De inventione · Über die Auffindung des Stoffes. De optimo genere oratorum · Über die beste Gattung von Redern: Lateinisch-deutsch [1998 ed.] 9783760816999

Cicero, der unbestrittene Meister der römischen Beredsamkeit in Theorie und Praxis, hat sich in mehreren Werken mit der

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Latin, German Pages 469 [471] Year 1998

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Inhalt
De inventione · Über die Auffindung des Stoffes
Liber primus · Erstes Buch
§ 1-5a: Proömium: Rechtfertigung der Redekunst; nur zusammen mit sapientia bewirkt die eloquentia Gutes
§ 5b-9: Grundbegriffe der Rhetorik
§ 10-19a: Teil 1: Abriß der Statuslehre und mit ihr zusammenhängender Begriffe
§ 10-16: Die vier constitutiones
§ 10: Begriffsbestimmungen
§ 11: constitutio coniecturalis und constitutio definitiva
§ 12-15: constitutio generalis
§ 16: constitutio translativa
§ 17a: causa simplex und coniuncta
§ 17b-18a: controversia in ratione und in scripto
§ 18b-19a: quaestio, ratio, iudtcatio, firmamentum
§ 19b-109: Teil 2: partes orationis
§ 20-26: exordium
§ 27-30: narratio
§ 31-33: partitio
§ 34-77: confirmatio
§ 78-96: reprehensio
§ 97: dritter Exkurs zu Hermagoras
§ 98-109a: conclusio
§ 109b: Schlußbemerkung
Liber secundus · Zweites Buch
§ 1-10: Proömium
§ 11-178: Teil 3: Ausführliche Darstellung der constitutiones für die confirmatio und reprehensio
§ 11-13: Vorbemerkungen
§ 14-154: Regeln für das genus iudiciale
§ 14-51: constitutio coniecturalis
§ 52-56: constitutio definitiva
§ 57-61: constitutio translativa
§ 62-115: constitutio generalis et partes eius
§ 62-68: pars negotialis
§ 69-115: pars iuridicialis
§ 116-154: controversine scripti
§ 115-121a: ex ambiguo
§ 121b-143: ex scripto et sententia
§ 144-147: ex contrariis legibus
§ 148-153a: ex ratiocinatione
§ 153b-154: ex definitione
§ 155-176: Regeln für das genus deliberativum
§ 177-178a: Regeln für das genus demonstrativum
§ 178b: Schlußbemerkung
De optimo genere oratorum · Über die beste Gattung von Rednern
§ 1-6
§ 7-13a
§ 13b-17
§ 18
§ 19-23
Anhang
Zum Text
Einführung zu De inventione
Einführung zu De optimo genere oratorum
Anmerkungen zu De inventione (Erstes Buch)
Anmerkungen zu De inventione (Zweites Buch)
Anmerkungen zu De optimo genere oratorum
Verzeichnis der rhetorischen und juristischen Fachtermini
Literaturhinweise
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De inventione · Über die Auffindung des Stoffes. De optimo genere oratorum · Über die beste Gattung von Redern: Lateinisch-deutsch [1998 ed.]
 9783760816999

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ÜBER DIE A U F F I N D U N G DES STOFFES ÜBER DIE BESTE GATTUNG VON R E D N E R N

M. T U L L I U S C I C E R O

DE INVENTIONE Über die Auffindung des Stoffes

DE OPTIMO GENERE ORATORUM Über die beste Gattung von Rednern Lateinisch-deutsch Herausgegeben und übersetzt von Theodor Nüßlein

WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT DARMSTADT

Sammlung Tusculum Wissenschaftliche Beratung: Gerhard Fink, Manfred Fuhrmann, Fritz G r a f , Erik Hornung, Rainer Nickel © 1998 Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich Alle Rechte, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks, der fotomechanischen und elektronischen Wiedergabe, vorbehalten. Printed in Germany

Lizenzausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt Bestellnummer 1 4 1 3 2 - 6

INHALT

TEXT UND ÜBERSETZUNG De inventione · Über die Auffindung des Stoffes . . . Liber primus • Erstes Buch Liber secundus · Zweites Buch

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De optimo genere oratorum · Über die beste Gattung von Rednern 340

ANHANG Zum Text Einführung zu De inventione Einführung zu De optimo genere oratorum . . Anmerkungen zu De inventione (Erstes Buch) Anmerkungen zu De inventione (Zweites Buch). Anmerkungen zu De optimo genere oratorum . Verzeichnis der rhetorischen und juristischen Fachtermini Literaturhinweise

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361 363 389 393 425 445 455 463

M. T U L L I C I C E R O N I S R H E T O R I C I LIBRI DUO QUIVOCANTUR

DE INVENTIONE

M. TULLIUS CICERO ZWEI BÜCHER ZUR RHETORIK GENANNT

ÜBER DIE AUFFINDUNG DES STOFFES

LIBER PRIMUS

Saepe et multum hoc mecum cogitavi, bonine an mali plus attulerit hominibus et civitatibus copia dicendi ac summum eloquentiae Studium. Nam cum et nostrae rei publicae detrimenta considero et maximarum civitatum veteres animo calamitates colligo, non minimam video per disertissimos homines invectam partem incommodorum; cum autem res ab nostra memoria propter vetustatem remotas ex litterarum monumentis repetere instituo, multas urbes constitutas, plurima bella restincta, firmissimas societates, sanctissimas amicitias intellego cum animi ratione tum facilius elequentia comparatas. Ac me quidem diu cogitantem ratio ipsa in hanc potissimum sententiam ducit, ut existimem sapientiam sine eloquentia parum prodesse civitatibus, eloquentiam vero sine sapientia nimium obesse plerumque, prodesse numquam. Quare si quis omissis rectissimis atque honestissimis studiis rationis et officii consumit omnem operam in exercitatione dicendi, is inutilis sibi, perniciosus patriae civis alitur; qui vero ita sese armat eloquentia, ut non oppugnare commoda patriae, sed pro his propugnare

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ERSTES B U C H

Oft und eindringlich habe ich darüber nachgedacht, ob die Fähigkeit der Rede und das stärkste Bemühen um Redegewandtheit den Menschen und Bürgerschaften mehr Gutes oder mehr Schlechtes gebracht hat. Denn wenn ich die Schäden unseres Staates betrachte und das Unheil, das die größten Bürgerschaften seit alters heimgesucht hat, in meinem Herzen bedenke, sehe ich, daß nicht der geringste Teil der Unglücksfälle durch die redegewaltigsten Männer verursacht wurde; wenn ich aber andererseits beginne, Ereignisse, die wegen ihres Alters aus unserem Gedächtnis verdrängt sind, aus literarischen Denkmälern zurückzuholen, erkenne ich, daß viele Städte gegründet, sehr viele Kriege beendet, die festesten Bündnisse und die heiligsten Freundschaften geschlossen wurden wohl auch durch vernünftige Überlegung, leichter aber noch mit Hilfe der Beredsamkeit. Und bei längerem Nachdenken führt mich nun die Überlegung selbst vor allem zu folgender Ansicht: Ich bin der Meinung, daß Weisheit ohne Beredsamkeit den Bürgerschaften zu wenig nützen kann, Beredsamkeit ohne Weisheit aber in den meisten Fällen allzu sehr schadet und niemals nützt. Wenn deshalb jemand die zweckmäßigsten und ehrenhaftesten Bemühungen um geistige und sittliche Bildung vernachlässigt und alle Mühe nur auf Redeübungen verwendet, so zieht er sich als einen für sich nutzlosen, für das Vaterland aber verderblichen Bürger heran; wer sich aber mit den Waffen der Beredsamkeit in einer Weise bewehrt, daß er nicht gegen den Nutzen der Heimat, sondern für diesen kämpfen kann, der wird, so scheint mir, ein seinem eigenen und dem öffentlichen Wohle sehr

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DE I N V E N T I O N E

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possit, is mihi vir et suis et publicis rationibus utilissimus atque amicissimus civis fore videtur. A c si volumus huius rei, quae vocatur eloquentia, sive

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artis sive studii sive exercitationis cuiusdam sive facultatis ab natura profectae considerare principium, reperiemus id ex honestissimis causis natum atque optimis rationibus profectum. N a m fuit quoddam tempus, cum in agris homines passim bestiarum m o d o vagabantur et sibi victu fero vitam propagabant, nec ratione animi quicquam, sed pleraque viribus corporis administrabant; nondum divinae religionis, non humani officii ratio colebatur, nemo nuptias viderat legitimas, non certos quisquam aspexerat liberos, non, ius aequabile quid utilitatis haberet, acceperat. Ita propter errorem atque inscientiam caeca ac temeraria dominatrix animi cupiditas ad se explendam viribus corporis abutebatur, perniciosissimis satellitibus.

Q u o tempore quidam magnus videlicet vir et sapiens cognovit, quae materia esset et quanta ad maximas res opportunitas in animis inesset hominum, si quis eam posset elicere et praecipiendo meliorem reddere; qui dispersos homines in agros et in tectis silvestribus abditos ratione quadam compulit unum in locum et congregavit et eos in unam quamque rem inducens utilem atque honestam

primo

propter

insolentiam

reclamantes,

deinde propter rationem atque orationem studiosius

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ÜBER

DIE A U F F I N D U N G

DES STOFFES

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nützlicher Mann und ein sehr freundlich gesinnter Bürger sein. Und wenn wir den Ursprung dieses Gegenstandes, der Beredsamkeit genannt wird - sei es eine Kunst oder eine Neigung oder eine gewisse Übung oder eine von der Natur geförderte Fähigkeit - , betrachten wollen, werden wir herausfinden, daß dieser aus den ehrenhaftesten Ursachen entstanden und aus den besten Überlegungen seinen Anfang genommen hat. Denn es gab einmal eine Zeit, in der die Menschen auf den Feldern weit zerstreut nach Art der wilden Tiere umherschweiften und mit roher Nahrung ihr Leben fristeten und nichts durch geistige Tätigkeit, vielmehr das meiste durch ihre Körperkräfte besorgten; noch nicht beachtete man die religiöse Scheu vor den Göttern, nicht die Pflichterfüllung gegenüber den Menschen, niemand hatte gesetzmäßige Eheschließungen gesehen, keiner seine Kinder mit Sicherheit als seine eigenen betrachtet, keiner hatte wahrgenommen, welchen Nutzen gleiches Recht bringt. So mißbrauchte aus Wahn und Unwissenheit die Leidenschaft, die blinde und zügellose Herrin über die Seele, zu ihrer eigenen Befriedigung die Kräfte des Körpers, überaus verderbliche Helfershelfer. In dieser Zeit erkannte ein offenbar bedeutender und weiser Mann, welches Talent und welch große für die wichtigsten Dinge günstige Veranlagung in den Herzen der Menschen vorhanden sei, wenn jemand diese hervorzulocken und zu verbessern möge; dieser trieb die Menschen, die über die Felder zerstreut lebten und sich im Schutze der Wälder verbargen, nach einem bestimmten Plan an einem bestimmten Ort zusammen und vereinigte sie zu einer Gemeinschaft, und indem er sie zu jeder einzelnen nützlichen und ehrenhaften Tätigkeit anleitete, wogegen sie zuerst, weil sie nicht daran gewöhnt waren, lautes Geschrei erhoben, wobei sie dann aber, weil der Mann Vernunftgründe vorbrachte und gewandt

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audientes ex feris et immanibus mites reddidit et mansuetos. A c mihi quidem videtur hoc nec tacita nec inops dicendi sapientia perficere potuisse, ut homines a consuetudine subito converteret et ad diversas rationes vitae traduceret. A g e vero urbibus constitutis, ut fidem colere et iustitiam retiñere discerent et aliis parere sua volúntate consuescerent ac non m o d o labores excipiendos communis commodi causa, sed etiam vitam anmittendam existimarent, qui tandem fieri potuit, nisi homines ea, quae ratione invenissent, eloquentia persuadere potuissent? Profecto nemo nisi gravi ac suavi commotus oratione, cum viribus plurimum posset, ad ius voluisset sine vi descendere, ut inter quos posset excellere, cum eis se pateretur aequari et sua volúntate a iucundissima consuetudine recederet, quae praesertim iam naturae vim obtineret propter vetustatem.

A c primo quidem sic et nata et progressa longius eloquentia videtur et item postea maximus in rebus pacis et belli cum summis hominum utilitatibus esse versata; postquam vero commoditas quaedam, prava virtutis imitatrix, sine ratione officii, dicendi copiam consecuta est,

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ÜBER DIE AUFFINDUNG

DES

STOFFES

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sprach, aufmerksamer zuhörten, machte er sie aus wilden und schrecklichen zu sanften und zugänglichen Wesen. Dies nun konnte, wie mir scheint, die Weisheit weder durch völliges Schweigen noch durch dürftige Worte bewerkstelligen, daß sie nämlich die Menschen aus ihrer gewohnten Lebensweise mit einem Mal umkehrte und zu ganz entgegengesetzten Lebensverhältnissen hinführte. Vollends, nachdem Städte gegründet waren, wie konnte es da geschehen, daß sie lernten, Treue zu pflegen und Gerechtigkeit zu bewahren, und sich daran gewöhnten, anderen aus eigenem Willen zu gehorchen, und glaubten, sie müßten nicht nur Strapazen auf sich nehmen für das allgemeine Wohlergehen, sondern auch das Leben drangeben - wie konnte dies schließlich geschehen außer dadurch, daß jene Männer es fertigbrachten, ihre Mitmenschen von dem, was sie durch vernünftige Überlegung herausgebracht hatten, mit den Mitteln der Beredsamkeit zu überzeugen? In der Tat hätte niemand, ohne daß er von einer gewichtigen und einschmeichelnden Rede dazu gebracht wurde, sich, obwohl er mit seinen Kräften sehr viel vermochte, dem Recht beugen wollen unter Verzicht auf Gewalt, so daß er es erduldete, mit denen auf eine Stufe gestellt zu werden, vor denen er sich auszeichnen konnte, und freiwillig auf eine für ihn sehr angenehme Lebensweise zu verzichten, welche außerdem schon die Stärke einer Naturanlage hatte wegen der Länge der Zeit. Und so ist nun, wie mir scheint, die Beredsamkeit entstanden und hat sich weiterentwickelt und war ebenso später wirksam in den bedeutendsten Angelegenheiten des Friedens und des Krieges zum größten Nutzen des Menschen. Nachdem aber eine gewisse Routine, die verwerfliche Nachahmerin der Tüchtigkeit, ohne Rücksicht auf die Pflichterfüllung sich die Fähigkeit der Rede angeeignet hatte, gewöhnte sich die Schlechtigkeit im Vertrauen auf ihr Talent daran, Städte

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tum ingenio fréta malitia pervertere urbes et vitas hominum labefactare assuevit. A t q u e huius quoque exordium mali, quoniam princi-

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pium boni diximus, explicemus. Veri simillimum mihi

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videtur quodam tempore ñeque in publicis rebus infantes et insipientes homines solitos esse versari nec vero ad privatas causas magnos ac disertos homines accedere, sed cum a summis viris maximae res administrarentur, arbitrer alios fuisse non incallidos homines, qui ad parvas controversias privatorum accederent. Q u i b u s in controversiis cum saepe a mendacio contra verum stare homines consuescerent, dicendi assiduitas induit audaciam, ut necessario superiores illi propter iniurias civium resistere audacibus et opitulari suis quisque necessariis cogeretur. Itaque cum in dicendo saepe par, nonnumquam etiam superior visus esset is, qui omisso studio sapientiae nihil sibi praeter eloquentiam comparasset, fiebat, ut et multitudinis et suo iudicio dignus, qui rem publicam gereret, videretur. Hinc nimirum non iniuria, cum ad gubernacula rei publicae temerarii atque audaces homines accesserant, maxima ac miserrima naufragia fiebant. Q u i b u s rebus tantum odii atque invidiac suscepit eloquentia, ut homines ingeniosissimi, quasi ex aliqua túrbida tempestate in portum, sic ex seditiosa ac tumultuosa vita se in Studium aliquod traderent quietum. Quare mihi videntur

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ÜBER

DIE AUFFINDUNG

DES STOFFES

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zu zerstören und das Leben der Menschen ins Wanken zu bringen. Und ich will nun auch den Beginn dieses Übels darlegen, da ich ja den Anfang des Guten genannt habe. Es ist, wie ich glaube, das Wahrscheinlichste, daß zu einer bestimmten Zeit Menschen, die nicht redegewandt und unverständig waren, sich gewöhnlich nicht mit öffentlichen Angelegenheiten befaßten und daß andererseits bedeutende und redegewandte Männer sich nicht mit Privatsachen abgaben; aber da von den bedeutendsten Männern nur die wichtigsten Angelegenheiten behandelt wurden, gab es, wie ich glaube, andere nicht gerade unkluge Menschen, die sich mit den unbedeutenden Streitfällen von Privatleuten abgaben. Da sich nun die Menschen daran gewöhnten, in diesen Streitfällen oft auf Seiten der Lüge gegen die Wahrheit zu stehen, nahm die beständig sich wiederholende Rede Frechheit an, so daß notgedrungen jene höherstehenden Männer gezwungen waren, wegen der ihren Mitbürgern zugefügten Ungerechtigkeiten den Frechen Widerstand zu leisten, und jeder seinen Anhängern Hilfe leisten mußte. Und da nun der im Reden oft ebenbürtig, manchmal sogar überlegen schien, welcher das Bemühen um Weisheit vernachlässigt und sich nichts außer Redegewandtheit erworben hatte, geschah es, daß er nach dem Urteil der Menge und nach seinem eigenen würdig schien, den Staat zu lenken. Dadurch bedingt, ereigneten sich nicht ohne Grund, wenn tollkühne und verwegene Menschen das Steuerruder des Staates ergriffen hatten, die schlimmsten und unheilvollsten Katastrophen. Dadurch zog die Beredsamkeit einen solchen Haß und eine solche Mißgunst auf sich, daß die begabtesten Menschen sich - wie aus einem stürmischen Unwetter in einen Hafen - aus einem unruhigen und aufgeregten Leben zu irgendeiner ruhigen Beschäftigung zurückzogen. Deshalb wurden daraufhin, scheint mir, die übrigen billigenswerten



DE INVENTICENE

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postea cetera studia recta atque honesta per otium concelebrata ab optimis enituisse, hoc vero a plerisque eorum desertum obsolevisse tempore, quo multo vehementius erat retinendum et studiosius adaugendum. Nam quo indignius rem honestissimam et rectissimam violabat stultorum et improborum temeritas et audacia summo cum rei publicae detrimento, eo studiosius et illis resistendum fuit et rei publicae consulendum.

Quod nostrum ilium non fugit Catonem ñeque Laelium ñeque Africanum ñeque eorum, ut vere dicam, discípulos Gracchos Africani nepotes : quibus in hominibus erat summa virtus et summa virtute amplificata auctoritas et, quae et his rebus ornamento et rei publicae praesidio esset, eloquentia. Quare meo quidem animo nihilo minus eloquentiae studendum est, etsi ea quidam et privatim et publice abutuntur; sed eo quidem vehementius, ne mali magno cum detrimento bonorum et communi omnium pernicie plurimum possint, cum praesertim hoc sit unum, quod ad omnes res et privatas et publicas maxime pertineat, hoc tuta, hoc honesta, hoc illustris, hoc eodem vita iucunda fiat. Nam hinc ad rem publicam plurima commoda veniunt, si moderatrix omnium rerum praesto est sapientia; hinc ad ipsos, qui eam adepti sunt, laus, honos, dignitas confluit; hinc amicis quoque eorum certissimum et tutissimum praesidium comparatur. Ac mihi quidem videntur homines, cum

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ÜBER DIE A U F F I N D U N G DES

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und ehrenhaften Studien von den besten Männern in Ruhe mit Eifer betrieben und zeigten sich dadurch in vollem Glänze, dieses Studium aber wurde von den meisten unter ihnen aufgegeben und verlor dadurch an Ansehen zu einer Zeit, als man es viel nachdrücklicher hätte bewahren und mit größerem Eifer noch mehr hätte fördern müssen. Denn je empörender es war, daß die Tollkühnheit und Frechheit von Dummköpfen und Schurken eine höchst ehrenhafte und billigenswerte Sache zum größten Schaden des Staates mißhandelte, desto eifriger hätte man sich diesen widersetzen und für den Staat sorgen müssen. Dies entging nicht unserem Cato, nicht dem Laelius, nicht dem Africanus und nicht - um der Wahrheit gemäß zu reden ihren Schülern, den Gracchen, den Enkeln des Africanus: Diese Männer besaßen höchste Tüchtigkeit und durch die höchste Tüchtigkeit gesteigertes Ansehen und eine Beredsamkeit, die diesen Eigenschaften Schmuck und dem Staat Schutz brachte. Deshalb sollte man sich, nach meiner Ansicht wenigstens, um so mehr um die Beredsamkeit bemühen, auch wenn gewisse Leute sie im privaten und öffentlichen Bereich mißbrauchen; und dies um so nachdrücklicher, damit nicht schlechte Menschen zum großen Schaden für die Guten und zum allgemeinen Verderben für alle Menschen die größte Macht in Händen halten, zumal dies das einzige ist, was auf alle privaten und öffentlichen Angelegenheiten den größten Einfluß hat, wodurch das Leben sicher, wodurch es ehrenhaft, wodurch es glänzend und wodurch es ebenso angenehm wird. Denn aus ihr entspringen für den Staat die meisten Vorteile, wenn die Beherrscherin aller Dinge, die Weisheit, dabei ist; aus ihr ergießt sich über diejenigen, die sie erlangt haben, L o b , Ehre und Würde; aus ihr wird auch für Freunde der zuverlässigste und sicherste Schutz geschaffen. U n d die Menschen stehen, wie mir scheint, obwohl sie in vielen Dingen

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multis rebus humiliores et infirmiores sint, hac re maxime bestiis praestare, quod loqui possunt. Quare praeclarum mihi quiddam videtur adeptus is, qui, qua re homines bestiis praestent, ea in re hominibus ipsis antecellat. H o c si forte non natura modo ñeque exercitatione conficitur, verum etiam artificio quodam comparatur, non alienum est videre, quae dicant ei, qui quaedam eius rei praecepta nobis reliquerunt. Sed antequam de praeceptis oratoriis dicimus, videtur dicendum de genere ipsius artis, de officio, de fine, de materia, de partibus. Nam his rebus cognitis facilius et expeditius animus unius cuiusque ipsam rationem ac viam artis considerare poterit. Civilis quaedam ratio est, quae multis et magnis ex rebus constat. Eius quaedam magna et ampia pars est artificiosa eloquentia, quam rhetoricam vocant. Nam ñeque cum eis sentimus, qui civilem scientiam eloquentia non putant indigere, et ab eis, qui earn putant omnem rhetoris vi et artificio contineri, magnopere dissentimus. Quare hanc oratoriam facultatem in eo genere ponemus, ut earn civilis scientiae partem esse dicamus. Officium autem eius facultatis videtur esse dicere apposite ad persuasionem; finis persuadere dictione. Inter officium et finem hoc interest, quod in officio, quid fieri, in fine, quid effici conveniat, consideratur. Ut medici officium dicimus esse curare ad sanandum apposite, finem sanare curatione, item, oratoris quid officium et quid finem esse dicamus, intellegimus, cum id, quod facere debet, offi-

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ÜBER

DIE AUFFINDUNG

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niedriger und schwächer sind, am meisten dadurch über den Tieren, daß sie sprechen können. Deshalb scheint mir derjenige etwas Vortreffliches erreicht zu haben, der sich in der Fähigkeit, in der die Menschen den Tieren überlegen sind, vor den Menschen selbst auszeichnet. D a diese nun einmal nicht nur durch Naturanlage und durch Übung, sondern auch durch eine theoretisches System erworben wird, scheint es mir nicht unangebracht, danach zu sehen, was die sagen, welche uns gewisse Vorschriften dazu hinterlassen haben. Aber bevor ich über Vorschriften der Redekunst spreche, muß ich, wie mir scheint, über die Gattung dieser Kunst selbst, ihre Aufgabe, ihr Ziel, ihren Stoff und ihre Teile sprechen. Denn wenn diese Begriffe erkannt sind, wir jedermanns Einsicht um so leichter und ungehinderter die Lehre und den Weg der Kunst betrachten können. Es gibt ein bestimmtes staatliches System, das aus vielen bedeutenden Abteilungen besteht. Ein bedeutender und umfangreicher Teil davon ist die kunstvolle Beredsamkeit, die man Rhetorik nennt. Denn ich bin nicht der Meinung derer, die glauben, die politische Wissenschaft brauche die Beredsamkeit nicht; und ganz im Widerspruch stehe ich zu denen, die glauben, sie stütze sich ganz und gar auf die Kraft und Kunst des Rhetors. Deshalb will ich die rednerische Fähigkeit in diese Gattung einordnen, dadurch daß ich sie einen Teil der politischen Wissenschaft nenne. Aufgabe aber dieser Fähigkeit scheint es zu sein, geeignet zu sprechen, um zu überzeugen; das Ziel ist die Überredung durch den rednerischen Vortrag. Zwischen Aufgabe und Ziel besteht folgender Unterschied: Bei der Aufgabe betrachtet man, was getan werden soll, beim Ziel, was erreicht werden soll. Die Aufgabe eines Arztes nennen wir es, geeignet zu handeln, um zu heilen, sein Ziel die Heilung durch die Behandlung; ebenso werden wir begreifen, was die Aufgabe und das Ziel des Redners ist, wenn

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cium esse dicimus, illud, cuius causa facere debet, finem appellamus. Materiam artis earn dicimus, in qua omnis ars et ea facultas, quae conficitur ex arte, versatur. Ut si medicinae materiam dicamus morbos ac vulnera, quod in his omnis medicina versetur, item, quibus in rebus versatur ars et facultas oratoria, eas res materiam artis rhetoricae nominamus. Has autem res alii plures, alii pauciores existimarunt. Nam Gorgias Leontinus, antiquissimus fere rhetor, omnibus de rebus oratorem optime posse dicere existimavit. Hic infinitam et immensam huic artificio materiam subicere videtur. Aristoteles autem, qui huic arti plurima adiumenta atque ornamenta subministravit, tribus in generibus rerum versari rhetoris officium putavit, demonstrative, deliberativo, iudiciali. Demonstrativum est, quod tribuitur in alieuius certae personae laudem aut vituperationem; deliberativum, quod positum in diseeptatione civili habet in se sententiae dictionem; iudiciale, quod positum in iudicio habet in se accusationem et defensionem aut petitionem et recusationem. Et, quemadmodum nostra quidem fert opinio, oratoris ars et facultas in hac materia tripertita versari existimanda est.

Nam Hermagoras quidem nec quid dicat attendere nec quid polliceatur intellegere videtur, qui oratoris materiam in causam et in quaestionem dividat, causam esse dicat rem, quae habeat in se controversiam in dicendo positam cum personarum certarum interpositione; quam

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ÜBER DIE AUFFINDUNG

DES STOFFES

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wir das, was er tun muß, seine Aufgabe nennen, jenes aber, um dessentwillen er es tut, als Ziel bezeichnen. Stoff der Kunst nennen wir das, womit sich eine jede Kunst und die Fähigkeit, die durch die Kunst bewirkt wird, beschäftigt. Stoff der Heilkunst nennen wir beispielsweise die Krankheiten und Wunden, weil sich damit die gesamte Heilkunst beschäftigt; ebenso geben wir den Bereichen, mit denen sich die rednerische Kunst und Fertigkeit beschäftigt, den Namen »Stoff der rhetorischen Kunst«. Zu diesen Bereichen nun haben die einen mehr, die anderen weniger gerechnet. Denn Gorgias von Leontinoi, beinahe der älteste Redelehrer, vertrat die Meinung, der Redner könne über alle Gegenstände bestens sprechen. E r scheint dieser Kunstfertigkeit einen unbegrenzten und unermeßlichen Stoff zugrunde zu legen. Aristoteles aber, der dieser Kunst sehr viele Hilfsmittel und sehr viel Schmuck zur Verfügung stellte, glaubte, die Aufgabe des Redners erstrecke sich auf drei Gattungen, die darlegende, beratende und gerichtliche. Die darlegende Gattung ist die, welche zum L o b oder Tadel einer bestimmten Person angewendet wird; die beratende die, welche eine politische Erörterung zum Thema hat und die Äußerung einer Meinung beinhaltet; die gerichtliche die, welche eine gerichtliche Auseinandersetzung zum Gegenstand hat und Anklage und Verteidigung oder Klage und Ablehnung der Klage beinhaltet. Und man muß, nach meiner Meinung wenigstens, annehmen, daß die Kunst und Fähigkeit des Redners sich in diesem dreigeteilten Stoff bewegt. Denn Hermagoras scheint weder zu beachten, was er sagt, noch zu bemerken, was er verspricht, da er den Stoff des Redners einteilt in einen speziellen Fall und eine grundsätzliche Streitfrage und den speziellen Fall eine Angelegenheit nennt, die eine Auseinandersetzung beinhaltet, die auf einem Redevortrag beruht, wobei bestimmte Personen einbezogen wer-

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nos quoque oratori dicimus esse attributam (nam tres eas partes, quas ante diximus, supponimus, iudicialem, deliberativam, demonstrativam). Quaestionem autem earn appellat, quae habeat in se controversiam in dicendo positam sine certarum personarum interpositione, ad hune modum: 'Ecquid sit bonum praeter honestatem?' 'Verine sint sensus?' 'Quae sit mundi forma?' 'Quae sit solis magnitudo?' Quas quaestiones procul ab oratoris officio remotas facile omnes intellegere existimamus. Nam quibus in rebus summa ingenia philosophorum plurimo cum labore consumpta intellegimus, eas sicut aliquas parvas res oratori attribuere magna amentia videtur.

Quodsi magnam in his Hermagoras habuisset facultatem studio et disciplina comparatam, videretur fretus sua scientia falsum quiddam constituisse de oratoris artificio et non, quid ars, sed quid ipse posset, exposuisse. Nunc vero ea vis est in homine, ut ei multo rhetoricam citius quis ademerit quam philosophiam concesserit: neque eo, quod eius ars, quam edidit, mihi mendocissime scripta videatur; nam satis in ea videtur ex antiquis artibus ingenióse et diligenter electas res collocasse et nonnihil ipse quoque novi protulisse; verum oratori minimum est de arte loqui, quod hie fecit, multo maximum ex arte dicere, quod eum minime potuisse omnes videmus.

Quare materia quidem nobis rhetoricae videtur artis

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den; auch ich behaupte, daß dieser dem Redner zugeteilt ist (denn ich übertrage ihm die oben genannten drei Arten, die gerichtliche, beratende und darlegende). Als generelle Streitfrage bezeichnet er aber die, welche eine Auseinandersetzung beinhaltet, die auf einem Redevortrag beruht, ohne daß bestimmte Personen einbezogen werden, ζ. B. auf folgende Weise: »Gibt es etwas Gutes außer der Ehrenhaftigkeit?« - »Sind die Sinneswahrnehmungen richtig?« »Welches ist die Gestalt der Welt?« - »Welches ist die Größe der Sonne?« Daß diese grundsätzlichen Streitfragen überhaupt nicht zum Aufgabenbereich des Redners gehören, sehen, wie ich meine, alle leicht ein. Denn die Gegenstände, mit denen sich, wie wir bemerken, die größten Geister unter den Philosophen unter größter Anstrengung beschäftigen, gleichwie irgendwelche geringfügigen Gegenstände dem Redner zuzuteilen, erscheint als große Unvernunft. Hätte Hermagoras in diesen Dingen eine große, durch Studium und Unterricht erworbene Fähigkeit besessen, so hätte er, wie es scheint, im Vertrauen auf sein Wissen über die Kunstfertigkeit des Redners etwas Falsches festgelegt und nicht, was die Theorie, sondern was er selbst fertigbringt, dargelegt. Nun besitzt aber der Mensch nur ein solches Vermögen, daß man ihm viel schneller die Redekunst weggenommen als die Philosophie zuerkannt hat. Das sage ich nicht deshalb, weil mir die Kunstlehre, die er herausgab, sehr fehlerhaft geschrieben erschien ; denn er scheint in ihr die Dinge, die er aus alten Kunstlehrern auswählte, mit genügend Geist und Sorgfalt niedergelegt und auch selbst einiges Neue dazu hervorgebracht zu haben; aber für einen Redner ist es das Geringste, über die Kunst zu sprechen, was dieser tat; weitaus das bedeutendste ist es, kunstgemäß zu sprechen - daß er dies überhaupt nicht konnte, sehen wir alle. Deshalb scheint mir nun dies der Stoff der Redekunst zu

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ea, quam Aristoteli visam esse diximus; partes autem eae, quas plerique dixerunt, inventio, dispositio, elocutio, memoria, pronuntiatio. Inventio est excogitatio rerum verarum aut veri similium, quae causam probabilem reddant; dispositio est rerum inventarum in ordinem distributio; elocutio est idoneorum verborum ad inventionem accommodatio ; memoria est firma animi rerum ac verborum et dispositionis perceptio; pronuntiatio est ex rerum et verborum dignitate vocis et corporis moderado.

Nunc his rebus breviter constitutis eas rationes, quibus ostendere possimus genus et finem et officium huius artis, aliud in tempus differemus. Nam et multorum verborum indigent et non tanto opere ad artis descriptionem et praecepta tradenda pertinent. Eum autem, qui artem rhetoricam scribat, de duabus reliquis rebus, materia artis ac partibus, scribere oportere existimamus. Ac mihi quidem videtur coniuncte agendum de materia ac partibus. Quare inventio, quae princeps est omnium partium, potissimum in omni causarum genere, qualis debeat esse, consideretur. Omnis res, quae habet in se positam in dictione ac disceptatione aliquam controversiam, aut facti aut nominis aut generis aut actionis continet quaestionem. Eam igitur quaestionem, ex qua causa nascitur, constitutionem appellamus. Constitutio est prima conflictio causarum ex depulsione intentionis profecta, hoc modo: 'Fecisti.' -

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sein, wofür ihn, wie ich sagte, Aristoteles hielt; die Teile sind aber jene, welche die meisten genannt haben: die Auffindung des Stoffes, die Anordnung des Stoffes, die stilistische Gestaltung des Stoffes, das Sicheinprägen, der Vortrag. Die Auffindung des Stoffes ist das Ersinnen wahrer oder wahrscheinlicher Tatsachen, die den Fall glaubwürdig machen sollten; die Anordnung des Stoffes ist die geordnete Einteilung der aufgefundenen Punkte; die stilistische Gestaltung ist die zur Auffindung des Stoffes passende Anwendung geeigneter Wörter und Sätze; das Sicheinprägen ist das feste geistige Erfassen der Gegenstände und Wörter sowie der Gliederung; der Vortrag ist die der Würde der Dinge und Wörter entsprechende Beschaffenheit der Stimme und des Körpers. Nachdem ich nun diese Dinge kurz dargelegt habe, will ich die Überlegungen, durch die ich Gattung, Ziel und Aufgabe dieser Kunst erklären kann, auf eine andere Zeit verschieben; denn sie bedürfen vieler Wörter und tragen nicht sehr viel zur Beschreibung der Kunst und zum Weitergeben der Vorschriften bei. Der Verfasser eines rhetorischen Lehrbuches aber muß meiner Meinung nach über die zwei übrigen Punkte, den Stoff der Kunst und ihre Teile, schreiben. Und Stoff und Teile müssen, wie mir scheint, miteinander verbunden behandelt werden. Deshalb soll vor allem die Auffindung des Stoffes, der erste aller Teile, und wie sie in jeder Gattung von Fällen beschaffen sein muß, betrachtet werden. Jeder Gegenstand, der in sich einen gewissen Gegensatz im Vortrag und in der Erörterung birgt, enthält die Frage nach der Tat oder der Benennung oder der Gattung oder der Klage. Die Frage also, aus der ein Fall entsteht, nennen wir Begründungsform. Die Begründungsform ist das erste Zusammenprallen der Streitpunkte, hervorgegangen aus der Zurückweisung einer Beschuldigung, z. B. auf folgende Art: »Du hast es getan.« - »Ich habe es nicht getan.« Wenn ein Gegensatz hin-

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' N o n feci', aut: 'Iure feci.' C u m facti controversia est, quoniam coniecturis causa firmatur, constitutio coniecturalis appellatur. C u m autem nominis, quia vis vocabuli definienda verbis est, constitutio definitiva nominatur. C u m vero, qualis res sit, quaeritur, quia et de vi et de genere negotii controversia est, constitutio generalis vocatur. A t cum causa ex eo pendet, quia non aut is agere videtur, quem oportet, translativa dicitur constitutio, quia actio translationis et commutationis indigere videtur. A t q u e harum aliquam in omne causae genus incidere necesse est. N a m in quam rem non incident, in ea nihil esse poterit controversiae; quare eam ne causam quidem convenit putari.

A c facti quidem controversia in omnia tempora potest tribuí. N a m quid factum sit, potest quaeri, hoc m o d o : Occideritne Aiacem Ulixes; et quid fiat, hoc m o d o : Bonone animo sint erga populum Romanum Fregellani; et quid futurum sit, hoc m o d o : Si Carthaginem reliquerimus incolumem, num quid sit incommodi ad rem publicam perventurum. Nominis est controversia, cum de facto convenit et quaeritur, id, quod factum est, quo nomine appelletur. Q u o in genere necesse est ideo nominis esse controver-



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sichtlich der Tat besteht, bezeichnet man, da ja der Streitpunkt durch Vermutungen bekräftigt wird, die Begründungsform als auf einer Vermutung beruhend. Wenn aber hinsichtlich der Benennung, weil die Bedeutung einer Bezeichnung durch Worte bestimmt werden muß, nennt man die Begründungsform auf einer Begriffsbestimmung beruhend. Wenn aber gefragt wird, wie beschaffen die Sache sei, weil über die Bedeutung und über die Gattung des zu verhandelnden Geschäftes ein Gegensatz besteht, benennt man die Begründungsform als die die Gattung betreffende. Aber wenn der Streitpunkt davon abhängt, daß nicht der zu klagen scheint, der es eigentlich müßte, oder daß er es nicht mit dem zu tun hat, mit dem er eigentlich müßte, oder nicht bei denen, zu der Zeit, nach dem Gesetz, unter der Beschuldigung, mit dem Strafantrag, wie es eigentlich geschehen müßte, so nennt man sie die überweisende Begründungsform, weil die Klage einer Uberweisung und einer Veränderung zu bedürfen scheint. Und notwendigerweise trifft irgendeine dieser Begründungsformen auf jede Gattung von Fällen zu. Denn in einer Sache, auf die keine zutrifft, kann es keinen Gegensatz geben ; deshalb darf man sie auch nicht für einen Streitfall halten. Und der Gegensatz hinsichtlich der Tat kann ja in alle Zeiten eingeteilt werden. Denn nach dem, was geschehen ist, kann man fragen ζ. B. auf folgende A r t : »Hat Ulixes den Ajax getötet?« - und nach dem, was geschieht z . B . auf folgende Art: »Sind die Einwohner von Fregellae gegen das römische Volk gut gesinnt?« - und nach dem, was geschehen wird, ζ. B. auf folgende Art: »Wenn wir Karthago unzerstört verlassen, wird dies dem Staate zum Nachteil geraten?« Ein Gegensatz hinsichtlich der Benennung liegt vor, wenn man sich über die Tat einig ist und nur fragt, mit welcher Benennung man das, was geschehen ist, bezeichnen soll. Hierbei muß notwendigerweise deshalb ein Gegensatz hinsichtlich

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siam, quod de re ipsa non conveniat; non quod de facto non constet, sed quod id, quod factum sit, aliud alii videatur esse et idcirco alius alio nomine id appellet. Quare in eiusmodi generibus definienda res erit verbis et breviter describenda, ut, si quis sacrum ex privato surripuerit, utrum fur an sacrilegus sit iudicandus. N a m id cum quaeritur, necesse est definire utrumque, quid sit fur, quid sacrilegus, et sua descriptione ostendere alio nomine illam rem, de qua agitur, appellari oportere atque adversarii dicunt.

Generis est controversia, cum et, quid factum sit, convenit, et, quo id factum nomine appellari oporteat, constat et tarnen, quantum et cuiusmodi et omnino quale sit, quaeritur, hoc m o d o : Iustum an iniustum, utile an inutile, et omnia, in quibus, quale sit id, quod factum est, quaeritur sine ulla nominis controversia. Huic generi Hermagoras partes quattuor supposuit, deliberativam, demonstrativam, iuridicialem, negotialem. Q u o d eius, ut nos putamus, non mediocre peccatum reprehendendum videtur, verum brevi, ne aut si taciti praeterierimus, sine causa non secuti putemur, aut, si diutius in hoc constiterimus, moram atque impedimentum reliquis praeceptis intulisse videamur.

Si deliberatio et demonstratio genera sunt causarum, non possunt rete partes alicuius generis causae putari. Eadem enim res alii genus esse, alii pars potest, eidem

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der Benennung bestehen, weil man sich über die Sache selbst nicht einig ist; nicht als ob über die Tat keine Gewißheit bestünde, sondern weil das, was geschehen ist, dem einen so, dem anderen anders erscheint und es deshalb jeder mit einer anderen Benennung bezeichnet. Deshalb muß man in derartigen Fällen die Sache mit Worten definieren und kurz beschreiben, ζ. B. wenn jemand einen heiligen Gegenstand aus Privatbesitz geraubt hat, ob man ihn dann zu einem Dieb oder zu einem Tempelräuber erklären soll. Denn wenn man danach fragt, wird man beide Begriffe definieren müssen, nämlich was ein Dieb, was ein Tempelräuber sei, und durch seine eigene Beschreibung zeigen müssen, daß der Sachverhalt, um den es geht, mit einer anderen Benennung bezeichnet werden müsse, als die Gegner sagen. Ein Gegensatz hinsichtlich der Gattung besteht, wenn man sich zwar einig ist, was geschehen ist, und feststeht, mit welcher Benennung diese Tat bezeichnet werden muß, und man dennoch fragt, wie bedeutend, von welcher Art und überhaupt wie beschaffen sie ist, ζ. B. auf folgende Art: ob gerecht oder ungerecht, nützlich oder nutzlos, und alle Fälle, in denen man fragt, wie beschaffen die Tat ist, ohne daß es irgendeinen Gegensatz hinsichtlich der Benennung gibt. Dieser Gattung hat Hermagoras vier Arten untergeordnet: die beratende, die darlegende, die rechtliche, die das Geschäft betreffende. Dieser sein nach meiner Meinung nicht unerhebliche Fehler muß, wie mir scheint, berichtigt werden, aber nur kurz, damit man nicht glaubt, wenn ich stillschweigend darüber hinwegginge, ich hätte mich ihm nicht angeschlossen, ohne es zu begründen, wenn ich aber zu lange dabei verweilte, ich hätte offensichtlich die übrigen Vorschriften zu sehr hinausgeschoben. Wenn die Beratung und die Darlegung Gattungen von Fällen sind, kann man sie nicht zu Recht für die Arten irgendeiner Gattung eines Falles halten. Denn dieselbe Sache kann für



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genus esse et pars non potest. Deliberado autem et demonstratio genera sunt causarum. N a m aut nullum causae genus est aut iudiciale solum aut et iudiciale et demonstrativum et deliberativum. Nullum dicere causae esse genus, cum causas esse multas dicat et in eas praecepta det, amentia est; unum iudiciale autem solum esse qui potest, cum deliberado et demonstrado ñeque ipsae similes inter se sint et ab iudiciali genere plurimum dissideant et suum quaeque finem habeat, quo referri debeat? Relinquitur ergo, ut omnia tria genera sint causarum. Deliberado et demonstratio non possunt recte partes alicuius generis causae putari. Male igitur eas generalis constitutions partes esse dixit.

Quodsi generis causae partes non possunt recte putari, multo minus recte partis causae partes putabuntur. Pars autem causae est constitutio omnis, non enim causa ad constitutionem, sed constitutio ad causam accommodatur. A t demonstratio et deliberatio generis causae partes non possunt recte putari, quod ipsa sunt genera; multo igitur minus recte partis eius, quae hie dicitur, partes putabuntur. Deinde si constitutio et ipsa et pars eius quaelibet intentionis depulsio est, quae intentionis depulsio non est, ea nec constitutio nec pars constitution s est; at si, quae intentionis depulsio non est, ea nec constitutio nec pars constitutionis est, deliberatio et

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die eine Gattung, für die andere Art sein, für ein und dieselbe kann sie nicht Gattung und Art sein. Die Beratung aber und die Darlegung sind Gattungen von Fällen. Denn es gibt entweder überhaupt keine Gattung eines Falles oder nur eine rechtliche oder sowohl eine rechtliche als auch eine darlegende als auch eine beratende; zu behaupten, es gebe keine Gattung eines Falles, während er behauptet, es gebe viele Fälle, und er für diese Vorschriften bringt, ist Unsinn; wie kann es aber die eine rechtliche Gattung allein geben, da die Beratung und die Darlegung untereinander selbst sich nicht ähnlich sind und sich von der rechtlichen Gattung sehr stark unterscheiden und jede ihr eigenes Ziel hat, nach dem sie ausgerichtet werden muß? Also bleibt als Schlußfolgerung, daß alle drei Gattungen von Fällen sind. Beratung und Darlegung können nicht zu Recht für Arten irgendeiner Gattung eines Falles gehalten werden. Unrichtig hat er also behauptet, sie seien Arten der die Gattung betreffenden Begründungsform. Wenn sie nun nicht zu Recht für Arten einer Gattung eines Falles gehalten werden können, hält man sie mit noch viel geringerem Recht für die Arten einer Art eines Falles. Art eines Falles ist aber jede Begründungsform; denn der Fall wird nicht der Begründungsform, sondern die Begründungsform wird dem Fall angeglichen. Aber Darlegung und Beratung können nicht zu Recht für Arten einer Gattung des Falles gehalten werden, weil sie selbst Gattungen sind; mit viel weniger Recht also wird man sie für Arten der Art, die hier genannt ist, halten. Weiterhin: Wenn die Begründungsform selbst und jede beliebige Art von ihr das Zurückweisen einer Beschuldigung ist, so ist, was kein Zurückweisen einer Beschuldigung ist, weder eine Begründungsform noch eine Art einer Begründungsform; aber wenn das, was kein Zurückweisen einer Beschuldigung ist, weder eine Begründungsform noch eine Art einer Begründungsform ist, ist die Beratung

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demonstratio ñeque constitutio nec pars constitutionis est. Si igitur constitutio et ipsa et pars eius intentionis depulsio est, deliberatio et demonstratio neque constitutio neque pars constitutionis est. Placet autem ipsi Constitutionen! intentionis esse depulsionem; placeat igitur oportet demonstrationem et deliberationem non esse constitutionem nec partem constitutionis. Atque hoc eodem urguebitur, sive constitutionem primam causae accusatoris confirmationem dixerit sive defensoris primam deprecationem; nam eum eadem omnia incommoda sequentur.

Deinde coniecturalis causa non potest simul ex eadem parte eodem in genere et coniecturalis esse et definitiva. Nec definitiva causa potest simul ex eadem parte eodem in genere et definitiva esse et translativa. Et omnino nulla constitutio nec pars constitutionis potest simul et suam habere et alterius in se vim continere, ideo quod una quaeque ex se et ex sua natura simpliciter consideratur; altera assumpta numerus constitutionum duplicatur, non vis constitutionis augetur. A t deliberativa causa simul ex eadem parte eodem in genere et coniecturalem et generalem et definitivam et translativam solet habere constitutionem et unam aliquam et plures nonnumquam. Ergo ipsa neque constitutio est nec pars constitutionis. Idem in

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und Darlegung weder eine Begründungsform noch eine Art einer Begründungsform. Wenn also die Begründungsform selbst und eine Art von ihr das Zurückweisen einer Beschuldigung ist, ist die Beratung und Darlegung weder eine Begründungsform noch eine Art einer Begründungsform. Hermagoras aber ist der Meinung, die Begründungsform sei das Zurückweisen einer Beschuldigung; also muß er auch der Meinung sein, die Darlegung und Beratung sei keine Begründungsform und keine Art einer Begründungsform. Aber durch dasselbe Argument wird er bedrängt werden, wenn er die Begründungsform die erste Bekräftigung des Anklägers, oder wenn er sie die erste Abwehr durch den Verteidiger nennt; denn es werden ihm ausnahmslos die nämlichen Unannehmlichkeiten folgen. Weiterhin kann ein auf einer Vermutung beruhender Fall nicht gleichzeitig gemäß derselben Art in derselben Gattung ein auf einer Vermutung und ein auf einer Begriffsbestimmung beruhender sein. U n d ein auf einer Begriffsbestimmung beruhender Fall kann nicht gleichzeitig gemäß derselben Art in derselben Gattung ein auf einer Begriffsbestimmung und ein auf einer Überweisung beruhender sein. U n d überhaupt kann eine Begründungsform deswegen nicht gleichzeitig ihre eigene Bedeutung und die einer anderen in sich enthalten, weil eine jede einzelne aus sich heraus und aus ihrer eigenen Natur einfach bestimmt wird; nimmt man eine weitere hinzu, wird die Zahl der Begründungsformen verdoppelt, nicht die Bedeutung der Begründungsform besonders hervorgehoben. Aber der beratende Fall hat gewöhnlich gleichzeitig gemäß derselben Art und derselben Gattung eine auf einer Vermutung und eine auf einer Begriffsbestimmung und eine auf einer Uberweisung beruhende Begründungsform, bisweilen eine einzige, mitunter mehrere. Also ist er selbst weder eine Begründungsform noch eine Art einer Be-

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demonstratione solet usu venire. Genera igitur, ut ante diximus, haec causarum putanda sunt, non partes alicuius constitutionis. Haec ergo constitutio,· quam generalem nominamus, partes videtur nobis duas habere, iuridicialem et negotialem. Iuridicialis est, in qua aequi et recti natura aut praemii aut poenae ratio quaeritur; negotialis, in qua, quid iuris ex civili more et aequitate sit, consideratur; cui diligentiae praeesse apud nos iure consulti existimantur.

Ac iuridicialis quidem ipsa in duas tribuitur partes, absolutam et assumptivam. Absoluta est, quae ipsa in se continet iuris et iniuriae quaestionem; assumptiva, quae ipsa ex se nihil dat firmi ad recusationem, foris autem aliquid defensionis adsumit. Eius partes sunt quattuor, concessio, remotio criminis, relatio criminis, comparado. Concessio est, cum reus non id, quod factum est, defendit, sed ut ignoscatur, postulat. Haec in duas partes dividitur, purgationem et deprecationem. Purgado est, cum factum conceditur, culpa removetur. Haec partes habet tres, imprudentiam, casum, necessitatem. Deprecado et, cum et peccasse et consulto peccasse reus se confitetur et tarnen, ut ignoscatur, postulat; quod genus perraro potest accidere. Remotio criminis est, cum id crimen, quod infertur, ab se et ab sua culpa et potestate in

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gründungsform. Dasselbe trifft auch gewöhnlich für die Darlegung zu. Man muß diese also, wie ich vorhin gesagt habe, für Gattungen von Fällen, nicht für Arten irgendeiner Begründungsform halten. Diese Begründungsform also, die wir die Gattung betreffend nennen, scheint mir zwei Arten zu haben, die rechtliche und die das Geschäft betreffende. Die rechtliche Begründungsform ist die, in welcher die Natur des Billigen und Rechten oder die Begründung für Belohnung oder Bestrafung untersucht wird; die das Geschäft betreffende die, in welcher betrachtet wird, was nach bürgerlichem Herkommen und nach Billigkeit rechtens ist; bei uns, so glaubt man, erforschen dies gewissenhaft in erster Linie die Rechtsgelehrten. Und die rechtliche nun wird selbst in zwei Arten unterteilt, die an sich vollständige und die an sich unvollständige. Die an sich vollständige ist die, welche selbst in sich die Frage nach Recht und Unrecht enthält; an sich unvollständig ist diejenige, welche selbst aus sich heraus nichts Stichhaltiges zu einer Zurückweisung beiträgt, von außen aber etwas zur Verteidigung hinzunimmt. Von dieser gibt es vier Arten: das Zugeständnis, die Zurückweisung der Beschuldigung, das Zurückschieben der Beschuldigung und den Vergleich. Ein Zugeständnis liegt vor, wenn der Angeklagte nicht das, was geschehen ist, verteidigt, sondern verlangt, daß ihm verziehen wird. Dieses wird in zwei Arten unterteilt: die Reinigung und die Abbitte. Eine Reinigung liegt vor, wenn die Tat zugegeben, eine Schuld aber abgelehnt wird. Diese hat drei Arten: die Unkenntnis, den Zufall und die Unvermeidbarkeit. Eine Abbitte liegt vor, wenn der Angeklagte gesteht, sich vergangen und zwar sich absichtlich vergangen zu haben, und trotzdem verlangt, daß ihm verziehen wird; diese Art kann nur sehr selten vorkommen. Eine Zurückweisung der Beschuldigung liegt vor, wenn der Angeklagte versucht, die Beschuldi-

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alium reus removere conatur. Id dupliciter fieri poterit, si aut causa aut factum in alium transferetur. Causa transfertur, cum aliena dicitur vi et potestate factum; factum autem, cum alius aut debuisse aut potuisse facere dicitur. Relatio criminis est, cum ideo iure factum dicitur, quod aliquis ante iniuria lacessierit. Comparatio est, cum aliud aliquod factum rectum aut utile contenditur, quod ut fieret, illud, quod arguitur, dicitur esse commissum.

In quarta constitutione, quam translativam nominamus, eius constitutionis est controversia, cum aut quem aut quicum aut quomodo aut apud quos aut quo iure aut quo tempore agere oporteat, quaeritur aut omnino aliquid de commutatione aut infirmatione actionis agitur. Huius constitutionis Hermagoras inventor esse existimatur, non quo non usi sint ea veteres oratores saepe multi, sed quia non animadverterunt artis scriptores eam superiores nec rettulerunt in numerum constitutionum. Post autem ab hoc inventam multi reprehenderunt, quos non tam imprudentia falli putamus (res enim perspicua est) quam invidia atque obtrectatione quadam impediri.

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Et constitutiones quidem et earum partes exposuimus ; exempla autem cuiusque generis tum commodius exposituri videmur, cum in unum quodque eorum argumento-

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gung, die vorgebracht wird, von sich, von seiner Schuld und von seiner Macht auf einen anderen abzuschieben. Dies kann auf zweifache Weise geschehen, wenn entweder der Beweggrund oder die Tat auf einen anderen überwiesen wird. Der Beweggrund wird überwiesen, wenn man sagt, die Tat sei durch fremde Gewalt und Macht geschehen; die Tat aber, wenn man sagt, ein anderer habe sie ausführen müssen oder können. Eine Zurückschiebung der Beschuldigung liegt vor, wenn man sagt, die Tat sei deswegen zu Recht verrichtet worden, weil irgend jemand einen vorher durch ein Unrecht gereizt habe. Ein Vergleich liegt vor, wenn man behauptet, es sei irgendeine andere richtige oder nützliche Tat verrichtet worden; damit aber diese geschehen konnte, sagt man, sei jene Tat, deren man beschuldigt werde, begangen worden. Bei der vierten Begründungsform, die wir die auf einer Uberweisung beruhende nennen, besteht der Gegensatz in der Begründungsform darin, daß gefragt wird, wer oder mit wem oder auf welche Weise oder bei wem oder mit welchem Recht oder zu welcher Zeit man seine Sache betreiben müsse, oder wenn überhaupt etwas wegen der Veränderung oder wegen der Entkräftung der Anklage betrieben wird. Man glaubt, Hermagoras sei der Erfinder dieser Begründungsform gewesen, nicht als ob nicht viele alte Redner sie oft angewandt hätten, sondern weil die frühen Verfasser eines Lehrwerkes sie nicht bemerkt und nicht unter die Begründungsformen aufgenommen haben. Später aber haben viele die von diesem erfundene Begründungsform getadelt, die sich nach meiner Meinung nicht so sehr aus Unkenntnis täuschten (die Sache ist nämlich klar), als vielmehr von Neid und Mißgunst gehindert wurden. Und so habe ich nun die Begründungsformen und ihre Arten dargelegt; Beispiele aber für jede Gattung werde ich, scheint mir, dann zweckmäßiger vorführen, wenn ich für jede



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rum copiam dabimus. Nam argumentandi ratio dilucidici erit, cum et ad genus et ad exemplum causae statim poterit accommodari. Constitutione causae reperta statim placet considerare, utrum causa sit simplex an iuncta; et si iuncta erit, utrum sit ex pluribus quaestionibus iuncta an ex aliqua comparatione. Simplex est, quae absolutam in se continet unam quaestionem, hoc modo : 'Corinthiis bellum indicamus an non?' Coniuncta ex pluribus quaestionibus, in qua plura quaeruntur, hoc pacto : 'Utrum Carthago diruatur an Carthageniensibus reddatur an eo colonia deducatur?' Ex comparatione, in qua per contentionem, utrum potius aut quid potissimum sit, quaeritur, ad hune modum: 'Utrum exercitus in Macedoniam contra Philippum mittatur, qui sociis sit auxilio, an teneatur in Italia, ut quam maximae contra Hannibalem copiae sint?'

Deinde considerandum est, in ratione an in scripto sit controversia. Nam scripti controversia est ea, quae ex scriptionis genere nascitur. Eius autem genera, quae separata sunt a constitutionibus, quinqué sunt. Nam tum verba ipsa videntur, cum sententia scriptoris dissidere, tum inter se duae leges aut plures discrepare, tum id, quod scriptum est, duas aut plures res significare, tum ex eo, quod scriptum est, aliud, quod non scriptum est,

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einzelne Gattung von ihnen eine Menge Beweisführungen gebe. Denn die Art und Weise der Beweisführung wird einleuchtender sein, wenn sie sofort der Gattung und einem Beispiel des Falles angepaßt werden kann. Wenn die Begründungsform eines Falles gefunden ist, scheint es gut, sofort zu betrachten, ob der Fall einfach oder zusammengesetzt ist; und wenn er zusammengesetzt ist, ob er aus mehreren Streitfragen zusammengesetzt ist oder aus irgendeinem Vergleich. Einfach ist der, welcher eine einzige in sich abgeschlossene Streitfrage in sich enthält, z.B. auf folgende Art: »Sollen wir den Korinthern den Krieg erklären oder nicht?« Zusammengesetzt ist der, in dem aus mehreren Streitfragen mehreres gefragt wird, ζ. B. in folgender Art: »Soll Karthago zerstört oder den Karthagern zurückgegeben werden oder soll eine Kolonie dorthin verlegt werden?« Aus einem Vergleich, in dem man durch eine Gegenüberstellung untersucht, welcher Gesichtspunkt von zweien der vorzüglichere oder welcher der vorzüglichste sei, ζ. B. auf folgende Weise: »Soll ein Heer nach Mazedonien gegen Philipp geschickt werden, das den Bundesgenossen Hilfe bringen kann, oder soll es in Italien zurückgehalten werden, damit die Truppen gegen Hannibal möglichst stark sind?« Danach muß man betrachten, ob der Gegensatz auf einem sachlichen Grund oder auf einem Schriftstück beruht. Denn der auf einem Schriftstück beruhende Gegensatz ist der, welcher aus der Art der schriftlichen Darstellung entsteht. Dessen Arten aber, die getrennt von den Begründungsformen sind, sind fünf. Denn einmal stehen, wie es scheint, die Worte selbst zur Ansicht des Schreibers im Widerspruch; dann widersprechen sich zwei oder mehr Gesetze; dann bezeichnet das, was geschrieben steht, zwei oder mehr Gegenstände; dann findet man aus dem, was geschrieben steht, etwas anderes, was nicht geschrieben steht, heraus; dann fragt man,



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inveniri, tum vis verbi quasi in definitiva constitutione, in quo posita sit, quaeri. Quare primum genus de scripto et sententia, secundum ex contrariis legibus, tertium ambiguum, quartum ratiocinativum, quintum definitivum nominamus. Ratio est autem, cum omnis quaestio non in scriptione, sed in aliqua argumentatione consistit.

A c tum, considerato genere causae, cum simplexne an iuncta sit intellexeris et scripti an rationis habeat controversiam videris, deinceps erit videndum, quae quaestio, quae ratio, quae iudicatio, quod firmamentum causae sit; quae omnia a constitutione proficiscantur oportet. Quaestio est ea, quae ex conflictione causarum gignitur controversia, hoc m o d o : ' N o n iure fecisti.' - 'Iure feci.' Causarum autem est conflictio, in qua constitutio constat. Ex ea igitur nascitur controversia, quam quaestionem dicimus, haec: 'Iurene fecerit?' Ratio est ea, quae continet causam, quae si sublata sit, nihil in causa controversiae relinquatur, hoc modo, ut docendi causa in facili et pervulgato exemplo constitamus: Orestes si accusetur matricidii, nisi hoc dicat: 'Iure feci, illa enim patrem raeura occiderat', non habet defensionem. Q u a ratione sublata omnis controversia quoque sublata sit. Ergo eius causae ratio est, quod illa Agamemnonem occiderit. Iudicatio et, quae ex infirmatione et confirmatione ratio-

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worin die Bedeutung eines Wortes liegt, wie in der auf einer Begriffsbestimmung beruhenden Begründungsform. Deshalb nennen wir die erste Art die über das Schriftstück und die Ansicht, die zweite die aus sich widersprechenden Gesetzen bestehende, die dritte die zweideutige, die vierte die auf einer Schlußfolgerung beruhende, die fünfte die auf einer Begriffsbestimmung beruhende. Ein sachlicher Grund aber liegt vor, wenn die gesamte Streitfrage nicht auf einer schriftlichen Darstellung, sondern auf einer Beweisführung beruht. Und dann, nachdem die Gattung des Falles betrachtet ist, wenn man erkannt hat, ob er einfach oder zusammengesetzt ist, und gesehen hat, ob er einen Gegensatz in einem Schriftstück oder in einem sachlichen Grund hat, muß man sehen, welches die Streitfrage, welches die Begründung, welches der strittige Punkt und welches der Beweis des Falles ist; dies alles muß von der Begründungsform ausgehen. Die Streitfrage erhebt sich aus dem Gegensatz, der aus dem Zusammenstoßen von Streitfällen entsteht, ζ. B. auf folgende Art: »Du hast dies nicht zu Recht getan.« - »Ich habe es zu Recht getan.« Es ist aber ein Zusammenstoßen von Streitfällen, worin die Begründungsform feststeht. Hieraus aber entsteht der Gegensatz, den wir Streitfrage nennen, ζ. B. folgendermaßen: »Ob er das mit Recht getan hat?« Die Begründung ist das, was den Streitfall im wesentlichen ausmacht; wäre sie weggenommen, bliebe im Streitfall kein Gegensatz übrig, ζ. B. auf folgende Art - um zu belehren, will ich mich an ein leichtverständliches und allgemein verbreitetes Beispiel halten: Falls Orestes des Muttermordes angeklagt wird und nicht sagt: »Ich habe es zu Recht getan, jene hatte nämlich meinen Vater getötet«, hat er nichts zu seiner Verteidigung. Ist diese Begründung weggenommen, so ist auch jeder Gegensatz weggenommen. Also ist die Begründung für diesen Streitfall, daß jene Agamemnon getötet hat. Der strittige Punkt ist der Gegensatz, der aus der

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nis nascitur controversia. Nam sit ea nobis expósita ratio, quam paulo ante exposuimus: 'Illa enim meum', inquit, 'patrem occiderat.' 'At non', inquiet adversarius, 'abs te filio matrem necari oportuit; potuit enim sine tuo scelere illius factum puniri.' Ex hac diductione rationis illa summa nascitur controversia, quam iudicationem appellamus. Ea est huiusmodi: Rectumne fuerit ab Oreste matrem occidi, cum illa Orestis patrem occidisset. Firmamentum est firmissima argumentatio defensoris et appositissima ad iudicationem: ut si velit Orestes dicere eiusmodi animum matris suae fuisse in patrem suum, in se ipsum ac sorores, in regnum, in famam generis et familiae, ut ab ea poenas liberi sui potissimum petere debuerint.

Et in ceteris quidem constitutionibus ad hunc modum iudicationes reperiuntur; in coniecturali autem constitutione, quia ratio non est (factum enim non conceditur), non potest ex diductione rationis nasci iudicatio. Quare necesse est eandem esse quaestionem et iudicationem: factum est, non est factum, factumne sit? Q u o t autem in causa constitutiones aut earum partes erunt, totidem necesse erit quaestiones, rationes, iudicationes, firmamenta reperiri.

Tum his omnibus in causa repertis denique singulae partes totius causae considerandae sunt. Nam non ut quidque dicendum primum est, ita primum animadver-

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Entkräftung und Bekräftigung der Begründung entsteht. Denn die Begründung sei von mir dargelegt, welche ich schon kurz vorher dargelegt habe: »Jene hatte nämlich«, sagte er, »meinen Vater getötet.« - »Aber«, wird der Gegner sagen, »von dir, dem Sohne, hätte deine Mutter nicht getötet werden dürfen; denn auch ohne daß du ein Verbrechen begingest, hätte ihre Tat bestraft werden können.« Aus dieser Weiterführung der Begründung entsteht jener Hauptgegensatz, den ich als strittigen Punkt bezeichne. Er ist ζ. B. von folgender Art: »Ob es recht war, daß von Orestes die Mutter getötet wurde, da jene des Orestes Vater getötet hatte?« Der Beweis ist die beweiskräftigste Beweisführung des Verteidigers und die für den strittigen Punkt geeignetste, ζ. B. wenn Orestes sagen wollte, von solcher Art sei die Gesinnung seiner Mutter gegen seinen Vater, gegen ihn selbst und seine Schwestern, gegen das Königtum, gegen den Ruf des Geschlechtes und der Familie gewesen, daß ihre Kinder in erster Linie verpflichtet gewesen seien, sie zur Strafe zu ziehen. Auch in den übrigen Begründungsformen findet man sicher strittige Punkte auf diese Art; in der auf einer Vermutung beruhenden Begründungsform aber kann, da es ja keine Begründung gibt (die Tat wird nämlich nicht zugegeben), aus der Weiterführung der Begründung kein strittiger Punkt entstehen. Deshalb müssen auch Streitfrage und strittiger Punkt ein und dasselbe sein: »Es ist geschehen, es ist nicht geschehen, ob es geschehen ist?« Wie viele Begründungsformen es aber in einem Streitfall gibt oder wie viele Arten von ihnen, ebenso viele Streitfragen, Begründungen, strittige Punkte und Beweise müssen gefunden werden. Wenn diese alle in einem Streitfall gefunden sind, dann müssen schließlich die einzelnen Teile des ganzen Streitfalles betrachtet werden. Denn nicht wie ein Punkt früher als der andere erwähnt werden muß, muß man ihn früher als den an-

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tendum videtur; ideo quod illa, quae prima dicuntur, si vehementer velis congruere et cohaerere cum causa, ex eis ducas oportet, quae post dicenda sunt. Quare cum iudicatio et ea, quae ad iudicationem oportet argumenta inveniri, diligenter erunt artificio reperta, cura et cogitatione pertractata, tum denique ordinandae sunt ceterae partes orationis. Eae partes sex esse omnino nobis videntur: exordium, narratio, partitio, confirmatio, reprehensio, conclusio.

Nunc quoniam exordium princeps debet esse, nos quoque primum in rationem exordiendi praecepta dabimus. Exordium est orario animum auditoris idonee comparane ad reliquam dictionem; quod eveniet, si eum benivolum, attentum, docilem confecerit. Quare qui bene exordiri causam volet, eum necesse est genus suae causae diligenter ante cognoscere. Genera causarum quinqué sunt: honestum, admirabile, humile, anceps, obscurum. Honestum causae genus est, cui statim sine oratione nostra favet auditoris animus; admirabile, a quo est alienatus animus eorum, qui audituri sunt; humile, quod neglegitur ab auditore et non magnopere attendendum videtur; anceps, in quo aut iudicatio dubia est aut causa et honestatis et turpitudinis particeps, ut et benivolentiam pariat et offensionem ; obscurum, in quo aut tardi auditores sunt aut difficilioribus ad cognoscendum negotiis causa est implicata. Quare cum tam diversa sint genera

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deren beachten; denn wenn man den nachdrücklichen Wunsch hat, daß das, was als erstes gesagt wird, zum Streitfall paßt und mit ihm zusammenhängt, muß man das, was später gesagt wird, davon ableiten. Wenn also der strittige Punkt und die Beweisführungen, die man für den strittigen Punkt finden muß, gewissenhaft durch Kunst aufgefunden und mit Sorgfalt und Nachdenken vollständig erfaßt sind, dann muß man schließlich das übrige, die Teile der Rede der Reihe nach ordnen. Diese Teile scheinen mir insgesamt sechs zu sein: die Einleitung, die Darlegung des Sachverhaltes, die Einteilung des Stoffes, die Bekräftigung, die Widerlegung, der Schluß. Weil ja die Einleitung an erster Stelle stehen muß, will auch ich zuerst für die Technik der Einleitung Vorschriften geben. Die Einleitung ist der Teil der Rede, der das Gemüt des Zuhörers in geeigneter Weise für den übrigen Vortrag vorbereitet; dies wird eintreten, wenn er ihn wohlwollend, aufmerksam und belehrbar macht. Wer deshalb will, daß der Fall gut eingeleitet wird, muß sich vorher über die Art seines Falles sorgfältig Klarheit verschaffen. Es gibt fünf Arten von Fällen: die ehrenhafte, die auffallende, die unbedeutende, die zweideutige, die unklare. Ehrenhaft ist die Art eines Falles, welcher der Zuhörer sofort ohne unsere Rede seine Gunst schenkt; auffallend die, welcher die, welche zuhören wollen, entfremdet sind; unbedeutend die, welche vom Zuhörer geringgeschätzt wird und welcher er keine große Aufmerksamkeit schenken zu müssen meint; zweideutig die, bei welcher der strittige Punkt zweifelhaft ist oder der Fall einen Teil Ehrenhaftigkeit und einen Teil Schimpflichkeit hat, so daß er Wohlwollen und Anstoß erregt; unklar die, bei welcher entweder die Zuhörer nur langsam mitgehen oder der Fall mit Angelegenheiten, die ziemlich schwierig zu erkennen sind, verflochten ist. D a deshalb die Arten von Fällen so unter-

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causarum, exordiri quoque dispari ratione in uno quoque genere necesse est. Igitur exordium in duas partes dividitur, principium et insinuationem. Principium est oratio perspicue et protinus perficiens auditorem benivolum aut docilem aut attentum. Insinuano est oratio quadam dissimulatione et circumitione obscure subiens auditoris animum. In admirabili genere causae, si non omnino infesti auditores erunt, principio benivolentiam comparare licebit. Sin erunt vehementer abalienati, confugere necesse erit ad insinuationem. Nam ab iratis si perspicue pax et benivolentia petitur, non modo ea non invenitur, sed augetur atque inflammatur odium. In humili autem genere causae contemptionis tollendae causa necesse est attentum efficere auditorem. Anceps genus causae si dubiam iudicationem habebit, ab ipsa iudicatione exordiendum est. Sin autem partem turpitudinis, partem honestatis habebit, benivolentiam captare oportebit, ut in genus honestum causa translata videatur. Cum autem erit honestum causae genus, vel praeteriri principium poterit vel, si commodum fuerit, aut a narratione incipiemus aut a lege aut ab aliqua firmissima ratione nostrae dictionis; sin uti principio placebit, benivolentiae partibus utendum est, ut id, quod est, augeatur. In obscuro causae genere per principium dociles auditores efficere oportebit.

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schiedlich sind, muß auch bei jeder einzelnen Art auf verschiedene Weise eingeleitet werden. Also wird die Einleitung in zwei Arten geteilt, in die Vorrede und die Einschmeichelung. Die Vorrede ist die Art der Rede, die den Zuhörer offen und auf der Stelle wohlwollend oder belehrbar oder aufmerksam macht. Die Einschmeichelung ist die Art der Rede, die durch eine gewisse Vorstellung und durch einen Umweg sich unbemerkt in das Gemüt des Zuhörers einschleicht. Bei der auffallenden Art des Falles darf man, wenn die Zuhörer nicht ganz und gar feindlich gesinnt sind, in der Vorrede deren Wohlwollen zu erwecken suchen. Sind sie aber sehr abgeneigt, muß man seine Zuflucht zur Einschmeichelung nehmen. Denn wenn man von erzürnten Menschen augenscheinlich Frieden und Wohlwollen erlangen möchte, findet man dieses nicht nur nicht, sondern es wird sogar der Haß vermehrt und entflammt. Bei der unbedeutenden Art eines Falles aber muß man, um die Geringschätzung zu beseitigen, den Zuhörer aufmerksam machen. Wenn die zweideutige Art einen zweifelhaften strittigen Punkt hat, so muß man mit diesem strittigen Punkt selbst einleiten. Wenn sie aber teils Schimpflichkeit, teils Ehrenhaftigkeit enthält, soll man Wohlwollen zu gewinnen suchen, damit der Fall in die ehrenhafte Art hinübergetragen scheint. Wenn es sich aber um die ehrenhafte Art eines Falles handelt, kann man entweder die Vorrede weglassen oder, wenn man es für angebracht hält, entweder mit der Darlegung des Sachverhaltes beginnen oder mit einem Gesetz oder mit irgendeiner sehr stichhaltigen Begründung unseres Vortrages; hält man es aber für gut, eine Vorrede zu verwenden, so muß man die Methode verwenden, mit welcher Wohlwollen gewonnen werden kann, damit das, was schon vorhanden ist, vermehrt wird. Bei der unklaren Art eines Falles soll man durch die Vorrede die Zuhörer belehrbar machen.

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Nunc quoniam quas res exordio conficere oporteat dictum est, reliquum est, ut ostendatur, quibus quaeque rationibus res confici possit. Benivolentia quattuor ex locis comparatur: ab nostra, ab adversariorum, ab iudicum persona, a causa. Ab nostra, si de nostris factis et officiis sine arrogantia dicemus; si crimina illata et aliquas minus honestas suspiciones iniectas diluemus; si, quae incommoda acciderint aut quae instent difficultates, proferemus; si prece et obsecratione humili ac supplici utemur. Ab adversariorum autem, si eos aut in odium aut in invidiam aut in contemptionem adducemus. In odium ducentur, si quod eorum spurce, superbe, crudeliter, malitiose factum proferetur; in invidiam, si vis eorum, potentia, divitiae, cognado proferentur atque eorum usus arrogane et intolerabilis, ut his rebus magis videantur quam causae suae confédéré; in contemptionem adducentur, si eorum inertia, neglegentia, ignavia, desidiosum Studium et luxuriosum otium proferetur. Ab auditorum persona benivolentia captabitur, si res ab eis fortiter, sapienter, mansuete gestae proferentur, ut ne qua asssentatio nimia significetur, si de eis quam honesta existimatio quantaque eorum iudicii et auctoritatis exspectatio sit, ostendetur; ab rebus, si nostrani causam laudando extollemus, adversariorum causam per contemptionem deprimemus.

Attentos autem faciemus, si demonstrabimus ea, quae dicturi erimus, magna, nova, incredibilia esse, aut ad

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D a nun gesagt ist, welche Dinge man in der Einleitung bewirken soll, bleibt übrig zu zeigen, auf welche Art und Weise jedes einzelne bewirkt werden kann. Wohlwollen erwirbt man von vier Seiten her: von unserer, von der der Gegner, von der Person der Richter und vom Fall. Von unserer Seite, wenn wir von unseren Taten und pflichtgemäßen Handlungen ohne Anmaßung sprechen; wenn wir die vorgebrachten Beschuldigungen und irgendwelche hingeworfene Verdächtigungen, die weniger ehrenhaft sind, entkräften; wenn wir frühere Ungelegenheiten oder bevorstehende Schwierigkeiten vorbringen; wenn wir die unterwürfige und flehentliche Bitte und Beschwörung verwenden. Von der Seite der Gegner aber, wenn wir sie dem Haß oder dem Neid oder der Verachtung aussetzen. Dem Haß werden sie ausgesetzt, wenn man eine von ihnen begangene schmutzige, hochmütige, grausame, boshafte Tat vorbringt; dem Neid, wenn man ihre Gewalt, ihre Macht, ihren Reichtum und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen vorbringt und ihren anmaßenden und unerträglichen Umgang damit, so daß der Eindruck entsteht, sie vertrauten mehr auf diese Umstände als auf ihre Sache. Der Verachtung werden sie ausgesetzt, wenn man ihre Faulheit, Nachlässigkeit, Trägheit, ihr unnützes Treiben und ihren verschwenderischen Müßiggang vorbringt. Von der Person der Zuhörer erhascht man Wohlwollen, wenn man ihre tapferen, weisen und gutherzigen Taten vorbringt, ohne daß man eine übertriebene Schmeichelei zu erkennen gibt, und wenn man zeigt, welche ehrenhafte Meinung man über sie hat und welch große Erwartung man auf ihr Urteil und ihre Entscheidung setzt; vom Fall, wenn wir unsere Sache lobend hervorheben, die der Gegner in Verachtung niederdrücken. Aufmerksam aber machen wir sie, wenn wir darlegen, daß das, was wir sagen wollen, bedeutsam, neuartig und unglaub-

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omnes aut ad eos, qui audient, aut ad aliquos illustres homines aut ad déos immortales aut ad summam rem publicam pertinere; et si pollicebimur nos brevi nostram causam demonstraturos atque exponemus iudicationem aut iudicationes, si plures erunt. Dociles auditores faciemus si aperte et breviter summam causae exponemus, hoc est, in quo consistât controversia. Nam et, cum docilem velis facere, simul attentum facias oportet. Nam is est maxime docilis, qui attentissime est paratus audire.

Nunc insinuationes quemadmodum tractari conveniat, deinceps dicendum videtur. Insinuatione igitur utendum est, cum admirabile genus causae est, hoc est, ut ante diximus, cum animus auditoris infestus est. Id autem tribus ex causis fit maxime: si aut inest in ipsa causa quaedam turpitudo aut ab eis, qui ante dixerunt, iam quiddam auditori persuasum videtur aut eo tempore locus dicendi datur, cum iam illi, quos audire oportet, defessi sunt audiendo. Nam ex hac quoque re non minus quam ex primis duabus in oratore nonnunquam animus auditoris offenditur. Si causae turpitudo contrahit offensionem aut pro eo homine, in quo offenditur, alium hominem, qui diligitur, interponi oportet; aut pro re, in qua offenditur, aliam rem, quae probatur; aut pro re hominem aut pro homine rem, ut ab eo, quod odit, ad id, quod diligit, auditoris animus traducatur; et dissimulare te id defensurum,

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lieh ist, entweder alle betrifft oder die Zuhörer oder irgendwelche hochstehende Menschen oder die unsterblichen G ö t ter oder wichtige Staatsangelegenheiten ; und wenn wir versprechen, wir würden unsere Sache kurz darlegen, und wenn wir den strittigen Punkt oder die strittigen Punkte, falls es mehrere sind, umreißen. Belehrbar machen wir die Zuhörer, wenn wir offen und knapp den Hauptpunkt des Falles vortragen, d. h. das, worauf der Gegensatz beruht. Denn wenn man jemanden belehrbar machen will, muß man ihn zugleich aufmerksam machen. Denn der ist am meisten belehrbar, welcher bereit ist, sehr aufmerksam zuzuhören. Nun muß meiner Meinung nach gesagt werden, auf welche Weise man die Einschmeichelungen angemessen handhabt. Die Einschmeichelung muß man also anwenden, wenn die auffallende Art eines Falles vorliegt, d. h. wenn, wie ich vorher gesagt habe, der Zuhörer feindlich gesinnt ist. Dies geschieht aber vor allem aus drei Gründen: Wenn entweder der Sache selbst eine gewisse Schimpflichkeit innewohnt oder wenn von denen, die vorher gesprochen haben, der Zuhörer schon in gewissem Sinne überzeugt worden zu sein scheint oder wenn erst zu der Zeit Gelegenheit zum Sprechen gegeben wird, da diejenigen, welche zuhören müssen, schon erschöpft sind vom Zuhören. Denn auch durch diesen letztgenannten Umstand fühlt sich der Zuhörer nicht weniger als durch die ersten beiden manchmal vom Redner beleidigt. Wenn die Schimpflichkeit des Falles Anstoß erregt, so soll man entweder an die Stelle des Menschen, der den Anstoß verursacht, einen anderen Menschen, der geliebt wird, stellen; oder an die Stelle des Sachverhaltes, der den Anstoß verursacht, einen anderen Sachverhalt, der gebilligt wird ; oder an die Stelle des Sachverhaltes den Menschen oder an die Stelle des Menschen den Sachverhalt, damit das Gemüt des Zuhörers von dem, was er haßt, zu dem, was er liebt, hinübergezo-

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quod existimeris; deinde, cum iam mitior factus erit auditor, ingredi pedetemptim in defensionem et dicere ea, quae indignentur adversarii, tibi quoque indigna videri; deinde, cum lenieris eum, qui audiet, demonstrare nihil eorum ad te pertinere et negare quicquam de adversariis esse dicturum, neque hoc ñeque illud, ut neque aperte laedas eos, qui diliguntur, et tarnen id obscure faciens, quoad possis, alienes ab eis auditorum voluntatem; et aliquorum iudicium simili de re aut auctoritatem proferre imitatione dignam; deinde eandem aut consimilem aut maiorem aut minorem agi rem in praesenti demonstrare.

Sin oratio adversariorum fidem videbitur auditoribus fecisse - id quod ei, qui intelliget, quibus rebus fides fiat, facile erit cognitu - oportet aut de eo, quod adversarii firmissimum sibi putarint et maxime ei, qui audient, probarint, primum te dicturum polliceri, aut ab adversarii dicto exordiri et ab eo potissimum, quod ille nuperrime dixerit, aut dubitatione uti, quid primum dicas aut cui potissimum loco respondeas, cum admiratione. Nam auditor cum eum, quem adversarii perturbatum putavit oratione, videt animo firmissimo contra dicere paratum, plerumque se potius temere assensisse quam ilium sine causa confidere arbitratur. Sin auditoris Studium defatigatio

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gen wird; und man soll verheimlichen, daß man das zu verteidigen gedenke, wovon es allgemein vermutet wird; darauf, wenn der Zuhörer schon milder gestimmt ist, soll man Schritt für Schritt in die Verteidigung eintreten und sagen, das, worüber die Gegner entrüstet seien, scheine einem selber auch empörend; darauf, wenn man den Zuhörer besänftigt hat, soll man darlegen, daß nichts davon einen selbst betrifft, und man soll erklären, man werde nichts über die Gegner sagen, weder dies noch jenes, um nicht die, welche geliebt werden, zu verletzen; trotzdem wird man insgeheim daraufhinarbeiten, so gut man kann, ihnen die Zuneigung der Zuhörer zu entziehen; und man soll ein Urteil irgendwelcher Männer über eine ähnliche Angelegenheit oder eine der Nachahmung würdige Entscheidung vorbringen; darauf soll man darlegen, daß genau die gleiche oder eine ganz ähnliche oder bedeutendere oder geringfügigere Angelegenheit in dem vorliegenden Fall behandelt wird. Wenn aber die Rede der Gegner bei den Zuhörern Vertrauen erweckt zu haben scheint - für den, der versteht, mit welchen Mitteln man Vertrauen erweckt, wird das leicht zu erkennen sein - , soll man versprechen, man werde als erstes über das reden, was die Gegner für ihre größte Stärke gehalten, und die, welche zuhören, am meisten gebilligt haben, oder man soll mit einem Ausspruch des Gegners beginnen und zwar vorzüglich mit einem, den er erst vor kurzem getan hat, oder man soll sich des Zweifels bedienen, was man zuerst sagen oder auf welchen Punkt man vor allem antworten solle, verbunden mit Verwunderung. Denn wenn der Zuhörer sieht, daß der, den er für verwirrt durch die Rede des Gegners gehalten hat, bereit ist, mit starkem Sinn zu erwidern, glaubt er meistens, er habe eher unüberlegt zugestimmt, als daß jener sich seiner Sache ohne Grund sicher sei. Wenn aber Ermüdung die Aufmerksamkeit des Zuhörers von dem Fall abge-

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abalienavit a causa, te brevius, quam paratus fueris, esse dicturum commodum est polliceli; non imitaturum adversarium. Sin res dabit, non inutile est ab aliqua re nova aut ridicula incipere aut ex tempore quae nata sit, quod genus strepitu, acclamatone; aut iam parata, quae vel apologum vel fabulam vel aliquam contineat irrisionem; aut si rei dignitas adimet iocandi facultatem, aliquid triste, novum, horribile statini non incommodum est inicere. Nam, ut cibi satietas et fastidium aut subamara aliqua re relevatur aut dulci mitigatur, sic animus defessus audiendo aut admiratione integratur aut risu novatur.

Ac separatim quidem, quae de principio et de insinuatione dicenda videbantur, haec fere sunt; nunc quidem brevi communiter de utroque praecipiendum videtur. Exordium sententarium et gravitatis plurimum debet habere et omnino omnia, quae pertinent ad dignitatem, in se continere, propterea quod id optime faciendum est, quod oratorem auditori maxime commendat; splendoris et festivitatis et concinnitudinis minimum, propterea quod ex his suspicio quaedam apparationis atque artificiosae diligentiae nascitur, quae maxime orationi fidem, oratori adimit auctoritatem. Vitia vero haec sunt certissima exordiorum, quae summo opere vitare oportebit: vulgare, commune, commutabile, longum, separatum, translatum, contra prae-

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lenkt hat, ist es vorteilhaft, man verspricht, kürzer zu sprechen, als man bereit gewesen sei ; man werde den Gegner nicht nachahmen. Wenn es aber die Sache ergibt, ist es nicht unnütz, mit etwas Neuartigem oder mit einem Scherz anzufangen oder mit etwas, was sich aus dem Augenblick ergibt - dieses Vorgehen ruft oft tosenden Beifall hervor oder mit etwas schon Vorbereitetem, was entweder eine Fabel oder eine erdichtete Erzählung oder irgendeinen Spott enthält; oder wenn die Würde des Sachverhaltes die Möglichkeit des Scherzens nicht zuläßt, ist es nicht unvorteilhaft, sofort etwas Trauriges, Neuartiges, Schauerliches hinzuwerfen. Denn wie die Ubersättigung mit Speise und der Widerwillen dagegen entweder durch etwas ziemlich Bitteres wieder gemindert oder durch etwas Süßes gemildert wird, so wird das vom Zuhören ermattete Gemüt entweder durch Verwunderung wieder hergestellt oder durch Lachen erfrischt. Und dies ist nun besonders das, was anscheinend über die Vorrede und die Einschmeichelung gesagt werden mußte; nun müssen noch über beides zusammen einige Vorschriften gegeben werden. Die Einleitung muß sehr viel an Gedanken und Erhabenheit besitzen und überhaupt alles, was zur Würde gehört, in sich enthalten, deswegen weil man das am besten machen muß, was der Redner dem Zuhörer am meisten empfiehlt; an Glanz, Anmut und kunstvoller Anordnung ganz wenig, deswegen weil daraus ein gewisser Verdacht der Absichtlichkeit und künstlichen Genauigkeit erwächst, was der Rede am meisten Glaubwürdigkeit, dem Redner Ansehen nimmt. Die entschiedensten Fehler der Einleitungen aber, die man mit größter Mühe meiden soll, sind die folgenden: das Gewöhnliche, das Allgemeine, das Wandelbare, das Weitschweifige, das mit dem Thema nicht Zusammenhängende,

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cepta. Vulgare est, quod in plures causas potest accommodari, ut convenire videatur. Commune, quod nihilo minus in hanc quam in contrariam partem causae potest convenire. Commutabile, quod ab adversario potest leviter mutatum ex contraria parte dici. Longum est, quod pluribus verbis aut sententiis ultra quam satis est producitur. Separatum, quod non ex ipsa causa ductum est nec sicut aliquod membrum annexum orationi. Translatum est, quod aliud conficit, quam causae genus postulat: ut si qui docilem faciat auditorem, cum benivolentiam causa desideret, aut si principio utatur, cum insinuationem res postulet. Contra praecepta est, quod nihil eorum efficit, quorum causa de exordiis praecepta traduntur; hoc est, quod eum, qui audit, ñeque benivolum neque attentum neque docilem efficit, aut, quo nihil profecto peius est, ut contra sit, facit.

Ac de exordio quidem satis dictum est. Narratio est rerum gestarum aut ut gestarum expositio. Narrationum genera tria sunt: unum genus est, in quo ipsa causa et omnis ratio controversiae continetur; alterum, in quo digressio aliqua extra causam aut criminationis aut similitudinis aut delectationis non alienae ab eo negotio, quo de agitur, aut amplificationis causa interponitur. Tertium genus est remotum a civilibus causis,

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das Fremdartige, ein Verstoß gegen die Vorschriften. Gewöhnlich ist die Einleitung, die auf mehrere Fälle angewandt werden kann, so daß sie dazu zu passen scheint. Allgemein, welche geradeso zu unserer wie zu der entgegengesetzten Position der Streitsache passen kann. Wandelbar, welche vom Gegner leicht abgewandelt aus der entgegengesetzten Position vorgetragen werden kann. Weitschweifig ist die, welche mit allzu vielen Worten oder Sätzen über das genügende Maß hinaus in die Länge gezogen wird. Mit dem Thema nicht zusammenhängend, welche nicht aus dem Fall selbst hergeleitet ist und nicht wie ein Glied an die Rede angeknüpft ist. Fremdartig ist die, welche etwas anderes bewirkt, als es die Art des Falles erfordert, z.B. wenn einer den Zuhörer belehrbar macht, während der Fall Wohlwollen verlangt, oder wenn er eine Vorrede gebraucht, während die Sache eine Einschmeichelung erfordert. Gegen die Vorschriften verstößt die, welche nichts von dem bewirkt, um dessentwillen die Vorschriften über die Einleitungen weitergegeben werden: d. h. welche den Zuhörer weder wohlwollend noch aufmerksam noch belehrbar macht, oder, was in der Tat das Schlimmste ist, bewirkt, daß das Gegenteil eintritt. Aber über die Einleitung ist nun genug gesagt. Die Darlegung des Sachverhaltes ist die Schilderung von Ereignissen, wie sie wirklich geschehen sind oder wie sie hätten geschehen können. Es gibt drei Arten von Darlegungen des Sachverhaltes: Die eine Art ist die, in welcher der Fall selbst und die gesamte Art und Weise der Streitsache enthalten ist; die zweite, in der irgendeine Abschweifung außerhalb des Falles entweder um der Anschuldigung oder der Ähnlichkeit oder der Unterhaltung willen, wie sie zu dem zu verhandelnden Geschäft, um das es geht, paßt, oder um der Steigerung willen eingeschoben wird. Die dritte Art hat mit einer gerichtlich-politischen Rede nichts zu tun, weil sie um der



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quod delectationis causa non inutili cum exercitatione dicitur et scribitur. Eius partes sunt duae, quarum altera in negotiis, altera in personis maxime versatur. Ea, quae in negotiorum expositione posita est, tres habet partes: fabulam, historiam, argumentum. Fabula est, in qua nec verae nec veri similes res continentur, cuiusmodi est:

Angues ingentes alites, iuncti iugo... Historia est gesta res ab aetatis nostrae memoria remota; quod genus: Appius indixit Carthaginiensibus bellum. Argumentum est ficta res, quae tarnen fieri potuit. Huiusmodi apud Terentium: Nam is postquam excessit ex ephebis...

Ilia autem narratio, quae versatur in personis, eiusmodi est, ut in ea simul cum rebus ipsis personarum sermones et animi perspici possint, hoc modo:

Venit ad me saepe clamans: 'Quid agis, Micio? Cur perdis adulescentem nobis? cur amat? Cur potat? cur tu his rebus sumptum suggeris?

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Unterhaltung willen in Verbindung mit einer nicht unnützen Übung vorgetragen und niedergeschrieben wird. Von ihr gibt es zwei Unterarten, von denen sich die eine am meisten mit den zu verhandelnden Geschäften, die andere mit den Personen beschäftigt. Die, welche in der Schilderung der zu verhandelnden Geschäfte besteht, hat drei Unterarten: die erdichtete Erzählung, die geschichtlich beglaubigte Erzählung und die erfundene Erzählung. Die erdichtete Erzählung ist die, in welcher weder wahre noch wahrscheinliche Dinge enthalten sind, z . B . von folgender Art: Ungeheure geflügelte Schlange, in das J o c h gespannt... Die geschichtlich beglaubigte Erzählung ist ein wirkliches Ereignis, das aber von unserer Zeit weit entfernt liegt, ζ. B. von folgender A r t : Appius erklärte den Karthagern den Krieg. Die erfundene Erzählung ist ein ersonnenes Geschehen, das sich aber dennoch wirklich hätte ereignen können, ζ. B. bei Terentius: Denn nachdem dieser das Ephebenalter

überschritten

hatte... Jene Darlegung des Sachverhaltes aber, die sich mit den Personen beschäftigt, ist von der Art, daß in ihr zusammen mit den Ereignissen selbst die Gespräche und Gesinnungen der Personen durchschaut werden können, ζ. B. auf folgende Art: E r kam zu mir und rief: »Was tust du, Micio? Warum verdirbst du uns den Jüngling? Warum liebt er? Warum trinkt er? Warum gibst du ihm die Mittel dazu?

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Vestitu nimio indulges, nimium ineptus es.' Nimium ipse est durus praeter aequumque et bonum.

Hoc in genere narrationis multa debet inesse festivitas confecta ex rerum varietate, animorum dissimilitudine, gravitate, lenitate, spe, metu, suspicione, desiderio, dissimulatione, errore, misericordia, fortunae commutatione, insperato incommodo, subita laetitia, iucundo exitu rerum. Verum haec ex eis, quae postea de elocutione praecipientur, ornamenta sumentur.

Nunc de narratione ea, quae causae continet expositionem, dicendum videtur. Oportet igitur eam tres habere res: ut brevis, ut aperta, ut probabilis sit. Brevis erit, si, unde necesse est, inde initium sumetur et non ab ultimo repetetur; et si, cuius rei satis erit summam dixisse, eius partes non dicentur- nam saepe satis est, quid factum sit, dicere, ut ne narres, quemadmodum sit factum - ; et si non longuis, quam quo opus est, in narrando procedetur; et si nullam in rem aliam transibitur, et si ita dicetur, ut nonnumquam ex eo, quod dictum est, id, quod non est dictum, intellegatur; et si non modo id, quod obest, verum etiam id, quod nec obest nec adiuvat, praeteribitur; et si semel unum quidque dicetur; et si non ab eo, quo in proxime desitum erit, deinceps incipietur. Ac multos imitatio brevitatis decipit, ut, cum se breves putent esse, longissimi sint; cum dent operam, ut res

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Übertriebene Kleidung siehst du ihm nach, du bist allzu töricht.« E r ist allzu hartherzig, mehr als billig und recht. In dieser Art der Darlegung des Sachverhaltes muß viel A n mut liegen, zustandegebracht durch den Wechsel der Ereignisse, die differenzierende Schilderung der Charaktere: Ernst, Sanftmut, Hoffnung, Furcht, Verdächtigung, Sehnsucht, Heuchelei, Irrtum, Mitleid, Umschwung des Schicksals, unerwarteter Schaden, plötzliche Freude, willkommener Ausgang der Ereignisse. Aber die Ausschmückungen kann man den Vorschriften, die später über die stilistische Gestaltung des Stoffes gegeben werden, entnehmen. Nun muß, wie es scheint, über diejenige Darlegung des Sachverhaltes, die die Schilderung des Falles enthält, gesprochen werden. Sie soll aber drei Eigenschaften besitzen: sie möge kurz, klar und glaubwürdig sein. Kurz ist sie, wenn man von da, wo es nötig ist, den Anfang nimmt und nicht bei dem Entferntesten beginnt, und wenn man, wo es genügt, den Hauptpunkt genannt zu haben, nicht dessen Teile nennt denn oft genügt es zu sagen, was geschehen ist, und man braucht nicht zu berichten, auf welche Weise es geschehen ist - und wenn man nicht weiter fortschreitet beim Erzählen, als nötig ist, und wenn man zu keiner anderen Sache abschweift; und wenn man so spricht, daß man bisweilen aus dem, was gesagt wurde, auch das, was nicht gesagt wurde, erschließt; und wenn man nicht nur das, was schadet, sondern auch das, was weder schadet noch hilft, übergeht; und wenn man jeden einzelnen Punkt nur einmal nennt; und wenn man nicht mit dem, womit man eben erst aufgehört hat, wieder aufs neue beginnt. Aber viele führt das Darstellen der Kürze in die Irre, so daß sie, während sie glauben kurz zu sein, sehr weitschweifig sind; wenn sie sich Mühe geben, viele Dinge kurz zu sagen,

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multas brevi dicant, non ut omnino paucas res dicant et non plures, quam necesse sit. Nam plerisque breviter videtur dicere, qui ita dicit: 'Accessi ad aedes. Puerum vocavi. Respondit. Quaesivi dominum. Domi negavit esse.' Hic, tametsi tot res brevius non potuit dicere, tamen, quia satis fuit dixisse: 'Domi negavit esse', fit rerum multitudine longus. Quare hoc quoque in genere vitanda est brevitatis imitatio et non minus rerum non necessariarum quam verborum multitudine supersedendum est. Aperta autem narrado poterit esse, si, ut quidque primum gestum erit, ita primum exponetur, et rerum ac temporum ordo servabitur, ut ita narrentur, ut gestae res erunt aut ut potuisse geri videbuntur. Hic erit considerandum, ne quid perturbate, ne quid contorte dicatur, ne quam in aliam rem transeatur, ne ab ultimo reperatur, ne ad extremum prodeatur, ne quid, quod ad rem pertineat, praetereatur; et omnino, quae praecepta de brevitate sunt, hoc quoque in genere sunt conservanda. Nam saepe res parum est intellecta longitudine magis quam obscuritate narrationis. Ac verbis quoque dilucidis utendum est; quo de genere dicendum est in praeceptis elocutionis.

Probabilis erit narratio, si in ea videbuntur inesse ea, quae soient apparere in veritate; si personarum dignitates servabuntur; si causae factorum exstabunt; si fuisse facultates faciendi videbuntur; si tempus idoneum, si spatii satis, si locus opportunus ad eandem rem, qua de re

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und nicht, überhaupt nur wenige Dinge zu sagen und nicht mehr, als nötig ist. Denn sehr vielen scheint der kurz zu sprechen, welcher so spricht: »Ich kam zum Haus. Ich rief den Diener. Er antwortete. Ich fragte nach seinem Herrn. Er sagte, er sei nicht zu Hause.« Auch wenn dieser so viele Einzelheiten nicht hätte kürzer sagen können, wird er dennoch, weil es genügt hätte zu sagen: »Er sagte, er sei nicht zu Hause«, durch die Vielzahl von Einzelheiten weitschweifig. Deshalb soll man auch bei dieser Art das Darstellen von Kürze vermeiden und eine Vielzahl nicht notwendiger Einzelheiten sich ebenso ersparen wie eine Vielzahl von Worten. Klar aber kann die Darlegung des Sachverhaltes sein, wenn man das, was zuerst geschehen ist, ebenso zuerst schildert, und wenn man die Reihenfolge der Geschehnisse und Zeiten einhält, so daß man so erzählt, wie die Ereignisse geschehen sind oder wie sie dem Anschein nach hätten geschehen können. Hier muß man darauf sehen, daß nichts verworren, nichts verdreht gesagt wird, daß man nicht zu einer anderen Sache übergeht, daß man nicht bei dem Entferntesten beginnt, nicht bis zum Endpunkt vorgeht, nicht etwas übergeht, was zur Sache gehört; und überhaupt muß man die Vorschriften über die Kürze auch in dieser Hinsicht beachten. Denn oft hat man eine Sache zu wenig verstanden mehr wegen der Weitschweifigkeit als wegen der Unklarheit der Darstellung des Sachverhaltes. Und man soll auch deutliche Worte gebrauchen; darüber muß bei den Vorschriften über die stilistische Gestaltung gesprochen werden. Glaubwürdig ist die Darstellung des Sachverhaltes, wenn sie das zu enthalten scheint, was in Wirklichkeit gewöhnlich zu sehen ist; wenn die Würde der Personen gewahrt wird; wenn die Ursachen der Taten sichtbar hervortreten; wenn sich zeigt, daß es Möglichkeiten zur Tat gab; wenn man zeigt, daß der Zeitpunkt geeignet, der Zeitraum genügend, der Ort

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DE INVENTICENE I

narrabitur, fuisse ostendetur; si res et ad eorum, qui agent, naturam et ad vulgi morem et ad eorum, qui audient, opinionem accommodabitur. Ac veri quidem similis ex his rationibus esse poterit. Illud autem praeterea considerare oportebit, ne, aut cum obsit narratio aut cum nihil prosit, tamen interponatur; aut non loco aut non, quemadmodum causa postulet, narretur. Obest tum, cum ipsius rei gestae expositio magnam excipit offensionem, quam argumentando et causam agendo leniri oportebit. Q u o d cum accidet, membratim oportebit partes rei gestae dispergere in causam et ad unam quamque confestim rationem accommodare, ut vulneri praesto medicamentum sit et odium statini defensio mitiget. Nihil prodest narratio tum, cum ab adversariis re expósita nostra nihil interest iterum aut alio modo narrare; aut ab eis, qui audiunt, ita tenetur negotium, ut nostra nihil intersit eos alio pacto docere. Q u o d cum accidit, omnino narratione supersedendum est. Non loco dicitur, cum non in ea parte orationis collocatur, in qua res postulat; quo de genere agemus tum, cum de dispositione dicemus; nam hoc ad dispositionem pertinet. Non quemadmodum causa postulat, narratur, cum aut id, quod adversario prodest, dilucide et ornate exponitur aut id, quod ipsum adiuvat, obscure dicitur et neglegenter. Quare, ut hoc vitium vitetur, omnia torquenda sunt ad commodum suae causae, contraria, quae praeteriri



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DIE AUFFINDUNG

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tauglich war für das Geschehen, das dargelegt wird ; wenn das Geschehen der Natur der handelnden Person, der Sitte der Menge und der Meinung der Zuhörer angepaßt wird. Wahrscheinlich kann sie also sein, wenn man dies berücksichtigt. Aber auch dies soll man darüber hinaus betrachten: Wenn die Darlegung des Sachverhaltes schadet oder wenn sie überhaupt nicht nützt, soll man sie nicht trotzdem einschieben; oder nicht am unrichtigen Ort oder nicht anders als so, wie es der Fall fordert, darlegen. Sie schadet dann, wenn die Darstellung des Geschehnisses selbst große Abneigung hervorruft, die man lindern soll, indem man den Beweis führt und den Fall vertritt. Ist dies der Fall, soll man die Teile des Geschehnisses nach und nach in den Fall einstreuen und an jeden einzelnen Teil sofort eine Begründung anpassen, damit für die Wunde augenblicklich ein Heilmittel zur Verfügung steht und den Haß sogleich die Verteidigung mildert. Uberhaupt nicht nützt die Darlegung des Sachverhaltes dann, wenn von den Gegnern die Sache bereits dargestellt worden ist und es so für uns nicht wichtig ist, sie noch einmal oder auf andere Art darzulegen; oder wenn von den Zuhörern das zu verhandelnde Geschäft so festgehalten wird, daß es uns überhaupt nicht wichtig ist, sie auf andere Weise zu belehren. Tritt dies ein, soll man sich die Darlegung des Sachverhaltes ganz und gar ersparen. Nicht am richtigen Ort wird sie vorgetragen, wenn sie nicht in dem Teil der Rede ihren Platz erhält, wo es die Sache erfordert; über diese Art werde ich dann handeln, wenn ich über die Anordnung des Stoffes spreche, denn dies gehört zur Anordnung des Stoffes. Nicht wie es der Fall erfordert, legt man den Sachverhalt dar, wenn man entweder das, was dem Gegner nützt, klar und mit reichem Schmuck darlegt, oder das, was einem selbst hilft, unklar und nachlässig vorträgt. Deshalb muß man, um diesen Fehler zu vermeiden, alles zum Vorteil für die eigene Sache hindrehen, indem man

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DE IN V E N T I O NE I

poterunt, praetereundo, quae dicenda erunt, leviter attingendo, sua diligente!· et enodate narrando.

Ac de narratione quidem satis dictum videtur; deinceps ad partitionem transeamus. Recte habita in causa partitio illustrem et perspicuam totam efficit orationem. Partes eius sunt duae, quarum utraque magno opere ad aperiendam causam et constituendam pertinet controversiam. Una pars est, quae, quid cum adversariis conveniat et quid in controversia relinquatur, ostendit; ex qua certum quiddam destinatur auditori, in quo animum debeat habere occupatum. Altera est, in qua rerum earum, de quibus erimus dicturi, breviter expositio ponitur distributa; ex qua conficitur, ut certas animo res teneat auditor, quibus dictis intellegat fore peroratum.

Nunc utroque genere partitionis quemadmodum conveniat uti, breviter dicendum videtur. Quae partitio, quid conveniat aut quid non conveniat, ostendit, haec debet illud, quod convenit, inclinare ad suae causae commodum, hoc modo: 'Interfectam matrem esse a filio convenit mihi cum adversariis.' Item contra: 'Interfectum esse a Clytaemestra Agamemnonem convenit.' Nam hic uterque et id posuit, quod conveniebat, et tarnen suae causae commodo consuluit. Deinde, quid controversiae

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das Nachteilige, das übergangen werden kann, übergeht, was vorgetragen werden muß, nur leicht berührt, die eigenen Gesichtspunkte aber sorgfältig und deutlich entwickelnd darlegt. Uber die Darlegung des Sachverhaltes ist nun, wie es scheint, genug gesagt; nunmehr will ich zur Einteilung des Stoffes übergehen. Eine in einem Fall richtig gehaltene Einteilung des Stoffes macht die ganze Rede anschaulich und klar. Es gibt zwei Arten von ihr, von denen jede nachdrücklich dazu dient, den Fall zu eröffnen und den Gegensatz festzustellen. Die eine Art ist die, welche zeigt, worin Ubereinstimmung mit den Gegnern besteht und was widersprüchlich bleibt; von ihr aus wird dem Zuhörer ein fester Punkt bestimmt, auf den er seine ganze Aufmerksamkeit richten muß. Die andere ist die, in welcher von den Dingen, über die wir sprechen wollen, kurz eine Einteilung geordnet gegeben wird; von ihr aus wird zuwege gebracht, daß der Zuhörer feste Punkte in seinem Geiste festhält; wenn diese vorgetragen sind, kann er erkennen, wann die Rede zu Ende geht. Nun muß, wie es scheint, kurz darüber gesprochen werden, wie man die beiden Arten der Einteilung des Stoffes angemessen verwendet. Die Einteilung des Stoffes, die zeigt, worin Ubereinstimmung besteht oder worin keine Übereinstimmung besteht, muß das, worin Ubereinstimmung besteht, zum Vorteil für die eigene Sache hinwenden, ζ. B. auf folgende Weise: »Daß die Mutter von ihrem Sohn getötet wurde, darin besteht Ubereinstimmung zwischen mir und den Gegnern.« Ebenso dagegen: »Daß Agamemnon von Klytaimnestra getötet wurde, darin besteht Ubereinstimmung.« Denn hier brachten beide das vor, worin Übereinstimmung bestand, und dennoch war jeder auf den Vorteil seiner Sache aus. Worin dann noch ein Gegensatz besteht, muß man bei

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DE INVENTICENE

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sit, ponendum est in iudicationis expositione; quae quemadmodum inveniretur, ante dictum est. Quae partitio rerum distributam continet expositionem, haec habere debet: brevitatem, absolutionem, paucitatem. Brevitas est, cum nisi necessarium nullum assumitur verbum. Haec in hoc genere idcirco est utilis, quod rebus ipsis et partibus causae, non verbis neque extraneis ornamentis animus auditoris tenendus est. Absolutio est, per quam omnia, quae incidunt in causam, genera, de quibus dicendum est, amplectimur in partitione, ne aut aliquod genus utile relinquatur aut sero extra partitionem, id quod vitiosissimum ac turpissimum est, inferatur. Paucitas in partitione servatur, si genera ipsa rerum ponuntur neque permixte cum partibus implicantur. Nam genus est, quod plures partes amplectitur, ut animal. Pars est, quae subest generi, ut equus. Sed saepe eadem res alii genus, alii pars est. Nam homo animalis pars est, Thebani aut Troiani genus. Haec ideo diligentius indicitur discriptio, ut aperte intellecta generum et partium ratione paucitas generum in partitione servari possit. Namquiitapartitur: 'Ostendam propter cupiditatem et audaciam et avaritiam adversariorum omnia incommoda ad rem publicam pervenisse', is non intellexit in partitione exposito genere partem se generis admiscuisse. nam genus est omnium nimirum libidinum cupiditas; eius autem generis sine dubio pars est avaritia. H o c

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der Darstellung des strittigen Punktes vorbringen; wie dieser gefunden wird, wurde vorhin gesagt. Die Einteilung des Stoffes, die eine geordnete Darstellung der Ereignisse beinhaltet, muß folgende Eigenschaften besitzen : Kürze, Vollständigkeit, Beschränkung. Kürze liegt vor, wenn kein Wort außer dem notwendigen herangezogen wird. Diese ist in dieser Hinsicht deswegen nützlich, weil durch die Ereignisse selbst und durch die Arten des Falles, nicht durch Worte und nicht durch äußeren Schmuck das Gemüt des Zuhörers gefesselt werden soll. Vollständigkeit ist es, durch die wir alle in den Fall fallende Punkte, über die gesprochen werden muß, in der Einteilung des Stoffes umfassen, damit nicht irgendein nützlicher Punkt außer acht gelassen oder zu spät außerhalb der Einteilung des Stoffes, was sehr fehlerhaft und schimpflich ist, vorgebracht wird. Beschränkung wird in der Einteilung des Stoffes gewahrt, wenn die Gattungen der Ereignisse selbst aufgestellt und nicht vermischt mit den Arten verwickelt werden. Denn Gattung ist das, was mehrere Arten umfaßt, ζ. B. »Lebewesen«. Die Art ist das, was der Gattung untergeordnet ist, ζ. B. »Pferd«. Aber oft ist ein und dieselbe Sache für den einen eine Gattung, für den anderen eine Art. Denn »Mensch« ist eine Art von »Lebewesen«, eine Gattung für »Thebaner« oder »Trojaner«. Diese Einteilung wird deshalb ziemlich sorgfältig eingeführt, damit man, wenn das theoretische System der Gattungen und Arten klar erkannt ist, die Beschränkung der Gattungen in der Einteilung des Stoffes wahren kann. Denn wer so einteilt: »Ich werde zeigen, daß wegen der Begierde, Frechheit und Habsucht des Gegners alle Nachteile über den Staat gekommen sind«, der hat nicht erkannt, daß er bei der Einteilung des Stoffes nach der Darlegung der Gattung eine Art der Gattung beigemischt hat. Denn freilich ist die Gattung aller Lüste die Begierde; eine Art dieser Gattung aber ist ohne Zweifel die Habsucht. Dies also



DE I N V E N T I O N E I

igitur vitandum est, ne, cuius genus posueris, eius sicuti aliquam diversam ac dissimilem partem ponas in eadem partitione. Quodsi quod in genus plures incident partes, id cum in prima causae partitione erit simpliciter expositum, distribuetur tempore eo commodissime, cum ad ipsum ventum erit explicandum in causae dictione post partitionem. Atque illud quoque pertinet ad paucitatem, ne aut plura, quam satis est, demonstraturos nos dicamus, hoc modo: 'Ostendam adversarios, quod arguamus et potuisse facere et voluisse et fecisse'; nam fecisse satis est ostendere; aut, cum in causa partitio nulla sit, cum simplex quiddam agatur, tamen utamur distributione, id quod perraro potest accidere.

Ac sunt alia quoque praecepta partitionum, quae ad hunc usum oratorium non tanto opere pertineant, quae versantur in philosophia, ex quibus haec ipsa transtulimus, quae convenire viderentur, quorum nihil in ceteris artibus inveniebamus. Atque his de partitione praeceptis in omni dictione meminisse oportebit, ut et prima quaeque pars, ut exposita est in partitione, sic ordine transigatur et omnibus explicatis peroratum sit, ut ne quid posterius praeter conclusionem inferatur. Partitur apud Terentium breviter et commode senex in Andria, quae cognoscere libertum velit: Eo pacto et gnati vitam et consilium meum Cognosces et quid facere in hac re te velim.

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soll man meiden, damit man nicht für etwas, wofür man den Gattungsbegriff gesetzt hat, einen Artbegriff, wie wenn er verschieden und unähnlich wäre, in der nämlichen Einteilung des Stoffes setzt. Wenn aber auf eine Gattung mehrere Arten fallen, wird man dies, nachdem es bei der ersten Einteilung des Falles bündig dargelegt ist, am vorteilhaftesten dann gliedern, wenn man zur Darstellung selbst gekommen ist bei dem Vortrag des Falles nach der Einteilung des Stoffes. Und auch jenes dient zur Beschränkung, daß man nicht ankündigt, man werde mehr darlegen, als genügt, ζ. B. auf folgende Art: »Ich werde zeigen, daß die Gegner dasjenige, dessen wir sie beschuldigen, tun konnten und wollten und getan haben« ; denn es genügt, daß sie es getan haben, oder daß man nicht, wenn der Fall keine Einteilung des Stoffes zuläßt, weil etwas ganz Einfaches verhandelt wird, trotzdem eine Unterteilung vornimmt, was aber nur sehr selten vorkommen kann. Und es gibt noch andere Vorschriften für die Einteilungen des Stoffes, die zu diesem rednerischen Gebrauch nicht so sehr dienen, die in der Philosophie vorkommen; aus diesen habe ich gerade dies übertragen, was zu passen schien und wovon ich in den übrigen Lehrbüchern nichts fand. Und an diese Vorschriften über die Einteilung des Stoffes wird man beim gesamten Vortrag denken müssen, damit der jeweils erste Teil, wie er in der Einteilung des Stoffes dargestellt ist, ebenso nach der Ordnung abgehandelt wird und die Rede zu Ende geht, wenn alles entwickelt ist, damit danach nichts außer dem Schluß eingeschoben wird. Bei Terenz teilt der Greis in der »Andria« kurz und vorteilhaft ein, was nach seinem Willen der Freigelassene erfahren soll: Auf diese Weise wirst du das Leben des Sohnes und meinen Plan kennenlernen und was du nach meinem Willen in dieser Sache tun sollst.

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Itaque quemadmodum in partitione proposuit, ita narrai, primum nati vitam: Nam is postquam excessit ex ephebis...

Deinde suum consilium: Et nunc id operam d o . . . Deinde quid Sosiam velit facere, id quod postremum posuit in partitione, postremum dicit: Nunc tuum est officium... Quemadmodum igitur hic et ad primam quamque partem primum accessit et omnibus absolutis finem dicendi fecit, sic nobis placet et ad singulas partes accedere et omnibus absolutis perorare. Nunc de confirmatione deinceps, ita ut ordo ipse postulat, praecipiendum videtur. Confirmatio est, per quam argumentando nostrae causae fidem et auctoritatem et firmamentum adiungit oratio. Huius partis certa sunt praecepta, quae in singula causarum genera dividentur. Verumtamen non incommodum videtur quandam silvani atque materiam universam ante permixtim et confuse exponere omnium argumentationum, post autem tradere, quemadmodum unum quodque causae genus hinc omnibus argumentandi rationibus tractis confirmari oporteat. Omnes res argumentando confirmatur aut ex eo, quod

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Und wie er es in der Einteilung des Stoffes angekündigt hat, so erzählt er es; zuerst das Leben des Sohnes: Denn nachdem dieser das Ephebenalter hinter sich gelassen hatte... Danach seinen Plan: Und jetzt bemühe ich mich darum... Danach, was Sosias nach seinem Willen tun soll; nachdem er dieses in der Einteilung des Stoffes an die letzte Stelle gesetzt hat, sagt er schließlich: Nun ist es deine Pflicht... Wie also dieser den jeweils ersten Teil zuerst anging und, nachdem er alle Teile abgehandelt hatte, seine Rede beendete, so bin ich der Meinung, man muß die einzelnen Teile der Reihe nach angehen und, wenn man sie alle abgehandelt hat, die Rede beenden. Nun muß ich, wie es scheint, der Reihe nach über die Bekräftigung, so wie es die Aufeinanderfolge selbst fordert, Vorschriften erteilen. Die Bekräftigung ist es, mit deren Hilfe die Rede durch Beweisführung unserer Sache Glaubwürdigkeit, Gewicht und Stütze verleiht. Für diesen Teil gibt es bestimmte Vorschriften, die den einzelnen Arten der Fälle zukommen. Gleichwohl erscheint es nicht unzweckmäßig, gewissermaßen den Wald und das gesamte Material vorher vermischt und vermengt für alle Beweisführungen darzustellen, danach aber mitzuteilen, auf welche Weise jede einzelne Art eines Falles dadurch, daß man davon alle Vorgehensweisen bei der Beweisführung ableitet, bekräftigt werden soll. Alle Dinge werden durch die Beweisführung bekräftigt

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personis, aut ex eo, quod negotiis est attributum. Ac personis has res attributas putamus: nomen, naturam, victum, fortunam, habitum, affectionem, studia, Consilia, facta, casus, orationes. Nomen est, quod uni cuique personae datur, quo suo quaeque proprio et certo vocabulo appellatur. Naturam ipsam definire difficile est; partes autem eius enumerare eas, quarum indigemus ad hanc preaeceptionem, facilius est. Eae autem partim divino, partim mortali in genere versantur. Mortalium autem pars in hominum, pars in bestiarum genere numerantur. Atque hominum genus et in sexu consideratur, virile an muliebre sit, et in natione, patria, cognatione, aetate. Natione, Graius an barbarus; patria, Atheniensis an Lacedaemonius; cognatione, quibus maioribus, quibus consanguineis; aetate, puer an adulescens, natu grandior an senex. Praeterea commoda et incommoda considerantur ab natura data animo aut corpori, hoc modo: Valens an imbecillus, longus an brevis, formosus an deformis, velox an tardus sit, acutus an hebetior, memor an obliviosus, comis an infacetus, pudens, patiens an contra. Et omnino quae a natura dantur animo et corpori, considerabuntur. Nam quae industria comparantur, ad habitum pertinent, de quo posterius est dicendum.

In victu considerare oportet, apud quem et quo more

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entweder aus dem, was den Personen, oder aus dem, was den zu verhandelnden Geschäften zukommt. Und den Personen kommt, wie ich glaube, dies zu: Name, Natur, Lebensweise, Schicksal, persönliche Eigenschaft, Stimmung, Neigungen, Absichten, Taten, Zufälle, Reden. Der Name ist das, was jeder einzelnen Person gegeben wird, womit jede durch eine eigene und bestimmte Bezeichnung angeredet wird. Die Natur selbst zu definieren, ist schwierig; deren Arten aber aufzuzählen, die wir für diese Vorschrift brauchen, ist leichter. Sie aber gehören teils der göttlichen, teils der sterblichen Gattung an. Von den sterblichen Lebewesen aber wird ein Teil zu den Menschen, ein Teil zu den Tieren gezählt. Und die Gattung der Menschen wiederum wird hinsichtlich des Geschlechtes betrachtet, ob sie männlich oder weiblich ist, und hinsichtlich des Volksstammes, des Vaterlandes, der Verwandtschaft und des Alters. Hinsichtlich des Volksstammes, ob Grieche oder Barbar; hinsichtlich des Vaterlandes, ob Athener oder Lakedämonier; hinsichtlich der Verwandtschaft, welche Vorfahren, welche Blutsverwandte jemand hat; hinsichtlich des Alters, ob Knabe oder Jüngling, älterer Mann oder Greis. Außerdem werden die von der Natur dem Geist oder Körper verliehenen Vorteile und Nachteile betrachtet, ζ. B. auf folgende Art: Ob jemand kräftig oder schwach, groß oder klein, wohlgestaltet oder mißgestaltet, schnell oder langsam ist, ob scharfsinnig oder mehr stumpfsinnig, mit gutem Gedächtnis oder vergeßlich, launig oder ohne Witz, voller Schamgefühl, ausdauernd oder das Gegenteil. Und überhaupt wird das, was von der Natur dem Geist und Körper verliehen ist, betrachtet. Denn was durch Tätigkeit erworben wird, gehört zur persönlichen Eigenschaft, über welche später zu reden sein wird. Bei der Lebensweise soll man betrachten, bei wem, nach

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et cuius arbitratu sit educatus, quos habuerit artium liberalium magistros, quos vivendi praeceptores, quibus amicis utatur, quo in negotio, quaestu, artificio sit occupatus, quo modo rem familiarem administret, qua consuetudine domestica sit.

In fortuna quaeritur, servus sit an liber, pecuniosus an tenuis, privatus an cum potestate: si cum potestate, iure an iniuria; felix, clarus an contra; quales liberos habeat. Ac si de non vivo quaeretur, etiam quali morte sit affectus, erit considerandum.

Habitum autem appellamus animi aut corporis constantem et absolutam aliqua in re perfectionem, ut virtutis aut artis alicuius perceptionem aut quamvis scientiam et item corporis aliquam commoditatem non natura datam, sed studio et industria partam.

Affectio est animi aut corporis ex tempore aliqua de causa commutatio, ut laetitia, cupiditas, metus, molestia, morbus, debilitas et alia, quae in eodem genere reperiuntur. Studium est autem animi assidua et vehementer ad aliquam rem applicata magna cum voluptate occupatio, ut philosophiae, poëticae, geometricae, litterarum. Consilium est aliquid faciendi aut non faciendi excogitata ratio. Facta autem et casus et orationes tribus ex temporibus considerabuntur: quid fecerit, quid ipsi acciderit, quid



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welchen Grundsätzen und nach wessen Gutdünken jemand erzogen wurde, welche Lehrer in den freien Künsten er hatte, wer ihn für das Leben unterwiesen hat, mit welchen Freunden er Umgang hat, durch welche Beschäftigung, welchen Erwerb, welches Handwerk jemand in Anspruch genommen wird, auf welche Weise er sein Vermögen verwaltet und von welcher Art sein häusliches Leben ist. Beim Schicksal fragt man, ob jemand ein Sklave oder Freier ist, ob im Besitz von Geld oder ärmlich, ob ein Privatmann oder im Besitz von Amtsgewalt; wenn im Besitz von Amtsgewalt, ob zu Recht oder zu Unrecht; ob glücklich, berühmt oder das Gegenteil; was für Kinder er hat. Und wenn man nach jemandem fragt, der nicht mehr am Leben ist, muß man auch betrachten, was für einen Tod er gestorben ist. Persönliche Eigenschaft aber nennen wir die gleichbleibende und abgeschlossene Ausbildung des Geistes oder Körpers in irgendeiner Hinsicht, ζ. B. den Erwerb einer tüchtigen Eigenschaft oder einer Fertigkeit oder jede beliebige Fertigkeit und ebenso einen Vorzug des Körpers, der nicht von der Natur gegeben, sondern durch Anstrengung und Tätigkeit erworben wurde. Die Stimmung ist die Veränderung des Geistes oder Körpers, die aufgrund äußerer Umstände aus irgendeinem Grund eintritt, ζ. B. Freude, Begierde, Furcht, Arger, Krankheit, Schwäche und anderes, was zu derselben Art gehört. Die Neigung aber ist die beständige und nachdrücklich auf irgendeinen Gegenstand gerichtete mit großer Lust verbundene Beschäftigung des Geistes ζ. B. mit Philosophie, Dichtkunst, Geometrie, Literatur. Die Absicht ist die wohlüberdachte Überlegung, etwas zu tun oder nicht zu tun. Taten aber und Zufälle und Reden werden von drei Zeitstufen aus betrachtet: Was jemand getan hat, was ihm widerfah-



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dixerit; aut quid faciat, quid ipsi accidat, quid dicat; aut quid facturus sit, quid ipsi casurum sit, qua sit usurus oratione. Ac personis quidem haec videntur esse attributa. Negotiis autem quae sunt attributa, partim sunt continentia cum ipso negotio, partim in gestione negotii considerantur, partim adiuncta negotio sunt, partim gestum negotium consequuntur.



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Continentia cum ipso negotio sunt ea, quae semper affixa esse videntur ad rem neque ab ea possunt separari. E x his prima est brevis complexio totius negotii, quae summam continet facti, hoc modo: parentis occisio, patriae proditio; deinde causa eius summae, per quam et quam ob rem et cuius rei causa factum sit, quaeritur; deinde ante gestam rem quae facta sint continenter usque ad ipsum negotium; deinde, in ipso gerendo negotio quid actum sit; deinde, quid postea factum sit.

In gestione autem negotii, qui locus secundus erat de eis, quae negotiis attributa sunt, quaeretur locus, tempus, occasio, modus, facultas. Locus consideratur, in quo res gesta sit, ex opportunitate, quam videatur habuisse ad negotium administrandum. Ea autem opportunitas quaeritur ex magnitudine, intervallo, longinquitate, propinquitate, solitudine, celebritate, natura ipsius loci et vicinitatis et totius regionis; ex his etiam attributionibus:

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ren ist, was er gesagt hat; oder was jemand tut, was ihm widerfährt, was er sagt; oder was er tun wird, was ihm zustoßen wird, was für eine Rede er halten wird. Und dies nun scheint den Personen zuzukommen. Was aber den zu verhandelnden Geschäften zukommt, steht teils mit dem Geschäft selbst in Zusammenhang, teils wird es bei der Ausführung des Geschäftes betrachtet, teils ist es mit dem Geschäft verknüpft, teils folgt es auf das ausgeführte Geschäft. Mit dem Geschäft selbst steht im Zusammenhang, was immer eng an die Sache angeheftet zu sein scheint und von ihr nicht getrennt werden kann. Davon ist das erste eine kurze Zusammenfassung des ganzen Geschäftes, die den Hauptpunkt der Tat enthält, ζ. B. auf folgende Art: Elternmord, Vaterlandsverrat; danach fragt man nach dem Grund für diesen Hauptpunkt, warum und weshalb und in welcher Absicht die Tat begangen wurde; darauf nach dem, was vor dem Geschehen getan wurde ohne Unterbrechung bis zu dem Geschäft selbst; darauf, was bei der Durchführung des Geschäftes geschehen ist; darauf, was nachher getan wurde. Bei der Ausführung des Geschäftes aber - dies war der zweite Punkt von den Dingen, die den zu verhandelnden Geschäften zukommen - fragt man nach dem Ort, der Zeit, der Gelegenheit, der Art und Weise, dem Mittel. Den Ort, an dem eine Sache geschehen ist, betrachtet man im Hinblick auf die günstige Lage, die jemand, wie es scheint, zur Durchführung des Geschäftes hatte. Nach dieser günstigen Lage aber fragt man im Hinblick auf Größe, Zwischenraum, Entfernung, Nähe, Einsamkeit, Belebtheit, natürliche Beschaffenheit des Ortes selbst, der benachbarten Umgebung und der ganzen Gegend; auch im Hinblick auf die folgenden Nebenumstände: O b der Ort heilig oder nicht geweiht, öffentlicher oder Privatbesitz ist, fremder Besitz ist

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sacer an profanus, publicus anne privatus, alienus an ipsius, de quo agitur, locus sit aut fuerit. Tempus autem est - id quo nunc utimur, nam ipsum

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quidem generaliter definire difficile est - pars quaedam aeternitatis cum alicuius annui, menstrui, diurni, nocturnive spatii certa significatione. In hoc et quae praeterierint, considerantur; et eorum ipsorum, quae aut propter vetustatem obsoleverint aut incredibilia videantur, ut iam in fabularum numerum reponantur; et quae iam diu gesta et a memoria nostra remota, tarnen faciant fidem vere tradita esse, quia eorum monumenta certa in litteris exstent; et quae nuper gesta sint, quae scire plerique possint; et item quae instent in praesentia et cum maxime fiant; et quae consequantur. In quibus potest considerari, quid ocius et quid serius futurum sit. Et item communiter in tempore perspiciendo longinquitas eius est consideranda. N a m saepe oportet commetiri tempore negotium et videre, potueritne aut magnitudo negotii aut multitudo rerum in eo transigi tempore. Consideratur autem tempus et anni et mensis et diei et noctis et vigiliae et horae et in aliqua parte alicuius horum.

Occasio autem est pars temporis habens in se alicuius rei idoneam faciendi aut non faciendi opportunitatem. Quare cum tempore hoc differì: nam genere quidem utrumque idem esse intellegitur, verum in tempore spatium quodam m o d o declaratur, quod in annis aut in anno aut in aliqua anni parte spectatur, in occasione ad spatium temporis faciendi quaedam opportunitas intellegitur

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oder ob er dem gehört oder gehört hat, über den verhandelt wird. Die Zeit aber - wie ich den Begriff jetzt gebrauche, denn sie selbst allgemein zu definieren, ist schwierig - ist ein Teil der Ewigkeit mit der bestimmten Bezeichnung des Zeitraumes eines Jahres, eines Monats, eines Tages, einer Nacht. Dabei wird auch, was vergangen ist, betrachtet; und davon selbst wiederum, was entweder wegen des Alters an Wert verloren hat oder unglaublich erscheint, so daß es bereits unter die erdichteten Erzählungen versetzt wird; oder was schon lange geschehen und unserem Gedächtnis entrückt ist, aber dennoch den Glauben erweckt, wahr überliefert zu sein, weil es davon zuverlässige Denkmäler in der Literatur gibt; oder was erst vor kurzem geschehen ist, was also sehr viele wissen können; und ebenso, was in der Gegenwart bevorsteht und eben jetzt geschieht; und was folgt. Hierbei kann betrachtet werden, was früher und was später eintreten wird. Und ebenso soll man im allgemeinen, wenn man sich die Zeit ansieht, deren Länge betrachten. Denn oft soll man mit der Zeit das Geschäft vergleichen und sehen, ob die Größe des Geschäftes oder die Menge der Dinge in dieser Zeit durchgeführt werden konnte. Man betrachtet aber die Zeit auch eines Jahres, eines Monats, eines Tages, einer Nacht, einer Nachtwache, einer Stunde und einen Teil der genannten Zeiteinheiten. Die Gelegenheit aber ist die Art der Zeit, die in sich eine geeignete günstige Möglichkeit birgt, etwas zu tun oder nicht zu tun. Deshalb unterscheidet sie sich von der Zeit in dem folgenden Punkt: Denn daß der Gattung nach beide dasselbe sind, erkennt man; aber bei der Zeit wird ein Zeitraum auf eine bestimmte Art angegeben, den man in Jahren oder in einem Jahr oder in einem Teil eines Jahres veranschlagt, bei der Gelegenheit ist zum Zeitraum, wie ersichtlich, eine günstige Möglichkeit, etwas zu tun, hinzugefügt. Denn obwohl sie der

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adiuncta. Quare cum genere idem sit, fit aliud, quod parte quadam et specie, ut diximus, différât. Haec distribuitur in tria genera: publicum, commune, singulare. Publicum est, quod civitas universa aliqua de causa frequentai, ut ludi, dies festus, bellum. C o m m u n e , quod accidit omnibus eodem fere tempore, ut messis, vindemia, calor, frigus. Singulare autem est, quod aliqua de causa privatim alicui solet accidere, ut nuptiae, sacrificium, funus, convivium, somnus. Modus autem est, in quo, quemadmodum et quo

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animo factum sit, quaeritur. Eius partes sunt prudentia et imprudentia. Prudentiae autem ratio quaeritur ex eis, quae clam, palam, vi, persuasione fecerit. Imprudentia autem in purgationenem confertur, cuius partes sunt inscientia, casus, necessitas, et in affectionem animi, hoc est, molestiam, iracundiam, amorem et cetera, quae in simili genere versantur. Facultates sunt, aut quibus facilius fit aut sine quibus aliquid confici non potest. Adiunctum negotio autem id intellegitur, quod maius et quod minus et quod aeque magnum et quod simile erit ei negotio, quo de agitur, et quod contrarium et quod disparatum, et genus et pars et eventus. Maius et minus et aeque magnum ex vi et ex numero et ex figura negotii, sicut ex statura corporis, consideratur. Simile autem ex specie comparabili aut ex conferenda atque assimilanda natura iudicatur. Contrarium est, quod positum in genere diverso ab eo, cui contrarium dicitur, plurimum distat, ut frigus calori, vitae mors. Disparatum autem est

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Gattung nach dasselbe ist, wird sie zu etwas anderem, weil sie sich in einem Teil und einer Art, wie ich sagte, unterscheidet. Sie wird unterteilt in drei Arten: die öffentliche, die gemeinsame und die besondere. Öffentlich ist, wo sich die gesamte Bürgerschaft aus irgendeinem Grund versammelt, z.B. bei Spielen, an einem Festtag, im Krieg. Gemeinsam, was allen etwa zur gleichen Zeit widerfährt, ζ. B. Ernte, Weinlese, Hitze, Kälte. Besonders aber ist, was aus irgendeinem Grunde einem gewöhnlich privat widerfährt, ζ. B. Hochzeit, Opfer, Begräbnis, Gastmahl, Schlaf. Die Art und Weise aber ist das, bei dem man fragt, wie und in welcher Gesinnung etwas getan wurde. Ihre Arten sind Überlegung und Unwissenheit. Nach der Art der Überlegung aber fragt man aufgrund dessen, was jemand heimlich, offen, mit Gewalt, durch Überredung getan hat. Unwissenheit aber, deren Arten Unkenntnis, Zufall und Unvermeidbarkeit sind, trägt zur Entschuldigung bei und zur Stimmung des Gemütes wie Arger, Jähzorn, Liebe und das übrige, was zu der ähnlichen Art gehört. Die Mittel sind das, wodurch entweder etwas leichter geschieht oder ohne das etwas nicht vollbracht werden kann. Als mit dem Geschäft verknüpft betrachtet man das, was größer, was kleiner, was gleich groß, was ähnlich in bezug auf das Geschäft ist, um das es geht, und was gegensätzlich und entgegengesetzt ist, und Gattung, Art oder Ergebnis. Das Größere, Kleinere und Gleichgroße betrachtet man von der Bedeutung, Zahl und Gestalt des Geschäftes her, wie von der Gestalt eines Körpers. Das Ähnliche aber wird von dem vergleichbaren Aussehen oder von der zum Vergleich heranziehbaren und für ähnlich zu haltenden Natur her beurteilt. Gegensätzlich ist, was einer verschiedenen Gattung angehört und von dem, wozu es als Gegensatz genannt wird, sehr weit entfernt ist, wie die Kälte von der Hitze, vom Leben der Tod.

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id, quod ab aliqua re praepositione negationis separatur, hoc modo: sapere et non sapere. Genus est, quod partes aliquas amplecitur, ut cupiditas. Pars est, quae subest generi, ut amor, avaritia. Eventus est exitus alicuius negotii, in quo quaeri solet, quid ex quaque re evenerit, eveniat, eventurum sit. Quare hoc in genere, ut commode, quid eventurum sit, ante animo colligi possit, quid quaque ex re soleat evenire, considerandum est, hoc modo: Ex arrogantia odium, ex insolentia arrogantia.

Quarta autem pars est ex eis rebus, quas negotiis dicebamus esse attributas, consecutio. In hac eae res quaeruntur, quae iustum negotium consequuntur: primum, quod factum est, quo id nomine appellari conveniat; deinde eius facti qui sint principes et inventores, qui denique auctoritatis eius et inventionis comprobatores atque aemuli; deinde ecquae de ea re aut eius rei sit lex, consuetudo, pactio, iudicium, scientia, artificium; deinde natura eius, evenire vulgo soleat an insolenter et raro; postea homines id sua auctoritate comprobare an offendere in eis consueverint; et cetera, quae factum aliquid similiter confestim aut ex intervallo soient consequi. Deinde postremo attendendum est, num quae res ex eis rebus, quae positae sunt in partibus honestatis aut utilitatis, consequantur; de quibus in deliberativo genere causae distinctius erit dicendum. Ac negotiis quidem fere res haec, quas commemoravimus, sunt attributae.

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Entgegengesetzt aber ist das, was von irgendeiner Sache durch das Voransetzen einer Negation getrennt wird, ζ. B. so: weise sein, nicht weise sein. Die Gattung ist das, was irgendwelche Arten in sich enthält, ζ. B. Begierde. Die Art ist das, was der Gattung untergeordnet ist, ζ. B. Liebe, Habsucht. Das Ergebnis ist der Ausgang irgendeines Geschäftes, wobei man gewöhnlich fragt, welches Ergebnis aus jeder Sache erfolgt ist, erfolgt, erfolgen wird. Deshalb muß man hierbei, um bequem vorher im Geiste erschließen zu können, welches Ergebnis erfolgen wird, betrachten, welches Ergebnis gewöhnlich aus jeder Sache erfolgt, ζ. B. so: aus der Anmaßung Haß, aus der Überheblichkeit Anmaßung. Die vierte Art aber von den Dingen, die, wie ich sagte, zu den Geschäften gehören, ist die Folge. Dabei fragt man nach den Dingen, die auf das durchgeführte Geschäft folgen: Erstens, mit welchem Namen man das, was geschehen ist, angemessen bezeichnet; weiterhin, wer die Urheber und Erfinder dieser Tat sind, wer schließlich diese erste Veranlassung und Erfindung anerkannt und ihr nachgeeifert hat; und weiterhin, ob es wohl über diese Sache oder wegen dieser Sache ein Gesetz gibt, ein Gewohnheitsrecht, einen Vertrag, einen Urteilsspruch, ein Wissen, eine Kunst; weiterhin nach seiner Natur, ob es gewöhnlich allenthalben vorkommt oder nur ungewöhnlicher Weise und selten; darauf, ob die Menschen dies durch eine verbindliche Aussage zu billigen oder Anstoß daran zu nehmen gewohnt sind; und außerdem, was auf eine ähnliche Tat gewöhnlich sofort oder nach einer Zwischenzeit folgt. Weiterhin muß man schließlich seine Aufmerksamkeit darauf richten, ob irgendwelche Dinge aus den Dingen, die zu den Gebieten der Ehrenhaftigkeit und des Nutzens gehören, folgen; darüber wird bei der beratenden Gattung eines Falles deutlicher und bestimmter zu sprechen sein. Und so kommen den Geschäften nun die Dinge zu, die ich erwähnt habe.

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O m n i s autem argumentatio, quae ex eis locis, quos

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commemoravimus, sumetur, aut probabilis aut necessa-

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ria debebit esse. Etenim, ut breviter describamus, argumentatio videtur esse inventum aiiquo ex genere rem aliquam aut porbabiliter ostendens aut necessarie demonstrans. Necessarie demonstrantur ea, quae aliter ac dicuntur nec fieri nec probari possunt, hoc m o d o : 'Si peperit, cum viro concubuit.' H o c genus argumentandi, quod in necessaria demonstratione versatur, maxime tractatur in dicendo aut per simplicem conclusionem. Complexio est, in qua, utrum concesseris, reprehenditur, ad hunc modum: 'Si improbus est, cur uteris? si probus, cur accusas?' Enumeratio est, in qua pluribus rebus expositis et ceteris infirmatis una reliqua necessario confirmatur, hoc pacto: 'Necesse est aut inimicitiarum causa ab hoc esse occisum aut metus aut spei aut alicuius amici gratia aut, si horum nihil est, ab hoc non esse occisum; nam sine causa maleficium susceptum non potest esse: si neque inimicitiae fuerunt nec metus ullus nec spes ex morte illius alicuius commodi neque ad amicum huius aliquem mors illius pertinebat, relinquitur igitur, ut ab hoc non sit occisus.' Simplex autem conclusio ex necessaria consecutione conficitur, hoc m o d o : 'Si vos me istuc eo tempore fecisse dicitis, ego autem eo ipso tempore trans mare fui, relinquitur, ut id, quod dicitis, non m o d o non fecerim, sed ne

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Jede Beweisführung aber, welche aus den Punkten, die ich erwähnt habe, genommen wird, muß glaubwürdig oder zwingend sein. Um es nämlich kurz zu beschreiben: die Beweisführung scheint eine Auffindung des Stoffes zu sein, die in irgendeiner Weise eine Sache entweder glaubwürdig zeigt oder zwingend darlegt. Zwingend legt man das dar, was weder anders, als gesagt wird, geschehen noch bewiesen werden kann, z.B. so: »Wenn sie geboren hat, hat sie mit einem Manne geschlafen.« Diese Art der Beweisführung, die sich in einer zwingenden Darstellung bewegt, wird bei der Rede vor allem durchgeführt durch eine Zusammenfassung, durch eine Aufzählung oder durch eine einfache Schlußfolgerung. Eine Zusammenfassung ist das, wobei getadelt wird, welche von zwei Möglichkeiten man auch zugibt, ζ. B. so: »Wenn er schlecht ist, warum hast du Umgang mit ihm? Wenn er rechtschaffen ist, warum klagst du ihn an?« Eine Aufzählung ist das, wodurch nach der Darstellung mehrerer Punkte und der Entkräftung der übrigen ein einziger noch übriger zwingend bekräftigt wird, ζ. B. in folgender Art: »Er muß von diesem aus Feindschaft getötet worden sein oder aus Furcht oder aus Hoffnung oder um eines Freundes willen oder, wenn nichts davon der Fall ist, wurde er von diesem nicht getötet; denn ohne einen Beweggrund kann eine Freveltat nicht begangen worden sein. Wenn weder Freundschaft bestand noch irgendeine Furcht oder Hoffnung auf irgendeinen Vorteil als Folge aus dem Todes jenes Mannes, noch der Tod jenes Mannes irgendeinen Freund dieses Mannes anging, bleibt also nur übrig, daß er von diesem nicht getötet wurde.« Eine einfache Schlußfolgerung aber wird aus einer zwingenden Folgerung gezogen, ζ. B. so: »Wenn ihr sagt, ich hätte dies zu dem Zeitpunkt getan, ich aber gerade zu diesem Zeitpunkt mich jenseits des Meeres aufhielt, dann bleibt nur übrig, daß ich das, was ihr

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potuerim quidem facere.' A t q u e hoc diligenter oportebit videre, ne quo pacto genus hoc refelli possit, ut ne confirmado modum in se argumentations habeat et quandam similitudinem necessariae conclusionis, verum ipsa argumentatio ex necessaria ratione consistât.

Probabile autem est id, quod fere solet fieri aut quod in

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opinione positum est aut quod habet in se ad haec quandam similitudinem, sive id falsum est sive verum. In eo genere, quod fere fieri solet, probabile huiusmodi est: 'Si mater est, diligit filium: si avarus est, neglegit ius iurandum.' In eo autem, quod in opinione positum est, huiusmodi sunt probabilia: Impiis apud inferos poenas esse praeparatas; eos, qui philosophiae dent operam, non arbitrari deos esse. Similitudo autem in contrariis et ex

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paribus et in eis rebus, quae sub eandem rationem cadunt, maxime spectatur. In contrariis, hoc modo : ' N a m si eis, qui imprudentes laeserunt, ignosci convenit, eis, qui necessario profuerunt, haberi gratiam non oportet.' Ex pari, sic: ' N a m ut locus sine portu navibus esse non potest tutus, sic animus sine fide stabilis amicis non potest esse.' In eis rebus, quae sub eandem rationem cadunt, hoc m o d o probabile consideratur: ' N a m si R h o diis turpe non est portorium locare, ne Hermocreonti quidem turpe est conducere.' Haec tum vera sunt, hoc pacto: 'Quoniam cicatrix est, fuit vulnus'; tum veri simi-

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behauptet, nicht nur nicht getan habe, sondern nicht einmal habe tun können.« Und dabei soll man sorgfältig darauf achten, daß diese Art nicht auf irgendeine Weise widerlegt werden kann, daß die Bekräftigung nicht nur die Art einer Beweisführung in sich birgt und gewisse Ähnlichkeit mit einer zwingenden Schlußfolgerung, sondern daß die Beweisführung selbst aus einer zwingenden Begründung besteht. Glaubwürdig aber ist das, was beinahe immer vorzukommen pflegt oder was auf einer Annahme beruht oder was eine gewisse Ähnlichkeit dazu in sich birgt, sei es, daß es wahr oder falsch ist. In der Art, die beinahe immer vorzukommen pflegt, ist das Glaubwürdige z.B. folgendermaßen: »Wenn sie Mutter ist, liebt sie ihren Sohn; wenn er habsüchtig ist, kümmert er sich nicht um einen Eid.« Bei dem aber, was auf einer Annahme beruht, ist das Glaubwürdige ζ. B. folgendermaßen: Für die Gottlosen seien in der Unterwelt Strafen vorbereitet; diejenigen, welche sich mit Philosophie beschäftigen, glaubten nicht an die Existenz von Göttern. Ähnlichkeit sieht man aber am meisten an Gegensätzlichem, in Gleichem und an den Dingen, die unter denselben Gesichtspunkt fallen. An Gegensätzlichem ζ. B. auf folgende Art: »Denn wenn man sich einigt, daß man denen, die aus Unverstand beleidigt haben, verzeiht, soll man auch denen, welche gezwungenermaßen genützt haben, nicht dankbar sein!« In Gleichem ζ. B. so : »Denn wie ein Ort ohne Hafen für Schiffe nicht sicher sein kann, so kann auch ein Herz ohne Treue Freunden keinen festen Halt bieten.« An den Dingen, die unter denselben Gesichtspunkt fallen, betrachtet man das Glaubwürdige ζ. B. auf folgende Art: »Denn wenn es für die Rhodier nicht verwerflich ist, den Hafenzoll zu verpachten, so ist es für Hermokreon noch viel weniger verwerflich, ihn zu pachten.« Diese Schlußfolgerungen sind einmal wahr, ζ. B. auf folgende Weise: »Weil eine Narbe vorhanden ist, war eine Wunde vor-

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lia, hoc modo: 'Si multus erat in calcéis pulvis, ex itinere eum venire oportebat.' Omne autem (ut certas quasdam in partes tribuamus) probabile, quod sumitur ad argumentationem, aut signum est aut credibile aut iudicatum aut comparabile. Signum est, quod sub sensum aliquem cadit et quiddam significat, quod ex ipso profectum videtur, quod aut ante fuerit aut in ipso negotio aut post sit consecutum, et tamen indiget testimonii et gravioris confirmationis, ut cruor, fuga, pallor, pulvis, et quae his sunt similia. Credibile est, quod sine ullo teste auditoris opinione firmatur, hoc mode: 'Nemo est, qui non liberos suos incólumes et beatos esse cupiat.' Iudicatum est res assensione aut auctoritate aut iudicio alicuius aut aliquorum comprobata. Id tribus in generibus spectatur, religioso, communi, approbato. Religiosum est, quod iurati legibus iudicarunt. Commune est, quod homines vulgo probarunt et secuti sunt, huiusmodi: ut maioribus natu assurgatur, ut supplicum misereatur. Approbatum est, quod homines, cum dubium esset, quale haberi oporteret, sua constitueront auctoritate, velut Gracchi patris factum populus Romanus, qui eum eo, quod insciente collega in censura nihil gessit, post censuram consulem fecit. Comparabile autem est, quod in rebus diversis similem aliquam rationem continet. Eius partes sunt tres: imago, collatio,

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handen«; dann wahrscheinlich, ζ. B. auf folgende Art: »Wenn viel Staub an seinen Schuhen war, mußte er von einer Reise kommen.« Alles Glaubwürdige aber (um es in bestimmte Arten einzuteilen), das zur Beweisführung genommen wird, ist entweder ein Indiz oder etwas Glaubhaftes oder ein Urteil oder etwas Vergleichbares. Ein Indiz ist das, was einen Sinn ergibt und etwas bezeichnet, was von jemandem selbst ausgegangen zu sein scheint, was entweder vorher war oder während des Geschäftes selbst oder danach folgte, und dennoch einen Beleg benötigt und eine gewichtigere Bekräftigung, z . B . Blut, Flucht, Blässe, Staub und was es diesem Ahnliches gibt. Glaubhaft ist, was ohne irgendeinen Zeugen durch die bloße Annahme des Zuhörers bestärkt wird, ζ. B. auf folgende Art: »Es gibt niemanden, der nicht seine Kinder wohlbehalten und glücklich zu wissen begehrte.« Ein Urteil ist eine Sache, die durch die Zustimmung oder die Empfehlung oder den Urteilsspruch irgend jemandes oder mehrerer gebilligt worden ist. Dieses sieht man in drei Gattungen, der religiös verpflichtenden, der gemeinsamen und der anerkannten. Religiös verpflichtend ist das, was Geschworene nach Gesetzen geurteilt haben. Gemeinsam ist, was die Menschen allenthalben gutgeheißen und befolgt haben, ζ. B. von folgender Art: Daß man vor Alteren aufstehen, daß man sich der Schutzflehenden erbarmen soll. Anerkannt ist das, worüber die Menschen, als ein Zweifel bestand, wofür man es halten solle, durch ihre eigene Entscheidung einen Beschluß gefaßt haben, wie ζ. B. das römische Volk über die Handlungsweise des Vaters Gracchus; deswegen weil dieser ohne Wissen seines Amtskollegen während seiner Zensur nichts getan hatte, machte es ihn nach der Zensur zum Konsul. Vergleichbar aber ist, was bei verschiedenen Dingen irgendeinen ähnlichen Gesichtspunkt ausmacht. Davon gibt es drei Arten: das Bild, das Gleichnis

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exemplum. Imago est oratio demonstrans corporum aut naturarum similitudinem. Collatio est oratio rem cum re ex similitudine conferens. Exemplum est, quod rem auctoritate aut casu alicuius hominis aut negotii confirmât aut infirmât. Horum exempla et descriptiones in praeceptis elocutionis cognoscentur.

Ac fons quidem confirmationis, ut facultas tulit, apertus est nec minus dilucide, quam rei natura ferebat, demonstratus est; quemadmodum autem quaeque constitutio et pars constitutionis et omnis controversia, sive in ratione sive in scripto versabitur, tractari debeat et quae in quamque argumentationes conveniant, singillatim in secundo libro de uno quoque genere dicemus. In praesentia tantummodo numéros et modos et partes argumentandi confuse et permixtim dispersimus; post discripte et electe in genus quodque causae, quid cuique conveniat, ex hac copia digeremus.

Atque inveniri quidem omnis ex his locis argumentatio poterit: inventa exornari et certas in partes distingui et suavissimum est et summe necessarium et ab artis scriptoribus maxime neglectum. Quare et de ea praeceptione nobis et in hoc loco dicendum visum est, ut ad inventionem argumentandi ratio adiungeretur. Et magna cum cura et diligentia locus hic omnis considerandus est, quod rei non solum magna utilitas est, sed praecipiendi quoque summa difficultas.

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und das Beispiel. Ein Bild ist eine Aussage, die eine körperliche oder Wesensähnlichkeit aufzeigt. Ein Gleichnis ist eine Aussage, die eine Sache mit einer Sache infolge der Ähnlichkeit zusammenbringt. Ein Beispiel ist das, was eine Sache durch das Gewicht oder durch den Fall irgendeines Menschen oder eines Geschäfts bekräftigt oder entkräftet. Beispiele und Beschreibungen dafür wird man bei den Vorschriften für die stilistische Gestaltung kennenlernen. Und die Quelle der Bekräftigung ist nunmehr, soweit es möglich war, erschlossen und nicht weniger deutlich, als es die Natur der Sache mit sich brachte, aufgezeigt; wie aber jede Begründungsform und jede Art einer Begründungsform und jeder Gegensatz, sei es, daß er auf einer Meinung, sei es, daß er auf einem Schriftstück beruht, behandelt werden muß und welche Beweisführungen zu welcher Begründungsform passen, werde ich einzeln im zweiten Buch in bezug auf jede einzelne Gattung besprechen. Im Augenblick habe ich nur die Anzahl, Arten und die Teile der Beweisführung durcheinander und vermischt ausgestreut; später werde ich mit Unterscheidung und in Auswahl, was zu jeder Gattung von Fällen paßt, aus diesem Vorrat geordnet vorführen. Und so kann nun jede Beweisführung nach Maßgabe dieser Gesichtspunkte aufgefunden werden; das Aufgefundene auszuschmücken und in verschiedene Teile zu gliedern, ist sehr angenehm und äußerst notwendig, aber von den Verfassern eines Lehrbuches gar sehr vernachlässigt worden. Deshalb glaubte ich, auch über die Anweisung hierin an dieser Stelle sprechen zu müssen, damit der Auffindung die Art und Weise der Beweisführung hinzugefügt wird. Und mit großer Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit muß dieses ganze Gebiet betrachtet werden, weil die Sache nicht nur großen Nutzen hat, sondern es auch sehr schwierig ist, darüber Vorschriften zu geben.

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Omnis igitur argumentatio aut per inductionem tractanda est aut per ratiocinationem. Inductio est oratio, quae rebus non dubiis captat assensiones eius, quicum instituta est; quibus assensionibus facit, ut illi dubia quaedam res propter similitudinem earum rerum, quibus assensit, probetur; velut apud Socraticum Aeschinen demonstrat Socrates cum Xenophontis uxore et cum ipso Xenophonte Aspasiam locutam: 'Die mihi, quaeso, Xenophontis uxor, si vicina tua melius habeat aurum quam tu habes, utrum illudne an tuum malis?' 'Illud', inquit. 'Quid si vestem aut ceterum ornatum muliebrem pretii maioris habeat, quam tu habes, tuumne an illius malis?' Respondit: 'Illius vero.' 'Age sis', inquit, 'Quid? Si virum illa meliorem habeat, quam tu habes, utrumne tuum malis an illius?' Hic mulier erubuit. Aspasia autem sermonem cum ipso Xenophonte instituit. 'Quaeso', inquit, 'Xenophon, si vicinus tuus equum meliorem habeat, quam tuus est, tuumne equum malis an illius?' 'Illius', inquit. 'Quid? Si fundum meliorem habeat, quam tu habes, utrum tandem fundum habere malis?' 'Illum', inquit, 'meliorem scilicet.' 'Quid? Si uxorem meliorem habeat, quam tu habes, utrum tuamne an illius malis ?' Atque hic Xenophon quoque ipse tacuit. Post Aspasia: 'Quoniam uterque vestrum', inquit, 'id mihi solum non respondit, quod ego solum audire volueram, egomet dicam, quid uterque cogitet. Nam et tu, mulier, optimum virum vis habere et tu, Xenophon, uxorem habere lectissimam maxime vis. Quare, nisi hoc perfeceritis, ut neque vir melior neque

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Jede Beweisführung also muß entweder durch Induktion oder durch Schlußfolgerung vorgenommen werden. Die Induktion ist die Art der Rede, die durch nicht zweifelhafte Dinge die Zustimmung dessen zu gewinnen sucht, auf den sie sich eingelassen hat; durch diese Zustimmung bewirkt sie, daß von jenem irgendeine zweifelhafte Sache wegen der Ähnlichkeit zu den Dingen, denen er zustimmt, gutgeheißen wird, wie ζ. B. bei dem Sokratiker Aischines Sokrates darauf hinweist, Aspasia habe mit der Gattin Xenophons selbst folgendermaßen gesprochen: »Sage mir bitte, Gattin Xenophons, wenn deine Nachbarin besseres Geld hat als du, möchtest du dann wohl lieber ihres oder deines?« - »Ihres«, antwortete sie. »Wie nun, wenn sie Kleidung oder den übrigen weiblichen Schmuck von größerem Wert hat, als du hast, möchtest du dann lieber deinen eigenen oder ihren?« Sie erwiderte: »Ihren in der Tat.« - »Nun gut«, sagte sie, »wie aber, wenn jene einen besseren Mann hat, als du hast, möchtest du dann lieber deinen eigenen oder ihren?« Hier wurde die Frau rot. Aspasia aber begann ein Gespräch mit Xenophon selbst: »Bitte, Xenophon«, sagte sie, »wenn dein Nachbar ein besseres Pferd hat, als deines ist, möchtest du dann lieber dein Pferd oder seines?« - »Seines«, antwortete er. »Wie nun, wenn er ein besseres Grundstück hat, als du hast, welches Grundstück möchtest du wohl lieber haben?« - »Jenes bessere natürlich«, erwiderte er. »Wie nun, wenn er eine bessere Frau hat, als du hast, möchtest du dann wohl lieber deine oder seine?« Und hier schwieg auch Xenophon selbst. Darauf sagte Aspasia: »Weil ihr nun beide auf das allein nicht geantwortet habt, was allein ich hätte hören wollen, will ich sagen, was ihr beide denkt. Denn du, Frau, willst den besten Mann haben, und du, Xenophon, willst vor allem die erlesenste Frau haben. Wenn ihr es also nicht erreicht habt, daß es weder einen besseren Mann noch eine erlesenere Frau auf Erden gibt,

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femina lectior in terris sit, profecto semper id, quod optimum putabitis esse, multo maxime requiretis, ut et tu maritus sis quam optimae et haec quam optimo viro nupta sit.' Hic cum rebus non dubiis assensum est, factum est propter similitudinem, ut etiam illud, quod dubium videretur, si qui separatim quaereret, id pro certo propter rationem rogandi concederetur. Hoc modo sermonis plurimum Socrates usus est, propterea quod nihil ipse afierre ad persuadendum volebat, sed ex eo, quid sibi ille dederat, quicum disputabat, aliquid conficere malebat, quod ille ex eo, quod iam concessisset, necessario approbare deberet.

H o c in genere praecipiendum nobis videtur primum, ut illud, quod inducimus per similitudinem, eiusmodi sit, ut sit necesse concedere. Nam ex quo postulabimus nobis illud, quod dubium sit, concedi, dubium esse id ipsum non oportebit. Deinde illud, cuius confirmandi causa fiet inductio, videndum est, ut simile eis rebus sit, quas res quasi non dubias ante induxerimus, nam aliquid ante concessum nobis esse nihil proderit, si ei dissimile erit id, cuius causa illud concedi primum voluerimus; deinde ne intellegat, quo spectent illae primae inductiones et ad quem sint exitum perventurae. Nam qui videt, si ei rei, quam primo rogetur, recte assenserit, illam quoque rem, quae sibi displiceat, esse necessario concedendam, plerumque aut non respondendo aut male respondendo longius rogationem procedere non sinit; quare ratione rogationis imprudens ab eo, quod concessit, ad id, quod non

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dann werdet ihr in der Tat immer nach dem, was ihr für das Beste haltet, weitaus am meisten suchen, daß nämlich du der Gatte der bestmöglichen Gattin bist und diese mit dem bestmöglichen Mann verheiratet ist.« Indem hier nicht zweifelhaften Dingen zugestimmt wurde, geschah es wegen der Ähnlichkeit, daß auch das, wenn es einer getrennt untersuchte, zweifelhaft erschien, für gewiß zugestanden wurde wegen der Technik der Fragestellung. Diese Art der Gesprächsführung wandte am meisten Sokrates an, deswegen weil er selbst nicht zur Überredung beitragen, sondern lieber aus dem, was der Gesprächspartner eingeräumt hatte, ein Ergebnis gewinnen wollte, welchem dieser aufgrund dessen, was er schon zugegeben hatte, notgedrungen zustimmen mußte. Bei dieser Art muß ich, wie es scheint, zuallererst die Vorschrift erteilen, daß das, was wir mit Hilfe von Ähnlichkeit einführen, von der Art sei, daß man es gezwungenermaßen zugibt. Denn das, aufgrund dessen wir fordern, daß man uns das, was zweifelhaft ist, zugibt, darf selbst nicht zweifelhaft sein. Weiterhin muß man darauf sehen, daß das, zu dessen Bekräftigung die Induktion durchgeführt wird, den Dingen ähnlich sei, die wir als gewissermaßen nicht zweifelhafte vorher eingeführt haben; denn daß uns etwas vorher zugegeben wurde, nützt nichts, wenn ihm das unähnlich ist, um dessentwillen wir zuerst wollten, daß es zugegeben wurde; weiterhin soll er nicht merken, wohin jene ersten Induktionen zielen und zu welchem Ende sie gelangen werden. Denn wer sieht, daß er, wenn er der Sache, nach der er zuerst gefragt wird, richtig zugestimmt hat, notgedrungen auch jene Sache, die ihm mißfällt, zugeben muß, läßt meistens dadurch, daß er nicht antwortet, oder dadurch, daß er schlecht antwortet, nicht zu, daß die Befragung weiter fortschreitet; deswegen muß man ihn durch die Technik der Fragestellung, ohne daß

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vult, concedere deducendus est. Extremum autem aut taceatur oportet aut concedatur aut negetur. Si negabitur, aut ostendenda similitudo est earum rerum, quae ante concessae sunt, aut alia utendum inductione. Si concedetur, concludenda est argumentatio. Si tacebitur, elicienda responsio est aut, quoniam taciturnitas imitatur confessionem, pro eo, ac si concessum sit, concludere oportebit argumentationem. Ita fit hoc genus argumentandi tripertitum: prima pars ex similitudine constat una pluribusve; altera ex eo, quod concedi volumus, cuius causa similitudines adhibitae sunt; tertia ex conclusione, quae aut confirmât concessionem aut quid ex ea conficiatur, ostendit.

Sed quia non satis alicui videbitur dilucide demonstratum, nisi quid ex civili causarum genere exempli subiecerimus, videtur eiusmodi quoque utendum exemplo, non quo praeceptio différât aut aliter hoc in sermone atque in dicendo sit utendum, sed ut eorum voluntati satis fiat, qui id, quod aliquo in loco viderunt, alio in loco, nisi monstratum est, nequent cognoscere. Ergo in hac causa, quae apud Graecos est pervagata, cum Epaminondas, Thebanorum imperator, quod ei, quid sibi ex lege praetor successerat, exercitum non tradidit et, cum paucos ipse dies contra legem exercitum tenuisset, Lacedaemonios funditus vicit, poterit accusator argumentatione uti per inductionem, cum scriptum legis contra sententiam defendet, ad hunc modum: 'Si, iudices, id, quod Epami-

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er es merkt, von dem, was er zugegeben hat, zu dem, was er nicht zugeben will, hinführen. Am Ende aber muß er entweder schweigen oder zugeben oder verneinen. Im Falle der Verneinung muß man entweder auf die Ähnlichkeit der Dinge hinweisen, die vorher zugegeben wurden, oder eine andere Induktion anwenden. Im Falle des Zugebens muß man die Beweisführung abschließen. Im Falle des Schweigens muß man eine Antwort herauslocken oder, da ja Schweigen einem Zugeständnis gleichkommt, soll man so, als ob es zugegeben wäre, die Beweisführung abschließen. So wird diese Art der Beweisführung dreigeteilt: Der erste Teil besteht aus einer oder mehreren Ähnlichkeiten; der zweite aus dem, was wir zugegeben wissen wollen, um dessentwillen die Ähnlichkeiten zugezogen wurden; der dritte aus der Schlußfolgerung, die entweder das Zugeständnis bekräftigt oder zeigt, welches Ergebnis daraus gewonnen wird. Aber weil dies jemandem nicht deutlich genug dargestellt erscheinen kann, wenn ich nicht ein Beispiel aus der bürgerlichen Art von Fällen anführe, muß ich, wie es scheint, auch ein derartiges Beispiel benützen, nicht als ob sich die Vorschrift unterscheide oder man es anders in einem Gespräch als beim Vortrag benützen müßte, sondern um dem Willen derjenigen zu entsprechen, die das, was sie an irgendeinem Orte gesehen haben, an einem anderen Ort nicht erkennen können, wenn es ihnen nicht gezeigt worden war. Also kann in dem Fall, der bei den Griechen weit verbreitet ist - Epaminondas, der Feldherr der Thebaner, hatte dem, der ihm dem Gesetz gemäß nachgefolgt war, das Heer nicht übergeben, und er brachte, nachdem er es wenige Tage gegen das Gesetz selbst behalten hatte, den Lakedämoniern eine schwere Niederlage bei - , der Ankläger die Beweisführung durch Induktion anwenden, wenn er den Wortlaut des Gesetzes gegen den Sinn verteidigt, auf folgende Weise: »Wenn, ihr Herren Richter, Epaminon-

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nondas ait legis scriptorem sensisse, adscribat ad legem et addat hanc e x c e p t i o n e m : EXTRA QUAM SI QUIS REI PUBLICAE CAUSA EXERCITUM NON TRADIDERIT, p a t i e m i n i ? N o n

opinor. Quid, si vosmet ipsi, quod a vestra religione et a sapientia remotissimum est, istius honoris causa hanc eandem exceptionem iniussu populi ad legem adscribí iubeatis, populus Thebanus id patieturne fieri? Profecto non patietur. Quod ergo adscribí ad legem nefas est, id sequi, quasi adscriptum sit, rectum vobis videatur? Novi vestram intellegentiam; non potest ita videri, iudices. Quodsi litteris corrigi neque ab ilio ñeque a vobis scriptoris voluntas potest, videt, ne multo indignius sit id re et iudicio vestro mutari, quod ne verbo quidem commutari potest.'

Ac de inductione quidem satis in praesentia dictum videtur. Nunc deinceps ratiocinationis vim et naturam consideremus. Ratiocinatio est oratio ex ipsa re probabile aliquid eliciens, quod expositum et per se cognitum sua se vi et ratione confirmet. H o c de genere qui diligentius considerandum putaverunt, cum idem in usu dicendi sequerentur, paululum in praecipiendi ratione dissenserunt. Nam partim quinqué eius partes esse dixerunt, partim non plus quam in tres partes posse distribuí putaverunt. Eorum controversiam non incommodum videtur cum utrorumque ratione exponere. Nam et brevis est et non

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das das, was nach seiner Behauptung der Gesetzgeber gemeint hat, zu dem Gesetz dazuschreibt und die folgende Ausn a h m e h i n z u f ü g t : A B G E S E H E N DAVON, D A ß J E M A N D UM DES STAATES W I L L E N DAS H E E R N I C H T Ü B E R G E B E N HAT, w e r d e t

ihr das zulassen? Ich glaube nicht. Wie nun, wenn ihr selbst was mit eurer Gewissenhaftigkeit und Weisheit ganz und gar nicht vereinbar ist - um diesen zu ehren, diese nämliche Ausnahme ohne Befehl des Volkes zu dem Gesetz dazuschreiben laßt, wird das thebanische Volk dies geschehen lassen? Wahrhaftig, es wird es nicht zulassen. Was also zu einem Gesetz dazuzuschreiben Unrecht ist, dies zu befolgen, als ob es dazugeschrieben wäre, erschiene euch richtig? Ich kenne eure Einsicht; es kann euch nicht so vorkommen, ihr Herren Richter. Wenn durch Buchstaben weder von Epaminondas noch von euch der Wille des Gesetzgebers abgeändert werden kann, dann seht zu, ob es nicht noch viel empörender ist, daß das durch die Tat und euer Urteil geändert wird, was nicht einmal im Wortlaut abgeändert werden kann.« U n d so scheint über die Induktion im Augenblick genug gesagt. Jetzt laßt uns der Reihenfolge nach die Bedeutung und die Natur der Schlußfolgerung betrachten. Die Schlußfolgerung ist die Art der Rede, die aus sich selbst etwas Glaubwürdiges herauslockt, was, vorgetragen und an sich erkannt, sich durch die eigene Kraft und Vernunftmäßigkeit bekräftigt. Die, welche glaubten, man müsse über diese Art sorgfältigere Betrachtungen anstellen, sind, da sie für die Redepraxis dasselbe Ziel verfolgten, in der Art ihrer Vorschriften nur ganz wenig voneinander abgewichen. Denn teils sagten sie, es gebe fünf Teile dafür, teils glaubten sie, sie könne nicht in mehr als drei Teile eingeteilt werden. Deren Meinungsverschiedenheit zusammen mit der Begründung beider darzustellen, erscheint nicht unzweckmäßig. Denn sie ist kurz und nicht von der Art, daß man annehmen müßte, die

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DE INVENTI ONE I

eiusmodi, ut alteri prorsus nihil dicere putentur, et locus hie nobis in dicendo minime neglegendus videtur. Qui putant in quinqué tribuí partes oportere, aiunt primum convenire exponere summam argumentations, ad hunc modum: 'Melius accurantur, quae Consilio geruntur, quam quae sine Consilio administrantur.' Hanc primam partem numerant; earn deinceps rationibus variis et quam copiosissimis verbis approbari putant oportere, hoc modo: 'Domus ea, quae ratione regi tur, omnibus est instructior rebus et apparatior quam ea, quae temere et nullo Consilio administratur. Exercitus is, cui praepositus est sapiens et callidus imperator, omnibus partibus commodius regitur quam is, qui stultitia et temeritate alicuius administratur. Eadem navigli ratio ist. Nam navis optime cursum conficit ea, quae scientissimo gubernatore utitur.' Cum propositio sit hoc pacto approbata et duae partes transierint ratiocinationis, tertia in parte aiunt, quod ostendere velis, id ex vi propositionis opertere assumere, hoc pacto: 'Nihil autem omnium rerum melius quam omnis mundus administratur.' Huius assumptionis quarto in loco aliam porro inducunt approbationem, hoc modo: 'Nam et signorum ortus et obitus definitum quendam ordinem servant et annuae commutationes non modo quadam ex necessitudine semper eodem modo fiunt, verum ad utilitates quoque rerum omnium accommodate, et diurnae nocturnaeque vicissitudines, nulla in re umquam mutatae quicquam nocuerunt.' Quae signo sunt omnia non mediocri quo-

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Ü B E R D I E A U F F I N D U N G DES S T O F F E S

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anderen hätten überhaupt nichts zu sagen, und diesen Punkt glaube ich am wenigsten vernachlässigen zu dürfen. Diejenigen, welche meinen, man solle sie in fünf Teile einteilen, sagen, es sei angemessen, zuerst das Ganze der Beweisführung vorzutragen, ζ. B. auf folgende Weise: »Besser wird das besorgt, was mit einem Plan durchgeführt wird, als das, was ohne Plan gehandhabt wird.« Dies zählen sie als den ersten Teil; dieser solle, so glauben sie, der Reihe nach durch verschiedene Begründungen und durch möglichst wortreiche Ausführungen bewiesen werden, ζ. B. auf folgende Art: »Das Haus, das mit Vernunft geführt wird, ist mit allen Dingen besser ausgestattet und eingerichtet als das, welches aufs Geratewohl und ohne Plan verwaltet wird. Das Heer, an dessen Spitze ein weiser und kluger Feldherr steht, wird in allen Teilen zweckmäßiger gelenkt als das, welches durch irgend jemandes Torheit und Unbesonnenheit geleitet wird. Derselbe Gesichtspunkt gilt für die Schiffahrt. Denn am besten hält das Schiff seinen Kurs ein, welches den kenntnisreichsten Steuermann besitzt.« Ist nun der Vordersatz in dieser Art bewiesen und sind zwei Teile der Schlußfolgerung durchgeführt, so soll man im dritten Teil, sagen sie, das, was man zeigen will, aus der Bedeutung des Vordersatzes hinzunehmen, ζ. B. in folgender Art: »Nichts aber von allen Dingen wird besser als das gesamte Weltall geleitet.« Für diesen Untersatz führen sie an vierter Stelle weiterhin einen Beweis ein, ζ. B. auf folgende Art: »Denn der Aufgang und Untergang der Himmelskörper hält eine bestimmte feste Ordnung ein, und die jährlichen Veränderungen geschehen nicht nur aus einem gewissen Zwang heraus immer auf dieselbe Art und Weise, sondern auch an den Nutzen aller Dinge angepaßt, und der Wechsel von Tag und Nacht, der sich niemals irgendwie geändert hat, hat keinerlei Schaden zugefügt.« Dies alles ist ein Zeichen dafür, daß die Natur des Weltalls nach einem nicht nur mittel-

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DE I N V E N T I O N E I

dam Consilio naturam mundi administran. Quinto inducunt loco complexionem earn, quae aut id infert solum, quod ex omnibus partibus cogitur, hoc modo: 'Consilio igitur mundus administratur', aut unum in locum cum conduxerit breviter propositionem et assumptionem, adiungit, quid ex his conficiatur, ad hunc modum: 'Quodsi melius geruntur ea, quae Consilio, quam quae sine Consilio administrantur, nihil autem omnium rerum melius administratur quam omnis mundus, Consilio igitur mundus administratur.' Quinquepertitam igitur hoc pacto putant esse argumentationem. Q u i autem tripertitam putant esse, ei non aliter tractari putant oportere argumentationem, sed partitionem horum reprehendunt. Negant enim neque a propositione neque ab assumptione approbationes earum separan oportere, neque propositionem absolutam neque assumptionem sibi perfectam videri, quae approbatione confirmata non sit. Q u a r e quas illi duas partes numerent, propositionem et approbationem, sibi unam partem videri, propositionem; quae si approbata non sit, propositio non sit argumentationis. Item, quae ab illis assumptio et assumptionis approbatio dicatur, eandem sibi assumptionem solam videri. Ita fit, ut eadem ratione argumentatio tractata aliis tripertita, aliis quinquepertita videatur. Quare evenit, ut res non tam ad usum dicendi pertineat quam ad rationem praeceptionis. Nobis autem commodior illa partitio videtur esse, quae in quinqué partes tributa est, quam omnes ab Aristotele et Theophrasto profecti maxime secuti sunt. N a m quemadmodum illud superius genus argumentandi, quod per inductionem sumitur, maxime Socrates et Soc-

él

ÜBER

DIE AUFFINDUNG

DES STOFFES

IOJ

mäßigen Plan geleitet wird. An fünfter Stelle führen sie die Zusammenfassung ein, die entweder nur das vorbringt, was aus allen Teilen zusammengefaßt wird, z. B. auf folgende Art: »Nach einem Plan also wird das Weltall geleitet«, oder wenn sie kurz Vordersatz und Untersatz an einen Punkt zusammengeführt hat, fügt sie an, welches Ergebnis man daraus gewinnt, z. B. auf folgende Weise: »Wenn das besser durchgeführt wird, was nach einem Plane, als das, was ohne Plan geleitet wird, nichts aber von allen Dingen besser geleitet wird als das gesamte Weltall, wird also das Weltall durch einen Plan geleitet.« Fünfteilig also ist, wie sie meinen, eine Beweisführung in dieser Art. Diejenigen aber, welche meinen, die Beweisführung sei dreigeteilt, meinen, man solle sie nicht anders durchführen, aber sie weisen die Einteilung der anderen zurück. Sie behaupten nämlich, daß weder vom Vordersatz noch vom Untersatz deren Beweise getrennt werden sollen, und weder ein Vordersatz erscheine ihnen vollständig noch ein Untersatz vollendet, der nicht durch einen Beweis bekräftigt sei. Deshalb erscheine ihnen, was jene als zwei Teile zählten, Vordersatz und Beweis, als ein einziger Teil, als Vordersatz; wenn dieser nicht bewiesen sei, sei der Vordersatz nicht ein Teil der Beweisführung. Ebenso erscheine ihnen, was von jenen Untersatz und Beweis des Untersatzes genannt werde, allein als Untersatz. So kommt es, daß die nach dem nämlichen Grundsatz durchgeführte Beweisführung den einen dreigeteilt, den anderen fünfteilig erscheint. Daraus folgt, daß die Sache nicht so sehr die Redepraxis betrifft als die Art der Vorschrift. Mir aber scheint jene Einteilung zweckmäßiger zu sein, die in fünf Teile gegliedert ist; ihr haben sich alle, die von Aristoteles und Theophrast ausgegangen sind, angeschlossen. Denn wie jene weiter oben genannte Art der Beweisführung, die durch die Induktion angewendet wird, am meisten Sokrates

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DE IN VENTI O NE I

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ratici tractarunt, sic hoc, quod per ratiocinationem expolitur, summe est ab Aristotele atque a Peripateticis et Theophrasto frequentatum, deinde a rhetoribus eis, qui elegantissimi atque artificiosissimi putati sunt. Quare autem nobis illa magis partitio probetur, dicendum videtur, ne temere secuti putemur; et breviter dicendum, ne in huiusmodi rebus diutius, quam ratio praecipiendi postulat, commoremur.

Si quadam in argumentatione satis est uti propositione et non oportet adiungere approbationem propositionis, quadam autem in argumentatione infirma est propositio, nisi adiuncta sit approbatio, separatum est quiddam a propositione approbatio. Quod enim et adiungi et separan ab aliquo potest, id non potest idem esse, quod est id, ad quod adiungitur et a quo separatur. Est autem quaedam argumentatio, in qua propositio non indiget approbations, et quaedam, in qua nihil valet sine approbat i o n , ut ostendemus. Separata igitur est a propositione approbatio. Ostendetur autem id, quod polliciti sumus, hoc modo: Quae propositio in se quiddam continet perspicuum et quod stare inter omnes necesse est, hanc velie approbare et firmare nihil attinet. Ea est huiusmodi: 'Si, quo die ista caedes Romae facta est, ego Athenis eo die fui, in caede interesse non potui.' H o c quia perspicue verum est, nihil attinet approbari. Quare assumi statim oportet, hoc modo: 'Fui autem Athenis eo die.' H o c si non constat, indiget approbationis; qua inducta compie-

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ÜBER

DIE A U F F I N D U N G

DES

STOFFES

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und die Sokratiker durchgeführt haben, so ist diese letztere, die zu einer Schlußfolgerung ausgearbeitet wird, vorzugsweise von Aristoteles und den Peripatetikern und von Theophrast häufig verwendet worden, darauf von den Redelehrern, die für die am feinsten gebildeten und kunstfertigsten gehalten wurden. Warum aber von mir jene Einteilung in höherem Maße gutgeheißen wird, glaube ich sagen zu müssen, damit man nicht meint, ich hätte mich ihr unüberlegt angeschlossen ; und ich muß es kurz sagen, damit ich nicht länger bei derartigen Dingen verweile, als es die Art der Vorschriften erfordert. Wenn es in einer bestimmten Beweisführung genügt, den Vordersatz zu verwenden, und man den Beweis des Vordersatzes nicht anfügen muß, in einer bestimmten Beweisführung aber der Vordersatz zu schwach ist, wenn ihm nicht ein Beweis angefügt ist, dann ist der Beweis etwas vom Vordersatz Getrenntes. Was nämlich angefügt und von etwas getrennt werden kann, kann nicht das nämliche sein, wie das ist, an was es angefügt und wovon es getrennt werden kann. Es gibt aber eine bestimmte Beweisführung, bei der der Vordersatz keinen Beweis braucht, und eine bestimmte, bei der er nichts vermag ohne Beweis, wie ich zeigen werde. Getrennt also ist von dem Vordersatz der Beweis. Gezeigt wird aber das, was ich versprochen habe, auf folgende Art: Den Vordersatz, der in sich etwas Klares birgt und der für jedermann notwendigerweise feststeht, beweisen und bekräftigen zu wollen, ist überflüssig. Er ist ζ. B. von folgender Art: »Wenn ich an dem Tage, an dem dieser Mord in Rom geschehen ist, in Athen war, kann ich nicht an dem Mord beteiligt gewesen sein.« Weil das offensichtlich wahr ist, ist es überflüssig, es zu beweisen. Deshalb soll auf der Stelle der Untersatz eingefügt werden, ζ. B. auf folgende Art: »Ich war aber in Athen an diesem Tage.« Wenn dies nicht feststeht, braucht man den Beweis; ist dieser eingeführt, folgt die Zusammenfassung. Es

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DE I N V E N T I O N E

I

«3

xio consequetur. Est igitur quaedam propositio, quae non indiget approbatione. N a m esse quidem quandam, quae indigeat, quid attinet ostendere, quod cuivis facile perspicuum est? Q u o d s i ita est, ex hoc et ex eo, quod proposueramus, hoc conficitur separatum esse quiddam a propositione approbationem. Sin autem ita est, falsum est non esse plus quam tripertitam argumentationem. Simili m o d o liquet alteram quoque approbationem separatam esse ab assumptione. Si quadam in argumentatione satis est uti assumptione et non oportet adiungere approbationem assumptioni, quadam autem in argumentatione infirma est assumptio, nisi adiuncta sit approbatio, separatum quiddam extra assumptionem est approbatio. Est autem argumentatio quaedam, in qua assumptio non indiget approbationis, quaedam autem, in qua nihil valet sine approbatione, ut ostendemus. Separata igitur est ab assumptione approbatio. Ostendemus autem, quod polliciti sumus, hoc m o d o : Quae perspicuam omnibus veritatem continet assumptio, nihil indiget approbationis. Ea est huiusmodi: 'Si oportet velie sapere, dare operam philosophiae convenit.' Haec propositio indiget approbationis; non enim perspicua est neque constat inter omnes, propterea quod multi nihil prodesse philosophiam, plerique etiam obesse arbitrantur. Assumptio perspicua; est enim haec: 'Oportet autem velie sapere.' H o c quia ipsum ex se perspicitur et verum esse intellegitur, nihil attinet approbari. Quare statim concludenda est argumentatio. Est ergo assumptio quaedam, quae approbationis non indiget; nam quandam indigere perspicuum est. Separata est igitur ab assump-

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DIE AUFFINDUNG

DES STOFFES

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gibt also einen bestimmten Vordersatz, der keinen Beweis braucht. Denn daß es einen bestimmten gibt, der einen braucht, was trägt das dazu bei zu zeigen, was für jeden beliebigen leicht durchschaubar ist? Wenn das so ist, ergibt sich daraus und aus dem, was ich zuvor angeführt hatte, daß der Beweis etwas vom Vordersatz Getrenntes ist. Wenn das aber so ist, ist es falsch, daß die Beweisführung nicht mehr als dreigeteilt ist. Auf ähnliche Weise ist es einleuchtend, daß auch ein zweiter Beweis vom Untersatz getrennt ist. Wenn es in einer bestimmten Beweisführung genug ist, einen Untersatz zu verwenden und man dem Untersatz keinen Beweis anfügen muß, in einer bestimmten Beweisführung aber der Untersatz zu schwach ist, wenn ihm nicht ein Beweis angefügt ist, dann ist der Beweis etwas Abgetrenntes außerhalb des Untersatzes. Es gibt aber eine bestimmte Beweisführung, bei der der Untersatz keinen Beweis braucht, eine bestimmte aber, bei der er nichts vermag ohne Beweis, wie ich zeigen werde. Getrennt also ist vom Untersatz der Beweis. Ich kann aber das, was ich versprochen habe, auf folgende Art zeigen: Ein Untersatz, der eine für alle durchschaubare Wahrheit enthält, braucht keineswegs einen Beweis. Hierfür ein Beispiel: »Wenn es sich gehört, weise sein zu wollen, dann ziemt es sich, Philosophie zu betreiben.« Dieser Vordersatz braucht einen Beweis; er ist nämlich nicht klar und steht nicht für jedermann fest, deswegen weil viele glauben, die Philosophie sei unnütz, sehr viele sogar, sie sei schädlich. Der Untersatz ist klar; er lautet nämlich: »Es gehört sich aber, weise sein zu wollen.« Weil dies aus sich selbst heraus klar ist und man erkennt, daß es wahr ist, ist ein Beweis überflüssig. Daher soll die Beweisführung sofort abgeschlossen werden. Es gibt also einen bestimmten Untersatz, der keinen Beweis braucht; denn daß ein bestimmter einen braucht, ist klar. Getrennt ist also vom Untersatz der Be-

no

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tione approbatio. Falsum ergo est non esse plus quam tripertitam argumentationem. A t q u e ex his illud iam per-

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spicuum est esse quandam argumentationem, in qua

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ñeque propositio neque assumptio indigeat approbation s , huiusmodi, ut certum quiddam et breve exempli causa ponamus: 'Si summo opere sapientia petenda est, summo opere stultitia vitanda est: summo autem opere sapientia petenda est: summo igitur opere

stultitia

vitanda est.' Hic et propositio et assumptio perspicua est: quare neutra quoque indiget approbatione. Ex hisce omnibus

illud perspicuum

est approbationem

tum

adiungi, tum non adiungi. Ex quo cognoscitur neque in propositione neque in assumptione contineri approbationem, sed utramque suo loco positam vim suam tamquam certam et propriam obtinere. Q u o d s i ita est, commode partiti sunt illi, qui in quinqué partes tribuerunt argumentationem. Q u i n q u é igitur partes sunt eius argumentationis, quae per ratiocinationem tractatur: Propositio, per quam locus is breviter exponitur, ex quo vis omnis oportet emanet ratiocinationis; approbatio, per quam id, quod breviter expositum est, rationibus affirmatum probabilius et apertius fit; assumptio, per quam id, quod ex propositione ad ostendendum pertinet, assumitur; assumpt i o n s approbatio, per quam id, quod assumptum est, rationibus firmatur; complexio, per quam id, quod conficitur ex omni argumentatione, breviter exponitur. Q u a e plurimas habet argumentatio partes, ea constat ex his quinqué partibus; secunda est quadripertita; tertia tripertita; dein bipertita; quod in controversia est. D e una quoque parte potest alicui videri posse consistere.

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DIE AUFFINDUNG

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enthalten ist; Schutz des Rechtes das, wodurch Gewalt oder Unrecht und überhaupt alles, was schaden kann, durch Verteidigung oder Rache abgewehrt wird; Ehrerbietung das, wodurch Menschen, die durch irgendeine Würde einen Vorzug haben, einer bestimmten Handlung und Ehre gewürdigt werden; Wahrhaftigkeit das, wodurch das, was ist oder war oder sein wird, unverändert vorgetragen wird. Durch Gewohnheit ist Recht, was entweder nur unerheblich aus der Natur hergeleitet ist und was die praktische Erfahrung bedeutender machte, wie ζ. B. die Gottesfurcht; oder wenn wir etwas von dem, was ich vorher genannt habe, als etwas aus der Natur Hervorgegangenes und durch die Gewohnheit größer Gewordenes sehen, oder was das hohe Alter durch die Zustimmung der großen Masse zum Herkommen machte; von dieser Art ist ζ. B. der Vertrag, der Gleichheitsgrundsatz und das Urteil. Ein Vertrag ist das, worüber irgendwelche Leute übereingekommen sind, der Gleichheitsgrundsatz, was für alle recht und billig ist; das Urteil das, worüber durch die Urteilssprüche irgendeines Mannes oder irgendwelcher Männer schon ein Beschluß gefaßt worden ist. Durch Gesetz ist Recht, was in dem Text, der dem Volk vorgelegt wurde, damit dieses ihn beachtet, enthalten ist. Tapferkeit ist das überlegte Aufsichnehmen von Gefahren und das Aushalten von Anstrengungen. Ihre Arten sind der edle Charakter, die feste Zuversicht, die Fähigkeit zu ertragen und die Ausdauer. Der edle Charakter ist das Sinnen auf bedeutende und erhabene Dinge, verbunden mit einer gewissen großartigen und glanzvollen Vorstellung und ihrer Ausführung; die feste Zuversicht ist das, wodurch in bedeutenden und ehrenhaften Dingen das Gemüt selbst, verbunden mit sicherer Hoffnung, viel auf sich gesetzt hat; die Fähigkeit zu ertragen ist das freiwillige und lang anhaltende Aushalten beschwerlicher und schwieriger Dinge um der Ehrenhaftigkeit

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II

in ratione bene considerata stabilis et perpetua permansio. Temperantia est rationis in libidinem atque in alios non rectos impetus animi firma et moderata dominatio. Eius partes continentia, dementia, modestia. Continentia est, per quam cupiditas consilii gubernatione regitur; dementia, per quam animi temere in odium alicuius inferios concitati comitate retinentur; modestia, per quam pudor honesti curam et stabilem comparat auctoritatem. A t q u e haec omnia propter se solum, ut nihil adiungatur emolumenti, petenda sunt. Q u o d

ut

demonstretur,

neque ad hoc nostrum institutum pertinet et a brevitate praecipiendi remotum est. Propter se autem vitanda sunt 165 non ea modo, quae his contraria sunt, ut fortitudini ignavia et iustitiae iniustitia, verum etiam ilia, quae propinqua videntur et finitima esse, absunt autem longissime; quod genus fidentiae contrarium est diffidentia et ea re vitium est; audacia non contrarium, sed appositum est ac propinquum et tamen vitium est. Sic uni cuique virtuti finitimum vitium reperietur, aut certo iam nomine appellatum, ut audacia, quae fidentiae, pertinacia, quae perseverantiae finitima est, superstitio, quae religioni propinqua est, aut sine ullo certo nomine. Quae omnia item uti contraria rerum bonarum in rebus vitandis reponentur.

A c de eo quidem genere honestatis, quod omni ex

l6j

ÜBER

DIE AUFFINDUNG

DES STOFFES

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und des Nutzens willen; die Ausdauer ist das unveränderliche und immerwährende Verharren bei einem gut überlegten Grundsatz. Die Mäßigung ist die feste und besonnene Herrschaft der Vernunft über die Leidenschaft und andere nicht richtige Triebe der Seele. Ihre Arten sind Selbstbeherrschung, Milde und Bescheidenheit. Selbstbeherrschung ist das, wodurch die Begierde durch die Leitung der Überlegung gelenkt wird; Milde das, wodurch zum Haß gegen einen Geringeren aufgestachelte Gemüter durch Freundlichkeit zurückgehalten werden; Bescheidenheit das, wodurch das Schamgefühl Rücksichtnahme auf das Ehrenhafte und unveränderliches Ansehen verschafft. Und dieses Eigenschaften sind alle allein um ihretwegen, ohne daß damit irgendein Nutzen verbunden ist, erstrebenswert. Dies aufzuzeigen, gehört nicht zu meinem Vorhaben und ist unvereinbar mit der Kürze der Belehrung. Um ihretwillen zu vermeiden sind aber nicht nur die Eigenschaften, die gegensätzlich zu den genannten sind, wie ζ. B. zur Tapferkeit die Feigheit und zur Gerechtigkeit die Ungerechtigkeit, sondern auch jene, die verwandt und angrenzend zu sein scheinen, aber sehr weit entfernt sind; von dieser Art ist ζ. B. das Gegenteil zur festen Zuversicht der Mangel an Zuversicht und somit ein Fehler; die Verwegenheit ist kein Gegensatz, sondern zugeordnet und trotzdem ein Fehler. So findet man für jede einzelne Tugend einen angrenzenden Fehler, der entweder schon mit einem bestimmten Namen bezeichnet ist, wie ζ. B. die Verwegenheit, die an die feste Zuversicht angrenzt, die Hartnäckigkeit, die an die Ausdauer angrenzt, und der Aberglaube, der mit der Gottesfurcht verwandt ist, oder was ohne einen bestimmten Namen ist. Alle diese Eigenschaften zählt man ebenso wie die gegensätzlichen zu den zu vermeidenden Dingen. Und über diese Art der Ehrenhaftigkeit nun, die in jeder

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II

parte propter se petitur, satis dictum est. N u n c de eo, in

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quo utilitas quoque adiungitur, quod tamen honestum

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vocamus, dicendum videtur. Sunt igitur multa, quae nos cum dignitate tum quoque fructu suo ducunt; quo in genere est gloria, dignitas, amplitudo, amicitia. Gloria est frequens de aliquo fama cum laude; dignitas est alicuius honesta et cultu et honore et verecundia digna auctoritas; amplitudo potentiae aut maiestatis aut aliquarum copiarum magna abundantia; amicitia voluntas erga aliquem rerum bonarum illius ipsius causa, quem diligit, cum eius pari volúntate. H i c , quia de civilibus causis loquimur,

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fructus ad amicitiam adiungimus, ut eorum quoque causa petenda videatur, ne forte, qui nos de omni amicitia dicere existimant, reprehendere incipiant. Q u a m q u a m sunt, qui propter utilitatem m o d o petendam putant amicitiam; sunt, qui propter se solum; sunt, qui propter se et utilitatem. Q u o r u m quid verissime constituatur, alius locus erit considerandi. N u n c hoc sic ad usum oratorium relinquatur, utramque propter rem amicitiam esse expetendam. Amicitiarum autem ratio, quoniam partim sunt 168 religionibus iunctae, partim non sunt, et quia partim veteres sunt, partim novae, partim ab illorum, partim ab nostro beneficio profectae, partim utiliores,

partim

minus utiles, ex causarum dignitatibus, ex temporum opportunitatibus, ex officiis, ex religionibus, ex vetustatibus habebitur.

Utilitas autem aut in corpore posita est aut in extrariis rebus; quarum tamen rerum multo maxima pars ad cor-

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DIE AUFFINDUNG

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Beziehung um ihretwegen erstrebt wird, ist genug gesagt. Nun muß wohl über diejenige gesprochen werden, mit der auch Nutzen verbunden ist, und die wir dennoch ehrenhaft nennen. Da gibt es also vieles, was uns durch seine Würde, besonders aber durch seinen Ertrag anzieht; dazu gehört Ruhm, Würde, Ansehen und Freundschaft. Ruhm ist das häufige, mit Lob verbundene Reden über jemanden; Würde ist das ehrenhafte und der Verehrung, Ehre und Ehrfurcht würdige Vorbild eines Mannes; Ansehen ist der überreiche Besitz an Macht, Erhabenheit oder irgendwelcher solcher Möglichkeiten; Freundschaft ist die Zuneigung zu jemandem um des Wohlergehens dieses Mannes selbst willen, den man liebt, verbunden mit dessen gleicher Zuneigung. Hier messe ich, weil ich über bürgerliche Fälle spreche, der Freundschaft Vorteile zu, damit sie auch um derentwillen erstrebenswert erscheint; damit nicht etwa diejenigen, die glauben, ich spräche über jede Freundschaft, Einwände zu machen beginnen. Gleichwohl gibt es Leute, die die Freundschaft nur wegen des Nutzens für erstrebenswert halten; es gibt auch welche, die allein um ihrer selbst wegen ; und es gibt welche, die das ihretwegen und wegen des Nutzens tun. Was davon am zutreffendsten angenommen wird, das zu erwägen wird es einen anderen Ort geben. Nun soll für die Redepraxis dies so stehen gelassen werden, daß die Freundschaft wegen beider Dinge erstrebenswert ist. Da ja die Freundesdienste teils mit religiösen Verpflichtungen verbunden sind, teils nicht, und weil sie teils alt sind, teils neu, teils von der guten Tat jener, teils von unserer ausgegangen sind, teils nützlicher, teils weniger nützlich sind, werden sie von der Würde der Fälle, von der Gunst der Umstände, von den pflichtgemäßen Handlungen, von den religiösen Verpflichtungen und vom Alter aus erwogen. Der Nutzen aber liegt entweder im Physischen oder in von außen kommenden Dingen; hiervon wendet sich trotzdem

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DE I N V E N T I O N E

II

poris commodum reveritur, ut in re publica quaedam sunt, quae, ut sic dicam, ad corpus pertinent civitatis, ut agri, portus, pecunia, classis, nautae, milites, socii, quibus rebus incolumitatem ac liberatem retinent civitates, aliae vero, quae iam quiddam magis amplum et minus necessarium conficiunt, ut urbis egregia exornatio atque amplitudo, ut quaedam excellens pecuniae magnitudo, amicitiarum ac societatum multitudo. Quibus rebus non

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illud solum conficitur, ut salvae et incólumes, verum etiam ut amplae atque potentes sint civitates. Quare utilitatis duae partes videntur esse, incolumitas et potentia. Incolumitas est salutis rata atque integra conservado; potentia est ad sua conservanda et alterius attenuanda idonearum rerum facultas. A t q u e in eis omnibus, quae ante dicta sunt, quid fieri et quid facile fieri possit, oportet considerare. Facile id dicemus, quod sine magno aut sine ullo labore, sumptu, molestia quam brevissimo tempore confici potest; posse autem fieri, quod, quamquam laboris, sumptus, molestiae, longinquitatis indiget atque aut omnes aut plurimas aut maximas causas habet difficultatis, tarnen his susceptis difficultatibus confieri atque ad exitum perduci potest.

Q u o n i a m ergo de honestate et de utilitate diximus,

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nunc restât, ut de eis rebus, quas his attributas esse dicebamus, necessitudine et affectione, perscribamus. Puto igitur esse hanc necessitudinem, cui nulla vi resisti potest,

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DIE AUFFINDUNG

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der weitaus größere Teil an den Vorteil im Bereich des Physischen, wie es ζ. B. im Staat gewisse Dinge gibt, die sozusagen zur physischen Existenz der Bürgerschaft in Beziehung stehen, wie ζ. B. Felder, Häfen, Geld, eine Flotte, Seeleute, Soldaten, Bundesgenossen - Dinge, durch die die Bürgerschaften ihre Unversehrtheit und Freiheit erhalten; andere aber gibt es, die schon etwas Großartigeres und weniger Nützliches zustande bringen, wie ζ. B. die hervorragende Ausschmückung und Großartigkeit der Stadt, wie ζ. B. eine herausragende Menge Geld, eine große Anzahl an Freundschaften und Bündnissen. Durch diese Dinge wird nicht nur bewirkt, daß die Bürgerschaften wohlbehalten und unversehrt, sondern auch, daß sie großartig und mächtig sind. Deshalb scheint es zwei Arten des Nutzens zu geben, die Unversehrtheit und die Macht. Die Unversehrtheit ist die entschiedene und uneingeschränkte Erhaltung des Wohlergehens; die Macht ist die Fähigkeit, seinen eigenen Besitz unversehrt zu erhalten und den eines anderen um taugliche Dinge zu vermindern. Und bei dem allem, was oben gesagt wurde, muß man erwägen, was getan werden und was leicht getan werden kann. Leicht nenne ich das, was ohne große und ohne jegliche Anstrengung, Kosten, Beschwernis in möglichst kurzer Zeit zustande gebracht werden kann; getan werden kann, was, obwohl es Anstrengung, Kosten, Beschwernis und lange Dauer nötig hat und dazu entweder alle oder sehr viele oder höchst bedeutsame Ursachen für die Schwierigkeit besitzt, dennoch, wenn man diese Schwierigkeiten auf sich genommen hat, zustande gebracht und bis zum Ziel geführt werden kann. Da ich nun also über die Ehrenhaftigkeit und über den Nutzen gesprochen habe, bleibt jetzt übrig, daß ich über die Dinge, die, wie ich sagte, zu diesen gehören, die Unvermeidlichkeit und die Gesinnung, schreibe. Ich glaube also, daß die Unvermeidlichkeit die Kraft ist, die man mit keiner Gewalt

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quo ea setius id, quod facere potest, perficiat, quae ñeque mutari ñeque leniri potest. Atque, ut apertius hoc sit, exemplo licet vim rei, qualis et quanta sit, cognoscamus. Uri posse fiamma ligneam materiam necesse est. Corpus mortale aliquo tempore interire necesse est; atque ita necesse, ut vis postulat ea, quam modo describebamus, necessitudinis. Huiusmodi necessitudines cum in dicendi rationes incident, recte necessitudines appellabuntur; sin aliquae res accident difficiles, in illa superiore, possitne fieri, quaestione considerabimus. Atque etiam hoc mihi videor videre esse quasdam cum adiunctione necessitudines, quasdam simplices et absolutas. Nam aliter dicere solemus: 'Necesse est Casilinenses se dedere Hannibali.' Aliter autem : 'Necesse est Casilinum venire in Hannibalis potestatem.' Illic, in superiore, adiunctio est haec: 'Nisi si malunt fame perire.' Si enim id malunt, non est necesse; hoc inferius non item, propterea quod, sive velint Casilinenses se dedere sive famem perpeti atque ita perire, necesse est Casilinum venire in Hannibalis potestatem. Quid igitur haec perficere potest necessitudinis distributio? Prope dicam plurimum, cum locus necessitudinis videbitur incurrere. Nam cum simplex erit necessitudo, nihil erit, quod multa dicamus, cum earn nulla ratione lenire possimus; cum autem ita necesse erit, si aliquid effugere aut adipisci velimus, tum adiunctio ilia quid

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ÜBER

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DES STOFFES

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daran hindern kann, daß sie ausführt, was sie tun kann, die weder geändert noch geschwächt werden kann. Und damit dies noch klarer ist, wollen wir mit Hilfe von Beispielen die Sache, von welcher Art und wie stark sie ist, erkennen. Es ist unvermeidlich, daß Material aus Holz in Flammen aufgehen kann. Es ist unvermeidlich, daß ein sterblicher Körper zu irgendeinem Zeitpunkt zugrunde geht; und es ist so unvermeidlich, wie es die Kraft der Unvermeidlichkeit fordert, die ich eben zu beschreiben versuchte. Wenn derartige Unvermeidlichkeiten in einem Redeentwurf vorkommen, bezeichnet man sie richtig als Unvermeidlichkeiten; wenn aber irgendwelche schwierige Dinge anfallen, erwägen wir nach Maßgabe der obigen Untersuchung, ob es geschehen kann. Und ich sehe wohl auch dies, daß es gewisse Unvermeidlichkeiten mit einem einschränkenden Zusatz gibt, gewisse einfache und in sich vollständige. Denn anders pflegen wir zu sagen: »Es ist unvermeidlich, daß sich die Einwohner von Casilinum Hannibal ergeben.« Anders aber: »Es ist unvermeidlich, daß Casilinum in die Gewalt Hannibals gerät.« Dort, im ersten Satz, ist der einschränkende Zusatz folgender: »Wenn sie nicht lieber durch Hunger zugrunde gehen wollen.« Wenn sie das nämlich lieber wollen, ist es nicht unvermeidlich; die zweite Aussage hat deswegen nicht dieselbe Bedeutung, weil es unvermeidlich ist, daß Casilinum in die Gewalt Hannibals gerät, ob sich die Einwohner von Casilinum ergeben oder ob sie Hunger aushalten und so zugrunde gehen wollen. Was kann also diese Unterteilung der Unvermeidlichkeit bewirken? Fast möchte ich sagen: sehr viel, wenn der Gesichtspunkt von der Unvermeidlichkeit zuzutreffen scheint. Denn wenn die Unvermeidlichkeit einfach ist, gibt es keinen Grund, viel zu sagen, da wir sie auf keine Art und Weise in einem milderen Licht darstellen können; wenn sie aber so unvermeidlich ist, daß wir vor etwas fliehen oder etwas erlangen

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DE INVENTI ONE II

habeat utilitatis atque honestatis, erit considerandum. Nam si velis attendere, ita tarnen, ut id quaeras, quod conveniat ad usum civitatis, reperias nullam esse rem, quam facere necesse sit, nisi propter aliquam causam, quam adiunctionem nominamus; pariter autem esse multas res necessitatis, ad quas similis adiunctio non accedit; quod genus homines mortales necesse est interire, sine adiunctione; ut cibo utantur, non necesse est, nisi cum illa exceptione 'extra quam, si nolint fame perire'. Ergo, ut dico, illud, quod adiungitur, semper cuiusmodi sit, erit considerandum. Nam omni tempore id pertinebit, ut aut ad honestatem hoc modo exponenda necessitudo sit: 'Necesse est, si honeste volumus vivere'; aut ad incolumitatem, hoc modo: 'Necesse est, si incólumes volumus esse'; aut ad commoditatem, hoc modo: 'Necesse est, si sine incommodo volumus vivere.'

Ac summa quidem necessitudo videtur esse honestatis; huic próxima incolumitatis; tertia ac levissima commoditatis; quae cum his numquam poterit duabus contendere. Hasce autem inter se saepe necesse est comparan, ut, quamquam praestet honestas incolumitati, tamen, utri potissimum consulendum sit, deliberetur. Cuius rei certum quoddam praescriptum videtur in perpetuum dari posse. Nam, qua in re fieri poterit, ut, cum incolumitati consuluerimus, quod sit in praesentia de

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ÜBER DIE AUFFINDUNG

DES

STOFFES

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wollen, dann ist zu erwägen, welchen Nutzen und welche Ehrenhaftigkeit jener einschränkende Zusatz besitzt. Denn wenn man genau achtgeben will, doch so, daß man nach dem fragt, was dem Nutzen des Staates dienlich ist, könnte man herausfinden, daß es nichts gibt, was zu tun unvermeidlich ist, außer aus irgendeinem Grund, den wir einschränkenden Zusatz nennen; in gleicher Weise gibt es viele Dinge von Unvermeidbarkeit, zu denen ein ähnlicher einschränkender Zusatz nicht hinzutritt. Von dieser Art ist ζ. B. die Aussage: »Es ist unvermeidlich, daß sterbliche Menschen zugrunde gehen« ohne einschränkenden Zusatz; die Aussage: »Sie sollen Speise zu sich nehmen« ist nicht unvermeidlich, außer mit jener Ausnahme: »Außer wenn sie nicht durch Hunger zugrunde gehen wollen«. Also, ist, wie ich sage, immer zu erwägen, von welcher Art das ist, was hinzugefügt wird. Denn unter allen Umständen kommt es darauf an, daß entweder im Hinblick auf die Ehrenhaftigkeit die Unvermeidlichkeit ζ. B. auf folgende Art darzustellen ist: »Es ist unvermeidlich, wenn wir ehrenhaft leben wollen«; oder im Hinblick auf die Unversehrtheit ζ. B. auf folgende Art: »Es ist unvermeidlich, wepn wir unversehrt sein wollen«; oder im Hinblick auf den Vorteil, ζ. B. auf folgende Art: »Es ist unvermeidlich, wenn wir ohne Nachteil leben wollen.« Und die wichtigste Art von Unvermeidlichkeit scheint nun die der Ehrenhaftigkeit zu sein; dieser am nächsten die Unversehrtheit; die dritte und unbedeutendste die des Vorteils; diese kann sich mit den ersten beiden niemals messen. Es ist aber notwendig, diese beiden oft miteinander zu vergleichen, damit, obwohl die Ehrenhaftigkeit über der Unversehrtheit steht, dennoch überlegt wird, auf welche man vor allem bedacht sein soll. Dafür kann, wie es scheint, eine bestimmte Richtlinie für alle Zeiten gegeben werden. Denn wo es geschehen kann, daß, wenn wir auf Unversehrtheit bedacht

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DE INVENTICENE

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honestate delibatum, virtute aliquando et industria recuperetur, incolumitatis ratio videbitur habenda; cum autem id non poterit, honestatis. Ita in huiusmodi quoque re, cum incolumitati videbimur consulere, vere poterimus dicere nos honestatis rationem habere, quoniam sine incolumitate earn nullo tempore possumus adipisci. Q u a in re vel concedere alteri vel ad condicionem alterius descendere vel in praesentia quiescere atque aliud tempus exspectare oportebit, modo illud attendatur, dignane causa videatur ea, quae ad utilitatem pertinebit, quare de magnificentia aut de honestate quiddam derogetur. Atque in hoc loco mihi caput illud videtur esse, ut quaeramus, quid sit illud, quod si adipisci aut effugere velimus, aliqua res nobis sit necessaria, hoc est, quae sit adiunctio, ut proinde, uti quaeque res erit, elaboremus et gravissimam quamque causam vehementissime necessariam iudicemus.

Affectio est quaedam ex tempore aut ex negotiorum eventu aut administratione aut hominum studio commutano rerum, ut non tales, quales ante habitae sint aut plerumque haberi soleant, habendae videantur esse; ut ad hostes transiré turpe videatur esse, at non ilio animo, quo Ulixes transiit; et pecuniam in mare deicere inutile, at non eo Consilio, quo Aristippus fecit. Sunt igitur res quaedam ex tempore et ex Consilio, non ex sua natura considerandae; quibus in omnibus, quid tempora petant,

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ÜBER

DIE AUFFINDUNG

DES STOFFES

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sind, das, was für den Augenblick die Ehrenhaftigkeit schmälert, durch Tüchtigkeit und Tätigkeit einmal wieder zurückgewonnen wird, darf man, so scheint es, die Unversehrtheit berücksichtigen; wenn das aber nicht geschehen kann, die Ehrenhaftigkeit. So können wir auch in einer Angelegenheit von dieser Art, wenn wir nur die Unversehrtheit zu berücksichtigen scheinen, wahrheitsgemäß sagen, wir berücksichtigten auch die Ehrenhaftigkeit, da wir ohne Unversehrtheit diese unter keinen Umständen erlangen können. In dieser Angelegenheit muß man entweder der einen ein Zugeständnis machen oder sich auf die Bedingung der anderen einlassen oder für den Augenblick Ruhe geben und jenen Zeitpunkt abwarten, wenn man nur achtgibt, ob die Sache, die auf den Nutzen Rücksicht nimmt, wert zu sein scheint, daß man von der Hochherzigkeit und der Ehrenhaftigkeit einen Abstrich macht. Und in diesem Punkt scheint mir die Hauptsache zu sein, daß wir fragen, was jenes denn sei, das, wenn wir es erlangen oder vor ihm entfliehen wollen, irgend etwas für uns Unvermeidliches mit sich bringt, d. h. welches der einschränkende Zusatz sei, so daß wir uns, je nachdem, wie jede einzelne Angelegenheit ist, anstrengen und den gewichtigsten Fall für den in höchstem Maße unvermeidlichen halten. Die Gesinnung ist eine gewisse Veränderung der Dinge aufgrund äußerer Umstände, des Ergebnisses oder der Ausführung von Geschäften oder der Neigung der Menschen, so daß diese anscheinend nicht für solche zu halten sind, wofür sie gehalten wurden oder meist gehalten zu werden pflegen; so erscheint es ζ. B. verwerflich, zu den Feinden überzugehen, aber nicht mit jener Einstellung, in der Ulixes überging; und Geld ins Meer zu werfen, ist unnütz, aber nicht in der Absicht, in der Aristippus es machte. Gewissse Dinge sind also aufgrund der äußeren Umstände und der Absicht, nicht aufgrund ihres Wesens zu betrachten, was die Umstände ver-

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DE INVENTICENE

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quid personis dignum sit, considerandum est et non quid, sed quo quidque animo, quicum, quo tempore, quamdiu fiat, attendendum est. His ex partibus ad sententiam dicendam locos sumi oportere arbitramur. Laudes autem et vituperationes ex eis locis sumentur, 59 qui loci personis sunt attributi, de quibus ante dictum est. 177 Sin distributius tractare qui volet, partiatur in animum et corpus et extraneas res licebit. Animi est virtus, cuius de partibus paulo ante dictum est; corporis valetudo, dignitas, vires, velocitas; extraneae honos, pecunia, affinitas, genus, amici, patria, potentia, cetera, quae simili esse in genere intellegentur. Atque in his id, quod in omnia valere oportebit; contraria quoque, quae et qualia sint, intellegentur.

Videre autem in laudando et in vituperando oportebit 178 non tam, quae in corpore aut in extraneis rebus habuerit is, de quo agetur, quam quo pacto his rebus usus sit. Nam fortunam quidem et laudare stultitita et vituperare superbia est, animi autem et laus honesta et vituperano vehemens est. Nunc quoniam omne in causae genus argumentandi ratio tradita est, de inventione, prima ac maxima parte rhetoricae, satis dictum videtur. Quare, quoniam et una pars ad exitum hoc ac superiore libro perducta est et hic liber non parum continet litterarum, quae restant, in reliquis dicemus.

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ÜBER DIE AUFFINDUNG

DES

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langen, was den Personen angemessen ist, und die Aufmerksamkeit ist nicht darauf zu richten, was getan wird, sondern darauf, mit welcher Einstellung, mit wem, zu welchem Zeitpunkt, wie lange es getan wird. Daraus muß man, glaube ich, die Gesichtspunkte nehmen, um seine Meinung zu sagen. Lob aber und Tadel nimmt man aus den Gesichtspunkten, die Personen zukommen; darüber wurde oben gesprochen. Wenn aber jemand sie noch mehr unterteilt behandeln will, darf er sie in Seele, Körper und äußerliche Dinge einteilen. Vorzug der Seele ist das, über dessen Arten kurz vorher gesprochen wurde; des Körpers: Gesundheit, stattlicher Wuchs, Kraft, Schnelligkeit; äußerliche Dinge: Ehre, Geld, angeheiratete Verwandtschaft, Herkunft, Freunde, Vaterland, Macht und das übrige, was man in ähnlicher Weise als dazu gehörig erkennt. Und für diese Dinge muß gelten, was für alles gilt; auch was das Gegenteil ist und wie es ist, erkennt man. Man soll aber beim Loben und Tadeln nicht so sehr darauf sehen, was derjenige, um den es geht, an körperlichen Vorzügen oder an äußerlichen Dingen besaß, als vielmehr darauf, in welcher Art er von diesen Dingen Gebrauch machte. Denn einerseits ist es Dummheit, das Schicksal zu loben, und Hochmut, es zu tadeln, aber Lob der Gesinnung ist ehrenhaft und ihr Tadel wirksam. Da nun für jede Gattung von Fällen das Vorgehen bei der Beweisführung mitgeteilt ist, scheint über die Auffindung des Stoffes, den ersten und bedeutsamsten Teil der Redelehre, genug gesagt. Deshalb will ich, da ja der eine Teil in diesem und dem vorausgehenden Buch bis zum Ziel geführt ist und dieses Buch nicht gerade wenig Text enthält, in den übrigen Büchern sagen, was noch übrig bleibt.

M. TULLI CICERONIS

DE OPTIMO GENERE ORATORUM

M. TULLIUS CICERO

ÜBER DIE BESTE GATTUNG VON REDNERN

Oratorum genera esse dicuntur tamquam poetarum; id secus est, nam alterum est mulitplex. Poematis enim tragici, comici, epici, melici, etiam ac dithyrambici, quod magis est tractatum a Graecis quam a Latinis, suum cuiusque est, diversum a reliquis. Itaque et in tragoedia comicum vitiosum est et in comoedia turpe tragicum; et in ceteris suus est cuique certus sonus et quaedam intellegentibus nota vox. Oratorum autem si quis ita numerai plura genera, ut alios grandis aut gravis aut copiosos, alios tenuis aut subtilis aut brevis, alios eis interiectos et tamquam medios putet, de hominibus dicit aliquid, de re parum. In re enim, quid optimum sit, quaeritur, in homine dicitur, quod est. Itaque licet dicere et Ennium summum epicum poetam, si cui ita videtur, et Pacuvium tragicum et Caecilium fortasse comicum. Oratorem genere non divido; perfectum enim quaero. Unum est autem genus perfecti, a quo qui absunt, non genere differunt, ut Terentius ab Accio, sed in eodem genere non sunt pares. Optimus est enim orator, qui dicendo ánimos audientium et docet et delectat et permovet. Docere debitum est, delectare honorarium, permovere necessarium. Haec ut alius melius quam alius, concedendum est;

Von Rednern, sagt man, gebe es Gattungen wie von Dichtern; es ist aber anders, denn die andere Gattung ist vielfältig. Jede tragische, komische, epische, melische und sogar dithyrambische Dichtung hat - was mehr von den Griechen als von den Lateinern behandelt worden ist - ihre Eigenart und ist verschieden von den übrigen. Deshalb ist in einer Tragödie das Komische fehlerhaft und in einer Komödie das Tragische häßlich; und bei den übrigen Gattungen hat jede einen bestimmten Ton und einen gewissen Tonfall, der den Kennern bekannt ist. Was aber die Redner angeht, wenn hier jemand mehrere Gattungen in der Weise zählt, daß er die einen für erhaben, gewichtig oder wortreich, andere für schlicht, einfach oder sich kurz fassend, wieder andere für dazwischenliegend und gleichsam in der Mitte stehend hält, sagt er etwas über die Menschen, aber zu wenig über die Sache. Bei der Sache nämlich fragt man, was das Beste sei, beim Menschen sagt man, was es ist. Deshalb darf man Ennius den bedeutendsten epischen Dichter nennen, wenn es einem so erscheint, Pacuvius den tragischen und Caecilius vielleicht den komischen. Einen Redner teile ich nicht nach der Gattung ein; ich suche nämlich den vollkommenen. Es gibt aber nur eine Gattung des Vollkommenen; wer davon entfernt ist, unterscheidet sich nicht der Gattung nach, wie Terenz von Accius, sondern er ist in derselben Gattung nicht ebenbürtig. Der beste Redner ist nämlich, wer durch das Sprechen das Gemüt der Zuhörer belehrt, erfreut und erregt. Belehren ist Verpflichtung, Erfreuen geschieht den Zuhörern zu Ehren, Erregen ist notwendig. Daß dies der eine besser kann als der andere, muß man zuge-

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ORATORUM

verum id fit non genere, sed gradu. Optimum quidem unum est et proximum, quod ei simillimum. Ex quo perspicuum est, quod optimo dissimillimum sit, id esse deterrimum. Nam quoniam eloquentia constat ex verbis et ex sententiis, perficiendum est, ut pure et emendate loquentes, quod est Latine, verborum praeterea et propriorum et translatorum elegantiam persequamur: in propriis ut lautissima eligamus, in translatis ut similitudinem secuti verecunde utamur alienis. Sententiarum autem totidem genera sunt, quot dixi esse laudum. Sunt enim docendi acutae, delectandi quasi argutae, commovendi graves. Sed et verborum est structura quaedam duas res efficiens, numerum et levitatem, et sententiae suam compositionem habent, et ad probandam rem accommodatum ordinem. Sed earum omnium rerum ut aedificiorum memoria est quasi fundamentum, lumen actio.

Ea igitur comnia in quo summa erunt, erit perfectissimus orator; in quo media, mediocris; in quo minima, deterrimus. Et appellabuntur omnes oratores, ut pictores appellantur etiam mali, nec generibus inter sese, sed facultatibus different. Itaque nemo est orator, qui Demostheni se similem nolit esse; at Menander Homeri noluit; genus enim erat aliud. Id non est in oratoribus aut, etiam si est, ut alius gravitatem sequens subtilitatem

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ÜBER

DIE BESTE

GATTUNG

VON R E D N E R N

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ben; aber das geschieht nicht der Gattung, sondern der Abstufung nach. Es gibt freilich nur ein Bestes, und diesem ist am nächsten, was ihm am ähnlichsten ist. Daraus wird klar, daß das das Schlechteste ist, was dem Besten am unähnlichsten ist. Denn da ja die Beredsamkeit aus Worten und aus Gedanken besteht, muß man es zustande bringen, daß wir, wenn wir sauber und fehlerfrei - das bedeutet: lateinisch - sprechen, außerdem die Korrektheit der Worte in ihrer eigenen und übertragenen Bedeutung erreichen: bei den Worten in ihrer eigenen Bedeutung, daß wir die von feinstem Ton auswählen, bei denen in übertragener Bedeutung, daß wir uns an die Ähnlichkeit halten und uneigentliche in Maßen gebrauchen. Es gibt aber ebenso viele Arten von Gedanken wie von Lobreden, so wie ich sagte. Zum Belehren nämlich gibt es scharfsinnige, zum Erfreuen gewissermaßen geistreiche, zum Erregen gewichtige. Aber es gibt einen bestimmten Bau der Worte, welcher zweierlei bewirkt, Rhythmus und geschmeidigen Fluß des Ausdrucks, und die Gedanken haben ihre eigene Anordnung und Aufeinanderfolge, welche dem Beweis einer Sache angepaßt ist. Aber für diese Dinge alle ist wie für Bauwerke das Sicheinprägen gewissermaßen die Grundlage, ihr Licht der Vortrag. Derjenige also, bei welchem dies alles in höchstem Maße vorhanden ist, ist der vollkommenste Redner; bei welchem mäßig, ein mittelmäßiger, bei welchem in sehr geringem Maße, der schlechteste. Und sie alle werden als Redner bezeichnet, wie als Maler auch die schlechten Maler bezeichnet werden, und sie unterscheiden sich nicht nach Gattungen, sondern nach Fähigkeiten. Deshalb gibt es keinen Redner, der nicht Demosthenes ähnlich sein wollte; doch Menander wollte nicht Homer ähnlich sein; die Gattung ist nämlich eine andere. Dies ist nicht der Fall bei den Rednern oder, auch wenn es der Fall ist, daß der eine Feierlichkeit verfolgt und

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DE O P T I M O G E N E R E

ORATORUM

fugiat, contra alius acutiorem se quam ornatiorem velit, etiam si est in genere tolerabilis, certe non est optimus, si quidem, quod omnis laudes habet, id est optimum. Haec autem dixi brevius quidem, quam res petebat, sed ad id, quod agimus, non fuit dicendum pluribus; unum enim cum sit genus, id quale sit, quaerimus. Est autem tale, quale floruit Athenis; ex quo Atticorum oratorum ipsa vis ignota est, nota gloria. Nam alteram multi viderunt vitiosi nihil apud eos esse, alteram pauci, laudabilia esse multa. Est enim vitiosum in sententia, si quid absurdum aut alienum aut non acutum aut subinsulsum est; in verbis, si inquinatum, si abiectum, si non aptum, si durum, si longe petitum. Haec vitaverunt fere omnes, qui aut Attici numerantur aut dicunt Attice. Sed qui eatenus valuerunt, sani et sicci dumtaxat habeantur, sed ita ut palaestritae; spatiari in xysto ut liceat, non ab Olympiis coronam petant. Q u i cum careant omni vitio, non sunt contenti quasi bona valetudine, sed viris, lacertos, sanguinem quaerunt, quandam etiam suavitatem coloris, eos imitemur, si possumus; si minus, illos potius, qui incorrupta sanitate sunt, quod est proprium Atticorum, quam eos, quorum vitiosa abundantia est, qualis Asia multos tulit. Q u o d cum faciemus - si modo id ipsum assequemur; est einim permagnum - , imitemur, si potuerimus, Lysiam et eius quidem tenuitatem potissimum; est enim

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Ü B E R D I E B E S T E G A T T U N G VON

REDNERN

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Einfachheit aus dem Wege geht, ein anderer dagegen scharfsinniger als schmuckvoll sein will, so ist er, auch wenn er in seiner Gattung leidlich tragbar ist, sicher nicht der beste, wenn nämlich das, was alle Vorzüge hat, das Beste ist. Dies aber habe ich freilich kürzer gesagt, als es die Sache erforderte, aber zu dem, was ich beabsichtige, hätte nicht mit mehr Worten gesprochen werden müssen; da es nämlich nur eine einzige Gattung gibt, fragen wir, von welcher Art sie ist. Sie ist aber von der Art, wie sie in Athen in Blüte stand; hinsichtlich dieser ist die Bedeutung der attischen Redner unbekannt, bekannt ihr Ruhm. Denn das eine haben viele gesehen, daß es bei ihnen nichts Fehlerhaftes gibt, das andere wenige, daß vieles lobenswert ist. Es ist nämlich fehlerhaft an einem Gedanken, wenn etwas widersinnig, unangebracht, nicht scharfsinnig oder etwas abgeschmackt ist; an den Worten, wenn unrein, wenn nachlässig hingeworfen, wenn nicht verknüpft, wenn derb, wenn weit hergeholt. Dies haben fast alle vermieden, die zu den Attikern gezählt werden oder attisch sprechen. Aber die, welche seither etwas galten, sollen genau genommen für gesund und schlicht gehalten werden, aber so wie die Ringer; sie mögen in einem bedeckten Säulengang herumspazieren, aber nicht bei den Olympischen Spielen um die Siegeskrone kämpfen. Obwohl diese von jedem Fehler frei sind, sind sie nicht zufrieden mit ihrer so ziemlich guten Gesundheit, sondern sie suchen Kraft, Muskeln, Blut, auch eine gewisse anmutige Farbe; diese werden wir nachahmen, wenn wir können; wenn nicht, dann eher jene, welche eine unverdorbene Gesundheit besitzen - dies ist Eigenart der Attiker - als diejenigen, deren überladene Sprache fehlerhaft ist - solche hat Asien viele hervorgebracht. Wenn wir dies tun falls wir nur gerade das erreichen; es ist nämlich etwas sehr Großes - , laßt uns, wenn wir können, Lysias nachahmen und vor allem dessen Schlichtheit; er ist nämlich an vielen Stellen

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multis locis grandior, sed quia et privatas ille plerasque et eas ipsas aliis et parvarum rerum causulas scripsit, videtur esse ieiunior, cum se ipse consulto ad minutarum causarum genera limaverit. Q u o d qui ita faciet, ut, si cupiat uberior esse, non possit, habeatur sane orator, sed de minoribus; magno autem oratori etiam ilio modo saepe dicendum est in tali genere causarum. Ita fit, ut Demosthenes certe possit summisse dicere, elate Lysias fonasse non possit. Sed si eodem modo putant exercitu in foro et in omnibus templis, quae circum forum sunt, collocato dici pro Milone decuisse, ut si de re privata ad unum iudicem diceremus, vim eloquentiae sua facúltate, non rei natura metiuntur.

Q u a re quoniam non nullorum sermo iam increbruit partim se ipsos Attice dicere, partim neminem nostrum dicere, alteros neglegamus; satis enim eis res ipsa responded cum aut non adhibeantur ad causas aut adhibiti derideantur; nam si rideretur, esset id ipsum Atticorum. Sed qui dici a nobis Attico more nolunt, ipsi autem se non oratores esse profitentur, si teretes auris habent intellegensque iudicium, tamquam ad picturam probandam adhibentur etiam inscii faciendi cum aliqua sollertia iudicandi; sin autem intellegentiam ponunt in audiendi fastidio ñeque eos quicquam excelsum magnificumque delectat, dicant se quiddam subtile et politum velie, grande ornatumque contemnere; id vero desinant dicere,

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ÜBER

DIE

BESTE

GATTUNG

VON

REDNERN

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erhabener, aber weil er die meisten Reden für Privatprozesse und gerade diese für andere und zwar nur für Bagatellprozesse geschrieben hat, erscheint er ziemlich trocken, da er sich selbst absichtlich für die Arten unbedeutender Prozesse zugeschliffen hat. Wer dies in der Weise tut, daß er, falls er wortreicher sein möchte, es nicht kann, den soll man zwar für einen Redner halten, aber einen der geringeren; ein großer Redner aber muß auch auf jene Weise oft in einer solchen Art von Prozessen reden. So kommt es, daß Demosthenes sicher anspruchslos sprechen kann, Lysias aber vielleicht nicht erhaben. Aber wenn man glaubt, man hätte für Milo, obwohl ein Heer auf dem Forum und in vielen Tempeln, die um das Forum liegen, zusammengezogen war, in der nämlichen Weise sprechen müssen, wie wenn man über eine Privatsache vor einem einzigen Richter spricht, mißt man die Gewalt der Beredsamkeit an seiner eigenen Fähigkeit, nicht nach der Natur der Sache. Deshalb laßt uns, da sich ja die Aussage mancher schon verbreitet hat, teils sie selbst sprächen attisch, teils niemand von uns spreche es, nicht um die zweiten kümmern; zur Genüge nämlich antwortet ihnen die Sache selbst, da sie entweder nicht zu Prozessen zugezogen werden oder, wenn sie zugezogen sind, ausgelacht werden; denn wenn gelacht würde, wäre dies schon ein Kennzeichen der Attiker. Doch die, welche nicht wollen, daß von uns attisch gesprochen wird, aber frei bekennen, selbst keine Redner zu sein, werden, wenn sie feine Ohren und das Urteil eines Kenners haben, herangezogen, wie zur Beurteilung eines Gemäldes auch die herangezogen werden, welche es nicht schaffen können, aber geschickt im Urteil sind; wenn sie aber Kennerschaft in Mäkelsucht beim Zuhörer bestehen lassen und sie nichts Herausragendes und Pathetisches erfreut, sollen sie sagen, sie wollten das Einfache und Geschmackvolle, sie verachteten das Erhabene und das

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DE O P T I M O G E N E R E

ORATORUM

qui subtiliter dicant, eos solos Attice dicere, id est quasi sicce et integre. Et ample et ornate et copiose cum eadem integritate Atticorum est. Quid? dubium est, utrum orationem nostram tolerabilem tantum an etiam admirabilem esse cupiamus? Non enim iam quaerimus, quid sit Attice, sed quid sit optime dicere. Ex quo intellegitur, quoniam Graecorum oratorum praestantissimi sint ei, qui fuerint Athenis, eorum autem princeps facile Demosthenes, hune si qui imitetur, eum et Attice dicturum et optime, ut, quoniam Attici nobis propositi sunt ad imitandum, bene dicere id sit Attice dicere.

Sed cum in eo magnus error esset, quale esset id dicendi genus, putavi mihi suscipiendum laborem utilem studiosis, mihi quidem ipsi non necessarium. Converti einim ex Atticis duorum eloquentissimorum nobilissimas orationes inter seque contrarias, Aeschinis et Demosthenis; nec converti ut interpres, sed ut orator, sententiis isdem et earum formis tamquam figuris, verbis ad nostram consuetudinem aptis. In quibus non verbum pro verbo necesse habui reddere, sed genus omne verborum vimque servavi. Non enim ea me adnumerare lectori putavi oportere, sed tamquam appendere. Hic labor meus hoc assequetur, ut nostri homines, quid ab illis exigant, qui se Atticos volunt, et ad quam eos quasi formulam dicendi revocent, intellegant.

'Sed exorieturThucydides; eius enim quidam eloquen-

ι;

Ü B E R D I E BESTE G A T T U N G V O N R E D N E R N

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Schmuckvolle; sie sollen aber aufhören zu sagen, allein diejenigen, welche einfach sprechen, sprächen attisch, d. h. gewissermaßen schlicht und rein. Großartig, schmuckvoll und wortreich, ebenso verbunden mit der nämlichen Reinheit, ist Kennzeichen der Attiker. Wie nun? Besteht ein Zweifel, ob wir danach verlangen, daß unsere Rede nur erträglich oder daß sie auch bewundernswert ist? Wir fragen nämlich nicht mehr, was es heißt, attisch, sondern was es heißt, sehr gut zu sprechen. Daraus erkennt man, da ja die vortrefflichsten griechischen Redner diejenigen sind, welche in Athen lebten, der angesehenste von diesen aber leicht Demosthenes ist, daß einer, wenn er diesen nachahmt, attisch und sehr gut sprechen wird; da uns ja die Attiker zur Nachahmung vor Augen gestellt sind, heißt gut sprechen attisch sprechen. Aber da hierin ein großer Irrtum bestand, von welcher Art diese Redegattung sei, glaubte ich, die Mühe auf mich nehmen zu müssen, welche nützlich für die Studierenden, für mich selbst freilich nicht notwendig ist. Ich habe nämlich die berühmtesten und untereinander gegensätzlichen Reden der zwei redegewandtesten Attiker, Aischines und Demosthenes, übersetzt; aber ich habe sie nicht wie ein Ubersetzer übersetzt, sondern wie ein Redner, mit den nämlichen Gedanken und ihren Ausdrücken, gleichsam Redefiguren, wobei aber die Worte an unsere Sprache gebunden sind. Dabei hielt ich es nicht für notwendig, Wort für Wort wiederzugeben, sondern ich bewahrte die Art der Worte insgesamt und ihre Bedeutung. Ich glaubte nämlich, sie dem Leser nicht zuzählen, sondern gleichsam zuwägen zu müssen. Diese meine Arbeit wird erreichen, daß unsere Landsleute erkennen, was sie von jenen fordern können, die Attiker sein wollen, und welchen Maßstab für eine Rede gewissermaßen sie an diese anlegen können. »Aber Thukydides wird sich (gegen dich) erheben; denn

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ORATORUM

tiam admirantur.' Id quidem recte; sed nihil ad eum oratorem, quem quaerimus. Aliud est enim explicare res gestas narrando, aliud argumentando criminan crimenve dissolvere; aliud narrantem tenere auditorem, aliud concitare. 'At loquitur pulchre.' Num melius quam Plato? Necesse est tarnen oratori, quem quaerimus, controversias explicare forensis dicendi genere apto ad docendum, ad delectandum, ad permovendum. Q u a re si quis erit, qui se Thucydideo genere causas in foro dicturum esse profiteatur, is abhorrebit etiam a suspicione eius, quod versatur in re civili et forensi; sin Thucydidem laudabit, adscribat suae nostram sententiam.

Quin ipsum Isocratem, quem divinus auctor Plato suum fere aequalem admirabiliter in Phaedro laudari fecit ab Socrate quemque omnes docti summum oratorem esse dixerunt, tamen hunc in numerum non repono. Non enim in acie versatur nec ferro, sed quasi rudibus eius eludit oratio. A me autem, ut cum maximus minima conferam, gladiatorum par nobilissimum inducitur, Aeschines, tamquam Aeserninus, ut ait Lucilius, non spurcus homo, sed acer et doctus

cum Pacideiano hic componitur, - optimus longe post homines natos

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ÜBER

D I E B E S T E G A T T U N G VON R E D N E R N

}JI

dessen Beredsamkeit bewundern bestimmte Leute.« Dies tun sie freilich zu Recht; aber das bringt nichts für den Redner, welchen wir suchen. Das eine ist es nämlich, Geschehnisse durch Schildern zu verdeutlichen, etwas anderes, durch eine Beweisführung zu beschuldigen oder eine Beschuldigung zu widerlegen; das eine, indem man schildert, den Zuhörer einzunehmen, etwas anderes, ihn aufzustacheln. »Aber er spricht doch schön.« - Etwa besser als Piaton? Es ist notwendig für den Redner, welchen wir suchen, Widersprüche vor Gericht zu verdeutlichen durch feine Sprechweise, welche geeignet ist zum Belehren, zum Erfreuen und zum Erregen. Wenn es deshalb jemanden gibt, der frei bekennt, er werde in der Art des Thukydides Prozesse auf dem Forum führen, so ist dieser auch weit von dem Verdacht entfernt, er kenne sich in politischen und gerichtlichen Angelegenheiten aus; wenn er aber Thukydides lobt, soll er zu seiner unsere Meinung dazuschreiben. Sogar den Isokrates selbst, welchen der göttliche Autor Piaton - sie waren beinahe Zeitgenossen - im "Phaedrus" voll Bewunderung von Sokrates loben ließ und welchen alle Gelehrten den bedeutendsten Redner nannten, versetze ich dennoch nicht in diesen Rang. Er kämpft nämlich nicht in offener Feldschlacht und benützt kein Schwert aus Eisen, sondern seine Rede pariert gewissermaßen mit Holzschwertern. Von mir aber wird, um mit dem Größten das Geringste zu vergleichen, das Paar der berühmtesten Gladiatoren eingeführt; Aischines wird hier so wie Aeserninus, kein unflätiger Mann, wie Lucilius sagt, sondern ein scharfsinniger und gelehrter mit Pacideianus zusammengebracht - der weitaus der beste seit Erschaffung der Menschen.

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DE OPTIMO GENERE ORATORUM

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Nihil enim ilio oratore arbitrar cogitari posse divinius. Huic labori nostro duo genera reprehensionum opponuntur. Unum hoc: 'Verum melius Graeci.' A quo quaeratur, ecquid possint ipsi melius Latine. Alterum: 'Quid istas potius legam quam Graecas?' Idem Andriam et Synephebos nec minus Andromacham aut Antiopam aut Epígonos Latinos recipiunt. Quod igitur est eorum in orationibus e Graeco conversis fastidium, nullum cum sit in versibus?

Sed adgrediamur iam, quod suscepimus, si prius exposuerimus, quae causa in iudicium deducta sit. Cum esset

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l e x A t h e n i s , NE QUIS POPULI SCITUM FACERET, UT QUISQUAM

CORONA

DONARETUR

IN

MAGISTRATO

PRIUS,

QUAM RATIONES RETTULISSET; et a l t e r a l e x , EOS, QUI A POPULO D O N A R E T U R , IN CONTIONE DONARI DEBERE;

QUI A SENATO, IN SENATO, Demosthenes curator mûris reficiendis fuit eosque refecit pecunia sua; de hoc igitur Ctesiphon scitum fecit nullis ab ilio rationibus relatis, ut corona aurea donaretur eaque donatio fieret in theatro populo convocato, qui locus non est contionis legitimae, atque

ita p r a e d i c a r e t u r

BENEVOLENTIAEQUE,

EUM DONARI VIRTUTIS

QUAM IS ERGA POPULUM

ERGO ATHE-

NIENSEM HABERET. Hune igitur Ctesiphontem in iudicium adduxit Aeschines, quod contra leges scripsisset, ut

20

20

Ü B E R D I E B E S T E G A T T U N G VON R E D N E R N

353

Ich glaube nämlich, daß nichts Göttlicheres als jener Redner ausgedacht werden kann. Dieser meiner Arbeit werden zwei Arten von Einwänden entgegengesetzt. Der eine ist folgender: »Aber die Griechen machten es besser.« Diesen soll man fragen, ob sie wohl etwas besser auf Lateinisch könnten. Der zweite lautet: »Was soll ich eher diese Ubersetzungen lesen als die griechischen Originale?« Die nämlichen nehmen die »Andria«, die »Synepheben« ebenso wie die »Andromache« oder die »Antiopa« oder die »Epigoni« in lateinischer Sprache. Was soll also ihr Widerwille gegen Reden, welche aus dem Griechischen übersetzt sind, da sie gegen Verse keinen haben? Aber laßt uns nun in Angriff nehmen, was wir begonnen haben, wenn wir vorher dargestellt haben, was für ein Fall vor Gericht gebracht wurde. In Athen lautete ein Gesetz : KEINER DÜRFE EINEN VOLKSBESCHLUSS HERBEIFÜHREN, DASS JEMAND WÄHREND SEINER A M T S Z E I T MIT EINEM K R A N Z BESCHENKT WERDE, BEVOR ER R E C H E N S C H A F T ABGELEGT HAT; u n d

zweites Gesetz lautete:

ein

D I E J E N I G E N , WELCHE VOM V O L K BE-

SCHENKT WÜRDEN, MÜSSTEN IN DER VOLKSVERSAMMLUNG BE-

Demosthenes war Vorsteher der für die Ausbesserung der Stadtmauern zuständigen Behörde und ließ diese auf eigene Kosten ausbessern. Darüber also führte Ktesiphon einen Volksbeschluß herbei, ohne daß von jenem Rechenschaft abgelegt war, er solle mit einem goldenen Kranz beschenkt werden und diese Schenkung solle im Theater stattfinden, nachdem das Volk zusammengerufen sei - dies ist nicht der Ort für eine gesetzmäßige Volksversammlung - , und es solle folgendermaßen verkündet werden: E R WERDE ALSO DESHALB FÜR SCHENKT WERDEN; WELCHE VOM SENAT, IM SENAT.

SEINE VERDIENSTE UND DAS W O H L W O L L E N , WELCHES ER GEGEN DAS VOLK DER A T H E N E R HEGE, BESCHENKT. Diesen Ktesiphon also brachte Aischines vor Gericht, weil er gegen die

354

DE O P T I M O G E N E R E

ORATORUM

et rationibus non relatis corona donaretur et ut in theatro, et quod de virtute eius et benevolentia falsa scripsisset, cum Demosthenes nec vir bonus esset nec bene meritus de civitate.

Causa ipsa abhorret illa quidem a formula consuetudinis nostrae, sed est magna. Habet enim et legum interpretationem satis acutam in utramque partem et meritorum in rem publicam contentionem sane gravem. Itaque causa fuit Aeschini, cum ipse a Demosthene esset capitis accusants, quod legationem ementitus esset, ut ulciscendi inimici causa nomine Ctesiphontis iudicium fieret de factis famaque Demosthenis. Non enim tam multa dixit de rationibus non relatis, quam de eo, quod civis improbus ut optimus laudatus esset. Hanc multam Aeschines a Ctesiphonte petivit quadriennio ante Philippi Macedonis mortem; sed iudicium factum est aliquot annis post Alexandre iam Asiam tenente; ad quod iudicium concursus dicitur e tota Graecia factus esse. Quid enim tam aut visendum aut audiendum fuit quam summorum oratorum in gravissima causa accurata et inimicitiis incensa contentio? Quorum ego orationes si, ut spero, ita expressero virtutibus utens illorum omnibus, id est sententiis et earum figuris et rerum ordine, verba persequens eatenus, ut ea non abhorreant a more nostro - quae si e Graecis omnia conversa non erunt, tarnen ut generis eiusdem

23

Ü B E R D I E B E S T E G A T T U N G VON R E D N E R N

355

Gesetze geschrieben habe, er solle, ohne Rechenschaft abgelegt zu haben, mit einem Kranz beschenkt werden und dies im Theater, und weil er über dessen Verdienste und sein Wohlwollen Falsches geschrieben habe, da Demosthenes weder ein tüchtiger Mann sei noch sich um den Staat verdient gemacht habe. Jener Fall selbst freilich ist weit entfernt von unseren gewöhnlichen Gerichtsverfahren, aber er ist bedeutend. Er enthält nämlich eine genügend scharfsinnige Erklärung der Gesetze in beide Richtungen und eine durchaus gewichtige vergleichende Gegenüberstellung der Verdienste um den Staat. U n d da er selbst von Demosthenes wegen eines Kapitalverbrechens angeklagt war, weil er eine Gesandtschaft erlogen hätte, war dies für Aischines ein Grund, daß um der Rache an diesem Feinde willen ein Gerichtsverfahren unter dem N a men Ktesiphons stattfand über die Taten und den Ruf des Demosthenes. Er sagte nämlich weniger darüber, daß keine Rechenschaft abgelegt worden sei, als darüber, daß ein unredlicher Mitbürger wie der beste gelobt worden sei. Diese Strafe forderte Aischines von Ktesiphon vier Jahre vor dem Tode Philipps von Makedonien; aber das Gerichtsverfahren fand erst einige Jahre, nachdem Alexander schon Asien beherrschte, statt; zu diesem Gerichtsverfahren sollen Menschen aus ganz Griechenland zusammengelaufen sein. Denn was war so sehens- und hörenswert wie der sorgfältig durchgeführte und durch persönliche Feindschaft angefachte Streit der bedeutendsten Redner in einem sehr gewichtigen Prozeß? Wenn ich deren Reden, wie ich hoffe, so nachbilde, indem ich alle ihre Vorzüge verwende, d. h. ihre Gedanken, deren Figuren und die Reihenfolge der Dinge, indem ich die Worte insoweit nachahme, daß sie von unserem Sprachgebrauch nicht weit entfernt sind - wenn diese nicht alle aus dem Griechischen übersetzt sind, so habe ich mich dennoch angestrengt,

356

DE OPTIMO G E N E R E

ORATORUM

sint, elaboravimus - , erit regula, ad quam eorum dirigantur orationes, qui Attice volent dicere. Sed de nobis satis. Aliquando enim Aeschinem ipsum Latine dicentem audiamus.

23

ÜBER

D I E B E S T E G A T T U N G VON R E D N E R N

357

daß sie von der nämlichen Art sind - , wird dieses Übersetzung eine Richtschnur sein, an welcher sich die Reden derer ausrichten mögen, welche attisch sprechen wollen. Aber genug von mir. Wollen wir endlich Aischines selbst lateinisch sprechen hören!

ANHANG

ZUM TEXT

Der vorliegenden Ausgabe ist der lateinische Text von Stroebel zugrunde gelegt. An folgenden Stellen sind andere Lesarten bevorzugt: Stroebel

Tusculum

1.5

neque Laelium neque eorum, ut vere dicarrt, discipulum Africanum neque Gracchos Africani nepotes

1.9

verborum ad inventionem perceptio

1.65

Hic propostilo summopere... summo opere confirmaris; tum ab eis,... demonstran, hoc modo: 'illud docuimus, illud planum fecimus. ' Ita simul... Vgl. Hubbell: confirmaris; hoc modo: 'Illud docuimus, illud planum fecimus,' tum ab eis... demonstran. Ita simul... officio suo intellectu vitiorum...

neque Laelium neque Africanum neque eorum, ut vere dicam, discípulos Gracchos Africani nepotes (Hubbell) verborum et dispositionis praeceptio (s. Anm. zur Stelle, Und Stoff und Teile) Haec propositio (Hubbell) summo opere... summo opere (Hubbell) confirmaris; tum ab eis... demonstran. Ita simul... (s. W.Friedrich, 1884, C und 168: demonstrari[hoc modo... fecimus. '])

1.66

1,98

2

>37

2,73

ex quo

officio intelletto (Hubbell) vitiorum esse ostendetur (Hubbell) ex qua (Hubbell)

36Z

ZUM

TEXT

2,84

animum advertere, ... animum adv. qui animum advertit

2,107

consanguineum* aut iam a maioribus imprimis amicum esse (demonstrabit) et amplitudinem

2,109

eum

2,146 2,164

videatur alicuius '-imectionis

*ob potestatem

animadvertere, ... animadv. (Hubbell) qui animadverterit (Hubbell) consanguineum magnis et principibus viris aut iam a maioribus imprimis amicum esse demonstrabit et amplitudinem (Hubbell) eum oblata potestate (Hubbell) videtur (Hubbell) alicuius inferioris (Hubbell; s. dort S. 33of., Anm. a)

EINFÜHRUNG DE

ZU

INVENTIONE

Im Proömium zu De oratore, niedergeschrieben im Jahre 55 v. Chr., distanziert sich Cicero von seinem rhetorischen Jugendwerk De inventione mit folgenden Worten: quae pueris aut adulescentulis nobis ex commentariolis nostris incohata ac rudia exciderunt, vix sunt bacaetate digna et hoc usu, quem ex causis, quas diximus, tot tantisque consecuti sumus - »was aus den Entwürfen meiner Kindheit oder frühen Jugend versehentlich bekannt geworden ist, entspricht in seiner Unvollkommenheit und Rohheit kaum meinem Alter und der Erfahrung, die ich bei so vielen bedeutenden Prozessen, die ich führte, gewonnen habe.«' Zwischen den beiden erwähnten Werken, dem Handbuch oder Leitfaden De inventione und seinem Meisterwerk De oratore liegen etwa drei Jahrzehnte, ein für den römischen Staat und für C i cero äußerst wechselvoller und schicksalsträchtiger Zeitraum. ι Cie. De or. 1,$; (übers, von H. Merklin, Stuttgart 1976).-Quintilian, inst. 3,6,59, äußert sich im Anschluß an diese Stelle aus De inventione ebenfalls negativ über Ciceros Jugendwerk. - M. v. Albrecht, 1992, S. 467, nennt De inventione ein »praxisorientiertes Lehrbuch«, De oratore ein »literarisch geformtes Sachbuch«. Zur späteren Selbstkritik Ciceros, sein Jugendwerk betreffend, stellt er die Frage: »Sollte er sich deswegen später von dieser Schrift distanziert haben, weil sie allzu offenherzig die Mechanismen der rhetorischen Erfindung preisgibt?« (ebd. S. 436) - Vgl. auch die Aussage Büchners (1964, S. 49): »Wenn Cicero auch kein Meisterwerk geglückt ist - Cicero verleugnete das Werk später; dennoch wurde es vor allem im Mittelalter eines der gelesensten Lehrbücher - , so zeigt die Schrift doch eine erstaunliche Sprachgewandtheit, ein reges philosophisches Interesse, Leidenschaft für die Seinsfrage und eine erhebliche Selbständigkeit.« An anderer Stelle (S. 62) bemerkt Büchner zu De inventione·. «...vielleicht ist seine Existenz sogar mit ein Grund gewesen, in der aufgezwungenen Muße mit de oratore etwas wieder gutzumachen.«

364

EINFÜHRUNG

Stichworthaltig seien angeführt: Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla (88-82), Sullas Diktatur (82-79), Ciceros Bildungsreise nach Griechenland und Kleinasien (79-77), Reden gegen Verres (70), Ciceros Konsulat mit der Niederwerfung der Catilinarischen Verschwörung (63), Triumvirat zwischen Caesar, Pompeius und Crassus (60), Caesars Statthalterschaft in Gallien und Gallischer Krieg (58-51), Ciceros Verbannung (58-57). De inventione ist die erste Schrift des jungen Cicero; De oratore entstand in seiner Schaffensperiode zwischen 55 und 51 die übrigen rhetorischen Werke schrieb er in seiner letzten Schaffensperiode (ab 46): Brutus, Orator, De optimo genere oratorum,} Partitiones oratoriae, Paradoxa Stoicorum ad M. Brutum (46), Ad M. Trebatium Topica (44). De inventione oder Rhetorid libri - so der ursprüngliche Titel·· - verfaßte Cicero also noch während seiner Ausbildung zum Redner in Rom, bevor er erstmals als patronus vor Gericht auftrat.' Der Knabe Marcus war zusammen mit seinem Bruder Quintus nach Rom gekommen, um sich für die übliche Laufbahn auf dem Forum vorzubereiten. Besonders von dem hochangesehenen Lucius Licinius Crassus (140-91) wurden die beiden Brüder sehr gefördert und tüchtigen Lehrern zugeführt. Von den Vorträgen des - uns namentlich nicht bekannten - rhetor Latinus, 2 Nach der Rückkehr aus dem Exil war Cicero politisch kaltgestellt und widmete sich überwiegend der wissenschaftlichen Schriftstellerei; auch De re publica und De legibus entstanden in dieser Zeit. 3 Zur Echtheit dieser Schrift s. die Einführung dazu (S. 390 u. Anm. 6). 4 Unter diesem Titel wird die Schrift von Quintilian zitiert und in den Handschriften überliefert. (Zum Verhältnis zwischen De inventione und Rhetorica ad Herennium S. 383 ff.) 5 Seine erste Rede als Verteidiger in einem Zivilprozeß hielt Cicero 81 : Pro Quinctio; im Jahre 80 verteidigte er Sex. Rosaus aus Ameria in einem politisch brisanten Strafprozeß erfolgreich gegen die falsche und hinterhältige Anklage wegen Vatermordes; zu dieser Rede s. neuerdings Fuhrmann, 1997, S. 71 ff., bes. S. 73-75 (zu §§ 14-16-narratio), 75-78 (zu §§ 12 5 f.—argumentativ)) und 78 f. (zu §§ 153 ff. -peror at10).

ZU DE

INVENTIONE

365

der sie in das System der griechisch-römischen R h e t o r i k einführte, w a r C i c e r o offensichtlich so sehr angetan, d a ß er sich entschloß, sein Vorlesungsskriptum z u einem H a n d b u c h auszuarbeiten. U r s p r ü n g l i c h hatte er beabsichtigt, in diesem Leitfaden alle fünf officia oratoris (inventio,

disposino,

elocutio,

memoria,

actio) abzuhandeln, d o c h die beiden B ü c h e r , die er fertigstellte, haben nur die inventio

zum G e g e n s t a n d ; daher der heute übliche

Titel. W a r u m C i c e r o seinen Plan nicht z u E n d e führte, wissen w i r nicht. 6 G e s c h r i e b e n w u r d e De inventione

w o h l in d e m Z e i t -

raum v o n 86 bis 84, e t w a z u r gleichen Zeit, als auch der uns unbekannte Auetor

seine Rbetorica

ad Herennium

niederschrieb. 7

6 Daß er ursprünglich alle fünf officia oratoris und somit das gesamte rhetorische System darstellen wollte, geht aus dem Schluß des Werkes hervor (2,178)... de inventione... satis dictum videtur. Quae restant, in reliquis (sc. libris) dicemus. Weitere Hinweise darauf bieten 1,27: quae postea de elocutione praeeipientur, 1,29 : quo de genere dicendum est in praeeeptis elocutionis, 1,30: quo de genere agemus tum, cum de dispositione dicemus und 1,49: Horum exempla et descriptiones in praeeeptis elocutionis cognoscentur. 7 Zur Datierung der beiden Werke s. Adamietz, i960, S. 8-10. Für De inventione läßt sich als terminus post quem das Jahr 88 festlegen. Damals traf Philon von Larissa (160/1 j9-um 80), das Schulhaupt der platonischen Akademie, in Rom ein; er hatte Athen wegen des Bündnisses der Athener mit König Mithridates von Pontus verlassen. Cicero Schloß sich ihm sehr eng an und beschäftigte sich zunächst vornehmlich mit Philosophie; Gedanken Philons fanden in den Proömien zu den beiden Büchern von De inventione ihren Niederschlag. In Brutus 306 berichtet Cicero rückblickend:... totum ei me tradid admirabüi quodam adphilosopbiam studio concitatus. Seine rhetorischen Studien waren wohl zunächst weniger intensiv, da wegen der politischen Verhältnisse keine freie Rede mehr vor Gericht möglich w a r : . . . subUta lam esse in perpetuum ratio iudiciorum videbatur (Brutus 306). Uber die Jahre 86-84 jedoch schreibt Cicero (Brutus 308): Triennium fere fuit urbs sine armis... At vero ego hoc tempore omni nodes et dies in omnium doctrinarum meditatione versabar (Hervorhebungen vom Herausgeber). Büchner, 1964, S. 62-66, äußert sich ebenfalls zum gegenseitigen Ver-

366

EINFÜHRUNG

Diesen beiden ersten uns erhaltenen lateinischen rhetorischen Schriften ist eine lange blühende und fruchtbare Tradition der Redekunst und Theorie der Rhetorik in Griechenland vorausgegangen.

Die griechisch-römische Rhetorik v o r Cicero in Stichworten 8 Korax und Teisias aus Sizilien (5. J h . ) : Begründer der Τ έ χ ν η ρητορική. Gorgias von Leontinoi (um 480-380): Sophist; Schöpfer einer rhetorischen Stilistik; Begründer der Figurenlehre (sog. gorgianische Figuren - Γ ο ρ γ ί ε ι α σχήματα). Thrasymachos aus Chalkedon (2. Hälfte des 5. Jh.s): Sophist; Prosarhythmus! hältnis der beiden Werke. Für die Rhetorica ad Herennium nennt er als Entstehungszeit 86-82, De inventione setzt er zunächst zwischen 88 und 81 an. Aufgrund einer sprachlichen Analyse von zwei inhaltlich sich entsprechenden Abschnitten aus beiden Werken (Rh ad Η i,9f. und De inv. 1,23ff.) kommt er zu dem Schluß, »daß der auctor Cicero gekannt hat und an einer Stelle nachweislich benutzte. Cicero liegt also vor dem auctor, mindestens also vor 82« (a. O. S. 66). - Die Entstehungszeit von De inventione später anzusetzen, würde auch die eingangs zitierte Formulierung aus De oratore 1,5 : pueris aut adulescentulis nobis verbieten. 8 In dem folgenden stichwortartigen Uberblick über die Rhetorik in Griechenland und Rom vor Cicero werden lediglich die Namen der wichtigsten Theoretiker der Redekunst und für das Verständnis von De inventione wichtige Begriffe genannt; von der »praktischen Redekunst«, also von politischen Reden, Gerichtsreden usw. wird ganz abgesehen. Genauere Informationen bieten u.a. die im Literaturverzeichnis genannten Einführungen bzw. Handbücher von M. L. Clarke (1968), W. Eisenhut ('1982), M. Fuhrmann (4i995). Auch auf die Ausgabe der Rhetorica ad Herennium des Herausgebers (Tusculum 1994, S. 322-327) sei hingewiesen.

ZU DE INVENTIONE

367

Protagoras von Abdera (um 485-415): Sophist; τονήττω λόγον κρείτχω ποιείν - »die schwächere Sachen zur stärkeren machen« (s. Aristoteles, rhet. 2,24 [1402a]). Isokrates (436-338): Schüler des Gorgias; Logograph' später hat er eine eigene Schule ; programmatische Schrift : Κατά των σοφιστών - »Gegen die Sophisten«; 21 Reden sind erhalten. Anaximenes von Lampsakos: Verfasser der Rhetorica ad Alexandrian™ (um 340). Piaton (427-347): Auseinandersetzung mit den Sophisten;" Dialoge Gorgias und Phaidros. Aristoteles (384-322): Seine Rhetorik ist das bedeutendste aller Lehrbücher der Redelehre; Redekunst ist keine Wissenschaft (επιστήμη), sondern nur eine Fähigkeit (δύναμις); die drei Mittel der Überredung sind: ήθος - Charakter des Redners, πάθη Affekte, Emotionen der Zuhörer, πίστεις άτεχναι und εντεχναι - »untechnische« und »technische« Beweise.' 2

9 Logographen (λογόγραφοι) fertigten gegen Entgelt Gerichtsreden für andere an. In Athen mußte jedermann seine Sache selbst vor Gericht vortragen und durfte sich nicht wie in Rom durch einen Sachwalter (patronus) vertreten lassen; deshalb ließen viele Athener sich ihre Reden von anderen schreiben. Der Beruf eines Logographen war somit eintraglich, aber wenig geachtet. (Von Piaton -Phaidros 257 C - wird der Begriff als Schimpfwort gebraucht.) Die großen attischen Redner, auch Demosthenes, waren erst als Logographen tätig, bevor sie selbst als Redner auftraten; Isokrates hat dies als Greis abgestritten. 10 Dieses sophistische Lehrbuch der Rhetorik ist wegen eines gefälschten, angeblich an Alexander d. Gr. gerichteten Widmungsbriefes in das corpus Aristotelicum aufgenommen worden und so erhalten geblieben. (Fuhrmann, i960, S. 1 1 - 2 8 und 1 3 8 - 1 4 3 analysiert das Werk.) 1 1 Zu den Sophisten, Sokrates und Piaton s. Fuhrmann, i960, S. I 2 2 f f . : »Die Ursprünge des systematischen Lehrbuches«, und Fuhrmann, 1997, S. 14 ff. 12 Vgl. Cie. inv. i,47f. signum; s. auch Fuhrmann, i960 S. 138—142: »Die aristotelische Rhetorik und Anaximenes«.

368

EINFÜHRUNG

338: Sieg Philipps v o n M a k e d o n i e n ü b e r A t h e n e r u n d T h e b a ner bei Chaironeia: E n d e der politischen Beredsamkeit in G r i e chenland; die Redetheorie beschäftigt sich m e h r mit der G e richtsrede u n d stilistischen Fragen. Theophrast ( 3 7 1 - u m 287) unterscheidet den h o h e n , mittleren u n d schlichten Stil ( γ έ ν ο ς μ ε γ α λ ο π ρ ε π έ ς / ύ ψ η λ ό ν grande / sublime;

γ έ ν ο ς μ έ σ ο ν / μ ι κ τ ό ν - genus medium

tum; γ έ ν ο ς ί σ χ υ ό ν - genus subtile.

A n den Stil v o n R e d e n stellt

er vier F o r d e r u n g e n : Sprachrichtigkeit ( ' Ε λ λ η ν ι σ μ ό ς itas),

genus / mixLatin-

D e u t l i c h k e i t ( σ α φ ή ν ε ι α -perspicuitàs), A n g e m e s s e n h e i t

( π ρ έ π ο ν - aptum),

Redeschmuck (κόσμος -

omatus).

Hermagoras von Temnos (2. H ä l f t e des 2.Jh.s): Seine Τ έ χ ν α ι ρ η τ ο ρ ι κ ο ί w e r d e n die G r u n d l a g e des Rhetorikunterrichtes in R o m . 1 5 E r hat das System der R h e t o r i k erweitert d u r c h die Stasis-Lehre, in der »die ohnehin stark ausgeprägte N e i g u n g der R h e t o r e n z u r Z e r g l i e d e r u n g des S t o f f s in G a t t u n g e n u n d G r u p pen, U n t e r g r u p p e n u n d S p i e l a r t e n . . . sich z u w a h r e n O r g i e n der S y s t e m w u t steigerte«. 1 4 E r unterscheidet z w e i G a t t u n g e n v o n R e d e , v o n denen die eine allgemeine, grundsätzliche, abstrakte Fragen stellt ( θ έ σ ε ι ς - quaestiones

infinitae),

die andere k o n -

krete Fragen über bestimmte Sachverhalte u n d Personen ( υ π ο θ έ σεις - quaestiones

finitae

/ causae). Gerichtsreden g e h ö r e n der

z w e i t e n G a t t u n g an. Bei ihr geht es u m die Feststellung der jewei-

13 Nach dem Urteil Ciceros (Brutus 2,63) und das Tacitus (dial. 19,3) war das übersichtlich angelegte, nur fragmentarisch erhaltene Werk ungewöhnlich langweilig. In De inventione setzt sich Cicero mehrmals kritisch mit Hermagoras auseinander (1,8; 1,12-14; 1,97). Aus diesem Grunde und wegen des großen Einflusses des Hermagoras auf die römische Rhetorik wird seine Lehre hier etwas ausführlicher dargestellt. Weitere Literatur zu Hermagoras s. Lit.-Verz. S. 465. 14 Merklin (in: Μ. T. Cicero, De oratore - Über den Redner, lateinisch und deutsch, übers, und hg. von H. M., Stuttgart 1976).

ZU DE

INVENTIONE

369

ligen Streitfrage, um die Begründungsform des Streitfalles (constitutio causae). Entschieden werden muß die Frage entweder a) durch die Berufung auf Gesetze und anderes vorhandenes Beweismaterial (γένος νομικόν - genus legale) oder b) durch die Darstellung und Argumentation des Redners (γένος λογικόν genus rationale). Für a) gibt es vier verschiedene Streitfragen: a 1 : Widerspruch zwischen Sinn und Wortlaut eines Textes (κατά ρητόν και ύπεξαίρεσιν - scriptum et voluntas), a 2: Verschiedene Textstellen stehen sich entgegen (άνχινομία - leges contrariae), a 3 : die Formulierung des Textes ist mehrdeutig (άμφιβολία - ambiguitas), a 4: Man muß Schlüsse aus analogen Texten ziehen, da keine positive Textaussage vorhanden ist (συλλογισμός - collectio / ratiocinatio). Diese vier Streitfragen werden weiter in viele noch speziellere Streitfragen gegliedert. Auch b) wird zunächst in vier Streitfragen unterteilt: b 1: Der Sachverhalt selbst steht zur Debatte (στοχασμός - coniectura), b 2: Die Benennung des Sachverhaltes steht zur Debatte (όρος - definitio), b 3: Die juristische Beschaffenheit des Streitfalles steht in Frage (ποιητής - qualitas), b 4: Die Kompetenz des Klägers bzw. die Zuständigkeit des Gerichts wird angefochten (μετάληψις translatio). Besonders Β 3 wird weiter differenziert. In Rom wird die Rhetorik seit dem 2. Jh. zunächst durch griechische Redelehrer und Philosophen 1 ' vermittelt. L. Plotius Gallus (vor 120-56), der erste professionelle rhetor Latinus, begründet den Rhetorikunterricht in lateinischer Spra-

15 Daß auch die Rhetorik ebenso wie die übrige griechische Bildung zunächst auf den entscheidenden Widerstand der konservativen Kreise Roms stieß, zeigt ein Senatsbeschluß aus dem Jahre 161, durch den der Prätor M. Pomponius aufgefordert wird, Philosophen und Rhetoren aus der Stadt zu weisen: ... M. Pomponius senatum consuluit. Quod verba facta sunt de philosophis et rhetoribus, de ea re censuerunt, ut M. Pomponius praetor animadverteret curaretque, uti ei e república fideque sua videtur, uti Romae ne essent (Sueton, De rhetoribus 1).

37°

EINFÜHRUNG

che.16 Im Jahre 92 erlassen die Censoren L. Licinius Crassus und Cn. Domitius Ahenobarbus das berühmte Edikt gegen die rhetores Latini, das in erster Linie gegen Plotius gerichtet ist.' 7 Von den zwischen 90 und 80 erschienenen lateinischen rhetorischen Schriften sind nur die Rhetorica ad Herennium und De inventione erhalten.'8 16 Seneca Rhet. contr. 2, praef. : nam primus omnium Latinus rhetor Romae fuit puero Cicerone Plotius. - Quint, inst. 2,4,42: Latinos vere praeceptores extremis L. Crassi temporibus coepisse Cicero auctor est, quorum insignis maxime Plotius fuit. (Quintilian bezieht sich auf einen von Sueton De grammaticis et rhetoribus 26 erwähnten Brief Ciceros.) 17 Den Wortlaut des Ediktes überliefert ebenfalls Sueton, De grammaticis et rhetoribus 16: Cn. Domitius Ahenobarbus et L. Licinius Crassus censores ita edixerunt: Renuntiatum est nobis esse homines, qui novum genus disciplinae instituerunt, ad quos iuventus in ludum conveniat; eos sibi nomen imposuisse Latinos rhetores. Ibi homines adulescentulos dies totos desidere. Maiores nostri quae ¡iberos suos discere et quos in ludos itare vellent instituerunt. Haec nova, quae praeter consuetudinem et morem maiorum fiunt, neque placent ñeque recta videntur. Quapropter et iis, qui eo venire consuerunt, videtur faciundum, ut ostenderemus nostram sententiam nobis non piacere. In dem berühmten Exkurs zur Einheit von Rhetorik und Philosophie im dritten Buch von De oratore (3,52-143) begründet Crassus, warum er das Edikt erlassen hat: ...ingenia (sc. adulescentium) obtundi nolui, conroborari impudentiam »ich wollte nicht, daß ihr Verstand abstumpfte und ihre Unverschämtheit sich entwickelte«. (De or. 3,93 - Übersetzung von H. Merklin). Die Schule der rhetores Latini sei ein impudentiae ludus (De or. 3,94). Auch Tac. dial. 35,1 berichtet von diesem Edikt; er nennt die Rhetorenschule ebenso (ut ait Cicero) ein ludum impudentiae. - Zur Bedeutung des Edikts s. P. L. Schmidt, 1975, der sich gegen die These von Marx (Incerti auctoris de ratione dicendi ad C. Herennium libri IV, edidit Fridericus Marx. Lipsiae 1894) wendet, das Edikt des Jahres 92 sei eine »antipopuläre Maßnahme prohellenischer Optimalen« gewesen (a.O. S. ι8γ{.). 18 Zur Datierung von De inventione und der Rhetorica ad Herennium s. Anm. 7 und die Tusculum-Ausgabe der Herennius-Rhetorik des Herausgebers, 1994, S. 352, Anm. 18. - Zu Ciceros Verhältnis zur

ZU DE

INVENTIONE

Z u Inhalt, A u f b a u , Sprache u n d Stil v o n De

371 inventione

Der junge Cicero hatte, wie erwähnt, beabsichtigt, ein vollständiges Rhetorik-Kompendium zu verfassen, eine Gesamtdarstellung des Lehrgebäudes, wie es ihm im rhetorischen Unterricht vermittelt wurde. Warum er nur den ersten Teil fertigstellte, wissen wir, wie gesagt, nicht. Hielt er es nicht mehr f ü r angebracht, seine vielleicht nur f ü r den eigenen Gebrauch angefertigten A u f zeichnungen zu veröffentlichen? 1 ' K a m ihm der Autor der H e rennius-Rhetorik zuvor? Nahmen andere Studien und literarische Arbeiten ihn mehr in Anspruch? 1 " Fehlte es ihm an Zeit und Kraft, da er auf eine Karriere als Politiker und patronus hinarbeitete? Die beiden Bücher beschäftigen sich also mit dem ersten officium des Redners, der inventio. Das Werk ist folgendermaßen aufgebaut: 2 1

griechisch-römischen Schulrhetorik s. R. Weidner, Ciceros Verhältnis zur griechisch-römischen Schulrhetorik seiner Zeit, Diss. Erlangen 1925. 19 Vgl. De or. 1,5 incohata ac rudia exciderunt (s. S. 363 f.); H. Merklin, 1976, übersetzt »versehentlich (!) bekanntgeworden ist«. 20 Er übersetzte damals den Οικονομικός des Xenophon und die Φαινόμενα des Arat (Fuhrmann, 1989, S. 3 f.). 21 Vgl. die Aufbauschemata in Hubell, 1949, S. Xf., Adamietz, i960, S. 13, Fuhrmann, i960, S. 13, und A. Pacitti, 1967, S. 321 f. und Tab. I—XII. K. Büchner, 1964, analysiert ebenfalls De inventione·. S. 48 f. das Proömium zu Buch 2, S. 51-62 das Proömium zu Buch 1 und im Anhang S. 466-477 den Inhalt der beiden Bücher. - Bei den Erläuterungen zum Aufbau folge ich vorwiegend Fuhrmann, i960, S. j8ff.

EINFÜHRUNG

ERSTES ι- 5 a

BUCH

P r o ö m i u m : Rechtfertigung der Redekunst; nur zusammen mit sapientia bewirkt die eloquentia

5 b-9

Gutes

Grundbegriffe der Rhetorik: genus, officium,

finis;

materia, partes 6 genus: avilis ratio / sdentici; officium: dicere apposite ad persuasionem; finis: persuadere

dictione

7 materia: genera causarum: genus genus deliberativum,

demonstrativum,

genus iudiciale

(Aristoteles)

8 Auseinandersetzung mit Hermagoras 2 2 9 partes: inventio,

dispositio,

elocutio,

memoria,

pro-

nuntiatio

Lehre von der inventio Regeln für alle drei genera

causarum

Teil i : 10-19 a A b r i ß der Statuslehre und mit ihr zusammenhängender Begriffe 10-16

D i e vier

constitutiones:

constitutio

coniecturalis

constitutio definitiva

(a)

(b)

constitutio generalis (c) constitutio translativa

(d)

10 Begriffsbestimmungen 11 z u a und b 12-15

z u

c

( i 2 - i 4 a Auseinandersetzung mit Hermagoras) 16 z u d 17a causa simplex und 17 b - ! 8 a controversia i8b-i9a 22 Vgl. 1,12-14

un£l

contunda in ratione und in scripto

quaestio, ratio, iudtcatio, I>97·

firmamentum

ZU DE

Teil 2: iyb-ioç)

INVENTIONE

373

partes orationis 20-26 exordium 27-30 narratio 31-33 partitio 34-77 confirmatio 78-96 reprehensio 97 dritter Exkurs zu Hermagoras 98-1093 conclusio 109 b Schlußbemerkung

ZWEITES B U C H I - 1 0 Proömium: 1-3 Zeuxis benötigt für ein Helenabild in Kroton mehrere Modelle 4-5 Das Verfahren Ciceros bei der Abfassung seiner theoretischen Schrift 6-8 Überblick über die bisherige rhetorische Literatur 9-10 Versicherung, bei der Auswahl der Quellen sehr vorsichtig vorzugehen Teil 3: II-178

Ausführliche Darstellung der constitutiones für die confirmatio und reprehensión 11—13 Vorbemerkungen: Unterschiede zu Buch 1 ; in Buch 2 werden die drei genera causarum getrennt dargestellt 14-154 Regeln für das genus iudiciale 14-51 constitutio coniecturalis 52-56 constitutio definitiva 57-61 constitutio translativa 62-115 constitutio generalis et partes eius 62-68 pars negotialis

23 Vgl. 1,10-19 und 1,34-96. 69-115 pars iuridicialis

374

EINFÜHRUNG

116-154

controversine scripti: 115-121 a ex ambiguo I2ib-i43

ex scripto et sententia

144-147 ex contrariis legibus

155-176 177-1783 178 b

148-153 a ex ratiocinatione i Í3 b—ι J4 ex definitione Regeln für das genus deliberativum Regeln für das genus demonstrativum Schlußbemerkung

Im Ersten Buch stellt Cicero nach dem Proömium zunächst fünf Grundbegriffe der Rhetorik vor; diese wird zu einem Teil der übergeordneten Gattung (genus) Staatswissenschaft untergeordnet; offidum ist die Aufgabe der Redekunst, 24 finis ihr Ziel. Die letzten beiden Grundbegriffe materia und partes sind »das Fundament der rhetorischen Theorie« ; 2 ' materia sind die drei genera causarum, partes bezeichnet die fünf officia oratoris. genus, officium, finis werden nicht Inhalt des Buches sein; 26 behandelt werden sollen materia und partes, und zwar werden diese beiden Begriffe als Einteilungsschema des ganzen Werkes ineinanderwirken. 27 Die Einteilung nach den drei genera causarum aber ist nicht gleichrangig zu der Gliederung nach den fünf partes ( = officia) oratoris, von denen jedoch, wie gesagt, nur die inventio ausgeführt ist. Innerhalb der Lehre von der inventio aber ist kein Schema auszumachen, das alle Teile ganz umfaßt. In einem ersten Teil ( i , i o - i 9 a ) wird die Lehre von den Status und von Begriffen, die ihr nahestehen, dargestellt. Der zweite Teil enthält die Lehre von den sechs partes orationis (1,19)3-109). In einem dritten Teil wiederum (2,11-178) wird eine spezielle, nach den genera causarum gegliederte Argumentationstechnik entwickelt. Cicero durchbricht also das strenge Aufbauschema nach den sechs partes 24 Nicht zu verwechseln mit den officia oratoris; für diese gebraucht Cicero hier die Formulierung partes·, vgl. S. 379 f. 25 Fuhrmann, i960, S. 59. 26 aliud in tempus differemus (inv. 1,9). 27 videtur coniuncte agendum de materia et partibus (inv. 1,9).

ZU DE

INVENTIONE

375

orationis und nimmt die Statuslehre aus der Darstellung der confirmatio und reprehensio heraus. Dadurch erscheint der Aufbau des Werkes einfacher und übersichtlicher, andererseits sind Überschneidungen und Wiederholungen teilweise nicht vermieden. Die Grenze zwischen allgemeiner (Teil i) und spezieller Statuslehre (Teil 3) ist nicht immer scharf gezogen, wobei die Reihenfolge beim »zweiten Durchgang« teilweise eine andere ist.28 Auch innerhalb der Teile 1 und 2 ist »das Prinzip, durch fortschreitende Einteilungen ein geschlossenes System zu entfalten, nicht ohne Ausnahme durchgeführt«. 2 ' An die eigentliche Statuslehre (1,10-16) sind drei »Anhänge« angefügt (1,17-19); bei der confirmatio (1,34-77) »stehen die allgemeine Argumentationstopik (34-50) und die Lehre vom Formalismus des indirekten Beweises und des Schlusses unverbunden nebeneinander«.'0 In Teil 3 nimmt das genus iudiciale naturgemäß den breitesten Raum ein, da die gesamte rhetorische Lehre in erster Linie für die Gerichtsrede entwickelt war. Die einzelnen constitutiones werden etwa nach folgender Methode vorgestellt: Ein exemplum schildert einen Sachverhalt; interino (criminis) - Beschuldigung, depulsio (criminis) - Zurückweisen, ratio - Begründung, infirmatio rationis - Entkräftung der Begründung führen zur iudicatio - dem strittigen Punkt. Der jeweiligen constitutio entsprechend werden nun mögliche Argumente für den Ankläger und Verteidiger genannt; loci communes - Gemeinplätze schließen sich an. Nach der oben zitierten Aussage von Karl Büchner, 1964,

28 Nach Fuhrmann, 1960, S. 68, läßt sich diese »Inkonzinnität« möglicherweise »aus dem unfertigen Zustande des Werkes erklären«. Im Ersten Buch wird z. B. die constitutio generalis vor der c. translative im Zweiten Buch nach ihr behandelt. - Auf weitere Wiederholungen, Überschneidungen oder Unstimmigkeiten wird in Anmerkungen zu den jeweiligen Stellen hingewiesen. 29 Fuhrmann, 1960, S. 61. 30 Fuhrmann, ebd.

376

EINFÜHRUNG

S. 49, 3 ' »zeigt die Schrift« - wenn sie auch noch nicht als »Meisterwerk geglückt ist« - »eine erstaunliche Sprachgewandtheit«. D o c h was der Kirchenvater H i e r o n y m u s (348-420) zu Ciceros Übersetzung des Oikonomikos

des Xenophon

auch f ü r Sprache und Stil von De inventione

bemerkt, 5 2 mag zutreffen. 3 3 H i e r

finden sich noch manche Wendungen und syntaktische Verknüpfungen, die C i c e r o später vermieden hat. Erst die Werke, die er nach seiner Bildungsreise nach Griechenland und Kleinasien (79-77), w o er sich bekanntlich hauptsächlich in Philosophie und Rhetorik z u vervollkommnen suchte, verfaßt hat, zeigen den ihm eigenen, vorbildhaften Sprachstil. 3 4 I m Folgenden werden die auffälligsten v o n Thielmann, 1879, zusammengestellten lexikalischen und syntaktischen Besonderheiten aufgeführt. 3 ' 31 Siehe Anm. 1. 32 Vgl. Anm. 20; Hieronymus vermißt in dieser Arbeit noch den »goldenen Fluß des ciceronischen Stils« (Chron. fr. 1). 3 3 Philipp Thielmann hat in seiner Abhandlung von 18 79 die Sprache der Rbetorica ad Herennium und der frühen Werke Ciceros De inventione, Pro Quinctio, Pro Sex. Roscio Amerino vergleichend einander gegenübergestellt und untersucht und ebenso eine Fülle von Beispielen und Parallelen bes. aus der Komödiendichtung mit ihren teilweise umgangssprachlichen Wendungen angeführt. (Hubbell, 1949, S. XVIII, nennt Thielmanns Untersuchung »the most important work on the language of the De inventione«.) 34 Siehe Thielmann, 1879, S. 3 f. : »Nec tarnen omnia Ciceronis scripta eadem insignia sunt sermonis perfectione cum Cicero sermonem per singulas vitae partes paulatium et gradatim ad eam quam vulgo admiramur elegantiam provexerit, in iis libris, quos primos scripsit, permulta admisit, quae in posterioribus frustra quaeras. Quos cum admodum iuvenis composuerit, putandus est et in rebus et in sermone multis modis pendere ex aliis scriptoribus. ... inde ab hoc tempore (d. h. nach der erwähnten Bildungsreise) sermonem Ciceronianum multo esse elegantiorem multoque puriorem consentaneum est.« 3 5 Auf weniger häufig gebrauchte Abweichungen wird nur in den Anmerkungen zur Übersetzung hingewiesen.

ZU D E

INVENTIONE

377

- Wiederholt, allerdings nicht so häufig wie der Verfasser der Rhetorìca ad Herennium, setzt Cicero Verba composita statt der entsprechenden Verba Simplicia, ohne daß ein Bedeutungsunterschied zu erkennen ist.' 6 - Pleonastische Wortverbindungen, wie sie für die Umgangssprache charakteristisch sind, finden sich in De inventione häufiger als in späteren Werken.37 - Wie die Komödiendichter Plautus und Terenz gebraucht Cicero in De inventione statt des Adverbs antea ausschließlich ante;iS dagegen verwendet er die Adverbien post und postea nebeneinander. - Die Adjektive externus, extrarius und extraneus sind in De inventione bedeutungsgleich verwendet ; später schreibt Cicero fast ausschließlich externus. - Die Wendung satius est" hat Cicero später außer in Briefen vermieden. - Einige Male setzt Cicero in De inventione die Passivform von Verben statt der gewöhnlich gebrauchten Aktivform. 40 - Bei Adverbien finden sich teilweise verschiedene Formen nebeneinander/' - Statt ut, velut steht in De inventione häufig quod genus.*1 36 Beispielsweise inv. 1,4; 2,55.75.101 ad-augere statt augere ; inv. 1,29 jedoch servabitur, aber Rh. ad H 1,15 con-servabimus; inv. 2,125 c0 '~ laudatio; aber inv. 2,150 laudatio. 37 So werden z.B. die Kausalkonjunktionen quod und quia häufig verstärkt durchpropterea(1,25.53 u.ö.), 'deo (1,14.19 u. ö.),idcirco (1,32; 2,28 u.ö.).Das Genitivattribut animi zu ratio in 1,1 und 1,2 ist an sich ebenso überflüssig. 38 Nach Thielmann, 1879, S. 33, steht ante statt antea im Ersten Buch siebzehnmal und im Zweiten Buch vierzigmal. 39 inv. 2,73 (zweimal).76.100 40 ζ. B. 2,66punimur statt punimus; 2,125 u. ö. iuratussum usw. statt turavi usw. 41 ζ. B. 1,81 falso, 2,36false; 1,4 u. ö. necessario, i,44U. ö. necessarie·, 1,32 permixte, 1,49 permixtim.

EINFÜHRUNG

378

Von den syntaktischen Besonderheiten seien die folgenden erwähnt: - Différé ist in De inventione häufig mit cum + Ablativ statt mit Ablativ ohne Präposition verbunden.45 - Statt des Ablativus mensurae multo in Verbindung mit einem Superlativ44 bevorzugt Cicero später longe + Superlativ. - Mitunter setzt Cicero in De inventione statt eines finalen ut-/ ne-Satzes den Infinitiv.4' Den Fachtermini in De inventione »fehlt es oft an Präzision und Eindeutigkeit«.46 Manche störende Doppeldeutigkeit ist sicher darauf zurückzuführen, daß es für den jungen Cicero ebenso wie für den Auetor - bzw. für deren lateinischen Gewährsmann nicht leicht war, für die feststehenden, traditionellen griechischen Fachtermini entsprechende lateinische Begriffe zu finden. Dabei ist es zu manchen Unebenheiten, Unklarheiten und Bedeutungsüberschneidungen gekommen. Zahlreiche Ausdrücke erfüllen mehrere technische Funktionen.47 Den »Begriff als logisches Phänomen«48 umschreibt Cicero ebenso wie der Auetor durch die drei synonymen Substantive verbum, nomen und vocabulum. Die λύσις (= μέρος χοΰ λόγου - j. pars orationis) bezeich-

42 z . B . 1,25; 2,157

u-°·

43 ζ . B. 1,82 quid res cum re différât. 44 z . B . 1,8 u . ö . multo maximus; 4 j inv. 1,53 postulabimus

2,134 multo

nobis illud...

turpissima.

concedi; inv. 2,17 facere

hortatur; inv. 1,66 officium conservare

aliquid

moneat.

46 Fuhrmann, i960, S. 67. 47 Fuhrmann, i960, S. 67, A n m . 4, nennt als Beispiele die Begriffe affectio, casus, commune,

complexio

an. 48 Fuhrmann, i960, S. 67.

und gibt die entsprechenden Stellen

ZU DE

INVENTIONE

379

net Cicero als reprehensio, der Auetor als confutation9 häufig verwendete Cicero auch das Substantiv infirmatio als Gegenbegriff zu confirmatio. Genus und pars verwenden Cicero und der Auetor häufig als Klassifikationsbegriffe.' 0 Meistens sind die beiden Wörter in De inventione Synonyma im Sinne von »Ordnungen«, »Abteilungen«, »Klassen«, »Gattungen«, »Arten« ; so fast immer innerhalb der Statuslehre und der Argumentationstopik.51 Eine gewisse terminologische Verwirrung entsteht aber dadurch, daß Cicero neben dieser synonymen Verwendung die Begriffe wiederholt auch in systemologischer Weise voneinander abhebt; dann ist genus die übergeordnete »Gattung«, pars anstelle des in späteren Werken von Cicero bevorzugten Begriffes species die dem genus untergeordnete »Art«.' 2 Selbstverständlich verwendet Cicero pars häufig auch im Sinne von »Teil« (ζ. B. partes orationis). Einmal setzt er auch partes statt

49 Cie. inv. 1,79; Rh ad H 1,4. 50 Eingehend analysiert ist der Gebrauch der beiden Begriffe von Fuhrmann, i960, S. 48-50 (Rh ad H), 63f. (Cie. inv.) und iéof.; s. auch E. Fantham: On the use of genus - terminology in Cicero's rhetorical works, in: Hermes 107 (1979), S. 441-458. - Bei den folgenden Ausführungen stütze ich mich im wesentlichen auf die genannten Veröffentlichungen. 51 Fuhrmann, i960, S. 63, Anm. 4, nennt Belegstellen. 52 In 1,12 schreibt Cicero, um Hermagoras zu widerlegen: Eadem enim res alii genus esse, alii pars potest, eidem genus esse et pars non potest. 1,32 heißt es: Nam genus est, quodplures partes amplectitur, ut animal. Pars est, quae suhest generi, ut equus. 1,40 setzt Cicero species neben pars: Quare cum genere idem sit, fit aliud, quod parte quadem et speae... différât. 1,42 folgt eine weitere Definition: Genus est, quod partes amplectitur, ut cupiditas. Pars suhest generi, ut amor, avaritm. Vgl. auch De or. 1,89: Genus autem id est, quod sui similis communione quadem, specie autem differentis, duas autpluris complectitur partis; partes autem sunt, quae generibus eis, ex quihus manant, suhiciuntur.

38ο

EINFÜHRUNG

officia oratorisJ1 Ebenso spricht er einmal von den tres partes causarum »Arten« statt wie sonst von den tria genera causarum »Gattungen«.' 4 Die quinqué genera causarum: honestum, admirabile usw. (1,20; 2,56) sind im Unterschied zu den tria genera causarum »Arten«; ebenso die tria genera narrationum (1,27)." Unproblematisch für die deutsche Wiedergabe sind die vielen Stellen, an denen genus in untechnischen Bedeutungen verwendet wird, z . B . quod genus (1,15.25.27 u. ö.).' 6

Zu den Proömien von De inventione Die Proömien zu Buch 1 und 2 sind der selbständigste Beitrag des jungen Cicero zur gesamten Thematik. Thema des ersten Proömiums ist die prinzipielle moralische Frage nach dem Nutzen und Schaden der Redekunst. Cicero formuliert sie gleich im ersten Satz der Schrift und bekennt sich schon hier in seinem Jugendwerk zu dem zwischen den extremen Positionen einerseits der Sophisten und auf der anderen Seite des Sokrates und Piaton vermittelnden Standpunkt des Aristoteles, daß die Rhetorik an sich weder gut noch böse sei; sie sei eine formale Technik und auf eine regulative Norm, die außerhalb ihrer selbst liege, angewiesen; in einem freien Staatswesen sei sie unentbehrlich und gefährlich zugleich; ein verantwortungsbewußter Redner stelle sein formales Können, das er durch das Erlernen 53

I>9>

vgl. A n m . 22 d a z u ; an dieser Stelle s c h r e i b t C i c e r o w o h l deshalb

partes, weil er k u r z z u v o r v o m offidum n e r s ! ) g e s p r o c h e n hat (1,6: Officium dicere apposite ad

d e r eloquentia

videtur

esse

persuasionem).

54 1,8: Nam tres eas partes, quas ante diximus, deliberativam,

(nicht des R e d -

autem eius facultatis

demonstrativam

5 j V g l . ι , 2 0 : 1 g i t u r exordium

subponimus,

(s. A n m . z u i , 8 drei

in duas partes (8) dividitur,

iudicialem, Arten).

inprincipium

et

insinuationem. 56 Z u quod genus strepita (1,25) s. A n m . (dieses Vorgehen)

z u d e r Stelle.

ZU DE INVENTI ONE

381

rhetorischer Regeln und die Anwendung rhetorischer Kenntnisse und Kniffe erworben habe, bedingungslos in den Dienst von Vernunft, Weisheit und ethischen Richtlinien.57 Dann äußert er die Uberzeugung, sapientia allein, ohne eloquentia, bringe den Menschen wenig Nutzen, eloquentia aber schade auf jeden Fall und nütze niemals, wenn ihr nicht sapientia beigegeben sei. Mit solchen wohl nicht neuen Gedanken wurde der junge Cicero hauptsächlich durch seinen verehrten Lehrer Philon von Larissa vertraut gemacht,'8 der während des ersten Mithridatischen Krieges im Jahre 88 nach Rom geflüchtet war und den Ausgleich zwischen Rhetorik und Philosophie forderte. Bemerkenswert ist, mit welchem Nachdruck der noch lernende und suchende Cicero schon in seinem rhetorischen Erstlingswerk diese unabdingbare Notwendigkeit der Verbindung von Rhetorik und Philosophie betont." Mit Büchner, 1964, S. 485, läßt sich feststellen, daß dieses Proömium »schon die Hauptideen des Ciceronischen Lebensplanes« enthält. Entstanden sei die Rhetorik - fährt Cicero fort - aus den ehrenhaftesten Ursachen und besten Überlegungen; denn mit ihrer Hilfe sei es einem magnus videlicet vir et sa57 Nach Fuhrmann, 1997, S. 17. 58 Siehe Anm. 7. 59 In De oratore wird diese Uberzeugung eine zentrale Bedeutung spielen. Dort legt Cicero noch nachdrücklicher die Macht und Bedeutung der Rede im öffentlichen Leben (1,30-32) und als Agens für die Kulturentwicklung (1,33) dar. Über den umfassend gebildeten orator perfectus, dessen eloquentia von der Beschäftigung mit der Philosophie geprägt ist, sagt Crassus: Sic enim statuo: perfeci oratoris moderatione et sapientia non solum ipsius dignitatem, sed et privatorum plurimorum et universae reipublicae salutem contineri »Ich stehe nämlich auf dem Standpunkt, daß sich auf das Walten und die Klugheit des wahren Redners nicht nur sein eigener Rang, sondern auch das Wohl der meisten Privatpersonen und des gesamten Staates aufbaut« (1,34; Übersetzung von H. Merklin). Im Orator wird Cicero schreiben: Sed est eloquentia sicut reliquarum rerum fundamentum sapientia »Aber die Grundlage der Beredsamkeit ebenso wie der übrigen Dinge ist die Philosophie« (or. 70).

3 82

EINFÜHRUNG

piens (1,2) gelungen, die n o c h im rohen U r z u s t a n d dahinvegetierenden M e n s c h e n an Zivilisation u n d K u l t u r heranzuführen. 6 0 V o r allem habe es der R e d e g e w a n d t h e i t (gravi ac suavi...

ora-

tione 1,3) b e d u r f t , u m das Faustrecht des Stärkeren d u r c h iustitia und aequitas z w i s c h e n allen M e n s c h e n z u ersetzen; der V e r n u n f t allein sei dies nicht gelungen. Später habe es Verfallserscheinungen gegeben, n a c h d e m eine gewisse R o u t i n e - commoditas, prava (!) virtutis imitatrix

die

- die w i r k l i c h e virtus verdrängt habe

(1,3). In den f o l g e n d e n A b s c h n i t t e n (1,4-53) stellt C i c e r o in einer »komplizierte(n) historisch-psychologische(n) K o n s t r u k t i o n « 6 1 die G r ü n d e dafür dar, daß Routiniers, f ü r die der U n t e r s c h i e d z w i s c h e n mendaríum

u n d verum z w e i t r a n g i g w a r , w e n n ihre R e -

den n u r E r f o l g brachten, g r ö ß e r e n E i n f l u ß g e w a n n e n als M ä n n e r , denen es u m virtus u n d sapientia

ging. 6 2 Folgerichtig steht am

E n d e des P r o ö m i u m s der A p p e l l , sich in der eloquentia, mit sapientia

die aber

v e r b u n d e n sein müsse, z u v e r v o l l k o m m n e n .

In d e m ebenso breit angelegten P r o ö m i u m z u B u c h 2 schildert C i c e r o seine A r b e i t s w e i s e bei der A b f a s s u n g der Schrift und rechtfertigt sein eklektisches Vorgehen. A n den A n f a n g stellt er aber nicht, w i e im Ersten B u c h , grundsätzliche Ü b e r l e g u n g e n , sondern erzählt z u n ä c h s t die bekannte A n e k d o t e v o n Z e u x i s und den E i n w o h n e r n v o n K r o t o n : A l s der M a l e r den A u f t r a g erhält, ein H e l e n a b i l d f ü r den J u n o - T e m p e l der Stadt z u fertigen, begnügt er sich nicht mit einem einzigen M o d e l l , sondern w ä h l t die fünf schönsten M ä d c h e n der Stadt als M o d e l l e aus; denn nicht ei60 Zu der kulturhistorischen Hypothese, die Menschen seien aus ihrem wilden Urzustand herausgeführt worden durch die eloquentia, soweit sie mit sapientia verbunden sei, und der Frage, auf welche Quelle(n) sich Cicero hier stützte, s. Barwick, 1963, Büchner, 1964, S. 6off. u. S. 484 f., Burck, 1966. 6r Büchner, 1964, S. $6f. 62 Vgl. hierzu auch das Proömium zum Ersten Buch von De re publica (rep. 1,1—12), wo die Frage erörtert wird, ob sich der sapiens politisch betätigen solle oder nicht.

ZU DE

INVENTIONE

383

ner Person allein sei von der Natur vollkommene Schönheit geschenkt worden; Vorzüge und Nachteile seien auf verschiedene Personen verteilt ( 2 , 1 - 3 ) . 6 5 Dieser Methode, fährt Cicero fort, entspreche sein eigenes Vorgehen bei der Abfassung des rhetorischen Lehrbuches. E r beschränke sich nicht auf eine einzige Vorlage, sondern wähle aus Werken verschiedener Autoren aus, was ihm jeweils am besten erscheine. 64 Namentlich nennt er Teisias, Aristoteles und Isokrates; Hermagoras wird hier nicht erwähnt.

Cicero De inventione und die Rhetorica ad Herennium6s Die beiden ältesten uns erhaltenen lateinischen Lehrbücher der Rhetorik sind, wie oben erwähnt, etwa gleichzeitig in der Mitte 63 Zu der Anekdote und dem ganzen Proömium s. K. Barwick, Die Vorrede zum zweiten Buch der rhetorischen Jugendschrift Ciceros und zum vierten Buch des Auetor ad Herennium, in: Philologus, 105 (1961), S. 307-314; K. Büchner, 1964, S. 438f. und S. j 8 3 f . ; U . Staffhorst, Helena in jedem Weibe? - Zum Prooemium des 2. Buches von Ciceros Schrift »De inventione«, in: Gymn. 99 (1992), S. 193-200. Kroton war eine bedeutende altgriechische Kolonie an der Ostküste Unteritaliens. Den Maler Zeuxis aus Herakleia (»welchem?« - Der Kleine Pauly, Bd. 5, Sp. 1527), der etwa von 43 5-390 wirkte, kennen wir wie alle griechischen Maler nicht aus seinen Werken selbst, sondern nur aus schriftlichen Schilderungen. Über den bedeutenden und selbstbewußten Künstler wurde manche Anekdote erzählt; so soll er z. B. Kirschen in der Hand eines Jungen so naturgetreu gemalt haben, daß Vögel daran picken wollten. Sein Helena-Bild in Kroton wird von antiken Autoren mehrmals erwähnt (Belege in: C . Plinius Secundus, Naturkunde, lat.-dt., Buch 35, hg. u. übers, von R. König und G . Winkler, München, Zürich 1978, S. 201 f.). 64 Dadurch daß Cicero seine eigene Arbeitsweise mit der des Zeuxis vergleicht, »tut er auf seine Leistung sich nicht zu wenig zugute, da er sie in Parallele stellt zu einem der berühmtesten Gemälde des Zeuxis« (Barwick, 1961, S. 308). 65 So lautet der Titel der Dissertation von Joachim Adamietz, i960.

3

84

EINFÜHRUNG

bzw. in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des ersten Jahrhunderts entstanden.66 Ciceros Schrift hat ausschließlich die inventici zum Inhalt, während der Autor der Herennius-Rhetorik alle officia oratoris behandelt: inventio (1,2-3,15), dispositio (3,16-18), pronuntiatio (3,19-27), memoria, (3,28-3,40), elocutio (4,11-4,68). 67 Inhaltlich entspricht also nur Rh ad H 1,2-3,15 dem Jugendwerk Ciceros. Daß Cicero nicht der Verfasser der Rhetorica ad Herennium ist, gilt heute als unbestritten und braucht somit nicht eigens erörtert und begründet zu werden. 68 Deswegen kann die Herennius-Rhetorik auch nicht für eine erweiterte Fassung von De inventione gehalten werden. Uber das Verhältnis der beiden Schriften zueinander wurden seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im wesentlichen folgende Thesen vertreten: 6 ' ι. Der Autor der Rhetorica ad Herennium hat De inventione benützt. 2. Cicero hatte bei der Abfassung von De inventione die Rhetorica ad Herennium vor Augen. 3. Die Ubereinstimmungen in den beiden Schriften sind dadurch bedingt, daß beide Verfasser von demselben römischen Rhetoriklehrer unterrichtet wurden. 70 4. Diesen drei Thesen stellte Friedrich Marx 1894 in den Prole-

66 Zur Datierung der Rhetorica ad Herennium und von De inventione s. Anm. 7. 67 Vgl. das Aufbauschema der Rhetorica ad Herennium in der zweisprachigen Ausgabe von Friedhelm L. Müller (Rhetorica ad Herennium Rhetorik an Herennius, Aachen 1994, S. 21 ff., bes. 26 f.) und in der Tusculuth-Ausgabe des Herausgebers, 1994, S. 334 f. 68 Zu der Frage nach dem unbekannten Autor der Rhetorica ad Herennium s. die Tusculum-Ausgabe des Herausgebers, 1994, S. 328-330. 69 Nach Adamietz, i960, S. 2ff.; dort sind auch die entsprechenden Belege aufgeführt. 70 Siehe dazu bes. Matthes, 1958; vgl. auch Barwick, 1961, Anm. 1.

ZU DE

INVENTIONE

385

gomena seiner Ausgabe der Herennius-Rhetorik 71 eine recht komplizierte Hypothese gegenüber: a. Zwei griechische Rhetoren haben je eine Techne verfaßt. b. Zwei römische Rhetoren haben je eine dieser griechischen Vorlagen ins Lateinische übersetzt. c. Einer dieser römischen Rhetoren war der Lehrer Ciceros, der andere der des Auetor ad Herennium. Die »Autorität von Marx« 72 ließ eine weitere Diskussion zunächst verstummen. Aber schließlich gewann These 3 wieder mehr Zustimmung. So kommt Adamietz, i960, zu folgendem Ergebnis: These 1 und 2 scheiden aus, d. h. »beide Schriften leiten sich aus einer gemeinsamen Quelle her« (a. O . S. 95) und zwar aus einer lateinischen, die vermutlich nichts weiter als die Ubersetzung einer griechischen Techne war. Deren Verfasser, ein griechischer Rhetor, hat mit der aristotelischen Einteilung in die drei genera causarum das System des Hermagoras verbunden. 73 Außer dieser angenommenen (Haupt-)Quelle haben Cicero und der Auetor ad Herennium noch weitere (Neben-)Quellen verwendet. Damit läßt sich erklären, daß die beiden Autoren an verschiedenen Stellen voneinander abweichen. 74

71 Titel der Ausgabe s. Anm. 17 Ende. 72 Adamietz, i960, S. 6. 73 Zu Aristoteles und Hermagoras s. S. 367-369 und Anm. 13; vgl. auch Barwick, 196$, S. 65: »So waren in der Topik des griechischen Rhetors, von dem Cicero in den Rhet. II und der A a H abhängen, zwei verschiedene rhetorische Systeme miteinander verquickt: das hermagoreische und das peripatetisch-akademische.« - Büchner, 1964, S. 66, zieht aus seinen Beobachtungen zu Rh ad H 1,9 f. und inv. 1,2 5 ff. (s. dazu Anm. 7) nicht den Schluß, daß der Auetor ad Herennium generell De inventione benützt hat ( = These 1), sondern er neigt zu der Annahme, daß möglicherweise »Cicero und der auetor bei demselben doctor waren« (= These 3). 74 Barwick, 1965, S. 71, erklärt Abweichungen in den beiden Schriften damit, daß der Auetor ad Herrentum die gemeinsame Quelle weniger genau wiedergibt. Die Auffassung von Adamietz, i960, sieht er bestä-

386

EINFÜHRUNG

In der f o l g e n d e n Tabelle sind die Stellen v o n De inventione der Rhetorica

ad Herennium

und

verzeichnet, die inhaltliche Paralle-

len a u f w e i s e n : 7 ' De

inventione

Rhetorica

Hen

1,2-4

1.5 b - 9 1,10-19

1,18-27

1,20-26

1,5-11

1,27-30

1,12-16

1.31-3 Î 1,69-70

1.17 1,28-30

1,78-96

2,31-46

1,82-92

2,46

1,98-109

2.47-5° 1,18-25

2,14-51

ad



2 >3 _ 3 ( '

2,52-56

1,21 u. 2,17

2,57-61

1,22 u. 2 , 1 8 a

2,72-78 a

1,25 u. 2,21—22a

2,78b-86a

1,25 a u. 2,22

2,86b-94a

1,25 u. 2,26b

2,94b-i09a

1,24 u. 2,23-26 a

2,116-121

1,20b u. 2,16

2,121 b - 1 4 3

1,19 u. 2 , 1 3 - 1 4

2,144-147

1,20 u. 2,15

2,148-1533

1,23 u. 2,18

2,156-1763

3.3-7

2,i77c-i/8a

3.11-15

tigt durch seine eigenen Ausführungen zu Ciceros Polemik gegen Hermagoras inv. 1,12-14 ( a - O . S. 61). 75 Nach Adamietz, i960.

ZU DE

INVENTIONE

387

Zur Überlieferung Da man, wie gesagt, auch die Rhetorica ad Herennium viele Jahrhunderte Cicero zugeschrieben hat, wurden die beiden Handbücher in den Handschriften gewöhnlich hintereinander gesetzt und zwar Ciceros Werk als Rhetorica I und die anonyme Schrift als Rhetorica II; somit zeigt deren Uberlieferungsgeschichte viele Parallelen.7* In der Praefatio seiner textkritischen Ausgabe von 1915 hat Stroebel die Uberlieferungsgeschichte ausführlich dargelegt (S. III-XX). Er stützt sich dabei auf frühere Untersuchungen.77 Auch die Handschriften von De inventione werden in zwei Familien eingeteilt, die Mutiii (M; mutilus - verstümmelt) und die Integri (I; integer - unversehrt).78 Aus der Familie der Mutiii wählte Stroebel für die Textgestaltung fünf Codices aus dem 9./10. Jahrhundert aus: H Ρ S L R

= = = = =

Herbipolitanus Mp. misc. f. 3 Parisinus Lat. 7774 A Sangallensis 820 Leidensis Vossianus lat. F 70 1 (Corbeiensis vel) Petropolitanus F vel 8 auct. class. Lat.

Diese fünf Handschriften gehen auf einen verlorenen Codex M zurück, welcher seinerseits eine Abschrift von einem unbekannten Archetypus X war. M enthielt zwei Textlücken (mutilus!): 1,62 quod enim bis 1,76 hoc est. Tum inductione und 2,170 huius modi necessitudinis bis 2,174 exspectare oportebit. 76 Zur Überlieferungsgeschichte der Rhetorica ad Herennium s. die Ausgabe von Friedhelm L. Müller, S. 28-30 (s. Anm. 68) und die Tusculum-Ausgabe des Herausgebers, 1994, S. 336-345 und 3 j j f . , Anm. 52ff.; dort wird auf weitere Literatur verwiesen. 77 Siehe Literaturauswahl S. 463. 78 F. Marx nennt in seiner Ausgabe der Rhetorica ad Herennium (s. Anm. 17 Ende) die beiden Familien M und E (Expleti; explere - vervollständigen); in der Editio Minor, 1923, gebraucht er dann den Ausdruck Integer Codex (a.O. S. X X V I I I Stemma).

388

EINFÜHRUNG

Die Familie der Integri geht ebenfalls auf einen verlorenen Codex, nämlich I, zurück, wie M eine Abschrift von X , aber ohne Lücken im Text (integer!). Zur Familie I gehören codices... paene innumerabiles79 aus dem 10. und vorwiegend 1 1 . Jahrhundert. Für seine Textausgabe hat Stroebel insgesamt der Familie M den Vorzug gegeben. In den Jahrzehnten nach der textkritischen Ausgabe von Stroebel befaßte man sich weniger mit der Textüberlieferung von De inventione. Hubbell 1949/1960 hat den Text von Stroebel nahezu unverändert übernommen. Aus der Familie der Integri hat er jedoch weniger Handschriften herangezogen, nämlich nur: b = 1 = s = u = V2 = vj =

Bambergensis 423 MV 8 Leidensis Gronovianus 22 Sangallensis Vadianus 313 Urbinus 1144 Vaticanus 1698 Vaticanus 3236.

In jüngerer Zeit hat sich Romuald Mattmann um die Textgestaltung von De inventione sehr verdient gemacht.80 Seine beiden Untersuchungen sollten die Grundlage einer neuen textkritischen Ausgabe sein, die aber leider noch nicht vorliegt.

79 Stroebel, 1 9 1 5 , S. X I I . - R . Mattmann f ü g t seiner »Studie zur handschriftlichen U b e r l i e f e r u n g . . . « , 1 9 7 5 , ein Verzeichnis v o n nahezu 250 von ihm nicht besprochenen Handschriften aus dem 9. bis 16. J a h r hundert an (S. 1 7 4 - 1 8 3 ) . 80 Siehe Literaturauswahl S. 468.

Z U DE

EINFÜHRUNG OPTIMO GENERE O RATO RU M

Nachdem Caesar im Bürgerkrieg mit Pompeius die Oberhand gewonnen und Cicero begnadigt hatte (47 v. Chr.), zog sich dieser wieder ganz aus der Politik zurück und widmete sich wie Mitte der fünfziger Jahre ausschließlich seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Zunächst galt seine Hauptaufmerksamkeit wieder der Rhetorik. Im Frühjahr des Jahre 46 v. Chr. erschien der Dialog Brutus, die Geschichte der römischen Redekunst; im Sommer des gleichen Jahres folgte der Orator, wo Cicero auf Bitten des M. Iunius Brutus zu dem stilistischen Streit, der in diesem Jahrzehnt ausgetragen wurde (Attici - Asiani), Stellung bezog. Die kleine Schrift De optimo genere oratorum entstand entweder zwischen diesen beiden Werken oder - was wahrscheinlicher ist - im Anschluß an den Orator.' Es ist kein eigenständiges Werk, sondern die Einleitung zu einer Ubersetzung der Rede des Demosthenes für Ktesiphon (die »Kranz-Rede«) und der vorausgehenden Anklagerede des Aischines gegen Ktesiphon. Diese Ubersetzungen existieren nicht mehr.2 Sicher hat Cicero die »Kranz-Rede« des Demosthenes (zu Aischines s. Anm. zu De optimo genere oratorum 19) übersetzt, um an einem vorbildhaften Charakter zu zeigen, was er gegen die Einseitigkeit der Jungattiker, die nur das tenue dicendi genus als attisch gelten lassen wollten, einzuwenden hatte.' ι Siehe Häfner, 1928, S. 5, Anm. 3, und Dihle, 1955, S. 304Í. 2 Zu den beiden Reden s. Anm. zu § 19. Zu den Übersetzungen der beiden Reden durch Cicero und der Einleitung dazu s. Häfner, 1928, S. 5 : »Ob er die Übersetzungen vollendet hat, wissen wir nicht; veröffentlicht worden sind sie auf keinen Fall. Nach Ciceros Tod kam die Vorrede unter dem Sondertitel, den sie heute noch trägt, heraus.« 3 Or. 100 sagt Cicero demgegenüber: 1s enim eloquens, qui et humilia subtiliter et magna graviter et mediocria temperate potest dicere. - Der

390

EINFÜHRUNG

Bekannt geworden ist das kurze Traktat vor allem durch den berühmten Brief Nr. 57 des Hieronymus (um 348-420) De optimo genere interpretarteli, in dem der Kirchenvater seine Absichten und sein Vorgehen beim Ubersetzen rechtfertigt: Statt einer engen Wort-für-Wort-Wiedergabe müsse der Übersetzer vor allem den Sinn des Textes treffen. Dabei beruft sich Hieronymus als erstes auf Ciceros Schrift - der Titel des Briefes ist sicher in bewußter Anlehnung an Cicero formuliert - und zitiert gleich zu Beginn die Paragraphen 13 f. und 23. War das Thema Ciceros in erster Linie das optimum genus oratorum und nicht interpretandi, so wird die Schrift aber seit dem Brief des Hieronymus »so interpretiert, als habe Cicero hier eine Ubersetzungstheorie in nuce geben wollen«.4 Hauptsächlich »knüpfen sich« an die Schrift »zwei Probleme, nämlich einmal, ob das Schriftchen wirklich von Cicero stammt; und dann, ob Cicero die Ubersetzungen tatsächlich geliefert hat«.' Die Frage, ob Cicero tatsächlich der Verfasser des Schriftchens ist, wird unterschiedlich gestellt und beantwortet. Für Otto Jahn, 1859, stellt sich die Frage überhaupt nicht. Siegfried Häfner, 1928, S. 4ff. spricht sich für Cicero als Verfasser aus.6 Wilhelm Kroll (RE, Neue Bearbeitung, Zweite Reihe, Vierzehnter Halbband, erste Hälfte, 1948, Sp. 1102) schreibt: »Die Echtideale orator perfectas, w o f ü r Demosthenes nach der Meinung Ciceros zu gelten habe, müsse also in allen drei Stilarten sprechen können (s. dazu Häfner, 1928, S. 9 f.) — Zum Attizismus und Asianismus s. U e ding/Jens, Bd. 1, 1992, S. 1 1 1 4 - 1 1 2 0 : Asianismus (J. Adamietz) und 1 1 6 3 - 1 1 7 6 : Attizismus (A. Dihle). 4 Seele, 199$, S. 81. 5 Häfner, 1928, S. 4. 6 Er schreibt ( a . O . 4f.): »Dagegen« (d.h. gegen die Annahme, die Schrift sei ein Produkt der antiken Schulrhetorik nach Cicero) »spricht der ganze Charakter unserer Vorrede, die entschieden im Geistes Ciceros geschrieben i s t . . . Ausschlaggebend aber ist die klare, scharfe, prägnante Art der Darstellung, die nicht die geringste Spur der in rhetorischen Machwerken üblichen Verwaschenheit, Weitschweifigkeit und Phrasenhaftigkeit erkennen läßt.«

ZU DE O P T I M O

GENERE

ORATORUM

391

heit ist natürlich nicht anzuzweifeln.« Albrecht Dihle, 1955, dagegen bestreitet nachdrücklich die Verfasserschaft Ciceros. 7 7 Die These, daß die Schrift »ein Spurium, ein von einem späteren Rhetor in Anlehnung an Ciceros Orator verfaßtes Opusculum« sei (a. O. S. 308), untermauert er »bei dem Fehlen aller testimonia« durch »die Interpretation der Schrift selber«. Dabei stellt er einige markante Aussagen aus dem Orator entsprechenden Passagen in De optima genere oratorum gegenüber; sprachlich-stilistische Unzulänglichkeiten unserer Schrift können - so Dihle - ebensowenig auf Cicero zurückgehen wie »die vielen inhaltlichen Unstimmigkeiten« (a. O. S. 311). Durch diese Beobachtungen würden »mehrere längst bekannte Zeugnisse« (a. O. S. 309) für die Unechtheit der Schrift untermauert; die Formulierung des Asconius Pedianus (1. Jahrhundert n. Chr.) liber, qui nomine Ciceronis inscribitur - mit diesen Worten erwähnt Asconius unsere Schrift in seinem Kommentar zur Miloniana Ciceros - sei typisch für die Nennung einer unechten Schrift; Quintilian nenne nirgends, auch nicht in seinem Katalog der Übersetzungen Ciceros (inst. 10,5,2), die Schrift oder die durch sie eingeleiteten Ubersetzungen, während er »doch sämtliche Rhetorica Ciceros... dutzendfach anführt« (a. O. S. 309)· Die Argumente Dihles sind einleuchtend, doch müssen die von ihm beobachteten Mängel nicht mit letzter Sicherheit beweisen, daß das Schriftchen nicht von Cicero geschrieben ist. Vielmehr könnte sein unfertiger Zustand für die Unstimmigkeiten in der Gedankenführung und Härten in der Diktion verantwortlich sein (so G. L. Hendrickson, 1926). Sicher hatte die vorliegende Schrift für Cicero - falls er der Autor ist - nur eine geringe und untergeordnete Bedeutung neben dem Brutus und Orator, und so läßt der vielleicht in einem Zug flüchtig konzipierte und nicht mehr überarbeitete Entwurf an manchen Stellen die sonst an Cicero vielgerühmte stilistische Ausfeilung und gedankliche Präzision vermissen. (Häfner, 1928, S. 7f. spricht von der »nervösen Hast, mit der Cicero in der späteren Zeit arbeitete. Er schrieb, ganz im Gegensatz zu der ersten Periode seines Schaffens, damals die Werke in einem Zug nieder, wobei häufig sein Interesse schon wieder zu neuen Aufgaben übersprang. Die rein technische Fertigstellung einer Schrift nach diesem ersten Guß war ihm eine unangenehme Beigabe, die er nur ungern und schleppend erledigte...« - Vgl. auch Hubbell, 1949, S. 350). Vielleicht hat Cicero diese praefatio - Jahn, 1859,

39 2

EINFÜHRUNG

Gedankengang und Aufbau der Schrift lassen sich folgendermaßen skizzieren: § 1-6: Im Unterschied zur Dichtung gibt es nur eine einzige Gattung von Rednern; Unterschiede zwischen einzelnen Rednern sind nicht gattungsbedingt, sondern graduell. § 7-13a: Die attischen Redner in Athen haben das höchste Ziel der Redekunst erreicht; die Neuattiker in Rom sehen dieses Ziel zu einseitig. § i 3 b - i 7 : Demosthenes und Aischines sind die wahren Muster für den Redner - deshalb wurden Reden von ihnen übersetzt - , nicht Thukydides, Piaton und Isokrates. § 18: Rechtfertigung von Ubersetzungen überhaupt. §19-23: Der historische Hintergrund der beiden Reden. Uberliefert ist die Schrift in zwei Handschriftenklassen: I. zwei Handschriften aus dem 11. Jahrhundert: Codex Sangallensis 7347; II. eine Reihe von Handschriften aus dem 15. Jahrhundert (Hubbell, 1949, S. 351, nennt die Namen der Handschriften). Für die vorliegende Ausgabe wurde der Text, wie ihn Hubbell, 1949, bietet,8 zugrunde gelegt.

fügt dem Titel dieses Wort hinzu - sehr rasch »hingeworfen« und dabei Passagen aus dem Brutus und Orator ungenau übernommen. (Vgl. Häfner, 1928, S. 6: »Neue Gedanken finden sich auch in dem allgemein gehaltenen ersten Teil nicht, sondern es sind lediglich Wiederholungen dessen, was Cicero in gleicher oder ähnlicher Weise im Brutus und Orator dargelegt hatte.« - In Anm. 2 a. O . stellt Häfner die Parallelen zwischen den drei Schriften zusammen.) 8 Siehe dazu Hubbell, 1949, S. 350.

ANMERKUNGEN Z U DE INVENTIONE ERSTES

BUCH

ι Zum ganzen Proömium s. S. 3 80 ff. redegewaltigsten Männer: Möglicherweise spielt Cicero auf die beiden Gracchen und auf den Volkstribun P. Sulpicius Rufus an, der sich mit Marius verbündete, um seine Ziele zu erreichen, und die Sullanischen Proskriptionen mit heraufbeschwor (s. Vellerns Paterculus 2,18; zu den Gracchen vgl. Anm. 6). 2 sei es eine Kunst...: vgl. De or. 2,232: quae natura, quae studio, quae exercitationeconsequimur. Hubbell, 1949,4f., Anm. a, weist darauf hin, daß Studium in Definitionen der Redekunst ungebräuchlich und die Ubersetzung für den griechischen Begriff άσκησις sei. eine Zeit: Ähnlich schildert Horaz sat. 1,3,99 ff. diesen rohen, ungeschlachten »Urzustand«, bevor sich die Menschen durch verba, quibus voces sensusque notarent (103), verständigen konnten und so vom Krieg abließen, Städte gründeten und sich Gesetze gaben. zu... umgänglichen Wesen : vgl. De or. 1,33: quae vis alia potuti aut dispersos homines unum in locum congregare aut a fera agrestique vita ad hunc humanum cultum civilemque deducere aut iam constitutis civitatibus leges, iudicia, iura describere? »welche Macht sonst vermochte die zerstreuten Menschen an einem Ort zu versammeln, sie von einem wilden und rohen Leben zu unserer menschlichen und politischen Gesittung hinzuführen oder schon bestehenden Staatswesen die Gesetze, Gerichte und Rechtsnormen vorzuschreiben?« (Übers, von H. Merklin). Nach Solmsen, Drei Rekonstruktionen zur antiken Rhetorik und Poetik, in: Hermes 67 (1932), S. 133-154, ist der Preis der Redekunst als Schöpferin aller kulturellen und politischen Errungen-

394

ANMERKUNGEN

Schäften »in den rhetorischen Werken des Hellenismus Proömientopos geworden« (S. 153). De or. 1,30-34 »entspricht in ihrem protreptischen Material einem Proömium und ersetzt ein solches bis zu einem gewissen Grade« (S. 153, Anm. 1). Die Verdienste »um die Erziehung des Menschengeschlechtes« (S. 154) beansprucht aber ebenso auch die Poesie. Als wohl bekanntesten Beleg dafür führt Solmsen die »in ihrem Ton vielleicht... gehobenste Stelle« (S. 152) aus der Ars poetica des Horaz an (S. 391 ff.). 5 Cato... Africanus: Wie in der vorausgehenden Erörterung, so zeigt Cicero auch bei der Auswahl seiner exempla Cato, Laelius, Africanus, Gracchen eine »bedeutende Selbständigkeit« (Büchner, 1964, S. 59; s. auch S. 48 jf.). Daß er P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus Numantinus (1Β 5-129) und dessen engen Freund C. Laelius (um 190-nach 129), die Hauptvertreter des Scipionenkreises, nennt, kann als selbstverständlich angesehen werden; die beiden vereinigten für ihn eloquentia und sapienta in vorbildlicher Weise. Weniger selbstverständlich ist die Nennung des »Griechenhassers« M. Porcius Cato (234-149); vielleicht beeindruckte den jungen Cicero, daß dieser wie er selbst ein homo novus war und es als solcher bis zum höchsten Amt des Zensors gebracht hat; auch dessen Definition des Redners als eines vir bonus dicendi peritus entsprach seinem Ideal. (Im Proömium zu Buch ι von De re publica wird Cato der Hauptvertreter der Lebensform der vita activa im Dienste des Staates sein.) Aber daß Cicero auch die Führer der populares Tiberius Sempronius Gracchus (162-131) und dessen Bruder Gaius (153-121), die er später als Tyrannen bezeichnen wird, nennt, hält Karl Büchner, 1964, S. 59, für »frappierend«; daran erkenne man »die Selbständigkeit, mit der Cicero seine Beispiele und Vorbilder auswählt«. Er habe eben damals nicht nur ihre große Beredsamkeit, sondern ebenso »den Willen zum Guten und Richtigen« anerkannt; der Nebensatz ut vere dicam mag einen gewissen Vorbehalt andeuten. sprechen können: vgl. De or. 1,32: Hoc enim uno praestamus viel maxime feris, quod colloquimur inter nos et quod exprimere dicendo sensa possumus.

ZU D E I N V E N T I O N E ( E R S T E S

BUCH)

395

Gattung... Aufgabe... Ziel... Stoff... Teile: Die Abschnitte aus De inventione und der Rhetorica ad Herennium, die sich inhaltlich entsprechen, werden in der Einführung (S. 386) tabellarisch nebeneinandergestellt. - Den Kapiteln, i,jb-9 entspricht Rh ad H 1,2-4; die »grundsätzlichen Einteilungen« dieser Kapitel sind aber bei den beiden Autoren »zum Teil verschieden angelegt« (Adamietz, i960, S. 16). - genus, officium, finis: 1,6; materia: ι,y, partes: 1,9. 6 staatliches System: vgl. Binder o. J.: »Es bestehen im bürgerlichen Leben gewisse Verhältnisses«; Hubbell, 1949: »There is a scientific system of politics.« Vgl. weiter unten die Formulierung avilis scientia. Die artificiosa eloquentia ist also ein bedeutender Teil politischen Handelns. Aufgabe... scheint es zu sein: Vgl. Rh ad H 1,2: Oratoris officium est de iis rebus posse dicere, quae res ad usum civilem moribus ac legibus constitutae sunt (der Auetor trennt nicht zwischen officium und finis). - An unserer Stelle ist officium in einem weiteren Sinne gebraucht als bei den officia oratoris: inventio usw. 7 Georgias von Leontinoi: vgl. Einführung S. 366. Aristoteles: vgl. Einführung S. 3 67 f. Bei der Einteilung in die drei genera causarum folgt Cicero Aristot. Rhet. 1,3 (1358b). Hermagoras dagegen unterscheidet θέσεις = quaestiones infinitae und υποθέσεις = quaestiones finitae (s. Einführung S. 368 f.). Im nächsten Paragraphen wird Cicero seine Entscheidung begründen (vgl. Anm. 15). ... angewendet wird: wörtliche Übereinstimmung mit Rh ad Η i,2. - Zu den Begriffen genus und pars s. Einführung S. 379L accusano: Anklage wegen eines Verbrechens in einem Kriminalprozeß oder wegen privatrechtlicher Ansprüche in einem Zivilprozeß (vgl. Anm. zu 2,58); petitio: Klagerecht sowie die Geltendmachung desselben, die Klage (vgl. Anm. zu 2,5 j: plus petere); defentio: Verteidigung (Vertretung eines Mandanten) in Kriminal- und Zivilprozessen; recusatio: Ablehnung der Klage, Verweigerung der geforderten Leistung; in der Definition des Auetor (Rh ad Η i,2) fehlt der Begriff recusatio.

396

ANMERKUNGEN

8 Hermagoras: Auch in ι, 12-14 und 1,97 polemisiert Cicero gegen Hermagoras. - Zu seinen folgenden Ausführungen s. Rosella Granateiii, Philologus 127 (1983), S. 207-217, bes. 2iof. und 211, Anm. 12, und Barwick, 1961. - Inhaltlich decken sich die drei genera des Aristoteles mit der quaestio finita des Hermagoras. Der griechische Rhetor, der dem lateinischen Rhetor, auf den sich Cicero und der Auetor ad Herennium stützten (s. Einführung S. 385), als Quelle diente, hat wohl in seiner Τέχνη die Einteilungen des Aristoteles und des Hermagoras miteinander verbunden. Seine Polemik gegen Hermagoras hat Cicero übernommen (Barwick, 1961, bes. S. 310, und 1965, S. 57-66:1 Die Anwendung der hermagoreischen Stasislehre in Ciceros Rhet. II und der R a H ; vgl. Anm. zu 1,7 (Aristoteles) und 1,12 (Gegensatz). causa = quaestio finita; quaestio = quaestio infinita (s. Anm. zu 1,7 (Aristoteles); vgl. Hubbell, 1949, S. 17: causa = »special cases«, quaestio = »general questions«. - In De or. 2,65 fügt Cicero der causa die Attribute certa definitaque hinzu und die quaestio umschreibt er als infinitam generis sine tempore et sine persona quaestionem. In De or. 2,133 schreibt er über die duo genera causarum: unum appellant, in quo sine personis atque temporibus de universo genere quaeratur; alterum, quod personis certis et temporibus definiatur. In part. or. 61 ersetzt er quaestio durch propositum »Erörterung« (Ubersetzung von K. u. G. Bayer); quaestio ist dort der Oberbegriff zu propositum und causa (nach K. u. G. Bayer, Hg. : Partitiones oratoriae - Rhetorik in Frage und Antwort, lat.-dt.; München/Zürich: Artemis, 1994, S. 167). dreiArten: XVL partes (stattgenera) s. EinführungS. 379f.; iudicialem, deliberativam, demonstrativam: Die gleiche Reihenfolge wählt Cicero auch in 2,i4ff.; dagegen ist die Reihenfolge in 1,7 und 2,uf.: demonstrative, deliberativo, iudiciali. Barwick, 1965, S. 65, gibt als möglichen Grund für die in 1,8 und 2,14 ff. gewählte Reihenfolge die besondere Schwierigkeit des genus iudiciale an. große Unvernunft: Nach Hubbell, 1949, S. 18 f., Anm. a, hat Cicero bzw. sein Gewährsmann (vgl. Anm. zu 1,8, causa und

ZU DE I N V E N T I O N E

(ERSTES

BUCH)

397

1,12, Gegensatz) an dieser Stelle den Hermagoras mißverstanden ; dieser habe, wie man aus verschiedenen Autoren erschließen könne - Hubbell a. O . nennt deren drei - , für die Rhetorik das Recht beansprucht, allgemein interessierende und philosophische Fragen zu diskutieren. selbst einiges Neues: Diese Aussage Ciceros über die Arbeitsweise des Hermagoras stimmt genau mit seiner Äußerung über seine eigene Arbeitsweise im Proömium zu Buch 2 überein (2,8): quos ipsos simul... proposuimus et... contulimus (nach Barwick, 1961, S. 310). über die Kunst... kunstgemäß zu sprechen: vgl. Rh ad H 4,6: Tum quis est, qui possit id, quod de arte scripserit, comprobare, nisi aliquid scribat ex arte f 9 wofür ihn... Aristoteles hielt: s. 1,7. Teile: partes = officia oratoris (vgl. Einführung S. 374 und Anm. 24 dazu). Der Auetor ad Herennium gebraucht zunächst keinen Oberbegriff für inventio, dispositio usw. (Rh ad H 1,8); in 2,1 spricht er von oratoris officia; die Definition der inventio ist bei beiden Autoren identisch, die übrigen partes / officia werden von ihnen mit ähnlichen Worten umschrieben. Vor Aristoteles wurden nur drei officia oratoris behandelt: inventio, dispositio, elocutio. Aristoteles betonte auch die Wichtigkeit des Vortrages, entwickelte aber noch keine Theorie der pronuntiatio (s. rhet. 3,1; 1403 b). Wahrscheinlich wurde sie von Theophrast zum vierten officium oratoris erhoben (s. Diogenes Laertius 5,48). Wann die memoria in der hellenistischen Theorie als fünftes officium dazukam, wissen wir nicht. Gliederung: In den Handschriften ist statt et dispositionis die in diesem Zusammenhang nicht erklärbare Wendung ad inventionem überliefert. Stroebel, 1915, schlägt vor, retinendam zu ergänzen; Hubbell, 1949, läßt im Anschluß an Cassiodor (Rhet. Lat. min. p.495, i