Demokratie, Nation, Belastung: Kollaboration und NS-Belastung als Nachkriegsdiskurs in Frankreich, Österreich und Westdeutschland 9783110771602, 9783110763287

How could postwar democracy exist without real "denazification"? A discourse-analytical comparison of West Ger

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German Pages 186 [188] Year 2022

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Prolog Kontext und Verläufe nationaler Belastungsdiskurse
I. Belastung und Nation Politische Sanktionierung als nationaler Diskurs
II. Belastung und Demokratie Politische „Säuberung“ als demokratische Herausforderung
III. Entlastung und Versöhnung Nationale Amnestiediskurse
Zusammenfassung und Ausblick
Abkürzungsverzeichnis
Bibliographie
Personen- und Sachregister
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Demokratie, Nation, Belastung: Kollaboration und NS-Belastung als Nachkriegsdiskurs in Frankreich, Österreich und Westdeutschland
 9783110771602, 9783110763287

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Demokratie, Nation, Belastung

Historische Zeitschrift // Beihefte (Neue Folge)

beiheft 80 herausgegeben von andreas fahrmeir und hartmut leppin

Thorsten Holzhauser

Demokratie, Nation, Belastung Kollaboration und NS-Belastung als Nachkriegsdiskurs in Frankreich, Österreich und Westdeutschland

Das Forschungsprojekt wurde gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Library of Congress Control Number: 2021948903

© 2022 Walter De Gruyter GmbH, Berlin/Boston www.degruyter.com Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Verielfältigung dieses Werkes oder von Teilen diesen Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Gestaltung: Katja v. Ruville, Frankfurt a. M. Satz: Roland Schmid, mediaventa, München Druck und Bindung: Franz X. Stückle Druck und Verlag e.K., Ettenheim Umschlagabbildung: Wien, Heldenplatz, Eingang zum Leopoldinischen Trakt der Hofburg, Skulptur in Nische, Justitia et Clementia (picture alliance / Barbara Opitz / www.bildarchiv-m) isbn 978-3-11-076328-7 e-isbn (pdf) 978-3-11-077160-2 e-isbn (epub) 978-3-11-077167-1

Inhalt

Vorwort

_____

7

Einleitung

_____

9

1. Politische Belastung als gesellschaftliche Herausforderung

_____

9

2. Belastung, Demokratie, Nation

_____ 12

3. Diskursgeschichte politischer Belastung

_____ 15

4. Einordnung in den Forschungskontext

_____ 21

5. Aufbau und Leitthesen der Studie

_____ 27

Prolog Kontext und Verläufe nationaler Belastungsdiskurse

_____

29

_____

41

I. Belastung und Nation Politische Sanktionierung als nationaler Diskurs 1. Bons et mauvais citoyens: Die französische épuration

_____ 41

2. Freunde und Feinde Österreichs: Das „Naziproblem“ und die Verbotsgesetzgebung

_____ 48

3. Verbrecher und Mitläufer: Die westdeutsche Entnazifizierung

_____ 57

II. Belastung und Demokratie Politische „Säuberung“ als demokratische Herausforderung

_____

65

1. Épuration und Republik: Belastungs- und Demokratiediskurse in Frankreich

_____ 65

2. Das „Naziproblem“ als Demokratieproblem? Belastungs- und Demokratiediskurse in Österreich

_____ 71

3. Entnazifizierung oder Demokratisierung? Belastungs- und Demokratiediskurse in Westdeutschland

_____ 77

III. Entlastung und Versöhnung Nationale Amnestiediskurse

_____

87

1. La France maternelle: Entlastung und Amnestie in Frankreich

_____ 87

2. Befriedungsaktion: Entlastung und Amnestie in Österreich

_____ 100

3. Befreiung durch Versöhnung: Entlastung und Amnestie in der Bundesrepublik Deutschland

_____ 111

Zusammenfassung und Ausblick

_____ 125

1. Konvergenz und Divergenz

_____ 125

2. Belastung und Sprache

_____ 128

3. Nation und Verrat

_____ 130

4. Demokratie und Inklusion

_____ 134

5. Binäre und differenzierte Diskurse

_____ 140

6. Innen und Außen

_____ 143

7. Wege seither

_____ 146

Abkürzungsverzeichnis

_____ 153

Bibliographie

_____ 155

Personen- und Sachregister

_____ 183

Vorwort

Die vorliegende Studie ist im Rahmen des Forschungsprojekts „Regimewechsel und Elitenkontinuität in post-totalitären Demokratien nach 1945“ an der JohannesGutenberg-Universität Mainz entstanden. Mein Dank gilt der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, die das Projekt von 2017 bis 2020 im Rahmen des Forschungsprogramms zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zentraler deutscher Behörden gefördert hat, sowie dem Präsidenten des Bundesarchivs, Herrn Dr. Hollmann, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mit der Koordinierung des Forschungsprogramms betraut waren. Besonders danken möchte ich Andreas Rödder für seine Projektidee, seine Unterstützung und sein Vertrauen wie auch dem Projektteam um Theresa Hecker und Paul Treffenfeldt, ohne deren Mitarbeit diese Studie nicht umsetzbar gewesen wäre; daneben Michael Kißener und Verena von Wiczlinski für die gemeinsamen Initiativen und die regelmäßigen Arbeitstreffen, die mir über manche schwere Stunde hinweggeholfen haben; dem Arbeitsbereich Neueste Geschichte und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Mainzer Forschungskolloquiums, mit denen ich eine lose Idee und ein fertiges Manuskript diskutieren durfte; den Herausgebern Andreas Fahrmeir, Hartmut Leppin und der HZ-Redaktion um Roland Cvetkovski; und nicht zuletzt Caroline Weis: Da dieses Buch nicht nur mir, sondern auch ihr häufig genug zur Belastung wurde, ist es ihr gewidmet. Thorsten Holzhauser

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Einleitung

1. Politische Belastung als gesellschaftliche Herausforderung Die Auseinandersetzung mit politischer Belastung gehört zu den wesentlichen Herausforderungen von Transformationsgesellschaften. Dass bestimmte Personengruppen nach Kriegen, Diktaturen und politischen Regimewechseln als kompromittiert gelten, ist ein typisches Merkmal politischer Umbruchprozesse, wie sie gerade das 20.Jahrhundert zahlreich gesehen hat. Die politische Belastung von Personen spielt insbesondere im Zusammenhang mit „Säuberungs-“ und Sanktionierungsverfahren eine Rolle, aber auch im Kontext von Amnestie und Reintegration – und sie kann viele Formen annehmen. Mal resultiert eine Kompromittierung aus der Rolle von Personen im vorangegangenen Regime, mal aus ihren Handlungen im Krieg, mal aus einer politischen Einstellung, Äußerung oder Betätigung. Als politisch belastend können Verbrechen gegen die Menschlichkeit ebenso wirken wie Loyalitätsbekundungen an eine bestimmte Partei oder an den Kriegsgegner. Mal ergibt sich politische Belastung aus der unmittelbaren Vergangenheit und mal aus einer länger zurückliegenden Zeit. In allen Fällen hat die Vorstellung, dass eine Person durch ihre Vergangenheit kompromittiert oder diskreditiert ist, einen wesentlichen Gegenwarts- und Zukunftsbezug: In welcher Situation welche Vergangenheit als wie belastend angesehen wird, sagt viel über das moralische Verständnis und die politisch-sozialen Gegebenheiten der Jetztzeit aus, und zugleich sind mit der Zuschreibung politischer Belastung immer auch Auswirkungen verknüpft. Wer jemanden als „belastet“ kennzeichnet oder diese Zuschreibung zurückweist, verbindet damit Konsequenzen für die Gegenwart und Zukunft: sei es, dass die Person anders behandelt wird (z.B. durch Ausschluss von einem Amt), sei es, dass sie gleich behandelt werden soll (z.B. durch Wiedereinsetzung in ein Amt). Politische Belastung spielte in der europäischen Geschichte des 20.Jahrhunderts insbesondere nach den politischen Zäsuren der Jahrhundertmitte und des Jahrhundertendes eine Rolle. Von hervorgehobener Bedeutung gerade für die politische

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Kultur im demokratischen Europa bleibt dabei das erste Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1940er und 1950er Jahren mussten die Gesellschaften des Kontinents nicht nur mit den physischen, materiellen und psychologischen Folgen des Krieges kämpfen. Sie erlebten auch umfassende politische, soziale und kulturelle Transformationsprozesse. 1 Als „integrale Bestandteile“ dieser Prozesse müssen Phänomene wie politische „Säuberungen“, Strafprozesse, Wiedergutmachungsleistungen, Amnestie- und Straffreistellungsmaßnahmen gedeutet werden. 2 Das Problem politischer Belastung manifestierte sich dabei in Deutschland, Österreich und Italien insbesondere in der Frage, wie mit „faschistisch“ und „nationalsozialistisch belasteten“ Personen in Staat und Gesellschaft verfahren werden sollte. Aber auch in Ländern wie Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Dänemark oder Norwegen, die Besatzung und Kollaboration erlebt hatten, musste nach dem Zweiten Weltkrieg ein Weg gefunden werden, mit „Kollaborateurinnen“ bzw. „Kollaborateuren“ und Trägergruppen der Besatzungsregime zu verfahren. 3 Dabei war die jeweilige Kompromittierung dieser Personen nirgendwo ein unstrittiges Faktum, sondern in allen Nachkriegsgesellschaften Teil eines politisch-gesellschaftlichen Verständigungsprozesses, der bisweilen Züge eines kontroversen Deutungskampfes trug. Welche Personengruppen aus welchem Grund als wie schwer belastet galten und welche Schlussfolgerungen sich daraus für den Umgang mit ihnen ergab, war das Ergebnis komplexer Zuschreibungs- und Aushandlungsprozesse, in denen es keineswegs

1 Pieter Lagrou, The Legacy of Nazi Occupation, Patriotic Memory and National Recovery in Western Europe, 1945–1965. Cambridge 2009; Dominik Geppert (Ed.), The Postwar Challenge. Cultural, Social, and Political Change in Western Europe, 1945–58. London 2003; Andreas Wirsching, Toward a New Political Culture? Totalitarian Experience and Democratic Reconstruction after 1945, in: Jens Späth (Ed.), Does Generation Matter? Progressive Democratic Cultures in Western Europe, 1945–1960. München 2018, 29–45, dort 32ff. 2 Annette Weinke, Die Bundesrepublik Deutschland – ein Fall von Transitional Justice avant la lettre? In: Anja Mihr/Gert Pickel/Susanne Pickel (Hrsg.), Handbuch Transitional Justice. Wiesbaden 2020, 1–26, dort 5; vgl. auch Guillaume Mouralis/Annette Weinke, Justice, in: Martin Conway/Pieter Lagrou/Henry Rousso (Eds.), Europe’s Postwar Periods – 1989, 1945, 1918: Writing History Backwards. London et al. 2007, 55–80. 3 Vgl. Klaus Kellmann, Dimensionen der Mittäterschaft. Die europäische Kollaboration mit dem Dritten Reich. Wien 2018. Italien spielt eine gewisse Sonderrolle, insofern das Land sowohl ein autochthones faschistisches Regime als auch seit 1943 ein Besatzungsregime im Norden des Landes kannte. Siehe hierzu ausführlich Hans Woller, Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943–1948. Stuttgart 1996.

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BEIHEFT

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nur um individuelle Verantwortlichkeiten ging, sondern um kollektive Fragen der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und des künftigen Zusammenlebens. 4 Die „zeitgebundene und relationale“ Dimension der Kategorie Belastung ist in jüngster Zeit mehr und mehr ins Bewusstsein der historischen Forschung getreten und hat Anlass zur Forderung gegeben, sich stärker als früher mit „zeitgenössischen Wahrnehmungen von Belastungen“ zu beschäftigen, d.h. die Frage in den Mittelpunkt zu stellen, „wer wegen einer bestimmten Vergangenheit als diskreditiert galt“ – und wer nicht. 5 Dass der Belastungsbegriff in unterschiedlichen sozialen Kontexten, von verschiedenen Akteuren je unterschiedlich ausgelegt und immer wieder neu definiert wird, begründet auch den Ruf nach transnationalen und komparativen Studien. 6 Während in diesem Zusammenhang bislang vor allem Vergleiche mit der DDR in Angriff genommen wurden 7, steht eine international vergleichende Forschung zur Auseinandersetzung mit politischer Belastung noch relativ am Anfang – auch wenn es wiederholt Impulse in diese Richtung gegeben hat. 8 Dabei kann ein

4 Vgl. Jon Elster, Coming to Terms with the Past. A Framework for the Study of Justice in the Transition to Democracy, in: European Journal of Sociology 39, 1998, 7–48, dort 17–22. 5 Frank Bösch/Andreas Wirsching, Erfahrene Männer. Das Personal der Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin, in: Stefan Creuzberger/Dominik Geppert (Hrsg.), Die Ämter und ihre Vergangenheit. Ministerien und Behörden im geteilten Deutschland 1949–1972. Paderborn 2018, 163–181, dort 165; Frank Bösch/ Andreas Wirsching, Einleitung, in: Dies. (Hrsg.), Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und OstBerlin nach dem Nationalsozialismus. Göttingen 2018, 13–26, dort 20. 6 Vgl. Christian Mentel/Niels Weise, Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus. Stand und Perspektiven der Forschung. München/Potsdam 2016, 90; Stefan Creuzberger/Dominik Geppert, Die Ämter und ihre Vergangenheit. Eine Zwischenbilanz, in: Dies. (Hrsg.), Die Ämter und ihre Vergangenheit, 183–199, dort 184. 7 Vgl. Creuzberger/Geppert (Hrsg.), Die Ämter und ihre Vergangenheit; Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung; Katrin Hammerstein, Gemeinsame Vergangenheit – getrennte Erinnerung? Der Nationalsozialismus in Gedächtnisdiskursen und Identitätskonstruktionen von Bundesrepublik Deutschland, DDR und Österreich. Göttingen 2017; Bereits älter: Jürgen Danyel (Hrsg.), Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten. Berlin 1995; Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigung 1949–1969 oder: Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg. Paderborn 2002. 8 Vgl. Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hrsg.), Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem zweiten Weltkrieg. München 1991; Holger Afflerbach/Christoph Cornelißen (Hrsg.), Sieger und Besiegte. Materielle und ideelle Neuorientierungen nach 1945. Tübingen u. a 1997; Michael Kißener, „Vergangenheitsbewältigung“ im Vergleich. Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Wolfgang Elz/Sönke Neitzel (Hrsg.), Internationale Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Paderborn u.a. 2003, 403–415; Walter Schuster/Wolfgang Weber (Hrsg.), Entnazifizierung im regionalen Vergleich. Linz 2004; Wolfgang Weber, Arenen und Akteure. Vergleichende Aspekte der Entna-

EINLEITUNG

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Blick auf die verschiedenartigen politischen Belastungsdiskurse, ihre Annäherungen, Überlagerungen und gegenseitigen Abgrenzungen wesentlich dazu beitragen, die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der frühen Bundesrepublik zu historisieren und zu kontextualisieren. Zum einen können diskursive Muster, Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Bezüge herausgearbeitet werden, zum anderen kann gezeigt werden, wie die Auseinandersetzung mit politischen Belastungen in der Nachkriegszeit mit anderen historischen Problemlagen korrespondierte und interagierte. 9

2. Belastung, Demokratie, Nation In dieser Studie sollen zwei Zusammenhänge genauer betrachtet werden, die in der deutschsprachigen Forschung bereits als wesentliche Interaktionsfelder politischer Belastungsdiskurse identifiziert worden sind: Demokratie und Nation. Die europäischen Gesellschaften standen am Ende des Weltkriegs vor der Aufgabe, den Wiederaufbau von Wirtschaft und Staatlichkeit mit der Suche nach neuer politischer Legitimität zu verbinden. Dabei trafen radikale sozialrevolutionäre Ideen und bürgerlich-konservative Rekonstruktionskonzepte aufeinander und führten zur zifizierung in Deutschland und Österreich, in: Ingrid Böhler/Michael Gehler (Hrsg.), Verschiedene europäische Wege im Vergleich. Österreich und die Bundesrepublik Deutschland 1945/49 bis zur Gegenwart. Innsbruck u.a. 2007, 388–403; Birgit Hofmann (Hrsg.), Diktaturüberwindung in Europa. Neue nationale und transnationale Perspektiven. Heidelberg 2010; Norbert Frei (Hrsg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Göttingen 2006; Agnes Blänsdorf, Zur Konfrontation mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik, der DDR und in Österreich, in: APuZ 16/17, 1987, 3–18; Arnd Bauerkämper, Das umstrittene Gedächtnis. Die Erinnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945. Paderborn 2012; zuletzt Marc Bergère/Jonas Campion/Emmanuel Droit/Dominik Rigoll/Marie-Bénédicte Vincent (Eds.), Pour une histoire connectée et transnationale des épurations en Europe après 1945. Brüssel 2019; vgl. auch aktuell: „Compromised Identities? Reflections on Perpetration and Complicity under Nazism“ [https://www.ucl.ac.uk/institute-of-advanced-studies/compromised-identities-reflections-perpetration-and-complicity-under-nazism]. 9 Siehe hierzu Hartmut Kaelble, Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20.Jahrhundert. Frankfurt am Main 1999; ders., Die Debatte über Vergleich und Transfer und was jetzt? In: Connections. A Journal for Historians and Area Specialists, 8.2.2005 [www.connections.clio-online.net/article/id/artikel574]; Heinz-Gerhard Haupt/Jürgen Kocka, Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung. Frankfurt am Main/New York 1996; Michael Werner/Bénédicte Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: GG 28, 2002, 607–636.

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Herausbildung unterschiedlicher politischer Regime mit je unterschiedlichen Transformationsstrategien. 10 Während sich Fragen der Sanktion und Reintegration von Personen in den mittel- und osteuropäischen Ländern eng mit dem Prozess der sozialistischen Umgestaltung verknüpften, entwickelte sich in Nord- und Westeuropa sowie in Teilen Mittel- und Südeuropas die bürgerliche „Nachkriegsdemokratie“ als spezifische historische Konfiguration. 11 Bei der Herausbildung der Nachkriegsdemokratien spielte die „Säuberung“ und Reintegration kompromittierter Personengruppen eine zentrale Rolle, standen die neuen politischen Eliten doch vor der Aufgabe, ihre Maßnahmen demokratisch und rechtsstaatlich zu begründen und zu legitimieren. 12 Zugleich war die demokratische Transformation eng verbunden mit der Rekonstruktion von Nationalstaaten und nationalen Gemeinschaften, die durch Krieg und Besatzung in Mitleidenschaft gezogen worden waren. 13 Die Nation diente in diesen Prozessen als wesentliche Ressource politischer Legitimität jenseits ideologischer, politischer und sozialer Gegensätze. Die Transformationsprozesse des ersten Nachkriegsjahrzehnts umfassten daher nicht nur die Etablierung demokratischer Ordnungen, sondern die Ausbildung und Stabilisierung nationaler Identitätsregime, die sich zur Vergangenheit verhielten und die Aufgabe hatten, die kriegerischen und teils bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen der Vorjahre zu überwinden. 14 Mit Blick auf die beiden Prozesse demokratischer und nationaler Rekonstruktion fällt das Urteil der deutschsprachigen Forschung deutlich aus: Bezogen auf die Bun-

10 Vgl. Mark Pittaway/Hans-Fredrik Dahl, Legitimacy and the Making of the Post-War Order, in: Martin Conway/Peter Romijn (Eds.), The War for Legitimacy and Culture, 1936–1946. Oxford 2008, 177–209. 11 Vgl. Martin Conway, Western Europe’s Democratic Age, 1945–1968. Princeton 2020; ders./Lagrou/ Rousso (Eds.), Europe’s Postwar Periods; vor allem Martin Conway, Democracies, in: Ders. /Lagrou/Rousso (Eds.), Europe’s Post-War Periods, 121–136; Claudia Gatzka, Die Demokratie der Wähler. Stadtgesellschaft und politische Kommunikation in Italien und der Bundesrepublik 1944–1979. Düsseldorf 2019, 28. 12 Vgl. Geppert (Ed.), Postwar Challenge, dort v.a. Introduction, 6–9; Späth (Ed.), Does Generation Matter?, darin v.a. Wirsching, Toward a New Political Culture? 13 Vgl. Martin Conway, Democracy in Postwar Western Europe: The Triumph of a Political Model, in: EHQ 32/1, 2002, 59–84, dort 64; dazu auch Pieter Lagrou, States, in: Conway/Lagrou/Rousso (Eds.), Europe’s

Post-War Periods, 103–120. 14 Vgl. Pittaway/Dahl, Legitimacy, 179–185; Kerstin von Lingen (Hrsg.), Kriegserfahrung und nationale Identität in Europa nach 1945. Paderborn 2009; Shida Kiani, Wiedererfindung der Nation nach dem Nationalsozialismus? Konfliktlinien und Positionen in der westdeutschen Nachkriegspolitik. Wiesbaden 2013; Monica Riera/Gavin Schaffer (Eds.), The Lasting War. Society and Identity in Britain, France and Germany after 1945. New York 2008.

EINLEITUNG

13

desrepublik gilt der Umgang mit „NS-belasteten“ Personen in den 1940er und 1950er Jahren bis heute als „neuralgischer Punkt für die demokratische Kultur“ 15, wobei zwei Narrative miteinander konkurrieren. 16 Einerseits werden die Reintegration kompromittierter Personen und die sie begleitenden und legitimierenden Diskurse als Indizien einer (zunächst noch) unzureichenden Demokratisierung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft und einer problematischen, von Verdrängung gekennzeichneten nationalen Erinnerungskultur gedeutet. Dass die Nachkriegsdemokratie mit tätiger Hilfe von Personen aufgebaut wurde, die maßgeblich in die nationalsozialistische Herrschaft und ihre Untaten verwickelt waren, lastet schwer auf der deutschen Erinnerung. Andererseits herrscht noch immer ein demokratiepolitisches Erfolgsnarrativ vor, das die Bundesrepublik als lernende und sich liberalisierende Gesellschaft deutet, die allmählich aus dem Schatten ihrer düsteren Vergangenheit heraustreten konnte. Vor diesem Hintergrund gehört es bis heute zu den zentralen Fragen in Forschung und Öffentlichkeit, wie sich im Westen Deutschlands eine stabile Demokratie etablieren konnte, obwohl eine gründliche „Entnazifizierung“ vermieden und stattdessen auf Kontinuität und Integration gesetzt wurde. 17 Beide Erzählungen aufeinander zu beziehen – „das Belastungsnarrativ und ein stark erfolgsgeschichtlich geprägtes Demokratisierungsnarrativ“ – haben Annette Weinke und Eckart Conze unlängst als wesentliche Aufgabe der Forschung beschrieben und zugleich davor gewarnt, die Schattenseiten auszublenden. 18 Diese Schattenseiten wiederum werden insbesondere dort deutlich, wo der Blick für nationale und nationalistische Signaturen im demokratischen nation building geöffnet wird, wie dies zuletzt Yves Müller und Dominik Rigoll getan haben. 19 Gerade um

15

Bernhard Gotto, Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit in Bayern, in: VfZ 65/2, 2017, 273–285,

dort 275. 16

Vgl. Eckart Conze/Annette Weinke, Krisenhaftes Lernen? Formen der Demokratisierung in deutschen

Behörden und Ministerien, in: Tim Schanetzky u.a. (Hrsg.), Demokratisierung der Deutschen. Errungenschaften und Anfechtungen eines Projekts. Göttingen 2020, 87–101, dort 97. 17

Vgl. Ulrich Herbert, Liberalisierung als Lernprozeß. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte

– eine Skizze, in: Ders. (Hrsg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung, 1945–1980. Göttingen 2002, 7–49; Arnd Bauerkämper/Konrad H. Jarausch/Marcus M. Payk (Hrsg.), Demokratiewunder. Transatlantische Mittler und die kulturelle Öffnung Westdeutschlands 1945–1970. Göttingen 2005.

14

18

Conze/Weinke, Krisenhaftes Lernen?, 97.

19

Vgl. Dominik Rigoll/Yves Müller, Zeitgeschichte des Nationalismus. Für eine Historisierung von Natio-

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solche Zusammenhänge zu verstehen und einzuordnen, ist ein international vergleichender Ansatz lohnenswert, kann er doch dazu beitragen, das Bild zu differenzieren und die historische Urteilsbildung für ambivalente und gegenläufige Entwicklungen zu sensibilisieren. 20 Wie in dieser Studie herausgestrichen werden soll, war das Zusammenspiel von Belastung, Redemokratisierung und nationaler Rekonstruktion in den europäischen Transformationsgesellschaften ein komplexes und widerspruchsreiches Problemfeld, auf dem sich für die neuen politischen Eliten im demokratischen Nachkriegseuropa keine klaren Handlungsanweisungen ergaben. Diese standen nicht nur vor ähnlichen Herausforderungen, sondern führten auch sehr ähnliche Debatten über Belastung, Demokratie und Nation, fanden aber nicht immer die gleichen Antworten.

3. Diskursgeschichte politischer Belastung Um dies zu veranschaulichen, soll im Folgenden ein analytischer Blick auf politische Belastungsdiskurse in drei Nachkriegsgesellschaften geworfen werden: Frankreich, Österreich und Westdeutschland. Mit Frankreich untersucht die Studie einen Kriegsgegner des Deutschen Reichs und einen Siegerstaat, der nach dem Krieg vor der Frage stand, wie mit Personen zu verfahren sei, die sich durch ihre „Kollaboration“ mit dem Feind bzw. mit dem Vichy-Regime kompromittiert hatten – und daher für die Wiederbegründung einer demokratischen Französischen Republik als diskreditiert galten. 21 Frankreich steht damit beispielhaft für jene westeuropäischen Demokratien, die im Weltkrieg Erfahrungen mit deutscher Besatzung und Kollaboration gemacht haben. Zudem besitzt das Land eine lange demokratisch-

nalsozialismus und Rechtsradikalismus als politische Nationalismen, in: AfS 60, 2020, 323–351, dort v.a. 344–348. 20 Vgl. Ernst Hanisch, Die Präsenz des Dritten Reiches in der Zweiten Republik, in: Wolfgang Kos/Georg Rigele (Hrsg.), Inventur 45/55: Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik. Wien 1996, 33–50, dort 38: „Der historische Vergleich erweist sich wiederum als ein sehr probates Mittel für eine kühle historische Analyse.“ 21 Die Forschung geht von ca. 300000 französischer Bürgerinnen und Bürgern aus, gegen die im Zuge der „épuration“ Verfahren eingeleitet wurden. In etwa der Hälfte der Fälle kam es zu Sanktionen; vgl. Henry Rousso, L’épuration. Die politische Säuberung in Frankreich, in: Henke/Woller (Hrsg.), Säuberung, 192– 240, dort 216–222.

EINLEITUNG

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republikanische Tradition, die erwartetermaßen auch die Auseinandersetzung mit politischer Belastung beeinflusste. Mit Österreich wiederum wird ein Land einbezogen, das als ehemaliger Teil des „Dritten Reichs“ in der Nachkriegszeit von alliierten Truppen besetzt war und wie die Bundesrepublik um die Rückerlangung politischer Autonomie und Souveränität rang. Besonders interessant erscheint der Fall Österreich durch die Eigenbeschreibung des Landes als „erstes Opfer“ der nationalsozialistischen Aggression und durch das Vorhandensein zweier potenziell belastender Diktaturerfahrungen: der „austrofaschistischen“ und der nationalsozialistischen Diktatur. 22 Unter politischen Belastungsdiskursen werden im Folgenden jene systematischen Aussagezusammenhänge verstanden, die einer bestimmten Gruppe von Personen aufgrund ihrer Vergangenheit in Krieg und Diktatur einen besonderen Status der Kompromittierung zuerkennen und die politischen Implikationen hieraus verhandeln. Politische Belastungsdiskurse definieren erstens, welche Umstände aus welchen Gründen als kompromittierend und diskreditierend angesehen werden, zweitens, welche Personengruppen als hiervon betroffen gelten und drittens, auf welche Weise und zu welchem Zweck sie gegebenenfalls sanktioniert werden. 23 Um diese Diskurse rekonstruieren zu können, untersucht die Studie ausgesuchte legislative Dokumente und die sie begleitenden parlamentarischen Debatten 24, in denen westdeutsche, österreichische und französische Gesetzgeber nach dem Zweiten Weltkrieg Kategorien politischer Belastung verhandelten, definierten und stets neu revi-

22

Heidemarie Uhl, Das „erste Opfer“. Der österreichische Opfermythos und seine Transformationen in

der zweiten Republik, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 1, 2001, 93–108; dies., Zwischen Versöhnung und Verstörung. Eine Kontroverse um Österreichs Identität fünfzig Jahre nach dem Anschluss. Wien u.a. 1992; Gerhard Botz/Gerald Sprengnagel (Hrsg.), Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Frankfurt am Main 2008. 23

Das entspricht in etwa dem, was die vergleichende Transitionsforschung häufig als „abhängige Vari-

ablen“ ihrer Untersuchungen definiert hat, vgl. Elster, Coming to Terms, 17. 24

Für Frankreich, Österreich und die Bundesrepublik werden die relevanten Debatten in den jeweiligen

Unterhäusern berücksichtigt (Assemblée nationale, Nationalrat, Bundestag). Für die Zeit vor deren Konstituierung wird auf die französische Assemblée consultative provisoire und den beiden Assemblées nationales constituantes zurückgegriffen, für Österreich auf die Diskussionen im Ministerrat und für die Bundesrepublik auf die Debatten im Länderrat der amerikanischen Besatzungszone, im Zonenbeirat der USZone und im Parlamentarischen Rat. Daneben wurden stichprobenartig relevante Debatten in den Landtagen von Württemberg-Baden, Nordrhein-Westfalen und Hessen berücksichtigt.

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dierten. 25 Ziel ist es, mithilfe einer „hermeneutisch-qualitativen Analyse“ 26 die übergreifenden Argumente, Deutungsmuster, semantischen Netze und diskursiven Strukturen herauszuarbeiten, die in den nationalen Belastungsdiskursen prägend sind und die sich in den jeweiligen Texten, Debatten und den Beziehungen zwischen ihnen manifestieren. 27 Lassen sich solche Argumente, Deutungsmuster und Netze im Diskurs zu einem charakteristischen Bedeutungszusammenhang bündeln, so wird in der Folge von Signaturen (im Sinne von Kennzeichen) gesprochen. Die Untersuchung zeichnet sich damit durch drei Schwerpunktsetzungen aus. Erstens ist es ihr maßgebliches Ziel, diskursive Muster und Unterschiede in der Auseinandersetzung mit der Kategorie politische Belastung zu analysieren. Der Belastungsbegriff dient der Studie damit nicht als analytische Kategorie, sondern er wird selbst als zeitgenössische Wahrnehmungs- und Beschreibungskategorie in den Blick genommen. In seinem Kern bezieht er sich auf den Umstand, dass bestimmte Personenkreise innerhalb einer politischen Gemeinschaft als kompromittiert gelesen werden, sodass ihre politische Partizipation zur Disposition steht – wobei Kontext, Umfang, Begründung und Folgen dieser Zuschreibung variieren. Es geht also nicht darum, wie „belastet“ die Nachkriegsgesellschaften waren, sondern wie sie sich mit dieser politischen Kategorie auseinandersetzten – und wie die Kategorie in den Diskursen selbst geprägt und definiert wurde. Das soll nicht heißen, dass die Zu-

25 Die Konzentration auf die politischen Eliten orientiert sich an deren Funktion als „Deutungseliten“, die um „kulturelle Hegemonie“ ringen, vgl. Siegfried Göllner, Die politischen Diskurse zu „Entnazifizierung“, „Causa Waldheim“ und „EU-Sanktionen“. Opfernarrative und Geschichtsbilder in Nationalratsdebatten. Hamburg 2009, 35; Dirk van Laak, Poltische Kultur und geistiges Klima der widerspenstigen Deutschen Zivilisierung. Zur politischen Kultur einer unpolitischen Gesellschaft, in: Eckart Conze/Gabriele Metzler (Hrsg.), 50 Jahre Bundesrepublik. Daten und Diskussionen. Stuttgart 2008, 295–315, dort 298; Dies gilt insbesondere für die westeuropäische Nachkriegsdemokratie, für die Martin Conway von einer maßgeblichen „supremacy of parliaments“ gesprochen hat, vgl. Conway, Democracy, 65. 26 Vgl. Heidrun Kämper, Der Schulddiskurs in der frühen Nachkriegszeit. Berlin 2005, 14. 27 Der Blick auf die historisch-semantische Dimension der Belastungsdiskurse eignet sich besonders, sprachliche Äquivalente, Unterschiede und Bedeutungstransfers zu verdeutlichen, vgl. Martina Steber, Die Hüter der Begriffe. Politische Sprachen des Konservativen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, 1945–1980. München 2017, 5–12; Jörn Leonhard, Von der Wortimitation zur semantischen Integration. Übersetzung als Kulturtransfer. Freiburg 2008, 45; zum Verhältnis von Diskurs und Begriff: Angelika Linke, Begriffsgeschichte – Diskursgeschichte – Sprachgebrauchsgeschichte, in: Carsten Dutt (Hrsg.), Herausforderungen der Begriffsgeschichte. Heidelberg 2003, 39–50, dort 40; Jörn Leonhard, Grundbegriffe und Sattelzeiten – Languages and Discourses. Europäische und angloamerikanische Deutungen des Verhältnisses von Sprache und Geschichte. Freiburg 2004, 83.

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schreibung einer politischen „Belastung“ grundlos erfolgt wäre, sondern dass diese Gründe selbst Objekt eines zeitgenössischen Aushandlungsprozesses waren. Entsprechend sollen auch nicht die jeweiligen legislativen Maßnahmen oder ihre Ergebnisse unter einer materiellen oder sogar quantitativen Perspektive verglichen werden, indem etwa „Säuberungs“- und Reintegrationsbilanzen gegeneinander abgewogen würden. Stattdessen begreift der diskursanalytische Zugang den Belastungsbegriff als Gegenstand eines Kommunikationsprozesses, in dem Bedeutungen „produziert und erst durch die Wiederholung (und die Erwartung der Wiederholung) zu geteilten Tatbeständen werden“. 28 Dieser Ansatz begegnet daher auch einem inhärenten Problem internationaler Vergleichsstudien: Anstatt von vorgefertigten konstruierten Vergleichseinheiten auszugehen, wird gerade die diskursive Konstruktion der Kategorie Belastung selbst thematisiert. 29 Zweitens konzentriert sich die Studie auf das Politische, d.h. auf Diskurse politischer Belastung, die politische Akteure in den maßgeblichen Arenen politischer Entscheidungsfindung führen. Es geht nicht darum, möglichst den gesamten gesellschaftlichen Breitendiskurs abzubilden, sondern eine Teilmenge, die für die Aufstellung allgemein verbindlicher Normen zuständig ist. 30 Hierzu analysiert die Studie zwei repräsentative Themenkomplexe, die den politischen Belastungsdiskurs in den Nachkriegsjahren auch über Westdeutschland hinaus wesentlich prägten und sich für einen komparativen Zugriff anbieten: die politische Sanktionierung („Säuberung“) von Personengruppen im Rahmen der „Entnazifizierung“ und der „épuration“ in den 1940er Jahren sowie ihre Amnestierung und Reintegration bis zur Mitte der 1950er Jahre. 31 Als maßgebliche Akteure erscheinen dabei die politischen Nach-

28

Vgl. Thomas Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Silvia Tschopp (Hrsg.),

Kulturgeschichte. Stuttgart 2008, 205–234; Ute Frevert (Hrsg.), Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung. Frankfurt am Main u.a. 2005. 29

Vgl. Werner/Zimmermann, Vergleich, 611f. und 617; Kaelble, Debatte.

30

Zur Abgrenzung politischer und strafrechtlicher Fragen in der Auseinandersetzung mit politischer

Belastung vgl. Clemens Vollnhals, Einleitung, in: Ders. (Hrsg.), Entnazifizierung, Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen. München 1991, 7–64, dort 7f. 31

Die gesellschaftlich relevante Verhandlung strafrechtlicher und moralischer Schuld im Zusammen-

hang mit zentralen massenwirksamen Strafprozessen und juristischen Debatten kann im Rahmen dieser Studie nicht umfassend einbezogen werden. Hierfür wird stattdessen auf die bestehende Literatur sowie auf erforderliche nachfolgende Untersuchungen verwiesen. Für die Bundesrepublik vgl. exemplarisch Weinke, Verfolgung; Andreas Eichmüller, Keine Generalamnestie. Die strafrechtliche Verfolgung von NSVerbrechen in der frühen Bundesrepublik. München 2012; Peter Steinbach/Jürgen Weber (Hrsg.), Vergan-

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kriegseliten, die in den neuen Regierungen und Parlamenten gemeinsam über die Ausgestaltung der neuen demokratischen Ordnung diskutierten. Sie rekrutierten sich zum einen Teil aus Widerstand und Opposition, galten zum anderen Teil aber häufig selbst als kompromittiert, wobei es nicht selten zu Überschneidungen kam. Jenseits ihrer unterschiedlichen biographischen Erfahrungen, Vorprägungen und „Beteiligungsrollen“ bildeten sie jeweils eine nationale Diskursgemeinschaft. 32 Die Studie fokussiert drittens auf das erste Nachkriegsjahrzehnt vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Abschluss der maßgeblichen parlamentarischen Amnestieprojekte in der Mitte der 1950er Jahre. In diesem Zeitraum bildete sich in den drei Untersuchungsländern ein zeitgenössischer Belastungsbegriff heraus, ohne dass sich schon jene kritische Debatte entwickelt hätte, die für die Bundesrepublik der 1960er Jahre kennzeichnend ist, in Frankreich und Österreich aber deutlich später einsetzte. Ein besonderer Blick soll auf demokratische und nationale Signaturen im Diskurs gelegt werden. Unter demokratischen Signaturen werden solche argumentativen Fügungen und diskursiven Zusammenhänge verstanden, die sich auf das Bezugssystem Demokratie/Republik/Rechtsstaat beziehen, in denen es also zu signifikanten Überschneidungen der semantischen Netze Belastung und Demokratie kommt. Es wird gefragt, wie sich die Auseinandersetzung mit politischer Belastung zum Groß-

genheitsbewältigung durch Strafverfahren? NS-Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland. München 1984; Edith Raim, Justiz zwischen Diktatur und Demokratie. Wiederaufbau und Ahndung von NS-Verbrechen in Westdeutschland 1945–1949. München 2013; Jörg Osterloh/Clemens Vollnhals (Hrsg.), NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit. Besatzungszeit, frühe Bundesrepublik, DDR. Göttingen/Oakville 2011; Sonja Boss, Unverdienter Ruhestand. Die personalpolitische Bereinigung belasteter NS-Juristen in der westdeutschen Justiz. Berlin 2009; für Österreich Winfried Garscha/Claudia Kuretsidis-Haider (Hrsg.), Keine „Abrechnung“. NS-Verbrechen, Justiz und Gesellschaft in Europa nach 1945. Leipzig/Wien 1998; Claudia KuretsidisHaider, „Das Volk sitzt zu Gericht“. Österreichische Justiz und NS-Verbrechen am Beispiel der Engerau-Prozesse 1945–1954. Innsbruck 2006; Hiroko Mizuno, Creating a Victimised Nation: The Politics of the Austrian People’s Courts and High Treason, in: Jie-Hyun Lim/Barbara Walker/Peter Lambert (Eds.), Mass Dictatorship in Memory as Ever Present Past. New York 2014, 62–83; mit transnationalem Ansatz Frei, Transnationale Vergangenheitspolitik; Annette Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. Transnationale Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20.Jahrhundert. Göttingen 2016; Matthias Gemählich, Frankreich und der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46. Berlin u.a. 2018; Magnus Brechtken/Wladislaw Bulhak/Jürgen Zarusky (Eds.), Political and Transitional Justice in Germany, Poland and the Soviet Union from the 1930s to the 1950s. Göttingen 2019; Mary Fulbrook, Reckonings. Legacies of Nazi Persecution and the Quest for Justice. Oxford 2018. 32 Vgl. Kämper, Schulddiskurs, 9.

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projekt der demokratischen Transformation bzw. (Re-)Demokratisierung von Staat und Gesellschaft verhält. Damit knüpft die Studie an die klassischen Themen der demokratischen Transitionsforschung an, ohne aber deren oft teleologisches Entwicklungsmodell zu teilen. 33 Stattdessen werden „Demokratie“ und „Demokratisierung“ im Anschluss an die jüngste Forschung und unter einer konstruktivistischen und akteurszentrierten Perspektive als offene Prozesse verstanden, die in unterschiedlichen historischen Kontexten unterschiedliche Formen annehmen. 34 Unter nationalen Signaturen wiederum fasst die Studie jene Bezüge, die sich zwischen der Belastungspolitik auf der einen und Vorstellungen nationaler Identität und Souveränität auf der anderen Seite ergeben. Dies beinhaltet symbolische und kollektivpsychologische Bezugssysteme wie die „Ehre“ und das „Ansehen“ der Nation, aber auch staatspolitisch grundierte Systeme wie Loyalität und Souveränität. Nationale Signaturen umfassen zudem nationalistische Argumentationen, insofern es darum geht, die gedachte Einheit der Nation mit der realen politischen Einheit Staat in Deckung zu bringen – was für das Ziel der „deutschen Einheit“ in der Grundstruktur genauso gilt wie für das österreichische nation building der Nachkriegszeit. 35 Es geht also um das Verhältnis politischer Belastungsdiskurse zur Nation als „imaginierter Gemeinschaft“ 36 und zu ihrer Rekonstruktion im Nachkriegseuropa. 37

33

Vgl. Juan Linz/Alfred Stepan, Problems of Democratic Transition and Consolidation. Southern Europe,

South America, and Post-Communist Europe. Baltimore 1996; Giuseppe di Palma, To Craft Democracies. An Essay on Democratic Transitions. Berkeley, CA 1990; kritisch hierzu Thomas Carothers, The End of the Transition Paradigm, in: Journal of Democracy 13/1, 2002, 5–21. 34

Vgl. Arnd Bauerkämper/Konrad H. Jarausch/Marcus M. Payk, Einleitung: Transatlantische Mittler und

die kulturelle Demokratisierung Westdeutschlands 1945–1970, in: Dies. (Hrsg.), Demokratiewunder, 11– 37, dort 13f.; Gatzka, Demokratie, 27f.; dazu auch ausführlich Paul Nolte, Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart. München 2012; Arnd Bauerkämper/Eike Hennig/Franz Neumann, Demokratiegeschichte der Bundesrepublik im 20.Jahrhundert. Spannungsfelder, Argumente, Tendenzen. Schwalbach 2007; JanWerner Müller, Contesting Democracy. Political Ideas in Twentieth-Century Europe. New Haven, CT 2011. 35

Vgl. die Nationalismusdefinition von Ernest Gellner, Nationalismus und Moderne. Berlin 1991, 8; Eric

Hobsbawm, Nationen und Nationalismus. 3.Aufl. Bonn 2005, 20. 36

Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. Re-

vised Edition. London 2006. 37

Diesem Aspekt hat sich insbesondere die erinnerungskulturelle Forschung gewidmet. Vgl. Lingen

(Hrsg.), Kriegserfahrung; Afflerbach/Cornelißen (Hrsg.), Sieger und Besiegte; Henning Meyer, Le changement de la „culture de mémoire“ française par rapport à partir de trois „lieux de mémoire“. Bordeaux u.a. 2006; Pieter Lagrou, Politics of Memory. Resistance as a Collective Myth in Post-War France, Belgium and the Netherlands, 1945–1965, in: European Review 11/4, 2003, 527–549; Pieter Lagrou, Beyond Memory and Commemoration: Coming to Terms with War and Occupation in France after 1945, in: Dominik Geppert (Ed.),

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4. Einordnung in den Forschungskontext Die Entnazifizierung Westdeutschlands und ihre Revision ist bereits seit langem ein intensiv bearbeitetes, kaum mehr zu überschauendes Forschungsfeld. Im Anschluss an die grundlegenden Arbeiten von Justus Fürstenau und Lutz Niethammer ist es der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft seit den 1980er Jahren gelungen, insbesondere die Vorstellungen der Alliierten von der Entnazifizierung und ihre Übertragung in deutsche Verantwortung, aber auch regionale Unterschiede in der Umsetzung herauszuarbeiten. 38 Nach einigen wegweisenden Vorarbeiten setzte vor allem mit der 1996 erschienenen Studie von Norbert Frei zur „Vergangenheitspolitik“ in der jungen Bundesrepublik eine umfangreiche Forschung zur politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ein, die bis heute fortgesetzt wird. Gefragt wird dabei zum einen nach der erinnerungskulturellen und diskursiven Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Schuld, zum anderen nach personellen Kontinuitäten innerhalb der Funktionseliten zwischen Nationalsozialismus und Nachkriegsdemokratie. 39 The Postwar Challenge. Cultural, Social, and Political Change in Western Europe, 1945–58. London 2003, 65–80; Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerungen 1948–1990. Darmstadt 1999; ders., Die Suche nach dem „Ende der Nachkriegszeit“. Krieg und NS-Diktatur in öffentlichen Geschichtsbildern der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg 2012. 38 Vgl. Justus Fürstenau, Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegspolitik. Berlin 1969; Lutz Niethammer, Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns. Berlin/Bonn 1982; Wolfgang Krüger, Entnazifiziert! Zur Praxis der politischen Säuberung in Nordrhein-Westfalen. Wuppertal 1982; KlausDietmar Henke, Politische Säuberung unter französischer Besatzung. Die Entnazifizierung in Württemberg-Hohenzollern. Stuttgart 1981; Hans Woller, Gesellschaft und Politik in der amerikanischen Besatzungszone. München 1986; Clemens Vollnhals (Hrsg.), Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen. München 1991; für regionale Perspektiven vgl. exemplarisch Walter Schuster, Zur Entnazifizierung in Österreich: der Vergleich mit (West-)Deutschland und das Beispiel Linzer Stadtverwaltung, in: Geschichte des Westens 18, 2003, 155–179; Rainer Möhler, Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung von 1945 bis 1952. Mainz 1992; Alexander Perry Biddiscombe, The Denazification of Germany. A History, 1945–1950. Stroud 2007. Siehe hierzu auch den Forschungsbericht bei Hanne Leßau, Entnazifizierungsgeschichten. Die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit. Göttingen 2020, 13–19. 39 Vgl. exemplarisch Manfred Kittel, Die Legende von der „Zweiten Schuld“. Vergangenheitsbewältigung in der Ära Adenauer. Frankfurt am Main 1993; Ulrich Brochhagen, Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer. Hamburg 1994; Jeffrey Herf, Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland. Berlin 1998; Helmut Dubiel, Niemand ist frei von der Geschich-

te. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages. München 1999; Jörg

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Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Vielzahl groß angelegter Studien zu personellen und politisch-kulturellen Kontinuitäten und Brüchen in Ministerien, Behörden und Verbänden zu, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Diese folgen nicht ausschließlich wissenschaftlichen Erkenntnisinteressen, sondern kommen auch einem gestiegenen Interesse der politischen Öffentlichkeit nach, die nationalsozialistische „Belastung“ der Bundesrepublik und ihrer Institutionen aufzuklären. 40 Zuletzt hat dieser Boom institutionengeschichtlicher Forschung zu einiger Kritik im Fach geführt, in deren Rahmen auch die Kategorie „NS-Belastung“ selbst hinterfragt wird. 41 Während ein Teil der Forschung immer weiter differenzierte analytische Subkategorien von NS-Belastung entwirft 42, gehen andere Historikerinnen und Historiker inzwischen in die entgegengesetzte Richtung, sich vom Belastungsbegriff als Analysekategorie zu lösen und stattdessen alternative Konzepte wie „Erfahrung“ und „soziale Praxis“ in den Vordergrund zu stel-

Friedrich, Die kalte Amnestie. NS-Täter in der Bundesrepublik. Erw. Neuausg. Berlin 2007; Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. Durchges.u. erw. Neuausg. München 2012; Eichmüller, Keine Generalamnestie; Herbert (Hrsg.), Wandlungsprozesse; Dominik Rigoll, Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr. Göttingen 2013; Weinke, Verfolgung; Kämper, Schulddiskurs. 40

Vgl. exemplarisch Bösch /Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung; Alexander Nützenadel (Hrsg.), Das

Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus. Verwaltung – Politik – Verbrechen. Göttingen 2017; Manfred Görtemaker/Christoph Safferling, Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit. München 2016; Constantin Goschler/Michael Wala, „Keine neue Gestapo“. Das Bundesamt für Ver-

fassungsschutz und die NS-Vergangenheit. Reinbek bei Hamburg 2015; für einen Überblick über den Stand der institutionenhistorischen Forschung siehe Creuzberger/Geppert (Hrsg.), Ämter; Mentel/Weise, Behörden. 41

Vgl. Frank Bajohr/Johannes Hürter, Auftragsforschung „NS-Belastung“. Bemerkungen zu einer Kon-

junktur, in: Frank Bajohr/Anselm Doering-Manteuffel/Claudia Kemper/Detlef Siegfried (Hrsg.), Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik. Fschr. für Axel Schildt. Göttingen 2016, 221–234; Christian Mentel, „Quo vadis, zeitgeschichtliche Auftragsforschung?“ Bericht über die Podiumsdiskussion des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam am 12.Januar 2012, in: Zeitgeschichte-online (2012) [ http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/bericht-quo-vadis-zeitgeschichtlicheauftragsforschung.pdf]; Martin Sabrow, Das Unbehagen an der Aufarbeitung. Zur Engführung von Wissenschaft, Moral und Politik in der Zeitgeschichte, in: Thomas Schaarschmidt (Hrsg.), Historisches Erinnern und Gedenken im Übergang vom 20. zum 21.Jahrhundert. Frankfurt am Main 2008, 11–20. 42

Vgl. Uwe Danker/Sebastian Lehmann-Himmel, Landespolitik mit Vergangenheit. Geschichtswissen-

schaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive nach 1945. Husum 2017; Uwe Danker (Hrsg.), Elitenkontinuität in Schleswig-Holstein. Folgestudie: Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive. Husum 2021.

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len. Auf diese Weise soll die Forschung durch neue kultur- und sozialhistorische Ansätze ergänzt werden. 43 Ähnliche Entwicklungen sind auch für die österreichische Geschichtswissenschaft zu konstatieren, die sich ebenfalls seit längerer Zeit mit den Umständen der Entnazifizierungsgesetzgebung sowie mit ihrer Umsetzung auf administrativer und juristischer Ebene beschäftigt. 44 Deutlich ist auch in Österreich seit den 1980er Jahren ein großes Interesse an Fragen der nationalkollektiven Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Vor allem infolge der „Waldheim-Affäre“ der 1980er Jahre machte es sich eine jüngere Generation von Forscherinnen und Forschern zur Aufgabe, mit den „Lebenslügen“ und „Tabus“ der Zweiten Republik aufzuräumen und kritische Fragen zu stellen, insbesondere auch zum politischen und erinnerungspolitischen Umgang mit den „Ehemaligen“. 45 Es dauerte aber noch Jahrzehnte, bis im 21.Jahrhundert ähnlich wie in der Bundesrepublik das Thema „nationalsozialistischer Belastungen“ in Behörden, Institutionen und Parteien stärker in den Mittelpunkt der Forschung trat. 46 In diesem Zusammenhang wurden auch bereits

43 Vgl. Leßau, Entnazifizierungsgeschichten; Johannes Hürter/Thomas Schaarschmidt, Das Kanzleramt – Bundesdeutsche Demokratie und NS-Vergangenheit, in: VfZ 67/2, 2019, 307–319, 316; ähnlich auch Dominik Rigoll, Grenzen des Sagbaren. NS-Belastung und NS-Verfolgungserfahrung bei Bundestagsabgeordneten, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 45, 2014, 128–140. 44 Vgl. Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich. Wien 1981; Sebastian Meissl/Klaus-Dieter Mulley/Oliver Rathkolb (Hrsg.), Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Österreich 1945–1955. München 1986; Kuretsidis-Haider/Garscha, Keine „Abrechnung“; Hiroko Mizuno, „Die Vergangenheit ist vergessen.“ „Vergangenheitsbewältigung“ in Österreich. Die Österreichische Amnestiepolitik und die Reintegration der ehemaligen Nationalsozialisten 1945–1957. Graz 1999; Schuster/Weber (Hrsg.), Entnazifizierung; Claudia Kuretsidis-Haider, Volksgerichtsbarkeit und Entnazifizierung in Österreich, in: Schuster/ Weber (Hrsg.), Entnazifizierung, 563–602; Kuretsidis-Haider, Das Volk; ebenfalls mit Blick auf Österreich Fulbrook, Reckonings. 45 Vgl. Kos/Rigele (Hrsg.), Inventur 45/55; Meissl/Mulley/Rathkolb (Hrsg.), Verdrängte Schuld; Waltraud Kannonier-Finster/Meinrad Ziegler, Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien u.a. 2016; Botz/Sprengnagel (Hrsg.), Kontroversen; Anton Pelinka/Erika Weinzierl (Hrsg.), Das große Tabu. Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit. Wien 1987; Oliver Rathkolb, Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2015. Akt. und erw. Neuauflage. Wien 2015; ders., Fiktion „Opfer“ Österreich und die langen Schatten des Nationalsozialismus und der Dollfuß-Diktatur. Innsbruck u.a. 2017. 46 Vgl. Gertrude Enderle-Burcel/Alexandra Neubauer-Czettl, Justiz am Prüfstand, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 5/1, 2015, 32–57; Rudolf Agstner/Gertrude Enderle-Burcel/Michaela Follner (Hrsg.), Österreichs Spitzendiplomaten zwischen Kaiser und Kreisky. Biographisches Handbuch der Diplomaten des Höheren Auswärtigen Dienstes 1918 bis 1959. Wien 2009; Gertrude Enderle-Burcel/Michaela Follner, Diener vieler Herren. Biographisches Handbuch der Sektionschefs der Ersten Republik und des Jahres 1945. Wien

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die Entnazifzierungsdebatten im Nationalrat unter einer diskurshistorischen Perspektive untersucht. An diese Forschungen soll hier angeschlossen werden. 47 Auch für die west-, nord- und südeuropäischen Nachkriegsdemokratien liegt inzwischen eine beachtliche Forschung zum juristischen, politischen und administrativen Umgang mit dem Erbe von Besatzung und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg vor. 48 Während die „épuration“ der französischen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg bereits zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes Gegenstand grundlegender Untersuchungen war, so wurden diese seit den 1980er Jahren durch eine Reihe von Detailstudien zur „Säuberung“ in Verwaltungen, Unternehmen und in der Region sowie durch einige Überblicksdarstellungen ergänzt. 49 Die Frage der „désé-

1997; Maria Mesner (Hrsg.), Entnazifizierung zwischen politischem Anspruch, Parteienkonkurrenz und Kaltem Krieg. Das Beispiel der SPÖ. Wien u.a. 2005; Wolfgang Neugebauer/Peter Schwarz, Der Wille zum aufrechten Gang. Offenlegung der Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten. Wien 2005; Michael Wladika, Zur Repräsentanz von Politikern und Mandataren mit NS-Vergangenheit in der Österreichischen Volkspartei 1945–1980. Wien 2018; zuletzt Kellner, Kollaboration, 33–70; Margit Reiter, Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ. Göttingen 2019. 47

Göllner, Diskurse; Siegfried Göllner, „…die erbarmungslose Maschinerie…“. Die Diskreditierung der Ent-

nazifizierungsgesetzgebung im Rahmen der Integration ehemaliger NationalsozialistInnen in das österreichische Opferkollektiv, in: Zeitgeschichte 36/5, 2009, 324–339. 48

Vgl. zu den Niederlanden und Belgien Peter Romijn, Snel, streng en rechtvaardig. Politiek Beleid Inzake

de Bestraffing en Reclassering van „foute“ Nederlanders, 1945–1955. De Haan 1989; Helen Grevers, Van Landverraders tot goede Vaderlanders. De Opstuiting von Collaborateurs in Nederland en België, 1944– 1950. Amsterdam 2013; Steven Dhont/Luc Huyse, Onverwerkt verleden. Collaborate en repressie in Belgie, 1942–1952. Louvain 1991; Ismee Tames, Ashamed about the Past: The Case of Nazi Collaborators and Their Families in Post-War Dutch Society, in: Stephanie Bird et al. (Eds.), Reverberations of Nazi Violence in Germany and Beyond. Disturbing Pasts. London 2016, 47–64; für Italien vgl. Roy Palmer, Italian Fascists on Trial, 1943–1948. Chapel Hill, NC 1991; Guido Melis, Note sull’epurazione nei ministeri, 1944–1946, in: Ventunesimo Secolo 2, 2003, 17–52; Giovanna Tosatti, Viminale, la rivincita della continuità. Il ministero dell’Interno tra il 1943 e il 1948, in: Ventunesimo Secolo 2, 2003, 121–143. 49

Vgl. Robert Aron, Histoire de l’épuration, 2 vols. Paris 1967–1969; Peter Novick, The Resistance versus

Vichy. The Purge of Collaborators in Liberated France. New York 1968; Herbert Lottman, The Purge. The Purification of French Collaborators after World War II. New York 1986; Rousso, L’Épuration; Pierre-Denis Boudriot, L'épuration 1944–1949. Paris 2011; Marc Oliver Baruch (Ed.), Une poignée de misérables. Paris 2003; Pierre Gillieth, L’épuration ou la fin d’un monde. Grez-sur-Loing 2007; Philippe Valode, Le destin des hommes de Pétain de 1945 à nos jours. Paris 2014; Bénédicte Vergez-Chaignon, Histoire de l’épuration. Larousse 2010; Francois Rouquet, L’épuration dans l’administration française. Agents de l’État et collaboration ordinaire. Paris 1993; Marc Bergère, Une société en épuration. Rennes 2004; Luc Capdevila, Les Bretons au lendemain de l’occupation. Rennes 1999; Jean-Laurent Vonau, L’épuration en Alsace. La face méconnue de la Libération, 1944–1953. Strasbourg 2005; Oliver Wieviorka, Les orphelins de la république. Destinées des députés et sénateurs français (1940–1945). Paris 2001.

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puration“ und der Reintegration politisch belasteter Personen in staatliche und gesellschaftliche Positionen stand dagegen längere Zeit im Schatten. 50 Sie erhielt seit den 1990er Jahren insbesondere im Rahmen solcher Arbeiten Aufmerksamkeit, die sich durch eine stärker sozial- und kulturhistorische Perspektive auszeichnen und insbesondere die symbolischen, rituellen und mentalen Aspekte der Auseinandersetzung mit Kollaboration thematisieren. 51 Insbesondere der Historiker Henry Rousso hat sich mit seinen Arbeiten zum „Vichy-Syndrom“ den kollektiven Folgen der Besatzungszeit gewidmet und Phänomene wie Schuldverdrängung und eine Überhöhung der Résistance („résistancialisme“) in der französischen Nachkriegsgesellschaft beschrieben. 52 Dieser Zugang ist für diese Studie ebenso von Bedeutung wie die Arbeiten von Forschern wie Mathias Bernard, Jean-Paul Cointet und Stéphane Gacon, die sich intensiv mit den politischen Aushandlungsprozessen um „épuration“ und „amnistie“ beschäftigt haben. 53 Komparative und transnational angelegte Beobachtungen zur Auseinandersetzung mit politischer Belastung in den europäischen Nachkriegsdemokratien sind noch immer rar. Zwar hat sich die internationale Zeitgeschichtsforschung mit dem „Erbe des Zweiten Weltkriegs“, mit seinen massenpsychologischen Folgen und mit der Erinnerung an ihn in den europäischen Nachkriegsdemokratien beschäftigt. 54 Die Kategorie politische Belastung wurde bisher aber nur ansatzweise im europäi50 Vgl. Alain Bancaud/Marc Baruch, Vers la désépuration? L’épuration devant las jurisdiction administrative 1945–1970, in: Baruch (Ed.), Une poignée, 480–512; Francois Rouquet, Une épuration ordinaire (1944– 1949). Paris 2011. 51 Vgl. Meyer, Le changement; Lagrou, Politics of Memory; ders., Beyond Memory; Christiane Kohser-Spohn, Denunziations- und Anzeigepraxis in Frankreich während der „Épuration“ 1945–1953. Göttingen 2015, 68 f.; Marc Baruch, Une histoire sociale en France, in: Baruch (Ed.), Une poignée, 7–15, dort 9; Alain Brossat, Les tondues. Un carnaval moche. Levallois-Perret 1992; ders., Libération fête folle. 6 Juin 44 – 8 mai 45. Mythes et rites ou le grand théâtre des passions populaires. Paris 1994; Fabrice Virgili, La France „virile“. Des femmes tondues à la Liberation. Paris 2000. 52 Vgl. Eric Conan/Henry Rousso, Vichy, un passé qui ne passe pas. Paris 1994; Henry Rousso, The Vichy Syndrome. History and Memory in France since 1944. London 1991. 53 Mathias Bernard, La guerre des droites. Paris 2007; Stéphane Gacon, L’amnistie. De la commune à la guerre d’Algérie. Paris 2002; Stéphane Gacon, L’amnistie de la collaboration, in: Baruch (Ed.), Une poignée, 465–479; Jean-Paul Cointet, Expier Vichy, L’épuration en France (1943–1958). Paris 2008. 54 Vgl. Pieter Lagrou, Legacy; Werner Bergmann/Rainer Erb/Albert Lichtblau (Hrsg.), Schwieriges Erbe. Der Umgang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus in Österreich, der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt am Main 1995; Agnes Blänsdorf, Die Einordnung der NS-Zeit in das Bild der eigenen Geschichte: Österreich, die DDR und die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, in: Bergmann/Erb/ Lichtblau (Hrsg.), Schwieriges Erbe, 18–44; Frei (Hrsg.), Transnationale Vergangenheitspolitik; Weinke, Ge-

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schen Gesamtkontext thematisiert. 55 Mit dem Konzept der compromised identities wurde zuletzt der Begriff der Kompromittierung auch in der angelsächsischen Forschung aufgegriffen; dabei wurde der Fokus in erster Linie auf die „kompromittierten“ Personen selbst, ihren Einbezug in Systeme der Verfolgung und des Völkermords und ihre individuellen Coping-Strategien und Vergangenheitskonstruktionen gelegt. 56 Mit Blick auf die Rolle politisch belasteter Personengruppen in den europäischen Nachkriegsgesellschaften aber gehen die Urteile nach wie vor auseinander: Während die einen ihre Integration in die neuen demokratischen Gesellschaften als wesentlichen Bestandteil des demokratischen Übergangs betonen 57, verweisen andere auf die symbolische Ausgrenzung, die insbesondere der Kollaboration beschuldigte Personen in den ehemals nationalsozialistisch besetzten Gebieten Europas erfuhren. 58 Noch immer aber fehlt es an systematischen vergleichend und transnational angelegten Studien, die sich den Aushandlungsprozessen politischer Belastung zuwenden und auf diesem Weg dazu beitragen könnten, solche unterschiedlichen Urteile mit Blick auf verschiedene europäische Nachkriegsgesellschaften aufzuklären. 59

walt; Afflerbach/Cornelißen (Hrsg.), Sieger und Besiegte; Christine Axer, Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Deutschland und Österreich im Vergleich und im Spiegel der französischen Öffentlichkeit. Köln 2011; Blänsdorf, Einordnung; Kißener, „Vergangenheitsbewältigung“; Böhler/Gehler (Hrsg.), Verschiedene europäische Wege; Bauerkämper, Gedächtnis; Bird et al. (Eds.), Reverbations. 55

Vgl. Schuster/Weber (Hrsg.), Entnazifizierung; Weber, Arenen und Akteure; Grevers, Van landverra-

ders; Afflerbach/Cornelißen (Hrsg.), Sieger und Besiegte; Tony Judt, Die Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg. München/Wien 2006, 59–82; Kellner, Kollaboration. Unter einer kulturhistorischen Perspektive wurde unter anderem untersucht, wie postnazistische Gesellschaften durch öffentliches shaming und moralische Anklage früherer Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten sowie Kollaborateurinnen und Kollaborateure um die Wiederherstellung einer moralischen Ordnung rangen und wie die Angeklagten auf solche Akte reagierten, vgl. Bird et al. (Eds.), Reverberations, dort v.a. Tames, Ashamed; außerdem Mary Fulbrook, Reframing the Past: Justice, Guilt, and Consolidation in East and West Germany after Nazism, in: CEH 53, 2020, 294–313. 56

Vgl. „Compromised Identities? Reflections on Perpetration and Complicity under Nazism“ [https://

www.ucl.ac.uk/institute-of-advanced-studies/compromised-identities-reflections-perpetration-and-complicity-under-nazism]; dazu auch Fulbrook, Reframing; mit ähnlicher Perspektive Leßau, Entnazifizierungsgeschichten. 57

Wirsching, Toward a New Political Culture?, 32ff.

58

Lagrou, Legacy, 5.

59

Einzelne Versuche in dieser Richtung liegen bislang aber vornehmlich in Sammelbänden und in kür-

zeren Aufsätzen vor, vgl. Henke/Woller (Hrsg.), Säuberung; Schuster/Weber (Hrsg.), Entnazifizierung; Kißener, „Vergangenheitsbewältigung“.

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5. Aufbau und Leitthesen der Studie Diese Studie möchte dazu beitragen, die beschriebene Forschungslücke zu schließen und die Potenziale aufzuzeigen, die in einer trans- und internationalen Diskursgeschichte politischer Belastung liegen können. Hierzu werden im folgenden, kurz gehaltenen Prolog die unterschiedlichen historischen Kontexte und „Vorgeschichten“ der Belastungsdiskurse skizziert, ehe sich ein erstes Kapitel der politischen Sanktionierungsprozesse im Rahmen der französischen épuration und der Entnazifizierung Österreichs und Westdeutschlands widmet. Im Zentrum stehen dabei die maßgeblichen legislativen Grundlagen der Sanktionsverfahren, in denen definiert wurde, wer aus welchem Grund als sanktionswürdig angesehen wurde und wie die entsprechenden Sanktionen begründet wurden. Es soll dargelegt werden, wer aus welchen Gründen von den Gesetzgebern für wie belastet angesehen wurde, wie mit den jeweiligen Personengruppen verfahren werden sollte und welche Differenzierungen und Ausnahmen gemacht wurden. Wie zu zeigen ist, wurden die politischen Sanktionsmaßnahmen in allen drei Ländern der Untersuchung mit Sicherheitsaspekten und mit dem Ziel der Redemokratisierung begründet. Zugleich verband sich die Gesetzgebung überall mit Fragen kollektiver Verantwortung und nationaler Loyalität. Von den politischen Nachkriegseliten wurde Belastung von Personen und Personengruppen in erster Linie im Verhältnis zum politischen Kollektiv bemessen: Politische Kompromittierung aufgrund einer NS- bzw. Kollaborationsvergangenheit resultierte nicht nur in Frankreich, sondern auch in Österreich und in Westdeutschland aus „Verrat“ und Schuld gegenüber der Nation und Gesamtgesellschaft. Die individuelle Verantwortlichkeit von Personen und Personengruppen gegenüber Opfern und Opfergruppen stellte dagegen einen nachgeordneten Gegenstand der politischen Belastungsdiskurse dar. In einem zweiten Kapitel widmet sich die Studie vertiefend dem Verhältnis nationaler Belastungs- und Redemokratisierungsdiskurse. Das Kapitel stellt die Frage, in welcher Weise die politischen Debatten um NS- und Kollaborationsbelastung dadurch beeinflusst wurden, dass sie mit dem Ziel einhergingen, zu demokratischen, republikanischen und rechtsstaatlichen Prinzipien zurückzukehren. Es wird dabei gezeigt, dass Demokratisierung und politische „Säuberung“ in den drei untersuchten Ländern in einem deutlichen Spannungsverhältnis zueinander standen. Das demokratische Argument wurde in allen drei Ländern nicht nur von jenen Diskursteilnehmerinnen und Diskursteilnehmern gebraucht, die in einer möglichst weit-

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gehenden „Säuberung“ der politischen Landschaft von kompromittierten Personen eine Voraussetzung des demokratischen Wiederaufbaus sahen. Im Gegenteil waren es insbesondere die Gegnerinnen und Gegner der politischen „Säuberungen“, die sich in den Nachkriegsjahren auf demokratische Gleichheitswerte und rechtsstaatliche Verfahren stützten und versuchten, die juristische und politische Auseinandersetzung mit belasteten Personen als undemokratisches Unrecht zu diskreditieren. Von der Redemokratisierung ging daher in allen drei Ländern eine starke Sogwirkung für eine Entlastung und Reintegration von Personengruppen aus, die noch am Kriegsende als diskreditiert definiert worden waren. Das dritte Kapitel der Studie untersucht die Rolle nationaler und demokratischer Signaturen in den parlamentarischen Amnestiediskursen der 1940er und 1950er Jahre. In allen drei Ländern verlagerte sich die Debatte um politische Belastung wenige Jahre nach Kriegsende von der Frage politischer Sanktionierung auf die Frage politischer Amnestierung. Damit sollten nicht nur die verhängten Sanktionen revidiert werden. Vielmehr zeigten sich in den Amnestiedebatten Versuche, die Kategorie politische Belastung vollständig als politisches und rechtliches Unterscheidungskriterium zu löschen. Im Amnestiediskurs offenbarten sich in allen drei Ländern sehr ähnliche Argumentationsmuster, die auf eine Entlastung möglichst großer Personenkreise abzielten. Diese wurden überall mit national-kollektiven und demokratiepolitischen Argumenten grundiert, insbesondere mit dem Schlagwort der nationalen „Versöhnung“ und „Befriedung“ sowie mit dem Wert der demokratischen „Gleichheit“. Es wird aber auch gezeigt, dass diese Bemühungen in den drei Ländern sehr unterschiedlich erfolgreich waren und den Diskurs in verschiedenem Maße prägen konnten. In einem abschließenden Kapitel werden zum Schluss die wesentlichen Ergebnisse der Studie zusammengefasst und mit einem Ausblick auf die Entwicklungen seit den 1950er Jahren verbunden.

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Prolog Kontext und Verläufe nationaler Belastungsdiskurse

Wie jede Nachkriegsperiode war auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg von zahlreichen Umbrüchen und Veränderungen im europäischen Staatengefüge und für die Völker des Kontinents geprägt. Kriegsschäden materieller und psychologischer Art mussten beseitigt, Grenzen neu gezogen, Wirtschaften konsolidiert und die zusammengebrochene Staatlichkeit wieder aufgebaut werden, ehe auch daran zu denken war, die Vergangenheiten „aufzuarbeiten“. 1 Dazu kam, dass der Weltkrieg nicht nur ein groß angelegter Vernichtungskrieg war, sondern aus zahlreichen lokalen Bürgerkriegen und bürgerkriegsähnlichen Konfrontationen bestand, in denen sich Völker gegenseitig und Bevölkerungsgruppen untereinander bekämpften. Die vom Krieg traumatisierten Gesellschaften forderten daher am Kriegsende Gerechtigkeit und Wiedergutmachung von Deutschland und seinen Verbündeten, aber auch von den politischen Eliten und Personenkreisen im eigenen Land, die mit dem Feind zusammengearbeitet hatten. 2 Dass sich diese Auseinandersetzung im Rahmen eines demokratischen und nationalstaatlichen Rekonstruktionsprozesses abspielen sollte, war für die Nachkriegseliten im westlichen Teil Europas weitgehend unstrittig. Es erschwerte die Angelegenheit aber zusätzlich, hatte doch der Krieg die Idee des demokratischen Nationalstaats und der Selbstregierung der Völker im Kern erschüttert. In der Frage des politischen Umgangs mit „belasteten“ Personen überkreuzten und überlagerten sich all diese Nachkriegsherausforderungen und stellten die neuen politischen Eliten im demokratischen Nachkriegseuropa vor schwierige Entscheidungen. 3 Auf politischer Ebene lässt sich die Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Belastung nach Norbert Frei in zwei zeitliche Abschnitte gliedern: Einer Phase

1 Vgl. Conway/Lagrou/Rousso (Eds.), Europe’s Postwar Periods. 2 Vgl. Judt, Geschichte Europas, 59–82; Mouralis/Weinke, Justice, 63f. 3 Vgl. Lagrou, States, 109; Conway, Democracies, 127f.

HTTPS :// DOI . ORG / 10.1515/ 9783110771602-003

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der „Säuberungspolitik“ in den 1940er Jahren folgte nach Gründung der Bundesrepublik eine Phase der „Vergangenheitspolitik“, in der die normative Distanzierung vom Nationalsozialismus untermauert, maßgebliche Resultate der „Säuberung“ aber kritisiert und revidiert wurden. 4 In groben Zügen kann dieses für die westdeutsche Nachkriegsgeschichte etablierte Phasenmodell auch auf die beiden Vergleichsländer übertragen werden, ohne dass signifikante Unterschiede und Ungleichzeitigkeiten ausgeblendet werden sollten. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich für die drei Nachkriegsgesellschaften auch, dass sich Sanktionierungs- und Amnestiephasen gerade auf diskursiver Ebene sehr stark überschnitten und aufeinander bezogen. Zudem sind die Sanktionen am Kriegsende von besonderer Bedeutung, weil sie zur Herausbildung eines politischen Belastungsverständnisses führten, das anschließend wiederum zum Objekt der Kritik wurde. Sie sollen daher zunächst im folgenden Kapitel kurz skizziert werden, ehe eine eingehendere Analyse ihrer diskursiven Strukturen folgt. Gerade in der westdeutschen Geschichte ist das Konzept politische Belastung eng an die alliierten Entnazifizierungsverfahren der Nachkriegszeit gebunden, in denen die Begriffe „Belastete“, „Minderbelastete“ und „Entlastete“ eine formale juristische Definition erhielten. Damit verbunden war die Vorstellung, dass die in den Gesetzen definierte nationalsozialistische „Belastung“ von Personen darüber entschied, wie mit ihnen im Allgemeinen zu verfahren war und welche Rolle sie in der Nachkriegsgesellschaft spielen sollten. Die Zahl von Personen, die nach dieser Vorstellung in die Entnazifizierung eingebunden werden mussten, war in Deutschland aber so groß, dass sich die von den Alliierten implementierten Verfahren als äußerst schwierig herausstellten. Die 8,5 Millionen Deutschen, die der NSDAP angehört hatten, waren dabei nur die Spitze des Eisbergs. Rechnet man andere Organisationen hinzu, dann waren schätzungsweise 45 Millionen Deutsche mit einer NS-Organisation verbunden. 5 Da die Alliierten, allen voran die USA, diesen Personen eine Mitverantwortung für Krieg und NS-Verbrechen gaben, wollten sie sich bei Kriegsende nicht damit begnügen, nur die Eliten in den Blick zu nehmen. Vielmehr sollte die gesamte deutsche Gesellschaft auf ihre Verstrickung mit dem Regime hin überprüft werden, um als belastet angesehene Personen aus ihren Ämtern entfernen sowie Kriegsver-

4 Vgl. Norbert Frei, Coping with the Burdens of the Past: German Politics and Society in the 1950s, in: Geppert (Ed.), Postwar Challenge, 27–40; ders., Vergangenheitspolitik, 13. 5 Vgl. Görtemaker/Safferling, Akte Rosenburg, 66.

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brecher verhaften und aburteilen zu können. 6 Die „Reinigung“ Deutschlands sollte seiner Demokratisierung und Rehabilitierung zwingend vorangehen. 7 Auf Basis von Fragebögen an die Bevölkerung, die mithilfe von 131 Einzelfragen einen genauen Einblick in die biographischen und politischen Vorbelastungen der Befragten erlaubten, wurden in der amerikanischen Zone rund 200000 Staatsbedienstete entlassen oder interniert. 8 Die britische und die französische Militärregierung gingen deutlich zurückhaltender vor, aber auch hier lagen die Entlassungszahlen so hoch, dass eine geordnete Verwaltung nicht mehr aufrechtzuerhalten war. 9 Unter anderem deswegen gingen die westlichen Alliierten dazu über, die Verantwortung für die Überprüfungen an deutsche Stellen zu übertragen. In den amerikanisch besetzten Ländern erfolgte dies auf Grundlage des „Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ vom 5.März 1946, das in der Folge auch auf die französische und britische Zone ausgeweitet wurde. 10 Die Auseinandersetzung mit NS-Belastung wurde damit endgültig zur Sache der Deutschen. Wer aber war aus welchem Grund belastet? Die von den Alliierten initiierte und von den Deutschen umzusetzende „Entnazifizierung“ war an keinen einheitlichen Belastungsbegriff gebunden. Stattdessen operierten Gesetze und Verordnungen mit sehr unterschiedlichen Konzepten, um zu begründen, warum bestimmte Personengruppen sanktioniert werden sollten. Dazu gehörte die Gefahr, die von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern für die Sicherheit

6 Ebd.63f. 7 Vgl. Wolfgang Benz, Deutschland unter alliierter Besatzung 1945–1949. Stuttgart 2009, 112. 8 Vgl. Rigoll, Staatsschutz, 37; Vollnhals, Entnazifizierung, 14, spricht von 300000 Personen, die ihre Anstellung verloren oder nicht wieder eingestellt wurden. 9 Vgl. Görtemaker/Safferling, Akte Rosenburg, 70f. Turner nennt für die britische Zone eine Zahl von ca. 90000 Personen für die „compulsory removals“ bis August 1946, vgl. Ian D. Turner, Denazification in the British Zone, in: Ders. (Ed.), Reconstruction in Post-War Germany. British Occupation Policy and Western Zones, 1945–1955. Oxford 1989, 239–267, dort 263. 10 Vgl. Gesetz Nr.104 zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus, 5.3.1946, in: Sammlung der vom Alliierten Kontrollrat und der Amerikanischen Militärregierung erlassenen Proklamationen, Gesetze, Verordnungen, Befehle, Direktiven. Stuttgart 1946. Zur Umsetzung in den anderen Zonen vgl. Görtemaker/Safferling, Akte Rosenburg, 68f.; Henke, Trennung, 41f.; Verordnung Nr. 110: Übertragung der Entnazifizierungsaufgaben auf die Regierungen der Länder, 1.10.1947, in: Military Government Gazette Germany, British Zone of Control, No. 21 (1947), 608–613; Landesverordnung über die Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus, 29.3.1947, in: Amtsblatt der Landesverwaltung Baden, 15.4.1947, 69; Rechtsanordnung zur politischen Säuberung, 25.4.1947, in: Amtsblatt des Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württemberg und Hohenzollerns, 8.5.1947, 639–648.

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der Alliierten ausging. Dazu gehörte der Einfluss des Nationalsozialismus, aber auch des Militarismus auf das öffentliche Leben; und dazu kam die Verantwortung, die Personen am Nationalsozialismus und seinen Untaten trugen, sei es als „Kriegsverbrecher“, „Nationalsozialisten“, „Militaristen“ „Aktivisten“, „Verantwortliche“, „Förderer“, „Nutznießer“, „Sympathisanten“. 11 Dass diese sehr unterschiedlich gelagerten Begriffe auf verschiedene Arten politischer Kompromittierung verwiesen, machte die Aufgabe nicht leichter, aus ihnen die im Einzelfall je angemessene Sanktion abzuleiten – zumal die Entscheidung über eine politische Frage mit den Spruchkammerverfahren auf eine juristische Ebene verlagert wurde, auf der nach strafrechtlichen Maßstäben geurteilt werden sollte. 12 Andererseits gaben die Gesetze den deutschen Stellen einen sehr ausführlichen Kriterienkatalog an die Hand, der bereits mit der Kontrollratsdirektive 38 vom 12.Oktober 1946 auf alle Besatzungszonen ausgeweitet worden war. 13 Gerade im internationalen Vergleich ist die Präzision und Differenziertheit dieses kategorialen Verfahrens mit fünf Gruppen von Belasteten einzigartig. Dennoch konnten die nach diesen Vorgaben durchgeführten Entnazifizierungsverfahren dem anspruchsvollen Ziel einer umfassenden „Reinigung“ vom Nationalsozialismus weder aus zeitgenössischer Perspektive noch aus Sicht der Nachwelt gerecht werden. Stattdessen verschmolzen in den Spruchkammerverfahren Sanktionierung und Rehabilitation zu ein und demselben Vorgang. 14 Während sie mehr und mehr „Mitläufer“ produzierten, begannen Alliierte und Länder, die ersten Amnestien zu erlassen und die als gescheitert geltende Entnazifizierung wieder abzuwickeln. 15 Bei Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 war die Frage der NS-Belas-

11

Vgl. Kontrollratsdirektive 24: Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebun-

gen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen, 12.1.1946, in: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr.5 (1946), 98–115; Befreiungsgesetz, 5.3.1946; Kontrollratsdirektive 38; Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen, 12.10.1946, in: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr.11 (1946), 184–211; Verordnung Nr.110; Rechtsanordnung zur politischen Säuberung, 28.5.1946, in: Amtsblatt des Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns, 8.6.1946, 67–74.

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12

Vgl. Vollnhals, Einleitung, in: Ders. (Hrsg.), Entnazifizierung, 19.

13

Vgl. Kontrollratsdirektive 38, 12.10.1946, 184.

14

Hierzu ausführlich: Niethammer, Mitläuferfabrik.

15

Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik; John Gimbel, Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland

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tung endgültig zum Thema weitreichender Debatten über den Erlass von „Abschlussgesetzen“, „Straffreiheitgesetzen“ und einer angestrebten „Generalamnestie“ geworden. Die Zeichen standen nun auf Reintegration der „Entnazifizierten“, die zu einem maßgeblichen Kennzeichen der 1950er Jahre wurde. 16 Obwohl auch Österreich nach 1945 eine Phase der Entnazifizierung und eine Phase der Amnestien erlebte, stand der politische Belastungsdiskurs in der „Zweiten Republik“ doch in anderen Zusammenhängen. Dies hatte mit der Kriegserfahrung und Nachkriegsentwicklung zu tun, aber auch mit der spezifischen Vorgeschichte der nationalsozialistischen Zeit. Die demokratische „Erste Republik“ der Zwischenkriegszeit war nicht erst mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 zerschlagen worden. Stattdessen herrschte im Land bereits seit 1934 ein autoritäres Regime, der sogenannte „Bundesstaat Österreich“, der von seinen Anhängern als „Ständestaat“, von den Gegnern als „Austrofaschismus“ bezeichnet wurde. 17 Das von katholisch-konservativen Kräften getragene Regime war zeit seines Bestehens durch eine doppelte Abgrenzung geprägt: Auf der einen Seite versuchte das Regime, der parlamentarischen Demokratie eine autoritäre und korporatistisch geprägte Alternative entgegenzusetzen. Entsprechend wurde die demokratische Verfassung von 1920/29 durch ein Einparteiensystem der „Vaterländischen Front“ ersetzt und die politische Opposition gewaltsam ausgeschaltet. Auf der anderen Seite war mit dem „Austrofaschismus“ der Versuch verbunden, den starken Anschlusstendenzen im Land einen demonstrativen Österreich-Patriotismus entgegenzusetzen und so die Eigenstaatlichkeit des Landes zu bewahren. Hierin liegt die Wurzel

1945–1949. Frankfurt am Main 1971, 210–215 und 226–230; Fürstenau, Entnazifizierung, 233–259; Schuster, Entnazifizierung, 344–411. 16 Auf Bundesebene: Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit, 31.12.1949, in: Bundesgesetzblatt, Nr. 9 (1949), 37; Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen 11.5.1951, in: Bundesgesetzblatt, Nr.22 (1951), 307–322; Gesetz über den Erlass von Strafen und Geldbußen und die Niederschlagung von Strafverfahren und Bußgeldverfahren, 17.07.1954, in: Bundesgesetzblatt, Nr.21 (1954), 203. Daneben erließen die Länder eigene „Abschlussgesetze“. Siehe hierzu Fürstenau, Entnazifizierung, 148–159; Frei, Vergangenheitspolitik; Peter Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute. München 2001, 107–124. 17 Zum „Ständestaat“ und seiner Entwicklung siehe Ulrich Kluge, Der österreichische Ständestaat 1934– 1938. Berlin 2018; Manfried Rauchensteiner, Unter Beobachtung. Österreich seit 1918. Wien u.a. 2017, 109– 164; Wolfgang Neugebauer/Emmerich Tálos (Hrsg.), „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938. Wien 4.Aufl. 1988; zur Auseinandersetzung damit Uhl, Versöhnung.

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für die spätere Stilisierung des „Austrofaschismus“ zum „Staatswiderstand“ gegen den Nationalsozialismus. 18 Das Bemühen von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, sich im Inneren mit der anwachsenden nationalsozialistischen Bewegung und nach außen mit dem Deutschen Reich zu verständigen, scheiterte aber bekanntlich. Auf Hitlers Druck hin musste er das Kanzleramt im März 1938 an den Nationalsozialisten Arthur SeyßInquart abgeben, ehe deutsche Truppen unter dem Jubel vieler Österreicherinnen und Österreicher in das Land einmarschierten. 19 Zu den Befürwortern des „Anschlusses“ zählte auch der Sozialdemokrat und spätere Staatskanzler Karl Renner. 20 Fortan gehörte Österreich zum Deutschen Reich und war fest in den nationalsozialistischen Staat integriert. Von den knapp sieben Millionen Personen in Österreich gehörten etwa 700000 der NSDAP an. 21 Als im April 1945 die Wiederherstellung der Republik Österreich proklamiert wurde, gab es auf die Frage, wer belastet war und wer sanktioniert werden sollte, keine einfache Antwort: Waren alle österreichischen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten belastet oder nur ein Teil von ihnen? Was war mit Personen ohne NSDAP-Mitgliedschaft, die aber den „Anschluss“ vorbereitet oder im Regime mitgewirkt hatten? Sah man auch die sozialdemokratischen Parteimiglieder als kompromittiert an, die sich für einen „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutsche Reich ausgesprochen hatten? Und wie ging man mit dem „Austrofaschismus“ um? Dafür verantwortlich, Antworten auf diese (und andere) Fragen zu finden, waren nach der „Befreiung“ 1945 zunächst die vier Alliierten, die Österreich ähnlich wie Deutschland in Besatzungszonen aufteilten. Bei der „Entnazifizierung“ setzten die vier Besatzungsbehörden wie in Deutschland unterschiedliche Schwerpunkte: Während die Amerikaner eine Demokratisierung der Gesellschaft zu befördern suchten, hielt sich die Sowjetunion weitgehend aus den „Säuberungs“-Maßnahmen

18

Vgl. Axer, Aufarbeitung, 198; Uhl, Versöhnung, 51; Hanns Haas, Der „Anschluss“, in: Ernst Hanisch/

Wolfgang Neugebauer/Reinhard Sieder/Emmerich Tálos (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch. Wien 2002, 26–54, dort 29. 19

Vgl. Rauchensteiner, Unter Beobachtung, 109–164; Haas, „Anschluss“.

20

Vgl. Rathkolb, Paradoxe Republik, 171.

21

Vgl. Gerhard Jagschitz, Von der „Bewegung“ zum Apparat. Zur Phänomenologie der NSDAP 1938 bis

1945, in: Hanisch/Neugebauer/Sieder/Tálos (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich, 88–122, dort 109; zur NSGeschichte Österreichs siehe Hanisch/Neugebauer/Sieder/Tálos (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich, sowie zuletzt Kellner, Kollaboration, S. 33–70.

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heraus. Frankreich legte Wert auf die „strenge Säuberung von allen pro-deutschen Elementen“ 22 und den Briten ging es vor allem darum, eine Rückkehr des Nationalsozialismus zur Macht zu verhindern, ansonsten aber einen raschen Wiederaufbau zu ermöglichen. 23 Die unterschiedlichen Entnazifizierungsstrategien der Alliierten standen in Österreich aber nur kurze Zeit im Vordergrund. Schon wenige Monate nach Kriegsende wurde die Verantwortung für die Auseinandersetzung mit nationalsozialistisch belasteten Personen auf die schon im April 1945 gebildete Zentralregierung in Wien übertragen, die aber bis zum Staatsvertrag 1955 unter Aufsicht der Alliierten wirkte. Die Staatsregierung erließ 1945 mehrere „Säuberungs“-Gesetze, die in den Folgejahren aber mehrmals revidiert wurden. 24 Im Zuge dessen wurden ehemalige Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen sanktioniert, rund 13 600 Personen wegen Verbrechen nach dem Kriegsverbrecher- und Verbotsgesetz verurteilt und etwa 70000 Staatsbedienstete entlassen. 25 Schon mit der Gesetzesnovelle 1947 begann zugleich der Einstieg in eine Amnestiegesetzgebung, die das Ziel verfolgte, die „Nazifrage“ schnellstmöglich zu „lösen“. Nach mehreren Teilamnestien und gescheiterten Versuchen, eine umfassendere Regelung gegen die Alli22 Charles de Gaulle, zit. n. Jürgen Klöckler, Ici l’Autriche – pays ami! Frankreich und die Entnazifizierung im besetzten Österreich 1945/46, in: Walter Schuster/Wolfgang Weber (Hrsg.), Entnazifizierung im regionalen Vergleich. Linz 2004, 455–472, dort 459. 23 Siehe dazu ausführlich Dieter Stiefel, Der Prozeß der Entnazifizierung in Österreich, in: Henke/Woller (Hrsg.), Säuberung; Oliver Rathkolb, U.S.-Entnazifizierung in Österreich zwischen kontrollierter Revolution und Elitenrestauration 1945–1949, in: Zeitgeschichte 11, 1983/84, 302–325; Robert Knight, Britische Entnazifizierungspolitik 1945–1949, in: Zeitgeschichte 12, 1984, 287–301; Barbara Stelzl-Marx, Stalins Soldaten in Österreich. Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955. Wien 2012; Kurt Tweraser, Die amerikanische Säuberungspolitik in Österreich, in: Schuster/Weber (Hrsg.), Entnazifizierung, 363–397; Siegfried Beer, Die britische Entnazifizierung in Österreich, in: Schuster/Weber (Hrsg.), Entnazifizierung, 399– 430; Klöckler, Ici l’Autriche; Dieter Stiefel, Nazifizierung plus Entnazifizierung = Null? Bemerkungen zur besonderen Problematik der Entnazifizierung in Österreich, in: Meissl/ Mulley/ Rathkolb (Hrsg.), Verdrängte Schuld, 28–36, dort 29f. 24 Verfassungsgesetz vom 8.Mai über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz), in: Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich (StGBl Ö), 6.6.1945, 19–24; Verfassungsgesetz vom 26.Juni 1945 über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz), in: StGBl Ö, 28.6.1945, 55–58; Gesetz vom 10.Juli 1945, womit für Ansuchen um Nachsicht gemäß § 27 des Verfassungsgesetzes vom 8. Mai 1945, St. G. Bl. Nr.13, über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz) eine Gebühr erhoben wird, in: StGBl Ö, 14.7.1945, 84f.; Verfassungsgesetz vom 18.Oktober 1945, betreffend eine Ergänzung des Kriegsverbrechergesetzes (Kriegsverbrechergesetznovelle), in: StGBl Ö, 26.10.1945, 349f.; Bundesverfassungsgesetz vom 6.Februar 1947 über die Behandlung der Nationalsozialisten (Nationalsozialistengesetz), in: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (BGBl Ö), 17.2.1947, 277–303. 25 Vgl. Judt, Geschichte Europas, 72; Schuster/Weber, Entnazifizierung, 39.

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ierten durchzusetzen, konnte eine abschließende „NS-Amnestie“ erst 1957 umgesetzt werden. 26 Im Vergleich zu den Belastungsdiskursen in Westdeutschland und Österreich zeichnet sich die französische Erfahrung mit politischer Belastung durch einige Unterschiede aus. Frankreich war während des Weltkriegs zwar vom nationalsozialistischen Deutschland besetzt gewesen, aber nur ein kleiner Teil des Landes war dem Deutschen Reich angegliedert worden. Fragen politischer Kompromittierung entzündeten sich daher im Nachkriegsfrankreich in erster Linie an der „Kollaboration“ mit dem Feind. Wer sich ihrer schuldig gemacht hatte und wie mit diesen Personen verfahren werden sollte, war aber auch in Frankreich eine hoch umstrittene Frage. Der französische Belastungsdiskurs muss auf den Anfang des Vichy-Regimes im Jahr 1940 zurückgeführt werden. 27 Nachdem Frankreich bereits am Rande einer Niederlage gegen die deutschen Truppen gestanden hatte, ernannte Präsident Albert Lebrun am 16.Juni 1940 den Weltkriegsveteranen Philippe Pétain zum Regierungschef. Pétain hatte zu den Fürsprechern eines Separatfriedens mit Deutschland gehört und leitete unmittelbare Verhandlungen über einen Waffenstillstand ein. Mit dessen Inkrafttreten am 25.Juni wurde Frankreich in eine besetzte und eine „freie“ Zone eingeteilt, ehe die deutschen Besatzer 1942 auch letztere okkupierten. Schon ehe die Regierung am 1.Juli 1940 in den Kurort Vichy verlegt worden war, begann man den Umbau der Republik zu einem autoritären Regime zu planen, was schließlich in eine umfangreiche Verfassungsreform mündete. In der Sitzung der Nationalversammlung am 10.Juli 1940 votierten die anwesenden Abgeordneten und Senatoren mit 570:80 Stimmen (bei 21 Enthaltungen und 237 Abwesenden) für eine

26

Bundesverfassungsgesetz vom 22.April 1948 über die vorzeitige Beendigung der im Nationalsozialis-

tengesetz vorgesehenen Sühnefolgen für jugendliche Personen, in: BGBl Ö, 28.4.1948, 331; Bundesverfassungsgesetz vom 21.April 1948, über die vorzeitige Beendigung der im Nationalsozialistengesetz vorgesehenen Sühnefolgen für minderbelastete Personen, in: BGBl Ö, 5.6.1948, 43; Bundesverfassungsgesetz vom 13.Juli 1949 über die Streichung minderbelasteter Personen aus den Registrierungslisten, in: BGBl Ö, 13.8.1949, 787f.; Bundesverfassungsgesetz vom 18.Juli 1956, womit Gruppen ehemaliger Nationalsozialisten in Ansehung der Strafe des Vermögensverfalls amnestiert werden (Vermögensverfallsamnestie), in: BGBl Ö, 28.7.1956, 1375–1379; Bundesverfassungsgesetz vom 14.März 1957, womit Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes, BGBl. Nr.25/1947, abgeändert oder aufgehoben werden (NS-Amnestie 1957), in: BGBl Ö, 29.3.1957, 607–618. Siehe hierzu ausführlich Mizuno, Vergangenheit. 27

Vgl. dazu grundlegend Robert Paxton, La France de Vichy, 1940–1944. Paris 1973; Jean-Pierre Azéma, La

collaboration, 1940–1944. Paris 1975; Henry Rousso, La collaboration. Paris 1987; zuletzt Alya Aglan, La France à l’envers. La guerre de Vichy, 1940–1945. Paris 2020.

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Gesetzesvorlage, die Marschall Pétain die umfassende Ermächtigung erteilte, eine neue Verfassung zu erlassen. 28 Der damit begründete État français war eine autoritäre Diktatur unter der Führung des „Staatschefs“ Pétain, die zugleich dem Deutschen Reich eine „collaboration d’état“ zusicherte. In der Folge wurden politische Gegner aus staatlichen Behörden ausgeschlossen, Minderheiten wie Jüdinnen und Juden, Kommunistinnen und Kommunisten sowie Freimaurer nach deutschem Vorbild verfolgt und die Résistance bekämpft. 29 Diese Zusammenhänge sind deswegen von Bedeutung, weil aus ihnen die Komplexität des französischen Belastungsdiskurses deutlich wird. In diesem ging es erstens um die von der Regierung Pétain vollzogene Kapitulation vor dem Feind, die als nationale Schmach empfunden wurde und heftigen Widerstand durch de Gaulle und andere hervorrief, auch weil die folgende Abhängigkeit des Kollaborationsregimes vom deutschen Besatzer und die Zusammenarbeit mit dessen rassistischer Gewaltpolitik republikanischen und demokratischen Prinzipien zuwiderlief. Zweitens drehte sich der französische Belastungsdiskurs um die Zerstörung der demokratischen Dritten Republik und den Aufbau eines autoritären Regimes, dessen „Révolution nationale“ mit dem Faschismus und Nationalsozialismus einiges gemein hatte. Dazu kamen drittens Formen der ideologischen, wirtschaftlichen und der alltäglichen Zusammenarbeit französischer Bürgerinnen und Bürger mit den Deutschen, die zahlreiche psychologische, soziale und kulturelle Kontakte schufen. Diese Kontakte wurden nach der „Befreiung“ ebenso zum Objekt von Belastungsdiskursen wie die Tätigkeit im Staatsapparat oder in einer der vielen Organisationen, die das Kollaborationsregime unterstützten. 30 Zum Diskursobjekt wurde politische Belastung in Frankreich im Zusammenhang mit der épuration, die am Ende des Krieges begann. Diese erfolgte zum einen in Form von „wilden“ außergerichtlichen Maßnahmen, in denen es zu lokal und spontan organisierten, oft gewaltsamen Formen der Abrechnung kam. Die Forschung geht von ca. 10000 „außergerichtlichen“ Tötungen aus. 31 Zu den Maßnahmen gehörte neben Akten der Lynchjustiz und spontanen Hinrichtungen auch das öffent28 Vgl. ausführlich Wieviorka, Orphelins. 29 Vgl. zuletzt Laurent Joly, L’État contre les Juifs. Vichy, les nazis et la persécution antisémite (1940– 1944). Paris 2018; Thomas Fontaine/Denis Peschanski, La collaboration. Vichy, Paris, Berlin 1940–1945. Paris 2018. 30 Vgl. Rousso, L’épuration, 193–197. 31 Zur Diskussion der unterschiedlichen Zahlen siehe Rousso, L’épuration, 201–205.

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liche Kahlscheren von Frauen. Die französische Geschichtswissenschaft hat die sozialpsychologischen und symbolischen Dimensionen dieser Maßnahmen umfassend herausgearbeitet und gezeigt, dass sich in ihnen neben Misogynie Formen der Vergeltung und Bestrafung mit dem Versuch verbanden, aufgestaute Aggressionen und soziale Spannungen zu entladen. 32 Parallel dazu und oft in Konkurrenz zu den „wilden Säuberungen“ etablierten die provisorischen Institutionen der Nachkriegszeit aber auch eine offizielle, gesetzlich erlassene Sanktionspolitik, die sich zu einem Großprojekt entwickelte. Schon in der Endphase des Kriegs hatte das „nationale Befreiungskomitee” in Algier unter der Führung von General de Gaulle und General Giraud damit begonnen, eigene Verordnungen (ordonnances) zur „Säuberung“ der französischen Gesellschaft zu erlassen. 33 Mit der Befreiung Frankreichs wurden die Ziele und Richtungsentscheidungen von Algier schließlich nach und nach auf das Mutterland übertragen und angepasst. 34 Auf Grundlage mehrerer Verordnungen und einer weiten Auslegung des französischen Strafrechts wurden etwa 340000 Personen vor den Cours de Justice, den Militärtribunalen, der Haute Cour de Justice und den Chambres civiques angeklagt, davon wurden etwa 40000 ins Gefängnis gebracht. Daneben wurden etwa 50000 Menschen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt und zehntausende Staatsbeamte sanktioniert. 35 Seit dem Jahr 1947 wiederum begann der französische Gesetzgeber, mehrere Amnestien für Teilgruppen (für Minderjährige, für Algerien und das Elsass) zu erlassen, ehe 1951 und 1953 zwei umfangreichere Amnestiegesetze folgten. 36 Mitte der 1950er Jahre konnte die „Säuberung“ Frankreichs damit als ab-

32

Vgl. Virgili, France „virile“; Baruch, Une histoire sociale; Brossat, Les tondues; ders., Libération.

33

Ordonnance du 18 août 1943 instituant une commission d’épuration auprès du Comité de la Libéra-

tion nationale, in: Journal Officiel de la République Française (J.O. Alger), 11.9.1943, 116. 34

Vor allem Ordonnance du 6 décembre 1943 portant modification de l’ordonnance du 18 août 1943 in-

stituant une commission d’épuration auprès du Comité français de la Libération nationale, in: J.O. Alger, 9.12.1943, 312f.; Ordonnance du 26 juin 1944 relative à la répression des faits de collaboration, in: J.O. Alger, 6.7.1944, 535f.; Ordonnance du 28 août 1944 instituant l’indignité nationale, in: J.O. Alger, 28.8.1944, 767 f.; Loi no46–2174 du 4 octobre 1946 rélative à l’inéligibilité, in: Journal Officiel de la République Française (J.O.), Lois et décrets, 10.10.1946, 8582. 35

Vgl. Rousso, L’épuration.

36

Loi no46–729 du 16 avril 1946 portant amnistie, in: J.O., Lois et décrets, 17.4.1946, 3222–3224; Loi no47–

1504 du 16 août 1947 portant amnistie, in: J.O., Lois et décrets, 17.8.1947, 8055–8059; Loi no47–1622 du 28 août 1947 tendant à accorder le bénéfice de la grâce amnistiante à certaines personnes condamnées en vertu de l’ordonnance du 26 décembre 1944 pour des faits commis dans les départements du Bas-Rhin et du

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geschlossen angesehen werden und auch der Diskurs um Kollaborationsbelastung kam für einige Jahre zum Erliegen. Auf dessen Begründung während des Kriegs und auf seine Ausweitung am Kriegsende soll im Folgenden genauer geblickt werden.

Haut-Rhin, in: J.O., Lois et décrets, 29.8.1947, 8566; Loi no49–177 du 9 février 1949 accordant le bénéfice de l’amnistie à certains mineurs de vingt et un ans poursuivis ou condamnés pour faits de collaboration, in: J.O., Lois et décrets, 10.2.1949, 1493; Loi no51–18 du 5 janvier 1951 portant amnistie, instituant un régime de libération anticipée, limitant les effets de la dégradation nationale et réprimant les activités antinationales, in: J.O., Lois et décrets, 6.1.1951, 260ff.; Loi no53–112 du 20 février 1953 portant amnistie en faveur des Français incorporés de force dans les formations militaires ennemies, in: J.O., Lois et décrets, 21.2.1953, 1747; Loi no53–681 du 6 août 1953 portant amnistie, in: J.O., Lois et décrets, 7.8.1953, 6942–6946.

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I. Belastung und Nation Politische Sanktionierung als nationaler Diskurs

1. Bons et mauvais citoyens: Die französische épuration Die Vorstellung, dass sich ein Teil der französischen Bevölkerung während des Krieges durch sein Verhalten kompromittiert hatte, ist keineswegs eine Ex-postKonstruktion der Nachkriegszeit. Vielmehr entstammt sie der Konfliktstruktur des Zweiten Weltkriegs, der in Frankreich die Form eines De-facto-Bürgerkriegs zwischen Vichy und der Kollaboration auf der einen Seite und dem „freien Frankreich“ und der Résistance auf der anderen annahm. 1 Aus der Parteinahme für die eine Seite resultierte dabei die Zurechnung politischer Belastung durch die andere. Schon früh hatten die französischen Résistance-Gruppierungen Überlegungen über eine „Reinigung“ des Landes angestellt. 2 Dabei dominierte die Vorstellung, dass früher oder später die „französischen Patrioten“ („patriotes français“) über die „Verräter von Vichy“ („traîtres de Vichy“) zu Gericht sitzen würden. 3 Dass die Vichy-Loyalen von den Widerstandangehörigen als Verräter und damit als innerer Feind definiert wurden, gründete auf ihrer Assoziation mit dem äußeren Feind: Belastet war aus Sicht der Résistance jeder, „der dem Invasoren geholfen, seinen Sieg vorbereitet […] [und] ihm gedient“ hatte. 4 Entsprechend wurden die Wohnungen mutmaßlicher Kollaborateurinnen und Kollaborateure mit der zentralen Gleichung beschmiert: „Ici habite un Pétainiste donc un agent de Hitler, par conséquence un traître à la France.“ 5 Wer ge-

1 Zur französischen „épuration“ vgl. Rousso, L’épuration; Novick, Resistance; Lottman, Purge; Cointet, Expier Vichy; Boudriot, L’épuration 1944–1949; Baruch (Ed.), Une poignée de misérables; Gillieth, L’épuration; Valode, Le destin des hommes de Pétain; Vergez-Chaignon, Histoire de l’épuration. 2 Vgl. etwa Parti communiste français, Au service de la renaissance française. Paris [1944]; Organisation civile et militaire (O. C. M.), Les Cahiers. Études pour une révolution française, 1er fascicule, Juin 1942. 3 „Le tribunal de la Gestapo“, Humanité (Nord), 28.8.1941. 4 O. C. M., Cahiers, 1er fascicule, 97. 5 Zit. n. Novick, Resistance, 26.

HTTPS :// DOI . ORG / 10.1515/ 9783110771602-004

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gen die Résistance war, wurde also des Hochverrats beschuldigt und sollte aus der Nation verbannt (“Les mettons au ban de la nation“ 6) oder mit dem Tod bestraft werden („Le devoir est clair: il faut tuer […] les traîtres” 7). Mit ihrer Wurzel im französischen Bürgerkrieg entwickelte sich die épuration am Kriegsende auf dem semantischen Doppelgespann von „liberté“ und „justice“: Mit dem „Ende der ausländischen Tyrannei“ – der Freiheit – sollte die „Bestrafung“ der dafür Verantwortlichen beginnen – zugunsten der Gerechtigkeit. 8 Die offizielle „Säuberungs“-Politik der Übergangs- und Nachkriegsinstitutionen hatte aber noch einen dritten Gedanken im Sinn: die Sicherheit. Demnach musste sich das „freie“ Frankreich von jenen Personen trennen, auf die es sich nicht verlassen konnte, weil sie die „Sicherheit des Staates“ („sureté de l’État“) bedrohten. 9 Die drei Motive Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit fanden schließlich Eingang in die Epurationsverordnungen der Jahre 1943/44. Diese definierten nicht nur, wer als sanktionswürdig anzusehen war und welche Sanktionen verhängt wurden. Sie banden die Sanktionen auch an drei übergeordnete Ziele: die Wiederherstellung der „republikanischen Legalität“, die Begründung einer „neuen“ demokratischen Republik und die Retablierung der Nation und ihrer kollektiven Identität. Die drei Ziele wiederum hatten erheblichen Einfluss darauf, wer als sanktionswürdig definiert wurde. Aus dem Ziel, die republikanische Legalität wieder zu errichten, folgte, dass jene Personen, die für ihre Zerschlagung verantwortlich gemacht wurden, als kompromittiert anzusehen waren. Als Objekt staatlicher Sanktionen definierte die Epurationsverordnung vom 18.August 1943 daher ausdrücklich Gewählte, Beamte und öffentlich Bedienstete, die mit ihren Taten, ihren Schriften oder ihrer persönlichen Haltung gegen die „verfassungsmäßigen Institutionen“ und die „grundlegenden öffentlichen Freiheiten“ verstoßen hatten. 10 Da sich die Nachkriegsinstitutionen auf die Position stellten, dass Vichy nur eine „Pseudoregierung“ ohne verfassungsmäßige Legitimität darstellte, mussten die Angehörigen dieser Regierung als diskreditiert

6 „Nous accusons…“, in: Le Populaire, 15.September 1942. 7 „Le devoir de tuer“, in: Défense de la France, 25.2.1944. 8 O. C. M., Cahiers, 1er fascicule, 97. 9 Albert Gazier (SFIO), Journal Officiel de la République Française, supplément, Débats de l’Assemblée consultative provisoire, 15.1.1944 (11.1.1944), 1. 10

Ordonnance du 18 août 1943, Art.3 ; Ordonnance du 17 septembre 1943 portant constitution d’une As-

semblée consultative provisoire, Art.8, in: Journal Officiel de la République Française (Alger), 23.9.1943, 139f.

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gelten. Wer im État français von Vichy hohe politische und gesellschaftliche Funktionen übernommen hatte, hatte sich gegen die Republik gestellt und konnte daher – so die Vorstellung – im Wiederaufbau der Republik keine Rolle spielen. Minister und Mandatsträger Vichys wurden entsprechend von der Wahl in die Institutionen der Nachkriegsordnung ausgeschlossen. 11 Ihre politische Belastung resultierte aus ihrer Illoyalität gegenüber der Republik als Institution, System und Idee. Insbesondere die Kräfte der Linken – von der kommunistischen Partei bis hin zum linken Gaullismus – gingen aber noch einen Schritt weiter. Sie erblickten am Kriegsende die Gelegenheit, weitergehende sozialrevolutionäre Ziele zu erreichen. Aus der „Säuberung“ sollte ein „neues, reines und starkes“ Frankreich mit neuen Institutionen, einem neuen sozialen Gefüge und neuen Führungspersönlichkeiten hervorgehen. 12 Politische Belastung in diesem Sinne entstand aus einer Assoziation mit dem Alten, das im Neuen keinen Platz mehr haben sollte. Entsprechend umfassend wurde sie definiert: Die 570 Parlamentarier der Dritten Republik, die am 10.Juli 1940 für die Bevollmächtigung Philippe Pétains gestimmt und damit „ihr Mandat aufgegeben“ hatten, wurden im Zuge der épuration sanktioniert und von der Wählbarkeit ausgeschlossen – unabhängig davon, ob sie anschließend eine Rolle im Vichy-Regime gespielt hatten. 13 Mit dem Wahlausschluss sanktionierte die französische épuration die Vorkriegseliten für ihre Mitverantwortung für die Zerschlagung der demokratischen Institutionen und verlieh zugleich der tiefen Abneigung Ausdruck, die große Teile des französischen Widerstands gegenüber den demokratischen Vorkriegseliten hegten. Das „neue Frankreich“, so die Zeitschrift „Résistance“, sollte sein Schicksal nicht jenen anvertrauen, die es in der Vergangenheit nicht hatten retten können. 14 Während „republikanische“ Diskurssignaturen in erster Linie die „Säuberung“ des politischen Systems begründeten, hatten die Angehörigen der Résistance noch sehr viel weitergehende Ziele: die „Reinigung der nationalen Gemeinschaft“ („épuration de la communauté nationale“). Demnach sollte die épuration das durch Kriegsniederlage, Besatzung und Kollaboration in Mitleidenschaft geratene „Volksgewis-

11 Ordonnance du 17 septembre 1943, Art.8. 12 Vgl. Kohser-Spohn, Denunziations- und Anzeigepraxis, 2015, 71. 13 Ordonnance du 17 septembre 1943, Art.8; vgl. hierzu Novick, Resistance, 94–101. 14 „Législation sur les responsabilités et les sanctions“, in: Résistance, 25.1.1943.

I . BELASTUNG UND NATION

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sen“ („conscience populaire“) wiederaufrichten. 15 Der nationalen „Reinigung“ von „unpatriotischen“ Kräften wurde also eine übergeordnete politische, soziale und moralische Funktion zugeschrieben. Mit ihr sollte die „Erneuerung“ der französischen Nation ermöglicht werden. 16 Der Umgang mit Kollaborationsbelasteten wurde dabei als „Frage der nationalen Würde“ („question de dignité nationale“) verstanden. 17 Somit hatten sie durch ihr Verhalten nicht nur sich selbst disqualifiziert, sondern auch die Würde der Nation in Mitleidenschaft gezogen. Kriegsniederlage, Kapitulation und Kollaboration verschmolzen dabei zu einem Komplex der kollektiven Erniedrigung. Dieser sollte durch Sanktionierung der Verantwortlichen aufgelöst werden, indem die Nation sich symbolisch von ihren Beschmutzern befreite: Die épuration sei Ausdruck der „nationalen Abscheu“ („dégout national“), so der Abgeordnete Mayoux in der provisorischen Nationalversammlung. 18 Sie hatte damit eine kollektive „Ersatzfunktion“ und diente der „Wiederherstellung der nationalen Identität“. 19 Wie sehr der französische Epurationsdiskurs durch nationale, „patriotische“ Signaturen geprägt war, zeigt sich nicht zuletzt in der ordonnance „instituante l’indignité nationale“ vom 26.August 1944. Diese Verordnung der provisorischen Regierung wurde als zentrales Mittel zur „Läuterung des Vaterlandes“ („purification de la patrie“) angesehen und unternahm den Versuch, „zwischen guten und schlechten Bürgern zu unterscheiden“, so der Wortlaut. Wer „das Ideal und das Interesse Frankreichs während der schmerzhaftesten Prüfung seiner Geschichte missachtet“ hatte, wurde demnach für „unwürdig“ erklärt und ging der staatsbürgerlichen Rechte verlustig. 20 Zu den Sanktionen gehörten unter anderem der Ausschluss von Wahl und Ämtern, die Entlassung aus dem öffentlichen Dienst sowie von Führungspositionen in halbstaatlichen Unternehmen, Gewerkschaften und Berufsverbänden. 21 Die ordonnance knüpfte unmittelbar an die Rhetorik der Résistance an und spiegelte die binäre Logik des französischen Epurationsdiskurses wider: Dem „guten“ Teil Frank

15

Albert Gazier (SFIO), J.O., Débats, suppl., Ass. cons. prov., 15.1.1944 (11.1.1944), 1.

16

Charles de Gaulle, Discours prononcé à la radio de Londres (20.4.1943), in: Ders., Discours et messages.

Vol. 1: Pendant la guerre, juin 1940 – janvier 1946. Paris 1970, 280–281, dort S. 280.

44

17

Jean-Jacques Mayoux, J.O., Débats, suppl., Ass. cons. prov., 15.1.1944 (11.1.1944), 2.

18

Jean-Jacques Mayoux, J.O., Débats, suppl., Ass. cons. prov., 15.1.1944 (11.1.1944), 2.

19

Rousso, L’épuration, 238f.

20

Ordonnance du 26 août 1944, Exposé des motifs.

21

Ordonnance du 26 août 1944, vgl. auch Novick, Resistance, 148f.

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reichs stand der „schlechte“ gegenüber. Wer sich einer „antinationalen Handlung“ („activité antinationale”) schuldig gemacht hatte, war demnach zu bestrafen. 22 Politische Belastung in diesem Sinn gründete auf einem Akt des „Verrats“ an der Nation durch die Unterstützung des Kriegsgegners und seiner inländischen Verbündeten. Aus diesem Grund wurde die Zugehörigkeit zu einer Reihe von Organisationen sanktioniert, die aufgrund ihrer Unterstützung der deutschen Besatzungsmacht und des Kollaborationsregimes als „antinational“ definiert wurden, darunter mehrere politische Parteien, der paramilitärische Service d’ordre légionnaire sowie die aus ihm hervorgegangene Milice. Aber auch wesentliche Aktivitäten im Propagandaapparat von Vichy galten als „antinationale“ Aktivität und führten zum Entzug der staatsbürgerlichen Rechte. 23 Dazu kam, dass die französische épuration, gerade im Vergleich zur Entnazifizierung in Österreich und Deutschland, großen Wert darauf legte, auch „Meinungsdelikte“ und persönliche Einstellungen zu sanktionieren, die als antinational empfunden wurden: Wer sich für eine „Annäherung“ zwischen Frankreich und Deutschland eingesetzt oder die Résistance beleidigt hatte, konnte hierfür zur Verantwortung gezogen werden. Das betraf nicht zuletzt auch Französinnen, denen eine private „Annäherung“ mit Deutschen zur Last gelegt wurde. 24 Die binäre Logik muss als wesentliches Merkmal des französischen Belastungsdiskurses während der unmittelbaren Nachkriegsjahre angesehen werden: Je nachdem, auf welcher Seite man im Krieg gestanden hatte, gehörte man entweder zum „guten“ oder zum „schlechten“ Frankreich. Die épuration wiederum diente dazu, die einen von den anderen zu scheiden. Allerdings definierte der Gesetzgeber in Frankreich zwei wesentliche Ausnahmen, die beide explizit national-kollektiven Gesichtspunkten folgten. Erstens war auch der Résistance daran gelegen, das Gros der „einfachen“ Bürgerinnen und Bürger, die sich mit dem Vichy-Regime in irgendeiner Form arrangiert hatten, über kurz oder lang vom Verratsvorwurf zu entlasten. Die Epurationsverordnungen unterschieden daher ausdrücklich zwischen jenen, die sich „bewusst“ und „über ihre beruflichen Verpflichtungen hinaus“ mit der antinationalen Politik gemein gemacht hatten, und jenen, die nur Befehlen gehorcht hatten, „ohne die Autorität zu besitzen, sie zu hinterfragen“. 25 Zwar blieb es Interpreta-

22 Ordonnance du 26 août 1944, Exposé des motifs. 23 Ordonnance du 26 août 1944, Art.1. 24 Vgl. Novick, Resistance, 88. 25 Ordonnance du 18 août 1943, Art.3.

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tionssache, wo Pflichterfüllung endete und der „antinationale“ Eifer begann, und es gibt einige Indizien, dass die zuständigen Institutionen vor allem in der Anfangszeit häufig sehr streng urteilten. 26 Die damit angelegte Unterscheidung zwischen Gehorsam und Eifer war aber ein wichtiger Grundpfeiler der gaullistischen Doktrin vom patriotischen Frankreich, das nur über „eine Handvoll Unglücklicher“ verfügt habe. 27 Demnach habe das Gros der Bevölkerung „niemals etwas anderes gewollt als das Wohl des Vaterlandes“, auch wenn manche „vom Weg abgekommen“ seien, so de Gaulle. 28 Eine zweite Ausnahme von Sanktionen sahen die Epurationsverordnungen für jene kollaborationsbelasteten Personen vor, die sich „durch ihre unmittelbare und aktive Mitarbeit in der Résistance rehabilitiert hatten“. 29 Wer sich also zunächst durch Assoziation mit Vichy belastet, sich anschließend aber in sichtbarer Weise gegen das Regime betätigt hatte, konnte entlastet werden. Auf diesem Weg konnten zahlreiche politische Akteure trotz zugeschriebener Kompromittierung ihre Karriere fortsetzen: Das galt für den späteren Ministerpräsidenten Robert Schuman, der im Sommer 1940 einen Posten in der Regierung Pétains bekleidet hatte, ebenso wie für Antoine Pinay, der dem Nationalrat von Vichy angehörte. 30 Pinay wurde zugutegehalten, dass er in hunderten Fällen unter Gefährdung seines eigenen Lebens jüdische Bürgerinnen und Bürger sowie Widerstandsangehörige mit falschen Papieren ausgestattet und damit seine „patriotischen“ Einstellungen („sentiments patriotiques“) nachgewiesen hatte. 31 Die Betonung lag hier auf der Lebensgefahr: Reine Solidaritätsbekundungen an die Adresse des Widerstands reichten in einigen Fällen nämlich ebenso wenig aus wie der Schutz von Jüdinnen und Juden vor dem deutschen Besatzer. 32

26

Vgl. Novick, Resistance, 88f.

27

Vgl. Baruch (Hg.), Une poignée de misérables.

28

Charles de Gaulle, Discours radiodiffusé (31.12.1944), in : Ders., Discours et messages. Vol.1: Pendant la

guerre, juin 1940 – janvier 1946. Paris 1970, 491–494, dort 493f. 29

Ordonnance du 17 septembre 1943, Art.8.

30

Journal Officiel de la République Française, Lois et Décrets, 7.10.1945, 6318 und 21.10.1945, 6762. We-

gen seiner Ja-Stimme für die Bevollmächtigung Pétains und seiner Mitgliedschaft im Nationalrat von Vichy wurde Antoine Pinay am 25.September 1945 von der jury d’honneur für unwählbar erklärt. In einer neuen Anhörung zehn Tage später wurde er von der Unwählbarkeit befreit, weil die Jury nun seine „wichtigen und kontinuierlichen“ Aktivitäten für die Résistance für erwiesen betrachtete.

46

31

Vgl. Christiane Rimbaud, Pinay. Paris 1990, 46–49; dort auch das Zitat von Félix Dailly, 49.

32

Vgl. Wieviorka, Orphelins, 370 und 402f. Im Fall des Abgeordneten Émile Perrein reichte die Tatsache,

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Auch hier galt das nationale Kollektiv als Maßstab: Wie ein Großteil der politisch Belasteten machten nach dem Krieg auch Charles Vallin und François Valentin, zwei führende Mitglieder der Kriegsveteranenorganisation Légion française des combattants, Aktivitäten für die Résistance geltend und versuchten, von den Sanktionsmaßnahmen befreit zu werden. Für die zuständige jury d’honneur reichten ihre Taten aber nicht aus, um auszugleichen, dass sie durch ihre Rolle in der Legion die „Moral der Nation“ in entscheidender Weise untergraben hatten. 33 Der Verrat an der Nation war auch das zentrale Motiv, mit dem die politischen Parteien den Ausschluss von Mitgliedern begründeten: So erklärte der stellvertretende Generalsekretär der sozialistischen Partei SFIO 1945, warum der als Kollaborateur angesehene Paul Faure und seine Gefolgsleute keinen Platz mehr in der Partei haben konnten. Demnach hatten sie sich dadurch kompromittiert, dass sie daran mitgewirkt hatten, das republikanische Regime durch eine Diktatur zu ersetzen. Noch schwerer aber als ihr „Verrat an der Republik“ wiege ihr „Verrat am Vaterland“, indem sie Frankreich für den Krieg verantwortlich gemacht und die Seiten gewechselt hatten, so die Begründung. 34 Während die französische épuration in erster Linie innenpolitisch motiviert war und dazu diente, die Résistance und ihre Angehörigen als maßgebliche Repräsentanz Frankreichs zu etablieren, so ging von ihr doch immer auch ein Signal nach außen aus. Es ging sowohl darum, das in Mitleidenschaft geratene „Prestige Frankreichs“ in der internationalen Staatenwelt wiederherzustellen, als auch darum, die konkreten außenpolitischen Interessen des Landes zu wahren. 35 Als Problem stellte sich in diesem Zusammenhang auch die Präsenz von Vichy-Beamten in den französischen Besatzungsbehörden in Deutschland und Österreich heraus. Der als Hoher Kommissar für deutsche und österreichische Angelegenheiten zuständige René Mayer sah hierin eine besondere Gefahr, weil antidemokratisch gesinnte Beamte die Entnazifizierungsanstrengungen der französischen Behörden untergraben könn-

dass ihm von der für die Wählbarkeit zuständigen jury d’honneur eine „attitude correcte“ konstatiert wurde, nicht aus, um seine Stimme für die Bevollmächtigung Petáins auszugleichen. Zwar wurde seine Anwaltstätigkeit für Widerstandsangehörige vor den Sondertribunalen von Vichy gewürdigt, Perrein habe sich aber nicht „direkt und aktiv“ „sur le plan national“ für den Widerstand engagiert, so das Verdikt der Jury, vgl. Journal Officiel de la République Française, Lois et Décrets, 19.01.1945, 506. 33 Journal Officiel de la République Française, Lois et Décrets, 21.10.1945, 6763 und 27.12.1945, 8635. 34 Robert Verdier an die jury d’honneur, 26.4.1945, zit. n. Wieviorka, Orphelins, 397. 35 René Mayer (Parti radical), zit. n. „Le cas de fonctionnaires vichyssois en place dans l’administration française en Allemagne“, in: Le Monde, 4.4.1946.

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ten. Es brauche daher Beamte mit unzweifelhaft „wachsamem Patriotismus“. 36 Die „épuration“ Frankreichs und die „Säuberung“ Deutschlands und Österreichs waren an dieser Stelle ebenso miteinander verflochten wie die Schlagworte Patriotismus und Demokratie, die im französischen Diskurs nahezu synonym gebraucht wurden. Gerade gegenüber den besiegten und besetzten Nachbarn musste sich das Nachkriegsfrankreich als stolze, demokratische und unbelastete Nation präsentieren. Wenn das außenpolitische Ziel erreicht werden sollte, Österreich vom „deutschen Kessel“ („la marmite allemande“) zu befreien und zugleich eine „Bekehrung des deutschen Volkes“ („conversion du peuple allemand“) herbeizuführen, musste Frankreich zeigen, dass es sich selbst bereits befreit hatte und keiner Umkehr mehr bedürftig war. 37

2. Freunde und Feinde Österreichs: Das „Naziproblem“ und die Verbotsgesetzgebung Der österreichische Entnazifizierungsdiskurs weist gerade in seinen Anfängen überraschende Ähnlichkeiten mit dem französischen Fall auf. Das gilt insbesondere für die Rhetorik, mit der die politische „Säuberung“ begann. Ähnlich wie in Frankreich stand die Diskussion am Kriegsende im Zeichen einer allgemeinen Abrechnung mit den Repräsentanten des alten Regimes. Die im April 1945 gebildete provisorische Staatsregierung unter Karl Renner setzte sich mehrheitlich aus Politikern zusammen, die selbst in nationalsozialistischen Konzentrationslagern interniert waren oder zu den Gegnern des NS-Regimes gezählt hatten. Der „Lagerstraßentheorie“ nach hatten sich die einstigen Bürgerkriegsparteien der 1930er Jahre – „Rot und Schwarz“ – in den Lagerstraßen der Konzentrationslager versöhnt und begannen nun den demokratischen Neuaufbau der „Zweiten Republik“. 38 Die gemeinsame Gegnerschaft zum Nationalsozialismus verband die politisch Verantwortlichen der Nachkriegszeit und gab dem demokratischen Neuaufbau eine Richtung: Wie die

36

René Mayer (Parti radical), zit. n. „Le cas de fonctionnaires vichyssois en place dans l’administration

française en Allemagne“, in: Le Monde, 4.4.1946. 37

Jules Klanfer, „Les Français au pays d’Andréas Hofer“, in: Le Monde, 15.7.1946; „La situation mouvante

de l’Autriche actuelle“, in: Le Monde, 23.9.1946. 38

48

Vgl. Hanisch, Präsenz, 34.

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Angehörigen der französischen Résistance verknüpften sie das politische Wiederaufbauprojekt mit ihrem persönlichen Interesse an einer Abrechnung mit dem Nationalsozialismus. Entsprechend feierte die Regierungserklärung am 27.April 1945 die „Befreiung von der Hitlertyrannei“ und kündigte ein hartes Vorgehen gegen dessen Stützen und Förderer an: Wer „aus Verachtung der Demokratie und der demokratischen Freiheiten ein Regime der Gewalttätigkeit“ errichtet hatte, sollte „auf keine Milde rechnen können. Sie werden nach demselben Ausnahmsrecht behandelt werden, das sie selbst den anderen aufgezwungen haben.“ 39 Insbesondere die Kommunistische Partei, die zusammen mit der Sozialistischen Partei und der katholischen Volkspartei regierte, drängte auf eine „reinigende Tat“; es müsse „rücksichtslos gegen die eigentlichen Verbrecher“ vorgegangen werden, um dem „Gerechtigkeitsempfinden des Volkes Genüge zu tun“, so Parteichef Ernst Fischer im Kabinettsrat. „Es muß endlich Schluß gemacht werden mit dieser Scheinhumanität gegen diese Bestien. Bestien muß man vernichten. Vernichten im Namen der Menschlichkeit.“ 40 Anders als in Frankreich repräsentierte die Schärfe des Regierungsdiskurses aber keineswegs eine allgemeine Volksstimmung. Die „volkstümliche, radikale, gründliche Abrechnung und Säuberung“ 41, die sich insbesondere die Parteien der Linken wünschten, blieb ebenso aus wie die Selbstbefreiung Österreichs vom Nationalsozialismus. 42 Stattdessen hatten die Alliierten 1945 ein Land besetzt, in dem ein Großteil der Bevölkerung zwar eine Aburteilung der prominentesten Naziführer erwartete und begrüßte, in dem aber zugleich etwa ein Viertel der Bevölkerung (Familienangehörige eingerechnet) selbst eine Verbindung zur Partei oder den nahestehenden Organisationen besaß. 43 In dieser Situation waren sowohl die Alliierten als auch die provisorische Staatsregierung zuallererst daran interessiert, Ordnung zu schaffen und Sicherheit herzustellen. Schließlich war Sicherheit „die einzige Grundlage für einen dauernden Frieden“, wie es schon in der Moskauer Deklaration von 1943 hieß. 44 Entsprechend wurde die Bevölkerung danach beurteilt, wie sie sich zu

39 Regierungserklärung vom 27.4.1945, in: Staatsgesetzblatt, 1.5.1945, 4. 40 Ernst Fischer (KPÖ), Kabinettsrat, 19./20.6.1945, in: Gertrude Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle des Kabinettsrates der Provisorischen Regierung Karl Renner 1945. Wien 1995–2003, Bd. 1, 267. 41 „Das Naziproblem“,in: Arbeiter-Zeitung, 5.1.1946. 42 Vgl. Blänsdorf, Zur Konfrontation, 4. 43 Rathkolb, U.S.-Entnazifizierung, 302. 44 Moskauer Erklärung über Oesterreich vom 30.Oktober 1943, 1.11.1943, in: Stephan Verosta (Hrsg.),

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den Alliierten stellte, ob sie kooperationsbereit war oder nicht. 45 Nach diesem Kriterium wurden bis Februar 1946 etwa 18000 Personen festgenommen. 46 Aber nicht nur die Alliierten, auch die österreichische Nachkriegsregierung sah in der Vielzahl ehemaliger Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten zunächst ein „staatspolitisches“ Problem. 47 Schon im April 1945 erklärte die Regierung daher ihre Absicht, die Sanktionierung der „Nazi“ auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. 48 Dies erfolgte im Mai und Juni mit dem „Verbotsgesetz“ und dem „Kriegsverbrechergesetz“, die für mehrere Jahre die Grundlage für die österreichische Entnazifizierung legten, ehe 1947 ein neues „Nationalsozialistengesetz“ in Kraft trat. Im Vergleich zu den französischen Epurationsverordnungen, die sehr unterschiedliche Arten von Kollaborationsbelastung umfassten, war das Verbotsgesetz ebenso schematisch wie klar: Wer zwischen 1.Juli 1933 und 27.April 1945 der NSDAP oder einem ihrer Wehrverbände angehört hatte, musste sich in Listen regis-

trieren lassen und war Objekt unterschiedlich umfangreicher Sanktionsmaßnahmen. 49 Die Zuschreibung politischer Belastung erfolgte damit allein nach dem Kriterium der organisatorischen Zugehörigkeit. Trägergruppen des NS-Herrschaftssystems ohne formale Mitgliedschaft blieben ebenso unberücksichtigt wie unterschiedliche Verhaltensweisen. 50 Allerdings wurde aus der Masse der zu Registrierenden eine Gruppe von „schwerer belasteten Nationalsozialisten“ herausgegriffen, die sogenannten „Illegalen“. Zu den rund 100000 51 „Illegalen“ wurden alle Mitglieder der NSDAP gerechnet, die der Partei bereits vor dem „Anschluss“ 1938, also zur

Die internationale Stellung Österreichs. Eine Sammlung von Erklärungen und Verträgen aus den Jahren 1938 bis 1947. Wien 1947, 52–53, dort 53. 45

Vgl. Stiefel, Entnazifizierung, 17f.

46

Vgl. ebd. 25.

47

Vgl. ebd. 82f.

48

Vgl. Kuretsidis-Haider, Volksgerichtsbarkeit, 565.

49

Verbotsgesetz 1945, § 21; Verfassungsgesetz vom 19.Oktober 1945 über die erste Wahl des National-

rates, der Landtage und des Gemeinderates der Stadt Wien in der befreiten Republik Österreich (Wahlgesetz), in: StGBl Ö, 21.10.1945, § 7; vgl. auch Hiroko Mizuno, „Die Hand zur Versöhnung ist geboten.“ Die Reintegration der ehemaligen Nationalsozialisten in Österreich, in: Margit Franz u.a. (Hrsg.), Mapping Contemporary History. Zeitgeschichte im Diskurs. Wien 2008, 385–400, 388. Dazu kamen Parteianwärter und Personen, die sich um die Aufnahme in die SS beworben hatten. 50

Vgl. Dieter Stiefel, Forschungen zur Entnazifizierung in Österreich: Leistungen, Defizite, Perspektiven,

in: Schuster/Weber (Hrsg.), Entnazifizierung, 43–58, dort 48. 51

50

Vgl. Stiefel, Entnazifizierung, 85.

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Zeit der Illegalität, angehört hatten. 52 Sie wurden pensionslos aus dem öffentlichen Dienst entlassen und mit einer Kerkerstrafe von fünf bis zehn Jahren bedroht, die aber zur Bewährung ausgesetzt wurde. 53 Die schwersten Fälle politischer Belastung wurden wiederum im „Kriegsverbrechergesetz“ abgehandelt. In Widerspruch zum Namen richtete es sich nicht nur gegen Personen, die sich Kriegsverbrechen im völkerrechtlichen Sinne schuldig gemacht hatten. Stattdessen wurden bestimmte Amtsträger des NS-Regimes automatisch als Kriegsverbrecher definiert, darunter Mitglieder der Reichsregierung, Hoheitsträger der NSDAP vom Gauleiter aufwärts, Reichsstatthalter und SS- und Waffen-SS-Führer. 54 Sanktioniert wurden aber auch jene Personen, die sich durch Vorbereitung der nationalsozialistischen Herrschaft des „Hochverrats am österreichischen Volke“ schuldig gemacht hatten. Sie alle wurden mit der Todesstrafe bedroht. 55 Die Maßnahmen des Verbots- und des Kriegsverbrechergesetzes werden in der österreichischen Geschichtsschreibung als vergleichsweise hart und streng beurteilt. In seinem Standardwerk zur Entnazifizierung in Österreich handelt Dieter Stiefel die Entstehung der Gesetze unter dem Titel „Rache und Rechtsstaatlichkeit“ ab und spricht von einem gesetzmäßigen „Revolutionsersatz“. 56 Entsprechend sollte das Verbotsgesetz zunächst auch „Vergeltungsgesetz“ heißen. 57 Bei genauerem Hinsehen erweist sich die Gesetzgebung des Jahres 1945 aber keineswegs als Ausdruck wilder Härte und kategorischer Vergeltung, insbesondere wenn man sie mit ihrem französischen Pendant vergleicht. Der verantwortliche Justizstaatssekretär Gerö, der als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung selbst im KZ gewesen war, legte großen Wert auf die Feststellung, dass mit dem Gesetz nicht „Rache“ geübt, sondern „im eigenen Haus Ordnung“ geschaffen werden solle, wie er im Juni 1945 erläuterte. 58 Es sollte darum gehen, „menschlich und gerecht […] die staatspolitischen Erfordernisse

52 Verbotsgesetz 1945, § 10–11; vgl. auch Alfred Migsch (SPÖ), Nationalrat, Stenographische Protokolle (Prot.), V. Gesetzgebungsperiode (GP), 24.7.1946, 584. 53 Vgl. Wolfgang Kos, Zur Entnazifizierung der Bürokratie. In: Meissl/ Mulley/Rathkolb (Hrsg.), Verdrängte Schuld, 52–72; Stiefel, Entnazifizierung, 86. 54 Kriegsverbrechergesetz, 26.6.1945, § 1. 55 Kriegsverbrechergesetz, 26.6.1945, § 8. Jedoch konnten nach §13 die Volksgerichte die Todesstrafe in Kerkerstrafen umwandeln. 56 Stiefel, Entnazifizierung, 84. 57 Vgl. Kabinettsrat, 4.5.1945, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 14. 58 Josef Gerö (parteilos), Kabinettsrat, 19/20.06.1945, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 260–261.

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unseres Landes“ zu befriedigen, wie es der SPÖ-Abgeordnete Migsch im Rückblick beschrieb. 59 Dazu passt, dass die Regierung von der Bezeichnung „Vergeltungsgesetz“ schon im Mai wieder abgekommen war, weil der Titel als unpassend empfunden wurde. 60 Zum Leitthema der österreichischen Entnazifizierung wurde der Abrechnungsgedanke auch deswegen nicht, weil er sich zu keiner Zeit auf die Masse jener Personengruppen bezog, die mit dem Verbotsgesetz erfasst worden waren. Stattdessen war der österreichische Belastungsdiskurs von Beginn an darauf ausgerichtet, die Kategorie Belastung zu differenzieren. Dies geschah nicht nur dadurch, dass die große Zahl registrierter Personen in die genannten, nach Belastungsgraden abgestuften Gruppen eingeteilt wurden. Auch wurde den „Kriegsverbrechern“, „Illegalen“ und „Hochverrätern“ die Masse der „kleinen Nazi“ entgegengestellt: Wer „nur aus Willensschwäche, infolge wirtschaftlicher Lage, aus zwingenden öffentlichen Rücksichten wider innere Überzeugung und ohne an den Verbrechen der Faschisten teilzuhaben, mitgegangen“ war, sollte „in die Gemeinschaft des Volkes zurückkehren und […] somit nichts zu befürchten“ haben, wie es schon in der Regierungserklärung vom 27.April 1945 hieß. 61 Während die französische épuration also primär darauf ausgerichtet war, die Republik von Kollaborationsbelasteten zu „säubern“, machte ihnen die österreichische Entnazifizierung ein explizites Reintegrationsversprechen und bot ein ganzes Bündel von Gründen an, die ihre Verantwortung relativierten. 62 Staatskanzler Renner zeigte sich schon im Jahr 1945 überzeugt, „daß nur ein nicht allzu großer Teil der Mitglieder und Anwärter dieser Partei [der NSDAP, T.H.] nazistischer Gesinnung war und sich nazistisch betätigt hat.“ Der Rest sei „erpresserischem Zwang“ unterlegen. 63 Dem entsprach, dass das Verbotsgesetz für Registrierte ausdrücklich Möglichkeiten vorsah, aus den Listen gestrichen zu werden. Dies führte in der Praxis zu einer Unmenge an Ausnahmeanträgen und zur Überlastung

59

Alfred Migsch, Zur Lösung der Nazifrage“, in: Arbeiter-Zeitung, 24.7.1946.

60

Kabinettsrat, 8.5.1945, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 24.

61

Regierungserklärung vom 27.4.1945, Staatsgesetzblatt, 1.5.1945, 4.

62

Vgl. Hiroko Mizuno, Die Länderkonferenzen von 1945 und die NS-Frage, in: Zeitgeschichte 28, 2001,

241–253, dort 243. 63

Karl Renner, Drei Monate Aufbauarbeit der provisorischen Staatsregierung der Republik Österreich.

Wien 1945, 9.

52

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der Bürokratie. 64 Schon im Herbst 1945 lagen so viele Nachsichtsgesuche vor, wie es registrierungspflichtige Personen gab. 65 Sucht man nach Anzeichen im Diskurs, worin politische Belastung bestand, woraus sie resultierte und wie entsprechende Ausnahmen begründet wurden, dann fällt ein Befund ins Auge: Die Entnazifizierung in Österreich war von Beginn an eng an das Projekt der österreichischen Nachkriegsparteien gebunden, die Republik Österreich als unabhängigen Nationalstaat wiederzugründen. Dem entsprach, dass politische Belastung in erster Linie auf einem Schuldakt gegenüber der Nation beruhte: Ehemalige Mitglieder von NS-Organisationen und „Kriegsverbrecher“ galten als sanktionswürdig, weil – und insoweit – sie die Nation Österreich verraten hatten. Besonderen Wert legte der Gesetzgeber daher auf die Bestrafung von „Illegalen“ und „Hochverrätern“, deren politische Belastung daraus resultierte, dass sie den Anschluss Österreichs herbeigeführt und sich so gegen das unabhängige Österreich verschworen hatten. 66 „Die NSDAP war eine Partei des Landesverrats […]. Wer daher als Österreicher die Nazipartei unterstützte, war ein Vaterlandsverräter“, so der kommunistische Parteichef Ernst Fischer. 67 Zwar wurde das Kriegsverbrechergesetz 1945 durch den zuständigen Justizstaatsekretär Josef Gerö auch damit begründet, „den tausenden Opfern“ gerecht zu werden, die „unerhörte Qualen gelitten haben“. Aber schon hier bestand Gerö auf den Zusatz, dass sie diese Qualen „für Österreich“ erlitten hatten, so als seien nur diese politisch anerkennenswert. 68 Andere Aspekte wie Sicherheit und Demokratisierung standen im Schatten der nationalen Rekonstruktion und verbanden sich mit dieser. Entsprechend diente die Entnazifizierung Österreichs nicht nur der Sühne gegenüber der Nation, sondern auch der Identifikation von Freund und Feind. So wie der französische Epurationsdiskurs darauf ausging, das „gute“ vom „schlechten“ Frankreich zu scheiden, versuchten die österreichischen Nachkriegseliten, „gute“ von „schlechten“ Österreicherinnen und Österreichern zu trennen. Entsprechend sah das Verbotsgesetz für den Staatsdienst die Sanktionierung aller Personen vor, die „nach ihrer bisherigen Betä-

64 Vgl. Tweraser, Säuberungspolitik, 374; Kuretsidis-Haider, Volksgerichtsbarkeit, 588f. 65 Vgl. Claudia Kuretsidis-Haider, „Das Volk sitzt zu Gericht“. Österreichische Justiz und NS-Verbrechen am Beispiel der Engerau-Prozesse 1945–1954. Innsbruck 2006, 40. 66 Verbotsgesetz 1945, § 10–11; Kriegsverbrechergesetz, 26.6.1945, § 8; vgl. auch Alfred Migsch (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 24.7.1946, 584. 67 Ernst Fischer, „Gerechtigkeit“, in: Neues Österreich, 9.9.1945; vgl. Stiefel, Entnazifizierung, 85. 68 Josef Gerö (parteilos), Kabinettrat, 19./20.6.1945, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 261.

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tigung keine Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für die unabhängige Republik Österreich eintreten werden“. 69 Wer dagegen seine NS-Zugehörigkeit „niemals mißbraucht hat“, konnte von den Sanktionen des Verbotsgesetzes ausgenommen werden, insofern „aus seinem Verhalten noch vor der Befreiung Österreichs auf eine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich mit Sicherheit geschlossen werden kann“. 70 Wie in Frankreich wurde auch in Österreich Angehörigen des Widerstands Entlastung gewährt: Wer trotz NSDAP-Mitgliedschaft „mit der Waffe in der Hand“ auf der Seite der Alliierten gekämpft hatte, konnte von der Registrierungspflicht und damit auch von den Sühnemaßnahmen befreit werden. 71 Während die französische épuration aber großen Wert auf Handlungen legte, um von Sanktionen ausgenommen zu werden, blickten die österreichischen Nachkriegseliten primär auf die Haltung: Wer glaubhaft machen konnte, der Republik Österreich trotz „äußerer“ Mitgliedschaft in der NSDAP „im Inneren“ die Treue gehalten zu haben, der war einer „innerlichen faschistischen Einstellung“ 72 unverdächtig und entsprechend zu entlasten. Entsprechend sah der spätere Bundeskanzler Alfons Gorbach die Entnazifizierung dann für abgeschlossen an, wenn „der weitaus größte Teil der ehemaligen Nationalsozialisten sich von ihrer einstigen nationalsozialistischen Weltanschauung abgekehrt hat und sich nach den bisherigen Erfahrungen positiv zu Österreich bekennt“. 73 Was hinter all diesen Bestimmungen stand, war eine diskursive Distanzierung Österreichs vom Nationalsozialismus, die maßgeblich in der „Opferdoktrin“ zum Ausdruck kam. 74 Sie bildete das österreichische Pendant zum französischen Résistance-Mythos. Als „Gründungsmythos der Zweiten Republik“ bezog sich die Opfer-

69

Verbotsgesetz 1945, § 21.

70

Verbotsgesetz 1945, § 27.

71

NS-Gesetz 1947, Abs. 2; vgl. Simon Hirt, Vom „Vergeltungs-“ zum Verbotsgesetz. Das Verbotsgesetz im

politischen Diskurs der Nachkriegszeit 1945–1957. Wien 2008, 60. 72

Felix Hurdes (ÖVP), Ministerrat, 12.3.1946, in: Gertrude Enderle-Burcel/Rudolf Jeřábek (Hrsg.), Proto-

kolle des Ministerrates der Zweiten Republik Österreich – Kabinett Leopold Figl I: 20.Dezember 1945 bis 8.November 1949. Wien seit 2004, Bd. 1, 322. 73

Alfons Gorbach (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 13.7.1949, 3331.

74

Zur „Opferdoktrin“, „Opfermythos“ oder „Opferthese“ siehe Gerhard Botz, Eine deutsche Geschichte

1938–1945? Österreichische Geschichte zwischen Exil, Widerstand und Verstrickung, in: Zeitgeschichte 14, 1986, 19–38; Ernst Hanisch, Opfer/Täter/Mythos: Verschlungene Erzählungen über die NS-Vergangenheit in Österreich, in Zeitgeschichte 6, 2006, 318–327; Göllner, Diskurse, 21–31; Hammerstein, Gemeinsame Vergangenheit, 57–67.

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doktrin auf die „Moskauer Deklaration“ von 1943, die Österreich als erstes Opfer der nationalsozialistischen Angriffspolitik bezeichnet hatte. 75 In der Unabhängigkeitserklärung vom 27.April 1945 nahm die provisorische Regierung unter Karl Renner diese Position auf: Demnach war das „macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs“ von 1938 bis 1945 das Opfer einer fremden Besatzung gewesen, ehe es durch den österreichischen Widerstand und den Kampf der Alliierten befreit worden war. 76 Die „Opferdoktrin“ war damit nicht nur Opfer- sondern auch Heldennarrativ, erzählte sie doch von „jahrelangem hartem und opferreichem Widerstand“ der Nation Österreich gegen ihren deutschen und nationalsozialistischen Unterdrücker. 77 Damit wurde der Nationalsozialismus zur Fremdherrschaft und das Österreichertum zu dessen Gegenpol aufgebaut. 78 Die Entnazifizierung wurde in dieses Deutungsschema eingewoben und diente in erster Linie der „Entpreußung“ der österreichischen Gesellschaft. 79 Entsprechend ergab sich eine nationalsozialistische Belastung daraus, dass sich Mitglieder der NSDAP in den Dienst einer österreichfeindlichen Bewegung begeben und sich so „außerhalb der österreichischen Denkart gestellt“ hatten. 80 Sie galten also ähnlich wie in Frankreich als Kollaborateurinnen und Kollaborateure einer fremden Macht. Die Entnazifizierung nahm damit eine wichtige Funktion in der österreichischen Nationsbildung ein, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Vordergrund stand. 81 Die „Säuberung“ des Landes von nationalsozialistisch belasteten Personen diente (auch) der Konstruktion einer vermeintlich unbelasteten Nationalidentität: Die innere Loyalität zu Österreich wurde einer „innerlichen faschistischen Einstellung“ gegenübergestellt. 82 Die Gegenüberstellung von Österreich und Faschismus machte sich im österreichischen Belastungsdiskurs auch an anderer Stelle bemerkbar: im Umgang mit den

75 Vgl. Moskauer Erklärung, 52. 76 Proklamation vom 27.4.1945, Staatsgesetzblatt, 1.5.1945. 77 Leopold Figl (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 21.12.1945, 19; vgl. Hammerstein, Gemeinsame Vergangenheit, 58f.; Heidemarie Uhl, Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese: Die Transformationen des österreichischen Gedächtnisses, in: Monika Flacke (Hrsg.), Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Mainz 2004, 481–508, 482. 78 Vgl. Stiefel, Entnazifizierung, 48. 79 Vgl. Stiefel, Entnazifizierung, 23; Kos, Entnazifizierung, 56. 80 Josef Gerö (parteilos), Ministerratsvortrag, 25.1.1946, 2, Beilage zum Ministerratsprotokoll vom 29.1.1946, Archiv der Republik, Bundeskanzleramt, Ministerratsprotokolle, 2. Republik Figl I, Karton 5. 81 Vgl. Rathkolb, Die paradoxe Republik, 37f.; Göllner, Diskurse, 19ff. 82 Felix Hurdes (ÖVP), Ministerrat, 12.3.1946, in: Enderle-Burcel/ Jeřábek (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 322.

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politischen Eliten und Trägergruppen des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes von 1934– 1938. Als autoritäre Diktatur, die vom katholisch-konservativen Teil Österreichs getragen, aber vom sozialdemokratischen, kommunistischen und nationalsozialistischen Teil des Landes gleichermaßen abgelehnt wurde, barg der „Ständestaat“ einiges Konfliktpotenzial für die Nachkriegskoalition, weil er die antifaschistische Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus aufzusprengen drohte. Ging es nach SPÖ und KPÖ, dann waren die Stützen des „Austrofaschismus“ Demokratiefeinde und maßgeblich verantwortlich für den Untergang der Ersten Republik. 83 Entsprechend galten sie in linken Kreisen als faschistisch belastet. Manchen erschien eine „austrofaschistische“ Vergangenheit sogar schwerwiegender als eine nationalsozialistische, war der blutige Kampf des katholischen Regimes gegen den Marxismus doch der NS-Diktatur vorausgegangen. Der kommunistische Parteichef Ernst Fischer argumentierte daher, dass einige der „illegalen“ NSDAP-Mitglieder der Jahre 1934– 1938 zu entlasten seien, weil sie „aus Rebellion gegen ein unerträgliches illegales Regime“, also quasi aus politischer Notwehr, gehandelt hätten. 84 Die mitregierende ÖVP dagegen stand selbst in der Tradition des „Ständestaats“ und stellte sich auf die Position, dass die Mitwirkung an seiner Etablierung als patriotische Schutzmaßnahme gegen den „ausländischen“ Nationalsozialismus zu interpretieren war, weshalb seine Anhängerinnen und Anhänger auch zu den „ersten Opfern des Nationalsozialismus“ wurden. 85 Diese Position fand schließlich auch Eingang ins Gesetz: Wer 1934 an der Zerschlagung der ersten Demokratie auf österreichischem Boden mitgewirkt hatte, sich danach aber nicht dem Nationalsozialismus angeschlossen hatte, galt in den Augen der Nachkriegsgesetzgebung als unbelastet, als „Opfer“ und als „Demokrat“. 86 Die Diskussion um den „Ständestaat“ ist ein Beispiel dafür, dass demokratische und nationale Signaturen im österreichischen Diskurs durchaus in Konflikt miteinander geraten konnten. Wo sich die demokratische und die patriotische „Verlässlichkeit“ gegenüberstanden, wog der Verrat an der Nation schwerer als der Verrat an der Demokratie: „Als Gegner wurde nur er-

83

Nach Renners Lesart war aber auch der „Faschismus mussolinischer Prägung […] dem Land aufge-

zwungen“, Karl Renner, Drei Monate Aufbauarbeit der provisorischen Staatsregierung Österreich. Wien 1945, 5. 84

Ernst Fischer (KPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 24.6.1946, 599.

85

Vgl. Manfried Rauchensteiner, Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945–1966. Wien 1987, 190;

Hanisch, Präsenz, 39f. 86

56

Vgl. Hanisch, Opfer/Täter/Mythos, 319f.

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klärt, wer Nationalsozialist war, alle übrigen, Faschisten oder Nichtfaschisten, galten als ‚gute Österreicher’“, so der Sozialdemokrat Adolf Schärf im Rückblick. 87

3. Verbrecher und Mitläufer: Die westdeutsche Entnazifizierung Wie in Österreich kam es auch in Deutschland bei Kriegsende nicht zur revolutionären Abrechnung der Bevölkerung mit dem NS-Regime. Dass ein Neuanfang ohne einen vollständigen Bruch mit der Ideologie und dem Personal der nationalsozialistischen Diktatur nicht möglich sein würde, war nach dem Zweiten Weltkrieg aber keineswegs nur den Alliierten bewusst. Auch für die politischen Nachkriegseliten Westdeutschlands lag die „Bereinigung“ der deutschen Gesellschaft vom Nationalsozialismus „im ureigensten deutschen Interesse“ 88, wurde also keineswegs, wie später vielfach behauptet, von außen aufoktroyiert. Schon der deutsche Widerstand hatte für die Zeit nach dem Nationalsozialismus eine „innere Reinigung Deutschlands“ geplant. 89 Diese stand ähnlich wie die französische épuration und die Entnazifizierung in Österreich in einem mehrfachen Begründungszusammenhang. 90 Sowohl die Alliierten als auch die deutschen Nachkriegseliten sahen die Präsenz früherer Nationalsozialisten in staatlichen und gesellschaftlichen Positionen als Sicherheitsproblem an. 91 Die Kontrollratsdirektive Nr.24 vom 12.Januar 1946 richtete sich daher explizit gegen „Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen“. Ihre Entfernung aus „öffentlichen und halböffentlichen Ämtern“ wurde in erster Linie mit Sicherheitsbedenken be-

87 Adolf Schärf auf dem Parteitag der SPÖ 1946, zit. n. „Das Ziel: Wiederherstellung der Freiheit“, in: Wiener Zeitung, 17.11.1946. 88 Entschließung, zit. n. Konferenz der Chefs der Länder und Provinzen der britischen Zone in Düsseldorf, 11.12.1945, in: Bundesarchiv/Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.), Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945–1949. 6 Bde. München 1976–1989, Bd. I, 208. 89 Vgl. Henke, Die Trennung, 24; Blänsdorf, Konfrontation, 5. 90 Dies entspricht ungefähr dem Begriffspaar „Generalabrechnung“/„Generalprävention“, das KlausDietmar Henke unterschieden hat, vgl. Henke, Die Trennung, 21. 91 Vgl. Dominik Rigoll, Streit um die streitbare Demokratie. Ein Rückblick auf die Anfangsjahrzehnte der Bundesrepublik, in: APuZ 67/32–33, 2017, 40–45; ders., Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr. Göttingen 2013, 33–36.

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gründet. 92 Die Stoßrichtung gegen „Personen, die möglicherweise gefährlich werden können“, wurde im Oktober 1946 in der Kontrollratsdirektive Nr.38 bestätigt. 93 Auch das Befreiungsgesetz für die amerikanische Zone vom März 1946 sah eine – unterschiedlich weitgehende – „Ausschaltung aus der Teilnahme am öffentlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Volkes“ vor, um „den Einfluß nationalsozialistischer und militaristischer Haltung und Ideen auf die Dauer zu beseitigen“. 94 Noch im Zuge der Übertragung der Entnazifizierungsverantwortung auf deutsche Stellen im Jahr 1947 wurde daher äußerster Wert darauf gelegt, „daß politische Sicherungsmaßnahmen vordringlich seien“. 95 Ähnlich wie in Frankreich und Österreich verband sich der Sicherheitsgedanke auch in Westdeutschland mit dem Begriff der „Befreiung“. Nicht zufällig verlieh dieser dem maßgeblichen Entnazifizierungsgesetz der amerikanischen Besatzungszone seinen Namen. Während sich die französische „liberté“ und der österreichische Befreiungsbegriff aber auf den (unterschiedlich berechtigten) Gedanken stützten, dass sich das französische und das österreichische Volk selbst von ihrem Unterdrücker befreit hatten, konnte davon im deutschen Fall keine Rede sein. Stattdessen war Befreiung als Zukunftsversprechen gemeint: Die eigentliche Befreiung vom „Nationalsozialismus und Militarismus“ sollte durch die Entnazifizierung erst ermöglicht werden und diente der „Sicherung dauernder Grundlagen eines deutschen demokratischen Staatslebens“, so Artikel 1 des „Befreiungsgesetzes“. 96 Der Diskurs um politische Belastung verband sich in dieser Perspektive mit dem „Aufbau eines gefestigten demokratischen Staates“ 97 als Zielperspektive, wie es der bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner ausdrückte. Politische Belastung in diesem Sinne resultierte also aus einer mangelnden demokratischen Zuverlässigkeit der betroffenen Personen. Entsprechend sollten sie aus Institutionen entfernt und durch Personen ersetzt werden, „die nach ihrer politischen und moralischen Einstellung für

92

Kontrollrat, Direktive Nr.24, Abschnitt 1. Zweck und Ziel.

93

Kontrollrat, Direktive Nr.38, Abschnitt 1. Zweck.

94

Befreiungsgesetz, Art.2, Satz 1.

95

Bericht des Entnazifizierungsausschusses, 15. Sitzung des Zonenbeirats der britisch besetzten Zone in

Hamburg, 15./16.10.1947, in: Akten zur Vorgeschichte, Bd. III, 665. 96

Befreiungsgesetz, Art.1, Satz 1

97

Wilhelm Hoegner, 6. Tagung des Länderrates des amerikanischen Besatzungsgebietes in München,

5.3.1946, in: Akten zur Vorgeschichte, Bd. I, 328.

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fähig erachtet werden, die Entwicklung wahrer demokratischer Einrichtungen in Deutschland zu fördern.“ 98 Neben dem Ziel, „durch die Beseitigung jedes nationalsozialistischen Einflusses den Dauerbestand der Demokratie [zu] gewährleisten“, verfolgte aber auch die Entnazifizierung in Westdeutschland eine dezidierte Abrechnungsperspektive. Sie wollte „alle diejenigen bestrafen, die durch egoistische Ausnutzung der barbarischen Nazilehre oder ihrer Einrichtungen sich selbst Vorteile verschafft oder anderen Leid zugefügt haben“, wie es der nordrhein-westfälische CDU-Abgeordnete Aloys Feldmann unter dem Begriff des „doppelten Zwecks“ der Entnazifizierung zusammenfasste. 99 Diesem Gedanken entsprach Artikel 1 des Befreiungsgesetzes: „Wer verantwortlich ist, wird zur Rechenschaft gezogen.“ 100 Auf die Frage, wie diese Verantwortlichkeit bemessen wurde, hatte die Entnazifizierung in Deutschland allerdings keine einfache und eindeutige Antwort. Stattdessen spielte eine Vielzahl von Kriterien eine Rolle. Als politisch belastend galten konkrete Taten wie „Verbrechen gegen Opfer und Gegner des Nationalsozialismus“ 101 oder die Förderung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. 102 Aber auch die Unterstützung der nationalsozialistischen Rassenlehre, später im Diskurs oft verharmlosend als „Gesinnungsdelikt“ bezeichnet, wurde in den Entnazifizierungsgesetzen als Belastung definiert. 103 Dazu kam eine detaillierte Auflistung von Organisationen des NSRegimes, deren Zugehörigkeit automatisch zur Einstufung in eine der Belastungsgruppen führte. Im Vergleich zur österreichischen Entnazifizierung zeichnete sich die „Säuberung“ gemäß Befreiungsgesetz aber dadurch aus, dass nicht alleine die formale Zugehörigkeit zu einer NS-Organisation für den Grad der Belastung ausschlaggebend war, sondern unter „gerechter Abwägung der individuellen Verantwortlichkeit und der tatsächlichen Gesamthaltung“ geurteilt werden sollte. 104 Aber auch die westdeutsche Entnazifizierung folgte auf diskursiver Ebene einer dezidiert national-kollektiven Dimension. Zwar hatten sich die Alliierten in Jalta

98 Kontrollrat, Direktive Nr.24, Art.1. 99 Aloys Feldmann (CDU), Landtag Nordrhein-Westfalen, Stenographische Berichte, 1.Wahlperiode, 9.12.1947, 50. 100 Befreiungsgesetz, Art.1, Satz 2. 101 Befreiungsgesetz, Art.5. 102 Befreiungsgesetz, Art.7. 103 Befreiungsgesetz, Art.7. 104 Befreiungsgesetz, Art.2.

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nicht zuletzt die Zerschlagung des deutschen Nationalismus zum Ziel gemacht 105, die von ihnen eingeleitete Belastungspolitik stützte aber das Konzept einer nationalen Gemeinschaft und gab Ansatzpunkte für deren ideologische Rekonstruktion. Nationalsozialistisch belastet war demnach, wer der Nation geschadet hatte. Insofern die Entnazifizierung als Abrechnung mit dem Nationalsozialismus konzipiert war, sollte mit ihr die Schuld des NS-Regimes gegenüber dem deutschen Volk gesühnt werden: Nicht zufällig begann das Befreiungsgesetz von 1946 mit der Aussage, der Nationalsozialismus habe „schwerste Verbrechen gegen das deutsche Volk und die Welt“ begangen – in dieser Reihenfolge. 106 Einzelne Opfergruppen wurden dagegen erst an späterer Stelle benannt. Auch der bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner begründete das Befreiungsgesetz im Länderrat der US-Zone mit dem „Trümmerfeld“, das der Nationalsozialismus „aus unserem Vaterlande“ gemacht habe. 107 Für die Sozialdemokratische Partei diente die Entnazifizierung dazu, „alle Personen aus dem öffentlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben zu entfernen und mit einer angemessenen Sühne zu belegen, deren Handlungen, Haltung, mangelnde Standhaftigkeit und moralische Schwäche das Leid des deutschen Volkes herbeigeführt haben.“ 108 Damit sollte auch nach außen hin gezeigt werden, dass „das deutsche Volk weiterleben wird und weiterleben will. Aber eine der Voraussetzungen für dieses Weiterleben ist der Trennungsstrich mit der Vergangenheit“, so der württemberg-badische SPD-Abgeordnete Fritz Cahn-Garnier. 109 Für seinen christdemokratischen Kollegen Adolf Scheffbuch wiederum sollte die Entnazifizierung eine „reinliche Scheidung von jener Minderheit [herbeiführen], die durch ihre nazistische Betätigung das eigene Nest beschmutzt und dadurch unsägliches Elend über uns, unsere Nachkommen und die ganze Welt gebracht hat.“ 110 Dass nationalsozialistische Belastung auf eine Schuld gegenüber dem Vaterland zurückgeführt wurde, muss als wesentliches Kennzeichen des westdeutschen Diskurses in den gesamten 1940er und 1950er Jahren angesehen werden. Die Entnazifi-

105 Vgl. Rigoll/Müller, Zeitgeschichte, 336. 106 Befreiungsgesetz, Präambel. 107 Wilhelm Hoegner, 6. Tagung des Länderrates des amerikanischen Besatzungsgebietes in München, 5.3.1946, in: Akten zur Vorgeschichte, Bd. I, 328. 108 Richtlinien des Parteivorstandes der SPD vom 13.3.1947, zit. n. Fürstenau, Entnazifizierung, 168. 109 Fritz Cahn-Garnier (SPD), Verhandlungen des württ.-bad. Landtags, Wahlperiode (WP) 1946–1950, Protokoll-Band 2, 1.8.1947, 953f. 110 Adolf Scheffbuch (CDU), Landtag Württ.-Bad., Verh., WP 1946–1950, Bd. 2, 1.8.1947, 950.

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zierung unterstützte damit auf diskursiver Ebene eine verbreitete Tendenz der deutschen Nachkriegseliten, den Nationalsozialismus als einen unbegreiflichen „Dämon“ zu beschreiben, der letztlich einen „Kampf gegen die eigene Nation“ geführt habe. 111 Wie die Forschung herausgearbeitet hat, wurde diese Sichtweise auch von Angehörigen des deutschen Widerstands verbreitet, die am Kriegsende das Bild einer lager- und schichtenübergreifenden Bewegung gegen den nationalsozialistischen Feind zeichneten. 112 So gesehen, trug der westdeutsche Diskurs dieselben Kennzeichen nationaler „Ehre“ und kollektiver Moralvorstellungen wie in den Nachbarländern 113, und zugleich setzte sich in der Nachkriegszeit das fort, was im Krieg bereits für Millionen Deutsche gegolten hatte: Die Sorge um das Schicksal des Vaterlandes behielt Vorrang vor dem Leiden jener Personengruppen, die allzu lange als Gefahr für das Wohlergehen des Vaterlandes dargestellt worden waren. 114 Selbst wenn in den politischen Debatten der Nachkriegszeit die Schuld gegenüber einzelnen Opfergruppen angeführt wurde, geschah dies oft mit Verweis auf die Ehre und die internationale Stellung des Vaterlandes, die damit in Mitleidenschaft gezogen worden waren: „Die Hitlerbarbarei hat das deutsche Volk durch Ausrottung von sechs Millionen jüdischen Menschen entehrt“, so Kurt Schumacher, und damit zur „Selbstisolierung Deutschlands in der Welt“ beigetragen. 115 Damit verbunden war zudem die Vorstellung, dass die „Reinigung“ Deutschlands von nationalsozialistisch Belasteten eine außenpolitische Rehabilitierung des Landes befördern könne: „Sie ist auch wichtig im Verhältnis zur Besatzungsmacht und zu der uns umgebenden Welt, deren Vertrauen wir wieder gewinnen wollen und müssen“, so der südwestdeutsche Liberale Wolfgang Haußmann im August 1947. 116 Für die deutsche Nachkriegsgesellschaft diente der Diskurs über die politische Belastung von Perso-

111 Erich Dombrowski, 8.Mai 1945, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.5.1955; zitiert nach Andreas Wirsching, Weimar als Generationenerfahrung, in: Schanetzky et al. (Hrsg.), Demokratisierung, 39–50, dort 43. 112 Vgl. Jan Eckel, Intellektuelle Transformationen im Spiegel der Widerstandsdeutungen, in: Herbert (Hrsg.), Wandlungsprozesse, 140–176. 113 Vgl. auch Constantin Goschler, Konjunkturen Politischer Moral. Die lange Dauer der „Wiedergutmachung“ und das politische Bild des „Opfers“, in: Habbo Knoch (Hrsg.), Bürgersinn mit Weltgefühl. Politische Moral und solidarischer Protest in den sechziger und siebziger Jahren. Göttingen 2007, 138–156, 145. 114 Vgl. Mary Fulbrook, „Unschuldige Zuschauer“ in deutscher Geschichte und Erinnerung, in: Schanetzky u.a. (Hrsg.), Demokratisierung, 51–64, dort 55. 115 Kurt Schumacher (SPD), Bundestag, Stenographische Berichte, 1. Wahlperiode, 21.9.1949, 36. 116 Wolfgang Haußmann (FDP), Landtag Württ.-Bad., Verh., WP 1946–1950, Bd. 2, 1.8.1947, 950.

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nen also nicht weniger als in Frankreich und Österreich der nationalen Identitätsbildung: Sie sollte die Trennung der Bevölkerung vom Nationalsozialismus und ihre Ablösung von seinen Verbrechen markieren. Deutschland erschien als kollektives Opfer und die „Naziführer“ als Verräter an der nationalen Sache. 117 Dem Gedanken, dass die Entnazifizierung als Sanktionierungsprozess fungierte, entsprach auch, dass für nationalsozialistisch belastete Personen unterschiedlich abgestufte und befristete „Sühnemaßnahmen“ vorgesehen waren, die von Arbeitslager bis zu Berufsverboten und „Wiedergutmachungszahlungen“ reichten. Allerdings war damit – gerade im Vergleich zur französischen épuration – von Beginn an eine deutliche Rehabilitierungsperspektive verbunden. Wie in Österreich folgte auch die westdeutsche Entnazifizierung nicht nur dem Gedanken, dass aus Verantwortung Strafe folgte. Prägnant war auch die Vorstellung, dass politische Verantwortung „entsühnt“ werden konnte. Ein wesentliches Ziel der Entnazifizierung war es, bei den von ihr Betroffenen einen Prozess der „tätigen Reue“ in Gang zu setzen, der die „Bereitschaft zur Wiedergutmachung und zum Wiederaufbau“ voraussetzte. 118 Die „innere Abkehr“ und „Umkehr zu wahrhaft demokratischer Gesinnung“ wurde so zu einem zentralen Ziel. 119 Dem entsprach im Befreiungsgesetz von 1946 auch die Kategorie der „Bewährungsgruppe“: Wer „erwarten läßt, daß er nach Bewährung in einer Probezeit seine Pflichten als Bürger eines friedlichen demokratischen Staates erfüllen wird“, wurde entsprechend als „minderbelastet“ angesehen. 120 Im Diskurs wurde die „tätige Reue“ der Einzelperson bisweilen auch mit der

117 Conze/Weinke, Krisenhaftes Lernen?, 98, sprechen von einer „opfergemeinschaftlich verlängerten Volksgemeinschaft“. Zur deutschen Opferhaltung siehe Robert Moeller, Deutsche Opfer, Opfer der Deutschen. Kriegsgefangene, Vertriebene, NS-Verfolgte. Opferausgleich als Identitätspolitik, in: Klaus Naumann (Hrsg.), Nachkrieg in Deutschland. Hamburg 2001, 29–58; Norbert Frei, 1945 und Wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen. München 2005, 97ff.; Edgar Wolfrum, Die Suche nach dem „Ende der Nachkriegszeit“. Krieg und NS-Diktatur in öffentlichen Geschichtsbildern der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg 2012, 191ff.; Hammerstein, Gemeinsame Vergangenheit, 72ff.; Dubiel, Niemand ist frei, 72f. 118 Adolf Scheffbuch (CDU), Landtag Württ.-Bad., Verh., WP 1946–1950, Bd. 2, 1.8.1947, 948; vgl. auch Hermann Gögler, 6. Tagung des Länderrates des amerikanischen Besatzungsgebietes in München, 5.3.1946, in: Akten zur Vorgeschichte, Bd. I, 331. 119 Hermann Gögler, 6. Tagung des Länderrates des amerikanischen Besatzungsgebietes in München, 5.3.1946, in: Akten zur Vorgeschichte, Bd. I, 331. 120 Befreiungsgesetz, Art.11, Satz 1.

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Sühne und Umkehr der Nation verbunden: demnach verdienten „einzelne Menschen wie ganze Völker“ eine „Chance zum Wiederaufstieg“. 121 Der westdeutsche und der österreichische Entnazifizierungsdiskurs sind gute Beispiele dafür, in welch enger Weise nach dem Zweiten Weltkrieg „Säuberung und Rehabilitation zu ein und demselben Vorgang“ verschmolzen, wie es Lutz Niethammer formuliert hat. 122 Dies gilt keineswegs nur für die prozessuale Ebene, auf der sich das System der Spruchkammerverfahren schnell zur „Mitläuferfabrik“ verwandelte. 123 Es gilt auch unter einer diskursiven Perspektive. In dieser Hinsicht zeichneten sich der westdeutsche und der österreichische Entnazifizierungsdiskurs, gerade im internationalen Vergleich, durch eine zweifache Tendenz zur Verkopplung von Belastung und Entlastung aus. Zum einen waren sie zunächst sehr viel stärker als der französische Diskurs in Graustufen und Zwischentönen organisiert. Die Entnazifizierung unterschied eben nicht binär zwischen „belasteten“ und „unbelasteten“ Personen, sondern kannte Systeme kategorialer Abstufungen mit Zwischengruppen wie den „Minderbelasteten“ und den „Mitläufern“, die darauf abzielten, die deutsche und österreichische Bevölkerung gerade nicht unter den Verdacht der „Kollektivschuld“ zu stellen. Zum anderen wiederum herrschte von Beginn an eine Skepsis gegenüber der Zuschreibung politischer Belastung aufgrund „formaler“ Kriterien vor. Diese Skepsis prägte nicht nur die öffentliche Kritik an der Entnazifizierung, sondern schon die legislativen Dokumente, auf der diese beruhte. Entsprechend sah das Befreiungsgesetz der amerikanischen Zone ausdrücklich die Würdigung der „Gesamthaltung“ vor, statt sich auf „formale“ Zuschreibungen zu verlassen. 124 Schließlich nahm der Gesetzgeber die Möglichkeit an, dass ein Mitglied der NSDAP „nicht mehr als nominell am Nationalsozialismus teilgenommen“ und nur „unbedeutende […] Obliegenheiten“ wahrgenommen hatte und entsprechend milder behandelt werden musste. Wer sich stets „passiv verhalten“ hatte, sollte gar entlastet werden. 125 In der französischen Besatzungszone wiederum wurde 1947 verordnet, dass „keine Säuberungsmaßnahme gegen die einfachen nominellen Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei und der ihr angeschlossenen Verbände ergriffen werden“ sollten. 126 121 Adolf Scheffbuch (CDU), Landtag Württ.-Bad., Verh., WP 1946–1950, Bd. 2, 1.8.1947, 948. 122 Niethammer, Mitläuferfabrik, 653. 123 Niethammer, Mitläuferfabrik. 124 Befreiungsgesetz, Art.2. 125 Befreiungsgesetz, Art.12 und 13. 126 Verordnung Nr.133 über die Entnazifizierung, Art.3, zit. n. Vollnhals (Hrsg.), Entnazifizierung, 41.

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So sehr der deutschsprachige Diskurs aber strukturell in Abstufungen politischer Belastung organisiert war, so ist doch offensichtlich, dass auch er von Beginn an zu einer ähnlichen binären Logik neigte wie der französische Epurationsdiskurs. Dem differenzierten System abgestufter Belastungskategorien stand in der öffentlichen Debatte eine deutliche Tendenz gegenüber, den Diskurs zu vereinfachen, indem binär zwischen „anständigen“ und „unanständigen“ Nazis, zwischen „überzeugten“ und nur „formalen“ Parteimitgliedern oder zwischen „Rädelsführern“ und „Irregeleiteten“ unterschieden wurde. 127 Die in den Entnazifizierungsgesetzen angelegte Skepsis gegenüber „formalen“ Zuschreibungen und die Rücksichtnahme auf Faktoren wie „Gesinnung“ und „Persönlichkeit“ wurden sehr gerne als Einladung verstanden, ehemaligen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten eine entlastend wirkende „anständige“ Gesinnung und eine rein „formale“ Zugehörigkeit zur NSDAP zu attestieren.

Der vielfach geäußerte Vorwurf, die Entnazifizierungskategorien „der Alliierten“ seien zu grob angelegt, trifft die Wirklichkeit daher nicht, neigten die westdeutschen und österreichischen Diskursteilnehmerinnen und Diskursteilnehmer doch zu noch einfacheren Kategorien und unterteilten tatsächlich nach der viel kritisierten „Schwarz-weiß-Methode“ 128: Die „anständigen“ NSDAP-Mitglieder wurden von Beginn an diskursiv entlastet und als „Mitläufer“ von den „eigentlich“ Verantwortlichen unterschieden. Während für die „Böswilligen“ harte Strafen gefordert wurden, sollte den „Gutwilligen“ eine Integrationsperspektive eröffnet werden. 129 Letztere sollten die Möglichkeit erhalten, „sich durch positive Arbeit wieder in das Volksleben einzuordnen“, schließlich waren sich die Verantwortlichen der Entnazifizierung darüber einig, dass „der Teil des deutschen Volkes, der als nationalsozialistisch angesprochen wird, viel zu groß [sei], als daß es politisch vertretbar wäre, diesen Volksteil dauernd von der Teilhabe am politischen und wirtschaftlichen Leben des deutschen Volkes auszuschließen.“ 130

Ausgenommen waren „Mitglieder der durch das Nürnberger Urteil für verbrecherisch erklärten Organisationen“ sowie „Hauptschuldige“ und „Belastete“. 127 Vgl. Henke, Die Trennung, 24. 128 Gustav Heinemann (CDU), Landtag NRW, Berichte, 1. WP, 9.12.1947, 43. 129 Adolf Scheffbuch (CDU), Landtag Württ.-Bad., Verh., WP 1946–1950, Bd. 2, 1.8.1947, 950. 130 Grundsätze der Entnazifizierung, Konferenz der Länder und Provinzen der britischen Zone in Oldenburg, 25.1.1946, in: Akten zur Vorgeschichte, Bd. I, 240.

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II. Belastung und Demokratie Politische „Säuberung“ als demokratische Herausforderung

1. Épuration und Republik: Belastungs- und Demokratiediskurse in Frankreich Wie gesehen, stand die diskursive Auseinandersetzung mit politischer Belastung in den „Säuberungs“-Diskursen der Nachkriegszeit in einem doppelten Zusammenhang: der nationalen Rekonstruktion und dem demokratischen Wiederaufbau. Die Rückkehr zu rechtsstaatlichen Prinzipien, legalen Verfassungsstrukturen und demokratischen Verfahrensweisen spielte dabei eine zentrale Rolle. Dass sich in Westdeutschland, Österreich und Frankreich nach dem Krieg jeweils demokratische Regierungssysteme und Gesellschaftsformen durchsetzen konnten, macht es sinnfällig, das Zusammenspiel politischer Belastungsdiskurse mit den maßgeblichen Prinzipien und Vorstellungen des demokratischen Neuaufbaus herauszuarbeiten. Wie im Folgenden gezeigt wird, ging aus dem Ziel des demokratischen Wiederaufbaus aber keineswegs eine eindeutige Handlungsanweisung hervor, wie mit Personen verfahren werden sollte, die als politisch belastet angesehen wurden. Stattdessen stellte es die Nachkriegseliten vor erhebliche Herausforderungen. Der Diskurs um die französische épuration war von Beginn an durch die Frage geprägt, was eine demokratische von einer antidemokratischen „Säuberung“ der Gesellschaft unterschied. In den Debatten der französischen Nationalversammlung, die gerade in den ersten Nachkriegsjahren durch Mitglieder der Résistance dominiert wurden, spielte das Argument eine wichtige Rolle, dass sich am Umgang mit Feinden die demokratische und rechtsstaatliche Liberalität der wieder zu errichtenden Republik beweisen müsse. Demnach sollte sich die Auseinandersetzung mit Kollaborateurinnen und Kollaborateuren im republikanischen Frankreich maßgeblich von den Verfahrensweisen des deutschen Besatzungsregimes unterscheiden, um als genuin französisch gelesen zu werden. 1 Der teutonischen Barbarei wurde in 1 Vgl. auch Novick, Resistance, 140f.

HTTPS :// DOI . ORG / 10.1515/ 9783110771602-005

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diesem Zusammenhang der Respekt vor Recht und Freiheit gegenübergestellt, die als dezidiert französisch codiert wurden: „Wir sind nicht Vichy, wir sind nicht die Deutschen“, so der Widerstandskämpfer und Abgeordnete André Philip in der provisorischen Nationalversammlung am 12.Januar 1944, „wir stehen für die Achtung der Freiheit, für die Achtung des Rechts.“ 2 Offen war jedoch, wie diese Haltung konkret umgesetzt werden sollte. Bereits innerhalb der Résistance hatte ein Bewusstsein dafür bestanden, dass die épuration auf zwei unterschiedlichen Ideen fußen müsse: Die eine Leitidee („idée directrice“) war die Tatsache, „dass Frankreich ein Land des geschriebenen Gesetzes ist.“ Es gelte daher, „die elementaren Prinzipien der Gleichheit vor der Justiz zu achten, denen die Franzosen traditionell und leidenschaftlich verbunden“ seien, so die Widerstandsgruppe Organisation civile et militaire im Juni 1942. 3 Der zweiten Leitidee zufolge konnte aber nicht alleine das Recht als Richtschnur für die „politische Säuberung“ gelten. Grundlage jeder politischen Reinigungsarbeit müsse nämlich der „Patriotismus“ sein, wie es an gleicher Stelle hieß. 4 Die Idee der épuration bewegte sich daher seit ihrer Entstehung während des Krieges zwischen der Beschwörung republikanischer Werte und der Ablehnung des Rechts als alleiniger Richtschnur. Das Verhältnis der épuration zum Rechtsstaat war daher auch keineswegs spannungsfrei. Einem Test wurde die Haltung bereits mit der Verabschiedung der ersten Epurationsverordnung in Algier unterzogen, ohne dass es darüber eine nennenswerte Debatte in der provisorischen Versammlung gegeben hätte. Die Verordnung vom 18.August 1943 legte als Stichtag, an dem unbelastete Minister und Funktionäre der „Dritten Republik“ zu belasteten „Verrätern“ wurden, nicht den 10.Juli 1940 fest, an dem die Republik durch den État français abgelöst worden war. Stattdessen bezog sich die Verordnung auf den 16.Juni 1940 – jenen Tag also, an dem Marschall Petain in Übereinstimmung mit der Verfassung der Dritten Republik zum Ministerpräsidenten ernannt worden war. 5 Mit dieser Datierung stellten die Nachkriegsinstitutionen sicher, dass der von Pétain unterzeichnete Waffenstillstand als Akt einer unrechtmäßigen Regierung galt und Frankreich danach auch weiterhin im Krieg mit Deutschland war – was der Position de Gaulles und der Ré-

2 André Philip (SFIO), J.O., Débats, suppl., Ass. cons. prov., 15.1.1944 (12.1.1944), 12. 3 O. C. M., Cahiers, Ierfascicule, 113. 4 O. C. M., Cahiers, Ierfascicule, 112. 5 Ordonnance du 18 août 1943, Art.3.

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sistance entsprach. 6 Wer im Juni 1940 Mitglied einer legalen Regierung der Dritten Republik unter dem Ministerpräsidenten Philippe Pétain geworden war, galt damit in den Augen des Gesetzes als politisch belastet und war zu sanktionieren. Das traf auf Vorkriegsgrößen, etwa den liberalen früheren Ministerpräsidenten Camille Chautemps, ebenso zu wie auf Nachkriegsgrößen wie Robert Schuman, der aber aufgrund seiner Résistance-Aktivitäten rehabilitiert wurde. Sehr viel kontroverser gestaltete sich die Debatte um die Kategorie der „indignité nationale“, die mit der Verordnung vom 26.August 1944 eingeführt wurde. Mit diesem Rechtsinstrument wurde maßgeblich in die demokratischen Freiheiten von Personen eingegriffen, die „direkt oder indirekt und willentlich Deutschland und seinen Verbündeten geholfen oder die Einheit der Nation oder die Freiheit und Gleichheit der Franzosen beschädigt“ hatten, so der Wortlaut der Verordnung. 7 Der Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten war dabei ein doppelter: Erstens wurde festgelegt, dass es Personen gab, die aufgrund ihrer persönlichen Belastung „unwürdig“ waren, ihre Bürgerrechte in vollem Umfang auszuüben und gleichberechtigt am demokratischen Prozess zu partizipieren. In der Verordnung hieß es dazu explizit, dass „jeder Franzose, der sich einer antinationalen Handlung schuldig gemacht hat, […] sich selbst herabgesetzt hat.“ Er sei als Bürger „unwürdig“, weil er seine Pflichten missachtet habe. 8 Politische Belastung wirkte damit relativierend im Hinblick auf die demokratische Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger. Zweitens hielt die Verordnung ausdrücklich fest, dass sich die Einführung der „nationalen Unwürdigkeit“ mit dem rechtsstaatlichen Prinzip des „nullum crimen sine lege“ rieb. 9 Während die Hauptverantwortlichen der Kollaboration nach dem sehr weit ausgelegten Strafgesetzbuch der Vorkriegszeit verurteilt wurden, sollten mit der „indignité“-Verordnung auch Handlungen und Äußerungen bestraft werden, die zum Zeitpunkt des Vergehens nicht strafbar gewesen waren. 10 Entsprechend hatten sich Kollaborateurinnen und Kollaborateure auch dann in den „Status“ der nationalen Unwürdigkeit begeben, wenn sie keine Gesetze im Sinn des Strafgesetzbuches gebrochen hatten. 11 Nachdem es hierüber zu einer lebhaften De6 Vgl. Novick, Resistance, 142. 7 Ordonnance du 26 août 1944, Art.1. 8 Ordonnance du 26 août 1944, Exposé des motifs. 9 Ordonnance du 26 août 1944, Exposé des motifs. 10 Vgl. Novick, Resistance, 143–149. 11 Vgl. Novick, Resistance, 147.

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batte in der Nationalversammlung gekommen war, wurden die widerstreitenden Position in den Wortlaut der Verordnung aufgenommen: Demnach erkannte das Dokument ausdrücklich an, „dass eine solche juristische Unterscheidung zwischen den Bürgern schwerwiegend erscheinen mag, weil die Demokratie jegliche diskriminierende Maßnahme ausschließt.“ Dennoch sei es „notwendig“, bestimmte Individuen von Ämtern auszuschließen, „die ihrem Inhaber politischen Einfluss geben“. Es widerspreche nicht der Gleichheit vor dem Gesetz, „wenn die Nation zwischen guten und schlechten Bürgern unterscheidet und jene Franzosen von Führungsposten und Einfluss fernhält, die das Ideal und das Interesse Frankreichs während der schmerzhaftesten Prüfung seiner Geschichte missachtet haben.“ 12 Eine besonders strittige Folge der „indignité“-Verordnung betraf die Aberkennung der Wählbarkeit. Dass frühere Abgeordnete und Senatoren das Wahlrecht verloren, weil sie 1940 für die Bevollmächtigung Philippe Pétains gestimmt hatten, verstieß offenkundig gegen das Verfassungsgesetz vom 16.Juli 1875 und die darin verbrieften parlamentarischen Rechte: Demnach konnte kein Mitglied des Parlaments für seine Ansichten oder sein Votum im Parlament juristisch belangt werden – ein republikanisches Prinzip, das durch die épuration offensichtlich verletzt wurde. 13 Dazu kam, dass einigen als belastet angesehenen Parlamentsmitgliedern die Wählbarkeit erst nach erfolgter Wahl entzogen wurde. Die Entscheidung erschien damit nicht nur als nachträglicher Eingriff in das passive Wahlrecht der Gewählten, sondern in das aktive Wahlrecht der Wählerinnen und Wähler – und damit in die demokratische Souveränität. 14 Während von liberaler und konservativer Seite heftige Kritik hieran geübt wurde, argumentierten die Parteien der Linken, dass die Parlamentarier der Dritten Republik mit ihrem „Ja“ zur Bevollmächtigung Pétains selbst das „allgemeine Wahlrecht“ verraten und sich damit disqualifiziert hätten. Sie hätten sich selbst gegen die Republik und für die Diktatur entschieden, so die These. 15 Die Schlussfolgerung der Linken fasste der sozialistische Abgeordnete Louis Noguè-

12

Ordonnance du 26 août 1944, Exposé des motifs.

13

Vgl. Loi constitutionnelle du 16 juillet 1875 sur les rapports des pouvoirs publics, Art.13, in: J.O.,

18.7.1875, 5489f.; Wieviorka, Orphelins, 368 und 374. 14

Vgl. Mathias Bernard, Inéligibilité et incidents électoraux au lendemain de la Seconde Guerre mon-

diale (1945–1953), in: Philippe Bourdin/Jean-Claude Caron/Mathias Bernard (Eds.), L’incident électoral de la Révolution française à la Ve République. Clermont-Ferrand 2002, 263–283, dort 272f.; Wieviorka, Orphelins, 375f. 15

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Vgl. Wieviorka, Orphelins, 396ff.

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res in der provisorischen Nationalversammlung so zusammen: Das allgemeine Wahlrecht könne nur für jene gelten, die ihm auch würdig seien („On ne peut comparaître devant le suffrage universel que si l’on en est digne“). 16 Selbst die nachträgliche Korrektur von Gerichtsentscheidungen war im Nachkriegsfrankreich möglich. Großes Aufsehen erregte 1946 der Fall Pierre-Étienne Flandin. Als einflussreicher Mitte-Rechts-Politiker der Zwischenkriegszeit hatte Flandin im Winter 1940/41 knapp zwei Monate lang als Regierungschef unter Pétain gedient, war auf deutschen Druck hin aber entlassen worden, woraufhin er sich 1942 nach Nordafrika absetzte. Nachdem er von de Gaulle als führender Kopf Vichys festgenommen worden war, musste er sich 1946 vor der Haute Cour de Justice verantworten, dem für schwere Kollaborationsfälle zuständigen Gericht. Dort wurde Flandin zwar zur „indignité nationale“ verurteilt, von den entsprechenden Sanktionen aber befreit – mit dem Argument, er habe durch sein Verhalten während des Krieges und seine Konfrontation mit den Deutschen seine „sentiments républicains“ unter Beweis gestellt. 17 Das Urteil führte zu einiger Entrüstung unter den linken Parteien, die schnell reagierten: Mit einem Unwählbarkeitsgesetz vom 4.Oktober 1946 wurde die Unwählbarkeit Flandins und anderer zur „indignité nationale“ verurteilter Personen wiederhergestellt. 18 Die Gesetzesänderung wurde damit begründet, dass kollaborationsbelastete Personen nicht entlastet und rehabilitiert, sondern allenfalls begnadigt und von einzelnen Sanktionen befreit werden könnten. 19 Mit der Strafbefreiung sollte also gerade keine Entlastung einhergehen. Die Belastung durch die „indignité nationale“ sei so groß und das Vergehen der Kollaboration so schwerwiegend, dass es unmöglich sei, diesen Personen wieder politische Verantwortung zu geben. 20 Solche Argumente hatten weitreichende Konsequenzen, weil sie die demokratisch-republikanische Begründung der „Säuberungs“-Maßnahmen von Beginn an zu

16 Louis Noguères (SFIO), J.O., Débats, supp., Ass. cons. prov.,1.4.1945 (31.3.1945), 1035. 17 Vgl. Charles Vergely, Frappé de cinq ans de dégradation nationale Pierre-Etienne Flandin en est aussitôt relevé, in : Le Monde, 29.7.1946; „Flandin symbolisch verurteilt“, in : Hamburger Freie Presse, 27.7.1946 ; P. C. F. Bankwitz, Flandin, Pierre-Étienne, in: Bertram M. Gordon (Ed.), Historical Dictionary of World War II France. The Occupation, Vichy, and the Resistance, 1938–1946. London 1998, 142f. 18 Loi no46–2174 du 4 octobre 1946. 19 André Le Troquer (SFIO), J.O., Débats parlemtentaires de l’Assemblée nationale constituante, 5.10.1946 (Sitzung vom 4.10.1946), 4572. 20 Alex Roubert (SFIO), J.O., Débats, Ass. nat. const., 5.10.1946 (4.10.1946), 4571.

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unterminieren drohten, und zwar nicht nur in den Augen der Betroffenen, sondern auch in den Augen vieler Befürworteinnen und Befürworter der Sanktionspolitik. Ein zentraler Vorwurf lautete, dass die épuration gegen das demokratische und republikanische Prinzip der Gleichheit verstieß. Die Kritik entzündete sich vor allem an der Tatsache, dass die Sanktionsmaßnahmen je nach Region, Zeitpunkt und der Haltung der verantwortlichen Stellen nach sehr ungleichen Maßstäben durchgeführt wurden und zu sehr ungleichen Urteilen führten. Der Vorwurf stand im Raum, dass es „deux sortes de justice“ gebe. 21 Auch deswegen konnte die épuration nicht maßgeblich zur Konsolidierung der Republik beitragen. Stattdessen erschien sie insbesondere im konservativen Diskurs als Ausnahmeregime („régime des lois d’exception“), das es zu beenden gelte, um zur „légalité républicaine“ zurückzukehren, so der Abgeordnete Louis Rollin im Oktober 1946. 22 Damit wendete er das gaullistische Argument gegen die épuration selbst: statt der Rückkehr zur Legalität durch die épuration forderte er eine Rückkehr zur Legalität durch Abkehr von ihr. Der in den späten 1940er Jahren deutlich anwachsenden Kritik an der épuration fiel es vor diesem Hintergrund nicht schwer, sich auf die Tradition der Republik und ihre Werte zu berufen. Als zentrale Vokabeln figurierten „la justice“, „la liberté“ und „la république“, also jene Werte, die auch die épuration begründet hatten. Wie offensiv die republikanische Sprache durch die Gegner der épuration gekapert wurde, zeigt insbesondere die Association des Représentants du Peuple de la IIIe République. 23 Als Interessenvertretung der für unwählbar erklärten Vorkriegsparlamentarier gegründet, entwickelte sich der Verein zu einer der einflussreichsten Lobbyorganisationen der „Belasteten“ in der Vierten Republik. Ins Rampenlicht trat er im März 1948 als Veranstalter eines großen „Banquet des Mille“ anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Revolution von 1848. Die Redner der Veranstaltung beschworen die zentralen Errungenschaften der republikanischen Bewegung – vom allgemeinen Wahlrecht über den Rechtsstaat bis hin zur republikanischen Gleichheit – und brachten sie gegen die Epurationspolitik der Nachkriegsregierungen in Stellung. Die épuration wurde als Zustand der Unordnung („désordre“), der Unehrlichkeit („malhonnêteté“) und 21

Daniel Mayer (SFIO), J.O., Débats, Ass. nat. const., 3.3.1945 (2.3.1945), 270.

22

Louis Rollin (PRL), J.O., Débats, Ass. nat. const., 5.10.1946 (4.10.1946), 4573; vgl. auch R. M., „L’œuvre, du

Ministère de la Justice depuis la Libération“, in: Le Monde, 19.6.1945. 23

Vgl. Michèle Cointet, La banquet des Mille, in: Gilles Richard/Jaqueline Sainclivier (Eds.), La recompo-

sition des droites en France à la Libération 1944–1948. Rennes 2004, 325–332; Richard Vinen, Bourgeois Politics in France, 1945–1951. London 1995, 106.

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der mangelnden Rechtsstaatlichkeit gezeichnet. Sie habe das allgemeine Wahlrecht ausgehöhlt, den demokratischen Wählerwillen verzerrt und damit die republikanischen Freiheiten untergraben. 24 Nur eine umfangreiche Amnestie, so die Forderung, könne „wahre Demokratie auf Basis von Recht und Freiheit“ hervorbringen und die Exzesse der „Ausnahmetribunale“ korrigieren. 25

2. Das „Naziproblem“ als Demokratieproblem? Belastungsund Demokratiediskurse in Österreich Die französische Amnestiebewegung der 1940er und frühen 1950er Jahre machte sich also die demokratietheoretisch strittigen Elemente der épuration zunutze, um diese offensiv zu attackieren und zu diskreditieren. Die Kritik daran, wie mit Kollaborationsbelasteten politisch verfahren wurde, zielte nicht nur darauf ab, offensichtliche Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten der politischen „Säuberungen“ offenzulegen, sondern die Kategorie Kollaborationsbelastung selbst zu delegitimieren und als antirepublikanisches Sonderrecht darzustellen. Ganz ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in den österreichischen Kabinetts- und Nationalratsdebatten der 1940er und 1950er Jahre aufzeigen. Schon die beiden maßgeblichen Gesetzesgrundlagen der österreichischen Entnazifizierung – das Verbotsgesetz und das Kriegsverbrechergesetz 1945 – waren umstritten. Ganz so wie die französischen Nachkriegseliten waren auch die politisch Verantwortlichen in Österreich überzeugt, dass das republikanische Österreich die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus „nicht mit Hitlerschen Methoden, nicht nazistisch“ führen könne, sondern „als Rechtsstaat mit gesetzlichen Mitteln vorzugehen“ habe, so Staatskanzler Karl Renner. 26 Gerade für Renner war dies eine Frage nationaler Ehre und Identität. Dabei ging es zum einen darum, das Selbstbild Österreichs als zivilisierte und friedfertige Nation zu stärken, indem man sich von den „barbarischen“ Preußen abgrenzte. Zum anderen distanzierten sich die ös-

24 Lucien Lamoureux, Discours, in: Association des Représentents du peuple de la IIIe République (Ed.), Banquet des „Mille“ du 14 Mars 1948. Les Discours, Paris 1948, 7–14; Eugène Milliès-Lacroix, Discours, in: Association des Représentents (éd.), Banquet des „Mille“, 15–16. 25 Lucien Lamoureux, Discours, in: Association des Représentents (éd.), Banquet des „Mille“, 7–14, dort 13f. 26 Karl Renner, Drei Monate, 9.

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terreichischen Nachkriegseliten aber auch von den „wilden Säuberungen“ in anderen europäischen Ländern wie Italien und Frankreich. Schon im April 1945 versprach der provisorische Regierungschef den Beamten seiner Staatskanzlei, dass es in Österreich keine „Blutgerichte“ geben werde, weil das nicht dem österreichischen Naturell entspreche: „[D]as österreichische Volk, die österreichische Republik dürstet nicht nach Blut.“ Das sei für ihn ein „Gegenstand des Stolzes“. 27 So klar also die Absage an revolutionäre Abrechnungen und die Festlegung auf rechtsstaatliche Verfahren war, so sehr war sich die österreichische Staatsregierung aber auch einig, dass bei der gesetzlichen Auseinandersetzung mit „Kriegsverbrechern“ das bestehende, „normale“ Strafgesetz nicht ausreichen würde; der Nationalsozialismus müsse „mit anderen Mitteln bekämpft werden“, so Justizstaatssekretär Gerö im Juni 1945. 28 Dass das Kriegsverbrechergesetz ebenso wie das Verbotsgesetz in Teilen rückwirkendes Recht schuf, bezeichnete Gerö als „Schönheitsfehler“, hielt es aber – ganz so wie die französische Nationalversammlung – für notwendig, um einem höheren, moralischen Recht zum Durchbruch zu verhelfen: „Wir beruhigen aber unser Gewissen damit, daß die Übeltäter in ihrem inneren Gewissen sich sagen mußten, daß ihre Untaten nicht ohne Sühne bleiben können.“ 29 Zwar versuchten die Volksgerichte in der Praxis, „einen Kompromiss zwischen der strikten Anwendung des positiven Rechts zur Tatzeit und der Anwendung des rückwirkend erlassenen Verbots- und Kriegsverbrechergesetzes“ zu finden, so die österreichische Historikerin Claudia Kuretsidis-Haider. 30 Dennoch entwickelte sich der Erlass eines rückwirkenden „Sondergesetzes“ zu einem anhaltenden Kritikpunkt sowohl innerhalb der politischen Parteien als auch seitens der Rechtswissenschaft. 31 In der politischen Auseinandersetzung stand die Rückwirkungsdiskussion jedoch im Schatten einer langen und intensiv geführten Debatte um die Aberkennung des Wahlrechts für ehemalige Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten. Diese Debatte erinnerte in vielem an den Streit um die „Unwählbaren“ in Frankreich,

27

Karl Renner, Rede des Staatskanzlers an die Beamtenschaft der Staatskanzlei, 30.4.1945, in: Robert

Knight (Hrsg.), „Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen“. Die Wortprotokolle der österreichischen Bundesregierung von 1945 bis 1952 über die Entschädigung der Juden. Frankfurt am Main 1988, 73–81, dort 79f.

72

28

Josef Gerö (parteilos), Kabinettsrat, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 19./20.6.1945, 260.

29

Ebd. 261.

30

Vgl. Kuretsidis-Haider, Das Volk, 54.

31

Vgl. ebd. 53–59.

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auch wenn es nicht um demokratische Abgeordnete der Zwischenkriegszeit ging, sondern um Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen. Der österreichische Gesetzgeber hatte sich schon vor der ersten Nationalratswahl im November 1945 darauf geeinigt, allen gemäß Verbotsgesetz Registrierten das Wahlrecht abzuerkennen, mit Ausnahme der „legalen“ und „einfachen“ Mitglieder des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps, des Fliegerkorps sowie der NS-Frauenschaft. 32 Zur ersten Parlamentswahl nach dem Krieg waren daher nur 3,4 Millionen Österreicherinnen und Österreicher wahlberechtigt. 33 Begründet wurde diese Maßnahme in erster Linie mit sicherheitspolitischen Erwägungen. 34 Es könne nicht sein, dass „Nazistimmen mitentscheiden, wer die vielleicht noch notwendigen Gesetze gegen die Nazi beschließen soll“, so die sozialistische „Arbeiter-Zeitung“. 35 Zwar wurde diese Entscheidung von allen drei zugelassenen Parteien gemeinsam getroffen, sie bildete aber keineswegs einen politischen Konsens ab. Stattdessen standen sich zwei Grundsatzlinien gegenüber. Auf der einen Seite setzten sich SPÖ und KPÖ für einen möglichst umfassenden Wahlausschluss für registrierte Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten ein. 36 Diesen wurde jeder Anspruch auf Partizipation versagt, weil sie sich „als unfähig erwiesen“ hätten, „die politischen Verhältnisse zu beurteilen und das schwerste Unglück über Österreich gebracht haben“. 37 Wer ein „Todfeind der Demokratie und der persönlichen Freiheitsrechte“ sei, habe „kein Recht, an der politischen Gestaltung eines demokratischen Staatswesens mitzuwirken“, wie es der SPÖ-Politiker Alfred Migsch ausdrückte. 38 Stattdessen müssten sich die betroffenen Personengruppen ihre demokratischen Mitwirkungsrechte erst verdienen und sich während einer „Bewährungsfrist“ als „freie Österreicher und echte Demokraten“ beweisen. 39 „Sie müssen erst lernen, was es heißt, in der Demokratie zu sein, sie müssen die Vorteile der Demokratie selbst erst schätzen lernen, sie müssen sich einfügen in das, was das demokratische System heißt“, so der 32 Vgl. Mizuno, Länderkonferenzen, 249; Wahlgesetz vom 19.10.1945, § 7. 33 Vgl. Mizuno, Länderkonferenzen, 251. 34 Vgl. „Die Nazi haben kein Wahlrecht“, in: Arbeiter-Zeitung, 11.10.1945, dazu auch Mizuno, Länderkonferenzen, 246. 35 „Das Naziproblem“, in: Arbeiter-Zeitung, 5.1.1946. 36 Vgl. Adolf Schärf, Zwischen Demokratie und Volksdemokratie. Österreichs Einigung und Wiederaufrichtung im Jahre 1945. Wien 1950, 45. 37 Paul Speiser (SPÖ), zit. n. Mizuno, Länderkonferenzen, 245. 38 Alfred Migsch, „Zur Lösung der Nazifrage“, in: Arbeiter-Zeitung, 24.7.1946. 39 „Demokratie den Demokraten“, in: Arbeiter-Zeitung, 11.10.1945.

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sozialistische Abgeordnete Heinrich Hackenberg, der während des Kriegs als Gegner des NS-Regimes ins KZ Buchenwald deportiert worden war. Diese „Umerziehungsarbeit“ aber könne nur mit „Strenge und Konsequenz“ erfolgreich sein. 40 Die konservative ÖVP dagegen profilierte sich schon unmittelbar, nachdem sie dem Wahlausschluss zugestimmt hatte, als lautstarke Kritikerin dieser Maßnahme. 41 Sie warf den beiden Koalitionspartnern SPÖ und KPÖ vor, mit der Entscheidung ihre „Auffassung wahrer demokratischer Gesinnung“ offenbart und sich „von selbstverständlichen Grundsätzen der Demokratie entfernt“ zu haben, dass jedem Bürger eine Stimme zustehe. Der Wahlausschluss bedeute eine „Entrechtung eines Teiles der Bevölkerung“, wie es in der ÖVP-Zeitung „Das Kleine Volksblatt“ hieß. 42 Dabei hatte die Volkspartei vor allem die „kleinen Nazi“ im Blick. 43 Zwar befürwortete auch sie, „daß allen Gegnern eines freien, demokratischen und unabhängigen Österreich das Wahlrecht entzogen“ werden sollte. Wer sich „an Österreich, an seinem Volke, seiner Freiheit und Selbständigkeit vergangen“ habe, müsse „ausgeschaltet bleiben“. Wer aber „unter Zwang“ und gegen die „innere Überzeugung zur Partei gepreßt“ worden sei und sich nun „vorbehaltlos und ohne Einschränkung auf den Boden des neuen Österreich“ stelle, solle die Chance erhalten, sich am nationalen „Aufbauwerk“ zu beteiligen. 44 Während sich der Wahlrechtsdiskurs zunächst also entlang parteipolitischer Linien bewegte, so konnte sich die konservative Interpretation rasch durchsetzen. Auch die Sozialistische Partei nahm schon nach kurzer Zeit Abstand vom eigenen Demokratisierungskonzept und näherte sich der ÖVP-Position an. Schon 1947 sah es der SPÖ-Abgeordnete Migsch, Angehöriger des österreichischen Widerstands und im Vorjahr noch ein Verfechter des Wahlausschlusses, als Gefahr für die Demokratie an, nationalsozialistisch belastete Personen „dauernd von der Anteilnahme am öffentlichen Leben auszuschließen“. 45 Die „staatspolitische Erziehungsaufgabe“ zur Demokratie könne „nicht dadurch erfüllt werden, daß der minderbelastete Nazi dauernd mit dem Stigma herumläuft: Du warst ein Nazi! Sie wird nur dann vollbracht werden können, wenn derjenige, der seine Sühne geleistet hat, in Milde und

74

40

Heinrich Hackenberg (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 24.7.1946, 603.

41

Vgl. Stiefel, Entnazifizierung, 65.

42

„Klare Fronten“, in: Das Kleine Volksblatt, 11.10.1945.

43

Vgl. Schärf, Zwischen Demokratie und Volksdemokratie, 45.

44

„Deklaration der ÖVP zum Wahlrecht“, in: Das Kleine Volksblatt, 11.10.1945.

45

Alfred Migsch (SPÖ), Nationalrat, Prot. V. GP. 24.7.1946, 589

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Gnade wieder aufgenommen wird“, so Migsch. 46 Der demokratische Erziehungsgedanke hatte sich damit in wenigen Monaten vom Sanktionierungsargument zum Entlastungsargument verkehrt. Dass damit auch machtpolitische Fragen verbunden waren, ist offensichtlich, gingen die österreichischen Nachkriegsparteien doch sehr früh dazu über, sich für politisch Belastete zu öffnen und um das auf 1,5 Millionen Menschen geschätzte Heer ehemaliger NSDAP-Mitglieder und ihrer Familien zu konkurrieren. Um diese anzusprechen, setzten die Parteien gezielte Anreize, indem sie ihnen nahestehende Personen mit nationalsozialistischer Vorbelastung listenweise dem Bundespräsidenten zur Begnadigung vorschlugen. 47 Claudia Kuretsidis-Haider spricht sogar von Formularen der ÖVP, die neben der Beitrittserklärung zur Volkspartei ein Nachsichtgesuch zur Erlassung der Sühneleistungen enthielten. 48 Wer sich in den Dienst einer „demokratischen“ Partei stellte, so die Rechtfertigung, signalisierte damit seine Abkehr vom Nationalsozialismus und seine Hinwendung zur Republik Österreich. 49 Diese Reintegrationspolitik zeichnete sich in Österreich sehr viel früher und konsequenter ab als in den Vergleichsländern. Im Jahr 1948 galt es bereits parteiübergreifend als „Akt staatspolitischer Klugheit“ 50 und als „Notwendigkeit im Interesse der Demokratie überhaupt“ 51, die Sanktionen gegen Österreicherinnen und Österreicher mit nationalsozialistischer Vergangenheit fallen zu lassen. „Die demokratische Entwicklung Österreichs wird nur dann gesichert sein, wenn diese Menschenmasse, die beinahe ein Zwölftel der österreichischen Bevölkerung ausmacht, nicht dauernd zu einer Menschengruppe minderen Rechtes gestempelt wird.“ 52 Würde man diese Menschen „rechtlos“ stellen, ergebe sich „eine große Gefahr für den Staat“, so das Argument. 53 Auch die mangelnde demokratische Erfahrung wurde nun nicht

46 Alfred Migsch (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 6.2.1947, 1213. 47 Bundesminister Helmer (SPÖ) sprach von einem „Kontingent“, auf dem jede Partei „ihre Leute“ von den Sühnefolgen ausnehmen lassen konnte. Ministerrat, 25.2.1947, in: Enderle-Burcel/Jeřábek (Hrsg.), Protokolle, Bd. 5, 63. Der Vorschlag stieß auf ein positives Echo im Ministerrat, allerdings war man sich einige, dass alles schnell und „unauffällig geschehen“ müsse (ebd.66). 48 Kuretsidis-Haider, Das Volk, 40. 49 Vgl. Kos, Zur Entnazifizierung, 62. 50 Alfons Gorbach (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 21.4.1948, 2245. 51 Ernst Koref (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 21.4.1948, 2245. 52 Alfred Migsch (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 6.2.1947, 1213. 53 Oskar Helmer (SPÖ), Ministerrat, 7.1.1947, in: Enderle-Burcel/Jeřábek (Hrsg.), Protokolle, Bd. 4, 237.

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mehr als Hindernis gesehen. Entsprechend lag der 1948 erlassenen Jugendamnestie ausdrücklich die Auffassung zu Grunde, dass die jungen Belasteten „nie Gelegenheit gehabt haben, demokratische Einrichtungen kennenzulernen und die Demokratie überhaupt zu begreifen“. 54 Daraus wurde aber nicht mehr abgeleitet, dass man sie erst zur Demokratie erziehen müsse, sondern dass sie diese nur durch aktive Partizipation verinnerlichen könnten. Die Verschiebungen im Diskurs gingen mit realpolitischen Entwicklungen im Parteiensystem einher. Mit dem „Verband der Unabhängigen“ (VdU) gründete sich 1949 eine Lobbygruppe und Wahlpartei, die sich insbesondere den Interessen der „Ehemaligen“ annahm, wie die früheren Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten nun bezeichnet wurden. Aus ihrer Sicht waren die gesamten Entnazifizierungsgesetze der Nachkriegszeit nichts anderes als „Ausnahms- oder Unrechtsgesetze“ 55, die sich gegen Verfassung und Demokratie richteten und „Unschuldige“ zu „Opfer[n] dieser Justiz“ machten. 56 „Die große Masse der […] Verfolgten hat aber kein Unrecht begangen, sondern hat lediglich von dem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht der politischen Meinungs- und Bekenntnisfreiheit Gebrauch gemacht“, so der VdU-Nationalratsabgeordnete Helfried Pfeifer, ein NS-Verwaltungsjurist, der seine im Krieg erhaltene Universitätsprofessur bei Kriegsende verloren hatte. 57 Mit dieser Argumentationsweise war der VdU zwar besonders deutlich, aber keineswegs alleine. Auch die Kommunistische Partei Österreichs fand nun, dass den „Irregeleiteten“ und „Mißbrauchten“ ein „Weg in ein neues demokratisches Dasein“ geebnet werden müsse. 58 Im Nationalrat zitierte der Kommunist und ehemalige Exilant Johann Koplenig in diesem Zusammenhang die „Erfahrungen anderer Länder, die diesen Weg bereits gegangen sind“: Dort sei man „bereits so weit, daß man immer neue Teile aus der Masse der Kleinen amnestiert und völlig gleichberechtigt in das demokratische Leben des Volkes aufnehmen kann.“ 59 Während sich die KPÖ damit aber auf die „Mitläufer“ bezog, tendierte die konservative Volkspartei seit Ende der 1940er Jahre dazu, die legale Auseinandersetzung mit politisch Belasteten in der Nachkriegsrepublik insgesamt zu kritisieren. So empörte sich der konservati-

76

54

Max Eibegger (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 18.2.1948, 2178.

55

Helfried Pfeifer (FPÖ), Nationalrat, Prot., VIII. GP, 14.3.1957, 1249.

56

Rudolf Kopf (VdU), Nationalrat, Prot., VI. GP, 18.7.1952, 3888.

57

Helfried Pfeifer (FPÖ), Nationalrat, Prot., VIII. GP, 14.3.1957, 1249.

58

Ernst Fischer (KPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 18.2.1948, 2179.

59

Johann Koplenig (KPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 6.2.1947, 1215.

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ve Abgeordnete und frühere Widerstandskämpfer Karl Brunner in der Nationalratsdebatte vom 11.Dezember 1948, dass gegen NSDAP-Mitglieder überhaupt Sanktionen verhängt worden waren: „Eine Verfolgung wegen einer bloßen Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, also wegen einer bestimmten Gesinnung ohne konkrete individuelle Schuld, verstößt gegen jede wahre Demokratie.“ Unrecht werde nicht dadurch Recht, dass man es „als Vergeltung für anderes Recht“ einsetze, so Brunner, der als Gegner des Nationalsozialismus und Führer des paramilitärischen Steirischen Heimatschutzes gleich nach dem „Anschluss“ zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt worden war. 60 Die Ablehnung richtete sich damit nicht nur gegen die konkrete Behandlung politisch Belasteter, sondern dagegen, politische Belastung überhaupt als legitime Kategorie zu behandeln und aus ihr Repressalien abzuleiten. Auch Brunners Parteifreund Alfons Gorbach, der den Krieg in den Konzentrationslagern von Dachau und Flossenbürg verbracht hatte, sprach von einer undemokratischen „Verfolgung und Diskriminierung aller ehemaligen Anhänger des Nationalsozialismus“. 61 Gorbach machte auch nicht davor Halt, die Entnazifizierung mit der „Willkür“ und dem „Unrecht“ des Nationalsozialismus gleichzusetzen. 62 Die Überwindung der Entnazifizierung wurde als Überwindung des Nationalsozialismus beworben: „Beweisen wir durch die Tat, daß die Grundsätze und Methoden des Nationalsozialismus nicht nur unsinnig und verwerflich waren, sondern daß wir sie auch praktisch überwinden können“, so Gorbach in der Nationalratsdebatte am 11.Dezember 1948. 63

3. Entnazifizierung oder Demokratisierung? Belastungs- und Demokratiediskurse in Westdeutschland Nimmt man die französischen und österreichischen Debatten um politische Belastung und Demokratie zum Ausgangspunkt, dann erscheint der Versuch, die Sanktionierung belasteter Personengruppen als undemokratische Diskriminierung

60 Karl Brunner (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 11.12.1948, 2676; vgl. auch Alfons Gorbach (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 11.12.1948, 2659. 61 Alfons Gorbach (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 11.12.1948, 2659. 62 Alfons Gorbach (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 21.4.1948, 2247 63 Alfons Gorbach (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 11.12.1948, 2659.

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zu markieren, nicht als Randerscheinung, sondern als ein zentrales Merkmal demokratischer Nachkriegsdiskurse. In vielen Fällen sind die Versuche als apologetische Strategie zu bewerten, mit denen Belastete selbst ihre politische Marginalisierung zu skandalisieren und ein Ende der Sanktionen zu erreichen suchten. In anderen Fällen ging es offensichtlich darum, sanktionierte Personenkreise als Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Der Umstand aber, dass sich auffallend viele Gegner und Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft aus demokratiepolitischen Gründen gegen die Sanktionsmaßnahmen aussprachen, spricht dafür, dass in den dargestellten Debatten ein tiefer liegendes, inhärentes Spannungsverhältnis zwischen Demokratie- und Belastungsdiskursen zum Ausdruck kommt. Dass die Kritik an épuration und Entnazifizierung auf demokratische Werte wie Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit verwies, scheint maßgeblich damit zu tun zu haben, dass die politischen „Säuberungen“ als Teil einer Redemokratisierung konzipiert und beworben worden waren. Diesem Zusammenhang ist im Folgenden auch für Westdeutschland nachzugehen. Ganz ähnlich wie der linke Flügel der Résistance verbanden auch in Deutschland und Österreich große Teile der politischen Linken mit der angestrebten „Säuberung“ weitreichende gesellschaftliche Veränderungsziele: Die „Denazifizierung“ und „Demokratisierung“ der Gesellschaft sollte einen Umbau der sozialen und ökonomischen Verfassung beinhalten. Die „Entnazifizierung als geistiger, politischer und wirtschaftlicher Prozeß“ wurde so zu einem wiederkehrenden Schlagwort insbesondere in sozialdemokratischen Kreisen. 64 In diesem Diskurs – A. Dirk Moses spricht von einer „redemptive language of republicanism“ – brauchte es einen umfangreichen Bruch mit der diktatorischen Vergangenheit, um die neue Demokratie zu begründen. 65 Im Vergleich zu Frankreich spielten sozialrevolutionäre Ziele im westdeutschen und im österreichischen Belastungsdiskurs aber eine marginale Rolle. Während große Teile der Résistance in Frankreich auf einen umfassenden politischen Elitenaustausch drängten und damit einen radikalen Neuanfang verbanden, trat die deutschsprachige Sozialdemokratie weniger utopisch auf und konzentrierte sich auf einen partiellen Elitenaustausch im öffentlichen Dienst. 66 Die Entnazifizierung sollte da-

78

64

Wilhelm Pawlik (SPD), Landtag NRW, Berichte, 1.WP, 29.4.1948, 367.

65

A. Dirk Moses, German Intellectuals and the Nazi Past. Cambridge 2007, 40f.

66

Vgl. Fürstenau, Entnazifizierung, 167ff.; Rigoll, Staatsschutz, 34.

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mit zu einer normativen Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung beitragen, wie sie in der Zwischenkriegszeit noch ausgeblieben war. Die bürgerlichen Kräfte wiederum sahen die Grundlage der neu zu errichtenden Demokratie darin, die bürgerliche Sozial- und Rechtsordnung wiederherzustellen. Dieses Ziel verfolgten Widerstandsgruppen wie der „Kreisauer Kreis“ genauso wie das Gros der bürgerlichen Nachkriegsparteien in Westdeutschland und Österreich. 67 „Wir wollen, daß endlich wieder Recht geschieht“, so der württemberg-badische Abgeordnete Wolfgang Haußmann mit Bezug auf die Entnazifizierung. 68 Aus dieser Perspektive sollte die große Masse der ehemaligen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten nicht gänzlich aus dem öffentlichen Leben entfernt, sondern im Gegenteil für die neue Demokratie gewonnen werden. Um das zu erreichen, dürften nationalsozialistisch belastete Personen nicht zu „Menschen zweiter Klasse“ gestempelt und auf diese Weise vom neuen politischen System entfremdet werden, so ein weit verbreitetes Argument. 69 Der bürgerliche Belastungsdiskurs sprach mit A. Dirk Moses also eine „integrationistische“ Sprache. 70 In den westdeutschen Nachkriegsparlamenten behielt diese auf Transition statt Revolution gerichtete Perspektive die Oberhand. Es etablierte sich schnell ein Konsens, dass die demokratische und rechtsstaatliche Verfasstheit der Nachkriegsordnung den Rahmen für die Sanktionierung belasteter Personen darstellen sollte. Forderungen, wonach die „Feinde der Demokratie“ rücksichtslos „vernichtet“ werden sollten, blieben Minderheitsmeinung der kommunistischen Linken, die in Westdeutschland deutlich geringeren Einfluss auf den Belastungsdiskurs ausübte als in Frankreich. 71 Indem sich die westdeutschen Akteure in der Auseinandersetzung mit ehemaligen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten an den fundamentalen Prinzipien eines „demokratischen“ Staates orientierten, grenzten sie sich zugleich von den „barbarischen Methoden des Nationalsozialismus“ ab. 72 Ganz so wie in Frankreich und in Österreich gilt also auch für Westdeutschland, dass der rechtsstaatliche Charakter der politischen „Säuberung“ eine wesentliche Rolle bei der nationalen Identitätsbildung und normativen Liberalisierung des Landes nach den 67 Vgl. Nolte, Was ist Demokratie?, 290. 68 Wolfgang Haußmann (FDP), Landtag Württ.-Bad., Verh., WP 1946–1950, Bd. 2, 1.8.1947, 953. 69 Vgl. Fürstenau, Entnazifizierung, 169ff. 70 Moses, Intellectuals, 41. 71 Bremer Kommunisten, Oktober 1945, zit. n. Rigoll, Staatsschutz, 34. 72 Bernhard Reismann (Zentrum), Landtag NRW, Berichte, 1. WP, 9.12.1947, 61.

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Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur spielte. Dem entsprach die Tatsache, dass die Entnazifizierung mit dem Befreiungsgesetz und seinen gerichtsähnlichen Entscheidungspraxen einen starken rechtsstaatlichen Charakter erhielt. 73 Aus dem Ziel der rechtsstaatlichen Sanktionierung ergaben sich allerdings von Beginn an ähnliche Schwierigkeiten wie in Frankreich und in Österreich. Auch die deutsche Opposition im Weltkrieg war davon ausgegangen, dass eine umfassende „Säuberung“ der Gesellschaft nicht möglich sein würde, ohne zumindest das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot zu tangieren. 74 Aber gerade über diese Frage kam es in der Nachkriegszeit zu wiederkehrenden Diskussionen. Dass die Entnazifizierung auch solche Umstände sanktioniere, die zu ihrer Zeit legal gewesen seien, gehörte zu den wiederkehrenden Vorwürfen vor allem an die Adresse der Alliierten. Dasselbe gilt für die im Befreiungsgesetz vorgesehene Beweislastregelung, nach der Betroffene der Klassen I und II selbst zu beweisen hatten, dass sie in eine andere Belastungskategorie gehörten. 75 Dazu kam der Vorwurf, dass im Zuge der politischen Sanktionierung nicht nur Straftaten, sondern „politische Überzeugungen“ bestraft würden – schließlich sah das Befreiungsgesetz, wie gesehen, ausdrücklich vor, die Gesamthaltung der betroffenen Personen zu würdigen. 76 Die Kritik hieran ging bisweilen so weit, die Entnazifizierung selbst mit „Nazimethoden“ gleichzusetzen. 77 Solche Argumente prägten den westdeutschen Diskurs sehr früh. Schon in der politischen Diskussion über das entstehende Befreiungsgesetz kamen demokratiepolitische Vorbehalte zum Ausdruck, insbesondere auf deutscher Seite. Indem die amerikanische Besatzungsmacht die Entnazifizierung fest mit dem Ziel einer Demokratisierung des Landes und seiner Bevölkerung verknüpfte, regte sie auch auf deutscher Seite einen Demokratiediskurs an, der keineswegs mit Kritik zurückhielt. So stellte der von den Amerikanern eingesetzte Ministerpräsident von Groß-Hessen Karl Geiler während der Diskussion des Befreiungsgesetzes im süddeutschen Länderrat im Frühjahr 1946 die Überlegung an, ob es nicht eigentlich „gegen die Grundsätze der Demokratie“ verstoße, wenn Personen aufgrund ihres Einsatzes für eine

73

Vgl. Vollnhals, Einleitung, in: Ders. (Hrsg.), Entnazifizierung, 20.

74

Vgl. Henke, Die Trennung, 27.

75

Befreiungsgesetz, Art.34.

76

Gustav Altenhain (FDP), Landtag NRW, Berichte, 1. WP, 29.4.1948, 373; August-Martin Euler (FDP), Bun-

destag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1330; Eugen Gerstenmaier (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1333. 77

80

Wolfgang Haußmann (FDP), Landtag Württ.-Bad., Verh., WP 1946–1950, Bd. 2, 1.8.1947, 953.

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politische Partei – in diesem Fall die NSDAP – zur Rechenschaft gezogen würden. 78 Für den parteilosen Juraprofessor Geiler widersprach die Sanktionierung ehemaliger NSDAP-Mitglieder allein aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit offensichtlich einem demokratischen Verständnis von freier Meinungsäußerung und freier politischer Betätigung. Geilers Überlegungen, die sich an den Individualrechten der politisch Belasteten orientierten, hielt der württemberg-badische Ministerpräsident Reinhold Maier eine Position entgegen, die die Ausübung demokratischer Rechte an die jeweilige Vergangenheit, die daraus resultierende politische Belastung und nicht zuletzt das Wohlwollen der Gesamtheit band: „Wer sich durch Mitgliedschaft oder noch enger mit der Unmenschlichkeit verbunden hat, hat kein Recht, sich auf ein demokratisches Verfahren zu berufen, er muß warten, bis es ihm gewährt wird.“ 79 Für Maier folgte aus einer NSDAP-Mitgliedschaft also eine politische Belastung, die automatisch den (moralischen) Anspruch auf demokratische Teilhabe beeinträchtigte – ein Argument, das wir bereits aus dem französischen Belastungsdiskurs kennen. 80 Diese stärker gemeinschaftsbezogene Position spielte in der westdeutschen Belastungsdebatte aber eine zunehmend untergeordnete Rolle. Stattdessen tendierte der Diskurs auch in demokratiepolitischer Hinsicht dazu, die Perspektive der politisch Sanktionierten einzunehmen und sich an deren Individualrechten und ihrer Motivlage zu orientieren. Das zeigte sich in einer anderen Debatte, in der sich Belastungs- und Demokratiediskurse berührten. Auch hier spielte der Liberale Reinhold Maier eine wichtige Rolle. Wie oben dargestellt, schloss der französische Belastungsdiskurs ausdrücklich jene Abgeordneten und Senatoren ein, die durch ihre Zustimmung zur Bevollmächtigung Pétains im Sommer 1940 erst die Errichtung des État français möglich gemacht hatten. Sie galten in den Augen des Nachkriegsparlaments durch ihren politischen Irrtum als zu stark kompromittiert, um erneut politische Verantwortung zu übernehmen. Hätte man dieses Prinzip auf die westdeutsche Nachkriegsordnung übertragen, dann hätten liberale Demokraten wie Theodor Heuss und Reinhold Maier, die am 23.März 1933 dem Ermächtigungsgesetz Adolf

78 Franz Geiler (SPD), 6. Tagung des Länderrates des amerikanischen Besatzungsgebietes in München, 5.3.1946, in: Akten zur Vorgeschichte, Bd. I, 332. 79 Reinhold Maier (DVP), 6. Tagung des Länderrates des amerikanischen Besatzungsgebietes in München, 5.3.1946, in: Akten zur Vorgeschichte, Bd. I, 334. 80 Für ähnliche Positionen in der SPD vgl. Rigoll, Staatsschutz, 34.

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Hitlers zugestimmt hatten, ihren beachtlichen Aufstieg zu Bundes- und Ministerpräsidenten nicht vollziehen können. Auch wenn die Entnazifizierungsgesetze die Rolle der ehemaligen Reichstagsabgeordneten ausblendeten, gab es im politischen Diskurs der Nachkriegszeit sehr wohl Forderungen, die „Ja-Sager zum Ermächtigungsgesetz“ zur Rechenschaft zu ziehen. 81 Politiker wie Heuss und Maier mussten sich dazu 1947 vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Württemberg-Baden erklären, der effektiv von dem „Tagesspiegel“-Herausgeber Franz Karl Maier angestoßen worden war. 82 Für den Juristen und Verleger war es nicht gerecht, dass der „einfache“ NS-Mitläufer als politisch belastet galt und Sanktionen ertragen musste, politisch Verantwortliche wie die Reichstagsmitglieder aber nicht. 83 Dass diese im Gegenteil die neue politische Elite bildeten, obwohl sie mit ihrer Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz die Weimarer Demokratie an ihre Feinde ausgeliefert und so den Nationalsozialismus erst ermöglicht hatten, war für Franz Karl Maier und andere Kritiker ein Skandal. 84 Im deutsch-französischen Vergleich ist nicht nur interessant, dass sich die Inkriminierten erfolgreich gegen den Belastungsanwurf wehren konnten, sondern auch, wie sie das taten. Während sich französische Abgeordnete und Senatoren nur vom Verratsvorwurf entlasten konnten, wenn sie Verdienste für die Résistance vorweisen und so ihre patriotische und republikanische Gesinnung durch Handeln beweisen konnten, drehte sich die Verteidigungsstrategie der deutschen Reichstagsmitglieder ganz um ihre demokratischen Motive: Demnach habe die Mehrheit der Deutschen Hitler 1933 ein demokratisches Mandat zur Regierung gegeben. „Die Übertragung der Gesetzgebungsgewalt an die Hitler-Regierung habe letztlich nur diesen Wählerwillen nachvollzogen und somit demokratischen Prinzipien gehorcht“, wie der Historiker Ernst Wolfgang Becker ein zentrales Verteidigungsargument zusammenfasst. 85 Der Untersuchungsausschuss wiederum hob in seinem Bericht hervor, dass „sämtliche zustimmenden Parteien […] möglichst viel von der

81

Alfred Loritz (WAV), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1343.

82

Siehe dazu Ernst Wolfgang Becker, Ermächtigung zum politischen Irrtum. Die Zustimmung zum Er-

mächtigungsgesetz von 1933 und die Erinnerungspolitik im ersten württemberg-badischen Untersuchungsausschuss der Nachkriegszeit. Stuttgart 2001.

82

83

Franz Karl Maier, „Eine traurige Geschichte“, in: Stuttgarter Zeitung, 27.11.1946.

84

Vgl. Becker, Ermächtigung, 10.

85

Vgl. ebd. 14.

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Weimarer Demokratie in eine bessere Zukunft hinüberretten wollten.“ 86 Die Berufung auf demokratische Prinzipien war demnach ein wesentlicher Grund, warum alle Versuche misslangen, die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz als politische Belastung zu bewerten. Stattdessen mussten sich Ankläger wie Franz Karl Maier harsche Kritik gefallen lassen: „[J]ener Maier indes wollte aus der neuen Demokratie alles fernhalten oder entfernt wissen, was durch Fehler, Schwächen, Irrtümer ‚Schuld‘ auf sich geladen habe“, so Eugen Kogon. 87 Die starke Orientierung des westdeutschen Belastungsdiskurses an demokratischen Prinzipien – auch zulasten moralischer Argumente – zeigt sich auch an der Debatte darüber, ob belastete Personen das Recht haben sollten, an Wahlen teilzunehmen. Der Ausschluss vom Wahlrecht gehörte auch in den westdeutschen Besatzungszonen zu den verhängten Sühnemaßnahmen. 88 Es gab aber erhebliche Unterschiede: Im Jahr 1949 konnten „Hauptschuldige“ und „Belastete“ in keinem Land wählen und waren nirgendwo wählbar; für die übrigen Belastungsgruppen aber galten selbst innerhalb der Besatzungszonen unterschiedliche Maßgaben. „Minderbelastete“ und „Mitläufer“ etwa waren im amerikanisch besetzten WürttembergBaden wählbar, im benachbarten Bayern aber nicht. 89 In den Landtagen, aber auch im Parlamentarischen Rat kam es hierüber zu langen und kontroversen Diskussionen. 90 Dabei wurden aus unterschiedlichen Parteien Zweifel angemeldet, ob es überhaupt demokratisch vertretbar sei, Personen aufgrund ihrer NS-Vergangenheit das Wahlrecht vorzuenthalten. Zwar bestand im Parlamentarischen Rat ein weitgehen-

86 Bericht des Untersuchungsausschusses, in: Ernst Wolfgang Becker/Thomas Rösslein (Hrsg.), Politischer Irrtum im Zeugenstand. Der Untersuchungsausschuss des Württemberg-Badischen Landtags zum „Ermächtigungsgesetz“ vom 23.März 1933. Stuttgart 2003, 331–362, Zitat 347. 87 Eugen Kogon, Das Recht auf den Politischen Irrtum, in: Frankfurter Hefte 2/7, 1947, 641–655, 649. 88 Gemäß Befreiungsgesetz für die amerikanische Zone verloren die Angehörigen der ersten beiden Belastungskategorien, „Hauptschuldige“ und „Belastete“, das aktive und passive Wahlrecht sowie das Recht, „sich irgendwie politisch zu betätigen und einer politischen Partei als Mitglied anzugehören“ (Gesetz zur Befreiung, 5.3.1946, Art.15, 16); in der französischen und britischen Zone wurden zunächst NSDAP-Mitglieder in bestimmten Leitungspositionen vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen. Das passive Wahlrecht verloren sogar alle Mitglieder der NSDAP, ehe es seit 1947/48 zu Lockerungen für „Mitläufer“ kam, vgl. Rüdiger Wenzel, Wahlrecht und Wahlausschluß in der Besatzungszeit, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 15/1, 1948, 44–57, dort 48–53. 89 Vgl. Fürstenau, Entnazifizierung, 150. 90 Vgl. Rudolf Billerbeck, Die Abgeordneten der ersten Landtage (1946–1951) und der Nationalsozialismus. Düsseldorf 1971, 165–169.

II . BELASTUNG UND DEMOKRATIE

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der Konsens, dass man die „Garnitur von ehemaligen Nazigrößen“ 91 aus dem ersten Nachkriegsparlament fernhalten müsse. Unter den Müttern und Vätern der Verfassung gab es aber deutliche Skrupel, den „Grundsatz der Gleichheit des Wahlrechts“ einzuschränken. 92 „Uns gefällt diese Klassifizierung des deutschen Volkes an und für sich nicht so gut“, so der CDU-Abgeordnete Finck. 93 Auf sozialdemokratischer Seite dagegen galt es mehrheitlich als legitim, „daß von vornherein diejenigen vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen werden, die wir heute noch nicht wieder im politischen Leben sehen möchten“, wie es der Sozialdemokrat Greve ausdrückte. 94 Zeitweise wurde sogar diskutiert, die Mitglieder der NSDAP mit wenigen Ausnahmen gänzlich vom passiven Wahlrecht auszuschließen. 95 Für Wahlrechtsausschlüsse wurden im Parlamentarischen Rat zwei wesentliche Argumente vorgebracht. Erstens galt es als Gebot des Demokratieschutzes, die Feinde der demokratischen Ordnung aus den Parlamenten fernzuhalten: „Wir sollten aus der Vergangenheit gelernt haben und diese Großzügigkeit, mit der wir den Feinden des Staates gegenübergestanden haben, ablegen“ 96, so der SPD-Vertreter Friedrich Wilhelm Wagner, der 1933 trotz parlamentarischer Immunität als Reichstagsabgeordneter inhaftiert worden war und später emigrierte. 97 Daneben machte Wagner aber auch die Verantwortung der Nationalsozialisten gegenüber der deutschen Nation geltend: Sie seien schuld „an dem Elend, das wir heute haben“, und hätten daher „kein moralisches Recht, hier bereits wieder ihre Stimme in die Waagschale zu

91

Heinz Renner (KPD), 10. Sitzung des Wahlrechtsausschusses, 26.10.1948, in: Deutscher Bundestag/

Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, 14 Bde. Boppard a. Rh. 1975–2009, Bd. 6, 300. 92

Felix Walter (CDU), 16. Sitzung des Hauptausschusses, 6.1.1949, in: Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.),

Parlamentarischer Rat, Bd. 14/1, 919. 93

Albert Finck (CDU), 53. Sitzung des Hauptausschusses, 23.2.1949, in: Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.),

Parlamentarischer Rat, Bd. 14/2, 1719. 94

Otto Heinrich Greve (SPD), 59. Sitzung des Hauptausschusses, 9.5.1949, in: Bundestag/Bundesarchiv

(Hrsg.), Parlamentarischer Rat, Bd. 14/2, 1838. 95

Vgl. 59. Sitzung des Hauptausschusses, 9.5.1949, in: Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Parlamentari-

scher Rat, Bd. 14/2, 1847–1848. 96

Friedrich Wilhelm Wagner (SPD), 59. Sitzung des Hauptausschusses, 9.5.1949, in: Bundestag/Bundes-

archiv (Hrsg.), Parlamentarischer Rat, Bd. 14/2, S.1839. 97

Rudolf Vierhaus/Rudolf Herbst/Bruno Jahn (Hrsg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deut-

schen Bundestages 1949–2002. München 2002, 913.

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werfen. Sie haben Deutschland ins Unglück geführt.“ 98 Gegenüber der Union konnte diese Linie aber nicht durchgesetzt werden. Da sich der Parlamentarische Rat nicht auf eine bundesweite Regelung einigen konnte, beließ man es im Großen und Ganzen bei den in den Ländern und Besatzungszonen geltenden Wahlausschlüssen – mit der Folge, dass ein Großteil der ehemaligen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten bei der ersten Bundestagswahl wieder wahlberechtigt war. 99 Die in der Wahlrechtsdiskussion thematisierte Frage, ob es demokratisch legitim sei, politisch belasteten Personen die Partizipation zu verweigern, weitete sich Ende der 1940er Jahre schließlich zu einer groß angelegten Debatte um das Verhältnis politischer Belastung und politischer Meinungsäußerung in demokratischen Gemeinwesen aus. Nur wenige Jahre nach Beginn der Entnazifizierung setzte sich auch in Westdeutschland die Ansicht durch, dass die grundlegende Vorstellung, politische Sanktionen aufgrund politischer Belastung zu verhängen, an sich illegitim sei. Insbesondere in den Amnestiedebatten des neu gegründeten Deutschen Bundestags spielte das Argument eine große Rolle, dass man genau zwischen juristischer „Schuld“ und „politischer Belastung“ unterscheiden müsse. Während Sanktionen aufgrund strafrechtlicher Gründe als legitim galten, wurden Akte der politischen Sanktionierung grundsätzlich als illegitim und undemokratisch markiert. Das Argument ging von der Vorstellung aus, dass ein Großteil der Entnazifizierten aus „rein politischen Gründen“, d.h. aufgrund ihrer Parteimitgliedschaft, sanktioniert worden sei, ohne eigentlich „schuldig“ zu sein. Die Mitgliedschaft in der NSDAP wurde also nicht mehr als kompromittierender Umstand an sich angesehen, sondern als legitime politische Handlung oder „Meinung“, die in einer Demokratie nicht unterdrückt werden dürfe. Es gelte „die Freiheit der politischen Überzeugung […], gleichgültig ob sie uns paßt oder nicht“, so der Christdemokrat Eugen Gerstenmaier. 100 Die Wirkung dieses Argumentes war weitreichend. Es diskreditierte die Vorstellung, dass aus nationalsozialistischer Betätigung eine Form politischer Belastung erwuchs, die wiederum eine besondere Behandlung legitimierte. Der bayerische Bundestagsabgeordnete Hermann Etzel sprach sogar von einem „Akt der politischen 98 Friedrich Wilhelm Wagner (SPD), 53. Sitzung des Hauptausschusses, 23.2.1949, in: Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Parlamentarischer Rat, Bd. 14/2, 1720f. 99 Vgl. Wahlgesetz zum ersten Bundestag und zur ersten Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland 15.6.1949, in: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland mit Besatzungsstatut und Wahlgesetz. Berlin/München 1949. 100 Eugen Gerstenmaier (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1335.

II . BELASTUNG UND DEMOKRATIE

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Vergeltung“. 101 Für den Juristen Etzel, der 1934 als Direktor der Handwerkskammer für München und Oberbayern zwangspensioniert worden war 102, glich die Entnazifizierung einer „Bestrafung desjenigen, der mit seiner politischen Überzeugung nicht recht behielt. Sie war eine Äußerung des Vergeltungsbedürfnisses, aber keine Angelegenheit der Rechtsprechung und der Moral.“ 103 Wie das Beispiel Etzel zeigt, ging die demokratietheoretische Skepsis keineswegs nur von Personen aus, die selbst eine nationalsozialistische Vergangenheit aufwiesen. Häufig genug waren es sogar ausgewiesene Feinde des Nationalsozialismus, wie zum Beispiel Eugen Gerstenmaier, die sich mit Nachdruck gegen Sanktionen für ehemalige Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten aussprachen. Dabei spielte zwar das Individualrecht des politisch Belasteten als Argument eine zentrale Rolle, aber auch der stärker systembezogene Gedanke der streitbaren Demokratie kam zur Geltung. So fand die Überlegung großen Anklang, dass es sich die neue demokratische Verfassungsordnung in ihrer Suche nach Legitimität nicht leisten könne, einer größeren Gruppe von Personen die staatsbürgerlichen Rechte zu verweigern. 104 Da es auf Dauer nicht demokratisch legitim sei, sie auszugrenzen, müssten sie früher oder später – und besser früh als zu spät – in die demokratische Gemeinschaft zurückgeholt werden, so der Gedanke, den Eugen Kogon schon im Jahr 1947 geäußert hatte: „Man kann sie nur töten oder gewinnen.“ 105 Für Kogon hing der Erfolg der neuen Demokratie sogar ganz wesentlich davon ab, wie gut es gelang, die ehemaligen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten zu integrieren und ihnen so zu „beweisen, daß Demokratie besser ist“. 106 Nur so könne eine „positive Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus“ gelingen. 107

101 Hermann Etzel (Bayernpartei), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1341. 102 Vierhaus/Herbst/Jahn (Hrsg.), Biographisches Handbuch, 193. 103 Hermann Etzel (Bayernpartei), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1341. 104 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, 57. 105 Kogon, Das Recht, 655. 106 Ebd. 107 Ebd.654.

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III. Entlastung und Versöhnung Nationale Amnestiediskurse

1. La France maternelle: Entlastung und Amnestie in Frankreich Wie gesehen, war die demokratiepolitische Kritik an der Ungleichbehandlung „belasteter“ und „unbelasteter“ Personen ein wesentliches Kennzeichen der politischen Belastungsdiskurse in den europäischen Nachkriegsdemokratien. Sie war in hohem Maße geeignet, die am Kriegsende durchgesetzten politischen Sanktionsmaßnahmen zu diskreditieren und den Weg für ihre Revision zu ebnen. In allen drei Untersuchungsländern entfaltete sich daher schon nach kurzer Zeit ein politischer Entlastungsdiskurs, der in letzter Konsequenz nicht nur auf eine Amnestie und Reintegration sanktionierter Personen abzielte, sondern auf die Löschung der Kategorie politische Belastung. In Frankreich hatten es solche Bemühungen noch vergleichsweise schwer. Der französische Epurationsdiskurs der unmittelbaren Nachkriegsjahre hatte sich durch eine relativ harte und kompromisslose Abrechnungshaltung ausgezeichnet. Die Angehörigen der Résistance saßen als Inkarnation des „würdigen“ Frankreichs über die „Unwürdigen“ zu Gericht. Zwar war Kritik aus Résistance-Kreisen und aus dem Parlament an der „extremen Nachsichtigkeit“ der Behörden an der Tagesordnung. 1 Häufige Beschwerden, dass die épuration unvollständig („imparfaite“) bleibe und zu langsam („trop lente“) vonstattengehe 2, zeigt aber vor allem, dass der Abrechnungswille in Teilen der französischen Öffentlichkeit noch weiter ging, als dies in gesetzlichen und rechtsstaatlichen Verfahren umgesetzt werden konnte. 3 Im Ver-

1 Comité départemental de libération Côtes-du-Nord, Schreiben an Charles de Gaulle, 10.8.1945, zit. n. Cointet, Expier Vichy, 416. 2 Daniel Mayer (SFIO), J.O., Débats, suppl., Ass. cons. prov., 3.3.1945 (2.3.1945), 270. 3 Vgl. Novick, Resistance, 189.

HTTPS :// DOI . ORG / 10.1515/ 9783110771602-006

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gleich zu Österreich und Westdeutschland konnten die Rehabilitationsanliegen politisch Belasteter im Nachkriegsfrankreich zunächst wenig verfangen. Wo immer die „épurés“ öffentlich für ihre Anliegen warben, stießen sie auf Empörung in der französischen Öffentlichkeit und Politik. Das zeigte sich beispielsweise im Frühjahr 1947: Nachdem der frühere Résistant André Mutter im Beisein bekannter Vichy-Anhänger eine kritische Rede zur épuration gehalten hatte, erließ die Regierung Ramadier ein Verbot weiterer Veranstaltungen und verwies auf die Gefahr für die öffentliche Ordnung, die von Demonstrationen und Gegendemonstrationen ausgehe. 4 Im Frankreich der unmittelbaren Nachkriegsjahre stand jede Form der Nachsicht unter dem Verdacht, den „coupables“ und „traîtres“ zu weit entgegenzukommen. Dies muss als maßgeblicher Unterschied zum deutschen und österreichischen Fall gesehen werden, wo Nachsicht auch dann geübt wurde, „wenn in dem einen oder andern Falle ein Unwürdiger in den Genuß dieser Bestimmungen kommt.“ 5 In Frankreich dagegen prägte diese Sorge den Diskurs sehr stark. Aus diesem Grund scheiterte im April 1946 auch ein erster Versuch in der französischen Nationalversammlung, eine Reihe von Haftstrafen für kollaborationsbelastete Jugendliche abzumildern. Während sich einzelne Stimmen dahingehend äußerten, dass minderjährige „Schuldige oft auch nur Opfer“ seien 6, hielt es eine Mehrheit der Abgeordneten zu diesem Zeitpunkt noch für einen „unerträglichen Skandal“ 7, die klare Grenze zwischen Tätern und Opfern zu verwischen, wie sie die Résistance gezogen hatte. 8 Diese für den französischen Diskurs typische Konstellation bestand sehr lange und prägte auch noch die Amnestiedebatten der späten 1940er und frühen 1950er Jahre. Dabei hatte der Amnestiegedanke in der französischen Geschichte eine lange Tradition. Mit dem Beginn einer neuen Regierungsform ging häufig eine umfassende Amnestie einher, die Frankreich einen unbelasteten Übergang in eine neue Zeit ermöglichen sollte. Auch die Dritte Republik hatte bereits umfassende politische Amnestien erlassen: für die „communards“ der 1870er Jahre, für die „boulangistes“

4 Vgl. Vincent Auriol, Journal du septennat 1947–1954, 7 vols. Paris 1971–2003, vol. I, 93 (21.2.1947). 5 August-Martin Euler (FDP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1331. 6 Jules Houcke (Républicains indépendants), J.O., Débats, Ass. nat., 13.4.1946 (12.4.1946), 1754f. 7 Léon de Lépervanche (CRADS), J.O., Débats, Ass. nat., 13.4.1946 (12.4.1946), 1755. 8 Die Ausnahmebestimmung für jugendliche Kollaborateurinnen und Kollaborateure fand daher keinen Eingang in das Amnestiegesetz. Stattdessen wurden Kollaborateurinnen und Kollaborateure ausdrücklich von den Amnestiebestimmungen ausgenommen. Loi no46–729 du 16 avril 1946, Art.16.

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der 1890er Jahre sowie nach der Dreyfus-Affäre Anfang des 20.Jahrhunderts. 9 Diese dienten gewöhnlich dazu, die öffentlichen Streitigkeiten zu befrieden und ein „retour à la normale“ zu ermöglichen. 10 Dementsprechend war auch schon während des Krieges vereinzelt die Erwartung geäußert worden, dass schon „in ein oder zwei Jahren“ wieder eine Amnestie zur Debatte stehen werde, so der sozialistische Gewerkschafter, Résistant und Abgeordnete der provisorischen Versammlung Charles Laurent im Januar 1944. 11 Dennoch zeigte sich sehr schnell, dass sich die Debatte in der Nachkriegszeit keineswegs geradlinig auf eine schnelle Rückkehr zur Normalität zubewegte. Trotz der langen Geschichte politischer Amnestien bestanden im Nachkriegsfrankreich erhebliche Skrupel, durch das gesetzmäßige Vergessen zur „Normalität“ zurückzukehren. Dafür wurde das Regime von Vichy als zu deutliche Abkehr vom republikanischen Wertesystem wahrgenommen. 12 Wie schwer es Amnestieforderungen für Kollaborateurinnen und Kollaborateure zunächst hatten, zeigt das Amnestiegesetz, das anlässlich der Wahl Vincent Auriols zum Präsidenten der Republik am 16.Januar 1947 erlassen wurde. Der Tradition folgend, sollte der feierliche Charakter des Ereignisses – die „Wiederherstellung der normalen republikanischen Institutionen“ – mithilfe eines allgemeinen Amnestiegesetzes unterstrichen werden. Ausgenommen blieben aber ausdrücklich Delikte von „besonderem moralischen und sozialem Ausmaß“ („d’une gravité morale ou sociale particulière“), zu denen insbesondere „Angelegenheiten der Kollaboration und der Säuberung“ gezählt wurden. 13 Die Kollaboration wurde damit symbolisch und faktisch aus der Menge der „normalen“ Strafdelikte herausgehoben und als besondere moralische und juristische Belastung markiert. Begründet wurde dies damit, dass es „ungerecht wäre, wenn eine Amnestie, die dazu bestimmt ist, die Wiederbegründung der republikanischen Institutionen zu feiern“, ausgerechnet jenen zugute käme, die „an der Seite des Feindes“ deren Ende verschuldet hatten. 14 Dennoch ebnete die Präsidentschaftsamnestie 1947 einen Weg, der Schritt für

9 Siehe hierzu Gacon, L’amnistie; Gacon, L’amnistie de la collaboration; Stéphane Gacon, L’oubli institutionnel, in: Dimitri Nicolaidis (Ed.), Oublier nos crimes. L’amnésie nationale, une spécificité française? Paris 1994, 98–111. 10 Gacon, L’oubli, 100. 11 Charles Laurent, J.O., Débats, suppl., Ass. cons. prov., 15.1.1944 (11.1.1944), 5. 12 Vgl. Gacon, L’oubli, 101. 13 Edgar Faure (Parti radical), J.O., Débats, Ass. nat., 19.6.1947 (18.6.1947), 2192. 14 Projet de loi portant amnistie, 25.2.1947, zit. n. Gacon, L’amnistie, 220.

III . ENTLASTUNG UND VERSÖHNUNG

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Schritt zur gesetzmäßigen Abwicklung der épuration führen sollte. Sie machte nämlich zwei bedeutende Ausnahmen von der Ausnahme. Das Gesetz amnestierte zum einen eine Gruppe verurteilter Minderjähriger, denen es an „esprit critique“ gemangelt und die sich keiner „activité effective“ schuldig gemacht hatten. 15 Zum anderen wurden Sonderbestimmungen für Algerien und das Elsass erlassen, die den „besonderen Umständen“ Rechnung tragen sollten, denen die beiden peripheren Regionen und ihre Bevölkerungen während des Weltkriegs ausgesetzt waren. 16 Erstmals wurde damit auch im offiziellen Diskurs dem Gedanken Rechnung getragen, dass es neben den „Schuldigen“ auch eine Gruppe von „weniger Schuldigen“ („moins coupables“) gab, deren Verantwortung aufgrund der besonderen Umstände anders zu beurteilen und die entsprechend weniger belastet waren. 17 Insofern reflektieren die beiden Amnestien des Jahres 1947 eine sichtbare Annäherung des französischen an den westdeutschen und österreichischen Belastungsdiskurs. Während sich dieser Prozess also schon in den unmittelbaren Nachkriegsjahren abzeichnete, so wurde er dadurch beschleunigt, dass sich die politischen Kräfteverhältnisse und Konstellationen im Laufe der 1940er Jahre veränderten. Das Ausscheiden der Kommunistischen Partei aus der Regierung Ramadier im Oktober 1947 signalisierte, dass auch in Frankreich die vom Résistance-Erbe getragene Nachkriegskoalition zerbrochen war und der Kalte Krieg begann. Wie sich schnell zeigen sollte, hatte dies sichtbare Konsequenzen für den innenpolitischen Belastungsdiskurs, gelangte doch mit dem Christdemokraten Robert Schuman im November 1947 ein ehemaliges Mitglied der Regierung Pétain ins Ministerpräsidentenamt. Schuman ebnete damit den Weg für andere Politiker mit Vergangenheit im VichyRegime, denen es aufgrund ihrer Résistance-Aktivitäten gelang, in höchste Staatsämter aufzusteigen, so etwa der spätere Staatspräsident René Coty sowie die beiden nachmaligen Ministerpräsidenten Joseph Laniel und Antoine Pinay. 18 Ihr politi15

Edgar Faure (Parti radical), J.O., Débats, Ass. nat., 19.6.1947 (18.6.1947), 2192 ; vgl. Loi no47–1504 du 16

août 1947, Art.23f.; dazu auch Cointet, Expier Vichy, 438. 16

Loi no47–1504 du 16 août 1947, Art.20 ; Loi no47–1622 du 28 août 1947. Letzteres Amnestiegesetz wur-

de als notwendig angesehen, weil das Elsass während des Krieges Teil des Deutschen Reiches gewesen war. 17

Marcel Willard (PCF), J.O., Débats parlamentaires du Conseil de la République, 11.7.1947 (10.7.1947),

958. 18

Vgl. Vinen, Bourgeois Politics, 116 und 130f. Coty war im Jahr 1947 der erste Vertreter der konservati-

ven Rechten ohne nennenswerte Résistance-Vergangenheit, der in der Nachkriegszeit ein Ministeramt übernahm; vgl. Gilles Richard, La renaissance de la droite modérée à la Libération, in: Vingtième Siècle 65, 2000, 59–70, dort 62.

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scher Aufstieg zeigte, dass das Stigma der Vichy-Vergangenheit an Bedeutung verlor. Auf der anderen Seite begann die oppositionelle Kommunistische Partei nun damit, diese Vergangenheit deutlicher als zuvor zu thematisieren und zu skandalisieren. Obwohl Robert Schuman und der PCF-Chef Maurice Thorez noch bis Mai 1947 gemeinsam am Kabinettstisch gesessen hatten, wurde der Christdemokrat bei seiner Wahl zum Regierungschef von den kommunistischen Abgeordneten als „ministre de Pétain“ 19 attackiert und damit zum Symbol einer sich anbahnenden „Entsäuberung“ („desépuration“) erhoben. Der Belastungsdiskurs war damit Teil der politischen Systemkonfrontation geworden. 20 Die Behauptung einer „fascistation“ des Landes gehörte in der Folge zu den zentralen Schlagworten der kommunistischen Opposition, die sich maßgeblich auf die Vichy-Vergangenheit hochrangiger Politiker der Rechten und der Mitte bezog. 21 „Vichyssois! A la porte!“ wurde zur Parole. 22 Die kommunistischen Kampagnen waren nicht ohne Erfolg. Dies zeigte sich Anfang 1953, als der neu ernannte Gesundheitsminister André Boutemy nach nur wenigen Wochen von seinem Amt zurücktreten musste. 23 Dem Rücktritt Boutemys waren mehrere hitzige Parlamentssitzungen vorausgegangen, in denen der ehemalige Präfekt des Vichy-Regimes von linker Seite als „Mörder“ („Tueur“, „Assassin“) und „Hitler“ beschimpft wurde. 24 Ihm wurde zur Last gelegt, als Vichy-Beamter für die Gefangennahme von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, für Operationen gegen Maquis-Angehörige sowie für die Auslieferung von 100000 Gefangenen an die SS

19 Pierre Hervé (PCF), J.O., Débats, Ass. nat., 23.11.1947 (22.11.1947), 5124. 20 Es war der scheidende Ministerpräsident und verdiente Résistant Paul Ramadier (SFIO), der seinen Nachfolger im Amt in Schutz nahm, an seine Festnahme durch die Gestapo erinnerte und seine Rehabilitierung qua „résistance à l’oppresseur et à l’invasion“ begründete. Paul Ramadier (SFIO), J.O., Débats, Ass. nat., 23.11.1947 (22.11.1947), 5124. 21 Vgl. Jean Pronteau (PCF), J.O., Débats, Ass. nat., 23.1.1953 (22.1.1953), 129; Raymond Guyot (PCF), J.O., Débats, Ass. nat., 27.1.1953 (26.1.1953), 369; Jean Pronteau (PCF), J.O., Débats, Ass. nat., 29.1.1953 (28.1.1953), 598. 22 J.O., Débats, Ass. nat., 29.1.1953 (28.1.1953), 597. 23 Siehe dazu Georgette Elgey, La république des illusions 1945–1951. Paris 1993, 635ff.; Jean Garrigues, André Boutemy, une éminence grise de la IVe République, in: Gilles Richard/Jaqueline Sainclivier (Eds.), La recomposition des droites en France à la Libération 1944–1948. Rennes 2004, 355–365; Jean Garrigues, Les scandales de la république. De Panama à Clearstream. Paris 2010; Henry Walter Ehrmann, Organized Business in France. New Jersey 1957, 225f. 24 J.O., Débats, Ass. nat., 29.1.1953 (28.1.1953), 596f.

III . ENTLASTUNG UND VERSÖHNUNG

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verantwortlich zu sein. 25 Die Verteidigungsreden Boutemys und des Ministerpräsidenten René Mayer wiederum, die Boutemys „actes de courage“ zugunsten der Résistance hervorhoben 26, konnten in diesem Fall nicht verfangen, sodass Boutemys Demission unausweichlich wurde. Ein „assassin des patriotes“ 27 auf der Regierungsbank war im Nachkriegsfrankreich als Minister untragbar. Skandale wie der um Boutemy konnten die Reintegration politisch Belasteter aber nicht aufhalten. Dabei versuchte der gemäßigte Flügel der Résistance zwischen der kommunistischen Linken und der kollaborationsbelasteten Rechten zu vermitteln. Als zentrales Schlagwort fungierte die nationale „Versöhnung durch Amnestie“ 28. Nur durch die Beendigung des Ausnahmezustands, so das Argument, könne der De-facto-Bürgerkrieg zwischen den „deux Frances“ beendet werden und die Nation wieder zusammenfinden. 29 Der national-kollektive Gedanke erhielt damit eine neue Funktion im Belastungsdiskurs: Er begründete nicht mehr die politische „Säuberung“ der Gesellschaft von ihren „Verrätern“, sondern deren schrittweise Reintegration. Dem Zentralbegriff des „Verrats“ wurde damit der Zentralbegriff der „Versöhnung“ entgegengestellt. Maßgeblich mitgeprägt wurde dieser nationale Versöhnungsdiskurs durch das christdemokratische Mouvement républicain populaire, dessen Kürzel MRP vom politischen Gegner auch mit „Machine à ramasser les pétainistes“ („Maschine zum Einsammeln von Petainisten“) aufgelöst wurde. 30 Aber auch der sozialistische Staatspräsident Vincent Auriol, der im Juli 1940 als einer von 80 Parlamentariern gegen die Bevollmächtigung Philippe Pétains gestimmt und sich danach dem Widerstand angeschlossen hatte, begründete seine äußerst aktive Begnadigungspolitik Ende der 1940er Jahre mit dem Begriff des „apaisement“ („Beruhigung“): War dieser Begriff am Ende des Weltkriegs noch negativ besetzt gewesen, so versuchte ihm Auriol nun eine positive Wendung zu geben: Das „apaisement“ stehe allen offen, die sich ihrer Schuld bewusst seien und ihren Platz in der „fraternité

25

Jean Pronteau (PCF), J.O., Débats, Ass. nat., 23.1.1953 (22.1.1953), 128ff.

26

René Mayer (Parti radical), ), J.O., Débats, Ass. nat., 23.1.1953 (22.1.1953), 132; André Boutemy, J.O., Dé-

bats, Ass. nat., 29.1.1953 (28.1.1953), 598. 27

Raymond Guyot, J.O., Débats, Ass. nat., 27.1.1953 (26.1.1953), 370f.

28

André Mutter, „Réconciliation par l’amnistie“, in: Paroles Françaises, 6.12.1946; vgl. Richard Vinen, The

Parti Républicain de la Liberté and the Reconstruction of French Conservatism, 1944–51, in: French History 7, 1993, 183–204, dort 198; Bernard, La guerre des droites, 108.

92

29

Vgl. Novick, Resistance, 189.

30

Vgl. Bernard, Inéligibilité et incidents, 278.

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française“ zurückerhalten wollten. 31 Die Begnadigung kollaborationsbelasteter Personen wurde damit in den Dienst der nationalen Aussöhnung gestellt und die Belasteten als Brüder (und Schwestern) innerhalb der „fraternité française“ positioniert. In dieser Debatte spielte nicht zuletzt Charles de Gaulle eine Rolle, der sich gegen Ende der 1940er Jahre in einem erbitterten Propagandakrieg gegen die Vierte Republik und ihre Parteien befand. In dieser Auseinandersetzung nutzte der General die gleichen Schlagworte wie die rechte Amnestiebewegung und verband die Amnestiefrage mit dem Ziel einer Verfassungsreform, die mit dem „régime des partis“ Schluss machen und eine „restauration nationale“ befördern solle. 32 Demnach zeige der Umgang „der Parteien“ mit den „épurés“, dass die Vierte Republik in die Irre ging. 33 Statt Härte und Unnachgiebigkeit sei nun eine „Zeit der Gnade“ („temps de clémence“) 34 gekommen, so der General im Jahr 1949. „Kriminelle“ 35 müssten ihre Strafe erhalten, die „politische Leidenschaft“ („passion politique“) aber dürfe nicht mehr länger den Umgang mit Belasteten bestimmen. 36 De Gaulle ging sogar so weit, die Freilassung Philippe Pétains zu fordern und dessen Verdienste am Vaterland herauszustreichen. 37 Dem Streit der Parteien stellten Teile der gaullistischen Bewegung damit den Entwurf einer „unité nationale“ 38 entgegen, in der de Gaulle und Pétain als „zwei Pfeile im Köcher“ Frankreichs erschienen, wie es de Gaulles Vertrauter Colonel Rémy in einem umstrittenen Zeitungsartikel formulierte. 39 Dass damit auch eine 31 Zit. n. Gacon, L’amnistie, 226. 32 Lucien Lamoureux, Discours, in: Association des Représentents du peuple de la IIIe République (dir.), Banquet des „Mille“ du 14 Mars 1948. Les Discours. Paris 1948, 7–14, dort 12f. 33 Charles de Gaulle, Conférence de la presse tenue au Palais d’Orsay, 16 Mars 1950, in: Ders., Discours et messages. Dans l’attente, Février 1946 – Avril 1958. Paris 1970, 344–358, dort 355f. ; vgl. auch Rousso, Vichy Syndrome, 34f. 34 Charles de Gaulle, Conférence de la presse tenue au Palais d’Orsay, 14 Novembre 1949, in: Ders., Discours et messages. Dans l’attente, Février 1946 – Avril 1958. Paris 1970, 319–332, dort 329. 35 Charles de Gaulle, Conférence de la presse tenue au Palais d’Orsay, 16 Mars 1950, in: Ders., Discours et messages. Dans l’attente, Février 1946 – Avril 1958. Paris 1970, 344–358, dort 355f. 36 Charles de Gaulle, Conférence de la presse tenue au Palais d’Orsay, 29 Mars 1949, in: Ders., Discours et messages. Dans l’attente, Février 1946 – Avril 1958. Paris 1970, 267–281, dort 280f. 37 Charles de Gaulle, Conférence de la presse tenue au Palais d’Orsay, 29 Mars 1949, in: Ders., Discours et messages. Dans l’attente, Février 1946 – Avril 1958. Paris 1970, 267–281, dort 280f. 38 Charles de Gaulle, Conférence de la presse tenue au Palais d’Orsay, 16 Mars 1950, in: Ders., Discours et messages. Dans l’attente, Février 1946 – Avril 1958. Paris 1970, 344–358, dort 355f. 39 Colonel Rémy, „La justice et l’opprobre“, in: Carrefour, 11.4.1950; vgl. auch „La France de juin 1940, écritil, avait à la fois besoin du maréchal Pétain et du général de Gaulle“, Le Monde, 13.4.1950; dazu ausführlich Rousso, Vichy Syndrome, 33ff.

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Entlastung jenes Teils der französischen Bevölkerung einherging, der sich im Krieg für den falschen Pfeil entschieden hatte, war Teil der Strategie. Präsident Auriol notierte im Juni 1949 nicht zu Unrecht in sein Tagebuch, dass de Gaulle die Amnestie als Sprungbrett für seine politische Rückkehr nutzen wolle („Gros tam-tam sur l’amnistie parce que de Gaulle en fait, lui, un tremplin“). 40 Gleich ob aus machtstrategischen oder anderen Gründen: Mit den politischen Verschiebungen der späten 1940er Jahre begann sich die Struktur des französischen Belastungsdiskurses zu verändern. Nun trat auch in Frankreich eine bis dahin nur am Rande relevante Diskursfigur in den Vordergrund, die aus den westdeutschen und österreichischen Debatten längst bekannt war: Die Figur des „Getäuschten“ („trompé“) und „Irregeleiteten“ („égaré“). Hatte es sich beim französischen Belastungsdiskurs bis dahin im Großen und Ganzen um einen Sanktionierungsdiskurs gehandelt, in dem es um die gerechte Bestrafung der „traîtres“ ging, so rückten nun immer deutlicher Momente der Entlastung in den Vordergrund. Ganz so wie in Österreich und der Bundesrepublik betonte nun auch das französische Pro-Amnestie-Lager die Notwendigkeit, die „Kriminellen“ – d.h. Folterer, Mörder, Denunzianten und politisch Verantwortliche – von jenen zu unterscheiden, die „guten Willens“ und leichtgläubig gewesen waren, aber durch Pétain und seine Gefolgsleute „schwer getäuscht“ worden waren. 41 Wer zu den „trompés“ und „égarés“ gezählt wurde, wer sich irrtümlicherweise dem Feind angedient hatte – aus falsch verstandenem Autoritätsglauben oder fehlgeleiteter Vaterlandsliebe –, der verdiente es, milder behandelt zu werden, so die Logik. 42 In diesem Diskurs blieb der „Patriotismus“ die oberste Richtschnur zur Zurechnung politischer Belastung, aber auch zur Anrechnung entlastender Umstände. Die diskursive Opposition des „guten“ und „schlechten“ Frankreich transformierte sich in den Gegensatz zwischen „Schlechten“ und „Gutmeinenden“ („mauvais Français“ vs. „hommes de bonne volonté“). 43

40

Vincent Auriol, Journal du Septennat III: 1949, 276 (30.6.1949).

41

Charles de Gaulle, Conférence de la presse tenue au Palais d’Orsay, 16 Mars 1950, in : Ders., Discours et

messages. Dans l’attente, Février 1946 – Avril 1958. Paris 1970, 344–358, dort 355f. 42

Jean Bruller (alias „Vercors“) schlug sogar ein feierliches Schuldeingeständnis für Verurteilte als Bedin-

gung dafür vor, amnestiert zu werden: Wer seine Fehler einsah, konnte entlastet werden, so die Logik, Vercors, „Que ceux qui se sont trompés reconnaissent d’abord solennelement leurs erreurs“, in: Combat, 28.4.1949. 43

René Floriot, „L’opinion publique est dans sa grande majorité favorable à l’amnistie“, in: Combat,

27.4.1949.

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Ins Zentrum des Diskurses traten damit auch in Frankreich jene Zwischengruppen, die als „lampistes“ und „moins coupables“ bezeichnet wurden: Hatte die épuration sie im Grunde zum „schlechten“ Frankreich gezählt, so wurden nun „mildernde Umstände“ angeführt, die ihre „Verfehlungen“ entschuldigten und ihren Platz auf der Seite des „guten“ Frankreich sicherten. Damit einher ging eine diskursive Tendenz, die politisch Sanktionierten zunehmend als Opfer darzustellen. Insbesondere die Lobbyorganisationen und die Parteien der Rechten erinnerten an die „Tausenden von Unschuldigen“ („milliers d’innocents“) in den Gefängnissen. Diese wurden zu „nouveaux Dreyfus“ stilisiert und der Kampf für ihre „réhabilitation“ damit in die Tradition des republikanischen Kampfes für die Schwachen und Diskriminierten gestellt. 44 In diesem Diskurs galt die épuration auch nicht mehr als Ausdruck des Patriotismus, sondern im Gegenteil als „neuer Terror“ („nouvelle terreur“) einer „ausländischen Partei“ („parti de l’étranger“) . 45 Gemeint war die Kommunistische Partei, die damit zur Vertreterin einer falschen, verbrecherischen und unfranzösischen Résistance deklariert wurde. Große Aufmerksamkeit erhielt ein Buch des katholischen Abbé Desgranges: „Les Crimes masqués du résistantialisme.“ 46 Auch im Parlament fand seit Ende der 1940er Jahre die „schwarze Legende“ Verbreitung, der kommunistisch unterwanderte Widerstand habe mehr als 100000 Todesopfer gefordert, die meisten davon „unschuldige Opfer“. 47 Aber auch nichtkommunistische Angehörige der Résistance wie Rémy Roure sahen sich Ende der 1940er Jahre gezwungen, sich von „den Exzessen, die im Namen des Widerstands geschehen sind“, zu distanzieren. 48 Zu oft seien die Schuldigen zu milde und die weniger Schuldigen zu hart bestraft worden, so Roure in der Zeitung „Le Monde“. 49 In diesem Diskurs wurde die Auseinandersetzung mit politisch Belasteten am Kriegsende rückblickend nicht mehr mit Befreiung assoziiert, sondern mit

44 Vgl. Cointet, Banquet des Mille, 328. 45 Vgl. Gacon, L’amnistie, 189 und 193. 46 Jean Desgranges, Les crimes masqués du résistantialisme. Paris 1948. 47 Roger de Saivre, J.O., Débats, Ass. nat., 22.10.1952 (21.10.1952), 4252. Zur „schwarzen Legende“ vgl. Novick, Resistance, 202–208; Rousso, L’épuration, 201–205. 48 Rémy Roure, „Un ‚Comité d’action‘“, in: Le Monde, 12.4.1948. 49 Rémy Roure, „La raison et la pitié“, in: Le Monde, 5.5.1948.

III . ENTLASTUNG UND VERSÖHNUNG

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Chaos, Unordnung und Unrecht. 50 Der Résistance-Schriftsteller Jean Paulhan sah im politischen Klima der Nachkriegszeit ein Bürgerkriegsszenario, in dem die „Roten“ nun Rache an den „Weißen“ nahmen und die épuration als Vorwand für ihre politische Abrechnung benutzten. 51 Wie sehr die öffentliche Meinung in diese Richtung gerückt war, zeigt eine Artikelserie in der Résistance-Zeitung Combat im April und Mai 1949. Unter dem Titel „Clémence ou Réhabilitation“ ließ die Zeitung täglich unterschiedliche Stimmen zur Amnestiefrage zu Wort kommen – mit dem erklärten Ziel, die öffentliche Meinung hierzu möglichst umfassend abzubilden. Gemeinsam waren fast allen Artikeln zwei Feststellungen. Erstens sei die öffentliche Meinung überwiegend zugunsten einer Amnestie. 52 Und zweitens sei in vielen Fällen tatsächlich eine Revision der Strafen angebracht. Es brauchte eine „Anpassung der Strafe an die Schuld“, so die Losung. 53 In diesem Kontext ist auch das Amnestiegesetz zu sehen, das die französische Nationalversammlung am 4.Dezember 1950 – ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl – mit einer Mehrheit von 336 zu 263 Stimmen verabschiedete. Das Gesetz trug dem Gedanken Rechnung, dass die Kollaboration sehr unterschiedlich schwerwiegende Vergehen umfasste, die einen differenzierteren Umgang erforderten. Es sollten „certaines nuances“ zur Geltung kommen, die bis dahin nach Auffassung der Amnestiebefürworter zu kurz gekommen waren. 54 Entsprechend waren von dem Gesetz etwa 50000 Personen betroffen, die mit einer Strafe von weniger als 15 Jahren der „dégradation nationale“ verurteilt worden waren oder die sich durch Dienste für die Résistance ausgezeichnet hatten. 55 Ausgenommen blieben solche Verurteilten, die „per-

50

Vgl. Emma Kathryn Kuby, Between Humanism and Terror. The Problem of Political Violence in Post-

war France. Ithaca, NY 2011, 156f. 51

Jean Paulhan, De la paille et du grain. Paris 1948, 111f.; vgl. Michael Syrotinski, Some Wheat and Some

Chaff. Jean Paulhan and the Post-War Literary Purge in France, in: Studies in Twentieth Century Literature 16/2, 1992, 247–263. 52

René Floriot, „L’opinion publique est dans sa grande majorité favorable à l’amnistie“, in: Combat,

27.4.1949. 53

Jean-Paul David, „Un large apaisement est nécessaire“, in: Combat, 26.4.1949.

54

Joannès Charpin (MRP), J.O., Débats, Ass. nat., 25.10.1950 (24.10.1950), 7103.

55

Vgl. Gacon, L’amnistie de la collaboration, 471. Daneben gab es erneut Sonderamnestien für einzelne

Gruppen wie Minderjährige, Kriegsgeschädigte, nordafrikanische Soldaten sowie die elsässischen „malgrés nous“, womit den besonderen Umständen dieser Personengruppen Rechnung getragen werden sollte. Loi no51–18 du 5 janvier 1951 portant amnistie, instituant un régime de libération anticipée, limitant les effets de la dégradation nationale et réprimant les activités antinationales.

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sönlich und auf eigene Initiative hin antinationale Taten und Kriegsverbrechen begangen“ hatten, sowie alle durch die Haute Cour Verurteilten, die auch weiterhin als besonders belastet angesehen wurden. 56 Es dauerte aber auch in Frankreich nicht lange, bis auch diese Personen in den Genuss einer Amnestie kamen. Nachdem die Parlamentswahl 1951 zu einer weiteren Kräfteverschiebung nach rechts geführt hatte, ging es darum, die diversen Wahlkampfversprechen an die Adresse der „épurés“ einzulösen. 57 Dies geschah schließlich mit dem Amnestiegesetz vom August 1953. Das Gesetz strich die „dégradation nationale“ und amnestierte alle Kollaborationsstrafen von weniger als 5 Jahren. Strafen von bis zu 15 Jahren konnten auf Antrag erlassen werden. 58 Bis September 1956 sank dadurch die Zahl der aufgrund der épuration inhaftierten Personen auf 62. 59 Indem die hoch umstrittenen Unwählbarkeitsbestimmungen gestrichen wurden, waren auf einen Schlag rund 400 Mandatsträger der Dritten Republik sowie Personen mit belasteter Vergangenheit im Vichy-Regime wieder wählbar. 60 Dazu gehörten auch erklärte Feinde der Dritten Republik wie Jean-Louis Tixier-Vignancour, unter Vichy stellvertretender Generalsekretär im Propagandaapparat, der nun 1956 Mitglied der Nationalversammlung wurde und sich 1965 um die Präsidentschaft bewarb. 61 Mit einer kurzfristig erlassenen Sonderamnestie wurden 1953 zudem elsässische Angehörige der Waffen-SS amnestiert, die 1944 am Massaker in Oradour-surGlane teilgenommen hatten. Dem waren heftige Proteste und Unruhen im Elsass vorausgegangen, wo gegen 13 Elsässer Anklage erhoben worden war. 62 Es zeigte sich auch hierin, dass sich die öffentliche Meinung zumindest in Teilen Frankreichs gedreht hatte und dass eine Mehrheit der Parlamentsmitglieder bereit war, dem Rechnung zu tragen. Allerdings waren die Amnestiegesetze der Jahre 1951–1953 keineswegs Ausdruck eines allgemeinen politischen Konsenses. Stattdessen blieb der französische 56 Loi no51–18 du 5 janvier 1951, Art.12 und 13. 57 Vgl. Gacon, L’amnistie, 237. 58 Loi no 53–581 du 6 août 1953, Art.2–11. 59 Vgl. Cointet, Expier Vichy, 467f. 60 Loi no 53–581 du 6 août 1953, Art.19; vgl. Gacon, L’amnistie de la collaboration, 472. 61 Vgl. Bernard, La guerre des droites, 111f. 62 Vgl. Arnd Bauerkämper, Das umstrittene Gedächtnis. Erinnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945. Paderborn 2012, 229; Loi no53–112 du 20 février 1953 portant amnistie en faveur des Français incorporés de force dans les formations militaires ennemies, in: J.O., Lois et décrets, 21.2.1953, 1747.

III . ENTLASTUNG UND VERSÖHNUNG

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Belastungsdiskurs von deutlichen Friktionen und Polarisierungen geprägt. Das hatte vor allem damit zu tun, dass das Amnestieprojekt in einem Spannungsverhältnis zur maßgeblichen Quelle nationalen Selbstbewusstseins stand: der Résistance. Insbesondere die starke kommunistische Linke sah in jeglichen Amnestieplänen einen Verrat am Widerstand und eine „Beleidigung aller Mütter, Witwen und Waisen, deren Fürsorge uns von unseren Kameraden im Kampf und im Leiden anvertraut worden ist“, so die kommunistische Abgeordnete Marie-Claude Vaillant-Couturier, die als ehemalige Gefangene in Auschwitz besondere moralische Autorität in die Waagschalte werfen konnte. 63 Ganz anders als in Österreich und auch anders als in der Bundesrepublik lehnte die Französische Kommunistische Partei jegliche Amnestiebemühungen ab. Aber auch auf der Gegenseite hielt sich die Befürchtung, dass eine wie auch immer geartete Amnestie als Angriff auf die Résistance und als Rehabilitierung der Kollaboration (miss)verstanden werden könnte. 64 Um diesem Eindruck entgegenzuwirken, unterstrich Artikel 1 des Amnestiegesetzes von 1953 ausdrücklich die Dankbarkeit der Nation gegenüber der Résistance: Die Amnestie sei weder Rehabilitierung noch Rache und auch keine Kritik an jenen, „die im Namen der Nation die schwere Aufgabe übernahmen, zu urteilen und zu bestrafen.“ 65 Zugleich legte das Pro-Amnestie-Lager großen Wert darauf, dass es um ein „pardon“, aber nicht um eine „apologie“ für die Belasteten der Kollaboration gehen solle. 66 Im Gegenteil: Wer Kriegsverbrechen oder Kollaboration entschuldigte, wurde im Amnestiegesetz 1951 mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bedroht. 67 Der französische Gesetzgeber machte zudem unmissverständlich klar, dass aus den Amnestien kein Anspruch auf Wiedereingliederung in den öffentlichen Dienst folgte. 68 Die Sozialistische Partei versuchte sogar, wenn auch erfolglos, eine Reintegration amnestierter Personen in den Staatsdienst generell auszuschließen, weil sie das Vaterland aus unpatriotischem Eigeninteresse verraten hatten („qui ont trahi la patrie […] parce qu’ils soignaient leurs propres intérêts du moment“), so der Abge-

63

Marie-Claude Vaillant-Couturier (PCF), J.O., Débats, Ass. nat., 25.10.1950 (24.10.1950), 7108.

64

C.B., „La France gaspille des énergies utiles“, in: Combat, 21.4.1949.

65

Loi no53–681 du 6 août 1953, Art.1.

66

Vincent de Moro-Giafferri (Parti radical), J.O., Débats, Ass. nat., 25.10.1950 (24.10.1950), 7110; vgl. Cointet,

Expier Vichy, 440f.

98

67

Loi no51–18 du 5 janvier 1951, Art.27; vgl. Cointet, Expier Vichy, 463.

68

Loi no51–18 du 5 janvier 1951, Art.16.

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ordnete Le Coutaller im November 1950. 69 Zwar wurden die öffentlich Bediensteten, die von der „épuration administrative“ betroffen waren, mit dem Amnestiegesetz 1953 schließlich kollektiv von ihren Sanktionen befreit. Sie erhielten damit acht Jahre nach Beginn der épuration Anrecht auf eine anteilige Pensionszahlung. Im Gesetz wurde aber ausdrücklich festgehalten, dass die Amnestie kein Anrecht schuf, die Beamtenlaufbahn wieder aufzunehmen („Elle ne donne lieu en aucun cas à reconstitution de carrière“). 70 Ein französisches „131er“-Gesetz gab es nicht. Hinter all diesen Festlegungen stand eine größere Symbolik: Dass sich die Vierte Republik nur wenige Jahre nach Kriegsende bereit zeigte, den Belasteten der Kollaboration und des Vichy-Regimes gegenüber Gnade walten zu lassen, sollte nicht mit einem moralischen oder juristischen Anspruch darauf verwechselt werden: Nicht die Belastung wurde getilgt, sondern ihre rechtliche Folge aufgehoben. 71 Zum einen entsprach dies dem französischen Verständnis politischer Amnestie, die zwar ein Versprechen des Vergessens abgab („on oublie tout“), aber kein moralisches „pardon“ oder eine „réhabilitation“ aussprach. 72 Zum anderen liegt hierin ein maßgeblicher Unterschied zu Westdeutschland und Österreich, wo vielen Akteuren, wie noch eingehender zu zeigen sein wird, bereits der Gedanke politischer Belastung als illegitime Diskriminierung galt. Die Amnestie gab also keinem vermeintlichen Anspruch der politisch Belasteten auf Entlastung und Reintegration nach, sondern wurde als freiwilliger Akt der „générosité 73 der Gerechten gegenüber den Fehlgegangenen kommuniziert. Dass letzteren nun erlaubt wurde, „in die nationale Gemeinschaft zurückzukehren“ 74, wurde auf diese Weise als patriotischer Akt der Größe inszeniert und sollte die Nation – repräsentiert durch die Résistance – symbolisch über ihre Feinde erheben statt beide gleichzusetzen: „Das mütterliche Frankreich“ ließ seine Kinder – auch jene, die verloren gegangen sind – in den Schoß der Nation

69 Jean Le Coutaller (SFIO), J.O., Débats, Ass. nat., 29.11.1950 (28.11.1950), 8216. 70 Loi no 53–581 du 6 août 1953, Art.41; vgl. Gacon, L’amnistie de la collaboration, 472. 71 Vincent Auriol, Journal du Septennat II: 1948, 509 (2.11.1948). 72 Vgl. Gacon, L’oubli, 100. 73 Joannès Charpin (MRP), J.O., Débats, Ass. nat., 25.10.1950 (24.10.1950), 7102; Maurice Guérin (MRP), J.O., Débats, Ass. nat., 3.11.1950 (2.11.1950), 7387. 74 Proposition de loi tendant à amnistier certaines condamnations, 1.7.1949, J.O. „Documents“, 1949, Annexe No7734, 1278.

III . ENTLASTUNG UND VERSÖHNUNG

99

zurückkehren („la France maternelle, entourée de périls, ne refuse pas à ses enfants, même à ceux qui ont été égarés, le droit de rentrer au foyer de la nation“). 75

2. Befriedungsaktion: Entlastung und Amnestie in Österreich Während sich die binäre Logik des französischen Belastungsdiskurses – zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Frankreich – also erst im Laufe der 1940er abschwächte und verwandelte, in Grundstrukturen aber bestehen blieb, so offenbart der Diskurs in den deutschsprachigen Untersuchungsländern von Beginn an eine andere Struktur. Der Leitgedanke der französischen épuration ging im Grunde von jenen Fällen aus, in denen Personen parteiübergreifend als diskreditiert und sanktionswürdig angesehen wurden. Abweichungen konnte es geben, die klare Unterscheidung zwischen „Patrioten“ und „Verrätern“ war aber die gedachte Norm. Im Gegensatz dazu fungierte als archimedischer Punkt des deutschsprachigen Diskurses die Figur des „Mitläufers“ bzw. des „Minderbelasteten“ 76. Von diesen – in Österreich weitgehend synonym benutzten – Begriffen ging von Beginn an eine auf Entlastung zielende Wirkung aus, waren die hervorstechenden semantischen Eigenschaften doch, dass der „Mitläufer“ (nur) mitgelaufen war und dass die „Minderbelasteten“ eben weniger belastet waren. Für die zentrale Rolle des „Mitläufers“ im österreichischen Belastungsdiskurs lassen sich mehrere Gründe anführen. Erstens war in Österreich, ganz anders als in Frankreich, schon am Kriegsende innerhalb der Regierungsparteien die Einschätzung vorherrschend, dass die allgemeine Volksstimmung einer zu harten Bestrafung der ehemaligen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten entgegenstehe. Angesichts der großen Zahl ehemaliger NS-Angehöriger kann diese Einschätzung nicht leicht von der Hand gewiesen werden. Zwar wurde eine Abrechnung mit den „Naziführern“ allgemein befürwortet. Staatskanzler Renner machte aber Sympathien in der Bevölkerung für die „kleinen Nazi“ geltend und sah in deren zu harter Behandlung die „Quelle einer öffentlichen Beunruhigung, gegen die wir vorbauen müßten“. 77 Wurde die Volksmeinung im französischen Diskurs also gerade am

75

100

Louis Rollin (PRL), J.O., Débats, Ass. nat., 25.10.1950 (24.10.1950), 7109.

76

In Österreich wurden beide Kategorien häufig synonym oder nahezu synonym verwendet.

77

Karl Renner (SPÖ), Kabinettsrat, 29.8.1945, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 2, 389. Auch SPÖ-

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Kriegsende in Stellung gebracht, um eine zu milde Politik gegenüber Kollaborationsbelasteten zu kritisieren und ein hartes Durchgreifen zu befürworten, so galt in Österreich das Gegenteil: Das Volk werde eine zu harte Haltung gegenüber dem Gros der früheren Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten nicht mittragen, so die Einschätzung. Auch die Kommunistische Partei – in Frankreich eine wesentliche Triebkraft für ein hartes Vorgehen – legte in Österreich großen Wert darauf, die „kleinen Mitläufer“ vor zu harten Maßnahmen zu schützen, und war bereit, „den Verrat an Österreich bei diesen kleinen Leuten nachzusehen“, so der kommunistische Unterstaatssekretär Karl Altmann im September 1945. 78 Dahinter standen zweitens historische Erfahrungen. Aus Sicht der politischen Nachkriegseliten war die Erste Republik der Zwischenkriegszeit vor allem an den Gegensätzen und Spannungen zwischen den drei politischen Großgruppen des Landes gescheitert – dem marxistischen, dem katholischen und dem großdeutschen „Lager“. Auch der „Ständestaat“ hatte sich als zu konfrontativ erwiesen, um das Land zu stabilisieren. Wollte das neue Österreich also überleben, musste ein nationaler Ausgleich durch Integration aller gesellschaftlichen Gruppen gefunden werden, so die hegemoniale Vorstellung. Versöhnung und Toleranz galten als überlebensnotwendige Grundlagen des neuen demokratischen und unabhängigen Österreich. 79 Die Vorstellung, dass NSDAP-Mitglieder ein eigenes gesellschaftliches Lager (das der „Großdeutschen“) repräsentierten, stand ihrer dauerhaften Marginalisierung entgegen. Ihre Integration dagegen wurde als Mittel angesehen, um die Nation zusammenzuführen und die politischen Gräben der Zwischenkriegszeit zuzuschütten. Innenminister Helmer sprach daher schon im Januar 1946 von einem „feierlichen Akt der Versöhnung“, um die „Nazifrage […] endlich von der Tagesordnung“ nehmen zu können. 80 Aus der „Reinigung“ der österreichischen Gesellschaft wurde so die „Bereinigung des Naziproblems“. 81 Drittens schließlich kam den „kleinen Nazi“ eine integrale Rolle im Prozess des österreichischen nation building zu. In der österreichischen Opfergemeinschaft der Nachkriegszeit war ihnen von Anfang an ein symbolischer Platz zugewiesen. Dass Chef Adolf Schärf machte Anfang 1946 ein „Bedürfnis“ in der Bevölkerung aus, „die kleinen Nazi laufen zu lassen“, Ministerratsprotokoll, 5.2.1946, in: Enderle-Burcel/ Jeřábek (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 159. 78 Karl Altmann (KPÖ), zit. n. Mizuno, Länderkonferenzen, 243. 79 Vgl. Blänsdorf, Konfrontation, 5. 80 Oskar Helmer (SPÖ), Ministerrat, 29.1.1946, in: Enderle-Burcel/Jeřábek (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 111. 81 Alfred Migsch (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 6.2.1947, 1213.

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die „bloßen Nazi-Mitläufer“ „schwer heimgesucht“ seien, bedauerte Staatskanzler Renner schon im August 1945. 82 Als wesentliches Entlastungsmotiv galt dabei die Schwäche der Minderbelasteten, die im Diskurs weniger als Manko denn als Entschuldigung aufschien: Wer nur „aus Charakterschwäche, aus Mißverständnis und infolge der Propaganda schwach geworden“ 83 war und „keine Blutschuld auf sich geladen“ 84 hatte, wurde entsprechend in Schutz genommen und moralisch aufgewertet. Der Opportunismus der „Mitläufer“ erschien teilweise sogar als wertvolle Ressource für das neu zu bildende Österreich: Wer tatsächlich nicht aus Überzeugung, sondern aus eigennützigem „Mitläufertum“ in die NSDAP eingetreten war, so die Überlegung, hatte wohl auch kein Problem damit, sich nach 1945 ebenso eigennützig zur unabhängigen Republik Österreich zu bekennen, „am besten durch eine Mitgliedschaft bei einer der beiden Regierungsparteien“, so Dieter Stiefel. 85 Die moralische Aufwertung ging so weit, dass vereinzelt von den „guten Nazi“ die Rede war, die für Österreich gewonnen werden sollten. 86 Damit verbunden war die Unterstellung, ehemalige NSDAP-Mitglieder hätten aus guten, mindestens aber harmlosen Motiven heraus gehandelt – oder solchen, die man dafür hielt. So behauptete Staatskanzler Renner im August 1945, die große Mehrheit des Landes habe beim „Anschluß an die Nazis gar nicht weittragende Absichten gehabt […], höchstens, daß man den Juden etwas tut.“ 87 Aus diesen Zusammenhängen wird deutlich, dass der „Mitläufer“ und „Minderbelastete“ im österreichischen Nationsdiskurs eine zentrale Rolle als Identifikationsfigur und Projektionsfläche nationaler Selbstbilder spielte: Wie die Nation Österreich war auch er teils „verführt“, teils „gegen seinen Willen“ zum Nazi geworden und hatte sich versündigt. Wenn er nun als schwaches „Opfer“ identifiziert wurde, dann sprach das auch die Nation von ihrer Verantwortung frei: „Es ist nicht unsere Aufgabe, für die Schuldigen an diesem Verbrechen zu sprechen, unsre Aufgabe ist es für die zu sprechen, die durch ihre formale Zugehörigkeit in den Kreis und in den Strudel der Vergeltung gezogen worden sind“, so der SPÖ-Abgeordnete Zechtl

102

82

Karl Renner (SPÖ), Kabinettsrat, 29.8.1945, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 2, 387–388.

83

Ernst Fischer (KPÖ), Kabinettsrat, 19./20.6.1945, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 267.

84

Josef Gerö (parteilos), Kabinettsrat, 19./20.6.1945, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 272.

85

Stiefel, Forschungen, 48.

86

Josef Gerö (parteilos), Kabinettsrat, 19./20.6.1945, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 272.

87

Karl Renner (SPÖ), Kabinettsrat, 29.8.1945, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 2, 388.

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im österreichischen Nationalrat. 88 Entsprechend erhoben es die Wiener Regierungsparteien schon bei Kriegende zum ausdrücklichen Ziel ihres Handelns, „die große Masse der Nationalsozialisten doch in einer milderen Form zu behandeln“. 89 Um dies zu erreichen, brachte Leopold Figl, der konservative Nachfolger Renners im Kanzleramt, schon im Januar 1946 die Idee einer Amnestie für Registrierungspflichtige ins Spiel, die „nicht belastet“ (!) seien. 90 Da man dies gegen die Alliierten für schwer durchzusetzen hielt, strebte die Regierung seit Frühjahr 1946 eine möglichst umfassende Reform des Verbotsgesetzes an, die den Gedanken der „Minderbelastung“ auch formal in Gesetzesform gießen sollte. 91 Dies geschah im „Nationalsozialistengesetz“ vom 6.Februar 1947. Als „belastet“ galten nun nur noch Personen, die innerhalb der NS-Organisationen eine politische Funktion übernommen hatten. 92 Der Rest war „minderbelastet“. Dass weder der „Belastete“ noch der „Minderbelastete“ mit einer „Strafe“, sondern mit einer „Sühne“ belegt wurde, sollte besonders hervorheben, dass er sich „durch gewisse Opfer […] seinen Anspruch, wieder vollwertiger Bürger der Republik zu werden, erwerben soll“. 93 Den ehemaligen NSDAP-Mitgliedern wurde damit ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, durch Tragen der Sühnefolgen – Gehalts- und Pensionskürzungen, Steuer- und Vermögensabgaben – ihre „Schuld zu tilgen“. 94 Entsprechend gingen die „Minderbelasteten“ nach Zahlung einer einmaligen Sühneabgabe frei, konnten „bei Bedarf“ und „nach besonderer Prüfung ihres politischen Verhaltens vor dem 27.April 1945“ auch wieder in den öffentlichen Dienst zurückkehren und erhielten zur Nationalratswahl 1949 ihr Wahlrecht zurück. Für „Belastete“ dagegen blieben härtere Berufsverbote, der Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst sowie vom aktiven und passiven Wahlrecht bestehen. 95

88 Rupert Zechtl (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 18.2.1948, 2183. 89 Franz Honner (ÖVP), Kabinettsrat, 19./20.6.1945, in: Enderle-Burcel (Hrsg.), Protokolle, Bd. 1, 268. 90 Leopold Figl (ÖVP), Vortrag vor dem Ministerrat, 28.1.1946, 80, Beilage zum Ministerratsprotokoll vom 29.1.1946, Archiv der Republik, Bundeskanzleramt, Ministerratsprotokolle, 2. Republik Figl I, Karton 5. 91 Vgl. „Grundsätze der Entnazifizierung“, in: Neues Österreich, 30.3.1946. 92 „Belastete“ waren demnach u.a. Hoheitsträger der NSDAP vom Zellenleiter aufwärts; Angehörige der SS, der Gestapo und des SD; SA-, NSKK- und NSFK-Angehörige vom Untersturmführer aufwärts; vgl. Ver-

botsgesetz 1947, Art. IV. 93 „Gerechte Lösung der Nazifrage“, Arbeiter-Zeitung, 3.4.1946. 94 Karl Aichhorn (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 24.7.1946, 591. 95 Nationalsozialistengesetz 1947, Punkt 14f.; vgl. auch Stiefel, Entnazifizierung, 103f.

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Dass die Gesetzesnovelle in dieser Form Züge einer „halben Amnestierung“ 96 trug, führte zu einigem Unbehagen auf Seiten der Alliierten, die daher zunächst ein Veto eingelegt und einige Nachbesserungen durchgesetzt hatten, ehe das Gesetz schließlich in Kraft treten konnte. 97 Die österreichischen Parteien wiederum reagierten auf die geforderten Verschärfungen mit Wut und Enttäuschung. Sie sahen sich von den Alliierten massiv unter Druck gesetzt, die geforderten Verschärfungen vorzunehmen, um das Ziel eines Staatsvertrages nicht zu gefährden. 98 Auf österreichischer Seite hatte schon zuvor ein Bewusstsein dafür bestanden, dass ein „Junktim“ zwischen der „Lösung der Nazifrage“ und dem „Abzug der Besatzungstruppen“ bestand. 99 Um der „vollen Souveränität Österreichs“ willen sah man sich gezwungen, „kleinere Härten gegenüber einer Kategorie von Menschen“ hinzunehmen, wie es der sozialistische Abgeordnete Eibegger ausdrückte, der die nationalsozialistische Zeit in Gestapo-Haft verbracht hatte. 100 Nun aber fürchtete man, dass mit den Verschärfungen das eigentliche Ziel der Gesetzesreform, die „Rückführung der Mitläufer, Verführten und Minderbelasteten in die demokratische Volks- und Staatsgemeinschaft“, nicht erreicht werden könne. 101 Die erhoffte „rasche Erledigung und Bereinigung des Naziproblems“ sei dadurch nicht mehr möglich. 102 Auch verwiesen österreichische Abgeordnete auf die Entwicklungen in Deutschland. So zeigte sich der SPÖ-Abgeordnete Migsch in der Nationalratssitzung vom 6.Februar 1947 geradezu empört, dass in deutschen Ländern bereits vor Österreich Jugendamnestien ausgesprochen worden seien: „den Jugendlichen in Österreich wird verwehrt, was den Jugendlichen in Deutschland gewährt wird!“ 103 Wenn der Täternation der Deut-

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Stiefel, Entnazifizierung, 104.

97

Ebd.105–111. Die Verschärfungen betrafen insbesondere den Einbezug Gestapo- und SD-Angehöri-

gen in den Kreis der registrierungspflichtigen Personen oder die Wiedereinführung einer Vermögenssperre bis zur Bezahlung der Sühneabgabe. 98

Adolf Schärf (SPÖ), Ministerrat, 25.1.1947, in: Enderle-Burcel/Jeřábek (Hrsg.), Protokolle, Bd. 4, 367.

99

Ernst Koref (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 24.7.1946, 596.

100 Max Eibegger (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP , 18.2.1948, 2177. Die Feststellung bei Stiefel, Nazifizierung, 29, dass die österreichischen Parteien die Entnazifizierung nicht als aufoktroyierte Politik der Siegermächte kritisieren konnten, muss daher relativiert werden. 101 Alfred Migsch (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 24.7.1946, 582. 102 Alfred Migsch (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 6.2.1947, 1213. 103 Alfred Migsch (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 6.2.1947, 1211. Migsch bezog sich in diesem Ausruf auf das sowjetisch besetzte Sachsen-Anhalt.

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schen diese Erleichterung gewährt werde, müsse das längst auch für die Opfernation Österreich gelten, so die Argumentation. Das Veto der Alliierten war nur von aufschiebender Wirkung. Schon 1948 gelang es den österreichischen Regierungsparteien, die erwünschte Minderbelastetenamnestie zusammen mit einer Amnestie für Jugendliche doch noch zu verwirklichen. Mit beiden Gesetzen wurden mehr als 90 Prozent der Registrierten von den Sühnefolgen befreit. 104 Im Juli 1949 wurden die „Minderbelasteten“ schließlich auch aus den Registrierungslisten gestrichen und waren damit auch offiziell nicht mehr als Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten erfasst. 105 Schon deshalb stellte das alliierte Veto keinen echten „Wendepunkt im politischen Entnazifizierungsdiskurs“ dar, wie es in der österreichischen Forschung häufig heißt. 106 Dennoch trugen die Verschärfungen der Alliierten maßgeblich dazu bei, dass diese Tendenzen vollends durchschlugen und der österreichische Belastungsdiskurs nach 1947 zum Entlastungsdiskurs wurde. Hatte sich die „antifaschistische“ Frontstellung gegen den Nationalsozialismus schon zuvor de facto aufgelöst, so bildete sich nun eine neue Konstellation heraus: Die „demokratischen“ Regierungsparteien standen nun gemeinsam mit den „Ehemaligen“ gegen die Alliierten, die Österreich besetzt hielten und es nicht freigaben. Der Österreich-Patriotismus, der 1945 noch die „Säuberung“ vom ausländischen Nationalsozialismus legitimiert hatte, wurde nun gegen die ausländischen Besatzungsbehörden in Stellung gebracht, deren Entnazifizierungsforderungen angeblich „dem Rechtsempfinden des österreichischen Volkes nicht entsprachen“. 107 Auf dem Weg zur Lösung des Naziproblems „nach österreichischen Gesichtspunkten“ 108 wollte sich das Land wiederum keinen innenpolitischen Graben zwischen „demokratischen“ Parteien und „Ehemaligen“ mehr leisten. Die neue Frontstellung nach außen ging daher mit einer offensichtlichen Tendenz einher, die „Minderbelasteten“ von jeglicher auch „minderen“ Belastung freizusprechen: Sie müssten „endlich freigemacht werden von der Schuld, die in

104 Vgl. Mizuno, Vergangenheit, 213; vgl. Bundesverfassungsgesetz, 22.4.1948; Bundesverfassungsgesetz, 21.4.1948. über die vorzeitige Beendigung der im Nationalsozialistengesetz vorgesehenen Sühnefolgen für jugendliche Personen, in: BGBl Ö, 28.4.1948, 331. 105 Vgl. Bundesverfassungsgesetz, 13.7.1949. 106 Göllner, Maschinerie, 325f. 107 Alfons Gorbach (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 13.7.1949, 3331. 108 Rupert Zechtl (SPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 18.2.1948, 2183.

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einem Gesetz festgelegt ist, die aber niemals bestanden hat“(!), so der ÖVP-Abgeordnete Josef Hans im Februar 1948. 109 Die diskursive Entlastung der „Ehemaligen“ wurde nun mehr und mehr als politischer Imperativ aufgefasst und mit humanistischen Werten wie „Menschlichkeit, Einsicht und Versöhnung“ verknüpft. Der konservative Abgeordnete und spätere Kanzler Alfons Gorbach sprach von einer „großen Geste des Verstehens und der Bereitwilligkeit, sogar zu verzeihen“. 110 Dass der Akt des Verzeihens von der Nation Österreich ausgehen konnte – die sich ja als kollektives Opfer sah – war völlig unstrittig und einzelne Opfergruppen wie Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma wurden kurzerhand vereinnahmt. Der kommunistische Parteichef Ernst Fischer hielt es sogar für die „Aufgabe“ der Amnestiegesetzgebung, „die Kluft zwischen den Opfern des Hitlerregimes und den ehemaligen Mitläufern der NSDAP jetzt zu schließen“. 111 Mehr noch, die „Minderbelasteten“ wurden – als Leidtragende der alliierten Strenge – selbst zu Opfern stilisiert, teils sogar mit den Opfern des Nationalsozialismus gleichgesetzt. Es gebe in Österreich „zweierlei politisch Geschädigte“, so der konservative Bundesrat Lugmayer: Opfer des Nationalsozialismus und Opfer der Entnazifizierung. 112 Aber auch die Minderbelastetenamnestie 1948 galt schon bei ihrer Verabschiedung nur noch als Zwischenlösung auf dem Weg zu einer umfassenderen Lösung der „Nazifrage“. 113 Die neue Frontstellung der nationalen Opfergemeinschaft gegen die Alliierten machte es möglich, dass sich der Fokus von der Entlastung und Integration der sogenannten „Mitläufer“ auf diejenigen ausweitete, die der gesetzlichen Kategorie der „Belasteten“ angehörten. So beklagten Abgeordnete der Regierungsparteien nun immer offener „Härten gegenüber den sogenannten (!) Belasteten“, wie es der SPÖ-Vertreter Ernst Koref in der Nationalratssitzung am 21.April 1948 ausdrückte. Koref, der aufgrund seiner teilweise jüdischen Herkunft selbst zu den Opfern des Nationalsozialismus gezählt und politische Freiheitsstrafen verbüßt hatte, nahm die angesprochenen Belasteten sogar in Schutz, da ihnen vielfach „das Be-

109 Josef Hans (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 18.2.1948, 2187. 110 Alfons Gorbach (ÖVP), Nationalrat, Prot., V. GP, 21.4.1948, 2248. 111 Ernst Fischer (KPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 18.2.1948, 2182. 112 Karl Lugmayer (ÖVP), Bundesrat, Sitzung, 23.4.1948, 519. 113 Vgl. die Äußerung von Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP) vom 27.Januar 1948: „Also vorerst kommt die Jugendamnestie, später das andere“, Ministerrat, 27.1.1948, in: Enderle-Burcel/ Jeřábek (Hrsg.), Protokolle, Bd. 9, 23.

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wußtsein der Schuld gefehlt“ habe. 114 Dass die Klage über unbotmäßige „Härten“ des Gesetzes weder mit seiner praktischen Umsetzung noch mit der extensiven Anwendung des Begnadigungsrechts durch den österreichischen Bundespräsidenten einherging, spielte keine Rolle. 115 Auch Alfons Gorbach gab als Ziel aus, sich von der Kategorie Belastung ganz zu verabschieden: „Trennen wir nicht nach Minderbelasteten und Belasteten!“, so Gorbach in derselben Sitzung. 116 In dieser Hinsicht ist ein deutlicher Unterschied zwischen dem französischen und dem österreichischen Belastungsdiskurs auszumachen: Während die französischen Amnestien als Akt des Großmuts und der Gnade kommuniziert wurden, wurde den ehemaligen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten in Österreich ein explizites Anrecht auf Entlastung zugeschrieben. 117 Die vollständige Entlastung der „Ehemaligen“ wurde dabei als Dienst an der nationalen Sache propagiert: „Es gibt daher auch keine ‚ehemaligen Nationalsozialisten‘ mehr, sondern nur Österreicher oder Feinde Österreichs“, so der Wiener ÖVP-Chef Lois Weinberger im Januar 1949. 118 Diese Fokusverlagerung wurde auch in Österreich durch den beginnenden Kalten Krieg unterstützt. Hatte sich die Kommunistische Partei schon in der Vergangenheit am deutlichsten für eine Unterscheidung nach „Mitläufern“ und „Nazibonzen“ eingesetzt, so wurden ihre Warnungen vor einer Verwischung dieser Grenze gegen Ende der 1940er Jahre als klassenkämpferische Parole abgetan. Mit nur vier Abgeordneten im Nationalrat spielte die Kommunistische Partei ohnehin nur noch eine marginale Rolle. Stattdessen stand die Nationalratswahl 1949 ganz im Zeichen der Konkurrenz zwischen den beiden Regierungsparteien ÖVP und SPÖ sowie dem neu gegründeten VdU. Geworben wurde dabei nicht nur um die Stimmen der wieder wahlberechtigten „Minderbelasteten“, sondern auch um die Familienangehörigen der noch immer von der Wahl ausgeschlossenen „Belasteten“. 119 Es begann ein

114 Ernst Koref (SPÖ), zit. n. Nationalrat, Prot., V. GP, 21.4.1948, 2244. 115 Vgl. Göllner, Maschinerie, 326; Tweraser, Säuberungspolitik, 380; Robert Knight, Kalter Krieg, Entnazifizierung in Österreich, in: Meissl/ Mulley/ Rathkolb (Hrsg.), Verdrängte Schuld, 37–51, 48; Mizuno, Vergangenheit, 242–246. 116 Alfons Gorbach (ÖVP), zit. n. Nationalrat, Prot., V. GP, 21.4.1948, 2249. 117 „Der Nationalsozialist erwartet sich schon lange, daß etwas unternommen werden wird“, Felix Hurdes (ÖVP), Ministerrat, 16.3.1948, in: Enderle-Burcel/Jeřábek (Hrsg.), Protokolle, Bd. 9, 323. 118 Lois Weinberger (ÖVP), zit. n. „Es gibt keinen anderen Weg!“, in: Das Kleine Volksblatt, 30.1.1949. 119 Siehe dazu ausführlich Margit Reiter, Die Ehemaligen.

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regelrechter „Wettlauf um die Nazistimmen“. 120 Zu diesem gehörten Unterstellungen an den politischen Gegner, weitere unbotmäßige Härten gegen „Ehemalige“ zu planen. So musste die Sozialistische Partei im Wahlkampf 1949 das Gerücht zerstreuen, „belastete ehemalige Nationalsozialisten“ sollten die Staatsbürgerschaft verlieren. 121 Der kommunistische Abgeordnete Franz Honner wehrte sich im Nationalrat nicht nur gegen den konservativen Vorwurf, „daß die Kommunisten die Schuld an den Nazigesetzen [d.h. den Entnazifizierungsgesetzen, T.H.] tragen“, sondern auch gegen die Behauptung, „meine Partei habe die physische Vernichtung aller Nationalsozialisten verlangt“. 122 Zum Wahlkampf gehörte aber auch, dass sich die politischen Parteien gegenseitig vorwarfen, für die Stimmen ehemaliger Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten zu weit zu gehen. 123 Für besonderes Aufsehen sorgte dabei im Sommer 1949 das Treffen führender ÖVP-Politiker mit hochrangigen „Ehemaligen“ in Oberweis, darunter ein hoher Funktionär des NS-Sicherheitsdienstes, ein ehemaliger Adjutant Ernst Kaltenbrunners sowie ein ehemaliger Hitlerjugendführer. 124 Für die beiden marxistischen Parteien bot das „Geheimtreffen“ die Möglichkeit, die ÖVP wegen einer vermeintlichen faschistischen „Verschwörung“ zu attackieren. 125 Als besonders skandalös wurde dabei die Behauptung präsentiert, die Verständigung der Volkspartei mit den „Nazihäuptlingen“ gehe zulasten der „kleinen Nazi“, die „von ihren ehemaligen Führern nun an die Volkspartei verschachert werden sollen“, wie die „Arbeiter-Zeitung“ formulierte. 126 Die ÖVP wiederum verteidigte sich mit dem Grundsatzargument, dass es in der Demokratie völlig legitim sei, um Wählerinnen und Wähler zu werben: „Das Recht, diese ehemaligen Nationalsozialisten für die demokratische Mitarbeit am Neuaufbau unserer Heimat zu gewinnen, steht jeder de-

120 „Beim Wettlauf um die Nazistimmen die Vernunft verloren“, in: Arbeiter-Zeitung, 4.10.1949. 121 „Die Wahllügen der OeVP“, in: Arbeiter-Zeitung, 15.07.1949. 122 Franz Honner (KPÖ), Nationalrat, Prot., V. GP, 13.7.1949, 3338. 123 Vgl. „Beim Wettlauf um die Nazistimmen die Vernunft verloren“, in: Arbeiter-Zeitung, 4.10.1949. 124 Vgl. Rathkolb, Die paradoxe Republik, 185f.; Oliver Rathkolb, NS-Problem und politische Restauration: Vorgeschichte und Etablierung des VdU, in: Meissl/ Mulley/ Rathkolb (Hrsg.), Verdrängte Schuld, 73–99, dort 82f. 125 „Verschwörung der OeVP mit SS-Führern“, in: Volksstimme, 11.6.1949; „Packelei zwischen ÖVP und Nazi“, in: Arbeiter-Zeitung, 11.6.1949. 126 „Packelei zwischen ÖVP und Nazi“, in: Arbeiter-Zeitung, 11.6.1949.

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mokratischen Partei zu.“ 127 Es bestehe sogar eine „Pflicht“, sich mit jenen zu verständigen, „die bisher von der politischen Willensbildung ausgeschlossen waren.“ 128 Mit dem Nationalratswahlkampf 1949 war der Weg zur kollektiven Entlastung der früheren NSDAP-Mitglieder und zu ihrer Reintegration endgültig geebnet. Schon im Frühjahr 1949, wenige Monate vor der Nationalratswahl 1949, hatte die ÖVP den Antrag zu einer „Belastetenamnestie“ in den Nationalrat eingebracht, mit der die „schwere Maßregelung“ 129 sanktionierter Personen beendet werden sollte. Wer nicht als Kriegsverbrecher gemäß UN-Charta galt, sollte von Sanktionen befreit werden. 130 In der Begründung wurden die bekannten Argumente zugunsten der „Minderbelasteten“ – Versöhnung, Milde, demokratische Integration – kurzerhand auf die Gruppe der „Belasteten“ ausgeweitet. Auch diese wurden nun als reuige Sünder, wenn nicht sogar als Unschuldige dargestellt, die ihre Reintegration verdient hätten. 131 Wie bereits in der Debatte um das Nationalsozialistengesetz 1947 spielte auch hier der fragwürdige Verweis auf die Entwicklungen in Deutschland eine Rolle: Da „die Alliierten in Deutschland mit ähnlichen Amnestieverfügungen bereits vorausgegangen“ seien, so Alfons Gorbach, müssten auch in Österreich „einfache SSAngehörige und niedere SS-Dienstgrade“ von Sanktionen befreit werden. 132 Weil Befürchtungen bestanden, eine zu weitreichende Amnestie werde von den Alliierten kassiert, dauerte es noch bis 1952, ehe der Nationalrat eine umfassende „Belastetenamnestie“ nebst einer „Vermögensverfalls-“ und einer „Beamtenamnestie“ verabschieden konnte. Dass dabei von einer „Befriedungsaktion“ gesprochen wurde 133, war nicht ohne Brisanz, waren so doch in der Zwischenkriegszeit die Versuche eines Übereinkommens des „austrofaschistischen“ Regimes mit der Nationalsozialistischen Partei bezeichnet worden. 134 Die Amnestien sollten unter anderem den Vermögensverlust für „Belastete“ sowie die noch bestehenden „Härten“ für

127 Ferdinand Graf (ÖVP), zit. n. „Wahlmanöver der beiden Linksparteien“, in: Das Kleine Volksblatt, 11.6.1949. 128 „Ein danebengelungener Wahlschlager“, in: Das Kleine Volksblatt, 12.6.1949. 129 „Amnestie für einige Gruppen Belasteter“, in: Das Kleine Volksblatt, 10.3.1949. 130 Vgl. Mizuno, Vergangenheit, 221. 131 Vgl. die Debatte im Nationalrat, Prot., V. GP, 13.7.1949, v.a. S. 3335; dazu auch Mizuno, Vergangenheit, S. 223f. 132 Alfons Gorbach, Nationalrat, Prot. V. GP, 13.7.1949, 3331. 133 Otto Rösch (SPÖ), Bundesrat, Prot. 77. Sitzung, 25.7.1952, 1711; rückblickend auch Lujo Tončić-Sorinj (ÖVP), Nationalrat, Prot., VII. GP, 20.12.1955, 4510. 134 Vgl. Margit Reiter, Anton Reinthaller und die Anfänge der Freiheitlichen Partei Österreichs. Der po-

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Beamte mit nationalsozialistischer Vergangenheit abschaffen, die etwa in Beförderungsbeschränkungen lagen. 135 Da die Alliierten aber tatsächlich ihre Zustimmung verweigerten, konnten die entsprechenden Regelungen erst nach Abschluss des Staatsvertrages 1955 in Kraft treten. 136 Mit der „NS-Amnestie“ des Jahres 1957 erklärte der Nationalrat schließlich die „Nazifrage“ für „endgültig gelöst“ 137, indem alle noch bestehenden Sanktionen gegen „Belastete“ und „Minderbelastete“ fallengelassen wurden. Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst „auf Grund der Nationalsozialistengesetze“ wurden aufgehoben. Die „Ausnahmegesetze“ sollten beseitigt, „die staatsbürgerliche Gleichstellung aller Bürger Österreichs hergestellt und damit die Zwischenperiode vom Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bis zur Festigung der demokratischen Rechtsordnung […] abgeschlossen werden“,

so der parlamentarische Berichterstatter Eibegger im Nationalrat. 138 Selbst die Kommunistische Partei unterstützte nun eine „umfassende Amnestie“, nach der es „keine ‚Ehemaligen‘, sondern nur mehr gleichberechtigte Österreicher“ gebe. 139 Die Amnestie wurde damit ähnlich wie in Frankreich als nationales Versöhnungsprojekt und als Abschluss der Demokratisierung dargestellt. Im Unterschied zu Frankreich aber bestand in Österreich Mitte der 1950er Jahre ein Allparteienkonsens von ganz links bis ganz rechts, dass die Auflösung der Kategorie politische Belastung eine unabdingbare Voraussetzung dafür sei, die Demokratisierung und nationale Rekonstruktion Österreichs zum Abschluss zu bringen.

litische Werdegang eines Nationalsozialisten und die „Ehemaligen“ in der Zweiten Republik, in: VfZ 66/4, 2018, 539–575, dort 549, 559 u. 574. 135 Vgl. Mizuno, Vergangenheit, 239; Brigitte Bailer, Alle waren Opfer, in: Wolfgang Kos/Georg Rigele (Hrsg.), Inventur 45/55. Österreich im ersten Jahrzehnt der zweiten Republik. Wien 1996, 181–201, 190. 136 Siehe hierzu ausführlich Mizuno, Vergangenheit, 219–246. 137 Max Eibegger (SPÖ), Nationalrat, Prot., VIII. GP, 14.3.1957, 1241. 138 Max Eibegger (SPÖ), Nationalrat, Prot., VIII. GP, 14.3.1957, 1241. 139 Ernst Fischer (KPÖ), Nationalrat, Prot., VIII. GP, 14.3.1957, 1243f.; vgl. auch ders., Nationalrat, Prot., VIII. GP, 18.7.1956, 168.

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3. Befreiung durch Versöhnung: Entlastung und Amnestie in der Bundesrepublik Deutschland Die für den österreichischen Belastungsdiskurs charakteristische Generalkritik an den Nachkriegssanktionen und ihren Folgen ist keineswegs eine Besonderheit der Donaurepublik. Es handelt sich vielmehr um ein weitverbreitetes Diskursmuster, das wie gesehen ebenso Teile der französischen Nachkriegseliten in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren nutzten. Auch in der westdeutschen Gesellschaft bestand schon vor der Begründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 ein breiter, parteiübergreifender Konsens, dass die Entnazifizierung „ein absoluter Fehlschlag“ 140 gewesen sei. Seit spätestens 1947 hatte sich unter westdeutschen Vertretern aller Parteirichtungen eine „Einheitsfront“ gegen die Entnazifizierungspolitik der Alliierten geformt, die nach verbreiteter Ansicht „dem allgemeinen, althergebrachten und bewährten deutschen Rechtsempfinden“ zuwiderlief. 141 Maßgebliche Kritik von deutscher Seite richtete sich gegen den Schematismus der alliierten Verfahren, gegen deren langwierige Dauer und gegen die örtlichen Ungleichheiten in der Rechtsprechung. Allgemeine Ablehnung fand aber auch die Sanktionierung der „Mitläufer“. 142 Zahlreiche „Mitläufer, deren politische Betätigung völlig harmlos war“, seien „unerträglich“ hart angegangen worden, so etwa ein Bericht des württemberg-badischen Rechtsausschusses im August 1947. 143 Auch die Abgeordneten des hessischen Landtags übten im Juli 1947 in einem fraktionsübergreifenden Antrag scharfe Kritik an der alliierten Entnazifizierungspolitik. Dass von Sühnemaßnahmen zu viele Deutsche betroffen seien, „die nur als Mitläufer des Nationalsozialismus anzusehen sind“, schüre erhebliches Misstrauen in der Bevölkerung und gefährde die „dringend nötige, innere Beruhigung des Volkes“. 144 Der „Mitläufer“ wurde damit auch im deutschen Diskurs zu einer zentralen Figur und auch hier war er über (fast) alle Kritik erhaben. Er wurde mit den Attributen „harmlos“ und „unschuldig“ sowie typischerweise mit den Adverbien „nur“ und „nichts weiter“ verknüpft. Als wiederkehrender Kritikpunkt erschien insbesondere das, was im zeitgenössischen Diskurs 140 Herbert Scholtissek (CDU), Landtag NRW, Berichte, 1. WP, 29.4.1948, 361. 141 Wolfgang Haußmann (FDP), Landtag Württ.-Bad., Verh., WP 1946–1950, Bd. 2, 1.8.1947, 951. 142 Vgl. Fürstenau, Entnazifizierung, 166. 143 Fritz Cahn-Garnier (SPD), Landtag Württ.-Bad., Verh., WP 1946–1950, Bd. 2, 1.8.1947, 944. 144 Otto Koeth (SPD), Drucksachen des Hessischen Landtags, Stenographische Berichte, 1. Wahlperiode, 4.7.1947, 451.

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unisono als „rein formelle Belastung“ bezeichnet wurde, d.h. der Umstand, dass Sanktionen aus dem „formalen“ Merkmal einer Mitgliedschaft in NS-Organisationen abgeleitet wurden. 145 In dieser Hinsicht glich der westdeutsche Belastungsdiskurs der späteren vierziger Jahre sehr stark der Generaltendenz in Österreich, die Entnazifizierung als Diktat der Alliierten zu diskreditieren und dafür insbesondere die vermeintlich ungerechte Behandlung der „Mitläufer“ ins Feld zu führen. So prägnant aber diese Gemeinsamkeit ist, so fällt doch gerade im Vergleich zum Nachbarland auf, dass die Kritik an der Entnazifizierung in den westdeutschen Parlamenten keineswegs nur in diese relativierende Richtung ging. Während die österreichischen Nachkriegseliten sehr früh dazu übergingen, die Entnazifizierung für erfolgreich abgeschlossen und alle weiteren Maßnahmen für überflüssig zu erklären, galt sie vielen Abgeordneten in Westdeutschland gerade deswegen als gescheitert, weil sie nicht konsequent genug mit den Verantwortlichen ins Gericht gegangen war – weil „diejenigen, welche diesen Schaden in unserem Volk angerichtet haben, und die das über Europa brachten, was geschehen ist, nicht in einer ganz anderen Weise zur Rechenschaft gezogen worden sind, als es geschehen ist“, so der nordrhein-westfälische Justizminister Gustav Heinemann im Dezember 1947. 146 Schon kurze Zeit nach Kriegsende brachten westdeutsche Landtagsmitglieder daher ihre Sorge zum Ausdruck, dass „die Nationalsozialisten auf den neuen demokratischen Staat […] schon wieder verheerenden Einfluß nehmen können“. 147 Während insbesondere Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei damit das Ziel des demokratischen Elitenwechsels gefährdet sahen, zweifelte manches Unionsmitglied daran, dass es gelungen sei, die von der Entnazifizierung Betroffenen zu einer echten inneren Ein- und Umkehr zu bewegen: „Nirgends sind Schulderkenntnis und -bekenntnis wahrzunehmen. […] Wir sehen bei den Betroffenen wenig entschlossenes Zupacken, dagegen viel Händein-den-Schoß-Legen.“ 148 Damit schienen die beiden Hauptziele der Entnazifizierung verfehlt worden zu sein. Für den westdeutschen Belastungsdiskurs der 1940er Jahre muss daher ein Gegenüber weitreichender Entlastungsbemühungen einerseits und einer deutlich ver-

145 Wolfgang Haußmann (FDP), Landtag Württ.-Bad., Verh., WP 1946–1950, Bd. 2, 1.8.1947, 952. 146 Gustav Heinemann (CDU), Landtag NRW, Berichte, 1. WP, 9.12.1947, 42. 147 Rudolf-Ernst Heiland (SPD), Landtag NRW, Berichte, 1. WP, 9.12.1947, 52. 148 Adolf Scheffbuch (CDU), Landtag Württ.-Bad., Verh., WP 1946–1950, Bd. 2, 1.8.1947, 948.

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nehmbaren Kritik daran andererseits konstatiert werden. So drängte etwa die SPD im nordrhein-westfälischen Landtag im Dezember 1947 darauf, „auf jeden Fall die Gruppe, die in Kategorie V kommt, wirklich auf diejenigen zu beschränken, die tatsächlich entlastet sind, d.h. die durch irgendeinen Druck in der NSDAP waren, aber ganz bewußt gegen die Nationalsozialisten während der Zeit des Nationalsozialismus angekämpft haben.“ 149

Hier bestand die Sorge, dass nationalsozialistisch belastete Personen einer Sanktionierung entgehen könnten. Allerdings sorgten solche Bedenken auch in sozialdemokratischen Reihen schnell für Resignation und Fatalismus. Kein halbes Jahr später konstatierte die nordrhein-westfälische SPD ein „heilloses Durcheinander“, aus dem kein Mensch mehr herausfinden könne: „Wir haben SS-Generale, die in V kategorisiert sind, wir haben Regierungspräsidenten, die im nationalsozialistischen Regime hohe Stellen einnahmen und ebenfalls in die Kategorie V eingestuft sind“. 150

Die Entnazifizierung habe ihr Ziel nicht erreicht, jedoch eine „tiefgehende Beunruhigung in der Bevölkerung“ hinterlassen. Hierfür wiederum seien alleine die Alliierten verantwortlich, die den Deutschen ein fremdes „materielles Recht“ aufgezwungen hätten, so die SPD-Fraktion. 151 Die Folge war, dass sich aus den unterschiedlichen Positionen bald schon ein Konsens herauskristallisierte, der auf eine rasche Beendigung und Abwicklung der als gescheitert angesehenen Entnazifizierung abzielte. Maßgeblichen Anteil daran hatte eine außerparlamentarische Amnestiebewegung aus Kirchen, Parteien und Interessenverbänden, die seit 1947/48, etwa zeitgleich mit ihrem Pendant in Frankreich, öffentlich stark in Erscheinung trat. 152 Unter den politischen Parteien vertrat insbesondere die FDP – in Anlehnung an Eugen Kogon – ein „Recht auf politischen Irrtum“ und setzte sich gegen die „Deklassierung“ ehemaliger Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten ein. 153 In der Entnazifizierung sah sie ein politisches

149 Rudolf-Ernst Heiland (SPD), Landtag NRW, Berichte, 1. WP, 9.12.1947, 52. 150 Wilhelm Pawlik (SPD), Landtag NRW, Berichte, 1.WP, 29.4.1948, 367. 151 Wilhelm Pawlik (SPD), Landtag NRW, Berichte, 1.WP, 29.4.1948, 371. 152 Vgl. Axel Schildt, Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit der Nachkriegszeit, in: Winfried Loth/Bernd Rusinek (Hrsg.), Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Frankfurt am Main/New York 1998, 19–54, dort 34; Weinke, Verfolgung, 50–62. 153 Kristian Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. Friedrich Middelhauve und die nordrheinwestfälische FDP 1945–1953. München 2010, 50f.

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„Ausnahmerecht […], das gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstößt und schon längst zu einer Gefahr für den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaats in Deutschland geworden“ sei, so August-Martin Euler im Bundestag. 154 Dass sich die Partei selbst über die Präsenz von „ehemaligen führenden Mitgliedern der NSDAP“ in einigen Landesverbänden stritt, tat dem keinen Abbruch. 155 Dem Beispiel der FDP folgte auch die Konkurrenz, sodass schon vor der ersten Bundestagswahl 1949 – parallel zum Wahlkampf in Österreich – ein „Rennen um die Stimmen der Mitläufer“ 156 einsetzte. Rechtfertigt wurde das Werben um politisch belastete Personengruppen mit der Aufgabe, „die vielen deprivierten und politisch orientierungsuchenden Menschen ökonomisch und sozial zu integrieren, um diese dann mittelfristig für das […] demokratische System gewinnen zu können“, wie es Martin Will ausdrückt. 157 Es ist daher nicht verwunderlich, dass zu Beginn der ersten Bundestagswahlperiode gleich mehrere Gesetzesanträge vorlagen, mit denen „Mitläufer“ und „Minderbelastete“ von ihren Sanktionen befreit werden sollten. 158 Die Gründung der Bundesrepublik als Staat wurde dabei als geeigneter Zeitpunkt angesehen, um „tabula rasa“ zu machen, wie es der neu gewählte Bundeskanzler Konrad Adenauer ausdrückte: „Amnestien wurden besonders aus Anlaß besonderer Ereignisse erlassen, so, wenn in der Monarchie ein König den Thron bestieg. Nun ist der Bund ins Leben getreten, der Bundespräsident ist da. Mit Rücksicht auf dieses Ereignis erwarten weiteste Kreise des deutschen Volkes eine Amnestie“,

so Adenauer. 159 Es sollte also ausdrücklich einem (zugesprochenen) Anspruch 154 August-Martin Euler (FDP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1330. 155 Beschwerde des FDP-Landesverbands Hamburg gegen die niedersächsische FDP-Verbandsgeschäftsführung an die Bundes-FDP, zit. n. Martin Will, Ephorale Verfassung. Das Parteiverbot der rechtsextremen SRP von 1952. Thomas Dehlers Rosenburg und die Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland. Tü-

bingen 2017, 197; zu ähnlichen Auseinandersetzungen in Nordrhein-Westfalen siehe ausführlich Buchna, Nationale Sammlung. 156 So Karl Otmar Freiherr von Aretin, Der Erfolgsdeutsche. Studie zu einer beklemmenden Gegenwartsfrage, in: Frankfurter Hefte 13, 1958, 758–764, dort 761. 157 Will, Ephorale Verfassung, 479. 158 Vgl. Deutsche Partei, Dringlichkeits-Antrag, 8.9.1949, Bundestag, 1. WP, Drs. 13; WAV, Antrag, 20.9.1949, Bundestag, 1. WP, Drs. 26; WAV, Antrag, 21.9.1949, Bundestag, 1. WP, Drs. 27. 159 Konrad Adenauer (CDU), Bundeskabinett, 26.9.1949, vgl. auch August-Martin Euler (FDP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 2.12.1949, 579: „Wir stehen heute am Ende einer Periode ungeheurer Wirrnis, die für weiteste Bevölkerungsschichten elementarste Notstände mit sich gebracht hat. […] Nach alledem braucht

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der Belasteten auf Sanktionserleichterung nachgekommen werden. Im Bundestag kündigte Adenauer daher an, eine Amnestie zu prüfen. Die vorgetragenen Gründe nahmen jeweils weit verbreitete Argumentationsmuster auf: Erstens sei durch die Entnazifizierung „viel Unglück und viel Unheil angerichtet worden“. Das war Konsens. Zweitens habe der Krieg „eine so harte Prüfung für viele gebracht und solche Versuchungen, daß man für manche Verfehlungen und Vergehen Verständnis aufbringen“ müsse. Verständnis statt Verurteilung also. Und drittens sollten zwar die „wirklich Schuldigen“ bestraft, es solle ansonsten aber nicht mehr zwischen „politisch Einwandfreien“ und „Nichteinwandfreien“ unterschieden werden, so der Kanzler. 160 Damit stellte auch Adenauer die politische Unterscheidung zwischen Belasteten und Nicht-Belasteten infrage und bemühte die gleiche Unterscheidung zwischen krimineller Schuld und politischer Belastung, die etwa zeitgleich auch Charles de Gaulle mit Bezug auf die französischen „épurés“ propagierte. Nach der Ankündigung des Kanzlers begann der neu zusammengetretene Bundestag mit einer regen vergangenheitspolitischen Aktivität, die zu einem ersten „Straffreiheitsgesetz“ (1949), zu Vorschlägen für den Abschluss der Entnazifizierung (1950) und zum sogenannten „131er“-Gesetz für den öffentlichen Dienst (1951) führte. 161 Der zweite Bundestag legte 1954 schließlich ein zweites „Straffreiheitsgesetz“ nach. 162 Die zuständigen Länder wiederum erließen eigene „Abschlussgesetze“, mit denen die Entnazifizierung zu einem Ende gebracht werden sollte. In der amerikanischen Besatzungszone legte als erstes das Land Hessen im Juli 1949 ein „Abschlußgesetz“ vor, das mit dem Ziel einer allgemeinen „Befriedung“ und „Versöhnung“ begründet wurde. 163 Es sah vor, die ökonomischen und politischen Sanktionen gegen Angehörige der Belastungsgruppen III, IV und V fallenzulassen. 164 Mit dem im November 1949 verabschiedeten Gesetz wurden „Minderbelastete“, „Mitläufer“ und „Entlastete“ von den Sanktionen befreit und den übrigen Staatsbürgerinnen und

nicht weiter begründet zu werden, daß am Anfang dieses neuen Staates eine Amnestie stehen soll, die allen denen zugute kommt, welche aus Gründen, die allgemein Verständnis finden, gestrauchelt sind.“ 160 Konrad Adenauer (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 20.9.1949, 27. 161 Vgl. Straffreiheitsgesetz 31.12.1949; 131er-Gesetz 11.5.1951; Mündlicher Bericht des Ausschusses zum Schutze der Verfassung (5. Ausschuss), 6.10.1950, Bundestag, 1. WP, Drs. 1440. 162 Vgl. Straffreiheitsgesetz 17.7.1954. 163 Vgl. Armin Schuster, Die Entnazifizierung in Hessen 1945–1954. Vergangenheitspolitik in der Nachkriegszeit. Wiesbaden 1999, 357f. 164 Vgl. Schuster, Entnazifizierung in Hessen, 357.

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Staatsbürgern gleichgestellt. 165 Ähnliche Beschlüsse erließen auch die anderen Länder. 166 Die Aktivitäten von Bund und Ländern wurden von einem jahrelangen Amnestiediskurs begleitet, in dem abermals nationale und demokratiepolitische Signaturen eine maßgebliche Rolle spielten, allerdings mit deutlich anderen Vorzeichen als noch im Entnazifizierungsdiskurs der 1940er Jahre. Auf demokratietheoretischer Ebene hatten sich die bereits skizzierten Vorbehalte gegenüber belastungsbezogenen Sanktionen parteiübergreifend durchgesetzt. Nur eine weitreichende Amnestie könne die „politischen Freiheiten“ aller Bürgerinnen und Bürger wiederherstellen und so zur „wahren Demokratie“ und „Gleichberechtigung aller deutscher Staatsbürger“ beitragen, wie es beispielsweise die Bundestagsfraktion der „Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung“ forderte. 167 Dies waren dieselben Motive und Begrifflichkeiten, die auch die französische Amnestiebewegung genutzt hatte. Mit dem Argument, dass es sich ein demokratisches Deutschland nicht leisten könne, auf Dauer „Menschen verschiedener Rangklassen“ zu haben, zielten die Befürworter einer „Generalamnestie“ ganz darauf ab, die Entnazifizierung als Mechanismus sozialer und politischer Diskriminierung zu delegitimieren, der in einem demokratischen System keinen Platz habe. 168 Das Argument wurde aber keineswegs nur auf der rechten Hälfte des Parlamentes bedient. Auch der SPD-Abgeordnete Fritz Erler, der die nationalsozialistische Zeit im Zuchthaus verbracht hatte, konzedierte, dass die Entnazifizierung den „Grundsatz der Gleichheit vor dem Recht“ verletzt habe und dass es zu einer „Bereinigung dieser Materie kommen“ müsse. Man könne „nicht lange Jahre hindurch einen erheblichen Teil des ganzen Volkes mindestens äußerlich — in der Praxis ist es ja gar nicht so — als Staatsbürger minderen Rechts behandeln.“ 169 Unterlegt wurde die Kritik an der Ungleichbehandlung der Bürgerinnen und Bürger mit der auch von Adenauer angesprochenen Unterscheidung zwischen juristischer „Schuld“ und politischer „Belastung“. Wer alleine aufgrund „politischer“

165 Vgl. Schuster, Entnazifizierung in Hessen, 366. Allerdings blieb eine gewisse Belastung darin bestehen, dass Ansprüche auf Wiederbeschäftigung nicht anerkannt und eine Prüfung der politischen Vergangenheit bei Übernahme in den öffentlichen Dienst oder eines öffentlichen Amtes möglich blieben. 166 Siehe dazu Fürstenau, Entnazifizierung, 153–159. 167 Fraktion WAV, Antrag, Bundestag, 1. WP, Drs. 27, 21.9.1949. 168 Adolf von Thadden (DKP-DRP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1340; Hermann Etzel (Bayernpartei), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1340f. 169 Fritz Erler (SPD), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1346f.

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Gründe sanktioniert worden war, sollte schnellstmöglich amnestiert werden. Dazu wurden vor allem jene Personen gerechnet, die auf Basis einer „rein formalen“ Mitgliedschaft in der NSDAP verurteilt worden waren. Die am 15.Dezember 1950 vom Bundestag angenommenen Empfehlungen, mit denen der Bund die Länder zum Abschluss der Entnazifizierung ermutigte, enthielten daher ausdrücklich die Feststellung, dass mit dem Ende der Entnazifizierung „die Periode der schematischen Bewertung ganzer Personengruppen wegen ihrer Zugehörigkeit zu Organisationen oder Einrichtungen der nationalsozialistischen Herrschaft“ beendet werden solle. Strafverfahren wegen individueller Verbrechen dagegen sollten „in keiner Weise berührt“ werden, um „damit strafrechtlich schuldig gewordene nationalsozialistische Aktivisten wirksam zur Rechenschaft“ zu ziehen. 170 Die geforderte Unterscheidung zwischen (strafrechtlich) „Schuldigen“ und (politisch) „Belasteten“ war jedoch keineswegs so eindeutig wie von den Bundestagsabgeordneten dargestellt. Sie wurde weder auf diskursiver Ebene noch in der Gesetzgebungspraxis von Bund und Ländern durchgehalten. Hatten Amnestiegesetze der Länder vor 1949 nationalsozialistisch motivierte Straftaten noch ausdrücklich von der Strafbefreiung ausgenommen 171, so sollten von beiden „Straffreiheitsgesetzen“ des Bundes ausdrücklich auch nationalsozialistische Straftäter profitieren. 172 Beide Gesetze bezogen sich auf Vergehen, die im letzten Jahr und nach Ende des Krieges begangen worden waren. Sie wurden entsprechend mit der „ungeheure[n] Wirrnis“ 173 und den „durch Kriegs- und Nachkriegsereignisse geschaffenen außergewöhnlichen Verhältnisse[n]“ 174 begründet. In der parlamentarischen Debatte wiederum wurde das Argument der rein „formalen“ Belastung in vielen Fällen auch auf Personen übertragen, die innerhalb des NS-Regimes höhere Funktionen ausgeübt hatten – deren materieller Gehalt aber häufig genug übergangen wurde. Es dauerte

170 Mündlicher Bericht, Bundestag, 1. WP, Drs. 1440. 171 Frei, Vergangenheitspolitik, 29f. 172 Ein erstes zu Silvester 1949 verkündetes Gesetz betraf insbesondere Schwarzmarkt-Delikte und andere Vergehen, die vor dem 15.September 1949 verübt worden waren und mit Freiheitsstrafen von bis zu sechs Monaten bestraft werden konnten, kam aber auch einigen Straftätern aus der NS-Zeit zugute, die nach 1945 verurteilt worden waren (Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, 32). Ein zweites „Straffreiheitsgesetz“ folgte 1954 und bezog sich auf „Taten des Zusammenbruchs“, die zwischen Oktober 1944 und Juli 1945 begangen worden waren und mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren bedroht waren (Straffreiheitsgesetz 17.7.1954, § 6). 173 August-Martin Euler (FDP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 2.12.1949, 579. 174 Straffreiheitsgesetz 17.7.1954, § 1.

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daher nicht lange, bis auch die Amnestierung „sogenannter Kriegsverbrecher“ gefordert wurde, die aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer der „sogenannten verbrecherischen Organisationen“ verurteilt worden waren. Auch dies galt nun vielen als „Bejahung einer Kollektivschuld“ und als „unerträgliche[r] Einbruch in unser Rechtsbewußtsein“, wie es der CDU-Bundestagsabgeordnete Wahl formulierte. 175 Der „Kollektivschuld“-Vorwurf erwies sich hier als „rhetorische Idealfigur“, wie es Norbert Frei genannt hat, mit der eine Kollektiventlastung gefordert wurde. 176 Dass das eingeforderte Kriterium einer eindeutigen „individuellen Schuld“ wiederum nur sehr schwer zu bemessen war, war ein maßgeblicher Faktor im Diskurs, wurde doch eine unüberschaubare Zahl entlastender Umstände vorgebracht. Dazu gehörte nicht nur „Unkenntnis“, sondern auch eine fehlende „innere Zustimmung“ zu den Taten des Regimes, ebenso wie die „gute Meinung“, „reine Gesinnung“ und der viel zitierte „politische Irrtum“. 177 Auf der anderen Seite wurde das Instrument der demokratiepolitischen Sanktion für politisch Belastete nicht gänzlich verworfen, sollten doch auch weiterhin Vorkehrungen getroffen werden, „daß der Schlußstrich unter die politische Säuberung nicht gleichzeitig zum Beginn der Renazifizierung wird“, so Fritz Erler. 178 Entsprechend gaben die Empfehlungen des Bundes zum Abschluss der Entnazifizierung die Unterscheidung nach verschiedenen Belastungsgraden ausdrücklich nicht auf. „Hauptschuldige“ und „Belastete“ sollten auch weiterhin von der Wählbarkeit und von einigen Berufen ausgeschlossen bleiben. 179 Das sozialdemokratisch regierte Land Hessen wiederum gab 1951 zwar „Hauptschuldigen“ und „Belasteten“ ihre freie Berufswahl und ihr aktives Wahlrecht zurück. 180 Sie blieben aber auch noch nach dem dritten und letzten Abschlussgesetz 1954 vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen. 181 Der hessische Landtag konnte sich in dieser Entscheidung unter anderem auf den Bundestagsausschuss zum Schutze der Verfassung stützen, der es in sei175 Eduard Wahl (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 2.12.1949, 581. 176 Schildt, Umgang, 29; Frei, 1945 und Wir, 145–155. 177 Vgl. Fürstenau, Entnazifizierung, 161f. 178 Fritz Erler (SPD), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1349. 179 Vgl. Fürstenau, Entnazifizierung, 157f. Allerdings sollte ihnen freistehen, eine Überführung in eine andere Belastungskategorie zu beantragen, womit die Erwartung verbunden war, dass dadurch die Gruppe der von Sanktionen Betroffenen kleiner werden würde, vgl. Mündlicher Bericht, 5.10.1950, Bundestag, 1. WP, Drs. 1440.

180 Vgl. Schuster, Entnazifizierung in Hessen, 374. 181 Vgl. ebd. 381.

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nem Bericht vom 18.Oktober 1950 ausdrücklich für legitim erklärt hatte, „Bereinigungsmaßnahmen zur Sicherung der neuen Republik und zur Ausschaltung besonders belasteter Elemente durchzuführen“. 182 Ein Antrag von FDP und DP, auch die in die Belastungsgruppen I und II eingestuften Personen voll zu amnestieren, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass es nicht zu verantworten sei, „solchen Elementen schon jetzt wieder das Eindringen in die Politik zu gestatten und ihnen damit die Möglichkeit zu geben, auf das politische Leben Deutschlands Einfluß zu gewinnen.“ 183 Die Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Belastung wurde damit nicht aufgegeben, sondern ganz auf die sicherheitspolitische Dimension konzentriert: Wenn von „Naziaktivisten“ staatsgefährdende Bestrebungen ausgingen, waren Sanktionen im Sinne einer streitbaren Demokratie legitim. 184 Damit galt indirekt aber auch, dass solche Sanktionen nicht mehr legitim waren, wenn sie sich gegen solche ehemaligen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten richteten, die nun als staatsloyal angesehen wurden. 185 Die politische Belastung als solche stellte also kein Argument an sich mehr dar, sondern war allenfalls ein Indiz von mehreren zur Bemessung staatspolitischer Gefahren geworden. Solche Gefahren wurden nun aber in erster Linie auf der linken Seite erblickt, wo Mitglieder der Kommunistischen Partei als Staatsfeinde in den Mittelpunkt rückten. Das Prinzip der wehrhaften Demokratie verwandelte sich daher im Diskurs von einem Hauptargument zur Sanktionierung politisch Belasteter zu einem Hauptargument für deren Reintegration. Nur auf Basis einer möglichst umfassenden Amnestie sei die neue Demokratie ausreichend legitimiert, „den Kampf gegen jede Art von Totalitarismus in der Zukunft“ aufzunehmen, so der FDP-Abgeordnete Euler. 186 Dem rechtskonservativen Bundestagsabgeordneten und späteren Bundesjustizminister Hans-Joachim von Merkatz galt die Entnazifizierung sogar selbst als „Mißgeburt aus totalitärem Denken und klassenkämpferischer Zielsetzung“. 187 Eine ganz ähnliche Entwicklung lässt sich auch für die zweite prägende Argumentationslinie im Belastungsdiskurs aufzeigen: die Nation. Hatte der Entnazifizie182 Walter Menzel (SPD), Bundestag, Berichte, 1. WP, 18.10.1950, 3433. 183 Walter Menzel (SPD), Bundestag, Berichte, 1. WP, 18.10.1950, 3433. 184 Konrad Adenauer (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 20.9.1949, 27. 185 Siehe hierzu ausführlich Rigoll, Staatsschutz. 186 August-Martin Euler (FDP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1332. 187 Hans-Joachim von Merkatz (DP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1337.

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rungsdiskurs der 1940er Jahre nationalsozialistische Belastung aus dem Umstand abgeleitet, dass das Regime für das Nachkriegselend des deutschen Volkes verantwortlich gemacht wurde, so fand der Amnestiediskurs der 1950er Jahre einen neuen Schuldigen: die Alliierten. Demnach galt die Entnazifizierung nicht nur als undemokratisch oder als Unrecht, sondern als ein „uns auferlegtes nationales Unglück“. 188 In der Bundestagsdebatte wurde die Zeit der Entnazifizierung nun mit Begriffen wie „Wirrnis“ 189, „Rache“ 190 und „Bürgerkrieg“ 191 in Verbindung gebracht, die das Bild eines zerrissenen, von innerer Zwietracht und äußerem Druck geplagten Landes zeichneten. Dem Chaos und Unglück, das „das Entnazifizierungsgesetz über unser Volk gebracht hat“ 192, wurde wiederum ein allgemeines Einheitsversprechen entgegengesetzt: „Einigkeit“ und „echte nationale Solidarität in deutschen Landen“ sei nur durch „echte Versöhnung zu erzielen“ – und diese nur durch ein Ende der Entnazifizierung, so Eugen Gerstenmaier. 193 Die Überwindung des politischen Belastungsdiskurses wurde auf diese Weise mit dem Ziel verknüpft, die „Beunruhigung aus der Vergangenheit“ 194 zu überwinden und „im eigenen Volke Frieden“ zu schaffen. 195 Zugleich wurde sie ganz so wie in Österreich zum nationalen Emanzipationsakt stilisiert, mit dem sich die Bundesrepublik „in möglichst großer Freiheit“ von „ausländische[n] Wertmaßstäbe[n]“ lossagte, die von außen an die Auseinandersetzung mit belasteten Personen angelegt wurden. 196 Damit war auch der Freiheitsbegriff vom Belastungs- in den Entlastungsdiskurs transponiert worden. Schließlich müsse „das deutsche Volk […] die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Geschichte und die Bewältigung dieser Geschichte überhaupt erst in sich selber frei vollziehen“, so Eugen Gerstenmaier. 197

188 August-Martin Euler (FDP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1330. Siehe zu diesem Zusammenhang auch Brochhagen, Nach Nürnberg. 189 August-Martin Euler (FDP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 2.12.1949, 579. 190 Eugen Gerstenmaier (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1334. 191 Adolf Arndt (SPD), zit. n. Frei, Vergangenheitspolitik, 49. 192 Alfred Loritz (WAV), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1343. 193 Eugen Gerstenmaier (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1333. 194 August-Martin Euler (FDP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1332. 195 Margot Kalinke (DP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 15.12.1950, 4070. 196 Eugen Gerstenmaier (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1335. 197 Eugen Gerstenmaier (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1335.

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Mit solchen Vokabeln wurde dreierlei erreicht: Erstens verknüpften die Appelle an Einigkeit und nationale Solidarität den Amnestiediskurs sehr implizit mit der ungelösten Frage der deutschen Teilung. Zweitens erinnerte das Freiheitsversprechen an das Ziel, die außenpolitische Souveränität wiederzuerlangen. Es richtete sich damit gegen die Alliierten, die – wenn auch etwas subtiler als in Österreich – als äußeres Feindbild dienen mussten, um die innere Einheit zu erreichen. Drittens schließlich wurde dem deutschen Volk ein nationaler Neustart ohne Kompromittierung versprochen. Die Beendigung der Entnazifizierung sollte dazu dienen, „der ganzen Nation ein neues Leben zu ermöglichen.“ 198 Entsprechend müsse auch den „Verführten“ eine „echte Chance gegeben werden […] beim Neuaufbau des deutschen Vaterlandes“ mitzuwirken. 199 Ganz so wie in Österreich wurde auch im bundesdeutschen Diskurs das Schicksal der politisch Belasteten zum Abbild der Nation erhoben. Die Figur des Verführten fungierte als Chiffre für das deutsche Volk: Auch dieses hatte sich verführen lassen und verdiente trotzdem einen unbelasteten Neustart, so die evozierte Vorstellung. Mit der individuellen Belastung könnte auch die kollektive Belastung als Kategorie überwunden werden. Dass die Begriffe Nation, Volk und Vaterland dabei weitgehend austauschbar gebraucht wurden, untermauerte, dass es um das wie auch immer konstituierte Kollektiv ging, das nach innen hin geeint und nach außen hin abgegrenzt werden sollte. Zugleich wurde der Belastungsdiskurs damit Teil eines diskursiven Revisionismus, der sich im Namen von Demokratie und Vaterland gegen die maßgeblichen Folgen der Potsdamer Ordnung richtete: Von der Entnazifizierung über die Zerschlagung der Reichseinheit bis zum Verlust der Souveränität galt es, die Nachkriegsfolgen zu beseitigen. 200 Die demonstrative Abgrenzung von „ausländischen Wertmaßstäben“ wurde freilich dadurch konterkariert, dass in den Bundestagsdebatten sehr wohl selbst Bezug auf ausländische Erfahrungen genommen wurde, um mithilfe teils zweifelhafter Parallelisierungen die eigene Position zu fundieren. So verwies etwa der FDP-Abgeordnete Euler auf die „gute[n] Erfahrungen“, die Frankreich in der Vergangenheit damit gemacht habe, nach Systembrüchen nicht auf einer „politischen Massenverfolgung“ zu bestehen. Die reiche Erfahrung des westlichen Nachbarlands mit politi-

198 Hans Ewers (DP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 2.12.1949, 576. 199 Eugen Gerstenmaier (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1333. 200 Vgl. Rigoll/Müller, Zeitgeschichte, 339.

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schen Systembrüchen, teils blutigen „Säuberungen“ und unterschiedlich angelegten Amnestien erhielt damit eine sehr selektive Interpretation. Während aber Frankreich nach 1815 auf eine „Entnapoleonisierung“ verzichtet habe, sei „die politische Säuberung in den Südstaaten der USA nach dem amerikanischen Bürgerkrieg in den Jahren 1865 und 1869“ mit ihrer „Fülle von Willkür- und Unrechtsakten“ ein „abschreckendes Beispiel“, so Euler. 201 Dass ausgerechnet Exempel aus der Geschichte der beiden Westalliierten angeführt wurden, ist wahrscheinlich kein Zufall, konnte man die Alliierten damit doch indirekt an die eigene Gewaltgeschichte erinnern und sich selbst entlasten. Wie nationale und demokratiepolitische Argumente im westdeutschen Belastungsdiskurs zusammenspielten, lässt sich abschließend beispielhaft an der Diskussion über die sogenannten „131er“ aufzeigen, jene Gruppe von „verdrängten Angehörigen des öffentlichen Dienstes“, die nach dem 8.Mai 1945 aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr verwendet worden waren. 202 Dazu gehörten auch etwa 50000 Beamte, die aufgrund der Entnazifizierung nicht mehr im Dienst waren. 203 Nachdem der Parlamentarische Rat eine gesetzliche Regelung an den neuen Bundestag verwiesen hatte, erkannte dieser mit dem „131er-Gesetz“ des Jahres 1951 schließlich ohne Gegenstimmen die Ansprüche der „verdrängten Beamten“ an und regte ihre Wiedereinstellung an. 204 In den parlamentarischen Debatten über die „131er“-Frage wurde die Versorgung der entnazifizierten Beamten unter dem doppelten Motto von „Recht und Gerechtigkeit“ zum einen und „Wiederaufbau unseres Vaterlandes“ zum anderen verhandelt. Schon im Parlamentarischen Rat hatte der bayerische Ministerialdirektor Richard Ringelmann, selbst ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, von den Beamten gesprochen, „die durch Maßnahmen der Besatzungsmacht ihr Amt verloren haben, insbesondere soweit sie parteipolitisch belastet waren“. 205 Ringelmanns Wortwahl war vielsagend: Sie ließ die Sanktionsmaßnahmen durch die „Be201 August-Martin Euler (FDP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 23.2.1950, 1330. 202 Zur Entstehung und Folgen des Gesetzes siehe Frei, Vergangenheitspolitik, 69–100; Görtemaker/Safferling, Akte Rosenburg, 154–172. 203 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, 71. 204 Ausgenommen waren die auf ca. 1200 Personen geschätzte Gruppe von „Hauptschuldigen“ und „Belasteten“ sowie Gestapo-Angehörigen, es sei denn, sie waren von Amts wegen zur Gestapo, zum Forschungsamt RLM oder zur Waffen-SS versetzt worden – eine in den Schlussbestimmungen versteckte Definition, die die Gruppe der als weiterhin zu belastet Angesehenen auf eine sehr kleine Zahl reduzierte. Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, 73 und 79f. 205 Richard Ringelmann (CSU), Parl. Rat, Hauptausschuss, 14.1.1949, 1208.

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satzungsmacht“ aufoktroyiert und als undemokratische Strafe für „parteipolitische“ Betätigung erscheinen. Diese im Parlamentarischen Rat noch zurückhaltend formulierten Zusammenhänge wurden in der Bundestagsdebatte wiederum ganz offen angesprochen: Nach „langen Jahren der Entrechtung und des bitteren Wartens“ sollte nun „Schluß mit jeder Diffamierung“ sein, so der CDU-Abgeordnete Franz-Josef Wuermeling. „Nun gilt für jeden erst recht die volle Verpflichtung zu letztem persönlichen Einsatz für den weiteren Wiederaufbau unserer Heimat.“ 206 Auch der rheinland-pfälzische FDP-Abgeordnete Nowack argumentierte, dass die „Diffamierung von Staatsbürgern

zweiter Klasse“ enden müsse und diese Personen „den Weg zu staatsbejahender Arbeit zurückfinden“ müssten, um gemeinsam „das Elend, das der Krieg und ein vergangenes System nun einmal über Deutschland heraufbeschworen haben, mit zu beseitigen und Wunden wieder zu heilen.“ 207 Und Bundeskanzler Adenauer erklärte, das „Kapitel der Kollektivschuld der Militaristen neben den Aktivisten und Nutznießern des nationalsozialistischen Regimes muß ein für allemal beendet sein“, womit er erneut die Kategorisierung des Befreiungsgesetzes nach unterschiedlichen Belastungsgraden delegitimierte. 208 Die Reintegration politisch belasteter Beamter wurde damit erstens als rechtlicher und moralischer Anspruch anerkannt, zweitens als Herstellung zu demokratischer Normalität begriffen und drittens schließlich als Akt im Dienste der Nation und ihrer Ehre verhandelt. Während Frankreich also auch im Amnestiediskurs noch das Erbe der Résistance verteidigte, dienten die Belasteten im deutschsprachigen Diskurs als Repräsentantinnen und Repräsentanten der schwer heimgesuchten Nation.

206 Franz-Josef Wuermeling (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 10.4.1951, 5090. 207 Wilhelm Nowack (FDP), Bundestag, Berichte, 1. WP, 10.4.1951, 5096. 208 Konrad Adenauer (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 5.4.1951, 4984.

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Zusammenfassung und Ausblick

Politische Belastungsdiskurse stellen ein wesentliches Kennzeichen von Nachkriegsdemokratien in Europa dar. Dass bestimmte Personengruppen aufgrund ihrer Vergangenheit als politisch kompromittiert und diskreditiert angesehen wurden, gehört zu den Gemeinsamkeiten der europäischen Nachkriegsgesellschaften. Umstritten war dabei nicht nur, wer genau als politisch belastet betrachtet wurde und welche Konsequenzen daraus zu ziehen waren. Strittig war auch, woraus jeweils eine politische Belastung abgeleitet wurde. Die Diskussion darüber war nirgendwo ausschließlich eine Frage der kollektiven Erinnerung und „Vergangenheitsbewältigung“, sondern aufs Engste mit den nationalen und demokratischen Rekonstruktionsprozessen der Nachkriegszeit verbunden. Unter einer historisch vergleichenden Perspektive lassen sich dabei zahlreiche diskursive Muster und Gemeinsamkeiten identifizieren, aber auch einige signifikante Unterschiede. Eine international komparative Forschung zur Auseinandersetzung mit politischen Belastungen kann daher wesentlich dazu beitragen, die Möglichkeiten und Grenzen zu verstehen, denen die europäischen Gesetzgeber und Öffentlichkeiten in der Nachkriegszeit gegenüberstanden, wenn es um die Auseinandersetzung mit Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Kollaborateurinnen und Kollaborateuren der nationalsozialistischen Diktatur ging.

1. Konvergenz und Divergenz Nähert man sich den politischen Belastungsdiskursen der Nachkriegszeit mit besonderem Blick für nationale und demokratische Signaturen, dann fallen in den französischen, österreichischen und westdeutschen Parlamentsdebatten bis zur Mitte der 1950er Jahre weniger die zu erwartenden Unterschiede ins Auge als die Gemeinsamkeiten und konvergenten Entwicklungen. In allen drei Ländern begann die Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Belastung und Kollaboration am

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Ende des Zweiten Weltkriegs im Rahmen ambitionierter „Säuberungs“-Vorhaben. In diesem Zusammenhang wurde politische Belastung als mehrdimensionale Kategorie entworfen. Die Vorstellung, dass bestimmte Personengruppen durch ihre Vergangenheit zu sehr kompromittiert waren, um in vollem Umfang am politischen und gesellschaftlichen Wiederaufbau zu partizipieren, resultierte erstens aus sicherheitspolitischen Bedenken der Sieger des Weltkriegs, d.h. der Alliierten bzw. des „freien Frankreich“ und der Résistance. Wer als Gefahr für die Nachkriegsordnung angesehen wurde, war entsprechend zu sanktionieren. Zweitens orientierte sich politische Belastung an demokratiepolitischen Überlegungen. Wer Verantwortung für die Zerstörung der Vorkriegsdemokratie trug oder zu stark ins diktatorische Regime involviert war, wurde als ungeeignet angesehen, um in vollem Umfang am demokratischen Wiederaufbau zu partizipieren. Drittens ging es um nationale Loyalitätsfragen: Sahen sich die europäischen Gesellschaften nach dem Weltkrieg vor der Aufgabe, sich als nationale Gemeinschaften neu zu ordnen, so galten jene Personen als kompromittiert, die aufgrund ihrer Vergangenheit als „Verräter“ an der Nation betrachtet wurden. Vom politischen Belastungsdiskurs ist auf analytischer Ebene ein strafrechtlicher Schulddiskurs abzugrenzen, der darauf abzielte, Verbrechen zu ahnden und jene zur Rechenschaft zu ziehen, die sie im Namen des Regimes begangen hatten. Diese Dimension spiegelte sich in den politischen Belastungsdiskursen viertens in der Annahme, dass sich „Verbrecher“ moralisch diskreditiert und kompromittiert hatten. Ihre Nichtsanktionierung wurde als moralische Belastung für die Nation verstanden, in deren Namen sie ihre Verbrechen begangen hatten. Wer in einer dieser Dimensionen als belastet angesehen wurde, musste Sanktionen tragen, die vom Zahlen einer „Sühneabgabe“ über den Verlust von Ämtern, Vermögen und demokratischen Mitwirkungsrechten bis hin zum Tod reichten. Vom Ende des Weltkriegs bis zum Ende der 1940er Jahre begann sich dieser Belastungsdiskurs in den drei untersuchten Nachkriegsgesellschaften sukzessive und in ähnlichen Schritten, aber in unterschiedlichem Ausmaß in einen Entlastungsdiskurs zu verwandeln. Nach und nach wurden für unterschiedliche Teilgruppen der politisch Belasteten Gründe und Motive angeführt, die sie zumindest partiell entlasteten und die es rechtfertigen sollten, sie zu begnadigen, zu amnestieren oder gar zu rehabilitieren. Zu den wesentlichen Entlastungsmotiven gehörten überall (a.) Unreife und mangelndes Urteilsvermögen (weswegen Jugendamnestien meist zuerst auf der Tagesordnung standen); (b.) eine als geringer angesehene Gesamtverantwortung (weswegen die „Kleinen“ zuerst amnestiert wurden); (c.) eine nur „formale“ Be-

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lastung bzw. das Nichtvorhandensein einer nationalsozialistischen Gesinnung oder eines „Kollaborationseifers“; (d.) eine „patriotische“ Haltung (die insbesondere in Frankreich und Österreich an Verdiensten für den Widerstand und nationalen Loyalitätserklärungen festgemacht wurde); sowie (e.) eine nachgewiesene „demokratische“ und „republikanische“ Orientierung (die in Westdeutschland und Österreich durch den Eintritt in eine „demokratische“ Partei signalisiert werden konnte). Die Unterschiede in Frankreich, Österreich und Westdeutschland lagen vor allem in der Art und Weise, wie weit diese Argumente ausgelegt wurden und in welchem Mischungsverhältnis sie zur Anwendung kamen. Eine besonders weitreichende und konsensuale Tendenz zur Entlastung früherer Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten muss für Österreich konstatiert werden. In Frankreich dagegen war noch der Diskurs um die Amnestiegesetze der frühen 1950er Jahre von erheblichen Polarisierungen geprägt und es bestand die Befürchtung, damit zu weit zu gehen. In der Bundesrepublik finden sich Anzeichen für beides: Während spätestens im Bundestag eine große Bereitschaft bestand, möglichst viele nationalsozialistisch belastete Personen zu entlasten und zu reintegrieren, schwangen vielfach doch Skepsis und Zweifel mit, insbesondere auf der politischen Linken, die aber von lautstarken Rufen nach nationaler „Versöhnung“ und Einigkeit übertönt wurden. Gemeinsam haben die Amnestiedebatten in den drei Ländern, dass sich die Belastungsargumente vom Kriegsende ins Gegenteil verkehrt hatten: Das Demokratie-Argument verlangte nun eine Gleichbehandlung aller Bürgerinnen und Bürger und das Ende politischer „Diskriminierung“, um die demokratische Loyalität der politisch Belasteten zu fördern. Die Nation dagegen verlangte nach Aussöhnung im Innern und nach einer gemeinsamen Front nach außen (gegen die „Besatzungsmacht“ sowie gegen den Kommunismus), um die „apokalyptischen“ 1 Zeiten hinter sich zu lassen und die nationale Gemeinschaft zu integrieren.

1 Eduard Wahl (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 2.12.1949, 581.

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2. Belastung und Sprache Die maßgeblichen Unterschiede zwischen den nationalen Belastungs- und Entlastungsdiskursen und den dahinterstehenden Konzepten und Denkweisen können anhand der unterschiedlichen semantischen Annäherungen an die Kategorie politische Belastung nachvollzogen werden. In den westdeutschen und österreichischen Sanktionierungs- und Amnestiediskursen tauchte der Belastungsbegriff in einer Doppelfunktion auf. Das Adjektiv „belastet“ war zum einen terminus technicus der Entnazifizierung. Es erschien in mehreren relativ klar definierten rechtssprachlichen Begriffsvarianten (als „belastet“, „minderbelastet“, „entlastet“), die jeweils für eine bestimmte, gesetzlich definierte Kategorie von Personen stand. Zum anderen wurde der Begriff „belastet“ in den parlamentarischen Debatten in einer informelleren Weise zur Beschreibung einer wie auch immer gearteten politischen Kompromittierung genutzt. In dieser Verwendung konnte er sowohl gesteigert („weniger belastet“ und „schwerer belastet“) als auch verneint („unbelastet“) werden. Mochte die Vielzahl an begrifflichen Derivaten zunächst auf eine größere sprachliche und konzeptuelle Differenzierung verweisen, so haftete Begriffen wie „minderbelastet“, „Mitläufer“ und „entlastet“ per se eine relativierende Tendenz an. 2 Mit dem doppelten formellen und informellen Begriffsgebrauch wiederum ging eine sprachliche Unschärfe einher, die den Diskurs sehr stark beeinflusste. Sie unterstützte insbesondere die Relativierungstendenzen der späteren 1940er Jahre: Wenn etwa in der österreichischen Nationalratsdebatte zur „Minderbelastetenamnestie“ 1948 bereits informell von „sogenannten Belasteten“ die Rede war, dann wurde damit mehr oder weniger implizit eine künftige Ausdehnung der Amnestie auf die entsprechende Formalkategorie vorbereitet. In Frankreich war das Adjektiv „compromis“ zwar ebenfalls gebräuchlich, es wurde aber relativ selten verwendet. Selbst der in seiner Bedeutung vielschichtige Begriff des „collaborateur“ (oder „collabo“) spielte im parlamentarischen Diskurs eine untergeordnete Rolle. Stattdessen wurde die politische Auseinandersetzung innerhalb der Nachkriegseliten durch Begriffe wie „traître“ (Verräter) und „coupable“ (schuldig) geprägt, die ein sehr viel eindeutigeres moralisches Werturteil gegenüber

2 Vgl. Heidrun Kämper, Entnazifizierung – Sprachliche Existenzformen eines ethischen Konzepts, in: Dies./Hartmut Schmidt (Hrsg.), Das 20.Jahrhundert. Sprachgeschichte – Zeitgeschichte. Berlin/New York 1998, 304–329, dort 320.

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den betroffenen Personengruppen zum Ausdruck brachten. Auch in der Gesetzgebung bediente sich Frankreich moralisch hoch aufgeladener Begriffe wie „indignité nationale“ und „politique antinationale“, die dem französischen Belastungsdiskurs eine scharfe moralische Kontur verliehen. Das Konzept der „indignité nationale“ brachte zum Ausdruck, dass die von ihr Betroffenen „unwürdig“ waren, als vollberechtigte Bürgerinnen und Bürger am öffentlichen Leben der Nation zu partizipieren geschweige denn die Nation, die sie „beschmutzt“ und „entehrt“ hatten, als Amtspersonen oder Abgeordnete zu repräsentieren. Diese kollektiv-moralische Bedeutungsebene ist zwar im französischen Fall besonders stark ausgeprägt. Aber auch in den deutschsprachigen Diskursen war sie stets präsent: Mit dem Begriff der „Belastung“ schwang immer mit, dass die betroffenen Personen nicht nur „belastet“ waren, sondern dass sie eine „Belastung“ für andere darstellten: sei es, dass sie den demokratischen Wiederaufbau erschwerten, sei es, dass sich ihre Präsenz in öffentlich sichtbaren Funktionen „belastend“ auf das Ansehen des Landes im Ausland auswirkte. Beobachtet man die Belastungsdiskurse, wie in dieser Studie geschehen, über eine Zeitspanne von zehn Jahren, dann zeigt sich eine deutliche Tendenz in allen drei Ländern, den Diskurs zunehmend von seiner eindeutigen moralischen Aufladung zu befreien. Dies konnte dadurch geschehen, dass der Belastungsbegriff vermieden wurde und stattdessen vermeintlich neutralere Alternativformulierungen gewählt wurden. Aus „Belasteten“ und „coupables“ wurden dann „Ehemalige“, „Entnazifizierte“ und „131er“ – oder aber „inéligibles“ und „épurés“. Gemeinsam hatten diese Alternativbegriffe häufig, dass sie den Gegenwartsbezug politischer Belastung ausblendeten und ihren materiellen Inhalt als vergangen markierten: Die „Entnazifierten“ waren eben keine Nazis mehr und die „Gesäuberten“ waren bereits sauber geworden. Eine zweite Strategie lag darin, den Belastungsbegriff in seiner moralischen Dimension zu relativieren. Dieser Versuch zeigte sich im kontrastiven Begriffspaar „politisch belastet“ und „wirklich schuldig“, das sich sehr häufig in den westdeutschen und österreichischen Amnestiedebatten wiederfindet, in ähnlicher Form aber auch in Frankreich bemüht wurde. Durch die Gegenüberstellung wurde suggeriert, dass politische Belastung etwas gänzlich anderes war als Schuld, dass „Belastete“ nicht eigentlich (sei es moralisch oder strafrechtlich) „schuldig“ waren. Solche Diskursstrategien sind typisch für die deutschsprachigen Auseinandersetzungen der 1940er und 1950er Jahre. Sie lassen sich zwar auch für Teile der französischen Rech-

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ten identifizieren. Insgesamt aber vierhielt sich der französische Diskurs anders, weil insbesondere die Kräfte der Résistance darauf drängten, dass die aus der Kollaboration resultierende Belastung nicht gänzlich aufzulösen war. Für die Mehrheit der französischen Nationalversammlung blieben die zu Amnestierenden „Schuldige“ 3. Das gilt selbst für die Kategorie der „moins coupables“, denen immer noch eine (wenn auch geringere) Schuld angerechnet wurde.

3. Nation und Verrat Die kollektivmoralische Dimension des Konzeptes politische Belastung ist ein wesentliches Kennzeichen, das die drei nationalen Diskurse miteinander verbindet. Es kommt besonders in Form wiederkehrender Argumente und Begründungszusammenhänge zum Ausdruck, die in dieser Studie als nationale Signaturen beschrieben wurden. Wirft man unter diesem Blickwinkel einige komparative Schlaglichter auf die politischen Belastungsdiskurse des ersten Nachkriegsjahrzehnts, dann liegt der Schluss nahe, dass die individuelle Verantwortung von Personen (und Personengruppen) gegenüber Opfern (und Opfergruppen) in den 1940er und 1950er Jahren nicht der zentrale Gegenstand war, der aus zeitgenössischer Sicht politische Belastung konstituierte. Politische Kompromittierung resultierte weder in Westdeutschland noch in Österreich oder Frankreich in erster Linie aus den Verbrechen, die an jüdischen Menschen, an Sinti oder Roma, an Homosexuellen oder an anderen gesellschaftlichen Minderheiten begangen worden waren. Stattdessen bemaßen die politischen Eliten der europäischen Nachkriegsdemokratien Belastung in erster Linie im Verhältnis zum politischen Kollektiv oder aber zu einer Opfergruppe, die dieses Kollektiv repräsentierte, wie der französische Widerstand oder die in den Lagern inhaftierte österreichische Opposition. Dass bestimmte Personen als kompromittiert und sanktionswürdig angesehen wurden, war in Frankreich, Österreich und Westdeutschland die Folge eines zugeschriebenen Vergehens gegenüber Staat, Nation und Gesellschaft. Verrat und Schuld gegenüber dem nationalen Kollektiv war das zentrale Belastungsmotiv in den politischen Säuberungs- und Amnestiedebatten, wobei eindeutige Grenzzie3 Pierre-Henri Teitgen, „Le temps est venu de se montrer plus indulvent non pour les fauts mais pour les coupables“, in: Combat, 30.4.1949.

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hungen zwischen Nation, Volk und Staat kaum getätigt wurden. Diese Hegemonie nationalkollektiver Argumente in Moraldiskursen ist derweil kein Spezifikum der politischen Belastungsdebatte, sondern für Frankreich und Deutschland auch in anderen Zusammenhängen, etwa für die Bereiche Sexualität und Geburtenkontrolle, gezeigt worden: Während im Zeitalter der Weltkriege und in deren Folge in vielen Bereichen als moralisch galt, was der nationalen Gemeinschaft diente, und als unmoralisch, was ihr schadete, so gewann das Schicksal von Individuen vielfach erst in den Folgejahrzehnten als Maßstab richtigen und falschen Verhaltens an Bedeutung. 4 In Frankreich hing die Vorstellung, dass sich französische Bürgerinnen und Bürger durch „Kollaboration“ mit dem Feind belastet hatten, unmittelbar am Gedanken nationaler Loyalität und Illoyalität. Aus Sicht der Résistance, die auch das Gros der politischen Nachkriegseliten stellte, war politisch belastet, wer (erstens) Verantwortung dafür trug, dass Frankreich 1940 an den Kriegsgegner „verraten“ wurde, und wer (zweitens) diesen Verrat während der Zeit der Besatzung und des Vichy-Regimes wiederholte, indem er mit den Behörden „zusammenarbeitete“ und damit eine „antinationale Politik“ unterstützte. Mit diesem Belastungskonzept war auch der dritte Gedanke – der des Verrats an der Republik und ihren demokratischen Institutionen – eng verbunden, stand doch auch die Republik stellvertretend für die Nation. Mitverantwortung an der Zerstörung der Dritten Republik und am Aufbau eines diktatorischen Regimes war damit Teil des nationalen Verrats. Die Sanktionierung von „Verrätern“ spielte also eine zentrale Rolle für die nationale und demokratische Rekonstruktion Frankreichs, insofern die Nation ihre „Ehre“ und „Größe“ wiedererlangte. Dass Verrat und Loyalität für die ehemals nationalsozialistisch besetzten Länder Europas zentrale Belastungskategorien darstellten, ist kein neuer Befund. In Dänemark wurde 1945 sogar eigens ein „Landesverrätergesetz“ erlassen, um jene Teile der Bevölkerung zu sanktionieren, die mit dem deutschen Besatzer „kollaboriert“ hatten. 5 Der Fall Österreich zeigt jedoch, wie sehr der Gedanke nationaler Loyalität den 4 Vgl. Ann-Kathrin Gembries, Birth Control as a National Threat? Pronatalist Discourse on Abortion in France and Germany (1920–1970s), in: Dies./Theresa Theuke/Isabel Heinemann (Eds.), Children by Choice? Changing Values, Reproduction, and Family Planning in the 20th Century. München 2018, 21–56. 5 Vgl. Christian A. Widmann, Machtkampf und Mythos. Die Genese des dänischen „Résistancialismus“ (1944–1957), in: Lingen (Hrsg.), Kriegserfahrungen, 284–297, dort 290. Auch hier setzte sich nach 1945 eine Tendenz durch, demokratische Gesinnung und nationale Haltung gleichzusetzen – womit demokratische

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Belastungsdiskurs auch in Ländern mit weniger eindeutiger Besatzungsvergangenheit prägte. 6 Auch die österreichischen Nachkriegseliten stützten sich auf die Vorstellung, dass das Land während der nationalsozialistischen Zeit durch eine ausländische Macht okkupiert gewesen sei. Die österreichischen NSDAP-Mitglieder hatten demnach Verrat an der Nation Österreich begangen und sollten hierfür bestraft werden. Wie in Frankreich war daher auch in Österreich die Auseinandersetzung mit politischer Belastung mit dem Versuch verbunden, die Nation durch Distanzierung von Deutschland und vom Nationalsozialismus neu zu formieren. Wurden in Frankreich Republik und Nation miteinander identifiziert – und die Diktatur damit externalisiert –, so galt in Österreich dasselbe: Die Loyalität zur „demokratischen unabhängigen Republik Österreich“ zu sichern, wurde zum Ziel des Belastungsdiskurses. Dass die Belastung der früheren Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten der Entlastung des eigenen Landes diente, war dabei evident. Die nationale Grundierung des Diskurses wirkte exkulpierend, insofern Diktatur und Verbrechen auf den Einfluss Deutschlands reduziert und in Opposition zum eigenen „demokratischen“ und moralisch integren Nationalcharakter gesetzt wurde. Für die westdeutsche Nachkriegspolitik war es ungleich schwerer, sich ähnlicher Muster der Entlastung durch Zuschreibung von Belastung zu bedienen. Dennoch gab es einige Versuche. Dass der Nationalsozialismus das deutsche Volk ins Unglück gestürzt, den Namen des Vaterlandes beschmutzt und das Elend der Nachkriegszeit – Hunger, Zerstörung und Besatzung – zu verantworten hatte, galt in den ersten Nachkriegsjahren als maßgeblicher Grund, warum die Verantwortlichen dieser Politik zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Von einer vielfach behaupteten „Entlegitimierung“ der Nation konnte im westdeutschen politisch-parlamentarischen

und nationale Diskurssignaturen amalgamierten (vgl. ebd.295). Für weitere Beispiele siehe Friso Wielenga, Die „Guten“ und die „Bösen“. Niederländische Erinnerungskultur und nationale Identität nach 1945, in: Lingen (Hrsg.), Kriegserfahrungen, 246–264; Susanne Maerz, Problem Landesverrat. „Vergangenheitsbewältigung“ in Norwegen, in: Lingen (Hrsg.), Kriegserfahrungen, 265–283; sowie mit Länderkapiteln aus dem gesamten europäischen Raum Kellner, Kollaboration. 6 In dieser Hinsicht verhielt sich der österreichische Belastungsdiskurs ähnlich wie der italienische: So sehr sich auch die italienische Nachkriegsgesellschaft auf dem Helden- und Opfermythos der „Resistenza“ begründete, so sehr konzentrierte sich der Belastungsdiskurs auf die „Kollaboration“ von Italienern im Norden und an Italienern begangene Verbrechen. Entsprechend hatten faschistische Amtsträger dann oft wenig zu befürchten, wenn sie sich 1943 nicht der Kollaborationsregierung von Salò angeschlossen hatten und entsprechend als „staatsloyal“ galten. Vgl. Kerstin von Lingen, „Giorni di Gloria“. Wiedergeburt der italienischen Nation in der Resistenza, in: Dies. (Hrsg.), Kriegserfahrungen, 389–408; Tosatti, Viminale.

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Belastungsdiskurs der 1940er und 1950er Jahre keine Rede sein 7, allenfalls von einer partiellen Ersetzung des Nationenbegriffs durch scheinbar unbelastete Äquivalente wie „Volk“ und „Vaterland“. Die Kategorie politische Belastung wurde aber gerade so definiert, dass sie einer Entlegitimierung der Nation entgegenwirkte. Die verbreitete These, dass sich die Entnazifizierung nicht gegen die Deutschen richtete, sondern gegen jene, die sie verraten und die Nation beschmutzt hatten, wirkte dabei in vielfacher Hinsicht legitimierend und entlastend. Auf diese Weise stützte der Belastungsdiskurs das Selbstbild der Deutschen als Opfer einer diktatorischen Machtclique. 8 Wie in den anderen Nachkriegsdemokratien spielte die Definition politisch Belasteter auch im westdeutschen Fall eine zentrale Rolle bei der Rekonstruktion einer nationalen Identität, und zwar nicht in erster Linie durch Übernahme einer wie auch immer gearteten Kollektivverantwortung, sondern durch konkrete Benennung von Personengruppen: Wo es Belastete gab, gab es auch Nichtbelastete. Deutungen, wonach diese kollektive Opferkonstruktion damit zusammenhängt, dass es in Deutschland keine Möglichkeit zur Etablierung eines nationalheroischen Mythennarrativs gegeben habe, auf das man sich zur positiven Identitätsbildung habe stützen können, sind nicht ganz von der Hand zu weisen. 9 Sie müssen mit Blick auf den Verlauf der Belastungsdiskurse in Österreich und Frankreich aber deutlich relativiert werden. Auch wo positive Gegenmythen wie die „Lagerstraße“ und die Résistance vorhanden waren, konnten sich nach dem Krieg wirkmächtige kollektive Opfererzählungen ausbilden, die dazu neigten, Fragen aktiver und passiver Komplizenschaft mit dem Regime auszuklammern. Stattdessen etablierten sich überall wirkmächtige Nationalmythen, die als Opfer- und Widerstandserzählungen so umfassend waren, dass sie zumindest zeitweise die Auseinandersetzung mit der politischen Belastung einzelner Personengruppen zu dominieren und zu funktionalisieren vermochten. 10 Wo die Nation mit dem Widerstand und der Widerstand als

7 Vgl. Heinrich August Winkler, Nationalismus, Nationalstaat und nationale Frage in Deutschland seit 1945, in: Ders./Hartmut Kaelble (Hrsg.), Nationalismus – Nationalitäten – Supranationalität. Stuttgart 1993, 12–33, dort 15; gegen die Entlegitimierungsthese Jörg Echternkamp, „Verwirrung im Vaterländischen“? Nationalismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft 1945–1960, in: Ders./Sven Oliver Müller (Hrsg.), Die Politik der Nation. Deutscher Nationalismus 1760–1960. München 2002, 219–246; außerdem jüngst Rigoll/Müller, Zeitgeschichte. 8 Vgl. Wirsching, Weimar, 43; Goschler, Konjunkturen, 145; Fulbrook, „Unschuldige Zuschauer“, 55. 9 Vgl. Weinke, Die Bundesrepublik, 6f. 10 Vgl. Hammerstein, Gemeinsame Vergangenheit, 134.

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Opfer identifiziert wurden, da galt die Nation als Opfer und Heldin zugleich. Auch wenn die Schuld und Komplizenschaft der Deutschen besonders groß war, machte der westdeutsche Nachkriegsdiskurs hiervon keine Ausnahme. Auch er bediente das, was der koreanische Historiker Jie-Hyun Lim als „Victimhood Nationalism“ bezeichnet hat: die Funktionalisierung kollektiver Opferdiskurse zur nationalen Identitätsbildung. 11

4. Demokratie und Inklusion Dass die Auseinandersetzung mit politischer Belastung in der Nachkriegszeit mit dem Ziel der demokratischen Transformation verbunden war, zeigte sich in vielerlei Hinsicht. Insbesondere die politischen und administrativen Sanktionierungsprozesse am Kriegsende nahmen Bezug auf die demokratische Nachkriegsordnung, die nun errichtet werden sollte. Zu „säubern“ waren demnach Personen, von denen ihrer Vergangenheit nach angenommen wurde, dass sie ein Hindernis für die Durchsetzung dieser Nachkriegsordnung darstellen würden. 12 Dies galt insbesondere für solche Personen, die eng mit den undemokratischen Regimen der Vergangenheit assoziiert waren. Dazu zählten höhere Parteifunktionäre, Regierungsmitglieder und Staatsrepräsentanten. In Frankreich wurden aber auch Abgeordnete der Zwischenkriegszeit mit Sanktionen belegt, die für den Untergang der Republik und die Errichtung des Kollaborationsregimes mitverantwortlich gemacht wurden. 13 Neben sicherheitspolitischen Überlegungen war damit auch die Vorstellung verbunden, dass eine echte Demokratie nur mit einem „reinen“, von politischen Belastungen befreiten Korpus politischer und gesellschaftlicher Eliten aufgebaut werden könne, weil sie sonst über keine ausreichende moralische Legitimität verfüge. Daneben band das Bekenntnis zur Demokratie die Auseinandersetzung mit politisch Belasteten aber in allen drei Ländern an ein rechtsstaatliches Verfahren, das

11

Jie-Hyun Lim, Victimhood Nationalism in the Memory of Mass Dictatorship, in: Lim/Walker/Lambert

(Eds.), Mass Dictatorship, 36–61. 12

Vgl. Henke/Woller, Einleitung, in: Dies. (Hrsg.), Säuberung, 13.

13

Vgl. auch das italienische Sanktionsgesetz vom Juli 1944. Es richtete sich gegen Personen, die „die ver-

fassungsmäßigen Garantien ausgeschaltet, die demokratischen Freiheiten zerstört […] und das Schicksal des Landes in die heutige Katastrophe geführt haben“, Decreto Legislativo Luogotenenziale Nr.159: Sanzioni contro il fascismo, 27.7.1944, in: Gazzetta Ufficiale del Regno d’Italia, serie speciale, 29.7.1944.

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zwar durchaus auf Kritik stieß, das sich aber doch als maßgeblicher Rahmen durchsetzen konnte. In Frankreich versuchten Mitglieder der provisorischen Nationalversammlung und der provisorischen Regierung den blutigen „wilden Säuberungen“ mit dem Argument Einhalt zu gebieten, dass es nicht zur französisch-republikanischen Identität passe, „deutsche“ (d.h. nationalsozialistische) Methoden der Gewalt und der Willkür anzuwenden. Der Rechtsrahmen des Umgangs mit Kollaborateurinnen und Kollaborateuren diente damit als Rückversicherung der eigenen nationalen Identität. Das gilt auch für Österreich und Westdeutschland, wo das Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat zur normativen Distanzierung vom Nationalsozialismus genutzt wurde. In allen drei Ländern diente die Auseinandersetzung mit politisch Belasteten also dazu, eine von Frieden und Recht geprägte Nationalidentität zu konstruieren, die nur sehr bedingt oder gar nicht mit den realen Kriegserfahrungen zusammenpasste. So anspruchsvoll das Ziel der Demokratisierung durch Sanktionierung aber war, so schwierig war es in der Realität durchzusetzen. Je größer die Gruppe der Belasteten war, desto leichter ließen sich die Nachkriegseliten von ihrer demokratischen Gesinnung überzeugen. Eine Loyalitätsbekundung an die richtige Adresse reichte häufig aus. 14 Dazu kam überall das Problem, dass die demokratische Funktion der Sanktionierungsprozesse diese von Beginn an vor erhebliche Herausforderungen stellte. Dass die Auseinandersetzung mit politisch Belasteten in der liberalen Demokratie rechtsstaatlichen Prinzipien folgen musste, wenn sie demokratisierend wirken sollte, war weitgehender Konsens und spielte eine gewichtige Rolle dabei, die Nachkriegsgesellschaften normativ von der Vergangenheit zu trennen und in ihrer demokratischen Identität zu bestärken. Dem widersprach auch nicht, dass sich die Gesetzgeber in bestimmten Fällen dazu entschieden, gegen das rechtsstaatliche Prinzip des „nullum crimen, nulla poene sine lege“ zu verstoßen. Wo dies getan wurde, herrschte ein sehr ausgeprägtes Bewusstsein vor, dass es sich hierbei um ein problematisches Instrument handelte, das nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen durfte. Auch deswegen sollten die ausgeprägten Demokratiedebatten in den europäischen Belastungsdiskursen nicht ausschließlich als Versuch politisch belasteter Personen und ihrer Apologetinnen und Apologeten verstanden werden, den Demokra-

14 Vgl. auch die Anwerbung ehemaliger Nationalsozialisten durch die USA, Rigoll, Staatsschutz, 35.

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tiebegriff zu kapern, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Vielmehr war die Debatte um den demokratischen und rechtsstaatlichen Charakter der politischen „Säuberung“ (auch) Bestandteil einer diskursiven und normativen Demokratisierung, die in den 1940er und 1950er Jahren freilich noch anderen, begrenzteren Vorstellungen folgte als die Demokratisierungsdebatten späterer Generationen. 15 Dass sich auch die Kritik am Umgang mit politischer Belastung auf demokratische Normen und liberale Verfahren bezog, war keine Selbstverständlichkeit, auch wenn mit der rhetorischen Bezugnahme auf Demokratie und Rechtsstaat nicht einfach auf die dahinterliegenden Werte geschlossen werden kann. So gesehen kommt den politischen Belastungsdiskursen eine zentrale Rolle in den politischen Transformationsprozessen der Nachkriegszeit zu, in denen „die zentralen Fundamente der neuen Nachkriegsdemokratie verankert wurden“. 16 In der diskursiven Aushandlung politischer Kompromittierung wurde nicht nur die Frage aufgeworfen, wer an der Neugestaltung der demokratischen Ordnungen in welchem Umfang teilnehmen sollte, sondern auch, auf welcher normativen Basis dies geschehen sollte. Dabei wurden verschiedene demokratische Normen gegeneinander austariert und diskursiv verankert, aber auch die Potenziale ihrer politischen Instrumentalisierung ausgetestet. In allen drei Untersuchungsländern lässt sich hierbei beobachten, wie Fragen politischer Belastung mit unterschiedlichen Demokratievorstellungen verbunden wurden. Ein gemeinschaftsbezogenes Demokratiemodell konnte unmittelbar an den national-kollektiven Begründungszusammenhang politischer Belastung anknüpfen. Insofern sich die politisch Belasteten gegenüber der Gemeinschaft versündigt hatten, stand es auch der Gemeinschaft zu, ihnen (auf Zeit) einen Teil ihrer bürgerlichen Freiheiten und ihrer demokratischen Mitwirkungsrechte zu verwehren – im Sinne des Kollektivs und seiner neuen demokratischen Ordnung. Diese Argumentation war in Frankreich besonders stark ausgeprägt und schloss dort nicht nur an traditionelle republikanische Demokratiekonzepte an, sondern auch an den „demokratischen Patriotismus“ der Résistance, der als maßgebliche politische Legitimitätsressource der Nachkriegszeit fungierte. 17 Das gemeinschaftsbezogene Demokra-

15

Vgl. Conway, Democracy, 63; zur Demokratisierung der Nachkriegsgesellschaften vgl. auch Gatzka,

Demokratie; Schanetzky u.a. (Hrsg.), Demokratisierung; Hedwig Richter, Demokratie. Eine deutsche Affäre. München 2020.

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16

Bauerkämper/Jarausch/Payk, Einleitung, 12.

17

Pittaway/Dahl, Legitimacy, 187.

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tiekonzept fand aber auch im westdeutschen und im österreichischen Belastungsdiskurs Zuspruch. Dort konnte es einerseits an manche volksgemeinschaftliche Vorstellung vom Vorrang des Kollektivs anknüpfen, passte andererseits aber zum skeptischen Demokratiegedanken der Nachkriegseliten, der sich unter anderem im Konzept der „militant democracy“ niederschlug. 18 Allerdings war in allen drei Ländern eine starke Gegenposition erkennbar. Diese orientierte sich an den Individualrechten der politisch Belasteten, am politischen Gleichheitsgedanken und an traditionellen Vorstellungen demokratischer Souveränität, die gegen Versuche ihrer Beschneidung im Dienst der Allgemeinheit in Stellung gebracht wurden. Demnach verlangte die universelle Demokratie nach absoluter Gleichbehandlung der Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer „belasteten“ persönlichen Vergangenheit. Aber auch dieser Gedanke konnte stabilitätspolitisch gewendet werden: Wenn die neuen Ordnungen tatsächlich erfolgreich sein sollten, konnten sie sich die Ausgrenzung ihrer potenziellen Gegner nicht leisten, so das Argument. Die überall sichtbare Entlastungstendenz in den Diskursen steht daher auch im Zusammenhang mit dem Streben der Nachkriegsdemokratien nach größtmöglicher politischer Legitimität in den Augen der politischen Öffentlichkeit. 19 Offensichtlich war diese Position besonders anfällig für apologetische Tendenzen, war sie doch mit einer sichtbaren Tendenz zur Delegitimierung vergangenheitspolitischer Sanktionen verbunden. In diesem Spannungsfeld von Vergangenheits- und Demokratiepolitik und im Angesicht widerstreitender demokratietheoretischer Positionen lastete auf den politischen „Säuberungen“ von Beginn an eine schwere Hypothek. Dass die neuen Demokratien dadurch errichtet werden sollten, dass einem Teil der Bevölkerung die Partizipation verweigert wurde, entwickelte sich im Laufe der 1940er Jahre zu einem zentralen Kritikpunkt in den demokratischen Öffentlichkeiten. Die Kritik richtete sich nicht nur gegen Verstöße gegen das Rückwirkungsverbot, sondern auch gegen den Ausschluss von Wahlen und den Verlust anderer bürgerlicher Grundrechte, denen politisch Belastete in allen Untersuchungsländern unterlagen. Insbesondere die Lobbygruppen der „Gesäuberten“, aber auch zahlreiche Angehörige des Widerstands und der „demokratischen“ Parteien, nicht zuletzt der liberalen Strömungen, begründeten ihr Eintreten für eine Revision der verhängten Sanktionen mit deren 18 Vgl. Müller, Contesting Democracy, 128, 147; Nolte, Was ist Demokratie?, 291, 308. 19 Vgl. Pittaway/Dahl, Legitimacy.

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undemokratischem und rechtsstaatswidrigem Charakter. Sie setzten sich – zumindest rhetorisch – für demokratische und republikanische Werte wie Freiheit, Gleichheit und Partizipation ein. Es war also, um die dichotomische Kategorisierung von Heidrun Kämper zu bemühen, keineswegs nur die Diskursgemeinschaft der „Täter“, die die Nachkriegsgegenwart als Unrecht denunzierte. Auch in der Diskurssprache der „Nichttäter“, und vor allem in der Kommunikation zwischen beiden Gruppen, wurde das Argument Demokratie zu einem maßgeblichen Faktor im Übergang vom Belastungs- und Sanktions- zum Entlastungs- und Reintegrationsdiskurs. 20 Für den wissenschaftlichen Blick auf die nationalsozialistische „Belastung“ der Bundesrepublik und ihre Demokratisierung sind mit diesen Beobachtungen einige Konsequenzen verbunden. Erstens machen die Zusammenhänge und Überkreuzungen von Demokratie- und Belastungsdiskurs allzu sehr deutlich, dass das Prinzip der „wehrhaften Demokratie“ auch für jene politische Generation, die das Scheitern Weimars vor Augen hatte, keineswegs unumstritten war. 21 Jedenfalls ging aus ihm keine eindeutige vergangenheitspolitische Implikation hervor. Die Vorstellung, dass es legitim und notwendig sein könnte, den Kompromittierten im Namen der Demokratie die politische Partizipation zu versagen – und sei es nur vorübergehend –, war auch für überzeugte Demokratinnen und Demokraten nach 1945 nicht so evident, wie es im Nachhinein oft erscheint. Dass das Demokratieargument dann wiederum durch Feinde der Demokratie instrumentalisiert wurde, steht auf einem anderen Blatt. Zweitens lassen sich die Unterschiede zwischen dem französischen und den deutschsprachigen Diskursen nur schwer mit einem Gegensatz „republikanischer“ (d.h. gemeinschaftsbezogener) und „liberaler“ (d.h. auf das Individuum gerichteter) Demokratievorstellungen erklären. 22 Stattdessen lässt sich gerade für Westdeutschland ein lebendiger Diskurs aufzeigen, in dem das kollektive Gelingen der Demokratie und die individuellen Rechte der politisch Belasteten nicht als Gegensätze gedacht wurden, sondern im Zusammenhang – und der sich gerade in diesem Zusammenspiel offen zeigte für allerlei opportunistische und apologetische Tendenzen.

20

Zur bewusst vereinfachenden Begrifflichkeit siehe Kämper, Schulddiskurs, 9–12.

21

Vgl. Wirsching, Weimar.

22

Vgl. Barbara Zehnpfennig, Demokratie – Genese, Werte, Modelle, in: Lars Lüdicke (Hrsg.), Deutsche De-

mokratiegeschichte. Eine Aufgabe der Erinnerungsarbeit. Berlin 2020, 11–20.

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Das Demokratieargument war damit keineswegs rein und unschuldig, sondern spannungsgeladen und kontrovers. Drittens kann man den Zusammenhang von Belastungs- und Demokratiediskurs aber auch anders wenden: Wer die Frage stellt, ob nicht die Entlastung und Reintegration „NS-belasteter“ Personen eine konsequente Redemokratisierung der frühen Bundesrepublik verhinderte, muss auch die umgekehrte Frage zulassen: Ob nicht die Redemokratisierung des politischen Systems und des politischen Diskurses die Entlastung und Reintegration früherer Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten beförderte. Das bedeutet keineswegs, dass der Rückgriff auf „bewährtes Personal“ alternativlos war und erst die Voraussetzung für gesellschaftliche Befriedung und anschließende Liberalisierung geschaffen hätte, wie schon zeitgenössisch in apologetischer Tendenz argumentiert wurde. 23 Stattdessen hingen beide Prozesse eng miteinander zusammen, insofern demokratiepolitische Argumente sowohl für als auch gegen die Sanktionierung als kompromittiert angesehener Personen ins Feld geführt werden konnten. Die europäische Perspektive legt daher den Schluss nahe, dass sich der Zusammenhang von Belastung und Demokratie in den europäischen Transformationsprozessen deutlich komplexer gestaltete, als es auf den ersten Blick erscheint. Aus diesem Blickwinkel passte die demokratische Inklusion politisch belasteter Personengruppen in eigenartiger Weise zu einer strukturellen Inklusionstendenz der europäischen Nachkriegsdemokratie, die von der demokratiehistorischen Forschung häufig übersehen wird. 24 Sie zeigt sich im Siegeszug des Parlamentarismus und des Verhältniswahlrechts, in der zunehmenden Akzeptanz von Partei- und Koalitionsregierungen (teils auch Konkordanzregierungen) und in der Einführung des Frauenwahlrechts in jenen demokratischen Staaten, die dem weiblichen Teil der Bevölkerung bis dahin die politische Partizipation verweigert hatten. Zwar legte die Nachkriegsdemokratie als historische Konfiguration großen Wert auf Disziplinierung und Kontrolle, dies wurde vielfach aber eher über Inklusion als Exklusion bewerkstelligt. Dass die demokratischen Nachkriegseliten ehemalige Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten, Faschistinnen und Faschisten sowie Kollabora-

23 Kritisch dazu Conze/Weinke, Krisenhaftes Lernen?, 94; Fulbrook, Reckonings, 527. 24 So z.B. bei Müller, Contesting Democracy, 146–150, der die „Disziplinierungs“-Tendenz der Nachkriegsdemokratie ausschließlich in ihren exklusiven Tendenzen sieht und ihre inklusiven Tendenzen als Abweichung beschreibt.

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teurinnen und Kollaborateure lieber integriert wussten als exkludiert, passte in dieses von Struktur und Kontrolle geprägte Modell der Postwar Democracy. 25

5. Binäre und differenzierte Diskurse Mit den demokratischen Argumentationszusammenhängen veränderten sich im Laufe der 1940er und 1950er Jahre auch die nationalen Signaturen in den politischen Belastungsdiskursen. Die Vorstellung, dass die „Säuberung“ der Nation von politisch belasteten Personen der nationalen Rekonstruktion dienlich war, wurde im Laufe der 1940er Jahre zunehmend infrage gestellt. Dies scheint nicht nur für die hier untersuchten Länder, sondern auch für andere Nachkriegsdemokratien Europas zu gelten. Hatte die niederländische Königin Wilhelmina im Londoner Exil noch davon gesprochen, dass in ihrem Land zukünftig kein Platz für „die Hand voll Landesverräter“ sein würde, so brachte ihre Tochter Juliana 1948 zum Ausdruck, dass „auch sie irgendwann wieder in unsere Gemeinschaft aufgenommen werden“ müssten. 26 Das Verhältnis von Exklusion und Inklusion erlebte im demokratischen Belastungsdiskurs also einen signifikanten Wandel. Dabei spielten Enttäuschungen eine Rolle, dass es nicht gelungen war, wirklich alle zur Rechenschaft zu ziehen, die als verantwortlich angesehen wurden. Insbesondere der europäischen Linken galt das Vorhaben einer sozialen und demokratischen Revolution durch Ausscheidung der politisch Diskreditierten als gescheitert. In vielen europäischen Nachkriegsgesellschaften wurden Schlagworte wie die „ausgebliebene Säuberung“ zu verbreiteten und wenig hinterfragten Topoi. 27 Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wiederum setzte sich die Interpretation durch, dass die „Säuberung“ nicht zu kurz gekommen, sondern im Gegenteil zu weit gegangen sei. Weite Teile der politischen Öffentlichkeiten vertraten mit zunehmendem Nachdruck die Ansicht, dass épuration und Entnazifizierung nicht Demokratie und Gerechtigkeit, sondern Unrecht und Unfrieden verursacht hätten. In diesem Zusammenhang ging es zunächst darum, offensichtliche Ungereimtheiten und Un-

25

Vgl. Conway, Democracy, 65ff.

26

Zitate nach Wielenga, Die „Guten“ und die „Bösen“, 246.

27

Vgl. Hans Woller, „Ausgebliebene Säuberung“? Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien, in:

Henke/Woller (Hrsg.), Säuberung, 148–191.

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gerechtigkeiten der Sanktionierungsprozesse zu thematisieren und diese nach Möglichkeit zu korrigieren. Im Laufe der 1940er Jahre aber wurde zunehmend die Vorstellung an sich in Zweifel gezogen, dass sich die Nation in belastete und unbelastete Personen gliedern ließ, die jeweils unterschiedlich zu behandeln waren. Insbesondere in Westdeutschland und Österreich, aber auch in Teilen des französischen Diskurses galt das Konzept politischer Belastung als undemokratisch und unpatriotisch, weil es die Gesellschaft vermeintlich in „zwei Klassen“ unterteilte, anstatt sie zusammenzubringen. Dass die Rede von den „zwei Klassen“ an marxistische Begrifflichkeiten erinnerte, ist kein Zufall, verband sich die Diskreditierung des Konzeptes Belastung doch mit dem Bedeutungsgewinn antikommunistischer Vorstellungen und mit zunehmenden Angriffen auf die kommunistische Linke. Die nachträgliche Interpretation der französischen épuration als „roter Terror“ ist hierfür das beste Beispiel. Signaturen des Kalten Kriegs in den Belastungsdiskursen der Nachkriegszeit dürfen aber nicht zu eindimensional gelesen werden, setzte sich doch die Kommunistische Partei in Österreich beispielsweise mit Nachdruck für eine Entlastung der „kleinen Nazi“ ein, um sich den „großen“ zuwenden zu können. Ähnliches hat die Forschung auch für andere europäische Nachkriegsgesellschaften herausgearbeitet. In Italien war es sogar der kommunistische Parteichef und Justizminister Palmiro Togliatti, der schon 1946 ein umfangreiches Amnestiegesetz verantwortete. In seiner Begründung nutzte er bereits alle maßgeblichen Schlagworte der späteren Amnestiediskurse in den Nachbarländern: Es sollte der „Befriedung und Aussöhnung aller anständigen Italiener“ dienen und bot jenen kleinen Faschistinnen und Faschisten Entlastung und Integration an, die „weniger schwere Verbrechen“ begangen hatten, weil sie darin fehlten, „zwischen Gut und Böse zu unterscheiden“. 28 In sprachlicher Hinsicht nahm Togliatti damit eine Tendenz vorweg, die auch in den hier untersuchten Fällen zu beobachten ist: War die politische Sprache der unmittelbaren Nachkriegsmonate noch von dynamischen Vokabeln der Veränderung und des Aufbruchs gekennzeichnet („Säuberung“, „Reinigung“, „Erneuerung“), so wurden diese bald durch den Ruf nach „Beruhigung“, „Befriedung“ und „Versöhnung“ verdrängt. Die radikalen Veränderungshoffnungen der Nachkriegszeit wurden dagegen im Rückblick mit Negativbegriffen wie „Chaos“, „Unordnung“ und „Unrecht“ verknüpft.

28 Palmiro Togliatti (PCI), zit. n. Woller, Abrechnung, 382; Woller, Säuberung, 187.

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In diskursstruktureller Hinsicht wiederum ist in allen drei Untersuchungsländern eine ständige Spannung von chiliastischer Vereinfachung und Differenzierung zu beobachten. In Frankreich dominierte lange Zeit eine binäre Diskurslogik, die dem „guten“ Frankreich der Résistance das „schlechte“ der Kollaboration entgegensetzte. Diese Struktur muss als typisch für ehemals besetzte Länder begriffen werden und wurde auch für die niederländische oder die norwegische Nachkriegsgesellschaft herausgearbeitet. 29 Dass die Mehrheit irgendwo zwischen beiden Polen stand, blieb im französischen Diskurs eigenartig unrepräsentiert. Auf dieser Nichtrepräsentation der Zwischentöne und Graustufen basierte auch die gaullistische Doktrin vom „widerständischen Frankreich“. Im Laufe der 1940er Jahre begann sich der französische Diskurs jedoch deutlich zu differenzieren, indem Diskursfiguren wie die „Getäuschten“ und „Irregeleiteten“, die „lampistes“ und die „moins coupables“ nach vorne rückten. Indem ihnen patriotische Beweggründe unterstellt wurden, gelang es, sie letztlich dem „guten“ Frankreich zuzuschlagen und so den differenzierten Diskurs wieder in eine dichotome Form zu überführen. Die Amnestiegesetze der 1950er Jahren erschienen vor diesem Hintergrund als nachholender Prozess, der die Neubewertung legislativ nachvollzog. Im österreichischen und im westdeutschen Belastungsdiskurs lässt sich ein etwas anderer Verlauf aufzeigen. Die schiere Menge von NSDAP-Mitgliedern und ihrer Angehörigen, aber auch die anderen Umstände der „Befreiung“ am Kriegsende trugen dazu bei, dass die Gruppe der politisch Belasteten in beiden Ländern von Beginn an differenzierter gesehen wurde. Die gesetzmäßige Unterscheidung nach verschiedenen, abgestuften Belastungskategorien entsprach diesem Denken. Allerdings tendierten auch der westdeutsche und der österreichische Belastungsdiskurs zu einer radikalen Komplexitätsreduktion durch Entlastung: Noch deutlich früher als in Frankreich neigten die politischen Nachkriegseliten Westdeutschlands und Österreichs dazu, Zwischenkategorien wie „Mitläufer“ und „Minderbelastete“ abzubauen, aus ihnen Entlastete zu machen und so die Zahl der politisch kompromittierten Personen auf ein Minimum zu reduzieren. Die Relativierungsstrategien waren dabei vielfältig und gingen bis dahin, politisch Sanktionierte selbst als Opfer anzuerkennen – sowohl des Nationalsozialismus als auch des „Entnazifizierungsunrechts“.

29

Wielenga, Die „Guten“ und die „Bösen“; Gerhard Hirschfeld, „The Good, the Bad and the Ugly…“ Die Nie-

derländer und die Kollaboration mit den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs, in: Afflerbach/Cornelißen (Hrsg.), Sieger und Besiegte, 183–202, dort v.a. 196–201; Maerz, Problem Landesverrat.

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Diese Opferdiskurse betrafen bald auch schwerer belastete Personengruppen wie „Hauptschuldige“ und „Kriegsverbrecher“.

6. Innen und Außen Ein wesentlicher Unterschied in den untersuchten Belastungsdiskursen liegt in ihrer transnationalen Dimension. In Österreich und Westdeutschland spielte die Präsenz der Besatzungsmächte eine wichtige Rolle und machte aus der Auseinandersetzung mit nationalsozialistisch Belasteten von Beginn an eine grenzüberschreitende Frage. Zunächst ging von den Alliierten eine starke Initialfunktion aus, indem sie die politischen Nachkriegseliten unter Druck setzten, ehemalige NSDAP-Mitglieder, Angehörige von NS-Organisationen und andere Trägergruppen des Regimes mit Sanktionen zu belegen, um der neuen demokratischen Ordnung ein möglichst festes Fundament zu schaffen. Als Anreiz einer gründlichen „Säuberung“ diente aber nicht nur das demokratische Versprechen, sondern insbesondere die Aussicht auf Rückerlangung staatlicher Souveränität und nationalen Ansehens im Ausland. Der österreichischen und westdeutschen Nachkriegspolitik war dieser Zusammenhang sehr bewusst. In beiden Ländern diente die Auseinandersetzung mit politisch Belasteten daher auch als Instrument, um das „Vertrauen des In- und Auslands zur demokratischen Entwicklung“ zu fördern. 30 Dass es dabei auch zur Übernahme westlicher, insbesondere amerikanischer Demokratievorstellungen durch österreichische und westdeutsche Akteure kam, ist ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass an heimische Demokratietraditionen angeknüpft werden konnte. 31 Zur Demokratisierung als „transnationaler Praxis“ 32 gehört aber auch, dass deutsche und österreichische Nachkriegseliten schnell damit begannen, die von den Alliierten hochgehaltenen Demokratieideale gegen deren eigene „Säuberungs“-Konzepte zu richten und Spannungen zwischen „denazification“ und „democratization“ anzuprangern. 33 Der von der jüngeren Forschung konstatierte Zusammenhang opportunistischer 30 Bundestag, 1. WP, Drs. 3465, 47. Ausschuss, Schriftlicher Bericht vom 18.6.1952, 3. 31 Vgl. Bauerkämper/Jarausch/Payk (Hrsg.), Demokratiewunder; Anselm Doering-Manteuffel, Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20.Jahrhundert. Göttingen 1999. 32 Arnd Bauerkämper, Demokratisierung als transnationale Praxis. Neue Literatur zur Geschichte der Bundesrepublik in der westlichen Welt, in: NPL 53, 2008, 57–84. 33 Zu diesem Spannungsverhältnis auch Herf, Zweierlei Erinnerung, 240f.

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Anpassung und demokratischen Lernens in den westdeutschen Nachkriegsinstitutionen müsste daher um eine weitere Pointe ergänzt werden. 34 Demnach amalgamierten demokratische und nationale Diskurssignaturen zu einem national-demokratischen Revisionismus, der den alliierten Kampf für Demokratie und gegen Nationalismus in Mitteleuropa überkreuzte und ihn teils sogar zu unterminieren drohte. 35 Die skeptische Erwartung Franz L. Neumanns, die demokratischen Institutionen müssten entweder zu „Agenten der Besatzungsmacht“ werden und damit auf das Vertrauen der Bevölkerung verzichten oder sich gegen diese auflehnen, um die Unterstützung der Bevölkerung zu erhalten, nahm im Belastungsdiskurs eine reale Form an. 36 Im Laufe der Jahre mussten „die Alliierten“ zunehmend als negative Projektionsfläche herhalten und dienten dazu, Verantwortung zu externalisieren: Je negativer die Entnazifizierung in den politischen Öffentlichkeiten Westdeutschlands und Österreichs gesehen wurde, desto deutlicher wurde sie den Alliierten angelastet, die es angeblich verhinderten, dass das „Naziproblem“ im Einklang mit heimischen Rechtstraditionen „gelöst“ werde – was auch immer das bedeutete. Von der empfundenen oder behaupteten Strenge der Alliierten ging daher in beiden Ländern eine entlastende Funktion im Diskurs aus, denn nicht nur für Adenauer galt es als unstrittig, „daß ein Deutscher nicht noch minutiöser als die Besatzungsbehörden sein soll.“ 37 Der Klage über „ausländische Wertmaßstäbe“ wiederum stand die Tatsache gegenüber, dass der vergleichende Blick auf den Umgang mit politisch Belasteten in den Nachbarländern eine nicht zu vernachlässigende Rolle in den nationalen Diskursen spielte. Im österreichischen Nationalrat wurde gerne auf die Entwicklungen in Deutschland verwiesen, um eine großzügigere Amnestiepolitik zu fordern – schließlich stehe dem „Opfer“ Österreich mindestens das zu, was dem „Täter“ Deutschland gewährt wurde. Auch im westdeutschen Amnestiediskurs nahmen Abgeordnete gelegentlich Bezug auf ausländische Vorbilder, insbesondere auf die

34

Vgl. Conze/Weinke, Krisenhaftes Lernen?, 95; Frank Bösch/Andreas Wirsching, Die deutschen Innenmi-

nisterien nach dem Nationalsozialismus. Eine Bilanz, in: Dies. (Hrsg.), Hüter der Ordnung, 729–749, dort 749. 35

Vgl. Hermann-Josef Rupieper, Peacemaking with Germany. Grundlinien amerikanischer Demokratisie-

rungspolitik 1945–1954, in: Bauerkämper/Jarausch/Payk (Hrsg.), Demokratiewunder, 41–56. 36

Franz L. Neumann, zit. n. Nolte, Was ist Demokratie?, 332.

37

Konrad Adenauer (CDU), Bundestag, Berichte, 1. WP, 30.3.1950, 2055; vgl. auch Rudolf Vogel (CDU), Bun-

destag, Berichte, 1. WP, 30.3.1950, 2059.

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Frage, wie Amerikaner und Franzosen nach früheren Kriegen mit kompromittierten Personen im Inland verfuhren. In den Parlamentsdebatten finden sich aber wenige Hinweise auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit solchen internationalen und historischen Vorbildern, wurden Verweise auf das Ausland doch meist strategisch eingesetzt, um Sanktionen für politisch Belastete infrage zu stellen. Gerade die Seltenheit solcher offenkundigen Verflechtungen im parlamentarischen Diskurs laden zu weiteren Nachforschungen ein. In künftigen Studien gilt es gezielt nach Spuren gegenseitiger Einflüsse und Transfers zu forschen: Inwiefern gab es nach 1945 eine transnationale Zirkulation politischer Belastungsvorstellungen? Auch die französische épuration hatte ihre außenpolitische Dimension. Sie sollte das Prestige Frankreichs im Ausland und seine Legitimität als demokratische Großmacht wiederherstellen, die durch Kapitulation und Kollaboration beschädigt waren. Punktuell wurde die „Reinigung“ Frankreichs auch als Voraussetzung für eine glaubwürdige und effektive französische Entnazifizierungspolitik in Deutschland und Österreich beschrieben. In erster Linie aber hat man die Auseinandersetzung mit „Verrätern“ und „schuldigen“ Landesleuten als innerfranzösische Angelegenheit gesehen. Als solche wurde sie auch als „guerre franco-française“ bezeichnet. 38 Während in Westdeutschland und Österreich die Alliierten Druck auf die politisch Verantwortlichen ausübten, eine gewisse Strenge im Umgang mit Belasteten zu wahren, übernahm in Frankreich die eigene Öffentlichkeit diese Rolle. Insbesondere die Résistance und ihre Organisationen betätigten sich als innenpolitische pressure groups und übten entsprechende Kritik, wo immer das Handeln der staatlichen Stellen als zu nachsichtig empfunden wurde. 39 Dennoch lassen sich auch hier Ansätze diskursiver Externalisierungen beobachten, vor allem im Kontext des beginnenden Kalten Kriegs. Indem die zunehmend unpopuläre épuration im Rückblick zum politischen Manöver der Kommunistischen Partei und diese wiederum zum „parti de l’étranger“ erklärt wurde, erschien auch hier die politische Belastung französischer Bürgerinnen und Bürger als ausländische Vorstellung, die daran mitwirkte, die nationale Gemeinschaft zu spalten. Allerdings konnte dieser Externalisierungsversuch keinen ähnlich durchschlagenden Erfolg verzeichnen wie in Österreich und der Bundesrepublik, was insbesondere mit der Stärke der Kommunistischen Partei und ihrer zentralen Rolle in der französischen Widerstandsbewegung zu tun hatte. 38 Vgl. Rousso, Vichy Syndrome, 29. 39 Vgl. Novick, Resistance, 93.

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Nicht nur deshalb muss das Erbe der Résistance als maßgeblicher Faktor angesehen werden, der die Belastungsdiskurse in der Vierten Französischen Republik von den Deutungskämpfen in Österreich und Westdeutschland unterscheidet. Dass die Résistance in der Nachkriegsrepublik als Gründungsmythos und positiver Erinnerungsort über allem stand und die Amnestieforderungen der Rechten mit scharfen Angriffen auf deren Erbe einhergingen, war ein maßgeblicher Grund, warum sich in der französischen Politik kein ähnlich umfassender Amnestiekonsens etablieren konnte wie in den Nachbarländern. Stattdessen blieben die Gesetzesprojekte der 1950er Jahre hoch umstritten und wurden von der politischen Linken als Angriff auf das Erbe des Widerstands gelesen. Die französischen Amnestiegesetze sollten daher auch gar nicht der moralischen Entlastung und Rehabilitierung der Amnestierten dienen. Während die Entlastung früherer Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten von den politischen Eliten in der Bundesrepublik und in Österreich sehr stark als Notwendigkeit kommuniziert wurde, um einem von vielen anerkannten Entlastungsanspruch der Betroffenen gerecht zu werden, galt die französische Amnestie als Akt des Entgegenkommen: Die „épurés“ hatten sich die Amnestie nicht verdient, sondern sie wurde ihnen geschenkt.

7. Wege seither So sehr das hier untersuchte erste Nachkriegsjahrzehnt von Konvergenz im Großen und Unterschieden im Detail geprägt ist, so sehr gingen die Belastungsdiskurse ab Mitte der 1950er Jahren sichtlich auseinander. Schon im Vorfeld der NS-Amnestie 1957 war die Debatte um die politische Belastung von Österreicherinnen und Österreichern weitgehend abgeklungen. In Politik und Öffentlichkeit kam es zwar immer mal wieder zu kleineren Affären um die nationalsozialistische Vergangenheit einzelner Personen. Die politischen Parteien hatten aber weniger Interesse an einer vergangenheitspolitischen Debatte als daran, „Ehemalige“ anzuwerben und ihre Karrieren zu fördern. 40 Aus diesem Grund existierte zwischen den Parteien eine Art gentlemen’s agreement, dass die nationalsozialistische Vergangenheit von Regierungsmitgliedern nicht thematisiert wurde – und damit faktisch auch keine politi-

40

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Vgl. Neugebauer/Schwarz, Wille; Mesner (Hrsg.), Entnazifizierung; Wladika, Zur Repräsentanz.

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sche Belastung darstellte. 41 Sie konnten daher ihre Karrieren weitgehend unbehelligt von öffentlicher Kritik oder Skandalisierung fortsetzen, so etwa der parteilose Finanzminister und langjährige Nationalbankpräsident Reinhard Kamitz, der 1945 zwar noch als „Belasteter“ zurückgestuft worden war, als enger Weggefährte des späteren Bundeskanzlers Julius Raab aber in höchste Ämter aufstieg. Raabs eigene Vergangenheit als Führer der faschistischen „Heimwehren“ und als Minister des „Ständestaats“ wurde in der österreichischen Öffentlichkeit ohnehin wenig thematisiert und führte bei seiner Ernennung zum Bundeskanzler 1953 lediglich auf Seite der Kommunistischen Partei zum Protest – eine Kritik, die im Klima des Kalten Kriegs wenig Gewicht besaß. 42 Auch in Frankreich war der von der kommunistischen Opposition erzwungene Rücktritt des ehemaligen Präfekten André Boutemy vom Ministeramt im Jahr 1953 ein singuläres Ereignis. Die Wucht, mit der Opposition und Öffentlichkeit auf die Ernennung Boutemys reagierten, hatte ohnehin nicht nur mit der Vichy-Vergangenheit des Ministers zu tun, sondern auch mit seiner Funktion in der Nachkriegszeit, in der er als Cheflobbyist der Arbeitgeber und als Drahtzieher eines elaborierten politischen Korruptionsnetzwerks in Erscheinung getreten war. 43 Dazu kamen im Hintergrund die Debatten um die Amnestie für elsässische Angehörige der WaffenSS, die das Belastungsthema zusätzlich aufgeladen hatten. Jenseits der Boutemy-Af-

färe waren parlamentarische Debatten über die Vichy-Vergangenheit von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern aber selten. 44 Für ehemalige „Unwählbare“ wie Antoine Pinay oder René Coty war ihre Vergangenheit in den 1950er Jahren keine eigentliche Belastung mehr, konnten sie sich dank ihrer Résistance-Aktivitäten doch der zentralen politischen Legitimationsquelle der Französischen Republik bedienen. In ihrem Schatten wiederum konnten auch schwerer belastete Personen in machtvolle Ämter vordringen, so z.B. die Pinay-Berater Paul Yrissou, während der Vichy-Jahre für das Finanzministerium tätig, Antoine Partrat, mit Vergangenheit im Innenministerium, und Paul Creyssel, Generalsekretär für Propaganda in der Vichy-

41 Vgl. Rathkolb, Paradoxe Republik, 402f. 42 Vgl. Nationalrat, Prot., VII. GP, 16.4.1953, 29 und 33. 43 Vgl. Elgey, République des illusions, 635 ff.; Garrigues, André Boutemy; Ehrmann, Organized Business, 225f. 44 Für den Fall Robert Hersant siehe Rousso, Vichy Syndrome, 62ff.

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Regierung. 45 Auch der ehemalige Unterpräfekt Maurice Papon, der für die Judendeportationen mitverantwortlich war, konnte sich nach dem Krieg auf vermeintliche Widerstandsaktivitäten berufen und seine Karriere fortsetzen. Nach Stationen als Präfekt auf Korsika und in Algerien wurde er 1958 Polizeipräfekt in Paris, wo er mit tödlicher Gewalt gegen Demonstrierende vorging, ehe er in den 1960er und 1970er Jahren zum Abgeordneten und Minister aufstieg. Es dauerte bis in die 1990er Jahre, ehe Papon für die Vichy-Zeit gerichtlich zur Rechenschaft gezogen wurde. 46 In der Bundesrepublik wiederum hörte die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nie auf und nahm mit fortschreitender zeitlicher Distanz zur nationalsozialistischen Zeit an Intensität und Kritik zu. Auf dem Feld des Politischen war und blieb die NS-Belastung führender Regierungs- und Parteienvertreter ein wiederkehrendes Thema. Insbesondere die jahrelangen Debatten um die nationalsozialistische Vergangenheit von Kanzleramtschef Hans Globke und von Vertriebenenminister Theodor Oberländer in den 1950er und frühen 1960er Jahren wurden als scharfe Auseinandersetzungen auch im Deutschen Bundestag geführt. 47 Die „Braunbuch“Kampagnen der SED trugen ihrerseits dazu bei, dass die nationalsozialistische Belastung führender bundesdeutscher Eliten ein Thema blieb, aber auch, dass sie lange Zeit als kommunistische Propaganda abgetan wurde. 48 Jenseits dieser Auseinandersetzung war der Anteil von Personen mit nationalsozialistischer Vergangenheit in bundesdeutschen Behörden und Ministerien sehr viel höher, als man wahrhaben

45

Vgl. Bernard, La guerre des droites, 113. Auch Pierre-Étienne Flandin, bis 1941 leitender Minister Vi-

chys, und Jean Jardin, der Kabinettschef Lavals, zählten zu Pinays Vertrauten und Beratern, vgl. Elgey, République des contradictions, 53f.; Rimbaud, Pinay, 173f. 46

Siehe hierzu ausführlich Richard J. Golsan (Ed.), The Papon Affair. Memory and Justice on Trial. Lon-

don 2000. 47

Jürgen Bevers, Der Mann hinter Adenauer. Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur grauen Emi-

nenz der Bonner Republik. Berlin 2009; Erik Lommatzsch, Hans Globke (1898–1973). Beamter im Dritten Reich und Staatssekretär Adenauers. Frankfurt am Main 2009; Siegfried Schütt, Theodor Oberländer. Eine dokumentarische Untersuchung. München 1995; Philipp-Christian Wachs, Der Fall Oberländer (1905– 1998). Ein Lehrstück deutscher Geschichte. Frankfurt am Main 2000. 48

Vgl. Henry Leide, NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR. 3.,

durchges.Aufl. Göttingen 2007; Klaus Bästlein, „Nazi-Blutrichter als Stützen des Adenauer-Regimes“. Die DDR-Kampagnen gegen NS-Richter und -Staatsanwälte, die Reaktionen der bundesdeutschen Justiz und

ihre gescheiterte „Selbstreinigung“ 1957–1968, in: Helge Grabitz (Hrsg.), Die Normalität des Verbrechens. Bilanz und Perspektiven der Forschung zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Berlin 1994, 408–443.

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wollte, und machte sich vielfach auch im Handeln und Denken der Ämter bemerkbar. 49 Es waren insbesondere die späten 1960er und die 1970er Jahre, in denen die NSund Kollaborationsvergangenheit von Persönlichkeiten als politische Belastung in die nationalen Diskurse zurückkehrte und zum Skandal wurde. In Frankreich lösten 1971/72 gleich zwei Ereignisse einen erinnerungspolitischen Eklat aus: Zunächst brachte der Dokumentarfilm „Le chagrin et la pitié“ über Kollaboration, Widerstand und Antisemitismus das Bild von der im Widerstand gegen die Deutschen vereinten Nation durcheinander und wurde daher im französischen Fernsehen nicht gezeigt. Kurz darauf kam es zu einem öffentlichen Aufschrei, nachdem bekannt geworden war, dass der gaullistische Staatspräsident Georges Pompidou den ehemaligen Milizionär Paul Touvier begnadigt hatte. Für Erregung sorgte dabei die Tatsache, dass der zum Tode verurteilte Touvier jahrzehntelang in Frankreich hatte untertauchen können und erhebliche Unterstützung durch katholische Geistliche erhalten hatte. 50 Dass Pompidou zugleich einen „Schleier“ über die Zeit legen wollte, „als Franzosen sich nicht miteinander vertrugen“, machte die Sache umso brisanter. 51 Auch in Österreich begann sich das politische Klima in diesen Jahren zu ändern. Ausgerechnet die 1970 ins Amt gekommene Alleinregierung des jüdischstämmigen Sozialdemokraten Bruno Kreisky geriet über das Thema „NS-Belastung“ in die Schlagzeilen. Dass ihr gleich vier Minister mit nationalsozialistischer Vergangenheit (teils in SS und SA) angehörten, folgte einer Logik der Integration und der Konkurrenz um die „Ehemaligen“, sorgte aber zu einem bis dahin ungekannten Ausmaß öffentlicher Kritik auch im Inland, wo Simon Wiesenthal öffentlichkeitswirksame Anklage erhob. 52 Wenig später folgte eine Affäre um den FPÖ-Chef und ehemaligen SS-Mann Friedrich Peter, in der es abermals zur Konfrontation zwischen Wiesenthal

und Kreisky kam. 53 Für die Bundesrepublik ist neben den Diskussionen um die NS-Vergangenheit Kurt Georg Kiesingers insbesondere die Affäre um den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger zu nennen, der 1978 nach einer intensiven Dis49 Vgl. Conze/Weinke, Krisenhaftes Lernen?, 93. 50 Vgl. Rousso, Vichy Syndrome, 98–126; Conan/Rousso, Vichy, 109–172; René Remond et al., Touvier et l’église. Rapport de la commission historique. Paris 1992. 51 Zit. n. Bauerkämper, Gedächtnis, 230. 52 Vgl. Neugebauer/Schwarz, Wille, 161; Rathkolb, Paradoxe Republik, 401ff. 53 Vgl. Rathkolb, Paradoxe Republik, 403ff.

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kussion um seine Tätigkeit als Militärrichter der Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg zurücktreten musste. 54 Gemeinsam hatten die Affären der 1970er Jahre, dass nun nicht mehr nur die „belastete“ Vergangenheit der betroffenen Personen zur Diskussion stand, sondern mindestens so sehr der individuelle und kollektive Umgang mit dieser Vergangenheit in der Nachkriegszeit. Die politischen Belastungsdiskurse erhielten damit einen selbstreflexiven Charakter, der die Lebenswege einzelner Persönlichkeiten vor und nach 1945 als Exempel für die erinnerungspolitische Auseinandersetzung der Gesellschaften mit ihrer eigenen kollektiven „Belastung“ deutete. Der Gegenwartsbezug der Belastungsdiskurse wurde damit noch offensichtlicher, ging es doch um die Haltung der demokratischen Gesellschaften zu ihrer Vergangenheit im Hier und Heute. Dieser selbstreflexive Charakter konnte sich schließlich seit den 1980er Jahren durchsetzen. In Frankreich setzte nun mit der Öffnung der Vichy-Archive und den öffentlichkeitswirksamen Gerichtsverfahren gegen Maurice Papon und den Gestapochef von Lyon Klaus Barbie in den 1990ern eine bis heute anhaltende kritische Neubewertung der Vergangenheit ein, in der es nicht zuletzt um die Frage geht, wie belastet die französische Nachkriegsdemokratie wirklich war. 55 In Österreich wurde die Debatte um die Wehrmachtsvergangenheit von Bundespräsident Kurt Waldheim zu einer Wasserscheide der österreichischen Erinnerungspolitik und löste eine breit angelegte kritische Debatte über die österreichische NS-Vergangenheit, die „Opferdoktrin“ und die Auseinandersetzung mit der politischen Belastung von Österreicherinnen und Österreichern aus. 56 Und auch in der Bundesrepublik trat die kritische Bewertung des eigenen Umgangs mit der Vergangenheit in den Vordergrund der Debatten – bis hin zu der bemerkenswerten Tatsache, dass die Institutionen der Bundesrepublik im 21.Jahrhundert geradezu darum zu konkurrieren scheinen, ihre eigene „Belastung“ in der Nachkriegszeit durch historische Kommissionen

54

Siehe hierzu Norbert Frei (Hrsg.), Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945, Frankfurt am Main/

New York 2001, dort v.a. 235f., , aber auch Felix Bohr, Die Kriegsverbrecherlobby. Bundesdeutsche Hilfe für im Ausland inhaftiere NS-Täter. Berlin 2018. 55

Siehe hierzu ausführlich Golsan (Ed.), Papon Affair; Conan/Rousso, Vichy; Peter Hammerschmidt, „Deck-

name Adler“. Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste. Frankfurt am Main 2014. 56

Siehe hierzu ausführlich Anton Pelinka/Erika Weinzierl (Hrsg.), Das große Tabu. Österreichs Umgang

mit seiner Vergangenheit. Wien 1987; Alexander Pinwinkler/Thomas Weidenholzer (Hrsg.), Schweigen und Erinnern. Das Problem Nationalsozialismus nach 1945. Salzburg 2016; Botz/Sprengnagel, Kontroversen; Axer, Aufarbeitung.

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„aufarbeiten“ zu lassen, „um sich dann im Konsens mit der Öffentlichkeit wirksam von der dunklen Vergangenheit distanzieren zu können“, wie es der Journalist Cornelius Wüllenkemper ebenso plakativ wie treffend formuliert hat. 57 Auch heute bleiben Belastungs- und Entlastungsdiskurse eng miteinander verflochten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im demokratischen Europa heute mehr denn je einer kritischen und reflektierten Auseinandersetzung mit der Nachkriegsvergangenheit bedarf. In Frankreich und Österreich war es – neben dem Ende des Ost-West-Konflikts – der Aufstieg der extremen Rechten und ihrer Geschichtspolitik in den 1980er und 1990er Jahren, der eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit provozierte. Ähnliches erlebt Deutschland seit einiger Zeit. Im Angesicht rechtsextremer Erfolge auch in der Gegenwart ist nicht davon auszugehen, dass die Auseinandersetzung mit den politischen Belastungen der Nachkriegszeit so schnell wieder aus den öffentlichen Debatten der europäischen Gesellschaften verschwinden wird. Das gilt für Frankreich, Österreich und die Bundesrepublik in gleichem Maße wie für andere europäische Gesellschaften, in denen populistische und extremistische Parteien mit geschichtsrevisionistischen Positionen für Aufmerksamkeit sorgen. Entsprechend dürfte auch die öffentliche Nachfrage nach geschichtswissenschaftlicher Expertise zu diesem Thema bestehen bleiben. Umso wichtiger sollte es in Zukunft sein, die Frage politischer Belastung zu historisieren, zu kontextualisieren und zugleich als gesamteuropäisches Thema anzugehen, das zudem durch die postkoloniale Perspektive ganz neue Dimensionen politischer „Belastung“ erhält, gerade im Hinblick auf nationale und demokratische Diskurssignaturen. Die Erkenntnis, dass (und wie) politische Entlastungsdiskurse sowohl an nationalkollektive Identitätskonstruktionen anzudocken vermögen als auch an demokratiepolitische Überlegungen, kann eine wichtige Lehre sein, um mit antidemokratischen Bewegungen umzugehen, die es längst gewohnt sind, sich zur Schutzmacht des demokratischen Gedankens aufzuspielen. Von der zurecht geforderten Verbindung von Demokratiegeschichte, Nationalismusgeschichte und „Belastungsgeschichte“ 58 können daher sehr ambivalente Folgen für unser Verständnis 57 Cornelius Wüllenkemper, Der Boom der Behördenforschung, in: Deutschlandfunk, 5.12.2020 [https:// www.deutschlandfunk.de/wissenschaft-oder-imagepflege-der-boom-der.724.de.html?dram:article_id=488747]. 58 Vgl. Conze/Weinke, Krisenhaftes Lernen?, 101; Rigoll/Müller, Zeitgeschichte; Thomas Hertfelder, Opfer, Täter, Demokraten. Über das Unbehagen an der Erinnerungskultur und die neue Meisterzählung der Demokratie in Deutschland, in: VfZ 65, 2017, 365–393, dort 365, 372.

ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

151

der Vergangenheit ausgehen: Dass die Auseinandersetzung mit politisch belasteten Personengruppen nach dem Zweiten Weltkrieg ein zentraler Bestandteil demokratischer und nationaler Rekonstruktionsprozesse war, in denen das postdiktatorische Europa demokratische Normen verhandelte und nach neuen Identitäten rang, ist das eine. Dass dabei die Opfer totalitärer Gewalt gerade nicht im Mittelpunkt standen, sondern systematisch marginalisiert wurden, das andere.

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Abkürzungsverzeichnis

Ass. cons. prov. Assemblée consultative provisoire Ass. nat.

Assemblée nationale

Ass. nat. cons.

Assemblée nationale constituante

CDU

Christlich Demokratische Union Deutschlands

CRADS

Comité républicain d’action démocratique et sociale

CSU

Christlich-Soziale Union in Bayern e.V.

DKP-DRP

Deutsche Konservative Partei – Deutsch Rechtspartei

DP

Deutsche Partei

Drs.

Drucksache

FDP

Freie Demokratische Partei

FPÖ

Freiheitliche Partei Österreichs

GP

Gesetzgebungsperiode

HZ

Historische Zeitschrift

J.O.

Journal Officiel de la République Française

KPD

Kommunistische Partei Deutschlands

KPÖ

Kommunistische Partei Österreichs

MRP

Mouvement républicain populaire

NRW

Nordrhein-Westfalen

NS

Nationalsozialismus, nationalsozialistisch

NSDAP

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

NSFK

Nationalsozialistisches Fliegerkorps

NSKK

Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps

PCF

Parti communiste français

PRL

Parti républicain de la liberté

Prot.

Protokolle

OCM

Organisation civile et militaire

ÖVP

Österreichische Volkspartei

SA

Sturmabteilung

HTTPS :// DOI . ORG / 10.1515/ 9783110771602-008

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SD

Sicherheitsdienst des Reichsführers SS

SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SFIO

Section française de l’Internationale ouvrière

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

SPÖ

Sozialistische Partei Österreichs

SS

Schutzstaffel

UN

Vereinte Nationen

VdU

Verband der Unabhängigen

VfZ

Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte

WAV

Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung

WP

Wahlperiode

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Bibliographie

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HTTPS :// DOI . ORG / 10.1515/ 9783110771602-009

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Personen- und Sachregister

Die Lemmata Belastung, Demokratie, Entnazifizierung, Nation, Nationalsozialismus und Säuberung wurden nicht aufgenommen. „131er“, „131er“-Gesetz

33, 99, 115, 122, 129

Abschlussgesetz

33, 115, 118

Adenauer, Konrad

114 ff., 119, 123, 144

Aichhorn, Karl

103

Algier, Algerien Alliierte

38, 66, 90, 148 16, 21, 30–35, 49 f., 54–59, 64, 80,

103–106, 109–113, 120, 122, 126, 143 ff.

13, 29, 41 f., 48, 92, 96, 120, 122

Cahn-Garnier, Fritz

80 101

Amerikanische Besatzung 16, 31, 34, 58, 63, 80, 83,

60, 111

Charpin, Joannès CDU

96, 99 59 f., 62 ff., 80, 84 f., 111 f., 114 f.,

118–121, 123, 127, 144 Coty, René Coutaller, Jean Le

Altenhain, Gustav Altmann, Karl

Bürgerkrieg

CRADS

90, 147 99 88

Creyssel, Paul

147

CSU

122

115, 122 Amnestie

9–13, 18 f., 22 f., 28–38, 71, 76, 85–100,

103–111, 113–123, 126–130, 141 f., 144, 146 f. apaisement

92

Arndt, Adolf

120

association des représentants du peuple de la IIIe République Auriol, Vincent

70 f., 93 88 f., 92, 94, 99

Austrofaschismus

16, 33 f., 56, 109

Banquet des Mille

70 f., 93, 95

Barbie, Klaus

150

Bayern

58, 60, 83, 85 f., 122

Beamte, Staatsbedienstete

31, 35, 38, 42, 47 f.,

53, 72, 91, 98 f., 109 f., 122 f. Befreiungsgesetz Befriedung Begnadigung

32, 58, 59–63, 80, 83, 123 28, 100, 109, 115, 139, 141 69, 75, 92, 93, 107, 126, 149

Belgien Boutemy, André Bayernpartei „Braunbuch“-Kampagnen Britische Besatzung Brunner, Karl

10, 24 91 f., 147 86, 116 148

Dänemark

10, 131

David, Jean-Paul

96

Desgranges, Jean

95

DKP-DRP

116

Dollfuß, Engelbert

56

Dombrowski, Erich

61

DP

119 ff.

Dreyfus, Alfred

89, 95

égaré(s)

94, 100

„Ehemalige“

105–110, 129, 146, 149

Ehre

20, 38, 61, 71, 123, 131

Eibegger, Max

76, 104, 110

Elsass

38, 90, 96 f., 147

„Entlastete“

30, 115, 128, 142

épuration 15, 18, 24 f., 27, 37 f., 41–48, 50, 52 ff., 57, 62–66, 68, 70 f., 78, 87 f., 90 f., 95–100, 140 f., 145 Erler, Fritz

116, 118

Etzel, Hermann

85 f., 116

Euler, August-Martin Ewers, Hans

80, 88, 114, 117, 119–122 121

31, 35, 57, 64, 83 77

P ERSONEN - UND SACHREGISTER

183

Faschismus, faschistisch

10, 37, 52, 54–57, 108,

132, 139, 141, 147

103, 108

Houcke, Jules

Faure, Edgar

89 f.

Faure, Paul

47

FDP

Honner, Franz

88

Humanität, Menschlichkeit Hurdes, Felix

9, 49, 51, 81, 106 54 f., 107

61, 79 f., 88, 111–114, 117–123

Feldmann, Aloys

59

Figl, Leopold

55, 103, 106

Filbinger, Hans

„Illegale“

50, 52 f., 56

indignité nationale

38, 44, 67 ff., 129

149

Irrtum

81 ff., 94, 113, 118

Finck, Albert

84

Italien

10, 24, 72, 132, 134, 140 f.

Fischer, Ernst

49, 53, 56, 76, 102, 106, 110

Flandin, Pierre-Étienne

69, 148

Floriot, René

94, 96

FPÖ

76, 105, 149

Französische Besatzung Gaulle, Charles de

21, 31, 47, 63 35, 37 f., 44, 46, 66, 69, 87,

Jardin, Jean

148

Jüdinnen und Juden 37, 46 f., 61, 91, 106, 130, 149 Jugendliche, Minderjährige

36, 38, 76, 88, 90, 96,

104 ff., 126 Juliana (Königin)

140

jury d’honneur

46 f.

Kalinke, Margot

120

93 f., 115 Gaullismus

43, 46, 70, 93, 142, 149

Gazier, Albert

42, 44

Geiler, Karl

80 f.

Gerö, Josef

51, 53, 55, 72, 102

Gerstenmaier, Eugen

80, 85 f., 120 f.

Gestapo

91, 103 f., 122, 150

Giraud, Henri Gleichheit

38 28, 66–70, 78, 84, 111, 116, 137, 138

Globke, Hans Gögler, Hermann

Kaltenbrunner, Ernst Kalter Krieg Kamitz, Reinhard

147

Kiesinger, Kurt Georg

149

Klanfer, Jules

48

Koeth, Otto Kogon, Eugen

111 83, 86, 113

148

Kollaboration, Kollaborateure 10, 15, 24–27, 36 f.,

62

39, 41, 44–47, 50, 52, 55, 65–69, 71, 88 f., 92 f.,

Gorbach, Alfons

54, 75, 77, 105 ff., 109

96–99, 101, 125, 127, 130 ff., 134 f., 139 f., 142,

Graf, Ferdinand

109

145, 149

Greve, Otto Heinrich

84

Kopf, Rudolf

76

Guérin, Maurice

99

Koplenig, Johann

76

Guyot, Raymond

91 f.

Koref, Ernst KPD

„Hauptschuldige“

64, 83, 118, 122, 143

Hackenberg, Heinrich Hans, Josef Haußmann, Wolfgang

Kreisauer Kreis

79

Kreisky, Bruno

149

Heinemann, Gustav

64, 112

Helmer, Oskar

75, 101 91

Hessen

16, 80, 111, 115 f., 118

Heuss, Theodor

81 f.

Hitler, Adolf

34, 42, 49, 61, 71, 82, 91, 106

Hitlerjugend

108

Hoegner, Wilhelm

Historische Zeitschrift //

58, 60

BEIHEFT

80 / 2022

79, 84, 119

KPÖ 49, 53, 56, 73 f., 76, 101 f., 106 ff., 110, 141, 147

74

112 f.

Hervé, Pierre

75, 104, 106 f.

106 61, 79 f., 111 f.

Heiland, Rudolf-Ernst

184

108 90, 107, 141, 145, 147

Kriegsverbrecher 30, 32, 35, 50–53, 71 f., 97 f., 109, 118, 143 Lagerstraße Lamoureux, Lucien lampistes Laniel, Joseph

48, 133 71, 93 95, 142 90

Laurent, Charles

89

Lebrun, Albert

36

Lépervanche, Léon de

88

Loritz, Alfred

82, 120

Lugmayer, Karl

106

Maier, Franz Karl

82

Maier, Reinhold

81 f.

Mayer, Daniel

70, 87

Mayer, René

47 f., 92

Mayoux, Jean-Jacques

44

Menzel, Walter

119

Merkatz, Hans-Joachim von

119

Migsch, Alfred

51 ff., 73 ff., 101, 104

Milde

49, 63, 74, 94 f., 101, 103, 109

Milice

45, 149

Milliès-Lacroix, Eugène „Minderbelastete“

43, 90 ff., 95, 98, 101, 141, 145, 147

Pétain, Philippe 36 f., 41, 43, 46 f., 66–69, 81, 90–94 Peter, Friedrich

149

Pfeifer, Helfried

76

Philip, André

66

Pinay, Antoine

46, 90, 147 f.

Pompidou, Georges

70, 100

Pronteau, Jean

91 f.

Raab, Julius

147

Ramadier, Paul Rechtsstaat

88, 90 f.

13, 19, 27 f., 51, 65 ff., 70 ff., 78 ff., 87,

114, 134–138

30, 36, 62 f., 74, 83, 100,

Rehabilitierung

32, 57, 63 f., 82 f., 100 ff., 104, 106 f.,

MRP

49 f., 55 92, 96, 99

Mutter, André

31 f., 46, 61 ff., 67 ff., 88, 91,

95–99, 126, 146

111–115, 128, 142 Moskauer Deklaration

149

PRL

71

102–107, 109 f., 114 f., 128, 142 „Mitläufer“

PCF

88, 92

Reismann, Bernhard

79

Rémy, Colonel (= Gilbert Renault)

93

Renner, Heinz

84

Renner, Karl

34, 48, 52, 55 f., 71 f., 100, 102 f.

Ringelmann, Richard

122

Rollin, Louis nation building

14, 20, 55, 101

Nationalsozialistengesetz Neumann, Franz L.

36, 50, 103, 105, 109 f. 144

Niederlande

10, 24, 132, 140, 142

Noguères, Louis

70, 100

Rösch, Otto

109

Roubert, Alex

69

Roure, Rémy

95

Rückwirkungsverbot

67, 72, 80, 135, 137

68 f.

Nordrhein-Westfalen Norwegen

16, 21, 59, 112 ff. 10, 132, 142

Nowack, Wilhelm

123

Saivre, Roger de

95

Schärf, Adolf

57, 73 f., 101, 104

Scheffbruch, Adolf

60, 62 ff., 112

Scholtissek, Herbert Oberländer, Theodor

148

Schumacher, Kurt

Oberweis

108

Schuman, Robert

Opfermythos, Opferdoktrin 16, 54 ff., 105, 132 ff., 144, 150

61 46, 67, 90, 91

Schuschnigg, Kurt

34, 56

Schwarze Legende

Oradour-sur-Glane

97

Organisation civile et militaire ÖVP

41 f., 66

49, 54 ff., 74–77, 103, 105–109 148, 150

Parti radical

47 f., 89 f., 92, 98

Partrat, Antoine

147 10, 33, 41, 44, 46, 48, 56, 66, 92–95,

98 ff., 105 Paulhan, Jean

148

Seyß-Inquart, Arthur

34

Service d’ordre légionnaire

45

Pawlik, Wilhelm

42, 44, 47, 66, 69 f., 87, 91, 98 f.

Sinti und Roma

106, 130

Souveränität

16, 20, 68, 104, 121, 137, 143

Sowjetische Besatzung SPD

78, 113

SPÖ

34, 104

60 f., 78, 81, 84 f., 111 ff., 116, 118 ff.

Speiser, Paul 96

95

SED

SFIO Papon, Maurice

Patriotismus

111

73 49, 51, 53, 73–76, 100–104, 107, 109 f.

SS (Schutzstaffel)

51, 103, 109, 113, 149

P ERSONEN - UND SACHREGISTER

185

Ständestaat

33, 56, 101, 147

Straffreiheitsgesetz

33, 115, 117

Sühne 36, 53 f., 60–63, 72, 74 f., 83, 103 ff., 111, 126

Waffen-SS

51, 97, 122, 147

Wagner, Friedrich Wilhelm Wahl, Eduard

84 f. 118, 127

Wahlrecht, Wählbarkeit 43, 46 f., 68–74, 83 ff., 97, Teitgen, Pierre-Henri

130

Terror

95 f., 141

Thadden, Adolf von

116

Thorez, Maurice Tixier-Vignancour, Jean-Louis Togliatti, Palmiro

97

Wehrhafte/streitbare Demokratie

Troquer, André le

69

37 f., 51, 72, 135 140

98

Wilhelmina, Königin

47

Willard, Marcel

Vallin, Charles

47

Wuermeling, Franz-Josef

76, 107 f. 35, 48, 50–54, 71 ff., 103

Vercors (= Jean Bruller)

94

Verdier, Robert

47

Vergely, Charles

69 28, 48, 87, 92 f., 101,

Württemberg-Baden

131, 147–151

80 / 2022

90 123 16, 21, 31 f., 60, 79, 81 ff.,

111, 149 Yrissou, Paul Zechtl, Rupert Zentrum (Partei)

Vichy 15, 25, 36 f., 41 ff., 45–48, 66, 69, 87–91, 97 ff.,

149

„Wilde Säuberungen“ Valentin, François

BEIHEFT

107

130–133, 136 f., 142, 145–149 Wiesenthal, Simon

Vaillant-Couturier, Marie-Claude

Historische Zeitschrift //

86, 119, 138

61, 65–69, 74, 77 ff., 82, 87–92, 95–99, 123, 126 f.,

106, 109 ff., 115, 120, 127, 141

186

Weinberger, Lois

149 94

Versöhnung, Aussöhnung

82, 114, 116, 120

Widerstand, Résistance19, 25, 34, 37, 41–47, 54–57,

trompé(s)

Verbotsgesetz

84

WAV

119, 152

Touvier, Paul

VdU

23, 150

Walter, Felix

91 141

Totalitarismus

103, 118, 139, 147 Waldheim, Kurt

147 102 f., 105 79