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German Pages 532 [536] Year 1997
Theodor Fontane und Friedrich Eggers Der Briefwechsel
w DE
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Schriften der Theodor Fontane Gesellschaft Herausgegeben von
Luise Berg-Ehlers Helmuth Nürnberger Henry H. H. Remak
Band 2
Walter de Gruyter Berlin · New York 1997
Theodor Fontane und Friedrich Eggers Der Briefwechsel Mit Fontanes Briefen an Karl Eggers und der Korrespondenz von Friedrich Eggers mit Emilie Fontane
Herausgegeben von
Roland Berbig
Walter de Gruyter Berlin · New York 1997
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche
Bibliothek
—
ClP-Einheitsaufnahme
Fontane, Theodor: Der Briefwechsel : mit Fontanes Briefen an Karl Eggers und der Korrespondenz von Friedrich Eggers mit Emilie Fontane / Theodor Fontane und Friedrich Eggers. Hrsg. von Roland Berbig. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1997 (Schriften der Theodor-Fontane-Gesellschaft ; Bd. 2) ISBN 3-11-014987-7
© Copyright 1997 by Walter de Gruyter Sc Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon G m b H , Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz Sc Bauer-GmbH, Berlin Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin
Für Peter Wruck
Zu dieser Ausgabe
Der Briefwechsel zwischen Theodor Fontane und Friedrich Eggers reiht sich in die bereits publizierten Korrespondenzen Fontanes mit Wilhelm Wolfsohn, Bernhard von Lepel, dem Ehepaar von Merckel und Paul Heyse ein. Kann er sich in Umfang und Dichte auch nicht mit diesen messen, so ist er doch ein wichtiges Dokument für die Biographie Fontanes und die Literatur- und Kulturgeschichte Berlins und Preußens Mitte des 19. Jahrhunderts. Beinahe alle überlieferten Briefe und Postkarten Fontanes an Friedrich Eggers bewahrt das Theodor-Fontane-Archiv in Potsdam auf, während sich die Briefe von Friedrich Eggers im Teilnachlaß Eggers' in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel befinden. Fontane hat die Post von Friedrich Eggers bis in die erste Hälfte der sechziger Jahre einigermaßen verläßlich aufgehoben, nur weniges ging verloren. Anhand des jetzt veröffentlichten Tagebuchs Fontanes aus der Englandzeit lassen sich einige Überlieferungslücken schließen. Zeitweilig hatte es sich offenbar um eine rege Korrespondenz gehandelt. Nach 1865 schlief der Briefwechsel allerdings ein. Das wenige, was ihm Eggers noch schrieb, scheint Fontane mit Nachlässigkeit behandelt zu haben. Die Post von Karl Eggers, sieht man einmal von unerheblichen Ausnahmen ab, hat Fontane nicht gesammelt. Sie hat sich auch nicht im Nachlaß der Familie Eggers in Rostock gefunden. Die regelmäßigen Begegnungen im literarischen Verein Riitli machten offenbar einen gesonderten schriftlichen Verkehr überflüssig. Und doch ist der Verlust des wenigen zu bedauern, wie sich aus Fontanes Schreiben an Karl Eggers schließen läßt. Friedrich Fontane, der Sohn der Schriftstellers, veranlaßte die Abschrift eines Teils der gesamten Eggersschen Korrespondenz. Diese Abschriften - zum Teil mit der Hand, zum Teil mit der Maschine - sind unzuverlässig. Neben zahlreichen Tippfehlern wimmelt es von Lesefehlern, so daß diese Abschriften nur selten hilfreich zu Rate gezogen werden konnten. Friedrich Fontane hatte allerdings schon mit Margarete Eggers, der dritten Frau von Karl Eggers und umsichtigen Verwalterin des Familiennachlasses, Verbindung aufgenommen, um eine mögliche Edition des Briefwechsels zwischen Friedrich Eggers und Theodor Fontane zu prüfen. Über erste Schritte VII
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war man jedoch nicht hinausgekommen. Andere Editionsvorhaben schienen verständlicherweise dringlicher. Es bot sich an, den Briefwechsel zwischen Fontane und Friedrich Eggers zusammen mit den Briefen und Karten an Karl Eggers zu edieren. Auf diese Weise ergibt sich ein verläßliches und aufschlußreiches Bild der Beziehung Fontanes zur Familie Eggers. Sie währte über ein halbes Jahrhundert. Der Briefwechsel mit Friedrich Eggers umfaßt 99 Briefe. Davon stammen 66 aus der Feder Fontanes. 1 7 Briefe bzw. Karten sind bislang unveröffentlicht, und ein weiterer großer Teil der erhaltenen Handschriften liegt nur im Teildruck vor. Von Friedrich Eggers sind alle Briefe mit drei Ausnahmen bislang unveröffentlicht. Der publizierte Bestand der Briefe Fontanes weist zum Teil gravierende editorische Mängel auf. Der Wortlaut wurde geändert, Sätze ausgelassen und Umstellungen im Brieftext vorgenommen. Diese Eingriffe haben dazu beigetragen, daß die Beziehung Fontanes zu Friedrich Eggers auf dessen Kosten entstellt überliefert wurde. Im Heft 56 (1993) der Fontane Blätter, in dem ein Teil des Briefwechsels 1858/ 59 erstmals diplomatisch nach den Handschriften herausgegeben wurde, sind einschlägige Beispiele mitgeteilt. Sie müssen hier nicht wiederholt werden. Von den 79 Briefen und Karten an Karl Eggers werden 5 8 hier erstmalig veröffentlicht, darunter - neben einer Reihe üblicher Einladungszettelchen zum Riitli oder Absagen verabredeter Termine - aufschlußreiche Zeugnisse eines eigenen Verhältnisses, das über bloße Bekanntschaft weit hinausging. Das gilt auch für den kleinen, bislang unedierten Briefwechsel zwischen Emilie Fontane und Friedrich Eggers, der verdeutlicht, in welchem Maß die Frau Fontanes selbständige Beziehungen zu den Bekannten ihres Mannes unterhielt. Ergänzt wird diese Ausgabe durch Fontanes Artikel über Friedrich und Karl Eggers, seine Friedrich und Karl Eggers gewidmeten Gelegenheitsgedichte und Auszüge aus den Wochenzetteln von Friedrich Eggers. Nicht wenige der Gelegenheitsgedichte Fontanes erschließen sich erst im Kontext der ausgetauschten Briefe und gewinnen hier ihren eigenen Reiz. Der Abdruck der Artikel folgt der Edition in der Nymphenburger Ausgabe des Werks Fontanes, auf deren Kommentierung dankbar zurückgegriffen wurde. Die Rezensionen zu Friedrich Eggers' Gedichte und dem Band Tremsen sind im Band XXI/2, die Artikel zur Biographie Christian Daniel Rauchs sind in den Bänden XXIII/i und XXIV abgedruckt. Die Gedichte Fontanes werden nach der von Jürgen Krueger und Anita Golz besorgten dreibändigen GeVIII
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dichtausgabe (i. Auflage Berlin und Weimar: Aufbau 1989) mitgeteilt. Bei ihrem Wiederabdruck wurde auf eine gesonderte Kommentierung verzichtet. Detaillierte Informationen zu den Texten finden sich in der bezeichneten Ausgabe. Die Briefe und Karten werden nach den Handschriften ediert. Nur in Ausnahmefällen, wo sich die Handschrift nicht erhalten hat, mußte auf Abschriften bzw. schon vorhandene Veröffentlichungen zurückgegriffen werden. Die Wiedergabe erfolgt wort- und buchstabengetreu. Die Streichungen werden durch [gestrichen:], die Einfügungen durch [eingefügt:] gekennzeichnet. Der Geminationsstrich zur Kennzeichnung von Doppelkonsonanten wird aufgelöst. Der zeitübliche doppelte Bindestrich hingegen ist beibehalten worden. Nicht im Druck angezeigt wird, wenn die Briefschreiber bei fremdsprachigen Ausdrükken oder Passagen und Namen statt der deutschen lateinische Schriftzeichen (was die Regel war) benutzten. Unterstreichungen im Manuskript werden im Kursivdruck wiedergegeben. Anmerkungen des Herausgebers stehen in eckigen Klammern [ ] und werden im Brieftext kursiv, in den anderen Texten recte gedruckt. Auslassungen - einzig beim Abdruck der Auszüge aus Friedrich Eggers' Wochenzetteln vorgenommen - sind durch [...] markiert. Bei der Ermittlung der in vielen Fällen unterlassenen Datierung im Briefwechsel zwischen Fontane und Friedrich Eggers wurden die von Winfried Woesler in seinem Artikel Datierungsmöglichkeiten undatierter Briefe des 19. Jahrhunderts (1992) vorgeschlagenen Datierungen ebenso zu Rate gezogen wie die mir kurz vor ihrem Tod mitgeteilten Überlegungen von Anita Golz (im Fußnotentext ausgewiesen mit: Datierungsvorschlag Winfried Woesler bzw. Anita Golz). Die Kommentierung ist bestrebt, nicht nur Sachfragen und fremdsprachige Begriffe zu erläutern, sondern das Beziehungsgeflecht, in das die Briefe eingebunden sind, zu erhellen. Der Nachlaß der Familie Eggers in Rostock und der Teilnachlaß in Kiel boten dafür eine einzigartige Quelle, aus der reichlich geschöpft wurde - und die sich am Ende als unerschöpflich erwies. Die Einleitung konzentriert sich auf die Erläuterung der Beziehungen zwischen Friedrich Eggers, Karl Eggers und Theodor Fontane, wobei die Auswertung des Familiennachlasses Eggers bevorzugt berücksichtigt wurde. Folgenden Institutionen ist für die Publikationsgenehmigung zu danken: dem Deutschen Literaturarchiv Marbach, dem Stadtarchiv der Hansestadt Rostock, dem Staatsarchiv Coburg, der SchleswigIX
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Holsteinischen Landesbibliothek Kiel, dem Theodor-Storm-Archiv Husum, dem Theodor-Fontane-Archiv Potsdam, den Bibliotheken der Universität Leipzig und der Humboldt-Universität zu Berlin und der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz/Berlin. Die Übersicht über die abgedruckten Briefe und deren Aufbewahrungsort und Quellenachweis bereits publizierter Texte legt detailliert Rechenschaft ab, an welchem Ort die einzelnen Briefe und Dokumente aufbewahrt sind. Die Zusammenarbeit mit den dort genannten Institutionen und im Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität/Berlin bedeutete in jedem Fall die Begegnung mit Menschen, denen ich für ihre freundliche und umstandslose Hilfe - von der gewünschten Kopie über Korrekturlesen bis zum rettenden Kaffee - sehr danken möchte: Frau Waltraud Bienert (Berlin), Herrn Prof. Dr. Tilo Brandis (Berlin), Frau Wiss. Archivarin Ingrid Ehlers (Rostock), Herrn Dr. Gerd Eversberg (Husum), Frau Christine Hehle (München/Potsdam), Herrn Henrik Hofer (Berlin), Herrn Dr. Manfred Horlitz (Postdam) und den Mitarbeitern des Fontane Archivs Potsdam, Herrn Dr. Otfried Keiler (Berlin), Herrn Prof. Dr. Dieter Lohmeier (Kiel), Frau Dr. Kornelia Küchmeister (Kiel), Frau Josefine Kitzbichler (Berlin), Herrn Dr. Jochen Meyer (Marbach), Frau Dr. Sigrid von Moisy (München), Herrn Prof. Dr. Helmuth Nürnberger (Freienwill), Frau Elke-Barbara Peschke (Berlin), Frau Gabriele Radecke-Hettche (München), Herrn Prof. Dr. Henry H. H. Remak (USA, Bloomington/Indiana), Herrn Peter Schaefer (Potsdam), Frau Dr. Heide Streiter-Buscher (Bonn), Frau Dr. Jutta Weber (Berlin), Herrn Prof. Dr. Peter Wruck (Berlin) und Herrn Dr. Wulf Wülfing (Bochum). Zu danken habe ich der Theodor Fontane Gesellschaft und ihrem Vorstand und vor allem Frau Dr. Brigitte Schöning und Frau Dorothee Ohlmeier im Verlag de Gruyter, die diese Edition freundlich und stets hilfsbereit betreuten. Schließlich möchte ich zwei Menschen meinen besonderen Dank aussprechen: Herrn Dr. Walter Hettche (München), dem verläßlichen und gutherzigen Freund seit einem Jahrzehnt, und Frau Anita Golz, die die ersten Arbeitsschritte bis zu ihrem frühen Tod mit Geduld und Güte begleitete. Roland Berbig
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Inhalt
Einleitung I. Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers II. Briefe und Postkarten Theodor Fontanes an Karl Eggers (1871-1898)
ι 67 275
[mit drei Schreiben von Emilie Fontane an Mathilde und Karl Eggers und einem Brief sowie zwei Gedichten von Karl und E m m a Eggers an Fontane]
III. Briefwechsel Friedrich Eggers und Emilie Fontane (1854-1870)
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Anhang Theodor Fontanes Artikel über Friedrich und Karl Eggers . . . . 375 Theodor Fontanes Gelegenheitsgedichte auf Friedrich Eggers . . 401 Friedrich Eggers ι . Ansprache im literarischen Verein Tunnel über der Spree 185 6 2. Ansprache im literarischen Verein Tunnel über der Spree 1861 3. Toast anläßlich der Vollendung von Fontanes 50. Lebensjahr 4. Auszüge aus den Wochenzetteln vom 16. Oktober 1870 bis zum 8. Dezember 1870
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Vita und Auswahlbibliographie Friedrich Eggers Karl Eggers
451 462
Abkürzungsverzeichnis
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Quellennachweis
470
Register
480
Abbildungsnachweis
520
420 423 426
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Einleitung „Lasset ab von Ehrsucht und Neide, denn es hat Niemand die Verpflichtung ein großer Mann zu werden, wohl aber ein guter. " Friedrich Eggers: Notizbuch [ 1 8 5 7 ] 1
,,[W]elch ein eigenthümlich anziehendes Charakterbild ließe sich davon machen, so eine seelenvolle, im liebenswürdigsten Sinne deutsche Idylle, einer der seltenen Fälle, wo es einem Menschen erlaubt war, Dilettant zu sein, weil es seinem innersten Wesen entsprach und der Mensch in ihm dadurch zur reinsten Entwicklung kam. " Paul Heyse über Friedrich Eggers 2
I. Am I i . August 1 8 7 z , einem Sonntag, starb der Kunsthistoriker, Professor der Akademie und Referent für preußische Kunstangelegenheiten im Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten Friedrich Eggers in seiner Wohnung in der Königgrätzer Straße 20, unweit des Halleschen Tors. Ein Magenleiden, an dem er seit Jahren laborierte, hatte sich akut verschlimmert, und „eine eingetretene Darmverschlingung, wie die Section ergeben hat, ward absolut letal ohne jede Möglichkeit der H ü l f e " 3 , wie Karl Eggers, sein Bruder, zwei Tage später an den schleswig-holsteinischen Dichter Klaus Groth schrieb. Im November jenes Jahres wäre er 53 Jahre alt geworden. „Sie", erwiderte ihm Groth, „haben einen der seltensten Brüder verloren, ich einen lieben Freund, leider Deutschland einen seiner idealsten Männer." 4 1
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Friedrich Eggers: Notizbuch. Eintrag dieses Zitats wahrscheinlich aus dem Jahr 1 8 5 7 . R S A , Friedrich Eggers Notizbücher ( 1 8 5 7 - 1 8 7 1 ) . 1. Bändchen [nach Eggers' Zählung: 14.]: 1 6 . April 1 8 5 7 - 1 5 . August 1 8 5 8 . S. 7 3 . Sig. 1.4.7.40. Paul Heyse an Theodor Fontane, 1 5 . August 1 8 7 2 . FHBW, S. 1 2 7 . Karl Eggers an Klaus Groth, 1 3 . August 1 8 7 2 . Groth Briefe, S. 7 7 . Klaus Groth an Karl Eggers, 1 4 . August 1 8 7 2 . Groth Briefe, S. 1 6 .
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Einleitung
Theodor Fontane, nur wenige Häuser entfernt wohnend, erfuhr noch am selben Tag von der Nachricht. Er war gerade, zu seinem Leidwesen kaum erholt und gesundheitlich angeschlagen, von einem fünfwöchigen Aufenthalt aus Krummhübel im Riesengebirge heimgekehrt. „Dazu Eggers Tod als Sonntagsmorgen-Gruß!" 5 Die schlechte körperliche Verfassung hinderte ihn indes nicht, Freundespflicht am Verstorbenen zu übernehmen, die sich aus Eggers' Junggesellenexistenz ergab. Die Verwandten waren zu benachrichtigen, Anzeigen auf den Weg zu bringen und Absprachen mit den gemeinsamen Freunden zu treffen. Fontane hat diese Aufgaben erledigt, und er hat überdies einen, wenn auch kurzen Bericht von der Feier anläßlich der Überführung der Leiche nach Rostock, dem Geburtsort des Verstorbenen, für die Vossische Zeitung verfaßt. Und doch unterschied sich Fontane in seiner eher zurückhaltenden Trauer von der großen Bekanntenschar, die den Tod Friedrich Eggers' im Bewußtsein eines unersetzlichen persönlichen Verlustes beklagte. Zu dieser großen Gemeinde zählten vor allem viele Schüler und Studenten, die von ihrem Lehrer für Kunstgeschichte und Ästhetik Friedrich Eggers gefördert worden waren: der viel gelesene Kunstschriftsteller Wilhelm Lübke, der Dichter und Literaturhistoriker Otto Roquette, der in literarischen Anfängen steckende Humorist Heinrich Seidel, der begabte Zeichner und Journalist Ludwig Pietsch und der Dramatiker und spätere Direktor des Wiener Hofburgtheaters Adolf Wilbrandt. Sie alle waren über den frühen Tod tief erschrocken. „Er war eine der edelsten und reinsten Naturen, einer der besten Menschen, die ich kennen gelernt habe", heißt es in Roquettes Erinnerungen. „Sein maßvoll gehaltenes Wesen trug ihm den Beinamen ,Der Fürst' ein. Vornehm war sein Denken und Handeln, immer von sittlichen Grundsätzen geleitet, in Allem was er dachte, sagte und that, auf das Ideale und Große gerichtet." 6 Vor allen Begabungen, die man dem Toten bescheinigte, stand die Fähigkeit zur Freundschaft an der Spitze. Ihm sei, schrieb der Theaterregisseur und Dramatiker Gustav von Putlitz, „niemals ein Mensch begegnet[,] der so viel Freundschaft zu erwerben gewußt und so reich zu erwidern vermocht hätte, als er." 7 5 6
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Theodor Fontane an Wilhelm Hertz, 1 4 . August 1 8 7 2 . FaH, S. 1 4 8 . Otto Roquette: Siebzig Jahre. Geschichte meines Lebens. Zweiter Band. Darmstadt: Bergstraeßer 1 8 9 4 . S. 7. Gustav von Putlitz: Theater-Erinnerungen. Berlin: Paetel 1 8 7 5 . 2 · Bd., S. I Z 5 .
Einleitung
Friedrich Eggers auf dem Totenbett Ii. August ι8γζ
Aber es war nicht nur der Freundeskreis, der sich um den Sarg vereinte und ihn bis zum Hamburger Bahnhof geleitete. Regierungsvertreter, Beamte aus diversen Ministerien, besonders aus dem Kultusministerium, und Künstler aus allen Sparten ließen es sich nicht nehmen, diesem Mann die letzte Ehre zu erweisen. Manch einer von ihnen erinnerte sich an Eggers' Eifer, mit dem er ein Jahr zuvor - im Juni 1 8 7 1 - die Siegesstraße für die aus Frankreich zurückkehrenden deutschen Soldaten ausgestaltet und für den ihn der deutsche Kaiser mit einem Orden belohnt hatte, ein Umstand, den selbst Fontane in Von Zwanzig bis Dreißig herausstrich. Gekommen waren auch Mitglieder aus den zahllosen Vereinen, denen Eggers angehört hatte und die seine Leidenschaft gewesen waren. Ihnen hatte sein Herz gehört, dort war er zu Hause gewesen. Allen voran der literarische Sonntagsverein Tunnel über der Spree, dem er im Jahr seines Todes als sogenanntes Haupt vorgestanden hatte und dessen prominentestes Mitglied er mittlerweile geworden war. Dieser Verein, der sich in seinen Statuten asketisches Auftreten in der Öffentlichkeit auferlegt hatte, beschloß schon 3
Einleitung in seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause, die ganz unter dem Eindruck der Todesnachricht stand, einen Nachruf auf Friedrich gers zu verfassen, der zum öffentlichen Vortrag bestimmt wurde.
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Ihn reizten nicht des eitlen Ruhmes Kränze, Um Lorbeern nicht hat er die Kunst gepflegt. Das Haus, der Freunde Schaar war seine Grenze, Für sie hat er des Wissens Gold geprägt. Der Jugend hat, in ew'gen Geistes Lenze, Die edle Saat er in die Brust gelegt. Mag Marmor nicht und Erz davon erzählen, Sein Denkmal glänzt in seiner Freunde Seelen! Diesen Feierlichkeiten folgten zahlreiche Würdigungen in Zeitschriften und Zeitungen. M a n ließ es nicht an Bemühungen fehlen, Person und Werk im Gedächtnis der Zeit zu verankern. Sein Bruder sorgte sich behutsam um den Nachlaß und veröffentlichte mit Bedacht, was sich dazu eignete. Eine Friedrich-Eggers-Stiftung wurde 1 8 7 5 ins Leben gerufen, die sich der „Förderung der Kunst und Kunstwissenschaften" verpflichtete, indem sie Stipendien verlieh „an solche, welche eine Kunst, eine kunstverwandte Technik oder Kunstwissenschaften erlernen oder betreiben" 9 . Zehn Jahre nach seinem Tod trafen sich auf Initiative des von Eggers geförderten Vereins Hütte (Abtheilung für Literatur und Kunst) der Gewerbe-Akademie im Saal des Buggenhagenschen Etablissement am Moritzplatz Freunde und Kollegen, um den Freundesbund zu erneuern, den sie ihm verdankten. Auf der Präsenzliste finden wir den Namen von Theodor Fontane. 10
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SitzungS'Protokolle des Literarischen Sonntags-Vereins (Tunnel über der Spree) zu Berlin. Fünfundvierzigster Jahrgang. Vom 3. December 1 8 7 1 bis 3. December 1872. (Als Manuscript gedruckt). S. 27. Der Verfasser war der Arzt Adolf Löwenstein, dessen Tunnelname „Hufeland" war. Statut der Friedrich Eggers=Stiftung zur Förderung der Künste und Kunstwissenschaften zu Berlin, gedruckt von Rud. Hoffmann zu Peterswaldau in Schlesien 1875. Unterzeichnet hatten die Schwester Helene Pries, geb. Eggers, Robert, Wilhelm und Karl Eggers. Das Kuratorium, das eingesetzt wurde, bestand „aus dem Kreise der persönlichen Freunde des Verstorbenen" (S. 16): Moritz Lazarus, Karl Zöllner, Bernhard von Lepel, Richard Lucae und Karl Eggers. Bericht über den Eggers=Abend im Verein „Hütte" (Abtheilung für Literatur und Kunst). Berlin, am 27. November r882. Im Namen der ehemaligen Schüler des Gefeierten erstattet von Max Krause. Druck von Gebrüder Fickert in Berlin.
Einleitung
Alles das war, wenn man es recht besieht, vergebliche Liebesmüh. Schon nach der Jahrhundertwende wurde ein Artikel veröffentlicht, der Eggers als vergessenes Tlmwe/mitglied präsentierte und sich mühte, eine Nachwelt von seinem früheren Rang zu unterrichten. Diesem Versuch folgten mit gehörigem Abstand und gleich erfolglos zwei, drei weitere. Heute fahndet man in den einschlägigen Literatur- und wohl auch Kunstgeschichten nach seinem Namen vergebens oder muß mit wenigen trocknen Zeilen vorliebnehmen. Als der letzte Freund gestorben war, verlor sich das aktive Gedächtnis an Friedrich Eggers. Ganz vergessen wäre Friedrich Eggers, wenn ihm nicht Fontane in seinem Erinnerungsband Yon Zwanzig bis Dreißig einen kleinen Abschnitt gewidmet hätte. Fontane, beim Schreiben des Buches 1894/ 95 noch immer in vertraulichem Umgang mit dem fürsorglichen Bruder Karl Eggers, zeigte sich bestrebt, das Porträt des ehemaligen Gefährten so abzufassen, daß es Lebende nicht zu verletzen vermochte: „er war klug, gütig, liebenswürdig, schöner Mann - wie oft bin ich daraufhin interpelliert worden - und humoristisch angeflogener Sonderling, alles in allem eine durchaus interessante Figur." 11 Nur mit trockener Feder kritisierte er, was ihm an Eggers mißfiel, und was er auch nach Jahren nicht gnädig beurteilen wollte - dessen unerhebliches Poetentum. Das sei über Dilettantismus nie hinausgekommen. Dieser Ausgewogenheit steht jedoch ein anderes Urteil Fontanes gegenüber. Er hat es geäußert in einem Brief an seine Frau, acht Jahre nach dem Tod Eggers'. Es ist gnadenlos ohne Grenze, unerbittlich ohne Maß, und es berief sich dabei auf eine Autorität von Rang: auf Adolph Menzel. Anlaß war der vertrauliche Bericht von einem Gespräch im sonnabendlichen Freundeskreis Rüth über das Verhältnis zwischen Menzel und Eggers gewesen. Obwohl Karl Eggers in der Runde gesessen hatte, hatte man alle Rücksicht beiseite gelassen und frisch vom Leder gezogen. „Friede'n, der, mit Ausnahme von ein paar höchst fragwürdigen Redensarten aus Hegels oder Vischers Aesthetik, nur sehr wenig wußte und noch viel weniger konnte", faßte Fontane für seine Frau den Tenor zusammen, „der eine dünne Natur und zwei, drei reizende plattdeutsche Gedichte abgerechnet (in denen alles Gute, Gescheidte, Tüchtige, was in ihm war, ein paarmal glücklich aufblühte) ein ganz kleines Talent, ein bloßer gebildeter Durchschnittsmensch war, - Friede, sag ich, hatte kein Recht, sich mit bevatternder 11
FABS II, S. 1 8 8 .
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Einleitung
Superioritätsmiene neben Menzel zu stellen und zu sagen: 'nein, Engel, da sind Sie mal wieder ganz a u f m Holzweg' oder ihn mit den Worten: 'nein, Rubenschen [„Rubens" war der Vereinsname von Menzel - d. Hrsg.], davon verstehn Sie nun ,mal nichts' etc. zu klopfen, zu patschein und zu umarmen." 1 2 Hätte er, Fontane, früher mit dieser Ansicht von Eggers' „Klugschmusereien", bei denen ihm „ o f t vor Verlegenheit das Blut zu Kopfe s c h o ß " 1 3 , allein gestanden, sei man sich nun ganz darüber einig gewesen. Sprach sich hier unverblümt die Wahrheit aus? Traf Fontane, nicht gewillt, aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen, den Kern seiner tatsächlichen Beziehung zu Friedrich Eggers? Oder war es nur eine Laune, die sich einmal Luft verschaffte und dabei wissentlich über die Stränge schlug? Was hatte es mit Anakreon, wie Eggers in seinen literarischen Vereinen hieß, auf sich? Wer war dieser Mann, dem Fontane viele Freundesdienste verdankte und dessen Freund er sich doch nie nennen wollte? Was überhaupt verband Eggers mit Theodor Fontane?
II. Friedrich Eggers war, das vor allem, Mecklenburger mit Leib und Seele. Er hielt das für eine Gunst und für eine Tugend zeitlebens. Seine Heimatstadt Rostock, in der er am 27. November 1 8 1 9 geboren wurde, prägte ihn. Viele Lebenswege, die er später einschlug, und viele Verbindungen, die er herstellte und die ihn beförderten, wurzeln in jener norddeutschen Region. Rostock war die größte und wichtigste Stadt des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin und beheimatete damals etwa 3 5 000 Einwohner. D a ß der Obotritenfürst Gottschalk ihr im 1 1 . Jahrhundert das Stadtrecht verliehen hatte, beschäftigte die Rostocker im 19. Jahrhundert kaum noch. Lebendig jedoch im historischen Gedächtnis waren die Seekriege durch die Jahrhunderte, in denen sich die Stadt zeitweilig unter dänische und schwedische Regentschaft gestellt sah, und noch 1848/49 geriet man bei der Auseinandersetzung um SchleswigHolstein in eine dänische Blockade. Der wachsende Wohlstand, nicht 12 13
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Theodor Fontane an Emilie Fontane, 5. April 1880. H A B III, S. 7 5 . Theodor Fontane an Emilie Fontane, 5. April 1880. H A B III, S. 74.
Einleitung
zuletzt bedingt durch die günstige Lage, wurde von dieser bewegten Geschichte kaum beeinträchtigt. Neben der schön und regelmäßig gebauten Mittel- und Neustadt hatten die fünf baugeschichtlich bedeutenden evangelischen Kirchen - darunter die Marienkirche, eine der größten und schönsten gotischen Kirchen Norddeutschlands - ihren gewichtigen Anteil an der Anziehungskraft der Stadt. Katholiken und Juden waren eine verschwindende Minderheit, über deren eingeschränkte Rechte man hinwegsah. Bereits 1 4 1 8 war hier eine Universität gestiftet worden, die nach wechselvoller Geschichte 1 8 6 7 neuerbaut wurde, ohne sich allerdings eine bevorzugte Stellung im deutschsprachigen Raum erwerben zu können. Der rege Schiffsverkehr und günstige Eisenbahnanschluß bewirkten im 1 9 . Jahrhundert den Ausbau von Industrie und Handel. 1894 verfügte die expandierende Reederei immerhin über 1 5 0 Seeschiffe, was von den anderen wichtigen Hafenstädten Kiel, Hamburg und den östlich gelegenen Ostseestädten mit Respekt und Neid wahrgenommen wurde. Der politische Geist, der in den Mauern der ehemaligen Hansestadt Rostock gepflegt wurde, war regionalistisch, immer mit einem Schuß Streben nach Unabhängigkeit versehen. 1 8 1 9 , das gemeinsame Geburtsjahr von Fontane und Eggers, war für die Stadtväter ein Blücher-Jahr. Der Tod des Feldmarschalls Gebhardt Leberecht Fürst Blücher von Walstatt, der sich in den Befreiungskriegen militärischen Ruhm erworben hatte, gab den Anlaß, eine Straße und einen Platz nach ihm zu benennen. Überdies hatte man dem Bildhauer Schadow den Auftrag für eine Statue erteilt, die noch im selben Jahr aufgestellt wurde. Blücher und Schadow - zwei Namen, die für Friedrich Eggers nicht ohne Bedeutung bleiben sollten. Eggers' Elternhaus war geeignet, ihm die Jahre der Kindheit und Jugend in Rostock freundlich zu gestalten. Christian Friedrich Eggers, sein Vater, hatte es als Kaufmann zu einigem Ansehen in der Stadt gebracht. Er gehörte zu den Mitbegründern der Rostocker Sparkasse, deren erster Kassierer er zeitweilig war, und hatte Stimme und Sitz in der Freimaurerloge „ Z u den drei Sternen". Mit Sophie Lierow, der Tochter des Dorfschulzen von Strenz, einem bäuerlichen Ort unweit von Güstrow, hatte er nach der Heirat ein Doppelgrundstück in der Wokrenterstraße ganz in der Nähe der Unterwarnow erworben. Dort wuchs Friedrich Eggers als zweitältestes Kind mit sieben Geschwistern auf. Christian Eggers war ein strenger Mann von norddeutscher Art, auf familiären Zusammenhalt ebenso bedacht wie auf bürgerliche Re-
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Einleitung
putation. Ihm war der Lebensweg seines Sohnes vorgezeichnet: der hatte Kaufmann zu werden wie er und sollte sein Glück in Rostock machen. So schickte er ihn nach einigen Jahren Privatunterricht auf die Realschule, um ihn schon 1835 von der Schulbank zu nehmen und eine viereinhalb]'ährige Kaufmannslehre in einem Eisenwarengeschäft absolvieren zu lassen. Deren erfolgreichen Abschluß bezeugt ein „Lehrbrief der Kramer=Comp." 14 , den deren Vorsitzender Theodor Hartmann 1839 ausgestellt hat. Friedrich Eggers, an sich in der heiklen Neigung befangen, Konflikte zu harmonisieren und sie sich und anderen schön zu reden, hat über diese Zeit einen bitteren Satz notiert: „Hinter mir, wie ein böser Traum, liegt meine arme Jugendzeit." 15 Für ihn waren es vertane Jahre, deren einziger Lichtblick kleinere Veröffentlichungen in der von Amalie Schoppe herausgegebenen Jugendzeitschrift Iduna waren. Dabei handelte es sich um Gedichte, ohne größeren Anspruch, zu denen er Mut gefaßt hatte, nachdem ihm schon 1834 eine Erzählung mit dem etwas markigen, aber für ihn durchaus bezeichnenden Titel „Wer Gott fürchtet, kennt keine Menschenfurcht" preisgekrönt worden war. Wie es ihm gelang, aus dieser vorgedachten beruflichen Lebensbahn auszusteigen und seinen Wunsch nach einem Universitätsstudium bei seinem Vater durchzusetzen, ist nicht überliefert. Möglicherweise überzeugte sein eifriges Streben, mit dem er die Hürde des noch nicht abgelegten Abiturs in Angriff nahm. Sie nötigte ihn immerhin, fundierte Kenntnisse in Latein und Griechisch zu erwerben und sich ein Wissen anzueignen, das in der elterlichen Bildungswelt kaum eine Rolle gespielt hatte. Im Deutschen wurden ihm „Geist und Gewandtheit" bescheinigt, in Französisch glich er durch gute mündliche die ungenügende schriftliche Leistung aus, vom Mathematikunterricht war er dispensiert worden - am Ende hatte er den „zweiten Grad der Reife" erworben. Mit erlangter Hochschulreife schrieb sich Eggers, nun schon zweiundzwanzigjährig, im Wintersemester 1 8 4 1 in die Matrikel der Rostocker Universität ein. Vom Militair District Güstrow war ihm im Mai des Jahres ein „Freilassungs=Schein" „wegen Unbrauchbarkeit" ausgestellt worden. 16 Dem Vater wird es kaum gefallen haben, daß er 14 15 16
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R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Persönliche Papiere. Sig. 1 . 4 . 7 . 3 2 . V S C H a F E , zit. Einleitung S. VI. R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Persönliche Papiere. Sig. 1 . 4 . 7 . 3 z .
Friedrich Eggers 1845 als Student
mit den gewählten Fächern Philosophie, Ästhetik und Philologie eine Richtung einschlug, die den Sohn immer weiter fort von dem kaufmännischen Gewerbe führte. Vielleicht empfand er es dann als Entschädigung, als sein zweiter studierender Sohn, Karl, vier Jahre später die juristische und damit aus seiner Sicht nützlichere Laufbahn einschlug. Friedrich Eggers hielt es nicht lange in Rostock, obwohl er in Christian Wilbrandt einen Professor fand, dessen Kolleg „Philosophie der Kunst" ganz nach seinem Geschmack war, wie er später wiederholt dessen Sohn Adolf bekannte. Er wechselte schon nach dem ersten Semester und schlug seine Zelte in Leipzig auf. Dort hörte er bei Ernst Wilhelm Gottlieb Wachsmuth, der nicht nur zum klassischen Altertum publiziert hatte, sondern auch mit einschlägigen kulturgeschichtlichen Forschung zur Neuzeit befaßt war. Als Eggers sein Student war, saß er gerade über einer vierbändigen Geschichte Frank9
Einleitung
reichs im Revolutionszeitalter17und veröffentlichte ein Buch über den Weimarer Hof während der Goethe-Zeit. 18 Doch auch in Leipzig verweilte Eggers nur kurz. Ihn zog es nach München. Außerdem wollte er unterschiedliche deutsche Universitäten kennenlernen und einmal den deutschsprachigen Raum von Nord bis Süd durchschreiten. Münchens Ruf als Kunst- und Kulturstadt zu dieser Zeit war bedeutend, und Eggers fand ihn voll und ganz bestätigt. Was er auch fand, war ein Freund, dessen Name bald als Dichter weithin bekannt wurde: Joseph Viktor Scheffel. Ihre erste Bekanntschaft ist als Anekdote überliefert. Man sei sich bei strömendem Regen begegnet und versehentlich gegeneinander gestoßen. Daraufhin habe jeder in seiner Mundart - Scheffel alemannisch, Eggers plattdeutsch - heftig auf den anderen eingeschimpft, bis man sich, kapitulierend vor der Zungenfertigkeit des anderen, lachend zu einem begütigenden Bier entschloß. Scheffel ist später nicht müde geworden, die gemeinsamen Semester im München Ludwigs I. als Inbegriff freundschaftlicher Nähe zu besingen. Eggers sei sein „Vormund", sei sein „Mentor" 1 9 gewesen, ohne den er „vielleicht nie einen Vers geschrieben" 20 hätte. Ein „gut Teil von dem, was ich bin", heißt es in einem Brief an den Freund, habe er allein „Dir zu verdanken" 21 . Das kann nicht ganz wundern. Zwischen ihm und Eggers lag ein Altersunterschied von sieben Jahren. Eggers war in seiner Studienrichtung entschieden und betrieb ihren Fortgang mit Entschlossenheit. Für ihn war München eine Kunstquelle, aus der er, um im Bild zu bleiben, in tiefen Zügen trank. Vertrauter Umgang mit modernen Künstlern, die sich an der Isar zusammengefunden hatten und die Künstlergesellschaft Neu England bildeten, und ausgedehnte Studien in den Sammlungen der Pinakothek und der Glyptothek ergänzten einander und trugen zu einem Klima bei, das seiner ästhetischen Bildung förderlich war. „Da glühten im letzten Abendscheine griechische Giebelfenster und gotische Türme; Säulen der verschiedensten Art tauchten ihre geschmückten Häupter noch in den Rosenglanz, helle gegossene Bilder, funkelneu,
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Hamburg 1 8 4 0 - 1 8 4 4 . Weimars Musenhof in den Jahren 1 7 7 2 - 1 8 0 7 . Berlin 1 8 4 4 . Viktor Scheffel an Friedrich Eggers, 10. Mai 1 8 4 5 und 3. September 1 8 4 5 . V S C H a F E , S. 3 5 und 39. Viktor Scheffel an Friedrich Eggers, 2 5 . Dezember 1 8 4 7 . V S C H a F E , S. 66. Viktor Scheffel an Friedrich Eggers, 1 7 . Oktober 1 8 4 7 . V S C H a F E , S. 5 3 .
Einleitung
schimmerten aus dem Helldunkel der Dämmerung", heißt es in der Schilderung der Stadt, die der gleichaltrige Gottfried Keller, der wenige Jahre zuvor in München Student gewesen war, im Grünen Heinrich gibt, „Studenten in Schnürröcken und silbergestickten Mützen kamen daher, gepanzerte Reiter mit glänzenden Stahlhelmen ritten gemächlich und stolz über einen Platz [...]". 2 2 In München lernte Eggers Moritz Schwind und Wilhelm von Kaulbach kennen, der ihn später porträtieren23 und dem er als Modell für seinen Perikles in der Ausgestaltung des Treppenhauses im Neuen Museum in Berlin dienen sollte. Das wissenschaftliche Leben an der Universität, an dem die beiden Studenten teilnahmen, ohne sich in ihm zu profilieren, wurde polarisiert durch das Wirken Joseph Görres', der im Mittelpunkt eines Kreises katholischer Wissenschaftler stand, und Friedrich Thierschs, der eine Professur für Archälogie hatte und einer der bemerkenswertesten evangelischen Gelehrten seiner Zeit war. Sein Ruf übrigens hatte Eggers nach München gelockt. Dem Studenten bereitete die Parteinahme keine Mühe, aber ihr fehlte auch jede Konsequenz. Die Faszination katholischen Denkens blieb ihm fremd; dessen Anziehungskraft scheiterte an seinen religiösen Festen, die er zu keinem Zeitpunkt seines Lebens ernsthaft antastete oder grundsätzlichen Anfechtungen aussetzte. Sie konnten auch durch intellektuelle oder rhetorische Brillanz nicht gefährdet werden. So bereitwillig sich Friedrich Eggers auf die theoretische Zusammenführung von Philosophie und bildender Kunst einließ, so wenig riskierte er ästhetische Verunsicherungen, hinter denen Erkenntnisse aufschienen, die sich seinem Weltbild nicht fügten. Im Gegensatz zu Scheffel hielt sich Eggers den Gesellschaftskreisen um Thiersch und Görres eher fern. Er bevorzugte den studentischen Stammtisch und gewann in Rudolf Braun, einem dichtenden Schulfreund Scheffels, und Franz Steingaß, Enkelsohn Görres', Freunde, mit denen er über die Münchner Monate hinaus im Kontakt blieb. Zech-
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Gottfried Keller: Der grüne Heinrich. Erste Fassung. Erster Band. Zit. n. G. Keller: Sämtliche Werke. Hrsg. von Jonas Fränkel. 1 6 . Bd. Erlenbach-Zürich 1 9 2 6 . S. 6 1 - 6 2 . Am 8. September 1 8 5 1 berichtete Fontane Lepel darüber: „Kaulbach hat Eggersen gezeichnet (schwarze Kreide, Kopf, Lebensgröße) es ist sehr schön und bekundet den Meister, die Aehnlichkeit hingegen find' ich durchaus nicht frappant." FLBW ι , S. 3 7 5 - 3 7 6 . II
Einleitung
gelage und studentisches Verbindungswesen waren nicht seine Sache, obwohl er der „Alemannia" angehörte und später während seiner Berliner Semester der „Germania" beitrat. Über gesundheitliche Probleme, die in den Briefen Scheffels an ihn erwähnt werden, kann nur gemutmaßt werden. 2 4 Im September 1844 trennten sich vorerst die Wege der beiden Männer. Scheffel setzte seine juristischen Studien in Heidelberg fort, während Eggers nach Rostock ging, um sich nach einem Semester dort der letzten Station seines Studiums zuzuwenden: Berlin. Die preußische Hauptstadt bot sich für ihn an. In ihr hatten seit der Thronübernahme Friedrich Wilhelms IV. architektonische und künstlerische Veränderungen stattgefunden, die über die Grenzen Preußens hinaus anerkennend und mit Aufmerksamkeit betrachtet wurden. Eggers hoffte, hier seine Studien zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Auch wollte er sich den Männern nähern, durch die Kunstgeschichte zu einer respektierten und tatsächlich respektablen Wissenschaft zu werden versprach: Franz Kugler, Carl Schnaase und Gustav Waagen. Und Berlin wurde in der Tat die Stadt, in der sich sein Lebensweg entschied. Was er an Respektablem zustande brachte, gelang ihm in dieser Stadt. Hier lernte er seine maßgeblichen Freunde kennen und fand nach wenigen Jahren ein Wirkungsfeld, das seinen besonderen Begabungen Raum bot. Seinen Eigenarten, an denen es nicht fehlte, wurde hier der Nimbus von Originalität verliehen. Mit wenigen Unterbrechungen wohnte er in Berlin bis zu seinem Tod. Das klingt reibungsloser und konfliktfreier, als es war. Eggers' Studium näherte sich seinem Ende - aber welches Ende sollte es haben? Er stand 1 8 4 6 im 1 0 . Semester und im 27. Lebensjahr. Unter den Studenten galt er als „bemoostes Haupt", seinen Altersgefährten, die schon im beruflichen Alltag standen, war er noch Student. Als Scheffel ihn im Wintersemester 1845/46 besuchte, fand er ihn verändert und versuchte sich über die Gründe klar zu werden: „Der Unterschied der Jahre", schrieb er seiner Mutter nach Karlsruhe, „macht sich doch einigermaßen geltend. Eggers ist seit unserm Münchner Leben ein Mann geworden. All das Weiche und Empfindsame, was einem Freundschaftsleben so ho-
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So heißt es im Brief v o m 8. M a i 1 8 4 5 „ D e i n oft so leidendes H e r z " , und im selben Brief ist die Rede von „Deiner angegriffenen B r u s t " . V S C H a F E , S. 3 2 .
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Einleitung
hen Reiz verleihen kann, hat sich bei ernster wissenschaftlicher Arbeit abgestreift und liegt als falscher Standpunkt' hinter ihm. Der Ernst des Lebens ist schon an ihn getreten und hat seine Spuren hinterlassen." 25 Eggers war mit seinem eigentlichen Studium so gut wie fertig. Dem studentischen Alltag entwuchs er schneller, als er wollte. Als Abschluß seiner Studien strebte er die Dissertation an. Ihr Thema klang bereits durch, als er für ein Stipendium im Juni 1845 an der Rostocker Universität einen Vortrag unter dem Titel Die Kunstarten im Lichte der Gegenwart hielt. Der „Ernst des Lebens", von dem Scheffel schrieb, wird am ehesten deutlich in seinen Versuchen, sich beruflich einzubinden. Er spielte eine Weile mit dem Gedanken, als Hauslehrer nach Paris zu gehen, und holte sich dafür erste Erkundigungen ein, die ihn freilich nicht ermutigten. Mit fleißig verfaßten Kunstreferaten begann er, den universitären Raum zu verlassen, und nahm Kurs auf die künstlerisch interessierte Öffentlichkeit. Die von Johann Wilhelm Zinkeisen geleitete Preußische Staatszeitung, die sich nach zwei eher reaktionären Jahrzehnten in den vierziger Jahren der konstitutionellen Richtung öffnete und deswegen mit der Zensur ins Gehege geriet, bot ihm ihre Spalten an. Bald kam das Kunstblatt dazu, das bei Cotta erschien und in dessen Redaktion sich Ernst Förster und Franz Kugler teilten. Neben dem Schreiben politischer Artikel, die wie üblich anonym erschienen, rezensierte Eggers unermüdlich Kunstereignisse des Tages. Offenbar geschah das mit hinlänglichem Sachverstand, denn Kugler wurde auf ihn aufmerksam und öffnete ihm sein Haus. Dieser Schritt sollte für Eggers entscheidend werden. Über Franz Kugler, der das Kunstreferat im Ministerium Eichhorn verwaltete und Professor an der Kunstakademie war, geriet Eggers in eine ihm neue Welt. In ihr konnte er bedeutenden Künstlern wie Drake oder Schadow begegnen, hier traf er auf einen Kreis poetisch Interessierter und nahm an Diskussionen teil, die der Kunstpolitik in Preußen gewidmet waren. Seit seinem an der Rostocker Universität gehaltenen Vortrag hatte Eggers sich für die Einbindung der Kunstbelange in das öffentliche Leben interessiert. Von Kugler, der mit seinen kunstgeschichtlichen Handbüchern das Fach dominierte, kam bei Reimarus in Berlin 1847 die kleine Schrift Ueber die Kunst als Gegenstand der
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V S C H a F E , zit. Einleitung S. XIV.
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Franz Kugler um 1850
Staatsverwaltung mit besonderem Bezüge auf die Verhältnisse des preussischen Staates heraus, in der nachdrücklich für die staatlichen Förderung der Künste plädiert und die Gründung öffentlicher Lehrund Bildungsanstalten für die Kunst gefordert wurde. Auf die Titelseite seines Handexemplars notierte Kugler Wilhelm von Humboldts Satz: „Kunstgenuß ist einer Nation durchaus unentbehrlich, wenn sie noch irgend für etwas Höheres empfänglich bleiben will." 2 6 Das Bewußtsein, sich in einem Kernbereich von Politik, Kunst und Bildung zu befinden, sorgte bei Eggers für Selbstbewußtsein. Das gab ihm
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Das Exemplar stammt aus der Büchersammlung Leopold Hirschberg, die nach dessen Tod in den Besitz der Universitätsbibliothek der heutigen HumboldtUniversität/Berlin übergegangen ist.
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Rückhalt und beeinflußte seinen beruflichen Werdegang, blieb aber bis in seine letzten Jahre krisenanfällig. Kuglers Zuwendung, die nach Fontane immer etwas Geheimrätliches, „altfränkisch Goethisches" 27 hatte, vermittelte Eggers das Gefühl von Anerkennung. Dieses Gefühl benötigte er, um den Glauben an die hochgesteckten Lebensziele nicht zu verlieren, von denen er seinen Eltern immer wieder schrieb und zu denen er von Franz Kugler ermuntert wurde. Neben der Verbindung zum Haus Kuglers, in dem er Emanuel Geibel, den damals weithin beachteten Lyriker, und den begabten Jacob Burckhardt kennengelernt hatte, verkehrte Eggers weiter in studentischen Kreisen, die endlich vom vormärzlichen Geist erfaßt wurden. Im Gegensatz zu Victor Scheffel, der den eigenen theologisch-religiösen Kehraus betrieb, bevorzugte Eggers das gemäßigte Lager. In einem „philosophischen Kränzchen" debattierte er zwar mit Ludwig Aegidi, dem späteren Wortführer der national-konstitutionellen Partei, und dem antipreußisch eingestellten Studenten Bernhard Endrulat, der Gedichte schrieb und dem ein bewegtes Schicksal bevorstand, über die Politik des Tages, aber zögerlich nur ließ er sich von dem politischen Aktionismus des Jahres 1848 ergreifen. Die Studentenproteste behagten Friedrich Eggers wenig. Er hielt sie in ihrer Form aus einem kaum gebrochenen staatsbürgerlichen Empfinden heraus für unerlaubt. Dabei tat der Umstand, daß er in Berlin Ausländer war, sein übriges. Als Aegidi eine studentische Protestnote überreichte, die Furore machte,28 kommentierte Eggers das seinem Vater mit den Worten: „Die Hitze meines Freundes Aegidi scheint von vornherein etwas verdorben zu haben", und verband das mit den grundsätzlichen Bemerkungen, es sei „ja doch ganz gleichgültig wo man sein Interesse u. sein Scherflein für d. Angelegenheiten d. Vaterlandes zu Tage legt. Daß ich kein großer Politiker bin, weißt Du ja, und hast mich oft genug darum gescholten." 29 Nichtsdestotrotz ließ er sich die Gelegenheit nicht entgehen und belieferte die Rostocker Zeitung mit politischen Berichten aus der preußischen Hauptstadt.
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F A B S II, S. 1 7 6 .
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Siehe u. a. M a x M e c h o w : Berliner Studenten. V o n 1 8 1 0 bis 1 9 1 4 . Berlin 1 9 7 5 . S. 5 8 - 6 5 . (Berlinische Reminiszenzen; 4 2 ) . M e c h o w spielt allerdings die studentischen Aktivitäten während der M ä r z t a g e erheblich herunter.
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Friedrich Eggers an seine Eltern, 7 . - 1 0 . M ä r z 1 8 4 8 . R S A , N L Eggers, Sig. 1.4.7.9.
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Einleitung
Als am 1 9 . März 1848 alle Fenster in Berlin illuminiert werden sollten, reagierte er unentschieden, obwohl er - auf der Suche nach seinem schon totgesagten Rostocker Freund und Schwager Heinrich Pries - „an 30 Leichen, oft schrecklich entstellt, genau besehen" 3 0 hatte. Diese Schreckensbilder erst schärften seinen Blick für den aus den Fugen geratenen Alltag. Die Studenten mußten aufgerufen werden, der Bürgerwehr zur Seite zu treten, um ein Eskalieren der Gewalt auch nach Abzug des Militärs zu verhindern, damit sich Eggers einem der fliegenden studentischen Corps anschloß und einen Säbel umschnallte. Die Berichte nach Hause über diese bewegten Tage, die Eggers fast täglich verfaßte, waren geprägt von Verunsicherung. „Alle Verhältnisse sind wie umgekehrt." 3 1 Eggers war froh, daß er in den Rotten viele studentische Bekannte um sich hatte und daß er seinen verehrten Lehrer Franz Kugler in vergleichbarer Lage - der stand in der Bürgerwehr - wußte. Als Eggers in den letzten Märztagen im Palast des Prinzen von Preußen Wache stand, kam es zu einer ungewöhnlichen Begegnung: Friedrich Wilhelm IV. inspizierte das Schloß und richtete sein Wort an den Posten stehenden Eggers! Der hatte danach natürlich nichts Eiligeres zu tun, als das Gespräch im Wortlaut nach Hause zu melden: „König: Wie ist Ihr Name? Ich: Eggers. König: Was sind Sie für ein Landsmann? Ich: Ein Mecklenburger." Ein Mann aus der Begleitung des Königs habe dann den Namen von Eggers' Vater genannt, woraufhin der König erwidert habe: „Sieh, sieh! is nich möglich!" 3 2 In diesen Märztagen lernte Eggers auch Paul Heyse kennen. Heyse, bald eine literarische Berühmtheit und Schwiegersohn von Kugler, war 1 8 Jahre alt und Student. Die beiden hatten in derselben studentischen Rotte ihren Dienst zu versehen und teilten die Neigung, sich mit Sprachspielen tote Zeit zu vertreiben. Otto Roquette hat in seinen Erinnerungen beschrieben, wie Eggers, einen Band Gedichte Friedrich Rückerts aus der Tasche ziehend, Reimworte daraus vorgetragen und 30 31 32
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Friedrich Eggers an die Eltern, 1 9 . März 1 8 4 8 . R S A , N L Eggers, Sig. 1 . 4 . 7 . 9 . Friedrich Eggers an die Eltern, 2.2. M ä r z 1 8 4 8 . R S A , N L Eggers, Sig. 1 . 4 . 7 . 9 . Friedrich Eggers an die Eltern, 1 9 . März 1 8 4 8 . R S A , N L Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 9 .
Paul Heyse Ende der fünfziger Jahre
nun die anderen aufgefordert habe, daraus ein Sonett zu formen. Zum Schluß sei das Original zum Vergleich vorgelesen worden, was für Heiterkeit gesorgt habe, aber auch sehr lehrreich gewesen sei. Aber man war in dem Kreis jedoch nicht nur heiter. Heyse zeigte durchaus den Willen, sich an dem demokratischen Umbruch, auf den er rechnete, zu beteiligen. Zumindest mit dem poetischen Wort. Zusammen mit Bernhard Endrulat, Franz Kugler (der ungenannt bleiben wollte) und Aegidi veröffentlichte er Fünfzehn neue deutsche Lieder zu alten Singweisen, die man Ernst Moritz Arndt und Ludwig Uhland widmete - und von Friedrich Eggers besprechen ließ. Es kennzeichnet Eggers, daß er sich nicht auf den politisch freimütigen Ton eingelassen hatte, der in den Versen vorherrschte. Ihm kam es vielmehr darauf an, die Verse der Freunde von Zeitgedichten wie der „sog. deutschen Marseillaise von Dr. Fried. Eylert, der seine poetische Nothdurft in d. Voss. Zeitung verrichtet", abzuheben. Wo politisches Maß zu nehmen war, legte er die ästhetische Elle an, ein Verfahren, daß ihm aus der Tunnelpraxis mittlerweile vertraut war: „Vier junge Dichter haben die 17
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Gaben zusammengetragen u. bringen Lieder", heißt es in seiner Besprechung, „die neben dem Vortheil, daß sie ihrem Charakter nach meistens sehr sangbar gedichtet sind, auch zu größtem Theil bekannten Melodien angepaßt erscheinen." 33 Bald hatte Eggers für sich erkannt, daß eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen nicht von Dauer sein könnte und ohnedies nicht wünschenswert war. Er nahm aus den Revolutionstagen die Erfahrung mit, daß die Zeit für „das alte Weltregiment" vorüber war und daß es nun gelte, ob man wolle oder nicht, durch „freiere Institutionen" 34 auf die Besserung der öffentlichen Verhältnisse zu drängen. Die Herstellung von Öffentlichkeit, ganz gleich, welchen Ausmaßes, war für ihn fortan ein erstrebenswertes Ziel, das er auf seine kunstpädagogischen Absichten zuschnitt. Diese hatte er, um damit auch endlich sein Studium zu beenden, in der Schrift Die Kunst als Erziehungsmittel für die Jugend dargelegt. Die Rostocker Universität akzeptierte diese kleine Schrift als Dissertation und stellte unter dem zz. Februar 1848 die Urkunde aus. Nun war Eggers promoviert, doch - ohne Arbeit. Deshalb war seine Freude groß, daß Kugler, der unter dem neuen Minister Adalbert Ladenberg Kunstreferent geblieben und sogar Geheimrat geworden war, sich seiner weiter annahm. Vorerst jedoch scheiterte die gute Absicht am fehlenden Geld. Eggers hörte, daß in Schwerin eine Mecklenburger Zeitung gegründet werden sollte, und bot im Bewußtsein einer Notlösung deren Chefredakteur Carl Hegel an, für das Blatt „regelmäßige Nachrichten über die Sitzungen der Nationalversammlung zu geben" 35 . Er hoffte, auf diese Weise in Berlin bleiben zu können. Das mißlang. Und da sich auch die Versuche, als Kunstkorrespondent an ausländischen Zeitschriften und an der Allgemeinen Preußischen Zeitung unterzukommen, zerschlugen, kam es zu einem mehrmonatigen Intermezzo in Schwerin. Einquartiert im dortigen Hôtel de Paris, fern der Berliner Freunde und der Aussicht auf anspruchsvolle Betätigung, sah sich Friedrich Eggers unlustig redaktioneller Flickschusterei gegenüber. „Du fragst welche Art[ike]l. in d. M. Z. v. mir sind. Ich schreibe gar 33
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Zitiert aus dem Entwurf vom 1 5 . Februar 1 8 4 9 , der sich im Briefkonvolut an die Eltern befindet. R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1 . 4 . 7 . 9 . Friedrich Eggers an die Eltern, 1 6 . Juni 1 8 4 8 . R S A , N L Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 9 . Friedrich Eggers an Carl Hegel, 1 8 . September 1 8 4 8 . R S A , N L Eggers. Sig. 1.4.7.9.
Einleitung
keine hinein, ich schneide sie nur hinein. Aus einem Haufen v. Zeitungen, der neben mir liegt, schneide ich mit der Schere die Nachrichten heraus, klebe aneinander, verbinde, zeichne u. streiche aus u.s.w. Das ist alles! eine sehr mechanische Beschäftigung." 36 Fontane übrigens, der sich gerade von seinem Freund Lepel jene berühmte „Muskedonner" erbeten hatte, um an den Kämpfen um Demokratie und Freiheit aktiv teilzunehmen, kommentierte Eggers' Schweriner Schritt abfällig mit den Worten, „daß Eggers auf dem Punkt steht einer reactionairen mecklenburgischen Zeitung seine Feder zu leihen". Ihn könne es nicht gegen Champagner einnehmen, daß andere begeisterte Weißbiertrinker seien ... 3 7 Er konnte nicht wissen, daß Eggers ungefähr zur gleichen Zeit mit dem Gedanken spielte, bei einer konstitutionellen Zeitung als Feuilletonist einzusteigen. Für scharfe Grenzen, wie sie Fontane damals zog, hatte Eggers keinen Sinn. Er suchte, und das verband ihn mit dem gleichaltrigen Fontane, allerdings einen beruflichen Ort, der seinen Neigungen entsprach und ihm soziale Anerkennung verhieß. Die räumliche Trennung von Kugler schränkte den persönlichen Verkehr zwar ein, die weitere Annäherung verhindern konnte sie nicht. Kugler schickte Bücher zur Besprechung und unterrichtete Eggers über seine Schritte beim Ministerium, Eggers wiederum nutzte jede Möglichkeit, um nach Berlin zu fahren und lieferte die angetragenen Rezensionen postwendend. Der Gedanke, mit einer substantiellen Vorlage die Reform der Kunstangelegenheiten in Preußen voranzutreiben und die von vielen Künstlern eingereichten Überlegungen38 in die Tat umzusetzen, hielt Kugler seit einiger Zeit gefangen. Ihm schien der Zeitpunkt günstig. In Eggers glaubte er den verläßlichen und kompetenten jüngeren Mitarbeiter für eine solche Ausarbeitung gefunden zu haben. Am 17. Mai 1849 skizzierte Kugler in einem Brief nach Schwerin, was ihm vorschwebte: „Es handelt sich bei diesen Vorschlägen zur Kunstreform übrigens ziemlich um Alles, was die verschiedenen 36 37
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Friedrich Eggers an die Eltern, 7. Oktober 1 8 4 8 . R S A , N L Eggers, Sig. 1.4.7.9. Theodor Fontane an Bernhard von Lepel, 24. September 1848. FLBW 1 , S. 1 1 6 . Im Juli 1848 war ein Aufruf an alle Künstler ergangen, ihre Vorstellungen über die Akademie der Künste, neue Kunstbildungsanstalten, staatliche Kunstförderung und den Erhalt und die Ausstellung älterer Kunst dem Ministerium einzureichen. Diese Überlegungen sollten die Grundlage für eine Denkschrift sein, mit der sich dann weitere Schritte einleiten ließen.
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Einleitung
Kunstfächer (bildende Künste, Musik, Theater) und ihre verschiedenartige Behandlung in Schule, Ausführungen, persönlichen Förderungen, technischen Verwaltungsinstanzen pp. pp. anbetrifft." 39 Am liebsten würde er Eggers im Büro des Ministerium sehen, das jedoch habe der Minister abgelehnt, weil Eggers als Mecklenburger Ausländer sei. Nichts jedoch spräche gegen einen gut honorierten Auftrag zur Abfassung einer Denkschrift zur Kunstreform. Für deren Abfassung taxierte Kugler einen Zeitraum von 3 bis 4 Monaten. Es verstünde sich von selbst, „daß die gute Ausführung einer solchen Arbeit den Verfasser empfiehlt", heißt es in Kuglers Schreiben, „und daß damit ein erster Schritt zur Anknüpfung mit der höheren Staatsbehörde gemacht wäre." 4 0 Ende Mai 1849 hatte Kugler seinen Antrag, der das Ministerium am Ende ja nicht viel kostete, durchgesetzt. Eggers kehrte nach Berlin zurück und erarbeitete unter Kuglers Anleitung die umfassende Schrift Die Reorganisation der Kunstverwaltung im preußischen Staate. Sie bildete die Grundlage für die von Kugler beabsichtigten Reformen, bei der die Akademie der Künste als eine Art Zentralinstitut für künstlerische Angelegenheiten fungieren sollte. Einbezogen wurde auch das Theater. Hier hatten Louis Schneider und Anton Gubitz die nötigen Zuarbeiten geliefert. Die Reformen sollten das Niveau der Künste in Preußen heben und sie aus ihrer angestammten Provinzialität herausführen. Wiedergewonnen sollte eine Kunst werden, die nationale Identität zu stiften in der Lage war. Als Adressat, so dachte es Kugler, und Eggers schloß sich ihm ohne Vorbehalt an, wünschte man sich den Gebildeten und in gleichem Maß den einfachen Mann. Friedrich Eggers entledigte sich dieser Aufgabe, nachdem er sich von Schwerin und von Carl Hegel losgeeist hatte, zur gänzlichen Zufriedenheit von Kugler. Das bedeutete einiges bei diesem strengen und arbeitsamen Mann, der höchste Ansprüche zu stellen gewohnt war und erfüllte. Hegel hätte ihn gerne in Schwerin behalten, mußte aber vor Eggers' Geständnis, er lese, seit er zurück in Berlin sei, kaum noch Zeitung, kapitulieren ... 4 1 Für das Abfassen der Denkschrift kassierte 39
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Franz Kugler an Friedrich Eggers, 1 7 . Mai 1 8 4 9 . LBK, T N L Eggers. Sig. C b 60, 56: 2.68.-270. Franz Kugler an Friedrich Eggers, 1 7 . Mai 1 8 4 9 . LBK, T N L Eggers. Sig. C b 60, 56: 2 6 8 . - 2 7 0 . Hegel erwiderte darauf, daß er daraus ersehe, „wie wenig Sie doch eigentlich zur Politik geartet sind, und kann Sie nur beklagen, daß Sie sich so lange
Einleitung
Friedrich Eggers nicht nur ein gutes Honorar 42 , sondern erwarb sich endgültig das Vertrauen und die Freundschaft seines direkten Auftraggebers. „Daß Eggers der beste Gesell von der Welt ist", schrieb Franz Kugler in jenen Tagen an seine Frau Clara, „versteht sich von selbst." 43 Man trank Brüderschaft, und in Hoffnung auf den Erfolg der Reformen wurden weitere Pläne für Friedrich Eggers geschmiedet. „Es ist vor Allem nöthig, daß er [Eggers - d. Hrsg.] eine ordentliche wissenschaftliche Arbeit liefert, [...] Wir haben dazu eine Kostümgeschichte, als Pendant zu meinem Handbuch der Kunstgeschichte ausersehen, ein Buch für Jedermann, besonders für Autoren, Schauspieler etc. etc. [...] An einem guten Verleger wird es für ein solches Werk nicht fehlen. Ich suche ihn nicht zu verleiten, aber ich kann doch nur meine Stimmung dafür aussprechen, daß seine Zukunft doch in Arbeit, die bleibend nachwirkt und nicht, wie Zeitungswirthschaft, mit dem Tage wieder verschwindet, am besten gesichert wird." 4 4 Das optimistische Klima, das die Arbeitsbeziehung zwischen Kugler und Eggers zu einer Freundesbeziehung erweiterte, sollte sich bald in wehmütige Erinnerung auflösen. 1850 kamen die politische Verhältnisse in Preußen unter die ministerielle Regentschaft Manteuffels. Die entspannte Atmosphäre verschwand, ohne Spuren zu hinterlassen, wie das Reformpaket, für das unter dem neuen Vorgesetzten Kuglers - dem Reaktionär vom Scheitel bis zur Sohle Karl Otto von Raumer - keine Verwendung war. Franz Kugler und auch Friedrich Eggers sahen sich deshalb an jene Kreise verwiesen, die sich außerhalb der ministeriellen Ebene preußischer Kultur- und Kunstpolitik zusammengefunden hatten. Sie waren für die Zwecke, auf die man Kurs genommen hatte, allerdings noch zurechtzubiegen. Der größte unter ihnen war der 1827 von Moritz Gottlieb Saphir gegründete literarische Verein Tunnel über der Spree.
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Gewalt angethan haben". Carl Hegel an Friedrich Eggers, [Mitte 1 8 4 9 ] . LBK, T N L Eggers. Sig. C b 60, 56: 1 9 6 . Die am 1 4 . Februar 1 8 5 0 ausgestellte Quittung nannte die Summe von 200 Reichsthalern. R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Persönliche Papiere. Sig. 1.4.7.32. Franz Kugler an Clara Kugler, 1 7 . Juni 1 8 4 9 . B S M , N L Kugler. Rep 9 2 Kugler I a, No. 90. Franz Kugler an Clara Kugler, 2 7 . Juni 1 8 4 9 . B S M , N L Kugler. Rep 9 2 Kugler I a, N o . 9 2 .
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Einleitung
III. Damit kommt die Seite zur Sprache, die bislang kaum eine Rolle spielte: die literarische. Man ist gewohnt, daß sie dominiert, wird über Fontane und seine Freunde geschrieben. Erst in den letzten Jahren ist in das etwas eintönige Bild von den literarisch dilettierenden Freunden, deren Gesellschaft Fontane Mitte der sechziger Jahre entflohen sei, Farbe gekommen. Eine Welt von Biographien, in die sich die von Friedrich Eggers fügt, ist entfaltet worden. In ihr nahm die literarische Geselligkeit einen ganz eigenen Platz ein, der sich nicht aus dem oft unbedeutenden Gedicht bestimmen ließ. Die dem Anschein nach ausschließlich literarischen Vereine entpuppten sich als Orte vielschichtiger menschlicher Begegnungen, die auf die Berufsverhältnisse der Mitglieder zurückwirkten. 45 Friedrich Eggers hatte dafür ein Gespür. Er hat Vereine gegründet, hat Gruppen um sich versammelt und jede Gelegenheit genutzt, um in diesen Kreisen die eigenen Tätigkeiten zu entfalten und die der anderen zu fördern. Fontane hat das an Eggers als schätzenswerte Begabung beschrieben: „Er war [...] allem anderen vorauf ein Gesellschafts-Genie, das, in einem mir nicht zum zweiten Male begegneten Grade, die Gabe besaß, nicht bloß Vereine zu gründen, sondern auch durch Anwerbung neuer Mitglieder und Aufstellung neuer Programme den etwa matter werdenden Pulsschlag sofort wieder zu beleben." 46 Eggers' Lebensgeschichte muß deshalb immer auch als die Geschichte seiner Mitgliedschaft in literarischen Vereinen erzählt werden. Im Gegensatz zu Fontane kam es ihm dabei nicht darauf an, wie gelungen die literarischen Texte waren, über die dort geredet wurde. In ihnen sah er vielmehr ein probates Mittel, menschliche Nähe herzustellen und Geselligkeit zu stiften, die ihm als entscheidende Lebensqualität unverzichtbar war. Für sie war ihm kaum ein Preis zu hoch. 45
Das kann hier nicht ausgeführt werden. Verwiesen sei jedoch auf die jüngsten Arbeiten zum Tunnel über der Spree in den Fontane Blättern Heft 50 (1990) und 5 1 ( 1 9 9 1 ) , auf das Themenheft zum literarisch-kulturellen Vereinswesen in der Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge 3 . 1 9 9 4 und auf das demnächst erscheinende Handbuch literarisch-kultureller Vereine, das von Karin Bruns, Rolf Parr und Wulf Wülfing herausgegeben wird, in dem ein ausführlicher Artikel über den Tunnel von Wülfing über den neuesten Kenntnisstand unterrichtet.
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FABS II, S. 1 8 6 .
2.2
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Möglicherweise zahlte er dafür sogar den nach Fontane höchsten Preis: ein gültiges poetisches Werk. Am Dichten hatte Eggers immer sein Vergnügen. Als ernstes Geschäft hat er es nie betrachten können. „Ging mit Noël nach Hause", heißt es in einem Wochenbericht, „machte Verse." 47 Eggers, schreibt Fontane, war einer, der sich „in zwölfter Stunde [...] hinsetzt, um ,für morgen' noch einen aus dem Vorratskästchen genommenen Balladenstoff in herkömmlicher Nibelungenstrophe zusammenzuleimen".* Dichten gehörte für ihn zu einem musisch bestimmten Dasein, das er anstrebte. Schon früh hatte er Verse geschrieben und gerne jede sich bietende Gelegenheiten genutzt, sie zu veröffentlichen. Unter dem Motto „Blücher" und dem Pseudonym Hartwig Karl waren die ersten Verse in norddeutschen, regionalen Zeitschriften abgedruckt worden. Einiges hatte in John Brinkmanns Mecklenburgischen Album 1843 Platz gefunden. Im Herbst 1845 in Berlin angekommen, hörte Eggers bald von dem dortigen literarischen Verein Tunnel über der Spree, zu dessen Mitgliedern immer wieder Studenten gehörten. Nicht Fontane führte Friedrich Eggers ein, wie er in Von Zwanzig bis Dreißig irrtümlich behauptet. Im Protokollband des Vereins vom 3. Januar 1847 findet sich der verbindlich Auskunft gebende Eintrag. Man habe auf dieser Sitzung über die Aufnahme des „Candidaten Eggers deliberirt" und dem Neugewählte sei der Tunnelnamen „Anakreon" verliehen worden: „und Schenkendorf [Lepels Vereinsname] übernahm es, ihn als solchen einzuführen." 48 Der feierliche Akt fand vierzehn Tage später statt. Eggers war schon einige Male zuvor als Gast bei den Sitzungen des Tunnel dabei gewesen und hatte eigene Gedichte vorgetragen, „die eine unerwartet günstige Aufnahme fanden. Ich hatte etliche Angst vorher". 49 Nicht ganz zu Unrecht. Denn Eggers' Beiträge, von denen der Tunnel über drei Jahrzehnte zahllose zu hören bekam, gerieten häufig in die strenge Mühle der Kritik. Oft blieb von ihnen nicht viel übrig. Ihnen fehlte die poetische Originalität. Das hat Fontane gesehen und geahndet. „Fontane", heißt es nach einer Sitzung im Dezember 1862, „ließ 47
Friedrich Eggers: Wochenzettel, 1 5 . April 1 8 7 2 . R S A , N L Eggers. Sig. 1.4.7.39. 48 UB, N L Tunnel, Pb 1 8 4 6 / 1 8 4 7 . 49 Friedrich Eggers an seine Eltern, 1 9 . Dezember 1 8 4 6 . R S A , N L Eggers. Sig. 1.4.7.9. * FABS II, S. 1 8 9 .
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Einleitung
gleichwohl kein gutes Stück an meiner Arbeit; ich habe ihn nie so in rage gesehen" 50 . Eine Ausnahme bildete allein seine plattdeutsche Dichtung, die zum Kanon vorgetragener Texte im Tunnel gehörte. Fontanes Kritik an dem Dichter Eggers, dem er besonders die dilettierende und deshalb anmaßende Konkurrenz auf seinem ureigensten Feld der nordischen und schottisch-englischen Balladik vorwarf, traf sich mit der des Tunnels, wenngleich man sich an Unterschiedlichem stieß. Nicht viel anders stand es mit Fontanes Meinung von Eggers' Urteilsfähigkeit in poetischen Dingen: „Eggers mit seiner objektiven Kritik", heißt es 1 8 5 1 in einem Brief an Lepel, „die dasselbe wichtige Gesicht schneidet - ob nun Cook oder der selige Salis was zum Besten giebt, ist langweilig bis zum Exceß" 5 1 . Aber ganz gleich: Mit diesem Zuzug hatte der Tunnel einen Glücksgriff getan. Kaum ein Mitglied des Vereins kann mit Eggers' Verdiensten konkurrieren, kaum eins, das wie er dem Verein die Treue hielt - und kaum eins, das so viele Gäste einführte, die sich dann als Mitglieder in das Vereinsregister eintrugen. Ohne ihn würden wichtigste Kapitel der Vereinsgeschichte fehlen. Fontane hat den Tunnel berühmt, Eggers hat ihn überlebensfähig gemacht. Im Tunnel begann eigentlich die Beziehung zwischen ihm und Fontane. Sie beschränkte sich schon bald nicht mehr auf das Terrain des Tunnels. Eine Freundschaft jedoch, die sich selbst genügt, sollte es nie werden. An dem Tunnel war das Krisenjahr 1848 nicht spurlos vorübergegangen. Der Verein machte Anstalten, sich seiner selbst zu vergewissern. Eggers verhielt sich eher verunsichert. Durch seinen Schweriner Aufenthalt verpaßte er für einige Monate die unmittelbaren Diskussionen dort, wird sie aber aufmerksam verfolgt haben. Im Tunnel wurde ernsthaft erwogen, die Öffentlichkeitsscheu, die noch aus Saphirs Tagen herrührte, abzulegen und einer „nach außen gerichteten produktiven und kritischen Thätigkeit im Gebiet der Kunst, und der Wissenschaft im weitesten Sinne durch Begründung eines Journals" 52 50
Friedrich Eggers: Wochenzettel, 3. Dezember 1 8 6 2 . R S A , N L Eggers. Sig. 1.4.7.34.
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Theodor Fontane an Bernhard von Lepel, 1 3 . Oktober 1 8 5 1 . F L B W 1 , S. 3 8 5 . Protokoll von der Sitzung am 5. November 1 8 4 8 . UB, N L Tunnel, Pb 1 8 4 8 - 1 8 4 9 . Vgl. hierzu Wulf Wülfing: Der „Tunnel über der Spree" im Revolutionsjahr 1 8 4 8 . Auf der Grundlage von „Tunnel"-Protokollen und unter besonderer Berücksichtigung Theodor Fontanes. In: Fontane Blätter. Hrsg. vom Theodor-Fontane-Archiv der Deutschen Staatsbibliothek. [Potsdam] 1 9 9 0 . Heft 50. S. 4 6 - 8 4 .
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das Wort zu reden. Zwar blieb es im wesentlichen bei Worten, die aber reichten, um verlorengegangenes Interesse an dem Verein wiederzuerwecken und wichtige neue Mitglieder zu gewinnen. Im Tunnel fanden sich nun Franz Kugler, Paul Heyse, Eggers und Fontane neu vereint, freilich unter anderen Vorzeichen. Mit ihnen begann eine neue Ära des Vereins und die Periode, die dem Tunnel langwirkenden Nachruhm bescherte. Sie sorgten, unterstützt von weiteren Tunnelianern, für einen Aktivierungsschub, dem bald die Vereinsgrenzen zu eng wurden. Beinahe mehr noch als der Journal-Gedanke reizte Franz Kugler eine andere Überlegung, die in den Nachmärztagen im Verein heftig debattiert worden war. Werner Hahn, später Verfasser einer verbreiteten Literaturgeschichte für die höheren Schulen, hatte einen weitgesteckten Reorganisationsplan vorgelegt. Dieser Plan sah vor, den Tunnel zu einem überregionalen Schriftstellerverein auszubauen, Berlin sollte „zum deutschen ReichskunstVorort" werden, in dem „die Kunst zu einem deutschen Reichsbundesstaat"53 zu erheben sei. Das war übermütig formuliert, speiste sich aber aus einer Quelle, aus der auch er und Friedrich Eggers schöpften. Der Tunnel war das eine. „Ich wollte", schrieb Eggers einmal, „die TunnelPräsidentur wäre ein amtlicher Posten, der was einbringt. Das wäre eine Stelle, die ich mit Lust und Liebe bekleiden würde." 54 Er konnte trotz seiner vielen Verbindungen nicht für eine berufliche Laufbahn stehen. Gerade die mußte Eggers anstreben. Sie wurde von seiner Familie erwartet, die ihn weiterhin finanziell unterstützte. Obwohl Eggers über ein abgeschlossenes Studium verfügte und promoviert war, stand er 1849/50 nicht viel besser da als Fontane. Erst das Jahr 1850 brachte Besserung. Mit diesem Jahr begann seine eigentliche Zeit. Franz Kugler hatte ihm, noch nach Schwerin, geschrieben: „hätte man Sie hier, und hätte man Sie als Feuilletonist hier! Ich gäbe was drum." 55 Klappte es nicht mit dem Feuilleton, so doch mit einer Stelle im selben Metier. Friedrich Eggers übernahm durch Kuglers Vermittlung 1850 die Redaktion des bei R. O. Weigel in Leipzig heraus53 54
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Sitzungsprotokoll vom 19. November 1848. UB, N L Tunnel, PB 1 8 4 7 - 1 8 4 8 . Friedrich Eggers an seinen Vater, 18. Mai 1856. RSA, N L Eggers, Friedrich Eggers an die Eltern. Sig. 1.4.7.9. Franz Kugler an Friedrich Eggers, 22. März 1849. LBK, TNL Eggers. Sig. Cb 60, 56: 268.-270.
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kommenden Deutschen Kunstblatts. Dieses frisch gegründete Blatt sollte er mit Hilfe einer respektablen Beiträgerschaft zu dem Organ für Kunst und Kunstgeschichte ausbauen. Die namhaften Kunsthistoriker der Zeit wie Johann David Passavant, Gustav Waagen, Ernst Förster, Rudolf Eitelberger von Edelberg und Carl Schnaase wurden nicht nur regelmäßige Beiträger des Blattes, sondern standen bald mit Eggers auf freundschaftlichem Fuß und in dauerhafter Korrespondenz. Die Orte mit ihren dazugehörenden Kunstvereinen, über die regelmäßig berichtet wurde, mehrten sich rasch. Zu Berlin, Frankfurt, München und Wien gesellten sich Düsseldorf, Dresden, Danzig und bald auch viele kleinere Städte wie Halberstadt oder Orte in Mecklenburg. Kontakte ins Ausland, wie sie sich bei dem Ansehen der Beiträger von selbst ergaben, schlugen sich ebenfalls im Blatt nieder. Die Kunstreferate von Ausstellungen und Debatten in London oder Paris, in Brüssel oder Kopenhagen ließen sich in zugeschnittenen Rubriken unterbringen. Eggers konnte sich über europäische Kontakte freuen und vertrieb das Blatt bald auch in London und Paris. Die Informationsfülle, die zusammenkam, läßt das Deutsche Kunstblatt heute zu einer wichtigen kunsthistorischen und - organisatorischen Quelle des Nachmärzjahrzehnts werden. „Ich lebe jetzt sehr in dem Gefühl, Redakteur des Deutschen Kunstblattes in Deutschland zu sein" 56 , heißt es in einem Brief Eggers' 1854. Die Eltern und Verwandten wurden nachdrücklich gebeten, statt „Dr. Eggers" „Redakteur des Deutschen Kunstblattes" zu adressieren. 1 8 5 1 erschien, über mehrere Nummern verteilt, der längste Artikel, der je im Kunstblatt zum Abdruck kam: Es war die Denkschrift über eine Gesammt-Organisation der Kunstangelegenheiten. Was für das preußische Ministerium unter Raumer nicht mehr als Makulatur war, wurde einem kompetenten Publikum vorgelegt mit der Einladung zur Diskussion. Es gehörte zu den großen Enttäuschungen Friedrich Eggers' und Franz Kuglers, daß die erhofften Reaktionen ausblieben. Beide kompensierten die zweite Niederlage nach der Ablehnung durch das Ministerium auf ihre Weise: Kugler durch angestrengte Arbeit an einer Baugeschichte und einem Dienst nach Vorschrift als Vortragender Rat, Eggers durch Verabsolutierung seiner redaktionellen
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Friedrich Eggers an Robert Eggers, 3 1 . August 1 8 5 4 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an Robert Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 1 4 3 .
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Kunstblatt-Arbeit und durch forcierte Umtriebigkeitkeit im Kreis der Freunde. Die ersten Jahre des Kunstblattes liefen gut an. Eggers war bemüht, die gesamte Organisation des Blattes nach Berlin zu verlagern. Ermutigt fühlte er sich durch den Umstand, daß die Freunde im Tunnel ihm die Unterstützung nicht versagten. Erwies sich der Verein als Ganzes auch als zu schwerfällig, so zeigten die aktivsten Mitglieder doch Interesse, Kunst und Literatur als eine öffentliche Angelegenheit zu betrachten. Theodor Fontane erkannte die Vorteile, die sich aus einer näheren Bekanntschaft mit Eggers ergeben konnten. Bei seinen Versuchen, für eine erste Gedichtsammlung einen Verlag zu finden, wandte er sich u. a. an Eggers, der ihm - jetzt, später und immer nach bestem Vermögen - half und die Verhandlungen mit dem Verleger Wilhelm Ernst übernahm. Wenige Monate danach nutzte er Eggers' Bekanntschaft mit dem Herausgeber der Rostocker Zeitung, um dort kleinere Texte von sich zu veröffentlichen. Als er einen Artikel über die Berliner Maler- und Bildhauerwelt für das Deutsche Museum plante, „sollte und wollte" ihm Eggers „Einlaßkarte und Cicerone zugleich sein" 57 . Die Liste ließe sich ohne Aufwand leicht erweitern. Friedrich Eggers gelang es, einen exklusiven Kreis, der sich vom Tunnel abhob, um sich zu scharen. Dabei half ihm anfangs das Glück - und einer seiner Landsleute aus Mecklenburg. Der aus Zahrenstorf bei Schwerin stammende und in Leipzig lebende Redakteur des Literarischen Centralblatts, Friedrich Zarncke, später ordentlicher Professor, wandte sich 1 8 5 2 an seinen Mecklenburger Landsmann mit der Bitte: „Hast Du, lieber Junge, in B. [Berlin - d. Hrsg.] nicht ein paar Leute zur Hand, aus denen ich einen tüchtigen Referentenkreis für Poesie (extra Dramen) construiren könne: derbe handfeste Burschen, keine klingelnden Phrasenmacher" 58 ? Eggers hatte - er empfahl u. a. Fontane, Wilhelm von Merckel, dessen Name mit den unseligen, ihn aber nicht hinlänglich kennzeichnenden Versen „Gegen Demokraten / helfen nur Soldaten" verknüpft ist, und Bernhard von Lepel. Die Besprechungen erschienen anonym und waren in der Regel kurz. Zarncke, erst erfreut, war jedoch schon nach wenigen Monaten keineswegs mehr zufrieden mit dem, was ihm aus Berlin zugeschickt 57 58
Theodor Fontane an Wilhelm Wolfsohn, 8. März 1 8 5 1 . FWBW, S. 1 1 5 . Friedrich Zarncke an Friedrich Eggers, 28. September 1 8 5 2 . LBK, T N L Eggers. Sig. Cb 60.56: 5 9 1 .
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wurde. „Noch schlimmer [als die Rezension von Merckel - d. Hrsg.] steht es mit Fontane, einen durchaus noch in den Rudimenten des Denkens u. Urtheilens befangenen, im schriftlichen Ausdruck sehr trivial werdenden Manne." 59 Trotz dieser entmutigenden Erfahrung, die neben ihrer mißlichen dank der literaturkritischen Gehversuche auch eine produktive Seite hatte, ließ Eggers nicht locker. ,,[I]ch will ein Organ haben", schrieb er dem Bruder Karl, „ich will wissen, wohin mit den Artikeln meiner Freunde und will damit eine Wirksamkeit ausüben." 60 Als im Kreis der Gedanke aufkam, ein eigenes kritisches Organ ins Leben zu rufen, verband er die Vorarbeiten mit der Gründung eines neuen Vereins, der den Namen Rüth erhielt. Seine Existenz ist bis in die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts belegt. Zu den Urrütlionen gehörten neben Eggers, Kugler und Fontane, Bernhard von Lepel, Wilhelm von Merckel, Paul Heyse, Karl Bormann, Adolph Menzel und Theodor Storm. Im Dezember 1 8 5 2 , der Tunnel hatte gerade sein 25jähriges Bestehen gefeiert, konstitutierte man sich. War Franz Kugler der Kopf der Vereinigung, so war Friedrich Eggers die Seele. Fontane hat in einem Gelegenheitsgedicht auf Kugler das Verhältnis zwischen den beiden auf den Vers gebracht: N u r simples Tombak oder Messing Wärst Eggers, D u - w a s gilt die Weit' Wenn unser redivivus Lessing Dich nicht im Geist geboren hätt. 6 1
Das Rütli wurde in den nächsten Jahren die Institution, in der Kunstund Literaturpolitik verhandelt wurde. Friedrich Eggers hat bis zu seinem Tod sorglich jeden Sitzungsgegenstand in seinen Papieren notiert: Die Bandbreite reichte vom Aufstellen öffentlicher Kunstdenkmäler über Stellenpolitik im Kultusministerium (besonders wenn Rüt//mitglieder involviert waren) und dem kritischen Abwägen literarischer Arbeiten, eigener und der zeitgenössischen Literatur. Obwohl anfangs an ein Rezensionsorgan gedacht war, hatte man sich bald darauf verständigt, daß es zweckmäßiger sei, ein belletristi59
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Friedrich Zarncke an Friedrich Eggers, 2.7. März 1 8 5 3 . LBK, T N L Eggers. Sig. C b 60.56: 5 9 1 . Friedrich Eggers an Karl Eggers, 9. November 1 8 5 3 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an Karl und Mathilde Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 6 5 . Toast au/ Franz Kugler. Z u m 9. Dezember 1 8 5 4 . Fontane Gedichte 3, S. 59.
Einleitung
sches Jahrbuch herauszugeben. 1854 erschien dieses Jahrbuch unter dem Titel Argo. Fontane und Kugler waren die Herausgeber, Eggers gehörte zu den Beiträgern - 14 Seiten stammten aus seiner Feder, wie er nicht ohne Stolz nach Hause meldete.62 Das Jahrbuch bekannte sich zu Norddeutschland, im engeren und weiteren Sinn. Als Fontane September 1855 nach England ging, 63 rückte Friedrich Eggers auf den vakanten Herausgeberposten nach. Er war mit dafür verantwortlich, daß die literarischen Beiträge durch einen Bildteil - in der Hauptsache getragen von aus Berlin stammenden Künstlern - ergänzt wurden. Literarisch wenig produktiv, übernahm er es, diesen Bildteil mit Erläuterungen zu versehen. Das Riitli kam Eggers gelegen. So sehr er sich über die Argo freute, mehr noch freute ihn die Tatsache, daß er über eine Art Beratergremium verfügte, dem überdies potentielle Beiträger angehörten. Und er knüpfte die Maschen zwischen Tunnel, Riitli und Kunstblatt noch enger. Das geschah im Interesse aller und ebenso in seinem eigenen. Am 28. November 1853 teilte der Verleger Heinrich Schindler (Berlin) auf einem Verlagszettel mit, daß man sich mit dem Leipziger Verlagshaus Weigel darüber geeinigt habe, das Deutsche Kunstblatt von nun an in Berlin zu verlegen, um den „Unbequemlichkeiten, welche die Entfernung des Redactions- und Druckortes vom Verlagsorte" bedeutete, ein Ende zu setzen. An der Tendenz des Blattes, hieß es weiter, werde sich nichts ändern, nur eine Programmerweiterung nehme man vor: Das Deutsche Kunstblatt werde „ausser seinen bisherigen Beilagen monatlich zweimal ein unabhängiges Beiblatt bringen, welches in derselben Weise, wie das Hauptblatt den Interessen der bildenden Kunst, Baukunst und Kunstindustrie, so dem Interesse der poetischen Nationalliteratur zugewandt sein wird. Es wird hierbei neben anderen bekannten und geschätzten Schriftstellern namentlich der Kreis von Männern mitwirken, welcher sich an dem eben auftretenden Jahrbuch ,Argo' betheiligt hat." 64 62
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Friedrich Eggers an seinen Vater, 2 1 . November 1 8 5 3 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers an die Eltern. Sig. 1 . 4 . 7 . 9 . Die Beziehung der beiden zu diesem Zeitpunkt wird durch den Umstand charakterisiert, daß es Eggers war, der Fontane zusammen mit Emilie zum Bahnhof begleitete. Eintrag vom 7. September 1 8 5 5 . Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S.51. Zitiert nach dem Exemplar, das Eggers seinem Vater am 20. November 1 8 5 3 geschickt hat. R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1.4.7.9.
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Die Verknüpfung von bildender Kunst und Literatur im Deutschen Kunstblatt, dem Literaturblatt und der Argo verstand sich nicht von selbst. Sie war Eggers' eigentliche Botschaft. Was in den Personen, die das Unternehmen trugen, begründet war, wurde in der Vorrede von Friedrich Eggers zum 5. Jahrgang des Deutschen Kunstblattes und dem ersten des Literaturblattes ins Programmatische gewendet. „Wir haben keinen Bauplan auf dem Papier gemacht, zu dem nachher die Steine und Mittel fehlen", heißt es dort, „wir sind nur unablässig und Schritt vor Schritt beflissen gewesen, den Plan, den die Zeit vorschreibt und reifen läßt, nach besten Kräften zu verwirklichen." Das habe auch dazu geführt, daß die bildenden Künste und die Dichtkunst einen so lebhaften und innigen Verkehr pflegten, daß man „oft und vielfältig Gelegenheit" habe, „gemeinsame Grundsätze und unterscheidende Eigenthümlichkeiten zu erörten, daß dies allein ein Literaturblatt beschäftigen könnte." 65 Aus Eggers' Sicht ließen sich die Dinge gut an. Er übernahm auch die Redaktion des Literaturblattes, das in seinen ersten Nummern durchaus respektabel daherkam: mit einem großen Essay über Theodor Storm, mit einem weiteren über Eduard Mörike und einer Reihe Rezensionen, die sich sehen lassen konnten. Der Fixierung auf die Berliner Literaturszene, die Karl Gutzkow und Robert Prutz öffentlich an der Argo und dem Literaturblatt monierten, versuchte Eggers durch eine Reise nach Dresden und in andere Städte gegenzusteuern. Dort wollte er prominente Beiträger werben und war dabei nicht glücklos. Er traf mit Karl Gutzkow zusammen und lernte Julius Hammer kennen, die mit dem Aufbau der Deutschen Schillerstiftung einer Institution, die sich der Unterstützung in Not geratener Autoren und deren Hinterbliebenen widmen sollte - befaßt waren und dafür das Rütli interessieren konnten, und er hatte Umgang mit Berthold Auerbach, dessen Dorfgeschichten zu den meistgelesenen Büchern der Zeit rechneten. „Auerbach ist außerordentlich lebhaft und geistvoll; gedankenvoll muß man lieber sagen", schrieb Eggers seinem Vater. „Er weiß immer etwas Schönes zu sagen und ist dabei herzlich und fröhlich." Da sah er sogar von seinem latenten Antisemitismus ab, den er mit vielen Zeitgenossen teilte und der bei ihm protestantisch motiviert war. Er habe nie gedacht, „daß mir ein Jude, der noch dazu
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Friedrich Eggers: Vorrede. In: Deutsches
Kunstblatt.
5 (1854). S. 1 und 2.
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durchaus jüdisch spricht, so gefallen könne." 66 Als Theodor Storm nach Potsdam wechselte, fand er in Eggers einen Freund, der ihm zugetan war und dessen plattdeutsche Dichtung er lobte. Überhaupt: Eggers empfing Sympathiebekundungen, die ihm Lebenselexier waren und Ersatz für ausbleibenden literarischen und wissenschaftlichen Ruhm. Das Riitli (und ihm zur Seite der Familienfreundeskreis Ellora) hatte dank seiner Neigung, alle sachlichen Beziehungen in persönliche zu kehren, an innerem Zusammenhalt gewonnen. Alle mochten Eggers, Eggers mochte alle. Seine Sonderlichkeiten waren dabei kaum im Wege, ja sie wirkten eher förderlich. Was es mit ihnen auf sich hatte, ist schwer erklärlich. Alle, die über Eggers schreiben, berichten von seiner Neigung, sich auffällig zu kleiden, und den farbigen Westen, die er bevorzugte. Sie schildern einen Mann, dessen männliches Äußeres in eigenwilligem Kontrast zu den weiblichen Zügen stand, die an ihm auffielen. Der Tunnel horchte auf und empfand es als etwas „Mißliches", als Eggers Dezember 1846 ein Gedicht vortrug, bei dem „ein Mann aus der Seele des Weibes heraus zu dichten sich vornimmt" 67 . Paul Heyse sprach 1848 Eggers gegenüber von der „Weiblichkeit Deiner Natur" 68 . Über Jahre beschäftigten sich die Freunde damit, Eggers eine Frau suchen zu wollen. Es schlug fehl. Ein Zeugnis nur hat sich finden lassen, das von einer tiefen, nicht erwiderten Liebe Eggers' zu einer Frau spricht. Als er sich bei Kugler verzweifelt das Herz ausschüttete und soweit ging, den eigenen Tod zu wünschen, hielt ihm der mit Ernst und Nachdruck entgegen, er möge doch an die denken, „um deretwillen" 69 er so rede. Was als Trost gedacht war, linderte den Schmerz, dem sich Eggers für einen kurzen, intensiven Augenblick in seinem Leben hingab, nicht. Eggers liebte es, seine Empfindungen zu zeigen, sie in Briefen auszusprechen und dabei Wendungen wie „lieber Schatz" (14. Juni 1855) oder „mein Liebchen" zu gebrauchen, die zumindest ungewöhnlich waren. Es entsteht der Eindruck, als ob er seine homoerotischen Neigungen, um die es sich auch handelt, soweit ausgelebt hat, wie es ihm 66
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Friedrich Eggers an seinen Vater, 10. Oktober 1 8 5 5 . RSA, N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1.4.7.9. Tunnel-Sitzung vom 20. Dezember 1846. UB, N L Tunnel, Pb 1846/1847. Paul Heyse an Friedrich Eggers, 24. November 1848. LBK, T N L Eggers. Sig. Cb 60, 56: 2 1 3 . Franz Kugler an Friedrich Eggers, 30. März 1 8 5 1 . LBK, T N L Eggers. Sig. Cb 60, 56: 268.-270.
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die bürgerliche Welt, in der er zuhaus war und die er liebte, gewährte. In einem offenmiitigen Brief an seinen Bruder Heinrich hat Eggers versucht, sich zu erklären: „Ich bin selber von Natur viel zu weichlich angelegt, als daß ich schon sehr frühe hätte das Bedürfniß nach Ergänzung von weiblicher Seite hätte empfinden sollen. Eine Ersetzung bot mir außerdem die Kunst", zu der am Ende die Liebe aber nicht tief genug gewesen sei, „um mich ganz auszufüllen, meine Gaben sind dazu auch nicht groß genug. Was ist natürlicher", schloß Eggers dieses bemerkenswerte Bekenntnis, „als daß nun endlich der Familientrieb erwacht?" 70 Dieser „Familientrieb", der die eigene Familie auflöste in einer großen der Freunde, galt keiner Frau. Er entlud sich in einer Korrespondenz, deren Ausmaß ungeheuerlich ist. Briefeschreibend, das darf man vermuten, hielt Eggers einer Einsamkeit stand, deren Übermacht ihn bedrohte und die er verleugnete, weil sie ihm als Lebensniederlage erschienen wäre. Sie ließ ihn die endlos vielen Freundschaftsbeziehungen suchen und hielt eine Unruhe wach, die er in guten Momenten mit Produktivität verwechselte, der er in schlechten seine Erfolglosigkeit anlastete. Er entwickelte eine skurrile Betriebsamkeit, die Fontane mehr als einmal ironisch beschrieben hat: „er hantelt erst eine Viertelstunde, dann läuft er Dauer, dann macht er Besuche, Gelegenheitsgedichte, Theaterstücke, spielt mit, korrespondiert mit 20 Freunden, deren er 200 hat, besorgt ewig freundlich und unermüdlich die miserablsten Kommissionen, verliebt sich, tröstet andre Verliebte, stiftet Gesellschaften, freimaurert, kneipt, beteiligt sich an jeder Konkurrenz mit 3 Arbeiten [,..]." 7 1 Aber gerade diese Art Eggers' stiftete Gemeinsinn und Gemeinschaft. Zwischen den Familien seiner Freunde stellte sich ein vertrautes Verhältnis ein, das ihn als Bindeglied sah. 1853 stand das ganze Rütli am Taufbecken von Fontanes Sohn Peter Paul, und am 27. November 1 8 5 3 , Eggers' Geburtstag, gestaltete der erweitere Kreis die Feier für ihn. „ Storm brachte seine Gedichte. Fontane und Frau brachten ,Mörike'. [...] Dann erschien in feierlichem Zuge die Ellora. Voran der Waldmeister [Otto Roquette - d. Hrsg.] mit einem Kranz, Alle in weißen Binden. [...] Jeder von ihnen hielt einen Cigarrenbecher in der 70
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Friedrich Eggers an Heinrich Eggers, 1 4 . Februar 1 8 5 9 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Brief an Heinrich und Luise Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 1 6 6 . Theodor Fontane an Wilhelm und Henriette von Merckel, 1 3 . Januar 1 8 5 7 . F M B W ι , S. 1 2 7 .
Einleitung
Hand, weil ich so unvorsichtig gewesen war, kurz vorher zu äußern, ich möchte wohl einen mehr haben." 72 Alles schien auf bestem Wege. Doch der verheißungsvolle Beginn hielt nicht, was er versprach. Der Grund zu Fontanes kritischem Verhältnis zu Friedrich Eggers wurde in den folgenden Jahren gelegt. Eggers gab sich endlos Mühe, der Aufgabe als Redakteur und Herausgeber gewachsen zu sein - indes er war überfordert. Händeringend schrieb er an Gott und die Welt, um interessante Beiträge zusammenzubekommen, und aktivierte sogar seine Brüder Gustav, Karl und Robert - aber der Erfolg blieb begrenzt. Die Auflagenhöhe um 450 Exemplare stagnierte nicht nur, sie war rückläufig. Das Ministerium drückte mit Preßmaßregeln und bestand auf Sicherheiten, die nur mit Not immer wieder erbracht werden konnten. Bettelbriefe zu schreiben, wurde Eggers Tagesgeschäft. „Was gehört zu dem Schwersten auf der Welt?" heißt es in einem Brief von Auerbach an Eggers, „Einem lieben Freund auf einen Wunsch mit Nein antworten zu müssen. Wo man sich wirklich mit Herzen aufgenommen weiß, mischt sich nicht die Furcht darin, durch solche Ablehnung auch nur den kleinsten Rechtstitel des freundschaftlichen Wohlwollens zu verlieren, sondern es ist eben das peinliche Gefühl, nicht nach eigenem Wunsche begehren zu können." 73 Diese Erwiderung des Dorfgeschichten-Autors ist typisch, ihr ließen sich zahllose ähnlich lautende zur Seite stellen. Wohlwollen für den Redakteur, höfliche Distanz gegenüber dem Blatt. Das Literaturblatt, blättert man es durch, läßt auf die Dauer kein rechtes Konzept erkennen. Die Beiträge wirken zufällig. Liest man, wie Eggers redigierte, weiß man, daß in der Tat der Zufall zweiter Redakteur war. Alles wuchs ihm über den Kopf. Das verstimmte nicht nur Fontane, der seit 1855 in London lebte und dem Eggers' zum Teil konfuse Art, Manuskripte zu verwalten, unerträglich war. Daraus hat er, wie die Briefe der Jahre zeigen, keinen Hehl gemacht. Klaus Groth, von dem Eggers mit äußerster Eindringlichkeit einen Beitrag für die Argo erbeten hatte, ließ seinem Verdruß ebenfalls freien Lauf, als Eggers statt seines Textes andere, gänzlich unerhebliche abdruckte: „Mein Name ist mir zu gut dazu", als „Lückenbüßer vor dem Publikum zu erscheinen. „Ihre Aufforde-
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Friedrich Eggers an seinen Vater, 9. Dezember 1 8 5 3 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1 . 4 . 7 . 9 . Berthold Auerbach an Friedrich Eggers, 2.6. Juni 1 8 5 7 . LBK, T N L Eggers. Sig. C b 60, 56: 2 2 .
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Einleitung
rung mußte ich, auch dem Tone nach, so lange für baare Münze halten, als ich Sie für einen Freund meiner Poesie hielt. [...] Meine Sachen sind nicht etwa käuflich, ich selbst noch weniger." 74 Eggers entwickelte eine Meisterschaft im Abwiegeln, Begütigen und Ausgleichen, die ihresgleichen sucht. Ihr Preis war ein unvertretbarer Zeitaufwand, den Eggers betrieb und der seine schriftstellerische Entwicklung gefährdete. Je schwerer es wurde, die vorgegebenen Druckseiten zu füllen, um so häufiger griff er selbst zu Feder und Tinte, um Beitragsdefizite zu schließen. „Alles was im Kunstblatt nicht unterzeichnet ist, rührt von mir her, oft auch Correspondenzen von außen, die ich hier aus mündlichen Nachrichten oder Privatbriefen fabrizire." 75 Ja, fuhr er in einem Rechtfertigungsbrief, von denen er immer mehr zu schreiben hatte, fort, manche anders unterzeichneten Artikel stammten zu großen Teilen ebenfalls von ihm. So ließ sich auf Dauer keine Zeitschrift, kaum ein Jahrbuch halten. Die Freunde halfen redlich, Wilhelm von Merckel verständnisvoll und einfühlsam, Lepel höflich und verhalten ironisch, Fontane eher unwillig, Wilhelm Lübke freundschaftlich großzügig. Einige wie Adolf Wilbrandt oder Roquette selbstlos und aufopferungsbereit. Je prekärer die Situation wurde, um so mehr versteifte sich Eggers darauf, mit dem Kunstblatt „identisch" 76 zu sein. Theodor Fontane war in London weit entfernt, gerecht über Friedrich Eggers zu urteilen. Mag sein, daß er schon länger gehegte Vorbehalte bestätigt fand. Er sah durchaus, daß Krisen des Berliner Freundeskreises nicht Eggers allein angelastet werden konnten. Nicht nachvollziehen wollte er dessen Unentschiedenheit und Umständlichkeit. Auch ein Quentchen Mißtrauen war im Spiel. Wenn ihm Eggers die Vermittlung einer Schrift seines Hausarztes, Dr. Julius Erhard, in London antrug, hielt Fontane mit dem Unbehagen, das ihm dieses Gemisch von Gefälligkeit und verdecktem Taktieren bereitete, nicht hinter dem Berg. Aber Fontane wußte Treue zu schätzen - und Eggers war treu. Er gehörte zu den wenigen, die ihm regelmäßig nach London schrieben. Nicht alle Briefe sind überliefert. Nicht beliebig, daß 74 75
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Groth Briefe, S. 1 0 . Friedrich Eggers an seinen Vater, 2 7 . Oktober 1 8 5 5 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers an die Eltern. Sig. 1 . 4 . 7 . 9 . Friedrich Eggers an seinen Vater, 3 1 . Dezember 1 8 5 4 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers an die Eltern. Sig. 1 . 4 . 7 . 9 .
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Fontane gerade an ihn dachte, als das Ministerium eine weitere Stelle in London erwog. Gute Englisch-Kenntnisse, angenehme Umgangsformen und die glückliche Hand, Bekanntschaften zu schließen, sprachen für Anakreon, den Tunnel- und Rwi/igefährten. Eggers, der wegen der unabsehbaren Situation des Kunstblattes immer auf Stellenausschau blieb, erläuterte seinem Vater Fontanes Angebot und seine Entscheidung: „Das Ministerium bot mir 1200 rh jährlich, wenn ich als Fontane's Gehilfe nachgehen wollte. Ich hab' es hin und her überlegt und dann abgeschlagen; einmal war es für England zu wenig Geld, 2) sollt' ich Politik machen und 3) was für welche? ministerielle. - Ich will schon Geld vom Ministerium nehmen", schrieb er weiter, „aber ich will dabei meinen Kopf behalten. Die erste Rechenschaft ist doch ein ehrlicher Mensch immer seinem Herrgott und ich meinem Gewissen schuldig. Hernach kommt erst die weltliche Obrigkeit." 77 Die Begründung gab Eggers seiner Familie, nicht Fontane, der sie als Verletzung hätte empfinden müssen. Unverkennbar war Fontanes Bemühen, Eggers für Belange zu interessieren, die ihm persönlich näher als Kunst- und Literaturblatt lagen. Seine Aufforderung, ihm bei der Überarbeitung der 4. Auflage seines Deutschen Dichter-Albums, die bei Bachmann herauskam, behilflich zu sein, erwiderte Eggers dankbar und postwendend: „Album betr. Natürlich zu jedem Dienste bereit." 78 Fontanes Freude über dieses Entgegenkommen wirkte sich auf das gemeinsame Verhältnis aus. Es wurde entspannter, in guten Momenten freundschaftlich, wenn auch nicht vertraulich. Als Fontane vom 28. März bis zum 28. April 1 8 5 7 Berlin besuchte, traf er niemanden so häufig wie Friedrich Eggers. Sechzehn Begegnungen sind allein im Tagebuch belegt. Eggers erlebte aus der Nähe, welche Geschäfte Fontane im ministeriellen Dienst abzuwickeln hatte, hörte den Bericht vom Empfang bei Otto von Manteuffel, dem Ministerpräsidenten, war bei einigen Treffen mit Merckels dabei und begleitete Fontane in den nicht konfliktfreien Verhandlungen mit dem neuen Verleger des Deutschen Dichter Albums. Und Fontane sah, wie Eggers die Fäden, die er gar zu gerne miteinander verwoben hätte - Kunstblatt, Literaturblatt und Argo - trotz guter Absichten verknäulte und unfähig war, sie mit einem Hieb zu ent77
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Friedrich Eggers an seinen Vater, 2 7 . Oktober 1 8 5 5 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1.4.7.9. Friedrich Eggers an Theodor Fontane, 1 1 . März 1 8 5 7 .
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Einleitung
wirren: selbst um den Preis, sich neue suchen zu müssen. Fontane nutzte sogar die Tage in Berlin, um im Rüth eine „Debatte über die von mir bestrittene ,Unerläßlichkeit' des Kunstblattes" 79 zu führen, wie er am 18. April 1857 im Tagebuch notierte. Schon wenige Monate später flaggte Eggers auf Sturm. Über Wasser hielt er sich mit Vorlesungen. „Eggers liest vor einem gewählten Damenkreise, Kunstgeschichte", schrieb Emilie Fontane mitleidsvoll nach London, „und bin froh, daß Du darüber hinweg, und bedaure ihn, daß er so herunter gekommen ist." 80 Sein Schiff drohte unterzugehen. Er rechnete mit dem Schlimmsten. Man könne jetzt, schrieb er im Oktober seinem Bruder Robert nach Wiesbaden, „meinen bürgerlichen und literarischen Untergang erleben", er habe „kein Fünklein Hoffnung" mehr. 81 Ein Aktien-Comitê, dem neben den Rütlionen auch die Kunsthistoriker Gustav Waagen und Carl Schnaase angehörten, sollte die Rettung in letzter Sekunde bringen. Eggers verschickte zahllose Werbezettel, die zum Kauf von Kunstblatt-Aktien aufforderten. Seine ganze Familie in Rostock, die das Treiben skeptisch kommentierte, mobilisierte er, Interessenten zu gewinnen. Es führte hier zu weit, den Weg des Kunstblattes mit seinem Literaturblatt bis zu ihrem gemeinsamen Ende 1858 in jede Verästelung zu verfolgen. 1 8 5 7 trennte man sich von Schindler, der dabei jeden erdenklichen Stein in den Weg legte, und Schloß einen Vertrag mit Emil Ebner in Stuttgart. Damit war die Nord-Süd-Konkurrenz entschieden, sie hatte aber auch an Schärfe für Eggers verloren. Er verbrachte längere Zeit in Süddeutschland und befreundete sich sogar mit dem Gedanken, ganz nach dort überzusiedeln, als die Überlegung aufkam, ein neues Kunstblatt zu gründen. Wilhelm Lübke, der während dieser Wochen Kunst- und Literaturblatt redigierte, wurde mit der Frage überrascht, ob er nicht dessen Redaktion dann ganz übernehmen wollte. „Als Titel", schrieb Merckel an Eggers, „würde ich wählen: Allgemeines Deutsches Kunst u Literatur Blatt", auf dem Deckblatt könnten die Stadtwappen von Stuttgart und Berlin symbolhaft abgebildet werden: So wäre „der Nordosten u. Südwesten Deutschlands vereinigt." 82 79 80 81
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Eintrag vom 18. April 1 8 5 7 . Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 240. Emilie Fontane an Theodor Fontane, 6. März 1 8 5 7 . Fricke 2, S. 52. Friedrich Eggers an Robert Eggers, 10. Oktober 1 8 5 7 . RSA, N L Eggers. Sig. 1.4.7.143. Wilhelm von Merckel, o.O, o.D. [Herbst 1 8 5 7 ] . LBK, T N L Eggers. Sig. Cb 60, 5 6: 2 3 1 .
Einleitung
Im letzten Kapitel der leidigen und für Friedrich Eggers leidvollen Kunst- und Literaturblatt-Geschichte mußte er, mehr oder minder genötigt, die Redaktion des Literaturblattes abgeben. Der Sitz wechselte nach München und ging an einen Mann, den Eggers als Freund kennengelernt hatte und nun als Freund begrüßen mußte: Paul Heyse. Zwar beteuerte der, er habe nichts weniger vor, „als dem Blatt einen neuen Geist einzuhauchen" 83 , und denke nicht „an eine Lostrennung der Colonie vom Mutterstaat" 84 , doch legte er sich in den ersten Wochen so kräftig ins Zeug, daß Eggers Zweifel kommen konnten. Auch Heyse schlug einen neuen Titel vor, „Allgemeines Litteratur=Blatt für Deutschland" 85 , plädierte für München als zweitem Redaktionssitz und erklärte es als „unumgänglich ein solches Beiblatt durchaus ablösbar zu halten" 86 von seinem Hauptblatt. Es wird Friedrich Eggers nicht mit Genugtuung erfüllt haben, daß es Heyse mit dem Literaturblatt nicht besser ging als ihm. Nach nur einem Jahr mußte der Münchner kapitulieren. Zu exklusiv sei man gewesen, zu wenig habe man die tatsächliche Leserschaft berücksichtigt, die eben die eines XwMsiblattes, und nicht die eines Literaturblattes gewesen sei.87 Eggers' Karten waren nicht besser. Mit dem Literaturblatt stellte auch sein Kunstblatt das Erscheinen ein. Acht Jahre seines Lebens hatte er in den Dienst dieses Blattes gestellt. Und als wäre das nicht genug: Am 18. März 1858 starb für alle überraschend Franz Kugler, der Lehrer und Freund, der ihm Schutz und Hilfe gewährt hatte über mehr als ein Jahrzehnt. Das Aprilheft des Deutschen Kunstblattes brachte ein Bildnis Kuglers von Adolph Menzel mit einem Nekrolog Eggers': „Uns bleibt nur das Recht des läuternden Schmerzes, die wir uns da, wo das späte, fern verhallende Ausklingen eines reichen Lebensabends so ohne allen Zweifel u. natürlich schien, an ein dunkles Grab gestellt sehen, das über all unsere Fragen und Gedanken schweigt." 88 Die 83
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Paul Heyse an Friedrich Eggers, 30. Oktober 1857. LBK, TNL Eggers. Sig. Cb 60, 56: 2 1 3 . Paul Heyse an Friedrich Eggers, 26. November 1857. LBK, TNL Eggers. Sig. Cb 60, 56: 2 1 3 . Paul Heyse an Friedrich Eggers, 16. November 1857. LBK, TNL Eggers. Sig. Cb 60, 56: 2 1 3 . Paul Heyse an Friedrich Eggers, 3 1 . Dezember 1857. LBK, T N L Eggers. Sig. Cb 60, 56: 2 1 3 . Paul Heyse in seinem Schlußwort der letzten Nummer vom Dezember 1858. Friedrich Eggers: Franz Kugler f . Deutsches Kunstblatt. 9 (1858). S. 1 1 8 .
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Einleitung
hochgesinnten Pläne, denen alle Kräfte geopfert und für die keine Mühe gescheut worden waren, hatten sich endgültig erledigt. Mit Kugler starb eine Vision. Daß sie längst im Alltag verkümmert war und ihre Ausstrahlungskraft eingebüßt hatte, wollte Eggers angesichts der Trauer vergessen machen. Er verdrängte es, wissentlich. Stand Eggers nun am Ende wieder dort, wo er begonnen hatte? Ohne Stellung, ohne Einkommen, wenige Monate vor Vollendung seines vierzigsten Lebensjahres?
IV. Die ersten Monate des Jahres 1858 verlebte Eggers in München. Es war, als ob ihn die Angst vor fälligen Entscheidungen abhielt, nach Berlin zurückzukehren. In München hielt ihn der Einfluß von Heyse, der ihm nicht entging und von dem er sich berufliche und damit Lebensangebote versprach. Sein Leben war neu zu ordnen, er wußte es. Aber wie? Längst war ihm Berlin ein angestammter Ort geworden, von wo ihn nur die Existenznot vertreiben konnte. „(I)ch kann nicht ewig Redacteur, ambulanter Redacteur bleiben", schrieb er dem Bruder Gustav im März, „ich muß wieder nach Berlin, meiner gewohnheitsrechtlichen Heimath." 89 Die Freunde im Rütli und außerhalb zerbrachen sich den Kopf für ihn - und sie benötigten ihn. Theodor Fontane drehte das Bild von Sonne=Kugler und Mond=Eggers aus den 1854er Versen auf Kugler um und schrieb: „K. war eben der Mond, der liebe, stille, klare, helle Gefährte, aber er war nicht die lebengebende Sonne. Wir können nicht leugnen, daß dies unser alter Eggers war. Wie wir alle wissen, er hat uns zusammengebracht, und die wechselnden Angelegenheiten, die er vertrat (,Zentralblatt', ,Kunstblatt', ,Literaturblatt', ,Argo'), [...] bildeten den Mittelpunkt, um den sich in Wahrheit die ganze Sache drehte." 90 Aber Eggers war keiner, dem sich leicht helfen ließ. Holte er auch von überall Rat, ließ sich ihm doch kaum raten. Er erwog, die an sich eher glücklose Zusammenarbeit mit dem Berliner Kapellmeister 89
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Friedrich Eggers an Gustav Eggers, 24. März 1 8 5 8 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an Gustav Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 1 2 5 . TheodonFontane an Wilhelm von Merckel, 30. M ä r z 1 8 5 8 . F M B W 2, S. 1 6 .
Einleitung
Wilhelm Taubert fortzusetzen, für den er ein „Macbeth"-Libretto schrieb, das ihm zwar die Anerkennung der Prinzeß von Preußen,91 sonst aber nichts einbrachte. Taubert hatte seine Kantate auf den Bildhauer Rauch vertont, jetzt sollte seine Musik einen aus Shakespeares Sturm zusammengestrichenen Deklamationstext verbinden. Verdrossen klagte Eggers gegenüber dem Bruder Karl, er habe es „nicht überhaupt mit einem Componisten, ich hab' es mit Taubert zu thun". Dem versuche er, so viel er könne, „von meinem Dichterthum einzuimpfen" 9 2 . Nun, da alles schief zu gehen drohte, blieb von dem Gedanken, sich „alsdann bei der Augsburgerin [gemeint war die Augsburger Allgemeine Zeitung - d. Hrsg.] [zu] engagiren, und in die weite Welt, vielleicht nach Paris [zu] gehen" 93 , nichts übrig. Karl Eggers' brüderlich-großherziges Angebot, ihm einen finanziellen Zuschuß zu zahlen, damit er Ruhe für ein eigenes Buch und damit bessere Aussicht auf eine feste Stellung habe, schlug er aus. Daß sein Standort dank der Kunstblatt-Arbeit aber doch entschieden besser war als 1850, beweist der Umstand, daß Eggers nach Franz Kuglers Tod als dessen möglicher Nachfolger ins interne Gespräch gekommen war. Regelmäßiger Umgang mit ministeriellen Behörden, die Qualität seiner zahllosen Beiträge im Kunstblatt, ein respektabler Freundeskreis und nicht zuletzt die imposante äußere Erscheinung hatten ihn im Kreis maßgeblicher Leute zu einem möglichen Kandidaten erhoben. Die Freunde unterrichteten ihn davon. Er solle nur rasch nach Berlin kommen und sich dem Minister vorstellen. „Wir können", schrieb ihm Lübke, „unseren unersetzlichen und unvergeßlichen Freund nicht besser und würdiger ehren, als wenn wir in seinem Geiste die Fäden, die ihm der Tod aus der Hand riß, sammeln und festzuhalten suchen." 94 Eggers als Vortragender Rat im Kultusministerium. Der Gedanke mußte ihm behagen. Seine Meinung jedoch war, „für so was müssen 91
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Paul Heyse an Friedrich Eggers, 30. März 1858: „Die Prinzeß von Preußen hat ihm [Taubert] aufgetragen, dem Dichter der Rauch=Cantate ihr ganz besonderes Wohlgefallen an seiner Dichtung auszusprechen." LBK, T N L Eggers, Sig. Cb 60, 56: 2 1 3 . Friedrich Eggers an Karl Eggers, 23. August 1858. RSA, N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an Karl und Mathilde Eggers. Sig. 1.4.7.65. Friedrich Eggers an seinen Vater, 24. Oktober 1 8 5 7 . RSA, N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1.4.7. 9. Wilhelm Lübke an Friedrich Eggers, 4. April 1 8 5 8 . LBK, T N L Eggers. Sig. Cb 60, 56: 296.
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die Freunde sorgen. Ich kann für mich nicht bitten" 95 . Z u lange verharrte er in München; kaum war er Ende Mai zum Pfingstfest in Berlin, entschloß er sich auch schon wieder, im August erneut für eine längere Zeit nach Süddeutschland zu gehen. Die persönliche Präsenz in Berlin, zu der nicht nur Fontane geraten hatte, vernachlässigte er. J a , er mischte sich in öffentliche Akademieangelegenheiten, was zu einer ihm wenig dienlichen Beschwerde beim zuständigen Minister führte. „Er weiß [...] nicht zu rechter Zeit und mit rechter Manier zu operieren", meinte sein väterlicher Freund Merckel gegenüber Fontane, „er ist am Unrechten Orte stolz u. am Unrechten bescheiden und läßt sich von Leuten raten, die entweder wider beßres Wissen oder ohne Geschick u. Kenntnis des Windes ihm den Kurs angeben." 9 6 Merckel sollte recht behalten. Statt Eggers erhielt Moritz Eduard Pinder, kunstpolitisch weitaus unerfahrener als er, den Posten. Das Jahr 1 8 5 8 verstrich. Während Eggers zwischen München und Berlin pendelte und Wohnungen ebenso rasch wechselte wie Vorstellungen über seine Zukunft, deutete Fontane die Zeichen der Zeit, und Merckel, der gemeinsame Freund und Kammergerichtsrat, half ihm dabei. „Die Welt seufzt nach großen Taten, wie ausgedörrtes Land nach Regen", heißt es im Brief Fontanes vom 20. September des Jahres, „es scheint mir, daß die blutige Pflugschar erst wieder über die Erde gehen muß, eh eine neue große Ernte reifen kann." 9 7 Die Rede war von „Zukunftsmenschheit", manches erinnere ihn, Fontane, wahrhaftig an die Zeiten Herodes'. Merckel zeigte wenig Neigung, in den endzeitlichen Ton einzustimmen. Er sah es gelassener - und gab wieder, was seine Frau vom Fenster aus gesehen habe: Vor ihren Augen brach am 1 2 . Oktober 1 8 5 8 „unter großer Teilnahme und Akklamation des versammelten Publikums" 9 8 der kranke König Friedrich Wilhelm IV. mit seiner Gemahlin, von seinem Volk und den Regierungsgeschäften Abschied nehmend, nach Meran auf. Die Regentschaft hatte er zuvor in die Hände seines Bruders Wilhelm gelegt. Mochte die politische Rechtslage Merckel auch ein wenig konfus er95
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Friedrich Eggers an seinen Vater, 1 5 . November 1 8 5 8 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers an die Eltern. Sig. 1.4.7.9. Wilhelm von Merckel an Theodor Fontane, 24. Juni 1 8 5 8 . F M B W 2, S. 80. Theodor Fontane an Wilhelm von Merckel, 20. September 1 8 5 8 . F M B W 2, S. 1 2 4 . Wilhelm von Merckel an Theodor Fontane, 1 2 . Oktober 1 8 5 8 . F M B W 2, S. 1 3 8 .
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scheinen, die Tatsachen indes keineswegs. Und die meldete er unumwunden nach London: „Der Prinzregent ist sonach nunmehr wirklicher Quasikönig zu eignem Entschluß nach eignen politischen Prinzipien." 99 Für die Neue Ära, die mit dem Rücktritt des Ministeriums Manteuffel dann nicht lange auf sich warten ließ, waren die Weichen gestellt. Fontanes Londoner Stelle - er selbst empfand sie mit der ihm zuweilen charakteristischen Unangemessenheit, die eigene Lage einschätzen zu können, als ein „Beiseitegesetztsein" 100 - stand mit einem Schlag zur Disposition. Ein Vorgesetztenkarussell setzte sich in Bewegung, erst langsam, dann rasanter, das Fontane zwang, sein Streben auf einen Punkt zu richten: „mit Manier von hier fortzukommen." 101 Waren die Freunde gerade noch um Friedrich Eggers besorgt gewesen, rückte Fontane an dessen Stelle und beschäftigte das Rütli auf das lebhafteste. Und noch mehr. Aus dem Sorgenkind Eggers wurde ein Hoffnungsträger. In der politischen Wende der Neuen Ära kam die „goldne Mitte" zur Geltung und wurde „überall mit Eifer gesucht" 102 . Und Eggers war „goldne Mitte". Seine guten Beziehungen zu jenen politischen Kreisen, die nun mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ruder in die Hand nahmen, verhießen mögliche Hilfe für den in London festsitzenden Fontane. Wie war es dazu gekommen? Eggers stand auf gutem Fuß mit dem neuen Kultusminister Moritz von Bethmann-Hollweg und verkehrte nicht erst seit diesen Tagen mit Immanuel Hegel, der seit 1853 Leiter der Zentralstelle für Preßangelegenheiten und einer von Fontanes Chefs war. Er war der Bruder von Carl Hegel, seinem ehemaligen Chefredakteur an der Mecklenburgischen Zeitung. Gleichermaßen war Eggers mit Julius von Jasmund, Studienfreund aus Rostocker Universitätstagen, bekannt, dem langjährigen verantwortlichen Redakteur des Preußischen Wochenblatts. Diese Zeitung hatte oppositionelle Interessen wahrgenommen und Jasmund so viel Ärger eingehandelt, daß er 1 8 5 7 resigniert aufgege99
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Wilhelm von Merckel an Theodor Fontane, 1 2 . Oktober S. 1 3 8 . Theodor Fontane an Henriette von Merckel, 5. Oktober S. 1 3 1 . Theodor Fontane an Henriette von Merckel, 5. Oktober S. 1 3 1 . Henriette von Merckel an Emilie Fontane, 1 1 . November S. 1 5 2 .
1 8 5 8 . F M B W 2, 1 8 5 8 . F M B W 2, 1 8 5 8 . F M B W 2, 1 8 5 8 . F M B W 2,
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ben hatte. Jetzt aber kehrten sich die Verhältnisse um, und Jasmund wurde für Ludwig Metzel Direktor der Centralpreßstelle. Eine der ersten Entscheidungen war, die offiziöse und runtergewirtschaftete Berliner Morgenzeitung Die Zeit den eigenen Zwecken anzupassen. Er widmete sie um in Preußische Zeitung und ernannte Friedrich Eggers zu ihrem Feuilletonredakteur. Theodor Fontanes Erwägung, das Riitli benötige, um wieder zu Kräften zu kommen, einen Feuilletonredakteur, 1 0 3 war unerwartete Wirklichkeit geworden. Auch für Eggers unerwartet. Seine Hoffnungen waren weitergesteckt gewesen. „Es schien", schrieb er an Adolf Wilbrandt, „auf einmal Alles günstig für mich wegen B H [Bethmann-Hollweg - d. Hrsg.]" 1 0 4 Nun drohte aber nur eine peinvolle Redaktionslast gegen eine andere, von deren Ausmaß er noch keinen rechten Begriff hatte, ausgetauscht zu werden. Seine Zusage, beteuerte Eggers noch wenige Tage später, sei ein „Freundschaftsdienst" gewesen, „aber er war nothwendig." 105 Ständig im Zweifel, richtig gehandelt zu haben - eine Haltung, auf die sich Eggers zeitlebens kaprizierte - erkannte er die Vorzüge, die sich aus der neuen Position ergaben. Zum ersten Mal erlebte er großes Zeitgeschehen aus erster Hand und in erster Reihe: und an der Spitze eines Feuilletons. Friedrich Eggers, als ihn die Freunde baten, zögerte keinen Augenblick, sich für Fontane zu verwenden. Er suchte Hegel auf, um Erkundigungen über dessen mögliche Rückkehr einzuholen, und nahm kurz darauf Gelegenheit, mit Jasmund, der sein wie Fontanes Chef geworden war, ein persönliches Wort über den in London Lebenden zu wechseln. Eggers' Mitteilung, daß die neue Regierung keineswegs vorhabe, Fontanes Tätigkeit im Litterarischen Cabinett seit 1850 so auszulegen, als habe Manteuffel „persönliches Interesse für Dich gehabt" (14. November 1858), mußte Fontane ebenso beruhigen wie die Nachricht, über seinen möglichen weiteren englischen Aufenthalt auf dem Laufenden gehalten zu werden. Ihm wurde im Falle seines Ausscheidens ein finanzieller Ausgleich garantiert (und dann ja auch gezahlt). Eggers durfte zufrieden sein. Im erstem Moment schien es, als sei es Fontane auch. Er lud Eggers und die Freunde über den Kanal 103 104
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Theodor Fontane an Wilhelm von Merckel, 3. Juni 1 8 5 8 . F M B W 2, S. 64. Friedrich Eggers an Adolf Wilbrandt, 1 7 . November 1 8 5 8 . LBK, T N L Eggers. Sig. C b 60, 56: 5 7 3 . Friedrich Eggers an Adolf Wilbrandt, 24. November 1 8 5 8 . LBK, T N L Eggers. Sig. C b 60, 56: 5 7 3 .
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zum Austernessen ein und rief Eggers zu: „Laß eine kalt stellen!" (17. November 1858). Aber schon drei Tage später schlug die Stimmung um. Eggers' Besuch bei Jasmund habe ihn, schrieb Fontane am 20. November 1858, „blamirt." In diesem Brief fertigte er Eggers ab. Er unterstellte ihm fehlendes politisches Einfühlungsvermögen und leichtfertigen Umgang mit Werten wie Ehre und Charakter. Und der Brief geriet ihm - beinahe unter der Hand - zu einem Bekentnisschreiben, mit dem er seinen Wechsel in das konservative Lager, den die Freunde in wacher Erinnerung seiner 48er Haltung nicht glauben wollen, begründete: Die Gesinnung, aus der heraus er damals Front gemacht habe „gegen Absolutismus und Demokratenthum", erfülle ihn immer noch, „das Leben und die Verhältnisse aber haben mich zu einer andern Parthei, richtiger wohl zu einer andern Nuance der großen antiabsolutistischen Parthei hinübergeführt" (20. November 1858). Nichts, was er vom Wechsel bisher mitbekommen habe, legitimiere „Fahnenflüchtigkeit". „Darum ausharren an dem Platze, wo man mal steht!" Dieser Brief hatte Langzeitwirkung. Er lag fortan als Schatten auf ihre Beziehung, ein Schatten, der selbst bei guter Stimmungslage nicht weichen wollte. Fontanes Zeilen nötigten Eggers eine Erklärung für seine gutherzige und im Resultat, wie sich bald herausstellen sollte, erfolgreiche Intervention bei den Regierungsbehörden ab. Der mit Dank gerechnet hatte, sah sich gründlich abgebürstet. Und doch wurde Eggers seiner Enttäuschung Herr. In seiner Erwiderung vom 23. November, ganz im Ton freundschaftlicher Rechtfertigung, klingt die Kränkung, die Fontanes Reaktion bedeuten mußte, mit keiner Silbe an. Er beschrieb noch einmal seine Schritte als das, was sie gewesen waren: sorgender Freundesdienst in „Anstand und Würde". Mehr noch: Eggers versprach, die ihm übergebenen Manuskripte Fontanes der alten Zeit zum Druck zu befördern und lud Fontane nachdrücklich zur Mitarbeit am Feuilleton der Preußischen Zeitung ein. Allerdings versehen mit der Bemerkung: „Nur keine Politik." (23. November 1858) Der politische Dissens blieb unausgeräumt, Eggers wollte nicht glauben, daß sich Fontane zur zurückgetretenen Regierung nicht allein aus sachlichen Gründen, sondern auch aus politischer Überzeugung bekannte. „Mir müßtest Du es erst beweisen, daß Du ,manteuffelisch' bist, eh' glaub' ich's nicht." (23. November 1858) Eggers stand nicht allein mit seiner Auffassung. Er wußte das Riitli hinter sich. Wie er wurde der Freundeskreis, alles andere als überaus 43
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liberal oder gar demokratisch gesinnt, an Fontane irr. Fontane machte keine gute Figur, schon gar nicht, als er gegenüber Lepel gerade Eggers in eine komische Figur verwandelte, um sich selbst zu rechtfertigen. Er habe den Verdacht, „daß mein lieber alter Eggers mal wieder eine seiner glänzendsten Karten ausgespielt und vor versammeltem Rütll·Volk die Erklärung abgegeben hat: ,hier hielt ich seine Ernennung zum deutschen Kaiser, 1 3 5 5 rth. Gehalt, volle Pension, Amtsrock und freie Wohnung, aber denken Sie sich meine Herrn, er wollte nicht. ' Chor: Wehe, Wehe, Wehe!" 106 Das war lustig formuliert, aber keiner verspürte Lust zu lachen. Genauso wenig wie Merckel, als Fontane versuchte, sich ihm zu erklären, und Eggers' unrichtige Wiedergabe als Ursache für das Unverständnis hinstellte. Es gehe Eggers wie seiner Frau, schrieb Fontane, „die auch absolut unfähig ist, einen Hergang so zu erzählen, wie er sich zugetragen hat." 1 0 7 Die Dinge regelten sich besser, als die Verwicklungen und Verstimmungen vermuten ließen. Fontane wurde das Rückkehrgesuch samt einer Abfindung gewährt, und die Fürsprache von Hegel und Jasmund - dank der Vermittlung Eggers' - bewirkte, daß er einer der drei bevorzugten Korrespondenten wurde, die von Max Duncker, oberster Leiter der gouvernementalen Presse, „in vertraulichen Absprachen Winke über die Wünsche der Regierung erhielten" 108 . Eine Chance, die Fontane zu seinem und unserem literarischen Glück, aber deshalb nicht minder unachtsam und leichtfertig verspielte. Als Fontane am 1 7 . Januar 1859 nach Preußen zurückkehrte, fand er Eggers in keiner guten Verfassung vor. Dessen Vater war Ende des Jahres gestorben, und er selbst war so schwer erkrankt, daß sich die erste Begegnung verschleppte. Überhaupt fühlte Friedrich Eggers sich unpässlich. Er hatte seine öffentliche Vorlesungstätigkeit, der er bereits 1856 nachgegangen war, wieder aufgenommen und las im Mergertschen Schulsaal in der Schützenstraße (Nähe Charlottenstraße) Ueber die Entwicklung der Kunst seit der christlichen Zeitrechnung vor einem in der Hauptsache weiblichen Publikum. Nebenher verfaßte
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Theodor Fontane an Bernhard von Lepel, 1 . Dezember 1 8 5 8 . FLBW 2, S. 2 5 0 - 2 5 1 . Theodor Fontane an Wilhelm von Merckel [2. Dezember 1858]. F M B W 2, S. 1 5 9 . Fritz Behrend: Theodor Fontane und die „Neue Ä r a " . In: Archiv für Politik und Geschichte 2 (1924), Bd. 3, Heft 1 0 . S. 4 9 1 .
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er für das Brockhaussche Conversationslexikon die meisten kunsthistorischen Artikel, die eine regelmäßige Einnahmequelle bedeuteten. Aber die Leitung des Feuilletons bildete das eigentliche Zentrum seiner Tätigkeit 1859. Mit dieser Arbeit bewegte er sich auf der Grenzscheide zwischen Politik und Journalistik. Dieses Feuilleton jedoch bereitete ihm Kopfzerbrechen. Eggers spielte Anfang Januar, aberwitzig genug, mit dem Gedanken, Fontane die Leitung zuzuschanzen. Doch ihm war am Ende klar: „Er [Fontane - d. Hrsg.] ist als Politiker unter dem jetzigen Ministerium unmöglich geworden" 109 . Über diese Angelegenheit kam es in den letzten Tagen des Monats und den ersten des Februars zu weiteren Mißverständnissen zwischen den beiden. Noch im Februar konnte Eggers sich Fontane als Nachfolger für seine Stelle denken, „obgleich er so selbstbewußt war, sie mir vor die Füße zu werfen, als ich ihm die Bedeutung derselben vorhielt und also nach seiner Fassung zu bezweifeln schien, ob er sie auch gut ausfülle" 1 1 0 . Und gegenüber seinem Bruder Robert äußerte Friedrich: „Nöhl und seine Frau aus England sind wieder hier. Er weiß noch nicht, wo er ankommen soll. - Ich habe ihm die Stelle bei der Prß Ztg geben wollen; allein er will sie nicht." 1 1 1 Man war dünnhäutig geworden und nicht mehr jung oder noch nicht alt genug, um einander gelten zu lassen, wie man war. In Fontanes Reaktion spiegelt sich ein Gemisch von überzogener Gewißheit in die eigenen Fähigkeiten und latentem Selbstzweifel, der aus seiner Lebensunentschiedenheit resultierte. Er wußte sich noch nicht angekommen an dem Platz, den nur er auszufüllen imstande war und der Lebensformen gewährte, die er als gemäß für sich und seine Familie empfand. Eggers' fehlender Sinn für diese soziale und persönliche Befindlichkeit verdroß Fontane. Ansonsten fand Fontane es nicht so abwegig wie es heute anmutet und am Ende auch damals war, für ein Blatt zu arbeiten, das der 109
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Friedrich Eggers an Karl Eggers, [23. Februar] 1 8 5 9 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an Karl und Mathilde Eggers. Sig. 1.4.7.65. Friedrich Eggers an Karl Eggers, [23. Februar] 1 8 5 9 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an Karl und Mathilde Eggers. Sig. 1.4.7.65. Nach Exzerpten von Charlotte Jolies der Tagebücher Fontanes jenes Jahres fand am 2 1 . Februar 1 8 5 9 eine weitere Verhandlung in der Angelegenheit statt: „Unterredung mit Jasmund über Eggers u. das Feuilleton der Preuß. Z t g . " [Exzerpte aus den verschollenen Tagebüchern]. Tagebücher 1 8 6 6 - 1 8 8 2 / 1 8 8 4 - 1 8 9 8 . S. 2 7 1 . Friedrich Eggers an Robert Eggers, 1 3 . Februar 1 8 5 9 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an Robert Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 1 4 3 .
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neuen Regierung, die ihn nicht grundlos skeptisch beäugte, als offiziöses Organ dienen sollte. Die merkwürdige Bereitschaft Fontanes, sich auf eine eventuell vakant werdende Stelle zu bewerben, mag - wie gemutmaßt worden ist - mit „seiner ungesicherten L a g e " 1 1 2 zusammengehangen haben. Und doch läßt sich damit das Zwielicht, in das Fontane mit seinem Agieren geriet, nicht ganz retouchieren. Andererseits hatte Eggers wohlmeinendes Vermitteln dazu geführt, daß man von der neuen Regierung aus Fontanes bisherige politische Pressetätigkeit nachsichtiger beurteilte, als der meinte. Man signalisierte Bereitschaft, dem aus London Zurückgekehrten eine erneute Chance zu geben. Kurz: Eggers entschloß sich nach diesem Zwischenspiel, das Feuilleton der Preußischen Zeitung nicht nur (weiter) zu redigieren, sondern ihm eine gediegene Gestalt zu geben. Dafür mobilisierte er das Rütli - Lepel, Lübke, Blomberg - und gewann Freunde wie Adolf Wilbrandt und Otto Roquette zur Mitarbeit. Er wünsche sich die Zeitung nicht bloß als „Organ des Ministerpräsidenten oder der Regierung", sie solle auch „zugleich Organ der Bildung" sein und „ein höheres Streben" 1 1 3 auszeichnen. Wie so oft in Eggers' Leben blieb Vorsatz, was als anspruchsvolles Vorhaben begann. In Jasmund hatte er einen Chef, der seine Augen überall hatte und dessen akribische Gewissenhaftigkeit so weit ging, daß er Eggers die eigentlichen Redakteursarbeiten aus der Hand nahm. Anfangs ließ Eggers das gelten, registrierte aber sehr wohl die mißliche Seite dabei. Jasmund entschädigte ihn mit einem geselligen Wesen, so daß man sich gut stand und „vortrefflich mit einander aus[kam]." 1 1 4 Immer tiefer wurde Eggers in die politischen Geschäfte eingebunden. Der Geheime Regierungsrat Max Duncker zog ihn in sein Vertrauen und in einen kleinen, exklusiven Kreis „von einsichtsvollen und wohlunterrichteten Männern", der ihn „als Theilnehmer an der Preußischen Politik behandelt". Das gefiel ihm, wenngleich er spürte, „daß ich nicht auf meinem eigentlichen Felde stehe." Duncker gebe dort 112
Vgl. Heide Streiter Buscher: Z u r Einführung. In: Theodor Fontane: Unechte Korrespondenzen 1 8 6 0 - 1 8 7 0 . 2 Bde. Hrsg. von Heide Streiter-Buscher. Berlin, N e w York 1 9 9 5 . 1 . Bd., S. 6. (Schriften der Theodor Fontane Gesellschaft; 1.1).
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Friedrich Eggers Eggers, Friedrich Friedrich Eggers Eggers: Briefe an
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an Karl und Mathilde Eggers, 3 1 . Januar 1 8 5 9 . R S A , N L Eggers: Briefe an Karl und Mathilde Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 6 5 . an Heinrich und Luise Eggers. R S A N L Eggers, Friedrich Heinrich und Luise Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 1 6 6 .
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stets „genauen Bericht über Alles was im Ministerium vorgeht und es wird verabredet, wie das in der deutschen Presse zu verwenden ist. " 1 1 5 Wie aus den Exzerpten hervorgeht, die Charlotte Jolies von den nach 1 9 4 5 verschollenen Tagebüchern Fontanes dieses Zeitraums anfertigte, hatte auch Fontane wiederholt persönlichen Kontakt zu Dunkker und bewegte sich ohnehin zwangsläufig in demselben politischen Einzugsgebiet wie der Rwi/igefährte. Eggers fungierte dabei als Mittler. So heißt es unter dem 1 6 . Juli 1 8 5 9 : „Eggers macht mir Mittheilungen im Auftrage Prof. Aegidi's u. Geh. R. Duncker's" 1 1 6 , unter dem 1 7 . Juli: „Visite bei Prof. Aegidi u. Geh. R. D u n c k e r " 1 1 7 , auch eine „Conferenz bei Duncker und Bardeleben" 1 1 8 wird genannt, und einmal - am 3. Juni 1 8 5 9 - heißt es: „ Z u Eggers; die üblichen diplomat. Unterredungen. " 1 1 9 Eggers war der Königsebene nahe und wurde so preußisch, daß er zu Hause im mecklenburgischen Rostock Befremden auslöste. Als er die kleindeutsche Lösung mit einer Kaiserkrone, die die Völker Europas den Hohenzollern aufsetzen sollten, lebhaft verfocht, erhob sein Bruder Karl Einspruch, mußte sich aber die Replik gefallen lassen: „Karling[,] lerne die preuß. Politik kennen und ich bin überzeugt, Du wirst wieder ein Anhänger von Preußen. Ich hab' ja so viel Vorurtheile überwinden müssen; aber ich bleibe doch dabei: Preußen wird und muß Kaiser werden." 1 2 0 Eggers zweifelte nicht daran, daß ihm, wenn er es nur recht wolle, das Tor zu einer politischen Karriere offen stand. Aber das Gefühl für die eigenen Grenzen verließ ihn nicht. Auch mochte die letzte Lust, der letzte Ehrgeiz, durch den die nötige Entschlossenheit erst freigesetzt wird, fehlen. Noch immer zahlte ihm die Familie regelmäßig 400
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Friedrich Eggers an Karl und Mathilde Eggers, 8. Juli 1 8 5 9 . R S A , Friedrich Eggers: Briefe an Karl und Mathilde Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 6 5 . [Exzerpte aus den verschollenen Tagebüchern], Tagebücher 1 8 6 6 - 1 8 8 2 / 1 8 8 4 - 1 8 9 8 . S. 2 7 2 . [Exzerpte aus den verschollenen Tagebüchern]. Tagebücher 1 8 6 6 - 1 8 8 2 / 1 8 8 4 - 1 8 9 8 . S. 2 7 2 . [Exzerpte aus den verschollenen Tagebüchern], Tagebücher 1 8 6 6 - 1 8 8 2 / 1 8 8 4 - 1 8 9 8 . S. 2 7 4 . [Exzerpte aus den verschollenen Tagebüchern], Tagebücher 1 8 6 6 - 1 8 8 2 / 1 8 8 4 - 1 8 9 8 . S. 2 7 1 . Friedrich Eggers an Karl Eggers, 1 8 . August 1 8 5 9 . R S A , Friedrich Eggers: Briefe an Karl und Mathilde Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 6 5 .
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Reichstaler. Die subskribierenden Damen seiner Privatvorlesungen entrichteten 4 Taler pro Person. Bei 20 bis 25 Teilnehmerinnen bedeutete das ein dankbarer Zuschuß, aber nicht die Sicherung des Lebensunterhaltes. Er wollte finanzielle Eigenständigkeit und berufliche Sicherheit, er wollte werden, was er dann 1863 wurde: Professor für Kunstgeschichte. Sein Bruder Karl riet ihm, die diversen erarbeiteten Vorlesungen in ein Buch zu bringen, aber Eggers hatte Skrupel, die für seine wissenschaftliche Redlichkeit sprechen. Er fand an sich Genüge als Lehrer, nicht als Kunstwissenschaftler. Von zu bedeutenden Männern war er umgeben, zu genau hatte er den Qualitätsschub des letzten Jahrzehnts verfolgt, um leichtfertig das Eigene zu überschätzen. In seinem Nachlaß finden sich keine Belege, ob er davon erfuhr, daß Jacob Burckhardt, Professor in Basel, sich bei Paul Heyse über ihn Erkundigungen einholte. Burckhardts ehemalige Stelle am Züricher Polytechnikum war noch vakant, ihm fiel Eggers' Name ein, den er von Berlin her kannte, ohne mehr von ihm zu wissen. Heyse beantwortete diese delikate Anfrage mit der nötigen Vertraulichkeit: Eggers lese seit 3 - 4 Wintern vor gemischtem Publikum, „dessen schönere Hälfte sehr von ihm begeistert sein soll. [...] Von jeher zog die milde und noble Grundstimmung seines Charakters eine Menge junger Leute an ihn heran." 1 2 1 Zwischen den Zeilen schwang leiser Vorbehalt, Burckhardt wird ihn herausgespürt haben - man kam nicht wieder darauf zu sprechen. 1862 wurde die Preußische Zeitung aufgegeben, aber Eggers war schon zuvor aus der Redaktion ausgeschieden. Der Verfassungskonflikt um die Heeresreform verfestigte seine Ansicht, man könne nur der „Regierung dienen, mit der man harmoniert" - und mit Bismarcks Machtantritt endete für ihn diese Harmonie vorerst. Er packte die Gelegenheit beim Schöpfe und unternahm 1862 eine längere kunstwissenschaftliche Studienreise, die ihn über Dresden nach Prag, Wien und weiter nach London führte. Aus dem Wege ging er mit dieser Reise den quälenden Debatten über eine feste Stellung, die ihn lähmten. Berliner Briefe für die Süddeutsche Zeitung zu schreiben, so tröstete er die Verwandten und sich, bliebe immer noch. 122 121
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Paul Heyse an Jacob Burckhardt, 1 4 . Februar i 8 6 0 . In: Der Briefwechsel von Jakob Burckhardt und Paul Heyse. Hrsg. von Erich Petzet. München 1 9 1 6 . S. 94. So in seinem Brief an die Geschwister vom 9. Januar 1 8 6 1 . RSA, N L Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 3 4 .
Einleitung
Auf dieser Reise unterwegs erfuhr er, daß das Lehramt für Kunstgeschichte und das Sekretariat der Akademie der Künste neu zu besetzen waren. Er wandte sich an Gustav von Goßler, dem Schwager des Ministers Heinrich von Mühler, mit der Bitte, für ihn ein gutes Wort einzulegen. Goßler, mit dem auch Fontane in dieser Angelegenheit in Verbindung stand, war 1861 sein Reisebegleiter durch Holland und Belgien gewesen und hatte ihm die darüber verfaßte Kunstbetrachtung zugeeignet. Eggers mußte hören, daß die Stellen nicht wie gehofft zusammen vergeben werden sollten und daß sein Konkurrent für den lukrativeren Sekretärsposten kein Geringerer als Otto Friedrich Gruppe war, seit 1849 Philosophieprofessor an der Berliner Universität und ausgerüstet mit blendenden Voraussetzungen. Die Abstimmung in der Akademie verlief dann ganz in diese Richtung, Gruppe wurde zum Sekretär berufen und Eggers erhielt das Lehramt und zum 27. November 1863 die damit verbundene Professur. Die Berliner Freunde im Riitli und Henriette von Merckel - Schwester Heinrich von Mühlers - engagierten sich in dieser Angelegenheit. Fontanes Brief vom 22. Oktober 1862 nach London mit der Empfehlung, die Reise abzubrechen, um in Berlin möglichen Intrigen bei der Postenvergabe besser begegnen zu können, versetzte Eggers in einen Zustand, der ihm eigen war. Er wußte sich nicht zu verhalten, erwog dies, erwog jenes, korrespondierte endlos und umständlich - um am Ende von London aus weiter nach Paris zu fahren. Gereizt reagierte er auf das Schreiben Fontanes, das im Auftrag des Rütli erfolgt war, aus dem er aber einen Ton von Superiorität heraushörte. Gegen den war er empfindlich. Mit stiller Genugtuung nahm er deshalb bei seiner Rückkehr Fontanes Bemerkung, er sei zu früh zurückgekommen, entgegen und mit lebhafter, als er Ostern 1863 seinen Ruf erhielt. Eggers traf Fontane seit dessen Heimkehr aus England regelmäßig. Besser als das Verhältnis zu ihm gestaltete sich das zu seiner Frau, die Eggers mit Warmherzigkeit begegnete, nicht ohne Mütterlichkeit. Emilie Fontane erfreute sich an seiner Gabe des Einfühlens und der Treue im Alltäglichen, eine Tugend Eggers'. Die ausgetauschten Briefe, die sich erhalten haben und sicher nur ein Bruchteil des Geschriebenen sind, sind schöne Zeugnisse einer Beziehung, die auf Verläßlichkeit und Zuneigung gründete. Eggers hat in seinen Wochenberichten an die Familie nie versäumt, von den Rwi/z'-Sitzungen zu berichten. Sie hatten ihren Charakter, seit der Publikationsdruck verschwunden war, geändert und profilierten sich nun als anregende und durchaus
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exklusiv besetzte Gesprächsrunden, die Fontane und Eggers sehr schätzten. Das schloß Streit nicht aus, man begegnete sich ohnedies seit der 1858/59er Affäre in latenter Anspannung und kultivierte Animositäten, die man gegeneinander empfand. Ein Beispiel: Eggers ermunterte Fontane im April i860, sein Trauerspiel Karl Stuart fortzuführen, und berichtete von dessen Reaktion mit den Worten: „Natürlich gereizte Antwort seinerseits, da ich der Einbringer war." 1 2 3 Aber auf Dauer bekam es ihrer Beziehung gut, daß Verbindlichkeiten und gemeinsame Projekte fehlten. Damit waren Konfliktfelder aus dem Weg geräumt und eine Normalisierung des Umgangs - im übrigen auch ganz ihrem mittlerweile erreichten Alter gemäß - stellte sich ein. Während sich Fontane mit seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg, den Kriegsbüchern und Gedichten einen (für ihn zu) bescheidenen Namen machte, baute Eggers seine Stellung im öffentlichen Kunstleben in Preußen und Deutschland aus. Dabei leisteten ihm die Kunstvereine gute Dienste.
V. 1850 hatte Eggers die Verbindung für historische Kunst mitbegründet, die sich rasch vernetzte und ihn in Kontakt zu Gleichgesinnten in Deutschland brachte. Die Berichte von den Jahresversammlungen, oft an Umfang stattlich, stammten nicht selten aus der Feder von Eggers. Da sie Regierungsstellen und offizieller Seite vorgelegt wurden, hatte man ihnen einen besonderen Stellenwert eingeräumt, dem Eggers offenbar ohne Mühe gerecht wurde. Auch in verschiedene Kunstkommissionen wurde Eggers berufen, und es schien ihm Fluch und Heil zu sein, daß man ihn wiederholt bat, die jeweiligen Protokolle abzufassen. „Überhaupt scheint mir", ermunterte ihn der zum Freund gewordene Gustav von Goßler, „daß Sie den angeknüpften Faden lebendig weiterspinnen, sich mit Energie als der, der Sie sind, geben und Anträge und Vorschläge machen müssen, welche nötigen, Sie fester zu fassen und sich Ihrer Wissenschaft und Ihrer Feder von Staatswegen zu bedienen." 124 123
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Friedrich Eggers: Wochenzettel, 1 4 . April i 8 6 0 . R S A , N L Eggers. Sig. 1.4.7.33. Gustav von Goßler an Friedrich Eggers, 1 8 . Oktober 1 8 6 4 . Goßler, S. 29.
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Endlich ging Eggers daran, kleinere Arbeiten - meist Vorträge, die er gehalten und deren Wertschätzung er relativ sicher sein konnte als Buch zusammenzufassen und zu veröffentlichen. Dazu gesellten sich Publikationen in Künstler-Alben, die bei Stielke in Berlin herauskamen. Auch bekamen seine öffentlichen Vorträge einen gediegeneren Rahmen. Über das Angebot, am 1 7 . Januar 1863 an dem geweihten Ort der Berliner Singakademie über den dänischen Bildhauer Bertel Thorwaldsen zu sprechen, freute er sich ausnehmend. Der Vortrag ging bestens über die Bühne, und alle wichtigen Berliner Zeitungen nahmen Notiz davon. „Man beruhigt sich noch nicht über die Vorlesung", berichtete Eggers nach Rostock. „Ich fange an, zu merken, daß es doch günstig ist, einmal in der Singakademie gelesen zu haben. Es giebt eine Art Ruck höher in der Gesellschaft." 125 Diesen „Ruck höher in der Gesellschaft" genoß Eggers, wie er ihm mit Scheu begegnete. Es charakterisiert ihn, daß er sich im Herbst 1864 an der Inszenierung des Dramas „Elektra" von Georg von Preußen beteiligte, das dieser anläßlich des Geburtstages der Kronprinzessin im Potsdamer Neuen Palais aufführen ließ. Für die feierliche Aufführung, die unter Gustav von Putlitz' Regie stand, dichtete Eggers einen Prolog und agierte überdies als Rhapsode, der auf der Bühne die Vorgeschichte des inszenierten antiken Geschehens erzählte. Der Erfolg des Prinzen war auch einer von Eggers. Wiederholt lud man ihn zu Empfängen ins Neue Palais ein. Neben die Vorlesungen in der Akademie der Künste traten weitere in der Gewerbe- und in der Bau-Akademie. Die kunstwissenschaftlichen, aber populär aufbereiteten Vorlesungen im Verein der Künstlerinnen setzte er fort, wenngleich die Bewunderung der Frauen für ihn und seine Person auch Ärgernisse nach sich zog. Zu einem solchen Ärgernis kam es, als der Vorstand des Vereins eine überschwengliche Anzeige der Vorlesungsreihe in die Zeitungen einrücken ließ. Eggers befürchtete, durch zu laute Reklame und Frauenprotektion als komische Figur dem öffentlichen Spott ausgesetzt zu werden. Auf diese Weise Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit zu werden, war ihm rundum peinlich. Er intervenierte, u. a. auch bei Fontane, der den Abdruck der Anzeige in seiner Kreuzzeitung verhindern sollte. Fontane
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Friedrich Eggers: Wochenzettel, z. Februar 1 8 6 3 . R S A , N L
Eggers. Sig.
1.4.7.35.
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war bei der Schadensbegrenzung behilflich 126 , was Eggers ihm hoch anrechnete. Über die Nachdrücklichkeit seines Dankes (Brief vom 7. Januar 1869) wundert sich nicht, wer weiß, in welchem Ausmaß ihn der „alberne und taktlose" Artikel empörte und in helle Aufregung versetzte. Er habe „nie in meinem Leben einen so intensiven Ärger verspürt." 127 Dem Tunnel führte er noch einmal frisches Blut zu, vielleicht schon aus Gewohnheit und nicht mehr in der Hoffnung, dem altgewordenen Verein damit wieder auf die Beine zu verhelfen: Ernst Ziel, der später zum Chefredakteur der vielgelesenen und -gekauften Gartenlaube avancierte, Gustav Floerke, der eine Baugeschichte der Rostocker Kirche verfaßte und in München auch zu den um Paul Heyse sich scharenden Krokodilen gehörte, und Heinrich Seidel, Ingenieur erst und dann Verfasser humoristischer Bücher, die sich nicht zu Unrecht der Lesergunst erfreuten. Alle drei waren Mecklenburger, Ziel und Floerke sogar wie Eggers Rostocker, alle hatten bei ihm Vorlesungen gehört und von ihm Förderung erfahren. Am 27. November 1869 wurde Friedrich Eggers fünzig Jahre alt. Der Tag selbst verlief zur vollsten Zufriedenheit, Fontane gehörte zu den Gästen im kleineren Kreis und saß zur Linken des Jubilars. Er steuerte - natürlich - Geburtstagsverse bei, die er diesmal für besonders gelungen ansah. Obwohl Eggers' gesundheitlicher Zustand, der in Fontanes Versen anklingt, im Sommer miserabel gewesen war, wird Eggers kaum geahnt haben, daß ihm nur noch wenige Jahre Lebenszeit blieben. Er schrieb an einer umfangreichen Biographie über den von ihm verehrten Bildhauer Christian Daniel Rauch, die als Lebenswerk konzipiert war und für die er eine längere kunsthistorische Wanderung mit Gustav von Goßler plante. Seine Hoffnung, die Heinrich Gustav Hotho, Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität, noch genährt hatte, nach Gustav Waagens Tod dessen Professur an der Berliner Alma mater zu übernehmen, scheiterte am Unwillen seines früheren Tw««e/gefährten und jetzigen Ministers Heinrich von Mühler. „Aber Ihr Herr Schwager sagte", so klagte Eggers Goßler, mit dessen Schwester Mühler verheiratet war, sein Leid „,er wolle es sich überlegen', was so viel heißt, als ,das wollen wir nur unterwegs lassen'." 128 126 127
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52.
Vgl. Friedrich Eggers' Brief an Fontane vom 7. Januar 1 8 6 9 . Friedrich Eggers: Wochenzettel, 6. Januar 1 8 6 9 . R S A , N L Eggers. 1.4.7.37. Friedrich Eggers an Gustav von Goßler, 10. Mai 1 8 6 9 . Goßler, S. 3 1 .
Sig.
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Trotz der Ablehnung, die folgte und Eggers verärgerte, blieb Wohlwollen von höchster Seite, wie sich zeigen sollte. Anfang Dezember 1869 wurde Friedrich Eggers vom Großherzog Friedrich Franz II. von Mecklenburg gebeten, ihn auf eine Kunstreise durch Italien vorzubereiten und im Sommer des Jahres 1870 dorthin sein Begleiter zu sein. Ein heimatlicher und ehrenvoller Ruf, dem er gerne Folge leistete: natürlich nicht, ohne vorher im Riitli jedes Für und Wider abgewogen zu haben ... Das Kultusministerium zahlte ihm, zähneknirschend, 500 Reichstaler. So konnte er sich dann finanziell sorgenfrei die Städte ansehen, in denen er kunsthistorisch seit über zwei Jahrzehnten zu Hause war - Florenz, Neapel, Rom. Ob diese Erfahrung unmittelbarer Betrachtung klassischer Kunst Einfluß gehabt hätte auf einen Vortrag, den er kurz vor seiner Abreise - wiederum in der Singakademie - zu halten hatte, sei dahin gestellt. Dieser Vortrag hatte unter der ein freimütiges Urteil verheißenden Überschrift Blick auf die Kunstrichtung der Gegenwart gestanden. Erwartungsgemäß war er Gegenstand kontroverser Diskussionen im Rütli gewesen, die Eggers diesmal aufgerieben hatten. Aus psychischer war physische Not geworden, er war erkrankt und hatte seine Vorlesung übrigens in Anwesenheit der preußischen Königin - nicht selbst lesen können. Kaum aus dem von ihm heiter erlebten Italien heimgekehrt, verhinderte die große Zeitgeschichte, die Eggers in den letzten ihm verbleibenden anderthalb Jahren ganz vereinnahmen sollte, den ruhigen Lebensgang, nach dem er sich sehnte, zu dem er aber so wenig Eignung hatte. Der deutsch-französische Krieg, der mit Bismarcks Emser Depesche am 1 3 . Juli 1870 ausbrach und in Preußen von der Mehrheit der Bevölkerung lebhaft begrüßt wurde, fand auch in Eggers einen eifrigen Befürworter. Er stellte seine Tagesgeschäfte ganz in den Dienst der vielen Freunde, Verwandten und Bekannten, die im Krieg standen. „Er war um jene Zeit", schreibt Fontane in Von Zwanzig bis Dreißig, „halb wissenschaftlich, beständig mit der Frage beschäftigt, wie sich Zeitungen und Zigarren wohl am besten nachsenden ließen, und hatte die Kunst, Pulswärmer, Socken, Leibbinden, Jacken ohne Ärmel - und dann in einem andern Paket wieder die Ärmel dazu postzulässig in die Welt zu schicken, bis zur Virtuosität ausgebildet. Nichts wüßt ich von ihm zu sagen", fährt Fontane fort, „was ihn so sehr und so schön charakterisierte wie diese humane Haltung". 1 2 9 129
F A B S I I , S. 1 8 6 - 1 8 7 . 53
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Fontane hatte Grund zu diesen Sätzen. Nicht viel hat gefehlt, dann hätte ihn der französische Krieg das Leben gekostet. Auf dem Weg zum Kriegsschauplatz, dessen genaue Kenntnis er für sein geplantes Kriegsbuch benötigte, war er am 5. Oktober 1870 in Domremy unter dem nicht gänzlich von der Hand zu weisenden Verdacht, preußischer Spion zu sein, verhaftet worden. Die Freunde Lepel, Heyden, Lazarus und Eggers traten umgehend in Aktion, als Lepel mit der Nachricht kam, daß von Fontane seit dem 4. Oktober jede Nachricht fehle. Man überlegte, „ob nicht Jemand mit Gelegenheit nachfahren müsse, zu sehen, was aus ihm geworden." 130 Diese erhoffte Gelegenheit hatte Eggers schon in den Rütli mitgebracht. Er war zum Mittagessen Gast bei Max von Duncker gewesen, der ihn darüber unterrichtet hatte, „daß wieder ein Zug [für die Kranken- und Verletztenversorgung - d. Hrsg.] fertig sei, der nächste Woche nach Metz u. Paris gehen sollte und ob ich ihn führen wolle?" 1 3 1 Eggers empfand sich als nicht geeignet, er sei zu unpraktisch dazu, aber nachdem Emilie Fontane am 17. Oktober bei ihm war und nach bemühter Beherrschtheit mit einem Mal „in Thränen aus[brach]" 132 und sein Freund, der Sanitätsrat Klaatsch, ihn am 19. Oktober aufforderte, seinen, Klaatschs, Lazarettzug nach Remilly zu begleiten, kam es zum Entschluß: „Das Rütli trat zusammen. Wir waren einig, daß dies zu einer Nachforschung über unsren verlorenen Freund benutzt werden solle. Lazarus stattete mich mit Geld aus." 1 3 3 Am selben Tag stellte die zuständige Central Abtheilung des Kriegs-Ministeriums eine Legitimation aus, daß sich Friedrich Eggers nach Toul zu begeben wünsche, „um dort Nachforschungen über den Verbleib des Militair Schriftstellers Th. Fontane anzustellen. Alle Militais und Civil Behörden werden demnach ersucht, dem Herrn Professor D- Eggers zur Erreichung seines Zweckes, jede thunlichste Unter130
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Friedrich Eggers: Wochenzettel, 15. Oktober 1870. RSA, N L Eggers. Sig. 1.4.7.39. Aus den hier abgedruckten Auszügen aus den Wochenzetteln (Anhang 3) läßt sich das allgemeine Klima nachvollziehen, das diese Unternehmung prägte. Friedrich Eggers: Wochenzettel, 15. Oktober 1870. RSA, N L Eggers. Sig. 1.4.7.39. Friedrich Eggers: Wochenzettel, 17. Oktober 1870. RSA, N L Eggers. Sig. 1.4.7.39. Friedrich Eggers: Wochenzettel, 19. Oktober 1870. RSA, N L Eggers. Sig. 1.4.7.39.
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Stützung, auch, erforderlichen Falles, den nöthigen Schutz und Beistand zu gewähren." 134 Emilie Fontane erhielt am 22. Oktober einen dramatischen Bericht über Fontanes Situation, so daß Lepel nochmals beim Kriegsministerium intervenierte, um in Sachen Fontane aktiv zu werden. Da war Eggers, aufgebrochen am 20. Oktober, schon unterwegs. Seine für die Familie verfaßten „Wochenzettel" geben genaue Auskunft über seine Reiseroute, die ihn über Köln nach Remilly, Courcelles und Nancy führte. Am 23. Oktober in Remilly erfuhr er von Fontanes Inhaftierung auf der Zitadelle in Besançon, woraufhin er ein Telegramm nach Berlin schickte, „da mir wichtig schien, das Nähere genauer zu wissen und eine bessere Operationsbasis zu haben." 1 3 5 Am nächsten Tag gelang es ihm, einem adligen Bekannten, Baron von Bock, der auf dem Weg nach Versailles war, eine Karte mit wenigen Zeilen und eine Photographie von Fontane für den Kronprinzen mitzugeben. Auch der Versuch wurde unternommen, direkten brieflichen Verkehr mit dem Gefangenen anzuknüpfen, was ohne Erfolg blieb. Über eine Freundin sickerte die Nachricht von den Aktivitäten des Rütli zu Fontane durch. Weder vorher noch nachher hat Fontane auf Eggers bezogen vergleichbare Wendungen benutzt, wie in seinem Brief an Emilie aus Besançon vom 28. Oktober 1870: Er habe erfahren, daß „sich Heyden und Eggers aufgemacht [haben], um mich in der Löwenhöhle aufzusuchen; [...] Die Güte meiner Freunde beschämt mich allerdings. [...] Ich werde diese Beweise wahrer Freundschaft nie vergessen." 136 Uber die vielen Begegnungen, die im lebendigsten Kontrast zu seinem gewohnten Leben standen, wurde Eggers fast vom Zweck seiner Fahrt abgebracht. Immer wieder kümmerte er sich um mecklenburgische Landsleute und geriet in Diskussionen mit der französischen Bevölkerung. Seine Berichte haben davon eine plastisches Bild überliefert, so daß einige Auszüge im vorliegenden Band zum Abdruck kommen. Am 3 1 . Oktober war der Transport mit den Verletzten wieder 134
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Eggers beschrieb die Rückseite [29. Oktober] dieser Legitimation nach erfolgter Reise und schickte sie als „Wochenzettel" nach Rostock. R S A , N L Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 3 9 . Siehe das Faksimile S. 4 4 4 . Friedrich Eggers: Wochenzettel, 2 3 . Oktober 1 8 7 0 . R S A , N L Eggers. Sig. 1.4.7.39. Theodor Fontane an Emilie Fontane, 28. Oktober 1 8 7 0 . In: Theodor Fontane: Kriegsgefangen. Erlebtes 1 8 7 . Briefe 1 8 7 0 / 7 1 . Hrsg. von Günter Jäckel. Berlin 1 9 8 4 . S. 240.
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in Berlin. Ärgerlich-belastender als die ganze Tour, berichtete er den Geschwistern, sei der Heimweg durch den tiefen Schmutz vom Tempelhofer Feld gewesen. Gleich am ι . November traf man sich bei Emilie Fontane, wo die neusten Nachrichten ausgetauscht wurden und die Suche trotz des begrenzten Erfolgs als nötig gewertet wurde. Eggers suchte Duncker auf, traf Gustav von Goßler und wurde in der Kunstkommissionssitzung vom noch im Amt befindlichen Minister von Mühler begrüßt, was offenbar nicht unbedingt zu dessen Gepflogenheiten gehörte. Eggers jedenfalls hob es im Wochenbericht hervor. Das Rütli tagte am 5. November bei dem Architekten Richard Lucae, und natürlich war Fontanes Situation Hauptthema. Die weitere Übermittlung der neusten Nachrichten - Fontanes Abtransport nach Rochesur-Yon als Kriegsgefangner - ins Hauptquartier und nach Nancy übernahm Eggers. Auch um die schriftlichen Unterlagen Fontanes, deren Verbleib diesem Sorge bereitete, hatte sich Eggers gekümmert. Am 7. November konnte er erleichtert in den „Wochenzettel" notieren: „Von Toul vom Stadtkommandanten die Nachricht, daß er die Tasche Nöhl's in Vaucouleurs richtig ergriffen hat; sie ist bereits an mich unterwegs. Haben wir sie hier", Schloß Eggers, „so ist die Sorge, daß in Frankreich noch gravirende Papiere gegen ihn existiren zu Ende." 1 3 7 Johann Karl Lüdecke, ein enger Freund Eggers', hatte sich darum gekümmert, Fontane wird Grund zur Erleichterung gehabt haben. Emilie Fontane hielt Eggers weiterhin auf dem laufenden, ihren Geburtstag (14. November) mußte sie sich noch „mit einer Idee von Erinnerung" 138 an ihren Mann begnügen, der dann jedoch wenige Tage später, am 5. Dezember, nach einer Irrfahrt in Berlin eintraf. Der letzte Vermerk in dieser Sache in den „Wochenzetteln" von Eggers: „Nöhl trat auf; er macht jetzt seine offiziellen Dankbesuche ab." 1 3 9 Die Nüchternheit, mit der die beiden ihr Verhältnis über die Jahre handzuhaben gewohnt waren, hielt nach dieser Episode wieder Einzug. Und doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Fontanes 137
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Friedrich Eggers: Wochenzettel, 7. November 1 8 7 0 . R S A , N L Eggers. Sig. 1.4.7.39. Friedrich Eggers: Wochenzettel, 1 4 . November 1 8 7 0 . R S A , N L Eggers. Sig. 1.4.7.39. Friedrich Eggers: Wochenzettel, 8. Dezember 1 8 7 0 . R S A , N L Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 3 9 . Vgl. zu Fontanes Gefangennahme Hermann Fricke: Theodor Fontanes Kriegsgefangenschaft 1 8 7 0 . Quellenmäßig dargestellt. In: Der Bär von Ber-
lin 5 (1955)· S. 5 3 - 7 3 ·
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Blick auf die gemeinsame Beziehung nach jenen französischen Tagen freundlicher, verständnisbereiter wurde. Für den Weihnachtsabend 1 8 7 1 luden Fontanes neben Lepel auch Friedrich Eggers ein. Der letzte erhaltene Brief Fontanes an Eggers wurde vor seiner Festnahme geschrieben. Zeugnisse über ihre Begegnungen nach 1 8 7 0 sind spärlich. Ein großes Ereignis führte sie noch einmal zusammen, allerdings schließlich doch nicht so öffentlich, wie es sich Eggers gewünscht hatte. Für die festliche Ausgestaltung der Berliner Innenstadt bei der Heimkehr der deutschen Truppen aus Frankreich wurde eine Kommission einberufen, der Friedrich Eggers angehörte. Mit Richard Lucae gehörte ein weiteres Rwí/¿mitglied der Kommission an. Denkmäler wurden entworfen und gebaut, das dichterische Wort sollte in Gestalt von Inschriften zur Geltung kommen. Friedrich Eggers hatte Fontane um Mitwirkung gebeten, der einige Verse entwarf, u. a. zu Moltke und Bismarck, die am Ende unberücksichtigt blieben. 140 Er selbst hatte sich auch - ohne große Umstände - probiert und durfte zu seiner Überraschung seinen ersten und letzten Erfolg als Poet erleben. Die kurzen, knappen Texte gingen ihm gut von der Hand, eine Gattung offenbar, die ihm lag. „Die Inschriften an der Akademie der Künste haben Justizrath Gerloff zum Verfasser, während alle übrigen in der ganzen Siegerstraße zur Verwendung gekommenen Inschriften von Professor Dr. Friedrich Eggers verfaßt oder ausgewählt worden s i n d " 1 4 1 , schrieb sein Bruder Karl in der Dokumentation zu diesem nationalen Ereignis. Friedrich Eggers bescherte es den Roten-AdlerOrden, der ihm auf dem Krönungs- und Ordensfest auf dem Königlichen Schloß am 2 1 . Januar 1 8 7 2 feierlich angeheftet wurde. Man war auf diese Seite seiner poetischen Begabung aufmerksam geworden. Kein Wunder, daß bald die nächsten Anfragen ins Haus kamen, ehrenvoll und lästig in einem. Botho von Hülsen ließ bereits Anfang Oktober 1 8 7 1 bei ihm vorsprechen, ob er nicht „den Prolog für das Königl. Schauspielhaus zum i o 1 November für den großen Schillertag (Enthüllung seiner Statue) dichten" wolle. „Alles", seufzte Eggers im Brief an den Bruder Robert, „noch Nach wehen von meiner Siegerstraßenberühmtheit!" 1 4 2 140 141
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Siehe Fontane Gedichte 3, S. 223 (und die dazu gehörende Anmerkung). Die Siegesstrasse in Berlin beim Einzüge des Kaisers Wilhelm mit den Deutschen Truppen am 1 6 . Juni 1 8 7 1 . Unter Betheiligung der Kommission für die Ausführung der Siegesstraße hrsg. von Dr. Karl Eggers. Berlin 1 8 7 1 . S. 29. Friedrich Eggers an Robert Eggers, 9. Oktober 1 8 7 1 . R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an Robert Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 1 4 3 . Das von Reinhold Begas
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Bei dieser offiziellen Anerkennung blieb es nicht. Im Kultusministerium war man auf Eggers, der am 9. November 1 8 7 0 , „aus Mangel an Vertrauen der nationaMiberalen oder altliberalen Partei conservat i v " 1 4 3 gewählt hatte, aufmerksam geworden. Als Mühler abgelöst und Adalbert Falk sein Nachfolger im Amt wurde, kam es zu einer politischen Kurswende. Falk war aufgetragen, das Verhältnis des Staates zur Kirche, besonders zur katholischen, neu zu regeln. Sein Name ist verbunden mit dem Kulturkampf, der das Jahrzehnt nach der Reichsgründung prägte. Bismarck wollte den alten Hoheitsrechten des Staates wieder Geltung verschaffen, um den Einfluß der Kirche im öffentlichen Leben zurückzudrängen und dem politischen Katholizismus der Zentrumspartei unter Ludwig Windthorst eine Schlappe zuzufügen. Friedrich Eggers hatte seine kunstpolitischen Auffassungen seit der Zusammenarbeit mit Kugler kaum modifiziert, wohl auch nicht modernisiert. Er hielt daran fest, daß die Kunst mit ihrer idealbildenden Kraft geeignet sei, die Kultur des öffentlichen Lebens einer Nation anzuheben. Sie war ihm eine unanfechtbare Instanz der Erziehung, geeignet für den einzelnen wie für die Nation. Am 7. April 1 8 7 2 wurde Eggers gefragt, ob er Lust habe, „als Hülfsarbeiter in das Ministerium einzutreten." 144 Man beabsichtige, die Stelle Franz Kuglers wieder aufzubauen. Sie hatte seit dessen Tod an Gewicht und Einfluß wesentlich eingebüßt und sollte jetzt reaktiviert werden. Eggers nahm das Angebot, das an sich die Erfüllung seiner alten, mit Kugler gehegten Träume bedeutete, keineswegs mit Begeisterung auf, wie man meinen konnte. Er hegte eher den Verdacht, daß man ihn als ein Steinchen im Machtspiel von Hof und Regierung benutzen wollte, und vermutete die liberale Fraktion des Kronprinzen Friedrich Wilhelm hinter der Anfrage. Eggers bewegte sich durchaus in diesem politischen Umfeld. Das bezeugt sein vertrauter Umgang mit Rechtsliberalen wie dem Politiker M a x Duncker. Für Eggers bestand kein Grund, seine Bedenken unausgesprochen zu lassen. Er sehe, daß ihn die kronprinzliche Seite einbinden wolle und wünsche zu erfahren, „wie weit mich das nach jener Seite hin bindet.
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geschaffene Schiller-Denkmal vor dem Schauspielhaus am Gendarmenmarkt wurde am 10. November 1 8 7 1 feierlich eingeweiht. Friedrich Eggers: Wochenzettel, 9. November 1 8 7 0 . R S A , N L Eggers. Sig. 1.4.7.38. Friedrich Eggers: Wochenzettel, 7. April 1 8 7 2 . R S A , N L Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 3 9 .
Einleitung
Fragte also", fuhr er im Familienbericht fort, „nach dem Einfluß der Kronprinzessin [Viktoria - d. Hrsg.], bekennend, daß ich keine Lust habe, Weiberregiment in Kunstsachen gelten zu lassen." 1 4 5 Offenbar beruhigte man Eggers, denn schon im Mai stand er in Amt und Würden als Kunstreferent im Ministerium Falk. Falk, der im Zuge des Kulturkampfes eine Gelderumverteilung betrieb, von der die Künste und Bildungseinrichtungen wie die Universitäten profitierten, ließ Eggers freie Hand. Nach einem halbstündigen Referat und dem Vortrag dreier Entscheidungsvarianten habe ihn der Minister „mit seinen braunen Augen an[ge]schaut" und gesagt: „ J a , dann thun Sie, was Sie für das beste halten.' Punktum." 1 4 6 Eggers blieb nicht viel Zeit, darüber zu befinden, was das beste war. Die endlosen Aktenberge quälten ihn, ebenso die Sitzungen beim Minister, in denen er meist mit ihn übermannendem Schlaf kämpfen mußte. Nur selten wurde dieser Verdruß von Zeichen des neuen Kurses, die Eggers wach registrierte, verdrängt. Am 6. Juni 1 8 7 2 ging es beispielsweise um die religiöse Frage. „Langes Hin- und Herreden. Dann Falk: fulminant, so daß Alle bestürzt stillschweigen, eine Verfügung dekretirend, welche sich gegen ultramontane Bestrebungen richtet." 1 4 7 Eggers hatte seine Belastungsgrenze erreicht. Die letzten Lebensberichte sind Zeichen einer Kapitulation, seine Briefe Bittschreiben um Hilfe. So viel sehe er schon nach wenigen Tagen deutlich, schrieb er Goßler auf dessen Gratulation, „wenn ein neues Zeitalter für unsere vaterländische Kunst anbrechen soll und wenn ich dabei zu helfen bestimmt bin", dann sei er „der Hilfe und Unterstützung Gleichgesinnter dringend bedürftig." 1 4 8 Wie seit mehr als zwei Jahrzehnten wanderte sein suchender Blick zwischen den Freunden und Verwandten hin und her, und der Erfolg schien nicht größer als zu KunstblattZeiten. Und Theodor Fontane? Der war gerade wieder einmal fertig mit diesem Ministerium. Es hatte die finanzielle Zuwendung, auf die er glaubte, Anspruch zu haben, verweigert. „(I)ch mag mit diesem Ministerium nichts zu thun haben; eh ich nicht muß, tret ich über jene Schwelle nicht mehr" 1 4 9 . Eggers war in diesen Wochen wiederholt
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Friedrich Eggers: Wochenzettel, 7. April 1 8 7 2 . R S A , N L Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 3 9 . Friedrich Eggers: Wochenzettel, 1 8 . Juli 1 8 7 2 . R S A , N L Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 3 9 . Friedrich Eggers: Wochenzettel, 6. Juni 1 8 7 2 . R S A , N L Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 3 9 . Friedrich Eggers an Gustav von Goßler, 7. Juni 1 8 7 2 . Goßler, S. 3 5 . Theodor Fontane an Mathilde von Rohr, 1 7 . M ä r z 1 8 7 2 . H B A II, S. 4 0 3 .
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Einleitung
Gast bei Fontanes, man plauderte angenehm und vergnüglich - berufliche Hilfe indes war von dort nicht zu erwarten. Am 25. Juli 1872. hatte Friedrich Eggers am Vormittag eine Sitzung beim Minister, nachmittags folgte die Vorlesung. Er hatte sie nicht aufgeben wollen, was ihm angeboten worden war. Unmittelbar nach dem Lehrvortrag erlitt er einen Magenkrampf. Nur mit Hilfe eines Studenten schaffte er es, bis nach Hause zu kommen. „Es blieb dann auch bei einem leichten Anfall. Danach Müdigkeit. Einschlafen." 1 5 0 Lapidar fiel der Ton auf einem seiner letzten Wochenzettel nach Rostock aus. Der leichten Attacke folgte die schwere. Kaum drei Wochen später erlag Eggers seinem Leiden.
VI. Die Hilferufe Friedrich Eggers' während seiner kurzen Amtszeit hatten sich auch an seinen Bruder Karl gerichtet. „Ich sage und schreibe das nun täglich her; aber es ist wie gegen einen Stein; hernach wenn ich mal todt bin, dann bah! [...] jetzt schrei' und jammere ich nach Deiner Hülfe und kriege sie nicht." 1 5 1 Dieser Bruder war ihm Vertrauter gewesen, dessen Fähigkeiten und Interessen den eigenen verwandt. Gehofft hatte er auf ihn, als die Aktenberge ihn zu ersticken drohten, aber der letzte Notruf des älteren Bruders hatte den jüngeren verfehlt. Karl war verhindert gewesen, als Friedrich ihn sich an seine Seite wünschte, um die Arbeitsmengen zu bewältigen. Die beiden Brüder trennten sieben Lebensjahre von einander. Am 7. Juni 1 8 2 6 wurde Karl Eggers in Rostock geboren. Ohne Zwischenfälle und ohne Probleme durchlief er die die nötigen Bildungseinrichtungen und entschloß sich zu einem Jurastudium. 1 8 5 3 promovierte er an der Rostocker Universität mit einer Schrift über Strafrechtstheorien. Diese Dissertation, obwohl gut bewertet, fand jedoch keine Gnade vor dem mecklenburgischen Ministerium, das ihrem Verfasser die gewünschte Habilitation an derselben Universität verwehrte. Nur kurz gab Karl Eggers der Verdrossenheit darüber nach, und als ihm die Stadt Rostock einen Senatorenposten übertrug und ihm die Präsidentschaft des Gerichts samt einer Richterstelle angeboten wurde, 150 151
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Friedrich Eggers: Wochenzettel, 1 5 . Juli 1 8 7 2 . R S A , N L Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 3 9 . Friedrich Eggers: Wochenzettel, 1 8 . Juli 1872.. R S A , N L Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 3 9 .
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hatte er Anlaß genug, schönste Hoffnungen auf eine erfolgreiche Laufbahn zu hegen. Es kam anders. Ein schweres Lungenleiden, an dem er zeitlebens laborierte, zwang ihn zur Aufgabe der Beamtenkarriere. Mit seiner ersten Frau Mathilde zog es ihn immer wieder nach Italien, dessen klimatische Bedingungen sein körperliches Befinden besserten. In Wiesbaden unternahm er einen zweiten Anlauf zum beruflichen Aufstieg. Nachdem er gehofft hatte, die Krankheit sei auskuriert, kam es infolge eines Sturzes zu einem Rückfall, der ihn in einen Invaliden verwandelte. Da ihm die behandelnden Ärzte nachdrücklich jede längere schreibende Tätigkeit untersagten, machte Karl Eggers aus der Not eine Tugend. Er befaßte sich intensiv mit Stenographie und beherrschte bald die Kurzschrift so weit, daß sie ihm maßvolle schriftstellerische Arbeit erlaubte. Entschlossen, begrenzt wirksam zu sein, eroberte er sich zusätzlich das Terrain des öffentlichen Vortrags, auf dem er es zu einigem Ansehen brachte. Da er aus eigener Erfahrung keinen Zweifel an der Notwendigkeit stenographischer Praxis hatte, engagierte er sich für deren Popularisierung. Dabei sollte ein Verein helfen, den er mitbegründete und der sich nach dem namhaften Erfinder eines Kurzschriftsystems - Franz Xaver Gabelsberger - nannte. Zeitweilig lag die Redaktion der Fachzeitschrift Schriftwart allein in seinen Händen. Ohne berufliche Perspektive war für Karl Eggers Wiesbaden kein Ort, an dem er leben wollte. Er übersiedelte deshalb 18 6 χ nach Berlin an, wo er bis 1895 lebte. Friedrich Eggers umwarb seinen Bruder früh, er wollte dessen Mitarbeit am Kunst- und Literaturblatt und regte ihn an, in Rostock vergleichbare Vereine wie das Rütli - „einen literarischen KunstblattKlubb[!]" 1 5 2 - ins Leben zu rufen. Karl ließ sich nicht lange bitten. Er verfaßte Rezensionen und kleinere Artikel für die Blätter seines Bruders und zu dessen Zufriedenheit. Wie Friedrich war er kunstgeschichtlich interessiert und wußte sachgerecht über Kunstbelange zu verhandeln. Als man dann in einer Stadt wohnte, verstand sich Gemeinschaft von selbst. Der „Senator", wie ihn Fontane nannte, verkehrte gern gesehen im Rütli, dessen Mitglied er ebenso wurde wie im Tunnel. Dort wurde er im März 1865 von Friedrich eingeführt und am 22. Oktober als „Barkhusen" aufgenommen. Beide zusammen 152
Friedrich Eggers an Karl Eggers, 4. Januar [1854]. R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an Karl und Mathilde Eggers. Sig. 1.4.7.65.
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diktierten in den kommenden Jahren so ziemlich ausschließlich neben Heinrich Seidel, mit dem man befreundet und verwandt war, das Vereinsgeschehen. Karl Eggers profilierte sich dort mit einer nicht ganz gewöhnlichen Gattung - er übersetzte die Dichtung des schottischen Dichters Robert Burns ins Plattdeutsche. Daß ihm der Tunnel Beifall zollte, wollte nicht viel besagen. Anerkennung kam jedoch aus kompetentem Mund. Klaus Groth, dessen Quickborn zum Fahnenwort für mundartliche Dichtung in Deutschland geworden war, war voll des Lobes, das er wiederholt öffentlich aussprach: in der angesehenen Gegenwart von Paul Lindau, den Neuen Monatsheften Oskar Blumenthals und den zahlreichen plattdeutschen Zeitungen im In- und Ausland. Der Briefwechsel mit Groth zeigt, in welchem Maß sich Karl Eggers dessen Wertschätzung erfreute. Sein Rat - zum Beispiel in Verlagsfragen für plattdeutsche Dichtung - galt, seine „vornehme Weise" 153 zog an. Dem hat sich auch Fontane nicht verschließen können. Er knüpfte bald ein eigenes Band zu Karl Eggers, das keiner brüderlichen Vermittlung bedurfte. Im persönlichen Umgang gab er ihm sogar den Vorzug vor Friedrich, mit dessen Hang zu Exaltiertheit er nie etwas beginnen konnte. Im Riitli war ein vielseitig orientierter Mann, der Karl Eggers war, ganz nach Fontanes Geschmack. Nicht auf ästhetische Belehrung war Fontane dort aus. Ihm war an frischem, individuellem Urteil gelegen, und zu dem war Karl Eggers fähig. Moritz Lazarus hat in seinen Erinnerungen ein freundliches Bild von Karl Eggers gezeichnet: Er „wirkte unscheinbarer als der alle Welt bezaubernde Friede. Zwar stattlich, aber schlicht in Wesen und Erscheinung, tiefer und genauer in vielen Dingen der Kunst und des Lebens, gewann er sich die Zuneigung aller, die ihn näher kennen lernten. Persönlicher Mut und körperliche Gewandtheit zeichneten ihn aus; er war ein eifriger Bergsteiger und huldigte dem Rudersport mit einer an Verwegenheit grenzenden Kühnheit. In seinem gastfreundlichen Hause pflegte er eine ungemein anmutende Geselligkeit" 154 . Fontane stand nicht an, kleinere Beiträge von ihm in der Vossischen Zeitung unterzubringen und war sich sogar für die Geldvermittlung nicht zu schade. Aus den überlieferten Zeugnissen wird deutlich, daß 153 154
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Klaus Groth an Karl Eggers, 26. April 1 8 8 9 . Groth Briefe, S. 54. Moritz Lazarus' Lebenserinnerungen. Bearbeitet von Nahida Lazarus und Alfred Leicht. Berlin 1 9 0 6 . S. 6 0 7 - 6 0 8 .
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Fontane die literarischen Qualitäten von Karl nicht übersah und geneigt war, sie ebenfalls über die des Bruders Friedrich zu stellen. Davon ließ er sich durch den Widerspruch, den Karl Eggers anmeldete, kaum beirren. Z u Mißverständnissen und Verärgerungen, die seine Beziehung mit Friedrich durchzogen, kam es hier nicht. Dafür fehlte der Boden. Natürlicher Respekt und freundliche Distanz sicherten der Bekanntschaft, die nicht auf Freundschaft drängte, Dauer. Er schätzte die Italienkenntnisse Karl Eggers' und griff wiederholt auf dessen Buchbesitz zurück. Auch die Gepflogenheit, Zeitung mit der Schere zu lesen und das Ausgeschnittene geordnet aufzubewahren, war Fontane eine löbliche Tugend, von der er dankbar profitierte. Sogar familiäre Kontakte kamen zustande, denen Fontane eine vergnügliche Seite abgewinnen konnte. Daß die kleine Emma, Karl Eggers' Tochter aus zweiter Ehe, wie er am 30. Dezember Geburtstag feierte, war Anlaß für einen jährlichen Briefaustausch, an dem nicht nur Emma ihren Spaß hatte. Natürlich konnte sich Fontane nicht gänzlich des Kommentars enthalten, als Karl Eggers im rüstigen Alter von sechzig Jahren ein drittes Mal heiratete (seine Nichte im übrigen). Nach einem Besuch seiner Tochter in Rostock, w o sie das Paar getroffen hatte, schrieb er an Zöllner mit Blick auf Karl Eggers: „Immer noch krägel, so daß ,erwarten' nicht ausgeschlossen ist, wenn auch unwahrscheinlich. Ich muß noch einmal - diesmal Lepel - citiren: ,die Patronen sind gezählt.' Aus eigenen Mitteln setze ich hinzu: ,Gott sei D a n k . ' " 1 5 5 Als Friedrich Eggers tot war, sah sich sein Bruder Karl vor ein Meer von Zetteln, Notizen und Mappen gestellt. Rechtlich war das der Nachlaß des Verstorbenen, tatsächlich ein Chaos. Die privaten Briefschaften sprengten jeden Rahmen, daneben türmten sich literarische und wissenschaftliche Unterlagen. Es war, als habe Friedrich auf diese Weise ein getreues Spiegelbild von sich bewahren wollen. Eine fanatische Notierbesessenheit kam zum Vorschein, die selbst die Verwandten verwirrte. Der Umstand, daß kein Ereignis seines Lebens vor der mehrfachen schriftlichen Fixierung sicher gewesen war, hatte etwas Erschlagendes. Das galt damals, das gilt noch heute. Innerhalb der wissenschaftlichen Hinterlassenschaft sah es kaum anders aus. Karl Eggers hätte allen Grund gehabt zu kapitulieren. Ob er zu Lebzeiten Versäumtes wettmachen wollte? Mag sein. Denn Karl Eggers besorgte den Nachlaß seines Bruders vorbildlich. 155
Theodor Fontane an Karl Zöllner, 5. Februar 1 8 9 7 . H A B IV, S. 6 3 4 .
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Einleitung
Umsicht und Sorgfalt zeichneten seine Verwertung der nachgelassenen Papiere aus. Relativ rasch stellte er den längst fälligen Band mit Gedichten Friedrichs zusammen, dem er ein knapp gehaltenes Vorwort beifügte, in dem Fontane und Kugler namentlich erwähnt werden. Im selben Arbeitsgang sichtete er die nachgelassenen plattdeutschen Dichtungen, denen er die eigenen (samt den Ubersetzungen Burns') beigesellte. Um die Ausgabe, die den Titel Tremsen (Kornblumen) erhielt, auf dem erreichten Niveau der Dialektforschung zu sichern, betraute er den Sprachwissenschaftler Karl Nerger mit der Herausgeberschaft. Klaus Groths Reaktion, er sei „sehr mit den Tremsen zufrieden, kannte Sie und Friedrich oft nicht von einander" 156 , beruhigte ihn über den erreichten Zweck. Daß Fontane beide Bücher in der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung besprach, mußte ihm gleichfalls Bestätigung und eine Freude sein. Die komplizierteste Arbeit, die sich Karl Eggers aufgeladen hatte, war freilich die Rauch-Biographie, die sein Bruder als einen gewaltigen Torso hinterließ. Es gehört zu seinen Lebensleistungen, daß er die Bruchstücke ordnete und sie zu einer geschlossenen Lebens- und Werkschau des Bildhauers zusammenfügte. Dadurch erhielt der Name Eggers in der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts einen soliden Klang, losgelöst vom Spott und angemessen dem Fleiß und der Redlichkeit der Namensträger. Fontane hat das gespürt und gegenüber dem gemeinsamen Freund Karl Zöllner ausgesprochen: „Ueber Karl Eggers' Buch habe ich ein paar Zeilen an die Vossin 157 geschickt; es steht nichts drin, nur das Eine, was mich jetzt beständig beschäftigt, daß dies Buch alles, was die Berliner Schriftstellerwelt seit 50 Jahren geschrieben hat, überdauern wird. Wenn Reilstab, Pietsch, Lindau, Frenzel und natürlich auch der Endesgefertigte längst in die Lüfte gegangen sind, auch Gutzkow und Heyse, wird das Dioskurenpaar Friedrich und Karl noch glänzen. Friedrich Karl wird dann längst vergessen sein, - Karl Friedrich aber mag selbst angeben, wie er zu dieser Frage steht." 158 Der Reiz der hier zum großen Teil zum ersten Mal edierten Briefe teilt sich mit, wenn sie in die Welt, der sie entstammen, eingebunden werden. Es war Fontanes Welt, aber gleichermaßen die seiner Freunde 156 157 158
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Klaus Groth an Karl Eggers, 3 1 . Mai 1875. Groth Briefe, S. 38. Siehe im vorliegenden Band S. 400. Theodor Fontane an Karl Zöllner, 16. Dezember 1887. HAB III, S. 576.
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und der befreundeten Familien, die ihn geprägt haben und auf deren Geschick er Einfluß genommen hat. Die einzelnen Stimmen dürfen aus dieser Welt nicht gelöst und für sich genommen werden. Kann sich der Briefwechsel zwischen Friedrich Eggers und Fontane auch nicht mit dem Lepelschen oder dem mit dem Ehepaar Merckel an Umfang und Dichte messen, so gehört Eggers' Stimme doch zu einer der unverwechselbarsten in diesem Kreis. Erst der Zusammenklang aller ergibt, was für die literarischen und wissenschaftlichen Arbeiten von Aufschluß ist. Am 20. Juni 1 8 5 3 hat Friedrich Eggers, in der Freundesrunde wiederholt konfrontiert mit persönlichen Vorwürfen, einen Brief an Fontane geschrieben, in dem er sich so schutzlos gibt, wie er am Ende war. Er will sich den Verurteilungen der Freunde stellen, will sich erklären. Ein Bekenntnisbrief entsteht, dessen Adressat bald nicht mehr Fontane allein ist, sondern auch sein Verfasser: „und so muß es doch hier stehen, daß das, was Du, wenn ich manchmal etwas stiller werde, für Verstimmtsein hältst, nichts ist, als eine gewisse stille Traurigkeit, die aber mich ganz allein angeht. Ich bedaure dann, daß meine Kräfte in so schlimmen[!] Verhältniß zu meinem Willen stehn und ich Euch nicht genug sein kann. Dafür giebt es kein anderes Mittel, als sich seiner Stelle bewußt zu sein und keine andere einnehmen zu wollen." Die Bescheidenheit verträgt das Bewußtsein von einem Selbstwert, das mitschwingt - und über dessen Berechtigung am Ende keiner, Fontane am wenigsten, im Zweifel war.
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I. Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. ι
2. November 1846
Nr. ι Theodor Fontane an Friedrich Eggers d. 2 Î N o v . 4 6 M e i n lieber H e r r E g g e r s . S o eben h a b ' ich Ihre Sachen gelesen, u n d f ü h l e mich d a d u r c h so angeregt, d a ß ich trotz k l a m m e r Finger, die m i r das Schreiben ers c h w e r e n , ein P a a r W o r t e d a r ü b e r mit Ihnen sprechen m u ß . 1 - D a s dritte u n d letzte L i e d , an d e m ich d u r c h a u s nichts zu tadeln f i n d e , läßt m i c h trotz alledem g a n z k a l t , w e s h a l b w i r es bei Seite legen w o l len. D i e beiden ersten aber, gegen die ich M a n c h e r l e i e i n z u w e n d e n h a b e , sprechen m i c h im höchsten G r a d e an. D i e z u m G r u n d e liegende Idee ist bei d e m ersten: entschlage D i c h der Selbstsucht; liebe u n d hasse nicht f ü r D i c h , sondern f ü r die Welt; im zweiten heißt es: w a r t e nicht auf das Ideal D e i n e r Seele; n i m m , w a s D i r der A u g e n b l i c k bietet; n i m m M e s s i n g w e n n das G o l d ausbleibt, 's ist i m m e r besser w i e g a r nichts. - Beides hübsche Ideen; die erste christlicher, die zweite menschlicher, jene ernst, diese heiter; die eine der S t a n d p u n k t eines B u r s c h e n s c h a f t e r s , 2 die andre das M o t t o eines 1
Hintergrund dieses Briefes Fontanes waren offenbar Texte Eggers', die der im Tunnel über der Spree vorstellen wollte. Am „7. November" [Dezember?] 1846 hatte Eggers an seinen Bruder Karl geschrieben: „Vor. Sontag[!] war ich in d litter. Gesellschaft:,Tunnel' egeführt[!], deren Mitglied ich wahrscheinlich werde." RSA, N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an Karl u. Mathilde Eggers. Sig. 1.4.7.65. Seinen Eltern berichtete Friedrich Eggers am 19. Dezember 1846 von seinem ersten Auftritt im Tunnel: „Neulich habe ich in dem Tunnel [Einfügung auf dem Blattrand: d.i. d. litt. Gesellschaft, ν der ich Dir 'mal erzählte.] debiitirt, d. h. einige Gedichte von mir gelesen, die eine unerwartet günstige Aufnahme fanden. Ich hatte etliche Angst vorher; denn man hatte eben einige herrliche urkräftige Balladen von dem Dichter der Lieder aus Rom (v Lepel) gehört u. da kam ich nun mit meinen stillen Dingern hinterher. Aber doch mußte ich das erste 3 mal lesen. [...] Heute Abend bin ich mit Leo Statter b. eben dem Lepel z. Thee. Morgen schlägt er mich in d. Gesellschaft vor u. hoffentl. bin ich nächsten Sonntag schon Mitglied.-" RSA, NL Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Mappe: 1846. Sig. 1.4.7.9. I m Protokollband des Tunnel werden am 6. Dezember 1846 zwei Runen (Gäste, die selbst etwas vortrugen) erwähnt. Einer von ihnen war Eggers, der die Gedichte Wanderlust, Stab und Krug, Liebesfrühling und Frühlingsliebe und Frisch zu! vortrug. UB, N L Tunnel, Pb 1846/1847. Das Gedicht Liebesfrühling und Frühlingsliebe findet sich in Eggers Gedichte S. 49.
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Eggers stand dem Verbindungswesen eher distanziert gegenüber, unterhielt aber über seinen Freund Josef Viktor Scheffel Kontakte zur Teutonia und trat 69
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
geheilten Idealisten, der lange geweint hat und es endlich einsieht: ride si sapis 3 oder auch: nimm was Du kriegen kannst. Ich wiederhole es: hübsche Ideen und zum Theil in der ansprechendsten Weise ausgedrückt, aber es fehlt mir die richtige Anordnung. Der rothe Faden der leitenden Idee, der sich durch das ganze Lied ziehen soll, entschlüpft Ihnen zuweilen, oder aber Sie lassen ihn, einem neuen Gedanken zu Liebe, der sich Ihnen aufdrängt, fallen, und ergreifen ihn erst später wieder. Eines Theils stört das die Klarheit, andrerseits wird dadurch meistentheils eine Wiederholung bedingt. Ich bin ein schlechter Philologe, aber ich glaube, daß bei Römern und Griechen ein solches Abschweifen erlaubt war. So viel mir aber aus dem Horaz noch vorschwebt und so weit ich den Piaton kenne, herrschen dabei doch ganz bestimmte Gesetze, und wenn schon man eine Erzählung einstreuen kann, die dreimal so lang ist als das eigentliche Lied, so muß die doch immmer in genauer Beziehung zu demselben stehn. So weit die alten Klassiker; bei uns verlangt man lyrische Gedichte aus einem Guß. Such' ich jetzt meine Aufstellungen zu begründen.Der Grundgedanke in dem 2. Gedichte ist: laß das Hübsche nicht vorübergehn, weil Du das Beste nicht gewinnen kannst. Dafür sprechen die beiden ersten Strophen, und namentlich die letzte - als Anfang und Ende des Gedichts. In den 3 Mittelstrophen begegnen wir einem andren Gedanken. „Warte nicht auf Meeresruh, auch das stürmende muß Dich zum Hafen bringen" heißt das nicht: habe Muth, oder frisch gewagt ist halb gewonnen, oder: Männerkraft und Stolz weicht selbst der Götterhöhe nicht? aber keinen Falls heißt es: begnüge Dich! und wollte man das selbst hineinlegen, so müßte man doch ergänzen: sei zufrieden, auch wenn Dich Unglück trifft. Der Grundgedanke aber ist: sei zufrieden, auch wenn Fortuna Dir wie eine Schwindsüchtige erscheint; [gestrichen: aber] sie mag indeß noch so mager sein, sie bleibt immer Fortuna. Die folgende Strophe bringt wieder ein neues Element, wenn ich auch in dem einen Stern nicht einen Hinweis auf Gott erblicken will. Das Rosenbrechen [eingefügt: am Wege] heißt doch wohl so viel, als genieße was sich Dir beut; dem Stern gegenüber, kann aber von einem „Erfassen dessen, was sich uns beut" keine Rede sein, einem Stern
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später in Berlin in die Germania. Siehe Eine Studienfreundschaft. Scheffels Briefe an Friedrich Eggers 1 8 4 4 / 1 8 4 9 . Hrsg. von Gerda Ruge. Karlsruhe 1 9 3 6 . S. IX u. X . (lat.) .lache, wenn du weise bist.
Nr. ι
2. November 1 8 4 6
kann man nur vertrauen, und da das ganze Gedicht ein: verlange nicht zu viel" ausdrücken will, gehört das: hoffe nicht zu viel" eigentlich nicht hinein. Die vorletzte Strophe passt wiederum nicht in das Ganze; bis dahin handelt es sich darum, nicht zu viel Ansprüche an die Beschaffenheit der gebotenen Waare zu machen; jetzt aber rufen sie sich zu: verlange nicht, daß Dirs aus der Bude entgegenschallt: immer ran, immer 'ran meine Herrn! Dort handelt es sich um Werth oder Unwerth, hier um das zur Schau tragen und Anpreisen. Welch Unterschied! Das erste Gedicht kann, meinem Erachten nach, durch bloßes Streichen ganz vortrefflich werden, und zwar müssen die 4—, 5— u 6— Strophe ganz heraus. Erstlich ist das Liegen an der Männerbrust ganz überflüssig, zweitens sprechen Sie zu Anfang des Gedichts von „finstrer Gedankenmacht", von „düstrem Lied" von „thränenschweren Augen" und doch heißt es dann: „ich will nicht mehr die süße, schwelgerische Lust der Liebe genießen". Mir scheint das unkonsequent. Die sechste Strophe ist eine bloße Wiederholung des Gedicht-Anfanges, [eingefügt: und] wie schon oben gesagt lediglich ein Anknüpfungspunkt. Verzeihen Sie mir meine rücksichtslose Sprache; wenn ich die Sachen nicht mit großem Interesse gelesen hätte, würd' ich mich nimmer zu diesen Zeilen und am allerwenigsten zu solchem Tadel veranlasst gefühlt haben. Ich hoffe Sie in den nächsten Tagen zu sehen, und werde nicht verfehlen Sie meinem Lepel aufs dringendste als wünschens werthe Tunnelaquisition zu empfehlen.4 Ergebenst Th. Fontane 4
Bernhard von Lepel führte Eggers im Tunnel ein. Während der Dezember 1846-Sitzungen trug Eggers regelmäßig kleine Gedichte vor, deren erotischer Bezug für Diskussionsstoff sorgte. Einiges wurde als „harmlos, niedlich, sinnig und einfach" empfunden, wie Merckel als Protokollant am 20. Dezember 1 8 4 6 festhielt. Über Eggers' offizielle Aufnahme wurde am 3. Januar deliberiert. „Der Neugewählte erhielt den Tunnelnamen: Anacreon, und Schenkendorf übernahm es, ihn als solchen einzuführen." UB N L Tunnel, Pb 1 8 4 6 / 1 8 4 7 . Vgl. auch Zur Geschichte des literarischen Sonntags-Vereins (Tunnel über der Spree) in Berlin. 1 8 2 7 - 1 8 7 7 . Berlin: J. Sittenfeld [ 1 8 7 7 ] . S. 9 (Druckfehler: fälschlicherweise hier 1 8 5 7 ) . A m 8. Januar 1 8 4 7 teilte Lepel Eggers schriftlich mit, daß er in den Tunnel über der Spree aufgenommen sei (RSA, N L Eggers, Tunnel-Unterlagen 1 8 4 7 - 1 8 7 2 . Sig. 1 . 4 . 7 . 8 1 ) und am 1 7 . Januar 1 8 4 7 erfolgte die feierliche Einführung: „Nachdem Campe den Staub, der seit dem 8f März vor J . [gemeint war die letzte Aufnahme eines neuen Mitgliedes - d. Hrsg.] ungestört auf den heiligen Schriften gelegen, abgeklopft hatte, schritt er auf Anacreon zu, faßte selbigen bei der Hand, und stellte ihn an den Tisch, setzte vor diesem Ereigniß das Haupt [für ein Jahr gewählte Vorsitzende des
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 2 Theodor
Fontane
an Friedrich
Eggers Berlin d. 2 0 ^ M a i 5 5 0 .
Sr. Wohlgeboren dem Dichter, D o c t o r u. Redacteur Fidding A n a c r e o n Eggers hier. Anbei ein, aus einem ganzen W a s c h k o r b voll vorsiindfluthlicher Geisteserzeugnisse, mühsam herausgeklaubtes Läppchen. Alles andre erwies sich theils als schmutzige Wäsche, theils als total zerrissene. 6 Der - ich möchte sagen - Bilderstürmer Standpunkt, den man ewig nach Bildern u. Vergleichen jagend, vor zehn Jahren so glücklich w a r einzunehmen, ist Gott sei D a n k überwunden, nun lacht man über die haarsträubenden Ungereimtheiten oder Geschmacklosigkeiten jener früheren Periode. 7 Dennoch kann man auch nach solcher Richtung hin w a s leisten, Anast. G r ü n 8 hat das bewiesen. Es fragt sich nun, o b ich auf falschen Pfaden doch noch mit so viel Geschicklichkeit rumgetrippelt und immer noch der Poesie so nah geblieben bin, daß ich es riskiren kann die beifolgenden Ergießungen auch Künsteleien jener Zeit, unter Bessrem, dem D r u c k zu übergeben?! M o r g e n bei Pietsch 9 Dein Urtheil. L e b w o h l Lafontain
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Vereins - d. Hrsg.] in Kenntniß, und las diesem und dem Neophyten mit der ihm zu Gebote stehenden primitiven Kraf das Gehörige vor. Das Haupt that ein Gleiches, alle drei thaten, als ob sie thäten, und es war geschehen." UB N L Tunnel, Pb 1846/1847. In der Folgezeit las Eggers beinahe auf jeder Sitzung eigene Texte im Verein und wurde eines seiner umtriebigsten Mitglieder. Die Datierung des Briefes wirft Fragen auf. Eggers nutzte die freie Rückseite, um seinen Eltern unter dem 5. April d. J. zu schreiben. Da die Richtigkeit seiner Notierung aus den überlieferten Unterlagen beweisbar ist, muß ein Irrtum Fontanes angenommen werden, eine Erklärung, die nicht befriedigt, weil Fontane nahezu nie derartige Fehler unterliefen. Fontane schickte Eggers zur Begutachtung mit dem Wunsch, bei der Verlegersuche behilflich zu sein, eine umfassende Auswahl seiner Gedichte, die er in einem Band herausgeben wollte. Fontane spielte auf seine scharfen sozialkritischen Texte im Vormärzjahrzehnt an. Grün hatte mit seinem Gedichtzyklus Spaziergänge eines Wiener Poeten (Hamburg 1 8 3 1 ) den dichtenden Zeitgenossen gezeigt, daß sich politische Aussage mit poetischer Sprache vertragen kann. Ludwig Pietsch schilderte seine Erlebnisse mit Eggers in seinem Erinnerungsbuch Wie ich Schriftsteller geworden bin. Erinnerungen aus den fünfziger Jah-
Faksimile des Briefes von Theodor Fontane an Friedrich Eggers Nr. 2 (20. Mai 1850)
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 3 Theodor Fontane an Friedrich [Berlin, Anfang Juli 1850?]
Eggers Mittwoch.
Lieber Eggers. Ich bin der Narr des Glücks! Ziemlich außer mir schreib ich Dir diese Zeilen. - Heut Mittag tritt ein Ministre plénipotentiaire 10 des Sultans H a y n 1 1 in mein Zimmer, und theilt mir mit: a) mein eingereichtes Manuskript 1 2 würde nur 8 Bogen geben (ist bloße Vorgabe!) b) Herr Hayn habe auf 2 0 Bogen gerechnet und c) würde pro Bogen nur iVk Louisd'or zahlen können. Ich bin dumm genug gewesen die Verhandlung nicht sofort abzubrechen, habe mich verleiten lassen dem Manne (mit Hülfe meines Karl Stuart13) 2 0 Bogen Manuskript theils herauszunehmen theils in Aus-
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ren. Berlin: Fontane 1898. 1. Band, S. 1 4 4 - 1 7 8 . Wilhelm Lübke schreibt: „Eggers und ich lernten ihn [Pietsch - d. Hrsg.] kennen, da es sich darum handelte, für das deutsche Kunstblatt einen gewandten Zeichner zu finden. [...] Daraus entwickelte sich ein reger Verkehr mit dem vielseitig angelegten und wohl unterrichteten Künstler, der durch einen gewissen Enthusiasmus in allen Gesprächen sich auszeichnete." Wilhelm Lübke: Lebenserinnerungen. Berlin: Fontane 1891. S. 228-2.29. (frz.) bevollmächtigter Gesandter. Die Vermittlung zu dem Verleger Adolph Hayn verdankte Fontane seinen Tunnelfreunden Louis Schneider und Christian Friedrich Scherenberg. Fontane schildert im 15. Kapitel seines Buches Christian Friedrich Scherenberg und das literarische Berlin seine Begegnung mit dem damals „auf seiner Verlegerhöhe stehenden" Hayn und ebenfalls den hier geschilderten Besuch eines Abgesandten Hayns bei ihm. „Ich sehe noch den merkwürdigen ,coup d'oeil de l'aigle', mit dem dieser Abgesandte schon von der Tür her meine Zimmereinrichtung musterte, dabei sofort erkennend, daß es im vorliegenden Falle gefahrlos sein würde, die Honorarforderung einfach auf die Hälfte herabzusetzen." FABS III/ i , S. 1 1 5 . Hayn gab 1850 Fontanes Männer und Helden. Acht Preußenlieder heraus. Siehe ausführlich Fontane Gedichte 1 , S. 4 1 5 - 4 1 6 . Offenbar hatte Fontane versucht, dort eine Sammlung seiner Gedichte unterzubringen, was sich zerschlug. Fontane begann im Herbst 1848 an einem Drama zu arbeiten, das sich der Gestalt Karls I. von England (1600-1649) widmete, um in ihr Erfahrungen des Revolutionsjahres literarisch zu reflektieren. Trotz vielfacher Ermunterungen durch seine Freunde gab er 1 8 5 1 diesen Plan als gescheitert auf. Vgl. Fontanes
Nr. 3
Anfang Juli 1850
sieht zu stellen, - und sehe doch jetzt deutlich ein, daß man nur auf eine infame Weise mich hat los sein wollen. Wer mir den Streich gespielt hat, weiß ich nicht; aber es lauert ein böser Feind im Hintergrunde. Ich bitte Dich jetzt dringend die Sache mit Ernst 14 sofort aufzunehmen. Du kannst ihm Hayn's perfides Benehmen schildern; zur richtigen Würdigung der Gemeinheit, leg ich Dir den am Freitag empfangenen Brief bei; Du magst ihm auch sagen, daß mir 2'Λ Louisd'or pro Bogen, durch Handschlag wie versprochen war. Meine Bedingungen sind ganz einfach die: Er macht aus dem beigehenden Manuskript 1 2 Druckbogen (soviel giebt es nach Cotta'scher Art die Verse zu drucken, wenigstens)15 und honorirt den Bogen mit 2 Louisd'or. Was ich bis zur Vollendung des Drucks noch zuschaffe, wird ebenso bezahlt. Für den Fall einer 2— Auflage erwächst ihm gleichzeitig das Verlagsrecht auf die Rosamunde 16 , vielleicht auch, wenn Hayn nicht ganz u gar ein Schurke ist, auf die „Männer u. Helden". Morgen Mittag rechne ich schon auf eine Art Bescheid. Schieb's mir zur Liebe nicht raus, denn ich bin vor Aerger ganz mürbe. Dein Th. Fontane. Wenn er die Sachen liest, so sag ihm er soll die Bilder und Balladen 17 von oben anfangen, die Zugstücke liegen oben; wenn ihm die nicht gefallen, so braucht er nicht weiter zu lesen.
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ls
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Briefe an Lepel vom Spätherbst 1848 (bes. den vom zz. November 1848). Gegen Lepels Rat verleibte Fontane, um den Manuskriptumfang zu strecken, den ersten Akt der Tragödie seinen Gedichten, die bei Ernst 1 8 5 0 (mit dem Jahr 1 8 5 1 ) erschienen, ein. Bei Ernst, dem Inhaber der Gropiusschen Buchhandlung und des Verlages Reimarus, kam dann 1 8 5 1 auch die erste Sammlung Gedichte Fontanes heraus. Fontane gehörte seit 1843 in den Autorenkreis des bei Cotta erscheinenden Morgenblatt für gebildete Stände und hatte lange versucht, seine Gedichte in diesem renommierten Verlag herausgeben zu können. Von der schönen Rosamunde. Romanzenzyklus. Dessau: Gebr. Katz 1850. In diese Rubrik hatte Fontane seine Preußenlieder, den Tower-Brand und auch Bienen-Winkelried gereiht.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 4 Theodor Fontane an Friedrich Eggers und Paul Heyse Altona, d. 2. August 1850. Lieber Friedrich Eggers auch dito Paul Heyse. Wenige Zeilen auch an Euch. Vielleicht habt Ihr von ohngefähr schon erfahren, daß ich mit meinem Mobiliarvermögen von 4 Hemden, 3 Paar Strümpfen, einer Hutschachtel und einem gepumpten Koffer mich 4 Wochen lang hier aufhalten werde. 18 Der eigentliche Grund ist - Übereilung, was aber nur als vertrauliche Mittheilung zu betrachten ist. Und wenn ich vor Langerweile sterbe, ich will hier aushalten, ich will meine 4 Thaler Miete absitzen. Fiat Beharrlichkeit (ich bin außerstande, aus pertinax 19 ein richtiges Hauptwort zu bilden) pereat Fontane.20 Übrigens ist hier viel Schönes, und wenn ich meine 5 Wochen nur erst hier abgebrummt und in der Rückerinnerung das 35tägige Vergnügen auf einen Tag verdichtet habe, so wird es doch eine recht liebe Erinnerung sein. Gott leih mir Kraft! Umgang hab' ich nicht, ich spreche gar nicht, höre aber sehr viel nämlich Ausrufer. Um 7 Uhr morgens fängt es an und dauert gerade so lange, wie ich arbeiten will. „Milch, Kirschen, Bickbeeren 21 ", diese hohe Dreiheit wird mich bald vielleicht auf dem Gewissen haben, nehmt dann in den „Sonetten", die Ihr als meine Nachrufer pflichtschuldigst loslassen werdet, auf jene Ausrufer soviel wie möglichst Bezug. 18
Fontane w a r im Juli nach Norddeutschland aufgebrochen, um den Verlauf der militärischen Auseinandersetzung um Schleswig-Holstein aus nächster N ä h e zu verfolgen. A m 2 4 - / 2 5 Juli hatte die Schlacht bei Idstedt stattgefunden, in der die Dänen den entscheidenden Sieg über die für ihre Unabhängigkeit kämpfenden Schleswig-Holsteiner errangen. Fontane kehrte allerdings schon wenige Tage nach Schreiben dieses Briefes nach Berlin zurück, da er durch Merckels Vermittlung Anstellung im Literarischen Cabinet erhielt.
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lat. beharrlich (Substantiv: pertinacia).
20
nach dem lat. Spruch „Fiat iustitia, pereat m u n d u s " - Gerechtigkeit, und wenn die Welt darüber untergeht.
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Heidelbeeren.
Nr. 5
undatiert
Ich habe Lepeln eingeladen,22 mich zu besuchen: „geteiltes Leid ist halbes Leid". Vielleicht läßt sich auch einer von Euch verführen. Die Kosten sind mäßig, das Vergnügen - sehr groß. Ich arbeite jetzt (für die Herausgabe meiner Sachen23) ziemlich fleißig, sobald ich damit am Rande bin, beginnt das eigentliche Reisen, zunächst nach Kiel usw. Empfehlt mich der Familie Kugler 24 (Paul Heyse 25 auch seiner Mutter 26 , Eggers, damit er nicht zu kurz kommt, kann den alten Schottländer27 von mir grüßen) und laßt mal von Euch hören. Meine Ruhestätte ist Altona, Kleine Mühlenstraße 34, p. adresse des Dr. Thormaehlen. Adieu! mit Heimweh und leider auch Zahnschmerzen, Euer Th. Fontane.
Nr. s Theodor Fontane an Friedrich Eggers [undatiert; von fremder Hand: mögl. 1850] Mein lieber Eggers, wenn Du heut Abend nichts Wichtigeres auf der Tagesordnung und ein klein wenig Piauder-Lust hast, so erwartet Dich (aber nicht später als 8 Uhr) in seiner Einsamkeit das Fontane'sche Ehepaar. 28 Sonnabend. 22
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„Wir machen eine Fuß=tour durch Schleswig=Holstein, so weit uns das der Däne gestattet." Fontane an Bernhard von Lepel, 1. August 1850. FLBW 1, S. z8o. Fontane saß über der Zusammenstellung seiner Gedichte. Die Bekanntschaft mit Kugler, der ein angesehener Mann war, den Fontane zeitlebens verehrte, hatte Friedrich Eggers vermittelt, der Schüler Kuglers gewesen war. Heyse hatte als Student Friedrich Eggers kennengelernt, der ihn in die Kreise um Franz Kugler einführte und durch den er auch Zugang zum Tunnel über der Spree bekam. Siehe auch Einleitung. Julie Heyse, geb. Saaling. Fontane nahm bei einem Herrn Schottländer im Herbst 1 8 5 1 englischen Sprachunterricht. Siehe Fricke 1, S. 22. Zur Datierung dieses Briefes: Fontane heiratete am 16. Oktober 1850 und zog mit seiner Frau Emilie in die Puttkammerstraße 6.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 6 Friedrich Eggers an Theodor
Fontane
[1851?] Mein lieber Fontane, Ich bin so sehr in Sorgen, daß ich eben schon wieder ein langes Lied an diese unwillkommene Freundin geschrieben habe 2 9 und habe sie doch nicht herunter gekriegt vom Herzen. Aber das ist auch eine Eigenthümlichkeit an ihr, daß sie uns offener macht für die Sorgen der Freunde, so daß man eine Art Trost darin findet, etwas für Andere zu thun. Ich brauche Dir wohl nicht zu sagen, daß ich Deinem Wunsch nachkommen werde; Du mußt mir aber einige Tage Zeit lassen. Leider hab' ich auch Solly wie alle Welt im Umgang ganz vernachlässigt; 30 aber ich hoffe, er wird mir einen Rest Anhänglichkeit bewahrt haben. - Ich schicke Dir auch hierbei die Conkurrenz* Sachen zurück mit denen Paul [Heyse - d. Hrsg.] schon fertig ist. Gruß an die Mutter. Der Deine FrE.
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Zwei Lieder sind in Eggers Gedichtsammlung aufgenommen worden: Sorge (S. 19) und Die Sorgen (S. 20). Zwei Ursachen standen möglicherweise im Hintergrund der Sorgen Eggers', erstens wurde beraten, ob das Kunstblatt nach Leipzig verlegt werden sollte, was Eggers zu einem Umzug dorthin genötigt hätte, und zweitens durchlebte Eggers 18 51 die Qualen einer unerwiderten Liebe, wie er gegenüber Kugler gestand. Vgl. hierzu Kuglers Brief an Eggers vom 30. März 1 8 5 1 , in dem dieser ihm ausdrücklich zum Umzug riet. LBK, TNL Eggers. Sig. Cb 60, 56: 268.-270. Überliefert ist auch ein Disput zwischen Karl Bormann und Eggers in der Tunnelsitzung vom 29. April 1855 über die Sorge als Gegenstand poetischer Reflexion, in dem Eggers scharf gegen die Banalisierung und Bagatellisierung des Wortes argumentierte und die „poetische" Sorge von der „prosaischen" schied. UB, NL Tunnel, Pb 1 8 5 4 - 1 8 5 6 .
30
Fontane hatte sich bei Eggers, der den Professor und Lektor für englische Sprache an der Berliner Universität, Thomas Solly, schon als Student kennengelernt und bei ihm über englische Dichtkunst gehört hatte, anscheinend nach Möglichkeiten erkundigt, seine Englischkenntnisse aufzubessern. Vgl. Fricke 1 , S. 22. Seine Verbundenheit mit dem aus Medville stammenden Solly bekundete Eggers ausführlich gegenüber seinem Vater am 8. Juli 1856. Er habe ihm seinerzeit sehr geholfen bei Aufbau einer eigenen Existenz in Berlin. RSA, NL Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1.4.7.9. In den Briefen Sol-
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Nr. 8
9. April 1 8 5 1
Nr. 7 Theodor Fontane an Friedrich [vermutlich März 1852;
Eggers
o. O.]
Donnerstag. Lieber Eggers. Ich bin wohl nicht ganz im Unrecht, wenn ich mich zu der bescheidenen Ansicht bequeme, Du habest meine Bitte um Empfehlungsbriefe (zumal an Vetter Pries oder Priest 31 ) im Jubel u. Trubel der letzten Tage 3 2 vergessen. Ich bringe mich Dir wieder in Erinnerung und bin Dein Th. Fontane.
Nr. 8 Theodor Fontane an Friedrich
Eggers Aachen d. 9 — April 52,. Adresse: Forstinspektor L a b r y 3 3
Mein lieber Eggers. Meine Liebe und Freundschaft für Dich in Ehren, aber ich dachte nicht, daß Du den ersten Brief von mir erhalten würdest. Natürlich
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lys, die Eggers' Nachlaß enthält, bleibt Fontane ohne Erwähnung. Auf dem Shakespearefest des Tunnel über der Spree am 19. April 1864 war Thomas Solly Ehrengast und gab einen englischen Trinkspruch zum besten. RSA, NL Eggers, Tw««e/-Materialien von Karl Eggers. Sig. 1.4.7.81. Robert Pries, ein Vetter zweiten Grades von Eggers, hielt sich zeitweilig als Geschäftsmann in London auf, mußte nach einem Bankrott ins Schuldgefängnis und wurde später nach Australien deportiert. In seinem Tagebuch notierte Fontane unter dem 2.8. April bis 5. Mai 1852: „Folgende Empfehlungsbriefe mit Begleitzeilen abgeschickt: [...] 5) an Robert Pries, Esq. (durch Eggers)". Tagebücher 1852./1855-1858. S. 1 1 . Fontane spielte wahrscheinlich auf seine aufwendigen Bemühungen an, für seine zweite Englandreise finanzielle Unterstützung zu bekommen. In Aachen kam Fontane bei seinem Onkel, dem Forstmeister Fritz Labry (Bruder seiner Mutter) und dessen Familie unter.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
will ich etwas von Dir und gewärtige an Deiner bekannten Liebenswürdigkeit in derlei Sachen, Erfüllung meines Wunsches. Ich reise am Donnerstag früh von hier über Lüttich und Mecheln zuerst nach Brüssel dann nach Antwerpen. Du weißt von unsrem Kunstausstellungs-Besuchen und Atelier-Durchrennereien her, daß ich bei mäßigem Verständniß der Sache wenigstens ein sehr reges Interesse dafür habe. Du magst Dir also denken, daß mich die moderne belgische Schule34 (für deren Schöpfungen ich stellenweise eine [eingefügt: specielle und] große Vorliebe habe) in Gedanken bereits beschäftigt und daß es mir eine große Freude sein würde in Gestalt eines Empfehlungsbriefes von Dir oder Kugler einen Schlüssel in Händen zu haben, der im Stande wäre mir diese oder jene Werkstatt zu öffnen. 35 Wenn ich nicht irre, sprachst Du mal von „Beziehungen, die Du zu Brüssel" hättest; von Antwerpen versprech' ich mir fast noch mehr. Ich lebe hier genußreiche Tage, es fehlen nur die Menschen, die Berliner Freunde mit denen gemeinschaftlich man die Sache erst so recht genießen und in Saft und Blut überführen könnte. Ich hüte mich sehr unser Berlin oder gar seine Menschen hier zu loben, aber sie können doch alle, wie sie da gebacken sind, bei uns in die Schule gehn, das ist meine ehrliche aufrichtige Meinung. Ich würde mich wahrhaftig nicht geniren auch das Gegentheil zu bekennen. Umgebung reizend; Stadt im höchsten Maaße anregend, an der Spitze: Dom (ein Mixtum-Juxtum von allen möglichen Baustylen) und Rathaus. In diesem war ich gestern; ich werd' einen längeren Aufsatz darüber schreiben natürlich nur referirend nicht kritisirend, - meiner könnte sonst eine mäßige Blamage harren. 36 Was Dich interessiren 34
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Fontane dachte dabei an so bekannte Maler wie der Historienmaler Wilhelm Ferdinand Pauwels und Michel Charles Verlat. Franz Kugler war 1 8 4 3 , nach seiner Berufung in das Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, in dienstlichem Auftrag durch Deutschland, Belgien und Frankreich gereist, um die jeweiligen Kunstverhältnisse einer kritischen Revision zu unterziehen. Ein Ergebnis dieser Reise war die Schrift Ueber die Anstalten und Einrichtungen zur Förderung der bildenden Künste und zur Conversation der Kunstdenkmäler in Frankreich und Belgien, nebst Notizen über einige Kunstanstalten in Italien und England, die 1 8 4 6 publiziert worden war. Sowohl Kugler als auch Eggers unterhielten als Kunsthistoriker und Mitarbeiter am Deutschen Kunstblatt Beziehungen zu ausländischen Fachkollegen und bildenden Künstlern. Diese Arbeit von Fontane ist nicht überliefert, möglicherweise kam sie aus einem Vorstadium nicht heraus.
Nr. 9
ι . Juni 1 8 5 2
wird: der große (jetzt wiederhergestellte) Krönungs- und Kaiserstuhl erhält 8 Fresken von Rethel37; 4 sind fertig: 1) Karl d. Große stürzt die Irmensäule der Sachsen um 2) er besiegt die Mauren in der Schlacht von Corduba 3) er besiegt die Longobarden 4) (dies wird das Schlußbild) Otto III. läßt sich bei Fackelschein in das Grabgewölbe Karls des Großen (der [eingefügt: das Antlitz] florverhangen, einbalsamirt auf dem Kaiserstuhl sitzt) führen. - So weit ich es beurtheilen kann sind die Sachen bedeutend, wie wohl hart in der Farbe und wenig einschmeichlerisch für das Auge des Laien. Ν 2 II schien mir an Kühnheit der Behandlung und Eigenthümlichkeit der Composition (der mit 6 weißen Stieren bespannte Kriegswagen auf dem der Maurenkönig ficht, wendet sich zur Flucht) den Preis zu verdienen. Erst im nächsten Jahre wird [gestrichen: er] [eingefügt: Rethel] mit seinen Arbeiten fortfahren. Nun zurück zum Anfang. Wenn mir ein Schreiben von Dir helfen soll mußt Du es am Montag Abend zur Post geben; leg meinen Wunsch auch unsrem Lessing 38 (den ich, so wie die seinigen, recht herzlich zu grüßen bitte) dringend an's Herz. Viele Grüße an Paul 39 . Wenn Du meine Frau siehst so sag' ihr von diesem Brief und daß ich den ihren heut früh zu meiner sehr großen Freude erhalten habe. Leb wohl, wie immer Dein Th. Fontane.
Nr. 9 Theodor Fontane an Friedrich Eggers London d. 2—Juni 52. ι Tavistock Square. 40 Mein lieber Eggers. Wenn ich Dir, von Aachen aus, aus barem Egoismus schrieb und deshalb, nach dem alten Trauerspielgesetz von Schuld und Strafe, 37
Der Historienmaler Alfred Rethel. Die Arbeit an den von Fontane hier erwähn-
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Franz Kugler.
39
Paul Heyse.
40
A n f a n g s w a r Fontane eher versehentlich in 2 7 L o n g A c r e abgestiegen, einer
ten Fresken begann 1 8 4 0 .
„Flüchtlingskneipe" (Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 9), die sich gerade für
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
keine Antwort von Dir erhielt, so ist es heute nichts Schlimmeres als der gemiithliche Wunsch, mit Dir zu plaudern, w a s mich mein inkstand 4 1 vom Bord langend und dies grauliche foreigner-paper 42 bekritzeln läßt. Zunächst empfange meinen Dank für jene Empfehlungszeilen, die mich - freilich erst spät - in die liebenswürdige Familie Deines Vetters einführten... 4 3 Es ging mir im Anfang mit meinen sämtlichen Empfehlungsbriefen, mild ausgedrückt, sonderbar, kein Mensch nahm Notiz davon, so daß ich bei etwas weniger Eitelkeit und leichtem Sinn, hätte verzweifeln können. Schließlich indeß gestaltete sich alles über Erwarten gut, so daß nur eine jüngere Schwester Fanny Lewaids 4 4 die Auszeichnung genießt, meine Briefe und Gefälligkeiten (ich mußte durch belgische und englische Douane hindurch allerhand Schnurrpfeiferein einschmuggeln) völlig ignorirt zu haben. 4 S A m Ende sind die „Schwestern" noch schlimmer als die Blaustrümpfe selbst. - Doch zurück zum Vetter. Einer seiner Schwäger (auch ein Rostocker und Gatte der jüngern Schwester seiner Frau) hat vor ohngefähr vierzehn Tagen bankrott gemacht und ihn (den Robert Pries) ein wenig mit „hineingeritten". 4 6 Die Ankunft Deines und meines Briefes fällt gerade in die
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ihn zu verbieten schien. Ende April mietete er sich in das Haus 14 Burton Street (heute: South Eaton Place) ein, wo er bis zum 1. Juni wohnte. Sein letztes Quartier während dieses Englandaufenthaltes - 1 Tavistock-Square hat er im Kapitel „Tavistock-Square und der Straßen-Goudin" seines Buches Ein Sommer in London beschrieben. (engl.) Tintenfaß mit Feder. (engl.) Ausländer-Papier. Robert Pries. Am 15. Mai 1852 vermerkte Fontane in seinem Tagebuch: „Freundlich empfangen durch Rob. Pries und seine sehr schöne Frau. Welch Wohlleben, welch Comfort [...]" Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 1 5 . Henriette Lewald. Mit der Schriftstellerin Fanny Lewald, die übrigens 1 8 5 1 / 52 ein zweibändiges Reisetagebuch England und Schottland veröffentlichte, war Fontane über Lepel bekannt geworden. Fontane hatte sie in einem nicht erhaltenen Brief vor seiner England-Fahrt um Empfehlungen gebeten, die sie ihm am 19. März 1 8 5 2 (Abschrift ihres Briefes im FAP, Briefe an Fontane. Sig. L) zugeschickt hatte. Fanny Lewald hatte Fontane Kleinigkeiten für ihre Schwester mitgegeben, deren Einfuhr verboten waren. Vgl. Fontanes Tagebucheintrag vom 23. Mai 1852. Sein Resümee: „so viel Wohlleben und doch so viel Sorge." Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 17. Pries zeichnete sich übrigens, wie Fontane im Tagebuch wiederholt vermerkt, durch eine dezidiert antienglische Einstellung aus. Vgl. u. a. den Eintrag unter dem 27. Juni 1852. Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 36.
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Zeit, wo das Schwert über ihm war und nachträglich verarg ich's ihm keinen Augenblick, daß er unter solchen Umständen selbst Kunstblatt und Rosamunde 47 ruhig ad acta legte. Nachdem die Würfel 'mal gefallen und die Augen zu übersehen waren (der pp. hat in 2 Jahren 24,000 Pfd. St. verposamentirt) kam auch über R. Pries jene [eingefügt: verhältnißmäßige] Ruhe mit der wir hinnehmen was nicht mehr zu ändern ist und eine Einladung für Th. Fontane Esq: 48 war unter den ersten Früchten der wiedergewonnenen Fassung. Versteckt hinter einem front-garden 49 , drin Goldregen und Weißdorn blühn, erhebt sich das reizende Wohnhaus Deines Schwagers, das sich äußerlich wenig von seiner Nachbarschaft unterscheidet, im Innern aber den Mann von Geschmack verrät, was nicht jedes Engländers Sache ist. Die ganze [eingefügt: Front der] Beile-Etage ist ein Saal, weiß tapeziert mit Goldleisten, am Fußboden der schöne englische Teppich, an den Wänden wertvolle Kupferstiche (The Trial of Strafford und King Charles I.) 50 ; ein Gas-Kronleuchter gibt das Licht und Heizung und wem noch nicht warm genug ist dem präsentiret die Dame des Hauses Thee und wen noch immer friert - den sieht sie an. Sie ist sehr schön, ziemlich groß, voll und doch Taille, das reichste schwarze Haar von der Welt (so daß man der Coiffure die Verlegenheit anmerkt, all die Massen unterzubringen) blaue Augen und schöne Farben. Ganz im Vertrauen gesagt, ich glaube sie begnügt sich damit schön und tugendhaft zu sein, und läßt sich auf Albernheiten wie geistreichsein und derlei Dinge nicht allzuviel ein. Ich vermuthe das mehr als ich's weiß und schließe es (da die mangelhafte Unterhaltung, die ich bei meinem Englisch mit ihr führen kann mir gar keinen Anhaltspunkt gibt) zumeist daraus, daß ihr Gesicht, so schön es ist, mich verhältnißmäßig doch kalt läßt. Es sind reizende Augen, aber sie sagen nichts anders als: „o Wonne des Kinderkriegens!" es spiegelt sich mehr eheliches als geistiges Leben darin. Er scheint ein Prachtmensch zu sein und gefällt
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Das Deutsche Kunstblatt wurde von Friedrich Eggers seit 1 8 5 0 redigiert und wurde von Fontane zusammen mit seinem Buch Von der schönen Rosamunde als Gastgeschenke überreicht.
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(engl.) Esquire - Wohlgeboren. (engl.) Vorgarten. Fontane erwähnt diese Kupferstiche wegen ihres Bezugs zu seinem aufgegebenen Dramenfragment Karl Stuart, auf dessen Weiterführung Eggers gedrängt hatte.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
mir in seiner ruhig-noblen Haltung, in seiner gleichmäßigen Freundlichkeit und seiner Theilnahme an allem, was die Unterhaltung auftischt, ganz außerordentlich. Er berührt einen wie ein „Charakter". Vielleicht könnte ich Klügeres thun als mich auf die Beschreibung von Persönlichkeiten einlassen, die Du - wie mir eben einfällt - besser kennst als ich. Doch es ist immer vergnüglich die eigene Meinung mit der andrer zu vergleichen. Das älteste Kind ist reizend; es dreht und bewegt sich wie die Tochter eines Ballettmeisters und unterhielt mich neulich eine volle halbe Stunde mit Niesen, indem es mir von Minute zu Minute mit einer großen Blume unter die Nase fuhr. - Nach Tisch (d. h. supper) kommt die beste Zeit, die brandy and water Stunde: man knabbert und trinkt und plaudert bis Mitternacht und turkelt in die Nacht hinein mit dem süßen Bewußtsein, eine Oase von drei Stunden Umfang in der Londoner Wüste gefunden zu haben. - Ich war dreimal dort und werde morgen meinen Besuch wiederholen. Das wäre also Rob. Pries (der Dich schönstens grüßen läßt, Dich sowie auch seine Frau - einladet zu kommen, vorläufig aber noch nicht schreiben wird). Ich vermuthe indeß wohl nicht ganz falsch, daß Du die Fordrung weitrer Mittheilungen an mich stellst. Von meinen Hoffnungen hat sich bis jetzt, die Wahrheit zu gestehen, blitzwenig erfüllt. Ich habe kein großes Pech gehabt, bin nicht betrogen worden, bestohlen, durchgeprügelt oder überfahren worden, aber ebensowenig weiß ich von Glück zu erzählen. Wenn die Sachen hinter einem liegen, so übernimmt man in der Regel selbst die Rolle, die andre so gern spielen und wird zum Klugscheißer (pardon!) an sich selbst. So find' ich denn jetzt, daß ich dies und das sehr dumm gemacht habe, daß es auf die Art gar nichts werden konnte und doch muß ich billigerweise zugestehn, daß alle diese Weisheit nur eben durch Erfahrung gewonnen werden konnte. So vergriff ich mich gleich in der Wohnung. Ich wohnte schlecht und theuer blos um in einer „noblen" Gegend zu residiren, was man mir (und mit Recht) als unerläßlich geschildert hatte, wenn ich hier irgend etwas erreichen wolle. 5 1 Ich dachte näm-
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Im Tagebuch charakterisierte Fontane am 26. Mai seine zweite Unterkunft so: „Noble Gegend, nobles Haus; mein Zimmer 3 Treppen hoch und kläglich wie alle diese englischen Kabachen, deren Comfort-Renommee eine der größten Lächerlichkeiten ist." Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 1 8 . Vgl. auch den Brief vom 29. April 1 8 5 2 an seine Mutter ( H A B I, S. 2 3 3 ) .
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lieh damals noch an „Stundengeben" und ähnliche Dinge. Sehr bald wurd' ich indeß inne - da hier immer 5 Deutsche auf 1 Engländer kommen - daß es mit dem „ein halb Pfund für die Stunde" seine Schwierigkeiten haben werde und daß ich auf dies goldne Zeitalter unmöglich in meiner „noblen Gegend" warten könne. Zudem kam ich im Englischen nicht von der Stelle. Woche auf Woche verging und meine ganze Konversation bestand immer noch aus: please you put coals on! 5 2 Oder dare I trouble you for some bread? 53 wenn's hoch kam schrie ich auf gut-englisch am Hemdkragen zupfend: „waiter, no salmon to-day, please you - turbot!" 54 Ich hatte meine englischen Kenntnisse (die anderweite Ausbeute verkenn' ich nicht) ohngefähr um so viel bereichert, wie wenn ich den alten Scotchman 55 zweimal bei Dir getroffen oder eine Solly'sche Vorlesung56 mit angehört hätte. Und dafür 200 rh durch den Schornstein und Trennung von Frau und Kind - mir schien ein Mißverhältniß zwischen Preis und Waare obzuwalten! So beschloß ich denn die noble Gegend aufzugeben, von der ich nichts hatte als Omnibuskosten oder müde Beine (denn sie liegt am südwestlichsten Ende der Stadt) und unter billigeren Bedingungen ein Haus zu suchen, in dem es mir wenigstens möglich sei mich im Englischen taktfest zu machen. Ein solches hab' ich hoffentlich gefunden; ich bezahle hier wöchentlich ι Γ Λ Guineen, wofür ich indeß mit Ausnahme von Wein und Feuerung alles frei habe, und befinde mich viermal des Tages beim breakfast, lunch, dinner und tea im Kreise einer wohlanständigen und wie mir's scheint auch liebenswürdigen englischen Familie, die - und das ist die Hauptsache - sogar das Maul aufthut. Wir müssen nun abwarten, was sie aus mir machen wird. - : Daß ich im Uebrigen Mannigfaches erlebt und gelernt habe versteht sich von selbst; und wenn ich den Nutzen und die Anregungen dieser letzten 8 Wochen mit 3 multiplizire (wie ich das der Zeit nach darf)
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(engl.) sinngemäß - Bitte, legen Sie Kohlen nach.
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(engl.) sinngemäß - D a r f ich Sie bitten, mir etwas Brot zu besorgen?
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(engl.) sinngemäß -
Herr Ober, heute keinen Lachs, seien Sie so gut
-
Steinbutt! 55
Eggers w a r offenbar mit einem Schotten befreundet. In den Aufzeichnungen der Freunde fand er jedoch keine weitere E r w ä h n u n g .
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T h o m a s Solly. Fontane nahm bei ihm im Herbst 1 8 5 1 Sprachunterricht. Siehe Fricke 1 , S. 2 2 .
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
so gibt es immer ein Sümmchen, was mich nie wird bereun lassen gethan zu haben wie ich that. Daß der Nutzen mit jedem Tag wachsen muß liegt auch auf der Hand. Ich werd' ihn dann erst im vollsten Maaße haben, wenn ich der Sprache durchaus mächtig bin und verschiebe [eingefügt: ich] drum auch das in Augenschein nehmen der wichtigsten Punkte auf die letzten Wochen meines Aufenthalts hier, wo mir dann denk' ich kein Wort und keine Sache verloren gehen soll. Bei BunsenS7 war ich 2 mal: zu breakfast und lunch. Schöne weite Räume, Livreebediente, excellente Speisen, freundliche Bewirtung, lebhafte Unterhaltung und Anekdoten in allen Sprachen (nur die „ungrischen" unsres Freundes Wollheim da Fonseca58 vermisst ich.) Man sitzt dabei wie ein Hammel und denkt wahrhaftig manchmal, nun wird man selber tranchirt werden; - selbst fressen kann man nur mit halber Gewandtheit. Zu erwarten hab' ich von Bunsen gar nichts: Caesar hatte kein Wohlgefallen an den magren Leuten,59 ich halte nichts von den Dicken: sie schlagen sich den Pansch voll und lassen die andern hungern, daß ihnen die Schwarte knackt. Er ist befreundet mit Beseler; ich wette drauf, der ist auch so: lauter vortreffliche Leute - klug, fein und wissenschaftlich gebildet, reell, gute Gatten und Familienväter, aber Alle Bekenner jener großen Wahrheit: „wenn er nichts zu essen hat, so laßt ihn hungern!" Diese Leute sind sehr würdig, aber ich liebe sie nicht sehr. - Nun ein Paar kurze Notizen aus der Gesellschaft. Bunsen fragte mehrfach nach Geibel (auf dessen 2.7 Auflagen - man sieht, so was hilft doch - er gelegentlich zurückkam)60 und sprach den lebhaften Wunsch aus, ihn kennen zu lernen.
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Christian Karl Josias Freiherr von Bunsen, Gesandter Preußens in England. Anton Eduard Fontane Wollheim da Fonseca. Fontane spielte hier auf Wollheims Sprachtalent an, mit dem dieser zuweilen auch renommierte. Siehe Fontanes Charakteristik Wollheims in FABS II, S. 1 9 7 - 2 0 0 . nach Shakespeares Julius Caesar, I, 2: „Let me have men about me that are fat" („Laßt fette Männer um mich sein") Emanuel Geibel, dessen 1 8 4 0 in Berlin erschienene Gedichtausgabe rasch hintereinander zahlreiche Auflagen erfuhr. Als er starb, kam die hundertste Auflage heraus. Geibel lebte, ehe er im selben Jahr, 1 8 5 2 , nach München an den bayerischen Hof ging, in Berlin und war Mitglied des Tunnel (Bertrán de Born).
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Von Bernays war die Rede, der - aus dem Ton des Alten ging es hervor - dort als Stern erster Größe zu leuchten scheint. Mit dem jungen Bunsen 61 , einem netten Kerl, der bald nach Paul in Bonn studirte,62 sprach ich über diesen. Ich sagte mit verbindlicher Wahrheit: „da haben wir eine werdende Größe!" „oder Kleinheit" entgegnete er rasch; er gab vor, in allem (Francesca, Margerita, Urica)63 nur „Formvollendung" gefunden zu haben. Ich eiferte, namentlich was die „Francesca" angeht, mit Ueberzeugung dagegen, doch wurden wir unterbrochen. Grüße Paul vielmals und sage ihm ich wollte froh sein, wenn ich meinen vorjährigen Becher so ehrlich verdient hätte wie er seine beiden Pettschafte [!]. Vor allem empfiehl mich Kuglers sammt und sonders, wenn's sein darf auch Frl. Emma Bayer 64 , Du aber leb mir recht sehr wohl und laß, wenn Dir's passt, mal von Dir und der Berliner Heimath hören. Dein Th. Fontane. 65 Viele Grüße auch an Schallehn und, wenn Du schreibst, an Spitta66; ich entsinne mich jenes Nachmittags, wo wir den alten Thürmer sterben ließen, mit vielem Vergnügen. Wenn Du wegen Deines Kunstblattes vielleicht hier etwas gethan haben willst, d. h. Besorgungen (von Schreibereien kann keine Rede sein) so laß mich das wissen; ich bin sehr gern zu Gängen bereit. Das Art-Journal 67 findet man hier auch in kleineren Etablissements; ich wünschte Dir eine ähnliche Verbreitung. - Die Times brachte neulich eine Pariser Korrespondenz,
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Georg von Bunsen. Paul Heyse studierte von 1 8 4 9 - 1 8 5 0 Kunstgeschichte und romanische Sprachen in Bonn. Es handelt sich um literarische Arbeiten von Paul Heyse: Francesca von Rimini (Tr., 1 8 5 0 ) , Margherita Spoletina und Urica (Novellen in Versen), die um 1 8 5 1 entstanden und zuerst im Tunnel zum Vortrag kamen. Emma Baeyer. nicht ermittelt. Möglicherweise handelt es sich hierbei um Heinrich Helmerich Ludwig Spitta ( 1 7 9 9 - 1 8 6 0 ) , einen aus Rostock stammenden Arzt und Dichter, der sich zeitweilig bei Eggers als Logiergast einquartiert hatte. Eggers erwähnte Spitta Storm gegenüber in seinem Brief vom 1 3 . Februar 1 8 5 5 . Spitta stand in Verbindung zur Familie Baeyer. englische Kunstzeitschrift.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
worin die Auktion der Soultschen Galerie 68 ausführlich besprochen wurde. Ich lese die Times regelmäßig und würde Dir solche Sachen ausschneiden, wenn ich wüßte sie wären von Interesse für Dich. Th. F.
Nr. io Theodor Fontane an Friedrich Eggers London d. 1 3 — Sept. 52. Mein lieber guter Eggers. Bald bin ich wieder unter Euch, 69 daher nur wenige Worte. Zuerst Dank für Deinen Brief, 70 der ordentlich unanständig liebenswürdig war, denn soviel Verbindlichkeiten hab' ich nie [verbessert aus: nicht] zu hören gekriegt, wenn ich auch alles zusammenrechne womit seit den Tagen des Pipi-Rocks meine Eitelkeit gekitzelt worden ist. Zweitens von Gruner. 71 Ich war da; er futterte gerade; wenn er gewußt hätte wie hungrig ich gerade war hätt' er mich vielleicht herein gerufen, - so hatt' ich nur die Ehre seinen Groom kennen zu lernen und ihm Brief und die Bestellung einzuhändigen, daß ich geneigt wäre dies und das an den D 1 Eggers zu befördern. Er schickte mir einen Brief (den ich heut beilege) und ein Ding ohngefähr wie ein Notenbuch. Ich frage nun an, ob es mit dem letztren Eile hat? Am 30— spätestens denk' ich in Berlin zu sein, danach magst Du urtheilen. Brauchst Du's nothwendig früher, so schreib' es mir (to the care of Mrs. Brew &c Schweitzer) Brighton, 7 1 . East Street
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Die Gemäldesammlung, die im Spanienkrieg 1 8 1 1 - 1 8 1 3 von Marshall N i c o las-Jean Soult, Herzog von Dalmatien, erbeutet worden war, w u r d e für fast 1 , 5 Millionen Francs versteigert.
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A m 2 5 . September trat Fontane über Aachen wieder die Heimreise an.
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nicht überliefert.
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Z w e i Briefe von L u d w i g Gruner aus dem J a h r 1 8 5 2 haben sich in der L B K , T N L Friedrich Eggers erhalten. In ihnen findet Fontane keine E r w ä h n u n g . Sie bezeugen aber Eggers' Verbindungen. Gruner w a r sowohl im politischen als auch im Kunsthandelgeschäft aktiv. E r engagierte sich aus dieser Konstellation heraus für das Deutsche
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Kunstblatt.
Nr. i o
1 3 . September 1 8 5 2
Drittens, w e n n D u Lepel siehst oder w e n n er nach Bellevue 7 2 zurück gekehrt ist so schreib's ihm wenigstens, daß ich nicht nur wie er mich genannt ein „ D u c k m ä u s e r " , 7 3 sondern auch sogar ein Esel sei, sonst w i i r d ' ich lange an ihn geschrieben haben. A b e r ich habe w i r k lich sehr viel zu thun. Die Zeitung, die Familienbriefe, und dann will man doch auch w a s sehn und lernen, dazu ist man nun doch mal hier. Viertens wirst D u (ohne Namensnennung) eine lange Pauke über Dich oder wenigstens [eingefügt: über] eines Deiner Werke in einem Londoner Briefe betitelt „ A l t e Helden neue S i e g e " 7 4 finden. Dies
zu
thun war mir seltsamer
Du
Deinen
Weise an demselben
Brief an mich schreibst
Tage beschlossen
und mich dazu
wo
auffordertest.
Pries sah ich gestern vor 8 T a g e n . 7 5 E r ist w o h l , er grüßt. Im O h r w ä c h s t auch ein Polyp, doch es ist noch ein Kind und macht wenig Umstände. E r ist darüber gar nicht besorgt, denn die Operation ist einfach und ungefährlich. Empfiehl mich Kuglers, grüße Schallehn, Spitta, 7 6 und vor allem Paul w e n n D u schreibst von Deinem T h . Fontane. 72
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Fontanes Freund Bernhard von Lepel hatte einen Wohnsitz in Bellevue (BerlinKöpenick). Bernhard von Lepel hatte am 3. August 1 8 5 2 Fontane mangelnde Flexibilität gegenüber dem Gesandten Bunsen vorgeworfen. Dadurch habe er wieder eine Chance zu seinem Glück verpaßt: „Nun, es sollte nicht sein, oder vielmehr, es kann nicht sein, mit Dir nehmlich kann es nie u. nimmer etwas sein u. werden, denn Du hast eine Dosis Duckmäuserthum in Dir, die stets Deine Flügel lähmt." FLBW 2, S. 20. Diesen Artikel druckte Preußische (Adler-)Zeitung am 1 2 . November 1 8 5 2 . Siehe Ein Sommer in London. „Mir fiel ein Gedicht, halb Lied halb Ballade ein, das eine ähnliche Situation behandelt wie die, der ich zuschritt; und während das Mißbehagen wieder lebendig in mir wurde, mit dem ich das sonst zierlich und reizend gearbeitete Gedicht stets betrachtet hatte, stand ich einem Augenblick auf dem Punkte, das seltsame Schauspiel daran zu geben. Jene Ballade spricht von einem alten Stelzfuß, der - einst Schillscher Husar und mit unter den Kämpfern von Stralsund - nun im geflickten Kollett inmitten der Jahrmarktsbuden steht und vergnüglich dem Karussellspiel der Kinder zuschaut." HF HI/3,1, S. 1 4 3 . Fontane bezog sich auf Eggers' Gedicht Der Reitersmann. In: Eggers Gedichte, S. 1 3 3 - 1 3 4 . Fontane besuchte Robert Pries, folgt man seinem Tagebuch, das für diesen England-Aufenthalt allerdings nur bis zum 30. Juni 1 8 5 2 überliefert ist, sonntäglich. Siehe Fontane an F. Eggers, 2. Juni 1 8 5 2 . 89
Teil I Nr.
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers Ii
Theodor Fontane an Friedrich
Eggers
[Berlin, Ende Februar, Anfang März
1853?] Dinstag.
Mein lieber Eggers. Nachdem ich durch hunderttausend Schnurrpfeifereien endlich glücklich hindurch bin, muß nun das „ J a h r b u c h " 7 7 mit Macht in Angriff genommen werden. Ich komme zu Dir mit zweierlei Anfragen, einmal mit solchen die sich direkt an Dich richten, zweitens mit Vorstellungen die [eingefügt: eigentlich] für Kugler bestimmt sind, [gestrichen: und] die ich aber in Hinblick auf seine Krankheit jetzt (persönlich) vorzutragen unterlasse. Da Du indeß den Stand der Sachen in 2 4 2 7 8 tagtäglich übersiehst, so bitt' ich Dich die betreffenden Fragen an K. so bald zu richten, als es ohne Nachtheil für ihn geschehen kann. Zunächst Deine eigne Mitarbeiterschaft! Wie steht's damit?! Deine beiden Concurrenz-Balladen 79 hab' ich durchgelesen, zum Theil mit großer Befriedigung aber doch nicht mit durchgängiger. (trotz Kugler) „ H e r a i d a "
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Mir scheint
besser zu sein; es ist reicher an Schönhei-
ten. Der Grundgedanke im „ R a d g a r " 8 1 ist vortrefflich, doch tritt er nicht schlagend genug hervor. Meine Anfrage an Dich geht nun dahin,
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Nachdem man im Rüth-Kreis zuerst eine kritische Zeitschrift geplant hatte, entschloß man sich zur Herausgabe eines belletristischen Jahrbuches, das 1854 unter dem Titel Argo herauskam. Als Herausgeber zeichneten Theodor Fontane und Franz Kugler verantwortlich. Siehe: Roland Berbig, Wulf Wülfing: (Art.) Riitli II in: Handbuch literarisch-kultureller Vereine. Stuttgart: Metzler 1997 (erscheint demnächst). Franz Kugler, der an einer schweren Grippe erkrankt war, wohnte in der Friedrichstraße 242, dem Haus seines Schwiegervaters Julius Eduard Hitzig. Im Tunnel über der Spree wurden in unregelmäßigem Abstand sogenannte Konkurrenzen ausgeschrieben, die eine poetische Aufgabe stellten und den besten Text honorierten. Im März 1853 ging es um die beste Ballade. An dieser Konkurrenz beteiligten sich Fontane, Eggers und auch Kugler, der den Preis mit dem Gedicht Opfer vor Fontanes Wangeline, die weiße Frau gewann. Eggers Gedichte, S. 148. Im Tunnel wurde dieses Gedicht mit „sehr gut" bewertet. FABS III/i, S. 340. Eggers Gedichte, S. 152. Auch dieses Gedicht wurde im Tunnel mit Beifall und der Bewertung „sehr gut" aufgenommen. FABS III/i, S. 340.
Nr. I i
Ende Februar, Anfang März 1 8 5 3
ob Du Dich - vorausgesetzt daß wir uns über einzelne Schwächen einigen - zu einer kleinen Umarbeitung des einen oder andern Gedichtes verstehen würdest. Ferner: wie steht's mit einer Künstler-Biographie?! Kriege einen Lebenden beim Schöpf, oder lasse die Todten auferstehn, gleichviel! nur schaffe irgend was. 82 Ich seh einer bestimmten Erklärung über diesen Punkt von Dir entgegen, damit ich ohngefähr berechnen kann, wie sich's mit dem Räume macht. Nun also für Kugler. Zuerst, wie gefällt ihm der Titel „Ascania, belletristisches Jahrbuch usw. Weil wir nämlich alle zwischen Elbe und Oder zu Hause sind, die wir uns an dem Buche betheiligen, so sucht' ich nach einem Wort das dies Landsmannschaftliche ausdrücken möge. Ich fand nichts, bis mir plötzlich obiges Wort durch den Kopf schoß. Es hat eine doppelte Bedeutung: einmal weil das Buch in Dessau erscheint, dann weil die Mark Brandenburg ursprünglich Besitzthum der Askanier war. Jedenfalls ist es ein hübsches Wort. Weiter! Ich bin doch (zum Theil um dem Buche den Charakter eines norddeutschen Musen-Almanachs zu leihen) der Meinung, daß es gut wäre noch ein paar gute Poëten mit heran zu ziehn, namentlich auch Lyriker, damit wir nicht in unsrem Balladenfett ersticken. Ich proponire zuvörderst Paul den Römer 83 , der irgend was 'rausrücken muß; er wird doch in Jahr und Tag ein Paar Liedchen geschrieben
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Friedrich Eggers sollte für das Jahrbuch einen derartigen Text verfassen. In der Argo wurde jedoch nur ein Essay veröffentlicht und zwar Kuglers Aufsatz Shakespeare's Bühne und Kunstform. Von Eggers kamen die beiden genannten Balladen und die Gedichte in niederdeutscher Mundart Dat Oog, De Tokünftig, Bedrövniß, Wedder to Hus, Kopp un Hart und Dreeklang in das Buch. Paul Heyse hielt sich seit September 1 8 5 z mit einem Stipendium des preußischen Staates zur Erforschung unveröffentlichter romanistischer Handschriften in Italien auf. In der Bibliothek des Vatikans wurde er bei unerlaubten Abschriften ertappt und erhielt Benutzungsverbot, so daß er die Stadt bald verließ. Siehe Paul Heyse. Münchner Dichterfürst im bürgerlichen Zeitalter. Katalog zur Ausstellung in der Bayerischen Staatsbibliothek vom 2 3 . Januar bis I i . April 1 9 8 1 . Ausstellung und Katalog Sigrid Moisy unter Mitarbeit von Karl Heinz Keller. München: Beck 1 9 8 1 . S. 3 6 - 4 5 .
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
haben! 2) Otto Roquette (dessen Breitschlagung Du übernehmen würdest) 84 3) Claus Groth, an den ich mich wenden werde, sobald ich durch Storm seine Adresse erfahre 85 4) Scherenberg, der doch nun 'mal - und, trotz meiner Opposition, mit vollem Recht - sein Publikum hat und eine gewisse Monotonie unsrer Arbeiten mit Glück unterbrechen würde. 8 6 Lepel oder ich müßten ihn angeln. Auch von Storm h o f f ich noch kleine Sachen los zu eisen. 87 - Kann ich mir von K. die Merckelschen Opera 8 8 vielleicht holen lassen?! Dein Lafontaine.
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Otto Roquette. Eggers hatte Roquette 1848 in der Bürgerwehr kennengelernt und ihn in die Berliner Kreise eingeführt. Roquette schilderte die Begegnung in seinem Erinnerungsbuch Siebzig Jahre. Geschichte meines Lebens. Erster Band. Darmstadt: Bergstraeßer 1894 im 16. Kapitel S. 2.34-255. Klaus Groth. Verfasser der Dichtung Quickborn, die 1853 in zwei Auflagen erscheinen sollte. Fontane hatte am 19. März 1853 bei Storm wegen einer Vermittlung zu Groth angefragt. STFBW, S. 23. Auf seinen Brief an Groth vom 5. Mai 1853 ließ dieser Fontane über seinen Freund Karl Müllenhoff mitteilen, daß eine schlimmer Erkrankung seine Beteiligung verhindere. Vgl. Fontanes Brief an Storm vom 25. Mai 1853. STFBW, S. 35. Zur Haltung Groths der Argo gegenüber siehe Theodor Storm - Klaus Groth. Briefwechsel. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Boy Hinrichs. Berlin: Schmidt 1990. S. 1 0 1 - 1 0 6 . 1 8 5 6 kam es zwischen Friedrich Eggers und Klaus Groth über dessen Beteiligung an der Argo zu einer scharfen Kontroverse, da sich Groth, angestachelt durch den verächtlich gegenüber dem Berlintum des Kreises um das Jahrbuch vermittelnden Karl Müllenhoff, nachlässig behandelt fühlte. Siehe Groth Briefe, S. 1 0 und 70-73. Christian Friedrich Scherenberg. Von ihm wurden im ersten Jahrgang der Argo keine Beiträge aufgenommen. Von Storm erschienen im ersten Jahrgang die Geschichte Ein grünes Blatt und die Gedichte Im Herbste i8jo, Abschied, Trost, Mai, Nachts, Aus der Marsch und Gode Nacht. Wilhelm von Merckel steuerte für die Argo - neben dem Mottogedicht, das im September verhandelt wurde - die Geschichte Ein Freund und Der Frack des Herrn von Chergal bei.
Nr. 1 2
April 1853
Nr. 12 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [April 1853?] Sonntag. A n den Verfasser des Radgar und künftigen Inhaber eines beschnittenen Preis-Louis d'ors, 8 9 Herrn Friedrich Eggers aus Rostock. Mein lieber Eggers. Beifolgend die mit vielem Fleiß zugestutzten Auszüge aus den Wysocki'schen Memoiren. 9 0 Ich habe eben das Ganze noch mal durchgelesen und find' es wirklich leidlich interessant. Liebt Behm 9 1 derartige Mittheilungen, so kann ich noch einen zweiten Aufsatz, eine A r t Genre-Bild, folgen lassen, der den Aufenthalt der Ungarn und Polen in der türkischen Festung Widdin bespricht. 9 2 89
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Der Preis für die Konkurrenz über die beste Ballade, an der sich Eggers mit dem Gedicht Radgar beteiligte, betrug einen Louisdor. Die Auszahlung der Preisgelder des kaum flüssigen Tunnel stellte den Verein, wie Fontane als Protokollant berichtete, vor kleinere Schwierigkeiten. FABS III/i, S. 3 1 6 . nicht ermittelt. Carl Friedrich Behm, mit dem Eggers auf gutem Fuß stand, plante im Herbst 1 8 5 2 die Gründung einer neuen Zeitung, der Rostocker Zeitung, für deren Feuilleton er Eggers' Mitarbeit erhoffte. Eggers vermittelte das Angebot weiter an seine Freunde und konnte Fontane für diese sich abzeichnende Publikationsmöglichkeit gewinnen. Wie die Briefe Behms an Eggers zeigen, in denen Fontane unerwähnt bleibt, erwies sich als Problem, mit welchem Text im Feuilleton die Zeitung zum ersten Mal vor ihre Leser treten sollte. „Etwas sozialpolitisches (nicht sozialistisches) im demokratischen Geist der Rost. Ztg. wäre für den Anfang wohl das Zweckmäßigste", schrieb er am 19. Dezember 1 8 5 2 an Eggers und äußerte sich bei dieser Gelegenheit auch zu Leo Goldammers Novelle, die ihm Eggers geschickt hatte: „So hübsch viele Schilderungen und so spannend der Faden des Ganzen auch ist, leidet [die Novelle] abgesehen von ihrer preußischen und royalistischen Färbung an einem Umfang, der mich wünschen läßt sie einstweilen, bis das Feuilleton sich mehr entwickelt hat, noch bei Seite zu legen." Goldammer war T«»«e/-Mitglied und veröffentlichte auch im ersten Jahrgang der Argo. Skeptisch zeigte sich Behm hinsichtlich des von Eggers Gesandten, wenn „das specifisch Berlinische" vorherrschte. Widdin, Stadt in Bulgarien, am rechten Ufer der Donau, unweit der serbischen Grenze. Von hier aus begann Omer Pascha im Oktober 1853 mit dem Übertritt über die Donau und der Besetzung von Kalafat die Feindseligkeiten gegen Ruß-
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Im Uebrigen befind' ich mich in den miserablesten Geldverhältnissen, so daß Du mir einen großen Dienst erweisen würdest, wenn D u Freund Behm zu Einsendung des kleinen Betrages veranlassen könntest. Genirt es Dich, so laß es mich wissen, damit ich sonst w o anpurre. Gehst D u aber darauf ein, so heißt es diesmal geradezu: bis dat qui cito dat 9 3 , denn die Ellora-Mutter 9 4 macht bereits sehr bedenkliche Gesichter. Dein Lafontaine. Die Aufsätze für Zarncke schick' ich morgen oder übermorgen. 9 5 Viel Vergnügen im Tunnel! Grüße Robbing und die Brüder. 96
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land, die als Krimkrieg in die Geschichte eingingen. Fontane verfaßte also allem Anschein nach weitere Artikel für die Rostocker Zeitung, die bislang nicht ermittelt sind. (lat.) doppelt gibt, wer schnell gibt. Emilie Fontane. Sie gehörte als Fontanes Frau zum Ellora-Kreis, wo sie sich besonderer Wertschätzung und Zuneigung erfreute, was ihr die von Eggers benutzte Ehrenbezeichnung einbrachte. Gemeint waren die anonym erscheinenden Besprechungen aus dem TunnelKreis im Literarischen Centralblatt, das Zarncke herausgab. Lepel erwähnte in seinem Brief an Fontane vom 9. Januar 1853 „acht kleine Kritiken" (FLBW 2, S. 37). Bislang fehlt eine verläßliche Übersicht der für dieses Blatt besprochenen Bücher und ihre Beiträger. Die Verbindung zu Zarncke, selbst Mecklenburger von Herkunft, hatte Eggers hergestellt, der mit ihm 1844 gemeinsam in Rostock studiert hatte. Zarncke hatte am 28. September 1 8 5 1 bei Eggers angefragt, ob er „in B. nicht ein paar Leute zur Hand [habe], aus denen ich einen tüchtigen Referentenkreis für Poesie (extra Dramen) construiren könnte." Am 4. Dezember 1 8 5 1 bestätigte Zarncke einen Brief Eggers', in dem der ihm „einen Kreis intelligenter Kunstrichter" in Aussicht stellte, mit dem der „Mangel einer Besprechung der belletristischen Literatur, in erwünschtester Weise auszufällen" wäre. LBK, Briefe an Friedrich Eggers. Sig. Cb 60,56: 591. Zum weiteren Gang der Zusammenarbeit siehe Einleitung. Robbing - Spitzname von Robert Eggers; die anderen Brüder von Friedrich Eggers waren Heinrich, Kaufmann und später Erster Buchhalter der Rostocker Bank, Ernst, Buchbinder, Karl, Jurist und späterer Senator, Gustav, Musiker und Komponist, und Wilhelm, Pastor. Fontane kannte Karl, Gustav und Robert näher.
Nr. 1 3
April 1 8 5 3
Nr. 13 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [möglicherweise April 1853]97 Montag. 27 Leichtsinniger Gentleman Du! mir ohne weiteres Geld zu schicken und von Wiederkriegen sprechen! Brauchst Du es selber nöthig, so schlag' ich vor zu theilen; ich bin nämlich dermaßen abgebrannt, daß ich - bevor ich nicht durch die Gelder von Katz 98 'rausgerissen werde - an Abzahlen gar nicht denken kann. Vielleicht aber entschließt sich Behm doch zu einem Abweichen von der Geschäftsordnung und dann ertheil ich Dir Vollmacht in meinem Goldklumpen zu wühlen." Im Uebrigen dank' ich Dir herzlich für Deine große Freundlichkeit; wenn ich für meine Calamitäten auch immer den humoristischen Ausdruck wähle, so fühl ich doch die Mißlichkeit der Situation nicht minder. Deine Philippika gegen den Concurrenz-Schwindel ist wohl zur Hälfte Spaß, doch verkenn' ich nicht, daß die Sache auch eine ernste Seite hat. Was übrigens den Radgar und die Heraida angeht, so weiß noch bis diesen Augenblick kein Mensch sicher, wo der Verf: zu suchen ist und wo nicht. 100 Daß das Opfer umgekehrt nur von K . 1 0 1 sein kann, fühlt jede alte Frau mit dem Krückstock heraus. Uebrigens scheint es mir andererseits, daß Dir aus der Munklung über den Verf: des Radgar kein Schaden erwachsen ist, denn K. hat das Gedicht voll-
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Für diese Datierung sprechen die Bemerkungen zur Konkurrenz im Tunnel, die im Februar und März veranstaltet wurde. 98 Moritz Katz hatte 1 8 5 1 Fontanes Von der schönen Rosamunde verlegt. 99 Eggers hatte für Fontane eine Verbindung zur Rostocker Zeitung hergestellt. Der Hinweis auf die Geschäftsordnung wird sich auf die gewünschte Vorauszahlung beziehen. 100 vgl. Brief Nr. n . Die Konkurrenzgedichte wurde im Tunnel ohne Angabe der Verfasser eingereicht, um weitgehende Objektivität zu wahren. 101 Franz Kugler.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
endet genannt und ich find' es - schon seinem bloßen Stoff nach vortrefflich. Manuskript für B. 1 0 2 wird besorgt. Nochmals habe Dank Dein Lafontaine. Besuch mich gelegentlich! mir gehts noch immer schlecht. 103 -
Nr. 14 Friedrich Eggers an Theodor Fontane Bin [gestrichen: April] 20 Juni 1 8 5 3 . An d. Schleuse 8. Mein lieber Fontane, Du prüfst mich allzu hart! von Deiner Senne Kommt Pfeil auf Pfeil mir in die Brust geflogen 104
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Wahrscheinlich war der Beitrag für die Rostocker Zeitung gemeint, so daß deren Redakteur Behm gemeint ist. Anfang März war Fontane an einer Grippe erkrankt, die sich im Sommer zu einer lebensgefährlichen Lungenerkrankung verschlimmerte. Sein Zustand verschlechterte sich derartig, daß ein mehrwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus Bethanien erforderlich wurde. Die Verse stammen aus dem LH. der Sonette von August Graf Platen von Hallermünde, die das zweite Buch seiner Gedichte ausmachen. Die Verse lauten korrekt: „Du prüfst mich allzu hart. Von deiner Senne/Kommt Pfeil auf Pfeil in meine Brust geflogen:/Du hast mir mehr als einen vorgezogen,/Den ich als Körper ohne Seele kenne.//Doch während ich in deiner Flamme brenne,/ Bekämpf ich stets in mir die stürm'schen Wogen,/Damit ich zürnend nicht und oft betrogen/Mit einem bittern Namen dich benenne!//0 nein, Geliebter! Keine Klage schände,/Von schwarzem Unmut weibisch hingerissen,/Den liebenswürdigsten der Gegenstände ¡//Wenn meiner Freundschaft nie du dich beflissen,/War mein die Schuld: man beut ja nicht die Hände/Zum Bunde bloß, man muß zu fesseln wissen." Platens Werke, hrsg. von G. A. Wolff und V. Schweizer. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe. Leipzig, Wien o.J. [1895]. L Bd., S. 156. Diese Platen-Anspielung illustriert die Zeilen an Fontane nicht nur. Das komplette Gedicht, dessen Kenntnis bei Fontane vorausgesetzt werden kann, gleicht einer unverstellten und weitgehenden Selbstpreisgabe Eggers', der im Briefwechsel eine Ausnahmestellung zukommt.
Nr. 14
Juni 1853
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Teil I
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Seid Ihr nicht wie die Weiber, die wenn man etc etc. 1 0 5 Haben wir denn ganz vergeblich neulich auf Deiner Stube ein ellenlanges Gespräch geführt? Ist wirklich gar nichts dabei herausgekommen? - Bin ich auch am Ende eine Art Prügelpage und D u selbst der Dauphin 1 0 6 ? Deine ewigen Vorwürfe, daß ich verstimmt sei, verletzt, ver- ich weiß nicht was - sei, treffen mich immer wie Essig aus der Weinflasche, völlig unvermuthet und genau dann, wenn meine arme Seele am entferntesten davon ist. Aber es wird Dir doch nicht gelingen, mich darüber verstimmt oder böse zu machen. Trotzdem, daß Du es nicht glauben wirst, vielmehr Dein schneidend hartes Wort wiederholen wirst: „Wer steht mir dafür, daß Du nicht jetzt Comödie mit mir spielst?" - so muß es doch hier stehen, daß das, was Du, wenn ich manchmal etwas stiller werde, für Verstimmtsein hältst, nichts ist, als eine gewisse stille Traurigkeit, die aber mich ganz allein angeht. Ich bedaure dann, daß meine Kräfte in so schlimmen Verhältniß zu meinem Willen stehn und ich Euch nicht genug sein kann. Dafür giebt es kein anderes Mittel, als sich seiner Stelle bewußt zu sein und keine andere einnehmen zu wollen. Und denk' ich daran, so bin ich wieder heiter. Verdient dieser unschuldige innerliche Prozeß, daß man so viel Reden von ihm macht? Deine angenehme Wendung, daß der Rütli meine Schöpfung sei, irrt mich eben so wenig, als Deine Vorwürfe mich irren. Beides ist unverdient. 1 0 7 Die darniederliegende wissenschaftliche Kritik bedurfte unbestochener Organe; so entstand das Centralblatt. 1 0 8 Dieses bedurfte eines belletristischen Areopags 1 0 9 ; so entstand der Rütli. Die allgemeine 105
Anspielung auf das Buch H i o b 2,1: „ D u redest, wie die törichten Weiber reden. Haben wir Gutes empfangen von G o t t und sollten das Böse nicht auch annehmen?"
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ursprünglich Herrschertitel der Grafen von Vienne, der souveränen Herren des Dauphiné, später Titel des präsumtiven Thronerben von Frankreich. Fontane, und nicht nur er, nannten Eggers den Vereinsstifter des Rütli, sahen Franz Kugler aber als den eigentlichen Kopf des Kreises. Vgl. Fontanes Toast auf Franz Kugler. Zum 9. Dezember 1854. Gedichte 3, S. 59. Literarisches Centralblatt für Deutschland, Wochenschrift, seit 1 8 5 0 in Leipzig bei Avenarius und Mendelssohn hrsg. von Friedrich Zarncke. Eine Reihe von Tunnelmitgliedern waren regelmäßigen Beiträger in diesem Rezensionsorgan.
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(griech.) im ältesten Athen oberster Rat und gleichzeitig Bezeichnung für die Beratungsstätte.
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Nr. 1 4
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Entwicklung läßt die Dinge werden, nicht wir. Daß ich das Zündholz war, das Eure Pulvermine in Brand steckte, ist ohne Belang. Zündhölzer werden in Packeten zu 1000 verkauft. - Ich kann's auch von der anderen Seite konstruiren; Blick' ich in mich, so seh' ich, daß ich eine Zündholz* und BindfadenNatur bin. Ich soll nicht große Dinge machen; aber ich soll sie vermitteln und machen helfen; hier zusammenbinden, was zusammengehört, dort anzünden, was brennen soll. Das wär' ein schlechter Bindfaden, der sich mit dem Papier, das ein schlechtes Zündholz, das sich mit dem Pulver verwechseln wollte. Diese Vorstellung düftele ich mir nicht jetzt erst heraus, um Dir eine Antwort auf Deinen Brief zu geben. Sie ist gottlob in mein Bewußtsein übergegangen; ich habe sie immer präsent und kann also immer ihr gemäß handeln. Also keine Mißverständnisse! - Ich kann auch durchaus nicht einen halben Schritt zur Wiederherstellung einer entente cordiale 110 thun, weil ich nirgend eine gestört sehe, wenigstens meinerseits nicht. - Hat Dir K . 1 1 1 etwa von meiner Äußerung gesagt, daß ich aus dem R . 1 1 2 ausscheiden wollte? - Und hast Du daran wieder schwarze Vermuthungen geküpft? - So muß ich Dir sagen, daß ich keinen andren Grund habe, als den ihm gesagten. Ich muß mein bischen Zeit zusammennehmen, um mir endlich eine Art Stellung zu erringen, 113 damit ich wie K. Borm. 1 1 4 u. Immerm 115 , die Glücklichen, neben Amtsgeschäften, die mich ernähren, ruhige Stunden erübrige, in denen ich, was mir am meiste[n] am Herzen liegt, unsere Kunst, die wir alle pflegen und die uns eint, ungequält betreiben kann. Ich hab' keinen andren Grund. Meine Mission ist auch einstweilen erfüllt, da ich Euch beisammen weiß. - Daß ich von Sonnabend zu Sonnabend aufschob,
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(lat., frz.) herzliches Einvernehmen, auch im Sinne von Staatenbündnis. Franz Kugler, mit dem Eggers vertrauteren Umgang hatte als die anderen aus dem Freundeskreis. Rüth. Die Briefe, die Eggers in diesen Jahren nach Rostock an seine Eltern schrieb, berichten von zahllosen Versuchen des Sohnes, sich beruflich eine gefestigte Stellung zu verschaffen. 1 8 5 3 spekulierte er u. a. mit einer Professur an der Akademie in Berlin.
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Karl Bormann.
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„Immermann" - Wilhelm von Merckel. Eggers spielte auf dessen gesicherte Stellung als Kammergerichtsrat an.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
das zu sagen, liegt in der Anziehung, die der R . 1 1 6 für mich h a t . 1 1 7 Ich geh da herum zwischen Euch, wie Einer der mit halb bösem Gewissen von süßen, verbotenen Früchten nascht und Ihr konstruirt Euch da einen albernen, verstimmten Menschen heraus. Apollo verg e b t Euch! Sieh mal, das thut mir fast weh: Ich war gestern den vollen halben Tag mit Κ 1 1 8 zusammen. Wir sprachen von allem möglichen. Ich auch ganz unbefangen - nicht ahnend was wieder für schwarze Meinungen über mich gingen - über unser Buch 1 1 9 , Paul's Gedichte 1 2 0 u.s.w. ich genoß das Glück, das ich immer habe, wenn ich mit Κ verkehre, so daß nur der Respect mich abhält, ihm zuweilen aus dem Stegreif um den Hals zu fallen und mit Gretchen zu sagen: „ D u lieber Mann, wie lieb' ich D i c h ! " 1 2 1 - Und doch hat er mir Nichts von Eurem Gespräch gesagtl Und [gestrichen: doch] er weiß doch, daß ich ihm einmal mit einem feurigen, dankbaren Kuß geantwortet habe, als er zu mir sagte: „ D u , das und das verstehst Du nicht, da bleib davon!" - weil meine Freude zu sehen, daß Er sich unterweisend um mich bekümmerte, größer war, als meine Traurigkeit darüber, daß ich etwas nicht verstand, was ich so gern verstanden hätte. Du, verbrenn' dies; ich liebe nicht, daß solche Geständnisse und Bekenntnisse, die man eigentlich nur mit sich und seinem Gott abzumachen hat, schwarz auf weiß von mir existiren! Um nun zum Schluß zu kommen. Hier sind [gestrichen: einige] zunächst die Balladen und noch einiges andere dazu, auf K's neuliche Aufforderung. Streiche an wirf fort, was D u willst. Seit ich weiß, daß Lepel auch nur mit Wenigem kommt, 1 2 2 ich also nicht der Einzige bin, besteh' ich auch nicht mehr darauf, mit mehr als einem Pröbchen dabei zu sein.
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Rütli. Das Rütli tagte jeden Sonnabend am späten Nachmittag. Franz Kugler. Argo, das Jahrbuch, an dem man arbeitete. Im Jahrbuch wurden neben der hoch bewerteten Erzählung La Rabbiata Paul Heyses Lieder aus Sorrent abgedruckt. Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Eine Tragödie. Erster Teil. Szene: Ein Gartenhäuschen. Eigentlich: „Bester M a n n ! von Herzen lieb' ich dich!" Von Bernhard von Lepel wurde im ersten Durchgang der Argo nur die Ballade Thomas Cranmer's Tod gedruckt.
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Nr. 14
Juni 1853
Es versteht sich von selbst, daß ich den Brief an L . 1 2 3 sofort mit Emil hinspedire. So wie es sich von [gestrichen: s] verstünde, daß ich die Feder mit dem Beding gestrichen zu werden, falls ich nicht genüge, sofort ansetzte, um selber zu versuchen, wenn ich wüßte Was? - Menzel war, so viel ich weiß, entschieden verworfen. 1 2 4 Es erfolgt auch Dein Brief v. Storm zurück. 1 2 5 Ich werde' ihm schreiben, daß er sein Haupt bei mir niederlegen und ungestört sein kann. 1 2 6 Beruhige
Dich! Dein Friedrich Ahlbeck.
A m 2 3 tn Mein Freund, Hermann Kugler 1 2 7 , hat noch nicht so viel Zeit gehabt Alles aufzuschreiben, was ich Dir schicken wollte. M a c h ' Dich also einst weilen mit Deinem Rothstift über die Balladen her! ja? L. hat mir inzwischen gesagt, daß er keine Zeit habe. 1 2 8 Einen herrlichen Novellenstoff hab' ich auch inzwischen - erfunden (!!!) aber w o Zeit und Kraft zur Ausführung hernehmen? -
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Bernhard von Lepel. Menzel hatte auf Bitten des Kreises ein Titelbild für die Argo entworfen, das im Rütli für heiße Diskussionen sorgte. Storm, dem es gefiel, stand u. a. Kugler gegenüber, der es entschieden verwarf und meinte, es sei nichts als „ein Kladderadatsch-Witz", der „eine schlechte Empfehlung des Buches" vor „dem größeren Publikum" sei. KuF 1. S. 266. Vgl. auch Fontane an Storm, 13. (14.) August 1853 (STFBW, S. 44) und Storm an seine Frau Constanze vom 18. September 1853 (Storm Briefe 1 , S. 213). Am 5. Juni 1853 hatte Storm an Fontane geschrieben: „Am 8 oder 9 July denke ich in Berlin zu sein, um wo möglich von dort ohne Weiteres an meinen demnächstigen Bestimmungsort abzugehen; [...] Falls Sie oder Eggers fänden mir noch vorher einmal zu schreiben, so würden Sie mir vielleicht als Kundige ein Hotel oder chambre garni bezeichnen können, wo ich während dessen anständig und möglichst wohlfeil ein Zimmer beziehen könnte." STFBW, S. 37-38. Siehe auch Franz Kuglers Briefe an Storm in STSG 42/1993 (bes. Brief vom 26. August 1853, S. 1 2 3 - 1 2 4 ) . Storm wurde dann doch bei Franz Kugler, dessen Familie auf Kur war, untergebracht, Eggers mußte kurzfristig nach Nürnberg verreisen und zog überdies am ι . September 1853 in eine kleinere Wohnung. Nicht ermittelt, sehr wahrscheinlich ein Verwandter Franz Kuglers. Falls es sich um einen Brief von Bernhard von Lepel handelte, so muß er als verloren gelten, da er sich nicht unter Lepels Briefen an Eggers befindet, die die Landesbibliothek Kiel aufbewahrt.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 15 Theodor Fontane an Friedrich Eggers \Juni/Juli 1853] Lieber Eggers. Von Katz 1 2 9 ist der beifolgende Brief eingetroffen und macht mir die Entscheidung schwer. Die Summe die er mir bietet ist mir zu gering oder [eingefügt: lieber] - da ich den Spanier stolz liebe - sie ist mir nicht preiswürdig. Ich weiß recht gut, daß ihm Hinz und Kunz die Sache nicht so machen können. Auf der andern Seite liegt mir am Erscheinen des Buchs 130 und ich werde dennoch gute Miene zum bösen Spiele machen, wenn mir nicht von andrer Seite vortheilhaftere Anerbietungen gemacht werden. Willst Du mit Schindler 131 sprechen? Ich fordre nach wie vor 1 Rthr pro Seite oder wenn das anständiger klingt 3 beschnittne Louisd'ore pro Bogen. Das Buch wird übrigens stärker als 300 Seiten, ich taxir' es auf 350 und kann mich [eingefügt: darin] nicht beschränken, wenn ich nicht die zum Grunde liegende Idee aufgeben oder verstümmeln will. Im Uebrigen bitt ich Dich (was bei Dir, der Du nicht Noehl 1 3 2 heißt, kaum nöthig ist) nicht festina lente 133 sondern periculum in mora 1 3 4 zur Losung des Tages zu machen und die Elloramutter giebt sich der Hoffnung hin Dich [eingefügt: heut noch] entweder beim Kaffe oder doch am Theetisch als Gast zu sehn. Wie immer Dein Th: Fontane. Montag früh. Den K'schen Brief erbitt ich mir gelegentlich zurück.
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Siehe Brief Nr. 1 3 . Wahrscheinlich handelt es sich um Fontanes Buch Ein Sommer in London, das 1 8 5 4 bei Katz herauskam und in dem er Feuilletons zusammenfaßte, die während seines zweiten England-Aufenthaltes ( 1 8 5 2 ) entstanden waren. Heinrich Schindler verlegte seit 1 8 5 4 das Deutsche Kunstblatt. Fontanes Name im Rütli und in der Ellora. (lat.) sinngemäß: eile mit Weile. (lat.) Gefahr ist im Verzuge.
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Nr. 1 7
30. Juni 1 8 5 3
Nr. 16 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [Mitte 1853] Dienstag. Nacht. Lieber Eggers. Meinen Brief von Montag früh hast Du hoffentlich erhalten. Verzeih, daß ich [eingefügt: Dich] um Antwort mahne, aber die Sache drängt. Leider fürcht' ich, daß sich die ganze Geschichte und zwar nach beiden Seiten hin zerschlägt, da ich Willens bin das Buch, das gegen 400 Seiten stark werden würde, nicht zu verschleudern. 135 Wie immer Dein Th: Fontane.
Nr. 17 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [Berlin, Sommer (30. Juni?)136 1853] Donnerstag. Lieber Eggers. Beifolgend Deine beiden Balladen, 137 von denen mir namentlich die zweite, je mehr ich mich damit beschäftige, auch mehr und mehr gefällt. Meine Correkturen und Vorschläge berühren eigentlich nur Unwesentliches. Vielleicht findest Du Dich am Sonnabend (Vormittag) in meiner Stadtwohnung ein und wir besprechen dann das Weitre. Ich gedenke nämlich morgen schon Bethanien zu verlassen, weil ich mich heute schnöde geärgert habe. Man las mir nämlich über mein vieles Besuch-Empfangen und mein Besuche-machen in der Stadt geradezu den Text, so daß ich gebunden war die lange nicht exekutirte Rolle eines „dummen Jungen" zu spielen. Hieran knüpf ich eine dringende Bitte. Ich sollte hier nichts bezahlen, will aber jetzt unter allen Umständen keine Gefälligkeit annehmen.
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Vgl. Brief Nr. 1 5 . Datierungsvorschlag Anita Golz. Wahrscheinlich handelte es sich um die Balladen König Radgar und Haralda.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Dazu brauch ich begreiflicherweise Geld und frage hiemit bei Dir an, ob Du mir die Summe von B e h m , 1 3 8 vielleicht auch die vom CentraiBlatt 1 3 9 baldmöglichst verschaffen kannst. Leider fiircht' ich, daß im günstigsten Falle mehr als eine Woche darüber hingehn wird, dennoch ist mit jedem Tag Beschleunigung etwas Wesentliches für mich gewonnen. Fordre doch Behm auch auf, w a s er nicht zu drucken gedenkt, mir zurück zu schicken; ich kann's jetzt vielleicht mit guter Manier hier (im Feuillet: d. Z e i t 1 4 0 ) anbringen. Schreibst D u an Zarncke, so hab' ich auch noch einen aparten Wunsch. Ich schickte nämlich vor fast einem Vierteljahr einen mindestens i'A
Druckbogen starken Aufsatz (in Folge von Bestellung) an
Biedermann u. seine Deutschen A n n a l e n . 1 4 1 Ich habe über das Schick138 139 140
141
Siehe die Briefe Nr. 12. und 1 3 . Es ging um Ausstände für gelieferte Besprechungen zu neuer Literatur. Die Zeit. Neueste Berliner Morgenzeitung. 1 8 5 2 druckte die Zeitung anonym Fontanes Text Lady Hamilton. Fontane hatte für die Deutschen Annalen den Aufsatz Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848 verfaßt. Deren Herausgeber, Karl Biedermann, hatte ihn am 10. Januar 1853 zur Mitarbeit eingeladen: „Die .Deutschen Annalen', deren Prospect und 1 . Heft Sie beifolgend erhalten haben, soll über alle Gebiete unseres nationalen Lebens Übersichten geben, um ihre Leser mit dem jeweiligen Stand eines jeden der selben bekannt zu machen. Auch die sog. schöne Literatur darf davon nicht ausgeschlossen sein, und ich erlaube mir an Sie die Anfrage, ob Sie wohl geneigt wären, eine solche orientierende Übersicht dessen, was in der schönen Literatur Deutschland in der letzten Zeit geleistet hat, zu geben. Es kommt hier natürlich nicht auf eine specielle Durchgehung der einzelnen Literaturwerke in der Weise der gewöhnlichen Recensionen, ebenso wenig auf eine Vollständigkeit in der Aufzählung aller Erscheinungen an, vielmehr darauf, den Charakter, die Hauptrichtungen und den wesentlichen Gehalt der neusten Literaturbewegung in allgemeinen, zwar nicht vagen, aber auch nicht zu sehr ins Einzelne sich verlierenden Züge zu zeichnen." Der Vorschlag, das Jahr 1848 als Stichjahr zu wählen, stammte auch von Biedermann, der sich in diesem Brief sogar eine Art Exposé erbat, „um nöthigenfalls meine Wünsche und Vorschläge deshalb, vom Standpunkte der DA, Ihnen aussprechen zu können." Als Honorar bot er 1 0 Reichstaler für den Druckbogen an. FAP, Briefe an Fontane. Sig. Β 5. ι , 1 . Fontanes Antwortschreiben ist nicht überliefert, aber der Bestätigungsbrief von Biedermann vom 5. März 1 8 5 3 , in dem er Herrn „Dr. Fontane" völlig freie Hand zusicherte, aber es nochmal für nötig ansah, auf den Stellenwert des Jahres 1848, den Fontane offenbar relativierte, hinzuweisen. „Ihre Auffassung dagegen der unsere Zeit charakterisirenden Bindung unserer Literatur - des Strebens nach realistischen dem Leben naheliegenden Stoffe, ist so sehr meine eigene, die ich schon früher, wo
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Nr. 1 7
30. Juni 1853
sal des Aufsatzes nichts gehört. Wenn er nicht verloren gegangen ist, so muß er jetzt gedruckt sein 1 4 2 u. Zarncke kann Dir vielleicht sagen, wohin ich mich wegen des Honorars zu wenden habe. Ich habe wohl an 3 0 rh auszustehn und dabei verkommt man fast. Verzeih, daß ich Dir mit diesen Geschichten in den Ohren liege, aber ich kann nicht anders. Vielleicht kannst Du mir auf diese Zeilen mit irgend einem Trostwort antworten, dann thu' es noch heut; ich habe dann Deinen Brief morgen Mittag. Besuche [gestrichen: muß] [eingefügt: kann] ich unter den obwaltenden Umständen weder machen noch annehmen. Dein Th: Fontane Vergiß auch ja nicht die plattdeutschen Gedichte 1 4 3 , auf die ich mich ganz besonders freue und die zwischen Eider u Oder unser Buch mehr empfehlen werden als vieles andre. Heut früh war ich bei Kugler um Abschied zu nehmen. 1 4 4 Ich war gestern zu angegriffen, um noch zu kommen.
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ich regelmäßiger auch diesen Entwicklungen folgen konnte, mir gebildet habe, ja worin meine Hoffnung auf eine nochmalige Blüthe unserer schönen Literatur - wenn erst der Stern unseres nationeilen Lebens kräftig emporgewachsen sein wird, beruht - daß ich mich wirklich darauf freue, diese Auffassung von Sachkundigen der ins Detail dringenden Hand behandelt zu sehen." Biedermann kündigte an, er hoffe, Fontanes Aufsatz noch ins 3. Heft nehmen zu können. FAP, Briefe an Fontane. Sig. Β 5. ι , 2. Am 16. August 1853 entschuldigte Biedermann die verzögerte Auslieferung des 4. Heftes, das Fontanes Artikel enthielt und verband das mit der Anfrage, ob Fontane für das 5. Heft eine Fortsetzung über das Drama und den Roman zu schreiben willens sei. „Ihre Behandlungsweise hat mir ganz wohl zugesagt, und ich glaube, daß Sie den richtigen Ton für Gegenstand und für den Standpunkt des Blatts getroffen haben." FAP, Briefe an Fontane. Sig. Β 5. ι , 3. Aber schon am 2.. September 1853 sah sich Biedermann genötigt, Fontane über das Ende der Deutschen Annalen zu unterrichten. „Die Verhältnisse sind einem derartigen Unternehmen allg. ungünstig. Haben Sie Dank für die Theilnahme, die Sie demselben gewidmet! Es ist mir erfreulich gewesen, auf diese Weise mit Ihnen in Beziehung zu treten." FAP, Briefe an Fontane. Sig. Β 5. 1, 4. Der Aufsatz erschien anonym im 1 . Band Deutsche Annalen zur Kenntnis der Gegenwart und Erinnerung an die Vergangenheit. Hrsg. von Karl Biedermann. Leipzig 1853. S. 353-377· Eggers hatte für die Argo plattdeutsche Gedichte versprochen. Fontane unterzog sich zwischen dem 5. und 28. Juli 1853 einer Kur bei Hermann Scherz in Kränzlin.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 18 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [Berlin, eventuell 4. Juli 1853145] Montag Abend. Lieber Eggers. Ich konnte nicht mehr die Zeit erübrigen, Dir das Einliegende in Person zu überbringen. Es erfolgt mit meinem besten Danke zurück. Deine für das Jahrbuch bestimmten Sachen (Balladen und Plattdeutsches) übersendest Du - wenn Du meinem Wunsche willfahren willst - lieber gleich an Katz. Es liegt mir daran, daß er nun baldmöglichst die Sachen in Händen hat, er könnte sonst von mangelhafter Contract-Erfüllung u. dgl.m. sprechen. - Ueber die Balladen sind wir ja au fond einig („Normannenadler" statt „des Normannen Adler" alles andre ist Bagatelle) 146 und Dein neues plattdeutsches Gedicht machst Du mir vielleicht die Freude qua Freund und nicht qua Mitarbeiter nach Kränzlin 147 nachzusenden. - Noch eins wegen des „Radgar". Die „fremde Wal" ist nicht gut. Das Wort „Wal" ist nun mal nicht gebräuchlich, und das Adjektivum läßt [eingefügt: auch] zu wünschen übrig; 148 - dennoch bescheid ich mich angesichts der obigen Normannenadler-Errungenschaft. Nun zu den Geldsachen. Wenn Du bei Behm die Geschichte flüssig machst, so sei so gut mir den ganzen Schwamm nachzuschicken, - ich werd' es brauchen. Vergiß [eingefügt: auch] ja nicht wegen des noch Ungedruckten anzufragen; die Jagdgeschichten am Cap 1 4 9 würd' ich hier sehr gut verwerthen können. 145 146
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Datierungsvorschlag Anita Golz. In der 9. Strophe von Eggers' König Radgar heißt es: „Wohl auf, wohl auf, Gesellen,/Genug mit Trinken, genug,/Normannen>Adler rastet/Nimmer auf halbem Flug!" Eggers Gedichte, S. 1 5 5 . Siehe Brief Nr. 17. Eggers' Gedicht endet: „Es bricht an Schottlands Felsen/Manch scharfer Normannen=Stahl.-/König Radgar mit seinen Gesellen/Liegt todt auf fremder Wal." Eggers Gedichte, S. 1 5 5 . 1853 erschienen in der Rostocker Zeitung dank Eggers' Verbindung zu deren Redakteur Behm die Jagdgeschichten am Kap, die Fontane auch in der Argo veröffentlichte.
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Nr. 1 9
1 8 . Juli 1 8 5 3
Die Sache mit Zarncke ist weniger wichtig, wenigstens um so viel wie die Summe kleiner ist. 150 Auch liegt mir besonders daran, daß ich hinten-herum über das Schicksal meines für Biedermann geschriebenen Aufsatzes was erfahre. 151 Es wird ohnehin das letzte Mal gewesen sein, daß ich mich für diesen guten Leipziger, der einen Riesenbogen mit 1 0 rh bezahlt, strapazirt habe. Vergiß diese letztre Geschichte ja nicht! Schreibst Du an Kugler, so empfiehl mich sehr, sehr. Rütli wird wohl vertagt werden; arbeitet er noch mit halber Dampfkraft weiter so grüße Bormann; - bei Merckel war ich heut noch, wie sich von selbst versteht. Wenn Roquette kommt, so drück' ihm mein Bedauern aus, daß ich ihn verpassen mußte; dasselbe - fast noch verstärkt - gilt Storm gegenüber. Ich lege für den letztern die Besprechung bei, die Du ihm gewissenhaft einhändigen und so weit vertheidigen magst, als es sich irgend mit Deinen eigenen Ansichten verträgt. 152 Ich hätt' ihn in der That gern selbst gesprochen. - Nun leb mir wohl; es ist gleich 1 1 und ich habe noch allerhand zu thun, muß auch namentlich noch ausschlafen. Dein Th: Fontane.
Nr. 19 Friedrich Eggers an Theodor Fontane Berlin, am 1 8 ' J u l i 1853 An d. Schleuse. 8. Mein lieber Lafontaine, Warme Julilüfte Lindenblüthendüfte u. alles mögliche sonst Angenehme und Heilende zuvor! - Meine Sachen für Katz sind richtig obwohl doch erst vor groß 8 Tagen abgegangen. Ich hab' ihm aber geschrieben, daß ich 150
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Fontane meinte die Honorare für die Besprechungen im Centraiblatt, dessen Herausgeber Zarncke war. Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848. Vgl. Brief Nr. 1 7 . Unter dem Titel Theodor Storm veröffentlichte Fontane am 1 7 . Juni 1 8 5 3 in der Preußischen Zeitung einen kleinen Aufsatz. Storm bekam den Artikel allerdings über Alexander Duncker, seinen Berliner Verleger, wie er an Eggers am 3. Juli 1 8 5 3 berichtete. Fontanes Befürchtungen waren unbegründet, denn Storm war zufrieden: „Ich glaube, daß ich das dort über mein Talent und dessen Anwendung Gesagte im Allgemeinen wohl acceptiren kann, namentlich den Inhalt des letzten Resumées." STaFE, S. 24.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
allein und nimmer Du an der Zögerung schuld sei, da ich die - wenn auch zur rechten Zeit fertigen - niederd. Gedd. erst einer gründlichen Durchsicht in Bezug auf die Orthographie zu unterwerfen hatte. 153 Ist auch wahr, daß ich mich weidlich gequält habe, um der Grammatik, Grothen 154 , den Holsteinern u. d. Mecklenburgern zugleich zu genügen. - Kopf und Herz155 hat folgende Pointe bekommen: Düss Nawerschaft kümmt dat Sterdiern Nu grarment nich to pass', Wat helpt em ok dat vele Liern, Se kamt em doch vaewas. He seggt jo nu all to mien Hart Sin Knep un Infäll: „ja!" Na, un je klöker, dat he ward, Je mihr giwt he je na. 1 5 6 Ist übrigens ein Stück von 1 4 Strofen. Aber für die Pfeife Taback hab' ich was anderes [gestrichen: G] geschickt. Ich machte statt dieser, wozu mir noch einige Daten fehlten, die ich mir vergeblich rasch von Kuhs 1 5 7 zu verschaffen suchte, ich machte also inzwischen, um keine Zeit zu verlieren, 3 andere Gedichte. Davon hab' ich eins, da Kuhs richtig zu spät kam, mitgeschickt. Es lautet: Verännerung. 158 I.
Ja, wenn Een ierst so'n Johrer söß De Wind ümme Uhren puß, 153 154
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Es handelt sich um Eggers' Gedichte für das belletristische Jahrbuch Argo. Eggers spielte auf Klaus Groth an, der ursprünglich für diese mundartliche Dichtung im Jahrbuch gewonnen werden sollte. Unter dem Titel Kopp un Hart wurde der Text in den ersten Jahrgang der Argo aufgenommen. In dem Band mundartlicher Gedichte, die nach Eggers' Tod unter dem Titel Tremsen herauskamen, heißt das Gedicht Naverschaft und diese beiden Strophen lauten: „Diss Naverschaft kümt dat Studir'n/Nu gradment nich to Paß!/ Wat helpt em ok dat vele Lira,/He mak't doch aliens verdwas.//He secht jo nu al to min Hart/In allen Stücken Ja!/Na, un je klööker, dat he wart,/Je mir gift he jo na.// Tremsen. S. 1 5 . Spitznamen Robert Eggers' innerhalb seiner Familie. Das Gedicht fand in der Argo unter dem Titel Wedder to Hus Eingang. In Tremsen wurde es in folgendem Wortlaut abgedruckt: Verennerung. Ja, wenn een'n irst so'n Jorer söss/De Wint üm de Uren pust,/Denn nasten kricht'n
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Nr. 19
18. Juli 1853
Denn nasten krigt Een doch so'n Z u g N a Muddern un na Huß. z. Grotvadder liggt nu ümmer de Ihr, Se hebben'd mi jo schreb'n De Ol de hett'n paar Strunzein mihr Un is doch Oiling bleb'n. 3* De Olsch' hett'n beten wat grise Heer, Dat bliwt ja ok nich ut, Ib Ihrr ehr deimm' doch werrerkennt Ut alle Minschheit 'rut. 4· De Süstern sünd'n Kopp gröter worn, - N a ja, dat wass't heran! Un an den Kirschboom vaer de daer Reck ick nu richti an. 5· Sünst is dat all noch as dat was: Den Ole sien Piep Toback, Datsiilwig Swölken up de Dehl, De Adebar up't Dack.
doch so'n Zuch/Na Muddern un na Hus.//Grotvadder licht nu unner de Ird,/ Se hebben mi 't jo schreb'n;/De Oll hett 'n por Schrumpeln mir/Un is doch Oiling bleb'n.//De Ollsch hett 'n beten wat grise Hör,/Dat blift jo ok nich ut;/ Ik hadd er Stimm doch wedderkennt/Ut all de Minschheit rut,//De Süstern sünt 'n Kopp gröter word'n,-/Na ja, dat wasst heran;/Un an den Kirschbom vor de Dör/Reck ich nu richtich an.//Süs is dat all noch, as dat was:/Den Olln sin Pip Toback,/Dat sülvich Swälken up de Del./De Aderbor up 't Dak.//Blot Navers Dürt, min Spelkamrat'sch,/Herr mein, dat hadd 'k nich dacht,-/De kiimt mi as 'ne Pingstros vor,/De upbrök äver Nacht.//Wat wir se siis en welich Dink,/ Wo hett se mi tuthas't;/Nu stünn se as en Pal un kek,/As wir se rein verbas't.// Süs küsst se mi, dat smeckt so sööt/As Honnich un Lakritz;/Nu sed se nich mal Fidding mir,/Se sed heel vörnem Fritz.//Un reckt mi kum' de Hant mal hen,/As wenn se nich, wo mi würr,/'t wir all nich mir as süs.//Kan all nich help'n, de oll lütt Dürt,/De stikt dor doch noch in;-/Dat müst doch mit den Düvel togan:/Ik möt er wedderfinn'n. Tremsen, S. 82-83. III
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
6. Blot Nawerts dort, mien Spelkameradsch, Herr mein, dat sar'k nich doch! Dat kiimmt mie as en Pingstros' vaer, De upbrok aewer Nach.
7· Wat wihr he für en wohlig Ding, Wo hett se mi tutaas't N u staun se as en Pähl un kek As wihr se rein verbaast. 8. Un reck mi blet de Hann mal hen As wenn se nich rech wüss' Ik wüss' ok sülm nich, w o mi wirr 't wihr all nich mihr, as süs.
9· Süs küss' se mi, dat dehr so süt, As Honni un Lakritz, N u [gestrichen: sehr] sär se ok nich Fidding mihr Se sär: „ G u n d a g ok Fritz." io. Kann all nich help'n, de oll lüt Dort De stikt dor doch noch in; Dat müsst doch mitten Düwel togahn: Ik mutt se 'runterfinn. So hat Katz nun von mir außer den beiden Balladibussen: ι ) Dat O o g . z) De Tokünftig'. 3) Bidrüwniß. 4) Verännerung. 5) Kopp un Hart. 6) Dreeklang. D. h. das von der fülen Ler etc. N u n sage mir nicht bloß qua Freund, sondern auch als Redakteur, wie Dir die Verännerung gefällt. Ich hab' den Sachen unten glossarische Erklärungen angehängt; da ich aber keinen Hochdeutschen zur Hand hatte (Irus, der Chevalier und de Lütt [Hermann Kugler] sind alle 3 Plattdeutsche) so mag ich wohl oft erklärt haben, was ein Hochdeutscher versteht und was er nicht begreift dunkel gelassen haben; wir müssen das in der Correctur mal darauf durchsehen. 112
Nr. i o
22. Juli 1853
An Behm schreib' ich in diesen Tagen; an Zarn[c]ke heute. 159 An Kugler hab' ich ehgestern geschrieben. Auf Dinstag hat Immermann ein Rütli veranstaltet auf heut Abend Petrarca u Ernst Schultze im Tunnel b. Puhlmann 160 zusammengetrommelt. Waldmeister 161 kommt heut Abend. Storm, wie Du aus einliegendem Brief siehst, erst in Wochen. 1 6 2 Schick mir diesen Brief aber gleich - mit einem Begleitschreiben von Diri - wieder, da ich ihn dann auch beantworten will. Sag' mir, wie sich Dein Leben dort anläßt; ob Du dort 163 mehr profitirst, als in Bethanien. Grüß Deinen wohlwollenden Pfleger von mir und sag' ihm, er könne doch nicht zu gut pflegen. Lebe= u. befinde Dich wohl!!! Dein Friedrich Anakreon.
Nr. 20 Theodor Fontane an Friedrich Eggers Kränzlin d. z i ^ · Juli 53. Mein lieber Eggers. Ihr kamt etwas spät, Graf Isolan; 164 doch sei es drum: die besten Gäste erscheinen immer zuletzt. (Ich fühlte das nie mehr als heut vor einem Jahr, wo ich bei Bunsen 165 der erste war; ich verwünschte damals die Schnelligkeit englischer Cab's so von ganzem Herzen wie hier zu Lande das Schneckenthum einer heimathlichen Droschke.) Daß Deine Beiträge 166 nunmehr in Katz's Händen sind, hab' ich zu meiner 159 160 161
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Siehe Brief Nr. 17. Berliner Café. Spitzname - neben Otto Wald - von Otto Roquette (1824-1896), der auf sein erfolgreiches Versepos Waldmeisters Brautfahrt zurückging, das 1 8 5 1 veröffentlicht worden war. Storm hatte am 3. Juli 1853 an Friedrich Eggers geschrieben: „Meine Berliner Expedition, liebster Freund Eggers, hat sich vorläufig wieder sistirt. [...] Sollten Sie demnächst - ich hoffe doch, daß es sich nur um ein paar Wochen verzögern wird - mich noch quartieren können, so nehme ich die gebotene Gastfreundschaft mit herzlichem Dank an". STFE, S. 22. Gemeint war Kränzlin, wo sich Fontane zur Behandlung aufhielt. nach Friedrich Schiller Die Piccolomini 1. Akt, 1. Szene. Christian Karl Josias Freiherr von Bunsen, preußischer Gesandter in England. für den ersten Band des belletristischen Jahrbuchs Argo. 113
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
großen Freude ersehn; sie tragen sehr wesentlich dazu bei unser Buch zu etwas Apartem zu machen. Außerdem ist der kleine Leserkreis den sie finden werden ein sichrer und zweifellos - trotz Claus Groth - ein befriedigter. Die Sachen sind allerliebst und ich kann Dir nur immer wieder und wieder sagen: cultivire dies Feld weiter. 167 Meine Erfahrungen stoßen mich immer mehr mit der Nase auf folgende zwei Wahrnehmungen: unsre besondre, jenseits des Gewöhnlichen liegende Fähigkeit ist nur auf einer oft haarbreiten Linie zu Hause und zweitens: wer was leisten, Anerkennung erndten und sein Schäfchen in's Trockne bringen will, der concentrire sich, der hüte sich vor einem gerecht sein in aber hundert Sätteln und begnüge sich schlimmstenfalls damit gut Whist oder Billard spielen zu können. In diesen Anschauungen werd' ich immer fester und hätt' ich nicht mit dem Niederringen des allerprofansten Hungers Tag um Tag zu thun, ich wollt' es Euch innerhalb 5 Jahren ad oculos 168 demonstriren, daß ich Recht gehabt habe. Vielleicht aber setz' ich Dir (wie Lepel'n so oft) in Vorstehendem Dinge auseinander, worüber gar kein Streiten obwaken kann; - dann verzeih mir! „Verännerung" ist allerliebst. Der „Lakritz" stört den Hochdeutschen etwas, doch weiß ich allerdings, daß im Plattdeutschen die von Dir gewählte Wendung gang und gebe ist. Wichtiger dürfte aber folgendes sein: der Eingang des Gedichts macht durchaus den Eindruck, als wolle der Betreffende erst nach Haus, während er doch schon da ist. Wenn Dir dies einleuchtet, so wird eine kleine Abänderung in der ersten Strophe leicht zu machen sein. Vielleicht daß er sofort sagt: „Nun bin ich wieder da" oder: „zu Haus ist's doch am besten" od. drgl. Ueber „Kopf und Herz" kann ich, den Schlußzeilen nach, noch kein Urtheil fällen; nur so viel: daß gerade die letzten 4 Zeilen recht glatt und rund herauskommen. Die andern 4 gehören durchaus zu den Vorhergehenden, das ich noch nicht kenne. Am Dinstag wohnt' ich in Gedanken Eurer Rütli-Sitzung bei. Dies Arbeiten, auch noch mit halber Kraft, imponirt mir. Anders ist es mit 167
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Zustimmung zu diesen Gedichten erfuhr Eggers auch durch Theodor Storm, wie er am 6. September 1 8 5 3 an seinen Vater schrieb: „Gestern sagte dieser enthusiastische Verehrer von Groth [gemeint war Storm - R. B.] noch, daß er an meiner Stelle nimmermehr das Wagstück gemacht hätte, gleich nach Groth mit plattdeutschen Gedichten zu kommen. Heute, nachdem er sie gehört hatte, war er ganz damit einverstanden und erklärte sie für durchaus mittheilbar." R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Mappe: 1 8 5 3 . Sig. 1 . 4 . 7 . 9 . (lat.) vor Augen.
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Nr. i o
2 2 . Juli 1 8 5 3
dem zusammengetrommelten Tunnel. Es ist da weder Herz noch Geist was die Leute bei Puhlemann (sehr bezeichnend)169 zusammenführt, sondern nur die aller trivialste Neugier, um etwas Klatsch für „Muttern" (die sich so herzlich langweilt) mit nach Hause zu bringen. Wer ist denn „Lühs" oder „Irus", den Du mir 3 mal als eine plattdeutsche Größe vorreitest? Habe nicht die Ehre. Ist es nicht am Ende „Robbing?" 1 7 0 „Waldmeister" 171 zu begrüßen freu ich mich aufrichtig; grüß ihn herzlich. Die von Storm aus Gutzkow's Weisheit citirte Stelle über Roquette ist in meinen Augen lächerlich. 172 O ja, man sagt wohl mal so was ähnliches, aber man muß nur nachher nicht thun als sei das was Großes, Unumstößliches. So ist aber dieser Gutzkow und ich ärgre mich, daß der sonst so fein und wohl erwägende Storm solche doch eigentlich banale Phrase halb und halb zu der seinigen macht. Herr v. Salvandy, der den Vater dieses Gutzkowschen Weisheit-Satzes schon vor 24 Jahren zeugte und als den populär gewordenen Ausspruch: „Sie tanzen auf einem Vulkan" in die Welt schickte, war viel geistreicher und war unter allen Umständen - der erste. 173 Was verlangt denn dieser vor Eitelkeit berstende G., das man schreiben soll? Vermuthlich Lobhudeleien über seine Größe und Herrlichkeit. Oder glaubt er, daß seine Stücke (alle Achtung vor einzelnen derselben!) zu dem Donnergewölk der Revolution in irgend nährer Beziehung stehn als das Bimmel Bummel Bammellied oder irgend eine andre Roquette'sche Liebenswürdigkeit?! Was ist der Grund solcher absprechenden Kritik? der Neid, der Aerger zwickt ihn, der Aerger darüber, daß man 169 170 171 172
173
Siehe Brief Nr. 1 9 . „Kuhs" war Robert Eggers' („Robbing") weiterer Kosename in der Familie. Otto Roquette. Fontane bezog sich auf folgende Passage in Storms Brief an Eggers vom 3. Juli 1 8 5 3 : „Gutzkow hat völlig Recht, wenn er in seinen Unterhaltungen N . 38 in Betreff ,Buch Deutscher Lyrik v. Böttiger' mit namentlichem Hinweis auf Redwitz u. Roquettes Beiträge einen Satz beginnt: ,Wer so im Stillen eingedenk ernsterer Zeiten und schwerer Mühen den Muth dieser grünen, jungen Poeterei beobachtet' etc. Es ist in der That dies Versemachen, bloß um etwas zu Markt zu bringen, etwas eines Mannes so unwürdiges, daß es nicht zu oft und nicht zu hart zurückgewiesen werden kann." STaFE, S. 24. Storm zitierte aus der Zeitschrift Unterhaltungen am häuslichen Herd 1 ( 1 8 5 3 ) . Der Satz stammt von dem französischen Politiker und Publizisten Narcisse Achille Comte de Salvandy, der ihn auf einem Ball des Herzogs von Orleans am 5. Juni 1 8 3 0 , wenige Tage vor Ausbruch der Julirevolution, aussprach.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
doch noch auf andre Weise als durch 9 bändige Romane 1 7 4 berühmt werden kann und daß der Verf: von: „das beste Bier im ganzen N e s t " 1 7 5 ebenso bekannt ist, als der Dichter oder Nicht-Dichter des Uriel-Acosta. 1 7 6 Empfiehl mich allen Freunden und sei herzlich gegrüßt von Deinem Th. Fontane. Ich komme erst Donnerstag d. 2 8 J nach Berlin zurück, weil heut die Erndte begonnen hat und vor Schluß derselben keine Pferde 'rausgerückt werden. Desto mehr bind' ich Dir mein Gesuch von neulich auf die Seele (ich habe ja dann nur noch 2 Tage Urlaub) und rechne mit Bestimmtheit auf ein Vorfinden der Uebersetzung bei Dir, wenn sie nicht Behm inzwischen seinen Lesern servirt h a t . 1 7 7 Dann muß ich mich freilich anderweitig 'rausschwindeln. Wenn Du an Storm schreibst so grüße zunächst, leg' ihm dann Einsenden oder Mitbringen seiner lyrischen Beiträge fürs Jahrbuch dringend an's Herz, 1 7 8 danke ihm, daß er's mit meiner Besprechung seiner nicht strenger genommen h a t 1 7 9 und notificire ihm schließlich, daß es meiner Frau und mir ein großes Vergnügen sein würde, ihn 174
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Gutzkow brachte 1850/51 seinen neunbändigen Roman Die Ritter vom Geiste heraus. Das dreistrophige Gedicht Margreth am Tore von Otto Roquette beginnt mit den Versen: „Das beste Bier im ganzen Nest/Das schenkt Margret am Tore,/ Derweil das frisch den Gaumen näßt/Spricht hold Margreth zum Ohre." Eine von Fontane mehrfach besprochene Tragödie Gutzkows, die 1847 in Leipzig erschienen war. Fontane hatte bei seiner intensiven Beschäftigung mit englisch-schottischer Geschichte sich auch in Nachdichtungen versucht, die er offenbar der Rostocker Zeitung zum Druck angeboten hatte. Im ersten Durchgang der Argo publizierte er - mit Anmerkungen - Alt-Englische Balladen, die z. T. zuvor die Tunnel-Kritik passiert hatten. Storm steuerte für den ersten Band der Argo die Erzählung Ein grünes Blatt und die Gedichte Abschied, Trost, Mai, Nachts, Aus der Marsch und Gode Nacht bei. Die Erzählung löste im Rütli hinsichtlich ihrer politischen Parteinahme Kontroversen aus. Ein diesbezüglicher Brief von Friedrich Eggers ist nicht überliefert. In der Preußischen (Adler-)Zeitung war in der Nr. 138 vom 17. Juni 1853 anonym Fontanes Aufsatz Theodor Storm abgedruckt worden. Am 3. Juli 1853 schrieb Storm an Eggers: „Fontanes Artikel über mich - [...] - habe ich durch [Alexander] Duncker empfangen. Ich glaube, daß ich das dort über mein Talent und dessen Anwendung Gesagte im Allgemeinen wohl acceptiren kann, [...]" STaFE, S. 24.
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Nr. 2 i
2 7 . Juli 1 8 5 3
falls er nicht vor dem 24— August in Berlin eintrifft - bei uns beherbergen zu können. Bis dahin (vom 1 0 — oder iz1 ab) haben wir Besuch. Bei dieser Einladung setz' ich natürlich voraus, daß Dein Wohnungswechsel Dir verbietet ihn aufzunehmen; - doch erinnere ich mich, daß Du Dich in diesem Sinne äußertest. -
Nr. zi Theodor Fontane an Friedrich Eggers Kränzlin bei N. Ruppin d. 27. Juli 53. Lieber Eggers. Nur wenige Worte auf einem letzten Schnipsel Briefpapier. - Ich bin hier blitzwenig zum Arbeiten gekommen und wollte mich auch nicht dazu zwingen. Die Plackerei wird früh genug wieder beginnen. Auf der andern Seite hab ich meiner Ztng 1 8 0 versprechen müssen irgend etwas einzusenden und ich möchte in Ermangelung von selbstständig Producirtem wohl die Uebersetzung aus dem Englischen (Jagdgeschichten am Cap) 1 8 1 dazu benutzen, die Du vor 3 - 4 Monaten mal mit nach Rostock nahmst und die - wenn ein Bericht Fritz Witte's 182 richtig ist - wahrscheinlich noch nicht abgedruckt [gestrichen: ge]worden ist. - Du würdest mich Dir sehr verbinden, wenn Du's so einrichten könntest, daß am Sonntag, den 24t die Geschichte in Deinen Händen ist. 180
Fontane hatte seit dem 1 . N o v e m b e r 1 8 5 1 eine Stelle in der Centralstelle für Preßangelegenheiten und w u r d e als Mitarbeiter der Preußischen
(Adler-)Zei-
tung honoriert, für die er regelmäßig Beiträge schrieb. 181 N a c h Friedrich Fontane ist dieser Text Fontanes a n o n y m , mit zwei Sternchen gezeichnet in der Rostocker
Zeitung
1 8 5 3 abgedruckt worden. Fontane hatte
die Einleitung des Buches Five years of hunter's life in the Far Interior of South Africa
von Roualeyn George G o r d o n C u m m i n g (London 1 8 5 0 ) und einige
Textseiten übersetzt. D a z u verfaßte er Einführungs- und Zwischentexte, die es in späteren Fontane-Ausgaben als gerechtfertigt erscheinen ließen, dieses Textkonglomerat unter seinen Erzählungen zu subsumieren. Zusätzliche Legitimation ergab sich aus der Publikation im ersten Band der 182
Argo.
Friedrich Witte, den Fontane während seiner Apothekenlehrzeit kennen gelernt hatte, w a r 1 8 5 3 nach Rostock umgezogen.
117
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Ich habe Tag um Tag einige Zeilen von Dir erwartet und will mein tägliches Getäuschtsein gern verschmerzen, wenn D u nur die versprochenen Sachen an Katz eingesandt hast. - Morgen gedenk' ich an Kugler zu schreiben. War Storm da? Hast D u meinen Brief mit dem Storm-Aufsatz 1 8 3 und dem Gelde richtig erhalten? Grüße vom Rütli was noch da ist und Dir zu Gesicht kömmt. Wie immer Dein Th. Fontane.
Nr. 22 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [27. August 18J3184] Sonnabendfrüh. Lieber Eggers. Unerläßliche Schreibereien zwingen mich heut den Rütli zu opfern. Deiner Erklärung betreffs Storms 1 8 5 seh ich entgegen. Vergiß auch nicht den St'schen Brief 1 8 6 ; ich habe nämlich die Altonaer Adresse vergessen. Empfiehl mich an K. u B . 1 8 7 Dein Th: Fontane. Wie ich höre ist Lepels Stück angenommen und sind die Rollen bereits vertheilt. 1 8 8 183
Siehe Fontanes Brief vom 22. Juli 1853 (Nr. 20). Datierungsvorschlag Winfried Woesler, S. 188. Woesler verweist auf Storms Brief an Fontane vom 21./22. August 1853 und auf Fontanes Antwort vom 30. August 1 8 5 3 , bei dessen Niederschrift ihm die genaue Adresse in Altona bereits bekannt war. 185 Fontane, der den redaktionellen Briefwechsel der Argo übernommen hatte, sammelte die Positionen des Rütli zu den von Storm eingesandten Texten. Er schrieb Storm ausführlich am 1 3 . August 1853. STFBW, S. 42-45. 186 Wahrscheinlich kursierte Storms Brief an Fontane vom 25. Juli 1853 im Rütli, um seine Angelegenheiten in der wöchentlichen Sitzung angemessen verhandeln zu können. 187 Franz Kugler und Karl Bormann. 188 Lepel arbeitete Sommer 1853 an einem Stück über den Markgrafen Waldemar, über das er bereits im Mai 1 8 5 2 mit dem Intendanten der Königlichen Schau-
184
118
Nr. 23
Ende 1 8 5 3
Nr. 23 Friedrieb Eggers an Theodor Fontane [Berlin Ende 1S53] [auf den Brief hat Eggers folgende Zeitungsausschnitt
geklebt:]
- (N. P. Z. 1 8 9 ) Der bisherige Vorsteher der Centraistelle für Preß=Angelegenheiten, Dr. Quehl 190 , wird, wie man hört, als Consul nach Dänemark versetzt werden. In seiner Stellung tritt zunächst commissarisch der Regierungsrath Dr. Gäbler, welcher bis jetzt beim hiesigen Polizei Präsidium die Preß=Angelegenheiten verwaltete. Guten Morgen, lieber Lafontaine, Verzeih', daß ich nicht genau weiß, ob und in wie weit Dich dièse Nachricht betrifft und interessirt. Ich hab' mich darüber gefreut. Sollst Du dadurch in Beziehung zu Gäbler kommen und ihn noch nicht kennen, so wollt' ich Dir nur sagen, daß er der liebenswürdigste und angenehmste Mann ist; aber dabei, was noch besser, zuverlässig, vernünftig u liberal denkend. Ich kenn' ihn u. er interessirt sich sehr für mich. Sollte daher [gestrichen: durch ihn] eine Verbesserung Deiner Position möglich sein, wo er die betreffende Instanz wäre und Du wolltest mich unterrichten, so will ich gern deshalb zu ihm gehn. Ist drgl. zu thun, so laß' es uns nur so bald thun, als die obige Nachricht für sicher gehalten werden kann. Jedenfalls lach' mich mit meinem guten Willen nicht aus. Gruß' an die ElloraMama und den kleinen Georg! Dein F. E. (so kürzen Studenten „freundschaftliche Erinnerung" ab.)
189
190
spiele Botho von Hülsen in Verhandlungen getreten war. Vgl. Fontanes Briefe an Lepel vom 1 5 . Mai 1 8 5 2 und vom 3 1 . Juli 1 8 5 3 (FLBW 2, S. 1 3 und 6 7 - 6 8 ) . Es kam allerdings zu keiner Aufführung. Die Nachricht, die die von Eggers gelesene Zeitung von der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung übernahm, stand dort in Nr. 2 3 1 vom 4. Oktober 1 8 5 3 unter der Rubrik: Amtliche Nachrichten. Ryno Quehl trat am x. Oktober 1 8 5 3 von seinem Amt zurück. In der Centraistelle wurde eine Trennung der Funktionen vorgenommen, die Leitung der
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 24 Friedrich Eggers an Theodor Fontane Berlin, am Tage selbst 1854. Mein lieber Lafontaine, Und wenn es auch ohne Sang und Klang abgehen muß, ja selbst ohne Handdruck und feierliche Umarmung so soll es doch nicht ohne freundschaftliches Zeugniß abgehen, daß ich heute im Geiste bei Dir der großen C o u r
beiwohnte. 1 9 1
Ich schicke
Karstens 1 9 2 ,
D r o y s e n 1 9 3 und Y o r k 1 9 4 zum Handkusse, : Kunst, Wissenschaft und Sebastopol 1 9 5 . Genieße alles mit Gesundheit! Stelle Dir vor, ich sei heute nicht in Berlin; bin es auch in der That nicht; denn meine Geschäfts=Calamität 1 9 6 in der ich stecke, ist bodenlos. Entschuldige mich daher heute im Rütli und nachträglich meine gestrige Confusion, daß ich glaubte, D u kämest nach mir.
191 192
193
194
195
196
allgemeinen Verwaltung übernahm Imanuel Hegel, die spezielle und technische Leitung Ludwig Metzel. Siehe Jolies, S. 96. Möglicherweise handelte es sich um Fontanes Geburtstag. Eventuell ging es um eine Untersuchung des Physikers und Meeresforschers Gustav Karsten, den Fontane 1850 persönlich kennengelernt hatte (vgl. seinen Brief an Lepel vom 1 . August 1850. FLBW 1 , S. z8i). Es besteht auch die Möglichkeit, daß es um eine Arbeit von Lorenz Karsten ging, der Mitglied im Tunnel war. Der Historiker Johann Gustav Droysen verfaßte die von Fontane bis in das hohe Alter sehr geschätzte Biographie Leben des Feldmarschall Grafen Yorck von Wartenburg. Eggers meinte das Buch Droysens über Yorck von Wartenburg, das 1 8 5 1 herausgekommen war. Sebastopol war, nach dem Potemkin ihn 1783 gegründet hatte, unter Nikolaus I. zum ersten Kriegshafen Rußlands für die Flotte des Schwarzen Meeres geworden. In aller Munde kam S. während des Krimkrieges, als die vereinigten Armeen von Frankreich, England, der Türkei und Sardinien die Festung zu Land und zu Wasser einschlossen. Erst im September 1855 fiel die Bastion nach achtmonatiger Belagerung und wurde gänzlich zerstört. Eggers, der die Neigung hatte, zu dramatisieren, meinte die Redaktionsgeschäfte des Deutschen Kunstblattes. „Alles stockt", schrieb er am 3 1 . Dezember 1853 a n seine Eltern, „Kunstblatt, evangelischer Verein [...] Rütli Ellora." RSA, N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1.4.7.9.
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Nr. 2.5
3. Januar 1 8 5 4
Grüße die vieltheure ElloraMutter 197 . Sei selber unendliche Male gegrüßt und beglückwünscht! Ich fühl's, es ist etwas Unsterbliches in mir; das ist meine Liebe zu Dir. Dein getreuer [griech:] Anakreon. [auf Extrablatt
beigefügt:]
Antwurt. En tinnern Lepel un hiltern Stöhl dat schull woll paßlich sien, Tinn'e Lepel un manschester Pohl dat will mi nich rech schien Löv't he, dat mi de Plünn wat hülp? dat makt noch keene Dam, Un'n iren Pott um ne sülvern Stülp de passen nich tosam. 198 Fr. Eggers.
Nr. 2j Theodor Fontane an Friedrich Eggers [Notiz Fontanes auf einem Brief Storms an F. vom 3. Januar
1854]
3. Januar 1854 Wir werden nun doch wohl daran glauben müssen, um so mehr als es der Beredsamkeit Lucae's199 gelungen ist das Ellora-Weihnachtsfest auf Sonntag Abend zu vertagen. Aber nun auch kein Zoll breit weiter! Sei so freundlich mir umgehend zu schreiben, ob Du willst und zu
197 198
199
Emilie Fontane. Das Gedicht wurde unter dem Titel Bescheet und mit kleineren Abweichungen in der Schreibweise in die Sammlung plattdeutscher Dichtungen in mecklenburger Mundart Tremsen aufgenommen, die nach Eggers' Tod herauskam. S. 87. Richard Lucae.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
welcher Stunde? Sobald ich Deinen Brief habe, engagire ich Lepel, die Enterung Kuglers ist Deine Sache; ich erstürme Bormann. Mehr werden wir schwerlich zusammentrommeln. Spätestens morgen hoff ich an Storm Nachricht geben zu können. 200 Lucae brachte mir gestern das Erwünschte; habe Dank für Deine Vermittlung. Dein Th. Fontane.
Nr. 26 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [Mitte 1854] Donnerstag. Mein lieber Eggers. Wenn Du mir bis übermorgen (Rütli), spätestens aber bis zum 1: Juni 1 0 rh leihen könntest, so würdest Du mich Dir auf's lebhafteste verpflichten. Ich zahl' es dann gleichzeitig mit der Theekasten-Schuld zurück. Verzeih daß ich Dir so oft mit derlei Gesuchen komme, aber ich habe nicht mal den Trost, daß es das letzte Mal sein wird. Kannst Du nicht, so bitte, schreibe umgehend; die Sache eilt, weil meine Frau am Sonnabend früh reist 201 und die Summe für sie [eingefügt: und zu diesem Zweck] bestimmt ist. Dein Lafontaine. Wo schickt meine Frau das großmütterliche Kostüm hin? Gemahnt wurde schon mittelbar durch Lessing.
200
201
Fontane schrieb Storm am 4. Januar 1 8 5 4 . „Wie immer wenn's beim Sturm heißt: freiwillige vor!' meldete sich auch diesmal nur ein kleines Häuflein: Eggers, Lepel und Fontane." STFBW, S. 65. Emilie Fontane reiste im Sommer 1 8 5 4 mit Elisabeth Scherz, der Frau von Fontanes Freund Hermann Scherz, in die Sächsische Schweiz und nach Dresden. Vgl. Fricke 2, S. 3 3 .
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Nr. 27
i l . August 1854
Nr. 27 Theodor Fontane an Friedrich
Eggers Berlin d. 1 1 . August 54.
Lieber Eggers. Gestern erhielt ich einen Brief von Kugler, dessen Inhalt Dir inzwischen mündlich mitgetheilt worden sein wird. K. hat in vielen Stücken gewiß Recht, namentlich wenn er hervorhebt, daß Schindler Persönlichkeiten wie P. Heyse gegenüber (und wir selbst können Kugler's [gestrichen: selbst] [eingefügt: Person u. Namen] noch hinzufügen) wohl coulanter und gleichzeitig spekulativer hätte sein können; 2 0 2 indeß alles das bereitwilligst zugegeben wäre es doch Schade, wenn, nachdem so viel überwunden worden ist, an dieser praktisch unwesentlichen Sache (daß wir nöthigenfalls nämlich den Schaden zu dekken haben) die ganze Geschichte scheitern sollte. 203 Ich bin anfänglich, wie D u weißt, gegen ein Wiedererscheinen der A r g o unter [eingefügt: diesen] mehr oder minder poplichen Bedingungen gewesen, nachdem nun aber mal die Sache wieder [eingefügt: in] Angriff genommen und meinerseits in einem Dutzend Briefen Wind hinter die Affaire gemacht worden ist, sollt' es mir leid thun, wenn der mit bester Kraft und bestem Willen unternommene Anlauf schließlich doch zu keinem Sprung über den Graben führen sollte. Thu in der Sache was D u kannst, scheitert aber alles so laß mich's bald wissen, damit ich aufhöre den andern Mitarbeitern die Pistole auf die Brust zu setzen. Gestern hatten wir ein kleines Dinner bei Merckel (Menzel, Dr. Hahn, Ferd: v. Mühler, der Wirth u. ich). Es war sehr nett, nur fehlten, außer der liebenswürdigen Frau vom Hause, 2 Gänge, was unangenehm auffiel.
202
203
Franz Kugler an Theodor Fontane, 6. August 1854. Kugler schrieb: „Schindler scheint doch etwas mangelhaft zu spekuliren. Es scheint ihm nicht sonderlich daran zu liegen, sich uns irgendwie zu versichern; es scheint nicht zu seinen Wünschen zu gehören, ein so Aufsehen machendes Talent, wie das Pauls (das Privaturtheil über dies Talent ist hierbei ganz gleichgültig) an sich heranzuziehen." KuF ι , S. 271. Gegenstand waren die Verhandlungen mit dem Berliner Verleger Heinrich Schindler um einen zweiten Jahrgang der Argo, der für dieses Jahr nicht zustande kam.
123
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Die „Hermen" von Paul gedenk' ich nun doch, des Weitren zu besprechen, 204 wenn Du's
nicht selbst willst, oder Storm'en (was
freilich zu erwägen bleibt) für geeigneter hälst. Dein Th: Fontane.
Nr. 2 8 Friedrich Eggers an Theodor
Fontane A m 1 3 Feb. 1 8 5 5 .
Lieber Lafontaine; ich ließe Dir eine Bildsäule setzen, wenn ich Geld
dazu
hätte;
denn
Du
hast
„ Deutsches=Kunstblatt=Bewußt-
sein" 2 0 5 . Nimm dieses Geständniß nicht leicht; denn es ist sehr groß. -
204
205
Fontane besprach diese Dichtung Heyses im Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes, Nr. 24 vom 30. November 1854, S. 93-95 und in der Nr. 25 vom 14. Dezember 1854, S. 97-99. Wie die meisten Rezensionen im Literaturblatt erschien auch diese anonym. Die abwechslungsreiche Geschichte des Deutschen Kunstblattes, das Friedrich Eggers' Lebensinhalt in den fünfziger Jahren war, prägte die Beziehungen der Freunde zu ihm (siehe ausführlicher in der Einleitung). Ende 1853 war in mehreren Tageszeitungen folgende Anzeige erschienen: „Leipzig und Berlin, den 28. November 1853. P.P. Hierdurch beehren wir uns, Ihnen Folgendes mitzutheilen: Die mancherlei Unbequemlichkeiten, welche die Entfernung des Redactions- und Druckortes vom Verlagsorte mit sich führten, haben es für das weitere Gedeihen und Emporblühen des Deutschen Kunstblattes wünschenswerth erscheinen lassen, dass der Verlag des Blattes nach Berlin, dem Sitz der Redaction, übergehe. Die Unterzeichneten haben sich daher im Interesse des Blatts über diesen Punkt geeinigt, und dasselbe geht nebst allen Vorräthen der früher erschienen Jahrgänge mit dem 1. Januar 1854 an die Firma von Heinrich Schindler in Berlin über. T. O. Weigel & Rud. Weigel Heinrich Schindler." RSA, NL Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1.4.7.9. Einlage zum Brief vom 20. November 1853. Heinrich Schindler, der neue Verleger, hatte die Anzeige um folgende Bemerkungen ergänzt: „Das Programm des Blatts und seine Tendenz werden durchaus dieselben bleiben. Nur wird es sich bestreben, alle bisher vertretenen Richtungen und Gebiete in noch grösserer Vollständigkeit durch Wort und Bild vorzuführen. Namentlich aber sind Vorbereitungen getroffen, dass auch das Kunsthandwerk nach seiner heu-
124
Nr. 28
1 3 . Februar 1855
Du weißt es, daß eine Redaktion im Kopfe sieht [!]; Du weißt es, daß alle Geschicklichkeit der Hand, gegen welche eine Maschine nach dem Ausspruch jenes großen Mannes nichts ist, nicht helfen kann, wenn sie nicht schlägt, streichelt, drückt, droht, tastet, demonstrirt, wie der Kopf will, wann der Kopf will; Du weißt, daß selbst das Herz im Weltverkehr - und die Tagespresse ist Weltverkehr! - dem Kopf gehorchen muß. Trotz alledem ist der Siorra'sehe Artikel 2 0 6 ganz nett und mehr mit Storm'schem Vergnügen, als mit seinen Schwächen ausgestattet, so daß ich ihn doch brauchen kann. Nur jetzt nicht. Darin stimme ich mit Dir überein; vielleicht aus andern, minder [gestrichen: n] düstern Gründen, als Du sie angiebst. Auch kommt seine Zeit hoffentlich bald.207
206
207
Darüber breiter mündlich.
tigen Bedeutung darin seine Rubrik finde. Ferner wird das Deutsche Kunstblatt ausser seinen bisherigen Beilagen monatlich zweimal ein unabhängiges Beiblatt bringen, welches in derselben Weise, wie das Hauptblatt den Interessen der bildenden Kunst, Baukunst und Kunstindustrie, so dem Interesse der poetischen Nationalliteratur zugewandt sein wird. Es wird hierbei neben anderen bekannten und geschätzten Schriftstellern namentlich der Kreis von Männern mitwirken, welche sich an dem eben auftretenden belletristischen Jahrbuch ,Argo' betheiligt hat. In der allseitigen Vertretung der künstlichen Interessen steht dem Blatte ein grosses Publicum offen. Künstler, Gelehrte, Kunsthandwerker und Industrielle nicht nur - auch der Salon und die Lesecirkel werden gern Belehrung, Unterhaltung und Anregung aus diesem von den gediegensten Federn geschriebenen Blatt schöpfen. (Preis, Format, wöchentl. Erscheinen bleiben) Berlin, 1. December 1853. Mit Hochachtung Heinrich Schindler" Mit dieser Entscheidung konzentrierten sich die Geschäfte des Blattes in Berlin, und Eggers war bestrebt, den Freundeskreis im Rütli ganz auf die Entwicklung der Zeitschrift einzuschwören. Storm hatte am 1 1 . Februar 1855 seinen Artikel über Fontane an Eggers geschickt, „den Schweiß zweier Sonntage", wie er schrieb. STaFE, S. 30. Der Artikel von Storm wurde im Literaturblatt am 18. Oktober 1855 veröffentlicht. Eggers hatte am 13. Februar 1855 an Storm geschrieben: „Für Ihren Artikel herzlichen Dank, der auch bestätigt wird, nachdem ich ihn endlich heute (Mittwoch) Morgen zu lesen Zeit gefunden. [...] Sagen Sie mir, bester Natron, auf jeden Fall vorher, worüber Sie confectiren [Storm hatte einen weiteren Beitrag angezeigt - d. Hrsg.] wollen, damit es mir nicht geht, wie mit Ihrem hübschen und sehr netten Fontane-Artikel, der ruhig noch eine Weile lagern muß, obgleich es mir, wie immer an Manuscript fehlt!!! Ruhig! Fahren 125
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
„Mündlich" apropo! Spitting208 hat die Ansicht, daß Du ihm und damit mir in diesen Tagen einen Besuch gönnen willst. Wäre köstlich! Damit wir dies aber auch recht genießen und auskosten, so melde ich, daß Du nicht heute Abend kommen wollest, da ich Vorlesung habe, sondern vielleicht Morgen Abend, wo in Betreff Sp's s.g. letzter Abend ist, der sich bei mir in Deiner und Irus Gesellschaft vielleicht angenehm verbringen ließe. Hm? - Kannst Du Morgen Abend nicht, so w - Spitting redet eben drein und sagt er wolle heut Abend in die Oper gehen, ginge auch noch gern einen Abend an den Heerd 209 . Es entsteht also die Frage, ob wir dem Heerd nicht den morgenden Abend octroy iren, was dort gewiß sehr gern gesehen wird. Bitte melde mir Deine Ansicht darüber. Wir hätten dabei den Vortheil, daß die ElloraMutter mit von der Parthie' sein kann, ohne daß ich damit gesagt haben wollte, daß ich es nicht auch für ein wundersames Glück hielte, wenn Höchstsie sich zu Deiner Begleitung in meine niedere Hütte entschließen könnte. Guten Morgen! Dein [griech:] Anakreon
208
209
Sie nicht aus der Haut. Es wäre ein Unrecht gegen Sie, gegen Fontane und gegen das Publikum, wenn ich diesen Artikel jetzt drucken ließe. Gründe? Mündlich!" Eggers deutete redaktionelle Ursachen an. Friedrich Eggers an Theodor Storm, 1 3 . Februar 1 8 5 5 . STA (unveröffentlicht; Gerd Eversberg stellte mir freundlicherweise seine Transkription des demnächst von ihm edierten Briefwechsels zwischen Storm und Eggers zur Verfügung). Es wird sich um den mit Eggers befreundeten Arzt Dr. Spitta handeln, den Eggers nach norddeutscher Gepflogenheit durch die Endung -ing mit einer Koseform versah. Darunter wurde im Freundeskreis Franz Kuglers Wohnung in der Friedrichstraße, aber auch das Ehepaar Kugler selbst verstanden. Kugler hieß in der Ellora „Heerdpriester".
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Nr. 29
1 3 . Februar 1855
Nr. 2 9 Theodor Fontane an Friedrich (wahrscheinlich Freitag
Eggers
1 3 . Februar
iSjjj210
Abend.
Lieber Eggers. Immermann 2 1 1 ist glücklich gekapert, so daß wir vier Mann hoch morgen Nachmittag aufbrechen werden. Der Z u g geht 5 Uhr, auch können wir sammt und sonders nicht früher. So dann: Rendez-vous Potsdamer Bahnhof 4 3 / 4 U h r . 2 1 2 Es kann ganz nett werden. - Ellora-Sonntag Abend, wir unsrerseits sind gesattelt. Sei so freundlich diese Zeilen sofort nach Durchsicht an unsren Lepel gelangen zu lassen, damit er sicher weiß, daß die Sache vor sich geht und zwar 5 Uhr. - Dein Lafontaine.
210
211 212
Hintergrund dieses Briefes war ein Treffen des Rütli. Die Zuordnung dieses undatierten Briefes in das Jahr 1855 gründet auf Fontanes Brief an Storm vom 1 3 . Februar 1855, in dem es heißt: „Wenn die Sonnabend-Excursion zu Ihnen nicht an Merckels und Kugler's Unwohlsein scheitert, so bin ich (nebst Frau) unbedingt von der Parthie." STFBW, S. 100. Eggers schrieb direkt an Storm am selben Tag und entschuldigte Kugler und vermerkte: „Bestellen Sie nur Thauwetter, das wird auch mir zu Gute kommen, der ich in meinem ,Vogelnest' ein bei 1 1 Grad höchst frierender Wurm bin." STA (unveröffentlicht). Woesler bietet mit vergleichbaren Belegen als Datierung den 6. Januar 1854 an. Datierungsvorschlag Winfried Woesler, S. 1 8 7 - 1 8 8 . Wilhelm von Merckel. Man tagte bei Theodor Storm, der zu dem Kreis gehörte und seit 1853 in Potsdam als Assessor Anstellung gefunden hatte. Franz Kugler schilderte in dem Brief vom 19. September 1855 an seine Frau Clara die Treffen bei Storm mit Mißmut. „Besonders erbaulich aber war es so wenig wie jenes erste Mal, als wir zusammen dort waren; sie wissen die Dinge nicht behaglich zu machen und der Lärm, die gelegentlichen Ungezogenheiten, dies Hin und Her ihrer Jungens nicht zu beseitigen." BSTB NL Franz Kugler. Franz Kugler an seine Frau. Sig Ana 549, No. 140.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Ich bitte Dich sehr dringend statt meiner die Einladungen zur Ellora ergehn zu lassen. Ich setze nämlich voraus, daß Du Roquette, Lübcke u. den Chevalier 2 1 3 noch siehst. A n Lucae schreib' ich. Th. F.
Nr. 30 Friedrich Eggers an Theodor
Fontane Berlin, am ζ 3 ten M ä r z 1855
Lieber Lafontaine, Die Vorlesungen 2 1 4 schmelzen an der Märzsonne, die Rede verstummt und die Feder wird lebendig und tritt wieder in ihre Rechte. Unter solchen Umständen ist wohl mein dringender Wunsch, daß Du 1 ) an den versprochenen Heine-Artikel115 denken wollest, 216 2) erwägen wolltest, daß Abukir bereits heraus ist, welches Ereigniß Dir Gelegenheit zu einem Aufsatz mit der Überschrift: Chr. Fr. Scherenberg geben sollte sehr natürlich und gerechtfertigt. Lieber N ö h l 2 1 7 , vergiß Dich, nöhle nicht, sondern schreibe bald!!!!!
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Rütli- und Elloramme von Karl Zöllner. Eggers erwähnte am 7. April 1855 „Vorträge", die er halte und für die er hohe „Preise" gesetzt habe. RSA, NL Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1.4.7.9. »Seit 3-4 Wintern", schrieb Heyse an Jacob Burckhardt am 14. Februar i860, „liest Eggers in Berlin über Kunstgeschichte vor einem gemischten Publikum, dessen schönere Hälfte sehr von ihm begeistert sein soll." BHBW, S. 94. Fontane hatte sich intensiv u. a. mit Heines Romanzerò beschäftigt, der 1852 bereits in vierter Auflage erschienen war. Sein Exemplar in der nachgelassenen Bibliothek im FAP enthält zahllose Anstreichungen und wertende Notizen, die den Schluß erlauben, daß er einen Artikel über dieses Buch plante. Christian Friedrich Scherenberg: Abukir, die Schlacht am Nil. Berlin: Franz Duncker 1855. Das Versepos schildert die Niederlage der französischen Flotte unter de Brueys während Napoleons Ägyptenfeldzug gegen die der Engländer unter Nelsons Kommando am 1. August 1798. Scherenberg stand 1855 als „vaterländischer Dichter" auf dem Gipfel seiner öffentlichen Anerkennung. Fontane und Eggers waren durch die gemeinsame Tttn«e/-Mitgliedschaft gut mit ihm bekannt. So wurde Fontane im Rütli und in der Ellora genannt.
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Nr. 31
April/Mai 1855
Ich habe neulich auch [gestrichen: De] endlich Dein Conto revidirt und gefunden, daß Du allerdings ein Guthaben hast. Ich habe dasselbe sofort zu mir gesteckt, um es Dir bei nächster Begegnung auf den Leib zu schießen. Das Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes stampft den Boden nach dem Reiter Nöhl. Donnerstag den 2 9 ^ M ä r z ist Ellora bei mir Dein, die Mutter 2 1 8 grüßender Deinige Fürst von Ahlbeck. 2 1 9
Nr. 31 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [April/Mai 1S55] Mein lieber Eggers. Das Concurrenz-fieber hat mich doch noch ergriffen. 2 2 0 Krankheit entschuldigt bekanntlich und so sei mir denn nicht böse, wenn ich den Aufsatz über Abukir erst in nächster Woche schreibe. 221 Deiner Nachsicht gewiß wie immer Dein Th: F. Dinstag. 218 219
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221
Emilie Fontane (Ellora-Mutter) ein weiterer Spitzname von Eggers. „Sein maßvoll gehaltenes Wesen trug ihm den Beinamen ,Der Fürst' ein. Vornehm war sein Denken und Handeln, immer von sittlichen Grundsätzen geleitet, in Allem was er dachte, sagte und that, auf das Ideale und Große gerichtet." So lautet Otto Roquettes verklärende Erinnerung an Eggers. Otto Roquette: Siebzig Jahre. Geschichte meines Lebens. Zweiter Band. Darmstadt: Bergstraesser 1894. S. 7. Mit dem Gedicht Lord Athol hatte Fontane sich an der für den 29. April und 6. Mai ausgeschriebenen Konkurrenz zu dem Thema „Der Gast" beteiligt und den Preis davongetragen. Im Literaturblatt Nr. 1 1 vom 3 1 . Mai 1855 erschien anonym Fontanes Aufsatz über Christian F. Scherenberg. Der Artikel war überschrieben: Christian Friedrich Scherenberg. Bei Gelegenheit seines Abukir. Zu Scherenberg hat sich Fontane in diesen Jahren mehrfach geäußert. Vgl. FABS III/2., S. 9 f. 129
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 32 Theodor Fontane an Friedrich
Eggers
[von fremder Hand: 21. Mai 1 8 5 5 ] Lieber Eggers. Ich bitte Dich noch 'mal in Ueberlegung zu ziehn, ob ich nicht besser tue den Aufsatz über Scherenberg in einem süddeutschen, rheinischen oder selbst österreichischen Blatte 2 2 2 drucken zu lassen. Bist Du überwiegend nicht der Meinung, so schicke mir den Aufsatz dennoch
-
nur auf einen Tag etwa - zurück. Ich denke von dem langen Citat aus Abukir ein Drittel streichen zu können. Außerdem will ich eine Menge Stellen (in der 2ten Hälfte) im Ausdruck wesentlich mildern. 223 Halte es nicht für Eigensinn wenn ich hinzusetze: es geschieht nicht weil ich glaubte irgendwo zu hart gewesen zu sein, sondern nur weil mir daran liegt Scherenberg'en, durch diese meine (subjektive) Wahrheit, so wenig wie möglich zu verletzen. 224
Dein
Th: Fontane. Montag.
222
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224
Fontane stand mit dem Österreichischen Lloyd in Triest in Verbindung, in dessen lllustrirtem Familienbuch zur Unterhaltung und Belehrung häuslicher Kreise 1853 zwei Artikel von ihm erschienen waren. Fontane war in den Arbeiten zu Scherenberg, die unter seinem Namen erschienen (1850 in der Deutschen Reform), diplomatisch verfahren und hatte sein eher abschätziges Urteil gegenüber der Dichtung des Tunnelkolltgen zurückhaltend oder indirekt formuliert. Anders war er in den anonymen verfahren. Er befürchtete offensichtlich, daß es mit der Anonymität im Literaturblatt, das ja immerhin mit der Beteiligung der Rütlionen auch öffentlich geworben hatte, nicht weit her sei, so daß er sich zur Milderung entschloß. „Mein Artikel" schrieb Fontane Ende 1853 und bezog sich dabei auf seine Scherenberg-Besprechung in der Deutschen Reform, „über Scherenberg kommt mir [...] vor wie Wassersuppe. Es ist nichts, wenn man um der Freundschaft willen alles loben muß; Kritiker müßten allemal Einsiedler sein." FLBW 2, S. 80.
130
Nr. 33
24. Mai 1855
Nr. 33 Friedrich Eggers an Theodor
Fontane 24— May 5 5
Lieber Lafontaine. Ich hätte beinah gestern Abend noch, so wie Du zu thun pflegst und wie der König that als Radowitz von ihm ging, 2 2 5 einen Brief an Dich geschrieben; aber das Geschäftsrad verschlang diesen Vorsatz. Ich denke eben wieder daran als ich die Feder an Dich einstippe. Es wäre eine sehr schöne Expectora tine 226 geworden; jetzt fehlt mir die Muße. Es wäre die Ausführung des Satzes gewesen, daß ich für Dich und nicht für Chr. Fr. Sch. 2 2 7 gebullert habe. 2 2 8 Du mußt es mir mal glauben, daß ich innerlich triumphire und selbst juble wenn die Vortrefflichkeiten Deiner Feder mein Ohr treffen; aber desto eifersüchtiger bin ich darauf, daß es nach meinen Begriffen ganz vollkommen sein soll. Wäre unsere Zuneigung mehr gegenseitig, Posa, so würde ich Dir mehr darüber sagen. Die Douglas waren immer treu 2 2 9 Ich habe heute Morgen Befehl gegeben, daß man Deinen Aufsatz zum Sonnabend Nachmittag fertig setze, theils, zu sehen ob und wie er füllt, theils um ihn Dir noch vor der Abreise vorlegen zu können. 2 3 0 225
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Joseph Maria von Radowitz hatte unter Friedrich Wilhelm IV. September 1850 das Portefeuille des Auswärtigen übernommen und wenig später im Zusammenhang mit der deutschen Frage ein Programm zum offenen Widerstand gegen die Politik Österreichs und seiner Verbündeten vorgelegt, das die Verärgerung des preußischen Königs hervorrief und seinen Rücktritt am 2. November 1850 zur Folge hatte. Daß der König ihm zugetan blieb, worauf Eggers hier anspielte, belegt der Umstand, daß er 1852 Radowitz erneut in seine Nähe beorderte. (lat.) eigentlich schleimartiger Auswurf durch Abhusten, hier von Eggers in ironischem Sinn gebraucht. Christian Friedrich Scherenberg. Bezug auf die Abstimmung über die am 29. April und 6. Mai ausgeschriebene Konkurrenz im Tunnel zu dem Thema „Der Gast", bei der Fontane den Sieg davontrug. Anspielung auf Fontanes im Freundeskreis hoch angesehenes Gedicht Archibald Douglas, aber mehr noch auf das Motto von John Home, das Moritz von Strachwitz seinem Gedicht Das Herz von Douglas vorangestellt hatte: „O! Douglas, Douglas, stolz und treu." Moritz Graf Strachwitz: Gedichte. Gesammtausgabe. Mit einem Lebensbilde des Dichters. Hrsg. von Karl Weinhold. Breslau: Trewendt 7 i878. S. 269. Fontanes Besprechung des Versepos Abukir von Scherenberg im Literaturblatt. 131
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Ich schicke Dir den Genast 2 3 1 und die Grenzboten 2 3 2 . Vergiß nicht, daß ich Dich Morgen Nachmittag Ά 4 Uhr zum Lazarus abholen werde. Der junge Dichter A . Glaser (Penelope, Moses, Gallilei) 233 wird dort sein Dein getreuer [griech.:] Anacreon. Herzliche Wünsche und Grüße für und an die Elloramutter. 231
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Es handelte sich um das „vaterländische Trauerspiel" Bernhard von Weimar von Wilhelm Genast (1822-1887), das 1855 veröffentlicht wurde. Im Literaturblatt vom 14. Juni 1855 erschien eine Zuschrift an den Herrn Redakteur der Grenzboten zu diesem Stück, verfaßt von Gustav Adolf Schöll, der zuvor versucht hatte, seine Replik auf eine Kritik des Dramas in den Grenzboten, der Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst, unterzubringen, die Eggers, wie er am 24. August 1855 gegenüber Heyse (LBK, Briefe an Friedrich Eggers. Sig. Cb 60,56: 213.) bemerkte, als besondere Konkurrenz empfand. Eggers versah die Besprechung mit einem redaktionellen Vermerk, in dem er mitteilte, daß das Literaturblatt selbst eine ausführliche Kritik geplant hätte, die sich durch die von Schöll jedoch erübrigt habe. Daran Schloß er einige grundsätzliche Bemerkungen, die für die Richtung des Literaturblattes aufschlußreich sind: „Wir haben kein vaterländisches Drama und können keines haben in dem Sinne, wie die Engländer eins besitzen. Die Zwiespältigkeit Deutschlands, die Gemeinschaftlichkeit des deutschen Vaterlandsgefühls und die Gegensätzlichkeit der Confessionen erschweren den[!] Poeten seine Aufgabe ohnehin zur Genüge; und es kann - mit Ausnahme dessen, was vor der Reformation liegt - kaum von einem andern, als von einem deutsch »protestantischen oder deutsch·katholischen Drama die Rede sein. Es ist nicht gerathen, die Schwierigkeiten, die dem Poeten hieraus erwachsen, noch zu steigern. Ueberlassen wir es jenen Gegnern, die das Stück nothwendig im andern Lager finden muß, den Kampf gegen dasselbe zu führen, aber begrüßen wir Alles, was als der Anfang eines deutsch=protestantischen Dramas zu betrachten ist. Wir gedenken hiermit nicht etwa der leidigen Tendenzstückmacherei das Wort geredet zu haben, wir hassen dasselbe, weil es entweder aufhört, ein Kunstwerk zu sein oder in begeistrungslose Phrase verfällt, aber wir wollen Stücke, in denen wir das Beste was wir haben: Treue gegen Glauben und Vaterland, Muth und Manneswürde, verherrlicht sehen. Wir müssen, dünkt uns, Jeden, der mit dichterischem Beruf daran geht, das unterbrochene Streben des Dichters des Prinzen von Homburg fortzusetzen, ermuntern, auch wenn seine Befähigung hinter der dieses bedeutenden Vorgängers zurückbleiben sollte." (S. 49) Gemeint ist die von Julian Schmidt und Gustav Freytag herausgegebene Zeitschrift, über die im Literaturblatt berichtet wurde. Adolf Glaser. Das Schauspiel „Penelope" erschien 1854 in Hamburg unter dem Pseudonym Reinald Reimar, während das von Eggers genannte Trauerspiel „Galileo Galilei" erst 1861 (Braunschweig) veröffentlicht wurde.
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Nr. 3 4
1 4 · Juni 1 8 5 5
Nr. 34 Friedrich Eggers an Theodor Fontane Berlin 14—Juni 1855 Lieber Lafontaine Der Redakteur des „Guardian" in Manchester(P) sucht einen hiesigen Correspondenten für sein Blatt. 234 Er ist eben durchgekommen, um in Wien ähnliche Geschäfte zu betreiben, kommt aber in 14 Tagen auf hier zurück. Unsere Freundin, Frau Ebers (Potsdamerstr 120) hat die gute Absicht, Dich und nur Dich vorzuschlagen, in welchem Vorhaben ich sie durch eine glühende Schilderung Deiner exorbitanten Kenntnisse in der Geschichte und Politik bestärkt habe. Bedingung ist, daß englisch geschrieben werde. Auch das werde gehen, sagte ich; denn: „Ein Sommer in London!" 2 3 5 - Das Honorar nannte und wußte sie nicht, versicherte aber mehrmals daß es glänzend sein werde und bat mich schließlich, nicht zu versäumen, Dich davon in Kenntniß zu setzen. Sage mir recht bald, wie Du darüber denkst. Sagst Du entschieden gleich: „ja\" so sei so gütig, die Dame zu besuchen und ihr Deine Willfährigkeit auszudrücken. Sie wird dann schon für die weitere Vermittlung sorgen. Ich meine, sie sagte: man will keinen Engländer. Lange zu, lieber Schatz. Es ist etwas, das mit Deiner Beschäftigung im Bureau 236 reine weg Hand in Hand geht und reicht am Ende weiter als Stundengeben237. Hm? - Sonnabend bei Lessing 238 , nicht? Was für Nachrichten aus Luckenwalde? 239 Dein tr 240 Fr. Ahlbeck. 234
In den von Charlotte Jolies angefertigten Exzerpten der dann verschollenen Tagebücher wird dieses Angebot erwähnt: „abgelehnt als zu schwierig und Fontanes Kräfte übersteigend." Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 3 6 1 .
235
Fontanes 1 8 5 4 bei Katz herausgekommenes Buch, das literarisches Produkt
236
Büro der Centraisteile
seines England-Aufenthaltes im J a h r 1 8 5 2 gewesen war. für Preßangelegenheiten,
w o Fontane das Lektorat eng-
lischer Zeitungen zu besorgen hatte. 237
Als Fontane A n f a n g 1 8 5 1 ohne feste Stellung gewesen war, hatte er versucht, sich durch Privatunterricht über Wasser zu halten.
238 239
Rütli bei Franz Kugler. D o r t hielt sich Emilie Fontane bei ihrer Bekannten Laura Knochenhauer auf. Sie erlitt Pfingsten eine Frühgeburt und w a r deshalb in einer physisch wie psychisch schlechten Verfassung. Der Sohn, getauft auf den N a m e n H a n s Ulrich, starb bereits am 8. Juni.
240
treuer.
133
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 35 Friedrich Eggers an Theodor
Fontane zo Jun 5 5
Lieber Lafontaine. Es ist Dir, der ich Dich schon tief in dem Artikel über „Soll u. Haben" wähne, 2 4 1 vielleicht nicht uninteressant, das L. C b l . 2 4 2 darüber zu vernehmen. Hier ist die betr. Nr., S.p.r.243\ - Gutzkow soll diesen schönen Roman in seinen Uterhaltgn 244 sehr hergerichtet hbn. Denk Dir! Frage, ob dahin nicht ein Hiebchen zu führen sei. Angenehm wird Dir sein, zu erfahren, daß das Publikum sehr erbaut von Deinem Scherenberg=Artikel ist. Auch der olle Heyse 2 4 5 lobte ihn sehr. Möchte Dich dies bewegen, den Debet u Credit'Artikel um so 246 schneller fertig zu fördern. Da wir berufen sind, Das Wort darüber zu sprechen, so wollen wir die Welt nicht zu lange warten lassen. Paul hat ι Art. über poet. [Eggers zeichnet für Schlachten zwei gekreuzte ScW e r t e r ] maierei geschr. [gestrichen: wohin er] worin er nbbei sagt: „er sei hingerissen v. dem Sch=Art 2 4 7 ." Davon Sonnabend.
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Fontane besprach den Roman Soll und Haben von Gustav Freytag im Literaturblatt Nr. 15 vom 26. Juli 1855, S. 59-63. Literarisches Centralblatt, in dem (wie immer anonym) eine Besprechung des Romans erschienen war. (lat.) sub petito remissionis - mit dem Ersuchen um Rücksendung. Karl Gutzkows Kritik war abgedruckt in den von ihm redigierten Unterhaltungen am häuslichen Herd 2 (1855), S. 558-561. Fontane hatte auch von Storm diese Rezension erbeten. Vgl. seinen Brief vom 16. Juni 1855 und die von Storm vom 14. Juni 1855, [16.6.1855] und 24. Juli 1855 in STFBW, S. 1 0 2 - 1 0 7 . Karl Wilhelm Ludwig Heyse, der Vater Paul Heyses. Eggers benutzt hier die französischen Bankbegriffe, um auf Freytags Roman und Fontanes Rezension anzuspielen. Scherenberg-Artikel von Fontane. Siehe die Briefe von Eggers an Fontane vom 23. März 1855 und die von Fontane vom April/Mai und 2 1 . Mai 1855. Paul Heyses Artikel erschien im Literaturblatt Nr. 13 vom 28. Juni 1855, S. 53-54 unter dem Titel Ueber poetische Schlachtenmalerei. Bei Gelegenheit von Nr. Ii des Literatur^Blattes des D. Kunstblattes.). Paul Heyse, dessen Artikel mit einem scharfen Seitenhieb gegen das von Fontane verwendete Zitat beginnt, nach dem Tatsachen stärker als Prinzipien seien, schreibt: „Der geistvolle Verfasser des Aufsatzes über Scherenberg möge aus diesem Eingange
134
Nr. 36
zi. Juli 1855
Beifolgend noch die neuesten Erzeugnisse meiner Muse. Ich dichte nur noch für die Jahrmarktsbuden, wie Du siehst. Gruß an die gute liebe Elloramutter von ihrem geplagten aber getreuen Sohn Hartwig 2 4 8 .
Nr. 36 Friedrich Eggers an Theodor
Fontane zite. Juli
1855.
Lieber Lafontaine In einer der neueren Nummern der „Kölner Zeitung" (kann aber doch wohl schon 1 od. ι 1 /* Wochen her sein) stand ein Artikel von Ernst aus'm Weerth und auch mit seinem vollen Namen unterzeichnet über Afinger's Büste von Ernst Moritz Arndt.249 Hättest Du wohl die Güte, mir diese Nummer anzuschaffen und sie mir bis Sonnabend zu leihen, w o Du sie im Rütli wieder in Empfang nehmen sollst.
248 249
nicht schließen, daß wir uns gegen ihn in derselben gereizten Stimmung befänden, die wir gegen sein Citat allerdings nicht verhehlen konnten. Im Uebrigen hat uns jener Aufsatz vielfach hingerissen, und dann und wann - wenn dies nicht nach einem allzu naiven Selbstlob aussähe - uns die Worte von der Zunge genommen." (S. 53). Trotz dieser Anerkennung handelt es sich bei Heyses Artikel um eine Gegenposition zu Fontane, ein Umstand, den Eggers gegenüber Fontane verdunkelte. Heyses ästhetisch fundierte Polemik endet mit den Sätzen: „Die Kritik aber darf sich durch den Einwurf, ein Gedicht sei patriotisch, nicht einschüchtern lassen, seinen poetischen Werth zu prüfen. Jeder sei Patriot an seinem Ort, und im Interesse des literarischen Ruhms seiner Nation. Die Sache ehrwürdiger Principien gegen anmaßliche Thatsachen verfechten, wird doch wohl auch patriotisch sein." (S. 54). Eggers' zweiter Vorname. Der Artikel von Ernst Aus'm Weerth Ernst Moriz Arndt's Büste von Afinger erschien in der Kölnischen Zeitung Nr. 175 vom ζ6. Juni 1855. Anlaß war die 300-Jahr-Feier der Greifswalder Universität gewesen, für die der Bildhauer Bernhard Afinger, ein Schüler Rauchs, die Büste angefertigt hatte. Ernst Aus'm Weerth war treuer Mitarbeiter des Deutschen Kunstblattes.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Trifft Dich die Überbringerin, so sei so gütig ihr die MarggraffNummer 250 zu geben. Wie ist es schließlich mit Freienwalde? Morgen wird nun endlich gefahren. „O läge diese Stadt erst hinter mir!" D. h. gar nicht Berlin, sondern Freienwalde. 251 Ich hege die ernsthaftesten Zweifel, daß ich's vollbringe. Adieu Dein Anakreon. Gruß an die Elloramama! [von fremder Hand, möglicherweise Seiten später]
vom Abschreiber:
Schluß zwei
Nr. 37 Theodor Fontane an Friedrich Eggers d. 19. September d.J. London 3 Campden House Road Kensington. Mein lieber Eggers. Ich schriebe Dir wohl einen langen Brief, wenn mir nicht - ganz abgesehn vom Kopf der summt und brummt - vom vielen Schreiben bereits die Finger weh thäten. 252 - Was ich Dir zuerst mittheilen will [1eingefügt: ist das], daß ich an Briefen für's Literaturblatt („Shakespeare auf der modernen englischen Bühne") äußerst thätig bin und 250
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Hermann Marggraff hatte Ende 1853 die Redaktion der Blätter für litterarische Unterhaltung im Verlag F. A. Brockhaus übernommen, die sich rasch neben den anderen literarischen Zeitschriften behaupteten. In Freienwalde hatte Kugler bei Verwandten einen Sommersitz. Seit dem 10. September 1855 befand sich Fontane im Regierungsauftrag in London, „um alle Möglichkeiten zur Gründung einer deutsch-englischen Korrespondenz zu erforschen". Jolies, S. 104.
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Nr. 37
19. September 1855
spätestens innerhalb 8 Tagen Dir zwei derselben hoffe zustellen zu können. 253 - Das zweite ist die Bitte, alle Riitlionen und Ellorabrüder auf's allerherzlichste von mir zu grüßen. Ihr wißt gar nicht, was ihr alle für ungeheuer interessante Menschen seid, und auch ich habe immer nur in England ein recht lebhaftes Gefühl von euren immensen Fähigkeiten. - Das dritte nun aber geht unsren alten Handel an. Willst Du kommen? Wenn Du - alles gilt noch so wie ich's Dir am 6r September schrieb - wiederum mit einem nein antworten mußt, 254 so bitt' ich Dich auf's dringendste so bald wie möglich zu Bormann 255 zu gehn und diesen zu fragen: ob er was gefunden habe, oder noch zu finden denke? 256 Empfiehl mich ihm und entschuldige mich, daß ich
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Die Reihe erschien unter der Überschrift Shakespeare auf der modernen englischen Bühne in neun Briefen. Der Erste Brief Heinrich III. im Prinzeß-Theater wurde in Nr. 22 vom 1 . November 1855 des Literaturblattes veröffentlicht. Die beiden Briefe sind nicht überliefert. Eggers schrieb unter dem 28. Oktober 1855 an seine Eltern nach Rostock: „Fontane ist allerdings in England und zwar in Mission von seinem Preßbureau, er soll dort ein politisches Correspondenz-Zweig-Bureau gründen. Er ist mit ziemlichen Geldmitteln ausgestattet und es ist nicht unmöglich, daß es eine dauernde Niederlassung wobei Frau und Kind nachkommen, nach sich zieht. [...] - Ganz ohne Einwirkung ist der Umstand, daß Robert [Pries - d. Hrsg.] nicht mehr dort ist, auch nicht auf meinen Entschluß, Fontane nicht zu folgen, geblieben. Das Ministerium bot mir 1200 rh jährlich, wenn ich als Fontane's Gehilfe nachgehen wollte. Ich hab's hin und her überlegt und dann abgeschlagen; einmal war es für England zu wenig Geld. 2) sollt' ich Politik machen und 3) was für welche? ministerielle. - Ich will schon Geld vom Ministerium nehmen, aber ich will dabei meinen Kopf behalten. Die erste Rechenschaft ist doch ein ehrlicher Mensch immer seinem Herrgott und sich seinem Gewissen schuldig. Hernach kommt erst die weltliche Obrigkeit. Wäre es mit meinem Kunstblatt rein aus und zu Ende gewesen, dann lag die Sache auch noch anders. Aber so in's Ungewisse - das wollt' ich doch nicht." N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1.4.7.9. Daß im Freundeskreis Fontanes Angebot an Eggers positiver erwogen wurde, beweist Wilhelm Lübkes Brief an Eggers vom 20. September 1855: „Sein [Fontanes - d. Hrsg.] Anerbieten an Dich scheint doch, zumal unter obwaltenden Verhältnissen, erwägenswerth." Ein halbjähriger Aufenthalt in London würde für Eggers „sowohl der Studien als auch der Ausspannung wegen [...] doch sehr werthvoll" sein. LBK, T N L Eggers. Sig. Cb 60, 56: 296. Karl Bormann verfügte seit Mitte der vierziger Jahre - er hatte am preußischen Hof Unterricht erteilt - über gute ministerielle Beziehungen, die von den Freunden wiederholt in Anspruch genommen wurden. Bernhard von Lepel reagierte am 15. Mai 1856 auf Fontanes wiedergeholt geäußerten, also durchaus ernst gemeinten Wunsch, Rütlionen nach London
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
nicht noch selber an ihn schreibe. Noch ein Brief und ich bin todt und das wollt ihr doch am Ende nicht. Wenn auch Metastasio die Achsel zuckt, so theile mir das ohne Zögern mit, frankire den Brief und notir' es, damit es mir später abgezogen wird. Die Zeit verrinnt; die Dinge müssen zum Abschluß gebracht werden und wenn es auf privatem Wege nichts wird, so muß ich zu einer Annonce in den [eingefügt: deutschen] Zeitungen meine Zuflucht nehmen. Hat Metastasio umgekehrt einen guten Fischzug gehalten, so bitt' ihn, daß er mir eine Zeile gönnt, vielleicht auch den einen oder andern der Herrn veranlaßt an mich zu schreiben. Ich setze mich dann mit denselben in Verbindung, da bis dahin entschieden sein muß, ob aus der Sache etwas wird oder nicht. Zunächst würd' es mich geniren, wenn sich ein solcher Candidat der Publicistik direkt (wie ich das mit Metastasio besprach) an Dr. Metzel wenden wollte, weil, wie du weißt, die Angelegenheit [eingefügt: (d. h. die Betheiligung der Regierung)] ein Geheimniß bleiben soll. Ist aber erst eine Art Engagement erfolgt, ist der Betreffende einer von Karl Moors Bande 257 geworden, so fallen diese Rücksichten weg und er kann meinetwegen auf Dr. Metzels Sopha schlafen, jedenfalls aber mit ihm so viel verhandeln und sich vergewissern wie er will. Wenn Du zu Metastasio gehst, so nimm auch - wenn Du ihn noch hast - ja den Brief mit, den ich Dir am 6t September schrieb. 258 Er enthält eigentlich alles, namentlich auch das: daß der Spaß möglicherweise nur kurze Zeit dauern kann; aber ich denke mir, 3 oder 6 Monate in London zu leben, muß für einen garçon 259 , bei sorgloser Existenz, immer ein Vergnügen und we-
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zu holen: „Von Deiner Stellung u. amtlichen Thätigkeit haben wir immer noch keine klare Vorstellung. Bormann erfuhr nur von Metzler, Du sei'st der Gesandtschaft attachirt u. bezögst ein Gehalt von 1800 rth.; bon! [...] Deine Aufforderungen an die Rütlionen, nach London zu kommen, um bei Dir freies Leben zu haben, wirkte mächtig auf die Gemüther. Kugler sagte, ein Aufenthalt in L. sei ihm gerade f. d. Kunstgeschichte höchst wünschenswerth. Es ist nicht unmöglich, daß nächstens Einer von uns bei Dir einspringt." FLBW 1, S. 156. Gestalt aus Friedrich Schillers Stück Die Räuber. Dieser Brief - wie übrigens weitere aus dieser Zeit - muß als verloren gegangen gelten. (frz.) Kellner, Junggeselle, eigentl.: Knabe.
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Nr. 38
15. Oktober 155
nigstens lehrreich sein. Nun leb schreibe, schreibe bald, schreibe viel, schreibe gut, grüß' die lieben Leute beiderlei Geschlechts und sei selbst herzlich gegrüßt von Deinem Th: Fontane. Den Empfehlungsbrief Kuglers an Eastlake 2 6 0 geb' ich erst ab, wenn es mit meinem Englisch wieder besser geht. -
Nr. 38 Theodor Fontane an Friedrich
Eggers London d. 1 5 . Oktober 5 5 2 3 . N e w Ormond Street Queens Square.
Mein lieber Eggers. Alles Pulver verschossen, bis auf dieses Schnipselchen Papier! Ich sende Dir heute 2 Briefe für's Literaturblatt, 261 die beiden andern ([eingefügt: übers] Saddlers[!]-Wells-Theater auf dem jetzt Tempest und Hamlet gegeben werden) 2 6 2 bring' ich entweder nach 1 4 Ta-
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Charles Eastlake war, seit 1850 Präsident der Royal Academy of Arts, schon längere Zeit mit Kugler bekannt. Er hatte Kuglers Handbuch der Geschichte der Malerei (1837) ins Englische übersetzt. Kugler schickte Fontane das Empfehlungsschreiben am 5. September 1855 zusammen mit einem Porträt von sich und den Worten: „verfüge darüber nach Deinem Gutdünken". KaF 2, S. 9. Erst am 7. Juli 1856 findet sich in Fontanes Tagebuch die Notiz: „[...] und Sir Charles Eastlake geschrieben; meinen Empfehlungsbrief eingeschickt." Am 27. Juni hatte er vermerkt: „Die Gefahr der Lady Eastlake mit ihrem Gemahl vorgestellt zu werden, geht glücklich vorüber; - beide sind nicht zu Haus, oder finden es für gut nicht zu Hause zu sein." Tagebücher 1852/ 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 138 und 134. Im Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes wurde der Erste Brief (Heinrich VIII im Prinzeß-Theater.) in Nr. 22 vom 1. November 1855, S. 89-92 und der Zweite Brief (Richard III. im Soho-Theater) in Nr. 23 vom 15. November 1855, S. 93-95 veröffentlicht. Der Dritte Brief (Hamlet im Sadlers-Wells-Theater.) kam in Nr. 24 vom 29. November 1855, S. 97-99, der Vierte Brief („Der Sturm" im Sadlers-WellsTheater.) in Nr. 26 vom 27. Dezember 1855, S. 1 0 5 - 1 0 6 . 139
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
gen mit zurück (meine Affairen sind nämlich noch immer nicht entschieden) oder schicke sie Dir um dieselbe Zeit durch GesandtschaftsGelegenheit. Ich setze dabei voraus, daß das Literatur-blatt den i t e n Januar überdauert; wo nicht, so bitt ich Dich natürlich dringend auch diese beiden Briefe nicht zu drucken, weil die 4 Besprechungen durchaus zusammengehören und es lächerlich wäre, wenn ich mit der 2 tn Hälfte wo anders unterkriechen wollte. Bis zum 1 5 " 1 Dezember erscheinen zwar noch 5 Nummern, aber es ist doch am Ende unthunlich 4 davon mit einem und demselben Thema zu füttern. Für den Sterbefall d. L.b. 263 , [eingefügt: oder den Fall daß Dir die Briefe nicht behagen, Fälle] die ich [eingefügt: beide] schmerzlich bedauern würde, gieb das M. S. an meine Frau, der ich schreiben werde, was sie damit thun soll. Leb wohl. Grüße Rütli und Ellora aufs herzlichste. Dein Th: Fontane. Wenn Du die Briefe druckst, so wär' es mir lieb, Du ließest die eine schöne Stelle „Anne Bullen! no, I'll no Anne Bullens etc." 264 englisch drucken. Hälst[!] Du's für nöthig, so gieb in einer Anmerkung die Schlegelsche Uebersetzung. Du wirst selbst finden, daß sich diese englischen Worte famos machen. - Willst Du die Namen „Lavallade" u „Fuhr" 2 6 5 streichen, so hab ich nichts dagegen; corrigire dann aber nett.
263 264
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Literaturblatt zum Deutschen Kunstblatt. William Shakespeare: The famous history of the life of King Henry VIII, Act III, sc. 2. Lina Fuhr und Franz (oder François) von Lavallade waren Schauspieler am Königlichen Schauspielhaus. Eggers beließ die Erwähnung der schauspielerischen Leistungen im abgedruckten Text. Fontane schrieb u. a.: „Der Buckingham war tüchtiger, als ihn Herr v. Lavallade (den ich im Lustspiel respektiere) trotz seines ungleich besseren Pelzmantels zu geben pflegt. [...] Die Elisabeth war gut und die Königin Anna über alle Vergleiche besser als Fräulein Fuhr, die wir gewöhnt sind in dieser Rolle zu sehen." Shakespeare auf der modernen englischen Bühne. Zweiter Brief: Richard III. im Soho-Theater. Fontane SW, A K E ι , S. 89.
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Nr. 3 9
2 4 . Oktober 1 8 5 5
Nr. 39 Friedrich Eggers an Theodor Fontane Berlin, am 24. October 1855 Mein lieber Nöhl, Deinen ersten lieben Brief erhielt ich in Dresden 266 mitten in Versammlungs Arbeiten. Es war mir rein unmöglich zwischen heut und morgen „ja" zu sagen, „ich komme". Ich schrieb darum nach Berlin und bat Metastasio, nur loszulegen so gut es gehen wollte. Nun bin ich zwar seit 14 Tagen zurück, habe auch einen starken Erkältungs Anfall überstanden, bin Dir außerdem dankbar verpflichtet für Deine Shakespeare=Briefe267 und dennoch gesteh' ich Dir offen ein - wahre Tunnel Offenheit - daß ich mir schwerlich diese Zeit für einen Brief an Dich bitter stehlen würde, wenn es nur (o dieses böse nur!) ein Liebesbrief werden sollte. So aber soll ein ein [!] Geschäftsbrief werden und für solche muß nach unsern Grundsätzen Zeit vorhanden sein. Laß' mich gleich zur Sache kommen. Du und Dein Unternehmen bist der Hauptgegenstand der Verhandlungen im letzten bei mir stattgehabten Rütli gewesen. Schenkendorf nützte, indem er nur Auszüge aus Deinem Briefe an die ElloraMutter 268 , soweit sie Dein Geschäft betreffen und die er sich aufgeschrieben hatte, mittheilte. (Deine Briefe an Sch. 269 konnten noch nicht gelesen werden, da ich sie Montag drauf erst erhielt.) Einstimmig gefiel uns, daß Du an Hr Dr M. 2 7 0 einmal recht gründlich auseinandersetzen 266 Eggers hielt sich im Oktober in Dresden zu einem Besuch bei befreundeten Künstlern auf, um für das Kunst-
und Literaturblatt
Abonnenten und Mitar-
beiter zu werben. A n seine Eltern schrieb er am 1 0 . Oktober: „Ich habe in Dresden bei Otto Roquette gewohnt. [...] H a b e auch sehr angenehm gelebt. W a r viel eingeladen, [...] bei [...] Rietsehl, G u t z k o w , Berthold Auerbach, Julius H a m m e r , Bendemanns und H ü b n e r . " R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1 . 4 . 7 . 9 . Besonders die Beziehung zu Auerbach brachte für das Blatt Ertrag. Auerbach schickte bereits am 1 9 . Oktober 1 8 5 5 einen (nicht von ihm verfaßten) A u f s a t z für das Deutsche 1 8 5 6 einen eigenen (im Literaturblatt
Kunstblatt
und am 3 0 . N o v e m b e r
leider nicht zu identifizierenden) Text.
Als er Ende der fünfziger Jahre nach Berlin übersiedelte, w a r er auch Gast des Rütli. Die Briefe Auerbachs bewahrt die L B K im T N L Eggers auf. 267
Vgl. Fontanes Brief an Eggers v o m 1 9 . September 1 8 5 5 .
268
Uberliefert sind Fontanes Briefe an seine Frau v o m 4-/5. und 1 2 . Oktober 1 8 5 5 .
269
Schenkendorf, also Lepel.
270
L u d w i g Metzel, Fontanes Vorgesetzter in Berlin. A n ihn waren die ersten L o n doner Berichtsbriefe gerichtet. Siehe Tagebücher
1852/1855-1858.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
wolltest, daß man die Sache nicht halb, sondern ganz und im großen Style machen müsse, wenn überhaupt was daraus werden solle. Alle und jeder besonders waren wir der Ansicht, daß Du vor allen Dingen und um Alles in der Welt nur gegen die Herren von der Regierung nicht blöde sein und keine übel angebrachte Sparsamkeit oder Noblesse ausüben sollst. In vollem Maaße müßtest Du wirklich ausüben, was Hegel Dir ja auch noch empfohlen hat, daß Du alle Kosten jeglicher Art gehörig ankreidest und wird Dir da einzelne Buchführung, welche zu verlangen übrigens außer allem Styl und Brauch bei der Regierung ist (nach des Heerdpriesters271 gewissenhafter Versicherung) zu lästig, so bist Du gehalten und verpflichtet, tüchtige Pausch*Quanta272 in Rechnung zu bringen. Räuberhöhle „is nich" (ede non, nach neuester Übersetzung) hier heißt es: „Anständige Repräsentation der Preuß. Presse od. d. Ministeriums." Du hast die Zufriedenheit der hiesigen Leute mit dem bis anitzo von Dir Geleisteten hinter Dir. (wie aus zuverlässiger Quelle versichert werden darf.) Nun greifst Du die Sache in großem Style und etwas dictatorisch an; Du flehst und bettelst nicht, Du forderst! Du sagst: glaubt Ihr, daß ich mich hier blamiren will? Habt Ihr mich mal gesandt, so macht, daß ich die Sache auch durchführen kann, wie sie allein durchzuführen ist. Also Geld her, sonst blamirt Ihr Euch. Auf die Art meine ich, kann niemals das Gefühl dabei herauskommen, daß Du irgendwie das Ding nicht recht gemacht hättest und nun wie ein Abgehalfteter erscheinen müßtest, sondern - falls die Sache wirklich schief geht vielmehr dies Gefühl: Ich habe Euch den Gefallen gethan und die Sache versucht, da Ihr aber, o Scham! mit dem Lumpengeld nicht bei der Hand wart, welches ja wie Dreck selbstverständlich daliegen mußte, so habt Ihr viel gegen mich gut zu machen und ich will erwarten, wie Ihr das anstellt. Habe, ich bitte Dich, diese göttliche Dreistigkeit. Wenn sie irgend Unrecht, wenn sie irgend nur unzart wäre, Du kannst mir glauben, daß mein Gefühl sich sträuben würde, sie Dir in allem Ernst anzurathen. Ich schreibe da wirklich aus Erfahrung. Ich müßte ja Schindler gegenüber, der gerade so viel Deficit macht, als ich ihm koste, ungemein sparsam thun und blöde sein, wenn ich mich 271
272
Franz Kugler, dessen Wort durch seine Stellung als Geheimrat und ministerieller Beamter besonderes Gewicht hatte. (lat.) Pauschquantum - Gesamtbetrag zur Abgeltung mehrerer einzelner Summen oder Leistungen (Pauschale).
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Nr. 39
24. Oktober 1 8 5 5
nicht immer von dem Bewußtsein und der Überzeugung voll söffe, daß die Idee und der gute Wille Deutschland ein Kunstblatt zu geben, wie es sein muß (die wirkliche Ausführbarkeit ist mir nicht weniger problematisch, als Dir irgend die Ausführbarkeit Deines Planes sein kann), also daß diese Idee so hoch steht, daß alles Geld der Erde gering ist gegen den ernsten Versuch, sie zu realisiren. Ich kann Dir auf Ellorawort versichern, daß mir noch nie im Traum der Gedanke auch nur eine Sekunde lästig geworden ist, daß ich Schindler jetzt schon um nichts und wieder nichts (für ihn h.d.) 1 6 0 0 rh koste. Lessing hat uns haarsträubende Summen genannt, Immermann dito dito, welche der Staat rein vor nichts wegschmeißt und weggeschmissen hat und wegschmeißen wird. Niemals aber ist etwas weggeworfen, das ein Mann mit erstem festen Willen und mit getreuer Arbeit für eine Idee empfängt, und wenn es Millionen wären. Es geht nichts über eine Idee, für welche man Interesse und seine Mühe hingiebt. Alles Andere wird klein dagegen. Und nun gar das Lumpengeld des Preuß. Staats! Landgraf werde hart! Landgraf werde hart! 2 7 3 - Ich wollte, ich könnte Dir das Alles so vernünftig, so urvernünftig auseinandersetzen, als die beiden StaatsMänner, Heerdpriester und Immermann es Alles gesagt haben. Sie schrieben's Dir doch wohl nicht; Er macht Architektur=Geschichte 274 und der Andere - ein Tunnel=Conkurrenz=Gesetz. Wie ich Dir das da so hin bruddele, so klingt das Alles etwas barmastig 275 und perdeeflich 276 (zwei natürlich unübersetzbare plattdeutsche Wörter) es geht mir aber so wie jenem mecklenburgischen Justizrath, von dem das Gericht die Gründe zu seinem Urthelf!] verlangten. Er ließ sich auf Nichts ein und sagte bloß: „Meine Herren, mein Urthel[!] ist auf 273
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Sprichwörtlich gewordene Wendung aus dem Gedicht Oer Edelacker von Wilhelm Gerhard. Kugler arbeitete an einer Geschichte der Baukunst, mit der er sein Lebenswerk krönen wollte. Er konnte sie nicht fertigstellen. Für den eher provisorischen Abschluß des Unternehmens konnte Paul Heyse nach dem Tod Kuglers nur durch Überredungskunst Jacob Burckhardt und Wilhelm Liibke gewinnen. Besonders Burckhardt sprach aus Hochachtung für das von Kugler Geleistete seine Skepsis klar aus: „Hast Du diese Geschichte der Baukunst z. B. ein wenig studirt? sieh Dir doch nur das Buch recht darauf an, nach welchen Principien und Dimensionen es gearbeitet ist. Dergleichen ,vollendet' überhaupt Niemand, wenn der Autor gestorben ist." BHBW, S. 5 1 . „barmastig" soviel wie „ohne M a s t " , ohne rechten Schwung und Zugriff. Siehe Wossidlo/Teuchert. „perdeef" - eigentlich „Pferdedieb", hier gemeint „einem das Brot neiden".
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Cavaliers Parole richtig!" So ist auf ElloraParole lauter Wahrheit in dem was ich Dir gesagt habe. Schenkendorf wurde noch beauftragt, Dich zu fragen, ob es Dir Recht wäre, wenn Metastasio, der Dr. M . kennt und dessen Examinator gewesen ist, mit ihm über die Angelegenheit redete; denn man stimmte meinem Gefühl bei, daß es nützlich gewesen wäre, wenn Dr. M . die sehr bündigen Ansichten des Rütli, also eines unpartheiischen Dritten, worin gewiegte StaatsMänner sitzen, gehört hätte. Willst Du, so thut Metastasio das; denn es kann den Leuten doch eigentlich nur erwünscht sein, so gewissermaßen eine Stimme aus dem Publikum über ihre Sache zu hören. Denke Dir, Deinen Aufsatz hab' ich nur erst angelesen, so bin ich gehetzt worden; so viel hat sich durch meine Reise und mein Kranken aufgesummt. Eben lesen sie ihn jetzt in einer Ellora bei Dick. Ich will aber gleich mal herum (Ich sage herum, da ich jetzt Köthnerstr 48 wohne) gehn und nachsehn, wie weit sie sind und was sie sagen. Daß Du mich „Sie" anredest, gefällt mir nicht. Hast Du nichts dagegen ändre ich es in „ D u " um. Ich meine, Du solltest wirklich thun, als wenn Du an Deinen - Liebling ??!!! (Liebling weil er Dich so liebt) schreibst, wie Du ja auch thust. Oder hast Du Dir den Rütli gedacht? Wäre auch nicht übel. Will's mir mal darauf ansehn. Er kann nur gewinnen bei dieser Vorstellung eines bestimmten Adressaten. - Eben tritt der Buchhändler Emil ein und versichert, daß er die Männer Irus und Dick 2 7 7 am Potsdamer Thore nach der Stadt hineinpilgernd angetroffen habe. Daraus schließe ich, daß aus der Ellora nichts geworden ist. Es ist doch grausam, daß sie gleich kein Ellora abhalten, wenn ich sage, „ich bleib' zu haus' und schreib an Nöhl." Ich wollte, ich hätte 1 0 Nasen, daß ich sie überall zugleich hinstecken könnte. Nun will ich Dir aber noch sagen, wie es mit der Fortsetzung des Kstblatts steht. In den schwankenden Zustand brachte das Faktum etwas Halt, daß die hies. Akademie plötzlich 20 Exemplare auf einmal bestellt. Das imponirte denn doch. Nun stehen die Aktien also etwas besser und es wird allerlei wegen neue Einrichtungen etc. konferirt. 278 277 278
Wilhelm L ü b k e und Richard Lucae. Im Brief v o m 2 8 . Oktober 1 8 5 5 an seine Eltern ging Eggers ebenfalls auf diese positive Entwicklung ein: „ D i e Akademie der Künste hier hat plötzlich auch 2 0 Exemplare des Kunstblattes abonnirt; wenn nur noch 5 andere Körperschaften so frei sein wollten, so ist mein Blatt durch und ich kann sagen, daß ich mir mit der M ü h e doch selber eine Jahresrente erobert habe. N u r noch 1 0 0 Abonnenten! Ich erlasse daher jetzt Schreiben an die übrigen Akademien
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Nr. 4 0
3 1 . Oktober 1 8 5 5
Wie die Sachen stehen glaube ich also eher zum Druck Deiner Briefe schreiten zu dürfen, als nicht. Meinem Grundsatz getreu hab' ich mich freilich nicht abhalten lassen, Schindlerchen gestern einen strohgroben Brief wegen säumiger Zahlung an mich zu schreiben, worauf denn auch heute das Geld erfolgte. Aber solchen Puff muß er vertragen können. Das setzt den richtigen Respect. Mach' Du es mit Deinem Ministerium nur auch so. Am 25. Oct. Morgens. Ich habe mir eben Deine Sh=briefe279 zurück gefordert und sie gehn jetzt, nachdem ich sie gelesen in die Druckerei. Ich finde sie mächtig interessant und küsse Dich für diese Gabe. Ich lasse sie schnell setzen, um den Rütli damit zu überraschen, da er sie ja leider im M. S. nicht hat hören können. Über das „Sie" od. „Du" hab' ich mir durch „Deutsches Kunstblatt" und „geneigte Leser" hinweggeholfen, um Dir keinen Verdruß irgend einer Art zu machen. Aber das Sie und Ihnen war mir allzu unleidlich. Nun lebewohl und schreib bald mehr! Dein getreuer Friede Ahlbeck.
Nr. 40 Theodor Fontane an den Rütli (persönlich an Friedrich Eggers, Wilhelm von Merckel, Franz Kugler, Karl Bormann, Adolph Menzel, Bernhard von Lepel und Theodor Storm)280 London d. 3 1 . October 1855 23 New Ormond Street Queens Square Vielgeliebter Rütli. Wenn Du noch am Leben bist, so erfahre zunächst, daß auch ich mich noch des himmlischen Lichtes freue; freilich nur insoweit, als von Deutschland und will sehen, o b es noch mehr vernünftige Leute giebt." R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Sig. 1 . 4 . 7 . 9 . 279
Shakespeare-Briefe.
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Diesem Brief liegt der A b d r u c k in F M B W 1 , S. 1 7 - 2 4 zugrunde. I
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
ein respektabler London-Nebel das zuläßt und als überhaupt noch von Freude die Rede sein kann, wenn ein Rütlione ohne Rütli ist. Die Würfel - um eine Wendung von entsprechend historischer Wichtigkeit zu gebrauchen - sind gefallen und der Rubicon ist überschritten. 281 „Ich bleibe hier!" schreit Ferdinand Cortez 2 8 2 (wenn ich nicht irre) und nur insoweit unterscheid ich mich von ihm, als ich an guter Stelle gelernt habe, „daß Vorsicht des Mutes beßrer Theil ist" 2 8 3 , und in Folge davon mit mir einig geworden bin, die Schiffe nicht zu verbrennen. 284 J a ich denke sogar, um der Neuzeit wie billig Rechnung zu tragen, eine regelmäßige Dampfschiffahrtsverbindung zwischen New Ormond Street und der Heimat einzurichten, und nirgends wird der rascheste und beste meiner Steamer lieber anlegen als an den Werften, w o der Rütli seine Pfeife dampft und Werg zupft und festsitzt wie Pech, zum Schrecken aller wartenden Ehefrauen. Die Heimat mit der Fremde zu vertauschen (und wenn's auch eigne Wahl wäre! unsre Wahl ist oft nur Zwang) ist immer hart; aber es ist doppelt hart in den Fest- und Freudewochen, die die Grenznachbarn des alten und neuen Jahres sind. Am 1 4 . November beginnt für mich der Reigen mit dem Geburtstag meiner Frau, und er schließt ab mit dem 1 9 . Januar, dem Geburtstag meines geliebten und verehrten Lessing. Und dazwischen liegt Weihnachten im Kranze dreier Stiftungsfeste: Tunnel, Rütli und Ellora. Mit meinen Gedanken werd ich an jedem dieser Tage bei Ihnen sein, an dem einen oder andern auch wohl mit wenigen Zeilen. Nun aber sei es mir vergönnt, das Rütli-Collektivum aufzugeben und jeden einzelnen insbesondre zu begrüßen. Ich wähle die Reihenfolge, die unter uns gilt.
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„Alea iacta est!" (Der Würfel ist gefallen) soll Caesar 49 v.C. gesagt haben, als er sich entschloß, den Grenzfluß zwischen Gallien und Italien - den Rubicon zu überschreiten und damit den Krieg zu eröffnen. „Ich bleibe hier" ist ein Zitat aus der Oper Fernand Cortez oder Die Eroberung Mexikos (II, 7) von Gasparo Spontini. Das Libretto schrieb de Jouny, die deutsche Übersetzung rührte von einem „Kriegsrat M a y " her. „Der bessere Teil der Tapferkeit ist Vorsicht". Fontane zitierte aus Shakespeares König Heinrich IV, Erster Teil (V, 4). Diese Redewendung geht wahrscheinlich auf Ferdinand Cortez zurück, der, als die ihm untergebenen Söldner meuterten, die Schiffe anzündete, um ihnen die Flucht unmöglich zu machen und sie zum Kampf zu zwingen.
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Nr. 4 0
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Lieber Anakreon. Brav so! stolz lieb ich den Rostocker. 285 Ich habe Dir Briefe geschickt in allen Formen, druckbare selbst (wofern Du sie dafür häl[t]st), und sehe noch immer einer Zeile entgegen, die wenigstens den Empfang konstatirt. Doch sollt ich Dir zürnen? Wer weiß, welcher Leibschwabe 286 Dir eben jetzt Deine Stunden stiehlt, und wie würd ich den Antrag zu stellen wagen, dies altehrwürdige Institut um meinetwillen aufzugeben! Aber weg den Scherz. Ernsteres nimmt Deine Zeit gefangen, und ich seh Dich im Geiste neue Bäume pflanzen für die Zukunft. Laß' mich die Namen der neuen Vereine wissen, mit deren Gründung Du für diesen Winter beschäftigt bist, und wenn das Register zu lang wird, 2 8 7 so nenne wenigstens die wichtigsten. - Aber sag an, bist Du nicht eigentlich die Steigerung eines Don Juan! Du zeugst die Vereine, gibst Dich mit ihnen ab und läßt sie laufen. Wann wird ein Leporello die Dir gebührende Arie singen? 288 Mitunter ist mir bang um Dich; aber wenn Deine Taten auf der berühmten Waage Franz Moors 2 8 9 gewogen werden, wird eine Stimme (vielleicht Lepels, der dann gut situiert ist) durch die Himmel schallen: „Rütligründer", und bei dem Wort wird es wie ein Zentner in die gute Schale fallen, und alle Deine andre Vereinsmissetat wird leicht befunden werden wie ein lyrisches Gedicht. Lieber Immermann. Seit ich Sie nicht sah, sind Sie im Gebirge gewesen und ich auf der See; Sie haben Bergluft geatmet, und ich bin seekrank geworden. So hat jeder sein Vergnügen. Ich kann nicht leugnen, daß das Ihrige mindestens um so viel höher steht als die Koppe über dem 285
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Eggers war gebürtiger Rostocker. Fontane parodierte die Wendung „Stolz will ich den Spanier" aus Schillers Don Karlos (III. Akt, 1 0 . Szene). Wilhelm Lübke war der Schöpfer dieser Bezeichnung, die auf den Kreis junger Studierender gemünzt war, mit dem sich Eggers gerne umgab. Da der erste Student, den Eggers zu sich nahm und förderte, ein Schwabe war, „so erhielten sie sämtlich, und wenn sie auch wie Wilbrandt Mecklenburger waren" diese Titulierung und ließen sie sich offenbar gerne gefallen. Wilhelm Lübke: Lebenserinnerungen. Berlin: Fontane 1 8 9 1 . S. 1 5 5 . Siehe auch Fontanes Brief an Eggers vom 24. November 1 8 5 5 . Fontane meinte die Arie Nr. 4 ( 1 . Akt, 5. Szene) aus Mozarts Don Giovanni, in der der Diener Leporello die endlosen Liebschaften seines Herrn aufreiht. In der 1 . Szene des V. Aktes von Schillers Die Räuber schildert Franz Moor seine Traumvision, in der ihm eine richtende Engelsgestalt erschien, die eine eiserne Waage in der Hand hielt und die Worte sprach: „Tretet herzu, ihr Kinder von Adam - ich wäge die Gedanken in der Schale meines Zornes und die Werke mit dem Gewicht meines Grimms!" 147
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Meeresspiegel. Kann es auch anders sein? Wer unter uns wäre ein feinerer Epikureer als unser Immermann? Ach, eben jetzt tritt „Onkel Friedrich" 2 9 0 vor mein begehrliches Auge und meldet, daß angerichtet sei. Wir sind unsrer sechs und schreiten paarweis in die Efeustube. Die Kanarienvögel nebenan schauen neugierig zu; selbst der Fuchs spitzt die Ohren. Immermann, in männlicher Selbstverleugnung, kehrt seinen Rücken dem Spiegel zu; neben ihm zur Linken sitzt eine junge Frau in gelber Seide (es ist ihr ein und alles), die das Gelübde geleistet hat, bei Immermanns immer ohnmächtig zu werden. Sie neigt sich eben zu ihrem zweiten Nachbar[n], dessen bewunderter Kopf auf allen Wandgemälden Kaulbachs prangt und über dessen Toilette und Farbenzusammenstellung die Ansichten immer noch in Zwiespalt sind. Er trägt heut die zweite Garnitur: blauer Frack, orange Weste, grüne Krawatte; die saphirne Tuchnadel fehlt, er ist augenblicklich nicht in ihrem Besitz. 291 Wunderbare Worte fließen von seinen Lippen; der Name „Pepita" 2 9 2 kehrt oftmals wieder; er sah sie gestern zum 7. Male, und zwar mit 4 Mann Bedeckung, um sie ungestörter genießen zu können. Man schenkt nichtsdestoweniger seinen Worten eine nur geteilte Aufmerksamkeit, und seine Nachbarin bittet ihn „einzuschenken". Zur Linken des bärtigen Schwärmers sitzt die Wirtin des Hauses; auf ihrem Gesicht den Ausdruck der Freude und Herzensgüte; sie erhebt sich eben, um ihrem zweiten Nachbar[n] 2 9 3 die letzten Klöße aus der Suppe zu fischen, denn sie ist gut und kennt die Schwächen seines Herzens. Ach dieser Nachbar, wie lange ist es, seit er den Lokkenwald von Fräulein Clara 2 9 4 zum letzten Mal an seiner Seite sah! Stunden vergehn in traulichem Gespräch, endlich kommen die kleinen Gläser mit der ovalen Öffnung, und der Unger gibt dem Feste die Weihe. Immermann aber steht in Blüte nun, wie das Fest selbst, und nachdem er die Ritter vom Geist alle neune (Bände) 295 in den Sand 290 291
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Hausdiener des Ehepaars Merckel. Gemeint war natürlich Friedrich Eggers, der es liebte, sich sehr farbenfroh und ausgefallen zu kleiden und dessen eindrucksvolle äußere Erscheinung Kaulbach veranlaßt hatte, ihn zum Modell für die Gestalt des Perikles auf dem Gemälde Die Blüte Griechenlands zu wählen. Pepita de Oliva. Fontane meinte sich selbst. Clara Baumeister, eine Bekannte des Merckelschen Hauses. Anspielung auf Karl Gutzkows Roman Die Ritter vom Geiste, der zwischen 1 8 5 0 und 1 8 5 1 erschienen war. Z u Gutzkow unterhielt der Kreis um Kugler und Merckel eine dauerhafte Feindschaft, die ihre Gründe in der politischen
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Nr. 40
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geworfen hat, äußert er seinen Schmerz über das Nichterscheinen des zweiten „Argo"-Jahrgangs. 2 9 6 Trostworte fallen links und rechts; umsonst - bis „Onkel Friedrich" den Kaffe bringt und unterm blauen Dampf der Zigarre alle Sorgen zu Rauch und Asche werden. Liebe, kleine Immermannsche Diners, was gäb ich nicht darum, wenn ich eins davon in London hätte! Lieber Lessing. Du bist nun zurück von Deinem großväterlichen Geschäft 2 9 7 und gehörst wieder der Baugeschichte 298 . Der November ist da, die Bäume sind entblättert, auch der Nußbaum im Garten. Ich habe Dich nicht mehr um die Kaffestunde dort zu suchen; alles still, nur der Wind ist laut und erzählt viel, aber nichts von Literatur. Tod und Winter sind gekommen, und nur in Hansens Macerierstall ist es nach wie vor lebendig. Wenn ich Dich finden will, so muß ich die berühmte breite Freitreppe des Kuglerschen Hauses 2 9 9 hinauf, von der man eigentlich bedauern muß, daß sie keine Gelegenheit hat, ihrem eigentlichen Berufe nachzukommen. Sie ist wie erfunden für alle jene Schuldner, die das Bedürfnis fühlen, ihre Gläubiger die Treppe hinunterzuwerfen. Im Besitz solcher Treppe braucht man sie nur ihrem Schicksal zu überlassen. Aber da hab ich Dich. Du reitest auf dem Schreibsessel und siehst mich verklärt an, denn Du hast eben gefunden, daß die untre Hälfte der Memnonsäule um 1 5 0 0 0 Jahre älter ist, 300 als
Differenz und den wiederholten kritischen Bemerkungen Gutzkows gegen die Berliner Literatur-Szene hatte. Gutzkow hatte überdies den ersten Band der Argo negativ besprochen. 296
1 8 5 5 war, trotz guter Absichten, der zweite Jahrgang der Argo nicht zustande gekommen. Kugler hatte, im Gegensatz zu Fontane, wenig Energie für die Weiterführung aufbringen können.
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1 8 5 5 war in München Franz Heyse geboren worden, der älteste Sohn von Margarete, der Tochter Kuglers, und Paul Heyse. Gemeint ist die Arbeit an einer Geschichte der Baukunst. Vgl. die diesbezügliche Anmerkung im Brief Nr. 39 vom 24. Oktober 1 8 5 5 . Das Haus Nr. 2 4 2 , in dem Kugler wohnte und das er von seinem Schwiegervater Julius Eduard Hitzig übernommen hatte, stand am südlichen Ende der Friedrichstraße. Kugler erwiderte in dem Antwortbrief des Rütli vom 1 4 . November 1 8 5 5 : „Übrigens ist es eine urweltliche Mythe, daß ich an der Memnonssäule ein urweltliches Unterlager entdeckt hätte, was in einem Lafontainschen RütliBriefe schwarz auf weiß steht. So geht es mir immer; ich habe stets für meine Sünden erst dann zu büßen, wenn sie schon lange hinter mir liegen." F M B W ι , S. 39.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
man gewöhnlich annimmt, ja daß die unterste Schicht aus einer Zeit herrühren dürfte, wo das Krokodil noch eine dunkle Idee der Schöpfung war und statt seiner junge, 100 Fuß lange Hydrarosse am Nilufer Zeck spielten. Aber da klopft Frau Clara 3 0 1 zum Tee; und nachdem Du im Wippstuhl weiter gedacht und geträumt hast, erhebst Du Dich endlich wie ein Sieger und singst mit einem Nachdruck, den heute nur der Eingeweihte versteht: „Ich fühle so frisch mich, so jung!" 3 0 2 Bleib es, das wünsch ich Dir und uns von ganzem Herzen. Lieber Metastasio. Das große Haus, der parkettierte Fußboden und eine Galerie von Ölgemälden an den Wänden - da kratzt sich mein bißchen Humor verlegen hinter den Ohren (auch dieser Dativ beunruhigt mich) und murmelt vor sich hin: take care 303 , mit Schulräten ist schlecht Kirschen pflücken. Aber sind Sie denn wirklich Schulrat? Sind Sie nicht vielmehr Metastasio, und muß ich Ihnen nicht erzählen, daß ich bei einem alten Antiquar in der Oxford-Straße Tag um Tag Metastasios sämmtliche Werke304 ausgestellt finde. Ich kann natürlich niemals dran vorübergehn, ohne Ihrer zu gedenken, und wenn Sie nicht bereits im Besitz alles dessen sind, womit Ihr Taufpate Welt und Bühne beschenkt hat, so möcht ich wohl einmal Veranlassung nehmen, mich für die Bücher zu revanchieren, die ich Ihrer Freundlichkeit verdanke. - Ich würde Sie länger festhalten, aber der Zeiger setzt eben ein - im nächsten Augenblick wird es 8 schlagen, und die Geographische 305 wartet nicht. Dr. Barth ist ohnehin zurückgekehrt und darf nicht versäumt werden. 306 Er hat in Timbuktu und in Sanssouci an königl. Tafel gesessen; solche Leute sieht man nicht alle Tage; eilen Sie, eilen Sie; à revoir 307 !
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Kuglers Ehefrau. Verszeile aus dem Gedicht Frühling, das Adelbert von Chamisso 1 8 2 2 schrieb. Mit Chamisso war der junge Kugler regelmäßig beisammen gewesen. Seine Gedichte hatten wiederholt Aufnahme in dessen Musenalmanach gefunden. (engl.) Habe acht. Pietro Metastasio. Gemeint war die 1 8 2 8 in Berlin ins Leben gerufene Geographische Gesellschaft, der Bormann angehörte. Der Afrika-Forscher Heinrich Barth war 1 8 5 5 von einer sechs Jahre währenden Forschungsreise, die ihn durch Nordafrika geführt hatte, heimgekehrt. (frz.) auf Wiedersehen.
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Lieber Rubens 308 . Auf der Nogat grünen Wiesen Steht ein Schloß in Preußenland, Einst „Marienburg" genannt. Mancher gelb-grün-rote Kleister Klebt als Bild dort auf dem Stuck, Endlich, endlich kam ein Meister, Und das war ein großes Gluck. Ach, ich kenn ihn nicht, den Alten, Den mit Schild und Speer und Schwert Und mit langen Mantelfalten Meister Menzel dort verklärt; 309 Ach, ich würde gerne fragen, Ist es Albrecht, Salza, Plau? Doch - kein Buch, um nachzuschlagen, Und ich kenn sie nicht genau. „Nun adieu, du alter Remter, A présent il faut que j'aille!" 3 1 0 In die Tuilerien kömmt er Und vor allem nach Versailles; Ach, er sieht sehr schöne Rahmen, Schöne Bilder auch dazu, Vernet und sein eigner Namen Stoßen an auf du und du. Daß ich, wie's (Ihre Erlaubnis dazu vorausgesetzt) eigentlich meine Absicht war, nicht dazu gekommen bin, mit Ihnen in Paris Bilder zu verschlingen, werd ich ewig bedauern. Leben Sie wohl und zeigen Sie der Welt bald wieder einmal, was eine Harke ist. Schenkendorf. Liebster, ältester, ungetreuster. Es ist schändlich, daß Du um Zeisings 3 1 1 willen meiner ganz und gar vergißt. Man soll, 308 309
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Adolph (von) Menzel. Menzel entwarf 1855 für den Remter der Marienburg die beiden Gestalten von Siegfried von Feuchtwangen und Ludger von Braunschweig auf Karton. (frz.) Jetzt muß ich gehen! Adolf Zeising unternahm Versuche, die Gesetze der Mathematik auf die Ästhetik anzuwenden, was Lepel bei der eigenen poetischen Arbeit faszinierte. Zeising gehörte auch zu den Mitarbeitern des Deutschen Kunstblattes und stand in brieflichem Kontakt zu Friedrich Eggers.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
um die Lehre von den Verhältnissen zu ergründen, nicht alte, zu Recht bestehende Verhältnisse ignorieren oder ganz vergessen; und selbst wenn „Herodes" 3 1 2 an aller dieser Vernachlässigung schuld sein sollte, 313 so bitt ich Dich doch zu bedenken, daß ich keiner von denen bin, die in Deinem ersten Akt bereits gemördert werden und keine weitren Ansprüche auf Berücksichtigung haben. Geh in Dich, schreibe, schreibe viel, schreibe nett und vergegenwärtige Dir, daß ich einen Ozean von Dinte bereits ex officio 3 1 4 konsumiert habe. Die gewöhnlichen Schreibegesetze dürfen unter uns nicht gelten, und das Kerbholz alter Kaffeschwester wirst Du doch zwischen uns nicht einführen wollen. Also! Und soll ich nun auch, um vollständig zu sein, der auswärtigen korrespondierenden Mitglieder gedenken, so schick ich zunächst nach München die herzlichsten Grüße Jung Hölty 3 1 5 , den Vater und Dichter, der immer nur wie Banquos Geist im Rütli saß, versteht sich, ein lachender Banquo 316 mit Grübchen um den Mund und nicht wie Stawinsky mit sieben Heftpflastern im Gesicht. Und nun Tannhäuserl Tannhäuser, wo bist Du? Ach, wenn er im Venusberg säße (für den er, glaub ich, eine leise Vorliebe hat), ich wüßt ihn nicht schwerer zu finden als in diesem Augenblick. Ich irre durch die Straßen Perlebergs und finde ihn nicht; ich frage in Prenzlau - man kennt ihn nicht. 317 Und man würd ihn doch kennen, wenn er da wäre! Wer würde Stormen nicht kennen? ihn, den Schleswig-Holsteiner, den norddeutschen 312
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Lepel arbeitete mehrerer Jahre an seinem Stück Herodes, das am 1 8 . Januar 1 8 5 8 im Königlichen Schauspielhaus inszeniert und nach drei Aufführungen und schlechten Kritiken bereits wieder abgesetzt wurde. Fontane hatte Lepel in einem Brief, der zwischen dem 2. und 4. März entstand, auf betont heiter-ironische Weise die Niederlage mit dem Stück bagatellisieren wollen, was einigermaßen mißlang. Das zeigt Lepels Erwiderung am 8. März bei aller Großmütigkeit, zu der er fähig war, deutlich: „Dein Freundschaftserguß vom 2t. d. M . war ein ächter Fontane. Starker Tobak." F L B W 2, S. 1 9 5 - 2 0 9 . (lat.) von Amts wegen. Paul Heyse, der im März 1 8 5 4 dem Ruf des bayerischen Königs nach München gefolgt war, w o ihm ein Jahresgehalt von 1000 Gulden ausgesetzt worden war. Die einzige damit verbundene Verpflichtung war eine regelmäßige Teilnahme an den königlichen Symposien am Hof. Gestalt aus Shakespeares Macbeth. In seinem Brief vom 1 5 . Juni 1 8 5 5 hatte Storm Fontane geschrieben, daß er sich in Prenzlau und Perleberg um eine Stelle am Gericht bewerben wolle.
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Nr. 40
3 1 . Oktober 1855
Mörike 3 1 8 , den Sänger von Bulemanns Haus, 3 1 9 den Vater mehrer selbständiger Kinder? - Wo er aber auch weilen mag, ein Vivat für seine Lyrik und den Wunsch, daß im märkischen Sande die Blume weiterblühen möge, die unterm Windhauch der Nordsee so spärlich, aber eben drum so kostbar gedieh. Und nun ein paar Worte zum Abschied, aus denen Sie einigermaßen ersehn mögen, wie meine Angelegenheiten stehn. Am 1 5 . November werden die ersten Nummern der deutsch-engl. Korrespondenz 320 versandt. Morgen erwart ich meinen Mitarbeiter, einen Dr. Wentzel 321 , dessen sich Immermann vermutlich entsinnen wird. Er ist ein Mann von über 50 und bearbeitete seit 1 8 3 0 den englischen Artikel in all den verschiednen Regierungsorganen, die wir seit jener Zeit haben entstehn und sterben sehn. Es wird sich zeigen, ob wir wieder etwas zu begraben kriegen. Das Unternehmen hat übrigens mehr Chance, als ich erwartete. Scheitert es dennoch, so ist meine Rückkehr auch dann noch mehr als zweifelhaft. Ich werde alles aufbieten, um hier zu bleiben, und die Regierung benimmt sich mit einer Splendidität gegen mich, die, wie sie für den Augenblick mich überrascht, mir zugleich die Hoffnung gestattet, daß man auch meine spätren Wünsche und Pläne (wenn nöthig) nicht unberücksichtigt lassen wird. Diese äußerste Entschlossenheit, hier zu bleiben, während mein Herz an tausend Fäden in die Heimat zurückgezogen wird, muß Sie notwendig überraschen. Aber es ist eben einer jener freien Entschlüsse, die nichts andres sind als Zwang. Hab ich 5 Jahre hier ge318
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Fontane hatte schon in seinem Aufsatz über Storm den Dichter mit Mörike verglichen: „Wenn wir derselben [gemeint war die Stormsche Poesie - d. Hrsg.], zu näherer Charakteristik, einen bestimmten Platz in unserer Literatur anweisen sollen, so müssen wir sie zwischen Mörike und Heine stellen mit einer Annäherung an ersteren. Man würde Storm völlig den norddeutschen Möriken nennen können, [...]" NFA XXI/i, S. 1 4 4 - 1 4 5 . Storm hatte diese Charakteristik gegenüber Friedrich Eggers zu der Bemerkung veranlaßt: „F. erweist mir zu viel Ehre, wenn er mich so nah an Mörike stellt; denn M. ist in einer Beziehung selbst von den größten Poëten, Göthe nicht ausgenommen, ganz unerreicht". STaFE, S. 25. Bezug auf Storm 1 8 5 z verfaßtes Gedicht In Bulemanns Haus. Dabei handelte es sich um einen Pressdienst zur Information deutscher Zeitungen, der allerdings bereits Ende März 1856 wieder eingestellt wurde. Rudolf Wentzel. Emilie Fontane schrieb an ihren Mann am 9. November 1855: „Wentzel ist nun zu meiner großen Beruhigung bei Dir; er sprach mit solcher Liebe von Dir, daß ich hoffe, ihr werdet euch zu gegenseitiger Befriedigung noch mehr kennen lernen." Fricke 2, S. 37.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
lebt, so ist mir um Jürgen weiter nicht bange; 322 meine Berliner Existenz aber war nicht nur dürftig, sondern prekär durch und durch. Diese Erkenntnis wirkt wie ein Zwang. Ich habe die 8-Gr.-Verlegenheiten herzlich satt. Einen Taler für die Ballade und das Jahr 3 Stück, davon kann man nicht leben. Man träumt und träumt und hofft und hofft, aber zuletzt wird es Pflicht zu erwachen. Ich bin im Stadium des Sich-die-Augen-Ausreibens. Meine Aufgabe lautet jetzt: „aushalten hier!", und an mir soll es nicht liegen. Es ist eine Schule, die ich durchmache; sie soll mir eine Existenz schaffen, aber sie soll mich nicht ändern; denn das fühl ich, daß ich an allen Winkeln der Erde treu bleiben werde der Liebe zur Kunst und zu - Ihnen. Wie immer Ihr Lafontaine
Nr. 41 Friedrich Eggers an Theodor Fontane [Riitlibrief gemeinsam mit Wilhelm von Merckel, Franz Kugler und Bernhard von Lepel]323 Berlin, am 1 1 . November 1855 Köthner Str. 48/3 Tr. Abends 8 Uhr nach dem Tunnel Geliebter Lafontaine und Nöhl. Der 23. Trinitatis-Tunnel324 ist geschlossen. Der dicke Bürger hat eine Novelle gelesen: „Des Königs Bild im Mondschein". Der König ist der olle Fritz, und der Mondschein ist derselbe, welcher hinter dem Nebel von London liegt. Prädikat gut. Schenkendorf las einen kurzen Stammbuchspruch, der eine lange Debatte erzeugte und sich dann mit „ziemlich" zu den Vätern versammelte. Die Sprüche werden Mode. Schon in der vorigen Sitzung hatte uns Lessing eine Dutzend hinter 322
Fontane spielte auf die Schlußverse des Gedichtes Der sterbende Vater von Geliert an, in dem es heißt: „Für Görgen ist mir gar nicht bange,/Der kömmt gewiß durch seine Dummheit fort."
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Diesem Brief liegt der Abdruck in F M B W 1 , S. 3 0 - 3 9 zugrunde. Eggers zählte hier nach der kirchlichen Gepflogenheit, wonach am ersten Sonntag nach Pfingsten Trinitatis zelebriert wird und alle folgenden Sonntage bis zum ersten Advent als Trinitatissonntage gezählt werden.
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Nr. 4 1
i l . November 1 8 5 5
dem grünen Tisch hervor in die Seele hineingeredet, nunmehr stürmte Claudius über den Schenkendorfischen hinweg mit einer „sehr gemischten Gesellschaft" (Metastasio) von zum Teil grobem Kaliber in die Schranken und trug ein „gut" davon. - Mehr kam nicht zum Vortrag, obwohl sich der Bureautisch unter der Wucht der Späne biegt. Die Arbeitslust blüht. Zum Stiftungsfeste sind allein 3 Tenzonenkämpfe 325 angemeldet: Schenkendorf gegen Metastasio, Tiedge gegen Maler Müller, Spinoza gegen Claudius. Um die Trinksprüche beim Feste reißt man sich; das Diplom (mehr Mengs als Raffael) 326 wird, mit einer Rede von Immermann begleitet, als „sinnige Feier" zur Verteilung kommen. Ein neues Lokal in Arnims neuem Lokal Unter d. Linden steht in Aussicht. Eine Verfassungs=Emeute327 ist ausgebrochen, bekämpft, besiegt, ein Statuten-Revisions-Ausschuß niedergesetzt; eine Konkurrenz-Ordnung, von Immermann, dem Gesetzkundigen, ausgearbeitet, ist durchdebattiert, angenommen, gedruckt und liegt, wenn die Gelegenheit dicke Briefe gestattet, was ich noch nicht weiß, zur Einsicht und Nachachtung bei. Das neue Haupt [am Rand von Lepels Hand: Das neue Haupt ist Anakreon. Hat es wohl aus Bescheidenheit verschwiegen.] braucht die neue Eule. Noch klingen die Wände von seiner Antrittsrede, welche 7 Ά Seiten lang war in seinem historischen schwarzen Taschenbüchlein, das einzige Schwarz, welches er sich außer den Stiefeln am Leibe gestattet. Sonst grünt und blüht er in Farben, und als Zeichen geordneter Finanzzustände prangt eine saphirne Nadel auf seiner Brust. Der Tyrann pfeift auf der letzten Ellora-Zigarre; aber man merkt ihm das nicht an, denn er schwelgt im Liebreiz von des Tunnels Huld, wie Cook sagen würde. Wie kannst Du aber nur denken, daß er Deine Theaterspäne328 nicht vom ersten Augenblick an für höchst interessanten Druckstoff gehalten hätte! Hoffentlich hat Schindler Dir das bereits Erschienene in Extra-Ab325
Streitgedicht, eine beliebte Form geselliger Dichtung im Tunnel, bei der jeweils zwei Mitglieder über einen beliebigen Gegenstand in Versen debattierten. Von Fontane sind mehrere dieser Gedichte überliefert, u. a. das mit Lepel ausgetragene „ M i t oder ohne D o r n " (30. Dezember i 8 6 0 ) in Fontane Gedichte 3, S. 1 2 . 3 - 1 2 . 7 . Siehe auch das Tenzone „Austern oder Kaviar", das Fontane gemeinsam mit Friedrich Eggers verfaßte.
326
Raphael Mengs und Raffael Santi. Redewendung, die meint: nicht sehr bedeutend. Diskussion über die Statuten des Tunnel, die besonders hinsichtlich der Öffentlichkeitsabstinenz in wachsendem Maße umstritten waren. Fontanes Shakespeare-Briefe.
327
328
I
55
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
drucken geschickt. Wir wollen hier auch noch allerlei damit machen, ζ. B. will Schenkendorf
sie an Hülsen geben, wobei wir freilich einen
sehr direkten Hieb gegen ihn, im 4. Brf (übrigens unbeschadet des Ganzen), werden auslassen müssen. 3 2 9 Auch über die „neuen englischen Dramen
und
Lustspiele"
wird
hoch
willkommen
sein. 3 3 0
Schade, daß ich Deinen Rütli-Span, Deine Epistel an uns, nicht drukken lassen kann. Sie ist so hübsch, und wir haben ein homerisches Lachen vollführt, als Lessing sie uns vorlas. - Inzwischen ist „Ein grünes Blatt" herausgekommen vom Tannhäuser. Die Kehrseite davon heißt „ A n g e l i k a " , und die macht Unglück. 3 3 1 Die Frauen wollen nichts von ihr und die Männer nichts von ihrem Bräutigam wissen. Die Mappe des „Litera tur blattes" bewahrt meinen noch ungedruckten Artikel darüber. 3 3 2 Dito über „Harald und T h e a n o " , welches Dahn, Felix Dahn, gethan hat. 3 3 3 Er ist so klug gewesen, sich von Rückert
ein paar Verse aufschreiben zu lassen; die hat er voran ge-
druckt, und so wurden sie der Leithammel, der den Rest des Buchs, das Felixsche Gedicht, überall durch die Zeitungen mitschleppt. Dies verdammte Frühdruckengelasse. - In der Ellora ist es stille. Erst einmal ist in diesem Winter eine abgehalten worden, bei Iro; es w a r M u sik dabei. Im übrigen hat sich einer der konstantesten Freischärler 329
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332
333
Fontane empfahl Shakespeares Tempest den deutschen Bühnen und Schloß seinen Theaterbrief: „Wohlan denn, machen wir den Versuch! Ich fürchte nicht, daß er scheitern wird, und wenn unsre Direktionen sicher gehn wollen, so seien sie weise bei der Besetzung der Caliban-Partie und verabsäumen es nicht, die Rolle an einen jener Auserwählten zu geben, die, statt den ,Herodes zu über-herodessen', die schwierigere Kunst des Mäßigens gelernt haben." HA ΠΙ/3,1, S. 1 0 4 - 1 0 5 . Der vierte Brief wurde am 27. Dezember 1855 im Literaturblatt veröffentlicht. Ein Aufsatz dieser Thematik ist von Fontane nicht nachzuweisen. Vgl. hierzu Franz Kuglers Brief vom 1 3 . Dezember 1855 an Theodor Storm. Kugler verwarf Angelika, „und zwar völlig". „Sie [Storm - d. Hrsg.] laufen Gefahr, sich in das Subjective zu verlieren". Franz Kugler. Briefe an Theodor Storm 1 8 5 3 - 1 8 5 6 (mit einem Zirkularbrief von Theodor Storm an Wilhelm v. Merckel und Franz Kugler und einem Schreiben von Clara Kugler an Th. Storm). Hrsg. von Roland Berbig. In: Schriften der Theodor-Storm-Gesellschaft. Band 41/1993. S. 1 3 1 . Die Besprechung blieb in der Mappe und wurde nicht im Literaturblatt abgedruckt. Statt der Erzählung Angelika wurde Storms Band Gedichte 1856 im Literaturblatt rezensiert. Eggers' Rezension zu Dahns Dichtung erschien im Literaturblatt Nr. 1 vom 4. Januar 1856, S. 5.
156
Nr. 4 2
24. November 1 8 5 5
verlobt. Rate, welcher? Z w a r noch nicht offiziell; aber doch still. Von meinen eignen Sorgen schreib ich Dir diesmal nicht; es ist ihrer ein solches Gebirge, daß, wenn ich es ins Meer werfen könnte, ich trocknen Fußes zu Dir würde hinüber gehn können. Die Ungewißheit mit dem Blatt bringt mich fast um, und ich leugne nicht, daß mir sehr ernsthaft zumute wird, je näher ich dem Augenblick komme, w o es heißt: „Was nun?" - „Schlafen!" sagt Hamlet. Es ist noch früh; aber ich war vorige Nacht bis 3 Uhr wach, ganz gegen meine Art, und so erlaube, daß ich schlafen gehe. Ich würde morgen früh weiter schreiben, wenn ich nicht „Kunst"- und „Literaturblatt" - darunter den 2. Theaterbrief - zu korrigieren hätte; also lebe wohl für diesmal und laß statt der Backe lieber Taille anschwellen; dieses soll gesunder sein. Gute Nacht! Guten Morgen! Dein Anakreon
Nr. 42 Theodor Fontane an Friedrich Eggers London d. 24' Novbr. 5 5 23 New Ormond Street Queens Square. Mein lieber Anakreon. Daß ich heut mit unter den „Völkern bin, die von Theseus Stadt und Aulis Strand gastlich bei Dir zusammenkommen" 3 3 4 hast Du der Elloramutter 335 zu danken, die mich in einem heut erhaltenen Briefe daran erinnert, daß am 2 7 ' November Eggers' Geburtstag sei. Diese exakte Kenntniß und Aufmerksamkeit würde mich auf den Mann der kleinen, blauen, schwärmerischen Augen eifersüchtig machen, wenn sich dieses neuste, mordheischende Schnupftuch-Motiv 336 nicht dadurch auf334
In Friedrich Schillers Die Kraniche des Ibykus heißt es: Wer zählt die Völker, nennt die Namen,/Die gastlich hier zusammenkamen ?/Von Theseus' Stadt, von Aulis' Strand,/Von Phokis, vom Spartanerland,/Von Asiens entlegner Küste, Von Inseln kamen sie,/Und horchen von dem Schaugerüste/Des Chores grauser Melodie - "
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Fontanes Frau, die Eggers eine besondere Zuneigung entgegenbrachte. Siehe Anhang 1: Briefwechsel Friedrich Eggers und Emilie Eggers. Anspielung auf Shakespeares Stück Othello.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
klärte, daß Desdemona in Besitz [gestrichen: von] jenes [zuerst: jenem] Fontane-Albums 3 3 7 ist, dessem literarischer Werth [eingefügt: zwar] immer bezweifelt worden ist, aber um so bereitwilliger in seinen kalenderartigen Vorzügen Anerkennung gefunden hat. Darin heißt es denn auch: Eggers, Friedrich, geb. zu Rostock am 27. Novb. 1 8 1 9 etc. 338 Ich wünsche Dir, würdiger Freund, daß Du der Welt erhalten bleiben mögest d. h. dem Tunnel, dem Rütli, der Ellora, dem Kunstblatt, dem evangelischen Verein, dem Verein für mittelalterliche Kunst, dem Verein für Einführung bunter Männertrachten, 339 dem Verein für Aufbewahrung männlicher Keuschheit etc. Rechne ich noch die Leibschwaben 340 und den alten Schotten hinzu, so werden jene Vereine ziemlich die Welt umfassen. Eine Frau wünsch' ich Dir nicht mehr und empfehle Dir, in Stunden wo Du schwankst den „Michel Angelo" von Paul Heyse zu lesen, damit Du wieder fest im Sattel wirst. 341 Erhalte Dich der Kunst und richte Dich an der Wahrheit auf: lieber alle Jahr einen neuen Verleger, als - ein neues Kind. An Deinem Geburtstage selbst trink' nicht zu viel Chokolade und gedenke Deines fernen Freundes; wenn Du den ersten Schnitt in den üblichen, schräggekerbten Napfkuchen thust. Mein Geburtstagsgeschenk für Dich bleibt in der Luft hängen; am besten ist es (warum sollten wir uns geniren?) Du sprichst einen Wunsch nach irgend was apart Englischem aus und ich schick' es Dir dann bei Gelegenheit. 337
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Gemeint war das von Fontane 1 8 5 1 (mit der Jahreszahl 1852) bei Otto Janke herausgegebene Deutsche Dichteralbum. Emilie Fontane schrieb ihrem Mann am 13. und 14. November 1855: „Ich lese oft, wenn mein Herz mich drückt in Deinem Album u. kommt es mir wie ein schönes Gebetbuch vor, so Trost u. Vergnügen spendend ist es für mich". Fricke 2, S. 38. Eggers war in der 1. Auflage mit mehreren Gedichten in dem Dichteralbum vertreten, die unter dem Titel Wanderlieder zusammengefaßt wurden: Zwei Sachen, giebt es, die ich hab '..., Du, warte nicht, bis daß im Flor... und Weil nun in seiner frischen Kraft.... Sie sind unter demselben Titel und den Nummern 4., 5. und 1. in seinen Gedichtband eingegangen. Eggers Gedichte, S. 102 und 101. Eggers trug gerne Kleidung in ungewöhnlichen Farben, eine Eigenart, die Fontane in seinem Widmungsgedicht Eggers am Kommodenkasten freundlich ironisierte. Fontane Gedichte 3, S. 89. Siehe auch Anhang 3. Siehe den Brief Fontanes an das Rütli vom 3 1 . Oktober 1 8 5 5 und die entsprechende Fußnote. Michelangelo Buonarotti - eine in der Sammlung Hermen (1854) aufgenommene Verserzählung von Paul Heyse. Fontane gab in seiner Besprechung als Grundgedanken der Geschichte den an, „daß keine Vorzüge des Geistes und Herzens den echten Künstler über die Häßlichkeit der Erscheinung trösten können und daß er nur lieben kann, was schön ist." NFA XXI/i, S. 122.
158
Nr. 4 2
24. November 1 8 5 5
Ich habe Dir noch für einen sehr freundlichen Brief zu danken, den mir Dr Wentzel mit von Berlin brachte. Du hast es sehr gut gemeint, doch erledigt sich die Sache dadurch, daß die von Seiten der Regierung bewilligte Summe, für den glücklichen Erfolg des Unternehmens ausreichend ist. Man ist gewillt die „Correspondenz" 3 4 2 (wenn sie in den ersten Monaten nur irgend wie Anklang und Aufnahme findet) auch ferner noch, mindestens bis Ende des nächsten Jahres zu unterstützen, und das ist alles was ich fordern kann. Bin ich bis dahin auf keinen grünen Zweig gekommen, so muß ich selber wünschen, daß man die Sache fallen läßt. Ich erwarte mit Sehnsucht Rütli-Briefe. Daß welche in Sicht sind, hab' ich munkeln hören. Wenn ihr das schwere Porto sparen wollt, so richtet es so ein, daß der Brief am Dezember auf dem Ministerium des Auswärtigen abgegeben wird. Ich erhalt' ihn dann am 4 — durch die hiesige Gesandtschaft. - Schreibt mir auch ja, wann RütliStiftungsfest ist. - Mit meiner Gesundheit geht's wieder besser; ich war 1 4 Tage lang recht hin. - Seit dem i 2 t e n sind wir in Arbeit und seit dem i 9 t n fliegen unsre Blätter in alle Welt. 343 Die erste Woche (vom 12,* bis I8 1 ) wurde nur geprobt. - Ich muß mich sehr quälen, doch thu ich es von Herzen gern. Jeder vernünftige Mensch ist gern thätig, wenn er erkennt, daß es zu etwas führt und daß seine Arbeit ihn wenigstens ernährt. Aber arbeiten um doch zu verhungern, das ist hart. Ich habe wenigstens einen Vorgeschmack davon gehabt. Nun leb mir wohl, grüße alle Freunde (auch die Ellorabrüder) aufs herzlichste. Wie immer Dein Th. Fontane Ich höre, daß der berühmte Storm'sche Artikel über mich, endlich das Licht der Welt erblickt hat. 3 4 4 Schick' ihn mir doch, auch vielleicht meine Shak:Briefe 3 4 5 . 342
Deutsch-Englische
Correspondenz.
Siehe Fontanes Brief vom 3 1 . Oktober an
das Rütli. 343
Ein Faksimile des Blattes ist abgedruckt in Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 4 0 7 - 4 0 8 . In den Fontane Blättern erscheint demnächst eine von Rudolf Muhs kommentierte und mit einer Einleitung versehene Edition dieser Probenummer.
344
Storms Artikel über Fontane, den er am 1 1 . Februar 1 8 5 5 an Eggers geschickt hatte, war am 1 8 . Oktober 1 8 5 5 im Literaturblatt erschienen.
345
Shakespeare auf der modernen englischen Bühne, die in Briefform im Literaturblatt
herausgekommen waren.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Laß mich auch wissen, ob Dir weitre Briefe von hier für Dein Blatt erwünscht sind; ich finde doch wohl mal Zeit einen Artikel zu schreiben. An Stoff ist nie Mangel.
Nr. 43 Friedrich Eggers an Theodor Fontane [zusammen mit einem Brief von Wilhelm von
Merckel]346
[Berlin, 14. März 18j6]347 Dein allgemeiner Rütlibrief 348 , mein theurer Lafontaine, macht einen sehr angenehmen (wohlthuenden würde der Schewalihr 349 sagen) Eindruck von wegen des Lebensmutes und der Lebensheiterkeit, welche daraus sprechen. Nun habe ich zwar hinreichend oft die Erfahrung gemacht, daß gerade solche Stimmungen sich am sichersten ändern, ja mitunter ins Gegentheil umschlagen, wenn man sie zu Papier gebracht und an irgendeinen Winkel der Erde als schriftliches Dokument versandt hat. Hege indessen den innigen und herzlichen Wunsch, daß dem in diesem Falle nicht so sei und daß vielmehr der Besuch Deines Chefs, über dessen Resultate wir annoch unterrichtet sind, nur in jeder Beziehung Günstiges für Dich und Deine Lage bewirkt haben möge. 350 Sehr aus meiner Seele geschrieben war auch Deine Hymne auf den Rütli und alles, was daran hängt. 351 Es thut sehr wohl, seine
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Der Brief ist vollständig veröffentlicht in F M B W 1 , S. 56. Die Datierung nach F M B W 1 , S. 5 3 . Durch den Hinweis auf den Besuch von Ludwig Metzel, der laut Fontanes Tagebuch am 24. März 1 8 5 6 in London ankam, muß der Brief später datiert werden. Tagebücher 1 8 5 1 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 98. Fontane schrieb am 6. Februar 1 8 5 6 einen Brief an das Rütli. F L B W 2, S. 1 4 6 - 1 4 8 . Chevalier, Karl Zöllners Rütli-Name, den Eggers in Tunnel-Manier orthographisch verballhornte. Ludwig Metzels Besuch faßte Fontane in dem Tagebucheintrag vom 26. März 1 8 5 6 lakonisch zusammen: „Der Correspondenz wird das Todesurtheil gesprochen. Wie ihr Leben ohne Freude war, so ihr Tod ohne Schmerz." Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 98. Fontane hatte u. a. geschrieben: „Aber für Deine [gemeint war das Rütli - d. Hrsg.] Freundlichkeiten will ich wengistens von Herzen danken und wieder
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Nr. 44
März 1856
Segnungen und seine Freuden einmal, losgeschält vom irdischen Staub und allem Endlichen, das sich um so sicherer, weil eben in der fast körperlosen Form des Staubes, ansetzt, zu sehen und zu Papier gebracht zu finden. Ich darf von mir und jeder der hiesigen Rütlionen darf gewiß von sich behaupten, daß, trotz der Beresina 352 -Hast des täglichen Geschäftsverkehrs, trotz der „Sorgen, womit wir den funkelnden Wein trinken" 353 , uns Dein Rütlilob keine Verklärung der Ferne, sondern mit Bewußtsein genossene Lichtmomente der nächsten Gegenwart sind. Das Bild, das ich mir von Deiner dortigen Existenz mache, ist freilich stets von dem Gefühle begleitet, als befändest Du Dich auf einem Vorposten und im immerwährenden Kampfe, dem ein solcher ausgesetzt ist; allein es hat Dein dortiges Leben doch hoffentlich einige Lichtseiten, die Du klar blickend und unbefangen genug bist, auch jetzt schon in the strife and bustle 354 of life [weiter nicht überliefert]
Nr. 44 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [März 1856] Mittwoch Mein lieber Eggers. Herzlichen Dank für Deine Zeilen, die mir Direktor Metzel mitbrachte. Meine Frau antwortete gleich; der Brief war aber hinterher nicht zu brauchen und starb den Feuertod. Sein sträflicher Inhalt war stecken-gebliebener Humor, eine Art Foetus oder Homunkulus. Der
'mal aussprechen, daß es nur einen Riitli giebt und daß das verlängerte Geheimraths -Viertel drin er tagt, die Heimath des selbstverbannten Lafontaine ist und bleibt." F L B W 2, S. 1 4 6 . 352 Beresina - Nebenfluß des Dnjepr, über den im November 1 8 1 2 die aufgelösten napoleonischen Truppen in Richtung Westen zu fliehen versuchten. 353 Möglicherweise spielte Eggers auf Justinus Kerners Wanderlied an, in dem es heißt: „Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein". 354
(engl.) im Streit und Lärm des Lebens.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Frühling ist da und die Deutsch-Englische Correspondenz ist todt 355 - es kann also noch alles gut werden. Wir schreiben, so wie Muße und Ordnung da ist, ausführlich. Vorher aber erwart' ich noch einen Rütlibrief. Ich will nicht fürchten, daß Lepel wieder nach einer „Gelegenheit" sucht. Beifolgend einen Ausschnitt, der Dich vielleicht interessirt. Man will Sir Charles Eastlake und Deinen Freund Mündler stürzen, will aber zugleich verhindern, daß Prof. Waagen an die Stelle des erstren tritt. 356 „Nur keine Deutschen" ist Losung hier. Vielleicht - wenn Sir Charles gestürzt werden sollte - ist nichtsdestoweniger für euch alle eine Chance hier. Kugler wäre wie geschaffen für diese Sinekure mit 2 oder 3000 £ und natürlich müßtest Du als Dolmetsch mit. Versteht es nur die Aufmerksamkeit auf den famous german writer, the Privy Councillor Kugler 357 hinzulenken und alles ist möglich. Jedenfalls lohnt es sich, sich an diesen Kämpfen zu betheiligen und sich dadurch zunächst bekannt zu machen. Es sind hier jetzt einige Ausstellungen. Soll ich Dir darüber schreiben? Und ist es Dir recht, wenn ich meine Shakespeare-Briefe fortsetze? Du müßtest aber die Freundlichkeit haben und mir unter Kreuzband die 4 früheren schicken. Bei Williams 358 werd' ich in den nächsten Tagen abonniren. Dein Th. Fontane.
355
Bereits am 8. März 1 9 5 6 hatte das Ministerium Manteuffel entschieden, die Correspondenz mit Ende des Quartals einzustellen. Vgl. Fontanes Eintrag im Tagebuch unter dem 26. März 1 8 5 6 . Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 98. 356 Eastlake war - als Direktor der National Gallery - mit dem Erwerb von Gemälden befaßt und wie Waagen selbst in dieser Tätigkeit äußerst umstritten. Als Berater stand der Kunsthistoriker Otto Mündler Eastlake zur Seite. Waagens Gegner in England titulierten ihn als „that sycophantic emipirical Prussian" (verräterischen, empirischen Preußen). Fontane rechnete in diesem Brief mit der möglichen Absetzung Eastlake und einer raschen Neubesetzung des dann vakanten Direktorenpostens. Siehe genauer dazu die biographische Skizze von Alfred Woltmann in Gustav Friedrich Waagen: Kleine Schriften. Stuttgart: Ebner & Seubert 1 8 7 5 . S. 1 - 5 2 (Zitat S. 28). 357 (engl.) den berühmten deutschen Schriftsteller, den Geheimrat. 358 Williams & Norgate, Buchhandlung für ausländische Literatur, 1 4 Henrietta Street, Covent Garden.
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Nr. 45
6. April 1 8 5 6
Nr. 4 j Friedrich Eggers, Franz Kugler, Karl Bormann und Bernhard von Lepel an Theodor Fontane3S9 [von Fontanes Hand auf dem linken oberen Rand: Collektivbrief von Eggers, Kugler, Bormann und Lepel.] [Friedrich Eggers:] Berlin, am 6 ten April 1856 [Anfang fehlt] zu er= und anzuerkennen. - Ich habe hier ein neues Blatt Papier zu nehmen und benutze diese ausgezeichnete Pause in der Rütli=Debatte um in diese Winkelriedgasse360 den Geschäftskeil
Friedrich Eggers im Rütli 359
360
Der von Bernhard von Lepel verfaßte Teil des Briefes ist bereits abgedruckt in FLBW 2, S. 1 4 8 - 1 5 2 . Anspielung auf den Schweizer Arnold Winkelried, der in der Schlacht bei Sempach am 9. Juli 1 3 8 6 sich mit dem Ruf „Eidgenossen, ich will euch eine Gasse machen, sorgt für mein Weib und meine Kinder!" in die Lanzen der feindlichen
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
(oder = kiel) des Literaturblattes hineinzuschieben. Ach, mir hat einst von einigen Aufsätzen geträumt die Du, mein edler Freund, über englische Poesie in petto hättest, von einem Aufsatze, den Du mit Hülfe eines Dir mitgegebenen ausgebreiteten Trowitzschischen Materials 361 zu schreiben gedachtest! Doch soll dies nur Klage, Klage über die Verhältnisse sein, keine Mahnung oder gar ein Vorwurf. Drei Hauptstützen hat unser gediegnes Blatt im Laufe seiner Existenz verloren, momentan verloren, drei Rütlionen von reinstem Wasser: Hölty, durch den die Dichtkunst, Lessing durch den die Baukunst, Dich durch den die Politik gewinnt, was wir mit Schmerz verlieren müssen. Dagegen hat sich der lobenswürdige Fleiß Lazari362 wenigstens eine Freischärlerstelle im Rütlionenkreise und unter den Mitarbeitern des Literaturblattes erobert. - Derselbe wird auch einen Cursum Geschichte der Philosophie, hauptsächlich für die Rütlionen lesen. Mit inniger Befriedigung habe ich Deine und der Ellora=Mutter Sehnsucht nach dem Deutschen Kunstblatte wahrgenommen, 363 habe auch nicht ermangelt, dem Ellora=Halbbruder George das untrügliche Mittel zur gründlichen Erlernung des [gestrichen: Verstandes] Verständnisses dieses Blattes in die Hände zu spielen und hoffe, daß Du ihn eben so sicher zur künftigen Mitarbeiterschaft anbändigst, wie jetzt Ernst Förster in München [eingefügt: mit seinem Sohn] diesen Versuch macht 364 und wie ich auch nicht ohne Hoffnung auf den Rütli Sohn Bernhard Kugler blicke. Du hast auch wohl die Nummer bekommen, auf der
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österreichischen Ritter stürzte und so eine Lücke in die feindlichen Schlachtreihen riß. Anspielung auf den Verlag Trowitzsch und Sohn, in dessen Druckerei das Deutsche Kunstblatt gedruckt wurde. Populär wurde Trowitzsch durch den Verlag von gängiger Literatur, die auf den einfachen Geschmack eines breiten Publikums zielte. Moritz Lazarus. Wohl deshalb, weil Emilie Fontane am 6. Januar 1 8 5 6 mit Bedauern ihr Ausscheiden aus dem Abonnement an Eggers gemeldet hatte. Siehe Anhang 2. „Es freut mich recht", heißt es im Brief Henriette von Merckels an Emilie Fontane vom 1 4 . März 1 8 5 6 , „daß Sie sich das ,Kunstblatt' nach London bestellt haben - wer weiß, was Sie ihm dort noch für Anhänger verschaffen und so für Eggers sorgen können!" F M B W 1 , S. 62. Ernst Förster war regelmäßig Autor im Deutschen Kunstblatt (u. a. 1 8 5 5 mit einem Aufsatz über das Münster in Basel, 1 8 5 6 mit einer Besprechung des Buches von H. G. Hotho über die Malerschule Huberts vom Eyck). Da viele Beiträge ungezeichnet blieben, läßt sich der seines Sohnes nicht ermitteln.
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Nr. 45
6. April 1856
zu lesen steht, daß wir in London von William & Norgate 3 6 5 zu beziehen sind. Versteht sich, daß wir auch in jeder andern Buchhandlung namentlich auch auf der Post zu haben sind. Vor einiger Zeit war ich so frei eine Tochter meines Freundes Looff Adolphine zur freundlichen Aufnahme zu empfehlen. Kürzlich erbat der Vater Folgendes von mir: Miß Adolphina Eure Adresse zu schreiben, damit sie die Wonne haben könne [gestrichen·, be] einmal wieder mit frischen Deutschen zu verkehren, zu versuchen auch, ob sie durch Euch zu einem Lodging & boarding kommen könnte, welches ihren Verhältnissen entspräche u.s.w. Sie suchte nämlich dort eine Gouvernantenstelle, wurde aber überall für zu jung befunden oder gehalten trotz der Empfehlungen an und dem Zutritt bei Lady Rachel, Mrs. Searing, Miß Illhard der Governeß d. Königin; nun lebte die sehr kenntnißreiche und gescheite junge Dame zwar bei einer Familie Longden sehr gut; aber etwas theuer, und es ging dieselbe auch bald nach Frankreich. In dieser Bedrängniß wäre es ihr eine große Erquikkung gewesen, Euch besuchen zu dürfen und ich dachte mir, daß sie Deinen Damen mit ihrer fertigen englischen Sprache eine Art Hülfe und Dollmetsch hätte sein können. Schrieb ihr daher Eure Adresse. Neuerdings aber meldete mir der Vater, daß Sie nun eine Stelle in Tunbridge (Kent) als Lehrerin an einer dortigen Schule vorläufig angenommen hat; denke mir aber doch, daß dies so eine Art Nothbehelf ist und wollte nicht verfehlt haben, diesen Rapport dessenungeachtet zu geben - falls - Heute beginnt die erste Lesung der Frühlings=Tunnel=Konkurrenzspähne[!]: 4 Novellen und 5 Sonette. 366 Ich weiß nicht, ob Dir die neue Konkurrenz* Ordnung schon zugekommen ist; sonst werd' ich sorgen, daß Du sie bekommst da ich nothwendig finde, daß
365 366
Vgl. Fontanes Brief vom [März 1856]. Die Vereinschronik - Zur Geschichte des Literarischen Sonntags- Vereins (Tunnel über der Spree) in Berlin 1 S 2 7 - 1 S 7 7 - nennt folgende Texte dieser Konkurrenz: Erzählungen - Ein letzter Mensch, Pflegekinder, Die Reise ins gelobte Land-, Sonette - Einem Freunde, Erscheine, An einen Sonettendichter. Berlin, gedruckt bei Julius Sittenfeld, Mauerstraße 63-65, 1877. S. 37. Am 2 1 . April 1856 schrieb Lepel an Paul Heyse in München: „Als Secretair des Tunnels, ferner als Dein Leser (Schmetterer würde der Rhetor sagen), besonders aber als Dein Getreuer hab' ich die Pflicht, den Vorzug und die Freude, Dir (hoffentlich zuerst) anzuzeigen, daß Dein Sonett „Schwöre nicht" den Preis davon getragen hat." BSM, N L Heyse. Bernhard von Lepel an Paul Heyse. HeyseArchiv VI.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Du Dich, obwohl draußen auf der Insel doch betheiligst. Grüße die Mutter und den Halbbruder George 3 6 7 und wühle für das Deutsche Kunstblatt. Es hat die Mission, die Welt zu erobern. Dein getreuer [griech.:] Anakreon vivat sequens! 368 [Franz
Kugler:]
Anakreon hat den Brief schon arg liegen lassen und nun ich ebenso. Ich kann ihn, um nicht noch größere Schulden auf mein Haupt zu sammeln, auch nur um ein Paar Zeilen vermehren, und werde ihn in heutiger Schillerstiftungssitzung 369 an einen zunächst und besser Schreibenden weiter befördern. Meine Frau hat inzwischen an die Deinige geschrieben, lieber Lafontaine, und so bist Du, was das Häusliche betrifft, wohl von allem Erforderlichen in Kenntniß gesetzt. Ich für meine Person sitze in dieser heillosen Baugeschichte 370 so festgeklemmt, daß mir selbst die Gedanken an andre Dinge auszugehen drohen, - so geht es, wenn man sich leichtsinnig in Gefahr begiebt. Wenn einen nicht gelegentlich der Z o r n über öffentliche Dinge herausrisse, - wenn man nicht gute Freunde und Rütlionen hätte, durch die man genöthigt wird, doch auch an allgemein menschlichen Interessen Antheil zu nehmen, - wenn Schenkendorf nicht für Palleskesche Vorlesungen sorgte, 3 7 1 wodurch man (P. las einen von ihm dramatisirten O. Cromwell), wenn auch nicht mit den Gesetzen und Ereignissen dieser Tragödie, so doch mit englischer Historie etwas vertraut gemacht
367 Eggers spielte mit der Gepflogenheit, Fontanes Frau als Ellora-Mutter und sich selbst als Ellorasohn zu bezeichnen, so daß ihm Emilie Fontanes tatsächlicher Sohn George zum Halbbruder wurde. 368 369
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(lat.) Es lebe die Folge! (im Sinne von: Nachfolger) Bereits am 3 1 . Oktober 1 8 5 5 war in Berlin dank der Initiative des Rüth ein „provisorisches Comité der Filial "Schillerstiftung für Berlin constituirt" worden, dem Karl Bormann, Friedrich Eggers, Theodor Fontane, Franz Kugler, Bernhard von Lepel, Adolph Menzel, Wilhelm von Merckel, Julius Pabst und Friedrich Zabel angehörten. Jahrbücher zur Schiller Stiftung. Erster Band. Dresden: Kuntze 1 8 5 7 . S. 1 5 6 - 1 5 7 . Die Stiftung widmete sich der Unterstützung in Not geratener Schriftsteller und deren Angehörigen. Kuglers monumentales Werk - Die Geschichte der Baukunst - erschien seit 1 8 5 6 bei Ebner und Seubert in Stuttgart. Vgl. die Anmerkung zu Brief Nr. 39 vom 24. Oktober 1 8 5 5 . Siehe dazu Lepels Äußerungen im vorliegenden Brief.
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Nr. 45
6. April 1 8 5 6
wird, - wenn ein Paulus 372 nicht ab und zu ein neues Manuscript sandte, wo es einem Vergnügen macht, kleine Stäubchen abzulesen, weil es dann so anmuthige Bilder sind und man diesen auch die Stäubchen nicht gönnt, - ich glaube, ich wäre schon zu einer anthropomorphischen Baugeschichtstabelle geworden. Ich bin fast auf nichts mehr begierig, als wie ich aussehen werde, wenn endlich diese Arbeit hinter mir ist, - welchen Einfluß sie nach dem Willen des Schicksals auf mein dann wieder auf eigenen Füßen stehendes Ich, auf meine Gedanken, Empfindungen, Productionen hervorbringen wird. Denn - ich weiß nicht, ob ich Dir's schon gesagt habe - ich bin eigentlich recht sehr ein Fatalist; ich meine, daß Alles, was aus Engagement, seine Bestimmung für uns hat, Alles zu den Meißeln gehört, unser Ich immer klarer herauszuarbeiten; - es kommt halt nur darauf an, daß wir Stand halten und den Meißelschlägen keinen schiefen Streich erstatten. Verzeih, wenn ich hier - ich meine aber nicht, moralisirender Weise, das Stand-halten, sondern das Verhältniß ganz im Allgemeinen, - eine Nutzanwendung auch auf Dich mache. Du bist eben auch in solchem Uebergangsprozeß, wo Du mit aller Kraft Ähnliches zu thun hast, und wo dies Äußere, wie sehr Du es mit freiem Belieben genommen genommen zu haben scheinst, doch eben als ein Problem zur weitern Lösung Deines Innern vor Dir stehen wird. Und davon, wie aus allen übrigen Gründen, und wie es schon so vielfach geschehen, wünsche ich Dir alles gute Glück auf Deinem fernem Weg! Im Uebrigen bitte ich Dich, diese flüchtigen Worte nicht nach ihrem kurzen Gewicht zu messen; sie sind nur ein sehr geringer Ausdruck der Gedanken, mit denen ich so vielfach bei Dir bin und außer Deiner Gegenwart auch Deiner und hoffentlich unsrer gemeinschaftlichen Zukunft gedenke. Ich muß leider augenblicklich nach der Normandie, wo es viel alte Gebäude giebt und, wie auf jedem baugeschichtlichen Schritt und Tritt, die leidenschaftlichsten kritischen Gegensätze, wo man also bei jedem Schritt und Tritt, ohne Ausnahme, auf Schlangen, Affen, Scorpione und Regenwürmer gefaßt und gewaffnet sein muß. Aber noch Eins! Ich bin Dir, nach Deinen letzten Zeilen an Anakreon, überaus dankbar dafür, daß Du mich zum Direktor der briti372
Paul Heyse. Kugler nahm am poetischen Geschick seines Schwiegersohns besonderen Anteil. Lepel schilderte Heyse am 2 1 . April 1 8 5 6 , wie Kugler, nach dem Heyse die Sonett-Konkurrenz gewonnen hatte, den Lorbeerkranz mit nach Hause nahm und damit das Bild Heyses schmückte. B S M , Heyse-Archiv VI.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
sehen Nationalgallerie machen willst. 373 Ich beschwöre Dich bei allen Heiligthiimern des Rütli, dies ja nicht zu unterlassen. Denn fürs Erste wären 3000 Rt jährlich kein Grund, und fürs Zweite wäre es noch besser, wenn Dergleichen wenigstens einen Keil in meine hiesigen Verhältnisse, gegen die ich mich trotz ihrer daseienden Existenz nach wie vor ungläubig verhalte, brächte. Ich [gestrichen: hatte] kann diese Verhältnisse nemlich auch nur zu obbesagten Meißeln rechnen, habe sie aber, wie die Dinge stehen, ein wenig satt. Im Uebrigen lebe, Du mit den Deinen, gesund, frisch, tapfer, mit Dir einig und gedenke zuweilen Deines stets getreuen Lessing Berlin 1 1 . April 56. [Karl Bormann:] Es liegt eine Art Beruhigung für mich in dem Umstände, daß es mir gegönnt ist, an dieser Stelle, mein verehrter Freund, ein Plätzchen für meine Unterhaltung mit Ihnen zu finden. Denn so wie hier umringt von Ihnen näher stehenden Freunden darf ich mich der Hoffnung hingeben, nicht ganz übersehen zu werden. Um aber diese Hoffnung mir noch näher zu rücken will ich mir heute gestatten, Sie mit einer Frage zu belästigen; denn [gestrichen: ich] indem ich dergestalt Ihre Aufmerksamkeit nicht für mich ausschließlich, sondern auch für diejenigen, in deren Interesse ich diese Frage stelle, in Anspruch nehme, darf ich auf die wohlwollende Freundlichkeit zählen, die ich an Ihnen längst geliebt habe. Zu Sache! Es geschieht sehr häufig, daß junge Damen, welche sich für das Erziehungsfach ausgebildet haben, an mich die Frage richten, ob es nicht gerathen sei, daß sie eine Stelle als Erzieherin in England annehmen, damit sie dort an Ort und Stelle mit der englischen Sprache vertrauter würden, als sie es hier zu werden vermöchten. Ich bin dann immer geneigt, von einem solchen Vornehmen abzurathen, weniger, weil mir einzelne warnende Beispiele vor Augen stehen, als weil ich mir die dortigen Verhältnisse sowohl als die Eigenthümlichkeit des englischen Wesens für ein derartiges Unternehmen nicht günstig denke. Sie stehen den hier Entscheidung gebenden Zuständen und Auffassungen gegenwärtig ganz nahe, und darum wende ich mich an Sie mit der Bitte, mir gelegentlich zu sagen, unter welchen Bedingungen eine deutsche Erzieherin erwarten darf, in Eng373
Vgl. Fontanes Brief an Friedrich Eggers v o m [ M ä r z 1 8 5 6 ] .
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Nr. 45
6. April 1856
land ein Unterkommen zu finden, das ihr Brod, freundliche Aufnahme und Fortbildung in Kenntniß der Landessprache sichert. Sie werden mich dadurch um eine Einsicht bereichern, die ich zum Besten Anderer oft ja meistentheils des Rathes sehr Bedürftiger zu verwenden vielfach Gelegenheit habe. In der heutigen Sitzung des Schiller-Comités theilte mir Dr. Zabel mit, daß Ihre Correspondenz aufgehört habe. Anakreon ergänzte diese unerwartete Mittheilung dahin, daß Sie dennoch in England bleiben und eine Beschäftigung bei der Gesandtschaft finden würden! Glück zu! Die Schwerter sind in die Scheide gesteckt. Nun treten die Diplomaten wieder auf den Schauplatz der Welt, um ihre Geschicke weiter zu führen. 3 7 4 Morgen werden wir einen Rütli bei Dr. Lazarus haben. Sie kennen ihn ja wohl. Anakreon hat ihn in unsern Kreis eingeführt, aber er selbst hat sich darin einen Platz, wie es scheint auf die Dauer, erobert. Seine umfangreichen Kenntnisse, die Klarheit seines Urtheils und die Liebenswürdigkeit seines ganzen Wesens haben selbst den Sprödesten unter uns, Immermann, zu seinen Gunsten gestimmt, und er hat gegen die Einladung, die Lazarus auf morgen an den Rütli hat ergehen lassen, wenigstens keine lauten Einwendungen mehr erhoben. Sein „Leben der Seele" 3 7 5 hat mir Bewunderung abgenöthigt, und ich wünschte wohl, daß Sie nähere Bekanntschaft mit dem Buche machten. Es wird Ihnen gefallen. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin und bewahren Sie mir Ihr freundliches Andenken. 11/4 5 6 Metastasio 3 7 6
[Friedrich Eggers:] „Wie steht die Sache?" Anakreon hatte das Wort, hat es und wird es haben. Ein günstiger Zufall spielt mir dieses Blatt nochmal in die 374
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Am 30. März 1856 war der Krimkrieg, der seit 1853 Europa und den Nahen Osten beschäftigte, mit einem Friedensschluß in Paris beendet worden. Das Leben der Seele in Monographien über seine Erscheinungen und Gesetze. 2 Bde. Berlin: Schindler 1856. Im Literaturblatt wurde das Buch von Lazarus ausführlich unter der Rubrik: Zur Philosophie und Kunsttheorie besprochen. S. 25-26. Der Rezensent war, wie aus Wilhelm Lübkes Brief an Friedrich Eggers vom 7. Oktober 1857 hervorgeht, Karl Bormann. LBK T N L Eggers, Sig. Cb 60.56: 591. Siehe Fontanes Brief an Friedrich Eggers vom [März 1856].
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Hände und diese Welt ist noch auf einen Abend mein. Morgen soll ich sie erst wieder dem Schenkendorf ausliefern. Ich will ihn nutzen diesen Abend. Also meinen schönsten Dank für Deine Ausschnitte. Du Goldmann! Dergleichen mache nur öfter. Versteht sich, daß Du über die dortige Ausstellung schreiben kannst. 3 7 7 Versteht sich, daß Du die Shakespeare'Artikel fortsetzest. Alles angenehm! Alles lieb! erfreulich nützlich. Mit einem Wort:
nöthig, nützlich, angenehm Passend, ähnlich nah und leicht! ! ! Die Rede von Wolsey wird abgedruckt. 3 7 8 Wegen Coningham sein Artikel schrieb ich an Waagen379, um meine etwaige Mittheilung darüber interessanter machen zu können durch ein Votum was wir vielleicht, durch Waagens Autopsie unterstützt darüber abzugeben hätten. Der schreibt mir aber einen Fluch zurück, daß ich bebe und den ich Dir Amüsements halber beilege. 380 Jedenfalls will ich die 377
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Im Deutschen Kunstblatt wurden 1856 eine ganze Reihe von Londoner Ausstellungen besprochen (u.a. die Ausstellung in Syndam [S. 1 1 6 , 1 7 7 , 404], Kunstschätze von Rogers versteigert. Ausstellung der k. Akademie [192] und Gemälde von Rubens [265]. Möglicherweise stammten einige der Berichte von Fontane. Vgl. Fontanes Brief an Eggers vom 15. Oktober 1855. Mit Waagen stand Friedrich Eggers auf gutem Fuß. Sie hatten bereits Kontakt vor 1850. Am 26. September 1848 hatte Eggers seinen Eltern geschrieben, daß Waagen „das Seine thun [will], mir die Correspondenz am engl. Kunstblatt (eng. zu schreiben) zu verschaffen." RSA, NL Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Mappe: 1848. Sig. 1.4.7.9. Der Brief Waagens, der sich nur als Maschinenabschrift im FAP erhalten hat, ist vom 12. April 1856 datiert. U.a. heißt es dort: „Man kann dem Gebell eines gemeinen Hundes keine grössere Ehre erweisen, als wenn man davon Notiz nimmt. Als ein Hund, bei dem Bosheit und Unwissenheit um den Rang streiten, ist aber dieser William Cannanham [offenbar ein Lesefehler, es handelt sich um William Coningham. Vgl. Fontanes Brief an Eggers vom 18. Juli 1856 und die entsprechende Fußnote - d. Hrsg.] bei allen Gentlemen in England längst bekannt." Waagen erwähnte einen „Schmähartikel", der aber, da die Streitfrage, bei der es um den Rang deutscher Kunst ging und die offensichtlich durch Waagens Einfluß auf den englischen Kunstmarkt ausgelöst wurde, ihn zu keiner entschiedenen Replik herausforderte. Er gestehe, „dass ich mich als Deutscher zu stolz fühle, um irgend ein Gewicht auf die Aeusserung eines Engländers, von dem ich nie gehört, dass er als Kunstverständiger gilt, über Deutsche Kunst zu legen [in der Abschrift steht „lachen", was ganz zweifellos ein Lesefehler ist - d. Hrsg.]." FAP, Sig. Da 844. Der genaue Zusammenhang konnte nicht geklärt werden.
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Sache aber doch so oder so verwenden und Du hast ganz Recht: Wir müssen ein Wort dreinreden. Also nochmals meinen Dank. Morgen Vorstellung sagt Herr Renz 381 mit einer Verbeugung. Morgen Preisnovellenlesung und Aufnahme von Düringer (Iffland) sage ich und damit Gute Nacht. Guten Gruß an die liebe Ellora Mutter. Dick's Geburtstag ist heute ( i z April) 27 Lichter und heißen schlithschigen Kranzkuchen, wie Chev. 382 sagt. Dein nochmaliger [griech.:] Anakreon [Bernhard von Lepel:] Berlin, 1 3 . April 1856 Mein alter Freund! „Suwarow u. - Lepel!" ist das Einzige, was Du mir über den Canal schickst. 383 Bon. Ich bin zufrieden; würd' es aber nicht sein, wenn ich nicht Mitleser Deines großen Rütlibriefes wäre, von welchem ich mir, wenn ich auch nicht so glücklich bin, der Angeredete zu sein, aneigne, was mir beliebt. Glaube nicht, daß ich Philister genug bin, Dir zu zürnen. Ich sehe ja, wie gut Du es meinst: Zeit zum Schreiben hast Du nicht; aber Du denkst an mich, das seh' ich ein, das erfahre ich sogar thatsächlich: Dein Bruder Max hat Dich um einen PharmaceutenToast gebeten, - Du hattest keine Zeit dazu; aber weil Du an mich denkst, hast Du Maxen freundlich an mich verwiesen. Suwarow u. Lepel! Max war auch schon bei mir u. ich hab' ihn zu heut Nachmittag 4 Uhr zu mir bestellt, wo wir das Ding zusammen machen wollen; denn, wenn ich allein bin, will ich es zu gut machen u. es dauert zu lange. - Doch nun genug von mir. Ich muß Dir von Dir erzählen: die englische Correspondenz hat aufgehört! Du wirst jetzt Diplomat, bist bereits der Gesandtschaft attachirt! Nähers werd' ich hoffentlich heut Nachmittag von Max erfahren, der inzwischen den Dr. Metzel gesprochen haben wird. Genug, ich gratulire, Herr Legationssecretair! - Wenn Du in den Adelstand erhoben wirst, so nenne Dich des Wohllauts wegen Herr von Tane. Behalt' auch ja alle Deine guten Manieren bei, vor allem den knickerbeinigen Diplomatengang, den Dir die Unteroffiziere der 6t. Comp, vergebens abzuge381 382 383
Direktor des damals schon erfolgreichen Zirkus. Karl Zöllner (Chevalier). Eine nicht eindeutig zu klärende Bezugnahme auf Fontanes Februar 1 8 5 6 . FLBW 2, S. 1 4 6 - 1 4 8 .
Rütli-Hnei vom
6.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
wohnen sich bemühten, er barg Deine Zukunft in sich; auch fahre fort bei Tisch mit dem Messer zu fuchteln, man wird Dich für decidirt halten, fahre fort - nun vor Allen Dingen daneben immer auszurufen: „Suwarow u. Lepel!" - Wo ist die Casernenzeit!384 Mir lieb, daß sie vorbei ist. Hätte nur die jetzige erst ihre Höhe erreicht. Wärst Du nur erst Ambassadeur plénipotentiaire385 u. ich - poeta omnipotens386. Nun - in dieser Woche beginn' ich den 4t. Act des Herodes. Ich muß mich beeilen, sonst überflügelt mich am Ende Bacherl, der bairische Schulmeister. Tempeltei (Geliert im Tunnel) hat bereits ein Trauerspiel, Klytemnestra, nach Wien gesandt, wo es angenommen ist; 387 sogar noch von einer andern Bühne (ich glaube in Hannover) ist es accepirt. Frl. Rettig, die erste Actrice in Wien, beehrte ihn mit einem Schreiben, um sich Winke für ihre Rolle zu erbitten. Tiedge=Kette hat einen „König Saul" im Tunnel gelesen, der nach langer Debatte u. manchem Tadel schließlich doch „sehr gut" genannt wurde. Dein Wolfsohn hat auf den Fr. W. Theater mit einem russischen Stoff „Nur eine Seele" (dummer Titel) Glück gemacht. Ein noch größeres Glück ist einem Herrn Brachvogel, bisher, wie ich höre, Schreiber am Kroll'schen Theater, mit einem „Narziß" zu Theil geworden. Wir sprachen über das letztre Stück neulich im Rütli. Metastasio war entzückt davon; Lessing fand es scheußlich. Der Rütli hat, wie Du weißt, durch Dr. Lazarus einen erfreulichen Zuwachs erhalten; er wohnt in dem schönen Hause auf dem Exercierplatz zwischen Seegershof u. der Schifferstraße. Am Mittwoch beginnen seine Vorlesungen über Geschichte der Philosophie, wo der Rütli u. noch einige Andere zu seinen Füßen sitzen werden. - Wie oft, alter Freund, nahm ich den Ansatz, Dir zu schreiben: Stoff hatt' ich genug, aber eben darum kam ich nicht dazu;
384
Lepel spielte in diesem Absatz auf die frühe Zeit der Bekanntschaft mit Fontane an, die in dessen Militärzeit als Einjährig-Freiwilliger im Kaiser-FranzGardegrenadierregiment Nr. ζ fiel, w o Lepel zeitweilig sein Dienstvorgesetzter gewesen war.
385
(frz.) bevollmächtigter Gesandter. (lat.) allgewaltiger Dichter. Der Erfolg wurde vom Tunnel und von Lepel, der selbst Hoffnungen als Bühnenautor hegte, nicht ohne Neid angesehen. Merckel schrieb am 1 7 . April 1 8 5 8 an Fontane: „Geliert [Tempelteys Tunnelname - d. Hrsg.] trug die Nase bereits, wie ich prophezeite, in Klytämnestra-Höhe und ist jetzt auswärts." F M B W 2, S. 3 3 . Im Literaturblatt wurde die Aufführung der Klytämnestra in Hannover kurz angezeigt.
386 387
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Nr. 4 5
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ich fürchte die langen Briefe. - Während der Hinkeldey=Katastrophe 388 wäre Dir wohl ein Brief von hier erwünscht gewesen; ich war auch nah daran, Dir mein Herz auszuschütten: inzwischen bin ich zufällig zu einer Correspondenz mit dem berühmten Oheim meiner Frau gekommen, da er mir Besorgungen auftrug. Der schreibt mir in Bezug auf die Zerwürfnisse unter unserer herrschenden Partei: „In der That, es liegt etwas antik Tragisches darin, daß jene Partei, da sie keine Gegner mehr zu haben scheint, jetzt anfängt wie das Atridengeschlecht sich selbst zu zerfleischen." - Die Hinkeldey=Sache hat übrigens jetzt die Duell=Frage bedeutend angeregt, - ob überhaupt zulässig, ob nicht. Die kirchlichen Leute eifern mit schief angebrachten Bibelstellen dagegen; so ein langer Artikel von Hengstenberg. Vorgestern aber sprachen H. v. Gerlach u. Götze dafür, Stahl gegen diese beiden. Ersterer war wenigstens so vernünftig zu bekennen, daß die Kirche nicht darüber entscheiden könne. - Nachher soll Büchsei die Zuhörer wieder confus gemacht haben. - Von der anonymen Brochüre, die G. u. M. prostituirt, wirst Du wohl gehört haben; vielleicht kannst Du sie bei der Gesandtschaft ergattern. - Es wird Dich interessiren, zu hören, daß ich am 8t. März im Opernhause einen Prolog zu einem DilettantenConcert gesprochen habe. 389 Das Interessanteste b. d. Concert war weniger das Geleistete, als der Zweck (1300 rth. für die schles. Typhus=Waisen) u. das Publicum: König, alle Prinzen, Minister, Generäle, ein Theil des Rütli u.s.w. Da dieser Brief kein Porto kostet, so leg' ich ein Exemplar des Prologs bei. - Am Eulen-
388
Hinckeldey, seit 1 8 4 8 Polizeipräsident von Berlin, war im M ä r z 1 8 5 3 zum Leiter der Abteilung für Polizei im Ministerium des Innern ernannt. Als er im Juni 1 8 5 5 im adligen Jockeyklub eine Spielersitzung aufdeckte, geriet er in Konflikt mit dem Gardeleutnant von Rochow-Plessow, einem Mitglied des Herrenhauses, der ihn zum (verbotenen) Duell herausforderte und am 1 0 . M ä r z 1 8 5 6 in der Jungfernheide erschoß. Fontane hatte sich von Merckel am 1 4 . M ä r z 1 8 5 6 über den Fall unterrichten lassen. „Es ist", hatte der ihm geschrieben, „von vornherein ein Skandal, eine Ironie, wenn der General-Polizeidirektor selbst sich vor einem Duell nicht mehr schützen kann." F M B W 1 , S. 58.
389
Er ist auf der vierten Seite des Programms Concert im Saale des Königlichen Opernhauses am Sonnabend d. 8 Maerz 1856 lithographiert wiedergegeben: Prolog „gedichtet und gesprochen von B. v. Lepell[!]". Ein Exemplar befindet sich im Konvolut der Lepelschen Briefe in der SBPK (Beilagen). SBPK N L 1 9 1 (Fontane), VII (5).
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
spiegelfest 390 hab' ich auch mit einer Ballade „Der Stiefelknecht!" den ersten Preis (bestehend in einem Stiefelknecht) gewonnen, - abscheulich! Wenn mir nichts daran liegt, dann geht es; wenn Toaste beim Rütlifest gemacht werden, so nennst Du meinen den besten; aber wenn es gilt - dann bin ich flügellahm. Gelegentlich kann ich Dir auch zum Spaß die Ballade schicken. Palleske hat neulich seinen „Cromwell" bei mir vorgelesen; das wäre etwas für Dich gewesen. Wir bedauerten, daß Dein Karl 3 9 1 nicht fertig geworden. Was aus „Cromwell" zu machen ist, hat er gemacht; aber Du wirst einsehen, daß es ein zu unzureichender Block ist. - Deine Shakespeare»Artikel hab' ich Hülsen zugestellt u. hoffe Dir gelegentlich Weiteres darüber schreiben zu können. - Habe doch die Gefälligkeit, mir nächstens per Telegraph Deine Spindenschlüssel zu schicken; ich mögte mir meinen Musenalmanach 3 9 2 holen, den Deine Frau mit verpackte. Geht's nicht, so muß ich warten, bis Du wieder kommst. - Meine Jungen, selbst Heinz, sind ziemlich wohl. Ich beneide Deinen George um das Englische, welches er so gut lernen wird. Höre, ich werde Dir einen meiner Jungen in Pension geben, - am liebsten käme ich selbst mit. Nachmittags. Soeben war M a x bei mir, Metzel hat er noch nicht gesprochen. Ich hab' ihm richtig drei miserable, nichts sagende Ottaverime 393 gemacht, worin das Glück des Brautpaars gepriesen wird. Mir hat er seinen, von ihm verfaßten Toast auch gebracht u. ich leg' ihn Dir bei. - Menzel läßt mir sagen, er würde heut nicht zum Schreiben kommen. Nun lebe wohl! Grüße Frau u. Kind! Auch Frl. Schwester. 394 - Ewig Dein treuer Β ν Lepel. 395 Zeising lebt noch immer im Rütli u. ist in neuerer Zeit vielfach Gegenstand des Gesprächs gewesen: Dr. Lazarus ist nehmlich[!] auch ein Verehrer. 390
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Regelmäßig im Februar durchgeführtes Fest im Tunnel, bei dem die Symbole des Vereins, zu denen der die unendliche Wehmut verkörpernde Stiefelknecht gehörte, gerne besungen und bedichtet wurden. Gemeint war Fontanes aufgegebenes Dramenprojekt Carl Stuart. Vgl. seinen Brief an Friedrich Eggers vom [Anfang Juli 1 8 5 0 ? ] . Möglicherweise der Deutsche Musenalmanach für das Jahr 1853, den Otto F. Gruppe herausgegeben hatte und an dem Tw««e/mitglieder beteiligt waren. italienischer Achtreim, Stanze. Fontanes Schwester Elise hielt sich in dieser Zeit bei Fontanes in London auf. Vgl. Fontanes Rütli-Brief vom 3 1 . Oktober 1 8 5 5 .
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Nr. 46
z i . April 1 8 6 5
Nr. 46 Theodor Fontane an Friedrich
Eggers396 London, d. zzten April 1856. 23 Chepstow Place Westbourne Grove Bayswater. Dies ist die neue Wohnung.
Mein lieber alter Eggers. Meine letzten Zeilen mit dem mächtigen Stück Zeitung hast Du hoffentlich erhalten. 397 Daß der ganze Streit auch den mehr oder minder Betheiligten in Berlin zur Kenntniß gekommen ist, hab' ich aus einigen Zeilen Prof: Waagens gesehen.398 Hast Du denn nicht Lust in irgend einer Weise auf London zu ambiren 399 ? Ich irr mich vielleicht, aber alles macht [eingefügt: hier] den Eindruck auf mich, als ob der Kunstverständige - besser noch [eingefügt: der] Kunstkritiker nothwendig hier Carriere machen müsse, [eingefügt: ganz in der Art] wie es von jedem erträglichen Musiker der herüber kommt, eigentlich so gut wie feststeht. Natürlich muth' ich Dir nicht zu, daß Du heut diese Zeilen lesen und morgen Deinen Koffer packen sollst; aber was ich Dir zumuthe ist das, daß Du Deine unglückliche Ehe mit dem Kunstblatt nicht ad infinitum 400 fortsetzt. Mißversteh mich nicht; mir ist so herzlich wenig witzig zu Muth, daß ich nicht die geringste Lust habe die üblichen Kunstblattwitze wie eine etwas dürftige Fontaine wieder springen zu lassen, - ich habe nichts gegen das Kunstblatt, ich habe nur dagegen etwas, daß Du Deine mühvolle Arbeit und den letzten Rest Deiner Jugend an eine verlorene Sache setzt.401 Ich habe eine Art 396
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398 399 400 401
Emilie Fontane fügte dem Brief ihres Mannes ein Begleitschreiben an Eggers bei. Siehe Brief Nr. 7 in: Briefwechsel Friedrich Eggers und Emilie Fontane. Möglicherweise handelt es sich um den im März 1 8 5 6 verfaßten Brief Fontanes. Dann bezogen sich die Zeitungsausschnitte u. a. auf die Aktivitäten um die Neubesetzung des Direktorenpostens der englischen Nationalgalerie. Sie befinden sich nicht Fontanes Nachlaß im FAP. (lat.) (um eine Stelle) bewerben. (lat.) bis ins Endlose. Die Lage des von Eggers redigierten Deutschen Kunstblattes spitzte sich zu und eskalierte im darauffolgenden Jahr. Am 2 1 . November 1 8 5 7 unterrichtete Merckel Fontane über den zur Rettung des Blattes gegründeten Aktienverein, zu dem Kugler, Lazarus, Schnaase, Waagen und er selbst gehörten. Man plante, τ
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Recht so zu sprechen, weil ich Aehnliches eben durchgemacht habe.402 Ich habe nicht eher geruht, als bis ich die Geschichte los war. Pekuniär hab' ich mich dadurch so gar verschlechtert, aber ich brauche mich nicht mehr über ein Unternehmen zu ärgern, das an und in sich selbst ebenfalls nicht schlecht war, aber weder prosperine noch jemals prosperiren könnte. Ein solches Blatt fortsetzen ist nicht Consequenz und Martyrthum, sondern, nimm mir's nicht übel, ein gut Stück Thorheit. Schindler wird immer widerhaariger; straf' ihn und gieb Du ihm den Laufpaß. Du „lookst quite as a gentleman and speakst english exceedingly well" 403 - dadurch ist unendlich viel gewonnen. Alles was ich heut von Dir fordere ist das: zieh ein andres, neues Leben wenigstens mal in Erwägung; richte Deine Blicke mal über Kunstblatt und Schindler hinaus.404 Ich will hier gern Gänge für Dich thun und mich nach diesem und jenem erkundigen. Von all dem Vorstehenden wollt' ich Dir eigentlich kein Wort schreiben, als ich mich niedersetzte - es mit drunter gelaufen. Der eigentliche Zweck dieser Zeilen war aufs Neue bei Dir anzufragen, ob Du mir nicht einen guten Empfehlungsbrief schicken kannst. Welchen Standes die Leute sind, ist gleichgültig. die Zeitschrift dem Berliner Verleger Schindler abzukaufen und den Verlag an Ebner in Stuttgart zu geben. Als die Verhandlungen scheiterten, bot man Ebner an, ein neues Kunstblatt zu gründen, für das Eggers vier Probenummern zusammenstellte. Die Redaktion des Literaturblatts ging an Heyse in München, so daß neben der Berliner Redaktion eine zweite Zweigstelle eingerichtet wurde. FMBW i , S. 189. „Vor allen Dingen aber halten Sie daran fest," heißt es in einem undatierten Brief Merckels an Eggers wohl Ende 1 8 5 7 , „daß Sie Ihr Domizil hier behalten; nicht blos unsertwegen, sondern, weil doch hier Einer seyn muß, der Ebners Interessen wahrnimmt, und weil Berlin nicht in den 2. Rang kommen darf." Wilhelm von Merckel an Friedrich Eggers, o.O., o.D. LBK T N L Eggers. Sig. Cb 60, 56: 2 3 1 . 402
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Fontane bezog sich auf das Ende der Deutsch-Englischen Correspondenz. Die hochkarätige Konkurrenz von Max Schlesinger und Jakob Kauffmann hatte zur Aufgabe gezwungen, woraus sich für Fontane ein verändertes Tätigkeitsprofil in London ergeben mußte. (verballhorntes Englisch, an das der Shakespeare-Zeit angelehnt) „Du siehst ganz wie ein vornehmer Herr aus und sprichst ausgezeichnet englisch." Die spannungsreichen Verhandlungen, von denen die gesamte Zusammenarbeit mit Schindler gezeichnet war, zog sich bis an das Ende des Jahres 1857, wo sie durch die Abmachungen des Kunst- und Literaturblatt-Kreises, das im wesentlichen aus Rütlionen bestand, mit dem Stuttgarter Verleger Ebner eskalierten.
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Nr. 47
25. April 1856
Die Elloramutter ist wohl, sehnt sich aber sehr nach der Heimath. - Grüße alles viel tausendmal. Ich erwartete eigentlich einen Rütlibrief, nicht weil ich ihn verdiente, sondern weil ich gehört hatte, er sei im Anzüge. 405 - Den Brief an Sir Charles Eastlake 406 werd' ich nun wohl nächstens abgeben und die Gründe beifügen, warum so spät. Laß bald mal von Dir hören. Beantworte mir auch die Fragen, die ich in meinem vorigen Briefe stellte. Dein Th: Fontane. Mir fällt eben ein, daß Deine Maçonschaft 4 0 7 Dir große Dienste leisten würde.
Nr. 47 Theodor Fontane an Friedrich Eggers
London d. 25 £ April 56. 23 Chepstow Place Westbourne Grove Bayswater.
Mein lieber Eggers. Der große Gesandtschafts-Briefbeutel 408 mag noch durch ein Briefchen mehr und Du durch die Lektüre desselben beschwert werden. Vor allen Dingen herzlichen Dank für Deine freundlichen Zeilen 409 , die vorgestern hier eintrafen. Du bist der einzige, der noch dann und 405
Das Rütli verfaßte am 1 3 . April 1856 einen Kollektivbrief. Siehe FLBW 2, S. 1 4 8 - 1 5 2 . 406 Wahrscheinlich war das Empfehlungsschreiben von Kugler an Eastlake gemeint. Erst unter dem 7. Juli notierte Fontane im Tagebuch: „Sir Charles Eastlake geschrieben: meinen Empfehlungsbrief eingeschickt." Tagebücher 1852/ 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 138. 407 Eggers war Freimaurer. 408 Fontane nutzte, um Geld zu sparen, den Postweg über die Gesandtschaft, in der er dienstlich regelmäßig zu tun hatte. Der Verlust von Post und das Klagen über deren verzögerte Zustellung zog sich wie ein roter Faden durch seine Englandaufenthalte. 409 nicht überliefert.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
wann von sich hören läßt. Ich klage damit Niemand an. Erstlich schreib' ich selbst nicht viel (meines guten Lepel Briefe hab' ich nicht mal alle beantwortet) und vor allem sind wir [eingefügt: (ihr und ich)] sammt und sonders so vielfach engagirte Leute, daß noch Wichtigeres unterbleibt als die Aufrechthaltung einer Corrrespondenz. Ich hoffe Eure Herzen unverändert vorzufinden und das ist alles was ich wünsche. Deine Mittheilungen über die letzte Tunnel-Concurrenz410 haben mich wieder ganz in das Treiben und all die kleinen Kämpfe und großen Aufregungen hinein versetzt, die das Leben bei uns so reizvoll machen. Ich wünsche aufrichtig, nach Jahren wieder unter den Kämpfenden zu sein; aber ich muß doch gleichzeitig bekennen, daß ich es eher für eine gnädige, segensreiche Schickung als für ein Unglück ansehe, daß ich auf so lange Zeit außerhalb dieser Aktionen gestellt bin. Als ich noch direkt unter euch war, sah ich meine, damals doch auch nur literarische Beschäftigung mit der Politik [eingefügt: schon] als ein besonderes Glück an, als ein frisches, stärkendes Bad, als ein Schutzmittel gegen [eingefügt: alle] Einseitigkeit und die bei uns so häufige Ueberschätzung der Kunst auf Kosten des Lebens. Hier hab' ich nun das Leben; die Dinge selbst, nicht mehr blos ihre Beschreibung, ihr Zeitungsschatten tritt an mich heran und jede Stunde belehrt den armen Balladenmacher: daß jenseits des Berges auch Leute wohnen. Genug davon. Mahne doch bei Kugler's, daß wir von Paul's neusten Sachen 411 das eine oder andre erhalten. Morgen geh' ich zu Williams 412 und abonnire auf das Blatt der Blätter 413 . Die letzten 4 Wochen mit Besuch und Umzug, waren nicht die rechte Zeit dazu. Zwei, drei Briefe für's Literaturblatt (einer oder zwei noch über Shakespeare; alles kurz zusammengefaßt, weil die Geschichte doch mal ein Ende haben muß) erhälstf!] Du innerhalb 4 Wochen.
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Die Frühjahrskonkurrenz war für die beste Erzählung ausgeschrieben worden. Paul Heyse schrieb 1 8 5 6 u. a. Die Braut von Cypern. In der Argo 1 8 5 7 erschien seine chinesische Geschichte König und Magier. Williams & Norgate, Buchhandlung für ausländische Literatur, 14 Henrietta Street, Covent Garden. Fontane meinte Das Deutsche Kunstblatt. Allerdings sahen sich Fontanes bald wieder veranlaßt, das Abonnement aufzukündigen.
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Nr. 4 7
2 5 . April 1 8 5 6
Mein Signalement für die Lüneburger Haidschnucken leg' ich bei. Sei so freundlich und befördre es an die Herren Herold & Wahlstab. 414 Ich bin jetzt [eingefügt: hier] (um Deine Frage zu beantworten) eine Art Berichterstatter und Correspondent. 415 Die Sache klingt pomphafter als sie ist. Ich schicke alle 4 Wochen einen Bericht ein über hiesige Preßzustände, neue Ztngen, Haltung der versch: Blätter etc. Das wär so weit ganz gut. Auch correspondit' ich für eine Monatsschrift 416 , die hundeschlecht bezahlt; aber eine große Ztng, der mit täglichen Mittheilungen gedient wäre, fehlt mir noch immer. Was meinst Du, soll ich mal an Lord Spiker 417 schreiben? Es ist schon Mitternacht und ich bin müde, sonst wollt' ich Dir auseinandersetzen, welches Huhn mit goldnen Eiern die Redaktionen in mir kaufen könnten; aber sie sind dumm und geben mir nichts zu essen und so leg' ich lieber gar nicht. Stehst Du zu einer Redaktion so, daß Du mir bei derselben von wirklichem Nutzen sein könntest? Hat denn nicht Einer von Euch Lust London zu besuchen! Benutzt die Zeit Lafontainscher Anwesenheit, benutzt sie so gut wie er selber. Er wird nicht immer hier sein und ihr werdet dann eines billigen Obdaches und eines guten Führers entbehren. Auf das Kunstblatt werd' ich doch erst im Juni abonniren, um es dann vom i 1 Juli ab regelmäßig zu erhalten. Ich kriege sonst einen ganzen Haufen nachgeliefert und habe nicht Zeit zum Lesen. Auch muß ich sehr ökonomisch sein; eigentlich fehlt's an allen Ecken und Kanten. - Nun leb wohl. Tausend Grüße an alle Freunde. Dein Th. Fontane. 414
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1 8 5 4 erschien in Lüneburg bei Herold & Wahlstab der erste Teil des Deutschen Lesebuchs. Neue Auswahl, in dem zwei Gedichte von Fontane aufgenommen worden waren. Z u m dritten Teil hatte Fontane eine kurze autobiographische Notiz beigesteuert, die hier wahrscheinlich gemeint ist. Fontane hatte in diesen Monaten folgende Pflichten zu erfüllen: 1. Er sollte versuchen, in enger Verbindung mit der preußischen Gesandtschaft Einfluß auf die Berichterstattung über Preußen in der englischen Presse zu nehmen, 2. sollte er die Regierung in Berlin mit Informationen und Schriften versorgen und 3. mußte er die Berichterstattung in deutschen Blättern übernehmen. Überdies war ihm aufgetragen, die Korrespondenz seiner Konkurrenten ständig zu beobachten. Vgl. Jolies S. 1 1 6 . Dabei mag es sich um die Zeitschrift Minerva gehandelt haben, die Fontane in seinem Brief an Ludwig Metzel vom 1 . Mai 1 8 5 6 (HBA I, S. 4 9 3 ) erwähnt. Vgl. auch Metzels Brief vom 26. Mai 1 8 5 6 in Jolies S. 2 2 5 . nicht ermittelt.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 48 Theodor Fontane an Friedrich Eggers London d. 2 1 . Juni 5 6. 23 New Ormond Street Queens Square. Mein lieber Eggers. Es reist heute ein Mr. Collins, ein feiner kluger Mann (Civil-Ingenieur, wahrscheinlich bei der Wasserleitungsgeschichte beschäftigt d. h. die Hauptperson) den ich bei Simpson an der Table d'hôte kennen gelernt habe, nach Berlin. 418 Es ist möglich (aber sehr unwahrscheinlich) daß er Dich oder Kugler* oder selbst Immermann aufsucht, um Grüße von mir zu überbringen. Wenn er so thut, (und ich bitte Dich daß Du zu Lessing und Immermann darüber sprichst) so zeigt ihm rütlionische Freundlichkeit. 419 Er wird keinem beschwerlich fallen, seinen etwaigen Besuch nicht wiederholen, nichts wollen, nichts verlangen und nur das wäre mir lieb, wenn der eine oder andre Heimgesuchte ihm 5 oder 1 0 Minuten lang entgegenkommend begegnen wollte. Vielleicht würde es vortheilhaft auf mich zurück wirken und mich dem Manne, der nur einen Fuß hat und auf Krücken geht, näher bringen. Ich glaube er ist reich. Er spricht deutsch und war schon 1 Ά Jahr in Berlin. Meine Frau schreibt mir heut: ich hätte mir den hohen Unwillen des Rütli in der Waagen-Affaire zu gezogen.420 Bitte zu grüßen. Audia418
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Simpson war ein Londoner Restaurant, in dem Fontane verkehrte und an das angeschlossen sich ein Lesekabinett, „Café Divan", befand. Der erwähnte William Collins wird in Fontanes Tagebüchern jener Zeit sehr häufig erwähnt. Beide unterhielten eine Korrespondenz. Collins plante die Übersetzung von Fontanes Ein Sommer in London ins Englische. Fricke 1 , S. 30. Im Tagebuch vermerkte Fontane unter dem 20. Juni 1856, daß er an Collins geschrieben habe. Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 130. Daß diese Beziehung zu den Berliner Freunden und Collins zustande kam, belegt der Brief von Lepel vom 2 1 . Mai 1857, in dem er von einem gemeinsamen Diner mit Eggers und Collins berichtete: „Er scheint viel von Dir zu halten. Bei Tisch wurde Deine Gesundheit getrunken u. wenn er von Dir sprach, nannt' er Dich Theodor." FLBW 2, S. 1 7 4 - 1 7 5 . Der Kunsthistoriker Gustav Waagen hielt sich im Sommer 1856 in London auf, wo ein Zusammentreffen mit Fontane vermittelt worden war. Waagen hatte am 1. Juni 1856 an Eggers, mit dem er als regelmäßiger Mitarbeiter des Deutschen Kunstblattes in engem brieflichen und persönlichen Kontakt stand, geschrieben: „Ungemein bedaure ich Ihren Freund Fontane bisher nicht gese-
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Nr. 48
2 i . Juni 1 8 5 6
tur altera pars 421 gilt überall; will das der Rütli seinen eigenen Mitgliedern versagen. Ich wette 100 gegen 1 , daß Waagen mich nicht aufgesucht hat. In solchem Fall bestellt man etwas, oder läßt eine Karte zurück oder schreibt: ich war bei ihnen, fand sie nicht, etc. Nichts von alledem. Ich erhielt Deinen Brief und links in der Ecke desselben „Dr Waagen 7 Fitzroy - Sqare." Ehrlich gesagt hab ich Dich in Verdacht, daß Du mir diese Geschichte eingebrockt und den Rütli gegen mich eingenommen hast. Ich höre Deinen Vortrag, wo Du himmelklar auseinandersetzt, daß mir das ganz ähnlich sehe, wie ich immer solche Raupen im Kopf hätte und Freundlichkeiten erwartete auf die ich keinen Anspruch hätte. Bon. Du kennst jetzt die Sachlage. Ich betheure Dir auf [gestrichen: ein] Ehrenwort daß sie richtig ist. Wenn W. mich aufgesucht und nichts gethan hat mich das wissen zu lassen, so bin ich mindestens schuldlos. Nun aber noch eins. Seht Euch Waagen an. Ist er nicht das Bild, der Typus eines Geschiehten-machers? Daß er stark ist im Anekdoten-erzählen, weiß alle Welt. Ich trage allen Ernstes auf Freisprechung an. Beifolgend wieder ein Ausschnitt. 422 Die ganze Sache ist wichtig und wenn ich nicht über die Maßen viel zu thun hätte, schreibe ich Dir mal darüber ein Briefchen. Grüße die Freunde herzlich. Hat Metastasio meinen langen Brief bekommen? Dein Th: Fontane
hen zu haben. Da ich, wie Sie sich denken können, in dieser ersten Zeit alle Hände voll zu thun habe, um die hier immer etwas umständlichen Einleitungen und Verabredungen für meine Studien zu treffen, und Fontane in sehr entlegener Gegend wohnt, so hatte ich ihm Ihren Brief mit der Beigabe meiner hiesigen Addresse mit der Post in der Hofnung[!] zugeschickt, daß er mich einmal aufsuchen würde, um über Alles Rücksprache zu nehmen, was ich hier vielleicht für ihn thun könnte. Da dieses nun nicht erfolgt ist, mir aber nicht allein nach dem, was Sie, sondern auch noch ganz besonders nach dem, was Kugler mir von ihm geschrieben, ungemein daran gelegen ist, ihn kennen zu lernen, werde ich ihn schriftlich bitten mir eine Zeit anzugeben, zu welcher ich ihn sicher zuhause finde." LBK, N L Friedrich Eggers. Sig. C b 6 0 . 5 6 : 5 4 0 . Vgl. zu dieser Angelegenheit und zu Fontanes Beziehung zu Waagen genauer Roland Berbig: „der Typus eines Geschichten-machers" Gustav Friedrich Waagen und Theodor Fontane in England. In: Exilanten und andere Deutsche. Hrsg. von Peter Alter und Rudolf Muhs. Stuttgart 1 9 9 6 . S. 1 2 0 - 1 4 1 . 421 422
(lat.) Man soll auch den anderen Teil (die andere Seite) hören. nicht überliefert. 181
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Wenn ich es nicht vergesse, werd' ich Dir am Dinstag früh die Parlamentsverhandlungen über diesen Gegenstand schicken. Das beste ist ich schicke Dir ein Times-Exemplar. Das kostet nur ι sgr 4 pf Porto. Dein Th. F. * Kugler's hab ich ihm genannt, weil ich daran dachte, daß er unsrem Lessing über den hiesigen Normannenstyl 423 etwas Vernünftiges zu sagen weiß.
Nr. 49 Theodor Fontane an Friedrich Eggers London, d. 23. Juni 56. Café Divan 424 . Mein lieber Eggers. Du hast Recht, der große Vermittler fehlt. 425 Waagen und ich, wir wären längst die Dioskuren vom Fitzroy-Square, wenn - Eggers hier wäre. Warum ist Eggers nicht hier? weil er ein Thor, ein Theekessel ist. Fontane gehört nach Berlin. Eggers gehört nach London. Eggers der Maçon ist, (unter Deinen vielen schlechten Eigenschaften die schlechteste) der Reden halten kann, der sich völlig als Gentleman zu geriren weiß (natürlich Du bringst den braunen mit, mit dem dunklen Halstuch, nicht den blauen mit der Apfelsinen-Weste)426 der ein halbes Dutzend nichtssagender Titel hat (hier unbezahlbar) der ausdauernd und beharrlich ist ohne zudringlich [eingefügt: zu] sein, der nach eignem Zeugniß, sich an der Table d'hôte den muffligsten Gast aussucht um den Triumph holen einen wahren Trappisten hinterher 423
romanischer Baustil, der sich in Nordfrankreich im 1 1 . Jahrhundert herausgebildet hatte und durch die N o r m a n n e n nach England (sog. anglo-normannischer Stil) übertragen wurde.
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D a s mit dem Restaurant von Simpson verbundene L o k a l am Strand, das von Journalisten bevorzugt wurde, weil dort britische und ausländische Zeitungen auslagen und eine gute Handbibliothek vorhanden w a r . Die Benutzung kostete einen Shilling.
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Fontane erhielt laut Tagebucheintrag a m 2 3 . Juni einen Brief von Eggers.
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Anspielung auf Eggers' Freude an auffälliger und farbenfreudiger Kleidung.
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Nr. 4 9
23. Juni 1 8 5 6
als Volksredner zu sehn - dieser Eggers (nicht zu verwechseln mit seinem Bruder Robbing der sich weniger dazu qualifiziren würde) gehört hierher und würde England und Deutschland staunen machen. Selbst eine Frau würd er hier kriegen.427 Die Engländer würden sagen he knows everything428 und he is quite a gentleman429 und die Deutschen und die Rostocker würden ausrufen: „wir wußten es, er war von je - ein Bösewicht. Wer es vom Nagel bis zum Kunstblatt bringt, für den ist kein Sprung zu weit. Er hat reüssirt und er darf nun wieder - einen Nagel haben." Genug des Unsinns! Soviel ist aber Sinn und Wahrheit, daß Du hierher gehörst. Wie hier Posto fassen, das weiß ich nicht; wenn Du aber nur einen Quadratfuß für Dich hast, so eroberst Du von da aus England. Schindler ist Dein Unglück. Laß ihn laufen, oder er Dich, and don't care about it. 430 An Waagen hab' ich heut früh geschrieben und angefragt, wann er mich zu sehen wünscht. 431 Die Vossin wird wohl in diesen Tagen, vielleicht morgen (Dinstag) schon einen langen Aufsatz von mir bringen „die Kunstausstellung". 432 Das ist nun nicht mehr und nicht weniger als Verrath, Verrath an Rütli, Ellora und Eggers in specie. But I could'nt help it. 433 Ich brauche viel Geld und die Vossin hat den besten Beutel. So verzeih. Wenn es sich um Geld handelt, wirst Du immer weich und läßt 5 gerade sein. Du fühlst in solchen Augenblicken, daß Du über ähnliche Schwächen nicht erhaben bist und dort den Tribut Deiner Huldigung zahlst, wo am meisten gezahlt wird. Wenn Dir der Aufsatz gefällt, kannst Du vielleicht einiges daraus brauchen. Die Times morgen werd ich nicht vergessen. Ich habe außer der mir angehörigen Douglas-Ballade434 mehr als ein Dutzend Uebersetzungen in meinem heimathlichen Schreibpult lieEggers blieb zeitlebens unverheiratet. Einiges spricht dafür, daß er homosexuell war. 428 (engl.) er weiß (einfach) alles. 4 2 9 (engl.) er ist ein ganzer Gentleman. 430 (engl.) gib nicht darauf acht (vernachlässige es). 4 3 1 Der Brief ist, soweit sich sehen läßt, nicht überliefert. 432 Die Kunstausstellung erschien in der Nr. 148 der Vossischen Zeitung vom 27. Juni 1 8 5 6 (Beilage). 4 3 3 (engl.) aber ich konnte nicht anders. 434 Archibald Douglas. 427
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
gen. Wie sie aber ausgraben? Es ist nahezu unmöglich. Auch müßt' ich noch dran corrigiren und die Stimmung dazu ist so schlecht wie möglich. Ich habe hier andres zu thun. Dein Th. Fontane. Ich habe vorgestern auch an Lepel geschrieben.435 Wird er den Brief bekommen? Ich erseh aus dem Deinigen, daß er in Wieck 436 ist.
Nr. jo Theodor Fontane an Friedrich Eggers London d. 18. Juli 56. 23. New Ormond Street Queen Square. Mein lieber Eggers. Beifolgend 2 Ausschnitte. Der eine ein Brief unsres guten Waagen, der wahrscheinlich Recht hat, dem gegenüber ich aber die Befürchtung nicht ganz unterdrücken kann, daß er durch die in 7 Fitzroy Square 437 geübte Gastfreundschaft etwas beirrt wird. Ich will mir doch diesen „Gian Bellin" eigens mal drauf ansehn. 438 Der andre Ausschnitt (aus dem Globe) ist wie alle Globe-Artikel schwer zu verstehn. Halte fest, daß Prinz Albrecht, die „Deutschen" und die Royal Academie auf einer Seite stehn d. h. die Verpflanzung der alten Gemälde sammt und sonders nach Kensington Gore und zu gleicher Zeit die Verwendung des National-Gallerie-Gebäudes (Trafalgar Square) ausschließlich zu Akademie-Zwecken wünschen. Die Sa435 436
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nicht überliefert. Wieck bei Gützkow in Pommern, dort hatten die Schwiegereltern Lepels ein Gut. Dort war das Auswärtige Amt, also eine hohe Regierungsstelle, untergebracht, deren Gast Waagen war. Fontane schickte Eggers den in der Times vom 1 6 . Juli 1 8 5 6 , S. 1 0 , Sp. 4 abgedruckten Leserbrief Waagens, in dem dieser sich gegen Thesen von William Coningham wandte, der die Echtheit eines von der englischen Nationalgalerie erworbenen Madonnenbildnisses von Giovanni Bellini bezweifelte. Waagen war wiederholt als Berater im staatlichen englischen Kunstgeschäft tätig.
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Nr. 50
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che wird dadurch genau so wie bei uns, nur müßtest Du Dir [gestrichen: das][eingefügt: unser] Bilder-Museum bei der „Crelinger 439 ihr Knie" denken. Die Royal-Academie (Eastlake) wird dadurch ganz was unsre Akademie ist.440 1) und hauptsächlichst - Dienstwohnungen („der Mensch will doch wohnen") z) Kunst-Schule 3) Ausstellungs-Gebäude für lebende Maler und Bildhauer. Alles wie bei uns, nur die Uhr fehlt, was nicht unwichtig ist, da ich darauf schwören wollte, daß es in Berlin Leute giebt, die ganz ernsthaft der Meinung sind, die Akademie sei dieser Uhr wegen da. An Eastlake hab' ich vor 14 Tagen einige Zeilen gerichtet und Kuglers Brief mit eingeschickt.441 Keine Antwort. Bon! Es ist auch am besten so. Laß bald von Dir hören. Besucht die Ellora-Mutter, aber nie allein, weil ich sonst eifersüchtig werde. Dein Th: Fontane. Die Vossin geb' ich wieder auf. 442 Es sind Schafsköpfe. Dixi 443 . Ellora-Toast bei Merckels war sehr hübsch! 444 Die Ausschnitte schick' ich in Metzels Brief, der sie hoffentlich gleich zur Post geben wird. 439
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Auguste Crelinger gehörte von 1 8 1 2 bis 1 8 6 2 dem Berliner Hoftheater an. Fontane spielte auf den Standort des Theaters in der Nähe der Akademiegebäude an. Fontane verfaßte für das Deutsche Kunstblatt einen mit Noel gezeichneten Artikel zu dieser Angelegenheit: Plan der Verlegung der Royal Academy nach Kensington. Deutsches Kunstblatt Nr. 3 vom 1 5 . Januar 1 8 5 7 . S. 2 5 - 2 6 . Wiederabgedruckt in N F A XXIII/2. S. 1 4 1 - 1 4 8 . Vgl. Fontanes Brief an Eggers vom 2 2 . April 1 8 5 6 . Fontane hatte 1 8 5 6 eine Reihe von Artikeln für die Vossische Zeitung geschrieben (siehe Jolies, S. 2 4 4 - 2 4 5 ) , der letzte in diesem Jahr erschien am 1 2 . Juli in der Beilage. Erst 1 8 5 9 nahm er diese Verbindung mit Bilder und Briefe aus Schottland wieder auf. (lat.) im Sinne von: basta! A m I i . Juli vermerkte Fontanes Tagebuch „ein Ellora-Toast vom alten Eggers." Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 1 3 9 . Siehe Brief von Friedrich Eggers an Emilie Fontane vom 9. Juli 1 8 5 6 (dort auch der Toast vom Ellorafest bei Merckel, das am 8. Juli 1 8 5 6 stattgefunden hatte). 185
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Es ist für mich gar kein Zweifel, daß der Prinz Albert und die R. Académie schließlich Recht behalten. Sie haben im Wesentlichen auch Recht. Sehr wahr sind die Zeilen, die ich unterstrichen habe.
[von Emilie Fontanes Hand:] Gott sei Dank ist mein Noehl wieder gesund; ich schick morgen Abend einen Brief ab u. würde mich freuen einige Zeilen vom guten Sohn Friede beifügen zu können. Wie immer die eine Schwester habende Mutter 4 4 5
Nr. ji Theodor Fontane an Friedrich Eggers Herrn Dr. F. Eggers Köthner und Hirschelstraßen-Ecke. London, d. 2. August 56 23 New Ormond Street Queen Square. Mein lieber Eggers. Nur ein paar Worte. Ich erhielt heut früh die letzte Nummer des Kunstblatts. Ich ersah daraus, daß Du meine Ausschnitte benutzen kannst, was mir Freude macht. 446 Am liebsten unterstütz' ich das Kunstblatt... statt mit Zeitungs-awsschnitten m i t . . . Couponafechnitten, doch Du weißt ja wie es mit unsereinem steht; Du hast zum Schluß Deines sehr hübschen Eichler-Aufsatzes 'mal wieder ein Wort über die ganze Gattung gesagt, der wir anzugehören die Ehre haben. 447 Bei Gelegenheit dieses Aufsatzes kann ich doch nicht umhin 445
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Gemeint war Henriette von Merckel, die als Elloratante zum Freundeskreis gehörte. Eggers hatte in der Rubrik: Zeitung eine Notiz Royal Academy nach Kensington eingerückt. Deutsches Kunstblatt Nr. 2.8 vom 24. Juli 1856. S. 274. Die plastische Anstalt und Gipsgießerei von G. Eichler in Berlin. Deutsches Kunstblatt Nr. 28 vom 24. Juli 1856. S. 267-270. Eggers schrieb am Ende seines Aufsatzes ein Plädoyer für Gipsabgüsse, trotz der Mängel dieses Materi-
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2. August 1 8 5 6
auszusprechen, daß es eine Erquickung ist, nach ioo t e n von englischen Leitartikeln mal wieder einen deutschen zu lesen. Ein [eingefügt: engl.] Leitartikel ist wie ein dünn ausgezogener Draht; ein compaktes Stück ist besser und bequemer. Es ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Bibelspruch und einer mittelmäßigen Predigt. Unsre deutschen Arbeiten, in Bezug auf Form zurückstehend, sind doch wirklich inhaltreicher. Überhaupt: hurrah Deutschland und Vaterland! Von meinem Kunstblatt-Abonnement will ich lieber nicht mehr reden; ich habe mich schon lächerlich damit gemacht. Vernimm einfach, daß ich wirklich nicht das Geld dazu habe. Du machtest mir 'mal einen generösen Vorschlag, aber das kann und mag ich nicht annehmen. Meine Geldklemme ist so groß, daß ich schließlich noch in Verlegenheit kommen werde, wenn die Regierung nicht ein Einsehn hat und mir wenigstens ein Geschenk von 100 rh macht. Geldpumpen in der Heimath ist aus manchen Gründen mißlich. Einmal denken die Leute ich sitze hier in Abrahams Schoß und zweitens, was sind 50 rh hier? Letzten Sonnabend, Sonntag und Montag hab' ich (eine telegr. Depesche, ein Picknick und noch einige andre Extra's) 4 £ ausgegeben. So fliegt das Geld weg. 448 Wer in England leben will, muß englische Einnahmen haben. Meine Behörde glaubt gewiß Wunder wie nobel sie ist und es ist alles Filzerei. Wenn es Deine Zeit erlaubt so schreibe mir bald 'mal einen Rütliund Ellora-Brief d. h. einen Brief in dem Du mir mittheilst, wo sie alle stecken, was sie thun und machen, wann sie zurückkehren u.s.w. Ich weiß von alledem so gut wie nichts. Die Ellora-mutter schreibt alles im Lapidarstyl und ich sage nichts mehr darüber, weil ihre kurzen Briefe viel besser sind als die langen, zu denen sie nun mal keine Neigung hat. Dein Lafontaine. als und der hohen Vorzüge von M a r m o r . „Wenn wir Andern, die wir, ,dem Himmel näher' zur Miethe wohnend, mit der Ausschmückung unserer Räume warten wollten, bis wir lauter M a r m o r denken können, so würden wir wohl gerade so lange zu warten haben, als bis auf unser eignes - letztes -
Haus.
W i r ziehen es daher vor, dem G y p s einen Mietszins zu entrichten und eine und dieselbe Form nach und nach durch mehrere Exemplare vertreten zu lassen." (S. 2 7 0 ) 448
Die Tagebuchnotiz von jenem Sonntag ( 2 7 . Juli 1 8 5 6 ) skizziert allerdings einen kostspieligen Tag, der mit der Bemerkung quittiert wird, daß es „des Guten etwas zu viel w u r d e " . Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 1 4 7 .
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Wenn eine neue „ A r g o " erscheint 449 (aber nicht „Tafelrunde" um Gottes Willen nicht) so schick mir ja einen Correktur-bogen; ich habe namentlich die Ueberschrift der Douglas-Ballade in Erwägung zu ziehn. 450 - Von Waagen und Sir Charles Eastlake kein Wort. Sie scheinen mir beide „mall" zu sein, oder aber machen Ansprüche, die unter den gegebenen Verhältnissen unbillig sind. 4 5 1 Viele Grüße an Kugler's u. Heyse's.
Nr. 52 Theodor Fontane an Friedrich
Eggers London d. 1 8 . August 56. 9 2 Guilford Street
Lieber Eggers. Ich habe hier eine Miss Eburne (eigentlich Mrs. Eburne denn sie ist verheirathet und die Direktoren behalten das Miss nur bei weil es „reizender" ist) kennen gelernt und ihr die Einsendung dessen ver-
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Im Sommer 18 5 6 gab es im Rüth heftige Diskussionen um den neuen Jahrgang der Argo. Ausgelöst wurde er durch die scharfe Kritik Kuglers an der vorgenommenen Umprofilierung, die ihm einen Niveauverlust bedeutete, für die er übereilt seinen Namen als Mitherausgeber hergegeben hatte. In den Briefen unterzog er die eingegangenen Beiträge, besonders jene von Hermann Grimm, einer Generalkritik, die mit Blick auf das gesamte Jahrbuch in dem Urteil gipfelte: Es sei nicht vielmehr als „Aehrenlese, in der wir die tauben Körner sorgfältig von den gehaltreichen ausschieden, unter den letztern sehr treffliche; aber dennoch kein in sich geschlossenes Ganzes, und als solches von nicht genügend bestimmter Physiognomie." Das Unternehmen sei zwar präsentabel, „aber ohne Autor·Vertretung des Ganzen, d. h. ohne Meinung von Herausgebern." Franz Kugler an Friedrich Eggers, 24. Juli 1856. LBK, TNL Eggers. Sig. Cb 60, 56: 268.-2.70. Fontane hatte die Ballade am 3. Dezember 1854 unter dem Titel Der Verbannte vorgetragen. Sie wurde aufgenommen in der Argo. Album für Kunst und Dichtung. Breslau: Trewendt und Granier 1857. S. 14. Im Deutschen Dichteralbum (1858) ließ sie Fontane mit dem Untertitel der Verbannte drucken. Vgl. Fontanes Brief vom 18. Juli 1856 und die Bemerkungen zur Verlegung der Royal Academy. Waagen engagierte sich in dieser Angelegenheit als akzeptierter England-Experte besonders.
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Nr. 52
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sprochen, was ich über sie habe drucken lassen. 452 Wenn es Dir nicht viel Mühe macht, so schicke mir die [eingefügt: Shakespeare-] Aufsätze, die glaub' ich im November und December v. J. im Literaturblatt erschienen sind. Packe, wenn er Dir unter die Hände kommt auch den Aufsatz Storms 453 über mich bei; dies Werk ist mir noch immer Geheimniß. Storm an meiner Stelle würde nicht so lange gewartet haben. Meine Frau schreibt mir, daß Du das Einsenden eines Correkturbogens mit der Douglas-Ballade für überflüssig hieltest. Das sieht Dir ähnlich. Weil ich es wünsche, 454 deshalb steifst Du Dich darauf es nicht zu thun. Du magst mir glauben, daß ich hier sehr tief empfinde wie wenig an meiner Ballade gelegen ist und daß die Welt, die so viel andres hat, sämmtliche Fontane'sche Balladen entbehren kann. Das ist richtig; aber wenn man mal vor dem Publikum erscheint, so darf man sich nicht im Einklang mit dieser Indifferenz präsentiren und die Worte an der Stirne tragen: „es ist alles ganz gleich; vergessen wird es doch!" Der Einwand der durch Campe gemacht wurde, daß man etwas zu lange in Ungewißheit über die besondre Situation (als Verbannter) Archibald Douglas' bleibe, ist richtig und ich muß demgemäß die Ueberschrift einrichten, sie muß bereits Auskunft geben. Das kann ich aber nur, wenn ich das Gedicht habe; ich hab es hier weder, noch weiß ich es völlig auswendig. Außerdem denk' ich hat jeder ein Recht sich einen Correkturbogen auszubitten, vorausgesetzt daß er bereit ist die Kosten zu tragen. Ich denke daher Du wirst mir einen Bogen schikken, ich werde sonst auch kräpsch. Leb wohl! Dein Th: Fontane.
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Margaret Eburne spielte in der Haw/ei-Auffiihrung des Sadlers-Wells-Theaters die Ophelia. Fontane berichtete im 3. Shakespeare-Brief (Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes Nr. 24 vom 29. November 1855. S. 97-99): „Die Ophelia wurde von einer ziemlich hübschen, etwas robusten Dame gespielt. Das letztere soll kein Vorwurf sein; es ist kein Zweifel, daß die Nordlandstöchter zu Zeiten des Königs Claudius noch höher und breiter waren als Margret Eburne." HA H/3,1, S. 93. Zu der Bekanntschaft vgl. Fontanes Brief an Emilie vom 18. August 1 8 5 6 (HAB I, S. 530). Literaturblatt am 18. Oktober 1 8 5 5 . Zu Storms Text über Theodor Fontane siehe Friedrich Eggers' Brief an Fontane vom 13. Februar 1 8 5 5 . Siehe Fontanes Brief vom 2. August 1 8 5 6 an Eggers.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. j 3 Theodor Fontane an Friedrich Eggers London d. 1 3 Novb. 56. 455 92 Guilford Street. Mein lieber Eggers. Wenn Du es nicht verweigerst, so komm ich nun schließlich auch noch ins Kunstblatt. 456 Ich verdamme mich dadurch zu einem ewigen Schweigen. Und es schnackt sich doch so bequem. Nähmst Du auch wohl: „Ein Laienbrief aus Paris"457} Ich habe über Versailles etc. einiges auf dem Herzen. Ich stecke alles in ein altes Couvert, schon vor 5 Monaten an Dich adressirt und dann wieder geöffnet - daher sieht das Siegel verdächtig aus. Ich schreibe das, damit Du niemand in Verdacht hast, den Brief erbrochen zu haben. Grüße Rütli und Ellora sehr herzlich. Wie immer Dein Th: Fontane.
Nr.j4 Theodor Fontane an Friedrich Eggers London, d. 6. Dezemb. 56 92 Guilford Street. Mein lieber alter Eggers. Es thut mir aufrichtig leid, daß der Nasenstoß vom 1 4 " " November 458 über den Du mir schreibst, nicht von blos lokaler Wirkung gewesen 455
A n diesem Tag entstanden laut Tagebuch auch die Geburtstagsverse An Friedrich Eggers. Zum 2 7 . November i8j6. Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 1 9 7 - 1 9 8 (hier notierte sich Fontane diese Verse noch einmal).
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Der Artikel Zwanzig Turner'sche Landschaften in Marlborough-House erschien in Nr. 3 des Deutschen Kunstblatt vom 1 5 . Januar 1 8 5 7 . Er war gezeichnet mit Noël.
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Unter diesem Titel ist der Text im Deutschen Kunstblatt 1856 und 1 S 5 7 nicht nachzuweisen. Eggers hatte sich beim Versuch, einen Nagel mit der Zange aus der Wand zu entfernen, verletzt. Ihm war das „das gespaltene Griffende der Zange in das Nasenbein nicht weit vom A u g e " gedrungen, „es wurde ein ganz fataler Riß,
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6. Dezember 1 8 5 6
zu sein scheint, sondern allen Anzeichen nach auch weiter nach oben gelegen, edle Organe letal verletzt hat. Einen solchen Brief von hundert anderen Leuten ζ. B. von meinem lieben Lepel zu empfangen, würde mich keinen Augenblick in Erstaunen setzen, da unser letztgenannter Freund, um bei ihm stehn zu bleiben, groß ist in irischen Bulls und die Aechtheit seines Moses dadurch zu beweisen versteht, daß er einem die buonarottischen Fingeràbdrücke daran zeigt.459 Ja, ich selber, um die Wahrheit zu gestehen, hätte solchen Brief schreiben dürfen nur Du nicht, nur Eggers nicht, der nächst Scherenberg das größte diplomatische Talent des protestantischen Deutschlands ist. Eggers der so lange Kunstblatt redigirt, der so viele große Männer klein gesehen hat, der Vettermichelei und Cliquenwirthschaft genugsam kennt, der da wissen muß daß Beschwerden an Seine Majestät über den Minister N. N. sofort an den Minister N. N. geschickt werden, damit er darüber entscheide, dieser selbige Eggers schickt mir eine Brochüre „Erhard contra Toynbee" die ich mittelbar an Toynbee abgeben soll, damit Toynbee sagt: „Erhard ist ein großer Mann." 460 Vielleicht irr ich mich, vielleicht versteh ich irgend etwas falsch oder halb, aber ich habe nun den Brief zum dritten Male durchgelesen und ich kann nichts anderes finden, als daß Dr. Toynbee die große OhrenAutorität, noch dazu die einzige der Royal Society ist und daß ich an eben diese Royal Society die Brochüre einsenden soll. Well! was geschieht in solchem Fall? Der Sekretair der Gesellschaft kuckt hinein oder liest den Titel, sieht daß es sich um Ohren handelt, brummelt nicht sehr lang, aber tief und ich werde mit einer Narbe herumlaufen." R S A , N L Eggers, Friedrich Eggers: Briefe an die Eltern. Mappe: 1 8 5 6 . Sig. 1 . 4 . 7 . 9 . 459
Im Familienbesitz Lepels befand sich eine Moses-Zeichnung von Raphael. Michelangelo Buonarroti hatte zwischen 1 5 1 3 und 1 5 1 6 die berühmte MosesSkulptur geschaffen. Kugler bezog sich auf die Raphaelsche Abbildung in sei-
nem Vorwort zu den Kleinen Schriften und Studien zur Kunstgeschichte, die 1 8 5 3 und 1 8 5 4 in drei Bänden bei Ebner & Seubert in Stuttgart herauskamen und an deren Zusammenstellung er auf Lepels Gut gearbeitet hatte. 460
Julius Karl Friedrich Erhard hatte 1 8 5 6 die Schrift Όeher die Heilbar durch Druck und im Jahr zuvor Das Gehör und die
Schwerhörigkeit. Schwerhörigkeit.
Offener Brief an das Publikum gegen den Charlatanismus veröffentlicht. Eggers korrespondierte bereits seit 1 8 5 0 mit Erhard, der eine Zeitlang sein Hausarzt war. Über seine öffentliche Stellung gibt der Brief an Eggers vom 20. Februar 1 8 5 4 Auskunft: „Einen solchen unerwünschten Brand hat meine unschuldige Reise nach Berlin und meine Ohrenkugeln verursacht. [...] ich bin in ganz Deutschland als Ohrenarzt bekannt. Meine Zukunft wird's lehren ob aus Berühmtheit Berüchtigkeit werden soll." LBK, T N L Eggers. Sig. C b 60, 5 6 : 1 2 5 .
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
vor sich hin „haha, Toynbee" und läßt es zur Begutachtung an diesen gelangen. Toynbee ist vermuthlich kein alter Römer, dem nur an der Ehre und dem Wachsthum der Republik gelegen ist, er schmeißt die schöne saubre Arbeit werthvoll ihrem Inhalt nach und werthvoll schon um der feinen Händchen willen die sie geschrieben, in den Kamin und macht ein Freudenfeuer, daß alles Ohrenschmalz der drei Königreiche dabei schmelzen könnte. Der Barbar! aber so sind die Menschen; Du kennst sie ja. Mach' andre. Das Vorstehende ist meine unmaßgebliche Meinung. Gesetztenfalls ich hätte dies oder das mißverstanden, so viel bleibt immer, daß ich um Erhards und der Arbeit willen sie bei der Royal Society nicht einreichen kann, wenn Toynbee ein fellow 461 ja sogar in der vorliegenden Sache the fellow of the Royal Society ist. Ich seh weitren Ordres entgegen; inzwischen werd' ich mich (weshalb aber neue Instruktionen Deinerseits nicht ausbleiben dürfen) an einen mir befreundeten Arzt (Dr. Morris, sehr gescheidtes Kerlchen) wenden und ihn fragen, wie er über die Sache denkt. Daß ich unter allen Umständen gern bereit bin die Arbeit abzugeben, versteht sich ganz von selbst, es wäre sogar das bequemste. Ich schreibe Dir das alles aber, weil ich selber wünschte, daß soviele Mühe eines jungen Ehepaars doch auch einen Erfolg hätte. Mit der Bitte diese letztre Bemerkung nicht mißzuverstehen und Dir und Deiner Nase das Beste wünschend Dein Th Fontane.
Nr. 5 j Theodor Fontane an Friedrich Eggers [London, den 20. Februar 1S57] 4 6 2 92 Guilford Street. Mein lieber Eggers. Zunächst meinen Dank für Deinen Brief und die freundliche Charakterschilderung der Elloramutter. - Die Arbeit Dr. Erhardts werd ich nun abliefern, nicht ohne weitres, sondern [eingefügt: mittelbar] 461
(engl.) hier Mitglied einer wissenschaftlichen Institution (i.e.S. der Universität).
462
Vgl. Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 2 2 6 .
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Nr. 55
20. Februar 1 8 5 7
durch einen mir befreundeten Arzt 463 , den ich Dir wohl schon in meinem letzten Briefe nannte. Ich wünsche den besten Erfolg und will keinen Optimisten durch meine Zweifel länger kränken. Vielleicht bildet die Ohrenheilkunde auch große Charaktere aus. Wer immer mit tauben Leuten umgeht, ist wirklich in einer Art Ehrlichkeitsschule. Was müssen wir nicht alles verschweigen! Der Ohrendoktor aber (denn ihre Patienten wenn das Leiden [eingefügt: überhaupt] jenseits des Ohrenschmalzes als Petrefakte liegt, werden immer tauber) gewöhnt sich daran ohne Verstellung und Heuchelei sein: „alter Schafskopf, Esel, Rindvieh" und so die ganze Arche Noäh durch, vor sich hinzuschreien und solche Dinge sind [eingefügt: natürlich] von moralischer Einwirkung und machen Charakter. Du willst Beiträge, muthmaßlich Verse.464 Ja lieber Freund das ist schlimm. Ich habe wohl dies und das, aber das treibt sich überall 'rum, das eine hier das andre da, und es wäre lächerlich mit Dir über einen Beitrag der höchstens 1 Seite füllt, eine lange Correspondenz führen zu wollen. Ich kenne das. Nun sucht man was; doktort dran umher, quält sich 3 Tage (und ärgert sich dabei) um einen unreinen Reim zu beseitigen, schickt es endlich ein und erfährt dann: es war zu lang oder es war zu kurz, oder es taugte nicht oder es paßte nicht. Wenn man miteinander lebt, so macht man solche Dinge en passant ab, aber von hier aus geht es kaum. Mißversteh mich nicht. Wenn ich was wirklich Tüchtiges hätte, was fertig wäre und mir selbst als gut erschiene, so würd' ich es auf der Stelle eingesiegelt haben, aber ich habe nur Sachen die erstlich nicht schwer in die Wage fallen und über die eine lange Debatte nöthig ist: ob oder ob nicht? Und das sind wirklich ein paar Sprüche nicht werth, unbeschadet des Werths den sie als Tagebuchblätter für mich selber haben. Ich hoffe in 5 Wochen in Berlin zu sein;465 dann wollen wir über die Sache sprechen. Du sollst dann unter allerhand Zeug die Wahl haben 463
464
465
James Morris. Unter dem 28. Februar 1 8 5 7 notierte sich Fontane: „Zu James Morris. Ueber die Erhardtsche Brochiire (gegen Toynbee) seinen Rat eingeholt." Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 228. Friedrich Eggers war Mitherausgeber des Jahrbuches Argo, für das er Fontanes Beteiligung wünschte. Unter dem 16. Februar 1 8 5 7 vermerkte Fontane im Tagebuch einen „guten Brief" von Eggers. Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 224. Am 27. März 1 8 5 7 brach Fontane nach Berlin auf, wo er am 28. ankam. „Nach Tisch Besuch von Eggers. Mit ihm zu Merckels; von da, in den Rütli zu
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
und wenn Du gewählt hast, dann will ich mit Eifer feilen und corrigiren, aber vorher kann ich wahrhaftig nicht. Es ist mir zu riskant und Du kannst Dir denken, daß mir die Zeit hier einiges werth ist. Für einen 14 tägigen Aufenthalt in Manchester466 mit Kugler und wo möglich auch mit Dir, schwärme ich sehr. Stachle nur den Herdpriester467 nach Kräften an. Mündlich darüber ein mehreres. Tausend herzliche Grüße an Rütli, Ellora und den Gründer aller dieser Herrlichkeit von Deinem Th. Fontane
Nr. 56 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [eventuell 5. März 1S57] 4 6 8 Noch ein paar Worte in einer andern Angelegenheit. Von meinem Album (früher Janke'scher Verlag)469 soll eine neue Auflage erscheinen und mit der Ueberarbeitung bin ich so ziemlich am Rande. Sie ist nicht durchgreifend; im Wesentlichen bleibt alles beim alten; ein paar neue Sachen hinein, ein paar alte hinaus, c'est tout 470 . Nur in einem Stück ändre ich gründlich. Der letzte Theil (circa 30 bis 40 Seiten) der Auszüge aus längeren epischen Dichtungen entfällt, soll fortfallen; den Raum, den ich dadurch gewinne, will ich zu plattdeutschen Liedern (Groth, Giesebrecht, Storm, Eggers etc) verwenden. Meine Anfrage ist nun eine doppelte: a) soll ich diese Sachen zusammenstellen oder sie, je nach ihrem Inhalt, im Buche vertheilen?
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Menzel." Tagebucheintrag vom 28. März 1 8 5 7 . Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 2 3 5 . A m 5. Mai 1 8 5 7 wurde in Manchester eine der größten Kunstausstellungen der damaligen Zeit eröffnet. Franz Kugler. Darauf deutet ein Tagebuchvermerk unter dem dem 5. M ä r z 1 8 5 7 . Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 2 2 9 . Fontane hatte 1 8 5 1 (mit der Jahreszahl 1 8 5 2 ) bei Otto Janke eine Anthologie unter dem Titel Deutsches Dichteralbum herausgegeben, der im selben Verlag eine zweite und dritte Auflage gefolgt war. Die 4. Auflage erschien bei J. Bachmann 1 8 5 7 (mit der Jahreszahl 1 8 5 8 ) . (frz.) das ist alles.
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Nr. 56
5. März 1857
b) willst D u nicht die Auswahl übernehmen? Ich zahle Dir dafür endlich jene 1 0 Rthr zurück, die ich für meine Mitarbeiterschaft an dem [eingefügt: Schweriner] Fest-Carmen 4 7 1 eigentlich mit Sünden verdient und die zurückzuerstatten ich stets die ehrliche Absicht gehabt habe. Antworte mir auf all dies recht bald; nur wenige Zeilen. Deine 3 Wanderlieder will ich fortlassen; ich bitte mir dafür das hübsche Lied aus, das D u mir im September zu lesen gabst. Außerdem wirst D u plattdeutsch vertreten sein. 4 7 2 Von Merckel nehm ich den 4ten M a n n ; was von Kugler? Ein „ O p f e r " 4 7 3 (von S c h w a b ) 4 7 4 hab ich schon im Buch und „ S e m i r a m i s " 4 7 5 dessen Schönheiten ich einräume, hat doch kitzliche Stellen für ein zu drei Vierteln auf Damen berechnetes Publikum. - Lepel ist ein schlechter Kerl. Warum läßt er sich nicht mal bei meiner Frau sehn? Grüße Ellora und Rütli. Ueber 3 Wochen denk' ich von hier abzureisen. Wie immer Dein Th: Fontane. 471 472
473
474 475
nicht ermittelt. Friedrich Hebbel, der die Sammlung in der lllustrirten Zeitung Nr. 842 vom 20. August 1859 eher freundlich besprach, monierte gerade diese Ergänzung vor dem Hintergrund ihm unbegreiflicher Auslassungen. Er schrieb u. a.: „[...] wir möchten ihn [gemeint war Fontane - d. Hrsg.] selbst fragen, warum er an einigen reichen Blumenbeeten, ζ. B. an dem Dingelstedt'schen, absichtlich vorübergegangen ist und wie die garstigen Brennesseln mit hineingerathen sind, welche die Herren Merkel[!], Lepel, Kletke und Andere, von denen die Nation nichts weiß, unter all den Lilien und Rosen ausbieten. Am allerauffallendsten ist es", fuhr Hebbel fort, „daß ein Friedrich Eggers, von dem unsers Wissens nicht einmal eine Sammlung existiert, als Repräsentant des Plattdeutschen, mecklenburgischen Idioms, eingeführt und Fritz Reuter, der markige Vorgänger Klaus Groths, von dessen Dichtungen ganz Mecklenburg widerklingt, ignoriert wird." Vgl. Joachim Krueger: Theodor Fontanes „Deutsches Dichteralbum". Eine Analyse. In: Fontane Blätter Band 5, Heft 2 (Heft 34 der Gesamtreihe). [Potsdam 1982]. S. 190-204. Das Gedicht Das Opfer trug Kugler im Tunnel März 1853 vor und gewann damit die ausgeschriebene Balladen-Konkurrenz. Vgl. FABS III/i, S. 340. Fontane meinte das Gedicht Der Fund in der Opferbüchse von Gustav Schwab. Kugler stellte das Gedicht Semiramis, das der sagenhaften Königin von Assyrien gewidmet war, die der Sage nach als Schöpferin der Hängenden Gärten zu Babylon gilt, im März 1 8 5 1 im Tunnel vor, wo es mit „sehr gut" bewertet wurde. Im von Fontane selbst verfaßten Protokoll der Sitzung vom 16. März 1 8 5 1 heißt es: „Gegen ,Semiramis' und ,Leone' zog Lafontaine, auf der etwas steif gewordnen Sittlichkeitsmähre, zu Felde, wurde aber, was die ,Semiramis' angeht, nicht viel anders wie Don Quixote behandelt." FABS III/i, S. 242. I
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr.jj Friedrich Eggers an Theodor Fontane Berlin, am 1 1 . März 1857 Mein theurer Nöhl, Erhard läßt Dir vielen Dank sagen. 476 Ich dito, denn ich interessire mich sehr lebhaft für seine Erfolge. Er wird an Morris schreiben.477 Meine Bitte, daß Du Bernstorff davon sagen solltest bestehet noch. Paß' auf: Erhard wird bald europäischen Ruf haben und dann wird es Br ganz lieb sein, ihm geholfen zu haben. Ich sehe Dich lächeln. Gut, wir wollen's abwarten. Album betr.47S Natürlich zu jedem Dienste bereit. A b e r : Erstlich, halt' ich schon dafür, daß Groth aufgenommen wird in Dein Album, dann aber als Groth, nicht als Plattdeutscher.479 Nimmst Du aber Plattdeutsches auf, warum dann nicht allemannisch (Hebel, Burkhardt) bairisch u pfälzisch (Kobell) Österreichisch (muß gefunden werden auch d. h. soweit [gestrichen: sich] wirklich gute Repräsentanten dafür da sind, resp. gefunden werden können. Man würde dann so argumentiren: Ich schließe Dialektpoesie nicht aus, im Gegentheil, da sie in neuster Zeit wieder Aufmerksamkeit erregt hat, so nehm' ich sie mit auf: hier ist, was gute Dichter darin geleistet haben. Wie gefällt Dir diese Ansicht? Lessing, mit dem ich die Sache besprach, theilt sie. Rhythlyh ist seitdem noch nicht gewesen. Natürlich wird es Rhythlysche Angelegenheit und ich schreibe dann weiter darüber. Als dann (d. h. thust Du so) empfiehlt es sich natürlich, die Dialektsachen zusammenzustellen; sonst jedenfalls nur nach Dichtern geordnet, er mag mit hoch» od. plattdeutschem Schnabel singen. Gern gäbe ich Dir „das hübsche Lied [gestrichen: „] welches ich Dir im Sptembr zu lesen gab", wenn ich eine Ahnung davon hätte, was 476 477 478 479
Vgl. Fontanes Brief vom 6. Dezember 1856 und 20. Februar 1 8 5 7 . Morris übersetzte die Schriften Erhardts dann ins Englische. Fontanes Deutsches Dichteralbum, vgl. Fontanes Brief vom [5. März 1857]. Fontane nahm trotz Eggers' eindringlichem Rat nur plattdeutsche Gedichte in die überarbeitete 4. Auflage auf: He sä mi so väl, De Duv, Jehann, nu spann des Schimmels an, Verlarn, Aanten in 'Water, Min Jehann und Dagdeef. Eggers' Rat war Fontane dennoch wichtig. Bei den Verhandlungen, die er mit dem Verleger Bachmann wegen des Dichteralbums während seines Berliner Aufenthaltes führte, war Eggers immer anwesend.
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Nr. 57
I i . März 1 8 5 7
das für eins ist. Nenn' es näher. Ich kann ja nicht davor, daß ich so viele hübsche Lieder gemacht habe, daß ich's nicht weiß. Lessing ist mit dem Nicht-Opfer und Nicht-Semiramis sehr einverstanden; er will schon einen Vorschlag machen. - Meine Wenigkeit wird Dir seine beiden Bände (Kalender) 480 zur Disposition stellen. Hast Du sehr viel Geld übrig, nehme ich meine Mühe bezahlt, sonst nicht. Denn ich gebe nicht zu, daß Du mir von Dir wohlverdientes Geld schuldig seiest. Ja, denke Dir, ich habe neulich für 8 Verse (Zeilen) 1 0 Frd'or bekommen. Gab es nicht einmal einen gewissen englischen Lord, der Byron hieß? er soll auch [gestrichen: so] beinah so viel erhalten haben. Ich freue mich bannig auf Deine Kunft 4 8 1 , obschon ich zu Röbing seiner Hochzeit reise; 482 doch erst Anfang Mai, so daß ich Dich doch vorher sehe. Du kommst mir gerade recht zur Stellvertretung beim Literaturblatt. 483 Da kannst Du was abtragen, wenn Du meinst oder es Noth ist, natürlich bloß mit Redigiren. Was Du schreibst wird bezahlt. Der Mitnehmer dieses Briefes und ihn dort in die Kreuz-PostSchmeisser ist Karl Lesenberg, der Sohn des Arztes unsrer Familie, ein Kaufmann, der sich dort eine Stelle suchen will. Ich hab' ihm Deine Adresse und eine Karte gegeben. 484 -
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Dabei wird es sich um die Trowitsch'schen Taschenkalender gehandelt haben, in denen zwischen 1 8 5 6 und 1 8 5 8 lyrische Arbeiten von Eggers abgedruckt wurden. Kommen. Fontane fuhr für einen kurzen Aufenthalt Ende März nach Berlin. Vgl. seinen Brief an Eggers vom [20. Februar 1858]. Robert Eggers heiratete am 8. Mai 1 8 5 7 Auguste Wessel. Vgl. Friedrich Eggers Brief an Emilie Fontane vom 1 0 . November 1 8 5 8 mit den Zeilen von Robert Eggers und den Verlobungs- und Trauungsanzeigen. Eggers plante im Zusammenhang mit der schwierigen Situation des Deutschen Kunstblattes eine längere Reise nach Süddeutschland, u. a. zu dem Verleger Emil Ebner in Stuttgart. In dieser Zeit übernahm sein Bruder Gustav Eggers in Berlin die Vertretung der Redaktionsgeschäfte. Über die zusätzlichen Probleme, die sich daraus ergaben, unterrichten die Briefe der beiden Brüder, die sich im Familiennachlaß befinden. N L Eggers, Briefe von Friedrich Eggers an Gustav Eggers. Sig. 1 . 4 . 7 . 1 Z 5 und Briefe Gustav Eggers an Friedrich Eggers. Sig. 1.4.7.2.0. Fontane kam für die Vertretung nicht in Frage, weil er sich noch bis Anfang 1 8 5 9 in England aufhielt. In Fontanes Tagebuch bleibt der Überbringer unerwähnt. Fontane notierte unter dem 1 7 . März 1 8 5 7 nur: „Nach Haus. Briefe von Eggers und Dr. Erhardt vorgefunden." Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 2 3 2 .
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nimm ihn freundlich auf; es ist ein sehr guter und braver Junge, den Du gewiß ganz gern haben wirst. Mein Lebewohl bis auf Baldwiederschreiben! Dein [griech.:] Anakreon Vice Apropos. Schreibe doch das nächstemal eine Zeile darüber, ob Emil485 Hoffnungen hat; er plagt mich todt mit Fragen, wie es steht, wie es wird, was Du meinst, denkst etc. etc. etc. Er hat eine bombenfeste Zuversicht daß er mit Dir nach Egld 486 kommt. -
Nr. 58 Friedrich Eggers an Theodor
Fontane 185[gestrichen: 6]7. Ostermontag 487 Abend 10 Uhr.
Lieber Nöhl, Eben hab' ich in der Correctur Deine beiden Briefe 488 ordentlich gelesen und indem ich mich anschicke, Dir mein großes Compliment darüber zu machen, lache ich im Stillen, da ich hinterher mit einer Bitte kommen will. Wieder der diplomatische Friede wird es heißen, der erst Honig giebt, damit er Brod desto unverschämter fordern darf. Aber würde ich's überhaupt schreiben, müde wie ich bin, wenn ich wüßte, es wird doch nur für einen Diplomatenstreich gehalten? Nein! Darum wird es gelten, wenn ich sage: „Die Briefe sind sehr hübsch; ich freue mich sehr, daß wir sie haben und bringen."
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486 487 488
Offensichtlich ein Bekannter Eggers'. Daß Fontane kein Interesse an der Angelegenheit nahm, belegt der Umstand, daß dieser Namen weder in seinen Briefen noch im Tagebuch auftaucht. England. 13. April 1857. In der Nr. 8 vom 16. April 1 8 5 7 des Deutschen Kunstblattes kamen der Sechste Brief („Die beiden Edelleute von Verona" im Sadlers-Wells-Theater.) und der Siebente Brief (König Heinrich IV. Erster Theil) zum Abdruck (S. 3 3 - 3 5 ) .
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Nr. 59
20. Mai 1 8 5 7
Nun aber die Bitte! Böses Geschöpf! Ich habe dem Maler Müller den York 489 so sicher versprochen und so beharrlich bis 3 Uhr darauf geharrt und wer mich anführte, warst Du. Was kann Dich in der Welt abhalten? Du kannst ja nach Deinem Original so viel verbessern, wie Du willst. Ja selbst die Abschrift kannst Du morgen schon wieder haben, da M. M. das Gedicht ja nur lesen will. Außerdem, Schatz, wäre es gut, wenn Du Deine ganzen Beiträge gleich abliefern wolltest.490 Wir können sie dann gleich setzen lassen und Du kannst hier noch die Correctur machen, so daß weder eine Übersendung nach London nöthig wird, noch auch die Anklage einer von mir dabei auszuübenden Tirannei sich verwahrscheinlicht. Gute Nacht. Ich werde von dem Entzücken träumen morgen mit Dir und der Elloramutter zu Mittag zu speisen. 491 Dein Friede.
Nr. 59 Theodor Fontane an Friedrich Eggers d. 20. Mai 57. Mein lieber Eggers. Für die Correctur der plattdeutschen Sachen meinen besten Dank. 492 Ich werde dem Verleger schreiben, daß er Dir wenigstens
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Am 10. November 1 8 5 6 hatte sich Fontane im Tagebuch vermerkt: „Verse gemacht. (,Ich heiße York')." Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 195. Daraus entstand sein Gedicht Der letzte York, das in der Argo für das Jahr 1858 veröffentlicht wurde. Blomberg entwarf für den Druck das Initial. Am 8. April 1 8 5 7 , in Anwesenheit Fontanes, tagte man in einer „Argonautensitzung bei Schulzendorff unter den Linden; sehr langweilig", wie Fontane im Tagebuch notierte, „Herr Trewendt [der Breslauer Verleger der Argo - d. Hrsg.] zugegen." Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 238. Außer dem Yorè-Gedicht gab Fontane für den 1858er Jahrgang der Argo noch die Tagebuchblätter aus Fremde und Heimath. 1-8. Laut Tagebuch ging Fontane am 14. April 1 8 5 7 vormittags zu Eggers, mit dem zusammen bei Merckels gespeist wurde. Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 239. für das Deutsche Dichteralbum. Vgl. Fontanes Brief vom [5. März 1 8 5 7 ] und Eggers' vom 1 1 . März 1857.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
2 Exemplare als Ausdruck seines Dankes zustellt.493 Du kannst dann 2 Geburtstagsgeschenke für fernab lebende Verwandte daraus machen. Den Macbeth-Aufsatz 494 erhälst[!] Du sehr bald. Das an mich adressirte große Packet, das nun hoffentlich in Deinen Händen ist, enthielt die Morris'sche Uebersetzung.495 Du hast [gestrichen: um] es, wie ich vermuthe, ohne Weiteres an Erhardt gelangen lassen. [Brief hier abgetrennt, am Rand:] Außerdem, wenn der Riitli der Meinung ist, ändre [eingefügt: in dem letzten Liedchen] die Zeile: Ich bin die halbe Welt durchzogen etc496 Für alle Menschen die wissen, daß ich über London und Paris nicht hinausgekommen bin, ist es allerdings lächerlich. Dein Th. F.
Nr. 60 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [London Mai 18 j 7] Lieber Eggers. Da hast Du die Geschichte. Es war eine Hundearbeit. Ich denke, er kann mir's Dank wissen; die Hauptstelle „Ruft er: Still, Thorwaldsen stirbt" 497 ist in dieser Fassung eine ganz entschiedene Verbesserung;
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Das Tagebuch verzeichnet für den selben Tag einen Brief an J. Bachmann, in dessen Verlag die vierte Auflage des Dichteralbums erschien. Tagebücher 1852/ 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 2.48. Diese Artikel, der die Shakespeare-Briefe beenden sollte, erschien erst am 26. Februar 1858 und nicht im Literaturblatt, sondern in der Zeit Nr. 95. Vgl. Eggers' Brief an Fontane vom 1 1 . März 1857. Morris hatte die Broschüre von Erhardt übersetzt. So beginnt das achte Gedicht des Zyklus Tagebuchblätter aus Fremde und Heimat. Fontane Gedichte 2, S. 89. Eggers hatte Fontane Christian F. Scherenbergs Gedicht Thorwaldsens Tod zur redaktionellen Bearbeitung zugeschickt. Der Text erschien in Argo. Album für
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Nr. 60
Mai 1 8 5 7
er hatte es auseinander gerissen, wodurch er fast um seine Wirkung kam. Andres was auch vielleicht nicht gefällt, kann ja leicht geändert oder meinetwegen das alte restituirt werden. Es giebt ja viele die Scherenbergschen Popel mit Andacht als Caviar verzehren. Meinetwegen. Uebrigens hat das Gedicht, wie fast jede Scherenbergsche Arbeit, große und beneidenswerthe Momente. Nur seine wortspielerischen Geistreichigkeiten sind eigentlich scheußlich und barer Ungeschmack. Je älter man wird je weniger kann man das goutiren. Trage Sorge, daß die Correcturen im „letzten York" ordentlich besorgt werden. Sie sind glaub ich so gut wie sie sein können; was mal schiefgewickelt ist, wird nie wieder ganz grade und man muß mit halben Resultaten zufrieden sein. An Zöllner nochmals meine besten Glückwünsche. Den Macbeth-Aufsatz498 erhälst[!] Du bald; ich habe dann nur den Wunsch, daß Du ihn bald bringst, da die ganze Shakespeare Arbeit als ein Ganzes, binnen heut und 4 Wochen [eingefügt: in der „Zeit"] folgen soll.499 Herzliche Grüße an Rütli und Ellora. Dein Lafontaine. 9 East Compton Street Brunswick Square.
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Kunst und Dichtung. Hrsg. von Friedrich Eggers, Theodor Hosemann und Bernhard von Lepel. Breslau: Trewendt 1858. S. 25. Vgl. auch Fontanes Brief an Wilhelm von Merckel vom 21. Dez. 1 8 5 7 in: FMBW 1, S. 227 und den Lepels, in dem er von Fontanes „Auskämmung Scherenbergs" schreibt. FLBW 2, S. 1 7 3 . Der Aufsatz über Macbeth wurde von Fontane erst im Februar 1858 in der „Zeit" veröffentlicht. Vgl. Brief Nr. 58 und den Brief von Henriette von Merkkel an Emilie Fontane vom 4. Sept. 1 8 5 7 , in dem Frau Merckel schrieb, Eggers sei ganz unglücklich, daß Fontane ihm noch nicht den ausstehenden Artikel geschickt habe. In: FMBW 1, S. 148. Seine Artikelserie Die Londoner Theater mit Rücksicht auf Shakespeare erschien in 5 Kapiteln in Die Zeit. Neueste Berliner Morgenzeitung zwischen dem 8. Januar und dem 26. Februar 1858.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 61 Theodor Fontane an Friedrich
Eggers io 657. 9 East Compton Street Brunswick Square
Mein lieber Eggers. Verzeih daß ich Dir noch mal mit den plattdeutschen Liedern komme. 5 0 0 Ich glaube, es ist nicht alles ganz richtig; namentlich bitt' ich Dich „Aanten int W a t e r " 5 0 1 noch mal durchzusehen. Sage Lepel, daß ich heut in N o 1 5 6 der Augsb. Allg. Ztng einen sehr hübsch und verständig geschriebenen Aufsatz über Kopisch fand. Er war unterzeichnet M . M . 5 0 2 - Wer ist das? Z u m Schluß hieß es sehr schön von Platen (in theilweisem Gegensatz zu Kopisch) „Platen ist einsam dem Erhabenen nachgegangen und einsam gestorben". Kein deutscher Name taugt[!] jetzt häufiger in der englischen Presse auf als der Kuglers. Ich las heut in der Saturday Review eine Besprechung der Manchester-Ausstellung. 503 Ueberall hieß es: Kugler sagt u.s.w. Doch war man auch frech genug ein [eingefügt: paarjmal zu behaupten: Kugler sagt, hat aber Unrecht. Die Copien erwart' ich bald, vielleicht morgen schon. 5 0 4 Wie immer Dein Th. Fontane 500
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für das Deutsche Dichteralbum. Vgl. Fontanes Briefe vom [5. März 1857] und 20. Mai 1857 und Eggers' vom 1 1 . März 1857. plattdeutsches Gedicht von Klaus Groth, das Fontane in das Album mit aufnahm. Den Artikel über August Kopisch, der in der Nr. 156 vom 5. Juni 1857 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung abgedruckt war, stammte aus der Feder von Max Müller. Lepel stand in engerer Verbindung zu Kopisch, mit dem ihn die Vorliebe für Platen verband, von dessen Grab er, wie Lepel am 27. Mai 1846 an Fontane schrieb, ihm Blätter mitgebracht hatte. FLBW 1, S. 5. Lepel las nach Kopischs Tod auch öffentlich Verse des Dichters, um Geld für ein Denkmal an dessen Grabstelle zu sammeln. FLBW 2, S. 392. Am 5. Mai 1857 war die große Kunstausstellung in Manchester, zu der auch Fontane fuhr und über die er ausführlich in einer Artikelserie berichtete, eröffnet worden. Fontane hatte seine Literaturblatt-Aufsätze, wie er unter dem 3. Juni 1857 im Tagebuch vermerkte, aus nicht mehr zu klärenden Gründen zum Kopieren
202
Nr. 62
1 6 . August 1 8 5 7
W e n n es sich für D i c h oder Lepel machen sollte, daß der eine oder andre Gelegenheit fände Collins an irgend einer Sache die ich unmöglich vorher bestimmen k a n n aber] interessiren
[gestrichen: die], ihn [eingefügt:
dürfte, Theil nehmen zu lassen, so w ü r d e mir das
sehr lieb sein. 5 0 5 V o n Lepel e r w a r t ' ich bald einen Brief. W i e ist es mit seiner Reise, mit seiner Visite bei M . 5 0 6 u.s.w.?
Nr.
62
Theodor
Fontane
an Friedrich
Eggers L o n d o n , d. 1 6 . A u g u s t 1 8 5 7 5 2 Augustine Road, Campden Town.
M e i n lieber Eggers. Verzeih daß ich auf Deinen freundlichen Brief erst heute a n t w o r t e ; w e n n D u indessen e r w ä g s t , daß in den letzten 8 Tagen
Umzug507,
Einrichtung, Sorge, A e r g e r und die laufenden G e s c h ä f t e auf meinen Schultern gelegen haben, so w e r d ' ich h a l b w e g s entschuldigt sein.
505
506
507
nach Berlin gesandt. Am selben Tag hatte er auch an Eggers geschrieben. Tagebücher 1 8 5 Z / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 250. Lepel hatte bereits Mitte Mai eine Verabredung mit Collins getroffen und war bei diesem zusammen mit Eggers am 19. Mai eingeladen gewesen. Vgl. Lepels Brief an Fontane vom 2 1 . Mai 1 8 5 7 . FLBW 2, S. 1 7 4 . Offenbar war es bei dieser oder späterer Gelegenheit zu einer Mißstimmung gekommen, denn Fontane klagte am 1 5 . Dezember 1 8 5 7 Lepel, daß sich Collins nach seiner Rückkehr aus Preußen so verändert ihm gegenüber benehme und fragte nach möglichen Gründen. FLBW 2, S. 1 8 4 . Am 2 1 . Mai hatte Lepel an Fontane geschrieben: „In diesen Tagen werd' ich Herrn Dr. Metzel[?] meinen Besuch machen. Ich wollte, er ertheilte mir einen Auftrag für London. Ich käme gern zu Dir." FLBW 2, S. 1 7 5 . Fontane hatte ihm allerdings am 25. Mai geantwortet, daß er sich davon nichts verspräche: „Als was soll er Dich schicken? Die Manchester»Ausstellung, so interessant sie ist, verlohnt nicht so große Anstrengungen". FLBW 2, S. 1 7 8 . Am Montag, dem 1 0 . August 1 8 5 7 , war Fontane nach 52 St. Augustine Road umgezogen. Hier blieben Fontanes bis zu ihrer Rückkehr 1 8 5 9 wohnen. Fontane schilderte die neue Wohnung dem Ehepaar Merckel am 23. August 1 8 5 7 ausführlich. F M B W 1 , S. 1 4 0 - 1 4 4 .
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Allerhand Geschäftliches liegt heute vor. Der Macbeth-Aufsatz lagert seit länger als 2 Monaten auf dem Redaktions-Bureau der „Zeit". 5 0 8 Ich weiß daß ich ihn Dir versprochen hatte und weiß auch daß es meine aufrichtige (schon weil selbstsüchtige) Absicht war, ihn Dir zu schicken, - es ging aber beim besten Willen nicht. Die frühren Shakespeare-Aufsätze sind mehr gelesen worden, als ich mir bei der Verbreitung des Kunstblatts gedacht hätte; Titus Ulrich 509 , Klein und was die Hauptsache ist auch mehrere Herrn von der Centralstelle, hatten jene frühren Briefe gelesen und der eine hier der andre dort mit mir darüber gesprochen. Das war mir gar nicht recht; ich hatte mir eingebildet, daß sie wie die Veilchen nur im Verborgenen geblüht hätten und wurde nun eines andren belehrt. Glaube mir, daß ich die 16 oder 20 rh sehr gern mitgenommen hätte, denn eine englische Einrichtung kostet viel, viel Geld und jedes Scherflein kommt einem zu paß; aber es ging nicht. Wie Du Dir denken kannst giebt es in Metzels Umgebung auch Leute, die einen heimlichen Groll, einen tiefen Neid gegen mich unterhalten und sie würden nicht unterlassen haben ihren Chef zuzuflüstern: „look here, 510 dieser Fontane verfährt doch etwas rücksichtslos und hält das Feuilleton der ,Zeit' für gut genug, um seinen Papierkorb voll längst gedruckter Aufsätze darin auszuschütten." Etwas der Art wird ohnehin laut werden; aber dem weiß ich zu begegnen. Der Macbeth-Aufsatz würde mir aber den Mund stopfen. Wenn
sos vgl. Fontanes Brief an Eggers aus dem [Mai 1857]. Am 20. September 1857 schrieb Fontane an Henriette von Merckel: „Eggers denkt, er sei der Hauptveröffentlicher dieser Shakespeare-Briefe; aber was das ,Literaturblatt' bisher davon gebracht hat, waren nur Probestücke, einzelne Vorposten, kunterbunt aus dem geordneten Gros der Armee herausgenommen. Die eigentliche Arbeit hatte ich seit Jahresfrist Metzeln zugesagt, und die Frage lag für mich einfach so: ,Kann der ,Macbeth'-Aufsatz ohne Schaden für dich zweimal gedruckt werden oder nicht?' In Berlin beantwortete ich mir diese Frage mit einem dreisten ,Ja' und gab mein Versprechen an Eggers; in London wurd ich ängstlich und überzeugte mich, als die Arbeit fertig war, daß es .nicht ginge. Die Vorwürfe, die mir Eggers jetzt macht, sind innerhalb des Rechts, aber nicht innerhalb der Billigkeit. Ich habe nur darin gefehlt, daß ich Eggers von diesem Wechsel meiner Ansicht nicht in Kenntnis setzte." FMBW 1 , S. 154. 509
510
Ullrich machte sich als Referent der Nationalzeitung für Theaterangelegenheiten und zu Themen der bildenden Kunst einen Namen. Er stand dem Berliner Freundeskreis um Lübke und Eggers nahe. Vgl. Wilhelm Lübke: Lebenserinnerungen. Berlin: Fontane 1 8 9 1 . S. 226. (engl.) Siehe da.
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Nr. 62
16. August 1857
Du später den Aufsatz lesen wirst, wirst Du selbst einräumen, daß gerade diese Arbeit nicht 2 mal gedruckt werden konnte. Sie ist nämlich, ohne wie ich glaube unbillig zu sein, ein energischer Hieb der gegen unsre Berliner Bühnenzustände geführt wird, Zustände von denen ich wirklich, je älter ich werde und je mehr ich sehe, eine äußerst geringe Meinung habe, [nachträglich auf den unteren Rand der selben Seite: Der Umstand daß er (der Aufsatz) die Personen beim Knopf faßt und ihnen eine Standrede hält, führt es mit sich, daß gerade dieser Theil der Arbeit bemerkt werden wird.] Die Modelle zum Wellington Grabmal werd' ich ausführlich besprechen. 511 Ich war gestern da und glaube daß ich der Aufgabe, so weit [gestrichen: daß] [dafür eingefügt: es] die Laienschaft in der Kunst zuläßt, gewachsen bin. Eine Besprechung jedes einzelnen Modells oder auch nur eines Viertels derselben, wirst Du nicht erwarten. Ich werde das Gute einerseits und das Lächerliche andererseits herausgreifen und im Uebrigen allgemeine Betrachtungen, namentlich Parallelen bringen. Du sollst den Aufsatz am i t e n September haben, er wird 4 bis 5 Spalten füllen. Wenn Du aber andren Sinnes geworden bist, so schreibe umgehend; denn mir ist nicht sehr schreibrig zu Muth und ich sage nur „ja" um Dich in Deiner Reisefreude nicht zu stören. Nun ein paar Worte in Argo-Angelegenheiten. Lepel hat noch nicht geschrieben und wird auch nicht, wie ich ihn kenne. Druckt was euch recht scheint; übrigens hab' ich mich vor 6 oder 8 Wochen in einem Briefe an Lepel ganz klar über die Sache ausgesprochen. 512 Giebt es denn wieder ein Frei-Exemplar? Hoffentlich. Für mein Honorar bitt' ich noch um Zusendung zwei andrer [eingefügt: Exemplare]; was am Gelde fehlt ist Frau v. Merckel (die noch ein paar Thaler von uns hat) wohl so freundlich hinzuzulegen. Du bist dann so gut uns allen drein - ich behandle das Frei-Exemplar in jugendlichem Leichtsinn bereits als ein Faktum - ein Packet zu machen und an Metzel mit der Bitte 511
512
[gez.: Noel] Die Ausstellung der Modelle zum Wellington-Grabmal. In: Deutsches Kunstblatt Nr. 38 vom 1 7 . Sept. 1857, S. 3 2 9 - 3 3 1 . Fontane schrieb am 25. Mai 1857 im Zusammenhang mit der Rütli-Kritik an seinem Gedicht Der letzte York an Lepel: „Der Ernst mit dem der ganze Rütli an die Bearbeitung dieser einen Stelle gegangen ist, sollte eine Art Muster für uns bleiben", er, Fontane, „gebe dem Rütli Charte blanche." FLBW 2, S. 1 7 6 - 1 7 7 .
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
abgehen zu lassen, die Weiterbeförderung gütigst zu veranlassen. Wenn es wieder ein paar Extra-Bilder giebt, wie ζ. B. im vorigen Jahre das Menzel'sche „Tempi passati" so packe sie bei; ich möchte gern meinem Album, das hier großartig in Drawing-room 5 1 3 liegt, ein bischen aufhelfen. Was helfen die Verse? Am Bilde hängt, Nach Bildern drängt Sich die bequeme, müde Welt 514 Da ich bekanntlich das Apostel· und Märtyrer» Geschäft nicht betreibe, so mach' ich die Mode mit. Gott sei Dank glaub ich an die Unverwüstlichkeit der menschlichen Natur und bin stets der Ueberzeugung, daß sich die Heilung von selber macht. Diese Bemerkungen führen mich auf das goldbedruckte Blatt, dessen Wappenlöwen Du meiner Frau wie einen Talisman mit auf die Reise gegeben hast. 5 1 5 Es ist wirklich zum forchten. Wenn es dennoch was Schönes ist, so muß ich bekennen, daß mir der Initialen-Verstand noch nicht aufgegangen ist. Schadet auch nichts; unter der grassirenden Illustrations-Krankheit, steht der Initialen-Schwindel obenan; es ist ein Verhältniß wie zwischen Röthein und Scharlachfieber. Wohl dem der nicht illustrirt wird und dreimal Heil demjenigen, der der Initiale entgeht. Mit Entsetzen entsinn' ich mich der Speckterschen Illustrationen zum Claus Groth. 5 1 6 Als bloße, selbständige Bilderchen allen Respekt davor; als Darstellungen die das Verständniß unterstützen, die Situation klären sollen, - [eingefügt: wenigstens] überall da wo eine Schwierigkeit vorlag, keinen Schuß Pulver werth! Ich habe diese berühmten Leute in Verdacht, daß sie oftmals das kaum lesen, sicherlich aber nicht verstehen, was sie illustriren sollen. Das alles bezieht sich natürlich nicht auf
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(engl.) Gesellschaftszimmer, Salon. Eigentlich: „Nach Golde drängt,/Am Golde hängt/Doch alles!" Johann Wolfgang von Goethe: Faust I. Teil, Abend. Möglicherweise handelte es sich um eine für die Argo 1858 gedachte Illustration. Bei Perthes, Besser 8c Mauke war 1 8 5 5 (mit der Jahreszahl 1856) eine von dem Hamburger Maler und Zeichner Otto Speckter illustrierte Ausgabe von Groths Quickborn erschienen. Der Freundeskreis in Berlin teilte nicht Fontanes Vorbehalte. Siehe Theodor Storm - Otto Speckter. Theodor Storm - Hans Speckter. Briefwechsel. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Walter Hettche. Berlin 1991.
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Nr. 6ι
16. August 1 8 5 7
unsren Maler Müller, den ich, [eingefügt: trotz der mir vorliegenden Initiale,] sehr respektire wie Du weißt. Gerade weil er geistreich ist und ein feines poetisches Verständniß hat, war er als Illustrator vielleicht [gestrichen: gerade] eben so verwendbar, wie er als Maler, milde ausgedrückt, unverwendbar ist. An den Buchbinder/händler Bachmann hab ich vor einigen Tagen ein Ding geschickt das sich Vorrede nennt, aber auf jeden andern Namen ebenso gut hören würde. 517 Ich hatte so recht das Gefühl: „na, etwas muß doch am Ende gesagt werden und es ist ziemlich gleichgültig was." Eigentlich [gestrichen: mein ich das] sollt' ich mich so ausdrücken: „es schadet nichts, wenn in einer Vorrede gar nichts steht; sie muß nur Fläche geben, aber um Gottes willen keine Tiefe." Nun bin ich [eingefügt: zwar] darüber ganz beruhigt und weiß daß in meiner Vorrede kein Maikäfer ertrinken wird, aber das Schlimme ist, daß sie an ein paar Stellen so thut als sei es was mit ihr. Dies ist vielleicht lächerlicher als gestattet werden kann und ich bitte deshalb den Rütli freundlichst mir seine Meinung über das Machwerk zu sagen, auch wo möglich Vorschläge zu machen. Bachmann wird Dir und Immermann ein paar Abzüge schicken; bringt dann in nächster Sitzung die Sache zur Berathung. 518 Durch die nächste Courier-Gelegenheit werd' ich Dir das nachträgliche Manuskript (2 Bogen) schicken, das Dr Erhardt an Dr Morris hierselbst eingesendet hat. Morris kann das M. S. nämlich nicht lesen und ich auch nicht; jener sagte mir „das Lesen würde ihm mehr Zeit kosten, als hinterher das Uebersetzen." 519 Er will sich der letztern Arbeit unterziehen, wenn er ein M. S. erhält, das er ohne Entzifferungskünste lesen kann. Erlaube mir dabei die Bemerkung, daß ich lebhaft bedaure mich mit dem ganzen Handel abgegeben zu haben.
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Fontane meinte die Vorrede zu der überarbeiteten Fassung der 4. Auflage des Deutschen Dichteralbums, das bei Bachmann erschien. Er hatte sie am 13. August abgesandt. Tagebücher 1 8 5 1 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. z66. Am 18. August warnte Fontane Merckel vor der ins Haus stehenden Vorrede. „Sie erhalten dieselbe keineswegs, um sich an dieser Leistung zu erquicken, sondern nur in der Absicht, daß es Ihnen und den übrigen Rütlionen gefallen möge, mir ihre Meinung darüber zu sagen." FMBW 1, S. 1 3 8 - 1 3 9 . Zu der Übersetzung der Erhardschen Broschüre über Ohrenerkrankung siehe u. a. Eggers' Brief an Fontane vom 1 1 . März 1 8 5 7 .
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Dein Freund Erhardt mag ein ohrliches Genie und ein Mann der Zukunft und zu [eingefügt: dem] allem auch ein kreuzbraver Kerl sein, jedenfalls aber würde man ihm Unrecht thun, wenn man ihm nachsagen wollte, daß er sich durch Artigkeit und Feinheit ausgezeichnet habe. In die Details der Frage hier einzugehen, kann kein Mensch von mir verlangen; ich kann auch solchen Schurrmurr unmöglich meinem Gedächtniß aufpacken. Nur die Eindrücke, die ich gehabt habe, bleiben mir und diese Eindrücke waren mehrfach, daß Erhardt entweder schrecklich eingebildet oder taktlos oder sehr confuse sein müsse. Wie man einen ebenbürtigen Gentleman, der die Freundlichkeit gehabt hat, eine lange Brochüre zu übersetzen, einen solchen Wisch schreiben kann wie der letzte E. 5 2 0 Brief an Morris war, geht mir über mein Verständniß. Ich wünsche nicht daß Du Erhardt durch Mittheilung dieser meiner Worte beleidigst, sollt' es aber nöthig sein, so hab' ich nichts dagegen. - Leb wohl, wie immer Dein Th. Fontane. Sei so freundlich die einliegenden Briefe in ein Couvert zu stecken und an ihre Adresse gelangen zu lassen.
Nr. 63 Theodor Fontane an Friedrich Eggers Montag d. 3 1 ' August 57. 5 2 St Augustine Road. Campden Town. Mein lieber Eggers. Anbei der zugesagte Aufsatz. 521 Daß er einen Tag später eintrifft, bitt' ich zu verzeihn, wenn Deine strenge Gewissenhaftigkeit soviel über sich vermag. Die Ansichten des Rütli über das Vorwort zum Album acceptir' ich dankbarst. Was oder richtiger wie Du mir bei der Gelegenheit 520 521
Erhard. Fontane schickte den für das Deutsche Kunstblatt vorgesehenen Artikel Die Ausstellung der Modelle zum Wellington-Grabmal, den er wenig Tage zuvor angekündigt hatte (vgl. Brief Nr. 58 vom 16. August 1857).
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Nr. 64
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schreibst, 522 könnte bei einem Dritten die Vorstellung erwecken, als hätt' ich jenes Vorwort lächerlicherweise für eine literarische Großthat angesehn und müßte erst darauf aufmerksam gemacht werden, daß es eigentlich ein kümmerliches Machwerk sei. Ueberhaupt scheinst Du schlechter Laune gewesen zu sein; die einzelnen Streitpunkte zu beleuchten könnte zu nichts führen, Du bist ein Charakter und ich bin eigensinnig. Andre müssen zwischen uns entscheiden. Möge Dir der Aufsatz einigermaßen genügen und Dir auf Deiner Reise viel Freude vorbehalten sein. 523 Die Elloramutter und George grüßen. Wie immer Dein Th: Fontane.
Nr. 64 Theodor Fontane an Friedrich Eggers London, d. 3 1 . August 57. 52 Augustine Road, Camden Town. Mein lieber Eggers. Nachdem mein Brief heute zur Post war, las ich den Deinigen noch 'mal durch. Er enthält eine Stelle über die sich reden läßt; vielleicht bin ich eigensinnig, aber ich bin nicht unbillig oder ungerecht. Du schreibst: „ganz von ohngefähr heißt es mit einem Mal, der Macbeth-Aufsatz ist weg etc." Der Vorwurf der darin liegt ist begründet und so weit bitt' ich Dich um Entschuldigung. Ich will Dir aber offen sagen, wer an meiner Schuld schuld ist, zuletzt auch - Du, Deine Art zu sein, die Du nicht kennst, aber andre. - Der Aufsatz war Dir zugesagt, ich hatte Dir sogar die Gründe auseinandergesetzt, warum Du ihn erhalten würdest und nicht der Dr Beutner 524 . So reist ich ab. 522
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Fontane hatte am 2 7 . August 1 8 5 7 einen nicht überlieferten Brief von Eggers erhalten. Tagebücher 1 8 5 2 / 1 8 5 5 - 1 8 5 8 . S. 268. Um das Deutsche Kunstblatt zu retten, unternahm Eggers eine ausgedehnte Reise nach Süddeutschland und hielt sich u. a. in Stuttgart bei dem Verleger Emil Ebner und in München bei Paul Heyse auf. Gemeint war die Kreuzzeitung, deren Chefredakteur Beutner war.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Hätt' ich gewußt, daß 3 oder 4 Monate bis zum Erscheinen der ganzen Arbeit (es ist fast ein kleines Buch 525 ) vergehen würden, so hätten mich die Bedenken die ich Dir neulich mittheilte weniger gedrückt und Du hättest aller Wahrscheinlichkeit nach den Aufsatz erhalten. Ich konnte aber nicht wissen, daß solche Lagerung (die mir lieb und in ihrem Motiven schmeichelhaft ist) bei der „Zeit" stattfinden würde. 526 Du faßt die Sache rein als eine Frage zwischen „Zeit" u. „Kunstblatt", zwischen Doctor Metzel und Doctor Eggers. Es ist aber eine Frage zwischen Direktor Metzel und Dr Eggers, zwischen meinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem ich meine ganze Position verdanke und zwischen einem alten Freunde, der nachsichtig sein sollte. Hätt ich den Aufsatz an Beutner geschickt, so hättest Du vollkommen Recht; bei meiner Stellung zu Metzel aber ist es hart und unbillig was Du forderst. All das aber kann und soll nicht entschuldigen, daß ich Dir die veränderte Sachlage nicht angezeigt habe. Das ist mein Unrecht. Ich will Dir aber sagen wie ich dazu gekommen bin. Du hast die Eigenthümlichkeit Arbeiten zu wünschen, selbst zu bestellen ohne hinterher sehr begierig auf ihren Empfang zu sein, vorausgesetzt daß nicht plötzlich Stoffnoth ausbricht. Du hast eine Art Kasten mit Versprechungen, einen wahren Schreckenskasten, mit dem Du operirst wie ein rachsüchtiger Shylock 527 , der Schuld* und Hypothekenscheine aufkauft und zum Entsetzen lachender Familien, die von Sicherheit träumen, plötzlich in das Glück der Leute einbricht. Jahre vergehn und man denkt, „es ist alles vorüber"; aber gerade das ist der Moment, wo Du, wie ein Diener der Vehme, 3 mal anklopfst. Ich schwöre Dir zu, daß ich dachte: Eggers hat das vergessen; Eggers hat an andre Geschichten zu denken; Eggers macht sich den Teufel was draus ob der Macbeth-Aufsatz im Literaturblatt steht, oder was andres; er braucht Dich nicht, vorausgesetzt daß er überhaupt Stoff hat; über die ganze Geschichte wächst bereits Gras; schreibe nicht, entschuldige Dich nicht, laß ruhn die Todten, denn wenn Du
525
i 8 6 0 gab Fontane einen großen Teil der in London entstandenen Arbeiten in dem Buch Aus England. Studien und Brief über Londoner Theater, Kunst und Presse in Stuttgart bei Ebner & Seubert heraus. 526 Vgl. Fontane Brief an Eggers [Mai 1 8 5 7 ] . 527
Gestalt des jüdischen Geldhändlers aus Shakespeares Der Kaufmann nedig.
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von
Ve-
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1 4 . November 1 8 5 8
von der Arbeit sprichst, so will er sie haben, weil er sie haben will, schweigst Du aber, so schweigt er auch und die ganze Sache ist vergessen. Das ist wahr und wahrhaftig der Grund warum ich mich im Lauf des Monats Mai über meine veränderte Intention nicht erklärt und Deine Entschuldigung nicht nachgesucht habe. 528 Läßt Du das nicht gelten, so bitt ich Dich um Entschuldigung jetzt; das aber muß ich nach wie vor bestreiten, daß ich blos zwischen zwei Redaktionen geschwankt und der einen endlich den Vorzug gegeben habe. Das wäre in der That rücksichtslos gewesen. Wie die Sache aber in Wahrheit liegt, habe ich nur einen Form- und Etikettenfehler begangen. Wie immer Dein Th. Fontane.
Nr. 65 Friedrich Eggers an Theodor Fontane Berlin, am Geburtstage der vielgeliebten Elloramutter, [14. November] 1858. Mein lieber Nöhl, Ich war also gestern bei Hegel, wie Dir die Elloratante geschrieben haben wird, 529 daß ich thun würde. Wenn das Schicksal so wohlwollend und theilnehmend gegen Dich ist, wie dieser Mann, dann ist Dein Schicksal ein sehr günstiges. Allein er gehört, wie mir scheint, mehr zu der abgehenden als zu der antretenden Partei. 530 Was die Letztere über den Fortbestand oder das Eingehn der Centralpreßstelle beschlies528 Eggers hatte Fontane offenbar vorgehalten, daß er während seines Aufenthaltes in Berlin genügend Gelegenheit gehabt hätte, mit ihm über die Angelegenheit zu sprechen. 529
Henriette von Merckel schrieb am 1 1 . November 1 8 5 8 an Emilie Fontane: „Eggers, der mit dem Geh.R. Hegel persönlich bekannt ist, ist von uns beauftragt worden, in diesen nächsten Tagen zu ihm zu gehen und sich von seiten der Freunde zu erkundigen, wie es nun - mit Freund Fontane werden würde." F M B W 2, S. 1 5 2 .
530
Eggers versteht hier unter abgehenden Partei die Manteuffels, unter antretenden die Partei der Altliberalen, die während der Neuen Ara preußische Politik bestimmte.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
sen würde, davon habe er noch nicht die geringste Ahnung; würde mich aber sofort unterrichten, wie irgendetwas von einer Absicht verlautete. Es wird eine derartige Veränderung auch noch seine gute Weile haben, da das neue Regiment natürlich so viel zu thun findet, daß der Entlastungsdruck bei denen, die beschwert waren und der Belastungsdruck bei denen, die es zu werden fürchten, wohl in allen oder doch in vielen Verhältnissen noch auf sich warten lassen wird. So meinte Hegel, was auch geschähe, die zwei Jahre, die Dir einmal noch in England garantirt seien, 531 würden wohl auf alle Fälle ihren Bestand haben und es würde ihm nicht schwer fallen, das wirksam zu befürworten, um so mehr, da er ein sehr warmes, persönliches Interesse, angefacht durch Deine Liebenswürdigkeit der Person und Deine Talente, für Dich empfände. - Hegel ging hier von der Voraussetzung aus, daß ich und die Freunde fürchtete, die Herrlichkeit Deines dortigen Aufenthaltes möchte Dir verkürzt oder geschmälert werden. Ich bedeutete ihm, daß uns die Sorge näher läge, wie wir Dich gesund wieder hierher bekämen, da es ausgemacht sei, daß weder Dir noch Deiner Frau das dortige Klima zusage, ferner was wir für Dich zu hoffen hätten in Bezug auf hiesige Verwendung und Anstellung in Hinblick auf Deine dem Staate geleisteten Dienste. Hierüber sollte er sich möglichst klar ausdrücken. Er that es mit Offenheit, Ehrlichkeit und Wärme für Dich. Sollte das literarische Bureau eingehn, sagte er, dann sei es allerdings am schwersten, etwas zu thun. Denn dann seien so viele da, welche wegen älterer Dienste (ζ. B. Wenzel seit 1830) 5 3 2 Ansprüche erhöben und deren Ansprüche auch er als gerechtfertigt anerkennen müßte, daß sich seine Macht, Dich zu vertreten, auf ein Minimum reduziren würde. Zwar seiest Du ja auch schon seit 1850 im Litt: Cabinet 533 beschäftigt; aber das neue Regiment werde wenig Veranlassung und Neigung haben, das anzuerkennen, Manteuffel habe persönliches Interesse für Dich gehabt. Bei einer Aufgabe des Cabinets selbst unter ihm, würde er die Verpflichtung gefühlt haben, die persönliche Verpflichtung, wei531
532
533
Fontanes Vertrag mit der preußischen Regierung war vom 1 . Januar 1 8 5 8 aus gerechnet für drei weitere Jahre verlängert worden. Rudolf Wentzel, Fontanes Kollege aus der Central-Preßstelle, der ihm 1 8 5 5 von Manteuffel als Mitarbeiter in London bewilligt worden war. Fontane war am 1 . August 1 8 5 0 im Literarischen Cabinet, das 1 8 4 8 vom Ministerpräsidenten R. von Auerswald gegründet und Ende dieses Jahres vom Innenminister Manteuffel umfunktioniert worden war, angestellt worden.
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ter für Dich umzuschaun. Das sei natürlich bei den jetzt regierenden Herrn anders. Kurzum bei einer Aufhebung der Preß Centraistelle sind die Aussichten schlecht, so viel ist mir ganz klar. Dagegen steht diese Aufhebung weder vor der Thür noch überhaupt fest, und man muß nun seine anderweitigen Bekanntschaften anspannen, um zu sehn, was vorgeht. Aegidi 534 soll hier herum spuken. Hegel hat mir getreue und prompte Mittheilung von allem was Dich und uns wegen Deiner interessiren kann, zugesagt. Ich glaube ihm das; ich halte ihn für durch und durch aufrichtig und wohlwollend. Wie richtig hatte er Deine wenig auf das Industrielle gerichtete Natur erkannt, wie selbstverständlich nahm er es an, daß man für so einen [eingefügt: Character, der] mehr auf das Ergreifen und Benutzen der Verhältnisse für seine innere Welt angelegt ist, als für das Zurechtmachen und Schaffen der Verhältnisse für äußere Stellung und Erfolg, daß man für einen solchen Character, ihn ergänzend, mehr thun, mehr zurechtmachen, appretiren, forthelfen müsse als für einen anders gearteten. Trotzdem habe er die stille Hoffnung gehabt, Du würdest Dir in England, auf dem Piedestal des Dir von ihnen zufließenden Gehalts irgend eine literarische [gestrichen: Stellung] oder sonstige Stellung erobern und zurechtmachen. - Andererseits habe er gern in allem Verkehr, den er mit dem mit dem Grafen von Bernstoff[!] zu halten hatte, mit Nachdruck Deine Stellung zum Grafen, als die eines ihm Angehörigen, ihm speziell Untergebenen, hervortreten lassen, hoffende[!], daß sich zwischen Euch Beiden ein dauerndes persönliches Verhältniß daraus ergeben möchte. Dies sei ihm als ein zweiter Faden für Deine Zukunft zu sorgen, wenn der erste risse, erschienen. Es hätte so werden müssen, daß der Graf die persönliche Verpflichtung gefühlt hätte, Dir eine Stellung zu verschaffen, falls er auf Deine Unentbehrlichkeit zu verzichten durch Deinen Wunsch oder anderweitige Verhältnisse, z. B. Klimabe-
534
Eggers war mit Aegidi seit seiner Berliner Universitätszeit bekannt und unterhielt einen losen Briefwechsel mit ihm. Fontane und Eggers hatten mit Aegidi 1 8 5 9 häufig zu tun, wie aus den Exzerpten der Tagebücher Fontanes jener Zeit hervorgeht, die Charlotte Jolies in den dreißiger Jahren anfertigte. Siehe Tagebücher 1 8 6 6 - 1 8 8 2 / 1 8 8 4 - 1 8 9 8 . S. 2.72-273. Aegidi war 1 8 5 9 Mitarbeiter im Ministerium Hohenzollern-Auerswald. Vgl. auch Fontanes Brief an seine Frau vom 19. Oktober 1 8 6 9 , in dem er eine gemeinsame Kaffeestunde mit Aegidi bei Eggers schilderte. H A B II, S. 2 5 4 - 2 5 5 .
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
schwerden gezwungen würde. 5 3 5 Die Sache ist nur die: dergleichen nimmt sich in einem Roman recht gut aus. Der Roman hat es auch irgend anders w o her, als aus der Wirklichkeit. Ist diese Wirklichkeit vorhanden, so würde Hegel keinen Rath zu geben brauchen, Du würdest nicht klagen, sondern vielleicht mit einer Versetzung Bernstorfii, vielleicht gar nach dem Süden, Deiner eigenen Versetzung mit Ruhe entgegensehn. Nun ist aber diese Wirklichkeit nicht vorhanden, und läßt sich, wie die Dinge einmal liegen, auch nicht machen. Also helfen alle diese Finessen nicht. Oder läßt sich an Deinem Verhältniß zu Bernstorf in der bezeichnten Richtung etwas machen, ausbilden ? - ich kenne es zu wenig - dann sei das Obige zur guten Stunde gesagt. Denn warum? Es sind Theologen, Hauslehrer, Maler, Sänger, es sind Leute ex quovis ligno 5 3 6 Diplomaten und Gesandte geworden. Dich Bernstorffen unentbehrlich zu machen, ist Dein erstes diplomatisches Kunststück, versuch doch mal, ob's nicht geht. Willst Du aber nicht, so sage, ob ich versuchen soll, Dir zu Ostern den Eintritt in irgend eine Zeitung als Bearbeiter des Auslandes zu verschaffen. Leicht wird es nicht sein; auch weiß ich gar nicht, ob ich Dich nicht durch ein solches Anerbieten gar beleidige. Aber das mußt Du mir zu Gute halten. Ich weiß so wenig jetzt von Deinem Wollen, Wünschen und Begehren und man beurtheilt gern nach sich. Ich aber nähme in diesem Augenblick jede 535 i m Fontane-Archiv Potsdam befindet sich die Maschinenabschrift des Briefes von Immanuel Hegel an Fontane v o m 2 6 . N o v e m b e r 1 8 5 8 , in dem Hegel auf die Unterredung mit Eggers und deren Ergebnisse Bezug nahm. D a s Dokument bezeugt, wie zutreffend Eggers Fontane den Gesprächsverlauf schildert. Fontanes Scheitern in England stellte sich für Hegel so dar: „Bei Ihrer Persönlichkeit, Ihren Fähigkeiten, Ihren Sprach- und wissenschaftlichen Kenntnissen, Ihrer ganzen literarischen Bildung erschien es mir kaum zweifelhaft, daß Sie, besonders als Deutscher, mehr noch wie Andere, denen es gelungen ist, dort ihr Glück, [... ], machen könnten. A b e r es scheint, daß Ihnen dazu die praktische Anlage, gleichsam die Industrie - im anständigsten Sinn - fehlt. Sie sind zu kontemplativ und zu kritisch. Sie betrachten die Personen und Zustände, wissen sie aber nicht zu behandeln und für sich nützlich zu machen, w a s auf die allerehrlichste und honetteste Weise geschehen k a n n . " In diesem Brief ermunterte Hegel auch Fontane zu dem Gesuch an Auerswald, das zuerst über seinen Tisch ginge, und empfahl ihm eine zurückhaltende Vorgehensweise. „Sie dürfen darin [im Gesuch - d. Hrsg.] nicht trotzig aufkündigen, sondern im Gegentheil ihn ehrfurchtsvoll als Ihren Chef begrüßen und Ihre Dienste anbieten; [ . . . ] " . FAP, Briefe an Fontane. Sig. H . 536
(lat.) aus beliebigem Holz.
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Nr. 66
1 7 . November 1 8 5 8
Stelle an, die mich aus dem Verkehr mit Menschen und aus dem Geschäft brächte. Eben kommt die getreue Adelheid537, welche noch immer für mich Botendienst thut, während Tante Randow538 im Begriff ist, ganz unterzugehn und die ernstliche Sorge des Rütli ist, 539 der allerlei Maaßregeln berathen hat, sie vom äußersten Verderben zu retten. Adelheid läßt vielmals grüßen. Adieu, Lieber, laß' mich erfahren, was Du zu meinen Nachrichten denkst. Angenehm sind sie [gestrichen: sie] nicht; aber ich denke, es ist besser Du weißt ganz Bescheid, als man schreibt nur, wenn man Angenehmes zu melden hat. Die wenig heitern Nachrichten haben zudem stets das Gute, daß man der sichern Überzeugung leben kann, die Suppe wird nicht so heiß gegessen, wie sie aufgetragen wird. Ich halte an der Hoffnung fest, daß wir noch Alle einmal heiter und glücklich beisammen leben werden. Sonst wär's ja zum verzappeln, wie Ernst 540 immer sagte. Ich wiederhole meine besten und herzlichsten Wünsche für die theure Elloramutter und bitte Dich die Kinder von mir zu küssen. Guten Morgen Nöhl! Dein Friede.
Nr. 66 Theodor Fontane an Friedrich Eggers London, d. 1 7 . Novbr. 58. 5 2 St Augustine Road, Camden Town. Mein lieber alter Eggers. Habe herzlichen Dank für Deine 2 Briefe, Deine Theilnahme, Deinen Gang zu Hegel und Deine 14 Silbergroschen. Ich mache auch die letztern namhaft, denn sie sind etwas in diesen schlechten Zeiten, wie 537
Adelheid Hoffmann, die Nichte von Louise Randow. Louise Randow, Haushälterin von Eggers. 539 Eggers, der allein lebte, hatte ein angespanntes Verhältnis zu seiner Haushälterin, was zu ζ. T. ernsthaften Beratungen im Freundeskreis führte. 540 Ernst Eggers. 538
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
1807 wo Friedrich Wilhelm II. würdigen aber langweiligen Angedenkens, der Prinzessin Charlotte einen Fünfthalerschein zum Geburtstag schenkten. Ueber einen Napfkuchen verlautet weiter nichts. Zur Sache. Dein heutiger Brief hat der Elloramutter einige Thränen gekostet, während ich eines Theils finde, daß er ein wahres Evangelium, die reine frohe Botschaft ist. Das ist mein vollständiger Ernst und nicht einmal eine superlative Ausdrucksweise. Wenn Du den Brief kenntest, den ich gestern an Metzel geschrieben habe, 541 mit der gleichzeitigen Bitte auch Geh. R. Hegel mit dem Inhalt desselben bekannt zu machen, so würdest Du es völlig in der Ordnung finden, daß Deine Zeilen mir Trostesworte gewesen sind und eigentlich mehr in Aussicht stellen, als ich, ich will nicht sagen erwartet habe, aber meinerseits gefordert hätte. Ich formulirte meinen Wunsch [eingefügt: an Metzel] gestern dahin: „möglichst baldige Rückkehr nach Berlin, mit möglichst geringem Geldverlust.["] Ich proponirte dann schließlich einen „Compromiß", den ich weiter nicht spezifizirte, worunter ich aber ohngefähr verstand, daß man mir ein einjähriges Gehalt (statt zweijährig) auf ein Brett auszahlen dafür aber mich jeder weitern Verbindlichkeit entbinden und mir meine völlige Freiheit zurückgeben möge. 542 Ich denke auch heute noch, daß ein solcher Compromiß das beste sein würde. Die Regierung spart dabei 1666 rh 20 Sgr. Gehalt, mehrere hundert Thaler Extra's und wird zugleich der Verpflichtung überhoben für meine Rückreise und Neu-Einrichtung (die dann doch nach 2 Jahren erfolgen würde) auch nur einen Sixpence auszugeben. Du schreibst mir heute 1) daß Hegel sich wohlwollend über mich geäußert und 2) seine Bereitwilligkeit zu erkennen gegeben habe für 541
Der Brief ist offenbar nicht überliefert. D a s H B V weist als letzten Brief Fontanes an Metzel den v o m 1 3 . Oktober 1 8 5 8 nach. H B V 5 8 / 3 1 (unveröffentlicht). Metzel hatte am 1 3 . N o v e m b e r 1 8 5 8 (siehe Fritz Behrend: Theodor Fontane und die „ N e u e Ä r a " . In: Archiv für Politik und Geschichte 2 ( 1 9 2 4 ] , Bd. 3 , H e f t 1 0 . S. 4 8 6 ) Fontane über die unsichere Lage der Zentralpreßstelle unterrichtet, w o r a u f Fontane offensichtlich mit jenem hier erwähnten Brief reagierte. Übrigens setzte Hegel sich auch für Metzel ein, für den er „ i m Büro des Ministeriums der geistlichen Angelegenheiten ein Unterkommen zu erzwing e n " suchte. Siehe dazu Hegels Brief an Fontane v o m 2 6 . N o v e m b e r
1858,
der im A u s z u g in der entsprechenden A n m e r k u n g zum Brief Eggers' an Fontane v o m [ 1 4 . N o v e m b e r ] 1 8 5 8 abgedruckt ist. 542
Vgl. diesbezüglich das dahingehende Gesuch an Rudolf von A u e r s w a l d v o m 2. Dezember 1 8 5 8 , in dem identisch argumentiert wird. H A B I, S. 6 3 7 - 6 3 9 .
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Nr. 66
ι j. November 1858
mich einzutreten, wenn man Miene machen solle mir die Auszahlung eines 2.jährigen Gehalts zu verweigern. Das ist wirklich mehr als ich erwartet habe, fast mehr als ich wünsche; will man indessen so anständig sein und die Zusagen eines abgetretenen Ministeriums bis auf Heller und Pfennig erfüllen, nun so will ich dem preußischen Staat durch Ablehnung fernerer 1666 rh weiter keinen chagrin 5 4 3 anthun und werde nehmen, was die Götter und Auerswald mir bescheren. Für diesen reizenden Fall sind Rytli und Ellora hiermit zu einem Austernschmause eingeladen, Du aber kriegst ein Dutzend Holsteinische (wegen Deiner Verdienste um dieses Land) extra. Laß eine kalt stellen! In der zweiten Hälfte Deines Briefes berichtest D u noch über andre Punkte, die zwischen Dir und Geh. R. Hegel betreffs meiner zur Sprache gekommen sind. Hegel's Freundlichkeit dabei hat wirklich etwas Rührendes und stimmt mich zu der aufrichtigsten Dankbarkeit. Aber eigentlich können mir doch die Leute nicht recht helfen und [eingefügt: auch] Manteuffel, wenn er Minister geblieben wäre, 5 4 4 hätte mir nicht helfen können selbst wenn er gewollt hätte. Mich wirklich in eine Carriere hinein zu werfen, dazu sind die Dinge nicht angethan; alle Traditionen, alle [eingefügt: Regierungs] Maximen und meine eigenen Fähigkeiten sind dagegen. Ein Mensch der nicht französisch sprechen kann, ist unfähig für jede höhere Verwendung und der Umstand daß ich 14 Jahre lang Apotheker gewesen bin, 5 4 5 ist wahrhaftig nicht angethan, jenen Uebelstand aufzuheben. Das größte was man für mich thun könnte, wäre entweder 1 ) mich hier zu belassen oder 2) mich als Consul nach Honolulu oder einem türkischaegyptischen Dreckloch zu schicken oder 3 ) mich als Subalternen, mit der Aussicht auf den Titel „Rechnungsrath" in ein Ministerial-Bureau zu stecken. 546 Das alles drei's aber ist mir zu schlecht, eins immer
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(frz.) Kummer, Gram. O t t o Theodor Freiherr von Manteuffel mußte im O k t o b e r 1858 mit einsetzender Regentschaft Wilhelms I. als Ministerpräsident zurücktreten und erhielt am 6. November zusammen mit dem von ihm geleiteten Ministerium seine Entlassung. Fontane rechnete großzügig. Seine Apothekenzeit begann am x. April 1836 mit seiner Lehrzeit in der Apotheke Zum weißen Schwan in Berlin und endete am 30. September 1849, als er seine Stellung in Bethanien verlor, w o er die Ausbildung von zwei Diakonissen übernommen hatte. Vgl. ganz ähnlich lautende Überlegungen schrieb Fontane im Brief an seine Mutter v o m 6. November 1858. H A B I , S. 633.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
toller als das andre und ich müßte bereits das absolute Verhungern vor Augen haben um mich zum einen oder andern zu entschließen. Und nun leb wohl, nochmals tausend Dank Dein Lafontaine Donnerstag [iS. November 185 8] Die Ellora-Mutter grüßt tausendmal und dankt herzlich [eingefügt: nicht nur] für Deinen liebenswürdigen Geburtstagsbrief 547 [gestrichen: und] [eingefügt: sondern noch für] ein halbes Dutzend andre Geburtstagsbriefe, 548 die - wie ich vermuthe - unter Deiner unerbitterlichen Mahnung geboren sind. Mit Dick 549 vornehmlich wirst Du schweren Kampf gehabt haben, was aber ganz und gar nicht auf Indifferenz bei unsrem viellieben bourgeois hindeuten soll. Man kann es gut meinen und doch Briefschreiben wie Giftbechertrinken betrachten. Die Elloramutter schreibt nächstens und zu allernächst an Dich. Heute les' ich in den Zeitungen, daß von Jasmund und von Bardeleben (nun wird's vornehm) in die Centraisteile eingerückt sind. 550 So lange die Constitionellen (woraus Du um Gottes willen nicht schließen willst, daß ich gegen constitutionelles oder richtiger parlamentarisches Leben bin, jeder versteht nur das seine darunter und die Unterschiede liegen nicht in der Sache sondern im Maaß) noch in der Opposition waren, sprachen sie mit Achselzucken resp. mit Verachtung von dem ganzen Institut. Nun werden sie wohl auch mit Wasser kochen. Was mich und meine Zukunft angeht, so bitt ich Dich und alle die Freunde zunächst gar nichts zu thun,551 das ist bei weitem das beste. 547 548
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Eggers an Emilie Fontane, 1 0 . November 1 8 5 8 . S. 3 6 3 - 3 6 7 . Überliefert ist der von Karl Bormann, Moritz Lazarus und Otto Roquette geschriebene Gratulationsbrief vom 1 0 . November 1 8 5 8 . FAP, Briefe an Fontane. Sig. B. Richard Lucae. Über die Geschichte dieser Einrichtung unterrichtet Fritz Behrend: Theodor Fontane und die „Neue Ä r a " . In: Archiv für Politik und Geschichte 1 ( 1 9 2 4 ) , Bd. 3, Heft 1 0 . S. 4 7 5 - 4 9 7 . Vgl. auch Henriette von Merckels Brief an Emilie Fontane vom 1 . Oktober 1 8 5 8 : „Die Prinzeß von Pr. hat in Preßanstellungen den Dokt. Jasmund am ersten zu bedenken; er hat als Redakteur des preußischen Wochenblattes', die einzige Opposition, die möglich war, viel Ärger gehabt, und mußte zuletzt die Segel streichen." F M B W 2, S. 12.6. Der Umstand des bevorstehenden Regierungswechsels und seine Folgen für Fontane in England beschäftigten den ganzen Freundeskreis (Bernhard von Lepel, Wilhelm und Henriette von Merckel und besonders engagiert Friedrich
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Nr. 6 7
20. November 1 8 5 8
Durch Anfragen hier und Horchen dort, wiird' ich nur eine Unsicherheit zeigen, die ich nicht gern zeigen möchte. Außerdem hab ich zum Ueberlaufen mit Sack und Pack aus allen möglichen Gründen (Anstandst Sittlichkeits= und KlugheitsGründe) nicht die geringste Lust. Zunächst kann man mich nicht auf die Straße setzen und das andre wird sich finden. Im übrigen tausend Dank und den allerh erzlich sten und aufrichtigsten, für eure Theilnahme an meinem Loos und euren immer bereiten guten Willen mir zu helfen. Sage das allen. Die Zeit wird noch kommen, wo ich auch [eingefügt: wieder] zurufen muß: now go on gentlemen, if you please! 552 Dein Lafontaine.
Nr. 67 Theodor Fontane an Friedrich Eggers London d. 20. Novb. 58 52 St Augustine Road, Camden Town. Mein lieber, alter Eggers. Was ich fürchtete, ist geschehen: Du bist in gutem Herzen und Helfebereitschaft Deinem Freunde Jasmund auf die Bude gerückt und hast mich blamirt. 553 Was von mir gilt „daß ich kein großer Politiker sondern nur ein passabler Balladier sei" gilt auch mutatis mutandis 554 von Dir: Du hast die Sache zu lyrisch-gemüthlich genommen. Weil Du über oder wenigstens außerhalb der Partheien stehst, kommen Dir diese Gegnerschaften wie eine Art Studenten-Ulk, wie ein harmloses Eggers), wobei bislang die unterschiedlichen Intentionen und politischen Einbindungen der sich für Fontane Einsetzenden noch nicht hinlänglich geklärt sind. 552
(engl.) jetzt setzt euch in Bewegung, meine Herren, wenn ihr wollt!
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Vgl. dazu Fontanes Brief an Wilhelm von Merckel v o m (20. N o v e m b e r 1 8 5 8 ) , in dem er schrieb: „ [ . . . ] hat nun Friede Eggers durch einen gutgemeinten G a n g zu Herrn v. J a s m u n d mich leidlich blamirt. A b e r sprechen Sie nicht weiter darüber zu ihm; er hat es sich nicht vorgestellt, daß unter Umständen die Gemüthlichkeit aufhört und höfliche Anträge zu einer Lappsackschaft werden k ö n n e n . " F M B W 2 , S. 1 5 8 .
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(lat.) mit den notwendigen Abänderungen.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Burschen-Duell vor worüber alle Welt lacht, die „Losgehenden" an der Spitze. Vielleicht hast Du Recht, vielleicht ist es nur eine Ehrpußlichkeits-Komödie die sich durch das ganze Leben zieht, aber man ist doch nun mal verloren, wenn man die Charakterrolle nicht gewissenhaft durchspielt. Wenigstens der gute Wille dazu muß da sein; der stumbling block 555 pflegt nicht auszubleiben, aber es ist wenigstens nicht klug sich den Stein vorsorglich in den Weg zu rollen, um dann schließlich darüber zu stolpern. Daß ich Dir so schreiben würde hast Du seit 2 Tagen wohl schon erwartet; mein Brief vom Donnerstag 556 konnte Dir darüber keinen Zweifel lassen. Es liegt mir nicht im geringsten daran, mich mit den „neuen Leuten" zu stellen, alles was dahin abzielt, find' ich dumm und verächtlich. Nicht als ob ich gegen die Personen und ihre Prinzipien irgend etwas hätte, gegentheils, wenn meine letzten 8 Jahre eine völlig normale d. h. in meiner Natur begründete Entwicklung genommen hätten, würd' ich sehr wahrscheinlich auf der Seite der jetzt herrschenden Parthei stehn; ihr wißt das alle; Zeuge und Beweis dafür ist namentlich das euch bekannte Gedicht, das ich im Jahre 1849 an den Grafen Schwerin 557 richtete und wofür er sich beiläufig bemerkt nicht einmal bei mir bedankt hat. Die Gesinnung aus der heraus, Front machend gegen Absolutismus und Demokratenthum, damals jenes Gedicht entstanden ist, erfüllt mich noch; das Leben und die Verhältnisse aber haben mich zu einer andern Parthei, richtiger wohl zu einer andern Nüance der [eingefügt: großen] antiabsolutistischen Parthei hinübergeführt und nachdem ich 8 Jahre lang bei derselben gestanden habe, hab' ich nicht Lust, nachdem sich der Wind gedreht hat, dieselbe plötzlich im Stich zu lassen. Ich würde das selbst dann nicht thun, wenn ich die alte Wirthschaft unbedingt haßte und die neue unbedingt verehrte. So liegt die Sache aber keineswegs; die neue Regierung hat noch nichts gethan, soll erst zeigen ob sie's besser zu machen versteht und ein Enthusiasmus, der vor mir selber [eingefügt: wenigstens] die Fahnenflüchtigkeit rechtfertigen würde, dürfte [eingefügt: alsbald vielleicht] auf ein Schauerbad stoßen, das wenig von ihm 555 556 557
(engl.) Stolperstein. Fontanes Brief vom i7./i8.November 1 8 5 8 . „An den Märzminister Graf Schwerin-Putzar". Das Gedicht, am 4. Dezember 1849 im Tunnel vorgelesen, erschien zuerst im Dezember 1849 in: Männer und Helden. Acht Preußenlieder. Berlin: A. W. Hayn 1850.
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Nr. 67
20. November 1 8 5 8
übrig läßt. Wer dann von Alters her der Parthei angehörte, der geht mit Recht, ohne sonderliches Grämen, durch all die verschiednen Phasen und Ernüchterungs-Prozesse durch; der aber ist schlimm [gestrichen: durch] dran, der voll Vertrauen aus [eingefügt: einem] andren [gestrichen: Seite] Lager herüberkam und nun wahrnehmen muß, daß er den guten Ruf der Treue, Zuverlässigkeit und Consequenz um nichts geopfert hat. Darum ausharren an dem Platze, wo man mal steht! Haben sich im Lauf der Jahre die Ecken abgeschliffen, so finden sich von selber friedliche und selbst freundschaftliche Berührungspunkte. - Ich habe über diesen Punkt so ausführlich geschrieben, damit ihr alle wißt, woran ihr mit mir seid. Diese Ansichten sind bei mir nicht von allerneustem Datum; ein Brief den ich der Frau v. Merckel zu ihrem Geburtstag geschrieben habe, äußert sich an betreffender Stelle ganz in derselben Weise.558 Wenn vielleicht etwas milder, so liegt das daran, daß damals noch nicht vorauszusehen war, wie scharf der Bruch sein würde. Die einliegenden Zeilen hast Du wohl die Freundlichkeit Deinem Freunde559 zu überschicken; ich fürchte nicht daß Dir das unangenehm ist oder irgendwie schwer fällt. Recht bald ein mehres. Unter allen Umständen vielen schönen Dank für Deine Bereitschaft nach bester Kraft zu helfen. Dein Lafontaine [Nachschrift] Ich habe meine Zeilen an Jasmund nochmal durchgelesen und finde (wiewohl sie sehr artig und nichts wie eine „nothgedrungne Erklärung" sind) daß es, bei der Unklarheit meiner Position, besser ist sie nicht abzuschicken. Statt dessen bitt' ich Dich aber herzlich, daß Du 558
Brief vom 5. Oktober 1 8 5 8 . Dort heißt es diesbezüglich: „Sie knüpfen Hoffnungen für uns an den bevorstehenden Regierungswechsel; ich tu dasselbe, vielleicht ohne Grund, aber man hofft nun mal. Die Hoffnungen, die ich unterhalte, sind sehr bescheidener Natur; sie reduzieren sich darauf, daß ich bei einem Regierungswechsel hoffe - mit Manier von hier fortzukommen. [...] Was ich 2omal gesagt habe, sag ich auch heute wieder: ich mache Metzeln keinen Vorwurf; [...] Es [die Jahre in London - d. Hrsg.] war eine gute Schule; aber ich habe die Klassen nun durchgemacht und sehne mich allgemach nach der Abiturientenschaft. Wo ich die Universität beziehen möchte, brauch ich Ihnen nicht zu sagen. Auf Wiedersehn also in einem unsrer Hör- und Sprechsäle." F M B W 2, S. 1 3 1 und 1 3 2 .
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Offensichtlich meinte Fontane Jasmund, dem er seine Auffassung über die Dinge zukommen lassen wollte.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
ihn bei nächster Gelegenheit wissen läßt, Du hättest, [eingefügt: lediglich] Deinem eignen Herzenszuge folgend, bei dieser Affaire gehandelt und mich [eingefügt: dadurch] - wie Du nachträglich erfahren hättest - in eine nicht ganz kleine Verlegenheit gebracht. Ich denke, das kann Dir nicht schwer werden. Wie immer Dein Th. Fontane. Bitte, so Du wieder schreibst, frankire nicht; es ist ja doch meine Affaire. Nimm dies nicht übel; Du weißt es ist gut gemeint und wir kennen ja seit lange[!] den Stand der gegenseitigen Börsen.
Nr. 68 Friedrich Eggers an Theodor Fontane Berlin 23 Novb. 1858. Daß ich Dich nicht auf Deine Kosten auslache, Du oller jottvoller Nöhl! Lachen thu ich; warum nicht auf Deine (Porto) Kosten: davon unten. Lachen thu ich aber weil Du Dich unnniitzer Weise in Sorgen versetzt hast. Oder war es wirklich nöthig, daß ich ausdrücklich hinzu setzte: „ich habe mit Anstand und Würde gehandelt." Fast glaub' ich, es ist etwas von dieser Versicherung in meinem ersten Briefe 560 , wo ich von dem Besuch bei Hegel sprach, enthalten. Sieh doch mal nach. Du hast Recht ein feiner Diplomat bin ich nicht - obwohl man, wenn man die Sache bei Licht besieht, sehr oft findet, daß man klüger ist, als mancher Diplomat vom Fach - aber Dich zu kompromittiren, davon hätte mich schon das von Dir getadelte „lyrische Gemüth" abgehalten. Hattest Du mir denn Auftrag gegeben? D u r f t e ich irgend anders reden und handeln als auf eigenes Geheiß? Schon bei Hegel sagte ich, daß ich in meinem und Deiner Freunde Namen komme, die sich Deiner Gesundheit wegen, nicht Deiner Stellung wegen, Besorgnisse machen. Daß ich bei Jasmund noch vorsichtiger war, um Dir nichts zu vergeben, versteht sich doch wohl am Rande. Er denkt und weiß nicht anders, als daß ich Dich hier haben will, daß das Rütli seo Eggers meinte den Brief v o m 1 4 . N o v e m b e r 1 8 5 8 .
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Nr. 68
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seinen Freund zurückhaben will. Gestern noch sagte ich ihm aus Deinem letzten Briefe an mich, er könne lange warten, bis Du Dich anbieten würdest, Du wärest nicht so ein Untherthäniger wie diese Menschen, die er jetzt springen lasse; auch ich wäre sehr entfernt von ihm als persönliche Gunst zu erbitten, was er nicht mit seinen „hohen" (ironisches Lächeln) Plänen vereinbaren könne u.s.w. Kurz, es ist gut, daß Du mir erspartest, einen Brief an ihn abzugeben, dessen Inhalt er doch schon durch mich weiß. Nur so viel hab' ich noch erfahren, daß er daran denkt, Dein Gehalt von der PreßCentralstelle ab auf das Ministerium des Auswärtigen zu wälzen. Ich bitte Dich, störe ihn darin nicht. Laß' Dich immerhin als einen jenem Ministerium und dem Grafen v. B. 5 6 1 Angehörigen betrachten. Das ist eben so gut. Ob Du aber willst, das[!] ich ihm unaufgefordert die Mittheilungen Deines letzten Briefes kundthun soll, darüber erwarte ich stricten Verhaltungsbefehl. Von selbst thu' ich es nicht, sondern billige weit mehr, Dein im vorletzten Brief 562 aufgestelltes Princip des ruhigen Abwartens. Da ich Jasmund schon lange kenne - wir hatten miteinander Freitisch beim alten Karsten 563 - so macht sich der Verkehr sehr gut. Außerdem hab' ich ihm den Freundschaftsdienst erwiesen, [gestrichen: das s] die Redaction des Feuilletons der „Preuß Ztg" zu übernehmen.564 Gestern installirt. Natürlich nur provisorisch, um es nicht
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Graf von Bernstorff, der als Gesandter dem Auswärtigen Amt unterstand. Überdies gehörte die Preßstelle vormals zum Auswärtigen Ministerium. Vgl. Wilhelm von Merckels Brief an Theodor Fontane vom [24. Dezember 1 8 5 8 ] . In: F M B W 2, S. 1 7 1 . Fontane Brief an Eggers vom 1 7 . / 1 8 . November 1 8 5 8 . Als Eggers 1 8 4 / 4 5 in Rostock studierte, war Hermann Karsten Rektor der dortigen Universität. Möglicherweise studierte Jasmund ebenfalls dort und gehörte schon früh zu jenen bevorzugten Studenten, denen ein Freitisch gewährt wurde. Aus Die Zeit. Neueste Berliner Morgenzeitung war im November 1 8 5 8 die Preußische Zeitung geworden, deren Leitung Jasmund und deren Feuilleton Friedrich Eggers übernommen hatten (siehe genauer in der Einleitung). Fontane veröffentlichte in ihr seine Aufsätze über die Londoner Tagespresse (vgl. Jolies, S. 2 4 3 - 2 4 4 ) . In seiner Funktion als Redakteur des Feuilletons versuchte Eggers, seine Freunde aus dem Riitli in die Ausgestaltung des Feuilletons einzubeziehen. An seinen Bruder Karl schrieb er am 8. Juli 1 8 5 9 : „Ich sehe mich auf einmal mit großem Vertrauen in einen kleinen intimen Kreis von einsichtsvollen und wohlunterrichteten Männern gezogen und als Theilnehmer an der 2Z3
Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
aus den Händen zu lassen und mir Einfluß zu sichern. So laß' ich die historische Entwicklung walten. Man hat mir eine Masse von Dir geschriebener Sachen 565 , bereits abgesetzt und von Dir korrigirt, überliefert, um mein hohes Gutachten darüber abzugeben und es zum [gestrichen: Ab] Druck zu befördern. 566 Noch eins, theuerster Nöhl: Du bist doch zuletzt nicht der große Politikus, der Du Dich glaubst. (Verzeih', daß ich selber nicht klarer darüber bin, da ich von Deiner politischen Wirksamkeit nichts kenne.) Wie man glauben kann, der jetzt herrschenden Partei nicht anzugehören, innerlich nicht anzugehören, wenn man so famose Gedichte an d. Grafen Schwerin macht, das begreif' ich nicht recht. 567 Daß Du die abgetretene Partei quand même568 verehrst, glaub' ich einfach nicht. Eine Vertheidigung derselben würde ihr selber aus Deiner Feder wie halb eine Anklage vorkommen, uns aber wie eine Lobrede auf das jetzige Ministerium. Der große Ignaz Klein, der in „meinem" Feuilleton das Theater u. die Oper gegen festes Gehalt bespricht würde gern
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Preußischen Politik behandelt.[...] GhRth Duncker führt den Vorsitz. Er giebt genauen Bericht über Alles was im Ministerium vorgeht und es wird verabredet, wie das in der deutschen Presse zu verwenden ist." Ende Januar 1859 schrieb er der Frau seines Bruders Karl: „Denn es ist die Prß. Ztg. eine der wenigen, welche ein höheres Streben hat: sie will nicht bloß Organ des Ministerpräsidenten oder der Regierung sein, sondern zugleich Organ der Bildung, sie strebt eine Bedeutung wie die Α. Z. [die in Augsburg erscheinende und bei Cotta verlegte, angesehene Allgemeine Zeitung - d. Hrsg.] an." RSA, N L Eggers. Friedrich Eggers an Karl und Mathilde Eggers. Sig. 1.4.7.65. Dabei handelte es sich offensichtlich um die umfangreiche Artikelserie, die ab Nr. 571 vom 7. Dezember 1858 in der Preußischen Zeitung unter der Überschrift Die Londoner Tagespresse erschien und auf die Fontane viel Energie und Fleiß verwendet hatte. Die Zeit stand bis zum Regierungswechsel 1858 unter Einfluß der Centralstelle für Preßangelegenheiten und deren Leiter Ludwig Metzel. Jasmund, als Nachfolger Metzels, wollte diesen Status des Blattes offensichtlich nicht nur beibehalten, sondern noch verstärken. Vgl. seinen Brief an Fontane vom 26. Dezember 1858 (FAP, Briefe an Fontane. Sig. M.). Fontanes Gedicht An den Märzminister Graf Schwerin-Putzar gipfelte in den Versen: „So war's und - ist's geblieben/Durch ein Jahrhundert fort:/Die Hohenzollern lieben/Ein freies Manneswort./Auch du, für heil'ge Rechte/Ficht weiter, sonder Scheu-.ITreulos sind alle Knechte,/Der Freie nur ist treu." Fontane Gedichte 1 , S. 226. (frz.) trotz alledem, dennoch.
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Nr. 68
23. November 1858
von mir abgesetzt werden, d. h. quod opera 5 6 9 , (beim Theater mag er bleiben) wenn der ehrliche Jasmund ihn absetzen dürfte. Er darf es nicht (moralisch) weil Klein, an der „ Z e i t " arbeitend, sich politisch stets als antiministeriell betrachtet hat. Sagst D u Jasmund: „ich bin manteuffelisch und will es sein" dann seid Ihr natürlich getrennte Leute. Mir müßtest Du es erst beweisen, daß Du „manteuffelisch" bist, eh' glaub' ich's nicht. Der guten Ellora Mutter meinen besten und schönsten Dank. Ich werde ihre lieben Zeilen weiter mittheilen. Der Brief an Frau Kummer wird sogleich spedirt. 5 7 0 Adelheid 5 7 1 wartet schon. Ich habe vorher mit Behuthsamkeit und derjenigen Vorsicht, womit man Etiquetten von Weinflaschen lös't, von den unverantwortlich spendirten 3 Marken eine abgezahlt. Denn der Brief nach L. 5 7 2 kostet nur 2 sgr. Daher kostet dieser auch nur 6 sgr. Bezahlen thu ich ihn aber, weil jeder unfrankirte Brief ι sgr mehr kostet, den die Post gewinnt, in diesem Falle die Ellora verliert. Das leid' ich nicht. Willst Du die 6 sgr zahlen - Bon. Dann notire sie auf mein Conto und zahl' sie mir beim Wiedersehn. Nur nichts davon Behörden schenken. Das bleibt besser in der Familie. Und somit Lebewohl für heute. Sehr angenehm, dieser lebhafte Depeschenwechsel! Apropos: ich empfehle mein Feuilleton Deiner gütigen Mitarbeiterschaft. Aber [gestrichen·, gute] kurze Sachen, Lieber, kurze Sache. So ein paar Ausflüge, Tagebuchblätter aus der schottischen Reise 5 7 3 ; Nur keine Politik. Grüsse an die Mama. Küsse an die Kinder! Davon versteh' ich nichts. - Dein Bruder in Ellora Friede.
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571 572 573
(lat.) soweit es die Arbeit betrifft. D a r u m hatte Emilie Fontane gebeten. Vgl. ihren Brief an Eggers v o m 20. N o vember 1858. Adelheid H o f f m a n n . Bertha Kummer wohnte in Leipzig. Fontane hatte zusammen mit Lepel eine Reise nach Schottland unternommen (9.-24. August 1858) und begann bald danach seine Eindrücke niederzuschreiben; einzelne Kapitel erschienen in Zeitungen bzw. Zeitschriften (u. a. Vossische Zeitung, Cottas Morgenblatt, Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung), i860 k a m die Buchausgabe unter dem Titel Jenseit des Tweed heraus. Der Vorabdruck eines Kapitels in der Preußischen Zeitung ist bisher nicht nachgewiesen worden.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
Nr. 69 Theodor Fontane an Friedrich Eggers
London d. I I 1 . Dzeb 58. 5 z St Augustine Road Camden Town.
Mein lieber Friede. Ich vermuthe Dich nun wieder in Berlin zurück. 574 Du wirst ein paar Briefe von mir vorgefunden haben, einen zum 27'". November, einen andern vom odr y- d. M. den ich als Einlage an Merckels 57S schickte. Ich schreibe „zu den Geschäften". Die Preuß. Ztng. bringt seit einigen Tagen meine Aufsätze über die Londoner Tagespresse.576 Du nimmst natürlich an diesen Geschichte[!] kein Interesse und brauchst es nicht zu nehmen, nichtsdestoweniger stehen sie in Deinem Feuilleton und Du kommst somit nolens volens 577 in eine gewisse Beziehung zu denselben. Deshalb an Dich folgendes: 1) Ich habe die Correkturbogen erst erhalten bis zum Schluß der Morgewblätter.578 Ein gutes Drittheil: Abendblätter und Pennyblätter fehlt noch. Ich würde Dir dankbar sein, wenn Du veranlassen wolltest, daß [gestrichen: D] man mir die betreffenden „Fahnen" zugehn läßt. 2) der Schluß und in Wahrheit der Schlußstein der ganzen Arbeit: ein längres Kapitel über die „Times"579, ist noch nicht geschrieben, wenigstens noch nicht fertig. Ist nun Herr v. Jasmund oder die Red: der Pr. Ztg. der Meinung daß es - trotz der Länge der ganzen Arbeit - gut sein würde dies letzte Kapitel (über die „Times") en suite580 zu bringen, so darf ich keinen Tag vergehen lassen und bin gebunden 574
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Fontane hatte von Lepel am 28. November 1858 die Nachricht erhalten, daß Eggers zu seinem sterbenden Vater nach Rostock gefahren sei. FLBW 2, S. 248. Vgl. Theodor Fontane an Henriette von Merckel, [11. Dezember 1858]. FMBW 2, S. 163. Am 7. Dezember begann der Abdruck von „Die Londoner Tagespresse. Allgemeines", dem am 7., 8. und 9. Dezember weitere Artikel folgten. Die Aufsatzreihe zog sich durch den Dezember und wurde 1859 fortgesetzt. (lat.) wohl oder übel, gezwungenermaßen. Vom i i . bis zum 16. Dezember 1858 druckte die Preußische Zeitung Fontanes Analyse der „Morning Papers". Siehe Jolies, S. 2 4 3 - 2 4 4 . Er erschien vom 12. bis zum 15. April 1859 in vier Teilen. (frz.) in Folge.
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Theodor Fontane Ende der fünfziger Jahre
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
mich sofort an die Arbeit zu machen. Druckt man indessen diese Aufsätze bios weil[gestrichen: 1] sie nun doch mal da sind und sich gesetzt und druckfertig in der Druckerei umhertreiben, so hab ich natürlich persönlich kein großes Interesse mich sofort an den TimesAufsatz zu machen und andre Arbeiten liegen zu lassen. Es versteht sich von selbst, daß dies nicht so zu deuten ist als wollt' ich nun schönstens gebeten sein, doch ja auch Welt und Redaktion durch das letzte Kapitel zu beglücken, ich möchte mich nur nicht gern zu dem machen was man hier einen bore 581 nennt, einen alles todtmachenden, rücksichtslosen Schwätzer der keinen andern zu Worte kommen läßt. - Findest Du es angemessen, daß ich die vorstehenden Fragen an Herrn v. Jasmund selber richte, so laß mich das umgehend wissen, ich schreibe dann gleich und füge noch ein paar andre Fragen bei, die sich auf Zeitungsbestellungen per nächstes Quartal (für die Pr. Ztng) beziehn.582 Wie immer Dein Th. F.
Nr. jo Friedrich Eggers an Theodor Fontane Berlin 1 7 Dec 1858. Morgens Hirschelstr. 1 0 / 2 Mein theurer Nöhl, Auf Deinen Brief vom 20 s 1 Nov. der die Befürchtung enthielt, daß ich, Dich kompromittirend, gegen Jasmund zu weit gegangen sein möchte, hab' ich Dir am 23 a 1 geantwortet, klar darlegend, daß dies 581 582
(engl.) ein langweiliger Mensch. Fontane schrieb dann doch an Jasmund. Die Beantwortung schob Jasmund hinaus, weil er die Entscheidung des Ministers Auerswald auf Fontanes Gesuch erst abwarten wollte. Im Brief vom 26. Dezember 1 8 5 8 unterrichtete er Fontane über den Stand und die beabsichtigte Auflösung der Stelle in London, die sich nicht rentiert habe. Auf Fontanes Anfragen hinsichtlich seiner Artikel für die Preußische Zeitung erwiderte Jasmund: „Was Ihre Aufsätze über die englische Presse betrifft, so erschien es nicht nötig, Ihnen erst noch die Korrektur zuzusenden, da ja hier genügend für Vorsorge bezüglich der englischen Namen getroffen werden konnte. Den Schlußartikel über die Times wünschte ich sehr von Ihnen zu erhalten, doch muß ich Sie bei dem noch bestimmteren offiziösen
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Nr. 70
1 7 . Dezember 1858
in keiner Weise geschehen sei. Ich darf diesen Brief wohl für angekommen erachten, da Du sonst wohl Deiner Stimmung gegen Jasm. oder mich Ausdruck gegeben hättest. Dein Brief zum 27 ist mir auch heute noch vorenthalten. Und zwar freundlicher Weise durch die guten Merckels. Gerade am 27 früh wurde ich durch den Telegraphen an das Bette meines Vaters gerufen. Die von Immermann angeordnete Festfeier 583 wurde natürlich abbestellt; unsere Elloratante 584 sagte mir dabei, daß sie von Dir eine Überraschung für mich habe, 585 diese aber bis auf glücklichere und ruhigere Tage zurückbehalten wolle. So schied ich. 8 Tage konnte ich meinen guten Vater noch pflegen helfen; er litt sehr schwer. Am 5 Dec. meldeten wir auch Dir den am Abends erfolgten Heimgang. 586 Ernst hat ihn nachgezogen.587 Das sagen Alle, den Schmerz hat er nie ganz überwunden. - Gestern früh erhalte ich Deine Einlage bei Lepel vom n m datirt. 588 Ich war so eben bei Jasmund und auf der Redaction. 1) Dir die Correcturfahnen noch
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Charakter, welchen die Preussiche Zeitung jetzt hat, bitten gegenüber einem so mächtigen Organ Englands mit Schonung und Vorsicht aufzutreten." Der Brief ist in einer Maschinenabschrift als Durchschlag im FAP erhalten. Fontane beantwortete Jasmunds Brief am 30. Dezember 1858, wie er am 8. Januar 1859 an Merckel berichtete, und trug Sorge, ob die Zeilen auch ihren Empfänger erreicht hätten. FMBW 2, S. 1 8 1 . Am 1 7 . November war Eggers' Geburtstag, der im Riitli und der Ellora gefeiert werden sollte. Vgl. auch den Brief von Henriette von Merckel an Emilie und Theodor Fontane vom 19. Dezember 1858, in dem es heißt: „Wir wollen die Geburtstagsfeier Eggers', welche so traurig gestört wurde, an dem Geburtstage Deines lieben Mannes nachholen und haben, damit alles so wird, wie es beabsichtigt war, auch die Briefe und den Toast noch zurückbehalten". FMBW 2, S. 167. Henriette von Merckel. Wilhelm von Merckel bestätigte Fontane am 4. Dezember 1858 „Ihre charmanten Sendungen zu Anakreons Geburtstage" (FMBW 2, S. 1 6 1 ) , zu denen auch der Toast auf Friedrich Eggers. Zum 27. November 1858 gehörte. Fontane Gedichte 3, S. 95-96. Dazu kam auch ein Toast auf Henriette und Wilhelm von Merckel, der mit Blick auf Eggers geschrieben war. Fontane Gedichte 3, S. 96-97. Dieser Brief Eggers' ist nicht überliefert. Ernst Eggers war „durch einen unglücklichen Fall, den er that" (Friedrich Eggers an Emilie Fontane, 10. November 1858), im Januar 1858 tödlich verunglückt. Dieser Brief an Lepel und seine Einlagen sind nicht erhalten. Der letzte an Lepel geschriebene Brief des Jahres, den Petersen mitteilt, stammte vom 1 . Dezember 1858.
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Teil I
Briefwechsel Theodor Fontane und Friedrich Eggers
zuzusenden, hörte ich, sei es zu spät; ich sehe auch, daß man heute schon die „Pennyblätter" 5 8 9 abzudrucken begonnen hat. (ich bin erst seit ehgestern wieder hier.) 2) den Times »Aufsatz anlangend, so meinte ν J . 5 9 0 dieser Schlußstein dürfe natürlich nicht fehlen, obschon der ganze Aufsatz recht lang sei und doch eigentlich nur ein beschränktes Publikum habe, was wir selber am meisten sind; Du mögest ihn gütigst kurz einrichten, aber auf jeden Fall schreiben. Daß Du damit eine so grausame Eile nicht habest, ist Wentzels 591 u. meine Ansicht; da man immer etwas dazwischen geben kann. - Jasmund sagte mir weiter, Deine Angelegenheit schwebe, Du habest an Auerswald 5 9 2 geschrieben und er sei zu einem Vortrag genöthigt worden. 5 9 3 Weitere Auskunft lehnte er ab. Er fragte aber, warum Du nicht einmal an ihn über Deine Stellung geschrieben hättest; worauf ich erwiederte, daß Du, wie ich aus Deinem letzten Briefe ersehe, allerdings die Absicht habest, da Du ihm ohnehin in Sachen der Zeitung zu schreiben haben würdest. 5 9 4 Außerdem sprichst Du in diesem Briefe vom 1 1 — von einer Einlage an mich in einem Merckel'schen Brief vom 8. od. 9 m . Um diese Einlage war ich zu Immermanns. Ich traf die E.tante 5 9 5 . Ihr letzter Brief 589
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Am 17. und 2 1 . Dezember 1858 veröffentlichte die Preußische Zeitung Fontanes Artikel über die „Penny Papers. I—III". Jasmund. Wentzel arbeitete am Feuilleton der Preußischen Zeitung mit, wie aus seinen Briefen an Friedrich Eggers, in denen jedoch Fontanes Name nicht auftaucht, hervorgeht. Siehe LBK, TNL Eggers, Briefe an Friedrich Eggers. Sig. Cb 60, 56: 564. Fontane schrieb diesen Brief am 2. Dezember 1858. Er ist abgedruckt in HAB I, S. 637-639. Siehe Fontanes Brief an Eggers vom 17. November 1858 und die entsprechende Anmerkung. Vgl. auch Fritz Behrends Aufsatz über Fontane und die „Neue Ära" (S. 487-488). Auerswald war vom Prinzregenten zum Minister ohne Portefeuille berufen worden. Jasmunds Bericht und Auerswalds Verständnis bewirkten, daß Fontanes Antrag zugestimmt wurde. Der erwähnte Brief Fontanes an Jasmund vom Dezember 1858 ließ sich nicht nachweisen. Nachgewiesen sind nur drei bislang unveröffentlichte Briefe Fontanes an Jasmund: vom 3 1 . Januar 1859, 22. Februar 1859 und 6. April 1859. HBV S. 92, 93 und 98. Elloratante - Henriette von Merckel. Vgl. ihren Brief an Emilie und Theodor Fontane, 19. Dezember 1858, in dem sie Eggers' Besuch am 18. erwähnte und als Datum des verlorengegangenen Briefes Fontanes den 8. Dezember nannte. FMBW 2, S. 167.
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Nr. 7 1
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war vom Sonnabend (vermuthl. d. 1 i m ) datirt; denn er war als Einlage auch von Lepel gekommen. 596 Zwischen diesem Briefchen und Deinen Zeilen zum 27, welche sie noch behielt liegt kein Brief an Merckel. Wohl aber habe er Dir sehr ausführlich geschrieben - ein Brief, womit ich ihn schon bei meinem Abschiede nach Rostock beschäftigt fand - und Anfang dieses Monats spedirt. 597 Auf diesen Brief kann der Deinige am 8 m od.