Der aufgehobene ausländische Schiedsspruch als »rechtliches nullum«?: Eine kritische Analyse auf der Grundlage des Verfassungs- und Völkerrechts [1 ed.] 9783428548699, 9783428148691

Das UN-Übereinkommen zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958 gilt zu Recht als eine verl

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German Pages 357 Year 2016

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Der aufgehobene ausländische Schiedsspruch als »rechtliches nullum«?: Eine kritische Analyse auf der Grundlage des Verfassungs- und Völkerrechts [1 ed.]
 9783428548699, 9783428148691

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1321

Der aufgehobene ausländische Schiedsspruch als „rechtliches nullum“? Eine kritische Analyse auf der Grundlage des Verfassungs- und Völkerrechts

Von

Felix Boor

Duncker & Humblot · Berlin

FELIX BOOR

Der aufgehobene ausländische Schiedsspruch als „rechtliches nullum“?

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1321

Der aufgehobene ausländische Schiedsspruch als „rechtliches nullum“? Eine kritische Analyse auf der Grundlage des Verfassungs- und Völkerrechts

Von

Felix Boor

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Jahr 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14869-1 (Print) ISBN 978-3-428-54869-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-84869-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Lena und Oskar

Vorwort Die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit hat innerhalb der letzten drei Jahrzehnte eine überragende Bedeutung für den internationalen Wirtschaftsverkehr erlangt. Diese Entwicklung basiert auf dem weitgehend reibungslos funktionierenden Vollstreckungssystem des New Yorker UN-Übereinkommens zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche aus dem Jahr 1958. In der Vergangenheit hat sich allerdings gezeigt, dass die von diesem Übereinkommen akzeptierte Möglichkeit des Ursprungsstaats, den auf seinem Territorium ergangenen Schiedsspruch zu annulieren, auch die Möglichkeit des Rechtsmissbrauchs mit sich bringt. Dennoch werden von der deutschen Rechtsprechung aufgehobene ausländische Schiedssprüche beinahe einem Automatismus folgend aus dogmatischen Gründen als „rechtliches nullum“ betrachtet und dementsprechend nicht vollstreckt. Diese Arbeit, die im Oktober 2015 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertationsschrift angenommen worden ist, will aufzeigen, dass sich diese Rechtsprechung weder zwingend aus dem Text des Vollstreckungsübereinkommens ergibt, noch mit verfassungs- und völkerrechtlichen Erwägungen vereinbar ist. Rechtsprechung und Literatur konnten dabei im Wesentlichen bis einschließlich Juni 2014 Berücksichtigung finden. Mein besonderer und tiefempfundener Dank gebührt zu allererst meiner verehrten Lehrerin, Frau Prof. Dr. Adelheid Puttler, LL. M. (University of Chicago) für die persönliche und wissenschaftliche Förderung und Unterstützung, die sie mir stets zur Bewältigung während der gesamten Promotionsphase hat zukommen lassen. Mein großer und herzlicher Dank gebührt ebenso Herrn Prof. Dr. HansJoachim Heintze für die freundliche Bereitschaft, das Zweitgutachten zu übernehmen und dessen sehr rasche Erstellung, ebenso wie für die wissenschaftliche Förderung im Bereich des humanitären Völkerrechts. Herrn Prof. Dr. Pierre Thielbörger, LL. M. danke ich herzlich für die Bereitschaft, als Prüfer im Rigorosum einzuspringen. Ebenso schulde ich Herrn Rechtsanwalt Dr. Achim Doerfer meinen herzlichen Dank für die Heranführung an das Thema im Rahmen meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in seiner Rechtsanwaltskanzlei in Göttingen und die Anregung, eine Dissertation über dieses Thema anzufertigen. Ich danke außerdem ganz besonders herzlich Herrn Prof. Dr. Peter-Tobias Stoll für die uneingeschränkte Unterstützung und Betreuung dieses Projektes an der Georg-AugustUniversität Göttingen. Außerdem gebührt mein großer und herzlicher Dank meinen Kolleginnen und Kollegen am Bochumer Lehrstuhl, mit denen ich viele anregende und interessante

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Vorwort

wissenschaftliche Gespräche und Diskussionen zu meinem Thema nicht nur im Rahmen von Doktorandensemiaren führen konnte. Ich danke daher ganz herzlich insbesondere Frau Ass. iur. Kirsti Nele Brinkmann, Frau Ass. iur. Leyla ­Davarnejad, Frau Ass. iur. Silke Hattendorff, LL. M. (Wellington), Frau Dipl.-Jur. Alexandra Jannowski, Frau Rechtsanwältin Véronique Joly-Müller (insbesondere für die sprachliche Unterstützung für den französischen Text des UN-Übereinkommens), Frau Rechtsanwältin Isabella Risini, LL. M. (Chicago-Kent), Herrn Dipl.-Jur. Benjamin Böhm, Herrn Ass. iur. Norman Heenemann und Herrn Dipl.-Jur. Sebas­tian Wuschka für die gemeinsamen Bochumer Jahre. Außerdem gebührt Frau Gönül Akbal, Frau Dipl.-Jur. Katharina Bleiker (nicht nur für die „Entdeckung“ des Hamburger Kaffeestreits), und Herrn Frank Schneider für die Hilfe bei der Literaturrecherche und die vielfältige technische Unterstützung mein großer und herzlicher Dank. Ich danke außerdem ganz besonders herzlich Herrn Prof. Dr. Karsten Nowrot, LL. M. (Indiana) und Frau Ass. iur. Britta Struckmeyer-Öner für die stets gewährte Unterstützung und Verständnis in der Endphase des Projektes an der Universität Hamburg! Für die Hilfe bei der Publikationsvorbereitung bin ich gerne Frau Janne Harder und Herrn Lukas Stepputat zu großem Dank verpflichtet. Nicht zuletzt möchte ich meiner Familie danken, insbesondere meinen Eltern, für die stets gewährte Unterstützung und natürlich der Person, die ohne Zweifel am meisten unter den Strapazen und Widrigkeiten der Erstellung dieser Arbeit zu leiden hatte, meiner Ehefrau Lena. Lübeck, im Dezember 2015

Felix Boor

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1

Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht

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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Das Anerkennungs- und Vollstreckungssystem von aufgehobenen Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Das New Yorker UN-Übereinkommen von 1958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Das Genfer Europäische Übereinkommen von 1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3. Die Aufhebung im Sitzstaat als Schwachstelle der Handelsschiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 4. Forschungsstand und vertretene Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Ziel, Gegenstand und Methode der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 B. Die deutsche Anerkennungspraxis zu fremdstaatlichen Aufhebungsurteilen . . . . . . . 36 I. Rechtsprechung der deutschen Oberlandesgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. OLG München, Urteil v. 13.02.1995, Az.: 17 U 6591/93 – Kajo-Erzeugnisse Essenzen GmbH v. Zdravilisce Radenska . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. OLG Rostock, Beschluss v. 29.10.1999, Az.: 1 Sch 3/99 . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. KG Berlin, Beschluss v. 18.05.2006, Az.: 20 Sch 13/04 . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4. OLG Dresden, Beschluss v. 31.01.2007 – 11 Sch 18/05 . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in Dresden . . . . . . . . . 42 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Die deutschen Literaturansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 C. Die „Gretchenfrage“ der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . 46 I. Die Aufhebung als anerkennungsbedürftiger fremdstaatlicher Hoheitsakt? . . . . 46 1. Die „territoriale“ Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Die „internationalistische“ Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Die internationale Vollstreckungspraxis zu aufgehobenen Schiedssprüchen . . . 52 1. Uneinheitliche Vollstreckungspraxis und „forum shopping“ . . . . . . . . . . . . . 52 2. Die Anerkennungs- und Vollstreckungspraxis in anderen Staaten . . . . . . . . . 54 a) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

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Inhaltsverzeichnis (1) Hilmarton Ltd. ./. Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV) . 55 (a) Der Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 (b) Der erste (aufgehobene) Schiedsspruch zu Gunsten OTV . . . . . 56 (aa) Der Schiedsspruch v. 09.08.1988 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 (bb) Die Aufhebung durch die schweizerischen Gerichte . . . . . . 57 (cc) Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in Frankreich . 57 (c) Zweiter Schiedsspruch zu Gunsten der Hilmarton Ltd. . . . . . . . 58 (aa) Der Schiedsspruch v. 10.04.1992 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (bb) Gescheitertes Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (cc) Erfolgreiches Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren im Vereinigten Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (2) PT Putrabali Adyamulia ./. Rena Holding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (a) Der Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (b) Die Schiedssprüche und das Aufhebungsverfahren vor dem englischen High Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (c) Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in Frankreich . 61 (aa) Der aufgehobene Schiedsspruch von 2001 . . . . . . . . . . . . . 61 (bb) Der zweite Schiedsspruch von 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Belgien: Sonatrach ./. Ford, Bacon and Davos, Inc. . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 c) USA: Chromalloy Aeroservices ./. Arab Republic of Egypt . . . . . . . . . . . 62 d) Österreich: Radenska ./. Kajo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 e) Russland: Ciments Français ./. Sibirskiy Cement Holding Company . . . 64 (1) Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (2) Schieds- und Aufhebungsverfahren in der Türkei . . . . . . . . . . . . . . . 64 (3) Das russische Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren . . . . . . . 65 f) Die niederländischen und englischen Entscheidungen zu Yukos Capital S. A. R. L. ./. OAO Rosneft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (1) Der Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (2) Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in den Nieder­ landen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (3) Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in England . . . . . . 70 (a) Der veränderte Streitgegenstand vor den englischen Gerichten . 70 (b) Das erste Urteil des High Court of Justice zur Zulässigkeit . . . . 70 (aa) Die Frage der Präklusion (Issue estoppel) . . . . . . . . . . . . . . 70 (bb) Die Anwendung der Act of State-Doktrin auf fremdstaatliche Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

Inhaltsverzeichnis

11

(c) Das Urteil des England and Wales Court of Appeal . . . . . . . . . . 72 (aa) Die Erweiterung der Act of State-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . 73 (bb) Die Frage der Präklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (d) Das zweite Urteil des High Court of Justice zur Zulässigkeit . . . 73 (aa) Ex nihilo nil fit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (bb) Auf den Zinsanspruch anwendbares Recht? . . . . . . . . . . . . 74 (e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. Zusammenfassung des Abschnitts zur internationalen Vollstreckungspraxis und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 D. Die historische Entwicklung der Vollstreckung von Schiedssprüchen als Grundlage für die unterschiedliche Vollstreckungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Die actio ex compromisso der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Die Rezeption des römischen Rechtsinstituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Die französische Rechtsentwicklung und die internationalistische Theorie . . . . 80 IV. Die deutsche Rechtsentwicklung bis zum New Yorker UN-Übereinkommen . . 81 V. Die Vollstreckungsübereinkommen des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 VI. Das Genfer Abkommen von 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 E. Zusammenfassung des 1. Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Kapitel 2

Hat das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht nach den beiden Vollstreckungsübereinkommen ein Ermessen?

87

A. Das Anerkennungs- und Vollstreckungsermessen bei der Vollstreckung eines aufgehobenen Schiedsspruchs gemäß Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen . . . . . . . . . . 87 I. Der Begriff „Ermessen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 II. Historische Bedeutung des UN-Übereinkommens durch eine erhebliche Voll­ streckungserleichterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 III. Verfassungsrechtliche Integration in das deutsche Recht und Auswirkungen auf das Anerkennungs- und Vollstreckungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Das Zustimmungsgesetz und die Verweisung des § 1061 Abs. 1 ZPO . . . . . 91 a) Keine Vorgaben des Völkerrechts über Art und Weise der Vertragserfüllung . 91 b) Die Verweisungstechnik des § 1061 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (1) Keine „beschränkte Verweisung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (2) Keine statische Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Ermessensausschluss wegen fehlender Äußerung des deutschen Gesetzgebers . 96

12

Inhaltsverzeichnis IV. Interpretationsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Wiener Vertragskonvention als Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Auslegung gem. Art. 31 ff. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Keine authentische Auslegung durch die Mitgliedstaaten gem. Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 V. Analyse des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Widerspruch zwischen den authentischen Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Wortlaut der verschiedenen Sprachfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (1) Die englische Sprachversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (2) Die französische Sprachfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (3) Die spanische Sprachfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (4) Die chinesische und russische Sprachfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Systematischer Vergleich der Sprachfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Der Gebrauch von „may“ und „shall“ in der englischen Sprachfassung . 106 (1) „may“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (2) „shall“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Der Gebrauch von „poder“ im spanischen Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 c) Der Gebrauch von „pouvoir“ im französischen Text . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Der sich aus der übrigen Systematik ergebene Sinn und Zweck des UN-Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Die Förderung der Vollstreckbarkeit ausländischer Schiedssprüche . . . . 109 b) Harmonisierung internationaler Vollstreckungsstandards . . . . . . . . . . . . . 113 c) Die Begrenzung des Einflusses des Sitzstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 d) Die „doppelte Funktion der Doppelkontrolle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4. Dynamische Auslegung des Art. V Abs. 1 UN-Übereinkommen – UNCITRALSchiedsregeln und UNCITRAL-Modellgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Die begrenzte Anwendungsmöglichkeit einer dynamischen Auslegung . 119 b) Die UNCITRAL-Schiedsregeln von 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 c) Das UNCITRAL-Modellgesetz zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 5. Die „engere Textversion“ nach der Rechtsprechung des StIGH . . . . . . . . . . 123 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

B. Art. IX Europäisches Übereinkommen von 1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I. Dynamische Interpretation des UN-Übereinkommens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Keine Abweichungen der authentischen Sprachfassungen . . . . . . . . . . . . 129 a) Die englische Sprachfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Inhaltsverzeichnis

13

b) Französische Sprachfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 c) Russische Sprachfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Wortlautanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. „Internationalisierung“ des Schiedsspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Standardisierung des nationalen Aufhebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . 133 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 C. Ergebnis des 2. Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

Kapitel 3

Verfassungsrechtliche und weitere völkervertragliche Kriterien der Ermessensausübung

135

A. Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren als überprüfbarer staatlicher Akt . 136 I. Anwendungsbereich des GG bei Handeln eines fremden Hoheitsträgers  – keine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsakts . . . . . . . . 136 II. Die (konkludente) Anerkennung der Aufhebungsentscheidung als überprüfbarer Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 B. Der grundrechtliche Schutzstandard im Rahmen des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 I. Richterlicher Ermessensnichtgebrauch als Rechtsschutzverkürzung im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG/allgemeinen Justizgewährungsanspruchs? . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Die Anerkennungsverpflichtung über den Justizgewährungsanspruch . . . . . 141 2. Der Streit um den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Die behördliche Anerkennung eines fremdstaatlichen Hoheitsakts . . . . . 142 b) Die richterliche Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung als „Akt der öffentlichen Gewalt“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3. Die Verlagerung des Rechtsschutzes auf den allgemeinen Justizgewährungsanspruch durch das BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Vorgaben für den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Die Vorgaben für das Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht . . . . . . . 147 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 II. Eigentumsschutz gemäß Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Der sachliche Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Der Schiedsspruch als Vermögenswerte Rechtsposition . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Das UN-Übereinkommen als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

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Inhaltsverzeichnis 2. Verfassungsrechtliche Schranken hinsichtlich der Auslegung des Art.  V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Die abgewandelte Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 14 GG . 153 (1) Verfassungsrechtlich vorgegebene Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (2) Legitimer Zweck der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (3) Geeignetheit der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (4) Erforderlichkeit der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (5) Angemessenheit der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (6) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Ergebnis zu Art. 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Gleichheitsgrundsatzes auf die Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Das Verhältnis des Gleichheitssatzes zu Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . 159 b) Das Verhältnis der beiden Vollstreckungsübereinkommen als Ausgangspunkt für die Gleichheitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Willkürkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Anwendbarkeit der sog. „neuen Formel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Kritik an der „neuen Formel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 d) Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Höherer Kontrollstandard für europäische Staaten zum Schutze der eigenen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (2) Gegenseitigkeitskriterium als Unterscheidungsgrund . . . . . . . . . . . . 167 (3) Missbrauchsschutz des Schiedsgläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 IV. Der personenbezogene Prüfungsmaßstab bei der Ermessensausübung . . . . . . . . 169 1. Die natürliche Person als Schiedsgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Der Schutz der „inländischen“ juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Die ausländische juristische Person als Problemfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Der Ausschluss des Grundrechtsschutzes über Art. 19 Abs. 3 GG . . . . . . 172 b) Der ergänzende Schutz über das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG 174 c) Prüfungsmaßstab für juristische Personen aus dem EU-Raum . . . . . . . . . 175 4. Die Gleichstellung ausländischer juristischer Personen über Völkervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Europäische Menschenrechtskonvention und die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (1) Görgülü-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

Inhaltsverzeichnis

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(2) Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (a) Die Beachtung der Entscheidungen des EGMR für die nationalen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (b) Auswirkungen für die Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG . . . . . 185 b) Erweiterung über bilaterale Investitionsschutzverträge (BITs)? . . . . . . . . 186 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 V. Ergebnis der grundrechtlichen Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 C. Der Schutzstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . 189 I. Die drei Anknüpfungspunkte der EMRK im Rahmen der deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 II. Auslegungskriterien der EMRK und die Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR 192 1. Effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Dynamische Auslegung – die Konvention als „living instrument“ . . . . . . . . 194 3. „Law-making treaty“ und autonome Begriffsinterpretation . . . . . . . . . . . . . . 194 4. „margin of appreciation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5. Einbeziehung der Vollstreckungsübereinkommen im Rahmen einer dynamischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 III. Die Justizgarantien des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Art. 6 EMRK und die Anforderungen an einen ausländischen Schiedsspruch gem. Art. V Abs. 2 lit. b) UN-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Auswirkungen des Art. 6 EMRK auf die Anerkennung des Aufhebungsverfahrens (§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Auswirkungen auf die Beurteilung des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 IV. Eigentumsschutz gemäß Art. 1 Abs. 1 ZP I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Die „vorsichtig tastende“ Rechtsprechung zum Eigentumsschutz . . . . . . . . . 202 2. Der personelle Schutzbereich der Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Der materielle Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Die Regelungsstruktur nach der EGMR-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . 205 b) Forderungen als geschütztes Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 V. Art. 14 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 VI. Schiedssprüche in der Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Der Schiedsspruch als geschützte Forderung  – Der Fall Stran Greek Refi­ neries ./. Greece . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Der Schiedsspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 c) Das Aufhebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

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Inhaltsverzeichnis d) Die Entscheidungen der Konventionsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. „Regent Company“ und „Kin-Stib & Majkić“: Die Vollstreckungsverzögerung als Konventionsverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Regent Company ./. Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (1) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (2) Entscheidung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Kin-Stib and Majkić ./. Serbia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (1) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (2) Entscheidung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 3. Ergebnis der EMRK-Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

D. Die Wirkung von Meistbegünstigungsklauseln im Investitionsschutzrecht . . . . . . . . 217 E. Die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen der Europäischen Union und die Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 F. Ergebnis des 3. Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Kapitel 4



Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts im Rahmen des Art. 25 GG bei der Beurteilung der ausländischen Aufhebungsentscheidung

227

A. Die Verbindlichkeit des Völkergewohnheitsrechts für die deutschen Gerichte über Art. 25 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Inhalt des Art. 25 GG . . . . . . . . . . . 228 II. BVerfGE 112, 1 („Bodenreform III“) – Die Theorie der Korrekturverpflichtung völkerrechtlichen Unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Sachverhalt und Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Kritik am Vorgehen des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 a) Art. 46 Haager Landkriegsordnung als ius cogens? . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 b) Prüfungsmaßstab und obiter dictum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3. Fazit und Kritik zur Korrekturverpflichtung der deutschen Hoheitsträger für fremdstaatliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 B. Relevantes Völkergewohnheitsrecht im Rahmen des deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 I. Das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Die notwendige restriktive Auslegung des Art. 25 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Inhaltsverzeichnis

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2. Das Problem der weitgehenden inhaltlichen Unbestimmtheit des Fremdenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Der „Fair and equitable treatment“-Standard der Investitionsschutzverträge 245 II. Verstöße gegen erga omnes-Verpflichtungen/ius cogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 C. Ergebnis des 4. Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

Kapitel 5

Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

249

A. Der ordre public-Vorbehalt des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO im Rahmen der Anerkennung von ausländischen Aufhebungsurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 B. Der Schutzbereich des ordre public-Vorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 I. Der materiellrechtliche ordre public als Einfallstor der Grundrechte in das Internationale Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Die Spanier-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 30 EGBGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Der abgeschwächte materiellrechtliche ordre public bei der Überprüfung einer fremdstaatlichen Aufhebungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 II. Der verfahrensrechtliche ordre public anhand des Rechtsstaatsprinzips und des Art. 6 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 III. Die Relativität der ordre public-Vorbehaltsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Das Kriterium der Offensichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Das Kriterium des Gegenwartsbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 3. Das Kriterium des Inlandsbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 4. Die verfassungskonforme Auslegung der Relativitätskriterien . . . . . . . . . . . 264 C. Die grundgesetzlichen Einfallsnormen für das Völkerrecht und die Prüfung der ordre public-Vorbehaltsklausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 I. Der völkerrechtliche ordre public international . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Die Zurückhaltung der deutschen Gerichte bei der Anwendung eines völkerrechtlichen ordre public anhand von Beispielsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Der indonesische Tabakstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 a) Verfahren vor dem Landgericht Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Entscheidung des Hanseatischen OLG Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2. Der chilenische Kupferstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Sachverhalt und Antrag auf Sequestrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

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Inhaltsverzeichnis b) Die Entscheidung im Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 3. Der „Hamburger Kaffeestreit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Entscheidung des Landgerichts Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 c) Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 d) Kritik und Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 4. Fazit zur Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

D. Ergebnis des 5. Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Ergebnis und Schlussthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Annex A: Internationale Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 I. UN-Übereinkommen (New York Convention) über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 . . . . . . . . . . . . . . . 287 II. Europäisches Übereinkommen (Geneva Convention) zur Internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. April 1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Annex B: Internationale Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 I. Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast, Urteil vom 20.07.2011, Case No. A27-781/ 2011, Ciments Français ./. Open Joint Stock Company Sibirskiy Cement Holding Company, Kemerovo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 II. Amsterdam Court of Appeal, Urteil vom 28.04.2009, case number 200.005.269/01, Yukos Capital S. A. R. L., Luxembourg ./. OAO Rosneft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 III. Landgericht Hamburg, Beschluss vom 11.11.2004, Az. 327 O 639/04 („Hamburger Kaffeestreit I“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 IV. OLG Hamburg, Urteil vom 07.01.2005, Az.  1 W 78/04 („Hamburger Kaffeestreit II“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Verzeichnis der verwendeten Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

Abkürzungsverzeichnis AAA ABl. App. No. AWD/RIW

American Arbitration Association Amtsblatt der Europäischen Union bzw. Gemeinschaft Applikation Number (Aktenzeichen zu einer EGMR-Entscheidung) Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters/Recht der Internationalen Wirtschaft BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BVerfG Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (offizielle Sammlung) BVerfGE Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (offizielle SammBVerfGK lung) Case Law on UNCITRAL Texts CLOUT Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit DIS EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention EMRK Gerichtshof der Europäischen Union EuGH EWCA Court of Appeals of England and Wales EWHC High Court of England and Wales High Court of England and Wales in Verwaltungssachen EWHC (Admin) EWHC (Civ) High Court of England and Wales in Zivilsachen High Court of England and Wales in Handelssachen EWHC (Comm) Fédération Internationale des Ingénieurs Conseils, der Dachverband der FIDIC beratenden Ingenieure im Bauwesen Hdb. Handbuch International Chamber of Commerce, Internationale Industrie- und HanICC delskammer ICCA International Council for Commercial Arbitration ICLQ International and Comparative Law Quarterly International Centre for Settlement of Investment Disputes ICSID IGPA International General Produce Association (London) LCIA London Court of International Arbitration, Internationaler Schiedsgerichtshof London OLG Oberlandesgericht Rn. Randnummer Rs. Rechtssache SCC Arbitration Institute of the Stockholm Chamber of Commerce United States Supreme Court S.Ct. Slg. Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union TIAS United States Treaties and Other International Agreements Series United Nations Commission on International Trade Law, Kommission UNCITRAL der Vereinten Nationen für Internationales Handelsrecht

20 VDMA ZaöRV

Abkürzungsverzeichnis Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Hinsichtlich weiterer Abkürzungen wird auf Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Auflage, Berlin 2007 verwiesen.

Kapitel 1

Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht A. Einführung I. Das Anerkennungs- und Vollstreckungssystem von aufgehobenen Schiedssprüchen 1. Das New Yorker UN-Übereinkommen von 1958 Die unbestreitbar größte Errungenschaft der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit ist das Internationale Anerkennungs- und Vollstreckungssystem des New Yorker UN-Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.06.19581 (UN-Übereinkommen).2 Dieses sieht für ausländische Schiedssprüche3 im Vollstreckungsstaat gem. Art. III eine weitgehende Anerkennungs- und Vollstreckungsverpflichtung4 bzw. im Rahmen der „Meistbegünstigungsklausel“ des Art. VII Abs. 1 für den Schiedsgläubiger die Anwendung des für ihn günstigsten Rechts vor5. Es enthält damit einen internationalen Mindeststandard an Rechtssicherheit für den Schiedsgläubiger, ohne den die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit wahrscheinlich in den letzten Jahrzehnten in

1 Engl.: Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards, BGBl. 1958 II, S. 122. 2 Born, S. 706 f.; Lelutiu, American Rev. of Int’l Arbitration 14 (2003), S. 345 (350); Reisman/ Richardson, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration – The Next Fifty Years, S. 21. 3 Gemäß Art. I Abs. 1 S. 1 UN-Übereinkommen ist ein „ausländischer Schiedsspruch“ derjenige, der in einem anderen Staat als dem Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat als Folge einer Streitigkeit zwischen natürlichen oder juristischen Personen ergangen ist. 4 Article III: Each Contracting State shall recognize arbitral awards as binding and enforce them in accordance with the rules of procedure of the territory where the award is relied upon, under the conditions laid down in the following articles. There shall not be imposed more ­onerous conditions or higher fees or charges on the recognition or enforcement of arbitral awards to which this Convention applies than are imposed on the recognition or enforcement of domestic arbitral awards. 5 Article VII Abs. 1: „The provisions of the present Convention shall not affect the validity of multilateral or bilateral agreements concerning the recognition and enforcement of arbitral awards entered into by the Contracting States nor deprive any interested party of any right he may have to avail himself of an arbitral award in the manner and to the extent allowed by the law or the treaties of the country where such award is sought to be relied upon.“

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

einem weit geringeren Maße erfolgreich gewesen wäre.6 Das UN-Übereinkommen hat damit das bisher vollstreckungsfreundlichste Rechtsschutzsystem für den internationalen Wirtschaftsverkehr geschaffen. Ein ausländischer Schiedsspruch ist nunmehr regelmäßig viel leichter in den Mitgliedstaaten des Übereinkommens zu vollstrecken als ein staatliches Urteil.7 Von einer Anerkennung und Vollstreckung darf aber dann abgesehen werden, wenn ein Vollstreckungshindernis nach den Regeln des Art. V UN-Übereinkommen vorliegt. Davon sind ca. 10 % aller internationalen Schiedssprüche betroffen.8 Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der Schiedsspruch im Sitzstaat9 des Schiedsgerichts aufgehoben worden ist. Obwohl das UN-Übereinkommen in diesen Fällen nach Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen10 dem Vollstreckungsstaat ein Ermessen einräumt, ob er den aufgehobenen Schiedsspruch anerkennt und vollstrecken lässt oder die Anerkennung verweigert, gehen die deutschen Gerichte aus dogmatischen Gründen davon aus, dass ein aufgehobener Schiedsspruch aufgrund der Verwurzelung in der Rechtsordnung des Ursprungsstaates ein „rechtliches nullum“ darstellt, sodass eine Anerkennung und Vollstreckung auf deutschem Boden nicht mehr möglich ist. Nur wenn Art.  IX des Genfer Europäischen Übereinkommens zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1961 zur Anwendung kommt, der bestimmte Aufhebungsgründe als Vollstreckungshindernisse ausdrücklich ausschließt, sei aus deutscher Sicht ein anderes Ergebnis denkbar. 2. Das Genfer Europäische Übereinkommen von 1961 Der auf dem Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen basierende Art. IX Abs. 1 Genfer Europäisches Übereinkommen zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.04.1961 (Eu-Übereinkommen/EuÜ)11, das in Ergänzung zum UN-Überein 6

Ban, Rede v. 01.02.2008 zum 50-jährigen Bestehen des UN-Übereinkommens, UN-Doc. SG/SM/11397/L/T/4409; Cardenas, S. 15; Drohozal, Am.Rev.Int.’l Arb. 11(2000), S. 451 (466). 7 Alfons, S. 18; Briner, S. 9; Smit, Am. Rev. Int’l. Arb. 18 (2007), S. 297. 8 Van den Berg, ICC Bulletin 18/2 (2007), S. 35. 9 Mit Sitz- oder Ursprungsstaat soll im Folgenden der Staat bezeichnet werden, auf dessen Gebiet der Schiedsspruch erlassen worden ist. Es ist dabei nicht relevant, welches Recht der Schiedsentscheidung zugrunde gelegt worden ist. Gemäß Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen ist die Aufhebung im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren (Exequatur-Verfahren) nur dann relevant, wenn sie im Sitzstaat durch die nach dortigem nationalen Recht zuständige Behörde vorgenommen worden ist. 10 Article V Abs. 1 lit. e): „Recognition and enforcement of the award may be refused, at the request of the party against whom it is invoked, only if that party furnishes to the competent ­authority where recognition and enforcement is sought, proof that: […] (e) the Award has not yet become binding on the parties, or has been set aside or suspended by a competent authority of the country in which […] that award was made.“ 11 Engl.: European Convention on International Commercial Arbitration v. 21.04.1961, BGBl. 1964 II S. 426.

A. Einführung

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kommen für Ost-West-Handel zwischen europäischen Staaten geschlossen worden ist, zählt die zulässigen Gründe für die Aufhebung eines Schiedsspruchs abschließend auf (nicht zustande gekommene Schiedsabrede, unverschuldete Säumnis des Schiedsbeklagten, ultra vires-Entscheidung des Schiedsgerichts, fehlerhafte Zusammensetzung des Schiedsgerichts bzw. Verfahrensfehler, der nicht mehr durch die Schiedsabrede gedeckt wird).12 Alle anderen Aufhebungsgründe dürfen nach dieser Bestimmung nicht als Vollstreckungshindernis beachtet werden. Es mag überraschen, dass 1961, also bereits drei Jahre nach dem Abschluss der New Yorker Konferenz mit dem Europäischen Übereinkommen ein Ergänzungsübereinkommen zum UN-Übereinkommen geschaffen worden ist. Diese zeitliche Nähe erklärt sich dadurch, dass zeitgleich mit dem Vorschlag des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen (ECOSOC) zum New Yorker UN-Übereinkommen die UN-Wirtschaftskommission für Europa (ECE) anlässlich der dort geführten Gespräche über den Ost-West-Handel ein Europäisches Übereinkommen zur Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit vorgeschlagen hatte.13 Im Gegensatz zu den New Yorker Verhandlungen war jedoch die Konferenz in Genf vom gegenseitigen Misstrauen der Mitgliedstaaten der in statu nascendi begriffenen Euro­päischen Wirtschaftsgemeinschaft14 auf der einen Seite und des Ostblocks auf der anderen Seite geprägt, sodass die Verhandlungen wesentlich mehr Zeit in Anspruch genommen haben.15 Letztlich ist das Europäische Überkommen Ergebnis des vorherrschenden Misstrauens während der Ära des beginnenden Ost-West-Konflikts. Es ist erkennbar von dem Gedanken getragen, dass ein ausländisches Aufhebungsverfahren auch für nationale Zwecke missbraucht werden könnte. Deshalb war den Vertragsstaaten daran gelegen, einen internationalen Standard für anerkennungsfähige Aufhebungsgründe zu etablieren. Im Gegensatz zu dem UN-Übereinkommen sind dem Europäischen Übereinkommen tatsächlich nur europäische Staaten beigetreten.16 Gemäß Art.  I Abs.  1 Eu-Übereinkommen ist es nur auf Schiedsabreden und die darauf basierenden Verfahren anwendbar, wenn beide Schiedsparteien ihren Sitz bzw. Wohnort in unterschiedlichen Mitgliedstaaten des Europäischen Übereinkommens haben. Trotzdem 12

Article IX § 1 lit. d): „The setting aside in a Contracting State of an arbitral award covered by this Convention shall only constitute a ground for the refusal of recognition or enforcement in another Contracting State where such setting aside took place in a State in which, or under the law of which, the award has been made and for one of the following reasons: […] (d) the composition of the arbitral authority or arbitral procedure was not in accordance with the agreement of the parties, or failing such agreement, with the provisions of Article IV of this ­Convention.“ 13 Vgl. Kaiser, S. 26 f. 14 Artikel 220 EWG sah ausdrücklich vor, dass die EWG-Vertragsstaaten untereinander im Bedarfsfall Verhandlungen über die Vereinfachung der Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren von Schiedssprüchen aufnehmen. 15 Zu den Vertragsverhandlungen Glossner, S. 5 ff.; Kaiser, S. 16 ff. 16 Die USA zogen sich im Juni 1957 aufgrund ihrer bundesstaatlichen Struktur aus den Vertragsverhandlungen zurück; vgl. Kaiser, S. 28 f.

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

darf die wirtschaftliche Bedeutung des Übereinkommens nicht unterschätzt werden. Fast die Hälfte des deutschen Außenhandels wird mit den Vertragsstaaten dieses Übereinkommens abgewickelt.17 3. Die Aufhebung im Sitzstaat als Schwachstelle der Handelsschiedsgerichtsbarkeit Diese Arbeit soll im Rahmen einer Analyse der verfassungs- und völkerrechtlichen Bindungen des deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsgerichts Handlungsalternativen aufzeigen, die eine sachgemäßere Lösung des Rechtsproblems des aufgehobenen Schiedsspruchs ermöglichen können. Dass ein Schiedsspruch durch ein nationales Verfahren im Sitzstaat des Schiedsgerichts wieder aufgehoben werden kann, scheint auf den ersten Blick systemwidrig zu sein.18 Die Schiedsparteien haben ja gerade das Schiedsverfahren gewählt, um von den staatlichen Gerichten losgelöst ihre Streitigkeiten beizulegen. Für Wirtschaftsunternehmen ist, oft nicht ganz unbegründet, das Misstrauen gegenüber ausländischen staatlichen Gerichten von entscheidender Bedeutung bei der Wahl einer Schiedsabrede.19 Gerade wenn Geschäftsgeheimnisse wie Technologiepatente von dem Verfahren betroffen sind, aber auch andere Daten geschützt werden sollen, bietet die Handelsschiedsgerichtsbarkeit eine erstrebenswerte Alternative zur nationalen staatlichen Gerichtsbarkeit.20 Trotzdem sehen mit Ausnahme von Malaysia die Rechtsordnungen aller Staaten die grundsätzliche Möglichkeit der Aufhebung eines Schiedsspruchs vor.21 Die nationale Aufhebung im Sitzstaat des Schiedsgerichts stellt aus einem noch schwerwiegenderen Grund einen Schwachpunkt im System des UN-Übereinkommens dar. Zwar lässt das Übereinkommen die Aufhebung im Ursprungsstaat zu, liefert aber selbst für die Aufhebung keine Vorgaben, um ein geordnetes Verfahren zu garantieren.22 Es sind nun Situationen denkbar, dass das staatliche Gericht des Schiedsorts bei der Aufhebung Kriterien anwendet, die international nicht konsensfähig sind,23 beispielsweise die Überprüfung auf materielle Rechtsfehler trotz 17

Moller, NZG 2000, 57; Schwab/Walter, Kap. 41/3 Rn. 4. Shen, S. 91: Art. V Abs. 1 lit. a)-d) bildeten ein „semi-integrated legal regime“; Art. V Abs. 1 lit. e) jedoch einen „extrinsic factor“. 19 Drohozal, Am.Rev.Int.’l Arb. 11(2000), S.  451, 466: „Arbitration avoids ‚Hometown Justice‘“; Kröll, NJW 2009, 1183. 20 Lachmann, Rn. 152 weist aber richtig darauf hin, dass bei einem staatlichen Aufhebungsverfahren der Vertraulichkeitsgrundsatz weitgehend relativiert werde. 21 Nienaber, S. 20. 22 Van den Berg, New York Arbitration, S. 355 weist darauf hin, dass der begrenzende Charakter des Art. V Abs. 1 UNÜ durch diesen Mangel stark vermindert wird und der in Art. 2 Abs. 2 UNÜ liegende Vereinheitlichungsgedanke umgangen werden könnte. 23 Lelutiu, American Rev. of Int’l Arbitration 14 (2003), S.  345 (350 f.); Paulsson, in: UNCITRAL (Hrsg.), Enforcing Arbitration Awards – Prospects, S. 25. 18

A. Einführung

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des Verbots der révision au fond oder eine Aufhebung aufgrund unwesentlicher formaler Mängel, welche während des Schiedsverfahrens von keiner Seite beanstandet worden sind, zum Beispiel die fehlerhafte Apostilierung der Vollmacht des Rechtsvertreters während des (privaten) Schiedsverfahrens. Weit schlimmer noch sind Kriterien, die auf internationaler Ebene schlichtweg nicht mehr tolerierbar sind. So könnte eine Aufhebung beispielsweise darauf basieren, dass die Schiedsrichter nicht einer bestimmten Religion angehörten oder nicht ausschließlich männlich waren.24 Die UNCITRAL25 hat sich daher in den letzten drei Jahrzehnten verstärkt darum bemüht, die nationalen Verfahrensregeln beispielsweise durch die Annahme einheitlicher Schiedsregeln26 bzw. Schaffung eines Modellgesetzes zur Schiedsgerichtsbarkeit von 198527 zu vereinheitlichen. Der Missstand konnte aber tatsächlich nur teilweise beseitigt werden: Zum einen haben viele Staaten das Modellgesetz, das auf eine freiwillige Implementierung in das jeweilige nationale Recht baut, schlichtweg nicht28 oder nur teilweise29 umgesetzt. Zum anderen haben selbst einige Staaten, die das Modellgesetz in die eigene Rechtsordnung implementiert haben, entweder an einigen kritischen Punkten den nationalen Gerichten weiterhin ein Ermessen bei der Bestimmung der Aufhebungsgründe eingeräumt, und sei es nur in der Frage, worin ein Verstoß gegen den nationalen ordre public liegen könnte,30 oder die nationalen Gerichte wenden das Modellgesetz trotz Implementierung aus anderen Gründen nicht oder nur teilweise an. Letzteres Verhalten wirkt sich weit verheerender auf das Wirtschaftsleben aus als gar keine Implementierung des Modellgesetzes, denn Wirtschaftsunternehmen werden, wenn das Modellgesetz bei der nationalen Gesetzgebung berücksichtigt worden ist, viel eher einer Schiedsklausel mit Schiedsort innerhalb der fremden Rechtsordnung zustimmen, weil sie sich in einer vermeintlichen Sicherheit wähnen. Trotz der unbestreitbaren Verdienste der UNCITRAL in diesem Bereich haben sich also auch neue Gefahren hinsichtlich einer möglichen Aufhebung ergeben.

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Paulsson, ibid. United Nations Commission on International Trade Law. 26 Die UNCITRAL Arbitration Rules wurden am 28. April 1976 durch die UNCITRAL angenommen und zuletzt 2010 überarbeitet (GA/Res/65/22). 27 General Assembly Resolution 40/72 (1985) u. 61/33 (2006). 28 So haben beispielsweise in China nur die Provinzen Hong Kong und Macao das Modellgesetz implementiert, in den USA nur 7 Staaten, im Vereinten Königreich nur Schottland. Auch wirtschaftlich aufstrebende Staaten wie Südafrika, Argentinien und Chile haben das Modellgesetz nicht implementiert. 29 Nienaber, S. 180–183 zeigt auf, dass sogar „klassische“ Schiedsorte wie Frankreich, die Schweiz, England, USA, Österreich, Schweden, die Niederlande und Belgien den Aufhebungsstandard des UNCITRAL-Modelgesetzes nicht genau eingehalten haben. 30 Art. 34 Abs. 2 (b) (ii) Modellgesetz erlaubt parallel zu Art. V Abs. 2 UN-Übereinkommen ausdrücklich eine Aufhebung aufgrund eines ordre public-Verstoßes. 25

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

4. Forschungsstand und vertretene Lösungsansätze Um dem Problem der rechtsmissbräuchlichen fremdstaatlichen Aufhebung besser begegnen zu können, sind im Wesentlichen in der Literatur und Rechtsprechung fünf Lösungsansätze erarbeitet worden: Der erste Lösungsansatz, der in vielen Staaten präferiert wird und dem insbesondere auch die deutschen Gerichte folgen, basiert auf dem Gedanken, dass der Schiedsspruch auf der Basis des nationalen Verfahrensrechts zustande gekommen ist. Nahezu in einem Automatismus verweigern daher die deutschen Gerichte die Anerkennung, da der aufgehobene Schiedsspruch ein „rechtliches nullum“ darstelle.31 Dabei wird die staatliche Aufhebungsentscheidung von deutscher Seite nicht mehr auf Rechtsfehler hin überprüft, sondern einfach als gegeben hingenommen. Die deutsche Rechtspraxis ist vor allem dadurch zu erklären, dass man den Schiedsspruch in der Rechtsordnung des Sitzstaates des Schiedsgerichts verwurzelt sieht. Das Schiedsverfahren folge den nationalen Regeln des Sitzstaates und sei daher nicht von dieser Rechtsordnung zu trennen. Zudem trage dieser Lösungsansatz der Möglichkeit Rechnung, dass nach Aufhebung eines Schiedsspruchs ein neues Schiedsverfahren im Sitzstaat durchgeführt werden könnte. Es besteht also die Gefahr, dass in der gleichen Sache zwei sich möglicherweise widersprechende Schiedssprüche ergehen, wobei der erste, aufgehobene Schiedsspruch beispielsweise in Frankreich vollstreckt werden kann, während der nicht aufgehobene, zweite Schiedsspruch in Deutschland sogar vollstreckt werden muss. Der zweite Lösungsansatz, der in der Literatur32 vertreten wird und auch den bisher erfolglosen Bestrebungen der Europäischen Kommission zur Vereinheitlichung des europäischen Rechtsraums entspricht,33 basiert auf dem Grundgedanken, 31 OLG Rostock, Beschluss v. 28.10.1999, 1 Sch 3/99; bestätigend BGH, Beschluss v. 22. Feb. 2001, Az.: III ZB 71/99: „Ist der Schiedsspruch im Erlassstaat noch nicht verbindlich oder ist er aufgehoben worden, dann ist ihm die Anerkennung im Vollstreckungsstaat zu versagen (Art. V Abs. 1 lit. e UNÜ)“; zur weiteren Rspr. siehe infra Kap. 1. B. 1.; van den Berg, ICCA Bulletin 9 (1998), Nr. 2, S. 16: „[…] after annulment, an arbitral award no longer exists […] Ex nihilo nil fit. This legal impossibility appears to exist in any case under the New York Convention […]“; Bernuth, S. 31; Bülow, NJW 1971, 486 (489): „realistische Folge aus der Tatsache, dass ein nullum nicht anerkannt und auch nicht für vollstreckbar erklärt werden kann“; Giardina, FS Böckstiegel, S. 205 ff.; Haas, Die Anerkennung und Vollstreckung; Haight, S. 42; Leurent, Arb. Int. 1996, S. 269 ff.; Münch-Komm (ZPO)-Maier (1. Aufl.), § 1044 a. F. Rn.  17: „für eine Vollstreckbarerklärung im Inland kein Raum mehr“; Münch-Komm (ZPO)-Münch, § 1061 Rn.  7; Poudret, Rev. Arb. 1998, S.  7 ff.; Rogers, ICCA Congress ser. No.  9, S. 548 ff.; Sandrock, FS Stoll, S. 661 (685 ff.), allerdings mit der Einschränkung, dass besonders schwerwiegende Fehler im Aufhebungsverfahren dazu führen, dass die Aufhebungsentscheidung nicht anerkannt werden könne; Sanders, Netherlands Int’l Law Rev. 1956, 220, 221 f.; Schütze, Jahrb. f. die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit 1989, S. 121: Der Schiedsspruch „verliert seine Wirkung“; Schwab/Walter, Kap. 30 Rn. 14; Wahl, J. Int. Arb. 1999, 131 ff. 32 Paulsson, in: UNCITRAL (Hrsg.), Enforcing Arbitral Awards – Prospects, S. 25. 33 Dazu Schlosser, International Arbitration Law Review 12(2009), S. 45–48; siehe die reformierte Verordnung (EU) 1215/2012 v. 20.12.2012 (EuGVVO), ABl. 2012 L 351, S. 1.

A. Einführung

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dass einige Staaten aus bestimmten Gründen nicht in der Lage sind, die internationalen Standards einzuhalten, während andere Staaten über ein fortschrittliches Rechtssystem verfügen, das ein faires und korrektes Aufhebungsverfahren garantiert. Daher könne eine Art „Mini-Konvention“ nach dem Vorbild des nunmehr durch die EuGVVO ersetzten Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen34 Rechtssicherheit schaffen. Nach solchen völkervertraglichen Regelungen könnten sich „vertrauenswürdige“ Staaten die Nicht-Vollstreckung eines durch einen Mitgliedstaat aufgehobenen Schiedsspruchs zusichern. Grundlage dieser Transnationalität ist ein Mindestvertrauen in das materielle Recht ausländischer Staaten, das wiederum auf einer Harmonisierung rechtlicher Standards beruht.35 Die Vertreter dieses Lösungsansatzes schlagen vor, auf dieser Grundlage beispielsweise die Aufhebungsurteile aus Vertragsstaaten, parallel etwa zu der aktuellen Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen36 für Urteile aus anderen EU-Staaten, als per se vertrauenswürdig einzustufen und damit stets die Anerkennung und Vollstreckung der in diesen Staaten aufgehobenen Schiedssprüche zu verweigern.37 Dieser Vorschlag ist bisher trotz mehrerer Reformversuche nicht umgesetzt worden,38 auch weil eine solche Konvention nach dem Text des UN-Übereinkommens als nicht notwendig erachtet wird. Stattdessen würde der Ausnahmefall der Einmischung staatlicher Gerichte in die Schiedsgerichtsbarkeit als Regelfall völkervertraglich akzeptiert werden.39 Paulsson steht zu Recht dem Gedanken ablehnend gegenüber, eine Zweiklassengesellschaft innerhalb des UN-Übereinkommens zu schaffen.40 Eine solche Harmonisierung setzt zudem eine relativ homogene Gruppe von Staaten voraus.41 Gegen eine solche völkervertragliche Lösung spricht aber vor allem, dass sie nicht berücksichtigt, dass sich die rechtliche Situation auch in den aktuell als vertrauenswürdig einzustufenden Staaten zukünftig überraschend ändern kann, die betreffenden Übereinkommen jedoch weiterhin Geltung beanspruchen würden. So hat sich beispielsweise die rechtsstaatliche Situation in Ungarn, einem Mitgliedstaat der EU, nach Ansicht der Europäischen Kommission im Laufe des Jahres 2011 unerwartet von einem funktionierendem Rechtssystem zu einer stark von der Politik beeinflussten Justiz verschlechtert.42 34 Brüssel 1968  – BGBl. 1998 II, S.  1412, i. d. F. des 4.  Beitrittsübereinkommens v. 29.11.1996/Lugano 1998 – BGBl. 1994 II, S. 2660, Lugano 2007 – Abl. 2007 Nr. 339 S. 3. 35 Ruffert, Die Verwaltung 34 (2001), S. 453 (464); Rosenau/Petrus, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.). Europäisches Unionsrecht, Art. 81 AEUV Rn. 3. 36 Verordnung (EU) 1215/2012 v. 20.12.2012 (EuGVVO), ABl 2012 L 351, S. 1. 37 Schlosser, International Arbitration Law Review 12 (2009), S. 45–48. 38 Siehe dazu infra Kap. 3. E. 39 Fouchard, Rev. Arb. 1998, S. 22 (23). 40 Paulsson, in: UNCITRAL (Hrsg.), Enforcing Arbitral Awards – Prospects, S. 25. 41 Berentelg, S. 4. 42 Aufgrund dieser und anderer Vorwürfe hat die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, Presseerklärung v. 17.01.2012 (IP/12/24).

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

Insbesondere Holtzmann43 und Schwebel44 gehen mit ihrem Lösungsansatz noch weiter und wollen die Streitigkeiten im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens den Staaten weitgehend entziehen. Sie haben als Fernziel vorgeschlagen, ein internationales Gericht für die Streitbeilegung bei der Vollstreckung von Schiedsurteilen zu schaffen, das die Rechtswidrigkeit eines nationalen Aufhebungsurteils in einem solchen Fall feststellen könnte. Auch wenn diese Vorschläge als mögliches Zukunftsprojekt weitgehend positiv begrüßt wurden, hat Nariman gerade mit Hinweis auf den IGH-Fall LaGrand45 – die USA hatten trotz einer entgegenstehenden Anordnung des Internationalen Gerichtshofs die Todesurteile gegen die beiden deutschen Staatsangehörigen LaGrand vollstreckt – zweifelnd darauf hingewiesen, dass selbst bei Feststellung der Rechtswidrigkeit durch ein Internationales Gericht die Nationalstaaten weiterhin Herren des Vollstreckungsverfahrens bleiben.46 Durchsetzungsverfahren für internationale Entscheidungen seien bisher kaum vorhanden und viele Staaten stünden einem internationalen Gericht in Zivilsachen ablehnend gegenüber.47 Von einer „Internationalisierung“ des Kontrollverfahrens von internationalen Schiedssprüchen, also einer Verlagerung des Verfahrens auf eine internationale Entscheidungsebene, scheint die Staatengemeinschaft hingegen weit entfernt zu sein. Stattdessen zeigt sich in Zeiten von Wirtschaftskrisen sogar die Bereitschaft der Staaten, internationale Verpflichtungen auszusetzen, um die eigene Wirtschaft zu protegieren, beispielsweise durch den Austritt aus dem Investitionsschutz-System des ICSID-Übereinkommens, wie ihn Venezuela und Australien angekündigt, Bolivien und Ecuador sogar vollzogen haben.48 Feinäugle hat in seiner Untersuchung zur Ausübung von Hoheitsgewalt auf außenpolitischer Ebene festgestellt,49 dass eine Kompetenzverschiebung vom Einzelstaat auf eine zwischenstaatliche Institution auch schon in der Vergangenheit in den Fällen erfolgt sei, in denen die Einzelstaaten alleine nicht mehr in der Lage waren, die durch die zunehmende Globalisierung entstehenden Probleme alleine zu lösen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn Problem- und Souveränitätsreichweiten immer stärker divergierten.50 So könne beispielsweise eine Reduzierung des weltweiten CO2-Ausstoßes oder ein wirksamer Schutz der Bestände von bedrohten Fischarten nur auf internationaler Ebene erreicht werden. Die Erforderlichkeit eines internationalen Vollstreckungssystems privater Schiedssprüche wird aber, 43 Holtzmann, in: Hunter (Hrsg.), The Internationalisation of International Arbitration, S. 109 ff. 44 Schwebel, in: Hunter u. a. (Hrsg.), The Internationalisation of International Arbitration, S. 115 ff. 45 IGH, Urteil v. 27.06.2001, Germany ./. United States of America, LaGrand Case, ICJ Rep. 2001, S. 466 ff. 46 Nariman, in: UNCITRAL (Hrsg.), Enforcing Arbitral Awards – Prospects, S. 13. 47 Fouchard, Rev. Arb. 1997, S. 350–351; Poudret, Rev. Arb. 1998, S. 7 (19); ähnlich Cohen, New York Dispute Resolution Lawyer 1 (2008) No. 1, S. 49. 48 The Economist, 18.02.2012, Come and get me – Argentina is putting international arbitration to the test. 49 Feinäugle, S. 25 ff. 50 Feinäugle, S. 25.

A. Einführung

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soweit ersichtlich, von keinem einzigen Staat propagiert, da das Kontrollsystem des UN-Übereinkommens auf nationaler Ebene in den allermeisten Fällen sehr gut und ohne Komplikationen funktioniert. Der vierte und etwas radikal anmutende Lösungsansatz ist bereits in der Meistbegünstigungsklausel des Art. VII UN-Übereinkommen verankert: Die Vollstreckungsgerichte könnten den Art. V UN-Übereinkommen und damit alle Vollstreckungshinderungsgründe einfach komplett ignorieren und stattdessen autonomes nationales Recht anwenden, das den Vollstreckungsgläubiger im Vergleich zum UN-Übereinkommen günstiger stellt. Dies ist der Lösungsansatz, dem insbesondere Frankreich gefolgt ist. Die französische Dogmatik sieht dabei einen Schiedsspruch nicht mehr im Sitzstaat des Schiedsgerichts verankert.51 Der Schiedsspruch weise also einen internationalen oder auch anationalen, zumindest teilweise von der Rechtsordnung des Ursprungsstaates losgelösten Charakter auf.52 Französische Gerichte lassen die Anerkennung und Vollstreckung des aufgehobenen Schiedsspruchs folgerichtig aufgrund des vollstreckungsfreundlicheren autonomen französischen Rechts stets zu, gleich aus welchen Gründen die Aufhebung erfolgt ist.53 Dieser Ansatz fördert zwar unbestreitbar die freie Zirkulation und Mobilität eines internationalen Schiedsspruchs, ein hoch geschätzter Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit,54 und betont die Privatautonomie der Parteien, übersieht aber, dass Schiedssprüche ebenfalls mit erheblichen Rechtsmängeln behaftet sein können und eine fremdstaatliche Aufhebung auch mit guten Gründen erfolgt sein kann. Die Schiedsparteien haben daher nicht nur die Erwartung, sondern auch ein berechtigtes Interesse, dass staatliche Gerichte des Ursprungsstaates korrigierend eingreifen können und deren Entscheidung zumindest nicht vollkommen im internationalen Rechtsverkehr ignoriert wird.55 Der fünfte und hier vertretene Ansatz ist ein Kompromiss, der im Rahmen des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommens das Ermessen der Vollstreckungsbehörde betont und im Falle von groben Rechtsverstößen während des Aufhebungsverfahrens eine Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs präferiert. Der Richter des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens solle im Rahmen seiner Ermessensausübung feststellen, ob der Richter des Ursprungsstaates sich an internationale Standards gehalten hat. Wenn er diese internationalen Standards eingehalten habe, handele es sich um eine „International Standard Annulment“, und die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs sei zu verweigern. Ist die 51

Fragistas, Rev. critique de droit international privé 1960, S. 14 ff.; Goldman, RdC II 1963, S. 380; Lalive, Rev. de l’Arbitrage 1976, S. 155; Paulsson, ICLQ 30 (1981), S. 358. 52 Die dogmatischen Gegensätze sind dabei so ausgeprägt, dass Park, ICLQ 34 (1983), S. 25 Fn. 22 nicht scheut, diese von Paulsson, ICLQ 30 (1981), S. 358 (362 ff.) geäußerte Ansicht als „dangerous heresy“ zu bezeichnen. 53 Ständige Rechtsprechung seit der Entscheidung der Cour de cassation, ârret de 09.10.1984, Pabalk Ticaret limited Sirketi ./. Norsolor S. A., Rev. Arb. 1985, S. 431 ff. 54 Z. B. Alfons, S. 16. 55 Paulsson, UNCITRAL (Hrsg.), Enforcing Arbitral Awards – Prospects, S. 25.

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

Grundlage der Aufhebung international nicht anerkannt oder basiert die Aufhebung auf einem nicht tolerierbaren Kriterium, handele es sich um eine „Local Standard Annulment“, welche nicht zu beachten ist und zur Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs führen solle.56 Ob der Begriff der „Local Standard Annulment“ dabei gleichzusetzen ist mit einem Verstoß gegen den internationalen ordre public, bleibt dabei zunächst unklar.57 Es scheint aber so zu sein, dass der Begriff der „Local Standard Annulment“ weiter gefasst ist als der relativ enge Begriff des „inter­natio­ na­len ordre public“, dessen Feststellung an strenge Voraussetzungen gebunden ist.58 Es geht bei einer solchen Feststellung jedenfalls nicht darum, die Aufhebung eines Schiedsspruchs in jedem Fall zu verwerfen, sondern das fremdstaatliche Aufhebungsverfahren zu hinterfragen und nicht ungeprüft dessen Ergebnis zu übernehmen.59 Diese Prüfung soll vor allem dazu dienen, Härtefälle gegenüber dem Schiedsgläubiger zu vermeiden.

II. Ziel, Gegenstand und Methode der Untersuchung Diese Arbeit soll einen Beitrag zur deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungspraxis von im Ursprungsstaat aufgehobenen ausländischen Schiedssprüchen leisten. Im bewussten Widerspruch zur wohl noch herrschenden Meinung in der weitgehend zivilrechtlichen Literatur und der ständigen deutschen Rechtsprechung soll dargelegt werden, dass einer Überprüfung des Aufhebungsurteils zwar auf zivilrechtlicher Ebene dogmatische Bedenken entgegenstehen, eine Überprüfung aber aus verfassungs- und völkerrechtlichen Gründen geboten und erforderlich sein kann. Da die Handelsschiedsgerichtsbarkeit bisher weitgehend nur aus zivilrechtlicher Sicht beleuchtet worden ist, ist der zivilgerichtlichen Praxis oft nicht bewusst, wie 56 Differenzierung nach Paulsson, id., S. 26; ders., American Review of Int’l Arbitration 7 (1996), S. 113; ders., ICCA Bulletin 9 (1998/No. 1), S. 24 ff.; zustimmend Lastenouse, Journal of International Arbitration 16 (1999/No. 2), S. 40; Lelutiu, American Rev. of Int’l Arbitration 14 (2003), S. 345 (361), der aber den Begriff der „Local Standard Annulment“ als zu ungenau kritisiert. 57 Ein solcher Verstoß wird zumindest in vielen Zivilprozessordnungen als Vollstreckungshindernis angesehen, z. B. im französischen Art.  1501 Ziff.  5 NCPC: Danach muss die Anerkennung und Vollstreckung verweigert werden, „5. Si la reconnaissance ou l’exécution sont contraires à l’ordre public international“. 58 Siehe dazu infra Kap. 4. B. IV.; Sandrock, FS Stoll, S. 671 f. weist aber darauf hin, dass der Begriff des ordre public international „überall kulturell gefärbt“ sei, und die Ermittlung einheitlicher Standards „sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist“; Shan, S. 235 betont, dass eine einheitliche Auslegung des Begriffs der „public policy“ im Rahmen des Art. V Abs. 2 lit. b) UN-Übereinkommen aufgrund der großen Unterschiede zwischen den Rechtskulturen nicht möglich ist. 59 Paulsson, ICSID Review 23 (2008), S. 215 ff. vertritt dabei einen Ansatz, der der Radbruch’schen Formel sehr ähnelt, jedoch noch darüber hinausgeht und fremdstaatliche Gesetze teilweise schon aufgrund eines Verstoßes gegen die nationale fremdstaatliche Rechtsordnung als unanwendbar sieht.

A. Einführung

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die Grundrechte und das Völkerrecht Einfluss auf das Vollstreckungssystem des UN-Übereinkommens zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Handelsschiedssprüche von 1958 nehmen können. Dies ist, wie bereits geschildert, insbesondere dann der Fall, wenn die ausländische Aufhebungsentscheidung mutmaßlich nicht rechtsstaatlichen Prinzipien entsprochen hat. Basierend insbesondere auf den Vorarbeiten von Kurt Heller, Volker Nienaber und Jan Paulsson sollen dabei für diese Fälle neue Denkansätze für das Anerkennungs- und Voll­ streckungsverfahren entwickelt werden. Zunächst muss zur Erreichung dieses Ziels der derzeitige Stand in Literatur und Rechtsprechung dargestellt werden. Nachdem die aktuelle deutsche Rechtsprechungspraxis und die einflussreichsten deutschen Literaturstimmen zur Anerkennung von aufgehobenen Schiedssprüchen geschildert worden sind, soll sich der internationalen Rechtsprechungspraxis gewidmet werden, die das Problem aufgehobener ausländischer Schiedssprüche auf verschiedenen Wegen löst. Die deutsche Vollstreckungspraxis folgt der im Allgemeinen als jurisdiktionellprozessuale oder „territoriale“ Ansicht bezeichneten Richtung, die die Aufhebung des ausländischen Schiedsspruchs im Sitzstaat des Schiedsgerichts als absolutes Vollstreckungshindernis im Sinne des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Vollstreckungsübereinkommen ansieht. Ganz im Gegensatz dazu steht die französische Rechtsordnung als Paradebeispiel für die als materiell-rechtliche bzw. „internationalistische bezeichnete Vollstreckungspraxis, den ausländischen Schiedsspruch als vollkommen losgelöst von der nationalen Rechtsordnung des Sitzstaates anzusehen. Obwohl die deutsche Rechtsansicht mit der wohl noch vorherrschenden internationalen Praxis im Einklang steht, sind gerade in den letzten Jahren vermittelnde Wege in der Rechtsprechung anderer Staaten erkennbar. Zur Abrundung der Problemdarstellung ist es erforderlich, sich ebenso der Entstehungsgeschichte des Rechtsproblems zu widmen. Eine rechtshistorische Betrachtung ist aus zwei Gründen sinnvoll: Zum einen führt eine historische Betrachtung die unmittelbare Verbindung zwischen der privaten Schiedsgerichtsbarkeit und individuellen Freiheitsrechten vor Augen. Zum anderen soll verdeutlicht werden, dass die vorherrschende internationale Vollstreckungspraxis weitgehend ein Ergebnis einer national orientierten Staatlichkeit ist, wie sie in Europa ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts vorherrschte. Sicherlich stellt die aktuell zu verzeichnende zunehmende Vernetzung nationaler Rechtsordnungen in einer globalisierten Weltwirtschaft einen der Hauptgründe dafür dar, dass gerade in den letzten Jahren eine Gegenbewegung zurück zu einer Verselbständigung des Schiedsspruchs zu verzeichnen ist, die tatsächlich in mehreren Staaten parallel aufgetreten ist. Das zweite Kapitel widmet sich im Wesentlichen der Frage, ob dem deutschen Richter durch die völkervertragliche Regelung des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen ein Ermessen bei der Frage der Beachtung der fremdstaatlichen Aufhebung eingeräumt wird. In der zivilrechtlichen Literatur wird hierzu vertreten, dass ein solches Ermessen viel eher dem Gesetzgeber zugewiesen worden ist, der

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

aber bisher von diesem Ermessen keinen Gebrauch gemacht habe.60 Wie diese Untersuchung aufzeigen wird, ist diese Feststellung vor dem Hintergrund der völkerrechtlichen Analyse des UN-Übereinkommens kaum haltbar. Die Analyse auf der Grundlage des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge61 muss sich dabei auf Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen konzentrieren. Hauptaugenmerk muss dabei, wie in den Werken von Paulsson und Nienaber bereits exerziert, der unterschiedliche Bedeutungsinhalt der fünf Sprachfassungen haben. Der Wortlaut des französischen Textes weicht erheblich von den vier anderen Sprachfassungen ab, weshalb eine wesentliche Aufgabe darin liegen wird, den objektiven Inhalt des Übereinkommens zu ermitteln. Ergänzend soll ­zudem eruiert werden, inwieweit das Europäische Übereinkommen zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1961 auf dem UN-Übereinkommen basiert und­ inwieweit sich dadurch Rückschlüsse auf dessen Inhalt ziehen lassen. Nachdem sich das zweite Kapitel hauptsächlich mit den völkervertraglichen Grundlagen des deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens ausländischer Schiedssprüche gewidmet hat, wendet sich das dritte Kapitel der Aufgabe zu, die verfassungs- und die weiteren völkerrechtlichen Vorgaben für eine Ermessensentscheidung der deutschen Oberlandesgerichte zu identifizieren. Dabei muss die Untersuchung zum einen darauf abzielen, eine im Völkervertragsrecht liegende Grundlage für eine Ermessensentscheidung im deutschen nationalen Recht zu verankern. Zum anderen ist nach außerhalb der Vollstreckungsübereinkommen liegenden Vorgaben für eine Konkretisierung der Ermessensentscheidung zu suchen. In einem ersten Arbeitsschritt soll im Rahmen einer grundrechtlichen Analyse der Art.  14, 3 Abs.  1 GG und des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs untersucht werden, ob und auf welche Weise nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben eine Überprüfung des fremdstaatlichen Aufhebungsakts durchgeführt werden muss. Die Frage, inwieweit das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren durch die Grundrechte beeinflusst wird, muss in weiten Bereichen personenbezogen durch eine Bestimmung des Anwendungsbereichs der Grundrechte beantwortet werden. Ob auch der aufgehobene Schiedsspruch eine durch das Eigentumsrecht gemäß Art. 14 GG geschützte Rechtsposition darstellt, obwohl er durch einen fremdstaatlichen Akt aufgehoben worden ist, wird einen weiteren Schwerpunkt der Prüfung bilden müssen. Im Rahmen der Prüfung des Art. 14 GG muss sich zudem der Fragestellung gewidmet werden, inwieweit die Auslegung des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentumsrechts durch die grundrechtliche Dogmatik beeinflusst wird. Im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG ist schließlich der Frage nachzugehen, ob in Anbetracht der durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten „neuen Formel“ zum Gleichheitssatz es noch gerechtfertigt sein kann, Staatsange 60

Siehe zu den Literaturansichten supra, Kap. 1. B. II. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl. 1985 II S. 927). 61

A. Einführung

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hörige aus Mitgliedstaaten des UN-Übereinkommens anders zu behandeln als die Staatsangehörigen aus Staaten, die auch Mitglied des Europäischen Übereinkommens geworden sind. Obwohl die Herkunft aus einem anderen Staat als „sachlicher Grund“ im Sinne einer bloßen Willkürkontrolle darstellen kann, muss sich nach der durch das BVerfG entwickelten Grundsätzen zur sog. „neuen Formel“ auch dieses Differenzierungskriterium einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterstellen lassen. Ebenso soll sich diese Arbeit mit der grundrechtlichen Fragestellung beschäftigen, ob es sich bei der ungeprüften Anerkennung eines fremdstaatlichen Aufhebungsakts nicht um eine unzulässige Verkürzung des Rechtswegs und damit um eine Verletzung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs handelt. Nachdem sich den für die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen wesentlichen Grundrechten zugewandt worden ist, muss in einem zweiten Arbeitsschritt auf andere völkerrechtliche und europarechtliche Einflüsse eingegangen werden. Dazu soll zunächst der Fokus der Analyse auf die in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verbürgten menschenrechtlichen Bestimmungen und die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gerichtet werden. Wenn die Rechtsprechung zum Eigentumsschutz auch zurzeit noch wenig ergiebig zu sein scheint, lässt sie aber zumindest in Verbindung mit den in der EMRK garantierten Justizmenschenrechten Rückschlüsse darauf zu, inwieweit die Aufhebung eines ausländischen Schiedsspruchs selber als ein Verstoß gegen die EMRK zu werten sein kann. Zum Abschluss der Untersuchung der verfassungs- und völkerrechtlichen Schutzstandards soll in gebotener Knappheit auf die europarechtliche justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen eingegangen werden. Das Europarecht enthält wenige Regelungen, die sich auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit beziehen. So schließt die Europäische Vollstreckungsverordnung ausdrücklich ihre Anwend­ barkeit auf Schiedssprüche aus. Trotzdem muss diese Arbeit sich mit den gelegentlich zu beobachtenden Bestrebungen auseinandersetzen, ein staatliches Exequatururteil unter die Verordnung fallen zu lassen. Ebenso existieren Reformvorschläge, die die Ausnahmeregelung für Schiedssprüche ganz aus der Verordnung streichen wollen, sodass auf diese Bestrebungen eingegangen werden muss. Ausdrücklich ausgeklammert werden sollen hier die Einflüsse der Marktfreiheiten der Europäischen Union auf die Handelsschiedsgerichtsbarkeit. Für die hier zu untersuchende Frage käme nur die Kapitalverkehrsfreiheit, wie sie jetzt Art. 65 Abs. 1 AEUV geregelt ist, als Untersuchungsgegenstand in Betracht. Diese schützt grundsätzlich auch Vermögenswerte aus dem Nicht-EU-Ausland (sog. „erga omnes-Prinzip“)62. Regelmäßig wird Kapitalverkehr aber als „einseitige grenzüberschreitende Wertübertragung in Form von Sach- oder Geldkapital“ definiert,63 62

Fischer, Rn.  589; trotz des Wortlauts der Vorschrift eher vorsichtig dazu Bröhmer, in:­ Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., Art. 63 Rn. 27, der darauf hinweist, dass bisher keine Rechtsprechung dazu ergangen ist. 63 Fischer, Rn. 589; Glaesner, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Komm., Art. 63 Rn. 7.

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

sodass es zumindest zweifelhaft ist, ob auch eine in einem Schiedsspruch liegende Forderung hierunter gefasst werden könnte. Betrachtet man die in der Kapital­ verkehr-Richtlinie aufgezählten Vermögenswerte, so wird klar, dass der Begriff „Kapital“ stark mit dem Begriff der „Investition“ zusammenhängt, also auf den Zweck der grenzüberschreitenden Kapitalbewegung abgestellt werden muss.64 Der freie Kapitalverkehr im Binnenmarkt soll also dazu dienen, dass das Kapital frei dorthin fließen soll, wo es am sinnvollsten investiert werden kann (optimale Allokation).65 Geschützt werden demnach nur solche Vermögenswerte, die unmittelbar in eine Investition münden können. Dazu gehören sicherlich grenzüberschreitende Wertpapiergeschäfte,66 nicht jedoch Vollstreckungstitel wie ausländische Schiedssprüche.67 Diese dienen naturgemäß nicht der Investition, sondern in erster Linie dazu, Vermögen im Wege der Zwangsvollstreckung zu erlangen, also oftmals sogar einer fremden Investition zu entziehen. Eine der Hauptschwierigkeiten bei der Anerkennung aufgehobener Schiedssprüche liegt darin begründet, dass das UN-Übereinkommen selbst keine Vorgaben für das Aufhebungsverfahren im Sitzstaat vorgibt, sondern lediglich die Anerkennung und Vollstreckung im Inland regelt. Paulsson hat zur Lösung dieses Problems vorgeschlagen, die Aufhebungsurteile in zwei Gruppen zu unterteilen: Auf der einen Seite solle die Aufhebung, die mit den internationalen Rechtsgepflogenheiten übereinstimme, als „international standard annulement“ stets anerkannt werden und damit dem Schiedsspruch die Anerkennung verweigert werden. Auf der anderen Seite sollen die Aufhebungen, die diesem Standard nicht entsprächen, als „local standard annulment“ nicht anerkennungsfähig sein. Wann eine solche „local standard annulment“ des fremden Hoheitsträgers für die Ermessensausübung des deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsrichters Auswirkungen hat, kann daher nur durch einen Rückgriff auf das Grundgesetz bzw. andere völkerrechtliche Normen befriedigend gelöst werden. Das vierte Kapitel widmet sich daher der Frage, inwieweit eine Anerkennung des fremdstaatlichen Aufhebungsaktes akzeptiert bzw. verweigert werden muss. Es muss dabei zunächst geklärt werden, wie eine Aufhebungsentscheidung über das völkerrechtliche Rechtsquellensystem eingeordnet werden. Eine „local standard annulment“ könnte dabei zum einen gegen den Mindeststandard des völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrechts verstoßen. Das Fremdenrecht richtet sich prinzipiell an den Gastgeberstaat als primär Verpflichteten. Trotzdem kann das Aufhebungsurteil 64

EuGH, verb. Rs. 286/82 u. 26/83, Luisi u. Carbone, Slg. 1984, 377 Rn. 21 ; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., Art. 63 Rn. 14; Glaesner, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Komm., Art. 63 Rn. 7; Nettesheim, § 31 Rn. 2; Streinz, Rn. 925. 65 Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., Art.  63 Rn.  4; Hobe, § 19 Rn. 248; Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 63 AEUV, Rn. 8 ff. 66 Bröhmer, id., Art. 63 Rn. 50. 67 Der ausländische Schiedsspruch wird allerdings erst durch die inländische Vollstreckbarerklärung ein Vollstreckungstitel.

A. Einführung

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bei einem Verstoß gegen diese Regelungen als völkerrechtswidrig eingestuft werden und diese Beurteilung Einfluss auf das deutsche Anerkennungs- und Voll­ streckungsverfahren nehmen. Neben den Grenzen, die das völkerrechtliche ius­ cogens aufstellt, ist ein weiterer Ansatzpunkt der Untersuchung die Frage, ob das Europäische Übereinkommen eines fremdenrechtlichen Mindeststandard etablieren konnte. Diese Annahme ist jedoch aufgrund abweichender internationaler Regelungen problematisch. Möglich ist weiterhin, dass der fremdenrechtliche Standard durch bilateraler Freundschafts- bzw. Investitionsschutzverträge in den vergangenen Jahrzehnten aufgewertet worden ist. Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit der verfassungsrechtlichen Frage, ob das für den deutschen Hoheitsträger gemäß Art.  25 GG verbindliche Völkergewohnheitsrecht Grenzen für das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren setzt. Grundlage der Prüfung ist dabei die von dem BVerfG in der Entscheidung zu den Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone 2004 postulierte Korrekturverpflichtung der deutschen Hoheitsträger hinsichtlich fremdstaatlicher völkerrechtswidriger Akte.68 Während das Vorgehen über Art.  25 GG nur einem eingeschränktem Fokus folgt, lösen die Zivilgericht das Problem der Kollision mit den wesentlichen Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung mit der Anwendung von ordre public-­Klauseln. Durch eine Analyse des Schrifttums und der Rechtsprechung zu Art. 6 EGBGB sollen dabei auf die wesentlichen in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien eingegangen werden, die für die Bewertung von Aufhebungsurteilen eine Rolle spielen können. Schließlich soll abschließend durch eine Untersuchung der Rechtsprechung zu fremdstaatlichen Enteignungsfällen verdeutlicht werden, mit welcher Zurückhaltung die deutsche Rechtsprechung die Vorbehaltsklauseln in der Vergangenheit herangezogen haben. Um die Verbindlichkeit dieser Ansätze für die Zivilgerichte zu demonstrieren, muss sich im Rahmen der gesamten Arbeit rechtsdogmatisch der Position des Völkerrechts im deutschen verfassungsrechtlichen Gefüge gewidmet werden, wobei sich an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes einerseits, und an den Urteilen zu völkerrechtswidrigen Enteignungen andererseits orientiert werden soll. In jüngerer Vergangenheit hat sich eine Strömung in der völkerrechtlichen Literatur entwickelt, die bestrebt ist, verfassungsrechtliche Prinzipien auf das völkerrechtliche Gesamtgefüge zu übertragen. Obwohl sich aus diesem Gedankenkonstrukt sicherlich auf europarechtlicher Ebene dogmatisch interessante Fragen entwickelt haben, soll sich diese Arbeit ausdrücklich der Problematik dieser sog. Konstitutionalisierungsdebatte enthalten. Obwohl mittlerweile von einer starken Strömung in der westlichen völkerrechtlichen Literatur gesprochen werden kann,

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BVerfGE 112,1 ff. – „Bodenreform III“.

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

hat sie, soweit erkennbar, noch keine praktische Bedeutung für die nationalstaatliche Judikatur erlangt und dementsprechend auch keine Auswirkungen auf das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren von ausländischen Schiedssprüchen hervorgebracht. Mit der eher restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art.  25 GG ist sie tatsächlich  – wenigstens zurzeit  – noch nicht zu vereinbaren.

B. Die deutsche Anerkennungspraxis zu fremdstaatlichen Aufhebungsurteilen Die Anerkennung eines fremden Hoheitsaktes wird im Allgemeinen dahingehend definiert, dass dem fremden Hoheitsakt im Inland diejenigen Rechtswirkungen zugemessen werden, die der Erlassstaat an sie geknüpft hat.69 In den Entscheidungen der deutschen Oberlandesgerichte im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren von ausländischen Schiedssprüchen zeigt sich dabei aber oft die sicherlich verständliche Zurückhaltung der deutschen Richter, eine fremdstaatliche Aufhebungsentscheidung zu überprüfen.70 Soweit ersichtlich, haben sich bisher nur das OLG München71 und das OLG Dresden72 auf der Grundlage des Europäischen Vollstreckungsübereinkommens von 1961 zu diesem Schritt durchgerungen. Im Rahmen des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen wird diskutiert, ob eine solche Überprüfung auch im Wege einer doppelten Analogie des für die Anerkennung fremdstaatlicher Urteile geschaffenen § 328 Abs. 1 ZPO durchgeführt werden dürfe,73 der Ausschlussgründe für eine Anerkennung von ausländischen Urteilen abschließend aufzählt. Zu den dort aufgezählten Anerkennungshindernissen gehört 69

Berentelg, S. 4. So beispielsweise KG Berlin, Beschluss vom 18.  Mai 2006, SchiedsVZ 2007, S.  101: „Aber auch unabhängig von der rechtskräftigen Entscheidung des Volksgericht W. vom 02. Sep. 2004 ist davon auszugehen, dass die Schiedsklausel nach dem maßgeblichen chinesischen Recht unwirksam ist. Hierzu bedurfte es nicht der Einholung eines Gutachtens, denn es liegt bereits eine Entscheidung eines chinesischen Gerichts vor, die der Vorgabe des höchsten chinesischen Gerichts in der konkreten Sache entspricht, sodass keinerlei Veranlassung besteht, anzunehmen, chinesisches Recht sei nicht zutreffend angewandt worden.“; OLG Dresden,­ Beschluss vom 31.01.2007, SchiedsVZ 2007, S. 327, Rn. 31: „Das vorliegende Verfahren zeigt allerdings, dass dem Standpunkt von Schwab/Walter [, dass eine Überprüfung des Aufhebungsakts selber nicht vorgenommen werden solle,] Weisheit innewohnt.“ 71 OLG München, Do Zdravilisce Radenska gegen Kajo-Erzeugnisse Essenzen GmbH, Beschluss v. 13. Febr. 1995, OLG Report München 1995, S. 57. 72 OLG Dresden, SchiedsVZ 2007, S. 327, Rn. 19 ff. 73 KG Berlin, SchiedsVZ 2007, S.  101 ohne tiefergehende Prüfung; Schlosser, Rn.  789;­ Solomon, S.  276: „Bei näherer Betrachtung stellt sich aber heraus, dass die Beachtlichkeit der Aufhebungsentscheidung im Einzelnen alles andere als unzweifelhaft ist. […] Damit geht es hier allein um eine rechtspolitische Frage.“; Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 Rn. 131a;­ Borges, ZZP 111(1998), S. 510 f.; Kröll, Int. Arb. Law Review 2002, S. 171. 70

B. Die deutsche Anerkennungspraxis zu fremdstaatlichen Aufhebungsurteilen 

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beispielsweise die Nicht-Zuständigkeit des entscheidenden Gerichts (Abs. 1), die Verweigerung des rechtlichen Gehörs (Abs. 2) und Verstöße gegen den deutschen ordre public (Abs. 4). Eine doppelte Analogie des § 328 Abs. 1 ZPO läge deshalb vor, weil zum einen ein Schiedsspruch anstatt eines staatlichen Urteils vollstreckt werden soll und zum anderen die Überprüfung sich auf die Aufhebungsentscheidung bezieht, also auf eine Entscheidung, deren Anerkennung und Vollstreckung nicht von den Parteien beantragt worden ist und auch nicht werden kann. Im Folgenden sollen die deutsche Rechtsprechungspraxis und die zivilrechtlichen Literaturansichten zu der Überprüfung von Aufhebungsurteilen dargelegt werden.

I. Rechtsprechung der deutschen Oberlandesgerichte 1. OLG München, Urteil v. 13.02.1995, Az.: 17 U 6591/93 – Kajo-Erzeugnisse Essenzen GmbH v. Zdravilisce Radenska74 Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München zu einem in Jugoslawien erlassenen Schiedsspruch folgt im Wesentlichen dem vorgehenden Urteil des LG München75 und bestätigt die Entscheidung des Parallelverfahrens vor dem österreichischen Obersten Gerichtshofs zum gleichen Schiedsspruch vom 20.10.199376. Die Entscheidungen des LG und des OLG wurden zwar teilweise durch den Bundesgerichtshof mit Urteil v. 03. Juli 1997 aufgehoben, allerdings nur insoweit diese Entscheidungen nicht die vom Antragsgegner erklärte Aufrechnung mit einer Gegenforderung berücksichtigt hatten.77 Mit Vertrag vom 24.11.1970 hatten die Streitparteien vereinbart, dass die österreichische Klägerin der jugoslawischen Beklagten auf unbestimmte Zeit gestattet, auf dem Gebiet Jugoslawiens das Erfrischungsgetränk „Deit“78 herzustellen und zu vertreiben. Für alle Streitigkeiten wurde eine Schiedsklausel in den Vertrag aufgenommen, die ein Schiedsgerichtsverfahren vor der jugoslawischen Wirtschaftskammer in Belgrad vorsah. Bei der Herstellung sollten nur die von der Klägerin gelieferten und aufeinander abgestimmten Rohstoffe und Zutaten verarbeitet werden dürfen. Über diese Verpflichtung gerieten die Parteien in Streit. Der Schiedsspruch v. 16.01.1988 des dortigen Außenhandelsschiedsgerichts sprach der Klägerin wegen Verletzung der Vertragsverpflichtung, für die gesamte Vertragsdauer die von der Klägerin gelieferten Zutaten zu beziehen, Schadensersatz in Höhe v. 30.070.000 ÖS zu.79 74

OLG Report München 1995, 27; Besprechung bei Alfons, S. 108 f. LG München, Az.: 10 O 25588/88, nicht veröffentlicht. 76 Österr. Oberster Gerichtshof, ÖJZ 1994, 513 ff.; dazu Nienaber, S. 71–76. 77 BGH, 3. Zivilsenat, Urteil v. 3. Juli 1997, NJW-RR 1997, S. 1289. 78 Ausführlich zum Hintergrund Nienaber, S. 71. 79 OLG München, OLG Report München 1995, 27, Rn. 4. 75

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

Der Schiedsspruch wurde jedoch mit Urteil vom 03.07.1992 vom Obersten Gericht der noch jungen Republik Slowenien80 aufgehoben, da der Vertrag zwischen den Streitparteien eine monopolähnliche Stellung des Unternehmens Radenska auf dem Gebiet der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens begründet und damit gegen die öffentliche Ordnung Jugoslawiens verstoßen habe.81 Das zur Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs angerufene OLG München, in dessen Gerichtsbezirk Eigentum der Beklagten belegen war, zweifelte schon daran, ob es sich bei dem Obersten Gericht der Republik Slowenien tatsächlich um die für eine Aufhebung eines jugoslawischen Schiedsspruchs „zuständige Behörde“ im Sinne des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen gehandelt habe.82 Es ließ diese Frage aber letztlich unbeantwortet, da es richtigerweise von der Anwendbarkeit des Europäischen Vollstreckungsübereinkommens von 1961 ausging. Die Aufhebung sei schon deshalb nicht anzuerkennen, weil die aufgrund eines ordre public-Verstoßes vorgenommene Aufhebung nicht zu den in Art. IX Abs.  2 Europäisches Übereinkommen genannten zulässigen Vollstreckungshindernissen zählt. Unter Beachtung der Meistbegünstigungsklausel des Art.  VII­ UN-Übereinkommen sei daher die Aufhebung nicht anzuerkennen. Der Schiedsspruch wurde daher anerkannt und für vollstreckbar erklärt.83 2. OLG Rostock, Beschluss v. 29.10.1999, Az.: 1 Sch 3/9984 Das Oberlandesgericht Rostock, in dessen Gerichtsbezirk ein Schiff der Beklagten vorläufig beschlagnahmt worden war, hatte im Jahr 1999 über die Anerkennung und Vollstreckung eines aufgehobenen russischen Schiedsspruchs zu verhandeln. Die Beklagte hatte im Jahr 1997 die Klägerin damit beauftragt, ein Schiff in den russischen Kronstädter Werften instand setzen zu lassen. Als zuständiges Schiedsgericht war im Werkvertrag das „Schiedsgericht der Stadt Moskau“ vereinbart worden. Laut Vertrag sollte nach Fertigstellung der Hälfte der Arbeiten eine Abschlagsumme in Höhe von 1.487.000 Rubel an die Klägerin gezahlt werden. Diese Zahlung wurde jedoch nicht erbracht, weshalb die Klägerin die weiteren Instandsetzungsarbeiten einstellte und die Durchführung eines Schiedsverfahrens vor der Schiedskommission für Schifffahrtsfragen bei der Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation in Moskau beantragte. Das Schiedsgericht gab der Schiedsklage der Antragstellerin in Höhe von 1.171.192,20 Rubel statt. 80 Slowenien hatte sich am 25. Juni 1991 für unabhängig erklärt und am 23. Dezember 1991 eine Verfassung verabschiedet. 81 Zitiert nach OLG München, OLG Report München 1995, S. 27, Rn. 5; Nienaber, S. 72. Das slowenische Gericht beruft sich auf Art. 255 der damaligen Verfassung Jugoslawiens. 82 OLG München, OLG Report München 1995, 27, Rn. 17. 83 OLG München, ibid. 84 OLG Rostock, BetriebsBerater 2000, Beilage Nr. 8 zu Heft 37, 20.

B. Die deutsche Anerkennungspraxis zu fremdstaatlichen Aufhebungsurteilen 

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Der Schiedsspruch wurde jedoch vom städtischen Gericht Moskau mit Gerichtsbescheid v. 12.04.1999 aufgehoben, da die Schiedsklausel nicht zweifelsfrei das zuständige Schiedsgericht bestimmt habe. Im Nachgang wurde diese Entscheidung durch das Gerichtskollegium für Zivilsachen des Obersten Gerichts ­Russlands mit Gerichtsbescheid vom 25.06.1999 bestätigt. Zum Zeitpunkt der Rostocker Entscheidung war allerdings ein weiteres Überprüfungsverfahren vor dem Obersten Gericht der Russischen Föderation anhängig. Das OLG Rostock hat die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs verweigert und das im Rostocker Hafen beschlagnahmte Schiff der Beklagten wieder freigegeben. Die Anerkennung und Vollstreckung richte sich nach § 1061 Abs. 1 ZPO i. V. m. dem UN-Übereinkommen zur Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen. Die Antragstellerin habe zwar alle formellen Voraussetzungen für die Durchführung des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens erfüllt. Der Schiedsspruch sei allerdings nach dem für ihn maßgeblichen russischen Recht nicht „verbindlich“ geworden.85 Die Verbindlichkeit sei mit der Aufhebung entfallen, die ohne Rücksicht darauf anzuerkennen sei, „ob sie nach den Maßstäben für die Anerkennung ausländischer Urteile im Übrigen anzuerkennen wäre“.86 Es komme auch nach Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen nicht darauf an, dass die Aufhebungsurteile selber noch anfechtbar seien. „Dem inländischen Senat [sei] es versagt, einen in Russland von den dort zuständigen Gerichten aufgehobenen Schiedsspruch im Inland für verbindlich zu erklären.“87 Mit Beschluss vom 22.02.2001 hat der Bundesgerichtshof die Entscheidung des OLG Rostock aufgehoben und zurückverwiesen, da die russische Aufhebungsentscheidung bereits am 25.06.1999 durch das Oberste Gericht der Russischen Föde­ ration wieder aufgehoben und an das Moskauer Städtische Gericht zurückverwiesen wurde.88 Letzteres wies den Aufhebungsantrag am 20. März 2000 zurück, sodass der Schiedsspruch letztlich in Russland nicht aufgehoben worden ist. Nach Ansicht des BGH konnte die nachträglich ergangene russische Aufhebungsentscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren entgegen § 1065 Abs.  2 S.  2 i. V. m. § 561 ZPO Berücksichtigung finden. Die entstandene Situation sei mit einer nachträglichen Veränderung der prozessualen Rechtslage bzw. einer von Amts wegen zu prüfenden Veränderung vergleichbar. Zumindest diejenigen Entscheidungen müssten Berücksichtigung finden, die eine vorgreifliche Frage, die für den anhängigen Rechtsstreit entscheidend ist, rechtskräftig klären.89

85

OLG Rostock, BetriebsBerater 2000, Beilage Nr. 8 zu Heft 37, S. 20, Rn. 39. OLG Rostock, ibid. 87 OLG Rostock, id., Rn. 41. 88 BGH, Beschluss vom 22.02.2001, NJW 2001, S. 1730 = MDR 2001, S. 645. 89 BGH, NJW 2001, S. 1730, Rn. 17. 86

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

3. KG Berlin, Beschluss v. 18.05.2006, Az.: 20 Sch 13/0490 Das Kammergericht Berlin hatte im Jahr 2006 über die Anerkennung eines aufgehobenen chinesischen Schiedsspruchs zu entscheiden. Die Streitparteien hatten im Jahr 2000 einen Werkvertrag über den Bau einer Fabrik im chinesischen Wuxi geschlossen. Der Vertrag enthielt eine Schiedsklausel mit folgendem Inhalt: „Arbitration 15.3 ICC Rules, Shanghai shall apply“91. Nachdem im Urteil nicht näher spezifizierte Streitigkeiten aufgetreten waren, wurde die Schiedsbeklagte durch das Schiedsgericht der Internationalen Industrie- und Handelskammer Shanghai durch Schiedsspruch vom 30.03.2004 verurteilt, 4.578.597 RMB sowie 55.000 US$ an die Schiedsklägerin zu zahlen. Dass das Schiedsgericht überhaupt tätig werden konnte, ist bemerkenswert, da die Tätigkeit von institutionalisierten Schiedsgerichten in China generell nicht gestattet ist.92 Das Volksgericht in Wuxi hat den Schiedsspruch mit Beschluss vom 02.09.2004 die Klage der Klägerin auf Feststellung der Wirksamkeit der Schiedsklausel abgewiesen und den Schiedsspruch aufgehoben.93 Die Schiedsklausel sei nach chinesischem Recht unwirksam, da sie die Schiedsinstitution bzw. das Schiedsgericht nicht genannt habe.94 Das Kammergericht Berlin, in dessen Bezirk in Forderungen der Schiedsschuldnerin vollstreckt werden sollte, hat die chinesische Aufhebungsentscheidung gem. § 328 Abs. 1 ZPO anerkannt und damit die Anerkennung des Schiedsspruchs verweigert. Es ging davon aus, dass zwischen Deutschland und China die Gegenseitigkeit gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO verbürgt sei.95 Aufgrund des chinesischen Urteils sei zweifelsfrei bewiesen, dass nach chinesischem Recht die Schiedsklausel unwirksam geschlossen worden sei. Zweifel an dieser Entscheidung sind dennoch angebracht. Denn zum einen handelte es sich bei der Bezugnahme auf eine FIDIC-Rule der ICC um eine international anerkannte Schiedsklausel, zum anderen hatte das Oberste Volksgericht in China im Jahr 1995 eine solche Klausel als ausreichend und wirksam erachtet.

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SchiedsVZ 2007, S. 100–104. Es handelt sich bei der Bezeichnung „15.3“ um eine Standardschiedsklausel nach den Regelungen des FIDIC Green Book zum Schiedsverfahren zum Anlagenbau, wonach ein Einzelschiedsrichter nach den im Appendix genau spezifizierten Verfahrensregelungen entscheiden soll. 92 Darauf verweist Neelmeier in seiner Anmerkung zum Urteil des Kammergerichts, SchiedsVZ 2007, S. 102. 93 Az.: (2004) XMECZ 154, zitiert nach Tatbestand des Urteils des Kammergerichts, SchiedsVZ 2007, S. 101; für eine Vollstreckung im Ausland ist ein solches Feststellungsurteil des chinesischen Gerichts seit Inkrafttreten des New Yorker UN-Vollstreckungsübereinkommens von 1958 nicht mehr erforderlich. 94 Ibid. 95 Zweifelnd Neelmeier, SchiedsVZ 2007, S. 102 ff. 91

B. Die deutsche Anerkennungspraxis zu fremdstaatlichen Aufhebungsurteilen 

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4. OLG Dresden, Beschluss v. 31.01.2007 – 11 Sch 18/05 Dass die deutsche Vollstreckungspraxis nur scheinbar eine stets gangbare Lösung gefunden hat, zeigt sich am Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 31.01.2007.96 Der Fall demonstriert, dass die zurzeit vorherrschende Rechtsansicht an ihre Grenzen stößt, wenn bei der Aufhebung des ausländischen Schiedsspruchs rechtsstaatliche Vorgaben mutmaßlich nicht ausreichend beachtet wurden. a) Streitgegenstand Eine US-amerikanische Handelsgesellschaft belieferte ein weißrussisches Staatsunternehmen mit Pumpen und Rädern für die Produktion von landwirtschaftlichen Maschinen. In die einzelnen Lieferverträge wurde eine Schiedsklausel aufgenommen, die bei Streitigkeiten eine Entscheidung eines weißrussischen Schiedsgerichts der Industrie- und Handelskammer in Minsk vorsah. Auslöser für den Rechtsstreit war ein staatlich angeordnetes Zahlungsmoratorium gegenüber dem USamerikanischen Unternehmen, das angeblich Steuerschulden in Millionenhöhe in Weißrussland gehabt habe. Die US-amerikanische Gesellschaft beantragte daraufhin die Durchführung eines Schiedsverfahrens durch einen aus drei Schiedsrichtern bestehenden ad hoc Spruchkörper der Minsker Industrie- und Handelskammer nach den UNCITRAL-Schiedsverfahrensregeln. Das Schiedsgericht entschied sich gegen die Berücksichtigung des staatlichen Zahlungsmoratoriums und verurteilte die Schiedsbeklagte mit Schiedsspruch vom 12.07.2005 zur Zahlung ausstehender Rechnungen in Höhe von ca. 2,1 Millionen US-Dollar. Der von der weißrussischen Partei bestellte Schiedsrichter zog sich allerdings bereits im Laufe der schiedsrichterlichen Beratungen aus dem Verfahren zurück. Er verweigerte, den Schiedsspruch zu unterschreiben, und trat stattdessen eine Urlaubsreise an. Nachdem sich die Schiedsklägerin aus ihrem Europageschäft zurückgezogen hatte, wurde der Schiedsspruch auf Betreiben des weißrussischen Unternehmens durch das Oberste Weißrussische Wirtschaftsgericht aufgehoben. Die US-amerikanische Gesellschaft behauptete im Dresdener Verfahren in diesem Zusammenhang, eine Ladung zu dem Aufhebungsverfahren habe sie nicht erreicht. Das russische Gericht hob den Schiedsspruch ohne erfolgte Anhörung der Schiedsgläubigerin u. a. deshalb auf, weil nur zwei der drei Schiedsrichter den Schiedsspruch unterschrieben hatten. Das US-amerikanische Unternehmen behauptete hingegen, dass sich die weißrussische Justiz als „dritte Säule der präsidialen Macht“ verstehe und die Entscheidung politisch beeinflusst worden sei.

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Veröffentlicht in SchiedsVZ 2007, S. 327.

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

b) Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in Dresden Da die Schiedsbeklagte ein im Gerichtsbezirk ansässiges Tochterunternehmen besaß, beantragte die Schiedsklägerin nunmehr Anerkennung und Vollstreckung des aufgehobenen Schiedsspruchs beim Oberlandesgericht Dresden. Wie bereits geschildert, kam nach der deutschen Vollstreckungspraxis eine Überprüfung des weißrussischen Aufhebungsurteils bzw. die Anerkennung eines aufgehobenen ausländischen Schiedsspruchs eigentlich nicht in Frage. Allerdings stand die Behauptung der Schiedsklägerin im Raum, bei der Aufhebungsentscheidung habe es sich um eine politische Willkürentscheidung ohne rechtsstaatliches Verfahren gehandelt. Um dieses Problem sachgerecht zu lösen, suchte der erkennende Senat des Oberlandesgerichts eine Möglichkeit, das Aufhebungsverfahren überprüfen zu können und fand eine solche in der Anwendung des Europäischen Vollstreckungsübereinkommens. Zwar sind die USA dem Europäischen Übereinkommen nicht beigetreten. Das Oberlandesgericht wandte jedoch, dem Vorbild des umstrittenen ICSID-Schiedsspruchs Maffezini ./. Spain97 folgend, die völkerrechtliche Meistbegünstigungsklausel eines Handels- und Freundschaftsvertrages zwischen den USA und der Sowjetunion aus dem Jahre 1989 auf den Sachverhalt an, der im Zuge der Staatennachfolge nunmehr auch zwischen den USA und Weißrussland Geltung beanspruchte. Diese sah vor, dass US-Bürger in Weißrussland alle Privilegierungen erhalten sollten, die auch Staatsbürgern einer anderen Nation gewährt werden. Diese Klausel könne man nach Ansicht des erkennenden Dresdener Senats auch auf das Vollstreckungssystem von Schiedssprüchen übertragen. Das Europäische Übereinkommen sei gläubigerfreundlicher als das UN-Übereinkommen und werde von Weißrussland gegenüber den Mitgliedsstaaten auch angewandt. Seine Anwendung in Weißrussland sei daher eine Privilegierung von Staatsangehörigen anderer Staaten. Der bilaterale Freundschaftsvertrag enthalte zudem einen Abschnitt, der sich mit der Schiedsgerichtsbarkeit befasse.98 Die Meistbegünstigungsklausel des Handelsund Freundschaftsvertrages erfasse daher auch Vollstreckungsangelegenheiten. Das Oberlandesgericht sei deshalb verpflichtet, die einzelnen Aufhebungsgründe auf ihre Wirksamkeit nach dem Europäischen Übereinkommen zu überprüfen. Der erkennende Senat sah schließlich in der fehlenden Unterschrift des von der Schiedsgläubigerin bestellten Schiedsrichters einen wirksamen Aufhebungsgrund und damit ein Vollstreckungshindernis, sodass die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs verweigert werden konnte.99 Auf die Frage, ob der 97 Maffezini v. Kingdom of Spain, ICSID Rev. 16 – FILJ 212 (2001); ICSID Rep. 5 (2002), S. 396; ILM 40(2001), S. 1129. 98 OLG Dresden, SchiedsVZ 2007, S. 328. 99 OLG Dresden, id., S. 329 f.; Paulsson, ICC Bulletin 9 (1998/No. 1), S. 14 geht allerdings davon aus, dass dieser Aufhebungsgrund nicht mehr mit den internationalen Standards vereinbar sei.

B. Die deutsche Anerkennungspraxis zu fremdstaatlichen Aufhebungsurteilen 

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Schiedsgläubigerin rechtliches Gehör im Rahmen des Aufhebungsverfahrens gewährt worden sei oder nicht, komme es nicht an, da der Schiedsspruch im Ergebnis zu Recht aufgehoben worden sei.100 c) Fazit Das Oberlandesgericht Dresden vollzog mit der Anwendung der völkerrechtlichen Meistbegünstigungsklausel aus einem Handels- und Freundschaftsvertrag einen bemerkenswerten Schritt, der offenbar dazu gedient hat, den aufgehobenen Schiedsspruch nicht als „rechtliches nullum“ behandeln zu müssen und das Aufhebungsverfahren wenigstens in einem begrenzten Maße überprüfen zu können. Auch wenn es im Ergebnis die Aufhebung trotz des behaupteten unterbliebenen rechtlichen Gehörs letztlich bestätigte, ist das Gericht doch einen begrüßenswerten Kompromiss eingegangen. Das Heranziehen der allein zulässigen Aufhebungsgründe des Europäischen Vollstreckungsübereinkommens half hier, im begrenzten Maße besondere Härten im Rahmen des Aufhebungsverfahrens zu vermeiden. Bemerkenswert ist die Weigerung des Senats, den von der Schiedsklägerin bemängelten Zustand des weißrussischen Rechtssystems in die eigenen Erwägungen mit einzubeziehen. Das deutsche Gericht schloss ausdrücklich eine solche Argumentation aus.101

II. Die deutschen Literaturansichten Während die Rechtsprechung eine ausdrückliche Bezugnahme auf den schwelenden Streit hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 328 Abs. 1 ZPO in den genannten Entscheidungen vermieden hat, findet sich in der zivilrechtlichen Literatur ein weit differenzierteres Meinungsbild. Dabei folgt die sicherlich als herrschend zu bezeichnende Meinung der von der Rechtsprechung vorgegebenen Linie, die auch als territoriale bzw. jurisdiktionell-prozessuale Ansicht bezeichnet werden kann. Sie folgt der dogmatischen Grundthese, dass der Schiedsspruch auf der Grundlage des Verfahrensrechts des Ursprungsstaates erschaffen worden ist und daher seine rechtliche Existenz von diesem Recht abhängig sein muss.102 Diese auch in der internationalen Vollstreckungspraxis vorherrschende Ansicht sieht die Wirksamkeit des Schiedsspruchs gekoppelt an die Rechtsordnung des Sitzstaates bzw. des Staates, nach dessen Recht der Schiedsspruch ergangen ist. Die Aufhebung in einem anderen Staat als dem Sitzstaat ist folgerichtig nach Art. V Abs. 1 lit. e) 100

OLG Dresden, ibid. OLG Dresden, id., S.  328; im Gegensatz dazu haben in den Yukos-Fällen die jeweiligen niederländischen und englischen Gerichte die Ansicht vertreten, es sei ausreichend, dass die rechtsstaatliche Situation des Ursprungsstaats zumindest zweifelhaft sei, siehe dazu infra Kap. 1. C. II. 2. f). 102 So z. B. Kronke, RIW 1998, S. 257 (261); Zöller-Geimer, § 1043 Rn. 1. 101

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

UN-Übereinkommen für das Vollstreckungsverfahren unerheblich.103 Der Sitzstaat verleihe durch die gesetzlichen Regelungen zur Schiedsgerichtsbarkeit dem Schiedsgericht judikative Kompetenzen. Das Schiedsgericht nehme daher, überspitzt formuliert, staatliche Aufgaben wahr und die Entscheidung sei daher an die Rechtsordnung des Sitzstaates gekoppelt. Ein anderer Erklärungsansatz liegt darin, dass die Privatautonomie nichts anderes sei als die staatliche Ermächtigung Privater zur Rechtssetzung.104 Wenn ein Privater also einen Schiedsvertrag vereinbart, dann geschehe das nur aufgrund der Tatsache, dass der Staat seinem Bürger diese Privatautonomie zugestehe. Die internationale Wirksamkeit des Schiedsspruchs sei daher akzessorisch zu der Wirksamkeit, die die Rechtsordnung des Ursprungsstaates ihm zubillige. Wird der Schiedsspruch durch die nach dieser Rechtsordnung zuständigen Stelle aufgehoben, dann verliere der Schiedsspruch dadurch seine rechtliche Existenz, er werde zum „rechtlichen nullum“. Und da ein rechtliches nullum nicht vollstreckt werden könne („Ex nihilo nil fit“), sei der Schiedsspruch für das Vollstreckungsgericht nicht mehr verwertbar. Bereits 1971 hat beispielsweise Bülow vertreten, dass die Wirksamkeit eines ausländischen Schiedsspruchs nach den allgemeinen anerkannten Regelungen des Internationalen Privatrechts nur nach seinem „Heimatrecht“ beurteilt werden dürfe.105 Der deutsche Richter müsse zwar das Vorliegen von Vollstreckungshindernissen selbständig prüfen. Die Anerkennungsverweigerung sei eine „realistische Folge“ der Aufhebung, da ein „nullum nicht anerkannt und auch nicht vollstreckbar erklärt werden [könne]“106. Hervorzuheben ist die Deutlichkeit, mit der Schwab/Walter dieser Ansicht folgen.107 Die Aufhebung richte sich ganz nach dem Recht des Ursprungsstaats. Es sei daher „gleichgültig, in welchem dort zulässigen Verfahren sie geschehen [sei]“. Es komme auch nicht auf die Frage an, ob Urteile des fremden Staates im Übrigen (§§ 328, 723 ZPO) in Deutschland anerkannt werden könnten. Wenn der fremde Schiedsspruch Grundlage eines deutschen Verfahrens sein solle, so sei notwendigerweise alles zu beachten, was sich aus dem ausländischen Recht über den Bestand des Schiedsspruchs ergebe. Demgemäß betont Aden, dass im Falle einer Aufhebung im Ursprungsstaat der inländische Richter im Rahmen des UNÜ die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs 103

Solomon, S.  143; Stein/Jonas/Schlosser, Anh. § 1061 Rn.  131a; Schlosser, Rn.  789;­ Gottwald, in: Münch Komm ZPO, IZPR, B  6a (UNÜ), Art.  5 Rn.  41; Haas, in: Weigand (Hrsg.), A Practitioner’s Handbook on Intern’l Arbitration, Art. V Rn  88; van den Berg, New York ­Arbitration Convention, S.  350; Bertheau, S.  97; Fouchard/Gaillard/Goldman/Savage, S. 993 Rn. 1687; Bredin, JDI 1960, S. 1024; Robert, Rev. de l’Arbitrage 1958,S. 79 f. 104 Busche, S. 18; Höfling, S. 11 ff.; Heller, S. 30; ablehnend Rehm, S. 15 u. 133. 105 Bülow, NJW 1971, S. 486 (489). 106 Ibid. 107 Schwab/Walter, Kap. 42 Rn. 35.

B. Die deutsche Anerkennungspraxis zu fremdstaatlichen Aufhebungsurteilen 

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grundsätzlich verweigern wird, „und zwar selbst dann, wenn er selbst aufgrund des anwendbaren Rechts zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die ausländische [Aufhebungs-]Entscheidung unrichtig ist“.108 Voit109 stellt auf die Verbindlichkeit des Schiedsspruchs ab und erklärt, im Falle der Aufhebung sei der Schiedsspruch nicht mehr verbindlich und könne daher auch nicht vollstreckbar erklärt werden. Diese müsse unabhängig davon gelten, ob § 328 ZPO die Anerkennung des aufhebenden Urteils zulasse, denn andernfalls „wäre ein Schiedsspruch in Deutschland vollstreckbar, obwohl er im Heimatstaat nicht vollstreckbar ist“. Die auch als internationalistische Ansicht bezeichnete Gegenmeinung will hingegen die Aufhebungsentscheidung über § 328 Abs. 1 ZPO überprüfen. Viele Autoren gehen in diesem Zusammenhang davon aus, dass der Schiedsspruch aufgrund des Vertrages zwischen den Schiedsparteien, also eines Aktes der Privatautonomie von der staatlichen Rechtsordnung des Ursprungsstaates abgekoppelt worden ist und daher durch die Aufhebung nicht unbedingt seine rechtliche Existenz verlieren muss. So gehen Schütze110 und Schlosser111 zwar von einer grundsätzlichen Verbindlichkeit der Aufhebungsentscheidung für den deutschen Richter aus. Dieser müsse zuvor jedoch überprüfen, ob die Erfordernisse des § 328 Abs. 1 ZPO für das ausländische Urteil erfüllt seien. Für die deutsche Rechtsordnung sei es unerträglich, dass der Sieger des Schiedsverfahrens seine Rechte verlöre, „ohne dass rechtsstaatliche Garantien eingehalten worden wären, auf die in § 328 ZPO Wert gelegt wird“. Dem stimmt Geimer zu, der auf die Rechtsnatur des Schiedsspruchs abstellt.112 Dieser sei wegen seines Fundaments in der Parteiautonomie soweit von der Rechtsordnung des Heimatstaates abgenabelt, dass es „erklärbar [sei], dass wir – entgegen dem Schiedsverfahrensstatut – den Schiedsspruch (noch) als existent betrachten (weil wir das Aufhebungsurteil nicht anerkennen) und zum Gegenstand der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung im Inland machen“. Ahrendt weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜbereinkommen zwar den Vollstreckungsstaat berechtige, nicht aber verpflichte, das fremdstaatlichen Urteil anzuerkennen.113 Daher sei eine Anwendung des § 328 ZPO angemessen, um dieses Ermessen auszufüllen. 108

Aden, 8. Kap. Rn. 10. Musielak-Voit, ZPO, 4. Auflage (2005), § 1061 Rn. 5. 110 Schütze, in: Wieczorek/ders., ZPO-Komm., § 1044 Rn. 20; ders., Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit 3 (1989), S. 118 (121). 111 Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, § 1044 Rn. 13, 15, 71. 112 Geimer, Rn. 3903; ähnlich Radicati di Brozolo, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration – The Next Fifty Years, S. 83, der auf den Widerspruch hinweist, dass die Annullierung eines Schiedsvertrages durch ein ausländisches Gericht stets überprüft wird, die Aufhebung eines Schiedsspruchs jedoch nicht. 113 Ahrendt, S. 119. 109

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

Ebenso gehen Borris/Hennecke in ihrer von der deutschen Rechtsordnung losgelösten Analyse des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommens davon aus, dass das Vollstreckungsgericht über ein Ermessen bei der Entscheidung über die Anerkennung und Vollstreckung eines aufgehobenen Schiedsspruchs verfüge.114

C. Die „Gretchenfrage“ der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit I. Die Aufhebung als anerkennungsbedürftiger fremdstaatlicher Hoheitsakt? Das beschriebene Rechtsproblem findet sich nicht nur in der deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungspraxis, sondern tritt naturgemäß aufgrund der völkervertraglichen Grundlage auch in den meisten anderen Staaten auf. Genauso wie in der deutschen Literatur wird versucht, eine dogmatische Lösung zu finden. Dabei kann man das Problem aus zivilrechtlicher oder völkerrechtlicher Warte aus betrachten. Nimmt man eine völkerrechtliche Herangehensweise an, fällt zunächst die strukturelle Ähnlichkeit zu einem fremdstaatlichen Enteignungsakt auf. Die fremdstaatliche Aufhebung eines Schiedsspruchs ist letztlich nichts anderes als ein fremdstaatlicher Hoheitsakt, der seinerseits anerkannt werden muss, um Rechtswirkungen im Vollstreckungsstaat entfalten zu können. Er ähnelt daher einer fremdstaatlichen Enteignungsmaßnahme. In beiden Fällen beschließt ein ausländischer Staat, eine Eigentumsposition zu entziehen. Im Falle des aufgehobenen Schiedsspruchs handelt es sich um die Entziehung einer titulierten Forderung, im Falle der typischen Enteignungsmaßnahmen um die Entziehung von Eigentumsrechten an einem Unternehmen oder Immobilien. Betrachtet man jedoch die internationale Literatur und Rechtsprechung, fällt eine Diskrepanz zwischen der Bewertung von aufgehobenen Schiedssprüchen einerseits und eigentumsrelevanten Maßnahmen wie Enteignungsmaßnahmen andererseits auf. Dabei ist bei dieser Betrachtung nicht so sehr das Ergebnis entscheidend, da in vielen Bereichen die fremdstaatliche Entscheidung im Vollstreckungsstaat akzeptiert wird, sondern die Herangehensweise des jeweiligen Gerichts, das vor das Problem gestellt wird, ob die fremdstaatliche Maßnahme im eigenen Land Rechtswirkungen entfalten soll oder nicht. Im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit besteht auf internationaler Ebene die starke Tendenz, den fremdstaatlichen Aufhebungsakt ungeprüft zu übernehmen und damit den Schiedsspruch als „rechtliches nullum“ zu betrachten. Im Bereich von fremdstaatlichen Enteignungsakten hingegen ist eine klare Tendenz zu beobachten, den jeweiligen Enteignungsakt zumindest auf seine Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht zu untersuchen. 114 Borris/Hennecke, in: Wolff (Hrsg.), New York Convention, Art. V Rn. 5, 351: „It should be noted that Art. V (1) uses the language ‚may be refused,‘ thereby rendering all these three defenses not absolute but dependent on the courts discretion.“

C. Die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit

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Bezogen auf die private Schiedsgerichtsbarkeit betrifft dieser Konflikt, wie mit dem fremdstaatlichen Hoheitsakt zu verfahren ist, einen Meinungsstreit, der, oft als „Gretchenfrage der Schiedsgerichtsbarkeit“ bezeichnet,115 auch  – natürlich grob vereinfacht  – als Konflikt zwischen einer eher zivilrechtlichen Sichtweise einerseits sowie einer öffentlich-rechtlichen bzw. völkerrechtlichen Sichtweise andererseits verstanden werden kann. Auf einen Satz reduziert lautet die Kernfrage: Ist das Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht unter allen Umständen gezwungen, einen im Ausland aufgehobenen privaten Schiedsspruch als nicht-existent, somit als „rechtliches nullum“ zu betrachten, auch wenn das fremdstaatliche Aufhebungsverfahren von rechtsstaatlichen Grundsätzen oder völkerrechtlichen Vorgaben erheblich abgewichen ist? Der anhaltende Meinungsstreit wird dadurch verschärft, dass im kontinentaleuropäischen Rechtskreis das Zivilrecht und das Öffentliche Recht im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung privater Schiedssprüche parallel nebeneinander Anwendung finden müssen. Schiedsvertrag und das schiedsgerichtliche Verfahren selbst werden im Allgemeinen zivilrechtlich als Ausfluss der Privatautonomie verstanden, die durch den jeweiligen Staat für die Verfahren auf dem eigenen Territorium durch die eigene Rechtsordnung garantiert wird.116 Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren ist als Prozessrecht eigentlich dem Öffentlichen Recht zuzuordnen und ebenfalls durch das eigene Verfassungsrecht beeinflusst. Es ist aber entgegen dieser Zuordnung aufgrund der größeren Sachnähe in den meisten Staaten als Parteienprozess vor den Zivilgerichten ausgestaltet. Das Vollstreckungsverfahren ist schließlich nicht nur völkervertraglich geregelt, sondern unterliegt, von zivilgerichtlicher Seite oft nicht ausreichend berücksichtigt, im gleichen Maße den Regeln des übrigen Völkerrechts. Man muss an dieser Stelle klarstellen, dass dieser Konflikt nach deutschem Verständnis der innerstaatlichen Normenhierarchie eigentlich gar nicht dauerhaft Bestand haben sollte. Das Verfassungsrecht und gem. Art.  25 GG auch die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehen als höherrangiges Recht dem Zivilprozessrecht vor. Die von Beitzke117 noch in den 60er Jahren vertretene These, dass Maximen des Grundgesetzes nur die zivilrechtlichen Wirkungen aufweisen sollen, welche sich die deutsche Privatrechtsordnung durch die Regelungen des IPR gesetzt hat, ist verfassungsrechtlich unhaltbar. Der Gesetzgeber kann durch einfaches Gesetz nicht den Anwendungsbereich des Grundgesetzes festlegen.118 Trotzdem ist die hier zu behandelnde Spannungslage im Bereich der privaten Schiedsgerichtsbarkeit latent vorhanden und könnte kaum tiefergehender sein, da sie auf beiden Seiten dogmatische Bereiche berührt. 115

Sandrock, FS Stoll, S. 661 (663); Nienaber, S. 5. Dazu schon Heller, S. 39 ff. (insbesondere auch zum österr. Recht); Rehm, S. 12 ff. 117 Beitzke, S.  34; zum Problemkreis der verfassungskonkretisierenden Gesetzgebung ausführlich Gellermann, S. 90 ff. 118 So richtigerweise auf die Aussage von Beitzke bezogen Heller, S. 7. 116

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

Die beiden Autoren van den Berg und White, die im Folgenden stellvertretend für unterschiedliche juristische Denkmuster zitiert werden sollen, zeigen dabei besonders deutlich die tiefe Kluft zwischen den juristischen Argumentationssträngen. 1. Die „territoriale“ Theorie „The disregard of annulment of the award also involves basic legal concepts. When an award has been annulled in the country of origin, it becomes non-existent in that country. The fact that the award has been annulled implies that the award was legally rooted in the arbitration law of the country of origin. How then is it possible that courts in another country can consider the same award as still valid? Perhaps some theories of legal philosophy may provide an answer to that question, but for a legal practioner this phenomenon is inexplicable.“ Albert Jan van den Berg, in: Lillich/Brower (Hrsg.), International Arbitration in the 21st Century, S. 133, 161.

Van den Berg, der als einer der bekanntesten Autoren zur Schiedsgerichtsbarkeit nahezu willkürlich aus einer schier überwältigend großen Anzahl von Autoren herausgegriffen worden ist, steht hier als Sprecher für die herrschende Sichtweise des Zivilrechts und damit auch stellvertretend für viele nationale Vollstreckungsgerichte. Er ist ersichtlich bemüht, die Ordnungsfunktion des schiedsgerichtlichen Verfahrens zu schützen, also insbesondere doppelte Schiedssprüche in einer Rechtssache zu verhindern.119 Es geht ihm also vor allen Dingen um den Aspekt der Rechtssicherheit für die Schiedsparteien. Der Schiedsschuldner soll darauf vertrauen dürfen, dass er mit der Aufhebungsentscheidung im Ursprungsstaat einen letzten Verfahrensschritt vollzogen hat. Er soll nicht dem Risiko ausgesetzt werden, in jedem möglichen Vollstreckungsstaat erneut mit gleichen Argumenten das eigene Vermögen vor dem Vollstreckungszugriff schützen zu müssen.120 Das Schiedsverfahren ist für van den Berg unmittelbar in dem nationalen Recht des Sitzstaates verwurzelt, sodass ein Abweichen von der fremdstaatlichen Aufhebungsentscheidung aus seiner Sicht vollkommen abwegig erscheint. Die Parteien haben schließlich mit ihrer vertraglichen Vereinbarung nicht nur das anwendbare Verfahrensrecht, sondern auch das Recht bestimmt, nach dem sich die Wirksamkeit der Schiedsabrede selbst bestimmt.121

119 Paulsson, American Review of Int’l Arbitration 7 (1996), S. 111 f. wendet ein, dass im internationalen Rechtsverkehr gewisse unstimmige Ergebnisse durch die Unwägbarkeiten bei der Kollision von verschiedenen Rechtsordnungen nicht zu vermeiden sind. Schon der in der Praxis sehr bedeutsame Art. VI UN-Übereinkommen lasse eine solche Unsicherheit stets entstehen. 120 Van den Berg, New York Arbitration Convention, S. 355 f. 121 Sandrock, FS Stoll, S. 669; dagegen wendet Paulsson, ICLQ 32 (1983), S. 51 (59 ff.) ein, dass die Wahl des Schiedsorts oft durch die ICC vorgenommen wird und von einer Wahl durch die Parteien nicht gesprochen werden kann. Lastenouse, Journal of Int’l Arbitration 16 (1999/ No. 2), S. 43 f. weist darauf hin, dass zwischen Schiedsvertrag und Schiedsverfahren oft mehrere Jahre liegen. In dieser Zeit könnte sich das gewählte Rechtssystem erheblich verändern.

C. Die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit

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Van den Berg beweist damit ein Grundvertrauen auf das Funktionieren von fremdstaatlichen Funktionen, dem eine gewisse „Blindheit“ für die staatlichen Verhältnisse im Ursprungsstaat des Schiedsspruchs anhaftet. Diese Einstellung hat er mit vielen deutschen Zivilgerichten gemein: Wie viele andere nationale Gerichte fühlt man sich als deutsches Gericht nicht zuständig, ein Aufhebungsurteil zu überprüfen, denn schließlich sei nicht der staatliche Aufhebungsakt Gegenstand des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens.122 Der Schiedsgläubiger habe nicht beantragt, das Aufhebungsurteil zu vollstrecken, sondern stattdessen nur den aufgehobenen Schiedsspruch. Zudem müsse das fremdstaatliche Gericht selbst doch am besten wissen, warum der betroffene Schiedsspruch nach dem eigenen nationalen Recht aufgehoben werden musste.123 Hinzu kommt die Sorge, dass das Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht nur über ein unangemessenes Verständnis für die Verhältnisse verfügen könne, die der Aufhebungsentscheidung zugrunde liegen. Es riskiere zudem politische Verwicklungen. Es könne nicht nur dazu führen, dass die eigene Entscheidung von der ausländischen Regierung als unhöflicher Akt empfunden wird. Die Verweigerung, die Aufhebungsentscheidung anzuerkennen, könne auch die eigene Regierung in ihrem Bemühen einschränken, freundliche Beziehungen zum ausländischen Staat zu unterhalten.124 Dieser Respekt vor dem Hoheitsakt des fremden Souveräns lässt sich zudem mit einer dem Zivilrecht naheliegenden allgemeinen Risikoabwägung zu Ungunsten des Schiedsgläubigers in Einklang bringen: Wer sich auf ein Schiedsverfahren in einem Staat mit zweifelhafter Rechtskultur einlässt, der müsse auch damit rechnen, dass der zunächst erlangte Schiedsspruch möglicherweise unter Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien von staatlicher Seite wieder aufgehoben wird.125 Es mag bei diesen Überlegungen auch die Sorge mitschwingen, diplomatische Verwicklungen zu riskieren, wenn der fremdstaatliche Aufhebungsakt Gegenstand einer gerichtlichen Untersuchung wird. Die Anerkennung des fremden Aufhebungsaktes kann sich zudem auf eine nunmehr 100-jährige internationale Rechtstradition berufen, die das nationale Recht des Ursprungsstaats stärkt und ihm extraterritoriale Wirkung beimisst: In den meisten Staaten führt die Aufhebung eines Schiedsspruchs 122 Radicati di Brozolo, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration – The Next Fifty Years, S. 87: „[…] albeit without being required to do so under the Convention, States tend almost a priori to refuse to recognize or enforce awards annulled at the seat, thereby according considerable deference to foreign annulment judgment.“ 123 KG Berlin, Beschluss v. 02. Mai 2006, Az.: 20 Sch 13/04, SchiedsVZ 2007, S. 100 für einen durch ein chinesisches Volksgericht aufgehobenen Schiedsspruch. 124 So noch das House of Lords [Lord Cross of Chelsea], Judgment of 13.12.1973, Oppen­ heimer v Cattermole [1976] AC 249 (277 f.): „[A judge] may have inadequate understanding of the circumstances in which the legislation was passed. His refusal to recognise it may be embarrassing to the executive, whose function is so far as possible to maintain friendly relations with foreign states.“ 125 Radicati di Brozolo, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration, The Next Fifty Years, S. 95: „In any event, where, as is true in most cases, the seat has been agreed by the parties (directly or indirectly), there is an arguable case that the choice was made also relying on local annulment standards.“

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

im Ursprungsstaat zu einem Vollstreckungshindernis  – der Schiedsspruch wird nach zivilrechtlicher Lesart zu einem „rechtlichen nullum“, ohne dass diese Folge kritisch hinterfragt wird. Aus rechtspolitischer Sicht darf nicht außer Betracht gelassen werden, dass die Nichtanerkennung einer Enteignungsmaßnahme bzw. einer staatlichen Aufhebung eine gewisse Unsicherheit für die eigenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen bedeutet. Besonders deutlich wird dies bei der Frage, ob fremdstaatliche Enteignungsakte stets akzeptiert werden sollten. Erkennt man solche Enteignungsakte an, führt dies zwangsläufig zu einer Behinderung der Wirtschaftsbeziehungen zu dem enteignenden Staat. Verweigert man beispielsweise einer völkerrechtswidrigen Enteignung von Kaffeeplantagen in Zimbabwe die Anerkennung, so werden sich zwangsläufig die Kaffeeimporte aus diesem Staat reduzieren, wenn für die Importeure die Gefahr besteht, einen wirtschaftlichen Schaden zu nehmen. 2. Die „internationalistische“ Theorie „Of course there are many unsettled areas of international law, as there are with domestic law, and these areas present sensitive problems of accommodating the interests of nations that subscribe to divergent economic and political systems. It may be that certain nationalizations of property for a public purpose fall within this area. […] But none of these considerations relieve a court of the obligation to make an inquiry into the validity of the foreign act, none of them warrant a flat rule of no inquiry at all.“ Justice White, U. S. Supreme Court, Judgment of 23rd March 1964, Banco National de Cuba v Sabbatino (1964), Dissenting Opinion, 376 U. S. 458–9.126

Ganz entgegengesetzt zur gerade beschriebenen Stellungnahme van den Bergs steht die Ansicht des U. S.-amerikanischen Richters White, dem hier abgenötigt werden soll, die Prinzipien des Öffentlichen Rechts und Völkerrechts zu vertreten. In dem von ihm zu behandelnden Fall ging es zwar nicht um einen aufgehobenen Schiedsspruch, sondern um einen rechtsstaatlich fragwürdigen Enteignungsakt auf Kuba. In beiden Fällen geht es aber letztlich um den fremdstaatlichen Entzug von Eigentumspositionen und die Frage der Anerkennung eines fremden Hoheitsaktes durch die eigene Rechtsordnung. 126 In dem Fall Sabbatino ging es um völkerrechtswidrige, da entschädigungslose Enteignung der US-amerikanischen Gesellschaft Compania Azucarera Vertientes-Camaguey de Cuba (CAV) während der kubanischen Revolutionswirren. Die US-Gesellschaften hatten auf Kuba Zucker produziert, dessen Verkaufserlöse nach der Enteignung an den gerichtlich bestellten kommissarischen Verwalter der Vermögenswerte der CAV, Sabbatino, in den USA ausbezahlt wurden. Das kubanische Staatsunternehmen Banco Nacional de Cuba forderte die Herausgabe des Erlöses. Der Supreme Court entschied, dass er aufgrund der anglo-amerikanischen Act of State-Doktrin daran gehindert sei, den kubanischen Enteignungsakt zu überprüfen, weshalb er als wirksam zu betrachten sei. Aufgrund dieser Entscheidung erging wenig später das­ Hickenlooper-Amendment, das die US-Gerichte dazu verpflichtete, in Enteignungsfällen die Act of State-Doktrin nicht mehr anzuwenden.

C. Die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit

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Auch White hat den Schutz der nationalen Rechtsordnungen im Sinn, er will allerdings hauptsächlich die eigene, US-amerikanische Hoheitssphäre schützen. Ein fremdstaatlicher Akt, der Auswirkungen auf das eigene Staatsgebiet habe, müsse jederzeit überprüfbar sein und sollte auch von den eigenen Gerichten überprüft werden. White wendet sich damit gegen die bisherige Lesart der durch die anglo-amerikanische Rechtsprechung entwickelten Act of State-Doktrin, die sich aus Gründen der zwischenstaatlichen Höflichkeit, aber auch aus Gründen der Gewaltenteilung gegen die Überprüfbarkeit fremdstaatlicher Akte stellt. White selbst bezweckt mit diesem Protest vor allem den Schutz des Enteigneten. Warum sollte die eigene Rechtsordnung eine potentiell vorhandene Verletzung von Eigentumsrechten, noch dazu begangen durch einen fremden Hoheitsträger, ohne Überprüfung des eigentlichen Enteignungsaktes auf dem eigenen Territorium Wirksamkeit verleihen? Noch weiter könnte man fragen: Warum sollte der Vollstreckungsstaat einen potentiell völkerrechtswidrigen Akt ohne weitere Nachprüfung akzeptieren? Dieser Ansicht liegt ein Misstrauen gegenüber dem fremdstaatlichen Hoheitsakt zu Grunde. Letztlich kann nur ein Überprüfungsverfahren davor schützen, dass ein fremdstaatlicher Machtmissbrauch auf dem eigenen Territorium Wirksamkeit entfalten kann. Aus rechtspolitischer Sicht muss hier noch hinzugefügt werden, dass ein Misstrauen gegenüber der fremdstaatlichen Gerichtsbarkeit einer der wesentlichen Gründe für Schiedsgerichtsklauseln ist.127 Die Bedeutung der privaten internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit ist in den vergangenen Jahrzehnten beständig gewachsen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geht davon aus, dass „im internationalen Wirtschaftsverkehr […] die Schiedsgerichtsbarkeit eine Gerichtsstandswahl weitgehend verdrängt“128 hat, damit also internationale Handelsstreitigkeiten im großen Maße der nationalen Gerichtsbarkeit entzogen sind. Insbesondere im internationalen Handel, der Schifffahrt sowie im Anlagenbau129 sind Schiedsverfahren der primäre Streiterledigungsmechanismus.130 Diese Entwicklung ist nicht zuletzt dem mangelnden Vertrauen in die Neutralität der staatlichen Gerichte geschuldet. Wenn man nun die fremdstaatliche Aufhebung ungeprüft akzeptiert, bedeutet dies ein erhebliches Risiko für die betroffenen, 127 Reisman, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration – The Next Fifty Years, S. 19: „Modern governments encourage their citizens to engage foreign economic activities but the prospect of their having to litigate in foreign courts could deter them from engaging in foreign ventures. And not without reason: many national courts lack independence, impartiality or high levels of some legal skills.“ 128 Informationsschrift des Bundesministeriums für Wirtschaft, http://www.ixpos.de/unter dem Punkt „Schiedsgerichte“. 129 Nach einer Umfrage unter den 150 umsatzstärksten Unternehmen des Verbandes Deutscher Maschinen – und Anlagenbau e. V. (VDMA) gaben 91,6 % der befragten Unternehmen an, typischerweise in internationalen Verträgen eine Schiedsklausel zu verwenden (zitiert in: Lachmann, Rn. 96, 102). In jüngster Vergangenheit wird versucht, spezielle Verfahrensregeln für dieses Gebiet zu etablieren (sog. FIDIC-Rules). 130 Schwab/Walter, Kap. 41 Rn. 1.

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oftmals deutschen Unternehmen, die potentiell von dem aufhebenden Staat so in ihrer Rechtsdurchsetzung dauerhaft blockiert werden können. Es ist keinesfalls so, dass man von einer Neutralität fremdstaatlicher Gerichte automatisch ausgehen könnte. Es besteht ganz im Gegenteil Einigkeit darin, dass ein Schiedsverfahren zumindest da vorteilhaft ist, wo eine fremde Gerichtsbarkeit in Frage kommt.131 Lionnet132 geht dahingehend noch weiter und unterstreicht, dass für die Parteien die Wahl der Schiedsgerichtsbarkeit oft nicht nur sinnvoll, sondern geradezu zwingend erforderlich ist, da es praktisch keine Alternative dazu gebe. Staatliche Richter seien zwar als unparteiisch anzusehen, neutral seien sie aber gerade in wirtschaftlich bedeutenden Verfahren meistens nicht.133 Der US Supreme Court hat im Jahr 1974 im Fall Scherk v. Alberto Culver134 die Schiedsgerichtsklausel im internationalen Handel als eine „almost indispensable precondition“ bezeichnet. Er folgte damit der bereits 10 Jahre zuvor geäußerten Ansicht E. J. Cohns135, der diese fehlende Neutralität auf den Punkt gebracht hatte: „Can we really expect a judge born, bred and residing in such a small town to be entirely impartial in a dispute in which the decision may result in taking the bread out of the mouths of hundreds of his fellow townsmen, since it affects the existence of the town’s only large industrial firm?“

II. Die internationale Vollstreckungspraxis zu aufgehobenen Schiedssprüchen 1. Uneinheitliche Vollstreckungspraxis und „forum shopping“ Wenn durch das New Yorker UN-Übereinkommen dem Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat ein Ermessen eingeräumt wird, ob er ein Vollstreckungshindernis als wesentlich für seine Rechtsordnung ansehen will oder nicht, ist damit auch die Grundlage für eines der grundlegenden Probleme der Internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit gelegt, nämlich eine international uneinheitliche Vollstreckungspraxis, die von Staat zu Staat variieren kann.136 Für einen multi­ 131

Schwab/Walter, ibid. Lionnet, S. 44. 133 Lelutiu, Am. Rev. Int’l Arb. 14 (2003), S. 345 (351); Lachmann, Rn. 120 ff. zweifelt hingegen aber schon aufgrund des üblichen Auswahlverfahrens an, dass vom benannten Schiedsrichter eine neutrale Entscheidung getroffen werden könne. Dies werde aber in der Praxis nicht als problematisch angesehen. 134 Supreme Court of the United States, Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U. S. 506, Entscheidung v. 17.06.1974. 135 Cohn, ICLQ 1965, S. 133 (134). 136 Auch wenn man hier annimmt, dass Art. V Abs. 1 UNÜ dem Richter im Anerkennungsund Vollstreckungsverfahren ein Ermessen versagt, führt alleine schon die ordre public-Klausel des Art. V Abs. 2 UNÜ zu einer uneinheitlichen Vollstreckungspraxis, dazu Lastenouse, Journal of International Arbitration 16 (1999/No. 2), S. 35: „[…] inconsistent decisions are inherent in 132

C. Die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit

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national agierenden und in verschiedenen Staaten über vollstreckbares Eigentum verfügenden Vollstreckungsschuldner bedeutet das, dass trotz der Aufhebung eines gegen ihn ergangenen Schiedsspruchs im Ursprungsstaat dieser Schiedsspruch je nach Vollstreckungspraxis in verschiedenen anderen Staaten noch vollstreckt werden kann. Der Schiedsgläubiger kann sich den Staat mit der für ihn erfolgversprechendsten Vollstreckungspraxis heraussuchen und dort die Vollstreckung beantragen. Es ist also ein „forum shopping“ auf der Vollstreckungsebene möglich und zur Rechtsdurchsetzung aus anwaltlicher Sicht sogar notwendig und geboten. Gegen das sogenannte „forum shopping“ auf der Ebene des Erkenntnisverfahrens ist viel geschrieben und legislativ geregelt worden.137 Viele haben diese Möglichkeit, Grundsätze der eigenen Rechtsordnung zu umgehen, mit guten Gründen als nicht besonders wünschenswert bezeichnet und sahen den Vertrauensschutz des Beklagten verletzt. Auch für die Handelsschiedsgerichtsbarkeit wird nicht ohne Berechtigung argumentiert, dass die unterschiedliche Vollstreckungspraxis zu so einer Unvorhersehbarkeit und Unsicherheit führt, die das UN-Übereinkommen gerade verhindern will.138 Schon im Vergleich zwischen staatlichen Verfahren und der Schiedsgerichtsbarkeit ist aber augenscheinlich, dass die normalerweise gegen das „forum shopping“ ins Feld geführten Argumente für die Wahl des Schiedsgerichts keine Gültigkeit beanspruchen können, da sich die beiden Parteien normalerweise ausdrücklich auf einen Schiedsort geeinigt haben.139 Einem „forum shopping“ auf Vollstreckungsebene können diese grundsätzlichen Bedenken ebenso nicht ohne weiteres entgegengebracht werden.140 Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Nicht nur ist es gerade die weltweite Vollstreckbarkeit und Verkehrstauglichkeit eines Schiedsspruchs, der die Handelsschiedsgerichtsbarkeit zu einer vorzugswürdigen Alternative zur staatlichen ordentlichen Gerichtsbarkeit macht. Das „forum shopping“ auf der Vollstreckungsebene ist gerade eines der the system of the New York Convention and will continue to exist even if one adopts the rule that annulled awards may never be enforced.“; ebenso Shen, S. 151; Youssef, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration – The Next Fifty Years, S. 114 f. 137 Einen Überblick zu den legislative Bemühungen in den USA und der EU bietet beispielsweise Ferrari, in: Ders. (Hrsg.), Forum Shopping, S. 1 ff.; Reisman, in: van den Berg (Hrsg.), id., S. 19 f. argumentiert sogar, dass die Möglichkeit des „forum shopping“ auf der Erkenntnisebene oft dazu führt, dass sich die Parteien der Schiedsgerichtsbarkeit zuwenden. 138 Haas, in: Weigand (Hrsg.), Practitioner’s Handbook on International Arbitration, S. 401; Shen, S. 96. 139 Zu diesem Aspekt ausführlich De Ly, in: Ferrari (Hrsg.), Forum Shopping, S. 53 ff.; Shen, S. 77 f. hebt hervor, dass die Identifikation des Sitzstaats durch ein mit elektronischen Medien geführtes Schiedsverfahren erheblich erschwert werden kann. Die neuen Telekommunikationsmedien steuerten auf diese zu einer Auflösung der Grenzen nationaler Rechtsordnungen bei und böten neue verstärkte Möglichkeiten des „forum shopping“. 140 Lastenouse, Journal of International Arbitration 16 (1999/No. 2), S. 35: „However, this is not generally perceived as a problem, even though it is a source of disparity of treatment of the awards at the international level.“

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Ziele des UN-Übereinkommens.141 Das Vollstreckungsverfahren ist zudem streng akzessorisch zum Standort des vollstreckbaren Vermögens des Schuldners. Befindet sich das Vermögen nur in einem Staat, kann nur in diesem vollstreckt werden. Der Schiedsschuldner kann sich also nicht darauf berufen, dass das Vollstreckungsverfahren mit unbilligen Härten verbunden sei, da er sich – anders als bei einem­ „forum shopping“ im Erkenntnisverfahren – auf eine Vollstreckung einstellen kann. Wie die Fälle Hilmarton und Putrabali gezeigt haben, führt die Möglichkeit, die unterschiedlichen Rechtssysteme zur Vollstreckung von aufgehobenen Schiedssprüchen zu nutzen, oftmals zu Verwerfungen und mehreren Schiedssprüchen in einem Rechtsstreit.142 2. Die Anerkennungs- und Vollstreckungspraxis in anderen Staaten a) Frankreich Frankreich hat einen etwas radikaleren Weg zur Lösung des beschriebenen Problems gefunden und lässt ausländische Schiedssprüche nach dem vollstreckungsfreundlicheren autonomen französischen Recht stets vollstrecken. Die internationalistische bzw. materiell-rechtliche Ansicht, die der französischen Vollstreckungspraxis zugrunde liegt, sieht die Vollstreckung des Schiedsspruchs als Durchsetzung des Schiedsvertrages, der losgelöst von der Rechtsordnung des Sitzstaates des Schiedsgerichts existiert. Die Parteien haben ihn durch Schiedsvertrag von der staatlichen Gerichtsbarkeit losgelöst.143 Grundlage des Schiedsgerichts ist die Entscheidung der Parteien, dass der Schiedsspruch für sie verbindlich sein soll. Die Schiedsgerichtsbarkeit sei qualitativ anders, ein gesondertes Rechtsschutzsystem und nicht etwa mit dem staatlichen Instanzenzug vergleichbar.144 Nach dem Willen der Parteien ist der Schiedsspruch der Abschluss des Rechtsstreits. Die Aufhebungsentscheidung sei daher etwas qualitativ anderes als ein Rechtsmittel gegen eine staatliche Entscheidung. Bei der Aufhebungsentscheidung gehe es um die staatliche Anerkennung des Produkts „Schiedsgerichtsbarkeit“, die im Wege der Privatautonomie losgelöst sei von der staatlichen Gerichtsbarkeit. Die Streitentscheidung sei daher nicht derart in die staatliche Gerichtsbarkeit integriert, dass sich daraus zwangsläufig der Wegfall des Schieds 141

Dazu Di Pietro, in: Ferrari (Hrsg.), Forum Shopping, S. 297 ff.; zur Anwendbarkeit der „Game Theory“ of diesen speziellen Fall des „forum shoppings“ Shen, S. 110 ff. 142 Siehe dazu infra, Kap. 1. C. II. 2. a). 143 So hat die Cour d’appel Paris  – ârret du 21.02.1980, Götaverken ArendalAB v. Libyan General National Maritime Transport Co., in englischer Übersetzung abgedruckt bei: Paulsson, ICLQ 30 (1981), S. 385 ff. – im Falle eines Aufhebungsantrages eines ICC-Schiedsspruches entschieden, dass dieser als internationaler Schiedsspruch nicht der Kontrolle durch die französische Gerichtsbarkeit unterliege. 144 Mit einer Analyse der Literatur bis zurück in die 20er Jahre Solomon, S. 336–338.

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spruchs im Falle seiner Aufhebung ergebe.145 Eine Aufhebung des Schiedsspruchs könne daher nur ein Vollstreckungshindernis in dem aufhebenden Staat bedeuten, nicht aber auf internationaler Ebene.146 Die französische Vollstreckungspraxis schenkt daher auch nach der Reform des Nouveau Code de Procédure Civile von 1981 der fremdstaatlichen Aufhebung überhaupt keine Beachtung. Es ist aber auch zu beobachten, dass insbesondere durch die weltweite Akzeptanz der UNCITRAL-Schiedsregeln, die die Vereinheitlichung der Verfahrensregeln bezwecken, die Idee eines „internationalisierten“ Schiedsspruchs vermehrt Anhänger gewinnt.147 Ein wesentlicher Kritikpunkt gegenüber dieser internationalistischen Ansicht ist, dass es zumindest zweifelhaft ist, ob von der Rechtsordnung des Ursprungsstaates losgelöste, anationale Schiedssprüche tatsächlich dem UN-Übereinkommen von 1958 unterfallen.148 Dieses ist zumindest dem Namen nach nur auf ausländische („foreign“) Schiedssprüche anwendbar. Die New Yorker Konferenz hatte auch ausdrücklich einem Vertragsentwurf der ICC, der eine Internationalisierung der Schiedssprüche vorsah, eine Absage erteilt. Allerdings bleibt unklar, welcher Anwendungsbereich dem Art. 1 Abs. 1 S. 2 UN-Übereinkommen noch bliebe, wenn das Übereinkommen nicht auf „denationalisierte“ Schiedssprüche Anwendung fände.149 Das weitreichendste Problem der französischen Vorgehensweise ergibt sich jedoch aus der Gefahr, dass im Ursprungsstaat ein zweiter Schiedsspruch in der gleichen Sache ergeht und damit es damit zur Doppelvollstreckung kommen kann, wie die beiden nachfolgenden Fälle eindrucksvoll zu demonstrieren vermögen. (1) Hilmarton Ltd. ./. Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV) Der Fall Hilmarton Ltd. ./. Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV)150 ist bereits durch die Literatur mehrfach für das hier zu beschreibende Problem herangezogen worden.151 Das Geschehen zeigt in besonderer Weise die möglichen Kon 145

Solomon, id., S. 514. Solomon, ibid. 147 Atterbury, Virginia Journal of International Law 32 (1991/92), S.  471, Paulsson, ICLQ 32 (1983), S. 53 (58 ff.); Read, American Rev. of Int’l Arbitration 10 (1999), S. 178; Shindler, Law Quarterly Review 102 (1986), S. 500 (502 f.). 148 Van den Berg, New York Convention, S. 20; Lelutiu, American Rev. of Int’l Arbitration 14 (2003), S. 345 (359). 149 Schindler, Law Quarterly Review 102 (1986), S. 500 (504); U. S. Court of Appeals, Ministry of Defense of the Islamic Republic of Iran v. Gould, 887 (9th circuit 1989), F. 2d, 1357 (1364 f.), aufgehoben durch U. S. Supreme Court, S.Ct. 110 (1990), S. 1319. 150 Cour de cassation, (Hilmarton c. OTV), Rev. Arb. 1994, S. 327 und Rev. Arb. 1997, S. 376 (2 Urteile, da zwei Vorinstanzen); High Court of Justice, Rev. Arb. 1999, S. 967 ff. 151 Alfons, S. 86 ff.; Nienaber, S. 54 ff.; Solomon, S. 8 ff. 146

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sequenzen und Risiken der Vollstreckbarkeit eines aufgehobenen Schiedsspruchs auf und steht damit exemplarisch für die Bedenken, die im Eingangszitat von Albert van den Berg zum Ausdruck gekommen sind. (a) Der Streitgegenstand Dem Schiedsverfahren lag ein Geschäftsvermittlungsvertrag mit Schiedsklausel nach schweizerischem Recht zu Grunde. Hilmarton Ltd., eine englische Beratergesellschaft, hatte sich im Dez. 1980 verpflichtet, der französischen Bauplanungsfirmengruppe Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV) einen öffentlichen Auftrag zum Bau eines Entwässerungsprojekts der Stadt Algier zu vermitteln. Nach den Bedingungen des Vermittlungsvertrages sollte bei Auftragsvergabe Hilmarton 4 % der Auftragssumme erhalten. Nach Auftragserteilung im Jahr 1983 zahlte OTV allerdings nur 2 % der Auftragssumme und verweigerte die Restzahlung, da Hilmarton ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht bzw. nur schlecht erfüllt habe. (b) Der erste (aufgehobene) Schiedsspruch zu Gunsten OTV (aa) Der Schiedsspruch v. 09.08.1988 Hilmarton stellte daraufhin einen Antrag auf Durchführung eines Schiedsverfahrens vor dem Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer (ICC) in Genf. Der von der ICC benannte Einzelschiedsrichter Dagon wies mit Schiedsspruch vom 09.08.1988 die Schiedsklage ab, da die von Hilmarton ausgeübte Vermittlungstätigkeit, insbesondere die vielfältige Einflussnahme auf die algerischen Entscheidungsträger, gegen zwingendes algerisches Recht verstoßen habe und daher auch nach dem auf den Vermittlungsvertrag anwendbaren schweizerischen Recht sittenwidrig gewesen sei.152 Eine Beeinflussung staatlicher Entscheidungen verstoße gegen das algerische Außenhandelsmonopol153.154 Der Vermittlungsvertrag zwischen Hilmarton und OTV sei daher nichtig.155

152

ICC Schiedsspruch Nr. 5622, Revue de l’Arbitrage 1993, S. 327 ff. Loi N° 78–02 de 11.02.1978 relative au monopole de l’Etat sur le commerce extérieur. 154 Rev. Arb. 1993, S. 332 Rn. 159. 155 Rev. Arb. 1993, S. 333 Rn. 161 ff; von der Rechtsfolge der Nichtigkeit war jedoch nicht die in dem Vertrag enthaltene Schiedsabrede betroffen. 153

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(bb) Die Aufhebung durch die schweizerischen Gerichte Am 17.11.1989 hob der Genfer Cour de Justice den Schiedsspruch auf.156 Zum einen sei der Einsatz von Vermittlern gegenüber Behörden nach schweizerischem Recht erlaubt.157 Zum anderen sei der Schiedsspruch „willkürlich“ erlassen worden. Der Verstoß gegen algerisches Recht sei stillschweigend von den Parteien vereinbart worden. Hilmarton habe seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt. Der vorgeworfene Verstoß könne also keine Schlechterfüllung des Vertrages darstellen.158 Auch das schweizerische Bundesgericht schloss sich dieser Einschätzung an und wies mit Urteil v. 17.04.1990 die Revision zurück.159 Um eine ausländische Verbotsnorm vor schweizerischen Gerichten berücksichtigen zu können, müsse die verletzte Norm von solcher Reichweite und Bedeutung sein, dass die Akzeptanz ihrer Verletzung eine Störung der schweizerischen Moralvorstellungen und des schweizerischen ordre public darstellen könne.160 Das algerische Außenhandelsmonopol selbst bilde aber nach Ansicht des Bundesgerichts sogar eine so starke Einschränkung der Privatautonomie, dass es nach dem schweizerischen Recht keinesfalls berücksichtigt werden könne.161 Nach Ansicht beider Gerichte sei eine Sittenwidrigkeit des Vertrages auf der Grundlage des schweizerischen Rechts nicht anzunehmen. (cc) Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in Frankreich Inzwischen hatte aber der Präsident des Tribunal de grande instance Paris den aufgehobenen Schiedsspruch am 27.02.1990 anerkannt und für vollstreckbar erklärt.162 Der Cour d’appel Paris wies trotz der schweizerischen Berufungsentscheidung die durch Hilmarton eingelegte Berufung gegen die Vollstreckungserklärung am 19.12.1991 zurück.163 Nach der Meistbegünstigungsklausel des Art. VII UNÜbereinkommens müsse das für den Vollstreckungsgläubiger günstigste Vollstreckungsrecht Anwendung finden. Das französische Recht sieht in der Aufhebung eines Schiedsspruchs kein Vollstreckungshindernis. Es stelle den Schiedsgläubiger insoweit günstiger als Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen. Am 23.03.1994 bestätigte schließlich der Cour de cassation diese Entscheidung.164 Der Schiedsspruch sei nicht in die Rechtsordnung des Ursprungsstaates integriert, 156

Cour de Justice du Canton de Genève, décision du 17. nov. 1989, Rev. Arb. 1993, S. 316–321. Rev. Arb. 1993, S. 321. 158 Ibid. 159 Tribunal Fédéral Suisse, décision du 17. Avril 1990, Rev. Arb. 1993, S. 322–325. 160 Id., S. 324. 161 Ibid. 162 Nicht veröffentlicht, zitiert nach Cour d’appel de Paris, décision du 19. dec. 1991, Rev. Arb. 1993, S. 300 (301). 163 Ibid. 164 Cour de cassation, 1re chambre civil, décision du 23 mars 1994, Rev. Arb. 1994, S. 327–328. 157

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sodass seine Existenz trotz der Aufhebung in der Schweiz erhalten bleibe. Seiner Anerkennung in Frankreich stehe auch nicht der ordre public international entgegen.165 (c) Zweiter Schiedsspruch zu Gunsten der Hilmarton Ltd. (aa) Der Schiedsspruch v. 10.04.1992 Nach der rechtskräftigen Aufhebung des Schiedsspruchs in der Schweiz hatte in der Zwischenzeit Hilmarton einen zweiten Antrag auf Durchführung eines Schiedsverfahrens bei der Internationalen Handelskammer in Genf eingelegt. In diesem neuen Verfahren, das sich auf die Tatsachenfeststellungen des ersten Schiedsverfahrens stützte, sah der Schiedsrichter Jolidon den Vertrag als verbindlich an und sprach Hilmarton am 10.04.1992 die restliche Provision für die Vermittlung des öffentlichen Auftrags sowie jährliche Zinsen in Höhe von 5 % seit dem 25.04.1986 zu.166 (bb) Gescheitertes Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in Frankreich Hilmarton versuchte zunächst den neuen Schiedsspruch in Frankreich zu vollstrecken. Zunächst erklärte auch das Tribunal de grande instance Nanterre den zweiten Schiedsspruch durch Entscheidung vom 25.02.1993 für vollstreckbar.167 Am 22.09.1993 erkannte das gleiche Gericht sogar die schweizerische Aufhebungsentscheidung bezüglich des ersten Schiedsspruchs an.168 Der Cour ­d’appel Versailles bestätigte beide Entscheidungen am 29.06.1995.169 Der Cour de cassation hob die Entscheidungen allerdings, wenig überraschend,170 am 10.06.1997 wegen der entgegenstehenden Rechtskraft der Anerkennungsentscheidung des Cour­ d’appel Paris zum ersten Schiedsspruch auf und beendete damit den Rechtsstreit vor den französischen Gerichten.171

165

Id., S. 328. Schiedsspruch nicht veröffentlicht, Wiedergabe nach Cour d’appel de Versailles, décision du 29.06.1995, Rev. Arb. 1995, S. 640 (641). 167 Entscheidung nicht veröffentlicht, Wiedergabe nach dem Tatbestand der Berufungsentscheidung der Cour d’appel de Versailles, 2me décision, S. 647. 168 Entscheidung nicht veröffentlicht, Wiedergabe nach dem Tatbestand der Berufungsentscheidung der Cour d’appel de Versailles, id., 1re décision, S. 641. 169 Ibid. 170 Kritik der Entscheidungen der Cour d’appel schon bei Jarrosson, Rev. Arb. 1995, S. 651–656: „Les lecteurs de ces arrêts risquent […] d’être frappés de stupeur. […] Dans l’ordre juridique français […] coexistent plusieurs vérités juridiques“ (Hervorhebung im Original). 171 Cour de cassation, 1re chambre civile, décision du 10.06.1997, Rev. Arb. 1997, S. 376–377 mit zustimmender Anmerkung von Fouchard, id., S. 377–379. 166

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(cc) Erfolgreiches Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren im Vereinigten Königreich Auf Antrag von Hilmarton wurde die Vollstreckung des 2. Schiedsspruchs im Vereinigten Königreich jedoch zugelassen.172 OTVs Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarerklärung wies der High Court of Justice am 24.05.1999 zurück.173 Das Hauptargument der OTV, die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs verstoße gegen den englischen ordre public, weil der zugrundeliegende Vertrag nach algerischem Recht nichtig sei, wurde vom High Court of Justice mit Verweis auf das anwendbare schweizerische Recht verworfen. Zudem sei diese Einwendung bereits in dem zu vollstreckenden Schiedsspruch untersucht und zurückgewiesen worden. Demnach war nach den Vorgaben des UN-Übereinkommens der Schiedsspruch im Vereinigten Königreich anzuerkennen. (d) Fazit In der Sache Hilmarton v. OTV sind über einen Zeitraum von mehr als elf Jahren zwei sich widersprechende Schiedssprüche und zwölf gerichtliche Entscheidungen ergangen. Beide Schiedssprüche wurden anerkannt und vollstreckt. In Frankreich existierten sogar zeitweise beide Schiedssprüche gleichzeitig nebeneinander, bis der Cour de cassation diesen merkwürdig anmutenden Rechtszustand beendete. (2) PT Putrabali Adyamulia ./. Rena Holding Im Fall PT Putrabali Adyamulia ./. Rena Holding haben die französischen Gerichte die Hilmarton-Rechtsprechung für einen ähnlichen Sachverhalt bestätigt. Da im Wesentlichen denselben Argumentationslinien gefolgt wird, soll der Fall nur kurz wiedergegeben werden. (a) Der Streitgegenstand Das indonesische Unternehmen PT Putrabali verkaufte im Jahr 1999 eine Ladung weißen Pfeffer an das französische Unternehmen Société Est Epices, das später zur Rena Holding wurde. Die den Pfeffer transportierende und offenbar nicht hochseetüchtige Barkasse „INTAN 6 V.360A SN“ ging jedoch auf dem Weg von Indonesien nach Singapur verloren und die Ladung wurde zerstört. Nachdem 172 Ex parte-Entscheidung vom 03.09.1998, per Judge Tuckey (nicht veröffentlicht), Wiedergabe nach High Court of Justice, Queen’s Bench Division, Omnium de Traitement et de Valorisation S. A. ./. Hilmarton limited, 1998 Folio No. 1003, judgment of 24 May 1999, 1999 Westlaw 477773. 173 Ibid.

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ihre Versicherung eine Annullierung des entstandenen Schadens aufgrund der Beschaffenheit des verwendeten Schiffes abgelehnt hatte, verweigerte die Société Est Epices nunmehr die Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 163.086 EUR. (b) Die Schiedssprüche und das Aufhebungsverfahren vor dem englischen High Court Die PT Putrabali beantragte daraufhin bei der für die Lösung von Streitigkeiten im Kaufvertrag bestimmten International General Produce Association in London die Durchführung eines Schiedsverfahrens. Nachdem zunächst der Einzelschiedsrichter mit Schiedsspruch vom 30.10.2000174 entschieden hatte, dass die Est Epices gegen Vorlage der shipping documents den Kaufpreis entrichten müsse, wies das von dem französischen Unternehmen angerufene Board of Appeal mit seinem ersten Schiedsspruch vom 10.04.2001175 den Zahlungsanspruch ab, da die Art und Weise des Transports der verkauften Ware nicht den vertraglichen Sorgfaltspflichten der Verkäuferin entsprochen habe.176 Zwar war die Käuferin von der Verladung der Ware auf das entsprechende Schiff informiert worden und hätte zu diesem Zeitpunkt innerhalb von drei Tagen Bedenken gegen das gewählte Transportmittel äußern können. Die Käuferin habe aber nicht wissen können, dass es sich bei dem genannten Schiff nicht um das vertraglich vereinbarte „first class ship“ gehandelt hat. Der England and Wales High Court hob am 19.05.2003 diesen ersten Schiedsspruch auf und wies das Verfahren an das Schiedsgericht zurück.177 Beide Parteien hatten im Verfahren vor dem Board of Appeal neue Tatsachen eingebracht.178 Dessen Entscheidung verstoße gegen das anzuwendende Verfahrensrecht, da es nicht mehr auf die durch den Einzelschiedsrichter gefundenen Tatsachenfeststellungen gestützt werden könne.179 Die Verweigerung der Zahlung und der Entgegennahme der shipping documents sei jedenfalls ein Vertragsbruch der Est Epices gewesen. Der darauf ergangene zweite Schiedsspruch des IGPA Board of Appeal vom 21.08.2003 gab dementsprechend dem indonesischen Unternehmen Recht und verurteilte die Société Est Epices zur Zahlung des Kaufpreises.180 174 Nicht veröffentlicht, zitiert nach dem Tatbestand des Urteils des High Court, EWHC 2003, 3098 (Comm), Rn. 3. 175 IGPA, Board of Appeal, Award 13/00 of 10th April 2001 (nicht veröffentlicht, zitiert nach High Court, ibid.). 176 In Clause 6 Contract Form No. 5 der IGPA (dabei handelt es sich um die Bestimmungen zum Kauf von Pfeffer) wurde ausdrücklich festgelegt, dass ein „first class ship“ zum Transport der Ware genutzt werden muss. 177 England and Wales High Court, Queen’s Bench Division, Commercial Court, per Judge Havelock-Allan Q. C., judgment of 19.05.2003, EWHC (Comm) 2003, 3089. 178 Ibid, Rn. 4. 179 Ibid, Rn. 28. 180 Der nicht veröffentlichte Schiedsspruch wird zitiert nach dem Tatbestand des Cour de­ cassation, Première chambre civile, Arrêt n° 1021 du 29 juin 2007.

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(c) Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in Frankreich Beide Unternehmen wandten sich nun an französische Gerichte, um den jeweils für sie günstigen Schiedsspruch anerkennen und vollstrecken zu lassen. (aa) Der aufgehobene Schiedsspruch von 2001 Der Präsident des Tribunal de grande instance Paris ordnete im September 2003 zunächst auf Antrag der Rena Holding für den ersten, aufgehobenen Schiedsspruch die Vollstreckung an.181 Der Cour d’appel Paris bestätigte am 31.03.2005 diese Entscheidung.182 Der Cour de cassation wies die Berufung gegen diese Entscheidung mit Urteil vom 29.06.2007 zurück.183 (bb) Der zweite Schiedsspruch von 2003 Auch der zweite Schiedsspruch wurde zunächst durch den Präsidenten des Tribunal de grande instance Paris anerkannt und die Vollstreckung angeordnet.184 Die Entscheidung wurde jedoch durch den Cour d’appel Paris am 17.11.2005 aufgrund der entgegenstehenden Rechtskraft des ersten Schiedsspruchs aufgehoben.185 Diese Entscheidung wurde ebenfalls am 29.06.2007 durch den Cour de cassation bestätigt.186 Der Cour de cassation betont, dass ein Schiedsspruch losgelöst von der Rechtsordnung des Ursprungsstaates sei. Er sei eine autonome internationale Entscheidung, die nur nach der Rechtsordnung desjenigen Staates überprüft werden könne, vor dessen Gerichten die Anerkennung und Vollstreckung beantragt wird. (d) Fazit Die ungeprüfte Anerkennung eines aufgehobenen Schiedsspruchs, wie sie in Frankreich gängige Praxis ist, kann, wie die beiden genannten Fälle deutlich gezeigt haben, zu nur schwer lösbaren Rechtsverwicklungen und Doppelvollstreckungen führen, die kaum noch befriedigend durch die nationalen Rechtssysteme gelöst werden können. Es spricht also aus Gründen der Rechtssicherheit einiges 181

Entscheidung nicht veröffentlicht und zitiert nach Sachverhalt des Cour d’appel Paris, Urteil v. 31. März 2005, Revue de l’Arbitrage 2006, S. 665. 182 Cour d’appel Paris, ibid. 183 Cour de cassation, Urteil v. 29. Juni 2007, 05–18.053, Revue de l’Arbitrage 2007, S. 507. 184 Entscheidung v. 30.09.2003 (nicht veröffentlicht); zitiert nach Tatbestand des Cour de Cassation, ibid. 185 Cour d’appel Paris, Entscheidung v. 17.11.2005 (nicht veröffentlicht), zitiert nach Tatbe­stand des Cour de Cassation, Urteil v. 29. Juni 2007, 06–13293, Revue de l’Arbitrage 2007, S. 507. 186 Cour de cassation, Urteil v. 29. Juni 2007, ibid.

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

dafür, den aufgehobenen Schiedsspruch tatsächlich als wirkungslos zu begreifen. In beiden Fällen scheint es insbesondere darauf angekommen zu sein, welcher Schiedsspruch – losgelöst von möglichen Verfahrens- oder inhaltlichen Fehlern – in Frankreich zeitlich zuerst anerkannt und für vollstreckbar erklärt wird. Auch andere Staaten als Frankreich, das nach autonomen nationalen Recht jeden aufgehobenen Schiedsspruch vollstrecken lässt, haben in der Vergangenheit in Einzelfallentscheidungen aus verschieden Gründen aufgehobene Schiedssprüche für vollstreckbar erklärt. Es sollen dabei nur knapp die Fälle zitiert werden, die im Einzelfall eine Vollsteckbarkeit angenommen haben, und danach mit Yukos Capital ./. Rosneft ein Extremfall herangezogen werden, um das geschilderte Rechtsproblem zu verdeutlichen. b) Belgien: Sonatrach ./. Ford, Bacon and Davos, Inc. Das Tribunal de première instance Bruxelles hat im Fall Société Nationale pour la Recherche, le Transport et la Commercialisation des Hydrocarbures (Sonatrach) ./. Ford, Bacon and Davos, Inc. im Jahr 1988 einen aufgehobenen algerischen Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt.187 Algerien war zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitglied des UN-Übereinkommens. Das interne belgische Recht folgt ähnlich wie das französische Recht der materiell-rechtlichen Theorie, wonach die Aufhebung im Sitzstaat kein Vollstreckungshindernis darstellt, sofern das UNÜbereinkommen als lex specialis nicht zur Anwendung kommt. c) USA: Chromalloy Aeroservices ./. Arab Republic of Egypt Auch der US-amerikanische District Court for the District of Columbia ist in der Anerkennungs- und Vollstreckungssache Chromalloy Aeroservices  ./.  Arab­ Republic of Egypt der internationalistischen Theorie gefolgt.188 Chromalloy Aero­ services (CAS), ein US-amerikanisches Rüstungsunternehmen, hatte Ersatzteile für militärische Hubschrauber an die ägyptischen Luftstreitkräfte geliefert. Gemäß dem maßgeblichen Vertrag aus dem Jahr 1988 sollte ägyptisches Recht angewendet werden. Die Schiedsabrede beinhaltete die Bildung eines ad hocSchiedsgerichts in Kairo, dessen Entscheidung abschließend und für die Parteien verbindlich sein sollte.189 187 Tribunal de première Instance Bruxelles, Entscheidung v. 06.12.1988, Yearbook Commercial Arbitration 15 (1990), S. 370–377. 188 United States District Court, District Court of Columbia, Entscheidung v. 31.07.1996, 939 F.Supp. 907, I. L. M. 35 (1996), S. 1363–1381. 189 Appendix E des Schiedsvertrags: „The Decision of the said court shall be final and binding and cannot be made subject to any appeal or other recourse“, zitiert nach District Court, I. L. M. 35 (1996), S. 1363 (1375 f.).

C. Die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit

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Im Jahr 1991 kündigte Ägypten den Vertrag, woraufhin ein Schiedsverfahren über die Zahlung von Schadensersatz in Gang gesetzt wurde. Ein zu Gunsten von CAS am 24.08.1994 erlassener Schiedsspruch wurde allerdings von dem Cour d’appel Kairo am 04.04.1995 aufgehoben. Die Mehrheit der Schiedsrichter habe nach Ansicht des ägyptischen Gerichts fehlerhaft das ägyptische Zivilrecht anstatt des anwendbaren ägyptischen Verwaltungsrechts angewandt. Der District Court of Columbia hat mit seiner viel beachteten Entscheidung vom 31.07.1996 den Schiedsspruch dennoch anerkannt. Aufgrund der Meistbegünstigungsklausel des Art.  VII UN-Übereinkommen sei US-amerikanisches Recht anzuwenden und der Schiedsspruch sei nach diesem noch wirksam. Zwar könne auch nach US-amerikanischen Recht ein Schiedsspruch bei Vorliegen eines „manifest disregard of the law“ aufgehoben werden.190 Diese Voraussetzung sei allerdings nur dann gegeben, wenn die Schiedsrichter das Recht richtig erkannt hätten und es dann vorsätzlich beugten. Dies sei bei dem besagten ägyptischen Schiedsgericht hingegen nicht anzunehmen.191 Die ägyptische Aufhebungsentscheidung sei hingegen schon deshalb nicht anerkennungsfähig, weil Rechtsmittel durch die Schiedsabrede ausgeschlossen worden waren.192 Mit dieser umstrittenen Entscheidung hat das Gericht sich klar zu einer anationalen Sichtweise auf die Schiedsgerichtbarkeit bekannt. Durch die starke Betonung der Privatautonomie war es dem Gericht möglich, das von den Parteien nicht vorgesehene ägyptische Aufhebungsverfahren nicht zu beachten. d) Österreich: Radenska ./. Kajo Im Jahr 1993 hat auch der österreichische OGH in dem österreichischen Parallel­verfahren zum deutschen Prozess beim OLG München193 im Rechtsstreit Radenska ./. Kajo den aufgehobenen Schiedsspruch anerkannt und für vollstreckbar erklärt, weil der Aufhebungsgrund des Verstoßes gegen den jugoslawischen ordre public nach dem anwendbaren Europäischen Übereinkommen zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1961 nicht zulässig gewesen sei.194 Radenska habe nach Ansicht des aufhebenden Gerichts durch den Schiedsspruch eine monopolartige Marktstellung erhalten, die nicht mit dem der geltenden Verfassung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in Einklang zu bringen sei.195 Ein solcher

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U. S. District Court, District Court of Columbia, I. L. M. 35 (1996), S. 1363, 1371 ff. I. L.M 35 (1996), S. 1363, 1371 mit Bezugnahme auf den Fall Chicago v. Kaplan (1995). 192 I. L. M., 35 (1996), S. 1363, 1376: „In other words, the parties agreed to apply Egyptian Law to the arbitration, but, more important, they agreed that the arbitration ends with the decision of the arbitral panel.“ 193 Siehe dazu supra Kap. 1. B. II. 1. 194 Österr. OGH, Entscheidung v. 20.10.1993, ÖJZ 1994, S. 513 ff. 195 Dazu Nienaber, S. 71–76. 191

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Aufhebungsgrund findet sich aber in der abschließenden Aufzählung der zulässigen Vollstreckungshindernisse des Art. IX Abs. 1 Europäisches Übereinkommen nicht und war daher für das österreichische Vollstreckungsgericht unbeachtlich. e) Russland: Ciments Français ./. Sibirskiy Cement Holding Company Das russische Arbitrazh Gericht196 von Kemerovo in Sibirien hatte im Jahr 2011 über die Anerkennung und Vollstreckung eines in der Türkei aufgehobenen Schiedsspruchs zu entscheiden. (1) Streitgegenstand197 Das französische Unternehmen Ciments Français hatte mit Aktienkaufvereinbarung vom 26.03.2008 mit der russischen Aktiengesellschaft Sibirskiy Cement Holding Company und der türkischen Aktiengesellschaft Istanbul Cimento einen gemeinsamen Unternehmenserwerb vereinbart. Zu diesem Zweck zahlte das russische Unternehmen an den französischen Partner eine Startsumme in Höhe von 50.000.000 EUR. Der Ankauf kam jedoch nicht zustande. Ciments Français kündigte daraufhin den gemeinsamen Vertrag, verweigerte aber die Rückzahlung des Geldes, da der Vertrag aufgrund eines Verschuldens des russischen Partners nicht zustande gekommen sei. (2) Schieds- und Aufhebungsverfahren in der Türkei Das angerufene Schiedsgericht bei der International Chamber of Commerce in Istanbul bestätigte mit Schiedsspruch vom 07.12.2010 die Auffassung des französischen Unternehmens.198 Der Vertrag sei rechtmäßig von der Ciments Français beendet worden und ein Rückzahlungsanspruch sei nicht entstanden. Der Schiedsspruch wurde jedoch am 31.05.2011 vom 2.  Zivilgericht des Bezirks Kadikoy aufgehoben.199 Der Schiedsspruch sei nach Ansicht des türkischen Gerichts zum einen außerhalb der festgelegten Sitzungszeiten der türkischen

196

Das „Arbitrazh“ Gericht ist nicht etwa ein Gericht ausschließlich für die Schiedsgerichtsbarkeit, sondern ist das staatliche Gericht für Zivilsachen, das im Allgemeinen mit „Wirtschaftsgericht“ übersetzt wird. 197 Sachverhaltsschilderung nach dem Tatbestand des Arbitrazh Court Kemerovo Oblast, Entscheidung v. 20.07.2011, Case No. A27–781/2011 in offizieller englischer Übersetzung des Gerichts (abgedruckt im Annex B). 198 Schiedsspruch nicht veröffentlicht, Sachverhaltsdarstellung nach Arbitrazh Court of­ Keme­rovo Oblast, ibid. 199 Zitiert nach Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast, ibid.

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Schiedsgerichte ergangen. Zum anderen habe das Schiedsgericht Argumente des Schuldners hinsichtlich der Kündigung nicht ausreichend gewürdigt und im Übrigen verstoße der Schiedsspruch gegen den türkischen ordre public, da der Schiedsspruch eine vorläufige Vollstreckbarkeit vorgesehen habe. (3) Das russische Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren Das Arbitrazh Gericht der Stadt Kemerovo, Sibirien ging richtigerweise davon aus, dass auf den vorliegenden Fall das Europäische Übereinkommen von 1961 angewendet werden müsse, da Frankreich und Russland Mitgliedstaaten dieses Übereinkommens geworden waren. Da keiner der vom türkischen Gericht angeführten Aufhebungsgründe nach Art. IX Europäisches Übereinkommen ein zu beachtendes Vollstreckungshindernis darstelle, wurde mit Urteil vom 20.07.2011 der Schiedsspruch anerkannt und für vollstreckbar erklärt.200 f) Die niederländischen und englischen Entscheidungen zu Yukos Capital S. A. R. L. ./. OAO Rosneft Die niederländischen und englischen Entscheidungen in der Sache Yukos Capital S. A. R. L.  ./.  OAO Rosneft drehen sich um die Aufhebung mehrerer Schiedssprüche, die zu Gunsten der luxemburgischen Gesellschaft Yukos Capital S. A. R. L. ergangen waren. Der Fall steht im Zusammenhang mit der Verhaftung des Vorstandsvorsitzenden Mikhail Khodorkovsky und der Zerschlagung der Yukos-­ Unternehmensgruppe durch die russischen Steuerbehörden.201 Der Rechtsstreit zeigt in besonderem Maße das in einem fremdstaatlichen Aufhebungsverfahren liegende Missbrauchspotential, das für eine Nichtanerkennung der fremdstaatlichen Entscheidung sprechen kann. Das Verfahren verdeutlicht exemplarisch die Gefahren einer mutmaßlichen politischen Einflussnahme im Sitzstaat auf und scheint in besonderer Weise die Ansicht zu stützen, ein fremdstaatlicher Hoheitsakt dürfe nicht ungeprüft in die eigene Rechtsordnung übernommen werden. Auffällig ist dabei die sachliche Nähe zur Dresdener Entscheidung aus dem Jahr 2007.202 Auch in Dresden wurde durch die Klägerin – letztlich allerdings erfolglos – vorgetragen, dass das dort aufhebende Oberste Wirtschaftsgericht Weißrusslands alles andere als unabhängig und unparteiisch gewesen sei.

200

Ibid. Siehe dazu ausführlich Boor, Die Yukos-Enteignung. 202 Siehe dazu supra Kap. 1. B. II. 4. 201

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(1) Der Streitgegenstand203 Im Juli und August 2004 schloss die Yukos Capital S. A. R. L. mit der russischen Kapitalgesellschaft Yuganskneftegaz vier Kreditverträge, die im Streitfall ein Schiedsverfahren beim Internationalen Handelsschiedsgericht bei der Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation vorsahen. Beide Gesellschaften gehörten zum damaligen Zeitpunkt der Yukos Unternehmensgruppe an, zu der auch die russische Yukos Oil Company gehörte, dessen Tochtergesellschaft­ Yuganskneftegaz war. Am 19.12.2004 wurde Yuganskneftegaz aufgrund von Steuerforderungen gegenüber der Yukos Oil Company zwangsversteigert und an die Baikal Financial Group verkauft. Diese wurde vier Tage später wiederum mit dem russischen Staatsunternehmen Rosneft OAO fusioniert. Rosneft argumentierte, die Kreditverträge seien Teil eines ausgeklügelten, nach russischem Recht illegalen Systems zur Steuervermeidung und verweigerte nun­ apital mehr die Fortzahlung der Kreditraten.204 Daraufhin beantragte die Yukos C S. A. R. L. am 27.12.2005 die Durchführung von vier Schiedsverfahren gegen die Yuganskneftegaz vor dem Internationalen Handelsschiedsgericht in Moskau. Mit vier Schiedssprüchen vom 19.09.2006205 sprach das Gericht der Schiedsklägerin eine Summe in Höhe von insgesamt ca. 13 Milliarden Rubel206 zu. Am 01.10.2006 erfolgte die Fusion der Yuganskneftegaz mit der Rosneft OAO. Alle Vermögenswerte wurden an die Rosneft OAO übertragen und die ­Yuganskneftegaz aufgelöst.207 Auf Antrag von Rosneft wurden mit Urteilen vom 18. und 23.05.2007 die Schiedssprüche vom Arbitrazh Gericht der Stadt Moskau aufgehoben.208 Am 13.08.2007 wies das Moskauer Arbitrazh Berufungsgericht die von der Yukos Capital gegen die Aufhebungen eingelegte Berufung ab. Das Oberste Arbitrazh Gericht der Russischen Föderation bestätigte diese Entscheidung am 10.12.2007.209 Nach Ansicht der russischen Richter habe zum einen Yukos Capital den Klageantrag während des 203

Sachverhaltsschilderung ist entnommen aus Gerechtshof Amsterdam (Derde Meervoudige Burgerlijke Kamer), Urteil vom 28.04.2009, LJN: BI2451, Tatbestand (Absatz 2.1 bis 2.1.7), Abdruck unter Annex B, II., und England and Wales Court of Appeal (Civil Division), Judgment of 27.06.2012, EWCA Civ 2012, 855, Tatbestand. 204 Gerechtshof Amsterdam, id., Abschnitt 3.12.2; der EGMR, Urteil vom 20.09.2011, Application No. 14902/04-OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos v. Russia, Rn. 594 ff. kommt zu dem Ergebnis, dass die russischen Gerichte richtigerweise davon ausgegangen sind, dass das Steuer­ gebaren von Yukos unrechtmäßig war. Weder die Tatsachenermittlung noch die Anwendung des Rechts seien diesbezüglich willkürlich, unbegründet noch unvorhersehbar gewesen. Russlands Steuergesetze verfolgten auch einen legitimen Zweck und seien nicht diskriminierend. 205 Schiedssprüche nicht veröffentlicht; Inhalt zitiert nach Gerechtshof Amsterdam, Urteil vom 28.04.2009, LJN: BI2451. 206 Das entspricht einer Summe von ca. 425 Millionen US-Dollar bzw. 345 Millionen EUR. 207 Gerechtshof Amsterdam, Urteil vom 28.04.2009, LJN: BI2451, Abschnitt 2.1.5. 208 Urteile zitiert nach Gerechtshof Amsterdam, id., Abschnitt 2.1.7. 209 Urteile zitiert nach Gerechtshof Amsterdam, idid.

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Schiedsverfahrens in unzulässiger Weise korrigiert. Zum anderen sei auch einer der Schiedsrichter deshalb befangen gewesen, weil er auf einer größeren Konferenz als Referent aufgetreten sei, die unter anderem von Yukos Anwälten gesponsert worden war.210 (2) Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in den Niederlanden Zunächst begehrte die Yukos Capital S. A. R. L. die Anerkennung und Vollstreckung der aufgehobenen Schiedssprüche in den Niederlanden. Das zuständige Gericht der 1. Instanz für den Bezirk Amsterdam („Voorzieningenrechter“) wies jedoch mit Beschluss vom 28.02.2008211 den Antrag auf Anerkennung und Vollstreckbarerklärung auf der Grundlage des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommens ab.212 Zwar müsse regelmäßig das Vollstreckungsgericht der Entscheidung des aufhebenden Gerichts folgen. Unter außergewöhnlichen Umständen sei das Gericht aber berechtigt, die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung zu gewähren. Solche Gründe seien insbesondere eine Verletzung der allgemein respektierten Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens während des Aufhebungsverfahrens, Parteilichkeit und mangelnde Unabhängigkeit des Zivilgerichts oder eine vollkommen unzureichende Entscheidungsbegründung. Solche außergewöhnlichen Umstände, die trotz Aufhebung zu einer Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs führen könnten, habe die Klägerin für das russische Verfahren jedoch nicht bzw. nicht ausreichend substantiiert darlegen können. Der Antrag wurde daher zunächst abgewiesen. Das von der Yukos Capital angerufene Berufungsgericht, der niederländi­ schen Gerechtshof Amsterdam, hat jedoch mit seinem lesenswerten Urteil vom 28.04.2009 dem Antrag auf Anerkennung und Vollstreckbarerklärung stattgegeben.213 Der Gerechtshof Amsterdam entschied nach den niederländischen Regeln über die Anerkennung fremdstaatlicher Urteile,214 dass die russischen Aufhebungsentscheidungen als erkennbar parteiische staatliche Entscheidungen in den Niederlanden gegen den niederländischen ordre public verstoßen hätten und damit nicht anerkennungsfähig seien. 210 Zitiert nach England and Wales Court of Appeal, Judgment of 27.06.2012, EWCA Civ 2012, 855, Rn. 17. 211 Voorzieningenrechter van de rechtbank Amsterdam, Entscheidung (beschikking) vom 28.02.2008, zaak- en rekestnummer 365094/KG RK 07–750, Yukos Capital S. A. R. L.  ./.  OAO Rosneft (nicht veröffentlicht), zitiert nach Tatbestand des Gerechtshof Amsterdam, Urteil v. 28.04.2009, LJN: BI2451, Absatz 3.2, in englischer Übersetzng abgedruckt unter Annex B, II. 212 Die Niederlande gehören nicht zu den Vertragsstaaten des Europäischen Übereinkommens von 1961. 213 Gerechtshof Amsterdam, ibid. 214 Art. 1075 Niederländisches Zivilverfahrensgesetzbuch i. V. m. dem New Yorker UN-Übereinkommen von 1958.

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Zur Feststellung der von der Klägerin behaupteten Parteilichkeit der russischen staatlichen Gerichte stützt sich der Gerechtshof auf mehrere von der Klägerin vorgelegten Quellen zur Lage der Judikative in Russland. Das Gericht zitiert russische Journalisten,215 den Bericht der Sonderbeauftragten Frau LeutheusserSchnarrenberger für die parlamentarischen Versammlung des Europarats zu den russischen Strafverfahren gegen Führungskräfte der Yukos Oil Company,216 die dem Bericht folgende Resolution des Europarats zu den Strafverfahren,217 den Korruptionsindex der NGO „Transparency International“,218 einen Bericht der NGO „EU-Russia Centre“,219 der US-amerikanischen NGO „Freedom House“220 sowie schweizerische,221 britische222 und litauische223 Gerichte, die sich aus Anlass von Auslieferungsersuchen der russischen Föderation über die nur scheinbare Unabhängigkeit der russischen Justiz hinsichtlich der strafrechtlichen Verfahren gegen ehemalige Yukos-Mitarbeiter negativ zum russischen Rechtssystem geäußert hatten. Außerdem wurde ein Urteil des Bezirksgerichts Amsterdam vom 31.10.2007 herangezogen, das festgestellt hatte, dass das russische Insolvenzverfahren zum Unternehmen Yokos Oil nicht mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in Einklang gebracht werden könne und daher gegen den niederländischen ordre public verstoßen habe.224 215 Gerechtshof Amsterdam, LJN: BI2451, 200.005.269/01, Entscheidung v. 28. April 2009, Absatz 3.8.1, mit Zitat aus dem Buch „Putins Russland“ der im Jahr 2006 ermordeten Journalistin Anna Politkovskaya. 216 Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.8.2. mit Zitat aus: Council of Europe, Parliamentary Assembly, Committee on Legal Affairs and Human Rights, Report of 29.11.2004, The circumstances surrounding the arrest and prosecution of leading Yukos executives, Doc. 10368. 217 Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.8.3. mit Zitat aus: Council of Europe, Resolution 1418 (2005) v. 25.01.2005. 218 Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.8.4. 219 Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.8.5. 220 Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.8.6. 221 Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.8.8 zitiert das Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 13.08.2007. Die russische Föderation hatte zur Strafverfolgung um Amtshilfe der Schweizer Behörden gebeten. Es bestünden nach Ansicht des Bundesgerichts hinreichende Gründe für die Vermutung, dass die betreffende Strafverfolgung von den russischen Behörden manipuliert worden sei. 222 Gerechtshof Amsterdam, ibid., zitiert zum einen den The Bow Street Magistrates’ Court, Urteil v. 18.03.2005, der die Auslieferung von Mitarbeitern der Yukos Oil Company verweigerte, da die Verfolgung politisch motiviert sei und kein faires Verfahren in Russland zu erwarten sei. Zum anderen wird verwiesen auf den City of Westminster Magistrates’ Court, Urteil v. 19.12.2007. Der Einzelrichter spricht dort von einer starken Vermutung, dass das Verfahren politisch wie ökonomisch motiviert und bereits eine Vorverurteilung des Beschuldigten getroffen worden sei. Unter Absatz 3.8.9. zitiert der Gerechtshof zudem den High Court of Justice, Queen’s Bench Division, Commercial Court, Urteil v. 03.07.2008, der festgestellt hat, dass von den russischen arbitrazh Gerichten nicht notwendigerweise zu erwarten sei, dass sie fair und unparteilich agierten. 223 Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.8.8. mit Verweis auf den höchsten litauischen Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 16.10.2006, der aus vergleichbaren Gründen Yukos Mitarbeitern einen Flüchtlingsstatus zubilligt und die Auslieferung verweigert. 224 Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.8.10.

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Dem Gerechtshof gelingt es, durch diese Aufzählung ein düsters Bild des russischen Justizsystems aufzuzeigen. Nicht nur habe eine unabhängige Justiz sich nach der Periode der Perestroika niemals entwickeln können, sondern die Lage habe sich durch zunehmende Korruption und politische Einflussmöglichkeiten in den letzten Jahren trotz vordergründig durchgeführter Justizreformen sogar noch verschlechtert. Es bestehe eine Kultur der „supine pozvonochnost“. Darunter verstehe man die telefonische Abstimmung eines Urteils mit den Vorgaben der Exekutive.225 In Anbetracht der engen Verflechtung der Rosneft OAO mit dem russischen Regierungsapparat226 sowie der in einer Rede Putins zugesicherten Unterstützung für diese Gesellschaft nimmt der Gerechtshof eine Beweislastumkehr vor. Nunmehr müsse Rosneft den Beweis führen, dass trotz des beklagenswerten Zustands der russischen Justiz das Verfahren im vorliegenden Falle unparteiisch und unabhängig geführt worden sei.227 Dieser Nachweis sei der Beklagten aber nicht­ gelungen. Daher könnten die russischen Aufhebungsurteile nicht in den Niederlanden anerkannt werden. Das Argument der Beklagten, die Klägerin habe keine direkten Beweise für das Vorliegen einer Parteilichkeit und Abhängigkeit der Gerichte vorgelegt, ließ der Gerechtshof hingegen nicht gelten. Es gehöre gerade zur Natur der Parteilichkeit und Abhängigkeit, dass sie sich verdeckt abspiele und nur schwer zu beweisen sei.228 Im Folgenden überprüft der Gerechtshof die Frage, ob die Schiedsverträge selbst gegen den niederländischen ordre public verstoßen haben, da sie zum Zweck hatten, die russischen Steuergesetze zu umgehen.229 Auch wenn die hinter den Kreditverträgen liegende Konstruktion möglicherweise gegen die russischen Steuergesetzgebung verstoßen habe, so liege im Rückzahlungsanspruch der Yukos Capital aus den Kreditverträgen selbst jedenfalls kein Verstoß gegen den niederländischen ordre public. Auch die Behauptung der Rosneft, Yuganskneftegaz sei von den Schiedsverfahren nicht ausreichend informiert gewesen, wies der Gerechtshof unter Bezugnahme auf die erfolgte rügelose Einlassung der Beklagten im Schiedsverfahren zurück. Die Schiedssprüche wurden daher durch den Gerechtshof anerkannt und für vollstreckbar erklärt.230

225

Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.8.1. mit Zitat der Journalistin Anna Politkovskaya. Nachweislich besetzten die Mitglieder der Geschäftsleitung von Rosneft gleichzeitig auch hohe russische Regierungsämter. 227 Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.9.3. 228 Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.9.4; dazu kritisch Van den Berg, Journal of International Arbitration 27/2 (2010), S. 179 ff. 229 Gerechtshof Amsterdam, id., Absatz 3.12.1 bis 3.12.3 mit Verweis auf Art. V Abs. 2 lit. b) UN-Übereinkommen (ordre public-Vorbehalt des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaates). 230 Zustimmend Smit, Am. Rev. Int’l. Arb. 19 (2008), S. 187 (190). 226

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(3) Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in England Das englische Verfahren wirft die dem kontinentaleuropäischen Rechtsraum fremde Frage auf, ob die Überprüfung eines fremdstaatlichen Aufhebungsurteils gegen die anglo-amerikanische Act of State-Doktrin verstößt. Die beiden Urteile sind daher rechtsdogmatisch auch aus Sicht des Common Law von besonderer Bedeutung. (a) Der veränderte Streitgegenstand vor den englischen Gerichten Nachdem aufgrund der niederländischen Entscheidung bereits die in den Schiedssprüchen titulierten Zahlungsansprüche erfüllt worden waren, verlangt die ­Yukos Capital im Verfahren vor den englischen Gerichten nunmehr die aufgelaufenen Zinsen in Höhe von rund 160 Millionen US-Dollar. Voraussetzung für diesen Zinsanspruch war allerdings, dass die Schiedssprüche selber in England an­erkannt werden konnten. (b) Das erste Urteil des High Court of Justice zur Zulässigkeit (aa) Die Frage der Präklusion (Issue estoppel) Der High Court of Justice für England und Wales hat mit Urteil vom 14.06.2011231 zu Gunsten der Yukos Capital das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren für zulässig erachtet. Er hatte in diesem Zusammenhang zwei aus englischer Sicht entscheidende Fragen zu beantworten: Zum einen stand die Frage im Raum, ob Rosneft noch zulässigerweise behaupten durfte, dass die russischen Aufhebungsentscheidungen unabhängig und unparteiisch entschieden worden seien. Rosneft könne nämlich möglicherweise durch die Teilnahme an dem Verfahren vor dem Gerechtshof Amsterdam an dieser Behauptung durch die ergangene rechtskräftige Entscheidung präkludiert sein („issue estopped“).232 Die Annahme einer Präklusion hinsichtlich der Tatsachenbehauptung bot sich aus Sicht des englischen Richters schon deshalb an, weil eine Kritik hinsichtlich des fremdstaatlichen Verfahrens oder der Tatsachenfeststellungen des fremden Gerichts in diesen Fällen auch dann ausgeschlossen sei, wenn die Beweisaufnahme nicht mit dem englischen Recht zu vereinbaren gewesen wäre.233 Eine solche Präklusion durch eine ausländische Entscheidung dürfe von engli­ schen Gerichten nur mit Zurückhaltung angenommen werden.234 Die Frage müsste 231 England and Wales High Court of Justice, Queen’s Bench Division, Commercial Court, per Judge Hamblen, Urteil v. 14.06.2011, EWHC (Comm) 2011, 1461. 232 Id., Rn. 4. 233 Id., Rn. 66–69. 234 Id., Rn. 46–49.

C. Die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit

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für die ausländische Entscheidung entscheidungserheblich235 und zwischen den Parteien auch strittig gewesen sein236. Schließlich müsse die fremdstaatliche Entscheidung nicht nur rechtskräftig geworden sein,237 sondern die Übernahme müsse auch allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken entsprechen238. Der High Court geht im Ergebnis davon aus, dass im Falle der Entscheidung des Gerechtshofs Amsterdam diese Voraussetzungen einer Präklusion vorgelegen hätten, sodass es Rosneft verwehrt sei, im Hauptsacheverfahren zu behaupten, die Aufhebung der Schiedssprüche sei unabhängig und unparteiisch erfolgt. (bb) Die Anwendung der Act of State-Doktrin auf fremdstaatliche Urteile Zum anderen hatte der High Court die Frage zu beantworten, ob ein russisches Aufhebungsurteil überhaupt vor englischen Gerichten überprüft werden könne. Denn möglicherweise handele es sich um einen fremdstaatlichen act of state, der nach der anglo-amerikanischen Rechtsauffassung nicht von den eigenen Gerichten überprüft werden könne.239 Die Act of State-Doktrin ist nationales Recht und von der völkerrechtlichen Frage der Staatenimmunität zu unterscheiden. Das Gericht unterscheidet zunächst zwischen 1.) der „reinen“ Act of State-Doktrin, die eine Beurteilung einer Regierungshandlung innerhalb des eigenen Territoriums verbiete, 2.) dem Prinzip der richterlichen Zurückhaltung („judicial abstention prin­ ciple“) bei gewissen Akten eines fremden Souveräns innerhalb und außerhalb seines Territoriums, wenn keine klaren Standards für eine solche Kontrolle bestehen, und 3.) dem „political embarrassment principle“, das beinhaltet, dass ein englisches Gericht keine Entscheidung treffen sollte, welche die eigene Regierung in politische Verlegenheit bringen könnte.240 Die „reine“ Act of State-Doktrin sei nach Ansicht des Richters Hamblen schon deshalb nicht anwendbar, weil das Gericht nicht über die Gültigkeit oder Wirksamkeit („validity“) der russischen Urteile zu entscheiden habe.241 Unabhängig von der englischen Entscheidung behielten die Aufhebungsurteile ihre Wirksamkeit auf russischem Territorium. Richter Hamblen nimmt dabei Bezug auf den R (Yukos Oil Company) v FSA Case242, der zur Frage hatte, ob die Enteignungen der Yuganskneftegaz durch russische Steuerbehörden rechtswidrig gewesen waren. Der damalige Richter hatte eine Anwendbarkeit der „reinen“ Act of State-Doktrin angenommen,

235

Id., Rn. 50–53. Id., Rn. 54 f. 237 Id., Rn. 56–58. 238 Id., Rn. 59–65; diese Voraussetzung ähnelt der deutschen ordre public-Prüfung. 239 Id., Rn. 4. 240 Id., Rn. 113. 241 Id., Rn. 135, 180 f. 242 EWHC (Admin) 2006, 2044. 236

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

da das englische Gericht zur Rechtmäßigkeit russischer Steuerforderungen für ein russisches Unternehmen hätte Stellung beziehen müssen.243 „In the Yukos FAS Case the decision which was required to be made was whether the assets of Yukos had been wrongfully expropriated. In the present case the decision which is required to be made is whether the Annulment Decisions offend against English principles of substantial justice.“244

Das Prinzip der richterlichen Zurückhaltung betrifft alle fremdstaatlichen Akte, die nach keinem vorhandenen Standard überprüft werden könne („a judicial no-man’s land“).245 Es handelt sich daher eher um einen Begrenzung, die in der Natur des juristischen Verfahrens liegt. Die dahinterstehende Frage ist eher diejenige, ob das englische Verfahren überhaupt die Frage lösen kann.246 Dabei sollen insbesondere hochpolitische Fragen der Diplomatie überlassen werden. Dies sei aber im vorliegenden Fall nicht gegeben, da der vorhandene Standard hier die grundlegenden Prinzipien des englischen Rechtssystems seien247 und das Gericht sich sehr wohl ein Bild von der Lage in Russland zwischen 2003 und 2006 machen könne.248 Das „political embarassement principle“ hingegen sollte nur dann durch den englischen Richter herangezogen werden, wenn die britische Regierung tatsächlich darauf hinweist.249 Ein solcher Hinweis sei aber nicht gegeben worden.250 (cc) Ergebnis Im Ergebnis lässt der High Court of Justice daher die Anerkennungs- und Vollstreckungsklage sowie die darauf gestützte Zinsforderung zur Verhandlung zu. (c) Das Urteil des England and Wales Court of Appeal Der England and Wales Court of Appeal folgt in seinem Urteil vom 27.06.2012251 der Entscheidung der Vorinstanz aber nur teilweise.

243

Id., Rn. 156, 161. Id., Rn. 179. 245 Id., Rn. 141. 246 Id., Rn. 143. 247 Id., Rn. 179. 248 Id., Rn. 187 f. 249 Id., Rn. 147. 250 Id., Rn. 190. 251 England and Wales Court of Appeal (Civil Division), Queen’s Bench Division, Commercial Court, per Lord Justice Rix, Lord Justice Longmore and Lord Justice Davis, Urteil v. 27.06.2012, EWCA (Civ) 2012, 855. 244

C. Die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit

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(aa) Die Erweiterung der Act of State-Doktrin Der Court of Appeal bestätigt im Wesentlichen zwar das Ergebnis des High Court zur Act of State-Doktrin, geht aber noch erheblich über die Entscheidung des High Courts hinaus. In bewusster Abweichung von der US-amerikanischen Rechtsprechung252 gehen die Richter davon aus, dass die Act of State-Doktrin generell nicht auf fremdstaatliche justizielle Entscheidungen anzuwenden sei, denn Handlungen der Judikative seien keine acts of state im Sinne dieser Doktrin.253 Traditionell seien von ihr nur Akte der Exekutive und Legislative betroffen. Der Unterschied zwischen solchen „klassischen“ acts of state und justiziellen Akten ist derjenige, dass ein Souverän nur begrenzt juristisch Rechenschaft ablegen müsse: Er könne lediglich von seinem Volk (z. B. durch Wahlen) oder international innerhalb der völkerrechtlichen Grenzen zur Verantwortung gezogen werden. Gerichte hingegen seien stets verantwortlich für ihre Akte. Ihre Handlungen werden nach juristischen, auch internationalen Standards beurteilt.254 (bb) Die Frage der Präklusion Der Court of Appeal wirft die Frage auf, ob die entscheidungserhebliche Streitfrage, ob die Schiedssprüche in Holland aufgrund eines ordre public-Verstoßes durch das Aufhebungsurteil vollstreckt werden können, identisch sei mit der Frage, ob die Schiedssprüche in England vollstreckt werden können.255 Dabei handele es sich nur vordergründig um denselben Prüfungsmaßstab. Zwar gebe es einen ordre public international, dieser umfasse aber nur einen kleinen Teil des Prüfungsmaßstab des englischen ordre public, nämlich hauptsächlich die völkerrechtlichen Regelungen. Der englische ordre public sei jedenfalls nicht identisch mit dem niederländischen Gegenstück. Eine Präklusion in dieser Frage sei daher ausgeschlossen und sei im Hauptverfahren durch den High Court of Justice zu untersuchen. (d) Das zweite Urteil des High Court of Justice zur Zulässigkeit Nach dem Urteil des Court of Appeal einigten sich die Parteien auf ein weiteres Zulässigkeitsverfahren vor dem England and Wales High Court of Justice. Einerseits sollte die Frage geklärt werden, ob der Rechtssatz „Ex nihilo nil fit“, also ob ein aufgehobener Schiedsspruch überhaupt eine Rechtswirkung entfalten könne, im englischen Rechtssystem existiere. Andererseits sollte das Gericht darüber entscheiden, ob das Bestehen der eingeklagten Zinsen nach russischem oder nach englischem Recht zu bestimmen sei. 252

Id., Rn. 88 f. Id., Rn. 86 f. 254 Id., Rn. 87. 255 Id., Rn. 150 ff. 253

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

(aa) Ex nihilo nil fit? Das Gericht entschied mit Urteil vom 03.07.2014256 zu Gunsten der Yukos­ Capital, dass es sich – in Anlehnung an das Eingangszitat von Van den Berg257 – nicht um eine Frage rechtlicher Philosophie handele, ob man einem aufgehobenen Schiedsspruch noch Rechtswirkungen zugestehe. Vielmehr sei zu prüfen, ob das ausländische Urteil, das den Schiedsspruch aufgehoben hat, mit den grundlegenden Prinzipien der Redlichkeit, des Naturrechts und innerstaatlichen Konzepten des ordre public vereinbar sei.258 Einen Rechtssatz „ex nihilo nil fit“ könne es daher im englischen Recht nicht geben.259 (bb) Auf den Zinsanspruch anwendbares Recht? Der aufgehobene Schiedsspruch enthält keine Regelung für den Zinsanspruch bei Zahlungsverzug. Hinsichtlich des anwendbaren Rechts zur Bestimmung des Rechtsanspruchs entschied der High Court nach Anhörung zweier Rechtsgutachter, dass ohne ein russisches Exequatururteil ein Zinsanspruch nach russischem Recht nicht entstehen konnte. Ein solcher Anspruch sei aber prinzipiell nach englischem Recht (Sec. 35A Senior Courts Act 1982) nicht ausgeschlossen.260 Eine Entscheidung darüber bliebe aber dem Endurteil vorbehalten. (e) Fazit Sowohl die niederländische wie die englische Rechtsprechung haben mit dem Yukos-Fall eine Abkehr von ihrer bisherigen Rechtsprechung unternommen. Diese Abwendung von der in diesen Staaten eigentlich vorherrschenden territorial-prozessualen Theorie ist in diesem Fall wohl hauptsächlich damit zu erklären, dass das russische Rechtssystem der Vollstreckungsklägerin keinen effektiven Rechtsschutz mehr bieten kann, wie die niederländische Entscheidung eindrucksvoll be 256 England and Wales High Court, Commercial Court, per Judge Simon, Urteil v. 03.07.2014, EWHC (Comm) 2014, 2188. 257 van den Berg, in: Lillich/Brower (Hrsg.), International Arbitration in the 21st Century, S.  133 (161): „The disregard of annulment of the award also involves basic legal concepts. When an award has been annulled in the country of origin, it becomes non-existent in that country. The fact that the award has been annulled implies that the award was legally rooted in the arbitration law of the country of origin. How then is it possible that courts in another country can consider the same award as still valid? Perhaps some theories of legal philosophy may provide an answer to that question, but for a legal practioner this phenomenon is inexplicable.“ 258 EWHC (Comm) 2014, 2188, Rn. 20: „In applying this test it would be both unsatisfactory and contrary to principle if the Court were bound to recognize a decision of a foreign court which offended against basic principles of honesty, natural justice and domestic concepts of public policy.“ 259 Id., Rn. 22. 260 Id., Rn. 24 ff.

C. Die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit

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legt hat. Allerdings erscheint es aus deutscher Rechtsperspektive bedenklich, dass keine konkreten Punkte genannt worden sind, die dieses spezifische Aufhebungsverfahren betreffen, sondern allgemeingültige Kritikpunkte am russischen Justizsystem dem Gericht ausreichten, den aufgehobenen Schiedsspruch anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Es ist dementsprechend nicht verwunderlich, dass der englische Court of Appeal Einwände gegen die Feststellungen des niederländischen Gerichts nicht als präkludiert angesehen hat. Die englische Zulässigkeitsentscheidung des Court of Appeal ist aber deshalb so bemerkenswert, weil die englische Rechtsprechung damit deutlich gemacht hat, dass sie sich in Zukunft nicht durch die Act of State-Doktrin gehindert sieht, Aufhebungsurteile in Zweifelsfällen zu untersuchen, nämlich dann, wenn sie unredlich ergangen, gegen das Naturrecht verstoßen oder mit den wesentlichen Grundsätzen des englischen Rechts unvereinbar sind. Die ergangenen Zwischenurteile bedeuten, ohne dass es von den beteiligten Richtern problematisiert wurde, unabhängig von dem späteren Endurteil schon jetzt ein Abgehen von einer rein jurisdiktionellprozessualen Sichtweise auf die Schiedsgerichtsbarkeit durch englische Gerichte.

III. Zusammenfassung des Abschnitts zur internationalen Vollstreckungspraxis und Literatur Wie die Darstellung der terrritorialen und der internationalistischen Theorie gezeigt hat, sind die dogmatischen Gegensätze nicht nur im deutschen Schrifttum, sondern auch auf internationaler Ebene erkennbar und weit verbreitet. Im Gegensatz zu der deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungspraxis zu aufgehobenen ausländischen Schiedssprüchen zeigt die Untersuchung der internationalen Praxis aber ein weit aufgefächertes Meinungsbild. Auf der Extremseite steht wenig überraschend die französische Rechtspraxis, die die Aufhebung von Schiedssprüchen stets als unbeachtlich ignoriert und die betreffenden Schiedssprüche anerkennt und für vollstreckbar erklärt. Die beiden Verfahren Hilmarton und Putrabali zeigen jedoch deutlich die Gefahr auf, dass es bei einer Anerkennung ohne Beachtung der möglicherweise berechtigten Aufhebungsgründe zu einem neuen Schiedsspruch mit einem widersprechenden Ergebnis und damit zu Doppelvollstreckungen in einer Rechtssache kommen kann. Die genannte belgische Entscheidung Sonatrach folgt zwar generell dem französischen Ansatz der materiell-rechtlichen Theorie, sieht aber das UN-Übereinkommen als lex specialis zum internen belgischen Recht, das mangels Anwendbarkeit des UN-Übereinkommens hier nur ausnahmsweise zur Anwendung kam. Zu unterstreichen ist jedoch, dass sich diese Rechtsansicht der belgischen Judikatur angesichts der Meistbegünstigungsklausel des Art. VII UN-Übereinkommen möglicherweise in Zukunft auch wieder ändern könnte.

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

Das US-amerikanische Verfahren Chromalloy geht einen Sonderweg, indem es auf die Schiedsabrede abstellt, die Rechtsmittel gegen den Schiedsspruch generell ausgeschlossen hatte, sodass dieser trotz fremdstaatlicher Aufhebung vollstreckt werden konnte. Bei Anwendbarkeit des Europäischen Übereinkommens zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit steigt, wie die beiden Fälle Radenska und Ciments Francais zeigen, die Wahrscheinlichkeit der Vollstreckbarkeit aufgehobener Schiedssprüche. Im Fall Radenska wurde die Aufhebung wegen Verstoßes gegen den jugoslawischen ordre public von den österreichischen Gerichten als unbeachtlich angesehen. Das Verfahren Ciments Francais zeigt deutlich, dass viele Aufhebungsgründe eher willkürlich aufgezählt werden, wie beispielsweise das Argument des türkischen aufhebenden Gerichts, dass der Zeitpunkt der schiedsgerichtlichen Entscheidung außerhalb der üblichen Gerichtszeiten gelegen habe. Besonders bedeutsam sind die niederländischen und englischen Entscheidungen in der Sache Yukos Capital ./. Rosneft. Die Fülle von Unterlagen, die gegen eine Neutralität der russischen Justiz in diesem Falle sprachen, haben den Gerechtshof von Amsterdam dazu erwogen, den aufgehobenen russischen Schiedsspruch anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären, obwohl ein Rechtsverstoß im konkreten Aufhebungsurteil offenbar nicht ohne Weiteres benannt werden konnte. Die englischen Gerichte haben offenbar dieses Problem erkannt und sehen Rosneft mit Einwänden gegen diese angebliche Parteilichkeit des Aufhebungsgerichts nicht präkludiert. Erstaunlich an den englischen Entscheidungen ist eine Veränderung der Act of State-Doktrin, die nunmehr ausdrücklich nicht mehr auf fremdstaatliche gerichtliche Entscheidungen Anwendung findet. Englische Gerichte werden also auch in Zukunft fremdstaatliche Urteile und damit auch Aufhebungsurteile in Zweifelsfällen untersuchen. Der Grundgedanke, der hinter diesen Entscheidungen steht, ist, dass eine offensichtliche Parteilichkeit der russischen Justiz einem effektiven Rechtsschutz der Yukos Capital entgegensteht. Die aufgehobenen Schiedssprüche stellen dementsprechend den einzig verfügbaren Rechtsweg für die Voll­ streckungsklägerin in der russischen Föderation dar. Dieser Extremfall zeigt deutlich, dass die Überprüfung eines Aufhebungsurteils in Einzelfällen die einzige Möglichkeit für den Vollstreckungskläger bilden kann, einen effektiven Rechtsschutz zu erhalten. Die Darstellung der verschiedenen Ansichten und Lösungsvorschläge hat deutlich werden lassen, dass für beide zugrundeliegende Theorien gut begründbare und vernünftige Erwägungen sprechen. Die französischen Beispielsfälle Hil­marton und Putrabali auf der einen Seite, der Fall Yukos Capital auf der anderen Seite zeigen jedoch deutlich, dass beide Theorien nicht in einer Form des Automatismus angewendet werden können, will man zu sachgerechten Ergebnissen gelangen.

D. Die historische Entwicklung der Vollstreckung von Schiedssprüchen

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D. Die historische Entwicklung der Vollstreckung von Schiedssprüchen als Grundlage für die unterschiedliche Vollstreckungspraxis Die französische Vollstreckungspraxis, die, wie bereits dargelegt, das Risiko paralleler Vollstreckungen von sich widersprechenden Schiedssprüchen in derselben Sache birgt, ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder auf internationale Kritik gestoßen. Insbesondere erwog die EU-Kommission, die Anerkennung von europäischen Aufhebungsentscheidungen durch eine Modifikation der EuGVVO als zwingende Rechtsfolge für alle EU-Staaten verbindlich zu machen. Diese Bestrebungen sind bisher am erbitterten Widerstand Frankreichs gescheitert. Es soll mit einer kurzen historischen Darstellung vermittelt werden, warum insbesondere das französische Rechtsdenken so stark mit der materiell-rechtlichen Theorie verwurzelt ist. Die Schiedsgerichtsbarkeit war lange Zeit eine besondere Ausprägung der individuellen Freiheit gegenüber den absolutistischen Regimen. Die rechtliche Fiktion der Abkapselung von der Rechtsordnung des Sitzstaates ist letztlich eine Ausprägung dieses Freiheitsgedankens. Die Entwicklung zur jurisdiktionell-prozessuale Theorie ist dagegen eine relativ neue Entwicklung des 19. Jahrhunderts und war lange mit dem Gedanken verbunden, bestimmte Handelspartner gegenüber anderen privilegiert behandeln zu können. Die Beschäftigung mit diesen Ursprüngen soll dabei eine Hilfestellung bieten, die Frage des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens besser zu verstehen und die philosophische Basis hinter den beiden Konzepten nachzuvollziehen. Die sich dabei offenbarenden Gegensätze deuten darauf hin, dass auf lange Sicht die unterschiedliche Vollstreckungspraxis sich nicht effizient harmonisieren lassen wird.

I. Die actio ex compromisso der Antike Als zivilrechtliches Instrument lässt sich die Schiedsgerichtsbarkeit im klassischen Römischen Recht anhand von Gesetzestexten ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. nachweisen, also einer Zeit, in der die Verflechtungen zwischen Helenen, die die Schiedsgerichtsbarkeit ebenfalls schon kannten,261 und dem römischen Imperium enger wurden.262 Aus dieser Zeit stammt ein von Rudorff263 und Lenel264 rekonstruiertes Edikt des römischen Prätors, er werde die mit Vertragsstrafe bewehrte Verpflichtung eines Schiedsrichters, im Schiedsverfahren eine Entscheidung zu fällen, 261 Dies ergibt sich beispielsweise aus der Rede Demosthenes gegen Meidias (ca. 350 v. Chr.). Allerdings sind aus dieser Epoche keine Gesetzestexte erhalten. Dazu: Gal, S. 8 f. 262 Ziegler, S. 7; Gal, ibid. 263 Rudorff, De iuris dictione edictum (1869), S. 64, § 46. 264 Lenel, Das Edictum perpetuum (1883), S. 103.

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

mit Zwangsmaßnahmen durchsetzen.265 Der staatliche Prätor übernimmt also die Garantie, dass ein durch Schiedsvertrag versprochener Schiedsspruch gefällt wird (receptum arbitri). Der private Schiedsrichtervertrag (receptum) wird von staatlichen Seite durchgesetzt und bildet damit schon im Römischen Recht außerhalb des Vollstreckungsverfahrens eine Ausnahme im Rahmen des Privatrechts.266 Den Schiedsparteien wird selbst kein Klagerecht (actio) zugestanden, sondern der Prätor wird selber von Amts wegen tätig.267 Im Römischen Recht finden sich bereits viele Merkmale des Schiedswesens, die noch bis heute Geltung beanspruchen. Dies gilt insbesondere für die starke Gewichtung des Schiedsvertrages (compromissum) als Grundlage für die Schiedsentscheidung. Im Falle der Vollstreckung eines Schiedsspruchs war der Schiedsgläubiger beispielsweise auf eine actio in factum, in diesem Fall einer durch Analogie herbeigeführten Form der Vollstreckungsklage angewiesen.268 Die Durchsetzung des Schiedsspruches meint in diesem Fall eigentlich die Durchsetzung des Schiedsvertrages bzw. der Schiedsklausel (compromissum). Das heißt, die Vollstreckungsklage basiert auf dem Vertrag zwischen den Schiedsparteien, den Verpflichtungen aus einem zukünftigen Schiedsspruch nachzukommen. Im Rahmen der actio in factum wurde der materielle Gehalt des Schiedsspruchs daher nicht mehr überprüft. Entscheidend war allein, ob das Schiedsverfahren dem Schiedsvertrag (compromissum) entsprochen hatte.

II. Die Rezeption des römischen Rechtsinstituts Dieser Grundentscheidung des römischen Rechts sind im Hochmittelalter die Rechtskreise des Common Law wie des kontinentaleuropäischen Gemeinen Rechts (ius commune) gefolgt, indem sie den Schiedsgläubiger verpflichten, ein gerichtliches Vollstreckungsverfahren zur Durchsetzung eines Schiedsspruches anzustreben.269 Die Parteien sind im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens auch heute noch darauf beschränkt, das Zustandekommen der Schiedsklausel bzw. Verfahrensverstöße zu rügen. Ein Angriff der materiellen Entscheidungsgründe bleibt ihnen hingegen grundsätzlich verwehrt (Verbot der révision au fond). Der Bezug auf den Inhalt des originären Schiedsvertrags und nicht auf die materiellen Grundlagen der zu vollstreckenden Schiedsentscheidung (sententia arbitri 265

Edikt EP Tit.  XI § 48: „Qui arbitrum pecunia compromissa receperit, eum sententiam­ dicere cogam“, zitiert nach Ziegler, S. 7; Gal, S. 10. 266 Kaser/Knütel, § 46 III Rn. 4 f. 267 Gal, S. 10 folgert daraus, dass der Schiedsrichter ein vertragsähnliches Schuldverhältnis eingegangen sei. Seine einzige Verpflichtung habe darin bestanden, den Schiedsspruch abzu­ geben (S. 18). 268 Codex Iustininus 2, 55, 4, 4, analysiert bei Ziegler, S. 209. 269 Kleinheisterkamp, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclodedia of Public International Law, online edition, Rn. 4.

D. Die historische Entwicklung der Vollstreckung von Schiedssprüchen

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ex compromisso) folgt der generellen, nicht territorialen Ausrichtung des gemeinen Rechts.270 Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren war ausdrücklich losgelöst und unabhängig von Rechtsordnung und Sitz des Schiedsgerichts. In den meisten Rechtsordnungen wurde daher lange Zeit keine Unterscheidung zwischen nationalen und ausländischen Schiedssprüchen getroffen. Diese wesentliche Grundentscheidung blieb in Europa vorherrschend. Während des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit findet die Schiedsgerichtsbarkeit vor dem Hintergrund einer schwach entwickelten staatlichen Gerichtsbarkeit und als Gegengewicht zum feudalen Fehdewesen ihre Blütezeit,271 die vielerorts mit einer rechtlichen Weiterentwicklung von Verfahrensregelungen im Rahmen des kanonischen Gemeinen Rechts verbunden war.272 An der von dem Schiedsort losgelösten Vollstreckbarkeit kann jedoch keine Veränderung festgestellt werden. Erst im 18. und 19. Jahrhundert veränderte sich das Verhältnis zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und der staatlichen Akzeptanz mit dem Aufkommen absolutistisch regierter Nationalstaaten. Die Schiedsgerichtsbarkeit war historisch betrachtet stets eine besondere Form der Autonomie des Individuums gegenüber der staatlichen Einflussnahme.273 Die absolutistischen Systeme haben daher stets versucht, die private Schiedsgerichtsbarkeit einzugrenzen und im Gegenzug die Kompetenzen der staatlichen Gerichte zu erweitern. Es ist daher wenig überraschend, dass sich eine Gegenströmung entwickelte. So gewährleistet z. B. Kap. V Art. 5 französische Verfassung von 1791 das Recht der Bürger ausdrücklich, Rechtsstreitigkeiten unabhängig von der französischen Legislative abschließend durch ein Schiedsverfahren zu regeln.274 In der Zeit nach dem Wiener Kongress wird in den meisten Staaten die Schiedsgerichtsbarkeit zwar noch geduldet, standen ihr jedoch ablehnend gegenüber, so beispielsweise der auf Kontrolle bedachte preußische Polizeistaat.275 Sehr wahrscheinlich hat auch die Verbesserung der staatlichen Gerichtsbarkeit zunächst zu einem starken Rückgang der Schiedsgerichtsbarkeit geführt. Ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde immer deutlicher, dass Industrie und Handel ein funktionierendes, kostengünstiges und schnelles Streitschlichtungssystem für ihre internationale Tätigkeit benötigen. Die hier zu konstatierenden Veränderungen des internationalen Vollstreckungssystems fallen daher alle in diese Periode. 270

Kleinheisterkamp, ibid. Grewe, S. 122, der darauf hinweist, dass eine Trennung von privatrechtlicher, öffentlichrechtlicher und völkerrechtlicher Schiedsgerichtsbarkeit für diesen Zeitraum noch nicht vorgenommen werden kann. 272 Schäfer, S. 34 ff.; Heller, S. 23 f. 273 Gal, S. 25. 274 Chap. V. Art. 5 Constitution française du 3 septembre 1791: „Le droit des citoyens, de terminer définitivement leurs contestations par la voie de l’arbitrage, ne peut recevoir aucune atteinte par les actes du Pouvoir législatif.“ 275 Dazu Gal, S. 25 mwN; auch die deutschen und italienischen totalitären Regime in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts haben versucht, die Schiedsgerichtsbarkeit einzudämmen, dazu Lorenz, AcP 157, S. 265 (266 f.). 271

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

III. Die französische Rechtsentwicklung und die internationalistische Theorie Die genannten Grundsätze der römischen actio ex compromisso finden sich noch in frühen Kodifikationen wie im französischen Code de procédure civile von 1806 wieder. Die Artt. 1020, 1021 Code de procédure civile a. F. nahmen keine Unterscheidung zwischen einem nationalen und einem ausländischen Schiedsspruch vor. Die französische Rechtswissenschaft folgt dem klassischen römischen Verständnis und sieht Schiedsvertrag und Schiedsspruch als eine privatrechtliche Einheit. Der Schiedsvertrag ist losgelöst von der Nationalität des Schiedsgerichts privatrechtlich bindend und daher generell vollstreckbar. Die französische Kodifikation ging sogar über die oben beschriebenen Grundsätze hinaus und erlaubt eine Vollstreckung ex parte, das heißt auf Antrag des Schiedsgläubigers beim Präsidenten eines Tribunal de grande instance ohne weiteres förmliches Vollstreckungsverfahren (ordonnance sur requête).276 Die Aufhebung in einem Drittstaat war daher nach Art. 1028 Abs. 1 Code de Procedure Civil a. F. grundsätzlich unbeachtlich.277 Dieses Verfahren ist auch durch Art. 1498 Nouveau Code de Procédure Civile (NCPC)278 wenig verändert worden. Schiedssprüche werden danach anerkannt und vollstreckt, sofern ihre Existenz durch den Antragsteller nachgewiesen wird und die Anerkennung nicht offensichtlich gegen den internationalen ordre public279 verstößt. Art. 1501 NCPC unterscheidet dabei nicht zwischen den Gründen, die die Aufhebung eines Schiedsspruchs im Ursprungsstaat regeln und solchen, welche das Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht berechtigen, die Vollstreckung zu verweigern. Die französische Rechtswissenschaft des frühen 19.  Jahrhunderts entwickelte jedoch eine Ausnahme von dem Grundsatz der vom Sitzstaat des Schiedsgerichtes losgelösten Betrachtungsweise und unterschied, weiterhin auf der Grundlage der Prinzipien des Gemeinen Rechts, zwischen vertraglichen und gerichtlich er 276 Schlosser, Rn.  41; eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist auch heute in Frankreich die Regel, so Bühler, in: Wagner/Schlosser u. a. (Hrsg.), Die Vollstreckung von Schiedssprüchen, S. 81 ff. 277 Art. 1028 Abs. 1 CPC a. F.: „Il ne sera besoin de se pourvoir par appel ni requête civile dans les cas suivants : 1. Si le jugement a été rendu sans compromis ou hors des termes du compromis ; 2. S’il l’a été sur compromis nul ou expiré ; 3. S’il l’a été rendu que par quelques arbitres non autorisés à juger en l’absence des autres ; 4. S’il l’a été par un tiers sans en avoir conféré avec les arbitres partagés ; 5. Enfin, s’il a été prononcé sur choses non demandées.“ 278 Der Nouveau Code de Procédure Civile ist seit 1976 in Kraft. 279 Der ordre public international beinhaltet international anerkannte Rechtsgrundsätze bzw. Kollektivinteressen (so Bleckmann, ZaöRV 1974, 112), die aber anders als die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit c) IGH-Statut nicht generelle Geltung in allen Rechtsordnungen voraussetzen, sondern im anglo-amerikanischen und europäischen Raum viel eher den westlichen Standard widerspiegeln (so analysierend Sandrock, American Revue of International Arbitration 12 (2001), S. 314).

D. Die historische Entwicklung der Vollstreckung von Schiedssprüchen

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zwungenen Schiedssprüchen. Ohne weiteres vollstreckbar sollten nur diejenigen Schiedssprüche sein, die aufgrund einer freiwilligen vertraglichen Basis zustande gekommen waren. Hatte eine staatliche Stelle beim Entstehen des Schiedsspruches mitgewirkt,280 sollte der Schiedsspruch folgerichtig wie ein staatliches ausländisches Urteil behandelt werden, was bis 1964 für das französische Vollstreckungsverfahren bedeutete, dass in einem solchen Fall eine révision au fond durchgeführt werden musste.281 Es ist hervorzuheben, dass in der Praxis dieser frühen Kodifikation einer schiedsgerichtlichen Entscheidung mehr Vertrauen entgegengebracht wurde als einer ausländischen staatlichen Entscheidung. Ein ausländischer Schiedsspruch wurde stets wie ein inländischer Schiedsspruch behandelt. Der Ursprungsstaat spielte daher für das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren keine Rolle.

IV. Die deutsche Rechtsentwicklung bis zum New Yorker UN-Übereinkommen Die deutsche Vollstreckungspraxis hat sich im Vergleich zur französischen Rechtspraxis in die genau entgegengesetzte Richtung entwickelt. An der deutschen Entwicklung ist hervorzuheben, da sie sich bedingt durch eine in den deutschen Staaten starken rechtsdogmatischen Betrachtungsweise Ende des 19. Jahrhunderts ohne ein konkretes Gerichtsverfahren mit der Frage der theoretischen Rechtsnatur der Schiedsgerichtsbarkeit beschäftigt hat. Auch in den deutschen Staaten wurde bis zum Inkrafttreten der ZPO keine gesetzliche Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen Schiedssprüchen getroffen. Die Lehre hatte bis dahin parallel zur französischen Rechtspraxis die Schiedsgerichtsbarkeit als eine ausschließlich materiell-privatrechtlich einzustufende Einrichtung begriffen. 1887 hat jedoch Joseph Kohler im Rahmen seiner Grundsatzstudie zur Rechtsnatur von Prozessverträgen diesem Ansatz heftig widersprochen.282 Kohler will das gesamte Rechtsinstitut ausschließlich prozessual-jurisdiktionell erklären, wobei er allerdings von der Situation des damaligen preußischen Rechts ausging. Der Schiedsrichter wurde damals noch durch das stets zuständige Amtsgericht ausgewählt. Eine echte Wahl hinsichtlich der Verfahrensregeln war damals nicht möglich. Eine von Kohlers Hauptthesen liegt darin, dass es schwer möglich sei, ohne Zustimmung des Sitzstaates den Gerichtsstand der staatlichen Gerichte durch privatrechtlichen Vertrag wirksam auszuschließen, letztlich also stets das Verfahren auf der Grundlage des nationalen Verfahrensrechts 280 Das war insbesondere bei Schiedssprüchen aus Preußen grundsätzlich der Fall, wo die Schiedsgerichtsbarkeit bei den staatlichen Gerichten 1.  Instanz angesiedelt worden war; so Schäfer, S. 38. 281 Kleinheisterkamp, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclodedia of Public International Law, online edition, Rn. 6. 282 Kohler, Gruchots Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 31(1887), S. 276, 290 ff..

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

zustande kommen müsse.283 Seine These wurde von der deutschen Rechtswissenschaft aufgenommen und ist bis heute als territoriale bzw. jurisdiktionell-prozessuale Auffassung verwurzelt. Erst nach dem Ende des 2.  Weltkriegs haben sich mit Karl Blomeyer284 und Werner Lorenz285 zwei Verteidiger des klassischen materiell-privatrechtlichen Verständnisses gefunden, die sich aber nicht durchsetzen konnten.

V. Die Vollstreckungsübereinkommen des 19. Jahrhunderts Das Entstehen der jurisdiktionell-prozessualen Auffassung war sicherlich nicht zuletzt beeinflusst von dem Aufkommen der ersten bilateralen Vollstreckungsübereinkommen, mit denen einzelne Handelspartner diesbezüglich privilegiert werden sollten. Die ersten Abkommen dieser Art enthielten als einzige Voraussetzung für die Vollstreckung, dass der Schiedsspruch im Sitzstaat als res iudicata angesehen wurde, also keine weiteren Rechtsmittel gegen ihn eingelegt werden konnten. Ebenso sahen sie ein Verbot der révision au fond vor.286 Alle diese Verträge waren erkennbar von der französischen Rechtsauffassung beeinflusst. Ende des 19.  Jahrhunderts erlitt jedoch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit durch mehrere bi- und multilaterale Verträge schwere Rückschläge, die sich mit dem Stichwort „doppelte Exequatur“ zusammenfassen lassen. Der Spanischschweizerische Vollstreckungsvertrag von 1896 sah neben dem Verbot der révision au fond wohl aufgrund eines Redaktionsversehens eine Abweichung von der sonst üblichen Formulierung der endgültigen Entscheidung vor (res iudicata).287 Der Schiedsspruch müsse im Ursprungsstaat „vollstreckbar“ sein. Während Urteile stets vollstreckbar sind, wird bei Schiedssprüchen aber eine Vollstreckbarkeit generell nach den genannten Prinzipien des gemeinen Rechts erst durch ein Anerkennungsund Vollstreckungsverfahren hergestellt, dem sog. Exequatur-Verfahren. Im Ergebnis bedeutete diese Regelung für den Schiedsgläubiger, dass er mit dem Schiedsspruch zunächst ein Exequaturverfahren im Ursprungsstaat und danach ein weiteres ­Exequaturverfahren im Vollstreckungsstaat durchführen lassen musste. Den we 283

Kohler, id., S. 293 f. Blomeyer, FS Rosenberg, 1949, S. 51 ff. 285 Lorenz, ACP 157, S. 265 ff. 286 Auflistung bei Kleinheisterkamp, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclodedia of­ Public International Law, online edition, Rn. 8. 287 Art. 2 Nr. 3 Vertrag v. 10.11.1896 zwischen der Schweiz und Spanien über die gegenseitige Vollstreckung von Urteilen oder Erkenntnissen in Zivil- und Handelssachen: „Dem Vollstreckungsbegehren sind folgende Aktenstücke beizulegen: […] 3. […] Bescheinigung des Gerichtsschreibers des urteilenden Gerichts, dahingehend, dass das Urteil oder Erkenntnis, dessen Vollstreckung verlangt wird, nach der Gesetzgebung des Landes rechtskräftig und vollstreckbar sei, indem keinerlei Berufung oder Einsprache vorliege.“; zitiert nach: Meili, S. 531. 284

D. Die historische Entwicklung der Vollstreckung von Schiedssprüchen

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sentlichen Gründen, sich der Handelsschiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, nämlich das Misstrauen gegenüber den nationalen Gerichten und der Ausschluss der Öffentlichkeit, wurden durch diese Regelungen die Grundlage entzogen. Diese erhebliche Erschwerung des Schiedsverfahrens führte dazu, dass die Bedeutung dieser Rechtsmaterie in der Folgezeit stark abnahm, insbesondere als sich die Rechtsansicht durchsetzte, der Schiedsspruch könne im Vollstreckungsstaat nicht mehr wert sein als im Ursprungsstaat. Diese Auffassung findet sich auch in Art. 5 der südamerikanischen Montevideo-Konvention über Verfahrensrecht von 1889,288 dem ersten multilateralen Vertrag überhaupt, der sich mit der Anerkennung und der Vollstreckung von Schiedssprüchen beschäftigt. Urteile und Schiedssprüche hätten danach die gleiche Wirkung wie im Ursprungsstaat. Ein Schiedsspruch musste also im Gegensatz zu einem staatlichen Urteil im Ursprungsstaat ein Exequatur-Verfahren durchlaufen haben. Eine ebensolche Gleichstellung von Urteil und Schiedsspruch findet sich in vielen multilateralen Verträgen, beispielsweise im Código Bustamante, Havana 1928,289 der Montevideo-Konvention über Internationales Verfahrensrecht von 1940,290 aber auch in der Kairo-Konvention der Arabischen Liga von 1952,291 wie auch in vielen bilateralen Verträgen, wie dem Belgisch-Niederländischen Vertrag v. 1925,292 dem US-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Navigationsvertrag mit Italien (1951),293 der B ­ undesrepublik

288 Art.  6 lit.  c)  (Montevideo) Treaty Concerning the Union of South American States in ­ espect of Procedural Law v. 11.01.1889: „The documents indispensable in order to request R enforcement of a judgement or arbitral award are the following: […] c) An authenticated copy of the order which declares that the judgement or award in question is final, or has the authority of res judicata, together with an authenticated copy of the laws upon which that order is based.“, zitiert nach: UNCITRAL (Hrsg.), Register of Texts of Conventions and other Instruments concerning International Trade Law, Vol. II, 1973, S. 6. 289 Art. 432 Código Bustamante v. 26.04.1928: „The procedure and effects regulated in the preceding articles shall be applied in the contracting States to awards made in any of them by arbitrators or friendly compositors, whenever the case to which they refer can be the subject of a compromise in accordance with the legislation of the country where the execution is requested.“, zitiert nach: UNCITRAL (Hrsg.), id., S. 20. 290 Art. 6 lit. c) (Montevideo) Treaty on Procedural Law v. 19.03.1940, der die vertragliche Bestimmung des Vertrages von 1889 wortgleich wiederholt; zitiert nach: UNCITRAL (Hrsg.), id., S. 21. 291 Art.  5 Abs.  3 Convention of the Arab League on the Enforcement of Judgments and Arbitral Awards v. 10.11.1952: „Requests for execution should be supported by the following documents: […] 3. A certificate from responsible authority to the effect that judgment is final and executory.“, zitiert nach Revue égyptienne de droit international (1952) S. 333–335. 292 Belgisch-niederländisches (Brüsseler) Abkommen über die Zuständigkeit der Gerichte, den Konkurs sowie die Anerkennung und die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden v. 28.03.1925, Moniteur Belge v. 27.07.1929, S. 3926. 293 Art. VI Supplement v. 26.09.1951 to the Treaty of Friendship, Commerce and navigation between the United States of America and the Italian Republic v. 02.02.1948: „final and enforceable under the laws of the place where rendered“, zitiert nach: United States Treaties and Other International Agreements 12 (1961) I, S. 131 (TIAS 4685).

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

Deutschland (1954)294 und den Niederlanden (1956)295 wie auch im Belgisch-Deutschen Vertrag v. 1958296.297

VI. Das Genfer Abkommen von 1927298 Das im Rahmen des Völkerbundes geschlossene Genfer Abkommen von 1927, der Vorgänger des geltenden New Yorker UN-Übereinkommens von 1958, folgte der Intention, diesen Missstand zu beheben.299 Die Verfasser hatten bewusst auf die Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs im Ursprungsstaat verzichtet, da es sich bei diesem nur um einen unnötigen Kostenfaktor handelte.300 Stattdessen hatte man den neutralen Begriff „endgültig“301 gewählt. Die Beweislast für die Endgültigkeit des Schiedsspruchs liegt jedoch bei dem Vollstreckenden, der hierfür Beweisurkunden erbringen musste.302 Die meisten nationalen Gerichte gingen trotz der Veränderung des Wortlauts in der Folgezeit weiterhin davon aus, dass der Beweis der „Endgültigkeit“ nur durch die Vorlage der Exequaturentscheidung des Ursprungsstaats zu erbringen war. Das Genfer Abkommen behob also entgegen der Intention der Verfasser nicht den Missstand des doppelten Exequaturs, sondern wurde durch die gerichtliche Praxis sogar herangezogen, um ihn zu festigen.303 294

Art. VI Abs. 2 des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika v. 29.10.1954 [BGBl. 1956 II S. 487 (490)]: „nach den Gesetzen des Ortes, an dem er [der Schiedsspruch] gefällt wurde, endgültiger und vollstreckbarer Schiedsspruch […]“. 295 Art. V Abs. 2 lit. b) Agreement between the U. S. and Netherlands Concerning Friendship, Commerce and Navigation v. 27.03.1956: „final and enforceable“, zitiert nach: United States Treaties and Other International Agreements 8 (1957) II, S. 2043 (TIAS 3942). 296 Art.  13 Abkommen zw. der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 30. Juni 1958 (BGBl. 1959 II S. 766 (771)): „Schiedssprüche, die in dem Hoheitsgebiet des einen Staates ergangen sind, werden in dem Hoheitsgebiet des anderen Staates vollstreckt, wenn sie in dem Staate, in dessen Hoheitsgebiet ergangen sind, vollstreckbar sind, […]“. 297 Eine Auflistung findet sich bei Kleinheisterkamp, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition, Rn. 11. 298 Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche v. 26.09.1927 (RGBl. II 1930 S. 1068). 299 Solomon, S. 49 f. 300 Expertenbericht zum Genfer Abkommen, JO 1927, S.  892 f. (zitiert bei Gremninger, S. 59). Der Bericht der zusätzlichen Leitmaier-Kommission stellte fest, dass „il faut considérer, […] le caractère définitif de la sentence et non son caractère exécutoire dans le pays qu’elle a été rendue.“, SdC 1927, 83, (zitiert bei Gremninger, ibid). 301 Engl: „final“. 302 Der Vollstreckende musste gem. Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 GAbk Urkunden erbringen, „die dartun, dass der Schiedsspruch in dem Lande, in dem ergangen ist, eine endgültige Entscheidung im Sinne des Art. 1 lit. d darstellt“. 303 van den Berg, New York Convention, S.  266 f. u. 333; Bertheau, S.  56, 91; Fouchard/ Gaillard/Goldman, S. 986, Rn. 1677; MünchKommZPO-Gottwald, IZPR, B6d (Genfer Abk.),

E. Zusammenfassung des 1. Kapitels

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Mit dem Genfer Abkommen vom 26.09.1927 war die Entwicklung hin zu einer Koppelung des Schiedsspruchs mit dem Recht des nationalen Ursprungsstaates abgeschlossen. Auf internationaler Ebene hatte sich die jurisdiktionell-prozessuale Theorie daher wie beschrieben weitgehend durchgesetzt. Es ist bemerkenswert, dass die Tradition des Römischen Rechts, das den Schiedsspruch als dogmatisch losgelöst vom Ursprungsort betrachtet hatte, in lediglich 50 Jahren in ihr Gegenteil verkehrt worden ist. Ein Schiedsspruch war bis zum New Yorker UN-Übereinkommen von 1958 ohne die Bestätigung des Ursprungsstaates nicht vollstreckbar, während das Gemeine Recht noch eine abstrakte Betrachtungsweise des Schiedsvertrages gefordert hatte. War danach dieser gültig und entsprach das Verfahren den Vorgaben des Vertrages, so war der Schiedsspruch unabhängig von der Nationalität der Schiedsrichter vollstreckbar.

E. Zusammenfassung des 1. Kapitels Die vorangegangene Analyse hat aufgezeigt, dass die Anerkennung und Vollstreckung von im Ausland aufgehobener Schiedssprüche ein historisch gewachsenes und national wie international stark umstrittenes Problemfeld darstellt. Dabei sind in der deutschen Literatur und Judikatur dogmatische Gründe für eine NichtAnerkennung eines aufgehobenen Schiedsspruchs sicherlich vorherrschend. Ein differenziertes Bild ergibt sich lediglich, wenn das Europäische Übereinkommen zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1961 im Einzelfall zur Anwendung kommt, das den Kreis der anerkennungsfähigen Aufhebungsgründe einschränkt. Der Streit zwischen der territorialen Ansicht, die auf die jeweilige nationale Prozessordnung des Ursprungsstaats abstellt und damit mit der Aufhebung dem Schiedsspruch jede rechtliche Wirksamkeit abspricht, und der internationalistischen Auffassung, die auf die materielle Schiedsklausel abstellt und die Wirksamkeit unabhängig von der Rechtsordnung des Ursprungsstaats bestimmen will, ist auch in der internationalen Literatur und der Rechtsprechung in vielen anderen Staaten zu finden. Lässt man die Lösungsansätze beiseite, die die Schaffung einer internationalen Gerichtsinstanz fordern, um eine einheitliche Praxis zu gewährleisten, stößt man spätestens bei der Betrachtung der internationalen Praxis auf gute Gründe für und gegen eine Nichtbeachtung eines Aufhebungsurteils. So zeigen insbesondere die französischen Urteile in den Verfahren Hilmarton und Putrabali auf, dass die ungeprüfte Anerkennung aufgehobener Schiedssprüche zu schweren Verwerfungen

Rn.  9; Nienaber, S.  141; Paulsson, ICCA Bulletin 9 (1998/No. 1), S.  18; Solomon, S.  49 f.; Stein/Jonas/Schlosser, Anh. zu § 1044 a. F. A  II (Genfer Abk.), Art.  1 Anm.  II 4 u. Art.  4 Anm. I 1; Schlosser, Int. Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 55; Weihnacht, Journal of International Arbitration 19 (2002), S. 317.

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Kap. 1: Das Rechtsproblem aus deutscher und internationaler Sicht 

führen kann, wenn es in gleicher Sache zur Vollstreckung eines zweiten, der ersten Entscheidung widersprechenden Schiedsspruchs in anderen Staaten kommt. Anderseits zeigt das niederländische und englische Verfahren im Fall Yukos­ Capital, dass die Schiedsgerichtsbarkeit in vielen Fällen die einzige Möglichkeit für den Vollstreckungskläger darstellt, im Ursprungsstaat einen effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Gerade diese Fälle führen vor Augen, wie bedeutsam es ist, dass im Rahmen des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren die ausländischen Aufhebungsurteile, sofern Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch vorliegen, auf ihre Anerkennungsfähigkeit überprüft werden.

Kapitel 2

Hat das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht nach den beiden Vollstreckungsübereinkommen ein Ermessen? Hat das deutsche Anerkennungsgericht ein Ermessen?

A. Das Anerkennungs- und Vollstreckungsermessen bei der Vollstreckung eines aufgehobenen Schiedsspruchs gemäß Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen1 A. Ermessen gemäß Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen

Wie die Rechtsprechungsübersicht gezeigt hat, gehen die meisten deutschen Gerichte davon aus, dass bei der Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen aufgehobenen Schiedsspruchs die fremdstaatliche Aufhebungsentscheidung ohne besondere Prüfung als gegeben hingenommen wird mit dem Ergebnis, dass die Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland verweigert wird. Das Gericht verfüge in solchen Fällen über kein Ermessen hinsichtlich der Anerkennung. Im Gegensatz dazu haben einige ausländische Gerichte jedoch ein solches Ermessen angenommen und schließlich aufgehobene Schiedssprüche anerkannt und für vollstreckbar erklärt. Die folgende Untersuchung des Textes des UN-Übereinkommens muss daher zunächst darlegen, inwieweit Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen ein Ermessen vorsieht und inwieweit der deutsche Richter daran aus verfassungsrechtlichen Gründen gebunden ist.

I. Der Begriff „Ermessen“ Die einheitliche Nutzung des Begriffs „Ermessen“ im Rahmen dieser Arbeit darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er in den unterschiedlichen Bereichen der Rechtswissenschaft mit unterschiedlichen Inhalten belegt ist. So wird der Begriff im völkerrechtlichen Bereich dafür genutzt, um auszudrücken, dass der jeweilige Staat keinerlei internationalen Bindungen hinsichtlich seiner Entscheidung­

1

Dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche v. 10.06.1958 (BGBl. 1961 II S.121) sind derzeit 149 Staaten beigetreten, siehe http://www.uncitral.org/uncitral/en/uncitral_texts/arbitration/NYConvention_status. html.

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Kap. 2: Hat das deutsche Anerkennungsgericht ein Ermessen?

unterliegt. Im nationalen Öffentlichen Recht muss zwischen der Entscheidung einer Verwaltungsbehörde und der eines Gerichts unterschieden werden.2 Der Verwaltungsbehörde stehen, sofern eine Norm ihr ein Ermessen zugesteht, mehrere gleich rechtsfehlerfreie Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung, aus denen sie frei wählen kann. Diese behördliche Entscheidung ist, was eng mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Prinzip der Gewaltenteilung in Verbindung steht, nur beschränkt gerichtlich überprüfbar, § 114 S. 1 VwGO. Gerichte haben hingegen als rechtsanwendende Institutionen kein „Ermessen“ in diesem Sinne.3 Ihre Entscheidungen sind auf Rechtsfehler hin stets überprüfbar und entweder fehlerhaft oder fehlerfrei ergangen. Es gibt dementsprechend nur eine richtige gerichtliche Entscheidung.4 Das gilt auch für das Zivilgericht im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren. Auch hier gibt es nur eine richtige Entscheidung, nämlich ob der aufgehobene Schiedsspruch anerkannt wird oder nicht. Das Gericht hat also keinen Entscheidungsspielraum wie die mit einer Ermessensnorm ausgestattete Verwaltungsbehörde. Wenn im Rahmen dieser Arbeit also von einem zivilgerichtlichen „Ermessen“ die Rede ist, dann wird diese Bezeichnung trotz sicherlich berechtigter dogmatischer Bedenken deshalb gewählt, um diese Arbeit in die bisher im Schrifttum geführte Diskussion besser einzubetten. So dreht sich die Diskussion in der zivilrechtlichen Literatur um die Frage eines „Ermessens“ des Anerkennungs- und Vollstreckungsgerichts. Die englischsprachigen Autoren sprechen von „discretion“. Allen Rechtsgebieten gemeinsam ist der Grundgedanke, dass ein Ermessen der besseren Beurteilung der Umstände des spezifischen Einzelfalles dient.5 Als „Ermessen“ im Rahmen dieser Untersuchung soll damit dem Zivilgericht ein Beurteilungsspielraum im Sinne eines weitergehenden Prüfungsraums zugesprochen werden. Die Aufhebungsentscheidung soll zu Gunsten einer weitergehenden Beurteilung des Einzelfalls einer rechtlichen Kontrolle unterworfen werden. Wäre das deutsche Gericht an die ausländische Aufhebungsentscheidung gebunden, so hätte es in diesem Sinne kein „Ermessen“ und damit keine weitere Prüfungsmöglichkeit. Verfügte es hingegen in dieser Frage über ein „Ermessen“, so müsste es d­ ieses Ermessen im Sinne einer rechtlichen Prüfung der im ausländischen Urteil genannten Aufhebungsgründe ausfüllen.

2 Stickelbrock, S. 244 verweist jedoch kritisch darauf, dass sich in Anbetracht der grundgesetzlich angeordneten Bindung aller Staatsgewalten an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) diese Unterscheidung abmildere. 3 Stickelbrock, S. 245 lehnt daher die Verwendung des Begriffs für die Fälle ab, in denen das Gericht keine Wahl zwischen mehreren gleich rechtmäßigen Entscheidungen eingeräumt wird. 4 So schon Göppinger, JJB 1968/69, S. 86 (122). 5 Stickelbrock, S. 244.

A. Ermessen gemäß Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen

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II. Historische Bedeutung des UN-Übereinkommens durch eine erhebliche Vollstreckungserleichterung Das UN-Übereinkommen war unbestreitbar nach dem Ende des 2. Weltkriegs ein wichtiger Schritt der zwischenstaatlichen Kooperation, der über das ursprüngliche friedensschaffende System der UN-Charta hinausging.6 Im Jahre 1953 legte die International Chamber of Commerce (ICC) durch den Generalsekretär des ICC Court of Arbitration, Frédéric Eisemann, dem UN-Wirtschafts- und Sozialrat einen Konventionsentwurf über die Vollstreckung internationaler Schieds­sprüche vor, da das Genfer Abkommen von 1927 den Erfordernissen des internationalen Handels nicht mehr genüge. Dieser ICC-Entwurf beabsichtigte die Schaffung von Schiedssprüchen, die nicht mehr in der Rechtsordnung des Sitzstaates verwurzelt sein, sondern allein dem Parteiwillen unterliegen sollten.7 Das New Yorker UNÜbereinkommen zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche v. 10.06.1958 kommt diesem Anliegen allerdings nur teilweise nach. Es schafft tatsächlich eine Abkehr vom Erfordernis des doppelten Exequaturs des Genfer Abkommens von 1927 und bedeutet damit eine erhebliche Vollstreckungserleichterung für Schiedssprüche. Gleichzeitig regelt es aber, zur großen Enttäuschung der „Internationalisten“, nur die Vollstreckung von „ausländischen“ also nationalen Schiedssprüchen. Nachdem erkennbar wurde, dass der ursprüngliche Entwurf hinsichtlich der Schaffung internationaler Schiedssprüche nicht konsensfähig war, legte die niederländische Verhandlungsdelegation zu Beginn der New York Konferenz einen Vorschlag („the Dutch proposal“) vor, der im Wesentlichen zwei Hauptziele verfolgte: Zum einen die Abschaffung des doppelten Exequatur durch die Verlagerung der Beweislast für das Vorliegen von Vollstreckungshindernissen auf den Vollstreckungsschuldner, zum anderen die strikte Begrenzung der zulässigen Vollstreckungshindernisse.8 Die New Yorker Konvention basiert im Wesentlichen auf diesem Vorschlag und ist erkennbar von dem Gedanken bestimmt, die Vollstreckbarkeit ausländischer Schiedssprüche zu vereinfachen. So ordnet Art. III die regelmäßige Vollstreckbarkeit an. Dafür ist nach Art. IV bereits ausreichend, dass dem zuständigen Vollstreckungsgericht Schiedsklausel und Schiedsspruch, ggfs. in Übersetzung, vorgelegt werden. Die Vollstreckungshindernisse, die nunmehr vom Vollstreckungsschuldner bewiesen werden müssen, sind abschließend in Art. V aufgezählt. Durch diese Beweislastumkehr ist der vollstreckende Schiedsgläubiger nicht mehr gezwungen,

6

Shen, S. 79. Dazu ausführlich Nienaber, S.  145 ff., der darauf hinweist, dass auch der ICC-Entwurf keine vollkommene Lösung beabsichtigte. Der Vollstreckungsgläubiger musste darlegen, dass das Verfahrensrecht eingehalten worden war. Zum anderen sollte die Aufhebung im Sitzstaat zwingend zur Vollstreckungsverweigerung führen, wenn sich der Vollstreckungsschuldner darauf berief. 8 Sanders, in: UNCITRAL (Hrsg.), Enforcing Arbitration Awards – Prospects, S. 4. 7

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Kap. 2: Hat das deutsche Anerkennungsgericht ein Ermessen?

den Beweis vorlegen zu müssen, dass es sich bei dem Schiedsspruch um eine endgültige Entscheidung im Ursprungsland handelt.9 Ein staatliches Exequatur-Urteil des Ursprungsstaates ist daher keinesfalls mehr erforderlich.10 Zur Erleichterung des Vollstreckungsverfahrens kommt die sog. „Meistbegünstigungsklausel“ des Art. VII hinzu, die die Anwendung des für die Vollstreckung günstigsten Rechts vorsieht.11 Dies spielt zum einen dann eine Rolle, wenn neben dem Übereinkommen ein für den Schiedsgläubiger günstigeres, weiteres Vollstreckungsübereinkommen Anwendung finden kann. Dies könnte beispielsweise im Europäischen Raum das Genfer Europäische Übereinkommen von 1961 sein, das in Art.  IX Abs.  1 die im Vollstreckungsverfahren beachtlichen Aufhebungsgründe abschließend aufzählt. Zum anderen kann aber auch, wie das in Frankreich der Fall ist,12 das autonome nationale Recht des Vollstreckungsstaates unter diese „Meistbegünstigungsklausel“ fallen, wenn es günstigere Voraussetzungen für die Vollstreckung geschaffen hat. Aufgrund dieser Klausel wird die New Yorker Konvention auch als „internationaler Mindeststandard“ für den Vollstreckungsgläubiger bezeichnet.13 Das UN-Übereinkommen bedeutet mit diesen Mechanismen eine erhebliche Vollstreckungserleichterung gegenüber dem Genfer Abkommen von 1927, dessen Text das Erfordernis des Doppelexequaturs zumindest nicht ausdrücklich ausge­ schlossen hatte.14

9

Sanders, ibid. Zur Frage, ob ein bestätigendes Exequatur-Urteil trotzdem im Vollstreckungsverfahren zu beachten ist, siehe Borges, S. 353 ff. 11 Die Bezeichnung „Meistbegünstigungsklausel“ hat sich zwar in der Praxis durchgesetzt, ist aber missverständlich und nicht mit einer völkervertraglichen „Most-Favored-NationClause“ zu verwechseln. Um diese Verwechslung auszuschließen, nutzt Solomon den Begriff der „Günstigkeitsklausel“. 12 Cour de cassation, Pabalk limited Sirketi ./. Norsolor, Urteil v. 09.10.1984, Rev. Arb. 1985, S. 431 ff.; dazu Nienaber, S. 49 ff. 13 Paulsson, Am. Rev. of Int.’l Arbtiration 7(1996), S. 104; ders., ICCA Bulletin 9 (1998/ No. 1), S. 29. 14 Gem. Art. 1 Abs. 2 Genfer Abkommen war Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs, „dass der Schiedsspruch in dem Lande, in dem er ergangen ist, eine endgültige Entscheidung darstellt; er gilt nicht als endgültig, wenn er dem Einspruch, der Berufung oder der Richtigkeitsbeschwerde unterworfen ist, oder wenn nachgewiesen ist, dass ein Verfahren zwecks Anfechtung der Gültigkeit des Schiedsspruchs anhängig ist“. 10

A. Ermessen gemäß Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen

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III. Verfassungsrechtliche Integration in das deutsche Recht und Auswirkungen auf das Anerkennungsund Vollstreckungsermessen 1. Das Zustimmungsgesetz und die Verweisung des § 1061 Abs. 1 ZPO a) Keine Vorgaben des Völkerrechts über Art und Weise der Vertragserfüllung Das Völkerrecht macht der Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat des UN-Übereinkommens über die Art und Weise der Erfüllung von völkervertraglichen Verpflichtungen keine genauen Vorgaben.15 Die Form der Integration des Übereinkommens und die innerstaatlichen Rechtswirkungen bestimmen sich daher nach dem nationalen Verfassungsrecht. Das Grundgesetz und die deutsche Rechtspraxis präferieren dabei einen gemäßigten Dualismus.16 Dieser sieht die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und das Völkerrecht als grundsätzlich voneinander getrennte Rechtskreise an.17 Diese Trennung ist aber nicht absolut, sondern wird in der Rechtspraxis durchlässig, ohne die grundsätzliche Trennung aufzugeben. Der innerstaatliche Richter hat seine Rechtsprechung dementsprechend weitgehend an dem innerstaatlichen Gesetzesbefehl auszurichten.18 Es ist für ihn also entscheidend, inwieweit das Übereinkommen in die deutsche Rechtsordnung integriert worden ist. b) Die Verweisungstechnik des § 1061 Abs. 1 ZPO Im Falle des New Yorker UN-Übereinkommens von 1958 hat der deutsche Gesetzgeber durch das Zustimmungsgesetz auf den Text des Übereinkommens verwiesen19 und eine deutsche Übersetzung dem Zustimmungsgesetz angehängt.20 § 1061 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) enthält eine Verweisung auf dieses Zustimmungsgesetz: „Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche richtet sich nach dem Übereinkommen vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (BGBl. 1961 II S. 121). Die Vorschriften in anderen Staatsverträgen über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen bleiben unberührt.“ 15

Geiger, § 33 I; Nettesheim, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Komm., Art.  59 Rn.  173; Schweitzer, Rn. 418. 16 Dahm/Dellbrück/Wolfrum, S. 98 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 696 ff.; Hobe/Kimminich, S. 224 ff.; Bogdandy/Zacharias, NVwZ 2007, S. 527 (528); Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. I, § 34 Rn. 14; Nettesheim, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 Rn. 171. 17 So ausdrücklich BVerfGE 111, 307 (318). 18 Hilf, S. 117; Solomon, S. 164. 19 BGBl. 1961 II S. 121. 20 BGBl. 1961 II S. 122.

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Kap. 2: Hat das deutsche Anerkennungsgericht ein Ermessen?

Münch21 spricht in diesem Zusammenhang von einer „begrenzten“ und „statischen“ Verweisung. Begrenzt sei sie, da lediglich die Art. II–VI für die Anwendung durch staatliche Gerichte von Belang seien. Statisch sei sie, weil der Text der ZPO zwar auf das Zustimmungsgesetz verweise, gemeint könne aber nur die deutsche Übersetzung des Anhangs sein, sodass für den Rechtsanwender die deutsche Übersetzung heranzuziehen sei.22 Gleichzeitig betont Münch aber, dass der Vertrag nach völkerrechtlichen Grundsätzen ausgelegt werden müsse,23 was in einem Widerspruch zu der von ihm angenommenen Verweisung auf den (nicht authentischen) deutschen Text stünde. (1) Keine „beschränkte Verweisung“ Von einer „beschränkten Verweisung“ im Rahmen des § 1061 Abs. 1 ZPO zu sprechen, ist zumindest missverständlich, wenn nicht sogar irreführend. Will Münch dahingehend verstanden werden, dass nur die Vertragsnormen in die deutsche Rechtsordnung transformierbar seien und damit nur diese Normen innerstaatliche Geltung beanspruchen könnten, aus denen konkrete Rechte und Pflichten für die staatlichen Hoheitsträger oder die einzelnen Bürger gezogen werden können, kann dieses Verständnis nicht mit der völkerrechtlichen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland in Einklang gebracht werden. Zwar haben Teile der Rechtsprechung und Lehre als Erfordernis für die innerstaatliche Geltung eine unmittelbare Anwendbarkeit („self-executing“) der zu transformierenden Einzelnorm gefordert.24 Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen, zumal sie bei den Wirkungen eines Zustimmungsgesetzes nicht zwischen der innerstaatlichen Geltung und der unmittelbaren Anwendung durch die Rechtsanwendungsorgane trennt.25 Das Zustimmungsgesetz beinhaltet einen Rechtsanwendungsbefehl mit einem doppelten Inhalt: Auf der einen Seite begründen die „self-executing“-Vorschriften individuelle Rechte und Pflichten. Auf der

21

Münch, in: Rauscher/Wenzel/Wachs, Münchener Komm. (ZPO), § 1061 Rn. 15. Münch, id., Fn. 37: Die Verweisung beziehe sich auf eine exakt bestimmte, „aber falsch benannte [Fundstelle]: S. 122 statt S. 121! S. 121 betrifft das deutsche Zustimmungsgesetz, das hier sicher keine Rolle spielt […]“. 23 Münch, id., Rn. 16. 24 Rudolf, S. 173 ff., 207; Partsch, BerDtGVR 6 (1964), S. 13, 106 f.; Boehmer, S. 77; Bundessozialgericht, RzW 1973, S. 319; Finanzgericht Hamburg, EFG 1970, S. 145 u. 196; Landgericht Frankfurt, JZ 1971, S. 234. 25 Kempen, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 Abs. 2 Rn. 95: „Sollte darüber hinaus gemeint sein, dass der Vertrag hinsichtlich seiner nicht unmittelbar anwendungsfähigen Inhalte innerstaatlich unbeachtlich ist, so ist dies schlichtweg falsch.“; B ­ leckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit, S. 59 ff.; Koller, S. 58 ff.; Zuleeg, AöR 100 (1975), S.  304; Geiger, § 34 I; Rojahn, in: Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm., Art.  59 Rn. 37 f.; Nettesheim, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 Rn. 180; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 Rn. 67. 22

A. Ermessen gemäß Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen

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anderen Seite begründen die übrigen, nicht unmittelbar anwendbaren Regelungen für die Bundesrepublik Deutschland die Verpflichtung, ihren Inhalt zu achten und durch die Rechtsprechung gegebenenfalls auszufüllen.26 Das Zustimmungsgesetz enthält also die Anordnung der innerstaatlichen Geltung auch hinsichtlich der nicht unmittelbar anwendbaren Normen. Das inkorporierte Übereinkommen wird also mit dem gesamten Vertragsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG Bestandteil der objektiven Rechtsordnung.27 Von einer gesetzestechnisch beschränkten Verweisung in diesem Sinne kann daher nicht gesprochen werden. Von der Frage der innerstaatlichen Geltung zu unterscheiden ist die unmittelbare Anwendbarkeit der einzelnen Vertragsnormen durch die deutschen Rechtsanwendungsorgane. Dies ist aber keine Fragestellung, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Verweisungstechnik steht, sondern eine Frage der Bestimmtheit der Norm,28 wie sie durch das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes gefordert wird.29 Zu einer unmittelbaren Anwendbarkeit ist zumindest erforderlich, dass die betreffende Vertragsnorm soweit Rechte oder Pflichten des Einzelnen ausformuliert, dass sie im Wortlaut ohne ein weiteres legislatives Handeln innerstaatliches Recht erzeugen kann.30 Hinzu kommt, dass Münch bei der Aufzählung einzelner, anwendbarer Vorschriften des UN-Übereinkommen verkennt, dass insbesondere auch völkervertragliche Fragen des Vertragsschlusses, der Vertragssprache und von Vorbehalten dazu geeignet sind, Rechte oder Pflichten für Individuen zu begründen. Im Rahmen des UN-Übereinkommens ist beispielsweise der Status der Schiedspartei akzessorisch zu dem Vertragsstatus ihres Heimatstaates. Nur als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates kann man sich auf die Regelungen des UN-Übereinkommens berufen. Entfällt diese Mitgliedschaft führt dies unmittelbar zum Verlust von Individualrechten. (2) Keine statische Verweisung Ob eine statische Verweisung vorliegen kann, hängt von der umstrittenen Frage ab, welche Rechtsqualität den transformierten Normen des UN-Übereinkommens im deutschen Recht zukommt. Die von Münch geäußerte Ansicht, es läge eine statische Verweisung vor, wäre nur dann zu begründen, wenn man sich der von Triepel31 begründeten Transformations­ 26 Bleckmann, ibid; Koller, ibid; Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 41; Kempen, ibid. 27 Kempen, ibid; Rojahn, in: Münch/Kunig, GG-Komm., Art. 59 Rn. 38; BVerfGE 46, 342 (362 f.). 28 Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 Rn. 67. 29 Vgl. Art. 20 Abs. 3 GG. 30 Rudolf, S. 173. 31 Triepel, Völkerrecht und Landesrecht (1899).

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theorie anschließt. Sie sieht in dem Zustimmungsgesetz einen Transformationsakt, der den völkerrechtlichen Vertrag in ein nationales Gesetz umbildet.32 Der Text habe daher in seiner allein anwendbaren, innerstaatlichen „Spiegelung“ keinen Vertragscharakter mehr, sondern sei als rein innerstaatliches Recht ausschließlich mit nationalen Auslegungsmethoden zu interpretieren. Eine Betrachtung auf der Grundlage eines „gespiegelten“ nationalen Rechtssatzes führt allerdings zu dogmatischen Schwierigkeiten: Zum einen kann nicht erklärt werden, warum der nationale Rechtssatz auch schon vor dem Inkrafttreten des völkerrechtlichen Vertrages Anwendung finden soll bzw. warum nicht auch nach Beendigung des Vertrages dieser auf der Grundlage des Zustimmungsgesetzes weiter angewendet werden muss.33 Noch weitgehender wären die vom Gesetzgeber in der Praxis weitgehend ignorierten zusätzlich hinzukommenden Vertragspartner bei multilateralen Verträgen. Diese betreffen direkt die Anwendbarkeit des Vertrages, obwohl der Gesetzgeber am Zustimmungsgesetz keine Veränderung vorgenommen hat. Die als Vollzugstheorie bezeichnete Gegenansicht geht von einem staatlichen Rechtsakt aus, der den Vollzug des Völkerrechts im staatlichen Recht freigibt,34 ohne eine Verdoppelung des Rechtssatzes herbeizuführen. Das Vertragsgesetz ordne lediglich an, dass der völkerrechtliche Vertrag zu beachten bzw. zu vollziehen sei. Die Vollzugstheorie gewinnt zunehmend Anhänger,35 wenn auch die Rechtsprechung des BVerfG zwar der Theorie zuneigt,36 wiewohl bisher keine explizite Stellungnahme abgegeben hat. Sie entspricht aber der vom BVerfG bereits wiederholt festgestellten „Leitmaxime“37 der generellen Völkerrechtsfreundlichkeit des

32 BVerfGE 1, 396 (411); 19, 342 (347 f.); 29, 348 (360); 30, 272 (284 f.); 42, 263 (284); BVerwGE  35, (265 f.) zum Londoner Schuldenabkommen: „Als innerdeutsches Recht besitzt Art.  5 Abs.  2 LSchA keinen Vertragscharakter mehr. Er hat diesen durch Transforma­ tionsvorgang (Art. 59 Abs. 2 GG) verloren“; der Transformationstheorie folgen offenbar Voit, in: ­Musielak (Hrsg.), ZPO-Komm., § 1061 Rn. 28; Münch, in: Rauscher/Wenzel/Wax (Hrsg.), Münchener Komm. (ZPO), § 1061 Rn. 16; Solomon, S. 165: „Für die Frage, ob ein Gericht bei der Entscheidung über die Versagung der Vollstreckung nach Art. V UNÜ Ermessen ausüben kann, kommt es nicht auf den Wortlaut des Art. V UNÜ an, sondern allein darauf, inwieweit der jeweilige Vertragsstaat aufgrund seiner autonomen Entscheidung die in Art. V UNÜ eröffneten Versagungsmöglichkeiten in Anspruch nimmt.“ 33 Kempen, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art.  59 Rn.  91; BVerfGE  42, 263 (284) spricht von einer aufschiebenden Bedingung, ihm zustimmend: Pieper, in: Epping/ Hillgruber (Hrsg.), GG-Komm, Art. 59 Rn. 39. 34 Schweitzer, Rn. 423. 35 Geiger, § 36 II 2; Kempen, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 Rn. 90; Nettesheim, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 Rn. 177 f.; Rojahn, in: v. Münch/­ Kunig (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 Rn. 33; Schweitzer, Rn. 432 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 Rn. 65. 36 BVerfGE 46, 342 (363); 90, 286 (364): „spezieller Anwendungsbefehl“ hinsichtlich Vertragsrecht; BVerfGE  111, 307 (315 f.): Der Gesetzgeber habe internationales Recht „in das deutsche Recht transformiert und einen entsprechenden Rechtsanwendungsbefehl erteilt“; dazu Steinberger, ZaöRV 48 (1988), 1, (4); Geiger, ibid; ergänzend Kempen, ibid. 37 Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof, Hdb. des Staatsrechts, Bd. VII, § 172 Rn. 8.

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Grundgesetzes.38 Letztlich kann nur die Vollzugstheorie Auslegungsmethode und die völkervertragliche Verpflichtung miteinander in Einklang bringen. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich verpflichtet, den Vertrag nach Maßgabe der völkerrechtlichen Auslegungsmethoden anzuwenden.39 Eine innerstaatliche Auslegung liefe dieser Verpflichtung zuwider. Hinzu kommt, dass auch die Zustimmungspraxis des Gesetzgebers eher der Vollzugstheorie folgt. Die Vertragstexte nehmen den Vertragstext regelmäßig nicht in das Gesetz auf, sondern verweisen auf den in einer Anlage zum Gesetz niedergelegten Text.40 Aufgrund der dogmatischen Schwierigkeiten der Transformationslehre hat die Literatur eine gemäßigte Transformationstheorie entwickelt, die im Wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen wie die Vollzugstheorie gelangt.41 Sie geht zwar ebenfalls davon aus, dass es zu einer „Spiegelung“ der völkervertraglichen Normen in das innerstaatliche Recht kommt, allerdings mit der Maßgabe, dass die Verbindung zum Völkerrecht weiterhin bestehen bleibt. Offenbar folgt Münch dieser Ansicht, wenn er davon ausgeht, dass das UN-Übereinkommen nach völkerrechtlichen Methoden zu interpretieren ist. Legt man dieses veränderte Verständnis zugrunde, verändert sich der Anwendungsbereich des Vertrages stets mit der völkerrechtlichen Vertragssituation. Es ist aber auch nach dieser vermittelnder Ansicht weder so, dass die Verweisung innerhalb des § 1061 Abs. 1 ZPO begrenzt wäre, noch dass es sich um eine statische Verweisung handelte. Denn wenn völkerrechtliche Auslegungsmethoden verwendet werden müssen, so ist eine – gegebenenfalls dynamische – Auslegung nach den authentischen Texten erforderlich. Danach ist eine Verweisung, wie sie § 1061 Abs. 1 ZPO vornimmt, von der gesetzgeberischen Seite auch regelmäßig zulässig, und aufgrund der völkervertraglichen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wohl auch zweckmäßig und geboten. Nur auf diese Weise können durch den Richter mögliche Veränderungen des Vertrages, wie beispielsweise ein Hinzutreten oder ein Wegfall einer Vertragspartei, die Annahme oder Rücknahme von Vorbehalten oder Kündigungen ohne ein weiteres Zustimmungsgesetz berücksichtigt werden.42 Auch wird durch eine Verweisung auf das Zustimmungsgesetz zum völkerrechtlichen Vertragstext im Gegensatz zur bloßen Integration der deutschen Übersetzung deutlich gemacht,

38 BVerfGE 31, 58 (75 f.);74, 358 (370); 111, 307 (317 f.); 123, 267 (344 ff.); BVerfGK 9, 174 (186). 39 Kempen, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 Rn. 94; in diesem Zusammenhang interessant ist der v. Bogdandy/Zacharias, NVwZ 2007, S. 527 ff. geschilderte Fall der Weltkulturerbe-Konvention, die mit dem Argument der damaligen Bundesregierung, die Konvention enthalte keine normativen Verpflichtungen, nicht mit einem deutschen Zustimmungsgesetz versehen wurde, aber trotzdem ratifiziert worden ist. Hier könne sich nur der­ Anwendungsbefehl aufgrund der völkerrechtlichen Verpflichtung ergeben. 40 Geiger, Art. 36 II 2; Nettesheim, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Komm, Art. 59 Rn. 177; Weber, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 II Rn. 73. 41 Schweitzer, Rn. 435. 42 Geiger, ibid.

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dass hier die besonderen völkerrechtlichen Auslegungsmaßstäbe zur Beurteilung herangezogen werden müssen, wie dies nach Treu und Glauben von den übrigen Vertragsstaaten erwartet werden kann.43 2. Ermessensausschluss wegen fehlender Äußerung des deutschen Gesetzgebers An der gesetzgeberischen Vorgehensweise der Verweisung wird zudem kritisiert, dass der deutsche Gesetzgeber das dem Mitgliedstaat möglicherweise zugewiesene Vollstreckungsermessen des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen während des Ratifikationsprozesses nicht ausgefüllt habe, indem er den Text des Übereinkommens ohne leitende Vorgaben für die Vollstreckungsgerichte übernommen hat.44 So meinen insbesondere Voit45 und Solomon46, dass durch die Regelung lediglich dem staatlichen Gesetzgeber ein Ermessen eingeräumt werde, ein Vollstreckungshindernis legislativ zu regeln. Es komme nicht auf den Wortlaut des Art. V Abs. 1 UNÜ an, sondern auf die autonome Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, inwieweit er die in Art. V UNÜ eröffneten Versagungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen wolle.47 Da die deutsche Legislative von diesem Ermessen keinen Gebrauch gemacht habe, habe sie zum Ausdruck gebracht, dass im Falle des Vorliegens eines Versagungsgrundes die Anerkennung zu verweigern sei. Auch wenn zugegeben werden muss, dass gesetzgeberische Vorgaben für das Vollstreckungsermessen beispielsweise durch ein Durchführungsgesetz das Vollstreckungsverfahren erleichtert hätten, bedeutet dies aber nicht zwangsläufig, dass die Oberlandesgerichte aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung kein Ermessen bei der Vollstreckungsentscheidung haben.48 Denn ein solches gesetzgeberisches Handeln wäre nur dann zwingend, wenn der Vertrag ohne Durchführungsvorschriften nicht unmittelbar anwendbar wäre. In diesem Falle enthielte der Vertrag lediglich einen Rechtsetzungsauftrag. Dies ist aber im Falle des UN-Übereinkommens nicht der Fall. Insbesondere können Rechtsanwender und -unterworfene eine konkrete Rechtsfolge aus den Vorschriften des Übereinkommens herausziehen.

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Kempen, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm, Art. 59 Rn. 90. Diese Kritik wird auch in anderen Staaten geäußert. Die Gerichte seien in vielen Fällen mit der Situation überfordert. So beispielsweise für die US-amerikanische Vollstreckungs­ praxis Lelutiu, Am. Rev. Int’l Arb. 14 (2003), S. 345 (346). 45 Voit, in: Musielak (Hrsg.), ZPO-Komm., § 1061 Rn. 28. 46 Solomon, S. 165. 47 Solomon, ibid. 48 So aber Herrmann, Arb. Int. 1999, S.  211 (235); Münch, in: Rauscher/Wenzel/Wachs (Hrsg.), Münchener Komm. (ZPO), § 1061 Rn. 17: „Das „Versagendürfen“ bedeutet korrekterweise freilich ein „Versagenmüssen“ und eröffnet kein Ermessen“; Voit, in: Musielak (Hrsg.), ZPO-Komm., § 1061 Rn. 28; Schwab/Walter, Kap. 56 Rn. 3. 44

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Anders formuliert, ist die deutsche Legislative nicht etwa gezwungen, im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit jede Teilfrage – den völkerrechtlichen Vertragstext ergänzend – legislativ zu regeln, solange die völkerrechtliche Vertragsnorm, dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG entsprechend, ausreichend bestimmt für die unmittelbare Rechtsanwendung ist. Dies gilt auch für die Frage, ob das Ermessen dem Gesetzgeber oder dem entscheidenden Gericht im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren zugeordnet ist. So muss darauf hingewiesen werden, dass der Wortlaut des Übereinkommens ausdrücklich der Vollstreckungsbehörde („competent authority“), nicht etwa dem Gesetzgeber des Vollstreckungsstaates ein Ermessen zuweist.49 Durch ein Schweigen des Gesetzgebers zu diesem Punkt entfällt also nicht die völkervertragliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, den Inhalt des Vertrages zu achten und ergänzungswürdige Normen gegebenenfalls im Wege der Rechtsprechung konkretisierend auszufüllen.50 Ein weiteres innerstaatliches Argument, das gegen ein Ermessen der Voll­ streckungsgerichte vorgebracht wird, lautet, dass dem deutschen Recht ein Ermessen hinsichtlich der Geltung eines Versagungsgrundes fremd sei.51 Diese Argumentation ist schon deshalb problematisch, weil die New Yorker Konvention als völkerrechtlicher Vertrag nicht nach Kriterien des nationalen Rechts auszulegen ist. Kein Vertragspartner kann sich auf innerstaatliches Recht bei der Ausführung völkervertraglicher Regelungen berufen.52 Ansonsten könnte die Situation entstehen, dass insbesondere im Falle von multilateralen Verträgen sich jeder einzelne Staat auf ein autonomes Hindernis bei der Ausführung der Vertragsbestimmungen berufen könnte. Ein Vertragsstaat könnte sich so durch einseitige gesetzgeberische Maßnahmen von den Verpflichtungen aus zwischenstaatlichen Verträgen lösen und eine völkervertragliche Zusammenarbeit erheblich erschweren. Das Argument eines dem nationalen Recht fremden Rechtsinstituts kann daher bei der Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen keine Rolle spielen. Eine solche Interpretation des Übereinkommens würde auch dem Sinn und Zweck des UN-Übereinkommens selbst als rechtssetzenden Vertrag widersprechen. Das Übereinkommen zielt ja gerade darauf ab, das innerstaatliche Recht zu verändern.53

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Nienaber, S. 111 Fn. 437. Geiger, S. 158 ff; Kempen, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art. 59 Rn. 95; Verdross/Simma, § 866. 51 Voit, in: Musielak (Hrsg.), ZPO-Komm, § 1061 Rn. 28. 52 Vgl. auch den völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchenden Art. 27 WVK. 53 Vgl. Schmalenbach, in: Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, Art. 27 Rn. 1. 50

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IV. Interpretationsmaßstab 1. Wiener Vertragskonvention als Völkergewohnheitsrecht Um Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen sachgerecht analysieren zu können, muss zunächst der Prüfungsmaßstab anhand des anzuwendenden Rechts bestimmt werden. Das Völkervertragsrecht gibt spezielle Auslegungskriterien für die Anwendung durch die Vertragsparteien vor, die, wie bereits erörtert, den klassischen Auslegungsmethoden des nationalen Rechts vorgehen. Die völkervertragliche Auslegung richtet sich insbesondere nach den Regelungen der Art. 31 bis 33 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v. 23. Mai 1969.54 Zwar ist die Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) erst am 27. Januar 1980 in Kraft getreten und die Bundesrepublik Deutschland hat sie sogar erst 1985 ratifiziert. Gem. Art. 4 WVK ist das Übereinkommen nicht rückwirkend anzuwenden und damit nicht zur Auslegung der New Yorker Konvention heranzuziehen. Die WVK kodifiziert aber gerade im Hinblick auf die hier maßgeblichen Auslegungskriterien Völkergewohnheitsrecht,55 das bereits vor Inkrafttreten der hier zu untersuchenden Übereinkommen der der Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen heranzuziehen war.56 2. Auslegung gem. Art. 31 ff. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Ausschlaggebend für die Auslegung der Übereinkommen ist die Grundregel des Art. 31 WVK, nach der primär der Wille der Parteien ermittelt werden muss, wie er sich nach Treu und Glauben aus dem Wortlaut des Vertrages und im Lichte seines Zieles und Zweckes entnehmen lässt. Interpretationsgrundlage ist also die gewöhnliche Bedeutung des objektiven Vertragstextes.57 Die systematische und teleologische Auslegungsmethoden sind ergänzend dazu heranzuziehen. Die systematische Auslegungsmethode weicht gemäß Art. 31 Abs. 3 WVK als Ausprägung des Völkerrechts als Konsensrecht insoweit von der innerstaatlichen Auslegungsmethode ab, dass auch spätere Übereinkünfte, die sich auf den Ursprungsvertrag beziehen, sowie eine spätere Ausübungspraxis der Vertragsparteien mit einbezogen werden. Völkerrechtliche Verträge können daher auch dynamisch im Lichte späterer Verträge ausgelegt werden. 54

BGBl. 1985 II S. 927. So zuletzt IGH, Kasikili/Sedudu Island (Botswana v. Namibia), Judgment of 13.12.1999, ICJ Rep. 1999, S. 1045 Rn. 18. 56 Die Entscheidung für eine Interpretation auf der Basis des objektiven Vertragstextes, der Art. 31 WVÜ folgt, ist beispielsweise bereits 1925 im Rechtsgutachten „Polish Postal Service“ des Ständigen Internationalen Gerichtshof zu finden; PCIJ, Ser. B, No. 11, S. 37. 57 Vgl. Brownlie, S. 632; Fitzmaurice, in: Evans (ed.), International Law, S. 199 f.; Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 12 Rn. 5; Vitzthum, in: Ders./Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rn. 123, a. A. Doehring, Völkerrecht, Rn. 391. 55

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Die historische Auslegung ist vor diesem Hintergrund hingegen nur eingeschränkt anwendbar, da sie gemäß Art. 32 WVK lediglich dazu dienen darf, ein nach den Auslegungskriterien des Art. 31 WVK gefundenes Ergebnis zu bestätigen bzw., wenn ein Vertragstext mehrdeutig ist, als Notquelle die Bedeutung des Textes zu ermitteln. 3. Keine authentische Auslegung durch die Mitgliedstaaten gem. Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK Zunächst soll hier die Möglichkeit einer dynamischen Auslegung aufgrund der gerichtlichen Praxis der Vertragsparteien untersucht werden. Die Auslegung des multilateralen Vertrages gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK nach der dem Vertragsschluss nachfolgenden gemeinsamen Praxis der Parteien wird dadurch erschwert, dass durch das New Yorker Übereinkommen keine Institution geschaffen worden ist, der man ein Auslegungsmonopol zugestanden hat. So ist die Auslegung ausschließlich den Anerkennungs- und Vollstreckungsgerichten bzw. sonstigen zuständigen Vollstreckungsstellen der Mitgliedstaaten überlassen. Es gibt keine Institution wie sie beispielsweise der EuGH für das EU-Recht oder der EGMR für die Vertragsparteien des Europarats darstellt. Dies war eine bewusste Entscheidung der Schöpfer des UN-Übereinkommens, da man davon ausgegangen ist, dass die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, eine internationale Institution in Vollstreckungs­ angelegenheiten zu akzeptieren, nicht vorhanden war.58 Wenn die staatlichen Gerichte, wie es hier der Fall ist, keine einheitliche Linie bei der Vollstreckungspraxis gefunden haben, was die Annahme einer „authentischen Auslegung“ nach dem Willen der Vertragsparteien nahegelegt hätte, können die einzelnen nationalen Vollstreckungsurteile der Einzelstaaten als einseitige staatliche Maßnahmen nicht zur Interpretation des Vertragswerkes herangezogen werden.59 Paulsson stützt diese Annahme einer fehlenden Möglichkeit einer authentischen Interpretation, indem er zu bedenken gibt, dass das UN-Übereinkommen lediglich einen Mindeststandard und nicht ein einheitliches Regime für die Vollstreckung internationaler Schiedssprüche bezwecke.60 Trotzdem gibt es Bestrebungen, die Vollstreckungspraxis zumindest dadurch anzugleichen, dass man die entsprechenden Urteile in internationalen Entscheidungssammlungen bündelt.61 Da jedoch zurzeit erkennbar keine einheitliche Praxis besteht, können diese im Moment nur dazu herangezogen werden, Tendenzen in der Rechtsprechungspraxis der Mitgliedstaaten aufzuzeigen und ein durch die völkerrechtliche Auslegung gefundenes Ergebnis zu bestätigen.62 58

Nariman, UNCITRAL, Enforcing Arbitration Awards – Prospects, S. 11 (13). Vgl. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 12 Rn. 2. 60 Paulsson, ICC Bull. 9 No. 1 (1999), S. 14 (29), Fn. 62. 61 So z. B. die Entscheidungssammlung der nationalen Gerichte zur New Yorker Konvention seit 1976 in den Yearbooks der ICCA; UNCITRAL, Case Law on UNCITRAL Texts (CLOUT). 62 Brownlie, S. 634. 59

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V. Analyse des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen Der für die Anerkennung des aufgehobenen Schiedsspruchs besonders interessierende Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen ist als Ausnahmevorschrift zur allgemeinen Anerkennungs- und Vollstreckungsverpflichtung des Art. III konstruiert. Er zielt in erster Linie auf eine Begrenzung der möglichen Vollstreckungshindernisse ab, die abschließend aufgezählt werden. Durch ihn soll im Wesentlichen gesichert werden, dass rechtmäßig zustande gekommene Schiedssprüche regelmäßig auch vollstreckt werden, wenn aber Vollstreckungshindernisse vorliegen, von einer Vollstreckung abgesehen werden kann. 1. Widerspruch zwischen den authentischen Texten Gemäß Art. 31 Abs. 1 WVK soll ein Vertrag nach Treu und Glauben in Über­ einstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zwecks ausgelegt werden.63 Grundlage der Auslegung ist also der objektive Wortlaut, der durch systematische und teleologische Untersuchung weiter ausgedeutet werden kann. Da für das UN-Übereinkommen mehrere gleich authentische Sprachfassungen vorliegen, müssen alle fünf nach Art. XVI Abs. 1 UN-Übereinkommen authentische Texte des Übereinkommens gem. Art. 33 Abs. 1 WVK für die Wortlautanalyse herangezogen werden. Es ist daher zunächst erforderlich festzustellen, ob die englische, französische, spanische, russische und chinesische Version tatsächlich in ihrer Bedeutung identisch sind.64 Im Zweifel wird gemäß Art. 33 Abs. 3 WVK dabei vermutet, dass alle authentischen Texte die gleiche Bedeutung haben. Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar. Insofern folgt Art. 33 Abs. 1 WVK der „Lehre von der untrennbaren Einheit aller Vertragstexte“.65 Sofern sich trotz der Vermutung der Bedeutungsidentität Widersprüche zwischen den einzelnen Fassungen ergeben, sieht Art. 33 Abs. 4 WVK vor, unter Heranziehung der Artt. 31, 32 WVK den Bedeutungsunterschied auszuräumen. Ausgangspunkt und Schwerpunkt der Textanalyse sollen die englische, französische und spanische Sprachfassung sein. Entgegen der in den 50er und 60er Jahren üblichen Begrenzung auf die englische und französische Verhandlungssprache,66 wurde in Art. 32 der rules of procedure der New Yorker Konferenz ebenfalls 63 Article 31 Vienne Convention in the Law of Treaties: „1. A treaty shall be interpreted in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in the light of its object and purpose. […]“. 64 Die Wortlautanalyse basiert wesentlich auf den herausragenden Vorarbeiten von Paulsson, Arb. Int. 14 (1998), S. 227–230 und Nienaber, S. 106 ff. 65 Hilf, S. 70. 66 Hilf, S. 11 mit einer Übersicht der gebräuchlichen Vertragssprachen.

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Spanisch als Verhandlungssprache zugelassen.67 Bei dem russischen und chinesischen Text handelt es sich hingegen um „authentische Übersetzungen“ aus den anderen Sprachfassungen.68 Bei dem für die Auslegung entscheidenden Zeitpunkt der Willenseinigung, nämlich bei der Unterzeichnung, lagen jedoch alle Sprachfassungen vor, die formal die gleiche Bedeutung beanspruchen. Bei Bedeutungsunterschieden der drei Ursprungstexte muss daher zumindest festgestellt werden, welchem Text sie folgen.69 a) Wortlaut der verschiedenen Sprachfassungen (1) Die englische Sprachversion Wie sich aus den travaux préparatoires70 ergibt, waren die englische und französische Sprache während der New Yorker Konferenz die vorherrschenden Verhandlungssprachen. Der englische Text des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen lautet: „Recognition and enforcement of the award may be refused, at the request of the party against whom it is invoked, only if that party furnishes to the competent authority where the recognition and enforcement is sought, proof that: […] e) the award has not yet become binding on the parties, or has been set aside or suspended by a competent authority of the country in which, or under the law of which, that award was made.“71

Die nicht-authentische Übersetzung durch den deutschen Gesetzgebers entspricht dieser Sprachfassung: „Die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs darf auf Antrag der Partei, gegen die er geltend gemacht wird, nur versagt werden, wenn diese Partei der zuständigen Behörde des Landes, in dem die Anerkennung und Vollstreckung nachgesucht wird, den Beweis erbringt,[…] e) dass der Schiedsspruch für die Partei noch nicht verbindlich geworden ist oder dass er von der zuständigen Behörde des Landes, in dem oder nach dessen Recht er ergangen ist, aufgehoben oder in seinen Wirkungen einstweilen gehemmt worden ist.“72

67 United Nations Conference on International Commercial Arbitration, Rules of Procedure, UN-Doc. E/Conf. 26/5/Rev. 1–21st May 1958. 68 Dörr, in: ders./Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, Art. 33 Rn. 21: „That every authentic text is in formal sense equally authoritative does not, however, mean in practice, all of them would be attributed the same weight“. 69 Vgl. Hilf, S. 91. 70 Abrufbar auf der Homepage der UNCITRAL unter: http://www.uncitral.org/uncitral/en/ uncitral_texts/arbitration/NYConvention_travaux.html. 71 Keine Hervorhebung im Original. 72 BGBl. II 1961, S. 122; keine Hervorhebung im Original.

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Kap. 2: Hat das deutsche Anerkennungsgericht ein Ermessen?

Das Verb „may“ des englischen Textes kann dabei zum einen ein Können, eine Fähigkeit oder Macht ausdrücken, zum anderen eine Erlaubnis, Zustimmung oder die Abwesenheit von Verboten.73 Bei Bestehen eines Versagungsgrundes „kann“ oder „darf“ die Vollstreckungsbehörde die Anerkennung und Vollstreckung verweigern.74 Jedenfalls ist sie, wie der deutsche Gesetzgeber bei seiner Übersetzung richtig gesehen hat, zunächst zu einem solchen Handeln nicht gezwungen. Der englische Wortlaut sieht hier also eine Ermessensausübung des Vollstreckungsstaates vor, ob dieser die Anerkennung und Vollstreckung des aufgehobenen Schiedsspruchs verweigert oder nicht.75 Gegen dieses Ergebnis spricht nicht, dass einige anglo-amerikanischen Gerichte in der Vergangenheit „may“ als Synonym zu „shall“ und „must“ verstanden haben.76 So hat bereits 1887 der Supreme Court of Texas in dem Präzedenzfall Rains v. Herring77 festgestellt, dass „may“ wenigstens dann als „must“ gelesen werden müsse, wenn eine Dritte Person oder die Öffentlichkeit einen Rechtsanspruch auf die Vornahme einer hoheitlichen Handlung habe. Ausschlaggebend sei in solchen Fällen die Intention des Gesetzgebers. Diese US-amerikanische Rechtsprechung weicht nur auf dem ersten Blick von dem deutschen Ermessenbegriff ab, denn auch nach der deutschen Dogmatik kann in solchen Fällen das Ermessen „auf Null“ reduziert sein. Eine solche Ermessensreduzierung liegt auch nach US-amerikanischen Verständnis im Falle des Art. V Abs. 1 UNÜbereinkommen nicht zwangsläufig vor, da eine Interessenabwägung, wie noch zu zeigen sein wird, im Rahmen des UN-Übereinkommens eben nicht dazu führen kann, ein Ermessen zu Gunsten des Vollstreckungsgläubigers vollkommen auszuschließen. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, so muss man zu dem Ergebnis kommen, dass in dem Fall, wenn kein Vollstreckungshindernis vorliegt, der Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt werden muss. Hermann meint sogar, dass diese zwingende Vollstreckung die einzige Aussage von Art. V Abs.  1 lit.  e)  UNÜ 73

Waite/Hawker (Hrsg.), Oxford Dictionary & Thesaurus (2010), S. 501; Lelutiu, American Rev. of Int’l Arbitration 14 (2003), S. 345 (346): „Article V employs the permissive ‚may‘“. 74 Paulsson, Arb. International 14 (1998), S.  229 weist darauf hin, dass man statt „may“ auch „can“ bedeutungsgleich hätte verwenden können. Beide Versionen sehen ein Ermessen vor. 75 So U. S. District Court for the District of Columbia, Chromalloy Aeroservices Inc. v. Arab Republic of Egypt, 939 F. Supp. 907 (909): „Article V provides a discretionary standard“; High Court of England and Wales, Urteil v. 20.01.1997, China Agribusiness Development Corp. v. Balli Trading, Lloyd’s Rep. 2 (1998), S. 76; Darwazeh, in: Kronke/Nacimiento/Otto/Port, New York Convention – Commentary, Art. V (1) lit. e), S. 310: „It is, therefore, reasonable to argue that with regard to Articles III and IV of the New York Convention the drafters imposed mandatory obligations, but with regard to Article V – consistent with the pro-enforcement goal of the New York Convention – the drafters provided the courts with a discretionary power to refuse enforcement.“ 76 Garner (Hrsg.), Black’s Law Dictionary (2010), „may“. 77 Supreme Court of Texas, Urteil v. 14.06.1887, 68 Tex. 468.

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sei.78 Die Formulierung „darf nur dann verweigert werden, wenn“ („may be refused…only if…“) sei bedeutungsgleich mit „darf nicht verweigert werden, außer wenn“ („may be refused unless“), die der französischen Version entspreche. Hermann verkennt damit die eigentliche Bedeutung des Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ, wie sie sich aus dem systematischen Zusammenhang ergibt, und verkehrt sie in ihr Gegenteil.79 Die grundsätzliche Pflicht zur Anerkennung ist bereits in Art. III S. 1 UNÜ geregelt. Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ geht hingegen klar von dem Vorliegen eines Versagungsgrundes aus. Nur in diesem Fällen „darf“ dann die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden. (2) Die französische Sprachfassung Die französische Sprachfassung weicht hingegen deutlich von dem englischen Text ab: „La reconnaissance et l’exécution de la sentence ne seront refusées, sur requête de la partie contre laquelle elle est invoquée, que si cette partie fournit à l’autorité compétente du pays où la reconnaissance et l’exécution sont demandées la preuve: […] e) Que la sentence n’est pas encore devenue obligatoire pour les parties ou a été annulée ou suspendue par une autorité compétente du pays dans lequel, ou d’après la loi duquel, la sentence a été rendue.“80

Aufgrund der Nutzung der sprachlich gehobenen Wendung „ne…que“ („nur“) kommt es regelmäßig zu (inhaltlich unschädlichen) Übersetzungsabweichungen. Man findet überwiegend als Übersetzung die negative Formulierung „Die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs werden nicht verweigert (werden), außer wenn…“.81 Allerdings ist sprachlich auch die Formulierung „Die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs werden nur verweigert (werden), wenn…“ möglich, die die übrigen Sprachfassungen besser nachbildet. Entscheidend ist die Verwendung des futur indikativ des Verbs „être“, durch die der französische Text eine gebundene Entscheidung der Vollstreckungsbehörde erzwingt. Die Abweichung von der englischen Sprachversion wird besonders deutlich, wenn man die Formulierung der Parallelvorschrift des Art. V Abs.  2  UNÜ betrachtet: „La reconnaissance et l’exécution d’une sentence arbitrale pourront aussi être refusées…“82 („Die Anerkennung und Vollstreckung können auch dann verweigert werden…“).

Abs. 2 nutzt den futur indikativ des Verbs „pouvoir“ („können“). Auch in Abs. 1 hätte ohne Weiteres statt „ne seront refusées… que“ die Formulierung „ne pourront 78

Herrmann, Arb. Int. 15 (1999), S. 211, 235. So auch Nienaber, S. 110. 80 Keine Hervorhebung im Original. 81 So z. B. Nienaber, Die Anerkennung u. Vollstreckung, S. 115. 82 Keine Hervorhebung im Original. 79

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être refusées… que“ („können nur dann verweigert werden“) genutzt werden können, die den Inhalt des englischen Textes wesentlich besser widergespiegelt hätte.83 Gaillard hält es zwar durch die Betonung des Ausnahmecharakters durch „ne… que“ sogar für möglich, die französische Fassung so zu interpretieren, dass sie eine Wahlmöglichkeit einräume.84 Der weit überwiegende Teil der Literatur wie auch die frühere französische Rechtsprechung sieht zu Recht in dieser Formulierung die Verpflichtung, die Vollstreckung bei Vorliegen einer Aufhebungsentscheidung zu verweigern. So haben einige französische Gerichte noch Anfang der 80er Jahre – zeitlich vor der wegweisenden Norsolor-Entscheidung des Cour de cassation85 – unter Missachtung der Meistbegünstigungsklausel des Art. VII UNÜbereinkommen ein Vollstreckungsermessen verneint und die Anerkennung aufgehobener Schiedssprüche verweigert.86 Da also ein Widerspruch zwischen dem englischen und dem französischen Text vorliegt, sind die übrigen Sprachfassungen von besonderem Interesse. (3) Die spanische Sprachfassung Der spanische Text, interessant insbesondere aufgrund der linguistischen Nähe zur französischen Sprache, formt nicht etwa die französische Fassung nach, sondern entspricht der englischen Fassung in sprachlicher, inhaltlicher und grammatikalischer Hinsicht: „Sólo se podrá denegar el reconocimiento y la ejecución de la sentencia, a instancia de la parte contra la cual es invocada, so esta parte prueba ante la autoridad compentente del pais en que se pide el reconocimiento y la ejecución: e) Que la sentencia no es aún obligatoria para las partes o ha sido anulada o suspendida por una autoridad competente del pais en que, o conforme a cuya ley, ha sido dictada esa sentencia.“87

Die spanische Verb „poder“ hängt etymologisch mit „el poder“ (die Macht) zusammen. Die spanische Fassung lässt sich daher mit dem Verb „können“ oder „dürfen“ übersetzen.88 Auch hier wird also in Übereinstimmung mit der englischen Fassung der Vollstreckungsbehörde ein Ermessen eingeräumt. Die von der englischen Fassung abweichende und eher die französische Fassung nachformende 83 Lastenouse, Journal of Int’l Arbitration 16 (1999/No. 2), S. 28; ähnliche Argumentation bei Nienaber, S. 117. 84 Gaillard, ICCA Congress ser. No. 9, S. 505, 517, dagegen Fouchard, Rev. de l’Arb. 1997, S. 329, 344, der eine gebundene Entscheidung für zwingend hält. 85 Cour de cassation, Entscheidung v. 09.10.1984, Rev. Arb. 1985, S. 431 ff. – Pabalk Ticaret limited Sirketi ./. Norsolor S. A. 86 Cour d’appel Paris, Entscheidung v. 20.06.1980, Rev. Arb. 1981, S. 424 ff. – Clair ./. Berardi et al. 87 Keine Hervorhebung im Original. 88 Pons, Deutsch-Spanisches Wörterbuch, „poder“; ähnlich Galimberti Jarman/Russel (Hrsg.), The Oxford Spanish Dictionary, „poder“: „can“ bzw. „may“.

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Wortstellung des Modaladverbs „sólo“ zu Beginn des Satzes betont sprachlich die Verweigerung als Ausnahme von der regelmäßigen Anerkennung und Voll­ streckung.89 Die spanische Fassung nutzt zudem abweichend von der englischen das futuro imperfecto, was aber keine tatsächliche Abweichung bedeutet, da die spanischen Gesetzestexte regelmäßig in diesem Tempus verfasst sind.90 Die spanische Sprachversion entspricht also inhaltlich im vollen Umfang dem englischen Text. (4) Die chinesische und russische Sprachfassung Auch die chinesische und russische Fassung sehen parallel zur englischen und spanischen Fassung ein Ermessen des Vollstreckungsstaates vor. Die entsprechende chinesische Ausdruck „Ke yi“ lasse sich laut Paulsson und Nienaber je nach Kontext entweder mit „darf“ oder „kann“ übersetzen.91 Die entscheidenden russischen Wörter „mozhet byt“ ständen nach den genannten Autoren ebenso wie das englische „may“ für eine Möglichkeit („kann sein“) oder eine Erlaubnis („darf sein“).92 Die verbleibende grammatikalische Struktur bilde exakt die englische Satzstruktur nach.93 (5) Zwischenergebnis Die englische, spanische, chinesische und russische Sprachfassung des Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ sind daher inhaltsgleich und räumen dem Vollstreckungsstaat im Falle der Aufhebung des Schiedsspruchs ein Ermessen ein. Die französische Fassung sieht hingegen eine gebundene Entscheidung vor. In dem hier vorliegenden Fall, dass sich authentische Sprachversionen widersprechen, wird gemäß Art. 33 Abs. 3 Wiener Vertragskonvention vermutet, dass dieser Widerspruch nicht beabsichtigt war und ein Redaktionsversehen vorliegt.94 Der tatsächliche Inhalt soll daher gemäß Art. 33 Abs. 4 WVK unter Heranziehung der Artt. 31, 32 WVK ermittelt werden.

89 Nienaber, S. 114; Radicati di Brozolo, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration – The Next Fifty Years, S. 79. 90 Nienaber, S. 115; Paulsson, Arb. International 14 (1998), S. 229. 91 Nienaber, ibid; Paulsson, ibid. mit Verweis auf eine chinesische Quelle. 92 Nienaber, ibid; Paulsson, ibid. 93 Nienaber, ibid; Paulsson, ibid. 94 Article 33 Vienna Convention on the Law of Treaties: „[…] 3. The Terms of the treaty are presumed to have the same meaning in each authentic text.“

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2. Systematischer Vergleich der Sprachfassungen a) Der Gebrauch von „may“ und „shall“ in der englischen Sprachfassung95 Betrachtet man die Struktur des UN-Übereinkommens, fällt auf, dass in jedem Hauptsatz entweder das Hilfsverb „may“ oder „shall“ gebraucht wird. (1) „may“ Betrachtet man weiter den Sprachgebrauch der gesamten Konvention hinsichtlich des Hilfsverbs „may“, so ist leicht feststellbar, dass es in einigen wenigen Fällen dazu genutzt wird, den ungewissen Eintritt eines Ereignisses zu kennzeichnen. Dies ist der Fall in Art. II Abs. 1 („differences which may arise“) und Art. VII Abs. 1 („any right he may have“).96 In den übrigen zehn Fällen wird „may“ jeweils in Zusammenhang mit einer Handlungsoption des jeweiligen Mitgliedstaates genutzt bzw., um eine Form des Ermessens der Schiedspartei zu beschreiben: In fünf Fällen wird es benutzt, um völkervertragliche Erklärungsoptionen zu umschreiben. So eröffnet Art. I Abs. 3 S. 1 UNÜ dem Staat bei Unterzeichnung der Konvention die Möglichkeit einen Gegenseitigkeitsvorbehalt zu erklären; Satz 2 erlaubt einen Vorbehalt, die Konvention nur auf Handelsschiedssprüche anzuwenden. Die Kolonialklausel des Art.  X Abs.  1 S.  1 UNÜ erlaubt, dass der Vertragsstaat die Anwendbarkeit auf­ bestimmte oder alle Territorien, deren außenpolitische Vertretung er wahrnimmt, erklärt. Schließlich wird in Art. XIII Abs. 1 UNÜ den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, den Vertrag zu kündigen. Absatz 2 erlaubt die Kündigung für die nach Art. X erklärten Territorien. Diese fünf Erklärungen der Vertragsstaaten werden durch die Nutzung von „may“ als optionale Handlungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten gekennzeichnet.97 In anderen Fällen kennzeichnet „may“ prozessuale Handlungsmöglichkeit eines mitgliedstaatlichen Vollstreckungsgerichts. So gesteht Art. VI UNÜ der Vollstreckungsbehörde die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens während eines Aufhebungsverfahrens im Ursprungsstaat des Schiedsspruches zu („if it ­considers it proper“) und die Möglichkeit, eine Sicherheitsleistung vor der Vollstreckung zu verlangen. Gleich drei Mal wird „may“ in Art. V UNÜ genutzt. Alle drei Fälle gehören zu der Gruppe der prozessualen Handlungsoptionen. Zum einen erlaubt Art. V Abs. I lit. c) UNÜ der Vollstreckungsbehörde im Falle, dass Teile des 95

Die systematische Untersuchung bei Nienaber, S. 119 ff. kommt im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen. 96 Nienaber, S. 119 f. 97 So auch Nienaber, S. 120.

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Schiedsspruchs nicht von der Schiedsabrede erfasst waren, die Vollstreckung derjenigen Teile des Schiedsspruchs anzuordnen, die von der Abrede umfasst waren und sich von den übrigen Teilen trennen lassen. Art. V Abs. 2 UNÜ räumt der Vollstreckungsbehörde die Möglichkeit ein, die Vollstreckung aufgrund des eigenen autonomen nationalen Rechts zu verweigern, nämlich im Falle, dass die Schiedssache nach dem Recht des Vollstreckungsstaates nicht schiedsfähig gewesen ist oder wenn der Schiedsspruch selbst gegen den nationalen ordre public verstößt. Art. V Abs. 2 UNÜ ist für die systematische Untersuchung besonders interessant, weil die Regelung als Parallelvorschrift zu Art. V Abs. 1 UNÜ ausgestaltet ist („(1) recognition and Enforcement may be refused […] (2) Recognition and enforcement of an arbitral award may also be refused…“). Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass Art. V Abs. 2 UNÜ sich auf das nationale Recht des Mitgliedstaates bezieht, nimmt er im Rahmen des UN-Übereinkommens in doppelter Hinsicht eine Sonderstellung ein. Der nationalen Rechtsordnung wird zum einen das Recht eingeräumt, Ausnahmefälle zu schaffen, die zu einer Vollstreckungsverweigerung berechtigen und damit dem Ziel der internationalen Vereinheitlichung des Vollstreckungsrechts entgegenlaufen. Im Interesse des erklärten Ziels des UNÜbereinkommens, die Vollstreckung von Schiedssprüchen zu vereinfachen, wird deutlich, dass dieser Artikel nach dem Willen der Vertragsparteien nur restriktiv angewendet werden sollte. Dies gilt umso mehr deshalb, weil zum anderen diese Vollstreckungshindernisse durch das Vollstreckungsgericht bereits von Amts wegen geprüft werden, während das Vorliegen der Vollstreckungshindernisse gem. Art. V Abs. 1 UNÜ vom Schiedsschuldner zunächst bewiesen werden muss. Jedenfalls kann es sich aufgrund dieses Ausnahmecharakters der Vorschrift nur um eine Handlungsoption der Vollstreckungsbehörde und nicht um eine Handlungsverpflichtung handeln. Die grammatikalische Nähe zum Text des Abs. 1 kann dann aber nur den Schluss zulassen, dass auch in Abs. 1 nur eine Handlungsoption und keine Handlungsverpflichtung vereinbart werden sollte. (2) „shall“ Im Gegensatz dazu nutzt die Konvention in den Fällen einer Handlungspflicht der Vertragsparteien das Hilfsverb „shall“. Dies wird naturgemäß weit häufiger als „may“, nämlich insgesamt 37 Mal genutzt. In Art.  I Abs.  1 u. 2 wird so der Anwendungsbereich des Übereinkommens zwingend festgelegt. Art.  II Abs.  1 bestimmt, welche privaten Absprachen als Schiedsvereinbarungen anerkannt werden müssen. Art. III fordert eine grundsätzliche Anerkennung und Vollstreckung und bestimmt, dass nicht mehr Bedingungen für die Anerkennung und Vollstreckung verlangt werden dürfen als im Übereinkommen vorgesehen. Art.  IV bestimmt die zwingenden Voraussetzungen des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens (Vorlage von Schiedsvereinbarung

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und Schiedsspruch, ggfs. in Übersetzung). Art. VII Abs. 1 UNÜ setzt die zwingend anzuwendende Meistbegünstigungsklausel. Artt. VIII, IX, X, XII, XIII Abs. 2 u. 3, XV und XVI beschäftigen sich mit den Vertragsmodalitäten (Vertragsschluss, Notifikationspflichten, Folgen des Vertragsaustritts etc.), die zwingend eingehalten werden müssen. Art. XI schließlich bestimmt die Bindung der Einzelstaaten eines Bundesstaates, der Vertragsmitglied geworden ist. Sämtliche aufgeführten Regelungen sind notwendig für das Funktionieren des Vertrages, von denen ein Ab­ weichen nicht möglich ist. Die Verwendung des Hilfsverbs „shall“ ist daher immer mit einer Handlungs- bzw. Duldungspflicht verbunden. Es ist daher als Zwischenergebnis festzuhalten, dass die englische Fassung im Falle einer Handlungsverpflichtung der Mitgliedstaaten ausschließlich das Hilfsverb „shall“, im Falle einer Handlungsoption das Hilfsverb „may“ verwendet.98 b) Der Gebrauch von „poder“ im spanischen Text Betrachtet man im Vergleich die spanische Fassung, so kann man leicht nachvollziehen, dass sämtliche Fälle, in denen die englische Fassung das Verb „may“ nutzt, im spanischen mit einer Form von „poder“ nachgebildet werden. In den weiteren Vorschriften, in denen in der englischen Fassung „shall“ genutzt wird, wird „poder“ nicht genutzt, sodass keine Bedeutungsunterschiede zur englischen Fassung feststellbar sind.99 Vergleicht man Art.  V Abs.  1 („Sólo se podrá denegar“) mit Abs.  2 UNÜ („Tambien se podrá denegar“), so erkennt man die Formulierung als Parallel­ vorschrift, die dem englischen Text entspricht. Auch hier wird in beiden Fällen ein Ermessen eingeräumt. c) Der Gebrauch von „pouvoir“ im französischen Text Innerhalb der französischen Fassung lässt sich feststellen, dass in den Fällen, in denen den Mitgliedstaaten ein Ermessen eingeräumt wird, eine Form des Verbs „pouvoir“ in Präsens oder Futur simple verwendet wird. Dies trifft in fast allen Fällen zu, in denen die englische Fassung das Hilfsverb „may“ benutzt, nämlich in elf von zwölf Fällen. Einzige Ausnahme ist Art. V Abs. 1 UNÜ.100 Aus der Zeitform selbst lassen sich hingegen keine Rückschlüsse ziehen, da das Futur simple in allen Bereichen der Konvention, also sowohl bei den Handlungspflichten als auch bei der Ermessenseinräumung, Verwendung findet.

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So auch Nienaber, S. 121. So auch Nienaber, S. 122. 100 Nienaber, ibid. 99

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Das Abweichen des Art. V Abs. 1 UNÜ von den übrigen Sprachfassungen lässt sich nicht aus den travaux préparatoires herleiten.101 Hingegen deutet insbesondere der Vergleich mit Art. V Abs. 2 UNÜ auf einen Übersetzungsfehler hin, da Art. V Abs. 2 UNÜ weiterhin als Parallelvorschrift ausgestaltet worden ist: „La reconnaissance et l’exécution d’une sentence arbitrale pourront aussi être refusées […].“102

Die systematische Analyse der französischen Sprachfassung kann daher die Frage nicht ausräumen, ob die Konvention hier ein Anerkennungs- und Vollstreckungsermessen vorsieht, sondern bekräftigt hingegen das Zwischenergebnis, dass die französische Sprachfassung eine gebundene Entscheidung vorsieht und damit im Widerspruch zu den anderen Sprachfassungen steht. Der systematische Zusammenhang zu Art. V Abs. 2 UNÜ deutet allerdings auf einen Übersetzungsfehler hin. 3. Der sich aus der übrigen Systematik ergebene Sinn und Zweck des UN-Übereinkommens Da ein Vergleich der Sprachfassungen zunächst nicht klären konnte, welche Fassung dem Willen der Vertragsparteien entspricht, soll gem. Art. 33 Abs. 3 WVK eine teleologische Analyse des UN-Übereinkommens klären, ob ein Ermessen der Vollstreckungsbehörde bei Vorliegen eines Vollstreckungshindernisses vorgesehen werden sollte. a) Die Förderung der Vollstreckbarkeit ausländischer Schiedssprüche Im Rahmen der Systematik des UN-Übereinkommens fällt zunächst ins Auge, dass das Übereinkommen eine möglichst einfache Vollstreckung des Schiedsspruchs zum Ziel hat.103 Art. V ist als Ausnahmevorschrift zur allgemeinen Anerkennungs- und Vollstreckungsverpflichtung des Art. III konstruiert. Erforderlich zur Antragstellung ist gem. Art. IV lediglich die Vorlage von Schiedsvereinbarung und Schiedsspruchs, ggfs. in Übersetzung in die Gerichtssprache des Vollstreckungsstaates. Im Vergleich zum Genfer Abkommen von 1927 wird auf die Vorlage einer

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Nienaber, S. 123. Keine Hervorhebung im Original. 103 Borris/Hennecke, in: Wolff (Hrsg.), New York Convention – Commentary, Art. V Rn. 4: „Article V is inspired by the general underlying policy found throughout the Convention  –­ favor arbitrandum. It is the fundamental purpose of the Convention to facilitate the recognition and enforcement of foreign arbitral awards.“ (Hervorhebung im Original); Darwazeh, in: Kronke/Naciniento/Otto/Port (Hrsg.), New York Convention Commentary, Art. V (1) (e), S. 302. 102

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gerichtlichen Vollstreckbarkeitserklärung des Ursprungsstaates verzichtet. Dem Übereinkommen gelingt es auf diese Weise, den Schiedsspruch von einem möglichen zusätzlichen Exequaturverfahren im Sitzstaat des Schiedsgerichts zu entkoppeln.104 Auf die Vollstreckbarkeit bzw. Endgültigkeit im Ursprungsstaat wird im Vollstreckungsverfahren nicht mehr abgestellt. Die strenge Verfahrensvorgabe des Art. IV soll die Mitgliedstaaten daran hindern, weitergehende Voraussetzungen und damit zusätzliche Kosten für die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche zu schaffen.105 Die allgemeine Anerkennungs- und Vollstreckungsverpflichtung wird nur durch Art. V und Art. VI eingeschränkt.106 Dass es sich dabei um Ausnahmevorschriften handelt, wird zum einen durch Art. V dadurch deutlich gemacht, dass eine abschließende Aufzählung der Vollstreckungshindernisse vorgegeben wird,107 zum anderen in Art. V die einschränkende Formulierung „only if“ bzw. „ne…que“ genutzt wird und die Aussetzungsmöglichkeit des Vollstreckungsverfahrens nach Art. VI bei rechtshängigem Verfahren im Ursprungsstaat in das Ermessen des Vollstreckungsgericht gestellt wird.108 Dieses Regel-Ausnahmeverhältnis ist nach der englischen, spanischen, chinesischen und russischen Fassung so gestaltet, dass der Vollstreckungsgläubiger im Verhältnis zum Vollstreckungsschuldner durch die Wortwahl privilegiert wird. So ist die allgemeine Vollstreckungsregelung des Art. III als Verpflichtung („shall“) ausgestaltet, während die Ausnahmeregelung des Art. V mit dem permissiven Verb „may“ ein Ermessen vorsieht.109 Liegt ein Vollstreckungshindernis vor, kann der Vollstreckungsstaat dieses also ignorieren, liegt kein Hindernis vor, muss er den Schiedsspruch aber für vollstreckbar erklären.110 Der Vollstreckungsgläubiger wird also durch die Autoren des UN-Übereinkommens nach dieser Sprachfassung besser gestellt als der Vollstreckungsschuldner. Anders formuliert wird die Förderung der Vollstreckbarkeit des ausländischen Schiedsspruchs höher gewichtet als der unter Umständen durchaus gerechtfertigte Rechtsschutzanspruch des durch den Schiedsspruch Verpflichteten.

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Dazu Borris/Hennecke, in: Wolff (Hrsg.), UN-Convention – Commentary, Art. V Rn. 15 mwN. Nienaber, S. 130. 106 So auch Nienaber, ibid. 107 van den Berg, New York Arbitration Convention, S. 265; Borris/Hennecke, in: Wolff (Hrsg.), UN-Convention  – Commentary, Art.  V Rn.  21, allerdings mit dem Hinweis, dass die US-­ amerikanische Rechtsprechung die beiden zusätzlichen Vollstreckungshindernisse ­„Manifest Disregard of the Law“ und „Forum non conveniens“ in ständiger Rechtsprechung entgegen den Vorgaben des UN-Übereinkommens unregelmäßig anwendet (Rn. 22–26). 108 Nienaber, S. 130. 109 Ebenso Nienaber, ibid. 110 Radicati di Brozolo, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration – The Next Fifty Years, S. 79 betont, dass also die ursprüngliche souveräne Freiheit, einen Schiedsspruch anzuerkennen, durch die Konvention weiter fortbesteht, während die Freiheit, die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs zu verweigern, stark eingeschränkt wird. 105

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Diese Grundentscheidung mag zunächst überraschen. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass man das Vertrauen zu einer privaten Institution wie dem Schiedsgericht höher wertet als das zu einer staatlichen, wenn auch fremdstaatlichen Gerichtsbarkeit. Diese Entscheidung der Autoren der New Yorker Konvention mag jedoch einer durchaus nachvollziehbaren zivilrechtlichen Interessenabwägung entspringen. Die beiden Schiedsparteien haben sich für die Lösung ihres Rechtsstreits auf die private Institution als Ausdruck ihrer Privatautonomie verständigt. Sie haben sogar unter Umständen die einzelnen Schiedsrichter selbst bestimmt. Die Streitparteien haben damit auch gleichzeitig von der staatlichen Gerichtsbarkeit Abstand genommen. Dabei ist gleichgültig aus welchen Gründen sie dies getan haben. Jedenfalls stehen sie selbst der staatlichen Gerichtsbarkeit misstrauischer gegenüber als dem Schiedsgericht. Insoweit folgt das UN-Übereinkommen dieser Grundentscheidung der Schiedsparteien, deren Grundentscheidung für die private Gerichtsbarkeit letztlich durch das Übereinkommen geschützt werden soll. Es gibt damit der Förderung der Vollstreckbarkeit einen Vorzug gegenüber dem Rechtsschutzanspruch des Schiedsschuldners, wenn auch dieser natürlich durch Art. V Abs. 1 UN-Übereinkommen sich trotzdem noch auf die aufgezählten Voll­ streckungshindernisse erfolgreich berufen kann. Legt man die französische Fassung zugrunde, fallen einige Ungereimtheiten innerhalb des Textes auf. Zum einen wird nicht klar, warum Art. V Abs. 1 lit.  e)  UNÜ eine zwingende Vollstreckungsverweigerung vorsieht, die Aussetzung des Verfahrens allerdings nach Art. VI in das Ermessen des Vollstreckungsstaats gestellt werden soll. Wenn man davon ausgeht, dass der Schiedsspruch an die Rechtsordnung des Ursprungsstaats gebunden sein soll, wird nicht klar, warum die Aufhebung verbindlich, die Hemmung der Rechtskraft jedoch ignoriert werden dürfte.111 Wenn man davon ausginge, dass aufgehobene Schiedssprüche niemals vollstreckt werden könnten, ist unverständlich, warum Art. VI UNÜ nicht zumindest eine Sicherheitsleistung des Schiedsgläubigers im Falle eines rechtshängigen Aufhebungsverfahrens anordnet. In diesem Fall wird zu Recht kritisiert, dass im Falle einer nachträglichen Aufhebung große Rechtsunsicherheit erzeugt werde, den Vollstreckungsgegenstand zurückzuerlangen.112 Man könnte hiergegen vielleicht einwenden, dass ein Staat schon durch ein anhängiges Aufhebungsverfahren die Vollstreckung dauerhaft vereiteln könnte. Legt man aber die französische Fassung zugrunde, würde eine solche Befürchtung keinen Sinn ergeben, da der betreffende Ursprungsstaat ohne weiteres den Schiedsspruch aufheben könnte, ohne dass die Sorge bestünde, der Schiedsspruch könnte in einem anderen Staat dann noch vollstreckt werden. Insoweit handelt es sich hierbei um einen systematischen Widerspruch im System der französischen Konventionsfassung.

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Lastenouse, Journal of Int’l Arbitration 16 (1999/No. 2), S. 34. Lastenouse, ibid.

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Größtes Indiz für ein Ermessen und gegen eine gebundene Entscheidung der Vollstreckungsbehörde liegt offensichtlich im Art. VII UNÜ, die sog. Meistbegünstigungsklausel.113 Aus dieser Regelung wird deutlich, dass sich das UN-Übereinkommen als ein Mindeststandard für den Vollstreckungsgläubiger versteht,114 der jederzeit – sei es durch die Anwendung autonomen, nationalen Rechts, sei es durch Anwendung eines vollstreckungsfreundlicheren internationalen Abkommens – zu Gunsten des Schiedsgläubigers überschritten werden darf.115 Das Übereinkommen will also ausdrücklich die denkbar günstigste Vollstreckungsstellung des Gläubigers und damit möglichst eine einfache Vollstreckung erreichen. Eine Verpflichtung der Vollstreckungsbehörde, eine fremdstaatliche Aufhebungsentscheidung ungeprüft zu übernehmen, würde in Anbetracht der Meistbegünstigungsklausel keinen rechten Sinn machen.116 Dem Vollstreckungsstaat durch Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ eine Verpflichtung aufzulegen, der er durch eigenes autonomes Recht gem. Art. VII UNÜ sich wieder entziehen könnte, war sicherlich nicht von den Vertragsparteien beabsichtigt und begründet ebenfalls einen innervertraglichen Widerspruch.117 Paulsson hat daher vorgeschlagen, dass Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ im Zuge einer teleologischen Reduktion nur bei Vorliegen der in Art. V Abs. 1 lit. a) – d) UNÜ genannten Aufhebungsgründe angewendet werden solle.118 Dieses Argument hat den Vorzug, dass es eine parallel laufende Doppelkontrolle präferiert, sowohl im Sitz- wie Vollstreckungsstaat also die gleichen Kriterien angewandt werden können. Dieser Auslegung kann aber entgegengehalten werden, dass bei so einer Annahme Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ eines eigenen Inhalts beraubt wäre, was sicherlich nicht die Absicht der Vertragsstaaten gewesen ist.119 Trotzdem muss man Paulsson zugutehalten, dass Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen einen Fremdkörper insoweit darstellt, als ein externer Faktor in die Prüfung des Anerkennungs- und Vollstreckungsgerichts einbezogen wird.120 Shen nennt die Klausel daher ein „lex specialis on res judicata“.121 Eine solche Klausel erfordere für ihr Funktionieren ein Mindestmaß an Gleichschaltung gerichtlicher Standards im Ursprungs- und im 113 So auch Paulsson, Arb. International 14 (1998), S.  229; Solomon, S.  163: „Eine solche staatsvertragliche Verpflichtung [, die Vollstreckung zu verweigern,] wäre zwar denkbar, ist aber ganz offensichtlich nicht gewollt, da aufgrund des in Art. VII Abs. 1 UNÜ verankerten Günstigkeitsprinzips anerkennungsfreundlicheres nationales Recht beachtlich bleibt.“;­ Radicati di Brozolo, in: van den Berg (Hrsg.), The Next Fifty Years, S. 79. 114 Nach dem Wortlaut kann sich zwar „any interested party“ auf Art. VII beziehen, tatsächlich kommt in der Praxis aber nur der Schiedsgläubiger in Frage, so van den Berg, The New York Arbitration Convention, S. 82 f. 115 Haas, in: Weigand (Hrsg.), Practitioner’s Handbook, New York Convention, Art. V Rn. 3; Paulsson, ICC Bulletin 9 (1998/No. 1), S. 17: „The fact is that courts cannot violate the Convention by enforcing a foreign award.“; Schlosser, Rn. 761; Solomon, S. 163. 116 Shen, S. 97. 117 Lastenouse, Journal of Int’l Arbitration 16 (1999/No. 2), S. 29. 118 Paulsson, ICC Bulletin 9 (1998/No. 1), S. 24. 119 So auch Nienaber, S. 137. 120 Shen, S. 91 f. 121 Shen, ibid.

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Vollstreckungsstaat. Die Nebenfolge der Aufhebung, dass die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung legitimiert werde, könne nur dadurch abgemildert werden, dass man den Vollstreckungsrichter mit einer ausreichenden Ermessensbefugnis ausstatte.122 b) Harmonisierung internationaler Vollstreckungsstandards Die Harmonisierung des internationalen Vollstreckungsstandards hängt natürlich unmittelbar mit dem Ziel der Förderung der Vollstreckbarkeit zusammen. Wichtigste Vorschrift ist erneut Art. IV UNÜ, der die einzig zulässigen Bedingungen für ein Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren festlegt. Zu beachten ist aber, dass gerade auch durch die Meistbegünstigungsklausel des Art. VII ein Mindestmaß der Harmonisierung und zwar nur zu Gunsten des Vollstreckungsgläubigers erreicht werden soll.123 Besteht ein günstigeres nationales Recht oder ein weiterer Staatsvertrag, soll dieses Recht den Vorzug finden. Es ist also gerade nicht so, dass man mit dem UN-Übereinkommen eine abgestimmte oder gar harmonisierte Anwendung der internationalen Vollstreckungspraxis angestrebt hat. Für eine solche Zielsetzung hätte man eine stärkere Einschränkung der Vollstreckungshindernisse vorsehen bzw. eine übergeordnete internationale gerichtliche Instanz mit einem Auslegungsmonopol schaffen müssen.124 Die Harmonisierung des Vollstreckungsstandards tritt also klar hinter dem Ziel der Vollstreckungsförderung zurück.125 Das Übereinkommen liefert nur einen Mindeststandard für den Vollstreckungsgläubiger, der ohne weiteres überschritten werden darf.126 Die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs auf einer anderen Rechtsgrundlage kann daher nie ein Verstoß gegen das Übereinkommen sein. Ein einheitliches Anerkennungs- und Vollstreckungssystem in allen Mitgliedstaaten war demnach nicht beabsichtigt.127 Die Autoren des Übereinkommens kann man trotzdem nicht vorwerfen, dass sie in diesem Punkt einseitig zu Gunsten des Schiedsgläubigers agiert hätten. Denn auch für den Vollstreckungsschuldner wurde insoweit eine Harmonisierung der Vollstreckungsstandards vorgenommen, indem in Art. V Abs. 1 alle Punkte aufgezählt werden, auf die sich der Schiedsschuldner, der für diese Frage nach allen Sprachfassungen die Beweislast trägt,128 im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren berufen kann. Es drängt sich in diesem Zusammenhang natürlich die 122

Shen, S. 92. van den Berg, The New York Arbitration Convention, S. 82 f. 124 Radicati di Brozolo, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration – The Next Fifty Years, S. 78 f. (101). 125 So auch Lastenouse, Journal of Int’l Arbitration 16 (1999/No. 2), S. 34. 126 Paulsson, ICC Bulletin 9 (1998/No. 1), S. 18. 127 Lastenouse, Journal of Int’l Arbitration 16 (1999/No. 2), S. 34; Paulsson, id., S. 17. 128 Dazu Liebscher, in: Wolff (Hrsg.), UN-Convention – Commentary, Art. V Rn. 356. 123

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Frage auf, ob das Einräumen eines Ermessens nach der englischen, spanischen, chinesischen und russischen Sprachversion nicht in einem Wertungswiderspruch zu dem erforderlichen Schutz des Schiedsschuldners steht. Der Schiedsschuldner könne sich nicht darauf verlassen, dass seine möglicherweise berechtigten Einwände im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren Berücksichtigung finden. Betrachtet man jedoch Art. VII, muss man dazu kommen, dass dieses Ergebnis von den Autoren des UN-Übereinkommens beabsichtigt war. Sie geben der Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs im Zweifel den Vorrang. Theoretisch mag die Aufzählung der Vollstreckungshindernisse aufgrund der Ermessensregelung des Art. V und der Meistbegünstigungsklausel des Art. VII als stumpfes Schwert erscheinen. In der Praxis jedoch werden die weit überwiegende Anzahl der aufgehobenen Schiedssprüche über die enumerativ aufgelisteten Vollstreckungshindernisse trotz Ermessensregelung nicht vollstreckt und das Ermessen gegebenenfalls „auf Null“ reduziert. c) Die Begrenzung des Einflusses des Sitzstaats Nach dem bisher Gesagten muss davon ausgegangen werden, dass eine Ermessensentscheidung eher dem Willen der Vertragsparteien entspricht als eine gebundene Entscheidung, da ansonsten in der Systematik des Übereinkommens Widersprüche zu erkennen wären. Der letzte durch die Literatur festgestellte Sinn und Zweck des Übereinkommens ist nur aufrecht zu erhalten, wenn man nicht die französische Fassung zugrunde legt. Insbesondere Paulsson ist der Ansicht, dass das Übereinkommen außerdem bezweckt, den Einfluss des Ursprungsstaates im Vollstreckungsverfahren auf ein Mindestmaß zu begrenzen.129 Der ICC-Konventionsentwurf von 1953 hatte auch tatsächlich die Schaffung eines denationalisierten bzw. internationalen Schiedsspruchs bezweckt.130 Dieser Vertragsentwurf habe sich allerdings nach einer weit verbreiteten Ansicht in der Literatur erkennbar nicht durchsetzen können. Vielmehr bezieht sich das UN-Übereinkommen bereits in Art.  I Abs.  1 S.  1 auf einen Schiedsspruch „made in the territory of  a state“ und sehe folgerichtig ausdrücklich in Art.  V Abs. 1 lit. e) das Vollstreckungshindernis der Aufhebung im Ursprungsstaat vor, erkenne damit also das Recht des Ursprungsstaats an, den Schiedsspruch anhand des autonomen nationalen Rechts aufzuheben.131 Trotzdem muss Paulsson schon insoweit rechtgegeben werden, dass der Schiedsspruch eben nicht, wie unter dem 129 Paulsson, Am. Rev. Int’l Arb. 1996 (7 No. 2), S. 104 f.; zustimmend Lelutiu, American Rev. of Int’l Arbitration 14 (2003), S. 358. 130 Solomon, S. 53. 131 Nienaber, S.  133; Liebscher, in: Wolff (Hrsg.), UN-Convention  – Commentary, Art. V Rn. 379; Radicati di Brozolo, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration – The Next Fifty Years, S. 77.

A. Ermessen gemäß Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen

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Genfer Abkommen von 1927, seine Gültigkeit streng an das nationale Recht des Ursprungsstaat koppelt und damit mit der Aufhebung verliert, sondern eben erneut „aufleben“ könnte, wenn ein anderer Staat sich entschließen sollte, ihn für vollstreckbar zu erklären.132 Der Einfluss des Sitzstaates des Schiedsgerichts ist also tatsächlich begrenzter als unter dem Vorgängerübereinkommen. Dass eine zumindest teilweise Entkoppelung des Schiedsspruchs von der Rechtsordnung des Ursprungsstaates vom UN-Übereinkommen als zulässig angesehen wird, lässt sich zudem auch der Definition des der Konvention unterfallenden Schiedssprüche gem. Art. I Abs. 1 S. 2 folgern. Es sollen demnach nicht nur Schiedssprüche, die in einem anderen Staat als dem Vollstreckungsstaat ergangen sind, sondern auch solche unter den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen, die im Vollstreckungsstaat „not considered as domestic awards“ sind. Das UN-Übereinkommen hält also eine Abkoppelung von der Rechtsordnung des Ursprungsstaats auf der Grundlage dieser Definition für möglich.133 Die Schlussfolgerung, dass der Ursprungsstaat auch nach dem UN-Übereinkommen seinen Einfluss erhalten konnte, ist daher nicht so sehr die Folge des Textes des Übereinkommens selbst, sondern viel eher der fortgeführten Praxis der meisten Mitgliedstaaten, eine Vollstreckung bei Aufhebung gleich einem Automa­ tismus folgend zu verweigern. Erachtet man die französische Fassung als Redaktionsversehen, dann muss man Paulsson in diesem Punkt Recht geben. Es mag keine vollkommene Loslösung von der Rechtsordnung des Ursprungsstaates sein. Eine solche war auch sicherlich nicht im Sinn der Autoren. Art. V Abs.  1 UNÜbereinkommen kennzeichnet aber ein Abgehen von der alten Praxis insoweit, dass jedenfalls eine fremdstaatliche Aufhebung nicht in jedem Fall anerkannt werden muss. d) Die „doppelte Funktion der Doppelkontrolle“ Die Vollstreckungshindernisse, die in Art. V Abs. 1 lit. a)-d) UN-Übereinkommen aufgelistet sind, sind die gleichen Gründe, die auch das aufhebende Gericht des Ursprungsstaats prüfen muss.134 Es findet also hinsichtlich dieser Gründe eine 132 Heller, S.  3: „Sobald aber ein Schiedsspruch angefochten und vollstreckt werden soll, zeigt sich, dass die Schiedsgerichtsbarkeit nicht in einem rechtsfreien Raum schwebt oder allenfalls völkerrechtlichen Normen unterliegt, sondern in staatliche Rechtsordnungen eingebunden ist. Werden Gerichte in einem Anfechtungs- oder Vollstreckungsverfahren angerufen, so ist die ‚lex fori‘ des jeweiligen angerufenen Gerichts die Ausgangsrechtsordnung für die Be­ urteilung des betreffenden Schiedsverfahrens und Schiedsspruchs […]“. 133 Radicati di Brozolo, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration – The Next Fifty Years, S. 77 mwN; Shen, S. 77 f. weist darauf hin, dass bei Einsatz elektronische Kommunikationsmittel im Verfahren der Schiedsort oft nicht leicht ermittelt werden könne. 134 Lastenouse, Journal of Int’l Arbitration 16 (1999/No. 2), S. 36; das Vollstreckungsgericht prüft diese Gründe allerdings nur auf Antrag des Vollstreckungsschuldners, dazu Borris/­ Hennecke, in: Wolff (Hrsg.), UN-Convention – Commentary, Art. V Rn. 13.

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Doppelkontrolle statt, also eine erste Kontrolle im Rahmen des Aufhebungsverfahrens im Ursprungsstaat und zum anderen eine Kontrolle im Vollstreckungsstaat.135 Erste und sicherlich augenscheinlich wichtigste Funktion dieser Doppelkontrolle ist der Schutz des Schiedsschuldners vor der Vollstreckung eines rechtswidrig zustande gekommenen Schiedsspruchs. Das UN-Übereinkommen will nur solche Schiedssprüche vollstrecken lassen, die auf vertragsgemäße Weise zustande gekommen sind. Unbillige Ergebnisse sollen hierdurch vermieden werden: Schiedssprüche, die nicht der Schiedsabrede entsprechen, sollen nicht vollstreckt werden. Der Schiedsschuldner soll nur soweit haften, wie er sich vertraglich verpflichtet hat. Hält der aufhebende Sitzstaat nicht einen internationalen Mindeststandard hinsichtlich eines rechtsstaatlichen Verfahrens ein, hebt er also den Schiedsspruch aufgrund sachfremder, unangemessener Gründe auf, dann bietet Art. V UN-Übereinkommen dem Vollstreckungsstaat die Möglichkeit, diese sachfremde Entscheidung zu ignorieren.136 Ein weiteres Argument lässt sich in diesem Zusammenhang aus Art. VI ziehen. Nach dieser Bestimmung kann die Vollstreckungsbehörde im Falle eines laufenden Aufhebungsverfahrens im Sitzstaat des Schiedsgerichts das Vollstreckungsverfahren aussetzen bzw. eine Sicherheitsleistung für die Vollstreckung anordnen. Das Übereinkommen berücksichtigt schon laufende Aufhebungsverfahren. Schiedssprüche sollen also nach dem UN-Übereinkommen im Rahmen einer Doppelkontrolle sowohl im Heimatstaat als auch im Vollstreckungsstaat überprüft werden. Das Übereinkommen will demgemäß nur die Vollstreckung von den Schiedssprüchen garantieren, die in einem ordentlichen Verfahren zustande gekommen sind, und bietet dem Vollstreckungsschuldner auf diese Weise einen gewissen Schutz. Eine weitere Funktion der Doppelkontrolle findet jedoch regelmäßig zu wenig Beachtung. Für den Schutz des Schiedsschuldners wäre es auf den ersten Blick ja ausreichend gewesen, eine einzige Kontrolle, nämlich die des Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ im Aufhebungsverfahren, zu etablieren. Das UN-Übereinkommen beschränkt sich allerdings nicht auf dieses Verfahren, sondern lässt zu, dass das Aufhebungsverfahren bei Bedarf im Rahmen einer Ermessensentscheidung nachvollzogen werden darf. Auf der anderen Seite hätten die Vertragsstaaten ebenfalls regeln können, dass auf eine Überprüfung der Vollstreckungshindernisse nach Art. V Abs. 1 lit. a)-d) UNÜ hätte verzichtet werden können, wenn diese in einem erfolglosen Aufhebungsverfahren im Ursprungsstaat bereits überprüft worden sind.137 Das UN-Übereinkommen lädt also den Vollstreckungsrichter ein, sich ein eigenes Bild 135 Reisman/Richardson, in: van den Berg (Hrsg.) Arbitration – The Next Fifty Years, S. 24 f. nennen zur Verdeutlichung des damit geschaffenen transnationalen Kontrollsystems die Ursprungsstaaten „primary jurisdictions“, die Vollstreckungsstaaten „secondary jurisdictions“. 136 Lastenouse, S. 44: „If [the award] has serious defects, it is very doubtful that it will be granted recognition and enforcement in any [Member State] anyway. The Control at the enforcement stage should generally be sufficient to protect the parties from the risk of having to pay sums under a defective award.“ 137 Lastenouse, ibid.

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von dem Schiedsverfahren und dem fremdstaatlichen Aufhebungsverfahren zu machen.138 Lastenouse hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass es vor diesem Hintergrund überraschend sei, dass zwar allgemein akzeptiert werde, dass das Vollstreckungsgericht über Dinge entscheiden müsse, über die bereits im erfolglosen Aufhebungsverfahren im Ursprungsstaat entschieden worden ist, auf der anderen Seite es aber als unangemessen angesehen werde, ein erfolgreiches Aufhebungsverfahren zu überprüfen.139 Reisman und Richardson sehen in dem System der Doppelkontrolle das Problem einer unbilligen Gleichschaltung der Ursprungs- und der Vollstreckungsrechtsordnung.140 Ihrer Ansicht nach sei es für das Funktionieren des Systems erforderlich, dass man zu Gunsten der Rechtssicherheit der Parteien dem Gericht des Ursprungsstaats eine globale Wirkung beimisst, während die Macht der Gerichte des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaats auf den jeweiligen Staat begrenzt bleiben muss. Dies müsse so sein, da andernfalls ein Schiedsschuldner stets vor dem Vollstreckungsgericht seines Heimatstaats, in dem in den meisten Fällen der Großteil seines vollstreckbaren Vermögens belegen sein wird, mit größerer Wahrscheinlichkeit die Anerkennung des Schiedsspruchs verhindern könnte, sofern man die Gerichte des Ursprungsstaats und des Vollstreckungsstaats auf eine Stufe stelle. Reisman und Richardson kann und muss entgegengehalten werden, dass sie sich bei ihrer Argumentation zu stark vom Text des UN-Übereinkommens gelöst und hier eher ein politisches Argument angeführt haben, dass dem Zielen der Konvention außerdem widerspricht.141 Natürlich muss man ihnen Recht geben, dass dem aufhebenden Gericht eine gewisse globale Wirkung nicht abgesprochen werden kann. Diese Wirkungsmacht bezieht sich aber nur auf den Fall der Aufhebung, beschränkt sich also auf den Text des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommens und geht nicht darüber hinaus: Die Aufhebung ermöglicht erst den Gerichten des Vollstreckungsstaats, die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs zu verweigern. Eine darüber hinaus gehende Wirkung für das System der Doppelkontrolle kann aus dem Übereinkommen jedoch nicht gefolgert werden. Es war ja gerade die große Errungenschaft des UN-Übereinkommens, sich von dem Doppel-Exequatur-System des Genfer Abkommens von 1927 erfolgreich gelöst zu haben. Die Argumentation Reismans und Richardsons würde aber dazu führen, über eine Hintertür dieses als besonders störend empfundene Instrument wieder anzuwenden.142 138

Lastenouse, ibid. Lastenouse, S. 37: „In other words, it is generally felt that a decision of a judge seized with an action to set aside the award must be given greater respect and international recognition when it annuls the award than when it confirms the award. I fail to understand why this should be so. Indeed, there is simply no rationale for such a rule.“ 140 Reisman/Richardson, in: van den Berg (Hrsg.), Arbitration – The Next Fifty Years, S. 28 f. 141 Ähnlich Gaillard, in: van den Berg (Hrsg.), id., S. 71f; Radicati di Brozolo, in: van den Berg (Hrsg.), id., S. 75 f. 142 Gaillard, ibid. 139

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Zudem weist Radicati di Brozolo in diesem Zusammenhang richtigerweise darauf hin, dass das UN-Übereinkommen sich ausschließlich an die Anerkennungs- und Voll­streckungsstaaten („secondary jurisdictions“) richtet und daher auch keine Einschränkungen für das Aufhebungsverfahren im Ursprungsstaat vorsieht.143 Es wäre daher bedenklich, den Ursprungsstaaten entgegen Wortlaut sowie Sinn und Zweck eine beherrschende Position einzuräumen. Die vertragliche Installation der Doppelkontrolle deutet daher in diesem Zusammenhang darauf hin, dass mit der Aufhebung im Sinne des Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ dann auch nur eine Aufhebung gemeint sein kann, die unter bestimmten rechtsstaatlichen Bedingungen zustande gekommen ist bzw. die Anforderungen der Rechtsordnung des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaats erfüllen kann. Andernfalls könnte das angestrebte Ziel einer möglichst weitgehenden Vollstreckungsfreundlichkeit und einer Abkopplung der Schiedsgerichtsbarkeit von der Rechtsordnung der nationalen Gerichte durch Verzicht auf die Exequatur-Erklärung des Ursprungsstaats weitgehend vereitelt werden, zumal das Übereinkommen keine Kriterien für ein staatliches Aufhebungsverfahren nennt. Darauf konnte nur dann verzichtet werden, wenn die Vollstreckungsbehörde tatsächlich nicht verpflichtet ist, die Aufhebungsentscheidung ungeprüft zu akzeptieren. Als Zwischenergebnis der textgestützten teleologischen Auslegung lässt sich damit zunächst festhalten, dass die französische Sprachversion sich zu Sinn und Zweck der übrigen Vertragsbestimmungen im Widerspruch befindet, sodass nachfolgend davon ausgegangen werden muss, dass die französische Fassung tatsächlich auf einem Redaktionsversehen beruht. 4. Dynamische Auslegung des Art. V Abs. 1 UN-Übereinkommen – UNCITRAL-Schiedsregeln und UNCITRAL-Modellgesetz Das eben gefundene Ergebnis, dass nur bestimmte Schiedssprüche, die nach einem rechtmäßigen Verfahren zustande gekommen sind, dem Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren zugänglich sein sollen, ließe sich auch aufgrund späterer Übereinkünfte der Mitgliedstaaten im Wege einer sogenannten dynamischen Auslegung gem. Art. 31 Abs. 3 WVK feststellen. Diese Vorschrift lautet: „3. There shall be taken into account, together with the context: a) any subsequent agreement between the parties regarding the interpretation of any treaty or the application of its provisions; b) any subsequent practice in the application of the treaty which establishes the agreement of the parties regarding its interpretation; c) any relevant rules of international law applicable in the relations between the parties.“ 143

Radicati di Brozolo, in: van den Berg (Hrsg.), id., S. 80.

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a) Die begrenzte Anwendungsmöglichkeit einer dynamischen Auslegung Als Grundlage für eine dynamische Auslegung des UN-Übereinkommens kommen nur globale Geltung beanspruchende Regelungen in Betracht. Denn nur diejenigen „vertragsexternen“ Verpflichtungen sind beachtlich, die allen Vertrags­ parteien gemeinsam sind.144 Daher soll zunächst das (nur von einigen europäischen Staaten geschlossene) Genfer Europäische Übereinkommen von 1961 keine Berücksichtigung finden und zu einem späteren Zeitpunkt gesondert untersucht­ werden.145 Auf globaler Ebene kommen nur die UNCITRAL-Schiedsregeln von 1976 und das UNCITRAL-Modellgesetz von 1985 in Frage, die von dem Experten­gremium der UNCITRAL angenommen wurden und deren Anwendung durch Resolutionen der UN-Generalversammlung den Mitgliedstaaten empfohlen wurde. Die United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) bildet als Teil des UN Legal Office zusammen mit der International Law Commission und dem 6. Komitee der Generalversammlung eines der wichtigsten juristischen Gremien innerhalb der Vereinten Nationen.146 Die UNCITRAL ist dabei ausschließlich mit der Harmonisierung und Modernisierung des internationalen Handelsrechts betreut.147 Auch mit den beiden genannten Regelungswerken beabsichtigte UNCITRAL, trotz der vielfältigen Unterschiede zwischen den Rechtskulturen eine gewisse konsensfähige Harmonisierung auf dem Gebiet der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu finden. Obwohl diese Regelungen keinerlei Verbindlichkeit für die UN-Mitgliedstaaten beanspruchen, haben die meisten Staaten diese Regelungen für Verfahren auf ihrem eigenen Territorium akzeptiert bzw. das Modellgesetz zumindest teilweise in das eigene Recht integriert. Wie oben bereits geschildert, haben jedoch viele Staaten das Modellgesetz, das auf eine freiwillige Implementierung in das jeweilige nationale Recht baut, schlichtweg nicht148 oder nur teilweise149 umgesetzt. Eine andere Schwachstelle liegt darin, dass nationale Gerichte das Modellgesetz trotz Implementierung in die eigene Rechtsordnung aus anderen Gründen nicht oder nur teilweise anwenden könnten. 144 v. Arnauld, Rn.  225; Dörr, in: Ders./Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties – A Commentary, Art. 31 Rn. 83. 145 Siehe dazu infra Kap. 2. B. 146 Vgl. Ott/Boor, UNCITRAL, in: Volger (Hrsg.), A Concise Encyclopedia of the United Nations, S. 692 ff. 147 GA-Res. A/21/2205 v. 17.12.1966. 148 So haben beispielsweise in China nur die Provinzen Hong Kong und Macao das Modellgesetz implementiert, in den USA nur sieben Staaten, im Vereinten Königreich nur Schottland. Auch wirtschaftlich aufstrebende Staaten wie Südafrika, Argentinien und Chile haben das Modellgesetz nicht implementiert. 149 Nienaber, S. 180–183 zeigt auf, dass sogar „klassische“ Schiedsorte wie Frankreich, die Schweiz, England, USA, Österreich, Schweden, die Niederlande und Belgien den Aufhebungsstandard des UNCITRAL-Modelgesetzes nicht genau eingehalten haben.

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b) Die UNCITRAL-Schiedsregeln von 1976150 Die UNCITRAL-Schiedsregeln wurden durch die UN Commission on the Inter­ national Trade Law (UNCITRAL) 1976 als Alternative zu den damals bereits bestehenden Schiedsregeln der etablierten Schiedsinstitutionen geschaffen. Sie zielen nicht auf eine Verbindlichkeit für die Staaten, sondern bieten den Schiedsparteien lediglich allgemein akzeptierte Schiedsverfahrensregelungen. Der große Vorteil dieser Regelungen liegt darin, dass die Schiedsparteien nicht durch ungewöhnliche Verfahrensregelungen des nationalen Rechts des Sitzstaats überrascht werden können. Die UNCITRAL-Schiedsregeln stehen dabei natürlich in Konkurrenz zu den vielen anderen Verfahrensordnungen der etablierten Schiedsinstitutionen, beispielsweise zu den Regeln der ICC. Trotzdem nutzen viele Schiedsparteien die allgemein vorhandene staatliche Akzeptanz dieser Regeln und legen die Nutzung in ihren Schiedsabreden fest, sodass sie insbesondere von ad hocSchiedsgerichten, aber auch durch viele institutionalisierte Schiedsgerichte erfolgreich angewendet werden. Die UNCITRAL-Schiedsregeln passen erkennbar nicht zur Bestimmung des Art. 31 Nr. 3 lit. a) oder lit. b) WVK. Die Schiedsregeln scheiden von vornherein für die Interpretation des UN-Übereinkommens aus, weil sie nicht auf einer zwischenstaatlichen vertraglichen Regelung beruhen und auch keiner staatlichen Bestätigung bedürfen. Sie sind zwar durch die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, zu denen auch alle Vertragsparteien des UN-Übereinkommens gehören, ausdrücklich begrüßt worden. Ihre Wirksamkeit im Rechtsverkehr entstammt aber einzig und allein aus einem Akt der Privatautonomie der Schiedsparteien. Sie sind daher nicht geeignet, als weitere Vereinbarung zur Interpretation des UN-Übereinkommens zu dienen. c) Das UNCITRAL-Modellgesetz zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1985151 Auch das UNCITRAL-Modellgesetz entspricht nicht genau den Vorstellungen des Art. 31 Nr. 3 lit. a) WVK. Bei dem Modellgesetz handelt sich um Normen, die zwar im Rahmen diplomatischer Konferenzen zwischenstaatlich ausgehandelt worden sind, selber aber keine rechtliche Verbindlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Sie sind nicht Bestandteil eines völkerrechtlichen Vertrages geworden, sondern verstehen sich als echtes Modell, dem sich die UN-Mitgliedstaaten anschlie 150 Am 28.04.1976 von der UNCITRAL angenommen/GA-Res. A/31/98 v. 15.12.1976, verändert durch UNCITRAL am 08.10.2010/GA-Res. A/65/22 v. 06.12.2010, abrufbar unter http:// www.uncitral.org/pdf/english/texts/arbitration/arb-rules-revised/arb-rules-revised-2010-e.pdf. 151 Am 21.06.1985 durch die UNCITRAL angenommen/GA-Res. A/40/72 v. 11.12.1985, verändert durch UNCITRAL am 07.07.2006/GA-Res. A/61/33 v. 04.12.2006, abrufbar unter http://www.uncitral.org/pdf/english/texts/arbitration/ml-arb/07–86998_Ebook.pdf.

A. Ermessen gemäß Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen

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ßen können. Tatsächlich handelt es sich bei ihnen eher um eine Form des sog. „soft law“, das lediglich ein Modell für die nationale Gesetzgebung bieten und auf freiwilliger Basis in das nationale Recht integriert werden soll. Trotz dieser Ausgestaltung als „soft law“ ist es jedoch gelungen, dass viele bedeutende Staaten die Regelungen des Modellgesetzes in ihr nationales Recht übernommen haben, wenn auch teilweise mit einigen erheblichen Abweichungen im Detail. Von der Rechtswirkung kommen diese Übernahmen allerdings Ratifikationen gleich, wenn gleich auch nicht im rechtstechnischen Sinne. Die Anzahl der Umsetzungen in die nationalen Rechtsordnungen deutet allerdings darauf hin, dass die meisten Staaten bereit sind, die Regelungen als für sich selbst verbindlich akzeptieren. Für die Analyse des Art. V UN-Übereinkommen ist insbesondere Art. 34 UNCITRAL-Modellgesetzes bemerkenswert, der das Aufhebungsverfahren im Ursprungsstaat des Schiedsspruchs regelt: „Art. 34. Application for setting aside as exclusive recourse against arbitral award: (1) Recourse to a court against an arbitral award may be made only by an application for setting aside in accordance with paragraphs (2) and (3) of this article. (2) An arbitral award may be set aside by the court specified in article 6 only if: (a) The party making the application furnishes proof that: (i) A party to the arbitration agreement referred to in article 7 was under some incapacity: or the said agreement is not valid under the law to which the parties have subjected it or, failing any indication theron, under the law of this State; or (ii) The party making the application was not given proper notice of the appointment of an arbitrator or of the arbitral proceedings or was otherwise unable to present his case; or (iii) The award deals with a dispute not contemplated by or not falling within the terms of the submission to arbitration, or contains decisions on matters beyond the scope of the submission to arbitration, provided that, if the decisions on matters submitted to arbitration can be separated from those not so submitted, only that part of the award which contains decisions on matters not submitted to arbitration may be set aside; or (iv) The composition of the arbitral tribunal od the arbitral procedure was not in accordance with the agreement of the parties, unless such agreement was in conflict with a provision of the Law from which the parties cannot derogate, or, failing such agreement, was not in accordance with this Law; or (b) The court finds that: (i) The subject-matter of the dispute is not capable of settlement by arbitration under the law of this State; or (ii) The award is in conflict with the public policy of this State. […]“.

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Kap. 2: Hat das deutsche Anerkennungsgericht ein Ermessen?

Nach dieser Regelung folgen Aufhebungs- wie Vollstreckungsverfahren denselben Kriterien. Art. 34 Abs. 2 lit. a) Modellgesetz wiederholt wortwörtlich die Regelung des Art. V Abs. 1 lit. a)-d) UN-Übereinkommen. Das Modellgesetz standarisiert also die international anzuerkennenden Aufhebungsgründe. Könnte man diese Regelung also als spätere Übereinkunft zum UN-Übereinkommen im Sinne des Art. 31 Nr. 3 lit. a) WVK ansehen, dann müsste man zu dem Ergebnis kommen, dass eine gebundene Entscheidung, wie sie der französische Text beinhaltet, dieser Grundentscheidung widerspricht.152 Wenn das Modellgesetz abschließend die möglichen Aufhebungsgründe auflistet, während das UNÜbereinkommen auch eine Aufhebung aus einem anderen Grund akzeptiert und dann zwingend die Vollstreckbarkeit verweigert, besteht hier ein Wertungswiderspruch, der nur dann aufgelöst werden kann, wenn man mit den anderen Sprachversionen dem Vollstreckungsgerichts ein Ermessen einräumt, um nicht durch die Hintertür eine Umgehung der Wertungen des Modelgesetzes Wirksamkeit zu verschaffen. Interessant ist in diesem Zusammenhang der französische Text des Art.  36 Abs. 2 UNCITRAL-Modellgesetzes zum Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren, der nur die Vorschrift des Art. V UN-Übereinkommen wiederholt. Denn hier wurde der französische Text an die übrigen Sprachfassungen angepasst.153 Er lautet nunmehr: „La reconnaissance ou l’exécution d’une sentence arbitrale, quel que soit le pays où elle a été rendue, ne peut être refusée que […]“.

Da es sich um einen von der UNCITRAL angenommenen Text handelt, ist davon auszugehen, dass diese Korrektur vorgenommen wurde, weil man die Widersprüche innerhalb des französischen Textes der Konvention ausgleichen wollte. Trotz dieser Erwägungen muss angezweifelt werden, dass sich das Modellgesetz für eine dynamische Auslegung des UN-Übereinkommens tatsächlich eignet. Letztlich basiert das Modellgesetz nur auf einer Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die gemäß Art.  10 UN-Charta nur einen empfehlenden Charakter aufweist. Es handelt sich also gerade nicht um eine rechtsverbindliche zwischenstaatliche Übereinkunft im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit.  a) WVK. Daran ändert sich auch nichts durch die Tatsache, dass tatsächlich viele Staaten das Modellgesetz als Grundlage für die Reform der eigenen nationalen Rechtsordnungen verwendet haben. Auch wenn man diese Übernahme in das nationale Recht als nachfolgende Praxis im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK ansehen wollte, ist fraglich, ob hierin eine Grundlage für eine weitergehende dynamische Auslegung gefunden ist. Letztlich hat nur ungefähr die Hälfte der Mitglied 152

Paulsson, Am. Rev. of Int’l Arbitration 7 (1996/No. 2), S. 108 f. Nienaber, S. 125; alle Vertragstexte der UNCITRAL werden in den sechs UN-Amtssprachen (arabisch, chinesisch, englisch, französisch, russisch und spanisch) als authentische Texte verabschiedet. 153

A. Ermessen gemäß Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen

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staaten des UN-Übereinkommens das Modellgesetz in das eigene Recht integriert, wobei schon die Homepage der UNCITRAL darauf hinweist, dass viele Staaten im Detail teils erheblich von den Vorgaben des Modellgesetzes abgewichen sind.154 Eine einheitliche Praxis, die für eine dynamische Auslegung erforderlich wäre, kann daher zumindest zum heutigen Zeitpunkt nicht identifiziert werden. 5. Die „engere Textversion“ nach der Rechtsprechung des StIGH Das Ergebnis, dass der französische Text nicht dem mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien entspricht, hält auch einer restriktiven Auslegung stand, wie sie durch den Ständigen Internationalen Gerichtshof im Fall der Mavrommatis Konzessionen herangezogen worden ist. Das Gericht hatte 1924 über einen zwischenstaatlichen Vertrag zu urteilen, dessen sprachliche Versionen sich in einem Widerspruch zueinander befanden. Das Gericht führte dazu aus, dass „… [w]here two versions possessing equal authority exist one which appears to have a wider bearing than the other, it is bound to adopt the more limited interpretation which can be made to harmonise with both versions and which, as far it goes, is doubtless in accordance with the common intention of the parties.“155 Der StIGH zieht damit eine restriktive Auslegungsmethode heran, die auf den von den Textdivergenzen nicht betroffenen Kern der Vertragsregelung abstellt, der allseitige Übereinstimmung genießt. Es handelt sich im Grunde genommen um eine Fortführung der durch die Wiener Vertragskonvention verbannten subjektiven Vertragsauslegung. Eine solche enge Auslegung des „gemeinsamen Nenners“ wird insbesondere deshalb kritisiert, weil sie zu formal vorgehe, um eine Analyse zu gewährleisten, die dem tatsächlichen Willen der Vertragsparteien gerecht wird.156 Auch werde dabei oft die Mehrheit der authentischen Texte durch einzelne Sprachfassung, die eine Verpflichtung enger fasst, verdrängt.157 Doering ist der Ansicht, dass gerade bei rechtssetzenden Verträgen jede Form der subjektiven Auslegung die Entwicklung des Rechts versteinern würde und hält daher insbesondere die restriktive Auslegungsmethode für nicht anwendbar.158 Auch könnten seiner Ansicht nach neue Parteien eines solchen multilateralen Vertrages nicht an den ursprünglichen Parteiwillen gebunden sein.159 Aus diesen Gründen wurde der Vorrang des engeren Textes als generelle Auslegungsregel von der ­International Law Commission wäh 154 Siehe http://www.uncitral.org/uncitral/en/uncitral_texts/arbitration/1985Model_arbitration _ status.html. 155 PCIJ, Urteil v. 30.08.1924, Mavrommatis Palestine Concessions (Griechenland ./. Vereinigtes Königreich), Serie A No. 2, S. 19. 156 Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, S. 96 f. 157 Hilf, ibid. 158 Doehring, Völkerrecht, Rn. 394. 159 Doehring, ibid.

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rend der Vorarbeiten zur Wiener Vertragsrechtskonvention verworfen, allerdings vor allem auch „to avoid any appearance of over-emphasizing the significance of the multilingual character of a treaty as an element in treaty interpretation“.160 Im Einzelfall kann jedoch die restriktive Auslegung ergänzend herangezogen werden, wenn sie mit dem Willen der Vertragspartner, dem Vertragszweck und dem Gesamtzusammenhang in Einklang gebracht werden kann.161 So greifen im vorliegenden Fall die gegen diese Auslegungsmethode angeführten Argumente nicht. Die restriktive Auslegung soll nur zur Bestätigung des gefundenen Ergebnisses herangezogen werden und außerdem bildet ausnahmsweise die engere Version hier die Mehrheit der Sprachfassungen nach.162 Denn welche Sprachversion hier die weitere Tragweite beinhaltet, bestimmt sich ausschließlich danach, welche Fassung den Vertragsstaaten die größere Verpflichtung auferlegt und damit den Handlungsspielraum der Vertragsstaaten einschränkt. Es ist also wesentlich, welche Version am ehesten vom Konsens der Vertragsstaaten noch gedeckt ist und dem Vertragszweck entspricht. Betrachtet man die Sprachversionen im vorliegenden Fall, gibt die französische Fassung eine Handlungsverpflichtung vor, während die andern vier Sprachversionen ein Ermessen des Staates einräumen. Es ist daher zu vermuten, dass der französische Text den Spielraum der Vertragsparteien stärker einschränkt und weniger konsensfähig war. Auch die hier ausnahmsweise zulässige Heranziehung der Auslegungsmethode des engeren Vertragstextes bestätigt daher, dass die New Yorker Konvention eine Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde vorsieht und die französische Fassung auf einem Redaktionsversehen beruht.

VI. Ergebnis Die Analyse des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen hat gezeigt, dass der deutsche Richter entgegen der herrschenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung über ein eigenes Anerkennungs- und Vollstreckungsermessen verfügen. Auch in den französischen Text, der augenscheinlich eine gebundene Entscheidung vorsieht, muss in diesem Zusammenhang im Wege der Auslegung ein Ermessen hineingelesen werden, um Widersprüche zu den restlichen Regelungen der Konvention zu vermeiden. Das Übereinkommen fügt sich insoweit in das völkergewohnheitsrechtliche Jurisdiktionskonzept ein. 160

YBILC 1966 Vol. II, S. 103 ; dazu Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, S. 50 u. 59. So Hilf, id., S. 99. 162 Ähnlich auch die Italian-United States Conciliation Commission, Flegenheimer-Case, ILR 25 (1958 I), S. 91, 155 f.: Die Kommission stützte sich auf den engsten der drei verbindlichen Texte des Friedensvertrages mit Italien aus dem Jahr 1947: „When the texts […] cannot be exactly reconciled […], adjustment should be made on the basis of a common denominator“; die Kommission stellte jedoch fest, dass auch der Vertragszweck mit dem gefundenen Ergebnis übereinstimmen müsse. 161

B. Art. IX Europäisches Übereinkommen von 1961

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Freilich ist mit dieser Feststellung, dass das Übereinkommen eine Ermessensentscheidung vorsieht, noch nichts darüber ausgesagt, nach welchen Kriterien ein solches Ermessen ausgeübt werden sollte. Die Analyse hat ergeben, dass das UNÜbereinkommen durch die Etablierung einer Doppelkontrolle in Ursprungs- und Vollstreckungsstaat weitgehend auf das rechtmäßige Schiedsverfahren abstellt. Die Aufhebung scheint daher eher als – freilich sehr starkes – Indiz dafür zu gelten, dass die Regelungen des Schiedsverfahrens nicht eingehalten worden sind. Dem Fall, dass die Aufhebung aufgrund unsachgemäßer Gründe im Ursprungsstaat erfolgt, wurde offenbar schlichtweg keine größere Bedeutung beigemessen. Das UN-Übereinkommen hat jedoch mit der Einräumung des Ermessens für die Vollstreckungsbehörde bzw. durch die Meistbegünstigungsklausel des Art. VII die Möglichkeit geschaffen, Fehler während des Aufhebungsverfahrens zu beachten und gegebenenfalls die fremdstaatliche Aufhebung zu ignorieren – eine Möglichkeit, die, wie die Rechtsprechungsanalyse bereits aufgezeigt hat, ein wichtiger Bestandteil des Europäischen Übereinkommens von 1961 darstellt.

B. Art. IX Europäisches Übereinkommen von 1961 Das (Genfer) Europäische Übereinkommen (EuÜ) zur Internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1961163 kam aufgrund einer Initiative der UN-Wirtschaftskommission für Europa (ECE) zustande.164 Trotz der beinahe parallel beginnenden Verhandlungen in New York war die Genfer Konferenz wesentlich stärker vom beginnenden Ost-West-Konflikt und gegenseitigem Misstrauen überschattet. Da es sich den Besonderheiten des Ost-West-Handels widmet, sind dem Europäischen Übereinkommen auch ausschließlich europäische Staaten beigetreten.165 Dabei bezieht sich das Europäische Übereinkommen ausdrücklich auf das damals bereits vollendete UN-Übereinkommen, das es nur ergänzen möchte. Für die aus den Mitgliedstaaten stammenden Schiedsparteien166 bildet das Europäische Übereinkommen daher in den vom UN-Übereinkommen abweichenden Bereichen eine lex specialis-Regelung, wobei es aber die Anwendbarkeit des UN-Übereinkommens nie komplett verdrängt, sondern auf der bereits bestehenden Regelung aufbaut. 163 European Convention on International Commercial Arbitration v. 21.04.1961, BGBl. 1964 II S. 426. 164 Vgl. die Präambel des Europäischen Übereinkommens. 165 Zurzeit sind 31 Staaten Mitglied der Konvention, siehe: http://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXII-2&chapter=22&lang=en; unter den wirtschaftsstarken europäischen Staaten sind insbesondere Großbritannien und die Niederlande nicht beigetreten. 166 „Art. I – Scope of the Convention: 1. The Convention shall apply: (a) to arbitration agreements concluded for the purpose of settling disputes arising from international trade between physical or legal persons having, when concluding the agreement, their habitual place of residence or their seat in different Contracting States; (b) to arbitral procedures and awards based on agreements referred to in paragraph 1(a) above. […]“.

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Kap. 2: Hat das deutsche Anerkennungsgericht ein Ermessen?

I. Dynamische Interpretation des UN-Übereinkommens? Ist das Europäische Übereinkommen aus Sicht des UN-Übereinkommens nun eine „spätere Übereinkunft“ in Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. a) Wiener Vertragsübereinkommen? Dagegen spricht im Wesentlichen, dass das Europäische Übereinkommen speziell auf den damaligen Ost-West-Handel zugeschnitten ist. Die Tatsache, dass nur ein Bruchteil der Vertragsparteien des New Yorker UN-Übereinkommens dem Europäischen Übereinkommen beigetreten ist und tatsächlich das Europäische Übereinkommen nur den Europäischen Staaten zum Beitritt offen steht, deutet darauf hin, dass diese besondere Prüfung auf den Aufhebungs­ prozess im Verhältnis zwischen diesen Staaten begrenzt werden sollte. Nach der Regelung des Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK dürfte daher eine dynamische Interpretation des UN-Übereinkommens über die Regelungen des Europäischen Übereinkommens ausgeschlossen sein. Da das Europäische Übereinkommen jedoch auf den Regelungen des UN-Übereinkommens aufbaut, lohnt es sich, genauer über das Verhältnis dieser beiden Vertragswerke nachzudenken. Denn möglicherweise lässt es sich dennoch vom deutschen Richter als Auslegungshilfe bei der Ausübung seines Vollstreckungsermessens heranziehen, wenn es sich nicht in Widerspruch zum UN-Übereinkommen setzt, sondern nur dessen Regelung präzisiert. Die erste notwendige Feststellung ist diejenige, dass der Text des Eu-Übereinkommens auf dem UN-Übereinkommen aufbaut.167 Er ist also nicht in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis konstruiert. Dementsprechend geht die Befolgung der Vertragsregelungen des EuÜ auch stets mit der Befolgung des UNÜ einher. Vollzieht man die Regelungen und Rechtsgedanken des EuÜ, kann daraus kein Bruch des UN-Übereinkommens hervorgehen. Dies folgt nicht nur aus der Meistbegünstigungsklausel des Art. VII UNÜ, sondern, sofern man dem hier gefundenen Ergebnis folgt, auch aus der Ermessensklausel des Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ. Das Europäische Übereinkommen beeinflusst insoweit nur die Ermessensausübung des Anerkennungs- und Vollstreckungsgerichts. Zweitens kann wohl nicht aus der Tatsache, dass das Europäische Übereinkommen zwischen den Schiedsparteien nicht anwendbar ist, gefolgert werden, dass die nach dem Europäischen Übereinkommen nicht zulässigen Aufhebungsgründe bei der Anwendung des UNÜ ungeprüft anerkannt werden sollen. Wenn zwischen den Vertragsstaaten des EuÜ bestimmte Aufhebungstatbestände als rechtsmissbräuchlich „gebrandmarkt“ werden, und damit eine gewisse Standardisierung der anerkennungsfähgen Aufhebungsgründe erreicht werden soll, dann ist es doch zumindest bedenklich, wenn dieser „europäische Standard“ gegenüber einem Schiedsspruch, der aus einem nicht-europäischen Staat stammt, nicht angewandt 167 Kaiser, S. 34: „Das neue Genfer Übereinkommen ist über weite Strecken als weiterer Ausbau des New Yorker Übereinkommens zu betrachten, […].“

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werden soll. Dies würde ja bedeuten, dass man einem nicht europäischen Staat mehr Vertrauen entgegenbringt, als dem europäischen Staat, der vielleicht sogar ein EU-Mitgliedsstaat ist. Die Aufhebung in EuÜ-Staaten würde also schlechter gestellt als diejenigen in Staaten, die sich einem weniger strengen Standard unterworfen haben. Die Einschätzung, dass Staaten, die dem EuÜ-Übereinkommen nicht beigetreten sind, vertrauenswürdiger sind als Mitgliedstaaten, kann aber keineswegs gefolgt werden.168 Umgekehrt kann daraus, dass die EuÜ-Mitgliedstaaten sich einem höheren Überprüfungsstandard unterworfen haben, nicht unmittelbar gefolgert werden, dass die Aufhebung innerhalb von Nichtmitgliedstaaten jederzeit ohne weitere Prüfung akzeptiert werden kann. Man leitet damit konkludent aus dem EuÜ eine Schutzfunktion für Aufhebungsverfahren in Nicht-Mitgliedstaaten ab, die keinesfalls beabsichtigt gewesen war. Beide Übereinkommen verfolgen, wie sich auch aus der Präambel des Europäischen Übereinkommens entnehmen lässt, als Hauptzweck eine verbesserte Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen und bauen aufeinander auf. Auf der Ebene des UN-Übereinkommens einen niedrigeren Standard anzusetzen, war nach beiden Vertragstexten erkennbar nicht beabsichtigt. Dies folgt schon aus dem Meistbegünstigungsgrundsatz des Art. VII UNÜ. Anders formuliert wird ein rechtsmissbräuchlicher Aufhebungsgrund nicht dadurch besser, dass er von einem Staat herangezogen worden ist, der dem entsprechenden Schutzabkommen nicht beigetreten ist. Auch das Argument, bei einer generellen Anwendbarkeit der Rechtsgedanken aus dem Europäischen Übereinkommen fehle es gegenüber dem Ursprungsstaat an dem Gegenseitigkeitserfordernis, vermag im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens nicht zu überzeugen. Denn es soll hier nicht der Ursprungsstaat in einer besonderen Weise privilegiert werden, sondern allein der Schiedsgläubiger. Der Ursprungsstaat kann letztlich nicht darauf vertrauen, dass seine Aufhebung international akzeptiert wird. Da der Schiedsspruch seinen Rechtskreis verlassen hat, hat er nicht einmal eine besondere Beeinträchtigung seiner Rechtsordnung bzw. seines Jurisdiktionsbereichs zu befürchten.169 Der IGH hat insbesondere im North Sea Continental Shelf-Case ausgeführt, dass eine völkerrechtliche Vertragsnorm unter bestimmten Umständen in allgemeines Völkergewohnheitsrecht erwachsen kann.170 Das Europäische Übereinkommen entspricht jedoch nicht den Vorgaben dieser Rechtsprechung. Auch wenn Art. IX Abs. 1 Europäische Übereinkommen sicherlich ein festes Anerkennungsund Vollstreckungssystem vorgibt, von dem kaum abgewichen werden darf, also ein „norm-creating character“ durchaus angenommen werden könnte, so sind diesem Übereinkommen derzeit nur 31 Staaten beigetreten. Von einer ausreichenden­ 168

Ähnlich Nienaber, S. 31; v. Bernuth, S. 54; Schlosser, Rn. 792. So auch Lastenouse, Journal of International Arbitration 16 (1999/2), S. 25 (38 f.). 170 IGH, Urteil v. 20.02.1969, Federal Republic of Germany ./. Denmark and Netherlands, ICJ Rep. 1969, S. 3 ff., Rn. 70 ff. 169

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Kap. 2: Hat das deutsche Anerkennungsgericht ein Ermessen?

Beteiligung für die Annahme einer quasi-universellen Geltung, wie es der IGH im Nordsee-Festlandsockel-Fall fordert, kann daher kaum die Rede sein. Der IGH hatte für den Fall der Genfer Festlandsockelkonvention von 1958 die Beteiligung von 39 Küstenstaaten als zu gering eingestuft, um Völkergewohnheitsrecht annehmen zu können.171 Hinzu kommt, dass der durch das Genfer Übereinkommen aufgestellte Standard selbst in moderneren internationalen Kodifizierungsversuchen wie dem UNCITRAL Modell Gesetz von 2006 nicht eingehalten, sondern vielmehr wieder aufgeweicht worden ist,172 sodass auch von einer hinreichenden opinio iuris der Staaten nicht ausgegangen werden kann. Der die Anerkennung regelnde Art. 36 des UNCITRAL Modell Gesetzes gibt ausschließlich den Text des weiter formulierten Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen wieder. Bezieht man die betreffende Norm zur Frage des zulässigen Aufhebungsgrundes gemäß Art.  34­ UNCITRAL Modell Gesetz in eine systematische Interpretation des Art. 36 mit ein, findet man sogar zwei über Art. IX Abs. 1 EuÜ hinausgehende Gründe. Zum einen sei die Aufhebung zulässig, wenn die im Schiedsspruch behandelte Rechtsfrage nach dem Recht des Ursprungsstaats nicht der Schiedsgerichtsbarkeit zugänglich sei. Zum anderen sei die Aufhebung zulässig, wenn ein Verstoß des Schiedsspruchs gegen den ordre public des Ursprungsstaats vorliege. Während der erste genannte Grund noch ein Ergebnis der neueren Rechtsentwicklung darstellt und insbesondere Verbraucher vor aufgedrängten Schiedsverfahren durch AGB schützen soll, bietet gerade der Grund der ordre public-Aufhebung ein erhebliches Missbrauchspotential durch den Ursprungsstaat und steht sogar in einem deutlichen Widerspruch zum Europäischen Übereinkommen. Da die Normen des UNCITRAL-Modellgesetzes in die Rechtsordnungen von mittlerweile mehr als 60 Staaten übernommen worden ist, lässt sich kaum mehr eine entgegenstehende Staatenpraxis auf anderem Wege herleiten. Nienaber173 weist sogar darauf hin, dass viele Schiedsparteien sogar die erweiterten Aufhebungsmöglichkeiten durch die Schiedsklausel suchen. Insbesondere sei die Wahl eines Schiedsort in den USA dabei hervorzuheben, wo sich die Parteien bewusst für die Anwendung des ebenso in England angewandten Aufhebungsgrund des „manifest disregard of the law“ entscheiden. Eine solche Erweiterung des Völkergewohnheitsrechts sei daher aus Sicht dieser Schiedsparteien auch gar nicht wünschenswert. Dementsprechend ist eine dynamische Auslegung des UN-Übereinkommens im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK anhand des Europäischen Übereinkommens nicht möglich. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Regelung des Art. IX Eu-Übereinkommen aus verfassungsrechtlichen Erwägungen Einfluss auf die Ermessensentscheidung des Richters haben muss. 171

Ibid, Rn. 26. Der Vorschlag der ICC, Art.  IX EuÜ in das UNCITRAL-Modellgesetz zu integrieren, wurde als nicht realisierbar ausdrücklich abgelehnt, UN Doc. A/CN. 9/233, Nr. 171. 173 Nienaber, S. 301 ff. 172

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II. Wortlautauslegung Der hier relevante Art. IX Europäisches Übereinkommen baut, wie in Art. IX Abs. 2 EuÜ ausdrücklich festgelegt wird, auf der Regelung des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen auf, ergänzt diese Norm allerdings durch eine Auflistung der allein beachtlichen Aufhebungsgründe im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren, die in anderen Teilen des Vertrags genauer umschrieben werden. Dabei ist zu betonen, dass ausdrücklich nur das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren, nicht aber das Aufhebungsverfahren im jeweiligen Ursprungsstaat harmonisiert werden soll. Der Widerstand der Staaten hinsichtlich eines Eingriffs in ihre Prozessrechte war zu groß, um eine weitergehende Harmonisierung der Aufhebungsverfahren zu erreichen.174 1. Keine Abweichungen der authentischen Sprachfassungen Gemäß der Schlussklausel des EuÜ sind die englische, französische und die russische Fassung gleichrangig authentisch. Daher ist zunächst zu prüfen, ob die drei Fassungen bedeutungsidentisch sind, bzw. ob sich Abweichungen ergeben. a) Die englische Sprachfassung „Art. IX European Convention on International Commercial Arbitration 1. The setting aside in a Contracting State of an arbitral award covered by this Convention shall only constitute a ground for the refusal of recognition or enforcement in another Contracting State where such setting aside took place in a State in which, or under the law of which, the award has been made and for one of the following reasons: (a)  the parties to the arbitration agreement were under the law applicable to them, under some incapacity or the said agreement is not valid under the law to which the parties have subjected it or, failing any indication thereon, under the law of the country where the award was made, or (b) the party requesting the setting aside of the award was not given proper notice of the appointment of the arbitrator or of the arbitration proceedings or was otherwise ­unable to present his case; or (c) the award deals with a difference not contemplated by or not falling within the terms of the submission to arbitration, or it contains decisions on matters beyond the scope of the submission to arbitration, provided that, if the decisions on matters submitted to arbitration can be separated from those not so submitted, that part of the award which contains decisions on matters submitted to arbitration need not be set aside;

174

Kaiser, S. 167.

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Kap. 2: Hat das deutsche Anerkennungsgericht ein Ermessen?

(d) the composition of the arbitral authority or the arbitral procedure was not in accordance with the agreement of the parties, or failing such agreement, with the provisions of Article IV of this Convention. 2. In relations between Contracting States that are also parties to the New York Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards of 10th June 1958, paragraph 1 of this Article limits the application of Article V(1)(e) of the New York Convention solely to the cases of setting aside set out under paragraph 1 above.“

Die nicht authentische, offizielle Übersetzung des deutschen Gesetzgebers gibt inhaltlich und grammatikalisch die englische Fassung vollständig wieder: „1. Ist ein unter dieses Übereinkommen fallender Schiedsspruch in einem Vertragsstaat aufgehoben worden, so bildet dies in einem anderen Vertragsstaat nur dann einen Grund für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung, wenn die Aufhebung in dem Staat, in dem oder nach dessen Recht der Schiedsspruch ergangen ist, ausgesprochen worden ist und wenn sie auf einem der folgenden Gründe beruht: […] 2. Im Verhältnis zwischen Vertragsstaaten, die auch Vertragsparteien des New Yorker Übereinkommens vom 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche sind, hat Abs. 1 die Wirkung, die Anwendung des Art. V Abs. 1 Buchstabe e des New-Yorker Übereinkommens auf die Aufhebungsgründe zu beschränken, die in Abs. 1 dieses Artikels aufgezählt sind.“

b) Französische Sprachfassung Die französische Fassung weicht ebenfalls nicht von der englischen Fassung ab: „1. L’annulation dans un Etat contractant d’une sentence arbitrale régie par la présente Convention ne constituera une cause de refus de reconnaissance ou d’exécution dans un autre Etat contractant que si cette annulation  a été prononcée dans l’Etat dans lequel ou d’après la loi duquel la sentence a été rendue et ce pour une des raisons suivantes: […] 2. Dans les rapports entre Etats contractants également Parties à la Convention de New York du 10 juin 1958 sur la Reconnaissance et l’Exécution des Sentences arbitrales étrangères, le paragraphe l du présent article a pour effet de limiter aux seuls causes d’annulation qu’il énumère l’application de l’article 5, paragraphe 1, e) de la Convention de New York.“

c) Russische Sprachfassung Die russische Fassung entspricht laut Paulsson175 inhaltlich den beiden anderen authentischen Sprachfassungen. Die Bedeutung der drei authentischen Sprachfassungen ist also offenbar identisch.

175

Paulsson, Arbitration International 14 (1998), S. 227 (229).

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2. Wortlautanalyse Betrachtet man das zur Auslegung des UN-Übereinkommens Gesagte, überrascht es nicht, dass die aufgelisteten Anerkennungs- und Vollstreckungshindernisse im Wesentlichen deckungsgleich mit den in Art. V Abs. 1 lit. a)-d) UN-Übereinkommen genannten Punkten sind. Allerdings ergänzt das Eu-Übereinkommen diese Prüfungspunkte um Einzelregelungen. So enthält Art. V EuÜ insbesondere eine Präklusionsregelung für Unzuständigkeitseinreden während des gesamten Schieds- und Vollstreckungsverfahrens. Art. IV EuÜ enthält außerdem einige Verfahrensregelungen, die das Verfahren flexibler gestalten sollen. Das Europäische Übereinkommen akzeptiert im Grundsatz die Aufhebung im Ursprungsstaat des Schiedsgerichts, wenn auch nur, sofern sie aus einem der abschließend aufgezählten Gründe erfolgt ist. Es geht dabei nicht von dem Grundsatz des UN-Übereinkommens ab, dass eine Vollstreckung eines Schiedsspruchs nicht zu einem Vertragsbruch führen kann. Genauso wenig nimmt es Einfluss auf die Aufhebungspraxis des Sitzstaates des Schiedsgerichts. Es begrenzt lediglich das Ermessen des Vollstreckungsstaates hinsichtlich der Anerkennung eines Aufhebungsurteils. Diese Vertragsregelung zeugt von dem Misstrauen der Vertragsstaaten untereinander. Man erwartet offenbar rechtsmissbräuchliche Aufhebungen bzw. Aufhe­ bungen, die nicht einem internationalen Standard entsprechen. Die bloße Akzeptanz einer aufhebenden Entscheidung soll nicht mehr zulässig sein. Eine Prüfung des Aufhebungsurteils auf zulässige Aufhebungsgründe wird demnach für das Vollstreckungsgericht unumgänglich. Adolphsen hat daraus geschlossen, dass das Urteil formell nur darauf geprüft werden könne, ob diese Aufhebungsgründe im Urteil genannt werden.176 Geprüft werden dürfte aber nicht, ob die beanstandeten Fehler tatsächlich im Schiedsverfahren vorgelegen hätten.177 Dieses Verständnis dürfte jedoch nicht dem aus dem Vertragstext des Übereinkommens entnehmenden Willen der Mitgliedstaaten entsprechen. Es geht aus dem Vertragstext hervor, dass ein rechtsmissbräuchliches staatliches Aufhebungsverfahrens nicht während des Vollstreckungsverfahrens berücksichtigt werden soll. Es ist daher nach dem Willen der Vertragsparteien erforderlich, zumindest summarisch zu prüfen, ob der beanstandete Fehler nach Aktenlage tatsächlich gegeben war. Jede andere Inter­pretation des Art. IX würde dazu führen, dass diese Regelung durch den Ursprungsstaat umgangen werden könnte und ins Leere liefe. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Funktion der Doppelkontrolle des UN-Übereinkommens im Rahmen des Europäischen Übereinkommens wegfiele. Das wurde aber in Anbetracht des gegenseitigen Misstrauens von den Mitgliedstaaten keinesfalls beabsichtigt. 176 Adolphsen, in: Rauscher/Wenzel/Wachs (Hrsg.), Münchener Komm. (ZPO), EuÜ, Art. IX Rn. 10. 177 Adolphsen, ibid.

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Kap. 2: Hat das deutsche Anerkennungsgericht ein Ermessen?

Nach dem Willen der Vertragsstaaten des Europäischen Übereinkommens gibt es also eine nicht anzuerkennende Aufhebung. Diese wird zwar nicht als rechtswidrig gekennzeichnet, soll also auf nationaler Ebene des aufhebenden Staates weiter Wirksamkeit entfalten. Auf der zwischenstaatlichen Ebene soll jedoch keine automatische Rechtsverbindlichkeit von ihr ausgehen. Das bereits im UN-Übereinkommen angelegte System einer Doppelkontrolle im Sitzstaat des Schiedsgerichts einerseits sowie im Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat andererseits, gewinnt hier also sogar eine erhebliche Aufwertung. Dabei weicht das Europäische Übereinkommen jedoch nur unwesentlich von der Grundentscheidung der Ermessensentscheidung des UN-Übereinkommens ab. Jeder Staat soll selbst entscheiden können, ob er dem fremden staatlichen Rechtsakt „Aufhebung“ auf seinem Gebiet anerkennen will oder nicht. Anders formuliert muss das Vollstreckungsgericht überprüfen, ob die im Aufhebungsverfahren festgestellten Fehler ausreichend für eine Aufhebung sind bzw. ob sie tatsächlich bestehen. Gesetzestechnisch ist die Regelung des Art. IX EuÜ letztlich keine lex specialis im klassischen Sinn. Eine solche würde nämlich voraussetzen, dass die Anwendung des Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ verdrängt wird. Dies ist aber nicht der Fall. Die ursprüngliche Regelung des UN-Übereinkommens bleibt anwendbar. Das Euro­ päische Übereinkommen nimmt insoweit nur eine Begrenzung des Vollstreckungsermessens im Falle der fremdstaatlichen Aufhebung vor.

III. Teleologische Auslegung 1. „Internationalisierung“ des Schiedsspruchs Besonders bemerkenswert an der Regelung des Art. IX Europäisches Übereinkommen ist die bewusste Loslösung von der jurisdiktionell-prozessualen Theorie hin zu einer „Internationalisierung“ des Schiedsspruchs. Der Schiedsspruch wird von der Rechtsordnung des Heimatstaats teilweise entkoppelt, die Aufhebung ist nur unter bestimmten Bedingungen für seine Bewertung relevant. In bestimmten Fällen bleibt also der aufgehobene Schiedsspruch zwingend vollstreckbar. Der Einfluss des Ursprungsstaats sollte also nachhaltig zurückgedrängt werden, wie sich auch daraus entnehmen lässt, dass der Aufhebungsgrund wegen Verstoß gegen den nationalen ordre public nicht mehr anerkennungsfähig ist.178

178

Kaiser, S. 174 f.; Nienaber, S. 32; Schlosser, Rn. 793.

B. Art. IX Europäisches Übereinkommen von 1961

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2. Standardisierung des nationalen Aufhebungsverfahrens Sicherlich kann man dem Einwand nicht widersprechen, dass das Europäische Übereinkommen dem Sitzstaat des Schiedsgerichts keine unmittelbaren Begrenzungen hinsichtlich des Aufhebungsverfahrens entgegenstellt.179 Trotzdem bedeutet diese mangelnde unmittelbare Wirkung des EuÜ nicht, dass das Übereinkommen keinerlei Auswirkungen auf das nationale Aufhebungsverfahren hat. Denn wenn der Schiedsschuldner international geschäftlich tätig ist und damit über vollstreckungsgeeignetes Vermögen in anderen Staaten verfügt, – was häufig der Fall sein wird, – wird das aufhebende Gericht bemüht sein, das aufhebende Urteil so zu begründen suchen, dass es auch einem internationalen Standard genügt, also einem Aufhebungsgrund des Art. IX EuÜ entspricht. So kann ein Gericht im Falle der Schiedsgerichtsbarkeit bestimmte Mängel besonders betonen, die einem anzuerkennenden Aufhebungsgrund darstellen und damit dem eigenen Urteil im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren mehr Gewicht verleihen. Aber auch ein staatliches Gericht, das möglicherweise in vollem Bewusstsein illegitimer Gründe, beispielsweise einer politisch geforderten Aufhebung,180 ein Aufhebungsverfahren beginnt, wird verstärkt darauf achten müssen, dass die Aufhebungsgründe auch dem Europäischen Übereinkommen entsprechen. Die Handlungsoptionen dieses aufhebenden Gerichts werden daher stark eingeschränkt. Insbesondere dadurch, dass die Aufhebung wegen Verstoßes gegen den nationalen ordre public nicht­ anerkennungsfähig ist, wird die Möglichkeit eines Rechtsmissbrauchs zumindest begrenzt. Daher geht von Art. IX EuÜ jedenfalls eine mittelbare Wirkung aus, die nicht unterschätzt werden sollte.

IV. Zwischenergebnis Aus der Analyse folgt unmittelbar, dass das Heranziehen des Europäischen Übereinkommens zwar für die Interpretation des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommens nach Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK nicht geeignet ist.181 Es bietet allerdings eine sinnvolle Hilfestellung bei der Ermessensausübung des deutschen Richters. Das Europäische Übereinkommen bietet insbesondere allgemein anerkannte Regelungen, welche Aufhebungsgründe zu beachten und anerkennungswürdig sind. Allein die Tatsache, dass der aufhebende Staat diesem Vertrag nicht beigetreten ist, führt aufgrund des durch das UNÜ dem Vollstreckungsstaat eingeräumten Ermessens zumindest nicht dazu, dass eine Aufhebung, die nur nach dem Art. IX EuÜ nicht anerkennungsfähig wäre, nach dem UNÜ anerkannt werden müsste. Das 179

Kaiser, S. 167; Nienaber, ibid. In der Vergangenheit sind insbesondere russischen und weißrussischen Gerichten der Vorwurf politischer Aufhebungsverfahren gemacht worden, siehe dazu in der Rechtsprechungsübersicht supra Kap. 1. B. I. 4. und C. II. 2. f). 181 So auch Nienaber, S. 33. 180

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Kap. 2: Hat das deutsche Anerkennungsgericht ein Ermessen?

UN-Übereinkommen sieht jedenfalls keine gebundene Entscheidung des Anerkennungs- und Vollstreckungsrichters vor. Stattdessen könnte das Vollstreckungsgericht aber aus verfassungsrechtlichen Gründen dazu verpflichtet sein, den durch den Transformationsakt des EuÜ erklärten Willen des Gesetzgebers nachzukommen und zumindest die Indizwirkung, die von Art. IX EuÜ ausgeht, zu berücksichtigen, wie im nächsten Arbeitsschritt untersucht werden soll.

C. Ergebnis des 2. Kapitels Wie die verfassungsrechtliche Analyse hinsichtlich des Transformationsprozesses des UN-Übereinkommens in die deutsche Rechtsordnung und die Auslegung der Vollstreckungsübereinkommen auf der Grundlage des Wiener Übereinkommens zum Recht der Verträge gezeigt haben, steht dem deutschen Anerkennungsund Vollstreckungsrichter aus Sicht des Völkerrechts ein Ermessen zu, ob er die fremdstaatliche Aufhebung akzeptieren möchte oder nicht. Der Text des UN-Übereinkommens selbst ist auch nur dann nicht in sich selbst widersprüchlich, wenn man Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen entgegen der französischen Sprachfassung als Ermessensvorschrift versteht. Das Europäische Übereinkommen ist zwar nicht im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WVK zur dynamischen Interpretation des UN-Übereinkommens geeignet. Es bietet aber dem deutschen Richter eine sinnvolle Hilfestellung im Rahmen seiner Ermessensausübung, welche Aufhebungsgründe im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren stets als ­„international standard annulment“ zu beachten sind. Letztlich ebenfalls nur Indizwirkung entfaltet das UNCITRAL-Modellgesetz zur Schiedsgerichtsbarkeit. Da es sich um keinen völkerrechtlichen Vertrag handelt und tatsächlich nicht einheitlich in den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen umgesetzt worden ist, eignet es sich nicht, den Vertragstext des UN-Übereinkommens im Rahmen einer dynamischen Auslegung zu interpretieren. Da es aber Vorgaben hinsichtlich des Aufhebungsverfahrens macht und Art. V Abs.  1 lit.  a)-d)  UN-Übereinkommen wiederholt, kann man zumindest daraus folgern, dass die UNCITRAL damit einen wünschenswerten Standard etablieren wollte und andere, davon abweichende Aufhebungsgründe einer besonders sorgfältigen Prüfung im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren unterliegen.

Kapitel 3

Verfassungsrechtliche und weitere völkervertragliche Kriterien der Ermessensausübung Die Analyse der Vollstreckungsübereinkommen hat letztlich den Aspekt der sog. internationalistischen Theorie bestätigt, dass der Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat aus völkerrechtlicher Sicht über ein Ermessen hinsichtlich der Anerkennung des fremdstaatlichen Hoheitsakts der Aufhebung verfügt. Der deutsche Staat ist demgemäß nicht an eine ausländische Aufhebungsentscheidung gebunden. Darüber hinaus muss sich nun der Frage gewidmet werden, ob das deutsche Recht auch einem solchen Ermessen1 des deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsrichters Raum lässt bzw. ein solches sogar erforderlich macht. Allein durch Lektüre des Textes des UN-Übereinkommens kann diese Problemstellung nicht befriedigend gelöst werden, was im Allgemeinen in einer starken Zurückhaltung der nationalen Gerichte hinsichtlich einer Ermessensausübung resultiert.2 Das deutsche Gericht muss daher aufgrund der fehlenden Anhaltspunkte im UN-Übereinkommen notgedrungen andere Rechtsquellen, insbesondere das Verfassungsrecht und die in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verbürgten Menschenrechte in seine rechtliche Prüfung einbeziehen. Dazu sollen zunächst die grundrechtlichen Vorgaben zum Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren beleuchtet werden (dazu A und B). Dabei muss sich mit der Frage auseinandergesetzt werden, ob Art. 19 Abs. 4 GG bzw. der allgemeine Justizgewährungsanspruch eine Überprüfung der Aufhebungsentscheidung bedingen (dazu B. I.). Der Eigentumsschutz des Art. 14 GG hingegen gebietet bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen eine Vermeidung von Härtefällen durch eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung des Zustimmungsgesetzes (B. II.) und damit ebenfalls eine Überprüfung der Aufhebungsgründe, sofern ein Anlass dazu im Anerkennungs- und Aufhebungsverfahren gegeben ist. Hinzu kommt die Fragestellung, ob der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG zur sog. „neuen Formel“ zu einer Reduzierung der beachtlichen Aufhebungsgründe führen muss (B. III.). Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es keineswegs notwendig, den Prüfungsmaßstab 1

Zum in dieser Arbeit verwendeten Ermessensbegriff als Synonym für einen weitergehenden Beurteilungsspielraum hinsichtlich der ausländischen Aufhebungsentscheidung siehe supra, Kap. 2. A. I. 2 So auch Shen, S. 95.

136

Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

des Europäischen Übereinkommens auf deren Mitgliedstaaten zu beschränken, sofern eine solche Differenzierung nicht selbst einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält. Gemäß Art. 59 Abs. 2 GG und dem vom BVerfG entwickelten Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes nehmen auch völkervertragliche Regelungen Einfluss auf die Auslegung des Grundgesetzes und damit auf das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren. Dies gilt insbesondere für die Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) (dazu C). Nach einer Entscheidung des OLG Dresden aus dem Jahr 2007 könne auch die Meistbegünstigungsklausel aus bilateralen Investitionsschutz- und Freundschaftsverträgen zur Anwendung des eigentlich nicht für den betreffenden Einzelfall anwendbaren Europäischen Übereinkommens und damit zu einem erweiterten Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Aufhebungsgründe führen (dazu D). Da vereinzelt vertreten wird, auch Anerkennungsurteile bzw. Aufhebungsurteile aus EU-Staaten über die EuGVVO in Deutschland anerkennen zu lassen, soll in einem weiteren Schritt auf die begrenzte Reichweite der EuGVVO im Zusammenhang mit der Handelsschiedsgerichts eingegangen werden.

A. Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren als überprüfbarer staatlicher Akt I. Anwendungsbereich des GG bei Handeln eines fremden Hoheitsträgers – keine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsakts Im Rahmen des Verfassungsrechts kommt als Prüfungsmaßstab naturgemäß den Grundrechten eine besondere Bedeutung zu. So könnte in der ungeprüften Anerkennung des fremdstaatlichen Aufhebungsurteils eine Rechtsschutzverkürzung liegen und damit Art. 19 Abs. 4 GG bzw. der allgemeine Justizgewährungsanspruch einschlägig sein. Da auch aufgehobene Schiedssprüche auf zivilrechtlichen Forderungen basieren, könnte hier ebenso eine durch das Eigentumsrecht des Art. 14 GG geschützte Vermögensposition vorliegen. Zunächst muss jedoch festgestellt werden, ob der Schutzbereich der deutschen Grundrechte überhaupt einen ausländischen aufgehobenen Schiedsspruch erfassen kann. Die Nichtanerkennung des im Ausland aufgehobenen Schiedsspruchs zum Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zu machen, mag auf den ersten Blick überraschen. Schließlich erfolgte die Aufhebung des Schiedsspruchs durch einen fremden Staat, also einen an das Grundgesetz nicht gebundenen Hoheitsträger. Wie kann dann beispielsweise ein durch diesen begangener Rechtsverstoß eine Verletzung des Eigentumsschutzes nach Art. 14 GG oder der deutschen Justizgrundrechte nach sich ziehen?

A. Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren

137

Der Vergleich zu der Überprüfung eines Schiedsspruchs ist in dieser Hinsicht erhellend.3 Denn sicher ist der ausländische Schiedsrichter nicht an die deutschen Grundrechte gebunden. Er hat auch gar nicht die Möglichkeit, sich auf die Rechtsordnung des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat einzurichten, da im Schiedsverfahren selbst der Vollstreckungsort im Dunkeln bleibt. Unzweifelhaft ist aber bei der Überprüfung des Schiedsspruchs anhand der ordre public-Klausel des Art. V Abs. 2 lit. b) UN-Übereinkommen durch das deutsche Gericht sicherzustellen, dass der Schiedsspruch selbst mit der deutschen Rechtsordnung und insbesondere auch mit den Grundrechten noch in Einklang gebracht werden kann.4 Der Grundrechtsschutz kann sich dabei aber naturgemäß nur auf das Verhalten inländischer Organe beziehen.5 Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist demgemäß zu entnehmen, dass fremdes hoheitliches Handeln grundsätzlich nicht am Maßstab der deutschen Grundrechte überprüft werden kann. So hat beispielsweise das Bundesverfassungsgericht im Falle der Enteignungen von Grundstücken in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, soweit sie auf Art. 14 GG gestützt wurde, verneint. Die streitgegenständlichen Enteignungen seien abgeschlossen und etwaige daraus resultierende Ansprüche praktisch nicht durchsetzbar und daher wertlos.6 Ist die Inanspruchnahme des Eigentums langfristig aufgrund von Maßnahmen einer fremden, territorial zuständigen Staatsgewalt ausgeschlossen, fehle es für das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG an einem Anknüpfungspunkt.7 „Das Eigentum hat zwar im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG denselben menschenrechtlichen Rang wie andere Freiheitsrechte, aber es bleibt abhängig von einer bestehenden Rechtsordnung, die es ausgestaltet und gewährleistet. Durchtrennt eine völkerrechtlich legitim ins Leben getretene Rechtsordnung wie das sowjetische Besatzungsregime die Verbindung von Eigentümer und Eigentumsgegenstand, so endet unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit des Entzugs mit der Enteignung die förmliche Rechtstellung des Eigentümers. Hat die Enteignung außerhalb des zeitlichen und territorialen Geltungsbereichs des Grundgesetzes stattgefunden, kann sich der vormalige Eigentümer nicht auf Art. 14 GG berufen.“8 Die Grundrechte sind also nach Ansicht des BVerfG grundsätzlich ungeeignet, den fremden Hoheitsakt der Aufhebung rechtlich zu überprüfen. Die deutsche Rechtsprechung ähnelt also zumindest im Ergebnis sehr der bereits dargestellten ursprünglichen Rechtsprechung der britischen Gerichte zur Act 3

Dazu Heller, S. 6 ff. Heller, S. 7: „Daß staatliche Gerichte bei einem Rechtsfall mit Inlandsbeziehung bei Anwendung der lex fori auch die einen Teil dieser lex fori bildenden Normen des Verfassungsrechts anzuwenden haben, kann ernstlich nicht bestritten werden.“; Alvarez de Pfeifle, S. 158 f. 5 So auch Heller, S. 8. 6 BVerfGE 102, 254 (297); 112,1 (20). 7 Ibid. 8 BVerfGE 112, 1 (21). 4

138

Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

of State-Doktrin. Der High Court of England and Wales9 hat in seiner Entscheidung Yukos Capital ./. Rosneft nur deshalb seine Kompetenz zur Überprüfung des Aufhebungsaktes angenommen, weil es nur um die Frage der Anerkennung für das britische Staatsgebiet, nicht jedoch um eine grundsätzliche Infragestellung der Gültigkeit des russischen Aufhebungsakts ging. II. Die (konkludente) Anerkennung der Aufhebungsentscheidung als überprüfbarer Grundrechtseingriff Es bleibt aber fraglich, ob mit dieser Rechtsprechung der grundrechtliche Schutzbereich hinsichtlich der Anerkennung ausländischer aufgehobener Schiedssprüche tatsächlich eine Einengung erfahren hat. Kommt als Anknüpfungspunkt der grundrechtlichen Prüfung in solchen Fällen nicht das fremdstaatliche Aufhebungsverfahren in Frage, bleibt das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren, insbesondere die Entscheidung hinsichtlich eines möglichen Verstoßes gegen den deutschen ordre public, als Gegenstand einer Grundrechtsprüfung bestehen. Oft wird angezweifelt, dass im Falle der Verweigerung eines deutschen Gerichtes, einen aufgehobenen ausländischen Schiedsspruch anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären, zugleich auch eine konkludente Anerkennung der ausländischen Aufhebungsentscheidung liegt. Wie die Zusammenschau der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur gezeigt hat,10 wird der Weg über § 328 Abs. 1 ZPO und die dort vorgegebene Überprüfung der Aufhebungsentscheidung in den meisten Fällen mehr oder minder aus dogmatischen Gründen nicht vollzogen. Der Schiedsspruch sei in der Rechtsordnung des Ursprungsstaats so weit verankert, dass es nicht darauf abkomme, wie das Aufhebungsverfahren abgelaufen sei. Es sei für die Annahme eines Vollstreckungshindernisses ausreichend, dass die fremde Rechtsordnung dem Schiedsspruch die rechtliche Wirksamkeit entzogen habe. Aus völkerrechtlicher Sicht spricht jedoch gegen diese Annahme, dass der Aufhebungsakt ohne Zustimmung der deutschen Staatsorgane keine Wirksamkeit auf deutschem Territorium beanspruchen kann. Der fremdstaatliche Hoheitsakt „Aufhebung“ ist gemäß den allgemeinen Regeln des Völkergewohnheitsrechts, die nach Art. 25 GG übergesetzliche Geltung beanspruchen und damit bei der Auslegung der Zivilprozessordnung Berücksichtigung finden müssen, in seiner Wirksamkeit auf das Gebiet des aufhebenden Staates beschränkt.11 Der fremdstaatliche Akt der 9

Siehe dazu supra Kap. 1. C. II. 2. f) (3). Siehe supra Kap. 1. B. 11 Siehe allgemein zur Jurisdiktionsabgrenzung und dem Souveränitätsbegriff Cassese, S. 49; Lowe/Staker, in: Evans (Hrsg.), International Law, S. 313; Crawford, S. 448; D ­ oehring, Völkerrecht, Rn. 808; Epping/Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht (5. Auflage), § 23 Rn. 87; Jennings/Watts, S. 456; Verdross, S. 7 ff.; Oxman, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of International Public Law, online edition; Ruffert, in: Wolfrum (Hrsg.), ibid. 10

A. Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren

139

Aufhebung benötigt den bestätigenden „Transformationsakt“ eines deutschen Hoheitsträgers, um auf deutschem Staatsgebiet Wirksamkeit beanspruchen zu können. Nach der Werteordnung des Grundgesetzes hat der Aufhebungsakt also erst dann Bestand und kann Wirksamkeit für das deutsche Hoheitsgebiet beanspruchen, wenn er durch ein deutsches Gericht bestätigt wird. Dieses Ergebnis wird durch das UN-Übereinkommen völkervertraglich bestätigt, indem es ein Ermessen hinsichtlich der Vollstreckung des Schiedsspruchs vorsieht, also eben keine automatische Übernahme der ausländischen Entscheidung. In der Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung der Oberlandesgerichte liegt also eine eigene deutsche Entscheidung über die Anerkennung der ausländischen Aufhebung. Dies bedeutet, dass diese eigene Entscheidung des deutschen Vollstreckungsgerichts auch im vollen Umfang verfassungsrechtlich überprüft werden kann. Das BVerfG hat bereits für den Fall der (behördlichen) Anerkennung eines fremdstaatlichen Hoheitsakts angenommen, dass der Anknüpfungspunkt der grundrechtlichen Prüfung der deutsche Anerkennungsakt selber sei: „Die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Hoheitsakts in der Bundesrepublik Deutschland kann den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG betreffen, auch wenn diese Verfassungsvorschrift lediglich die Überprüfbarkeit von Akten deutscher öffentlicher Gewalt gewährleistet. […] Denn die Anerkennungsentscheidung und der Vollstreckungszugriff der deutschen Vollstreckungsbehörden stellen Eingriffe der deutschen öffentlichen Gewalt dar.“12 III. Zwischenergebnis Folgt man der Rechtsprechung des BVerfG, ist es für die deutsche Rechtsordnung aus Verfassungssicht entgegen der vielfach in der zivilrechtlichen Literatur vertretenen Ansicht nicht entscheidend, ob und inwieweit der Schiedsspruch in der Rechtsordnung des Ursprungsstaat verankert ist, sondern lediglich ob die deutsche Anerkennung der fremdstaatliche Aufhebung rechtsfehlerfrei ausgeübt worden ist. Die Annahme, es handele sich bei dem aufgehobenen Schiedsspruchs um ein „rechtliches nullum“, ohne die Aufhebungsentscheidung trotz entsprechenden Vortrags des Vollstreckungsklägers genauer in Augenschein zu nehmen, ist in solchen Fällen schon eine Form des Ermessensnichtgebrauchs und damit selbst bereits rechtsfehlerhaft.

12

BVerfGE 63, 343 (375).

140

Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

B. Der grundrechtliche Schutzstandard im Rahmen des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens Wie gerade beschrieben, kann der fremdstaatliche Hoheitsakt der Aufhebung nicht über die deutschen Grundrechte unmittelbar überprüft werden. Dies folgt naturgemäß daraus, dass die deutschen Grundrechte nur die deutschen Hoheitsträger binden können. Die Entscheidung im deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren ist hingegen im vollen Umfang auf Verstöße gegen die deutschen Grundrechte überprüfbar (Art. 20 Abs. 3 GG). Für den weiteren Verlauf der Analyse muss sich daher mit den einzelnen Grundrechten auseinandergesetzt werden, wobei nach der Rechtsprechung des BVerfG ebenso die menschenrechtlichen Verbürgungen der EMRK für die Verfassungsauslegung eine Rolle spielen. Hinzu kommt, dass die EMRK selbst als transformiertes nationales Recht unmittelbar vom deutschen Richter angewendet werden muss (dazu C). Eine bedeutsame Rolle spielen die Grundrechte auch bei der inhaltlichen Bestimmung des deutschen ordre public. Ist eine ausländische Aufhebungsentscheidung offensichtlich nicht mit den Grundrechten vereinbar, ist sie grundsätzlich nicht anerkennungsfähig. Mit dieser Fragestellung wird sich das 5. Kapitel dieser Untersuchung widmen. Im Rahmen des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens kommt zunächst der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne des Art.  19 Abs.  4 GG bzw. des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs in Frage. Da die deutsche Rechtsprechungspraxis dazu neigt, die fremdstaatliche Aufhebung in einem Automatismus ohne eine weitere rechtliche Prüfung konkludent dadurch anzuerkennen, dass sie die Vollstreckung des aufgehobenen Schiedsspruchs verweigert, wird dem Schiedsgläubiger faktisch die Möglichkeit verwehrt, die entsprechenden Erwägungen hinsichtlich der Anerkennungsfähigkeit wirksam in das Verfahren einfließen zu lassen. In diesem Automatismus könnten daher eine Rechtschutzverkürzung und eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs liegen. Der Schiedsspruch als titulierte zivilrechtliche Forderung könnte zudem dem Eigentumsbegriff des Grundgesetzes unterfallen. Als Art. 14 Abs. 1 GG konkretisierende Inhalts- und Schrankenbestimmung kommt dabei das UN-Übereinkommen in Betracht. Fraglich ist allerdings, welche Schlüsse sich daraus für die Ermessensausübung bei der Anerkennung eines aufgehobenen Schiedsspruchs ergeben. Im Übrigen hat die Analyse des Europäischen Übereinkommens bereits die Frage aufgeworfen, wieweit bei der Analyse des UN-Übereinkommens Art.  IX EuÜ als Auslegungshilfe herangezogen werden kann. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dabei zu untersuchen, ob der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in der Weise ausgelegt werden kann, dass die Aufhebungsgründe, die nach dem Europäischen Übereinkommen ausdrücklich nicht anerkennungsfähig sind, auch im Anwendungsbereich des UN-Übereinkommens nicht anerkannt

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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werden sollten. Dieser auf den ersten Blick widersinnig erscheinende Gedanke könnte dadurch Gewicht erhalten, dass das Europäische Übereinkommen ausdrücklich eine Ergänzung des UN-Übereinkommen darstellen und dieses in keiner Weise einschränken will. Abschließend soll sich dem personellen Schutzbereich der betroffenen Grundrechte gewidmet und die Frage erörtert werden, ob möglicherweise eine Erweiterung des durch Art. 19 Abs. 3 GG begrenzten personellen Schutzbereichs für juristische EU-Bürger angedacht werden kann.

I. Richterlicher Ermessensnichtgebrauch als Rechtsschutzverkürzung im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG/ allgemeinen Justizgewährungsanspruchs? In der Verweigerung, eine ausländische Aufhebungsentscheidung im Anerkennungs- und Aufhebungsverfahren anhand des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen auf ihre Anerkennungsfähigkeit hin zu überprüfen, könnte eine unzulässige Rechtsschutzverkürzung und damit ein Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG bzw. gegen den allgemeinen Justizgewährungsanspruch liegen. Wenn in solchen Fällen der Vortrag der Schiedsgläubigerin zu keiner weiteren rechtlichen Prüfung des Gerichts führt, kann eine solche richterliche Entscheidung sogar eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs darstellen. 1. Die Anerkennungsverpflichtung über den Justizgewährungsanspruch Ein wichtiger Gedanke ist in diesem Zusammenhang bei Heller zu finden, der überzeugend eine Anerkennungsverpflichtung hinsichtlich eines ausländischen Schiedsspruchs aus dem Justizgewährungsanspruch des Art.  6 EMRK und dem Rechtsstaatsprinzip für Österreich herleitet.13 Um Rechtsschutzlücken zu vermeiden, bestehe eine grundsätzliche Verpflichtung für den Gesetzgeber, bei ausreichendem Inlandsbezug eine ausländische Entscheidung, die in einem fairen Verfahren ergangen ist, anzuerkennen, wenn der Vollstreckungsstaat selbst kein Verfahren im Inland ermöglicht oder ein solches inländisches Verfahren unzumutbar wäre.14 Allerdings könne in vielen Fällen von 13

Heller, S. 35 ff. Heller, S. 36 f.: „Es wäre aber im Sinne des Art. 6 EMRK und wohl auch des Rechtsstaatsprinzips bedenklich, ausländischen Entscheidungen, die in einem fairen Verfahren ergangen sind, schlichthin die Anerkennung im Inland […] zu versagen, wenn andererseits kein inländisches Verfahren (Gerichtsstand) zur Verfügung steht. Mit anderen Worten: Die Gesetzgebung muss trachten, zwar kein perfektes, wohl aber ein möglichst dichtes Rechtsschutzsystem auch für die Fälle mit Auslandsbezug zur Verfügung zu stellen.“ 14

142

Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

einem fairen ausländischen Verfahren nicht ausgegangen werden. Berechtigterweise müsse dann den betreffenden ausländischen Entscheidungen die Anerkennung verweigert werden. Jedoch entstehe dadurch dem Einzelnen eine Rechtsschutzlücke. Er habe keine Möglichkeit, über die staatliche Gerichtsbarkeit einen Rechtsschutz zu erreichen. Das entstandene Rechtsschutzdefizit könne in diesen Fällen nur durch die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit ausgefüllt werden.15 Daraus folgert Heller, dass in diesen Fällen also die Handelsschiedsgerichtsbarkeit nicht nur eine von der Verfassung geduldete Einrichtung sei, sondern vielmehr diene sie dazu, den Rechtsschutz möglichst umfassend sicherzustellen, wenn der Vollstreckungsstaat trotz Inlandsbezugs keinen gleichwertigen Rechtsschutz bieten kann.16 Die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs sei daher in bestimmten Fällen über den Justizgewährungsanspruch geboten. Bezieht man diese Ansicht auf den Fall eines aufgehobenen Schiedsspruchs, so muss man zumindest von einer Verpflichtung ausgehen, die Aufhebung darauf zu untersuchen, ob sie im Rahmen eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens erfolgt ist. Denn gerade, wenn die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit die Funktion erfüllt, eine Rechtsschutzlücke des Vollstreckungsstaats auszufüllen, ist dem fremdstaatlichen Akt der Aufhebung mit größerem Misstrauen zu begegnen. Entsprach die Aufhebung nicht rechtsstaatlichen Kriterien, während das Schiedsverfahren fair abgelaufen ist, muss dementsprechend auf der Grundlage des Justiz­ gewährungsanspruchs der aufgehobene Schiedsspruch vollstreckt werden. 2. Der Streit um den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG Die Justizgrundrechte gehören zu den klassische „Jedermanns“-Grundrechten, auf die sich im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren jede Streitpartei einschließlich der ausländischen juristischen Personen berufen kann. a) Die behördliche Anerkennung eines fremdstaatlichen Hoheitsakts Wie beschrieben,17 wird eine behördliche Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung hinsichtlich fremdstaatlicher Entscheidungen von dem Schutzbereich des besonderen Justizgewährungsanspruchs des Art. 19 Abs. 4 GG erfasst. Die genannte Entscheidung des BVerfG18 bezieht sich auf eine Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung hinsichtlich eines österreichischen Bußgeldbescheids, der

15

Heller, S. 37. Heller, ibid. 17 Siehe supra Kap. 3. B. I. 1. 18 BVerfGE 63, 343. 16

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

143

laut völkerrechtlicher Vereinbarung ohne weitere gerichtliche Überprüfung durch deutsche Behörden vollstreckt werden konnte. Im Bereich des internationalen Verwaltungsrechts ist dies eine Konstellation, die recht häufig im Zusammenhang mit Bußgeldverfahren und einem Entzug der Fahrerlaubnis auftaucht.19 Das BVerfG betont in seiner Entscheidung, dass anhand der Grundrechte regelmäßig nur die Überprüfung deutscher Hoheitsakte gewährleistet werden könne. Diese schlössen aber auch die behördlichen Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidungen hinsichtlich fremder Hoheitsakte mit ein, sodass diese anhand Art. 19 Abs. 4 GG voll überprüfbar seien.20 Aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG wird grundsätzlich ein subjektives Recht auf eine effektive Rechtskontrolle jedes belastenden Verwaltungshandelns durch die deutsche Judikative gefolgert, die genauso die Überprüfung der Tatsachengrundlagen wie die rechtliche Überprüfung beinhalten muss.21 Zur Verwirklichung dieser Aufgabe sei erforderlich, dass das erkennende Gericht durch den Gesetzgeber „mit zureichender Entscheidungsmacht“ ausgestattet sein müsse.22 Umstritten ist jedoch, ob eine solche Pflicht zur verfassungsrechtlichen Überprüfung auch für richterliche Entscheidungen ebenfalls Art. 19 Abs. 4 GG zu entnehmen ist. b) Die richterliche Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung als „Akt der öffentlichen Gewalt“? Die Entscheidung, nur einen behördlichen Anerkennungs- und Vollstreckungsakt, nicht aber darüber hinaus auch eine entsprechende richterliche Entscheidung einer verfassungsrichterlichen Rechtskontrolle über den Justizgewährungsanspruch des Art. 19 Abs. 4 GG zu unterwerfen, ist zumindest nicht selbstverständlich. Die Gefahr betonend, sich dem Status einer Superrevisionsinstanz weiter anzunähern, hat das BVerfG im Einklang mit der traditionellen Ansicht der Literatur23 eine Kontrolle richterlicher Entscheidungen über Art. 19 Abs. 4 GG stets abgelehnt.24 Art. 19 Abs. 4 GG solle – so die oft zitierte Entscheidungsformel – einen „Schutz durch, nicht gegen den Richter“ gewährleisten.25 Weder Art. 19 Abs. 4 GG 19

Ruffert, Die Verwaltung 34 (2001), S. 453 (457 f.). BVerfGE 63, 343 (375). 21 BVerfGE 15, 275 (282); 35, 263 (274); 101, 106 (123); 101, 397 (407); 103, 142 (156); 104, 220 (231 f.); 113, 273 (310); 118, 168 (207). 22 BVerfGE  67, 43 (58); P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art. 19 Abs. 4 Rn. 506. 23 Bickenbach, JuS 2007, 813 (815 f.); Enders, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG-Komm. Art. 19 Rn. 57; Hößlein, S. 181 ff.; Kischel, S. 89 f.; Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. des StaatsR3, Bd. VIII, § 177 Rn. 43; Schenke, JZ 2005, S. 116 ff.; a. A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 255 ff. 24 BVerfGE 11, 263 (265); 49, 329 (340 f.); 65, 76 (90); 76, 93 (98); 107, 395 (403 ff.); 112, 185 (207) . 25 BVerfGE 11, 263 (265); 15, 275 (280); 76, 93 (98). 20

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

noch Art.  103 Abs.  1 GG erforderten daher einen gerichtlichen Instanzenzug.26 Dafür spreche schon der systematische Zusammenhang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip verankert ist.27 Eine richterliche Entscheidung müsse zu Gunsten der Rechtssicherheit in Rechtskraft erwachsen. Mit dieser Vorgabe sei es aber nicht zu vereinbaren, wenn gegen eine abschließende richterliche Entscheidung wiederholt der Rechtsweg beschritten und ein Rechtsstreit ad infinitum geführt werden könnte.28 Diese zurückhaltende Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG ergibt sich zumindest nicht zwingend und wird in der neueren Literatur auch zunehmend in Zweifel gezogen.29 Voßkuhle, der die Rechtsentwicklung in diesem Bereich entscheidend beeinflusst hat, gibt mit Recht zu Bedenken, dass der Art. 19 Abs. 4 GG nach seinem Wortlaut („öffentliche Gewalt“) nicht auf Entscheidungen der Exekutive begrenzt sein solle.30 Auch der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass Art. 19 Abs. 4 GG sich nur auf Verwaltungshandeln beziehen sollte. Eine entsprechende eindeutige Regelung mit einer Beschränkung auf Maßnahmen einer Verwaltungsbehörde sah zunächst die Formulierung des Art. 138 des Herrenchiemsee-Entwurfs vor, die aber dann in die offenere Formulierung des Art. 19 Abs. 4 GG abgeändert wurde, ohne jedoch eine weitergehende Begründung für diese Veränderung festzuhalten.31 Auch Peter Michael Huber wendet sich gegen die herrschende Ansicht und verweist auf den systematischen Zusammenhang: Sowohl Art. 1 Abs. 3 GG als auch Art. 20 Abs. 3 GG nennen die Justiz als dritte Gewalt.32 Diese müsse daher in gleicher Weise einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegen wie Legislative und Exekutive. Für den vorliegenden Fall der richterlichen Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Urteilen lässt sich zudem einwerfen, dass die Anerkennung zwar regelmäßig im Rahmen eines zivilrechtlichen Parteienprozesses stattfindet, die Anerkennung eines fremdstaatlichen Hoheitsakts aber grundsätzlich öffentlich-rechtlich durch das Verfahrensrecht geregelt ist. Man könnte sich daher auf den Standpunkt stellen, dass sich das Gericht in diesem Fall wie eine Behörde geriere und schon aus diesem Gesichtspunkt die Entscheidung in den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG fiele. Dieses Argument gewinnt dann umso mehr Gewicht,

26

A. A. P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art. 19 Abs. 4 Rn. 442. Pieroth/Schlink, Rn. 1099. 28 BVerfGE 1, 433 (437): „Vielmehr muss jeder Rechtsstreit einmal ein Ende finden“; ähnlich Jarass, in: Ders./Pieroth, GG, Art.  19 Rn.  45; Schenke, in: Abraham/Dennewitz/Dolzer (Hrsg.), Bonner Komm., Art. 19 Abs. 4 Rn. 371 ff. 29 Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 156 ff., 311 ff.; ders., NJW 2003, S. 2193 ff.; P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art.  19 Abs.  4 Rn.  440; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., Art. 19 Abs. 4 Rn. 49. 30 Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 147 ff.; ders., NJW 2003, S. 2193 (2196); ebenso Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., Art. 19 Abs. 4 Rn. 49. 31 Vgl. Jahrb. d. Öff. Rechts, Bd. 1(1951), S. 151 ff. 32 P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art. 19 Abs. 4 Rn. 440. 27

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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wenn man – entgegen der hier vertretenen Ansicht – die deutsche Anerkennungsund Vollstreckungsentscheidung als gebundene Entscheidung ansähe und damit dem Richter keine Entscheidungsalternative ließe. Demgegenüber komme es aber nach der herrschenden Ansicht nicht auf die eigentliche „materiell-rechtsprechende“ Tätigkeit des Richters an. Entscheidend sei vielmehr seine besondere Position, die durch seine personelle und sachliche Unabhängigkeit gewährleistet werde. Daher seien auch richterliche Maßnahmen im Rahmen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Zwangsvollstreckung dem Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG entzogen,33 während andere Akte der Justizbehörden, wie beispielsweise die Erteilung des Erbscheins oder Durchführung der Zwangsversteigerung durch den Rechtspfleger, wiederum von Art. 19 Abs. 4 GG erfasst werden sollen.34 Die Person des Richters genießt daher nach dieser Ansicht eine beinahe sakrosankte Stellung, die aber angesichts ansteigender Arbeitsbelastung der unteren Gerichte zunehmend in Zweifel gezogen wird. Dieser Streit über die Erstreckung des Schutzbereichs des Art. 19 Abs. 4 GG hat an Bedeutung verloren, da es gerade im Rahmen der Überprüfbarkeit richterlicher Entscheidungen 2003 zu einer Veränderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gekommen ist. Das BVerfG ist dabei darum bemüht, das von ­Voßkuhle aufgezeigte und auch unzweifelhaft vorhandene Rechtsschutzdefizit durch eine Schutzbereichserweiterung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs auszuräumen. 3. Die Verlagerung des Rechtsschutzes auf den allgemeinen Justizgewährungsanspruch durch das BVerfG Im Zuge der Rechtswegverkürzungen und eingeschränkten Berufungs- und Revisionsmöglichkeiten bei niedrigen Streitwerten setzte zu Beginn des Jahrtausends ein Umdenken ein, das das BVerfG mit seiner Plenumsentscheidung v. 30.04.2003 krönte.35 Dem Beschwerdeführer waren aufgrund einer knapp verfehlten Streitwertgrenze und einer Nichtzulassung zur Berufung und Revision Rechtsmittel gegen eine erstinstanzliche Entscheidung verweigert worden. Das BVerfG entschied zwar, dass es richterliche Entscheidungen weiterhin nicht anhand des Art.  19 Abs. 4 GG überprüfen wolle. Stattdessen seien diese aber anhand des allgemeinen Justizgewährleistungsanspruchs zu messen. Historisch betrachtet, diente der allgemeine Justizgewährungsanspruch der Rechtsprechung zunächst als Fortentwicklung des Art. 19 Abs. 4 GG im Rahmen 33

P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., Art. 19 Abs. 4 Rn. 438. BVerfGE 49, 252 (257); 101, 397 (407). 35 BVerfGE  107, 395; zur Entwicklung Voßkuhle, NJW 2003, S.  2193 ff., der darauf hinweist, dass es sich hierbei um die vierte Plenumsentscheidung seit Bestehen des BVerfG gehandelt habe, wodurch die besondere Bedeutung des Verfahrens ersichtlich werde. 34

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

der Zivilgerichtsbarkeit.36 Das BVerfG begründet ihn mit dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG.37 Die Literatur zieht teilweise auch weitere Grundrechte, insbesondere Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG für seine Begründung hinzu.38 Unbestritten ist, dass der rechtsstaatliche Kernbereich des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs inhaltlich dem des Art. 19 Abs. 4 GG entspricht.39 Lediglich die Anwendungsbereiche der beiden Ansprüche seien zu unterscheiden.40 Beiden Ansprüchen sei gemeinsam, dass sie zwar generell einen Instanzenzug nicht einfordern, dem staatlichen Richter im Gegenzug aber ein umfassendes Prüfungsrecht zugebilligt werden müsse, um einen möglichst effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen.41 Obwohl eine klare Linie in der Rechtsprechung zum allgemeinen Justizgewährungsanspruch in vielen Bereichen sich erst entwickelt und teilweise noch nicht erkennbar ist,42 ist bisher zumindest der Grundsatz unstrittig, dass derjenige, der „bei Gericht ankommt, […] auch substantiell ankommen, also wirklich gehört werden“ muss.43 Der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens und der richterlichen Prüfung darf also nicht soweit formalisiert sein, dass die Durchführung einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs gleichkommt. a) Vorgaben für den Gesetzgeber Sowohl Art.  19 Abs.  4 GG als auch der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch sind naturgemäß schon dadurch stark normgeprägt, dass der Gesetzgeber im Regelfall die Reichweite des Anspruchs durch das Prozessrecht und die Gerichtsverfassung vorgibt.44 Der Gesetzgeber ist jedoch selber bei der Entscheidung über den gerichtlichen Entscheidungsumfang nicht frei, sondern wird selbst durch den allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch gebunden.45 Er sei nach Ansicht des BVerfG dazu verpflichtet, durch die Verfahrensordnung dem Gericht 36 BVerfGE 88, 118 (123); 93, 99 (107); 97, 169 (185); P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rn. 352. 37 BVerfGE 54, 277 (291); 85, 337 (345); 88, 118 (123); 97, 169 (185). 38 Dütz, S. 67 ff., 82 ff., 95 ff. 39 BVerfGE 107, 395 (406); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Komm., Art. 19 Abs.  4 Rn.  17; Voßkuhle, NJW 2003, S.  2193 (2196): „Der Gewährleistungsgehalt beider Rechtsweggarantien ist gerade in Bezug auf den allgemeinen Rechtsschutzstandard weitgehend identisch; Abweichungen ergeben sich lediglich in der unterschiedlichen Wertschätzung privatautonomer Rechtsschutzgestaltung.“; a. A. P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art. 19 Abs. 4, Rn. 366, der auch weniger ausgeprägte Anforderungen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs für zulässig hält. 40 BVerfGE 107, 395 (406). 41 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Komm., Art. 19 Abs. 4 Rn. 17. 42 Ibid. 43 BVerfGE 107, 395 (408). 44 Pieroth/Schlink, Rn. 1097; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., Art. 19 Abs. 4 Rn. 42; Enders, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Komm., GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 52. 45 BVerfGE 88, 118 (123 f.); 93,99 (107 f.); 107, 395 (407).

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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einen möglichst effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen, der nach Möglichkeit die gesamte Tatsachengrundlage einzubeziehen hat und eine umfassende rechtliche Prüfung beinhaltet. Gleichzeitig soll durch die entsprechende Verfahrensordnung Rechtssicherheit hergestellt werden.46 Für das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren von ausländischen Schiedssprüchen hat der Gesetzgeber zumindest nach dem Wortlaut des Transformationsgesetzes zum UN-Übereinkommen diesen Vorgaben auch Rechnung getragen und den Oberlandesgerichten einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung von aufgehobenen Schiedssprüchen eingeräumt, sodass tatsächlich im Rahmen dieses Ermessens auf die gesamte Tatsachengrundlage Bezug genommen werden kann. Dass dieser Wortlaut von den deutschen Oberlandesgerichten oftmals als gebundene Entscheidung ausgelegt wird, kann dem Gesetzgeber hingegen nicht zur Last gelegt werden. b) Die Vorgaben für das Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht Die Gerichte sind aufgrund dieser gesetzlichen Ermächtigung dazu verpflichtet, den Anforderungen des Justizgewährungsanspruchs an einen effektiven Rechtsschutz Genüge zu tun. Sie sind dazu gehalten, durch eine verfassungskonforme Auslegung des Verfahrensrechts einen solchen möglichst effektiven Rechtsschutz zu erreichen. Tatsächlich kann damit nicht gemeint sein, jeden Verfahrensfehler einer verfassungsrechtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Es soll vielmehr sichergestellt werden, dass überhaupt eine gerichtliche Überprüfung wirksam erfolgen kann.47 Das deutsche Transformationsgesetz zum UN-Übereinkommen muss daher zumindest verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass die konkludente Anerkennung einer ausländischen Aufhebungsentscheidung weder eine Grundrechtseinschränkung zur Folge hat, noch dass wesentliche Grundelemente der deutschen Rechtsordnung beeinträchtigt werden dürfen. Keinesfalls darf sich das Gericht auf der Einschätzung ausruhen, es sei offensichtlich kein materielles Grundrecht betroffen, sodass eine weitergehende Überprüfung nicht notwendig sei. Denn im Rahmen dieser Prüfung spielt es nur eine untergeordnete Rolle, dass der Justizgewährungsanspruch naturgemäß nur der Durchsetzung eines anderen subjektiven Rechts dient. Insoweit wirkt der allgemeine Justizgewährungsanspruch ebenso wie Art. 19 Abs. 4 GG rein akzessorisch zum subjektiven Recht. Ein solches Recht muss aber nicht unbedingt in einem Grundrecht bestehen, sondern kann auch aus jedem subjektiven Rechtsanspruch 46

BVerfGE 107, 395 (407): „Die Verfahrensordnung ist so auszugestalten, dass effektiver Rechtsschutz für den einzelnen Rechtssuchenden besteht, aber auch Rechtssicherheit hergestellt wird.“ 47 Hufen, § 44 Rn. 7 (zu Art. 19 Abs. 4 GG).

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

nach einfachem Recht stammen.48 Auch muss nicht für die Annahme des Justiz­ gewährungsanspruchs eine Rechtsverletzung bereits nachgewiesen sein. Ausreichend ist bereits, dass eine Rechtsverletzung behauptet wird und möglich ist.49 In solchen Fällen muss sich die richterliche Prüfung auch auf die behaupteten Tat­ sachen beziehen und muss rechtliche Bewertung beinhalten. Dementsprechend darf es auch bei der Anerkennung und Vollstreckung von aufgehobenen Schiedssprüchen nicht zu einem Automatismus kommen, der wesentliche Tatsachen, die sich möglicherweise im Ausland abgespielt haben, völlig ausblendet, obwohl diesen für die Anerkennungsfähigkeit des fremdstaatlichen Aufhebungsurteils eine wesentliche Bedeutung zukommen könnte. Das „Ausblenden“ vorgetragener Tatsachen kann in diesem Zusammenhang einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs gleichkommen. Das Gericht muss zumindest die Tatsachen in seine Erwägungen mit aufnehmen und die rechtliche Prüfung einbeziehen. Da der Wortlaut des UN-Übereinkommens ein Ermessen vorsieht, muss das Gericht dementsprechend das Ermessen auch ausüben und ausfüllen. 4. Zwischenergebnis Folgt man der Rechtsprechung des BVerfG, kommt im Fall des Ermessensnichtoder -Fehlgebrauchs im Rahmen der Justizgrundrechte nur ein Verstoß gegen den allgemeinen Justizgewährungsanspruch in Frage, der aber im Wesentlichen einen deckungsgleichen materiellen Kerngehalt im Vergleich zu Art. 19 Abs. 4 GG aufweist. Beiden Ansprüchen ist gemeinsam, dass sie von dem deutschen Gericht einen effektiven Rechtsschutz verlangen, der über den reinen formellen Gerichtszugang hinausgeht. Die Gerichte sind darüber hinaus verpflichtet, die vorgetragenen Tatsachen in ihre rechtliche Bewertung mit einzubeziehen und dazu die Rahmen des Verfahrensrechts auszufüllen, sodass der rechtssuchende Bürger rechtlich auch tatsächlich gehört wird. Dies ist dann nicht der Fall, wenn das Anerkennungsund Vollstreckungsgericht die fremdstaatliche Aufhebung ohne weitere Prüfung konkludent anerkennt, obwohl möglicherweise der fremdstaatliche Akt gegen wesentliche Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung verstoßen hat bzw. durch die Anerkennung Grundrechte verletzt werden könnten. Aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch folgt somit eine unmittelbare Verpflichtung des Gerichts, das ihm zugewiesene Ermessen auszuüben, um dem Schiedsgläubiger das rechtliche Gehör zu gewähren.

48

BVerfGE  96, 100 (114 f.); Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. des StaatsR3, Bd. VIII, § 177 Rn. 1; Enders, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher OK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 61; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm, Art. 19 Abs. 4 Rn. 61; siehe dazu auch infra Kap. 3. B. IV. 4. 49 BVerfGE 96, 100 (114).

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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II. Eigentumsschutz gemäß Art. 14 Abs. 1 GG 1. Der sachliche Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG Des Weiteren soll sich der Frage gewidmet werden, ob die Nicht-Anerkennung eines aufgehobenen ausländischen Schiedsspruchs durch den sachlichen Schutzbereich des Art. 14 GG geschützt wird und welche Folgen dies für das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren hat. Dass ein aufgehobener ausländischer Schiedsspruch eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition darstellen soll, ist zumindest kein offensichtliches Ergebnis, zumal Art. 14 GG grundsätzlich nur vor Eingriffen deutscher Hoheitsträger schützen soll. Das bedeutet, dass der einzige Anknüpfungspunkt der grundrechtlichen Überprüfung das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren sein kann. Außerdem ist vorrangig zu klären, ob ein ausländischer Schiedsspruch nur eine Vermögensposition oder bereits eine von Art.  14 GG geschützte Rechtsposition bildet. Ebenso muss gefragt werden, ob die Aufhebung des ausländischen Schiedsspruchs die durch Art. 14 GG möglicherweise geschützte Rechtsposition wieder entfallen lässt. Die Antwort auf diese Frage kann sich dabei aufgrund des normgeprägten Schutzbereichs des Art. 14 GG nur aus dem UN-Übereinkommen selbst herleiten, wobei im Gegensatz zu der bereits vorgenommenen völkerrechtlichen Prüfung die darüber hinausgehende verfassungsrechtliche Dogmatik Beachtung finden muss. a) Der Schiedsspruch als Vermögenswerte Rechtsposition Der aufgehobene Schiedsspruch könnte eine über Art. 14 GG geschützte Vermögensposition darstellen. Zunächst ist also fraglich, ob ein Schiedsspruch als ein außerhalb der nationalen Rechtsordnung entstandener zivilrechtlicher Anspruch überhaupt über Art. 14 Abs. 1 GG geschützt werden kann. Das Eigentumsrecht hat während der 20er Jahre des 20.  Jahrhunderts in der deutschen Rechtswissenschaft nach der Erfahrung der Revolutionen eine massive Ausweitung erfahren.50 Die Eigentumsgarantie soll dem Grundrechtsträger einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich erhalten und dem Einzelnen damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglichen.51 In materieller Hinsicht schützt Art. 14 Abs. 1 GG damit nicht nur das dingliche Eigentum, sondern nunmehr als Abwehrrecht umfassend die rechtliche Zuordnung 50 Insbesondere wurde die Eigentumsdefinition stark erweitert und geprägt durch Wolff, in: Kipp/Triepel (Hrsg.), Festgabe Kahl (1923), Teil IV, S. 1 ff.; zur Entwicklung des deutschen Eigentumsschutzes siehe Wieland, in: Dreier (Hrsg), GG-Komm., Art. 14, Rn. 1–14. 51 BVerfGE 68,193 (222); 102, 1 (15); Pieroth/Schlink, Rn. 971; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm. Art. 14 Rn. 30.

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

eines Vermögenswerten Gutes zu einem Rechtsträger.52 Nicht geschützt werden soll aber das bloße Vermögen per se.53 Welche Vermögensrechte konkret in den Schutzbereich fallen, bestimmt sich nach dem Zweck und der Funktion der Eigentumsgarantie unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung im Gesamtgefüge der Verfassung.54 Dadurch dass das Grundgesetz das Rechtsinstitut Eigentum gewährleistet, ist der Gesetzgeber also insbesondere verpflichtet, bei der Ausgestaltung dieses Freiheitsrechts die Kernelemente, nämlich Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis zu gewährleisten.55 Der Gesetzgeber eröffnet den eigentumstypischen Spielraum mit jedem vermögenswerten Recht, das er dem Berechtigten ebenso wie dingliches Eigentum an einer Sache zur privaten Nutzung und zur eigenen Verfügung zuordnet und andere Personen damit ausschließt.56 Dabei ist eine grundsätzliche Verfügungsbefugnis ausreichend. Es wird also grundsätzlich jedes private subjektive Vermögensrecht geschützt.57 Einen solchen legislativen Schritt hat der Gesetzgeber mit dem Transformationsgesetz zum UN-Übereinkommen vollzogen und den ausländischen Schiedsspruch grundsätzlich in den Kreis der geschützten Vermögensrechte aufgenommen. Unbeachtlich ist hingegen, wenn die Verfügungsbefugnis – wie im Falle eines ausländischen Schiedsspruchs, der noch anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden muss,  – zunächst ein­ geschränkt ist.58 Mit dieser Grundentscheidung muss man zumindest eine schuldrechtliche Forderung, die dem ausländischen Schiedsspruch zugrunde liegt, zum Kreis der geschützten Vermögensrechte hinzurechnen.59 Der Schiedsspruch weist dem Schiedsgläubiger einen schuldrechtlichen Anspruch zu, über den der Schiedsgläubiger grundsätzlich wie ein Eigentümer frei verfügen kann. Als titulierte zivilrechtliche Forderung ist der Schiedsspruch selbst dann von dem Eigentumsbegriff des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst, wenn er aus einer fremden Rechtsordnung stammt.

52

Pieroth/Schlink, Rn. 981; Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., Art. 14 Rn. 21. BVerfGE 4, 7 (17); 96, 375 (397); 123, 186 (258 f.); Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm., Art.  14 GG Rn.  23; Depenhauer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GGKomm., Art.  14 Rn.  160; Papier, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Komm., Art.  14 Rn.  378 f.;­ Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., Art. 14 Rn. 56. 54 BVerfGE 36, 281 (290). 55 BVerfGE  91, 294 (308); Pieroth/Schlink, Rn.  1031; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., Art. 14 Rn. 29. 56 BVerfGE 78, 58 (71) für das eingetragene Warenzeichen; BVerfGE 83, 201 (208) für das schuldrechtliche Vorkaufsrecht. 57 Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., Art. 14 Rn. 22. 58 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm, Art. 14 Rn. 48. 59 BVerfGE 42, 263 (294); 45, 142, (179); 83, 201 (208); 112, 93 (107). 53

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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b) Das UN-Übereinkommen als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG Die Feststellung, dass ein Schiedsspruch grundsätzlich unter den Eigentumsschutz des Art. 14 GG subsumiert werden kann, ist, wie bereits angedeutet, noch nicht ausreichend, um den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG als eröffnet anzusehen. Die verfassungsrechtliche Besonderheit des Art. 14 Abs. 1 GG ist dessen intensive Normprägung des Schutzbereichs.60 Eine solche Normprägung könnte für den ausländischen Schiedsspruch über § 1061 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit dem UN-Übereinkommen erfolgt sein. Diese Normen stellen dann gleichzeitig eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der kraft Verfassung vorgegebenen Grenzen die Möglichkeit, durch gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmungen das geschützte Eigentum auszuformen und den Schutzbereich des Art. 14 GG dadurch zu definieren. Die grundgesetzliche Eigentumsgarantie geht also nur so weit, wie das Eigentumsrecht durch einfaches Gesetzesrecht ausgestaltet worden ist.61 Durch den Verweis des Art. 14 Abs. 2 GG auf die Sozialbindung und damit Gemeinnützigkeit des Eigentums weist das Grundgesetz dem Gesetzgeber dabei grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum zu.62 Entscheidend ist aber die Vorgabe, dass die Interessen des Eigentümers, über seine Dinge frei zu verfügen, mit den Interessen der Allgemeinheit an einem sozialverträglichen Gebrauch abwägend zu einem Ausgleich gebracht werden müssen.63 Während eine Enteignung die zwingenden Voraussetzungen des Art.  14 Abs. 3 GG – insbesondere eine zwingende Entschädigung – nach sich zieht, unterliegt die Inhalts- und Schrankenbestimmung lediglich dem im Rahmen des Art.  14 Abs.  1 S.  1 GG leicht veränderten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unter der besonderen Berücksichtigung der Sozialbindung des Eigentums gem. Art. 14 Abs.  2 GG. Im Gegensatz zu der früheren Rechtsprechung bestimmt sich die Frage, ob sogar eine (grundsätzlich entschädigungspflichtige)  Legalenteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG oder lediglich eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art.  14 Abs.  1 S.  2 GG vorliegt, nach der nunmehr ständiger Rechtsprechung64 nicht mehr danach, ob im Einzelfall durch eine gesetzliche Schrankenbestimmung ein besonders intensiver Eingriff und damit möglicherweise eine „Aufopferungsenteignung“ vorliege.65 Entscheidend sei nach der neueren, dogmatisch klareren Judikatur vielmehr die Finalität der Maßnahme, also die Frage, ob der Gesetzgeber mit der Regelung einen Eigentumsentzug zu Gunsten 60

Pieroth/Schlink, Rn. 972. BVerfGE 58, 300 (336); Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., Art. 14 Rn. 38. 62 Wieland, id., Art. 14 Rn. 29. 63 BVerfGE 52, 1 (49); Wieland, id., Art. 14 Rn. 75. 64 BVerfGE 83, 201 (211); 100, 224 (240); BVerwGE 77, 295 (297 f.); 81, 329 (340); 84, 361 (366); 87, 241 (243); BGHZ 99, 24 (28 f.); 120, 38 (42). 65 Siehe BVerfGE 58, 300 (331 f.). 61

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

des Staates bezweckt habe. Eine auf Eigentumsentzug gerichtete konkret-individuelle Regelung sei eine Enteignung, eine generell-abstrakte Regelung zur Ausformung des Eigentumsrechts hingegen lediglich eine Inhalts- und Schrankenbestimmung.66 Wenn eine Regelung lediglich dem Ausgleich zwischen Privaten dient und keine Vermögensverschiebung zu Gunsten des Staates vorgenommen wird, sei danach von einer Inhalts- und Schrankenbestimmung auszugehen.67 Nach diesen Grundsätzen ist die eigentumsrelevante Norm des § 1061 Abs. 1 ZPO i. V. m. Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ klar als Inhalts- und Schrankenbestimmung zu definieren. Die Norm regelt eine abstrakte Vielzahl von Fällen und gilt für einen unbestimmten Adressatenkreist. Sie reguliert also in einer abstrakt-generellen Weise die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Schiedsspruchs für den deutschen Rechtsraum. Sie will dabei auch nicht den nach der fremden Rechtsordnung erworbenen Schiedsspruch entziehen, sondern lediglich die Frage der Anerkennung und Vollstreckbarkeit verbindlich regeln. Zugleich bezweckt sie damit den Ausgleich zwischen den privaten Schiedsparteien. Abschließend muss darauf hingewiesen werden, dass die Parallelvorschrift des Art. V Abs. 2 lit. b) UN-Übereinkommen, die den ordre public-Vorbehalt beinhaltet, ebenfalls eine Inhalts- und Schrankenbestimmung ist. Auch in diesem Fall wird ein Ausgleich zwischen den Parteiinteressen und dem Vollstreckungsstaat anhand einer generell-abstrakten Regelung eingefordert. Dies führt zu einer wesentlichen Einschränkung des Schutzbereichs des Art. 14 GG für den ausländischen Schiedsspruch: Der ausländische Schiedsspruch unterfällt dementsprechend nur dann dem Eigentumsschutz, sofern er sich selbst nicht in Widerspruch zur deutschen Rechtsordnung gesetzt hat.68 2. Verfassungsrechtliche Schranken hinsichtlich der Auslegung des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen Nachdem festgestellt worden ist, dass der Gesetzgeber mit § 1061 Abs. 1 ZPO i. V. m. Art.  V Abs.  1 lit.  e)  UN-Übereinkommen eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG geschaffen hat, ist diese Regelung auf ihre Vereinbarkeit mit dem grundrechtlichen Eigentumsschutz zu untersuchen. Die Heranziehung nationaler Regeln und des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) zur Auslegung einer völkervertraglichen Regelung mag aus völkerrechtlicher Sicht überraschen. Zwar ist es grundsätzlich gemäß dem Grundgedanken des Art. 27 WVK ausgeschlossen, völkerrechtliche Verträge durch Heranziehung des nationalen Rechts eines Vertragsstaates auszulegen. Dies 66

BVerfGE 52, 1 (27); 58, 300 (330); 72, 66 (76). BVerfGE 104, 1 (9 f.). 68 BVerfGE 101, 239 (258). 67

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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ist aber in den Fällen anders, wenn der jeweilige völkerrechtliche Vertrag auf die Belange des anwendenden Staates Rücksicht nimmt. Das UN-Übereinkommen nimmt durch drei Vorschriften direkten Bezug auf das nationale Recht: Erstens wird dem Vollstreckungsstaat durch Art. V Abs.  1 lit. e)  UNÜ ein Ermessen eingeräumt, das nur durch das nationale Recht  – und sei es durch den nationalen Verweis auf das Völkerrecht – ausgefüllt werden kann. Zweitens wird das Vollstreckungshindernis des Verstoßes gegen den nationalen ordre public durch Art. V Abs. 2 lit. b) UN-Übereinkommen ausdrücklich an­ erkannt. Drittens beinhaltet schließlich die Einbeziehung des Meistbegünstigungsgrundsatzes des Art.  VII UN-Übereinkommen für den Schiedsgläubiger einen direkten Verweis auf das nationale Recht des Vollstreckungsstaats. Schon das Übereinkommen selbst sieht also ausdrücklich die Berücksichtigung des nationalen Rechts bei der einzelstaatlichen Ermessensausübung vor. Art.  27 WVK steht daher in diesem konkreten Fall der Anwendung des deutschen Rechtsstaatsprinzips und einer grundrechtlichen Prüfung im Rahmen der Ermessensausübung gem. Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen nicht entgegen. Im Rahmen der im Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ausgesprochene Ermächtigung an den Gesetzgeber, Schranken und Inhalt des geschützten Eigentums zu bestimmen, ist dieser wie bei jeder anderen Grundrechtsbeschränkung an den im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden. Nach Ansicht des BVerfG ergeben sich dabei aber besondere materielle Voraussetzungen aus dem „unlösbaren Zusammenhang“, der zwischen der Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, dem Regelungsauftrag des Art. 14 Abs. 2 GG und der Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG bestehe.69 a) Die abgewandelte Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 14 GG § 1061 Abs.  1 ZPO i. V. m. Art. V Abs.  1 lit.  e)  UN-Übereinkommen müsste also rechtmäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs sein, darf sich also insbesondere nicht im Widerspruch zu dem im Rechtsstaatsprinzip begründeten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz befinden. Wenn das Zusammenwirken von zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Vorschriften erst das Eigentum konstituiert, dann können im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eigentlich diese Vorschriften nicht danach gemessen werden, ob sie geeignet und erforderlich sind, diese von ihnen selbst konstituierte Eigentumsposition zu beschränken.70 Trotzdem prüft das BVerfG regelmäßig die 69 BVerfGE 50, 290 (340); Ehlers, VVDStRL 51, 226; Pieroth/Schlink, Rn. 1007; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., Art. 14 Rn. 87. 70 Wieland, id., Rn. 126.

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Geeignetheit und Erforderlichkeit von Inhalts- und Schrankenbestimmungen.71 Am ehesten kann man diese Vorgehensweise mit einem Ausspruch von Häberle erklären, dass jede Begrenzung eines Grundrechts zugleich deren Inhalt bestimme.72 Sinnvoll ist daher eine chronologische Betrachtungsweise. Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung definiert das Eigentum für die Zukunft und kann daher für das in der Vergangenheit begründete Eigentum einen Eingriff darstellen.73 (1) Verfassungsrechtlich vorgegebene Kriterien Die Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Inhalts- und Schrankenbestimmung i. S. d. Art. 14 Abs. 2 GG wird von einigen von der Verfassung vorgegebenen Prinzipien maßgeblich beeinflusst: Erstens darf eine Eigentumsbeschränkung nur zum Wohle der Allgemeinheit durchgeführt werden. Das Allgemeinwohl ist dabei nicht nur Grund, sondern auch Grenze für eine beschränkende Regelung.74 Das durch die Verfassung gewährleistete sozial gebundene Privateigentum steht also in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen den Belangen der Gemeinschaft und der Privatnützigkeit. Zweitens muss diese Abwägung zwischen öffentlichen und privaten Interessen auch die Eigenart des zu beschränkenden vermögenswerten Rechts beachten.75­ Typischerweise wird als Beispiel das Grundeigentum herangezogen.76 Da es unvermehrbar und gleichzeitig unentbehrlich ist, müssen bei der Abwägung Interessen des Allgemeinwohls in einem weit stärkeren Maße Berücksichtigung finden als im Falle anderer Vermögensgüter.77 Drittens muss der Gesetzgeber den Eingriff durch Härteklauseln und Übergangsregelungen entschärfen.78 Dies ist nicht nur die Folge des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, sondern auch des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes. Dieser Vertrauensschutz erfordert eine besondere Rücksichtnahme auf nach altem Recht erworbene Rechte des Einzelnen.79 Der Gesetzgeber muss daher beispielsweise einen besonders schonenden Übergang vom alten in das neue Recht schaffen.80

71 BVerfGE 70,278 (286 f.); 75, 78 (97 f.); 76,220 (238 ff.); 95, 64 (84 ff.); 100, 226 (241); 102, 1 (17); 104, 1 (10 ff.). 72 Häberle, S. 179; zustimmend Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., Art. 14 Rn. 76. 73 Pieroth/Schlink, Rn. 998. 74 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., Art. 14 Rn. 87. 75 Pieroth/Schlink, Rn. 1008; kritisch Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 226 f. 76 Wieland, id., Rn. 88. 77 BVerfGE 21, 73 (82 f.); 52, 1 (32 f.). 78 Pieroth/Schlink, Rn. 1014. 79 Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm., Art. 14 Rn. 62. 80 Ibid.

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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(2) Legitimer Zweck der Regelung Wie bereits bei der Analyse des Art. V Abs. 1 lit. e), Abs. 2 UN-Übereinkommen dargelegt, verfolgen der deutsche Gesetzgeber bzw. die Vertragsstaaten mit dieser Regelung mehrere Ziele. Da die Regelung aus Sicht der deutschen Rechtsprechung im Falle der Aufhebung des Schiedsspruchs insbesondere die Rechtsposition des Schiedsgläubigers einschränkt, soll sich hier auf diesen Aspekt der Regelung beschränkt werden. Neben der Etablierung eines Mindeststandards für den Schiedsgläubiger muss also das Augenmerk auf den zugegebenermaßen eingeschränkten Vollstreckungsschutz des Schiedsschuldners gelegt werden. Hinzu kommt als weiterer legitimer Zweck der Regelung der Schutz der eigenen Rechtsordnung vor der Übernahme rechtswidriger Schiedssprüche in Betracht, wie er durch die Etablierung einer Doppelkontrolle grundsätzlich gewährleistet wird.81 Der deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsrichter prüft grundsätzlich die gleichen Kriterien, die gegebenenfalls auch schon im Rahmen des ausländischen Aufhebungsverfahrens geprüft worden sind. Schiedssprüche, die ersichtlich wesentlichen Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung widersprechen, sollen im Sinne des Art. V Abs. 2 UN-Übereinkommen schon vor einer Doppelkontrolle nicht vom Schutzbereich dieser Norm erfasst werden. Vorrangig bezweckt Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen bei rechtswidrig entstandenen Schiedssprüchen, die im Ursprungsstaat aufgehoben worden sind, einen Schuldnerschutz zu gewährleisten. Die Ausnahmeregelung zur grundsätzlichen Vollstreckungsverpflichtung des Art. III UN-Übereinkommen schützt den Vollstreckungsschuldner für den Sonderfall einer ausländischen Aufhebungsentscheidung. Wenn auch der Vollstreckungsschutz ein legitimes Ziel darstellt und die Allgemeinheit vor der Vollstreckung nicht vorhandener zivilrechtlicher Ansprüche geschützt wird, so ist dabei zu berücksichtigen, dass dieser Schutz bereits durch das UN-Übereinkommen eingeschränkt wird. So ist es nicht möglich, durch die Anerkennung und Vollstreckung eines aufgehobenen Schiedsspruchs einen Verstoß gegen Art. V Abs. 1 lit. e ) UN-Übereinkommen zu begründen. Daher lässt sich leicht folgern, dass über den Vollstreckungsschutz hinaus gerade auch die Einbeziehung der wesentlichen nationalen rechtsstaatlichen Grundsätze des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaats bezweckt wird. Zwar dient die Regelung vordergründig dem Schutz von individuellen Vermögensinteressen. Geht man aber davon aus, dass Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen dem Vollstreckungsstaat ein Anerkennungs- und Vollstreckungsermessen einräumt, so wird man auch annehmen müssen, dass dieses hauptsächlich der Überprüfung des fremdstaatlichen Aufhebungsverfahrens auf Vereinbarkeit mit den wesentlichen Prinzipien der deutschen Rechtsordnung dient.

81

Siehe zur Funktion der Doppelkontrolle supra Kap. 2. A. V. 3. d).

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

(3) Geeignetheit der Regelung Ginge man davon aus, dass Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen nur dem Vollstreckungsschutz diente, so wäre die Regelung auch ohne Annahme einer Ermessensnorm grundsätzlich geeignet, diesen Zweck zu erfüllen, da in diesen berechtigten Fällen ein Vollstreckungshindernis etabliert wird. Wenn man hingegen darüber hinaus geht und annimmt, dass die Regelung auch dem Schutz der eigenen Rechtsordnung vor mit ihr nicht zu vereinbarenden­ fremdstaatlichen Aufhebungsentscheidungen dient, muss man zwingend dem Ergebnis der Analyse des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen folgen, dass es sich bei der Regelung um eine Ermessensnorm handelt. Nur eine Ermessensregelung ermöglicht, eine fremdstaatliche Aufhebung auf Vereinbarkeit mit den wesentlichen Grundzügen der deutschen Rechtsordnung zu überprüfen. Andernfalls wäre diese Regelung für den Schutz der eigenen Rechtsordnung ungeeignet. Unabhängig von diesem Problemkreis ist der ordre public-Vorbehalt des Art. V Abs. 2 lit. b) UN-Übereinkommen zu betrachten. Er bezieht sich nur auf die Frage, ob der Schiedsspruch selbst anerkennungsfähig ist. Diese Regelung kann jedoch als Anhaltspunkt dienen, dass auch Abs. 1 lit. e) nicht eine ungeprüfte Anerkennung einer ausländischen Entscheidung bezwecken kann. (4) Erforderlichkeit der Regelung Die Regelung ist erforderlich, wenn sie das mildeste Mittel darstellt, um einen Vollstreckungsschutz im Falle der Aufhebung zu gewährleisten. Eine automatische Vollstreckungsverweigerung, wie sie der französische Text des Übereinkommens suggeriert,82 würde zwar den Vollstreckungsschuldner insbesondere davor schützen, sich nicht in jedem möglichen Vollstreckungsstaat einem Exequatur-Verfahren stellen zu müssen. Jedoch würde eine solche Regelung die Interessen der Allgemeinheit, namentlich die Einbeziehung des deutschen ordre public bei der Beurteilung des fremdstaatlichen Aufhebungsakts erschweren. Insoweit stellt die Einbeziehung einer Ermessensregelung, wie sie Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ vorsieht, die mildeste Form des Eingriffs in die Rechte des Vollstreckungsschuldners dar, die gleichzeitig noch eine effektive Einbeziehung sowohl der Belange des Gläubigers wie auch wichtiger nationaler Rechtsgrundsätze des Exequaturstaats gewährleistet. Die französische Lösung, jeden Schiedsspruch nach autonomem Recht auf Antrag zu vollstrecken,83 wäre für die deutsche Rechtsordnung vor diesem Hintergrund kein gangbarer Weg. Das Eigentumsrecht des Vollstreckungsschuldners würde zu stark begrenzt und Härtefälle könnten keine Berücksichtigung mehr finden. Der 82

Siehe supra Kap. 2. A. V. 1. a) (2). Siehe supra Kap. 1. C. II. 2. a).

83

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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Vollstreckungsschuldner hätte zudem keine wirksame Möglichkeit mehr, sich in einem Verfahren wirksam rechtliches Gehör zu verschaffen. (5) Angemessenheit der Regelung Im Rahmen der Angemessenheit ist zu ermitteln, ob ein gerechter Ausgleich zwischen der Privatnützigkeit des Eigentums und der Sozialbindung des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 2 GG gefunden worden ist. Für den vorliegenden Fall ist daher zu fragen, ob in einem ausreichenden Maße die Interessen des Schiedsgläubigers auf der einen Seite und die Interessen der Allgemeinheit auf der anderen Seite, insbesondere der Schuldnerschutz und der Schutz der staatlichen Rechtsordnung vor systemfremden Beeinträchtigungen einen Ausgleich gefunden haben. Bei dieser Abwägung sollte dabei berücksichtigt werden, dass der Ursprungsstaat seine Macht, den Schiedsspruch aufheben zu können, im Einzelfall missbrauchen könnte oder die Aufhebung auf einem faktisch nicht bestehenden Grund erfolgt ist. In solchen Fällen würde die Nicht-Anerkennung des aufgehobenen Schiedsspruchs eine besondere Härte für den Schiedsgläubiger darstellen und der Schiedsschuldner würde in solchen Fällen unangemessen privilegiert, da er von einem fehlerhaften fremdstaatlichen Verfahren profitierte. Nach dem Willen der Mitgliedstaaten soll das Vermögen des Schiedsschuldners nur in den Fällen vor Vollstreckungsakten geschützt werden, wenn es tatsächlich auch schützenswert ist. Er darf also nicht auf rechtsstaatlich fragwürdige Weise die fremdstaatliche Aufhebung des Schiedsspruchs erlangt haben, sondern wird nur dann durch die Regelung geschützt, wenn er auf die Rechtswirksamkeit der fremdstaatlichen Aufhebung im Vollstreckungsstaat vertrauen darf. Auch aus Sicht des Rechtsstaatsprinzips sollte nur der Schiedsspruch vollstreckt werden, der tatsächlich rechtmäßig zustande gekommen ist, aber auch nur die fremdstaatliche Aufhebung in ihren Rechtswirkungen anerkannt werden, die noch mit den wesentlichen rechtsstaatlichen Prinzipien der deutschen Rechtsordnung vereinbar ist. Die Gefahr eines zweiten Schiedsspruchs bildet hingegen nur ein Scheinargument: Auf Seiten des Schuldnerschutzes müsste die Gefahr bedacht werden, dass im Falle der erfolgten Aufhebung ein zweites Schiedsverfahren angestrebt werden könnte und eine Doppelvollstreckung in der gleichen Sache droht. Diese Gefahr liegt letztlich jedoch nicht in der Hand des deutschen Staates und kann von diesem nicht gebändigt werden. Die Gefahr der parallel laufenden Schiedssprüche wird stets gegeben sein, solange kein einheitliches internationales Vollstreckungsgericht geschaffen wird, wie es Schwebel84 und Holtzmann85 vorgeschlagen 84 Schwebel, in: Hunter u. a. (Hrsg.), The Internationalisation of International Arbitration, S. 115 ff. 85 Holtzmann, in: Hunter (Hrsg.), id., S. 109 (112 f.).

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

haben. Der deutsche Staat kann realistisch betrachtet nur verhindern, dass zwei Schiedssprüche in gleicher Sache auf deutschem Hoheitsgebiet Rechtswirksamkeit erlangen.

(6) Zwischenergebnis Aus dem bisher Gesagten folgt, dass § 1061 Abs. 1 i. V. m. Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen nur insoweit mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist, sofern als Grundprämisse anerkannt wird, dass sich eine starre Entscheidung des Gerichts im Falle der Aufhebung aus verfassungsrechtlicher Sicht verbietet. Das Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht ist gezwungen, einerseits die Interessen der Parteien, aber andererseits auch die Interessen des Vollstreckungsschuldners und des deutschen Rechtsstaats gegeneinander abzuwägen. Dieses Erfordernis schließt eine starre Anerkennungsverweigerung aus. Das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht ist verfassungsrechtlich verpflichtet, mögliche Härtefälle durch eine kritiklose Übernahme der fremdstaatlichen Entscheidung zu vermeiden.

b) Ergebnis zu Art. 14 GG Die Erwägungen zu Art.  14 Abs.  1 GG stützen das Ergebnis der Textanalyse des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen. Eine starre Regelung, wie sie von dem französischen Vertragstext suggeriert wird, könnte von der deutschen Rechtsordnung nicht ohne weiteres akzeptiert werden und müsste dann über eine verfassungskonforme Auslegung des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen überwunden werden. Das Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht ist also verfassungsrechtlich verpflichtet, das ihm zugeschriebene Ermessen auch auszufüllen. Das Ergebnis dieser Ermessensausübung muss die Abwägung zwischen den Interessen der Schiedsparteien widerspiegeln, aber ebenso dafür Sorge tragen, dass eine mit dem deutschen ordre public nicht zu vereinbarende Entscheidung, sei es ein fehlerhafter Schiedsspruch, sei es eine nicht anerkennungsfähige Aufhebungsentscheidung, nicht durch deutsche Hoheitsträger zum Tragen kommt.

III. Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG Die Analyse des Europäischen Übereinkommens hat bereits die Frage aufgeworfen, inwieweit bei der Interpretation des UN-Übereinkommens Art. IX EuÜ als Auslegungshilfe herangezogen werden kann. Während die dynamische Auslegung auf der Grundlage des Art. 31 WVK generell ausgeschlossen werden kann, ist im Gegensatz dazu aus verfassungsrechtlicher Sicht zu untersuchen, ob der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art.  3 Abs.  1 GG für eine weitergehende

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Heranziehung des Art.  IX EuÜ spricht. Wäre dies der Fall, so dürften die Aufhebungsgründe, die nach dem Europäischen Übereinkommen ausdrücklich nicht anerkennungsfähig sind, auch im Anwendungsbereich des UN-Übereinkommens nicht anerkannt werden. 1. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Gleichheitsgrundsatzes auf die Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen a) Das Verhältnis des Gleichheitssatzes zu Art. 14 Abs. 1 GG Oftmals wird vertreten, die Prüfung des Gleichheitssatzes sei in die Prüfung des Art.  14 Abs.  1 GG im Falle von Inhalts- und Schrankenbestimmungen einzubeziehen. Zum Teil wird dies in der Literatur damit begründet, dass der Gleichheitsgrundsatz eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips gem. Art. 20 Abs. 3 GG darstelle.86 Andere verweisen zwar auf die eigentumsrechtliche Seite des Gleichheitssatzes, wollen aber die Prüfung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG vornehmen.87 Im Ergebnis besteht aber Einigkeit, dass im Falle von Inhalts- und Schrankenbestimmungen typischerweise eine Gleichheitsprüfung vorgenommen werden muss, wenn das durch die Inhalts- und Schrankenbestimmung errichtete institutionelle System eine Ungleichbehandlung verschiedener Personengruppen vorsieht.88 Dies ist im Falle des Anwendungsbereichs der beiden Übereinkommen der Fall. So kommt den Schiedsgläubigern aus einem Mitgliedstaat des ­Europäischen Übereinkommens ein für ihn günstigerer Anerkennungs- und Vollstreckungsstandard zugute als einem Schiedsgläubiger, der Staatsangehöriger eines Staates ist, der nur Mitglied des UN-Übereinkommens geworden ist. b) Das Verhältnis der beiden Vollstreckungsübereinkommen als Ausgangspunkt für die Gleichheitsprüfung Die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG auf die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen anzuwenden erscheint prima facie zunächst abwegig, da die Mitgliedschaft des Heimatstaates in einem bestimmten Vertragsstatut durchaus einen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Behandlung darstellen kann. Es besteht aber ein verfassungsrechtliches Problem im Bereich des Gleichheitsgrundsatzes, das im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des UNÜbereinkommens Berücksichtigung finden sollte. Mit der Ratifikation des Euro­ päischen Übereinkommens hat der deutsche Gesetzgeber den Kreis der zulässigen 86

Papier, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Komm., Art. 14 Rn. 269. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm., Art. 14 Rn. 63. 88 Ibid. 87

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Aufhebungsgründe für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten begrenzt und bestimmte, vom Europäischen Übereinkommen nicht erfasste Aufhebungsgründe als nicht anerkennungsfähig definiert. Diese Aufhebungsgründe sollen nach dem Willen der Vertragsstaaten des Europäischen Übereinkommens international keine Verbindlichkeit beanspruchen können. Dies ist zwar für den Rechtsverkehr mit den Staaten vereinbart worden, denen man ein besonderes Misstrauen entgegenbringt bzw. -gebracht hat. Fraglich ist jedoch, ob eine nationalitätsbezogene Differenzierung bei der Behandlung der Schiedsgläubiger aufgrund der Mitgliedschaft in verschiedenen Vollstreckungsübereinkommen tatsächlich auf einer verfassungsrechtlich ausreichenden Grundlage basiert. Möglicherweise ist hier eine Gleichheitsprüfung unter Einbeziehung von Verhältnismäßigkeitserwägungen sinnvoll und geboten. Sicherlich lässt sich hiergegen einwenden, dass die Mitgliedschaft in einem gesonderten Vertrag einen ausreichenden Grund für eine veränderte Ermessensentscheidung darstellt. Auf den zweiten Blick überzeugt diese Ansicht jedoch nicht völlig. Wenn der Gesetzgeber bestimmte Aufhebungsgründe als unzulässig bezeichnet und der Judikative bei der Ausübung des UN-Übereinkommens eine Ermessensentscheidung bei der Anerkennung und Vollstreckung zusteht, dann muss in diese Ermessensentscheidung auch die Wertentscheidung mit einfließen, die der Gesetzgeber bei der Transformation des Europäischen Übereinkommens getroffen hat. Denn auch bei der nationalen einfachgesetzlichen Interpretation ist anderes Gesetzesrecht zu berücksichtigen, sofern sich keine Widersprüche zwischen den einzelnen Gesetzeswerken ergeben. Anders formuliert könnte das Transformationsgesetz zum Europäischen Übereinkommen auf inhaltlicher Ebene kein „Spezial­gesetz“ für die Schiedssprüche aus den europäischen Mitgliedstaaten sein, da sich keine Widersprüche zum UN-Übereinkommen ergeben, sondern eine Ergänzung des UN-Übereinkommens darstellen. Die Wertentscheidungen des Europäischen Übereinkommens könnten dann über die Ermessensentscheidung des Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ weitergehende Beachtung finden. Ausgangspunkt für die Prüfung des Gleichheitsgrundsatzes im Bereich der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche ist die Erwägung, dass die beiden möglicherweise einschlägigen Vollstreckungsübereinkommen grundsätzlich aufeinander aufbauen. Das UN-Übereinkommen verbietet, wie bereits geprüft, keinesfalls eine Vorgehensweise, die durch das Europäische Übereinkommen vorgesehen ist. Im Falle eines aufgehobenen Schiedsspruchs präzisiert das Europäische Übereinkommen den Prüfungsmaßstab und Ermessensspielraum des Art. V Abs. 1 lit e) UN-Übereinkommen. Es handelt sich bei dem Euro­päischen Übereinkommen also nicht um ein komplett anderes Vertragswerk, sondern um eine mögliche Auslegungsalternative zu Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen. Die beiden Verträge können also nebeneinander angewandt werden und stehen insoweit nicht in einem Konkurrenzverhältnis. Folgt man dieser Ansicht, dann ist der Gleichheitssatz sehr wohl auf eine völkervertraglich bedingte Ungleichbehandlung im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren anwendbar.

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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Der Schiedsgläubiger des UN-Übereinkommens hätte demnach zum einen Anspruch auf eine willkür- und ermessensfehlerfreie Entscheidung des Anerkennungs- und Vollstreckungsgerichts gem. Art. 3 Abs. 1 GG bzw. aufgrund des im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes. 2. Ungleichbehandlung Der Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet zunächst, dass wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich durch den Gesetzgeber geregelt werden muss.89 Verboten ist demnach auch ein gleichheitswidriger Ausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreise gewährt und einem anderen vorenthalten wird.90 In der Gruppe der Schiedsgläubiger von im Ausland aufgehobenen Schiedssprüchen (tertium comparationis) werden die Schieds­gläubiger aus einem Schiedsspruch, der nach dem UN-Übereinkommen beurteilt werden muss, anders behandelt als diejenigen Schiedsgläubiger eines Schiedsspruchs, auf den zusätzlich das EU-Übereinkommen anwendbar ist. Denn die Aufhebungsurteile hinsichtlich der Schiedssprüche, auf die das Europäische Übereinkommen anwendbar ist, werden auf die zulässigen Aufhebungsgründe hin überprüft, während eine solche Überprüfung nach dem UN-Übereinkommen zurzeit durch die deutsche zivilgerichtliche Judikatur nicht vorgenommen wird. Diese beiden Vergleichsgruppen werden also zurzeit durch die zivilgerichtliche Praxis ungleich behandelt. 3. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung a) Willkürkontrolle Eine solche Ungleichbehandlung ist nach der älteren Judikatur, die sich auf eine bloße Willkürkontrolle beschränkt hat, dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn ein sachlicher Grund für die Differenzierung vorhanden ist. Grundsätzlich könne der Gesetzgeber selbst entscheiden, welche Kriterien er für eine unterschiedliche Behandlung als wesentlich betrachtet. Die Rechtsprechung des BVerfG weist dem Gesetzgeber dementsprechend einen weiten Spielraum zu, welche Elemente der zu ordnenden Lebensverhältnisse er hier als maßgeblich einstuft.91 Ein solcher „vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund“92 für eine unterschiedliche Behandlung liegt im 89 BVerfGE 116, 164 (180); 122, 210 (230); 123, 111 (119); 124, 199 (218); 126, 268 (277); 127, 224 (244); 129, 49 (68); zur Rechtsentwicklung: Hesse, AöR 109 (1984), S. 174 ff. 90 BVerfGE 110, 412 (431); 112, 164 (174); 126, 400 (416); 129, 49 (68). 91 BVerfGE 50, 57 (77). 92 BVerfGE 55, 114 (128); 71, 255 (271); 81, 108 (117); 83, 395 (401); 84, 348 (359); 103, 242 (258).

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Falle der im Ausland aufgehobenen Schiedssprüche bereits in der unterschiedlichen Regelung in den beiden betreffenden völkerrechtlichen Verträgen und der damit bezweckten Gegenseitigkeit der verfahrensrechtlichen Regelungen. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich gegenüber den anderen Mitgliedstaaten des Europäischen Übereinkommens also gerade auch deshalb zu einer abweichenden Praxis verpflichtet, weil auch die anderen Mitgliedstaaten sich gegenüber den eigenen Staatsangehörigen zu dieser Praxis verpflichten. An dieser Begründung lassen sich allerdings auch Zweifel anbringen. Denn die Begrenzung der anerkennbaren Aufhebungsgründe kann zum einen letztlich je nach Fallkonstellation gerade auch den eigenen Staatsangehörigen zugutekommen. Es ist deshalb nicht unbedingt sinnvoll, in diesen Fällen auf die Reziprozität abzustellen. Zum anderen dient eine solche Regelung auch dem Schutz der eigenen Rechtsordnung. Fremdstaatliche Aufhebungen, die möglicherweise willkürlich erfolgt sind, sollen auf dem deutschen Staatsgebiet nicht zum Tragen kommen. Ob in diesen Fällen dann tatsächlich ein sachlicher Grund für eine solche Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit sinnvoll ist, kann daher bezweifelt werden. b) Anwendbarkeit der sog. „neuen Formel“ Die Willkürformel wurde im Jahr 1980 durch die so gennante „neue Formel“ ergänzt.93 Nach dieser Rechtsprechung des BVerfG seien je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber maßgeblich, die „stufenlos von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen reichen können“.94 Das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG sei dann verletzt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können“.95 Das BVerfG geht dabei nur in den Fällen über die bloße Willkürkontrolle hinaus, in denen die Belastungen des Bürgers durch die Ungleichbehandlung besonders intensiv sind. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn das staatlich gesetzte Differenzierungskriterium nicht sach- bzw. verhaltensbezogen sei, sondern eine personenbezogener Unterscheidungsgrund vorliegt. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers seien dann umso engere Grenzen gesetzt, je mehr sich diese personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten annähern.96 Dieses 93 BVerfGE 55, 72 (88); st. Rspr.; im Vorfeld bereits ähnlich Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, S. 54 ff. 94 BVerfGE 129, 46 (69). 95 BVerfGE 55, 72 (88); 122, 151 (174); 124, 199 (199); 126, 233 (263); 129, 43 (69). 96 BVerfGE 88, 87 (96); 101, 275 (290 f.); zustimmend Sachs, JuS 1997, S. 129.

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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spezielle Diskriminierungsverbot verbietet insbesondere eine Ungleichbehandlung aufgrund der Heimat und Herkunft einer Person. Dabei sei diese engere Bindung des Gesetzgebers auch schon dann anzunehmen, wenn er durch die Regelung von Sachverhalten Personengruppen mittelbar einer Ungleichbehandlung unterwirft.97 Letztlich ist die Unterscheidung zwischen sach- bzw. verhaltensbezogenen Merkmalen einerseits und personenbezogenen Merkmalen andererseits nicht sehr trennungsscharf, da eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten zumindest mittelbar auch immer eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt.98 Entscheidend scheint zu sein, inwieweit die Gruppeneinteilung von der benachteiligten Person beeinflussbar ist, also insbesondere die Frage, ob die Betroffenen durch eigenes Verhalten das Kriterium erfüllen können. Die Anwendbarkeit des Eu-Übereinkommens richtet sich gem. Art.  I Abs.  1 danach, ob sich der gewöhnliche Aufenthaltsort bzw. der Unternehmenssitz der Schiedsparteien in Mitgliedstaaten des Übereinkommens befinden. Es handelt sich daher um ein eher personenbezogenes Differenzierungskriterium. Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort einer natürlichen Person bzw. an den Unternehmenssitz der juristischen Person ist mit dem Kriterium der „Heimat“ i. S. d. Art. 3 Abs. 3 GG nicht unbedingt gleichzusetzen. Mit „Heimat“ nehme das GG Bezug auf einen emotionalen Bezugspunkt, mit „Herkunft“ sei hingegen die gesellschaftliche Stellung gemeint.99 Das Grundgesetz nimmt ausdrücklich nicht Bezug auf die Staatsangehörigkeit. Das Kriterium des gewöhnlichen Aufenthaltsorts einer natürlichen Person kommt jedoch dem grundgesetzlichen Kriterium „Heimat“ recht nahe, auch wenn die emotionale Komponente natürlich nicht ohne weiteres feststellbar ist. Hinsichtlich des Kriteriums des Unternehmenssitzes kann man der vom BVerfG präferierten Sitztheorie diese mit der Staatszugehörigkeit einer juristischen Person gleichsetzen. Bei einer juristischen Person wird man jedoch kaum auf eine emotionale Komponente abstellen können, um die Staatszugehörigkeit mit dem Begriff „Heimat“ in Einklang zu bringen. Das BVerfG hat allerdings in einer neueren Entscheidung das Kriterium „Staatsangehörigkeit“ ausdrücklich einer Prüfung durch die neuere Formel im Rahmen der Prüfung des­ allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes unterworfen.100 97

BVerfGE 88, 87 (96); 89, 15 (22 f.); 89, 365 (375); st. Rspr. Albers, JuS 2008, S.  946; Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Komm., Anh. Art.  3, Rn. 9; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., Art. 3 Rn. 21; Sachs, JuS 1997, S. 128. 99 BVerfGE 9, 124 (128). 100 BVerfGE  130, 240 (253): „Es ist dem Gesetzgeber nicht generell untersagt, nach der Staatsangehörigkeit zu differenzieren (vgl. BVerfGE 116, 243 [259]). Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz bedarf es für die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit als Unterscheidungsmerkmal jedoch eines hinreichenden Sachgrundes. Dass die Staatsangehörigkeit kein generell unzulässiges Differenzierungsmerkmal ist, bedeutet nicht umgekehrt, dass eine grundlose Ungleichbehandlung von Ausländern und Deutschen vor Art. 3 Abs. 1 GG Bestand haben könnte  […]. Die Entscheidung des Verfassungsgebers, den allgemeinen Gleichheitssatz als Menschenrecht auszugestalten, das nicht auf Deutsche beschränkt ist, liefe ansonsten ins Leere und verlöre damit ihren Sinn.“ 98

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Hinzu komme nach Ansicht des BVerfG, dass die Erfordernisse an das gesetzgeberische Verhalten umso höher lägen, desto stärker grundrechtlich geschützte Freiheiten von der Differenzierung nachteilig betroffen sind.101 Wie geprüft, fällt ein ausländischer Schiedsspruch grundsätzlich in den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG. Entscheidend muss hier sein, dass sich für den Schiedsgläubiger das Unter­ scheidungskriterium der Anwendbarkeit des Eu-Übereinkommens, das sich auf die Anwendbarkeit des jeweiligen völkerrechtlichen Vertrages auswirkt, als von ihm selbst nicht mehr beeinflussbar und damit als besonderes intensive Beschränkung darstellt. Nach den vom BVerfG aufgestellten Kriterien muss demzufolge ein Prüfungsmaßstab angelegt werden, der über eine bloße Willkürkontrolle hinausgeht. c) Kritik an der „neuen Formel“ Es soll hier nicht verschwiegen werden, dass die neue Formel gerade in jüngster Zeit gesellschaftlicher Kritik ausgesetzt war. Ihre Anwendung bedeutet nämlich faktisch, dass Ermessensgründe der Politik im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens durch das BVerfG negiert werden können.102 Es handelt sich also im Vergleich zur bloßen Willkürkontrolle um eine erhebliche Ausweitung der verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte, die mit einer Einschränkung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einhergeht.103 Dies wird bisweilen als zu weit gehende Einmischung der Judikative in die Angelegenheiten der Legislative verstanden. Die Literaturstimmen sind geteilt. Einige Autoren wenden sich aus dogmatischen Gründen gegen die „neue Formel“. Es handele sich bei ihr um eine unzulässige Vermischung von Gleichheits- und Freiheitsrechten. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung könne überhaupt nicht auf Gleichheitsrechte übertragen werden.104 101

BVerfGE 60, 123 (134); 82, 126 (146). So wurde das BVerfG insbesondere nach der Entscheidung zur Gleichstellung von homosexuellen Lebenspartnerschaften bei der Kindesadoption (Urteil v. 19.02.2013, 1  BvL 1/11) gerade für die Anwendung der neuen Formel namentlich von Politikern der CDU/CSU kritisiert. Die Rechtsprechung müsse wichtige Wertentscheidungen der Politik überlassen, vgl. Zeit­ online v. 03.03.2013, „Union greift Verfassungsgericht offen an“; Die Welt online v. 08.07.2013, „Kritik am Verfassungsgericht schlägt hohe Wellen“. 103 So Sondervotum Katzenstein zum Ausschluss von Studierenden vom Bezug des Arbeitslosengeldes, BVerfGE 74, 28 (30); Hesse, AöR 109 (1984), S. 193; Heun, in: Merten/Papier (Hrsg.), Hdb. der Grundrechte, Bd. II, § 34 Rn. 44; Michael/Morlok, Rn. 757; Schwarz, JuS 2009, S. 317; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Ders. (Hrsg.), GG-Komm., Art. 3 Abs. 1 Rn. 12: „Über gewagte Richtigkeitskriterien darf der Richter nicht zum eigentlichen Gesetzgeber erhoben werden.“ 104 Grundlegend Huster, S. 142 ff; ihm zustimmend: Heun, in: Merten/Papier (Hrsg.), Hdb. der Grundrechte, Bd. II, § 34 Rn. 44 f.; J. Ipsen, Rn. 767 ff.; P. Kirchhof, in: Isensee/Ders., Hdb. des StaatsR1, Bd. V, § 124 Rn. 161 ff; Sachs, JuS 1997, S. 129; Schwarz, JuS 2009, S. 319. 102

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Das Übermaßverbot sei dafür geschaffen worden, im bipolaren Verhältnis zwischen Bürger und Staat einen sachgemäßen Ausgleich zwischen den Belastungen des Einzelnen und dem Allgemeinwohl zu gewährleisten. Der Gleichheitsgrundsatz gehe hingegen von einem Dreiecksverhältnis zwischen Staat und den beiden Vergleichsgruppen aus. Es fehle in diesen Fällen an einem Ziel im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation, die einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterworfen werden könne.105 Zudem sei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Gleichheitssatzes auch überflüssig. Da Gleichheitsgrundrechte und die speziellen Freiheitsgrundrechte sich nicht untereinander ausschlössen, müsse im Rahmen des speziellen Freiheitsgrundrechts ohnehin eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden.106 Diese Prüfung müsse auch den Gleichheitsgrundsatz beachten. Andere Literaturstimmen unterstützen den Ansatz des BVerfG uneingeschränkt, dass ein sachlicher Grund bei intensiveren Eingriffen auch Verhältnismäßigkeitsprinzipien entsprechen müsse.107 Osterloh argumentiert, der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG sei isoliert betrachtet „semantisch leer“ und werde nur durch die Freiheitsgrundrechte und ihren gemeinsamen Prüfungsmaßstab, die Verhältnismäßigkeitsprüfung, aufgeladen.108 Es sei aber andererseits keineswegs immer so, dass sich Freiheits- und Gleichheitsrechte gegenseitig verstärkten. Wenn sich das Freiheitsrecht wie im Falle des Art. 14 GG tatbestandlich eher auf sach­ bezogene statt personenbezogene Merkmale bezöge, so würden durch die beiden Verhältnismäßigkeitsprüfungen unterschiedliche Aspekte erfasst.109 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Freiheitsrechts könne daher in diesen Fällen die Prüfung der „neuen Formel“ nicht ersetzen. Obwohl dieser grundsätzliche Streit bereits einige Jahrzehnte andauert, hat sich die Anwendung von Verhältnismäßigkeitselementen zu Recht in der Recht­ sprechung durchgesetzt. Auch in der Literatur scheint zurzeit eher um die Frage gestritten zu werden, welche Elemente der Verhältnismäßigkeitsprüfung sachgemäß im Rahmen des Gleichheitssatzes Verwendung finden können.110 Mittlerweile 105

Huster, S. 130; Heun, id., § 34 Rn. 44; G. Müller, VVDStRL 47 (1989), S. 41. Heun, id., § 34 Rn.  45; Starck, in: v.  Mangoldt/Klein/Ders. (Hrsg.), GG-Komm., Art.  3 Abs. 1 Rn. 11. 107 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Komm., Anh. Art. 3 Rn. 10: „Der Gedanke, dass die Gründe für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung umso schwerwiegender sein müssen, je gravierender der Grad der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung ist, ist aus sich heraus überzeugend, und zwar für alle Fälle der Gleich- bzw- Ungleichbehandlung.“; G. Müller, VVDStRL 47 (1989), S.  44 f.; Osterloh, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., Art.  3  Rn. 33: „Bedenkt man, dass auch innerhalb der Verhältnismäßigkeitsabwägungen die Kontrolldichte sach- und regelungsspezifisch sehr variabel bis zur Evidenzprüfung zurückgeschraubt werden kann, so bleibt für die Prüfung eines zusätzlichen eigenständigen Willkürverbots innerhalb des Art. 3 I kein Raum mehr“. 108 Osterloh, EuGRZ 2002 S. 311. 109 Boysen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm., Art. 3 Rn. 108. 110 So auch Kischel, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG-Komm., Art. 3 Rn. 27. 106

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

scheint Einigkeit zu bestehen, dass nicht jeder sachliche Grund eine ausreichende Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung bieten kann.111 Gleichzeitig ist den Kritikern aber auch Recht zu geben, dass der Gleichheitsgrundsatz nicht komplett in einer Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgehen sollte, weil diese tatsächlich nicht für ein Dreiecksverhältnis geschaffen worden ist und dogmatisch schlichtweg nicht passt. Wollte man in jedem Fall eine solche Verhältnismäßigkeits­prüfung vornehmen, würde dies zudem tatsächlich eine starke Bevormundung der Legis­ lative durch das BVerfG bedeuten. Das BVerfG hat bisher aber einen vermittelnden und ausgewogenen Weg ein­ geschlagen. Es nutzt die neue Formel nur in den „Extremfällen“, in denen die individuelle Freiheit in besonders intensiver Weise eingeschränkt wird. In diesem Punkt liegt schon die entscheidende Abwägungsfrage dieser Fälle: Wann überwiegt das Freiheitsinteresse des Individuums gegenüber dem gesetzgeberischen Ermessen?112 Der zugegebenermaßen bisher noch etwas verwaschene Ansatz, hier ein gestuftes System zur Einstufung der Intensität zu entwickeln, dürfte der nächste Entwicklungsschritt sein. d) Verhältnismäßigkeitsprüfung Intensiv wirkende Differenzierungskriterien seien nach der sog. „neuen Formel“ des 1. Senats des BVerfG nur dann gerechtfertigt, wenn zwischen den verschiedenen Normadressaten Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.113 Der Gesetzgeber verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG insbesondere „wenn sich für die Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zum Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden [lasse]“.114 In den Fällen, in denen keine unmittelbare personenbezogene Anknüpfung besteht, hat sich das BVerfG dabei in einigen Fällen auf die Untersuchung der Frage beschränkt, ob der Gesetzgeber sachwidrige Gründe für seine Differenzierung herangezogen hat.115 Das Unterscheidungskriterium „Anwendbarkeit der jeweiligen Vollstreckungsübereinkommen auf den aufgehobenen Schiedsspruch aufgrund des Wohnsitzes bzw. des Sitzortes der Schiedsparteien“ knüpft über den Schiedsspruch mittelbar an die Herkunft der Schiedsparteien an. Das Kriterium muss also einem legitimen Zweck dienen, der zumindest geeignet ist, diesen Zweck zu erreichen. 111

Huster, S. 240. So auch Sachs, JuS 1997, S. 128. 113 BVerfGE 55, 72 (88); st. Rspr.; zuletzt BVerfGE 122, 151 (174); 124, 199 (199); 126, 233 (263); 129, 43 (69). 114 BVerfGE 102. 68 (87). 115 BVerfGE 89, 365 (377) für die Frage, ob eine Zwangsmitgliedschaft in einer Krankenkasse ausschließe, dass Krankenkassen unterschiedliche Beiträge erheben. 112

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Ein ausdrücklicher Schutzzweck wird nur in der Präambel des Europäischen Übereinkommens genannt. Die Entwicklung des europäischen Handels solle gefördert werden und gewisse Schwierigkeiten beseitigt werden, die die internatio­ nale Handelsschiedsgerichtsbarkeit gefährden. Die Förderung des Handels und der Schiedsgerichtsbarkeit ist letztlich auch das Hauptziel des UN-Übereinkommens, wie die Analyse des UN-Übereinkommens aufgezeigt hat. Die vom UNÜbereinkommen abweichende Regelung des Art. IX Abs. 1 Eu-Übereinkommen, die die anerkennungsfähigen Aufhebungsgründe festlegt, kann letztlich nur drei Schutzrichtungen haben. Sie dient 1.) dem Schutz der eigenen Rechtsordnung, 2.) der Durchsetzung eines einheitlichen Anerkennungs- und Vollstreckungsstandards auch zu Gunsten der eigenen Staatsangehörigen im Ausland und 3.) dem Schutz des Schiedsgläubigers vor willkürlicher Behandlung im Sitzstaat des Schiedsgerichts.

(1) Höherer Kontrollstandard für europäische Staaten zum Schutze der eigenen Rechtsordnung Ein Zweck des 1961 entstandenen Eu-Übereinkommens ist die Etablierung eines gesteigerten Vollstreckungsstandards für die in den europäischen Staaten aufgehobenen Schiedssprüche, um die Anerkennung der von der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats nicht zu akzeptierenden Aufhebungen zu unterbinden. Fraglich ist schon, ob dies wirklich ein geeigneter Unterscheidungsgrund sein kann. Denn es ist sicherlich nach Ende des Kalten Kriegs und der starken Erweiterung des Grundrechtsschutzes durch EU und EMRK nicht verständlich, warum den europäischen Staaten ein geringeres Vertrauen entgegengebracht werden muss, als den übrigen Staaten, die lediglich Mitglied des UN-Übereinkommens geworden sind. Folge dieser Differenzierung wäre in vielen Fällen, dass Staaten, die eine ähnliche Rechtskultur wie Deutschland aufweisen, ein erheblich größeres Misstrauen entgegengebracht wird als den außereuropäischen Staaten, deren rechtsstaatliche Verhältnisse durchaus zweifelhaft sein können. Der ursprüngliche Differenzierungsgrund ist daher mittlerweile entfallen.

(2) Gegenseitigkeitskriterium als Unterscheidungsgrund Ein weiterer Grund für die Differenzierung könnte das völkervertragliche Prinzip der Gegenseitigkeit sein, um einen einheitlichen Schutzstandard in allen Vertragsstaaten des Eu-Übereinkommens zu gewährleisten. Jede Vertragspartei hätte sich danach nur deshalb zur Einhaltung des Übereinkommens verpflichtet, weil sie davon ausgeht, dass eigene Staatsangehörige im anderen Vertragsstaat ebenfalls von dieser Regelung profitieren. Nun ist es aber gerade nicht so, dass das Übereinkommen auf die Staatsangehörigkeit abstellt. Das Übereinkommen macht keinen

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Unterschied hinsichtlich der Nationalität des Schiedsgläubigers, sondern stellt auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw. den Unternehmenssitz ab. Dementsprechend könnte sich auch eine natürliche Person mit der Staatsangehörigkeit eines Nicht-Vertragsstaats auf die Regelungen des Eu-Übereinkommens berufen. Der Schwerpunkt des Schutzinteresses lag daher nicht auf dem Schutz eigener Staatsangehöriger, sondern auf dem Schutz der eigenen Rechtsordnung vor der Anerkennung ausländischer rechtswidriger Aufhebungen durch die Etablierung eines einheitlichen europäischen Standards. Das Erfordernis der zwischenstaatlichen Gegenseitigkeit spielt für diesen Vertrag im Gegensatz zu anderen zwischenstaatlichen Verträgen also nur eine untergeordnete Rolle. (3) Missbrauchsschutz des Schiedsgläubigers Das Eu-Übereinkommen geht, wie bereits geschildert, über den durch das UNÜbereinkommen geschaffenen Mindeststandard für den Schiedsgläubiger hinaus. Wenn man als Schutzgut der beiden Übereinkommen hauptsächlich den Schutz des Schiedsgläubigers vor staatlichen Missbrauch identifiziert, dann ist die Unterscheidung nach dem Ursprung des Schiedsspruchs aus verfassungsrechtlicher Sicht umso erstaunlicher, da der deutsche Gesetzgeber hier mit dem Zustimmungsgesetz zum Eu-Übereinkommen bestimmte Aufhebungsgründe als unzulässig und für die deutsche Rechtsordnung als nicht anerkennungswürdig erkannt hat. Wenn aber in einer ähnlichen Situation ein Schiedsgläubiger eines Schiedsspruchs aus dem UN-Übereinkommen vollstrecken will, dann müsste demgemäß diese Wertung des Eu-Übereinkommens mitberücksichtigt werden. Die von der deutschen zivilgerichtlichen Praxis vollzogene Ungleichbehandlung zwischen den beiden Vergleichsgruppen muss daher soweit aufgelöst werden, dass bei der Auslegung des UN-Übereinkommen die vom Eu-Übereinkommen aufgestellten allein zulässigen Aufhebungsgründe berücksichtigt werden müssen. Ansonsten wäre eine Differenzierung nicht verhältnismäßig und es läge eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG vor. 4. Zwischenergebnis Folgt man der Einschätzung, dass der Prüfungsmaßstab des BVerfG im Falle der Behandlung von aufgehobenen Schiedssprüchen über eine bloße Willkürkontrolle hinausgeht, wird man in der unterschiedlichen Behandlung von Schieds­sprüchen nach dem jeweiligen Vertragsstatut eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG annehmen und daher die nicht zu berücksichtigenden Aufhebungsgründe des Art.  IX Eu-Übereinkommen bei der Auslegung des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen berücksichtigen müssen. Dies soll nicht heißen, dass diese Verfassungsnorm grundsätzlich geeignet ist, das Vertragsstatut auszuwechseln. Dies ist in aller Regel ausgeschlossen und auch nicht wünschenswert.

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

169

Der Ansatzpunkt für den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz liegt darin, dass 1.) beide Verträge den gleichen Sachverhalt regeln, nämlich die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, 2.) beide Vertragswerke sich inhaltlich nicht widersprechen, sondern tatsächlich aufeinander aufbauen, und 3.) ein besonders intensiv wirkendes Differenzierungskriterium vorliegt, da die Anwendbarkeit der Verträge mittelbar an den gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw. den Unternehmenssitz der Schiedsparteien anknüpft. Nach den von der bisherigen Judikatur des BVerfG entwickelten Grundsätzen ist eine Anwendbarkeit der sog. neuen Formel und damit von Verhältnismäßigkeitselementen geboten.

IV. Der personenbezogene Prüfungsmaßstab bei der Ermessensausübung Abgesehen von den Justizgrundrechten, auf die sich nach ganz herrschender Meinung als wesentliche Ausprägung des Rechtsstaats jede natürliche und juristische, inländische wie ausländische Person berufen darf, ist bei den anderen zu prüfenden Grundrechten, insbesondere Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG der persönliche Schutzbereich genauer zu bestimmen. Zum einen ist fraglich, ob der Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Ermessensausübung des deutschen Gerichts sich danach unterscheidet, welche Grundrechte der jeweilige Schiedsgläubiger als Vollstreckungskläger für sich in Anspruch nehmen kann, oder ob ein einheitlicher Prüfungsmaßstab unabhängig vom betroffenen Personenkreis anzulegen ist. Diese Frage ist deshalb entscheidend, weil der persönliche Schutzbereich der Grundrechte hier zwischen ausländischen natürlichen oder juristischen Personen unterscheidet.

1. Die natürliche Person als Schiedsgläubiger Der Regelfall, den das deutsche Grundgesetz vorgesehen hat, ist der der natürlichen Person, die über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt. Unabhängig von der Staatsangehörigkeit verfügt sie unproblematisch über die Grundrechtsträgerschaft und kann sich als Schiedsgläubigerin auf alle in Frage kommenden Grundrechte berufen. Ergänzt wird dieser Schutzstandard im Falle des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens durch das Rechtsstaatsprinzip des Art.  20 Abs.  3 GG, das garantiert, dass eine im Wesentlichen nicht mit dem deutschen Rechtssystem zu vereinbarende ausländische Entscheidung nicht in die deutsche Rechtsordnung Eingang finden darf. Nach der Konstruktion der Art.  14 und 3 GG als „Jedermanns“-Grundrechte differenziert das Grundgesetz nicht danach, ob eine inländische oder eine ausländische natürliche Person als Schiedsgläubigerin auftritt. Dieser Schlussfolgerung ergibt sich auch aus Art. 19 Abs. 3 GG, der den personellen Schutzbereich nur zu

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Ungunsten juristischer Personen einschränkt. Der Schutzbereich ist hinsichtlich ausländischer natürlicher Personen also insoweit auch nicht auf EU-Bürger eingeschränkt. Die Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung mit natürlichen Personen als Schiedsgläubiger ist daher stets auf ihre Grundrechtskonformität überprüfbar. 2. Der Schutz der „inländischen“ juristischen Person In der Praxis wird dieser Grundfall des Grundgesetzes aber eher selten auftreten. Wenn überhaupt ein deutscher Schiedsgläubiger vorhanden sein wird, der den aufgehobenen Schiedsspruch auf deutschem Boden vollstrecken lassen möchte, dann wird es sich sehr häufig nicht um eine natürliche, sondern um eine juristische Person in Form einer Kapitalgesellschaft handeln. Ihre Rechte bestimmen sich ganz wesentlich danach, ob es sich bei ihr um eine „inländische“ juristische Person handelt. Ob eine juristische Person im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG „inländisch“ ist, und sich damit weitergehend auch auf die Grundrechte beziehen kann, bestimmt sich nach ihrer Staatszugehörigkeit. Diese ist für das deutsche Verfassungsrecht nach ganz herrschender Ansicht nach dem Ort des effektiven Verwaltungssitzes, also nach dem durch die juristische Person selbst gewähltem Aktionszentrum zu bestimmen (sog. Sitztheorie)116. Zwar hat der EuGH mit seiner Überseering-Entscheidung die Sitztheorie für das Internationale Privatrecht als europarechtswidrig erkannt und präferiert hingegen die sogenannte Gründungstheorie, nach der für die Bestimmung der Staatszugehörigkeit das Recht ausschlaggebend sei, auf dessen Grundlage die jeweilige juristische Person gegründet worden ist.117 Der EuGH hatte in der genannten Rechtssache darüber zu entscheiden, welche nationale Rechtsordnung auf die juristische Person anwendbar ist, und wollte mit der Anwendung der Gründungstheorie im Wesentlichen verhindern, dass die Rechtsfähigkeit der juristischen Person bei Anwendung der Sitztheorie entfallen könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn eine Rechtsform gewählt worden wäre, die in dem Staat des effektiven Verwaltungssitzes nicht existiert.118 In solchen Fällen könnte so die Niederlassungsfreiheit unterlaufen werden. Für das Verfassungsrecht dürfte dieses Urteil jedoch nicht ausschlaggebend sein, da Art. 19 Abs. 3  GG einen anderen Schutzzweck als das Europarecht verfolgt. Der Ansatz des Verfassungsrechts ist auch losgelöst von demjenigen des Internationa 116 BVerfGE  21, 207 (209); Heintzen, in: Merten/Papier (Hrsg.), Hdb. der Grundrechte, Bd. II, § 50 Rn. 10; Isensee, in: Ders./Kirchhof, Hdb. des StaatsR3, Bd. IX, § 199 Rn. 66. 117 EuGH, Urteil v. 05.11.2002, Rs. C-208/00, Überseering BV gegen Nordic Construction Company Baumanagement GmbH, Slg. 2002, I-9919. 118 EuGH, id., Rn. 59 ff.

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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len Privatrechts. Im deutschen Verfassungsrecht ist die ausländische juristische Person als solche bereits als rechtsfähig anerkannt. Die Frage, ob eine juristische Person als „inländisch“ angesehen werden kann, dient lediglich zur Bestimmung der Grundrechtsträgerschaft und nicht, ob diese Person selbst tatsächlich rechtlich existiert.119 Für die Anwendung der Sitztheorie auf dem Gebiet des Verfassungsrechts sprechen hingegen Erwägungen, die schon zur Ausgestaltung des Art. 19 Abs. 3 GG geführt haben mögen. Im Wesentlichen wird dabei auf die größere Schutzwürdigkeit der juristischen Person mit deutschem Verwaltungssitz abgestellt: Zum einen sei zu berücksichtigen, dass die ausländische juristische Person sich weitgehend einer inländischen Kontrolle entziehen könne,120 also eine wesentlich größere Machtposition innehabe als die inländische juristische Person.121 Dabei müsse auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass eine ausländische juristische Person stets noch in der Rechtsordnung ihres Verwaltungssitzes verwurzelt bleibt, während die natürliche Person während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland weitgehend dem Zugriff durch ihren Heimatstaat entzogen ist.122 Die juristische Person mit Verwaltungssitz auf dem Gebiet der Bundes­republik Deutschland ist also insoweit schutzbedürftiger als eine juristische Person, die zwar nach deutschem Recht gegründet worden ist, aber vom Ausland aus operiert.123 Auch wenn man diesem Argument entgegenhalten kann, dass auch die ausländische juristische Person bei wirtschaftlicher Betätigung im Inland oft in gleicher Weise wie die inländische der deutschen Hoheitsgewalt ausgesetzt ist und damit oftmals eine gleichartige Betroffenheit gegeben sein wird,124 so kann doch nicht in jedem Fall der Betätigung eines multinationalen Unternehmens ausgeschlossen werden, dass sich dieses beispielsweise durch schnelle Verlagerung des Vermögens dem Zugriff durch den deutschen Staat entziehen könnte. Schließlich lässt sich auch nicht argumentieren, dass die Anwendung der Sitztheorie eine Ausnahme in der internationalen Praxis darstelle, zumal selbst der Internationale Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Bestimmung der Staatszugehörigkeit die Sitztheorie ausdrücklich als zulässiges Kriterium zur Bestimmung der Staatszugehörigkeit herangezogen hat.125 Das BVerfG ist im Ergebnis also durch das­ Urteil des EUGH nicht gehindert, weiterhin die Sitztheorie für die Interpretation des Begriffs „inländisch“ des Art. 19 Abs. 3 GG heranzuziehen.126 119

So auch Dreier, in: Ders. (Hrsg.), GG-Komm., Art. 19 Rn. 79. Guckelberger, AöR 129 (2004), S. 620 u. 626. 121 Bethge, S. 47. 122 Guckelberger, AöR 129 (2004), S. 620 u. 624. 123 Guckelberger, AöR 129 (2004), S. 627 f. 124 Degenhart, EuGRZ 1981, S. 163 f. 125 IGH, Urteil vom 05.02.1970, Barcelona Traction Power and Light Company Ltd., Belgium ./. Spain, 2nd phase, ICJ Reports 1970, S. 3 ff., Rn. 70. 126 Im Ergebnis so auch Weinzierl, S. 71 f.; nicht ausschlaggebend kann es hingegen nach den genannten Argumenten sein, ob eine inländische jur. Person mehrheitlich von Ausländern beherrscht bzw. geführt wird, so aber Weinzierl, S. 76 ff. 120

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Eine juristische Person mit Sitz im Inland kann sich jedoch nur dann über Art. 19 Abs. 3 GG auf das Eigentumsrecht des Art. 14 GG stützen, sofern es „[seinem] Wesen nach auf diese anwendbar [ist]“. Das BVerfG legt diesem „Wesens­vorbehalt“ eine personale Grundrechtsdoktrin zugrunde.127 Geschützt werden soll in erster­ Linie die persönliche Freiheit der Einzelmenschen. Der Grundrechtsschutz der juristischen Personen ist also nur in den Fällen gerechtfertigt, in denen der Durchblick auf die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen es sinnvoll und erforderlich erscheinen lassen, der juristischen Person selbst die Grundrechtträgerschaft zuzugestehen.128 Der Schutz des unternehmerischen Handelns wird aus den für die wirtschaftliche Tätigkeit maßgeblichen Grundrechten entnommen. Dies sind die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG), die Vereinigungsfreiheit (Art.  9 Abs.  1 GG), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und der allgemeine Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG).129 Diese für die wirtschaftliche Betätigung des Einzelnen wesentlichen Rechte sind ihrem Wesen nach also auch gerade auf juristische Personen anwendbar.130 Übertragen auf das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren bedeutet das, dass sich auch eine deutsche juristische Person in vollem Umfang auf das Eigentumsrecht des Art. 14 GG sowie auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG berufen kann. 3. Die ausländische juristische Person als Problemfall a) Der Ausschluss des Grundrechtsschutzes über Art. 19 Abs. 3 GG In vielen Fällen, die die Schiedsgerichtsbarkeit betreffen, wird der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG für die Schiedsgläubigerin nicht einschlägig sein, weil sie eine juristische Person ist und nicht über einen effektiven Verwaltungssitz im Inland verfügt. Aus einem Umkehrschluss aus Art.  19 Abs.  3 GG, der den grundrechtlichen Schutz nur auf inländische juristische Personen erweitert, können ausländische juristische Personen nicht Träger von Grundrechten des Grundgesetzes sein.131 Das BVerfG hat folgerichtig in zwei Entscheidungen 127

Hilf/Hörmann, NJW 2003, S. 1, (4). BVerfGE 21, 362 (369); 61, 82 (101); a. A. v. Mutius, Jura 1983, S. 30 (34), der mit Hinweis auf Stiftungen darauf hinweist, dass Art. 19 Abs. 3 GG gerade eine rechtliche Loslösung von den natürlichen Personen bezwecke. Abzustellen sei vielmehr auf die Frage, ob eine grundrechtstypische Gefährdungslage gegenüber dem Staat bestünde. 129 Aufzählung bei Hilf/Hörmann, NJW 2003, S. 1, (4). 130 BVerfGE 4, 7 (12, 17); 53, 336 (345); 66, 116 (130). 131 BVerfGE  23, 229 (236); 100, 313 (364); Krebs, in: v.  Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 19 Rn. 35; Isensee, in: Ders./Kirchhof, Hdb. des StaatsR3, Bd. IX, § 199 Rn. 67 ff.; Degenhart, EuGRZ 1981, S. 164 weist aber darauf hin, dass dieser Schluss aus dem Wortlaut zumindest nicht zwingend hervorgeht. 128

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

173

aus den 60er Jahren zunächst eine ausdehnende Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG auf ausländische juristische Personen mit (knappem) Verweis auf den Wortlaut und dem in den Entscheidungen nicht näher bezeichneten Sinn der Vorschrift­ abgelehnt.132 Diese Entscheidungen decken sich mit der Entstehungsgeschichte der grundgesetzlichen Norm. Art.  19 Abs.  3 GG wurde als Ausnahmevorschrift konstruiert, da man im Parlamentarischen Rat 1948/49 die natürliche Person als originären Grundrechtsträger ansah und die Grundrechtsträgerschaft von juristischen Personen ursprünglich von den hinter ihnen stehenden natürlichen Personen ableitete.133 Im Parlamentarischen Rat hatte sich jedoch der Abgeordnete v. Mangoldt mit dem Argument durchgesetzt, dass diese Rechtsvorstellung gerade bei Aktiengesellschaften zu größeren Rechtsschutzproblemen führen könne, da dort der­ Kapitalanteil von größerer Bedeutung sei, währenddessen die Wichtigkeit der Einzelperson dahinter zurücktrete.134 Diese Diskussion bestimmte ganz wesentlich die Entstehung des Art. 19 Abs. 3 GG und nahm den wesentlichen Teil der Behandlung der Vorschrift ein. Die Einschränkung auf „inländische“ juristische Personen hatte ihren Ursprung in einer Anmerkung aus dem Allgemeinen Redaktionsausschuss.135 Ausländischen juristischen Personen den verfassungsrechtlichen Schutz der Grundrechte zu gewähren, heißt es dort lapidar, bestünde „kein Anlass“.136 Eine Diskussion oder weitergehende Begründung zu dieser Einschränkung ist den Materialien nicht zu entnehmen. Argumente lassen sich jedoch in der Literatur finden. Wesentlich war offenbar insbesondere die Erwägung, dass man die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik durch diese Einschränkung des Grundrechtsschutzes stärken könne.137 Denn hätte man alle juristischen Personen grundrechtsfähig gemacht, könne man sinnvollerweise keine weiteren Zugeständnisse im Rahmen des Aushandelns von Handels- und Freundschaftsverträgen mehr machen.138 Dieser Grund bildet allerdings nur ein Scheinargument. Durch den kategorischen Ausschluss der ausländischen juristischen Personen aus dem Schutzbereich der Grundrechte einerseits, andererseits aber durch ihre Gleichstellung auf einfachgesetzlicher Ebene durch das Rechtsstaatsprinzip kann schon nach der Struktur des Grundgesetzes kaum eine weitere Rechtsposition auf der Ebene des natio­nalen Rechts durch bilateralen Vertrag zugesichert werden, die nicht ohnehin durch das 132 BVerfGE  21, 207 (208 f.) für die Patentinhaberschaft einer US-amerikanischen Aktiengesellschaft; BVerfGE 23, 236 für eine französische Religionsgemeinschaft. 133 Leibholz/v. Mangoldt (Hrsg.), JÖR 1951 (1), Art. 19 Abs. 3 GG, S. 180. 134 Sitzung des Grundsatzausschusses v. 01.12.1948, Stenoprot. S. 1–3, zitiert nach Leibholz/ v. Mangoldt (Hrsg.), JÖR 1951 (1), Art. 19 Abs. 3 GG, S. 180 f. 135 Entwurf v. 13.12.1948, Art. 20a GG; siehe Leibholz/v. Mangoldt (Hrsg.), JÖR 1951 (1), Art. 19 Abs. 3 GG, S. 182. 136 Ibid. 137 Zustimmend Weinzierl, S. 84. 138 Quaritsch, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. des StaatsR2, Bd. V, § 120 Rn. 38.

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Grundgesetz vorgesehen wird. Dieses Ergebnis ist jedenfalls dann zwingend, wenn man davon ausgeht, dass der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 3 GG nicht der Definition durch den Gesetzgeber unterliegt.139 Zum anderen berücksichtigt dieses Argument nicht die später aufkommende Tendenz in der Staatenpraxis, im Rahmen bilateraler Investitionsschutzabkommen (BITs) die Zuständigkeit von ICSID-Schiedsgerichten zu vereinbaren und damit die Bedeutung der nationalen Gerichte zugunsten einer überstaatlichen völkerrechtlichen Schiedsinstanz im Internationalen Wirtschaftsverkehr zurückzudrängen. Auch die Betonung der nur für ausländische juristische Person bestehenden potentiellen Machtposition, sich der deutschen Staatsgewalt zu entziehen, steht auf tönernen Füßen, sobald, wie Degenhart bereits betont hat, die ausländische juristische Person über Grundbesitz im Inland verfügt. Sie unterliegt dann in gleichem Maße wie die inländische juristische Person der deutschen Hoheitsgewalt und kann sich nicht mehr ihrem Zugriff entziehen.140 Trotz der gewichtigen Gegenargumente gegen den ursprünglichen Telos der Norm, bildet Art.  19 Abs.  3 GG eine kaum überwindbare Schranke der Grundrechtsträgerschaft einer ausländischen juristischen Person. Da es sich bei dem Art.  19 Abs.  3 GG um eine festgeschriebene Grenze der Grundrechtsanwendung und nicht um eine Anwendungslücke handelt, wird auch ein ergänzender Schutz von ausländischen juristischen Personen über den Auffangtatbestand des Art. 2 Abs. 1 GG richtigerweise als unzulässig angesehen.141 Wenn der personelle Schutzbereich der Grundrechte über Art. 19 Abs. 3 GG für ausländische juristische Personen ausgeschlossen wird, so kann auch das Auffanggrundrecht des Art.  2 Abs. 1 GG nicht mehr angewendet werden. b) Der ergänzende Schutz über das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG Wenn jedoch die ausländische juristische Person davon ausgeschlossen ist, sich auf die Grundrechte zu berufen, so führt das freilich nicht dazu, dass ausländische juristische Personen im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren rechtlos gestellt werden. Die allgemeine Rechtsfähigkeit der ausländischen juristischen Person als solche wird also durch das Grundgesetz generell nicht in Frage gestellt, sondern stattdessen auf der unterverfassungsrechtlichen prozessualen Ebene sichergestellt, wobei die einfachen Gesetze eine Ausprägung des hohen grundrechtlichen Schutzstandards darstellen. Das in Art.  20 Abs.  3 GG verankerte 139

Isensee, in: Ders./Kirchhof, Hdb. des StaatsR3, Bd. IX, § 199 Rn. 69. Degenhart, EuGRZ 1981, S. 163. 141 Isensee, in: Ders./Kirchhof, Hdb. des StaatsR3, Bd. IX, § 199 Rn. 68; Weinzierl, S. 121; a. A. Benjes, S. 197; Bauer/Kahl, JZ 1995, 1077 (1085). 140

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass auch die ausländischen juristischen Personen willkürfrei behandelt werden.142 Sie stehen unter dem Schutz der allgemeinen Gesetze143 und genießen in laufenden Gerichtsverfahren alle prozessualen Rechte inklusive der formellen Grundrechte der Art.  17, 19 Abs.  4, 101 Abs.  1 und 103 Abs. 1 GG.144 Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt ebenso, dass im Parteienstreit die Chancengleichheit stets gewährleistet sein muss. Folgt man dieser Bewertung, so stellt sich die Frage, ob ein durch Gesetz vorgesehenes Ermessen, wie es durch Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen vorgesehen wird, auch stets gleich ausgeübt werden muss, auch wenn normalerweise die Wertungen der Grundrechte mit in dieses Ermessen einfließen müssten. Wenn man die Grundrechte nicht nur als Abwehrrechte versteht, sondern als Grundlage einer das gesamte Staatswesen umfassenden objektiven Werteordnung, so lässt sich in Verbindung mit der rechtsstaatlichen Vorgabe, dass alle Parteien eines Rechtsstreits gleich behandelt werden müssen, die staatliche Verpflichtung erkennen, unabhängig von der tatsächlichen Rechtsträgerschaft den Parteien im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren eine „de facto-Grundrechts­träger­ schaft“ zuzuerkennen.145 Zwar bliebe dann für die ausländische juristische Person weiterhin der Gang zum BVerfG versperrt. Der Schutzstandard der Grundrechte käme jedoch trotzdem zur Anwendung, solange keine unterschiedliche gesetzliche Regelung für Deutsche und Ausländer besteht. Das System der Grundrechte bildet eine objektive Werteordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung in das Privatrecht einfließt. So hat das BVerfG bereits früh festgestellt, dass eine bürgerlich-rechtliche Vorschrift „im Geiste der Grundrechte“ ausgelegt werden müsse.146 Da diese Vorschriften keinen Unterschied aufgrund der Staats­ angehörigkeit der beteiligten Personen machen, es nach Art.  3 Abs.  1 GG auch nicht können,147 ist ein einheitlicher Ermessensmaßstab anzulegen. c) Prüfungsmaßstab für juristische Personen aus dem EU-Raum Möglicherweise wird der grundrechtliche Prüfungsmaßstab durch das EU-Recht im Falle von Schiedsgläubigern aus dem EU-Ausland erweitert. Im Ergebnis besteht zwar Einigkeit, dass eine tatsächliche Diskriminierung von EU-Ausländern ausgeschlossen werden muss. Umstritten ist jedoch die dogmatische Einbettung in das nationale deutsche Recht. Möglicherweise können sich diese Personen nicht nur auf das Rechtsstaatsprinzip, sondern direkt auf die Grundrechte berufen.

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Dazu Isensee, in: Ders./Kirchhof, Hdb. des StaatsR3, Bd. IX, § 199 Rn. 69. Ibid. 144 BVerfGE 12, 6 (8); 18, 441 (447); 64, 1 (11). 145 So im Ergebnis auch Degenhart, EuGRZ 1981, S. 162. 146 BVerfGE 7, 198 (204 f.); 73, 261 (269). 147 Siehe dazu supra Kap. 3. B. III. 143

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Abweichend von der traditionellen Ansicht,148 dass eine materiell-rechtliche Gleichstellung von natürlichen und juristischen Personen aus EU-Staaten mit Deutschen sich bereits aus der Wirksamkeit und Geltung des Gemeinschaftsrecht ergebe, dies aber „kein Grundrecht im Sinne des Grundgesetzes“149 sei, etabliere das EU-Recht nach Ansicht des BVerfG150 und der vordringenden Literaturauffassung von dem Grundsatz Ausnahmen, dass ausländische juristische Personen sich nicht auf die Grundrechte berufen dürfen. Das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV sowie die europäischen Grundfreiheiten der Art. 34, 49, 56, 63 AEUV erforderten zwingend eine Gleichstellung auch auf grundrechtlicher Ebene. Juristische Personen mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder die nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaates gegründet worden sind, seien aufgrund des Anwendungsvorranges des Europarechts151 im Rahmen einer unionsrechtskonformen Auslegung des Art.  19 Abs.  3 GG über Art.  23 GG wie inländische juristische Personen zu behandeln, aber nur sofern auch tatsächlich ein Regelungsbereich des Europarechts betroffen sei152 und eine tatsächliche Ungleichbehandlung die Anwendung der Grundrechte erforderlich mache. Andere wollen aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts Art. 19 Abs. 3 GG insoweit nicht anwenden, so dass eine Gleichstellung auch auf grundrechtlicher Ebene verfassungsprozessual stets gewährleistet sei.153 Diese Lösungen halten Pernice154 und Drahten155 zu Recht methodisch für unglücklich und plädieren für eine gemeinschaftskonforme Grundgesetzänderung. Gegen diese neueren Tendenzen in der Rechtsprechung und Literatur, das deutsche Grundrechtssystem anzupassen und europarechtskonform auszulegen, bildet sich aber zu Recht Widerstand. Isensee hat zu bedenken gegeben, dass das Europarecht generell nicht darauf abziele, das Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten zu verändern, zumal letztlich allein das Verfassungsrecht die Anwendbarkeit des 148 Bethge, S.  57 f.; Isensee, in: Ders./Kirchhof, Hdb. des StaatsR3, Bd.  IX, § 199 Rn.  69; Stern, StaatsR der BR Deutschland, Bd. III/1, S. 1146; Störmer, AöR 123 (1998), S. 557 ff. 149 H.-P. Ipsen, § 34 II Rn. 7. 150 BVerfGE 129, 78 (90 f.). 151 EuGH, Rs. 6/64, Costa/ENEL, Urteil v. 15.07.1964, Slg.  1964, S.  1251, Rn.  8 ff; Rs. 11/70, Internationale Handelsgesellschaft mbH gegen Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel, Urteil v. 17.12.1970, Slg. 1970, S. 1125, Rn. 3; Rs. 106/77, Simmenthal II, Urteil v. 09.03.1978, Slg. 1978, S. 629, Rn. 14 ff.; BVerfGE 31, 145 (173) (Lütticke). 152 v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 18 AEUV Rn. 48; Dreier, in: Ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd.  1, Art.  19 Abs.  3, Rn.  20 f., 83 f.; Ehlers, JZ 1996, S. 781; P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rn. 309: „Die wichtigste praktische Konsequenz dieser Gleichstellung besteht darin, dass den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen juristischen Personen ein diskriminierungsfreier Zugang zur Verfassungsbeschwerde eröffnet wird.“; Guckelberger, AöR 129 (2004), S. 630; Jarass, in: Ders./Pieroth (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 Rn. 23; Zuck, EuGRZ 2008, S. 684; dogmatisch zweifelnd Isensee, in: Ders./Kirchhof, Hdb. des StaatsR3, Bd. IX, § 199 Rn. 71. 153 Rupp, in: J. Ipsen u. a. (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel, S.  506; Sachs, in: Ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 19 Rn. 55. 154 Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 11 Rn. 18. 155 Drahten, S. 174 ff.

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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Europarechts sicherstelle.156 Er räumt aber ein, dass die Rechtsentwicklung klar auf eine Gleichstellung abziele. Störmer157 und Weinzierl158 haben nachgewiesen, dass durch die unmittelbare Anwendbarkeit des EU-Rechts eine Diskriminierung weitgehend ausgeschlossen werde und der Rückgriff auf die deutschen Grundrechte im Regelfall nicht erforderlich sei, um eine Gleichstellung von EU-Ausländern zu gewährleisten. Störmer unterscheidet dabei zwischen belastenden und begünstigenden diskriminierenden Regelungen. Die nationalen Grundrechte begründeten für Unionsbürger zumindest keine nachteiligen bzw. belastenden Rechtspflichten.159 Als materielle Diskriminierung käme daher nur die Vorhaltung einer Begünstigung in Frage. Käme es aber zu einer tatsächlichen Diskriminierung durch das nationale Recht, so seien die europäischen Grundfreiheiten bzw. das allgemeine Diskriminierungsverbot durch die deutschen Behörden und Gerichte unmittelbar anzuwenden. Weinzierl betont, dass durch die unmittelbare Anwendbarkeit des Europarechts keine Kollision zwischen Verfassungsrecht und den europäischen Diskriminierungsverboten möglich seien, sondern zwei voneinander weitgehend unabhängige, mit ihren unterschiedlichen Gewährleistungsgarantien parallel laufende Rechtssysteme vorliegen.160 Auch müsse in Betracht gezogen werden, dass der EU-Vertrag gerade die Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten betone und unangetastet lassen wolle.161 Ob eine prozessuale Diskriminierung durch das Vorenthalten des außerordentlichen Rechtsbehelfs der Verfassungsbeschwerde vorliege, wird von Störmer ebenfalls in Zweifel gezogen.162 Aus der durch Art. 19 Abs. 3 GG geschaffenen Rechtsposition würden EU-Bürgern die materiellen Grundrechte nicht vorenthalten. Schon die auf einfachgesetzlicher Ebene garantierte Rechtsposition sei ausreichend, um den durch die Grundrechte vorgegebenen Standard zu schützen. Die Grundrechte selbst verlangten also nicht den Zugang zu einem außerordentlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde. Die Diskriminierungsverbote des Europarechts könnten zudem genauso effektiv bereits über das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH sichergestellt werden.163 Insofern sei es nicht erforderlich, einer juristischen Person aus dem EU-Ausland das Instrument der Verfassungsbeschwerde zuzugestehen. Das BVerfG habe nicht die Aufgabe, europarechtliche Fragen der Diskriminierung zu beantworten, sondern verstehe sich lediglich als Hüterin des Grundgesetzes.164 156

Isensee, in: Ders./Kirchhof, Hdb. des StaatsR3, § 199 Rn. 71. Störmer, AöR 123 (1998), S. 541–571. 158 Weinzierl, S. 160 ff. 159 Störmer, AöR 123 (1998), S. 559 f. 160 Weinzierl, S. 160. 161 Weinzierl, S. 173 ff. 162 Störmer, AöR 123 (1998), S. 570 ff. 163 Störmer, AöR 123 (1998), S. 572. 164 Weinzierl, S. 123 f. 157

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Folgt man dieser traditionellen These, so kann das Anerkennungs- und Voll­ streckungsverfahren neben dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG zwar vom Europarecht beeinflusst werden. Die Grundrechte sind hingegen nicht direkt anwendbar. Das Ermessen im Rahmen der Anerkennungsentscheidung muss jedoch über das Rechtsstaatsprinzip den grundrechtlichen Erwägungen folgen. 4. Die Gleichstellung ausländischer juristischer Personen über Völkervertragsrecht Auch wenn nach traditionaller Auffassung ausländische juristische Personen über Art. 19 Abs. 3 GG nicht unmittelbar Träger von Grundrechten sein können und damit ihnen auch der Weg über die Verfassungsbeschwerde im Regelfall verwehrt wird, sind sie doch über die einfachen Gesetze unmittelbar Nutznießer eines allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes, der sich im Wesentlichen aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und aus den auch auf sie stets anwendbaren Justizgrundrechten ergibt. Der durch Art.  19 Abs.  3 GG, aber auch durch die ausdrücklich in ihrem personellen Schutzbereich eingeschränkten Deutschenrechte begrenzte grundgesetzliche Schutzstandard kann also durch das einfache Bundesrecht, das nur mit wenigen Ausnahmen generell ohne Unterschied zwischen In- und Ausländern anzuwenden ist, überschritten werden. Darüber hinaus kann der verfassungsrechtliche Schutzstandard auch durch Völkervertragsrecht zu Gunsten von ausländischen Staatsangehörigen und Unternehmen dadurch überschritten werden, dass sich die Bundesrepublik Deutschland zur Einhaltung weitergehender Normen völkerrechtlich verpflichtet hat. Das über Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in das nationale Recht transformierte Völkervertragsrecht entfaltet dabei zwar generell seine Schutzwirkung nur als einfaches Bundesrecht. Die Bedeutung und Reichweite der völkerrechtlichen Verträge geht aber zum einen durch die vom BVerfG entwickelten Figur der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, zum anderen aber auch durch überstaatliche Durchsetzungsmechanismen, wie z. B. durch den EGMR und aber auch durch die ICSIDSchiedsgerichtsbarkeit, bei Weitem über die des einfachen Bundesrechts hinaus. Unter diesen zwischenstaatlichen Vereinbarungen, die individualschützende Wirkung entfalten können, kommt naturgemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention eine besondere Bedeutung – auch in der Rechtsprechung der nationalen deutschen Gerichte – zu.165 Aber auch multi- und bilaterale Investitionsschutzund Freundschaftsverträge können Ausländern einen stärkeren Schutzstandard zugute kommen lassen, als dies vom Grundgesetz ursprünglich vorgesehen worden ist.

165 Zu den einzelnen für die Handelsschiedsgerichtsbarkeit relevanten Artikel der EMRK siehe infra Kap. 3. C.

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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a) Europäische Menschenrechtskonvention und die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes Der Gedanke eines durch die EMRK installierten weitergehenden Schutzes im nationalen Recht, als dies vom Grundgesetz gefordert wird, mag vielleicht schon aufgrund des entgegengesetzten Wortlauts des Art. 19 Abs. 3 GG auf Bedenken stoßen. Er basiert aber schon auf dem in Art. 1 EMRK festgelegten Anwendungsbereich der Konvention: „The High Contracting Parties shall secure to everyone within their jurisdiction the rights and freedoms defined in Section I of this Convention.“

„Everyone within their jurisdiction“ beinhaltet erkennbar keine Begrenzung auf eigene Staatsangehörige; nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte besteht nicht einmal eine Begrenzung auf das eigene Territorium. Entscheidend sei allein, dass eine Person unter die Hoheitsgewalt eines ­Mitgliedstaates falle.166 Hinzu kommt, dass Art.  34 EMRK ausdrücklich „non-­ governmental organisations“ das Recht zur Individualbeschwerde zugesteht. Juristische Personen sind daher, sofern hinter ihnen nicht ein Mitgliedstaat steht, ausdrücklich beschwerdeberechtigt.167 Dieser weite Anwendungsbereich erfasst über Art. 5 des 1. Zusatzprotokolls168 auch den mit diesem Protokoll eingeführten Eigentumsschutz. Diese Vorschriften führen also dazu, dass der Menschenrechtsschutz der Konvention gerade auch für ausländische juristische Personen weitergeht als der durch Art.  19 Abs.  3 GG verbürgte deutsche Grundrechtsschutz. Die innerstaatliche Rechtslage und die völkerrechtliche Bindung der Bundesrepublik Deutschland scheinen hier also auseinanderfallen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dieser Problemfall des Auseinanderfallens nicht ganz so klar zu lösen wie im Fall der juristischer Personen aus einem EUMitgliedstaat, da die EMRK als völkerrechtlicher Vertrag gemäß Art.  59 Abs.  2 S. 1 GG nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes beanspruchen kann,169 eine Interpretation des Grundgesetzes nach einfachem Recht aufgrund der Normen 166 Der EGMR, Urteil v. 23.02.2012, Case No. 27765/09, Hirsi Jamaa and others ./. Italy, Rn. 74 f. hat beispielsweise entschieden, dass für den Fall libyscher Flüchtlinge auf dem Mittelmeer der Aufenthalt auf italienischen Militärschiffen ausreichend sei, um die Anwendbarkeit der EMRK zu bejahen. 167 Dazu ausführlich Grabenwarter/Pabel, § 17 Rn. 5. 168 Art. 5 Prot. No. I, as Amended by Prot. No. 11-Relationship to the Convention: „As between the High Contracting Parties the provisions of Articles 1, 2, 3 and 4 of this protocol shall be regarded as additional articles to the Convention and all the provisions of the Convention shall apply accordingly.“ 169 Gesetz vom 07.08.1952, BGBl. 1952 II S. 685; die Auffassung, die EGMR erlange über Art.  25 GG als Völkergewohnheitsrecht generell eine verfassungsrechtlich stärkere Stellung, hat sich in Rechtsprechung und Literatur nicht durchsetzen können; vgl. dazu Czerner, EuR 2007, S. 537 (543 ff.); differenzierend Uerpmann, S. 59 ff.

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

hierarchie des Grundgesetzes hingegen regelmäßig ausgeschlossen ist. Auch der geplante Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention wird dieses Problem nicht lösen können, weil damit im Wesentlichen nur die Handlungen, Maßnahmen oder Unterlassungen der EU-Organe durch den Straßburger EGMR überprüft werden können.170 Noch schwerer wiegt, dass die Entscheidungen des EGMR keine ausdrückliche Position im Text des Grundgesetzes besetzen, sodass sie letztlich für die Auslegung der Grundrechte nicht herangezogen werden dürften. Auch wenn die einzelnen Menschenrechte der EMRK nach Form und Inhalt für die innerstaatliche Anwendung geeignet und damit nach dem Willen der Mitgliedstaaten einen „selfexecuting“-Charakter aufweisen,171 bilden die Entscheidungen des EGMR also selbst kein unmittelbar anwendbares Recht, sondern müssen erst durch die deutschen Staatsorgane umgesetzt werden. Die Urteile des EGMR haben nur einen feststellenden Charakter, d. h. es wird gegebenenfalls festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen eine Vorschrift der EMRK verstoßen hat. Die Rechtskraft eines nationalen konventionswidrigen Zivilurteils, das regelmäßig auf der Grundlage eines Rechtsstreits zwischen zwei Privaten zustande gekommen ist, wird durch diese Feststellung nicht unmittelbar berührt. Die Urteile haben aber­ dadurch, dass sie als Auslegungshilfe für das nationale Recht dienen, eine zumindest mittelbare Wirkung.172 Das BVerfG hat dieses Problem des Auseinanderfallens zwischen völkerrechtlicher Bindung und den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG sowie des Rechtsstaatsprinzips über die Rechtsfigur der „Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“ aufgelöst. Um den „innerstaatlichen Wirkungsgrad“ der EMRK im nationalen Recht zu verstärken hat es zunächst entschieden, dass Verletzungen des Völkerrechts, die in der fehlerhaften Anwendung oder Nichtbeachtung völkerrechtlicher Normen durch deutsche Gerichte liegen und die die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland begründen können, verhindert oder beseitigt werden müssen, soweit dies möglich ist.173 In späteren Entscheidungen hat das BVerfG darüber hinaus betont, dass bei der Interpretation der Grundrechte der Inhalt und der Entwicklungsstand der EMRK heranzuziehen sind, sofern dies nicht mit einer Minderung des deutschen Grundrechtsschutzes verbunden sei.174 Die neuere Entwicklung dieser völkerrechtsfreundlichen Auslegung der Grundrechte soll hier an zwei Entscheidungen, die durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte Konventionsverstöße der Bundesrepublik 170

Vgl. Obwexer, EuR 2012, S. 115 (145). Dazu ausführlich Uerpmann, S. 44 f. 172 Zur Entwicklung und den Funktionen im Rahmen der Auslegung durch deutsche Gerichte ausführlich Uerpmann, S. 48 ff. 173 BVerfGE 58, 1 (34); 59, 63 (89). 174 BVerfGE 74, 358 (370); 82, 106 (120). 171

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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Deutschland zum Gegenstand hatten, nachskizziert werden, um zum einen die beschriebene Wirkungsweise der EMRK im nationalen Recht zu verdeutlichen,175 zum andern um feststellen zu können, ob die Anwendung der Konvention eine Erweiterung des grundrechtlichen Schutzstandards durch eine Zurückdrängung des Art. 19 Abs. 3 GG bedingt. Die Görgülü-Entscheidung enthält außerdem wesentliche Vorgaben für die Auswirkungen einer Entscheidung des EGMR für die nationalen Fachgerichte. (1) Görgülü-Entscheidung In der Görgülü-Entscheidung176 ging es um die Durchsetzung des Sorge- und Umgangsrechts des Beschwerdeführers für sein leibliches, aber uneheliches Kind, das direkt nach der Geburt von der Mutter ohne Wissen des Klägers zur Adoption freigegeben worden war. Beklagte waren im nationalen Verfahren vor den Familiengerichten die Pflegeeltern. Nachdem das Amtsgericht dem Vater zunächst das alleinige Sorgerecht zugesprochen hatte, wurde die Entscheidung durch das Oberlandesgericht Naumburg wieder aufgehoben, der Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge abgelehnt sowie das Umgangsrecht ausgeschlossen. Die nach­ folgende Verfassungsbeschwerde wurde als unzulässig verworfen. Der EGMR sah in den deutschen Entscheidungen eine Verletzung des Rechts des Vaters auf Achtung des Familienlebens gemäß Art.  8 EMRK, da der Staat grundsätzlich verpflichtet sei, die Beziehung zwischen dem Kind und dem leiblichen Vater zu fördern.177 In der Entscheidung des EGMR wurde ausdrücklich festgestellt, dass die Bundesrepublik gem. Art.  46 EMRK verpflichtet sei, dem Kindesvater zumindest das Umgangsrecht einzuräumen.178 Trotz dieses Urteils setzte das OLG Naumburg in einem – nach deutschem Familienrecht stets möglichen – neu beantragten Verfahren die Entscheidung nicht um, da die Richter sich in ihrer Unabhängigkeit verletzt sahen. Der Straßburger Urteilsspruch binde nach Ansicht der Naumburger Richter nur die Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt, nicht hingegen deren Organe, Behörden und die nach Art. 97 Abs. 1 GG unabhängigen Organe der Rechtsprechung. Die Wirkung des Urteilsspruches erschöpfe sich de iure und de facto, vorbehaltlich einer innerstaatlichen Gesetzesänderung, in der Feststellung der Sanktionierung einer in der Vergangenheit liegenden Rechtsverletzung. Das Urteil des EGMR bleibe daher ein jedenfalls für die nationalen Gerichte unverbindlicher Ausspruch ohne Einfluss auf die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung. Weder die Euro­päische 175 Mit den gleichen Argumenten wird eine Einbeziehung der EMRK in die deutsche ordre public-Prüfung begründet; dazu infra Kap. 4. B. IV. 2. 176 BVerfGE 111, 307. 177 EGMR (III. Sektion), Urteil v. 26.02.2004, App. No. 74969/01, Rn. 45 f. (dt. Übersetzung in NJW 2004, S. 3397). 178 Id., Rn. 64.

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Menschenrechtskonvention noch das Grundgesetz verpflichteten dazu, einer die Konventionswidrigkeit eines deutschen Hoheitsaktes feststellenden Entscheidung des Gerichtshofs eine die Rechtskraft beseitigende Wirkung beizumessen. Da die Europäische Menschenrechtskonvention als einfaches Gesetzesrecht gem. Art. 59 Abs.  2 S.  1 GG einen Rang unterhalb der Verfassung einnehme, sei der Euro­ päische Gerichtshof für Menschenrechte gegenüber den Gerichten der Vertragsparteien funktionell auch kein höherrangiges Gericht. Daher könnten nationale Gerichte weder bei der Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention noch bei der Auslegung nationaler Grundrechte an dessen Entscheidungen gebunden sein. Im Übrigen habe sich infolge Zeitablaufs seit der EGMR-­Entscheidung der maßgebliche Sachstand ebenso wie die prozessuale und materielle Rechtslage so weit verändert, dass schon aufgrund dieser Tatsache eine Bindung an die Entscheidung des EGMR nicht in Frage komme. Das Kind sei einfach schon zu lange in der Obhut der Pflegeeltern, dass es ihm nicht mehr zumutbar sei, das Sorgerecht an den leiblichen Vater zu übertragen. Das mit Verfassungsbeschwerde angerufene BVerfG wiedersprach mit Beschluss vom 14.10.2004 vehement der Rechtsansicht des OLG: Das OLG habe gegen Art. 6 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verstoßen, indem es in einem unzureichendem Maße die Entscheidung des EGMR berücksichtigt habe. Die deutschen staatlichen Organe müssten die Konvention als gem. Art. 59 Abs. 2 GG transformierten völkerrechtlichen Vertrag als Bundesgesetz heranziehen. Konventionstext und die Rechtsprechung des EGMR dienten auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen, sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führe.179 Die EMRK habe zwar nicht zum Ziel, in die staatliche Rechtsordnung unmittelbar einzugreifen,180 innerstaatlich werden aber durch die entsprechenden Konventionsbestimmungen in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz sowie durch rechtsstaatliche Anforderungen (Art. 20 Abs. 3, Art. 59 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG) alle Träger der deutschen öffentlichen Gewalt grundsätzlich an die Entscheidungen des Gerichtshofs gebunden.181 Im Falle eines Konventionsverstoßes durch eine Gerichtsentscheidung verpflichteten zwar weder die EMRK noch das Grundgesetz dazu, einem Urteil des Gerichtshofs, das einen Konventionsverstoß feststellt, eine die Rechtskraft der nationalen Entscheidung beseitigende Wirkung beizumessen.182 Sofern aber das Gericht nach der nationalen Verfahrensordnung (wie im vorliegenden Fall) die Möglichkeit habe, erneut über die bereits rechtkräftig entschiedene Sache zu entscheiden,183 müsse 179

BVerfGE 111, 307 (317). BVerfGE 111, 307 (322). 181 BVerfGE 111, 307 (322). 182 BVerfGE 111, 307 (325). 183 BVerfGE 111, 307 (327). 180

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

183

aus dieser Entscheidung erkennbar sein, dass die Rechtsprechung des EGMR bei der Entscheidungsfindung zumindest ausreichend berücksichtigt worden ist. Dabei seien grundsätzlich die vom Gerichtshof in seiner Abwägung berücksichtigten Aspekte in die verfassungsrechtliche Würdigung, namentlich die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen, und es habe eine Auseinandersetzung mit den vom Gerichtshof gefundenen Abwägungsergebnissen stattzufinden.184 Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische „Vollstreckung“ könne Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzen.185 Insbesondere könne ein Abweichen von der Rechtsprechung bei mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen, wie dies in zivilrechtlichen Verfahren stets der Fall sein wird, geboten sein.186 Das BVerfG geht also davon aus, dass die Entscheidungen des EGMR über die Transformationsvorschrift des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG bei der Auslegung des Grundgesetzes berücksichtigt werden müssen. Dies folge aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und vor allen Dingen aus dem Rechtsstaatsprinzip. (2) Sicherungsverwahrung Ein Sonderfall stellt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2011187 insofern dar, als das Gericht die angegriffene Norm zur nachträglich angeordneten bzw. verlängerten Sicherheitsverwahrung von mutmaßlich für die Allgemeinheit gefährlichen Straftätern188 bereits im Jahre 2004 als verfassungsgemäß gebilligt hatte.189 Aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen Urteile des EGMR190, der in der deutschen Praxis einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit) und Art. 7 Abs. 1 EMRK (Nulla poena sine lege) gesehen hatte, revidierte es jedoch diese Entscheidung und erklärte die angegriffene Regelung für verfassungswidrig. Das ursprüngliche rechtskräftige Urteil aus dem Jahr 2004 stand nach bisheriger Rechtsprechung191 einer erneuten Sachentscheidung entgegen. Nach Ansicht des BVerfG entfalle dieses Prozesshindernis jedoch, wenn nach dem eigenen Urteil rechtserhebliche Veränderungen der Sach- und Rechtslage eingetreten seien. Zwar könnten die Entscheidungen des EGMR als Feststellungsurteile keine unmittel 184

BVerfGE 111, 307 (324). BVerfGE 111, 307 (323). 186 BVerfGE 111, 307 (327). 187 BVerfGE 128, 326. 188 § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160). 189 BVerfGE 109, 133. 190 EGMR, Urteil v. 17.12.2009, App. No. 19359/04, M ./. Deutschland; EGMR, Urteil v. 13.01.2011, App. No. 17792/07, Kallweit ./. Deutschland, App. No. 20008/07, Mautes ./. Deutschland, Case No. 27360/04 u. 42225/07, Schummer ./. Deutschland (verbundenes Verfahren). 191 BVerfGE 69,92 (102 f.); 109, 64 (84). 185

184

Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

bare Veränderung der Rechtslage herbeiführen, sie könnten aber gleichwohl für die Auslegung des Grundgesetzes rechtserhebliche Bedeutung erlangen.192 Soweit das Grundgesetz Spielräume für die Auslegung von Grundrechten biete, versuche das Bundesverfassungsgericht „wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, Konventionsverstöße zu vermeiden“.193 Entscheidungen des EGMR könnten daher einer rechtserheblichen Änderung gleichkommen.194 Leider äußert sich das Gericht nicht dazu, ob dies auch für die Fachgerichte gilt. Dies wäre eine erhebliche Ausweitung der Wiederaufnahmegründe, die in einem weit stärkeren Maße zwischenstaatliche Urteile Beachtung finden ließe. Nach der Argumentation des Gerichts müsste dies so sein, sofern die jeweilige Prozessordnung einen Wiederaufnahmegrund der veränderten Sach- und Rechtslage kennt. Wenn das Gericht aufgrund der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes eine rechtskraftdurchbrechende Wirkung der eigenen Urteile annimmt, deren Tenor immerhin in Deutschland gemäß § 31 BVerfGG Gesetzeskraft beansprucht, dann muss dies erst recht für die Urteile der Fachgerichte gelten, sofern das EGMR die Urteile selbst als Verstöße gegen die EMRK qualifiziert. Dies kann aber nicht für Zivilurteile gelten, da der Gegner im Rechtsstreit über ein rechtskräftiges Urteil verfügt und selbst nicht durch die EGMR-Entscheidung betroffen ist. (3) Zwischenergebnis (a) Die Beachtung der Entscheidungen des EGMR für die nationalen Gerichte Die Görgülü-Entscheidung hat erneut klar zum Ausdruck gebracht, dass nicht nur der Konventionstext für die nationalen Fachgerichte als einfaches Bundesrecht Rechtswirkung entscheidet, sondern die Entscheidungen des EGMR als Interpretationshilfe bei der Auslegung der deutschen Grundrechte heranzuziehen sind. Bereits in dem immerhin gem. § 31 Abs.  1 BVerfGG alle deutschen Hoheitsträger bindenden Tenor der Entscheidung wird betont, dass die Berücksichtigung der Gewährleistungen der EMRK im Rahmen einer methodisch vertretbaren Gesetzesauslegung zur Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) zu zählen ist. Damit kommt der EMRK eine besondere Bedeutung bei der Auslegung der Grundrechte zu. Dabei war das BVerfG im Gegensatz zu den vorherigen Entscheidungen sehr darauf bedacht, einen harmonischen Ausgleich zwischen den EMRK-Gewährleistungen und dem nationalen Recht herzustellen.195 Entgegen der vorhergehenden Rechtsprechung, die auch als „nahezu konventionskonform“ bezeichnet worden 192

BVerfGE 111, 326 (365). Ibid. 194 Ibid. 195 So auch Czerner, EuR 2007, S. 537 (551 f.) 193

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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ist,196 hat das BVerfG mit der Görgülü-Entscheidung eine Möglichkeit geschaffen, eine schablonenmäßige Übertragung der Inhalte eines EGMR-Urteils auf das im privatrechtlichen Bereich regelmäßig mehrpolige Rechtsverhältnis zu vermeiden, andererseits jedoch eine Beachtung und Stellungnahme des jeweiligen nationalen Gerichts zur jeweiligen EGMR-Rechtsprechung zu erzwingen. (b) Auswirkungen für die Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG Obwohl in beiden genannten Entscheidungen für das BVerfG kein Anlass bestand, eine möglicherweise erweiterte Klagebefugnis von juristischen Personen zu thematisieren, sind die beiden Entscheidungen von solch einer grundsätzlichen Bedeutung, dass darüber nachgedacht werden kann, die Klagebefugnis ausländischer juristischer Personen über die Rechtsfigur der „Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“ aus einem erweiterten Blickwinkel zu betrachten. Ob dabei eine einschränkende Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG sachlich geboten ist, bleibt dabei jedoch zweifelhaft. Die Görgülü-Entscheidung ist zwar insoweit entscheidend für die Rechtsentwicklung, als das die Völkerrechtsfreundlichkeit unter anderem aus dem Rechtsstaatsprinzip gezogen wird. Dies ist zunächst für die Entscheidung der Zivilgerichte von Bedeutung: Die Regelung des Rechtsstaatsprinzips des Art. 20 Abs. 3 GG wird nicht durch die Einschränkung des Art. 19 Abs. 3 GG erfasst. Wenn der ausländischen juristischen Person verwehrt ist, sich direkt auf die Grundrechte zu berufen, so kann sie sich noch auf das Rechtsstaatsprinzip stützen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt dann ein Anspruch auf willkür- und ermessensfehlerfreie Entscheidung. Dabei fordert nach der Görgülü-­Entscheidung die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, dass die Vorschriften der EMRK sowie des völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrechts ergänzend herangezogen werden, um den völkerrechtlichen Bindungen der Bundesrepublik Deutschland Rechnung zu tragen. Für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde scheint der Weg jedoch weiterhin durch Art.  19 Abs.  3 GG versperrt. Die Rechtsprechung zur Sicherungs­ verwahrung bestätigt diese Lösung insoweit, als sie eine Auslegung contra legem, also für den vorliegenden Fall eine Aushöhlung des Art. 19 Abs. 3 GG nicht zulässt.197 Das Grundgesetz müsse selber einen Auslegungsspielraum zubilligen. Ein solcher kann nur in dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes liegen. Ein verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz für ausländische juristische Personen erscheint daher weiterhin nur eingeschränkt möglich. Ihnen bleibt der Weg über die Verfassungsbeschwerde versagt, die sich direkt auf ein materielles Grundrecht bezieht. Ausländische juristische Personen sind damit weiterhin nicht Träger der Grundrechte. 196

Czerner, EuR 2007, S. 537 (551). So auch Czerner, EuR 2007, S. 537 (551).

197

186

Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Wenn ausländische juristische Personen sich aber auf das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit der EMRK berufen können, um eine willkür- und ermessensfehlerfreie Entscheidung unter Beachtung der völkerrechtlichen Bindungen der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten, dann ist jede Missachtung der EGMRRechtsprechung durch ein deutsches Gericht zumindest über die Hintertür der Justizgrundrechte beschwerdefähig. Zum Schutz des Rechtsstaatsprinzips sind auch ausländische juristische Personen in diesen Fällen beschwerdeberechtigt und können daher die völkerrechtlichen Bindungen deutscher Gerichte durchsetzen. b) Erweiterung über bilaterale Investitionsschutzverträge (BITs)? Aus völkerrechtlicher Sicht kann zudem die Anwendung einer Inländergleichbehandlungsklausel eines Handels- und Freundschaftsvertrags bzw. eines bilateralen Investitionsschutzvertrages (BIT) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Herkunftsstaat einer Schiedspartei die Gleichstellung mit Inländern notwendig machen. So enthält der deutsche Modellvertrag zum Investitionsschutz, der zurzeit in oft jeweils nur leicht abgewandelter Form zwischen Deutschland und über 131 Staaten in Kraft getreten ist,198 in Art. 3 Abs. 2 eine Inländergleichbehandlungsklausel für ausländische Investitionen in Deutschland.199 Es ist daher im Einzelfall möglich, dass aufgrund solcher Verträge über Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ebenfalls eine Gleichstellung geboten und erforderlich ist.200 Eine solche Inländergleichbehandlung darf aber nie pauschal erfolgen, sondern muss stets im Einzelfall und vertragsbezogen sorgfältig geprüft werden. Insbesondere muss jeweils festgestellt werden, ob tatsächlich eine durch den jeweiligen Vertrag geschützte Investition vorliegt. In Freundschaftsverträgen, die möglicherweise trotz eines später abgeschlossenen Investitionsschutzvertrags weiter fortbestehen, kann ein weiterer Anwendungsbereich festgeschrieben sein. Im Regelfall schützen solche Verträge faktisch eher den Vollstreckungsschuldner als den Vollstreckungsgläubiger. Sie betreffen das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren also nur insoweit, dass unabhängig von der Staatszugehörigkeit des Vollstreckungsschuldners stets die gleichen Anerkennungskriterien herangezogen werden müssen. Im Wesentlichen ist daher bei der Ausführung des Anerkennungs- und Vollstreckungsermessens ein gleichbleibender Schutzstandard geboten, der dem entsprechen muss, der auch einem deutschen Unternehmen zugute käme. 198

Übersicht des Bundesministeriums für Wirtschaft v. 27.04.2012, abrufbar unter: http://www. bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/B/bilaterale-investitionsfoerderungs-und-schutzvertraegeIFV,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf; die Kompetenz, Verträge über Direktinvestitionen abzuschließen, ist gemäß Art. 207 AEUV auf die Europäische Union übergegangen. Zukünftige Verträge werden daher, trotz vieler Bedenken und Hindernisse hinsichtlich der juristischen Gestaltung als Sekundärrecht der EU in Kraft treten. 199 Abgedruckt in: Dolzer/Schreuer, S. 363 ff. 200 Zu den regelmäßig vereinbarten Schutzstandards in Investitionsschutzverträgen siehe infra Kap. 4. A. IV.

B. Der grundrechtliche Schutzstandard

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Dieses Erfordernis entspricht im Wesentlichen den Vorgaben der Justiz­grundrechte sowie des Art. 6 EMRK. Über das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wird ein ausreichender Schutz auch für ausländische juristische Personen gewährleistet.201 5. Ergebnis Natürliche Personen können sich unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit im Rahmen des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens im vollen Umfang auf die Grundrechte, insbesondere auf den Eigentumsschutz gem. Art.  14 GG, den allgemeinen Justizgewährungsanspruch und den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG berufen. Bei der Prüfung des Anerkennungsverfahrens muss auch das deutsche Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG Berücksichtigung finden, sodass völkervertragliche Verpflichtungen wie die EMRK und die dazu ergangene Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung der grundgesetzlichen Normen Beachtung finden müssen. Natürliche Personen aus dem EU-Ausland können sich zusätzlich auf EU-Recht berufen. Bei juristischen Personen muss zwischen Inländern, EU-Ausländern und NichtEU-Ausländern unterschieden werden. Inländische juristische Personen sind über Art. 19 Abs. 3 GG wie natürliche Personen zu behandeln und genießen prinzipiell im Rahmen des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens den gleichen Grundrechtsstandard wie diese. Prüfungsmaßstab ist also die direkte Anwendung der Grundrechte. Juristische Personen aus dem EU-Raum können sich, sofern man sie nicht im Rahmen einer Auslegung contra legem als Inländer im Sinne des Art.  19 Abs. 3 GG begreift und ihnen dadurch vollen Grundrechtsschutz zusprechen will, im Wesentlichen auf den allgemeinen Justizgewährungsanspruch in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip berufen. Über diesen Umweg sind auch Verstöße gegen die EGMR-Rechtsprechung über die Verfassungsbeschwerde durchsetzbar Juristische Personen aus dem Nicht-EU-Ausland unterliegen einem nur scheinbar schwächeren Standard. Auf sie sind zwar grundsätzlich nur die Justizgrundrechte direkt anwendbar. Das Rechtsstaatsprinzip erfordert aber eine Gleichbehandlung bei der Ermessensausübung im Rahmen der einfachen Gesetze. Zudem können sie sich wie der EU-Ausländer über die Justizgrundrechte auch auf die Rechtsprechung der EMRK berufen. Allen ausländischen Personengruppen kommt darüber hinaus gem. Art. 25 GG das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht zugute, wenn ein völkergewohnheitsrechtlicher Mindeststandard hinsichtlich des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens bestünde.202 201

Siehe dazu supra Kap. 3. IV. 3. und 4. a). Siehe zur Reichweite des völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrechts infra Kap. 4. A. I.

202

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

V. Ergebnis der grundrechtlichen Prüfung Auf der Grundlage des allgemeinen Justizgewährungsanspruch kann die Verweigerung des deutschen Richters im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren, eine fremdstaatliche Aufhebung einer genaueren faktischen wie rechtlichen Prüfung zu unterziehen, einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs gleichkommen. Der deutsche Richter ist nach der hier vertretenen Ansicht verpflichtet, das ihm durch den Gesetzgeber eingeräumte Ermessen auszuüben und entsprechend auszufüllen, um dem Anspruch des Schiedsgläubigers auf effektiven Rechtsschutz nachzukommen. Aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch ergeben sich weitergehende Vorgaben für die Prüfung des ausländischen Aufhebungsverfahrens. Der deutsche Richter muss in seine Ermessensentscheidung im Rahmen des Art. V Abs. 1 lit.  e)  UN-Übereinkommen grundsätzlich alle ihm unterbreiteten Tatsachen aus­ reichend würdigen. Im Falle einer nicht in einem rechtsstaatlichen Rahmen erfolgten Aufhebungsentscheidung muss dies zwangsläufig zu einer Nichtbeachtung der ausländischen Aufhebungsentscheidung führen. Die Prüfung des Art. 14 Abs. 1 GG hat ergeben, dass dem deutschen Richter im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren selbst ein Ermessen hinsichtlich der Vollstreckung eines aufgehobenen ausländischen Schiedsspruchs zugesprochen wird. Dabei muss das Ergebnis des Ermessens nicht nur den Schuldnerschutz, sondern auch den Schutz der eigenen Rechtsordnung beachten. Die deutschen Grundrechte binden zunächst nur den deutschen Richter, der daher das fremdstaatliche Aufhebungsverfahren nur abgeschwächt im Rahmen einer ordre public-Prüfung auf offensichtliche Unvereinbarkeiten mit der deutschen Rechtsordnung über­ prüfen kann.203 Im Wege der im UN-Übereinkommen bereits angelegten Doppelkontrolle kann jedoch überprüft werden, ob ein durch das fremdstaatliche Gericht festgestellter Fehler tatsächlich existiert. Die Prüfung des Gleichheitsgrundsatzes geht über dieses gefundene Ergebnis noch hinaus. Folgt man der Einschätzung, dass es sich bei dem Ursprungsstaat des Schiedsspruchs um ein Unterscheidungskriterium handelt, dass nahe an dem Kriterium der „Heimat“ i. S. d. Art. 3 Abs. 3 GG liegt und daher die Anwendbarkeit der sog. „neuen Formel“ befürwortet, müssen die fremdstaatlichen Aufhebungsgründe auf ihre Anerkennungsfähigkeit gemäß Art.  IX Eu-Übereinkommen hin überprüft werden. Dies führt zu einer vollen Kontrolle der in der ausländischen Entscheidung genannten Aufhebungsgründe und kann dazu führen, dass gegebenenfalls die fremdstaatliche Aufhebung ignoriert werden muss. Der Sache nach folgt dieses Ergebnis, wenn auch mit abweichender Begründung, der­

203 Zur Wirkung der deutschen Grundrechte im Rahmen des materiellrechtlichen ordre public Prüfung siehe infra Kap. 4. IV. 1. b) (1).

C. Der Schutzstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention

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Entscheidung des OLG Dresden, das ebenfalls die Kriterien des Eu-Übereinkommens bei der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit der betreffenden weißrussischen Entscheidung herangezogen hat.204 Als Ergebnis der grundrechtlichen Prüfung lässt sich daher festhalten, dass der deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsrichter bei bestehendem Anlass grundrechtlich verpflichtet ist, die ausländische Aufhebungsentscheidung auf ihre Anerkennungsfähigkeit zu überprüfen.

C. Der Schutzstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention205 Nachdem die Analyse ergeben hat, in welcher Weise die Grundrechte vom deutschen Richter im Anerkennungs- und Prüfungsverfahren bei der Auslegung des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen beachtet werden müssen, stellt sich die weitere Frage, inwieweit das für die Bundesrepublik Deutschland verbindliche weitere Völkervertragsrecht in diesem Zusammenhang Wirkungen entfaltet und somit dem deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsrichter ein Ermessen zuerkennt und erforderlich macht. Die Rechtsprechung des EGMR kann für das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren insbesondere über Art. 6 Abs. 1 EMRK Einfluss gewinnen. Da sich der deutsche Richter nach den bisherigen Ergebnissen dieser Arbeit die Frage stellen muss, ob in der fremdstaatlichen Aufhebung ein noch anerkennungsfähiger Hoheitsakt liegt, kann der Blick auf die EGMR-Rechtsprechung zu Schiedssprüchen bei der Lösung der Frage hilfreich sein, ob eine in einem Mitgliedstaat des Europarats erfolgte Aufhebung konventionswidrig erfolgt ist. Wie bereits dargelegt,206 wird der Europäische Menschenrechtskonvention unter anderem über den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes eine bedeutsame Wirkung bei der Auslegung der Grundrechte zugesprochen. Über Art. 59 Abs. 1 GG entfalten diese Regelungen aber auch eine direkte Wirkung und binden den deutschen Richter über das deutsche Zustimmungsgesetz als einfaches Bundesrecht.

204

OLG Dresden, Beschluss v. 31.01.2007- 11 Sch 18/05, siehe supra Kap. 1. B. I. 4. The European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms vom 04.11.1950, BGBl. 1952 II S. 685, 953. 206 Siehe zur Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes supra Kap. 3. B. IV. 4. a). 205

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

I. Die drei Anknüpfungspunkte der EMRK im Rahmen der deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung Generell beansprucht das Völkervertragsrecht, zu der die Europäische Menschenrechtskonvention gehört, über das deutsche Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG die innerstaatliche Geltungskraft eines einfachen Bundesgesetzes. Wie oben bereits beschrieben,207 hat das Bundesverfassungsgericht zur Wirkung von Urteilen des EGMR diese verfassungsrechtliche Einordnung durch die Entwicklung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes stark erweitert. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts dienen die EMRK und die dazu ergangenen Urteile des EGMR als Hilfe für die Auslegung der deutschen Grundrechte. Seine Rechtsprechung muss dementsprechend so weit wie möglich von den deutschen Gerichten beachtet und in ihre eigenen Erwägungsgründe implementiert werden, wenn auch beispielsweise in bipolaren Rechtsverhältnissen, also im Rechtsstreit zwischen zwei Privaten, eine buchstabengetreue Befolgung der EGMR-Entscheidung, die naturgemäß nur das Verhältnis zwischen dem jeweiligen Beschwerdeführer und dem Staat beleuchten kann, möglicherweise nicht oder nur eingeschränkt möglich ist.208 Der Vorteil der Einbeziehung der EMRK ist zweifelsohne die weitgehende Übereinstimmung ihrer menschenrechtlichen Vorschriften mit dem grundrechtlichen Schutzstandard des Grundgesetzes sowie die Existenz des EGMR als einer übergeordneten Instanz mit einem Auslegungsmonopol. Die Regelungen der EMRK können in dreifacher Hinsicht das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren eines aufgehobener Schiedssprüche beeinflussen: Erstens kann die Aufhebung selbst, sofern sie in einem Vertragsstaat der EMRK vorgenommen wird, konventionswidrig erfolgt sein. So könnten beispielsweise in einem Vertragsstaat des Europarats die wesentlichen Justizgarantien des Art. 6 EMRK nicht eingehalten worden sein. Die Aufhebung könnte etwa ohne vorherige Anhörung des Schiedsgläubigers erfolgt sein. Ein solcher Konventionsverstoß könnte – je nach Schwere des Verstoßes – im Rahmen der Ermessensausübung des deutschen Richters dazu führen, dass die Aufhebung im Rahmen des Art. V Abs. 1 lit. e)  UN-Übereinkommen als nicht anerkennungsfähig bewertet werden muss. Regelmäßig wird eine solche konkludente Nichtanerkennung einer ausländischen Aufhebungsentscheidung in der Literatur über den deutschen ordre public im Rahmen des § 328 Abs.  1 Nr.  4 ZPO in doppelter Analogie begründet.209 Als gem. Art.  59 Abs.  2 S.  1 GG einfaches Bundesrecht sind die Regelungen der EMRK vom deutschen Richter direkt heranzuziehen und dienen zudem ebenso wie die Entscheidungen des EGMR als Auslegungshilfe für das nationale Verfassungs 207

Siehe supra Kap. 3. B. IV. 4. a). BVerfGE 111, 307. 209 Siehe dazu infra Kap. 4, B. IV. 208

C. Der Schutzstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention

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recht.210 Neben möglichen Verstößen gegen Justizgarantien im Sinne des Art.  6 Abs. 1 EMRK und einer Eigentumsverletzung gemäß Art. 1 Abs. 1 ZP I EMRK kommen hier insbesondere Formen diskriminierenden Verhaltens bestimmter Personengruppen in Frage. In der Literatur werden gelegentlich Diskriminierungen aus ethnischen Gründen, aber auch Diskriminierungen von Frauen genannt. Diese letztgenannten Fallgruppen sollen hier zunächst ausgeklammert werden, da es sich dabei um so klare Fallkonstellationen handelt, die nach der grundgesetzlichen Werteordnung so massive Verstöße darstellen, dass die betreffenden fremdstaatlichen Akte als klare schwerwiegende Verstöße gegen den deutschen ordre public als nicht anerkennungswürdig bewertet werden müssten.211 Zweitens könnte – über die Beachtung der EMRK und der Entscheidungen des EGMR durch das BVerfG hinaus – eine Überprüfung des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens ausländischer aufgehobener Schiedssprüche im Wege der Individualbeschwerde vor dem EGMR erfolgen. Der im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren unterlegene Schiedsgläubiger könnte also auf der Grundlage des Art. 34 EMRK eine Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Feststellung der Konventionswidrigkeit des deutschen Urteils und gem. Art. 41 EMRK auf Schadensersatz beim EGMR einlegen. Wie bereits oben beschrieben,212 sind aber auch ohne ein konkretes Verfahren nach der Rechtsprechung des BVerfG213 die deutschen Grundrechte aufgrund des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes konventionskonform auszulegen und die Forderungen der EMRK sind für die deutschen Hoheitsträger grundsätzlich – innerhalb der durch das BVerfG aufgezeigten Grenzen – verbindlich. Diese Begrenzungen müssen im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren eine besondere Beachtung finden, da es sich bei dem Verfahren um ein bipolares Verhältnis zwischen den Streitparteien handelt, während das Verfahren vor dem EGMR lediglich das Verhältnis einer Schiedspartei zur Bundesrepublik Deutschland zum Gegenstand hat. Das bedeutet, dass ein Konventionsverstoß gegenüber einer der Streitparteien zwar möglicherweise eine Verurteilung durch den EGMR zur Folge hat, dieser Konventionsverstoß aber im zivilrechtlichen Rechtsstreit von einer untergeordneten Rolle ist, sodass trotzdem noch die andere Streitpartei obsiegen könnte. Die wesentlichen Argumente und Kriterien der EGMR-Entscheidung müssen aber im deutschen Verfahren zumindest in die Prüfung einbezogen und gewichtet werden. Die Konvention und die wesentlichen Grundlinien der Rechtsprechung der Konventionsorgane müssen also in abgewandelter Form jedenfalls auch im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren beachtet werden, indem die wesentlichen Argumente und Rechtsansichten des EGMR Berücksichtigung finden müssen.

210

Siehe supra Kap. 3. B. IV. 4. Siehe infra Kap. 4. A. II. 212 Siehe supra Kap. 3. B. IV. 4. a). 213 BVerfGE 111, 307 (322 ff.); 128, 326 (365). 211

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

In beiden Fällen kommen insbesondere Verstöße gegen das Justizgrundrecht gemäß Art. 6 EMRK, gegen das Eigentumsrecht gem. Art. 1 Abs. 1 ZP I und gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 14 EMRK in Betracht. Die Tatbestände werden dabei von dem EGMR häufig kumulativ geprüft, wie eine Zusammenschau der Rechtsprechung des EGMR zu aufgehobenen Schiedssprüchen demonstrieren soll. Drittens spielt schließlich Art. 6 EMRK noch bei der Überprüfung des Schiedsspruchs selbst im Wege der Doppelkontrolle eine wichtige Rolle.214 Die EMRK nimmt also auch auf die Zusammensetzung und Entscheidung des Schiedsgerichts selbst Einfluss. Zwar ist ein Schiedsgericht selber kein Gericht im Sinne des Art. 6 EMRK und ist dementsprechend zumindest nicht unmittelbar an die EMRK gebunden. Der Schiedsschuldner kann sich aber trotzdem im deutschen Verfahren auf Verstöße gegen die EMRK berufen. Im Wege der Doppelkontrolle muss der Vollstreckungsstaat anhand des Art. 6 EMRK auf effektive Weise sicherstellen, dass die Unterwerfung unter die Schiedsgerichtsbarkeit freiwillig geschah und die unverzichtbaren Grenzen eines fairen Verfahrens vom Schiedsgericht beachtet wurden. Ist dies nicht der Fall, liegt entweder ein Vollstreckungshindernis im Sinne des Art. V Abs. 1 UN-Übereinkommen vor oder der konventionswidrige Schiedsspruch ist nicht mit dem deutschen ordre public vereinbar und daher gemäß Art. V Abs. 2 UN-Übereinkommen nicht anerkennungsfähig.

II. Auslegungskriterien der EMRK und die Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR Die Konvention ist als völkerrechtlicher Vertrag grundsätzlich nach den Grundsätzen der Art. 31 bis 33 Wiener Übereinkommen über das Recht der völkerrechtlichen Verträge (WVK) auszulegen,215 wie bereits bei der Analyse des Art.  V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen dargelegt worden ist.216 Art. 31 WVK lautet: „A treaty shall be interpreted in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in the light of its object and purpose.“

Verträge zum Schutz der Menschenrechte weichen allerdings in vielen Bereichen von anderen völkerrechtlichen Übereinkommen ab und erfordern die Anwendung besonderer Auslegungskriterien. Menschenrechtsverträge betreffen nicht die gegenseitigen zwischenstaatlichen Beziehungen und den Austausch von Vergüns 214

Dazu Heller, S. 20 ff. Richtig EGMR, Urteil v. 21.02.1975, App. No. 4451/70, Golder ./. U. K., Rn.  29: Die WVK kodifiziere in diesem Bereich weitgehend Völkergewohnheitsrecht, weshalb eine entsprechende Anwendung auf die früher in Kraft getretene EMRK geboten sei; so auch Bernhardt, in: Matscher/Petzold (Hrsg)., FS Wiarda, S. 65; Ganshof van der Meersch, in: Matscher/ Petzold (Hrsg.), FS Wiarda, S. 202 Rn. 5; Malzahn, S. 136. 216 Siehe supra Kap. 2. A. IV. 215

C. Der Schutzstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention

193

tigungen, sondern erklären stattdessen feierliche Grundprinzipien für die humane Behandlung der Bürger der Vertragsstaaten.217 Sie nehmen daher viel stärker noch als die bereits behandelten, auf einen bestimmten Lebensbereich begrenzten Vollstreckungsübereinkommen direkten Bezug auf die nationale Rechtsordnung, also einen Bereich, der im klassischen Völkerrecht als Bereich der domaine interne betrachtet wurde.218 Die zur Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention berufenen Organe haben daher schon recht früh konventionsspezifische Auslegungskriterien entwickelt,219 die selbst über den in der WVK vorgesehenen Auslegungsmaßstab hinausgehen. Diese Vorgehensweise war bereits in der Präambel der Konvention angelegt.220 Dort heißt es, dass die Konvention dem Erhalt, aber auch der zukünftigen Realisierung der Menschenrechte („maintenance and further realization of human rights and fundamental freedoms“) dienen solle. Die ehemalige Kommission und der Gerichtshof, denen die Konvention die Zuständigkeit für eine authentische Interpretation zuspricht, haben diesen Grundgedanken bereits früh in ihrer Rechtsprechung aufgenommen und verfeinert. 1. Effet utile So zog der Gerichtshof, ähnlich wie der EuGH für das Europäische Gemeinschaftsrecht, bereits früh den Grundsatz des effet utile zur besseren Durchsetzung der gewährleisteten Menschenrechte heran. Die in der Konvention gewährleisteten Rechte dürften nicht so ausgelegt werden, dass sie theoretisch und illusorisch seien, sondern praxisorientiert und effektiv („practical and effective as­ opposed to theoretical and illusory“).221 Der Gerichtshof hat stets die überragende Bedeutung des effet utile betont und ausgeführt, dass prinzipiell gleichgestellte Auslegungsmethoden hinter diesem Grundsatz zurücktreten müssten, wenn dies für einen effektiven Grundrechtsschutz geboten erscheint.222 Auf der Grundlage des Effektivitätsgrundsatzes wird dem EGMR also ermöglicht, Inhalt und Reichweite der geschützten Rechte extensiv, die Grundrechtsschranken jedoch eng auszulegen.

217

Bernhardt, id., S. 66. Ibid. 219 Dazu ausführlich Malzahn, S. 141 ff. 220 Dazu Ganshof van der Meersch, in: Matscher/Petzold (Hrsg.), FS Wiarda, S. 202 Rn. 4. 221 EGMR, Urteil v.20.03.1991, App. No. 15576/89, Cruz Varas and others ./. Sweden, Rn. 99; Urteil v. 28.10.1998, App. No. 22924/93, Aït-Mouhoub ./. France, Rn. 52. 222 Malzahn, S. 144. 218

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

2. Dynamische Auslegung – die Konvention als „living instrument“ In der Rechtsprechung ist auch immer wieder der Gedanke der Präambel zu finden, dass die Konvention als „living instrument“ verstanden werden müsse.223 Sie wolle eben nicht den status quo bei Vertragsschluss zementieren, sondern müsse im Wege einer dynamischen Auslegung die Rechtsentwicklung hin zu einem modernen Grundrechtssystem fördern.224 Diese Auslegungsmethode wird hauptsächlich dort ins Feld geführt, wo Eingriffsschranken mit unbestimmten Rechtsbegriffen umschrieben werden.225 Sie erfasst nicht nur moderne Rechtsansätze in den Mitgliedstaaten, sondern ebenso den Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen. Die Konvention stehe diesen Entwicklungen offen gegenüber.226 3. „Law-making treaty“ und autonome Begriffsinterpretation Die Konvention als law-making treaty wolle und müsse nach Ansicht des EGMR Rechtsbegriffe autonom definieren und ausformen, also ein von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unabhängiges Begriffsverständnis entwickeln.227 Es bestehe zwar eine begriffliche Nähe des Konventionstextes zu den Verfassungstexten der Mitgliedstaaten, jedoch wolle die Konvention den Begriffen einen eignen internationalen Sinn geben.228 Der Gerichtshof blickt dabei im Rahmen einer „wertenden Rechtsvergleichung“ auf die nationalen Rechtsordnungen ihrer Mitgliedstaaten. Es sucht dabei „gemeinsames Recht“, das sich aus der Homogenität der Rechtsordnungen ergebe.229 Wildhaber hat 2002 als damaliger Präsident des EGMR in diesem Zusammenhang das Rechtsprechungsziel formuliert, durch das „Quasi-­ 223

EGMR, Urteil v. 25.04.1978, App. No. 5856/72, Tyrer ./. U. K., Rn. 31; Urteil v. 13.06.1979, App. No. 6833/74, Marckx ./. Belgium, Rn. 41; Urteil v. 09.10.1979, App. No. 6289/73, Airey ./.  Ireland, Rn. 26; st. Rspr. 224 Dazu Bernhard, in: Matscher/Petzold (Hrsg.), FS Wiarda, S. 69 f.; Ganshof van der Meersch, in: Matscher/Petzold (Hrsg.), id., S. 202 Rn. 5; Malzahn, S. 145; a. A. Grabenwarter/Pabel, § 5 Rn. 7, die die historische Auslegung anhand der travaux préparatoires zu stark betonen. 225 Grabenwarter/Pabel, § 5 Rn. 14. 226 EGMR, Urteil v. 25.04.1978, App. No. 5856/72, Tyrer ./. U. K., Rn. 31; Urteil v. 09.10.1979, App. No. 6289/73, Airey ./. Ireland, Rn. 26; Urteil v. 23.11.1983, App. No. 8919/80, Van der Mussele ./. Belgium, Rn.  32; Urteil v. 18.12.1986, App. No. 9697/82, Johnston and others ./.  Ireland, Rn. 53; Urteil v. 27.09.1990, App. No. 10843/84, Cossey ./. U. K., Rn. 35; Teilurteil zur Zulässigkeit v. 23.03.1995, App. No. 15318/89, Loizidou ./. Turkey, Rn. 71; Urteil v. 16.04.2002, App. No. 37971/97, Sociétés Colas Est and others ./. France, Rn. 41; Urteil v. 31.07.2003, App. No. 16219/90, Demades ./. Turkey, Rn. 33; zustimmend Malzahn, S. 145. 227 EGMR, Urteil v. 28.06.1978, App. No.  6232/73, König ./. Germany, Rn. 88; Ganshof van der Meersch, in: Matscher/Petzold (Hrsg.), FS Wiarda, S. 203 Rn. 8 ff; Grabenwarter/Pabel, § 5 Rn 9 ff. 228 Bernhard, in: Matscher/Petzold (Hrsg.), FS Wiarda, S. 66 f; Evrigenis, in: Bernhard/Geck/ Jaenicke/Steinberger (Hrsg.), FS Mosler, S. 194 ff. 229 Ganshof van der Meersch, EuGRZ 1981, S. 482.

C. Der Schutzstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention

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Verfassungsgericht“230 EGMR eine gemeinsame „öffentliche Ordnung Europas“ zu entwickeln.231 Dieses Vorgehen als eine Suche nach einem „gemeinsamen Nenner“ zu bezeichnen, ist etwas verzerrend.232 Vielmehr wird die vorzunehmende Wertung von dem Grundgedanken des Art. 54 EMRK233 geleitet.234 Die Rechtsprechung sucht eine „tendenzielle, grundsätzliche Übereinstimmung“235 der nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und ist bemüht, einen möglichst hohen gemeinsamen Schutzstandard zu etablieren. 4. „margin of appreciation“ Der Rechtsprechung der Kommission folgend spricht auch der EGMR den Mitgliedstaaten, insbesondere bei der Nutzung von unbestimmten Rechtsbegriffen in den Eingriffsschranken („general interest“, „public interest“), einen eigenen Ermessensspielraum zu.236 Die Rechtsprechung steht damit vor dem grundsätzlichen Problem, dass jede Auslegung dieser Begriffe diesen staatlichen Ermessensspielraum schmälert und damit auch die staatliche Souveränität, insbesondere auch die parlamentarische Handlungsfreiheit im betreffenden Mitgliedstaat beschränkt. Der EGMR löst dieses Problem, indem er auf den „subsidiären Charakter“ des internationalen Menschenrechtssystems verweist. Insbesondere im Rahmen der Grundrechtsschranken müsse den einzelnen Mitgliedstaaten ein Beurteilungsspielraum gelassen werden, da gesellschaftliche und moralische Anforderungen in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgeprägt sein können.237 5. Einbeziehung der Vollstreckungsübereinkommen im Rahmen einer dynamischen Auslegung Fraglich ist, ob für eine dynamische Auslegung der EMRK auch das Europäische Übereinkommen zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit einbezogen werden könnte. Dies hätte den Vorteil, den Kreis der anerkennungsfähigen Aufhebungsgründe, 230

Wildhaber, EuGRZ 2002, S. 569. Wildhaber, EuGRZ 2002, S.  571; pointierend Malzahn, S.  135: Ziel sei die Schaffung eines „ordre public Europas“. 232 Hailbronner, in: Bernhard/Geck/Jaenicke/Steinberger (Hrsg.), FS Mosler, S. 376 meint, es komme jedenfalls nicht „auf eine mathematische Übereinstimmung“ an. 233 Art. 54 ECHR: „Nothing in this Convention shall be construed as limiting or derogating from any of the human rights and fundamental freedoms which may be ensured under the laws of any High Contracting Party or under any other agreement to which it is a Party.“ 234 Ganshof van der Meersch, EuGRZ 1981, S. 482. 235 Hailbronner, in: Bernhard/Geck/Jaenicke/Steinberger (Hrsg.), FS Mosler, S. 376 f.: Der behauptete Standard müsse „grundsätzlich allgemeine Anerkennung finden“. 236 Ganshof van der Meersch, in: Matscher/Petzold (Hrsg.), FS Wiarda, S. 207 Rn. 17. 237 Dazu Hailbronner, in: Bernhard/Geck/Jaenicke/Steinberger (Hrsg.), FS Mosler, S. 381 ff.; zum Einfluss auf den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public siehe Renfert, S. 121 ff. 231

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

wie ihn das Eu-Übereinkommen abschließend aufzählt, bei der Interpretation des Art. 6 EMRK berücksichtigen zu können. Eine Aufhebung, die auf einem anderen als den im Eu-Übereinkommen aufgezählten Aufhebungsgründen basiert, wäre damit leichter als konventionswidrig identifizierbar. Auch für die EMRK gilt prinzipiell gem. Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK, dass spätere Übereinkünfte zwischen den Mitgliedstaaten für die Auslegung beachtet werden müssen, sofern sie sich auf den Konventionsgehalt beziehen lassen.238 Der EGMR hat bereits in mehreren Fällen nachfolgende Verträge, naturgemäß insbesondere Menschenrechtsverträge, für die Auslegung der Konvention herangezo­ gen,239 so beispielsweise den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Recht,240 die UN Konvention gegen Folter,241 die UN-Konvention gegen Sklave­rei,242 die UN-Konvention zu den Kindesrechten,243 die Europäische Sozialcharta244, Arbeitsschutzkonventionen, die im Rahmen der ILO geschlossen worden sind,245 oder die UN-Konvention gegen die grenzüberschreitende Kriminalität­ (Palermo-Konvention) mit dem Zusatzprotokoll zum Menschenhandel246. Ob auch das UN-Übereinkommen oder das Europäische Übereinkommen als solche Verträge mit menschenrechtlichem Bezug einzuordnen sind, ist jedenfalls nicht zweifelsfrei zu beantworten. Zwar schützen in materieller Sicht die beiden Verträge prinzipiell die Rechtspositionen der Schiedsparteien und formen damit deren Eigentumsrecht aus. Dagegen lässt sich jedoch einwerfen, dass das Eigentumsrecht in der Rechtsprechung des EGMR eine weniger bedeutsame Rolle gespielt hat und gerade im Ausland erworbene Rechtspositionen nicht unbedingt im Fokus der Straßburger Richter stehen. Völkerrechtliche Verträge mit zivilrechtlich wirkenden Regelungen sind eher im Bereich des Arbeitsrechts herangezogen worden. Die Heranziehung dieser Verträge steht daher nicht in einer Linie mit den anderen genannten Menschenrechtsverträgen, die sich im Wesentlichen eher auf den Schutz von Leib und Leben und anderen höchstpersönlichen Rechtsgütern beziehen. 238 Ausdrücklich EGMR, Urteil v. 07.01.2010, App. No. 25965/04, Rantsev ./. Cyprus and Russia, Rn. 273 f.; Grabenwarter/Pabel, § 5 Rn. 8. 239 Zusammenfassend EGMR, Große Kammer, Urteil v. 12.11.2008, App. No. 34503/97,­ Demir and Baykara ./. Turkey, Rn. 69–73; Urteil v. 07.01.2010, App. No. 25965/04, Rantsev ./.  Cyprus and Russia, Rn. 273–282; Dörr, in: Ders./Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the law of Treaties, Art. 31 Rn. 93 mwN. 240 EGMR, Große Kammer, Urteil v. 21.11.2001, App. No. 35763/97, Al-Adsani ./. UK, Rn. 60. 241 EGMR, Große Kammer, ibid. 242 EGMR, Urteil v. 26.07.2005, App. No. 73316/01, Siliadin ./. France, Rn. 86. 243 EGMR, Urteil v. 22.06.2004, App. No. 78028 & 78030/01, Pini and others ./. Rumania, Rn.  139; Urteil v. 26.07.2005, App. No. 73316/01, Siliadin ./. France, Rn.  87; Urteil v. 13.12.2007, App. No. 39051/03, Emonet and others ./. France, Rn. 65. 244 EGMR, Große Kammer, Urteil v. 11.01.2006, App. No. 52562 & 52620/99, Sørensen and Rasmussen ./. Denmark, Rn. 72. 245 EGMR, Urteil v. 26.07.2005, App. No. 73316/01, Siliadin ./. France, Rn. 85. 246 EGMR, Urteil v. 07.01.2010, App. No. 25965/04, Rantsev ./. Cyprus and Russia, Rn. 282.

C. Der Schutzstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention

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Voraussetzung für eine Anwendung des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK wäre zudem, dass die Vertragsparteien der EMRK weitgehend deckungsgleich mit den Vertragsparteien der beiden Vollstreckungsübereinkommen sind, sodass von einem einheitlichen Parteiwillen ausgegangen werden kann. Dabei hat der EGMR oft sehr weitreichend einen solchen einheitlichen Parteiwillen angenommen. So hat er im Fall Sørensen and Rasmussen ./. Denmark247 sogar die Charta der Grundrechte der Europäischen Union248 für die Interpretation der EMRK herangezogen, obwohl nur 26 von 47 Mitgliedstaaten des Europarats249 der Europäischen Union angehörten und die Charta grundsätzlich auch nur die Mitgliedstaaten bei der Ausführung von EU-Recht bindet. Zu erklären ist diese Rechtsprechung nur damit, dass im Fall Sørensen and Rasmussen ./. Denmark der agierende Staat EU-Mitglied war. Sie führt aber die Präzedenzwirkung der Rechtsprechung letztlich zu einer Quasi-­ Bindung der Nicht-EU-Mitgliedstaaten an Rechtsinstrumente, an die sie sich nicht gebunden haben. Dieses Vorgehen zur Weiterentwicklung der Menschenrechte ist zumindest bedenklich und sollte daher sehr vorsichtig gehandhabt werden. Vergleicht man den Ratifikationsstatus des UN-Übereinkommens mit dem der EMRK, so kann man feststellen, dass von den 47 Vertragsstaaten der EMRK lediglich Andorra nicht Mitglied des New Yorker UN-Übereinkommens geworden ist. Hingegen sind nur 28 Mitgliedstaaten der EMRK auch Mitglied des Euro­päischen Übereinkommens geworden.250 Es muss also davon ausgegangen werden, dass der EGMR die Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen grundsätzlich für die Interpretation des Eigentumsbegriffs heranziehen kann, wobei allerdings der Fokus der dynamischen Interpretation der EMRK in der Vergangenheit nicht auf dem Eigentumsrecht lag. Es kann aber zumindest mit Blick auf seine bisherige Judikatur nicht vollkommen ausgeschlossen werden, dass der EGMR auch das Europäische Übereinkommen in seine Prüfung mit einbeziehen könnte, was insbesondere für die Auslegung des Art. 6 EMRK im Rahmen des deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren eine Rolle spielen könnte. Dies betrifft aber zunächst nur das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren; das Verfahren im Sitzstaat bleibt zunächst unberührt. Für die Beantwortung der Frage, ob eine solche Einbeziehung der Vollstreckungsübereinkommen erfolgen könnte, muss zunächst geprüft werden, ob aufgehobene Schiedssprüche überhaupt in den Schutzbereich der Konvention fallen können. 247 EGMR,, Große Kammer, Urteil v. 11.01.2006, App. No. 52562 & 52620/99, Sørensen and Rasmussen ./. Denmark, Rn. 74. 248 Charta der Grundfreiheiten der Europäischen Union v. 12.12.2007, EU-Dok.-Nr. 3 2007 X 1214 (01), ABl. Nr. C 303 S. 1. 249 Runmänien trat erst kurz nach dem Urteil am 01.01.2007 der Europäischen Union bei. Der aktuelle Mitgliederstatus kann auf der Homepage des Europarats (Stand: 09.03.2013) abgerufen werden: http://www.echr.coe.int/ECHR/Homepage_EN. 250 Folgende EMRK-Mitgliedstaaten sind nicht Mitglied des Europäischen Übereinkommens geworden: Andorra, Armenien, Estland, Finnland, Georgien, Griechenland, Irland, Island, Lichtenstein, Malta, Monaco, die Niederlande, Norwegen, Portugal, San Marino, Schweden, die Schweiz, das Vereinigte Königreich und Zypern.

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

III. Die Justizgarantien des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Ein verhältnismäßig großer Teil der Rechtsprechung des EGMR beschäftigt sich mit den Justizgarantien des Art. 6 EMRK.251 Während sich die Absätze 2 und 3 dieser Vorschrift mit den Vorgaben für den Strafprozess beschäftigen, erfasst Absatz 1 auch Zivilverfahren. Die authentische252 englische Fassung des sich dem effektiven Rechtsschutz widmenden Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK lautet: „In the determination of his civil rights and obligations or of any criminal charge against him, everyone is entitled to a fair and public hearing within a reasonable time by an independent and impartial tribunal established by law.“

Die ebenfalls authentische französische Fassung lautet: „Toute personne a droit à ce que sa cause soit entendue équitablement, publiquement et dans un délai raisonnable, par un tribunal indépendant et impartial, établi par la loi, qui décidera, soit des contestations sur ses droits et obligations de caractère civil, soit du bien-fondé de toute accusation en matière pénale dirigée contre elle.“

Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Absatzes ist nach der Rechtsprechung, dass ein Anspruch nach innerstaatlichem Recht auf vertretbare Weise geltend gemacht wird, ein wirklicher und ernsthafter Streit darüber besteht und der Anspruch zivilrechtlicher Natur ist.253 1. Art. 6 EMRK und die Anforderungen an einen ausländischen Schiedsspruch gem. Art. V Abs. 2 lit. b) UN-Übereinkommen Zu den an die zu vollstreckenden Schiedssprüche zu stellenden Voraussetzungen im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens hat bisher nur die Europäische Kommission für Menschenrechte Stellung genommen. Sie folgert aus Art. 6 Abs. 1 EMRK eine Pflicht des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaats, dass vor der Anerkennung eines Schiedsspruchs die Fairness des Schiedsverfahrens überprüft werden müsse,254 wobei sie sich offenbar auf die Prüfung der ordre publicKlausel des Art. V Abs. 2 lit. b) UN-Übereinkommen bezieht. 251 So bereits Uerpmann, S. 26; Meyer-Ladewig, EMRK-Komm., Art. 6 Rn. 1 weist darauf hin, dass 57 % (931 von 1625) der Urteile des EGMR aus dem Jahr 2009 den Art. 6 EMRK betrafen. Ein erheblicher Teil davon (28 % aller Urteile) behandelte allerdings die überlange Verfahrensdauer. 252 Gemäß der Schlussklausel der EMRK sind nur der englische und der französische Text authentisch und damit für die Auslegung geeignet, Art. 33 WVK. 253 Vgl. Meyer-Ladewig, EMRK-Komm., Art. 6 Rn. 6. 254 KOM, Beschluss v. 02.12.1991, App. No. 18479/91, Jakob Boss Söhne KG ./. Germany: „This does not mean, however, that the respondent State’s responsibility is completely excluded […] as the arbitration award had to be recognised by the German courts and be given

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2. Auswirkungen des Art. 6 EMRK auf die Anerkennung des Aufhebungsverfahrens (§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) Bei der Frage, ob ein ausländisches Urteil in Deutschland anerkannt werden soll, prüfen die deutschen Gerichte gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, ob die ausländische Entscheidung gegen den nationalen ordre public verstößt, also ob „die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist […]“. Die deutsche Rechtsprechung hat sich bereits mehrfach im Rahmen der Prüfung des verfahrensrechtlichen ordre public auf Art. 6 EMRK berufen und die von der Rechtsprechung des EGMR aufgestellten Verfahrensgrundsätze als wesentlichen Bestandteil des Mindeststandard für die Anerkennung einer fremdstaatlichen Entscheidung bewertet.255 Unbestritten spielt Art. 6 Abs. 1 EMRK eine erhebliche Rolle bei der Bestimmung des in § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO verankerten deutschen verfahrensrechtlichen ordre public,256 der für die Bewertung ausländischer Entscheidungen im vollem Maße herangezogen werden kann und nicht etwa einer abgeschwächten Prüfung unterliegt.257 Art.  6 Abs.  1 EMRK schützt insbesondere die wesentlichen rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze und garantiert diesbezüglich einen verfahrensrechtlichen Mindeststandard in den Staaten des Europarats. Die Verfahrensgarantien lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: a) die Organisationsgarantien, die die Existenz von unabhängigen und unparteilichen, aufgrund eines Gesetzes errichteten Gerichten voraussetzen,258 b) das Recht auf effektiven Zugang zu diesen Gerichten259 und c) die Verfahrensrechte im engeren Sinne, die im Wesentlichen ein faires Verfahren garantieren wollen. Neben dem Recht auf einen effektiven Zugang zu den Gerichten ist für die Beurteilung eines ausländischen Aufhebungsverfahrens das Recht auf ein faires Verfahren („fair hearing“) besonders bedeutsam. Es ist in mehreren Entscheidungen des EGMR ausgestaltet und in mehrere Teilgarantien aufgespalten worden, die im Wesentlichen darauf gerichtet sind, den Parteien rechtlich gleiche Bedingungen für ihr Verfahrensposition zu bieten.260 Dazu gehören unter anderem der Grundsatz der Waffengleichheit, das Recht auf Akteneinsicht, der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf eine Entscheidungsbegründung. Der Gerichtshof hat sich executory effect by them.  The courts thereby exercised a certain control and guarantee as to the fairness and correctness of the arbitration proceedings which they considered to have been carried out in conformity with fundamental rights and in particular with the right of the applicant company to be heard.“ 255 Siehe dazu infra Kap. 4 B. IV. 2). 256 Renfert, S. 115 ff. mwN. 257 Dazu infra Kap. 4 B. IV. 2. c). 258 Siehe dazu ausführlich Grabenwarter/Pabel, § 24 Rn. 27 ff. 259 Grabenwarter/Pabel, § 24 Rn. 48 ff. 260 Grabenwarter/Pabel, § 24 Rn. 60.

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allerdings wiederholt auch ohne Heranziehung dieser besonderen Teilgarantien auf die Feststellung beschränkt, das Verfahren habe insgesamt nicht den Erfordernissen eines fairen Verfahrens genügt.261 Dies sei insbesondere dann anzunehmen, wenn das Ergebnis des Verfahrens derart willkürlich erscheine, dass es nicht mehr nachvollziehbar sei.262 Der für das Fairnessgebot zentrale Grundsatz der Waffengleichheit beinhaltet, dass jede Partei ihren Fall einschließlich der Beweise in der Art und Weise vorbringen kann, dass kein wesentlicher Nachteil gegenüber dem Gegner entsteht.263 Art. 6 EMRK erfordert also eine grundsätzliche verfahrensrechtliche Gleichgestellung der Parteien. Mit Art. 103 GG korrespondiert die aus Art. 6 EMRK gezogene Gewährleistung des rechtlichen Gehörs.264 Diese umfasst, dass der Betroffene seinen Standpunkt entweder persönlich oder durch einen ausreichend qualifizierten Vertreter vor dem Gericht vorbringen kann. Ihm muss dafür ausreichend Raum im Verfahren eingeräumt werden.265 Ebenso muss das Gericht das Vorbringen der Parteien und die dargelegten Beweise in angemessener Form würdigen.266 Wesentliche Voraussetzung für ein effektives rechtliches Gehör ist die Kenntnis vom Akteninhalt und den gegnerischen Schriftsätzen267 sowie die durch ausreichend großzügig ­bemessene 261

Vgl. EGMR, Urteil v. 12.06.2003, App. No. 35968/97, Van Kück ./. Germany, Rn. 55 ff. aufgrund der nicht ausreichend auf medizinische Grundlage gestellten Annahme eines deutschen Gerichts, der Beschwerdeführer habe seine Transsexualität bewußt herbeigeführt und habe damit keinen Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten; EGMR, Urteil v. 15.11.2007, App. No. 72118/01, Khamidov ./. Russia, Rn. 170 ff. aufgrund der ersichtlich selektiven Beweisauswertung eines Gerichts im Rahmen eines Schadensersatzprozesses gegen den russischen Staat. 262 Grabenwarter/Pabel, § 24 Rn. 60. 263 Vgl. Ambos, ZStW 2003 (115), S. 583 (592 ff.) mwN. 264 Grabenwarter/Pabel, § 24 Rn.  64; dies., in: Dörr/Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GGKonkordanzkomm., Kap. 14, Rn. 91 ff. 265 EGMR, Urteil v. 27.10.1993, App. No. 14448/88, Dombo Beheer B. V. ./. The Netherlands, Rn. 33: „[…] The Court agrees with the Commission that as regards litigation involving opposing private interests, ‚equality of arms‘ implies that each party must be afforded a reasonable opportunity to present his case – including his evidence – under conditions that do not place him at a substantial disadvantage vis-à-vis his opponent.“ 266 EGMR, Urteil v. 19.04.1993, App. No. 13942/88, Kraska ./. Switzerland, Rn. 30; Urteil v. 19.04.1994, App. No.  16034/90, Van de Hurk ./. The Netherlands, Rn. 59: „The effect of Article 6 para. 1 (art. 6–1) is, inter alia, to place the ‚tribunal‘ under a duty to conduct a proper examination of the submissions, arguments and evidence adduced by the parties, without prejudice to its assessment of whether they are relevant to its decision […]. It has to be determined whether this condition was satisfied in the instant case.“ 267 EGMR, Urteil v. 23.06.1993, App. No. 12952/87, Ruiz-Mateos ./. Spain, Rn.  63: „The Court will examine the complaint in the light of the whole of paragraph 1 of Article 6 (art. 6–1) because the principle of equality of arms is only one feature of the wider concept of a fair trial, which also includes the fundamental right that proceedings should be adversarial. The right to an adversarial trial means the opportunity for the parties to have knowledge of and comment on the observations filed or evidence adduced by the other party.“; Urteil v. 03.06.2003, App. No. 37372/97, Walston (No.1) ./. Norway, Rn. 58: „[…] The Court does not need to determine whether the omission to communicate the document caused the applicants prejudice;

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Fristen sichergestellte Möglichkeit, zu Beweisen und Stellungnahmen der Gegenpartei Bezug zu nehmen.268 Verstöße gegen den justiziellen Mindeststandard des Art. 6 EMRK werden also bei der Beantwortung der Frage, ob eine ausländische Entscheidung anerkennungsfähig ist, regelmäßig von den deutschen Gerichten im Rahmen der ordre public-Prüfung des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO berücksichtigt. Sofern das deutsche Gericht eine auf einem solchen schwerwiegenden Verfahrensfehler beruhende ausländische Aufhebungsentscheidung überprüft, müsste daher der Schiedsspruch anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden. 3. Auswirkungen auf die Beurteilung des Anerkennungsund Vollstreckungsverfahrens Interessanterweise kann das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren nach der bisher ergangenen Rechtsprechung selbst nicht vor dem EGMR erfolgreich angegriffen werden: Dass es sich bei dem Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren hinsichtlich eines aufgehobenen Schiedsspruch um eine Streitigkeit mit „zivilrechtlichem Charakter“ („determination of his civil rights and obligations“/„caractère c­ icil“) handelt, liegt auf der Hand. Der EGMR stellt darauf ab, ob das Verfahren für­ zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen unmittelbar entscheidend ist.269 Im Fall Nikas and Nika ./. Greece präzisierte der Gerichtshof diese Voraussetzung. Entscheidend sei, ob der Ausgang des Verfahrens zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen begründet, ändert oder aufhebt.270 Wie der EGMR später entschied, falle darunter auch das Zwangsvollstreckungsverfahren von ausländischen Titeln.271 Problematischer ist die Frage, ob der EGMR den im aufgehobenen Schiedsspruch liegenden zivilrechtlichen Anspruch anerkennen würde. Zwar wird der Begriff „Recht“ durch den EGMR autonom interpretiert. Voraussetzung für die Verfahrensgarantie nach Art. 6 EMRK sei jedoch ein materieller Rechtsanspruch, der the ­existence of a violation is conceivable even in the absence of prejudice […]. It is for the applicants to judge whether or not a document calls for their comments […]. In the present case, the mere fact that the applicants were unable to respond meant that they were placed at a disadvantage vis-à-vis the Bank in the High Court proceedings, in a manner at variance with the fair hearing guarantee in Article 6 § 1 of the Convention.“ 268 EGMR, Urteil v. 23.06.1993, App. No. 12952/87, Ruiz-Mateos ./. Spain, Rn. 66 f. 269 EGMR, Urteil v. 27.07.2000, App. No. 33379/96, Klein ./. Germany, Rn.  28; Urteil v. 25.02.2001, App. No. 29357/95, Gast u. Popp ./. Germany, Rn. 64. 270 EGMR, Urteil v. 13.07.2006, App. No. 31273/04, Nikas and Nika ./. Greece, Rn. 26. 271 EGMR, Urteil v. 18.02.2008, App. No. 69917/01, Saccoccia ./. Austria, Rn.  61 f.: „The Court has, again with regard to domestic proceedings, also found Article 6 to apply in respect of execution proceedings on the ground that it is the moment when the right asserted actually becomes effective which constitutes the determination of a civil right.“

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seine Grundlage im innerstaatlichen Recht hat.272 Ein ernsthafter Rechtsanspruch sei erst dann gegeben, wenn ihm wenigstens eine vertretbare Rechtsbehauptung zugrunde liege.273 Heikel ist dabei die Stellung, die der EGMR der nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung einräumt. Eine vertretbare Auslegung sei nur dann gegeben, wenn ein höheres Gericht ein „Recht“ angenommen habe. Regelmäßig weicht der EGMR von der vorgegebenen Linie der nationalen Rechtsprechung nur dann ab, wenn schwerwiegende Gründe dafür sprechen.274 Diese Judikatur führt letztlich dazu, dass nur dann über Art. 6 Abs. 1 EMRK erfolgreich Individualbeschwerde gegen das Ergebnis eines deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens erhoben werden könnte, wenn sich die ständige Rechtsprechung zu Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen änderte. Solange nach der deutschen Rechtsprechung ein im Ausland aufgehobener Schiedsspruch ein „rechtliches nullum“ darstellt, besteht auch nach der Rechtsprechung des EGMR kein schützenswertes Recht auf der EMRK-Ebene. Diese Rechtsprechung wirkt sich auch bei der Prüfung anderer EMRK-Rechte aus, wie die Fälle zum Eigentumsschutz demonstrieren können.

IV. Eigentumsschutz gemäß Art. 1 Abs. 1 ZP I EMRK 1. Die „vorsichtig tastende“ Rechtsprechung zum Eigentumsschutz Der hohe Anspruch der Konventionsorgane hinsichtlich der Entwicklung der Menschenrechte steht im eklatanten Gegensatz zur geradezu „vorsichtig tastenden“ Rechtsprechungsentwicklung zum Eigentumsschutz275, die deutlich in diesem Bereich hinter diesen hehren Zielen zurückgeblieben ist. Bis zur Entscheidung Sporrong und Lönnroth276 aus dem Jahr 1981 hat die Eigentumsverletzung kaum eine Rolle in der Rechtsprechung des EGMR bzw. der Kommission gespielt.277 Diese Zurückhaltung lässt sich nicht allein dadurch erklären, dass sich die Vertragsstaaten zunächst nicht für die Aufnahme eines Eigentumsrechts in den Katalog der durch die Konvention geschützten Menschenrechte einigen konnten. 272

EGMR, Urteil v. 14.12.2006, App.-No. 1398/03, Markovic and Others ./. Italy, Rn. 93. EGMR, Urteil v. 19.10.2005, App.-No. 32555/96, Roche ./. U. K., Rn.  117: „[…] the Court may not create through the interpretation of Article 6 § 1 a substantive right which has no legal basis in the State concerned […]. Its guarantees extend only to rights which can be said, at least on arguable grounds, to be recognised under domestic law.“ 274 EGMR, Urteil v. 28.09.1995, App. No. 15346/99, Masson ./. Netherlands, Rn.  49; Urteil v. 19.10.2005, App.-No. 32555/96, Roche ./. U. K., Rn.  120; Urteil v. 14.12.2006, App. No. 1398/03 – Markovic and Others ./. Italy, Rn. 95. 275 Fiedler, EuGRZ 1996, S. 354. 276 EGMR, Urteil v. 23.09.1982, App. No. 7151 & 7152/75, Sporrong and Lönnroth ./. Sweden, Rn. 61. 277 Malzahn, S. 174. 273

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Ein wesentlicher Grund für die Verzögerung war damals die Notwendigkeit, zu Gunsten der allgemeinen Akzeptanz den sozialistischen Staaten das Recht zuzugestehen, weiterhin Enteignungen privaten Eigentums durchführen zu können.278 Das Zusatzprotokoll Nr. 1279, das neben dem Eigentumsschutz das Recht auf Bildung (Art. 2) und das Recht auf freie Wahlen (Art. 3) regelt, wurde jedoch innerhalb weniger Jahre nachverhandelt und trat in vielen Mitgliedstaaten gleichzeitig mit dem Haupttext in Kraft.280 Der authentische281 englische Text des Art. 1 ZP I lautet: „Every natural or legal person is entitled to the peaceful enjoyment of his possessions. No one shall be deprived of his possessions except in the public interest and subject to the conditions provided for by law and by the general principles of international law. The preceding provisions shall not, however, in any way impair to right of a State to enforce such laws as it deems necessary to control the use of property in accordance with the general interest or to secure the payment of taxes or other contributions or penalties.“

Der ebenfalls authentische französische Text lautet wie folgt: „Toute personne physique ou morale a droit au respect de ses biens. Nul ne peut être privé de sa propriété que pour cause d’utilité publique et dans les conditions prévues par la loi et les principes généraux du droit international. Les dispositions précédentes ne portent pas atteinte au droit que possèdent les Etats de mettre en vigueur  les lois qu’ils jugent nécessaires pour réglementer l’usage des biens conformément à l’intérêt général ou pour assurer le paiement des impôts ou contributions ou des amendes.“

Leicht erkennbar weichen die beiden Sprachfassungen im ersten Satz voneinander ab. „The peaceful enjoyment of his possessions“ ist nicht gleichzusetzen mit dem „droit au respect de ses biens“. Der EGMR hat allerdings schon in der Sache Marckx ./. Belgium festgestellt, dass die Abweichung der Texte nicht entscheidend sei, sondern versteht beide Texte als umfassende Eigentumsgarantie.282 Schon ein flüchtiger Blick in den Text offenbart die Zurückhaltung der Staaten, sich in diesem Bereich zu binden. Art. 1 ZP I garantiert zwar jeder natürlichen und juristischen Person die Achtung ihres Eigentums. Die Formulierung des Protokolls ist aber offenbar das Ergebnis eines diplomatischen Kompromisses.283 Der Bezug 278

Merrills/Robertson, S. 12. Protocol No. I vom 20.03.1952, BGBl. 1957 II S. 226; das Protokoll ist mit Ausnahme der Schweiz und Monaco für alle Mitgliedstaaten des Europarats verbindlich. 280 Übersicht bei Klein, in: Kempen (Hrsg.), Die rechtsstaatliche Bewältigung der demokra­ tischen Bodenreform, S. 68. 281 Gemäß der Schlussklausel der EMRK sind nur der englische und der französische Text authentisch und damit für die Auslegung geeignet, Art. 33 WVK. 282 EGMR, Urteil v. 13.06.1979, App. No. 6833/74, Marckx ./. Belgium, Rn. 63. 283 Dolzer, Eigentum, Enteignung u. Entschädigung, S. 97 f: Die travaux préparatoires ließen das Fehlen einer gemeinsamen Linie, insbesondere hinsichtlich einer Entschädigungspflicht, erkennen. 279

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auf das „öffentliche Interesse“, „Gesetz“ und das „Allgemeininteresse“ – ganz zu schweigen von der Bereichsausnahme für Steuern, Abgaben und Strafzahlungen – lässt erkennen, wieweit die Staaten ihre ureigenen Interessen gefährdet sahen.284 Dolzer weist richtig darauf hin, dass die Lektüre eher darauf hindeute, dass die Beantwortung der Frage, was das „öffentliche Interesse“ („public interest“/„utilité publique“) und das „Allgemeininteresse“ („general interest“/„l’intérêt général“) beinhalte, nicht etwa den Konventionsorganen, sondern den Mitgliedstaaten zugewiesen worden sei.285 Eigentum solle offenbar nur im gesellschaftlichen Kontext gewährleistet werden.286 Hans-Joachim Cremer sieht es ähnlich und ist der Ansicht, dass Eigentum als rechtliches Phänomen nur mit Blick auf die betreffende nationale Rechtsordnung verstanden werden könne. Der Text der Eigentumsgarantie enthalte daher sogar einen Verweis auf die Rechtsordnung der Mitgliedstaaten.287 Trotzdem führe dies nicht dazu, dass der Eigentumsbegriff der Konvention notwendigerweise dem jeweiligen nationalen Eigentumsbegriff folgen müsse. Die Streitigkeiten bei der Abfassung des Protokolls haben wahrscheinlich wesentlich zu der Zurückhaltung der Rechtsprechungsorgane hinsichtlich einer Überprüfung staatlicher Maßnahmen am Maßstab des Art. 1 ZP I beigetragen.288 Schon der Inhalt des ersten Absatzes war hinsichtlich des Inhalts der „Allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts“ umstritten. Viele Staaten waren der Ansicht, dass damit lediglich auf das Fremdenrecht Bezug genommen werden sollte und daher nur der enteignete Ausländer Anspruch auf eine Entschädigungsleistung habe.289 Dieser Ansicht ist die Kommission in den ersten Jahren ihrer Rechtsprechung gefolgt und hat  – möglicherweise in einer mehr oder minder ausgeprägten „eigentumsspezifischen Befangenheit“290 – in zwei Entscheidungen aus den 60er Jahren eine darüber hinausgehende Entschädigungsverpflichtung für eigene Staatsangehörige abgelehnt.291 Sie hat damit die Entwicklung der Judikatur für fast zwei Jahrzehnte stark gehemmt. Von einem effektiven Grundrechtsschutz durch die Recht­ sprechung kann man, obwohl immer noch nur sehr wenige Verstöße festgestellt worden sind, erst ab Anfang der 80er Jahre sprechen.292

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So auch Fiedler, EuGRZ 1996, S. 354, der pointiert ausführt, dass mit der Kontrolle seiner wirtschaftlichen Instrumente der „existentielle Lebensnerv“ eines Staates betroffen ist. 285 Dolzer, in: Fürst/Herzog/Umbach (Hrsg.), FS Zeidler, S. 1677. 286 H.-J. Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG-Konkordanzkomm., Kap. 22 Rn. 20. 287 H.-J. Cremer, id., Rn. 21; ähnlich Ganshof van der Meersch, EuGRZ 1981, S. 481. 288 So Dolzer, in: Fürst/Herzog/Umbach (Hrsg.), FS Zeidler, S. 1679; Malzahn, S. 174. 289 Dolzer, Eigentum, Enteignung u. Entschädigung, S. 97 f.: Diese Ansicht wurde beispielsweise von der schwedischen Delegation vertreten, während die Delegation der Bundesrepublik Deutschland eine generelle Entschädigungspflicht als vereinbart ansah. 290 So Malzahn, S. 175. 291 KOM., Entscheidung v. 20.12.1960, App. No. 511/59, Gudmundsson ./. Island; Entscheidung v. 16.12.1965, App. No. 1870/63, X ./. Bundesrep. Deutschland. 292 Malzahn, S. 176.

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2. Der personelle Schutzbereich der Konvention Gegenüber dem grundrechtlichen Schutzstandard des Grundgesetzes liegt leicht erkennbar eine Erweiterung des personellen Schutzbereichs vor. Nach dem Wortlaut des Zusatzprotokolls ist jede, also auch jede ausländische juristische Person („Every legal person“, „Toute personne morale“) ausdrücklich geschützt. Eine Einschränkung auf inländische juristische Personen, wie sie in Art. 19 Abs. 3 GG zu finden ist, ist zumindest nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht vorhanden.293 Aber auch aus der Systematik der EMRK wird diese Feststellung bestätigt. Art. 1 EMRK, der gemäß Art. 5 ZP I294 auch auf das Zusatzprotokoll I anzuwenden ist, bestimmt ausdrücklich eine Anwendbarkeit der Konvention auf jede Person, die der Hoheitsgewalt der Mitgliedstaaten („everyone within their jurisdiction“, „toute personne relevant de leur juridiction“) unterliegt. Auf eine territoriale Begrenzung, die auf eine Begrenzung der Anwendbarkeit auf inländische juristische Personen schließen lassen könnte, wurde von den Mitgliedstaaten verzichtet. Demgemäß muss daraus geschlossen werden, dass auch ausländische juristische Personen, die der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaats unterliegen, geschützt werden sollen.295 3. Der materielle Schutzbereich a) Die Regelungsstruktur nach der EGMR-Rechtsprechung Im Jahr 1981 hat sich der EGMR mit dem Urteil zum Fall Sporrong und­ Lönnroth296 zum ersten Mal zur Struktur des Art. 1 ZP I geäußert: Art. 1 ZP I enthalte drei verschiedene Regelungen: Die erste Regelung in Abs. 1 S. 1 ZP I sei allgemeiner Natur und betone das Prinzip der friedlichen Nutzung („peaceful enjoyment“) bzw. des staatlichen Respekts („droit au respect de ses biens“) gegenüber dem Eigentum. Sie sei als Auffangrecht ausgestaltet und nachrangig zu prüfen.297 Die zweite Regel sei in Abs. 1 S. 2 enthalten und betreffe die Eigentumsentziehung („deprivation of possessions“), die bestimmten Regelungen unterstellt wird. Der zweite Absatz enthalte schließlich die dritte Regelung, die den Mitgliedstaaten gestatte, die Nutzung des Eigentums zum Wohle der Allgemeinheit zu regeln. 293

H.-J. Cremer, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG-Konkordanzkomm., Kap. 22 Rn. 27. Art. 5 ZP I EMRK: „As between the High Contracting Parties the provisions of Articles 1, 2, 3 and 4 of this Protocol shall be regarded as additional articles to the Convention and all the provisions of the Convention shall apply accordingly.“ 295 So auch Frowein, in: Ders./Peukert (Hrsg.), EMRK-Komm., Art.  1 Rn.  3; Johann, in: Karpen­stein/Mayer (Hrsg.), EMRK-Komm., Art. 1 Rn. 16 f.; Meyer-Ladewig, EMRK-Komm., Art. 1 Rn. 16; Röben, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG-Konkordanzkomm., Kap. 5 Rn. 36. 296 EGMR, Urteil v. 24.09.1981, App. No. 7151 & 7152/75, Sporrong and Lönnroth ./. Sweden, Rn. 61. 297 EGMR, ibid. 294

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Diese drei Regelungen stehen jedoch nach der James-Entscheidung298 aus dem Jahr 1986 nicht unverbunden nebeneinander. Die erste Regelung enthalte vielmehr ein Grundprinzip, das bei der Auslegung der beiden anderen Regelungen Be­ achtung finden müsse. b) Forderungen als geschütztes Eigentum Die Vorschrift ist nach dem Wortlaut in einem weiten völkerrechtlichen Sinne zu verstehen. Geschützt wird nicht nur das Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen, sondern erstrecke sich insbesondere auch auf alle „wohlerworbe­ nen“, vermögenswerten Rechte („acquired/vested rights“, „droits acquis“).299 Der sachliche Schutzbereich wird also grundsätzlich weiter gefasst als der des Art. 14 GG. Er ist im Gegensatz zur grundgesetzlichen Regelung nicht normge­ prägt und der Begriff des Eigentums wird autonom durch den EGMR ausgelegt.300 Forderungen fallen prinzipiell unter den Eigentumsbegriff des Art.  1 ZP  I EMRK. Sie stellten nach ständiger Rechtsprechung des EGMR aber nur dann bestehende Eigentumspositionen dar, wenn sie grundsätzlich soweit im nationalen Recht anerkannt sind, dass sie vollstreckt werden könnten („sufficiently established to be enforceable“, „suffisamment établies pour être exigible“).301 Nach der Judikatur des EGMR sei das regelmäßig nur dann der Fall, wenn sie durch eine endgültige und verbindliche gerichtliche Entscheidung anerkannt worden sind.302 Fehlt es an dieser Feststellung oder hat ein innerstaatliches Gericht sogar rechtskräftig entschieden, dass keine Forderung bestehe, so fehle es bereits an einer Position, die durch Art. 1 ZP I geschützt sei.303 Wenn die betreffende Forderung jedoch eine ausreichende Grundlage im innerstaatlichen Recht habe, etwa wenn sie durch eine ständige Rechtsprechung anerkannt sei, habe der Beschwerdeführer eine durch Art. 1 ZP I geschützte „legitimate expectation“ gehabt.304 298

EGMR, Urteil v. 21.02.1986, App. No. 8793/79, James and others ./. U. K., Rn. 37. EGMR, Urteil v. 26.06.1986, App. No. 8543, 8674, 8675 & 8685/79, Van Marle and others ./.  the Netherlands, Rn. 41; Grabenwarter/Pabel, § 25 Rn. 3; Peukert, in: Frowein/Ders., EMRKKommentar, Art. 1 des 1. ZP. Rn. 2. 300 H.-J. Cremer, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG-Konkordanzkomm. Kap. 22 Rn. 40; Grabenwarter/Pabel, § 25 Rn. 2; Kaiser, in: Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK-Komm, Art. 1 ZP I, Rn. 2; Meyer-Ladewig, EMRK-Komm., Art. 1 ZP I, Rn. 9. 301 EGMR, Urteil v. 09.12.1994, App. No. 13427/87, Stran Greek Refineries and others ./.  Greece, Rn. 59; Urteil v. 06.03.2003, App. No. 41510/98, Jasiūnienė ./. Lithuania, Rn. 44; Urteil v. 07.05.2002, App. No. 59498/00, Bourdov ./. Russia, Rn. 40; ständige Rspr. 302 EGMR, Urteil v. 09.12.1994, App. No. 13427/87, Stran Greek Refineries and others ./.  Greece, Rn.  59 ff.; Urteil v. 14.12.1999, App. No. 37098/97, Antonakopoulos and others ./.  Greece, Rn. 31 f.; Urteil v. 03.04.2008, App. No. 773/03, Regent Company ./. Ukraine, Rn. 61 f. 303 EGMR, Urteil v. 18.04.2002, App. No. 49144/99, Ouzounis and others ./. Greece, Rn. 25. 304 EGMR, ibid; Urteil v. 28.09.2004, App. No. 44912/98, Kopecký ./. Slovakia, Rn.  52; Große Kammer, Urteil v. 06.10.2005, App. No. 11810/03, Maurice ./. France, Rn. 63–66. 299

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In den Fällen Stran Greek Refineries und Kin-Stib und Majkić ./. Serbia hat der Gerichtshof klargestellt, dass ein Schiedsspruch grundsätzlich eine durch Art.  1 ZP I EMRK geschützte Rechtsposition sein könne, sofern der Schiedsspruch nach serbischem Recht eine ausreichende Vollstreckungsgrundlage und damit einen geschützten Vermögenswert („possesssions“) darstelle.305 Übertragen auf die Situation des deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens bedeutet dies zumindest, dass ein Schiedsspruch vor der fremdstaatlichen Aufhebung eine geschützte Rechtsposition darstellt. Diesem Schutzaspekt kann letztlich nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Aufhebungsentscheidung den Anforderungen sowohl des Art. 1 Abs. 1 ZP I EMRK wie auch des Art. 6 Abs. 1 EMRK genügen muss. Es muss daher ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, ob die grundlegenden rechtsstaatlichen Grundsätze im Aufhebungsverfahren eingehalten worden sind. Deutlich erkennbar ist der Einfluss der Judikatur zum Art. 6 EMRK auf die sich später entwickelnde Rechtsprechung zum Eigentumsschutz. Letztlich führt dies dazu, dass beide Artikel eine gefestigte nationale Rechtsposition zur Durchsetzung erfordern, die darin zu erkennen ist, dass der Schiedsspruch vor dem Aufhebungsverfahren eine Vollstreckungsgrundlage dargestellt hat und daher die Aufhebung selber rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen muss.

V. Art. 14 EMRK Im Gegensatz zu dem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG enthält Art. 14 EMRK nur einen akzessorischen Gleichheitssatz. Er greift also nur dann ein, wenn der Schutzbereich eines speziellen Freiheitsrechts eröffnet ist.306 Das schließt eine selbstständige Prüfung des Diskriminierungsverbots regelmäßig aus, kann aber bei der Prüfung, ob Art. 1 Abs. 1 ZP I verletzt ist, eine wesentliche Rolle spielen, beispielsweise wenn nur Ausländer einer bestimmten Nationalität von eigentums­ relevanten Maßnahmen betroffen sind. Im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit scheint eine solche Prüfung jedoch nicht besonders aussichtsreich zu sein, da es sich bei den Aufhebungsentscheidungen generell um Einzelfallentscheidungen handelt, sodass eine Vergleichsgruppe, zu der gegebenenfalls eine Ungleichbehandlung bestehen könnte, nur schwer zu ermitteln sein wird.

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EGMR, Urteil v. 09.12.1994, App. No. 13427/87, Stran Greek Refineries and Stratis Andreadis ./. Greece, Rn. 61; Urteil v. 20.04.2010, App. No. 12312/05, Kin-Stib & Majkić ./.  Serbia., Rn. 83: „if it is sufficiently established to be enforceable“; siehe zu den beiden Urteilen auch infra Kap. 3 C. VI. 306 König/Peters, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG-Konkordanzkomm., Kap. 21 Rn. 11; Meyer-Ladewig, EMRK-Komm., Art. 14 Rn. 5; Sauer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK-Komm., Art. 14 Rn. 3.

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

VI. Schiedssprüche in der Rechtsprechung des EGMR Wie bereits ausgeführt, kann bei der Beurteilung ausländischer Aufhebungsentscheidungen vor deutschen Gerichten Art.  6 Abs.  1 EMRK zusammen mit dem deutschen Rechtsstaatsprinzip als wesentlicher Bestandteil des deutschen verfahrensrechtlichen ordre public eine entscheidende Rolle spielen.307 1. Der Schiedsspruch als geschützte Forderung – Der Fall Stran Greek Refineries ./. Greece308 a) Sachverhalt309 Der Fall geht auf einen Vertrag aus dem Jahr 1972 zwischen dem griechischen Unternehmer Andreadis, der später zur Vertragserfüllung das Unternehmen Stran Greek Refineries (im Folgenden: „Stran“) gründete, und dem griechischen Staat zurück, der von einer Militärjunta regiert wurde. Der Unternehmer wurde beauftragt, in Griechenland für 76 Millionen US-Dollar eine Ölraffinerie zu errichten und zu betreiben. 58 Millionen US-Dollar sollte Andreadis aus dem westlichen Ausland akquirieren. Als Sicherheit hinterlegte er bei der griechischen Regierung einen Scheck über 251 Millionen Griechische Drachmen. Der Vertrag enthielt eine Schiedsklausel. Für den Bau wurden von dem griechischen Staat Privatgrundstücke enteignet, auf denen mit dem Raffineriebau auch begonnen wurde. Bereits 1973 übereignete die Regierung allerdings teilweise für den Bau bestimmte Grundstücke wieder an die ehemaligen Eigentümer zurück und verfügte einen teilweisen Baustopp. Nach dem Sturz der Militärregierung 1975 erließ die neu demokratisch gewählte Regierung ein Gesetz, nach dem die von der Militärjunta geschlossenen Verträge rückgängig gemacht bzw. beendet wurden. Mit den entsprechenden Verträgen sollten auch alle Sonderabsprachen außer Kraft treten.310 Stran wehrte sich nicht gegen die Beendigung des Vertrages, der am 14.10.1977 durch den zuständigen Regierungsausschuss offiziell beendet wurde. Noch vor der Beendigung des Vertrages waren Stran bereits Aufwendungen in Höhe von ca. 22,8 Millionen US-Dollar und ca. 877.000 Französischen Francs entstanden, die das Unternehmen neben dem hinterlegten Scheck nunmehr zunächst 307

Siehe dazu infra Kap. 4 B. IV. 2. b). EGMR, Urteil v. 09.12.1994, App. No. 13427/87, Stran Greek Refineries and Stratis­ Andreadis ./. Greece. 309 Die Darstellung des Sachverhalts und der vorinstanzlichen Entscheidungen ist dem EGMR-Urteil, Rn. 1–26 entnommen. 310 Art. 2 Abs. 5 Law Nr. 141/1975: „Following the termination of a contract […] the special privileges and agreements shall cease to have effect and the undertaking or investment shall be subject to the ordinary laws governing ordinary undertakings and investments […].“ 308

C. Der Schutzstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention

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vor dem Athener erstinstanzlichen Gericht zurückforderte. Der Rechtsstreit drehte sich im Wesentlichen um die Frage, ob die vereinbarte Schiedsklausel mit Beendigung des Vertrages ebenfalls erloschen ist. b) Der Schiedsspruch Die griechische Regierung zweifelte im Verfahren vor dem Athener Landgericht die Zulässigkeit der Klage aufgrund der Schiedsklausel an. Das Gericht folgte aber dieser Rechtsansicht nicht und stellte mit Zwischenurteil v. 29.09.1979 seine Zuständigkeit fest.311 Die griechische Regierung beantragte jedoch trotz des Urteils am 12.06.1980 die Durchführung eines Schiedsverfahrens vor einem ad hocSchiedskörper mit dem Antrag, festzustellen, dass alle vor dem Landgericht geltend gemachten Ansprüche Stran nicht zustünden.312 Das Schiedsgericht war der Ansicht, dass die Schiedsabrede trotz Beendigung des Vertrages weiterhin gültig geblieben war und sprach mit Schiedsspruch vom 27.02.1984 Stran 70 % der ursprünglichen Gesamtforderung und den Herausgabeanspruch hinsichtlich des Schecks zu.313 Das Schiedsgericht urteilte, dass Stran an dem entstandenen Schaden eine Mitschuld zur Last gelegt werden könne, da das Unternehmen auf den enteigneten Grundstücken mit den Bauarbeiten begonnen hatte, ohne das Ergebnis der anhängigen Klagen der ehemaligen Besitzer noch eine Erteilung einer Baugenehmigung abzuwarten.314 c) Das Aufhebungsverfahren Die griechische Regierung beantragte nunmehr vor dem Athener Landgericht die Aufhebung des ergangenen Schiedsspruchs.315 Das Gericht entschied entgegen dem Ergebnis des ersten Verfahrens mit Urteil vom 21.04.1985,316 dass die Schiedsabrede durch das Gesetz Nr. 141/1975 nicht erloschen sei und wies den Aufhebungsantrag ab. Auch das daraufhin von der griechischen Regierung angerufene Athener Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass es der griechischen Rechtstradition entspreche, auch bei Beendigung eines Vertrages von der Fort­ geltung der Schiedsklausel auszugehen und wies den Antrag auf Aufhebung mit Urteil vom 04.11.1986317 ebenfalls ab. 311

No.13910/1979. EGMR, Urteil v. 09.12.1994, App. No. 13427/87, Stran Greek Refineries and Stratis­ Andreadis ./. Greece, Rn. 12. 313 EGMR, id., Rn. 13. 314 EGMR, ibid. 315 EGMR, Urteil v. 09.12.1994, App. No. 13427/87, Stran Greek Refineries and Stratis­ Andreadis ./. Greece, Rn. 15. 316 No. 5526/1985. 317 No. 9336/1986. 312

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Die Regierung rief daraufhin den Areopag als Revisionsgericht an. Das Gericht legte den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 04. Mai 1987, verlegte den Termin dann aber auf Antrag der Regierung auf den 01. Juni, da das Ergebnis eines Gesetzgebungsverfahrens abgewartet werden sollte, das entscheidungserheblich sei.318 Am 22. Mai 1987 verabschiedete das griechische Parlament das „interpretierende“ Gesetz Nr. 1701/1987. Art. 77 der Griechische Verfassung von 1975 erlaubte es dem Parlament, eine authentische Auslegung eines jeden Gesetzes vorzunehmen. In Art. 12 Gesetz Nr. 1071/1987 wurde festgestellt, dass von der Beendigung der Verträge aus der Periode der Militärjunta 1972–1975 auch die Schiedsabreden betroffen sein sollten.319 Der Berichterstatter des ersten Senats des Aeropag hielt diese Neuregelung für verfassungswidrig, da Art. 107 der griechischen Verfassung eine einmalige gesetzliche Regelung hinsichtlich dieser Altfälle vorsah. Die Kammer überwies das Verfahren daher mit Zwischenurteil vom 10.07.1987 zur Entscheidung an die große Kammer des Kassationsgerichts.320 Mit Urteil vom 16.03.1989321 entschied das Gericht, dass das neue Gesetz mit der griechischen Verfassung vereinbar sei und hob daraufhin den Schiedsspruch auf. Im Wesentlichen basiert die Entscheidung auf dem Gedanken, dass zwar eine Modifizierung oder Ergänzung des ursprünglichen Gesetzes von 1975 zwar verfassungswidrig sei, ein solches Verbot jedoch nicht einer Interpretation des vorhandenen Gesetzestextes entgegenstehe.322 Das Gesetz sei hinsichtlich der Schiedsabreden auch auslegungsbedürftig, zumal in der internationalen Praxis­ unterschiedliche Ansichten zu dieser Frage vertreten werden. Das Parlament habe daher ein „interpretierendes Gesetz“ erlassen dürfen. d) Die Entscheidungen der Konventionsorgane Die eingelegten Individualbeschwerden von Andreadis und Stran wurden von der Kommission zugelassen. Die Kommission war der Ansicht, dass ein Verstoß Griechenlands gegen das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK vorliege, jedoch läge kein Fall einer überlangen Verfahrensdauer vor. Außerdem entschied die Kommission einstimmig, dass ein Verstoß gegen Art.  1 ZP  I vor­ gelegen habe.323

318

EGMR, Urteil v. 09.12.1994, App. No. 13427/87, Stran Greek Refineries and Stratis­ Andreadis ./. Greece, Rn. 19. 319 EGMR, id., Rn. 20. 320 No. 1387/1987. 321 No. 4/1989. 322 EGMR, Urteil v. 09.12.1994, App. No. 13427/87, Stran Greek Refineries and Stratis­ Andreadis ./. Greece, Rn. 22. 323 EGMR, id., Rn. 27 f.

C. Der Schutzstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention

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Der EGMR ist der Empfehlung der Kommission gefolgt. Es habe hier eine unsachgemäße Einmischung des Parlaments in ein laufendes Verfahren vorgelegen, die das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt habe. Die Verfahrensdauer sei aber aufgrund der Veränderung der Gesetzeslage kurz vor Beginn des Verfahrens am Kassationsgericht und der Komplexität des Verfahrens noch zumutbar gewesen. Hinsichtlich des Eigentumsschutzes geht der EGMR zunächst der Frage nach, ob der Schiedsspruch zu den geschützten „possessions“ gehört. Er bejaht diese Frage aufgrund zweier Erwägungen: Zum einen sei ein Schiedsspruch nach dem Willen des griechischen Gesetzgebers grundsätzlich eine abschließende Entscheidung und demnach vollstreckbar.324 Zum anderen sei bis zum Eingreifen des Gesetzgebers der Anspruch auch bereits von zwei gerichtlichen Instanzen bestätigt und festgestellt worden, dass kein Grund für eine Aufhebung gegeben gewesen sei.325 Das „interpretierende Gesetz“ habe dem Kassationsgericht hingegen keine Möglichkeit einer anderslautenden Entscheidung gelassen. Es handele sich um einen de facto-Vermögensentzug, der die Forderung praktisch entfallen ließe.326 Es habe damit ein Eingriff in das Eigentumsrecht vorgelegen. Zu Beginn der Prüfung der Rechtfertigung stellt der Gerichtshof kurz fest, dass im vorliegenden Fall weder eine Enteignung noch eine Maßnahme zur Nutzungskontrolle des Eigentums vorgelegen habe. Der Eingriff falle vielmehr unter die, von der Rechtsprechung als Auffangrecht konstruierte327 erste Regelung des Art. 1 Abs. 1 S. 1 ZP I der friedlichen Nutzung des Eigentums. Der Gerichtshof müsse daher eine Abwägung zwischen den allgemeinen Interessen der Gemeinschaft und den Erfordernissen der Individualrechte vornehmen.328 Zwar verfolge die Beendigung von Verträgen, die aus einer Zeit des brutalen Agierens einer Militärregierung stammen, als legitimes Ziel nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern auch Restaurationsinteressen einer demokratischen Gesellschaft.329 Zur Erreichung dieses Ziels war die Beendigung solcher Vorzugsverträge für den demokratischen griechischen Staat auch erforderlich.330 Das Restaurationsinteresse des demokratischen Staates überwiege bei der Beendigung gegenüber einzelnen Individualforderungen.331 324

EGMR, Urteil v. 09.12.1994, App. No. 13427/87, Stran Greek Refineries and Stratis­ Andreadis ./. Greece, Rn. 61. 325 EGMR, id., Rn. 62. 326 EGMR, id., Rn. 63. 327 EGMR, Urteil v. 24.09.1981, App. No. 7151 & 7152/75, Sporrong and Lönnroth ./. Sweden, Ziff. 61. 328 EGMR, Urteil v. 09.12.1994, App. No. 13427/87, Stran Greek Refineries and Stratis­ Andreadis v. Greece, Rn. 69. 329 EGMR, Urteil v. 09.12.1994, App. No. 13427/87, Stran Greek Refineries and Stratis­ Andreadis ./. Greece, Rn. 70. 330 EGMR, id., Rn. 72. 331 EGMR, id., Rn. 71.

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Die Beendigung eines solchen Vertrages dürfe aber die Schiedsabrede nicht miterfassen, weil dadurch der agierende Staat die Möglichkeit erhalte, den Rechtsweg de facto zu versperren.332 Nicht nur die Praxis der internationalen Gerichte333, sondern auch das griechische Rechtssystem sei bisher stets davon ausgegangen, dass bei Beendigung eines Vertrages die Schiedsabrede weiter bestehen bleibe.334 Die Bestätigung durch das Land- und Berufungsgericht sowie das Zwischenurteil des Berichterstatters der ersten Kammer des Aeropags haben diese Rechtsauffassung geteilt.335 Das Eingreifen des Gesetzgebers in diesem Stadium des Verfahrens und damit die nachträgliche Aufhebung einer solchen Schiedsabrede haben daher die fundamentalen Individualrechte des Beschwerdeführers nicht ausreichend beachtet.336 e) Fazit Das Urteil erkennt richtigerweise an, dass in Schiedssprüchen verkörperte Forderungen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 1 ZP I fallen können. Und zwar selbst dann, wenn der Schiedsspruch nach der Rechtsordnung des Ursprungslands aufgehoben worden ist. Hinzukommen muss jedoch, dass der Beschwerdeführer eine „legitime Erwartung“ haben muss, dass die ehemals titulierte Forderung verbindlich und vollstreckbar ist. Dieses Vertrauen kann offenbar nur auf einer klaren, von der Rechtsprechung in der Vergangenheit bestätigten Rechtslage beruhen. In dem Extremfall Stran war diesbezüglich kein Zweifel angebracht, da der Gesetzgeber im laufenden Verfahren die Rechtslage verändert hatte. Es ist offenbar auch so, dass die Erwägungen des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK (faires Verfahren) stark mit den Ausführungen zu Art. 1 Abs. 1 ZP I verknüpft werden. Die Tatsache, dass nicht von einem fairen Verfahren ausgegangen werden konnte, indiziert die Rechtswidrigkeit der Aufhebung und damit die Eigentumsverletzung. Obwohl sich das Verfahren auf ein rein griechisches Schiedsverfahren bezieht, lassen sich doch gewisse Schlüsse für den Schutz von Schiedsverfahren generell durch die EMRK ziehen. Man wird bei einer Anerkennungsverweigerung nicht von einem Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 ZP I ausgehen können, solange das Verfahren „fair“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK abgelaufen ist. Der Schiedsgläubiger muss eine legitime Erwartungshaltung angesichts einer klaren Rechtslage bzw. bisher ständigen Rechtsprechung entwickelt haben. Mit anderen Worten muss eine generelle Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen im Allgemeinen durch die nationale Rechtsordnung garantiert sein. Eine unklare Rechtslage bzw. entgegenstehende ständige Rechtsprechung führt hingegen dazu, dass von einem durch Art. 1 Abs. 1 ZP I EMRK geschützten Vermögensgegenstand nicht ausgegangen werden kann. 332

EGMR, id., Rn. 72 EGMR, ibid. 334 EGMR, id., Rn. 73. 335 EGMR, ibid. 336 EGMR, id., Rn. 74. 333

C. Der Schutzstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention

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2. „Regent Company“ und „Kin-Stib & Majkić“: Die Vollstreckungsverzögerung als Konventionsverstoß a) Regent Company ./. Ukraine337 (1) Sachverhalt Im Verfahren Regent Company ging es um die Vollstreckung eines Schiedsspruchs des Internationalen Handelsschiedsgerichts der ukrainischen Industrieund Handelskammer vom 23.12.1998, den das Unternehmen COM gegen das ukrainische Staatsunternehmen Oriana erwirkt hatte. Alle Versuche, in den Jahren 1999–2003 den Schiedsspruch gegen das insolvente Schuldnerunternehmen zu vollstrecken, scheiterten jedoch daran, dass die zuständige ukrainische Vollstreckungsstelle, teilweise gehindert durch anhängige Anträge anderer Gläubiger, die Vollstreckung, gleichzeitig aber auch alle Anträge auf Einleitung des Insolvenzverfahrens und damit der Liquidation des Unternehmens ablehnte.338 Zwar wurden zwischenzeitlich Pfändungsmaßnahmen eingeleitet und einige Unternehmensteile des Staatsunternehmens durch die Vollstreckungsstelle versteigert, die Vollstreckung des Schiedsspruchs wurde aber zeitgleich abgewiesen.339 Am 10.02.2003 verkaufte COM die Forderung an die Regent ­Company, ein Unternehmen mit Sitz auf den Seychellen.340 Erst am 10.09.2004 wurde durch das zuständige Berufungsgericht der Forderungsübergang und damit der Anspruch der Regent Company in Höhe von rund 2,5 Millionen US-Dollar zugesprochen.341 Trotzdem wurde der Schiedsspruch auch in der Folgezeit nicht vollstreckt.342 (2) Entscheidung des EGMR Der EGMR sieht in der Untätigkeit der Vollstreckungsbehörden, den Schiedsspruch zu vollstrecken, einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, da der Gerichtshof keinerlei Bemühungen der zuständigen Stellen erkennen könne, die Situation zu bereinigen.343 Es liege aber auch ein Verstoß gegen Art. 1 ZP I vor. Der Gerichtshof untersucht knapp, ob hier eine Forderung vorliegt, die eine ausreichende Grundlage im nationalen ukrainischen Recht habe. Der Schiedsspruch werde grundsätzlich nach 337

EGMR, Urteil v. 03.04.2008, App. No. 773/03, Regent Company. EGMR, id., Rn. 9–18. 339 EGMR, id., Rn. 15–16. 340 EGMR, id., Rn. 19. 341 EGMR, id., Rn. 24. 342 EGMR, id., Rn. 25–32. 343 EGMR, id., Rn. 60. 338

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

ukrainischem Recht wie ein staatliches Urteil behandelt.344 Insbesondere in der gerichtlichen Bestätigung des Forderungsübergangs durch das Berufungsgericht liege die Feststellung, dass eine vollstreckbare Forderung vorliege.345 In der Vollstreckungsverzögerung liege daher auch eine Verletzung des Art. 1 ZP I. b) Kin-Stib and Majkić ./. Serbia346 (1) Sachverhalt Auch das Verfahren Kin-Stib dreht sich um die Verzögerung und teilweiser Nicht-Vollstreckung eines Schiedsspruchs aufgrund materiell-rechtlicher Mängel des serbischen Rechtssystems. Die kongolesische Gesellschaft Kin-Stib schloss mit dem serbischen Unternehmen Hotel Intercontinental Belgrade 1989 einen Vertrag über die Errichtung und den Betrieb eines Spielcasinos. Das Hotel befand sich zu diesem Zeitpunkt im Eigentum der serbischen staatseigenen Gesellschaft Generalexport (Genex). Die Gewinne des Kasinos sollten zwischen Kin-Stib und Genex aufgeteilt werden. Das Casino wurde 1990 eröffnet, musste aber wegen finanzieller Schwierigkeiten und Streitigkeiten zwischen den Parteien bereits 1993 wieder schließen. Im Jahr 1995 beantragte Kin-Stib die Durchführung eines Schiedsverfahrens vor dem Außenhandelsschiedsgericht der Jugoslawischen Handelskammer und forderte von Genex die Rückübertragung der Casinos und Schadensersatz wegen Vertragsbruchs. Das Schiedsgericht gab mit Schiedsspruch vom 10.04.1996 KinStib zum Teil Recht und sprach ihr neben rund 2 Millionen US-Dollar Verdienstausfall zwischen Januar 1995 und April 1996 sowie jährlichen Zinsen in Höhe von 6 % die Rückübertragung des Casinos für fünf Jahre zu.347 Zwei Nachfolgegesellschaften der Genex zahlten den Verdienstausfall, verweigerten jedoch die Rückübertragung des Casinos.348 Stattdessen versuchten die Nachfolgegesellschaften, in zwei Verfahren 1996 und 2002 erfolglos den Schiedsspruch durch die nationalen serbischen Gerichte aufheben zu lassen.349 Zwischen 2001 und 2006 sprachen serbische Gerichte Kin-Stib Schadensersatz für den er­ littenen Verdienstausfall in Höhe von rund 2,5 Millionen US-Dollar zu.350 Der Schiedsspruch wurde jedoch weiterhin nicht vollstreckt, obwohl 2006 das höchste Wirtschaftsgericht Serbiens das höchstmögliche Zwangsgeld zu seiner 344

EGMR, id., Rn. 54. EGMR, id., Rn. 61. 346 EGMR, Urteil v. 20.04.2010, App. No. 12312/05, Kin-Stib & Majkić ./. Serbia. 347 EGMR, id., Rn. 12 348 EGMR, id., Rn. 14. 349 EGMR, id., Rn. 28–32. 350 EGMR, id., Rn. 33–44. 345

C. Der Schutzstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention

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Durchsetzung, in Höhe von 320.000 Serbische Dinar, umgerechnet 4.770 US-Dollar verhängte.351 Im April 2008 wurde das Hotel mit dem Casino schließlich an eine dritte Partei verkauft.352 (2) Entscheidung des EGMR Der EGMR stellte zunächst fest, dass es sich bei dem Schiedsspruch grundsätzlich um eine von Art. 1 ZP I geschützte Forderung („claim“) handeln könne, sofern der Schiedsspruch nach serbischen Recht eine ausreichende Vollstreckungsgrundlage darstelle und damit einen geschützten Vermögenswert („possesssions“) darstelle.353 In diesem Fall sei der Staat verpflichtet, alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um die Vollstreckung des verbindlichen Schiedsspruchs zu gewährleisten.354 Dabei müsse der Staat jede unnötige Vollstreckungsverzögerung vermeiden und sicherstellen, dass das gesamte Rechtssystem sowohl materiell-rechtlich als auch in der Praxis effektiv arbeite.355 Im vorliegenden Fall sei es unbestreitbar, dass es sich bei dem Schiedsspruch um einen geschützten Vermögenswert („possessions“) handele.356 Nicht nur habe das Handelsgericht bereits 1996 die volle Vollstreckung des Schiedsspruchs angeordnet, auch hätten die Schuldner die Entschädigungssumme 1998 voll bezahlt. Im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens zur Wiedereinräumung des Casinobesitzes habe außerdem 2006 das Wirtschaftsgericht das höchstmögliche Zwangsgeld festgesetzt. Trotzdem seien keine wirksamen Vollstreckungsmaßnahmen der­ serbischen Behörden erkennbar. Der Grund hierfür sei, dass es schlichtweg nach Verhängung des Zwangsgeldes gegen eine juristische Person keine effektiven Vollstreckungsmechanismen mehr gegeben habe.357 Art. 1 ZP I sei daher verletzt. 3. Ergebnis der EMRK-Prüfung Sicherlich sind die genannten Entscheidungen mit der Ausgangslage eines deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens nicht gleichzusetzen. Die festgestellten Konventionsverstöße liegen in der Aufhebung eines Schiedsspruchs bzw. der verzögerten Vollstreckung eines nach der jeweiligen Rechtsordnung prinzipiell verbindlichen und damit vollstreckbaren Schiedsspruchs. Der aufgehobene Schiedsspruch, dessen Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland beantragt 351

EGMR, id., Rn. 23. EGMR. id., Rn. 56. 353 EGMR, id., Rn. 83: „if it is sufficiently established to be enforceable“. 354 EGMR, ibid. 355 EGMR, ibid. 356 EGMR, ibid. 357 EGMR, id., Rn. 61, 84. 352

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

wird, ist keine in diesem Sinne für die deutsche Rechtsordnung verbindliche gerichtliche Entscheidung, sondern zunächst nur eine umstrittene zivilrechtliche Forderung. Mit den oben genannten Erwägungen zu Art. 6 EMRK und Art. 1 ZP I EMRK kann aber ein differenziertes Bild entwickelt werden. Für das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren kann zunächst festgestellt werden, dass zivilrechtliche Forderungen nach der EGMR-Rechtsprechung nur dann der Eigentumsgarantie unterliegen, wenn ihr Inhaber auf deren Erfüllung in legitimer Weise vertrauen darf („legitimate expectations“/„espérance légitime“).358 Dies ist offenbar eine Konsequenz aus der Koppelung des Eigentumsrechts mit den Erfordernissen des Art. 6 EMRK, den der Gerichtshof wahrscheinlich aufgrund seiner ursprünglich sehr zurückhaltenden Rechtsprechung zum Eigentumsrecht und der gleichzeitig sehr ausgeprägten Kasuistik zu Art. 6 EMRK vorgenommen hat. Erforderlich für eine Erweiterung des Schutzbereichs auf aufgehobene Schieds­ sprüche sei, dass die Forderung auf einer ausreichenden Grundlage im innerstaatlichen Recht eines Konventionsstaats – etwa auf einer gesicherten Rechtsprechung der innerstaatlichen Gerichte – beruhe.359 Diese ist, wenigstens zurzeit, im Falle der Anerkennung eines aufgehobenen ausländischen Schiedsspruchs in Deutschland nicht gegeben. Der im Ausland aufgehobene Schiedsspruch ist daher wenigstens zurzeit keine Vermögensposition („possessions“) im Sinne des Art.  1 Abs. 1 ZP I, sodass gegen eine deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung nicht erfolgversprechend vor dem EGMR Individualbeschwerde erhoben werden kann. Hingegen fällt der Schiedsspruch vor der Aufhebung nach den genannten Entscheidungen unter den Schutzbereich beider EMRK-Menschenrechte. Dementsprechend kann eine Aufhebungsentscheidung in einem Mitgliedstaat des Europarats ein Verstoß gegen die EMRK darstellen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der durch Art. 6 Abs. 1 EMRK vorgegebene verfahrensrechtliche Mindeststandard durch das Aufhebungsverfahren unterschritten wird. Folgt man mit den vorausgegangenen Erwägungen der Einschätzung, dass der deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsrichter über ein eigenes „Ermessen“ verfügt, so muss dieser Konventionsverstoß über Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG im Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) im Rahmen der Ermessensausübung Berücksichtigung finden.360

358

EGMR, Urteil v. 25.10.2001, App. No. 41879/98, Saggio ./. Italy, Rn. 24. EGMR, Urteil v. 06.10.2005, App. No. 11810/03, Maurice ./. France, Rn. 63 ff.; ständige Rechtsprechung. 360 Zum Ermessensbegriff im Rahmen dieser Untersuchung siehe supra Kap. 2. A. I. 359

D. Die Wirkung von Meistbegünstigungsklauseln

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D. Die Wirkung von Meistbegünstigungsklauseln im Investitionsschutzrecht Im Vergleich zur Einbeziehung der EMRK in die Interpretation des Grundgesetzes sind Verstöße gegen bilaterale Freundschaftsverträge weit schwieriger zu beurteilen, da der Inhalt der einzelnen Bestimmungen durch das deutsche Gericht selber anhand der Vorschriften der Wiener Vertragsrechtskonvention ermittelt werden muss. Letztlich kann aber auch für solche Verträge nichts anderes als das zur EMRK Gesagte gelten. Gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG müssen sie mit der Wirkung einfachen Bundesrechts in der Ermessensentscheidung des Anerkennungsund Vollstreckungsrichters Berücksichtigung finden. Die Rechtsprechung nimmt eine Einbeziehung solcher völkervertraglicher Regelungen im Regelfall über die ordre public-Vorbehaltsklauseln vor. Für das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren können solche bilateralen Verträge im Einzelfall Bedeutung über die Einbeziehung von völkervertraglichen Meistbegünstigungsklauseln gewinnen. Nach Ansicht des OLG Dresden kann im Einzelfall die Anwendung eines Freundschafts- oder Investitionsschutzvertrags die rechtliche Prüfung eines ausländischen Aufhebungsurteils bedingen.361 Über die Meistbegünstigungsklausel eines solchen Vertrages könne ausnahmsweise auch die Anwendbarkeit des Europäischen Übereinkommens begründet werden, auch wenn nur der Sitzstaat des Schiedsgerichts Mitglied dieses Übereinkommens geworden ist. Dies gelte aber nur dann, wenn die Meistbegünstigungsklausel des entsprechenden Freundschaftsvertrages sich ausdrücklich auf die Schiedsgerichtsbarkeit beziehe, eine entsprechend weit gefasste Meistbegünstigungsklausel enthalte und mit einem anderen Staat die Anwendbarkeit des Europäischen Übereinkommens vereinbart sei. Die völkervertraglichen „Meistbegünstigungsklauseln“ sind hier von der Meistbegünstigungsklausel des Art. VII Abs. 1 UN-Übereinkommen abzugrenzen, der die Anwendung des für den Schiedsgläubiger günstigsten Rechts verlangt. Mit den völkervertraglichen Meistbegünstigungsklauseln ist die Aufnahme von Anti-Diskriminierungsklauseln in völkerrechtliche Verträge gemeint. Völkergewohnheitsrechtlich existiert kein Grundsatz, dass alle Staaten einander die gleiche Behandlung zu gewähren hätten.362 Grundsätzlich ist es daher den Staaten gestattet, unter Beachtung der durch das völkerrechtliche Fremdenrecht und die Menschenrechte vorgegebenen Mindeststandards die Staatsangehörigen einzelner Staaten gegenüber anderen zu privilegieren oder zu benachteiligen.363 Um dies zu vermeiden, ist 361 OLG Dresden, Beschluss vom 31.01.2007, Az.: 11 Sch 18/05; bestätigt ohne weiteren Bezug auf die Meistbegünstigungsklausel durch BGH, Beschluss vom 21.05.2008, Az.: III ZB 14/07. 362 Dolzer, in: Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschnitt, Rn. 16; Kramer, RIW 1989, S. 473. 363 Schindler, S. 77; Hilf/Geiß, Most-Favored-Nation Clause, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition, Rn. 3 sprechen von einem Principle of Non-Discrimination als Mindeststandard.

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Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

es völkervertraglich möglich, einen Nicht-Diskriminierungsstandard, beispielsweise durch die Aufnahme von Meistbegünstigungsklauseln („Most-FavouredNation-Clause“), zu vereinbaren. Das Prinzip, das diesen Klauseln zu Grunde liegt, ist das folgende: Jede Vergünstigung durch Rechtsetzungs- oder Verwaltungsmaßnahmen, die der Gastgeberstaat den Staatsangehörigen eines Dritten  – eines Nicht-Vertragsstaates – zubilligt, soll auch den Staatsangehörigen des Vertragspartners zu Gute kommen.364 Anders formuliert sollen eigene Staatsangehörige auf dem Staatsgebiet des Vertragspartners stets alle Vergünstigungen erhalten, die auch anderen Ausländern zugebilligt werden. Der Gedanke, dass über solche Klauseln in bilateralen Verträgen unter Umständen auch Vertragsklauseln in einen Rechtsstreit hineinspielen können, die eigentlich nach ihrem Wortlaut nicht anwendbar sind, stammt aus dem viel diskutierten ICSID-Schiedsspruch Maffezini ./. Spain.365 Der Argentinier Emilio Maffezini hatte in Spanien Investitionen getätigt und aufgrund fehlerhaften Verhaltens eines spanischen Staatsunternehmens einen Schaden erlitten. Er versuchte nun, letztlich erfolgreich, vor einem ICSID-Tribunal Schadensersatz einzuklagen. Allerdings sah der bilaterale Investitionsschutzvertrag (BIT) zwischen Argentinien und Spanien in Art. 10 vor, dass die innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft werden mussten (so genannte local remedies rule), bevor das ICSID-Tribunal angerufen w ­ erden konnte. Das Tribunal erklärte die Klage trotzdem für zulässig und zwar unter Berufung auf die Meistbegünstigungsklausel aus dem besagten BIT zwischen Argentinien und Spanien.366 Spanien hatte in einem weiteren BIT mit Chile, also in einem anderen völkerrechtlichen Vertrag, für chilenische Investoren die Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtmittel nicht vorgesehen, sodass diese nach Ansicht des ICSIDTribunals nach Art. 26 ICSID-Konvention367 direkt ein ICSID-Verfahren ­anstreben dürften. Spanien hatte zuvor die Ansicht vertreten, dass die Meistbegünstigungsklausel aus dem spanisch-argentinischen BIT sich nicht auf Fragen der Streit­ beilegung, sondern lediglich auf wesentliche Belange und materielle Aspekte der Behandlung von Investoren beziehe. Diese Argumentation wurde von dem Tribunal zurückgewiesen, insbesondere weil der betreffende BIT einen Abschnitt zur Streitbeilegung enthielt und gerade auch die verfahrenstechnischen Fragen der Streitbeilegung für einen Investor einen wesentlichen Aspekt des BITs darstellten. Die Meistbegünstigungsklauseln haben durch diese ICSID-Entscheidung eine erweiterte Bedeutung gewonnen, nachdem zuvor die Meinung vorherrschend war, 364

Kramer, RIW 1989, S. 473. ICSID, Decision of the Tribunal on Objections to Jurisdiction v. 25.01.2000, Case No. ARB/97/7, Emilio Maffezini v. The Kingdom of Spain. 366 Art. IV (2) Argentinia-Spain-BIT: „In all matters related to this Agreement, this treatment shall not be less favourable than that extended to by each Party to the investments made in its territory by investors of a third country.“ 367 Art. 26 ICSID-Convention: „Consent of the parties to arbitration under this Convention shall, unless otherwise stated, be deemed consent to such arbitration to the exclusion of any other remedy.“ 365

D. Die Wirkung von Meistbegünstigungsklauseln

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dass die Streitbeilegung nicht zu den Materien zählte, die von einer Meistbegünstigungsklausel erfasst werden könnten. Mehrere ICSID-Entscheidungen haben jedoch die Vorgehensweise aus Maffezini v. Spain übernommen, beispielsweise die Tribunale in den Fällen ADF Group v. USA368, MTD Chile SA v. Chile369, Tecmed v Mexico370, Siemens AG v. Argentina371, GAS Natural v. Argentina372, ­Camuzzi­ International SA v. Argentina373, National Grid PLC v. Argentina374 und Suez v.­ Argentina375/AWG Group Ltd v. Argentina376. Die Tribunale in den Fällen Salini v. Jordan377, Plama v. Bulgaria378 und Telenor v. Hungary379 hingegen kamen zu dem Ergebnis, dass die dort anwendbaren Meistbegünstigungsklauseln nicht auf die Streitbeilegung bezogen werden könnten. In Salini v. Jordan wurde die Rechtsprechung aus Maffezini direkt kritisiert, da es den Investor zum „treaty shopping“ einlade. In Plama führte das Tribunal aus, dass man nicht von einer zwischen den Parteien ausgehandelten Verfahrensvorschrift aufgrund einer Meistbegünstigungsklausel abweichen könne, es sei denn, der Wortlaut des Vertrages lasse keinen Zweifel, dass die Parteien eine solche Erweiterung des Vertrages durch die Klausel gewollt haben.380 In Telenor stellte ein Tribunal fest, dass zwar die Meistbegünstigungsklausel möglicherweise für die Beseitigung von bestimmten Verfahrenshindernissen herangezogen werden könnte, ein Widerspruch zu den Klauseln des betreffenden BITs jedoch nicht auf diese Weise herbeigeführt werden dürfe.381 368 ICSID, Schiedsspruch v. 09.01.2003, Case No ARB/AF/00/1, ADF Group Inc ./. United States of America, ICSID Rep. 6 (2004), S. 470. 369 ICSID, Schiedsspruch v. 25.05.2004, Case No ARB/01/7, MTD Equity Sdn Bhd and MTD Chile SA ./. Chile, ICSID Rep. 12 (2007), S. 6. 370 ICSID, Schiedsspruch v. 29.05.2003, Case No ARB/AF/00/2, Técnicas Medioambientales Tecmed SA ./. Mexico, ILM 43 (2004), S. 133. 371 ICSID, Decision on Jurisdiction v. 03.08.2004, Case No ARB/02/8, Siemens AG ./. Argentina, ICSID Rep. 12 (2007), S. 174. 372 ICSID, Decision of the Tribunal on Preliminary Questions on Jurisdiction v. 17.06.2005, Case No ARB/03/10, Gas Natural SDG SA ./. Argentina. 373 ICSID, Decision on Objections to Jurisdiction v. 11.05.2005, Case No ARB/03/2, Camuzzi International SA ./. Argentina. 374 ICSID, Decision on Jurisdiction (UNCITRAL) v. 20.06.2006, National Grid PLC ./.  Argentina. 375 ICSID, Case No ARB/03/19, Suez, Sociedad General de Aguas de Barcelona SA and­ Vivendi universal SA ./. Argentina. 376 ICSID, Decision on Jurisdiction (UNCITRAL) v. 03.08.2006, AWG Group Ltd ./. Argentina. 377 ICSID, Decision of the Tribunal on Jurisdiction v. 29.11.2004, Case No ARB/02/13, ­Salini Costruttori SpA and Italstrade SpA ./. Jordan, ICSID Rev/FILJ 20 (2005), S. 148. 378 ICSID, Decision on Jurisdiction v. 08.02.2005, Case No ARB/03/24, Plama Consortium Limited ./. Bulgaria, ICSID Rev/FILJ 20 (2005), S. 262. 379 ICSID, Schiedsspruch v. 13.09.2006, Case No ARB/04/15, Telenor Mobile Communications AS ./. Hungary, ICSID Rev/FILJ 21 (2006), S. 603. 380 ICSID, Decision on Jurisdiction v. 08.02.2005, Case No ARB/03/24, Plama Consortium Limited ./. Bulgaria, ICSID Rev/FILJ 20 (2005), S. 262. 381 ICSID, Schiedsspruch v. 13.09.2006, Case No ARB/04/15, Telenor Mobile Communications AS ./. Hungary, ICSID Rev/FILJ 21 (2006), S. 603.

220

Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Mehrere Staaten haben in der Folgezeit als Reaktion auf die Entscheidung­ Maffezini neue Verträge restriktiver formuliert, beispielsweise im BIT zwischen den USA und Chile. Ebenso haben die an dem Dominican Republic-Central­ America Free Trade Agreement („CAFTA-DR“) von 2004 beteiligten Staaten ausdrücklich auf diese Rechtsprechung Bezug genommen und die Meistbegünstigungsklausel dahingehend eingeschränkt, dass sie nicht auf die internationale Streitbeilegung bezogen werden dürfe, wie dies im Fall Maffezini der Fall gewesen sei.382 Mit Ausnahme der genannten Entscheidung Salini v. Jordan ist die Grundentscheidung, Meistbegünstigungsklauseln auf Streiterledigungsverfahren zu beziehen, im Wesentlichen unwidersprochen geblieben. Tatsächlich führt die Entscheidung dazu, dass die Staaten bemüht sind, mit einer genaueren Formulierung der Meistbegünstigungsklauseln einem zu weiten Verständnis solcher Klauseln vorzubeugen, wohl auch, weil sie der in Maffezini vertretenen Rechtsansicht folgen oder zumindest nicht wirksam auf andere Weise entgegentreten können.383 Das gilt hauptsächlich für Staaten im südamerikanischen Raum, die dem Investitionsschiedsverfahren kritisch gegenüberstehen.384 Es ist zu unterstreichen, dass der Schiedsspruch im Fall Maffezini wie auch das Urteil des OLG Dresden auf andere ähnlich gelagerte Fälle nicht ohne weiteres übertragbar sind. Insbesondere die für den Wechsel des Vollstreckungsübereinkommens vom Senat aufgestellte Voraussetzungen, dass der bilaterale Vertrag sich ausdrücklich auf die Schiedsgerichtsbarkeit beziehen und die Meistbegünstigungsklausel entsprechend weit formuliert sein müsse, werden nur sehr selten kumulativ vorliegen. Möglich ist eine solche Konstellation aber insbesondere bei älteren Handels- und Freundschaftsverträgen.

E. Die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen der Europäischen Union und die Schiedsgerichtsbarkeit E. Die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen der EU

Weder auf die Einflüsse des EG-Schuldvertragsübereinkommens auf Schiedsvereinbarungen noch auf die Frage, ob Schiedsgerichte verpflichtet sind, das Recht der EU anzuwenden, und daher auch berechtigt sind, ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH einzuleiten, soll hier vertieft eingegangen werden. Diese Fragen wurden bereits ausführlich in anderen Arbeiten erschöpfend behan-

382

Art. 3.2 CAFTA-DR. So auch Reinisch, Maffezini v Spain Case, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclodedia of Public International Law, online edition. 384 So hat beispielsweise Bolivien am 02.  Mai 2007 gem. Art.  71 ICSID-Konvention den ICSID-Vertrag gekündigt. Ecuador hat am 06. Juli 2009 gem. Art. 25 Abs. 4 ICSID-Konvention erklärt, das Vertragswerk auf bestimmte Teilbereiche künftig nicht mehr anzuwenden. Auch­ Argentinien hat mehrfach eine Kündigung angedroht. 383

E. Die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen der EU

221

delt.385 Für die Fragestellung dieser Arbeit soll lediglich auf die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen der Europäischen Union und die immer wiederkehrenden Reformbestrebungen hinsichtlich der Schiedsgerichtsbarkeit hingewiesen werden,386 da immer wieder vertreten wird, dass eine mitgliedstaatliche Aufhebungsentscheidung bzw. sogar die Anerkennungsentscheidung eines dritten Mitgliedstaates über das EuGVVO in Deutschland anerkannt werden müsse. Wenn diese These zuträfe, müsste also in dem Fall, dass beispielsweise Frankreich einen aufgehobenen Schiedsspruch anerkennt, auch von einem deutschen Gericht diese französische Anerkennungsentscheidung anerkannt werden. Umgekehrt müsste die Anerkennungsverweigerung sich ebenfalls als Vollstreckungshindernis auf das deutsche Verfahren auswirken. Der Vertrag von Nizza (2001) räumte der Europäischen Union das erste Mal mit Art. 65 EGV eine Kompetenz auf dem Gebiet des internationalen Privat- und Verfahrensrechts ein. Gemäß dem gegenüber erweiterten Art. 81 Abs. 1 AEUV kann die Gemeinschaft im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten treffen. Zum anderen sollen gem. Art. 81 Abs. 2 lit. a) AEUV die legislativen Organe der EU im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderliche Maßnahmen ergreifen, die die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und außer­gerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellen. Die Kompetenz ist also in dreifacher Hinsicht eingeschränkt: Zum einen müssen diese Maßnahmen einen Unionsbezug aufweisen.387 Das bedeutet, dass nur Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug von ihnen betroffen sein dürfen. Sie dürfen außerdem nur die in Art. 81 Abs. 2 AEUV abschließend aufgezählten Bereiche erfassen. Schließlich müssen die getroffenen Maßnahmen für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich sein. Eine dieser getroffenen Maßnahmen ist die VO (EG) 44/2001 des Rats vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.388 Diese Euro­ päische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO, auch „Brüssel IVerordnung“) hat das Brüsseler Abkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen, EuGVÜ) für nunmehr alle 27 EU-Mitgliedstaaten abgelöst.389

385

Zobel, S. 25 ff., 109 ff. Siehe auch Radicati di Brozolo, Journal of Private International Law 2011, S. 423 ff. 387 Rossi, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV-Komm., Art. 81 AEUV, Rn. 5. 388 ABl.  2001 L  12, S.  1, idF ABl 2004 L 381, S.  10, in Kraft getreten am 01.03.2002, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 416/2010 vom 12.05.2010 m.W.v. 14.05.2010. 389 Im Verhältnis zu Dänemark wurde zunächst weiterhin das EuGVÜ angewandt. Seit dem 01.07.2007 gilt nunmehr auch in diesem Verhältnis die EuGVVO. 386

222

Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

Der Einfluss der EuGVVO auf die Schiedsgerichtsbarkeit ist allerdings stark­ limitiert. Art. 1 Abs. 2 lit. d) EuGVVO schließt ausdrücklich eine Anwendung auf die Schiedsgerichtsbarkeit aus. Die Anerkennung und Vollstreckung von einem ausländischen Schiedsspruch, der in einem anderen Mitgliedstaat erlassen worden ist, wird also nicht direkt durch die Verordnung beeinflusst. Die Frage, ob eine Anerkennungsentscheidung des aufgehobenen Schiedsspruchs in einem EU-Mitgliedstaat selbst über die EuGVVO anerkannt werden muss, ist mit der Entstehungsgeschichte des EuGVÜ/der EuGVVO zu beantworten. Die Schiedsgerichtsbarkeit wurde deshalb aus dem Regelungsbereich der Verordnung herausgenommen, da man die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen bereits mit dem New Yorker UN-Übereinkommen von 1958 bzw. mit dem Genfer Europäischen Übereinkommen von 1961 als abschließend und ausreichend geregelt ansah.390 Da diese Übereinkommen schon eine aus­reichende Regelung zur Schiedsgerichtsbarkeit vorsehen, kann mangels Erforderlichkeit für das Funktionieren des Binnenmarkts keine Neuregelung auf der Grundlage des Art. 81 AEUV geschaffen werden. Es fehlt hier an einer ausreichenden Kompetenzgrundlage der Union. Nach dem Willen der Mitgliedstaaten soll ein Exequatur-Urteil, das grundsätzlich nach den Grundgedanken des UN-Übereinkommens und Europäischen Übereinkommens nicht anerkannt und vollstreckt werden kann, auch nach der EuGVVO nicht vollstreckt wird. Die beiden Vollstreckungsübereinkommen verdrängen als lex specialis die EuGVVO. Die Entscheidung in der Rechtssache Marc Rich391 des EuGH aus dem Jahr 1991 folgt dieser Argumentationslinie. Die Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen war damals noch in Art. 220 EWG als Bereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit geregelt. Hintergrund war die Weigerung des beklagten italienischen Unternehmens Impianti, an einem Schiedsverfahren im Vereinigten Königreich teilzunehmen, da bereits ein staatliches Verfahren in Italien eingeleitet worden war. Der England and Wales High Court of Justice hatte nach britischem Recht auf Antrag des britischen Unternehmens Marc Rich einen Schiedsrichter zur Einleitung eines Schiedsverfahrens ernannt und wolle diesen Beschluss in Italien zustellen lassen. Der von Impianti angerufene britische Court of Appeal fragte den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens, ob das EuGVÜ durch die Ausnahmevorschrift zur Schiedsgerichtsbarkeit auch dann nicht zur Anwendung käme, wenn es sich nur um ein staatliches Nebenverfahren zur Schiedsgerichtsbarkeit handele bzw. der Rechtsstreit um die Vorfrage geführt werde, ob überhaupt eine Schiedsklausel geschlossen worden sei.392 Der EuGH vertrat mit Blick auf die travaux 390

Zobel, S. 52. EuGH, Rs. C-190/89, Marc Rich & Co. AG v. Societa Italiana Impianti PA. 392 EuGH, id., Rn. 9. 391

F. Ergebnis des 3. Kapitels

223

préparatoires die Ansicht, dass die Mitgliedstaaten die Schiedsgerichtsbarkeit als Ganzes, also inklusive aller Nebenverfahren von der Anwendbarkeit des EuGVÜ ausklammern wollten.393 Die Europäische Kommission hat auf der Grundlage des Expertenberichts von Hess, Pfeiffer und Schlosser394 am 21.04.2009 ihren eigenen Bericht395 und ein green paper396 vorgelegt, die vorsahen, den Nichtanwendungsvorbehalt der EuGVVO auf die Schiedsgerichtsbarkeit zu streichen bzw. zumindest die Anwendbarkeit auf Nebenverfahren zu erweitern.397 In der deutschen Literatur wurde diese Ansicht schon früher insbesondere von Hess unterstützt, der über Art. 71 EuGVVO einen Anwendungsvorrang des New Yorker Übereinkommens zwar annehmen, Nebenverfahren jedoch durch den Gerichtsstand des vereinbarten Schiedsorts über die EuGVVO lösen möchte.398 Diese Ansicht verkennt jedoch neben der für einen solchen Schritt bisher fehlenden Kompetenz der Union, dass gerade eine staatliche Einmischung durch den Sitzstaat von den Parteien mit der Schiedsabrede vermieden werden soll.399 Wenig überraschend hat sich das Europäische Parlament mit Beschluss vom 07. September 2010 gegen eine entsprechende Reform der Brüssel I-Verordnung positioniert. Der Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit ist daher nicht in die Reform der EuGVVO eingeflossen.400 Nach dem Erwägungsgrund Nr. 12 soll aber auf eine Entscheidung, die eine Schiedsklausel für unwirksam oder nicht erfüllbar ansieht, die EuGVVO anwendbar sein und somit in anderen Mitgliedstaaten vollstreckt werden können.

F. Ergebnis des 3. Kapitels Nachdem im Rahmen der Analyse des UN-Übereinkommens festgestellt worden ist, dass das Völkerrecht dem Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat ein Ermessen einräumt, ob er die ausländische Aufhebungsentscheidung zu einem Handelsschiedsspruch anerkennt oder nicht, sollte sich das dritte Kapitel der Fragestellung widmen, ob dem deutschen Richter des Anerkennungs- und Voll­ streckungsverfahrens durch das nationale Recht ebenfalls ein solches Ermessen 393

EuGH, id., Rn. 19. Hess/Pfeiffer/Schlosser, Report on the Application of Regulation Brussels I in the ­Member States, Study JLS/C4/2005/03 (finale Version 2007), S. 49 ff. u. 350 f. 395 Report from the Commission to the European Parliament, the Council and the European Economic and Social Committee on the application of Council Regulation (EC) No 44/2001 on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters, COM (2009), 174, S. 9. 396 Green Paper COM (2009), 175, S. 8 f. 397 Zu den Reformbemühungen Kendra, International Business Law Journal 2012, S. 46 f. 398 Hess, S. 260. 399 Paulsson, Stockholm International Arbitration Review 2008/No. 2, S. 18 f. verweist auf eine US-amerikanische Parallelentwicklung. 400 Verordnung (EU) 1215/2012 v. 20.12.2012, ABl. 2012 L 351, S. 1. 394

224

Kap. 3: Verfassungsrechtliche Kriterien der Ermessensausübung

im Sinne eines weiten Beurteilungs- und Prüfungsraums hinsichtlich der ausländischen Aufhebungsentscheidung eingeräumt wird. Dabei wurden zunächst die grundrechtlichen Implikationen für das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren beleuchtet. In einem ersten Schritt wurde festgestellt, dass zwar nicht die ausländische Aufhebungsentscheidung, wohl aber die deutsche Entscheidung über die Anerkennung und Vollstreckung eines aufgehobenen Schiedsspruchs als Entscheidung eines deutschen Hoheitsträgers im vollen Umfang grundrechtlich überprüft werden kann (A.). Wenn auch ausländische juristische Personen grundsätzlich nicht vom personellen Schutzbereich der Grundrechte erfasst werden, werden sie doch über den allgemeinen Gleichheitssatz und die Justizgrundrechte hinreichend durch die deutsche Rechtsordnung einfach­ gesetzlich geschützt (B. IV.). Zu diesen Justizgrundrechten gehört insbesondere der allgemeine Justizgewährungsanspruch, der zwar vom Schutzbereich des Art.  19 Abs. 4 GG abzugrenzen ist, aber in vielen Bereichen inhaltsidentisch ist (B. I.). Aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch folgt zumindest das Recht, nicht nur vor Gericht zu erscheinen, sondern auch mit den Argumenten dort anzukommen. Ein Automatismus, der aus einer gebundenen Entscheidung aus Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen gefolgert wird, ist mit diesen Grundrecht nur schwer in Einklang zu bringen. Geht man weiter mit Heller davon aus, dass die Handelsschiedsgerichtsbarkeit in vielen Fällen bei rechtsstaatlichen Defiziten im Ursprungsstaat eine Rechtsschutzlücke schließt, lässt sich die Verpflichtung folgern, für ein effektives, vom Ursprungsstaat unabhängiges Vollstreckungssystem zu sorgen. Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen ist über das deutsche Zustimmungsgesetz als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zu qualifizieren. (B. II.). Als solche muss sie inhaltlich den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips entsprechen. Insbesondere besteht die Verpflichtung, im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung Härtefälle zu vermeiden. Dies kann letztlich nur durch eine Überprüfung des Aufhebungsurteils und gegebenenfalls dessen Nichtbeachtung geschehen. Auch hier ist ein Automatismus der Nichtanerkennung eines aufgehobenen Schiedsspruchs nicht ohne weiteres mit der Verfassungsdogmatik zu vereinbaren. Das Ergebnis der Prüfung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG lässt eine Heranziehung der zulässigen Aufhebungsgründe des Art. IX Eu-Übereinkommen bei der Prüfung des UN-Übereinkommens zu (B. III.). Der Prüfung liegt die Annahme zugrunde, dass das Eu-Übereinkommen auf dem UN-Übereinkommen basiert und letztlich keine Widersprüche zwischen beiden Übereinkommen vorhanden sind. Bei Anwendung der sog. „neuen Formel“, die die Anwendung des Gleichheitssatzes nicht mehr mit einer bloßen Willkürprüfung abschließt, sondern an Verhältnismäßigkeitskriterien orientiert, kann die Differenzierung zwischen Staatsangehörigen aus Mitgliedstaaten des UN-Übereinkommens und denjenigen aus Mitgliedstaaten des Eu-Übereinkommens augenscheinlich nicht schlüssig begründet werden. Dies führt sicherlich nicht dazu, dass die Anwendung des­ Eu-Übereinkommens lokal ausgeweitet werden kann. Wohl aber ist es geboten, die

F. Ergebnis des 3. Kapitels

225

zulässigen Aufhebungsgründe in das UN-Übereinkommen hineinzulesen, um die Wertungswidersprüche auflösen zu können. Eine doppelt analoge Anwendung des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zur Überprüfung der ausländischen Aufhebungsentscheidung ist demnach grundrechtlich geboten und erforderlich. Schon bei der Untersuchung der Stellung der ausländischen juristischen Personen im grundrechtlichen Schutzsystem wurde auf die besondere Stellung der völkervertraglichen Europäischen Menschenrechtskonvention und der auf ihrer Grundlage ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Auslegung der deutschen Grundrechte eingegangen (B. IV. 4. a)). Im Übrigen ist die EMRK gemäß Art. 59 Abs. 2 GG als einfaches Bundesrecht über das deutsche Zustimmungsgesetz vom deutschen Richter auch direkt anzuwenden und bei der Auslegung des UN-Übereinkommens dementsprechend zu beachten. Im Rahmen der Prüfung der Menschenrechte der EMRK spielen die Justizgarantien des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK eine entscheidende Rolle (C. III). Der Vorschrift garantiert die wesentlichen rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze und einen verfahrensrechtlichen Mindeststandard. Dies wirkt sich zum einen natürlich auf die Überprüfung des Schiedsspruchs selber aus, aber zum anderen auch auf die Anerkennungsfähigkeit der ausländischen Aufhebungsentscheidung. Wenn wesentliche Verfahrensgrundsätze wie das Recht auf ein faires Verfahren und die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs im Aufhebungsverfahren nicht Berücksichtigung finden, so muss der deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsrichter diese Mängel entsprechend bewerten. Die deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung, die die Anerkennung eines aufgehobenen Schiedsspruchs verweigert, ist selbst hingegen nach ständiger Rechtsprechung des EGMR aufgrund der sie stützenden deutschen ständigen höchstrichterlichen Judikatur nicht erfolgreich vor dem EGMR angreifbar. Betrachtet man die EGMR-Rechtsprechung zum Eigentumsschutz des Art.  1 Abs.  1 ZP  1 EMRK, ist ein Hauptkriterium für eine erfolgreiche Individualbeschwerde vor der EGMR die starke Koppelung zwischen dem Eigentumsschutz und den Justizgrundrechten (C. IV). Nur wenn eine ständige nationale Rechtsprechung legitime Erwartungen an das Bestehen eines Anspruchs begründet, kann erfolgreich über Art. 1 ZP 1 EMRK ein Anspruch aus einem aufgehobenen Schiedsspruch durchgesetzt werden. Die Aufhebungsentscheidung selber hingegen muss sich anhand des Art. 1 ZP 1 EMRK messen lassen, wie auch die zitierte EGMRJudikatur zu den Schiedssprüchen belegt. Ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie der EMRK wurde allerdings in der Vergangenheit nur dann angenommen, wenn ein Verstoß gegen die wesentliche Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK nachweisbar war (C. VI.). Der deutsche Richter hat also auch dieser Hinsicht einen erweiterten Prüfungsmaßstab hinsichtlich der ausländischen Aufhebungsentscheidung. Neben der EMRK haben auch andere völkervertragliche Regelungen Einfluss auf das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren (D.). Auf der Grundlage einer Entscheidung des OLG Dresden aus dem Jahre 2007, die oftmals nicht

226

Kap. 3: Verfassungsrechtliche

richtig wiedergegeben worden ist, wurde die (äußerst umstrittene) Wirkung von Meistbegünstigungsklauseln in bilateralen Investitionsschutz- und Freundschaftsverträgen beleuchtet. Das OLG Dresden hat aufgrund einer solchen Regelung in einem russisch-amerikanischen Freundschaftsvertrag statt des eigentlich ausschließlich anwendbaren UN-Übereinkommen das Eu-Übereinkommen heran­ gezogen, um eine Überprüfung der weißrussischen Aufhebungsentscheidung vornehmen zu können. Dieses auf einer ICSID-Entscheidung beruhende Vorgehen ist in der Vergangenheit oftmals kritisiert worden. Im Rahmen dieser Untersuchung scheint es angemessen sich auf den Hinweis zu beschränken, dass eine solche weite Auslegung einer Meistbegünstigungsklausel nur dann ausnahmsweise möglich ist, wenn Wortlaut und der vertragliche Zusammenhang der konkreten Klausel diese Interpretation stützen können. Nach dem bisherigen Ergebnis dieser Untersuchung ist eine solche Vorgehensweise jedenfalls nicht unbedingt erforderlich, da auch das Heranziehen der Aufhebungsgründe des Art. IX Eu-Übereinkommen auch aufgrund des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich begründet werden kann. Auch das Recht der EU ist im weitesten Sinne Völkervertragsrecht (E.). Im Wesentlichen enthält es aber keine weitergehenden Gewährleistungen, die im Rahmen des deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens von Bedeutung wären. Dies gilt insbesondere auch für die EuGVVO, die für die Beurteilung der Handelsschiedsverfahrens wie auch für die Anerkennung von ausländischen Anerkennungs- und Aufhebungsurteile keinen Einfluss hat, wie die Entstehungsgeschichte und die darauf basierende Judikatur des EuGH demonstriert. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass insbesondere die grundrechtlichen Bestimmungen des Art.  14 Abs.  1 GG, Art.  3 Abs.  1 GG, der allgemeine Justizgewährungsanspruch sowie die Art. 6 Abs. 1 EMRK eine Überprüfung der ausländischen Aufhebungsentscheidung erfordern.

Kapitel 4

Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts im Rahmen des Art. 25 GG bei der Beurteilung der ausländischen Aufhebungsentscheidung Die im Rahmen des 3. Kapitels erfolgte Analyse der verfassungsrechtlichen und völkervertraglichen Bestimmungen hat ergeben, dass der deutsche Richter sehr wohl verpflichtet ist, eine Überprüfung des ausländischen Aufhebungsurteils vorzunehmen. Wie geschildert, besteht eines der Hauptprobleme, mit denen der deutsche Richter sich bei der Anwendung des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen konfrontiert sieht, darin, dass das UN-Übereinkommen keinerlei Vorgaben beinhaltet, anhand derer diese Überprüfung ausgeübt werden könnte.1 Wenn aber das UNÜbereinkommen selber zu den Kriterien dieser Überprüfung keine Aussagen macht, muss dieses „Anerkennungsermessen“ durch andere, außerhalb des Übereinkommens liegenden Rechtsnormen ausgefüllt werden, denen das deutsche Grundgesetz Rechtswirkung für das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren verleiht. Im 3.  Kapitel ist bereits auf die völkervertraglichen Regelungen eingegangen worden, die über Art. 59 Abs. 1 GG unmittelbar bei der Prüfung der Aufhebungsentscheidung Beachtung finden müssen. Größte Bedeutung spielen dabei die Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK.2 Neben den im 3.  Kapitel genannten Regelungen müssen gemäß Art.  25 GG auch die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, insbesondere das Völkergewohnheitsrecht bei der Prüfung des ausländischen Aufhebungsurteils beachtet werden. In Einzelfällen kann sogar ein Verstoß gegen das völkergewohnheitsrechtliche ius cogens vorliegen. Da Art. 25 GG den allgemeinen Regeln des Völkerrechts eine übergesetzliche Geltung verschafft, sollen zunächst diese Rechtsverstöße gleichsam vor die Klammer gezogen werden. Die übrigen relevanten Rechtsverstöße gegen den nationalen ordre public sollen dann abschließend im 5. Kapitel behandelt werden. Für Verstöße gegen Völkergewohnheitsrecht stellt sich die Frage, welche Auswirkungen eine solche Verletzung auf der Ebene des nationalen deutschen Rechts 1 Shen, Rethinking the New York Convention, S. 95; Haas, in: Weigand (Hrsg), Practitioner’s Handbook on International Arbitration, S. 401. 2 Die zivilgerichtliche Praxis nimmt die Prüfung des Art. 6 EMRK regelmäßig im Rahmen einer ordre public-Prüfung vor, vgl. dazu die Ausführungen zum „starken“ verfahrensrechtlichen ordre public, infra, Kap. 5. B. II. 2. b).

228

Kap. 4: Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts

hat. Ist das deutsche Gericht möglicherweise sogar, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner nicht kritiklos gebliebenen „Bodenreform III“-Entscheidung judiziert hat,3 verpflichtet, im Rahmen des ihm zugestandenen Handlungsspielraums korrigierend einzuwirken (dazu A. II.)? Das BVerfG hatte im genannten Fall über eine Verfassungsbeschwerde von mehreren in der sowjetischen Besatzungszone in den Jahren 1945–49 Enteigneten zu entscheiden, denen die Restitution ihrer Grundstücke nach 1989 von bundesdeutschen Behörden verweigert worden war. Das Gericht verneinte die Restitutionsansprüche der Beschwerdeführer mit dem Hinweis darauf, dass die Bundesrepublik im Rahmen des verfassungsrechtlich geforderten zwischenstaatlichen Kooperationsgebots dazu berechtigt gewesen sei, im Zwei-Plus-Vier-Vertrag eine Restitution auszuschließen. Ein darüber hinausgehender, sich aus dem Völkerrecht ergebenden Anspruch sei hingegen nicht ersichtlich. Zwar bestünde unter bestimmten Umständen eine Korrekturverpflichtung der deutschen Hoheitsträger im Falle von Verstößen gegen das die Bundesrepublik bindende Völkerrecht. Das BVerfG ließ aber­ offen, welche Umstände eine solche Korrekturverpflichtung bedingten. Des Weiteren muss sich in diesem Zusammenhang mit der Frage auseinandergesetzt werden, welche Rechtsinstitute überhaupt eine solche völkergewohnheitsrechtliche Regelung enthalten können, die im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren eines aufgehobenen ausländischen Schiedsspruchs relevant sein können (dazu B.).

A. Die Verbindlichkeit des Völkergewohnheitsrechts für die deutschen Gerichte über Art. 25 GG I. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Inhalt des Art. 25 GG Das Völkerrecht entfaltet als zwischenstaatliche Rechtsordnung in den einzelnen Staaten generell keine unmittelbare Rechtswirkung. Es bindet zwar den Staat als Völkerrechtssubjekt, lässt diesem aber die souveräne Entscheidung darüber, wie er die Durchsetzung dieser Verpflichtung durch die eigene Rechtsordnung garantieren will.4 Insofern muss die jeweilige nationale Rechtsordnung einen Umsetzungsakt völkerrechtlicher Regelungen vorsehen.5 Für die deutsche Rechtsordnung stellt Art. 25 GG einen solchen Umsetzungsakt dar, der eine Adoption der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ vornimmt.6 Danach sind bei der Auslegung 3

BVerfGE 112,1; siehe dazu infra Kap. 4 A. II. 2. Kelsen, S. 336 f. 5 Koenig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art. 25 Rn. 2. 6 BVerfGE 46, 342 (403 f.): „[Die nicht unmittelbare Begründung von Rechten und Pflichten für den Einzelnen hindert nicht die Feststellung, dass] die festgestellte allgemeine Regel 4

A. Verbindlichkeit für die deutschen Gerichte über Art. 25 GG

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und Anwendung von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts durch Gerichte die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beachten.7 Unter diese „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ fallen nach herrschender Ansicht zum einen das Völkergewohnheitsrecht und zum anderen die sogenannten allgemeinen Rechtsgrundsätze.8 Letztgenannte sind gemäß Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGHStatut Rechtsgrundsätze und -institute, die in allen Rechtsordnungen zu finden sind (z. B. Treu und Glauben oder das Institut der Ungerechtfertigten Bereicherung). Andere sind der Ansicht, dass die „allgemeinen Regeln“ ausschließlich das Völkergewohnheitsrecht erfassen.9 Für das Anerkennungs- und Voll­streckungsverfahren fremdstaatlicher Akte spielen, soweit ersichtlich, allerdings nur die Regeln des Völkergewohnheitsrechts eine Rolle. Die Annahme von Völkergewohnheitsrecht setzt voraus, dass gemäß Art.  38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut eine allgemeine Staatenpraxis (consuetudo) und zusätzlich die Rechtsauffassung vorhanden ist, dass man zu dieser Praxis rechtlich verpflichtet sei (opinio iuris vel necessitatis). Auch wenn im Einzelnen umstritten ist, ob das Völkergewohnheitsrecht im deutschen Verfassungsgefüge einen Verfassungsrang beanspruchen kann,10 so handelt es sich doch zumindest unbestritten um Rechtsnormen, die zumindest eine Stellung über dem einfachen Gesetzesrecht innehaben.11 Das Völkergewohnheitsrecht ist aufgrund dieser Stellung auch gegenüber Völkervertragsrecht, das gem. Art. 59 Abs. 2 GG die Stufe einfachen Bundesrechts im Verfassungsgefüge beansprucht, vorrangig anwendbar und kann die Anerkennungspraxis daher (nach zivilgerichtlicher Praxis als Teil  der ordre public-Prüfung) erheblich beeinflussen.12 Aufgrund der teils erheblichen Folgen für die deutsche Rechtsordnung und der oft mit erheblichen Aufwand verbundenen Prüfung ist das Einschätzungs- und Bewertungsmonopol, welche Normen tatsächlich zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören, gemäß Art. 100 Abs. 2 GG dem Bundesverfassungsgericht zugewiesen worden. Ein deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht muss daher in Zweifelsfällen die entscheidungserhebliche Frage, ob Völkergewohnheitsrecht vorliegt oder nicht, dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen.

des Völkerrechts kraft Art. 25 S. 1 GG als solche mit ihrer jeweiligen völkerrechtlichen Tragweite Bestandteil des objektiven, im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechts ist und je nach Sachlage Rechtswirkungen für oder gegen private Einzelne haben kann, […].“; zustimmend Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., Art. 25 GG Rn. 21. 7 BVerfGE 75, 1 (18 f.); 109, 13 (26); 112, 1 (27). 8 BVerfGE 23, 288 (317); 31, 145 (177); 94, 315 (328); 95, 96 (129); 96, 68 (86); 109, 13 (27); 117, 141 (149); 118, 124 (134) ohne Diskussion; Geiger, § 35 II 1b; Heintschel v. Heinegg, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG-Komm., Art. 25 Rn. 21. 9 Rudolf, S. 255 ff.; Schweitzer, Rn. 472 f. 10 Vgl. Geiger, § 35 V. 11 Wortlaut Art. 25 GG; BVerfGE 111, 307. 12 Es ist allerdings auch möglich, dass sich die beiden Rechtsquellen untereinander aufgrund Spezialität verdrängen und dadurch im Einzelfall nur das Völkervertragsrecht anwendbar ist.

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Kap. 4: Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts

Eine im früheren Schrifttum häufig zu findende Ansicht möchte das Völker­ gewohnheitsrecht aufgrund des Wortlauts des Art.  25 S.  2 GG nur dann in das innerstaatliche Recht übernehmen, sofern es unmittelbar anwendbar und damit geeignet ist, für den Bürger Rechte und Pflichten zu begründen.13 Eine solche Einschränkung findet allerdings weder eine Stütze im Wortlaut des Art. 25 S. 1 GG14 noch in dessen Sinn und Zweck. Sie unterscheidet außerdem nicht zwischen innerstaatlicher Geltung und unmittelbarer Anwendbarkeit.15 Völkergewohnheitsrecht beansprucht stets über Art. 25 GG innerstaatliche Geltung, ist aber nicht immer unmittelbar anwendbar. Bei dem zwischenstaatlichen Recht handelt es sich oft auch um Normen, die im Einzelfall Individualrechte erheblich beeinflussen können.16 Das BVerfG hat folgerichtig diese die Anwendbarkeit des Völkergewohnheitsrechts einschränkende Ansicht zurückgewiesen.17 Ob deutsche Behörden und Gerichte völkerrechtswidrige ausländische Hoheits­ akte auf der Grundlage des Art. 25 GG nicht anerkennen dürfen, war zumindest lange umstritten.18 Obwohl das Völkerrecht nur in den Fällen eines ius cogens-Verstoßes eine solche Verpflichtung des Vollstreckungsstaats vorsieht,19 hat das BVerfG zunächst hierzu ausgeführt, dass „die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland kraft Art. 25 GG grundsätzlich daran gehindert sind, innerstaatliches Recht in einer Weise auszulegen und anzuwenden, welche die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verletzt. Sie sind auch verpflichtet, alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft, und gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßende Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger bestimmend mitzuwirken.“20 Das Grundgesetz enthalte demnach einen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit.21 Bei den genannten Vorgaben des BVerfG handelt es sich jedoch nicht um eine völkerrechtliche, sondern eine aus dem nationalen Verfassungsrecht folgende Verpflichtung, da das Völkerrecht die Entscheidung über die Anerkennung einer völkerrechtswidrigen fremdstaatlichen Entscheidung weitgehend in das Ermessen des Vollstreckungsstaat stellt.22 13

Pigorsch, S. 82 f.; Rudolf, S. 258. Koenig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Komm., Art. 25 GG, Rn. 46. 15 Heintschel v. Heinegg, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG-Komm., Art. 25 Rn. 17. 16 Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., Art. 25 Rn. 47. 17 BVerfGE 46, 342 (403 f.). 18 Vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 20 Rn. 17. 19 Die das Völkergewohnheitsrecht kodifizierenden ILC-Artikel zur State Responsibility­ sehen in Art. 40, 41 vor, dass zumindest bei einer groben und systematischen Verletzung von ius cogens jeder Staat dazu verpflichtet sei, Zustände, die durch eine solche Verletzung herbeigeführt worden sind, nicht als rechtmäßig anzuerkennen. Jede Unterstützungshandlung zur Aufrechterhaltung dieses Zustandes müsse gem. Art. 41 Abs. 2 ILC-Artikel unterbleiben. 20 BVerfGE 75, 1, 19; Bezugnahme in BVerfGE 109, 13, 26. 21 So bereits BVerfGE 6, 309 (362); 18, 112 (121). 22 Vgl. Art. 41 (2) ILC-Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts. 14

A. Verbindlichkeit für die deutschen Gerichte über Art. 25 GG

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Bereits Hofmann hat in diesem Zusammenhang richtigerweise ausgeführt, dass dieser Ansatz der unbedingten Durchsetzung des Völkerrechts nicht immer durchgehalten werden kann und teilweise sogar subjektive Rechte natürlicher Personen geschmälert werden könnten.23 Er verweist insbesondere auf die völkerrechtswidrige Annexion Ost-Jerusalems durch den Staat Israel. Wolle man alle Folgen dieser Annexion als nichtig ansehen, würde dies bedeuten, dass für einen aus Ost-Jerusalem stammenden Palästinenser das deutsch-israelische Sozialversicherungsabkommen nicht anwendbar wäre und dies negative Folgen für ihn hätte.24 Hofmann plädiert daher für eine vermittelnde Lösung. Das vom BVerfG geforderte Verbot eines „Wirksamkeit Verschaffens“ des völkerrechtswidrigen ausländischen Rechts könne seiner Ansicht nur dann angenommen werden, wenn das deutsche Gericht den Rechtsverstoß durch die Anerkennung soweit verstärkt und perpetuierte, dass die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland in Form einer Mittäterschaft oder Gehilfenschaft in Frage käme.25 Auf dieser Grundlage begründe die Rechtsprechung des BVerfG eine begrüßenswerte Entwicklung, die den vielfältigen wachsenden zwischenstaatlichen Beziehungen Rechnung trage. Das BVerfG hat mittlerweile seine ursprüngliche Rechtsprechung allerdings mit einer Korrekturverpflichtung dogmatisch verschärft, ohne aber die Voraussetzungen dazu in hinreichender Weise aufzustellen.

II. BVerfGE 112, 1 („Bodenreform III“) – Die Theorie der Korrekturverpflichtung völkerrechtlichen Unrechts 1. Sachverhalt und Entscheidung Der Grundgedanke der sog. Pakelli-Entscheidung des BVerfG26, dass völkerrechtwidriges Verhalten im Rahmen der Verfassungsbeschwerde anhand von Art. 2 Abs.  1 GG i. V. m. Art.  25 GG über die Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann, wurde durch das BVerfG unter anderem in seinem Urteil vom 26.10.2004 („Bodenreform III“) über die Verfassungsmäßigkeit der Enteignungen in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone aufgenommen und weiterentwickelt.27 In den Jahren zwischen 1945 bis 1949 waren in der sowjetischen Besatzungszone durch die Besatzungsmacht Grundstücke entschädigungslos enteignet worden. 23

R. Hofmann, ZaöRV 1989, S. 41 ff. R. Hofmann, id., S. 50. 25 R. Hofmann, id., S. 51. 26 BVerfG, Kammer-Beschluss vom 11.10.1985, NJW 1986, S. 1425 ff. = ZaöRV 46 (1986), S. 289; zustimmend Frowein, ZaöRV 46 (1986), S. 286 ff. 27 BVerfGE 112,1; dazu Schweisfurth, NVwZ 2005, S. 1261 ff. 24

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Kap. 4: Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts

Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden geht das BVerfG davon aus, dass das Eigentum an den betreffenden Grundstücken durch die sowjetischen Behörden wirksam entzogen worden ist. Da dieser Eigentums­ entzug außerhalb des zeitlichen und territorialen Geltungsbereichs des Grundgesetzes stattgefunden habe und bereits 1949 ein abgeschlossener Vorgang gewesen sei, bleibe den Beschwerdeführern die Berufung auf Art. 14 GG versagt.28 Die Beschwerdeführer seien aber aus ihren Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 25 GG, Art. 79 Abs. 3 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG beschwerdebefugt und könnten somit einen Bruch des Völkerrechts als Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art.  2 Abs.  1 GG über die Verfassungsbeschwerde geltend machen. Dies sei jedenfalls in den Fällen geboten, wenn die betreffende völkerrechtliche Regelung einen engen Bezug zu individuellen hochrangigen Rechtsgütern aufweise, wie das im völkerrechtlichen Enteignungsrecht der Fall sei.29 Die Verfassungsbeschwerden waren jedoch nach Ansicht des Gerichts nicht begründet. Die Pflicht, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gemäß Art. 25 GG zu respektieren, erfordere, „dass die deutschen Staatsorgane die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen befolgen und Verletzungen unterlassen, dass der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung grundsätzlich eine Korrekturmöglichkeit für Verletzungen durch deutsche Staatsorgane gewährleistet und dass deutsche Staatsorgane – unter bestimmten Voraussetzungen – im eigenen Verantwortungsbereich das Völkerrecht durchsetzen, wenn dritte Staaten dieses verletzen“.30 Alle deutschen Staatsorgane seien an das in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebrachte Rechtsstaatsprinzip gebunden. Zur Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland gehörten gem. Art. 25 GG und Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG auch das Völkerrecht, dass nach dem Grundgesetz Legitimitätsbasis jeder staatlichen Ordnung sei.31 Bereits in früheren Verfahren hatte das BVerfG betont, dass das Grundgesetz die Staatsorgane mittelbar verpflichte, das Völkerrecht durchzusetzen und dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts zu vermindern.32 Diese verfassungsunmittelbare Verpflichtung sei jedoch nicht grenzenlos, sondern nur soweit es dem in Art. 23 bis 26 GG sowie in Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG entwickelten Konzept des Grundgesetzes entspräche. Das Grundgesetz wolle die Öffnung der deutschen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit in den Formen einer „kontrollierten Bindung“. Die deutsche Rechtsordnung sei daher der Völkerrechtsordnung nicht unterworfen und sehe auch keinen absoluten Geltungsvorrang des Völkerrechts vor, sondern wolle „den Respekt vor friedens- und freiheitswahrenden internationalen 28 BVerfGE 112, 1, 20 f.; kritisch Schweisfurth, ibid. mit Verweis auf das Konfiskationsverbot des Art. 46 II HLKO. 29 BVerfGE 112, 1, 22. 30 BVerfGE 112, 1 (24). 31 BVerfGE 112, 1 (25). 32 BVerfGE 109, 13 (24); 109, 38 (50); 111, 307 (328).

A. Verbindlichkeit für die deutschen Gerichte über Art. 25 GG

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Organisationen und dem Völkerrecht erhöhen, ohne die letzte Verantwortung für die Achtung der Würde des Menschen und die Beachtung der Grundrechte durch die deutsche öffentliche Gewalt aus der Hand zu geben“.33 Die Verpflichtung, Völkerrecht gegebenenfalls durchzusetzen, lasse sich als „Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“ in drei Grundverpflichtungen gliedern: Erstens haben die deutschen Staatsorgane die für Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Regelungen zu befolgen und Verletzungen zu unterlassen. Zweitens sei der Gesetzgeber grundsätzlich verpflichtet, Korrekturmöglichkeiten für Verletzungen durch Staatsorgane zu gewährleisten. Drittens haben die Staatsorgane unter bestimmten Voraussetzungen, welche im Urteil nicht erörtert werden, die Pflicht, im eigenen Verantwortungsbereich das Völkerrecht durchzusetzen, wenn dritte Staaten dieses verletzten.34 Für die vorliegenden Enteignungsfälle in der sowjetischen Besatzungszone  – wie auch für die Anerkennung aller fremdstaatlichen, potentiell völkerrechtswidrigen Akte – war das dritte Element entscheidend, also die Frage, wie die deutsche Rechtsordnung mit Rechtsverletzungen einer nicht an das deutsche Grundgesetz gebundenen Hoheitsgewalt umzugehen habe. Nach dem verfassungsrechtlichen Maßstab seien „die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, alles zu unterlassen, was unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nicht-deutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft, und gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßenden Handlung nicht-deutscher Hoheitsträger bestimmend mitzuwirken“.35 Das BVerfG sehe aber diese nach außen gerichtete Pflicht nicht absolut, sondern diese stünde in einem „Spannungsverhältnis zu der gleichfalls verfassungsrechtlich gewollten internationalen Zusammenarbeit zwischen den Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten […], insbesondere wenn eine Rechtsverletzung nur auf dem Kooperationswege beendet werden [könne]“.36 Eine Korrektur des Handelns dritter Staaten sei insbesondere dann geboten, wenn fremde Staatsorgane zwingende Völkerrechtsnormen (ius cogens) verletzt hätten, wobei das BVerfG überraschend zu diesen Normen nicht nur solche der internationalen Friedenssicherung, des Selbstbestimmungsrechts der Völker und grundlegende Menschenrechte zählt, sondern auch „Kernnormen zum Schutz der Umwelt“.37 Zustände, die unter einer solchen ius cogens-Verletzung entstanden seien, dürften mit Verweis auf Art. 40 Abs. 2 der ILC Artikel zur Staatenverantwortlichkeit von deutschen Hoheitsträgern unter keinen Umständen anerkannt

33

BVerfGE 112, 1 (25 f.). BVerfGE 112, 1 (26). 35 BVerfGE 112, 1 (27). 36 BVerfGE 112, 1 (27). 37 BVerfGE 112, 1 (27 f.); siehe dazuz auch infra Kap. 4. B. II. 34

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Kap. 4: Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts

werden. Alle Staaten seien verpflichtet, im Rahmen der zwischenstaatlichen Kooperation solchen Völkerrechtsverstößen entgegenzuwirken.38 Aus dieser Pflicht, im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten der deutschen Staatsorgane einen Zustand näher am Völkerrecht herbeizuführen, folge aber keine Restitutionspflicht hinsichtlich der durch das sowjetische Besatzungsregime entzogenen Grundstücke.39 Wie das BVerfG bereits in einer früheren Entscheidung festgestellt hatte, könne die Frage, ob jemandem eine bestimmte Rechtsposition zusteht, nur mit Blick auf eine konkrete Rechtsordnung beantwortet werden.40 Die sowjetischen Enteignungsfälle konnten trotz des in der Präambel des Grundgesetzes ausgedrückten Selbstverständnisses, alle Deutschen vertreten zu wollen, nicht der Bundesrepublik zugerechnet werden. Es spräche auch einiges dafür, dass diese sowjetischen Enteignungen Vorschriften der Haager Landkriegsordnung zum Schutze der Zivilbevölkerung in militärisch besetzten Gebieten verletzt hätten, insbesondere da sie losgelöst von einer individuellen Verantwortlichkeit gegen die als „Klassenfeind“ bezeichnete Personengruppe gerichtet gewesen seien.41 Als der nach einer Besatzung „zurückkehrende Souverän“ könne die Bundes­ republik frei über das Fortbestehen der abgeschlossenen Enteignungen entscheiden, es bestehe jedoch keine Verpflichtung der Restitution der Eigentumsverhältnisse.42 Das Völkerrecht kenne zwar eine Schadensersatzpflicht zwischen dem besetzten und dem besetzenden Staat nach Art.  3 der Haager Landkriegsordnung, allerdings habe die Bundesrepublik durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag auf eine Geltend­machung dieser Ansprüche stillschweigend verzichtet.43 Auch müsse sie die Enteignungen nicht als nichtig ansehen, da weder zum Zeitpunkt der Ent­ ziehung noch zu einem späteren Zeitpunkt das Eigentumsrecht der eigenen Staatsangehörigen als ius cogens gewertet werden könne.44 Selbst wenn man von einem Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht ausginge, bedeute dies nicht, dass man die Enteignungen rückgängig machen müsste. Die Bundesrepublik Deutschland sei ihrer Pflicht zur erfolgsbezogenen Zusammenarbeit insoweit nachgekommen, als der sie im Verhandlungswege die Wiedervereinigung herbeigeführt hat. Dabei durfte sie zum Schluss kommen, dass die Enteignungen zwischen 1945 bis 1949 nicht ungeschehen gemacht werden konnten, wohl aber doch durch Ausgleichszahlungen eine substantielle Minderung herbeigeführt werden kann.45 Zu diesem Zwecke habe sie auf der Grundlage des 38

BVerfGE 112, 1 (28). BVerfGE 112, 1 (28 ff.). 40 BVerfGE 84, 90 (122). 41 BVerfGE 112, 1 (31). 42 BVerfGE 112, 1 (31 ff.). 43 BVerfGE 112, 1 (33). 44 BVerfGE 112, 1 (34); a. A. Schweisfurth, NVwZ 2005, S. 1261 (1262), der die Enteigungen der sowjetischen Besatzungsmacht zuordnet, sodass nicht von „eigenen Staatsangehörigen“ gesprochen werden kann. 45 BVerfGE 112, 1 (37). 39

A. Verbindlichkeit für die deutschen Gerichte über Art. 25 GG

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Ausgleichs­leistungsgesetzes ein insgesamt hinreichendes und verfassungsgemäßes Niveau der Auskehrung erreicht. Zu einer weitergehenden Restitution der Eigentumsverhältnisse sei sie nicht verpflichtet. 2. Kritik am Vorgehen des BVerfG a) Art. 46 Haager Landkriegsordnung als ius cogens? Die Entscheidung des BVerfG ist gleich in mehreren Punkten kritisch zu hinterfragen. Zum einen ist nicht verständlich, warum der erkennende Senat auf völkerrechtlicher Ebene hier ein menschenrechtlichen Eigentumsschutz eigener Staatsangehöriger prüft, da der Eigentumsschutz im Rahmen des humanitären Völkerrechts zum Zeitpunkt der Enteignungen stärker ausgeprägt war.46 Nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs ist das humanitäre Völkerrecht von einer Besatzungsmacht als lex specialis vorrangig vor den Menschenrechten anzuwenden, sofern es Sonderregelungen zu den Menschenrechtspakten enthält.47 Eine solche Regelung stellt Art. 46 Abs. 2 der Anlage zur Haager Landkriegsordnung (HLKO)48 dar, auf die sich die Beschwerdeführer offenbar auch während des Verfahrens berufen haben49: „Art. 46. (1) L’honneur et les droits de la famille, la vie des individus et la propriété privée, ainsi que les convictions religieuses et l’exercise des cultes, doivent être respectés. (2) La propriété privée ne peut pas être confisquée.“

Deutschland und das russische Zarenreich gehörten zu den ersten Staaten, die dieses Vertragswerk ratifiziert haben. Es wird aber auch angenommen, dass es sich bei den Regelungen der HLKO zum Zeitpunkt des Beginns des 2. Weltkriegs um Völkergewohnheitsrecht gehandelt hat.50 Dementsprechend waren die Sowjetunion und das Deutsche Reich als kriegsführende Parteien an diese Regelungen laut Art.  2 während des 2. Weltkriegs und der darauf folgenden Besatzungszeit gebunden.

46

So auch Schweisfurth, NVwZ 2005, S. 1261 f.. IGH, advisory opinion of 08.07.1996, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 226 ff., Rn. 25; IGH, advisory opinion of 09.07.2004, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, ICJ Rep. 2004, S. 136 ff., Rn. 104 ff. 48 Abkommen vom 18.10.1907 betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, RGBl. 1910 S. 107, 375. Das Originaldokument ist auf Französisch verfasst. 49 Siehe dazu die Stellungnahmen des BVerwG und des Regierungspräsidiums Halle, BVerfGE 112, 1 (15 ff.). 50 Nürnberger Internationaler Militärgerichtshof, AJIL 1947 (41), S.  248 f.: „The rules of land warfare expressed in the Convention undoubtedly represented an advance over existing International Law at the time of their adoption […] but by 1939 these rules […] were recognized by all civilized nations and were regarded as being declaratory of the laws and customs of war.“ 47

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Kap. 4: Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts

Zieht man zur Auslegung den Inhalt der Art.  31 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge51 als bereits 1907 geltendes Völkergewohnheit heran, lässt sich zunächst feststellen, dass der Wortlaut der HLKO ausdrücklich keine Rechtsfolge für die Nichtbeachtung des Art. 46 Abs. 2 regelt. Betrachtet man­ jedoch die Verwendung des Hilfsverbs „pouvoir“ im Rahmen des französischen Textes52, dann bleibt letztlich nur die Schlussfolgerung, dass das Privateigentum als „konfiskationsuntauglich“ betrachtet wird.53 Die Enteignungen können dementsprechend den entsprechenden Erfolg nicht erreichen und sind demnach als unwirksam bzw. nichtig zu erachten.54 Aufgrund dieser Rechtsfolge wird teilweise davon ausgegangen, dass es sich bei Art. 46 Abs. 2 HLKO als Kernnorm des Besatzungsrechts um eine Norm des ius cogens handelt.55 Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 02.03.2005 die Auffassung des BVerfG insoweit bestätigt, dass es sich bei der sowjetischen Besetzung Deutschlands um eine Besetzung sui generis gehandelt habe, da die unbedingte Kapitulation Deutschlands die Souveränität auf die Besatzungsmächte übertragen habe, und dieses Regime auch weltweit anerkannt worden sei.56 Die Anwendung des Art. 46 Abs. 2 HLKO sei demnach ausgeschlossen gewesen. Die Begründung scheint doch recht unglücklich gewählt zu sein, da die Rechtsfigur einer Besatzung sui generis letztlich der Rechtsdurchsetzung des humanitären Völkerrechts eher schadet. Die Aussage tritt aber auch letztlich in der Entscheidung hinter die deutliche Feststellung zurück, dass die Enteignungen, die vor Inkrafttreten der EMRK vorgenommen wurden, außerhalb ihrer Anwendbarkeit stünden und daher nicht überprüft werden könnten.57 b) Prüfungsmaßstab und obiter dictum Berechtigt ist ebenso die Kritik der Richterin Lübbe-Wolff, die sie in ihrer abweichenden Meinung zum Urteil zum Ausdruck gebracht hat.58 Zum einen regele schon Art. 143 Abs. 3 GG, dass die Eigentumsentziehungen vor der Wiedervereinigung nicht rückgängig gemacht werden könnten. Wenn schon das Grundgesetz eine Regelung enthalte, müsse man die Enteignungen nicht an den Grundrechten 51

Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.05.1969, BGBl. 1985 II S. 927. Die deutsche Übersetzung („Das Privateigentum darf nicht eingezogen werden“) gibt insoweit nicht den Originaltext wieder; so auch Schweisfurth, NVwZ 2005, S. 1261. 53 Schweisfurth, id., S. 1262. 54 Schweisfurth, ibid. 55 Schweisfurth, ibid. 56 EGMR, Große Kammer, Entscheidung v. 02.03.2005, App. No. 71916/01, 71917/01 u. 10260/02, Maltzan and others ./. Germany, Rn. 80. 57 EGMR, id., Rn. 82: „Accordingly, the Court lacks competence ratione temporis and ratione personae to examine the circumstances in which the expropriations were carried out or the continuing effects produced by them up to the present date.“ 58 BVerfGE 112, 1 (44 ff.). 52

A. Verbindlichkeit für die deutschen Gerichte über Art. 25 GG

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messen. Der einzige Prüfungsmaßstab sei daher, wie der 1. Senat in einer früheren Entscheidung bereits ausgeführt hatte,59 Art. 79 Abs. 3 GG, sodass die Untersuchung erforderlich gewesen wäre, ob Art. 143 Abs. 3 GG eine verfassungswidrige Bestimmung ist.60 Wie sich aus den Stellungnahmen der beteiligten Behörden ergibt, haben auch die Beschwerdeführer dieses Argument vorgebracht. Der Senat hat sich aber entschlossen, diesen Aspekt des Antrags weitgehend außer Acht zu lassen. Auch nach Ansicht Schweisfurths habe er daher schon den falschen Prüfungsansatz gewählt.61 Zum anderen hätte, selbst wenn Anlass zur Auseinandersetzung mit der Völkerrechtslage bestanden hätte, die im Völkerrecht begründete Feststellung ausgereicht, dass die Bundesrepublik weder zur Restitution verpflichtet sei, noch dazu, die Enteignungen als nichtig anzusehen. Die im Urteil aufgestellte These einer angeblichen völkerrechtlichen Korrekturverpflichtung sei jedenfalls nicht entscheidungserheblich gewesen, stelle also ein obiter dictum dar. Die für diese Arbeit besonders wichtige Frage, ob Korrekturpflichten hinsichtlich des Handelns fremder Staatsorgane bestehen, habe in dieser Form in der Verfassung keine Grundlage.62 Der Senat habe sich in dieser Frage auch sehr vage gehalten, indem er diese Korrekturverpflichtung „unter hier nicht näher zu bestimmenden Voraussetzungen“ gestellt habe. Der Kritik Lübbe-Wolffs ist insoweit zuzustimmen, als tatsächlich zum einen solche Erwägungen zur völkerrechtlichen Korrekturverpflichtung angesichts der Regelung des Art.  143 Abs.  3 GG nicht erforderlich gewesen wären.63 Unklar bleibt zudem, in welchen Fällen außerhalb einer Verletzung von ius cogens die Verpflichtung der deutschen Staatsorgane besteht, einen Zustand „näher am Völkerrecht“ herbeizuführen und wann eine gegebene Situation hingenommen werden muss. Im Urteil spielt die Frage der Völkerrechtswidrigkeit eine nur mittelbare Rolle für die Anerkennung einer rechtswidrigen Enteignung. Eher wird auf die Frage abgestellt, ob der deutsche Staat noch eine realistische Korrekturmöglichkeit hat, so beispielsweise während des Verhandlungsprozesses zur Wiedervereinigung. Da eine realistische Korrekturmöglichkeit im Falle der Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone nicht gegeben war, waren die Enteignungen, mögen sie nun völkerrechtlich fragwürdig sein oder nicht, hinzunehmen. Insoweit ist Lübbe-Wolff uneingeschränkt zuzustimmen, dass das Urteil relativ lange nicht entscheidungserhebliche Passagen enthält. Nur durch den Rückgriff auf Grundsätze, die im Rahmen des Internationalen Privatrechts entwickelt worden sind, kann die Frage einer Korrekturmöglichkeit in diesem Zusammenhang näher ausgeleuchtet werden (dazu Kapitel 5). 59

BVerfGE 94, 12 (33 f.). Dies wurde bereits in den Entscheidungen des 1. Senats (BVerfGE 84, 90 und BVerfGE 94, 12) verneint. 61 Schweisfurth, NVwZ 2005, S. 1261 (1266). 62 BVerfGE 112, 1 (47 f.). 63 So auch Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm, Art. 14 Rn. 36, der insoweit in Art. 143 Abs. 3 GG eine Spezialregelung sieht, die Art. 14 GG vorgeht. 60

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Kap. 4: Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts

3. Fazit und Kritik zur Korrekturverpflichtung der deutschen Hoheitsträger für fremdstaatliches Handeln Für die Frage der Korrekturverpflichtung hinsichtlich fremder Hoheitsakte bleibt daher nur unter bestimmten engen Voraussetzungen Raum: Erste Voraussetzung muss danach sein, dass das Völkerrecht dem deutschen Staat eine Korrektur nicht ohnehin verbietet. Nach den Grundsätzen, die bereits der Ständige Internationale Gerichtshof in der Lotus-Entscheidung64 aufgestellt hat, ist nicht etwa nach einer Erlaubnisnorm, sondern nach einer völkerrechtlichen Verbotsnorm zu suchen. Verboten wäre eine Korrektur dann, wenn der fremdstaatliche Hoheitsakt zwingend als wirksam anerkannt werden muss. Ein solches Gebot könnte im zwischenstaatlichen Verbot liegen, sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen. Aus der in Art. 2 Abs. 1 UN-Charta niedergelegten Gleichheit der Staaten wird geschlussfolgert, dass eine solche Einmischung völkerrechtswidrig wäre. Innere Angelegenheiten des Staates sind insbesondere diejenigen, die nur den eigenen Hoheitsbereich betreffen, also nur innerstaatliche Wirkung entfalten bzw. nur die eigenen Staatsbürger betreffen. Solche hoheitlichen Akte müssen jedenfalls anerkannt werden, soweit es die Wirkung auf das eigene Staatsgebiet betrifft. Aus dogmatischer Sicht kann dieser Schutz vor fremdstaatlicher Einmischung nur dann durchbrochen werden, wenn es sich bei der verletzten Verpflichtung des Staates um eine solche handelt, die dieser gegenüber allen anderen Staaten hat, eine sog. erga omnes-Verpflichtung. Denn dann wäre es begriffsnotwendig keine innere Angelegenheit des betreffenden Staates mehr. Die Anzahl dieser Verpflichtungen ist aber stark eingegrenzt. Insbesondere sollen die fundamentalen Menschenrechte darunter gefasst werden, also der Schutz vor Genozid, Sklaverei, Folter und rassistisch motivierter Diskriminierung.65 Wahrscheinlich sind diese Erwägungen zu den erga omnes-Verpflichtungen der Grund, warum das BVerfG auf ius cogens-Verpflichtungen eingeht. Diese beiden Rechtsinstrumente überschneiden sich, sind aber keinesfalls identisch, da sie auf unterschiedlichen Ansatzpunkten basieren. Der völkerrechtlich auf globaler Ebene nur sehr schwach ausgeprägte menschenrechtliche Eigentumsschutz zählt jedenfalls nicht zu diesen hervorgehobenen Pflichten, da ein völkergewohnheitsrechtlicher Schutz über den fremdenrechtlichen Mindeststandard hinaus nicht nachgewiesen werden kann. 64

StIGH, Urteil v. 07.09.1927, PCIJ Series A No. 10, France ./. Turkey, The Case of the S. S. „Lotus“, S. 18: „International law governs relations between independent States. The rules binding upon States therefore emanate from their own free will as expressed in conventions or by usages generally accepted as expressing principles of Law and established in order to regulate the relations between these co-existing independent communities or with a view to the achievement of common aims. Restrictions upon the independence of States cannot therefore be presumed.“ 65 IGH, Urteil v. 05.02.1970, Belgium ./. Spain, Case concerning the Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Second Phase), ICJ Rep. 1970, S. 3 ff., Rn. 33 f.

A. Verbindlichkeit für die deutschen Gerichte über Art. 25 GG

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Zweite Voraussetzung ist, dass in allen anderen Fällen, die nicht erga omnesVerpflichtungen betreffen, es sich notwendigerweise um fremdstaatliche Akte handeln muss, die eine direkte oder indirekte Auswirkung auf deutsches Territorium bzw. deutsches hoheitliches Handeln haben können. Der jeweilige fremdstaatliche Akt muss also in irgendeiner Form extraterritoriale Wirkung beanspruchen oder von deutschen Behörden vollstreckt werden können. In diesen Fällen wird dem anerkennenden Staat ein Ermessen eingeräumt, ob er diesen fremdstaatlichen Akt als eigenen Akt in seiner Rechtsordnung akzeptieren und Rechtswirkungen verleihen will oder nicht. Drittens ist also zu klären, ob der fremdstaatliche Hoheitsakt mit der deutschen Rechtsordnung in Einklang gebracht werden kann. Es kommt also nicht unmittelbar auf die Frage an, ob im fremdstaatlichen Handeln eine erhebliche Verletzung des Völkerrechts liegt. Die eigentliche Frage aus der Sicht sowohl des nationalen Verfassungsrechts als auch des Völkerrechts ist vielmehr diejenige, ob der fremdstaatliche Akt noch mit der eigenen Rechtsordnung vereinbar ist und ohne zu starke Verbiegungen integriert werden kann. Eine Anerkennung eines fremdstaatlichen Aktes kann nämlich jedenfalls schon dann verweigert werden, wenn dieser Akt mit der eigenen Rechtsanschauung absolut unvereinbar ist, oder anders formuliert, wenn der fremde Hoheitsakt dem deutschen ordre public widerspricht. Diese Grenze ist schon dann erreicht, wenn die Regelung mit einer parallelen deutschen Regelung nicht kompatibel ist oder ganz allgemein den deutschen ethischen Wertvorstellungen widerspricht. Das Grundgesetz selber gibt zwar gemäß Art. 25 GG vor, dass dabei das Völkergewohnheitsrecht einen übergesetzlichen Vorrang genießt, vom Völkergewohnheitsrecht abweichende, fremdstaatliche Akte also dem deutschen ordre public regelmäßig widersprechen. Eine völkerrechtliche Untersuchung spielt dabei also nur mittelbar im Rahmen der ordre public-Prüfung eine Rolle. Dies ist ein zwingendes Ergebnis, da andernfalls in Einzelfällen legitime subjektive Rechte nicht beachtet und in Frage gestellt werden könnten. Viertens kann selbst über schwerwiegende völkerrechtliche Verstöße hinweg­ gesehen werden, wenn die Akzeptanz dieses Völkerrechtsverstoßes als Ergebnis aus diplomatischen Verhandlungen hervorgegangen ist. Zwar gibt es eine völkerrechtliche Pflicht, Völkerrechtsverstöße durch zwischenstaatliche Kooperation zu beseitigen, allerdings hat die Bundesrepublik ein weites Ermessen hinsichtlich der Frage, in welcher Form diese Kooperation am besten verwirklicht werden kann. Nicht nur in den untersuchten Fällen, sondern auch in der Rechtsprechung des EuGH zu WTO-Entscheidungen wird deutlich, dass die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland bzw. der EU Vorrang vor individualrechtlichen Erwägungen genießt. Der BVerfG-Entscheidung ist somit zumindest im Ergebnis zuzustimmen. Der Rückgriff auf eine völkerrechtlich begründete Korrekturverpflichtung fremdstaatlichen Handeln bildet jedoch einen Zirkelschluss. Das Völkergewohnheitsrecht verpflichtet selbst nicht zur Korrektur fremdstaatlicher Akte. Einzige Ausnahme von dieser Grundregel ist der Bruch zwingenden Völkerrechts, der eine zwingende

240

Kap. 4: Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts

Anerkennungsverweigerung zur Folge hat.66 Eine weitergehende Verpflichtung kann nur unmittelbar aus der nationalen Rechtsordnung fließen. Entscheidend ist also die Frage, ob die nationale Rechtsordnung den fremdstaatlichen Akt als eigenen Akt akzeptieren kann, also ob im fremden Akt ein ordre public-Verstoß liegt. Erst im Rahmen dieser Frage kann das Völkerrecht über Art. 25 GG Berücksichtigung finden. Einzige Ausnahme ist erneut das völkergewohnheitsrechtliche ius­ cogens, dessen Verstoß eine zwingende Anerkennungsverweigerung zur Folge hat. Für die Anerkennung von aufgehobenen Schiedssprüchen bedeutet das Urteil also vor allen Dingen eine überragende Bedeutung von ius cogens-Verletzungen im Rahmen des ausländischen Aufhebungsverfahrens. Diese sind über Art. 25 GG nicht mehr anerkennungsfähig, da das Völkergewohnheitsrecht selbst eine solche Anerkennungsfähigkeit verneint. Alle anderen Verstöße gegen Völkergewohnheitsrecht sind hingegen im Rahmen einer ordre public-Prüfung zu lösen, die auf Art. 25 GG Bezug nimmt. Dies führt also zu der Frage, ob der Verstoß gegen Völkergewohnheitsrecht von der deutschen Rechtsordnung noch akzeptiert werden kann. Dies wird regelmäßig zwar nicht der Fall sein. Im Rahmen der ordre public-Prüfung können jedoch auch andere Kriterien eine entscheidende Rolle spielen (dazu Kapitel 5).

B. Relevantes Völkergewohnheitsrecht im Rahmen des deutschen Anerkennungsund Vollstreckungsverfahrens In einem nächsten Prüfungsschritt soll untersucht werden, welche völkergewohnheitsrechtlichen Normenkomplexe im Rahmen der Prüfung des Art. 25 GG Relevanz erlangen können. Für ausländische Aufhebungen, die Schiedssprüche nicht eigener Staatsangehörigen betreffen, können zum einen die Normen des völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrechts einschlägig sein, die einen Mindeststandard für die Behandlung von Ausländern statuieren (dazu I.). Dabei ist zu untersuchen, ob das völkergewohnheitsrechtliche Schutzsystem des Fremdenrechts durch bilaterale Freundschaftsund Investitionsschutzübereinkommen in den vergangenen Jahren verändert wurde, wie vereinzelt vertreten worden ist. Bei besonders schwerwiegenden Rechtsverletzungen, beispielsweise der Aufhebung aufgrund einer ethnischen Diskriminierung, können  – auch gegenüber eigenen Staatsangehörigen – die sogenannten obligationes erga omnes bzw. das völkerrechtliche ius cogens einschlägig sein, was sogar ein völkerrechtliches Anerkennungsverbot zur Folge hätte (dazu II.). 66

Vgl. Art. 40, 41 ILC-Articles on Responsibility of States, siehe dazu auch infra Kap. 4. B. II.

B. Relevantes Völkergewohnheitsrecht

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I. Das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht 1.  Die notwendige restriktive Auslegung des Art. 25 GG Das Völkergewohnheitsrecht nimmt als Teil der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ eine Sonderstellung in der Systematik des Grundgesetzes ein. Über Art. 25 GG beanspruchen diese Normen einen Rang über dem einfachen Bundesrecht, aber unterhalb des Verfassungsrechts.67 Auch wenn aus völkerrechtlicher Sicht durchaus Zweifel gehegt werden können, ob das zwischenstaatliche Fremdenrecht individualschützende Wirkung entfalten kann,68 hat sich das BVerfG bereits in den 80er Jahren positioniert und zugelassen, dass eine Verfassungsbeschwerde über Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 25 GG auch auf Völkergewohnheitsrecht gestützt werden kann.69 Insoweit kann Völkergewohnheitsrecht die Ermessensentscheidung des deutschen Richters soweit steuern, dass eine Verpflichtung besteht, den aufgehobenen Schiedsspruch anzuerkennen. Es ist also für die Frage der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche erforderlich, Völkergewohnheitsrecht auf solche Regelungen hin zu überprüfen. Ein fremdstaatlicher Verstoß gegen das Fremdenrecht könnte also gegebenenfalls dazu führen, dass der jeweilige Akt vor deutschen Gerichten als nicht mehr anerkennungsfähig betrachtet werden muss. Aus Sicht des BVerfG ist der Begriff der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ des Art.  25 GG freilich restriktiv auszulegen und soll neben den allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Sinne des Art. 38 lit. c) IGH-Statur nur universell geltendes Völkergewohnheitsrecht als einen „völkerrechtlichen Mindeststandard“ umfassen.70 Als Gründe für diese Zurückhaltung werden in der Literatur richtigerweise zum einen die Gefahr genannt, dass die Bundesrepublik bei großzügiger Auslegung des Begriffs aus verfassungsrechtlicher Sicht einer Vielzahl völkerrechtlicher Verpflichtungen ausgesetzt wäre, die ihre internationale Handlungsfähigkeit empfindlich einschränken könnten.71 So hätte beispielsweise die Ansicht, die WTORegelungen spiegelten eine neue völkergewohnheitsrechtliche Regelung wider, zur Folge, dass die gerade in diesem Bereich besonders zentral wichtige Verhandlungsposition der Bundesrepublik über das Verfassungsrecht stark eingeschränkt wäre. Talmon hat in diesem Zusammenhang berechtigterweise f­estgestellt, dass

67 Wollte man die allgemeinen Regeln des Völkerrechts auf die Stufe der Verfassung oder gar darüber stellen, ist nicht mehr zu erklären, wie das BVerfG sich eine Prüfung des Völker­ gewohnheitsrechts anhand der deutschen Grundrechte vorbehalten könnte; dazu Talmon JZ 2013, S. 12 (15 u. 18). 68 So z. B. Talmon, JZ 2013, S. 12 (13): „Art. 25 GG verschafft den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zwar unmittelbare Geltung, verändert aber nicht deren Inhalt. Insbesondere bewirkt die Vorschrift keinen Adressatenwechsel der Norm.“ 69 BVerfG, Beschluss vom 11.10.1985, 2 BvR 336/85, NJW 1986, S. 1425 ff. 70 BVerfGE 59, 280 (283); 63, 332 (337); 75, 1 (19). 71 Dazu Czerner, EuR 2007, S. 537 (544).

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Kap. 4: Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts

viele von internationalen Gerichten und Organisationen als Völkergewohnheitsrecht herangezogene Normen tatsächlich nicht einer Prüfung anhand des Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut standhalten können.72 Das Argument Talmons, eine großzügige Auslegung des Art. 25 GG könne einen nur schwer mit den übrigen Teilen des Grundgesetzes zu vereinbarenden Souveränitäts- und Demokratieverlust zur Folge haben, ist zwar insoweit kritisch zu bewerten, als dass der Gehalt des Völkergewohnheitsrechts sich natürlich nicht nach innerstaatlichen Kriterien bestimmen kann.73 Sicherlich kann aber eine leichtfertige Annahme von Völkergewohnheitsrecht ohne Vorliegen ausreichender nachweisbarer Staatenpraxis bzw. Rechts­überzeugung (opinio iuris) die Handlungsfähigkeit eines Staates einschränken. Über Art.  25 S.  2 GG könnten die allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbare Rechte und Pflichten für die Staatsbürger erzeugen, ohne dass diese Regelungen einer parlamentarischen Mitwirkung bedürfen.74 Das Parlament wäre also in für den Bürger möglicherweise entscheidenden Fragen nicht mehr Entscheidungsträger. 2. Das Problem der weitgehenden inhaltlichen Unbestimmtheit des Fremdenrechts Das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht hat im Vergleich zu den menschenrechtlichen Verträgen einen anderen Ursprung, nämlich in der zwischenstaatlichen Jurisdiktionsabgrenzung. Es ist Ausdruck überlappender Jurisdik­tions­ kreise, nämlich dem Personalstatut des Heimatstaates des Ausländers mit dem Territorialstatut des Aufenthaltsstaates.75 Die Achtung der Person des Ausländers ist daher ein originäres Recht des Heimatstaats.76 Die Bundesrepublik Deutschland ist völkergewohnheitsrechtlich gegenüber den Heimatstaaten verpflichtet, einen Mindeststandard für die Behandlung von Ausländern einzuhalten.77 Da Ausländer mit einem anderen Staat verbunden sind, wird ihnen völkergewohnheitsrechtlich ein gewisses Mindestmaß an Rechten zugesprochen, die nach klassischem Völkerrecht aber regelmäßig nur durch diplomatischen Schutz durch den Heimatstaat eingefordert werden können.78

72

Talmon, JZ 2913, S. 12 f.; ähnlich K. Ipsen, in: Ders. (Hrsg.), Völkerrecht, § 38 Rn. 1. Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, S. 4: „Akt der blinden Unterwerfung“; Czerner, EuR 2007, S. 537 (545); Talmon, ibid. 74 Kritisch daher Talmon, JZ 2013, S. 12 (20), der davon ausgeht, dass viele möglicherweise im Entstehen begriffene Regeln des Völkergewohnheitsrechts nicht über Art. 25 GG zur unmittelbaren Anwendung kämen: „Das Demokratieprinzip errichtet hier eine inhaltliche Grenze.“ 75 v. Arnauld, Rn. 583; Hailbronner/Gogolin, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of International Law, online edition, Rn. 2. 76 v. Arnauld, ibid. 77 BVerfGE 63, 332 (338); zum Mindeststandard Hailbronner/Gogolin, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of International Law, online edition, Rn. 26. 78 v. Arnauld, Rn. 586; Hailbronner/Gogolin, id., Rn. 30. 73

B. Relevantes Völkergewohnheitsrecht

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Freilich sind Inhalt und Grenzen des ungeschriebenen fremdenrechtlichen Schutzsystems nur schwer zu ermitteln.79 Schon seit den 20er Jahren wird diskutiert, ob für eine Verletzung des Fremdenrechts eine verhältnismäßig hohe Schwelle angesetzt werden sollte. Diese Ansicht findet sich noch im ICSID-Schiedsspruch zum Fall Glamis Gold ./. United States aus dem Jahr 2009. Die Annahme eines Bruchs des völkergewohnheitsrechtliche Mindeststandard für die Behandlung von Ausländern, wie er in Art. 1105 NAFTA kodifiziert worden ist, erfordere einen staatlichen Akt, der „sufficiently egregious and shocking – a gross denial of justice, manifest arbitrariness, blatant unfairness, a complete lack of due process, evident discrimination, or a manifest lack of reasons“ darstelle.80 Andere moderne Schiedsgerichte sind hingegen der Ansicht, dass der in Freundschaftsverträgen und bilateralen Investitionsschutzverträgen durchgängig vereinbarte Standard des „fair and equitable treatment“ sowie der „full protection and security“ Eingang in das Fremdenrecht genommen habe und daher der Standard der 20er Jahre nicht mehr ernsthaft gefordert werden dürfe.81 Es ist sicherlich richtig, dass die global genutzten Investitionsschutz- und Freundschaftsverträge regelmäßig sich sehr ähnelnde Vertragsbedingungen beinhalten. Es ist jedoch sehr fraglich, ob die typischen Inhalte dieser Verträge mittlerweile in das Völkergewohnheitsrecht eingeflossen sind und dadurch den Mindeststandard des völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrechts erweitern.82 Auch wenn man in den bilateralen Vertragsschlüssen mit immer wiederkehrenden gleichlautenden Schutzklauseln eine ausreichende Staatspraxis sehen würde,83 ist fraglich, ob von einer opinio iuris ausgegangen werden kann, da die Staaten gerade einen höheren als den völkergewohnheitsrechtlichen Standard vereinbaren möchten. Die Staaten sind also überzeugt, dass bilaterale Investitionsschutzverträge zum Schutz der eigenen Staatsangehörigen noch erforderlich sind. Ein höherer Schutzstandard kann sich im Einzelfall dann natürlich durch die Heranziehung einschlägiger bilateraler Verträge über Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG ergeben. Die klassischen Fälle des Fremdenrechts behandeln Enteignungsfälle und kreisen im Wesentlichen um die Frage, ob und in welchem Maße eine Entschädigungszahlung geleistet werden muss.84 Unbestritten haben Ausländer ein Recht auf Anerkennung ihrer Rechtssubjektivität, auf Leben, körperliche Unversehrtheit und 79

K. Ipsen, in: Ders. (Hrsg.), Völkerrecht, § 38 Rn. 1; Shaw, S. 824 f. ICSID/NAFTA, Schiedsspruch v. 08.06.2009, Glamis Gold ./. US, Rn. 614–616. 81 ICSID/NAFTA, Schiedsspruch v. 11.10.2002, Case No. ARB(AF)/99/2, Mondev International limited v. USA, ICSID Rep. 6 (2002), S. 192 (224). 82 Dolzer/Schreuer, S. 17; K. Ipsen, in: Ders. (Hrsg.), Völkerrecht, § 38 Rn. 1. 83 Dolzer, in: Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschnitt, Rn. 18 verweist jedoch auf die Unterschiede schon in den europäischen und US-amerikanischen Investitionsschutzverträgen hin; Ders./Schreuer, S. 17 zählten im Jahr 2008 mehr als 2.500 in Kraft getretene ­bilaterale Investitionsschutzverträge; Dolzer, in: Binder/Kriebaum/Reinisch/Wittich (Hrsg.), FS Schreuer, S. 828 weist darauf hin, dass zwischen 2004 und 2009 insbesondere die Anzahl der BITs zwischen Entwicklungsstaaten untereinander stark angestiegen sei. 84 Dazu Dolzer, in: Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschnitt Rn. 43 ff.; in den südamerikanischen Staaten wurde häufig ein Standard der Inländergleichbehandlung vertreten (Calvo-Doktrin). 80

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Kap. 4: Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts

Sicherheit, können aber auch Zugang zu den Gerichten einfordern und dort ein faires Verfahren auf der Grundlage der Gleichheit vor dem Gesetz verlangen.85 Es sind nur wenige Fälle denkbar, in denen ein Verstoß gegen das völker­ gewohnheitsrechtliche Fremdenrecht im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens angenommen werden könnte. Naheliegend ist ein Verstoß gegen das Gebot des „fair trial“ bzw. ein „denial of justice“. Ein schwerer Verstoß wird stets dann gegeben sein, wenn im ausländischen Gerichtsverfahren durch administrative Schritte der Schiedsgläubiger daran gehindert worden ist, seine Position vorzutragen bzw. seine Position schlichtweg vom Gericht ignoriert wird. So könnte beispielsweise der Schiedsgläubiger zum Aufhebungsverfahren nicht geladen worden sein. Der Vortrag seines Rechtsbeistands könnte auch dadurch erschwert oder gar unmöglich gemacht werden, dass das Gericht eine Apostilierung einer ausländischen Anwaltsvollmacht unter einer so kurzen Fristsetzung verlangt, dass die Vorlage schlicht nicht mehr realistisch erscheint. Grundsätzlich kann eine zu straffe Verfahrensgestaltung ebenso dazu führen, dass ausländische Parteien nicht in der Lage sind, rechtzeitig auf den gegnerischen Vortrag zu reagieren bzw. nicht rechtzeitig Schriftsätze bzw. entscheidungserhebliche Dokumente in die Gerichts­ sprache übersetzen zu lassen. Schließlich kann ein Gericht auch schlichtweg verweigern, Schriftsätze zur Kenntnis zu nehmen bzw. Rechtsmittel anzunehmen und ein Rechtsmittelverfahren zu eröffnen. Der Schutzstandard ähnelt somit sehr dem europäischen verfahrensrechtlichen Mindeststandard des Art.  6 Abs.  1 EMRK, wobei die Rechtsprechung des EGMR naturgemäß wesentlich detailliertere Vorgaben hinsichtlich der gebotenen Verfahrensabläufe macht, als das Völkergewohnheitsrecht jemals bieten könnte. Ebenso kann die Situation entstehen, dass man eine juristische Person im jeweiligen Staat nicht als rechtsfähig anerkennt86 und ihr somit die Möglichkeit einer gerichtlichen Rechtsverteidigung genommen wird. Neben der Nichtanerkennung von bestimmten Rechtsformen juristischer Personen treten solche Fälle gelegentlich auch im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren auf, wenn der Staat zur Verhinderung des Rechtsstreits die Liquidierung eines Unternehmens rasch vorantreibt. In Einzelfällen könnte auch hier ein ausreichend schwerer fremdenrechtlicher Verstoß vorliegen, der die Handlung des Gerichts als nicht mehr vor deutschen Gerichten anerkennungsfähig erscheinen lässt, wobei hervorgehoben werden muss, dass ein solcher Verstoß nach klassischer Ansicht evident bestehen muss, um einen Verstoß gegen Völkergewohnheitsrecht anzunehmen. Zu betonen bleibt zudem, dass das Fremdenrecht nach klassischer Ansicht über den diplomatischen Schutz im zwischenstaatlichen Rechtsverhältnis durchgesetzt 85 v. Arnauld, Rn. 585; Hailbronner/Gogolin, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of International Law, online edition, Rn 26; K. Ipsen, in: Ders. (Hrsg.), Völkerrecht, § 38 Rn. 6; Kau, in: Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschnitt, Rn. 289; Shaw, S. 825; Stein/v. Butlar, Rn. 580. 86 Hailbronner/Gogolin, id., Rn. 26.

B. Relevantes Völkergewohnheitsrecht

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wird. Wenn das BVerfG davon ausgeht, dass es über die Verfassungsbeschwerde gerügt werden könne, stellt dies ein Abweichen von dieser Rechtsposition hin zu einem Individualschutz dar, der eigentlich auf völkerrechtlicher Ebene dem Menschenrechtsschutz mit den entsprechenden Beschwerdeverfahren vorbehalten ist. 3. Der „Fair and equitable treatment“-Standard der Investitionsschutzverträge Das Investitionsschutzrecht schützt im Wesentlichen den ausländischen Investor bzw. seine Auslandsinvestition vor diskriminierender oder unfairer Behandlung, insbesondere in Verbindung mit Enteignungen.87 Ein Schutz durch dieses System bilateraler Verträge bestünde also nur dann, wenn der Schiedsspruch mit einer Investition im aufhebenden Staat in unmittelbarer Verbindung steht. Die Investition ist dabei nicht nur Schutzobjekt, sondern Jurisdiktionsvoraussetzung für die Zuständigkeit der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit.88 Das Investitionsschutzsystem verbietet dabei nicht generell eine Aufhebung eines Schiedsspruchs, sondern sorgt lediglich dafür, dass ein gewisser rechtsstaatlicher Standard eingehalten wird. Wie im dritten Kapitel bereits angesprochen, beinhalten die typischerweise genutzten Klauseln die Verpflichtung eines „fair and equitable treatment“ sowie einer „full protection and security“.89 Trotz der nahezu globalen Nutzung des Schutzstandards des „fair and equitable treatment“ in Investitionsschutzverträgen ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass allgemeine Aussagen hinsichtlich des konkreten Inhalts nur mit Vorsicht getätigt werden können. Jede Klausel muss nach den Vorgaben des Art. 31 WVK untersucht werden, um die Anwendbarkeit und die Folgen für den konkreten Einzelfall bestimmen zu können.90 Ebenfalls ist nicht ganz gesichert, ob dieser Standard nicht nur das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht nachbildet,91 oder ein höherer Standard mit diesen Klauseln vereinbart werden soll.92 Sicher ist jedoch, dass die Annahme einer h­ ohen Schwelle für die Anwendbarkeit des völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrechts, wie sie zu 87

Kriebaum, Eigentumsschutz im Völkerrecht, S. 235. Kriebaum, id., S. 49; dies., in: Dupuy/Francioni/Petersmann (Hrsg.), Human Rights in International Investment Law and Arbitration, S. 234. 89 Dolzer/Schreuer, S. 130 ff.; Shaw, S. 839. 90 Dolzer/Schreuer, S. 132. 91 So beispielsweise Art. 1105 NAFTA: Minimum Standard of Treatment: „1. Each Party shall accord to investments of investors of another Party treatment in accordance with international law, including fair and equitable treatment and full protection and security. […]“; dazu ausführlich Dolzer/Schreuer, id., S.  136 ff.; ICSID, Schiedsspruch v. 29.05.2003, Case No. ARB/AF/00/2, Técnicas Medioambientales Tecmed, S. A. ./. Mexico, Rn. 154; LCIA, Schiedsspruch v. 01.07.2004, Case No. UN 3467, Occidental Exploration and Production Company ./.  Ecuador, Rn. 189 f; Schiedsspruch v. 14.07.2006, Case No. ARB/01/12. Azurix ./. Argentinia, Rn. 361; Schiedsspruch v. 20.08.2007, Case No. ARB/97/3, Compañiá de Aguas del Aconquija S. A. and Vivendi ./. Argentina, Rn. 745. 92 So F. A. Mann, British Yearbook of International Investment Law 52 (1981), S. 244. 88

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Kap. 4: Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts

letzt noch von den Schiedsrichtern im Glamis Gold-Case93 vertreten worden ist, nur sehr schwer mit solchen Klauseln in Einklang gebracht werden kann.

II. Verstöße gegen erga omnes-Verpflichtungen/ius cogens Die Völkerrechtsdogmatik kennt eine weitere Gruppe von völkergewohnheitsrechtlichen, fundamentalen Verpflichtungen, deren Verstoß eine schwerwiegende Beeinträchtigung der völkerrechtlichen Rechtsordnung darstellt. Es handelt sich dabei um zwingendes Völkerrecht (ius cogens) bzw. um Verpflichtungen gegenüber der Staatengemeinschaft als Ganzes, die auch als obligationes erga omnes bezeichnet werden. Ihre Verletzung hat, wie bereits geprüft, zwingend eine Nichtanerkennung des fremden Hoheitsakts zur Folge. Die Rechtsfigur der obligatio erga omnes wurde in der internationalen Praxis soweit ersichtlich das erste Mal 1970 vom Internationalen Gerichtshof in seinem berüchtigten obiter dictum zum Fall „Barcelona Traction, Light and Power­ Company. ltd.“ herangezogen.94 Auch wenn eine Bindungswirkung von solchen obiter dicta nur sehr eingeschränkt ausgehen kann,95 hat dieses Bild von überragenden Verpflichtungen gegenüber der Staatengemeinschaft als solche mittlerweile einen festen Platz in der völkerrechtlichen Dogmatik eingenommen, wenn auch das Recht zur Durchsetzung dieser Vorschriften durch Einzelstaaten immer nicht ganz geklärt zu sein scheint.96 Ähnlich wie das dogmatisch den erga omnes-Verpflichtungen nahestehende, aber nicht in jedem Fall deckungsgleiche völkergewohnheitsrechtliche ius ­cogens97 ist der genaue Inhalt und die Grenzen dieser Rechtsfigur in vielen Bereichen stark umstritten. Der IGH selbst nennt in seinem Urteil von 1970 das Verbot des Angriffskriegs, des Völkermords, der Sklaverei und der rassistische Diskriminierung.98 Später ist dieser Kreis durch die Rechtsprechung des IGH um das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die fundamentalen Regeln des humanitären Völkerrechts99 noch erweitert worden. Die das Völkergewohnheitsrecht kodifizierenden ILC-Artikel zur State Responsibility100 sehen in Art. 40, 41 vor, dass zumindest bei einer groben und systema 93

ICSID/NAFTA, Schiedsspruch v. 08.06.2009, Glamis Gold ./. US, Rn. 614–616. IGH, Urteil v. 05.02.1970, Belgium ./. Spain, 2nd phase, ICJ Rep. 1970, S. 3 ff., Rn. 34. 95 Vgl. Art. 94 Abs. 1 UN-Charta i. V. m. Art. 59 IGH-Statut. 96 Frowein, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of International Law, online edition, Rn. 14. 97 Vgl. Art.  53, 64 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v. 23.05.1969 (BGBl. 1985 II S. 926). 98 IGH, Urteil v. 05.02.1970, Belgium ./. Spain, 2nd phase, ICJ Rep. 1970, S. 3 ff., Rn. 34. 99 IGH, Urteil v. 30.06.1995, Portugal ./. Australia, Case concerning East Timor, ICJ Rep. 1995, S. 90 ff., Rn. 29; Rechtsgutachten v. 09.07.2004, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, ICJ Rep. 2004, S. 136 ff., Rn. 155 ff. 100 Anlage zur GA-Res. 56/83 v. 12.12.2001. 94

B. Relevantes Völkergewohnheitsrecht

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tischen Verletzung von ius cogens jeder Staat dazu verpflichtet sei, Zustände, die durch eine solche Verletzung herbeigeführt worden sind, nicht als rechtmäßig anzuerkennen. Jede Unterstützungshandlung zur Aufrechterhaltung dieses Zustandes müsse gem. Art. 41 Abs. 2 ILC-Artikel unterbleiben.101 Die von der Inter­national Law Commission in ihrer Kommentierung zu den Artikeln102 zitierten Fälle zur Darlegung der diesbezüglichen Staatenpraxis beziehen sich zwar hauptsächlich auf die rechtswidrige Annektierung von Territorium103 und eine Unterdrückung des Selbstbestimmungsrechts der Völker104. Ein Verbot der Anerkennung eines kriegerischen Gebietserwerbs wurde schon in der Friendly-Relations-Declaration105 der UN-Generalversammlung ausgesprochen, deren Inhalt vom IGH als verbindliches Völkergewohnheitsrecht identifiziert wurde.106 Die ILC-Artikel enthalten aber keine Einschränkung auf diese Fälle. In Verbindung mit der Rechtsprechung des IGH zu den erga omnes-Verpflichtungen ist davon auszugehen, dass zumindest auch das Verbot des Völkermords, der Sklaverei und der rassistischen Diskriminierung von diesem Anerkennungsverbot erfasst werden. Auch wenn solche schweren und systematisch begangenen Verletzungen nur selten vorkommen werden, kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Völkergewohnheitsrecht in solchen Fällen ein absolutes Anerkennungsverbot vorsieht. Ausländische Entscheidungen und Rechtsnormen, die mit dem völkerrechtlichen ius cogens nicht zu vereinbaren sind, dürfen dementsprechend nicht von der deutschen Gerichtsbarkeit anerkannt werden. Art. 25 GG schützt somit die innerstaatliche Rechtsordnung vor der Übernahme solcher völkerrechtswidriger Normen.107 Ein Schiedsspruch oder ein ausländisches Aufhebungsurteil, das beispielsweise erkennbar auf ethnischer Diskriminierung basiert, also etwa aufgrund der Hautfarbe des Klägers diesem ein Recht aberkennt, wäre dementsprechend nicht anerkennungsfähig. 101 Art. 40. Application of this Chapter: „1. This chapter applies to the international responsibility which is entailed by a serious breach by a State of an obligation arising under a peremptory norm of general international law. 2. A Breach of such an obligation is serious if it involves a gross or systematic failure by the responsible State to fulfil the obligation.“ Art. 41. Particular consequences of a serious breach of an obligation under this chapter: „1. States shall cooperate to bring to an end through lawful means any serious breach within the meaning of article 40. 2. No State shall recognize as lawful a situation created by a serious breach within the meaning of article 40, nor render aid or assistance in maintaining that situation. […]“. 102 Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session, S. 114 ff. 103 Es werden Reaktionen auf die Annektierung der Mandschurei durch Japan 1931 und die irakische Invasion in Kuwait 1990 als Belege für die Staatenpraxis genannt. 104 IGH, Rechtsgutachten v. 21.06.1971, Legal consequences for States of the continued presence of South-Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), ICJ Rep. 1971, S. 16 ff., Rn. 126. 105 GA-Resolution 2625 (XXV) v. 24.10.1970, first principle. 106 IGH, Urteil v. 27.06.1987, Nicaragua ./. United States of America, Case Concerning military and paramilitary activities in and against Nicaragua, ICJ Rep. 1986, S. 14 ff., Rn. 188. 107 Kadelbach, S. 341; Czerner, EuR 2007, S. 537 (545).

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Kap. 4: Die Rolle des Völkergewohnheitsrechts

C. Ergebnis des 4. Kapitels Wie die Analyse der Rechtsprechung zu Art. 25 GG gezeigt hat, hat das BVerfG über den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes einerseits und der Beschwerdefähigkeit im Rahmen der Verfassungsbeschwerde über Art. 2 Abs. 1 GG immer weitreichendere Konsequenzen an Art. 25 GG geknüpft. Die im Bodenreform III-Urteil des BVerfG hat diese Entwicklung einen vorläufigen Höhepunkt gefunden. Das BVerfG setzt dennoch die völkergewohnheitsrechtlichen Verpflichtungen nicht absolut, sondern in Verhältnis zu anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen, die sich aus dem Grundgesetz herleiten lassen, insbesondere mit der zwischenstaatlichen Kooperationsverpflichtung. Die postulierte Korrekturverpflichtung kann schon aufgrund dieser Einschränkung nur in wenigen Fällen tatsächlich ausschlaggebend sein. Eine wesentliche Ausnahme von diesem Grundsatz besteht allerdings dann, wenn ein Verstoß gegen das völkergewohnheitsrechtliche ius cogens angenommen wird. In diesen Fällen ist die gegen ein solches Recht verstoßende ausländische Entscheidung nicht anerkennungsfähig. Das Völkergewohnheitsrecht verdrängt hier über Art. 25 GG die einfachgesetzliche zivilrechtliche Regelung bzw. muss diese Regelung verfassungskonform ausgelegt werden, sodass für ein abweichendes Ergebnis kein Raum mehr bleibt. Von entscheidender Relevanz sind daher die Normgruppen, die sich auf schwerste Menschenrechtsverstöße beziehen. Für das Problem der ausländischen Aufhe­ bungsentscheidung eines Schiedsspruchs sind dies insbesondere die Aufhebun­gen, die auf einen rassistisch-diskriminierenden Hintergrund beruhen. Das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht tritt dagegen im Rahmen des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens weitgehend in den Hintergrund, weil die in ihm enthaltenen Regelungen wesentlich detaillierter bereits von der völkervertraglichen EMRK erfasst werden. Dabei spielt erneut Art. 6 Abs. 1 EMRK eine herausragende Rolle.

Kapitel 5

Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO Fremdstaatliche Urteile werden regelmäßig von deutschen Gerichten anhand der Vorbehaltsklausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO daraufhin überprüft, ob der fremdstaatliche Hoheitsakt mit den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung noch vereinbar ist (ordre public-Prüfung). So wenden die deutschen Zivilgerichte beispielsweise bei der Anerkennung und Vollstreckung eines potentiell völkerrechtswidrigen ausländischen Urteils regelmäßig nicht die Verfassungsnormen wie Art. 59 Abs. 2 GG bzw. Art. 25 GG direkt an, sondern überprüfen den ausländischen Akt auf seine Vereinbarkeit mit dem deutschen ordre public gemäß § 328 Abs. 1 ZPO, in den die Verfassungsnormen als wesentliche deutsche Rechtsgrundsätze hineingelesen werden. In eine ähnliche Richtung schwenkt die internationale Diskussion im Bereich der Anerkennung von ausländischen Aufhebungsurteilen. Paulsson schlägt vor, die ausländischen Aufhebungsentscheidungen in International Standard Annulments, die einem international akzeptierten Konsens entsprechen, und Local Standard Annulments, die auf außergewöhnlichen Aufhebungsgründen basieren, einzuteilen.1 Hinter dieser Argumentation steckt der Gedanke, dass es Aufhebungen gibt, die schlichtweg nicht von einer anderen Rechtsordnung akzeptiert werden können. Mit anderen Worten sind dies Aufhebungsentscheidungen, die nicht mehr mit dem ordre public des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaaates in Einklang ­gebrachte werden können. Paulsson selbst nennt als Beispiele Aufhebungen, die erfolgten, weil weibliche Schiedsrichter an dem Schiedsspruch beteiligt waren, oder aufgrund der Diskriminierung bestimmter Religionen oder Ethnien.2 Neben diesen von Paulsson genannten, offensichtlich nicht mehr rechtsstaatlich zu nennenden Verfahren könnte man auch die etwas weniger offensichtlichen Fälle anführen, in denen das Aufhebungsverfahren evident von der Politik beeinflusst worden ist, der Schiedsgläubiger nicht an dem Aufhebungsverfahren beteiligt war und auch den Fall, dass erkennbar Gründe vorgeschoben worden sind, um eine Aufhebung zu ermöglichen, also das Verfahren keinesfalls fair abgelaufen sein kann. Die Prüfung auf Anerkennungsfähigkeit ausländischer Aufhebungsurteile im Rahmen des deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens zu einem ausländischen aufgehobenen Schiedsspruch wird regelmäßig von deutschen Gerichten 1

Paulsson, UNCITRAL (Hrsg.), Enforcing Arbitration Awards – Prospects, S. 26. Paulsson, id., S. 25.

2

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Kap. 5: Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

neben den weit verbreiteten Erwägungen zu Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen mit dem Argument abgelehnt, dass es sich dabei um eine Anwendung des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in doppelter Analogie handele. Eine analoge Anwendung sei deshalb erforderlich, weil zum einen die Aufhebung keine vollstreckbare Entscheidung darstelle und zum anderen eine solche Anerkennung auch nicht von den Streitparteien beantragt worden sei. Dies sei eine zu weit reichende Anwendungserweiterung dieser Vorschrift. Die vorhergehenden Betrachtungen zum Verfassungsrecht legen jedoch nahe, dennoch eine solche Überprüfung des Aufhebungsurteils auf Anerkennungsfähigkeit vorzunehmen. Das gilt natürlich insbesondere in den Fällen, in denen ein schwerwiegender Grundrechtsverstoß angenommen werden muss3, aber auch wenn grundlegende Verfahrensgrundsätze im fremdstaatlichen Entscheidungsprozess nicht eingehalten worden sind. Das BVerfG hat schon in seiner Spanier-Entscheidung betont, dass gerade die ordre public-Klauseln als Einfallstore für die Grundrechte dienen. Die deutsche Rechtswissenschaft unterscheidet bei der Anwendung der ordre public-Klauseln zwischen der direkten Anwendung des ausländischen Rechts durch den deutschen Richter und der Anerkennung fremder Rechtsakte. Im ersten Fall soll eine wesentlich strengere Prüfung notwendig sein als im zweiten Fall, da der deutsche Richter nicht gezwungen sein soll, deutsche Rechtsideen auf fremdstaatliche Entscheidungen aus einer anderen Rechtskultur anzuwenden. Diese Einschränkung gilt aber nicht für jedes Abweichen von deutschen Rechtsgrundsätzen. Verfahrensfehler sollen dabei wesentlich schwerer ins Gewicht fallen als Verstöße gegen die objektive Werteordnung der Grundrechte, die bei diesen Entscheidungen stets eine Rolle spielen muss. Ebenso kommen Verletzungen gegen Völkerrecht als Gesichtspunkte bei der ordre public-Prüfung in Betracht. Wenngleich der Anwendungsbereich der deutschen ordre public-Vorbehaltsklauseln des § 328 Abs.  1 Nr.  4 ZPO und Art.  6 EGBGB materiell wesentlich weiter gefasst ist als der auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts beschränkte Art. 25 GG oder Art. 59 Abs. 2 GG für das Völkervertragsrecht, waren Rechtsprechung und Literatur stets bemüht, den als zu weit empfundenen Anwendungsbereich der Vorbehaltsklauseln einzuschränken. Zu diesem Zwecke wurde die Rechtsfigur der „Relativität des ordre public“ entwickelt, die unter anderem für die Anwendbarkeit der Vorbehaltsklauseln einen Inlandsbezug des jeweiligen Rechtsverhältnisses fordert. Deren Anwendung kann zu einer stark eingeschränkten Überprüfung der ausländischen Entscheidung führen. Es ist evident, dass zumindest bei Verstößen gegen Völkerrecht diese Vorgehensweise von der vom BVerfG präferierten Prüfung des Völkergewohnheitsrechts über Art. 25 GG bzw. der direkten Anwendung des Völkervertragsrechts über das Zustimmungsgesetz nach Art.  59 Abs.  2 GG abweicht. Daher müssen die ordre­ public-Klauseln als einfaches Bundesrecht verfassungskonform ausgelegt werden, 3

Siehe dazu supra Kap. 3. B.

A. Anerkennung von ausländischen Aufhebungsurteilen

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um ein Abweichen vom Verfassungsrecht zu verhindern. Die nachfolgende Untersuchung soll die unterschiedlichen Funktionsweisen der ordre public-Klauseln demonstrieren und der Frage nachgehen, inwieweit die im 3. Kapitel untersuchten grundgesetzlichen Bestimmungen auf ihre Anwendung Einfluss nehmen.

A. Der ordre public-Vorbehalt des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO im Rahmen der Anerkennung von ausländischen Aufhebungsurteilen Wenn Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen sich auf die Aufhebung im Ursprungsstaat bezieht, ist damit nach dem Wortlaut noch keine Verbindung zu einer bestimmten ordre public-Klausel gezogen. Nachdem in der vorhergehenden Analyse festgestellt worden ist, dass der deutsche Anerkennungs- und Voll­ streckungsrichter über ein „Anerkennungsermessen“ hinsichtlich eines aufgehobenen Schiedsspruchs verfügt, muss dieser auch in die Lage versetzt werden, die ausländische Aufhebungsentscheidung auf Rechtsfehler überprüfen zu können. Naheliegend ist daher sicherlich, die ausländische Aufhebungsentscheidung selbst einer ordre public-Überprüfung zu unterziehen. Für die Anerkennung ausländischer Urteile ist dafür regelmäßig die Vorbehaltsklausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO4 einschlägig. Zumindest eine direkte Anwendung dieser Norm scheint aber im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren hinsichtlich eines ausländischen aufgehobenen Schiedsspruchs ausgeschlossen zu sein. Das Aufhebungsurteil als Feststellungsurteil umfasst zum einen keinen vollstreckbaren Inhalt. Zum anderen soll laut Antrag des Schiedsgläubigers auch gar nicht das Aufhebungsurteil, sondern der aufgehobene Schiedsspruch vollstreckt werden. Dementsprechend kommt eine Anwendung dieser Norm nur in Form einer doppelten Analogie in Betracht. Um den Inhalt und Funktionsweise der Vorbehaltsklausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO konkretisieren zu können, ist ein Rückgriff auf die Rechtsprechung und Literatur zu Art. 6 EGBGB5 als allgemeiner ordre public-Klausel unumgänglich. Die Kollisionsnormen des Internationalen Privatrechts stellen sich grundsätzlich neutral zum materiell rechtlichen Inhalt des fremden Rechts, auf das sie verweisen. Dementsprechend hat Raape einst den Verweis auf eine fremde Rechtsordnung 4 § 328 ZPO Anerkennung ausländischer Urteile: „(1) Die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts ist ausgeschlossen: […] 4. wenn die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist […]“. 5 Art. 6 EGBGB Öffentliche Ordnung (ordre public): „1Eine Rechtnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. 2Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“

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Kap. 5: Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

zu Recht als „Sprung ins Dunkle“ bezeichnet.6 Um vor Überraschungen gefeit zu sein, gehören die ordre public-Klauseln als notwendiges Korrektiv zu den wesentlichen Grundbedingungen für das Funktionieren des IPR.7 Gleichzeitig dienen sie als „Einfallstor der Grundrechte“ in das Internationale Privatrecht. Diese wichtigen Funktionen der Klauseln stehen im scheinbaren Widerspruch zu dem ihnen einhellig zugeschriebenen Ausnahmecharakter. Voraussetzung für ihre Anwendung sei, dass das Ergebnis der Prüfung der fremdstaatlichen Norm den „Kernbestand der inländischen Ordnung“ derart antaste, dass eine Ergebnisübernahme schlichtweg unerträglich für das Inland sei.8 Es handelt sich also um­ typische Vorbehaltsklauseln, die unvereinbare Ergebnisse der Anwendung fremden Rechts abwehren wollen (negative Funktion), aber dabei nicht eine dominante Durchsetzung des eigenen Rechts bezweckt (positive Funktion).9 Letztere Funktion ist im deutschen Recht nicht vorgesehen.10 Dem deutschen Internationalen Privatrecht liegt der Gedanke einer Selbstbeschränkung der Anwendung der eigenen Rechtsordnung gegenüber fremden Rechts zugrunde.11 Die Vorbehaltsklauseln seien daher nach ganz herrschender Ansicht eine mit äußerster Zurückhaltung anzuwendende Ausnahmevorschriften, wie sich schon aus der Beschränkung auf wesentliche und offensichtliche Kollisionen mit deutschen Rechtsgrundsätzen ergebe.12 Es handele sich dabei um eine „nicht ausdrücklich normierte Ergebniskorrektur“, die mit diesem Ausnahmecharakter begründet wird.13 Gegenstand der Prüfung sei nicht das fremde Recht selbst, sondern das Ergebnis dessen Anwendung.14 Schon Spickhoff hat aber richtigerweise darauf hingewiesen, dass ein solches Ergebnis nur dann gegen den ordre public verstoßen könne, wenn es auf einer ordre public-widrigen Norm beruhe.15 Die Vorbehaltsklauseln des Art.  6 EGBGB wie des § 328 Abs.  1 Nr.  4 ZPO sind dabei nicht subsumtionsfähige Normen, sondern stellen sich durch das Tatbestandsmerkmal der „wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts“ eher als Richtlinien dar, die der Richter für den Einzelfall anhand von Fallgruppen konkretisieren muss.16 Die Ausgestaltung als „Blanketnorm“ sei zwar angesichts der Vielfältigkeit der zu beurteilenden Sachverhalte unverzichtbar, unterstreiche jedoch 6

Raape/Sturm, § 13 I Rn. 1. Lorenz, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher Online-Komm., Art. 6 EGBGB, Rn. 1; v. Bar, § 7 Rn. 258: „Überdruckventil“. 8 Siehe amtliche Begründung BT-Drucks. 10/504, 42. 9 Zu dieser Unterscheidung Alvarez de Pfeifle, S. 148 ff.; Hermann, S. 83 ff. 10 Spickhoff, S. 79. 11 Kropholler, S. 230; Renfert, S. 134. 12 Lorenz, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher Online-Komm., Art. 6 EGBGB, Rn. 14; Sonnenberger, in: Münch-Komm. zum BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 14. 13 Lorenz, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher Online-Komm., Art. 6 EGBGB, Rn. 16. 14 Ganz herrschende Meinung; statt vieler Voltz, S. 26 mwN. 15 Spickhoff, S. 80 mwN. 16 Sonnenberger, in: Münch-Komm. zum BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 16; Spickhoff, S. 86. 7

B. Der Schutzbereich des ordre public-Vorbehalts

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die Gefährlichkeit ihrer unbegrenzten Anwendbarkeit und damit den unbedingten Ausnahmecharakter ihrer Anwendung.17

B. Der Schutzbereich des ordre public-Vorbehalts Geht man mit der herrschenden Meinung davon aus, dass die ordre public-­ Klauseln maßgeblich dem Schutz zum einen wesentlicher Grundwerte der nationalen Rechtsordnung, zum anderen der grundlegenden verfahrensrechtlichen Garantien bei der Anwendung fremden Rechts dienen,18 so lässt sich die Funktion der Klauseln in einen materiellrechtlichen und einen verfahrensrechtlichen ordre public-Vorbehalt einteilen.19 Der materiellrechtliche ordre public fokusiert sich dabei ganz wesentlich auf die Wahrung der deutschen Grundrechte, während der verfahrensrechtliche sich auf die Frage konzentriert, ob wesentliche Verfahrensgrundsätze durch die fremde Rechtsordnung eingehalten worden sind.

I. Der materiellrechtliche ordre public als Einfallstor der Grundrechte in das Internationale Privatrecht Der materiellrechtliche ordre public nimmt naturgemäß Bezug auf den Inhalt einer ausländischen Entscheidung.20 Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sei ein ausländisches Urteil dann nicht mehr mit dem deutschen materiellrechtlichen ordre public vereinbar, wenn es „zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es aus deutscher Sicht untragbar erscheint“.21 Es wird also nicht auf den Inhalt der deutschen Normen selbst, sondern auf die ihnen zugrundeliegenden Prinzipien abgestellt.22 1. Die Spanier-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 30 EGBGB a. F. Ganz wesentliche Zielvorgaben ergeben sich dabei spätestens seit dem so genannten „Spanier“-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus den Grundrechten.23 Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt24 betraf die erneute 17

Spickhoff, ibid. Alvarez de Pfeifle, S. 158. 19 Alvarez de Pfeifle, S. 158 ff. 20 Hermann, S. 68. 21 BGHZ 138, 331 (334 f.). 22 Alvarez de Pfeifle, S. 158. 23 BVerfGE 31, 58; dazu Hermann, S. 106 ff.; Thoma, S. 75; Völker, S. 122 ff. 24 Wiedergabe des Sachverhalts nach BVerfGE 31, 58 (59 f.). 18

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Kap. 5: Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

Eheerlaubnis eines in Deutschland geschiedenen spanischen Staatsangehörigen, der beabsichtigte, erneut eine Deutsche zu heiraten. Die damalige ständige Rechtsprechung zu Art. 13 EGBGB, der auch das mit der Sache befasste OLG Hamm folgte, sah vor, dass die Ehevoraussetzungen sich kumulativ aus den beiden betroffenen Rechtsordnungen der Heimatstaaten der Ehepartner zusammensetzten.25 Da die in Deutschland erfolgte Scheidung des spanischen Staatsangehörigen nach dem damaligen spanischen Recht, das im Wesentlichen auf das kanonische Recht verwies, nicht anerkennungsfähig war, verweigerte die spanischen Behörden die Ausstellung eines Ehefähigkeitszeugnisses. Das OLG Hamm wies dementsprechend den Antrag gem. § 10 EheG auf Befreiung von der Vorlagepflicht eines Ehefähigkeitszeugnisses zurück. Nach der damals vorherrschenden Ansicht26 sei die Anwendung des Grundrechts der Eheschließungsfreiheit nur im Rahmen der Gesetze anwendbar, zu denen das Internationale Privatrecht gehöre. Auch bei einer starken Inlandsbeziehung des Sachverhalts seien ausländische Normen nicht an den Grundrechten zu messen. Wenn das IPR die Grundentscheidung für die Anwendung spanischen Rechts für die Entscheidung über die Ehevoraussetzungen eines Ehepartners vornehme, könne das deutsche Verfassungsrecht nicht mehr herangezogen werden. Das BVerfG hatte anhand des Art. 6 Abs. 1 GG über eine entsprechende Verfassungsbeschwerde der zukünftigen Eheleute zu urteilen. Im Widerspruch zu der bisherigen zivilrechtlichen Rechtsprechung entschied es, dass bei der Beurteilung und der Anwendung fremden Rechts die Grundrechte zu berücksichtigen seien. „Das ausländische Recht [werde] nicht losgelöst von der dortigen Verfassung und den Gegebenheiten seines nationalen Geltungsbereichs generell auf eine Übereinstimmung mit dem Grundgesetz geprüft. Vielmehr [komme] es allein darauf an, ob eine innerstaatliche Rechtshandlung deutscher Staatsgewalt in Bezug auf einen konkreten Sachverhalt, der eine mehr oder weniger starke Inlandsbeziehung aufweist, zu einer Grundrechtsverletzung [führe].“27 Dabei betonte das Gericht, dass auch bei Anwendung der ordre public-Vorbehaltsklausel des Art. 30 EGBGB a. F. keinesfalls zwischen noch tragbaren und nicht mehr tragbaren Grundrechtsverstößen unterschieden werden dürfe.28 Obwohl das BVerfG es offen ließ, ob die Verfassung direkt oder über die ordre public-Klausel Beachtung finden solle, dient die ordre public-Klausel seitdem als „Einfallstor der Grundrechte in das Internationale Privatrecht“.29 Aufgrund der besonderen Grundrechtsrelevanz wird der ordre public-Vorbe­ halt in über 90 % aller Fälle im Personen- und Familienrecht angewandt.30 In die 25

BGHZ 41, 136, wonach Sinn und Zweck des Art. 13 EGBGB der Schutz des deutschen Ehepartners vor einem im Ausland ungültigen Eheverhältnis sei. 26 BGHZ 41, 136 (151). 27 BVerfGE 31, 58 (75). 28 BVerfGE 31, 58 (86). 29 So ausdrücklich BVerfGE  31, 58 (86); vorher bereits BGHZ  50, 370 (375 ff.); 54, 123 (129 ff.); Ferid, in: v. Caemmerer (Hrsg.), Festschrift Dölle, Bd. II, S. 143 ff.; Gamillscheg, in: Dietz (Hrsg.), Festschrift Nipperdey, Bd. I, S. 323 ff. 30 Sonnenberger, in: Münch-Komm. zum BGB, Art. 6 EGBGB, Rn. 15.

B. Der Schutzbereich des ordre public-Vorbehalts

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sen Fällen handelt es sich oftmals um solche Konstellationen, in denen – wie in dem der „Spanier“-­Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt – der deutsche Richter das fremde Recht selbst anwenden muss und es nicht um die Anerkennung einer fremdstaatlichen Entscheidung geht. Er ist dabei selbstverständlich verpflichtet, die Grundrechte im Rahmen der deutschen gerichtlichen Entscheidung in vollem Maße zu berücksichtigen und fremdes Recht, dessen Anwendung mit den Grundrechten nicht vereinbar ist, dabei unberücksichtigt zu lassen. Dieser Rechtsprechung ist der Gesetzgeber mit dem Wortlaut des im Jahre 2000 neu gefassten Art. 6 S. 2 EGBGB nachgekommen. Thoma kommt zu dem Schluss, dass die Integration der Grundgesetzklausel in den ordre public-Vorbehalt nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Grundrechte den Bedingungen der Vorbehaltsklausel und damit dem Kriterium der Inlandsbeziehung untergeordnet werden.31 Der Gesetzgeber habe sich also bei der Beantwortung der vom BVerfG offen gelassene Frage, ob die Grundrechte direkt oder indirekt über den ordre public zu­ berücksichtigen seien, für den letzten Fall entschieden.32 Dieses Auslegungsergebnis ist aber sicherlich nicht zwingend. Der Verweis auf die Grundrechte muss nach ganz herrschender Ansicht als rein deklaratorisch verstanden werden,33 da Art. 6 EGBGB als einfaches Bundesrecht sowieso über die mittelbaren Anwendung der Grundrechte verfassungskonform ausgelegt werden müsse und sich daher durch die Klarstellung im Gesetzestext an der Anwendung der Norm tatsächlich faktisch nichts verändert habe.34 Die Schlussfolgerung, eine direkte Anwendung der Grundrechte außerhalb der ordre public-Klauseln sei auf diese Weise durch den Gesetzgeber ausgeschlossen worden, erscheint vor diesem Hintergrund übereilt. Neben den Grundrechten beanspruchen die in Art.  30 EGBGB a. F. noch genannten „guten Sitten“ und der „Zweck eines deutschen Gesetzes“ weiterhin Fortgeltung.35 Es müsse sich aber dabei stets um tragende Gedanken des deutschen Rechtssystems handeln, die die Nichtanwendung des fremden Rechts rechtfertigen können.36 Ein oft genannter Beispielsfall für das Eingreifen einer solchen Regelung ist die deutsche Anerkennungsverweigerung hinsichtlich einer US-amerikanischen zivilgerichtlichen Entscheidung, die „punitive damages“ gewährt.37 Nach Ansicht der deutschen Gerichte sei eine konkrete Bestrafungsfunktion eines Zivilurteils mit dem in der deutschen Rechtsordnung verankerten Strafmonopol des Staates nicht vereinbar und daher ein Verstoß gegen den materiell-rechtlichen ordre public. 31

Thoma, S. 79. Thoma, S. 80. 33 Ähnlich Völker, S. 119 f. 34 Siehe dazu die Begründung des Regierungsentwurfs zur IPR-Novelle, BT-Drucks. X/54, S.  89 zu § 328 Abs.  1 Nr.  4 ZPO; Schwab/Walter, Kap.  24 Rn.  17; v.  Bar, Rn.  632; Völker, S. 120. 35 Hermann, S. 66. 36 Hermann, S. 104 f. mwN. 37 BGHZ 118, 312 (338). 32

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Kap. 5: Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

2. Der abgeschwächte materiellrechtliche ordre public bei der Überprüfung einer fremdstaatlichen Aufhebungsentscheidung Für die Anerkennung fremdstaatlicher Aufhebungsurteile ist die bisher untersuchte Rechtsprechung zu Art. 6 EGBGB zwar nicht anwendbar, allerdings wird über § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in doppelter Analogie ebenfalls eine ordre publicPrüfung vorgenommen, die nach dessen Wortlaut ähnlichen Grundsätzen folgt.38 Ebenso sieht Art. V Abs. 2 lit. b) UN-Übereinkommen eine ordre public-Prüfung für die Anerkennung von ausländischen Schiedssprüchen vor.39 Im Gegensatz zu der bereits zitierten „Spanier“-Entscheidung40 des BVerfG, in der das Gericht eine vollständige Kontrolle des ausländischen Rechts über die Grundrechte propagiert hat, soll ein anderer Prüfungsmaßstab dann gelten, wenn der deutsche Richter nur über die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung zu urteilen hat. Da er in diesem Fall nicht selber das fremde Recht anwenden müsse, solle hier ein abgeschwächter ordre public Anwendung finden. Zu Gunsten des internationalen Entscheidungseinklangs sei nach der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Lehre eine abgeschwächte Form der ordre public-Prüfung notwendig, da die fremdstaatlichen Entscheidungen im Ausland bereits Rechtwirkungen ausgeübt hätten und damit eine Nichtanerkennung zu „hinkenden Rechtsverhältnissen“41 führen würde („effet atténué de l’Ordre Public“).42 Es sei ein großer Unterschied, ob der deutsche Richter das fremde Recht selbst anwenden müsse, oder ob er sich auf eine Rechtsanwendung eines ausländischen Gerichts stütze. Im letzteren Falle könne er eine höhere Toleranzschwelle bei seiner Bewertung zu Gunsten der Anerkennung ausländischer Entscheidungen ansetzen. Der BGH hat betont, dass der deutsche Richter bei eigener Anwendung des fremden Rechts auf den nationalen ordre public abstellen müsse, bei der Anerkennung ausländischer Entscheidungen jedoch den großzügigeren anerkennungsrechtlichen ordre public international.43 Der ordre public international sei nicht schon deshalb verletzt, wenn der deutsche Richter bei eigener Prüfung zu einem anderen Ergebnis gekommen sei; vielmehr müsse das Ergebnis der Anwendung des fremden Rechts 38 § 328 ZPO Anerkennung ausländischer Urteile: „(1) Die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts ist ausgeschlossen: […] 4. wenn die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist […]“. 39 Für eine weitgehende Gleichschaltung dieser Vorbehaltsklauseln bereits Wunderer, S. 134 f. 40 BVerfGE 31, 58. 41 Von hinkenden Rechtsverhältnissen spricht man dann, wenn ein Rechtsverhältnis oder -akt von einem Recht als gültig, von einem anderen hingegen als ungültig angesehen wird. 42 BGHZ  118, 321 (332); Alvarez de Pfeifle, S.  155 ff.; Staudinger-Blumenwitz, Art.  6 EGBGB, Rn.  100; Hermann, S.  96 ff.; Jayme, StAZ 1980, S.  301 (307); Raape/Sturm, § 13 III Rn.  5; Sonnenberger, Münch-Komm. zum BGB, Art.  6 EGBGB, Rn.  22; Staudinger-­ Spellenberg, § 328 ZPO, Rn. 445; Stein/Jonas/Roth, § 328 ZPO, Rn. 102 ff.; Geimer, Rn. 27. 43 BGH, NJW 1998, S. 2358.

B. Der Schutzbereich des ordre public-Vorbehalts

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„zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch [stehen], dass es aus deutscher Sicht untragbar erscheint.“44 Ansonsten würde mit dem Grundrechtsverweis „das Internationale Privatrecht aus den Angeln gehoben“.45 Stattdessen solle die Rechtsfolge der Anerkennungsverweigerung nur dann eintreten, wenn der „harte Kern“ der Grundrechte betroffen sei. Zumindest ein Verstoß gegen den „Wesenskern“46, „Kernbereich“47 oder „Begriffskern“48 der Grundrechte sei als „offensichtlicher Verstoß“ gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts zu würdigen. Völker schlägt in diesem Zusammenhang vor, die hinter den Grundrechten stehenden Wertentscheidungen „als Leitlinie“ zu nutzen, um nicht jeder fremden Entscheidung das deutsche Recht aufzuoktroyieren.49 Die Differenzierung drängt sich auf, will man nicht jede fremdstaatlichen Entscheidung inhaltlich auf die Vereinbarkeit deutscher Rechtsprinzipien überprüfen und damit eine Révision au fond durchführen. Damit würde man bei den Streit­ parteien eines ausländischen Urteils eine erhebliche Rechtsunsicherheit bei der Vollstreckung eines Urteils in Deutschland hervorrufen. Die Beschränkung auf die wesentlichen, hinter den Grundrechten stehenden Prinzipien ist sicherlich eine sachgemäße Einschränkung, die den Erfordernissen des internationalen Rechtsverkehrs entgegenkommt und sicherlich auch dem in den ordre public-Klauseln genannten Kriterium der „Offensichtlichkeit“ ausreichend Rechnung trägt. Trotzdem muss angemerkt werden, dass diese Differenzierung aus dogma­ tischen Gründen nicht vollkommen überzeugt. Geht man davon aus, dass der deutsche Richter auch im Rahmen seiner Prüfung des Internationalen Privatrechts über Art. 1 Abs. 3 GG an die deutschen Grundrechte gebunden ist, ist diese Unterscheidung weniger durchschlagend, als sie auf den ersten Blick scheinen mag. Zum einen ist nicht ganz verständlich, warum ein fremdstaatliches Urteil im Vergleich zu einem legislativen Akt oder einem Akt der fremdstaatlichen Exekutive einen anderen Charakter aufweisen sollte und damit privilegiert zu behandeln sei. Denn die Rechtswirkungen einer Anerkennung sind denen einer deutschen Entscheidung letztlich sehr ähnlich. Die Anerkennung bewirkt, dass der fremden Entscheidung die gleichen Rechtsfolgen wie einer deutschen zugesprochen werden.50 Und soweit diese Entscheidung, wie dies regelmäßig der Fall sein wird, Grundlage eines deutschen Vollstreckungsaktes wird, ist auch dieser Akt nach den deutschen Grundrechten zu beurteilen. 44

BGHZ 138, 331 (334 f.). BVerfGE 31, 58 (76). 46 BGHZ 123, 268 (272). 47 BGH NJW 1980, 529 (531). 48 Schlosser, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO-Kommentar, § 1041 Rn.  24, 28a; zustimmend­ Völker, S. 125. 49 Völker, S. 121 f. 50 Ähnlich Völker, S. 123. 45

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Kap. 5: Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

Außerdem besteht dadurch die Gefahr einer in sich inkongruenten Rechtsprechung auf nationaler Ebene. So besteht die Möglichkeit, dass ein deutscher Richter verweigert, ein fremdstaatliches Gesetz anzuwenden, weil es mit den deutschen Grundrechten nicht vereinbar ist, er aber gleichzeitig verpflichtet wäre, eine der eigenen Entscheidung sachlich widersprechende ausländische Einzelfallentscheidung, die auf der Grundlage dieses ordre public-widrigen Gesetzes ergangen ist, anzuerkennen. Es kommt dann vielleicht nicht zu „hinkenden Rechtsverhältnissen“ im Einzelfall, wohl aber zu widersprüchlichen Entscheidungen bei parallelen Sachverhalten innerhalb der deutschen Rechtsordnung. Es erscheint dement­ sprechend paradox, auf diesem Weg unterschiedliche Maßstäbe anzusetzen. Der von den Zivilgerichten eingeschlagenen Unterscheidung ist jedoch zu Gute zu halten, dass es in der Praxis schwierig sein kann, die tatsächlichen Unterscheidungsmerkmale zwischen vollem ordre public und dem abgeschwächten anerkennungsrechtlichen ordre public international zu erkennen. Der wesentliche Kern der Grundrechte und der Menschenrechte der EMRK muss jedenfalls weiterhin Beachtung finden.51 Die Auswirkungen der Differenzierung zwischen nationalem ordre public und dem anerkennungsrechtlichen ordre public international scheinen demzufolge oft nur auf ein abweichendes Sittenverständnis und Handelsbräuche beschränkt zu sein. Letztlich benötigt die deutsche Rechtsprechung eine solche Unterscheidung faktisch nicht, da sie über die sogenannte Relativität der ordre public-Klausel,52 also über die variable Voraussetzungen der Offensichtlichkeit der Unvereinbarkeit mit der deutschen Rechtsordnung, des Inlandserfordernises und des Gegenwartsbezugs jeden ordre public-Verstoß anhand des Art. 6 EGBGB so gewichten kann, dass sie, ohne dass es einer Kategorie eines anerkennungsrechtlichen ordre public international bedürfte, durch Gewichtung insbesondere der Kriterien der geringeren Offensichtlichkeit und des weniger stark ausgeprägten Inlandsbezugs zu gleichen Ergebnissen kommt.53 Bezieht man diesen Befund auf die Prüfung eines ausländischen Aufhebungsurteils, so ist der materiellrechtliche ordre public insbesondere dann einschlägig, wenn der ausländische Schiedsspruch aus inhaltlichen Gründen, also in den meisten Fällen aufgrund eines Verstoßes gegen den ordre public des Ursprungsstaats aufgehoben worden ist. In solchen Fällen muss sich die Anwendung des materiellrechtlichen ordre public an Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG messen lassen. So verlangt insbesondere der grundrechtliche Eigentumsschutz, dass die ordre public-Klausel so ausgelegt werden muss, dass Härtefälle vermieden werden. Man kann diese verfassungsrechtliche Vorgabe, die sich aus dem Verhältnis 51 Ähnlich Alvarez de Pfeifle, S.  171: „In der Sache ergeben sich kaum Unterschiede, ob im Vollstreckbarerklärungsverfahren die Kontrolle im Rahmen des Ordre Public international bzw. national erfolgt, da ja jedenfalls die ‚wesentlichen‘ Grundsätze durchschlagen sollen und im Einzelfall Wertungen entscheiden müssen, was dazu zählt und was nicht.“; für eine ab­ geschwächte Anwendung der Grundrechte aus diesem Grunde Thoma, S. 90. 52 Dazu ausführlich Meise, S. 8 ff.; Voltz, S. 28 ff.; siehe dazu infra Kap. 5. B. III. 53 Ähnlich Völker, S. 51 f.; Wunderer, S. 165.

B. Der Schutzbereich des ordre public-Vorbehalts

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mäßigkeitsprinzip ergibt, wie gerade dargelegt auch in der Rechtsprechung zum materiellrechtlichen ordre public wiederfinden, indem in den Anerkennungsfällen zumindest ein grundrechtlicher „Kernbereich“ geschützt werden soll. Insoweit entspricht die zivilgerichtliche Praxis den Erfordernissen einer verfassungskonformen Auslegung. Der allgemeine Justizgewährungsanspruch verlangt darüber hinaus, dass in Zweifelsfällen die ausländische Aufhebungsentscheidung einer rechtlichen Überprüfung unterworfen wird. Die sog. Relativität des ordre public kann daher nur einschränkt zur Anwendung kommen. Teilt man das Ergebnis zur Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG im Rahmen des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen, muss man hingegen weitergehen und verlangen, dass die Begrenzung der Aufhebungsgründe des Art.  IX Eu-Über­ einkommens auch bei ausschließlicher Anwendbarkeit des UN-Übereinkommens zur Anwendung kommt. Dementsprechend wäre zumindest zu prüfen, ob die ausländische ordre public-Anwendung mit der deutschen Rechtsordnung in Einklang gebracht werden kann, also insbesondere auch ob der Schiedsspruch nach Art. V Abs. 2 UN-Übereinkommen auch nach dem deutschen ordre public nicht anerkennungsfähig ist. Sollte das nicht der Fall sein, wäre der aufgehobene Schiedsspruch nach den Rechtsgedanken des Eu-Übereinkommens über Art.  3 Abs.  1 GG in Deutschland anerkennungsfähig.

II. Der verfahrensrechtliche ordre public anhand des Rechtsstaatsprinzips und des Art. 6 EMRK Der verfahrensrechtliche ordre public stellt auf den ausländischen Verfahrensgang und die dortige Urteilsfindung ab.54 Er ist daher für die Anerkennung von ausländischen Aufhebungsurteilen wie bei der Beurteilung eines ausländischen Schiedsspruchs selbst naturgemäß von großer Bedeutung.55 Auch im Rahmen des verfahrensrechtlichen ordre public darf generell nicht auf den Inhalt einzelner deutscher Normen des Prozessrechts bei der Beurteilung des Ablaufs eines fremdstaatlichen Verfahrens abgestellt werden, sondern lediglich auf dahinter stehende wesentliche Verfahrensgrundsätze.56 Das bedeutet, dass nicht jedem Verfahrensfehler eine erhebliche Bedeutung zukommt. 54

Dazu Hermann, S. 69. Vgl. Marx, S. 66 ff. 56 BGHZ 48, 327 (333); Völker, S. 112; Alvarez de Pfeifle, S. 160 f.; Hermann, S. 70: „Allerdings müssen auch gravierende Abweichungen vom deutschen Verfahrensrecht hingenommen werden, denn das Verfahren richtet sich nach der jeweiligen lex fori des fremden Urteilsstaates. Der verfahrensrechtliche ordre public soll nicht dazu führen, dass unzweckmäßiger Prozeß­führung im Urteilsstaat oder dort nicht erhobenen Verfahrensrügen nachträglich im Anerkennungsland abgeholfen wird. Fehler des ausländischen Verfahrens sind im Urteilsstaat zu rügen.“ 55

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Kap. 5: Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

Dies lässt sich leicht an der Prozessrechtsmaxime der Verfahrensöffentlichkeit belegen. Diese gehört unbestritten zu den wesentlichen deutschen Verfahrensgrundsätzen. Selbstverständlich könnte aber einem ausländischen Schiedsspruch lediglich mit der Begründung, das Verfahren sei nicht öffentlich erfolgt, die Anerkennung und Vollstreckung nicht verwehrt werden.57 Prozessrechtsmaximen, wie z. B. auch die Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Eventualmaxime und die Einheit der mündlichen Verhandlung entspringen häufig Zweckmäßigkeitserwägungen, über deren Berechtigung gestritten werden kann. Sie eignen sich daher regelmäßig nicht dazu, den verfahrensrechtlichen ordre public zu konkretisieren.58 Vielmehr müssen für ein Eingreifen des verfahrensrechtlichen ordre public die Mindeststandards der Verfahrensgerechtigkeit verletzt sein.59 Als grundlegend werden dabei die Prinzipien erachtet, die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG herleiten lassen.60 Ebenso fließen unstreitig auch die Erwägungen des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK als Rechtsquelle in den verfahrensrechtlichen ordre public ein,61 wobei zu beachten ist, dass bei der Umsetzung dieser Grundsätze den Mitgliedstaaten der EMRK je nach der Situation des Einzelfalls und dem jeweils betroffenen Menschenrecht ein mehr oder minder ausgeprägter legislativer Ermessensspielraum bei der Durchsetzung dieser Vorschrift eingeräumt wird.62 Zu den im nationalen wie in der EMRK verankerten Rechtsgrundsätzen, die in den verfahrensrechtlichen ordre public einfließen, gehören insbesondere der Justizgewährungsanspruch,63 die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts,64 die Gewährung des rechtlichen Gehörs65 und die Chancengleichheit und Fairness des Verfahrens66.67 Im Gegensatz zu dieser abgeschwächten Prüfung im Rahmen des materiellrechtlichen ordre public soll gerade bei der Anerkennung von fremdstaatlichen gerichtlichen Entscheidungen der verfahrensrechtliche ordre public in vollem Umfang herangezogen werden können. Die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 57

Beispiel bei Marx, S. 67. So ausdrücklich Marx, S. 70. 59 OLG Köln, SchiedsVZ 2005, S.  164: Eine Anerkennung eines ausländischen Schiedsspruchs sei nur dann nicht möglich, „wenn die Entscheidung nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten Verfahren ergangen angesehen werden kann. Dies kann nur bei Verletzung von Mindeststandards der Fall sein. Die Entscheidung muss auf dieser Verletzung beruhen.“; Alvarez de Pfeifle, S. 161. 60 Alvarez de Pfeifle, S. 160. 61 Dazu supra Kap. 3. B. I.; ausführlich zu Art. 6 Abs. 1 EMRK Renfert, S. 115; zum Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK auch supra Kap. 3. C. III. 62 Renfert, S. 121 f.; vgl. dazu supra Kap. 3. C. II. 4. 63 Dazu Renfert, S. 116 f. 64 BGHZ 42, 194 (2002); Völker, S. 128 ff. 65 Marx, S. 110. 66 BGH, NJW 1978, S. 1114 (1115); BGHZ 118, 312 (321); BGH, JZ 2000, 1067; Hermann, S. 70; EGMR, Urteil v. 27.10.1993, App. No. 14448/88, Dombo Heheer B. V. ./. The Netherlands, Rn. 30 ff. 67 Zu den Justizgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK bereits supra Kap. 3. C. III. 58

B. Der Schutzbereich des ordre public-Vorbehalts

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Abs.  3 GG ergebenden Grundprinzipien eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens seien nach ganz herrschender Ansicht ohne Beschränkung im Rahmen des ordre public zu prüfen.68 Die Ergebnisse der Untersuchung zu Art. 6 EGBGB sind daher für die in Frage stehenden Rechtsverstöße in vollem Umfang auf die (faktische) Anerkennung einer fremdstaatlichen Aufhebungsentscheidung übertragbar. Dementsprechend sind bei einer Überprüfung des ausländischen Aufhebungsurteils alle verfahrensrechtlichen Vorgaben insbesondere des Art. 6 Abs. 1 EMRK voll überprüfbar. Es bestehen in diesem Bereich also keine Abweichungen von der verfassungsrechtlichen Vorgabe.

III. Die Relativität der ordre public-Vorbehaltsklauseln Der Begriff des „ordre public“/der „öffentlichen Ordnung“ entzieht sich letztlich allen Versuchen einer Definition und muss daher in einer anderen Form konkretisiert und ausgefüllt werden.69 Meise70 und ihm folgend Spickhoff71 sprechen von der Relativität des ordre public-Vorbehalts, wenn sie betonen, dass zur Entscheidung alle Aspekte des Einzelfalles Beachtung finden müssen. Dabei lassen sich drei relevante, aber unbestimmte Variablen herausziehen, die bei der Abwägung einer ordre public-Prüfung als Hilfe und „nützliche Orientierungspunkte“ dienen können.72 So müsse das gefundene Ergebnis der Anwendung fremden Rechts offenbar unvereinbar mit den deutschen Rechtsgrundsätzen sein, der Rechtsverstoß müsse noch einen Gegenwartsbezug aufweisen und zudem ein­ Inlandsbezug vorliegen. Nur die kumulative Betrachtung dieser drei Variablen könne im Einzelfall den Richter dazu befähigen, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Grundsätzlich gilt dabei, dass bei besonders schweren Rechtsverstößen die Kriterien Gegenwartsbezug und Inlandsbezug nicht in vollem Maße vorliegen müssen. Bei nicht ganz so offensichtlichen Rechtsverstößen hingegen müssen nach der Rechtsprechung diese Kriterien kumulativ vorhanden sein. 1. Das Kriterium der Offensichtlichkeit Das Kriterium der Offensichtlichkeit ist bereits im Wortlaut des Art. 6 EGBGB enthalten. Die Rechtsprechung nimmt eine solche „Offensichtlichkeit“ an, wenn die Anwendung des ausländischen Rechts für die deutsche öffentliche Ordnung „schlechthin untragbar“ sei.73 Die Abwägung, wann diese Schwelle erreicht sei, 68

So ausdrücklich Hermann, S. 107 mwN; Völker, S. 146. Spieckhoff, S. 139. 70 Meise, S. 8 ff. 71 Spickhoff, S. 96 ff.; Voltz, S. 28 ff. 72 Spickhoff, S. 101 f. 73 BGH, WM 1962, 466 (468); BGHZ 50, 370 (375 f.); BAG, NJW 1975, 2160; BVerfGE 79, 203 (210). 69

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Kap. 5: Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

müsse demnach dazu führen, dass in Zweifelsfällen eine solcher ordre public-Verstoß zu verneinen ist.74 Allgemein lässt sich feststellen, dass es sich um einen zu unbestimmten Rechtsbegriff handelt, um tatsächlich „eine abstrakte Präzisierung oder Definition angesichts der vielschichtigen Sach- und Rechtsprobleme […] erfolgsversprechend“ vorzunehmen.75 2. Das Kriterium des Gegenwartsbezugs Um tatsächlich einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung annehmen zu können, muss zumindest eine noch vorhandene Relevanz zur Gegenwart bestehen. Je länger ein Tatbestand in der Vergangenheit zurückliege, desto zurückhaltender sei die ordre public-Klausel anzuwenden.76 Andererseits seien an die zeitliche Nähe geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer die Abweichung des fremden vom deutschen Recht zu gewichten sei. Auch für dieses Kriterium lasse sich keine genauere Eingrenzung finden und müsse von Fall-zu-Fall entschieden werden.77 3. Das Kriterium des Inlandsbezugs In strenger Auslegung des Jurisdiktionsbegriffs überprüfen deutsche Gerichte Enteignungsmaßnahmen anderer Staaten anhand der ordre public-Klausel nur dann, wenn ein hinreichender sachlicher oder personeller Bezug des Enteignungsakts zur Bundesrepublik Deutschland besteht.78 Denn die Grundsätze der deutschen Rechtsordnung sollen nur dann von der Anwendung des fremden Rechts betroffen sein können, wenn eine solche „Inlands- und Gegenwartsbeziehung“ vorliege, wobei an dieses Kriterium höhere Anforderungen als an die Internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts gestellt werden.79 Liegt ein solcher Binnenbezug nicht in einem ausreichenden Maße vor, sei dem internationalen Entscheidungseinklang ein Vorrang vor deutschen Rechtsprinzipien einzuräumen.80 Das Kriterium ist nicht unumstritten. Teilweise wird es ganz abgelehnt, um den deutschen Grundrechten einen möglichst weiten Anwendungsbereich zu sichern.81 Diese sehr auf die positive Funktion der Vorbehaltsklausel abstellende Ansicht82 74

Spickhoff, S. 97. Ibid. 76 Meise, S. 201 ff.; Spickhoff, S. 101; Voltz, S. 30. 77 Spickhoff, ibid. 78 Staudinger-Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 153; Kropholler, S. 225; Kegel/Schurig, § 16; Raape/Sturm, § 13 VI 2.; Völker, S. 231 ff.; Voltz, S. 30 f. 79 BGHZ 63, 219 (226); 118, 312 (348) zum anerkennungsrechtlichen ordre public; BGHZ 120, 29 (34); BVerfGE 84, 90 (123); Spickhoff, S. 97; Voltz, S. 31 mwN. 80 Staudinger-Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 154. 81 Staudinger-Blumenwitz, Art. 6 EGBGB, Rn. 113; Raape/Sturm, S. 217 f. 82 So Spickhoff, S. 99. 75

B. Der Schutzbereich des ordre public-Vorbehalts

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findet jedenfalls keine Grundlage in der vorherrschenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung.83 Man wolle nicht ausländischen Sachverhalten ohne Binnenbezug deutsches Rechtsdenken aufoktroyieren.84 Die Eigenständigkeit und Akzeptanz der Rechtsordnungen anderer Staaten sei Hauptanliegen des deutschen Internationalen Privatrechts,85 und die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes führe grundsätzlich auch dazu, dass den Rechtsordnungen anderer Staaten respektvoll begegnet werden müsse.86 Ebenso hat der EGMR im Fall Drozd and Janousek mit Rücksicht auf den zwischenstaatlichen Verkehr zumindest eine prinzipielle Pflicht Frankreichs verneint, ein ausländisches Strafverfahren zu überprüfen, sofern nicht ein offensichtlicher Fall einer denial of justice vorliege.87 Renfert weist aber richtigerweise darauf hin, dass in der Anwendung einer ausländischen EMRK-widrigen Rechtsnorm selbst ein Verstoß gegen die EMRK liegen könne.88 Durch die Anerkennung wirke sich der Verstoß im europäischen Ausland im Inland aus und werde verfestigt. Trotzdem gebiete der Respekt vor der fremden Rechtsordnung grundsätzlich, dass ein solcher Verstoß gegen die EMRK nur bei einer feststellbaren Inlandsbeziehung Berücksichtigung finden könne.89 Im Falle der Prüfung eines verfahrensrechtlichen ordre public, also bei der Prüfung einer ausländischen Entscheidung auf wesentliche rechtsstaatliche­ Standards sei hingegen das Kriterium des Inlandsbezugs grundsätzlich nicht zu fordern.90 Art. 6 Abs. 1 EMRK gebiete als Verkörperung des verfahrensrechtlichen Mindeststandards, diese besonders schwerwiegenden, stets beachtlichen Verstöße abzuwehren.91 83

Vgl. auch Renfert, S. 133 ff. mit Untersuchung ausländischer Rechtsprechung zur EMRK. OLG Stuttgart, IPRspr. 1986 Nr.  77; Lorenz, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher­ Online-Komm., Art. 6 EGBGB, Rn. 16. 85 BGHZ 60, 69 (79). 86 BVerfGE 31, 58 (70). 87 EGMR, Urteil vom 26.06.1992, App. No. 12747/87 – Drozd and Janousek ./. France and Spain, Rn. 110: „[…] As the Convention does not require the Contracting Parties to impose its standards on third States or territories, France was not obliged to verify whether the proceedings which resulted in the conviction were compatible with all the requirements of Article 6 (art. 6) of the Convention. To require such a review of the manner in which a court not bound by the Convention had applied the principles enshrined in Article 6 (art. 6) would also thwart the current trend towards strengthening international cooperation in the administration of justice, a trend which is in principle in the interests of the persons concerned. The Contracting States are, however, obliged to refuse their co-operation if it emerges that the conviction is the result of a flagrant denial of justice.“ 88 Renfert, S. 135: „Indem der europäische Richter das ausländische außereuropäische Recht anwendet, dass gegen die Konvention verstößt, verletzt er bei hinreichendem Inlandsbezug [gem. Art. 1 EMRK] auch selbst die Konvention. Dasselbe gilt für die Anerkennung einer ausländischen außereuropäischen Entscheidung, deren Inhalt oder deren Verfahren die Konvention verletzen. Indem der Anerkennungsrichter die fremde Entscheidung anerkennt, perpetuiert er im Exequaturstaat die im Urteilsstaat begangene Verletzung des Menschenrechtes der EMRK.“ 89 Renfert, S. 136. 90 Renfert, S. 137; Thoma, S. 85. 91 Geimer, Rn. 2772; Matscher, IPrax. 1992, S. 335; Renfert, ibid; Thoma, ibid. 84

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Kap. 5: Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

Zu beachten ist ferner, dass – wie bei den anderen beiden genannten Kriterien – nach der herrschenden Ansicht an das Erfordernis des Binnenbezugs geringere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer der Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts wiegt.92 Andererseits verengt sich der Spielraum des fremden Rechts bei einem starken Inlandsbezug des Sachverhalts.93 ­Spickhoff hat daher richtigerweise angemerkt, dass diese Einschränkung regelmäßig zu einer Verdrängung des Inlandsbezugskriteriums führen müsse, wenn wesentliche Rechtsgrundsätze betroffen seien.94 Zur Feststellung eines Binnenbezugs kommen grundsätzlich personale, sachliche, als auch räumliche Aspekte in Betracht.95 So hat die Rechtsprechung beispielsweise eine Anknüpfung nach der Staatsangehörigkeit, dem Wohnsitz bzw. dem gewöhnlichen Aufenthaltsort, dem Unternehmenssitz sowie der Belegenheit von Vermögensmassen oder einzelnen Gegenständen vorgenommen.96 Der BGH hat, im Wesentlichen der US-amerikanischen Rechtsprechung folgend, s­ ogar einen „minimum contact-Test“ verwendet, um die Inlandsbeziehung eines Beklagten zu begründen.97 In Vollstreckungsangelegenheiten ist der Vollstreckungsort als Anknüpfungspunkt für eine ordre public-Prüfung ausreichend, um einen Binnenbezug herzuleiten.98 4. Die verfassungskonforme Auslegung der Relativitätskriterien Es ist offensichtlich, dass die genannten Relativitätskriterien dem deutschen­ Anerkennungs- und Vollstreckungsrichter einen relativ weiten Spielraum bei der Anwendung der ordre public-Klauseln einräumen. Dieser Spielraum muss jedoch durch eine verfassungskonforme Auslegung in den Fällen begrenzt werden, in­ denen die Verwirklichung von Grundrechten oder anderen Verfassungsgütern andernfalls gefährdet wäre. Dementsprechend ist es unbestritten, dass bei besonders schwerwiegenden Rechtsverstößen die Erfordernisse der Relativitätskriterien insbesondere zu Gunsten des Grundrechtsschutzes zurücktreten müssen. Andernfalls wäre dem Anerkennungs- und Vollstreckungsrichter mit der Anerkennung grundrechtswidriger Entscheidungen ein eigener Verfassungsverstoß anzulasten.

92 OLG Oldenburg, IPrax 1981, S. 136 (138); Hermann, S. 119; Lorenz, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher Online-Komm., Art. 6 EGBGB, Rn. 16; Meise, S. 105; Thoma, S. 79; Voltz, S. 32 mwN. 93 Voltz, S. 33 mwN. 94 Spickhoff, S. 99. 95 Alvarez de Pfeifle, S. 154; Hermann, S. 119. 96 Siehe dazu die Aufzählung bei Staudinger-Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 155 f. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 97 BGHZ 118, 312 (336). 98 Alvarez de Pfeifle, S. 155; Spickhoff, S. 99.

C. Die grundgesetzlichen Einfallsnormen für das Völkerrecht

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C. Die grundgesetzlichen Einfallsnormen für das Völkerrecht und die Prüfung der ordre public-Vorbehaltsklausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO I. Der völkerrechtliche ordre public international Wird ein deutsches Zivilgericht mit der Frage der Anerkennung einer potentiell völkerrechtswidrigen Aufhebung eines ausländischen Schiedsspruchs konfrontiert, bestehen grundsätzlich zwei voneinander zu unterscheidende Lösungswege für diese „Rechtskollision“ zwischen dem deutschen und dem ausländischen Recht: Primär ist zu fragen, ob hier ein Verstoß solcher Art gegeben ist, dass schon aufgrund der grundgesetzlich vorgegebenen Stellung des Völkerrechts der fremdstaatliche Akt nicht anerkannt werden darf. In diesen Fällen sind diese Normen als innerstaatliches Recht anzusehen und daher grundsätzlich vorrangig gegenüber dem ordre public heranzuziehen.99 Über Art. 25 GG beanspruchen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts einen Rang über den einfachen Bundesgesetzen. In Verbindung mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes kann nach der Rechtsprechung des BVerfG sogar unter Umständen eine Korrekturverpflichtung der deutschen Hoheitsträger folgen.100 Völkervertragsrecht nimmt über das jeweilige Ratifikationsgesetz gem. Art. 59 Abs.  2 S.  1 GG die Stellung einfachen Bundesrechts ein. Seine Berücksichtigung im Rahmen des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen wäre damit zumindest dogmatisch nicht abwegig. Die Lösung des Internationalen Privatrechts geht im Vergleich zur Rechtsprechung des BVerfG einen anderen Weg. Es fragt danach, ob der fremdstaatliche Akt mit den wesentlichen Grundzügen der deutschen Rechtsordnung noch vereinbar ist. Die ordre public-Klauseln des Art. 6 EGBGB bzw. des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, in die nach herrschender Ansicht auch völkergewohnheitsrechtliche Regelungen über Art. 25 GG oder völkervertragliche Vorschriften über Art. 59 Abs. 2 GG einfließen können,101 ähneln zwar im Ergebnis dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe, sind aber mit dieser nicht deckungsgleich. Es bestehen wesentliche Unterschiede, die auch bereits seit den Ende der 80er Jahre bekannt und diskutiert worden sind. Augenscheinlich ist der größere Anwendungsbereich der Vorbehaltsklauseln, die neben Verstößen gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts jede von der deutschen Rechtsordnung nicht mehr hinnehmbare Einschränkung erfasst. Diesem weiten Anwendungsbereich setzt die Praxis einschränkend entgegen, dass die ordre public-Klauseln im Gegensatz zu der unmittelbaren Anwendung des 99

So ausdrücklich Spickhoff, S. 88. Siehe dazu supra Kap. 4. A. II. 101 Spickhoff, S. 91 wendet sich ausdrücklich gegen die Annahme eines solchen „völkerrechtlichen ordre public“, da Völkerrecht schon aufgrund des Grundgesetzes zu beachten sei. 100

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Kap. 5: Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

Art.  25 GG nach ganz herrschender Ansicht einen gewissen Inlandsbezug voraussetzen. Dieser Inlandsbezug ergebe sich aus Sinn und Zweck der jeweiligen Norm. Es könne nicht Zweck einer ordre public-Klausel sein, jeden fremdstaatlichen Rechtsverstoß zu ahnden. Vielmehr solle die Klausel nur vor unerträglichen Einflüssen auf die deutsche Rechtsordnung schützen. Das führt dazu, dass in den meisten Fällen, in denen es um die Anerkennung fremdstaatlicher Akte geht, die ordre public-Klausel nicht angewandt wird, weil ein direkter Inlandsbezug verneint wird. Wird ein solcher Inlandsbezug hingegen doch bejaht, verfügen die deutschen Gerichte zusätzlich über einen weiten Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob eine Einschränkung der deutschen Rechtsordnung in einem nicht mehr hinnehmbaren Maße vorliegt. Diese beiden wesentlichen Einschränkungen bestehen nicht hinsichtlich des unmittelbar anwendbaren Art. 25 GG. Läge in dem fremdstaatlichen Akt tatsächlich ein Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts, dessen Normen und Reichweite im Zweifelsfall über das Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 2 GG durch das BVerfG zu ermitteln wären, so folgt daraus unter bestimmten Umständen eine zwingende Nichtanerkennung des fremdstaatlichen Akts.102 Der Ansatz, Völkergewohnheitsrecht in die Prüfung der ordre public-Vorbehaltsklauseln einzubeziehen, wird etwas verwirrend ebenfalls als ordre public international oder aber schlicht als völkerrechtlicher ordre public bezeichnet, wobei einige Autoren ausschließlich das zwingende Völkergewohnheitsrecht (ius cogens) unter diesen Begriff fallen lassen wollen, andere hingegen sogar schon jede „Grundnorm“ des zwischenstaatlichen Verkehrs.103 Andere Autoren nutzen diesen Begriff rechtsvergleichend und meinen damit gemeinsame Standards und den gemeinsamen Kernbestand unverzichtbarer Rechtsgrundsätze der nationalen Rechtsordnungen.104 Wie immer man auch den Inhalt des Art. 25 GG – teilweise freilich in grober Verkennung der Rechtsprechung des BVerfG – ausfüllen möchte, muss doch stets darauf hingewiesen werden, dass es sich um einen rein verfassungsrechtlich bedingten Verweis auf das Völkerrecht handelt. Das Völkerrecht selbst verlangt nicht die Anerkennung oder Nichtanerkennung fremden Rechts, sondern legt die Ent 102 So z. B. Hofmann, ZaöRV 1989, S.  51; Czerner, EuR 2007, S.  537 (544): „Diese [allgemeinen Regeln] setzen nach berechtigt-restriktiver Ansicht des BVerfG universell geltendes Völkerrecht voraus und sie sollen nach Auffassung des BVerfG lediglich einen ‚völkerrechtlichen Mindeststandard“ erfassen, um mit diesem internationalen ordre public nicht dadurch zu einer Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen beizutragen, indem die Bundesrepublik Deutschland zu viele und für sie gegenüber der Völkergemeinschaft nicht strikt einhaltbare völkerrechtliche Bindungen eingeht.“; siehe dazu supra Kap. 4. B. II. 103 Übersicht bei Hermann, S. 75; Völker, S. 275 ff; 285 f.; zu rechtsvergleichenden Tendenzen bei der Bestimmung des ordre public Spickhoff, S. 91 f. 104 Beispielsweise Shen, S. 236: „disregard of imperative procedural requirements of domestic law“.

C. Die grundgesetzlichen Einfallsnormen für das Völkerrecht

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scheidung über die Anerkennung eines völkerrechtswidrigen Akts in das Ermessen der Staaten, ob die völkerrechtswidrige Enteignung anerkannt werden soll oder nicht.105 Es besteht aus völkerrechtlicher Sicht also weder eine Verpflichtung, solche völkerrechtswidrigen Maßnahmen anzuerkennen, noch eine solche, die Anerkennung zu verweigern.106 Der enteignende Staat hat auf der anderen Seite auch keinen Anspruch, dass andere Staaten seine Enteignungsmaßnahmen bzw. Aufhebungsurteile beachten.107 Dies ist offenbar auch der Grundgedanke, dem das UN-Übereinkommen folgt, wenn es die Anerkennung und Vollstreckung aufgehobener Schiedssprüche in das Ermessen des Vollstreckungsstaates stellt. Einzige Ausnahme von dieser Grundregel ist der Bruch zwingenden Völkerrechts, der eine zwingende Anerkennungsverweigerung zur Folge hat.108 Zu unterstreichen ist allerdings stets, dass allein die Umsetzungsnorm des Art. 25 GG die allgemeinen Regeln des Völkerrechts ins nationale Recht transformiert und ihnen eine Stellung über den einfachen Gesetzen zuspricht. Es kann daher keine Abwandlungen im Rahmen des sog. Völkerrechtlichen ordre public international geben, die nicht bereits durch Art. 25 GG vorgegeben worden sind.109 Der Ansatz eines echten völkerrechtlichen ordre public, also einer Vorbehaltsklausel, die direkt dem Völkerrecht entspringt, scheint der vorgenannten Rechtsprechung des BVerfG („Bodenreform III“-Urteil)110 zu entsprechen. Letztlich muss aber aufgrund der Normenhierarchie die Prüfung des Art. 25 GG der in ihrem Anwendungsbereich eingeschränkten ordre public-Prüfung vorgehen, sobald Völkergewohnheitsrecht einschlägig ist bzw. die ordre public-Klausel in der Hinsicht verfassungskonform auslegen, dass ihre Anwendbarkeit nicht über die Relativitätskriterien eingeschränkt werden darf. Einen eigenständigen Anwendungsbereich hat der völkerrechtliche ordre public international nur dann, wenn man darüber hinaus seinen Bereich wesentlich weiter als von der Verfassung vorgegeben ziehen will, indem man darüber hinaus auch das nicht verbindliche, völkerrechtliche „soft law“ einbezieht.111 Denn soweit international gültige Grundwerte sich sogar ausformuliert konkretisieren ließen, bildeten sie laut Hermann damit zumindest eine moralisch-ethische Verpflichtung und damit einen typischen Anknüpfungspunkt für den ordre public-Vorbehalt. Dies sei der wahre Wert eines ordre public international. Er ermögliche dem deutschen Richter, auf an sich nicht schon nach Art. 25, 59 Abs. 2 GG verbindliche völkerrechtliche Erklärungen und Prinzipien einzugehen, obwohl diese die Bundes­ republik Deutschland nicht unmittelbar verpflichten. 105 Herdegen, Internat. Wirtschaftsrecht, § 20 Rn.  16; Ruffert, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition, Rn. 19; Völker, S. 147. 106 Herdegen, ibid; a. A. aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfGE 112, 1. 107 Herdegen, ibid. 108 Vgl. Art. 40, 41 ILC-Articles on Responsibility of States. 109 So schon Spickhoff, S. 91. 110 BVerfGE 112, 1; dazu supra Kap. 4. A. II. 111 Hermann, S. 74.

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Kap. 5: Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

Obwohl sicherlich die Flexibilität dieser Ansicht zu Gunsten eines möglicherweise gerade im Entstehen begriffenen Völkerrechtssatzes positive Aspekte hat, stellt sich aus verfassungsrechtlicher Sicht die Frage, ob diese ordre public-Prüfung in so einem Fall nicht zu weit von dem grundgesetzlichen Wertesystem entfernt ist und daher an einer beklagenswerten Unbestimmtheit leidet. Sicherlich könnte im Einzelfall ein solcher Rückgriff, sofern er im Übrigen mit dem verfassungsrechtlichen System sowie Erklärungen und Stellungsnahmen des Gesetzgebers übereinstimmt, zu grundsätzlich begrüßenswerten Ergebnissen führen. Fraglich ist dann jedoch, ob ein solcher ordre public-Vorbehalt mit dem Text des Art.  6 EGBGB, insbesondere dem Erfordernis der „Offensichtlichkeit“, noch in Einklang gebracht werden kann. Voltz betont daher zu Recht, dass zur „Öffentlichen Ordnung“ nur diejenigen internationalen Regelungen gehören können, an die sich die Bundesrepublik Deutschland tatsächlich gebunden hat.112

II. Die Zurückhaltung der deutschen Gerichte bei der Anwendung eines völkerrechtlichen ordre public anhand von Beispielsfällen Die Anerkennungspraxis der Bundesrepublik Deutschland bezüglich fremdstaatlicher Enteignungen ist in einem besonderen Maße durch zwei Entscheidungen beeinflusst worden: Zum einen sind die Entscheidungen aus dem Jahren 1959 und 1961 im sog. indonesischem Tabakstreit vor dem Bremer Land- und Oberlandesgericht zur Enteignung niederländischer Gesellschaften in Indonesien zu nennen. Zum anderen hat die Entscheidung des Hamburger Landgerichts im sog. Chile­ nischen Kupferstreit zur Enteignung US-amerikanischer Bergbaugesellschaften in Chile aus dem Jahre 1974 die deutsche Rechtsprechungspraxis entscheidend geprägt. Der Einfluss dieser Entscheidungen ist sogar noch in einem Urteil des OLG Hamburg zum „Hamburger Kaffeestreit“ aus dem Jahre 2005 deutlich erkennbar. 1. Der indonesische Tabakstreit Die Zurückhaltung, einen fremden Enteignungsakt zu überprüfen, findet sich schon in der Berufungsentscheidung des Hanseatischen OLG Bremen vom 21.08.1959 auf die Urteile des Landgerichts Bremen vom 21.04.1959113 und 16.06.1959114 im Fall des sog. „Indonesischen Tabakstreits“.115 112

Voltz, S. 63. LG Bremen, Urteil v. 21.04.1959, Az.: 7 Q 12/1959 u. 7 Q 13/1959, AWD 1959, S. 105 f. mit Anmerkung Seidl-Hohenveldern; Tabakladung auf dem Schiff Ullysses. 114 LG Bremen, Urteil v. 16.06.1959, Az.: 7 Q 26/1959; Tabakladungen auf den Schiffen Äneas und Eumäus. 115 Zusammenfassung und Hintergrundinformationen bei Domke, American Journal of International Law 54 (1960), S. 305, 306 f. 113

C. Die grundgesetzlichen Einfallsnormen für das Völkerrecht

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a) Verfahren vor dem Landgericht Bremen Zwei niederländischen Gesellschaften wurden 1958 durch ein indonesisches Nationalisierungsgesetz die Konzessionen zum Betrieb zweier Tabakplantagen­ entzogen.116 Sie beantragten daraufhin beim Landgericht Bremen als nach dem indonesischen Recht frühere Eigentümerinnen die Sequestrierung von rund 5200 Ballen Rohtabaks im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Zwar habe der Tabak sich unstreitig zum Zeitpunkt der Nationalisierung auf den betreffenden Plantagen in Indonesien befunden, jedoch seien die Enteignungen ohne ernsthafte Entschädigungsabsicht und unter Diskriminierung niederländischer Staatsangehöriger erfolgt. Gemäß Art. 25 GG müsse der deutsche Staat die daher völkerrechtswidrigen Enteignungen als unwirksam behandeln. Das Landgericht wies die beiden Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz jedoch ab. Die völkerrechtswidrige Enteignung führe auch nach dem Völkerrecht nicht zu deren Unwirksamkeit, sondern habe lediglich Schadensersatzansprüche des Heimatstaates der Enteigneten gegenüber dem enteignenden Staat zur Folge. Das Gericht prüft nach dieser Feststellung, ob die Enteignung deshalb nicht anzuerkennen sei, weil sie gegen den deutschen ordre public verstoße. Diese Untersuchung setze aber nach der eng auszulegenden Vorschrift des Art. 30 EGBGB a. F. voraus, dass eine ausreichende Inlandsbeziehung des Enteignungssachverhalts vorgelegen habe. Da der indonesische Staat bereits auf seinem eigenen Hoheitsgebiet Besitz am streitigen Tabak genommen habe und zudem die betreffenden Ladungen sich nur vorübergehend zu Handelszwecken in Bremen befänden, sei eine solche Inlandsbeziehung nicht anzunehmen. Folglich seien die Enteignungen in Deutschland anzuerkennen. b) Entscheidung des Hanseatischen OLG Bremen Das Hanseatische Oberlandesgericht117 weicht in seinem Berufungsbegründung wesentlich von der Ansicht des Landgerichts ab, bestätigt aber letztlich dessen Urteil und zieht dazu zwei Argumentationsstränge heran: Zum einen sei der Antrag auf Sequestrierung schon deshalb abzuweisen, weil die beiden niederländischen Gesellschaften nicht glaubhaft machen konnten, dass sie nach dem auf die Konzessionsverträge anzuwendenden indonesischen Recht ein Eigentumsrecht an den Plantagen bzw. an den Tabakballen erlangt haben. Das Gericht zieht hierzu das niederländisch-indische BGB, das indonesische Recht und mehrere Entscheidungen indonesischer Gerichte heran.118 116 Gesetz Nr. 86 vom 31.12.1958 der Republik Indonesien, Staatsblatt 1958 Nr. 162; deutsche Übersetzung im Urteil des OLG Bremen, AVR 9 (1961/62), S. 323. 117 Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Urteil v. 21.08.1959, Az. I U 159/1959 u. I U 201/1959, AVR 9 (1961/62), S. 318 ff. 118 OLG Bremen, id., S. 339–351.

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Selbst wenn aber ein solches Eigentumsrecht nach indonesischem Recht bestanden hätte, sei zum anderen dieses Eigentumsrecht durch das Nationalisierungsgesetz v. 1958 nachträglich wieder verloren gegangen.119 Zwar sei den Antragstellern zuzugeben, dass sie weder durch das nationale indonesische Recht noch über diplomatischen Schutz Chancen hätten, einen effektiven Rechtsschutz zu erreichen. Trotzdem seien diese Zweckmäßigkeitserwägungen allein nicht überzeugend: „… vorausgesetzt, dass die Gerichte aller Staaten einheitlich dem früheren Eigentümer wegen der Nichtigkeit des Verstaatlichungsgesetzes Herausgabeansprüche zubilligen würden, würde zwar erreicht werden, dass der konfiszierende Staat blockiert werden würde und mit der enteigneten Ware keinen Handel treiben könnte. Gleichzeitig würde aber der gesamte Welthandel durch eine derartige Sanktion stark berührt und beunruhigt werden.“120

Vielmehr müsse hier das Territorialitätsprinzip herangezogen werden. Das Ge­ richt zieht dazu die Untersuchungsergebnisse zur internationalen Rechtsprechungspraxis von Seidl-Hohenfeldern121 heran: „Kraft dieses Prinzips verweigern die meisten Staaten fremden Konfiskationsmaßnahmen die Anerkennung, soweit hierdurch auf Werte gegriffen werden soll, die zum Zeitpunkt der Konfiskation außerhalb des konfiszierenden Staates lagen (negative Wirkung des Territorialitätsprinzips), und erkennen andererseits den durch Konfiskation getroffenen Eigentums­ titel an, wenn sich das Objekt der Konfiskation innerhalb des konfiszierenden Staates befand (positive Wirkung des Territorialitätsprinzips).“122

Das Oberlandesgericht teilt dementsprechend die Auffassung des Landgerichts, dass nach geltendem Völkerrecht die Enteignung weiterhin wirksam sei. Der Senat habe sich deshalb dieser Ansicht angeschlossen, weil letztlich dadurch weitere Spannungen zwischen den betreffenden Staaten vermieden werden könnten und ein wirtschaftlicher Ausgleich zwischen den Staaten erfolgen könne.123 Die Enteignungen könnten daher nur noch auf ihre Vereinbarkeit mit dem deutschen ordre public gem. Art.  30 EGBGB untersucht werden. Das Gericht zieht zwar die Erwägungen des Landgerichts zu der erforderlichen Inlandsbeziehung in Frage, da zu ihrer Bestimmung auch auf die Schwere der Verletzung abgestellt werden müsse und der Bestimmungsort der Tabaksballen zumindest in Deutschland lag.124 Eine ordre public-Verletzung müsse aber letztlich auf besonders schwerwiegende Fälle von Völkerrechtsverstößen beschränkt bleiben und Art. 30 EGBGB a. F. daher eng ausgelegt werden.125 119

OLG Bremen, id., S. 351–362. OLG Bremen, id., S. 352. 121 Seidl-Hohenveldern, Internationales Konfiskations- u. Enteignungsrecht (1952). 122 OLG Bremen, AVR 9 (1961/62), S. 353 mit Zitat Seidl-Hohenveldern, Friedenswarte 53 (1956), S. 10 f. 123 OLG Bremen, id., S. 355. 124 OLG Bremen, id., S. 356. 125 OLG Bremen, id., S. 357. 120

C. Die grundgesetzlichen Einfallsnormen für das Völkerrecht

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Die Enteignungen seien aber sogar völkerrechtsgemäß. Zwar hätten indonesische Politiker tatsächlich geäußert, dass eine Entschädigung nicht oder nur in einer symbolischen Höhe gezahlt werden solle. Tatsächlich sehe aber das Enteignungsgesetz in Art.  2 eine Entschädigungszahlung vor, deren Höhe von einer Regierungskommission festgelegt werden solle. Eine Entschädigung sei grundsätzlich also noch zu erwarten. Zudem hätten die Antragstellerinnen keine entsprechenden Anträge beim indonesischen Staat gestellt.126 Sie konnten daher auch nicht glaubhaft machen, dass ihnen eine Entschädigung verweigert worden sei. Die von ihnen geforderte Entschädigungszahlung könne bei solchen Globalentschädigungen auch nicht „prompt“ im Sinne der Hull-Formel127 erfolgen. Es handele sich dabei um so eine grundlegende Umstrukturierung der Besitzverhältnisse in einer ehemaligen Kolonie, dass Entschädigungen nicht aus der Substanz, sondern nur aus den Erträgen der nationalisierten Unternehmen geleistet werden könnten.128 Sofern die Antragstellerinnen behaupten, die Enteignungen seien diskriminierend gegenüber niederländischen Staatsangehörigen erfolgt, fasst das OLG diese Behauptung als Vorwurf des Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz auf.129 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei aber ein solcher Verstoß nicht anzunehmen, da die unterschiedliche Behandlung von Ungleichem zulässig sei. Das Verhältnis von Kolonialvolk zu seinem Kolonialherrn sei naturgemäß eine andere als zu anderen Ausländern.130 Zudem sei der indonesische Tabakhandel in besonderem Maße von der ehemaligen Kolonialmacht Niederlande abhängig gewesen.131 Dies zeige sich schon darin, dass es den beiden Antragstellerinnen sogar möglich gewesen sei, die Verkaufserlöse für die Tabakernte aus dem Jahre 1957 dem indonesischen Staat vertragswidrig vorzuenthalten. Die Nationalisierung sei daher in diesem Sinne nicht diskriminierend gewesen. c) Zwischenfazit Neben einem erstaunlich weitgehenden Verständnis für die Situation Indonesiens nach der Entkolonialisierung ist vor allem bemerkenswert, dass das OLG ganz offen die Befürchtung äußert, eine Nichtanerkennung der Enteignungsakte könne zu einer deutlichen Einschränkung des Welthandels führen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass das Gericht bemüht ist, eine Völkerrechtswidrigkeit abzulehnen. Das OLG hat sich interessanterweise verhalten zu einer 126

OLG Bremen, id., S. 358. Nach dieser nach dem US-amerikanischen Außenminister (1933–1944) Cordell Hull benannten Formel müsse eine Entschädigung für Enteignungen „angemessen, prompt und wirksam“ erfolgen. 128 OLG Bremen, id., S. 359. 129 OLG Bremen, id., S. 359. 130 OLG Bremen, ibid. 131 OLG Bremen, id., S. 360. 127

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Einschränkung des internationalen ordre public durch das Relativitätskriterium des Inlandsbezugs geäußert, so dass im Rahmen der Prüfung des Art. 30 EGBGB a. F. Art. 25 GG einbezogen werden konnte. 2. Der chilenische Kupferstreit Das Landgericht Hamburg hat mit seinem Urteil v. 22.01.1973 mit dem sog. chilenischen Kupferstreit über den bekanntesten deutschen Fall über die Bewertung fremdstaatlicher Enteignungsakte entschieden.132 a) Sachverhalt und Antrag auf Sequestrierung Chile hatte 1971 unter der Regierung Salvador Allende (1970–1973) auf eigenem Hoheitsgebiet Kupferminen enteignet.133 Unter den enteigneten Minen befand sich auch die Mine der chilenischen Gesellschaft Sociedad Minerva El Tienente S. A. (SMETSA), die sich im US-amerikanischen Eigentum befand. Als Anfang 1973 in der betreffenden Mine abgebautes Kupfer an ein deutsches Unternehmen nach Hamburg geliefert wurde, beantragte die US-amerikanische Spaltgesellschaft der SMETSA als frühere Eigentümerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Sequestrierung des Kupfers. Das Landgericht kam diesem Antrag ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss v. 05.01.1973 nach und verpflichtete die chilenische Antragsgegnerin SMET II, zur Herausgabe des Kupfers an den Gerichtsvollzieher als Sequester bzw. zur Duldung der Wegnahme. b) Die Entscheidung im Widerspruchsverfahren Im Widerspruchsverfahren machte SMETSA geltend, dass die entschädigungslose Enteignung ohne Gewährung rechtlichen Gehörs gegen Völkerrecht verstoßen habe und daher vom Landgericht als nichtig angesehen werden müsse. Zudem habe die Enteignung auch gegen den deutschen ordre public verstoßen. Nach den in Deutschland in ständiger Rechtsprechung anerkannten Regeln zur Spaltgesellschaft sei die SMETSA Rechtsträgerin des von der Enteignung nicht erfassten Gesellschaftsvermögens. Das Landgericht folgte zwar dieser letztgenannten Auffassung und bejahte die Prozessfähigkeit der Antragstellerin, hat aber letztlich die einstweilige Verfügung v. 05.01.1973 wieder aufgehoben:

132

Landgericht Hamburg, Urteil v. 22.01.1973, Az.: 80 O 4/73, RIW/AWD 1973, S. 163 ff. Zur chronologischen Entwicklung siehe auch Lowenfeld, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition, Rn. 1–6. 133

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Das Landgericht stellte zunächst fest, dass nach den Grundsätzen des Internationalen Privatrechts die Wirksamkeit der Enteignung nach chilenischem Recht zu beurteilen sei („lex rei sitae“)134. Der in Chile abgeschlossene Enteignungsvorgang sei nach dem Territorialitätsprinzip also grundsätzlich als formal wirksam anzuerkennen.135 Das Völkerrecht hingegen verpflichte den inländischen Richter weder dazu, einen ausländischen völkerrechtswidrigen Akt anzuerkennen, noch ihn von vornherein als nichtig zu behandeln.136 Selbst wenn die Enteignung aber in diskriminierender Weise erfolgt ist oder ohne Entschädigungszahlung durchgeführt worden sei, bleibe sie prinzipiell wirksam und zwar selbst dann, wenn der Vermögensgegenstand später ins Ausland gelange. „Ein anderer Standpunkt würde zu untragbaren Verwicklungen politischer und wirtschaftlicher Art führen und die interna­ tionale Ordnung stören.“137 Gleichwohl müsse die Anerkennung einer Enteignung verweigert werden, wenn die Anerkennung gegen Grundprinzipien der deutschen öffentlichen Ordnung verstoßen würde.138 Hier könne in der Berücksichtigung des fremden Rechts zu einem Sittenverstoß im Sinne des Art. 30 EGBGB a. F. führen, soweit das im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglich ist. Die Enteignung sei entschädigungslos und diskriminierend erfolgt, und der chilenische Staat habe der SMETSA kein rechtliches Gehör gewährt. Zumindest eine angemessene Ent­ schädigung müsse gezahlt werden, wie die Resolution der UN-Generalversammlung 1803 (XVII) v. 14.12.1962 bekräftigt habe. Die Völkerrechtswidrigkeit müsse über Art.  25 GG im Rahmen des Art.  30 EGBGB berücksichtigt werden.139 Eine effektive Entschädigung sei faktisch durch das enteignende Gesetz nicht vorgesehen worden. Auch werden durch die gewählte Form der Nationalisierung nur Ausländer betroffen. Schon in dieser Differenzierung liege eine mit der deutschen Rechtsordnung nicht zu vereinbarende Diskriminierung. Zudem berufe sich die Antragstellerin zu Recht auf den Grundsatz pacta sunt servanda, indem sie kritisiert, dass das Unternehmen erst wenige Jahre zuvor unter Mitwirkung des ehemaligen chilenischen Staatspräsidenten Frei gegründet worden sei.140 Es sei hier von Chile zumindest eine angemessene Ausgleichszahlung bzw. die Einräumung einer ausreichend bemessenen Übergangsfrist zu erwarten gewesen. Der chilenische Oberste Gerichtshof habe erst 1964 eine ähnliche ­ teuergesetzes vertreten. Linie zur Einführung eines neuen, stärker belastenden S 134 Siehe dazu Herdegen, Internat. Wirtschaftsrecht, § 20 Rn.  15; Junker, Rn.  466; Kegel/ Schurig, § 19 I u. § 23 Abs. 1 Nr. 2. 135 LG Hamburg, id., S. 163. 136 LG Hamburg, id., S. 164. 137 LG Hamburg, ibid. 138 LG Hamburg, ibid. 139 LG Hamburg, ibid. 140 LG Hamburg, ibid.

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Schließlich habe sogar ein denial of justice vorgelegen. Die mit der Enteignung in Verbindung stehende Festsetzung einer Gewinnabschöpfungsabgabe habe im freien Ermessen des chilenischen Staatspräsidenten gestanden und sei gerichtlich nicht nachprüfbar. Damit habe Chile gegen einen fundamentalen Grundsatz des deutschen Rechts verstoßen.141 Das Zusammenspiel dieser verletzenden Akte sei so schwerwiegend, dass sie „für die Anschauung von Recht und Sitte schlechthin untragbar“ sei.142 Dies allein reiche jedoch nicht aus, um die Anwendbarkeit des Art. 30 EGBGB zu bejahen. Die Vorbehaltsklausel sei ein „Störfaktor im internationalen Rechtsleben“143. Nur wenn die deutsche Rechtordnung erheblich berührt werde, also eine Beziehung des Geschehens mit deutschen Interessen geschaffen werde, sei Art. 30 EGBGB anwendbar. Es fehle hier an einer wesentlichen Inlandsbeziehung der Enteignungsmaßnahme. Das bloße Verbringen einer entschädigungslos enteignenden Sache nach Deutschland genüge hierfür nicht. Hilfsweise argumentiert das Gericht, SMETSA habe auch nicht die notwendigen Eigentumsverhältnisse glaubhaft nachweisen können.144 Denn es habe sich bei dem nach Deutschland verbrachten gelieferten Kupfer um bereits aufbereitetes sog. „Blisterkupfer“ gehandelt. Das Rohkupfer gewinne durch die Aufbereitung einen vielfachen Wert. Nach chilenischem Recht gehe dabei das Eigentum an den verarbeitenden Betrieb über. Demnach war die einstweilige Verfügung wieder aufzuheben. c) Zwischenfazit Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg ist nach dem in den vorangegangenen Ausführungen vertretenen Grundsatz, dass die ordre public-Klauseln verfassungskonform ausgelegt werden müssen, nur schwer in Einklang zu bringen. Das Gericht betont zwar einerseits die Völkerrechtswidrigkeit des Enteignungsakts. Es habe sogar ein denial of justice vorgelegen. Die Enteignung sei also materiell wie formell fehlerhaft erfolgt. Andererseits aber sei die ordre public-­Klausel ein „Störfaktor im internationalen Rechtsleben“. Eine Feststellung, die es den Hamburger Richtern sicherlich erleichtert hat, hier mit dem Relativitätskriterium des Inlandsbezugs eine Anwendbarkeit der Klausel zu verneinen.

141

LG Hamburg, ibib. LG Hamburg, ibid. 143 LG Hamburg, id., S. 165. 144 LG Hamburg, ibid. 142

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3. Der „Hamburger Kaffeestreit“ Das Oberlandesgericht Hamburg hatte mit Urteil v. 07.01.2005 in 2.  Instanz über einen ähnlichen Rechtsstreit ebenfalls im einstweiligen Rechtsschutz zu entscheiden.145 a) Sachverhalt Die Verfügungsklägerin ist die ehemalige Eigentümerin einer Kaffeefarm in Zimbabwe. Im Jahre 2003 sei die Farm durch Polizei und Streitkräfte besetzt worden und die Verwaltung sei an die staatliche Agricultural und Rural Development Authority (ARDA) übergeben worden. Diese verkaufte die Farm an eine Firma mit Sitz in Simbabwe, ohne dass die Verfügungsklägerin darauf hätte Einfluss nehmen können. Im Jahre 2003 wurde Kaffee auf der enteigneten Farm geerntet und dort gelagert, bevor er nach Hamburg zum Weiterverkauf transportiert wurde. b) Entscheidung des Landgerichts Hamburg Das Landgericht hatte im einstweiligen Rechtsschutz mit Urteil v. 11.11.2004146 den Antrag der Voreigentümer auf Sequestrierung der Kaffeeladung abgewiesen. Es habe hier bereits an der Eilbedürftigkeit für den Erlass einer einstweiligen Verfügung gemangelt. Die Antragstellerin habe bereits zwei Monate vor Antragstellung Kenntnis von der Lagerung des Kaffees bei der Antragsgegnerin erlangt und nicht rechtzeitig reagiert.147 Zudem habe die Antragstellerin nicht glaubhaft machen können, dass die ARDA nach dem hier anzuwendenden simbabwischen Recht nicht zur Verwaltung berechtigt bzw. nicht Eigentümerin geworden sei.148 c) Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg Das Oberlandesgericht bestätigt im Beschwerdeverfahren zwar im Ergebnis den Beschluss des Landgerichts, stellt aber eigene Erwägungen an und ging nicht mehr auf die Entscheidungsgründe des Landgerichts ein. In der gewaltsamen Vertreibung der Verfügungsklägerin habe zwar eine faktische Enteignung der Farm und des dort gelagerten Kaffees gelegen.149 Nach dem Territorialitätsprinzip sei diese Enteignung aber durch den deutschen Staat grundsätzlich anzuerken­ 145

Oberlandesgericht Hamburg, Urteil v. 07.01.2005, Az.: 1 W 78/04, openjur 2011, 14454. LG Hamburg, Beschluss v. 11.11.2004, 327 O 639/04. 147 LG Hamburg, id., Beschlussumdruck, S. 3. 148 LG Hamburg, ibid. 149 OLG Hamburg, Urteil v. 07.01.2005, Az.: 1 W 78/04, openjur 2011, 14454, Rn. 8. 146

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nen.150  Zwar könne der ordre public-Vorbehalt die Hinnahme fremdstaatlicher Enteignungen begrenzen, jedoch setze die Anwendung des Art. 6 EGBGB voraus, dass ein ausreichend starker Inlandsbezug vorhanden sei.151 Ein solcher Inlandbezug sei im Falle der Kaffeeladungen aber nicht gegeben:152 Die Enteignung habe sich weder gegen eine deutsche natürliche noch eine juristische Person gerichtet. Auch habe die Verfügungsklägerin nicht ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland gehabt. Hingegen reiche allein die Tatsache, dass die Verfügungsbeklagte ein deutsches Unternehmen sei, nicht aus, da es durch die­ Enteignung selbst nicht selbst belastet worden sei, sondern nur durch die Anwendung des deutschen ordre public-Vorbehalts erst belastet werden könnte. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Kaffee über eine Kette von Veräußerungsvorgängen erst nach Deutschland gekommen sei. Das Geschehen in Simbabwe könne daher nicht im ausreichenden Maße mit dem deutschen Inland in Verbindung gebracht werden. Der erkennende Senat betont, dass die Frage des Inlandsbezugs sich nicht darauf gründe, dass auf den isolierten Staat Simbabwe politische Rücksicht genommen werden müsse.153 Auch seien hier nicht ethische Fragen heranzuziehen. Der Senat verurteile ausdrücklich die Enteignungen und die damit im Zusammenhang erfolgten Gewalttaten und wolle diese keinesfalls billigend „anerkennen“.154 Entscheidungserheblich sei aber vielmehr und ausschließlich die Frage, ob ein ausreichendes rechtliches Interesse für den Überprüfungsvorgang eines deutschen Gerichts hinsichtlich der Frage bestehe, ob fremdstaatliche Enteignungsakte gegenüber den eigenen Staatsangehörigen deutsche Gerechtigkeitsvorstellungen eingehalten haben.155 Ein solches rechtliches Interesse sei aber nicht vorhanden: „Im Rahmen eines globalen Handels treffen täglich Waren aus aller Welt zum Zwecke der Weiterverarbeitung, der Weiterveräußerung oder des Endverbrauchs in Deutschland ein. Nicht wenige stammen aus Staaten, in denen nicht der Rechtsschutz gewährleistet ist, welcher zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts gehört. Mit der Aufgabe, im Falle eines im Ausland vorausgegangenen hoheitlichen Zugriffs den Rechtsschutz zu bieten, den diese fremden Staaten ihren Staatsbürgern nicht bereit stellen, nur weil eine Kette von Veräußerungsvorgängen durch Deutschland führt, wäre die hiesige Gerichtsbarkeit überfordert. Völkerrechtswidriges Unrecht ist vielmehr auf anderem Wege, etwa durch politische Einflussnahme, durch den Abschluss von Konventionen zwischen den einzelnen Staaten und durch den Ausbau des Rechtsschutzsystems internationaler Instanzen zu bekämpfen.“156

150

OLG Hamburg, id., Rn. 9. OLG Hamburg, id., Rn. 10. 152 OLG Hamburg, id., Rn. 11. 153 OLG Hamburg, ibid. 154 OLG Hamburg, id., Rn. 14. 155 OLG Hamburg, id., Rn. 11. 156 OLG Hamburg, ibid. 151

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d) Kritik und Zwischenfazit Das Urteil des Oberlandesgerichts, das sich erkennbar auf die beiden vorgenannten Fallkonstellationen des Bremer Tabakstreits und des Chilenischen Kupferstreits bezieht, zeigt in besonderer Weise die Schwierigkeiten und Fallstricke, die sich durch die ungeprüfte Anerkennung von fremdstaatlichen Enteignungsmaßnahmen ergeben können. Es führt auch vor Augen, dass das Kriterium der Inlandsbeziehung – wenn überhaupt – mit Augenmaß angewendet werden sollte. Betrachtet man die ordre public-Regelung des Art. 6 EGBGB,157 so lässt sich leicht feststellen, dass aus dem Wortlaut zumindest nicht zwangsläufig das Kriterium der Inlandsbeziehung gezogen werden muss. Trotzdem fordert die Rechtsprechung diese Prüfung aus dem Gedanken heraus, dass die deutsche Rechtsordnung nur dann offensichtlich verletzt sein kann, wenn der Verletzungsakt mit dem deutschen Territorium in Verbindung steht.158 Auch wenn diese Feststellung zunächst nachvollziehbar ist und in vielen Fällen auch zu wirtschaftspolitisch angemessenen Ergebnissen führt, ist dies nicht so zu verstehen, dass es sich bei dem Inlandskriterium um eine feste Schranke handelt. Denn das Kriterium „Inlandsbeziehung“ müsse insbesondere in den Fällen zurücktreten, wo eine besonders starke Verletzung der Rechtsordnung vorliege.159 Im vorliegenden Fall wird das Ausmaß der Rechtsverletzung aus der Urteilsbegründung nicht ausreichend deutlich. Der erkennende Senat nimmt nicht zu den Umständen der Landenteignungen in Simbabwe Stellung, die aber dem Gericht zum Entscheidungszeitpunkt zugänglich gewesen sein müssen und offenbar auch ähnlich von der Antragstellerin vorgetragen worden sind: Seit dem Jahre 2000 wurden auf teilweise chaotische Weise Landenteignungen durchgeführt. Der amtierende Präsident Robert Mugabe hatte seine Anhänger ermutigt, von weißen Farmern betriebene landwirtschaftliche Betriebe in Besitz zu nehmen. Die Farmer wurden dabei oft gewaltsam von ihren Grundstücken vertrieben. Auch wurde oft eine Entschädigungszahlung nicht erbracht. Zum Patronagesystem des regierenden Präsidenten Robert Mugabe gehörte es, die meisten der enteigneten Farmen und Industriebetriebe an die Mitglieder der Regierungspartei zu verteilen. Aus heutiger Sicht ist hinzuzufügen, dass diese Politik dazu führte, dass von den 4500 Farmen, die sich Anfang 2000 im Besitz weißer Familien befanden, im Jahre 2008 lediglich noch 300 Betriebe von weißen Farmern betrieben wurden.160 Im

157

Art. 6 EGBGB: „Öffentliche Ordnung (ordre public). 1Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. 2Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“ 158 Siehe dazu supra Kap. 4. IV. 2. e) (3). 159 OLG Oldenburg, IPrax 1981, S. 136 (138); Hermann, S. 119; Lorenz, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher Online-Komm., Art. 6 EGBGB, Rn. 16; Meise, S. 105. 160 Dazu Dugger, Jagd auf die letzten weißen Farmer in Simbabwe, Die Welt v. 05.01.2009.

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Jahre 2008 urteilte das Tribunal der Southern African Development Community, dass die Landenteignungen einen Verstoß gegen den SADC-Vertrag darstellten. Die Enteignungen gegen weiße Farmer seien rassistisch motiviert gewesen und zudem sei den Farmern kein ausreichender Rechtsschutz gewährt worden.161 Währenddessen hat die Mugabe-Regierung im Jahre 2012 von internationalen Protesten unbeirrt damit angefangen, auch Industriebetriebe im Besitz Weißer zu enteignen und nach gleichem Muster an Anhänger zu verteilen. Vor diesem Hintergrund ist die Anerkennung der in Frage stehenden Enteignung durch das Hamburger OLG in doppelter Hinsicht problematisch. Denn der Rechtssatz „lex rei sitae“ erfordert doch dem Wortsinn nach zumindest tatsächlich eine rechtliche Grundlage für den Enteignungsakt in der simbabwischen Rechtsordnung, die offenbar nicht bestand. Es handelte sich um eine willkürliche, ohne rechtliche Grundlage und mit militärischer Gewalt ausgeführte Vertreibung der Antragstellerin. Es ist daher schon fraglich, ob man eine solche Vertreibung überhaupt dem simbabwischen Rechtssystem entsprochen hat. Noch weiter muss man fragen, ob Rechtsnormen, die solche Handlungen zuließen, überhaupt als Recht durch ein deutsches Gericht anerkennungsfähig sind. Denn durch den rassis­tischen Hintergrund des Besitzentzugs führt die Prüfung ganz zwangsläufig zur Anwendung der „Radbruch’schen Formel“. Gustav Radbruch hatte 1946 vor dem Hintergrund der gerade beendeten Schreckensherrschaft des Dritten Reiches vertreten, dass dort, wo das positive, gesetzte Recht in einem nicht mehr tolerierbaren Maße von der Gerechtigkeit abweiche bzw. wo es die Gleichheit als Kern allem Rechts negiere, also nicht einmal mehr die Gerechtigkeit anstrebe, das positive Recht zu Gunsten der materiellen Gerechtigkeit durch den Richter nicht mehr als Recht angewendet werden dürfe.162 Rassistisch motivierte Enteignungsakte sind dementsprechend nicht mehr mit dem Kern des Rechts vereinbar. Folgt man der beschriebenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, muss man noch stärker betonen, dass es sich hier zwar um eine Entschädigung eigener Staatsangehöriger und damit nicht um einen Verstoß gegen das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht handelt, wohl aber die rassistische Diskriminierung nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs zu den obligationes erga omnes gezählt wird und damit zu den denkbar schwersten Verletzungen 161 Southern African Development Community Tribunal, Urteil v. 28.11.2008, Mike ­Campbell (Pvt) and Others v. Republic of Zimbabwe (2/2007), [2008] SADCT 2. 162 Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, Süddeutsche Juristen­zeitung 1 (1946), S. 105 (107 f.): „Damit war von vornherein ausgesprochen, daß nationalsozialistisches ‚Recht‘ sich der wesensbestimmenden Anforderung der Gerechtigkeit, der gleichen Behandlung des Gleichen, zu entziehen gewillt war. Infolgedessen entbehrt es insoweit überhaupt der Rechtsnatur, ist nicht etwa unrichtiges Recht, sondern überhaupt kein Recht. Das gilt insbesondere von den Bestimmungen, durch welche die nationalsozialistische Partei entgegen dem Teilcharakter jeder Partei die Totalität des Staates für sich beanspruchte. Der Rechts­charakter fehlt weiter allen jenen Gesetzen, die Menschen als Untermenschen behandelten und ihnen die Menschenrechte versagten.“

D. Ergebnis des 5. Kapitels

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gegen die Staatengemeinschaft als Ganzes. Wenn also das Völkergewohnheitsrecht in Art. 6 EGBGB mit einfließen soll, dann muss diese Verletzung in einem besonderen Maße die Abwägung hinsichtlich des Kriteriums „Inlandsbeziehung“ beeinflussen. Dieses eher formelle Kriterium darf in diesem Fall nicht dazu führen, dass eine Korrektur eines solch schwerwiegenden Verstoßes gegen die überstaatliche Rechtsordnung nicht mehr vorgenommen werden kann. Die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts folgt damit unbewusst den Entscheidungen der US-amerikanischen Gerichte zu der Anerkennung von Enteignungen jüdischer Familien im Dritten Reich.

4. Fazit zur Rechtsprechungsübersicht Die genannten Fälle zu ausländischen Enteignungen verdeutlichen, wie sehr die deutschen Gerichte in der Vergangenheit bemüht waren, die Feststellung eines ordre public-Verstoß über eine extensive Heranziehung des Relativitätskriteriums des Inlandsbezugs zu vermeiden. Dabei haben sowohl das Bremer Hanseatische Oberlandesgericht im Indonesischen Tabakstreit wie das Hamburger Landgericht im Chilenischen Kupferstreit offen die Besorgnis geäußert, mit ihren Entscheidungen andernfalls wirtschaftliche Nachteile und Störungen des Rechtsverkehrs für die beiden Häfen zu verursachen. Auch wenn diese Annahme nachvollziehbar erscheint, sind die beiden Hamburger Fälle im hohen Maße dogmatisch fragwürdig, da die Auslegung der ordre public-Klausel im Kupferstreit zumindest zweifelhaft, im Kaffeestreit keinesfalls mehr mit der grundgesetzlichen Norm des Art. 25 GG in Einklang gebracht werden kann.

D. Ergebnis des 5. Kapitels Als einfachgesetzliche Normen müssen auch die ordre public-Vorbehalts­ klauseln verfassungskonform ausgelegt werden. Insoweit gewinnen die Grundrechte, aber auch die grundgesetzlichen Normen zur Einbeziehung des Völkerrechts (Art.  25, 59 Abs.  2 GG) eine erhebliche Bedeutung im Rahmen ihrer Prüfung. Die zivilgerichtliche Praxis und Literatur ist in der Vergangenheit im Wesentlichen diesen Erfordernissen mit einer stimmigen Dogmatik im Bereich des anerkennungsrechtlichen ordre public nachgekommen. Der eingeschränkte materiellrechtliche ordre public gewährleistet jedenfalls einen grundrechtlichen Kernbereich, der im Zusammenhang mit Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zumindest die Vermeidung von Härtefällen garantiert. Der verfahrensrechtliche ordre public gewährleistet hingegen in vollem Umfang die Regelungen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs und der justiziellen Mindestgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK.

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Kap. 5: Die Prüfung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

In der Praxis ist aber eine starke Zurückhaltung der deutschen Gerichte zu beobachten, eine ordre public-Prüfung bei potentiellen Völkerrechtsverstößen durchzuführen. Insbesondere wird auf das fehlende Relativitätskriterium des­ Inlandsbezugs verwiesen, um eine Nicht-Anerkennung des fremdstaatlichen Hoheitsakts zu vermeiden. Da die Zivilgerichte jedoch verpflichtet sind, die ordre public-Klauseln verfassungskonform auszulegen, darf das Heranziehen der Relativitätskriterien nicht dazu führen, dass die Anwendung von Verfassungsnormen umgangen wird.

Ergebnis und Schlussthesen Die Anerkennung eines aufgehobenen Schiedsspruchs sei ein „Phänomen, das für den Praktiker unerklärbar“ bliebe, so drückte Albert Jan van den Berg die Rechtsansicht aus, die die zivilrechtliche Anerkennungs- und Vollstreckungs­praxis der Bundesrepublik Deutschland seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts bestimmt hat. Für diese Rechtsansicht sprechen unbestreitbar gute Gründe, nicht zuletzt die Rechtssicherheit für den Schiedsschuldner. Er riskiert nicht, in mehreren Staaten mit einem Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren belästigt zu werden. Auch aus rechtsstaatlichen Erwägungen hat diese Ansicht sicherlich positive Aspekte, nämlich die Verhinderung der Vollstreckung mehrerer sich widersprechender Schiedssprüche, wie dies im Fall Hilmarton zu beobachten war. Die vorangegangene Analyse bricht mit dieser gewachsenen Rechtstradition auf der Grundlage einer verfassungsrechtlichen wie völkerrechtlichen Einordnung zum einen der fremdstaatlichen Aufhebung, zum anderen des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens. Wie die Analyse des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen gezeigt hat, billigt das Übereinkommen dem deutschen Anerkennungsund Vollstreckungsgericht ein Ermessen zu, das im Wesentlichen durch verfassungs- wie völkerrechtliche Normen, aber auch durch eine Anwendung der ordre public-Klausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO (in doppelter Analogie) ausgefüllt wird. Dass dem Gericht aus verfassungsrechtlicher Sicht ein Anerkennungs- und Vollstreckungsermessen zusteht, ergibt sich zum einen aus der Tatsache, dass sich Art.  V Abs.  1 lit.  e)  UN-Übereinkommen als Inhalts- und Schrankenkontrolle gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG darstellt. Als solche muss sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen und muss insbesondere für besondere Härtefälle Ausnahmeklauseln oder Ermessenstatbestände enthalten. Zum anderen erfordert der allgemeine Justizgewährungsanspruch, dass das deutsche Gericht für seine Entscheidung alle wesentlichen Tatsachen in ausreichendem Maße einbeziehen kann. Eine verfassungskonforme Auslegung des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen erfordert dementsprechend, dass den deutschen Richter – trotz des gegenteiligen französischen Wortlauts  – eine Verpflichtung zur Überprüfung des ausländischen Aufhebungsurteils trifft. Dieser Anspruch kann sowohl aus dem Rechtsstaatsprinzip wie aus Art. 6 Abs. 1 EMRK gezogen werden. Allein die Feststellung, dass der deutsche Richter eine Verpflichtung zur Überprüfung der ausländischen Aufhebungsentscheidung hat, sagt noch nicht sehr viel aus über die Kriterien, mit denen ein solche rechtliche Prüfung ausgefüllt werden kann. Einer der Vordenker eines solchen Vorgehens ist Paulsson, der bereits mehrfach dafür plädiert hat, fremdstaatliche Aufhebungen von Schiedssprüchen

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hinsichtlich ihrer Konformität mit Internationalen Aufhebungsstandards zu überprüfen. Auch wenn diese Theorie Ausgangspunkt und Analyserahmen der vorangegangenen Prüfung war, haben Paulsson und die seiner Theorie folgenden Autoren bisher versucht, diese internationalen Standards an zivilrechtlichen Einzelfällen festzumachen. Dies hat sich aufgrund der großen Vielzahl der möglichen Fälle und betroffenen Rechtsordnungen als nicht besonders zielführend erwiesen. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man im Auge behält, dass dem UN-Übereinkommen der Gedanke zu Grunde liegt, dass das Übereinkommen in das jeweilige nationale Recht überführt und dort nach eigenen nationalen Kriterien ausgelegt werden soll; die Autoren des UN-Übereinkommens haben also bewusst auf die Schaffung eines einheitlichen Auslegungsorgans verzichtet. Die Analyse durfte daher nicht eine Einzelfallsammlung vornehmen, sondern muss dementsprechend die von Paulsson geforderten internationalen Standards an Normen des deutschen nationalen Verfassungsrechts und – bedingt durch die verfassungsrechtlichen Verweise in Art. 25, 59 S. 2 GG – ebenso an völkerrechtlichen Regelungen, an die die Bundesrepublik Deutschland gebunden ist, fest machen. Relativ leicht nachzuvollziehen ist der verfassungsrechtliche Bezug des Art. 25 GG auf das Völkergewohnheitsrecht. Eine Korrekturverpflichtung gegenüber fremdstaatlichen Hoheitsakten ergibt sich aus dem Völkerrecht selbst nur für den Fall, dass die ausländische Aufhebungsentscheidung gegen das völkerrechtliche ius ­cogens verstoßen hat. Eine weitergehende Korrekturverpflichtung kann sich für Verstöße gegen „einfaches Völkergewohnheitsrecht“ nur aus der Verfassung selbst ergeben, wobei das BVerfG ausdrücklich betont hat, dass diese Verpflichtung nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern das Grundgesetz selbst eine zwischenstaatliche Kooperation und Rücksichtnahme zur Lösung eines solchen Rechtsbruchs vorzieht. Das BVerfG selbst nimmt in diesen Fällen also keine starre Prüfung vor, sondern nimmt auch Rücksicht auf den zwischenstaatlichen Verkehr. In den Fällen, in denen es sich nicht um Verstöße gegen völkergewohnheitsrechtliches ius cogens handelt, kann eine Beurteilung der ausländischen Aufhebungsentscheidung also im Rahmen der ordre public-Klausel des Art. 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO vorgenommen werden, wobei eine solche Prüfung unter dem Vorbehalt der sogenannten Relativität des ordre public steht. Demnach ist insbesondere dann eine Prüfung ausgeschlossen, wenn es im Einzelfall an einer Inlandsbeziehung des Rechtsverhältnisses mangelt. Da die ordre public-Klauseln als einfaches Bundesrecht selber verfassungskonform ausgelegt werden müssen, dürfen die Relativitätskriterien allerdings nicht dazu führen, dass die Anwendung von Verfassungsnormen dadurch umgangen wird. Im Falle eines ausländischen Aufhebungsurteils wird eine Anwendung der Vorbehaltsklausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in doppelter Analogie befürwortet. Besondere Berücksichtigung innerhalb dieser Prüfung finden nach dem Wortlaut dieser Vorschrift insbesondere die Grundrechte, aber ebenso die in der EMRK verbürgten Menschenrechte. Da es sich im Falle der ausländischen Aufhebungsentscheidung um die Anerkennung eines fremdstaatlichen Urteils handelt, sei dabei nach vielen Autoren ein abgeschwächter anerkennungs-

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rechtlicher ordre public heranzuziehen. Auch wenn man sich mit der „Spanier-Entscheidung“ des BVerfG gegen eine abgeschwächte Anwendung der Grundrechte wenden kann, führen jedenfalls nach allen Autoren schwerwiegende Verstöße gegen die Grundrechte zu einer Anerkennungsverweigerung der Aufhebung. Besonders bedeutsam im Rahmen der ordre public-Prüfung wertet dabei die Rechtsprechung Verstöße gegen einen verfahrensrechtlichen Mindeststandard, der sich nicht nur aus dem deutschen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), sondern ebenso aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ergibt. Eine ausländische Entscheidung, die auf einem Verstoß gegen diese für das Funktionieren eines Rechtsstaats wesentlichen Mindestgarantien beruht, kann von der deutschen Rechtsordnung nicht anerkannt werden. Eine abgeschwächte Überprüfung, wie dies beim materiellrechtlichen ordre public der Fall sein kann, wird nicht vorgenommen. Als Gesamtergebnis muss demnach festgehalten werden, dass die zivilrechtliche Praxis, aufgehobenen Schiedssprüchen die Vollstreckung ohne weitere Prüfung zu verweigern, nicht mit der deutschen Verfassung vereinbar ist. Eine Untersuchung des Aufhebungsverfahrens ist nach deutschem Recht möglich und erforderlich, sofern der Schiedsgläubiger dieses Verfahren anzweifelt. Insoweit kann nicht mehr gefolgert werden, dass der aufgehobene Schiedsspruch notwendigerweise ein „rechtliches nullum“ sei. Eine solche Feststellung kann nur unter der Voraussetzung getroffen werden, dass die ausländische Aufhebungsentscheidung in Deutschland anerkennungsfähig ist. Wie der Blick in die Rechtsprechungspraxis anderer Staaten gezeigt hat, dürfen die Auswirkungen dieses Ergebnisses auf die Praxis nicht überschätzt werden. Insbesondere wenn es sich um eine politisch motivierte fremdstaatliche Aufhebung handelt, werden die betreffenden staatlichen Stellen versuchen, diesen Umstand zu verschleiern. Es wird daher dem deutschen Gericht bzw. dem Schiedsgläubiger schwerfallen, die mutmaßlichen Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien nachzuweisen. Dies zeigen die Yukos-Verfahren in den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich, die einzelne Verstöße nicht nachweisen konnten, sondern sich auf verfahrensfremde, unterstützende Aussagen von internationalen Organisationen und NGOs berufen haben. Dies ist ein Weg, der von deutschen Gerichten nur sehr schwer gegangen werden könnte. Die deutsche Rechtsprechung müsste wesentlich stärker auf Beweise im konkreten Einzelfall abstellen. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen hier in der gebotenen Kürze mit den wesentlichen Thesen noch einmal dargelegt werden: 1. Das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht hat entgegen der in der zivilrechtlichen Literatur vertretenen Ansicht einen eigenen Beurteilungsraum hinsichtlich der Frage, ob es die Rechtswirkungen einer ausländischen Aufhebungsentscheidung anerkennt. Dies folgt zum einen aus völkerrechtlichen Erwägungen. So hat die Analyse des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen gezeigt, dass die Bundesrepublik Deutschland über ein völkerrechtliches Ermessen verfügt, ob sie einen aufgehobenen Schiedsspruch anerkennt oder nicht.

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2. Im Rahmen der Analyse des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen kommt nur eine Auslegung nach dem englischen, russischen, spanischen und chinesischen Text zu in sich schlüssigen Ergebnissen. Der französische Text, der eine zwingende Entscheidung vorsieht, widerspricht sich selbst in mehreren Punkten. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass das Übereinkommen selbst ein Anerkennungs- und Vollstreckungsermessen enthält. 3. Dem Völkergewohnheitsrecht seinerseits ist eine zwingende Berücksichtigung eines fremdstaatlichen Hoheitsaktes fremd. Sie widerspräche wesentlichen Erwägungen zur zwischenstaatlichen Jurisdiktionsabgrenzung. Auch die innerstaatliche Act of State-Doktrin der Common Law Rechtssysteme, die diesem Ergebnis zu widersprechen schien, wird in Fragen der Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen nicht mehr herangezogen und ist mittlerweile in dem Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit durch englische Gerichte ausdrücklich aufgegeben worden. 4. Zum anderen lässt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den deutschen Grundrechten folgern, dass auch der deutsche Richter nach dem nationalen Recht verpflichtet ist, eine Überprüfung der ausländischen Aufhebungsentscheidung vorzunehmen. Eine differenzierte Prüfung erfordern nicht nur der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch, sondern auch die Rechtsprechung zur sogenannten „neuen Formel“ im Rahmen des Art.  3 Abs.  1 GG. Schließlich muss bei der Prüfung des Art. V Abs.  1 lit.  e)  UNÜbereinkommen als Inhalts- und Schrankenbestimmung gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG den Anforderungen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung getragen werden, um Härtefälle zu vermeiden. 5. Betrachtet man das deutsche Transformationsgesetz zu Art. V Abs. 1 UN-Übereinkommen als Inhalts- und Schrankenbestimmung gem. Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz, so hat nach der deutschen Grundrechtsdogmatik das deutsche Gericht aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Verpflichtung, die ausländische Aufhebungsentscheidung zu überprüfen, sofern sich der Schiedsgläubiger auf ein fehlerhaftes Aufhebungsverfahren beruft. Die Annahme einer zwingenden NichtAnerkennung des aufgehobenen Schiedsspruchs im Rahmen einer Inhalts- und Schrankenregelung ist dann unzulässig, da dadurch in der ­Praxis schwere Härten für das Individuum entstehen könnten. Eine solche Härte könnte beispielsweise in der konkludenten Anerkennung einer Aufhebungsentscheidung liegen, wenn diese nicht in einem rechtsstaatlichen Verfahren erfolgt ist. 6. Anhand des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs ergibt sich ebenso die Verpflichtung des deutschen Richters, sich nicht gegenüber einem fremden Aufhebungsverfahren zu verschließen, sofern sich der Antragsteller auf rechtsstaatliche Bedenken hinsichtlich dieses Verfahrens beruft und dieses tatsächlich wesentlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht entsprochen hat. 7. Die ausländische juristische Person kann sich gemäß Art.  19 Abs.  3 GG im Rahmen der Verfassungsbeschwerde zwar nicht auf die Grundrechte berufen.

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Im Rahmen des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens ist jedoch über das Rechtsstaatsprinzip bei der Ermessensausübung grundsätzlich ein den Grundrechten entsprechender Schutzstandard auf der Ebene der einfachen Gesetze anzulegen. Im Rahmen der ordre public-Prüfung ist die grundrechtliche Funktion der objektiven Werteordnung zu berücksichtigen. 8. Die Aufzählung der zulässigen Aufhebungsgründe des Art. IX Abs. 1 Europäisches Übereinkommen sind bei der Prüfung des Art. V Abs. 1 lit. e ) UNÜbereinkommen zu berücksichtigen. Dies ist ein zwingendes Erfordernis, sofern man mit der „neuen Formel“ des BVerfG zum Gleichheitssatz hier eine personenbezogene Ungleichbehandlung sieht, die Kriterien des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in die Prüfung mit einbezieht. Es handelt sich bei diesem Ergebnis jedoch nicht um ein „Springen“ von einem Vollstreckungsübereinkommen in das andere. Stattdessen werden nur einzelne Aufhebungsgründe in die Prüfung des UN-Übereinkommens als nicht anerkennungsfähig ein­ geschlossen. 9. Das Europäische Übereinkommen kann nicht im Rahmen einer dynamischen Vertragsauslegung anhand des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens zur Auslegung des UN-Übereinkommens herangezogen werden.

10. Völkervertragsrecht wie die EMRK muss im Rahmen der Prüfung des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Übereinkommen mit einfachem Gesetzesrang gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Berücksichtigung finden. In Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Grundsatz der „Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“ sind ebenso die dazu ergangenen Entscheidungen des EGMR in die Ermessensentscheidung des Anerkennungs- und Vollstreckungsgerichts als Auslegungshilfe für die Interpretation der Grundrechte einzubeziehen. Die Rechtsprechung nimmt diese Überprüfung aber für gewöhnlich anhand der Vorbehaltsklausel des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in doppelter Analogie vor und beschränkt damit den heranzuziehenden Schutzbereich auf die Figur des anerkennungsrechtlichen ordre public. 11. Die deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung unterliegt kei­ nem über Art. 6 Abs. 1 EMRK hinausgehenden Schutzstandard auf EMRKEbene. Allerdings kann in der fremdstaatlichen Aufhebung in Einzelfällen ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 1 Abs. 1 ZP I EMRK liegen, der dann im Anerkennungsverfahren eine besondere Berücksichtigung finden kann. 12. Zu den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung, die durch den anerkennungsrechtlichen ordre public geschützt werden, gehören insbesondere die Grundrechte und die in der EMRK verbürgten Menschenrechte. Die ordre public-Klausel soll allerdings insbesondere dann nicht anwendbar sein, wenn es an einem Inlandsbezug fehlt, wobei aber ein schwerer Rechtsverstoß dieses Kriterium in der Prüfung zurückzudrängen vermag (Relativität des ordre public).

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13. Der anerkennungsrechtliche ordre public kann in einen materiell-rechtlichen und einen verfahrensrechtlichen Teil  aufgespalten werden. Der materiellrechtliche ordre public soll dabei bei der Prüfung der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung oder eines Schiedsspruchs weniger stark ausgeprägt sein als in dem Fall, in dem der deutsche Richter das ausländische Recht selbst anwenden muss. Der verfahrensrechtliche ordre public soll hingegen stets im vollem Maße Anwendung finden und dabei einen verfahrensrechtlichen Mindeststandard umfassen, wie er durch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 103 GG) und Art. 6 Abs. 1 EMRK vorgegeben wird. 14. Bei der Ermessensausübung des deutschen Gerichts ist ganz wesentlich darauf abzustellen, ob die ausländische Aufhebungsentscheidung gegen das völker­ gewohnheitsrechtliche ius cogens verstoßen hat. Ein solcher Verstoß muss über Art.  25 GG außerhalb des eingeschränkten Anwendungsbereichs einer ordre public-Prüfung stets beachtet werden und führt dazu, dass eine Anerkennung der ausländischen Entscheidung nicht mehr in Frage kommt. 15. Es ist bei der Prüfung des Art. 25 GG zu berücksichtigen, dass die in ihm enthaltene Grundentscheidung aufgrund verfassungsimmanenter Grenzen nicht absolut steht. So kann insbesondere die vom Grundgesetz gewollte zwischenstaatliche Kooperation und Rücksichtnahme nach Ansicht des BVerfG dazu führen, dass Art. 25 GG hinter diesen Erfordernissen zurücktreten muss. 16. Das Internationale Investitionsschutzrecht kann über Meistbegünstigungsklauseln in bilateralen Investitionsschutz- und Freundschaftsverträgen in Einzel­ fällen dazu führen, dass das Europäische Übereinkommen zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit trotz entgegenstehendem Wortlaut zur Anwendung kommt. 17. Die Anwendung der Verfassungsnormen wie der EMRK-Normen erfolgt durch die Zivilgerichte regelmäßig im Rahmen einer ordre public-Prüfung. Für die Überprüfung der ausländischen Aufhebungsentscheidung kommt hier § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in doppelter Analogie in Frage. Die zivilgerichtliche Praxis hat die Anwendung der Vorbehaltsklauseln jedoch durch die sogenannten Relativitätskriterien, insbesondere durch das Erfordernis des Inlandsbezugs eingeschränkt und damit die Heranziehung von Verfassungsnormen im betreffenden Einzelfall vermieden. Die ordre public-Klauseln müssen jedoch wie jedes andere einfachgesetzliche Recht verfassungskonform ausgelegt werden. Die Heranziehung der Relativitätskriterien muss im Rahmen dieser Auslegung begrenzt werden, wenn andernfalls die Verfassungsnormen ins Leere liefen.

Annex A: Internationale Verträge I. UN-Übereinkommen (New York Convention) über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 Quelle: United Nations, Treaty Series, Vol. 330, S. 3.

UNITED NATIONS CONFERENCE ON INTERNATIONAL COMMERCIAL ARBITRATION UNITED NATIONS CONVENTION ON THE RECOGNITION AND ENFORCEMENT OF FOREIGN ARBITRAL AWARDS Article I 1. This Convention shall apply to the recognition and enforcement of arbitral awards made in the territory of a State other than the State where the recognition and enforcement of such award are sought, and arising out of difference, between persons, whether physical or legal. It shall also apply to arbitral awards not considered as domestic awards in the State where their recognition and enforcement are sought. 2. The term „arbitral awards“ shall include not only awards made by arbitrators appointed for each case but also those made by permanent arbitral bodies to which the parties have submitted. 3. When signing, ratifying or acceding to this Convention, or notifying extension under article X hereof, any State may on the basis of reciprocity declare that it will apply the Convention to the recognition and enforcement of awards made only in the territory of another Contracting State. It may also declare that it will apply the Convention only to differences arising out of legal relationships, whether contractual or not, which are considered as commercial under the national law of the State making such declaration.

Article II 1. Each Contracting State shall recognize an agreement in writing under which the parties undertake to submit to arbitration all or any differences which have arisen or which may arise between them in respect of a defined legal relationship, whether contractual or not, concerning a subject matter capable of settlement by arbitration. 2. The term „agreement in writing“ shall include an arbitral clause in a contract or an arbitration agreement, signed by the parties or contained in an exchange of letters or telegrams.

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Annex A: Internationale Verträge

3. The court of a Contracting State, when seized of an action in a matter in respect of which the parties have made an agreement within the meaning of this article, shall, at the request of one of the parties, refer the parties to arbitration, unless it finds that the said agreement is null and void, inoperative or incapable of being performed.

Article III Each Contracting State shall recognize arbitral awards as binding and enforce them in accordance with the rules of procedure of the territory where the award is relied upon, under the ­conditions laid down in the following articles. There shall not be imposed substantially more onerous conditions or higher fees or charges on the recognition or enforcement of arbitral awards to which this Convention applies than are imposed on the recognition or enforcement of domestic arbitral awards.

Article IV 1. To obtain the recognition and enforcement mentioned in the preceding article, the party ­applying for recognition and enforcement shall, at the time of the application supply: (a) The duly authenticated original award or a duly certified copy thereof; (b) The original agreement referred to in article II or a duly certified copy thereof. 2. II the said award or agreement is not made in an official language of the country in which the award is relied upon, the party applying for recognition and enforcement of the award shall produce a translation of these documents into such language. The translation shall be certified by an official or sworn translator or by a diplomatic or consular agent.

Article V 1. Recognition and enforcement of the award may be refused, at the request of the party against whom it is invoked, only if that party furnishes to the competent authority where the recognition and enforcement is sought, proof that: (a) The parties to the agreement referred to in article II were, under the law applicable to them, under some incapacity or the said agreement is not valid under the law to which the parties have subjected it or, failing any indication thereon, under the law of the country where the award was made; or (b) The party against whom the award is invoked was not given proper notice of the appointment of the arbitrator or of the arbitration proceedings or was otherwise unable to present his case; or (c) The award deals with a difference not contemplated by or not falling within the terms of the submission to arbitration, or it contains decisions on matters beyond the scope of the submission to arbitration, provided that, if the decisions on matters submitted to ­arbitration can be separated from those not submitted., that part of the award which contains decisions on matters submitted to arbitration may be recognized and enforced; or

I. UN-Übereinkommen (New York Convention) vom 10. Juni 1958

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(d) The composition of the arbitral authority or the arbitral procedure was not in accordance with the agreement of the parties or failing such agreement, was not in accordance with the law of the country where the arbitration took place; or (e) The award has not yet become binding on the parties, or has been set aside or suspended by a competent authority of the country in which, or under the law of which, that award was made. 2. Recognition and enforcement of an arbitral award may also be refused if the competent ­authority in the country where recognition and enforcement is sought finds that: (a) The subject matter of the difference is not capable of settlement by arbitration under the law of that country; or (b) The recognition or enforcement of the award would he contrary to the public policy of that country.

Article VI 1f an application for the setting aside or suspension of the award has been made to a competent authority referred to in article V (I) (e), the authority before which the award is sought to be relied upon may, if it considers it proper, adjourn the decision on the enforcement of the award and may also on the application of the Party claiming enforcement of the award, order the other party to give suitable security.

Article VII 1. The provisions of the present Convention shall not affect the validity of multilateral or bilateral agreements concerning the recognition and enforcement of arbitral awards entered into by the Contracting states nor deprive any interested party of any right he may have to avail himself of an arbitral award in the manner and to the extent allowed by the law or the treaties of the country where such award is sought to be relied upon. 2. The Geneva Protocol on Arbitration Clauses of 1923 and the Geneva Convention on the ­Execution of Foreign Arbitral Awards of 1927 shall cease to have effect between Contracting States on their becoming bound and to the extent that they become bound, by this Convention.

Article VIII 1. This Convention shall be open until 31 December 1958 for signature on behalf of any ­Member of the United Nations and also on behalf of any other State which is or hereafter becomes a member of any specialized agency of the United Nations, or which is or hereafter becomes a party to the Statute of the International Court of Justice, or any other State to which an invitation has been addressed by the General Assembly of the United Nations. 2. This Convention shall be ratified and the instrument of ratification shall be deposited with the Secretary-General of the United Nations.

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Annex A: Internationale Verträge

Article IX 1. This Convention shall be open for accession to all States referred to in article VIII. 2. Accession shall be effected by the deposit of an instrument of accession with the SecretaryGeneral of the United Nations.

Article X 1. Any State may, at the time of signature, ratification or accessions declare that this Con­ vention shall extend to all or any of the territories for the international relations of which it is responsible. Such a declaration shall take effect when the Convention enters into force for the State concerned. 2. At any time thereafter any such extension shall be made by notification addressed to the ­Secretary-General of the United Nations and shall take effect as from the ninetieth day after the day of receipt by the Secretary-General of the United Nations of this notification, or as from the date of entry into force of the Convention by the State concerned, whichever is the later. 3. With respect to those territories to which this Convention is not extended at the time of ­signature, ratification or accession, each State concerned shall consider the possibility of taking the necessary steps in order to extend the application of this Convention to such territories, subject, where necessary for constitutional reasons, to the consent of the Governments of such territories.

Article XI In the case of a federal or non-unitary State, the following provisions shall apply: (a) With respect to those articles of this Convention that come within the legislative juris­ diction of the federal authority, the obligations of the federal Government shall to this extent be the same as those of Contracting States which are not federal State; (b) With respect to those articles of this Convention that come within the legislative juris­ diction of constituent states or provinces which are not, under the constitutional system of the federation, bound to take legislative action. the federal Government shall bring such articles with a favourable recommendation to the notice of the appropriate authorities of constituent states or provinces at the earliest possible moment; (c) A federal State Party to this Convention shall, at the request of any other Contracting State transmitted through the Secretary-General of the United Nations, supply a statement of the law and practice of the federation and its constituent units in regard to any particular provision of this Convention, showing the extent to which effect has been given to that provision by legislative or other action.

Article XII 1. This Convention shall come into force on the ninetieth day following the date of deposit of the third instrument of ratification or accession.

I. UN-Übereinkommen (New York Convention) vom 10. Juni 1958

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2. For each state ratifying or acceeding to this Convention after the deposit of the third instrument of ratification or accession, this Convention shall enter into force on the ninetieth day after deposit by such State of its instrument of ratification or accession.

Article XIII 1. Any Contracting State may denounce this Convention by a written notification to the Secretary-General of the United Nations. Denounciation shall take effect one year after the date of receipt of the notification by the Secretary-General. 2. Any State which has made a declaration or notification under article X may, at any time thereafter, by notification to the Secretary-General of the United Nations, declare that this Convention shall cease to extend to the territory concerned one year after the date of the ­receipt of the notification by the Secretary-General. 3. This Convention shall continue to be applicable to arbitral awards in respect of which recognition or enforcement proceedings have been instituted before the denunciation takes effect.

Article XlV A Contracting State shall not be entitled to avail itself of the present Convention against other Contracting States except to the extent that it is itself bound to apply the Convention.

Article XV The Secretary-General of the United Nations shall notify the States contemplated in article VIII of the following: (a) Signatures and ratifications in accordance with article VIII; (b) Accessions in accordance with article IX; (c) Declarations and notifications under articles I, X and XI; (d) The date upon which this Convention enters into force in accordance with article XII; (e) Denunciations and notifications in accordance with article XIII.

Article XVI 1. This Convention, of which the Chinese, English, French, Russian and Spanish text shall he equally authentic, shall be deposited in the archives of the United Nations. 2. The Secretary-General of the United Nations shall transmit a certified copy of this Convention to the States contemplated in article VIII.

II. Europäisches Übereinkommen (Geneva Convention) zur Internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. April 1961 Quelle: United Nations, Treaty Series, Vol. 484, S. 349.

1961 Geneva Convention (European Convention on International Commercial Arbitration) Preamble The undersigned, duly authorized, Convened under the auspices of the Economic Commission for Europe of the United Nations, Having noted that on 10th June 1958 at the United Nations Conference on International Commercial Arbitration has been signed in New York a Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards, Desirous of promoting the development of European trade by, as far as possible, removing certain difficulties that may impede the organization and operation of international commercial ­arbitration in relations between physical or legal persons of different European countries, Have agreed on the following provisions:

Article I – Scope of the Convention 1. This Convention shall apply: (a) to arbitration agreements concluded for the purpose of settling disputes arising from international trade between physical or legal persons having, when concluding the agreement, their habitual place of residence or their seat in different Contracting States; (b) to arbitral procedures and awards based on agreements referred to in paragraph 1(a) above. 2. For the purpose of this Convention, (a) the term „arbitration agreement“ shall mean either an arbitral clause in a contract or an arbitration agreement being signed by the parties, or contained in an exchange of letters, telegrams, or in a communication by teleprinter and, in relations between States whose laws do not require that an arbitration agreement be made in writing, any arbitration agreement concluded in the form authorized by these laws; (b) the term „arbitration“ shall mean not only settlement by arbitrators appointed for each case (ad hoc arbitration) but also by permanent arbitral institutions;

II. Europäisches Übereinkommen (Geneva Convention) vom 21. April 1961

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(c) the term „seat“ shall mean the place of the situation of the establishment that has made the arbitration agreement.

Article II – Right of legal persons of public law to resort to arbitration 1. In the cases referred to in Article I, paragraph 1, of this Convention, legal persons considered by the law which is applicable to them as „legal persons of public law“ have the right to conclude valid arbitration agreements. 2. On signing, ratifying or acceding to this Convention any State shall be entitled to declare that it limits the above faculty to such conditions as may be stated in its declaration.

Article III – Right of foreign nationals to be designated as arbitrators In arbitration covered by this Convention, foreign nationals may be designated as arbitrators.

Article IV – Organization of the arbitration 1. The parties to an arbitration agreement shall be free to submit their disputes: (a) to a permanent arbitral institution; in this case, the arbitration proceedings shall be held in conformity with the rules of the said institution; (b) to an ad hoc arbitral procedure; in this case, they shall be free inter alia: (i)

to appoint arbitrators or to establish means for their appointment in the event of an actual dispute;

(ii)

to determine the place of arbitration; and

(iii)

to lay down the procedure to be followed by the arbitrators.

2. Where the parties have agreed to submit any disputes to an ad hoc arbitration, and where within thirty days of the notification of the request for arbitration to the respondent one of the parties fails to appoint his arbitrator, the latter shall, unless otherwise provided, be appointed at the request of the other party by the President of the competent Chamber of Commerce of the country of the defaulting party’s habitual place of residence or seat at the time of the introduction of the request for arbitration. This paragraph shall also apply to the replacement of the arbitrator(s) appointed by one of the parties or by the President of the Chamber of Commerce above referred to. 3. Where the parties have agreed to submit any disputes to an ad hoc arbitration by one or more arbitrators and the arbitration agreement contains no indication regarding the organization of the arbitration, as mentioned in paragraph 1 of this article, the necessary steps shall be taken by the arbitrator(s) already appointed, unless the parties are able to agree thereon and without prejudice to the case referred to in paragraph 2 above. Where the parties cannot agree on the appointment of the sole arbitrator or where the arbitrators appointed cannot agree on the measures to be taken, the claimant shall apply for the necessary action, where the place of arbitration has been agreed upon by the parties, at his option to the President of the Chamber of Commerce of the place of arbitration agreed upon or to the President of the competent Chamber of Commerce of the respondent’s habitual place of residence or seat at

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Annex A: Internationale Verträge

the time of the introduction of the request for arbitration. Where such a place has not been agreed upon, the claimant shall be entitled at his option to apply for the necessary action ­either to the President of the competent Chamber of Commerce of the country of the respondent’s habitual place of residence or seat at the time of the introduction of the request for arbitration, or to the Special Committee whose composition and procedure are specified in the Annex to this Convention. Where the claimant fails to exercise the rights given to him under this paragraph the respondent or the arbitrator(s) shall be entitled to do so. 4. When seized of a request the President or the Special Committee shall be entitled as need be: (a) to appoint the sole arbitrator, presiding arbitrator, umpire, or referee; (b) to replace the arbitrator(s) appointed under any procedure other than that referred to in paragraph 2 above; (c) to determine the place of arbitration, provided that the arbitrator(s) may fix another place of arbitration; (d) to establish directly or by reference to the rules and statutes of a permanent arbitral institution the rules of procedure to be followed by the arbitrator(s), provided that the arbitrators have not established these rules themselves in the absence of any agreement thereon between the parties. 5. Where the parties have agreed to submit their disputes to a permanent arbitral institution without determining the institution in question and cannot agree thereon, the claimant may request the determination of such institution in conformity with the procedure referred to in paragraph 3 above. 6. Where the arbitration agreement does not specify the mode of arbitration (arbitration by a permanent arbitral institution or an ad hoc arbitration) to which the parties have agreed to submit their dispute, and where the parties cannot agree thereon, the claimant shall be entitled to have recourse in this case to the procedure referred to in paragraph 3 above to determine the question. The President of the competent Chamber of Commerce or the S ­ pecial Committee, shall be entitled either to refer the parties to a permanent arbitral institution or to request the parties to appoint their arbitrators within such time-limits as the President of the competent Chamber of Commerce or the Special Committee may have fixed and to agree within such time-limits on the necessary measures for the functioning of the arbitration. In the latter case, the provisions of paragraphs 2, 3 and 4 of this Article shall apply. 7. Where within a period of sixty days from the moment when he was requested to fulfill one of the functions set out in paragraphs 2, 3, 4, 5 and 6 of this Article, the President of the Chamber of Commerce designated by virtue of these paragraphs has not fulfilled one of these functions, the party requesting shall be entitled to ask the Special Committee to do so.

Article V – Plea as to arbitral jurisdiction 1. The party which intends to raise a plea as to the arbitrator’s jurisdiction based on the fact that the arbitration agreement was either non-existent or null and void or had lapsed shall do so during the arbitration proceedings, not later than the delivery of its statement of claim or defence relating to the substance of the dispute; those based on the fact that an arbitrator has exceeded his terms of reference shall be raised during the arbitration proceedings as soon as the question on which the arbitrator is alleged to have no jurisdiction is raised d­ uring the

II. Europäisches Übereinkommen (Geneva Convention) vom 21. April 1961

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arbitral procedure. Where the delay in raising the plea is due to a cause which the arbitrator deems justified, the arbitrator shall declare the plea admissible. 2. Pleas to the jurisdiction referred to in paragraph 1 above that have not been raised during the time-limits there referred to, may not be entered either during a subsequent stage of the arbitral proceedings where they are pleas left to the sole discretion of the parties under the law applicable by the arbitrator, or during subsequent court proceedings concerning the substance or the enforcement of the award where such pleas are left to the discretion of the parties under the rule of conflict of the court seized of the substance of the dispute or the enforcement of the award. The arbitrator’s decision on the delay in raising the plea, will, however, be subject to judicial control. 3. Subject to any subsequent judicial control provided for under the lex fori, the arbitrator whose jurisdiction is called in question shall be entitled to proceed with the arbitration, to rule on his own jurisdiction and to decide upon the existence or the validity of the arbitration agreement or of the contract of which the agreement forms part.

Article VI – Jurisdiction of courts of law 1. A plea as to the jurisdiction of the court made before the court seized by either party to the arbitration agreement, on the basis of the fact that an arbitration agreement exists shall, under penalty of estoppel, be presented by the respondent before or at the same time as the presentation of his substantial defence, depending upon whether the law of the court seized regards this plea as one of procedure or of substance. 2. In taking a decision concerning the existence or the validity of an arbitration agreement, courts of Contracting States shall examine the validity of such agreement with reference to the capacity of the parties, under the law applicable to them, and with reference to other questions: (a) under the law to which the parties have subjected their arbitration agreement; (b) failing any indication thereon, under the law of the country in which the award is to be made; (c) failing any indication as to the law to which the parties have subjected the agreement, and where at the time when the question is raised in court the country in which the award is to be made cannot be determined, under the competent law by virtue of the rules of conflict of the court seized of the dispute. The courts may also refuse recognition of the arbitration agreement if under the law of their country the dispute is not capable of settlement by arbitration. 3. Where either party to an arbitration agreement has initiated arbitration proceedings before any resort is had to a court, courts of Contracting States subsequently asked to deal with the same subject-matter between the same parties or with the question whether the arbitration agreement was non-existent or null and void or had lapsed, shall stay their ruling on the arbitrator’s jurisdiction until the arbitral award is made, unless they have good and substantial reasons to the contrary. 4. A request for interim measures or measures of conservation addressed to a judicial authority shall not be deemed incompatible with the arbitration agreement, or regarded as a submission of the substance of the case to the court.

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Annex A: Internationale Verträge

Article VII – Applicable law 1. The parties shall be free to determine, by agreement, the law to be applied by the arbitrators to the substance of the dispute. Failing any indication by the parties as to the applicable law, the arbitrators shall apply the proper law under the rule of conflict that the arbitrators deem applicable. In both cases the arbitrators shall take account of the terms of the contract and trade usages. 2. The arbitrators shall act as amiables compositeurs if the parties so decide and if they may do so under the law applicable to the arbitration.

Article VIII – Reasons for the award The parties shall be presumed to have agreed that reasons shall be given for the award unless they: (a) either expressly declare that reasons shall not be given; or (b) have assented to an arbitral procedure under which it is not customary to give reasons for awards, provided that in this case neither party requests before the end of the hearing, or if there has not been a hearing then before the making of the award, that reasons be given.

Article IX – Setting aside of the arbitral award 1. The setting aside in a Contracting State of an arbitral award covered by this Convention shall only constitute a ground for the refusal of recognition or enforcement in another Contracting State where such setting aside took place in a State in which, or under the law of which, the award has been made and for one of the following reasons: (a) the parties to the arbitration agreement were under the law applicable to them, under some incapacity or the said agreement is not valid under the law to which the parties have subjected it or, failing any indication thereon, under the law of the country where the award was made, or (b) the party requesting the setting aside of the award was not given proper notice of the appointment of the arbitrator or of the arbitration proceedings or was otherwise unable to present his case; or (c) the award deals with a difference not contemplated by or not falling within the terms of the submission to arbitration, or it contains decisions on matters beyond the scope of the submission to arbitration, provided that, if the decisions on matters submitted to arbitration can be separated from those not so submitted, that part of the award which contains decisions on matters submitted to arbitration need not be set aside; (d) the composition of the arbitral authority or the arbitral procedure was not in accordance with the agreement of the parties, or failing such agreement, with the provisions of Article IV of this Convention. 2. In relations between Contracting States that are also parties to the New York Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards of 10th June 1958, paragraph 1 of this Article limits the application of Article V(1)(e) of the New York Convention solely to the cases of setting aside set out under paragraph 1 above.

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Article X – Final clauses 1. This Convention is open for signature or accession by countries members of the Economic Commission for Europe and countries admitted to the Commission in a consultative capacity under paragraph 8 of the Commission’s terms of reference. 2. Such countries as may participate in certain activities of the Economic Commission for ­Europe in accordance with paragraph 11 of the Commission’s terms of reference may become Contracting Parties to this Convention by acceding thereto after its entry into force. 3. The Convention shall be open for signature until 31 December 1961 inclusive. Thereafter, it shall be open for accession. 4. This Convention shall be ratified. 5. Ratification or accession shall be effected by the deposit of an instrument with the Secretary-General of the United Nations. 6. When signing, ratifying or acceding to this Convention, the Contracting Parties shall communicate to the Secretary-General of the United Nations a list of the Chambers of Commerce or other institutions in their country who will exercise the functions conferred by virtue of Article IV of this Convention on Presidents of the competent Chambers of Commerce. 7. The provisions of the present Convention shall not affect the validity of multilateral or ­bilateral agreements concerning arbitration entered into by Contracting States. 8. This Convention shall come into force on the ninetieth day after five of the countries referred to in paragraph 1 above have deposited their instruments of ratification or accession. For any country ratifying or acceding to it later this Convention shall enter into force on the ninetieth day after the said country has deposited its instrument of ratification or accession. 9. Any Contracting Party may denounce this Convention by so notifying the Secretary-­ General of the United Nations. Denunciation shall take effect twelve months after the date of receipt by the Secretary-General of the notification of denunciation. 10. If, after the entry into force of this Convention, the number of Contracting Parties is reduced, as a result of denunciations, to less than five, the Convention shall cease to be in force from the date on which the last of such denunciations takes effect. 11. The Secretary-General of the United Nations shall notify the countries referred to in paragraph 1, and the countries which have become Contracting Parties under paragraph 2 above, of: (a) declarations made under Article II, paragraph 2; (b) ratifications and accessions under paragraphs 1 and 2 above; (c) communications received in pursuance of paragraph 6 above; (d) the dates of entry into force of this Convention in accordance with paragraph 8 above; (e) denunciations under paragraph 9 above; (f) the termination of this Convention in accordance with paragraph 10 above. 12. After 31 December 1961, the original of this Convention shall be deposited with the Secretary-General of the United Nations, who shall transmit certified true copies to each of the countries mentioned in paragraphs 1 and 2 above.

Annex B: Internationale Rechtsprechung Die Entscheidungen werden aufgrund ihrer schweren Zugänglichkeit abdruckt. Bei dem erstgenannten Urteil handelt es sich um die offizielle Übersetzung des betreffenden Gerichts in die englische Sprache. Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um eine nicht-offizielle Übersetzung. Die beiden Urteile sind den Homepages der beiden Gerichte entnommen worden. Die beiden Hamburger Urteile sind hingegen nicht offiziell veröffentlicht worden. Bei dem­ Urteil des Landgerichts handelt es sich um einen vom Landgericht Hamburg erstellten Entscheidungsumdruck. Die OLG-Entscheidung wurde der juristischen Datenbank „OpenJur“ entnommen.

I. Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast, Urteil vom 20.07.2011, Case No. A27-781/2011, Ciments Français ./. Open Joint Stock Company Sibirskiy Cement Holding Company, Kemerovo City of Kemerovo 20 July 2011 RU L I N G on Recognition of a Foreign Arbitral Award

Case No. A27–78l/201 l operative part of the ruling announced on 13 July 2011 ruling prepared in full on 20 July 2011 Judge of the Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast E. N. Mikhalenko, with the record of the court hearing kept using audio recording equipment and written minutes by secretary of the court hearing E. V. Sidorkina, having considered in a court hearing the application of Ciments Français, France, for recognition of a foreign arbitral award debtor: Open Joint Stock Company Sibirskiy Cement Holding Company, Kemerovo the following participated in the court hearing: for the applicant: M. K. Ivanov, representative by power of attorney dated 18.01.2011 without number, with apostille, notarized under No. 2K-783, accuracy of the translation certified by the notary (registration number in the registry P-70), passport; for the debtor: E. Y. Shreifogel, representative by the power of attorney No. 180/10 dated 01. I0.20 10, passport;

has established:

The company Ciments Français, France, filed an application for recognition of a foreign arbitral award with the Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast. The reason for the application was the need to have the foreign arbitral award recognized by a Russian Federation court according to the procedure provided by Section 5 of the ­Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation, namely: the partial arbitral award made on 7 December 2010 in Istanbul, Turkey, in case No. 1624/GZ, under the claim of Ciments Français, France, against Open Joint Stock Company Sibirskiy Cement Holding Company, Russian ­Federation, and the joint stock company Istanbul Cimento, Turkey, under the counter claim of Open Joint Stock Company Sibirskiy Cement Holding Company.

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

The debtor, Open Joint Stock Company Sibirskiy Cement Holding Company, challenged the application, in the written response to the claim pointed to the lack of jurisdiction of this application under the arbitrazh court, referred to a conflict of recognition of the partial arbitral award with the public policy of the Russian Federation as a result of the adoption by the court in case No. A27-4626/2009 of a decision on invalidation of the transaction (the share purchase agreement dated 26 March 2008 concluded between Open Joint Stock Company Sibcement ­Holding Company, the company Ciments Français, and Istanbul Cimento Joint Stock Company) and application of the consequences of the invalidity of the transaction in the form of ­ordering the company Ciments Français to return 50,000,000 Euros to Open Joint Stock Company ­Sibcement Holding Company. The debtor also pointed to the lack of binding nature for the parties of the partial award in case No. 16240/GZ in connection with the setting aside of the arbitral award by the Turkish court. According to the text of the decision of the second court of first instance of the Kadikoy ­District, on setting aside the arbitral award, the Turkish court, among other grounds, referred to Article IX(l(c)) of the European Convention--the arbitral award contains decisions on matters going beyond the scope of the arbitration agreement, namely on matters of its preliminary performance and waiver of appeal. This ground corresponds to clause J (e) of Article 15 of the Turkish law on international arbitration. Based on this, the setting aside of the partial arbitral award of 07.12.2010 is, in the debtor’s opinion, a ground to refuse to recognize this partial award in the Russian Federation in accordance with article IX( I ) of the European Convention. The debtor also believes that the decision of the Turkish court setting aside the arbitral award entered into legal force and may be enforced although appealed, which is confirmed by the contents of Article 443 of the Civil Procedure Code of Turkey and the court practice of the ­Turkish courts, according to which the enforcement of a judicial decision cannot be postponed due to the filing of an appellate complaint. However, if good security is given ensuring that the subject of the claim will be paid for or delivered to the respondent if a decision is made in the appellate-instance court not in the claimant’s favor, and also in the event of the official deposit of property and funds which are part of the suit or in the event of seizure of goods and immovable property of the claimant, on the basis of an appeal complaint urgently, a ruling may be adopted to postpone enforcement of the court decision. Furthermore, the debtor has indicated that in accordance with Article 536 of the Civil ­Procedure Code of Turkey, upon expiration of the term for appeals (Section 432), decisions made by an arbitral tribunal are certified by the chairman of the court or a judge. A note is made in the lower part of the decision or a record is made in a special report concerning the fact of certification. Only in such case are decisions subject to enforcement. The arbitral award may not be enforced until it is certified by the Turkish court. Since there is no special mark of a court on an arbitral award, such a judicial act may not be enforced or recognized by a ­Russian court. The debtor also believes that recognition of the arbitral award by the court in this case will contradict the public policy of the Russian Federation for the following reasons: In accordance with Article V(2)(b)  of the UN Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards (New York, 1958) recognition and enforcement of an arbitral award may also be refused if the competent authority in the country where the recognition and enforcement is sought finds that the recognition or enforcement of the award would be

I. Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast, Urteil vom 20.07.2011

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c­ ontrary to the public policy of that country. Also, according to Article 244(1)(7) of the Arbitrazh ­Procedure Code of the Russian Federation the arbitrazh court shall refuse recognition and enforcement of the award of a foreign court in full or in part if enforcement of the award of the foreign court would be contrary to the public policy of the Russian Federation. The debtor refers to the fact that on 13 August 2010 in a case involving the applicant and the debtor, in case No. A27-4626/2009 under the claim of LLC Financial-Industrial Union Sibcon­ cord for invalidation of the transaction (the share purchase agreement of 26 March 2008 concluded among OJSC Sibcem HC, Ciments Français and the joint stock company Istanbul Cimento) and application of the consequences of invalidity of the transaction, the Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast issued  a decision invalidating the share purchase agreement of 26 March 2008 and ordering Ciments Français to return 50,000,000 euros to OJSC Sibcem HC. Ciments Français filed an appeal against this decision of the Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast. Consideration of the appeal by the Seventh Arbitrazh Appellate Court is appointed for 19 July 2011. The debtor states that if the decision of the arbitrazh court of Kemerovo Oblast in case No. A27-4626/2009 is upheld without variation, following the entry into force of this decision it will be subject to enforcement in accordance with the procedure established by the legislation of the Russian Federation; recognition of the foreign arbitral award will lead to competition of the awards of the foreign arbitral tribunal and the arbitrazh court of the Russian Federation for invalidation of the sale-purchase agreement and application of the consequences of invalidity. Recognition of the foreign arbitral award will conflict with the public policy of the Russian ­Federation. The representative of the applicant in its written and oral explanations did not agree with the arguments presented by the debtor in substantiation of its objections in the case, pointed to the jurisdiction of this application under the arbitrazh court, cited law-enforcement practice of ­arbitrazh courts on this issue, and believes that the public policy of the Russian Federation cannot be violated by issuing a ruling of the court on recognition of the foreign judicial act, following the existing decision of the arbitrazh court in case No. A27-4626/2009, which has not entered into legal force. In the applicant’s opinion, the invalidation of an agreement by the court is not an unconditional ground for refusing to recognize the award of a foreign court; the applicant’s representative referred to the relevant paragraphs of the arbitral award in support of his arguments on the binding nature of the arbitral award for the parties, and also pointed to the lack of substantiation behind the debtor’s reference with respect to the existence of grounds for the court to refuse to recognize the arbitral award in the event of „automatic“ suspension of its enforcement under the law of Turkey (Article V( l )e of the New York Convention and Article 244(1)(1 ) of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation). As the applicant stated, Article IX(l) of the European Convention, of which the parties participating in the dispute being considered by the Turkish court are participants, establishes a list of grounds under which the setting aside of an arbitral award covered by the convention will be a reason to refuse recognition or enforcement of that award. That list does not contain such a ground for the refusal of recognition or enforcement of an arbitral award as the suspension of its enforcement by an authority (court) of the country where that award was made. According to the assertion of the applicant, the norms of the European Convention take priority over the

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

provisions of the New York Convention, in the case at hand there are no grounds provided for by an international treaty for refusal of recognition of the arbitral award. In this court hearing the representative of the debtor made an oral motion to adjourn the court hearing until consideration of the appeal in case No. A27-4626/2009 in the appellate instance court. The representative of the applicant asked the court to deny the motion in connection with the considerable (lengthy) period of consideration of the application in the court, the inadmissibility of giving either of the parties an advantage over the other party, and the obligation of the court to ensure equality of the parties in the arbitrazh proceedings. Taking the applicant’s opinion into consideration, in accordance with the procedure of ­Articles 41 and 159 of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation, the court denied the motion of the debtor to adjourn the arbitral hearing, based on the principal of procedural efficiency, the length of consideration of the application by the court, and the right – but not the obligation – of the court to adjourn the court proceedings (Article 158 of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation). Having examined the case file, having heard the explanations of the representatives of the applicant and the debtor, the court established:

On 7 December 20l0 in Istanbul, Turkey, the arbitral tribunal with the composition of three arbitrators, Pierre Tercier, Chairman, and arbitrators Bernard Hanotiau and Christoph Liebscher, appointed and acting in accordance with the Rules of Arbitration of the International Chamber of Commerce, issued a partial award in case No. 16240/GZ under the claim of Ciments Français, France, against Open Joint Stock Company Sibirskiy Cement Holding ­Company, Russian Federation, and the joint stock company Istanbul Cimento (Respondent 2), Turkey, and also under the debtor’s counterclaim. Pursuant to the Partial Award of 07.12.2010 (hereinafter the „Arbitral Award“), the following terms and abbreviations were adopted and used in the text of the award: „Claimant“-­ Ciments Français; „Respondent l“ – OJSC Holding Company „Sibirskiy Cement“; „Respondent 2“ – joint stock company Istanbul Cimento; „SPA“ – the Share Purchase Agreement dated 26.03.2008; „Initial Payment Amount“ – the amount of EUR 50,000,000 which Respondent I agreed to pay the Claimant upon execution of the Share Purchase Agreement. As stated in the Arbitral Award (para. (207)), the Applicant (the Claimant) asked that the ­Arbitral Tribunal render the Partial Award declaring that: [Cl-I] the Arbitral Tribunal has jurisdiction over Respondent 2; [Cl-2) the Arbitral Tribunal has exclusive jurisdiction to determine whether the SPA is valid and binding on all its signatories; [Cl-3] that SPA is valid and binding on all its signatories; [Cl-4) the Claimant properly exercised its right to terminate the SPA, and the termination was valid; [Cl-5] as a consequence of the Claimant’s valid termination of the SPA, the Claimant is e­ ntitled to retain the Initial Payment Amount;

I. Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast, Urteil vom 20.07.2011

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[Cl-6] dismissing SibCem’s counterclaim; and ordering: [Cl-7] the provisional enforcement of the partial award; [Cl-8] that the Respondents pay Ciments Français its legal fees and expenses and the Tri­bunal’s fees and expenses, and ICC expenses up to and including the issue of the partial award; and [Cl-9] that Respondent 1 compensate the Claimant for the loss and damage it has suffered as a consequence of Respondent 1’s failure to complete the transaction, and that such loss and damage will be quantified in due course. Pursuant to para. (209) of the Arbitral Award, Debtor (the Respondent 1) asked the arbitral tribunal to issue a Partial Award: [R-1] declaring that Ciments Français breached the SPA and violated the applicable rules of law by failing to disclose all material information to SibCem during the pre-contractual period, and that CF is therefore required to return SibCem’s Initial Payment Amount immediately and without waiting for a second phase of this arbitration or, at minimum, that CF is therefore liable to SibCem for damages in an amount to be determined in the second phase of this arbitration; [R-2] declaring Ciments Français CF failed to comply with the Interim Period obligations in Article 4 of the SPA, and that CF is therefore required to return SibCem’s Initial Payment Amount immediately and without waiting for a second phase of this arbitration or, at minimum, is liable to SibCem for damages in an amount to be determined in the second phase of this arbitration; [R-3] declaring that Ciments Français unlawfully purported to terminate the SPA or, in the alternative, abused its right to terminate the SPA, leading the SPA to be terminated ex tunc, with all performances (including SibCem’s Initial Payment Amount) to be returned immediately and without waiting for a second phase of this arbitration, and that CF is additionally l­iable to ­SibCem in damages for loss resulting from the unlawful termination, in an amount to be determined in the second phase of this arbitration; [R-4] declaring, in the alternative, that Ciments Français failed to negotiate in good faith after terminating the SPA, and that CF is therefore liable to SibCem for damages in an amount to be determined in the second phase of this arbitration; [R-5] ordering, in the further alternative, that Ciments Français returns the Initial Payment Amount to SibCem immediately and without waiting for a second phase of this arbitration under one or both of the doctrines of material mistake and reduction of penalties ; [R-6] ordering Ciments Français to reimburse all SibCem’s costs and expenses incurred in connection with the preparation and conduct of this arbitration, and the fees and expenses of counsel, witnesses, the Tribunal and the International Chamber of Commerce; [R-7] ordering Ciments Français to pay interest on the sums awarded, at an appropriate compounded rate, such interest to run from the date on which the underlying losses were first suffered until the date of full payment of the awarded sums; [R-8] declaring that the Partial Award shall be immediately enforceable, notwithstanding the pendency or availability of any action to challenge it or set it aside;

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

[R-9] putting in motion the second phase of this arbitration; and [R-10] granting any other relief that the Tribunal may consider appropriate. It follows from Section V „Relief“ of the Arbitral Award that: On the basis of the facts and legal grounds set forth above, the Arbitral Tribunal makes the following Award: – Declares that the Arbitral Tribunal has jurisdiction over the Respondent 2 [Cl-I ]; – Declares that the Arbitral Tribunal has exclusive jurisdiction to determine whether the SPA is valid and binding on all its signatories [Cl-2]; – Declares that SPA was valid and binding on all its signatories [Cl-3], rejecting [R-5 and R-1]; – Declares that the Claimant properly exercised its right to terminate the SPA, and the termination was valid [Cl-4], rejecting [R-3]; – Declares that as a consequence of the Claimant’s valid termination of the SPA, the Claimant is entitled to retain the Initial Payment Amount [Cl-5], rejecting [R-1], [R-2], [R-3] and [R-7]; – Dismisses Respondent l’s counterclaim [Cl-6], rejecting [R-4]: – Orders the provisional enforcement of the present Partial Award with respect to the Claimant and the Respondent 1 [Cl-7]/[R-8]; – The decision on all other claims and requests (including in particular [Cl-8]/[R-6] and [Cl-9]/ [R-9]) is reserved for a Procedural Order and/or one or more further awards. Consideration of disputes among the Applicant, the Debtor and Respondent 2 through arbitration in accordance with the Rules of Arbitration of the International Chamber of Commerce, with the place of arbitration in Istanbul, Turkey, is provided by the arbitral agreement of the parties contained in the Share Purchase Agreement dated 26 March 2008. Pursuant to Clause 7.1 of the Agreement, al l disputes arising out of or in connection with this Agreement shall be finally settled under the Rules of the Court of Arbitration of the lnternational Chamber of Commerce by three arbitrators appointed in accordance with the said Rules, one by the Party initiating the arbitration proceedings, the second by the other Party, and the third one of which will be designated by agreement of the first two or, failing such agreement, the International Chamber of Commerce Court of Arbitration. The place of arbitration shall be Istanbul, Turkey. The language of the arbitral proceedings shall be the English language. ln accordance with Article 241(1) of the RF Arbitrazh Procedure Code, awards of arbitral tribunals and international commercial arbitrations adopted by them on the territories of foreign states in disputes and other cases arising during the course of entrepreneurial and other economic activity (foreign arbitral awards) are recognized and enforced in the Russian Federation by arbitrazh courts, if the recognition and enforcement of such awards is contemplated by an international treaty of the Russian Federation and federal law. Russia, France and Turkey (on the territory of which the Arbitral Award was rendered) are participants in the UN Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards dated l0 June 1958 (hereinafter the „1958 New York Convention“) and the E ­ uropean Convention on International Commercial Arbitration of 1961 (the „1961 European ­Convention“). In

I. Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast, Urteil vom 20.07.2011

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accordance with Article III of the 1958 New York Convention, each contracting state shall recognize foreign arbitral awards as binding and enforce them in accordance with the rules of procedure of the territory where the award is relied upon. Pursuant to Article 242(1) of the RF Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation, an application for the recognition and enforcement of a foreign arbitral award is filed by the applicant with an arbitrazh court of the Russian Federation subject at the location or place of residence of the debtor. In compliance with this procedural norm, the applicant filed an application for recognition of the partial foreign arbitral award with the Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast. The court does not agree with the applicant’s arguments as unsubstantiated with respect to the lack of jurisdiction of the arbitrazh court over this dispute because Article 32 of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation places cases for the recognition and enforcement of foreign court judgments and foreign arbitral awards in disputes arising in the course of entrepreneurial and other economic activity under the jurisdiction of the arbitrazh courts. The debtor states that Chapter 31 of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation contains norms concerning the proceedings in cases for recognition and enforcement of foreign court judgments and foreign arbitral awards, consequently, disputes exclusively for the recognition of awards of foreign courts are not under the jurisdiction of arbitrazh courts. The court proceeds from the fact that Article 6(3) of the Federal Constitutional Law „On the Judicial System of the Russian Federation“ provides that the binding power of judgments of courts of foreign states, international courts and arbitral tribunals on the territory of the Russian Federation is determined by international treaties of the Russian Federation. As the court has already noted, Article III of the 1958 New York Convention establishes the obligation of contracting states to recognize arbitral awards issued on the territory of other contracting states to the convention and to enforce them in accordance with the rules of procedure of the territory on which the recognition and enforcement of those awards are sought. Recognition of the award is a necessary prerequisite for its enforcement. Previously, the Decree of the Presidium of the Supreme Soviet of the USSR dated 21.06.1988 determined the recognition of awards, if this was provided for by an international treaty of the USSR or ­Soviet laws. The applicant requests „simple“ recognition of the arbitral award subject to the existence of the appropriate international treaty, which does not conflict with the procedural norms of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation; the application should be considered by the court on the merits. At this court hearing the applicant submitted a duly certified translation of decision No. 201 1/247 of the second court for cases of the first instance of the Republic of Turkey dated 31.05.201l Judge Mustafa Guler) which set aside the arbitral award of 07 December 2010. The applicant also submitted proof of filing and acceptance of the appeal against that court decision to the panel of judges No. 19 for civil cases of the appellate court of Turkey.\ With such a substantive-procedural structure of the legal relations of the debtor and the applicant on the date of the court hearing, the court finds the applicant’s application for recognition of the arbitral award to be substantiated and subject to granting based on the following:

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

In international law the recognition of a foreign arbitral award is possible by express reference of domestic law and by virtue of an international treaty. There are the both grounds in the Russian Federation, as the norms of the Law „On International Commercial Arbitration“ of 1993 (in the version of 03.12.2008) apply, as well as the norms of the 1961 European Convention „On International Commercial Arbitration“ and the 1958 New York Convention „On the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards“ apply. The Russian Federation Law „On International Commercial Arbitration“ of 1993 practically reproduces in full in section VII the corresponding norms of the 1958 New York Convention. Article 36 of the Law provides for grounds for refusal of recognition or enforcement of an arbitral award. Pursuant to Article V( I ) of the 1958 New York Convention, recognition and enforcement of the award may be refused, at the request of the party against whom it is invoked, only if that party furnishes to the competent authority where the recognition and enforcement is sought, proof that: (a) The parties to the agreement were, under the law applicable to them, under some incapacity, or the said agreement is not valid under the law to which the parties have subjected it or, failing any indication thereon, under the law of the country where the award was made; (b) The party against whom the award is invoked was not given proper notice of the appointment of the arbitrator or of the arbitration proceedings or was otherwise unable to present his case; (c) The award deals with a difference not contemplated by or not falling within the terms of the submission to arbitration, or it contains decisions on matters beyond the scope of the submission to arbitration, provided that, if the decisions on matters submitted to arbitration can be separated from those not so submitted, that part of the award which contains decisions on matters submitted to arbitration may be recognized and enforced; or (d) The composition of the arbitral authority or the arbitral procedure was not in accordance with the agreement of the parties, or, failing such agreement, was not in accordance with the law of the country where the arbitration took place; or (e) The award has not yet become binding on the parties, or has been set aside or suspended by a competent authority of the country in which, or under the law of which, that award was made. In accordance with Article V(2) of the 1958 New York Convention, recognition and enforcement of an arbitral award may also be refused if the competent authority in the country where recognition and enforcement is sought finds that: (a) The subject matter of the difference is not capable of settlement by arbitration under the law of that country; or (b) The recognition or enforcement of the award would be contrary to the public policy of that country. The 1961 European Convention limits the application of Article V(l) of the 1958 New York Convention to cases clearly discussed in Article IX. This means that the setting aside of an arbitral award in a country where it was made serves as a ground to refuse its recognition and enforcement in contracting states of the 1961 European Convention if such setting aside occurs on the following grounds:

I. Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast, Urteil vom 20.07.2011

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(a) the parties to the arbitration agreement were under the law applicable to them, under some in­capacity or the said agreement is not valid under the Law to which the parties have subjected it or, failing any indication thereon, under the law of the country where the award was made; (b) the party requesting the setting aside of the award was not given proper notice of the appointment of the arbitrator or of the arbitration proceedings or was otherwise unable to present his case; (c) the award deals with a difference not contemplated by or not falling within the terms of the submission to arbitration, or it contains decisions on matters beyond the scope of the submission to arbitration, provided that, if the decisions on matters submitted to arbitration can be separated from those not so submitted, that part of the award which contains decisions on matters submitted to arbitration need not be set aside; (d) the composition of the arbitral authority or the arbitral procedure was not in accordance with the agreement of the parties, or failing such agreement, with the provisions of Article IV of this Convention. It should be borne in mind that Article 244(1) of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation applies when the subject of the application is recognition and enforcement of a foreign court judgment (in other words, a court decision), but not a foreign arbitral award. Grounds for refusing recognition [and] enforcement of a foreign arbitral award are established in Article 244(2) of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation. Pursuant to part 2 of that article, the arbitrazh court shall refuse recognition and enforcement in full or in part of a foreign arbitral award on the grounds provided for by part 1, clause 7 of this article, and Article 239(4) of this Code for refusal to issue an enforcement order for enforcement of the award of a foreign commercial arbitration, unless otherwise provided by an international treaty of the Russian Federation. It follows from Article 13(4) of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation that if an international treaty of the Russian Federation establishes rules other than those which are provided for by law, the arbitrazh court shall apply the rules of the international treaty. Paragraph 6 of clause l of the Law of the Russian Federation „On International Commercial Arbitration“ of 1993 (in the version of 03.12.2008) provides for such a ground for refusing to recognize and enforce an arbitral award as: the award has not yet become binding for the parties, or has been set aside, or its performance was suspended by the court of the country i n which or in accordance with which it was made. Subject to the provisions of Article 13(4) of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation, the court shall apply in this case the norms of the 1961 European Convention which provide for an exhaustive list of grounds for refusing to recognize and enforce an arbitral award. The grounds under which the arbitral award was set aside by the Turkish court, in accordance with the 1961 European Convention, do not entail refusal of recognition of the arbitral award in the Russian Federation. Subject to the foregoing, the setting aside of the arbitral award by the decision of the Turkish court, if the second decision of the Turkish court were to become final, would entail a refusal to ­ ederation grant the applicant’s application for recognition of the arbitral award in the Russian F

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

only if the arbitral award had been set aside under one of the grounds listed in subclauses a)–d) of Article IX(l) of the European Convention. ln the decision of the 2nd court for civil cases of the first instance dated 31.05.2011, the following were stated as grounds for setting aside the arbitral award of 07.12.20 I0: – The court agreed with the argument of OJSC Sibirskiy Cement Holding Company that the arbitral award was made outside of the term established for arbitral proceedings. This circumstance is a separate ground for setting aside an arbitral award by Article 15(l)(c) of the Law of Turkey „On International Arbitration“ No. 4686 („Law No. 4686“). Such  a ground for setting aside an arbitral award is not provided for by the provisions of Article IX(1) of the European Convention, consequently, it does not entail the refusal of recognition of the Arbitral Award in the Russian Federation. – the court came to the conclusion that the arbitral tribunal had not considered the debtor’s ­argument on the termination of the Share Purchase Agreement of 26.03.2008 by way of adaptation and thereby exceeded its authority. The arbitrator or the arbitral tribunal exceeding their authority is also provided for by Law No. 4686 as a ground to set aside an arbitral award (Article 15(1)(e)). At the same time, such a ground is not provided for by Article IX(1) of the European Convention and, therefore, does not and cannot entail the refusal of recognition of the Arbitral Award in Russia. – The Turkish court came to the conclusion that the Arbitral Award, in providing for its „provisional enforcement,“ is contrary to the public policy of Turkey, which is a ground to set aside the award pursuant to Article l 5(2)(b) of Law No. 4686. The 1961 European Convention, which takes priority over the norms of the 1958 New York Convention, does not provide that the setting aside of an arbitral award because it is contrary to the public policy of the country due to a violation of foreign private law of the state where the award is rendered will entail refusal of recognition or enforcement of the arbitral award in ­another contracting state of the 1961 European Convention. In this regard, the court considers that this ground for setting aside the arbitral award also does not entail refusal of recognition of the arbitral award. In considering the application for recognition of the foreign arbitral award the court does not assess the factual circumstances of the dispute, nor does it verify the correct or incorrect application by the courts of the norms of law, in the context of public policy only the outcome of enforcement of the judicial act is evaluated and not the award itself, the recognition of which the applicant is requesting. Ciments Français did not request enforcement of the foreign arbitral award. The court has concluded that the arbitral award was set aside by the Turkish court under special grounds provided for by domestic Law which are not present in Article IX(1) of the 1961 European Convention. It follows from the text of the decision of the 2nd court for civil cases of the first instance that the decision may be appealed to the appellate court within 15 days of its being delivered to the representatives of the parties.

I. Arbitrazh Court of Kemerovo Oblast, Urteil vom 20.07.2011

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On 30.06.2011 the applicant filed an appeal against the second decision of the Turkish court. The decision of the Turkish court of 31.05.201 1 on the date of this court hearing is not final until the adoption of the judicial act by the appellate instance court. The court finds unsubstantiated the debtor’s references to the decision in case No. A27-4626/ 2009 on invalidation of the share purchase agreement of 26 March 2008, since this judicial act on the date of this court hearing has not yet entered into force (Article 180 of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation). The debtor’s references to the provisions of the Civil Procedure Code of Turkey are also unsubstantiated, as this Code does not contain norms governing the sphere of arbitral proceedings. In accordance with Article 65 of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation, each person partici pati ng in the case must prove the circumstances to which it refers as a basis for its claims and defense. Having evaluated according to the rules of Article 71 of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation the explanations of the representatives of the applicant and the debtor, the evidence submitted to the case file, and the factual circumstances, and subject to the provisions of Section 5 of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation, the court finds the application for recognition of the foreign arbitral award substantiated and subject to being granted. Expenses for payment of the state duty shall be compensated by the debtor. Guided by Articles 1 I 0, 184, 185 and 241–245 of the Arbitrazh Procedure Code of the Russian Federation, the court

has ruled: To grant the application of Ciments Français, France, for recognition of the partial foreign arbitral award. To recognize the partial foreign arbitral award adopted on 7 December 2010 in Istanbul, Turkey, in case No. 1624/GZ under the claim of Ciments Français, France, against Open Joint Stock Company Sibirskiy Cement Holding Company, Russian Federation, and the joint stock company Istanbul Cimento, Turkey, under the counter claim of Open Joint Stock Company ­Sibirskiy Cement Holding Company, Russian Federation. To recover from Open Joint Stock Company Sibirskiy Cement Holding Company, Kemerovo, in favor of Ciments Français, France, 2,000 Roubles to reimburse expenses for payment of state duty. This ruling may be appealed to the arbitrazh court of the cassation instance within one month from the date of its issuance. Judge

E. N.

Mikhalenko

II. Amsterdam Court of Appeal, Urteil vom 28.04.2009, case number 200.005.269/01, Yukos Capital S. A. R. L., Luxembourg ./. OAO Rosneft III. unofficial translation from Dutch]

case number 200.005.269/01 28 April 2009



[Stamp: IN THE NAME OF THE QUEEN]



AMSTERDAM COURT OF APPEAL IV. THIRD THREE-JUDGE CIVIL SECTION DECISION

in the matter of: the company under the law of Luxembourg YUKOS CAPITAL S.A .R .L., with registered seat in Luxembourg (Luxembourg), APPELLANT, counsel: B. F. H. Rumora-Scheltema, of Amsterdam, versus the legal person according to the law of Russian Federation OAO ROSNEFT, with registered seat in Moscow, Russian Federation, DEFENDANT, counsel: M. Deckers, of Amsterdam.

1. The course of the proceedings 1.1 Parties are referred to hereinafter as Yukos Capital and Rosneft. V. By statement of appeal with exhibits, received by the registry of the court of appeal on 28 April 2008, presenting nine grounds for appeal, Rosneft filed appeal from a decision of 28 February 2008 by the Preliminary Relief Subdivision of the District Court of Amsterdam under caseand application number 365094 I KG RK 07–750 rendered between Yukos Capital as applicant and Rosneft as defendant. The statement of appeal, concisely put, requests that the court of appeal set aside the aforementioned decision and, again rendering judgment in a provisionally enforceable decision, will after all award Yukos Capital leave to

II. Amsterdam Court of Appeal, Urteil vom 28.04.2009

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enforce four arbitral awards rendered on 19 September 2006 by the International Court of Comercial Arbitration at Moscow in the arbitration proceedings to be mentioned hereinafter. 1.2 By a letter received by the court registry on 29 May 2008, Yukos Capital submitted a few initially lacking documents from the proceedings in first instance. By letter, received by the court registry on 20 August 2008, Yukos Capital submitted further exhibits. 1.3 By statement of defence, received by the registry of the court of appeal on 28 October 2008, Rosneft put forward a defence and, concisely put, argued that the contested decision be upheld and that Yukos Capital be ordered to pa.y the costs of the proceedings. 1.4 By letter, received by the registry of the court of appeal on 31 December 2008, Yukos Capital submitted further exhibits. 1.5 By letter, received by the registry of the court of appeal on 2 January 2009, Rosneft submitted a further exhibit. 1.6 By letter, received by the court registry on 8 January 2009, Yukos submitted a binder with copies of case law and literature to which it had referred in the case documents. 1.7 The oral hearing of arguments took place at the hearing of the court of appeal of 13 January 2009. Here parties argued their positions, Yukos Capital by G .J. Meijer and R. J. van ­Galen, lawyers of Amsterdam, and Rosneft by the aforementioned Deckers, at which occasion both parties submitted notes. Thereafter the hearing of the case was closed and judgment was scheduled.

2. The Facts 2.1  In the contested decision under 2  a to g inclusive the Court in Summary Proceedings deems a number of facts to have been established. This finding has not been disputed so that the court of appeal will also proceed from these facts. Taking these into account as well as on the one hand that which has been asserted on appeal and on .the other hand that which has not, or at any rate insufficiently, been disputed and that which is shown by the contents of the submitted exhibits insofar as this has not been disputed, the following, concisely put, is undisputed by parties. 2.1.1 Four written loan agreements were entered into in July and August 2004 between Yukos Capital as the lender and the company under Russian law OJSC Yugans­kneftegaz as borrower. At that time Yukos Capital and Yuganskneftegaz both formed part of the Yukos group, to which the company under Russian law Yukos Oil Company also belonged. At that time, Yukos Oil Company held all the shares in Yuganskneftegaz. 2.1.2 The loan agreements contain an arbitration clause, which entails that all disputes arising from the loan agreements (that cannot be solved by negotiation) are subject to arbitration by the International Court of commercial Arbitration at the Chamber of Trade and Industry of the Russian Federation. 2.1.3  In connection with the tax assessments imposed on Yukos Oil Company by the Russian State, an enforced auction was held on 19 December 2004 at which all ordinary shares in Yuganskneftegaz (together constituting 76.79 % of the issued share capital) were sold for an amount of over 260 billion roubles (€ 7 billion) to a Russian company called Baikal Financial Group, which had been incorporated a few weeks earlier. On 23 December 2004 Rosneft

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

acquired all the shares in Baikal Financial Group. At the time the Russian state owned all the shares in Rosneft and it currently holds the overriding majority thereof. 2.1.4 By application of 27 December 2005 Yukos Capital instituted four arbitration proceedings against Yuganskneftegaz at the International Court of Commercial Arbitration in Moscow. In four arbitral awards of 19 September 2006 the arbitrators decided that Yuganskneftegaz must pay to Yukos Capital a total of approximately 13 billion roubles (excluding interest and costs). 2.1.5 On 1 October 2006 Yuganskneftegaz merged with Rosneft, in which all assets and liabilities of Yuganskneftegaz were transferred to Rosneft by universal title and Yuganskneftegaz ceased to exist. 2.1.6 On 19 December 2006 Yukos Capital summoned Rosneft to abide by the arbitral awards and on 20 December 2006, with the leave of the Court in Summary Proceedings of the District Court of Amsterdam, served prejudgment garnishment against Rosneft. by court bailiff s. Paulusma of Amsterdam. 2.1.7 By judgments of 18 May 2007 and 23 May 2007 the Russian civil court (Arbitrazh Court of the City of Moscow), set aside the arbitral awards of 19 September 2006 following proceedings in a defended action instituted by Rosneft. By rulings of 13 August 2007 the Moscow court of appeal (Federal Arbitrazh Court of Moscow District) rejected the appeal instituted by Yukos Capital against the judgments of 18 May and 3 May 2007. The appeal in cassation instituted against this by Yukos Capital was rejected by the Supreme Arbitrazh Court of the Russian Federation, by ruling of 10 December 2007.

3. The assessment 3.1 In the proceedings at hand Yukos Capital is requesting leave on grounds of Section 1075 DCCP of the Dutch Code of Civil Procedure to enforce the arbitral awards in the Nether­lands, with an order to Rosneft to pay the costs of obtaining leave for enforcement and with an order for Rosneft to pay the costs of the attachment mentioned hereinbefore under 2.1.6. 3.2  In the contested decision the Preliminary Relief Subdivision of the District Court rejec­ ted the relief sought. The Preliminary Relief Subdivision of the District Court assessed the request on the basis of the New York Convention of 1958 (Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitrators Awards) and, concisely put, judged that the exequatur court must in principle respect the decision of the Russian civil court to set aside the arbitral awards, on the understanding that under exceptional circumstances (for instance the violation of generally accepted principles of due process in the proceedings leading up to the decision to set aside,partiality and dependence of the civil court concerned and an utterly insufficient reasoning of its decisions) leave may be granted to enforce a set aside arbitral award. The Preliminary Relief Subdivision of the District Court judged that such circumstances had not been asserted by Yukos Capital, or at any rate had not been asserted with sufficient reasons. 3.3 The grounds of appeal presented by Yukos Capital serve to present the dispute in its full extent to the court of appeal and are therefore suited to be dealt with jointly. In essence the grounds for appeal raise the question whether the setting aside/nullification of the arbitral awards by the Russian civil courts does or does not impede the recognition and enforcement of said arbitral awards in the Netherlands.

II. Amsterdam Court of Appeal, Urteil vom 28.04.2009

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3.4 In answering this question the court of appeal takes as its point of departure that the New York Convention 1958 pertains to the recognition and enforcement of arbitral decisions, but does not provide in the international recognition of decisions by civil courts to set aside or nullify arbitral awards. Article V of the New York Convention 1958 reads in the English text and insofar as here relevant: „1. Recognition and enforcement of the award may be refused, at the request of the party against whom it is envoked, only if that party furnishes to the competent authority where the recognition and enforcement is sought, proof that: {-.) (…) (e) The award has (…) been set aside (…) by a competent authority of the country in which (…) that award was made“. Though this provision takes as its point of departure that, in terms of the current case, the Russian civil court is the competent authority with respect to a claim to set aside or declare void the arbitral awards, but neither this provision nor the further contents of the New York Convention 1958 nor any other convention compels the Dutch exequatur court to recognise such a decision by the Russian civil court just like that. The question whether the decision of the Russian civil court to set aside the arbitral awards.can be recognised in the Netherlands must be answered on the basis of the rules of general private international law. 3.5 This means that, however the degree to which the New York Convention 1958 otherwise leaves scope for granting leave to enforce an arbitral award that has been set aside by a competent authority of the country where the award was granted, the Dutch court is in any rate not compelled to refuse the leave to enforce a set aside arbitral award if the foreign judgment under which the arbitral award was set aside, cannot be recognised in the Netherlands. This particularly applies if the manner in which said judgment was brought about does not satisfy the principles of due process and for that reason recognition of the judgment would lead to a conflict with Dutch public order. If the judgments of the Russian civil court to set aside the arbitral awards cannot be recognised in the Netherlands, it is so that when assessing the request to grant leave for enforcement of the arbitral awards the judgment to set aside said arbitral awards need not be taken into account. 5) Therefore the court of appeal will first follow general law to see whether the decisions of the Russian civil court to set aside the arbitral awards of 19 September 2006 can be recognised in the Netherlands. The starting point applied here is that a foreign judgment, regardless of its nature and purport, is recognised if a number of minimum requirements have been met, which include that the foreign judgment was brought about after due process of law. There is no due process of law if it must be assumed that the foreign judgment was passed by a judicial instance that is not impartial and independent. 3.6 Yukos Capital has asserted that the Russian judiciary is partial and dependent and, in particular in decisions that are politically sensitive and strategic, allows itself to be led by the interests of the Russian state and is instructed by the Russian executive branch. More specifically, Yukos Capital takes the position that the setting aside of the arbitral awards is part of the actions by the Russian state since the summer of 2003, which are aimed at(a) the dismantling of the Yukos group and (b}obtaining control of the assets of the Yukos group and (c) the elimination of its political opponents. According to Yukos Capital, the Russian judiciary is an instrument that is used by the Russian state in pursuing these goals. 3.7 From that which Yukos Capital has presented to demonstrate the abovementioned assertions the following, inter alia, comes to the fore:

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

3.8.1 The Russian journalist Anna Politkovskaya, who was murdered on 7 October 2006, writes the following about the state of the Russian judiciary in her book Putin’s Russia published in 2004: „The fact of the matter is that our courts were never as independent as you might have thought from our Constitution. At the present time, however, the judicial system is cheerfully mutating into a condition of total subservience to the executive. It is reaching unprecedented levels of ‚supine pozvonochnost‘. This word is used in Russia to refer to the phenomenon of a judge delivering a verdict in accordance with what has been dictated to him in the course of a phone call (zvonok) by representatives of the executive branch of the government. Pozvonochnost is an everyday phenomenon in Russia“ 3.8.2 Ms Leutheusser-Sdhnarrenberg, member of the Parliamentary Assembly of the Council of Europe and former minister of justice of the Federal Republic of Germany, writes the following, among other things, in her report of 29 November 2004 on the circumstances surrounding the arrest and prosecution of the executives of Yukos Oil Company: „In view of the numerous procedural shortcomings and other factors pertaining to the political and economic background detailed in the report, the draft resolution concludes that the circumstance of the arrest and prosecution of leading Yukos executives suggest that the interest of the State’s action in these cases goes beyond the mere pursuit of criminal justice, to include such elements as to weaken an outspoken political opponent, to intimidate other wealthy individuals, and to regain control of strategic economic assets . (…) In my interviews with retired Constitutional Court Vice-President Morshchokva, I learnt that recent legislative reforms have done nothing to improve the independence of the courts, or have even gone in the opposite direction. (…) The distribution of cases among judges is left entirely to the discretion of the court president. This state of affairs – to make sure sensitive cases come before „responsible“ judges – was confirmed by several official interlocutors.“ 3.8.3 After the publication, on 24 January 2005, of an addendum, to the abovementioned report of 29 November 2004, the Parliamentary Assembly of the Council of Europe adopted a resolution on 25 January 2005, which entailed, inter alia: „6. The Assembly stresses the importance of the independence of the judiciary, and of the independent status of judges in particular, and regrets that legislative reforms introduced in the Russian Federation in December 2001 and March 2002 have not protected judges better from undue influence from the executive and have made them more vulnerable. Recent studies and highly publicised cases have shown that the courts are still highly susceptible to undue influence. (…) 13. The circumstances of the sale by auction 0£ Yuganskneftegaz to „Baikal Finance Group“ and the swift takeover of the latter by state-owned Rosneft raises additional issues related tot the protection of property (ECHR, Additional Protocol, Article 1). This, concerns both the circumstances of the auction itself, resulting in a price far below market-value, and the way Yukos was forced to sell off its principal asset, by way of trumped-up tax reassessments leading to a total tax-burden far exceeding that of Yukos’ competitors, and for 2002 even exceeding Yukos’ total revenue for that year.“

II. Amsterdam Court of Appeal, Urteil vom 28.04.2009

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3.8.4 On the Corruption Perception Index 2006 drawn up by Transparency International, an international non­governmental organisation that aims to increase government accountability and counter international and national corruption, Russia holds the 126th place on the list of least corrupt countries. On the 2007 Index Russia ranks in the 143th place. The Global Corruption Report 2007 by Transparency International includes the following: „Prior to the perestroika process, the judiciary was largely perceived as: ‚Nothing more than a machine to process and express in Legal form decisions which had been taken within the [Communist] Party.‘ The independence of the judiciary was one aspect of the changes called for by Mikhail Gorbachev in his groundbreaking speech to the 27th Party Congress in 1986. The reality – a supine, underpaid judiciary, ill-equipped to withstand corruptive practises and the influence of economic or political interests – has proven slow to change, despite a series of reforms by Boris Yeltsin and his successor, President Vladimir Putin.“ 3.8.5 The report published in April 2008 by the EU-Russia Centre, an international non-governmental organisation, includes an article written by Rupert D’Cruz, secretary of the BritishRussian Law Association,titled The Rule of Law and Independence of the Judiciary in Russia. Therein it is asserted: „There can be little doubt that in cases where major economic or political interests are at stake the courts of all levels tend to be political ly subservient. If anything this trend has grown in recent years. The most pronounced and extreme example is the internationally ­renowned cases involving Yukos and Khodorkovsky where ‚total State influence‘ over the judicial process is widely perceived to have occurred.“ 3.8.6 Freedom House, an American non-governmental organisation with the remit of investigating and promoting democracy, political freedoms and human rights, asserts in its report on Russia published in 2007: „Russia scores very poorly on ratings of judicial independence. The state uses the courts to protect its strategic interests and political goals. (…) while processes for resolving commercial disputes have become more reliable, the state still intervenes where it has a strategic interest.“ 3.8.7 Numerous articles have been published in the national and international press in which attention is paid to the lack of independence of the Russian judiciary. 3.8.8 Courts in various European countries have ruled that it is plausible that the criminal prosecution of executives of Yukos Oil Company in Russia is politically inspired. a. By a judgment of 18 March 2005 an English judge at The Bow Street Magistrates Court refused the extradition to Russia of two Yukos Oil Company officials and based this inter alia on the reasoning that it must be assumed that the prosecution of these officials is politically motivated and that they would not be given a fair trial in Russia. b. On comparable grounds, the highest administrative court in Lithuania ruled by decision of 16 October 2006 that another Yukos official had rightly been awarded refugee status. c. The highest Swiss court refused by decision of 13 August 2007 a request for mutual assistance by the Russian Federation related to the prosecution of Khodorkovsky (the former CEO

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

of Yukos Oil Company) because there exist sufficient grounds for the suspicion that said criminal prosecution is being manipulated by the Russian executive. d. By a decision of 19 December 2007 an English judge in the City of Westminster Magistrates’ Court refused a request for extradition by the Russian Federation with the reasoning: „I conclude that this request is linked to the events surrounding the notorious cases involving NK Yukos and Mikhail Khodorkovsky. (…) There is, in my mind, a strong suspicion that the prosecution is being brought for political and economic reasons. For those reasons I find the defendant would be prejudiced at any trial in the RF. Given the high profile of this case, and on the basis of the defence evidence, I am not confident that a fair trial will be possible, The uncontested expert evidence suggests the judiciary in a case such as this will be pressured to support the prosecution. (…)“ 3.8.9 In a judgment of the High Court of Justice Queen’s Bench Division Corrunercial Court of 3 July 2008 in a case on the question whether a dispute between the parties Cherney and Deripaska can be brought before the English courts despite its substantive interwovenness with the Russian legal system, the following was reasoned in response to the testimony of two expert witnesses: „… that it appears to be common ground between the experts that in certain cases, the arbitrazh courts cannot necessarily be expected to perform their task fairly and impartially. Professor Stephan [the party expert who reported more positively on the independence and impartiality of the arbitrazh courts than the party expert of the counterparty, Professor ­Bowring, insertion by the court of appeal] characterizes that as only applicable in a case whose outcome will affect the direct and material strategic interest of the Russian state.“ In the same judgment part of the report of Professor Stephan is presented as follows: „Professor Stephan does not dispute that in the Yukos case serious irregularities occurred. The principal criticism concerns the criminal proceedings brought in the courts of general jurisdiction against the leading figures. But the arbitrazh courts also failed to exercise  a sufficient stringent review of the tax assessments. There are also grounds for concern as to whether the arbitrazh court overseeing the Yukos bankruptcy was sufficiently proactive in limiting the discretion of the receiver. But the Yukos case, in which the principal target, Mr Khodorkovsky, was a prominent oligarch, involved the renationalisation of critical energy resources carried out by administrative agencies acting on behalf of the Russian State, that renationalisation being a central policy of the Putin administration.“ 3.8.10 In a judgment of 31 October 2007 the District Court of Amsterdam ruled the follow­ ing on a Russian judgment of 1 August 2006 in which insolvency proceedings comparable to a [Dutch] bankruptcy were declared applicable to Yukos Oil Company: „The above leads to the conclusion that the Russian bankruptcy order in which Rebgun was appointed receiver in the bankruptcy of Yukos Oil was effected in a manner not in accordance with the Dutch principles of due order of process and is thus in violation of the Dutch public order. For that reason, the bankruptcy order cannot be recognised and the receiver’s powers that ensue from it under Russian law cannot be exercised by Rebgun in the Netherlands.“ 3.9 In the light of the facts and circumstances outlined above the court of appeal must assess whether the decision of the Russian civil court to set aside the arbitral awards can be recognised

II. Amsterdam Court of Appeal, Urteil vom 28.04.2009

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in the Netherlands, more in particular whether said judgments were rendered by a judicial instance that is impartial and independent. In this respect the court of appeal reasons as follows. 3.9.1 There is a close interwovenness of Rosneft and the Russian state. It is undisputedly established that the Russian state possesses the overwhelming majority of the shares in Rosneft and that the majority of the directors of Rosneft are politically appointed persons, who combine their position at Rosneft with Russian government positions. Igor Sechin, chairman of the board of Rosneft, at the time was also deputy head of the presidential administration and advisor to president Putin and is currently also vice­premier of the Russian Federation. The court of appeal further considers it illustrative of the close ties between Rosneft and the Russian state that on 23 December 2004, the day that Rosneft acquired the shares in the Baikal Financial Group (see hereinabove at 2.1.3), then Russian president Putin declared at a press conference; „In essence, Rosneft – a 100 % State company – acquired the well known asset Yugansknef­ tegaz. (…) Today the State, using absolutely legal market mechanisms, is taking care of its own interests“ 3.9.2 The established facts further show that there is an undeniable connection between the dispute at hand between Yukos Capital and Rosneft and the alter­cations in Russia that lead to the dismantlement and bankruptcy of Yukos Oil Company and the detention of Khodorovski and Aleksanyan. The case at hand, in view of said connectedness, the ties between the Russian state and Rosneft and the substantial interest of the claim at hand, also pertains to considerable interests that the Russian state considers to be its own. 3.9.3 Rosneft has insufficiently rebutted that the Russian judiciary in cases that pertain to the (former) Yukos group (or parts thereof) or the (former) directors thereof and which concern interests that the Russian state considers to be its own, is not impartial and independent, but allows itself to be led by the interests of the Russian state and is instructed by the executive. Contrary to ­Rosneft’s assertions, Yukos Capital has not just substantiated its assertions with references to newspaper stories, but has properly demonstrated it with the aid of the reports and court decisions mentioned hereinabove. Rosneft has not asserted any concrete facts or submitted documents and nor have circumstances otherwise been shown that cast a different light on the influence of the Russian state on the Russian judiciary in the matter at hand. 3.9.4 In this context, Rosneft’s argument that Yukos Capital has not furnished direct evidence of the partiality and dependence of the individual judges that ruled on Rosneft’s claim to set aside the arbitral awards, does not carry sufficient significance, in part because partiality and dependence by their very nature take place behind the scenes. 3.10 On grounds of the preceding the court of appeal concludes that it is in this way plausible that the judgments of the Russian civil court in which the arbitral awards were set aside were the result of a judicial process that must be qualified as partial and dependent, and that these judgments cannot be recognised in the Netherlands. This means that in the assessment of the request by Yukos Capital to enforce the arbitral awards, the setting aside of these decisions by the Russian court must be ignored. 3.11 The above entails that Yukos Capital’s grounds for appeal succeed to this extent and that the court of appeal, under observance of the other defences presented by Rosneft, must again assess whether an exequatur can be granted.

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

3.12.1  Rosneft has advance that granting leave for enforcement would be in conflict with Article V (2)(b)of the New York Convention 1958. This provision entails: „2. Recognition and enforcement of the award may also be refused if the competent author­ ity in the country where recognition and enforcement is sought finds that: (…) (b)  The recognition or enforcement of the award would be contrary to the public policy of that country“ 3.12.2  Rosneft asserts that the loan agreements are part of an unallowable tax construction within the Yukos group, which – briefly put – boiled down to Yuganskneftegaz selling the oil it had extracted at low prices to companies belonging to the Yukos group established in regions with low tax rates, in order to evade taxation by the Russian state on the profits achieved when selling said oil against high market prices. Via group company Yukos Capital, the profits realised in this manner were lent to Yuganskneftegaz, under the agreements at hand, to finance its business operations. 3.12.3 The court of appeal rejects this argument. Also if this tax construction is unlaw­ful under Russian tax law, the enforcement in the Netherlands of the arbitral awards compelling Rosneft to repay the moneys borrowed from Yukos Capital in connection with said tax construction is not in conflict with Dutch public order. 3.12.4 Rosneft has further advanced that granting leave for enforcement would be in conflict with Article V (l)(b)of the New York Convention 1958, which provision entails: 1. Recognition and enforcement of the award may be refused, at the request of the party against whom it is envoked, only if that party furnishes to the competent authority where the recognition and enforcement is sought, proof that: (…) (b) The party against whom the award is invoked was not given proper notice of the appointment of the arbitrator or of the arbitration proceedings or was otherwise unable to present his case; 3.12.5 In this connection Rosneft has advanced that Yuganskneftegaz was wrongly not given the opportunity in the arbitration proceedings to further substantiate its defence that the loan agreements were fraudulent and hence void and to furnish evidence thereof. 3.12.6 The court of appeal rejects this defence because it has neither been asserted nor demonstrated that Yuganskneftegaz was restricted in any aspect in presenting the defence concerned, either in its statement of defence of 5 May 2006, or in its supplementary statement of defence van 20 June 2006. It must here be noted that, without further commentary, which is lacking, it must be assumed that said defence of Yuganskneftegaz also pertains to the overdue interest claimed by Yukos Capital by introductory application of 27 December 2005 and that there therefore is no good reason why Yuganskneftegaz presented said defence for the first time in the supplementary statement of defence of 20 June 2006, in response to the increase of claim by Yukos Capital in the supplementary application of 9 May 2006. Against this background the court of appeal finds that the fact that the arbitrators did not grant Yuganskneftegaz a further stay after 20 June 2006 to substantiate said defence, does not mean that it was impossible for Yuganskneftegaz to defend its case in the meaning of Article V (l)(b). 3.12.7 In first instance Rosneft also asserted that the requested leave should be refused on the basis of Article V (l) (a} of the New York Convention 1958 because the arbitration clause is not

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valid under Russian law. The court of appeal understands from Rosneft’s assertion in the statement of defence on appeal that the agreements contain a valid arbitration clause, that Rosneft is no longer maintaining this defence.

4. Conclusion 4.1 The conclusion is that the contested decision will be set aside and that the court of appeal, rendering judgement again, will award Yukos Capital’s request for leave to enforce the arbitral awards in the Netherlands after all. 4.2 Yukos Capital has further requested that on the basis of Section 706 DCCP Rosneft be ordered to pay the costs of the attachment it levied (see: 2.1.6), estimated so far at € 857.52. As this request is based on the law and Rosneft has not asserted any further defence against this, this request will also be awarded. 4.3 As the party ruled against, Rosneft will be ordered to pay the costs of the proceedings.

5. Decision The court of appeal: sets aside the decision of the Preliminary Relief Subdivision of the District Court of 28 February 2008 with case number/application number 365094/KG RK 07–750, passed between Yukos Capital as applicant and Rosneft as defendant; rendering judgment again: grants leave to enforce in the Netherlands the arbitral awards of The International Court of Commercial Arbitration at the Chamber of Commerce and Industry of the Russian Federation, dated 19 September 2006 and rendered under case numbers: 143/2005, 144/2005, 145/2005 and 146/2005 between Yukos Capital as applicant and Yuganskneftegaz as defendant; orders Rosneft to pay the costs of the attachment mentioned hereinabove under 2.1.6, which costs are estimated so-far at € 857.52; orders Rosneft to pay the costs of the proceedings in both instances, estimated so-far on the side of Yukos Capital at € 2,692 in salary; declares this decision to be provisionally enforceable. This decision is rendered by G. C. Makkink, A. M. L. Broekhuijsen-Molenaar and A. Rutten-Roos and was read out in open court by the cause-list judge on 28 April 2009. [signatures] [stamp: Mr. W. J. J. Los] [stamp: issued for bailiff’s copy to B. F. H. Rumora­Scheltema]

III. Landgericht Hamburg, Beschluss vom 11.11.2004, Az. 327 O 639/04 („Hamburger Kaffeestreit I“) Landgericht Hamburg

6) Zivilkamm.er 27

e) 327 0 639/04

BESCHLUSS vom 11.11.2004 In der Sache Xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx – Antragstellerin – Prozessbevollmächtigte: Xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Gegen Xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

– Antragsgegnerin –

beschließt das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 27 durch die Richterin am Landgericht Käfer als Einzelrichterin: Der Antrag der Antragstellerin vom 10.11.2004 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen. Sie hat die Kosten des Verfügungsverfahrens nach einem Wert von € 40.000,– zu tragen.

III. Landgericht Hamburg, Beschluss vom 11.11.2004

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Gründe: Der Antrag ist zurückzuweisen. Die Antragstellerin, die eine Kaffeefarm in Zimbabwe betreibt, beantragt den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen eine in Hamburg ansässige Kaffeehändlerin. Sie hat vorgetragen, dass ihre Farm von der Polizei und Armee von Zimbabwe besetzt worden sei und die Verwaltung der Farm an A., einer Organisation der Regierung von Zimbabwe, übergeben worden sei. Die Antragsgegnerin habe von A. rechtswidrig verkauften Kaffee erhalten, der von ihrer, der Antragstellerin Farm, stamme. Es fehlt an der für den Erlass der einstweiligen Verfügung erforderlichen Eilbedürftigkeit. Ausweislich der Anlage Ast 9 hatte die Antragstellerin bereits Ende August 2004 erfahren, dass Kaffee von ihrer Firma ohne ihre Einwilligung verkauft wird. Die Nachfrage des Transportunternehmens, ob der Transport gestoppt werden solle, hat der Geschäftsführer der Antragstellerin verneint. Es erscheint fraglich, dass sie nunmehr, nachdem der Kaffee durch verschiedene Hände nach Deutschland gelangt ist, noch im Wege einer einstweiligen Verfügung den begehrten Unterlassungsanspruch geltend machen kann. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der­ telefonischen Mitteilung des Antragstellervertreters, dass die Antragstellerin beim Amtsgericht in Mutare/Simbabwe einen Arrest beantragt hat, dieser sei wegen örtlicher Unzuständigkeit nicht erlassen worden. Denn es erscheint auch angesichts der Unruhen in Zimbabwe nicht hinreichend deutlich, dass ein Rechtsmittel hiergegen oder ein Antrag bei einem anderen Gericht nicht möglich gewesen wäre. Eine Glaubhaftmachung hierzu fehlt ohnehin. Gegen die Eilbedürftigkeit spricht aber insbesondere, dass anscheinend seit Anfang September (s. S. 5 Ziffer 4 der Antragsschrift), spätestens jedoch ·seit dem 16.09.2004 (vgl. Anlage Ast 12) bekannt ist, dass die Ware bei der Antragsgegnerin lagert. Nach Ablauf von fast zwei Monaten, in denen die Antragstellerin keine zivilrechtlichen Schritte unternommen hat, kann die Eil­ bedürftigkeit nicht mehr bejaht werden. Diese kann im Übrigen nicht darauf gestützt werden, dass die Antragsgegnerin zwischenzeitlich 256 Sack Kaffee verkauft hat. Denn diese Gefahr bestand von Anfang an, d.h.auch während des Zuwartens der Antragsgegnerin. Der Antrag ist auch deswegen zurückzuweisen, da kein Unterlassungsanspruch besteht. Ein solcher setzt voraus, dass der Verkauf des Kaffee durch A. rechtswidrig gewesen ist. Dies wäre dann der Fall, wenn A. weder Eigentümerin wäre noch zu Recht die Verwaltung innehätte. Diese Frage ist nach dem Recht des Landes Zimbabwe zu beantworten und nicht gemäß Art.43 EGBGB nach deutschem Recht, wie die Antragstellerin meint. Denn es geht um Vorgänge, die sich vor der Lagerung des Kaffee in Deutschland ereignet haben. Derartige Vorgänge sind jedoch nicht sozusagen rückwirkend nach deutschem Recht als dem Recht des Lageortes zu beurteilen. Sondern Art.43 EGBGB betrifft die künftige dingliche Rechtslage (vgl. hierzu Palandt/Heldrich, BGB-Kommentar, 62. Auflage, Rn 5). Es fehlt jedoch eine Glaubhaftmachung der Antragstellerin, dass die Ausübung der Verwaltung durch A. gegen das Recht von Zimbabwe verstößt. Zwar ergibt sich aus dem von ihr als Anlage Ast 4 vorgelegten Gerichtsbeschluss, dass ein Gericht dieser Auffassung ist. Auch gab es nach ihrem Vortrag bereits in der Vergangenheit derartige Gerichtsbeschlüsse. Es handelt sich aber zum einen um eine vom Gericht getroffene vorläufige Maßnahme, zum anderen ist der weitere Fortgang des Verfahrens nicht bekannt. Der Antragstellervertreter hat hierzu z.war telefonisch mitgeteilt, dass der Beschluss noch bestehe. Unklar blieb aber, ob ein Rechtsmittel eingelegt worden ist. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass die Antragstellerin den Kaffee nicht unmittelbar von A. erlangt hat, sondern A. verkaufte an die ebenfalls in Zimbabwe ansässige Firma xxx, die an die

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

Antragsgegnerin weiterverkaufte. Hier kann ebenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass die Antragsgegnerin nach dem Recht Zimbabwes kein Eigentum erlangt hat. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Käfer

IV. OLG Hamburg, Urteil vom 07.01.2005, Az. 1 W 78/04 („Hamburger Kaffeestreit II“) I. Tenor 1 Die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin vom 18. November 2004 gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 11.  November 2004 (Geschäfts-Nr. 327 O 639/04) wird zurückgewiesen. 2 Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. 3 Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 40.000,00 festgesetzt. II. Gründe 4 I. 5 Die gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Dem Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nicht zu entsprechen. Es fehlt an einem Verfügungsanspruch. Dies gilt insbesondere für einen Anspruch aus § 985 BGB, auf den die Verfügungsklägerin ihr Begehren allein gestützt hat. Bereits auf der Grundlage ihres eigenen Vortrags ist nicht dargetan, dass ihr Eigentum an dem Kaffee zusteht, den die Verfügungsbeklagte gemäß Bestätigung vom 19. August 2004 (Anlagenkonvolut Ast 24) von der in Harare/Simbabwe ansässigen Firma … (…) Ltd. erworbenen hatte und der sich zumindest zu einem Teil noch im (mittelbaren) Besitz der Verfügungsbeklagten befindet. 6 Dabei kann zugunsten der Verfügungsklägerin unterstellt werden, dass der im Streit befindliche Kaffee im Jahre 2003 auf der von ihr unter der Bezeichnung „Ch. E.“ in der Region Chimanimani/Simbabwe betriebenen Kaffeefarm geerntet, dort gelagert, nach der Besetzung der Farm durch die Polizei und Armee des Staates Simbabwe an die zur simbabwischen Staatsverwaltung gehörende ARDA (Agricultural and Rural Development Authority) übergeben und von dieser an die Firma … (..) Ltd. verkauft wurde, und zwar ohne bzw.gegen den Willen der Verfügungsklägerin. Denn in dem von der Verfügungsklägerin geschilderten Zugriff von Behörden des Staates Simbabwe auf den Kaffee ist ein auf Eigentumsentziehung gerichteter Hoheitsakt zu sehen, der nach hiesigem Recht hinzunehmen ist, ohne dass die Voraussetzungen einer Enteignung nach dem Recht von Simbabwe, nach dem Völkerrecht – oder nach deutschem Recht einer Überprüfung zugänglich wären, wie im Folgenden darzulegen sein wird. 7 1. Im Bereich des internationalen bzw. Kollisionsrechts ist der Begriff der Enteignung weit zu verstehen. Er umfasst jegliche aus wirtschafts- oder allgemeinpolitischen Gründen erfolgende Entziehung oder wirkungsgleiche Beschränkung von Vermögenswerten oder -rechten durch einen ausländischen Staat (MüKo/Kreuzer, BGB, 3. Aufl. 1998, nach Art. 38 Anh. III Rdn. 20 m. w. N.). Als wirkungsgleiche Beschränkung von Vermögensrechten ist jede hoheitliche Maßnahme anzusehen, die in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen einer Entziehung gleichkommt. Als solche kommen u. a. eine administrative Unterstellung von Unternehmen oder anderen Kapitalanlagen unter eine staatliche Aufsicht, eine Entziehung oder Minderung der ­Verfügungsmacht bzw. eine Beschlagnahme in Betracht, wenn die betreffende Maßnahme

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

nicht nur vorläufigen Charakter hat, sondern nach Zweck und/oder Dauer auf eine definitive Entziehung hinausläuft (MüKo/Kreuzer, a. a. O., nach Art. 38 Anh. III Rdn. 21 m. w. N.). 8 In diesem Sinne ist nach dem eigenen Vortrag der Verfügungsklägerin von einer Enteignung des im Streit befindlichen Kaffees auszugehen. Bei der Besetzung der Kaffeefarm durch das Militär und die Polizei des Staates Simbabwe, der Übergabe an die zur Staatsverwaltung gehörende ARDA (Agricultural and Rural Development Authority) sowie der Inbesitznahme und Veräußerung des dort befindlichen Kaffees durch die ARDA handelte es sich um die Ausübung staatlicher Gewalt. Die Maßnahmen zielten darauf ab, der Verfügungsklägerin das Eigentum an dem Kaffee definitiv zu entziehen. Dies geschah aus politischen Gründen. Die seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in Simbabwe betriebene Landreform ist darauf gerichtet, landwirtschaftliche Produktionsstätten aus den Händen der meist weißen Großfarmer zu nehmen und an Landlose zu verteilen. Dass dieses Ziel im Falle der Verfügungsklägerin mit illegalen Mitteln umgesetzt werden sollte, ist nach ihrer Darstellung darauf zurückzuführen, dass ihr Geschäftsführer ein prominentes Mitglied der politischen Opposition und als solcher Abgeordneter des Parlaments von Simbabwe ist. In dem besagten politischen Zusammenhang ist nicht nur der Zugriff auf die Kaffeefarm selbst, sondern auch auf die dort gelagerten Produkte zu sehen. 9  2. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen fremdstaatliche Enteignungen hinzunehmen sind, ist nicht nach den allgemeinen Regeln des Internationalen Privatrechts, sondern nach besonderen enteignungskollisionsrechtlichen Normen zu beantworten (MüKo/Kreuzer, a. a. O., nach Art. 38 Anh. III Rdn. 12). Nach der in Rechtsprechung und Literatur herrschenden Meinung, der sich der Senat anschließt, ist angesichts des Fehlens einer gesetzlichen Regelung im staatsvertragsfreien Bereich vom Territorialitätspri_nzip als Lösungsansatz auszugehen. Danach sind fremdstaatliche Enteignungen grundsätzlich als wirksam anzusehen, soweit die Enteignungsgegenstände zum Zeitpunkt der Enteignung im Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates belegen sind (BVerfG NJW 19911 1597, 1599 f.; BGHZ 62, 340, 343; weitere Nachweise bei MüKo/Kreuzer, a.a .0., nach Art. 38 Anh. III Rdn. 14, 29). Um eine solche intraterritoriale Enteignung handelte es sich hier. Der Kaffee befand sich in Simbabwe, als dortige staatliche Stellen nach der Darstellung der Verfügungsklägerin von der Ware Besitz ergriffen und darüber verfügten. 10 3. Die Hinnahme fremdstaatlicher Enteignungen wird durch den Vorbehalt zugunsten des ordre public (Art. EGBGB) eingeschränkt. Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist danach nicht anzuwenden, wenn dies zu einem Ergebnis führt, welches mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Die Anwendung der Vorbehaltsklausel setzt allerdings voraus, dass der zu beurteilende Tatbestand eine genügende Inlandsbeziehung aufweist (Palandt/Heldrich, BGB, 62. Aufl. 2003, EGBGB 6 Rdn.  6). Die Entschädigungslosigkeit der Enteignung oder ein ihr sonst nach inländischer Gerechtigkeitsvorstellung anhaftender Makel reicht also, soweit die Enteignung Objekte im Territorium des enteignenden Staates betrifft, für sich allein nicht aus, um ihr die Wirksamkeit abzusprechen. Gegen diese einfachrechtliche Lage bestehen nach Auffassung des BVerfG (NJW 1991, 1597, 1600) von Verfassung wegen keine Bedenken. Auch der Senat geht von dem vorgenannten rechtlichen Ansatz aus. Dem von Seiten der Verfügungsklägerin zitierten Urteil BGHZ 118, 312 ff., 331 ist nichts Anderes zu entnehmen. Der BGH hat nicht etwa ausgesprochen, dass ohne Rücksicht auf das Vorliegen eines Inlandsbezugs zu prüfen sei, ob das konkrete Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts missbilligt werden müsse. Im Gegenteil hat er ausdrücklich daran festgehalten, dass das Eingreifen des ordre public-Vorbehalts nach Art. EGBGB eine hinreichend starke Inlandsbeziehung voraussetzt (BGHZ 118, 312, 348), die allerdings dort gegeben war, weil es

IV. OLG Hamburg, Urteil vom 07.01.2005

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um die Vollstreckbarkeitserklärung eines ausländischen Urteils ging und der durch eine positive Entscheidung beschwerte Beklagte auch über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügte und sich in Deutschland aufhielt (BGHZ 118, 312, 349). Soweit die Verfügungsklägerin in ihrem nachgereichten Schriftsatz den BGH mit dem Satz zitiert, dass die Gerichte der Bundesrepublik nicht berechtigt seien, ihre Hand dazu zu reichen, dass ohne Entschädigung durchgeführten Enteignungsmaßnahmen auf ihrem Gebiete zu einem weiteren sehr erheblichen Erfolge verholfen werde (BGHZ 391 220, 231), handelte es sich um fremdstaatliche Enteignungen in Bezug auf ein in Deutschland einzutragendes Warenzeichen. Anders als im vorliegenden Fall stand also keine intraterritoriale, sondern eine ultraterritoriale, zum Enteignungszeitpunkt außerhalb des Gebiets des fremden Staates befindliche Gegenstände betreffende Enteignung in Rede. 11 Eine genügende Inlandsbeziehung liegt hier nicht vor. Die Enteignung richtete sich nicht gegen einen deutschen Staatsbürger oder ein deutsches Unternehmen. Deutschland ist auch nicht der gewöhnliche Aufenthaltsort der Verfügungsklägerin bzw. ihrer Geschäftsführer. Die Verfügungsbeklagte ist zwar in Deutschland ansässig. Sie wird jedoch durch eine faktische Hinnahme der Enteignung nicht belastet. Im Gegenteil wäre sie nur dann betroffen, wenn man die Vorgehensweise des Staates Simbabwe an den Grundsätzen des deutschen ordre public messen wollte. Mit den Interessen der Verfügungsbeklagten kann eine solche Prüfung also gerade nicht gerechtfertigt werden. Es bleibt nach alledem nur der von der Verfügungsklägerin geltend gemachte Umstand, dass die Ware nach dem in Simbabwe abgeschlossenen Zugriff dortiger staatlicher Stellen aufgrund einer Kette von Veräußerungsvorgängen nach Deutschland gelangt sei. Das reicht nicht aus, um dem Geschehen in Simbabwe einen hinreichend engen Binnenbezug zu verleihen. Dabei geht es im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich um politische Rücksichtnahme auf einen Staat, der ohnehin in eine weitgehende internationale Isolation geraten ist. Entscheldungserheblich ist auch nicht, ob es ethisch geboten erscheint, (Menschen-) Rechtsverletzungen in aller Welt entgegen zu treten oder beim Kauf von Waren darauf zu achten, dass diese in fairer Weise hergestellt und vertrieben worden sind. Vielmehr ist allein relevant, ob ein rechtliches Interesse daran anzuerkennen ist, dass durch ein deutsches Gericht überprüft werden kann, ob fremde Staaten bei Enteignungen später nach Deutschland gelieferter Waren gegenüber ihren eigenen Staatsbürgern deutsche Gerechtigkeitsvorstellungen eingehalten haben. Letztere Frage ist zu verneinen. Im Rahmen eines globalen Handels treffen täglich Waren aus aller Welt zum Zwecke der Weiterverarbeitung, der Weiterveräußerung oder des Endverbrauchs in Deutschland ein. Nicht wenige stammen aus Staaten. in denen nicht der Rechtsschutz gewährleistet ist, welcher zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts gehört. Mit der Aufgabe, im Falle eines im Ausland vorausgegangenen hoheitlichen Zugriffs den Rechtsschutz zu bieten, den diese fremden Staaten ihren Staatsbürgern nicht bereit stellen, nur weil eine Kette von Veräußerungsvorgängen durch Deutschland führt, wäre die hiesige Gerichtsbarkeit überfordert. Völkerrechtswidriges Unrecht ist vielmehr auf anderem Wege, etwa durch politische Einflussnahme, durch den Abschluss von Konventionen zwischen den einzelnen Staaten und durch den Ausbau des Rechtsschutzsystems internationaler Instanzen zu bekämpfen. 12 Der Rechtsverfolgung steht weiter entgegen. dass das Absehen vom Territorialitätsprinzip aufgrund des ordre public eine Ausnahme sein soll. Ein solches Vorgehen würde aber zur Regel, wenn allein der Erwerb des Besitzes an einer Ware durch eine in Deutschland ansässige Firma ausreichte, um die Möglichkeit zu eröffnen, Vorgänge zu überprüfen, von denen ausschließlich ausländische Personen im Ausland betroffen wurden. Dass das bloße ­Verbringen entschädigungslos enteigneter Waren nach Deutschland keine wesentliche Inlandsbeziehung herstellt, ist von der Rechtsprechung wiederholt bestätigt worden (Chile-Kupfer-Streit: B ­ estreben ­enteigneter US-amerikanischer Aktionäre einer chilenischen Kupferminengesellschaft, von

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Annex B: Internationale Rechtsprechung

Chile nach Deutschland geliefertes Kupfer in Hamburg beschlagnahmen zu lassen. LG Hamburg, AWD 1973, 163 ff.; Bremer Tabak-Streit: Antrag von in Indonesien enteigneten niederländischen Tabakplantagen-Gesellschaften auf Herausgabe von aus ihren Pflanzungen stammendem Tabak, der nach Deutschland geliefert worden war, LG Bremen, AWD 1959, 105 f.; so auch bereits das Hanseatisches OLG Hamburg, MDR 1951, 560 ff., in einem Fall, in dem Vermögen einer in der damaligen Ostzone enteigneten Kommandit­gesellschaft nach Weiterveräußerung in der Ostzone in den Besitz einer in Hamburg ansässigen Firma gekommen war). Aus der Sicht des Senats macht es keinen entscheidenden Unterschied, ob der Besitz an der betreffenden Ware zum Zwecke der Weiterverarbeitung (wie im Chile-Kupfer­Streit), zum ­Zwecke des Weiterverkaufs in Kommission (wie im Bremer Tabak-Streit) oder zum Zwecke des Weiterverkaufs aufgrund Eigentumserwerbs (wie hier) begründet wurde. Entgegen der Darstellung der Verfügungsklägerin trifft es nicht zu, dass das OLG Bremen als Berufungsinstanz in dem Bremer Tabak-Streit einen Inlandsbezug nur deshalb im Ergebnis für nicht gegeben erachtet hat, weil die dortige Beklagte kein Eigentum erworben haben wollte. Vielmehr hat das OLG die Frage einer hinreichenden Inlandsbeziehung offen gelassen, weil nach Auffassung des Senats kein so schwerer Verstoß gegen den Zweck deutscher Gesetze und gegen die guten Sitten glaubhaft gemacht sei, dass deswegen dem indonesischen Enteignungsgesetz die Wirksamkeit versagt werden könnte (AWD 1959, 207 f.= IPRspr. 1958–59, S. 746, 761 ff.). Die Entscheidung des KG Berlin (NJW 1988, 341 ff.). auf die sich die Verfügungsklägerin zur Begründung einer hinreichenden Inlandsbeziehung weiter gestützt hat, ist durch Urteil des BGH vom 22. September 1988 (NJW 1989, 1352 ff.) abgeändert worden. 13 4. Die herrschende Meinung sieht in dem Territorialitätsgrundsatz ein materielles Anerkennungsprinzip und in einem Verstoß gegen den ordre public das einzige (bei Vorliegen eines hinreichenden Inlandsbezugs) in Betracht zu ziehende Anerkennungshindernis. Auf weitere Anerkennungsvoraussetzungen – wie etwa die Vereinbarkeit der Enteignung mit dem Verfassungsrecht und dem einfachen Gesetzesrecht des Enteignerstaates – kommt es danach nicht an (vgl. MüKo/Kreuzer, a. a. O., nach Art. 38 Anh. III Rdn. 18, 29, 32). Dieser Meinung schließt sich der Senat an. Fremdstaatliche Enteignungen können wegen ihres hoheitlichen Charakters nicht sachenrechtlichen Vorgängen im Bereich des Privatrechts, die gemäß Art.  43 EGBGB nach dem Recht des Staates zu beurteilen sind, in dem sich die Sache bis zum Abschluss des betreffenden Vorgangs befand, gleich gestellt werden. Es ist deshalb nicht zu entscheiden, ob in der Besetzung von „Ch. E.“ durch die Polizei und Armee des Staates Simbabwe, der Übergabe des Anwesens an die ARDA und der von der Verfügungsklägerin dargelegten Veräußerung des dort gelagerten Kaffees durch ARDA eine nach simbabwischem Recht wirksame Enteignung oder eine gleich .stehende hoheitliche Maßnahme zu sehen ist. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob der Annahme einer Enteignung in diesem Sinne entgegen steht, dass den eidesstattlichen Versicherungen der Rechtsanwältin … (Anlagen Ast 20, Ast 32 und Anlage zum Verhandlungsprotokoll vom 10. Dezember 2004, BI. 77 f. d.A.) zufolge bislang kein förmliches Enteignungsverfahren in Bezug auf „Ch. E.“ stattgefunden haben soll, namentlich kein Enteignungsbeschluss zugestellt und kein Antrag auf Bestätigung einer Enteignung bei einem Verwaltungsgericht eingereicht worden sein soll. Ebenso wenig ist entscheidend, ob ein solches förmliches Enteignungsverfahren nur das Land oder auch die hier in Rede stehenden, nach Darstellung der Verfügungsklägerin von ihr geernteten Früchte erfassen würde. 14 5. Hat aber der Senat über die Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Staates Simbabwe gegen die Verfügungsklägerin nicht zu entscheiden, so ist in dem vorliegenden Urteil entgegen der in ihrem Schriftsatz vom 27. Dezember 2004 vertretenen Meinung keine Anerkennung der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens zu sehen. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass ein solches

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Vorgehen von dem erkennenden Gericht in einem billigenden Sinne respektiert würde. Schon gar nicht sind die Gewaltakte, zu denen es nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin bei der Besetzung der Kaffeefarm gekommen sein soll, oder die Inhaftierung des Geschäftsführers der Verfügungsklägerin wegen eines Vorfalls im simbabwischen Parlament Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Zu diesen Klarstellungen sieht sich der Senat im Hinblick auf die Befürchtung der Verfügungsklägerin veranlasst, dass „Diktatoren und Unrechtsregime in aller Welt“ oder die „Opposition in Simbabwe“ der vorliegenden Entscheidung – fälschlich – eine andere „Botschaft“ entnehmen könnten. 15 II. 16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat es nicht bedurft, denn das Urteil ist rechtskräftig, wie sich aus § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergibt. 17 Die Festsetzung des Gegenstandswerts ist gemäß § 3 ZPO ergangen. Das Gericht hat das Interesse der Verfügungsklägerin an dem Erlass der einstweiligen Verfügung auf 1/3 des von ihr angegebenen Werts der gesamten Kaffeepartie von rund EUR 120.000,00 geschätzt.

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Verzeichnis der verwendeten Rechtsprechung Deutsche Urteile Gericht

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

BGH

Urteil vom 03.07.1997

III ZR 75/95

NJW-RR 1997, 1289

BGH

Beschluss vom 22.02.2001

III ZB 71/99

NJW 2001, 1730; MDR 2001, 645.

BVerfG („Pakelli“)

Beschluss vom 11.10.1985

2 BvR 336/85

NJW 1986, 1425 ff.

Kammer­ gericht Berlin

Urteil vom 18.05.2006

20 SCH 13/04

NJW-RR 2007, 1438; SchiedsVZ 2007, 100.

LG Hamburg („Chilenischer Kupferstreit“)

Urteil vom 22.01.1973

80 O 4/73

Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters 1973, S. 163–165.

LG Hamburg („Hamburger ­ Kaffeestreit“)

Beschluss vom 11.11.2004

327 O 639/04

Umdruck LG Hamburg

OLG Dresden

Urteil vom 31.01.2007

11 Sch 18/05

SchiedsVZ 2007, 327.

OLG Hamburg („Hamburger ­ Kaffeestreit“)

Urteil vom 07.01.2005

1 W 78/04

openJur 2011, 14454

OLG Köln

Beschluss vom 23.04.2004

9 Sch 01/03

SchiedsVZ 2005, 164.

OLG München

Urteil vom 13.02.1995

17 U 6591/93

OLG Report München 1995, 27; BeckRS 1995, 12658.

Annex

Abdruck Annex B

Abdruck­ Annex B

346

Verzeichnis der verwendeten Rechtsprechung

Gericht

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

OLG Rostock

Beschluss vom 29.10.1999

1 Sch 3/99

Betriebs­Berater 2000, Beilage Nr. 8 zu Heft 37, 20.

OLG Stuttgart

Urteil vom 10.03.1986

17 UF 40/86

IPRspr. 1986 Nr. 77.

Annex

Internationale Schiedssprüche/International Center for the Settlement of Investment Disputes (ICSID) oder UNCITRAL Gericht

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

Annex

ICSID

Schiedsspruch vom 13.11.2000

Case No. ARB/97/7

Emilio Augustin Maffezini v. Kingdom of Spain

ICSID Rev./ FILJ 16 (2001), S. 212 ff; ICSID Rep. 5 (2002), S. 396 ff; ILM 40 (2001), S. 1129 ff.

ICSID

Schiedsspruch vom 09.01.2003

Case No. ARB/ AF/00/1

ADF Group Incorporation ./. United States of America

ICSID Rep. 6 (2004), S. 470 ff.

ICSID

Schiedsspruch vom 29.05.2003

Case No. ARB/ AF/00/2

Técnicas Medioambientales Tecmed SA ./. Mexico

ILM 43 (2004), S. 133 ff.

ICSID

Schiedsspruch vom 25.05.2004

Case No. ARB/01/7

MTD Equity Sdn Bhd and MTD Chile SA ./. Chile

ICSID Rep. 12 (2007), S. 6 ff.

LCIA/­ UNCITRAL

Schiedsspruch vom 01.07.2004

Case No. UN 3467

Occidental ­ Exploration and Production­ Company ./. Ecuador

http://italaw. com/sites/de fault/files/casedocuments/ ita0571.pdf

ICSID

Schiedsspruch zur Zulässig­ keit vom 03.08.2004

Case No. ARB/02/8

Siemens AG ./.  Argentina

ICSID Rep. 12 (2007), S. 174 ff.

347

Verzeichnis der verwendeten Rechtsprechung Gericht

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

Annex

ICSID

Schiedsspruch zur Zulässig­ keit vom 29.11.2004

Case No. ARB/02/13

Salini Costrut­ tori SpA and Italstrade SpA ./. Jordan

ICSID Rev./ FILJ 20 (2005), S. 148 ff.

ICSID

Schiedsspruch zur Zulässig­keit vom 08.02.2005

Case No. ARB/03/24

Plama Consor­ tium Limited ./. Bulgaria

ICSID Rev./ FILJ 20 (2005), S. 262 ff.

ICSID

Schiedsspruch zur Zulässig­ keit vom 17.06.2005

Case No. ARB/03/10

Gas Natural SDG SA ./.  Argentina

http://italaw. com/sites/de fault/files/casedocuments/ ita0354.pdf

UNCITRAL

Schiedsspruch zur Zulässig­ keit vom 20.06.2006

UNCITRAL Case (ohne Register­ nummer)

Natural Grid PLC ./.  Argentina

http://italaw. com/sites/de fault/files/casedocuments/ ita0553.pdf

ICSID

Schiedsspruch vom 14.07.2006.

Case No. ARB/01/12

Azurix Corp. ./. Argentinia

http://italaw. com/documents/Azurix AwardJuly 2006.pdf

ICSID-Panel/ UNCITRAL

Schiedsspruch zur Zulässig­ keit vom 03.08.2006

Case No. ARB/03/19

AWG Group Ltd ./. Argentina (UNCITRAL); Suez, Sociedad General de Aguas de Barcelona SA and Vivendi universal SA ./.Argentina (ICSID)

http://italaw. com/sites/de fault/files/casedocuments/ ita0049.pdf

ICSID

Schiedsspruch zur Zulässig­ keit vom 13.09.2006

Case No. ARB/04/15

Telenor Mobile Communica­ tions AS ./. Hungary

ICSID Rev./ FILJ 21 (2006), S. 603 ff.

ICSID

Schiedsspruch vom 20.08.2007

Case No. ARB/97/3

Compañiá de Aguas del Acon­ quija S. A. and Vivendi Uni­ versal S. A. ./. Argentina

http://www.ita law.com/sites/ default/files/ case-docu ments/ita0215. pdf

348

Verzeichnis der verwendeten Rechtsprechung

Gericht

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

Annex

ICC Genève

Schiedsspruch vom 09.08.1988

Nr. 5622

Hilmarton Ltd. c. Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV)

Revue de l’Arbitrage 1993, 327 ff.

Internationaler ­Gerichtshof Gericht

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

Annex

IGH

Urteil vom 20.02.1969

Northsea Continental Shelf

Cases

Federal Republic of ­Ger­ many ./. Denmark; Federal Republic of Germany ./. Netherlands

ICJ Reports 1969, S. 3 ff.

IGH

Urteil vom 05.02.1970

Case Concerning ­Barcelona Traction, Light and Power Com­pany, Limited, 2nd phase

Belgium ./. Spain

ICJ Reports 1970, S. 3 ff.

IGH

Rechtsgutachten vom 21.06.1971

Legal consequences for States of the continued presence of SouthAfrica in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970)

ICJ Reports 1971, S. 16 ff.

IGH

Urteil vom 27.06.1987

Case Concerning military and para­military ­activities in and against Nicaragua, Merits

Nicaragua ./. United States of America

ICJ Reports 1986, S. 14 ff.

349

Verzeichnis der verwendeten Rechtsprechung Gericht

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

Annex

IGH

Urteil vom 30.06.1995

Case concerning East ­Timor

Portugal ./.  Australia

ICJ Reports 1995, S. 90 ff.

IGH

Urteil vom 27.06.2001

La Grand Case

Germany ./. United States of America

ICJ Reports 2001, S. 466 ff.

IGH

Rechtsgutachten vom 09.07.2004

Legal Conse­ quences of the Construction of a Wall in the Occupied Pales­ tinian Territory

ICJ Reports 2004, S. 136 ff.

Ausländische Urteile zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von ausländischen Schiedssprüchen Gericht

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

Annex

Arbitrazh ­ Gericht ­ Kemerovo Oblast

Urteil vom 20.07.2011

Case No. A27781/2011

Ciments Français ./. open Joint Stock Company ­ Sibirs­kiy Cement Holding

Zitiert nach: http://arbitra tion.practical law.com/6-5071334 (offizielle englische Übersetzung des Ge­richts ab­gedruckt in Annex B.)

House of Lords

Urteil vom 13.12.1973

[1976] AC 249.

Oppenheimer v. Cattermole

Supreme Court of the United States

Urteil vom 17.06.1974

Scherk v. Alberto-­ Culver Co.

417 U. S. 506

Öster­ reichischer Oberster ­ Gerichtshof

Entscheidung vom 20.10.1993

Radenska ./. Kajo

ÖJZ 1994, 513 ff.

Cour de Cassa­tion/ France

Entscheidung vom 23.03.1994

Hilmarton Ltd. C. Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV)

Revue Arbitrage 1994, 327–328.

350

Verzeichnis der verwendeten Rechtsprechung

Gericht

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

Cour de Justice du Canton de Genève

Entscheidung vom 17.11.1989

Hilmarton Ltd. C. Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV)

Revue Arbitrage 1993, S. 316–321.

Annex

Tribunal ­ Fédéral Suisse

Entscheidung vom 17.04.1990

Hilmarton Ltd. C. Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV)

Revue Arbitrage 1993, 322–325.

Cour d’appel Paris

Entscheidung vom 20.06.1980

Clair ./.  Berardi et al.

Revue de l’Arbitrage 1981, 424–426.

Cour d’appel Paris

Entscheidung vom 19.12.1991

Hilmarton Ltd. C. Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV)

Revue Arbitrage 1993, 300–302.

Cour d’appel Versailles

Entscheidungen vom 29.06.1995

Hilmarton Ltd. C. Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV) II

Revue Arbitrage 1995, 640–645 ; Revue Arbitrage 1995, 646–650.

Cour de ­ cassation

Entscheidung vom 09.10.1984

Pabalk Ticaret limited Sirketi ./. Norsolor S. A.

Revue Arbitrage 1985, 431 ff.

Cour de ­ cassation

Entscheidung vom 10.06.1997

Hilmarton Ltd. C. Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV) II

Revue Arbitrage 1997, 376–377.

England and Wales High Court of ­ Justice,

Urteil vom 24.05.1999

Queen’s Bench Division

Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV) ./. Hilmarton Ltd.

1998 Folio No. 1003 ; 1999 Westlaw 477773.

England and Wales High Court of ­ Justice,

Urteil vom 19.05.2003

Queen’s Bench Division, Commercial Court, per Judge Have­ lock-­Allan, Q. C.

PT Putrabali Adyamulia ./. Sociéte Est ­ Epices

EWHC 2003, 3089 (Comm)

351

Verzeichnis der verwendeten Rechtsprechung Gericht

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

England and Wales High Court of Justice

Urteil vom 20.01.1997

China Agri­ business De­ velopment Cor­poration v. Balli Trading

Lloyd’s Rep. 2 (1998), S. 76.

Annex

Cour d’appel de Paris

Entscheidung vom 31.03.2005

Rena Holding ./. PT Putrabali Adyamulia

Revue de l’Arbitrage 2006. S. 665.

Cour de ­ cassation/ France

2 Entscheidungen vom 29.06.2007

1ère chambre civile, 05-18.053 und 06-13.293

Rena Holding ./. PT Putrabali Adyamulia

Tribunal de première Instance ­ Bruxelles

Entscheidung vom 06.12.1988

Société Natio­ nale pour la Recherche, le Transport et la Commercialisation des ­Hydrocarbures (Sonatrach) ./. Ford, Bacon and Davos, Inc.

Yearbook Commercial Arbitration 15 (1990), S. 370–377

United States District Court, District Court of Columbia

Entscheidung vom 31.07.1996

Chromalloy Aeroservices ./. Arab Republic of Egypt

939 F.Supp. 907; I. L. M. 35 (1996), 1363– 1381

Gerechtshof ­ Amsterdam

Entscheidung vom 28.04.2009

200.005.269/01

Yukos Capital S. A. R. L.  ./. OAO Rosneft

LJN: BI2451 (abgedruckt in Annex B)

England and Wales Court of Appeal (Civil Division)

Entscheidung vom 27.06.2012

Case No.: A3/2011/1790

Yukos Capital S. A. R. L.  ./. OAO Rosneft

EWCA 2012 Civ 855.

Supreme Court of Texas

Urteil vom 14.06.1887

Rains ./. Herring

68 Tex. 468.

Revue de l’Arbitrage 2007, S. 507.

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurden nur in die Rechtsprechungsübersicht aufgenommen, sofern sie nicht in den offiziellen Entscheidungssammlungen bzw. der internet­ gestützten offiziellen Datenbank des EGMR (HUDOC) zu finden sind.

Sachwortverzeichnis § 328 Abs. 1 ZPO  36, 43 § 1061 Abs. 1 ZPO  39, 91, 95, 151 Absolutismus 79 Act of State-Doktrin  50, 51, 70, 71, 73, 75, 284 actio ex compromisso  77 Advanced Passenger Information siehe APIDaten Aeropag 210 allgemeine Rechtsgrundsätze  80, 229 allgemeiner Justizgewährungsanspruch  141, 145, 146, 284 Anerkennung 36 Anforderungen an einen ausländischen Schiedsspruch 198 angemessenes Datenschutzniveau siehe  Angemessenheit Anna Politkovskaya  68, 69 Anspruch auf willkür- und ermessensfehlerfreie Entscheidung  185 Arbitrazh Gericht  64 ARS siehe Airline-Reservierungssysteme Art.  3 Abs.  1 GG 32, 135, 140, 146, 158, 159, 161, 162, 163, 165, 166, 168, 169, 172, 207, 259, 284 Art. 6 EMRK  141, 190, 192 Art. 14 Abs. 1 GG  149 Art. 19 Abs. 3 GG  169, 170, 171, 172, 173 Art. 19 Abs. 4 GG  136, 141, 142, 143, 145 Art. 20 Abs. 3 GG  144, 152, 153, 159, 169, 174 Art.  25 GG 138, 179, 227, 228, 230, 239, 265, 267 Art.  59 Abs.  2 S.  1 GG  93, 178, 179, 180, 217, 243 Art. 103 GG  200 Art. IX EuÜ siehe Art. IX Europäisches Übereinkommen Art. IX Eu-Übereinkommen  128 Art.  V Abs.  2 lit. b)  UN-Übereinkommen  30, 137, 152, 153, 156, 198, 256

Art. V Abs. 2 UNÜ  107, 109 ATS siehe Automated Targeting System ATSA siehe Aviation and Transportation Security Act Aufhebungsgründe 23, 25, 42, 43, 65, 88, 90, 112, 122, 126, 129, 130, 131, 133, 159, 160, 161, 162, 167, 168, 195, 259 ausländische juristische Person 142, 171, 172, 173, 174, 175, 205, 284 ausländischer Schiedsspruch  21 Auslegungskriterien der EMRK  192 authentische Auslegung  99 authentische Texte  100 Automatic Selectee-Liste siehe watchlists Barcelona Traction  171, 238, 246 BCR siehe Verbindliche Unternehmensregelungen Bedeutung der privaten internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit 51 Belgien 62 Beobachtungslisten siehe watchlists Berichtigung siehe Löschung Besatzung  234, 236 beschränkte Verweisung  92 bilaterale Investitionsschutzabkommen  174 bilaterale Investitionsschutzverträge  186, 243 Binding Corporate Rules siehe Verbindliche Unternehmensregelungen Bodenreform III  231, 267 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 51 BVerfG –– „Spanier“-Beschluss 253 CAFTA-DR 220 Calvo-Doktrin 243 CBP siehe Custom and Border Protection chilenischer Kupferstreit  272 China 40

Sachwortverzeichnis Chromalloy Aeroservices ./. Arab Republic of Egypt 62 Ciments Français ./. Sibirskiy Cement Holding Company 64 Code de procédure civile (1806)  80 Cour de cassation  57 CRS siehe Computer Reservierungssysteme Datenfluss im internationalen Kontext siehe  Datenfluss Datenschutzniveau siehe Angemessenheit denationalisierter Schiedsspruch siehe  internationalisierter Schiedsspruch denial of justice  243, 244, 263, 274 deutsche Rechtsentwicklung  81 deutscher Außenhandel  24 DHS siehe  Department of Homeland Security District Court for the District of Columbia  62 Doppelkontrolle  112, 115, 116, 117, 118, 131, 132, 155, 192 doppelte Analogie des § 328 Abs. 1 ZPO  37 doppelte Exequatur  82 Doppelvollstreckung  55, 157 Dutch proposal  89 dynamische Auslegung  119, 122, 128, 195 dynamische Interpretation siehe dynamische Auslegung EBSVERA siehe Enhanced Border Security and Visa Entry Reform Act Effet utile  193 EGMR 66, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 186, 190, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 202, 203, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 236, 244, 260, 263, 285 Eigentumsschutz 149, 152, 179, 202, 207, 235, 238, 245, 258 Einfallstor der Grundrechte in das Internationale Privatrecht  252, 253 England and Wales Court of Appeal  72 England and Wales High Court  60, 70, 73, 74 Entscheidung über fremde Hoheitssakte  136 erga omnes-Verpflichtung 238 Ergebniskorrektur 252 Ermessen 29

353

EuGH –– Überseering 170 EuGVVO  26, 27, 77, 221, 222, 223 Europäische Menschenrechtskonvention  179, 182, 190 Europäisches Übereinkommen 22, 42, 65, 119, 125, 126, 127, 131, 132, 160, 195, 196, 197 siehe Eu-Übereinkommen Europarat 68 EU-Russia Centre  68 Eu-Übereinkommen 22, 64, 90, 167, 168, 226 Exequatur  22, 82, 83, 89, 90, 117, 118, 156, 222 fair and equitable treatment  243, 245 faires Verfahren 68, 199, 210, 211, 212, 225 FIDIC  40, 51 Fluggastdaten siehe PNR-Daten Förderung der Vollstreckbarkeit  109 Forschungsstand 26 Forum non conveniens  110 forum shopping  52 Frankreich  29, 54, 61, 80 französische Sprachfassung 103, 111, 114, 115, 118, 124, 130 französische Verfassung von 1791  79 Freedom House  68 Fremdenrecht  204, 217, 241, 243 Friendly-Relations-Declaration 247 GDS siehe Globale Distributionssysteme Gegenwartsbezug 261 gemäßigte Transformationstheorie  95 Generalversammlung der Vereinten Natio­nen  122 Genfer Abkommen  84 Genfer Abkommen von 1927  84, 89, 90, 109, 115 Gerechtshof Amsterdam  67 Gerichtsstandswahl 51 Gleichheitsgrundsatz  158, 159, 161, 165, 166, 172, 271 Görgülü-Entscheidung  181, 184, 185 Gretchenfrage der Schiedsgerichtsbarkeit  47 Gründungstheorie 170 guten Sitten  255

354

Sachwortverzeichnis

Haager Landkriegsordnung  235 Hamburger Kaffeestreit  275 Handeln eines fremden Hoheitsträgers  136 High Court of England and Wales  102 High Court of Justice  59, 68 Hilmarton Ltd. ./. Omnium de Traitement et de Valorisation (OTV)  55 hinkende Rechtsverhältnissen  256 ICSID 28 IGH –– Nicaragua 247 –– North Sea Continental Shelf – Case  127 indonesischer Tabakstreit  268 Information Privacy Law siehe Right to Privacy Inhalts- und Schrankenbestimmung  151, 152, 153, 154, 159, 284 Inlandsbezug  141, 261, 263, 264, 266, 276, 285 innerstaatliche Normenhierarchie  47 International Chamber of Commerce  89 International General Produce Association  60 International Law Commission 119, 123, 247 International Standard Annulment  29 Internationaler Datenfluss siehe Datenfluss internationales Gericht für die Streitbeilegung bei der Vollstreckung von Schiedsurteilen 28 internationalisierter Schiedsspruch 55, 114, 132 internationalistische Ansicht  45, 50, 54, 62, 77, 80 Investitionsschutzrecht  217, 245, 286 Issue estoppel  70 ius cogens 230, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 240, 246, 247, 266, 282, 286 judicial abstention principle  71 jurisdiktionell-prozessuale Ansicht siehe territoriale Ansicht Justizgarantien  190, 198, 225, 260 Kajo-Erzeugnisse Essenzen GmbH v. Zdravi­ lisce Radenska  37 Kammergericht Berlin  40 Kapitalverkehrsfreiheit 33

Konstitutionalisierungsdebatte 35 Korrekturverpflichtung  231, 237, 238, 239, 265 LaGrand 28 Law-making treaty  194 legitimate expectation  206 lex rei sitae  273, 278 lex specialis  62, 112, 125, 132, 222, 235 living instrument  194 local remedies rule  218 Local Standard Annulment  30 Maffezini ./. Spain  218 Malaysia 24 manifest disregard of the law  63, 110, 128 margin of appreciation  195 materiellrechtlicher ordre public  253, 256 Mavrommatis 123 may  102, 106 Meistbegünstigungsklausel 21, 29, 38, 42, 43, 57, 63, 90, 104, 112, 113, 114, 126, 217, 218, 219, 220 Mindeststandard für den Vollstreckungsgläubiger  112, 113 nachträgliche Aufhebung einer Aufhebungsentscheidung im Sitzstaat  39 neue Formel  162, 164, 166 Nicht-Mitgliedstaaten des Europäischen Übereinkommens 197 No Fly-Liste   norm-creating character  127 Norsolor  29, 104 obiter dictum  236, 237, 246 Offensichtlichkeit  257, 258, 261, 268 OLG Dresden  41 OLG Rostock, Beschluss v. 29.10.1999  38 opinio iuris  128, 229, 242, 243 ordre public  25, 30, 37, 38, 57, 58, 59, 63, 65, 67, 68, 69, 73, 74, 107, 128, 133, 138, 153, 156, 181, 190, 192, 195, 198, 199, 208, 217, 227, 229, 239, 240, 249, 251, 252, 262, 268, 269, 272, 277 ordre public international 30, 73, 80, 256, 258, 266, 267 Österreich 63

Sachwortverzeichnis Passagierdaten siehe PNR-Daten poder 108 political embarrassment principle  71 positive Funktion der Vorbehaltsklausel  262 pouvoir 108 Preußen 81 Privacy siehe Right to Privacy Privatautonomie  29, 44, 45, 47, 54, 57, 63, 111, 120 PT Putrabali Adyamulia./. Rena Holding  59 Pull-System siehe Übermittlungsmodalitäten Push-System siehe Übermittlungsmodalitäten Radbruch’schen Formel  278 Radenska ./. Kajo  63 Rains v. Herring  102 receptum 78 rechtliches nullum  22, 26, 44, 50, 73, 74 Rechtsmissbrauch 133 Rechtsstaatsprinzip 93, 97, 141, 144, 146, 152, 153, 161, 169, 173, 174, 175, 178, 182, 183, 185, 186, 187, 208, 232, 260, 281, 283, 285, 286 Relativität  258, 259, 261, 282 Relativität des ordre public  261, 282, 285 restriktive Auslegung  123, 124 révision au fond  25, 78, 81, 257 Russland 64 Schutz der allgemeinen Gesetze  175 schweizerisches Bundesgericht  57 Selbstregulierung siehe Right to Privacy SFPD siehe Secure Flight Passagierdaten shall 107 Sicherungsverwahrung 183 Sinn und Zweck des UN-Übereinkommens  109 Sitzstaat 22, 24, 26, 29, 43, 89, 116, 167, 197, 217, 223 Sitztheorie  163, 170, 171 soft law  121, 267 Sonatrach ./. Ford, Bacon and Davos  62 spanische Sprachfassung  104 StIGH –– Lotus-Entscheidung 238 subjektiver Rechtsanspruch nach einfachem Recht 148 Systematische Auslegung  106

355

teleologische Reduktion des Art. V Abs. 1 lit. e) UN-Ü 112 territoriale Ansicht  43, 48, 81, 85, 132 Transformationsgesetz  147, 150, 160, 284 Transformationstheorie 94 Transparency International  68 Tribunal de première instance Bruxelles  62 TSA siehe  Transportation Security Administration TSC siehe  Transportation Security Administration UN-Charta  89, 122, 238, 246 UNCITRAL  24, 25, 27, 28, 29, 41, 55, 83, 118, 119, 123, 128, 219 UNCITRAL-Modellgesetz 118, 119, 120, 128 UNCITRAL-Modellgesetz zur Schiedsgerichtsbarkeit 25 UNCITRAL-Rules 55 UNCITRAL-Schiedsregeln  25, 118, 119, 120 unmittelbare Anwendbarkeit  92 UN-Übereinkommen  21, 25, 27, 36, 44, 48, 52, 57, 67, 69, 85, 89, 90, 95, 113, 153, 161, 168, 287 UN-Wirtschaftskommission für Europa 23, 125 USA 62 US-Recht –– Right to Privacy   verfahrensrechtliche ordre public  259 Verfassungsbeschwerde  137, 176, 177, 178, 181, 182, 185, 231, 232, 241, 245, 254, 284 verfassungskonforme Auslegung der Relativitätskriterien 264 Verhältnis der beiden Vollstreckungsübereinkommen 159 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  151, 153, 281 Völkergewohnheitsrecht 98, 179, 192, 229, 230, 235, 239, 240, 241, 243, 244, 246, 266, 279, 284 völkergewohnheitsrechtliches Fremdenrecht  241, 242, 244, 245, 278 Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes  95, 178, 179, 180, 183, 184, 185, 190, 191, 233, 263, 265, 285

356

Sachwortverzeichnis

völkerrechtswidrige ausländische Hoheitsakte  230 Vollstreckungshindernis  22, 23, 30, 31, 42, 50, 52, 55, 57, 64, 65, 89, 96, 100, 107, 110, 111, 113, 114, 115, 116, 131, 153, 156, 221 Vollstreckungsübereinkommen des 19. Jahrhunderts 82 Vollzugstheorie 94 Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit  24 Wesensvorbehalt 172

Wiener Vertragskonvention  97, 98, 99, 100, 118, 120, 122, 126, 152, 153, 192, 193, 196, 197, 245 Willkürkontrolle 161 Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen 23 Yukos Capital S.  A. R. L. ./. OAO Rosneft  65 Zustimmungsgesetz 91 Zwei-Plus-Vier-Vertrag 234