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German Pages 182 Year 2001
Beiträge zum Parlamentsrecht
Band 50
Der Bundesrat zwischen Verfassungsauftrag, Politik und Länderinteressen Von
Alfred Rührmair
Duncker & Humblot · Berlin
ALFRED RÜHRMAIR
Der Bundesrat zwischen Verfassungsauftrag, Politik und Länderinteressen
Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von
Ulrich Karpen, Heinrich Oberreuter, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Berndt Oschatz, Hans-Peter Schneider Uwe Thaysen
Band 50
Der Bundesrat zwischen Verfassungsauftrag, Politik und Länderinteressen Von
Alfred Rührmair
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Rührmair, Alfred: Der Bundesrat zwischen Verfassungsauftrag, Politik und Länderinteressen I Alfred Rührmair. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Beiträge zum Parlamentsrecht ; Bd. 50) Zug\.: München, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10532-X
Alle Rechte vorbehalten
© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-10532-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2000 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Literatur, Rechtsprechung und politische Entwicklung konnten bis Juli 2000 berücksichtigt werden. Danken möchte ich besonders meinem verehrten Lehrer und Doktorvater Herrn Professor Dr. Papier, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, dessen Anregung, die auch über 50 Jahre nach Konstituierung des Bundesrates immer noch umstrittenen Fragen seiner Stellung im Gefüge von Recht und Politik zum Gegenstand meiner Untersuchung zu machen, ich gerne gefolgt bin. Sein Vorbild, seine Aufmerksamkeit und sein Rat waren mehr als nur die Grundlagen für das Gelingen dieser Arbeit. Herrn Professor Dr. Badura danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens, Frau Schmidt-Rhode für ihren unermüdlichen organisatorischen Einsatz. Herrn Professor Dr. h.c. Simon, Herrn Professor Dr. Karpen, Herrn Professor Dr. Oberreuter und Herrn Professor Dr. Zeh gebührt mein Dank für die Aufnahme der Arbeit in ihre Schriftenreihe, dem Bundesrat für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses und die Versorgung mit Informationsmaterial. Bei Herrn Ltd. Ministerialrat Dr. Zeiselmair und Frau Ministerialrätin Gmach möchte ich mich für zahlreiche anregende Gespräche und hilfreiche Unterlagen bedanken. Mein herzlichster Dank aber gehört meiner geliebten Birgit und meinen lieben Eltern. Durch ihre Unterstützung und ihr Verständnis, vor allem aber durch ihre Zuneigung waren sie mir eine unschätzbare Hilfe. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. München, im Februar 2001
Alfred Rührmair
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung und Gang der Untersuchung ..........................................
13
B. Die historische Entwicklung des Bundesrates ....................................
16
I. Der Bundesrat als geschichtlich gewachsene Einrichtung.......................
16
1. Der Bundesrat als Urgestein deutscher Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
2. Fraglichkeit der Begründung aus der Tradition. . . . . . .. . . . .. . . .. . . . . . . .. . . . .. .
17
11. Die Vorläufer des Bundesrates.. . . . . . . . .. . . . . . .. . . .. . . . .. . . .. . . .. . . . .. . . . . . . . . ..
17
1. Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ...............
18
2. Bundesversammlung des Deutschen Bundes.................................
18
3. Versammlung der "Conferenz-Bevollmächtigten" des Deutschen Zollvereins
19
4. Staatenhaus der Paulskirchenverfassung .......... . . . ...... . .................
19
5. Bundesrat des Norddeutschen Bundes.......................................
19
6. Bundesrat des Deutschen Reiches von 1871 .................................
20
7. Reichsrat der Weimarer Republik . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . .
21
8. Nationalsozialismus................ .. .................... .. ...... . ..........
22
III. Die Beratungen zum Grundgesetz ..............................................
23
1. Vorgaben und gemeinsame Grundvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
2. Der Abschnitt über den Bundesrat als einer der umstrittensten Teile der Grundgesetzgebung .........................................................
24
a) Unstreitige Grundlage und Zielrichtung ..... . ... . ............. . . . ...... . .
24
b) Streitige Einzelfragen ............................................ .. ......
24
aa) Bundesrats- oder Senatsprinzip .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
8
Inhaltsverzeichnis bb) Die Fragen des Stimmenverhältnisses im Bundesrat und der gleichberechtigten Einräumung von Befugnissen an den Bundesrat .........
27
3. Das Hauptergebnis der gouvernementalen Prägung des grundgesetzlichen Föderalismus .......................................... .. . . .. . . .. .. . . .. .. . . ..
28
IV. Der Bundesrat des Grundgesetzes im Lichte seiner Vorläufer ...................
29
I. Der Bundesrat als Fortsetzung früherer föderativer Organe. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
2. Insbesondere: Der Bundesrat im Verhältnis zum Bundesrat von 1871 und zum Reichsrat der Weimarer Reichsverfassung ..............................
30
V. Der Wandel des Bundesrates seit Entstehung des Grundgesetzes................
31
I. Wandel im tatsächlichen Verhältnis zum Bundestag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
2. Formale Rechtsänderungen ..................................................
32
C. Der Bundesrat als politisches Organ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
I. Die Politisierung des Bundesrates ..............................................
33
1. Die Grundpositionen ........................................................
33
a) Der Bundesrat als unpolitisches Organ ...................................
34
b) Der Bundesrat als (auch) politisches Organ..... . ...................... .. .
36
2. Die Politisierung des Bundesrates in Geschichte und Praxis der Bundesrepublik Deutschland ............................................................
37
a) Die Entscheidung für das Bundesratsprinzip ..............................
37
b) Der Bundesrat in den Phasen der bundesrepublikanischen Geschichte ....
37
3. Die Beschlüsse des Bundesrates als politische Entscheidungen. . . . . . . . . . . . . . .
40
a) Ausgangslage ............................................................
40
b) Zwangsläufigkeit der Politisierung .......................................
41
c) Die Politisierung im Lichte von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik
43
4. Relativierung des Problems in der Praxis .............................. . .....
47
a) Teilweise Überflüssigkeit parteipolitischer Einflussnahme ................
48
Inhaltsverzeichnis b) Eingeschränkter Wirkungsgrad parteipolitischer Einflussnahme
9 48
aa) Die Wechselwirkungen zwischen bundes- und landespolitischer Sphäre ............ .......... ............ ............. ................
48
bb) Die zentrale Rolle der Länderinteressen - zugleich: Die Instrumentalisierung des Bundesrates gegen die Länder beschneidende EU-Interventionen ............................................................
50
5. Grenzen der Politisierung................................... . ............ . ...
54
6. Konsequenzen der Politisierung für das Verhältnis zu den Länderparlamenten
56
11. Insbesondere: Unterschiedliche parteipolitische Mehrheiten in Bundesrat und Bundestag (Stichwort Blockadepolitik) .........................................
56
1. Problemstellung .............................................................
56
2. Blockadepolitik in der Staatspraxis der Bundesrepublik Deutschland. . . . . . . . .
57
3. Aus der Blockadesituation erwachsende Probleme ...........................
59
a) In rechtlich-demokratischer Hinsicht .....................................
59
b) In praktischer Hinsicht ...................................................
59
4. Relativierung des Problems in der Praxis ....................................
60
5. Keine Verfassungskrise durch Blockadepolitik ...............................
62
6. Blockadeähnliche Situation bei identischen Mehrheitsverhältnissen ..........
63
III. Insbesondere: Koalitionsvereinbarungen über das Abstimmungsverhalten ......
64
1. Problemstellung .............................................................
64
2. Verfassungsrechtliche Würdigung ...........................................
65
3. Das Losverfahren als Alternative zur herkömmlichen BundesratsklauseI .....
66
D. Der Bundesrat im Gefüge der Länderinteressen .......... . ............... . ......
68
I. Der Bundesrat als Bundesorgan ....................... . ........................
68
1. Die fonnale Stellung als reines Bundesorgan ................................
68
2. Die materielle Stellung als Länderkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
10
Inhaltsverzeichnis 11. Entscheidungsverhalten in Bundes- und I oder Landesinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
1. Fragestellung ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
2. Die grundsätzlichen Positionen ..............................................
70
3. Würdigung der grundsätzlichen Positionen ..................................
71
a) Handeln auch im Landesinteresse
71
b) Handeln auch im Bundesinteresse
73
c) Handeln im gesamtstaatlichen Interesse ..................................
75
III. Verantwortlichkeit der Bundesratsmitglieder vor ihren Ländern. . . . . . . . . . . . . . . . .
76
1. Ungeklärtheit der Frage .....................................................
76
2. Grund der Diskussion .......................................................
77
3. Verschiedene Arten der Einflussnahme ......................................
79
4. Ausgangspunkt Landesverfassungen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
5. Parlamentarische Verantwortlichkeit ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
a) Das Recht des Parlaments zur nachträglichen Kontrolle der Regierung. . . .
80
b) Formen der parlamentarischen Kontrolle .................................
82
c) Weitere EinzeIfragen .... . . . ............ . .......... . ............ . ...... . ..
83
6. Weisungsbefugnis ...........................................................
84
a) Fragestellung ............................................................
84
b) Die Weisungsgebundenheit der Bundesratsmitglieder ......... . . . .........
85
c) Die Landesregierung als Trägerin der Weisungsbefugnis ..................
86
d) Intensität des Weisungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
e) Fehlen einer Weisung....................................................
90
f) Abweichen von der Weisung.............................................
91
aa) Folgen weisungswidrigen Verhaltens .................................
91
bb) Berechtigung zur Abweichung .......................................
92
g) Die Weisungsgebundenheit im Lichte der demokratischen Legitimation des Bundesrates ..........................................................
92
h) Weisungsrecht auch der Länderparlamente? ...................... . .......
94
i) Auswirkungen auf das Kontrollrecht der Länderparlamente ............... 101
Inhaltsverzeichnis
11
7. Unverbindliche Empfehlung................................................. 102 a) Fragestellung und grundlegender Meinungsstand ......................... 102 b) Zulässigkeit rechtlich unverbindlicher Empfehlungen .................... 103 c) Gegenständliche Einschränkung des Rechts zu rechtlich unverbindlichen Empfehlungen ........................................................... 109 aa) Beschränkung auf länderspezifische Angelegenheiten und I oder geseIlschaftspolitische Grundsatzfragen ................................ 109 bb) Beschränkung durch die bundesstaatliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 8. Information ................................................................. 112 a) Das Recht des Landesparlaments auf Information über Bundesratsangelegenheiten ................................................................ 112 b) Grenzen des Informationsrechts .......................................... 113 c) Das Informationsrecht in der Praxis ...................................... 114 9. Insbesondere: Zustimmungserfordemis bei Grundgesetzänderungen ? ........ 114 a) Problemstellung und Grund der Diskussion............................... 114 b) Verfassungsrechtliche und -politische Würdigung ......................... 115 IV. Die Schwächung der Länderparlamente ........................................ 118 1. Ausgangslage ............................................................... 118
a) Die Verschiebung des Schwergewichts der Gesetzgebungskompetenzen .. 118 aa) Befund............................................................... 118 bb) Ursachen............................................................. 118 b) Kompensation durch Gewinn an Einflussnahme auf den Gesamtstaat? .... 120 aa) Gewinn an Einflussnahme auf den Gesamtstaat ...................... 120 bb) Echte Kompensation? ................................................ 122 cc) Jedenfalls: keine Kompensation zu Gunsten der Länderparlamente ... 124 c) "Exekutivföderalismus" - "Depossedierung der Landtage" ............... 124 aa) Ausgangslage ........................................................ 124 bb) Weitere Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 d) Vereinbarkeit mit den Verfassungsprinzipien ............................. aa) Bundesstaatsprinzip ................................. . ..... ... . . . ... . . bb) Demokratieprinzip ................................................... cc) Prinzip der Gewaltenteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126 127 128 129
e) Relativierung der Problematik............................................ 130
12
Inhaltsverzeichnis 2. Refonnmöglichkeiten
132
a) Auf Landesebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 133 b) Auf Bundesebene ........................................................ 136 c) Behandlung der Problematik im Rahmen verfassungsreformerischer Überlegungen ................................................................. 138 d) Praktische Realisierbarkeit einer Stärkung der Rolle der Länderparlamente .................................................................... aa) Unsicherheit über die rechtlichen Grenzen ....... . ................... bb) Arbeitsökonomische Erwägungen.................................... cc) Fehlende unmittelbare Beteiligung "vor Ort" ......................... dd) Realisierbarkeit einer eigentlichen Kompetenzreform ................
142 142 143 144 145
V. Zwischenländerkooperation und der Bundesrat als koordinierendes Organ...... 146 1. Ausgangslage und Befund................................................... 146
2. Verfassungsrechtliche und -politische Würdigung............................ 147 3. Der Bundesrat als Koordinationsstelle? ...................................... 150 a) Allgemeine verfassungsrechtliche Würdigung............................ ISO b) Die Europakarnrner, Art. 52 Abs. 3a GG .................................. 151 E. Schlussbetrachtung und Zusammenfassung. .. . . . ... . . . . . . . . . . . . .. . . . . ... . . . . . . . . 159
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 164
Stichwortverzeichnis ................................................................. 180
A. Einleitung und Gang der Untersuchung Der Bundesrat: Über 50 Jahre nach seiner Konstituierung im Bonner Bundeshaus am 7. September 1949 als erstes der Verfassungsorgane der neu gebildeten Republik! nimmt er eine mittlerweile fest definierte Stellung im Verfassungsgefüge ein, sein Platz in der historischen Entwicklungslinie der gliedstaatlichen Vertretung im Bundesstaat ist unverrückbar, Ursprung und Gewichtung der von ihm zu vertretenden Interessen stehen fest, Maß und Mittel zulässiger Einflussnahme auf seine Arbeit und das Verhalten seiner Mitglieder sind abgegrenzt - sollte man denken. Doch sind all diese hier gleichsam noch nebulös angedeuteten Fragen und Problemkreise heute so virulent wie vor Jahrzehnten, wenn nicht gar aktueller als je zuvor: Der Bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber rief erst jüngst, am 22. März 2000, in seiner Regierungserklärung "Föderalismus: Solidarität und Wettbewerb - Starke Länder in Europa" das Jahr 2000 zum Jahr des Föderalismus aus. Schlagwörter wie "Wettbewerbsföderalismus", ,,kooperativer Föderalismus" "Exekutivföderalismus" machen gleichsam als "Modethemen,,2 die Runde. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Herrenchiemseer Verfassungskonvents veranstaltet der Bundesrat ein wissenschaftliches Symposium ,,zur Struktur des deutschen Föderalismus,,3. Ohne dass die Bühnen, auf denen derzeit Diskussionen zur Bundesstaatlichkeit dargeboten werden, damit auch nur entfernt abschließend genannt worden wären, wird doch deutlich: Das föderalistische Prinzip steht im Zentrum rechtlicher wie politischer Diskussion - und mit ihm naturgemäß und zwingend auch sein zentrales Organ, der Bundesrat. Nicht von ungefähr kommt es daher etwa, dass die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer das Thema "Das parlamentarische Regierungssystem und der Bundesrat - Entwicklungsstand und Reformbedarf' 1999 zum Gegenstand seiner Befassung 4 gemacht hat. 1 Vgl. Ansprache des damaligen Bundesratspräsidenten Roland Koch beim Festakt des Bundesrates am 6. September 1999 anlässlich des 50. Jahrestages seiner Konstituierung, Pressemitteilung des Bundesrates 106/1999, S. 1. 2 Papier, Der unitarische Bundesstaat - Einer Reföderalisierung der Bundesrepublik sind Grenzen gesetzt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. November 1998, S. 10; ders., 50 Jahre Bundesstaatlichkeit nach dem Grundgesetz - Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent - ,,zur Struktur des deutschen Föderalismus", 1999,341. 3 s. dazu den vom Bundesrat im Jahre 1999 herausgegebenen Tagungsband. Dieser wird noch mehrfach zitiert werden. 4 Der Tagungsband wird noch mehrfach zitiert werden.
14
A. Einleitung und Gang der Untersuchung
Insoweit dem - über 50 Jahre nach Konstituierung des Bundesrates auf den ersten Blick freilich erstaunlichen - "Zeitgeist"S folgend, richtet auch die folgende Abhandlung 6 ihr Augenmerk auf den Bundesrat, auf den Bundesrat in seiner Stellung als Bundesverfassungsorgan im Geflecht von Länderinteressen und Politik, auf den Bundesrat im Einflussbereich insbesondere von Länderparlamenten und Parteien. Als Verfassungs- und oberstes Bundesorgan7, das seine grundgesetzliche Regelung primär in den Art. 50 ff. GG findet, ist der Bundesrat "der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes verpflichtet" und betreibt in "politischer Sterilität" als "überparteiliches Organ" und ,,ruhender Pol sachbezogener Erwägungen" eine "objektivierte Staatskunst", ist "mehr ein Integrationsorgan denn ein Konfrontationsorgan"? Als Organ der Mitwirkung der Länder ist der Bundesrat "Länderkammer" und aufgrund seiner Zusammensetzung aus Mitgliedern, die "Landesväter und Partei söhne zugleich" sind, "Brunnenstube lebendiger politischer Meinungen", die auch ein Wirken als "Gegenregierung" und "Bundesoppositionsrat" nicht ausschließt? Das Grundgesetz mit dem Bundesrat als "elastischem Faktor" steht auch einer Entwicklung zum "unitarischen Bundesstaat" und zum "Exekutivföderalismus" mit der damit einhergehenden "Depossedierung der Länderparlamente" wie auch zum "kooperativen Föderalismus", in dem der Bundesrat auch die Funktion einer "Koordinationsstelle" zu übernehmen vermag, nicht entgegen? - Gleichsam schlaglichtartig und unkommentiert sollen diese in Frageform gehäuften (wörtlichen oder sinngemäßen) Zitate einige der zu behandelnden Problemkreise von den Extrempositionen her nur holzschnittartig anreißen; im Laufe der Erörterungen werden sie uns im jeweils zutreffenden Kontext erneut begegnen. Dabei wird im Abschnitt C. zunächst allgemein der Frage einer Politisierung des Bundesratswirkens mit ihren verfassungsrechtlichen wie praktischen Grenzen nachzugehen sein, bevor unter dem Stichwort der Blockadepolitik die zumindest dem öffentlichen Vernehmen nach virulenteste Ausprägung einer parteipolitischen Instrumentalisierung des Bundesrates zu diskutieren sein wird; mit den Koalitionsvereinbarungen über das Abstimmungsverhalten im Bundesrat soll ein zweiter Spezialaspekt einer Politisierung des Bundesrates beleuchtet werden. Aber nicht nur parteipolitischem Einfluss ist das Verhalten im Bundesrat möglicherweise ausgesetzt: Als Bundesorgan und gleichzeitig Organ der Mitwirkung der Länder stellt sich für den Bundesrat vielmehr auch die im Abschnitt D. zu erörternde Frage, welche Position ihm das Grundgesetz innerhalb des Geflechts von Bundes- und Landesinteressen 8 zugewiesen hat, insbesondere inwieweit eine (in verschiedenen 5 Papier, 50 Jahre Bundesstaatlichkeit nach dem Grundgesetz - Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent "Zur Struktur des deutschen Föderalismus", 1999,341. 6 Literatur, Rechtsprechung und politische Entwicklung konnten bis Juli 2000 berücksichtigt werden. 7 BVeifGE 1, 299, 311; 8,104,120. 8 Nicht Gegenstand der Arbeit soll als nicht im Kern den Bundesrat betreffender Problemkreis die Thematik des Länderfinanzausgleichs sein. s. dazu insbesondere die Entscheidung
A. Einleitung und Gang der Untersuchung
15
Graden denkbare) Einwirkung auf die Bundesratsmitglieder von Seiten ihrer Länder zulässig ist, namentlich von Seiten der Länderparlamente - die, wie gesondert darzustellen sein wird, von unitarisierenden und als solche auch den Bundesrat stärkenden Entwicklungen besonders bedroht sind. Zu klären, ob dem Bundesrat im Rahmen der zu verzeichnenden zunehmenden Zwischenländerkooperation eine Rolle als Organ der Koordinierung übertragen werden kann 9 , wird diesen Versuch einer Positionierung des Bundesrates im Fadenkreuz der Interessen von Bund und Ländern abschließen. Jenen beiden Hauptteilen vorangestellt ist in Abschnitt B. ein kurzer Abriss der historischen Entwicklungslinie des Bundesrates. Dieser wird, insbesondere soweit er sich mit den Beratungen zum Grundgesetz und dem Verhältnis des Bundesrates zu seinen Vorläufern befasst, im Weiteren vielfach als Argumentationsgrundlage Bedeutung erlangen. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse mit Schlussbetrachtung, Abschnitt E., wird die Abhandlung abrunden.
des Bundesveifassungsgerichts vom 11. November 1999, DÖV 2000, S. 113ff., mit Rupp, Länderfinanzausgleich - Verfassungsrechtliche und verfassungsprozessuale Aspekte des Urteils des BVerfG vom 11. 11. 1999, JZ 2000, S. 269 ff.; Degenhart, Maßstabsbildung und Selbstbindung des Gesetzgebers als Postulat der Finanzverfassung des Grundgesetzes - Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich, ZG 2000, S. 79ff.; s. auch schon Leonardy, Deutscher Föderalismus jenseits 2000: Reformiert oder deformiert, ZPari1999, 135, 147ff. 9 In diesem Zusammenhang wird auch auf die Europakammer, Art. 52 Abs. 3a GG, einzugehen sein. Die Mitwirkung des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union wie auch die Frage des Verlusts an eigenstaatlicher Kompetenz der Länder im Zuge der europäischen Integration sind im Übrigen nicht Gegenstand der Erörterungen. Es sei insoweit aus jüngster Zeit beispielhaft verwiesen auf die interessante Fragestellung der "Vertretung der Landtage im Ausschuss der Regionen. Zur parlamentarischen Komponente unmittelbarer Interessenvertretung der deutschen Bundesländer in der Europäischen Union" bei lohne, ZParl 2000, S. 103 ff., wie insbesondere auch auf die Enquete-Kommission des Bayerischen Landtages "Reform des Föderalismus - Stärkung der Landesparlamente", eingesetzt mit Beschluss vom 26. November 1998 (Drs. 14/118), die sich u. a. mit dem Verhältnis von Föderalismus und supranationaler Politik befasst, s. Auftrag der Enquete-Kommission, Beschluss des Bayerischen Landtags vom 8. Juli 1999 (Drs. 14/1464). S. auch Papier; 50 Jahre Bundesstaatlichkeit nach dem Grundgesetz - Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent - "Zur Struktur des deutschen Föderalismus", 1999,341,346; dens., Der unitarische Bundesstaat - Einer Reföderalisierung der Bundesrepublik sind Grenzen gesetzt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. November 1998, S. 10. Europäische Belange werden dariiber hinaus dort anklingen, wo am Beispiel der gemeinsamen Länderfront gegen die Länder beschneidende EU-Interventionen der eingeschränkte Wirkungsgrad lediglich parteipolitischer Einflussnahme auf das Bundesratswirken und gleichzeitig eine Form der Instrumentalisierung des Bundesrates dargestellt werden sollen.
B. Die historische Entwicklung des Bundesrates I. Der Bundesrat als geschichtlich gewachsene Einrichtung 1. Der Bundesrat als Urgestein deutscher Staatlichkeit Der Bundesrat ist eine geschichtlich gewachsene Einrichtung, er ist weder erdacht noch erfunden, sondern "gleichsam von selbst entstanden, historisch gegeben".l Die gliedstaatliche Vertretung auf Bundesebene2 ist "Urgestein deutscher Staatlichkeit", "Verfassungserbgut".3 In seiner heutigen organisatorisch-funktionalen Gestalt - die funktionale Ausrichtung des deutschen Föderalismus seit 1871 birgt die Zusammenarbeit auf Bundesebene samt einer Einbindung des Bundesrates in das Gesetzgebungsverfahren in sich, in seiner organisatorischen Ausrichtung mit seiner Besetzung mit Mitgliedern der Länderregierungen besteht der Bundesrat, mit Ausnahme der NS-Zeit, seit 1871 4 - steht er in der Tradition des Bismarck'schen Bundesrates und des Reichsrates der Weimarer Republik, wobei er in Bezug auf Struktur und Zusammensetzung in deren Mitte anzusiedeln ist. 5 1 Blanke, Der Bundesrat im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes, Jura 1995, 57 m. weit. Nachw. Die teilweise eingenommene pathetische Sichtweise vom Bundesrat als "Verfassungserbgut" darf aber nicht zu eng verstanden werden; auch wenn einzelne Strukturelemente älterer Organgestaltungen Vorbild- und Modellcharakter für spätere Formen entfaltet haben, wie unten noch zu zeigen sein wird, liegt doch schon angesichts der z. T. rein völkerrechtlichen Basis der vermeintlichen Vorläufer eine verfassungsrechtsgeschichtlich ungebrochene Kontinuität nicht vor, vgl. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 11, 1998, Art. 50, Rdnr. 2. 2 Allgemeiner, über die konkrete hiesige ThemensteIlung hinausgehend, lässt sich die historische Verwurzelung auf das bundesstaatliehe System als solches beziehen: "Der Bundesstaat des Grundgesetzes ist Staatsform deutscher Herkunft ( ... ). Er wurzelt im politischen Boden Deutschlands und läßt sich von ihm nicht ablösen", Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders.lKirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 98, Rdnr. 1; ebenso Papier, 50 Jahre Bundesstaatlichkeit nach dem Grundgesetz - Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent - ,,zur Struktur des deutschen Föderalismus", 1999, 341: "Der Föderalismus als grundlegendes Strukturprinzip des politisehen Systems hat ( ... ) in Deutschland eine lange Tradition." 3 Dolzer; Das parlamentarische Regierungssystem und der Bundesrat - Entwicklungsstand und Reformbedarf, 1. Bericht, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 7, 35; vgl. auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 11, Staatsorgane, Staatsfunktionen, Finanz- und Haushaltsverfassung, Notstandsverfassung, 1980, § 27 I 1. 4 s. Dolzer; in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999),7,35. 5 Vgl. Blanke, Jura 1995, 57.
H. Die Vorläufer des Bundesrates
17
2. Fraglichkeit der Begründung aus der Tradition
Der deutsche Bundesstaat hat also Tradition. Doch lebt er kaum noch von ihr. 6 Das Verhältnis des Bundesrates zum Parlamentarismus ist nur bis 1919 geprägt durch die Prinzipien der bündischen Dynastie, für die Zeit danach ist die Herleitung des Bundesrates aus dem Staatenbund souveräner Fürsten nur Geschichte, nicht zugleich auch Grundlage des heutigen Bundesrates, der im Jahre 1949, wie auch schon der Reichsrat der Weimarer Republik im Jahre 1919, durch einen Akt volkssouveräner Verfassungsgebung neu begründet wurde und sich so gegenüber seinen Vorbildern verselbständigte. Auch ein Begründungsansatz, der den Bundesrat jetzt wie seit jeher als Ausdruck und Organ der landsmannschaftlichen, kulturellen und sprachlichen Eigenheiten sehen und darin die historisch-einheitliche Grundlage für den Bundesrat erblicken möchte, steht auf unsicheren Beinen7 wenn auch ein seit Jahren zu beobachtender Bewusstseinswandel in der Bevölkerung konzediert werden muss; wiederbelebte Traditionen haben, wie konstatiert wird 8 , ein höheres Maß an Regionalbewusstsein erzeugt. Aufgrund des vielfach nach Opportunitätsgesichtspunkten erfolgten Neuzuschnitts der Länder während der Besatzungszeit 1945/47 und der erheblichen, insbesondere auf Flucht und Binnenwanderung beruhenden Bevölkerungsbewegungen muss dieser Begründungsansatz als höchst brüchig bewertet werden.
11. Die Vorläufer des Bundesrates Die einzelnen Stufen9 der soeben im großen Bogen skizzierten historischen Entwicklungslinie sind der Immerwährende Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die Bundesversammlung des Deutschen Bundes, die Generalkonferenz der "Conferenz-Bevollmächtigten" der Mitgliedstaaten des Deutschen Zollvereins, das Staatenhaus der Paulskirchenverfassung, der Bundesrat des Norddeutschen Bundes, der Bundesrat des Deutschen Reiches und der Reichsrat der Weimarer Republik.
6 Rennert, Der deutsche Föderalismus in der gegenwärtigen Debatte um eine Verfassungsreform, Der Staat 1993, 269, 273; s. auch Sachs, Das parlamentarische Regierungssystem und der Bundesrat - Entwicklungsstand und Reformbedarf, 2. Bericht, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 39, 49f. 7 Vgl. Rennert, Der Staat 1993, 269, 273. 8 Papier, 50 Jahre Bundesstaatlichkeit nach dem Grundgesetz - Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent - ,,zur Struktur des deutschen Föderalismus", 1999,341,350; ders., Der unitarische Bundesstaat - Einer Reföderalisierung der Bundesrepublik sind Grenzen gesetzt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. November 1998, S. 10. 9 Vgl. Blanke, Jura 1995,57.
2 Rühnnair
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B. Die historische Entwicklung des Bundesrates
1. Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation
Nicht selten werden die historischen Linien des Bundesrates bis zum Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation lO zurückverfolgt, in dem die Reichsstände vertreten waren. Seit 1663 tagte dieser in Gestalt eines Gesandtenkongresses in Regensburg als ständige Einrichtung ("ewiger Reichstag"). Mit dem Reich fand er 1806 sein Ende. Streng genommen gehört er aber allenfalls insoweit zu den Vorläufern des Bundesrates, als er auf die institutionalisierte Beteiligung partikularer bzw. territorialer Interessen an der gesamtdeutschen politischen Entscheidungsfindung hinweist. Im Übrigen entzieht sich die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation angesichts ihrer besonderen Eigenart einer vergleichenden Beurteilung, insbesondere ist der Reichstag aufgrund der eigengearteten Ordnungsstrukturen des Deutschen Reiches mit den Institutionen der grundgesetzlichen bundesstaatlichen Ordnung nur sehr begrenzt vergleichbar. 2. Bundesversammlung des Deutschen Bundes
Als Vorläufer des Bundesrates kann dagegen die als ständiger Gesandtenkongress der verbündeten Staaten in Frankfurt tagende, gemäß Art. 8 der Wiener Schlussakte Bundestag genannte Bundesversammlung des Deutschen Bundes (1815 -1866)11 betrachtet werden. Als permanenter Kongress von Bevollmächtigten der Verbündeten besorgte sie die Angelegenheiten des Bundes - "Die BundesVersammlung, aus den Bevollmächtigten sämtlicher Bundes-Glieder gebildet, stellt den Bund in seiner Gesamtheit vor, und ist das beständige verfassungsmäßige Organ seines Willens und Handeins" (Art. 7 der Wiener Schlussakte) - und diente so der Organisation und Durchsetzung bestimmter gemeinsamer Interessen der Mitglieder. Die Einstufung als Vorläufer des Bundesrates erscheint daher gerechtfertigt, auch wenn der Deutsche Bund als "völkerrechtlicher Verein" (Art. 1 der Wiener Schlussakte) jedenfalls nach heutiger Lesart als Staatenbund und nicht als Bundesstaat einzustufen ist.
10 s. dazu Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 11, 1998, Art. 50, Rdnr. 1; Posser, Der Bundesrat und seine Bedeutung, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auf!. 1994, § 24, Rdnr. 3. 11 s. dazu Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 11, 1998, Art. 50, Rdnr. 2; Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auf!. 1994, § 24, Rdnr. 3; Blanke, Jura 1995, 57; Blumenwitz, in: Dolzerl Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Zweitbearbeitung, Vorbem. z. Art. 5053, Rdnrn. 1 ff.
II. Die Vorläufer des Bundesrates
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3. Versammlung der "Conferenz-Bevollmächtigten" des Deutschen Zollvereins Entsprechendes gilt für die Versammlung der "Conferenz-Bevollmächtigten" der Mitgliedstaaten des 1833 gegründeten Deutschen Zollvereins 12 • Auch sie wird trotz ihrer rein völkerrechtlichen Grundlage vielfach als Bundesratsvorgänger erwähnt. 4. Staatenhaus der Paulskirchenverfassung Nicht nur für die geschichtliche Entwicklung des Bundesrates, sondern auch des Zweigestirns Bundesrat und Bundestag bedeutsam ist die von der Frankfurter Nationalversammlung am 28. März 1849 beschlossene, allerdings nie wirksam gewordene Verfassung ("Paulskirchenverfassung"). Erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte sollte hier ein Staatenhaus 13 zusammen mit einem Volkshaus den Reichstag bilden, wobei für das Staatenhaus 192 Vertreter der Einzelstaaten, je zur Hälfte durch die Regierungen und die Volksvertretungen der Länder bestellt, vorgesehen waren. Für Beschlüsse des Reichstags sollte Übereinstimmung der beiden Häuser erforderlich sein; angestrebt war also eine Gleichberechtigung beider Häuser. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass die Hälfte der Mitglieder durch die Volksvertretungen der Länder entsandt, mithin "Bundesratslösung" und "Senatslösung"14 miteinander verbunden werden sollten. 5. Bundesrat des Norddeutschen Bundes Bei der Errichtung des Norddeutschen Bundes, des ersten Bundesstaates auf deutschem Boden, kam es 1867 unter Federführung Bismarcks zu einer institutionellen und organisatorischen Stärkung der Zentralgewalt. Maßgebendes Bundesorgan war der Bundesrat 15 , der nach Art. 6 der Bundesverfassung vom 17. April 12S. dazu Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band II, 1998, Art. 50, Rdnr. 2; Blumenwitz, in: Dolzer/Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Zweitbearbeitung,
Vorbem. z. Art. 50-53, Rdnr. 4. 13 s. dazu Posser, in: Benda I Maihofer I Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auf!. 1994, § 24, Rdnr. 4; Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band II, 1998, Art. 50, Rdnr. 3; LauferlMünch, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 7. Auf!. 1997, S. 36ff. 14 Auf beide wird unten noch genauer einzugehen sein. 15 s. dazu Blanke, Jura 1995,57, 57f.; Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auf!. 1994, § 24, Rdnr. 5; Möllers, Der parlamentarische Bundesstaat - Das vergessene Spannungsverhältnis von Parlament, Demokratie und Bundesstaat, in: Aulehner/Dengler/Konrad u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auf!ösung oder Zukunft der Staatlichkeit? Assistententagung Öffentliches Recht München 1997,81,82; LauferlMünch, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 7. Auf!. 1997, S. 38f.; Blumenwitz, in: Dolzer/Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Zweitbearbeitung, Vorbem. z. Art. 50-53, Rdnr. 5. 2*
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B. Die historische Entwicklung des Bundesrates
1867 aus den Vertretern der Mitglieder des Bundes bestand - Bismarck hatte getreu seinem Credo, dass der Schlüssel der deutschen Politik bei den Fürsten und Dynastien läge, eine Beschränkung parlamentarischer Befugnisse angezielt. Dem Bundesrat wurde die gesetzgebende Gewalt übertragen, während der aus allgemeinen und direkten Wahlen hervorgegangene Reichstag an der Gesetzgebung nur "mitwirkte". Eine Reichsregierung gab es nicht, was der Stellung des Bundesrates eine besondere Qualität verlieh. Jeder Bundesstaat hatte seine Stimmen einheitlich abzugeben; die Regierungen waren weisungs befugt.
6. Bundesrat des Deutschen Reiches von 1871 Die Verfassung des Norddeutschen Bundes war bestimmend für die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871. Auch in der Reichsverfassung wurde dem Bundesrat 16, der sich - ganz im Sinne der Bundesratslösung - aus den Vertretern der Mitglieder des Reiches zusammensetzte, die ihre Stimmen jeweils einheitlich und nach Weisung abgaben, ein deutliches Übergewicht verliehen. Er war Träger der Reichssouveränität. Als Träger der Staatsgewalt wurden demgemäß "die deutschen Fürsten und die Senate der freien Städte in ihrer Gesamtheit" angesehen. Der Bundesrat war bis hin zu einem absoluten Vetorecht an der Gesetzgebung beteiligt - die Reichsgesetzgebung wurde kumulativ durch den Bundesrat und den Reichstag ausgeübt, wobei Übereinstimmung erforderlich war -, hatte über die Vorlagen an den Reichstag und die von ihm gefassten Beschlüsse zu entscheiden, konnte während einer laufenden Legislaturperiode mit Zustimmung des Kaisers den Reichstag auflösen, besaß Aufgaben im Bereich der Exekutive, einzelne Rechtsprechungsfunktionen und das Letztentscheidungsrecht im Rahmen der Reichsaufsicht. Die starke Stellung des Bundesrates kann auch rein äußerlich insoweit am Verfassungstext abgelesen werden, als die Regelungen über den Bundesrat noch vor denen über Kaiser und Reichstag rangieren. Bismarck verteidigte diese Verfassungslage am 19. April 1871 vor dem Reichstag, forderte diesen auf "Tasten Sie nicht den Bundesrat an, ich sehe eine Art von Palladium für unsere Zukunft, eine große Garantie für die Zukunft Deutschlands in dieser Gestaltung" und stellte fest: "die Souveränität ruht nicht beim Kaiser, sie ruht bei der Gesamtheit der verbündeten Regierungen". In der Verfassungspraxis trat der Bundesrat hingegen allmählich in den Schatten des Reichstages, vor allem infolge der in der Verfassung veranker16 s. dazu Posser; in: Benda 1Maihofer 1Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 6; Blanke, Jura 1995, 57, 58; Bauer; in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 11, 1998, Art. 50, Rdnr. 4; Laujer/Münch, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl. 1997, S. 39ff.; Blumenwitz, in: Dolzer/Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Zweitbearbeitung, Vorbem. z. Art. 50-53, Rdnm. 6ff.; Badura, Staatsrecht - Systematische Erläuterung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1996, E 4, Rdnr. 58; Goos, In guter Tradition - Vorbilder gab es schon 1871 und 1919, Das Parlament Nr. 34-35/1979, 4.
11. Die Vorläufer des Bundesrates
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ten parlamentarischen Verantwortung des Reichskanzlers. Hinzu kam, dass faktisch Preußen das dominierende politische Element war.
7. Reichsrat der Weimarer Republik Der Reichsrat l ? der Weimarer Republik, dessen Stellung und Funktion in Art. 60 Weimarer Verfassung umschrieben waren (,,zur Vertretung der deutschen Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs wird ein Reichsrat gebildet"), war seinem Vorgänger lediglich nach seinen äußeren Merkmalen ähnlich. Hinsichtlich seiner politischen Bedeutung und seiner Kompetenzen dagegen hatten sich die bei der Schaffung der Weimarer Reichsverfassung zutage getretenen starken zentralistischen Tendenzen im Wesentlichen durchgesetzt. Entsprechend Art. I der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, der bestimmte ,,Das Deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.", verschob sich auch das verfassungsrechtliche Gewicht hin zu dem Reichsorgan, das das Volk repräsentierte, zum Reichstag. Der Reichsrat war nicht mehr Ausdruck der Souveränität der Bundesstaaten in Gestalt ihrer Fürsten, vielmehr wurde nun der Reichstag als Verkörperung der Volkssouveränität angesehen. Entsprechend wurde, abgesehen von dem ihm verbliebenen Initiativrecht, die Mitwirkung des Reichsrates bei der Gesetzgebung auf eine bloße Beteiligung ohne echtes Vetorecht beschränkt. Zustimmungsgesetze gab es nach der Weimarer Verfassung nicht, gegen die vom Reichstag beschlossenen Gesetze konnte der Reichsrat lediglich Einspruch einlegen, den der Reichstag jedoch mit Zwei-Drittel-Mehrheit zuriickweisen konnte und über dessen Wirkung der Reichspräsident durch Anordnung eines Volksentscheides befinden konnte. Stärker war die Stellung des Reichsrates lediglich bei Verfassungsänderungen, die der Reichspräsident, wenn der Reichsrat binnen zwei Wochen den Volksentscheid verlangte, nicht als Gesetz verkünden durfte. Die Mitwirkung des Reichrates an der Verwaltung bestand im Wesentlichen in der Beteiligung beim Erlass von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften, selbst konnte er keine maßgeblichen Beschlüsse in Reichsangelegenheiten fassen. Die Gewichtsverteilung fand auch in der Weimarer Reichsverfassung formalen Niederschlag im Verfassungstext; die Verfassung behandelte den Reichsrat in der 17 s. dazu Ehard, Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern und der Bundesrat, BayVBI. 1961, 1; Blanke, Jura 1995, 57, 58; Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band II, 1998, Art. 50, Rdnr. 5; Passer, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auf!. 1994, § 24, Rdnr. 8; Lau/er / Münch, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 7. Auf!. 1997, S. 46ff.; Blumenwitz, in: Dolzer/Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Zweitbearbeitung, Vorbem. z. Art. 50-53, Rdnrn. 12ff.; Badura, Staatsrecht - Systematische Erläuterung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 2. Auf!. 1996, E 4, Rdnr. 58; Gaas, Das Parlament Nr. 34 - 35 / 1979, 4.
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B. Die historische Entwicklung des Bundesrates
Reihung der obersten Reichsorgane erst an vierter Stelle nach Reichstag, Reichspräsident und Reichsregierung. Seiner schwachen Stellung entsprechend vernichtend fiel die Beurteilung des Reichsrates der Weimarer Verfassung als "eine auf deklamatorische Übung beschränkte föderative Verfassungsattrappe, die ohne politische Wirksamkeit war,,18, aus.
8. Nationalsozialismus Zu der lange geforderten Reichsreform, bei der insbesondere auch die Frage der Stellung des Reichsrates im Zentrum stehen sollte, ist es nicht mehr gekommen. 19 Das "Gesetz über den Neuaufbau des Reichs" vom 30. Januar 1934 - der letzte Beschluss des Reichsrates bestand bezeichnenderweise darin, gegen dieses Gesetz keinen Einspruch zu erheben - leitete die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich über, hob die Volksvertretungen der Länder auf und unterstellte die Länderregierungen der Reichsregierung. Letztere wurde gleichzeitig ermächtigt, neues Verfassungsrecht zu setzen. Unmittelbar danach, am 14. Februar 1934, erging das "Gesetz über die Aufhebung des Reichsrats", das den Reichsrat förmlich aufhob und dabei lapidar feststellte: "Die Mitwirkung des Reichsrats in Rechtsetzung und Verwaltung fallt fort". Der damit abgeschlossene Prozess der Ersetzung des föderalistischen Staatsaufbaus durch den nationalsozialistischen Einheitsstaat war aber zum einen vorhersehbar: Die beiden Gleichschaltungsgesetze vom 31. März und 7. April 1933, vor allem aber die Rede Hitlers beim Reichsparteitag der NSDAP 1933, in der er unmissverständlich zum Ausdruck brachte "Die nationalsozialistische Bewegung ist nicht der Konservator der Länder der Vergangenheit, sondern ihr Liquidator zu Gunsten des Reiches der Zukunft", führten "die endgültige Überwindung des Föderalismus und des Bundesstaates überhaupt" als "Ziel der nationalsozialistischen Reichserneuerung" deutlich vor Augen. Zum anderen wäre der genannte Prozess auf einer früheren Ebene möglicherweise noch vermeidbar gewesen: Die Stellung der Länder hätte eine stärkere sein müssen; die Länder hätten nicht schon in der Zeit von 1918 bis 1933 zu in ihrem realen Gewicht ausgehöhlten "Kostgängern des Reiches,,2o absinken dürfen.
18 Deuerlein, Föderalismus - Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips, 1972, 138; s. auch Posser, in: Benda I Maihofer I Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 8. 19 s. dazu Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band II, 1998, Art. 50, Rdnr. 6; Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 7; Ehard, BayVBI. 1961, 1; Laujer/Münch, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl. 1997, S. 52f. 20 Ehard, BayVBI. 1961, 1.
III. Die Beratungen zum Grundgesetz
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111. Die Beratungen zum Grundgesetz 1. Vorgaben und gemeinsame Grundvorstellungen Die Weichen für die Wiederherstellung einer bundesstaatlichen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg mussten von den Vätern des Grundgesetzes nicht gänzlich neu gestellt werden: Die westlichen Alliierten hatten der Verfassungsgebenden Versammlung im ersten der sog. "Frankfurter Dokumente" vom 1. Juli 1948 vorgegeben, eine demokratische Verfassung auszuarbeiten, "die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die ( ... ) die Rechte der beteiligten Länder schützt". Mit der Grundsatzentscheidung für eine bundesstaatliche Ordnung wurde mithin einem Wunsch der westlichen Besatzungsmächte entsprochen. Abgesehen davon erwuchs die Schaffung föderaler Strukturen auch aus den Grundbedürfnissen und Grundinteressen nach den Erfahrungen des nationalsozialistischzentralistischen Staates und dem Zusammenbruch von 1945, war also auch ein originär deutsches Anliegen. 21 Der von den Regierungschefs der westdeutschen Länder bei ihrer Konferenz in Frankfurt am 26. Juli 1948 berufene, nach dem Ort, an dem er vom 10. bis zum 23. August 1948 tagte, als Verfassungskonvent von Herrenchiemsee bekannte Sachverständigenausschuss, der sehr wertvolle Vorarbeit für die von September 1948 bis Mai 1949 andauernde Tätigkeit des Parlamentarischen Rats leistete seine Beschlüsse wurden vom Parlamentarischen Rat aufgenommen und von ähnlichen Ausgangspositionen her neu beraten 22 -, wie auch der von den Länderparlamenten bestimmte Parlamentarische Rat betraten auch insoweit kein Neuland, als sie sich der historischen Kontinuität und Tradition einer "Länderkammer", wie sie oben beschrieben wurde, durchaus bewusst waren. 23
21 Vgl. Bauer; in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band II, 1998, Art. 50, Rdnr. 7; vgl. auch Passer; in: Benda/Maihofer/Voge1 (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 2. 22 Mehr noch als in Herrenchiemsee zeigte sich hier, dass die Entscheidung über die möglichen Alternativen im engen Zusammenhang stand mit dem Umfang der Aufgaben und Rechte, die dem föderativen Organ zustehen sollten, wie auch mit der Verteilung von Kompetenzen, aber auch Staatseinnahmen zwischen Bund und Ländern, s. Passer; in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 11; allg. s. auch Blumenwitz, in: Dolzer /Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Zweitbearbeitung, Vorbem. z. Art. 50-53, Rdnrn. 20ff. 23 Vgl. Passer; in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 2; zum Verfassungskonvent von Herrenchiemsee und zum Parlamentarischen Rat s. ausführlich Marsey, Die Rolle der Ministerpräsidenten bei der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland 1948/49, in: 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent - "Zur Struktur des deutschen Föderalismus", 1999, 35, 45ff.
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B. Die historische Entwicklung des Bundesrates
2. Der Abschnitt über den Bundesrat als einer der umstrittensten Teile der Grundgesetzgebung Ausgehend von diesen gemeinsamen Grundvorstellungen gehörte der Abschnitt über den Bundesrat, obwohl er der mit vier Artikeln kürzeste Abschnitt des Grundgesetzes wurde, im Parlamentarischen Rat nach der Einschätzung Hermann von Mangoldts, der diesem selbst angehörte, aber dennoch "zu den umstrittensten Teilen des Grundgesetzes".24
a) Unstreitige Grundlage und Zielrichtung
Unstreitig zwar war die Grundlage und Zielrichtung der Überlegungen: Der westdeutsche Staat sollte ein Bundesstaat sein, in dem nach der Konsensformel des Herrenchiemsee-Konvents "neben dem Parlament eine weitere Kammer bestehen soll(te), durch die im bundesstaatlichen Gefüge das Element Land zur Geltung kommt".25 Man war, wie schon betont wurde, der Auffassung, dass das Weimarer Verfassungssystem letzten Endes versagt habe 26 . Hauptmängel sah man im Verhältnis zwischen Regierung und Volksvertretung und im Verhältnis zwischen Reich und Ländern und war sich daher dariiber einig, dass eine maßgebliche Beteiligung der Länder - als politische Machtfaktoren - bei der Bildung des Bundeswillens zwingend erforderlich sei, nicht zuletzt um der Gefahr einer Aushöhlung der Länder zu begegnen. Die Mitwirkung der Länder sollte sich über ein zweites Organ vollziehen, das der aus unmittelbaren Wahlen gebildeten Volksvertretung zur Seite gestellt wÜrde. 27 b) Streitige Einzelfragen
Schwieriger waren die Einzelheiten zu lösen. Strittig28 waren vor allem die Struktur des Bundesrates (Bundesrats- oder Senatslösung), seine Zuständigkeiten (volle Gleichberechtigung von Bundestag und Bundesrat bei der Gesetzgebung oder nur in den die Länder besonders betreffenden Teilbereichen) und die Stim24 von Mangoldt/Friedrich Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 11, 2. Aufl. 1966, Vorbemerkungen zum IV. Abschnitt, Anm. III 2 a; s. auch Blanke, Jura 1995, 57. 25 Blanke, Jura 1995, 57, 58; vgl. auch Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 11, 1998, Art. 50, Rdnr. 8. 26 s. auch Maunz/Papier, Verfassungs- und Verfassungsprozessrecht, in: Berg/Knemeyer I Papier ISteiner, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Aufl. 1996, Teil A., Rdnr. 77; Ehard, Aufgabe und Bewährung des Bundesrates, in: Süsterhenn (Hrsg.), Föderalistische Ordnung, 1961,95,97 f. 27 Ehard, BayVBl. 1961, 1; Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 10. 28 Vgl. Blanke, Jura 1995, 57; Doher, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 7, 10.
m. Die Beratungen zum Grundgesetz
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menzahl der in ihm vertretenen Länder (gleiche Stimmenzahl oder Abstufung nach Bedeutung, insbesondere nach Einwohnerzahl): Als die Positionen dabei derart verhärtet waren, dass kein Kompromiss mehr möglich schien, gelang dem bayerischen Ministerpräsidenten Ehard (CSU) und dem nordrhein-westfälischen Innenminister Menzel (SPD), die sich ohne Auftrag ihrer Fraktionen am 26. Oktober 1948 im Bonner Königshof trafen 29 , eine Einigung über die Grundzüge der jetzigen Konstruktion. 3o aa) Bundesrats- oder Senatsprinzip Unter dem Stichwort "Bundesrats- oder Senatsprinzip" wird die Grundsatzfrage der Zusammensetzung aus weisungsgebundenen Mitgliedern der Länderregierungen oder / und aus von den Landtagen oder direkt vom Volk zu wählenden Senatoren 31 erörtert. Diese Entscheidung war in der Geschichte bereits mehrmals zu treffen gewesen 32 , zweimal fiel sie vor dem Grundgesetz zu Gunsten des Bundesratsprinzips aus?3 In der Reichsverfassung von 1871 wie in der Weimarer Reichsver~ fassung. Eine Mischforrn der Modelle hatte vorher § 88 der Paulskirchenverfassung mit dem Staatenhaus vorgesehen 34, dessen Mitglieder je zur Hälfte durch die Regierungen und die Volksvertretung der einzelnen Staaten ernannt werden sollten. In den Beratungen zum Grundgesetz schien eine Einigung zunächst nicht möglich. Der Herrenchiemseer Verfassungskonvene 5 unterbreitete daher lediglich 29 Dazu Gelberg, Der bayerische Einfluß auf die Entstehung des Grundgesetzes, in: Bayerischer Landtag (Hrsg.), Bayern und das Grundgesetz, 1999, 16, 24 f. 30 Posser; in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 11; s. auch Dolzer; in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 7, 11. 31 Bauer; in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 11, 1998, Art. 51, Rdnr. 5; vgl. auch Maunz, Die Rechtsstellung der Mandatsträger im Bundesrat, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, Beiträge zum 25jährigen Bestehen des Bundesrates, 1974, 193, 195; s. auch Badura, Staatsrecht - Systematische Erläuterung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1996, E 4, Rdnr. 57; Maurer; Der Bundesrat im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland, in: Haller I Kopetzki I Novakl Paulson/Raschauer/Ress/Wiederin (Hrsg.), Staat und Recht, Festschrift für Günther Winkler (Hrsg.), 1997,615,625 ff. 32 Vgl. dazu genauer Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Band m, Art. 51, Rn. 1. 33 s. Ehard, BayVBI. 1961, 1,3. 34 Vgl. Bauer; in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 11,1998, Art. 51, Rdnr. 2. 35 Der Freistaat Bayern legte dort mit seinen "Bayerischen Leitgedanken für die Schaffung des Grundgesetzes" ein Konzept vor, nach dem "daran festzuhalten (sei), daß die Ländervertretung kein Staatenhaus sein soll, das von den Länderparlamenten besetzt werden soll, sondern ein Länderrat, in den die Landesregierungen Bevollmächtigte entsenden. Und zwar soll dieser Länderrat Bundesrat heißen, weil seine Aufgabe nicht so sehr eine Landesaufgabe als eine Bundesaufgabe ist.", zit. nach Heubi, Staatliche Macht ausgewogen verteilt, in: Sekretariat des Bundesrates (Hrsg.), Der Bundesrat 1949 - 1969, 1969,6.
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B. Die historische Entwicklung des Bundesrates
alternative Vorschläge für ein Bundesrats- und ein Senatssystem und versah diese jeweils mit einer ausführlichen Würdigung. 36 Der daran anschließende Meinungsstreit im Parlamentarischen Rae 7 ging quer durch die Fraktionen. Während die SPD mehrheitlich die Senatslösung favorisierte, bevorzugten Sprecher der CDU / CSU die Bundesratslösung, signalisierten aber auch die Bereitschaft zu einer Kombination beider Systeme. Auch die Vertreter der Deutschen Partei und des Zentrums sprachen sich, wie auch die ED.P., die erklärte, ein Senat würde die "Mikroskopie des Parlaments" bilden, für das Bundesratsprinzip aus. Man einigte sich schließlich nach langwierigen Debatten auf die bis heute im Wesentlichen unverändert gebliebene Konzeption eines Bundesratsmodells, wie es in Art. 51 GG niedergelegt ist. 38 Die Senatslösung hätte zu einer ähnlich wie der Bundestag zusammengesetzten, aus politischen Parteien gebildeten Parallelversarnmlung geführt, der keine echte Ausgleichsfunktion gegenüber dem Bundestag zugekommen wäre, sondern die lediglich die Verdoppelung der Grundlage der Willensbildung in den beiden Häusern bedeutet hätte. Die Willensbildung der Gliedstaaten, die Ausgangspunkt und Ziel in den jeweiligen Landesinteressen findet, hätte bei der Bildung des Bundeswillens nicht einen ihr gemäßen Ausdruck gefunden. Die Bundesratslösung entspricht daher weit mehr den Grundsätzen eines föderativen Staatsaufbaus - und dieser stand von Anfang an außer Diskussion39 - als es eine Senatslösung ihrer ganzen Anlage nach überhaupt vermöchte. 4o Die Entscheidung für das Bundesratsmodell darf aber nicht fehlinterpretiert werden. 41 Zwar mag der Bundesrat von 1871 von Bismarck als Bollwerk gegen alle auf eine Parlamentarisierung zielenden Bestrebungen institutionalisiert worden sein. Daraus darf aber nicht gefolgert werden, auch dem Votum für das Bundesratssystem im Grundgesetz habe diese Zielrichtung zu Grunde gelegen. Die Entscheidung richtete sich nicht gegen das parlamentarische Regierungssystem, sondern gegen einen übermächtigen Einfluss der politischen Parteien beim Senatsmodell. 36 s. Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auf). 1994, § 24, Rdnr. 10. 37 V gl. Posser, in: Benda I Maihofer I Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auf). 1994, § 24, Rdnr. 11; auch LauferlMünch, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 7. Auf). 1997, S. 64ff.; Morsey, Die Entstehung des Bundesrates im Parlamentarischen Rat, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, Beiträge zum 25jährigen Bestehen des Bundesrates, 1974, S. 63 ff.; s. auch Maurer, Der Bundesrat im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland, in: Haller I Kopetzki I Novak I Paulson I Raschauer I Ress I Wiederin (Hrsg.), Staat und Recht, Festschrift für Günther Winkler (Hrsg.), 1997,615, 627f. m. weit. Nachw. 38 s. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 11,1998, Art. 51, Rdnr. 5. 39 Dies wurde schon oben gesagt. 40 Ehard, BayVBI. 1961, 1,3; s. auch dens., Aufgabe und Bewährung des Bundesrates, in: Süsterhenn (Hrsg.), Föderalistische Ordnung, 1961,95, 111; Doher, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 7, 11. 41 Vgl. Sachs, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999),39,50.
III. Die Beratungen zum Grundgesetz
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Schon der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee wollte den Bundeskanzler nicht vom Vertrauen des Bundesrates abhängig machen; der Parlamentarische Rat hat sogar eine nachrangige Beteiligung des Bundesrates an der Kanzlerwahl wegen der Gefahr der Durchlöcherung der Verantwortlichkeit des Bundestages abgelehnt. bb) Die Fragen des Stimmenverhältnisses im Bundesrat und der gleichberechtigten Einräumung von Befugnissen an den Bundesrat In der Auseinandersetzung über das Stimmenverhältnis42 sprach sich ein Teil für die gleiche Repräsentation aller Länder aus - ein echtes Föderativsystem würde eine solche verlangen -, während andere dafür plädierten, ohne obere Stimmenbegrenzung allein auf die Bevölkerungszahl abzustellen. Wieder andere wollten die Stimmenstaffelung nicht allein arithmetisch auf die Bevölkerungszahl ausrichten. Der deutschen Entwicklung 43 entspricht die Stimmenstaffelung. Bereits § 87 der Paulskirchenverfassung regelte die Aufteilung der Gesamtzahl von 192 Mitgliedern des Staatenhauses unter Orientierung an der politischen Bedeutung der Einzelstaaten. Art. 6 der Reichsverfassung von 1871 verteilte die insgesamt 58 Stimmen im Bundesrat unter Rückgriff vor allem auf die politische und wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Bundesmitglieder für den Gesamtstaat. Auch die Weimarer Reichsverfassung hielt am Grundsatz der Stimmenstaffelung fest, brach dabei aber mit der Tradition der konkreten Stimmenzahlausweisung. Jedes Land hatte mindestens eine Stimme; im Übrigen wurden die Stimmenanteile abstrakt nach Maßgabe der Einwohnerzahlen berechnet, wobei allerdings keinem Land mehr als zwei Fünftel aller Stimmen zukommen durften. In der Frage der dem föderativen Organ einzuräumenden Befugnisse44 war die Mehrheit des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee der Meinung, dass ein Bundesrat mit der ersten Kammer gleichberechtigt sein müsse. Einem Senat sei allenfalls ein mit qualifizierter Mehrheit überstimmbares Einspruchsrecht, ein suspensives Veto, zuzubilligen. Nach langwierigen Verhandlungen und erst nachdem Ehard und Menzel sich ohne Auftrag ihrer Fraktionen auf die Grundzüge der Bundesratskonstruktion geeinigt hatten45 , brachen die lange Zeit unüberwindlich scheinenden Fronten auf. Die beiden großen Fraktionen einigten sich auf die Stimmenregelung, wie sie Ausdruck im Grundgesetz, Art. 51 Abs. 2 GG, 1990 geändert durch das Einigungsver42 Dazu Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band II, 1998, Art. 51, Rdnr. 5; s. auch Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 11. 43 s. dazu Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band II, 1998, Art. 51, Rdnr. 3. 44 Dazu Posse" in: Benda I Maihofer I Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnrn. lOf. 45 Dies wurde schon oben beschrieben.
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B. Die historische Entwicklung des Bundesrates
tragsgesetz (Einl. 2 Nr. 36)46, gefunden hat. In der Frage der Einräumung von Befugnissen an den Bundesrat setzte sich die SPD-Fraktion mit der Ablehnung eines Antrages auf volle Gleichberechtigung des Bundesrates beim Zustandekommen aller Gesetze durch. 47 Dem Bundesrat wurde mithin keine umfassende politische Leitungsfunktion wie dem Bundestag zugestanden, vielmehr sollte ihm ein Zustimmungsrecht nur in jenen Ausnahmefällen zugestanden werden, in denen das "Element Land" besonders betroffen war. 48 3. Das Hauptergebnis der gouvernementalen Prägung des grundgesetzlichen Föderalismus
Am Ende behielt, so viel lässt sich zusammenfassend sagen, der Föderalismus des Grundgesetzes, in Gestalt insbesondere des Bundesrates, die der historischen Entwicklungslinie des Bundesrates entsprechende gouvernementale Prägung bei. Das Modell des von den Länderregierungen beschickten Bundesorgans mit Zuständigkeiten im Legislativ- wie im Exekutivbereich wurde einmal mehr als das wie kein anderes den föderalistischen Interessen entsprechende angesehen. 49 Auf der anderen Seite ist aber auch eine bewusste Abkehr von der Weimarer Verfassung zu erkennen: Der Aufbau der Bundesrepublik wurde betont föderativ gestaltet, in ihrer Position nicht ohne weiteres zu schwächende Länder sind als politische Machtfaktoren maßgeblich an der Bildung des Bundeswillens beteiligt. Entsprechend kennzeichnete das Bundesverfassungsgericht im sog. Konkordatsurteil vom 26. März 1957 die Entscheidung, nach der im staatlichen Bereich die Zuständigkeit bei den Ländern liegt, soweit nicht das Grundgesetz dem Bund Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Gesetzgebung und Verwaltung ausdriicklich verleiht (insbesondere Art. 30, 70, 83 GG), als Grundentscheidung des Grundgesetzes. 50 Die besondere Bedeutung, die der Verfassungsgeber von 1949 dem föderalistischen Staatsaufbau gab, wird auch dadurch unterstrichen 51 , dass er ihn 46 Vgl. Pieroth, in: Jarass I Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. 2000, Art. 51, Rdnr. 4. Neben geringfügigen sprachlichen Glättungen wurde damals zusätzlich die Kategorie der "Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohnern" eingeführt und deren Stimmenzahl von bislang fünf auf sechs erhöht. Damit wollte man sicherstellen, dass die größeren Länder mit der Wiedervereinigung nicht unverhältnismäßig an Stimmengewicht einbüßen und auch künftig nicht mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit überstimmt werden können, Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band H, 1998, Art. 51, Rdnr. 6. 47 Vgl. Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 11. 48 Dolzer, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999),7, 11. 49 Vgl. Blanke, Jura 1995,57,58. 50 BVeifGE 6,309,353 f.; s. auch Ehard, BayVBI. 1961, 1. 51 Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 2.
IV. Der Bundesrat des Grundgesetzes im Lichte seiner Vorläufer
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im Kern jeder Verfassungsänderung entzog, indem er in Art. 79 Abs. 3 GG bestimmte, dass eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder oder die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung berührt werden, unzulässig ist52 .
IV. Der Bundesrat des Grundgesetzes im Lichte seiner Vorläufer 1. Der Bundesrat als Fortsetzung früherer fOderativer Organe Im Bundesrat offenbaren sich Wandel wie Berührungspunkte im Vergleich mit früheren Mitwirkungsformen der Gliedstaaten am Bundesgeschehen; trotz gewisser Unterschiedlichkeiten aber kann der Bundesrat bei grundsätzlicher Betrachtungsweise in rechtlicher wie politischer Hinsicht als Fortsetzer früherer föderativer Organe des deutschen Bundesstaates gesehen werden. 53 Zumeist54 wird er dabei zwischen dem Weimarer Reichsrat und dem Bundesrat der Reichsverfassung von 1871 eingeordnet. So seien, wie Theodor Heuss unmittelbar vor der Schlussabstimmung über den Verfassungsentwurf über das ,,Legende gewordene Frühstück" zwischen Ehard und Menzel 55 berichtet56, der "rheinische Sozialist und der weiß-blaue Staatsmann" dabei "über Weimar zurück noch bismärckischer" geworden. Seinen Funktionen nach allerdings unterscheidet sich der Bundesrat des Grundgesetzes grundsätzlich vom Bundesrat der Bismarck'schen Reichsverfassung, seinem politischen Gewicht nach vom Reichsrat der Weimarer Verfassung 57 :
52 s. dazu Maunz/Papier, in: Berg / Knemeyer / Papier / Steiner, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Auf!. 1996, Teil A., Rdnrn. 77ff.; Blumenwitz, in: Dolzer/Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Zweitbearbeitung, Art. 50, Rdnr. 9. 53 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Band 111, Art. 50, Rdnr. 7; dens.l Scholz, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Band II1, Art. 51, Rdnr. 1; Blumenwitz, in: Dolzer/Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Zweitbearbeitung, Art. 50, Rdnr.4. 54 s. nur Blanke, Jura 1995, 57 m. weit. Nachw. 55 Dazu s. oben. 56 Parlamentarischer Rat, Stenographische Berichte über die Plenarsitzungen, Bonn 1948/1949 (Reproduktion 1949), S. 207; vgl. auch Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auf!. 1994, § 24, Rdnr. 12. 57 Hans-Jochen Vogel, Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auf!. 1994, § 22, Rdnr. 34; s. auch Eschenburg, Bundesrat - Reichsrat - Bundesrat, VerfassungsvorsteIlungen und Verfassungswirklichkeit, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, Beiträge zum 25jährigen Bestehen des Bundesrates, 1974, S. 35ff.
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B. Die historische Entwicklung des Bundesrates
2. Insbesondere: Der Bundesrat im Verhältnis zum Bundesrat von 1871 und zum Reichsrat der Weimarer Reichsverfassung Das Grundgesetz hat die Konstruktion des Bundesrates von 1871 übernommen. Auch unterscheidet das Grundgesetz wie die Bismarckverfassung58 zwischen den Bundesgliedern, die im Bundesrat an der Willensbildung des Bundes mitwirken - vgl. Art. 50 GG -, und den Personen, die diese Mitwirkung vermitteln, d. h. die Rechte der Länder im Bundesrat wahrnehmen - vgl. Art. 51 Abs. 1 GG -, wobei hinsichtlich letzteren jedoch zu bemerken ist, dass die Vertretung durch Regierungsmitglieder erst im Grundgesetz durchgedrungen ist. 59 Auch die Weimarer Verfassung enthielt zwar schon die Bestimmung, dass die Länder im Reichsrat "durch die Mitglieder ihrer Regierungen" vertreten werden (Art. 63 Abs. 1 S. 1 WRV), in der Praxis hingegen saßen hauptsächlich hohe Regierungsbeamte als Vertreter der ordentlichen Mitglieder im Reichsrat. An dieser Unterschiedlichkeit ändert nichts, dass auch heute die Hauptarbeit in den vorbereitenden Ausschüssen regelmäßig durch Ministerialräte erledigt wird, früher typischerweise durch Oberregierungsräte, wie auch eine teils Konrad Adenauer6o , teils Theodor Heuss 6 ! zugeschriebene Bezeichnung des Bundesrates als "Parlament der Oberregierungsräte" zum Ausdruck bringt62 . Die letztverbindliche Entscheidung nämlich liegt bei den Regierungsmitgliedern. Ausgangsbedingungen und Grundstrukturen haben sich aber wesentlich gewandelt: 63 Anders als der Bundesrat der Bismarck'schen Verfassung ist der Bundesrat nicht Souverän des Bundesstaates. Gegenüber dem Reichsrat der Weimarer Verfassung hat der Bundesrat dagegen eine erhebliche Aufwertung erfahren, mit der auch ein entsprechender Bedeutungszuwachs in der politischen Realität einherging: Der Bundesrat hat größere Aufgaben und Befugnisse als der Reichsrat der Weimarer So Scholl, Der Bundesrat in der deutschen Verfassungsentwicklung, 1982,42. Vgl. Scholl, Der Bundesrat in der deutschen Verfassungsentwicklung, 1982,49. 60 Herzog, Stellung des Bundesrates im demokratischen Bundesstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 11, 1987, § 44, Rdnr. 22. 61 Gramm, Gewaltenverschiebungen im Bundesstaat - Zu Möglichkeiten und Grenzen der Verfassungsrechtsdogmatik -, AöR 124 (1999), 212, 217. 62 s. Maurer, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999),81, 122f. 63 Vgl. Stern, Die föderative Ordnung im Spannungsfeld der Gegenwart - Politische Gestaltung im Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander von Bund und Ländern, in: Politikverflechtung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 55, 1974, 15, 25 m. weit. Nachw.; Maurer, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 81, 121 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnr. 615; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl. 1998, § 32 II 1; Ehard, Aufgabe und Bewährung des Bundesrates, in: Süsterhenn (Hrsg.), Föderalistische Ordnung, 1961,95, 101. 58
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V. Der Wandel des Bundesrates seit Entstehung des Grundgesetzes
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Verfassung. Die Weimarer Verfassung sprach noch von der "Vertretung der deutschen Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs" (Art. 60), wohingegen das Grundgesetz das Mitwirkungsrecht der Länder ("Durch den Bundesrat wirken die Länder ( ... ) mit.", Art. 50 GG) betont. Formal kommt die erhöhte Bedeutung des Bundesrates gegenüber dem Reichsrat von Weimar auch dadurch zum Ausdruck, dass der Abschnitt über den Bundesrat jetzt unmittelbar hinter dem des Bundestages steht, nicht mehr hinter Reichspräsident und Reichsregierung. 64 Auch ist das Wirken des Bundesrates unter der Geltung des Grundgesetzes dem Vernehmen nach 65 mehr in das öffentliche Bewusstsein getreten als das des Reichsrates der Weimarer Verfassung. Zu dieser nach alledem stärkeren Stellung haben schließlich auch die folgenden Strukturverschiebungen beigetragen: 66 Die Beseitigung der preußischen HegemonialsteIlung und die Beseitigung des Dualismus. Die HegemonialsteIlung Preußens gegenüber den übrigen Ländern des damaligen Reiches, die von 1871 bis 1918 bestand, hemmte mitunter deren aktive Teilnahme am Reichsgeschehen. Der Dualismus zwischen Preußen und dem Reich, der sich von 1919 bis 1933 entwickelt hatte, belastete die verfassungsrechtliche Struktur des Reiches, zumal für mehr als die Hälfte des Reiches eine einzige Landesregierung bestand, überdies mit dem gleichen Sitz wie für die Reichregierung und auch im Hinblick auf Auffassungen und Interessenlagen mit zahlreichen Überschneidungen. Mit der Auflösung von Preußen waren diese Belastungen67 des bundesstaatlichen Gleichgewichts behoben.
V. Der Wandel des Bundesrates seit Entstehung des Grundgesetzes 1. Wandel im tatsächlichen Verhältnis zum Bundestag
Abgesehen von einer formalen Diagnose der Entwicklung der Rechtslage68 hat sich seit 1949 im faktischen Verhältnis zwischen Bundesrat und Bundestag eine Reihe von Veränderungen ergeben, die sich zusammenfassend damit umschreiben lassen, der Föderalismus und mit ihm die Arbeitsweise des Bundesrates hätten sich Maunz, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Band I1I, Art. 50, Rdnr. 5. Vgl. auch Maunz, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Band I1I, Art. 50, Rdnr. 24. 66 s. Maunz, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Band I1I, Art. 50, Rdnr. 24.; auch Ehard, Aufgabe und Bewährung des Bundesrates, in: Süsterhenn (Hrsg.), Föderalistische Ordnung, 1961, 95, 96f. 67 Als Lehre aus diesen Belastungen für das bundesstaatliche Gefüge ließe sich die Aufforderung ziehen, dass auch heute kein Land (etwa mittels seiner Finanzkraft) eine vergleichbare HegemonialsteIlung im Bund oder auch KampfsteIlung gegen diesen anstreben, einnehmen oder ausnutzen darf, vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Band III, Art. 50, Rdnr.24. 68 Eine solche folgt sogleich. 64 65
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V. Der Wandel des Bundesrates seit Entstehung des Grundgesetzes
dem Leitbild einer mehrheitsbezogenen Verbundsbeteiligung angenähert: 69 Der offen duale Föderalismus, wie die Väter des Grundgesetzes ihn sich vorstellten, entwickelte sich rasch zum unitarischen Bundesstaat; Konrad Hesse70 beschrieb diesen bereits 1962 pointiert. So trat im Bereich der Finanzverfassung ein mehr und mehr zwischen Bund und Ländern vermischtes System an die Stelle des Grundmodells der getrennten Haushalte aus dem Jahre 1949. Im Bundesrat herrschten 1969 erstmals andere Mehrheitsverhältnisse als im Bundestag mit der Folge71, dass die Mehrheit im Bundesrat nach Auffassung vieler Beobachter diesen auch als Forum ihrer bundespolitischen Vorstellungen nutzte. Auch im Übrigen geriet das einzelne Land in der Willensbildung des Bundesrates zu Gunsten der bundespolitisch orientierten Mehrheitsbildung mehr und mehr in den Hintergrund72 • 2. Formale Rechtsänderungen Dagegen ist bei formaler Betrachtung der Abschnitt "Der Bundesrat", Art. 5053 GG, der einzige Abschnitt des Grundgesetzes, der von keiner der 35 bis zum Vereinigungsprozess 1990 in Kraft getretenen Grundgesetzänderungen betroffen gewesen ist. 73 Danach74 wurde der Wortlaut von Art. 50 GG bislang nur durch die Einfügung des Mitwirkungsrechts des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union geändert, zu Art. 52 Abs. 3a GG s. ausführlich unten. Weitergehende Reformüberlegungen haben sich bisher jedenfalls nicht in einer Verfassungsänderung niedergeschlagen. Daraus nun zu folgern, Rechtsstellung und politische Bedeutung dieses Verfassungsorgans seien bei der Entstehung und in der mehr als vierzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland unumstritten gewesen, wäre naheliegend; doch ist - wie nicht zuletzt auch die oben beschriebene faktische Entwicklung vermuten lässt - das Gegenteil der Fall: 75 Konstruktion und Festlegung der verfassungsmäßigen Rechte dieses obersten Staatsorgans waren, wie eingangs erläutert, schon im Parlamentarischen Rat heftig umkämpft, Problemkreise76 wie die Politisierung des Bundesrates und sein Verhältnis zu den Länderparlamenten sind bis heute nicht geklärt. Dazu aber im Folgenden: 69 V gl. Dolzer; in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 7, IU. 70 Hesse, Der unitarische Bundesstaat, 1962. 71 Zu diesem Problemkreis s. ausführlich unten. 72 Auch zu diesem Problemkreis s. ausführlich unten. 73 Vgl. Posser; in: Benda/Maihofer I Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 1. 74 Dazu s. Bauer; in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band II, 1998, Art. 50, Rdnr. 9. 75 Vgl. Posser; in: Benda/Maihofer I Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. I. 76 Auf diese wird unten noch ausführlich einzugehen sein.
c. Der Bundesrat als politisches Organ I. Die Politisierung des Bundesrates 1. Die Grundpositionen
Zwar kennt der Bundesrat keine parteipolitischen Fraktionen wie der Bundestag oder das Europäische Parlament, in dem sich die gewählten Parlamentarier nicht zu nationalen Gruppen, sondern zu Fraktionen mit parteipolitischer Ausrichtung zusammengeschlossen haben. Begriffe wie parlamentarische Mitte, Linke, Rechte finden im Bundesrat schon äußerlich keine Anwendung, die Mitglieder sitzen im Plenum vielmehr in alphabetischer Folge. 1 Doch folgt daraus nicht automatisch, dass im Bundesrat parteipolitische Gesichtspunkte apriori keine oder nur eine geringe Rolle spielen? An der Frage, ob und inwieweit der Bundesrat ein selbstständiges Organ (landes- oder bundes-)politischer Entscheidung ist oder sein darf, schieden sich vielmehr schon in der Vergangenheit die Geister? Heute dominiert zwar eine pragmatische, die Staatspraxis akzeptierende und respektierende Auffassung4 , doch werden in der Staatsrechtslehre letztlich auch heute noch unterschiedliche Auffassungen über das Verhältnis zwischen Bundesrat und politischen Parteien vertreten 5 . Teilweise wurde und wird der Bundesrat gewissermaßen als "überparteiliches" Organ, als Organ der föderativen Sachbezogenheit und Sachlichkeit definiert - jeder parteipolitische Einschlag könne insoweit nur als "Unterwanderung,,6 beklagt werden -, teilweise dagegen als politisches Organ beschrieben, das in die Gesamtpolitik des Bundes mitverantwortlich eingebunden ist. 1 Vgl. Pjitzer, Aufbau und Arbeitsweise des Bundesrates, in: Sekretariat des Bundesrates (Hrsg.), Der Bundesrat 1949-1969, 1969, 8; Herles, Kammerton im "Herrenhaus" - Kein Forum für Volkstribunen, Das Parlament Nr. 34 - 35 / 1979, 3. 2 Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 108. 3 s. Blanke, Jura 1995, 57, 60. Vgl. auch nur Schindler, Der Bundesrat in parteipolitischer Auseinandersetzung - Aktuelle Stellungnahmen von Ministerpräsidenten, ZParl 1972, 148 f.; dens., Mißbrauch des Bundesrates? Dokumentation einer aktuellen Auseinandersetzung, ZParl 1974, S. 157ff.; s. auch Ravens, Landesparlamente und Bundesrat - Möglichkeiten, Grenzen und Praxis parlamentarischer Einflußnahme auf das bundespolitische Aktionsfeld der Landesregierungen, ZParl 1979, 539, 540; Bandorf, Der Bundesrat als Instrument der Parteienpolitik, 1978. 4 Vgl. Blanke, Jura 1995,57,60. 5 Vgl. Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 109. 6 Neunreuther, Der Bundesrat zwischen Politik und Verwaltung, 1959, 107.
3 Rühnnair
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C. Der Bundesrat als politisches Organ
Angemerkt sei an dieser Stelle, dass sich in diesen unterschiedlichen Auffassungen 7 das Spannungsfeld zwischen Föderalismus und Parlamentarismus verdeutlicht8 , wie es schon für die Staatsrechtslehre des Kaiserreichs 9 virulent war. Nach dem Verdikt von der Unvereinbarkeit von parlamentarischem Regierungssystem und Bundesstaat gefährdete die Einführung parlamentarischer Verantwortung die Stellung des Bundesrates. Dieser würde in den Schatten der Reichstagsgewalt treten, politisch verkümmern, bis am Ende des Prozesses der Parlamentarisierung der Einheitsstaat stehe und damit das Ende der Souveränität der Einzelstaaten. Letztere aber waren es, von denen das Schicksal des Reiches aus Bismarcks Sicht abhing, wie er in seinen "Gedanken und Erinnerungen,,10 zum Ausdruck brachte: "Niemals ( ... ) bin ich in Zweifeln gewesen, dass der Schlüssel zur deutschen Politik bei den Fürsten und Dynastien lag und nicht bei der Publicistik in Parlament und Presse oder bei der Barrikade." a) Der Bundesrat als unpolitisches Organ
Soweit, um nach diesem eher rechtspolitischen Exkurs wieder zu den obigen Grundpositionen in der Frage der Zulässigkeit einer Politisierung des Bundesrates zurückzukommen, die Aufgabe des Bundesrates auf die "Lösung bundesstaatlicher Konflikte" beschränkt und der Bundesrat als "Widerlager der Parteipolitik" begriffen wird, wird als Kronzeugen auf Theodor Maunz 11 verwiesen. 12 Maunz verlangte von den Mitgliedern des Bundesrates, ihre parteipolitische Verbundenheit nicht zur Grundlage einer Stellungnahme in diesem Verfassungsorgan zu machen. Wille des Grundgesetzes sei es, "daß nur im Bundestag das Volk nach Parteien gegliedert auftritt, während der Bundesrat nach Ländern gegliedert in Tätigkeit tritt". Der Bundesrat bringe nicht ein parteipolitisches Kräfteverhältnis zum Ausdruck, das Grundgesetz hätte sonst der Senatslösung den Vorzug geben müssen. Auch liege es nicht im Sinne der verfassungsrechtlichen Gestaltung des Bundesrates, durch Vgl. dazu Blanke, Jura 1995,57,60 m. weit. Nachw. s. Blanke, Jura 1995, 57, 60. 9 s. dazu Möllers, in: Aulehner/Dengler/Konrad u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit? Assistententagung Öffentliches Recht München 1997, 81, 84 f.; vgl. auch Dalzer; in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 7, 9ff. 10 Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Erster Bd. (Ausgabe 1913), 316, zit. nach Dalzer; in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 7,10. 11 s. Maunz, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, Beiträge zum ' 25jährigen Bestehen des Bundesrates, 1974, 193, 209 f.; dens., in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Band 111, Art. 50, Rdnr. 25. Maunz war als bayerischer Kultusminister von 1957 - 1964 selbst Mitglied des Bundesrates. s. auch Passer; in: Benda I Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 109; Blanke, Jura 1995, 57, 60. 12 Vgl. Blanke, Jura 1995,57,60. 7
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I. Die Politisierung des Bundesrates
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Parlamentswahlen in den Ländern eine etwaige Mehrheit im Bundesrat brechen zu wollen. Großes Gewicht komme der Fähigkeit der Mandatsträger zu, ihre parteipolitische Verbundenheit nicht zur Grundlage ihrer Stellungnahmen im Bundesrat zu machen. Das Grundgesetz verlange ihnen eine andere Haltung ab. Insbesondere widerspreche eine fraktionsgleiche parteipolitische Aufgliederung (v.a. die Gegenüberstellung von "CDU-Ländern" und ,,sPD-Ländern" oder die mittlerweile wie selbstverständlich gebrauchte 13 Aufteilung in A- und B-Länder) der Vorstellung des Grundgesetzes vom Bundesrat. Die Bundesratsmitglieder haben nicht das den Bundestagsabgeordneten zustehende Recht der Fraktionsbildung. 14 Zwar sage das Grundgesetz im IV. Abschnitt ebenso wie im III. Abschnitt nichts zu dieser Frage. Während sich aber das Recht zur Fraktionsbildung bei den Bundestagsabgeordneten aus Art. 21 GG ergebe, werde es den Bundesratsmitgliedern durch die Struktur des Bundesrates versagt, in dem die Regierungsmitglieder der Länder vertreten sind, nicht die politischen Parteien, denen die Mitglieder der Länderregierungen angehören. Schon Bismarck 15 warnte in seiner Ansprache vor dem Reichstag des Norddeutschen Bundes am 11. März 1867 davor, dass dem mit dem neuen Bundesstaat überwundenen dynastisch-feudalen Partikularismus nicht ein Partikularismus der Parteien folgen dürfe. Die Haltung Theodor Maunz' sieht sich auch in den Vorstellungen der Väter des Grundgesetzes bestätigt. Diese hoben hervor, dass der Bundesrat gegenüber laufender Parteipolitik im Bundestag "eine höhere Objektivität" gewährleiste; historisch gesehen hätten auch die Vorläufer des Bundesrates seit 1871 "vom Willen absoluter Sachlichkeit bestimmte Arbeit geleistet".16 Entsprechend erklärte der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer 1956: "Als wir im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz schufen ( ... ), haben wir nicht geglaubt, daß die Länder im Bundesrat Parteipolitik treiben. Damals waren wir noch in der Illusion gefangen, die Länderregierungen würden sich loslösen von dem Kampf der Parteien" 17. Zwar mit relativierenden Zusätzen, in der Grundaussage aber die Vorstellung der Verfassungsväter mit anschaulichen Formulierungen bestätigend äußerte sich auch der damalige Präsident des Bundesrates, Herbert Weichmann, in seiner Ansprache zum zwanzigjährigen Bestehen des Bundesrates, in der er den Bundesrat als Verfassungsorgan von einer "immanenten und verhältnismäßig 13 Als der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt diese Sprachschöpfung der Kultusministerkonferenz 1976 erstmals im Plenum des Bundesrates verwendete, stieß er damit noch auf heftige Kritik, vgl. Steno Bericht der 432. Sitzung, S. 101; auch Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 50 GG, Rdnr. 93. 14 Dies wurde oben schon gesagt. 15 Werke in Auswahl, Vierter Band, 1968, 117, zit. nach Möllers, in: Aulehner/Dengler/ Konrad U. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit? Assistententagung Öffentliches Recht München 1997, 81, 82. 16 Zit. nach Dolzer, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 7, II f. 17 Zit. nach Hans Hugo Klein, Parteipolitik im Bundesrat?, DÖV 1971,325,325 f.
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C. Der Bundesrat als politisches Organ
großen politischen Feuerfestigkeit" qualifizierte, das "kein Erfüllungsgehilfe der in der Regierung oder außerhalb der Regierung wirkenden Parteien" sein soll und "dessen Tätigkeit nicht unmittelbar im Bereich von Wahlkämpfen und Wahlerwägungen steht", sondern das sich "auf sachliche ( ... ) und nicht unmittelbar popularitätsbezogene Entscheidungen konzentrieren" könne und im "Widerstreit von ( ... ) Interessen ( ... ) und Machteinflüssen ( ... ) zumindest bemüht (sei), der ruhende Pol sachbezogener Erwägungen zu sein,,18. b) Der Bundesrat als (auch) politisches Organ
Die entgegengesetzte 19 Auffassung sieht "vom Standpunkt der Parteien staatstheorie ( ... ) sogar eine ,Überlagerung' des föderativen Prinzips durch das parteienstaatliche Prinzip" als "verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden" an. 20 Nach Gerhard Leibholz 21 , bei dem sich dieser Gegenpart zu Theodor Maunz geradezu vorbildartig widerspiegelt und der deshalb seinerseits als Kronzeuge herangezogen werden kann, ist der "Wille zur Macht" einer Partei, soweit sie sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt, rechtlich legitim. Erst die Beteiligung an der Bundesoder Landesregierung biete die Chance, ihr von den Wählern gutgeheißenes Programm in die politische Wirklichkeit umzusetzen. Jede Regierungspolitik sei insofern legitimerweise Parteipolitik, was notwendigerweise zur Folge habe, "daß auf Grund der verfassungsrechtlichen Stellung der Parteien und der dem Bundesrat vom Grundgesetz zugewiesenen Funktionen und Aufgaben ein Taktieren der Länderregierungen unter partei politischen Gesichtspunkten ungeachtet der Ausgestaltung des Bundesrates als föderatives Organ nicht unzulässig ist. Insoweit kann man sagen, daß das parteienstaatliche Prinzip im Bundesrat neben dem föderalistischen Prinzip zum Ausdruck gelangt, ja daß es das letztere im Konfliktsfall überlagert". Helmut Kohl, damals noch Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, qualifizierte 1969 die Institution Bundesrat in seinem unter der Überschrift "Der Bundesrat muß politischer werden!" stehenden Beitrag zum zwanzigjährigen Bestehen des 18 Weichmann, in: Sekretariat des Bundesrates (Hrsg.), Ansprachen zum zwanzigjährigen Bestehen des Bundesrates, 1969,5,9 f., 12. Beim selben Anlass sprach der damalige Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel davon, der Bundesrat sei "nicht Arena parteipolitischer Kampfspiele", von Hassel, in: Sekretariat des Bundesrates (Hrsg.), Ansprachen zum zwanzigjährigen Bestehen des Bundesrates, 1969, 19,20. 19 Gewissermaßen in der Mitte anzusiedeln ist die Forderung des damaligen Direktors des Bundesrates, Albert Pfitzer, nach einer politischen Mindestaussage des Bundesrates, Pfitzer; in: Sekretariat des Bundesrates (Hrsg.), Der Bundesrat 1949 - 1969, 1969,8,9. 20 Reuter; Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 50 GG, Rdnr. 89. 21 s. Leibholz/ Hesselberger; Die Stellung des Bundesrates und das demokratische Parteiensystem in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, Beiträge zum 25jährigen Bestehen des Bundesrates, 1974, 99, 111; s. auch Posser; in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. 109; Blanke, Jura 1995,57,60.
I. Die Politisierung des Bundesrates
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Bundesrates dementsprechend als "weitgehend politisches und nicht verwaltungstheoretisches Konzept,,22.
2. Die Politisierung des Bundesrates in Geschichte und Praxis der Bundesrepublik Deutschland a) Die Entscheidung für das Bundesratsprinzip
Schon die eingangs dargestellte Entscheidung für das Bundesrats- und gegen das Senatsprinzip lässt sich für die Frage der Politisierung des Bundesrates fruchtbar machen. Die Verfassungsväter wollten mit der Entscheidung für das Bundesratssystem einer gleichsam spiegelbildlichen Verdoppelung zum Bundestag, wie sie bei der Senatslösung nahegelegen hätte, vorbeugen 23 . Sie sahen vielmehr eine eigenständige Legitimation des Bundesrates darin, dass durch den Bundesrat das "Element Land" verkörpert wird, wobei der Abstand zum politischen Tagesgeschäft, der Wille zur Objektivität und die Ausrichtung der Entscheidung an der Sache Orientierungspunkte für die Arbeit im Bundesrat sein sollten. 24 Eine parteipolitische Instrumentalisierung des Bundesrates würde die ungewollte Symmetrie von Bundestag und Bundesrat aber gewissermaßen durch die Hintertür, im Wege einer "funktionale(n) Homogenisierung"25, herbeiführen: Der Schwerpunkt des Parteienwesens in Deutschland liege auf der Bundesebene, bei den Bundeszentralen der Parteien 26 ; Unterschiede in den regionalen Mentalitäten und vor allem auch Interessen im Bundesrat würden durch die Dominanz einer bundeseinheitlichen Parteiorganisation und Parteigesinnung nachhaltig unterdrückt?7 Partei politische Einflussnahme wäre regelmäßig bundesparteipolitische Einflussnahme; Bundestag und Bundesrat wären insoweit unterschiedslos betroffen. b) Der Bundesrat in den Phasen der bundesrepublikanischen Geschichte
Trotz vorgenannter Grundentscheidung lehnte sich die Staatspraxis unter dem Grundgesetz im Wesentlichen an die von Leibholz vertretene Auffassung 22 Kohl, "Der Bundesrat muß politischer werden!", in: Sekretariat des Bundesrates (Hrsg.), Der Bundesrat 1949 - 1969, 1969,5. 23 s. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, Dars!. Teil, S. 38; auch Hans Hugo Klein, DÖV 1971,325,328. 24 s. Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 50 GG, Rdnr. 78; Daher, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999),7, 35. 25 Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 50 GG, Rdnr. 78. 26 Zur Bedeutung der quasi föderativen Gliederung des Parteiensystems und zur These, dass die maßgeblichen Organisationseinheiten letztlich die auf Landesebene sind, s. unten. 27 Vgl. Herzog, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band H, 1987, § 44, Rdnr. 16.
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C. Der Bundesrat als politisches Organ
an,zs Ein Blick aus der Perspektive des Bundesrates auf die ersten fünf Jahrzehnte der bundesrepublikanischen Geschichte verdeutlicht dies: 29 Das erste Jahrzehnt des Bundesrates war eine Zeit gesamtstaatlicher Entscheidungen. Mit den Stimmen der sozialdemokratisch geführten Stadtstaaten stützte der Bundesrat im Bewusstsein gesamtstaatlicher Verantwortung statt parteipolitischer Bindung Konrad Adenauer - insbesondere in der Frage der Wiedererlangung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit, bei den Auseinandersetzungen um die Montan-Union und den Beitritt zum Europarat, bei der Zustimmung zum im Bundestag heiß umstrittenen Deutschlandvertrag und nicht zuletzt bei der Zustimmung zum Verteidigungsbeitrag. Schon aber in dieser Zeit der in erster Linie gesamtstaatlichen Verantwortung stand der Bundesrat nicht fernab jeglicher parteipolitischer Interessenverfolgung. So hatten die Bundestagswahlen 1953 der Koalition aus CDU ICSU, ED.P., DP und BHE eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag gebracht. Da sie diese auch im Bundesrat erreichen wollten, wurde die Bürgerschaftswahl in Hamburg im November desselben Jahres fast ausschließlich mit bundespolitischen Themen geführt. Die SPD bemühte sich umgekehrt bei den Landtagswahlen des Jahres 1954, diese Mehrheit zu brechen, was ihr in Bayern durch eine Koalition mit Bayernpartei, ED.P. und BHE gelang. In Nordrhein-Westfalen wurde - erklärtermaßen um eine Bundesratsmehrheit gegen die Union zu erreichen - 1956 sogar mitten in der Legislaturperiode eine Landesregierung gestürzt. Um ein von der CDU ICSU entworfenes neues Wahlgesetz, das die CDU stark begünstigt und die kleineren Parteien in ihrer Existenz bedroht hätte, zu stoppen, verließen ED.P. und Zentrum die nordrhein-westfalische Regierungskoalition und bildeten mit der SPD eine neue Landesregierung. Im zweiten Jahrzehnt, der Zeit des Übergangs von Konrad Adenauer auf Ludwig Erhard und dann auf Kurt Georg Kiesinger, traten die parteipolitischen Gegensätze im Bundesrat schon stärker hervor. Wenn die Wiederherstellung der alten bürgerlichen Ordnung natürlich auch Überholtes konserviert hatte, so war der Wille zur Veränderung und zur Reform wiederhergestellter Verhältnisse doch nicht mehr zu übersehen. Die staatliche Ordnung, Ergebnis gemeinsam gewonnener und erlittener Erfahrung, war weitgehend im Konsens wiederbegriindet ~ Inhalte riickten in den Mittelpunkt politischer Diskussion. Die mehr gesellschafts- denn staatspolitische Auseinandersetzung ließ den Gegensatz zwischen den politischen Lagern 28 Vgl. Posser, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnr. lIO. 29 s. bei Koschnick, Der Bundesrat zwischen Länderinteressen, gesamtstaatlicher Verantwortung und Parteipolitik, in: Bundesrat (Hrsg.), Vierzig Jahre Bundesrat, 1989, 81, 85 ff.; Posser, in: Benda/Maihofer/Voge1 (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24, Rdnrn. lIOff.; Doher, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), 7, 9ff.; Ansprache des damaligen Bundesratspräsidenten Roland Koch beim Festakt des Bundesrates am 6. September 1999 anlässlich des 50. Jahrestages seiner Konstituierung, Pressemitteilung des Bundesrates 106/ 1999, S. 4f.
I. Die Politisierung des Bundesrates
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deutlicher hervortreten - mit der Folge, dass der Bundesrat, als die CDU /CSUregierten Länder 1958 eine stabile Mehrheit im Bundesrat erlangten, im politischen Kräftefeld nach allgemeiner Auffassung erheblich an Einflussmöglichkeiten verlor. "Eine nüchterne Betrachtung der Verfassungswirklichkeit zeigt, ( ... ) daß der ( ... ) Einfluß des Bundesrates und damit der Länder auf die Gestaltung des Bundeswillens weit hinter den von der Verfassung gewährten Einflußmöglichkeiten zurückbleibt. Es besteht sogar die Gefahr, daß dieser Einfluß immer geringer wird", so Kurt Georg Kiesinger 19663°. Im dritten Jahrzehnt mit den Regierungen Brandt/ Scheel bzw. Schmidt/ Genscher war es der Opposition im Bundestag nur über die Mehrheit an CDU / CSUStimmen im Bundesrat sowie mit dem Ausnutzen aller Chancen des Vermittlungsverfahrens möglich, einen Teil ihrer gesellschaftspolitischen Vorstellungen in das Reformpaket von SPD und ED.P. einzubringen. Erstmals hatte 1969 eine politisch nicht mit dem Bundestag konforme Mehrheit im Bundesrat Platz genommen, eine Mehrheit, die nach Auffassung vieler Beobachter den Bundesrat auch als Forum ihrer bundespolitischen Konzeption ansah, auch wenn sie keine Obstruktion um der Obstruktion willen betrieb. Der Bundesrat erfuhr ab diesem Zeitpunkt eine wesentlich stärkere politische Aktualisierung als in seinem bisherigen Wirken; die Plenarverhandlungen waren durch eine immer deutlicher werdende politische Akzentsetzung gekennzeichnet. 31 Der Auftritt des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz im Bundestag im Oktober 1975, den dieser mit den Worten einleitete "Ich stehe hier aus eigenem Recht und spreche für meine Freunde von der CDU / CSU Deutschlands·m , wirft ein Schlaglicht auf die parteipolitische Instrumentalisierung des Bundesrates in jener Zeit. Das vierte Jahrzehnt des Bundesrates war geprägt durch eine starke Uniformität der Entscheidungen im Bundestag und Bundesrat, lediglich bei Uneinheitlichkeit im CDU / CSU-geführten Lager ergaben sich Chancen konstruktiver Mitgestaltung durch den Bundesrat als ganzen. Das fünfte Jahrzehnt, das gleich zu Anfang die Wiedervereinigung brachte, erforderte mit dit