten einen „Zug von geflüchteten Menschen und Gütern“201), der in diesen Tagen seinen Höhepunkt erreichte, allerdings schon seit Monaten anhielt. Auch im Herbst 1800 setzte sich in Erwartung der zweiten französischen Besetzung eine Wagenkolonne in Bewegung, die Möbel und andere Wertgegenstände aus der linksmainischen Stadt über die Brücke in das Zeller Viertel brachte. Da das Viertel direkt unterhalb der Festung lag, erschien den Einwohnern diese Maßnahme für den Fall eines erneuten Angriffs der Franzosen als die sicherste. In den Jahren 1802 bis 1806 hielt sich die private Nachfrage im Vergleich zu den Besatzungs- und Belagerungszeiten in Grenzen. Doch noch immer war sie stärker als vor 1796. Nach den Regierungswechseln wickelten die Fuhrleute die Transporte für Staatsdiener und Professoren ab. Über diese Transporte unterrichten die Quellen erwartungsgemäß spärlicher, da es sich um rein private Unternehmungen handelte. Einige Hinweise gibt es dennoch. Caroline Schlegel-Schelling berichtete ihrem Mann in München, dass sich alle Fuhrunternehmer der Stadt nacheinander bei ihr einfanden und ihr einen Preis anboten. Der Fuhrlohn fiel dabei deutlich höher aus als von ihr erwartet: „Weist Du aber, dass der Wenigstnehmende von hier bis München in einen Strich 7 Carolin ist?“202.
5.4.2. Der Kampf der Lehenkutscher um ihre Nahrung Nicht nur das Auftragsvolumen änderte sich bei den Fuhrleuten in der Napoleonischen Zeit, sondern auch die Personalstruktur der Transporteure. In der
199 200 201 202
StadtAW, Rb 393, Tagebuch, Eintrag vom 14.07.1796. StadtAW, Rb 393, Tagebuch, Eintrag vom 15.07.1796. StadtAW, Rb 393, Tagebuch, Eintrag vom 17.07.1796. Caroline Schlegel-Schelling an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 12.05.1806.
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Hochkonjunktur traten mit einem Mal Konkurrenten auf den Plan, gegen die sich die etablierten Lehenkutscher zur Wehr setzten.203 Nach dem Abzug der französischen Armee 1796 und über den Regierungswechsel von 1802 hinaus kämpften die Lehenkutscher darum, ihre Privilegien zu schützen, indem sie die in ihrer Sicht unrechtmäßigen Fuhrunternehmer öffentlich denunzierten und eine Zunft zu gründen versuchten. In einer Sammelsupplik an die Landesregierung beschwerten sie sich 1798 erstmalig über die nicht zugelassenen Kutscher, die das Geschäft der angenommenen 28 Lehenkutscher verderben würden. Die Situation stellte sich also in Würzburg völlig anders dar als in den ländlichen Regionen Bayerns, in denen die Bauern sich über die Vorspannpflicht bitterlich beklagten.204 Die Regierung reagierte im Sinne der Beschwerdeführer und verlangte vom Rat eine Liste mit den Namen derer, die ohne Zulassung Fuhren anböten. Außerdem sicherte die Regierung den Supplikanten zu, keine weiteren Lehenkutscher anzunehmen. 1801 und 1802 erneuerten sie ihre Beschwerde und zeigten in einer Supplik selbständig alle diejenigen mit Namen und Nahrungsstand an, die nach ihrer Überzeugung unwiderrechtlich Fahrten anboten.205 Der Magistrat bestrafte daraufhin die Verdächtigen, denen er eine Schuld nachweisen konnte. Von Anfang an hatten die Lehenkutscher ihre Beschwerden von mit der Forderung nach einer eigenen Zunft verbunden, doch bis zur Auflösung des Hochstifts hatten sie damit keinen Erfolg. Kurbayern gestattete den Würzburger Lehenkutschern 1804 zwar das Zunftrecht, doch verlor ihr Rechtsanspruch durch die Öffnung der Märkte erheblich an Gewicht. Daher ist es zweifelhaft, ob die Verleihung des Zunftrechts die Lehenkutscher künftig vor Konkurrenten schützen konnte. Die rund 30 Lehenkutscher wandelten sich in der Abwehr von Konkurrenz von einem losen Verband zu einer Interessengruppe, indem sie sich durch das Lehen von den übrigen Kutschern abzugrenzen versuchten und ihre Forderungen in Sammelsuppliken vorbrachten. Erst in der Phase der Hochkonjunktur, und nicht etwa in einer Zeit niedrigen Auftragsvolumens, definierten sie Abgrenzungsmerkmale und denunzierten Personen, die wegen der fehlenden
203 Vertreter des Transportwesens wie Kerner, Kutscher, Sackträger und Schröter wohnten seit dem Mittelalter in unmittelbarer Nähe zum Main. Im Gresser Viertel, das im Süden an den Fluss grenzte und in dem sich auch der Marktplatz befand, lebten die meisten Vertreter dieser Berufe, sowie in den zwei benachbarten Vierteln. Im Gresser Viertel lag mit dem Kranen auch die zentrale Verladestelle für Schiffsfuhren. Das südlichste der Stadtviertel, das Sander Viertel, in dem am Ufer des Mains das städtische Magazin stand, beherbergte ebenfalls Lehenkutscher und Kerner, s. Schott: Absolutismus, S. 162; zur Sozialstruktur der Stadtviertel s. Soder von Güldenstubbe: Sozialgeschichte, S. 475 ff. 204 Planert: Mythos, S. 25 f. 205 StadtAW, Rp 142 (1801), fol. 255, s. auch Rp 141 (1801), Eintrag vom 10.04.1802.
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staatlichen Zulassung ihrer Ansicht nach nicht über die nötige Berechtigung verfügten. In der oben genannten Namensliste finden sich Häcker, Wirte und Personen ohne angegebenen Nahrungsstand wieder. Besonders bedroht fühlten sich die Lehenkutscher offenbar von den Häckern. 1802 erneuerten die Kutscher ihre Beschwerde in einer Sammelsupplik, in der sie über „Nahrungs Beeinträchtigung“206 klagten. In den Entschädigungsverfahren für Fuhrleistungen tauchten auch Wirte auf. Eventuell wehrten sich die Lehenkutscher deshalb deutlicher gegen Häcker als gegen Wirte, da erstere wegen ihres Status am unteren Rand des anerkannten Sozialgefüges standen und somit ohnehin schnell unter Verdacht gerieten. Vielleicht boten tatsächlich überwiegend Häcker und nicht so sehr Vertreter anderer Berufe Fuhren an. Vermutlich war in den Belagerungsphasen die Arbeit in den Weinbergen nur sehr eingeschränkt möglich, so dass die Häcker auf alternative Einkommensmöglichkeiten angewiesen waren. Doch dies sind nur Mutmaßungen, die wegen der lückenhaften Überlieferung nicht bestätigt werden können.
5.4.3. Vom Befehl zum Auftrag: Die Bezahlung der Fuhren Die starke Konkurrenz in Zeiten großen Auftragsvolumens legt die Vermutung nahe, dass die Kutscher mit und ohne staatliche Zulassung eine Bezahlung erhielten, welche die Fuhren lohnenswert machte. Hierbei ist zwischen privaten und öffentlichen Aufträgen zu unterscheiden. „Fuhrwerk ist außerordentlich teuer und doch nicht zu haben“207, schreibt der Kanoniker des Stiftes Haug Jenum in sein Tagebuch, kurz bevor die Franzosen Ende Juli 1796 in die Stadt eindrangen. Für öffentliche Aufträge erhielten die Kutscher einen Tageslohn.208 Eine Ausgleichszahlung erhielten auch diejenigen, die der Armee Pferd und Wagen zur Verfügung stellten.209 Die Löhne für die Lehenkutscher müssen bis September 1800, also noch vor der französischen Besetzung der Stadt im Winter 1800/1801, eine solch hohe Summe erreicht haben, dass die Regierung zwei Ratsherren damit beauftragte, den Wert aller Pferde der Lehenkutscher zu schätzen und auf dieser Grundlage einen neuen Tagessatz zu errechnen. Um der bisherigen „zu hohen Anrechnung“210 Einhalt zu gebieten, setzte die Regierung wenige Tage später einen Einheits206 StadtAW, Rp 141 (1802),29.05.1802. 207 Jenum: Tagebuch, Eintrag vom 17. Juli 1796. 208 z.B. Supplik eines Lehenkutschers in: StadtAW, Rp 139 (1800), Eintrag vom 16. Juli 1800. 209 z.B. StadtAW, Rp 134 (1796), Eintrag vom 24.09.1796, 11.10.1796. 210 StadtAW, Rp 139 (1800), Eintrag vom 12. September 1800.
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lohn von einem Reichstaler pro Tag und Gespann fest. Bei außerordentlichen Fuhrleistungen handelten Stadt und Transporteure einen Lohn aus. Der Magistrat beauftragte im Namen der österreichischen Armee im September 1796 eine Gruppe von Schiffern damit, die noch in Würzburg liegenden verletzten französischen Soldaten nach Bamberg zu fahren.211 Mit der angebotenen Bezahlung waren die Schiffer jedoch nicht einverstanden. Erst mehrere Wochen später heißt es: „Mit dem Schiffer … wurde man doch noch um 1500 fl. einig“. In einem anderen Fall erhält ein Fischer zwei Laubtaler. Dieser hatte „ein Schiff mit Pulver Schuß und Zündungsfrey abgeführt, indem ihm der Auftrag hiezu gegeben worden“212. Nach dem Übergang an Bayern vereinheitlichte ein Mandat die Löhne für die Kutscher und differenzierte die zu erbringenden Leistungen. Das Gesetz legte fest, „dass für ein Reit= oder angeschirrtes Pferd 30 Kr., für einen halben Vorspannswagen auf 2 Pferde oder 3 Ochsen 1 fl., für einen ganzen Wagen 2 fl. rhein. auf eine Station von 4 bis 6 Stunden künftig hin“ zu bezahlen sei. Die Regierung gestand den Kutschern außerdem zu, dass „auch die bisher für die bereits geleistete Vorspann ausgestellten Quittungen nach obigem Maßstabe ausgelöset werden sollen“213. Für kurzfristig eingeforderte Fuhren erhielten die Kutscher eine Sonderzahlung. Bestellte die Regierung ein Gespann bereits am Abend vor dem Einsatz ein, konnte er mit einem zusätzlichen Stallgeld von vier Kreuzern rechnen. Ferdinand von Toskana rührte nicht an dieses Mandat, so dass es bis über den erneuten Übergang an Bayern 1814 Gültigkeit behielt. In einem Fall mussten die Kutscher eine Leistung nach der Ausführung einklagen. Als der preußische König Friedrich Wilhelm III. im Mai 1804 durch Würzburg reiste und dabei die Lehenkutscher in Anspruch nahm, supplizierten diese anschließend im Stadtrat um die Bezahlung der Transporte, was der Rat ihnen umgehend gewährte.214 In Würzburg blieben die Einwohner also von Frondiensten verschont, die in anderen Städten zu einem erheblichen Teil aus Fuhrfahrten bestanden.215 Nur einmal zog die Regierung die Verpflichtung der städtischen Bevölkerung zu Zwangsarbeiten in Erwägung. Im Sommer 1800 dachte die Regierung des Hochstifts darüber nach, Frondienste einzuführen, um die Staatsverschuldung nicht noch weiter ansteigen zu lassen. Über die Verteilung der Fuhrkosten entbrannte im September, mitten während umfangreicher Stadtbefestigungsmaßnahmen zum Schutz vor den Franzosen, ein Streit zwischen der Obereinnahme und der Stadt. Anlass war eine gewöhnliche Forderung an Holz- und 211 212 213 214 215
StadtAW, Rp 134 (1796), S. 395. StadtAW, Rp 136 (1797), fol.107. Kurbayerisches Regierungsblatt, 17. Stück, 05.08.1803. StadtAW, Rp 143 (1804), Eintrag vom 02.06.1804. Planert: Mythos, S. 256 f.
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Strohfuhren auf die Festung des Stadtkommandanten Dall’Aglio. Diesmal allerdings weigerte sich der Rat, die Fuhrleute zu beauftragen, da für den Unterhalt der Festung nicht die Stadt, sondern die Obereinnahme zuständig sei. Die Regierung antwortete auf diesen Streit, zwar sei in Friedenszeiten die Obereinnahme für den Unterhalt der Festung verantwortlich, somit auch für die „Bestreitung der nötigen Fuhren“216. Aus diesem Grund hätte die Regierung die Fuhren „mit gänzlicher Schonung der Stadtbewohner“ bestritten. „Der Drang der Umstände“ sei jedoch „so groß geworden“217, dass die Stadt einen Teil der Kosten mittragen müsse. Die Regierung schlug vor, alle Besitzer von Fuhrwerken zu Frondiensten zu verpflichten oder Kutscher anzumieten und zu deren Finanzierung Beiträge von allen Stadtbewohnern zu erheben. Der Magistrat erwiderte mit deutlich ablehnenden Worten und dem Verweis auf den hohen Schuldenstand der Stadt nur auf die erste der beiden Möglichkeiten und verlangte, den Streit „ad judicem quemcumq[ue]“218 zu übergeben. Von einem Rechtsstreit zwischen Magistrat und Obereinnahme in dieser Sache ist allerdings in den Ratsakten nichts vermerkt. Vermutlich liegt das daran, dass im November des Jahres die Franzosen die Stadt links des Mains besetzt hatten und somit neue Verhältnisse schufen.
5.4.4
Die Verlässlichkeit des Entschädigungssystems
Wie verhielt es sich jedoch, wenn bei den Transportfahrten im Auftrag ziviler und militärischer Stellen Schäden am Material und Verletzungen bei den Pferden entstanden? Die Quellen bezeugen für Schadensfälle ein bemerkenswert ausdifferenziertes Verfahren. Gelegentlich kam es etwa vor, dass ein Pferd bei Fuhrfahrten für die französische Armee zu Schaden kam, was medizinische Pflege oder bisweilen die Tötung des Tieres notwendig machte. Zeigte der Lehenkutscher einen solchen Schaden beim Rat an, beauftragte einer der Ratsherren den Veterinärmediziner der Universität mit einem Gutachten, welches dieser auf Grundlage einer Untersuchung oder Obduktion des Pferdes erstellte: „Das Pferd des Andreas Dahlheimer ist bey dem Vorspann liegen geblieben. Am 27ten Xber 1800. wurde es geöfnet, und mit dem Lungenbrand behaftet gefunden, welches als die Folge des Vorspanns kann angesehen werden.“219 In diesen und ähnlichen Fällen erhielt der Kutscher den handelsüblichen Wert des Pferds ersetzt und zusätzlich Geld für den Verdienstausfall von 216 217 218 219
StadtAW, Rp 139 (1800), litt. y:y: o. D. Ebda. Ebda. StadtAW, Ra 180.
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dem Tag an, an dem das Pferd sich verletzte. Musste das Pferd nicht getötet werden, wurde es im Stall der Veterinärmedizin gepflegt. „Des Kaspar Gehrig Lehnkutschers Pferd“, heißt es in einem Gutachten, „ist vom 27ten Xber 1800. bey der Vorspannung durch einen Schuß auf der rechten Hüft verwundet worden. Mir ist das Pferd mit einer großen Wunde erst am 6ten Jenner 1801. in die Kur gegeben worden. Zur Herstellung ist Hofnung. Da aber der Eigenthümer bisher mit dem Pferd nichts hat verdienen können, so bittet er um eine Vergütung, welche Bitte ich für billig halte. Die Kur geschieht mit Stadträthlichen Arzneyen umsonst.“220 Das zeigt, dass im Schadensfall den Kutschern ein funktionierendes Entschädigungssystem zur Verfügung stand. Eine besonders lang andauernde Transportfahrt, nämlich die Fahrt von Würzburger Geiseln nach Frankreich im Sommer 1796, hatte einen äußerst langwierigen Entschädigungsprozess zur Folge. Die französische Armee hatte am 17. August unter der städtischen Bevölkerung 15 Geiseln bestimmt, um die Bezahlung der Kontributionen zu garantieren. Für die Gefangenschaft hatten die Franzosen, wie auch in anderen Residenzstädten üblich, Honoratioren aus dem hohen Klerus, der Regierung und dem Hofstaat ausgewählt.221 Die Kutscher hatten die Geiseln in acht Wagen in die französische Festung Givet in den Ardennen zu bringen, wo im Übrigen auch Geiseln aus Frankfurt am Main, Bamberg und Schweinfurt gefangen gehalten wurden. Nachdem die Kutscher zurückgekehrt waren, erschienen sie am 1. Oktober 1796 vor dem Rat und berichteten von einer Wochen dauernden Irrfahrt von Charlemont, dem Gefängnis der Geiseln, über Köln nach Würzburg, bei der sie aller ihrer Wagen beraubt worden seien. In Köln habe die französische Sauvegarde, welche die Kutscher auf dem Rückweg begleitete, sie zum Aufenthalt in der Stadt gezwungen. Dort habe der französische General Benacouville alle Pferde und Wagen requiriert und dies mit den Worten gerechtfertigt, „sie seyn Eroberer Würzburgs, könnten also auch alles, was von daher wäre, in Requisition setzen“222. Anschließend sei ihnen das Reisegeld gestohlen worden. Daraufhin hätten sie sich einige Tage lang einzeln in Köln versteckt, um nicht noch weiteren Schaden zu erleiden. Um überhaupt nach Würzburg zurückkehren zu können, hätten sie sich von einem einsichtigen Bankier Geld geliehen. Insgesamt belaufe sich der Schaden auf 20000 fränkische Gulden. Für die Fuhrleistungen verlangten die Kutscher zusätzliche 4.400 fränkische Gulden. Der Rat bat die Regierung daraufhin, „diese Leute baldigst zufried[en] stell[en] zu lassen“, andernfalls „werden sie immer hartnäckiger.“223 Bei schneller Einwilligung sei es vielleicht möglich, „noch das Ein oder andere
220 221 222 223
Ebda. StadtAW, Rb 393, Tagebuch, Eintrag vom 15.08. 1796. StadtAW, Rp 134 (1796), Eintrag vom 01.10.1796. StadtAW, Ra 188.
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herunter accordiren zu können“224. Im Mai 1798, nach der Rückkehr der Geiseln, erhielten die Kutscher eine weitere Zahlung von 2000 fränkischen Gulden.225 Der Rat sah folglich nicht nur die Forderungen der Kutscher als berechtigt an, sondern fürchtete auch eine Auseinandersetzung mit den Geschädigten. Diese hatten nach der gefährlichen und lang andauernden Überstellung der Geiseln offensichtlich eine äußerst vorteilhafte Verhandlungsposition gewonnen, so dass der Magistrat sogleich bei der Regierung um die Bezahlung auch der horrenden Summen, wie von den Kutschern gefordert, anfragte. Anders verhielt es sich im ländlichen Bayern. Zwar legten entsprechende Landesverordnungen die adäquate Bezahlung von Fuhren genau fest, doch „nicht immer und überall aber war es um die Vergütung der Leistungen so gut bestellt.“226 Ute Planert hat aufgezeigt, dass die Arbeiten für die französische Armee auf dem Land oft gar nicht vergütet worden sind. Die Armee habe die Leistungen nach 1796 nicht mehr regelmäßig bezahlt, sondern lediglich Quittungen ausgestellt, deren Bezahlung durch die Kommune oder die Koalitionstruppen seien jedoch oft ausgeblieben.
5.4.5. Im Windschatten des Krieges: Entschädigungen in anderen Berufszweigen Nicht nur Kutscher verrichteten Tätigkeiten im Auftrag von Armee, Stadt und Regierung, sondern auch eine Reihe weiterer Vertreter zünftiger und unzünftiger Gewerbe. Auch Stadtbedienstete klagten die Belohnung außergewöhnlicher Leistungen ein. Die meisten Entschädigungs-Suppliken gingen beim Rat nach der ersten Besatzung der Stadt 1796 ein. Das mag daran liegen, dass die Franzosen bei ihrem ersten Aufenthalt in der Stadt die mit Abstand umfangreichsten Forderungen stellten. Doch auch nach der Belagerung der linksrheinischen Stadt im Winter 1800/1801 wandten sich eine ganze Reihe von Supplikanten an den Rat. Zu diesen zählte der Handelsmann Franz Kassat, der einem französischen Offizier aus seinem Kontor „fein Wollblau Tuch, gelb Nanquinet, gedruckt Piqué, d[unkel]blau Tuch“ im Wert von 156 fl. überlassen musste.227 Dazu gehörte auch der Klosterverwalter, der den Franzosen Pferde samt Geschirr überlassen musste und die nun „nothwendiger weise wieder entschädiget werden“ müssen228.
224 225 226 227 228
Ebda. StadtAW, Rp 136 (1798), Eintrag vom 03.05.1798. Planert: Mythos, S. 258. StadtAW, Rp 138 (1798, Beilagen), fol. 429. StadtAW, Rp 134 (1796), Eintrag vom 24.09.1796.
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Einige Suppliken stießen auf den Widerspruch des Magistrats, dann nämlich, wenn ein Supplikant einen Schaden anzeigte, den er nicht ausreichend belegen konnte. Dem um Ersatz für seine Pferde bittenden Wirt des Gasthofs zum Walfisch bedeutete der Magistrat, er werde „so lange abgewiesen, bis er bewiesen haben wird, dass seine Pferde von einer Stelle förmlich requirirt“ worden seien.229 Nur wenige Fälle solcher Art, in denen Handwerker ihre Leistungen nicht ausreichend nachweisen konnten, befinden sich jedoch in den Ratsakten. Das umfang- und folgenreichste Entschädigungsverfahren führte der Lederfabrikant Wilhelm Buchler gegen Magistrat und Regierung. Wilhelm Buchler war der Bruder des Ratsherren Georg Franz Buchler und unterhielt vor den Toren Würzburgs die mit Abstand größte Lederfabrik der Stadt. Während der Schlacht von Würzburg hatte Erzherzog Karl die Fabrik als Hauptquartier genutzt.230 Er hatte es erreicht, „sich der Beschränkung der Arbeiterzahl, die von den Zünften überwacht wurde, zu entziehen“231. Im Auftrag der französischen Armee erhielt Buchler den größten Auftrag des Magistrats während der Koalitionskriege. Das französische Kriegskommissariat bestellte im März 1801 bei der Stadt 600 Paar Dragonerstiefel zu 8 fl. pro Paar. Wilhelm Buchler sicherte sich diesen Auftrag, führt ihn jedoch nicht selbst aus, sondern verpflichtete Landschuhmacher mit der Fertigung. Kurze Zeit später erhielten die Stadt und Buchler vom französischen Kommissar Marchand die Nachricht, die Armee werde statt der angekündigten 600 Paar nur 350 abnehmen und bezahlen.232 Buchler supplizierte daraufhin beim Rat, die Stadt möge die übrigen 250 Paar zum festgesetzten Preis abnehmen. Dies jedoch lehnten die Ratsherren ab und merkten an, Buchler müsse, wenn er einen solchen Auftrag annehme, „auch Risquo und Schaden sich gefallen lassen“233. Abgesehen davon sei die Verpflichtung der Landschuhmacher „gegen die Ordnung“ gewesen. Allerdings hätten ohne die Einbindung der Landschuhmacher und die damit einhergehende Rechtsverletzung weder Buchler noch andere der ansässigen Schuhmacher einen Auftrag dieses Volumens bewältigen können. Übrigens war Buchler nach Aktenlage der einzige gewesen, der sich um den Auftrag bemüht hatte. Es war also die vorsätzliche Verletzung der Zunftordnung zum eigenen Nutzen, die den Rat gegen Buchler aufbrachte und zur Ablehnung seiner Supplik bewog. Wiederholt versuchte Buchler in den folgenden Monaten, den Geldwert der 250 Paar Schuhe beim Rat einzuklagen, hatte damit jedoch keinen Erfolg. Immerhin gelang es ihm schließlich, die Schuhe für 229 StadtAW, Rp 136 (1797), Eintrag vom 18.02. 1797. 230 Werner Dettelbacher: Das Tagebuch des Stift Hauger Kapitulars Johann Caspar Dionys Jenum, in: Mainfränkisches Jahrbuch 21 (1969), S. 205-341, hier: S. 229. 231 Ebda. 232 StadtAW, Rp 141 (1801), Eintrag vom 18.03.1801. 233 Ebda.
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die Hälfte des angesetzten Preises zu verkaufen. Trotzdem verlangte er berharrlich, dass der Rat ihm die übrige Hälfte bezahlen möge. Auch dies lehnte der Magistrat ab und beschloss im Juli 1801, „alles jedes seinem selbstigem Ermessen und Bedrücken zu überlassen“234. Die Ablehnung dieser Supplik erscheint deswegen ungewöhnlich, weil der Magistrat, wie oben gezeigt, allen nachweisbar gerechtfertigten Entschädigungs-Suppliken erfüllte und oft selbst denjenigen Supplikanten eine Ersatzleistung gewährte, deren Schaden nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte. Auch diejenigen, die keinen fest umrissenen Schaden erlitten hatten, sondern bei denen nur das Arbeitspensum gestiegen war, erhielten eine Zulage vom Magistrat. Die Weigerung des Rates, Buchlers Supplik zu erfüllen, erscheint daher als Akt der Bestrafung eines offensichtlich nach Gewinn strebenden Großhandwerkers, der unter Umgehung der Zunftordnung und im Auftrag der französischen Armee Profit zu machen versuchte. Zudem zeigten die übrigen Supplikanten tatsächlich erlittene Schäden an, Buchler nur einen Gewinnausfall. Als Bestrafung muss auch Wilhelm Buchlers Bruder Franz die Weigerung des Stadtrats empfunden haben, die übrigen Stiefel zu kaufen. Dieser gehörte dem Magistrat als Ratsherr an und leitete die Schuh- und BekleidungsAlmosen des Bürgerspitals. Kurz nach dem Ende des Verfahrens legte Franz Buchler dieses Pflegamt sowie die Leitung einer weiteren Stiftung nieder. „Wegen sich häufender Privatgeschäfte“235 habe er sich zum Rücktritt entschieden. Sehr wohl erhielten diejenigen Bürger des Mainviertels eine Entschädigung, die der österreichische Kommandant Vinzenz Dall’Aglio im Winter für Arbeiten angefordert hatte. Der Fischermeister Geißler etwa bittet um lebenslängliche Befreiung von allen Abgaben, weil er beim Aufeisen des Mains zur Zeit der Belagerung der Stadt durch die Franzosen im Winter 1800/1801 in Lebensgefahr gearbeitet habe und er durch die Kälte des Wassers seine Gesundheit ruiniert habe.236 Symbolgehalt besitzt die Supplik der Zimmerleute, die den Koalitionstruppen eines der Stadttore aufgeschlagen hatten, was den Beginn der Rückeroberung der Stadt markierte. Die Koalitionstruppen hatten an diesem Tag die Stadt erreicht, weshalb die französische Armee die Tore hatte verriegeln lassen. Daraufhin schlugen sie die Zimmerer ein und konnten somit den Koalitionstruppen Einlass gewähren. Für diese Tat baten sie anschließend um eine Belohnung. Der Rat wies die Bitte jedoch erbost ab und begründete die Absage damit, die Supplikanten hätten „keine freiwillige[n] und patriotische[n] Dienste geleistet“237. Die Zimmerleute supplizierten da234 235 236 237
StadtAW, Rp 141 (1801), Eintrag vom 16.07.1801. StadtAW, Rp 141 (1801), Eintrag vom 16.07.1801 und vom 03.09.1801. StadtAW; Rp 142 (1801, Beilagen), lfd. Nr. 134, fol. 311. StadtAW, Rp 136 (1797), fol. 110.
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raufhin bei der Landesregierung und kommentierten in diesem neuen Bittgesuch die abschlägige Reaktion des Magistrats mit den Worten: „Das Pferd, das den Haber verdient, bekömmt ihn nicht.“238 Auch die Regierung reagierte ungehalten auf die Supplik, die „großes Missfallen“ ausgelöst habe, und wehrte das Ersuchen endgültig ab.239 Aufschlussreich ist, dass auch städtische Bediente um Zusatz-Zahlungen bitten, jedoch naheliegender Weise nicht für eine bestimmte Aufgabe im Auftrag der Franzosen, sondern für das insgesamt gestiegene Arbeitsvolumen. Die Torexaminatoren verlangten wegen „mehrerer Arbeit bei itzigen Kriegs Zeiten“ Sonderzahlungen.240 Ein Bedienter der Obereinnahme bat beim Rat um eine Sonderzahlung, da er für die Stadt die notwendigen Tabellen zur Erhebung der Kriegssteuer hergestellt und damit eine Aufgabe erledigt habe, die eigentlich zu den städtischen Pflichten zähle.241 Der Ratsschreiber Iselin zählte dem Magistrat 1801 vor, er habe bei der jüngsten Belagerung an 137 Tagen von morgens um sieben bis abends um neun oder zehn Uhr ohne Mittagspause gearbeitet, um die Einquartierung zu organisieren. Daher habe er keine Zeit gefunden, ins Kosthaus zu gehen, deshalb immer im teuren Wirtshaus zu Mittag essen und sich außerdem täglich mit feindlichen Truppen plagen müssen. Des Weiteren habe er während all der Monate keine Zeit für Nebenverdienste übrig gehabt. Folglich verlangte er eine Zulage von einem Carolin täglich, da diese Summe auch die Dolmetscher erhalten würden.242 Suppliken um Entschädigungen und Zusatzleistungen gingen auch während und nach der Belagerung der Stadt im Winter 1813/1814 ein. Die Torschließer etwa baten um eine Zulage „wegen beschwerlichern Dienstes bey dermaligen Kriegs Zeiten“243. Allerdings ist deren Zahl deutlich niedriger als bei den vorherigen Besetzungen. Dies lässt sich damit erklären, dass die französische Armee weder Nachschub anordnete noch in enger Verbindung mit anderen Truppenteilen stand. Die Einheiten in Würzburg hielten sich viel weiter östlich auf als die Hauptarmee, welche die Koalitionstruppen bereits über den Rhein zurückgedrängt hatte. Transportfahrten waren daher nur innerhalb des Stadtgebiets nötig. Die Armee nahm die Leistungen der Kutscher und Händler nur noch in sehr eingeschränktem Maße in Anspruch. Die städtischen Ämter bezahlten die Dienstleistungen der Handwerker, beglichen Verdienstausfälle, gewährten Zulagen und leisteten Entschädigungen. Einige Berufsgruppen wie die Lehenkutscher profitierten von der Nachfrageexplosion im Transportgewerbe, andere erlitten durch die Zahlungen des Ra238 239 240 241 242 243
StadtAW, Rp 136 (1797/1798), Eintrag vom 06.04. 1797. Ebda. StadtAW, Rp 136 (1797), Eintrag vom 05.01.1797. StadtAW, Rp 139 (1799, Beilagen), lfd. Nr. 14, fol. 48. StadtAW, Rp 142 (1801, Beilagen), 20.08.1801. StadtAW, Rp 153 (1813), Eintrag vom 12.11.1813.
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tes zumindest keinen Schaden. All die Ausgaben der öffentlichen Hand mussten dazu führen, dass die Staatskassen in recht kurzer Zeit erschöpft waren. Dies geschah umso rascher, da neben der Bezahlung von Einzelaufträgen noch eine ganze Reihe mehr oder weniger großer Summen das Budget belasteten.244 Da der Magistrat die Leistungen in der Regel sofort zu begleichen hatte, aber nicht über ausreichende Mittel verfügte, nahm er Kredite auf, die den Schuldenstand weiter in die Höhe trieben. In den Jahren 1795 bis 1802 unterhielt der Magistrat zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit eine Notkasse. Er forderte die wohlhabenden Bürger der Stadt sowie alle Stiftungen und Pflegen dazu auf, dem Staat verzinsliche Darlehen zu gewähren. Doch auch die Last dieser Kredite musste schon bald auf die Einwohner des Hochstifts verteilt werden. Zur Deckung des gesteigerten Finanzbedarfs erhöhten die Regierungen seit 1795 die indirekten Steuern. Die Regierung des Hochstifts vervielfachte mehrmals hintereinander die Schatzungsmonate. Kurbayern versuchte der Finanznot Herr zu werden, indem es 1805 mit den Stempelabgaben eine Steuer auf Verwaltungsgeschäfte einführte.245 Das Großherzogtum belastete ebenso wie das Hochstift seine Einwohner in erster Linie durch die Erhöhung der indirekten Steuern, kurz: die „Schuldenexplosion“ (Ullmann) der Staaten führte zu einer massiven Mehrbelastung der Bürger, die sich im Supplikensample widerspiegelt. Gingen bis 1812 nur vereinzelte Suppliken um Schatzungsbefreiungen oder um die Gewährung eines Aufschubs beim Rat ein, erhöhte sich deren Zahl ab den letzten Jahren des Rheinbundes und weit über das Jahr 1815 hinaus beträchtlich. War weiter oben also von einem Aufschwung des Transportwesens die Rede, so bildet dies nur einen Teil der Wirklichkeit ab. Es waren in erster Linie Aufträge der öffentlichen Hand, die für die Hochkonjunktur in diesem Gewerbe sorgten. Die Kosten dieser Arbeiten jedoch mussten auf die Bürger und Beisassen Würzburgs in Form von Steuererhöhungen oder Sonderabgaben umgelegt werden. Lediglich für die Lehenkutscher bedeuteten die Abgabensteigerungen eine geringere Belastung, nicht so für die kriegsbedingt finanziell am Boden liegenden Gewerbe wie das Textil – oder Baugewerbe.
244 Die Belastungen reichten von den Kontributionszahlungen der französischen Armee über die Kosten für die Säkularisation und die hohen Aufwendungen für das Militär bis hin zu den Ausgaben zur Restrukturierung einzelner Institutionen wie der Universität und des Gesundheitswesens, hinzu kamen kriegsbedingt weitere Aufwendungen wie Verpflegungszulagen für die österreichische Armee. Außerdem erstatteten die Regierungen zum Teil die Kosten für Einquartierungen. 245 „Die Empörung der Würzburger wurde insbesondere durch die Umständlichkeiten und Plackereien provoziert, die anfänglich mit der Beschaffung des Stempelpapiers verbunden waren“, Brandt: Würzburg, S. 489. Davon ist allerdings in den Suppliken nichts zu spüren.
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5.5. Zusammenfassung Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Einführung der Wehrpflicht für das kleine und mittlere Bürgertum Würzburgs die mit Abstand stärkste Belastung des gesamten Untersuchungszeitraums darstellte. Die Militärgesetzgebung löste mit dem ius sequale ein Jahrhunderte lang bestehendes Privileg der Haupt- und Residenzstadt Würzburg auf und zwang die Würzburger zum Kriegsdienst. Das Militär griff durch die Einführung der Wehrpflicht massiv in die Biografien der Würzburger Handwerker ein. Der Verlust der Kirchengüter an den Staat dagegen rief in den Bittgesuchen kaum Reaktionen hervor. Es lässt sich für Würzburg bestätigen, was Ute Planert für die süddeutschen Flächenstaaten und Horst Carl für das Rheinland246 konstatiert haben. Die Konskriptionen, so Ute Planert, bedeutenden die „einschneidenste Veränderung dieser an Umbrüchen so reichen Jahre“247. Ein reisender Staatsdiener, der sich im Sommer 1804, also kurz nach Erlass des ersten Konskriptionsgesetzes in Würzburg aufgehalten haben will, beschreibt dessen starken Widerhall im öffentlichen Leben der Stadt: „Die neue Churfürstliche Militärconscription ist jetzt der allgemeine Gegenstand des Gesprächs“248. Das Heeresergänzungsgesetz vom 30. Mai 1804, das Mandat Ferdinands zur Militärpflichtigkeit der Residenzstadt Würzburg vom 13. Januar 1807 und die Konskriptionen für die Befreiungskriege ab 1813 sind diejenigen Gesetze im gesamten Untersuchungszeitraum, welche die mit großem Abstand meisten Suppliken hervorgebracht haben. Die Betroffenen versuchten nicht nur über 246 Horst Carl, Der Mythos vom Befreiungskrieg: Die ‚martialische Nation’ im Zeitalter der Revolutions- und Befreiungskriege 1792-1815, in: Dieter Langewiesche (Hg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, S. 63-82, hier: S. 70 f. 247 Planert: Mythos, S. 383; dagegen argumentiert Bernhard Schmitt, es habe unter den Wehrpflichtigen „ein großer Pragmatismus“ geherrscht, „der die Rolle politischer, nationaler, konfessioneller oder anders gearteter Konflikte in den Hintergrund drängte. Diese wirkten jedenfalls nicht in ausreichendem Maße mobilisierend, so dass das Verhalten der Wehrpflichtigen, wie sich an Hand der Analyse des Problems der Refraktarität zeigen lässt, in erheblichem Maße von ökonomischen Überlegungen beeinflusst wurde. Was auf den ersten Blick als Widerstand gelten mag, wird auf den zweiten Blick zur Folge einer als Antwort auf wirtschaftliche Nöte angewandten Überlebensstrategie. Jedenfalls erwies sich die Wehrpflicht auch in den verbürgerlichten Provinzen nicht als ursächlicher Konfliktherd und stieß auf breitere Akzeptanz, zumindest aber geringere Ablehnung, als manche zeitgenössischen Debatten dies annahmen und bis heute wiedergeben.“, s. Bernhard Schmitt: „… Bis in die Knochen militärfromm!“ Wehrpflicht zwischen Akzeptanz und Widerstand, in: Jansen: Bürger, S. 109-129, hier: S. 128; s. auch Armin Owzar: Nation, S 43 ff. 248 Christian Ulrich Detlev von Eggers: Reise durch Franken, Baiern, Oesterreich, Preußen und Sachsen, Leipzig 1810, S. 203.
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den Weg des Befreiungsgesuchs, sich dem Militärdienst zu entziehen, sondern auch, indem sie um Wanderpässe für die Ausreise oder die Anstellung beim Staat baten. Die enge Abhängigkeit der Wanderungsgesuche von der Konskription belegt auch die Tatsache, dass die Zahl der Gesuche um die Ausstellung eines Wanderpasses nach dem Ende der Konskriptionen für die so genannten Befreiungskriege schlagartig abnahm. Der Rat fungierte dabei zunächst als Verteidiger des Landfolgerechts und unterstützte eine städtische Deputation, die alte Ordnung zu restituieren. Nach dem Scheitern dieser Mission beendete er zwar offiziell das Engagement für die Bürgerschaft, versuchte aber weiterhin durch Verzögerungen und die Umgehung bestehender Gesetze, die betroffenen Einwohner vor dem Waffendienst zu bewahren. Nur reagierten die Regierungen im Einklang mit den Armeeführungen auf diese begrenzten Akte der Sabotage, indem sie den Handlungsspielraum des Rates immer weiter beschränkten. Auch das Alltagsleben der Lehenkutscher änderte sich massiv durch den Ausbruch des Krieges. Während der Besetzungen der Stadt durch die französische Armee erlebte das Transportgewerbe einen Aufschwung, von dem die Kutscher profitierten und den sie gegen Konkurrenten zu verteidigen versuchten. Insofern stellte der Transport von Waren für die Armeen für die Einwohner der Stadt Würzburg keine Quelle von Wut und Empörung dar wie in den ländlichen Gegenden, sondern sorgte sogar für einen ungekannten Aufschwung im Transportgewerbe. Denjenigen, die während der Arbeit für die Stadt, die Würzburger Garnison oder die französischen Besatzer einen Schaden erlitten hatten, stand ein gut funktionierendes Entschädigungssystem zur Verfügung. Interessant ist, dass sich nach dem Ende der Besatzungs- und Belagerungsphasen auch zahlreiche Vertreter anderer Gewerke um Entschädigungen bemühten. Ratsdiener verlangten Sonderzahlungen für die Schwierigkeiten, die das Einquartierungsgeschäft bereitet hätten. Im Windschatten derer, die tatsächliche Schäden erlitten hatten, baten nun viele Personen um die Vergütung von Mehrarbeit oder besonders Kräfte zehrende Aufgaben. Es setzte sich damit ein Aushandlungsprozess in Gang, der darauf bedacht war, die bestehende Rechtssprechung auszuweiten. Der Protest der Bürgerschaft und die vielen Befreiungssuppliken weisen auf den Wunsch des kleinen und mittleren Bürgertums hin, das alte, residenzstädtische Privileg der Exemtion vom Militärdienst zu erhalten. Die Handwerker und einige andere Gruppen wie Händler und Dienstleute wehrten sich gegen die Eingriffe des neuen Staats. Nicht nur die Befreiungssuppliken, sondern auch die Gesuche um Wanderpässe belegen diesen Drang – und Desertionen. In Würzburg bestätigt sich die Beobachtung Michael Sikoras: „Große Teile der Bevölkerung waren aber auch noch lange nicht von der Notwendig-
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keit und Legitimität eines Militärdienstes überzeugt, der ihnen Zwang und Strapazen aufnötigte und sie aus ihrer Umgebung und ihrem Erwerb riss.“249 Andererseits aber versuchten einige von der Wehrpflicht betroffenen Einwohner, der Einberufung zu entgehen, indem sie sich um eine Stelle als Staatsdiener bewarben. Auf den Staat und seinen Schutz bauten auch die Lehenkutscher. Um ihre Nahrung zu verteidigen, suchten sie beim Rat und der Landesregierung um die Gründung einer Zunft an. Dies taten sie zunächst bei den Organisationen des Hochstifts und nach dem Übergang an Bayern bei der kurbayerischen Landesdirektion. Auch im kleinen und mittleren Bürgertum lassen ich also Akte der Herrschaftsbindung ausmachen. Die Lehenkutscher und die Bewerber um Dienstbotenstellen setzten in der unsicheren Phase der Koalitionskriege auf die neuen Regenten. Sie sollte ihnen die berufliche Zukunft sichern, Stellen schaffen und missliebige Konkurrenten ausschalten. Hierin ähnelten die Lehenkutscher und Bewerber um Dienstbotenstellen durchaus den Professoren. Handelt es sich hierbei nicht um einen Zirkelschluss? Entstand die Herrschaftsbindung nicht schon durch das Medium der Supplik? Sicherlich baten die Supplikanten immer den Staat um die Erfüllung ihrer Bitte. Doch erstens lässt sich in den Kriegszeiten eine Häufung von Suppliken feststellen. Der Kontakt zur Obrigkeit intensivierte sich also. Zweitens stellte es einen qualitativen Unterschied dar, ob man etwa um das Bürgerrecht ansuchte oder den Staat um die Befreiung von der Militärpflicht ansuchte. Im ersten Fall stellte die Supplik einen formalen Akt dar, für deren Beantwortung Jahrhunderte alte Regeln zur Verfügung standen. Im zweiten Fall schuf der Supplikant durch die Supplik erst die Notwendigkeit der Etablierung von Regeln. Der Supplikant verlangte von seiner Herrschaft nun also, sich aktiv für seinen Schutz einzusetzen. Bei herkömmlichen Suppliken wie denen um das Bürgerrecht verlangte der Bittsteller lediglich, bereits bestehende Regeln auf den eigenen Fall anzuwenden. Das kleine und mittlere Bürgertum der Stadt stellte also keine leidende Masse dar, welche die Eingriffe des Staates oder Militärs in ihre Lebenswelten schlicht hinnahm. Möglicherweise ist die Forschung zu den Städten in Kriegszeiten bisher zu selbstverständlich von den Qualen der Bevölkerung ausgegangen und hat zu wenig auf die aktive Reaktionen und Krisenbewältigungsstrategien der Betroffenen geachtet: Einige bemühten sich, bestehende Rechte zu ihrem Gunsten zu erweitern, andere protestierten gegen neues Recht, wieder andere suchten Schutz in der Obhut des Staates.
249 Michael Sikora: Desertion und nationale Mobilmachung. Militärische Verweigerung 1792-1813, in: Ulrich Bröckling, Michael Sikora (Hg.): Armeen und ihre Deserteure: vernachlässigte Kapitel einer Militärgeschichte der Neuzeit, Göttingen 1998, S. 112140, hier: S. 134.
6. Idyllische Beobachtungen: Reisende in Würzburg
6.1. Einleitung Dieses Kapitel fragt nach den Relevanzen, die in den Reisebriefen regelmäßig auftauchen, um eine Vergleichbarkeit mit den anderen Kapiteln zu gewährleisten. Inwieweit dies angesichts des hohen Grades an Literarizität und Lexikalität überhaupt möglich ist, muss zunächst diskutiert werden. Die Reisebriefe, so die These, klammerten die Umbrüche der Napoleonischen Zeit fast komplett aus und beschrieben die Stadt stattdessen als ästhetisches Erlebnis. Die Einwohner erscheinen reduziert als unaufgeklärte und erziehungsbedürftige Masse, die eines starken Fürsten bedürfen. Würzburg erscheint als Hort überzeitlicher Werte. Da die Reisebriefe nicht über die Reisenden als historische Akteure unterrichten, ist es sinnvoll, die Autoren kurz vorzustellen. Diese Reiseschriftsteller entstammen allesamt der gebildeten Oberschicht. Sie gehörten dem gehobenen Bürgertum oder dem kleinen und mittleren Adel an und lebten zum überwiegenden Teil in Residenz- und Universitätsstädten. Zum Teil betrieben sie die Reiseschriftstellerei hauptberuflich, zum Teil als Nebenerwerb. Bei der zweiten Gruppe dominierten eindeutig Staatsdiener mit einem Studium in Rechtswissenschaft. Georg Wilhelm Kessler1 beispielsweise absolvierte zum Zeitpunkt seiner Reise sein Rechtsreferendariat in Berlin. Später stieg er zum Geheimrat und Regierungspräsidenten in Arnsberg auf. Auch Christian Ulrich Detlev von Eggers war Jurist. Er trat nach dem Studium der Rechtswissenschaften in den dänischen Staatsdienst ein und vertrat das Königreich 1798 auf dem Rastatter Kongress. Im Folgejahr gab er als Anonymus die sechsbändige Schrift „Geheime Geschichte der Rastatter Friedensverhandlungen“ heraus, die ausführlich die bisherigen Kriege und die Verhandlungen zu den einzelnen Friedensverhandlungen dokumentieren. Noch während des Studiums der Rechtswissenschaft in Jena reiste Christian Friedrich Gottlieb Thon, der später als Forstkommissar im thüringischen Zillbach arbeitete.2 Auch der niederländische Jurist Johann Meermann Freyherr van Dalem und Vuren war im 1
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Leben des königlich Preussischen wirklichen geheimen Rathes Georg Wilhelm Kessler, Biographen Ernst Ludwig Heim’s: Aus seinen hinterlassenen Papieren Von Ernst Ludwig Heim Veröffentlicht von F.A. Brockhaus, 1853. Bei dem Verfasser handelt es sich um einen Kollegen Kesslers. Art.: Friedrich Christian Gottlieb Thon, in: Deutsche Jagdschriftsteller. Biographische und bibliographische Studien, Tl. 1, Göttingen 1964, S. 229-258.
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Staatsdienst beschäftigt. Als er seine Reise antrat, hatte er kurz zuvor sein Amt als Richter des Zivilgerichts von Leyden abgegeben. Nach seiner Rückkehr trat er als Abgeordneter Leydens den Generalstaaten der Niederlande bei.3 Heinrich Clauren, eigentlich Carl Gottlob Samuel Heun4, diente nach seinem Studium der Rechtswissenschaft in Göttingen dem preußischen Minister Friedrich Anton von Heynitz als Privatsekretär. Auf Reisen ging Heun jedoch noch während seiner Studienzeit. Er besuchte Würzburg und viele andere Städte während der Semesterferien. Heuns schriftstellerisches Alter Ego Heinrich Clauren machte sich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts als Autor unterhaltsamer Novellen einen Namen. Den höchsten Rang unter den reisenden Staatsdienern hatte Pauline von Anhalt-Bernburg. Sie war seit 1802 und bis zu ihrem Tod 1820 Fürstin von Lippe. Sie zählte zu der recht großen Zahl junger Monarchen, die im 18. und frühen 19. Jahrhundert auf Reisen gingen und ihre Beobachtungen zur Staatsführung in anderen Ländern publizierten. Drei Autoren übten die Schriftstellerei als Beruf aus. Carl Gottlob Küttner, der lange Jahre in England gelebt und von dort aus seine Reisen unternommen hatte, stammte aus Sachsen und schrieb die Mehrzahl seiner Reisebeschreibungen erst nach der Rückkehr nach Leipzig. Kurz vor seinem Tod erschienen die Reisebriefe, in denen Würzburg vorkommt. Die deutschstämmige Dänin Friederika Brun war eine der bekanntesten Reiseschriftstellerinnen der Jahrhundertwende. Das Feuilleton des 19. Jahrhunderts adelte sie gar zur „Madame de Staël des Nordens“. Einer Mode der Zeit entsprechend, reiste sie mehrmals nach Rom und beschrieb ihre Eindrücke in einem dreibändigen Werk. Charlotte von Ahlefeld war zu Lebzeiten weniger als Schriftstellerin bekannt, dafür umso mehr als Mitglied eines illustren Freundeskreises. Nach der Trennung von einem schleswig-holsteinischen Gutsbesitzer ging sie eine Beziehung mit Christian Tieck, dem Bruder Ludwig Tiecks, ein. Außerdem war sie mit Goethe und Sophie Méreau befreundet. Sie verbrachte nach dem Wegzug aus dem Haus ihres Mannes ihr Leben als freie Schriftstellerin und Mutter mehrerer Kinder. Ihr Werk besteht zum Großteil aus pseudonym veröffentlichten Romanen. Die hier behandelten Reisebriefe entstanden 1810 und damit im Jahr nach ihrer Scheidung und dem Umzug in die Stadt Schleswig. Jacob Friedrich Ludwig Lentin war Arzt und besuchte während seiner Reise vor allem medizinische Einrichtungen wie Spitäler, medizinische Fakultäten und Pflegen.
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Art.: Johann Meermann, Freyh. v. Dalem und Vuren, in: Johann Friedrich von Recke, Karl Eduard Napiersky (Hg.): Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrtenlexikon der Provinzen Livland, Estland und Kurland, Bd. 3, Mitau 1831, S. 180 f. Seine Reisebriefe veröffentlichte Heun nicht dagegen nicht pseudo-, sondern anonym. Zu Heun s. Heinz Liebing: Die Erzählungen Claurens, Halle 1931.
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Zwei Autoren waren Kleriker. Klement Alois Baader gehörte dem Konsistorium im vorderösterreichischen Freiburg an und tat sich als Herausgeber eines bayerischen Schriftstellerlexikons hervor, das den ironischen Titel „Das gelehrte Bayern oder Lexikon aller Schriftsteller, welche Bayern im 18. Jahrhundert erzeugte oder ernährte“ (1804) führte. Der Badener Pastor Johann Friedrich Abegg lehrte zur Zeit seiner Reise durch Würzburg als reformierter Geistlicher am Heidelberger Gymnasium. Später brachte er es an der dortigen Universität erst zum Professor für Theologie, dann zum Rektor. Abegg stellt insofern eine Ausnahme dar, als er Zeit seines Lebens nicht eine einzige Schrift veröffentlichte. Sein Reisetagebuch gab ein Nachkomme erstmals 1976 heraus.5 Dies unterscheidet ihn von allen anderen Autoren, die ihre Aufzeichnungen in zeitlicher Nähe zur beschriebenen Reise veröffentlichten.6 Zwei weitere Autoren nahmen als Offiziere an den Koalitionskriegen teil, der eine auf französischer, der andere auf englischer Seite. William Wittmann hatte vor dem Krieg in London gelebt, Jean-Philippe Graffenauer in Straßburg. Beide waren Militärärzte. Graffenauer wurde im November 1806 in Lüneburg, der nächstgenannten Station in seinen Reisebriefen, die Leitung des französischen Militärhospitals übertragen. Als Wittmann durch Würzburg zog, befand er sich mit seiner Einheit auf dem Rückweg von Kleinasien, wo die Armee seines Landes gegen Napoleon gekämpft hatte. Mit Jean-Philippe Graffenauer, William Wittman und Johann Meermann von Dalem stammen drei der 16 Reisebriefe von Ausländern. Formal gehört auch Christian von Eggers zu dieser Gruppe, doch Eggers kam aus einer Hamburger Familie. Friederika Brun und Charlotte von Ahlefeld lebten als Deutsche in Dänemark. Die Reiseberichte stammen von katholischen Stiftskanonikern, protestantischen freien Schriftstellerinnen, von jungen Studenten und älteren Hofräten. In Themenauswahl, Sprache und Stil liegen Welten zwischen den einzelnen Texten. Etwa in der Ausführlichkeit der Beschreibungen driften die erzählten Reisen weit auseinander. Die Beschreibung des Doms füllt bei Graffenauer nicht einmal eine Zeile7. In der Dombeschreibung der „Reise eines Ungenannten“ erfährt der Leser selbst etwas über die kleinen Seitenaltäre und die Zahl der Pfeiler im Kirchenschiff.8 Jeder Reisebrief bildet eine eigene Sprachwelt, die sich von den Sprachwelten der anderen unterscheidet. Es lassen sich je-
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Walter Abegg, Jolanda Abegg (Hg.): Reisetagebuch von 1798 von Johann Friedrich Abegg, Frankfurt/Main 1987. Zur Dauer zwischen Reise und Veröffentlichung s. Struck: Nicht West – nicht Ost, S. 81 f. Jean-Philippe Graffenauer: Lettres écrites en Allemagne, en Prusse et en Pologne …, Paris 1809, S. 59. Anonym: Reise eines Ungenannten durch Deutschland und die Schweiz in den Jahren 1799, 1800, 1801., Breslau/Leipzig 1802, S. 187.
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doch auch Gemeinsamkeiten erkennen, auf die sich das nun Folgende konzentrieren soll.
6.1.1. Merkmale des Briefsamples Das Quellensample besteht aus den Würzburg-Darstellungen in 16 Reisebriefen. Auch Briefe, die andere Entstehungsorte angeben, aber von Würzburg handeln, sind Teil des Samples. Für das Verständnis der Erzählerfigur war es nötig, über die Würzburg-Briefe hinaus nach Selbstbeschreibungen und Denkmustern des Erzähler-Ichs zu suchen. Um Konstanten der Erzählerfigur, dies schließt Konstanten der Welterfahrung ein, entdecken zu können, mussten auch die Passagen der Reisebeschreibungen beachtet werden, die nicht von Würzburg handeln. An einigen Stellen nimmt das Kapitel außerdem Bezug auf Reisebriefe, die wenige Jahre vor Beginn und nach Ende des Untersuchungszeitraums erschienen sind. Diese Erweiterung schien auch angesichts der niedrigen Zahl an Quellen ratsam. Das Sample bleibt trotzdem sehr klein. Der enge geographische und zeitliche Rahmen erwies sich hier einmal mehr als problematisch. Allerdings ließen sich bereits anhand der wenigen Texte Gemeinsamkeiten erkennen. Zudem wurden die Ergebnisse mit den äußeren und inneren Merkmalen der Reiseliteratur um 1800 abgeglichen, die in der Forschung diskutiert werden. Damit konnte gewährleistet werden, dass die Thesen auf Texten aufbauen, die den üblichen Gattungsmerkmalen entsprechen. Den Erkenntnissen der Forschung entsprechen etwa die Daten der Veröffentlichung.9 Vermutlich liegt es vornehmlich an der Einschränkung von Privatreisen während der Napoleonischen Kriege und der Befreiungskriege, dass Schriftsteller häufiger in den ersten Jahren des Untersuchungszeitraums auf Reisen waren und die Publikation von Reisebriefen im Laufe der Koalitionskriege immer stärker abnahm. Auch die Verlagskrise, die im Kapitel über die Professoren bereits erläutert wurde, war sicherlich ein Grund für die nach unten abfallende Kurve. Reisebeschreibungen gehörten um 1800 zu den Geistesprodukten mit hohem Verfallswert. Darin lag ein Grund für die Zurückhaltung der Verlagshäuser, den auch der Würzburger Verleger Johann Joseph Stahel in seiner Denkschrift nannte. Die größte Gruppe von neun Reiseberichten aus dem Hochstift steht einer kleinen Gruppe von drei Texten aus der kur9
Wolfgang Burgdorf beschreibt die Einschränkung des Brief-, Güter- und Personenverkehrs der Jahre 1806 und 1807, den gesetzlich verordnete Landsperren verursachten, s. Wolfgang Burgdorf: Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806, München 2006, S. 155 ff; zur Dauer zwischen Reise und Veröffentlichung s. auch Struck, Nicht West – nicht Ost, S. 79 ff.
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bayerischen Zeit, zweien aus der Zeit des Großherzogtums und einem einzigen aus der Zeit nach 1814 gegenüber. Die Veröffentlichungstermine lagen zeitlich nah an den angegebenen Reisedaten, im Regelfall betrug die Dauer zwei Jahre. Es ist anzunehmen, dass die Autoren und Verlage sich bemühten, die Reiseaufzeichnungen möglichst schnell zu publizieren, damit diese nicht bereits bei Erscheinen veraltet waren. Die größte Spanne zwischen Reise und Publikation betrug sechs Jahre. Christian von Eggers reiste 1804, publizierte 1810 und war somit der einzige, der Würzburg in einer Staatszugehörigkeit beschrieb, die bei der Veröffentlichung bereits nicht mehr bestand. Würzburg stellte, dies ist allen Texten gemeinsam, für die Reisenden nur eine kurze Zwischenetappe dar. Drei Autoren reisten nach Italien weiter: Friederika Brun, Carl Gottlob Küttner und Georg Wilhelm Kessler. Vier Reisende besuchten die Schweiz. Ein Drittel der Autoren bereiste allein Deutschland, alle anderen fuhren durch mehrere europäische Länder. William Wittmans Briefe sind die einzigen, die Würzburg auf der Rückreise an seinen Heimatort beschrieben. Rückreisen fanden ohnehin viel seltener Aufnahme in die Reisebriefe. Einer der beiden Militärs unter den Reiseschriftstellern, JeanPhilippe Graffenauer, reiste laut Titel „en Allemagne, en Prusse et en Pologne“. Welche Motive für die einzelnen Reisen genau vorlagen, ist in manchen Fällen nur schwer zu beantworten. Eindeutig waren die Reisemotive bei den Militärärzten. William Wittman kehrte, als er durch Würzburg kam, von einer mehrjährigen britischen Militärmission durch Kleinasien zurück, bei der seine Armee auf Seiten des Osmanischen Reiches in der Zweiten Koalition gegen Napoleon kämpfte. Napoleon unternahm gerade seine ägyptische Expedition, die er wegen des starken Widerstands der Koalition in Kleinasien und Europa abbrechen musste. Wittman selbst war nicht in Kämpfe verwickelt, berichtet jedoch von den Schauplätzen der kriegerischen Auseinandersetzungen und dem menschenunwürdigen Verhalten der französischen Soldaten an den Kombattanten anderer Armeen. Auf Kleinasien konzentriert sich auch sein Reisebericht. Die Beschreibung der Rückreise durch Deutschland scheint vor allem den Pflichten Wittmans geschuldet zu sein. Der Arzt führte während der ganzen Reise genau Buch über Krankheiten bei den Soldaten sowie über praktische Umstände der Reise (Beschaffenheit der Wege, Ankunft- und Abfahrtzeiten, Flora an der Wegstrecke etc.). Da es auf dem Heinweg über Auseinandersetzungen nichts mehr zu berichten gab, blieben nur die pflichtgemäßen Angaben zu Krankheiten, Wegen und den täglichen Reisezeiten übrig. Würzburg stellt daher nur eine von vielen Stationen auf der Rückreise dar. Auch bei den anderen Reisenden, die ins Ausland aufbrachen, fallen die Briefe aus Würzburg deutlich kürzer aus als bei den Deutschland-Reisenden. Weshalb sie ihre Reisen schriftlich festhielten und veröffentlichten, ist jedoch nicht bekannt. Reiseschriftsteller wie Friederike Brun, Carl Gottlob Küttner und
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Charlotte von Ahlefeld verdienten mit dem Verkauf ihrer Reisebriefe Geld. Bei den übrigen Autoren mag dieses Motiv nicht so stark ausgeprägt gewesen sein. Vornehmlich bei den Staatsdienern spielte mit Sicherheit der Selbstanspruch an das Leben in der gebildeten Oberschicht eine Rolle. Die Veröffentlichung von Autobiografien wie von Reiseaufzeichnungen führte „die soziale Selbstdarstellung und Selbststilisierung als ästhetische Praxis“ vor.10
6.1.2. Andere Quellen Außer den Briefen bezieht dieses Kapitel Rezensionen mit ein. Sie liegen von allen Reisebriefen vor und sind den gängigen Journalen der Zeit entnommen, so der Minerva, der Allgemeinen Literatur-Zeitung und der Neuen Deutschen Allgemeinen Bibliothek. Die Rezensionen dienen jedoch nicht als Primärquelle, sondern als Ergänzung am Ende des Kapitels.
6.1.3. Der Erzähler als Diener: Merkmale des Reisebriefs Abgesehen von einer Ausnahme11 sind alle Texte in Briefform verfasst. Die Briefe sind an einen Adressaten gerichtet, in der Mehrheit an einen Einzelnen. Wenige Schriftsteller adressieren an Gruppen wie die Familie oder den Freundeskreis. Den angeschriebenen Personen ist das Werk allermeistens auch gewidmet. Auf den ersten Seiten erschien entweder ihr Name und Titel oder eine verschleierte Form an. Charlotte von Ahlefelds Reisebriefe sind schlicht „Caroline von L….. gebohrne von S……….“12 zugeeignet. Offiziöser fällt die Widmung des anonymen Autors der „Reise eines Ungenannten“ aus. Er nennt als Adressaten „Seine Excellenz den Hochwürdigen und Hochgebornen Herrn Carl Georg Heinrich Grafen von Hoym“13. Unter dem Namen stehen alle Ämter und Titel des Grafen. Georg Wilhelm Kessler ehrt in seinen „Briefen auf
10 S. Wolfgang Kaschuba: Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800. Kultur als symbolische Praxis, in: Jürgen Kocka (Hg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 1: Einheit und Vielfalt Europas, Göttingen 1995, S. 92-127, hier: S. 94. 11 Abegg: Reisetagebuch von 1798. 12 Charlotte von Ahlefeld: Briefe auf einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Sommer 1808, Altona 1810, o. S. 13 Anonym: Reise eines Ungenannten, o. S.
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einer Reise durch Süd-Deutschland“14 seinen Gönner Max Freiherr von Braunsberg. Die Reisebriefe mit Widmung sind mehrheitlich Gönnern oder Vorgesetzten zugedacht und verwenden in den Briefen das „Sie“. Jacob Friedrich Ludwig Lentin adressiert die Briefe an seinen Vater, widmet sie jedoch der gesamten Lüneburg-Braunschweigischen Regierung.15 Andere Autoren schreiben an Freunde. Christian Thons Erzähler zum Beispiel an den „lieben Karl“16. Das Carl Gottlieb Samuel Heun zugeordnete Werk „Carls vaterländische Reisen in Briefen an Eduard“17 trägt den Adressaten bereits im Titel. Eduard wird, wie Karl im zuvor genannten Titel, als Freund mit „Du“ angesprochen. Ahlefelds Erzählerin wendet sich an „meine theure Caroline“18. Die Erzählerin spricht die Freundin immer wieder direkt an, zum Beispiel als sie sich über „die Nähe unseres Wiedersehens“19 freut. In der Beziehung zwischen Erzähler und Adressat existieren Unterschiede.20 Der Leser erhält Einblick mal in die zärtliche Freundschaft zwischen Charlotte von Ahlefelds Erzählerin und ihrer Freundin Caroline, mal in das Dienstverhältnis, das Georg Wilhelm Kessler und Max von Braunsberg verbindet. Gemeinsam ist den Reisebriefen, dass der Leser von außen auf die Beziehung zwischen Erzähler und dem im Text angesprochenen Adressaten oder Adressatenkreis blickt. Das Dreieck zwischen Erzähler, Adressat und Leser entsteht durch die Briefform und kennzeichnet alle Reisebriefe. Vorgeblich umgeht der Erzähler das Gebot, die Korrespondenz zwischen zwei Personen zu schützen und ebenso vorgeblich sieht der Leser unerlaubter Weise durch das Schlüsselloch des Zimmers, in dem der Erzähler dem Adressaten von seinen Reisen erzählt. Die Briefform soll also Spannung beim Leser erzeugen. Nur ein einziges Werk fällt aus dem Rahmen. Es ist weder einer bestimmten Person zugeeignet, noch an eine bestimmte Personengruppe adressiert. Klement Alois Baaders lässt dafür in den „Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands in Briefen“ seinen Erzähler den Leser direkt mit „Sie“ ansprechen.
14 Georg Wilhelm Kessler: Briefe auf einer Reise durch Süd-Deutschland, die Schweiz und Ober-Italien im Sommer 1808, Leipzig 1810. 15 Jacob Friedrich Ludwig Lentin: Medizinische Bemerkungen auf einer literärischen Reise durch Deutschland. In Briefen, Berlin 1800. 16 Anonym [Christian Friedrich Gottlieb Thon]: Romantische Reise von Jena, Weimar, Erfurth, Gotha, Eisenach, Salzungen, Schweinfurth, Würzburg, Aschaffenburg nach Frankfurth am Main, Eisenach 1802, S. 187. 17 Anonym [Carl Gottlieb Samuel Heun]: Carls vaterländische Reisen in Briefen an Eduard, Leipzig 1793. 18 Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, S. 240. 19 Ebda. 20 Zu den verschiedenen im Folgenden genannten Erzählstrategien s. Meier: TextsortenDialektik, S. 237 f.
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Viele Erzähler schwächen den Eindruck des Schlüssellochguckens ein wenig ab, indem sie ihre Adressatenkreise in zwei Lager teilen und den Leser zu einem der beiden Teile machen. Die Erzähler trennen zwischen Freunden und Mitbürgern, zwischen „un ami dont la modestie me force à taire le nom“ und „le Public“21, zwischen „Freunden“ und „Nichtfreunden“22, um nur einige Einteilungen zu nennen. Mit der Einteilung ist die Vergabe unterschiedlicher Rechte verbunden. Dem Freund schreibt der Erzähler das Recht zu, Lob und Unmut ohne Umschweife auszudrücken. Der Leser des äußeren Kreises besitzt dieses Privileg nicht. Georg Wilhelm Kesslers Erzähler geht sogar so weit, den Lesern des äußeren Kreises die Kritikfähigkeit über das Werk abzusprechen: „Die Nichtfreunde aber mögen hier Halt machen und bedenken, dass das Ganze nicht für sie geschrieben ist, sie demnach es lediglich sich selbst beizumessen haben, wenn sie im Lesen nirgend Befriedigung finden.“23 In den Briefen Friederike Bruns24 dagegen wird der Leser allein durch die Veröffentlichung des Werkes zum Leser erhoben, angesprochen wird er nicht. Während nahezu alle Reisebriefe durch die Einteilung der Leser in Zuneigungs-Kreise der Einzigartigkeit ihrer Freundschaft zusätzlich Gewicht verleihen, thematisiert Baader die Schlüsselloch-Position des Lesers, indem er einen Brief mit der Anrede beginnt: „Mein lieber Freund! und alle Ihre Mitleser meiner Briefe“25. Der äußeren Briefform entsprechen zum Teil die Inhalte der Texte. Dann teilt der Erzähler dem Adressaten mit, was er in Würzburg gesehen und erfahren hat und reflektiert seine Beobachtungen. In Baaders „Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands“ heißt es beispielweise: „Wie wir uns der Stadt näherten, zogen sich die Weinberge, die wir immer vor uns hatten, näher zusammen, und endlich erblickten wir die Residenzstadt Würzburg mit ihren ansehnlichen Thürmen, Pallästen, und der großen im Hintergrunde emporragenden Bergvestung.“26 Der Erzähler spricht im Präteritum über einmalig Erlebtes. Doch bereits in diesem eindeutigen Erzählstil mischt sich eine weitere Textform. Der Name der Stadt ist hier fettgedruckt, eine Hervorhebung, die einem Brief nicht entspricht. Der Ort wird der Übersichtlichkeit halber und zum schnellen Wiederentdecken beim Durchblättern der Briefe, markiert. Die Hervorhebungen finden sich in informierenden Textpassagen. „Mit dem No21 22 23 24
Graffenauer: Lettres écrites, S. IX. Kessler: Briefe auf einer Reise, S. VIII. Ebda. Friederika Brun: Episoden aus Reisen durch das südliche Deutschland, die westliche Schweiz, Genf und Italien in den Jahren 1801, 1802, 1803. Nebst Anhängen vom Jahr 1805, Zürich 1806. 25 Klement Alois Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands in Briefen, Augsburg 1795, S. 246. 26 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 164.
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vember fängt die große Allerheiligenmesse an, welche Bischof Hermann von Lobdeburg um 1226. einführte, und welcher König Heinrich VII. das nämliche offene Reichsgeleit gab, welches die Frankfurter Messe genießt. Auch diese Messe dauert 4 Wochen.“27 Hier gibt der Verfasser Informationen nach Art eines Lexikonartikels weiter, der die wichtigsten Informationen samt kurzem historischem Abriss enthält. Die Informationen zur Allerheiligenmesse beruhen nicht auf Beobachtungen, sondern auf Fakten. Innerhalb desselben Reisebriefs wechselt der Stil auf einer Seite mehrmals vom Brief zum Lexikon und wieder zurück zum Brief. Christian von Zimmermann hat den „Wechsel zwischen dynamisch-narrativen und statisch-deskriptiven Phasen“28 als ein Grundmerkmal von Reiseberichten bezeichnet. Eine Seite zuvor gibt der Verfasser die Postrouten nach Würzburg an. „Wenn Sie von Nürnberg aus eine kürzere Route, die auch, soviel ich weiß, die Postwagenroute ist, machen wollen; so kommen Sie über Farnbach, Emskirchen, Langenfeld, Possenheim und Kitzingen nach Würzburg, welcher Weg 12 Meilen beträgt. Die Postroute von Würzburg nach Frankfurt läuft über Roßbrunn, Esselbach, Rohrbrunn, Aschaffenburg und Seligenstadt, beträgt 15 Meilen und ist besser, als jene über Bischofsheim, Hundheim u. s. f.“29 Hier spricht der Verfasser den Leser direkt an und empfiehlt die Frankfurter Postroute gegenüber der Mannheimer. Die Informationen sollen dem Leser bei seinem Würzburg-Besuch dienen. Die Textpassage entspricht also einem Reisehandbuch. Diese Textsorte wechselt als dritte mit dem Brief und dem Lexikonartikel ab. In einigen Werken verwenden die Verfasser sogar noch eine vierte Gattung innerhalb der Briefe: den wissenschaftlichen Text. Der bereits mehrfach zitierte Baader etwa stellt einen Vergleich der Hochstifte Würzburg und Salzburg hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft an.30 Derselbe Autor ist es auch, der seinen Reisebrief aus Würzburg mit einer vielseitigen Bibliographie zu Erdgeschichte, Staatswesen, Geschichte und Topographie ausstattet.31 Friedrich Lentin gibt den Verlauf einer Amputation im Juliusspital wieder und dokumentiert Therapien. Aus diesen Passagen spricht wissenschaftliches Interesse. Erzählende und sachliche Passagen produzieren zwei unterschiedliche Textsorten. Die beiden Genres auseinanderzuhalten, bereitet manchmal Schwierigkeiten. Die lexikalischen Passagen tragen bisweilen Sprachzüge einer Erzählerfigur. Dann tauchen in nüchternen Erklärungen wertende Adjek27 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 166 f. 28 Christian von Zimmermann: Texttypologische Überlegungen zum frühneuzeitlichen Reisebericht. Annäherung an eine Gattung, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 154 (2002), Nr. 1, S. 1-20, hier: S. 9. 29 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 165. 30 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 247. 31 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S.195 ff.
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tive auf oder es klingen Gefühlsäußerungen oder Wertungen an. Ganze Passagen rein sachlicher Beschreibungen sind sogar die Ausnahme, doch ihr Anteil ist höher als die erzählenden Abschnitte. Selbst der schwärmerische Erzähler der „Romantischen Reise“ kehrt unvermutet, nach Gedanken zu katholischer Kirchenmusik, zum informativen Stil zurück: „Man betet weit inniger, andächtiger; denn die Nerven werden durch den sanften, reinen Gesang, und durch die Begleitung angenehmer Instrumente gereizt, die Seele wird gerührt, und auch ohne den feyerlichen Gottesdienst, zu geistigen Ergießungen fähiger gemacht. – Man logirt im Schwan, fränkischen Hof, Kleebaum, goldenen Kreuz und römischen Kaiser.“32 Bei Baader, Eggers oder Kessler sind die von Sachlichkeit und Nüchternheit geprägten lexikalischen Anteile recht hoch. Bruns Reisebriefe dagegen sind sehr auf das Innere der Erzählerfigur gerichtet. Lediglich einzelne informierende Bruchstücke durchwirken die beobachtende Sprache der Erzählerin. Sehr verschieden verwenden die Reisebriefe auch die Erzähl-Subjekte. In den erzählenden Passagen dominieren „Ich“ und „Wir“. Bei Charlotte von Ahlefeld aber wechselt sich das Erzähler-“Ich“ mit einem Erzähler-“Wir“ ab. „Wir sahen unter diesen letztern eine Frauensperson, die ohne Beine gebohren ward, und auch nur e i n e n Arm, und an dem andern eine Hand mit vier Fingern hatte. Mit Ehrfurcht sah ich noch zuletzt das Bild des frommen Bischof Julius.“33 Wittmans Erzähler spricht ausschließlich in der „Wir“-Form. Der Erzähler fügt sich ein in die Kameradschaft der britischen Soldaten. Die Beobachtungen zur Landschaft stammen dagegen von einem impliziten ErzählerIch. Bruns Erzählerin verwendet sowohl „Ich“ als auch „Wir“, ebenso wie Eggers Erzähler. Letzterer benötigt sogar mehrere Formen des „Wir“. Einmal tritt schlicht die Gruppe als Subjekt auf, in der Eggers sich befindet. Dann existiert das „Wir“ aber auch als übergeordnete, nicht näher beschriebene Gemeinschaft der politisch Reflektierenden. In seinen ausführlichen Reflexionen über die neuen Gesetze zur Militärkonskription heißt es: „Glauben Sie ja nicht, daß dergleichen Bemerkungen dem Volk entgehen: wir übersehen ihren Einfluß nur zu oft, weil wir bei weitem nicht auf den gesunden Menschenverstand rechnen, was wir sollten.“34 Bei Graffenauer ist das Subjekt das zwischen „wir“ und „man“ changierende französische „on“, das selbst bei persönlichen Sinneseindrücken gesetzt
32 Anonym [Christian Friedrich Gottlieb Thon]: Romantische Reise von Jena, Weimar, Erfurth, Gotha, Eisenach, Salzungen, Schweinfurth, Würzburg, Aschaffenburg nach Frankfurth am Main, Eisenach 1802, S. 185 f. 33 Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, S. 252. 34 Christian Ulrich Detlev von Eggers: Reise durch Franken, Baiern, Oesterreich, Preußen und Sachsen, Leipzig 1810, S. 252.
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wird. „On es singulièrement frappé du beau paysage, de la scène ravissante qui s’offre à la vue.“35 Ich und Man-Form wechseln sich in der „Reise eines Ungenannten“ ebenso ab wie in Kesslers „Briefen auf einer Reise durch Süd-Deutschland“. Nur drei Erzähler verwenden ausschließlich das dem Brief entsprechende „Ich“: Baader, Abegg und der Erzähler der „Romantischen Reise“. Dem hybriden Charakter der Textsorten des Reisebriefs entspricht folglich der Pluralismus der Subjekte. Reisebriefe sind folglich eine hybride Quellengattung. Die Benennung als Reisebriefe verleiht der Vielschichtigkeit sicher nicht genug Ausdruck. Allerdings entspräche die Bezeichnung als Reisebericht der Gattung noch weniger, denn berichtende Textpassagen bilden erstens nur einen Teil neben anderen, zweitens sind alle Textsorten in die äußere Form eines Briefs gebettet. Die Bezeichnung als Reisebriefe entgeht m. E. dem Problem, eine hybride Textgattung mit nur einem ihrer Merkmale bezeichnen zu müssen, am überzeugendsten.36 Reisebriefe müssen von nahen Gattungsverwandten wie dem Alltagsbrief unterschieden werden. Die Inhalte zwischen beiden Briefsorten ähneln sich oft, wenn eine Privatperson Briefe von seinen Reisen verfasste. Heinrich von Kleist schrieb im September 1800 aus Würzburg an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge: „Das Ganze hat ein ächt katholisches Ansehn. Neun u. dreißig Thürme zeigen an, dass hier ein Bischoff wohne, wie ehemals die ägyptischen Pyramiden, dass hier ein König begraben sei. Die ganze Stadt wimmelt von Heiligen, Aposteln u. Engeln, u. wenn man durch die Straßen geht, so glaubt man, man wandle durch den Himmel der Christen.“37 Diese oft zitierte Briefpassage aus einem Brief Heinrich von Kleists an seine Verlobte Wilhelmine Zenge in Frankfurt/Oder weist zwar alle Merkmale der erzählerischen Teile eines Reisebriefs auf. Der Autor überhöht persönliche Eindrücke durch die Gegenwartsform, lässt enzyklopädische Informationen einfließen (39 Türme) und gibt persönliche Erfahrung wieder (Gang durch die Straßen). Textimmanent ließen sich für diese Briefpassage – so wie für die meisten der Briefe, die von Besuchern der Stadt Würzburg stammen – keine Kriterien finden, die sie als Reisebriefe disqualifizieren. Die Abgrenzung vollzieht sich durch die Veröffentlichung der Reisebriefe: In den Briefen ist die Intimität keine für den Leser inszenierte, sondern ein tatsächliche. Dem Reiseroman dagegen ist nicht daran gelegen, den Leser zu informieren. Somit fehlt dieser Gattung im Vergleich zu den Reisebriefen eine entscheidende Dimension. Im Reisehandbuch lassen sich zwar neben den enzyklopädischen und gebrauchsorientierten Anteilen auch persönliche Beobach35 Graffenauer: Lettres écrites, S. 56. 36 Zur Begrifflichkeit s. Brenner: Reisebericht, S. 22 ff. 37 Von Kleist an Wilhelmine von Zenge am 11. September 1800.
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tungen finden, häufig aus Reisebriefen eingefügt, doch verzichten diese auf die inszenierte Intimität zwischen Erzähler bzw. Verfasser und Adressaten. Zudem besitzen Reisehandbücher keinen Erzähler, sondern einen Herausgeber, der verschiedene Erzähler kompiliert. Anders in den Reisebriefen: Der Erzähler wendet sich an den Adressaten. Der Leser sieht ihm dabei zu. Diese Beziehung zum Adressaten äußert sich nicht nur in der Adresse, der Widmung und gelegentlichen Anreden im Text, sondern sie geht tiefer. Die Erzähler stellen immer wieder die freundschaftliche Beziehung zum Adressaten heraus. „Wäre ich frei dem Drang meines Gemüthes gefolgt, so hätten Sie schon ein halbes Dutzend Briefe von mir erhalten“38, beginnt Kessler seinen ersten Brief. Die Erzählerin von Ahlefelds lobt wie Kesslers Erzähler das Gemüt des Freundes. „Die Tiefe Deines Gemüths ist der Spiegel, worin ich erst mir selbst klar und deutlich werde, und worin mir das Freudige, was mir begegnet, heller und lebendiger, und das Traurige leichter und milder erscheint.“39 Friederike Brun streut die Freundschaftsbekundungen als Anreden in ihr Vorwort ein. Die Adressaten, wozu bei ihr im Vorwort noch die Kinder zählen, nennt die Erzählerin „Geliebte meines Herzens“40. Die Beobachtungen in den Briefen sind durch die Anrede an „meine Traute“, „liebste Henriette“41 oder „meine Henriette“42 unterbrochen. Lentins „Medizinische Bemerkungen“, an seinen Vater gerichtet, zeichnen sich im Gegensatz zu den anderen Texten durch ihre Nüchternheit aus. Dies hängt jedoch vielleicht mit dem wissenschaftlichen Anspruch des Werkes zusammen. Der Erzähler steht dem Adressaten oder dem inneren Leserkreis also als Freund gegenüber. Der Autor unternimmt später nichts anderes, als die vorgebliche Freundschaftsbeziehung zum Adressaten zu publizieren. Die Beziehung zwischen Erzähler und Adressat auf die von Freunden zu reduzieren, würde ihr nicht gerecht. Dazu zunächst ein Zitat: „Je suis entré, Monsieur,“, schreibt der Erzähler bei Jean-Philippe Graffenauer, „dans quelques détails sur l’hôpital de JULES, mais j’ai pensé qu’il vous serait agréable de connaître un établissement qu’on fait ordinairement passer pour modèle.”43 So begründet der Erzähler eine längere Passage über das Juliusspital. Und bei Baader heißt es nach einer ausführlichen Beschreibung der Sehenswürdigkeiten Würzburgs: „Nachdem ich Sie nun, mein Theurer, mit der Lage, den Schiksalen, und den Merkwürdigkeiten der Festung Marienburg 38 Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, S. 1. 39 Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, S. 5. 40 Friederika Brun: Episoden aus Reisen durch das südliche Deutschland, die westliche Schweiz, Genf und Italien in den Jahren 1801, 1802, 1803. Nebst Anhängen vom Jahr 1805 , Zürich 1806, S. IV. 41 Brun: Episoden aus Reisen, S. 4. 42 Brun: Episoden aus Reisen, S. 6. 43 Graffenauer: Lettres écrites, S. 66.
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bekannt gemacht habe, will ich Sie zum Schluß dieses Briefes mit einigen wichtigen Schriften … bekannt machen.“44 Formulierungen, mit denen sich der Erzähler wie ein Diener vor dem Adressaten verneigt, finden sich in allen Reiseberichten.45 Der Dienst bestand darin, den Adressaten über die Stadt zu unterrichten. Thons Erzähler ist der einzige, der dieses Dienstverhältnis bei der Schilderung seines Abenteuers mit Emilie kurz verlässt und sich in den Vordergrund rückt: „Da erlebte ich hier noch eine Begebenheit, die ich Ihnen, mein lieber Karl! der Sonderbarkeit wegen erzählen will, weil sie großen Einfluß auf mein ganzes künftiges Glück oder Unglück hätte haben können.“46 Dann kehrt er jedoch zum dienstpflichtigen Selbstbild zurück, der sein Schreiben vom Interesse des Lesers abhängig macht, und ergänzt: „Man wird vielleicht von Emiliens Schicksalen, - (wenn dieses interessiren sollte) in dem künftigen Theile Nachricht finden.“47 Dem Selbstbild des Erzählers als Diener entspricht die Aufwertung des Lesers zum Dienstherren: „Müde vom Herumlaufen und Sehen bitte ich Sie um die Erlaubniß, mich bei Ihnen sammeln zu dürfen.“48 Kesslers Erzähler erteilt dem Adressaten sogar das Recht, seinen Unmut über das Dargebotene zu äußern. Er bittet den Adressaten: „Sie müssen es nur nicht übel vermerken“ usw.49 Der Dienst stellt ebenso wie die Freundschaft ein Schauspiel dar, das auch die Professoren in ihren Briefen zu spielen pflegten. Das vorgegebene Dienstverhältnis ist es auch, womit die Erzähler die Publikation der Texte legitimieren: „Nur der Gedanke durch nachstehende Bemerkungen bei manchen meiner Mitbürger eine angenehme Stunde, vielleicht gar einen Endzweck besserer Art zu befördern, noch mehr aber der Antrieb einiger Freunde konnten mich zu der gemeinnützigen Mittheilung nachstehender Bemerkungen bewegen, so ich auf einer Reise durch Deutschland und die Schweiz sammelte“50, heißt es in der „Reise eines Ungenannten“. Sie haben gar für die ganze Menschheit „so viel wie möglich interessant und zugleich nutzbar zu seyn“51, so der Erzähler in der „Romantischen Reise“. Wird dieser Dienst nicht ausreichend erfüllt, müsse er „als ein bescheidener Mann die Feder niederlegen – und schweigen.“ Einen ähnlichen Selbstanspruch erhebt der Erzähler auch bei Lentin. Er habe, 44 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 194 f. 45 Die einzige Ausnahme bilden die Aufzeichnungen in Briefform, die Johann Friedrich Abegg verfasst hatte und die erst 1976 ein Nachfahre Abeggs unter dem Titel „Reisetagebuch von 1798 von Johann Friedrich Abegg“ veröffentlichte, s. Abegg: Reisetagebuch von 1798. 46 Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 187. 47 Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 214. 48 Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, S. 37. 49 Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, S. 284. 50 Anonym: Reise eines Ungenannten, S. I. 51 Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. XI f.
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heißt es im Vorwort, nur die Beobachtungen publiziert, die dem Publikum zu Nutze seien.52 Der vom Erzähler genannte Grund zur Veröffentlichung liegt mal in der Bitte, mal im Drängen, mal in „thätigster Aufmunterung“53 oder im Antrieb der Freunde und Bekannten. Graffenauers Erzähler legt Wert darauf, die Vielzahl der Menschen zu nennen, die ihn um die Veröffentlichung baten: „En offrant cet ouvrage au Public, je cède au désir d’un grand nombre de personnes de diverses classes qui s’en promettent une lecture agréable et instructive.“54 Der Dienst erscheint als die Legitimation schlechthin der Reisebriefe, viel mehr noch als die Freundschaft. Auch hier zeigt sich eine Verwandtschaft zu den Publikationen von Professoren. Der Wunsch des Autors nach literarischem Ruhm und einem angemessenen Honorar versteckt sich gänzlich hinter der Figur des Dieners. Was bedeuten diese Beobachtungen nun aber für die Fragestellung nach den Relevanzen der Reisenden? Die Inhalte der Reisebriefe ordnen sich der inszenierten Freundschaftspflege und dem Dienst am Freund unter. Die Erzähler schließen somit von vornherein eine Beschreibung all dessen aus, was nicht dienlich erscheint oder die Freundschaft aus unterschiedlichsten Gründen gefährden könnte. Der Adressat muss darüber informiert werden, was es Wissenswertes über die Stadt Würzburg zu berichten gibt. Mit der Freundschaft und dem Dienst, dem Freundschaftsdienst des Erzählers am Adressaten, sind die Reisebriefe schon vorprogrammiert, bevor der Reisende überhaupt einen Fuß vor die Tür setzt. Damit sind gleichzeitig erste Merkmale und Grenzen der Quellengattung ‚Reisebrief’ aufgezeigt, die wie die anderen Quellengattungen auch ihre Inhalte einer spezifischen Art der Adressierung unterordnet.
6.1.4. Reisebriefe als Medien von Relevanzen Die Reisebriefe ähneln in ihrer äußeren Form den Alltagsbriefen der Professoren. Die starke Beschränkung der Ausdrucksmöglichkeiten macht sie jedoch den Suppliken ähnlicher. Wie bei den Bittgesuchen sind viele relevante Phänomene aus dem Leben des Autoren von vornherein ausgeschlossen, da die Textsorte einerseits stark formalisiert und andererseits an einen Adressaten gerichtet ist, der nur sehr begrenzte Interessen hat. Die allermeisten lebensweltlichen Bereiche sind daher ausgeklammert. Dazu zählen alle Aspekte der Arbeit eines Reiseschriftstellers, die außerhalb des Textes liegen. Der kom52 Lentin: Medizinische Bemerkungen, S. 2 f. 53 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 2. 54 Graffenauer: Lettres écrites, S. IX f.
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plette Entstehungskontext des Werkes bleibt ausgespart. Welche Motive die Autoren zum Verfassen bewogen haben, ob sie viel oder wenig Honorar für ihre Arbeit erhielten, in welcher beruflichen Situation die haupt- oder nebenberuflichen Reiseschriftsteller sich zur Publikation der vorliegenden Reisebriefe entschlossen, bleibt unbekannt. Anhand von Reisebriefen die Lebenswelten ihrer Autoren zu untersuchen, ist mit den Texten als Quelle zum Scheitern verurteilt, ebenso wie der Versuch, die Lebenswelten der Professoren anhand ihrer wissenschaftlichen Publikationen verstehen zu wollen. In beiden Fällen hat man es als Leser mit Subjekten zu tun, die dem Autor als historische Person nicht gleich sind. Hier sind es Erzähler, dort wissenschaftliche Autoren.55 Der Erzähler unterrichtet über den Autor nur sehr begrenzt. Also können von vorneherein nur Relevanzen des Erzählers und des Erzählens untersucht werden. Der Erzähler besitzt jedoch keine reale Lebenswelt wie sein Autor. Dieses Kapitel stützt sich also auf literarische Bedeutungen. Der Erzähler in Reisebriefen ist dem Autor sicherlich näher als der Erzähler einer Novelle seinem Autor nahe ist. Zudem behaupten die Erzähler fortwährend, ihren Autoren identisch zu sein. Immer wieder verorten sie sich durch die Angabe von Tageszeiten, durch Zeitadverbialen wie „danach“, „anschließend“, „darauf“ etc. und durch die Erwähnung von zurückgelegten Wegen in der beschriebenen Stadt Würzburg. Die Erzähler legen Wert darauf, zu äußern, was sie beschreiben auch selbst gesehen und erfahren zu haben. Michael Maurer hat dieses Phänomen treffend als „Autopsie-Ideal“56 bezeichnet: „Man verlangte nun von jemandem, der etwas über Reisen drucken ließ, daß er das, was er berichtete, auch mit eigenen Augen gesehen habe. Sonst könne er ja gar nicht für die Richtigkeit einstehen und verbreite nur ungeprüfte Traditionen, samt Legenden und Unwahrheiten.“57
55 Die Unterscheidungsmerkmale zwischen erzählter und erlebter Zeit sind laut Süßmann Indirektheit, Nachzeitigkeit und Sukzessivität: „Indirekt ist die Erzählrede, weil vor den Geschehnissen eine Erzählinstanz steht; nachzeitig, weil die Erzählinstanz zum Zeitpunkt des Erzählens (der Erzählzeit) nicht an den erzählten Geschehnissen (der erzählten Zeit) beteiligt ist; sukzessiv, weil die Darstellung im Nacheinander eines Diskurses entfaltet wird.“, s. Johannes Süßmann: Erzählung, in: Stefan Jordan (Hg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe , Stuttgart 2003, S. 85-87, hier: S. 85. 56 Michael Maurer: Reiseberichte, in: Ders. (Hg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 4: Quellen, Stuttgart 2002, S. 325-348, hier: S. 333; Wolfgang Albrecht betrachtet den Wunsch nach dem selbst Erfahren als Spielart der Spätaufklärung, s. Wolfgang Albrecht: Durchs „malerische und romantische“ Deutschland. Wanderliteratur der Biedermeier- und Vormärzepoche, in: Ders., Hans-Joachim Kertscher (Hg.): Wanderzwang – Wanderlust, Tübingen 1999, S. 215-238, hier: S. 239. 57 Maurer: Reiseberichte, S. 333.
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Der Autor und sein Erzähler weisen in manchen Denkmustern starke Ähnlichkeiten auf. Dies lässt sich etwa in den Passagen über Besichtigungen von Bauwerken erkennen. Die Erzähler vergleichen bei den erzählten Besichtigungen die Würzburger Gebäude, vor oder in dem sie stehen, mit Bauwerken gleicher Art in anderen Städten. Der Erzähler in Carl Gottlob Küttners Briefen schreibt über das Benediktinerkloster St. Jakob, das sogenannte Schottenkloster, er habe „eine Stunde angenehm darin zugebracht, obschon das hiesige Kloster dem Regenspurger dieses Nahmens auf keine Weise gleich kommt.“58 Der Verfasser der „Romantischen Reise“ bemerkt, „eine Kirche hier hat einiges Aehnliche mit der Frauenkirche zu Dresden“59, womit er die Kirche des Stifts Haug gemeint haben wird. Der Verfasser in Keßlers „Briefe auf einer Reise nach Süd-Deutschland“ schreibt, die Kirche im Julius-Spital sei ganz „nach Art der Nikolai-Kirche, obwohl kleiner“.60 Klement Alois Baaders Erzähler gesteht dem Arbeitshaus einige Qualität zu. Es sei jedoch „freilich keine so große und weitsichtige Anstalt, als das churfürstliche Militärarbeitshaus in München“.61 An einigen Stellen bettet der Erzähler das betrachtete Objekt in einen Kanon aus Bauwerken gleicher Art ein. „Wenige Kirchen sahe ich, welche mit so vieler Einfachheit eine größere Eleganz vereinigt hätten“62, reflektiert Meermann und Küttner bemerkt: „Wenn ich Ihnen aber sage, dass ich umherdenken mag, wie ich will, und kaum eine Stadtresidenz finde, die ein so schönes und großes Ganze ausmacht (…)“63 Die Erzähler vergleichen die Residenz, die Kirche des Stiftes Haug oder das Kloster St. Jakob in Würzburg nicht einfach mit anderen Residenzen, Stiftskirchen oder Klöstern, die sie gesehen haben. In der Regel vergleichen die Erzähler das Würzburger Gebäude mit dem Superlativ seiner Art, dessen genaue Kenntnis sie damit gleichzeitig belegen. Nur in relativ wenigen Fällen bilden Bauwerke der Heimatstadt oder des Herkunftslandes des Erzählers das Vergleichsobjekt. Der Vergleich des Neuen in der Fremde mit dem Bekannten in der Heimat schien für die Reisenden dagegen keine große Bedeutung mehr zu haben.64 Eine dieser Ausnahmen ist bei Eggers zu finden. Hier bemerkt der 58 Carl Gottlob Küttner: Reise durch Deutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen und einen Theil von Italien, in den Jahren 1797. 1798. 1799., Leipzig 1801, S. 375. 59 Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 192. 60 Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, S. 37. 61 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 213. 62 Meermann: Reise durch Preussen, S. 285. 63 Küttner: Reise in den Jahren 1797, 1798, 1799, S. 371. 64 Für die hier genannten Reisenden galt folglich längst nicht mehr, was Axel Gotthard für die Raumwahrnehmung in der Vormoderne angenommen hat: „Sonntags also konnte man sich auch einmal des größeren Vaterlandes, des Reichsverbandes erinnern; alltäglich waren viel kleinräumige Bezüge.“ Axel Gotthard: In der Ferne. Die Wahrnehmung des Raums in der Vormoderne, Frankfurt/Main/New York 2007, S. 74; Klaus Herbers äußert zwar die Vermutung, dass „bis heute nicht unerheblich [ist], ob
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Erzähler im Juliusspital: „Bei jedem Bett ist eine Tafel, wie in Kopenhagen.“65 Die Kenntnis eines anerkannten Kanons und die Fähigkeit, eine Rangliste der kanonisierten Bauwerke zu erstellen, scheint die Heimat als Bedeutungsebene verdrängt zu haben. Genau diese Merkmale jedoch entsprechen dem Habitus des Bildungsbürgertums am Übergang zum 19. Jahrhundert. In dieser Art Beschreibungen unterscheidet sich der Erzähler in keiner Hinsicht mehr von seinem Autor, welcher, wie gezeigt, der gelehrten Oberschicht angehört. Erzähler und Autor sind vorübergehend deckungsgleich. Bei anderen Textpassagen erscheint die Differenz deutlicher. Der Erzähler der „Romantischen Reise“ will Würzburg gerade verlassen, als er erfährt, dass wegen des Besuchs eines Kurfürsten keine Pferde zur Verfügung stehen. Also muss er in Würzburg bleiben. Der Erzähler kommentiert dies mit den Worten: „Denn es ist böse Zeit, welche Wahrheit man leider! am stärksten in dem Betragen der Postmeister gegründet findet.“66 Diesen Vorfall wie auch die Bemerkung darüber kann man sich noch gut als Bestandteil eines privaten Briefes vorstellen. Der Mangel an Fuhrwerken in der Stadt wurde an anderer Stelle ausführlich erläutert. Auch der Fortgang der Geschichte kann sich so ereignet haben: Der Reisende nimmt Quartier in einem Gasthof und bemerkt in dem Haus ein Nebenzimmer, das ihm vorher entgangen war. „In dem Kabinet sah ich nun ein schönes, prächtig gekleidetes Frauenzimmer von ungefähr 18 Jahren, in deren Gesichtszügen der Kummer weilte.“67 Auffällig erscheint, dass die Anordnung der Zimmer bei seiner nächsten Station in Frankfurt der in Würzburg fast völlig entspricht. Selbst der Winkel, aus dem er unvermittelt eine schöne Frauenstimme hört, ist derselbe wie beim Entdecken der Frau in Würzburg: „Der Gesang schien gegenüber aus einem Zimmer zu kommen.“68 In diesem Fall scheint der Erzähler die Bindung an den Autor im Laufe der Geschichte verloren zu haben. Der Text wandelt sich zu einer fiktiven Geschichte. Der Erzähler führt die unbekannte Frau in einem öffentlichen Haus als Topos ein. Für diese Erzählstrategie ließen sich eine Fülle weitere Beispiele finden. Es ist letztlich jedoch nicht entscheidend, wie groß der Anteil an tatsächlich Erfahrenem in den Reisebriefen ist. Fest steht, dass der Erzähler den Autor nicht angreifen, ihm nicht schaden durfte. Dies gilt selbstverständlich nur für die mit Namen veröffentlichten Texte. Gemeinsam ist allen Autoren zudem, dass sie Erfolg beim Publikum erzielen wollten. Die Darstellungen durften den Erfolg des Reisebriefs also nicht gefährden. Die Autoren ließen
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ein Norddeutscher oder Süddeutscher … unterwegs ist.“ Allerdings führt er im Anschluss nicht aus, welche Spuren die Andersartigkeit in den Texten hinterlässt, s. Herbers: Reiseberichte, S. 34. Von Eggers: Reise durch Franken, S. 186. Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 188. Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 189. Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 259.
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die Erzähler schreiben, was beim Publikum möglichst großen Gefallen zu wecken vermochte. Dieses Kapitel kann folglich zwar keine lebensweltlichen Relevanzen untersuchen, aber mit dem Text das wichtigste Instrument für Reiseschriftsteller, beruflichen Erfolg zu erlangen. Dieser wiederum war ohne Zweifel von erheblicher Relevanz für die Autoren.
6.2. Die ewig gültige Stadt Würzburg 6.2.1. Begegnungen im leeren Raum Die Erzähler beschreiben den Würzburg-Besuch als Bildungsreise.69 Zur Bildung zählte nicht nur der Besuch von Kirchen und Spitälern und die Beschreibung der Fürstenresidenz, sondern auch Treffen mit Freunden und Kollegen. Ahlefelds Erzählerin gesteht, in den zurückliegenden Tagen wenig geschrieben zu haben, doch diese wären „mit so manchen angenehmen Abwechslungen und mit so anziehenden Unterhaltungen verbunden, daß ich mich selbst über die so unvermerkt dahin gleitenden Zeit täuschte.“70 Kesslers Erzähler betont den Anstand seines Bekannten in Würzburg. „Es ist sieben Uhr vorbei und ich muß meinem Versprechen gemäß einen Herrn L. aufsuchen, welcher sich mit großer Höflichkeit erboten hat, mir die Merkwürdigkeiten der Stadt zu zeigen.“71 In Baaders Reisebrief schildert der Erzähler leicht überzeichnend eine Weinprobe im Hofkeller, an welcher er „in großer Gesellschaft mit mehrern ansehnlichen Fremden“72 teilgenommen hatte. Trotz der ironischen Note bleibt die Wertschätzung der Gesellschaft bestehen. „Mir gefielen bey dieser Gelegenheit die Lobeserhebungen, die der Wein zu empfangen die Ehre hatte, und die nur in verschiednen mit einem scharfen Ausrufungszeichen versehenen einzelnen Worten bestunden. Der Eine rief: unvergleichlich! der Andre: excellent! und ein Franzose: göttlich!“ Der Erzähler verpasst die Gelegenheit nicht, auch dem standesgleichen Leser seine Ehre zu erbieten: „Ich trank von diesem Nektar nicht viel, aber genug, um Ihre, und unsrer Freunde und Freundinnen in München, Salzburg, Augsburg, Regensburg und Freising Gesundheit zu trinken.“73 69 Zum Typ der Bildungsreise s. Struck: Nicht West – nicht Ost, S. 435 ff; Grosser: Soziale Eliten, S. 165 ff; Winfried Siebers: Bildung auf Reisen. Bemerkungen zur peregrenatio academica, Gelehrten- und Gebildetenreise, in: Maurer: Impulse, S. 177188. 70 Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, S. 240. 71 Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, S. 37. 72 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 206 f. 73 Ebda.
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Auffällig an den Darstellungen der Treffen ist, dass ihnen der historische Kontext fehlt. Die Besuche und Gespräche entbehren jeglicher Aktualität. Den Beschreibungen fehlt jegliches Attribut, das ihre überzeitliche Gültigkeit gefährden könnte. „Nach Tische machte bey Herrn Professor S...d, an den ich von C...r addressiert war, meine Aufwartung, und machte bey diesem mit einem jungen liebenswürdigen geistlichen J...r eine rechte artige Bekanntschaft“74, heißt es bei Heun. Und weiter: „B...g war schon ausgegangen, als mir F...r die Gegenvisite machte, und mich in eine juridische Disputation führte.“75 Besonders auffällig ist diese Darstellungstechnik bei der Wiedergabe von Besuchen bei Personen, die ganz offensichtlich als Folge der Regierungswechsel in der Stadt weilten. Das Ereignis, von dem der Erzähler berichtet, ist das ständige Kommen und Gehen anderer Reisender: „Ich habe seit den wenigen Tagen meines Aufenthalts zu Ebrach bereits sehr angenehme und wichtige Bekanntschaften gemacht. (…) Der aus seinen Schriften bekannte gelehrte Mainzische Professor und Hofrath von Hartleben sammt seiner ganzen Familie, und viele andre ansehnliche Personen, die sich durch Gelehrsamkeit, Geburt oder andre Vorzüge auszeichnen, befinden sich dermalen dahier. Die Gesellschaft ist glänzend und wird täglich durch neue Fremde aus den Mainzer Gegenden, durchreisende österreichische und preußische Offiziere u. s. w. zahlreich und abwechselnd erhalten.“76 Der besondere historische Kontext, in dem die Begegnung mit den Reisenden im Kloster Ebrach steht, war die Belagerung von Mainz im Jahr 1792/1793. Der Erzähler spricht zwar von „Fremden aus den Mainzer Gegenden“. Doch er erwähnt nicht, dass sie vor den französischen Truppen geflohen sein müssen. Beim genannten Professor und Hofrat Hartleben handelt es sich offenbar um Franz Joseph Hartleben, einem liberalen Mainzer Juristen, der sich den Mainzer Republikanern nicht anschloss und vor den Franzosen aus der Stadt floh. Nach seiner Rückkehr nach Mainz soll Hartleben gar als Richter in einer Untersuchungskommission die Hauptakteure der „Clubisten“ untersucht haben.77 Der Erzähler beharrt hier jedoch auf den üblichen Attributen, zu denen Gelehrtheit, Bekanntheit und Unterhaltsamkeit zählen. Der historische Kontext bleibt ausgeblendet. Zum Beschreibungsrepertoire gehört auch eine Ursprungserzählung der gemeinsamen Beziehung: „Zu den verdientesten Lehrern, die neuerlich hierher berufen sind, gehört unstreitig [Gottlieb] H u f e l a n d. Schon seit funfzehn Jahren mit ihm in beständiger Correspondenz wegen der allgemei74 Anonym [Carl Gottlieb Samuel Heun]: Carls vaterländische Reisen in Briefen an Eduard, Leipzig 1793, S. 250. 75 Anonym [Heun]: Carls vaterländische Reisen, S. 252 76 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 149 f. 77 S. Bockenheimer, Art. Franz Josef Hartleben, in: ADB Bd.: 10, S. 667 f.
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nen Litteraturzeitung, habe ich mich sehr gefreuet, die persönliche Bekanntschaft zu erneuern, die ich in Jena machte. Wir unterhielten uns jetzt über manche Gegenstände, die mir seine Kenntnisse noch in einem vielseitigeren Licht zeigten. Sie werden ihn bald als einen scharfsinnigen Staatswirthschaftlichen Schriftsteller auftreten sehen.“78 Immerhin gibt Eggers Erzähler preis, das Hufeland kurz vorher „hieher berufen worden ist“, doch damit hat es sein Bewenden. Der Reisende und Hufeland hätten über „manche Gegenstände“ gesprochen, nicht aber über den Übergang Würzburgs an Bayern, die Krise der Universität Jena oder gar den Verlauf der Koalitionskriege. Auch die Begegnung mit dem Syndikus der Universität blendet deren jüngste Reform aus. „Der Universitäts-Syndikus Herr Stalpf, der mir während meinem Aufenthalte zu Würzburg sehr viel Freundschaft erwieß, hat seine Gelehrsamkeit bereits durch einige schöne Dissertationen bewiesen.“79 Der Ort, an dem die direkten Sozialkontakte stattfinden, ist meistens das Haus des Bekannten, Freundes oder Kollegen in Würzburg oder der Gasthof des Reisenden. In Küttners Reisebericht betrachtet der Erzähler im Dom Gemälde des Würzburger Malers Christoph Fesel. Der Erzähler besuchte Fesel daraufhin und bemerkte, dass er „ein besseres Schicksal verdient, als zu Würzburg vergessen zu leben.“80 Als Kritik am fehlenden Kunstinteresse der Bevölkerung oder der Regierung des Hochstifts verstanden, weist der Erzähler damit auf eine zeitgebundene Entwicklung hin. Doch Bemerkungen wie diese sind die große Ausnahme. Die Erzähler vermieden Aktualitäten. Denn diese hätten die überzeitliche Gültigkeit der Texte gefährdet.
6.2.2. Selbsterfindung am Würzburger Talkessel Das Autopsie-Ideal verlangte es, dass die Erzähler die Wege beschrieben, die sie nach Würzburg führten. Die meisten von ihnen nahmen, aus dem zentralen Norden kommend, die Route über Schweinfurt und Werneck. Einige wenige erreichten die Stadt, aus Bamberg kommend, im Osten und fuhren vom Grainberg ins Tal. Sie sahen die Stadt in etwa aus dem Blickwinkel, den der Stich „Würzburg vom Steinberge aus“ einnimmt (Abb. 8). Die aus dem Westen und Süden, aus Frankfurt, Ansbach und Erlangen eintreffenden Routen dagegen befuhren die Reisenden nur selten. Die aus dem Norden und Osten Ankommenden erreichten die Stadt nicht durch das Maintal, sondern fuhren über ein großes Plateau bis zum Rand des Talkessels, von dem aus die Stadt zu ihren Füßen lag. 78 von Eggers: Reise durch Franken, S. 195. 79 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 231. 80 Küttner: Reise in den Jahren 1797, 1798, 1799, S. 374.
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An diesem Ort, dem Rand des Würzburger Talkessels und auf der Anhöhe des Steinbergs, beschreiben die Erzähler die Stadt zum ersten Mal: „Eine Stunde aber, ehe man sich Würzburg nähert, sieht man die Festung Marienberg und einen Theil der Stadt tief im Grunde vor sich; diese Aussicht wird immer interessanter, je näher man sich der Festung nähert. Hat man endlich diese zur Rechten, so ist das auch gerade der rechte Standpunkt, wo sich Würzburg und die umliegende Gegend in ihrem vortrefflichen Lichte zeigen.“81 Einen ähnlichen Eindruck vermittelt der Erzähler bei Baader: „Wie wir uns der Stadt näherten, zogen sich die Weinberge, die wir immer vor uns hatten, näher zusammen, und endlich erblickten wir die Residenzstadt Würzburg mit ihren ansehnlichen Thürmen, Pallästen, und der großen im Hintergrunde emporragenden Bergvestung.“82 Bei Abegg kommt der Wagen, in dem der Reisende sitzt, sogar tatsächlich zum Stehen: „Gegen 5 Uhr des Nachmittags hielt ich schon auf der linken Seite der Würzburger Zitadelle, und ruhte mit meinen Augen über dem herrlichen, reichen Thal, in welchem der Main auch auszuruhen scheint: so wenig bemerkt man sein Fortfließen!“83 Ahlefelds Erzählerin nimmt dieselbe Route, bedauert aber, dass die Nacht bereits angebrochen ist: „Als wir uns Würzburg näherten, konnten wir nicht viel mehr von den anmuthigen Umgebungen dieser Stadt sehen, weil die Abenddämmerung schon ihren Flor über das Thal breitete, indem uns zur linken Hand der Main in vielfachen Krümmungen durch Nebenhügel sich schlängelte.“84 Es ist nicht der erhöhte Blick allein, es ist vor allem die Weite und Großflächigkeit, „toute l’étendue de la ville“,85 die Eindruck macht. Die Erzähler beschreiben die Stadt von ihrem erhöhten Standpunkt meist bewundernd. Einige bezeichnen die Hügel, die sich um die Stadt legen, als Amphitheater.86 Kesslers Erzähler dagegen empfindet die Stadt schon jetzt als eintönig. „Würzburg ist ringsum von Hügeln eingeschlossen, dadurch erhält die Gegend ein einförmiges, für den Fremden höchstens nur auf wenige Tage reizendes Aussehen.“87 Mit der Beschreibung Würzburgs vom Rand des Talkessels fassen die Reisenden nicht nur ihren ersten Eindruck von der Stadt in Worte, sie geben damit auch ein darstellerisches Programm vor. Die Stadt erscheint 81 Anonym: Reise eines Ungenannten, S. 186; ein ähnliches Bild bei Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 187; Graffenauer: Lettres écrites, S. 56. 82 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 164. 83 Abegg: Reisetagebuch von 1798, S. 16. 84 Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, S. 244 f. 85 Graffenauer: Lettres écrites, S. 56. 86 Graffenauer: Lettres écrites, S. 56; Küttner: Reise in den Jahren 1797, 1798, 1799, S. 371. 87 Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, S. 36.
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als ein von Kultur und Natur gleichermaßen geformtes Ensemble, wobei mit Kultur in erster Linie Architektur und Städtebau gemeint ist. Dies wird dadurch am auffälligsten, dass der Ort, von dem aus die Reisenden auf die Stadt blicken, Schauplatz einer verheerenden Schlacht war, der sogenannten Schlacht von Würzburg: „Am 2. und noch intensiver am 3. September [1796] wurde die Schlacht von Würzburg auf einer Länge von mehr als zwölf Kilometern vom Steinberg bis in den Raum Prosselsheim zwischen etwas mehr als 30 000 Mann der französischen Armee – eine Division bei Schweinfurt kam nicht zum Einsatz – und etwa 44 000 Mann des österreichischen Heeres ausgefochten.“88 Nach der Schlacht zündeten die Franzosen „zur Sicherung ihres Rückzugs“89 die Dörfer an, die auf dem Plateau lagen. Diese Schlacht findet jedoch in keinem der 15 publizierten Reisebriefe Erwähnung. Nur Abeggs Briefe, die erst die Nachfahren publizierten, benennen den Ort als ehemaligen Kampfplatz. „Der Weg führt über das Schlachtfeld, wo Erzhrz. Karl den General Jourdan im September 1796 geschlagen hat. Eine traurige Merkwürdigkeit dieser Gegend, zu theuer durch das Leben, das Glück vieler Tausender erkaufet!“90 Bei Eggers sticht die Auslassung dadurch besonders hervor, da er sogar die weite Fläche beschreibt, über die der Wagen fährt: „Von Werneck nach Würzburg haben Sie noch drei Meilen treffliche Chaussee. … Der Weg geht auf einer hohen Ebene fort…“91 Das tut auch Wittmanns Erzähler: „Der Weg nach W ü r z b u r g geht durch ein schönes offnes Land voll schöner Weingärten und reicher Kornfelder.“92 Die Aussparung wirkt dadurch noch auffälliger, dass die Erzähler sich am selben Ort als neugierige und umfassend interessierte Forscher konstituieren, die unentwegt „sehen“, „erblicken“ und „erkunden“. Eggers Erzähler beobachtet mit einem „forschenden Auge“. Der Erzähler des Anonymus tut seinen Forscherdrang kund, indem er seiner Enttäuschung über verschlossene Räume Ausdruck verleiht. Ein anderer teilt selbst mit, dass er ein Kloster seiner zu großen Entfernung wegen nicht besuchen konnte.93 Der Erzähler der „Romantischen Reise“ erklärt, dass er sich auf Reisen nur selten im Gasthof 88 Hans-Peter Baum: Die Schlacht bei Würzburg vom 1. bis 3. September 1796, in: Wagner, Stadtgeschichte 2, S. 203-205, hier: S. 204 f. 89 Ebda. 90 Abegg: Reisetagebuch von 1798, S. 19. 91 Von Eggers: Reise durch Franken, S. 172. 92 William Wittmann: W. Wittmann’s Reisen in der europäischen Türkey, Kleinasien, Syrien und Aegypten: nebst Bemerkungen über die Pest und andern in der Türkey herrschenden Krankheiten, wie auch einem meteorologischen Tagebuche, Leipzig 1804, S. 205. 93 Ein Beispiel aus der „Reise eines Ungenannten“: „Das Innere desselben blieb mir zur Zeit verschlossen, da der französische Commendant es gegenwärtig bewohnte, und die kostbarsten Mobilien und Gemählde nach Sachsen-Meinungen geschafft worden waren, wo gegenwärtig der Fürst-Bischoff sich hingeflüchtet hatte.“, S. 187.
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aufhalte, „weil ich meine Muße lieber Betrachtungen und Erkundigungen widme.“94 Kesslers Erzähler bezeichnet sich als überfordert, da er in kurzer Zeit „tausend Gemälde“95 betrachtet habe. Das „Autopsie-Ideal“, von dem Maurer spricht, gilt also nicht allumfassend. Die Beschreibung der bereisten Orte passt sich einem Beschreibungs-Programm an, das Aktualitäten ausklammert. Die Autopsie erfährt damit Einschränkungen, deren Konturen im Folgenden noch deutlicher herausgearbeitet werden sollen.
6.2.3. Den Kanon selbst entdecken In der Regel beschreiben die Reisebriefe einen recht festen Kanon an Sehenswürdigkeiten Dazu gehörte das Juliusspital, der Dom, die Residenz, oft noch die Mainbrücke. Darüber hinaus widmeten die Erzähler dem Stadtbild oft eine eigene Reflexion.96 Es sind in aller Regel dieselben Orte, welche die Erzähler besuchen und die als Belege „literarisch-ästhetischer Zeugenschaft“97 dienen. Ein tatsächliches Neuentdecken, die Erforschung unbekannter Straßenzüge oder Ortsteile, der Besuch abgelegener Kirchen, Klöster oder anderer als Regierungs- oder Kirchengebäude findet nicht statt. Natürlich gibt es eine Reihe von Ausnahmen. Der Erzähler bei Thon erwähnt die Stück- und Glockengießerei, bei Baader einen Gewehrmacher, bei Eggers das Waisenhaus, und Heuns Erzähler lobt gar „das fränkische berühmte Rindfleisch“98. Dennoch beharren die Reisebriefe in der Gesamtschau auf einen festen Kanon. Die stark ausgeprägte Bindung an ein Repertoire steht in Spannung zu dem selbst geäußerten Autopsie-Ideal, das bereits nachgezeichnet wurde. Die Auswahl der Orte steht zu diesem ostentativen Entdeckerdrang in einer Spannung, welche jedoch den Rezensenten nicht negativ auffiel. Darauf wird der letzte Abschnitt dieses Kapitels zurückkommen, der sich mit der Rezeption der Reisebriefe beschäftigt. Der reproduzierte Kanon sollte einerseits sicherlich den Absatz des Werkes garantieren. Der Verkauf eines Reisebriefs aus Würzburg, der die Residenz nicht als Sehenswürdigkeit erwähnt, ist schwer vorstellbar. Andererseits repräsentiert die Auswahl der Gebäude jedoch auch ein bestimmtes Staatsbild. Der Erzähler stellt dem Leser nicht nur Bauwerke vor, sondern damit immer auch Funktionen: den Dom als Bischofssitz, die Festung Marienberg als ehemaligen Fürstensitz, die Residenz als aktuellen Hof, das Juliusspital als Träger 94 95 96 97 98
Annym [Thon]: Romantische Reise, S. 188 f. Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer, S. 39 Zum Stadtbild s. Struck: Nicht West – nicht Ost, S. 270 ff. Siebers: Bemerkungen, S. 185. Anonym [Heun]: Carls vaterländische Reisen, S. 296.
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der christlichen Caritas. Die Ortsauswahl allein verdeutlicht das Staatsverständnis des Erzählers jedoch noch nicht hinreichend, zumal der literarische Markt die Reproduktion des Kanons verlangte. „Aber wie heiterte sich mein ganzes Gesicht auf, als ich die große Straßen und die prächtigen Palläste entdeckte!“99, heißt es bei Heun. „Keiner von diesen [Plätzen] ist schöner und geräumiger als der vor der Residenz befindliche“100, bei Baader. Carl Gottlob Küttners Erzähler gesteht, dass er „umherdenken mag, wie ich will, und kaum eine Stadtresidenz finde, die ein so schönes und großes Ganze ausmacht, wie die des Bischofes von Würzburg“101 Die Dimension der Residenz empfindet der Erzähler als übertrieben: „Fast ist man geneigt, sich einige Spöttereyen zu erlauben! So könnte man fragen, zu welchem Gebrauche ein so großes Gebäude sey?“102 Bruns Erzählerin nimmt gar nur Gebäude entsprechender Größe war: „So still wars in den langen Straßen zwischen den hohen, schönen Pallästen, daß unsere Fußtritte und unsere Worte schallten!“103 Gemeinsam ist den Erzählern das Lob von Größe und Weite der Residenz und des herrschaftlichen Palais zwischen Dom und Residenz. Die Wertschätzung der Weite des Residenzgebäudes und -platzes findet in der Geringschätzung von Kleinräumigkeit ihren Widerpart. Nüchtern beschreibt der Erzähler bei Eggers: „W ü r z b u r g ist eine mäßig große Stadt von etwa 1900 Häusern und 17000 Einwohnern, gut gebauet, doch meistens in engen Gassen.“104 In Thons Abwertung vermischt sich die Abwertung von Enge und Unsauberkeit: „Die Straßen, die Domgasse ausgenommen, sind enge, und wenn schlechtes Wetter einfällt, mit Koth und Schmutz bedeckt, und die Häuser zum Theil niedrig.“105 Bei Graffenauer heißt es: „Les rues de Würtzbourg en général sont étroites, excepté quelques-unes qui sonst larges et bien coupées.“106 Heuns Erzähler, der den Schlossplatz lobt, bemängelt allerdings nicht nur die kleinen Häuser, sondern auch den Residenzgarten, der hinter dem Gebäude liegt. Er sei „äußerst klein und unansehnlich“107. An anderer Stelle drückt dieser Erzähler jedoch in einem Satz aus, was bei den anderen in verschiedenen Absätzen steht: „Der Schloß-Platz ist einer der schönsten, die ich je gesehen habe, nur sollten die gegenüber stehenden alten Gebäude weggerissen werden, welches auch wahrscheinlich zu erwarten steht.“108 Nicht 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108
Anonym [Heun]: Carls vaterländische Reisen, S. 246. Anonym: Reise eines Ungenannten, S. 187. Küttner: Reise in den Jahren 1797, 1798, 1799, S. 371. Küttner: Reise in den Jahren 1797, 1798, 1799, S. 372. Brun: Episoden aus Reisen, S. 9. Von Eggers: Reise durch Franken, S. 173 f. Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 182. Graffenauer: Lettres écrites, S. 56. Anonym [Heun]: Carls vaterländische Reisen, S. 275. Anonym [Heun]: Carls vaterländische Reisen, S. 274.
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alle Reisebriefe unterscheiden so deutlich wie die hier zitierten zwischen Residenz und Stadt. Kesslers Erzähler etwa erwähnt die Straßen und Gassen der Stadt gar nicht. Bei ihm heißt es lediglich: „Durch das prächtige Schloß wird die Stadt zu einer der vorzüglichsten in Deutschland.“109 Und nicht alle Erzähler verwenden die genannten Attribute von Weite und Enge. Doch in der Gesamtschau verläuft eine recht eindeutige Trennlinie. Auf der einen Seite liegen die Residenz, der Dom und das Juliusspital, auf der anderen das Ensemble, das die Reisebriefe als Stadt bezeichnen. Wie stark die Gestalt der Gebäude für ihre Funktion steht, mögen die Passagen über das Juliusspital zeigen. „Die vortreffliche innere Einrichtung entspricht vollkommen dem schönen Eindruck, welchen das prachtvolle Gebäude macht.“110 Die moralische Vervollkommnung des Hauses, in dem die Pfleger und Ärzte sich aufopfernd um die Kranken kümmern, spiegele sich in der Architektur des Gebäudes und der Ausstattung wider, heißt es bei Kessler. Viele der Beschreibungen des Juliusspitals, übrigens in den Reisebriefen der meist besuchte Ort noch vor der Residenz und dem Dom, verbinden in ihrer Darstellung Form und Zweck. Bei Ahlefeld korrespondieren die „vortreffliche Einrichtung“ mit der „edelsten Toleranz“111 der Krankenwärter und Ärtze. Lentins Erzähler, einziger medizinischer Experte unter den Erzählern, denkt Form und Sinn ebenfalls zusammen: „Das Äussere des Instituts übertrift die Erwartung, die man sich davon macht“, denn „im Innern ist es geräumig, hat helle Gänge, mit kleinen Springbrunnen versehn, hohe Zimmer, gehörige Luftreiniger.“112 Auch Küttners Erzähler stellt diese Verbindung her. Es „ist ein Gebäude von solchem Umfange und Ansehen, daß ich es auch in den Europäischen Hauptstädten vom zweyten Range bemerken und noch immer sehr wichtig finden würde.“113 Was viele Reisebriefe an der inneren Einrichtung so bewundern, ist die starke Differenzierung der Kranken, die je nach Krankheitsbild in unterschiedlichen Stationen behandelt werden. Die Beschreibung der „venerisch“ Kranken, die unter Geschlechtskrankheiten leiden, und der „Wahnsinnigen“, der psychisch Kranken, und deren Diagnosen, die den Besuchern von den anwesenden Ärzten mitgeteilt werden, nehmen die Erzähler voller Bewunderung zur Kenntnis. Besonders detailreich ist die Darstellung bei Lentin, der seine Reisebriefe als medizinisches Lehrbuch versteht.114 Die Architektur des Juliusspitals symbolisiert die Fortschrittlichkeit der medizinischen Versorgung im Inneren, wie sich die hohe Qualität in der Be109 110 111 112 113 114
Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, S. 36. Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, S. 37. Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, S. 245. Lentin: Medizinische Bemerkungen, S. 30 f. Küttner: Reise in den Jahren 1797, 1798, 1799, S. 373. Lentin: Medizinische Bemerkungen, S. 35 ff.
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handlung der Kranken in der Anlage widerspiegelt. Die Universalität der Vervollkommnung des Spitals schreiben die Erzähler der Figur des Stifters zu. Nicht nur in diesem Fall spielt der Fürst die Rolle eines Heilsbringers.
6.2.4. Der Fürst als Heilsbringer „Die fast ganz neue Wiederaufführung und neue Einrichtung des vor einigen Jahrhunderten gestifteten Julius Hospitals würde allein hinreichend seyn, seinen Namen unsterblich zu machen.“115 Julius Echter von Mespelbrunn, Fürstbischof zwischen 1576 und 1616, ist einer der präsentesten Persönlichkeiten in den Reisebriefen. Meist wird er im Zusammenhang mit dem Juliusspital genannt. Er habe das Spital „den Leiden und Schwächen der Menschheit“116 errichtet, so Ahlefelds Verfasserin. „Beym Antrit seiner Regierung fand er sein Stift entweder verödet, oder versetzt, oder mit Schulden belastet. Er gab demselben bald eine neue Gestalt“117, heißt es bei Baader. „Zu den Merkwürdigkeiten der Stadt gehört das reiche und wichtige Juliusspital mit der musterhaften Einrichtung“118, berichtet der Erzähler bei Thon. Dieser würdigt auch die Wiedereröffnung der Universität 1589, die Echter „mit reichen Einkünften versehen“ habe. Neben Echter, der in der heutigen Forschung in erster Linie wegen seiner entschiedenen Rekatholisierungsmaßnahmen rezipiert wird, erwähnen die Verfasser weitere Fürstbischöfe. Küttners Erzähler erinnert beim Anblick der Residenz an die hohen Belastungen der Bevölkerung wegen der immensen Baukosten. Die habe Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn jedoch in Kauf genommen, da er wusste, „dass ein Land nur wenig dadurch gewinnt, dass man ihm die Lasten abnimmt, die es einmahl zu tragen gewöhnt ist“119. Das „vom Bischof Hutten angelegte Schloß“, heißt es bei Thon, „ist ein Meisterstück in der Baukunst, die hier alles gethan hat, was derselben nur möglich ist. Schöne Anlage, Gleichheit im Ganzen, wie im Einzelnen, prächtiges Aeußere, und Dauerhaftigkeit mit Zierrathen verbunden, macht dieses fürstliche Wohngebäude zu einem der schönsten Fürstensitze Deutschlands.“120 Ein anderer häufig gewürdigter Fürst ist Franz Ludwig von Erthal. Allein in Baaders Reisebriefen taucht er vier Mal auf. Erthal nehmen die Reisebriefe einerseits als Erbauer des neuen Juliusspitals wahr. Er lebe noch „in
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Meermann: Reise durch Preussen, S. 284. Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, S. 245 f. Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 209. Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 183. Küttner: Reise in den Jahren 1797, 1798, 1799, S. 372. Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 182.
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den musterhaften Armen- und Kranken-Anstalten von Würzburg“121, lässt Lentin seinen Erzähler urteilen. Andererseits loben die Erzähler ihn als Reformer der Universität. Die Fürsten sind es, in denen sich geschichtliche Prozesse bündeln. Aktuelle Ereignisse stellen zwar die große Leerstelle der Reisebriefe dar. Wenn sie dennoch erwähnt werden, dann innerhalb der Fürstenporträts oder ihrer Regierungen.122 Eggers Reisbrief widmet sich der Universitätsreform ab 1803: „Seit der Regierungsveränderung hat die Universität noch bedeutend gewonnen. Der Curator, Graf T h ü r h e i m hat sich schon große Verdienste darum erworben. Er hat mehrere geschickte, allgemein berühmte fremde Lehrer nach Würzburg gezogen, auch sucht er die literarischen Hülfsmittel unablässig zu erweitern. Die Anzahl der Studenten ist schon auf 700 angewachsen. In ökonomischer Rücksicht gewährt diese Frequenz der Stadt schon einigen Ersatz für den Verlust der Hofhaltung.“123 Er beschreibt die ganze Stadtentwicklung als Werk der Regierung: „Die Stadt enthält viele Denkmale einer lange fortgesetzten guten Regierung.“ Wertend fügt er hinzu: „Wären die geistlichen Fürsten immer so, als die Würzburgischen, mehrere Menschenleben hindurch, so wollte ich mich mit dem Krummstab aussöhnen.“124 Eggers unternahm seine Reise im Jahr 1804, als die geistliche Regierung bereits aufgelöst und Würzburg Bayern zugehörig war. Graffenauers Erzähler erklärt die Krise der Universität nach 1806 nicht mit der Finanznot der Einrichtung, sondern eindeutig als Konsequenz der Abwesenheit des bayerischen Königs: „Mais depuis le Roi de Bavière a cédé le pays, elle a perdu plusieurs de ses meilleurs professeurs et elle commence à tomber en décadence.“125 In den derzeitigen Kriegen täten sich die Fürsten und ihre Staatsdiener als Retter des Volks hervor. „Der Regierungspräsident von Bamberg, Freiherr Groß, in Würzburg erzogen und gebildet, rettete das ganze Land bei dem Einfall unter General Jourdan, durch seinen Muth, seine Klugheit, seine Selbstverläugnung.“126 Bei Baader heißt es: „Den Domschatz der sehr kostbar seyn soll, konnte ich nicht sehen. Aus Furcht vor denen Franzosen, oder vielmehr aus kluger Vorsicht für alle Fälle wurde derselbe gleich nach der Einnahme von Mainz, 121 Lentin: Medizinische Bemerkungen, S. 30. 122 Auch Johann Gottfried Seume arbeitete sich in seinen politischen Beobachtungen fast ausschließlich an der Person Napoleons ab, s. Jörg Drews: Ein Mann verwirklicht seine ‚Lieblingsträumerey’. Beobachtungen zu Details von Seumes ‚Spaziergang’ nach Syrakus, in: Wolfgang Albrecht, Hans-Joachim Kertscher (Hg.): Wanderzwang – Wanderlust, Tübingen 1999, S. 200-214, hier: S. 210. 123 Von Eggers: Reise durch Franken, S. 194 f. 124 Von Eggers: Reise durch Franken, S. 175. 125 Graffenauer: Lettres écrites, S. 60. 126 Von Eggers: Reise durch Franken, S. 198f.
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in Kisten gepakt, und auf mehreren Wägen, während ich noch in Würzburg war, von da weggeführt.“127 Lentins Verfasser bezeichnet seine gefahrlose Passage durch den Spessart als „Verdienst der Churmainzer Landesregierung, die diesen Wald durch ihre Husaren von Räubern reine hält.“128 Die Einwohner von Stadt und Hochstift erscheinen dementsprechend als dankbare Empfänger fürstlicher Wohltaten: „Ihrer vorigen Regierung von ganzer Seele ergeben, haben sie ihre Anhänglichkeit in der Probe von Feuer und Schwerdt oft und willig besiegelt. Aber – einmal durch die eiserne Nothwendigkeit gezwungen, sich unter einer andern Herrschaft zu schmiegen – wird es der jetzigen Regierung nicht schwer fallen, sie zu gewinnen, wenn sie mit Klugheit und Vorsicht zu Werk geht.“129 Das Volk als Masse zu beschreiben, das von der Regierung erweckt werden will, ist ein Denkmuster, das auch bei Baader auftaucht. „Zu edlen, patriotischen für das Vaterland und für die Menschheit überhaupt wohlthätigen Handlungen sind sie nicht nur empfänglich, sondern leicht zu bewegen, wenn Ein einziger Mann aufsteht, und seinen Mitbürgern und Mitbürgerinnen Ein Wort ans Herz spricht.“130 Die Verfasser erwähnen die Herrschaftswechsel in den Fürsten- oder Regierungsporträts, nicht als historische Entwicklungen. Geschichtserzählungen existieren nur als Biographien. Soziale Dimensionen der Herrschaftswechsel tauchen folgerichtig in den Reisebriefen nicht auf. Einer der Erzähler reflektiert zwar über die Säkularisation, doch seine Überlegungen, welche die üblichen Vorurteile von der Faulheit und Gefräßigkeit der Mönche bedienen, münden in den Aufruf an die Regierung, die Personalstruktur der Klöster zu ändern: „Man soll daher die Stifter keineswegs aufheben, sondern nur besser organisiren, sie nicht mit müßigen, und dummen, sondern mit gelehrten und verdienten Männern besetzen, die der Kirche und dem Staate wie immer, nämlich als Schriftsteller, als Lehrer, oder als Räthe nützen.“131 127 128 129 130 131
Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 244 f. Lentin: Medizinische Bemerkungen, S. 29. Von Eggers: Reise durch Franken, S. 197 f Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 244. Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 224. Mönchsschelte taucht nur in drei Reisebriefen auf. Dies sei kurz erwähnt, auch wenn die Mehrzahl der Reisebriefe Kleriker als Gruppe nicht abgrenzen. Der Erzähler bei Heun macht aus seiner tiefen Abneigung gegen Mönche bei einem Klosterbesuch kein Geheimnis. „Die ganze Beschäftigung dieser unnützen Thiere ist singen, beten und – betteln“, beschreibt der Erzähler das Würzburger Kapuzinerklosters 1791. Ähnliche Sarkasmen widmet er dem Priesterseminar, dem Ursulinenkloster und der Kartause, s. Anonym [Heun]: Carls vaterländische Reise, S. 272 ff. Der zweite Erzähler weitet die Schelte auf die Einwohner aus: „Heiligenbilder und Gemählde findet man fast an allen Häusern; in einem katholischen Orte wie dieser, wo so einige hundert Pfaffen das Regiment führen, ist das nichts auffallendes“, s. Anonym, Reise eines Ungenannten, S. 192; Abeggs Erzähler berichtet zuletzt von „Kapuzinerspäßen“ bei Tisch in seinem Gasthof, s. Abegg: Reisetagebuch von 1798, S. 19 f. Alle drei Reisebriefe wurden vor
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Eine große Ausnahme stellen daher die Reflexionen über das Heeresergänzungsgesetz bei Eggers dar. Die Passage stellt die einzige in allen Reisebriefen dar, die einen konkreten Aspekt der Umbrüche thematisiert und auch seine sozialen Folgen wahrnimmt. Außerdem übt Eggers Erzähler als einziger ausführliche Kritik an der neuen bayerischen Regierung. Er bemängelt, dass das neue Gesetz zur Militärkonskription einerseits zum allgemeinen Waffengang verpflichte und den Dienst an der Waffe gleichzeitig als Strafe für verurteilte Verbrecher einsetze: „Was soll der gemeine Mann von dem Dienst denken, wenn der Gesetzgeber selbst ihn auch nur in einem einzigen Falle als Strafe ansieht? Glauben Sie ja nicht, daß dergleichen Bemerkungen dem Volk entgehen: wir übersehen ihren Einfluß nur zu oft, weil wir bei weitem nicht auf den gesunden Menschenverstand rechnen, was wir sollten. Man klagt häufiger über die Unwirksamkeit der Gesetze, als man sich bemühet, den Ursachen nachzuspüren.“132 Selbstverständlich sitzt der Erzähler hier einem Irrtum auf. Er ignoriert, wie im Kapitel über das kleine und mittlere Bürgertum dokumentiert, dass Kurbayern den Dienst an der Waffe eben nicht mehr als Strafe verstanden wissen wollte und die Konskription als Strafe daher stark einschränkte.
6.2.5. Das Volk als Masse Dem Volk kommt jedoch nicht nur die Rolle eines Empfängers fürstlicher Heilstaten zu. Heuns Erzähler berichtet: „Der ganze Main wimmelte von Kähnen, Nachen, Holzschiffen und Jachten, die theils ankamen, theils abgiengen: hier landete eine Parthie Juden, dort ward eine Heerde Gänse eingeschifft, hie stieß eine niedliche Jacht mit einer fröhlichen Gesellschaft ab, dort legte ein großes Frachtschiff vor Anker.“133. Er freut sich über „das Gewühl der Menschen, das ich so gerne sehe, denn es verräth Fleiß und Gelegenheit zum Fleiße, machte mich noch froher, und ich lief mehr, als daß ich gieng.“134 Der Erzähler nimmt die Menschen als fleißige und muntere Schar wahr, die sich durch ihren Arbeitseifer auszeichnet. Dieses Motiv verwenden auch andere. Bei Baader heißt es, „wie wir zu Würzburg das erste Mal an das der Säkularisation veröffentlicht und haben daher keine generelle Aussagekraft für den Untersuchungszeitraum. 132 Von Eggers: Reise durch Franken, S. 252 f. 133 Anonym [Heun]: Carls vaterländische Reisen, S. 248; Auf den judenfeindlichen Vergleich zwischen der Gruppe von Juden und der Gänseschar wird hier nicht eingegangen. 134 Anonym [Heun]: Carls vaterländische Reisen, S. 247; Ein ähnliches Motiv findet sich bei Lentin: Medizinische Bemerkungen, S. 29.
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Maynufer kamen, staunten mein Bruder und ich über die Lebhaftigkeit und das Gedränge, welches wir da fanden.“135 An anderen Orten als den Arbeits-Orten beobachten die Erzähler Menschenansammlungen deutlich seltener. Als Schiffer oder Händler am Main fungierten die Einwohner in der Reisebriefen deutlich häufiger als auf der Mainbrücke, ab 1804 im Kaffeehaus des Theaters und am sogenannten Roten Kreuz, einem Vergnügungsort am Stadtrand. Eggers Erzähler nimmt die Menschen nicht als tätige Menschen, sondern die Menschen als Tätigkeit wahr. „In der Stadt herrscht mehr Gewerbsamkeit und Verkehr, als ich erwartet hatte.“136 Und bei Abegg heißt es: „In den Weinbergen war alles lebendig.“137 Die Erzähler charakterisieren die Einwohner nicht nur durch ihre Arbeit, sie behaupten auch einen Einklang von Mensch und Arbeit. „Desto lustiger“, heißt es bei Heun, „geht es in der Stadt zu, der Kaufmann und Handwerker haben Verdienst, weil der Bauer reich ist“138. Lentins Erzähler gibt eine Szene wieder, in der Winzer in den Weinbergen mit dem Lesen beschäftigt sind: „Die Weinlese gab diesen Ansichten Leben und Munterkeit. Die Gaben des Rebengottes wurden unter Jubeln und Scherzen eingesammelt.“139 Und Baaders Erzähler kündigt den Besuch bei einem Handwerker mit den Worten an: „Ich freute mich die Bekanntschaft dieses 70jährigen noch sehr muntern und thätigen Mannes zu machen.“140 In einigen Reisebriefen stellen die Verfasser einen Zusammenhang zwischen dem landwirtschaftlichen Reichtum des Landes und dem Aussehen der Bevölkerung her: „Das ganze Land ist gut angebaut, stark bevölkert, von wohlhabenden, gutartigen, verhältnißmäßig aufgeklärten Menschen bewohnt“141, heißt es bei Eggers. Die Erzähler propagieren damit nicht nur eine Naturverbundenheit der Bevölkerung, sondern zählen sie zu den Naturerscheinungen. Bei der Anreise aus dem Fuldischen bemerkt der Erzähler bei Eggers: „Nur die vielen einzelnen Fruchtbäume am Wege und auf dem Felde bezeichnen gleich bei dem ersten Anblick das Klima und die Lebensweise des südlichen Deutschlands.“142 Erstaunlich ist, dass Eggers damit jedoch nicht Gelassenheit, sondern deren Gegenteil meint: „Es ist, als gewahre man schon bei ihnen, im Vergleich mit den nördlicheren Nachbaren, einen deutlicheren Einfluß des wärmeren Klima’s. Sie sind reizbarer, heftiger, aber minder anhaltend in der Leiden135 136 137 138 139 140 141 142
Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 214. Von Eggers: Reise durch Franken, S. 180. Abegg: Reisetagebuch von 1798, S. 16. Anonym [Heun]: Carls vaterländische Reisen, S. 285. Lentin: Medizinische Bemerkungen, S. 47. Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 240. Von Eggers: Reise durch Franken, S. 175. Von Eggers: Reise durch Franken, S. 173.
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schaft.“143 Bruns Erzählerin konstatiert das Gegenteil, nämlich ein Missverhältnis zwischen Land und Leuten: „Es ist eine gewisse träge Unzufriedenheit in der Stimmung des Volkes in den Bisthümern bemerkbar, die unangenehm mit der Fülle ihres Landes absticht.“144 Der Einklang mit der Arbeit ist das am häufigsten verwendete, jedoch nicht das einzige Attribut der Einwohner. Zu den Attributen des Volkscharakters zählen bisweilen auch physische Merkmale. Witmans Erzähler beschreibt die bayerische Bevölkerung als „healthy, robust, and well looking people.”145 Bruns Erzählerin changiert zwischen Aufzählung und Abneigung: „Die Weiber noch immer besonders groß und schwer. Die Männer auffallend kleiner. Das Volk in den Bisthümern scheint mir beydes dumpf und unzufrieden.“146 Versöhnlicher formuliert einer der anonymen Verfasser: „Die Würzburger scheinen dem Aeußern nach dienstfertig, gefällig und gastfrei zu seyn.“147 Der Volkscharakter gehört zu den gleichbleibenden Faktoren der Stadt wie das Klima oder die Anzahl der Kirchtürme. Derselbe Erzähler betrachtet allerdings den Grad der Aufklärung als kritisch. „Wenn sie hier und da auch ein mönchisch Vorurtheil hervorblicken lassen, so sind sie nicht mehr so weit zurück um einzusehn daß ein Ketzer auch ein guter Mensch seyn könne.“148 Bei Brun heißt es: „Sie scheinen durch den alles zusammen werfenden Geist der Zeit aufgerüttelt worden zu seyn, aus dem langen Schlafe, ohne jedoch noch zu wissen, was sie eigentlich wollen.“149 Es fällt bei den Beschreibungen auf, dass die Erzähler mit dem „Volk“ nicht etwa die Bevölkerung des Hochstifts meinen, sondern die bäuerlichen Schichten. Der Main und die Weinberge als die am stärksten belebten Orte unterstützen diesen Eindruck. Das kleine und mittlere Bürgertum der Handwerker und Händler findet dagegen keine Erwähnung, weil sie für diese schwerer überzeitlichen Beschreibungstopoi finden ließen. Die Reisebriefe propagieren ein Idyll, das wie bei den übrigen Beschreibungen nur durch die Ausblendung von Aktualität aufrecht erhalten werden kann. Es überrascht, dass noch an der Wende zum 19. Jahrhundert überkommene Korrespondenzen wie die zwischen Natur, Gemüt und Arbeit in einem Geistesprodukt auftauchen, das den Regeln des Markts gehorchen muss. Wenn man nach dem Beobachtungsstandpunkt der Erzähler bei den Beschreibungen des Volks fragt, fällt die große geographische Distanz auf. Es 143 144 145 146 147 148 149
Ebda. Brun: Episoden aus Reisen, S. 10. Wittmann: W. Wittmann’s Reisen, S. 487. Brun: Episoden aus Reisen, S. 9. Anonym: Reise eines Ungenannten, S. 192. Ebda. Brun: Episoden aus Reisen, S. 10.
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scheint eine Gemeinsamkeit der Reisebriefe zu sein, dass ihre Erzähler die beschriebenen Gruppen aus großer Entfernung betrachten. Nur sehr wenige Reisebriefe geben persönliche Begegnungen mit nicht standesgemäßen Personen wieder. Einer davon ist erneut Abeggs. Dessen Erzähler beschreibt, er habe in einem Wirtshaus zwei weichgesottene Eier gespeist und dafür den Spott von der Wirtsfrau geerntet: „Dies ist eine Schneiderskost! wohl bekomm sie!“150 Auch die übrigen Gäste, die während seiner Rast im Gasthof auftauchen, fließen in die Brieferzählung ein. Ein Kutscher sitzt mit Kindern, einer „bürgerlich wohlgekleideten Frau“, einem Kindermädchen an einem Tisch, wobei der Erzähler „mit Vergnügen“ zusieht, „wie Herrschaft, Gesinde und Kinder aus einer Caffeekanne tranken.“151 Auffällig bei Abegg im Vergleich zu den anderen Texten ist ohnehin, dass sich in unmittelbarer Nähe Personen allen Standes befinden. Abegg scheint die realen Begegnungen am wenigsten gefiltert zu haben. Im Gasthof „zum Römischen Kaiser“ in Würzburg spricht der Reisende mit dem Wirt, bei Tisch ermahnt ein anderer Gast einen anwesenden Professor, die „Kapuzinerspäße“ zu unterlassen.“152 Abeggs Reisebriefe wurden später vor allem daher rezipiert, weil er die Alltäglichkeit auch von Immanuel Kant wiedergab, den er in dessen Wohnhaus in Königsberg mehrmals besuchte und damit den Blick auf eine bislang unbekannte Seite des Philosophen freigab. Der zweite, der persönliche Begegnungen mit Menschen eines anderen Standes wiedergibt, ist der Erzähler der „Romantischen Reise“. Er formuliert seine Abneigung einem unfreundlichen Postmeister gegenüber. Der dritte Reisebrief, der persönliche Begegnungen mit Vertretern des kleinen und mittleren Bürgertums in seine Erzählung einfließen lässt, stammt von Kessler. Starker Regen zwingt den Reisenden, seine Fußreise zu unterbrechen und auf eine Kutsche neben den Kutscher zu steigen. Dazu hält der Reisebrief fest: „Der alte Eheherr machte die Unterhaltung ... Dieses [Fuhrwerk] hatte er dann an die Österreichischen Heere verdungen und war damit weit am Rhein auf und abgezogen und bis Böhmen ins Land herein. Das alles lag verworren in seiner Erinnerung, und noch dunkler waren seine Vorstellungen von den gegenwärtigen Zeitläuften, welche ihm in trüber Ferne vorgingen. Doch war sein Raisonnement nicht ohne charakteristische Momente. So sprach er von seine Vaterlande, und äußerte: dort sei die Landschaft viel besser, als hier am Walde; aber der Baierfürst habe es gar zu arg getrieben: alle die reichen Klöster seien ausgeleert.“153 Dieses Gespräch zwischen dem Reisenden und dem Kutscher ist zugleich das einzige, das die Einschätzung eines Kleinbürgers über die politischen Umbrüche enthält. 150 151 152 153
Abegg: Reisetagebuch von 1798, S. 15. Ebda. Abegg: Reisetagebuch von 1798, S. 18. Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, S. 281.
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6.2.6. Soldaten als Randerscheinungen Es ist bei den bisherigen Beobachtungen nicht verwunderlich, dass auch die Koalitionskriege nur selten Erwähnung in den Reisebriefen finden. Truppendurchzüge, Einquartierungen oder Belagerungen zu erwähnen, hätten das kunstreich aufrechterhaltene Idyll der Stadtbeschreibung rasch zerstört. Die französische Armee etwa wird an nur sehr wenigen Stellen in den Reisebriefen erwähnt. Das gilt sowohl für die Begegnungen und Beobachtungen in den erzählenden Teilen als auch in den informierenden, lexikalischen Passagen. Zwei frühe Reisebriefe mit starkem aufklärerischem Impetus verwenden das Motiv von den Franzosen als Befreiern der Kirchenstaaten aus ihren Jahrhunderte alten Fesseln. Mit Blick auf die Priester des Hochstifts bemerkt der Verfasser bei Thon, es habe „diese übertriebene Frömmeley, so jene sonst so gerne verbreiteten, durch die Ankunft der Franzosen vieles in ihrem Gehalte verlohren.“154 Der Verfasser nimmt den Krieg, in diesem Fall den Zweiten Koalitionskrieg, nicht als Bedrohung für die Bevölkerung wahr. Die Franzosen dienen vielmehr als antikatholische Pointe. „Die Wunderbilder“, heißt es über den Einfall der französischen Armee, „hörten mit einemmale auf zu würken, und werden zum Wohl der Bürger nunmehro einen bessern Zustand, nehmlich den Ruhestand ihres Beutels bewürken.“155 Im zweiten Fall informiert der Verfasser über die Festungsanlagen. Bei Kaffka heißt es, der „Nikolausberg und die Vestung auf dem Frauenberge, die einige für unüberwindlich halten verdienen von jedem Reisenden gesehen zu werden“ 156 und merkt in einer Fußnote an: „Die Neufranken haben bewiesen, daß diese Vestung nicht sehr [schwer] überwindlich sey.“ Als Gefahr gelten die Franzosen auch in diesem Text nicht. Diese Bemerkungen sind allesamt Passagen entnommen, die sich anderen Themen widmen. Nicht ein einziger Verfasser behandelt den Krieg als eigenständigen Aspekt der Beschreibung. In diesen wenigen Fällen bezeichnen sie obendrein keine Bedrohung, sondern dienen als Pointen. Immerhin werden an drei Stellen einzelne Soldaten erwähnt. Eine Gruppe Franzosen beobachtet Kesslers Erzähler in einer Herberge im Spessart. Baaders Erzähler macht in einem Vorort von Würzburg Halt. „Zu Rotendorf, das schon ganz nahe an Würzburg liegt, trafen wir einen großen Zug österreichischer Munition und Bagage mit einem Rekrutentransporte an.“157 Bei seiner 154 Anonym: Reise eines Ungenannten, S. 192. 155 Ebda. 156 Johann Christoph Kaffka [eigtl. Engelmann]: Schilderungen von Deutschland. Aus dem Taschenbuche eines Reisenden, voll interessanter Lokalbemerkungen und Wahrheiten , Glatz/Neiße/Leipzig 1798, S. 25. 157 Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, S. 164.
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Fahrt durch den Spessart und damit durch ein dichtes Waldgebiet, das im Juni 1808 vom französischen Heer durchzogen wurde, muss der Erzähler bei Kessler in einem bescheidenen Haus übernachten und trifft dort auf französische Soldaten. „Allein die Stube, in welcher ich auf’s Ungewisse hätte harren müssen, war mit Soldaten angefüllt, welche die Toilette ihrer schmutzigen Leiber und Waffenstücke machten.“158 Eine weitere Soldatengruppe störte laut Erzähler einen Sonntagsgottesdienst im Dom: „Die anwesenden Gallo-Bataver, die den Gottesdienst sehr auffallend durch Lärmen und helles Lachen unterbrachen, und demselben wie eine Comödie beiwohnten“159, treten jedoch auch hier schnell wieder in den Hintergrund. Thons Reisebrief ist der einzige, der in einem Beisatz auf die vielen Flüchtlinge hinweist, wenn auch wieder in eine allgemein gültige Aussage gehüllt. „Solche Begebenheiten stoßen den Reisenden oft zu, wenn auch nicht immer auf gleiche Art und unter diesen Umständen, besonders in einem Lande, wie das Reich ist, das von abentheuerlichen Personen wimmelt, und das durch den jetzigen Krieg zu einem Sammelplatz wird, wo unterschiedliche Personen mancherley Rollen spielen, je nachdem es ihr Interesse erfordert.“160 Die Erzähler blenden also auch den Krieg und sein Personal fast vollständig aus. Würzburg erscheint angesichts dessen jedoch nicht als Ort der politischen Stabilität, sondern als gänzlich unpolitischer Raum. Auch die Beziehung zwischen Volk und Fürst beschreiben die Erzähler nicht als politische oder rechtliche Zugehörigkeit, sondern als ursprüngliche Verbundenheit in gegenseitiger Treue.
6.2.7. Empfindsame Beschreibungen und ihre Orte Die Beschreibungen sowohl der herrschaftlichen Bauwerke als auch der Natur weckten die Empfindung des Erzählers. „Es war Sonntag, und ich ging in die Domkirche. - Die Musik war schön, und der Gesang überaus sanft und rein. … Das Herz schmilzt vor Wehmuth bey der angenehmen Musik, und die Seele wird zu großen Gedanken und edlen Vorsätzen erweckt.“161 Der besuchte Ort oder ein einziges Detail darin spricht den Erzähler dabei so stark an, dass er nur noch aus der einen tiefen Empfindung besteht: „Die Hauptfarbe der Wände, der Säulen und Stukaturarbeit ist weiß, und eben diese macht, dass
158 159 160 161
Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, S. 284. Anonym: Reise eines Ungenannten, S. 191 f. Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 187 f. Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 185.
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das Herz mehr gerührt wird, als durch bunte Mahlerey.“162 Auffällig ähnliche Empfindungen spürt fünf Jahre später der Erzähler bei Eggers: „Die weiße Farbe der Wände, Säulen und Stuckaturarbeit macht einen erhabenen Eindruck.“163 Das aufwühlende Objekt kann auch die ganze Stadt Würzburg sein: „On est singulièrement frappé du beau paysage.“164 Bei Brun heißt es, „nie werde ich den melancholischen Eindruck vergessen, den diese verödete Prachtstadt auf mich machte.“165 Im Residenzgarten lässt sich die Erzählerin vom italienischen Idyll bezaubern: „Das Abendroth schwebte in Wipfeln des Platanus und der Akazien, und liebliche, hesperische Düfte der Orangerie umathmeten mich.“166 Empfindsame Beobachtungen, die sich selbst stets als wahllos und damit irrational verstanden wissen wollen, entstehen jedoch nur an ganz bestimmten Punkten im räumlichen Koordinatensystem der Reisenden. Zu diesen Punkten gehört die Residenz, bei deren Anblick die Gefühlswallungen bei Küttner, Brun und einem weiteren Erzähler aufbrechen: „Alles trägt ein so wahres Gepräge von simpler und majestätischer Kunst, daß es mich lange fesselte.“167 Dazu gehören auch die Landschaft des Maintals und das Residenzschloss sowie der Dom: „Ein ernsthafter, strenger Geschmack würde das und jenes zu tadeln finden, besonders an der Stadtseite des Gebäudes: aber ich habe mich mit so viel Vergnügen dem lieblichen Eindrucke überlassen, den das Ganze auf mich macht, daß ich auch das zu Geputzte und etwas Ueberladene nicht tadeln will.“168 Empfindsamkeit verlangt das Alleinsein, deshalb beschreiben sich die Erzähler an den belebtesten Orten wie dem Residenzgarten oder dem Innenraum des Doms als Einsame. Die relative Menschenleere der Stadt, wie sie die Reisebriefe konstruieren, liegt also nicht nur daran, dass sich das Motiv vom arbeitenden Volk nicht bei der Beschreibung des Residenzgartens oder des Doms abarbeiten ließe. Sie muss auch auf die Erzählstrategien romantischer Reiseliteratur zurückgeführt werden.
162 163 164 165 166 167 168
Anonym [Thon]: Romantische Reise, S. 184 f. Von Eggers: Reise durch Franken, S. 176. Graffenauer: Lettres écrites, S. 56. Brun: Episoden aus Reisen, S. 9. Ebda. Anonym: Reise eines Ungenannten, S. 186. Küttner: Reise in den Jahren 1797, 1798, 1799, S. 372.
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6.2.8. Schönheit statt Neuigkeit: Rezensionen der Reisebriefe Die Rezensenten unterscheiden sich in ihrem Stil, ihrer Sprache und dem Aufbau ihrer Besprechung ebenso stark voneinander wie die Erzähler der Reisebriefe. Außerdem stellen die Rezensionen selbstverständlich kein Nebenprodukt der besprochenen Werke dar, sondern eine völlig eigene Gattung. Die Besprechungen werden hier jedoch nicht als gleichberechtigte Quelle neben den Reisebriefen behandelt, sondern als ein Verständigungsmedium. Auf eine eigene Quellenkritik kann die Arbeit deshalb verzichten. Allerdings enthalten die folgenden Ausführungen auch Elemente einer Quellenkritik. Die Diskussion der Frage, wie die Rezensenten den Mangel an Aktualität in den Reisebriefen rezipiert haben, erläutert nicht nur die Entstehungsbedingungen der Reisebriefe näher, sondern auch die der Rezensionen. Bei allen Unterschieden in Sprache, Stil, Aufbau und Kritikpunkten verbindet die Besprechungen, dass sie deutlich mehr Kritik üben als Lob aussprechen. Außerdem äußern sich die Rezensenten meist recht allgemein über die als positiv empfundenen Seiten des Werkes. Detailreich und mit Zitaten versehen sind in der Regel Kritikpunkte. Diese beziehen sich in den meisten Fällen weniger auf die Inhalte als auf die Sprache. Die Rezensenten schienen von den Autoren als erstes verlangt zu haben, dass sie die Beobachtungen, Reflexionen und Erfahrungen ihrer Reise sprachlich bewältigten. Die Kritik an den Fehlern der Sprache fiel in einigen Besprechungen geradezu apodiktisch aus. Der Rezensent von Graffenauers „Berufsreise durch Deutschland“ merkt an, dass seine Erwartungen enttäuscht worden seien. „Die Ursache hievon“, heißt es dann, „liegt nicht darin, dass er sich über zu viele Gegenstände verbreitet, dass er sowohl statistische, historische, literarische, als auch physikalische, medicinische, chirurgische aufnimmt, und bald die Sitten und Gewohnheiten der Bewohner dieser Länder, bald Flüsse, Berge, Seen, Grotten, bald den Boden, die Producte, Denk- und Grab-Mähler, Schlösser, Gärten, Bibliotheken, literarische Institute, milde Stiftungen, bald seine Erfahrungen über medicinische und chirurgische Curarten beschreibt; sondern darin, dass dem Vf. das Talent dazu zu fehlen scheint.“169 Der Rezensent setzt seine lakonisch vorgetragene Kritik selbst als Stilmittel ein. Die Strategie, fehlendes Talent beim Autor als Pointe einzusetzen, manchmal sogar im Schlusssatz, verfolgten auch andere. Der Rezensent von Kesslers „Briefe auf einer Reise durch Süd-Deutschland“ fordert am Ende seines Textes ganz allgemein, dass das Talent die Darstellung unterstützen müsse. „So dürfen wir wohl bey dem viele Guten, das die Briefe enthalten, behaupten, dass es dem Vf. daran fehle, wie schon die mitgetheilten Proben 169 Rez. Graffenauer: Lettres écrites, in: Jenaische Allgemeine Literatur Zeitung (JALZ) 221 (1811), S. 590.
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beweisen.“170 Andere Kritiker geben konkrete sprachliche Mängel an, mal „die leichte Verbindung, worin die Gegenstände oft in einander überschwimmen“171, mal den „in Holz geschnittenen Gesichts-Punkt“172, mal eine „oft auch affectirte, überladenen und geschraubte“173 Sprache. Das Hauptaugenmerk der Rezensenten lag eindeutig auf der Sprache. Anders ausgedrückt: Die Kritiker nahmen die Reisebriefe in erster Linie als literarisches Werk wahr. Der sprachlichen und stilistischen Darstellung widmeten sich die Rezensenten, die selbst viel Wert auf die Gestaltung ihrer Texte legten, weit intensiver als den Inhalten. Waren die Beobachtungen sprachlich nicht anspruchsvoll, lehnten die Rezensenten sie scharf ab. Dies galt etwa auch für die Reisebriefe von Walter Wittmann. „Sein Product“, so der Kritiker, „zeigt ihn als einen einfachen Beobachter, welcher giebt, was und wie er es gesehen hat.“174 Eine möglichst unverblümte, berichtende, auf Neutralität bedachte Darstellungsweise zog also nicht etwa Lob, sondern Kritik nach sich. Im Fall Wittmanns wird dieser Standpunkt der Rezensenten besonders deutlich, weil Wittmann äußerst detailreiche Beobachtungen aus dem Innenleben der englischen Armee während der Kriege in Ägypten lieferte. Wittmanns Reisebriefe erzählen etwa von der Schlacht von Jaffa und einem Besuch in Jerusalem. Der Rezensent gibt zwar die besuchten Orte und wichtigen Begebenheiten wider, doch das Urteil des Kritikers beruht auf der Sprache. Ein anderer Rezensent von Wittmanns Werk geht ebenso vor. Nach einer langen Inhaltsangabe, die einer inhaltlichen Würdigung allerdings gleichkommt, listet er die entdeckten Übersetzungsfehler auf und resümiert: „Diese wenig interessante Reisebeschreibung verdiente weder die Vergrößerung durch Anmerkungen, noch die Vertheuerung durch illuminirte Kupfer.“175 Grund für sein Urteil seien neben vielen anderen Mängeln die häufigen Wiederholungen. Dieser Vorwurf begegnete den Lesern der Rezensionen recht häufig. Er belegt einmal mehr, dass die Stadtbeschreibungen keineswegs vollständig zu sein hatten, nicht einmal sein durften. Die Passagen, in denen die Reisebriefe den Kanon an Sehenswürdigkeiten aus der bereisten Stadt vorstellten, nahmen die Rezensenten oft negativ auf. „Die … historischen und geographisch-statistischen Angaben“, schreibt der Rezensent über die „Romantische Reise“, „die größtentheils nur in einer Aufzählung der Merkwürdigkeiten eines Orts … bestehen, sind so wenig neu und so unbedeutend, dass 170 Ebda. 171 Rez. Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, in: JALZ 44 (1812), S. 349. 172 Rez. Anonym [Heun]: Carls vaterländische Reisen, in: Allgemeine Literatur-Zeitung (ALZ) 3 (1793), S. 78. 173 Rez. Brun: Episoden aus Reisen, in: JALZ 2 (1808), S. 343. 174 Rez. Wittmann: W. Wittmann’s Reisen, in: JALZ 1 (1806), S. 465. 175 Rez. Wittmann: W. Wittmann’s Reisen, in: Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek (NADB) 103 (1805), 1. St., S. 153.
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man beynahe glauben möchte, der Vf. hätte sie seinen … Briefen hinterher zugesetzt.“176 Von vielen Orten, heißt es über Baaders Reisebriefe, „erzählt der Verf. Dinge, die sonst schon bekannt genug sind, besonders auch von ihrer ältern Geschichte. Wir wünschen, er hätte dies nicht gethan, und unterließ es in der Fortsetzung seines Werks. Wozu die vielen Wiederholungen?“177 Die Rezensenten lobten Beschreibungen häufig literarisch verwerteter Orte nur dann, wenn sich eigene Reflexionen anschlossen. An Ahlefelds Reisebrief hebt der Rezensent zum Beispiel die Interpretation der Löwenburg als Überbleibsel aus alten Zeiten hervor. In Ahlefelds Text steht: „Drohend trat das Bild einer grauen Vergangenheit vor meine Seele, und blickte zürnend auf die vorgebliche Nachahmung ihrer stillen Einfalt und Größe, wie ein edler Greis mit Unwillen den Jüngling betrachten würde, der durch Hülfe der Kunst sein Silberhaar und seine Runzeln nachgeahmt hätte, um damit spottend auf einer Maskerade einherzugehen“178 Ähnlich hatte Ahlefeld über die Gegend um Würzburg geschrieben: „Der Rittergeist längst vergangner Jahrhunderte schien die Ruinen der alten Schlösser zu beseelen, an denen wir vorüber fuhren, und ernste, kräftige Bilder des Faustrechts, der Unterdrückung des Schwächern, und der rasch geübten Gerechtigkeit manches biedern Bewohners dieser zerstörten Burgen traten vor meine Seele.“179 Der Rezensent begrüßte die Geschichtspoetisierung und Geschichtssehnsucht der Erzählerin. Hierin bestand die Neuigkeit an Ahlefelds Beobachtung oft bereister Orte, welche den Rezensenten imponierte: „Nicht alles Bekannte auf dieser Route ist wiedererzählt, aber manches Unbekannte mehr herausgehoben, und manches Bekannte mehr gewürdigt.“180 Auch wenn die Rezensenten schlichte Beschreibungen ablehnten, verlangten sie von den Schriftstellern, tatsächlich an den Orten gewesen zu sein. Den Rezensenten war die Autopsie ein wichtiges Anliegen. Die Kritiker übten sich darin, Fehler zu entlarven und damit nachzuweisen, dass die Schriftsteller ihren Aufenthalt nur vorgegeben hatten. Sobald die Rezensenten auch nur ahnten, dass der Autor die Besuche anderer zitiert hatte, zweifelten sie die Selbsterfahrung des Autors an. An Graffenauers Reisebriefe stellt der Rezensent die Frage, ob der Autor tatsächlich vom Friedrichsplatz in Kassel vier Meilen ins Land habe sehen können.181 Bei der Lektüre von „Carls vaterländischen Reisen“ zweifelte der Rezensent daran, ob der Besuch eines Balls „wahr oder er-
176 Rez. Anonym [Thon]: Romantische Reise, in: NADB 77 (1803), 1.St., S. 149. 177 Rez. Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, in: NADB (1796) 26, 2.St., S. 533. 178 Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, S. 243 f. 179 Ebda. 180 Rez. Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, in: JALZ 44 (1812), S. 350. 181 Rez. Graffenauer: Lettres écrites, in: JALZ 221 (1811), S. 591.
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dichtet“182 sei. Baaders Rezensent weist nach, dass ein Gelehrter, den der Autor beschrieb, bereits tot war. Die Rezensenten haben darüber hinaus ein sehr feines Gespür dafür, was die Autoren der Reiseberichte aus Statistiken und Topographien abgeschrieben haben könnten. In dem übersättigten Markt an Reiseliteratur stieg der Anspruch an Authentizität, gleichzeitig sank jedoch das Bedürfnis nach rein Informativem. Lobenswert und als Neuigkeit erschien den Kritikern jedoch nicht die Wiedergabe von Informationen, sondern deren literarische Umformung: eine ungewöhnliche allegorische Deutung einer Felsformation, eine amüsante Begründung für den Kulturreichtum eines Landes oder eine unterhaltsame Betrachtung des Herrscherhauses. Neuigkeiten im Sinne von Nachrichten aus der bereisten Gegend aber vermisste kein Rezensent. Vor diesem Hintergrund wird auch leichter verständlich, warum die Rezensenten nicht kritisch anmerkten, dass nur wenige Reisebriefe Berichte über die Koalitionskriege enthielten. Krieg behandelten die Rezensenten wie auch das Volk und die Natur als literarische Motive. Es hatte also den Ansprüchen an einen Topos zu genügen. Zunächst einmal durfte es nicht zu oft auftauchen, sonst hätte es sich dem Vorwurf der Wiederholung ausgesetzt. Hierin scheint ein Grund zu liegen, warum keiner der Reisebriefe über die Schlacht von Würzburg unterrichtete, obwohl die Reisenden über das ehemalige Schlachtfeld fuhren. Sie verwendeten daher das Kriegsmotiv stattdessen nur dann, wenn ihre Reise sie an einem der bekannten Kriegsschauplätze vorbeiführte. Der Erzähler bei Eggers zum Beispiel schrieb deshalb nicht über die relativ unbekannte Schlacht von Würzburg, damit er anschließend in einem eigenen langen Abschnitt die Schlacht von Austerlitz abhandeln konnte. Die Passage lobte der Rezensent übrigens als „eine der anziehendsten Parthieen dieses Werkes“183. Auch Friederika Brun beschreibt nicht die einzelnen, auf ihrem Itinerar zahlreichen Spuren des Krieges, sondern fügt ihren Stadtansichten aus der Gegend um Mainz eine Reflexion des Krieges und seiner möglichen Folgen an. Auch hierfür erfährt sie Lob vom Kritiker, der ihren „patriotischen Sinn“184 preist. Allerdings beschäftigt sich nur eine Minderheit der Reisebriefe mit den Kriegen. Die Koalitions- und Befreiungskriege schienen, weil sie erst jüngst endeten oder noch andauerten, ein poetisches Potential noch nicht entwickelt zu haben. Sie waren also offenbar als Erzählstoff noch nicht geeignet. Vor allem in ihren sozialen Dimensionen schienen Herrschaftswechsel als Motiv gänzlich ungeeignet. Im Spiegel der Rezensionen erscheint es offensichtlich, warum die verschiedenen Elemente eines Regierungswechsels wie militärische und zivile Besitzergreifung, Abschiede und Vereidigungen und 182 Rez. Anonym [Heun]: Carls vaterländische Reisen, in: ALZ 200 (1793), S. 78. 183 Rez Eggers: Reise durch Franken, in: Minerva 4 (1809), S. 556. 184 Rez. Brun: Episoden aus Reisen, in: JALZ 2 (1808), S. 344.
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die anschließenden Gesetzesreformen keinen Platz in den Reisebriefen gefunden haben. Herrschaftswechsel als Handlungen waren zu wenig abstrahierbar. Nur eingebettet in eine politische Reflexion, etwa bei Eggers über die europäische Staatenwelt während des Zweiten Koalitionskriegs, fanden sie Erwähnung und wurden von den Rezensenten gewürdigt. „Wie in den frühern Briefen“, so der Rezensent über Eggers Werk, „wechseln auch in diesen mit Reise- Nachrichten historisch politische Nachrichten und Bemerkungen über die jedesmalige Lage der europäischen Staaten, besonders über die Verhältnisse seit dem Lüneviller Frieden bis zum Frühsommer 1806, die (…) theilweise wenigstens bleibenden historischen Werth haben, und – so wie alles, was der Vf. über das Interesse der von ihm bereisten Staaten sagt, aus der reinsten weltbürgerlichen Absicht fliessen.“185 Eggers, ein hoher Staatsbeamter, hatte in seinen Reisebriefen aus Würzburg außerdem den kompletten Wortlaut des Heeresergänzungsgesetzes von 1804 wiedergegeben und das Gesetz anschließend eingehend diskutiert. Diesem Abschnitt widmen sich die Rezensionen trotz seiner auffälligen Abweichung von den anderen Reisebriefen nicht, sondern bemerken nur eher allgemeine seine „oftmals höchst interessanten politischen Betrachtungen“186. Es erscheint nach der Lektüre der Kritiken ebenso verständlich, weshalb die Autoren die Einwohner so wenig differenziert betrachteten. Die wirklichkeitstreue Darstellung hätte die Ansprüche an das Motiv ‚Volk’ verletzt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ist, dass die Rezensenten das Volks-Topos häufig eigens würdigten, eine Darstellung der Folgen des Krieges für die Landbevölkerung aber ebenso wenig vermissen wie die Autoren der Reisebriefe. Friederika Brun ist eine der wenigen Autoren, die in die Reflexionen über den Krieg auch die Belastungen der Landbevölkerung erwähnt. Der Rezensent entgegnet auf diese Passage, er hoffe, „dass die angeführten Grausamkeiten bey der letzten Einnahme des Landes und die damaligen Bedrückungen zu den Uebertreibungen gehören möchten, die den Reisenden von den Landesbewohnern nur zu oft aufgebürdet werden.“187 Ein weiterer Grund für den Mangel an Aktualitäten ist in den literarischen Strömungen der Zeit zu suchen. Der Rezensent von Ahlefelds Reisebriefen lobt ihren „zarten weiblichen Sinn, der sich überall gleich ausspricht, verwebt alle Theile zu einem Ganzen.“188 An Friederike Bruns Werk etwa lobt der Kritiker „manche feine Züge des weiblichen Herzens, manche zarte und treffende Blicke auf Natur, Kunst und Menschen, manche innige Aeusserungen des Gefühls für Freundschaft und andrer wohlwollenden Neigungen“189. Kessler be185 186 187 188 189
Rez Eggers: Reise durch Franken, in: JALZ 135 (1810), S. 129. Rez Eggers: Reise durch Franken, in: Minerva 4 (1809), S. 556 f. Rez. Brun: Episoden aus Reisen, in: JALZ 2 (1808), S. 344. Rez. Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, in: JALZ 44 (1812), S. 350. Rez. Brun: Episoden aus Reisen, in: JALZ 2 (1808), S. 343.
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sitze die Fähigkeit, so der Rezensent, „die scheinbaren Nebendinge und Kleinigkeiten an das Große zu knüpfen, und den Sinn für alles Gute, Schöne und Wahre durch das Talent zu unterstützen“190. Auf negative Reaktionen stoßen dagegen Erzähler, welche eine solche Verbindung nicht leisten. Die Wirkung seines Textes, so der Kritiker von Kesslers Werk, störe „auf eine auffallende Art dadurch, dass er zu oft in das Gemeine und Überspannte verfällt, dass er Unwichtiges an das Wichtige bindet, das Unbedeutendste über das Bedeutendste heraushebt, und an Gegenständen vorübereilt, die den ganzen Menschen ansprechen und aufregen.“191 Aus den Forderungen der Rezensenten spricht der Anspruch des Literaten, Empfindungen und Gemüt jedes einzelnen Lesers anzuregen und damit das ästhetische Programm der Romantik. Der Anspruch, die Empfindungen zu schulen, äußert sich in den Texten dadurch, dass die Erzähler sich besonders stark Objekten hingaben, an deren Besuche sich empfindsame Beobachtungen anknüpfen ließen. Zur romantischen Herzensbildung eignete sich etwa vorzüglich der Besuch des Juliusspitals. Stichproben haben ergeben, dass das Juliusspital zwar schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu den meistbesuchten Orten gehörte, nur herrschte im Gegensatz zur romantischen Schule eine Ästhetik, die Bildung stärker politisch verstand und die von den Reiseschriftstellern satirische Interpretationen verlangte. Im Reisebrief des Herrn von Blainville etwa heißt es über das Juliusspital, das Erbe des Stifters werde schlecht verwaltet: „In Kriegszeiten und bey andern allgemeinen Nöthen des Landes ist der Adel gar oft gezwungen, Geld zu borgen, und nur von dem zu leben, was er für alle mögliche Zinsen anleihen kan. Weil nun dieses Spital viel baares Geld hat, so leihet es große Summen aus dieser Edelleute Güter gegen unmäßige Zinsen, und passet die Gelegenheit ab, wenn die Schuldner am wenigsten zu bezahlen im Stande sind, seinen Hauptstuhl unter dem Vorwand der Nothwendigkeit zurück zu verlangen … und auf diese Weise erzwinget es eine neue Pfandverschreibung auf noch höhere Zinsen … Bey dieser unredlichen Erpressung und Wucher ist dieses Spital an baarem Gelde reicher geworden, als der Bischof selbst.“192 Im Gegensatz zu dieser politischen Satire, die ohne die Beobachtung von zeitbezogenen Missständen nicht 190 Rez. Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, in: JALZ 188 (1811), S. 322. 191 Ebda. 192 J. de Blainville: Des Herren von Blainville ehemaligen Gesandtschaftssekretärs der Generalstaaten der vereinigten Niederlande an dem Spanischen Hofe Reisebeschreibung durch Holland, Oberdeutschland und die Schweiz besonders aber durch Italien aus des Verfassers eigener Handschrift in englischer Sprache zum erstenmal zum Druck befördert von Georg Turnbull der Rechten Doktor und Wilhelm Guthrie Ritter nunmher in das Deutsche übersetzet, erläutert und hin und wieder mit Anmerkungen versehen von Johann Tobias Köhler Professor zu Göttingen und Mitglied der Churfürstlich Maynzischen Academieder nützlichen Wissenschaften, Lemgo 1764, S. 191 f.
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auskommt, forderten die Rezensenten der vorliegenden Reisebriefe Gelegenheiten zur Bildung des Gemüts. Ahlefelds Kritiker hob deren Bemerkungen über das Juliusspital lobend hervor: „In Würzburg besah sie das Hofspital der Wahnsinnigen. Ihre Munterkeit erklärt sie aus dem gleichzeitigen Verluste ihres Verstandes und der Fähigkeit, den Schmerz des Lebens zu begreifen.“193 Da die Rezensenten sprachliche Darstellung stärker gewichten als die Inhalte, die Reflexion stärker als die Beschreibung und die Bildung des Herzens stärker als die politische Bildung, ist der Informationsanspruch an die Reisebriefe dementsprechend gering. Die Vermutung, Reisebriefe betonten deshalb das Allgemeingültige, um einer möglichst breiten Leserschicht als Reisehandbuch zu dienen, dessen Angaben möglichst lange aktuell bleiben, lässt sich mit den Rezensionen nicht bestätigen. Reisehandbuch und Reisebriefe scheinen die Rezensenten deutlich voneinander abgegrenzt zu haben. Dies lässt sich erneut daran ablesen, dass kein Rezensent fehlende Reiseinformationen wie Reisekosten und Streckenangaben oder die Adresse und Beschreibung von Gasthöfen einklagte. Ein anderer Kritiker wendet sich offen gegen die Vermischung von Reisebrief und Reisehandbuch. Die Kritik von Baaders Reisebriefen beginnt mit dem Satz: „Hier einmal wieder ein Reiseschreiber, der sich weit über den itinerarischen Troß, dessen mit jeder Messe mehr wird, erhebt!“194 Damit meint der Rezensent jedoch nicht, dass Baader im Gegensatz zu den vielen schlechten ein gutes Reisehandbuch vorlegte, sondern vor allem eigene Reflexionen anstellt. Die zu stark informativen Passagen lehnt der Kritiker ab. „Lieber gebe er uns einzig und allein seine eigenen Beobachtungen!“195 Die Rezension von Kesslers Reisebriefen nennt drei verschiedene Arten der Reiseliteratur. Die erste, die er als „objektive Beschreibung“196 bezeichnet, „muss den Lesern alles Wissenswürdige mittheilen, was dem Zweck der Reise in dieser Hinsicht eigen ist.“197 Zu dieser Gruppe gehöre das vorliegende Werk nicht. Daneben steht das Tagebuch als Beschreibungen, die „dem Sub- und Objectiven zugleich angehören“ und in dem die Angabe von Zeitund Meilenangaben den Erinnerungen des Verfassers dienen soll. Die Beschreibung aber, die „ein lesendes Publikum unter den gebildeten Ständen gewinnen soll“, muss „das Selbst des Beschreibers, seine ganze Empfindungs, Ausdrucks- und Handlungs-Weise, in der Ein- und Auswirkung, über die Welt der äusseren Umgebungen emporhalten.“198 Vorbilder hierfür seien Seumes Spaziergang nach Syrakus und Thummels Reisen. Diese dritte Art 193 Rez. Ahlefeld: Briefe auf einer Reise, in: JALZ 44 (1812), S. 351. 194 Rez. Baader: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands, in: NADB 26 (1796), 2.St., S. 533. 195 Ebda. 196 Rez. Kessler: Briefe auf einer Reise im Sommer 1808, in: JALZ 188 (1811), S. 322. 197 Ebda. 198 Ebda.
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beschreibt der Rezensent mit einem Satz, indem sich nicht nur die Ansprüche des Rezensenten, sondern auch die der Reiseschriftsteller zu bündeln scheinen. Es seien die Reisebriefe, die dadurch, „dass sie durch leise Anregungen der äusseren das ganze Leben der inneren Welt erschöpfend darstellen, einen Werth erhielten, der so unwandelbar seyn wird, als diese Welt selbst.“
6.3. Zusammenfassung Ein Blick in die Inhaltsverzeichnisse der Journale, in denen die Reisebriefe erschienen, offenbart die Sonderstellung von Reisebriefen über die deutsche Provinz. Georg Wilhelm Kesslers Reiseaufzeichnungen etwa erschienen zwischen einer Rezension eines Gedichtes namens „Vergötterung Luisens der Königin von Preußen“199 und der kritischen Würdigung einer politischen Predigt über die neuen Abgaben im Land.200 Vor der Rezension von Christian Ulrich Detlev von Eggers’ Reisebriefen in der Zeitschrift Minerva diskutierte ein Anonymus die Neuorganisation der Würzburger Universität.201 Im Anschluss an die Buchbesprechung würdigt ein Redakteur der Zeitschrift die Qualität der Neuerscheinungen zum Rheinbund.202 Direkt vor der Rezension der „Romantischen Reise“ findet sich eine Kritik einer Briefsammlung aus Italien, die sich mit Napoleons Feldzug auseinandersetzt.203 Außerdem erschienen eine ganze Reihe Reiseaufzeichnungen aus dem revolutionären Frankreich oder aus dem geteilten Polen. Die meisten Zeitschriftenbeiträge dienten als Medium der politischen Debatte und der Diskussion von Neuigkeiten. Detailreiche Informationen lieferten auch die unzähligen Aufsätze über die Topographie einzelner Staaten. Innerhalb dieser stark auf Nachricht und Neuigkeit fokussierten Medien nehmen die hier behandelten Reisebriefe aus der süddeutschen Provinz eine besondere Stellung ein. Anders als die übrigen Beiträge und selbst als Reisebriefe aus anderen Staaten scheinen sie ein Bedürfnis der Leser nach dauerhaften, allgemein gültigen und überzeitlichen politischen Strukturen befriedigen zu müssen. Gegen die Regierungswechsel und wechselnden Zugehörigkeiten stellten 199 Rez. Ernst Friedrich Leberecht Kratz: Vergötterung Luisens der Königin von Preussen, Glogau 1811, in: JALZ 189 (1811), Sp. 335 f. 200 Rez. Heinrich Müller: Ein Wort des Ernstes und der Ermahnung die neuen Abgaben betreffend: Meinen Mitbürgern geweiht, Berlin 1811, in: JALZ 191 (1811), S. 352. 201 Minerva 4 (1809), S. 553-555. 202 Minerva 4 (1809), S. 558-560. 203 Rez. Mariane Stark: Briefe über Italien, aus dem Englischen von Valentini, Gießen 1802, in: NADB 82 (1803), 2. St., S. 474 f.
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die Reisebriefe das Bild von Fürst und Volk als unverbrüchlicher, in gegenseitiger Treue miteinander verbundener Einheit, gegen die kriegsbedingten territorialen Veränderungen die Beschreibung der Natur als überzeitlichen Wert, gegen die Neuigkeit die Reflexion. Reisebriefe sollten die Sehnsucht der Leser nach unveränderbaren Geltungen stillen.204 Die Fiktion der Reisebriefe bestand folglich darin, eine zusammenhängende Welt zu erschaffen, die in Realität gerade auseinanderbrach.205 „Das Reisen“, so hat es Peter J. Brenner pointiert ausgedrückt, „dient weder der Welterfahrung noch der Ich-Findung, sondern der Rettung brüchig gewordener Lebenswelten“206. Allgemein muss man daher festhalten: Die Gattung prägte Inhalt und Darstellung der Reisebriefe erheblich vor. Es reicht folglich nicht aus, die „Vorprägungen und Vorwissen“207 der Reisenden bei der Analyse von Reiseaufzeichnungen in Bedacht zu ziehen. Um den Reisebriefen als Quelle gerecht zu werden, müssen auch deren eigene Prägungen als Gattung in den Blick genommen werden. Reisebriefe über die deutsche Provinz stellten eine äußerst konservative Literaturgattung dar. Die Aufzeichnungen lieferten Daten und Fakten, die durch die Veränderungen der Napoleonischen Zeit nicht an Gültigkeit verlieren konnten.208 Sie gaben lange zurückliegende historische Ereignisse sowie relativ allgemeine topographisch-statistische Beschreibungen wider. Aus dieser Warte scheint es zu anthropologisch gedacht, wenn Axel Gotthard das häufige Vorkommen von alten Gentilnamen in Reiseberichten als mentale Prägungen interpretiert und vermutet, „dass administrativ obsolet gewordene
204 In diese Richtung geht auch die Beobachtung Zimmermanns hinsichtlich der Reisebriefe von Friedric Leopold von Stolberg: „Merkwürdig konsequent ist es denn auch, dass der Leser in diesem vierbändigen Werk so gut wie nichts über das Ereignis dieser Jahre, die Revolution der Franzosen und ihre weit über Europa ausgreifenden Wirkungen, zu lesen bekommt.“, s. Zimmermann: Antiquar, S. 99. 205 Offenbar galt das auch für die Wahrnehmung von Polen und Frankreich, wenn Bernhard Struck festhält: „Die äußeren Ereignisse wie die Französische Revolution, die Verkündung der Maiverfassung, die Teilungen Polens, der Aufstand von 1794/95, die napoleonischen Kriege und die Ereignisse der Jahre 1830/31 lösten allenfalls kurzfristige und je nach Position des Autors der politischen Konjunktur folgende Veränderungen in den Fremdbildern aus“, s. Struck: Nicht West – nicht Ost, S. 456. 206 Peter J. Brenner: Der Mythos des Reisens. Idee und Wirklichkeit der europäischen Reisekultur in der Frühen Neuzeit, in: Maurer: Impulse, S. 13-61, hier: S. 60; s. auch Grosser: Soziale Eliten, S. 176 f. 207 „Die Schriften veränderten weiter, spitzten zu – nach Interessen des Reisenden, vielleicht aber auch des Auftraggebers oder des Publikums“, s. Herbers: Reiseberichte, S. 40. 208 Dies ist jedoch nicht dasselbe als Reiseaufzeichnungen, die Kritik an Reisen ins revolutionäre Frankreich, s. Hans Wolf Jäger: Kritik und Kontrafaktur, Die Gegner der Aufklärungs- und Revolutionsreise, in: Griep, Jäger: Soziale Realität, S. 79-93.
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Räume die mental maps breiter Volksschichten weiterhin prägen können“209. Diese Deutung setzt voraus, dass in die Reiseberichte unmittelbare Erfahrungen einfließen, die keine Gattungsfilter und Milieuprägungen kennt. Vielmehr scheint mir auch bei der Benennung der besuchten Regionen die überzeitliche Gültigkeit der Beobachtung ausschlaggebend zu sein.210 Das wichtigste Instrument zur Erschaffung einer allgemein gültigen Gegenwelt war jedoch nicht die Lexikalisierung der Beschreibungen, sondern die Literarisierung der Beobachtungen. Aspekte des städtischen Lebens, die sich nicht in Motive gießen ließen und keinen literarischen Stoff in sich bargen, finden dementsprechend keine Beachtung. Motive durften außerdem nicht mehrmals verwendet werden, da sich die Reisebriefe sonst von den Rezensenten den Vorwurf der Wiederholung eingehandelt hätten. Deshalb fand die Schlacht von Würzburg keine Erwähnung, die Schlachten von Austerlitz und Wagram oder die Revolutionsereignisse jedoch sehr wohl.211 Die Autoren der Reisebriefe waren entweder freischaffende Künstler oder Staatsdiener. Militärs und Mitglieder von Fürstenhäusern bildeten dagegen die Ausnahme. Beide Gruppen waren auch von der Gunst der Fürsten abhängig. Die Abhängigkeit vom Wohlwollen der Regenten oder leitenden Regierungsbeamten war sicherlich bei den Staatsdienern stärker ausgeprägt als bei den Schriftstellern. Doch auch diese waren auf Gönner und Mäzene angewiesen, die ihnen Stellungen am Hof und damit dauerhafte Sinekuren verschafften oder sie zumindest kurzfristig unterstützten. Für die Künstler und Staatsdiener galt es also, den Fürsten in den Reisebriefen als eine Heilsbringer-Figur und als Guten Hirten zu interpretieren. Der Staat hatte in der Darstellung der Reisebriefe so zu erscheinen, als sei er überzeitlich gültig – und nicht als Verhandlungsmasse im Konzert der europäischen Mächte. Damit glaubten sie dem Wunsch derer zu entsprechen, von denen sie abhingen. Die Reisemotive sind daher wohl, ganz grundsätzlich gesprochen, eher in den Lebenswelten als in den Reisebriefen zu finden.212
209 Gotthard: Ferne, S. 96. 210 Hierin könnte auch der Grund liegen, warum in der Reiseliteratur über Augsburg nach 1555 die Konfessionstrennung nur sehr selten überhaupt erwähnt wird, s. Helmut Gier: Das Nebeneinander der Konfessionen nach 1555 im Spiegel von Reiseberichten aus Bayerisch Schwaben, in: Wolfgang Wüst, Georg Kreuzer, Nicola Schümann (Hg.): Der Ausgburger Religionsfriede 1555. Ein Epochenereignis und seine regionale Verankerung, 2005, S. 87-106; Axel Gotthard dagegen schlägt die „konfessionsspezifische Wahrnehmung“ der Reisenden als Teilerklärung für die Aussparung vor, s. Gotthard: Ferne, S. 90. 211 S. Struck: Nicht West – nicht Ost, S. 449 ff. 212 Klaus Herbers ist also zuzustimmen, wenn er resümiert: „Viele Motive verschweigen die Berichte oft ganz.“, s. Herbers: Reiseberichte, S. 37.
7. Zäsurenpluralismus und Herrschaftsbindung
Lassen sich bei aller Unterschiedlichkeit der Relevanzen im Denken und Handeln der verschiedenen Berufsgruppen Gemeinsamkeiten erkennen? Reagierten die verschiedenen Akteure vielleicht mit ähnlichen Strategien auf die Umbrüche in ihren Berufsfeldern? Verband die Gruppen eine gemeinsame lebensweltliche Relevanz? Zunächst einmal fällt auf, dass das, was die eine Berufsgruppe beschäftigte, im Regelfall die anderen nicht bekümmerte. Es ist bemerkenswert, wie wenige der Umbrüche alle Akteursgruppen im selben Maß betrafen. Während die Besatzungsphasen den Professoren kaum eine Erwähnung wert ist, gestalteten sie die Lebenswelten der Lehenkutscher massiv um. Nicht nur stiegen das Auftragsvolumen und damit das Arbeitspensum enorm an. Die Wochen und Monate der Okkupation veränderten auch die Selbstdefinition der Lehenkutscher. Angesichts des Aufschwungs im Transportgewerbe versuchten sie einerseits, missliebige Konkurrenten abzuwehren. Andererseits bemühten sie sich, die Erlaubnis für eine Zunftgründung zu erhalten. Das Heeresergänzungsgesetz traf das kleine und mittlere Bürgertum 1804 ins Mark. Auch diese für das kleine und mittlere Bürgertum höchst relevante Gesetzesänderung spielte für die Professoren keine Rolle. Für die Hochschullehrer stand im selben Jahr die Reform der Universität im Vordergrund. Die subalternen Beamten wiederum bemühten sich zur selben Zeit darum, sich der Landesdirektion für eine Weiterbeschäftigung zu empfehlen. In diesem Bemühen ähnelten sie den Professoren, jedoch nicht den Handwerkern. Das Jahr 1809 verlief für diese letzte Gruppe und die Staatsdiener inklusiv der angestellten Musiker ohne größere Neuerungen. Für die Professoren brachte dasselbe Jahr mit der Universitätsreform weitreichende Veränderungen mit sich. Viele Ereignisse, seien es Gesetzesreformen, Besatzungen und Belagerungen oder Regierungswechsel, äußerten sich nur bei einigen Akteursgruppen als relevante Ereignisse. In der Gesamtschau wirkte nicht ein bestimmtes Datum wie etwa die Auflösung des Hochstifts oder der Ausbruch des Kriegs als Zäsur in den Lebenswelten der Menschen in Würzburg, sondern viele verschiedene. Es herrschte ein ausgesprochener Zäsurenpluralismus. Nicht ein Datum in Würzburg von Anfang bis Ende des Untersuchungszeitraums stellte eine Zäsur für alle Bevölkerungsschichten dar. Was die Napoleonische Zeit von den vorigen Jahrzehnten unterschied, war das Auftreten von Zäsuren in allen Berufszweigen und Milieus und innerhalb kürzester Zeit. Auch die Kriege der Jahre 1813 bis 1815 mündeten in keine berufs- und schichtenübergreifende Bewegung. Würzburg hatte, anders als die etwa die
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Städte in Preußen oder Hamburg, nur in einem sehr begrenzten Maß vorher unter dem Krieg zu leiden gehabt. Also wirkte das propagierte Feindbild Frankreich in Würzburg längst nicht so antreibend und verbindend wie in Preußen oder in Hamburg, in denen Kontributionen, Gebietsverluste und die Kontinentalsperre gravierende lebensweltliche Schwierigkeiten in der Kaufmannschaft, bei den Händlern und Handwerkern nach sich zogen. Der Zäsurenpluralismus in Würzburg konnte nur deshalb bestehen, weil kein Ereignis die berufsspezifischen Zäsuren zugunsten eines von allen als Zäsur empfundenen Datums überdeckte. Dies lag auch an der relativen politischen Unbedeutsamkeit der Stadt. In Wien dagegen teilte die Bevölkerung, wie Gottfried Mraz untersucht hat, sehr wohl ein gemeinsames Krisenempfinden. Es war jedoch nicht das Ende des Alten Reiches, sondern der Einfall der Franzosen und ihre Besetzung der Stadt im selben Jahr 1806, der die Bewohner vollauf in Beschlag nahm.1 Erst kurz nach Ende des Untersuchungszeitraums verschlechterte sich die Lage in vielen Berufszweigen gleichzeitig. Eine wirtschaftliche Förderung der neuen fränkischen Provinzen blieb aus. Das Königreich Bayern war hoch verschuldet und erhöhte die Steuern und Abgaben. Die Universität blieb über Jahre im Zustand des Provisoriums. Im Nahrungsgewerbe wirkten sich die beiden aufeinander folgenden Missernten von 1815 und 1816 verheerend aus. In dieser Situation verfügte der bayerische König Maximilian die Rechtsgleichheit der Juden in den neuen fränkischen Provinzen.2 In Altbayern galt das Edikt bereits seit 1813. Im Anschluss an die Emanzipationsgesetze nahmen in Würzburg „die ersten antijüdischen Unruhen des 19. Jahrhunderts“3 ihren Anfang, die heute als ‚Hep-Unruhen’ bezeichnet werden.4 An den Ausschreitungen von 1819 waren nicht nur Kaufleute, sondern auch Studenten und Handwerker beteiligt.5 Etwa 50 Einwohner beschimpften zielgerichtet ansässige Juden, beschädigten ihre Geschäfte und bedrohten sie. Das Pogrom richtete sich gegen jüdische Kaufleute und Bankiers in der Stadt. Einer von 1
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Gottfried Mraz: Das Ende des Heiligen Römischen Reichs. Ursachen und Folgen für die österreichische und deutsche Geschichte, in: Peter C. Hartmann, Florian Schuller (Hg.): Das Heilige Römische Reich und sein Ende 1806. Zäsur in der deutschen und europäischen Geschichte, Regensburg 2006, S. 78-86. S. Peter Rauscher: Der lange Weg aus dem Mittelalter. Die beginnende Emanzipation der Juden im Alten reich um 1800, in: Peter C. Hartmann, Florian Schuller: Das Heilige Römische Reich, S. 140-150. Olaf Blaschke: Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1999, S. 38. S. hierzu Roland Flade: Die Würzburger Juden. Ihre Geschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Würzburg 1996, S. 73 ff. Zum Kontext der Hep-Unruhen s. Walter Ziegler: Ludwig I. und Behr, in: Ulrich Wagner (Hg.): Wilhelm Joseph Behr. Dokumentation zu Leben und Werk eines Würzburger Demokraten, Würzburg 1985, S. 63-112, hier: S. 67.
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ihnen war Jakob Hirsch, der bereits seit 1803 per Sonderprivileg in der Stadt lebte und wirtschaftete und sich als Financier des Hofes hervortat.6 Erst nachdem die Umbrüche der Napoleonischen Zeit ein Ende gefunden und sich stabile politische Strukturen etabliert hatten, schien der Zäsurenpluralismus zu weichen, indem die Vertreter mehrerer Berufe eine politische Maßnahme gemeinsam als Zäsur empfanden, nämlich die rechtliche Gleichstellung der Juden. Erst jetzt schlossen sich bislang vereinzelte Milieus zum Judenpogrom zusammen. Insgesamt bildeten die Aufrührer jedoch nur eine kleine Minderheit. Außerdem waren die Hep-Unruhen und damit auch das gemeinsame Zäsur-Empfinden nur von kurzer Dauer. Einerseits also herrschte bis zum Ende der Napoleonischen Zeit eine starke Vereinzelung der Interessen. Andererseits ähnelten sich die Strategien der verschiedenen Berufe, die Umbruchsphase möglichst ohne Beeinträchtigungen zu überstehen. Die Akteure gleich welcher Gruppe versuchten die lebensweltlichen Risiken der Veränderungen einzudämmen, indem sie sich an den jeweils aktuellen Herrscher zu binden bemühten. Natürlich unterschieden sich die konkreten Ziele dieser Strategie erheblich voneinander. Die Beamten des Hochstifts bemühten sich 1802 darum, ihre Stelle zu behalten und empfahlen sich daher Wilhelm von Hompesch als höchstem Regierungsbeamten. Auch die Ordensleute wandten sich schutzsuchend an die Landesdirektion. Die Professoren versuchten, ihre Wunschkandidaten bei Hompeschs Nachfolger Thürheim durchzusetzen und den Einfluss anderer bei der Regierung zu schwächen. Deshalb taten sie vieles, um sich die Gunst der höchsten Regierungsbeamten zu sichern. Von einem Autonomiestreben der Professoren kann für die Universität Würzburg um die Jahrhundertwende dagegen noch nicht gesprochen werden und es ist fraglich, ob dieses in anderen Universitäten um 1800 stark ausgeprägt war. Die universitätsgeschichtliche Forschung scheint in diesem Punkt zu stark ideengeschichtlich zu argumentieren und lebensweltliche Bedürfnisse zu wenig einzubeziehen. Es wäre sinnvoll, Kunstwerke nicht nur in den historischen Kontext des Staates und der Region zu stellen, in denen der Künstler lebte, sondern sie auch in Beziehung zu seinen gerade vordringlichen lebensweltlichen Bedürfnissen zu setzen. Nicht weniger lassen sich die Versuche der Kutscher, eine Zunft zu gründen, als ein solches Instrument verstehen. Sie hofften zunächst auf die Landesregierung des Hochstifts und später auf die Kurbayerns, um ihre Privilegien zu verteidigen, die in den Kriegsphasen Bedrohungen ausgesetzt waren. Auch die Ästhetisierung der Stadt in den Reiseberichten und die Apologie der unverbrüchlichen Einheit zwischen Fürst und Volk lässt sich als ein Versuch der Reiseschriftsteller beschreiben, den Fürsten als Dienstherren oder Gönnern zu gefallen. Für diejenigen Reiseschriftsteller, die im Hauptberuf im 6
Flade: Würzburger Juden, S. 100 f.
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Staatsdienst standen, scheint die Empfehlungsfunktion ohnehin evident. Denn für alle Staatsbedienstete, die auf Reisen und diejenigen wie Hompesch und Lerchenfeld, mussten sich in dieser unsicheren Zeit mit ihrer Arbeit für höhere Aufgaben empfehlen. Recht eindeutig erscheint die Herrschaftsbindung auch bei den Künstlern, die zwischen 1813 und 1815 den Aufruf zum Kampf mithilfe von Märschen und Gedichten unterstützten. Die Bindung an den Herrscher war für die Künstler in einer Stadt wie Würzburg umso bedeutender, als dass private Kunstsammeln sehr schwach ausgeprägt war. Daher intensivierten diejenigen, die sich von den Regierungswechseln bedroht fühlten, die Kontakte zur Obrigkeit. Dies taten zwei der Würzburger Künstler auch, indem sie während der Befreiungskriege Kriegs verherrlichende Stücke schrieben und komponierten. Die Lyrik der Befreiungskriege erscheint vor dem Hintergrund der sozialen Lage von Künstlern um 1800 als Instrument der Herrschaftsbindung und weniger als Ausdruck eines willkürlich empfundenen Nationalismus. Keine Form der Herrschaftsbindung, sondern ein offener und langwieriger Protest gegen die neue kurbayerische Obrigkeit stellten die Reaktionen auf das Heeresergänzungsgesetz von 1804 dar. Der Wegfall der Exemtion vom Wehrdienst der Residenzstadt Würzburg und die Verpflichtung zum langjährigen Kampf in den Reihen eines noch unbekannten Fürsten durchbrachen den Drang zum Staat, den so viele Würzburger empfanden. Die Handwerker konnten durch die Einziehung ihres Sohnes im Fortbestehen ihres Handwerksbetriebs gehindert werden und waren von kriegsbedingten Einbrüchen ihrer Märkte bedroht. Das kleine und mittlere Bürgertum empfand keine kampfbereite Loyalität zum neuen Herrscher. Der Bindungsdrang an die neue kurbayerische Landesregierung hatte also klare Grenzen. Allerdings versuchten einige Konskribierte, dem Wehrdienst zu entgehen, indem sie um die Ausstellung eines Wanderpasses oder die Anstellung beim Staat ansuchten. Diese Vertreter des kleinen und mittleren Bürgertums versuchten folglich, mithilfe des Staats dem Staat in anderer Hinsicht wieder zu entgehen. Die Herrschaftsbindung ist jedoch nicht als Antwort der Untertanen auf die Herrschaftsintensivierung der beginnenden Moderne zu verstehen. Herrschaftsintensivierung meint ja, vereinfacht ausgedrückt, den Versuch des Staats an der Wende zum 19. Jahrhundert, seinen Einfluss auf möglichst viele Lebensbereiche der Untertanen auszuweiten.7 In der Forschung wurde zwar 7
Ein solches Komplementärverhältnis hat etwa Wolfgang Reinhard für die Frühphase der Industrialisierung beschrieben. „Der fertig ausgebildeten Staatsgewalt“, so Reinhard, „die all ihrer Rivalen und Beschränkungen Herr geworden war, stand eine Gesellschaft gegenüber, in der traditionale Bindung an kleine ständische und regionale Gemeinschaften im Verschwinden war und die Industrialisierung eine nie gekannte Mobilisierung der Menschen und revolutionären sozialen Wandel ausgelöst hatte. Dem dadurch entstandenen neuartigen Legitimations- und Identifikationsbedarf von unten
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über den Impetus der Regierungen gestritten: Stellte die Herrschaftsintensivierung eine Erfüllung der Forderungen Napoleons an seine Vasallenstaaten im Rheinbund dar oder entsprang der Wille zur Ausdehnung und Verstärkung der Herrschaft einem ureigenen Interesse der Staaten? Schließlich hatte man die Rationalisierung in vielen Bereichen schon vor dem Auftreten Napoleons vorbereitet und in einigen Bereichen auch durchgesetzt. Doch einig ist man sich darin, dass das Ziel von Herrschaftsintensivierung die stärkere Kontrolle und effizientere Ausbeutung staatlicher Ressourcen und damit auch der Bevölkerung war. Herrschaftsbindung dagegen ist nicht als komplementäres Verhaltensmuster zur Herrschaftsintensivierung zu verstehen. Sie ist keine Antwort der Untertanen etwa auf die „staatliche Integration“8 mittels der Armee, die Bernhard Schmitt für Preußen und Österreich nach 1815 beobachtet hat. Die Bindung an die jeweilige Regierung entstand aus dem Wunsch nach Stabilität der eigenen Zukunftsvorstellungen, nach Aufrechterhaltung des eigenen gesellschaftlichen Status und nach ökonomischer Sicherheit. Herrschaftsbindung bedeutete keine Zustimmung für das Reformprogramm dieses oder jenes Fürsten. Der Drang zum Staat war ein völlig unpolitischer. Jeder neue Regent sollte die eigene Lebenswelt schützen.9 Und die Versuche der unterschiedlichen Berufsvertreter stellten auch keine Bemühungen dar, den eigenen politischen Verhandlungsspielraum zu vergrößern. Es wäre zu überlegen, ob Proteste der Untertanen, das Aushandeln neuer Handlungsfelder oder das Vergrößern bestehender nicht in politisch instabilen Phasen deutlich abgenommen haben.10 Die Ergebnisse dieser Arbeit legen es entsprach von oben das Interesse der Staatsgewalt an neuen Möglichkeiten zur Machtsteigerung und Ressourcenmobilisierung. Das Ergebnis war der moderne Nationalstaat.“, s. Wolfgang Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2002, S. 447. 8 Bernhard Schmitt: Armee und staatliche Integration. Preußen und die Habsburgermonarchie 1815-1866, Paderborn 2007. 9 Es lässt sich folglich ach keine Anhänglichkeit an das Hochstift als Staatsform oder ausschließlich an den Fürstbischof erkennen, wie Hans-Georg Molitor es mit der Formel des „Territorialpatriotismus” beschrieben hat, s. Molitor: Untertan, S. 185 f. Allerdings sei die Anhänglichkeit auch im ehemaligen Kurköln recht „schnell in Vergessenheit“ geraten, S. 187. 10 Diese Frage ließe sich etwa in die neueren Forschungen zum „statebuilding from below“ eingliedern. Schließlich schreibt André Holenstein: „Looking at statebuilding from below means devoting special attention to the internal social forces and constellations of problems that accompany the development of state institutions and structures.”, s. André Holenstein: Introduction: Empowering Interactions: Looking at Statebuilding from Below, in: Wim Blockmans, André Holenstein, Jon Mathieu, Daniel Schläppi (Hg.): Empowering interactions : political cultures and the emergence of the state in Europe, 1300 – 1900, Ashgate 2009, S. 1-31, hier: S. 10.
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nahe, dass Formen des Widerstands gegen die Obrigkeit dann, wenn die Stabilität der Lebenswelten in Gefahr geriet, nicht etwa zugenommen, sondern sich abschwächt habe. Vor dem Hintergrund dieser Arbeit wäre außerdem zu fragen, ob die Untertanen in Friedenszeiten nicht grundsätzlich andere Vorstellungen und Hoffnungen mit dem Staat verknüpften als in Umbruchsphasen. Die Interaktionen der Untertanen in stabilen Zeiten stellten, da sie der Durchsetzung der eigenen Interessen im Bezug auf den Herrscher dienten, politische Handlungen dar. Die Herrschaftsbindung in der hier untersuchten Phase starker Konflikte entsprang allein lebensweltlichen Bedürfnissen und nicht dem Willen zur Erschließung neuer Handlungsfelder. Die jüngsten Diskussionen um das Reichsende als Zäsur belegen eindrucksvoll, dass sich die Spannung zwischen politischem Handeln und lebensweltlichen Notwendigkeiten im Zeitalter Napoleons weiter zu erforschen lohnt.11 Die Ergebnisse entstanden in einer Arbeit, die nicht nur eine einzelne Stadt in einem sehr engen zeitlichen Rahmen betrachtete, sondern auch durch die Quellenauswahl Grenzen setzte. Die zeitliche und geografische Enge machte sich in den Kapiteln unterschiedlich bemerkbar. Während das Kapitel über die Professoren auf einer ausreichenden Quellengrundlage stand, verhinderte die geringe Zahl an Selbstzeugnissen von Künstlern und Staatsdienern, gesicherte Ergebnisse für deren Milieus zu liefern. Dasselbe Problem stellte sich für die Reisenden. Nur wenige Reisebriefe stehen zur Verfügung, wodurch der Aussagewert dieses Kapitels eingeschränkt bleibt. Andererseits scheint mir die Beschränkung auch von Vorteil zu sein. Erst die starke Begrenzung konnte das Nebeneinander verschiedenster Perspektiven und Interessen auf engstem Raum offenbaren. Nicht nur bildlich, sondern tatsächlich nebeneinander verlief der Weg eines Müllers und eines Hofrates Ende Juli 1796. Die beiden begegneten sich zu der Zeit in der Stadt, als die Franzosen die Stadt besetzt hielten. Von der zufälligen Begegnung berichtet das Tagebuch des Stiftskanonikers Kaspar Jenum. Der Müller bedankte sich mit lauter Stimme beim adeligen Hofrat von Wurmb, dass er nicht wie viele andere Adelige aus der Stadt geflüchtet sei und fügte hinzu, „das sei recht so“, denn „die Franzosen würden gnädigen Herrn wie auch die Bürger nicht fressen“. Wurmb forderte den Müller daraufhin auf, nicht so laut zu sprechen. Außerdem sei auch er ab sofort Bürger.12
11 Zum Überblick s. jetzt Horst Carl: Epochenjahr 1806? Neue Forschungen zum Ende des Alten Reiches, in: ZHF 37 (2010), H. 2, S. 249-261. 12 StadtAW, Rb 393, Tagebuch, Eintrag vom 29.07.1796.
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8. Abkürzungen
ADB = Allgemeine Deutsche Biographie BSB = Bayerische Staatsbibliothek München DLA = Deutsches Literaturarchiv Marbach DMM = Deutsches Museum München DNBL = Deutsche Nationalbibliothek Leipzig DVJSLG = Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte ERH = European Review of History FDH = Freies Deutsches Hochstift Frankfurt/Main GMD = Goethe-Museum Düsseldorf GNM = Germanisches Nationalmuseum Nürnberg GuG = Geschichte und Gesellschaft GWU = Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HZ = Historische Zeitschrift KVC = Kunstsammlungen der Veste Coburg LBZ = Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz Speyer MGM = Militärgeschichtliche Mitteilungen MvW-Museum = Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg ND = Neudruck NDB = Neue deutsche Biographie NGFG = Neujahrsblätter der Gesellschaft für Fränkische Geschichte NL = Nachlass QFGBHSW = Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg REM = Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim SBB = Staatsbibliothek Berlin SHLB = Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel SIMPK = Staatliches Institut für Musikforschung Preußischer Kulturbeseitz Berlin StaatsAW = Staatsarchiv Würzburg
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Abkürzungen
StaatsBB = Staatsbibliothek Bamberg StadtAW = Stadtarchiv Würzburg StadtBT = Stadtbibliothek Trier THULB = Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena UBB = Universitätsbibliothek Bremen UBF = Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau UBG = Universitätsbibliothek Gießen UB EN = Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg UBF = Universitätsbibliothek „Georgius Agricola“ Freiberg UB HD = Universitätsbibliothek Heidelberg UBW = Universitätsbibliothek Würzburg WDGB = Würzburger Diözesangeschichtsblätter ZBLG = Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte ZHF = Zeitschrift für Historische Forschung ZHG = Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde ZVTG = Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte
9. Briefverzeichnis
Bettina VON ARNIM an Achim von Arnim am 17.09.1808 (FDH, HS 7450) BARTOMEUF an Junge am 13.11.1806 (KVC, II 327) Kaspar BECK an Margarethe von Siebold am 29.07.1814 (UBW, SFI 1 a) Wilhelm Joseph BEHR an J. G. Cottasche Buchhandlung am 22.11.1813 (DLA, Cotta-Briefe) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 16.02.1799 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Allgemeine Literatur-Zeitung Jena am 25.10.1803 (GNM, K 39) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 30.08.1800 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 08.06.1802 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Unbekannt am 01.09.1803 (UBW, III 31) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 28.10.1806 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 18.05.1807 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 11.07.1808 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 23.07.1811 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 01.11.1811 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 06.05.1812 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 04.03.1812 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Unbekannt am 26.04.1812 (UBW, III 32) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 29.12.1814 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus am 22.05.1818 (UB HD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) Franz BERG an Unbekannt am 30.05.1799 (UBW, III 37-38) Friedrich Justin BERTUCH an Carl August Böttiger am 26.02.1796 (GNM, Autogr. Böttiger K 2)
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Josef Bonavita BLANK an Abraham Gottlob Werner am 22.10.1800 (UBF, NL Abraham Gottlob Werner/Briefe an Werner/Band III (C)) August BRÉAL GEN. PIRMASENZER an Eduard von Schenk am 05.11.1805 (BSB, Schenkiana I 5, Heft 11) August BRÉAL GEN. PIRMASENZER an Eduard von Schenk am 22.11.1805 (BSB, Schenkiana I 5, Heft 11) Sophie BRENTANO an Sophie von La Roche am 29.12.1797 (SBB, NL Savigny, K.8, Nr. 91: Brentano, Sophie) Sophie BRENTANO an Sophie von La Roche am 12.09.1797 (SBB, NL Savigny K. 8, Nr. 81: Brentano, Sophie ) Clemens BRENTANO an Sophie Méreau am 31.10.1804 (Amelung: Briefwechsel, S. 98 ff) Bettine BRENTANO an Achim von Arnim am 17.09.1808 (FDH, HS 7450) Hermann Josef BRÜNNINGHAUSEN an Unbekannt am 12.03.1812 (GNM, Archiv Autogr. K. 1 Brünninghausen, Hermann Josef) BUBENHOFEN an Seufert am 17.10.1794 (KVC, II 267) G. BURES an von Arbitrer am 16.06.1809 (KVC, II 325) L. DE GERMAN an Ingler am 26.07.1813 (KVC, 345) Johann Peter Joseph DEPPISCH an Johann Ambrosius Barth am 04.12.1795 (UBW, III 3) Johann Peter Joseph DEPPISCH an Johann Ambrosius Barth am 09.11.1995 (UBW, III 2) Johann DIEBITSCH an unbekannten Obristen am 01.01.1814 (StadtBT) Ignaz DOELLINGER an unbekannte Frau am 20.12.1814 (GNM Autogr. K9) Johann Joseph DÖMLING an unbekannten Verleger am 28.12.1801 (GNM Autogr. K2) Johann Michael FEDER an Heinrich Carl Abraham Eichstaedt am 16.10.1803 (UBW, III 7) Johann Michael FEDER an Johann Carl Abraham Eichstaedt am 01.01.1804 (UBW, III 8) Johann Michael FEDER an Unbekannt am 24.01.1806 (BSB, Autogr. Feder, Michael) Johann Michael FEDER an Unbekannt am 09.06.1806 (BSB, Autogr. Feder, Michael) Christian August FISCHER an Unbekannt am 07.05.1804 (UBW, III 50) Christian August FISCHER an das Großherzogliche Hofgericht in Würzburg am 12. 04.1809, in: Huerkamp/Meyer-Thurow: Einsamkeit, S. 273 Christian August FISCHER an Unbekannt am 11.05.1804 (UBW, III 51) Johann Adam FROEHLICH an Johann Barthel von Siebold am 25.10.1808 (UBW, SAI 89 a) Johann Adam FROEHLICH an Johann Barthel von Siebold am 31.05.1811 (UBW, SAI 89 b)
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Anton Joseph FUNCKE an Johann Barthel von Siebold am 17.06.1804 (UBW, SAI 94 a) Anton FUNCKE an Johann Barthel von Siebold am 22.06.1804 (UBW, SAI 94 b) Johann Jakob GRIESBACH an Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, 16.11.1806 (Reichlin-Meldegg: Paulus, S. 368) Anton von HANDEL an Cotta‘sche Buchhandlung am 06.03.1814 (DLA, Cotta-Briefe) Franz Joseph HARTLEBEN an Scherer am 06.04.1808 (BSB, J. Schereriana IV) Ernst August HAUS an Gottlieb Hufeland am 10.04.1808 (BSB, Autogr. Haus, E. A.) Ernst August HAUS an Gottlieb Hufeland am 16.10.1803 (BSB, Autogr. Haus, E. A. D. HECK an Hans Voss am 04.10.1804 (SHLB, Cb 5. Voss, Hans 21:01) Johann Georg HEINE an Cottasche Buchhandlung am 14.02.1815 (DLA, Cotta-Briefe) Franz Xaver HELLER an Christian Gottfried Daniel Esenbeck am 23.12.1814 (SBB, Slg. Darmstaedter 2 b 1812 (5): Heller, Franz Xaver) Franz Xaver HELLER an Christian Gottfried Daniel Esenbeck am 09.01.1812 (SBB, Slg. Darmstaedter 2 b 1812 (5): Heller, Franz Xaver) Franz Kaspar HESSELBACH an Unbekannt am 21.08.1803 (GNM, Autogr. Hesselbach, Franz Kaspar) Franz Kaspar HESSELBACH an unbekannten Geheimrat am 19.12.1814 (GNM, Autogr. Hesselbach, Franz Kapar Friedrich HILDEBRANDT an Johann Barthel von Siebold am 24.01.1805 (UBW, SAI 125 a) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Heinrich Schenk am 03.09.1802 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Heinrich Schenk am 25.10.1802 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Eduard Schenk am 30.10.1802 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Heinrich Schenk am 06.11.1802 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Heinrich Schenk am 14.11.1802 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Heinrich Schenk am 25.11.1802 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Heinrich Schenk am 07.12.1802 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Heinrich Schenk am 10.12.1802 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von)
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Johann Wilhelm von HOMPESCH an Eduard Schenk am 17.12.1802 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Heinrich Schenk am 25.12.1802 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Eduard Schenk am 29.12.1802 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Eduard Schenk am 06.01.1803 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Eduard Schenk am 09.01.1803 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Heinrich Schenk am 10.01.1803 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Heinrich Schenk am 13.01.1803 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Eduard Schenk am 17.01.1803 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Eduard Schenk am 19.01.1803 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Wilhelm von HOMPESCH an Eduard Schenk am 25.01.1803 (BSB, Schenkiana IV, Hompesch, Johann Wilhelm von) Johann Peter von HORNTHAL an Cottasche Buchhandlung am 04.03.1815 (DLA, Cotta-Briefe) Johann Peter von HORNTHAL an Cottasche Buchhandlung am 07.06.1815, DLA, Cotta-Briefe) Friedrich Wilhelm HOVEN an Friedrich Schiller am 03.08.1804 (DLA, I 530) Gottlieb HUFELAND an Georg Joachim Göschen am 16.12.1804 (DNBL, BöGS/A/Hufeland, G. H./Brief 20) Gottlieb HUFELAND an Georg Joachim Göschen am 24.11.1805 (DNBL, BöGS/A/Hufeland, G. H./Brief 21) Christoph Wilhelm HUFELAND an Johann Barthel von Siebold am 13.11.1812 (UBW, SAI 133 c) Johann Aloys Joseph von HÜGEL an Ferdinand von Habsburg am 16.03.1806 (Dorda: Hügel, S. 213) Johann Aloys Joseph von HÜGEL an Lothar Franz von Stadion am 18.03.1806 (Dorda: Hügel, S. 213) August Wilhelm IFFLAND an Georg Joachim Göschen am 13.07.1796 (REM, Autogr. 120) Friedrich Heinrich JACOBI an Friedrich Bouterwek am 02.02.1804 (Fuhrmans: Schelling 3, S. 35) Karl Wilhelm JUCH an Johann Barthel von Siebold am 23.07.1799 (UBW, SAI 146 b) JUNGE an von Halbritter am 22.10.1806 (KVC, II 326)
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Georg Michael KLEIN an Pauls am 12.11.1808 (StadtBT) Alois Gallus Kaspar KLEINSCHROD an Kuratel am 05.11.1814 (Engelhorn: Staat, S. 154) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 09.09.1800 (Reuß: Kleist, S. 269 f) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 11.09.1800 (Reuß: Kleist, S. 271 ff) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 12.09.1800 (Reuß: Kleist, S. 278 ff) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 13.09.1800 (Reuß: Kleist, S. 282 ff) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 14.09.1800 (Reuß: Kleist, S. 293 f) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 15.09.1800 (Reuß: Kleist, S. 294 ff) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 18.09.1800 (Reuß: Kleist, S. 301 f) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 16.09.1800 (Reuß: Kleist, S. 302 ff) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 19.09.1800 (Reuß: Kleist, S. 313 ff) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 20.09.1800 (Reuß: Kleist, S. 323 ff) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 23.09.1800 (Reuß: Kleist, S. 331) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 10.10.1800 (Reuß: Kleist, S. 333 ff) Heinrich von KLEIST an Wilhelmine von Zenge am 11.10.1800 (Reuß: Kleist, S. 344 ff) Joseph KÜFFNER an Johann Joseph Schott am 30.12.1816 (Henke: Joseph Küffner 1, S.98 f.) Joseph KÜFFNER an Johann Joseph Schott am 10.06.1817 (zit. bei Henke: Joseph Küffner 1, S. 102) Andreas LAUBREIS an Johann Barthel von Siebold am 16.09.1799 (UBW, SAI 163 a) Maximilian Emanuel von LERCHENFELD an Gotthilf Heinrich von Schubert am 06.09.1816 (UB EN, Ms. 2640) Maximilian Emanuel von LERCHENFELD an Gotthilf Heinrich von Schubert am 09.01.1817 (UB EN, Ms. 2640) Maximilian Emanuel von LERCHENFELD an Franz von Lerchenfeld am 16.06.1814 (zit. bei Lerchenfeld: Aus den Papieren, S. 34)
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Maximilian Emanuel von LERCHENFELD an Franz von Lerchenfeld, undatiert (1815) (zit. bei Lerchenfeld: Aus den Papieren, S. 56) Maximilian Emanuel von LERCHENFELD an Franz von Lerchenfeld, undatiert (1817) (zit. bei Lerchenfeld, Aus den Papieren, S. 61) Heinrich MÄNDL an Johann Barthel von Siebold am 20.04.1803 (UBW, SAI 182 a) Valentin MAUER an Johann Barthel von Siebold am 15.06.1812 (UBW, SAI 189 a) Carl Philipp MAYER an Johann Barthel von Siebold am 01.05.1813 (UBW, SAI 190 a) Carl Philipp MAYER an Johann Barthel von Siebold am 30.08.1813 (UBW, SAI 190 b) Andreas METZ an Johann Barthel von Siebold am 16.04.1801 (UBW, SAI 197 a) Andreas METZ an Johann Barthel von Siebold am 17.06.1802 (UBW, SAI 197 b) Andreas METZ an Johann Barthel von Siebold am 14.07.1802 (UBW, SAI 197 c) Andreas METZ an Johann Barthel von Siebold am 19.08.1802 (UBW, SAI 197 d) Johann Ernst MEUSEL an Johann Barthel von Siebold am 14.02.1808 (UBW, SAI 199 a) Giacomo MEYERBEER an Ambrosius Kühnel am 11.03.1812 (SBB, 55 Ep 1275) Giacomo MEYERBEER an Aaron Wolfssohn am 15.03.1812 (Becker: Meyerbeer, S. 152) Giacomo MEYERBEER an Aron Wolfssohn am 28.03.1812 (SIMPK, Doc. orig. Meyerbeer 9) Giacomo MEYERBEER an Gottfried Weber am 23.02.1813 (Becker: Meyerbeer, S. 219 f) Friedrich Immanuel NIETHAMMER an Sophie Mereau am 30.10.1804 (FDH, HS 7698) Friedrich Immanuel NIETHAMMER an Johann Heinrich David Färber am 31.10.1804 (UBB, Autogr. XXXI Nr. 2) Friedrich Immanuel NIETHAMMER an Georg Wilhelm Friedrich Hegel am 19.12.1804 (Fuhrmans: Schelling 1, S. 290) Franz OBERTHÜR an Carl August Böttiger am 10.11.1800 (GNM, Archiv Autogr. Böttiger K. 19) Franz OBERTHÜR an Unbekannt im Januar 1804 (StadtAW, NL Ziegler 848, ZGS Biogr. Mappe Oberthür, Franz) Franz OBERTHÜR an Abraham Jacob Penzel am 27.04.1799 (BSB, Penzeliana II)
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Franz OBERTHÜR an Unbekannt am 29.10.1796 (UBW, III 24) Franz OBERTHÜR an Georg August von Breitenbauch am 24.11.1796 (UBW, III 25) Franz OBERTHÜR an Georg August von Breitenbauch am 28.08.1798 (KVC, III 427) Franz OBERTHÜR an Carl Friedrich Ständlin am 08.11.1797 (UBW, III 26) Franz OBERTHÜR an Unbekannt am 10.05.1804 (UBW, III 27) Lorenz OKEN an Matthias Keller am 22.09.1804 (UB Freiburg, NL 45/34) Lorenz OKEN an Matthias Keller am 02.11.1804 (UB Freiburg, NL 45/35) Lorenz OKEN an Matthias Keller am 18.12.1804 (UB Freiburg, NL 45/36) Lorenz OKEN an Matthias Keller am 20.03.1805 (UB Freiburg, NL 45/38) Adam Josef ONYMUS an Carl August Böttinger am 07.07.1805 (GNM Autogr. Böttiger K19) Karl von ORFF an Unbekannt am 06.03.1813 (BSB, Autogr. Orff, Karl von) Carl von PALM an Georg Karl Fechenbach am 16.02.1799 (BSB, Autogr. Palm, Carl J... Franz) Heinrich Eberhard Gottlob PAULUS an Christian Friedrich von Schnurrer am 15.01.1804 (Reichlin-Meldegg: Paulus, S. 374) Heinrich Eberhard Gottlob PAULUS an Jakob Friedrich Fries am 20.05.1804 (THULB, Nachl. Fries VIII 117-125) Heinrich Eberhard Gottlob PAULUS an Jakob Friedrich Fries am 09.08.1804 (THULB, VIII 119) Heinrich Eberhard Gottlob PAULUS an Friedrich Immanuel Niethammer am 13.02.1804 (BSB, Autogr. Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob) Heinrich Eberhard Gottlob PAULUS an Friedrich Immanuel Niethammer am 21.03.1804 (BSB, Autogr. Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob) Heinrich Eberhard Gottlob PAULUS an Friedrich Immanuel Niethammer am 04.08.1804 (UB HD, HS 3471,4) Heinrich Eberhard Gottlob PAULUS an Johann Ernst Christian Schmidt am 12.03.1804 (UBG, Hs 155 – 126) Heinrich Eberhard Gottlob PAULUS an Karl Josef Hieronymus Windischmann am 21.07.1804 (GMD, 4452) Heinrich Eberhard Gottlob PAULUS an Christian Friedrich Fritzsche am 10.12.1805 (HAB, Mittlere Briefsammlung 1276 f) Heinrich von PECHMANN an Karl von Reichenbach am 11.04.1814 (DMM, 5787) Ambrosius RAU an Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck am 09.03.1815 (UBG, NL Baer, Bd. 21) Ambrosius RAU an Unbekannt am 17.06.1815 (SBB, Slg. Darmstaedter La 1821 (4): Rau, Ambrosius) REDING an Unbekannt am 08.06.1812 (BSB, Autogr. Reding)
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Briefverzeichnis
Carl Joseph RINGELMANN an Unbekannt am 22.11.1803 (BSB, Autogr. Ringelmann, Carl Joseph) Friedrich RÜCKERT an Alexander Haindorf am 15.04.1808 (Rückert: Rückert 1, S. 6 f) Friedrich RÜCKERT an Alexander Haindorf am 23.05.1808 (Rückert: Rückert 1, S. 8 ff) Friedrich RÜCKERT an Friedrich de la Motte-Fouquet am 24.10.1814 (Rückert: Rückert 1, S. 44 ff) Heinrich RÜCKERT an Johann Adam Rückert am 12.12.1811 (Rückert: Rückert 4, S. 1) Friedrich RÜCKERT an Johannes Schulze im Januar 1813 (Rückert: Rückert 1, S. 24 f) Friedrich RÜCKERT an Lorenz Sixt am 18.11.1805 (Rückert: Rückert 1, S. 1) Friedrich RÜCKERT an Lorenz Sixt im Dezember 1805 (Rückert: Rückert 1, S. 3 ff) Friedrich RÜCKERT an Christian Stockmar am 08.03.1813 (Rückert: Rückert 1, S. 26 ff) Friedrich RÜCKERT an Christian Stockmar im Juni 1813 (Rückert: Rückert 1, S. 34 f) Friedrich RÜCKERT an Christian Stockmar im Dezember 1813 (Rückert: Rückert 1, S. 40 f) Joseph RÜCKERT an Carl August Böttiger am 22.03.1808 (GNM, Archiv Autogr. Böttiger K. 22) Joseph RÜCKERT an Heinrich Paulus am 14.10.1800 (UBD, Heid. Hs. 853, Fasc. 52) SACKEN an Henry Crabb Robinson am 07.01.1805 (Huerkamp/MeyerThurow: Einsamkeit, S. 278) C. M. SAUER an Friedrich Dominicus Ring am 16.02.1795 (UBF, Ring NL 10) C. M. SAUER an Friedrich Dominicus Ring am 22.06.1795 (UBF, Ring NL 10) C. M. SAUER an Friedrich Dominicus Ring am 08.10.1796 (UBF, Ring NL 10) C. M. SAUER an Friedrich Dominicus Ring am 18.11.1796 (UBF, Ring NL 10) C. M. SAUER an Friedrich Dominicus Ring am 20.02.1797 (UBF, Ring NL 10) C. M. SAUER an Friedrich Dominicus Ring am 17.04.1797 (UBF, Ring NL 10) C. M. SAUER an Friedrich Dominicus Ring am 17.04.1797 (UBF, Ring NL 10)
Briefverzeichnis
341
C. M. SAUER an Friedrich Dominicus Ring am 02.02.1798 (UBF, Ring NL 10) Caroline SCHLEGEL-SCHELLING an Julie Gotter am 18.03.1804 (Huch: Caroline, S. 379 f) Caroline SCHLEGEL-SCHELLING an Luise Gotter am 04.01.1804 (Huch: Caroline, S. 376 ff) Caroline SCHLEGEL-SCHELLING an Pauline Gotter im August 1805 (Huch: Caroline, S. 386 ff) Caroline SCHLEGEL-SCHELLING an Meta Liebeskind am 27.04.1806 (Huch: Caroline, S. 395 f) Caroline SCHLEGEL-SCHELLING an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 21.04.1806 (Huch: Caroline, 392 f) Caroline SCHLEGEL-SCHELLING an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 25.04.1806 (Huch: Caroline, 393 ff) Caroline SCHLEGEL-SCHELLING an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 30.04.1806 (Huch: Caroline, S. 396 ff) Caroline SCHLEGEL-SCHELLING an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 09.05.1806 (Huch: Caroline, S. 400 ff) Caroline SCHLEGEL-SCHELLING an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 12.05.1806 (Huch: Caroline, S. 402 f) Caroline SCHLEGEL-SCHELLING an Karl Hieronymus Joseph Windischmann am 01.12.1804 (Fuhrmans: Schelling 3, S. 140) Caroline SCHLEGEL-SCHELLING an Karl Hieronymus Joseph Windischmann am 14.05.1806 (Fuhrmans: Schelling 3, S. 336 ff) SCHAEFFER an Joseph v. Scherer am 10.10.1795 (BSB, Schereriana IV Schaeffer) Friedrich SCHILLER an Christian Gottfried Körner am 01.03.1788 (Goedeke: Schiller, S. 172) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Heinrich Carl Abraham Eichstaedt am 02.04.1806 (BSB, Autogr. Cim. Schelling Nr. 7) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Adolph Carl August Eschenmayer am 22.12.1804 (DLA, 33571 bei Schelling) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Georg Wilhelm Friedrich Hegel am 03.03.1804 (Fuhrmans: Schelling 3, S. 55) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Georg Wilhelm Friedrich Hegel am 14.07.1804 (Fuhrmans: Schelling 3, 94 ff) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Maximilian Graf von Montgelas am 15.03.1806 (DLA, 67.246 Schelling) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Johann Peter Pauls im Herbst 1805 (Fuhrmans: Schelling 1, S. 334 ff) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Johann Peter Pauls am 26.12.1805 (Fuhrmans: Schelling 1, S. 340 ff)
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Briefverzeichnis
Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Karl Eberhard Schelling Anfang Februar 1806 (Fuhrmans: Schelling 3, S. 305 f) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 01.02.1804 (Fuhrmans: Schelling 3, S. 46 f) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 07.04.1804 (Fuhrmans: Schelling 3, S. 73 f) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 14.07.1804 (Fuhrmans: Schelling 3, 96 ff) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 07.12.1804 (Fuhrmans: Schelling 3, 141 ff) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 26.02.1805 (Fuhrmans: Schelling 3, 187) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 21.02.1806 (Fuhrmans: Schelling 3, S. 308 f) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Karl Joseph Hieronymus Windischmann am 17.04.1806 (Fuhrmans: Schelling 3, S. 326) Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING an Georg Friedrich von Zentner Mitte August 1803 (Fuhrmans: Schelling 3, S. 14 ff) Karl E. SCHELLING an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 24.07.1804 (Fuhrmans: Schelling 3, S. 105) Heinrich SCHENK an Hompesch am 14.09.1805 (BSB, Schenkiana III Hompesch, Johann Wilhelm von) Heinrich SCHENK an Hompesch am 26.09.1805 (BSB, Schenkiana III Hompesch, Johann Wilhelm von) Heinrich SCHENK an Hompesch am 08.10.1805 (BSB, Schenkiana III Hompesch, Johann Wilhelm von) Heinrich SCHENK an Hompesch am 20.10.1805 (BSB, Schenkiana III Hompesch, Johann Wilhelm von) Heinrich SCHENK an Hompesch am 10.11.1805 (BSB, Schenkiana III Hompesch, Johann Wilhelm von) Heinrich SCHENK an Hompesch am 11.11.1805 (BSB, Schenkiana III Hompesch, Johann Wilhelm von) Adam Elias von SIEBOLD an Margarethe von Siebold am 10.12.1814 (UBW, SFI 8 a) Adam Elias von SIEBOLD an Carl Caspar von Siebold am 07.12.1807 (BSB, Autogr. Siebold, Adam Elias von) Adam Elias von SIEBOLD an Rosenmüller am 02.04.1811 (UBW, I 45) Johann Barthel von SIEBOLD an Unbekannt am 07.07.1813 (UBW, I 46) Johann Barthel von SIEBOLD an Unbekannt am 05.02.1810 (UBW, I 43) Johann Barthel von SIEBOLD an Carl August Böttiger am 10.02.1810 (GNM, Archiv Autogr. Böttiger K. 25)
Briefverzeichnis
343
Johann Barthel von SIEBOLD an Johann Gottfried Bremser am 17.03.1812 (BSB, Autogr. Siebold, Bartholomäus von) Johann Barthel von SIEBOLD an Metzet am 30.03.1808 (KVC, III 534) Johann Georg Christoph von SIEBOLD an Unbekannt am 11.07.1795 (UBW, I 41) Julius von SODEN an Ebers am 26.08.1808 (StadtBT, 45) Julius von SODEN an Unbekannt am 25.10.1808 (StaatsBB, Autogr. S 78) STAUFFENBERG an Hofkommission am 13.12.1814 (Engelhorn: Staat, S. 154) Johann Franz Xaver STERKEL an Johann Anton André am 14.06.1799 (LBZ Rheinland-Pfalz, Autogr. 191/1) Friedrich Karl von THÜRHEIM an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 22.04.1804 (Fuhrmans: Schelling 1, S. 309 ff) Georg Adam VOGEL an Johann Barthel von Siebold am 17.08.1799 (UBW, SAI 250 a) Johann Jakob WAGNER an Andreas Adam am 19.01.1804 (Adam/Koelle: Wagner, S. 217 f) Johann Jakob WAGNER an Andreas Adam am 20.02.1804 (Adam/Koelle: Wagner, S. 218 f) Johann Jakob WAGNER an Andreas Adam am 11.05.1804 (Adam/Koelle: Wagner, S. 219 f) Johann Jakob WAGNER an Andreas Adam am 20.09.1804 (Adam/Koelle: Wagner, S. 220 f) Johann Jakob WAGNER an Andreas Adam am 29.04.1805 (Adam/Koelle: Wagner, S. 221) Johann Jakob WAGNER an Andreas Adam am 14.09.1805 (Adam/Koelle: Wagner, S. 221 ff) Johann Jakob WAGNER an Andreas Adam am 30.11.1805 (Adam/Koelle: Wagner, S. 223) Johann Jakob WAGNER an Andreas Adam am 15.03.1809 (Adam/Koelle: Wagner: S. 257) Johann Jakob WAGNER an Andreas Adam am 11.12.1815 (Adam/Koelle: Wagner, S. 277 f) Johann Jakob WAGNER an Andreas Adam am 01.06.1817 (Adam/Koelle: Wagner, S. 280 f) Johann Jakob WAGNER an Theodor Konrad von Kretschmann am 29.02.1808 (Adam/Koelle: Wagner, S. 228 f) Johann Jakob WAGNER an Theodor Konrad von Kretschmann am 18.05.1808 (Adam/Koelle: Wagner, S. 231 ff) Johann Jakob WAGNER an Theodor Konrad von Kretschmann am 09.11.1808 (Adam/Koelle: Wagner, S. 244 f) Johann Jakob WAGNER an Theodor Konrad von Kretschmann am 13.11.1808 (Adam/Koelle: Wagner, S. 245 ff)
344
Briefverzeichnis
Johann Jakob WAGNER an Theodor Konrad von Kretschmann am 28.11.1808 (Adam/Koelle: Wagner, S. 249 f) Johann Jakob WAGNER an Unbekannt am 21.09.1809 (UBW, III 55) Johann Jakob WAGNER an Georg Wagner am 08.01.1804 (BSB, Autogr. Wagner, Johann Jakob, Div. p. 210) Johann Martin von WAGNER an Friedrich Seyffer am 07.01.1803 (DLA, Z 2279 Wagner) Johann Martin von WAGNER an Margred Wagner am 28.01.1804 (MvWMuseum) Johann Martin von WAGNER an Margred Wagner am 30.01.1804 (MvWMuseum) Johann Martin von WAGNER an Margred Wagner am 12.03.1804 (MvWMuseum) Johann Martin von WAGNER an Peter Wagner am 23.01.1798 (MvWMuseum) Johann Martin von WAGNER an Peter Wagner am 16.05.1804 (MvWMuseum) Gottfried WEBER an Giacomo Meyerbeer am 23.05.1811 (Becker: Meyerbeer, S. 110 f)
345
10. Ungedruckte Quellen
Stadtarchiv Würzburg Ratsprotokolle Oberratsprotokolle Ratsakten Ratsbücher Handschriften Nachlass Ziegler Biographische Mappen
Staatsarchiv Würzburg Großherzogtum Würzburg Landesdirektion Oberkriegskommissariat Militäroberkommission
11. Gedruckte Quellen
Walter ABEGG, Jolanda ABEGG (Hg.): Reisetagebuch von 1798 von Johann Friedrich Abegg, Frankfurt/Main 1987. Philipp Ludwig ADAM, August KOELLE (Hg.): Johann Jakob Wagner. Lebensnachrichten und Briefe, Ulm 1851. Charlotte von AHLEFELD: Briefe auf einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Sommer 1808, Altona 1810. Allgemeine deutsche Justiz- und Polizeyfama. Allgemeine Literatur-Zeitung. Heinz AMELUNG (Hg.): Briefwechsel zwischen Clemens Brentano und Sophie Mereau, Leipzig 1908. ANONYM: Erinnerung an die Naturphilosophie einiger Aerzte, Kabbalisten und Rosenkreuzer aus den vorigen Jahrhunderten, in: Neues Museum der Philosophie und Litteratur 1 (1805), S. 23-46. ANONYM: Reise eines Ungenannten durch Deutschland und die Schweiz in den Jahren 1799, 1800, 1801, Breslau/Leipzig 1802. Klement Alois BAADER: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands in Briefen, Augsburg 1795. Heinz BECKER (Hg.): Giacomo Meyerbeer. Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 1, Berlin 1960. J. de BLAINVILLE: Des Herren von Blainville ehemaligen Gesandtschaftssekretärs der Generalstaaten der vereinigten Niederlande an dem Spanischen Hofe Reisebeschreibung durch Holland, Oberdeutschland und die Schweiz besonders aber durch Italien aus des Verfassers eigener Handschrift in englischer Sprache zum erstenmal zum Druck befördert von Georg Turnbull der Rechten Doktor und Wilhelm Guthrie Ritter nunmher in das Deutsche übersetzet, erläutert und hin und wieder mit Anmerkungen versehen von Johann Tobias Köhler Professor zu Göttingen und Mitglied der Churfürstlich Maynzischen Academieder nützlichen Wissenschaften, Lemgo 1764. Johann Gottlob Immanuel BREITKOPF: Über Buchdruckerei und Buchhandel in Leipzig (1793), in: Evi Rietzschel (Hg.), Gelehrsamkeit ein Handwerk? Bücherschreiben ein Gewerbe? Dokumente zum Verhältnis von Schriftsteller und Verleger im 18. Jahrhundert in Deutschland, Leipzig 1982, S. 7-12. Friederika BRUN: Episoden aus Reisen durch das südliche Deutschland, die westliche Schweiz, Genf und Italien in den Jahren 1801, 1802, 1803. Nebst Anhängen vom Jahr 1805, Zürich 1806.
Gedruckte Quellen
347
Sigrid DAMM (Hg.): Begegnung mit Caroline. Briefe von Caroline SchlegelSchelling, Leipzig 1984. Christian Ulrich Detlev von EGGERS: Reise durch Franken, Baiern, Oesterreich, Preußen und Sachsen, Leipzig 1810. Ernst FISCHER (Hg.): Der Buchmarkt der Goethezeit. Eine Dokumentation, Hildesheim 1986. Christian August FISCHER: Geschichte der Amtsführung und Entlaßung des Profeßors C. A. Fischer zu Würzburg, von ihm selbst geschrieben; herausgegeben von Dr. Hermann Eckard, Leipzig 1818. Der Freimüthige, Zeitschrift. Horst FUHRMANS (Hg.): F.W.J. Schelling. Briefe und Dokumente, Bd.1 und 3, Bonn 1962 und 1975. Georg Joachim GÖSCHEN: Meine Gedanken über den Buchhandel und über dessen Mängel, meine wenigen Erfahrungen und meine unmaßgeblichen Vorschläge, dieselben zu verbessern (1802), in: Evi Rietzschel (Hg.), Gelehrsamkeit ein Handwerk? Bücherschreiben ein Gewerbe? Dokumente zum Verhältnis von Schriftsteller und Verleger im 18. Jahrhundert in Deutschland, Leipzig 1982, S. 158-159. Jean-Philippe GRAFFENAUER: Lettres écrites en Allemagne, en Prusse et en Pologne: dans les années 1805, 6, 7 et 8; contenant des recherches statistiques, historiques, littéraires, physiques et médicales; avec des détails sur les monumens publics, les usages particuliers des habitans, les établissemens utiles, les curiosités, les savans et leurs découvertes etc. ainsi que des notices sur divers hôpitaux militaires de l'armée et des fragmens pour servir à l'histoire de la dernière campagne, Paris 1809. Johann Jakob GRUND: Malerische Reise eines deutschen Künstlers nach Rom. Ein würdiger Pendant zu Volkmanns und von Archenholz Werken, Wien 1789. Handbuch der Staatsverfassung und Staatsverwaltung des Königreichs Baiern, Bd. 1, München 1809. Eberhard HAUFE: Joseph Rückert: Bemerkungen über Weimar (1799), Weimar 1969. Ernst Ludwig HEIM: Leben des königlich Preussischen Wirklichen Geheimen Rathes Georg Wilhelm Kessler, Biographen Ernst Ludwig Heim‘s: Aus seinen hinterlassenen Papieren, Leipzig 1853. ANONYM [Carl Gottlieb Samuel Heun]: Carls vaterländische Reisen in Briefen an Eduard, Leipzig 1793. Friedrich Wilhelm von HOVEN: Lebenserinnerungen, Berlin 1984, S. 206. Ricarda HUCH: Carolines Leben in ihren Briefen, Leipzig 1914. Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung
348
Gedruckte Quellen
Johann Christoph KAFFKA [eigtl. Engelmann]: Schilderungen von Deutschland. Aus dem Taschenbuche eines Reisenden, voll interessanter Lokalbemerkungen und Wahrheiten, Glatz/Neiße/Leipzig 1798. Karl GOEDEKE (Hg.): Schillers Briefwechsel mit Körner, Bd. 1: 1784-1792, Leipzig 1878. Großherzoglich Würzburgisches Regierungsblatt, Würzburg 1810-1814. Georg Wilhelm KEßLER: Briefe auf einer Reise durch Süd-Deutschland, die Schweiz und Ober-Italien im Sommer 1808, Leipzig 1810. Theodor KÖRNER: Leyer und Schwerdt, Berlin 1814. Carl Gottlob KÜTTNER: Reise durch Deutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen und einen Theil von Italien, in den Jahren 1797. 1798. 1799., Leipzig 1801. Jacob Friedrich Ludwig LENTIN: Medizinische Bemerkungen auf einer literärischen Reise durch Deutschland. In Briefen, Berlin 1800. Max von LERCHENFELD: Aus den Papieren des k. b. Staatsministers Maximilian Freiherrn von Lerchenfeld, Nördlingen 1887. Arnold MALLINCKRODT: Über Deutschlands Litteratur und Buchhandel. Allen Gelehrten und Buchhändlern ans Herz gelegt (1800), in: Ernst Fischer (Hg.): Der Buchmarkt der Goethezeit. Eine Dokumentation, Hildesheim 1986, S. 201-214. Johan MEERMANN, Freiherr von Dalem: J. Meermanns Freyherrn von Dalem Reise durch Preussen, Oesterreich, Sicilien und einige an jene Monarchien grenzende Länder. Aus dem Holländischen übersetzt vom Professor Lueder in Braunschweig, Braunschweig 1794. Sebastian MERKLE (Hg.): Die Matrikel der Universität Würzburg, I, Bd. 2, Nendeln 1980. Johann Georg MEUSEL: Lexikon der vom Jahre 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, Bd. 6, Leipzig, 1806. Minerva, Zeitschrift. Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek, Zeitschrift. Oberdeutsche Allgemeine Literatur-Zeitung. Franz OBERTHÜR: Michael Ignaz Schmidt’s des Geschichtsschreibers der Deutschen Lebens-Geschichte: Ein so wichtiger als reichhaltiger Beytrag zur Kulturgeschichte der Deutschen, Hannover 1802. Regierungsblatt für das Großherzogtum Würzburg, Würzburg 1807-1808. Regierungsblatt für die Churpfalzbaierischen Fürstenthümer in Franken, Würzburg 1803-1805. Karl Alexander von REICHLIN-MELDEGG: Heinrich Eberhard Gottlob Paulus und seine Zeit, nach dessen literarischem Nachlasse, bisher ungedrucktem Briefwechsel und mündlichen Mittheilungen, Stuttgart 1853. Freimund Reimar [Friedrich Rückert]: Deutsche Gedichte, Heidelberg 1814.
Gedruckte Quellen
349
Rüdiger RÜCKERT (Hg.): Friedrich Rückert: Briefe, Bd. 1 u. 4, Schweinfurt 1977. Friedrich RÜCKERT: Kranz der Zeit, 2. Bd., Stuttgart/Tübingen 1817. Gregor SCHÖPF: Historisch-statistische Beschreibung des Hochstifts Wirzburg, Hildburghausen 1802. Veit Joseph STAHEL: Über den Zustand des Buchhandels in Würzburg, Würzburg 1803. ANONYM [Christian Friedrich Gottlieb Thon]: Romantische Reise von Jena, Weimar, Erfurth, Gotha, Eisenach, Salzungen, Schweinfurth, Würzburg, Aschaffenburg nach Frankfurth am Main, Eisenach 1802. Johann Jakob WAGNER: Der Staat, Würzburg 1815. DERS.: Grundriß der Staatswissenschaft und Politik zum Gebrauche akademischer Vorlesungen, Leipzig 1805. DERS.: System der Idealphilosophie, Leipzig, 1804. DERS.: Über die Trennung der legislativen und executiven Staatsgewalt, München 1804. Franz Xaver von WEGELE: Geschichte der Universität Wirzburg, Bd. 2, Würzburg 1882 (ND Aalen 1969). Karl Joseph Hieronymus WINDISCHMANN: Ideen zur Physik, Würzburg/Bamberg 1805. William WITTMANN: W. Wittmann‘s Reisen in der europäischen Türkey, Kleinasien, Syrien und Aegypten: nebst Bemerkungen über die Pest und andern in der Türkey herrschenden Krankheiten, wie auch einem meteorologischen Tagebuche, Leipzig 1804. Würzburger Hof- und Staatskalender für das Jahr 1800, Würzburg 1798/1799. Würzburger Regierungsblatt, Würzburg 1806-1809. Reiner ZIMMERMANN: Giacomo Meyerbeer: eine Biographie nach Dokumenten, Berlin 1998.
12. Literatur
Ernst AICHNER: Das bayerische Heer in den Napoleonischen Kriegen, in: Hubert Glaser (Hg.): Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat, Bd. 3/1, München 1980, S. 239-253. Wolfgang ALBRECHT: Durchs „malerische und romantische“ Deutschland. Wanderliteratur der Biedermeier- und Vormärzepoche, in: Ders., HansJoachim Kertscher (Hg.): Wanderzwang – Wanderlust, Tübingen 1999, S. 215-238. Wolfgang ALTGELD, Matthias STICKLER (Hg.): „Italien am Main“. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg, Rahden/Westfalen 2007. Wolfgang ALTGELD: Zur Einführung: Unterfranken im Umbruch der europäischen Staatenwelt 1797 bis 1814, in: Ders., Matthias Stickler (Hg.): „Italien am Main“. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg, Rahden/Westfalen 2007, S. 17-32. DERS.: Akademische Nordlichter. Ein Streit um Aufklärung, Religion und Nation nach der Neueröffnung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1807, in: Archiv für Kulturgeschichte 67 (1985), S. 339388. Kurt ANDERMANN (Hg.): Die geistlichen Staaten am Ende des Alten Reiches. Versuch einer Bilanz, Epfendorf 2004. Celia APPLEGATE: A nation of provincials: the German idea of Heimat, Berkeley 1990. DIES.: Zwischen Heimat und Nation: die pfälzische Identität im 19. und 20. Jahrhundert, Kaiserslautern 2007. Karl Otmar von ARETIN: Bayerns Weg zum souveränen Staat, München 1976. Manfred von ARNIM (Hg.): Festschrift Otto Schäfer zum 75. Geburtstag am 29. Juni 1987, Stuttgart 1987. Klaus ARNOLD, Sabine SCHMOLINSKY, Urs Martin ZAHND (Hg.): Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeugnissen des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bochum 1999. Rainer BABEL, Werner PARAVICINI (Hg.): Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, Ostfildern 2005. Franz BANDORF: 200 Jahre Harmonie-Gesellschaft Würzburg: älteste Bürgervereinigung Würzburgs, Würzburg 2003. Wilfried BARNER, Elisabeth MÜLLER-LUCKNER (Hg.): Tradition, Norm, Innovation. Soziales und literarisches Traditionsverhalten in der Frühzeit der deutschen Aufklärung, München 1989.
Literatur
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Arnd BAUERKÄMPER, Hans Erich BÖDEKER, Bernhard STRUCK: Einleitung: Reisen als kulturelle Praxis, in: Dies. (Hg.): Die Welt erfahren: Reisen als kulturelle Begegnung von 1780 bis heute, Frankfurt/Main 2004, S. 9-32. Hans-Peter BAUM: Die Schlacht bei Würzburg vom 1. bis 3. September 1796, in: Ulrich Wagner (Hg.): Geschichte der Stadt Würzburg, Bd. 2, Stuttgart 2004, S. 203-205. DERS. (Hg.): Studentenschaft und Korporationswesen an der Universität Würzburg: 1582 - 1982, Würzburg 1982. DERS.: Aus der Frühzeit der Würzburger Verbindungen (1777-1815), in: Ders. (Hg.): Studentenschaft und Korporationswesen an der Universität Würzburg: 1582 - 1982, Würzburg 1982, S. 48-74. Peter BAUMGART: Die Universität Würzburg während der ersten bayerischen und der großherzoglich-toskanischen Herrschaft (1802-1814), in: Wolfgang Altgeld, Matthias Stickler (Hg.): Italien am Main. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg, Rahden/Westfalen 2007, S. 93-103. DERS.: Bildungswesen und Geistesleben (ca. 1525-1814), in: Ulrich Wagner (Hg.): Geschichte der Stadt Würzburg, Bd. 2, Stuttgart 2004, S. 351-381. DERS. (Hg.): Michael Ignaz Schmidt (1736-1794) in seiner Zeit: der aufgeklärte Theologe, Bildungsreformer und „Historiker der Deutschen“ aus Franken in neuer Sicht, Würzburg 1996. DERS. (Hg.): Vierhundert Jahre Universität Würzburg. Eine Festschrift, Neustadt/Aisch 1982. Renate BAUMGÄRTEL-FLEISCHMANN (Hg.): Bamberg wird bayerisch, Bamberg 2003. Hermann BAUSINGER: Bürgerlichkeit und Kultur, in: Jürgen Kocka (Hg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 121142. DERS., Klaus BEYRER, Gottfried KORFF (Hg.): Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus, München 1991. Heinz BECKER: Einleitung, in: Ders. (Hg.): Giacomo Meyerbeer. Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 1, Berlin 1960, S. 23-54. Ernst BENZ, Franz von BAADER UND KOTZEBUE. Das Russlandbild der Restaurationszeit, Mainz 1957. Helmut BERDING, Etienne FRANÇOIS, Hans-Peter ULLMANN (Hg.): Deutschland und Frankreich im Zeitalter der Französischen Revolution, Frankfurt/Main 1989. Christa BERG (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 4: 1870-1918, München 1991. T.C.W. BLANNING: The French Revolution in Germany. Occupation and Resistance in the Rhineland 1792-1802, Oxford 1983.
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Literatur
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Helga SCHOLTEN (Hg.): Die Wahrnehmung von Krisenphänomenen. Fallbeispiele von der Antike bis in die Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2007. Herbert SCHOTT: Fürstlicher Absolutismus und barocke Stadt, in: Ulrich Wagner (Hg.): Geschichte der Stadt Würzburg, Bd. 2, Stuttgart 2004, S. 130-202. DERS.: Das Verhältnis der Stadt Würzburg zur Landesherrschaft im 18. Jahrhundert, Würzburg 1995. Ernst SCHUBERT: Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts, Neustadt/Aisch 1983. Jochen SCHULTE-SASSE, Renate WERNER: Einführung in die Literaturwissenschaft, München 2001. Gerhard SCHULZ: Kleist: eine Biographie, München 2007. Steffen SCHULZ: Kavalierstouren im Raum Sachsen-Anhalt: zur Bildung und Ausbildung junger Adliger auf und durch Reisen (1717-1768), in: Eva Labouvie (Hg.): Adel in Sachsen-Anhalt: höfische Kultur zwischen Repräsentation, Unternehmertum und Familie, Köln 2007, S. 123-154. Wolfgang SCHULZ: Würzburger Theater 1650-1814, in: Ulrich Wagner (Hg.): Geschichte der Stadt Würzburg, Bd. 2, Stuttgart 2004, S. 737-749. Winfried SCHULZE (Hg.): Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996. DERS.: Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung „Ego-Dokumente“, in: Ders. (Hg.): EgoDokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996, S. 11-30. DERS.: Vom Gemeinnutz zum Eigennutz, in: HZ 243 (1986), S. 591-626. Alfred SCHÜTZ, Thomas LUCKMANN: Strukturen der Lebenswelt, Konstanz 2003. J.B. SCHWAB: Art. Franz Berg, in: ADB, Bd. 2, S. 361-363. Herbert SCHWARZWÄLDER: Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts über Norddeutschland. Verfasser – Entwicklung – geistiger Standort, in: Wolfgang Griep, Hans Wolf Jäger (Hg.): Reise und soziale Realität am Ende des 18. Jahrhunderts, Heidelberg 1981, S. 127-168. Gerd SCHWERHOFF: Öffentliche Räume und politische Kultur in der frühneuzeitlichen Stadt: Eine Skizze am Beispiel der Reichsstadt Köln, in: Rudolf Schlögl (Hg.): Interaktion und Herrschaft. Die Politik in der frühneuzeitlichen Stadt., Konstanz 2004, S. 113-136. DERS.: Das Kölner Supplikenwesen in der Frühen Neuzeit. Annäherungen an ein Kommunikationsmedium zwischen Untertanen und Obrigkeit, in: Georg Mölich, Gerd Schwerhoff (Hg.): Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, Köln 2000, S. 473-496. Rainer C. SCHWINGES (Hg.): Universität im öffentlichen Raum, Basel 2008.
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Literatur
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Literatur
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Literatur
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13. Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Würzburg vom Südwesten, Ölgemälde eines unbekannten Künstlers, um 1750 (Mainfränkisches Museum Würzburg, Stadtgeschichtliche Dauerausstellung, Inv.-Nr. 33071). Abb. 2: Eine Würzburger Kindsmagd, Skizze von Katharina Geiger (17891861) (aus: Ferdinand Gademann, Das Zeichenbuch der Katharina Geigerin und die Künstlerfamilie Geiger in Schweinfurt, Schweinfurt 1929, Bildarchiv preußischer Kulturbesitz). Abb. 3: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling (1775-1854) (HerzogAugust-Bibliothek, Porträt I 11798 (A 19010)). Abb. 4: Erste Seite des Briefs von Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (17611851) an Christian Friedrich Fritzsche (1776-1850) am 10.12.1805 (HerzogAugust-Bibliothek, Mittlere Briefsammlung 1276 f). Abb. 5: Eine Bürgersfrau und eine Köchin zu Würzburg, Skizze von Katharina Geiger (aus: Ferdinand Gademann, Das Zeichenbuch der Katharina Geigerin und die Künstlerfamilie Geiger in Schweinfurt, Schweinfurt 1929, Bildarchiv preußischer Kulturbesitz). Abb. 6: Schützenscheibe von 1790 mit einer Darstellung der Einschiffung eines Würzburger Truppenkontingents an der Alten Mainbrücke, Öl auf Holz (Mainfränkisches Museum Würzburg). Abb. 7: Erste Seite der Supplik des Matheß Karl, Ratsprotokoll (Beilagen) von 1804 (StadtAW, Rp 146 (1804, Beilagen), Eintrag vom 13.12.1804, Foto: Klaus D. Wolf). Abb. 8: Würzburg vom Steinberge aus, um 1850 (StadtAW, KuPl, B 42/6)