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German Pages 352 Year 2012
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1217
Daseinsvorsorge und Vergaberecht Darstellung eines Spannungsverhältnisses unter besonderer Berücksichtigung des Öffentlichen Personennahverkehrs
Von Volker Schneiderhan
Duncker & Humblot · Berlin
VOLKER SCHNEIDERHAN
Daseinsvorsorge und Vergaberecht
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1217
Daseinsvorsorge und Vergaberecht Darstellung eines Spannungsverhältnisses unter besonderer Berücksichtigung des Öffentlichen Personennahverkehrs
Von Volker Schneiderhan
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten © 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13674-2 (Print) ISBN 978-3-428-53674-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-83674-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2010/2011 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im November 2009 abgeschlossen. Die nach diesem Zeitpunkt eingetretenen legislativen Entwicklungen sind Gegenstand der letzten beiden Kapitel der Arbeit. Bedanken möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch dafür, dass er mir das Thema der vorliegenden Arbeit anvertraut und bei dessen Bearbeitung alle Freiheiten gelassen hat. Bei Herrn Prof. Dr. Püttner bedanke ich mich für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Meinen Eltern Beate und Helmut Schneiderhan danke ich dafür, dass sie meine Ausbildung stets rückhaltlos unterstützt haben und mir während des Studiums sowie der Promotion immer freie Hand ließen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Bei meinem Studienfreund Thomas Winckler sowie meiner Ehefrau Claudia Schneiderhan bedanke ich mich für das geduldige Probelesen des Manuskripts sowie die wertvollen Anregungen. Den Rechtsanwälten Ulrich Aufdermauer, Wolfgang Steinmetz und Dr. Wolfgang Ott danke ich dafür, dass sie es mir ermöglicht haben, meinen Berufseinstieg mit der Erstellung der Dissertation zu verbinden. Meinem Bruder Dirk Schneiderhan danke ich für die gewährte technische Unterstützung. Ohne die Unterstützung der genannten Personen – sowie selbstverständlich meiner Familie – wäre das Ziel Promotion nicht erreichbar gewesen. Bei der Landesbank Baden-Württemberg bedanke ich mich für den gewährten großzügigen Druckkostenzuschuss. Tübingen, im Dezember 2011
Volker Schneiderhan
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Teil Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
22
1. Kapitel Begriffsbestimmungen
22
A. Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Forsthoffs Lehre von der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Historischer Hintergrund und Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Die Wirkung des Begriffs der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Der Begriff der Daseinsvorsorge in Gesetzgebung und Rechtsprechung . . . . 27 2. Kritik am Begriff der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Staatliche Gewährleistungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Wandel von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung . . . . . . . . . . . 30 2. Postreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 IV. Weiterentwicklung des Daseinsvorsorgebegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Erweiterung gegenüber dem klassischen Begriff der Daseinsvorsorge . . . . . . 33 2. Staatliche Aufgabe/Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3. Erbringer der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4. Anforderungen an die Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 5. Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 V. Der Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Daseinsvorsorge . . 41 1. Begriffsdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Vergleich Daseinsvorsorge – Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
8
Inhaltsverzeichnis
B. Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Entwicklung des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Haushaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Europäische Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) Haushaltsrechtliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Kartellrechtliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4. Reform des europäischen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Öffentlicher Auftrag, § 99 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 III. Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Grundsätze des Vergabeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Wettbewerbsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Verfahrensablauf bei offenen/nicht offenen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4. Verfahrensablauf beim Verhandlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 IV. Primärrechtsschutz im Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Kapitel Daseinsvorsorge und Wettbewerb
60
A. Forsthoffs Verständnis vom Verhältnis von Daseinsvorsorge und Wettbewerb . . . . . . 60 B. Verhältnis von Daseinsvorsorge und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Einführung von Wettbewerb durch das Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Spannungsverhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . 62 III. Wettbewerb um den Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 C. Verhältnis von Daseinsvorsorge und Wettbewerbsrecht nach dem Gemeinschaftsrecht 67 I. Definition und Organisation der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 II. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Inhaltsverzeichnis
9
2. Nichtwirtschaftliche Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3. Gleichbehandlung öffentlicher und privater Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Ausnahme gemäß Art. 86 Abs. 2 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 IV. Auswirkungen des Art. 16 EG auf das Verhältnis von Wettbewerb und Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 D. Daseinsvorsorge und Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Bedeutung des Vergaberechts im Bereich der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Beauftragung von Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Eröffnung von Wettbewerb durch das Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 II. Exkurs: Beihilferechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 III. Das Verhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Spannungsverhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Vergaberecht . . . . . . . . 81 a) Leistungsdefinition und Zuschlagskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Lohn- und Preisdumping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Überwachung des Leistungserbringers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 d) Absenkung der Anforderungen an die Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 e) Insolvenz des Leistungserbringers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 f) Rosinenpicken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 g) Formalisiertes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 h) Dienende Funktion des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 i) Weitere Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Konzentrationsprozesse bei den Anbietern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Probleme der Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Kommunale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Beauftragte private Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Einschränkung der Gestaltungsfreiheit der Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. Keine generelle Unanwendbarkeit des Vergaberechts im Bereich der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 5. Ausnahme gemäß Art. 86 Abs. 2 EG ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Direkte Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
10
Inhaltsverzeichnis b) (Analoge) Anwendung auf den Betrauungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Teil Beispiele für die Anwendbarkeit des Vergaberechts
108
3. Kapitel Abfallentsorgung
108
A. Daseinsvorsorge im Bereich der Abfallentsorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B. Anwendbarkeit des Vergaberechts im Falle der Drittbeauftragung nach § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Die Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 lit. g GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4. Kapitel Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung
111
A. Abwasserbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Erfüllung der Aufgabe der Abwasserbeseitigung durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Abwasserbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Drittbeauftragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Betriebsführungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Betreibermodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Kooperationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Anwendbarkeit des Vergaberechts im Falle der Drittbeauftragung im Bereich der Abwasserentsorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Öffentlicher Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 B. Wasserversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Rechtlicher Rahmen und Marktstrukturen in der Wasserversorgung . . . . . . . . . . 117 1. Rechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Organisation der Wasserversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Eigenversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
Inhaltsverzeichnis
11
b) Fremdversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Anwendbarkeit des Vergaberechts bei Eigenversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Teil Unanwendbarkeit des Vergaberechts
125
5. Kapitel In-House-Vergabe
125
A. Grundvoraussetzung: Vorliegen eines öffentlichen Auftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 B. Beauftragung eines Eigen- oder Regiebetriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 C. Beauftragung einer Eigengesellschaft/gemischt-öffentlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . 127 I. Voraussetzungen für eine In-House-Vergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Teckal-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Begründung für die Vergaberechtsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Betonung des Ausnahmecharakters durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Das Parking Brixen-Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Das Carbotermo-Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Erfüllung des Kontrollkriteriums bei der Beauftragung einer Eigengesellschaft/gemischt-öffentlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4. Zusammenfassung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 III. Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . 139 D. Beauftragung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 I. Bisheriger Stand der Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 II. Stadt Halle-Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 III. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 6. Kapitel Dienstleistungskonzession
150
A. Definition des Begriffs der Dienstleistungskonzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
12
Inhaltsverzeichnis
B. Maßgebliches Recht für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen . . . . . . . . . . . . 152 I. Unanwendbarkeit des Vergaberechts auf die Dienstleistungskonzession . . . . . . . 152 1. Begründung aus der Entstehungsgeschichte der Vergaberichtlinien . . . . . . . . 153 2. Entgeltlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 II. Grundregeln des EG-Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 III. In-House-Vergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 C. Untersuchung einzelner Begriffsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 I. Notwendigkeit der Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge? . . . . . . . . . . . 159 II. Übernahme des wirtschaftlichen Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Wirtschaftliches Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Anforderungen des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Prüfungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 4. Teilentgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 D. Das Verfahren zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 I. Anforderungen an die öffentliche Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 II. Anforderungen an das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4. Teil Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
171
7. Kapitel Rechtlicher Rahmen des ÖPNV
171
A. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 B. Aufgabe der Daseinsvorsorge/Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 I. Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Auswirkung der Regionalisierung auf den SPNV/Bahnreform . . . . . . . . . . . . . . 173 III. Aufgabenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 IV. VO (EWG) 1191/69 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Ursprüngliche Fassung der VO (EWG) 1191/69 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Weiterentwicklung durch die VO (EWG) 1893/91 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
Inhaltsverzeichnis
13
V. Finanzierung des ÖPNV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 8. Kapitel Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im SPNV
179
A. Eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 B. Verhältnis des § 15 Abs. 2 AEG zum Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB) . . . . . . . . . . . . . . 180 I. Gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. VO (EWG) 1191/69 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Grundsätze des EG-Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Grenzüberschreitendes Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Vertragsverletzungsverfahren der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Verfahrensanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 II. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Keine Änderung durch das Vergaberechtsänderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 198 4. § 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 5. § 4 Abs. 3 VgV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 6. Systematische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 7. § 100 Abs. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 8. Tatsächliche Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 III. Vereinbarkeit von Vergaberecht und Daseinsvorsorge im SPNV . . . . . . . . . . . . . 209 1. VK Brandenburg/OLG Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 IV. Kriterien der Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Beihilferechtliche Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 3. Umfang der zu erbringenden Verkehrsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
14
Inhaltsverzeichnis V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
C. Vorliegen eines öffentlichen Auftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 I. Öffentliche Auftraggeber, § 98 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 II. Öffentlicher Auftrag, § 99 Abs. 1, 4 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Entgeltlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Vertragstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Zuschussvertrag oder entgeltlicher Vertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Eine Ansicht: Verkehrsverträge sind Zuschussverträge . . . . . . . . . . . . 223 bb) Definition des Zuschussvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 cc) Verkehrsleistungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 dd) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 ee) Vereinbarungen über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen . . . . . 226 ff) Beschaffungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2. Öffentlich-rechtlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Rechtsnatur von Verkehrsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Abgrenzung koordinationsrechtlicher/subordinationsrechtlicher Vertrag . . 230 c) Grundsätzliche Anwendbarkeit des Vergaberechts auf öffentlich-rechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 d) Ausübung öffentlicher Gewalt oder Beschaffung von Marktleistungen? . . 233 e) Beschaffung von Marktleistungen durch Abschluss eines Verkehrsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 aa) Keine Ausübung öffentlicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 bb) Beschaffung von Marktleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. Dienstleistungskonzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Einräumung eines Rechts zur Nutzung der Dienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . 239 3. Übernahme des wirtschaftlichen Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Bruttoverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Nettoverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Inhaltsverzeichnis
15
9. Kapitel Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
245
A. Personenbeförderungsrechtliche Anforderungen an das Genehmigungsverfahren . . . . 245 I. Eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Voraussetzungen der Genehmigung/Rechtsstellung des Genehmigungsinhabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Verfahren bei Neuerteilung der Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 a) Genehmigungswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 b) Verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 II. Gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 III. Eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen und öffentliche Zuschussgewährung . . 254 1. Eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen trotz Zuschussgewährung . . . . . . . . 254 a) Beschluss des BVerwG vom 6. 4. 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b) Urteil des EuGH vom 24. 7. 2003 – Altmark Trans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Rechtssichere Teilbereichsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Teilbereichsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 b) Rechtssicherheit der Teilbereichsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 c) Keine Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zuschüsse im Genehmigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 B. Anwendbarkeit des Vergaberechts auf gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen . . . 262 I. § 13a PBefG i. V. mit der Geringste Kosten-Verordnung lex specialis? . . . . . . . 262 1. Gemeinschaftsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Öffentliche Auftraggeber, § 98 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 III. Öffentlicher Auftrag, § 99 Abs. 1, 4 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 1. Öffentlich-rechtlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2. Entgeltliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 3. § 100 Abs. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 4. Dienstleistungskonzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 a) Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe . . . . . . . . . . . . . 269
16
Inhaltsverzeichnis b) Recht zur Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) VK Darmstadt, Beschluss vom 23. 6. 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 c) Wirtschaftliches Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 5. In-House-Vergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
C. Anwendbarkeit des Vergaberechts auf eigenwirtschaftliche Verkehre . . . . . . . . . . . . . 277 I. Beförderungserlöse/gesetzliche Ausgleichszahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 II. Betriebskostenzuschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1. Beihilferechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Verkehrsleistungs- oder Zuschussvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Höhe des Zuschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 b) Genehmigung erteilt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 aa) Indiz für Zuschussvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 bb) Alleinstellung/Ausschließlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 c) Genehmigung noch nicht erteilt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 d) Altpapier-Entscheidung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 4. Dienstleistungskonzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 a) Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe . . . . . . . . . . . . . 290 b) Weitere Voraussetzungen – wirtschaftliche Gestaltungsmacht erforderlich? 290 5. In-House-Vergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 III. Finanzierung kommunaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Vergaberechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 2. Beihilferechtliche Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 10. Kapitel Berücksichtigung des Daseinsvorsorgecharakters der Leistung im Vergabeverfahren
296
A. Verfahrensart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
Inhaltsverzeichnis
17
B. Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 I. Inhalt der Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 II. Konstruktive oder funktionale Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 III. Weitere Anforderungen an die Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 IV. Überwachung der Qualität der Verkehrsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 C. Eignungskriterien und Zuschlagserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 I. Eignungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II. Wirtschaftlichstes Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 D. Kritik der Verkehrsunternehmen am Ausschreibungswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 5. Teil Neuere legislative Entwicklungen
304
11. Kapitel Vertrag von Lissabon und Vergaberechtsreform
304
A. Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 B. Reform des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 12. Kapitel EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße
307
A. Entstehungsgeschichte und Zweck der Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 I. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 II. Zweck der Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 B. Öffentlicher Dienstleistungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 I. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 II. Inhalt von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 C. Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge – anwendbare Vergabevorschriften . . . . 312 I. Vergabe nach den Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 II. Vergabe nach den Verfahrensvorschriften der VO (EG) 1370/2007 . . . . . . . . . . . 313 1. Straßengebundener ÖPNV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
18
Inhaltsverzeichnis 2. SPNV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 III. Übergangsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
D. Vergabevorschriften der VO (EG) 1370/2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 I. Wahlrecht der zuständigen Behörden: Eigenerbringung oder Beauftragung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 II. Wettbewerbliches Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 III. Direktvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 1. Direktvergabe an einen internen Betreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 2. Straßengebundener ÖPNV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 3. SPNV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 a) Art. 5 Abs. 6 VO (EG) 1370/2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 b) Verhältnis zum europäischen Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 c) Vorbehalt entgegenstehenden nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 aa) BGH, Beschluss vom 08. 02. 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 d) Verbleibende Direktvergabemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 IV. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 E. Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . 330 F. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
Einleitung Die Daseinsvorsorge war in den letzten beiden Jahrzehnten einer verstärkten Entwicklung hin zu mehr Wettbewerb unterworfen. Bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden die Leistungen der Daseinsvorsorge den Bürgern üblicherweise im Rahmen der Leistungsverwaltung durch den Staat und die Kommunen zur Verfügung gestellt. Entweder wurden diese Leistungen direkt durch die Verwaltung oder durch öffentliche Unternehmen erbracht, die zumeist über eine Monopolstellung verfügten. Aufgrund von Liberalisierungsbestrebungen, die von der Ebene der Europäischen Gemeinschaft ausgingen, wurden in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den Bereichen der Energieversorgung, des Postwesens und der Telekommunikation die jeweiligen Monopolstrukturen aufgelöst. Die Leistungen sollten zukünftig von Unternehmen erbracht werden, die miteinander im Wettbewerb stehen (Wettbewerb im Markt). In den Bereichen, in denen kein Wettbewerb im Markt besteht, ist die öffentliche Hand verstärkt dazu übergegangen, private Unternehmen mit der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge zu beauftragen. Es stellt sich in dieser Situation die Frage, ob eine solche Beauftragung privater Unternehmen einen öffentlichen Auftrag im Sinne des Vergaberechts darstellt, der öffentlich ausgeschrieben werden muss. Aus dieser Entwicklung erklärt sich die stark gewachsene Bedeutung des Vergaberechts für die Daseinsvorsorge, die auch zu einer Verstärkung des Wettbewerbs in diesem Bereich geführt hat. Das auf europäischem Gemeinschaftsrecht beruhende Vergaberecht verfolgt explizit das Ziel der Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte der Mitgliedstaaten für einen unverfälschten Wettbewerb. Nach der Schaffung des europäischen Vergaberechts begannen die europäischen Institutionen (insbesondere die Europäische Kommission) verstärkt damit, dessen Umsetzung und tatsächliche Anwendung auch im Bereich der Daseinsvorsorge durchzusetzen. Die Frage nach der Anwendbarkeit des Vergaberechts stellt sich ebenfalls, wenn ein öffentliches Unternehmen1 mit der Leistungserbringung beauftragt werden soll (In-House-Vergabe). Könnte in diesem Fall keine direkte Vergabe an das öffentliche Unternehmen erfolgen, bestünde die Möglichkeit, dass als Ergebnis eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens ein drittes Unternehmen beauftragt werden muss. Der Auftraggeber wäre dann gezwungen, die Organisationsstruktur, in der er bisher die ihm obliegenden Aufgaben der Daseinsvorsorge erfüllt hat, zu verändern.
1 D. h. ein Unternehmen, über das der Auftraggeber einen beherrschenden Einfluss ausübt (bspw. eine kommunale Eigengesellschaft).
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Einleitung
Sowohl beim Modell des Wettbewerbs im Markt als auch unter den Bedingungen eines durch das Vergaberecht initiierten Ausschreibungswettbewerbs muss eine ausreichende und angemessene Versorgung der Bevölkerung mit den Leistungen der Daseinsvorsorge gewährleistet sein. Könnten in den liberalisierten Bereichen allein die Unternehmen entscheiden, welche Leistungen sie erbringen wollen, würden defizitäre, aber im Sinne einer ausreichenden und angemessenen Versorgung erforderliche Leistungen entweder überhaupt nicht oder zu Preisen erbracht werden, die für einen Großteil der interessierten Nutzer nicht mehr erschwinglich wären. Wie dieses Spannungsverhältnis gelöst werden kann, wenn Leistungen der Daseinsvorsorge unter den Bedingungen des Wettbewerbs im Markt erbracht werden, ist u. a. Gegenstand des 1. Teils der vorliegenden Arbeit. Bringt der Markt kein ausreichendes und angemessenes Angebot an Leistungen der Daseinsvorsorge hervor, kann die Versorgung u. a. dadurch sichergestellt werden, dass die öffentliche Hand öffentliche oder private Unternehmen mit der Leistungserbringung beauftragt. Vor dem Hintergrund des zwischen einem unreglementierten Wettbewerb und der Daseinsvorsorge bestehenden Spannungsverhältnisses soll die Frage untersucht werden, ob zwischen der Daseinsvorsorge und dem ein wettbewerbliches Vergabeverfahren vorschreibenden Vergaberecht ebenfalls ein Spannungsverhältnis besteht und wie dieses ggf. aufgelöst werden kann. Sollte eine Entschärfung des Spannungsverhältnisses nicht möglich sein, stellt sich die Frage, ob aus diesem Befund die Schlussfolgerung zu ziehen ist, dass das Vergaberecht nicht anzuwenden ist, wenn private oder öffentliche Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge beauftragt werden (Teil 1). Während im 1. Teil auf abstrakterer Ebene die Frage im Mittelpunkt steht, ob zwischen Daseinsvorsorge und Vergaberecht ein Spannungsverhältnis besteht, widmen sich die Teile 2 – 4 konkret der Frage, ob das Vergaberecht Anwendung findet, wenn private oder öffentliche Unternehmen mit der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge beauftragt werden. Im 2. Teil werden aus den Bereichen Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung Beispiele dargestellt, in denen das Vergaberecht Anwendung findet. Der 3. Teil befasst sich sodann sektorübergreifend mit der In-House-Vergabe und der Dienstleistungskonzession. Diesen beiden Konstellationen, mit denen ebenfalls die Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge auf ein Unternehmen übertragen werden kann, ist gemein, dass auf sie jeweils das Vergaberecht nicht anwendbar ist. In hohem Maße umstritten ist die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), mit dem sich der 4. Teil beschäftigt. Für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) regelt § 15 Abs. 2 AEG2, dass die zuständigen Behörden, die mit einem Eisenbahnverkehrsunternehmen die Erbringung von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen vereinbaren wollen, diese Leistung ausschreiben können. Diese Vorschrift eröffnet den zuständigen 2 Allgemeines Eisenbahngesetz vom 27. 12. 1993 (BGBl. I S. 2378 (2396) (1994, 2439)), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 8. 11. 2007 (BGBl. I S. 2566).
Einleitung
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Behörden ihrem Wortlaut nach einen Ermessensspielraum hinsichtlich des durchzuführenden Vergabeverfahrens, es stellt sich jedoch das Problem der Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit dem europäischen Vergaberecht bzw. dem auf diesem beruhenden nationalen Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB). Unter Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen des SPNV wird im 4. Teil nochmals die Frage der Vereinbarkeit von Daseinsvorsorge und Vergaberecht aufgegriffen.3 Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist vorwiegend die bis November 2009 geltende Rechtslage. Im 5. Teil werden die nach diesem Zeitpunkt eingetretenen legislativen Entwicklungen untersucht. Gleichzeitig wird überprüft, ob die mit dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse aufgrund der eingetretenen Veränderungen der Rechtslage der Modifikation bedürfen. Zur Klarstellung sei noch angemerkt, dass im Rahmen dieser Arbeit nicht die Frage überprüft wird, ob das Kartellvergaberecht auch dann Anwendung findet, wenn nicht nur die Erfüllung der Aufgabe der Daseinsvorsorge, sondern diese selbst von der öffentlichen Hand auf einen Dritten übertragen wird.4
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Vgl. Kapitel 8 B. III. Vgl. hierzu nur Endler, NZBau 2002, S. 125, 134 ff.; Schimanek, NZBau 2005, S. 304 ff.
1. Teil
Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb In Kapitel 1 werden zunächst die beiden grundlegenden Begriffe der Daseinsvorsorge und des Vergaberechts definiert. Vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerb wird in Kapitel 2 die Frage erörtert, ob zwischen dem ein wettbewerbliches Vergabeverfahren vorschreibenden Vergaberecht und den Anforderungen der Daseinsvorsorge ebenfalls ein Spannungsverhältnis besteht und in welcher Weise dieses ggf. aufgelöst werden kann.
1. Kapitel
Begriffsbestimmungen A. Daseinsvorsorge I. Forsthoffs Lehre von der Daseinsvorsorge 1. Historischer Hintergrund und Definition Der Begriff der Daseinsvorsorge wurde von Ernst Forsthoff in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts geprägt. Ausgangspunkt der Überlegungen von Ernst Forsthoff war die Beobachtung, dass sich die soziale Wirklichkeit der Menschen durch die Industrialisierung und das rasche Bevölkerungswachstum in Europa, das zu einem großen Teil den Städten zugute kam, verändert hat.1 Mit diesem Wandel der sozialen Wirklichkeit sei eine erhebliche Wandlung der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung einhergegangen.2 Um diesen Wandel der sozialen Wirklichkeit zu verdeutlichen, hat Forsthoff den effektiven und den beherrschten Lebensraum des einzelnen Menschen unterschieden. Der beherrschte Lebensraum sei derjenige, der dem einzelnen in so intensiver Weise zugeordnet sei, dass er über ihn verfüge oder ihn mindestens auf Dauer zu 1 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 4; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl., 1973, S. 526. 2 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 4.
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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nutzen berechtigt sei.3 Als effektiven Lebensraum bezeichnet Forsthoff denjenigen Lebensraum, innerhalb dessen sich das Dasein des einzelnen, konkreten Menschen abspiele.4 Die durch die Industrialisierung ausgelöste räumliche Verdichtung der Bevölkerung in den Städten habe dazu geführt, dass sich der beherrschte Lebensraum des einzelnen mehr und mehr verringerte (von Haus, Hof und Werkstatt zur Mietwohnung und dem Arbeitsplatz in der Fabrik), während die Technik den effektiven Lebensraum außerordentlich erweitert habe.5 Der Schwund an beherrschtem Lebensraum finde seinen Ausgleich in der Ausweitung des effektiven Lebensraums.6 Mit dem beherrschten Lebensraum gingen dem einzelnen die Sicherungen verloren, die seinem Dasein eine gewisse Eigenständigkeit verliehen. Der moderne Mensch ohne beherrschten Lebensraum sei darauf angewiesen, dass ihm die zur Daseinsermöglichung erforderlichen Lebensgüter (Wasser, Energie, öffentliche Verkehrsmittel, …) zugänglich, erwerbbar gemacht werden.7 Der Mensch könne sich diese Lebensgüter nicht mehr durch die Nutzung eigener Sachen, sondern nur im Wege der „Appropriation“ zugänglich machen.8 Dieser Bedürftigkeit zu Hilfe zu kommen, sei staatliche Aufgabe und Verantwortung geworden, wobei der Staat im weiteren, die Gemeinden umfassenden Sinn gemeint sei. Diejenigen „Veranstaltungen“, welche zur Befriedigung dieses „Appropriationsbedürfnisses“ seitens des Staates getroffen werden9 bzw. was seitens des Staates in Erfüllung dieser Aufgabe geschieht, nennt Forsthoff Daseinsvorsorge.10 Tatsächlich hatten insbesondere die Kommunen eigene Versorgungs- und Verkehrsbetriebe zur Versorgung ihrer Einwohner errichtet. Es waren die Städte und Gemeinden, die sich als erste Verwaltungsträger den Problemen gegenübersahen, die mit den beschriebenen sozialen Umwälzungen für die öffentliche Verwaltung entstanden.11
3 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 4; Forsthoff, Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, 1958, S. 5; Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 75 f. 4 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 4; Forsthoff, Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, 1958, S. 4 f.; Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 76. 5 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 5; Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 76. 6 Forsthoff, Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, 1958, S. 5. 7 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 5 f.; Forsthoff, Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, S. 6; Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 76. 8 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 5. 9 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 6. 10 Forsthoff, Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, 1958, S. 6 f.; Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 76; ebenso Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968, S. 18; Klein, Evangelisches Staatslexikon, 1987, Sp. 427 f. 11 Forsthoff, Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, 1958, S. 9 f.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 526.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Der Umfang der im Rahmen der Daseinsvorsorge zu erbringenden Leistungen kann nach Forsthoff nicht abstrakt bestimmt werden. Klassischerweise umfasse die Daseinsvorsorge die Versorgung mit Wasser, Gas und elektrischer Energie (durch die Versorgungsbetriebe), die Bereitstellung von öffentlichen Verkehrsmitteln, die Ableitung von Abwässern und die Abfuhr von Müll, die Heilanstalten/Krankenhäuser und die Institutionen der Kulturpflege.12 Nachdem er diese Frage zunächst offen gelassen hat,13 hat sich Forsthoff in seinen späteren Schriften dazu entschlossen, den Begriff der Daseinsvorsorge nicht auf die lebensnotwendigen Leistungen, wie z. B. die Versorgung mit Wasser oder Energie zu begrenzen.14 Die Versorgungsbedürfnisse des modernen Menschen seien nicht vom allgemeinen Lebensstandard zu lösen und damit nicht konstant. Sie seien vielmehr dynamisch, in ständiger Entwicklung begriffen. Die Vorsorge der öffentlichen Verwaltung brauche sich nicht auf die elementaren Bedürfnisse der Menschen beschränken. Es würde vielmehr den Anforderungen an einen modernen Sozialstaat widersprechen, wenn man die Funktion, die der Begriff der Daseinsvorsorge zu erfüllen hat, auf die Mindestbedürfnisse der Menschen beschränken wollte.15 Deshalb nennt Forsthoff alles, was von Seiten der öffentlichen Verwaltung geschieht, um die Allgemeinheit oder nach objektiven Merkmalen bestimmte Personenkreise in den Genuss nützlicher Leistungen zu versetzen, Daseinsvorsorge.16 Es sei nicht möglich, den Begriff der Daseinsvorsorge unter irgendwelchen quantitativen oder qualitativen Gesichtspunkten zu begrenzen. Entscheidend sei, ob es sich um Verwaltungsleistungen handele, welche ihrer Natur nach der Allgemeinheit durch die öffentliche Verwaltung angeboten werden, so dass angenommen werden dürfe, dass sie jedem, der den normativen Tatbestand erfüllt, auch zugänglich sein sollen.17 Forsthoff gesteht selbst zu, dass der Begriff der Daseinsvorsorge eine gewisse Unschärfe aufweist. Er lässt dieses Argument jedoch nicht als durchschlagenden Einwand gegen die Daseinsvorsorge gelten.18 Aus der Daseinsvorsorge als solcher 12
Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 7; Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 76. 13 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 6. 14 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 12; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 370. 15 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 12; Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 77; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 370. 16 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 370. 17 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 12 f. Es handele sich deshalb nicht um Daseinsvorsorge, wenn eine Stadt, welche ihre eigenen Verwaltungsgebäude von einem zentralen Werk aus beheizt, einzelnen Privaten den Anschluss an die Fernheizanlage gestattet. Daseinsvorsorge sei es jedoch, wenn diese Anlage nach ihrer Einrichtung und Bestimmung allen Interessenten zur Verfügung stehen soll (Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 13). 18 Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1959, S. 77.
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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könnten jedoch keine Rechtsfolgen in dem Sinn gezogen werden, dass die Verwaltung verpflichtet sei, Einrichtungen der Daseinsvorsorge zu schaffen oder zu verbessern.19 2. Teilhabe Die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft war laut Forsthoff durch das Leitbild der Eingriffsverwaltung geprägt und allein bezogen auf den Gegensatz: staatlicher Zwang – individuelle Freiheit. Die Rechtsformen und Institutionen des „überkommenen Verwaltungsrechts“ seien fast alle auf diese Grund- und Ausgangsposition zurückzuführen.20 Forsthoff zieht nicht in Zweifel, dass damit eine dogmatische Grundposition des Verwaltungsrechts bezeichnet ist. Dieser Ansatz sei jedoch nicht in der Lage, die Leistungsverwaltung in ihrer strukturellen Eigenart und in ihrer Bedeutung zu erfassen und handhabbar zu machen. Dies wollte er mit dem Begriff der Daseinsvorsorge und seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit dieser Art der Verwaltung leisten.21 Forsthoffs Überlegungen beziehen sich demnach auf die Leistungsverwaltung. Bei der Erbringung der Leistungen der Daseinsvorsorge ist die öffentliche Verwaltung – sowohl was die Handlungs- als auch die Organisationsformen betrifft – nicht an die Formen des öffentlichen Rechts gebunden. Leistungsverhältnisse der Verwaltung können sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich ausgestaltet sein. Die Verwaltung hat ein Wahlrecht, welcher Regelung sie den Vorzug geben will.22 Es bestehe deshalb die Gefahr, dass sich die Verwaltung bei privatrechtlicher Ausgestaltung der Leistungsverhältnisse öffentlich-rechtlichen Bindungen wie den Grundrechten oder den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts entziehe und somit die gesicherte Teilhabe des einzelnen an den Leistungen der Daseinsvorsorge nicht gewährleistet sei. Die Grundrechte und die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts gelten nach Forsthoff jedoch auch dann, wenn das Leistungsverhältnis der Verwaltung privatrechtlich ausgestaltet ist, da es sich auch in diesem Fall um die Ausübung öffentlicher Verwaltung23 bzw. um öffentliche Verwaltung im materiellen Sinne24 handele. Dadurch, dass Forsthoff die Gewährung von Leistungen durch die Verwaltung „ohne Rücksicht auf die angewandte Rechtsform einheitlich als Ausübung öffentlicher Verwaltung begreift“, entzieht er die privatrechtlich handelnde Leistungsverwaltung der „Ungebun19
Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 12 f. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 368. 21 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1958, S. 9; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 368. 22 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 408; Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 10; Klein, Evangelisches Staatslexikon, 1987, Sp. 430 f. 23 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 370 f. 24 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 519. 20
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
denheit der Privatautonomie“ und unterwirft sie gleichzeitig öffentlich-rechtlichen Bindungen.25 Der Begriff der Verwaltung darf Forsthoff zufolge nicht nur als formeller, sondern muss auch als ein materieller verstanden werden. Das bedeutet: Verwaltung sei nicht nur das, was die Verwaltungsbehörden tun, sondern es gebe Obliegenheiten, die notwendig von der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen seien, Verwaltungsgeschäfte dem Wesen nach. Dazu gehöre der Bereich der Daseinsvorsorge. Für solche Verwaltungsgeschäfte könne es keinen Unterschied machen, ob sie durch Hoheitsverwaltung, Eigenbetrieb oder selbständige öffentliche Unternehmung wahrgenommen würden. Sie blieben in jedem Fall im Funktionsbereich des „Muttergemeinwesens“ als dessen Verwaltungsgeschäfte.26 Die Daseinsvorsorge nimmt in der Konzeption Forsthoffs eine Zwischenstellung zwischen der hoheitlichen Eingriffsverwaltung (die an das öffentliche Recht gebunden ist) und der fiskalischen Betätigung der Verwaltung (die keinen öffentlichrechtlichen Bindungen unterliegt) ein.27 Forsthoff verdeutlicht dies am Beispiel der Versorgungsbetriebe, d. h. also der öffentlichen Unternehmen zur Versorgung mit Wasser, Gas und elektrischer Energie sowie der Verkehrsbetriebe. Diese Versorgungsbetriebe seien zwar wirtschaftliche Unternehmen, wie sie auch von privater Seite betrieben werden können, sie dienten jedoch nicht Erwerbszwecken und seien nach sozialen und anderen Verwaltungsgesichtspunkten gestaltet.28 Da der Verwaltung bei der wirtschaftlichen Betätigung auch die Formen des Privatrechts offen stünden, könnte der Eindruck entstehen, dass es sich hierbei um private, unter fiskalischen Gesichtspunkten zu würdigende Betätigungen handele, welche nicht dem Verwaltungsrecht zugerechnet werden könnten, weil sie mehr oder weniger zufällig von Trägern der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden. Die Verwaltung bleibe jedoch auch dann Verwaltung und damit den besonderen Beurteilungsnormen des Verwaltungsrechts unterworfen, wenn sie im Rahmen der Daseinsvorsorge in den Formen des Privatrechts tätig sei.29 Das für öffentliche Versorgungsbetriebe in der Rechtsform einer GmbH oder AG geltende allgemeine Zivil-, Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht werde deshalb ggf. modifiziert und überlagert durch die Grundrechte und die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts.30
25 Badura, DÖV 1966, S. 624, 627; Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968, S. 19; Klein, Evangelisches Staatslexikon, 1987, Sp. 431 f. 26 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 519. 27 Klein, Evangelisches Staatslexikon, 1987, Sp. 431 f. 28 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 371, 411. 29 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 371. 30 Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 99; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 411.
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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Der Begriff der Daseinsvorsorge sollte das öffentlich-rechtliche Element im Vollzug privatrechtlich gewährter Leistungen fassbar machen.31 Er dient also in erster Linie dazu, die Teilhabe des einzelnen an den Leistungen der Verwaltung zu sichern und ihr den Schutz des öffentlichen Rechts zu verleihen.32 II. Die Wirkung des Begriffs der Daseinsvorsorge Der Begriff der Daseinsvorsorge hat sich im juristischen Sprachgebrauch durchgesetzt und auch Eingang in die Gesetzessprache gefunden. Zugleich ist er aber sowohl hinsichtlich seines inhaltlichen Umfangs als auch seiner juristischen Relevanz hoch umstritten.33 1. Der Begriff der Daseinsvorsorge in Gesetzgebung und Rechtsprechung § 1 Abs. 1 Regionalisierungsgesetz34 bestimmt, dass „die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr […] eine Aufgabe der Daseinsvorsorge“ ist. Die Gemeindeordnungen einiger Bundesländer35 regeln, dass die Gemeinden ungeachtet der Rechtsform wirtschaftliche Unternehmen nur errichten, übernehmen, wesentlich erweitern oder sich daran beteiligen dürfen, wenn ein öffentlicher Zweck das Unternehmen rechtfertigt und bei einem Tätigwerden „außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge“ der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt wird oder erfüllt werden kann.
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Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 10. Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 10. Der Begriff der Daseinsvorsorge verliert Forsthoff zufolge zwar nicht seinen Sinn, aber seine praktische Bedeutung überall dort, wo das Gesetz einen Anspruch des einzelnen auf Leistungen der Daseinsvorsorge ausdrücklich anerkennt und damit sichert. Dies gelte bspw. für die Vorschriften über die Beförderungspflicht der Verkehrsunternehmen (§ 22 PBefG) oder diejenigen Bestimmung der Gemeindeordnungen der einzelnen Bundesländer, die den Einwohnern der Gemeinde einen Anspruch auf Benutzung der öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde gewähren (Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 10 f.). 33 Vgl. nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 2 Rn. 6. 34 Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs, verkündet als Art. 4 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes v. 27. 12. 1993, (BGBl. I S. 2378). 35 § 102 Abs. 1 Nr. 3 Gemeindeordnung für Baden-Württemberg i. d. F. v. 24. 7. 2000 (GBl. S. 582, ber. 698); Art. 87 Abs. 1 Nr. 4 Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern i. d. F. der Bek. v. 22. 8. 1998 (GVBl. S. 797); § 71 Abs. 1 Nr. 4 Thüringer Gemeinde- und Landkreisordnung (Thüringer Kommunalordnung) i. d. F. der Bek. v. 14. 4. 1998 (GVBl. S. 73). 32
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Der Begriff der Daseinsvorsorge ist auch zum festen Bestandteil der Argumentation in der Verfassungs-36, Verwaltungs-37 und Zivilrechtsprechung38 geworden. Die Rechtsprechung ordnet insbesondere die Energie- und Wasserversorgung, den Öffentlichen Personennahverkehr, die Abfallbeseitigung, die Krankenhäuser, Altenheime und Kindergärten sowie alle sonstigen Maßnahmen zum Ausbau der örtlichen „Infrastruktur“ im weiteren Sinne der Daseinsvorsorge zu.39 Die Daseinsvorsorge ist nach der Rechtsprechung eine öffentliche Aufgabe, die grundsätzlich der öffentlichen Verwaltung zugewiesen ist.40 Die meisten dieser Aufgaben würden von den kommunalen Gebietskörperschaften als eigene Angelegenheiten wahrgenommen,41 insbesondere gehöre die Energie- und Wasserversorgung zu den typischen, die Daseinsvorsorge betreffenden Aufgaben der kommunalen Gebietskörperschaften.42 Die Rechtsprechung qualifiziert die Daseinsvorsorge als eine öffentliche Aufgabe, unabhängig davon, ob sie in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Form durchgeführt wird. Auch dann, wenn die Aufgabe der Daseinsvorsorge nicht durch den Träger selbst, sondern von einer diesem gegenüber rechtlich verselbständigten, privatrechtlich organisierten und vom ihm beherrschten Verwaltungseinheit erfüllt wird, handelt es sich hierbei um öffentliche Verwaltung.43 Nach der Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofs gelten im Bereich der Daseinsvorsorge die Grundrechte unmittelbar auch für das privatrechtliche Handeln des Staates bzw. der Gemeinden.44 „Der Staat kann sich, wenn er sich im Bereich der Leistungsverwaltung zulässigerweise privatrechtlicher Mittel bedient, dadurch nicht der Grundrechtsbindung entziehen, der er bei Einsatz öffentlichrechtlicher Mittel […] unterworfen wäre.“45 Bei privatrechtlicher Ausgestaltung des 36
BVerfG v. 20. 3. 1984, Az. 1 BvL 28/82, BVerfGE 66, 248, 258; BVerfG v. 10. 12. 1974, Az. 2 BvK 1/73; 2 BvR 902/73, BVerfGE 38, 258, 270 f.; BVerfG v. 16. 5. 1989, Az. 1 BvR 705/88, NJW 1990, 1783; BVerfG v. 7. 7. 1977, Az. 1 BvR 108, 424/73 und 226/74, BVerfGE 45, 63, 78 ff. 37 BVerwG v. 21. 1. 1988, Az. 5 C 5.84, DÖV 1988, S. 1060, 1061. 38 BGH v. 5. 4. 1984, Az. III ZR 12/83, BGHZ 91, 84, 86; BGH v. 6. 2. 1985, Az. VIII ZR 61/84, BGHZ 93, 358, 363; BGH v. 26. 11. 1975, Az. VIII ZR 164/74, BGHZ 65, 284 ff. 39 BVerfGE 38, 258, 270 f. 40 BVerfGE 45, 63, 78 ff.; BGHZ 93, S. 358, 363 m. w. N. 41 BVerfGE 38, 258, 270 f.; zur Energieversorgung: BVerfGE 66, 248, 258; BVerfG, NJW 1990, 1783; zur Wasserversorgung: BGHZ 55, 229, 230; BGHZ 91, 84, 86; BGHZ 93, 358, 363. 42 BVerfGE 38, 258, 270 f.; BVerfGE 45, 63, 78 f.; BVerfG, NJW 1990, S. 1783; BGHZ 93, 358, 363. 43 BVerfGE 45, 63, 78 f. Mit diesem Argument begründet die Rechtsprechung auch, dass Versorgungsunternehmen auch dann nicht grundrechtsfähig sind, wenn sie zwar als privatrechtliche Gesellschaften organisiert sind, die öffentliche Hand jedoch alleinige oder doch mehrheitliche Gesellschafterin ist (vgl. BVerfGE 45, 63, 80; BVerfG, NJW 1990, S. 1783 m. w. N.). 44 BGHZ 65, 284, 287; BGHZ 93, 358, 363. 45 BGHZ 65, 284, 287.
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Nutzungsverhältnisses richtet sich dieses nicht ausschließlich nach den Normen des Privatrechts, „diese werden vielmehr in mancherlei Hinsicht durch Bestimmungen des öffentlichen Rechts ergänzt, überlagert und modifiziert.“ Deshalb haben kommunale Versorgungsunternehmen auch bei privatrechtlicher Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses insbesondere die Grundrechte zu beachten.46 Im Ergebnis kann demnach festgehalten werden, dass die Rechtsprechung deutlich durch Forsthoffs Lehre von der Daseinsvorsorge beeinflusst wurde. 2. Kritik am Begriff der Daseinsvorsorge Im überwiegenden Teil des Schrifttums wird der Begriff der Daseinsvorsorge kritisiert und dessen Charakter als Rechtsbegriff abgelehnt.47 In ihrer generellen Stoßrichtung wendet sich die Kritik gegen die dem Begriff der Daseinsvorsorge aus Sicht der Kritiker innewohnende anti-liberale Tendenz.48 Die Kritiker verweisen in diesem Zusammenhang auf die Schrift „Die Verwaltung als Leistungsträger“ aus dem Jahre 1938, mit der Forsthoff in der Zeit des Nationalsozialismus den Begriff der Daseinsvorsorge geschaffen hat und in der er die Ansicht vertrat, dass sowohl die individuelle Freiheit wie auch die Grundrechte überholt seien.49 Das Konzept der Daseinsvorsorge sei für Forsthoff eingebettet in die Vorstellung eines „autoritären Verwaltungsstaates“.50 Die Kritiker wollen den Begriff der Daseinsvorsorge darüber hinaus auf einen soziologischen Befund reduzieren bzw. sehen in ihm lediglich einen „deskriptiven Sammelbegriff“.51 Aufgrund seiner mangelnden Konturenschärfe52 sei der Begriff der Daseinsvorsorge kein Rechtsbegriff, mit dem bestimmte Rechtsfolgen verknüpft sind.53 46
BGHZ 91, 84, 96; BGHZ 93, 358, 363. Vgl. aus dem jüngeren Schrifttum nur Knauff, Der Gewährleistungsstaat, 2004, S. 45 ff.; Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 394; Pielow, JuS 2006, S. 692; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 111 f.; Rosner, Staatliche Ausgleichsleistungen, 2006, S. 16 f. Zustimmend äußern sich u. a. folgende Autoren: Badura, DÖV 1966, 624 ff.; Klein, Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 16 ff., 87 ff.; Klein, Evangelisches Staatslexikon, 1987, Sp. 270 ff.; Bull, Staatsaufgaben, 1977, S. 240 ff.; Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 71 ff. 48 Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, S. 116. 49 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, S. 1. 50 Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 111; Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 393. 51 Knauff, Der Gewährleistungsstaat, 2004, S. 47; Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 394; Pielow, JuS 2006, S. 692. 52 Püttner, in: Cox (Hrsg.), Daseinsvorsorge und öffentliche Dienstleistungen in der Europäischen Union, 2000, S. 45, 49; Knauff, Der Gewährleistungsstaat, 2004, S. 46; Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 388; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 111. 53 Knauff, Der Gewährleistungsstaat, 2004, S. 46; Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 388, 394; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 111 f. 47
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Vor dem Hintergrund dieser Kritik soll im Folgenden untersucht werden, ob der Forsthoff’sche Begriff der Daseinsvorsorge unter den heute geltenden Bedingungen modifiziert werden muss und ob es sich bei diesem Begriff um einen Rechtsbegriff handelt. III. Staatliche Gewährleistungsverantwortung Forsthoffs Begriff der Daseinsvorsorge knüpft daran an, dass der Staat54 selbst Leistungen erbringt. Im Zentrum der Forsthoff’schen Überlegungen stand die Leistungsverwaltung.55 Traditionellerweise wurden in der Bundesrepublik Deutschland (wie auch sonst in Europa56) viele Leistungen der Daseinsvorsorge durch den Staat selbst erbracht. Entweder hat er die Leistungen direkt über seine Verwaltung erbracht oder über öffentliche Unternehmen. Öffentliche Unternehmen sind Unternehmen, auf die ein Hoheitsträger auf Grund von Eigentum, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger (z. B. Stimmrechts-)Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann.57 1. Wandel von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung Mittlerweile hat jedoch eine Entwicklung dahingehend stattgefunden, dass die Leistungen der Daseinsvorsorge vermehrt durch private Unternehmen und nicht mehr durch den Staat im Wege der Leistungsverwaltung erbracht werden. Der Staat zieht sich jedoch nicht endgültig zurück, sondern er trägt weiterhin die Verantwortung dafür, dass die durch private Unternehmen erbrachten Leistungen flächendeckend allen Bürgern zu quantitativ und qualitativ angemessenen Bedingungen zur Verfügung stehen. Diese Pflicht des Staates, die gemeinwohlorientierte Erfüllung der Daseinsvorsorgeaufgaben durch Private sicherzustellen, wird als Gewährleistungsverantwortung bezeichnet.58 Der Staat nimmt in sinkendem Maße die Erfül54
Verstanden als der Staat selbst und seine Untergliederungen. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 370; Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 9, 12 f. Forsthoff hat jedoch auch darauf hingewiesen, dass ein Großteil der Daseinssicherung in modernen industriellen Gesellschaften durch die Gesellschaft selbst wahrgenommen wird. Für Forsthoff ist die Daseinssicherung durch die Gesellschaft die primäre Art der Daseinssicherung, zu der die Daseinsvorsorge (d. h. also die Erbringung von Leistungen durch die öffentliche Verwaltung) ergänzend – subsidiär – hinzutritt. Die Daseinsvorsorge sei eine staatliche Komplementärfunktion, die die Daseinssicherung durch die Gesellschaft ergänze (Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 20 f.). 56 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 23. 57 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 86 Rn. 15 f. m. w. N. 58 Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 27; Schoch, NVwZ 2008, S. 241 ff.; Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, S. 337 f.; Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 959; Ruge, Die Gewährleistungsverant55
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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lungsverantwortung wahr,59 er trägt jedoch weiterhin die Gewährleistungsverantwortung. Er wandelt sich vom Vorsorge- zum Gewährleistungsstaat.60 Der Wandel von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung kann sich in der Weise vollziehen, dass an die Stelle staatlicher Leistungsverwaltung die privatwirtschaftliche Leistungserbringung durch miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen tritt. Durch gemeinwohlorientierte Anforderungen und Pflichten, die an die Unternehmen gestellt werden und durch Regulierung stellt der Staat sicher, dass die Leistungen der Daseinsvorsorge der Bevölkerung in ausreichendem und angemessenen Maße zur Verfügung stehen.61 Diese Aufgabenverteilung zwischen Wirtschaft und Staat fußt auf der Grundannahme, dass ein regulierter Wettbewerb privater Unternehmen oder auch privater und öffentlicher Unternehmen grundsätzlich geeignet und ausreichend ist, die wünschenswerten Leistungen der Daseinsvorsorge sicherzustellen. Unter Regulierung ist zunächst eine Form der Wettbewerbsaufsicht zu verstehen62, mit der der Wettbewerb auf einem bestimmten Markt aufrechterhalten oder gestützt werden soll. Im Bereich der Daseinsvorsorge ist jedoch der Zweck der Regulierung – über eine reine Wettbewerbsaufsicht hinaus – auf die Gewährleistung einer angemessenen und ausreichenden Versorgung gerichtet.63 Ein Wechsel von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung findet auch dann statt, wenn der Staat oder die Kommunen – anstatt die Leistung selbst zu erbringen – ein privates Unternehmen mit der Leistungserbringung beauftragen.64 Die Leistung selbst wird durch ein privates Unternehmen erbracht, der Staat ist weiterhin dafür verantwortlich, dass diese den Nutzern entsprechend den jeweils geltenden wortung des Staates, 2004, S. 172 ff.; Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), S. 284 f.; Doerfert, JA 2006, S. 316, 317; Jennert, NVwZ 2004, S. 425; Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 24; Pielow, JuS 2006, S. 692, 693; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 138 ff.; Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung als Verbundaufgabe, 2005, S. 172. 59 Erfüllungsverantwortung bedeutet die Erfüllung von öffentlichen Aufgaben in eigener Regie des Staates, d. h. durch die unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung oder durch vom Staat beherrschte Dritte. Der Staat wird durch sein Verwaltungshandeln zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe selbst tätig (Ruge, Die Gewährleistungsverantwortung des Staates, 2004, S. 173; Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 338; Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung als Verbundaufgabe, 2005, S. 172). 60 Vgl. nur Schoch, NVwZ 2008, S. 241 m. w. N. 61 Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 33 f.; Fehling, Die Verwaltung 2001, S. 25, 27, 56; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 139; Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung als Verbundaufgabe, 2005, S. 172; Schoch, NVwZ 2008, S. 241 f., 245 f. 62 Pielow, JuS 2006, S. 692, 693; Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 34. 63 Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 34; Fehling, Die Verwaltung 2001, S. 25, 56. 64 Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 284 f.; Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), S. 11 ff.; Jennert, NVwZ 2004, S. 425; Pielow, JuS 2006, S. 692, 693; Rosner, Staatliche Ausgleichsleistungen, 2006, S. 22; Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 43; Schoch, NVwZ 2008, S. 241, 246.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Gemeinwohlanforderungen zur Verfügung steht.65 Eine ausreichende Grundversorgung wird dadurch sichergestellt, dass die zu erbringende Leistung hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Qualität zwischen den Vertragsparteien vereinbart wird und der Staat bzw. die Kommune die Einhaltung dieser Verpflichtungen überwacht und gegebenenfalls auf deren ordnungsgemäße Erfüllung hinwirkt.66 Beauftragt aber bspw. eine Kommune eine kommunale Eigengesellschaft, so nimmt sie weiterhin ihre Erfüllungsverantwortung wahr, da sie auch in dieser Konstellation eine Aufgabe der Daseinsvorsorge – wenn auch in privatrechtlicher Organisationsform – selbst erfüllt.67 In Fällen, in denen ein Wechsel von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung stattgefunden hat, die Leistungen der Daseinsvorsorge der Bevölkerung jedoch überhaupt nicht (Nichterfüllung) oder nicht in ausreichendem und angemessenem Maß (Schlechterfüllung) zur Verfügung stehen, ist der Staat verpflichtet, entweder die Leistungen der Daseinsvorsorge wieder selbst zu erbringen oder auf eine sonstige Weise dafür zu sorgen, dass eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung gesichert ist (Auffangverantwortung).68 2. Postreform Der Wandel von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung des Staates lässt sich insbesondere anhand des Beispiels der Postreform aufzeigen.69 Die Deutsche Bundespost wurde vor der Postreform im Jahre 1994 gemäß Art. 87 Abs. 1 GG a. F. in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau als Teil der staatlichen Leistungsverwaltung geführt.70 Durch die Postreform wurden Post und Telekommunikation privatisiert. Nach dem neuen Art. 87 f Abs. 2 GG werden Dienstleistungen im Bereich der Post und Telekommunikation als privatwirtschaftliche Tätigkeiten von den aus der Deutschen Bundespost hervorgegangenen Unternehmen und anderen privaten Anbietern im Wettbewerb erbracht. Den Bund 65
Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 286; Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 606. Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), S. 311 f. („Ergebnissicherung“), 320 ff. („Einwirkungsaufsicht“); Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 606 (Pflicht zur Vornahme von „Leitungsmaßnahmen“). Nach den in der Literatur verwendeten Begriffen geschieht die Sicherung öffentlicher Belange im Rahmen der Gewährleistungsverantwortung durch das sogenannte Gewährleistungs- bzw. Gewährleistungsverwaltungsrecht (Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), S. 307 ff.; Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung als Verbundaufgabe, 2005, S. 172). 67 Dies wirkt sich auch bei der vergaberechtlichen Beurteilung einer solchen Beauftragung aus (vgl. Kapitel 5 C. I.). 68 Ruge, Die Gewährleistungsverantwortung des Staates, 2004, S. 173; Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 338; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 139; Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), S. 326; Schoch, NVwZ 2008, S. 241, 244, 247 (insbesondere zu den mit der Auffangverantwortung verbundenen Problemen). 69 Fehling, Die Verwaltung 2001, S. 25; Doerfert, JA 2006, S. 316, 317; Schoch, NVwZ 2008, S. 241, 243. 70 Ruge, Die Gewährleistungsverantwortung des Staates, 2004, S. 177. 66
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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trifft eine Gewährleistungspflicht für eine flächendeckend angemessene und ausreichende Versorgung (Art. 87 f Abs. 1 GG).71 Die Konkretisierung der im Grundgesetz festgeschriebenen Gewährleistungsverantwortung erfolgt durch das Postgesetz (PostG)72 und das Telekommunikationsgesetz (TKG).73 Zweck dieser Gesetze ist es, durch Regulierung im Bereich des Postwesens bzw. der Telekommunikation den Wettbewerb zu fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten (§ 1 PostG, § 1 TKG). Die Regulierung ist erforderlich, da die Post und Telekommunikation Aufgaben der Daseinsvorsorge darstellen, so dass es darauf ankommt, eine angemessene und ausreichende Versorgung mit Dienstleistungen zu gewährleisten.74 Die Gewährleistungsverantwortung wird in erster Linie durch das Konzept der Universaldienstleistungen konkretisiert.75 Universaldienstleistungen sind ein genau festgelegtes Mindestangebot an Post- bzw. Telekommunikationsdienstleistungen, die flächendeckend in einer bestimmten Qualität und zu einem erschwinglichen Preis erbracht werden müssen (§ 11 Abs. 1 PostG, § 78 Abs. 1 TKG). Die Universaldienstleistungen werden von den am Markt tätigen Unternehmen grundsätzlich freiwillig erbracht. Wird eine Universaldienstleistung nicht ausreichend und angemessen erbracht oder ist zu befürchten, dass eine solche Versorgung nicht gewährleistet sein wird, so sind alle Unternehmen, die auf dem betroffenen Markt tätig sind und auf diesem einen bestimmten Mindestumsatz erzielen,76 dazu verpflichtet, zur Erbringung der Universaldienstleistung beizutragen (§ 12 Abs. 1 PostG, § 80 TKG). In diesem Fall kann die Bundesnetzagentur unter bestimmten Voraussetzungen das oder die marktbeherrschenden Unternehmen zur Erbringung der Universaldienstleistung verpflichten (§ 13 PostG; § 81 TKG). IV. Weiterentwicklung des Daseinsvorsorgebegriffs 1. Erweiterung gegenüber dem klassischen Begriff der Daseinsvorsorge Der eben dargestellten Entwicklung von der staatlichen Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung muss auch der Begriff der Daseinsvorsorge angepasst 71
Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 109. Postgesetz v. 22. Dezember 1997, BGBl. I S. 3294, zuletzt geändert durch Art. 272 der Verordnung vom 31. Oktober 2006, BGBl. I S. 2407. 73 Telekommunikationsgesetz v. 22. Juni 2004, BGBl. I S. 1190, zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 18. Februar 2007, BGBl. I S. 106. 74 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 109 f. 75 Ruge, Die Gewährleistungsverantwortung des Staates, 2004, S. 184; Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), S. 286 ff.; Schoch, NVwZ 2008, S. 241, 246. 76 Bzw., was die Telekommunikation betrifft, einen bestimmten Anteil (4 %) am Gesamtumsatz auf dem jeweiligen sachlich relevanten Markt haben oder auf dem räumlich relevanten Markt über eine beträchtliche Marktmacht verfügen (§ 18 Abs. 1 TKG). 72
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
werden. Er kann sich nicht mehr (wie der Forsthoff’sche Begriff der Daseinsvorsorge) auf die Anknüpfung an die Leistungsverwaltung beschränken. Dies führt zu einer Erweiterung des Begriffs der Daseinsvorsorge, da von diesem nunmehr neben der Leistungsverwaltung auch alle Formen staatlicher Gewährleistung gemeinwohlorientierter privatwirtschaftlicher Leistungserbringung erfasst werden.77 Daseinsvorsorge ist die durch den Staat und die Kommunen sicherzustellende gemeinwohlorientierte Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen (einschließlich der Infrastruktur), die für eine zeitgemäße Lebensführung unerlässlich sind und auf die die Bevölkerung mangels eigener Erschaffungsmöglichkeiten angewiesen ist.78 Zu diesen Dienstleistungen werden klassischerweise u. a. die Energieversorgung, Telekommunikation und Post, die Abfallentsorgung, die Wasserversorgung, die Abwasserentsorgung und die Verkehrsleistungen des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) gezählt. Diese – lebensnotwendigen – Leistungen bilden den Gegenstand der vorliegenden Arbeit und werden im Folgenden zusammenfassend als Leistungen der Daseinsvorsorge bezeichnet. Abzugrenzen ist der Begriff der Daseinsvorsorge von den staatlichen Sozialleistungen. Durch die Daseinsvorsorge sollen allgemein Leistungen und Güter gegenüber jedermann bereitgestellt werden, die zwar für eine zeitgemäße Lebensführung unerlässlich sind, die sich jedoch der einzelne Bürger weder über den Markt beschaffen noch selbst aus eigener Kraft erschaffen kann. Kennzeichnend für die Daseinsvorsorge ist auch, dass der Bürger ein Entgelt für die Inanspruchnahme der jeweiligen Leistung zahlen muss. Im Gegensatz hierzu sollen durch staatliche Sozialleistungen nicht allgemeine Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigt, sondern individuelle soziale Notlagen oder Benachteiligungen beseitigt oder gelindert werden. Sozialleistungen sind auch durch ihren einseitigen Charakter gekennzeichnet, der Empfänger ist normalerweise nicht in der Lage, eine Gegenleistung zu erbringen.79 2. Staatliche Aufgabe/Rechtsgrundlage Für Forsthoff war es staatliche Aufgabe und Verantwortung, dem einzelnen den Erwerb der Leistungen der Daseinsvorsorge zu ermöglichen.80 Hieran hat sich grundsätzlich nichts geändert. Die Daseinsvorsorge ist weiterhin eine Aufgabe des 77 Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 952, 956, 960; Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 27. 78 Knauff, Der Gewährleistungsstaat, 2004, S. 46; Schmidt, Der Staat 2003, S. 225; Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 139. Vgl. auch Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1986, S. 17. 79 Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 12 ff.; Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2007, S. 136 ff.; Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968, S. 20; Klein, Evangelisches Staatslexikon, 1987, Sp. 428; Rosner, Staatliche Ausgleichsleistungen, 206, S. 21; Heinze, BayVBl. 2004, S. 33, 34. 80 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 7; Forsthoff, Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, 1958, S. 6 f.; Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 76.
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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Staates und der Kommunen. Im sozialen Rechtsstaat trägt der Staat die Verantwortung für die ausreichende und angemessene Erfüllung der Daseinsvorsorgeaufgabe.81 Freilich ist darauf hinzuweisen, dass in der marktwirtschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich Private Güter und Dienstleistungen anbieten und jeder Bürger selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen muss. Der Staat schafft hierfür lediglich die erforderlichen Rahmenbedingungen, wie bspw. ein funktionierendes Privatrecht und eine funktionierende Rechtspflege.82 Allerdings schafft es der nach allgemeinen Regeln geordnete Markt nicht immer, eine angemessene und ausreichende Versorgung der Bürger mit jenen Leistungen sicherzustellen, die für eine zeitgemäße Lebensführung unerlässlich sind und auf die die Bevölkerung mangels eigener Erschaffungsmöglichkeiten angewiesen ist. Es ist dann die Aufgabe des Staates und der Kommunen, eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit solchen Leistungen sicherzustellen.83 Die Aufgabe des Staates und der Kommunen, eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit den Leistungen der Daseinsvorsorge zu gewährleisten, ergibt sich aus den Grundrechten und dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip.84 In den Bereichen der Post und Telekommunikation sowie der Eisenbahnen des Bundes ergibt sich die Aufgabe des Bundes, flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten, auch unmittelbar aus Art. 87e Abs. 4 GG bzw. Art. 87f Abs. a GG. Hauptzweck des heutigen Staates als Verfassungsstaat ist in
81 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, S. 80; Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 16 ff., 34. 82 Auch Forsthoff hat in seinen späteren Schriften darauf hingewiesen, dass ein Großteil der Daseinssicherung in modernen industriellen Gesellschaften durch die Gesellschaft selbst wahrgenommen wird. Für Forsthoff ist die Daseinssicherung durch die Gesellschaft die primäre Art der Daseinssicherung, zu der die Daseinsvorsorge (d. h. also die Erbringung von Leistungen durch die öffentliche Verwaltung) ergänzend – subsidiär – hinzutrete. Die Daseinsvorsorge sei eine staatliche Komplementärfunktion, die die Daseinssicherung durch die Gesellschaft ergänze (Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 19 ff.; ebenso Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968, S. 18). 83 Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2007, S. 136; Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 6; Badura, DÖV 1966, S. 624, 625; Bull, Staatsaufgaben, 1977, S. 240 f., 245; Heinze, BayVBl. 2004, S. 33, 34; so auch Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003), 270 endg., Tz. 22. 84 Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 27; Broß, JZ 2003, S. 874 f., 877 (Ausprägung des Sozialstaatsprinzips des Art. 20 Abs. 1 GG und der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG)); Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 16 (Staatsaufgabe Daseinsvorsorge ergibt sich aus Rückgriff auf die Menschenwürde, das Sozialstaatsprinzip und den Gedanken der materiellen Effektuierung von Grundrechten); Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2007, S. 138 f. (staatliche Verpflichtung zur Wohlfahrtspflege, Schutz der menschlichen Würde gem. Art. 1 Abs. 1 GG, faktische Gewährleistung der Freiheitsrechte); Bull, Staatsaufgaben, 1977, S. 245; ablehnend Heinze, BayVBl. 2004, S. 32, 34.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
erster Linie die Garantie individueller Freiheit.85 Individuelle Freiheit erwächst jedoch nicht nur aus der Abwehr von staatlichen Eingriffen, sondern ebenso aus der Teilhabe am Gemeinschaftsleben.86 Damit die Bevölkerung von ihren verfassungsmäßigen Grundrechten auch tatsächlich Gebrauch machen kann, obliegen dem modernen Staat Aufgaben wie bspw. die Sicherstellung einer funktionierenden Verkehrsinfrastruktur, Energieversorgung oder Telekommunikation.87 Die Bundesrepublik Deutschland als sozialer Rechtsstaat kann nur Garant der Freiheit sein, wenn sie soziale Mindeststandards und eine adäquate Infrastruktur gewährleistet.88 Die Ausübung der Grundrechte ist ohne eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Daseinsvorsorge nicht möglich. Bspw. können Bürger, die nicht am motorisierten Individualverkehr teilnehmen, von ihren Grundrechten nur dann vollständig Gebrauch machen, wenn ihnen ausreichende, d. h. dem motorisierten Individualverkehr grundsätzlich gleichstehende Verkehrsleistungen im ÖPNV angeboten werden. Die Mobilität ist tatsächliche Voraussetzung der Grundrechtsentfaltung.89 Außerdem ist eine ausreichende Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern wie z. B. Energie oder Trinkwasser eine existentielle und unverzichtbare Voraussetzung für das Leben in der heutigen Gesellschaft.90 3. Erbringer der Leistung Daraus, dass dem Staat und den Kommunen die Aufgabe der Daseinsvorsorge obliegt, kann jedoch nicht geschlossen werden, dass diese die entsprechenden Leistungen notwendigerweise selbst erbringen müssen.91 Der Staat bzw. die Kommunen können ihrer Aufgabe auch dadurch nachkommen, dass sie Private mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge beauftragen. Noch stärker hat sich der Staat auf seine Gewährleistungsfunktion zurückgezogen, wenn die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge wie bspw. in der Telekommuni85 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 75; Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2007, S. 139. 86 Ronellenfitsch, in: Hrbek/Nettesheim, Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 90; Badura, DÖV 1966, S. 624, 625 (Freiheit durch Wohlfahrt). 87 Bull, Staatsaufgaben, 1977, S. 240 f.; Ronellenfitsch, in: Hrbek/Nettesheim, Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 90; Ronellenfitsch, in: ForsthoffKolloquium, 2003, S. 76; Broß, JZ 2003, S. 877; so auch Pielow, JuS 2006, S. 692 und Rosner, Staatliche Ausgleichsleistungen, 2006, S. 18, 22 f. 88 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, S. 76; Broß, JZ 2003, S. 877; Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2007, S. 139 f.; so auch die Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Abschnitt 2.1. 89 Ronellenfitsch, in: Hrbek/Nettesheim, Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 91; Broß, JZ 2003, S. 877. 90 Bull, Staatsaufgaben, 1977, S. 241. 91 Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 24, 29 ff.; Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 959; Heinze, BayVBl. 2004, S. 32, 35.
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kation komplett dem Markt überantwortet ist und der Staat lediglich regulierend eingreift und bestimmte Mindeststandards der Leistungserbringung setzt (Universaldienst).92 Die unmittelbare Erfüllung der Aufgaben der Daseinsvorsorge ist auch nicht ausschließlich dem Staat und den Kommunen vorbehalten.93 Es war lange Zeit eine der Kernfragen in der Diskussion über den Charakter des Begriffs der Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, ob bestimmte Aufgaben der Daseinsvorsorge originär als solche des Staates, d. h. genauer gesagt der leistenden Verwaltung zu begreifen sind. Einen solchen mit dem Ausschluss privatwirtschaftlicher Tätigkeit verbundenen Staatsvorbehalt gibt es jedoch in der Daseinsvorsorge nicht.94 Der Begriff der Daseinsvorsorge umfasst sowohl die Leistungserbringung durch die öffentliche Verwaltung selbst (Leistungsverwaltung), die privatwirtschaftliche Leistungserbringung im Wettbewerb unter staatlicher Regulierung, wie sie oben anhand der Beispiele Post und Telekommunikation dargestellt wurde (Universaldienst) und die mit Gemeinwohlanforderungen verbundene Beauftragung eines privaten Unternehmens.95 Die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die mit Gemeinwohlanforderungen verbundene Beauftragung privater oder öffentlicher Unternehmen wird im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen. 4. Anforderungen an die Versorgung Die Qualifizierung einer Aufgabe als Aufgabe der Daseinsvorsorge zieht rechtliche Folgen hinsichtlich der qualitativen Anforderungen an die Art und Weise der
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Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2007, S. 141 f.; Heinze, BayVBl. 2004, S. 33, 35. 93 Vgl. zu der hiervon zu unterscheidenden Frage nach der Zulässigkeit der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge durch eigene Einrichtungen der öffentlichen Hand Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 30 ff.; Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 95 (Staatliche Eigenproduktion gerechtfertigt, wenn nur durch sie eine ausreichende Daseinsvorsorge gewährleistet ist). Eine Rechtspflicht zur Erbringung bestimmter Leistungen durch eigene Einrichtungen erwächst aus der Aufgabe der Daseinsvorsorge nur, wenn ansonsten „unerträgliche Zustände“ entstehen würden (Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968, S. 18; Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 35; Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2007, S. 142). 94 Rosner, Staatliche Ausgleichsleistungen, 2006, S. 12; Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 29; Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 77 ff., 95, 113; Bull, Staatsaufgaben, 1977, S. 243; Badura, DÖV 1966, S. 624, 628 („Durch den Begriff der Daseinsvorsorge werden nicht bestimmte ursprünglich private Tätigkeiten sozialisiert, indem sie für die Verwaltung in Anspruch genommen werden, sondern werden die leistenden Funktionen, die sich … in der Hand der Verwaltung befinden einer verwaltungsrechtlichen Betrachtung zugänglich gemacht.“); Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968, S. 19; Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 393; Pielow, JuS 2006, S. 692. 95 Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 960.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Erfüllung dieser Aufgabe nach sich.96 Es genügt nicht, dass die Leistungen der Daseinsvorsorge überhaupt erbracht werden. Vielmehr muss – unabhängig davon, wer die jeweilige Leistung der Daseinsvorsorge erbringt – eine ausreichende und angemessene Versorgung der Bevölkerung gesichert sein. Ausreichend bezieht sich hierbei auf die quantitativen Aspekte, angemessen auf die qualitativen Aspekte der Versorgung. Eine ausreichende Versorgung liegt vor, wenn die Leistungen zuverlässig, flächendeckend und kontinuierlich erbracht werden und allgemein zugänglich sind. Eine angemessene Versorgung ist gegeben, wenn diese qualitativ hochwertig und für die Bevölkerung erschwinglich ist.97 Außerdem muss die Versorgungssicherheit gewährleistet sein.98 Was eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Daseinsvorsorge ist, kann nicht generell festgelegt werden. Die Versorgungsbedürfnisse sind nicht statisch, sondern variabel und deshalb auch Veränderungen unterworfen, die ggf. eine Anpassung nötig machen. Sie richten sich nach dem allgemeinen Lebensstandard der Bevölkerung.99 Dem Staat und den Kommunen steht hier ein großer Einschätzungsspielraum zu.100 Außerdem muss für jeden einzelnen Bereich der Daseinsvorsorge (Verkehr, Energie, Telekommunikation, Wasserversorgung, …) gesondert ermittelt und festgelegt werden, wie die Leistungen konkret ausgestaltet sein müssen, damit die Versorgung als ausreichend angesehen werden kann. Bspw. muss im ÖPNV festgelegt werden, welche Linien in welchem Takt bzw. nach welchem Fahrplan zu welchen Zeiten bedient werden. Die Daseinsvorsorge ist im Bereich des ÖPNV nur ausreichend, wenn der ÖPNV flächendeckend als vollwertige Alternative zum motorisierten Individualverkehr zur Verfügung steht und zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse beiträgt.101 Verallgemeinernd lässt sich jedoch sagen, dass jedenfalls die grundrechtlich abgesicherten Lebensbedürfnisse zu erschwinglichen Preisen befriedigt werden müssen, damit eine ausreichende und angemessene Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Daseinsvorsorge gewährleistet ist.102
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Ronellenfitsch, in: Hrbek/Nettesheim, Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 89; Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 73 ff.; Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2007, S. 143. 97 Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2007, S. 143; Kolb, LKV 2006, S. 97, 98. 98 In der 13. Erklärung der Regierungen zur Schlussakte des Amsterdamer Vertrages werden als maßgeblich die Prinzipien der Qualität, der Kontinuität und des gleichen Zugangs zu Diensten von allgemeinem Interesse genannt (vgl. dazu Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 956 f.). Vgl. zu den Anforderungen auch Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Abschnitt 1 und 3; Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 285 f. 99 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 12. 100 Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2007, S. 140 f. 101 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 78. 102 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 78, 80; Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2007, S. 141.
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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Erfolgt die Leistungserbringung privatwirtschaftlich im Wettbewerb, muss durch die staatliche Regulierungstätigkeit eine ausreichende Grundversorgung gesichert werden.103 Werden Unternehmen mit der Leistungserbringung beauftragt, so erfolgt die Sicherung einer ausreichenden Versorgung durch eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und dem Auftraggeber und deren Überwachung durch den Auftraggeber. In dem Vertrag müssen die jeweiligen Gemeinwohlanforderungen, die das Unternehmen zu beachten hat, festgelegt werden. 5. Rechtsbegriff Zu klären ist noch, ob es sich bei dem Begriff Daseinsvorsorge um einen Rechtsbegriff handelt, d. h. um einen Begriff, der Rechtsfolgen nach sich zieht. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass heute allgemein anerkannt ist, dass die öffentliche Verwaltung auch dann an die Grundrechte gebunden ist, wenn sie Leistungen der Daseinsvorsorge in privatrechtlicher Form erbringt.104 Dies entspricht dem Hauptanliegen Forsthoffs, der mit dem Begriff der Daseinsvorsorge die Teilhabe des einzelnen an den Leistungen der Verwaltung sichern und ihr den Schutz des öffentlichen Rechts verleihen wollte.105 Aus der Zuordnung einer Aufgabe zur Daseinsvorsorge ergibt sich für den Staat und die Kommunen zunächst die Verpflichtung, die Versorgung der Bevölkerung mit den entsprechenden Leistungen zu gewährleisten. Da die Zuordnung einer Aufgabe zur Daseinsvorsorge darüber hinaus rechtliche Folgen hinsichtlich der quantitativen und qualitativen Anforderungen an die Art und Weise der Erfüllung dieser Aufgabe nach sich zieht, handelt es sich beim Begriff der Daseinsvorsorge um einen Rechtsbegriff.106 Auch wenn § 1 Abs. 1 RegG bestimmt, dass „die Sicherstellung 103
Vgl. hierzu Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 970 ff. Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 62 ff.; Heinze, BayVBl. 2004, S. 32, 35; Schwarz, Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand im Kartellrecht, 1969, S. 195. Rüfner weist jedoch auch darauf hin, dass die allgemeinen Grundsätze der Daseinsvorsorge im Alltag an Bedeutung verloren hätten, da sie in die zahlreichen erlassenen Spezialgesetze eingeflossen seien (Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 62). Auch Forsthoff hat bereits darauf hingewiesen, dass der Begriff der Daseinsvorsorge zwar nicht seinen Sinn, aber seine praktische Bedeutung überall dort verliere, wo das Gesetz einen Anspruch des einzelnen auf Leistungen der Daseinsvorsorge ausdrücklich anerkenne und damit sichere (Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 10 f.). Nach a. A. ist der Rechtsbegriff der Daseinsvorsorge „überflüssig“, da das gesamte Staatshandeln gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden sei, weshalb keine Teilhabeansprüche aus dem Rechtsbegriff der Daseinsvorsorge abgeleitet werden müssten (Schmidt, Der Staat 2003, S. 225, 229 f.; Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 201, S. 393). 105 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 10; Badura, DÖV 1966, S. 624, 627. 106 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 73 ff.; Ronellenfitsch, in: Hrbek/ Nettesheim, Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 89 ff.; Ringwald, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, S. 143; Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 95, 100. Der zentrale Begriff bei Hermes ist jedoch der Begriff der 104
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV“ eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ist, handelt es sich hierbei nicht lediglich um einen unverbindlichen Programmsatz, sondern um eine Rechtspflicht.107 Die Aufgabenträger des ÖPNV sind verpflichtet, für eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV zu sorgen. Man könnte den Begriff der Daseinsvorsorge als eine Art Brennspiegel bezeichnen, der die aus dem Grundgesetz hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit unverzichtbaren Gütern und Dienstleistungen fließenden Verpflichtungen des Staates und der Kommunen zusammenfasst.108 Es ist den Kritikern der Daseinsvorsorge zuzugeben, dass es schwierig ist, diejenigen Gegenstände endgültig aufzuzählen, die der Daseinsvorsorge zuzuordnen sind.109 Mittlerweile hat sich jedoch ein Kern an Bereichen herauskristallisiert, der auf jeden Fall der Daseinsvorsorge zuzurechnen ist. Es handelt sich hierbei um die im Rahmen der vorliegenden Arbeit als Leistungen der Daseinsvorsorge bezeichneten Leistungen.110 Um den Begriff der Daseinsvorsorge handhabbar zu machen, beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf diese – lebensnotwendigen – Bereiche. Auch Forsthoff hat, trotz einer Ausdehnung des Begriffs der Daseinsvorsorge auf nicht lebensnotwendige Leistungen, darauf hingewiesen, dass sich die Frage der Siche-
staatlichen Infrastrukturverantwortung. Bei diesem Begriff handelt es sich laut Hermes um eine „konkretisierende Fortentwicklung für einen wesentlichen Teilbereich dessen …, was man bislang als Daseinsvorsorge zu erfassen suchte.“ (Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 342). Auch für Möstl – der allerdings den Begriff der Daseinsvorsorge mit dem europäischen Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse gleichsetzt (vgl. Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 956) – ist der (so verstandene) Begriff der Daseinsvorsorge ein Rechtsbegriff (Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 961 ff.), dem sowohl für die Frage des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb als auch für die Frage der Teilhabe an den Leistungen der Daseinsvorsorge ein hohes Problemlösungspotenzial zukomme. Ablehnend Knauff, Der Gewährleistungsstaat, 2004, S. 46; Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 10; Rosner, Staatliche Ausgleichsleistungen, 2006, S. 16 f.; Heinze, BayVBl. 2004, S. 32, 34 f.; Schmidt, Der Staat 2003, S. 225, 229 f. 107 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 81 108 Es ist noch darauf hinzuweisen, dass auch diejenigen Stimmen im Schrifttum, die im Begriff der Daseinsvorsorge keinen Rechtsbegriff sehen, im Ergebnis davon ausgehen, dass der Staat und die Kommunen eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit den für ein zeitgemäßes Leben erforderlichen Gütern und Leistungen gewährleisten müssen. Dies folge „allgemein“ aus dem Sozialstaatsprinzip und den grundrechtlichen Schutzpflichten (Pielow, JuS 2006, S. 692; ähnlich Rosner, Staatliche Ausgleichsleistungen, 2006, S. 18, 22 f.). Wer diese Aufgabe konkret erfüllen müsse (Verwaltung/Wirtschaft) und welche Rechte und Pflichten für die Betreiber und Nutzer der Dienste bestünden, sei dagegen allein aus dem jeweils einschlägigen speziellen Verfassungs- und Gesetzesrecht zu ermitteln (Pielow, JuS 2006, S. 692; Heinze, BayVBl. 2004, S. 32, 35). Storr spricht von einer „gewissen Daseinsverantwortung“, die im Grundgesetz „durchaus“ enthalten sei (Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 112). 109 So auch Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 952 f., 958. 110 Vgl. oben A. IV. 1.
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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rung der Teilhabe bei lebensnotwendigen Leistungen in größerer Schärfe und Dringlichkeit stellt als bei nicht lebensnotwendigen Leistungen.111 V. Der Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Daseinsvorsorge Die soeben vorgenommene Definition des Begriffs der Daseinsvorsorge wurde auch durch den europarechtlichen Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse beeinflusst. Die in der letzten Zeit maßgeblich durch das europäische Gemeinschaftsrecht geprägte Entwicklung machte eine Neukonzeption des Begriffs der Daseinsvorsorge erforderlich.112 1. Begriffsdefinitionen Der EG-Vertrag enthält in seinen Artikeln 16 und 86 Abs. 2 EG den Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Dementsprechend verwendet auch die Kommission den Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse. Der deutsche Sprachdienst der EU hat sowohl in den Mitteilungen der Kommission zu den Leistungen der Daseinsvorsorge aus den Jahren 1996113 und 2000114 als auch in dem Bericht der Kommission für den Europäischen Rat von Laeken aus dem Jahre 2001115 den Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse noch übersetzt mit „Leistungen der Daseinsvorsorge“. Im Grünbuch und Weißbuch der Kommission zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse116 wurde dann jedoch ausschließlich der Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse verwendet. Der Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse bzw. der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ist weder im EG-Vertrag noch im abgeleiteten Recht definiert.117 Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sind wirtschaftliche Tätigkeiten, die von den Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden und 111
Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl., 1973, S. 370. Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 955 f. 113 Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM(1996) 443 endg. 114 Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM(2000) 580 endg. 115 Kommission, Bericht für den Europäischen Rat in Laeken: Leistungen der Daseinsvorsorge, KOM (2001) 598 endg. 116 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg.; Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, KOM(2004) 374 endg. 117 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 17. 112
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
für die das Kriterium gilt, dass sie im Interesse der Allgemeinheit erbracht werden.118 Hierunter fallen typischerweise bestimmte Leistungen der großen netzgebundenen Wirtschaftszweige wie des Verkehrswesens, der Postdienste, des Energiesektors und der Telekommunikation. Vom Begriff der Dienstleistungen werden neben Dienstleistungen i. S. von Art. 50 EG auch Sachleistungen wie bspw. die Lieferung von Waren umfasst.119 Der Begriff der Gemeinwohlverpflichtungen bezieht sich auf die besonderen Anforderungen der staatlichen Behörden an den Anbieter des betreffenden Diensts, mit denen sichergestellt werden soll, dass bestimmte Gemeinwohlinteressen erfüllt werden.120 Ohne Belang ist, ob der Erbringer von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse öffentlich- oder privatrechtlich organisiert ist; sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich organisierte Unternehmen treffen die gleichen Rechte und Pflichten.121 Der europäische Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ist also – wie der oben definierte Begriff der Daseinsvorsorge – nicht auf die Leistungsverwaltung beschränkt, sondern er bezieht auch alle Formen privatwirtschaftlicher, jedoch unter staatlicher Regulierungs- und Gewährleistungsverantwortung stehender Dienstleistungserbringung mit ein.122 Er knüpft nicht an den Leistungserbringer an, sondern ist trägerneutral. Der Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (oder Leistungen der Daseinsvorsorge123) reicht weiter als der Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, da er sich sowohl auf marktbezogene als auch auf nichtmarktbezogene Dienstleistungen bezieht, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und von ihnen daher mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden.124
118 Kommission, Grünbuch zu Dienstleitungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 17; Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Anhang 1. 119 Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 32 m. w. N.; Kolb, LKV 2006, S. 97, 98. 120 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 20; Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Anhang 1. 121 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 21. 122 Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 956; Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), S. 286 ff. spricht von einer „Neukonzeption der staatlichen Daseinsvorsorge durch das Europarecht“. 123 Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Anhang II. 124 Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Anhang II; Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 16; Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Anhang 1.
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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2. Vergleich Daseinsvorsorge – Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Während beim Rechtsbegriff der Daseinsvorsorge aus der Zuordnung bestimmter Aufgaben zur Daseinsvorsorge Rechtsfolgen abgeleitet werden, knüpft der Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse an konkrete Gemeinwohlpflichten an, die an den oder die jeweiligen Anbieter der betreffenden Dienstleistung gestellt werden.125 Eine deutliche Annäherung zwischen den beiden Begriffen ergibt sich jedoch daraus, dass vom Begriff der Daseinsvorsorge nunmehr auch die privatwirtschaftliche Leistungserbringung im Wettbewerb unter staatlicher Regulierung und die mit Gemeinwohlanforderungen verbundene Beauftragung privater Unternehmen erfasst wird. Dass der Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse doch nicht so scharf umrissen ist, wie dies in der Literatur teilweise vertreten wird,126 ergibt sich aus dem zweitem Begriffsmerkmal, nämlich dem Erfordernis, dass die Dienstleistung im Interesse der Allgemeinheit erbracht werden muss. Ebenso wie die Aufgaben, die unter den Begriff der Daseinsvorsorge fallen, nicht statisch sind und von sich verändernden Versorgungsbedürfnissen abhängen, ist auch die Bewertung der Frage, was im Interesse der Allgemeinheit liegt, Veränderungen unterworfen. Im Ergebnis kann deshalb von einem „deutlichen Näheverhältnis“127 zwischen den Begriffen der Daseinsvorsorge und der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gesprochen werden.
B. Vergaberecht Vergaberecht ist die Gesamtheit aller Regeln und Vorschriften, die ein Träger öffentlicher Verwaltung bei der Beschaffung von sachlichen Mitteln und Leistungen zu beachten hat.128 I. Entwicklung des Vergaberechts 1. Haushaltsrecht Traditionellerweise ist das Vergaberecht in Deutschland Teil des Haushaltsrechts. § 30 Haushaltsgrundsätzegesetz,129 § 55 Abs. 1 Bundeshaushaltsordnung,130 § 55
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Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 965. Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 965 f., 969. 127 Kolb, LKV 2006, S. 97, 98; Doerfert, JA 2006, S. 316, 318. 128 Rudolf, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, Einführung Rn. 1; Lux, JuS 2006, S. 969 f. 129 Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder vom 19. 8. 1969 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch Artikel 123 der Verordnung vom 31. 10. 2006 (BGBl. I S. 2407). 126
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Abs. 1 der Landeshaushaltsordnungen131 und die Gemeindehaushaltsverordnungen der Länder132 schreiben für alle Ebenen des Staatsaufbaus vor, dass dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen grundsätzlich eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen muss. Das Vergabeverfahren im Einzelnen richtet sich nach den Vorschriften der sog. Verdingungsordnungen, d. h. der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A),133 der Verdingungsordnung für Leistungen Teil A (VOL/A)134 und der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF).135 Die Verdingungsordnungen werden durch die sog. Verdingungsausschüsse, in denen sowohl die Auftraggeber als auch die Auftragnehmer vertreten sind, erarbeitet. Es handelt sich also nicht um staatliche Normen.136 Mit dem Vergaberecht sollte die ökonomische Verwendung der Haushaltsmittel unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gesichert werden. Es begründete weder subjektive Rechte der Bieter bzw. Bewerber noch bestand für diese die Möglichkeit, im Wege des Primärrechtsschutzes gegen die Auftragserteilung an ein anderes Unternehmen vorzugehen. Ggf. standen ihnen bei der Verletzung von Verfahrensvorschriften Schadensersatzansprüche gegen den jeweiligen öffentlichen Auftraggeber zu (Sekundärrechtsschutz).137 2. Europäische Vergaberichtlinien Aufgrund einer Reihe von europäischen Richtlinien musste diese Rechtslage für öffentliche Aufträge, die bestimmte Auftragswerte erreichen oder überschreiten 130 Bundeshaushaltsordnung vom 19. 8. 1969 (BGBl. I S. 1284), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 13. 12. 2007 (BGBl. I S. 2897). 131 Vgl. z. B. § 55 Abs. 1 der Landeshaushaltsordnung für Baden-Württemberg vom 19. 10. 1971 (GBl. S. 428), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. 5. 2003 (GBl. S. 205). 132 Z. B. § 31 Abs. 1 der baden-württembergischen Verordnung des Innenministeriums über die Haushaltswirtschaft der Gemeinden vom 7. 2. 1973 (GBl. S. 33), geändert durch Verordnung vom 10. 7. 2001 (GBl. S. 466). 133 Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. 3. 2006 (BAnz. Nr. 94 vom 18. 5. 2006). 134 Verdingungsordnung für Leistungen Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. 4. 2006 (BAnz. Nr. 100a vom 30. 5. 2006). 135 Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. 3. 2006 (BAnz. Nr. 91a vom 13. 5. 2006). 136 Zum einen ist dies der beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung angesiedelte Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA), zum anderen der Deutsche Verdingungsausschuss für Leistungen (DVAL), der dem Bundeswirtschaftsministerium zugeordnet ist (vgl. Lux, JuS 2006, S. 969, 970; Rudolf, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, Einführung Rn. 12, 75). 137 Rudolf, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, Einführung Rn. 14, 74 ff.
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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(Schwellenwerte), abgeändert werden.138 Es handelt sich hierbei um die Richtlinie 93/37/EWG (Baukoordinierungsrichtlinie),139 die Richtlinie 93/36/EWG (Lieferkoordinierungsrichtlinie),140 die Richtlinie 92/50/EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie),141 die Richtlinie 89/665/EWG (Rechtsmittelrichtlinie),142 die Richtlinie 93/38/EWG (Sektorenrichtlinie)143 und die Richtlinie 92/13/EWG (Rechtsmittelsektorenrichtlinie).144 Diese Richtlinien sollten der Verwirklichung des Binnenmarktes,145 der Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte der Mitgliedstaaten und der Verwirklichung der Marktfreiheiten des EG-Vertrages dienen.146 Das Hauptziel der Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen ist der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen und die Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten.147
138
Rudolf, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, Einführung Rn. 16 ff. Richtlinie 93/37/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge vom 14. 6. 1993 (Baukoordinierungsrichtlinie), ABl. Nr. L 199 vom 9. 8. 1993, S. 54. 140 Richtlinie 93/36/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge vom 14. 6. 1993 (Lieferkoordinierungsrichtlinie), ABl. Nr. L 199 vom 9. 8. 1993, S. 1. Die Vorgänger der Liefer- und Baukoordinierungsrichtlinien bleiben außer Betracht. 141 Richtlinie 92/50/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge vom 18. 6. 1992 (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie), ABl. Nr. L 209 vom 24. 7. 1992, S. 1. 142 Richtlinie 89/665/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge vom 21. 12. 1989 (Rechtsmittelrichtlinie), ABl. Nr. L 395 vom 30. 12. 1989, S. 33. 143 Richtlinie 93/38/EWG des Rates zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vom 14. 6. 1993 (Sektorenrichtlinie), ABl. Nr. L 199 vom 9. 8. 1993, S. 84. 144 Richtlinie 92/13/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vom 25. 2. 1992 (Rechtsmittelsektorenrichtlinie), ABl. Nr. L 76 vom 23. 3. 1992, S. 14. 145 Vgl. Begründungserwägungen 1 ff. zur Richtlinie 92/50/EWG. 146 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 97 Rn. 5; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2000, § 97 Rn. 133. 147 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 44, NZBau 2005, S. 111, 114; EuGH; Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 58 ff., NZBau 2006, S. 452, 455. 139
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
3. Umsetzung in Deutschland a) Haushaltsrechtliche Lösung Zunächst hat der deutsche Gesetzgeber versucht, den haushaltsrechtlichen Ansatz beizubehalten, indem er in den Jahren 1993 und 1994 die Vergabekoordinierungsrichtlinien in Form der sog. „haushaltsrechtlichen Lösung“ umgesetzt hat. Neben der Einfügung von drei Paragrafen in das Haushaltsgrundsätzegesetz (HGG)148 wurde eine Vergabe-149 und eine Nachprüfungsverordnung150 erlassen. Entgegen den Vorgaben der Vergaberichtlinien vermittelte das Vergaberecht in dieser Form keine subjektiven Rechte der Bieter und Bewerber, da es sich bei Haushaltsrecht um objektives Recht handelt.151 Das Haushaltsrecht verpflichtet lediglich die öffentliche Hand auf die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.152 Die Verfahren vor den durch die Nachprüfungsverordnung gebildeten Vergabeprüfstellen und Vergabeüberwachungsausschüsse ermöglichten darüber hinaus keine wirksame und effektive Kontrolle der Vergabeverfahren. Bspw. hatten die eingeleiteten Nachprüfungsverfahren keine Suspensivwirkung, weshalb der Zuschlag trotz der Einleitung eines solchen Verfahrens erteilt werden konnte.153 Die Kommission leitete deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ein wegen der mangelhaften Umsetzung der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG.154 Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einem Urteil aus dem Jahr 1995, das allerdings noch die Rechtslage vor der Einführung der „haushaltsrechtlichen Lösung“ betraf, betont, dass eine rechtswirksame Umsetzung der Vergaberichtlinien erfordere, dass die Bieter ihre aus den Richtlinien herrührenden Rechte vor den nationalen Gerichten geltend machen könnten.155 b) Kartellrechtliche Lösung Um diese Mängel der Umsetzung zu beseitigen, wurden die Rechtsgrundlagen des Vergaberechts im Rahmen der sogenannten „kartellrechtlichen Lösung“ neu ge148
§§ 57a bis 57c HGrG, eingefügt durch das 2. Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetz vom 26. 11. 1993, BGBl. I, S. 1928 in das Haushaltsgrundsätzegesetz vom 19. 8. 1969, BGBl. I, S. 1273. 149 Verordnung über die Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträge vom 22. 2. 1994 (BGBl. I S. 321). 150 Verordnung über das Nachprüfungsverfahren für öffentliche Aufträge (Nachprüfungsverordnung) vom 22. 2. 1994, BGBl. I, S. 324. 151 Rudolf, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, Einführung Rn. 28. 152 Noch, Vergaberecht kompakt, 1999, S. 7. 153 Noch, Vergaberecht kompakt, 1999, S. 8. 154 Zu Einzelheiten vgl. Noch, Vergaberecht kompakt, 1999, S. 8. 155 EuGH, Urt. v. 11. 8. 1995 – Rs. C-433/93 (Kommission./.Deutschland), Slg. I, 2303, 2311.
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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staltet. Durch das Vergaberechtsänderungsgesetz (VgRÄndG) vom 26. 8. 1998156 wurde das Vergaberecht in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)157 aufgenommen (§§ 97 ff. GWB).158 Die Bestimmungen über das Vergabeverfahren wurden ausdrücklich zu subjektiven Rechten der Bieter und Bewerber erklärt (§ 97 Abs. 7 GWB), das Rechtsschutzsystem durch Vergabekammern und die Oberlandesgerichte ebenfalls im GWB verankert (§§ 102 ff. GWB). Aufgrund der Verankerung im GWB wird das für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte maßgebliche Vergaberecht auch Kartellvergaberecht genannt. Für öffentliche Aufträge unterhalb der Schwellenwerte blieb es bei der über die genannten haushaltsrechtlichen Bestimmungen vermittelten Anwendung der VOL/A. Das unterhalb der Schwellenwerte anzuwendende Vergaberecht hat demnach grundsätzlich weiterhin den Charakter von Haushaltsrecht. Diese durch die Schwellenwerte bedingte Spaltung des Vergaberechts in unterschiedliche Vergaberegime wird auch als Zweigleisigkeit des Vergaberechts bezeichnet.159 Die §§ 97 ff. GWB werden ergänzt durch die Vergabeverordnung (VgV),160 die nähere Bestimmungen über das bei der Vergabe öffentlicher Aufträge einzuhaltende Verfahren und das Nachprüfungsverfahren trifft (vgl. § 1 VgV). Die §§ 97 ff. GWB sind – entsprechend den Vergabekoordinierungsrichtlinien – nur auf öffentliche Aufträge anzuwenden, deren Auftragswerte bestimmte Schwellenwerte erreichen oder überschreiten (§ 100 Abs. 1 GWB). Die Höhe dieser Schwellenwerte ist in § 2 VgV festgelegt. Darüber hinaus enthält die Vergabeverordnung Verweisungen auf die Verdingungsordnungen (VOB/A, VOL/A, VOF). Das Vergabeverfahren richtet sich im Einzelnen also wiederum nach den Vorschriften der Verdingungsordnungen, die durch die Verweisung in der VgV selbst Verordnungsrang erlangen.161 Für die Vergabe von Bauleistungen verweist die VgV auf die VOB/A (§ 6 VgV), für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen auf die VOL/A (§ 4 VgV). Da aufgrund der Vergaberichtlinien jedoch auch Anpassungen der Verfahrensvorschriften notwendig waren, wurden die Verdingungsordnungen in mehrere Abschnitte unterteilt (Schubladensystem). Der Abschnitt 1 der VOB/A und VOL/A enthält jeweils die sog. Basisparagrafen, die weiterhin bei der Vergabe von öffent156 Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge vom 26. 8. 1998 (BGBl. I S. 2512). 157 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. 7. 2005 (BGBl. I S. 2114), zuletzt geändert durch Artikel 7 Abs. 11 des Gesetzes vom 26. 3. 2007 (BGBl. I S. 358). 158 Rudolf, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, Einführung Rn. 29. 159 Rudolf, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, Einführung Rn. 30, 73 ff. 160 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV –) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. 2. 2003 (BGBl. I S. 169), zuletzt geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 23. 10. 2006 (BGBl. I S. 2334). Rechtsgrundlage ist § 97 Abs. 6 GWB. 161 Lux, JuS 2006, S. 969, 970.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
lichen Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte aufgrund der genannten haushaltsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden sind. In Abschnitt 2 der VOB/A und VOL/A werden die Basisparagrafen ergänzt um die sog. a-Paragrafen, die die Bestimmungen enthalten, die zusätzlich zu den Basisparagrafen gelten und die aufgrund der Richtlinie 93/37/EWG (Baukoordinierungsrichtlinie) für die VOB/A und der Richtlinien 93/36/EWG (Lieferkoordinierungsrichtlinie) und 92/50/EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie) für die VOL/A notwendig waren. Entsprechendes gilt für die Abschnitte 3 und 4 der VOB/A und VOL/A hinsichtlich der Richtlinie 93/ 38/EWG (Sektorenrichtlinie). Um die Regelungstechnik zu verdeutlichen, sei folgendes Beispiel genannt: Gemäß § 4 Abs. 1 VgV haben öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 bis 3 GWB bei der Vergabe von Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen, die oberhalb der in § 2 VgV genannten Schwellenwerte liegen, die Bestimmungen des 2. Abschnitts der VOL/A anzuwenden. Dieses System, bei dem die §§ 97 ff. GWB durch die Vorschriften der Vergabeverordnung ergänzt werden, die wiederum auf bestimmte Abschnitte der Verdingungsordnungen verweisen, wird als sog. Kaskadensystem bezeichnet.162 4. Reform des europäischen Vergaberechts Im Jahr 2004 wurde mit den Richtlinien 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie)163 und 2004/17/EG (Sektorenkoordinierungsrichtlinie)164 das europäische Vergaberecht reformiert (sog. Legislativpaket). Die früher in den Richtlinien 93/37/ EWG (Baukoordinierungsrichtlinie), 93/36/EWG (Lieferkoordinierungsrichtlinie) und 92/50/EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie) enthaltenen Regelungen wurden in der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie) zusammengefasst. Die beiden Richtlinien des Legislativpakets mussten bis zum 31. 1. 2006 umgesetzt werden.165 Ein Teil der in der Vergabekoordinierungsrichtlinie enthaltenen Neuregelungen wurde durch das sog. ÖPP-Beschleunigungsgesetz166 in die §§ 97 ff. GWB bzw. die VgV eingefügt.167 Geplant war darüber hinaus seitens der 162
Rudolf, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, Einführung Rn. 36. Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge vom 31. 3. 2004 (Vergabekoordinierungsrichtlinie), ABl. Nr. L 134 vom 30. 4. 2004, S. 114. 164 Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Koordinierung der Zuschlagerteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste vom 31. 3. 2004 (Sektorenkoordinierungsrichtlinie), ABl. Nr. L 134 vom 30. 4. 2004, S. 1. 165 Gabriel, LKV 2007, S. 262; Kratzenberg, NZBau 2006, S. 601. 166 Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlichen Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften vom 1. 9. 2005 (BGBl. I S. 2676); vgl. Kratzenberg, NZBau 2006, S. 601. 167 Dies betrifft hauptsächlich die Einführung der Verfahrensart des wettbewerblichen Dialogs (vgl. § 100 Abs. 1 und 6 GWB, § 6a VgV). 163
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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damaligen Bundesregierung eine grundlegende Reform des Vergaberechts, mit der u. a. das Kaskadensystem beseitigt und die Verdingungsordnungen in einer einheitlichen Vergabeverordnung aufgehen sollten.168 Aufgrund der vorgezogenen Neuwahl des Bundestages im September 2005 kam es jedoch nicht zur Verwirklichung dieser Pläne, zum 31. 1. 2006 waren vielmehr große Teile der Vergabekoordinierungsrichtlinie noch nicht umgesetzt. Angesichts der Eilbedürftigkeit entschloss sich die neue Bundesregierung für eine Umsetzung der zwingenden Regelungen der Richtlinien zunächst im bestehenden Kaskadensystem.169 Durch die Verdingungsausschüsse wurden die Verdingungsordnungen an die Richtlinie 2004/ 18/EG angepasst und im Mai 2006 im Bundesanzeiger veröffentlicht (sog. Sofortpakete).170 Durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung171 wurden die Schwellenwerte und die Verweisungsnormen dem neuesten Stand angepasst. Mit der Neufassung der Vergabeverordnung,172 die zum 1. 11. 2006 in Kraft trat, wurde die Umsetzung der Richtlinien des Legislativpakets zunächst abgeschlossen.173 Durch die Europäische Gemeinschaft wurden auch die Rechtsmittelrichtlinien überarbeitet. Mit der Richtlinie 2007/66/EG174 vom 11. 12. 2007 wurden zahlreiche Änderungen an den Rechtsmittelrichtlinien vorgenommen, deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten bis zum 20. 12. 2009 erfolgen muss.175
II. Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Vergaberechts Die Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts hat 4 Voraussetzungen:176 168 169
S. 13. 170
Bischoff, NZBau 2007, S. 13. Gabriel, LKV 2007, S. 262; Kratzenberg, NZBau 2006, S. 601; Bischoff, NZBau 2007,
VOB/A: BAnz. Nr. 94 vom 18. 5. 2006; VOL/A: BAnz. Nr. 100a vom 30. 5. 2006; VOF: BAnz. Nr. 91a vom 13. 5. 2006; vgl. Gabriel, LKV 2007, S. 262; Kratzenberg, NZBau 2006, S. 601; Bischoff, NZBau 2007, S. 13. 171 Dritte Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 23. 10. 2006 (BGBl. I S. 2334). 172 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. 2. 2003 (BGBl. I S. 169), zuletzt geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 23. 10. 2006 (BGBl. I S. 2334). 173 Gabriel, LKV 2007, S. 262. Mit Stand vom 3. 3. 2008 hat das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi I B 3-560513/1) einen Referentenentwurf zur weiteren Reform des Vergaberechts vorgelegt (vgl. NZBau 2008, S. 235). 174 Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 12. 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge, ABl. L 335 vom 20. 12. 2007, S. 31. 175 Art. 3 der Richtlinie 2007/66/EG. 176 Vgl. nur Lux, JuS 2006, S. 969, 970.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
– Erstens muss es sich bei der vergebenden Stelle um einen öffentlichen Auftraggeber i. S. des § 98 GWB handeln (persönlicher Anwendungsbereich). – Zweitens muss es sich um einen öffentlichen Auftrag i. S. des § 99 GWB handeln. – Drittens darf keine der Ausnahmen des § 100 Abs. 2 GWB greifen. – Viertens muss der Auftragswert die jeweils maßgeblichen Schwellenwerte erreichen oder überschreiten (vgl. § 100 Abs. 1 GWB). Die Punkte 2 bis 4 beschreiben den sachlichen Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts. Ob der persönliche Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet ist und ob ggf. eine der Ausnahmen des § 100 Abs. 2 GWB vorliegt, soll jeweils bei den untersuchten Einzelfällen konkret erörtert werden.177 Lediglich die Voraussetzungen des Erreichens der Schwellenwerte und des Vorliegens eines öffentlichen Auftrags sollen bereits im Rahmen des Kapitels 1 angesprochen werden. 1. Schwellenwerte Seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie) und der Richtlinie 2004/17/EG (Sektorenkoordinierungsrichtlinie) setzt die Kommission alle zwei Jahre die Schwellenwerte durch Verordnung neu fest.178 Die letzte Änderung erfolgte mit Wirkung zum 1. 1. 2008 durch die Verordnung (EG) Nr. 1422/2007 vom 4. 12. 2007.179 Die neuen Schwellenwerte180 gelten aufgrund des Verordnungscharakters der Regelung unmittelbar.181 Die vorliegende Arbeit befasst sich ausschließlich mit der Anwendbarkeit des auf europäischem Recht beruhenden (Kartell-)Vergaberechts. Im Folgenden soll immer davon ausgegangen werden, dass die maßgeblichen Schwellenwerte erreicht oder überschritten sind, bei der Prüfung der Anwendbarkeit des Vergaberechts im Einzelfall erfolgt deshalb kein weiterer Hinweis auf diese Anwendbarkeitsvoraussetzung. Mit dem Begriff des Vergaberechts bzw. Kartellvergaberechts wird stets –
177
Vgl. Kapitel 3 – 5, 8 und 9. Vgl. Art. 78 Richtlinie 2004/18/EG und Art. 69 Richtlinie 2004/17/EG. Zu den Hintergründen vgl. Steinberg, NVwZ 2006, S. 1349, 1350. 179 Verordnung (EG) Nr. 1422/2007 der Kommission vom 4. 12. 2007 zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Schwellenwerte für Auftragsvergabeverfahren, ABl. L 314 vom 5. 12. 2007, S. 34. 180 Die Schwellenwerte wurden abgesenkt und betragen für die Jahre 2008 und 2009 5.150.000 EUR für Bauaufträge (früher 5.278.00 EUR), 206.000 EUR für Liefer- und Dienstleistungsaufträge der klassischen öffentlichen Auftraggeber (bisher 211.000 EUR), 133.000 EUR für Liefer- und Dienstleistungsaufträge der obersten und oberen Bundesbehörden (bisher 137.000 EUR) und 412.000 EUR für Liefer- und Dienstleistungsaufträge der Sektorenauftraggeber (bisher 422.000 EUR). 181 Vgl. hierzu auch den deklaratorischen Hinweis in BGBl. 2007, 3019. 178
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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sofern nicht anders vermerkt – das auf die Vergabe öffentlicher Aufträge oberhalb der Schwellenwerte anwendbare Vergaberecht bezeichnet. 2. Öffentlicher Auftrag, § 99 GWB Öffentliche Aufträge sind gemäß § 99 Abs. 1 GWB entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, und Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen. Öffentliche Aufträge sind entgeltliche Verträge, deren Zweck die Beschaffung von Waren, Bau- oder Dienstleistungen ist (vgl. § 97 Abs. 1 GWB). Ein öffentlicher Auftrag liegt deshalb nur vor, wenn Leistungen an den öffentlichen Auftraggeber erbracht werden und dieser als Nachfrager auftritt. Der jeweilige Vertrag muss einen Beschaffungscharakter aufweisen.182 Ein solcher Beschaffungscharakter besteht bspw. nicht, wenn die öffentliche Hand lediglich etwas aus ihrem Vermögen veräußert oder ein eigenes Grundstück vermietet oder verpachtet. Bei solchen Verträgen handelt es sich grundsätzlich nicht um öffentliche Aufträge.183 Entgeltlich bedeutet, dass der öffentliche Auftraggeber eine Gegenleistung erbringen muss.184 Öffentliche Aufträge sind regelmäßig privatrechtliche Verträge.185 Sie kommen durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustande. Im Rahmen von öffentlichen Ausschreibungen geben die Bieter ein Angebot zum Abschluss eines Vertrages ab, das durch den Zuschlag seitens des Auftraggebers angenommen wird. Mit der Erteilung des Zuschlags wird der Vertrag zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber abgeschlossen (§ 28 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A). Kein Vertrag und damit auch kein öffentlicher Auftrag i. S. von § 99 Abs. 1 GWB liegt vor, wenn der Rechtsgrund für die Leistungserbringung in einem einseitigen Hoheitsakt wie einem Gesetz, einer Verordnung oder einem Verwaltungsakt besteht.186 Was Liefer- und Bauaufträge sind, wird in § 99 Abs. 2 und 3 GWB genauer definiert. Dienstleistungsaufträge werden durch § 99 Abs. 4 GWB negativ dahingehend abgegrenzt, dass es sich um Verträge handeln muss, die weder Liefer- noch Bauleistungen zum Gegenstand haben und die auch keine Auslobungsverfahren sind.
182
Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 439. Etwas anderes kann jedoch ggf. gelten, wenn mit dieser Veräußerung von Vermögen (mittelbar) eine Verpflichtung des Vertragspartners zur Vornahme bestimmter Leistungen verbunden ist. 184 Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 456 ff. Zu der Frage, ob die Gegenleistung in Geld bestehen muss, oder ob bei Einräumung eines geldwerten Vorteils ebenfalls von Entgeltlichkeit auszugehen ist vgl. ausführlich Kapitel 6 B. I. 185 Zur Frage, ob auch öffentlich-rechtliche Verträge öffentliche Aufträge i. S. von § 99 Abs. 1 GWB sein können vgl. ausführlich Kapitel 8 C. II. 1. 186 Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 443 f. 183
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Bei § 99 Abs. 4 GWB handelt es sich deshalb um einen Auffangtatbestand.187 Die Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG enthält darüber hinaus einen Anhang II, in dem 27 Kategorien von Tätigkeiten aufgelistet sind, die unter den Begriff der Dienstleistung einzuordnen sind. Diese Liste findet sich als Anhang I zum 2. bis 4. Abschnitt der VOL/A im deutschen Recht wieder. III. Vergabeverfahren 1. Grundsätze des Vergabeverfahrens Die drei tragenden Grundsätze des Vergaberechts sind die eng miteinander verbundenen Grundsätze des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung und der Transparenz.188 a) Wettbewerbsgrundsatz Das Kernprinzip der Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand ist der Wettbewerb.189 Gemäß § 97 Abs. 1 GWB beschaffen öffentliche Auftraggeber Waren, Bau- und Dienstleistungen im Wettbewerb. Wettbewerb wird dadurch geschaffen, dass durch eine öffentliche Bekanntmachung einer möglichst großen Zahl an Bietern die Gelegenheit zur unbeschränkten Abgabe eines Angebots in einem formalisierten Verfahren gegeben wird.190 Die Anbieter sollen in einen Wettbewerb um die nach Qualität und Preis beste und effizienteste Leistungserbringung treten.191 Durch den Wettbewerbsgrundsatz soll der Beschaffungsvorgang gegen Beschränkungen dieses Wettbewerbs geschützt werden.192 Das Wettbewerbsprinzip war immer schon im deutschen Vergaberecht verankert und gilt auch für Vergaben im Unterschwellenbereich (vgl. § 2 Nr. 1 VOL/A). Eine wesentliche Stärkung hat es jedoch durch das europäische Vergaberecht erfahren. Das Hauptziel der Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen ist der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen und die Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaa-
187
Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 488. Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2007, § 97 Rn. 89, 93; Stickler, in: Reidt/ Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 97 Rn. 4 f.; Brauer, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 17, 25; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 190. 189 Brauer, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 3; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 180 ff.; Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2007, § 97 Rn. 94; vgl. ausführlicher zum Wettbewerbsgrundsatz Kapitel 2 D. II. 190 Brauer, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 5. 191 Prieß, NZBau 2004, S. 87, 92. 192 Brauer, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 3. 188
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ten.193 Durch die Vergaberichtlinien soll ausgeschlossen werden, dass einheimische Bieter oder Bewerber bei der Auftragsvergabe durch öffentliche Auftraggeber bevorzugt werden und dass sich öffentliche Auftraggeber bei der Auftragvergabe von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lassen.194 Der Wettbewerbsgrundsatz verpflichtet also zunächst die öffentlichen Auftraggeber, den Wettbewerb nicht zu beschränken195 und dient dem Schutz der sich an dem Vergabeverfahren beteiligenden Bieter.196 Der Wettbewerbsgrundsatz schützt die Bieter jedoch nicht nur, er verpflichtet sie auch. Bieter, die sich bei Ausschreibungen absprechen und dadurch eine Wettbewerbsbeschränkung verursachen, um das Ergebnis des Vergabeverfahrens zu beeinflussen, werden von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen (§§ 2 Nr. 1 Abs. 2, 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f VOL/A).197 Das Vergaberecht dient damit auch dem Schutz von Bietern gegenüber anderen Bietern, die sich wettbewerbswidrig verhalten. Neben dem Schutz der Bieter soll der Wettbewerbsgrundsatz auch den Interessen der öffentlichen Auftraggeber dienen. Die Schaffung von Wettbewerb unter möglichst vielen Bietern soll es den öffentlichen Auftraggeber ermöglichen, Verträge zu den bestmöglichen Konditionen abzuschließen.198 Das Vergaberecht ist demnach dem Wettbewerbsrecht zuzurechnen. Dies spiegelt sich auch in der durch den Gesetzgeber vorgenommenen Implementierung im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wider.199 b) Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatz Neben dem Wettbewerbsgrundsatz gründet das europäische Vergaberecht maßgeblich auf den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Transparenz. Die Vergabe 193 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 44, NZBau 2005, S. 111, 114; EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 58 ff., NZBau 2006, S. 452, 455; vgl. auch Begründungserwägung 2 der Richtlinie 2004/ 18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie); Brauer, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 3; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 97 Rn. 5 f. 194 EuGH, Urt. v. 14. 11. 2002 – Rs. C-411/00 (Felix Swobada), Slg. 2002, I-10567 Rn. 45, NZBau 2003, S. 52, 54 m. w. N. Diese Zwecksetzung, die der EuGH in der genannten Entscheidung für die mittlerweile außer Kraft getretenen Vergaberichtlinien festgelegt hat, gilt auch für die Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie). 195 Brauer, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 3. 196 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Kommentar Vergaberecht, 2003, § 97 Rn. 5. 197 Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 182; Brauer, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 3, 13; Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2007, § 97 Rn. 97. 198 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 97 Rn. 5; Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2007, § 97 Rn. 94. 199 Kus, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 59.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
von öffentlichen Aufträgen in den Mitgliedstaaten ist an die Einhaltung der im EGVertrag niedergelegten Grundsätze des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsund Dienstleistungsfreiheit sowie der hieraus abgeleiteten Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung, der Transparenz, der gegenseitigen Anerkennung und der Verhältnismäßigkeit gebunden.200 Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist in § 97 Abs. 2 GWB verankert, aber auch das traditionelle deutsche Vergaberecht verbietet die Diskriminierung von Unternehmen (vgl. § 2 Nr. 2 VOL/A).201 Verboten sind sowohl Benachteiligungen, die unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpfen als auch mittelbare Diskriminierungen. Mittelbare Diskriminierungen sind solche, die zwar nicht unmittelbar zwischen in- und ausländischen Bietern unterscheiden, die aber doch ausschließlich oder überwiegend ausländische Bieter benachteiligen. Gleich zu behandeln sind auch inländische Unternehmen in Fällen ohne grenzüberschreitenden Bezug.202 Die Beachtung des Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatzes wird durch die Verpflichtung zur Transparenz abgesichert.203 Nach § 97 Abs. 1 GWB beschaffen öffentliche Auftraggeber Güter und Leistungen im Wege transparenter Vergabeverfahren. Transparenz soll dadurch geschaffen werden, dass alle Bieter die notwendigen Informationen erhalten und die Auswahl des Auftragnehmers in einem detailliert vorgegebenen Verfahren erfolgt, das die Entscheidungsfindung nachvollziehbar macht. Aus dem Transparenzgebot folgt die Verpflichtung für die öffentlichen Auftraggeber, ihre Absicht zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags öffentlich bekannt zu machen, allen interessierten Unternehmen die gleichen Informationen über die zu erbringende Leistung zur Verfügung zu stellen und in den Vergabeunterlagen offen zu legen, nach welchen Kriterien der Auftrag vergeben wird.204 Darüber hinaus müssen die Bieter rechtzeitig vor der Zuschlagserteilung über den Ausgang des Vergabeverfahrens unterrichtet werden (§ 13 VgV). Der
200 Vgl. Begründungserwägung 2 und Art. 2 der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie). Diese Grundsätze gelten auch für Aufträge im Unterschwellenbereich (vgl. nur Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen vom 23. 6. 2006, ABl. C 179 vom 1. 8. 2006, S. 2 (mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH)). 201 Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden im Folgenden nur die jeweiligen Vorschriften der VOL/A zitiert, entsprechende Vorschriften finden sich auch in der VOB/A. 202 Vgl. Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 203 ff. mit zahlreichen Beispielen. 203 Vgl. Begründungserwägung 2 und Art. 2 der Richtlinie 2004/18/EG; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 190 ff.; Lux, JuS 2006, S. 969, 973. 204 Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 190, 192, 201; Brauer, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 17 ff.
1. Kap.: Begriffsbestimmungen
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Verlauf des Verfahrens ist zu dokumentieren, damit er nachvollziehbar und überprüfbar bleibt (§ 30 VOL/A).205 2. Verfahrensarten Zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen stehen insgesamt vier verschiedene Verfahrensarten zur Verfügung: das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren und der wettbewerbliche Dialog (§ 101 Abs. 1 GWB).206 Offene Verfahren sind Verfahren, in denen eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert wird (§ 101 Abs. 2 GWB). Das offene Verfahren entspricht der öffentlichen Ausschreibung i. S. der VOL/A (§ 3a Nr. 1 Abs. 1 Satz 1, § 3 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A). Bei nicht offenen Verfahren wird öffentlich zur Teilnahme, aus dem Bewerberkreis sodann eine beschränkte Anzahl von Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert (§ 101 Abs. 3 GWB). Das nicht offene Verfahren entspricht der beschränkten Ausschreibung mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb i. S. der VOL/A (§ 3a Nr. 1 Abs. 1 Satz 1, § 3 Nr. 1 Abs. 2 und 4 VOL/A). Verhandlungsverfahren sind Verfahren, bei denen sich der Auftraggeber mit oder ohne vorherige öffentliche Aufforderung zur Teilnahme an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit einem oder mehreren über die Auftragsbedingungen zu verhandeln (§ 101 Abs. 4 GWB, § 3a Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 VOL/A). Der Sache nach entspricht das Verhandlungsverfahren der freihändigen Vergabe, bei der Leistungen ohne ein förmliches Verfahren vergeben werden (§ 3 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A). Die öffentlichen Auftraggeber207 sind in der Wahl des anzuwendenden Vergabeverfahrens nicht frei. Entsprechend der Zielsetzung des Vergaberechts, einen breiten Wettbewerb und transparente Vergabeverfahren zu schaffen, haben die öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich ein offenes Verfahren durchzuführen (§ 101 Abs. 6 GWB).208 Das nicht offene und das Verhandlungsverfahren dürfen nur angewendet werden, wenn dies ausdrücklich im Vergaberecht gestattet ist (vgl. § 3 Nr. 3 i. V. mit § 3a Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOL/A (für das nicht offene Verfahren), § 3a Nr. 1 Abs. 5 und Nr. 2 (für das Verhandlungsverfahren)209). Es besteht demnach eine Hierarchie der Verfahrensarten, nach der das offene Verfahren Vorrang vor dem nicht offenen Verfahren und dieses wiederum Vorrang vor dem Verhandlungsverfahren hat. 205 Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 193, 196; Brauer, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 23 f. 206 Vgl. zum wettbewerblichen Dialog § 101 Abs. 5 GWB, § 6a VgV. 207 Mit Ausnahme der Sektorenauftraggeber (vgl. § 101 Abs. 6 Satz 2 GWB). 208 Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 182; Brauer, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 5; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 97 Rn. 6. 209 Ggf. auch noch § 3 Nr. 4 VOL/A, wenn kein Widerspruch zu § 3a Nr. 1 Abs. 5 und Nr. 2 VOL/A besteht (vgl. § 1a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A).
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
3. Verfahrensablauf bei offenen/nicht offenen Verfahren In den Fällen des offenen und des nicht offenen Verfahrens muss der Auftraggeber seine Absicht zur Vergabe eines Auftrags durch eine Bekanntmachung gemäß § 17a VOL/A im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften nach einem vorgegebenen detaillierten Muster europaweit bekannt machen. Die Bekanntmachung enthält entweder die Aufforderung zur Abgabe von Angeboten (offenes Verfahren) oder die Aufforderung, Teilnahmeanträge zu stellen (nicht offenes Verfahren) (§ 3a Nr. 1 Abs. 4 VOL/A). Während bei einem offenen Verfahren alle Unternehmen die Vergabeunterlagen erhalten, die auf die Bekanntmachung hin ihr Interesse an dem Auftrag bekunden, wählt der Auftraggeber beim nicht offenen Verfahren aus den eingegangenen Teilnahmeanträgen zunächst die für den Auftrag geeigneten Unternehmen aus, die er anschließend zur Abgabe eines Angebots auffordert. Die Vergabeunterlagen bestehen aus dem Anschreiben (Aufforderung zur Angebotsabgabe) und den Verdingungsunterlagen (§ 9 Nr. 1 VOL/A). Die Verdingungsunterlagen wiederum enthalten die Leistungsbeschreibung (§ 8 VOL/A) und die Vertragsbedingungen (§ 9 Nr. 2 VOL/A). Die Leistungsbeschreibung ist das Kernstück des Vergabeverfahrens, da in ihr der Auftraggeber nach Gegenstand, Art und Umfang detailliert festlegt, welche Leistung er beschaffen möchte.210 Innerhalb der Angebotsfrist (§§ 18a, 18 VOL/A) können die Unternehmen ihr Angebot abgeben, indem sie ihre vollständigen Angebotsunterlagen beim Auftraggeber einreichen. Verspätete Angebote werden ausgeschlossen, es sei denn, dass der verspätete Eingang durch Umstände verursacht worden ist, die nicht vom Bieter zu vertreten sind (§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. e VOL/A). Die Auswahl des zu beauftragenden Bieters vollzieht sich danach in einem vierstufigen Verfahren: Auf der ersten Stufe werden Angebote, die unter inhaltlichen oder formellen Mängeln leiden, ausgeschlossen (§ 25 Nr. 1 VOL/A). In der zweiten Stufe findet die Eignungsprüfung der Bieter statt. Bei der Auswahl der Angebote, die für den Zuschlag in Betracht kommen, sind nur die Bieter zu berücksichtigen, die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit besitzen (§ 97 Abs. 4 GWB, § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/ A).211 Fachkundig ist ein Bieter oder Bewerber, wenn er Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten besitzt, die für die Ausführung der zu vergebenden Leistungen erforderlich sind, was er durch den Nachweis der Ausführung von nach Art und Umfang 210
Prieß, NZBau 2004, S. 21. Beim nicht offenen Verfahren wird die Eignungsprüfung bereits auf der Stufe des Teilnahmewettbewerbs vorgenommen, da von den sich bewerbenden Unternehmen nur die zur Ausführung des Auftrags geeigneten Unternehmen zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden (Kulartz, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 81). 211
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vergleichbaren Leistungen belegen kann.212 Leistungsfähig ist ein Bieter/Bewerber, wenn er über das für die fach- und fristgerechte Ausführung notwendige Personal und Gerät verfügt sowie die Erfüllung seiner Verbindlichkeiten erwarten lässt. Leistungsfähigkeit muss demnach in technischer und finanzieller Hinsicht gegeben sein.213 Zuverlässig ist er, wenn er aufgrund der Erfüllung früherer Verträge eine einwandfreie Ausführung einschließlich Gewährleistung erwarten lässt und seinen gesetzlichen Verpflichtungen (insbesondere Steuer- und Abgabenzahlungen) stets nachgekommen ist.214 Auf der dritten Stufe werden die Preise der Bieter untersucht (§ 25 Nr. 2 Abs. 2 und 3 VOL/A). Angebote, die im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen, hat der Auftraggeber zu überprüfen (§ 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A). Auf Angebote, deren Preise in offenbarem Missverhältnis zur Leistung stehen, darf der Zuschlag nicht erteilt werden (§ 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A). Auf der abschließenden vierten Stufe wird schließlich das für den Vertragsschluss vorgesehene Angebot ausgewählt. Es ist das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln, der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend. Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt (§ 97 Abs. 5 GWB, § 25 Nr. 3 VOL/A). Bei der Wertung der Angebote sind also neben dem Preis noch andere auf den Auftragsgegenstand bezogene Zuschlagskriterien wie bspw. die Qualität, der technische Wert, die Ästhetik, die Zweckmäßigkeit, die Umwelteigenschaften, die Betriebskosten, die Rentabilität, der Kundendienst und die technische Hilfe, der Lieferzeitpunkt oder die Lieferungs- bzw. Ausführungsfrist zu berücksichtigen (§ 25a Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOL/A).215 Das wirtschaftlichste Angebot ist dasjenige mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis.216 212 Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 237; Kulartz, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 83; Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2007, § 97 Rn. 401 ff. (mit zahlreichen Beispielen). 213 Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 239; Kulartz, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 84 f.; Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2007, § 97 Rn. 404 ff. (mit zahlreichen Beispielen). 214 Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 243; Kulartz, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 86; Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2007, § 97 Rn. 424 ff. (mit zahlreichen Beispielen). 215 Der öffentliche Auftraggeber hat die einzelnen Zuschlagskriterien, die er heranziehen will und deren Gewichtung in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen bekannt zu geben. Die Gewichtung kann in Form von prozentualen Anteilen oder mit einer angemessenen Marge (Bsp.: Gewichtung mit 10 % – 20 %) erfolgen (kritisch hierzu Bischoff, NZBau 2007, S. 13, 16). Kann der öffentliche Auftraggeber aus nachvollziehbaren Gründen die Gewichtung der einzelnen Zuschlagskriterien nicht angeben, so legt er die Kriterien in absteigender Reihenfolge ihrer Bedeutung fest (§ 25a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A). Bei der Wertung der Angebote darf der Auftraggeber nur die Zuschlagskriterien berücksichtigen, die er zuvor in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannt hat (§ 25a Nr. 1 Abs. 2 VOL/A). An eine dort vorgenommene Gewichtung der Zuschlagskriterien ist der öffentliche Auftraggeber ebenfalls gebunden (Schwan, Der Nahverkehr 5/2007, S. 52, 54).
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Der Zuschlag kann jedoch nicht sogleich nach der Auswahl des für den Vertragsschluss vorgesehenen Angebots erteilt werden. Vielmehr sind gemäß § 13 Satz 1 und 2 VgV die Bieter, die nicht berücksichtigt werden sollen, 14 Kalendertage vor Vertragsabschluss über den Namen des Bieters, auf den der Zuschlag erteilt werden soll und die Gründe für ihre Nichtberücksichtigung vorab zu informieren. Diese Vorabinformation soll es den unterlegenen Bietern ermöglichen, ggf. Primärrechtsschutz vor den Vergabekammern in Anspruch zu nehmen. Ein ohne die notwendige Vorabinformation oder vor Ablauf dieser Frist abgeschlossener Vertrag ist gemäß § 13 Satz 6 VgV nichtig. Mit der Erteilung des Zuschlags wird der Vertrag zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber abgeschlossen (§ 28 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A). Bisher galt in Deutschland der Grundsatz, dass ein einmal erteilter Zuschlag nicht mehr aufgehoben werden kann, der Vertrag war mit der Zuschlagserteilung unauflöslich zustande gekommen (§ 114 Abs. 2 Satz 1 GWB). Der EuGH hat jedoch in einem neueren Urteil entschieden, dass die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, Dienstleistungsaufträge, die entgegen den Vorgaben der Vergaberichtlinien nicht in einem offenen Verfahren vergeben wurden (De-facto-Vergabe), zu beenden.217 Art. 2 Abs. 6 UAbs. 2 der Richtlinie 89/665/EWG (Rechtsmittelrichtlinie), der es den Mitgliedstaaten erlaubt, die Rechtsschutzmöglichkeiten nach Zuschlagserteilung auf die Zuerkennung von Schadensersatz zu beschränken (Sekundärrechtsschutz),218 gelte nur im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, nicht jedoch im Verhältnis Mitgliedstaat zu Gemeinschaft.219 Durch den Zwang zur Beendigung der Verträge werden jedoch unweigerlich auch die Rechte und Interessen des Auftragnehmers betroffen. Diese verweist der EuGH auf die Geltendmachung von (möglichen) Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Auftraggeber wegen der Verletzung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes.220 Sowohl beim offenen wie beim nicht offenen Verfahren ist es den Auftraggebern grundsätzlich verboten, mit den Bietern über deren Angebote zu verhandeln (Nachverhandlungsverbot, § 24 VOL/A). Verhandlungen mit den Bietern dürfen nur geführt werden, um Zweifel über die Angebote oder die Bieter zu beheben (§ 24 Nr. 1 216 Kulartz, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 101, 104; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 97 Rn. 27 f.; Schwan, Der Nahverkehr 5/2007, S. 52; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 262; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 154. 217 EuGH, Urt. v. 18. 7. 2007 – Rs. C-503/04 (Kommission/Deutschland), NZBau 2007, S. 594. Vgl. hierzu die insgesamt zustimmende Anmerkung von Jennert/Räuchle (NZBau 2007, S. 555 ff.), die auch die weiteren sich stellenden Fragen anspricht (bspw. ob diese Pflicht auch für (ggf. bereits vollständig durchgeführte) Bau- oder Lieferverträge gilt). 218 In Deutschland umgesetzt in den §§ 114 Abs. 2, 126 GWB. 219 EuGH, Urt. v. 18. 7. 2007 – Rs. C-503/04 (Kommission/Deutschland), NZBau 2007, S. 594, 596 Rn. 35. 220 EuGH, Urt. v. 18. 7. 2007 – Rs. C-503/04 (Kommission/Deutschland), NZBau 2007, S. 594, 596 Rn. 36.
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Abs. 1 VOL/A). Andere Verhandlungen, besonders über Änderungen der Angebote oder Preise, sind unstatthaft (§ 24 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A).221 4. Verfahrensablauf beim Verhandlungsverfahren Im Gegensatz zum offenen und nicht offenen Verfahren handelt es sich beim Verhandlungsverfahren um ein wenig formalisiertes und damit flexibles Verfahren, für das neben den allgemeinen Grundsätzen des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung)222 nur wenige Verfahrensvorschriften gelten. Bspw. muss der Auftraggeber auch bei einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb seine Absicht zur Vergabe eines Auftrags durch eine Bekanntmachung gemäß § 17a VOL/A im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften europaweit bekannt machen. Der Hauptunterschied zum offenen und nicht offenen Verfahren besteht darin, dass beim Verhandlungsverfahren mit den Unternehmen, an die sich der Auftraggeber gewendet hat, über den Auftragsinhalt, die Auftragsbedingungen und den Preis verhandelt werden kann.223 Die Möglichkeit von Verhandlungen zwischen Auftraggeber und Unternehmen macht gerade das Wesen des Verhandlungsverfahrens aus. IV. Primärrechtsschutz im Vergaberecht Ein Unternehmen, das sich durch die (tatsächliche oder vermeintliche) Nichtbeachtung von Vergabevorschriften in seinen Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt sieht, kann bei der zuständigen Vergabekammer durch die Stellung eines entsprechenden Antrags ein Nachprüfungsverfahren einleiten (§ 107 Abs. 2 GWB). Voraussetzung für die Zulässigkeit eines solchen Antrags ist jedoch, dass der Antragsteller einen bereits im Laufe des Vergabeverfahrens erkannten Verstoß unverzüglich gegenüber dem Auftraggeber gerügt hat (§ 103 Abs. 3 GWB). Die Zustellung eines Nachprüfungsantrags an den Auftraggeber bewirkt bei diesem eine Zuschlagsperre. Der Zuschlag darf erst nach der Entscheidung der Vergabekammer und dem Ablauf der zweiwöchigen Beschwerdefrist gemäß § 117 Abs. 1 GWB erteilt werden (§ 115 Abs. 1 GWB). Ein dennoch geschlossener Vertrag ist gemäß § 134 BGB i. V. mit § 115 Abs. 1 GWB nichtig. Die Vergabekammer, bei der es sich um einen unabhängigen224 gerichtsähnlich ausgestalteten Verwaltungsspruchkörper handelt,225 221 § 24 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A enthält jedoch eine eng umgrenzte Ausnahme von diesem Grundsatz. 222 Kulartz, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 101 Rn. 18; VK Düsseldorf, Beschl. v. 14. 5. 2004, Az. VK 7/04 und VK 8/04, NZBau 2005, S. 62, 63. 223 Lux, JuS 2006, S. 969, 974; Kulartz, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWBVergaberecht, 2006, § 101 Rn. 17, 21. 224 § 105 Abs. 1 GWB. 225 Lux, JuS 2006, S. 969, 974.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
entscheidet durch Verwaltungsakt (§ 114 Abs. 3 Satz 1 GWB). Ggf. trifft sie die zur Beseitigung einer Rechtsverletzung geeigneten Maßnahmen. Hierbei ist sie nicht an die Anträge gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken (§ 114 Abs. 2 GWB). Gegen die Entscheidung der Vergabekammer können die Verfahrensbeteiligten eine frist- und formgebundene sofortige Beschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht einlegen (§ 116 Abs. 1 und 3 GWB). Bei den jeweiligen Oberlandesgerichten wird zu diesem Zweck ein Vergabesenat gebildet (§ 116 Abs. 3 Satz 1 GWB).226 2. Kapitel
Daseinsvorsorge und Wettbewerb A. Forsthoffs Verständnis vom Verhältnis von Daseinsvorsorge und Wettbewerb Forsthoff ging davon aus, dass Daseinsvorsorge nicht unter Wettbewerbsbedingungen erbracht werden kann. Daseinsvorsorge und Wettbewerb schlossen sich für ihn gegenseitig aus.227 Er anerkannte zwar, dass ein nicht unwichtiger Teil der Daseinssicherung von der modernen industriellen Gesellschaft, d. h. also auch von der Wirtschaft wahrgenommen wird. Viele wichtige Güter und Leistungen würden durch die Gesellschaft bereitgestellt, erwerbbar gemacht.228 Forsthoff bezeichnet die Daseinssicherung durch die Gesellschaft sogar als die primäre Art der Daseinssicherung, zu der die Daseinsvorsorge nur noch ergänzend hinzutrete.229 In der industriellen Gesellschaft finde jedoch keine Daseinsvorsorge statt, denn „den Funktionen der Gesellschaft“ fehle „das für die Daseinsvorsorge charakteristische öffentlichrechtlich-verwaltungsmäßige Element“.230 Die Strukturen der Wirtschaft sah Forsthoff generell als ungeeignet für die Organisation der Daseinsvorsorge (im Sinne von Leistungsverwaltung) an. Vorrangiges Ziel der privaten Wirtschaft sei die Erzielung von Gewinn. Die Daseinsvorsorge erschöpfe sich jedoch nicht in der Wirtschaftlichkeit ihrer Durchführung. Die Daseinsvorsorge habe wesentlich auch eine soziale Funktion. Zur Sicherung einer angemessenen Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Daseinsvorsorge 226
Vgl. zu den Einzelheiten den Überblick bei Rudolf, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, Einführung Rn. 54 ff. 227 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, S. 11. 228 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 19; vgl. bereits Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 12. 229 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 20 f. 230 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 20.
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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müssten teilweise auch unwirtschaftliche Leistungen erbracht werden, d. h. Leistungen, bei denen der Aufwand strukturell bedingt höher als der Ertrag sei. Dem Gewinnstreben sei deshalb in manchen Bereichen der Daseinsvorsorge Grenzen gesetzt.231 Nach Forsthoff gilt das Wettbewerbsrecht im Bereich der Daseinsvorsorge nicht,232 die Versorgungsunternehmen der Kommunen müssten „unvermeidlich“ über eine Monopolstellung verfügen, um ihren Aufgaben sachgerecht nachkommen zu können.233 In dem Maße, in dem die leistende Verwaltung im Rahmen der Daseinsvorsorge dem öffentlichen Recht unterstellt sei, sei sie zugleich den für „den Wettbewerb geltenden Rechtsregeln entzogen“.234 Bspw. sei auf Energieversorgungsunternehmen, die weitgehenden öffentlich-rechtlichen Bindungen unterworfen seien, das Kartellrecht nicht anwendbar, da sie Aufgaben der Daseinsvorsorge, nicht jedoch Funktionen des Marktes wahrnähmen.235
B. Verhältnis von Daseinsvorsorge und Wettbewerb Entgegen der Forsthoff’schen Ansicht von der prinzipiellen Ungeeignetheit der Strukturen der Wirtschaft für die Organisation der Daseinsvorsorge werden heutzutage viele Leistungen der Daseinsvorsorge im Wettbewerb erbracht. Das Dogma von der Unvereinbarkeit von Wettbewerb und Daseinsvorsorge kann nicht mehr aufrechterhalten werden.236 Auch die grundsätzliche Geltung des Wettbewerbsrechts im Bereich der Daseinsvorsorge wird heute nicht mehr in Frage gestellt. In welchem Verhältnis Daseinsvorsorge und Wettbewerb zueinander stehen bzw. stehen sollen ist jedoch weiterhin umstritten.
231
Forsthoff, Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, 1958, S. 13 f. Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 11. 233 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 567. 234 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 11. 235 Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 11. Das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 (RGBl. I S. 1451) stellte für Forsthoff ein vorbildliches Daseinsvorsorge-Gesetz dar, da es unabhängig von Rechtsform, Trägerschaft und öffentlich- bzw. zivilrechtlicher Ausgestaltung der Außenbeziehungen alle öffentlichen Energieversorgungsunternehmen einem einheitlichen Rechtsregime unterwarf, alle für die Erfüllung der Aufgabe der Daseinsvorsorge wesentlichen Fragen beantwortete und auf diese Weise die Energieversorgungsunternehmen „in den Dienst der Daseinsvorsorge“ stellte und „insoweit einer besonderen Verantwortung gegenüber der Verwaltung“ unterwarf (Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1938, S. 33 f.; vgl. zur Indienstnahme privater Unternehmen ausführlich auch Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 372 f.). 236 Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, S. 341; Ronellenfitsch, in: ForsthoffKolloquium, S. 80, 86, 93; Rüfner, in: HdbStR IV, 2006, § 96 Rn. 47 ff., 63; a. A. jedoch Broß, JZ 2003, S. 874, 876. 232
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
I. Einführung von Wettbewerb durch das Gemeinschaftsrecht Maßgeblich wurde das Wettbewerbsprinzip aufgrund von Vorschriften des gemeinschaftlichen Primärrechts bzw. durch Rechtsakte des gemeinschaftlichen Sekundärrechts in den Bereich der Daseinsvorsorge eingeführt. Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. g EG umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft u. a. ein System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt. Gemäß Art. 4 Abs. 1 EG umfasst die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft u. a. die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist. Aufgrund der genannten Grundsätze verfolgt insbesondere die Europäische Gemeinschaft eine auf Liberalisierung und Wettbewerbsfreiheit gerichtete Politik.237 Die mit den Begriffen Daseinsvorsorge oder Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bezeichneten Sektoren waren lange Zeit von öffentlichen Unternehmen beherrscht, die weitgehend ohne Wettbewerb ihre Leistungen erbrachten.238 In den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts gerieten diese Sektoren in das Blickfeld der Europäischen Gemeinschaft. Erst ab diesem Zeitpunkt versuchte insbesondere die Europäische Kommission mit Nachdruck, dem Wettbewerbsprinzip in diesem Bereich Geltung zu verschaffen.239 Seit Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde aufgrund von Vorschriften des sekundären Gemeinschaftsrechts eine Reihe von Sektoren, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen, für den Wettbewerb geöffnet. Es handelt sich hierbei insbesondere um die Sektoren der Telekommunikation, der Postdienste, des Verkehrs und den Energiesektor. Die Kommission betont, dass es sich bei der Öffnung dieser Märkte um eine kontrollierte Liberalisierung gehandelt habe, d. h. um eine schrittweise Öffnung des Marktes, flankiert von Maßnahmen zum Schutz des Gemeinwohls. Das Gemeinwohl sollte insbesondere durch das Konzept des Universaldiensts240 geschützt werden.241
II. Spannungsverhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerb Die Erfahrung hat gezeigt, dass allgemein durch den Wettbewerb auf der Basis eines Ausgleichs von freiem Angebot und freier Nachfrage eine optimale Produktion 237 Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 28; Storr, DÖV 2002, S. 358. 238 Vgl. nur Jennert, WRP 2003, S. 459, 460. 239 Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 41 f.; Möschel, JZ 2004, S. 1023. 240 Vgl. Kapitel 1 A. III. 2. 241 Kommission, Bericht für den Europäischen Rat von Laeken: Leistungen der Daseinsvorsorge, KOM (2001) 598 endg., Tz. 49 (mit Beispielen); Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 5.
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen zustande kommt und dass der Wettbewerb grundsätzlich am besten dazu geeignet ist, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen.242 In den Worten der Kommission bietet der Markt „gewöhnlich die Gewähr für eine optimale Allokation der Ressourcen im Interesse der Gesellschaft insgesamt“.243 Die Kommission weist jedoch andererseits zutreffend darauf hin, dass manche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nicht allein durch die Märkte erbracht werden, weil entweder ihr Marktpreis für Verbraucher mit niedriger Kaufkraft zu hoch sei oder weil die Kosten, die bei der Erbringung der Leistung entstehen, sich nicht durch den Marktpreis abdecken ließen. Im Falle eines solchen Marktversagens sei es die Pflicht der staatlichen Behörden, dafür zu sorgen, dass die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auch unter diesen Umständen gewahrt bleiben.244 Der Wettbewerb gewährleistet also nicht automatisch eine ausreichende Daseinsvorsorge.245 Wenn die Leistungen der Daseinsvorsorge von Unternehmen erbracht werden, die miteinander im Wettbewerb stehen, werden diese Unternehmen Leistungen, bei denen sich herausstellt, dass sie nicht wirtschaftlich erbracht werden können (d. h. Leistungen, mit denen kein Gewinn erzielt werden kann), in Zukunft nicht mehr erbringen. Unternehmen, die im Wettbewerb stehen und deren Streben auf die Erwirtschaftung von Gewinnen gerichtet ist, nehmen auf die im öffentlichen Interesse liegende Zielsetzung einer angemessenen und ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit den Leistungen der Daseinsvorsorge keine Rücksicht. Ggf. wäre ihr eigenes wirtschaftliches Überleben gefährdet, wenn sie langfristig unrentable Leistungen anböten.246 Um eine angemessene und ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Daseinsvorsorge sicherzustellen, verbindet der Staat mit diesen 242 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 84 f.; Heinze, BayVBl. 2004, S. 33, 34; Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003), 270 endg., Tz. 22. 243 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg. Tz. 22. 244 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 22; Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 79 f.; Kämmerer, NVwZ 2004, S. 28, 31. 245 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 86; Schoch, NVwZ 2008, S. 241, 245; zu den Gründen hierfür vgl. Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, S. 49 ff. und Kämmerer, NVwZ 2004, S. 28, 31. 246 Da der Wettbewerb keine Rücksicht auf Gemeinwohlbelange nehme und deshalb rücksichtslos sei, dürfte nach der Ansicht von Broß (JZ 2004, S. 874, 875; NZBau 2004, S. 465, 466 f.) in all den Bereichen, in denen die Daseinsvorsorge eine Ausprägung des Sozialstaatsprinzips in Verbindung mit der Menschenwürde sei, kein Wettbewerb stattfinden. Hielten trotzdem Wettbewerb und Privatisierung Einzug, dürfe sich der Staat nicht bindungslos zurückziehen. Er müsse dann einen zuverlässigen und gesicherten Rahmen gestalten, innerhalb dessen er die Eigenverantwortung der Menschen einfordern dürfe (Broß, JZ 2004, S. 874, 878).
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Leistungen bestimmte Gemeinwohlanforderungen.247 Stellt der Markt grundsätzlich ein hinreichendes Leistungsniveau zur Verfügung, unterwirft der Staat – wie in den Bereichen der Telekommunikation und der Post geschehen – die in diesen Märkten tätigen Unternehmen einer Universaldienstverpflichtung, um ein ausreichendes Leistungsniveau auch tatsächlich sicherzustellen. Die Leistungserbringung erfolgt in diesen Fällen durch eine Mehrzahl von Unternehmen, die untereinander auf demselben sachlichen und räumlichen Markt im Wettbewerb um die Kunden stehen (Wettbewerb im Markt). Brächte der Wettbewerb im Markt kein den besonderen Gemeinwohlverpflichtungen genügendes Leistungsniveau hervor, muss der Staat die Leistungen entweder selbst erbringen (ggf. durch ein öffentliches Unternehmen) oder ein privates Unternehmen mit der Erbringung der Leistungen der Daseinsvorsorge beauftragen.248 Um die Erbringung von unrentablen Leistungen zu ermöglichen, kann er dem Leistungserbringer auch Zuschüsse gewähren oder besondere oder ausschließliche Rechte einräumen.249 Wenn der Staat jedoch von den genannten Möglichkeiten zur Sicherung des Gemeinwohls Gebrauch macht, führen diese wiederum zu Einschränkungen des Wettbewerbs.250 Wird ein Unternehmen mit der Erbringung einer Leistung der Daseinsvorsorge gegen Gewährung eines finanziellen Ausgleichs betraut, liegt dieser finanzielle Ausgleich jedoch über den durch die Erbringung der Leistung anfallenden Kosten (Überkompensation), liegt hierin eine Bevorzugung des betrauten Unternehmens gegenüber den anderen am Markt tätigen Unternehmen. Bei der Gewährung von ausschließlichen oder besonderen Rechten ist der Einfluss auf den Wettbewerb augenscheinlich. Wird der Staat lediglich regulierend tätig und werden die Leistungen der Daseinsvorsorge ansonsten von im Markt tätigen Un247
Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., 14; Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 20; Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Anhang 1. 248 Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Tz. 14 ff. Ungeachtet dieser Betrachtung unter Wettbewerbsgesichtspunkten sind bestimmte Aufgaben der Daseinsvorsorge bereits von Gesetzes wegen dem Staat oder den Kommunen zugewiesen, wobei in diesen Fällen der verpflichteten Gebietskörperschaft regelmäßig die Befugnis eingeräumt wird, mit der Erfüllung dieser Pflichten Dritte zu beauftragen (vgl. insbesondere Kapitel 3 und 4). Zu der Entwicklung, dass der Staat und die Kommunen immer weniger Leistungen der Daseinsvorsorge selbst erbringen, sondern private Unternehmen mit der Leistungserbringung beauftragen und dem damit verbundenen Wandel von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung des Staates vgl. Kapitel 1 A. III. 249 Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Tz. 14 + Zusammenfassung; Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM(2003) 270 endg., Tz. 85 ff.; Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Abschnitt 4.2; Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 283; Kämmerer, NVwZ 2004, S. 28, 31; kritisch Pielow, JuS 2006, S. 692, 694. 250 Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 54.
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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ternehmen erbracht, entstehen weniger Spannungen zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerb, da eine alle Unternehmen grundsätzlich gleich treffende Regulierung von Wettbewerb regelmäßig zu geringeren Beschränkungen führt als die einseitige Privilegierung einzelner Unternehmen.251 Insgesamt kann deshalb festgestellt werden, dass zwischen der Daseinsvorsorge und dem Wettbewerbsprinzip ein Spannungsverhältnis besteht.252 Dies wird von einem Teil des Schrifttums verneint, vielmehr werde „eine optimale Erzielung der Daseinsvorsorgezwecke durch den Einsatz des Wettbewerbsmechanismus gewährleistet“.253 Zum Beleg ihrer Ansicht verweisen deren Vertreter u. a. auf das Konzept des Universaldienstes, wie es in den Bereichen der Telekommunikation und Post verwirklicht ist.254 Zutreffend ist, dass mit den Mitteln des Wettbewerbs positive Effekte für die Daseinsvorsorge erzielt werden können.255 Aber auch in den Bereichen, in denen Daseinsvorsorge im Wettbewerb erbracht wird (Post, Telekommunikation) hat es der Gesetzgeber für erforderlich gehalten, den Unternehmen eine Universaldienstverpflichtung aufzuerlegen, um sicherzustellen, dass tatsächlich ein bestimmtes Mindestangebot flächendeckend in einer bestimmten Qualität und zu einem erschwinglichen Preis der Bevölkerung zur Verfügung steht (bzw. – negativ formuliert – um zu verhindern, dass ein bestimmtes Mindestangebot unterschritten wird und damit eine ausreichende und angemessene Versorgung nicht mehr vorliegt). Das Bestehen eines Spannungsverhältnisses zwischen Wettbewerb und der Daseinsvorsorge führt jedoch nicht zu einem pauschalen Ausschluss des Wettbewerbs im Bereich der Daseinsvorsorge. Daseinsvorsorge ist zwar ein Rechtsbegriff, an den rechtliche Konsequenzen geknüpft werden können,256 nicht jedoch diejenige, dass der Wettbewerb oder das Wettbewerbsrecht im Bereich der Daseinsvorsorge generell ausgeschlossen ist. Es ist aber erforderlich, dass im Wettbewerb eine ausreichende 251
Storr, DÖV 2002, S. 357, 360. Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 54; Schoch, NVwZ 2008, S. 241, 245. 253 Kühling, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 142; Koenig, EuZW 2001, S. 481 („…; die Wettbewerbsregeln sollen als Allokationsmechanismus auch das Prinzip der Daseinsvorsorge optimieren.“) 254 Koenig, EuZW 2001, S. 481; Kühling, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 143 ff. 255 So auch Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 5 f. In ihrer Mitteilung zu den Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa aus dem Jahr 2000 (KOM (2000) 580 endg., Tz. 38) geht die Kommission von einer positiven Wirkung der Liberalisierung von Dienstleistungsbranchen (gemeint ist in diesem Zusammenhang vor allem die Telekommunikationsbranche) auf die Verfügbarkeit, Qualität und Erschwinglichkeit von Leistungen der Daseinsvorsorge aus, es gebe jedoch auch neue Probleme. Überaus kritisch hinsichtlich möglicher positiver Effekte von Liberalisierung und Privatisierung Broß, JZ 2004, S. 874, 878 und NZBau 2004, S. 465, 466 f. Mit der Liberalisierung angestrebte Kostenvorteile würden durch die mit der erforderlichen Regulierung verbundenen Kosten weitgehend wieder aufgezehrt (Broß, JZ 2004, S. 874, 876). 256 Vgl. dazu Kapitel 1 A. IV. 5. 252
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Erfüllung der Daseinsvorsorgeaufgabe sichergestellt ist.257 Wenn private Initiative kein ausreichendes und angemessenes Angebot an Leistungen der Daseinsvorsorge schafft bzw. schaffen kann, kann der Staat dies nicht einfach als Ergebnis eines Wettbewerbsprozesses hinnehmen. Er ist vielmehr dazu verpflichtet, für eine ausreichende Daseinsvorsorge zu sorgen. Zu diesem Zweck kann er u. a. die jeweilige Aufgabe der Daseinsvorsorge selbst erfüllen oder Private mit deren Erfüllung beauftragen.258 III. Wettbewerb um den Markt Die Frage, ob das Vergaberecht Anwendung findet, wenn der Staat oder die Kommunen Leistungen der Daseinsvorsorge selbst durch ein öffentliches Unternehmen erbringen oder ein privates Unternehmen mit deren Erbringung beauftragen, wird im Zentrum dieser Arbeit stehen. Wenn die öffentliche Hand sich dazu entschließt, ein privates Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge zu beauftragen, so wird hierdurch ein Markt um den Vertragsschluss mit dem staatlichen oder kommunalen Partner eröffnet.259 Die öffentliche Hand beauftragt nicht mehrere Unternehmen, zwischen denen Wettbewerb bestehen soll und zwischen deren Leistungen die Nutzer wählen können. Sind mehrere Unternehmen dazu in der Lage, die jeweiligen Leistungen zu erbringen, entsteht zwischen diesen ein Wettbewerb um den Vertragsschluss mit der öffentlichen Hand und die anschließende Leistungserbringung gegenüber den Kunden (Wettbewerb um den Markt).260 Die Frage, ob zwischen einem wettbewerblichen Vergabeverfahren und 257
Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 80; Schoch, NVwZ 2008, S. 241, 245. Auch für Autoren wie Berschin, die grundsätzlich eine sehr wettbewerbsfreundliche Auffassung vertreten, geht es nicht um eine Absage an die Daseinsvorsorge, sondern um die Bestimmung des „richtigen“ Verhältnisses zwischen unregulierter Ausfüllung, staatlicher Regulierung und staatlicher Selbsterledigung (Berschin, Daseinsvorsorge durch Wettbewerb, 2000, S. 13). Die Kommission ist ebenfalls der Ansicht, dass Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, Binnenmarkt und gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik nicht unvereinbar seien, sondern sich vielmehr bei der Verfolgung der grundlegenden Ziele des EGVertrages ergänzten. Die bislang gesammelten Erfahrungen bestätigten vielmehr die Vereinbarkeit von hohen Standards bei der Bereitstellung von Leistungen der Daseinsvorsorge mit den EG-Wettbewerbs- und Binnenmarktregeln (Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM(2000) 580 endg. 3, 19 und Zusammenfassung; Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Abschnitt 3.2). 258 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003), 270 endg., Tz. 23; Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 79; Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 52 f.; Schoch, NVwZ 2008, S. 241, 245. 259 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 44; Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 283. 260 Vgl. dazu Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 51 f.; Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 283; Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbsterwaltung, 2001, S. 101, 109; Frenz, ZHR 2002, S. 307, 310.
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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der Daseinsvorsorge ebenfalls ein Spannungsverhältnis besteht bzw. wie dieses ggf. aufgelöst werden kann, wird ebenfalls ein Gegenstand der Untersuchung sein (vgl. unten D. III.).
C. Verhältnis von Daseinsvorsorge und Wettbewerbsrecht nach dem Gemeinschaftsrecht Bevor die Frage des Bestehens eines Spannungsverhältnisses zwischen wettbewerblichem Vergabeverfahren und Daseinsvorsorge erörtert wird, soll noch auf die Art. 86 und 16 EG eingegangen werden.261 Bei diesen Normen handelt es sich um die Grundnormen, anhand derer für das Europäische Gemeinschaftsrecht das Verhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerbsrecht zu bestimmen ist. Unter den in Art. 86 Abs. 2 EG genannten Voraussetzungen können im Bereich der Daseinsvorsorge die Vorschriften des EG-Vertrags, insbesondere die Wettbewerbsregeln, unangewendet bleiben. Mit Art. 86 Abs. 2 EG soll das „Interesse der Mitgliedstaaten am Einsatz bestimmter Unternehmen, insbesondere des öffentlichen Sektors, als Instrumente der Wirtschafts- oder Fiskalpolitik mit dem Interesse der Gemeinschaft an der Einhaltung der Wettbewerbsregeln und der Wahrung der Einheit des Gemeinsamen Marktes“ in Einklang gebracht werden.262 I. Definition und Organisation der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Es ist grundsätzlich Sache der Behörden der Mitgliedstaaten, die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu definieren, zu organisieren, zu finanzieren und zu überwachen.263 Die Definition der einzelnen Mitgliedstaaten dessen, was sie als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ansehen, wird von der Kommission und den europäischen Gerichten nur auf „offenkundige Fehler“ hin überprüft.264 Die Kommission möchte auf diese Weise das Subsidiaritätsprinzip 261
Zur Fage, ob bzw. ggf. welche Bedeutung Art. 86 Abs. 2 und Art. 16 EG für die Anwendbarkeit des Vergaberechts haben vgl. unten D. III. 4. und 5. 262 EuGH, Urt. v. 19. 3. 1991 – Rs. C-202/88 (Telekommunikations-Endgeräte), Slg. 1991, I-1223 Rn. 12; Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2007, Art. 86 Rn. 34. 263 Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Tz. 22; Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 31, 77; Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Abschnitt 2.2 und 2.3; Möschel, JZ 2003, S. 1021, 1024 f.; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 86 Rn. 47; Jung, in: Calliess/ Ruffert, EUV/EGV, 2007, Art. 86 Rn. 37; Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 52 f. 264 Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Tz. 22; vgl. hierzu Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 53; Storr, DÖV 2002, S. 357, 363; auch
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
achten265 und die Vielfalt und die Rolle der nationalen, regionalen und örtlichen Behörden bei der Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse respektieren.266 Was das Gemeinschaftsrecht anbelangt, können die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Organisation der Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse frei darüber entscheiden, ob sie diese Dienstleistungen selbst über ihre eigene Verwaltung erbringen, oder ob sie ein öffentliches oder privates Unternehmen mit der Leistungserbringung beauftragen.267 II. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts 1. Voraussetzungen Voraussetzung für die Anwendbarkeit des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts ist das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit eines Unternehmens, die eine Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten hat. Nach dem Wortlaut von Art. 86 Abs. 2 Satz 1 EG steht die grundsätzliche Anwendbarkeit der Vorschriften des EG-Vertrags, insbesondere der Wettbewerbsregeln, auf die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betrauten Unternehmen unzweifelhaft fest. Die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln der Art. 81 – 86, 87 ff. EG erfassen grundsätzlich auch den Bereich der Daseinsvorsorge.268 Auf nichtwirtschaftliche (d. h. nicht marktbezogene) Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und Dienstleistungen ohne Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten findet das Wettbewerbsrecht jedoch keine Anwendung. Solche Dienstleistungen unterliegen auch nicht den Vertragsvorschriften über den Binnenmarkt und die staatlichen Beihilfen.269
Kühling, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 141. 265 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 31. 266 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 11. In der Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa (KOM (2000) 580 endg., Tz. 22) fasst dies die Kommission unter dem Begriff des Grundsatzes der Gestaltungsfreiheit zusammen. 267 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 79; Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Abschnitt 4.3; ebenso Möschel, JZ 2003, S. 1021, 1026; Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 53. 268 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 88. 269 Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 53; Schwarze, EuZW 2001, S. 334, 335, 337, 339; Pielow, JuS 2006, S. 780, 781. Nach einer neueren Entscheidung des EuGH sind die Art. 81 ff. EG auch nicht auf den Einkauf von Gütern und Dienstleistungen durch die öffentliche Hand anwendbar, die diese später zur Ausübung nichtwirtschaftlicher Tätigkeiten verwendet (EuGH, Urt. v.
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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Der Begriff des Unternehmens i. S. des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts umfasst jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.270 Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt wiederum jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.271 Auch eine Stelle, die in die öffentliche Verwaltung integriert ist, kann ein Unternehmen in diesem Sinne sein, wenn der Staat durch sie wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt, die im Anbieten von Waren oder Dienstleistungen auf einem Markt bestehen. Einer Trennung vom Staat oder einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit der handelnden Einheit bedarf es nicht.272 Aufgrund der Geltung des Wettbewerbsrechts im Bereich der Daseinsvorsorge sind bspw. Ausgleichszahlungen, die den mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betrauten Unternehmen für die ihnen auferlegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen von Seiten des Staates gezahlt werden, am Maßstab des Art. 87 EG zu messen. Es soll sichergestellt werden, dass der Wettbewerb und das Funktionieren des Binnenmarkts nicht durch Ausgleichszahlungen an die Erbringer von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse verzerrt wird, Überentschädigungen sollen verhindert werden.273 2. Nichtwirtschaftliche Tätigkeiten Was nichtwirtschaftliche Tätigkeiten sind, lässt sich am ehesten aus einem Umkehrschluss aus dem – soeben definierten – Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit ableiten.274 Beispiele für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten sind hoheitliche Tätigkeiten des Staates (Bsp.: polizeiliche Sicherheit), Grundschulbildung, die mit einer Pflichtmitgliedschaft verbundenen Grundversorgungssysteme der sozialen Sicher11. 7. 2006 – Rs. C-205/03 P (FENIN), Slg. 2006, I-6295, NZBau 2007, S. 190). Vgl. dazu ausführlich unten D. III. 4. 270 EuGH, Urt. v. 11. 7. 2006 – Rs. C-205/03 P (FENIN), Slg. 2006, I-6295 Rn. 25 m. w. N. 271 EuGH, Urt. v. 11. 7. 2006 – Rs. C-205/03 P (FENIN), Slg. 2006, I-6295 Rn. 25; EuGH, Pavel Pavlov und andere/Stichting Pensioenfonds Medische Spezialisten, verbundene Rechtssachen C-180-184/98, Slg. 2000, I-6451. 272 Jung, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 86 Rn. 11; Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 14 jeweils m. w. N. 273 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 88 ff.; ebenso Möschel, JZ 2003, S. 1021, 1026; Nettesheim, in: Hrbek/ Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 54. Nach dem Urteil des EuGH vom 24. 7. 2003 in der Rechtssache Altmark Trans (Rs. C-280/00, Slg. 2003, I-7810) sind jedoch Ausgleichszahlungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen unter den in diesem Urteil genannten 4 Voraussetzungen bereits keine Beihilfen i. S. von Art. 87 Abs. 1 EG, weshalb sich die Frage der Rechtfertigung dieser Zahlungen gemäß Art. 86 Abs. 2 EG dann gar nicht mehr stellt (vgl. ausführlich dazu unten D. I. 3.). 274 Zur Schwierigkeit der Definition des Begriffs „nichtwirtschaftliche Tätigkeit“ vgl. Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 53 f.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
heit275 und ausschließlich karitative, fürsorgerische, soziale oder kulturelle Dienstleistungen.276 Trotz der grundsätzlichen Unanwendbarkeit des Wettbewerbsrechts des EG-Vertrages finden doch bestimmte Regeln des Gemeinschaftsrechts, wie z. B. der Grundsatz der Nichtdiskriminierung oder der Grundsatz der Freizügigkeit, auch auf nichtwirtschaftliche Tätigkeiten Anwendung.277 3. Gleichbehandlung öffentlicher und privater Unternehmen Unabhängig davon, ob es sich um öffentliche oder private Unternehmen handelt,278 unterliegen die Erbringer von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse grundsätzlich den Wettbewerbsbestimmungen des EG-Vertrages.279 Die Mitgliedstaaten dürfen öffentliche Unternehmen nicht bevorzugen, d. h. ihnen keinen Wettbewerbsvorteile verschaffen, gestatten oder sonst wie ermöglichen (Art. 86 Abs. 1 EG).280 Die europarechtliche Diskussion über das Verhältnis von Daseinsvorsorge und Wettbewerb hat sich maßgeblich an der Einräumung von solchen Sonderstellungen öffentlicher Unternehmen gegenüber privaten Konkurrenten entzündet.281 III. Ausnahme gemäß Art. 86 Abs. 2 EG Von dem Grundsatz der Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags sieht Art. 86 Abs. 2 EG jedoch auch Ausnahmen vor. Unter den in Art. 86 Abs. 2 EG genannten Voraussetzungen kann im Konfliktfall die Erfüllung des Versorgungs-
275 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 45; Möschel, JZ 2003, S. 1021, 1024; Pielow, JuS 2006, S. 780, 781. 276 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 86 Rn. 46; Pielow, JuS 2006, S. 780, 781. 277 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 32, 43. 278 Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 29; Harms, in: Brede (Hrsg.), Wettbewerb in Europa und die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, 2000/2001, S. 30, 32; Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 54; Pielow, JuS 2006, S. 692, 693. 279 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003), 270 endg., Tz. 80; Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Abschnitt 4.3; Pielow, JuS 2006, S. 692, 693. 280 Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 28 f.; Schwarze, EuZW 2001, S. 334, 336. 281 Möstl, in: Festschrift für Badura, 2004, S. 961 f.; Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 25 ff.
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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auftrags praktisch vor der Anwendung der Gemeinschaftsregeln, insbesondere der Wettbewerbs- und Binnenmarktregeln rangieren.282 1. Voraussetzungen Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 86 Abs. 2 EG ist zunächst, dass das betroffene Unternehmen mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut ist. Die Betrauung mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse muss durch einen Hoheitsakt erfolgen.283 Hoheitsakte sind Akte der Mitgliedstaaten, der Gebietskörperschaften der Mitgliedstaaten (auch Kommunen) oder der sonstigen hoheitlichen Einrichtungen, nicht jedoch Akte von nicht dem Staat zuzurechnenden Einrichtungen.284 Die Betrauung kann durch Gesetz oder Verordnung erfolgen, es ist jedoch nicht zwingend eine Rechtsvorschrift erforderlich. Ein Unternehmen kann auch durch eine öffentlich-rechtliche Konzession285 oder durch einen Vertrag286 mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut werden.287 Voraussetzung dafür, dass das Wettbewerbsrecht unangewendet bleiben kann, ist jeweils eine genaue Definition des Versorgungsauftrags, mit dem das Unternehmen betraut wird.288 Die entscheidende Voraussetzung für die Nichtanwendbarkeit der Vorschriften des EG-Vertrags (insbesondere des Wettbewerbsrechts) ist, dass durch deren Anwendung die Erfüllung der dem oder den betrauten Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert wird (Art. 86 Abs. 2 Satz 1 EG). Es muss ein „tatsächlicher Konflikt“ zwischen der Einhaltung der Vorschriften des EG-Vertrags (insbesondere der Wettbewerbsvorschriften) und der Erfüllung der 282
Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003), 270 endg., Tz. 29; Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Abschnitt 3.2. 283 EuGH, Urt. v. 23. 10. 1997 – Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-5815 Rn. 65; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 86 Rn. 52. 284 Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 42. 285 EuGH, Urt. v. 23.101997 – Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-5815 Rn. 66; Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2007, Art. 86 Rn. 39; von Burchard, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 86 Rn. 62. 286 Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Tz. 22; Möschel, JZ 2003, S. 1021, 1025; Pielow, JuS 2006, S. 780, 782; kritisch Schmidt, Der Staat 2003, S. 225, 234 f. 287 Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 53; Möschel, JZ 2003, S. 1021, 1025. Zu den Angaben, die der Betrauungsakt enthalten muss vgl. Möschel, JZ 2003, S. 1021, 1025 f. Möschel betont außerdem im Einklang mit der Kommission, dass der Versorgungsauftrag zeitlich befristet sein muss, damit in regelmäßigen Abständen eine Wettbewerbssituation hergestellt werden kann (Möschel, JZ 2003, S. 1021, 1026). 288 Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 53; Pielow, JuS 2006, S. 780, 782.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
besonderen Aufgabe durch die betrauten Unternehmen bestehen.289 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist hiervon nicht erst dann auszugehen, „wenn das finanzielle Gleichgewicht oder das wirtschaftliche Überleben des mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betrauten Unternehmens bedroht ist“.290 Es genügt vielmehr, wenn die Aufgabenerledigung sachlich oder rechtlich „gefährdet wäre“, oder dass die Beibehaltung der besonderen Rechte erforderlich ist, um ihrem Inhaber die Erfüllung seiner Aufgaben „zu wirtschaftlich annehmbaren Bedingungen zu ermöglichen“.291 Eine Einschränkung erfährt die in Art. 86 Abs. 2 Satz 1 EG vorgesehene Ausnahmemöglichkeit jedoch durch Art. 86 Abs. 2 Satz 2 EG, demzufolge eine Abweichung vom EG-Vertrag nur soweit in Frage kommt, als die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem mit dem Interesse der Gemeinschaft unvereinbaren Ausmaß beeinträchtigt wird.292 Einschränkungen des Wettbewerbs und Begrenzungen der Grundfreiheiten des EG-Vertrages dürfen auch nicht über das zur wirksamen Erfüllung des Auftrags erforderliche Maß hinausgehen (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).293 2. Wirkungen Zunächst ermöglicht Art. 86 Abs. 2 EG den betroffenen Unternehmen, unter den genannten Voraussetzungen von den unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags (insbesondere den Art. 81, 82 EG) abzuweichen.294 Da Art. 86 Abs. 2 EG im Zusammenhang mit Art. 86 Abs. 1 EG gelesen werden muss, erlaubt Art. 86 Abs. 2 EG auch den Mitgliedstaaten, hinsichtlich der Unternehmen, die sie mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut haben, von den staatsgerichteten Wettbewerbsregeln (Art. 87 EG) und den Grundfreiheiten abzuweichen. Die Mitgliedstaaten können diesen Unternehmen bspw. ausschließ289 Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 55; Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2007, Art. 86 Rn. 45. 290 EuGH, Urt. v. 17. 5. 2001 – Rs. C-340/99 (TNT Traco/Poste Italiano), Slg. 2001, I-4109 Rn. 54; EuGH, Urt. v. 23. 10. 1997 – Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-5815 Rn. 59. 291 EuGH, Urt. v. 17. 5. 2001 – Rs. C-340/99 (TNT Traco/Poste Italiano), Slg. 2001, I-4109 Rn. 54; EuGH Urt. vom 23. 10. 1997 – Rs. C-154/94 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-5815 Rn. 59, 96; zustimmend: Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 30; Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 54; Möschel, JZ 2003, S. 1021, 1027; von Burchard, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 86 Rn. 71 f.; kritisch Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 86 Rn. 62 ff.; Pielow, JuS 2006, S. 780, 782. 292 Vgl. dazu Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 54; Möschel, JZ 2003, S. 1021, 1026 f.; Schmidt, Der Staat 2003, S. 225, 235 ff. 293 Kommission, Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endg., Tz. 23; Pielow, JuS 2006, S. 780, 783. 294 Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 86 Rn. 39; von Burchard, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 86 Rn. 53.
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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liche Rechte verleihen, die zwar gegen die Grundfreiheiten verstoßen, jedoch ggf. gemäß Art. 86 Abs. 2 EG gerechtfertigt sind.295 Die Möglichkeit der Abweichung von Vorschriften des Vertrages besteht von Gesetzes wegen, eine vorherige Entscheidung einer Behörde (bspw. der Kommission) hierüber ist nicht erforderlich.296 IV. Auswirkungen des Art. 16 EG auf das Verhältnis von Wettbewerb und Daseinsvorsorge Das Verhältnis des Wettbewerbs bzw. der Wettbewerbsregeln zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse muss auch unter Berücksichtigung des durch den Vertrag von Amsterdam mit Wirkung zum 1. 5. 1999297 eingeführten Art. 16 EG bestimmt werden. Die rechtliche Bedeutung und Tragweite des Art. 16 EG ist jedoch umstritten. Eine Ansicht geht davon aus, dass die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse durch die Einführung von Art. 16 EG keinen Bedeutungszuwachs erfahren haben.298 Bereits ausweislich des Wortlauts von Art. 16 EG („Unbeschadet der Art. 73, 86 und 87 …“) bleibe es beim durch Art. 86 Abs. 2 EG vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen den Wettbewerbsregeln und den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse.299 Art. 16 EG begründe keine Freistellung von der Beachtlichkeit der Wettbewerbsregeln des EGVertrags, der marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsverfassung der EU werde kein „Gegenprinzip“ entgegengestellt. Art. 16 EG lasse sich nicht als Vorschrift begreifen, die geeignet wäre, eine Überlagerung oder Durchbrechung der europäischen Wirtschaftsverfassung zu bewirken.300 Art. 16 EG habe aber politische Bedeutung in dem Sinne, dass er zukünftig bei jeglicher Politikgestaltung sowohl auf nationaler wie auch auf der Ebene der Gemeinschaft beachtet werden müsse.301 Die 295 EuGH, Urt. v. 23. 10. 1997 – Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-5815 Rn. 44, 49; Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 53; Koenig/ Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 86 Rn. 39; von Burchard, in: Schwarze, EUKommentar, 2000, Art. 86 Rn. 51, 54. 296 Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 53 m. w. N. 297 Vgl. Schwarze, EuZW 2001, S. 334, 336. 298 Schmidt, Der Staat 2003, S. 225, 238. 299 Auch die Kommission betont das Regel-Ausnahme-Verhältnis (vgl. Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 29). 300 Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 50; Pielow, JuS 2006, S. 780 f. 301 Nettesheim, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 50 f. So auch die Kommission: Getreu dem Vertragsgrundsatz des Art. 16 EG möchte die Kommission bei all ihren zukünftigen politischen Maßnahmen und Tätigkeiten der spezifischen Rolle der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in vollem Umfang Rechnung tragen (Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem In-
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rechtlichen Auswirkungen seien als gering einzustufen, auch wenn Art. 16 EG im Rahmen der Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts Bedeutung erlangen werde, wenn der Stellenwert der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in Abwägungsprozessen zu würdigen sei.302 Entgegen der soeben beschriebenen Ansicht hat Art. 16 EG jedoch die Stellung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Gemeinschaftsrecht gestärkt. Dass die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags durch Art. 16 EG nicht im Sinne einer Bereichsausnahme gänzlich verdrängt werden, ergibt sich bereits unzweifelhaft aus dem Wortlaut von Art. 16 EG („unbeschadet der Artikel 73, 86 und 87“). Angesichts des besonderen Stellenwerts der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse innerhalb der gemeinsamen Werte der Union, den Art. 16 EG anerkennt, kann das Konzept der Daseinsvorsorge jedoch nicht mehr allein als „rechtfertigungsbedürftiger Ausnahmefall“303 oder als „dysfunktionale Ausnahme“ in einer allein wettbewerbsorientierten Gemeinschaft interpretiert werden.304 Art. 16 EG akzeptiert vielmehr auch alternative Wirtschaftsformen neben der wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft.305 Die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste müssen so gestaltet sein, dass sie ihren Aufgaben nachkommen können. Im Gegensatz zu dem das Regel-AusnahmeVerhältnis betonenden Art. 86 Abs. 2 EG legt Art. 16 EG positiv der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auf, für entsprechende Bedingungen zu sorgen. Die Hinzufügung von Art. 16 EG hat das Verhältnis zwischen Wettbewerb und Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse also nicht unberührt gelassen,306 sondern „das Gewicht des der Daseinsvorsorge gewidmeten Sektors in der Wirtschaftsverfassung der Union gestärkt“.307 Der gestärkten Bedeutung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse muss bei Auslegung und Anwendung des Art. 86 Abs. 2 EG Rechnung getragen werden.308 Durch Art. 16 EG wird der Auslegung und Anwendung des
teresse, KOM (2004) 374 endg., Abschnitt 2.1; Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 29). 302 Schmidt, Der Staat 2003, S. 225, 239. 303 Schwarze, EuZW 2001, S. 334, 336; Storr, DÖV 2002, S. 357, 361. 304 Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 3, 33; Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 90; Schwarze, EuZW 2001, S. 334, 336; Doerfert, JA 2006, S. 316, 318. 305 Schwarze, EuZW 2001, S. 334, 336; Doerfert, JA 2006, S. 316, 318; Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 90. 306 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 90. 307 Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 30. 308 Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 3, 33; Wernicke, EuZW 2003, 481; Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 90; Schwarze, EuZW 2001, S. 334, 336.
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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Art. 86 Abs. 2 EG eine „ausdrückliche Direktive“ gegeben.309 Darüber hinaus kann aus Art. 16 EG ein Optimierungsgebot abgeleitet werden. Im Falle eines Spannungsverhältnisses zwischen der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse unter Wettbewerbsbedingungen bzw. der Geltung des Wettbewerbsrechts einerseits und der Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse muss ein Ausgleich zwischen diesen beiden Vertragsprinzipien hergestellt werden.310 Schwarze zieht zur Herstellung dieses Ausgleichs das aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannte Interpretationsprinzip der „praktischen Konkordanz“ heran.311 Keines der beiden vertraglichen Prinzipien dürfe im Konfliktfall ohne weiteres aufgegeben werden, vielmehr müssten beide einander so zugeordnet werden, dass ein verhältnismäßiger Ausgleich gelinge.312 Als Beispiel für einen solchen Ausgleich kann der Post- und Telekommunikationsbereich herangezogen werden. Post- und Telekommunikationsdienstleistungen werden mittlerweile im Wettbewerb erbracht, durch die Unterwerfung der auf dem Markt agierenden Unternehmen unter eine Universaldienstverpflichtung wird jedoch eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit diesen Dienstleistungen sichergestellt. Lässt sich eine ausreichende 309
Badura, in: Schwarze (Hrsg.), Daseinsvorsorge im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2001, S. 30 f. 310 Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 3, 33; Kolb, LKV 2006, S. 97, 99 (Schaffung und Sicherung eines Gleichgewichts zwischen Wettbewerbsregeln und der Erfüllung öffentlicher Versorgungsaufgaben); Heinze, BayVBl. 2004, S. 33, 38, 40; so auch Pielow, JuS 2006, S. 780 f. 311 Schwarze, EuZW 2001, S. 334. 339; stärker einschränkend Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 90, 94. Ablehnend – wenn auch mit gänzlich anderer Stoßrichtung – zum Gedanken der praktischen Konkordanz zwischen den Belangen der Daseinsvorsorge und des Wettbewerbs äußern sich Koenig (EuZW 2001, S. 481) und Kühling (Kühling, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 141). Es bestünde kein „Kollisionsverhältnis zwischen der Daseinsvorsorge und der Anwendung der Wettbewerbsregeln“. Diese beiden Rechtspositionen stünden nicht auf „einer rechtsdogmatischen Ordnungsebene“, obwohl sie beide Teil des EG-Primärrechts seien. Bei der Daseinsvorsorge handele es sich um ein „Vertragsprinzip“, bei den Wettbewerbsvorschriften um „Regeln […], nicht um Prinzipien“. Verfehlt sei es daher, „die Wettbewerbsregeln als konfligierende Positionen zu einem Prinzip der Daseinsvorsorge darzustellen; die Wettbewerbsregeln sollen als Allokationsmechanismus auch das Prinzip Koenig der Daseinsvorsorge optimieren.“ (Koenig, EuZW 2001, S. 481; Kühling, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 141). Vgl. hierzu bereits oben B. II. 312 Schwarze, EuZW 2001, S. 334, 339; Harms spricht von einem Kompromisscharakter, den Art. 16 und 86 EG und das darin zum Ausdruck kommende Verhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerb haben (Harms, in: Brede (Hrsg.), Wettbewerb in Europa und die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, 2000/2001, S. 31). Im Sinne eines Ausgleichs auch Storr, DÖV 2002, S. 357, 362; Storr spricht von einem Kooperations- bzw. Gleichgewichtsprinzip: es bestehe ein „Gleichgewichtigkeit gemeinschaftlicher und mitgliedstaatlicher Interessen, wobei die Mitgliedstaaten entsprechend ihrer Tradition und Identität Verantwortung für die wirtschaftliche Leistung tragen und die Gemeinschaft die Wettbewerbskongruenz überwacht.“ Das Kooperationsverhältnis erfordere eine wechselseitige Rücksichtnahme – „auch der Gemeinschaft auf mitgliedstaatliche Interessen“ (Storr, DÖV 2002, S. 357, 362).
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Versorgung der Bevölkerung nicht durch Leistungserbringung im Wettbewerb sicherstellen, muss der Staat für eine ausreichende Daseinsvorsorge sorgen. Die zu diesem Zweck ggf. erforderlichen Interventionen313 sollten jedoch gemäß dem Optimierungsgebot zu einer möglichst geringen Einschränkung des Wettbewerbs führen. Unter einer Mehrzahl an Interventionsmöglichkeiten ist diejenige zu wählen, die zur geringsten Einschränkung des Wettbewerbs führt.
D. Daseinsvorsorge und Vergaberecht I. Bedeutung des Vergaberechts im Bereich der Daseinsvorsorge 1. Beauftragung von Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge Die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts stellt sich, wenn der Staat oder die Kommunen private oder öffentliche Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge beauftragen.314 Beauftragte öffentliche Unternehmen können bspw. kommunale Eigengesellschaften315 sein.316 Beauftragt die öffentliche Hand private Unternehmen mit der Erfüllung einer ihrer Aufgaben, so wird dies als sog. funktionale Privatisierung bezeichnet.317 Die Aufgabenzuständigkeit und -verantwortung verbleibt in beiden Fällen bei der öffentlichen Hand, diese muss dafür sorgen, dass die Aufgabe auch nach der Übertragung weiterhin erfüllt wird.318 Da der Staat und die Kommunen zunehmend dazu übergehen, Leistungen der Daseinsvorsorge nicht mehr selbst über ihre eigene Verwaltung zu erbringen, sondern private oder öffentliche Unternehmen mit der Erfüllung der jeweiligen Aufgabe zu beauftragen,319 kommt dem Vergaberecht im Bereich der Daseinsvorsorge eine immer größere Bedeutung zu.320 313
Vgl. hierzu oben B. II. Vgl. dazu Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 81; Kommission, Bericht für den Europäischen Rat in Laeken: Leistungen der Daseinsvorsorge, KOM (2001) 598 endg., Tz. 33 ff. 315 D. h. eine Gesellschaft in Privatrechtsform, deren einziger Gesellschafter die beauftragende Kommune selbst ist. 316 Endler, NZBau 2002, 125; Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 603. Die Gründung der privatrechtlichen Gesellschaft zur weiteren Aufgabenerfüllung in privatrechtlicher Organisationsform wird als formelle Privatisierung oder Organisationsprivatisierung bezeichnet (Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 603; Endler, NZBau 2002, S. 125), die Beauftragung dieses Unternehmens dann teilweise als „unechte“ funktionale Privatisierung (Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 603). 317 Zacharias, DÖV 2001, 454 m. w. N.; Endler, NZBau 2002, 125; Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 603. 318 Endler, NZBau 2002, S. 125. 319 Diese Entwicklung wird auch als Wandel von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung des Staates bezeichnet (vgl. ausführlich Kapitel 1 A. III.). 314
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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Was die Beauftragung von Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge betrifft, kann danach differenziert werden, ob zwischen den Bürgern und den beauftragten Unternehmen Rechtsbeziehungen entstehen oder nicht. Einerseits können (öffentliche oder private) Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge beauftragt werden, ohne dass es zu Rechtsbeziehungen zwischen ihnen und den Bürgern, die diese Leistungen in Anspruch nehmen, kommt. Die Unternehmen werden mit der technischen Durchführung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge beauftragt. Sie handeln als technische Erfüllungsgehilfen bzw. Verwaltungshelfer der beauftragenden staatlichen Stelle oder Kommune, indem sie bspw. die Abfallentsorgung, die Abwasserbeseitigung oder die Wasserversorgung der beauftragenden Kommune betreiben.321 Die öffentlich-rechtlichen Gebühren oder privatrechtlichen Entgelte für die erbrachten Leistungen werden von den Bürgern an die öffentliche Hand entrichtet, nicht an das beauftragte Unternehmen. Gegebenenfalls zieht das beauftragte Unternehmen diese als Vertreter für die öffentliche Hand ein. Das beauftragte Unternehmen wird von der öffentlichen Hand selbst für die erbrachten Leistungen bezahlt.322 Zu unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen den Bürgern und dem beauftragten Unternehmen kommt es nicht. Durch die von den Nutzern erhobenen Gebühren oder privatrechtlichen Entgelte refinanziert die staatliche Stelle oder Kommune das an das beauftragte Unternehmen zu bezahlende Entgelt.323 Ziel eines durchzuführenden Vergabeverfahrens ist es, dasjenige Unternehmen zu ermitteln, das für die zu erbringenden Leistungen die niedrigste Vergütung von der öffentlichen Hand fordert. Andererseits kann die Beauftragung eines Unternehmens mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge auch dergestalt erfolgen, dass dieses für die den Bürgern erbrachten Leistungen von diesen direkt ein Entgelt erhält.324 Das Unternehmen erbringt Leistungen der Daseinsvorsorge unmittelbar gegenüber den Nut320 Voßkuhle spricht von einer „Schlüsselrolle“ (Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), S. 266, 315). Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 604 („…; die Karriere des Vergaberechts von einem Regime des Ankaufs von Bleistiften und Panzerfahrzeugen zu einer zentralen Materie des Privatisierungsfolgenrechts und damit zugleich des Verwaltungsorganisationsrechts ist schlicht beeindruckend.“). Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung als Verbundaufgabe, 2005, S. 23, 174 ff.; Jennert, WRP 2003, S. 459, 460. A. A. Broß, NZBau 2004, S. 465, 466 (Broß lenkt seinen Blick jedoch einseitig auf die Bereiche, in denen Wettbewerb im Markt herrscht und deshalb das Vergaberecht keine Rolle spielt (Telekommunikation, Post, Energieversorgung). Er blendet aus, dass in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge aufgrund der zunehmenden Beauftragung privater und öffentlicher Unternehmen das Vergaberecht (auch mit seinen Steuerungsmöglichkeiten) eine größere Rolle spielt als früher). 321 Zacharias, DÖV 2001, S. 454, 455; Bell/Rehak, LKV 2001, S. 185; Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 17 f. 322 Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 17 f.; Endler, NZBau 2002, 125, Zacharias, DÖV 2001, 454, 455, 458. 323 Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 17; Endler, NZBau 2002, S. 125; Schimanek, NZBau 2005, S. 304, 305. 324 Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 19.
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zern und verlangt hierfür direkt von diesen eine Vergütung für die Leistungserbringung. Es kommt also zu Rechtsbeziehungen zwischen den Nutzern und dem Unternehmen.325 Damit die Leistung den Nutzern zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung steht und so eine angemessene Daseinsvorsorge sichergestellt ist, erhält der Leistungserbringer bspw. im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) neben den Entgelten der Nutzer noch Zuschüsse durch die öffentliche Hand. 2. Eröffnung von Wettbewerb durch das Vergaberecht Ist das Vergaberecht bei der Beauftragung Dritter mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge anwendbar, so wird durch das durchzuführende wettbewerbliche Vergabeverfahren ein Wettbewerb zwischen den Bietern bzw. Bewerbern um den Vertragsschluss mit der öffentlichen Hand und die anschließende Leistungserbringung eröffnet (Wettbewerb um den Markt).326 Es ist das vorrangige Ziel des Vergaberechts, einen solchen Wettbewerb zwischen den interessierten Unternehmen zu schaffen.327 Seitens der EU wird durch eine verstärkte Durchsetzung des europäischen Vergaberechts versucht, in Bereichen der Daseinsvorsorge, in denen bisher kein Wettbewerb herrscht und in denen ein Wettbewerb im Markt kein den besonderen Gemeinwohlanforderungen genügendes Leistungsniveau hervorbrächte, den Wettbewerb um den Markt durch Ausschreibungen zu forcieren und so die öffentlichen Beschaffungsmärkte der Mitgliedstaaten für den Wettbewerb zu öffnen. Insbesondere die Kommission hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Vertragsverletzungsverfahren (Art. 226 EG) gegen die Mitgliedstaaten wegen (tatsächlichen oder vermeintlichen) Verstößen gegen das europäische Vergaberecht eingeleitet.328 Im Bereich des ÖPNV wurde darüber hinaus eine spezielle sekundärrechtliche Grundlage329 geschaffen, die auch im Falle der Unanwendbarkeit der
325 Endler, NZBau 2002, S. 125, 126; Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 19. Ob es sich in diesen Fällen um einen dem Vergaberecht unterliegenden öffentlichen Auftrag oder um eine nicht den strengen Anforderungen des Vergaberechts unterliegende Dienstleistungskonzession handelt, wird in Kapitel 6, Kapitel 8 (für den Schienenpersonennahverkehr) und Kapitel 9 (für den straßengebundenen ÖPNV) geklärt. 326 Vgl. dazu Kapitel 2 B. III. und Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 51 f.; Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 283; Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 101, 109; Frenz, ZHR 2002, S. 307, 310. 327 Vgl. Kapitel 1 B. I. 2. und III. 1. a). 328 Vgl. nur das Vertragsverletzungsverfahren „Abwasservertrag Bockhorn und Abfallentsorgung Braunschweig“ (EuGH, Urt. v. 10. 4. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01, Slg. 2003, I-3609, NZBau 2003, S. 393). 329 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1170/70 des Rates, ABl. L 315/1 vom 3. 12. 2007.
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Vergaberichtlinien330 grundsätzlich die Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens erforderlich macht.331 Es ist jedoch zu untersuchen,332 ob sich aus der Zwecksetzung des Vergaberechts – Schaffung von Wettbewerb – nicht Probleme für das Ziel der Daseinsvorsorge ergeben, eine ausreichende und angemessene Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Darüber hinaus ist zu prüfen, wie diese Probleme ggf. gelöst werden können. II. Exkurs: Beihilferechtliche Bedeutung Der Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung kommt noch in einem anderen, für die Daseinsvorsorge besonders wichtigen Bereich des Wettbewerbsrechts eine große Bedeutung zu: dem Beihilfenrecht. Um eine angemessene und ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Daseinsvorsorge sicherzustellen, gewähren staatliche Stellen oder Kommunen öffentlichen oder privaten Unternehmen Ausgleichszahlungen für die Kosten, die durch die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen entstehen. Es stellt sich die Frage, ob solche Ausgleichszahlungen Beihilfen i. S. des Art. 87 EG darstellen. Dies wäre der Fall, wenn den Begünstigten durch die Zahlungen ein finanzieller Vorteil entstünde.333 Der Wettbewerb darf durch die Ausgleichszahlungen an die Erbringer der gemeinwirtschaftlichen Leistungen nicht in der Weise verzerrt werden, dass diesen Unternehmen durch die Ausgleichszahlungen finanzielle Vorteile gewährt werden, die über die Kosten hinausgehen, die mit der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen (inklusive eines angemessenen Gewinns) verbunden sind. Solche Überentschädigungen sollen verhindert werden.334 In seinem Urteil vom 24. 7. 2003 in der Rechtssache Altmark Trans335 hat der EuGH Kriterien entwickelt, anhand derer zu prüfen ist, ob ein finanzieller Vorteil gewährt wird und es sich demzufolge bei den Ausgleichszahlungen um Beihilfen im Sinne von Art. 87 EG handelt. Das Altmark Trans-Urteil betraf zwar den Öffentlichen Personennahverkehr, die in diesem Urteil entwickelten Maßstäbe können jedoch allgemein für im Rahmen der Daseinsvorsorge gewährte Ausgleichszahlungen herangezogen werden.336 Unter vier Voraussetzungen handelt es sich bei solchen 330
Zum Vorrang der Vergaberichtlinien vgl. Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1370/2007). Zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 11. 332 Vgl. unten D. III. 333 Vgl. dazu und zu den weiteren drei Elementen des Beihilfebegriffs nur EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 75. 334 Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., Tz. 88 ff.; ebenso Möschel, JZ 2003, S. 1021, 1026. 335 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810. 336 Ronellenfitsch, VerwArch 2004, S. 425, 437; Theobald/Kafka, Der Nahverkehr 9/2003, S. 11, 12; Werner/Köster, EuZW 2003, S. 503, 504; Wachinger, WiVerw 2004, S. 27, 29; 331
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Ausgleichszahlungen nicht um Beihilfen i. S. des Art. 87 EG, da sie in diesem Fall eine Gegenleistung für Leistungen bilden, die von den betroffenen Unternehmen zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden und die jeweiligen Empfänger deshalb keinen finanziellen Vorteil erhalten. Ist eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, handelt es sich um eine staatliche Beihilfe i. S. von Art.87 EG.337 U. a.338 darf der Ausgleich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns ganz oder teilweise zu decken. Wenn die Wahl des Unternehmens, das mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut werden soll, nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge erfolgt, ist die Höhe des erforderlichen Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes und ausreichend ausgestattetes Unternehmen bei der Erfüllung der betreffenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen hätte, wobei die erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.339 Diese Rechtsprechung des EuGH zwingt die zuständigen Behörden nicht zur Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens, insbesondere einer öffentlichen Ausschreibung. Sie können die Höhe der Ausgleichszahlungen auch anhand einer Analyse der Kosten eines durchschnittlichen, gut geführten Unternehmens bestimmen und ein Unternehmen direkt mit den jeweiligen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen betrauen (marktorientierte Direktvergabe). Die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens ist – was das Beihilfenrecht anbelangt – fakultativ.340 Unabhängig vom Beihilfenrecht kann sich eine Pflicht zur Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens jedoch aus dem Vergaberecht selbst ergeben. Im Falle der Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens, insbesondere einer öffentlichen Ausschreibung besteht aber eine Vermutung dafür, dass die an den obsiegenden Bieter gezahlten Ausgleichsleistungen die Kosten für die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen nicht übersteigen und deshalb keine Beihilfe i. S. des Art. 87 Abs. 1 EG darstellen, da die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens die Auswahl desjenigen Bewerbers ermöglicht, der die jeweiligen BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/ 04, S. 4. 337 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 94. 338 Vgl. zu den anderen zwei sog. Altmark Trans-Kriterien EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 87 ff. 339 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 87 ff. Dazu Theobald/Kafka, Der Nahverkehr 9/2003, S. 12, Franzius, NJW 2003, S. 3030, Baumeister, NZBau 2003, S. 550 f., Werner/Köster, EuZW 2003, 503 f., Wernicke, EuZW 2003, 481; Dörr, NZBau 2005, S. 617. 340 Ronellenfitsch, VerwArch 2004, S. 425, 435, 441 f.; Elste/Wiedemann, WiVerw 2004, S. 9, 17; Koenig/Pfromm, NZBau 2004, S. 375, 377; Dörr, NZBau 2005, S. 617, 620 f.; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 2.
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gemeinwirtschaftlichen Leistungen zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringt.341 Ein beihilferechtlicher Nebeneffekt einer aufgrund des Vergaberechts durchzuführenden öffentlichen Ausschreibung ist es deshalb, dass für die Beteiligten sichergestellt werden kann, dass es sich bei Ausgleichszahlungen nicht um Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG handelt.342 Entschließen sich die zuständigen Behörden – mit dem Ziel, das Vorliegen einer Beihilfe rechtssicher auszuschließen – dazu, ein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen, so müssen sie nicht zwingend eine öffentliche Ausschreibung durchführen. Auch der EuGH spricht in seinem Urteil in der Rechtssache „Altmark Trans“ nicht speziell von einem offenen Verfahren im Sinne des Vergaberechts, sondern allgemeiner von einem Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge, „das die Auswahl desjenigen Bewerbers ermöglicht, der diese Dienste zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringen kann“.343 Dies ist auch im Rahmen einer beschränkten Ausschreibung oder einer freihändigen Vergabe möglich, wenn hierbei vorher ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb stattfindet und die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Wettbewerbsoffenheit, Transparenz und Nichtdiskriminierung344 beachtet werden.345 III. Das Verhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Vergaberecht 1. Spannungsverhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Vergaberecht Wie zwischen dem Wettbewerbsrecht der Art. 81 – 85, 87 EG und der Daseinsvorsorge besteht auch zwischen der Daseinsvorsorge und dem ebenfalls dem Wettbewerbsrecht zuzurechnenden Vergaberecht346 ein Spannungsverhältnis:347 Einerseits verlangt das Vergaberecht, dass Beschaffungen der öffentlichen Hand möglichst preisgünstig erfolgen müssen, andererseits darf hierunter nicht die ge-
341 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 93, 95; Kämmerer, NVwZ 2004, S. 28, 32; Dörr, NZBau 2005, S. 617, 621; Griem/Klinger, TranspR 2004, S. 206, 209; Elste/Wiedemann, WiVerw 2004, S. 9, 17; OLG Brandenburg, Beschl. v. 2. 9. 2003, Az. Verg W 3/03 und Verg W 5/03, NZBau 2003, S. 688, 691; so bereits Jennert, WRP 2003, S. 459, 466. 342 Dörr, NZBau 2005, S. 617, 621. 343 EuGH, Urt. v. 24.7.203 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 93, 95. 344 Vgl. hierzu näher Koenig/Kühling, DVBl. 2003, S. 289, 297 f.; Koenig/Pfromm, NZBau 2004, S. 375, 378 f.; Dörr, NZBau 2005, S. 617, 621 f. 345 Dörr, NZBau 2005, S. 617, 621 f.; Koenig/Kühling, DVBl. 2003, S. 289, 297 f.; Koenig/Pfromm, NZBau 2004, S. 375, 378 f.; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 8. 346 Vgl. Kapitel 1 B. I. 2. und III. 1. a). 347 Pietzcker, NVwZ 2007, S. 1225; Schoch, NVwZ 2008, S. 241, 246.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
meinwohlorientierte Aufgabenerfüllung leiden.348 Zweck des Vergaberechts ist die Schaffung von Wettbewerb, nicht die Sicherung der Daseinsvorsorge.349 Zugespitzt formuliert besteht folgender Zielkonflikt: Wenn nach dem Vergaberecht der Auftrag demjenigen Unternehmen erteilt werden muss, das das billigste Angebot gemacht hat, so liegt hierin die Gefahr eines reinen Preiswettbewerbs auf Kosten der Qualität und damit zu Lasten der Daseinsvorsorge.350 Hierdurch wäre die ausreichende und angemessene Versorgung der Bevölkerung mit den Leistungen der Daseinsvorsorge gefährdet. Die öffentliche Hand wäre durch das Vergaberecht daran gehindert, eine ausreichende und angemessene Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.351 a) Leistungsdefinition und Zuschlagskriterien Das Problem der Vereinbarkeit von Wettbewerb und Daseinsvorsorge stellt sich für das Vergaberecht jedoch nicht in der Schärfe wie bspw. in Bereichen, in denen ausschließlich am Markt tätige Unternehmen die Leistungen der Daseinsvorsorge erbringen (Telekommunikation, Post). Die öffentliche Hand definiert nämlich in der dem Vergabeverfahren zugrundeliegenden Leistungsbeschreibung352 den Umfang und die Qualität der zu erbringenden Leistung selbst. Der obsiegende Bieter ist vertraglich dazu verpflichtet, die Leistungen zu erbringen, wie sie in der Leistungsbeschreibung festgelegt wurden. Die öffentliche Hand kann über die Leistungsdefinition die Erbringung der Leistungen in dem Umfang und in der Qualität sicherstellen, wie sie für eine ausreichende und angemessene Versorgung der Bevölkerung erforderlich sind.353 348 Müller-Serten, NZBau 2000, S. 120, 121 (die jedoch nicht von einem Spannungsverhältnis spricht, sondern von erheblichen Erwartungen an das Recht der staatlichen Auftragsvergabe). Zirbes (VergabeR 2004, S. 133, 150, 156) verneint einen Gegensatz zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerb. Die Daseinsvorsorge könne „auch und gerade mit den Mitteln des (Ausschreibungs-)Wettbewerbs effizient, wirtschaftlich und rechtsicher“ organisiert werden (Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 156). 349 VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 10 f. 350 Vgl. Barth, Stadt und Gemeinde 2000, S. 226, 227; Cederschiöld, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, 2005, S. 43, 50. 351 Zur Verpflichtung der öffentlichen Hand, eine angemessene und ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Daseinsvorsorge zu gewährleisten vgl. Kapitel 1 A. IV. 2. 352 Vgl. zur Leistungsbeschreibung Kapitel 1 B. III. 3. 353 Fehling, Die Verwaltung 2001, S. 25, 40; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 152, 156; Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 285; Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung als Verbundaufgabe, 2005, S. 181 ff., 188. Steinberg begründet ausführlich, dass im Vergabeverfahren Gemeinwohlbelange berücksichtigt werden können. Das Vergaberecht werde Teil des Gewährleistungsverwaltungsrechts, es werde zum Gewährleistungsvergaberecht. Mit diesem Begriff unterstreicht Steinberg, dass auch im Rahmen des Vergabeverfahrens öffentliche Belange gesichert werden können (Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung als Verbundaufgabe, 2005, S. 23, 181 ff.).
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Das Vergaberecht beschränkt die öffentlichen Auftraggeber auch nicht auf den Preis als das allein maßgebliche Zuschlagskriterium. Gemäß § 97 Abs. 5 GWB ist der Zuschlag vielmehr auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Dies bedeutet, dass bei der Zuschlagserteilung nicht nur der angebotene Preis, sondern auch noch andere, auf den Auftrag bezogene Zuschlagskriterien zu berücksichtigen sind. Solche weiteren Zuschlagskriterien sind bspw. die Qualität, der technische Wert, die Zweckmäßigkeit, die Umwelteigenschaften, die Betriebskosten, die Rentabilität, der Kundendienst und die technische Hilfe, der Lieferzeitpunkt oder die Lieferungsbzw. Ausführungsfrist (§ 25a Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOL/A). Das wirtschaftlichste Angebot ist anhand eines Preis-Leistungs-Verhältnisses zu ermitteln.354 Bei der Auswahl des Bieters, auf den der Zuschlag erteilt wird, darf also nicht einseitig der Preis zum allein entscheidenden Kriterium werden. Dass das wirtschaftlichste Angebot anhand eines Preis-Leistungsverhältnisses zu ermitteln ist, bedeutet, dass derjenige Bieter den Zuschlag erhält, der die durch die Leistungsbeschreibung festgelegten Leistungen der Daseinsvorsorge in dem geforderten Umfang und der geforderten Qualität zum niedrigsten Preis erbringt.355 Ziel des Vergabeverfahrens darf es nicht sein, den billigsten Bieter zu ermitteln, sondern den Bieter, der ein angemessenes und ausreichendes Daseinsvorsorgeniveau zum niedrigsten Preis sicherstellen kann. Die Qualität der verschiedenen Angebote ist zu berücksichtigen. b) Lohn- und Preisdumping Die Qualität der Leistungen der Daseinsvorsorge könnte durch Lohn- oder Preisdumping gefährdet werden, das die Bieter oder Bewerber betreiben, um den Auftrag zu erhalten. Insbesondere die Lohnkosten sind für die Preisbildung und damit für die Wettbewerbschancen der einzelnen Bieter häufig ein entscheidender Faktor.356 Im Falle von Preisdumping besteht die Gefahr der Schlechterfüllung durch den Auftragnehmer, da dieser seine Kosten nicht mit der ihm zustehenden vertraglichen Vergütung decken kann. Durch eine dauerhafte Kostenunterdeckung könnte der Auftragnehmer auch in eine wirtschaftliche Schieflage und gegebenenfalls in Insolvenz geraten. Hierdurch wäre dann gleichzeitig die Versorgungssicherheit gefährdet. Lohndumping bringt die Gefahr von unterbezahltem, schlecht ausgebil354 Kulartz, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 101, 104; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 97 Rn. 27 f.; Schwan, Der Nahverkehr 5/2007, S. 52. 355 Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung als Verbundaufgabe, 2005, S. 176, 187 f. 356 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 223; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 41 f. Vgl. bspw. FAZ v. 24. 1. 2008, S. 11 (Bahnbranche soll Mindestlohn bekommen): Nach Aussage der Vorsitzenden der Gewerkschaften Transnet (Norbert Hansen) und GDBA (Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamten und Anwärter, Klaus-Dieter Hommel) sind bei der Vergabe von Aufträgen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) die Personalkosten das Zünglein an der Waage, da alle übrigen Kosten für die Unternehmen nahezu gleich seien.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
detem und schlecht motiviertem Personal mit sich, mit den entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Qualität der angebotenen Leistungen der Daseinsvorsorge.357 Das Vergaberecht bietet jedoch bis zu einem gewissen Grad Möglichkeiten, Preisund Lohndumping zu verhindern. Bspw. darf gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A auf Angebote, deren Preise in offenbarem Missverhältnis zu der zu erbringenden Leistung stehen (was bspw. durch Preis- oder Lohndumping der Fall sein kann), der Zuschlag nicht erteilt werden. Erscheinen Angebote im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, so hat der Auftraggeber dieses Angebot zu überprüfen und bei dem betroffenen Bieter Informationen einzuholen (§ 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A).358 Viel diskutiert wurde die Frage, ob die öffentlichen Auftraggeber zur Verhinderung von Lohndumping von den Auftragnehmern die Abgabe sogenannter Tariftreueerklärungen verlangen können.359 Nach dem Urteil des EuGH vom 03. 04. 2008360 ist dies jedoch nicht mehr möglich. Die Vergabegesetze einiger Bundesländer sahen vor,361 dass Aufträge für Bauleistungen oder Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nur an solche Unternehmen vergeben werden dürfen, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmern bei der Ausführung dieser Leistung mindestens das am Ort der Ausführung tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu bezahlen (Tariftreueerklärung).362 Diese
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Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 225. Vgl. Targan/Rutschmann, Der Nahverkehr 3/2006, S. 34, 35; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 208. 359 Zur Tariftreuerklärung vgl. ausführlich Reichert, Vergaberechtlicher Zwang zur Zahlung von Tariflöhnen, 2007; Dobmann, Die Tariftreuerklärung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, 2007. Zum Themenkomplex der vergabefremden Kriterien insgesamt (zu denen auch die Tariftreueerklärung gehört), mit denen im Rahmen des Vergabeverfahrens gesellschaftspolitische Ziele wie etwa die Beschäftigung von Lehrlingen oder Langzeitarbeitslosen oder die Förderung von Frauen erreicht werden soll vgl. Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 248 ff.; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Kommentar Vergaberecht, 2003, § 97 Rn. 18 ff.; Kulartz, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 100. Was die Zulässigkeit des Verlangens von Tariftreueerklärungen betrifft, beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf die kurze Darstellung des Stands der Rechtsprechung. Eine Untersuchung der Zulässigkeit von anderen vergabefremden Kriterien kann unterbleiben, da die Verwirklichung der genannten gesellschaftspolitischen Ziele für die Daseinsvorsorge unerheblich ist. 360 EuGH, Urt. v. 3. 4. 2008 – Rs. C-346/04 (Dirk Rüffert/Land Niedersachsen), noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, NZBau 2008, S. 332. 361 Eine gesetzliche Regelung ist gemäß § 97 Abs. 4 GWB erforderlich. 362 Bsp.: § 4 Abs. 1 Satz 1 und 3 Vergabegesetz für das Land Bremen vom 17. 12. 2002 (GVBl. S. 594); § 2 Abs. 1 Satz 1 und 3 Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen im Land Nordrhein-Westfalen (Tariftreuegesetz Nordrhein-Westfalen) vom 17. 12. 2002 (GV NRW, 2003, S. 8); § 4 Abs. 1 Satz 2 Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen Schleswig-Holstein (Tariftreuegesetz Schleswig-Holstein) vom 7. 3. 2003 (GS Schl.-H. II, GLNr. 7220-1). 358
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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Verpflichtung, die auch eventuellen Nachunternehmern auferlegt werden musste,363 sollte ausdrücklich dazu dienen, Wettbewerbsverzerrungen entgegenzuwirken, die durch den Einsatz von Niedriglohnkräften entstehen.364 Das Bundesverfassungsgericht hat die vergleichbare Regelung des Berliner Vergabegesetzes365 mit dem Grundgesetz und dem sonstigen Bundesrecht für vereinbar erklärt. Insbesondere liege kein Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG vor.366 Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des OLG Celle, das einen öffentlichen Bauauftrag betraf, hat der EuGH entschieden, dass die im niedersächsischen Landesvergabegesetz enthaltene Pflicht zur Abgabe einer Tariftreueerklärung gegen die Richtlinie 96/71/EG367 über die Entsendung von Arbeitnehmern verstößt.368 Die mit der gesetzlich angeordneten Pflicht zur Abgabe einer Tariftreuerklärung verbundene Beschränkung des Art. 49 EG sah der EuGH weder durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes noch durch den Zweck der finanziellen Stabilität der sozialen Versicherungssysteme als gerechtfertigt an.369 Im Gegensatz zu dieser Entscheidung hatte der GA Bot in seinen Schlussanträgen vom 20. 9. 2007 noch vertreten, dass der mit dem Tariftreueverlangen verbundene Eingriff in den Schutzbereich des Art. 49 EG durch den Schutz der Arbeitnehmer und die Verhinderung von Sozialdumping aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei.370 Aufgrund der Entscheidung des EuGH haben sich die Bundesländer überwiegend dazu entschlossen, ihre jeweiligen landesrechtlichen Tariftreueklauseln auszusetzen bzw. ihre Landesvergabegesetze entsprechend zu ändern.371 Einen flächendeckenden Schutz gegen mögliches Lohndumping privater Unternehmen bei der Beauftragung mit Leistungen der Daseinsvorsorge konnte die Verpflichtung zur Abgabe von Tariftreueerklärungen auch nicht bieten. Zum einen waren von den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen nicht sämtliche Leistungen der Daseinsvorsorge erfasst, sondern nur – neben den in diesem Zusammenhang nicht interessierenden 363 Bsp.: § 5 Abs. 1 Satz 3 Vergabegesetz für das Land Bremen; § 2 Abs. 1 Satz 2 Tariftreuegesetz Nordrhein-Westfalen. 364 Vgl. § 1 Vergabegesetz für das Land Bremen; § 1 Tariftreuegesetz Schleswig-Holstein. 365 § 1 Abs. 1 Satz 2 Berliner Vergabegesetz vom 9. 7. 1999 (GVBl. S. 369). 366 Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 11. Juli 2006, Az. 1 BvL 4/00, NJW 2007, S. 51. 367 Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 12. 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. Nr. L 18 vom 21. 1. 1997, S. 1. 368 EuGH, Urt. v. 3. 4. 2008 – Rs. C-346/06 (Dirk Rüffert/Land Niedersachsen), noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, NZBau 2008, S. 332, 334 (Rn. 23 ff.). 369 EuGH, Urt. v. 3. 4. 2008 – Rs. C-346/06 (Dirk Rüffert/Land Niedersachsen), noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, NZBau 2008, S. 332, 335 (Rn. 36 ff.). 370 GA Bot, Schlussanträge vom 20. 9. 2007 in der Rs. C-346/06, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 100 ff., 114 ff.; kritisch Dobmann, EuZW 2007, S. 685 ff. 371 Vgl. FAZ v. 5. 4. 2008, S. 11.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Bauleistungen – Verkehrsleistungen im ÖPNV und Leistungen im Bereich der Abfallentsorgungswirtschaft.372 Zum anderen bestanden selbst diese Verpflichtungen nicht in sämtlichen Bundesländern.373 Lohndumping kann dadurch bekämpft werden, dass bspw. bestimmte Qualitätsanforderungen an das vom Auftragnehmer eingesetzte Personal gestellt werden und die Einhaltung dieses Qualitätsniveaus durch den öffentlichen Auftraggeber überwacht wird. Unterbezahltes Personal begründet Zweifel an der Qualität der angebotenen Leistung.374 c) Überwachung des Leistungserbringers Das Unternehmen, das den Zuschlag erhalten hat, könnte auch versucht sein, während der Vertragsdurchführung den Umfang oder die Qualität seiner Dienstleistungen abzusenken oder seine Lohnkosten zu Lasten der Qualität der angebotenen Leistungen zu drücken. Durch ein solches Vorgehen würde der Gewinn des Unternehmens gesteigert, da es bei gleichbleibendem vertraglichen Entgelt weniger Kostenaufwand hätte, die erforderliche Qualität der Dienstleistung wäre jedoch ggf. nicht mehr gegeben. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesem Problem nicht um ein vergaberechtsspezifisches Problem handelt, sondern es immer dann entsteht, wenn die öffentliche Hand sich dazu entschlossen hat, einen Dritten mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge zu betrauen. Dieselbe Problematik stellte sich ebenso bei einem direkt vergebenen Auftrag. Auch kann es dem Auftragnehmer keinesfalls untersagt sein, Rationalisierungsmaßnahen in seinem Unternehmen durchzuführen. Diese dürfen nur nicht dazu führen, dass er die Leistungen nicht mehr in dem Umfang und in der Qualität erbringt, wie sie in dem mit dem öffentlichen Auftraggeber geschlossenen Vertrag festgelegt sind. Die öffentlichen Auftraggeber haben aufgrund des mit dem Auftragnehmer geschlossenen Vertrages die rechtliche Möglichkeit, den Auftragnehmer zu einer vertragsgemäßen Leistungserbringung anzuhalten. Sie sind auch dazu verpflichtet, die Leistungserbringung des Auftragnehmers zu überwachen, um eine ordnungsgemäße Erbringung der Leistungen der Daseinsvorsorge sicherzustellen.375 Der mit dem Auftragnehmer abgeschlossene Vertrag muss deshalb Überwachungs- und Sanktionsinstrumente wie bspw. Berichtspflichten oder Vertragsstrafen enthalten. Um den Auftragnehmer jedoch auch zu einer guten Vertragserfüllung zu motivieren,
372
§§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 Tariftreuegesetz Schleswig-Holstein. Eine Regelung durch Bundesgesetz ist gescheitert (vgl. Stickler, in: Reidt/Stickler/ Glahs, Kommentar Vergaberecht, 2003, § 97 Rn. 24). 374 Vgl. Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59, 60; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 225. 375 Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 285; Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 606; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 60. 373
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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sollte der Vertrag neben Malus- auch Bonus-Regelungen beinhalten.376 Da der öffentliche Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung die erforderlichen Qualitätsstandards verbindlich festsetzen kann, besteht – wenn er deren Einhaltung auch konsequent überwacht – bei Leistungen der Daseinsvorsorge, die im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung vergeben wurden, nicht die Gefahr eines Absinkens des Qualitätsniveaus.377 Durch die notwendigen Überwachungsmaßnahmen entstehen den öffentlichen Auftraggebern wiederum Kosten. Diese Kosten werden gemeinsam mit den Vertragsabschlusskosten und den Kosten für das eigentliche Vergabeverfahren als sogenannte Transaktionskosten bezeichnet. Sie können u. U. sehr hoch sein und die durch eine Ausschreibung erzielten Einspareffekte zu einem Teil wieder aufwiegen oder bei kleineren Aufträgen ggf. sogar vollständig zunichtemachen.378 Relativiert wird dieses Problem allerdings dadurch, dass die Kosten für den Vertragsabschluss und die Überwachung des Auftragnehmers auch dann in gleicher Höhe anfallen, wenn ein Auftrag direkt an ein bestimmtes Unternehmen vergeben wird. Die Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens erhöht die Transaktionskosten deshalb nur um die Kosten des Verfahrens selbst, auch wenn diese u. U. erheblich sind. d) Absenkung der Anforderungen an die Leistung Der Mechanismus eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens könnte jedoch noch auf eine andere Weise Einfluss auf die zu erbringenden Leistungen der Daseinsvorsorge haben. Um den Kreis der möglichen Bieter/Bewerber zu erweitern und auf diese Weise den Wettbewerb zu intensivieren bzw. u. U. überhaupt erst einen Wettbewerb zu ermöglichen, könnte der öffentliche Auftraggeber die Anforderungen an Umfang und Qualität der zu erbringenden Leistungen im Vergleich zum bisherigen Niveau absenken.379 Hierfür kämen insbesondere Bereiche in Frage, in denen sich bisher wenige potenzielle Anbieter entwickeln konnten bzw. die von einem Unternehmen beherrscht werden, neben dem sich keine oder nur wenige Wettbewerber entwickelt haben. Durch eine zu starke Absenkung der Anforderungen könnte wiederum die angemessene und ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit den jeweiligen Dienstleistungen gefährdet werden. Eine solche Entwicklung muss die jeweils zuständige Gebietskörperschaft verhindern, wozu sie als den Leistungsumfang definierender öffentlicher Auftraggeber 376
Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 285; Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 606; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 60 f. 377 Cederschiöld, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, 2005, S. 43, 47. 378 Vgl. dazu ausführlich Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 55 ff. 379 Eichhorn, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, 2005, S. 7, 9; Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 60 f.
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auch in der Lage ist. Die für die Daseinsvorsorge zuständigen Gebietskörperschaften dürfen das Vergaberecht auch nicht als Instrument der Kostensenkung zu Lasten der Daseinsvorsorge benutzen, sei es dadurch, dass sie die Anforderungen an den Umfang und die Qualität der Leistungen erheblich absenken, sei es, dass sie bei ihrer Vergabeentscheidung allein auf den gebotenen Preis achten und den Zuschlag ohne Beachtung der gebotenen Qualität auf den niedrigsten Preis erteilen.380 e) Insolvenz des Leistungserbringers Gerät der Auftragnehmer in Insolvenz oder ist er aus anderen Gründen nicht mehr dazu in der Lage, seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, entstünden durch eine Verpflichtung zur Durchführung einer Ausschreibung und die hiermit verbundene zeitliche Verzögerung u. U. Ausfälle oder Lücken in der Bereitstellung der betroffenen Leistung der Daseinsvorsorge.381 Diese Problematik wird dadurch abgemildert, dass gemäß §§ 3 Nr. 4 lit. f, 3a Nr. 2 lit. d VOL/A in Fällen besonderer Dringlichkeit im Wege einer freihändigen Vergabe bzw. eines Verhandlungsverfahren ohne vorherige Öffentliche Vergabebekanntmachung (vgl. §§ 3 Abs. 3, 3a Abs. 1 VOL/A) rasch ein neuer öffentlicher Auftrag vergeben werden kann, um das Entstehen von Versorgungslücken zu verhindern. Voraussetzung nach § 3a Nr. 2 lit. d VOL/A ist jedoch, dass die Angebotsfristen des § 18a VOL/A aus zwingenden Gründen nicht eingehalten werden können, die der Auftraggeber nicht vorhersehen konnte. Aumont/Kaelble weisen in diesem Zusammenhang zurecht darauf hin, dass es aus der Perspektive des Nutzers unerheblich ist, ob der öffentliche Auftraggeber schuldhaft gehandelt hat oder nicht. Für den Nutzer allein entscheidend ist, dass ihm die Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse kontinuierlich, d. h. ohne Unterbrechung zur Verfügung steht.382 Aumont/Kaelble schlagen deshalb eine Modifikation der Vergaberichtlinien dahingehend vor, dass bei drohender Unterbrechung der Versorgung immer eine zeitlich begrenzte Vergabe im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung möglich sein muss, unabhängig davon, ob der öffentliche Auftraggeber oder der Auftragnehmer schuldhaft gehandelt haben oder nicht.383 f) Rosinenpicken Zu verhindern gilt es das sogenannte „Rosinenpicken“. „Rosinenpicken“ bedeutet, dass private Unternehmen profitable Leistungen anbieten, während die öffentliche Hand für die Erbringung unprofitabler, aber zur Aufrechterhaltung einer ausreichenden und angemessenen Daseinsvorsorge notwendiger Leistungen sorgen 380
Schenck/Metzner/Hoerschelmann, Der Nahverkehr 6/2003, S. 14, 18. Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 287. 382 Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 286 f. 383 Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 286 f. Eine solche Regelung findet sich in Art. 5 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße. 381
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muss. Es sollte deshalb verhindert werden, dass bspw. private Verkehrsunternehmen aus einem Verkehrsnetz im ÖPNVertragreiche Linien bedienen, während die mit der Erbringung von Verkehrsleistungen auf ertragsschwachen Linien verbundenen Lasten bei der öffentlichen Hand (d. h. den Kommunen) verbleiben. Die Gewinne würden auf diese Weise „privatisiert“, die Verluste „sozialisiert“ werden.384 Diesem Problem kann jedoch im Bereich des ÖPNV dadurch begegnet werden, dass Teilnetze ausgeschrieben werden, die profitable und unprofitable Linien miteinander verbinden. Hierdurch wird ein wirtschaftlich sinnvoller Ausgleich zwischen guten und schlechten Risiken geschaffen, durch den auch die öffentliche Hand von den Erträgen aus den profitablen Linien profitiert, indem der Zuschussbedarf für das Verkehrsangebot im Teilnetz insgesamt sinkt.385 Beim Zuschnitt der Teilnetze ist wiederum zu beachten, dass die Interessen mittelständischer Unternehmen berücksichtigt werden (§ 97 Abs. 3 GWB). Bei der Vergabe eines zu großen Netzes ist es mittelständischen Unternehmen u. U. nicht mehr möglich, ein Angebot abzugeben. Darüber hinaus muss beim Zuschnitt der Teilnetze darauf geachtet werden, dass ein angemessenes und ausreichendes Verkehrsangebot auch erfordert, dass die Linien aufeinander abgestimmt sind und entsprechende Anschlussmöglichkeiten für die Fahrgäste bestehen.386 g) Formalisiertes Verfahren Der Charakter der Leistung als eine solche der Daseinsvorsorge muss im Rahmen des Vergabeverfahrens berücksichtigt werden. Die Durchführung eines Vergabeverfahrens lediglich zur Ermittlung des billigsten Anbieters ist nicht statthaft. Ein wettbewerbliches Vergabeverfahren ermöglicht mit gewissen Einschränkungen auch, diesen Charakter der Leistung hinreichend zu berücksichtigen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei einer Ausschreibung um ein sehr formalisiertes Verfahren mit Nachverhandlungsverbot (§ 24 VOL/A) handelt. Die Beauftragung eines Unternehmens mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge ist ein komplexer Vorgang, mit dem die konkreten Gemeinwohlanforderungen der zu erbringenden Leistung, die Instrumente zur Überwachung der Qualität der Leistung, die Finanzierung der Leistung und die Risikoverteilung zwischen öffentlichem Auftraggeber und Auftragnehmer festgelegt werden müssen. Der Komplexität des abzuschließenden Vertragswerks wäre ein weniger formstrenges Verfahren als eine Ausschreibung besser angepasst, mit dem bspw. nach Öffnung der Angebote mit den Bietern über ihre Angebote verhandelt werden könnte.387 Dies gilt 384 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 29; Fehling, Die Verwaltung 2001, S. 25, 40 (Fn. 65). 385 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 29; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 152; Fehling, Die Verwaltung 2001, S. 25, 40; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 180; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 55. 386 Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 152; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 180. 387 Vgl. Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 287.
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insbesondere dann, wenn weder auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers noch auf Seiten der Bieter Erfahrungen hinsichtlich einer Vergabe der konkreten Leistung im Wettbewerb bestehen. Bei einer solchen Möglichkeit zur Nachverhandlung müsste jedoch genau auf die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter geachtet werden. Auch wenn eine Ausschreibung solche Möglichkeiten einer flexiblen Gestaltung des Verfahrens nicht bietet, besteht doch für den Staat und die Kommunen – ungeachtet der hiermit gerade in der Anfangsphase verbundenen Schwierigkeiten – die Möglichkeit, die Anforderungen an die Leistung und die Art und Weise von deren Überwachung und Finanzierung im Rahmen der Leistungsbeschreibung und des den Verdingungsunterlagen beigefügten Vertragsentwurfs vorzugeben. Um auf ein flexibleres Vergabeverfahren bei der Vergabe von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zurückgreifen zu können388 und um die Kontinuität der Versorgung nicht durch die Dauer eines Ausschreibungsverfahrens zu gefährden [vgl. oben 1. e)], schlagen Aumont/Kaelble Modifikationen an den geltenden Vergaberichtlinien vor.389 Diese seien notwendig, um die Funktionsfähigkeit der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu sichern (Art. 16 EG). Die Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung, der Transparenz, des Wettbewerbs und der Verhältnismäßigkeit390 als allgemeine Grundsätze des Vergabeverfahrens bedürften der Ergänzung, um die durch Art. 16 EG festgeschriebene Stellung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse391 auch in den Vergaberichtlinien zu verankern. Andernfalls drohe eine „überschießende Marktöffnung“.392 Außerdem bedürften die vorgeschlagenen Modifikationen der Verfahrensvorschriften einer grundsätzlichen Abstützung, damit sie in Fällen von Zielkonflikten zu angemessener Wirksamkeit gelangen könnten. Bestünde in Fällen von Zielkonflikten kein Gegengewicht zu den bestehenden Verfahrensgrundsätzen, so müssten die Gemeinwohlverpflichtungen im Konfliktsfall restriktiv ausgelegt werden, wodurch wiederum entgegen Art. 16 EG die Funktionsfähigkeit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gefährdet werden könnte.393 388 Aumont/Kaelble schlagen ein wettbewerbliches Verhandlungsverfahren (competitive negotiated procedure) vor, wie es sich in Großbritannien als effektives Instrument zur Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots bei komplexen Vertragskonstellationen erwiesen habe (Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 287 f.). Ebenfalls in Betracht kommt der wettbewerbliche Dialog, der ausdrücklich als Verfahren zur Vergabe besonders komplexer Aufträge durch staatliche Auftraggeber konzipiert ist (§ 101 Abs. 5 GWB, § 6a VgV; vgl. dazu ebenfalls Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 288). 389 Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 286 ff. 390 Art. 2 und Begründungserwägung 2 der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie). 391 Vgl. hierzu Kapitel 2 C. IV. 392 Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 286. 393 Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 286.
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Die von Aumont/Kaelble vorgeschlagenen Modifikationen der Vergaberichtlinien erleichterten die Berücksichtigung der besonderen Gemeinwohlanforderungen der zu vergebenden Leistungen der Daseinsvorsorge im Rahmen des Vergabeverfahrens. Sie entsprächen deshalb auch dem Gebot des Art. 16 EG an die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse so zu gestalten, dass diese ihren Aufgaben nachkommen können und sind auch unter diesem Aspekt positiv zu bewerten. Allerdings erforderte ihre Umsetzung ein – derzeit nicht ersichtliches – entsprechendes Tätigwerden des Gemeinschaftsgesetzgebers. h) Dienende Funktion des Wettbewerbs Wenn ein Vergabeverfahren unter Berücksichtigung des Charakters der zu vergebenden Leistung als einer solchen der Daseinsvorsorge durchgeführt wird, dient der durch das Vergabeverfahren eröffnete Wettbewerb der Daseinsvorsorge. Er dient dazu, den günstigsten Anbieter für die Erfüllung der betreffenden öffentlichen Aufgabe zu ermitteln und die Kosten der öffentlichen Hand für die Sicherstellung der Daseinsvorsorge möglichst niedrig zu halten.394 Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass mit einer öffentlichen Ausschreibung nicht das Ziel der Schaffung eines Wettbewerbs um den Markt erreicht wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich auf eine öffentliche Ausschreibung hin nur ein oder sogar gar kein Bieter findet, der die Anforderungen in der Leistungsbeschreibung erbringen kann oder will. In dieser Situation zeigen sich die „Grenzen des Ausschreibungsmodells“.395 Die Effizienz des Ausschreibungswettbewerbs wird nicht nur durch die Anzahl der Teilnehmer,396 sondern ebenso durch die Höhe der Bietkosten und die Komplexität des Ausschreibungsobjekts bestimmt.397 394 Vgl. Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 94; Cederschiöld, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, 2005, S. 43, 44 f., 52; Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59 f., 63; Koch/Mau, Der Nahverkehr 3/2007, S. 20, 26 f. Im Ergebnis ebenso Zirbes, der jedoch einen etwas anderen Akzent setzt. Da kein Gegensatz zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerb bestehe, lasse sich die Daseinsvorsorge „auch und gerade mit den Mitteln des (Ausschreibungs-)Wettbewerbs effizient, wirtschaftlich und rechtssicher organisieren“ (Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 156). 395 Kühling, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 152. Als Beispiel hierfür kann eine Befragung von Aufgabenträgern des ÖPNV in Bayern herangezogen werden (vgl. Nöth, Der Nahverkehr 3/2005, S. 20 f.): Während in großen Städten aufgrund hoher Verkehrsleistungen und der damit verbundenen Attraktivität eine genügend große Zahl an Anbietern zur Verfügung stehe, habe sich die Durchführung eines Ausschreibungswettbewerbs in ländlichen Regionen nach Angaben der dortigen Aufgabenträger u. a. deshalb als ungeeignet herausgestellt, weil teilweise nicht einmal 3 Angebote abgegeben worden seien (Nöth, Der Nahverkehr 3/2005, S. 21). 396 Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 54, 57.
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i) Weitere Aspekte Während bei den Erörterungen zum Verhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Vergaberecht bisher die Frage im Mittelpunkt stand, ob auch bei der Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens eine angemessene und ausreichende Versorgung mit den betroffenen Leistungen der Daseinsvorsorge sichergestellt werden kann, soll im Folgenden noch untersucht werden, welche Auswirkungen eine Pflicht zur Ausschreibung ggf. auf die Marktstruktur der Anbieterseite hat (vgl. unten 2.) und welche Probleme eine solche Verpflichtung für die Kommunen mit sich brächte (vgl. unten 3.). 2. Konzentrationsprozesse bei den Anbietern Über die bereits [vgl. oben D. II. 1. f)] angesprochenen möglichen Probleme mittelständischer Unternehmen hinaus besteht bei einer flächendeckenden Ausschreibung von Leistungen der Daseinsvorsorge die Gefahr, dass sich wenige, sehr große nationale oder internationale Unternehmen (Global Player) herausbilden, die den Markt beherrschen.398 Während kleine und mittlere Unternehmen durch den Verlust eines Auftrags ggf. in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht werden,399 können große Unternehmen dies eher verkraften. Aufgrund ihrer größeren Ressourcen und Wirtschaftskraft können sie sich einfacher flächendeckend um öffentliche Aufträge bewerben, als dies kleinen und mittleren Unternehmen möglich ist, die eher an ihren geografischen Heimatmarkt gebunden sind. Auch können sich große Unternehmen um großvolumigere öffentliche Aufträge bewerben als kleine oder mittlere Unternehmen. Zumindest die Verdrängung mittelständischer Unternehmen durch die Vergabe zu großvolumiger Aufträge kann durch deren Aufteilung in Lose verhindert werden.400 Durch die Aufteilung in Lose sollen kleine und mittlere Unternehmen in die Lage versetzt werden, ebenfalls Angebote abgeben zu können. Zur Berücksichtigung mittelständischer Interessen sind die öffentlichen Auftraggeber gemäß § 97 Abs. 3 GWB grundsätzlich auch verpflichtet, die Aufträge in Fach- und Teillose zu teilen.401 Lose sind Teile der vom Auftraggeber nachgefragten Gesamtleistung. Eine Aufteilung in Teillose bedeutet eine mengenmäßige oder räumliche Unterteilung der 397 Kühling, in: Hrbek/Nettesheim (Hrsg.), Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, 2002, S. 152. 398 Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 156; Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 57. 399 Dies gilt in noch höherem Maße für kommunale Unternehmen [vgl. unten D. III 3. a)]. 400 Cederschiöld, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, 2005, S. 43, 50; Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59; Schenck/Metzner/Hoerschelmann, Der Nahverkehr 6/2003, S. 14, 16; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 152. 401 Zu weiteren Möglichkeiten der Berücksichtigung mittelständischer Interessen im Vergabeverfahren vgl. Baumeister/Kirch, NZBau 2001, S. 653, 655.
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Gesamtleistung (bspw. Aufteilung eines Gesamtnetzes in Linien oder Teilnetze im ÖPNV).402 Fachlose sind nach Fachgebieten oder Gewerbezweigen abgetrennte Teile des Auftrags.403 Bei Teillosen wird die Gesamtleistung also in mehrere quantitativ abgrenzbare, bei Fachlosen in mehrere qualitativ abgrenzbare Teilleistungen zerlegt.404 Die Vorschrift des § 97 Abs. 3 GWB ist nicht lediglich ein allgemein gehaltener Programmsatz, sondern ein Grundsatz des Vergabeverfahrens, der den mittelständischen Unternehmen i. V mit § 97 Abs. 7 GWB ein subjektives Recht auf Teilung der Aufträge in Lose verleiht. Nur wenn überwiegende wirtschaftliche405 oder technische Gründe für eine Gesamtvergabe sprechen, kann von der Aufteilung in Lose abgesehen werden.406 Daneben können sich mittelständische Unternehmen auch zu Bietergemeinschaften zusammenschließen, um sich auf großvolumige Aufträge zu bewerben.407 Die öffentlichen Auftraggeber haben auch ein eigenes Interesse an der Eindämmung einer zu großen Konzentration auf der Anbieterseite, da die Entstehung eines Oligopols großer Unternehmen den Wettbewerbsdruck unter den marktbeherrschenden Unternehmen senkt und damit die möglichen Kosteneinsparungen vermindert werden oder die Entgelte nach ersten Preisnachlässen anschließend wieder steigen.408 Andererseits darf bspw. bei einer Vergabe kleiner Teilnetze im ÖPNV die ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im
402 Baumeister/Kirch, NZBau 2001, S. 653, 655; Dreher, NZBau 2005, S. 427, 429; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 55; vgl. auch § 4 Nr. 2 VOB/A (Teillose). 403 Dreher, NZBau 2005, S. 427, 428; vgl. zu Fachlosen im straßengebundenen ÖPNV Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 55 f. Gemäß § 4 Nr. 3 Satz 1 VOB/A sind Bauleistungen verschiedener Handwerks- oder Gewerbezweige in der Regel nach Fachgebieten oder Gewerbezweigen getrennt zu vergeben (Fachlose). Das Bauvorhaben wird in qualitativ abgrenzbare Fachgebiete/Gewerbezweige zerlegt (vgl. Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2007, § 97 Rn. 283 f.; Kus, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 46, 64 f.). 404 § 5 Nr. 1 VOL/A sieht die Zerlegung der Leistung in Lose zum einen nach der Menge (Teillose) und zum anderen nach der Art der Leistung (Fachlose) vor (vgl. Baumeister/Kirch, NZBau 2001, S. 653, 655; Dreher, NZBau 2005, S. 427, 428; Burgi, NZBau 2006, S. 693, 696). 405 Gemäß § 5 Nr. 1 Satz 2 VOL/A ist eine unwirtschaftliche Zersplitterung zu vermeiden. 406 Kus, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 57, 66 ff.; Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2007, § 97 Rn. 268; Hailbronner, in: Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 216, 222 ff.; Dreher, NZBau 2005, S. 427, 428 ff.; Burgi, NZBau 2006, S. 693, 696. 407 Allerdings gebietet es der Schutzzweck des § 97 Abs. 3 GWB grundsätzlich, dass kleine und mittlere Unternehmen nicht nur als Bietergemeinschaft, sondern auch eigenständig die Möglichkeit haben müssen, sich am Bieterwettbewerb zu beteiligen (Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 2007, § 97 Rn. 276; Dreher, NZBau 2005, S. 427, 430; Burgi, NZBau 2006, S. 693, 696). 408 Vgl. dazu ausführlich Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 57 f.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
ÖPNV nicht durch eine zu starke Zersplitterung gefährdet werden.409 Bei der Vergabe von Teilnetzen anstatt von kompletten Netzen steigen deshalb der Koordinierungsbedarf und die hiermit verbundenen Koordinierungskosten.410 3. Probleme der Kommunen Die Verantwortung für die überwiegende Zahl von Leistungen der Daseinsvorsorge fällt in die Zuständigkeit der Kommunen (d. h. Städte und Gemeinden sowie Landkreise), zahlreiche Leistungen der Daseinsvorsorge werden von den Kommunen selbst oder durch kommunale Unternehmen erbracht. Mit Blick auf Forsthoff, dessen Überlegungen auf die Leistungsverwaltung bezogen waren,411 könnte man die Leistungserbringung durch die Kommunen selbst bzw. durch kommunale Unternehmen als Daseinsvorsorge im engeren Sinne bezeichnen.412 Häufig beauftragen die Kommunen auch privatwirtschaftliche Unternehmen mit der Leistungserbringung. Der Anwendbarkeit des Vergaberechts und einer darauf beruhenden Ausschreibungspflicht stehen die Kommunen überwiegend skeptisch bis ablehnend gegenüber.413 Für einen Großteil der kommunalen und staatlichen Vergabestellen ist die freihändige Vergabe, die im Hinblick auf Effizienz bei Aufwand und Ergebnis als die beste Vergabeform bewertet wird, die bevorzugte Art der Vergabe.414 Die meisten Vergabestellen vergeben ihre Aufträge darüber hinaus an regionale oder aus früherer Zusammenarbeit bekannte Auftragnehmer.415 Diese ablehnende Haltung gegenüber öffentlichen Ausschreibungen ist sicherlich teilweise dem Beharrungsvermögen der Kommunen geschuldet. Viele Kommunen schrecken vor dem Aufwand und den Kosten von öffentlichen Ausschreibungen, den komplexen Vergabevorschriften, der damit einhergehenden hohen Fehleranfälligkeit und den sich möglicherweise an ein Vergabeverfahren anknüpfenden Nachprü-
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Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 152; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 180. 410 Baumeister/Kirch, NZBau 2001, S. 653, 657; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 55; vgl. hierzu Kapitel 8 B. VII. 2. c). 411 Vgl. Kapitel 1 A. I. 412 Vgl. zu dem dieser Arbeit zugrundliegenden Verständnis des Begriffs der Daseinsvorsorge Kapitel 1 A. IV. 413 Vgl. FAZ v. 24. 4. 2004 „Kommunen gegen weitere Öffnung“; FAZ v. 20. 7. 2004 „Verwaltungen für freihändige Vergabe“; FAZ v. 16. 11. 2004 „Kommunalbetriebe unter Reformdruck“. 414 FAZ v. 20. 7. 2004 „Verwaltungen für freihändige Vergabe“. Dieses Ergebnis beruht auf eine Umfrage des Forums Vergabe, der Auftragsberatungsstellen in den Bundesländern und der Wirtschaftsmarketinggesellschaft Wegweiser GmbH unter 5000 Verwaltungen und öffentlichen Beschaffungsstellen sowie 6700 Unternehmen. 415 FAZ v. 20. 7. 2004 „Verwaltungen für freihändige Vergabe“.
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fungsverfahren zurück.416 Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, sehen die Kommunen durch einen Zwang zur Ausschreibung zu Recht auch den Bestand ihrer kommunalen Unternehmen und damit die bestehende Organisationsstruktur ihrer Aufgabenerfüllung gefährdet. Es entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Vergaberecht und der Daseinsvorsorge im engeren Sinne. Wenn privatwirtschaftliche Unternehmen beauftragt werden, besteht bei den Kommunen der verständliche Wunsch, diese bestehenden Auftragsverhältnisse zu häufig ortsansässigen Unternehmen, mit denen ggf. bereits lange Jahre vertrauensvoll zusammengearbeitet wurde, zu erhalten.417 a) Kommunale Unternehmen Die Kommunen befürchten, dass ihre kommunalen Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen regelmäßig unterliegen werden, da die privaten Wettbewerber u. a. aufgrund niedrigerer Lohnkosten418 häufig dazu in der Lage sind, günstigere Angebote abzugeben. Diese Nachteile werden in der Regel auch durch Vorteile wie die gute Kenntnis des lokalen Marktes und die Nähe zu den Kunden in der Region nicht aufgewogen.419 Es müsse deshalb eine „marktorientierte Direktvergabe“ an die kommunalen Betriebe erfolgen.420 Die Anwendung des Vergaberechts bringt Probleme für die kommunalen Unternehmen mit sich, die nicht von der Hand zu weisen sind. Folgendes Beispiel sei hier stellvertretend erläutert: Eine Stadt betreibt den ÖPNV auf ihrem Stadtgebiet durch ein eigenes kommunales Verkehrsunternehmen. Wenn diese Stadt nun gezwungen ist, den Auftrag über die Erbringung des ÖPNV öffentlich auszuschreiben und der Zuschlag an ein anderes Verkehrsunternehmen erteilt werden muss, weil dieses das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat, so stellt sich für diese Kommune die Frage, was mit dem eigenen kommunalen Verkehrsbetrieb geschehen soll. Abgesehen davon, ob er dies aufgrund seiner Größe und seiner wirtschaftlichen Ressourcen überhaupt könnte, wäre es dem kommunalen Verkehrsbetrieb aufgrund des im Gemeindewirtschaftsrecht geltenden Örtlichkeitsprinzips grundsätzlich nicht erlaubt, außerhalb der Stadtgrenzen wirtschaftlich tätig zu werden.421 In letzter 416 Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 604; Pietzcker, NVwZ 2007, S. 1225 ff.; Schoch, NVwZ 2008, S. 241, 246. 417 Pietzcker, NVwZ 2007, S. 1225 ff.; Schoch, NVwZ 2008, S. 241, 246; vgl. Nöth, Der Nahverkehr 3/2005, S. 20, 21. 418 Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 59. 419 Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 58 f. 420 FAZ v. 16. 11. 2004 „Kommunalbetriebe unter Reformdruck“. Der Berliner Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, Harald Wolf, spricht drastisch davon, dass die kommunalen Betriebe im Ausschreibungswettbewerb „implodieren“ würden (FAZ v. 16. 11. 2004 „Kommunalbetriebe unter Reformdruck“). 421 Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 157; Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 59.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Konsequenz müsste das kommunale Verkehrsunternehmen bzw. – im Falle eines Mehrspartenunternehmens – die entsprechende Sparte geschlossen werden.422 Für das betroffene kommunale Verkehrsunternehmen geht es bei einer solchen Ausschreibung also um „alles oder nichts“.423 Große, in mehreren Städten oder Regionen tätige privatwirtschaftliche Verkehrsunternehmen können es dagegen einfacher verkraften, bei einer Ausschreibung einmal nicht den Zuschlag zu erhalten, da sie nicht ortsgebunden sind und die Möglichkeit haben, an weiteren Ausschreibungen teilzunehmen.424 Eine Konsequenz des Ausschreibungswettbewerbs könnte deshalb sein, dass zu Lasten des Bestehens kommunaler Unternehmen ein Konzentrationsprozess hin zu Großunternehmen einsetzt.425 Eine weitere Konsequenz aus der durch das Vergaberecht erzwungenen Beauftragung eines privatwirtschaftlichen Verkehrsunternehmens wäre gegebenenfalls der Wegfall von Steuervorteilen der Kommune aus dem sog. kommunalen Querverbund. Im kommunalen Querverbund werden die Verluste kommunaler Verkehrsunternehmen aus den Gewinnen der kommunalen Versorgung (Strom, Gas, Wasser, Fernwärme) ausgeglichen. Entweder werden die Ergebnisse der verschiedenen Sparten eines Einheitsunternehmens verrechnet oder es werden die Gewinne und Verluste der Tochtergesellschaften bei Holdingkonstruktionen ausgeglichen. Durch diese Verrechnung von Gewinnen und Verlusten sparen die Kommunen in erheblichem Maße Ertragssteuern, die sie normalerweise auf die durch die kommunale Versorgung erwirtschafteten Gewinne bezahlen müssten.426 Fallen diese Steuervorteile weg, ist es möglich, dass die durch die Ausschreibung erzielten Einsparungen durch den Wegfall von Steuervorteilen wieder aufgezehrt werden.427 Die oben beschriebene Problematik wird jedoch dadurch entschärft, dass auf sogenannte In-House-Vergaben das Vergaberecht nicht anwendbar ist (vgl. aus422 Decker, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 73; Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 59. 423 Püttner, in: FS Seok, 2003, S. 59; Eichhorn, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, 2005, S. 7, 9; Decker, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 73. 424 Eichhorn, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, 2005, S. 7, 9; Plassmann, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, 2005, S. 25, 33. 425 Püttner, in: FS Seok, 2003, S. 59; Barth, Stadt und Gemeinde 2000, S. 226, 227; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 156 f.; Decker, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 74. 426 Fromm, BB 1994, S. 2366, 2367; Wachinger, WiVerw 2004, S. 27, 28; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 11; Metz, Der Nahverkehr 10/2003, S. 24, 26. 427 Zu diesen Befürchtungen der Kommunen Barth, Stadt und Gemeinde 2000, 226, 227; Wachinger, WiVerw 2004, S. 27, 28 (Fn. 7).
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führlich Kapitel 5). In-House-Vergaben sind einerseits Vergaben an kommunale Regie- oder Eigenbetriebe und andererseits Vergaben an kommunale Eigengesellschaften. Ihre Begründung findet die Nichtanwendbarkeit des Vergaberechts darin, dass sich die öffentliche Hand in diesen Fallkonstellationen nicht Leistungen am Markt beschafft, sondern lediglich innerhalb der eigenen Organisation nachfragt.428 Es handelt sich um die Selbsterfüllung einer bestimmten Aufgabe durch eine abhängige juristische Person, nicht um einen Auftrag im Sinne des Vergaberechts.429 Allerdings weist die Rechtsprechung des EuGH in dieser Frage eine restrektive Tendenz auf (vgl. ausführlich Kapitel 5 C. und D.). Bspw. ist das Vergaberecht immer dann anzuwenden, wenn ein Auftrag an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen vergeben werden soll, an dem neben der Kommune noch ein Privater beteiligt ist. Dieser Auftrag muss also grundsätzlich öffentlich ausgeschrieben werden und kann nicht nach den Regeln der sog. In-House-Vergabe direkt an dieses Unternehmen vergeben werden.430 b) Beauftragte private Unternehmen Haben die Kommunen private Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge beauftragt, so handelt es sich bei diesen häufig um ortsansässige Unternehmen, mit denen bereits eine längere, vertrauensvolle Vertragsbeziehung besteht. Die besondere Sensibilität der zur Erfüllung übertragenen Aufgabe und die Bedeutung der Aufgabe für die Allgemeinheit erfordern ein Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern. Mit diesem Argument begründet bspw. das VG Neustadt a. d. W. die Nichtanwendbarkeit des Vergaberechts auf Dienstleistungskonzessionen. Da dem Konzessionär Mitverantwortung beim Vollzug einer öffentlichen Aufgabe übertragen werde, rechtfertige dies, einen öffentlichen Auftraggeber ausnahmsweise nicht den strengen Regeln des Vergaberechts zu unterwerfen, da die Auswahl eines vertrauenswürdigen Partners ein flexibleres Verfahrensrecht erfordere.431 Generell kann eine Nichtanwendbarkeit des Vergaberechts im Bereich der Daseinsvorsorge jedoch nicht mit dem Erfordernis eines wechselseitigen Vertrauensverhältnisses zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer (intuitu personae) oder unter Rückgriff auf den gewerberechtlichen Grundsatz „bekannt und bewährt“ begründet werden.432 Diese Grundsätze sind mit dem Wettbewerbsgrundsatz und den 428
Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 5c. Michaels, NZBau 2004, S. 27, 28; Pietzcker, NVwZ 2007, 1225, 1229. 430 EuGH, Urteil v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, NZBau 2005, S. 111. 431 VG Neustadt a. d. W., NZBau 2002, S. 237, 238. Vgl. ausführlich zur Dienstleistungskonzession und zu diesem Urteil des VG Neustadt a. d. W. Kapitel 6. 432 Ebenso Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 49; Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. Nr. C 121, S. 6, NVwZ-Beilage III/2000 zu Heft 7/2000, S. 10; vgl. Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 286 Fn. 82. 429
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der Objektivität und Bestimmtheit der Auswahlkriterien nicht vereinbar und finden keine Stütze in den Vergaberichtlinien. Die Ortsansässigkeit oder Ortsnähe der Bieter/Bewerber in dem Sinne, dass diese zum Zeitpunkt der Abgabe des Angebots ihren Sitz oder eine Niederlassung am Ort der Vertragsdurchführung bzw. in dessen räumlicher Nähe haben, darf auch nicht in die Wertung der Angebote als Zuschlagskriterium einfließen. Ortsansässige Bieter dürfen deshalb bspw. im Rahmen einer Bewertungsmatrix keine Punkte für ihre räumliche Nähe zum Leistungsort erhalten, da in der Verwendung eines Zuschlagskriteriums der Ortsansässigkeit bzw. Ortsnähe ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 97 Abs. 2 GWB läge. Ein solches Zuschlagskriterium können die auswärtigen und erst recht die internationalen Bieter nicht erfüllen. Ohne dass es unmittelbar leistungsbezogen ist, würden die ortsansässigen Bieter durch ein solches Zuschlagskriterium also ungerechtfertigt bevorzugt.433 Da der obsiegende Bieter jedoch im Anschluss an den Zuschlag für mehrere Jahre Leistungen der Daseinsvorsorge erbringt, wird es regelmäßig erforderlich sein, dass dieser nach Vertragsschluss vor Ort zumindest ein Büro oder einen Betriebshof einrichtet und einen vor Ort befindlichen Ansprechpartner für die Kommune stellt. Das Vorhandensein solcher Einrichtungen darf also zwar nicht zum Zuschlagskriterium gemacht werden, die Eröffnung eines Büros oder Betriebshofes nach Vertragsschluss (wenn nicht bereits vorhanden) darf jedoch zum Gegenstand des mit dem obsiegenden Bieter abzuschließenden Vertrag gemacht werden.434 Bei der Durchführung eines Vergabeverfahrens sind die öffentlichen Auftraggeber auch nicht gezwungen, mit jedem Bieter/Bewerber ohne Berücksichtigung seiner Zuverlässigkeit und Fachkunde einen Vertrag abzuschließen. Bevor der öffentliche Auftraggeber über den Zuschlag entscheidet, hat er die Eignungsprüfung vorzunehmen.435 Bei der Auswahl der Angebote, die für den Zuschlag in Betracht kommen, sind nur Bieter zu berücksichtigen, die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit besitzen (§ 97 Abs. 4 GWB, § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A). Durch die Überprüfung der Eignungskriterien kann sichergestellt werden, dass der Bieter auch tatsächlich
433 Müller-Wrede, VergabeR 2005, S. 32 m. w. N.; Schwan, Der Nahverkehr 5/2007, S. 52, 54; kritisch Pietzcker, NVwZ 2007, S. 1225, 226 f. Müller-Wrede hält jedoch zutreffend ein Zuschlagskriterium der örtlichen Präsenz für zulässig. Im Gegensatz zur Ortsansässigkeit oder Ortsnähe stellt das Kriterium der örtlichen Präsenz nicht auf eine bereits vorhandene räumliche Nähe des Bieters zum Ort der Vertragsdurchführung ab, sondern auf die Möglichkeit, zeitlich rasch vor Ort zu sein, um mögliche Probleme zu lösen (Müller-Wrede, VergabeR 2005, S. 32, 33 ff.). 434 Ablehnend Müller-Wrede (VergabeR 2005, S. 32, 34) mit dem Argument, ein solches Erfordernis würde auswärtige Bieter aufgrund der damit verbundenen Kosten von der Abgabe eines Angebots abhalten. Im Interesse einer ständigen Verfügbarkeit vertragsgemäßer Leistungen der Daseinsvorsorge ist die Eröffnung eines lokalen Büros oder eines lokalen Betriebshofes jedoch unumgänglich. 435 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 1 B. III. 3.
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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dazu in der Lage ist, die Leistungen der Daseinsvorsorge während der Laufzeit des Vertrages zu erbringen.436 c) Einschränkung der Gestaltungsfreiheit der Kommunen Durch das Vergaberecht nicht eingeschränkt wird die Entscheidungsfreiheit der Kommunen hinsichtlich der Frage, ob sie die Leistungen der Daseinsvorsorge selbst erbringen wollen oder ob ein Dritter mit der Leistungserbringung beauftragt werden soll. Es bleibt den Kommunen überlassen, entweder die Aufgaben der Daseinsvorsorge selbst zu erfüllen oder die Erfüllung dieser Aufgaben auf private oder öffentliche Unternehmen bzw. öffentlich-private Partnerschaften zu übertragen. Das Vergaberecht kann erst zur Anwendung kommen, wenn sich die Kommune dazu entschlossen hat, die Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge auf einen Dritten zu übertragen. Das Vergaberecht zwingt die Kommune nicht zu einer solchen Entscheidung, es setzt vielmehr eine solche Entscheidung voraus.437 Hat sie sich jedoch zu einem solchen Schritt entschlossen, wird ihre Gestaltungsfreiheit durch das Vergaberecht erheblich eingeschränkt.438 Liegt kein Fall einer In-House-Vergabe vor, können die Kommunen nicht freihändig darüber entscheiden, welches Unternehmen sie beauftragen, sondern sie müssen als Ergebnis des Vergabeverfahrens dasjenige Unternehmen beauftragen, das das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat. Da nach der Rechtsprechung des EuGH auch bei kommunalen Eigengesellschaften nicht zwingend eine In-House-Vergabe vorliegt,439 können die Kommunen u. U. gezwungen sein, bestehende Strukturen aufzubrechen (vgl. das oben angeführte Beispiel eines kommunalen Verkehrsbetriebes), wodurch die Daseinsvorsorge im engeren Sinne440 betroffen wird. Ggf. müssen langjährige Auftragsbeziehungen zu privaten Unternehmen beendet werden. Das Bestreben, eine Ausschreibung zu vermeiden, kann die Entscheidung der Kommune, ob sie eine Leistung der Daseinsvorsorge selbst erbringen oder auf einen Dritten übertragen will, deshalb faktisch beeinflussen, auch wenn sich aus dem Vergaberecht keine Pflicht zur Privatisierung ergibt. Nicht übersehen werden darf jedoch andererseits, dass die Anwendung des Vergaberechts auch positive Effekte für die Kommunen haben kann. Bei einer öffentlichen Ausschreibung handelt es sich (im Vergleich zur freihändigen Vergabe) um das transparentere Verfahren. Es ist gewährleistet, dass dasjenige Unternehmen den Zuschlag erhält, das das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat. Dies beinhaltet die Möglichkeit der Kostensenkung gegenüber der Selbsterbringung der 436
Die Bedeutung der Eignungsprüfung betont auch Eichhorn, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, S. 7, 10. 437 Pietzcker, NVwZ 2007, S. 1225, 1229. 438 Schoch, NVwZ 2008, S. 421, 426. 439 Vgl. hierzu Kapitel 5 C. I. 440 Vgl. zu diesem Begriff oben III. 3. a).
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
Leistung bzw. der Erbringung durch den bisherigen (privaten oder öffentlichen) Leistungserbringer.441 Die durch eine öffentliche Ausschreibung erzielten Einspareffekte können jedoch ggf. durch den Wegfall von Steuervorteilen aus dem kommunalen Querverbund oder die Transaktionskosten wieder aufgewogen werden.442 4. Keine generelle Unanwendbarkeit des Vergaberechts im Bereich der Daseinsvorsorge Erörtert werden soll noch, ob eine generelle Unanwendbarkeit des Vergaberechts dann in Betracht kommt, wenn die vom Auftragnehmer zu erbringende Leistung eine solche der Daseinsvorsorge ist.443 Dies käme gegebenenfalls dann in Frage, wenn aufgrund der besonderen Bedingungen und Mechanismen von wettbewerblichen Vergabeverfahren nicht mehr gewährleistet werden könnte, dass die Leistungen der Daseinsvorsorge in ausreichendem und angemessenen Umfang erbracht werden.444 Hiervon kann jedoch nicht ausgegangen werden.445 Die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts stellt sich dann, wenn der Staat oder die Kommunen sich dazu entschieden haben, eine Leistung der Daseinsvorsorge nicht bzw. nicht mehr selbst zu erbringen,446 sondern einen Dritten mit der Erbringung dieser Leistung zu beauftragen. In diesen Fällen muss das beauftragte Unternehmen vertraglich dazu verpflichtet werden, die jeweiligen Leistungen in einem bestimmten Umfang, in einer bestimmten Qualität und (wenn es selbst in Rechtsbeziehungen zu den Nutzern tritt) zu bestimmten (Höchst-)Preisen für die Nutzer der Leistung zu erbringen, um auf diese Weise eine ausreichende und angemessene Daseinsvorsorge sicherzustellen. Das Unternehmen, das diese Verpflichtungen zum besten Preis-/Leistungsverhältnis erbringen kann, wird im Rahmen des Vergabeverfahrens ermittelt. Das Vergabeverfahren muss allerdings entsprechend den oben dargestellten Maximen 441 So vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Schweden Cederschiöld, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, 2005, S. 43, 46. Zu den entsprechenden Erfahrungen im ÖPNV Schenck/Metzner/Hoerschelmann, Der Nahverkehr 6/2003, S. 14, 15, 16 f. und Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59, 62. 442 Barth, Stadt und Gemeinde 2000, S. 226, 227; Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 55 ff. 443 Verneinend Marx, Der Nahverkehr 3/2003, S. 28, 29; Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 153. 444 Zu diesem Ansatz vgl. Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 94 (Im Konfliktfall zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerb hat im Zweifel die Daseinsvorsorge Vorrang.). 445 So auch Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 48 (Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sind „grundsätzlich einem Ausschreibungswettbewerb zugänglich“.); Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 284; Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung als Verbundaufgabe, 2005, S. 177. 446 Bspw. durch Eigenbetriebe oder Eigengesellschaften. Bei der Beauftragung von Eigengesellschaften kann das Vergaberecht jedoch unter bestimmten Bedingungen trotzdem zur Anwendung kommen, vgl. hierzu Kapitel 5 A.
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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durchgeführt werden, um Gewinnmaximierungen zu Lasten der Daseinsvorsorge zu verhindern und eine angemessene und ausreichende Daseinsvorsorge für die Laufzeit des Vertrages sicherzustellen. Wenn diese Maximen beachtet werden, ist auch bei der Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens sichergestellt, dass die Leistungen der Daseinsvorsorge in einem ausreichenden und angemessenen Umfang erbracht werden. Das Vergabeverfahren hat eine dienende Funktion, indem das Unternehmen ermittelt wird, das die notwendigen Leistungen zum besten Preis-/ Leistungsverhältnis erbringt.447 Genauso, wie ein genereller Ausschluss des Wettbewerbsrechts im Bereich der Daseinsvorsorge nicht gerechtfertigt werden kann und den Vorgaben von Art. 86 Abs. 2 EG widerspräche,448 kommt auch eine generelle Unanwendbarkeit des Vergaberechts nicht in Betracht. Daseinsvorsorge ist zwar ein Rechtsbegriff, an den rechtliche Konsequenzen geknüpft werden können,449 nicht jedoch diejenige, dass das Vergaberecht (oder das Wettbewerbsrecht insgesamt) im Bereich der Daseinsvorsorge generell nicht anwendbar ist. Dem Optimierungsgebot des Art. 16 EG450 entspricht es vielmehr, das Spannungsverhältnis zwischen Vergaberecht und Daseinsvorsorge dadurch zu entschärfen, dass der besondere Charakter der zu vergebenden Leistung im Rahmen des Vergabeverfahrens berücksichtigt wird. Die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit einmal unterstellt, hätte der Gesetzgeber auch ausdrücklich anordnen müssen, dass die Beschaffung von Leistungen im Bereich der Daseinsvorsorge nicht dem Vergaberecht unterliegt. Eine solche (pauschale) Regelung hat der Gesetzgeber jedoch nicht getroffen.451 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die Vergaberichtlinien bei der Auftragsvergabe durch einen öffentlichen Auftraggeber unabhängig davon anwendbar, ob der öffentliche Auftraggeber den Auftrag vergibt, um seine im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben zu erfüllen, oder ob der Auftrag nicht im Zusammenhang mit diesen Aufgaben steht.452 Auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge sei es „nicht ungewöhnlich, dass der Auftraggeber einem Dritten eine wirtschaftliche Aufgabe überträgt, mit der einem im Allgemeininteresse liegenden Bedürfnis entsprochen werden“ solle.453 Außerdem seien die Vergaberichtlinien nur in den Fällen unan-
447
Im Ergebnis ebenso Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 156; Ronellenfitsch, in: ForsthoffKolloquium, 2003, S. 94; Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 284. 448 Vgl. oben C. II. und III. 449 Vgl. dazu Kapitel 1 A. IV. 5. 450 Vgl. hierzu oben C. IV. 451 Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 153. 452 EuGH, Urt. v. 15. 1. 1998, Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria u. a.), Slg. 1998, I-73, NJW 1988, S. 3261; EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005, Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 26, NZBau 2005, S. 111, 113; EuGH, Urt. v. 20. 10. 2005 – Rs. C-264/03 (Kommission./.Frankreich), Slg. 2005, I-8831 Rn. 48. 453 EuGH, Urt. v. 20. 10. 2005 – Rs. C-264/03 (Kommission./.Frankreich), Slg. 2005, I8831 Rn. 48.
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
wendbar, die in ihnen selbst ausdrücklich und abschließend aufgeführt sind.454 Diese Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts sind in § 100 Abs. 2 GWB zusammengefasst. Ein genereller Ausschluss des Vergaberechts in Fällen, in denen die zu erbringenden Leistungen solche der Daseinsvorsorge sind, ist in § 100 Abs. 2 GWB nicht vorgesehen, weshalb auch nach der Systematik des Vergaberechts und der Rechtsprechung des EuGH eine generelle Unanwendbarkeit des Vergaberechts im Bereich der Daseinsvorsorge nicht in Frage kommt. 5. Ausnahme gemäß Art. 86 Abs. 2 EG ? Einer Untersuchung bedarf noch die Frage, ob eine Anwendbarkeit des Vergaberechts im Bereich der Daseinsvorsorge nicht gemäß Art. 86 Abs. 2 EG ausscheiden kann.455 Die Frage, welche Bedeutung Art. 86 Abs. 2 EG für die Anwendbarkeit des Vergaberechts bzw. der Vergaberichtlinien hat, ist gelegentlich in der Rechtsprechung und Literatur456 gestreift, jedoch selten näher beleuchtet worden. Dem EuGH wurde einmal die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es Art. 86 Abs. 2 EG (bzw. der frühere Art. 90 Abs. 2 EGV) „einer Gemeinde erlaubt, ohne vorherige Ausschreibung eine Finanzierungsgesellschaft als Mitgesellschafter in einer Gesellschaft mit vorwiegend öffentlichem, von der Gebietskörperschaft eingebrachten Kapital auszuwählen“ und diese gemeinsame Gesellschaft anschließend ohne öffentliche Ausschreibung mit dem Betrieb der Müllabfuhr im Gemeindegebiet zu betrauen. Diese Vorlagefrage musste durch den EuGH jedoch dann im Rahmen seines Urteils nicht beantwortet werden.457
454
EuGH, Urt. v. 18. 11. 1999, Rs. C-107/98 (Teckal), Slg. 1999, I-8139, 8153, NZBau 2000, S. 90, 91. 455 Zu Art. 86 Abs. 2 EG allgemein vgl. oben C. III. 456 Jennert, NZBau 2005, S. 131, 132; Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 281; Decker, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 76 ff.; Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 62 f.; GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 14. 09. 2006 in der Rs. C-532/03 (Kommission./.Irland), Rn. 101 ff.; GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 12. 4. 2005 in der Rs. C-231/ 03 (Co.Na.Me.), Slg. 2005, I-7287 Rn. 64 f. 457 EuGH, Urt. v. 9. 9. 1999 – Rs. C-108/98 (RI.SAN), Slg. 1999, I-5238 Rn. 24 ff. Das vorlegende Gericht hatte die Frage noch etwas anders formuliert und stärker unternehmensbezogen gefragt, ob für die Tätigkeit der besagten staatlichen Finanzierungsgesellschaft die Bestimmung des Art. 86 Abs. 2 EG gilt (vgl. Schlussanträge des GA Alber vom 18. 3. 1999 in dieser Rechtssache, Slg. 1999, I-5221 Rn. 14, 39 ff.).
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
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a) Direkte Anwendung Decker458 hat sich mit der Frage beschäftigt, ob kommunale Gebietskörperschaften unter Rückgriff auf Art. 86 Abs. 2 EG von den allgemein geltenden Vergabevorschriften freigestellt werden können, wenn sie kommunale oder private Unternehmen mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse beauftragen. Voraussetzung hierfür wäre zunächst, dass es sich bei den kommunalen Gebietskörperschaften selbst um Unternehmen i. S. von Art. 86 Abs. 2 EG handelt.459 Der Begriff des Unternehmens i. S. des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts umfasst jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.460 Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt wiederum jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.461 Auch eine Stelle, die in die öffentliche Verwaltung integriert ist, kann ein Unternehmen in diesem Sinne sein, wenn die öffentliche Hand durch sie wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt. Da es einer Trennung von der kommunalen Gebietskörperschaft oder einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit der handelnden Stelle nicht bedarf,462 ist es nicht von vorne herein ausgeschlossen, dass die Kommune als Unternehmen i. S. von Art. 86 Abs. 2 EG anzusehen ist.463 Allerdings müsste sie eine wirtschaftliche Tätigkeit i. S. eines Anbietens von Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt ausüben. Möchte eine kommunale Gebietskörperschaft ein Unternehmen mit der Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge beauftragen, so eröffnet sie zwar grundsätzlich einen Markt um die Erteilung dieses Auftrags, sie bietet jedoch keine Güter oder Dienstleistungen selbst an. Sie eröffnet lediglich einem Unternehmen die Möglichkeit, seinerseits bestimmte Dienstleistungen zu erbringen. Die Vorausset-
458 Decker, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 76 ff.; vgl. auch GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 12. 4. 2005 in der Rs. C-231/03 (Co.Na.Me.), Slg. 2005, I-7287 Rn. 64 f. (Konzessionsgeber war in diesem Fall ebenfalls eine Gemeinde). Entsprechend dem Thema der vorliegenden Arbeit beschränkt sich die Untersuchung auf die Aufgabenträger der Daseinsvorsorge. Die Frage, ob mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse beauftragte private oder öffentliche Unternehmen, die öffentliche Auftraggeber sind, gemäß Art. 86 Abs. 2 EG von den Vorschriften des Vergaberechts freigestellt werden können, soll nicht erörtert werden. 459 GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 12. 4. 2005 in der Rs. C-231/03 (Co.Na.Me.), Slg. 2005, I-7287 Rn. 65. 460 EuGH, Urt. v. 11. 7. 2006 – Rs. C-205/03 P (FENIN), Slg. 2006, I-6295 Rn. 25 m. w. N. 461 EuGH, Urt. v. 11. 7. 2006 – Rs. C-205/03 P (FENIN), Slg. 2006, I-6295 Rn. 25; EuGH, Pavel Pavlov und andere/Stichting Pensioenfonds Medische Spezialisten, verbundene Rechtssachen C-180-184/98, Slg. 2000, I-6451. 462 Jung, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 86 Rn. 11; Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 14 jeweils m. w. N. 463 So auch Decker, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 77.
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zungen einer wirtschaftlichen Tätigkeit sind also nicht erfüllt, die kommunale Gebietskörperschaft handelt nicht als Unternehmen i. S. von Art. 86 Abs. 2 EG.464 Beschafft sich eine kommunale Gebietskörperschaft Güter oder Dienstleistungen, um später selbst Leistungen der Daseinsvorsorge mit diesen Gütern oder Dienstleistungen zu erbringen, handelt die Kommune nur dann als Unternehmen, wenn die angestrebte Leistungserbringung als eine wirtschaftliche Tätigkeit einzustufen ist.465 Um eine Ausnahme von den Vergabevorschriften über Art. 86 Abs. 2 EG zu konstruieren, müssten jedoch noch weitere Hindernisse überwunden werden. Sieht man die kommunale Gebietskörperschaft als Unternehmen i. S. des Art. 86 Abs. 2 EG an, so müsste diese mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut worden sein. Selbst wenn man mit Decker die den Gemeinden in den jeweiligen Gemeindeordnungen auferlegte Pflicht, die für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Betreuung der Einwohner notwendigen Grundlagen zu schaffen, als hinreichend konkreten Betrauungsakt ansieht,466 verbleibt das Problem der Erforderlichkeit der Freistellung von den allgemeinen Vergabevorschriften. Es müsste seitens der kommunalen Gebietskörperschaft dargelegt werden, dass eine solche Freistellung erforderlich ist, da ansonsten die Erfüllung der Aufgabe der Daseinsvorsorge rechtlich oder tatsächlich gefährdet wäre oder gar verhindert würde.467 Die Unanwendbarkeit der Vergaberichtlinien würde einen Konflikt zwischen der Anwendung der Vergaberichtlinien und der Daseinsvorsorge voraussetzen, demzufolge die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge aufgrund der Anwendung des Vergaberechts verhindert (d. h. unmöglich gemacht) oder zumindest gefährdet wäre. GA Stix-Haxl weist in diesem Zusammenhang auf mögliche Probleme hin. In bestimmten Fällen sei die Durchführung eines Vergabeverfahrens im Wege einer Ausschreibung wegen der damit verbundenen Vorlaufzeit und der für die Einreichung der Angebote vorzusehenden Frist geeignet, die Erfüllung der Aufgaben zu verhindern. Dies sei etwa in Bezug auf ein Versorgungsunternehmen der Fall, wenn es durch das Vergabeverfahren zu Unterbrechungen oder zu einer verspäteten Aufnahme der Versorgung mit Energie oder Wasser käme.468 464
A. A. Decker, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 77. 465 Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 7. 2006 – Rs. C-205/03 P (FENIN), Slg. 2006, I-6295, NZBau 2007, S. 190. 466 Vgl. Decker, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 78. 467 Decker, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 78 f.; so auch GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 12. 4. 2005 in der Rs. C-231/03 (Co.Na.Me.), Slg. 2005, I-7287 Rn. 65 (Es müsse der Nachweis geführt werden, dass die vorgenommene Direktvergabe erforderlich war, um es dem Konzessionsgeber zu ermöglichen, seine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe „unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu erfüllen“.); GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 14. 9. 2006 in der Rs. C-532/03 (Kommission./.Irland), Rn. 105. 468 GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 14. 9. 2006 in der Rs. C-532/03 (Kommission./.Irland), Rn. 103.
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Wie bereits oben ausgeführt,469 besteht zwischen der Daseinsvorsorge und dem Vergaberecht kein solch unauflöslicher Konflikt, dass eine generelle Unanwendbarkeit der Vergaberichtlinien über Art. 86 Abs. 2 EG gerechtfertigt werden könnte. Ist das Vergaberecht anwendbar, kann bei Beachtung der besonderen Anforderungen an die zu vergebende Leistung im Rahmen des Vergabeverfahrens auch bei der Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens sichergestellt werden, dass die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in einem ausreichenden und angemessenen Umfang erbracht werden. Was das von GA Stix-Haxl angesprochene Problem der (drohenden) Unterbrechung der Versorgung anbelangt, muss bspw. das Vergabeverfahren früh genug eingeleitet werden, um eine Unterbrechung der Versorgung zu verhindern. Sollte der Leistungserbringer ausfallen, kann regelmäßig im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige öffentliche Bekanntmachung zeitnah ein neuer öffentlicher Auftrag vergeben und so die Versorgungssicherheit gewährleistet werden.470 Hinzuweisen ist schlussendlich noch auf die Frage, ob unter Rückgriff auf Art. 86 Abs. 2 EG überhaupt von den sekundärrechtlichen Vergaberichtlinien abgewichen werden kann. Art. 86 Abs. 2 EG erlaubt seinem Wortlaut nach nur die Abweichung von primärrechtlichen Vorschriften des EG-Vertrags. Deshalb könnte grundsätzlich in den Fällen, in denen die Vergaberichtlinien nicht anwendbar sind und in denen im Rahmen des Auswahlverfahrens (lediglich) die aus dem Primärrecht (insbesondere der Dienstleistungsfreiheit) abgeleiteten Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung beachtet werden müssen, gemäß Art. 86 Abs. 2 EG eine Ausnahme von diesen Grundsätzen möglich sein. Umstritten ist jedoch, ob Art. 86 Abs. 2 EG eine Abweichung vom Sekundärrecht ermöglicht.471 Einerseits kann nach dem Wortlaut von Art. 86 Abs. 2 EG nur von den Vorschriften des EG-Vertrags abgewichen werden, die Möglichkeit der Abweichung von sekundärrechtlichen Vorschriften ist nicht erwähnt.472 Allerdings darf auch die Anwendung von Sekundärrecht nicht die Aufgabenerfüllung durch Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, gefährden,473 was im Ergebnis dafür spricht, über Art. 86 Abs. 2 EG auch ein Abweichen von sekundärrechtlichen Vorschriften zu erlauben. Wenn Art. 86 Abs. 2 EG Ausnahmen von den Vorschriften des Primärrechts zulässt, muss dies erst recht für das Sekundärrecht gelten.474 Dies gilt jedenfalls dann, wenn die jeweiligen sekun469
Vgl. oben D. III. 4. Vgl. ausführlicher oben D. III. 1. e). 471 Bejahend: Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 53; von Burchard, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 86 Rn. 56. Verneinend: Koenig/ Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 86 Rn. 40. 472 Hauptsächlich mit diesem Argument lehnen deshalb Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/ EGV, 2003, Art. 86 Rn. 40 eine „Ausstrahlungswirkung“ des Vorbehalts aus Art. 86 Abs. 2 EG auf sekundärrechtliche Normen ab. 473 Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 53. 474 von Burchard, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 86 Rn. 56. 470
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1. Teil: Grundfragen des Verhältnisses von Daseinsvorsorge und Wettbewerb
därrechtlichen Vorschriften keine speziellen Instrumente und Ausnahmemöglichkeiten vorsehen, die eine Berücksichtigung der Belange der Daseinsvorsorge ermöglichen. Kein Bedürfnis für eine mögliche Rechtfertigung gemäß Art. 86 Abs. 2 EG besteht dann, wenn durch das Sekundärrecht die Erfüllung der besonderen Aufgabe ohne Verstoß gegen die Vorschriften des EG-Vertrags gesichert ist.475 Im Ergebnis kann deshalb festgehalten werden, dass mit Art. 86 Abs. 2 EG keinesfalls eine generelle Freistellung der kommunalen Gebietskörperschaften von der Anwendung der allgemeinen Vergabevorschriften begründet werden kann. Angesicht der dargestellten Probleme auf Tatbestandsebene erscheint auch eine Ausnahme im Einzelfall sehr fraglich.476 b) (Analoge) Anwendung auf den Betrauungsakt Untersucht werden soll noch, ob die Vorschrift des Art. 86 Abs. 2 EG nicht (zumindest analog) auf den Betrauungsakt selbst angewendet werden kann und auf diesem Weg eine Ausnahme von den Vergaberichtlinien oder den aus dem Primärrecht abgeleiteten Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung möglich ist. Die VK Brandenburg hat sich in einem Nachprüfungsverfahren, das die Auftragsvergabe im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) betraf, mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Anwendbarkeit der Vergaberichtlinien auf einen in einem Vertrag liegenden Betrauungsakt unmittelbar aus Art. 86 Abs. 2 EG abgeleitet werden kann.477 Eine Betrauung mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse kann auch durch einen Vertrag erfolgen.478 Aus der Frage, welches Unternehmen betraut werden soll, ergibt sich die entsprechende Vergabeproblematik. Wenn man den Maßstab des Art. 86 Abs. 2 EG auf den Betrauungsakt selbst anwendet, könnte hieraus lediglich gefolgert werden, dass die Mitgliedstaaten und ihre öffentlichen Auftraggeber die Grundfreiheiten (insbesondere die Dienstleistungsfreiheit) bei der Vergabe öffentlicher Aufträge beachten müssen. Aus Art. 86 Abs. 2 EG kann jedoch nicht unmittelbar auf die Anwendbarkeit der sekundärrechtlichen Vergaberichtlinien geschlossen werden, da es sich hierbei nicht um Vorschriften des EG-Vertrags handelt, auch wenn mit den Vergaberichtlinien die Dienstleistungsfreiheit im Sektor der öffentlichen Beschaffungsmärkte konkretisiert
475
Ähnlich von Burchard, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 86 Rn. 56. Decker hält eine Freistellung von den allgemeinen Vergabevorschriften im Einzelfall für möglich (vgl. Decker, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 79). Skeptisch Cox, in: Cox (Hrsg.), Ausschreibungswettbewerb bei öffentlichen Dienstleistungen, 2003, S. 62 f. (insbesondere deshalb, weil zum Nachweis der Be- oder Verhinderung der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse durch einen obligatorischen Ausschreibungswettbewerb ein schwieriger und wissenschaftlich angreifbarer hypothetischer Wettbewerbsfolgentest durchgeführt werden müsste). 477 VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 14. 478 Vgl. oben C. III. 1. 476
2. Kap.: Daseinsvorsorge und Wettbewerb
107
wird.479 Die Vergaberichtlinien sind vielmehr dann anwendbar, wenn deren sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich, der in den Vergaberichtlinien jeweils speziell geregelt ist, eröffnet ist.480 Andersherum kann man jedoch die Frage stellen, ob die Vergaberichtlinien, wenn ihr persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich eröffnet ist, nicht infolge einer (analogen) Anwendung des Art. 86 Abs. 2 EG auf den Betrauungsakt unangewendet bleiben können.481 Art. 86 Abs. 2 EG erlaubt es den Mitgliedstaaten, hinsichtlich der Unternehmen, die sie mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut haben, u. a. von den Grundfreiheiten abzuweichen.482 Übertragen auf den Betrauungsakt selbst, rechtfertigte Art. 86 Abs. 2 EG in diesem Fall eine Ausnahme von den Grundfreiheiten bei der eigentlichen Betrauung. Eine direkte Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EG auf den Betrauungsakt kommt jedoch angesichts von dessen eindeutigem Wortlaut nicht in Betracht, da Voraussetzung für eine direkte Anwendbarkeit von Art. 86 Abs. 2 EG eine bereits erfolgte Betrauung eines Unternehmens mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ist. Die Frage der Betrauung (und die damit verbundene Vergabeproblematik) stehen auf einer vorgelagerten Stufe. Erst wenn die Betrauung vorgenommen wurde, kommt eine Ausnahme von primärrechtlichen Vorschriften unter direkter Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EG in Frage. Da Art. 86 Abs. 2 EG als Ausnahmevorschrift eng ausgelegt wird, erscheint es fraglich, ob dieser analog auf den Betrauungsakt selbst angewendet werden kann. Doch selbst wenn man so weit ginge und Art. 86 Abs. 2 EG analog auf den Betrauungsakt selbst anwendete, folgte hieraus nicht die generelle Unanwendbarkeit der Vergaberichtlinien bzw. der primärrechtlichen Grundsätze des Vergabeverfahrens im Bereich der Daseinsvorsorge. Eine generelle Freistellung von den Vergabevorschriften ist – wie oben bereits dargelegt – nicht erforderlich im Sinne des Art. 86 Abs. 2 EG.483
479 Die Vergaberichtlinien sind auf Art. 47 Abs. 2 und Art. 55 EG (Art. 57 Abs. 2 und Art. 66 EGV a. F.) gestützt und dienen deshalb der Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit im Sektor der öffentlichen Beschaffungsmärkte. 480 Im Ergebnis ebenso VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 14 f. 481 Zur Problematik einer Freistellung von sekundärrechtlichen Vorschriften durch Art. 86 Abs. 2 EG vgl. bereits oben D. III. 5. a). 482 Vgl. oben C. III. 2.; EuGH, Urt. v. 23. 10. 1997 – Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-5815 Rn. 44, 49; Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, Band II (EUV/EGV), Art. 86 Rn. 53; Koenig/Kühling, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 86 Rn. 39; von Burchard, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 86 Rn. 51, 54. 483 Auch Möschel (JZ 2003, S. 1021, 1926) geht von einer Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Betrauung von Unternehmen mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse i. S. von Art. 86 Abs. 2 EG aus.
2. Teil
Beispiele für die Anwendbarkeit des Vergaberechts Im Rahmen des 2. Teils sollen aus den Bereichen Abfallentsorgung (Kapitel 3), Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung (Kapitel 4) Beispiele dargestellt werden, in denen das Vergaberecht Anwendung findet, wenn private Unternehmen1 mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge beauftragt werden.
3. Kapitel
Abfallentsorgung A. Daseinsvorsorge im Bereich der Abfallentsorgung Primär gilt im KrW-/AbfG2 das Verursacherprinzip. Gemäß §§ 5 Abs. 2, 11 Abs. 1 KrW-/AbfG sind die Erzeuger und Besitzer von Abfällen grundsätzlich selbst zur Verwertung und Beseitigung von Abfällen verpflichtet. Sekundär gilt das Prinzip der Daseinsvorsorge, d. h. dass die öffentlichen Entsorgungsträger – in der Regel die Kommunen (Landkreise und Gemeinden) – die Entsorgung aller Abfälle aus privaten Haushaltungen sowie die Entsorgung von Abfällen zur Beseitigung3 aus sonstigen Herkunftsbereichen (Gewerbe, Wirtschaft) durchzuführen haben (vgl. §§ 13 Abs. 1 S. 1, 15 Abs. 1 KrW-/AbfG).4 Mit der Erfüllung dieser Pflicht können die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger gemäß § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG Dritte (z. B. privatwirtschaftliche Unterneh1
Zur Anwendung des Vergaberechts auf die Beauftragung von kommunalen Eigengesellschaften oder gemischtwirtschaftlichen Unternehmen (In-House-Vergabe) vgl. sektorübergreifend Kapitel 5. 2 Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz – KrW-/AbfG) vom 27. September 1994, verkündet als Art. 1 d. G zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen vom 27. September 1994 (BGBl. I S. 2705, geänd. durch G v. 1. 11. 1996, BGBl. I S. 1626). 3 Vgl. §§ 3 Abs. 1 S. 2 Hs. 2, 10 Abs. 1 KrW-/AbfG. 4 Petersen, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 576; Byok/Ott, NVwZ 2005, S. 763; Bell/Rehak, LKV 2001, S. 185, 186; Tomerius, NVwZ 2000, S. 727, 728.
3. Kap.: Abfallentsorgung
109
men oder kommunale Eigengesellschaften) beauftragen. Der Dritte wird in diesem Fall als Erfüllungsgehilfe des öffentlichen Entsorgungsträgers tätig. Er übernimmt die technische Durchführung der Pflicht, nicht die Pflicht selbst.5 § 16 Abs. 1 KrW-/ AbfG stellt das abfallrechtliche „Bindeglied“ zu den Vorschriften der §§ 97 ff. GWB dar.6
B. Anwendbarkeit des Vergaberechts im Falle der Drittbeauftragung nach § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG I. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts Auf die Beauftragung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens gemäß § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG ist das Kartellvergaberecht in aller Regel anwendbar.7 Die Gemeinden und Landkreise als öffentliche Entsorgungsträger zählen als Gebietskörperschaften8 zu den öffentlichen Auftraggebern i. S. von § 98 Nr. 1 GWB. Drittbeauftragungen, mit denen öffentliche Entsorgungsträger privatwirtschaftliche Unternehmen mit der Verwertung und Beseitigung von Abfällen beauftragen, sind Dienstleistungsaufträge i. S. von § 99 Abs. 4 GWB.9 Bei der Verwertung und Beseitigung von Abfällen handelt es sich um Dienstleistungen i. S. von § 99 Abs. 4 GWB.10 Die Abfallbeseitigung ist im Anhang II Teil A der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie)11 unter der Kategorie 16 und im Anhang I A zum 2. Abschnitt der VOL/A ebenfalls unter Kategorie 16 ausdrücklich aufgeführt. Als Beispiele für Tätigkeiten von Unternehmen im Bereich der Abfallentsorgung seien das Einsammeln und Befördern oder die Behandlung und Entsorgung von Abfällen genannt.12 5
Bell/Rehak, LKV 2001, S. 185, 187. Byok/Ott, NVwZ 2005, S. 763. 7 EuGH, Urt. v. 10. 4. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Abwasservertrag Bockhorn und Abfallentsorgung Braunschweig), Slg. 2003, I-3609 Rn. 56, NZBau 2003, S. 393, 395; EuGH, Urt. v. 3. 3. 2005 – Rs. C-414/03 (Müllentsorgung im Landkreis Friesland), nicht in amtlicher Sammlung veröffentlicht, NZBau 2005, S. 410; Byok/Ott, NVwZ 2005, S. 763; Versteyl, in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2003, § 16 Rn. 25, Frenz, KrW-/AbfG, 2002, § 16 Rn. 34 ff.; Bell/Rehak, LKV 2001, S. 185, 188; Tomerius, NVwZ 2000, 729. 8 Die Frage, ob anderen öffentlichen Entsorgungsträgern (bspw. Zweckverbänden) die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber i. S. von § 98 GWB zukommt, soll im Rahmen dieser Arbeit unberücksichtigt bleiben. 9 Versteyl, in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2003, § 16 Rn. 25. 10 Frenz, KrW-/AbfG, 2002, § 16 Rn. 36; Bell/Rehak, LKV 2001, S. 185, 188; Tomerius, NVwZ 2000, S. 727, 729. 11 Früher Anhang I A der Richtlinie 92/50/EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie). 12 EuGH, Urt. v. 10. 4. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Abwasservertrag Bockhorn und Abfallentsorgung Braunschweig), Slg. 2003, I-3609, NZBau 2003, S. 393. Vgl. bspw. die 6
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2. Teil: Beispiele für die Anwendbarkeit des Vergaberechts
II. Die Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 lit. g GWB Untersucht werden soll noch, ob bei der Drittbeauftragung kommunaler Entsorgungsunternehmen (§ 16 Abs. 1 KrW-/AbfG) die Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 lit. g GWB zum Tragen kommen kann.13 Öffentliche Aufträge sind nach § 100 Abs. 2 lit. g GWB nicht vergabepflichtig, wenn sie an eine Person vergeben werden, die ihrerseits Auftraggeber nach § 98 Nr. 1, 2 oder 3 GWB ist und die ein auf Gesetz oder Verordnung beruhendes ausschließliches Recht zur Erbringung der Leistung hat. Für den Bereich der Abfallentsorgung hat der EuGH in einem Urteil vom 10. 11. 1998 (sog. Arnhem-Entscheidung) eine solche Ausnahme von der Vergabepflicht in einem Fall bestätigt, der die Vergabe von Entsorgungsdienstleistungen an ein von zwei Kommunen beherrschtes Entsorgungsunternehmen betraf.14 In dieser Entscheidung, der ein Sachverhalt aus den Niederlanden zugrunde lag, stand jedoch aufgrund einer Entscheidung des vorlegenden Gerichts bereits fest, dass das kommunale Entsorgungsunternehmen über ein auf einer gemeindlichen Verordnung beruhendes ausschließliches Recht zur Abfuhr von Hausmüll verfügte. Gegenstand der Entscheidung war demnach ausschließlich die Frage, ob dieses kommunale Entsorgungsunternehmen als ein öffentlicher Auftraggeber i. S. von Art. 1 lit. b der Richtlinie 92/50/EWG anzusehen ist.15 Unabhängig von der Frage, ob kommunale Entsorgungsunternehmen öffentliche Auftraggeber i. S. von § 98 Nr. 2 GWB sind, ist die Ausnahme des § 100 Abs. 2 lit. g GWB bei einer Drittbeauftragung nach § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG bereits aus anderen Gründen nicht einschlägig. Die Beauftragung von Dritten gemäß § 16 Abs. 1 KrW-/ AbfG mit der Erfüllung von Aufgaben der Abfallentsorgung erfolgt durch privatrechtlichen Vertrag. Ein möglicherweise auf das kommunale Entsorgungsunternehmen übertragenes ausschließliches Recht würde also nicht auf einer Verordnung oder einem Gesetz beruhen.16 Außerdem wäre erforderlich, dass das ausschließliche Entscheidungen OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 155; OLG Saarbrücken, NZBau 2000, S. 158; OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 306; OLG Koblenz, NZBau 2000, S. 445, denen jeweils öffentliche Aufträge aus dem Bereich der Abfallentsorgung zugrunde lagen. 13 Zur Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Beauftragung kommunaler Unternehmen vgl. allgemein Kapitel 5. 14 EuGH, Urt. v. 10. 11. 1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6846. § 100 Abs. 2 lit. g GWB beruhte ursprünglich auf Art. 6 der Richtlinie 92/50/EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie) bzw. nunmehr heute auf Artikel 18 der Richtlinie 2004/18/ EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie). 15 EuGH, Urt. v. 10. 11. 1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6846 Rn. 21 ff. 16 BayObLG, NZBau 2002, S. 397, 400; VK Düsseldorf, NZBau 2001, S. 46, 47; Jaeger, NZBau 2001, S. 6, 8 f.; Frenz, KrW-/AbfG, 2002, § 16 Rn. 54; Bell/Rehak, LKV 2001, S. 185, 190. Zur Frage des Bestehens eines ausschließlichen Rechts der öffentlichen Entsorgungsträger, welches ggf. auf das kommunale Entsorgungsunternehmen übertragen werden könnte vgl. Frenz, KrW-/AbfG, 2002, § 16 Rn. 54; Tomerius, NVwZ 2000, S. 727, 733; Bell/Rehak, LKV 2001, S. 185, 190.
4. Kap.: Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung
111
Recht dem beauftragten Unternehmen bereits vor der Beauftragung eingeräumt ist.17 Auch diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, da ein ausschließliches Recht allenfalls mit der Beauftragung übertragen würde, nicht jedoch bereits vor der Beauftragung bestünde. 4. Kapitel
Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung A. Abwasserbeseitigung I. Erfüllung der Aufgabe der Abwasserbeseitigung durch Dritte 1. Abwasserbeseitigung Die Abwasserbeseitigung ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge, die von den Gemeinden zu erfüllen ist.18 In § 18a Abs. 2 S. 1 WHG19 ist nicht bestimmt, welche Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Abwasserbeseitigung verpflichtet ist. Dies ist den jeweiligen Landeswassergesetzen vorbehalten. Prinzipiell weisen jedoch alle Landeswassergesetze den Gemeinden die Pflicht zu, das auf ihrem Gebiet anfallende Abwasser zu beseitigen (Bsp.: § 45b Abs. 1 S. 1 WG-BW20).21 Es handelt sich hierbei um eine pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden.22 Aufgrund dieser gesetzlichen Aufgabenzuweisung ist die Abwasserwirtschaft stark kommunal geprägt.23 2. Drittbeauftragung Die Gemeinden können sich zur Erfüllung ihrer Pflichten Dritter bedienen (§ 18a Abs. 2 S. 3 WHG, § 45b Abs. 1 S. 3 WG-BW). Sie beauftragen zu diesem Zweck 17
Jaeger, NZBau 2001, S. 6, 9; Endler, NZBau 2002, S. 125, 130. Kotulla, WHG, 2003, § 18a Rn. 29; Czychowski, WHG, 1998, § 18a Rn. 12, 14. 19 Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz – WHG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. 8. 2002 (BGBl. I S. 3245), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 10. 5. 2007 (BGBl. I S. 666). 20 Wassergesetz für Baden-Württemberg in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Januar 1999, GBl. S. 1. 21 Vgl. im Einzelnen zu den jeweiligen Vorschriften der Landeswassergesetze Kotulla, WHG, 2003, § 18a Rn. 29; Czychowski, WHG, 1998, § 18a Rn. 14. 22 Kotulla, WHG, 2003, § 18a Rn. 29, Czychowski, WHG, 1998, § 18a Rn. 14, Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 110. 23 Vgl. zur tatsächlichen und wirtschaftlichen Situation in der Abwasserbeseitigung Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 110 ff. 18
112
2. Teil: Beispiele für die Anwendbarkeit des Vergaberechts
privatwirtschaftliche Unternehmen oder kommunale Eigengesellschaften mit der technischen Durchführung der Abwasserbeseitigung. Der Dritte wird als Erfüllungsgehilfe bzw. Verwaltungshelfer der Gemeinde tätig. Er übernimmt gegenüber der Gemeinde die Erfüllung der Beseitigungspflicht, nicht aber die Pflicht selbst. Die öffentlich-rechtliche Pflichtenverteilung bleibt durch die der Beauftragung zugrunde liegende zivilrechtliche Rechtsbeziehung unberührt. Die Aufgabenverantwortung verbleibt vollständig bei der entsorgungspflichtigen Körperschaft.24 Die beseitigungspflichtigen Gemeinden ordnen durch gemeindliche Satzungen häufig einen Anschluss- und Benutzungszwang der auf dem Gemeindegebiet befindlichen Grundstücke an die öffentliche Abwasserbeseitigung an (vgl. § 11 Abs. 1 GemO-BW25). Der Anschluss- und Benutzungszwang gilt unabhängig von der organisatorischen Struktur der Abwasserentsorgung, also auch, wenn kommunale Eigengesellschaften26 oder privatwirtschaftliche Unternehmen27 die Erfüllung von Aufgaben der Abwasserbeseitigung übernommen haben. Er steht deshalb einer Beauftragung Dritter nicht im Weg. Für die Drittbeauftragung kommen im Wesentlichen 3 Modelle in Betracht: das Betriebsführungsmodell, das Betreibermodell und das Kooperationsmodell.28 a) Betriebsführungsmodell Beim Betriebsführungsmodell wird ein Dritter29 mit der weisungsgebundenen Führung des Betriebs von Abwasserbeseitigungsanlagen im Namen und für Rechnung der abwasserbeseitigungspflichtigen Gebietskörperschaft beauftragt. Die Betriebsführung umfasst regelmäßig den Betrieb, die Wartung und die Instandhaltung der Anlagen der Abwasserbeseitigung sowie die technische und kaufmännische Verwaltung. Der Betrieb kann sich auf einzelne Anlagen der Abwasserbehandlung beschränken oder auf das gesamte Leitungsnetz nebst Abwasseranlagen erstrecken. Die Anlagen und Leitungssysteme bleiben im Eigentum der Kommune.30 Die Ein24
Kotulla, WHG, § 18a Rn. 27 f., Czychowski, WHG, § 18a Rn. 16, Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 272. 25 Gemeindeordnung für Baden-Württemberg in der Fassung vom 24. Juli 2000, GBl. S. 582, ber. S. 698. 26 Vgl. dazu Brüning, Der Private bei der Erfüllung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 271 f. 27 Vgl. dazu Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 312. 28 Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 126; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 273. 29 Es kann sich hierbei um ein privatwirtschaftliches Unternehmen, eine kommunale Eigengesellschaft oder eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft handeln (Zacharias, DÖV 2001, S. 454, 455 f.). 30 Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 169; Zacharias, DÖV 2001, S. 454, 455; Dedy, NWVBl. 1993, S. 245, 250; Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 148.
4. Kap.: Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung
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wirkungsmöglichkeiten der Kommune bleiben im Umfang der konkreten vertraglichen Gestaltung erhalten. Im Außenverhältnis handelt der Dritte ggf. als bevollmächtigter Vertreter der Kommune. Eine selbständige Rechtsbeziehung zwischen dem Betriebsführer und den Anlagenbenutzern kommt nicht zustande.31 b) Betreibermodell Eine weitergehende privatwirtschaftliche Beteiligung als beim Betriebsführungsmodell ist beim sog. Betreibermodell gegeben. Herkömmlicherweise werden Abwasserbeseitigungsanlagen (wie z. B. Kläranlagen) von den Kommunen als Bauherren finanziert und errichtet sowie nach der Fertigstellung durch die Kommune selbst betrieben. Beim Betreibermodell hingegen verpflichtet sich ein privates Unternehmen (Betreiber) gegenüber der Kommune zu Planung, Finanzierung, Bau und anschließendem Betrieb einer Abwasseranlage (bspw. einer Kläranlage) auf von der Kommune zur Verfügung gestellten Grundstücken. Entweder erwirbt der Betreiber das Eigentum an den Grundstücken oder die Gemeinde bestellt zugunsten des Betreibers ein Erbbaurecht an diesen Grundstücken.32 Vereinbart werden kann auch, dass der Betreiber bestehende Altanlagen (durch Kauf oder Erbpacht) übernimmt, die er betreiben und ggf. sanieren muss. Das Kanalisationsnetz selbst bleibt in aller Regel in gemeindlichem Eigentum.33 Der Betreibervertrag kann sich auf den Bau und Betrieb einer Abwasseranlage beschränken. Möglich ist jedoch auch, dass der Betreiber daneben wie bei einem Betriebsführungsvertrag zusätzlich den Betrieb, die Wartung sowie Instandhaltung des vorhandenen Leitungsnetzes und der sonstigen Anlagen sowie die technische und kaufmännische Verwaltung ganz oder teilweise übernimmt.34 Es erfolgt regelmäßig eine langfristige vertragliche Bindung der Kommune an den Betreiber (20 bis 30 Jahre). Die Kommune zahlt für die Gesamtleistung des Betreibers eine vertraglich festgelegte Vergütung.35 Sie muss sich in dem Betreibervertrag ausreichende Kontroll- und Zugriffsrechte vorbehalten, um ihren Einfluss auf die Abwasserbeseitigung zu sichern.36 Auch das Betreibermodell hat im Außenverhältnis der Kommune zu den Anlagenbenutzern keine Auswirkung, da keine 31 Zacharias, DÖV 2001, S. 454, 455; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 169; Dedy, NWVBl. 1993, S. 245, 250. 32 Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 172; Zacharias, DÖV 2001, S. 454, 457; Dedy, NWVBl. 1993, S. 245, 250; Dreher, NZBau 2002, S. 245, 253. Betreiberverträge können auch den Bau und Betrieb von Abfallentsorgungsanlagen zum Gegenstand haben. 33 Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 168, 172; Dedy, NWVBl. 1993, S. 245, 250. 34 Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 148 f. 35 Zacharias, DÖV 2001, S. 454, 458; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 172. 36 Dedy, NWVBl. 1993, S. 245, 250; Zacharias, DÖV 2001, S. 454, 458.
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2. Teil: Beispiele für die Anwendbarkeit des Vergaberechts
direkten Rechts- oder Entgeltbeziehungen zwischen dem Betreiber und den Gemeindeeinwohnern entstehen.37 Die Gemeinde erhebt weiterhin Abwassergebühren oder privatrechtliche Benutzungsentgelte von den Anlagenbenutzern, das an den Betreiber zu zahlende Entgelt fließt in die Bemessung der Abwassergebühren ein.38 c) Kooperationsmodell In allen Spielarten des Kooperationsmodells wird eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft gegründet, an der neben der abwasserbeseitigungspflichtigen Kommune ein privates Unternehmen beteiligt ist. Regelmäßig ist die Kommune Mehrheitsgesellschafterin in dieser Gesellschaft. Bei dieser kann es sich zunächst um eine sog. Betreibergesellschaft handeln, mit der die Kommune einen Betreibervertrag schließt. Die Betreiberfunktionen können auch auf eine Besitz- und eine Betriebsführungsgesellschaft aufgeteilt werden. In diesem Fall gründet die Kommune mit einem Privaten eine Besitzgesellschaft, die wiederum mit dem privaten Partnerunternehmen einen Betriebsführungsvertrag schließt, der die Betriebsführung auf den privaten Partner überträgt.39 Durch die mehrheitliche Beteiligung an der gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft bewahrt sich die Gemeinde ihren Einfluss auf die Aufgabenerfüllung.40 II. Anwendbarkeit des Vergaberechts im Falle der Drittbeauftragung im Bereich der Abwasserentsorgung 1. Persönlicher Anwendungsbereich Die Gemeinden als diejenigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die zur Abwasserbeseitigung verpflichtet sind, sind als Gebietskörperschaften öffentliche Auftraggeber gem. § 98 Nr. 1 GWB. Von Gemeinden gegründete Zweckverbände sind öffentliche Auftraggeber i. S. von § 98 Nr. 3 GWB.41 2. Öffentlicher Auftrag Wird ein privatwirtschaftliches Unternehmen im Rahmen eines Betreiber- oder Betriebsführungsmodells beauftragt, handelt es sich hierbei um jeweils einen öf37 Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 126; Dreher, NZBau 2002, S. 245, 253. 38 Gern, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 2005, Rn. 559 f., 563. 39 Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 169, 172. 40 Zacharias, DÖV 2001, S. 454, 458; Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 149 f.; vgl. auch den Sachverhalt des Beschlusses der VK Lüneburg vom 10. 8. 1999, NZBau 2001, S. 51 f. 41 Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 329.
4. Kap.: Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung
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fentlichen Auftrag i. S. von § 99 Abs. 1 GWB.42 Grundsätzlich sind solche Aufträge als Dienstleistungsaufträge gemäß § 99 Abs. 4 GWB einzustufen. Die Abwasserbeseitigung ist im Anhang II Teil A der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie)43 unter der Kategorie 16 und im Anhang I A zum 2. Abschnitt der VOL/A ebenfalls unter der Kategorie 16 ausdrücklich als Dienstleistung genannt.44 Insbesondere bei Betreibermodellen können zu den von dem beauftragten Unternehmen zu erbringenden Dienstleistungen jedoch auch Bauleistungen (Bau neuer Anlagen, Sanierung alter Anlagen) hinzukommen. Es stellt sich dann die Frage, ob es sich bei einem solchen gemischten Auftrag um einen Bauauftrag i. S. von § 99 Abs. 2 GWB oder um einen Dienstleistungsauftrag i. S. von § 99 Abs. 4 GWB handelt.45 Die Zuordnung ist von hoher praktischer Bedeutung, da sich einerseits die für die Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts entscheidenden Schwellenwerte beim Bau- und Dienstleistungsauftrag deutlich unterscheiden und andererseits unterschiedliche Verfahrensvorschriften (VOB/A bei Bauaufträgen und VOL/A bei Dienstleistungsaufträgen) anzuwenden sind. Der Lösung dieser Frage hat sich mittlerweile der Gesetzgeber angenommen. Durch das ÖPP-Beschleunigungsgesetz46 wurde zu § 99 GWB ein neuer Absatz 6 hinzugefügt, der in seinem Satz 2 bestimmt, dass ein öffentlicher Auftrag, der neben Dienstleistungen auch Bauleistungen umfasst, die jedoch im Verhältnis zum Hauptgegenstand Nebenarbeiten sind, als Dienstleistungsauftrag gilt. § 99 Abs. 6 GWB ist angelehnt an die 10. Begründungserwägung der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG. Nach dieser Begründungserwägung rechtfertigt die Tatsache, dass ein Dienstleistungsauftrag auch Bauleistungen umfasst, nicht die Einstufung dieses Vertrages als öffentlicher Bauauftrag, wenn diese Bauleistungen nur Nebenleistungen im Verhältnis zum Hauptgegenstand des Vertrages darstellen und eine mögliche Folge oder eine Ergänzung des Hauptgegenstandes des Vertrages sind. § 99 Abs. 6 GWB entspricht in seinem Grundgedanken der in der Rechtsprechung und Literatur zur Lösung dieser Frage entwickelten sog. Schwerpunkttheorie. Danach entscheidet bei gemischten Verträgen grundsätzlich der wirtschaftliche 42 Dreher, NZBau 2002, S. 245, 254. Zur Beauftragung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen im Rahmen eines Kooperationsmodells bzw. zur Beauftragung kommunaler Unternehmen im Rahmen von Betreiber- oder Betriebsführungsmodellen vgl. allgemein Kapitel 5. 43 Früher Anhang I A der Richtlinie 92/50/EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie). 44 EuGH, Urt. v. 10. 4. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Abwasservertrag Bockhorn und Abfallentsorgung Braunschweig), Slg. 2003, I-3609 Rn. 52, NZBau 2003, S. 393, 395; VK Lüneburg, NZBau 2001, S. 51, 52 für den Betriebsführungsvertrag; Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 329. 45 Vgl. zu diesem Problem bspw. VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 2. 2006, Az. VK 29/05, NZBau 2006, S. 332. 46 Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften vom 8. 7. 2005 (BGBl. I S. 2676).
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2. Teil: Beispiele für die Anwendbarkeit des Vergaberechts
Schwerpunkt darüber, ob es sich um einen Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrag handelt.47 Bei der Abgrenzung von Bau- und Dienstleistungsaufträgen kommt den Bauaufträgen allerdings ein stärkeres Gewicht zu.48 Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt ein öffentlicher Bauauftrag vor, wenn die Bauarbeiten gegenüber dem Hauptgegenstand der Ausschreibung nicht von nur untergeordneter Bedeutung sind.49 Begründet wird diese Rechtsprechung vom EuGH mit einem Verweis auf die 16. Begründungserwägung der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie 92/50/ EWG.50 Demnach muss ein Vertrag, um als öffentlicher Bauauftrag eingeordnet zu werden, die hauptsächliche Errichtung eine Bauwerks zum Inhalt haben. Soweit Bauleistungen lediglich von untergeordneter Bedeutung sind und somit nicht den Inhalt des Vertrages ausmachen, führen sie nicht zur Einordnung des Vertrages als öffentlicher Bauauftrag. Da die 10. Begründungserwägung zur Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG der 16. Begründungserwägung der (abgelösten) Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie 92/50/EWG im Wesentlichen entspricht, ist davon auszugehen, dass der EuGH diese Rechtsprechung auch unter der Geltung der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG beibehalten wird. Bislang ist noch nicht abschließend geklärt, wann Bauarbeiten nur Nebenarbeiten sind bzw. eine untergeordnete Bedeutung für den gesamten Vertrag haben. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Hauptgegenstand des Vertrags im Rahmen einer objektiven Prüfung des Gesamtvorhabens zu bestimmen, auf das sich der Vertrag bezieht. Dabei sei auf die wesentlichen, vorrangigen Verpflichtungen abzustellen, die den Auftrag als solche prägen, und nicht auf Verpflichtungen bloß untergeordneter oder ergänzender Art, die zwingend aus dem eigentlichen Vertragsgegenstand folgen. Der jeweilige Wert der erbrachten Einzelleistungen sei nur ein Kriterium, das neben anderen bei der Bestimmung des Hauptgegenstandes zu berücksichtigen sei.51 Ein Bauauftrag kann jedenfalls noch dann vorliegen, wenn der Wert der Dienstleistungen den Wert der Bauarbeiten übersteigt.52 Insofern ist jedoch die Angabe 47 Knauff, NZBau 2005, S. 443, 444; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 39; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 499. 48 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 39. 49 EuGH, Urt. v. 19. 4. 1994 – Rs. C-331/92 (Gestión Hotelera Internacional SA), Slg. 1994, I-1329, 1351, EuZW 1994, S. 349; EuGH, Urt. v. 21. 2. 2008 – Rs. C-412/04 (Kommission/Italien), noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, NVwZ 2008, S. 397, 398. 50 EuGH, Urt. v. 19. 4. 1994 – Rs. C-331/92 (Gestión Hotelera Internacional SA), Slg. 1994, I-1329, 1351, EuZW 1994, S. 349; EuGH, Urt. v. 21. 2. 2008 – Rs. C-412/04 (Kommission/Italien), noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, NVwZ 2008, S. 397, 398. 51 EuGH, Urt. v. 21. 2. 2008 – Rs. C-412/04 (Kommission/Italien), noch nicht in der öffentlichen Sammlung veröffentlicht, NVwZ 2008, S. 397, 398. 52 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 39; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 501; Endler, NZBau 2002, S. 125, 126.
4. Kap.: Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung
117
einer genauen Prozentzahl, ab der vom Vorliegen eines Bauauftrags auszugehen ist, nicht möglich. Eine Entscheidung dieser Frage ist im Einzelfall anhand der konkreten Umstände vorzunehmen. Soweit der Wert der Bauleistung 40 % oder mehr des Gesamtwerts ausmacht, dürfte jedoch regelmäßig ein Bauauftrag vorliegen.53 3. Ergebnis Auf die Beauftragung privatwirtschaftlicher Unternehmen mit der Erfüllung von Aufgaben der Abwasserbeseitigung ist das Kartellvergaberecht also anwendbar.54
B. Wasserversorgung I. Rechtlicher Rahmen und Marktstrukturen in der Wasserversorgung 1. Rechtlicher Rahmen Die Wasserversorgung ist ebenfalls eine Aufgabe der Daseinsvorsorge, die von den Gemeinden zu erfüllen ist.55 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört die Durchführung der Wasserversorgung „zu den typischen, die Daseinsvorsorge betreffenden Aufgaben der kommunalen Gebietskörperschaften”.56 Die Wasserversorgung ist eine Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden.57 Entsprechend dieser Aufgabenzuweisung an die Gemeinden ist die Wasserversorgung in Deutschland sehr zersplittert. Es gibt ca. 6.000 – 7.000 vorwiegend 53
Vgl. Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 Rn. 39; kritisch dazu Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 501. Andererseits hält der EuGH das Vorliegen eines Dienstleistungsauftrags auch noch für möglich, wenn die Bauleistungen mehr als 50 % des Gesamtwerts ausmachen (vgl. EuGH, Urt. v. 21. 2. 2008 – Rs. C-412/04 (Kommission/Italien), noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, NVwZ 2008, S. 397, 398 (Rn. 51)). 54 EuGH, Urt. v. 10. 4. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Abwasservertrag Bockhorn und Abfallentsorgung Braunschweig), Slg. 2003, I-3609 Rn. 52 f., NZBau 2003, 393, 395; Frenz, ZHR 166, 328 f.; VK Lüneburg, NZBau 2001, S. 51, 52 für den Betriebsführungsvertrag; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, S. 489, 494. 55 Bulling/Finkenbeiner/Eckardt/Kibele, Wassergesetz für Baden-Württemberg, § 43 Rn. 12; Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 318 f.; Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 13, 15; Brüning, Der Private bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, 1997, S. 199; Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 139. 56 BVerfG, JZ 1990, S. 335; vgl. auch BGHZ 91, 84, 86; BGHZ 55, 229, 230; BGHZ 65, 284, 285; BGHZ 93, 358, 363. 57 Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 318 f.; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 199, Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 7, 9, 13, 15; BMWi, Marktöffnung für eine nachhaltige Wasserversorgung, 2001, S. 16 f.; Salzwedel, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 621.
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2. Teil: Beispiele für die Anwendbarkeit des Vergaberechts
kommunale Wasserversorgungsunternehmen, die über 17.000 Wasserwerke betreiben und überwiegend in einem engen räumlichen Umfeld tätig sind. Neben den kommunalen Wasserversorgungsunternehmen bestehen noch Zweckverbände und nichtkommunale, mitgliedschaftlich organisierte Wasserverbände.58 Die Situation in der Wasserversorgung ist geprägt durch kommunale Gebietsmonopole. Diese werden ermöglicht durch den Charakter der Wasserversorgung als Selbstverwaltungsaufgabe, gemeindlich festgelegte Anschluss- und Benutzungszwänge und die im Bereich der Wasserversorgung weiterhin bestehende Möglichkeit, Demarkations-59 und ausschließliche Konzessionsverträge60 abzuschließen (vgl. § 131 Abs. 8 GWB i. V. mit § 103 GWB a. F.).61 Regelmäßig ordnen die Gemeinden durch eine kommunale Satzung einen Anschluss- und Benutzungszwang an, vermöge dessen die Einwohner der Gemeinde verpflichtet sind, sich an die öffentliche Wasserversorgung anzuschließen und diese zu benutzen (vgl. bspw. § 11 Abs. 1 GemO-BW).62 Die Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwanges führt zwangsläufig zu einem kommunalen Gebietsmonopol, da die Versorgung der Bürger durch ein anderes als das kommunale Wasserversorgungsunternehmen hierdurch ausgeschlossen wird.63 58 Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 113 ff., Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 7, BMWi, Marktöffnung für eine nachhaltige Wasserversorgung, 2001, S. 11 ff. 59 Demarkationsverträge sind Verträge zwischen Versorgungsunternehmen oder Verträge zwischen einem Versorgungsunternehmen und einer Gebietskörperschaft, durch die sich ein Vertragsbeteiligter verpflichtet, in einem bestimmten Gebiet eine öffentliche Versorgung über feste Leistungswege mit Wasser zu unterlassen (§ 103 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F.). Durch Demarkationsverträge können die Versorgungsunternehmen ihre jeweiligen Versorgungsgebiete von den Gebieten anderer Versorgungsunternehmen abgrenzen (Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 14; BMWi, Marktöffnung für eine nachhaltige Wasserversorgung, 2001, S. 14; Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 311). 60 Bechtold, GWB, 1999, vor § 28 Rn. 9, 10, 14, § 131 Rn. 8; Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 9, 13 f.; BMWi, Marktöffnung für eine nachhaltige Wasserversorgung, 2001, S. 14; Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 311; zu den Konzessionsverträgen vgl. unten B. I. 2. b). 61 Die Wasserversorgung ist von zentralen Vorschriften des Wettbewerbsrechts, insbesondere den horizontalen und vertikalen Kartellverboten, freigestellt, da gemäß § 131 Abs. 8 GWB vor allem § 103 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Februar 1990 fortgilt. Wettbewerbsrechtlich erlaubt sind somit sowohl Demarkations- als auch ausschließliche Konzessionsverträge, die verhindern, dass andere Versorgungsunternehmen in dem Gebiet tätig werden können, in dem das durch Demarkations- und Konzessionsverträge geschützte Versorgungsunternehmen tätig ist (Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 311 ff.; Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 9 f., 13 ff., 20; BMWi, Marktöffnung für eine nachhaltige Wasserversorgung, 2001, S. 14 f.; Salzwedel, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 625, 629 ff., 631 f.). 62 Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 115, 133. 63 Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 312.
4. Kap.: Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung
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2. Organisation der Wasserversorgung Die lebenswichtige Bedeutung der Wasserversorgung verpflichtet die Gemeinden, diese Aufgabe entweder selbst durchzuführen oder für deren Durchführung zu sorgen.64 Auch in Bundesländern, in denen die Wasserversorgung eine freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden darstellt,65 kann aufgrund der herausragenden Bedeutung der Wasserversorgung von einer „faktischen Pflichtigkeit“ ausgegangen werden.66 Die Gemeinden sind jedoch nicht dazu verpflichtet, die Wasserversorgung selbst durchzuführen. Sie können die Aufgaben mit eigenen Kräften erledigen oder private Unternehmen mit der Durchführung beauftragen.67 Aus dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und der daraus fließenden Organisationshoheit über die örtliche Wasserversorgung ergibt sich das Recht der Gemeinden auf die freie Wahl der Wasserversorgungsstruktur.68 Die Gemeinden können also nicht selbständig über das „Ob“, jedoch über das „Wie“ der Aufgabenerfüllung entscheiden.69 Grundsätzlich kommen zwei Organisationstypen in Betracht: Aufgabenwahrnehmung durch ein eigenes Versorgungsunternehmen der Gemeinde (sog. Eigenversorgung) oder Übertragung der Aufgabendurchführung auf ein privatwirtschaftliches Unternehmen (sog. Fremdversorgung).70
64 Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 199; Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 319. 65 Nach den Wassergesetzen von Hessen und Rheinland-Pfalz sowie der ostdeutschen Bundesländer handelt es sich bei der Wasserversorgung um eine Pflichtaufgabe, in den übrigen Bundesländern stellt die Wasserversorgung eine freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe dar, da auf eine spezialgesetzliche Ausgestaltung als Pflichtaufgabe verzichtet wurde (vgl. Frenz, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 114 mit den entsprechenden Nachweisen; Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 144 ff. m. w. N.). 66 Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 147. Da für die Versorgung der Gemeindeeinwohner ein „schlechthin unabweisbares Bedürfnis“ besteht, zieht das VG Freiburg eine „unabdingbare Pflicht der Gemeinde, die Wasserversorgung ihrer Einwohner zu übernehmen“ in Erwägung. Mangels Entscheidungserheblichkeit lässt es jedoch dann die Frage, ob die Wasserversorgung auch in Baden-Württemberg trotz des Fehlens einer spezialgesetzlichen Aufgabenzuweisung eine Pflichtaufgabe sein könnte, offen (VG Freiburg, VBlBW 1996, S. 438). 67 Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 9, 13; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 199. 68 BMWi, Marktöffnung für eine nachhaltige Wasserversorgung, 2001, S. 16 f.; Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 13, 15. 69 Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 13, 15. 70 Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 203; Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 114 f.
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2. Teil: Beispiele für die Anwendbarkeit des Vergaberechts
In den letzten Jahren wurden durch die Gemeinden verstärkt private Dritte in die Wasserversorgung in Form von Minderheitsbeteiligungen oder von zeitlich befristeten Betreiberverträgen einbezogen.71 Die Gemeinde muss sich hierbei ausreichende Kontroll- und Eingriffsrechte vorbehalten, um eine ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgabe der Wasserversorgung durch das private Unternehmen zu gewährleisten. Ausreichende Einflussmöglichkeiten erhält sich die Gemeinde entweder durch vertragliche Vereinbarungen oder im Wege einer mehrheitlichen Beteiligung bei der Gründung von gemischtwirtschaftlichen Gesellschaften.72 a) Eigenversorgung Das gemeindliche Versorgungsunternehmen, das die Wasserversorgung betreibt, kann sowohl ein Regie- oder Eigenbetrieb der Gemeinde als auch eine Eigengesellschaft in privatrechtlicher Form sein.73 Im Falle der Eigenversorgung durch eine Eigengesellschaft wird zwischen der Gemeinde und der Eigengesellschaft ein Konzessionsvertrag abgeschlossen, der der Eigengesellschaft die Benutzung der Gemeindestraßen erlaubt und die Versorgungspflicht festlegt.74 Private Unternehmen können an der Aufgabenerfüllung beteiligt werden. Auch im Bereich der Wasserversorgung ist es möglich, dass sich die Gemeinden bei der Erfüllung dieser Aufgabe Dritter bedienen.75 In den Bundesländern, in denen die Wasserversorgung eine Pflichtaufgabe der Gemeinden darstellt, ist dies jeweils gesetzlich geregelt (Bsp.: § 54 Abs. 2 Hessisches WG, § 46 WG Rheinland-Pfalz, § 43 WG Mecklenburg-Vorpommern, § 57 Sächsisches WG, § 146 WG SachsenAnhalt, § 61 Thüringisches WG), in den Bundesländern, in denen die Wasserversorgung eine freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe ist, ist eine solche gesetzliche Regelung nicht erforderlich.76 Die in der Praxis wichtigsten Modelle der Beteiligung Dritter an der Aufgabenerfüllung sind das Betriebsführungs-, das Betreiber- und das Kooperationsmodell. Die eigentliche Aufgabenträgerschaft verbleibt in diesen Modellen jeweils bei der Gemeinde. Sie handelt unverändert im Außenverhältnis und bleibt sowohl zur Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs als auch zur Gebührenerhebung befugt. Das private Unternehmen wird als Verwaltungshelfer tätig, dessen Handeln 71
BMWi, Marktöffnung für eine nachhaltige Wasserversorgung, 2001, S. 11. Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 319; Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 16. 73 Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 203; Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 18. 74 Ludwig/Schauwecker, in: Püttner (Hrsg.), HKWP, 1984, S. 282. 75 Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 115; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 203. 76 Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 145. 72
4. Kap.: Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung
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durch die Gemeinde reguliert wird.77 Beim Betriebsführungsmodell bleibt das Anlageeigentum und die Investitionsverantwortung bei der Gemeinde, die Betriebsverantwortung wird auf den privaten Partner übertragen.78 Beim Betreibermodell beauftragt die Kommune ein privates Unternehmen (Betreiber) mit der Planung und Finanzierung, dem Bau und dem anschließenden Betrieb von Anlagen der Wasserversorgung auf Grundstücken der Kommune, die diese im Wege des Verkaufs oder der Erbpacht auf das Unternehmen überträgt. Gegebenenfalls übernimmt der Betreiber daneben noch den Betrieb weiterer Anlagen der Wasserversorgung bzw. den Betrieb der Wasserversorgung insgesamt (zu den Einzelheiten dieser Modelle vgl. oben A. I. 2.).79 b) Fremdversorgung Bei der Fremdversorgung wird die Aufgabendurchführung durch Abschluss eines Konzessionsvertrags auf ein privatwirtschaftliches oder gemischtwirtschaftliches80 Unternehmen übertragen.81 Die eigentlichen Versorgungsaufgaben werden durch dieses Unternehmen erfüllt,82 es tritt – im Gegensatz zum Betriebsführungs- oder Betreibermodell – mit den Einwohnern der Gemeinde als Abnehmer des Trinkwassers in direkte Rechts- und Entgeltbeziehungen. Das Versorgungsunternehmen handelt im eigenen Namen und auf eigene Rechnung.83 77 Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 126; Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 148. 78 Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 310; Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 16; Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 148. 79 Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 148 f.; Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 310; Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 16; Dreher, NZBau 2002, S. 245, 253. 80 Diese Konstellation soll an dieser Stelle genannt werden, auch wenn sie sich in der hier vorgenommenen Systematisierung nicht eindeutig zuordnen lässt, da sie zwischen Eigen- und Fremdversorgung schwebt. Vergaberechtlich unterfallen jedoch der Abschluss eines Konzessionsvertrages mit einem privatwirtschaftlichen Unternehmen und mit einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen denselben Regeln, da nach der Rechtsprechung des EuGH eine Vergabe an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen kein vergaberechtsfreies In-HouseGeschäft darstellt (vgl. hierzu Kapitel 5 D. II.). 81 Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 203, 206; Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 115. Zu der umstrittenen Frage, ob dies auch im Bereich der Abwasserbeseitigung zulässig ist vgl. Dierkes, ZfW 2004, S. 201, 209 ff.; Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 33 ff.; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, S. 489 ff. 82 Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 203, 206; Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 115. 83 Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 116; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 206; Umweltbundesamt, Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, S. 18; Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 150; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, S. 489.
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2. Teil: Beispiele für die Anwendbarkeit des Vergaberechts
Das privat- oder gemischtwirtschaftliche Unternehmen wird auf der Grundlage eines Konzessionsvertrages tätig, welcher die privatrechtliche Befugnis zur Benutzung des öffentlichen Straßenraumes vermittelt (vgl. § 8 Abs. 10 FStrG84 und [z. B.] § 21 Abs. 1 StrG-BW85).86 Der Konzessionsvertrag gestattet es dem Versorgungsunternehmen einerseits, die öffentlichen Verkehrswege zum Zwecke der Wasserversorgung zu benutzen,87 andererseits verpflichtet sich das Versorgungsunternehmen im Konzessionsvertrag dazu, alle Gemeindeeinwohner zu gleichen Bedingungen mit Trinkwasser zu versorgen.88 Legitimiert durch § 103 Abs. 1 GWB a. F. (i. V. mit § 131 Abs. 8 GWB) verpflichten sich die Gemeinden im Konzessionsvertrag in der Regel zum Verzicht auf ein eigenes Tätigwerden und vor allem zur exklusiven Einräumung des Versorgungsrechts.89 Wenn die Gemeinden (wie zumeist beabsichtigt) die Wasserversorgung zur öffentlichen Einrichtung widmen und daran anknüpfend einen Anschluss- und Benutzungszwang anordnen wollen, so müssen sie sich in dem Konzessionsvertrag ausreichende Kontroll- und Einwirkungsrechte vorbehalten, da die Anordnung eines solchen Anschluss- und Benutzungszwanges voraussetzt, dass die Gemeinden maßgeblichen Einfluss auf das Unternehmen ausüben können, das die Wasserversorgung aufgrund des Konzessionsvertrages durchführt.90
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Bundesfernstraßengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 1994, BGBl. I, S. 854. 85 Straßengesetz für Baden-Württemberg in der Fassung vom 11. Mai 1992, GBl. S. 330. 86 Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 115, 133; Brüning, Der Private bei der Erfüllung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 208. § 103 Abs. 1 Ziff. 2 GWB a. F. definiert Konzessionsverträge als Verträge zwischen Versorgungsunternehmen und Gemeinden, in denen sich die Gemeinde verpflichtet, die Verlegung und den Betrieb von Leitungen unter öffentlichen Wegen für eine bestehende oder beabsichtigte unmittelbare Versorgung von Letztverbrauchern mit Wasser ausschließlich einem Versorgungsunternehmen zu gestatten (§ 103 Abs. 1 Ziff. 2 GWB a. F.). 87 Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 115, 133; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 208. 88 Jennert, N&R 2004, S. 109, 111; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 209; Ludwig/Schauwecker, in: Püttner (Hrsg.), HKWP, 1984, S. 282. 89 Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 116, 134; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 209. 90 Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, S. 222 ff.; Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 50 ff.; BMWi, Marktöffnung für eine nachhaltige Wasserversorgung, 2001, S. 17; vgl. auch BVerwG, NVwZ 2005, S. 963; Bohne/ Heinbuch, NVwZ 2006, S. 489, 492.
4. Kap.: Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung
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II. Anwendbarkeit des Vergaberechts bei Eigenversorgung91 Im Falle der Eigenversorgung einer Gemeinde stellt sich die Frage der Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts u. a. dann, wenn privatwirtschaftliche Unternehmen mit der Erbringung von Durchführungsleistungen beauftragt werden (Betriebsführungs-, Betreibervertrag).92 Nach der von Frenz vertretenen Ansicht unterliegt die Wasserversorgung nach § 103 GWB a. F. kartellrechtlichen Sonderregeln und damit generell nicht der Ausschreibungspflicht.93 § 103 GWB a. F., der gemäß § 131 Abs. 8 GWB weiterhin Anwendung findet, stellt einzelne Verträge im Bereich der Wasserversorgung von der Anwendung von bestimmten Vorschriften des GWB (insbesondere dem vertikalen und horizontalen Kartellverbot) frei. Die §§ 97 ff. GWB sind in § 103 a. F. jedoch nicht genannt, weshalb eine generelle Unanwendbarkeit des Kartellvergaberechts im Bereich der Wasserversorgung nicht mit der Fortgeltung von § 103 GWB a. F. begründet werden kann. Der persönliche Anwendungsbereich des Vergaberechts ist eröffnet. Die Gemeinden sind als Gebietskörperschaften öffentliche Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 1 GWB. Durch Gemeinden gebildete Zweckverbände sind öffentliche Auftraggeber i. S. von § 98 Nr. 3 GWB. Bei Betreiber- und Betriebsführungsverträgen handelt es sich auch um öffentliche Aufträge i. S. von § 99 Abs. 1 GWB. Die Erledigung von Aufgaben der Wasserversorgung im Rahmen von Betriebsführungs- oder Betreiberverträgen stellt eine Dienstleistung i. S. von § 99 Abs. 4 GWB dar.94 Bei der Wasserversorgung handelt es sich um eine sogenannte nachrangige Dienstleistung i. S. des Art. 21 der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie). Die Wasserversorgung ist in Anhang II Teil A zur Richtlinie 2004/18/EG (und dementsprechend auch in Anhang I Teil A des 2. Abschnitts der VOL/A) nicht genannt. Im Anhang II Teil B der Richtlinie 2004/18/EG (ebenso wie im Anhang I Teil B des 2. Abschnitts der VOL/A) 91
Zu der Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf Konzessionsverträge, mit denen die Durchführung der Wasserversorgung auf ein privat- oder gemischtwirtschaftliches Unternehmen übertragen wird (Fremdversorgung) vgl. Jennert, N&R 2004, S. 108, Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 77; Dierkes, ZfW 2004, S. 201, 205; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, S. 49, 494. Die Anwendbarkeit des Vergaberechts hängt entscheidend davon ab, ob es sich bei diesen Konzessionsverträgen um Dienstleistungskonzessionen oder öffentliche Aufträge i. S. von § 99 Abs. 1 GWB handelt. 92 Betriebsführungs- und Betreiberverträge können auch mit einer kommunalen Eigengesellschaft bzw. einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft, an der die Gemeinde beteiligt ist, geschlossen werden (vgl. Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 134 ff.). Mit kommunalen Eigengesellschaften können auch Konzessionsverträge geschlossen werden. Zur Anwendbarkeit des Vergaberechts bei der Beauftragung von eigen- und gemischtwirtschaftlichen Unternehmen vgl. allgemein Kapitel 5. 93 Frenz, ZHR 166 (2002), S. 307, 328. 94 VK Lüneburg, NZBau 2001, S. 51, 52 für den Betriebsführungsvertrag; Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 128.
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2. Teil: Beispiele für die Anwendbarkeit des Vergaberechts
ist die Wasserversorgung ebenfalls nicht ausdrücklich genannt, sie kann jedoch den „Sonstigen Dienstleistungen“ des Anhangs II Teil B (Kategorie 27) zugeordnet werden. Gemäß Art. 21 der Richtlinie 2004/18/EG sind nur Art. 23 (Technische Spezifikationen) und Art. 35 Abs. 4 (Nachträgliche Bekanntmachung der Ergebnisse des Vergabeverfahrens) auf Dienstleistungsaufträge, die nachrangige Dienstleistungen zum Gegenstand haben, anwendbar. Ein offenes Verfahren muss nach der Richtlinie 2004/18/EG nicht durchgeführt werden. Allerdings sieht § 1a Abschnitt 2 VOL/A (der gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 VgV anwendbar ist) die Anwendung der Basisparagrafen des Abschnitts 2 der VOL/A und damit grundsätzlich die Durchführung einer nationalen öffentlichen Ausschreibung vor. Haben bei einem Betreibervertrag die zu erbringenden Bauleistungen im Verhältnis zu den Dienstleistungen nicht nur eine untergeordnete Bedeutung, handelt es sich um einen Bauauftrag i. S. von § 99 Abs. 3 GWB.95 Wenn sich die Gemeinden dazu entschließen, die Durchführung von Aufgaben der Wasserversorgung im Wege eines Betriebsführungs- oder Betreibervertrages auf privatwirtschaftliche Unternehmen zu übertragen, haben sie also die §§ 97 ff. GWB zu beachten.96
95
Vgl. oben A. II. 2. Burgi, in: Hendler (Hrsg.), Umweltschutz, Wirtschaft und kommunale Selbstverwaltung, 2001, S. 128 (Fn. 91); VK Lüneburg, NZBau 2001, S. 51, 52 für den Betriebsführungsvertrag; Dreher, NZBau 2002, S. 245, 254; Fischer/Zwetkow, ZfW 2003, S. 129, 151. 96
3. Teil
Unanwendbarkeit des Vergaberechts Auch im Wege einer In-House-Vergabe (bspw. Beauftragung einer kommunalen Eigengesellschaft) oder einer Dienstleistungskonzession können Unternehmen mit der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge beauftragt werden. Die Gemeinsamkeit zwischen diesen beiden Konstellationen besteht darin, dass das Kartellvergaberecht (§§ 99 ff. GWB) weder auf eine In-House-Vergabe noch auf die Vergabe einer Dienstleistungskonzession anwendbar ist. Im 3. Teil sollen deshalb sektorübergreifend für die In-House-Vergabe (Kapitel 5) und die Dienstleistungskonzession (Kapitel 6) die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen und die unterschiedlichen Gründe für die Nichtanwendbarkeit des Kartellvergaberechts erläutert werden. 5. Kapitel
In-House-Vergabe Häufig werden von staatlichen Stellen und Kommunen Eigenbetriebe oder privatrechtliche Unternehmen, an denen die öffentliche Hand entweder allein- oder zumindest mitbeteiligt ist (Eigen- bzw. gemischtwirtschaftliche Gesellschaften), mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge (bspw. der Abfallentsorgung) beauftragt. Eine Kommune kann sich auch dazu entschließen, eine öffentliche Aufgabe in Zukunft wieder selbst durch einen Eigenbetrieb oder eine Eigengesellschaft zu erfüllen, nachdem in der Vergangenheit ein privatwirtschaftliches Unternehmen mit der Erfüllung der Aufgabe beauftragt war (sog. Rekommunalisierung).1 In diesen Fällen stellt sich die Frage der Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts. Da die Beauftragung durch eine Gebietskörperschaft und somit durch einen öffentlichen Auftraggeber i. S. des § 98 Nr. 1 GWB erfolgt, ist der persönliche Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts eröffnet. Entscheidend kommt es also darauf an, ob ein öffentlicher Auftrag i. S. von § 99 Abs. 1 GWB vorliegt.2 1
Vgl. z. B. OLG Düsseldorf, NZBau 2004, S. 58. Die vorliegende Arbeit erörtert lediglich Fragen, die mit der Beauftragung von bereits gegründeten Eigengesellschaften bzw. gemischtwirtschaftlichen Gesellschaften durch kommunale Gebietskörperschaften zusammenhängen. Nicht erörtert werden vergaberechtliche Fragen, die sich bei der Gründung von Eigen- oder gemischtwirtschaftlichen Gesellschaften 2
126
3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
A. Grundvoraussetzung: Vorliegen eines öffentlichen Auftrags § 99 Abs. 1 GWB definiert öffentliche Aufträge als entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen.3 Grundvoraussetzung für das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags ist der Abschluss eines Vertrages zwischen zwei verschiedenen Rechtsträgern. Öffentlicher Auftraggeber und Auftragnehmer müssen zwei verschiedene Personen sein.4 Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist es andererseits für das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags grundsätzlich unbeachtlich, ob der öffentliche Auftraggeber selbst an dem beauftragten Unternehmen beteiligt ist.
B. Beauftragung eines Eigen- oder Regiebetriebs Wenn eine kommunale Gebietskörperschaft Leistungen der Daseinsvorsorge mit ihren eigenen administrativen und technischen Mitteln aus ihrer eigenen Verwaltung heraus erbringt, indem sie entweder eine eigene Verwaltungsabteilung oder einen Regie- oder Eigenbetrieb mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge betraut, so ist das Kartellvergaberecht mangels Vorliegens eines öffentlichen Auftrags nicht anwendbar.5 Regiebetriebe sind in die Gemeindeverwaltung eingegliederte, durch diese mitverwaltete rechtlich, organisatorisch, personell, haushalts- und rechnungstechnisch unselbständige wirtschaftliche Unternehmen der Gemeinde.6 Auch Eigenbetriebe verfügen über keine eigene Rechtspersönlichkeit, sondern sind Teil der Verwaltung. Ihre Handlungen werden rechtlich ausschließlich der Trägergemeinde zugerechnet. In organisatorischer und finanzwirtschaftlicher Hinsicht sind Eigenbetriebe – im Gegensatz zu Regiebetrieben – von der Trägergemeinde jedoch getrennt.7
(ggf. unter Verbindung mit der gleichzeitigen Beauftragung der gegründeten Gesellschaft) und dem Verkauf von Anteilen an Eigengesellschaften (ggf. unter Verbindung mit der gleichzeitigen oder zuvor erfolgten Beauftragung der Gesellschaft) stellen. Zu diesen Fragen, die vorwiegend dem Themenkreis der Privatisierung zuzuordnen sind, vgl. Krutisch, NZBau 2003, S. 650; Hertel/Recktenwald, NZBau 2001, S. 538; Wellmann, NZBau 2002, S. 431; VK Düsseldorf, NZBau 2001, S. 46; Dreher, NZBau 2002, S. 245, 247 ff. Ebenfalls unerörtert bleiben soll die Frage der Anwendung der Grundsätze des In-House-Geschäfts auf die Auftragsvergabe zwischen Schwestergesellschaften der öffentlichen Hand (vgl. dazu Dreher, NZBau 2004, S. 14, 18 ff.). 3 Vgl. Kapitel 1 B. II. 2. 4 EuGH, Urt. v. 18. 11. 1999, Rs. C-107/98 (Teckal), Slg. 1999, I-8139, 8154, NZBau 2000, S. 90, 91; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 5a + 5b; Burgi, NZBau 2005, S. 208, 209. 5 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 48, NZBau 2005, S. 111, 115. 6 Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2003, Rn. 747. 7 Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2003, Rn. 741.
5. Kap.: In-House-Vergabe
127
Da im Falle der Betrauung einer eigenen Verwaltungsabteilung oder eines Eigenoder Regiebetriebs nur eine juristische Person beteiligt ist und deshalb zwischen dem „Auftraggeber“ und dem „Auftragnehmer“ Personenidentität besteht, kommt es nicht zum Abschluss eines Vertrages. Ein öffentlicher Auftrag setzt jedoch den Abschluss eines Vertrages voraus.8 Da der öffentliche Auftraggeber seine interne Verwaltungsorganisation nicht verlässt, um Leistungen am Markt einzukaufen, scheidet die Anwendbarkeit des Vergaberechts von vorne herein aus.9
C. Beauftragung einer Eigengesellschaft/ gemischt-öffentlichen Gesellschaft Bei der Beauftragung von Eigengesellschaften oder gemischt-öffentlichen Gesellschaften ist die Voraussetzung der Personenverschiedenheit von Auftraggeber und Auftragnehmer erfüllt. Eine Eigengesellschaft wird beauftragt, wenn der öffentliche Auftraggeber (bspw. eine kommunale Gebietskörperschaft) eine privatrechtliche Gesellschaft beauftragt, an der er sämtliche Gesellschaftsanteile hält. Bei der Beauftragung einer gemischt-öffentlichen Gesellschaft werden die Gesellschaftsanteile an der beauftragten privatrechtlichen Gesellschaft von dem öffentlichen Auftraggeber und von anderen öffentlichen Anteilseignern (bspw. kommunalen Gebietskörperschaften), nicht jedoch von privatwirtschaftlichen Anteilseignern gehalten. I. Voraussetzungen für eine In-House-Vergabe 1. Teckal-Entscheidung des EuGH Die Leitentscheidung zu Fragen der In-House-Vergabe ist das Urteil des EuGH vom 18. 11. 1999 in der Rechtssache „Teckal“.10 Dem Urteil lag als Sachverhalt die Beauftragung eines aus mehreren Gemeinden bestehenden Konsortiums, dem die beauftragende Gemeinde selbst angehörte, mit dem Betrieb von Heizungsanlagen in bestimmten öffentlichen Gebäuden zugrunde. Gegenstand des Teckal-Urteils war die Frage der Anwendbarkeit der Richtlinie 93/36/EWG des Rats vom 14. 6. 1993 (Lieferkoordinierungsrichtlinie).
8 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 5b; EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005, Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 48, NZBau 2005, S. 111, 115; Dreher, NZBau 2001, S. 360, 361; Burgi, NZBau 2005, S. 208, 209; vgl. auch EuGH, Urt. v. 19. 4. 2007 – Rs. C-295/05 (Asfemo), Slg. 2007, I-2999 Rn. 49 ff., NZBau 2007, S. 381, 385. 9 Zeiss, in: Heiermann/Zeiss/Kullack/Blaufuß, juris Praxiskommentar Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 34 f.; Hailbronner, in: Byok/Jaeger (Hrsg.), Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 440. 10 EuGH, Urt. v. 18. 11. 1999 – Rs. C-107/98 (Teckal), Slg. 1999, I-8139, NZBau 2001, S. 90.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
Der EuGH hat in diesem Urteil entschieden, dass die Lieferkoordinierungsrichtlinie grundsätzlich dann anwendbar sei, wenn ein Vertrag zwischen einer Gebietskörperschaft und einer rechtlich von dieser verschiedenen Person geschlossen werden soll. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn (1.) die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübe, wie über ihre eigenen Dienststellen und (2.) diese Person zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften, die ihre Anteile innehaben, verrichte.11 Die Lieferkoordinierungsrichtlinie sei deshalb dann anwendbar, wenn eine Gebietskörperschaft beabsichtige, mit einer Einrichtung, die sich formal von ihr unterscheide und die ihr gegenüber eigene Entscheidungsgewalt besitze, einen schriftlichen entgeltlichen Vertrag über die Lieferung von Waren zu schließen.12 In seinen Urteilen vom 7. 12. 200013 und 13. 11. 200514 hat der EuGH bestätigt, dass hinsichtlich der Richtlinie 92/50/EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie) bzw. der Richtlinie 93/37/EWG (Baukoordinierungsrichtlinie) die gleichen Erwägungen gelten. Die im Urteil in der Rechtssache „Teckal“ aufgestellten Kriterien gelten auch im Rahmen der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie), da die in ihr enthaltene Definition des öffentlichen Auftrags (Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG) sich nicht von den Definitionen in den abgelösten Vergaberichtlinien unterscheidet. Was die Frage der In-House-Vergabe betrifft, ist diese Rechtsprechung mittlerweile zur ständigen Rechtsprechung des EuGH geworden15, der sich auch der BGH angeschlossen hat16. In der Teckal-Entscheidung selbst hat der EuGH nicht genauer definiert, was unter der Ausübung einer Kontrolle wie über eigene Dienststellen (Kontrollkriterium) zu verstehen ist und bis zu welchem Punkt von einer Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft, die die Anteile des zu beauftragenden Unternehmens innehat, auszugehen ist (Wesentlichkeitsschwelle). Die Beantwortung dieser Fragen im
11 EuGH, Urt. v. 18. 11. 1999 – Rs. C-107/98 (Teckal), Slg. 1999, I-8139 Rn. 50, NZBau 2001, S. 90, 91. 12 EuGH, Urt. v. 18. 11. 1999 – Rs. C-107/98 (Teckal), Slg. 1999, I-8139 Rn. 51, NZBau 2001, S. 90, 91. 13 EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-94/99 (ARGE Gewässerschutz), Slg. 2000, I-11066, 11080, NZBau 2001, S. 99, 101. 14 EuGH, Urt. v. 13. 1. 2005 – Rs. C-84/03 (Kooperationsvereinbarungen Spanien), Slg. 2005, I-139 Rn. 39, NZBau 2005, S. 232, 233. 15 Vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 49, NZBau 2005, S. 111, 115; EuGH, Urt. v. 13. 1. 2005 – Rs. C-84/03 (Kooperationsvereinbarungen Spanien), I-139 Rn. 38, NZBau 2005, 232, 233; EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 57 ff., NZBau 2005, S. 644, 648 f.; EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 33, NZBau 2006, S. 452, 454; EuGH, Urt. v. 19. 4. 2007 – Rs. C-295/05 (Asfemo), Slg. 2007, I-2999 Rn. 55, NZBau 2007, S. 381, 385. 16 BGH, Beschl. v. 12. 6. 2001 – X ZB 10/01, NZBau 2001, S. 517, 519; vgl. auch OLG Düsseldorf, NZBau 2004, S. 343, 345 m. w. N.
5. Kap.: In-House-Vergabe
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konkreten Einzelfall hat der EuGH dem vorlegenden nationalen Gericht überantwortet.17 2. Begründung für die Vergaberechtsfreiheit Ihre Begründung findet die Unanwendbarkeit des Vergaberechts im Falle von InHouse-Vergaben darin, dass sich die öffentliche Hand in diesen Fallkonstellationen nicht Leistungen am Markt beschafft, sondern lediglich innerhalb der eigenen Organisation nachfragt.18 Es handelt sich um eine Selbsterfüllung einer bestimmten Aufgabe durch eine abhängige juristische Person, nicht um einen Auftrag im Sinne des Vergaberechts.19 Im Anschluss an die Teckal-Rechtsprechung des EuGH haben Literatur20 und Rechtsprechung21 den sogenannten funktionalen Auftragsbegriff entwickelt. Danach ist die Frage, ob ein öffentlicher Auftrag i. S. von § 99 Abs. 1 GWB vorliegt, anhand einer funktionalen Betrachtungsweise zu klären. Ein öffentlicher Auftrag i. S. von § 99 Abs. 1 GWB liegt nur dann vor, wenn eine Gebietskörperschaft auf dem Markt etwas beschafft. Wie die Gebietskörperschaft ihre Aufgabenerfüllung organisiert, steht ihr frei. Sie kann einen Eigenbetrieb mit der Erbringung von Leistungen betrauen oder eine Eigengesellschaft gründen und mit der Erbringung von Leistungen beauftragen. Wenn die Gebietskörperschaft eine Eigengesellschaft beauftragt, die ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft verrichtet, die ihre Anteile innehat, so steht diese Gesellschaft ihrer Funktion nach einer internen Verwaltungsabteilung der Auftraggeberin gleich. Der Sache nach wird kein anderer mit der Erbringung der Dienstleistung beauftragt, die Dienstleistung wird vielmehr von einer Stelle erbracht, die der öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers zuzurechnen ist.22 Da auf die Beauftragung einer internen Verwaltungsabteilung oder eines Eigenbetriebs das Vergaberecht nicht anwendbar ist, muss dies konsequenterweise auch für die Beauftragung einer solchen Eigengesellschaft gelten, auch wenn es sich bei dieser grundsätzlich um ein selbständiges Rechtssubjekt handelt.23 Sachverhalte, die Konstellationen im Wesentlichen gleichstehen, in denen eine interne Verwaltungsabteilung oder ein Eigenbetrieb für die Gebietskörperschaft Leistungen erbringen (und auf deren Beauftragung das 17
Vgl. EuGH, Urt. v. 18. 11. 1999 – Rs. C-107/98 (Teckal), Slg. 1999, I-8139 Rn. 49, NZBau 2001, S. 90, 91. 18 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 5c. 19 Michaels, NZBau 2004, S. 27, 28. 20 Dreher, NZBau 2001, S. 360, 362; Dreher, NZBau 2002, S. 245, 252 f.; Dreher, NZBau 2004, S. 14, 15; Michaels, NZBau 2004, S. 27, 28; Jaeger, NZBau 2001, S. 6, 10 (Fn. 29); Orlowski, NZBau 2007, S. 80; Pape/Holz, NJW 2005, S. 2264. 21 BGH, NZBau 2001, S. 517, 519; OLG Düsseldorf, NZBau 2004, S. 400, 401; BayObLG, NZBau 2002, S. 397, 399. 22 BGH, NZBau 2001, S. 517, 519; BayObLG NZBau 2002, S. 397, 399; Pape/Holz, NJW 2005, S. 2264; Pietzcker, NVwZ 2007, S. 1225, 1229. 23 Dreher, NZBau 2001, S. 360, 362; Dreher, NZBau 2002, S. 245, 252 f.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
Vergaberecht nicht anzuwenden ist), sollen vergaberechtlich nicht unterschiedlich behandelt werden.24 Methodisch liegt in dem funktionalen Auftragsbegriff eine teleologische Reduktion des Auftragsbegriffs des § 99 Abs. 1 GWB.25 Wenn das beauftragte Unternehmen seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft, die seine Anteile innehat, verrichtet, so steht dieser Vorgang (auch wenn das Kontrollkriterium erfüllt ist) nicht einer Beauftragung einer internen Verwaltungsabteilung gleich, sondern es handelt sich hierbei um eine Beschaffung am Markt, durch die der Wettbewerb der auf diesem Markt tätigen Unternehmen betroffen wird.26 Diesen Aspekt betont auch der EuGH, der einen wettbewerbsrechtlich geprägten Begründungsansatz gewählt hat.27 Hauptziel der Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen sei der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen und die Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten. Mit den Voraussetzungen, die in der Teckal-Entscheidung dafür aufgestellt worden sind, dass die Vergaberichtlinien in Fällen der In-HouseVergabe nicht angewendet werden müssen, werde insbesondere das Ziel verfolgt, eine Verfälschung des Wettbewerbs zu vermeiden. Das Erfordernis, dass das beauftragte Unternehmen seine Tätigkeit im Wesentlichen für die Körperschaft verrichten muss, die seine Anteile innehat, solle sicherstellen, dass die Vergaberichtlinien anwendbar bleiben, wenn ein von einer oder mehreren Körperschaften kontrolliertes Unternehmen auf dem Markt tätig sei und daher mit anderen Unternehmen in Wettbewerb treten könne. Erbringe ein von einer oder mehreren Körperschaften kontrolliertes Unternehmen seine Leistungen im Wesentlichen für diese Körperschaft bzw. diese Körperschaften, so bestehe in einem solchen Fall kein Grund mehr für die Anwendung der durch das Anliegen der Bewahrung eines Wettbewerbs diktierten Vergaberichtlinien.28 3. Betonung des Ausnahmecharakters durch den EuGH Der EuGH hat in mehreren auf das Teckal-Urteil folgenden Entscheidungen betont, dass diese beiden Voraussetzungen einer In-House-Vergabe als Ausnahme von den Vorschriften, die die Wirksamkeit der durch den EG-Vertrag im Bereich der öffentlichen Dienstleistungsaufträge eingeräumten Rechte gewährleisten sollen, eng auszulegen seien. Die Beweislast dafür, dass die außergewöhnlichen Umstände, die 24
Dreher, NZBau 2004, S. 14, 15. Dreher, NZBau 2004, S. 14, 15; Dreher, NZBau 2001, S. 360, 362; Hausmann/Bultmann, NVwZ 2005, S. 377; GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 23. 9. 2004 in der Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 52. 26 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. 1. 2004, Az. VII-Verg 71/03, NZBau 2004, S. 343, 345; Jennert, NZBau 2006, S. 421, 422. 27 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 58 ff., NZBau 2006, S. 452, 455. 28 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 58 ff., NZBau 2006, S. 452, 455. 25
5. Kap.: In-House-Vergabe
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die Ausnahme rechtfertigen, tatsächlich vorliegen, obliege demjenigen, der sich auf sie berufen wolle.29 Das Hauptziel der Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen sei der freie Dienstleistungsverkehr innerhalb der Gemeinschaft und die Öffnung der öffentlichen Auftragsmärkte für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten. Um dieses Ziel zu erreichen, sei jede Ausnahme vom Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien eng auszulegen.30 Dem entsprechend sind die zur Auslegung der Teckal-Kriterien ergangenen Entscheidungen des EuGH von einer sehr restrektiven Tendenz geprägt. II. Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle Ausgangspunkt für die Untersuchung der an die Erfüllung des Kontrollkriteriums zu stellenden Anforderungen sollen die zentralen bisher hierzu ergangenen Entscheidungen des EuGH sein. 1. Das Parking Brixen-Urteil des EuGH Dem Urteil des EuGH vom 13. 10. 2005 in der Rechtssache „Parking Brixen“31 lag als Sachverhalt zugrunde, dass die italienische Gemeinde Brixen die Stadtwerke Brixen AG (eine Aktiengesellschaft nach italienischem Recht) mit dem Betrieb von öffentlichen Parkplätzen ohne vorherige öffentliche Ausschreibung beauftragt hatte. Die Stadtwerke Brixen waren ursprünglich ein Sonderbetrieb der Gemeinde Brixen gewesen, der in eine „Stadtwerke Brixen AG“ genannte Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, deren Kapital allein durch die Gemeinde Brixen gehalten wurde. Die Stadtwerke Brixen AG hatte alle Tätigkeiten des Sonderbetriebs Stadtwerke Brixen (insbesondere Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Energieversorgung, Abfallentsorgung, Straßenbau) übernommen, ihre Tätigkeit jedoch auch auf neue Geschäftsfelder wie die des Personen- und Gütertransports, der Informatik und der Telekommunikation ausgedehnt. Der geografische Tätigkeitsbereich der Stadtwerke Brixen AG war im Gegensatz zum Sonderbetrieb nicht auf das Gebiet der Kommune beschränkt, die Stadtwerke Brixen AG durfte vielmehr national und international tätig werden. Dem Verwaltungsrat der Stadtwerke Brixen AG waren sehr weitgehende Vollmachten eingeräumt worden. Ihm standen alle Vollmachten der ordentlichen Verwaltung der Gesellschaft zu, mit der Befugnis, alle Handlungen vorzunehmen, welche er zur Erreichung des Gesellschaftszwecks für erforderlich erachtet. Der An- und Verkauf von Beteiligungen anderer Gesellschaften, anderer Betriebe 29 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 46, NZBau 2005, S. 111, 114; EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 63, NZBau 2005, S. 644, 649; ebenso Dreher, NZBau 2001, S. 360, 362. 30 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 44, NZBau 2005, S. 111, 114. 31 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612, NZBau 2005, S. 644.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
oder Betriebszweige oder von Fahrzeugen bis zu einem Wert von 5 Millionen Euro galten als Handlungen der ordentlichen Geschäftsführung. Das Kapital der Stadtwerke Brixen AG wurde zwar zur Zeit der Beauftragung und auch zur Zeit der Entscheidung des EuGH noch zu 100 % durch die Gemeinde Brixen gehalten, die baldige Öffnung der Gesellschaft für Fremdkapital war jedoch gesetzlich vorgeschrieben. Allerdings darf nach der Satzung die Beteiligung der Gemeinde Brixen am Stammkapital in keinem Fall die absolute Mehrheit der Stammaktien unterschreiten. Außerdem hat die Gemeinde Brixen das Recht, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungsrats der Stadtwerke Brixen AG zu ernennen.32 In seinem Urteil vom 13. 10. 2005 kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Gemeinde Brixen über die beauftragte Stadtwerke Brixen AG keine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausüben könne, obwohl die Gemeinde Brixen 100 % der Anteile an der Stadtwerke Brixen AG hielt. Bei der Beurteilung, ob eine Kontrolle wie über eigene Dienststellen ausgeübt werden kann, seien alle Rechtsvorschriften und maßgebenden Umstände zu berücksichtigen. Das Ergebnis dieser Prüfung müsse sein, dass der Auftragnehmer einer Kontrolle unterworfen ist, die es dem öffentlichen Auftraggeber ermögliche, auf dessen Entscheidungen einzuwirken. „Es muss sich dabei um die Möglichkeit handeln, sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen“.33 Dies sei im entschiedenen Fall nicht gegeben, da die Stadtwerke Brixen AG ein Maß an Selbständigkeit erreicht habe, das ausschließe, dass die Gemeinde Brixen eine Kontrolle über die Stadtwerke Brixen AG wie über eine eigene Dienststelle ausüben könne.34 Die Stadtwerke Brixen AG habe eine Marktausrichtung erreicht, die eine Kontrolle durch die Gemeinde schwierig mache. Außerdem verfüge sie wegen der dem Verwaltungsrat eingeräumten Vollmachten gegenüber ihrer Anteilseignerin über eine weitreichende Selbständigkeit. Als Argumente für die starke Marktausrichtung führt der EuGH die Rechtsform der Gesellschaft (Aktiengesellschaft) und die Natur dieser Gesellschaftsform, die Ausweitung des Gesellschaftszwecks und des geografischen Tätigkeitsbereichs, die vorgeschriebene Öffnung der Gesellschaft für Fremdkapital und die dem Verwaltungsrat eingeräumten weitrei32 Vgl. zum Sachverhalt EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 12 ff., NZBau 2005, S. 644, 645 f., 649. 33 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 65, NZBau 2005, S. 644, 649; EuGH, Urt. V. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 36, NZBau 2006, S. 452, 454. Einen durch den Gesellschaftsvertrag und das Gesellschaftsrecht vermittelten umfassenden Einfluss des öffentlichen Auftraggebers auf die beauftragte Gesellschaft forderten bereits Dreher, NZBau 2001, S. 360, 363; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 5c; BayObLG, NZBau 2002, S. 397, 399. 34 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 70, NZBau 2005, S. 644, 649.
5. Kap.: In-House-Vergabe
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chenden Vollmachten, die praktisch ohne Kontrolle durch die Gemeinde ausgeübt werden, an. Insbesondere aus den eingeräumten weitreichenden Vollmachten schließt der EuGH, dass die Stadtwerke Brixen AG gegenüber ihrer Anteilseignerin, der Gemeinde Brixen, über eine weitgehende Selbständigkeit verfüge.35 Der EuGH geht von einer die Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausschießenden Selbständigkeit aus, obwohl die Gemeinde Brixen das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungsrats der Stadtwerke Brixen AG zu ernennen. Die auf die Stadtwerke Brixen AG ausgeübte Kontrolle sei im Wesentlichen auf jene Maßnahmen beschränkt, die das Gesellschaftsrecht der Mehrheit der Gesellschafter einräume, was die Abhängigkeit der Stadtwerke Brixen AG von der Gemeinde Brixen angesichts der dem Verwaltungsrat eingeräumten weitreichenden Befugnisse wesentlich vermindere.36 2. Das Carbotermo-Urteil des EuGH Im Gegensatz zum Urteil in der Rechtssache „Parking Brixen“ richtete der EuGH in seinem Urteil vom 11. 5. 2006 in der Rechtssache „Carbotermo“37 seinen Blick hauptsächlich auf die Gesellschaftsform des beauftragten Unternehmens, die satzungsmäßigen bzw. gesellschaftsrechtlichen Rechte der beauftragenden Gebietskörperschaft und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Einflussmöglichkeiten der Gebietskörperschaft auf den Auftragnehmer.38 Die italienische Gemeinde Busto Arsizio hatte einen Auftrag über die Lieferung von Brennstoffen und die Wartung von Heizungsanlagen in den Gebäuden dieser Gemeinde ohne öffentliche Ausschreibung direkt an die AGESP SpA (eine Aktiengesellschaft nach italienischem Recht) vergeben. Das Kapital der AGESP SpA wurde zu 100 % von der AGESP Holding SpA (ebenfalls eine Aktiengesellschaft nach italienischem Recht) gehalten. Das Grundkapital wiederum der AGESP Holding SpA wurde zu 99,98 % durch die Gemeinde Busto Arsizio gehalten, bei den anderen Aktionären handelte es sich ausschließlich um umliegende Gemeinden. Gesellschaftszweck der AGESP Holding SpA bzw. der AGESP SpA war der Betrieb gemeinnütziger Dienste bzw. die Ausübung von Tätigkeiten im Zusammenhang mit gemeinnützigen Dienstleistungen. Sie werden beide durch einen Verwaltungsrat geleitet.39 35
EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 67 f., NZBau 2005, S. 644, 649. 36 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 69, NZBau 2005, S. 644, 649. 37 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137, NZBau 2006, S. 452. 38 Kritisch deshalb Steinberg, EuZW 2006, S. 378, 379; zustimmend Frenz, NJW 2006, S. 2665, 2667. 39 Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137, NZBau 2006, S. 452 f.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
Der EuGH hat in diesem Fall das Vorliegen einer In-House-Vergabe verneint, da die Gemeinde Busto Arsizio über die AGESP SpA keine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübe.40 Zwar deute der Umstand, dass der öffentliche Auftraggeber allein oder zusammen mit anderen öffentlichen Stellen das gesamte Kapital der auftragnehmenden Gesellschaft halte, darauf hin, dass er über diese Gesellschaft eine Kontrolle wie über seine eigenen Dienststelle ausübe.41 Entscheidend hat der EuGH die von ihm dennoch angenommene fehlende Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle damit begründet, dass den Verwaltungsräten nach den Satzungen der beiden Gesellschaften umfassende Befugnisse zur Leitung der Gesellschaften zukämen. Die von der Gemeinde Busto Arsizio über diese beiden Gesellschaften ausgeübte Kontrolle bestehe im Wesentlichen in dem Umfang, den das Gesellschaftsrecht der Gesellschaftermehrheit einräume, was die Befugnis zur Beeinflussung der Entscheidungen dieser Gesellschaften erheblich beschränke. Eine Kontrollbefugnis oder ein besonderes Stimmrecht, um die den Verwaltungsräten eingeräumte Handlungsfreiheit zu begrenzen, war in den Satzungen nicht vorgesehen. Solche besonderen Einwirkungsmöglichkeiten sind jedoch nach Ansicht des EuGH erforderlich, damit man von einer Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausgehen kann. Die der Gesellschaftermehrheit durch das Gesellschaftsrecht eingeräumten Befugnisse sind nach Ansicht des EuGH nicht ausreichend.42 Dies hatte der EuGH bereits in seinem Urteil in der Rechtssache „Parking Brixen“ – allerdings noch unter Hinweis auf die in dem dortigen Fall zusätzlichen dem Verwaltungsrat eingeräumten weitreichenden Vollmachten – so entschieden.43 Im Gegensatz zum Carbotermo-Urteil hat der EuGH im Parking BrixenUrteil jedoch – neben der Gesellschaftsform und den gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten – noch weitere Kriterien herangezogen, aus denen er auf einen Grad an Marktausrichtung bzw. ein Maß an Selbständigkeit der beauftragten Gesellschaft geschlossen hat, das eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausschließe.44 Klargestellt hat der EuGH, dass das Kontrollkriterium auch dann erfüllt sein kann, wenn an der auftragnehmenden Gesellschaft neben der beauftragenden Gebietskörperschaft noch andere öffentliche Anteilseigner (bspw. kommunale Gebietskörperschaften) – jedoch nur solche – beteiligt sind (gemischt-öffentliche Gesell-
40
EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 36 ff., NZBau 2006, S. 452, 454. 41 So auch EuGH, Urt. v. 19. 4. 2007 – Rs. C-295/05 (Asfemo), Slg. 2007, I-2999 Rn. 57, NZBau 2007, S. 381, 386. 42 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 37 ff., NZBau 2006, S. 452, 454. 43 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 69, NZBau 2005, S. 644, 649. 44 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 67 ff., NZBau 2005, S. 644, 649.
5. Kap.: In-House-Vergabe
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schaft).45 Das Kontrollkriterium kann also auch dann für jeden öffentlichen Anteilseigner unabhängig von der Höhe seiner Beteiligung erfüllt sein, wenn mehrere öffentliche Anteilseigner gemeinsam eine Kontrolle über die beauftragte Gesellschaft ausüben, wie über eine eigene Dienststelle.46 Dass der EuGH diese Sichtweise vertritt, konnte bereits aus der Formulierung des Wesentlichkeitskriteriums im Teckal-Urteil entnommen werden. Demnach muss der Auftragnehmer seine Tätigkeit im Wesentlichen „für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften“ verrichten, die seine Anteile innehaben.47 Da es für die Erfüllung des Kontrollkriteriums lediglich darauf ankommt, dass sämtliche beteiligten öffentlichen Anteilseigner gemeinsam eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausüben, ist auch nicht entscheidend, ob es sich bei dem öffentlichen Anteilseigner, der den Auftrag erteilt, um einen Mehrheits- oder Minderheitsgesellschafter handelt.48 Dementsprechend hat der EuGH in der Rechtssache „Teckal“ das Vorliegen einer In-HouseVergabe nicht ausgeschlossen, obwohl die auftraggebende Gemeinde lediglich 0,9 % der Stimmrechte an dem beauftragten Konsortium innehatte (die übrigen 99,1 % verteilten sich auf andere Gemeinden). Auch ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Gebietskörperschaft über eine Gesellschaft, an der sie nicht direkt beteiligt ist (Tochterunternehmen), sondern an der sie nur über eine eigene Tochtergesellschaft beteiligt ist (Enkelunternehmen), eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt.49 In dem vom EuGH entschiedenen Fall war die Gemeinde Busto Arsizio nicht direkt an der beauftragten AGESP SpA beteiligt, sondern über die AGESP Holding SpA, an der sie wiederum zu 99,98 % beteiligt war. Der EuGH hat entschieden, dass die Einschaltung eines solchen Mittlers je nach den Umständen des Einzelfalles die Kontrolle schwächen könne, die der öffentliche Auftraggeber aufgrund seiner Kapitalbeteiligung möglicherweise über die beauftragte Gesellschaft ausübe.50 Im Umkehrschluss ergibt sich hieraus, dass eine Kontrolle der auftraggebenden Gebietskörperschaft über die Enkelgesellschaft wie über eine eigene Dienststelle nicht ausgeschlossen ist.51 Allerdings kann der Einfluss der Gebietskörperschaft durch eine solche Konstruktion 45
EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 37, 69, NZBau 2006, S. 452, 454, 456; EuGH, Urt. v. 19. 4. 2007 – Rs. C-295/05 (Asfemo), Slg. 2007, I-2999 Rn. 59 ff., NZBau 2007, S. 381, 386; Jennert, NZBau 2006, S. 421, 422. 46 Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 81 f.; Frenz, NJW 2006, S. 2665, 2667; Pape/Holz, NJW 2005, S. 2264, 2265. 47 EuGH, Urt. v. 18. 11. 1999 – Rs. C-107/98 (Teckal), Slg. 1999, I-8139 Rn. 50, NZBau 2000, S. 90, 91; so auch ausdrücklich EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 69, NZBau 2006, S. 452, 456; Pape/Holz, NJW 2005, S. 2264, 2265. 48 Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 81 f. 49 Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 83 f.; Jennert, NZBau 2006, S. 421, 422; aufgrund der Rechtsprechung des EuGH skeptisch Steinberg, EuZW 2006, S. 378, 379; zurückhaltend auch Frenz, NJW 2006, S. 2665, 2667. 50 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 39, NZBau 2006, S. 452, 454; Frenz, NJW 2006, S. 2665, 2667. 51 Steinberg, EuZW 2006, S. 378, 379.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
geschwächt werden, weshalb die Prüfung des Kontrollkriteriums nach Ansicht des EuGH in solchen Konstellationen wohl besonderer Sorgfalt bedarf. 3. Erfüllung des Kontrollkriteriums bei der Beauftragung einer Eigengesellschaft/gemischt-öffentlichen Gesellschaft Aus dieser Rechtsprechung des EuGH kann geschlossen werden, dass bei der Beauftragung von Eigengesellschaften oder gemischt-öffentlichen Gesellschaften in der Rechtsform der Aktiengesellschaft, aber auch der GmbH, genau geprüft werden muss, ob die Voraussetzungen einer In-House-Vergabe vorliegen. Auch wenn der Umstand, dass die beauftragende Gebietskörperschaft allein oder gemeinsam mit anderen öffentlichen Anteilseignern (bspw. kommunalen Gebietskörperschaften) sämtliche Gesellschaftsanteile an der beauftragten Gesellschaft hält, darauf hindeutet, dass das Kontrollkriterium erfüllt ist, führt er doch nicht ohne weiteres zu einem vergaberechtsfreien Eigengeschäft. Es ist vielmehr in erster Linie anhand der satzungsmäßigen und gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten der Gebietskörperschaft52 zu prüfen, ob diese über die auftragnehmende Gesellschaft eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausüben kann. Zu prüfen ist insbesondere, ob die Gebietskörperschaft über direkte Kontroll- oder Weisungsbefugnisse gegenüber den Leistungsorganen der Gesellschaft verfügt, oder ob ihre Einflussnahmemöglichkeiten auf die Rechte eines Mehrheitsgesellschafters beschränkt sind. Zu berücksichtigen ist auch, in welchem Maße die Gesellschaft allein aufgrund der Entscheidung ihrer Leitungsorgane und ohne Kontrolle durch die Gebietskörperschaft über das Gebiet der Gemeinde hinaus tätig werden und welche Tätigkeiten sie hierbei ausüben darf. Folgende Kriterien sind demnach bei der Prüfung der Frage, ob die Gebietskörperschaft über die Gesellschaft eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt, zu beachten:53 – Rechtsform der Gesellschaft (GmbH, Aktiengesellschaft) und „Natur“ dieser Gesellschaftsform, d. h. welchen Grad an Autonomie sie dem Geschäftsführungsorgan einräumt; – Umfang der Befugnisse des Geschäftsführungsorgans, die ohne Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers ausgeübt werden können; – Ausdehnung des Gesellschaftszwecks und des geografischen Tätigkeitsgebiets (kommunal, national, international); – Möglichkeit der Aufnahme privater Gesellschafter.
52
Im Folgenden wird aus Gründen der einfacheren Formulierung immer von der Beauftragung einer Eigengesellschaft ausgegangen. Sofern nicht anders vermerkt, gelten diese Ausführungen jedoch auch für die Beauftragung einer gemischt-öffentlichen Gesellschaft. 53 Vgl. Jennert, NZBau 2005, S. 623, 625.
5. Kap.: In-House-Vergabe
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Über eine GmbH, deren sämtliche Geschäftsanteile von einer Gebietskörperschaft gehalten werden, kann diese Gebietskörperschaft grundsätzlich – unter Beachtung des Gesellschaftsvertrags – eine vergleichbare Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausüben, da der Gebietskörperschaft umfassende Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten zustehen.54 Gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG55 ist der bzw. sind die Geschäftsführer einer GmbH verpflichtet, die durch Gesellschafterbeschlüsse angeordnete Beschränkung ihrer Vertretungsbefugnis einzuhalten. Diese Gesellschafterbeschlüsse können bindende Weisungen auch für Angelegenheiten der Geschäftsführung enthalten. Nach § 46 Nr. 6 GmbHG hat der (bei einer Eigengesellschaft einzige) Gesellschafter das Recht, die Maßnahmen der Geschäftsführung zu prüfen und zu überwachen.56 Bei Aktiengesellschaften reicht nach der Rechtsprechung des EuGH der faktische Einfluss, den die Gebietskörperschaft als einziger Aktionär auf den Vorstand ausüben kann, nicht aus, um von einer Kontrolle wie über eigene Dienststellen auszugehen,57 da der Vorstand die Aktiengesellschaft gemäß §§ 76 Abs. 1, 119 Abs. 2 AktG58 unter alleiniger Verantwortung und ohne Bindung an Weisungen leitet.59 Auch der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft ist kraft Gesetzes ein eigenständiges Gesellschaftsorgan und an Weisungen der Hauptversammlung nicht gebunden.60 Andererseits kann aufgrund der vom EuGH geforderten Gesamtbetrachtung auch nicht davon ausgegangen werden, dass bei einer Aktiengesellschaft von vorneherein eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausscheidet. Um eine solche Kontrolle zu ermöglichen, ist der Abschluss eines Beherrschungsvertrages (§ 291 Abs. 1 AktG) zwischen der Gebietskörperschaft und der Aktiengesellschaft erforderlich. Aufgrund eines Beherrschungsvertrags ist die Gebietskörperschaft berechtigt, dem Vorstand der beauftragten Gesellschaft hinsichtlich der Leitung des Unternehmens Weisungen zu erteilen (§ 308 Abs. 1 AktG). Erst die Weisungsgebundenheit des Vorstands in Folge des Beherrschungsvertrags genügt, um eine der Dienststellenaufsicht vergleichbare Kontrolle zu ermöglichen.61 54
BGH, NZBau 2001, S. 517, 519; Endler, NZBau 2002, S. 125, 131; Stickler, in: Reidt/ Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 5c; Michaels, NZBau 2004, S. 27, 29; Orlowski, NZBau 2007, S. 80 f.; Pape/Holz, NJW 2005, S. 2264, 2265. 55 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892 (RGBl. S. 477), in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898 (RGBl. S. 846). 56 Endler, NZBau 2002, S. 125, 131; Orlowski, NZBau 2007, S. 80 f. Wird durch den Gesellschaftsvertrag ein Aufsichtsrat gebildet, der die Geschäftsführung kontrolliert, so behält der öffentliche Anteilseigner die Kontrolle über die Eigengesellschaft, wenn der Aufsichtsrat lediglich mit Vertretern des öffentlichen Anteilseigners besetzt wird (BGH, NZBau 2001, S. 517, 519; Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 81). 57 So bereits Endler, NZBau 2002, S. 125, 131 f. 58 Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089). 59 Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 81. 60 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 5c. 61 Endler, NZBau 2002, S. 125, 131; Michaels, NZBau 2004, S. 27, 29; Jennert, NZBau 2005, S. 623, 626; Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 81; Steinberg, EuZW 2006, S. 378, 379.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
Auch wenn Gebietskörperschaften sogenannte Enkelgesellschaften in der Rechtsform der GmbH beauftragen, können die jeweiligen öffentlichen Auftraggeber – unter Beachtung der Regelungen des Gesellschaftsvertrags – in der Regel über die Enkelgesellschaft eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausüben.62 Sind sowohl die Tochter- als auch die Enkelgesellschaft Gesellschaften mit beschränkter Haftung, so stehen der Gebietskörperschaft die Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten des GmbH-Rechts hinsichtlich der Tochtergesellschaft zu und der Tochtergesellschaft hinsichtlich der Enkelgesellschaft. Die über diese Kette vermittelten Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten der Gebietskörperschaft auf die Enkelgesellschaft reichen aus, um von einem Einfluss wie über eine eigene Dienststelle ausgehen zu können.63 Nicht zwingend erforderlich ist, dass die Gebietskörperschaft sich unmittelbare Kontroll- und Mitspracherechte an der Enkelgesellschaft vorbehalten hat.64 Sind die Tochter- und Enkelgesellschaft Aktiengesellschaften, müsste sowohl zwischen der Gebietskörperschaft und der Tochtergesellschaft als auch zwischen der Tochter- und der Enkelgesellschaft ein Beherrschungsvertrag abgeschlossen werden, um das Kontrollkriterium zu erfüllen. Durch eine ununterbrochene Kette von Beherrschungsverträgen erhält die Gebietskörperschaft die Möglichkeit, über eine Enkelgesellschaft in der Form einer Aktiengesellschaft eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle auszuüben.65 4. Zusammenfassung und Kritik Die Urteile des EuGH in den Rechtssachen „Parking Brixen“ und „Carbotermo“ verkleinern den Spielraum der Kommunen, Eigengesellschaften ohne die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens zu beauftragen. Die Anwendbarkeit des Vergaberechts können die Kommunen nur dadurch rechtssicher ausschließen, dass sie ihre Eigengesellschaften „an der kurzen Leine“ führen (d. h. sich strenge Weisungs- und Kontrollrechte vorbehalten) und den sachlichen und örtlichen Tätigkeitsbereich der Gesellschaft möglichst auf das Gebiet der Kommune beschränken. 62
Vgl. z. B. OLG Düsseldorf, NZBau 2004, S. 58, 59 f.; OLG Düsseldorf, NZBau 2004, S. 343, 345; Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 83 f.; Jennert, NZBau 2006, S. 421, 422; ebenso im Grundsatz Michaels (NZBau 2004, S. 27, 28), der jedoch betont, dass eine genaue Einzelfallprüfung notwendig sei; aufgrund der Rechtsprechung des EuGH; skeptisch Steinberg, EuZW 2006, S. 378, 379. 63 Michaels, NZBau 2004, S. 27, 29; Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 83 f.; Jennert, NZBau 2006, S. 421, 422. 64 Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 84. Im vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall (NZBau 2004, S. 58) bestand solch ein unmittelbarer Einfluss des öffentlichen Auftraggebers (einer Stadt) auf die Enkelgesellschaft, da gesellschaftsvertraglich festgelegt worden war, dass die Stadt selbst die Gesellschafterversammlung und den Aufsichtsrat des Enkelunternehmens besetzt und über die Gesellschafterversammlung auch den Geschäftsführer der Enkelgesellschaft bestellen und abberufen sowie ihm Weisungen erteilen kann. 65 Jennert, NZBau 2006, S. 421, 422.
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Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, geht auch der EuGH davon aus, dass die Beauftragung einer Eigengesellschaft der Beauftragung einer internen Verwaltungsabteilung gleichzusetzen ist. Sind die Leitungsorgane der Eigengesellschaft keiner strengen Kontrolle unterworfen und haben sie ggf. darüber hinaus noch die Möglichkeit, auch außerhalb des Gebiets der Gemeinde Geschäfte mit Dritten zu tätigen, ohne hierbei der Kontrolle der Gemeinde unterworfen zu sein, so ist das Vergaberecht anwendbar.66 Der EuGH rückt mit diesen Entscheidungen den Aspekt des Schutzes bzw. der Stärkung des Wettbewerbs in den Vordergrund. Die Systematik der im Teckal-Urteil aufgestellten Kriterien hätte die Untersuchung der Marktausrichtung der Eigengesellschaft eher bei der Frage, ob diese ihre Tätigkeit im Wesentlichen für ihren Anteilseigner verrichtet, nahegelegt. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss bei der Untersuchung, ob die Wesentlichkeitsschwelle erreicht ist, geprüft werden, in welchem Umfang die Eigengesellschaft tatsächlich für Dritte tätig ist, während es beim Kontrollkriterium darauf ankommt, in welchem Maß die Leitungsorgane der Gesellschaft befugt sind, ohne Kontrolle durch die Gemeinde außerhalb des örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereichs der Gemeinde tätig zu werden.67 Im Ergebnis verhindert diese Rechtsprechung flexible Unternehmensstrukturen bei Eigengesellschaften, da nur bei einer engen Anbindung der Gesellschaft an die Kommune rechtssicher davon ausgegangen werden kann, dass keine öffentliche Ausschreibung erfolgen muss.68 III. Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber Weitere Voraussetzung für die Unanwendbarkeit des Kartellvergaberechts ist, dass die beauftragte Eigengesellschaft ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft, die ihre Anteile innehat, verrichtet. Bis zu seiner Entscheidung in der Rechtssache „Carbotermo“ hat der EuGH keine Hinweise zur Auslegung dieses Kriteriums gegeben.69
66
Jasper, FAZ v. 26. 10. 2005, S. 25. Ähnlich Frenz, NJW 2006, S. 2665, 2667. 68 In diesem Sinne auch Jennert, NZBau 2005, S. 623, 626; Jennert, NZBau 2006, S. 421; Jasper, FAZ v. 26. 10. 2005, S. 25, 422; Steinberg, EuZW 2006, S. 378, 379. 69 Die bisher fehlende Erläuterung des Wesentlichkeitskriteriums ist darauf zurückzuführen, dass der EuGH in seinen jeweiligen Entscheidungen zur In-House-Vergabe bereits das Vorliegen des Kontrollkriteriums abgelehnt hatte. Auch im Carbotermo-Urteil hätte der EuGH keine Ausführungen zum Wesentlichkeitskriterium machen müssen, da er auch in diesem Fall das Vorliegen des Kontrollkriteriums verneint hatte (EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 37 ff., NZBau 2006, S. 452, 454). Obwohl es sich also diesbezüglich um ein obiter dictum handelt, ist davon auszugehen, dass die im CarbotermoUrteil zum Wesentlichkeitskriterium gemachten Ausführungen als Leitlinien für die Auslegung in der Zukunft dienen werden (so auch Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 86). 67
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
In der Literatur werden zur Frage, unter welchen Bedingungen nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass die Eigengesellschaft ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft verrichtet, die ihre Anteile innehat, verschiedene Meinungen vertreten. Häufig wird vorgeschlagen, zur Bestimmung der Wesentlichkeitsschwelle auf § 10 VgV zurückzugreifen. Dies bedeutet, dass der Auftragnehmer mindestens 80 % seiner Tätigkeit für den öffentlichen Auftraggeber (bspw. eine Gebietskörperschaft), der seine Anteile innehat, verrichten müsste, damit die Wesentlichkeitsschwelle erreicht ist.70 Eine strengere Ansicht fordert „eine fast vollständige Tätigkeitserbringung“ des Auftragnehmers für den öffentlichen Auftraggeber und eine Beschränkung des Umfangs der Markttätigkeit durch den Gesellschaftsvertrag selbst. Der Auftragnehmer müsse „nahezu ausschließlich“ Leistungen für den öffentlichen Auftraggeber erbringen, der die Anteile des Auftragnehmers innehat.71 Der EuGH hat entschieden, dass nur dann angenommen werden könne, dass das fragliche Unternehmen seine Tätigkeit im Wesentlichen für die Körperschaft verrichte, die seine Anteile innehat, wenn das Unternehmen hauptsächlich für diese Körperschaft tätig werde und jede andere Tätigkeit rein nebensächlich sei.72 Diese restriktive Auslegung des Wesentlichkeitskriteriums – die sich der in der Literatur vertretenen strengen Ansicht annähert – ist wiederum vor dem Hintergrund zu sehen, dass der EuGH das Hauptziel der Gemeinschaftsvorschriften in der Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten sieht und deshalb Ausnahmen von der Anwendung der Vergaberichtlinien nur unter engen Voraussetzungen zulassen will.73 Einer entsprechenden Anwendung der 80 %-Schwelle des Art. 13 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 93/38/EWG (Sektorenrichtlinie 1993) bzw. des Art. 23 der Richtlinie 2004/17/EG (Sektorenrichtlinie 2004) zur Bestimmung der Wesentlichkeitsschwelle hat der EuGH eine Absage erteilt.74 Zur Beurteilung der Frage, ob das jeweilige Unternehmen hauptsächlich für die Körperschaft tätig wird, die ihre Anteile innehat, müsse der zuständige Richter alle qualitativen und quantitativen Umstände des Einzelfalls berücksichtigen.75 Während der EuGH offen lässt, welche qualitativen Kriterien her70 Endler, NZBau 2002, S. 125, 132; weitere Nachweise bei OLG Naumburg, NZBau 2003, S. 224, 229. 71 Dreher, NZBau 2001, S. 360, 363 f.; Dreher, NZBau 2002, S. 245, 253; so auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. 1. 2004, Az. VII-Verg 71/03, NZBau 2004, S. 343, 345. 72 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 63, NZBau 2006, S. 2006, S. 452, 455; zustimmend OLG Celle, Beschl. v. 14. 9. 2006, Az. 13 Verg 2/06, NZBau 2007, S. 126, 127. 73 Vgl. oben C. I. 3. 74 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 50 ff., NZBau 2006, S. 452, 455. 75 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 64, NZBau 2006, S. 452, 455; GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 12. 1. 2006 in der Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 85 ff.
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anzuziehen sind, ist das entscheidende quantitative Kriterium der Umsatz, den das jeweilige Unternehmen erzielt.76 Bei gemischt-öffentlichen Unternehmen stellt sich die Frage, ob das Unternehmen im Wesentlichen für den öffentlichen Anteilseigner tätig sein muss, der das Unternehmen konkret beauftragen will, oder ob es ausreicht, wenn das Unternehmen im Wesentlichen für die Gesamtheit der Anteilseigner des gemischt-öffentlichen Unternehmens tätig ist. Diese Frage beantwortet der EuGH im letzteren Sinne. Wenn die Anteile an einem Unternehmen von mehreren Körperschaften gehalten werden, könne das Wesentlichkeitskriterium auch erfüllt sein, wenn dieses Unternehmen seine Tätigkeit im Wesentlichen nicht unbedingt für eine bestimmte dieser Körperschaften, sondern für diese Körperschaften insgesamt verrichte. Folglich sei bei einem Unternehmen, dessen Anteile von mehreren Körperschaften gehalten werden, auf die Tätigkeit abzustellen, die es für alle diese Körperschaften verrichte.77 Mit seiner Entscheidung in der Rechtssache „Carbotermo“ hat der EuGH einige der Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Wesentlichkeitsschwelle stellen, beantwortet und klargestellt, dass – ganz im Sinne seiner restrektiven Rechtsprechung – auch die Anforderungen an die Erfüllung der Wesentlichkeitsschwelle hoch sind. Das betroffene Unternehmen muss seine Tätigkeit hauptsächlich für die Körperschaft erbringen, die seine Anteile innehat, jede andere Tätigkeit des Unternehmens muss rein nebensächlich sein. Die Anwendung eines bestimmten Schwellenwerts (80 %), der trotz seiner Starrheit Rechtssicherheit gebracht hätte, lehnt der EuGH ausdrücklich ab. In seinem Urteil in der Rechtssache „Asfemo“ hat er das Wesentlichkeitskriterium in einem Fall als erfüllt angesehen, in dem 90 % der Tätigkeiten für die die Anteile innehabenden öffentlichen Anteilseigner verrichtet wurden.78 Auch wenn dieser Prozentsatz nicht als starre Grenze angesehen werden kann, bietet diese Entscheidung doch einen Anhaltspunkt dafür, unter welchen Umständen der EuGH das Wesentlichkeitskriterium für erfüllt erachtet. Demnach dürfte das OLG Celle einen zu strengen Maßstab angelegt haben. Dieses ging bereits bei einem Anteil am Gesamtumsatz von 7,5 % über die letzten 3 Jahre, den das beauftragte gemischt-öffentliche Unternehmen mit anderen, nicht zum Kreis der Gesellschafter gehörenden Kunden erzielte, nicht mehr von einer rein nebensächlichen Tätigkeit für Dritte aus.79 Offen lässt der EuGH, anhand welcher qualitativen Umstände die Einhaltung der Wesentlichkeitsschwelle im Einzelfall zu prüfen ist.80 76
Steinberg, EuZW 2006, S. 378, 379; Frenz, NJW 2006, S. 2665, 2667. EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 70 f.; NZBau 2006, S. 452, 456; EuGH, Urt. v. 19. 4. 2007 – Rs. C-295/05 (Asfemo), Slg. 2007, I-2999 Rn. 62, NZBau 2007, S. 381, 386; Frenz, NJW 2006, S. 2665, 2667; Jennert, NZBau 2006, S. 421, 422. 78 EuGH, Urt. v. 19. 4. 2007 – Rs. C-295/05 (Asfemo), Slg. 2007, I-2999 Rn. 63, NZBau 2007, S. 381, 386. 79 OLG Celle, NZBau 2007, S. 126, 127. 80 Kritisch ebenfalls Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 86; Steinberg, EuZW 2006, S. 378, 380. Vgl. zu möglichen qualitativen Umständen GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 12. 1. 2006 77
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
D. Beauftragung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft Wie bei der Beauftragung einer Eigengesellschaft stellt sich auch bei der Beauftragung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft die Frage, ob eine solche Beauftragung „In-House“ ohne Ausschreibung erfolgen darf. I. Bisheriger Stand der Rechtsprechung und Literatur Nach der Teckal-Rechtsprechung des EuGH kommt es entscheidend darauf an, ob die beauftragende Gebietskörperschaft über die jeweilige gemischtwirtschaftliche Gesellschaft eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausüben kann. Bis zum Urteil des EuGH vom 11. 1. 2005 in der Rechtsache „Stadt Halle“ war in der Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen bei einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft, an der die beauftragende Gebietskörperschaft (mehrheitlich) beteiligt ist, von einer solchen Kontrolle ausgegangen werden kann.81 Eine der vertretenen Ansichten ging davon aus, dass jede Beteiligung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens an dem zu beauftragenden Unternehmen zwangsläufig ausschließe, dass die Gebietskörperschaft über diese gemischtwirtschaftliche Gesellschaft eine Kontrolle wie über eigene Dienststellen ausüben kann. Zur Begründung dieser Ansicht wurde angeführt, dass jedes Hinzutreten eines privaten Partners zumindest faktisch zu einem Verlust an Entscheidungsmacht der Gebietskörperschaft über die gemischtwirtschaftliche Gesellschaft führe.82 Diejenigen Vertreter in der Literatur, die dieser Ansicht nicht folgen wollten, waren sich jedoch wiederum hinsichtlich der Frage, wann eine Kontrolle wie über eigene Dienststellen vorliege, nicht einig. Eine Ansicht knüpfte an die Beherrschung im aktienrechtlichen Sinne (§ 17 AktG) oder an einen den Art. 1 Nr. 2, Art. 2 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 93/38/EWG (Sektorenrichtlinie) entnommenen europarechtlichen Beherrschungsbegriff an.83 Eine andere Ansicht ließ die Beherrschung im Sinne des Aktienrechts oder des europäischen Beherrschungsbegriffs nicht ausreichen. Entscheidend sei vielmehr ein durch nationales Gesellschaftsrecht und Gesellschaftsvertrag vermittelter umfassender Einfluss des öffentlichen Auf-
(Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 98 ff.; GA Kokott, Schlussanträge vom 1. 3. 2005 in der Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 83 ff. 81 Einen Überblick bietet der Vorlagebeschluss des OLG Naumburg, der zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Stadt Halle“ geführt hat (OLG Naumburg, Vorlagebeschl. v. 8. 1. 2003 – 1 Verg 7/02, NZBau 2003, S. 224). 82 Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 605; Faber, DVBl. 2001, S. 248, 256. 83 Vgl. Nachweise bei OLG Naumburg, NZBau 2003, S. 224, 228 und Dreher, NZBau 2001, S. 360, 362.
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traggebers auf den Auftragnehmer.84 Ab welcher Beteiligungshöhe des privatwirtschaftlichen Partners nicht mehr von einer Kontrolle wie über eigene Dienststellen ausgegangen werden kann bzw. ob die Festlegung bestimmter Prozentgrenzen möglich oder sinnvoll ist, war ebenfalls umstritten.85 Bspw. hat die VK Düsseldorf in einem Beschluss vom 7. 7. 200086 bei einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen, an dem eine Gebietskörperschaft 51 % und ein privates Unternehmen 49 % der Anteile innehatte, die Möglichkeit der Gebietskörperschaft, auf diese Gesellschaft in vergleichbarer Weise Einfluss nehmen zu können, wie auf eine eigene Dienststelle, verneint. Ebenso hat das Bayerische Oberste Landesgericht in einem Fall entschieden, in dem ein Zweckverband, dessen Mitglied die beauftragende Gebietskörperschaft war, 51 % der Anteile an dem zu beauftragenden gemischtwirtschaftlichen Unternehmen innehatte.87 II. Stadt Halle-Urteil des EuGH Seit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache „Stadt Halle“ ist diese Frage höchstrichterlich dahingehend entschieden, dass eine „ – auch nur minderheitliche – Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist, es auf jeden Fall“ ausschließt, „dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen“.88 Das Vergaberecht sei deshalb stets anzuwenden, wenn ein öffentlicher Auftraggeber beabsichtigt, „mit einer Gesellschaft, die sich rechtlich von ihm unterscheidet und an deren Kapital er mit einem oder mehreren privaten Unternehmen beteiligt ist, einen entgeltlichen Vertrag über Dienstleistungen zu schließen, die in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50/EWG fallen“.89
84
Dreher, NZBau 2001, S. 360, 363; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 5c; weitere Nachweise bei OLG Naumburg, NZBau 2003, S. 224, 229. 85 Bspw. ging Jaeger davon aus, dass ab einer Beteiligung von 10 % wegen der mit dieser Beteiligung verbundenen Sperr- und Kontrollrechte nicht mehr von einer Kontrolle wie über eigene Dienststellen ausgegangen werden kann (Jaeger, NZBau 2001, S. 6, 9 f.); vgl. auch Krohn, NZBau 2005, S. 92, 94; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 5c; Dreher, NZBau 2001, S. 360, 363. 86 VK Düsseldorf, NZBau 2001, S. 46, 48 f. 87 BayObLG, NZBau 2002, S. 397, 399 f. 88 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 49, NZBau 2005, S. 111, 115; EuGH, Urt. v. 10. 11. 2005 – Rs. C-29/04 (Stadt Mödling), Slg. 2005, I-9705 Rn. 46, NZBau 2005, S. 704, 707. 89 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 52, NZBau 2005, S. 111, 115; EuGH, Urt. v. 10. 11. 2005 – Rs. C-29/04 (Stadt Mödling), Slg. 2005, I-9705 Rn. 49, NZBau 2005, S. 704, 707.
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Anders ausgedrückt: Immer dann, wenn ein öffentlicher Auftraggeber einen Vertrag i. S. § 99 GWB90 mit einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft (vgl. die Formulierung: Gesellschaft, „an deren Kapital er mit einem oder mehreren privaten [Hervorhebung durch den Verf.] Unternehmen beteiligt ist“) schließen will, ist das Kartellvergaberecht anwendbar. Der EuGH differenziert in seinem Urteil in der Rechtssache „Stadt Halle“ nicht danach, ob eine Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligung vorliegt. Auch nimmt er für die Fälle der Mehrheitsbeteiligung keine Differenzierung nach der Höhe der Mehrheitsbeteiligung vor. Vielmehr führt nach diesem Urteil des EuGH jede noch so kleine Beteiligung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens an dem zu beauftragenden Unternehmen zur Anwendbarkeit des Vergaberechts.91 Vor dem Hintergrund, dass das Hauptziel der Vergaberichtlinien die Schaffung von Wettbewerb und jede Ausnahme von deren Anwendungsbereich folglich eng auszulegen sei,92 stützt der EuGH seine Entscheidung hauptsächlich auf zwei Argumente: Zunächst sei festzustellen, dass die Beziehung zwischen einer öffentlichen Stelle, die öffentlicher Auftraggeber ist, und ihren Dienststellen durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt werde, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhingen. Die Anlage von privatem Kapital in einem Unternehmen beruhe dagegen auf Überlegungen, die mit privaten Interessen zusammenhingen, und verfolge andersartige Ziele.93 Darüber hinaus „würde die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen ohne Ausschreibung das Ziel eines freien und unverfälschten Wettbewerbs und den in der Richtlinie 92/50//EWG genannten Grundsatz der Gleichbehandlung der Interessenten beeinträchtigen, insbesondere weil ein solches Verfahren einem am Kapital dieses Unternehmens beteiligten privaten Unternehmen einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschaffen würde“.94
90 Zwar hatte dieses Urteil die Anwendbarkeit der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie und somit Dienstleistungsaufträge zum Gegenstand, es sind jedoch keine Gründe dafür ersichtlich, diese Entscheidung nicht auch auf Bau- und Lieferaufträge anzuwenden. 91 Pape/Holz, NJW 2005, S. 2264, 2265; Lenz/Ulshöfer, Der Nahverkehr 5/2005, S. 30, 31; zustimmend: Burgi, NZBau 2005, S. 208, 209; Hausmann/Bultmann, NVwZ 2005, S. 377, 379. 92 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 44, 46, NZBau 2005, S. 111, 114. 93 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 50, NZBau 2005, S. 111, 115; EuGH, Urt. v. 10. 11. 2005 – Rs. C-29/04 (Stadt Mödling), Slg. 2005, I-9705 Rn. 47, NZBau 2005, S. 704, 707. 94 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 51, NZBau 2005, S. 111, 115; EuGH, Urt. v. 10. 11. 2005 – Rs. C-29/04 (Stadt Mödling), Slg. 2005, I-9705 Rn. 48, NZBau 2005, S. 704, 707.
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Insbesondere das erste vom EuGH angeführte Argument ähnelt der Argumentation derjenigen Vertreter in der Literatur, die bereits bisher davon ausgingen, dass die Beauftragung eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens in jedem Fall die vorherige Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung erforderlich mache. Auch diese Stimmen in der Literatur waren der Ansicht, dass die Beteiligung eines privatwirtschaftlichen Mitgesellschafters und die notwendige Berücksichtigung von dessen Interessen stets dazu führe, dass das gemischtwirtschaftliche Unternehmen über eine eigene Entscheidungsgewalt verfüge und die Gebietskörperschaft über dieses Unternehmen nicht eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausüben könne.95 Die VK Düsseldorf hat auch bereits in einem Beschluss vom 7. 7. 200096 auf den möglichen Gegensatz zwischen öffentlichen und privaten Interessen Bezug genommen und argumentiert, dass die aus dem Gesellschaftsverhältnis resultierenden Treuepflichten es der öffentlichen Hand untersagen würden, einseitig ihre an der Verfolgung öffentlicher Aufgaben orientierten Interessen gegen die Interessen des privaten Partners durchzusetzen. Die Beachtung der schutzwürdigen Interessen des privaten Mitgesellschafters würde den tatsächlichen Umgang mit dem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen wie mit einer eigenen Dienststelle verhindern.97 Im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Stadt Halle“ hat sich in der Literatur eine Ansicht herausgebildet, die für das Vorliegen des Merkmals der Kontrolle wie über eigene Dienststellen nicht die gesellschaftsrechtlichen und gesellschaftsvertraglichen Einflussmöglichkeiten des öffentlichen Auftraggebers für maßgeblich hält, sondern die Frage, ob die Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer im Gleichklang stehen. Eine Dienststelle verfolge als „Werkzeug“ einer staatlichen Einrichtung keine anderen Interessen als die staatliche Einrichtung selbst.98 Der EuGH selbst hat in späteren Entscheidungen jedoch das Vorliegen des Kontrollkriteriums geprüft, ohne hierbei auf die (gleichlaufenden oder entgegengesetzten) Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer einzugehen. GA Kokott99 hatte in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache „Parking Brixen“ auf der Basis einer „interessenorientierten Sichtweise“ argumentiert, dass die Interessen eines öffentlichen Auftraggebers und seiner Tochtergesellschaft, deren alleiniger Anteilseigner er sei, „normalerweise als im Wesentlichen deckungsgleich angesehen werden“ können, selbst wenn die Tochtergesellschaft in Form einer Aktiengesellschaft oder GmbH organisiert sei. Da bei einer Eigengesellschaft auf keine wirtschaftlichen Interessen privater Dritter Rücksicht genommen werden müsse, könne 95
Faber, DVBl. 2001, S. 248, 256; Burgi, NVwZ 2001, S. 601, 605 f. VK Düsseldorf, NZBau 2001, S. 46. 97 VK Düsseldorf, NZBau 2001, S. 46, 48 f. 98 Hausmann/Bultmann, NVwZ 2005, S. 377, 379 f.; Bultmann, NZBau 2006, S. 222, 223 f.; GA Kokott, Schlussanträge vom 1. 3. 2005 in der Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 73 ff.; Steinberg, EuZW 2006, S. 378, 379. 99 GA Kokott, Schlussanträge vom 1. 3. 2005 in der Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 74 f. 96
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
die Durchsetzung öffentlicher Interessen auch ohne eine „Weisungsbefugnis im technischen Sinne“ mit den Mitteln des Gesellschaftsrechts hinreichend sichergestellt werden.100 Der EuGH hat jedoch dann in seinem Urteil in der Rechtssache „Parking Brixen“ das Vorliegen einer Kontrolle über die streitgegenständliche Eigengesellschaft wie über eine eigene Dienststelle mit dem Argument verneint, dass diese über ein großes Maß an Selbständigkeit verfüge, das durch die Leitungsorgane der Gesellschaft ohne Kontrolle durch die kommunale Gebietskörperschaft ausgeübt werden könne. Auf die Frage der Gleich- bzw. Verschiedenartigkeit der Interessen der Gemeinde und der Eigengesellschaft ist er nicht eingegangen.101 Mit dem Merkmal des Interessensgleichklang lässt sich jedoch begründen, warum das Kontrollkriterium auch bei gemischt-öffentlichen Gesellschaften erfüllt sein kann. Der einzelne öffentliche Anteilseigner kann u. U. aufgrund einer Minderheitsbeteiligung allein keinen maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben. Die gemischt-öffentliche Gesellschaft und ihre öffentlichen Anteilseigner verfolgen jedoch grundsätzlich dieselben Interessen, weshalb das Kontrollkriterium regelmäßig erfüllt ist.102 Auch der EuGH geht davon aus, dass das Kontrollkriterium bei der Beauftragung gemischt-öffentlicher Unternehmen erfüllt sein kann, ohne sich jedoch zur Begründung dieses Ergebnisses auf das Merkmal des Interessengleichklanges zu stützen.103 III. Kritik Auch mit dieser Entscheidung rückt der EuGH den Aspekt des Schutzes bzw. der Stärkung des Wettbewerbes in den Vordergrund. Die in der Teckal-Rechtsprechung aufgestellten Kriterien hätten durchaus eine differenziertere Lösung ermöglicht. Wie GA Stix-Haxl zutreffend angemerkt hat, könnten auch gemischtwirtschaftliche Gesellschaften das Kontrollkriterium erfüllen.104 Das Gesellschaftsrecht und die Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags eröffneten auch bei gemischtwirtschaftlichen Gesellschaften durchaus die Möglichkeit der Ausübung einer ähnlichen Kontrolle wie über eigene Dienststellen (bspw. bei Gesellschaften, bei denen der
100
GA Kokott, Schlussanträge vom 1. 3. 2005 in der Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 74 f. 101 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 64 ff., NZBau 2005, S. 644, 649. 102 Hausmann/Bultmann, NVwZ 2005, S. 377, 380; Bultmann, NZBau 2006, S. 222, 223; zurückhaltender GA Stix-Haxl, für die es darauf ankommt, ob die beteiligten Gemeinden im Einzelfall tatsächlich dieselben Interessen vertreten (GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 12. 1. 2006 in der Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 34). 103 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 37 ff., NZBau 2006, S. 452, 454. 104 GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 23. 9. 2004 in der Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 70, abgedruckt im Bindungsteil der NZBau 2004, Heft 11, S. VII.
5. Kap.: In-House-Vergabe
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Anteil des privatwirtschaftlichen Mitgesellschafters unter 10 % liegt).105 Der EuGH lässt mit seiner Entscheidung hier keinen Raum für Differenzierungen im Einzelfall. Das Argument der widerstreitenden Interessen zwischen dem privaten und dem öffentlichen Gesellschafter schließt für sich noch nicht die Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle aus. Einerseits muss der öffentliche auf den privaten Partner Rücksicht nehmen, andererseits müsste es nach der Teckal-Rechtsprechung jedoch darauf ankommen, wer im Konfliktfall in der Lage ist, sich mit den im Gesellschaftsrecht und im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Mitteln durchzusetzen. Auch ist in der Literatur zutreffend darauf hingewiesen worden, dass die Partner eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens in erster Linie ein gemeinsames Interesse verfolgen, nämlich die „möglichst effiziente und wirtschaftliche Aufgabenerledigung“.106 Außerdem ist die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit der gemischtwirtschaftlichen Tätigkeit an der Struktur der öffentlichen Aufgaben, die auch die Pflicht zur Erfüllung wirtschaftlich nicht attraktiver Aufgaben mit sich bringt, regelmäßig die Geschäftsgrundlage der Beteiligung des privatwirtschaftlichen Unternehmens.107 Insbesondere das zweite Argument des EuGH (die Verhinderung eines Vorteils des beteiligten privatwirtschaftlichen Unternehmens gegenüber seinen Wettbewerbern) – das an sich zutreffend ist108 – zeigt, dass es dem EuGH mit dieser Rechtsprechung um den Schutz bzw. Stärkung des Wettbewerbs und die Verhinderung von Privilegien der an der gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft beteiligten privatwirtschaftlichen Unternehmen geht. Dies ergibt sich auch aus der starken Betonung des Zieles eines unverfälschten Wettbewerbs in allen Mitgliedstaaten, das mit dem Vergaberecht erreicht werden soll. Der EuGH lässt keine Ausnahmen in Fällen zu, in denen der Wettbewerb möglicherweise nicht beeinträchtigt wird. Dies könnte z. B. dann der Fall sein, wenn das betroffene gemischtwirtschaftliche Unternehmen Aufgaben der Daseinsvorsorge übernimmt und ausschließlich für die kommunale Gebietskörperschaft tätig wird, die an ihr beteiligt ist. Ein solches Unternehmen nimmt nicht aktiv zu Lasten anderer Unternehmen am Wettbewerb teil, was die tatsächliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs als geringfügig erscheinen lässt. Der dem privatwirtschaftlichen Anteilseigner verbleibende wirtschaftliche Vorteil der Beteiligung an dem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen könnte u. U. hinzunehmen sein, da das gemischtwirtschaftliche Unternehmen mit Hilfe des privatwirtschaftlichen Partners Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnimmt. Die strikte Ansicht des EuGH lässt jedoch auch für solche Erwägungen keinen Platz.109 105
Ebenso OLG Naumburg, NZBau 2003, S. 224, 228; Lenz/Ulshöfer, Der Nahverkehr 5/ 2005, S. 30, 31. 106 Krohn, NZBau 2005, S. 92, 94; Lenz/Ulshöfer, Der Nahverkehr 5/2005, S. 30, 31. 107 OLG Naumburg, NZBau 2005, S. 224, 228. 108 Lenz/Ulshöfer, Der Nahverkehr 5/2005, S. 30, 31; Pietzcker, NVwZ 2007, S. 1225, 1229. 109 Hausmann/Bultmann, NVwZ 2005, S. 377, 379.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
Die Rechtsprechung des EuGH erhöht zwar einerseits die Rechtssicherheit,110 bringt jedoch andererseits eine starke Verengung des Gestaltungsspielraums der Kommunen mit sich. Die Gründung von gemischtwirtschaftlichen Unternehmen ist für die Kommunen von großer Bedeutung, da hierdurch privates Kapital und Knowhow für die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge fruchtbar gemacht werden kann. Den Kommunen bleibt zwar die Möglichkeit erhalten, ausschreibungsfrei Leistungen der Daseinsvorsorge selbst (bspw. durch einen Eigenbetrieb) zu erbringen. Dies bestätigt der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache „Stadt Halle“ ausdrücklich.111 Auch können u. U. Eigengesellschaften im Wege der InHouse-Vergabe beauftragt werden.112 Die Kommunen haben jedoch nicht mehr die Möglichkeit, eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft, an der sie beteiligt sind, ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens zu beauftragen. Wenn die Kommunen zukünftig gemischtwirtschaftliche Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge beauftragen wollen, müssen sie zuvor eine öffentliche Ausschreibung durchführen. An der Beachtung dieser Rechtsprechung des EuGH kommen die Kommunen nicht vorbei.113 Mit der Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung ist jedoch stets die „Gefahr“ verbunden, dass das eigens zum Zweck der Aufgabenerfüllung gegründete gemischtwirtschaftliche Unternehmen den Zuschlag nicht erhält, da ein anderer Bieter ein wirtschaftlicheres Angebot abgegeben hat. Die Kommunen verlieren auf diese Weise an Entscheidungsfreiheit über ihre Versorgungsstrukturen. Diese Umstände könnten die Kommunen davon abhalten, gemischtwirtschaftliche Unternehmen zu gründen oder sie dazu bewegen, die Aufgabenerfüllung wieder verstärkt zu rekommunalisieren.114 Andererseits kann dieser Zwang zur öffentlichen Ausschreibung auch positiv dahingehend wirken, dass die Kommune und der beteiligte private Partner das gemischtwirtschaftliche Unternehmen so effizient organisieren und führen, dass es in der Lage ist, im Rahmen einer durchzuführenden Ausschreibung das wirtschaftlichste Angebot abzugeben und den Zuschlag zu erhalten.
110
Deshalb zustimmend Hausmann/Bultmann, NVwZ 2005, S. 377, 378 f. EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 47, NZBau 2005, S. 111, 115. 112 Vgl. jedoch hierzu EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 56 ff., NZBau 2005, S. 644; EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 36 ff.; NZBau 2006, S. 452, 454. 113 Vgl. auch Krohn (NZBau 2005, S. 92, 94 f.), Hausmann/Bultmann (NVwZ 2005, S. 377, 381) und Lenz/Ulshöfer (Der Nahverkehr 5/2005, S. 30, 31), die von Problemen sowohl für Kommunen als auch für die privaten Partner sprechen, die zu einer erheblichen Umstellung für die gemischtwirtschaftlichen Unternehmen führen werden und möglicherweise eine Neustrukturierung erforderlich machen. 114 Lenz/Ulshöfer, Der Nahverkehr 5/2005, S. 30, 31 f.; Pietzcker, NVwZ 2007, S. 1225, 1229. 111
5. Kap.: In-House-Vergabe
149
E. Zusammenfassung Mit den Entscheidungen in den Rechtssachen „Stadt Halle“, „Parking Brixen“ und „Carbotermo“ verfolgt der EuGH in erster Linie das Ziel des Schutzes und der Stärkung des Wettbewerbs. Hinter den Entscheidungen des EuGH scheint ein bestimmtes ordnungspolitisches Konzept zu stehen: Wenn sich die Kommunen auf die Erfüllung der örtlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge mit eigenen Unternehmen beschränken, sind sie weitgehend von den Anforderungen des Vergaberechts befreit. Wollen sie sich jedoch am Wettbewerb im oder außerhalb ihres Gebiets beteiligen, müssen sie auch das Vergaberecht beachten.115 Der EuGH will mit seiner Rechtsprechung verhindern, dass sich kommunale Unternehmen auf der wirtschaftlichen Basis einer sicheren, nicht durch öffentliche Ausschreibungen gefährdeten Stellung auf dem Heimatmarkt (dem Gebiet der Kommune) am Wettbewerb außerhalb des Gebiets der Kommune beteiligen. „Eine Sicherung des Heimatmarktes durch ausschreibungsfreie In-House-Vergaben bei gleichzeitiger Beteiligung am Wettbewerb durch überörtliche Expansion“ ist nach der Rechtsprechung des EuGH nicht möglich.116 Mit seiner Rechtsprechung zur Beauftragung gemischtwirtschaftlicher Gesellschaften will der EuGH auch verhindern, dass privatwirtschaftliche Unternehmen im Wettbewerb bevorzugt werden. Es soll verhindert werden, dass privatwirtschaftliche Unternehmen von den wirtschaftlichen Vorteilen profitieren, die aus einem dem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen erteilten öffentlichen Auftrag resultieren, ohne dass diese Position durch öffentliche Ausschreibungen gefährdet wird und ohne dass andere privatwirtschaftliche Unternehmen die Möglichkeit haben, ihrerseits von den mit einem öffentlichen Auftrag zusammenhängenden wirtschaftlichen Vorteilen zu profitieren. Dem Ziel, die Privilegierung sowohl von kommunalen wie von privatwirtschaftlichen Unternehmen zu verhindern, kann durchaus zugestimmt werden. Das Problem ist jedoch, dass die Kommunen durch diese Rechtsprechung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben der Daseinsvorsorge in ein sehr enges Korsett gezwungen werden. Wenn sich die Kommunen darauf beschränken, die Aufgaben der Daseinsvorsorge auf dem Gebiet ihrer Kommune entweder durch Eigenbetriebe oder Eigengesellschaften, die strengen Weisungs- und Kontrollrechten unterliegen, zu erfüllen, ist eine Beauftragung ohne Beachtung des Vergaberechts möglich. Sobald sie jedoch selbständigere Eigengesellschaften oder gemischtwirtschaftliche Gesellschaften mit der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge beauftragen wollen, entfällt diese Möglichkeit. Der EuGH „zwingt“117 die Kommunen hiermit zu 115
Jennert, NZBau 2005, S. 623, 626; Jennert, NZBau 2006, S. 421, 423; Jasper, FAZ v. 26. 10. 2005, S. 25. 116 Jennert, NZBau 2005, S. 623, 626; Jennert, NZBau 2006, S. 421, 423. 117 Natürlich steht es den Kommunen offen, selbständige Eigengesellschaften und gemischtwirtschaftliche Unternehmen zu betreiben und zu beauftragen. Wenn sie jedoch keine
150
3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
unflexiblen,118 eigenbetriebsähnlichen Unternehmensstrukturen. Auch erschwert er ihnen den Weg zu Beteiligungen von Unternehmen der Privatwirtschaft an den öffentlichen Unternehmen der Kommunen und somit den Zugang zu privatem Kapital und Know-how. Hierdurch wird die Gestaltungsfreiheit der Kommunen bei der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge stark eingeschränkt. Aus den genannten Gründen ist die Rechtsprechung des EuGH zu In-HouseVergaben sowohl bei den Verbänden der öffentlichen Unternehmen119 als auch bei Regierungen mehrerer Mitgliedstaaten120 auf Kritik gestoßen. Aber auch Vertreter der Privatwirtschaft haben Bedenken geäußert. Bspw. befürchtet der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE), dass diese Rechtsprechung zu einer verstärkten Rekommunalisierung auf dem Markt der Abfallentsorgung führen werde.121 An diesem Markt hat die private Entsorgungswirtschaft mittlerweile einen hohen Anteil erobert. Um den durch die neue Rechtsprechung des EuGH zu InHouse-Vergaben statuierten verschärften Ausschreibungspflichten zu entgehen, könnten viele Kommunen wieder dazu übergehen, die Entsorgung in Eigenbetrieben zu organisieren, was zu einer Reduzierung des Marktanteils der privaten Entsorgungswirtschaft führen würde. Die privatwirtschaftlichen Unternehmen würden auf diese Weise wieder aus dem Markt gedrängt, was – entgegen der Intention des EuGH – statt zu einer Stärkung zu einer Reduzierung des Wettbewerbs führen würde.122
6. Kapitel
Dienstleistungskonzession Eine weitere Möglichkeit, die Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge auf private oder öffentliche Unternehmen zu übertragen, ist die Vergabe einer Dienstleistungskonzession. Zwar erbringt auch der Dritte, an den die Dienstleistungskonzession vergeben wurde, Leistungen der Daseinsvorsorge, im Unterschied zu den in den Kapiteln 3 und 4 untersuchten Fällen erhält er jedoch als Gegenleistung hierfür keine direkte Vergütung vom Konzessionsgeber, sondern das Recht, die von ihm erbrachte Dienstleistung zu nutzen bzw. dadurch zu verwerten, dass er von den Nutzern seiner Dienstleistung eine Vergütung verlangen kann. Es kommt also (im öffentliche Ausschreibung durchführen wollen (was häufig der Fall ist), sind ihnen diese Möglichkeiten verbaut. 118 Jennert, NZBau 2005, S. 623, 626. 119 Vgl. die Kritik des Europäischen Verbandes der öffentlichen Unternehmen (CEEP) in FAZ v. 25. 10. 2005, S. 23. 120 FAZ v. 22. 11. 2005, S. 19. 121 FAZ v. 2. 11. 2005, S. 16; FAZ v. 12. 3. 2007, S. 13. 122 FAZ v. 2. 11. 2005, S. 16.
6. Kap.: Dienstleistungskonzession
151
Unterschied zu den in den Kapiteln 3 und 4 untersuchten Fällen) zu direkten Rechtsbeziehungen zwischen den Nutzern und dem Konzessionsnehmer.123 Wie bei den in den Kapiteln 3 und 4 untersuchten Fällen, verbleibt die Aufgabenverantwortung und die Pflicht, für die Erfüllung der Aufgabe zu sorgen, beim Staat oder bei den kommunalen Gebietskörperschaften. Die öffentliche Hand entledigt sich nicht, wie dies bei einer materiellen Privatisierung der Fall wäre, ihrer Aufgabenverantwortung.124 Im Vergleich zu den Fällen der Verwaltungshilfe bringt die Gewährung einer Dienstleistungskonzession jedoch ein höheres Maß an Selbständigkeit für den Konzessionsnehmer mit sich, insbesondere dadurch, dass er von den Nutzern der Dienstleistung direkt ein Entgelt verlangen kann.125 Da die öffentliche Hand weiterhin für die Erfüllung der Aufgabe verantwortlich bleibt, muss sie sich Kontroll- und Eingriffsrechte vertraglich vorbehalten, um die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgabe durch den Konzessionsnehmer sicherzustellen.126
A. Definition des Begriffs der Dienstleistungskonzession Die Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie) enthält im Gegensatz zu den früheren Vergaberichtlinien eine Legaldefinition des Begriffs der Dienstleistungskonzession. Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie lautet: „,Dienstleistungskonzessionen‘ sind Verträge, die von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht.“127 Bereits der EuGH hatte in seinem grundlegenden Urteil vom 7. 12. 2000 in Sachen „Telaustria“ entschieden, dass die Gegenleistung des Konzessionsgebers darin besteht, dass der Konzessionsnehmer „als Vergütung das Recht zur Verwertung seiner eigenen Leistung erhält“.128 Voraussetzung für eine Dienstleistungskonzession ist darüber hinaus, dass der Konzessionsnehmer das mit der Erbringung der Dienstleistung verbundene wirt123 Endler, NZBau 2002, S. 125, 126; Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 19. 124 Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 19, 30; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 378 f., 382. 125 Burgi, NZBau 2005, S. 610. 126 Endler, NZBau 2002, S. 125, 126. 127 Die Richtlinie 93/37/EWG (Baukoordinierungsrichtlinie) enthielt eine Definition der Baukonzession, die auch in die Richtlinie 2004/18/EG übernommen wurde (vgl. Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG). Die Definition der Dienstleistungskonzession in der Richtlinie 2004/18/EG entspricht größtenteils wortgleich der Definition der Baukonzession, mit dem Unterschied, dass der Konzessionsnehmer nicht ein Bauwerk, sondern eine Dienstleistung nutzen darf. 128 EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 58, EuZW 2001, S. 90, 93 f.
152
3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
schaftliche Risiko übernimmt. Dies hat der EuGH in seinem Urteil vom 13. 10. 2005 in der Rechtssache „Parking Brixen“ bestätigt.129 Nach der herrschenden Ansicht in der deutschen Rechtsprechung und Literatur130 ist Voraussetzung für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession darüber hinaus, dass die zu erbringende Dienstleistung der Erfüllung einer Aufgabe dient, die grundsätzlich der öffentlichen Hand obliegt.131
B. Maßgebliches Recht für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen I. Unanwendbarkeit des Vergaberechts auf die Dienstleistungskonzession Wie nunmehr Art. 17 der Richtlinie 2004/18/EG ausdrücklich feststellt, ist die Vergabekoordinierungsrichtlinie auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen nicht anwendbar.132 Es entsprach jedoch bereits der ständigen Rechtsprechung des EuGH zu den früheren Vergaberichtlinien, dass die Dienstleistungskonzession weder in den Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50/EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie)133 noch in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/38/EWG (Sektorenrichtlinie)134 fällt. Auch das Kartellvergaberecht ist auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen nicht anwendbar.135 129 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 40 f., NZBau 2005, S. 644, 647. 130 OLG Düsseldorf, NZBau 2004, S. 343, 344; BayObLG, NZBau 2002, S. 233, 234; OLG Brandenburg, NZBau 2001, S. 645, 647; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Kommentar Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 27a; Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. Nr. C 121, S. 4, NVwZ-Beilage III/2000 zu Heft 7/2000, S. 8; GA Alber, Schlussanträge v. 18. 3. 1999, Rs. C-108/98 (RI.SAN), Slg. 1999, I-5221, 5233; Böckel, LKV 2003, S. 393, 396; Burgi, NZBau 2005, S. 610; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 459; Gröning, NZBau 2001, S. 123; Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 283; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 378. 131 Vgl. dazu unten C. I. 132 EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 17, NZBau 2006, S. 326, 327. 133 EuGH, Beschl. v. 30. 5. 2002 – Rs. C-358/00 (Buchhändler-Vereinigung), Slg. 2002, I-4685; EuGH, Urt. v. 21. 7. 2005 (Co.Na.Me), Slg. 2005, I-7287 Rn. 9, 16, NZBau 2005, S. 592, 593; EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 42, NZBau 2005, S. 644, 647; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I.3303 Rn. 17, NZBau 2006, S. 326, 327. 134 EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 56, EuZW 2001, S. 90, 93 f. 135 Vgl. ausführlich hierzu BayObLG, NZBau 2002, S. 233, 235; OLG Naumburg, NZBau 2002, S. 235, 236; VG Neustadt a. d. W., NZBau 2002, S. 237, 238; Stickler, in: Reidt/Stickler/
6. Kap.: Dienstleistungskonzession
153
1. Begründung aus der Entstehungsgeschichte der Vergaberichtlinien Der EuGH begründete seine Rechtsprechung damit, dass zwar die Kommission in ihren Entwürfen zur Richtlinie 92/50/EWG vorgeschlagen habe, die Dienstleistungskonzession in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie einzubeziehen, dies jedoch vom Rat abgelehnt wurde, weshalb im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens sämtliche Bezugnahmen auf Dienstleistungskonzessionen gestrichen wurden. Der Rat argumentierte, dass „auf Grund der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Übertragung von Befugnissen bei der Verwaltung von öffentlichen Dienstleistungen sowie hinsichtlich der Einzelheiten dieser Befugnisübertragung eine große Unausgewogenheit hinsichtlich der Zugangsmöglichkeiten zu diesen Konzessionsaufträgen entstehen würde“.136 Bei Verabschiedung der Richtlinie 92/50/EWG sei es also nicht der Wille des europäischen Gesetzgebers gewesen, die Dienstleistungskonzession in den Anwendungsbereich des Vergaberechts aufzunehmen.137 Für dieses Ergebnis spreche auch, dass die Baukonzession in der Richtlinie 93/37/EWG (der Baukoordinierungsrichtlinie) ausdrücklich erwähnt sei, die Dienstleistungskonzession jedoch weder in der Richtlinie 92/50/EWG noch in der Richtlinie 93/38/EWG Erwähnung gefunden habe. Somit habe der europäische Gesetzgeber beschlossen, diese nicht in den Anwendungsbereich der genannten Richtlinien einzubeziehen.138 2. Entgeltlicher Vertrag Auch wenn im Ergebnis Einigkeit darüber besteht, dass das Vergaberecht nicht auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen anwendbar ist, wird in der Literatur und Rechtsprechung doch eine Auseinandersetzung über die Frage geführt, wie dieses Ergebnis zu begründen ist. Diese Auseinandersetzung hat ihre Wurzel in einem Streit über die dogmatische Einordnung der Dienstleistungskonzession. Umstritten ist, ob die Dienstleistungskonzession ein entgeltlicher Vertrag i. S. von § 99 GWB ist oder nicht.
Glahs, Kommentar Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 33; Burgi, NZBau 2005, S. 610, 612; Böckel, LKV 2003, S. 393, 394. 136 Die Begründung des Rates wurde aus der Urteilsbegründung des Urteils des EuGH vom 7. 12. 2000, Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 48, EuZW 2001, S. 90, 93 zitiert. 137 EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 56, EuZW 2001, S. 90, 93; EuGH, Beschl. v. 30. 5. 2002 – Rs. C-358/00 (Buchhändler-Vereinigung), Slg. 2002, I-4685. 138 EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 56, EuZW 2001, S. 90, 93; EuGH, Beschl. v. 30. 5. 2002 – Rs. C-358/00 (Buchhändler-Vereinigung), Slg. 2002, I-4685.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
Eine Ansicht139 geht davon aus, dass kein entgeltlicher Vertrag vorliege, da der Konzessionsgeber dem Konzessionsnehmer als Gegenleistung kein direktes Entgelt bezahle. Entgeltlichkeit liege nur vor, wenn der gewährte wirtschaftliche Vorteil in einer unmittelbaren oder mittelbaren Übertragung von staatlichen Mitteln auf das beauftragte Unternehmen bestehe.140 Da Ziel des Vergaberechts u. a. die sparsame Mittelverwendung durch den Staat sei, sei dieses nur anwendbar, wenn öffentliche Gelder zum Einkauf von Leistungen verwendet würden. In der Gewährung des Nutzungsrechts sei kein solcher Vermögensvorteil zu sehen.141 Für die Vertreter dieser Ansicht ist das Vergaberecht also bereits deshalb nicht anwendbar, weil kein entgeltlicher Vertrag i. S. des § 99 Abs. 1 GWB vorliegt. Darauf, dass die Entstehungsgeschichte der Vergaberichtlinien ebenfalls zu diesem Ergebnis führt, brauchen sie sich nicht maßgeblich zu stützen. Eine andere Ansicht bejaht im Gegensatz hierzu das Vorliegen eines entgeltlichen Vertrages, da der Begriff der Gegenleistung weit auszulegen und hierunter jeder geldwerte Vorteil zu verstehen sei.142 Die Gegenleistung des Konzessionsgebers bestehe darin, dass er dem Konzessionsnehmer das Recht einräume, die eigene Leistung zu nutzen und zu verwerten. Jeder gegenseitige Vertrag sei als entgeltlicher Vertrag i. S. von § 99 Abs. 1 GWB anzusehen.143 Da also nach dieser Ansicht grundsätzlich ein entgeltlicher Vertrag vorliegt, erklärt sich die Unanwendbarkeit des Vergaberechts nicht mit dem Fehlen eines entgeltlichen Vertrages, sondern aus dem Willen des europäischen Gesetzgebers, die Dienstleistungskonzession (anders als die Baukonzession) nicht den Vergaberichtlinien zu unterwerfen. Eine dritte Ansicht sieht in der Vergabe einer Dienstleistungskonzession keinen Beschaffungsvorgang, sondern eine Verwertungshandlung des Staates.144 Der Staat beschaffe nichts, er agiere nicht als Nachfrager, sondern vielmehr als Anbieter. Er biete das Recht zur Verwertung der zu erbringenden Leistung an. Da jedoch ein Beschaffungsvorgang Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Vergaberechts sei,
139 Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 67 ff.; Burgi, NZBau 2005, S. 610, 612; Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 627 ff.; Stickler, in: Reidt/Stickler/ Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 27b; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 458 ff. 140 Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 70, 73; Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 628; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 459, 461. 141 Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 628 f. 142 OLG Düsseldorf, NZBau 2005, S. 652, 653; OLG Naumburg, NZBau 2002, S. 235, 236; OLG Naumburg, NZBau 2006, S. 58, 62; BayObLG, NZBau 2002, S. 233, 234; Kommission, Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften, KOM (2004) 327 endg., Rn. 10. 143 Jennert, NZBau 2005, S. 131, 133 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; OLG Düsseldorf, NZBau 2005, S. 652, 653; BayObLG, NZBau 2002, S. 233, 234; OLG Naumburg, NZBau 2002, 235, 236. 144 OLG Düsseldorf, NZBau 2005, S. 652, 653.
6. Kap.: Dienstleistungskonzession
155
sei dieses auf die Vergabe einer Dienstleistungskonzession aus diesem Grund nicht anwendbar.145 Da alle vertretenen Ansichten zu dem Ergebnis kommen, dass das Vergaberecht nicht anwendbar ist, müssen die aufgeworfenen dogmatischen Fragen im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht erschöpfend zu Ende diskutiert werden. Vorzuziehen ist die Ansicht, die vom Vorliegen eines entgeltlichen Vertrags ausgeht, da diese dem vom EuGH vertretenen weiten Entgeltbegriff entspricht.146 Der EuGH ist in der Telaustria-Entscheidung davon ausgegangen, dass der dort streitgegenständliche Vertrag nach den Leistungen, die er zum Gegenstand hatte, grundsätzlich von der einschlägigen Vergaberichtlinie erfasst sei.147 Die Nichtanwendbarkeit des Vergaberechts hat er anschließend konstitutiv mit der Entstehungsgeschichte der Vergaberichtlinien begründet.148 Der Vergabe einer Dienstleistungskonzession fehlt auch nicht der Beschaffungsbezug, da der Staat die Erbringung einer Leistung nachfragt, die normalerweise von ihm selbst erbracht werden müsste und für die er weiterhin die Gewährleistungsverantwortung trägt.149 II. Grundregeln des EG-Vertrags Die Unanwendbarkeit des Vergaberechts führt jedoch nicht zu einem rechtsfreien Raum bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen. Die öffentlichen Auftraggeber, die eine Dienstleistungskonzession vergeben, müssen die Grundregeln des EG-Vertrages im Allgemeinen und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Besonderen beachten (Art. 12 EG bzw. nunmehr Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)).150 Der Grundsatz der Gleichbehandlung, von dem die Art. 43 und 49 EG (bzw. nunmehr Art. 49 und 56 AEUV) spezielle Ausprägungen sind, verlangt auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge, dass „alle Bieter unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit bei der Aufstellung ihrer Angebote über die gleichen Chancen verfügen müssen“.151 Der 145 Gröning, NZBau 2001, S. 123; VK Hessen, NZBau 2006, S. 534, 535; ablehnend Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Kommentar Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 27b. 146 EuGH, Urt. v. 12. 7. 2001 – Rs. C-399/98 (Teatro alla Biccoca), Slg. 2001, I-5409, NZBau 2001, S. 512. 147 EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 40, EuZW 2001, S. 90, 92. 148 Insofern zweifelnd Stickler, in Reidt/Sticklar/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 27b. 149 Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 628; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 378. 150 EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 60, EuZW 2001, S. 90, 94; EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 46, NZBau 2005, S. 644, 647; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 18, NZBau 2006, S. 326, 327. 151 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 48, NZBau 2005, S. 644, 647.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
Gleichbehandlungsgrundsatz ist demnach auf öffentliche Dienstleistungskonzessionen auch dann anwendbar, wenn keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vorliegt.152 Das Diskriminierungsverbot und der Gleichbehandlungsgrundsatz schließen insbesondere eine Verpflichtung zur Transparenz ein, damit festgestellt werden kann, ob diese Grundsätze beachtet worden sind.153 Aufgrund der Verpflichtung zur Transparenz muss der Auftraggeber zu Gunsten potenzieller Bieter „einen angemessenen Grad von Öffentlichkeit sicherstellen, der den Dienstleistungsmarkt dem Wettbewerb öffnet und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt wurden“.154 Das Argument, dass die Grundfreiheiten des EG-Vertrages nicht anwendbar seien, wenn es sich um einen rein nationalen Sachverhalt ohne grenzüberschreitendes Element handele, wurde vom EuGH mehrfach zurückgewiesen.155 Zur Begründung verwies er darauf, dass es sich nicht ausschließen ließe, dass auch Unternehmen an der Erbringung der Dienstleistung interessiert seien, die nicht im Mitgliedstaat des Konzessionsgebers ansässig sind. Werde die Vergabe einer Dienstleistungskonzession weder bekannt gemacht noch ausgeschrieben, so liege hierin zumindest eine potenzielle Diskriminierung zu Lasten der Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten.156
152
EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 48, NZBau 2005, S. 644, 647; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 20, NZBau 2006, S. 326, 327. 153 EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 61, EuZW 2001, S. 90, 94; EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 49, NZBau 2005, S. 644, 648; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 21, NZBau 2006, S. 326, 327. 154 EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 62, EuZW 2001, S. 90, 94; EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 49, NZBau 2005, S. 644, 648; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 21, NZBau 2006, S. 326, 327. 155 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 55 f., NZBau 2005, S. 644, 648; EuGH, Urt. v. 21. 7. 2005 – Rs. C-231/03 (Co.Na.Me), Slg. 2005, I-7287 Rn. 17 ff., NZBau 2005, S. 592, 593. Fraglich ist, ob die neuere Rechtsprechung des EuGH zu Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte und Aufträgen über nachrangige Dienstleistungen – auf die die Vergaberichtlinien ebenfalls nicht bzw. nur mit wenigen Vorschriften anwendbar sind – an dieser Beurteilung etwas ändern wird. Diese Entscheidungen machen das Eingreifen der Grundfreiheiten jeweils vom Vorliegen eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesse an dem Auftrag abhängig (vgl. EuGH, Urt. v. 13. 11. 2007 – Rs. C-507/03 (An Post), NZBau 2008, S. 71; EuGH, Urt. v. 21. 2. 2008 – Rs. C-412/04 (Kommission/Italien); verneinend Bitterich, EuZW 2008, S. 14, 17). 156 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 55 f., NZBau 2005, S. 644, 648; vgl. auch EuGH, Urt. v. 21. 7. 2005 – Rs. C-231/03 (Co.Na.Me), Slg. 2005, I-7287 Rn. 17 ff., NZBau 2005, S. 592, 593 (mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit).
6. Kap.: Dienstleistungskonzession
157
Unter besonderen Umständen kann jedoch auch nach der Rechtsprechung des EuGH eine Verletzung der Grundfreiheiten ausscheiden, obwohl keine Ausschreibung oder sonstige öffentliche Bekanntmachung erfolgt ist. Dies gelte bspw. bei Konzessionen mit „sehr geringfügige[r] wirtschaftliche[r] Bedeutung“, bei denen „vernünftigerweise angenommen werden“ kann, dass Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten an deren Erhalt kein Interesse haben.157 III. In-House-Vergabe Die Art. 43 und 49 EG, das Diskriminierungsverbot und der Gleichbehandlungsgrundsatz sind nicht anwendbar, wenn die Voraussetzungen einer In-HouseVergabe158 vorliegen. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Parking Brixen“ sind die Grundsätze der In-House-Vergabe auch auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen anwendbar.159 Zwar könnten die der Rechtsprechung zur In-House-Vergabe zugrundeliegenden Erwägungen nicht ohne weiteres auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen übertragen werden, da die Anwendung des Vergaberechts das Vorliegen eines zwischen zwei Personen geschlossenen Vertrages voraussetze, wohingegen die Anwendung der genannten Grundsätze des Gemeinschaftsrechts nicht vom Vorliegen eines Vertrages abhänge. Gleichwohl seien im Bereich der öffentlichen Aufträge und der Dienstleistungskonzessionen die genannten Grundsätze des Gemeinschaftsrechts anwendbar, wenn „eine öffentliche Stelle einem Dritten die Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten“ übertrage.160 Sie seien hingegen nicht anwendbar, „wenn eine öffentliche Stelle ihre im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben mit ihren eigenen administrativen, technischen und sonstigen Mitteln erfüllt, ohne sich an externe Einrichtungen zu wenden“.161 Wenn der Konzessionsgeber über den Konzessionsnehmer eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt und der Konzessionsnehmer seine Tätigkeit im Wesentlichen für den Konzessionsgeber verrichtet, ist also bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession die Beachtung des Transparenzerfordernisses nicht erforderlich, es muss kein angemessener Grad an Öffentlichkeit hergestellt werden. Ob demnach bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession an eine Eigengesellschaft der Transparenzgrundsatz beachtet werden muss, hängt vom Maß der Selbständig157 EuGH, Urt. v. 21. 7. 2005 – Rs. C-231/03 (Co.Na.Me), Slg. 2005,I-7287 Rn. 20, NZBau 2005, S. 592, 593; vgl. dazu unten D. I. 158 Vgl. hierzu Kapitel 5 und EuGH, Urt. v. 18. 11. 1999 – Rs. C-107/98 (Teckal), Slg. 1999, I-8139, NZBau 2000, S. 90. 159 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 61 ff., NZBau 2005, S. 644, 648 f.; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 24, NZBau 2006, S. 326, 328. 160 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 61, NZBau 2005, S. 644, 649. 161 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 61, NZBau 2005, S. 644, 649.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
keit der Eigengesellschaft ab.162 Bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen an gemischtwirtschaftliche Gesellschaften muss der Transparenzgrundsatz beachtet und ein angemessener Grad an Öffentlichkeit hergestellt werden.163 Hinsichtlich der Frage, ob der Konzessionsnehmer seine Tätigkeit im Wesentlichen für den Konzessionsgeber verrichtet, der seine Anteile innehat, ergibt sich das Problem, dass bei Dienstleistungskonzessionen das Unternehmen seine Leistungen nicht unmittelbar dem öffentlichen Auftraggeber, sondern den Nutzern der Dienstleistung erbringt und es von diesen auch vergütet wird. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Umsätze, die das Unternehmen aufgrund einer Dienstleistungskonzession mit Dritten erzielt, ebenfalls als Tätigkeiten, die das Unternehmen zugunsten seines öffentlichen Anteilseigners erbringt, zu berücksichtigen sind. Dies wird vom EuGH bejaht. Entscheidend sei der Umsatz, den das fragliche Unternehmen auf Grund der Vergabeentscheidungen der kontrollierenden Körperschaft erziele, einschließlich des Umsatzes, der in Ausführung solcher Entscheidungen mit den Nutzern erzielt werde.164 Es komme nicht darauf an, wer das betreffende Unternehmen vergüte, sei es die Körperschaft, die seine Anteile innehat, seien es Dritte als Nutzer der Dienstleistung, die auf Grund von Konzessionen oder anderen von der Körperschaft eingegangenen Rechtsbeziehungen erbracht werden. Es spiele auch keine Rolle, in welchem Gebiet die genannten Leistungen erbracht würden.165 Dieser Lösung des Problems ist zuzustimmen. Ein Konzessionsnehmer tritt zwar in direkte Rechts- und Entgeltbeziehungen zu den Nutzern der von ihm erbrachten Leistung, er erfüllt jedoch gleichzeitig eine seinem Anteilseigner obliegende öffentliche Aufgabe. Deshalb ist es gerechtfertigt, auch in Fällen einer Dienstleistungskonzession von einer Tätigkeit zugunsten des öffentlichen Anteilseigners, der die Anteile des fraglichen Unternehmens innehat, auszugehen.166 162
Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 5 C. und das Urteil des EuGH in der Sache „Parking Brixen“ selbst, das die Vergabe einer Dienstleistungskonzession zum Gegenstand hatte (EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 56 ff., NZBau 2005, S. 644, 649 f.). 163 EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 30 ff.; NZBau 2006, S. 326, 328; vgl. zur Anwendbarkeit des Vergaberechts EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, NZBau 2005, S. 111. 164 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 65, NZBau 2006, S. 452, 455 f. 165 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 67, NZBau 2006, S. 452, 456. 166 Ebenfalls zustimmend Jennert, NZBau 2006, S. 421, 422. Das OLG Düsseldorf hat sich bereits mit der ähnlichen Problematik befasst, ob Umsätze, die ein Unternehmen durch Tätigkeiten erwirtschaftet hat, die es aufgrund einer Beleihung gemäß § 16 Abs. 2 KrW-/ AbfG durchgeführt hat, so zu behandeln sind, als ob sie für die auftraggebende Gebietskörperschaft und nicht für Dritte erbracht worden sind (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2004, S. 343, 345). Es hat entschieden, dass eine Eigengesellschaft im Falle einer Drittbeauftragung gemäß § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG (vgl. hierzu Kap. 3 A. I. + II. und Kap. 2 C. II.) für die auftraggebende Gebietskörperschaft tätig ist, da sie in diesem Fall lediglich die Erfüllung einer Pflicht für die Gebietskörperschaft übernommen hat. Im Falle einer Beleihung gemäß
6. Kap.: Dienstleistungskonzession
159
C. Untersuchung einzelner Begriffsmerkmale Aufgrund der erheblichen Unterschiede zwischen der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen und Dienstleistungskonzessionen ist eine genaue Untersuchung der einzelnen Merkmale des Begriffs der Dienstleistungskonzession notwendig, um die erforderliche Abgrenzung möglichst sicher vornehmen zu können. I. Notwendigkeit der Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge? Nach der herrschenden Ansicht in der deutschen Rechtsprechung und Literatur ist Voraussetzung für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession, dass die zu erbringende Dienstleistung der Erfüllung einer Aufgabe dient, die grundsätzlich der öffentlichen Hand obliegt.167 Überwiegend wird auch vertreten, dass die zu erbringende Dienstleistung im öffentlichen Interesse168 bzw. Allgemeininteresse169 liegen muss, was bspw. bei der Übertragung der Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge der Fall ist.170 Nach Ansicht des VG Neustadt a. d. W. scheidet eine Dienstleistungskonzession deshalb aus, wenn der öffentliche Auftraggeber eine Tätigkeit nachfragt, die „seiner fiskalischen und nicht einer dem Allgemeininteresse dienenden Tätigkeit zuzuord-
§ 16 Abs. 2 KrW-/AbfG (d. h. einer Übertragung der Pflicht zur Abfallentsorgung mit befreiender Wirkung für den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger) ist das beliehene Unternehmen nicht für die öffentliche Hand tätig. Es wird vielmehr auf eigene Rechnung und in Erfüllung eigener Aufgaben für seine privaten Kunden tätig. Die beliehene Gesellschaft entsorgt die Abfälle nicht für die öffentliche Hand, sondern für ihre privaten Vertragspartner in Erfüllung ihrer eigenen, vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger übertragenen Pflicht. Die Umsätze, die im Rahmen der Tätigkeit aufgrund der Beleihung gemäß § 16 Abs. 2 KrW-/ AbfG erwirtschaftet werden, sind deshalb nicht so zu behandeln, als ob sie für die auftraggebende Gebietskörperschaft und nicht für Dritte erbracht worden sind (OLG Düsseldorf, NZBau 2004, S. 343, 345). 167 OLG Düsseldorf, NZBau 2004, S. 343, 344; BayObLG, NZBau 2002, S. 233, 234; OLG Brandenburg, NZBau 2001, S. 645, 647; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Kommentar Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 27a; Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. Nr. C 121, S. 4, NVwZ-Beilage III/2000 zu Heft 7/2000, S. 8; GA Alber, Schlussanträge v. 18. 3. 1999, Rs. C-108/98 (RI.SAN), Slg. 1999, I-5221, 5233; Böckel, LKV 2003, S: 393, 396; Burgi, NZBau 2005, S. 610; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 459; Gröning, NZBau 2001, S. 123; Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 283; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 378. 168 So OLG Brandenburg, NZBau 2004, S. 645, 647; Burgi, NZBau 2005, S. 610; Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 30. 169 So GA Alber, Schlussanträge v. 18. 3. 1999, Rs. C-108/98 (RI.SAN), Slg. 1999, I-5221, 5233; Böckel, LKV 2003, S. 393, 396; OLG Naumburg, NZBau 2002, S. 235, 236; Aumont/ Kaelble, NZBau 2006, S. 280, 283; ablehnend Jennert, NZBau 2005, S. 131, 132. 170 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Kommentar Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 27a.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
nen ist.“171 Es begründet die Unanwendbarkeit des Vergaberechts auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen damit, dass der Konzessionär mit der Übertragung der Dienstleistungskonzession verpflichtet werde, zur Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe beizutragen, womit ihm zugleich Verantwortung für die Erfüllung dieser Aufgabe mitübertragen werde. Diese Übertragung von Mitverantwortung rechtfertige eine Ausnahme von den strengen Regeln des Vergaberechts, da sie ein Vertrauensverhältnis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber bzw. Konzessionsgeber und dem Partner voraussetze. Das Verfahren zur Auswahl des Partners müsse diesem Erfordernis Rechnung tragen und die Auswahl eines Partners ermöglichen, zu dem das notwendige Vertrauen bestehe. Diesem Bedürfnis werde das strenge, an Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten orientierte Vergabeverfahren nicht gerecht. Die Auswahl eines vertrauenswürdigen Partners erfordere vielmehr ein flexibleres Verfahrensrecht, das bspw. am Allgemeinen Wirtschaftsrecht orientiert sei. Dadurch, dass bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen ein flexibleres Verfahren durchgeführt werden kann, könne der Konzessionsgeber einen Partner finden, mit dem er vertrauensvoll zusammenarbeiten kann. Aus diesen Gründen sei das Vergaberecht auf Dienstleistungskonzessionen nicht anwendbar.172 Diese Ansicht wird auch mit dem Stichwort intuitus personae gekennzeichnet.173 Zu beachten ist, dass das VG Neustadt a. d. W. nicht das Ziel verfolgte, „im Dienste der Daseinsvorsorge“ die Anwendbarkeit des Vergaberechts einzuschränken. Die vom VG Neustadt a. d. W. vertretene Ansicht führt vielmehr im Ergebnis zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts, da es Fälle, in denen der öffentliche Auftraggeber eine dem fiskalischen Bereich zuzuordnende Tätigkeit nachfragt und in denen nach anderen vertretenen Auffassungen u. U. eine dem Vergaberecht nicht unterliegende Dienstleistungskonzession vorliegt, dadurch dem Vergaberecht unterwirft, dass es vom Vorliegen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags ausgeht. In der Legaldefinition des Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG ist als Voraussetzung einer Dienstleistungskonzession nicht genannt, dass die zu erbringende Dienstleistung der Erfüllung einer Aufgabe dienen muss, die grundsätzlich der öffentlichen Hand obliegt. Auch der EuGH hat in seinen die Dienstleistungskonzession betreffenden Entscheidungen bisher weder erwähnt, dass die zu erfüllende Dienstleistung der Erfüllung einer der öffentlichen Hand obliegenden Aufgabe dienen muss, noch dass Gegenstand einer Dienstleistungskonzession notwendigerweise die Übertragung einer Tätigkeit zur Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge bzw. 171 VG Neustadt a. d. W., NZBau 2002, S. 237. Im entschiedenen Fall ordnete das VG Neustadt a. d. W. die Aufstellung und Nutzung von Werbemedien in einer Stadt als fiskalische Tätigkeit ein, weshalb es das Vorliegen einer Dienstleitungskonzession ablehnte (VG Neustadt a. d. W., NZBau 2002, S. 237, 239). 172 VG Neustadt a. d. W., NZBau 2002, S. 237, 238; vgl. hierzu ablehnend Jennert, NZBau 2005, S. 131, 132. 173 Jennert, NZBau 2005, S. 131, 132.
6. Kap.: Dienstleistungskonzession
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einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sein muss.174 In seinem Urteil in der Sache „Telaustria“ hat der EuGH dargelegt, dass die Dienstleistungskonzession deshalb nicht dem Vergaberecht unterliegt, weil der europäische Gesetzgeber hiervon ausdrücklich abgesehen hat. Die Ausklammerung der Dienstleistungskonzession aus dem Vergaberecht wurde jedoch nicht damit begründet,175 dass die durch eine Dienstleistungskonzession übertragene Mitverantwortung für die Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Auftraggeber bzw. Konzessionsgeber und Partner erfordere, was auch im durchzuführenden Auswahlverfahren seinen Niederschlag finden müsse. Die Kommission lehnt den Gedanken des intuitus personae sogar ausdrücklich ab.176 Aus der Entstehungsgeschichte lässt sich also nicht zwingend folgern, dass Gegenstand einer Dienstleistungskonzession die Übertragung einer Dienstleistung zur Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge sein muss.177 Da in den im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersuchten Fällen jeweils die Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge auf einen Dritten übertragen wird, wäre die Voraussetzung der Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden öffentlichen Aufgabe jedenfalls gegeben. Mit der Kommission ist davon auszugehen, dass eine Dienstleistungskonzession jedenfalls üblicherweise Tätigkeiten zum Inhalt hat, „die nach ihrer Natur, ihrem Gegenstand und nach den Vorschriften, denen sie unterliegen, in den Verantwortungsbereich des Staates fallen und die Gegenstand von ausschließlichen und besonderen Rechten sein können“.178 II. Übernahme des wirtschaftlichen Risikos 1. Wirtschaftliches Risiko Eine weitere Voraussetzung für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession ist, dass der Konzessionsnehmer das mit der Erbringung der Dienstleistung zusammenhängende wirtschaftliche Risiko trägt. Dieses wirtschaftliche Risiko resultiert bei einer Dienstleistungskonzession daraus, dass der Konzessionsnehmer keine feste 174 Vgl. EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 58, EuZW 2001, S. 90, 93 f.; EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 40 ff., NZBau 2005, S. 644, 647; Jennert, NZBau 2005, S. 131, 132. 175 Zur Begründung vgl. oben B. I. 1. 176 Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. Nr. C 121, S. 6, NVwZ-Beilage III/2000 zu Heft 7/2000, S. 10. 177 So auch Jennert, NZBau 2005, S. 131, 132; im Ergebnis so auch Burgi, der argumentiert, dass das vom VG Neustadt a. d. W. einschränkend aufgestellte Kriterium ins Leere liefe, da der Staat nur im allgemeinen Interesse tätig werden könne (Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 66). 178 Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. Nr. C 121, S. 4, NVwZ-Beilage III/2000 zu Heft 7/2000, S. 8.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
Gegenleistung vom Auftraggeber erhält, sondern ihm das Recht eingeräumt wird, seine Leistung dadurch zu verwerten, dass er von den Nutzern der Dienstleistung ein Entgelt erhebt.179 Unter wirtschaftlichem Risiko ist allgemein die bei Vertragsschluss bestehende Unsicherheit über die Annahme der Leistung durch die Nutzungsinteressenten und die hieraus resultierende Unsicherheit über die aus dem Nutzungsrecht erzielbaren Erträge zu verstehen.180 Wenn die Werthaltigkeit des als Gegenleistung eingeräumten Nutzungsrechts zum Zeitpunkt der Vereinbarung bestimmbar ist, entspricht die Gegenleistung einer Geldzahlung und ist demnach als Entgelt i. S. von § 99 Abs. 1 GWB einzustufen.181 2. Anforderungen des EuGH Die Anforderungen an den Übergang des wirtschaftlichen Risikos scheinen nach Ansicht des EuGH nicht allzu hoch zu sein. Für den EuGH ist entscheidend für die Abgrenzung zwischen öffentlichem Auftrag und Dienstleistungskonzession, dass beim öffentlichen Dienstleistungsauftrag ein Entgelt vom öffentlichen Auftraggeber an den Dienstleistungserbringer gezahlt wird, während bei einer Dienstleistungskonzession die Bezahlung des Dienstleistungserbringers durch die Nutzer der Dienstleistung erfolgt.182 Dieses Recht zur Nutzung der eigenen Dienstleistung erhält der Dienstleistungserbringer als Gegenleistung für die von ihm zu erbringenden Dienstleistungen (Art. 1 Abs. 4 Richtlinie 2004/18/EG). In seinem Urteil in der Rechtssache „Parking Brixen“ schließt der EuGH aus dem Umstand der Bezahlung des Dienstleistungserbringers durch die Nutzer der Dienstleistung auf die Übernahme des wirtschaftlichen Risikos bzw. Betriebsrisikos durch den Dienstleistungserbringer.183 Auch ist es für den EuGH ausreichend, dass die Einnahmen aus den
179 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 40, NZBau 2005, S. 644, 647 (Betriebsrisiko); OLG Düsseldorf, NZBau 2005, S. 650 f.; OLG Düsseldorf, NZBau 2005, S. 652, 653 (wirtschaftliches Nutzungs- und Verwertungsrisiko); BayObLG, NZBau 2002, S. 233, 234; OLG Brandenburg, NZBau 2001, S. 645, 647 (wirtschaftliches Nutzungsrisiko); Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 459; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Kommentar Vergaberecht, 2003, § 99 Rn. 27a (Verwertungs- und Betriebsrisiko); Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604 (Verwertungs- und Betriebsrisiko); Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629; Böckel, LKV 2003, S. 393, 395; Gröning, NZBau 2001, S. 123. 180 Jennert, NZBau 2005, S. 131, 134; Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604; OLG Düsseldorf, NZBau 2005, S. 652, 654. 181 GA Fennelly, Schlussanträge vom 18. 5. 2000 in der Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 40; Jennert, NZBau 2005, S. 131, 134; Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604. 182 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 39 ff.; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, 326, 327. 183 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 40, NZBau 2005, S. 644, 647.
6. Kap.: Dienstleistungskonzession
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Nutzungsentgelten nur einen Teil der Kosten abdecken.184 Weitere Erwägungen hinsichtlich der Frage, wer das wirtschaftliche Risiko trägt, stellt der EuGH nicht an. Gleichwohl bejaht er jeweils das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession.185 Auch nach Ansicht des GA Fennelly dürfen die Anforderungen an das durch den Konzessionsnehmer zu tragende wirtschaftliche Risiko nicht überspannt werden. Nach zutreffender Ansicht von GA Fennelly „reicht eine bloße Wahrscheinlichkeit, dass es dem Konzessionär möglich sein wird, die Konzession gewinnbringend zu verwerten, nicht aus“, um das Vorliegen eines wirtschaftlichen Risikos zu verneinen. Erforderlich ist vielmehr, „dass ein Verlustrisiko mit hoher Wahrscheinlichkeit minimal oder gar ausgeschlossen“ ist.186 An die Verneinung eines wirtschaftlichen Risikos sind somit strenge Anforderungen zu stellen.187 3. Prüfungskriterien Zur Prüfung, ob der Konzessionsnehmer das wirtschaftliche Risiko trägt, werden in der Rechtsprechung und Literatur verschiedene Kriterien herangezogen. Jennert188 stellt unter Bezugnahme auf den vom EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache „Parking Brixen“189 verwendeten Begriff des Betriebsrisikos für die Abgrenzung zwischen öffentlichem Auftrag und Dienstleistungskonzession darauf ab, ob der Auftragnehmer das Risiko verschuldensunabhängiger Einnahmeverluste trägt. Er versteht unter dem – vom EuGH nicht definierten – Begriff des Betriebsrisikos „das Risiko des verschuldensunabhängigen Einnahmeausfalls“, bspw. „auf Grund von technischen Störungen, Witterungsbedingungen oder Problemen mit Subunternehmern“.190 Im Gegensatz hierzu greife das bei Dienstleistungsaufträgen in Form von Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüchen des Auftraggebers bestehende Verwendungsrisiko letztendlich nur bei Verschulden des Auftragnehmers ein. Trage der Auftragnehmer das Risiko verschuldensunabhängiger Einnahmeverluste, so 184
EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, S. 326, 327. 185 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 40, NZBau 2005, S. 644, 647; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, S. 326, 327. Der EuGH erwähnt das Kriterium der Übernahme des Betriebsrisikos zwar in seinem Urteil in der Rechtssache „ANAV“ nicht, aus dem Verweis auf das Urteil in der Rechtssache „Parking Brixen“ kann jedoch geschlossen werden, dass er weiter an diesem Kriterium festhalten will (vgl. EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, S. 326, 327); zurückhaltender Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 384. 186 GA Fennelly, Schlussanträge vom 18. 5. 2000 in der Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745, Rn. 40. 187 So auch Jennert, NZBau 2005, S. 131, 134; Jennert, N&R 2004, S. 108, 111. 188 Jennert, NZBau 2005, S. 623, 624. 189 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 40, NZBau 2005, S. 644, 647. 190 Jennert, NZBau 2005, S. 623, 624.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
trage er auch das Betriebsrisiko, weshalb eine Dienstleistungskonzession vorliege. Beim Dienstleistungsauftrag trage er das Risiko von Einnahmeverlusten nur im Falle seines Verschuldens.191 Ob der EuGH den Begriff des Betriebsrisikos tatsächlich so verstanden hat, wie Jennert ihn interpretiert, oder ob er diesen Begriff lediglich als Synonym für den Begriff „wirtschaftliches Risiko“ verwendet hat, ist den Urteilsgründen in der Rechtssache „Parking Brixen“ nicht zu entnehmen.192 Im Ergebnis ist es jedoch überzeugender, die Frage der Übernahme des wirtschaftlichen Risikos anhand einer größeren Anzahl von Kriterien zu untersuchen. Das Risiko verschuldensunabhängiger Einnahmeverluste kann in diese Gesamtbetrachtung miteinbezogen werden, bei einer Reduzierung der heranzuziehenden Kriterien auf diese Frage ist es jedoch nicht möglich, alle relevanten Einzelheiten des jeweils zu untersuchenden Sachverhaltes angemessen in die Prüfung einzubeziehen. Dementsprechend zieht das OLG Düsseldorf das Risiko der Annahme der Leistung durch den Markt (Absatzrisiko bzw. Verwendungsrisiko), das Risiko, dass die Nutzer als Vergütungsschuldner in Insolvenz fallen (Insolvenzrisiko) und das finanzielle Risiko von Fehlkalkulationen (Kalkulationsrisiko) als Abgrenzungskriterien heran.193 Zu nennen ist auch das Preisrisiko, d. h. die Unsicherheit ob bzw. inwieweit die Leistung auch zu kostendeckenden bzw. gewinnbringenden Preisen nachgefragt wird.194 Unter bestimmten Bedingungen ist es ausgeschlossen, dass der Auftragnehmer das wirtschaftliche Risiko trägt. Hierunter fallen bspw. Fälle, in denen der öffentliche Auftraggeber das Risiko wirtschaftlicher Verluste dadurch trägt, dass er eine Ausfallbürgschaft übernimmt.195 Umstritten ist, ob trotz des Abschlusses eines ausschließlichen Konzessionsvertrags in der Wasserversorgung und der Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwangs durch die jeweilige Gemeinde196 das wirtschaftliche Risiko beim Versorgungsunternehmen liegt oder ob ein solcher Konzessionsvertrag mangels Übernahme des wirtschaftlichen Risikos keine Dienstleistungskonzession darstellt.197
191
Jennert, NZBau 2005, S. 623, 624. Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 40 f., NZBau 2005, S. 644, 647. 193 OLG Düsseldorf, NZBau 2005, S. 650, 651; zustimmend Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629. 194 Jennert, N&R 2004, S. 108, 111. 195 Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629; Böckel, LKV 2003, S. 393, 395. 196 Vgl. dazu Kapitel 4 B. I. 1. und 2. b). 197 Dienstleistungsauftrag: Jennert, N&R 2004, S. 108; Böckel, LKV 2003, S. 393, 395. Dienstleistungskonzession: Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 77; Dierkes, ZfW 2004, S. 201, 205; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, S. 49, 494. Vgl. zur Problematik ausschließlicher Rechte auch OLG Düsseldorf, NZBau 2005, S. 650, 651. 192
6. Kap.: Dienstleistungskonzession
165
4. Teilentgeltlichkeit Eine Teilentgeltlichkeit schließt das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession nicht aus.198 Dies ergibt sich bereits aus der Definition des Begriffs der Dienstleistungskonzession in Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG, die vorsieht, dass die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistung auch in der Einräumung eines Nutzungsrechtes „zuzüglich der Zahlung eines Preises“ bestehen kann. Auch bei Teilentgeltlichkeit muss jedoch der Konzessionsnehmer das wirtschaftliche Risiko tragen, da andernfalls vom Vorliegen eines öffentlichen Auftrags auszugehen ist.199 Das Vorliegen dieser Voraussetzung ist anhand einer umfassenden Gesamtwürdigung aller finanziellen Risiken zu prüfen.200 Auch wenn der öffentliche Auftraggeber sich in einem hohen Maße an den Investitions- oder Nutzungskosten beteiligt, kann das wirtschaftliche Risiko beim Auftragnehmer liegen, solange der gezahlte Betrag nur einen Teil der entstehenden Kosten abdeckt und dem Auftragnehmer die Unsicherheit verbleibt, ob der nicht abgedeckte Teil der Kosten durch die von ihm erhobenen Nutzungsentgelte gedeckt werden kann, ob bspw. eine ausreichende Nachfrage für seine Leistung vorhanden ist.201 Das OLG Schleswig hat in einem Fall, in dem die öffentliche Hand 80 % der Baukosten übernommen hatte, das Vorliegen einer Baukonzession bejaht, da der Konzessionsnehmer immer noch einen bedeutenden Teil der mit der Nutzung verbundenen Risiken trage.202 In vielen Bereichen der Daseinsvorsorge (insbesondere im SPNV und im ÖPNV) werden den Leistungserbringern regelmäßig öffentliche Zuschüsse gewährt, da die Einnahmen nicht ausreichen, um die betroffene Leistung wirtschaftlich zu erbringen. Durch diese Zuschüsse soll sichergestellt werden, dass die betroffene Leistung überhaupt bzw. zu einem angemessenen Preis erbracht wird.203 Die vieldiskutierte Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen in diesen Fällen ebenfalls Dienstleistungskonzessionen gegeben sind, soll in den speziell dem SPNV und dem ÖPNV gewidmeten Kapiteln 8 und 9 der vorliegenden Arbeit erörtert werden.204
198
EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, S. 326, 327; Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629; Burgi, Die Dienstleistungskonzession ersten Grades, 2004, S. 71. 199 Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629; Böckel, LKV 2003, S. 393, 395; Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 663; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 384. 200 Böckel, LKV 2003, S. 393, 395. 201 Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629; Böckel, LKV 2003, S. 393, 395; Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. 2000, C 121, S. 3, NVwZ-Beilage Nr. III/2000 zu Heft 7/2000, S. 7. 202 OLG Schleswig, NZBau 2000, S. 100, 102; zustimmend Böckel, LKV 2003, S. 393, 395 und Endler, NZBau 2002, S. 125, 128. 203 Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629; Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. 2000, C/121, S. 3, NVwZ-Beilage Nr. III/2000 zu Heft 7/2000, S. 7. 204 Vgl. Kapitel 8 C. III., Kapitel 9 B. III. 4. und C. II. 4.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
D. Das Verfahren zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen Der EuGH hat die Anforderungen an das zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession durchzuführende Verfahren bisher noch nicht im Einzelnen konkret festgelegt, sondern jeweils entschieden, dass eine die Grundregeln des EG-Vertrags und insbesondere das Transparenzgebot beachtende Ausgestaltung des Vergabeverfahrens Aufgabe der nationalen konzessionserteilenden Stellen sei. Die Beurteilung der Frage, ob das durchgeführte Verfahren den Grundregeln des EG-Vertrags entsprach, sei Sache der zuständigen nationalen Gerichte.205 Grundsätzlich sind zur Konkretisierung der Anforderungen an das Vergabeverfahren drei verschiedene Möglichkeiten denkbar:206 Erstens könnte man die auf Dienstleistungsaufträge anzuwendenden Verfahrensregeln der Richtlinie 2004/18/ EG (analog) heranziehen, zweitens könnte man auf die die Baukonzessionen betreffenden Verfahrensregeln der Richtlinie 2004/18/EG zurückgreifen207 und drittens könnte man aus den Grundregeln des EG-Vertrags bestimmte Mindeststandards für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen ableiten. Weder die erste noch die zweite Variante lassen sich jedoch mit dem geltenden europäischen Vergaberecht vereinbaren. Der europäische Gesetzgeber hat sich einerseits gegen die Anwendbarkeit der Vergaberichtlinien auf Dienstleistungskonzessionen entschieden208 und andererseits (im Gegensatz zur Baukonzession) auch nicht bestimmte Regeln des europäischen Vergaberechts auf die Dienstleistungskonzession für anwendbar erklärt. Es verbleibt also nur die Möglichkeit, aus den Grundregeln des EG-Vertrags bestimmte Mindeststandards abzuleiten.209 Aufgrund der bestehenden Unsicherheiten wird vielerorts eine gesetzliche Regelung gefordert.210
205 EuGH, Urt. v. 21. 7. 2005 – Rs. C-231/03 (Co.Na.Me.), Slg. 2005, I-7287 Rn. 21, NZBau 2005, S. 592. 593; EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 50, NZBau 2005, S. 644, 648; vgl. Burgi, NZBau 2005, S. 610, 612. 206 Vgl. Burgi, NZBau 2005, S. 610, 613. 207 So Gröning für eine analoge Anwendung des für Baukonzessionen geltenden § 32a VOB/A, der eine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vorschreibt (Gröning, NZBau 2001, S. 123, 124). 208 Gröning, NZBau 2001, S. 123, 125; Böckel, LKV 2003, S. 393, 397. 209 Ebenso Burgi, NZBau 2005, S. 610, 613, der von einem „Vergaberecht light“ spricht. Böckel, der diejenigen Vorschriften der VOL/A, die „die allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit repräsentieren“, heranziehen will (vgl. Böckel, LKV 2003, S. 393, 397 ff.), gelangt auf diesem Weg im Ergebnis jedoch zu einer sehr weitgehenden Anwendung von Bestimmungen der VOL/A. 210 Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 630; Burgi, NZBau 2005, S. 610, 613 f. In ihrer Mitteilung zu öffentlich-privaten Partnerschaften aus dem Jahr 2005 hatte auch die Kommission zum Ausdruck gebracht, im Bereich der Konzessionen einer gesetzgeberischen Initiative gegenüber einer Auslegungsmitteilung den Vorzug zu geben (vgl. Kommission, Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinschaftli-
6. Kap.: Dienstleistungskonzession
167
I. Anforderungen an die öffentliche Bekanntmachung Der EuGH verlangt, dass bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession vom Konzessionsgeber ein angemessener Grad an Öffentlichkeit hergestellt wird. Kriterien zur Beurteilung der Frage, auf welches Gebiet sich die öffentliche Bekanntmachung räumlich erstrecken muss, hat der EuGH bisher noch nicht aufgestellt. Das völlige Fehlen einer Ausschreibung oder einer sonstigen öffentlichen Bekanntmachung verstößt jedoch grundsätzlich gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrags.211 Es besteht nicht die Verpflichtung, ein förmliches offenes Verfahren durchzuführen. Allerdings muss das gewählte Verfahren geeignet sein, Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, vor der Vergabe den Zugang zu angemessenen Informationen über die Konzession zu ermöglichen, so dass diese Unternehmen gegebenenfalls ihr Interesse am Erhalt der Konzession bekunden können.212 Erforderlich ist also grundsätzlich eine öffentliche Bekanntmachung in den Mitgliedstaaten, in denen potenzielle Interessenten sitzen könnten, d. h. im Zweifelsfall eine europaweite öffentliche Bekanntmachung. Diese muss jedoch nicht zwangsläufig im Supplement des Amtsblatts der Europäischen Gemeinschaften nach den in den Vergaberichtlinien vorgesehenen Mustern für Bekanntmachungen erfolgen.213 Dieser Grundsatz ist jedoch in mehrfacher Hinsicht einzuschränken.214 Die Verpflichtung zur Herstellung einer europaweiten Transparenz kann nicht für sämtliche Dienstleistungskonzessionen bestehen, da die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen dann strengeren Maßstäben unterläge als die Vergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen, bei denen die Veröffentlichung im Supplement des Amtsblatts der Europäischen Gemeinschaften erst ab bestimmten Schwellenwerten vorgeschrieben ist. Die für öffentliche Dienstleistungsaufträge geltenden Schwellenwerte sind deshalb für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen entsprechend heranzuziehen.215 Auch bei Dienstleistungsaufträgen unterhalb der Schwellenwerte kann eine grenzüberschreitende öffentliche Bekanntmachung erforderlich sein, wenn an dem Auftrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Inter-
chen Rechtsvorschriften für das öffentliche Beschaffungswesen und Konzessionen vom 15. 11. 2005, KOM (2005) 569 endg., 3.2.). 211 Vgl. oben B. II. und EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 50; NZBau 2005, S. 644, 648; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 22. 212 EuGH, Urt. v. 21. 7. 2005 – Rs. C-231/03 (Co.Na.Me.), Slg. 2005, I-7287 Rn. 21, NZBau 2005, S. 592, 593. 213 GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 12. 4. 2005 in der Rs. C-231/03 (Co.Na.Me.), Slg. 2005, I-7287 Rn. 97; Burgi, NZBau 2005, S. 610, 615; Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629 f.; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, S. 489, 495. 214 GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 12. 4. 2005 in der Rs. C-231/03 (Co.Na.Me.), Slg. 2005, I-7287 Rn. 94. 215 Burgi, NZBau 2005, S. 610, 615; Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 630 (Fn. 23); Gröning, NZBau 2001, S. 123, 125; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, S. 489, 495.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
esse besteht.216 Kriterien für das Bestehen eines grenzüberschreitenden Interesses können insbesondere der Auftragswert in Verbindung mit dem Ort der Leistungserbringung und der spezifische Auftraggegenstand sein.217 Überträgt man diese Grundsätze auf die Dienstleistungskonzession, so ist eine europaweite öffentliche Bekanntmachung erforderlich, wenn die Schwellenwerte überschritten sind. Werden die Schwellenwerte nicht erreicht, muss bei Vorliegen eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses im Zweifel eine europaweite öffentliche Bekantmachung erfolgen.218 Bei Konzessionen mit „sehr geringfügige[r] wirtschaftliche[r] Bedeutung“, bei denen „vernünftigerweise angenommen werden“ kann, dass Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten an deren Erhalt kein Interesse haben, gelten die aus dem gemeinschaftlichen Primärrecht abgeleiteten Anforderungen an das Verfahren nicht.219 Unter diesen besonderen Umständen gelten somit auch die primärrechtlichen Transparenzanforderungen nicht, weshalb die Vergabe einer solchen Konzession ohne Ausschreibung oder sonstige öffentliche Bekanntmachung nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt.220 Bei der Prüfung, ob eine solche Konzession vorliegt, sind wiederum der Auftragsgegenstand und insbesondere der geschätzte Auftragswert in Verbindung mit dem Leistungsort zu berücksichtigen. Der Auftragswert muss deutlich unter den für öffentliche Aufträge geltenden Schwellenwerten liegen, da die Grundsätze des EG-Vertrags grundsätzlich auch bei unterhalb der Schwellenwerte liegenden öffentlichen Aufträgen anwendbar sind. Es darf kein hinreichender Zusammenhang mit dem Funktionieren des Binnenmarktes mehr bestehen. Da ein solcher Zusammenhang jedoch bereits bei einem potenziellen Interesse ausländischer Unternehmen besteht, ist anzunehmen, dass der EuGH nur unter engen Voraussetzungen von einer sehr geringfügigen wirtschaftlichen Bedeutung ausgehen wird.221
216 EuGH, Urt. v. 21. 2. 2008 – Rs. C-412/04 (Kommission/Italien), noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, NVwZ 2008, S. 397 (Rn. 66 i. V. mit Rn. 81). 217 So für einen unterhalb der Schwellenwerte liegenden öffentlichen Bauauftrag EuGH, Urt. v. 15. 5. 2008 – Rs. C-147/06 und C-148/06 (SECAP), noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, NVwZ 2008, S. 766, 768 (Rn. 24, 31). 218 Vgl. auch Bitterich, EuZW 2008, S. 14, 17. 219 EuGH, Urt. v. 21. 7. 2005 – Rs. C-231/03 (Co.Na.Me), Slg. 2005, I-7287 Rn. 20, NZBau 2005, S. 592, 593. Bei Dienstleistungsaufträgen unterhalb der Schwellenwerte fehlt in diesem Fall das eindeutige grenzüberschreitende Interesse (EuGH, Urt. v. 15. 5. 2008 – Rs. C-147/06 und 148/06 (SECAP), noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, NVwZ 2008, S. 766, 768 (Rn. 31)). 220 Vgl. oben B. II. 221 Diese Einschätzung wird bestätigt durch das zu einem unter den Schwellenwerten liegenden öffentlichen Bauauftrag ergangene Urteil des EuGH vom 15. 5. 2008 – Rs. C-147/06 und 148/06 (SECAP), NVwZ 2008, S. 766, 768 (Rn. 31). In diesem Urteil hat der EuGH entschieden, dass bspw. in grenzüberschreitenden Ballungsräumen selbst bei einem niedrigen Auftragswert ein grenzüberschreitendes Interesse bestehen kann.
6. Kap.: Dienstleistungskonzession
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Die Vergaberichtlinien sehen die Möglichkeit vor, dass unter bestimmten Bedingungen Verfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zulässig sind (vgl. Art. 31 Richtlinie 2004/18/EG). Es handelt sich hierbei bspw. um besonders dringliche Aufträge oder um Aufträge, die aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des Schutzes eines Ausschließlichkeitsrechtes nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden können. Was nach den Vergaberichtlinien zulässig ist, muss erst recht für die primärrechtlichen Anforderungen an die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen gelten. Bei Dienstleistungskonzessionen ist eine öffentliche Bekanntmachung also zumindest in den Fällen entbehrlich, in denen auch bei Anwendbarkeit der Vergaberichtlinien keine öffentliche Ausschreibung erfolgen muss.222 Die Absicht zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession muss in geeigneter Weise bekannt gegeben werden.223 Die europaweite Bekanntmachung kann im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften erfolgen,224 aber auch in überregionalen Tageszeitungen, nationalen Amtsblättern, Ausschreibungsblättern, Fachzeitschriften oder im Internet. Dasselbe gilt grundsätzlich für eine nationale Bekanntmachung.225 Inhaltlich muss die Bekanntmachung Aufschluss bieten über Art, Umfang und Dauer der Dienstleistung und den Zeitpunkt, bis zu dem Bewerbungen möglich sind.226 II. Anforderungen an das Verfahren Die Konzessionsgeber sind bei der Wahl der Verfahrensart frei, sie sind nicht auf die enumerativ im Vergaberecht aufgeführten Verfahrensarten beschränkt.227 Die Besonderheiten der jeweils zu vergebenden Dienstleistungskonzession können be-
222 GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 12. 4. 2005 in der Rs. C-231/03 (Co.Na.Me.), Slg. 2005, I-7287 Rn. 93, 79. 223 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 33; Kommission, Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften, KOM (2004) 327 endg., Rn. 30; Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. 2000, C/121, S. 7, NVwZ-Beilage III/2000 zu Heft 7/2000, S. 12. 224 Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 630; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, S. 489, 495; für Gröning, der § 32a VOB/A analog anwenden will, ist im Falle einer europaweiten Bekanntmachung die Veröffentlichung im Supplement zum Amtsblatt der EG verpflichtend (hiergegen Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 99 Rn. 33). 225 GA Stix-Haxl, Schlussanträge vom 12. 4. 2005 in der Rs. C-231/03 (Co.Na.Me.), Slg. 2005, I-7287 Rn. 96. 226 Burgi, NZBau 2005, S. 610, 615; Jennert, NZBau 2005, S. 623, 625; Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. 2000, C/121, S. 7, NVwZ-Beilage III/2000 zu Heft 7/2000, S. 12. 227 Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. 2000, C/121, S. 7, NVwZ-Beilage III/2000 zu Heft 7/2000, S. 11; Burgi, NZBau 2005, S. 610, 615.
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3. Teil: Unanwendbarkeit des Vergaberechts
rücksichtigt werden.228 Allerdings verlangt der Gleichbehandlungsgrundsatz, dass die Auswahl des Konzessionsnehmers anhand von objektiven, vorher festgelegten Eignungs- und Zuschlagskriterien erfolgen muss, die auf alle Bieter gleich angewandt werden.229 Auf Kriterien wie Staatsangehörigkeit, Ortsansässigkeit oder langjährige Erfahrung im Gemeindegebiet darf nicht abgestellt werden, da dies eine Diskriminierung ausländischer Unternehmen mit sich brächte.230 Das Pflichtenprogramm des Konzessionsnehmers muss so gestaltet sein, dass während der gesamten Vertragslaufzeit eine angemessene und ausreichende Versorgung gesichert ist. Der Gesichtspunkt, dass die zu erbringende Dienstleistung eine solche der Daseinsvorsorge ist, muss also wesentlich bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung beachtet werden.231 Bei der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen muss der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot, d. h. auf das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis, erteilt werden. Da bei einer Dienstleistungskonzession der Konzessionsgeber grundsätzlich keine direkte Gegenleistung in Geld erbringt, sondern als Gegenleistung ein Nutzungsrecht einräumt, kann sich die Auswahl des Konzessionsnehmers nicht an einem Preis-Leistungs-Verhältnis orientieren. Die Auswahl des Konzessionsnehmers ist deshalb anhand der Qualität und des Preisniveaus vorzunehmen, das der Konzessionsnehmer den späteren Nutzern seiner Dienstleistung bietet.232 Es muss eine Beurteilung aus der Perspektive der zukünftigen Nutzer vorgenommen werden. Wenn die Dienstleistungserbringer öffentliche Zuschüsse erhalten,233 ist als weiterer Gesichtspunkt die Höhe der benötigten Zuschüsse zu beachten.
228 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 50, NZBau 2005, S. 644, 648. 229 Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 630; Burgi, NZBau 2005, S. 610, 615; Kommission, Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften, KOM (2004) 327 endg., Rn. 30; Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. 2000, C/121, S. 6 f., NVwZ-Beilage III/2000 zu Heft 7/2000, S. 11; Böckel, LKV 2003, S: 393, 397; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, S. 489, 495; GA StixHaxl, Schlussanträge vom 12. 4. 2005 in der Rs. C-231/03 (Co.Na.Me.), Slg. 2005, I-7287 Rn. 86. 230 Burgi, NZBau 2005, S. 610, 615; Böckel, LKV 2003, S. 393, 397. Dem Gesichtspunkt eines (bestehenden) Vertrauensverhältnisses zwischen den Partnern (intuitus personae; vgl. Kapitel 6 C. I.), das u. a. auf der Ortsansässigkeit oder einer langjährigen Zusammenarbeit beruhen kann, kann also auch bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession grundsätzlich keine entscheidende Bedeutung zukommen. Jedenfalls ist eine freihändige Direktvergabe der Dienstleistungskonzession an einen langjährigen Partner nicht mit den Anforderungen des EG-Vertrags in Einklang zu bringen. 231 Burgi, NZBau 2005, S. 610, 616. 232 Vgl. ausführlich Burgi, NZBau 2005, S. 610, 616; Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 630. 233 Vgl. oben C. II. 4.
4. Teil
Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV Nachdem in Kapitel 7 zunächst die derzeit bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen des ÖPNVerläutert werden, sind die Kapitel 8 und 9 der Frage gewidmet, ob das Vergaberecht auch in den Bereichen des Schienenpersonennahverkehrs und des straßengebundenen ÖPNV Anwendung findet. Hierbei soll unter Berücksichtigung der speziellen Bedingungen des SPNV nochmals die Frage der Vereinbarkeit von Daseinsvorsorge und Vergaberecht erörtert werden (Kapitel 8 B. III.). Das Kapitel 10 zeigt anhand des konkreten Beispiels des ÖPNV, in welcher Weise der Daseinsvorsorgecharakter der Verkehrsleistungen im Vergabeverfahren berücksichtigt werden kann, wenn die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens erforderlich ist. Kapitel 12 befasst sich schlussendlich mit der neuen EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und den verfahrensrechtlichen Anforderungen, die aus dieser Verordnung folgen.
7. Kapitel
Rechtlicher Rahmen des ÖPNV A. Definition Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) ist die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr zu befriedigen. Das ist nach den für den ÖPNV geltenden Gesetzen im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt (vgl. § 2 RegG1, § 8 Abs. 1 PBefG2 und § 2 Abs. 5 AEG3). 1 Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz, RegG) vom 27. 12. 1993 (BGBl. I S. 2395), verkündet als Art. 4 des EisenbahnneuordnungsG v. 27. 12. 1993 (BGBl. I S. 2378), zuletzt geändert durch Artikel 25 Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom 29. 12. 2003 (BGBl. I S. 3076, 3091). 2 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. 8. 1990 (BGBl. I S. 1690), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 7 des siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen v. 7. 7. 2005 (BGBl. I S. 1954).
172
4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
ÖPNV kann mit verschiedenen Verkehrsmitteln durchgeführt werden. Wird der ÖPNV mit der Eisenbahn durchgeführt, so spricht man von Schienenpersonennahverkehr (SPNV), wird er mit Straßenbahnen, Oberleitungsbussen oder Kraftfahrzeugen (insbesondere Bussen) durchgeführt, handelt es sich um straßengebundenen ÖPNV. Entsprechend dieser Unterscheidung ist das Allgemeine Eisenbahngesetz anwendbar auf den Schienenpersonennahverkehr (vgl. §§ 1, 2 Abs. 5 AEG), das Personenbeförderungsgesetz auf den straßengebundenen ÖPNV (vgl. §§ 1, 8 Abs. 1 PBefG).
B. Aufgabe der Daseinsvorsorge/Regionalisierung I. Regionalisierung Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge (§ 1 Abs. 1 RegG). Durch das Regionalisierungsgesetz wurde mit Wirkung vom 1. 1. 1996 die Verantwortung für die Gewährleistung eines dem öffentlichen Interesse entsprechenden ÖPNV-Angebots (d. h. einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV) regionalen Aufgabenträgern übertragen (Regionalisierung). Welche regionalen Gebietskörperschaften Aufgabenträger des ÖPNV sind, wird durch das Landesrecht bestimmt (§ 1 Abs. 2 RegG).4 Die Aufgabenträger haben dafür zu sorgen, dass „Verkehrsmittel im Linienverkehr bereitgestellt werden, die die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr quantitativ und qualitativ ausreichend zu befriedigen geeignet erscheinen (§ 2 S. 1 RegG) und […] das Netz [zu] bilden, in dem die einzelnen Beförderungsleistungen gegenüber dem Fahrgast erbracht werden.“5 Die Aufgaben- und Ausgabenverantwortung und damit die Zuständigkeiten für Planung, Organisation und Finanzierung des ÖPNV sollten auf einer regionalen, dezentralen Ebene zusammengeführt werden (§ 3 RegG).6 Durch die Regionalisierung sollte eine Trennung der politischen von der betrieblichen Verantwortung erreicht werden. Die regionalen Aufgabenträger des ÖPNV sind für die konzeptionellen Vorgaben, ihre Realisierung und Finanzierung verantwortlich, den Verkehrsunternehmen obliegt die Organisation und Durchführung der Verkehrsbedienung.7 3
Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) vom 27. 12. 1993 (BGBl. I S. 2396), verkündet als Art. 5 des EisenbahnneuordnungsG v. 27. 12. 1993 (BGBl. I S. 2378), zuletzt geändert durch Art. 1 des vierten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften v. 3. 8. 2005 (BGBl. I S. 2270). 4 Hermes, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, Einf. D Rn. 51; Werner, WiVerw 2001, S. 89, 98. 5 BGH, Beschl. v. 7. 2. 2006, Az. KVR 5/05, NJW-RR 2006, S. 836, 838. 6 Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 8. 7 BT-Drs. 12/5014, S. 32; Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 9.
7. Kap.: Rechtlicher Rahmen des ÖPNV
173
II. Auswirkung der Regionalisierung auf den SPNV/Bahnreform Die größten Auswirkungen hatte die Regionalisierung im Bereich des SPNV. Vor der Regionalisierung wurde der SPNV insbesondere durch die Deutsche Bundesbahn (und die Deutsche Reichsbahn für das Gebiet der neuen Bundesländer) erbracht. Die Deutsche Bundesbahn war bis zum 31. 12. 1993 ein nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes mit eigener Rechnungs- und Wirtschaftsführung, das in bundeseigener Verwaltung geführt wurde. Bei den Verkehrsleistungen im SPNV handelte es sich um staatliche Leistungen.8 Die bundeseigenen Eisenbahnen Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn erbrachten in Erfüllung ihrer gemeinwirtschaftlichen Aufgabe Verkehrsleistungen im SPNV, die im Laufe der Zeit immer größer werdenden Defizite wurden durch den Bund getragen.9 Im Rahmen der Bahnreform, die zum 1. 1. 1994 in Kraft getreten ist, wurden die Sondervermögen Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn in die Deutsche Bahn AG zusammengeführt, die als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form geführt wird (Art. 87e Abs. 3 GG).10 Durch das Regionalisierungsgesetz wurde zum 1. 1. 1996 die Trennung der Bestellerebene von der Erstellerebene eingeführt. Die Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für den SPNV wurde den Ländern bzw. den durch diese bestimmten Gebietskörperschaften zugewiesen.11 Die jeweils zuständigen Aufgabenträger sind für die Organisation und Finanzierung des SPNV verantwortlich und vereinbaren bzw. bestellen zu diesem Zweck die Erbringung bestimmter Verkehrsleistungen mit den Verkehrsunternehmen (Bestellerebene), die Verkehrsunternehmen sind lediglich für die Durchführung der Verkehrsleistungen verantwortlich (Erstellerebene). Die Deutsche Bahn AG handelt demnach seit dem 1. 1. 1996 (neben anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen) als Erstellerin von Verkehrsleistungen im SPNV. Die benötigten Verkehrsleistungen werden durch die im Rahmen der Regionalisierung nach dem jeweiligen Landesrecht bestimmten zuständigen Stellen bestellt und bezahlt (Bestellerprinzip).12 Durch die Trennung von Besteller- und Erstellerebene und die Zusammenfassung der Aufgaben- und Ausgabenverantwortung auf einer regionalen Ebene soll eine nach den örtlichen Bedingungen, Anforderungen und Erwartungen bestmögliche Verkehrsbedienung erreicht werden.13 Die Beurteilung der 8
Delbanco, in: Foos (Hrsg.), Eisenbahnrecht und Bahnreform, 2002, S. 37 f. Vgl. BT-Drs. 12/6269, S. 137; Hermes, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, Einf. A Rn. 17; Delbanco, in: Foos (Hrsg.), Eisenbahnrecht und Bahnreform, 2002, S. 37 ff. 10 Vgl. dazu im Einzelnen z. B. Suckale, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, Einf. C Rn. 1 ff.; Fromm, DVBl. 1994, S. 187; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 3 f. 11 Fromm, DVBl. 1994, S. 187, 191; Bidinger, NZV 1994, S. 209, 211; BT-Drs. 12/6269, S. 136; Suckale, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, Einf. C Rn. 25. 12 Werner, WiVerw 2001, S. 89, 98; Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 131, 137. 13 Vgl. BT-Drs. 12/5014, S. 32. 9
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
Notwendigkeit einer Verkehrsleistung soll der jeweils zuständigen regionalen Behörde überlassen werden, da diese die Verkehrsbedürfnisse vor Ort besser einschätzen kann, als dies von Bundesebene aus möglich ist.14 Auch im straßengebundenen ÖPNV wurde im Grundsatz das Bestellerprinzip eingeführt (vgl. § 13a PBefG).15 Dieser Grundsatz erfährt allerdings dadurch eine erhebliche Einschränkung, dass die Aufgabenträger gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen mit Verkehrsunternehmen nur vereinbaren oder diesen auferlegen, soweit eine ausreichende Verkehrsbedienung im straßengebundenen ÖPNV eigenwirtschaftlich nicht möglich ist (§ 8 Abs. 4 Satz 3 PBefG).16 III. Aufgabenträger Zur Umsetzung und inhaltlichen Ausgestaltung der Regionalisierung haben sämtliche Bundesländer Gesetze über den ÖPNV erlassen. In nahezu allen Bundesländern werden als Aufgabenträger für den straßengebundenen ÖPNV die Landund Stadtkreise bestimmt, teilweise können unter bestimmten Voraussetzungen auch kreisangehörige Gemeinden diese Aufgabe übertragen bekommen.17 Uneinheitlicher ist die Regelung hinsichtlich des SPNV. In einigen Bundesländern (z. B. Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen) sind die Land- und Stadtkreise auch Aufgabenträger des SPNV, es sind jedoch Zweckverbände zu bilden. In den anderen Flächenländern wird die Aufgabenträgerschaft für den SPNV dem jeweiligen Bundesland selbst zugewiesen. In manchen dieser Bundesländer (z. B. Bayern, Schleswig-Holstein, Thüringen) ist das Bundesland selbst ausschließlicher Aufgabenträger des SPNV. Andere Bundesländer wiederum haben die Möglichkeit der Übertragung der Aufgabenträgerschaft für den SPNV auf die Land- oder Stadtkreise vorgesehen (z. B. Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt).18 Durch das Regionalisierungsgesetz sollte die Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für den gesamten ÖPNV auf einer regionalen Ebene zusammengeführt werden, um eine nach den örtlichen Bedingungen, Anforderungen und Erwartungen bestmögliche Verkehrsbedienung zu erreichen.19 Dies ergibt sich aus § 3 RegG, 14 Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 8 (Zielgenauigkeit der ÖPNV-Planung). 15 Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 131, 137; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 5. 16 Vgl. jedoch zu den Besonderheiten im straßengebundenen ÖPNV Kapitel 9 A. III., Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 16 ff. und Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 40. 17 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 5, 92. 18 Vgl. zu den Zuständigkeiten der Überblick bei Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 5, 91 f.; Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 11 f. 19 BT-Drs. 12/5014, S. 32; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 90 f.; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 66.
7. Kap.: Rechtlicher Rahmen des ÖPNV
175
demzufolge zur Stärkung der Wirtschaftlichkeit der Verkehrsbedienung im ÖPNV anzustreben ist, die Zuständigkeiten für Planung, Organisation und Finanzierung des ÖPNV zusammenzuführen.20 Nur in den Bundesländern, in denen die Land- und Stadtkreise auch für den SPNV Aufgabenträger sind, wurde dieses Ziel der Regionalisierung streng umgesetzt.21 Die Aufgabenträger haben für ihr Gebiet zur Sicherung und Verbesserung des ÖPNVeinen Nahverkehrsplan aufzustellen, der den Rahmen für die Entwicklung des ÖPNV bildet (§ 8 Abs. 3 S. 5). Darüber hinaus haben die Aufgabenträger im Zusammenwirken mit der zuständigen Genehmigungsbehörde und den betroffenen Verkehrsunternehmern im Interesse einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV sowie einer wirtschaftlichen Verkehrsgestaltung für eine Integration der Nahverkehrsbedienung zu sorgen (§ 8 Abs. 3 S. 1 PBefG).22 IV. VO (EWG) 1191/69 Die Einführung des Bestellerprinzips folgt den Vorgaben der für den ÖPNV bedeutsamen Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 in der Fassung der Verordnung (EWG) 1893/91 des Rates vom 20. Juni 1991 (im Folgenden VO (EWG) 1191/69)23. Diese Verordnung wurde durch die am 3. 12. 2009 in Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 200724 ersetzt. 1. Ursprüngliche Fassung der VO (EWG) 1191/69 Die Verkehrsunternehmen waren hoheitlich verpflichtet, auch defizitäre Verkehrsleistungen zu erbringen und nicht kostendeckende Tarife anzuwenden.25 Ziel der VO (EWG) 1191/69 in der ursprünglichen Fassung war es, diese den Verkehrsunternehmen durch die Mitgliedstaaten auferlegten Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes aufzuheben (Art. 1 Abs. 1 VO (EWG) 1191/69 in der ursprünglichen Fassung). Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes sind solche Ver20
Hermes, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, Einf. D Rn. 51. Kritik hieran übt Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 11 ff. 22 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 94 f. 23 Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs (ABl. EG Nr. L 156 vom 28. 6. 1969, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 des Rates vom 20. Juni 1991 (ABl. EG Nr. L 169 vom 29. 6. 1991, S. 1). 24 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1170/70 des Rates. 25 Vgl. Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 73 ff. 21
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
pflichtungen, die das Verkehrsunternehmen im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht oder nicht im gleichen Umfang und nicht unter gleichen Bedingungen übernehmen würde (Art. 2 Abs. 1 VO (EWG) 1191/69). Die VO (EWG) 1191/69 benennt als solche Verpflichtungen die Betriebspflicht, die Beförderungspflicht und die Tarifpflicht (Art. 2 Abs. 2 VO (EWG) 1191/69). Soweit sie jedoch für die Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung unerlässlich waren, konnten die Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes insoweit beibehalten werden (Art. 1 Abs. 2 VO (EWG) 1191/69 in der ursprünglichen Fassung). Allerdings hatten die betroffenen Verkehrsunternehmen in diesem Fall einen Anspruch auf die Bezahlung eines nach gemeinsamen Methoden festgelegten Ausgleichs für die mit dieser Verpflichtung verbundenen Belastungen (Art. 6 Abs. 2 VO (EWG) 1191/69).26 Da diese Ausgleichszahlungen in allen Mitgliedstaaten einheitlich nach gemeinsamen, in der VO (EWG) 1191/69 festgelegten Methoden gewährt werden und deshalb keine Wettbewerbsverzerrungen entstehen können, muss die Kommission nicht gemäß Art. 88 Abs. 3 EG (früher Art. 93 Abs. 3 EGV) vorab unterrichtet werden (Art. 17 Abs. 2 VO (EWG) 1191/69).27 2. Weiterentwicklung durch die VO (EWG) 1893/91 Vom Anwendungsbereich der VO (EWG) 1191/69 waren ursprünglich weder Eisenbahnen, die keine Staatseisenbahnen waren, noch Straßenverkehrsunternehmen, die hauptsächlich Beförderungen mit örtlichem oder regionalem Charakter durchführten, erfasst. Durch die VO (EWG) 1893/91 wurde der Anwendungsbereich der VO (EWG) 1191/69 über den SPNV der Deutschen Bundesbahn hinaus auf den gesamten ÖPNV erweitert.28 Allerdings sieht Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EWG) 1191/69 für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vor, Unternehmen, deren Tätigkeit ausschließlich auf den Betrieb von Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdiensten beschränkt ist (die also ausschließlich Verkehrsleistungen im ÖPNV erbringen) vom Anwendungsbereich der VO (EWG) 1191/69 (wieder) auszunehmen. Von dieser Möglichkeit der Bereichsausnahme hat die Bundesrepublik Deutschland bis zum 31. 12. 1995 vollumfänglich Gebrauch gemacht.29 Seit dem 1. 1. 1996 gilt die VO 1191/ 69 – mit Ausnahme der eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV (§ 8 Abs. 4 S. 1, 2 PBefG) – für den gesamten ÖPNV in der
26
Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 59 f., 137. Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 44; Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 83. 28 Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 60 f.; Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 293, 306 f. 29 Zu den Einzelheiten vgl. BVerwG, DVBl. 2000, S. 1617, 1618; Fromm, TranspR 1994, S. 425; Bidinger, NZV 1994, S. 209, 214; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 61; Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 293, 309. 27
7. Kap.: Rechtlicher Rahmen des ÖPNV
177
Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 4 RegG, § 15 Abs. 1 AEG, § 8 Abs. 4 S. 3 PBefG).30 Auch nach der VO (EWG) 1191/69 i. d. F. der VO (EWG) 1893/91 sind die durch die Mitgliedstaaten auferlegten Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes aufzuheben (Art. 1 Abs. 3 VO (EWG) 1191/69 i. d. F. der VO (EWG) 1893/91). Die Beibehaltung oder hoheitliche Auferlegung von neuen Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes durch Verwaltungsakt ist nur noch im ÖPNV möglich (Art. 1 Abs. 5 VO (EWG) 1191/69).31 Eine wesentliche Neuerung bestand in dem durch die VO (EWG) 1893/91 eingeführten Instrument des Abschlusses von Verträgen zur Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung. Zwischen den zuständigen Behörden und den Verkehrsunternehmen können Verträge über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes abgeschlossen werden, um eine unter Berücksichtigung sozialer, umweltpolitischer und landesplanerischer Faktoren ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen (Art. 1 Abs. 4 VO (EWG) 1191/69 in der Fassung der VO (EWG) 1893/91).32 Gemäß Art. 14 VO (EWG) 1191/69 ist ein Vertrag über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes ein Vertrag, der zwischen den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates und einem Verkehrsunternehmen abgeschlossen wird, um der Allgemeinheit ausreichende Verkehrsdienste zu bieten. In dem Vertrag können Verkehrsdienste vereinbart werden, die u. a. bestimmte Anforderungen an Kontinuität, Regelmäßigkeit, Leistungsfähigkeit und Qualität zu erfüllen haben oder die zu besonderen Tarifen oder Bedingungen für bestimmte Personengruppen oder auf bestimmten Verkehrsverbindungen erbracht werden. Es können auch zusätzliche, d. h. neue, über das bisherige Verkehrsangebot hinausgehende Verkehrsdienste vereinbart werden (Art. 14 Abs. 1 VO (EWG) 1191/69).33 Für die Erbringung dieser vertraglich vereinbarten Dienstleistungen bezahlt der Aufgabenträger dem Verkehrsunternehmen als Gegenleistung einen Preis, der entweder die Tarifeinnahmen ergänzt oder die Einnahmen miteinschließt (Art. 14 Abs. 2 lit. b VO (EWG) 1191/69).34 Die 30
Die VO (EWG) 1191/69 gilt für eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV weiterhin nicht, da die Bundesrepublik Deutschland insoweit eingeschränkt immer noch von der Möglichkeit der Bereichsausnahme gemäß Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EWG) 1191/69 Gebrauch macht (EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810, Rn. 57; Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 293, 309; vgl. hierzu ausführlich Kapitel 9 A. III.). 31 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 46; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 48. 32 Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 61; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 45; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 50 ff. 33 Vgl. dazu im Einzelnen Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 53; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 143. 34 Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 141, 143; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 46, 54.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
VO (EWG) 1191/69 macht keine Vorgaben hinsichtlich der Auswahl des Verkehrsunternehmens, mit dem ein Vertrag abgeschlossen werden soll. 3. Deutsches Recht Entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben sehen die maßgeblichen deutschen Gesetze vor, dass die Aufgabenträger zur Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung im ÖPNV gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen nach Maßgabe der VO (EWG) 1191/69 mit einem Verkehrsunternehmen vereinbaren oder diesem auferlegen können (§ 4 RegG, § 15 Abs. 1 S. 1 AEG, § 8 Abs. 4 S. 3 PBefG).35 Der Begriff der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen entspricht dem gemeinschaftsrechtlichen Begriff der Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes.36 Gemäß § 4 RegG in Verbindung mit der VO (EWG) 1191/69 kann also mit Verkehrsunternehmen die Erbringung eines bestimmten, genau definierten Verkehrsangebotes vereinbart werden, durch das eine ausreichende Verkehrsbedienung im ÖPNV gesichert wird. Zuständig für die Vereinbarung oder Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen sind wiederum die durch Landesrecht bestimmten Stellen (§ 4 S. 2 RegG, § 15 Abs. 1 S. 2 AEG, § 8 Abs. 4 S. 4 PBefG). In aller Regel bestimmen die ÖPNV-Gesetze der einzelnen Bundesländer, dass die Aufgabenträger des ÖPNV auch für die Vereinbarung oder Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen zuständig sind.37 Die Länder folgen damit der nicht verbindlichen (da die Verwaltungsordnung der Länder betreffenden) Vorgabe des Bundesgesetzgebers (vgl. § 8 Abs. 4 S. 4 Hs. 2 PBefG).38 V. Finanzierung des ÖPNV Wurde durch die Regionalisierung den Ländern die Verantwortung für den SPNV übertragen, so mussten ihnen im Gegenzug auch Mittel zur Finanzierung dieser neuen Aufgabe zur Verfügung gestellt werden. Da mit der weit überwiegenden Zahl der Verkehrsleistungen im ÖPNV keine Einnahmen erzielt werden können, die wenigstens die entstehenden Kosten abdecken, müssen Zuschüsse gewährt werden. Der ÖPNV ist defizitär und auf öffentliche Zuschüsse angewiesen.39 Zum Zweck der 35
Hermes, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, Einf. D Rn. 51. Hermes, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, Einf. B Rn. 93; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 33. 37 Vgl. bspw. § 6 Abs. 3 des baden-württembergischen Gesetzes über die Planung, Organisation und Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNVG) vom 8. Juni 1995 (GBl. S. 417), zuletzt geändert durch Artikel 2 Landesgesetz zu Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und zur Änderung anderer Gesetze vom 3. 5. 2005 (GBl. S. 327, 329). 38 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 93. 39 Vgl. nur Hermes, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommenatr, 2006, Einf. B Rn. 95. 36
8. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im SPNV
179
Finanzierung insbesondere des SPNV40 werden den Ländern die sogenannten Regionalisierungsmittel durch den Bund zur Verfügung gestellt. Es handelt sich hierbei um einen Teil aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes, der nach einem bestimmten Schlüssel auf die einzelnen Länder verteilt wird (Art. 106a GG, §§ 5, 8 RegG). Nach Maßgabe von § 7 RegG sollen die Regionalisierungsmittel hauptsächlich für die Finanzierung des SPNV verwendet werden. Glich der Bund vor der Regionalisierung die durch die Deutsche Bundesbahn im SPNV erwirtschafteten Defizite aus dem Bundeshaushalt aus, stehen nach der Regionalisierung den verantwortlichen Ländern nunmehr Teile aus dem Steueraufkommen des Bundes zur Finanzierung des ÖPNV (insbesondere des SPNV) zu.41
8. Kapitel
Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im SPNV Im Rahmen dieses Kapitels soll die Frage untersucht werden, ob die Aufgabenträger das Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB) anzuwenden haben, wenn sie mit einem Eisenbahnverkehrsunternehmen die Erbringung von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im SPNV vereinbaren wollen. § 15 Abs. 1 S. 1 AEG bestimmt – deklaratorisch –, dass für die Auferlegung oder Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen die – unmittelbar anwendbare – VO (EWG) 1191/69 maßgebend ist. Der Begriff der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen entspricht dem gemeinschaftsrechtlichen Begriff der Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes des Art. 2 Abs. 1 VO (EWG) 1191/69.42
A. Eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen Neben den gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen sind im SPNV auch eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen denkbar. Eigenwirtschaftlich sind Verkehrsleistungen, für die das jeweilige Eisenbahnverkehrsunternehmen keine Ausgleichszahlungen der Aufgabenträger erhält, sondern deren Aufwand durch die Beförderungsentgelte gedeckt wird.43 Da der SPNV jedoch grundsätzlich defizitär 40
Zu den Finanzierungsmitteln im straßengebundenen ÖPNV vgl. Kapitel 9 A. III. 1. Hermes, in: Hermes/Sellner, (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, Einf. D Rn. 29. 42 Vgl. dazu ausführlich Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 33; Bayer/Manka, Der Nahverkehr 3/1998, S. 8. Vgl. zum Begriff der Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes Kapitel 7 B. IV.1. 43 Prieß, VergabeR 2004, S. 584, 586; Otting, DVBl. 2003, S. 1023, 1025; Bayer/Manka, Der Nahverkehr 3/1998, S. 8 f.; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, 41
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
ist, kommen eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen in der Praxis selten vor.44 Die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts stellt sich für eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen von vorne herein nicht, da sie nicht von den Aufgabenträgern vergeben, sondern von den Verkehrsunternehmen aus eigenem Antrieb mit Gewinnerzielungsabsicht erbracht werden. Mangels Zahlung eines Entgelts kann auch kein öffentlicher Auftrag i. S. des § 99 Abs. 1 GWB vorliegen.45
B. Verhältnis des § 15 Abs. 2 AEG zum Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB) Die Diskussion über die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im SPNV entzündete sich an § 15 Abs. 2 AEG. Nach § 15 Abs. 2 AEG können die zuständigen Behörden (§ 15 Abs. 1 S. 2 AEG), die beabsichtigen, die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen auf der Grundlage des Artikels 1 Abs. 4 und des Artikels 14 der VO (EWG) 1191/69 zu vereinbaren, diese Leistungen ausschreiben. Nach den §§ 97 ff. GWB muss jedoch grundsätzlich eine öffentliche Ausschreibung durchgeführt werden (§ 101 Abs. 6 GWB). Es stellt sich somit die Frage, in welchem Verhältnis § 15 Abs. 2 AEG zu den §§ 97 ff. GWB steht. Eine Ansicht geht davon aus, dass § 15 Abs. 2 AEG für die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im SPNV eine abschließende Sonderregelung enthalte, die die Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB verdränge.46 Die Aufgabenträger haben demnach ein echtes Entscheidungsermessen, ob sie eine öffentliche Ausschreibung durchführen oder die SPNV-Leistungen mit einem Eisenbahnverkehrsunternehmen frei und ohne Bindungen an das Vergaberecht vereinbaren wollen. Die §§ 97 ff. GWB sind nach dieser Ansicht nur dann anwendbar,
§ 15 Rn. 32. Zu § 8 Abs. 4 PBefG und der ungleich schwierigeren Rechtslage im straßengebundenen ÖPNV vgl. Kapitel 9 A. III. 44 Otting, DVBl. 2003, S. 1023, 1025; Bayer/Manka, Der Nahverkehr 3/1998, S. 8 f. 45 Prieß, VergabeR 2004, S. 584, 586; Otting, DVBl. 2003, S. 1023, 1025; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 38; unzutreffend deshalb Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 158. 46 OLG Brandenburg, Beschl. v. 2. 9. 2003, Az. Verg W 3/03 und Verg W 5/03, NZBau 2003, S. 688, 689; VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 8, 9; VK Karlsruhe, Beschl. v. 14. 3. 2005, Az. 1 VK 5/05, S. 12 ff. (das OLG Karlsruhe als zuständiges Beschwerdegericht hat diese Frage mangels Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offengelassen, angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 15 Abs. 2 AEG jedoch angedeutet, die Auffassung der VK Karlsruhe zu teilen); Prieß, NZBau 2002, S. 539; Prieß, VergabeR 2004, S. 584; Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 476; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 8 ff.; Hölzl, VergabeR 2005; S. 219, 220; Recknagel, NZBau 2007, S. 121; Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 505.
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wenn sich die Aufgabenträger dazu entschließen, eine Ausschreibung durchzuführen.47 Die andere Ansicht geht davon aus, dass die §§ 97 ff. GWB dem § 15 Abs. 2 GWB vorgehen, weshalb grundsätzlich eine öffentliche Ausschreibung durchgeführt werden müsse48 bzw., dass aufgrund der §§ 97 ff. GWB das den Aufgabenträgern durch § 15 Abs. 2 AEG eingeräumte Ermessen dahingehend auf Null reduziert sei, dass grundsätzlich eine Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung bestehe.49 Beide Ansichten kommen zum selben Ergebnis, wenn sich der jeweilige Aufgabenträger für die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung entscheidet. Mit der Entscheidung für eine öffentliche Ausschreibung unterwirft er sich in jedem Fall dem Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB).50 Die Frage jedoch, ob er verpflichtet ist, eine solche öffentliche Ausschreibung durchzuführen, ist höchst umstritten und hat insbesondere im Schrifttum zu heftigen Kontroversen geführt.51 Ausgangspunkt der Untersuchung soll der gemeinschaftsrechtliche Rahmen für die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im SPNV sein. Im Mittelpunkt steht hierbei die Frage, ob sich aus dem Gemeinschaftsrecht eine 47
OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 689 f.; VK Karlsruhe, Beschl. v. 14. 3. 2005, Az. 1 VK 5/05, S. 12 f.; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 8, 25 ff.; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 546 f., Recknagel, NZBau 2007, S. 121. Auch Pietzcker geht zwar davon aus, dass der Gesetzgeber die „Wettbewerbsöffnung durch Ausschreibung“ ins Ermessen der Aufgabenträger stellen wollte, er hält das Vergaberecht jedoch grundsätzlich für anwendbar und gesteht den Aufgabenträgern lediglich ein Wahlrecht zwischen den verschiedenen Verfahrensarten des Vergaberechts zu (Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 662). 48 VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 8 ff.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 7. 2002, Az. Verg 22/02, NZBau 2002, S. 634, 635 (obiter dictum, jedoch letztendlich offenlassend); VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 4. 2002, Az. VK-5/2002-L, S. 12 f., NZBau 2005, S. 335 (Leitsätze); Marx, Der Nahverkehr 3/2003, S. 28, 29; Werner/ Köster, NVwZ 2003, S. 572; Köhler, NZBau 2003, S. 31; Bremer/Wünschmann, WiVerw 2004, S. 51 ff.; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162 ff.; Zirbes, VergabeR 2004, S. 133 ff. 49 Bayer/Manka, Der Nahverkehr 3/1998, S. 8, 10 f.; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 165 (Fn. 94); Theobald/Kafka, NZBau 2002, S. 603, 605. Hüser will eine „praktische Konkordanz“ der selbständig nebeneinander anwendbaren Regelungen der §§ 97 ff. GWB und der gewerberechtlichen Regelungen des § 15 AEG i. V. mit der VO (EWG) 1191/69 dadurch herstellen, dass man § 15 Abs. 2 AEG lediglich Mindestanforderungen entnehme, die ggf. durch die weitergehenden Erfordernisse der §§ 97 ff. GWB verschärft würden. Eine vergaberechtliche Ausschreibungspflicht würde das durch § 15 Abs. 2 AEG eröffnete Ermessen des Aufgabenträgers deshalb auf Null reduzieren (Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 338, 345). 50 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 693; OLG Koblenz, Beschl. v. 5. 9. 2002, Az. 1 Verg 2/02, NZBau 2002, S. 699, 703; OLG Düsseldorf, NZBau 2003, S. 634, 635; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6. 12. 2004, Az. VII Verg 79/04, VergabeR 2005, S. 212; VK Kiel, Beschl. v. 5. 8. 2003, Az. VK-SH 21/03, NZBau 2003, S. 695; VK Münster, Beschl. v. 19. 6. 2007, Az. 12/07, S. 18 f.; Recknagel, NZBau 2007, S. 121 f. 51 Vgl. einerseits Zirbes, VergabeR 2004, S. 133 ff. und andererseits die Antwort hierauf durch Prieß, VergabeR 2004, S. 584 ff.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
Ausschreibungspflicht ergibt (vgl. unten I.). Unter Punkt II. wird anschließend untersucht, wie sich das Verhältnis zwischen § 15 Abs. 2 AEG und den §§ 97 ff. GWB aus der Sicht des nationalen Rechts darstellt. I. Gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung? 1. VO (EWG) 1191/69 Die VO (EWG) 1191/69 enthält keine Verpflichtung der Aufgabenträger, vor der Vereinbarung einer gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistung mit einem Eisenbahnverkehrsunternehmen eine Ausschreibung durchzuführen.52 Art. 1 Abs. 4 und Art. 14 VO (EWG), auf die auch § 15 Abs. 2 AEG verweist, bestimmen zunächst ihrem Wortlaut nach nicht, dass vor der Vereinbarung einer gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistung eine Ausschreibung durchzuführen ist. Art. 1 Abs. 4 und Art. 14 VO (EWG) 1191/69 enthalten keine Vorschriften über das zum Abschluss eines Verkehrsvertrages führende Verfahren,53 sie verweisen auch nicht auf die Vergaberichtlinien. Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) 1191/69 bestimmt, dass im Falle der Aufrechterhaltung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes die zuständigen Behörden diejenige Lösung zu wählen haben, welche die geringsten Kosten für die Allgemeinheit mit sich bringt, wenn mehrere Lösungen eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherstellen würden. Aus der Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) 1191/69 ergibt sich jedoch keine Ausschreibungspflicht für die Fälle der Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen, da sich Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) 1191/69 seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung nach ausdrücklich nur auf die Auferlegung von solchen Verkehrsleistungen bezieht.54 Außerdem können die Mitglied52 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 691; bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 6. 12. 2006, Az. 1 BvR 2085/03, NZBau 2007, S. 117, 118; OLG Koblenz, NZBau 2002, S. 699, 702 f.; VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 12 f.; Gerstner, in: Hermes/ Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 22; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 540 f.; Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 662 f.; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162; Zirbes, VergabeR 2004, S. 137 (Fn. 55), 152; Bremer/Wünschmann, WiVerw 2004, S. 51, 60 ff.; Griem/ Klinger, TranspR 2004, 206, 209; Recknagel, NZBau 2007, S. 121, 121; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 13; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 209 f. 53 OLG Koblenz, NZBau 2002, S. 699, 702; Recknagel, NZBau 2007, S. 121; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 333; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 210. 54 Unzutreffend deshalb VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 20002, Az. 33-32571/07 VK 05/ 02 MD, S. 10. Wie hier ebenfalls Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 22; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 6, 13. Für Prieß ergibt sich – im Ergebnis zutreffend – auch dann keine Ausschreibungspflicht, wenn man die Anforde-
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staaten selbst darüber entscheiden, wie sie das fiskalische Schutzziel der geringsten Kosten für die Allgemeinheit erreichen, eine Ausschreibungspflicht ergäbe sich aus der Regelung des Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) 1191/69 auch aus diesem Grund nicht.55 Festzuhalten ist allerdings, dass die Höhe des Entgelts für die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen (Art. 14 Abs. 2 lit. b VO (EWG) 1191/69) gewissen Beschränkungen unterworfen ist. Gemäß Art. 17 Abs. 2 VO (EWG) 1191/ 69 muss die Kommission nicht über Ausgleichszahlungen, die nach Maßgabe der VO (EWG) 1191/69 gewährt werden, vorab unterrichtet werden (vgl. Art. 88 Abs. 3 EG). Dies gilt auch für die im Rahmen von Verkehrsverträgen geleisteten Zahlungen.56 Diese Zahlungen stellen dann keine Beihilfe dar und die fehlende Notifizierungspflicht ist dann gerechtfertigt, wenn lediglich die aus der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen erwachsenden Belastungen ausgeglichen werden, es jedoch nicht zu Überkompensationen kommt bzw. kein finanzieller Vorteil gewährt wird. Allerdings folgt hieraus nicht die Verpflichtung, eine Ausschreibung durchzuführen. Es kann auch auf andere Weise als im Wege einer Ausschreibung sichergestellt werden, dass lediglich die Belastungen ausgeglichen werden, die durch die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen entstehen.57 Dies wird bestätigt durch die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „Altmark Trans“.58 In dieser Entscheidung hat der EuGH u. a. 4 Voraussetzungen aufgestellt, unter denen Zuschüsse für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im Verkehrsbereich nicht als Beihilfe i. S. des Art. 87 EG anzusehen sind. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass diese Voraussetzungen den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen außerhalb des Anwendungsbereichs der VO (EWG) 1191/69 betreffen und deshalb nicht unmittelbar für Verkehrsverträge nach der VO (EWG) 1191/69 gelten. Die in diesen 4 Voraussetzungen enthaltenen Grundsätze können deshalb allenfalls sinngemäß für die Bestimmung der Höhe des beihilferechtlich zulässigen Entgelts bei der Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im Bereich des SPNV herangezogen werden.59 Auch aus den Altmark Trans-Kriterien ergibt sich jedoch keine Verpflichtung zur Ausschreibung. rung der geringsten Kosten für die Allgemeinheit auf die Vereinbarung von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen überträgt (Prieß, NZBau 2002, S. 539, 541). 55 Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162. 56 Scholz/Otting, DVBl. 2008, S. 12, 17. 57 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 691; Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 662 f.; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/ 04, S. 13. So auch Bremer/Wünschmann, WiVerw 2004, 51, 60 ff.; Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 152 f.; Griem/Klinger, TranspR 2004, S. 206, 209. 58 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810. 59 BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 13 f.; OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 691; Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 662 f.; Bremer/Wünschmann, WiVerw 2004, S. 51, 62 f.; Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 152 f.; Griem/Klinger, TranspR 2004, S. 206, 209.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
Eine Überkompensation kann einerseits verhindert werden, indem der Aufgabenträger ein Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge durchführt. Wenn kein solches Vergabeverfahren durchgeführt wurde, muss die Höhe des erforderlichen Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten bestimmt werden, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das ausreichend mit Transportmitteln ausgestattet ist, bei der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen hätte.60 Eine Ausschreibungspflicht hat der EuGH also für Ausgleichszahlungen bei gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, auf die die VO (EWG) 1191/69 nicht anwendbar ist, nicht angenommen. Überkompensationen können auch durch eine Kostenanalyse verhindert werden.61 Im Ergebnis kann deshalb festgehalten werden, dass weder aus der VO (EWG) 1191/69 selbst eine Pflicht zur Durchführung einer Ausschreibung folgt, noch diese zwingend die Anwendung der Vergaberichtlinien mit einer hieraus resultierenden Verpflichtung zur Durchführung eines offenen Verfahrens nach sich zieht.62 2. Vergaberichtlinien Wie die VO (EWG) 1191/69 sieht auch die Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie) keine Ausschreibungspflicht für Eisenbahnverkehrsleistungen vor. Art. 20 und 21 der Richtlinie 2004/18/EG differenzieren zwischen Aufträgen, deren Gegenstand Dienstleistungen gemäß Anhang II Teil A und Aufträgen, deren Gegenstand Dienstleistungen gemäß Anhang II Teil B bilden. Während auf Dienstleistungen des Anhangs II Teil A die Richtlinie 2004/18/EG vollumfänglich anwendbar ist (sog. vorrangige Dienstleistungsaufträge), unterliegen Aufträge über Dienstleistungen gemäß Anhang II Teil B nur den Artikeln 23 und 35 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG (sog. nachrangige Dienstleistungsaufträge). Art. 23 betrifft technische Spezifikationen, Art. 35 Abs. 4 die Bekanntgabe der Ergebnisse des Vergabeverfahrens nach dessen Durchführung. Weitere Vorschriften der Richtlinie 2004/18/EG sind auf nachrangige Dienstleistungsaufträge nicht anwendbar, insbesondere besteht nicht die Verpflichtung zur Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach den in der Richtlinie 2004/18/EG festgelegten Verfahrensarten. Auch die mittlerweile außer Kraft getretene Richtlinie 92/50/EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie) sah in ihren Art. 8 und 9 und den Anhängen I A und I B die Unterscheidung zwischen vor- und nachrangigen Dienstleistungsaufträgen 60
EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 92 ff. Vgl. Kapitel 2 D. I. 3. 62 Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 663; OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 691; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/ 04, S. 13. So auch Bremer/Wünschmann (WiVerw 2004, S. 51, 61 ff.), Zirbes (VergabeR 2004, S. 133, 152 f.) und Griem/Klinger (TranspR 2004, S. 206, 209), die jedoch alle betonen, dass die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung die rechtssicherste Methode sei, um Überkompensationen und damit das Vorliegen einer Beihilfe i. S. des Art. 87 EG zu verhindern. 61
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vor.63 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung zur Richtlinie 92/50/EWG bestätigt, dass diese Richtlinie nicht vollumfänglich, sondern nur hinsichtlich der in Art. 9 Richtlinie 92/50/EWG genannten Vorschriften auf nachrangige Dienstleistungsaufträge anwendbar ist.64 Diese Rechtsprechung gilt auch für die Richtlinie 2004/18/ EG, da diese die Unterscheidung zwischen vor- und nachrangigen Dienstleistungen ohne Modifizierungen übernommen hat. Zur Begründung der Unterscheidung zwischen vor- und nachrangigen Dienstleistungen führt die 19. Begründungserwägung der Richtlinie 2004/18/EG aus, dass die volle Anwendung dieser Richtlinie auf Dienstleistungsaufträge für eine Übergangszeit auf Aufträge beschränkt werden sollte, „bei denen ihre Bestimmungen dazu beitragen, alle Möglichkeiten für eine Zunahme des grenzüberschreitenden Handels voll auszunutzen“. Aufträge für andere Dienstleistungen „sollten in diesem Übergangszeitraum beobachtet werden, bevor die volle Anwendung dieser Richtlinie beschlossen werden“ könne.65 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Gemeinschaftsgesetzgeber davon ausgegangen, dass Aufträgen über nachrangige Dienstleistungen „wegen ihres spezifischen Charakters a priori keine grenzüberschreitende Bedeutung“ zukomme, die eine Verpflichtung zur Durchführung einer europaweiten Ausschreibung rechtfertige.66 Die aufgrund einer Vereinbarung gemäß Art. 14 VO (EWG) 1191/69 zu erbringenden Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV sind Dienstleistungen i. S. der Kategorie 18 (Eisenbahnen, CPC-Referenznummern 71111 und 71112, CPV-Referenznummer 60111000-9) des Anhangs II Teil B der Richtlinie 2004/18/EG und somit nachrangige Dienstleistungen. Gemäß Art. 21 der Richtlinie 2004/18/EG sind deshalb lediglich die Art. 23 und 35 Abs. 4 Richtlinie 2004/18/EG anzuwenden. Dasselbe galt entsprechend für die Richtlinie 92/50/EWG.67 Aufgrund des eindeutigen Wortlauts sowohl der Richtlinie 92/50/EWG als auch der Richtlinie 2004/18/EG waren bzw. sind auch nicht die „Allgemeinen Vorschriften“ des Abschnitts I der Richtlinie 92/50/EWG oder die „Allgemeinen Grundsätze“ des Titels I der Richtlinie 2004/18/EG auf die Vergabe gemeinwirt-
63 Die Richtlinie 92/50/EWG ist hier – neben dem Umstand, dass sich sämtliche bisher zu diesem Themenkreis ergangenen Urteile des EuGH auf diese Richtlinie beziehen – deshalb von Bedeutung, weil sie galt, als das Allgemeine Eisenbahngesetz zum 1. 1. 1994 in Kraft getreten ist (vgl. unten B. I. 4.). 64 EuGH, Urt. v. 14. 11. 2002 – Rs. C-411/00 (Felix Swoboda), Slg. 2002, I-10567, NZBau 2003, S. 52, 54; EuGH, Urt. v. 13. 11. 2007 – C-507/03 (An Post), NZBau 2008, S. 71, 72. 65 So auch bereits die Begründung der entsprechenden Regelung in der Richtlinie 92/50/ EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie), vgl. Begründungserwägung 21. 66 EuGH, Urt. v. 13. 11. 2007 – Rs. C-507/03 (An Post), NZBau 2008, S. 71, 72. 67 BVerfG, NZBau 2007, S. 117, 118 f.; OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 692; VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 11 f.; Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 662; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 540 f.; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162; Otting, DVBl. 2003, S. 1023, 1026; Recknagel, NZBau 2007, S. 121.
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schaftlicher Verkehrsleistungen im SPNV anwendbar.68 Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/50/EWG legte ein Diskriminierungsverbot fest, Art. 2 der Richtlinie 2004/18/EG verpflichtet die Auftraggeber dazu, alle Wirtschaftsteilnehmer gleich zu behandeln und in transparenter Weise vorzugehen. Das Ziel derjenigen Stimmen, die eine Anwendung der Allgemeinen Vorschriften der Vergaberichtlinien auf nachrangige Dienstleistungen befürworten, ist es letztlich, den allgemeinen Grundsätzen für das Vergabeverfahren, die in den genannten Vorschriften zum Ausdruck kommen, auch für nachrangige Dienstleistungen Geltung zu verschaffen. Wie sogleich gezeigt wird (vgl. unten I. 3.), gelten diese allgemeinen Grundsätze des EG-Vertrags jedoch unmittelbar für die Vergabe nachrangiger Dienstleistungen (auch für Eisenbahnverkehrsleistungen), weshalb es eines über den eindeutigen Wortlaut der Vergaberichtlinien hinausgehenden Umweges über die „Allgemeinen Vorschriften“ bzw. „Allgemeinen Grundsätze“ dieser Richtlinien zu diesem Zweck nicht bedarf. Im Ergebnis kann deshalb festgehalten werden, dass die Richtlinie 2004/18/EG für die Vergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen weder eine Ausschreibungspflicht bestimmt noch Verfahrensvorgaben festlegt. Eisenbahnverkehrsleistungen müssen nach der Vergabekoordinierungsrichtlinie nicht in einem förmlichen Vergabeverfahren nach den durch diese Richtlinie festgelegten Verfahrensarten, d. h. insbesondere nicht in einem offenen Verfahren, vergeben werden. Dasselbe galt für die Richtlinie 92/50/EWG. 3. Grundsätze des EG-Vertrags Allerdings kann aus dem Umstand, dass sich weder aus der VO (EWG) 1191/69 noch aus der Richtlinie 2004/18/EG eine Ausschreibungspflicht ergibt, nicht gefolgert werden, dass die Aufgabenträger bei der Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im SPNV keinen sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Bindungen unterliegen und deshalb die Freiheit haben, solche Aufträge unbeschränkt direkt zu vergeben. Auch wenn die Richtlinie 2004/18/EG größtenteils nicht anwendbar ist, unterliegt die Vergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV doch den Grundsätzen des EG-Vertrags, insbesondere dem Grundsatz der Gleich-
68 So aber Bremer/Wünschmann, WiVerw 2004, S. 51, 58 f.; Kommission, Schreiben im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland vom 13. 10. 2004 – C (2004) 3890, S. 3 f.; EuGH, Urt. v. 27. 10. 2005 – Rs. C-234/03 (Contse), Slg. 2005, I-9315 Rn. 47. Auch das OLG Brandenburg nennt Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/50/EWG ausdrücklich (OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 693). Das BVerfG scheint die Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/50/EWG ebenfalls zumindest nicht von vorneherein auszuschließen (BVerfG, NZBau 2007, S. 117, 119). Griem/Klinger (TranspR 2004, S. 206, 207 f.) entnehmen den Art. 14 und 16 der Richtlinie 92/50/EWG, auf die Art. 9 dieser Richtlinie verweist, dass der Europäische Gesetzgeber auch die Vergabe nachrangiger Dienstleistungen im Wettbewerb „vor Augen hatte“; lediglich die Verfahrensvorschriften der Vergaberichtlinie sollten (vorerst) nicht zur Anwendung kommen.
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behandlung und dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 12 EG).69 a) Grenzüberschreitendes Interesse Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Grundsätze des EG-Vertrags auf Aufträge, die nicht-prioritäre Dienstleistungen zum Gegenstand haben, ist allerdings das Bestehen eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses an solchen Aufträgen.70 Bei nicht-prioritären Dienstleistungen ist der Gemeinschaftsgesetzgeber davon ausgegangen, dass „Aufträgen über solche Dienstleistungen wegen ihres spezifischen Charakters keine grenzüberschreitende Bedeutung zukommt“.71 Die Grundsätze des EG-Vertrags gelten deshalb für die Vergabe solcher Aufträge nach der neueren Rechtsprechung des EuGH nur unter der Voraussetzung, dass an diesen „doch ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht“.72 Unter dieser Voraussetzung kann die Regelung des Art. 21 der Richtlinie 2004/18/EG bzw. des Art. 9 der Richtlinie 92/50/EWG mit ihrer Pflicht lediglich zur nachträglichen Bekanntmachung nicht so ausgelegt werden, dass es sich hierbei um eine abschließende Sonderregelung handelt, die die Anwendung der allgemeinen Grundsätze des EGVertrags ausschließt.73 Otting/Scheps verneinen für Eisenbahnverkehrsdienstleistungen das Bestehen eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses.74 Ansatzpunkt von Otting/ Scheps ist die Kabotage, d. h. der Güter- oder Personenverkehr innerhalb eines 69 BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 843; Kommission, Schreiben im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland vom 13. 10. 2003 – C(2004) 3890, S. 4; OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 693; VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/ 02, S. 12, 19 f.; VK Münster, Beschl. v. 19. 6. 2007, Az. VK 12/07, S. 18; Zeiss, Der Nahverkehr 3/2003, S. 25; Werner/Köster, NVwZ 2003, S. 572, 573; Griem/Klinger, TranspR 2004, S. 206, 208; Recknagel, NZBau 2007, S. 121, 122; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 345; kritischer Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 663; a. A. Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 503 f. 70 EuGH, Urt. v. 13. 11. 2007 – Rs. C-507/03 (An Post), NZBau 2008, S. 71, 73 (Rn. 29). Dasselbe gilt für Aufträge unterhalb der Schwellenwerte (vgl. EuGH, Urt. v. 21. 2. 2008 – Rs. C-412/04 (Kommission/Italien), NVwZ 2008, S. 397, 398 (Rn. 66, 68); EuGH, Urt. v. 15. 5. 2008 – Rs. C-147/06 und C-148/06 (SECAP), NVwZ 2008, S. 766, 768). 71 EuGH, Urt. v. 13. 11. 2007 – Rs. C-507/03 (An Post), NZBau 2008, S71, 72 (Rn. 25). 72 EuGH, Urt. v. 13. 11. 2007 – Rs. C-507/03 (An Post), NZBau 2008, S. 71, 73 (Rn. 29). Unter welchen Voraussetzungen dieses eindeutige grenzüberschreitende Interesse besteht, erläutert der EuGH nicht. Er weist lediglich der Kommission für Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG die Darlegungs- und Beweislast dafür zu, dass der fragliche Auftrag für ein ausländisches Unternehmen von eindeutigem Interesse sei (EuGH, Urt. v. 13. 11. 2007 – Rs. C-507/03 (An Post), NZBau 2008, S. 71, 73; kritisch hierzu Bitterich, EuZW 2008, S. 14, 17 f.). Zur bisher ergangenen Rechtsprechung vgl. EuGH, Urt. v. 27. 10. 2005 – Rs. C-234/03 (Contse), Slg. 2005, I-9315 Rn. 47 ff. 73 EuGH, Urt. v. 13. 11. 2007 – Rs. C-507/03 (An Post), NZBau 2008, S. 71, 73 (Rn. 29); Bitterich, EuZW 2008, S. 14 ff. 74 Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 503 f.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
Mitgliedstaates durch Verkehrsunternehmen, die in diesem Mitgliedstaat nicht ansässig sind (Art. 71 Abs. 1 lit. b EG).75 Voraussetzung für die Geltung der Grundfreiheiten des EG-Vertrags sei eine sekundärrechtliche Marktöffnung gemäß Art. 71 EG. Für grenzüberschreitende Personenverkehrsdienste, d. h. für Personenverkehrsdienste, die vom Territorium eines Mitgliedstaates in das Territorium eines anderen verlaufen, bestehe zwar aufgrund der Richtlinie 2007/58/EG76 ab dem 1. 1. 2010 ein Zugangsrecht zur Infrastruktur, nicht jedoch für rein nationale Netze. Aufgrund fehlender sekundärrechtlicher Marktöffnung für die Kabotage fänden die Grundsätze des EG-Vertrags keine Anwendung, weshalb in der Nichtgewährung eines Netzzugangsrechts für rein nationale Netze kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten gesehen werden könne. Mangels Zugangsrecht stelle die Vergabe von Eisenbahnverkehrsdienstleistungen für nationale Netze ohne Durchführung einer europaweiten Ausschreibung erst recht keinen Verstoß gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrags dar.77 Auch wenn – worauf Otting/Scheps zutreffend hinweisen – im Ausland ansässige Eisenbahnverkehrsunternehmen weiterhin nicht die Möglichkeit haben, Personen im SPNV auf reinen Inlandsstrecken zu befördern (Kabotage),78 kann das eindeutige grenzüberschreitende Interesse an Verkehrsleistungen im Bereich des SPNV gleichwohl bejaht werden. Eine größere Zahl an ausländischen Verkehrsunternehmen hat in Deutschland Tochtergesellschaften gegründet, die im Inland Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV erbringen und sich um den Abschluss von Verkehrsverträgen mit Aufgabenträgern bemühen. Ausländische Verkehrsunternehmen beteiligen sich darüber hinaus an deutschen Verkehrsunternehmen oder übernehmen diese vollständig.79 Es ist auch nicht auszuschließen, dass weitere ausländische Verkehrsunternehmen Interesse am Abschluss von Verkehrsverträgen in Deutschland haben und bereit sind, sich im Fall eines solchen Vertragsabschlusses im Inland mit Tochtergesellschaften niederzulassen bzw. sich an inländischen Verkehrsunternehmen zu beteiligen.80 Aufgrund dieser Entwicklung auf der Seite der Verkehrsunternehmen ist mittlerweile von einem eindeutigen grenzüberschreitenden Inter75 Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 503. Zur Kabotage allgemein vgl. Schäfer, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 71 Rn. 65; Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2007, Art. 71 Rn. 18 ff. 76 Richtlinie 2007/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 10. 2007 zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG des Rates zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft sowie der Richtlinie 2001/14/EG über die Zuweisung von Fahrwegkapazitäten der Eisenbahn und der Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur (ABl. Nr. L 315 v. 3. 12. 2007, S. 44). 77 Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 503 f. 78 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2007, Art. 71 Rn. 23. 79 Vgl. Wettbewerbsbericht 2007 der Deutschen Bahn AG, S. 18 ff., 59 ff.; Wettbewerbsbericht 2006 der Deutschen Bahn AG, S. 16 ff., 54 ff. 80 Ähnlich Kommission, Schreiben vom 13. 10. 2004 im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Auftragsvergabe im SPNV, C(2004) 3890, S. 4.
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esse im Bereich der Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNVauszugehen. Zwar haben im Ausland ansässige Verkehrsunternehmen kein Zugangsrecht zum nationalen Schienennetz, um dort Verkehrsleistungen im SPNV zu erbringen, im Inland niedergelassene Tochtergesellschaften ausländischer Verkehrsunternehmen haben jedoch – wenn sie die Genehmigungsvoraussetzungen des AEG und die sonstigen Anforderungen des deutschen Eisenbahnrechts erfüllen – das Recht und die Möglichkeit, solche Verkehrsleistungen zu erbringen. Da das erforderliche grenzüberschreitende Interesse besteht, sind die Grundsätze des EG-Vertrags auf die Vergabe von Aufträgen über Verkehrsleistungen im SPNV anwendbar. Hierbei ist allerdings eine Einschränkung zu machen: Gemäß Art. 51 Abs. 1 EG gelten für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs die Bestimmungen des Titels über den Verkehr (Art. 70 – 80 EG). Infolge des Art. 51 Abs. 1 EG ist der Verkehr von der Geltung der Art. 49 ff. EG ausgenommen. Die Art. 49 ff. EG gelten nicht unmittelbar, vielmehr wird die Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet des Verkehrs erst durch die gemeinsame Verkehrspolitik (insbesondere die in Art. 71 EG vorgesehenen Maßnahmen) verwirklicht.81 Art. 51 EG schließt jedoch lediglich die unmittelbare Geltung der Dienstleistungsfreiheit aus, die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) – für die der EG-Vertrag eine dem Art. 51 EG vergleichbare Regelung nicht enthält – ist auch im Bereich des Verkehrs ohne sekundärrechtliche Maßnahmen anwendbar.82 In diesem Zusammenhang nehmen Otting/Scheps eine zu starke, sämtliche Grundfreiheiten des EG-Vertrags erfassende Einschränkung vor.83 Auch wenn die Dienstleistungsfreiheit nicht unmittelbar anwendbar ist, darf die Vergabe von Aufträgen im SPNV nicht gegen Art. 43 EG verstoßen.84 Die Verpflichtung zur Transparenz und die damit verbundene Verpflichtung, zugunsten der potenziellen Bieter für einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit zu sorgen, folgen auch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Es stellt sich in diesem Zusammenhang jedoch die Frage, ob das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit aus Art. 12 EG nicht durch Art. 72 EG verdrängt wird. Das Verschlechterungsverbot des Art. 72 EG untersagt es den Mitgliedstaaten, ihre nationalen Vorschriften bis zur Einführung einer gemeinsamen Verkehrspolitik so zu verändern, dass ausländische Verkehrsunternehmen hierdurch stärker als bisher
81
Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Band I (EUV/EGV), Art. 51 Rn. 1. Von der unmittelbaren Anwendbarkeit ausgeschlossen sind jedoch lediglich die Art. 49 ff. EG, das Wettbewerbsrecht (Art. 81 – 86 EG) bspw. ist jedoch auch auf den Verkehrssektor anwendbar (vgl. Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2007, Art. 70 Rn. 17; Schäfer, in: Streinz, EUV/ EGV, 2003, Art. 70 Rn. 10). 82 Schäfer, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 43 Rn. 104, Art. 70 Rn. 9; Mückenhausen, in: Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, 2003, vor Art. 70 Rn. 4. 83 Vgl. Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 503. 84 So auch Kommission, Schreiben vom 13. 10. 2004, C(2004) 3890, S. 4 ff.
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diskriminiert werden.85 Da Art. 72 EG lediglich die Zielsetzung hat, weitere Diskriminierungen zu verhindern, könnte aus ihm nicht eine bisher durch die Mitgliedstaaten nicht praktizierte Pflicht zur Transparenz abgeleitet werden, die dazu dienen soll, Diskriminierungen aktiv zu vermeiden. Art. 72 EG stellt eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Diskriminierungsverbots des Art. 12 EG dar, der in seinem Anwendungsbereich als lex specialis die übrigen an den Sitz eines Unternehmens anknüpfenden Benachteiligungsverbote des EG-Vertrags verdrängt.86 Das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG und die aus diesem Verbot fließende Transparenzpflicht wird jedoch aus zwei Gründen nicht durch Art. 72 EG verdrängt. Zunächst verdrängt der bereits seinem Wortlaut nach auf Art. 71 EG bezogene Art. 72 EG den allgemeinen Art. 12 EG nur in seinem Anwendungsbereich, d. h. in Sachgebieten, die auf Grund von Art. 71 EG geregelt werden können.87 Durch Verkehrsleistungen im SPNV werden jedoch nicht die der Dienstleistungsfreiheit zuzurechnenden Bereiche des Art. 71 Abs. 1 lit. a EG (grenzüberschreitender Verkehr) und des Art. 71 Abs. 1 lit. b EG (Kabotage) betroffen, sondern Fragen der Niederlassungsfreiheit. Da kein Sachgebiet des Art. 71 EG betroffen ist, greift das Verschlechterungsverbot des Art. 72 EG nicht ein, weshalb auch Art. 12 EG nicht durch Art. 72 EG verdrängt wird. Darüber hinaus resultiert die Verpflichtung zur Durchführung eines transparenten und alle Bieter gleich behandelnden Vergabeverfahren in erster Linie aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot, von dem das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 12 EG) eine spezielle Ausprägung ist. Auch die Art. 43 EG und 49 EG sind besondere Ausprägungen dieses Gleichbehandlungsgrundsatzes. Der Gleichbehandlungsgrundsatz und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit schließen insbesondere eine Verpflichtung zur Transparenz ein, aufgrund derer ein angemessener Grad an Öffentlichkeit sichergestellt werden muss.88 Art. 72 EG verdrängte zwar ggf. das allgemeine Diskriminierungsverbot, nicht jedoch den übergeordneten Gleichbehandlungsgrundsatz. Aus Art. 43 EG, dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsanehörigkeit fließt eine Pflicht zur Transparenz und zur Sicherstellung eines angemessenen Grades von Öffentlichkeit. Ein ohne jede öffentliche Bekanntmachung direkt vergebener Auftrag stellte deshalb einen Verstoß
85 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2007, Art. 72 Rn. 1; Schäfer, in: Streinz, EUV/ EGV, 2003, Art. 72 Rn. 1. 86 Schäfer, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 72 Rn. 1, 4; Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV, 2007, Art. 72 Rn. 2. 87 Mückenhausen, in: Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, 2003, Art. 72 Rn. 2; Schäfer, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 72 Rn. 4. 88 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 46 ff., NZBau 2005, S. 644, 647 f.
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gegen diese Grundsätze des EG-Vertrags dar.89 Bei Überschreiten der Schwellenwerte ist von einer Pflicht zur europaweiten öffentlichen Bekanntmachung auszugehen. b) Vertragsverletzungsverfahren der Kommission Die sich aus den Grundsätzen des EG-Vertrags für die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im SPNV ergebenden (Mindest-)Anforderungen an das durchzuführende Vergabeverfahren waren Gegenstand eines von der Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland geführten Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 226 EG). Die Kommission hat im Jahr 2004 ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet, weil verschiedene Bundesländer langfristige Verkehrsverträge über die Erbringung von SPNV-Dienstleistungen mit der DB Regio AG abgeschlossen hatten, ohne dabei – nach Ansicht der Kommission – transparente Vergabeverfahren durchgeführt zu haben.90 In manchen der Fälle, die die Kommission zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat, wurden ausschließlich Verhandlungen mit der DB Regio AG geführt, in anderen Fällen ging diesen Verhandlungen mit der DB Regio AG eine Anhörung in- und ausländischer Verkehrsunternehmen bzw. eine Markterkundung seitens des Aufgabenträgers voraus. Nach Ansicht der Kommission war jedoch keine dieser Maßnahmen ausreichend, um einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherzustellen.91 Um eine Klage der Kommission vor dem EuGH zu verhindern, haben sich die Bundesländer auf einer Konferenz der Landesverkehrsminister am 17. 2. 2006 dazu verpflichtet, zukünftig auf Direktvergaben zu verzichten und stattdessen entweder förmliche Vergabeverfahren oder nicht den Verfahrensarten des Vergaberechts unterfallende, jedoch gleichwohl transparente und diskriminierungsfreie Vergabeverfahren durchzuführen.92 Führen die Aufgabenträger ein transparentes und nichtdiskriminierendes Verfahren durch, so müssen sie die beabsichtigte Vergabe eines Verkehrsvertrags im SPNV europaweit im Supplement des Amtsblatts der Europäischen Union bekannt machen und alle eingegangenen Interessenbekundungen prüfen. Ergibt die diskriminierungsfreie Auswahl mehrere geeignete Bewerber, werden mit diesen formlose, aber transparente und diskriminierungsfreie Verhandlungen geführt. Als Ergebnis dieser Verhandlungen wird mit einem Unternehmen ein Verkehrsvertrag geschlossen. Nach Abschluss des Verkehrsvertrags muss die Auftragsvergabe im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden (sog. 5-Stufen-Modell).93 89 BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 843; so im Ergebnis auch Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 371. 90 Vgl. Kommission, Schreiben vom 13. 10. 2004 – C(2004) 3890. 91 Vgl. Kommission, Schreiben vom 13. 10. 2004 – C(2004) 3890, S. 5. 92 Vgl. Beschluss der Verkehrsministerkonferenz im Umfrageverfahren vom 17. Februar 2006 und Verfahrenspapier zur Vergabe von Verkehrsverträgen im Schienenpersonennahverkehr, abrufbar unter http://www.bundesrat.de/nn_8794/DE/gremien-konf/fachministerkonf/ vmk/Sitzungen/06-02-17-umfrage_20spnv.html (Stand: 27. 8. 2008). 93 Wettbewerbsbericht 2006 der Deutschen Bahn AG, S. 17; Kramer, IR 2005, S. 224, 226.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
Aufgrund dieser Selbstverpflichtung der Bundesländer hat die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren im August 2006 eingestellt. Sie hat jedoch darauf hingewiesen, dass sie die Praxis der Vergabe von Nahverkehrsaufträgen in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin sehr genau beobachten will und das Verfahren bei erneuten Verstößen gegen die bei der Vergabe von Aufträgen zu beachtenden Grundsätze des EG-Vertrags wieder aufnehmen wird. Neben Direktvergaben ohne jede Form von Transparenz will die Kommission auch – wie sie es nennt – „Scheinwettbewerbe“ aufgreifen, die zwar vordergründig wie ein transparentes Teilnahmeverfahren ausgestaltet, aufgrund ihrer Vergabebedingungen jedoch von vornherein auf ein Unternehmen zugeschnitten seien. Dies gelte bspw. für Vergabebedingungen, die eine so kurze Vorlaufzeit bis zur Betriebsübernahme vorsähen, dass diese nur vom Altbetreiber eingehalten werden könne. Dasselbe gelte, wenn Aufgabenträger den Betrieb teilbarer Verkehrsnetze als Gesamtleistung vergeben und damit kleine und mittelständische Unternehmen gegenüber ressourcenstärkeren Konkurrenten benachteiligten.94 Das Argument der Bundesländer, Markterkundungen bzw. eine Anhörung hätten ergeben, dass es jeweils nur ein einziges Unternehmen gegeben habe, das die Leistung in dem geforderten Umfang erbringen konnte, hat die Kommission bereits im Rahmen des Verfahrens als unsubstantiiert zurückgewiesen.95 Mittelbar fordert die Kommission demnach, den Betrieb teilbarer Verkehrsnetze in mehreren Losen zu vergeben, damit auch kleinere und mittelständische Verkehrsunternehmen in der Lage sind, Angebote abzugeben. c) Verfahrensanforderungen Die unter dem Druck eines Vertragsverletzungsverfahrens zustande gekommene Selbstverpflichtung der Bundesländer konkretisiert die sich aus den Grundsätzen des EG-Vertrags für die Vergabe von SPNV-Dienstleistungsaufträgen ergebenden Verfahrensanforderungen. Der erforderliche angemessene Grad an Öffentlichkeit ist dann sichergestellt, wenn entweder eine Ausschreibung durchgeführt oder der Auftrag in sonstiger Weise öffentlich bekannt gemacht wurde. Aus den Grundsätzen des EG-Vertrags selbst und insbesondere aus dem Transparenzgebot folgt jedoch weder eine Pflicht zur Durchführung einer Ausschreibung96 noch ziehen diese gar die Verpflichtung zur Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens (insbesondere eines offenen Verfahrens) nach sich.97 Folgerichtig legt auch die Selbstverpflichtung 94 Bremer/Wünschmann, Verkehrsminister verpflichten sich zur transparenten und wettbewerblichen Vergabe von Nahverkehrsleistungen, abrufbar unter http://www.hhlaw.com/files/ Publication/b593de57-9edd-49e7-8d23-1fd7cf2c9a8f/Presentation/PublicationAttachment/ 14392ba2-d5cb-4c25-afe32fbe8276bdf8/2006_09_22_DEUTSCH_Eisenbahnrecht.pdf. 95 Kommission, Schreiben vom 13. 10. 2004 – C(2004) 3890, S. 5 f. 96 D. h. der Aufforderung einer unbegrenzten Zahl an Bietern zur Abgabe eines Angebots. 97 EuGH, Urt. v. 21. 7. 2005 – Rs. C-231/03 (Co.Na.Me), Slg. 2005, I-7287 Rn. 21, NZBau 2005, S. 592, 593; Kommission, Mitteilung vom 23. 6. 2006 zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, ABl. 2006, C 179, S. 5; VK Brandenburg, Be-
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der Bundesländer keine Ausschreibungspflicht fest. Die Direktvergabe eines Auftrags an ein Eisenbahnverkehrsunternehmen ohne vorherige öffentliche Bekanntmachung genügt den Transparenzanforderungen jedoch nicht.98 Die in der Selbstverpflichtung enthaltene Pflicht zur europaweiten Bekanntmachung deckt sich mit allgemeinen Erwägungen zu der Frage, auf welcher räumlichen Ebene die Bekanntmachung erfolgen muss. Die einschlägigen Schwellenwerte, die auch in diesem Zusammenhang zur Orientierung herangezogen werden können,99 werden durch Aufträge über Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV in der Regel überschritten. Neben dem 5-Stufen-Modell100 können sich die Aufgabenträger auch dazu entschließen, ein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen. In jedem Fall muss das Verfahren transparent und diskriminierungsfrei sein. Die Auswahl des Vertragspartners muss anhand von sachlichen, vorher festgelegten Eignungs- und Zuschlagkriterien erfolgen, die auf alle Unternehmen gleich angewendet werden.101 Neben den Grundsätzen des EG-Vertrags müssen die Aufgabenträger auch noch gemäß Art. 21 der Richtlinie 2004/18/EG die Vorschriften über technische Spezifikationen (Art. 23 der Richtlinie 2004/18/EG) beachten und die Ergebnisse des Vergabeverfahrens gemäß Art. 35 Abs. 4 Richtlinie 2004/18/EG nachträglich bekannt machen. 4. Ergebnis Weder aufgrund der Vorgaben des europäischen Sekundärrechts (VO (EWG) 1191/69 und Richtlinie 2004/18/EG) noch des europäischen Primärrechts muss vor der Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen i. S. von Art. 14 VO (EWG) 1191/69 eine Ausschreibung durchgeführt werden. Nach den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts muss auch kein förmliches Vergabeverfahren nach den Verfahrensarten der Richtlinie 2004/18/EG durchgeführt werden. Diese Rechtslage des Gemeinschaftsrechts bestand auch beim Inkrafttreten des Allgemeinen Eisenbahngesetzes vom 27. 12. 1993 zum 1. 1. 1994. Weder die Richtlinie 92/ 50/EWG vom 18. 6. 1992 noch die VO 1191/69 i. d. F. der VO 1893/91 vom 20. 6. 1991 verlangten bzw. verlangen eine Ausschreibung oder die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens. schl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 12; OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 693. Vgl. auch Kapitel 6 B. II. und D. I. (zur Dienstleistungskonzession). 98 BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 843. 99 Vgl. entsprechend für die Dienstleistungskonzession Kapitel 6 D. I. und Burgi, NZBau 2005, S. 610, 615; Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 630 (Fn. 23); Gröning, NZBau 2001, S. 123, 125; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, S. 489, 495. 100 Vgl. oben B. I. 3. b). 101 Kommission, Mitteilung vom 23. 6. 2006 zu Auslegungsfragen im Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, ABl. 2006, C 179, S. 6.
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II. Nationales Recht Aufgrund des aufgezeigten gemeinschaftsrechtlichen Spielraums war es dem deutschen Gesetzgeber von Seiten des Gemeinschaftsrechts nicht verwehrt, es in das Ermessen der Aufgabenträger zu stellen, eine öffentliche Ausschreibung durchzuführen und so das Vergaberecht zur Anwendung zu bringen. Da sich der europäische Rechtsrahmen seit Erlass des § 15 Abs. 2 AEG diesbezüglich nicht geändert hat, gilt dies noch heute. Ob der Gesetzgeber diesen Spielraum genutzt hat, ist anhand der Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 2 AEG zu untersuchen. 1. Entstehungsgeschichte Im Gesetzgebungsverfahren war die Frage der Einführung einer generellen Ausschreibungspflicht umstritten. Die Bundesregierung hatte in ihrem Gesetzentwurf in dem damaligen § 13 Abs. 2 noch eine Ausschreibungspflicht vorgesehen („… haben diese Leistungen auszuschreiben.“).102 Durch eine Ausschreibungspflicht könne erreicht werden, dass „das Unternehmen ermittelt werden kann, welches den günstigsten öffentlichen Personennahverkehr einschließlich SPNV, d. h. zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit, anbietet“. Die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung garantiere „am ehesten“ eine effektive Verwendung der Regionalisierungsmittel.103 Der Bundesrat forderte daraufhin die vollständige Streichung von § 13 Abs. 2 AEG-Entwurf. Begründet wurde diese Forderung damit, dass eine gesetzliche Festschreibung der Ausschreibungspflicht erhebliche Nachteile hätte. Aufträge wären dann einklagbar, weshalb Vergaben unter Umständen jahrelang blockiert werden könnten. Die Ausschreibung wäre angesichts der Monopolstellung der DBPersonenverkehrs-AG auf absehbare Zeit ein ungeeignetes Instrument. Außerdem würde eine Ausschreibung der örtlichen Interessenlage kommunaler Regie- und Eigenbetriebe nicht gerecht. Die Möglichkeiten der EG-Dienstleistungsrichtlinie – deren Umsetzung in nationales Recht zu diesem Zeitpunkt noch bevorstand – müssten auch den Trägern von Eisenbahnverkehrsleistungen in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Dabei war nach Ansicht des Bundesrates zu jener Zeit das Verhandlungsverfahren das in der Regel geeignete Instrument.104 Die Bundesregierung stimmte einer vollständigen Streichung von § 13 Abs. 2 AEG-Entwurf nicht zu, trug jedoch dem Anliegen des Bundesrates dadurch Rechnung, dass sie in § 13 Abs. 2 AEG-Entwurf die obligatorische in eine grundsätzliche Ausschreibungspflicht abänderte („haben diese Leistungen grundsätzlich auszuschreiben“).105 102 103 104 105
BR-Drs. 131/93, S. 31. BR-Drs. 131/93, S. 102. BR-Drs. 131/93 (Beschluß), S. 47; BT-Drs. 12/5014, S. 20. BT-Drs. 12/5014, S. 47.
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Der Verkehrsausschuss des Bundestages schlug daraufhin vor, die Formulierung „haben diese Leistungen auszuschreiben“ umzuändern in „können diese Leistungen ausschreiben“.106 Es sollte also keine Ausschreibungspflicht mehr bestehen, der Gesetzestext sollte jedoch einen „Hinweis auf die Möglichkeit der Ausschreibung“ enthalten.107 In dieser Fassung wurde der § 13 Abs. 2 AEG-Entwurf dann als § 15 Abs. 2 AEG Gesetz. Die Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 2 AEG zeigt, dass der Gesetzgeber die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen keiner generellen Ausschreibungspflicht unterwerfen wollte. Auch wollte er die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV nicht zwingend dem aus der Umsetzung der Richtlinie 92/50/EWG entstehenden Vergaberecht zuordnen, sondern den Aufgabenträgern ein Entscheidungsermessen darüber einräumen, ob sie eine öffentliche Ausschreibung durchführen und so das Vergaberecht zur Anwendung bringen.108 Der Gesetzgeber wollte den Aufgabenträgern mit der Regelung des § 15 Abs. 2 AEG nicht lediglich – bei grundsätzlicher Anwendbarkeit des Vergaberechts – ein Ermessen hinsichtlich der Wahl des anzuwendenden Vergabeverfahrens (öffentliche oder beschränkte Ausschreibung, freihändige Vergabe) einräumen.109 Der Gesetzgeber hätte sich nicht mit einem bloßen Hinweis auf die Möglichkeit einer Ausschreibung begnügen können, um die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV dem Vergaberecht zuzuordnen. Da auf Eisenbahnverkehrsleistungen als nachrangige Dienstleistungen die Verfahrensvorschriften der Richtlinie 92/50/EWG nicht anwendbar waren, hätte er die Anwendbarkeit des Vergaberechts verbindlich anordnen müssen, um dieses Ergebnis zu erreichen.110 Hätte der Gesetzgeber die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV dem Vergaberecht zugeordnet, so hätte nach diesen Vorschriften grundsätzlich eine öffentliche Ausschreibung durchgeführt werden müssen. Der Gesetzeswortlaut hätte dann nicht lediglich einen Hinweis auf die Möglichkeit111 einer Ausschreibung enthalten dürfen, sondern die Durchführung einer Ausschreibung grundsätzlich anordnen müssen (so wie in den ersten beiden Entwürfen auch geschehen112). Ein Verhandlungsverfahren anstatt einer öffentlichen Ausschreibung hätte dann nur unter den Voraussetzungen des Vergaberechts selbst 106
BT-Drs. 12/6269, S. 60. BT-Drs. 12/6269, S. 140. 108 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 690; VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 17; VK Karlsruhe, Beschl. v. 14. 3. 2005, Az. 1 VK 5/05, S. 12 f.; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 20, 29 f. 109 So aber Bremer/Wünschmann, WiVerw 2004, S. 51, 54 ff. 110 VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 17. 111 BT-Drs. 12/6269, S. 140. 112 BR-Drs. 131/93, S. 31; BT-Drs. 12/5014, S. 47. 107
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
stattfinden können. Es würde jedoch einen eindeutigen Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers darstellen, wenn man das Vergaberecht mit seiner grundsätzlichen Pflicht zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung auf die Vergabe von SPNV-Leistungen anwendete, obwohl § 15 Abs. 2 AEG seinem Wortlaut nach genau das Gegenteil besagt.113 Der Bundesrat hat die Befürchtung geäußert, dass es bei Anwendbarkeit der Richtlinie 92/50/EWG wegen möglicher Nachprüfungsverfahren u. U. zu jahrelangen Blockaden der Auftragsvergabe kommen könnte.114 Eine generelle Anwendbarkeit der Richtlinie 92/50/EWG wollte er aus diesem Grund verhindern.115 Wenn der Bundesrat argumentiert, dass den Aufgabenträgern sämtliche Möglichkeiten der EG-Dienstleistungsrichtlinie zur Verfügung stehen müssten und angesichts der damals bestehenden Marktverhältnisse das Verhandlungsverfahren als das am besten geeignete Verfahren anzusehen sei, so kann hieraus nicht geschlossen werden, dass die Richtlinie 92/50/EWG auf die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Eisenbahnverkehrsleistungen anwendbar ist und dass die Aufgabenträger lediglich die freie Wahl zwischen den Verfahrensarten der Richtlinie 92/50/EWG haben. Bei dieser Argumentation übersah der Bundesrat, dass die Verfahrensvorschriften der Richtlinie 92/50/EWG auf die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Eisenbahnverkehrsleistungen gar nicht angewendet werden müssen. Außerdem hätte eine Anwendbarkeit der Richtlinie 92/50/EWG zwangsläufig zur Konsequenz gehabt, dass Nachprüfungsverfahren ermöglicht worden wären. Da der Bundesrat genau dies jedoch ausdrücklich verhindern wollte, kann aus diesem Ausschnitt der Begründung nicht auf den Willen des Bundesrates geschlossen werden, das Vergaberecht auf die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im SPNV zur Anwendung zu bringen. Verhandlungen, die vom Bundesrat als für den Abschluss von Verkehrsverträgen besonders geeignet eingestuft wurden, können auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 92/50/EWG stattfinden. § 15 Abs. 2 AEG muss auch im Zusammenhang mit der VO (EWG) 1191/69, der Bahnreform und der Regionalisierung,116 in deren Rahmen er in das AEG eingefügt wurde, und dem Grad der mit diesen Vorschriften bzw. Reformen angestrebten Wettbewerbsöffnung gesehen werden. Ziel der VO (EWG) 1191/69 war es, die den Verkehrsunternehmen auferlegten Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes aufzuheben. Hierdurch sollten die Verkehrsunternehmen von den durch diese Verpflichtungen entstehenden Belastungen befreit werden und die durch diese Verpflichtungen hervorgerufenen Verfälschungen der Wettbewerbsbedingungen sollten beseitigt werden. Die VO (EWG) 1191/69 wurde jedoch durch die Mitgliedstaaten 113
Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 20. BR-Drs. 131/93 (Beschluß), S. 47; BT-Drs. 12/5014, S. 20. 115 So sogar Bremer/Wünschmann (WiVerw 2004, S. 51, 54), die ansonsten davon ausgehen, dass sich aus der Entstehungsgeschichte von § 15 Abs. 2 AEG ergebe, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift lediglich ein Wahlrecht zwischen den verschiedenen Verfahrensarten des Vergaberechts habe schaffen wollen. 116 Vgl. Kapitel 7 B. II. und IV. 114
8. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im SPNV
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zunächst nicht in die Praxis umgesetzt.117 Die Auferlegung von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes wurde durch das mit der VO (EWG) 1893/91 eingeführte Instrument des Abschlusses von Verträgen über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen weiter zurückgedrängt. Danach steht die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistung nicht gleichberechtigt neben der Vereinbarung solcher Verkehrsleistungen, sondern die Vertragsform ist der Auferlegung vorzuziehen, um der wirtschaftlichen Eigenständigkeit der Verkehrsunternehmen gerecht zu werden.118 Ziel der VO (EWG) 1893/91 war es, den Mitgliedstaaten nur noch begrenzt die Möglichkeit zu geben, den Verkehrsunternehmen zwangsweise gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufzuerlegen.119 Vorrangig vor der hoheitlichen Auferlegung von Verkehrsleistungen gegen Defizitausgleich soll die ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im SPNV durch Austauschverträge zwischen Besteller und Ersteller der Leistungen sichergestellt werden.120 Die Einführung der Vertragsform an Stelle der Auferlegung kann als ein erster Schritt in den Wettbewerb angesehen werden.121 Um den Verkehrsunternehmen einen wirtschaftlich eigenständigen Status zu verschaffen und um (was die Deutsche Bundesbahn betrifft, die bis dahin ein nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes war) überhaupt Verträge schließen zu können, musste die politische von der unternehmerischen Ebene getrennt werden. Dies geschah durch die Bahnreform und die Regionalisierung.122 Bis zum 31. 12. 1995 war die VO (EWG) 1191/69 aufgrund einer nationalen Verordnung123 auf Eisenbahnverkehrsunternehmen, die diese Tätigkeit ausschließlich auf den Betrieb von Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehrsdienste beschränkten, nicht anwendbar (Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EWG) 1191/69). Ab dem 1. 1. 1996 war die VO (EWG) 1191/ 69 dann jedoch anwendbar und der in der Einführung der Vertragsform liegende erste Schritt in Richtung Wettbewerb vollzogen. 117
OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 691. Vgl. die Begründungserwägungen 1 und 2 zur VO (EWG) 1893/91, durch die die VO (EWG) 1191/69 modifiziert wurde. 119 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 690. 120 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 689; vgl. hierzu ausführlich unten C. II. 2. e) cc). 121 Kritisch Wachinger (Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 209 f.), der aber ebenfalls von einer indirekten Beförderung des Wettbewerbsgedankens durch die Einführung vertraglicher Beziehungen ausgeht. 122 Vgl. Kapitel 7 B. II. und IV. 123 Verordnung zur Festlegung des Anwendungsbereichs der Verordnung (EWG) Nr. 1191/ 69 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 im Eisenbahnverkehr vom 31. Juli 1992, BGBl. I S. 1442. Verlängert bis zum 31. 12. 1995 durch die Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Festlegung des Anwendungsbereichs der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 im Straßenpersonenverkehr und zur Änderung der Verordnung zur Festlegung des Anwendungsbereichs der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 im Eisenbahnverkehr, BGBl. I S. 3630. 118
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
Die Frage, ob der SPNV durch eine generelle Ausschreibungspflicht in einem weiteren Schritt vollständig für den Wettbewerb geöffnet werden sollte, wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens diskutiert. Zulässigerweise hat sich der Gesetzgeber jedoch dann dazu entschieden, den Aufgabenträgern ein Entscheidungsermessen hinsichtlich der Ausschreibung von Verkehrsleistungen im SPNV zu eröffnen. Der Gesetzgeber hat den weiteren Schritt hin zu einer vollständigen Öffnung des SPNV für den Wettbewerb nicht vollzogen, jedoch eine Wettbewerbsoption geschaffen. Vorrangig sind Verträge mit den Verkehrsunternehmen abzuschließen, ob die Aufgabenträger ihren Vertragspartner durch eine öffentliche Ausschreibung ermitteln, steht in deren Ermessen.124 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Direktvergaben von SPNV-Dienstleistungsaufträgen wegen der Geltung der Grundsätze des EG-Vertrages nicht zulässig sind. Der SPNV kann also nicht, wie es durch Direktvergaben möglich wäre, dem Wettbewerb vollständig entzogen werden.125 2. Zwischenergebnis Für die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im SPNVenthält § 15 Abs. 2 AEG also eine Spezialregelung (lex specialis) gegenüber den vergaberechtlichen Vorschriften. Unter Ausnutzung des durch das Gemeinschaftsrecht gewährten Spielraumes hat der deutsche Gesetzgeber es in das Ermessen der Aufgabenträger gestellt, ob sie eine öffentliche Ausschreibung durchführen und so das Vergaberecht zur Anwendung bringen. Aufgrund der Anforderungen, die das europäische Primärrecht an das durchzuführende Verfahren stellt, dürfen die Aufgabenträger Aufträge jedoch nicht direkt vergeben. Ihnen steht lediglich die Entscheidung zu, ob sie das Vergaberecht zur Anwendung bringen oder ein nicht dem Vergaberecht unterliegendes, jedoch gleichwohl transparentes und alle Bieter gleichbehandelndes Vergabeverfahren durchführen. 3. Keine Änderung durch das Vergaberechtsänderungsgesetz Zu untersuchen ist, ob das den Aufgabenträgern durch § 15 Abs. 2 AEG hinsichtlich der Anwendbarkeit des Vergaberechts eingeräumte Ermessen durch das zum 1. 1. 1999 in Kraft getretene Vergaberechtsänderungsgesetz (VgRÄndG)126 – mit dem das Vergaberecht in das GWB eingefügt wurde (§§ 97 ff. GWB) – beseitigt wurde. Nach einer Ansicht – die sich allerdings nicht mit der Entstehungsgeschichte 124
OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 689. VK Münster, Beschl. v. 19. 6. 2007, Az. VK 12/07, S. 18. 126 Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergaberechtsänderungsgesetz) vom 28. August 1998 (BGBl. I S. 2512). Das VgRÄndG war Teil der sog. 6. GWB-Novelle: neben dem VgRÄndG wurde das GWB auch durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. 8. 1998 (BGBl. I 2521) geändert. Anschließend wurde das GWB in seiner Neufassung bekanntgemacht (BGBl. I 2546). 125
8. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im SPNV
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von § 15 Abs. 2 AEG einerseits und der §§ 97 ff. GWB andererseits auseinandersetzt127 – hat der Gesetzgeber mit dem Erlass der §§ 97 ff. GWB für den gesamten Bereich der öffentlichen Vergaben eine umfassende Regelung getroffen, weshalb auch Verkehrsverträge im SPNV grundsätzlich öffentlich auszuschreiben seien.128 Die mit der Herauslösung der öffentlichen Beschaffung aus dem Haushaltsrecht und deren Eingliederung in das Wettbewerbsrecht verbundene Änderung des rechtlichen Charakters öffentlichen Vergabeverhaltens gelte für den gesamten Bereich der öffentlichen Vergaben. Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts kämen nur in den vom Vergaberecht selbst festgeschriebenen Fällen in Frage (§ 100 Abs. 2 GWB). Verkehrsverträge im SPNV unterfielen jedoch keinem der Ausnahmetatbestände des § 100 Abs. 2 GWB (vgl. hierzu unten B. II. 7.).129 Ein nationales Gesetz, das willkürlich bestimmte Vergabebereiche dem Wettbewerb entziehen würde, wäre mit Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar.130 Die Aufgabenträger müssten deshalb grundsätzlich gemäß §§ 97 Abs. 6 GWB, 4 Abs. 1 Satz 1 VgV, 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A i. V. mit VOL/A Anhang I B, Kategorie 18 (neben den § 8a und § 28a VOL/A) die Basisparagrafen der VOL/A anwenden und deshalb eine nationale öffentliche Ausschreibung durchführen.131 Das den Aufgabenträgern durch § 15 Abs. 2 AEG hinsichtlich der Anwendbarkeit des Vergaberechts eingeräumte Ermessen wurde jedoch durch das VgRÄndG nicht beseitigt. Die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV wurde nicht dem Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB) unterworfen. Durch das VgRÄndG sollten lediglich die Vergaberichtlinien, deren Verfahrensvorschriften auf SPNV-Leistungen nicht anwendbar sind, vollständig umgesetzt werden. Der Anwendungsbereich des Vergaberechts sollte nicht auf Bereiche ausgedehnt werden,
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Soweit ersichtlich setzen sich lediglich Bremer/Wünschmann (WiVerw 2004, S. 51, 54 ff.) mit der Entstehungsgeschichte von § 15 Abs. 2 AEG und Zirbes (VergabeR 2004, S. 133, 142 ff.) mit der Entstehungsgeschichte des VgRÄndG auseinander. 128 So aber VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 9 f.; OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635 (obiter dictum); VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 4. 2002, Az. VK-5/2002-L, S. 12 f., NZBau 2005, S. 335 (Leitsätze); Bremer/Wünschmann, WiVerw 2004, S. 51, 57; Theobald/Kafka, NZBau 2002, S. 603, 605; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162, 163; Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 140 f. 129 VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 9; OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635 (obiter dictum); VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 4. 2002, Az. VK-5/2002-L, S. 12, NZBau 2005, S. 335 (Leitsätze); Bremer/Wünschmann, WiVerw 2004, S. 51, 57; Theobald/Kafka, NZBau 2002, S. 603, 605; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162, 163. 130 VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 4. 2002, Az. VK-5/2002-L, S. 12, NZBau 2005, S. 335 (Leitsätze); Theobald/Kafka, NZBau 2002, S. 603, 605. 131 VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571(07 VK 05/02 MD, S. 9; VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 4. 2002, Az. VK-5/2002-L, S. 12 f., NZBau 2005, S. 335 (Leitsätze); Bremer/Wünschmann, WiVerw 2004, S. 51, 57; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 165; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 343.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
die bisher (wie dies für die Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen der Fall ist) von ihm ausgenommen waren.132 Die Vergaberichtlinien und die Rechtsmittelrichtlinien waren in Deutschland in den Jahren 1993 und 1994 zunächst in Form der sogenannten „haushaltsrechtlichen Lösung“ umgesetzt worden.133 Das Vergaberecht in dieser Form vermittelte den Bietern und Bewerbern weder subjektive Rechte noch ermöglichte es eine wirksame und effektive Kontrolle der Vergabeverfahren.134 Um die Mängel des Rechtsschutzsystems, die Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens der Kommission und eines Urteils des EuGH waren, zu beseitigen, wurden die Rechtsgrundlagen des Vergaberechts im Rahmen der sogenannten „kartellrechtlichen Lösung“ neu gestaltet. Durch das Vergaberechtsänderungsgesetz (VgRÄndG) vom 28. 8. 1998 wurde das Vergaberecht in das GWB integriert (§§ 97 ff. GWB). Die Bestimmungen über das Vergabeverfahren wurden ausdrücklich zu subjektiven Rechten der Bieter und Bewerber erklärt (§ 97 Abs. 7 GWB), das Rechtsschutzsystem durch Vergabekammern und die Oberlandesgerichte ebenfalls im GWB verankert (§§ 102 ff. GWB). Der Zweck des VgRÄndG bestand also darin, den Bietern und Bewerbern im Vergabeverfahren subjektive Rechte zu verleihen und ein effektives Rechtsschutzsystem zu schaffen. Diese Mängel in der Umsetzung der Vergaberichtlinien sollten behoben werden.135 Zweck des VgRÄndG war es jedoch nicht, den Anwendungsbereich des Vergaberechts auf SPNV-Leistungen auszudehnen, die von den Vergaberichtlinien größtenteils gar nicht erfasst werden.136 Voraussetzung für eine solche Ausdehnung des Anwendungsbereichs wäre eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gewesen, die im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck hätte gebracht werden müssen. Dies gilt umso mehr, als das Gemeinschaftsrecht die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nicht vorschreibt. Weder aus dem Gesetz selbst noch aus den Gesetzgebungsmaterialen ergibt sich ein solcher Wille des Gesetzgebers. 137 Zweck des VgRÄndG war es vielmehr lediglich, die Umsetzungsdefizite hinsichtlich der Rechtsschutzmöglichkeiten unterlegener Bieter zu beheben. Hierbei sollten die Vergaberichtlinien möglichst restriktiv umgesetzt werden.138 Gegen die Annahme einer Ausdehnung oder Änderung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts auf SPNV-Leistungen durch das VgRÄndG spricht auch, dass im Rahmen 132
OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 691 f.; VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 9 f.; VK Karlsruhe, Beschl. v. 14. 3. 2005, Az. 1 VK 5/05, S. 13; Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 662; Prieß, VergabeR 2004, S. 584, 585; a. A. Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 142 f., 151. 133 Vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlicher Kapitel 2 B. I. 3. 134 Noch, Vergaberecht kompakt, 1999, S. 8. 135 Noch, Vergaberecht kompakt, 1999, S. 9 f. 136 So auch Prieß, VergabeR 2004, S. 584, 585. 137 VK Karlsruhe, Beschl. v. 14. 3. 2005, Az. 1 VK 5/05, S. 13. 138 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 691 f.; Prieß, VergabeR 2004, S. 584, 585.
8. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im SPNV
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der 6. GWB-Novelle139 das AEG geändert wurde (nach § 12 Abs. 6 AEG wurde ein Abs. 7 eingefügt), § 15 Abs. 2 AEG jedoch unverändert blieb. Hätte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Vergaberechts auf SPNV-Leistungen ausdehnen wollen, hätte er § 15 Abs. 2 AEG zumindest aus Gründen der Klarstellung ändern oder streichen müssen.140 § 15 Abs. 2 AEG entzieht die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im SPNV auch nicht willkürlich dem Anwendungsbereich des Vergaberechts, da die Vorschriften der Vergaberichtlinien größtenteils auf Verkehrsleistungen im SPNV gar keine Anwendung finden. 4. § 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A Eine Ausschreibungspflicht ergibt sich auch nicht aus dem Verweis in § 4 Abs. 1 Satz 1 VgV auf den 2. Abschnitt der VOL/A und somit auf § 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A.141 Diese Vorschrift regelt, dass Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen nach Anhang I B (nachrangige Dienstleistungen) sind, nach den Bestimmungen der Basisparagrafen des 2. Abschnitts der VOL/A und den §§ 8a und 28a VOL/A vergeben werden. Bei Eisenbahnverkehrsleistungen handelt es sich um Dienstleistungen der Kategorie 18 des Anhangs I B zur VOL/A und somit – entsprechend der Vergaberichtlinien – um nachrangige Dienstleistungen. § 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A ordnet nicht nur die Anwendung der Vorschriften über technische Spezifikationen (§ 8a VOL/A) und die nachträgliche Bekanntmachung der Ergebnisse des Vergabeverfahrens (§ 28a VOL/A) an, sondern auch – insoweit über die Vergaberichtlinien hinausgehend – die Anwendung der Basisparagrafen des 2. Abschnitts der VOL/A. Aus diesen Basisparagrafen ergibt sich grundsätzlich die Pflicht zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung (§ 3 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A). § 4 Abs. 1 Satz 1 VgV i. V. mit § 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A ist kein Indiz dafür, dass der Gesetzgeber die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im SPNV den §§ 97 ff. GWB unterworfen hat. Die vom Gesetzgeber in Gestalt des § 15 Abs. 2 AEG getroffene Grundentscheidung, das Vergaberecht nicht zwingend auf die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV anzuwenden, sondern den Aufgabenträgern ein Wahlrecht hinsichtlich der Anwendbarkeit des Vergaberechts einzuräumen, kann nicht durch den Verordnungsgeber revidiert werden, sondern nur durch den Gesetzgeber selbst im Wege eines formellen Gesetzes. Um ein solches formelles Gesetz handelt es sich jedoch weder bei der VgV 139 Das AEG wurde jedoch nicht durch das VgRÄndG selbst, sondern durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (dem anderen Teil der 6. GWB-Novelle) geändert, worauf Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 148 f. zutreffend hinweist. 140 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 693; VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 10. 141 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 693; VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 16; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 540; Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 505; a. A. Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162, 163.
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noch bei der VOL/A. Das VgRÄndG, das ein formelles Gesetz ist, hat den Anwendungsbereich des Vergaberechts jedoch nicht auf die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im SPNV ausgeweitet.142 Auch hätte § 4 Abs. 1 Satz 1 VgV i. V. mit § 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A nicht den Anwendungsbereich des Vergaberechts auf die Vergabe von SPNV-Leistungen ausdehnen können. Die Vergabeverordnung trifft nähere Bestimmungen über das bei der Vergabe öffentlicher Aufträge einzuhaltende Verfahren (§ 97 Abs. 6 GWB, § 1 VgV). Die VgV kann also nur Bestimmungen hinsichtlich der Vergabeverfahren treffen, auf die das Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB) Anwendung findet, sie kann jedoch nicht die Anwendbarkeit des Vergaberechts selbst begründen. Eine solche Regelung in der VgV wäre unwirksam, da hiermit der Rahmen der Verordnungsermächtigung des § 97 Abs. 6 GWB überschritten wäre.143 5. § 4 Abs. 3 VgV Zu prüfen ist auch, ob der zum 1. 12. 2002 eingeführte § 4 Abs. 3 VgV144 zu einer Ausdehnung der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Vergabe von SPNVVerkehrsleistungen geführt hat. § 4 Abs. 3 VgV enthält eine den § 4 Abs. 1 VgV modifizierende Sonderregelung für den SPNV, nach der vom Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung abgewichen werden kann.145 Nach dem Wortlaut von § 4 Abs. 3 Nr. 1 VgV ist bei Verträgen über einzelne Linien mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren einmalig eine freihändige Vergabe ohne sonstige Voraussetzungen zulässig. Dies bedeutet, dass eine freihändige Vergabe mit oder ohne öffentlichem Teilnahmewettbewerb (§ 3 Nr. 1 Abs. 3 und 4 VOL/A) unabhängig von den Voraussetzungen des § 3 Nr. 4 VOL/A durchgeführt werden kann.146 Gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 VgV gilt das Gleiche für längerfristige Verträge (12 Jahre Vertragslaufzeit), wenn ein wesentlicher Teil der durch den Vertrag bestellten Leistungen während der Vertragslaufzeit ausläuft und anschließend im Wettbewerb vergeben wird. Der zum 31. 12. 2014 außer Kraft tretende § 4 Abs. 3 VgV147 soll nach dem Willen des Ver-
142 Vgl. oben B. II. 3. und OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 693; VK Karlsruhe, Beschl. v. 14. 3. 2005, Az. 1 VK 5/05, S. 13; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 540; Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 505. 143 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 540; vgl. auch Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 662. 144 Art. 1 der Ersten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 7. November 2002, BGBl. I S. 4338. 145 Begründung der Ersten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung, BRDrs. 727/02. 146 Begründung der Ersten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung, BRDrs. 727/02. 147 Vgl. Art. 2 der Ersten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 7. 11. 2002 (BGBl. I S. 4338).
8. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im SPNV
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ordnungsgebers einen geordneten und schrittweisen Übergang zum Wettbewerb im SPNV ermöglichen.148 Im Erlass des § 4 Abs. 3 VgV ist eine Reaktion des Verordnungsgebers auf die Entscheidungen verschiedener Vergabekammern und des OLG Düsseldorf zu sehen,149 die von der Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB auf die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV ausgingen.150 Der Verordnungsgeber ging bei Erlass von § 4 Abs. 3 VgV davon aus, dass die §§ 97 ff. GWB auf die Vergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV anwendbar sind, da er § 4 Abs. 3 VgVansonsten nicht hätte erlassen müssen, um sein Ziel eines geordneten Übergangs in den Wettbewerb zu erreichen.151 Wenn man davon ausgeht, dass § 15 Abs. 2 AEG den Aufgabenträgern ein Wahlrecht zwischen einer Ausschreibung nach dem Vergaberecht und einem nicht dem Vergaberecht unterworfenen, jedoch gleichwohl transparenten Vergabeverfahren einräumt, ist der Erlass einer Regelung wie § 4 Abs. 3 VgV nicht erforderlich, um den Aufgabenträgern die Möglichkeit zu geben, vom Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung abzuweichen und so einen geordneten Übergang in den Wettbewerb zu ermöglichen. Durch § 4 Abs. 3 VgV wurde der Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB jedoch nicht auf die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV erweitert. Das durch den Gesetzgeber den Aufgabenträgern hinsichtlich der Anwendbarkeit des Vergaberechts eingeräumte Ermessen kann nicht durch den Verordnungsgeber im Wege einer Verordnung beseitigt werden, sondern es könnte lediglich durch den Gesetzgeber selbst im Wege eines formellen Gesetzes beseitigt werden. Wiederum gilt, dass die VgV nur Bestimmungen hinsichtlich der Vergabeverfahren treffen kann, auf die das Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB) Anwendung findet. Die VgV und speziell § 4 Abs. 3 VgV kann jedoch nicht die Anwendbarkeit des Vergaberechts selbst begründen. Eine solche Regelung in der VgV wäre unwirksam, da hiermit der Rahmen der Verordnungsermächtigung des § 97 Abs. 6 GWB überschritten wäre.152
148
Begründung der Ersten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung, BRDrs. 727/02. 149 VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD; VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 4. 2002, Az. VK-5/2002-L, NZBau 2005, S. 335 (Leitsätze); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 7. 2002, Az. Verg 22/02, NZBau 2002, S. 634, 635. 150 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 4 VgV Rn. 3; Otting, DVBl. 2003, S. 1023, 1024; Köhler, NZBau 2003, S. 31; Werner/Köster, NVwZ 2003, S. 572, 573. 151 Dementsprechend sehen sich die Vertreter der Gegenansicht durch den Erlass von § 4 Abs. 3 VgV in ihrer Ansicht bestärkt, dass die §§ 97 ff. GWB auf die Vergabe von SPNVLeistungen zwingend anzuwenden seien (Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 145; Thieme/ Schlüter, NVwZ 2004, S. 162, 163; Otting, DVBl. 2004, S. 1023, 1025). 152 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 693; VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 18; VK Karlsruhe, Beschl. v. 14. 3. 2005, Az. 1 VK 5/05, S. 13, 15; Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 476.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
§ 4 Abs. 3 VgV kann deshalb nur dann zur Anwendung kommen, wenn sich der betreffende Aufgabenträger dazu entschieden hat, das Vergaberecht anzuwenden.153 Der Aufgabenträger kann in diesem Fall entweder sofort eine öffentliche Ausschreibung durchführen oder den Übergang zum Wettbewerb auf dem durch § 4 Abs. 3 VgV vorgezeichneten Weg herbeiführen. Aufgrund der Regelung des § 4 Abs. 3 VgV kann der jeweilige Aufgabenträger unabhängig von den Voraussetzungen des § 3 Nr. 4 VOL/A eine freihändige Vergabe durchführen. Was die Ausgestaltung des Verfahrens selbst betrifft, ist er jedoch (da er sich für die Anwendung des Vergaberechts entschieden hat) an die Vergabegrundsätze des § 97 Abs. 1 – 5 GWB (Transparenzgrundsatz, Diskriminierungsverbot, Gleichbehandlungsgrundsatz) und an die auch für freihändige Vergaben geltenden Vorschriften der VOL/A gebunden.154 Aus der Formulierung in § 4 Abs. 3 VgV, wonach eine freihändige Vergabe jeweils „ohne sonstige Voraussetzungen“ zulässig ist, folgt nicht, dass die Aufgabenträger bei einer freihändigen Vergabe keine vergaberechtlichen Anforderungen zu beachten haben. Nach § 4 Abs. 3 VgV gilt § 4 Abs. 1 VgV, der wiederum einen Verweis auf den 2. Abschnitt der VOL/A enthält; die Maßgaben des § 4 Abs. 3 VgV beziehen sich auf die Wahl der Verfahrensart. Aus der Formulierung von § 4 Abs. 3 VgV lässt sich deshalb entnehmen, dass dieser zwar die Wahlmöglichkeiten der Aufgabenträger hinsichtlich der anzuwendenden Verfahrensart erweitert, indem die normalerweise geltenden Voraussetzungen für eine freihändige Vergabe nicht erfüllt sein müssen, er jedoch nicht eine freihändige Vergabe unter Dispensierung von sämtlichen weiteren Anforderungen an das Verfahren ermöglichen sollte.155 § 4 Abs. 3 VgV, der die Möglichkeit einer freihändigen Vergabe von SPNVLeistungen ohne vorherige öffentliche Bekanntmachung eröffnet, muss darüber hinaus mit den Grundsätzen des EG-Vertrags in Einklang gebracht werden. Diese Grundsätze des EG-Vertrags machen eine vorherige öffentliche Bekanntmachung erforderlich (vgl. oben B. I. 3.).156 § 4 Abs. 3 VgV ist deshalb europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass die Aufgabenträger im Falle der Entscheidung für die Anwendung des Vergaberechts unter den in § 4 Abs. 3 Nr. 1 und 2 VgV genannten Bedingungen anstatt einer öffentlichen Ausschreibung eine freihändige Vergabe mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb durchführen können. Eine freihändige Vergabe ohne vorherige öffentliche Bekanntmachung ist wegen der Geltung der Grundsätze des EG-Vertrags nicht möglich. § 4 Abs. 3 VgV eröffnet den Aufgabenträgern also im Falle der Entscheidung für das Vergaberecht hinsichtlich des anzuwendenden
153 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 693; VK Karlsruhe, Beschl. v. 14. 3. 2005, Az. 1 VK 5/05, S. 13; Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 476. 154 Thieme/Schlüter, NVwZ 204, S. 162, 167; Otting, DVBl. 2003, S. 1023, 1025; Werner/ Köster, NVwZ 2003, S. 572 f.; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 344. 155 Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162, 167; Otting, DVBl. 2003, S. 1023, 1025; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 344. 156 So auch Werner/Köster, NVwZ 2003, S. 572 f.
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Vergabeverfahrens einen Handlungsspielraum, der jedoch durch das Gemeinschaftsrecht wieder etwas eingeschränkt wird.157 6. Systematische Argumente Die Spezialität von § 15 Abs. 2 AEG gegenüber den §§ 97 ff. GWB ergibt sich ergänzend auch aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz „lex specialis derogat legi generali“.158 Eisenbahnverkehrsleistungen können unter den Begriff der Dienstleistungen i. S. des § 99 Abs. 1, 4 GWB subsumiert werden.159 Während sich die §§ 97 ff. GWB generell mit der Vergabe von Dienstleistungen befassen, ist in § 15 Abs. 2 AEG speziell die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV geregelt. § 15 Abs. 2 AEG befasst sich also speziell mit der Vergabe eines durch zusätzliche Tatbestandsmerkmale eingegrenzten Teilausschnitt aus dem Bereich der Dienstleistungen allgemein und enthält deshalb mehr Tatbestandsmerkmale als § 99 Abs. 1, 4 GWB.160 § 15 Abs. 2 AEG ist somit nach dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ gegenüber den §§ 97 ff. GWB die speziellere Norm, auch wenn man die Entwicklungsgeschichte der beiden Vorschriften und den Willen des Gesetzgebers161 einmal außer acht lässt.162 Die Regelung des § 15 Abs. 2 AEG verstößt auch nicht gegen Gemeinschaftsrecht, da dieses kein förmliches Vergabeverfahren verlangt. Nach einer Ansicht ist das Verhältnis von § 15 Abs. 2 AEG zu den §§ 97 ff. GWB anhand des Grundsatzes „lex posterior derogat legi priori“ zu klären. Die Vertreter dieser Ansicht argumentieren, dass das AEG (und damit auch § 15 Abs. 2 AEG) am 1. 1. 1994 in Kraft getreten sei, das mit dem VgRÄndG eingeführte Kartellvergaberecht (§§ 97 ff. GWB) jedoch erst am 1. 1. 1999. Aus dieser zeitlichen Abfolge ergebe sich nach dem lex posterior-Grundsatz, dass die §§ 97 ff. GWB als die jün-
157 Zur Bedeutung von § 4 Abs. 3 VgV im Zusammenhang mit dem Übergang zum Wettbewerb, den er nach dem Willen des Verordnungsgebers bewirken sollte vgl. unten B. V. 2. c). 158 Prieß, NZBau 2002, S. 539; Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 476; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162 f. 159 Zur Frage des Vorliegens eines öffentlichen Auftrags i. S. von § 99 Abs. 1, 4 GWB vgl. unten C. II. 160 Prieß, NZBau 2002, S. 539; Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 476; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162; unzutreffend deshalb VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 9 und Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 337. 161 Insbesondere Zirbes (VergabeR 2004, S. 133, 148 ff.) kritisiert am Beschluss des OLG Brandenburg (NZBau 2003, S. 688), dass dieses sich zu einseitig am subjektiven Willen des Gesetzgebers orientiert habe und die Entscheidung deshalb unter – angeblichen – rechtsmethodischen Defiziten leide. 162 Dies wird auch von manchen Vertretern der Gegenansicht eingeräumt (vgl. Thieme/ Schlüter, NVwZ 2004, S. 162 f.).
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geren Vorschriften Vorrang vor der älteren Vorschrift des § 15 Abs. 2 AEG genössen.163 Dieser Argumentation wird entgegengehalten, dass die zeitliche Abfolge eine andere gewesen sei.164 Die Vergaberichtlinien wurden in der Bundesrepublik zunächst durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes (HGrG) umgesetzt (haushaltsrechtliche Lösung), welches am 26. 11. 1993 verabschiedet und am 2. 12. 1993 im Bundesgesetzblatt bekannt gemacht wurde.165 Das AEG hingegen (und damit auch § 15 Abs. 2 AEG) wurde erst am 27. 12. 1993 verabschiedet und am 30. 12. 1993 im Bundesgesetzblatt bekannt gemacht166, weshalb es die jüngere Vorschrift sei. Durch die in das Haushaltsgrundsätzegesetz eingefügten Paragrafen sollten nach der damaligen Absicht des Gesetzgebers die Vergaberichtlinien vollständig umgesetzt werden. Die §§ 97 ff. GWB stellten lediglich eine gemeinschaftsrechtskonforme Fortentwicklung des allgemeinen Vergabeverfahrensrechts der haushaltsrechtlichen Lösung dar, jedoch keinen den § 15 Abs. 2 AEG als jüngeres Recht verdrängenden neuen Normenkomplex.167 Deshalb ergibt sich für diese Ansicht (auch) aus der zeitlichen Abfolge, dass § 15 Abs. 2 AEG Vorrang vor dem zunächst in der haushaltsrechtlichen Lösung, dann in den §§ 97 ff. GWB umgesetzten Vergaberecht genießt. Entscheidend ist jedoch, dass das VgRÄndG nicht zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs der §§ 97 ff. GWB auf die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Leistungen im SPNV geführt hat. Da die Vergabe von SPNV-Leistungen der spezialgesetzlichen Regelung des § 15 Abs. 2 AEG und nicht den §§ 97 ff. GWB unterfällt, ist die Vergabe solcher Leistungen nicht Gegenstand sowohl der einen als auch der anderen Norm, weshalb eine Klärung des Verhältnisses der beiden Normen bzw. Normkomplexe anhand des lex posterior-Grundsatzes nicht möglich und auch nicht notwendig ist. Das Verhältnis zwischen zwei Rechtsnormen kann nur dann anhand des lex posterior-Grundsatzes geklärt werden, wenn diese beiden Rechtsnormen den gleichen Rang haben. Da § 15 Abs. 2 AEG jedoch gegenüber den §§ 97 ff. GWB die speziellere Vorschrift ist, haben diese beiden Normen nicht denselben Rang, weshalb der lex posterior-Grundsatz nicht zur Anwendung kommt.168 163 VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 9; OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635; VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 4. 2002, VK-05/2002-L, S. 12 f.; Marx, Der Nahverkehr 3/2003, S. 28, 29; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162, 163; Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 150; Bremer/Wünschmann, WiVerw 2004, S. 51, 57 (Fn. 25); Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 337. 164 VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 9. 165 BGBl. I S. 1928 ff. 166 Art. 5 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes, BGBl. I S. 2395 ff. 167 VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 9; vgl. auch Pietzcker, NZBau 2003, S. 661. 168 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 476 (Fn. 24); Gerstner, in: Hermes/ Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 20; OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 689 f.
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7. § 100 Abs. 2 GWB Die Gegenansicht, die von der Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB auf die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im SPNV ausgeht, stützt dieses Ergebnis mit dem Argument, dass die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Eisenbahnverkehrsleistungen nicht in der Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 GWB erwähnt sei. Gemäß § 100 Abs. 2 lit. f GWB seien im Verkehrsbereich lediglich diejenigen Aufträge vom Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB ausgenommen, die von Auftraggebern, die selbst im Verkehrsbereich tätig sind, auf dem Gebiet des Verkehrs vergeben werden. Eine weitergehende Ausnahme enthalte § 100 Abs. 2 GWB in Bezug auf Verkehrsdienstleistungen nicht. Soweit jedoch kein Ausnahmetatbestand nach dieser Vorschrift vorliege, solle das Vergaberecht auf die nicht in dieser Vorschrift genannten Bereiche Anwendung finden, da die Ausnahmetatbestände des § 100 Abs. 2 GWB nach dem Willen des Gesetzgebers abschließend seien.169 Dieses Argument greift jedoch zu kurz. Zwar legt § 100 Abs. 2 GWB die Ausnahmen von den §§ 97 ff. GWB abschließend fest, Voraussetzung für das Eingreifen von § 100 Abs. 2 GWB ist jedoch die Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB. § 100 Abs. 2 GWB schränkt den eröffneten Anwendungsbereich des Vergaberechts dadurch ein, dass bestimmte Vertragsarten und Beschaffungsfelder aus dem Anwendungsbereich wieder herausgenommen werden.170 Wie oben bereits dargelegt, sind die §§ 97 ff. GWB jedoch auf die Vergabe von SPNV-Verkehrsleistungen nicht anwendbar. Die Anwendbarkeit des Vergaberechts setzt vielmehr eine entsprechende Entscheidung des Aufgabenträgers voraus. § 100 Abs. 2 GWB schließt es nicht aus, dass bestimmte Leistungen – wie bspw. Verkehrsleistungen im SPNV – aufgrund einer gemeinschaftsrechtlich zulässigen gesetzlichen Spezialregelung außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 97 ff. GWB vergeben werden.171 Deshalb kann nicht im Umkehrschluss aus § 100 Abs. 2 GWB gefolgert werden, dass sämtliche Aufträge, die nicht in § 100 Abs. 2 GWB erwähnt sind, automatisch in den Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB fallen.172 Als Ausnahmevorschrift, die zunächst das Eingreifen des Tatbestandes voraussetzt, kann § 100 Abs. 2 GWB nicht selbst Auskunft über das Eingreifen des Tatbestandes geben.173
169 VK Magdeburg, 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 9; OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635; VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 4. 2002, Az. VK-05/2002-L, S. 12; Bremer/Wünschmann, WiVerw 2004, S. 51, 57; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162, 163; Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 141; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 157 f. 170 Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, Rn. 387, 389. 171 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 540 (mit weiteren Beispielen). 172 VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 18. 173 Burgi, NZBau 2005, S. 208, 212 (zu einer parallelen Problematik bei der interkommunalen Zusammenarbeit).
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8. Tatsächliche Veränderungen Die tatsächlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des SPNV haben sich seit Erlass des AEG im Jahre 1993 geändert. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AEG verfügte die DB Regio AG bzw. die DB-Personenverkehrs-AG über eine Monopolstellung. Die Aufgabenträger konnten zu dieser Zeit ihre Ziele und Interessen besser im Wege direkter Verhandlungen mit der DB Regio AG bzw. der DBPersonenverkehrs-AG wahrnehmen. Über eine Ausschreibung konnten keine Marktpreise oder Kosteneinsparungen erzielt werden, da keine Wettbewerber existierten, die sich an der Ausschreibung hätten beteiligen können. Mittlerweile existieren jedoch einige Wettbewerber zur DB Regio AG, die ebenfalls in der Lage sind, im erforderlichen Umfang Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV zu erbringen.174 Obwohl die DB Regio AG weiterhin über eine herausragende Marktstellung verfügt, können nunmehr über eine Ausschreibung ggf. Kosteneinsparungen erzielt werden.175 Entgegen den Befürchtungen des Bundesrates176 wird darüber hinaus über Nachprüfungsanträge im mittlerweile etablierten Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und Oberlandesgerichten in der Regel zügig entschieden. Auch wenn diese Änderungen der wirtschaftlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen einige der Argumente des Bundesrates gegen eine generelle Ausschreibungspflicht entfallen lassen oder zumindest schwächen, ändert sich nichts an der bei Erlass des § 15 Abs. 2 AEG getroffenen Grundentscheidung des Gesetzgebers, den Aufgabenträgern ein Entscheidungsermessen darüber einzuräumen, ob sie eine öffentliche Ausschreibung durchführen und so das Vergaberecht zur Anwendung bringen.177
174
Vgl. den Wettbewerbsbericht 2006 der Deutschen Bahn AG, S. 16. Im Jahr 2005 verfügte die DB Regio AG über einen Marktanteil im SPNV in Höhe von 86,8 % (gemessen in Zug-Kilometern), der Marktanteil anderer Bahnen lag demnach bei 13,2 %. Für das Jahr 2006 prognostizierte die Deutsche Bahn AG selbst einen Marktanteil der Wettbewerber in Höhe von 15 % (vgl. Wettbewerbsbericht 2006 der Deutschen Bahn AG, S. 16). Der BGH hat eine Entscheidung des OLG Düsseldorf, die davon ausging, dass die DB Regio AG trotz dieser Marktanteile über keine marktbeherrschende Stellung i. S. der §§ 19, 36 Abs. 1 GWB verfüge, aufgehoben (BGH, Beschl. v. 7. 2. 2006, Az. KVR 5/05, NJW-RR 2006, S. 836, 840 ff.). Das OLG Düsseldorf hatte seine Entscheidung u. a. damit begründet, dass die Erfolgsquote der DB Regio AG bei Ausschreibungen im Jahr 2004 bei 49 % und in den Jahren 2001 bis 2003 lediglich bei 39 % gelegen hat (35 % im Jahr 2005). Der BGH sah jedoch die durch den hohen Marktanteil begründete Vermutung für eine marktbeherrschende Stellung auch hierdurch nicht widerlegt (BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 840 ff.). 176 BR-Drs. 131/93 (Beschluß), S. 47; BT-Drs. 12/5014, S. 20. 177 A. A. Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 149 f. 175
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III. Vereinbarkeit von Vergaberecht und Daseinsvorsorge im SPNV Die Kommission hat das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland178 wegen der Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im SPNV hauptsächlich angestrengt, um in diesem Bereich dem Wettbewerb zu verstärken.179 Ob der Bereich des SPNV durch Ausschreibungen für den Wettbewerb geöffnet werden soll, ist in Rechtsprechung und Literatur jedoch durchaus umstritten. 1. VK Brandenburg/OLG Brandenburg Die VK Brandenburg begründet die von ihr angenommene Wahlmöglichkeit der Aufgabenträger zwischen einer Ausschreibung und einer Direktvergabe hauptsächlich damit, dass § 15 Abs. 2 AEG gegenüber den §§ 97 ff. GWB die inhaltlich speziellere Norm sei und dass der mit § 15 Abs. 2 AEG i. V. mit § 4 RegG verfolgte Zweck der Sicherstellung der Daseinsvorsorge im öffentlichen regionalen Schienenpersonennahverkehr durch die Anwendung des Vergaberechts vereitelt würde.180 Dementsprechend sehe § 15 Abs. 2 AEG ein Ermessen der zuständigen Behörden vor, gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im Wettbewerb auszuschreiben oder direkt zu vergeben, je nachdem, welches Verfahren den Bedürfnissen der Allgemeinheit auf eine flächendeckende, angemessene und ausreichende Versorgung der zu bedienenden Regionen am ehesten gerecht werde und auf welche Weise nach der Einschätzung der zuständigen Behörden die Daseinsvorsorge demnach am wirkungsvollsten sichergestellt werden könne. Mit dieser Zielrichtung des § 15 Abs. 2 AEG sei das Kartellvergaberecht (§§ 97 ff. GWB) nicht kompatibel. Die §§ 97 ff. GWB dienten allein der Öffnung des Beschaffungswesens der öffentlichen Hand und dem Wettbewerb, der Zweck der Sicherung der Daseinsvorsorge im regionalen SPNV sei den §§ 97 ff. GWB fremd. Diese unterschiedliche Ausrichtung von materiellem Verkehrs- und allgemeinem Vergabeverfahrensrecht bedinge die Subsidiarität der §§ 97 ff. GWB gegenüber § 15 Abs. 2 AEG i. V. mit § 4 RegG.181 Mit einer vergleichbaren Argumentation begründet die VK Brandenburg auch die von ihr angenommene Spezialität der VO (EWG) 1191/69 gegenüber den Vergaberichtlinien und dem zur Umsetzung dieser Richtlinien ergangenen nationalen Vergaberecht. Das Verhältnis zwischen der VO (EWG) 1191/69 und dem allgemeinen Vergabeverfahrensrecht der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie 92/50/ EWG sei im Lichte des Art. 16 EG zu bestimmen.182 Im Lichte des Art. 16 EG folge 178
Vgl. oben B. I. 3. b). Schreiben der Kommission im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland vom 13. 10. 2004 – C(2004) 3890, S. 5. 180 VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 10 f. 181 Vgl. zur gesamten vorstehenden Argumentation der VK Brandenburg den Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 10 f. 182 Zur Diskussion um die rechtliche Tragweite von Art. 16 EG vgl. Kapitel 2 C. IV. 179
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das Verfahren der Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen i. S. von Art. 14 VO (EWG) 1191/69, § 4 RegG i. V. mit § 15 AEG den materiellen Zielen dieser Vorschriften. Regelungszweck von Art. 14 VO (EWG) 1191/69 sei in erster Linie die Daseinsvorsorge im Interesse der Verkehrsbedürfnisse der Allgemeinheit. Die Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie 92/50/EWG stehe hingegen unter der Prämisse der unbedingten Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte. Die unterschiedlichen Zielvorgaben beider Normkomplexe stünden einem Vorrang der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie entgegen.183 Soweit nach Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) 1191/69 von den zuständigen Behörden die Lösung zu wählen sei, welche die geringsten Kosten für die Allgemeinheit mit sich bringe, stehe das Interesse der Allgemeinheit an einer effizienten Ressourcenallokation und nicht das Interesse einzelner Dienstleistungserbringer im Vordergrund.184 Die VO (EWG) 1191/69 verfolgt also nach Auffassung der VK Brandenburg lediglich ein fiskalisches Schutzziel, nicht jedoch den Schutz der Interessen der einzelnen Verkehrsunternehmen im Wettbewerb. Die Spezialität der VO (EWG) 1191/69 gegenüber der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie 92/50/EWG und dem nationalen Vergaberecht sei umfassend und erfasse auch die Art und Weise, in der gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienstleistungen an entsprechende Verkehrsunternehmen vergeben werden.185 Da die VO (EWG) 1191/69 hierzu keine verfahrensrechtlichen Vorschriften enthalte, sei deren Erlass Sache des deutschen Gesetzgebers gewesen. Dieser habe daraufhin § 15 Abs. 2 AEG erlassen.186 Die VK Brandenburg geht bei ihrer Argumentation offensichtlich davon aus, dass bei zwingender Anwendung wettbewerblicher Vergabeverfahren eine angemessene und ausreichende Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen im SPNV gefährdet ist, bzw. dass der Gesetzgeber mit § 15 Abs. 2 AEG und der durch diese Vorschrift eröffneten Möglichkeit der Direktvergabe (wovon die VK Brandenburg ausgeht) dafür Sorge getragen hat, dass die Daseinsvorsorge in jedem Fall gesichert werden kann. Das OLG Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 2. 9. 2003,187 mit dem es über die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der VK Brandenburg entschieden hat, deren Entscheidung im Ergebnis bestätigt. In der Begründung hat es sich jedoch nicht so sehr auf eine Verdrängung des Vergaberechts und des in ihm verkörperten 183
VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 13. VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 13. 185 Wie die VK Brandenburg sieht auch Prieß (NZBau 2002, S. 539, 540) die VO (EWG) 1191/69 als ein der Daseinsvorsorge dienendes Sonderregime an, das die Verträge über die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV dem Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien und des nationalen Vergaberechts (§§ 97 ff. GWB) entziehe (a. A. Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 153). 186 VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 13. 187 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688. 184
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Wettbewerbsprinzips aufgrund eines angenommenen Spannungsverhältnisses zur Daseinsvorsorge gestützt, sondern in erster Linie auf den Willen des Gesetzgebers. Bei der Umstellung des Modells einer „Staatseisenbahn mit Zuschussregelung in ein Modell der Sicherstellung von SPNV durch den Staat mittels Bestellung entsprechender Leistungen bei Unternehmen unter Gewährung von Zuschuss“, habe nicht das Ziel der Herstellung freien Wettbewerbs unter den Leistungserbringern im Vordergrund gestanden. Vorrangiges Ziel des Gesetzgebers sei die Daseinsvorsorge gewesen, d. h. die Sicherung der flächendeckenden, angemessenen und ausreichenden Versorgung der Allgemeinheit mit Leistungen des SPNV seitens dritter Unternehmen. Dieses Ziel sollte (noch) nicht im vollständig freien Wettbewerb erreicht werden. Der Gesetzgeber habe den Weg der schrittweisen Einführung von Wettbewerb gewählt,188 um die Sicherstellung eines den Anforderungen der Daseinsvorsorge genügenden SPNV nicht zu gefährden. Letztlich sollte „die Daseinsvorsorge sicher gestellt werden, nicht der Wettbewerb“.189 2. Stellungnahme In der Argumentation der VK Brandenburg spiegelt sich die in Kapitel 2 geführte Diskussion über das Verhältnis von Daseinsvorsorge und Wettbewerb wider. Der Wettbewerb gewährleistet nicht automatisch und ausnahmslos eine ausreichende und angemessene Daseinsvorsorge.190 Im Anschluss an die VK Brandenburg könnte man deshalb argumentieren, dass die Rechtsordnung den Aufgabenträgern gegebenenfalls die Möglichkeit einräumen muss, ihre Aufgaben ohne Bindung an die Wettbewerbsregeln zu erfüllen, wenn durch diese Regeln die Sicherstellung einer angemessenen und ausreichenden Daseinsvorsorge gefährdet wäre.191 Bezogen auf das Vergaberecht eröffnete § 15 Abs. 2 AEG dementsprechend die Möglichkeit der Direktvergabe, wenn die Aufgabenträger des SPNV sonst ihre Aufgaben nicht erfüllen könnten. Der VK Brandenburg ist darin zuzustimmen, dass Zweck des § 15 AEG i. V. mit § 4 RegG die Sicherstellung der Daseinsvorsorge im öffentlichen regionalen Schienenpersonennahverkehr ist. Der Zweck der VO (EWG) 1191/69 war und ist zunächst, die durch die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen hervorgerufene Verfälschung der Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsunternehmen zu beseitigen.192 Erbringen die Verkehrsunternehmen von sich aus mangels Wirtschaftlichkeit Verkehrsleistungen nicht in ausreichendem Umfang, können die zuständigen Behörden dadurch eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherstellen, 188
Vgl. hierzu oben B. II. 1. OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 690 f.; Kritik hieran äußert Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 150. 190 Ronellenfitsch, in: Forsthoff-Kolloquium, 2003, S. 86; vgl. Kapitel 2 B. II. 191 Vgl. hierzu allgemein Kapitel 2 C. und D. III. 192 Vgl. Begründungserwägung 1 und 2 der VO (EWG) 1191/69. 189
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dass sie mit diesen Verträge über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes abschließen (Art. 1 Abs. 4, 14 VO (EWG) 1191/69). Die VO (EWG) 1191/69 ermöglicht also trotz der grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Aufhebung von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes die Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung, kurz: die Sicherung der Daseinsvorsorge.193 Die Bedeutung des öffentlichen Interesses an einer ausreichenden Verkehrsbedienung wird durch die VO (EWG) 1191/69 anerkannt. Die Bereitstellung eines angemessenen ÖPNV-Angebots ist Ausdruck eines gemeinschaftsrechtlich anerkannten staatlichen Gemeinwohlauftrags.194 Dementsprechend dienen die § 4 RegG und § 15 Abs. 1 AEG mit ihrem Verweis auf die VO (EWG) 1191/69 und der vorgesehenen Möglichkeit der vertraglichen Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen der Sicherstellung der Daseinsvorsorge im SPNV. § 1 RegG bekräftigt, dass die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ist. Das Vergaberecht verfolgt – wie von der VK Brandenburg zutreffend festgestellt – nicht das Ziel der Sicherstellung der Daseinsvorsorge, sondern es dient der Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte und dem Wettbewerb. Es besteht nun zwar – wie bereits oben ausführlich dargelegt (Kapitel 2 D. III. 1.) – ein Spannungsverhältnis zwischen der Daseinsvorsorge und einer sich aus dem Vergaberecht ergebenden Pflicht zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung, jedoch kein solch ausgeprägter Gegensatz, wie er von der VK Brandenburg angenommen wird.195 Die Daseinsvorsorge wird im SPNV in erster Linie dadurch sichergestellt, dass die Aufgabenträger gemeinwirtschaftliche Eisenbahnverkehrsleistungen mit Eisenbahnverkehrsunternehmen vereinbaren (Art. 1 Abs. 4, 14 VO (EWG) 1191/69, § 4 RegG, § 15 Abs. 1 AEG). Hieran schließt sich die Frage an, mit welchem Eisenbahnverkehrsunternehmen eine solche Vereinbarung getroffen werden soll. Erfolgt die Auswahl des Vertragspartners in einem förmlichen Vergabeverfahren, besteht zwar ein Spannungsverhältnis zwischen den Anforderungen der Daseinsvorsorge und der Durchführung eines solchen Vergabeverfahrens (insbesondere einer öffentlichen Ausschreibung), durch ein wettbewerbliches Vergabeverfahren kann jedoch – wenn der besondere Charakter der zu vergebenden Leistung bei der Durchführung des Vergabeverfahrens berücksichtigt wird196 – eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im SPNV sichergestellt werden unter gleichzeitiger Ermittlung desjenigen Unternehmens, das für die Erbringung der 193
Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 97. So auch Zirbes (VergabeR 2004, S. 133, 152), der von einer zwingenden Anwendung des Vergaberechts auf die Vergabe von SPNV-Leistungen ausgeht. Daneben hat die VO (EWG) 1191/69 auch noch beihilferechtliche Aspekte (vgl. Kapitel 7 B. IV.). 194 Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 185, 208. 195 Das Bestehen eines Gegensatzes zwischen der Daseinsvorsorge und dem (Ausschreibungs-)Wettbewerb wird von Zirbes (VergabeR 2004, S. 133, 150) von vorne herein verneint. 196 Wie dieser besondere Charakter konkret im Rahmen des Vergabeverfahrens berücksichtigt werden kann, wird in Kapitel 10 erörtert.
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gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen den niedrigsten Zuschussbedarf hat bzw. das beste Preis-Leistungsverhältnis bietet (vgl. ausführlich Kapitel 2 D. III. 1. und 4.).197 Eine öffentliche Ausschreibung ist grundsätzlich – in den Worten der VK Brandenburg – ein Verfahren, das „den Bedürfnissen der Allgemeinheit auf eine flächendeckende, angemessene und ausreichende Versorgung“ der zu bedienenden Regionen „gerecht wird“.198 Die Durchführung einer Ausschreibung kann der Daseinsvorsorge dadurch dienen, dass dasjenige Verkehrsunternehmen ermittelt wird, welches den durch den Aufgabenträger gewünschten Standard der Verkehrsbedienung mit dem geringsten Zuschussbedarf bzw. zum besten Preis-Leistungsverhältnis sicherstellt. Der tragende Grund dafür, dass das Vergaberecht nicht zwingend auf die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im SPNV anzuwenden ist, kann also nicht darin gesehen werden, dass es sich bei den zu vergebenden Leistungen um solche der Daseinsvorsorge handelt,199 oder dass bei einem aus der Anwendbarkeit des Vergaberechts folgenden Zwang zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung die Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung gefährdet wäre bzw. die Daseinsvorsorge nicht sichergestellt werden könnte. Der Grund für die fehlende Ausschreibungspflicht ist vielmehr in der Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 2 AEG und in dem durch das Gemeinschaftsrecht eröffneten Spielraum zu finden. Könnte im Wege der Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung die Daseinsvorsorge nicht sichergestellt werden, hätte der Gesetzgeber die Durchführung von Ausschreibungen generell untersagen müssen. Er hätte dann nicht, wie in § 15 Abs. 2 AEG geschehen, die Möglichkeit eröffnen dürfen, eine Ausschreibung durchzuführen. Dass der Gesetzgeber nicht dieser Ansicht war, ergibt sich auch aus einem Vergleich mit dem straßengebundenen ÖPNV. Dort werden gemeinwirtschaftliche Leistungen gemäß § 13a PBefG grundsätzlich im Wettbewerb vergeben. Der Aufgabenträger muss in der Regel vor dem Genehmigungsverfahren ein Vergabeverfahren nach der VOL/A Abschnitt 1 durchführen, um dasjenige Angebot zu ermitteln, das die geringsten Kosten für die Allgemeinheit mit sich bringt (vgl. ausführlich dazu Kapitel 9 A. II.).200 Wenn der Gesetzgeber der Ansicht gewesen 197
Im Ergebnis ebenso Zirbes (VergabeR 2004, S. 133, 150, 156), der jedoch das Bestehen eines Gegensatzes zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerb von vorne herein verneint und vor diesem Hintergrund betont, dass sich die Daseinsvorsorge „auch und gerade mit den Mitteln des (Ausschreibungs-)Wettbewerbs effizient, wirtschaftlich und rechtssicher organisieren“ lasse (Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 156). 198 VK Brandenburg, Beschl. v. 10. 2. 2003, Az. VK 80/02, S. 10. 199 Vgl. auch Marx, Der Nahverkehr 3/2003, S. 28, 29 und Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 150, 153, die jedoch beide von der zwingenden Anwendung des Vergaberechts auf die Vergabe von SPNV-Leistungen ausgehen. Deren Argument, das Vergaberecht sei auch unstreitig auf die Vergabe anderer Leistungen der Daseinsvorsorge (etwa in den Bereichen Abfallentsorgung und Wasserversorgung) anwendbar, mag zwar für sich richtig sein, es ersetzt jedoch nicht die Überprüfung, ob im Falle der Durchführung öffentlicher Ausschreibungen auch unter den speziellen Gegebenheiten des SPNV die Daseinsvorsorge sichergestellt werden kann. 200 Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 131, 142.
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wäre, dass die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung die Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung gefährdete, hätte er die Regelung des § 13a Abs. 1 PBefG i. V. mit der Geringste-Kosten-Verordnung nicht erlassen dürfen.201 Eine andere Frage ist, ob in einem nicht dem Vergaberecht unterworfenen Verfahren die Belange der Daseinsvorsorge besser berücksichtigt werden können. Wenn sich ein Aufgabenträger dazu entscheidet, eine Ausschreibung durchzuführen, ist er den strengen Verfahrensanforderungen des Vergaberechts unterworfen. Bspw. darf bei der Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung nach Öffnung der Angebote bis zur Zuschlagerteilung nicht mit den Bietern über ihre Angebote verhandelt werden (§ 24 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A). Der Vorteil eines nicht dem Vergaberecht unterworfenen Vergabeverfahrens besteht in einer flexibleren Gestaltung des Verfahrens, die eine bessere Berücksichtigung der Komplexität der zu vergebenden Leistung ermöglicht.202 In einem Verfahren, wie es die Bundesländer gegenüber der Kommission zugesagt haben (5-Stufen-Modell),203 können nach einer europaweiten Bekanntgabe mehrere Verhandlungspartner ausgewählt werden, mit denen anschließend Verhandlungen über den abzuschließenden Verkehrsvertrag geführt werden. In diesen Verhandlungen kann die Besonderheit der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen als Leistungen der Daseinsvorsorge vollumfänglich berücksichtigt werden. Wenn sich die Aufgabenträger für ein solches, nicht dem Vergaberecht unterworfenes Vergabeverfahren entscheiden, müssen sie jedoch darauf achten, dass sie dieses Verfahren transparent gestalten und alle Bewerber gleich behandeln. Auch ein solches Vergabeverfahren bietet die Möglichkeit von Kostensenkungen durch die Verhandlung mit verschiedenen Verkehrsunternehmen. IV. Kriterien der Ermessensentscheidung Es steht im Ermessen der Aufgabenträger, ob sie ein förmliches Vergabeverfahren oder ein nicht dem Vergaberecht unterliegendes, jedoch gleichwohl transparentes und nichtdiskriminierendes Verfahren durchführen. Zu untersuchen ist, welche Entscheidungskriterien die Aufgabenträger bei der Ausübung dieses Ermessens heranziehen können bzw. müssen. 1. Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung Die Aufgabenträger müssen sich bei ihrer Ermessensentscheidung über das anzuwendende Vergabeverfahren in erster Linie vom Ziel der Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im SPNV (§ 1 RegG), sprich der Sicherstellung der Daseinsvorsorge, leiten lassen; sachfremde Aspekte wie bspw. die einseitige Bevorzugung eines Verkehrsunternehmens dürfen 201 202 203
Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 150. Vgl. Kapitel 2 D. III. 1. g). Vgl. oben B. II. 3. b).
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in dieser Entscheidung keine Rolle spielen bzw. führen zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Entscheidung.204 2. Beihilferechtliche Erwägungen Beihilferechtliche Erwägungen können in der Ermessensentscheidung der Aufgabenträger ebenfalls eine Rolle spielen. Mit dem Entgelt, das das beauftragte Eisenbahnverkehrsunternehmen erhält, dürfen lediglich die aus der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen erwachsenden Belastungen ausgeglichen, nicht jedoch ein finanzieller Vorteil gewährt werden. Im Falle einer Überkompensation läge eine Beihilfe i. S. des Art. 87 Abs. 1 EG vor. Nun folgt zwar aus der VO (EWG) 1191/69 keine Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung, Überkompensationen können auch im Wege einer Kostenanalyse verhindert werden. Allerdings kann mit der Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens (insbesondere einer öffentlichen Ausschreibung) rechtssicher das Vorliegen einer Beihilfe i. S. des Art. 87 EG verhindert werden (vgl. eingehend Kapitel 2 D. I. 3.).205 Diese Rechtssicherheit in beihilferechtlicher Hinsicht kann ein Grund dafür sein, dass sich ein Aufgabenträger dazu entscheidet, eine öffentliche Ausschreibung durchzuführen und sich so dem Vergaberecht zu unterwerfen. 3. Umfang der zu erbringenden Verkehrsleistungen Ein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Entscheidung über das anzuwendende Vergabeverfahren ist der Umfang der geforderten Verkehrsleistungen und die Anzahl der Verkehrsunternehmen, die dazu in der Lage sind, diese Leistungen zu erbringen. Wenn ein Bundesland als Aufgabenträger einen Verkehrsvertrag über den SPNV im gesamten Bundesland abschließen will, kommen hierfür weniger Verkehrsunternehmen in Betracht, wie wenn kleinere Teilnetze vergeben werden. Einen den gesamten SPNV in einem Bundesland umfassenden Verkehrsvertrag kann angesichts des Umfangs der zu erbringenden Verkehrsleistungen und der erforderlichen Res204 Die Vertreter der Gegenansicht werfen der hier vertretenen Ansicht vor, es den Aufgabenträgern zu ermöglichen, die DB Regio AG zu bevorzugen (am deutlichsten Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 155, der von Hoflieferantentum spricht; dagegen Prieß, VergabeR 2004, S. 584 ff.). Auch wenn die Aufgabenträger bereits erfolgreich mit der DB Regio AG zusammengearbeitet haben und die DB Regio AG (auch historisch begründet) über eine überragende Marktstellung verfügt, dürfen die Aufgabenträger die DB Regio AG nicht einseitig gegenüber anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen bevorzugen. Gleichwohl sind sie natürlich nicht daran gehindert, im Rahmen des Vergabeverfahrens zu berücksichtigen, dass sich die DB Regio AG als fachkundiges, leistungsstarkes und zuverlässiges Verkehrsunternehmen erwiesen hat. 205 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 691; Griem/Klinger, TranspR 2004, S. 206, 209. So auch Bremer/Wünschmann (WiVerw 2004, S. 51, 62 f.) und Zirbes (VergabeR 2004, S. 133, 152 f.), die zur Stützung ihrer Rechtsauffassung ausdrücklich betonen, dass die Durchführung eines Ausschreibungswettbewerbs die rechtssicherste Methode zur Gewährleistung marktkonformer Ausgleichszahlungen im SPNV sei.
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sourcen derzeit wohl nur die DB Regio AG erfüllen. Wenn lediglich ein Unternehmen für die Leistungserbringung in Frage kommt, ist eine öffentliche Ausschreibung keine geeignete Lösung, da das Ergebnis des Vergabeverfahrens im Regelfall bereits vorher feststeht.206 Die Aufgabenträger können ihre Interessen und Ziele besser im Rahmen von Verhandlungen mit diesem Unternehmen wahrnehmen, sie würden ihr durch § 15 Abs. 2 AEG eröffnetes Ermessen deshalb wohl dahingehend ausüben, kein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen.207 Werden kleinere Teilnetze vergeben und sind deshalb mehrere Verkehrsunternehmen zur Leistungserbringung in der Lage, ist eine öffentliche Ausschreibung ein geeignetes Instrument zur Ermittlung des Vertragspartners. Der Umstand, dass auf Seiten der Verkehrsunternehmen mehrere potenzielle Vertragspartner existieren, ist wiederum bei der Ausübung des Ermessens über das anzuwendende Vergabeverfahren zu berücksichtigen. Zu prüfen ist, ob die Aufgabenträger nicht gehalten sind, anstatt eines umfassenden Verkehrsvertrags kleinere Teilnetze zu vergeben, um so einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Verkehrsunternehmen zu ermöglichen. Prieß208 vertritt die Ansicht, dass die Bundesländer nicht dazu gezwungen werden können, lediglich Teilnetze zu vergeben. Weder das Vergaberecht noch anderes deutsches oder europäisches Recht fordere, dass die Aufgabenträger auf den Vorteil der Synergien einer großflächigen Vergabe unter Hintanstellung der wirtschaftlichen Vorteile verzichten müssten. Wenn nach der Einschätzung der Aufgabenträger mehrere leistungsfähige Eisenbahnverkehrsunternehmen in Betracht kommen (was regelmäßig die Vergabe von Teilnetzen voraussetzt), so können sie ein wettbewerbliches Verfahren durchführen. Allein diese Vielfalt der Handlungsmöglichkeiten entspreche der Marktsituation und der Interessenlage der Aufgabenträger.209 Die Kommission vertrat zu dieser Frage in dem gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Auftragsvergabe im SPNV geführten Vertragsverletzungsverfahren eine andere Ansicht.210 Die betroffenen Bundesländer haben in diesem Vertragsverletzungsverfahren argumentiert, dass nur die DB Regio AG in der Lage gewesen sei, die Verkehrsleistungen in dem erforderlichen Umfang zu erbringen.211 Die Kommission war dagegen der Ansicht, dass es gegen die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung verstoße, wenn die Vergabebedingungen von 206
Prieß, NZBau 2002, S. 539; Prieß, VergabeR 2004, S. 584 f.; Köhler, NZBau 2003, S. 31, 32. 207 Griem/Klinger, TranspR 2004, S. 206, 209. 208 Prieß, VergabeR 2004, S. 584, 585. 209 Prieß, VergabeR 2004, S. 584, 585; so auch Hölzl, VergabeR 2005, S. 219, 220. Die Bedeutung günstigerer Produktionskosten durch die Erzielung von Größenvorteilen betont für den straßengebundenen ÖPNV auch Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 54 f. 210 Vgl. dazu ausführlich oben B. I. 3. b). 211 Kommission, Schreiben im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland vom 13. 10. 2004 – C(2004) 3890, S. 3.
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vornherein auf ein Unternehmen zugeschnitten seien. Dies sei z. B. der Fall, wenn Aufgabenträger den Betrieb teilbarer Verkehrsnetze als Gesamtleistung vergeben und damit kleine und mittelständische Unternehmen gegenüber ressourcenstärkeren Konkurrenten benachteiligen.212 Mittelbar fordert die Kommission demnach, den Betrieb teilbarer Verkehrsnetze in mehreren Losen zu vergeben, um auch kleineren und mittelständischen Verkehrsunternehmen die Abgabe von Angeboten zu ermöglichen. Auch der Verordnungsgeber wollte mit dem Erlass von § 4 Abs. 3 VgV über die Bildung und Vergabe von Teilnetzen schrittweise Wettbewerb im SPNV einführen. Auf diese Weise sollten Marktstrukturen geschaffen werden, die einen Wettbewerb im SPNV-Bereich ermöglichen.213 Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Bildung und Vergabe von Teilnetzen auch Probleme aufwirft. Um eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im SPNV sicherzustellen, müssen die verschiedenen Teilnetze aufeinander abgestimmt werden. Die Verkehrsleistungen verschiedener Verkehrsunternehmen sind zu koordinieren, was mit entsprechenden Koordinierungskosten verbunden ist. Bei umfassenden Verkehrsverträgen ist hingegen – neben den bestehenden Synergieeffekten – eine einheitliche Leistungserbringung sichergestellt. Durch den erhöhten Abstimmungsbedarf ist möglicherweise die Gründung von Verkehrsverbünden erforderlich, wodurch zusätzliche Kosten entstehen.214 Bei der Bildung von Teilnetzen ist darauf zu achten, dass diese den Verkehrsbedürfnissen der Allgemeinheit angepasst sind. Die Bildung von verkehrlich und betrieblich nicht sinnvollen Teilnetzen lediglich mit dem Ziel, Wettbewerb zwischen den Verkehrsunternehmen zu schaffen, ist nicht statthaft und verstieße gegen die Verpflichtung der Aufgabenträger, eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit SPNV-Dienstleistungen sicherzustellen.
212 Bremer/Wünschmann, Verkehrsminister verpflichten sich zur transparenten und wettbewerblichen Vergabe von Nahverkehrsleistungen, abrufbar unter http://www.hhlaw.com/files/ Publication/b593de57-9edd-49e7-8d23-1fd7cf2c9a8f/Presentation/PublicationAttachment/ 14392ba2-d5cb-4c25-afe3-2fbe8276bdf8/2006_09_22_DEUTSCH_Eisenbahnrecht.pdf; Kommission, Schreiben vom 13. 10. 2004 – C(2004) 3890, S. 4. 213 Begründung zur Ersten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung, BRDrs. 727/02, S. 2. 214 Vgl. die Argumentation der betroffenen Aufgabenträger im Nachprüfungsverfahren vor der VK Magdeburg (Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 7 f.). Diese Argumentation wurde jedoch durch die VK Magdeburg zurückgewiesen. Der Gefahr von Uneinheitlichkeit und Ineffizienz könne durch die Vergabe von Teilnetzen statt einzelner Strecken und eine exakte Leistungsbeschreibung begegnet werden. Der höhere Aufwand durch die Losbildung (Schaffung eines Verkehrsverbundes u. ä.) müsse in Kauf genommen werden, um einen möglichst umfassenden Wettbewerb zu ermöglichen (VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 17 f.). Dagegen Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 55. Vgl. zum Gebot der Losvergabe auch Otting, DVBl. 2003, S. 1023, 1027.
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Entscheidet sich ein Aufgabenträger für die Anwendung des Vergaberechts, so ist er an § 97 Abs. 3 GWB gebunden, d. h. er hat den Auftrag grundsätzlich in Lose zu teilen.215 Von der Aufteilung des Auftrags in Lose darf er nur absehen, wenn nach einer Interessenabwägung im Einzelfall überwiegende wirtschaftliche oder technische Gründe für eine einheitliche Auftragsvergabe sprechen.216 Der höhere Kostenaufwand für das Vergabeverfahren und der gesteigerte Koordinierungsaufwand, den eine losweise Vergabe generell mit sich bringt, rechtfertigen für sich genommen noch keine Gesamtvergabe, da diese nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 97 Abs. 3 GWB hinzunehmen sind, um mittelständische Interessen zu schützen.217 Da an eine Ausnahme vom Grundsatz der Losvergabe also hohe Anforderungen zu stellen sind, wird man auch unter Berücksichtigung des gesteigerten Abstimmungsbedarfs von einer grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Vergabe von Teilnetzen auszugehen haben.218 Entscheidet sich ein Aufgabenträger für die Durchführung eines nicht dem Vergaberecht unterliegenden Vergabeverfahrens, so ergibt sich eine grundsätzliche Verpflichtung zur Vergabe von Teilnetzen aus dem primärrechtlichen Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz, da nur im Falle der Vergabe von Teilnetzen auch mittelständische Eisenbahnverkehrsunternehmen die Möglichkeit haben, den Zuschlag zu erhalten. Es besteht jedoch kein unbedingter Zwang zur Vergabe von Teilnetzen, da ein solcher auch im Falle der Anwendung des Vergaberechts nicht besteht. Die Anforderungen an eine einheitliche Auftragsvergabe dürften zwar niedriger sein als im Falle der Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB, da der Grundsatz des § 97 Abs. 3 GWB nicht gilt. Sie müssten jedoch dennoch so schwer wiegen, dass sie ein Abweichen von den Grundsätzen des Wettbewerbs und der Gleichbehandlung rechtfertigen. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass regelmäßig Teilnetze zu vergeben sind, die aufeinander abgestimmt werden müssen.219 Zumindest erscheint es angesichts der Haltung der Kommission und der bereits ausgesprochenen Androhung weiterer Vertragsverletzungsverfahren für die Aufgabenträger sicherer, solche Teilnetze zu vergeben. Die vom Verordnungsgeber mit § 4 Abs. 3 VgV verfolgten 215
Vgl. allgemein zu § 97 Abs. 3 GWB Kapitel 2 D. III. 2. Kus, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 97 Rn. 57, 66 ff.; Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rn. 216, 222 ff.; Dreher, NZBau 2005, S. 427, 429; Burgi, NZBau 2006, S. 693, 696; Baumeister/ Kirch, NZBau 2001, S. 653, 657. 217 Dreher, NZBau 2005, S. 427, 429. 218 Ebenso Baumeister/Kirch, NZBau 2001, S. 653, 657. Großzügiger zum straßengebundenen ÖPNV Wachinger (Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 54 f.), der den mittelständischen Interessen im Falle der Beauftragung eines Generalunternehmers durch dessen Verpflichtung zur Vergabe von Subunternehmerleistungen (§ 10 VOL/A) Rechnung tragen will. 219 So auch Zirbes (VergabeR 2004, S. 133, 150), der allerdings von einer zwingenden Anwendung des Vergaberechts ausgeht. Großzügiger für den straßengebundenen ÖPNV Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 54 f. 216
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grundlegenden Ziele können insoweit herangezogen werden.220 § 4 Abs. 3 VgV sollte es den Auftraggebern ermöglichen, „verkehrlich und betrieblich sinnvolle Teilnetze zu bilden, deren schrittweise Ausschreibung sowohl zu Marktpreisen als auch zu reellen Chancen für mittelständische Unternehmen und Bietergemeinschaften führt.“221 Die Aufgabenträger sollten es so in der Hand haben, „langfristig ihre verkehrs- und wirtschaftspolitischen Ziele durch Entwicklung einer geeigneten Wettbewerbsstrategie zu erreichen.“222 Zweck des § 4 Abs. 3 VgV war also ausweislich der Begründung, die einen ausdrücklichen Verweis darauf enthält, dass der SPNV eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ist,223 zum einen der Übergang in den Wettbewerb unter Sicherung der Daseinsvorsorge (verkehrspolitisches Ziel). Zum anderen sollten durch den schrittweisen Übergang zum Wettbewerb Marktpreise erzielt werden unter besonderer Berücksichtigung der Interessen der mittelständischen Verkehrsunternehmen (wirtschaftpolitische Ziele). Das wichtigste zu erreichende verkehrspolitische Ziel ist die Sicherung der Daseinsvorsorge, d. h. die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im SPNV. Bei der Bildung von Teilnetzen und der Ausgestaltung der Vergabeverfahren (Zuschnitt des ausgeschriebenen Streckennetzes, Umfang und Qualität der durch das Verkehrsunternehmen zu erbringenden Verkehrsdienstleistungen) ist darauf zu achten, dass eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit SPNV-Leistungen gesichert ist. Durch die Vergabe von Teilnetzen, die die Beteiligung mehrerer Verkehrsunternehmen am Vergabeverfahren ermöglicht, können ggf. (auch unter Beachtung der erhöhten Koordinierungskosten) im Ergebnis Kostensenkungen erzielt und mittelständischen Unternehmen reale Chancen eingeräumt werden. Die geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen ermöglichen den Aufgabenträgern eine Auswahl unter verschiedenen Vergabeverfahren, die alle die Berücksichtigung dieser Ziele erlauben. V. Ergebnis § 15 Abs. 2 AEG enthält für die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im SPNVeine abschließende Sonderregelung. Mit dieser Vorschrift wurde den Aufgabenträgern eine Ermessensentscheidung dahingehend eingeräumt, ob sie eine öffentliche Ausschreibung oder ein nicht dem Vergaberecht unterworfenes 220
Vgl. zur Bedeutung von § 4 Abs. 3 VgV allgemein oben B. II. 5. Begründung zur Ersten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung, BRDrs. 727/02, S. 2. Dem lag der Gedanke zugrunde, dass aufgrund der überragenden Marktstellung der DB Regio AG und der damit zusammenhängenden Ungeeignetheit öffentlicher Ausschreibungen kein Wettbewerb bestand, der zur Erzielung von Marktpreisen hätte führen können (Köhler, NZBau 2003, S. 31, 32; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Kommentar Vergaberecht, 2003, § 4 VgV Rn. 4 f.). 222 Begründung zur Ersten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung, BRDrs. 727/02, S. 2. 223 BR-Drs. 727/02. 221
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Vergabeverfahren durchführen wollen. Wenn sich die Aufgabenträger für die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens entscheiden, bringen sie mit dieser Entscheidung die §§ 97 ff. GWB zur Anwendung. Entscheiden sich die Aufgabenträger für die Durchführung eines nicht den Bestimmungen des Vergaberechts unterworfenen Vergabeverfahrens, sind sie gleichwohl den Grundsätzen des EG-Vertrags (insbesondere den Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung) verpflichtet; Direktvergaben ohne die Beachtung dieser Grundsätze sind nicht möglich. Dass § 15 Abs. 2 AEG das Auswahlverfahren nicht zwingend dem Vergaberecht unterworfen hat, widerspricht nicht den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Wettbewerb durch Ausschreibungen oder transparente Vergabeverfahren führt weder zur Verhinderung noch zur Gefährdung der Sicherstellung der Daseinsvorsorge, wenn im Vergabeverfahren der besondere Charakter der zu vergebenden Leistung berücksichtigt wird.
C. Vorliegen eines öffentlichen Auftrags Die über die Bedeutung des § 15 Abs. 2 AEG für die Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Vergabe von SPNV-Leistungen geführte Diskussion verlöre dann erheblich an Bedeutung, wenn es sich bei Vereinbarungen über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im SPNV (Art. 1 Abs. 4, Art. 14 VO (EWG) 1191/69, § 15 AEG) nicht um öffentliche Aufträge i. S. des § 99 Abs. 1 GWB handelte. In diesem Fall wären die §§ 97 ff. GWB von vorne herein nicht anwendbar. I. Öffentliche Auftraggeber, § 98 GWB Nach den ÖPNV-Gesetzen der Länder sind entweder diese selbst oder die Landkreise bzw. von diesen gebildete Zweckverbände Aufgabenträger des SPNV.224 Der persönliche Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB ist jeweils eröffnet. Die Länder und Landkreise sind öffentliche Auftraggeber i. S. von § 98 Nr. 1 GWB, die durch Landkreise gebildeten Zweckverbände sind öffentliche Auftraggeber i. S. von § 98 Nr. 3 GWB.225 Auch bei Aufgabenträgerverbünden oder Bestellerorganisationen, jeweils in privater Rechtsform, die die Aufgabenträger des SPNV einzeln oder gemeinsam gründen, um ihre Aufgaben im Bereich des SPNV wahrzunehmen (wozu auch der 224
Zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 7 B. III. Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 335; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 11; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 154 ff.; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 147; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 174. Die VK Düsseldorf stuft Zweckverbände der genannten Art als öffentliche Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 2 GWB ein, da § 98 Nr. 3 GWB lediglich eine Auffangfunktion habe (VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 4. 2002, Az. VK-5/2002L, S. 11). 225
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Abschluss von Verkehrsverträgen gehört), ist der persönliche Anwendungsbereich des Vergaberechts regelmäßig eröffnet. Diese Aufgabenträgerverbünde oder Bestellerorganisationen werden zu dem Zweck gegründet, die grundsätzlich den Aufgabenträgern selbst obliegende Aufgabe der Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV wahrzunehmen. Bei dieser Aufgabe handelt es sich um eine Aufgabe der Daseinsvorsorge, d. h. um eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art. Die Aufgabenträger, die selbst öffentliche Auftraggeber i. S. von § 98 Nr. 1 oder 3 GWB sind, finanzieren die Aufgabenträgerverbünde oder Bestellerorganisationen zumeist auch überwiegend oder üben über diese eine den Anforderungen des § 98 Nr. 2 GWB genügende gesellschaftsrechtliche Kontrolle aus. Vorbehaltlich einer Prüfung im Einzelfall sind somit bei Aufgabenträgerverbünden und Bestellerorganisationen die Voraussetzungen des § 98 Nr. 2 GWB regelmäßig erfüllt.226 II. Öffentlicher Auftrag, § 99 Abs. 1, 4 GWB Ein öffentlicher Auftrag ist ein entgeltlicher Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen, der Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand hat (§ 99 Abs. 1 GWB). Bei Verkehrsleistungen im SPNV handelt es sich um Dienstleistungen i. S. der §§ 97 Abs. 1, 99 Abs. 1 und 4 GWB.227 Dies ergibt sich auch aus der Aufnahme von Eisenbahnverkehrsleistungen in den Katalog des Anhangs II Teil B der Richtlinie 2004/18/EG i. V. mit Art. 21 dieser Richtlinie228 bzw. des Anhangs I B zum 2. Abschnitt der VOL/A. Von der Kategorie 18 Eisenbahnen werden auch Verkehrsleistungen im SPNV umfasst (CPC-Referenznummern 71111 und 71112, CPV-Referenznummer 60111000 – 9). 1. Entgeltlicher Vertrag Zu untersuchen ist, ob es sich bei Verkehrsverträgen um entgeltliche Verträge i. S. des § 99 Abs. 1 GWB handelt. a) Vertragstypen Im Bereich des SPNV unterscheidet man grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Vertragsmodellen. Ausgangspunkt für beide Modelle ist der Umstand, dass die Fahrgeldeinnahmen im Regelfall nicht ausreichen, um die durch die Erbringung der Verkehrsleistungen im SPNV entstehenden Kosten zu decken, weshalb 226
Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 155 f.; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 335 f. 227 OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, S. 212, 213; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 10; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 157. 228 Früher Art. 9 Richtlinie 92/50/EWG i. V. mit Anhang I B.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
die Eisenbahnverkehrsunternehmen zusätzliche Zahlungen von den Aufgabenträgern erhalten. In dem einen Vertragsmodell (Nettovertrag) stehen dem jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmen die Fahrgeldeinnahmen zu. Daneben erhält es für ein bestimmtes Angebot an Verkehrsleistungen fixe, vertraglich festgelegte (und mit seinem Angebot zu kalkulierende) Zahlungen vom Aufgabenträger. Sollten die Fahrgeldeinnahmen und die fixen Zahlungen des Aufgabenträgers nicht ausreichen, die Kosten des Eisenbahnverkehrsunternehmens für die Erbringung der Verkehrsleistungen zu decken, wird die Differenz nicht durch den Aufgabenträger ausgeglichen. Mehrerlöse stellen eine Gewinnmöglichkeit, Mindererlöse ein Verlustrisiko für das Verkehrsunternehmen dar.229 Weil das Verkehrsunternehmen das Erlösrisiko trägt, sollte ihm beim Fahrplan und nach Möglichkeit auch beim Tarif ein großer Spielraum bei der Angebotsgestaltung eingeräumt werden.230 In dem anderen Vertragsmodell (Bruttovertrag) stehen die Tarifeinnahmen dem Aufgabenträger zu. Das Verkehrsunternehmen erhält für die Erbringung der vertraglich genau festgelegten Verkehrsleistungen eine feste (mit seinem Angebot zu kalkulierende) Vergütung,231 ein festes Leistungsentgelt.232 Die Fahrgeldeinnahmen fließen entweder dem Aufgabenträger zu oder werden auf den vom Aufgabenträger zu zahlenden Preis angerechnet, stellen dann also lediglich einen Rechnungsposten dar.233 Im letztgenannten Fall wird die zwischen dem Vergütungsanspruch des Unternehmens und den Fahrgeldeinnahmen entstehende Differenz durch den Aufgabenträger übernommen, dieser trägt also das Risiko der Entwicklung der Fahrgeldeinnahmen.234 In Art. 14 Abs. 2 lit. b VO (EWG) 1191/69 sind beide Vergütungsmodelle vorgesehen. Beim Nettovertrag wird ein Preis vereinbart, der die Tarifeinnahmen er-
229 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 215; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 546; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162, 164; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 341 (Fn. 530); Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 77; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 58. 230 Vgl. hierzu Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 58 f.; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 215 ff. 231 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 546; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 57; OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635; OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, S. 212, 213. 232 OLG Koblenz, NZBau 2002, S. 699. 233 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 214; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 546. 234 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 214; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 546; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162, 164; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 341 (Fn. 530); Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 77; OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635; OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, S. 212, 213.
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gänzt, beim Bruttovertrag wird ein Preis vereinbart, der die Tarifeinnahmen miteinschließt (vgl. Art. 14 Abs. 2 lit. b VO (EWG) 1191/69).235 In die Gestaltung von Verkehrsverträgen können sogenannte Bonus-Malus-Regelungen aufgenommen werden, mit denen Fahrgast-, Qualitäts- oder Umweltanreize gesetzt werden (Anreizvertrag). Werden bestimmte Qualitätsstandards überschritten, erhält das Verkehrsunternehmen Bonuszahlungen vom Aufgabenträger, werden sie unterschritten, wird das Entgelt des Verkehrsunternehmens gekürzt.236 Qualitätskriterien können bspw. Pünktlichkeit, Fahrgastzuwachs, Sauberkeit der Züge, Funktionsfähigkeit der Fahrkartenautomaten (objektive Kriterien) oder die Kundenzufriedenheit (subjektives Kriterium) sein.237 Da bei Bruttoverträgen angesichts der Unabhängigkeit des Eisenbahnverkehrsunternehmens von der Entwicklung der Fahrgeldeinnahmen dessen Fahrgastorientierung regelmäßig niedriger sein wird als bei Nettoverträgen, werden Bonus-Malus-Regelungen vor allem in Bruttoverträge aufgenommen, um die Fahrgastorientierung des jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmens zu stärken.238 b) Zuschussvertrag oder entgeltlicher Vertrag? Zu prüfen ist, ob es sich bei Verkehrsverträgen um (nicht dem Vergaberecht unterliegende) Zuschussverträge oder um entgeltliche Verträge i. S. des § 99 Abs. 1 GWB handelt. Pietzcker hat die sich stellende Frage treffend formuliert: „Beschafft sich der staatliche Aufgabenträger [mit einem Verkehrsvertrag] entgeltlich eine Dienstleistung, oder sorgt er lediglich unter Gewährung einer Subvention dafür, dass der Genehmigungsinhaber den privaten Nachfragern die Dienstleistung gegen Entgelt anbietet?“239 aa) Eine Ansicht: Verkehrsverträge sind Zuschussverträge Die Ansicht, bei Verkehrsverträgen handele es sich um Zuschussverträge, wird insbesondere von Prieß240 vertreten. Ein öffentlicher Auftrag müsse der Beschaffung von Leistungen dienen, die der öffentliche Auftraggeber für seine eigenen Zwecke und Bedürfnisse benötige. Mit Verkehrsverträgen werde jedoch kein eigener Bedarf des Aufgabenträgers befriedigt, die vertraglich vereinbarten Eisenbahnverkehrsleistungen würden nicht den Aufgabenträgern, sondern den Fahr235
OLG Koblenz, NZBau 2002, S. 699, 702; Otting, DVBl. 2003, S. 1023, 1025. OLG Koblenz, NZBau 2002, S. 699, 703 f.; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 214 f.; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 59. 237 OLG Koblenz, NZBau 2002, S. 699, 704; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 214 f.; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 60 f. 238 Bsp.: OLG Koblenz, NZBau 2002, S. 699, 703 f. 239 Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 663. 240 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 544, 547; hinsichtlich des öffentlichen Preisrechts ebenso Scholz/Otting, DVBl. 2008, S. 12. 236
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gästen erbracht werden. Öffentlich-rechtliche Verkehrsverträge241 dienten also nicht der kommerziellen Beschaffung von Waren oder Dienstleistungen für die Bedürfnisse der öffentlichen Auftraggeber, sondern stellten eine SPNV-Versorgungsstruktur für die Inanspruchnahme durch die Allgemeinheit sicher.242 Diese SPNV-Versorgungsstruktur werde der Allgemeinheit von den Eisenbahnverkehrsunternehmen zur Verfügung gestellt. Die Verkehrsunternehmen würden diese Versorgungsstruktur jedoch mangels Wirtschaftlichkeit nicht zur Verfügung stellen, wenn sie keine Zuschüsse von den Aufgabenträgern erhielten. Auf der Grundlage von Verkehrsverträgen leiteten die Aufgabenträger die ihnen (über die Länder) vom Bund zweckgebunden zur Verfügung gestellten Regionalisierungsmittel an die Verkehrsunternehmen zur Förderung des ÖPNV weiter.243 Die Zahlungen an die Eisenbahnverkehrsunternehmen seien kein Entgelt für eine Leistung an den Aufgabenträger, sondern ein Deckungsbeitrag zum Ausgleich der Mindereinnahmen aus dem notwendig defizitären Betrieb des SPNV, ein Deckungsbeitrag zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge.244 Anstatt einen (öffentlich-rechtlichen) Vertrag zu schließen, hätten die Aufgabenträger auch einen Zuwendungsbescheid erlassen können.245 Ob dieser Ansatz zutreffend ist, soll im Folgenden untersucht werden. bb) Definition des Zuschussvertrags Eine Subvention ist eine „vermögenswerte Zuwendung des Staates oder eines anderen Verwaltungsträgers an eine private Person zur Förderung eines im öffentlichen Interesse liegenden Zwecks.“246 Ein Zuschuss ist eine der Arten, in der Subventionen durch den Staat gewährt werden.247 Er wird entweder aufgrund eines Bewilligungsbescheids oder eines öffentlich-rechtlichen (Zuschuss-)Vertrages ge-
241 Prieß unterscheidet zwischen öffentlich-rechtlichen Verkehrsverträgen, die im Wege einer Direktvergabe im Rahmen von § 15 Abs. 2 AEG zustande kommen und kommerziellen privatrechtlichen Dienstleistungsverträgen, die auf der Grundlage einer öffentlichen Ausschreibung abgeschlossen werden (vgl. Prieß, NZBau 2002, S. 539, 546). Bei den privatrechtlichen Dienstleistungsverträgen handele es sich – im Gegensatz zu den öffentlich-rechtlichen Verkehrsverträgen – um entgeltliche Verträge. Der Gesichtspunkt der Zuschussgewährung zur Sicherstellung einer ausreichenden SPNV-Infrastruktur spielt für privatrechtliche Dienstleistungsaufträge offensichtlich keine Rolle. Diese Unterscheidung ist indes nicht recht einsichtig. Unabhängig vom durchgeführten Vergabeverfahren handelt es sich bei dem Verkehrsvertrag um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, da er in Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit SPNV-Leistungen sicherstellen soll. 242 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 547. 243 Scholz/Otting, DVBl. 2008, S. 12, 14 f. 244 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 544, 547. 245 Scholz/Otting, DVBl. 2008, S. 12, 15. 246 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 17 Rn. 5. 247 Vgl. zu den anderen Arten Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 17 Rn. 6.
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währt.248 Der Unternehmer soll durch die Gewährung einer Subvention zu einem bestimmten Verhalten veranlasst werden, das zugleich einem öffentlichen Zweck dient.249 Die Gewährung einer Subvention hat in diesem Sinne eine Anreizfunktion, für den Empfänger ergibt sich jedoch weder aus dem Subventionsvertrag selbst noch aus der bereits erfolgten Gewährung einer Subvention die Verpflichtung, eine bestimmte Gegenleistung für den Subventionsgeber zu erbringen.250 Der Sache nach handelt es sich um eine einseitige Zuwendung. In dem Zuschussvertrag sind die Bedingungen geregelt, unter denen dem Empfänger der Zuschuss gewährt wird.251 Erfüllt der Empfänger die Bedingungen nicht, hat er die Subvention ggf. zurückzubezahlen. Im Bereich des SPNV existieren Zuschussverträge.252 Den Eisenbahnverkehrsunternehmen werden im SPNV (wie im ÖPNVallgemein)253 u. a. Zuschüsse gezahlt, die die Qualität der Verkehrsleistungen sicherstellen sollen (zum Beispiel für die Ausstattung der Fahrzeuge und Haltestellen oder den Betrieb von Beratungsstellen für die Kunden). Diese Zuschüsse tragen zu einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV bei. Eine in einem Zuschussvertrag festgelegte Bedingung, unter der ein Zuschuss gewährt wird, kann bspw. die tatsächliche Durchführung eines Verkehrs unter Erfüllung bestimmter Qualitätsanforderungen sein.254 Der Zuschuss wird dem Eisenbahnverkehrsunternehmen nur gewährt, wenn es die Bedingung erfüllt, es ist jedoch aufgrund des Zuschussvertrags nicht gegenüber dem Aufgabenträger vertraglich verpflichtet, die zur Erfüllung der Bedingung notwendigen Verkehrsleistungen zu erbringen. Regelmäßig zeichnet sich ein Zuschussvertrag auch dadurch aus, dass die absolute Höhe des Zuschusses festgelegt ist und keine Nachschusspflichten bestehen. Der Zuschuss entspricht ferner nicht dem Aufwand für die gesamte Verkehrsleistung.255 cc) Verkehrsleistungsvertrag Im Gegensatz zum Zuschussvertrag ist bei einem Verkehrsleistungsvertrag das Verkehrsunternehmen aufgrund des Vertrages gegenüber dem Aufgabenträger verpflichtet, die vertraglich vereinbarten Verkehrsleistungen zu erbringen. Hierfür er248 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 477 m. w. N.; zur vergaberechtlichen Problematik des öffentlich-rechtlichen Vertrags vgl. unten C. II. 2. 249 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 17 Rn. 8; VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 2. 2000, Az. VK-1/2000-L, S. 9 f. (zur gleichgelagerten Problematik beim straßengebundenen ÖPNV); Berger, Der Nahverkehr 7 – 8/2000, S. 41. 250 VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 2. 2000, Az. VK 1/2000-L, S. 10; Berger, Der Nahverkehr 7 – 8/2000, S. 41; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 175. 251 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 474. 252 Vgl. z. B. OLG Karlsruhe, Urt. v. 13. 7. 2005, Az. 6 W 35/05, NZBau 2005, S. 655. 253 Vgl. zum straßengebundenen ÖPNV ausführlich Kapitel 9 C. II. 254 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473 f. 255 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 474.
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hält es ein Entgelt. Die Erbringung von Verkehrsleistungen gegenüber dem Fahrgast steht mit der Zahlung des Aufgabenträgers in einem Gegenseitigkeitsverhältnis.256 dd) Abgrenzung Für die Abgrenzung zwischen Zuschuss- und Verkehrsleistungsverträgen kommt es darauf an, ob nach dem Vertrag die Erbringung der Verkehrsleistung rechtlich durchsetzbar erzwungen werden kann oder ob die Nicht- bzw. fehlerhafte Erbringung lediglich zum Entfallen des Zuschusses führt.257 Ein weiteres Abgrenzungskriterium ist das Verhältnis des Werts des geförderten Verkehrs zur Höhe des Zuschusses. Entspricht die Höhe des Zuschusses dem Wert der Verkehrsleistung bzw. den für deren Erbringung notwendigen Gesamtaufwendungen, deutet dieser Umstand darauf hin, dass die Verkehrsleistung mit der Ausgleichszahlung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis steht, mithin eine Beschaffung vorliegt. Da sich Leistung und Gegenleistung wertmäßig entsprechen, ist davon auszugehen, dass das Verkehrsunternehmen auch zur Leistungserbringung verpflichtet sein soll. Liegt die Höhe des Zuschusses jedoch weit unter dem Wert der Verkehrsleistung, spricht dies gegen eine Beschaffung, da nicht davon auszugehen ist, dass sich ein Verkehrsunternehmen für eine wertmäßig weit geringere Gegenleistung gegenüber einem Aufgabenträger vertraglich dazu verpflichten will, Verkehrsleistungen zu erbringen.258 ee) Vereinbarungen über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen Legt man diese Abgrenzungskriterien zugrunde, handelt es sich bei Vereinbarungen über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im SPNV (Art. 1 Abs. 4, Art. 14 VO (EWG) 1191/69) um Verkehrsleistungs- und damit um entgeltliche Verträge i. S. des § 99 Abs. 1 GWB. Insbesondere aus Art. 14 Abs. 2 lit. b VO (EWG) 1191/69 ergibt sich, dass das jeweilige Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgrund eines Verkehrsvertrags gemäß Art. 14 VO (EWG) 1191/69 verpflichtet ist, die Verkehrsleistungen zu erbringen. Nach Art. 14 Abs. 2 lit. b VO (EWG) 1191/69 muss in dem Vertrag der Preis für die vertraglich vereinbarten Dienstleistungen geregelt werden. Die Formulierung vertraglich vereinbarte Dienstleistungen spricht ihrem Wortlaut nach für eine rechtlich durchsetzbare Verpflichtung zur Leistungserbringung und nicht lediglich für eine Bedingung, unter der ein Zuschuss bezahlt wird. In den Verträgen erfolgt auch eine detaillierte Regelung der zu erbringenden Verkehrsleistungen (vgl. Art. 14 Abs. 2 lit. a VO (EWG) 1191/69). Die Verwendung des Begriffs des Preises, der für die vertraglich vereinbarten Dienstleistungen zu bezahlen ist, unterstreicht den Entgeltcharakter der durch die Aufgabenträger zu leistenden Zahlungen.259 Dass nach Art. 14 Abs. 2 lit. e VO (EWG) 1191/69 der 256
Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 474. Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 477. 258 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 477. 259 Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 339 f.; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 157; 257
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Vertrag Sanktionen bei dessen Nichterfüllung vorsehen muss, deutet ebenfalls auf dessen verpflichtenden Charakter hin. Bei einem Zuschussvertrag zieht die Nichterfüllung keine Sanktionen gegen den Zuschussempfänger nach sich, sondern sie führt lediglich zum Entfallen des Zuschusses. Die Erbringung der Verkehrsleistungen gegenüber dem Fahrgast und die Zahlung des Entgelts stehen deshalb in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Da das jeweilige Eisenbahnverkehrsunternehmen vertraglich zur Leistungserbringung verpflichtet ist, liegt kein Zuschussvertrag, sondern ein Verkehrsleistungsvertrag im oben genannten Sinn vor.260 Häufig wird in Verkehrsverträgen die Zahlung des Aufgabenträgers an das Verkehrsunternehmen als Zuschuss oder Zuwendung bezeichnet.261 Trotz der Verwendung dieses Begriffes handelt es sich sowohl bei Brutto- wie auch bei Nettoverträgen nicht um Zuschuss-, sondern um entgeltliche Verträge, da diese Zahlungen als Vergütung der zu erbringenden Verkehrsdienste anzusehen sind.262 Bei Bruttoverträgen erhält das Eisenbahnverkehrsunternehmen für seine Verkehrsleistungen ein festgelegtes Entgelt. Neben den Einnahmen aus den Fahrgeldern steht dem Verkehrsunternehmen als direktes Entgelt die Differenz zwischen der zu beanspruchenden Gesamtvergütung und den Einnahmen zu. Wenn das Verkehrsunternehmen aus dem Streckenbetrieb keine Einnahmen erzielt, kommt der öffentliche Auftraggeber für die Gesamtkosten auf.263 Bei Nettoverträgen erhält das Eisenbahnverkehrsunternehmen als Gegenleistung neben einem Entgelt noch das Recht zur Vereinnahmung der Fahrgelder. Dieses Ergebnis wird durch einen Blick auf die Höhe des Ausgleichs bestätigt. Bei den Verträgen, die Gegenstand der Beschlüsse des OLG Düsseldorf vom 26. 7. 2002264 und vom 6. 12. 2004265 waren, war ein Vollausgleich vorgesehen, weshalb es sich auch aus diesem Grund um entgeltliche Verträge und Beschaffungsvorgänge handelte. Im Fall des Beschlusses des OLG Karlsruhe vom 13. 7. 2005266 lag hinBarth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 147; Bayer/Manka, Der Nahverkehr 3/1998, S. 8, 9 f. Auch der BGH verwendet den Begriff des Preises, der für die Erbringung der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen durch die Aufgabenträger zu bezahlen ist (BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 838). 260 VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 2. 2000, Az. VK-1/2000-L, S. 10; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 175 f.; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 339; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 157; Berger, Der Nahverkehr 7 – 8/ 2000, S. 41; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 370 f. 261 Vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635; OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, S. 212, 213. 262 OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635; OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, S. 212, 213; VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 11; VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 4. 2002, Az. VK-5/2002-L, S. 11. 263 OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, S. 212, 213; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176. 264 OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634. 265 OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, S. 212. 266 OLG Karlsruhe, NZBau 2006, S. 655.
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gegen ein Zuschussvertrag vor, da der Zuschuss lediglich 9 bis 4 % des prognostizierten Gesamtaufwandes abdeckte. ff) Beschaffungscharakter Einer genaueren Untersuchung bedarf noch die Frage des Beschaffungscharakters von Verkehrsverträgen. Deren Beschaffungscharakter wird angezweifelt, weil die Verkehrsleistungen durch die Eisenbahnverkehrsunternehmen unmittelbar den Fahrgästen erbracht werden und diese privatrechtliche Beförderungsverträge mit den Verkehrsunternehmen abschließen.267 Nach einer Ansicht folgt hieraus die Unanwendbarkeit der Vergaberichtlinien. Nicht der Staat sei bei der Vergabe gemeinwohlorientierter Leistungen Nachfrager und Erwerber dieser Leistungen, sondern der Bürger bzw. Nutzer dieser Leistungen. Der Staat trete lediglich als Organisator, nicht jedoch als Erwerber dieser Leistungen auf.268 Tatsächlich bestehen in dieser Konstellation Unterschiede zur klassischen Beschaffung, bei welcher der Staat gegen Entgelt Güter, Bau- oder Dienstleistungen entweder für den eigenen Bedarf einkauft oder diese Leistungen nach deren Einkauf der Allgemeinheit zur Verfügung stellt (bspw. indem er ein Bauunternehmen damit beauftragt, einen Straßentunnel zu erbauen, welcher nach der Fertigstellung der Benutzung durch die Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird).269 Entgegen der oben dargestellten Ansicht ist jedoch im Abschluss eines Verkehrsvertrages trotzdem ein Beschaffungsvorgang zu sehen. Die Aufgabenträger erfüllen ihre Aufgabe der Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im SPNV (§ 1 RegG) dadurch, dass sie Verkehrsverträge gemäß Art. 14 VO (EWG) 1191/69 mit Eisenbahnverkehrsunternehmen abschließen. Sie stellen auf diese Weise sicher, dass ein Netz von Verkehrsmitteln im Linienverkehr bereitsteht, das die Verkehrsnachfrage im SPNV befriedigt und in dem die einzelnen Beförderungsleistungen gegenüber dem Fahrgast erbracht werden.270 Aufgrund der abgeschlossenen Verkehrsverträge sind die Eisenbahnverkehrsunternehmen gegenüber den Aufgabenträgern verpflichtet, die vertraglich vereinbarten Leistungen zu erbringen. Die Aufgabenträger beschaffen mit den Verkehrsverträgen diejenigen Verkehrsleistungen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe der Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im SPNV benötigen. Auf diese Weise werden mittelbar staatlich-hoheitliche Aufgaben erfüllt, indem Private mit der Erfüllung dieser Aufgabe beauftragt werden.271 267 Vgl. oben C. II. 1. b) aa); Prieß, NZBau 2002, S. 539, 544, 547; vgl. auch Winnes, Der Nahverkehr 4/2005, S. 11, 12. 268 Borchardt, Verhandlungen zum 64. DJT, 2002, O 9, O 21. 269 Vgl. Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 663. 270 BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 838. 271 Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 339; so auch VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61; VK Karlsruhe, Beschl. v. 14. 3. 2005, Az.: 1 VK 5/05, S. 15 f. (jeweils zum straßengebundenen ÖPNV); grundlegend Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 663; Boesen, Vergaberecht, 2000, S. 172 f.
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Am Beschaffungscharakter der Verkehrsverträge ändert deshalb auch die Tatsache nichts, dass diese nicht in erster Linie der Bedarfsdeckung der Aufgabenträger (d. h. der Beförderung der Beamten und Angestellten der Aufgabenträger) dienen, sondern der Beförderung der Allgemeinheit. Eine Beschaffung durch einen öffentlichen Auftraggeber liegt nicht nur dann vor, wenn dieser Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen unmittelbar für den eigenen Bedarf einkauft (bspw. ein Verwaltungsgebäude bauen lässt oder Computer einkauft), sondern auch dann, wenn dieser die ihm obliegenden Aufgaben dadurch erfüllt, dass er Dritte mit der Erbringung der jeweiligen Leistungen beauftragt.272 Dieses Ergebnis wird durch einen Blick auf andere Bereiche der Daseinsvorsorge bestätigt. Wird bspw. ein Unternehmen mit der Entsorgung von Abfällen beauftragt, so entsorgt es nur zu einem kleinen Teil die Abfälle des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, zum weit überwiegenden Teil jedoch die Abfälle der Bürger. Trotzdem wird der Beschaffungscharakter eines solchen Vertrages nicht in Frage gestellt, obwohl die aufgrund dieses Vertrages erbrachten Leistungen nicht in erster Linie unmittelbar dem öffentlichen Auftraggeber erbracht werden, sondern den Nutzern der Dienstleistung (vgl. Kapitel 3). Ein Beschaffungsvorgang liegt vor, weil sich der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger – der sich dazu entschieden hat, die Leistung nicht selbst zu erbringen – mit diesem Vertrag die Leistungen des Entsorgungsunternehmens beschafft, um auf diese Weise die ihm obliegende Aufgabe der Abfallbeseitigung zu erfüllen. 2. Öffentlich-rechtlicher Vertrag Gegenstand des folgenden Abschnitts wird die Bestimmung der Rechtsnatur von Verkehrsverträgen sein und die Frage, ob die ggf. öffentlich-rechtliche Natur von Verkehrsverträgen deren Einordnung als öffentliche Aufträge i. S. des § 99 Abs. 1 GWB hindert. a) Rechtsnatur von Verkehrsverträgen Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag liegt vor, wenn die jeweilige Vereinbarung nach ihrem Gegenstand und Zweck einen vom öffentlichen Recht geordneten Sachbereich betrifft.273 Diese Voraussetzung wird durch die vertragliche Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen erfüllt, da diese Vereinbarung zur Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung im SPNV getroffen wird (§ 4 S. 1 RegG). Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV ist eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge (§ 1 RegG), die den durch das Landesrecht bestimmten Stellen obliegt (§ 1 Abs. 2 RegG) und die öffentlich-rechtlichen Normen unterworfen ist.274 Verkehrsverträge über SPNV272
Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 153; im Ergebnis ebenso Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 370 f. 273 BVerwG, Urt. v. 16. 5. 2000, Az. 4 C 4.99, BVerwGE 111, S. 162, 164. 274 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 542 f.; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 144; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176; Burgi, NZBau 2002, S. 57, 58 (Fn. 19).
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Leistungen sind demnach öffentlich-rechtliche Verträge, weil sie ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts begründen (§ 54 S. 1 VwVfG275 bzw. der jeweiligen LandesVwVfG). Verträge über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im SPNV können nicht zwischen jedermann abgeschlossen werden, Vertragspartner ist auf der einen Seite immer zwingend ein Träger öffentlicher Gewalt. Der zuständige Aufgabenträger handelt aufgrund von Rechtssätzen (Art. 1 Abs. 4, Art. 14 VO (EWG) 1191/69, § 4 RegG, § 15 AEG), die nicht jedermann, sondern ihn als Träger öffentlicher Gewalt berechtigen und verpflichten, d. h. im Sinne der modifizierten Subjektstheorie aufgrund eines „Sonderrechts des Staates“,276 weshalb es sich bei Verkehrsverträgen auch aus diesem Grund um öffentlich-rechtliche Verträge handelt.277 b) Abgrenzung koordinationsrechtlicher/subordinationsrechtlicher Vertrag Öffentlich-rechtliche Verträge werden üblicherweise in koordinationsrechtliche und subordinationsrechtliche Verträge eingeteilt. Diese Unterscheidung ist auch für die vorliegende Fragestellung von Bedeutung, da das Vergaberecht zwar u. U. auf koordinationsrechtliche, nicht jedoch auf subordinationsrechtliche Verträge Anwendung findet.278 Die Abgrenzung zwischen den beiden Vertragstypen ist umstritten.279 Bei den in § 54 S. 2 VwVfG (bzw. den jeweiligen Landes-VwVfG) genannten Verträgen, die Behörden – anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen – mit denjenigen schließen, an die sie sonst den Verwaltunsgakt richten würden, handelt es sich um subordinationsrechtliche Verträge. Über den engen Wortlaut von § 54 S. 2 VwVfG hinaus liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein subordinationsrechtlicher Vertrag i. S. von § 54 S. 2 VwVfG dann vor, wenn ein Vertrag zwischen einer Privatperson und einem Träger der öffentlichen Verwaltung auf einem Gebiet geschlossen wird, auf dem (normalerweise) ein hoheitliches Verhältnis der Über- und Unterordnung besteht. Es kommt nicht darauf an, ob der „konkrete 275
Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), geändert durch Art. 4 Abs. 8 des Gesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. 2004 S. 718). 276 P. Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 2008, § 1 Rn. 77, § 54 Rn. 76; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 3 Rn. 17. 277 Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 144; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 542; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEGKommentar, 2006, § 15 Rn. 79 ff. 278 Vgl. ausführlich unten C. II. 2. d); Schulte, NZBau 2000, S. 272, 275; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 543; vgl. auch Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176. 279 Vgl. zum breiten Spektrum der zur Abgrenzung der beiden Vertragstypen vertretenen Ansichten Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 2008, § 54 Rn. 46 ff.; Bonk, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 2008, § 54 Rn. 3, 58 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 14 Rn. 12; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, 2000, S. 211 ff.; Ziekow, VwVfG, Kommentar, 2006, § 54 Rn. 26 ff.
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Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung ,sonst‘ durch Verwaltungsakt geregelt werden könnte“. Der typische Anwendungsbereich des subordinationsrechtlichen Vertrags sei der Abschluss eines Vertrages „in einem Rechtsbereich, in dem sich Bürger und Behörde allgemein wie bei dem Erlaß eines Verwaltungsakts in einem Über- und Unterordnungsverhältnis“ gegenüberstünden.280 Hiervon unterscheidet das BVerwG Verträge zwischen Verwaltung und Bürger, die auf „Koordination und Kooperation“ zielen.281 Ein subordinationsrechtlicher Vertrag liegt dann nicht vor, wenn das Gebiet, auf dem der Vertrag geschlossen wird, nicht typischerweise von hoheitlichen Handlungsbefugnissen geprägt ist.282 Koordinationsrechtliche Verträge sind „alle Verwaltungsverträge zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung, zwischen solchen und Bürgern oder auch zwischen Bürgern im Bereich des öffentlichen Rechts, bei denen hinsichtlich des Gegenstands des Vertrags kein Vertragsteil dem anderen übergeordnet ist.“283 Ein Teil der Literatur nimmt eine – allerdings rein terminologische – Unterscheidung innerhalb der Gruppe der Verträge vor, die unter diese Definition fallen. Demnach sind als koordinationsrechtlich diejenigen Verträge einzustufen, „die zwischen grundsätzlich gleichgeordneten Vertragspartnern, insbesondere zwischen rechtsfähigen Trägern öffentlicher Gewalt, abgeschlossen werden.“284 Auch ein Vertrag zwischen Privaten, der öffentlich-rechtliche Pflichten zum Gegenstand hat, ist ein koordinationsrechtlicher Vertrag in diesem Sinne. Verträge zwischen der öffentlichen Verwaltung und Privaten, die nicht auf Gebieten geschlossen werden, in denen ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis besteht, werden – im Anschluss an das BVerwG – als kooperationsrechtliche Verträge bezeichnet.285 Kooperationsrechtliche Verträge bezeichnen die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Privaten auf vertraglicher Basis bspw. durch die Einschaltung von Privaten in die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben.286
280 BVerwGE 111, S. 162, 164; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 2008, § 54 Rn. 48; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 2008, § 54 Rn. 3, 61; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, 2000, S. 213. 281 BVerwGE 111, S. 162, 166. 282 Ziekow, VwVfG, Kommentar, 2006, § 54 Rn. 28. 283 Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 2008, § 54 Rn. 47; Schulte, NZBau 2000, S. 273, 275. 284 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 14 Rn. 12; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, 2000, S. 212; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 2008, § 54 Rn. 58; Ziekow, VwVfG, Kommentar, 2006, § 54 Rn. 35; Schulte, NZBau 2000, S. 273, 275. 285 Ziekow, VwVfG, Kommentar, 2006, § 54 Rn. 36; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, 2000, S. 208, 211 f.; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 2008, § 54 Rn. 3. 286 Ziekow, VwVfG, Kommentar, 2006, § 54 Rn. 36; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, 2000, S. 208.
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c) Grundsätzliche Anwendbarkeit des Vergaberechts auf öffentlich-rechtliche Verträge Das Vergaberecht ist grundsätzlich auch auf öffentlich-rechtliche Verträge anwendbar. Öffentliche Aufträge i. S. des § 99 Abs. 1 GWB können sowohl privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Verträge sein.287 Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum VgRÄndG sollten öffentliche Aufträge nur privatrechtliche, nicht jedoch öffentlich-rechtliche Verträge sein. Die Gesetzesbegründung hob jedoch auch hervor, dass die Legaldefinition der öffentlichen Aufträge auf der Definition der Vergaberichtlinien beruhe.288 Der Gesetzeswortlaut des § 99 Abs. 1 GWB („entgeltliche Verträge“) enthält keinen Hinweis darauf, dass unter den Begriff des öffentlichen Auftrags nur privatrechtliche Verträge fallen. Weder in den abgelösten Vergaberichtlinien (vgl. bspw. Art. 1 lit. a Richtlinie 92/50/EWG, Art. 1 lit. a Richtlinie 93/37/EWG) noch in der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a Richtlinie 2004/18/EG) enthielt bzw. enthält die jeweilige Definition des Begriffs des öffentlichen Auftrags eine Einschränkung dahingehend, dass öffentlich-rechtliche Verträge nicht unter diesen Begriff fallen sollen. Beide Definitionen sprechen von „schriftlichen entgeltlichen Verträgen“, ohne nach der Rechtsnatur dieser Verträge zu differenzieren.289 Dementsprechend hat der EuGH in seinem die Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG betreffenden Urteil vom 12. 7. 2001 in der Rechtssache „Teatro alla Bicocca“290 entschieden, dass die Rechtsnatur eines Erschließungsvertrages als öffentlichrechtlicher Vertrag dem Vorliegen einer Vertragsbeziehung i. S. des Art. 1 lit. a der Richtlinie 93/37/EWG nicht entgegenstehe.291 Da die Definition des Begriffs des öffentlichen Auftrags in keiner der abgelösten Vergaberichtlinien eine Einschränkung hinsichtlich öffentlich-rechtlicher Verträge enthielt und sich auch die Definition der Richtlinie 2004/18/EG insoweit mit den Definitionen der abgelösten Vergaberichtlinien deckt, konnte diese Entscheidung auf 287 OLG Brandenburg, NZBau 2005, S. 236, 237; BayObLG, BayObLGZ 2003, S. 129, 133; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 5. 5. 2004, Az. VII-Verg 78-03, NZBau 2004, S. 398, 399; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 5. 4. 2006, Az. VII-Verg 7/06, NZBau 2006, S. 595, 596; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 7. 9. 2004, Az. 11 Verg 11/04, NZBau 2004, S. 692, 694 f.; Boesen, Vergaberecht, 2000, S. 171 f.; Reidt, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, Vorb. zu §§ 97 – 101 Rn. 14; Burgi, NZBau 2002, S. 57, 60 ff.; Burgi, NVwZ 2007, S. 383, 384 f.; Althaus, NZBau 2000, S. 277, 279; zurückhaltender Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 99 Rn. 446 ff.; a. A. OLG Celle, Beschl. v. 24. 11. 1999, Az. 13 Verg 7/99, NZBau 2000, S. 299. 288 BT-Drs. 13/9340, S. 15. 289 OLG Düsseldorf, NZBau 2004, S. 398, 399; OLG Frankfurt am Main, NZBau 2004, S. 692, 694 f.; Boesen, Vergaberecht, 2000, S. 172; Althaus, NZBau 2000, S. 277. 290 EuGH, Urt. v. 12. 7. 2001 – Rs. C-399/98 (Teatro alla Bicocca), Slg. 2001, I-5409 Rn. 66 ff., 73. 291 EuGH, Urt. v. 12. 7. 2001 – Rs. C-399/98 (Teatro alla Bicocca), Slg. 2001, I-5409 Rn. 73.
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die anderen Vergaberichtlinien übertragen werden292 bzw. gilt diese Entscheidung auch weiterhin für die Richtlinie 2004/18/EG. In manchen Mitgliedstaaten wie bspw. Frankreich unterliegt das öffentliche Auftragswesen dem öffentlichen Recht, weshalb ein Ausschluss der öffentlich-rechtlichen Verträge dazu führte, dass das europäische Vergaberecht in bedeutenden Teilen der Gemeinschaft leer liefe.293 Der Begriff des Vertrages in § 99 Abs. 1 GWB ist deshalb richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass er auch öffentlich-rechtliche Verträge umfasst.294 Dem steht die Gesetzesbegründung zum VgRÄndG nicht entgegen, da auch diese bestrebt war, den Begriff des öffentlichen Auftrags richtlinienkonform zu definieren.295 Der Umstand, dass ein zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen geschlossener Vertrag dem öffentlichen Recht unterliegt, steht also für sich genommen einer Einstufung dieses Vertrags als öffentlichem Auftrag nicht entgegen. d) Ausübung öffentlicher Gewalt oder Beschaffung von Marktleistungen? Auch wenn die Anwendbarkeit des Vergaberechts also nicht grundsätzlich am Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags scheitert, bedarf es doch im Einzelfall einer genauen Prüfung, ob es sich beim jeweiligen öffentlich-rechtlichen Vertrag um einen öffentlichen Auftrag i. S. des § 99 Abs. 1 GWB handelt. Das Vergaberecht ist auf koordinationsrechtliche Verträge, die die Beschaffung von Marktleistungen zum Gegenstand haben, nicht jedoch auf subordinationsrechtliche Verträge anwendbar.296 Bei subordinationsrechtlichen Verträgen wird der Staat hoheitlich tätig, der Vertrag stellt lediglich eine andere Form der Ausübung einseitiger hoheitlicher Befugnisse dar. Beim Abschluss von koordinationsrechtlichen Verträgen mit Privaten297 handelt der Staat jedoch nicht typisch hoheitlich. Zwar ist der Vertragsgegenstand öffentlich-rechtlich, in seiner Wirkungsweise unterscheidet sich ein koordinationsrechtlicher Vertrag jedoch nicht von einem privatrechtlichen Vertrag. Beim Abschluss koordinationsrechtlicher Verträge, die – wären sie privatrechtlich – unter § 97 Abs. 1 GWB fallen (die also die Beschaffung von 292 BayObLG, BayObLGZ 2003, S. 129, 133; OLG Brandenburg, NZBau 2005, S. 236, 237; Reidt, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, Vorb. zu §§ 97 – 101 Rn. 15. 293 Boesen, Vergaberecht, 2000, S. 172; Burgi, NZBau 2002, S. 57, 60; Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 663. 294 OLG Düsseldorf, NZBau 2004, S. 398, 399; OLG Frankfurt am Main, NZBau 2004, S. 692, 695; OLG Naumburg, NZBau 2006, S. 58, 60; BayObLG, BayObLGZ 2003, S. 129, 133; Althaus, NZBau 2000, S. 277, 279. 295 Vgl. die Formulierung „Die Legaldefinition der öffentlichen Aufträge beruht auf der Definition der EG-Richtlinien.“ in BT-Drs. 13/9340, S. 15; BayObLG, BayObLGZ 2003, S. 129, 133 f.; Burgi, NZBau 2002, S. 57, 60; Althaus, NZBau 2000, S. 277, 279. 296 Schulte, NZBau 2000, S. 272, 275; vgl. auch Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176. 297 Ein Teil der Literatur würde einen solchen Vertrag als kooperationsrechtlichen Vertrag bezeichnen [vgl. oben C. II. 2. b)].
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Waren, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben), müssen deshalb die Vorschriften des Vergaberechts beachtet werden.298 Auf eine Kurzformel gebracht stellt sich folgende vergaberechtlich entscheidende Frage: Hat die Funktion des Vertrags die Beschaffung von Marktleistungen oder (wie bei subordinationsrechtlichen Verträgen) die Ausübung öffentlicher Gewalt zum Gegenstand?299 Entscheidend für die Zuordnung zum Vergaberecht ist nicht die Rechtsnatur des Vertrages als privat- oder öffentlich-rechtlicher Vertrag, sondern die Frage, ob er auf den Erwerb von Marktleistungen oder auf die Ausübung öffentlicher Gewalt gerichtet ist.300 Durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag können unmittelbar hoheitliche Aufgaben erfüllt werden (bspw. Maßnamen der Eingriffsverwaltung ergriffen werden), wobei die einseitige Handlungsform des Verwaltungsaktes durch den Abschluss eines Vertrages ersetzt wurde (subordinationsrechtlicher Vertrag).301 Solche öffentlich-rechtlichen Verträge unterfallen nicht dem Schutzzweck des Vergaberechts, das sich mit der Beschaffung von Marktleistungen befasst.302 Werden unmittelbar hoheitliche Aufgaben erfüllt, liegt eine solche Beschaffung durch einen öffentlichen Auftraggeber nicht vor, sondern es werden originäre Hoheitsbefugnisse ausgeübt, die vom Vergaberecht nicht geregelt werden sollen.303 Sollen jedoch mittelbar staatlich-hoheitliche Aufgaben erfüllt werden, indem Private mit der Erfüllung dieser Aufgabe beauftragt werden, ist das Vergaberecht anwendbar, wenn aufgrund des öffentlich-rechtlichen Vertrags ein vergaberechtlich relevanter Auftrag erbracht wird.304 e) Beschaffung von Marktleistungen durch Abschluss eines Verkehrsvertrages Zu untersuchen ist, ob der Abschluss von Verkehrsverträgen auf die Ausübung öffentlicher Gewalt oder die Beschaffung von Marktleistungen gerichtet ist.
298 Schulte, NZBau 2000, S. 273, 275; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 369. 299 Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176; OLG Brandenburg, Beschl. v. 9. 9. 2004, Az. Verg W 9/04, NZBau 2005, S. 236, 237; VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 13; Marx, Der Nahverkehr 3/2003, S. 28; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 369 f. 300 VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 13. 301 Boesen, Vergaberecht, 2000, S. 172; Reidt, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, Vorb. zu §§ 97 – 101 Rn. 18. 302 Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176; Marx, Der Nahverkehr 3/2003, S. 28. 303 Boesen, Vergaberecht, 2000, S. 172 f.; so auch Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176; Reidt, in: Reidt/Stickler/Glahs, Kommentar Vergaberecht, 2003, Vorb. zu §§ 97 – 101 Rn. 18. 304 Boesen, Vergaberecht, 2000, S. 172 f.; Schulte, NZBau 2000, S. 272, 275; kritisch Althaus, NZBau 2000, S. 277, 278 f.
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aa) Keine Ausübung öffentlicher Gewalt Nach der Ansicht von Prieß305 ist das Vergaberecht (auch) deshalb nicht auf den Abschluss von Verkehrsverträgen anwendbar, weil es sich bei der Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Leistungen im SPNV um einen dem Vergaberecht entzogenen subordinationsrechtlichen Vertrag i. S. von § 54 S. 2 VwVfG handele. Der jeweilige Aufgabenträger schließe einen Verkehrsvertrag, anstatt einem Verkehrsunternehmen die gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen einseitig durch Verwaltungsakt aufzuerlegen.306 Die Auferlegung durch Verwaltungsakt ist kein öffentlicher Auftrag, da sie eine einseitige hoheitliche Maßnahme und kein Vertrag ist.307 Entgegen dieser Ansicht scheitert das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags nicht an der öffentlich-rechtlichen Natur der Verkehrsverträge, da der Abschluss eines Verkehrsvertrages nicht auf die Ausübung öffentlicher Gewalt gerichtet ist. Eine vertragliche Vereinbarung hat Vorrang gegenüber einer zwangsweisen Auferlegung von Verkehrsleistungen.308 Nach den Begründungserwägungen zur VO (EWG) 1893/91, mit der die VO (EWG) 1191/69 modifiziert wurde, empfiehlt es sich, in einem Vertrag die Einzelheiten der Verkehrsdienstleistung festzulegen, um „dem Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenständigkeit der Verkehrsunternehmen gerecht zu werden“. Auch wenn die VO (EWG) 1893/91 selbst kein Rangverhältnis im Sinne einer Nachrangigkeit der Auferlegung anordnet, so weist diese doch eine klare Präferenz zugunsten der Vereinbarung auf.309 Der Vorrang der vertraglichen Vereinbarung folgt aus dem nationalen Recht.310 Das Ziel der Bahnreform und der Regionalisierung war es, die zwangsweise Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen zugunsten deren vertraglicher Vereinbarung zurückzudrängen.311 Unter Berücksichtigung von Art. 12 GG und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genießt eine vertragliche Vereinbarung Vorrang gegenüber einer zwangs305
Prieß, NZBau 2002, S. 539, 543; a. A.: Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 144 f.; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176. Wolf/Bachof/Stober (Verwaltungsrecht, Band 2, 2000, S. 213) gehen ebenfalls vom Vorliegen eines subordinationsrechtlichen Vertrages aus, ohne sich mit vergaberechtlichen Fragen zu beschäftigen. 306 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 543. 307 Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 401. 308 OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 690; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 145; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 67, 82 (Auferlegung ist ultima ratio); a. A. Prieß, NZBau 2002, S. 539, 543. 309 Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 207. 310 Bei gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV ergibt sich die Nachrangigkeit der Auferlegung ausdrücklich aus § 1 Abs. 3 der zu § 13a PBefG erlassenen Rechtsverordnung (vgl. ausführlich Kapitel 9 A. II.). 311 Vgl. ausführlich dazu oben B. II. 1.; OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688, 690; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 145.
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weisen Auferlegung. Ein Vertrag stellt ein das betroffene Unternehmen weniger belastendes, jedoch gleich wirksames Mittel dar.312 Die Auferlegung kommt nur dann in Betracht, wenn sich kein Verkehrsunternehmen als Vertragspartner des Aufgabenträgers dazu bereit findet, bestimmte gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen zu erbringen oder das in einer Ausschreibung obsiegende Unternehmen aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht dazu in der Lage ist, mit der Erbringung der Verkehrsleistungen zum vereinbarten Zeitpunkt zu beginnen. In diesem Fall kann im Wege der Auferlegung eine ausreichende Bedienung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen im SPNV sichergestellt werden.313 Die nachrangige Möglichkeit der Aufgabenträger, den Eisenbahnverkehrsunternehmen zwangsweise gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen aufzuerlegen, ändert jedoch nichts daran, dass Gegenstand eines Verkehrsvertrages nicht die Ausübung öffentlicher Gewalt ist. Wenn der Aufgabenträger einen Verkehrsvertrag schließt, besteht zwischen ihm und dem Verkehrsunternehmen sowohl nach der Konzeption des Gemeinschafts- wie des nationalen Rechts kein Über-/Unterordnungsverhältnis. Die VO (EWG) 1893/91, mit der das Instrument des Abschlusses von Verkehrsverträgen in die VO (EWG) 1191/69 eingefügt wurde, betont in ihren Begründungserwägungen, dass die Verkehrsunternehmen grundsätzlich wirtschaftlich eigenständige Unternehmen sind. Dieser wirtschaftlichen Eigenständigkeit widerspräche eine Sichtweise, die davon ausgeht, dass zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen ein durch hoheitliche Handlungsbefugnisse geprägtes Verhältnis der Über-/Unterordnung besteht. Der Abschluss von Verträgen soll dieser wirtschaftlichen Eigenständigkeit gerecht werden, da sich Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen beim Abschluss eines solchen Vertrages als gleichberechtigte Partner gegenüberstehen. Die hoheitliche Auferlegung von Verpflichtungen des öffentlichen Diensts sollte durch die VO (EWG) 1893/91 zurückgedrängt werden. Nach der Konzeption des deutschen Gesetzgebers sollte die Regionalisierung zu einer Teilung der Verantwortlichkeiten im SPNV führen. Die Aufgabenträger tragen die Verantwortung für die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit SPNV-Leistungen, die Eisenbahnverkehrsunternehmen sind für die Erbringung der bestellten Verkehrsleistungen verantwortlich.314 Zu ihren Kunden treten sie in privatrechtliche Beziehungen, sie werden ihnen gegenüber nicht – wie dies teilweise im Rettungsdienst der Fall ist315 – unmittelbar hoheitlich tätig.316 Die in 312 Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 67, 82; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176. 313 Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 82. 314 Vgl. Kapitel 7 B. 315 In mehreren Bundesländern ist das Vergaberecht nicht anwendbar, wenn die Durchführung von Aufgaben des Rettungsdiensts durch öffentlich-rechtlichen Vertrag auf Dritte übertragen wird, da die Dritten bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben als Hilfspersonen
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Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe durch die Aufgabenträger abgeschlossenen Verkehrsverträge sind das Instrument der vom Gesetzgeber bezweckten Zusammenarbeit zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen. Bei Abschluss und Durchführung eines Verkehrsvertrags stehen sich der Aufgabenträger und das Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht in einem Verhältnis der Über-/Unterordnung gegenüber, sondern sie tragen auf der Basis dieses Vertrages jeweils entsprechend ihrem Verantwortungskreis dazu bei, dass der Bevölkerung in ausreichendem Umfang Verkehrsleistungen im SPNV zur Verfügung stehen.317 Der Aufgabenträger ist verpflichtet, vorrangig Verträge zu schließen. Nur in Fällen, in denen die ausreichende Bedienung der Allgemeinheit andernfalls gefährdet ist, kann der Aufgabenträger auf das Instrument der einseitigen Auferlegung zurückgreifen. Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im SPNV ist also nicht typisch von hoheitlichen Handlungsbefugnissen der Aufgabenträger geprägt. Die nachrangig bestehende Möglichkeit der Auferlegung verleiht dem Abschluss von Verkehrsverträgen nicht das Gepräge einer hoheitlichen Tätigkeit, sondern sie steht den Aufgabenträgern als Reservemittel notfalls zur Verfügung, damit diese ihrer Gewährleistungsverantwortung nachkommen können. Bei einem zwischen Aufgabenträger und Eisenbahnverkehrsunternehmen abgeschlossenen Verkehrsvertrag handelt es sich also nicht um einen subordinationsrechtlichen, sondern um einen koordinationsrechtlichen Vertrag.318 bb) Beschaffung von Marktleistungen Bei den Verkehrsleistungen im SPNV handelt es sich um Marktleistungen,319 die durch die Aufgabenträger im Wege von Verkehrsverträgen beschafft werden.320 Seit der Regionalisierung bestellen die Aufgabenträger Verkehrsleistungen bei den als Wirtschaftsunternehmen auf einem Markt agierenden Eisenbahnverkehrsunternehmen. Es gibt eine Reihe von Eisenbahnverkehrsunternehmen, die sich um den Abschluss von Verkehrsverträgen mit den Aufgabenträgern bemühen bzw. an Ausfunktional in den Bereich hoheitlicher Aufgabenerfüllung eingegliedert und somit unmittelbar hoheitlich tätig werden (für Bayern: BayObLG, BayObLGZ 2003, S. 129, 134 f.; für Brandenburg: OLG Brandenburg, NZBau 2005, S. 236, 237; für Nordrhein-Westfalen: OLG Düsseldorf, NZBau 2006, S. 595, 596). 316 Ebenso VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571 VK 05/02 MD, S. 14. 317 Im Ergebnis ebenso Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 13; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 145, 148; a. A. Prieß, NZBau 2002, S. 539, 543. 318 Im Ergebnis ebenso Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 13; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176 (koordinationsrechtlicher Vertrag); Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 145, 148 (koordinationsrechtlicher Vertrag); Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 369 f. 319 VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 13. 320 Zum Beschaffungscharakter vgl. oben C. II. 1. b) ff).
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schreibungen teilnehmen und die in der Lage sind, Verkehrsleistungen im erforderlichen Umfang zu erbringen.321 Die Voraussetzungen dafür, dass diese Eisenbahnverkehrsunternehmen Zugang zur erforderlichen Infrastruktur haben, wurden geschaffen (§ 14 AEG).322 Auch der BGH hat entschieden, dass es sich bei Verkehrsleistungen im SPNV um gewerbliche Leistungen i. S. von § 19 Abs. 2 GWB handele, da die Verkehrsunternehmen um die Erlangung der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen dafür konkurrierten, eine Linie oder ein Verkehrsnetz im ÖPNVerrichten, unterhalten oder betreiben zu dürfen, um mit diesem Betrieb Gewinn zu erzielen (Aufgabenträgermarkt).323 Die Verfahrensbeteiligten hatten in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Verfahren die Ansicht vertreten, die Verkehrsunternehmen erbrächten im SPNV und straßengebundenen ÖPNV keine gewerblichen Leistungen, da die Leistungsbeziehungen mit Ausnahme der im Rahmen einer Ausschreibung vergebenen Verkehrsleistungen öffentlich-rechtlich geprägt seien und die Anbieter über keinen wettbewerblich relevanten Verhaltensspielraum verfügten.324 Für die Qualifikation der Verkehrsleistungen als gewerbliche Leistungen i. S. von § 19 Abs. 2 GWB ist jedoch nach Ansicht des BGH der Umstand, dass die Rechtsbeziehungen zwischen Genehmigungsbehörde und Verkehrsunternehmen öffentlich-rechtlicher Natur sind, ebenso unerheblich wie die nähere Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Aufgabenträgern und den Verkehrsunternehmen. Unabhängig davon, wie die Verkehrsleistungen vergeben würden, handele es sich aus den oben genannten Gründen um gewerbliche Leistungen.325 f) Zwischenergebnis Die Anwendbarkeit des Vergaberechts auf den Abschluss von Verkehrsverträgen im SPNV scheitert also nicht daran, dass es sich hierbei um öffentlich-rechtliche Verträge handelt. Verkehrsverträge sind koordinationsrechtliche Verträge, mit denen Marktleistungen beschafft werden.326
321
Vgl. Wettbewerbsbericht 2006 der Deutschen Bahn AG, S. 16 ff.; 54 ff. VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 13. 323 BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 838. Gegenstand der Entscheidung des BGH waren Fragen der Zusammenschlusskontrolle und des Vorliegens einer marktbeherrschenden Stellung (BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 837). Vom „Aufgabenträgermarkt“ unterscheidet der BGH den „Fahrgastmarkt“. Beim Fahrgastmarkt handelt es sich um den „Angebotsmarkt für die Erbringung liniengebundener Verkehrsdienstleistungen gegenüber dem Fahrgast“ (BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 838). 324 BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 837. 325 BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 838. 326 VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 13; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 13; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 176; Marx, Der Nahverkehr 3/2003, S. 28; a. A. Recknagel, NZBau 2007, S. 121 f. 322
8. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im SPNV
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3. Ergebnis Bei Verkehrsverträgen im SPNV handelt es sich grundsätzlich um entgeltliche Verträge, mit denen Dienstleistungen beschafft werden, mithin um öffentliche Aufträge i. S. von § 99 Abs. 1, 4 GWB. III. Dienstleistungskonzession Zu untersuchen ist desweiteren, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ein Verkehrsvertrag als Dienstleistungskonzession zu qualifizieren ist (vgl. zu den Begriffsmerkmalen der Dienstleistungskonzession ausführlich Kapitel 6). 1. Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe Mit einem Verkehrsvertrag wird dem jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmen die Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden öffentlichen Aufgabe übertragen. Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im SPNV ist eine den Aufgabenträgern obliegende Aufgabe der Daseinsvorsorge. Durch die gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen, die das jeweilige Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgrund des Verkehrsvertrages zu erbringen hat, soll die ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit SPNV-Verkehrsleistungen sichergestellt werden.327 2. Einräumung eines Rechts zur Nutzung der Dienstleistung Zwischen den Fahrgästen und dem jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmen entstehen Rechtsbeziehungen, wenn die Fahrgäste die Verkehrsleistungen in Anspruch nehmen, die das Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgrund des Verkehrsvertrages erbringt. Die Fahrgäste müssen für die Inanspruchnahme der durch das Eisenbahnverkehrsunternehmen angebotenen Leistung ein Fahrgeld bezahlen. Das Verkehrsunternehmen erhält also regelmäßig als Gegenleistung für die Erbringung der Verkehrsleistungen das Recht zur Nutzung dieser Dienstleistung (Art. 1 Abs. 4 Richtlinie 2004/18/EG). Es verwertet seine Dienstleistung dadurch, dass es von seinen Fahrgästen für die jeweils von diesen in Anspruch genommenen Verkehrsleistungen ein Fahrgeld erhebt.328
327
So für gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV auch Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604. 328 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 545; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 340; OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
3. Übernahme des wirtschaftlichen Risikos Entscheidend für die Abgrenzung zwischen öffentlichem Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungskonzession ist somit die Frage, ob durch den Abschluss eines Verkehrsvertrages das mit der Erbringung der Verkehrsleistung verbundene wirtschaftliche Risiko auf das jeweilige Eisenbahnverkehrsunternehmen übertragen wird. Der Umstand, dass die Eisenbahnverkehrsunternehmen sowohl bei Brutto- als auch bei Nettoverträgen neben den Fahrgeldeinnahmen noch ein Entgelt von den Aufgabenträgern erhalten, schließt für sich genommen die Möglichkeit einer Dienstleistungskonzession nicht aus, da die Gegenleistung des Konzessionsgebers auch in der Übertragung eines Rechts zur Nutzung der Dienstleistung zuzüglich der Zahlung eines Preises bestehen kann (vgl. Art. 1 Abs. 4 Richtlinie 2004/18/EG). a) Bruttoverträge Bruttoverträge erfüllen die Voraussetzungen einer Dienstleistungskonzession nicht, weil das Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht das wirtschaftliche Risiko der Verkehrsleistungen trägt.329 Bei diesem Vertragsmodell erhält das Verkehrsunternehmen für die Erbringung der vertraglich festgelegten Verkehrsleistungen eine feste Gesamtvergütung. Die Fahrgeldeinnahmen fließen entweder dem Aufgabenträger zu oder werden auf den vom Aufgabenträger zu zahlenden Preis angerechnet. Im letztgenannten Fall wird die zwischen dem Vergütungsanspruch des Verkehrsunternehmens und den Fahrgeldeinnahmen entstehende Differenz durch den Aufgabenträger getragen. Das Risiko der Entwicklung der Fahrgeldeinnahmen trägt allein der Aufgabenträger. Das Verkehrsunternehmen kann und wird seine Vergütung so kalkulieren, dass mindestens seine Kosten für die Erbringung der Verkehrsleistungen abgedeckt sind. Aus der mangelnden Vorhersehbarkeit der Entwicklung der Fahrgastzahlen ergibt sich für das Verkehrsunternehmen kein Absatzrisiko, da es in jedem Fall die vertraglich festgelegte, kostendeckende Vergütung vom Aufgabenträger erhält, unabhängig davon, wie sich die Fahrgastzahlen entwickeln. Das Verkehrsunternehmen trägt also kein wirtschaftliches Risiko.330
329 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 545 f.; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162, 164; Otting, DVBl. 2003, S. 1023, 1026; Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 155; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 387; OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635; OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, S. 212, 213; VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 4. 2002, Az. VK-5/ 2002-L, S. 11 f. 330 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 545 f.; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, S. 162, 164; OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635; OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, S. 212, 213.
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b) Nettoverträge Bei Nettoverträgen ist die Frage der Verteilung des wirtschaftlichen Risikos schwerer zu beantworten. Bei diesem Vertragsmodell erhält das Eisenbahnverkehrsunternehmen zusätzlich zu den von ihm selbst zu vereinnahmenden Fahrgeldern für ein bestimmtes Angebot an Verkehrsleistungen feste Zahlungen vom jeweiligen Aufgabenträger. Das Eisenbahnverkehrsunternehmen wird sein Angebot so kalkulieren, dass – unter Berücksichtigung der prognostizierten Fahrgeldeinnahmen – zumindest die ihm durch das zu erbringende Angebot an Verkehrsleistungen entstehenden Gesamtkosten ausgeglichen werden. Das damit zusammenhängende Kalkulationsrisiko rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Qualifizierung des Vertrages als Dienstleistungskonzession. Neben dem Risiko verschuldensunabhängiger Einnahmeausfälle durch technische Störungen oder Witterungsbedingungen (insbesondere durch eine sturm- oder schneebedingte Unbefahrbarkeit des Schienennetzes) trägt das Eisenbahnverkehrsunternehmen bei Nettoverträgen auch ein Absatzrisiko. Wenn tatsächlich weniger Fahrgäste als prognostiziert seine Verkehrsleistungen in Anspruch nehmen, führt dies zu Einnahmeausfällen beim Verkehrsunternehmen.331 Auch wenn sich der Aufgabenträger im Interesse einer angemessenen und sozialverträglichen Höhe der Fahrpreise in einem hohen Maße an den entstehenden Gesamtkosten beteiligt,332 verbleibt dem Eisenbahnverkehrsunternehmen doch die Unsicherheit, dass der nicht abgedeckte Teil der Kosten mangels ausreichender Nachfrage nicht durch die Fahrgeldeinnahmen gedeckt wird.333 Das wirtschaftliche Risiko des Verkehrsunternehmens wird auch durch ggf. notwendige Investitionen in Fahrzeuge oder Werkstätten erhöht.334
331
Prieß, NZBau 2002, S. 539, 545 f.; Otting, DVBl. 2003, S. 1023, 1026. Andererseits hat das Eisenbahnverkehrsunternehmen durch eine Steigerung der Attraktivität seines Angebotes (oder auch sonstige Faktoren) die Chance, die Fahrgastzahlen zu erhöhen und so den Gewinn zu steigeRn. 332 Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 663; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 545; Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629. Klargestellt soll an dieser Stelle nochmals werden, dass es sich bei den Zahlungen der Aufgabenträger um ein Entgelt für die durch die Unternehmen erbrachten Verkehrsleistungen handelt und nicht um Zuschüsse zur Aufrechterhaltung einer Daseinsvorsorgeinfrastruktur handelt. Zur ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit SPNVLeistungen (§ 1 Abs. 1 RegG) gehört auch die Angemessenheit und Sozialverträglichkeit der Fahrgelder. Mit dem Abschluss von Verkehrsverträgen soll sowohl ein Netz an Verkehrsmitteln im Linienverkehr als auch die Sozialverträglichkeit der Fahrgelder sichergestellt werden. Bei diesen Verkehrsverträgen handelt es sich jedoch nicht um Zuschuss-, sondern um entgeltliche Verträge [vgl. ausführlich oben C. II. 1. b)]. 333 Hattig/Ruhland (NZBau 2005, S. 626, 629) gehen einerseits davon aus, dass eine solche staatliche Anschubfinanzierung regelmäßig nicht zum Ausschluss einer Konzession führe. Andererseits seien im Bereich des SPNV Dienstleistungskonzessionen „so gut wie ausgeschlossen“, da die Bezuschussungen „oftmals weit über eine staatliche Anschubfinanzierung“ hinausgingen. Eine nähere Begründung dieses pauschalen Arguments findet sich jedoch nicht (Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629). 334 Prieß, NZBau 2002, S. 539, 545.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
Die Kommission geht ebenfalls davon aus, dass eine Dienstleistungskonzession auch dann vorliegen kann, wenn sich die öffentliche Hand an den entstehenden Kosten beteiligt, um für die Nutzer angemessene Preise sicherzustellen („Praxis der sozialen Preise“). Wenn der ausbezahlte Betrag nur einen Teil der entstehenden Kosten deckt und „das ungewisse und sich aus der Natur der Nutzung ergebende Risiko [hierdurch] nicht beseitigt wird“, liegt nach Ansicht der Kommission eine Dienstleistungskonzession vor.335 Andererseits bestehen ggf. Faktoren, die das Absatzrisiko des Eisenbahnverkehrsunternehmens verringern können.336 Das Absatzrisiko wird bspw. durch sogenannte „Zwangskunden“ verkleinert. Hierunter fallen vor allem Schüler oder Auszubildende, die für die Fahrt zu ihrer Schule bzw. Ausbildungsstätte keine Alternative zum ÖPNV haben.337 Bei Strecken, auf denen bereits seit längerer Zeit Verkehrsleistungen im SPNV erbracht werden, bestehen ggf. Erfahrungswerte über die zu erwartenden Fahrgastzahlen und/oder statisch untermauerte Prognosen über deren Entwicklungstendenz (d. h. ob sie tendenziell steigen oder sinken). Das Verkehrsunternehmen, das die jeweiligen Verkehrsleistungen bisher erbracht hat, ist aufgrund des hieraus erlangten Wissen dazu in der Lage, die erforderliche Erlösprognose hinreichend genau zu treffen, was dessen wirtschaftliches Risiko verkleinern kann (Altunternehmervorteil).338 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass durch einen solchen Informationsvorsprung zwar u. U. ein Unternehmen einen Vorteil hat, das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession jedoch ggf. erst dann ausscheidet, wenn diese Informationen allen Bietern oder Bewerbern zur Verfügung stehen. Ein Vertrag kann nur einheitlich ein öffentlicher Auftrag oder eine Dienstleistungskonzession sein, nicht für einen Unternehmer (d. h. den Altunternehmer) ein öffentlicher Auftrag und für den Rest eine Dienstleistungskonzession. Regelmäßig werden die Zahlungen der Aufgabenträger die Fahrgeldeinnahmen überwiegen. Dass ein hoher öffentlicher Finanzierungsanteil das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession nicht ausschließt, zeigt jedoch ein Urteil des OLG Schleswig, das in einem Fall, in dem die öffentliche Hand 80 % der Baukosten übernommen hatte, das Vorliegen einer Baukonzession bejaht hat, da der Konzessionsnehmer immer noch einen bedeutenden Teil der mit der Nutzung verbundenen 335 Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 12. 4. 2000, ABl. 2000, C/121, S. 3, NVwZ-Beilage Nr. III/2000 zu Heft 7/ 2000, S. 7 (Diese Ausführungen gelten zwar in erster Linie der Baukonzession, die Kommission greift jedoch für die Definition der Dienstleistungskonzession und die Ausfüllung der einzelnen Begriffsmerkmale auf die Baukonzession zurück.). Die im zweiten Vorschlag der Kommission vom 21. 2. 2002 zur Ersetzung der VO (EWG) 1191/69 (KOM (2002) 107 endg.) enthaltene Definition der Dienstleistungskonzession (vgl. dort Art. 3 lit. i) wurde im neuen Vorschlag der Kommission vom 20. 7. 2005 (KOM (2005) 319 endg.) ersatzlos gestrichen. 336 Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604 f. 337 Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604; Barth/Meinert, KommJur 2006, S. 73, 74. 338 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 216 f.; Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 605; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 388.
8. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im SPNV
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Risiken trage.339 Aufgrund der bestehenden wirtschaftlichen Risiken für das Eisenbahnverkehrsunternehmen kann deshalb nicht allein aufgrund der absoluten oder prozentualen Höhe der Zahlungen des Aufgabenträgers darauf geschlossen werden, dass keine Dienstleistungskonzession vorliegt.340 Es bedarf vielmehr einer genaueren Untersuchung anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles und der beabsichtigten Vertragsregelungen, um beurteilen zu können, ob durch die Zahlungen der Aufgabenträger das sich aus der Natur der Nutzung ergebende Risiko beseitigt wird oder nicht.341 Je höher der Anteil an den Gesamtkosten ist, der durch die Tarifeinnahmen gedeckt werden muss, desto größer sind die vom Eisenbahnverkehrsunternehmen zu tragenden Nutzungsrisiken und desto eher wird man (unter Beachtung der anderen Umstände und der vertraglichen Regelungen) vom Vorliegen einer Dienstleistungskonzession ausgehen können.342 Dies gilt umso mehr, als nach der Rechtsprechung des EuGH die Anforderungen an den Übergang des wirtschaftlichen Risikos nicht allzu hoch sind.343 In seinem Urteil in der Rechtssache „Parking Brixen“ schloss der EuGH aus dem Umstand der Bezahlung des Dienstleistungserbringers durch die Nutzer der Dienstleistung auf die Übernahme des wirtschaftlichen Risikos bzw. Betriebsrisikos durch den Dienstleistungserbringer.344 In der Rechtssache „ANAV“ war es für den EuGH ausreichend, dass die Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf nur einen Teil der Kosten abdeck339 OLG Schleswig, NZBau 2000, S. 100, 102; vgl. zu diesem Urteil auch Baumeister/ Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604 (Fn. 41). Ebenso für Verkehrsverträge Prieß, NZBau 2002, S. 539, 545. Pietzcker (NZBau 2003, S. 661, 663), der nicht zwischen Brutto- und Nettoverträgen differenziert, spricht sich zwar ebenfalls für eine differenzierte Betrachtung anhand des Verhältnisses staatlicher Zuschuss/Fahrgeldeinnahmen aus, nimmt jedoch bei einem staatlichen Zuschuss von 80 % einen Dienstleistungsauftrag an. 340 So aber die VK Magdeburg, die argumentiert, dass das betroffene Eisenbahnverkehrsunternehmen ein festes Entgelt für die Leistungen erhalte, das die voraussichtlichen Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf um etwa das Dreifache übersteige. Bei dieser Sachlage trage das Verkehrsunternehmen nicht das überwiegende wirtschaftliche Risiko (VK Magdeburg, Beschl. v. 6. 6. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 12). Ebenso Thieme/Schlüter (NVwZ 2004, S. 162, 164), die argumentieren, dass die „wesentlichen Risiken der vergebenen Verkehrsverträge überwiegend durch die Höhe der öffentlichen Entgelte abgedeckt“ würden, weshalb das Nutzungs- und Verwertungsrisiko zum überwiegenden Teil beim Aufgabenträger liege. Gleicher Ansicht sind auch Hüser, Privatisierungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 341; Gerstner, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG-Kommentar, 2006, § 15 Rn. 12; Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 154 f.; Marx, Der Nahverkehr 3/2003, S. 28, 29. Laut Wachinger (Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 389) sollte die Nutzerfinanzierung 50 % nicht unterschreiten. Schaaffkamp/Bayer (WiVerw 2001, S. 148, 160) und Otting (DVBl. 2003, S. 1023, 1026) verlangen für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession, dass die Fahrgeldeinnahmen die feste Vergütung deutlich überwiegen. 341 Ebenso Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604 f.; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 545; Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629. 342 Bsp.: OLG Karlsruhe, NZBau 2005, S. 655, 656. 343 Vgl. Kapitel 6 C. II. 344 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 40, NZBau 2005, S. 644, 647.
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ten.345 Weitere Erwägungen hinsichtlich der Frage, wer das wirtschaftliche Risiko trägt, stellte der EuGH nicht an. Gleichwohl bejahte er jeweils das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession.346 An die Verneinung eines wirtschaftlichen Risikos sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen. Eine „bloße Wahrscheinlichkeit“, dass es dem Eisenbahnverkehrsunternehmen möglich sein wird, die Konzession gewinnbringend zu verwerten, reicht nicht aus, um das Vorliegen eines wirtschaftlichen Risikos zu verneinen. Erforderlich hierfür ist vielmehr, „dass ein Verlustrisiko mit hoher Wahrscheinlichkeit minimal oder gar ausgeschlossen“ ist.347 Je höher der Anteil an den zu erwartenden Gesamtkosten, der durch die Tarifeinnahmen gedeckt werden muss, desto weniger kann angenommen werden, dass das Verlustrisiko des Eisenbahnverkehrsunternehmens mit hoher Wahrscheinlichkeit minimal oder gar ausgeschlossen sei. Im Ergebnis kann deshalb festgehalten werden, dass das wirtschaftliche Risiko auch dann beim Eisenbahnverkehrsunternehmen liegen kann, wenn der jeweilige Aufgabenträger sich in einem hohen Maße an den entstehenden Gesamtkosten beteiligt, solange der gezahlte Betrag nur einen Teil der entstehenden Kosten abdeckt und dem Verkehrsunternehmen die Unsicherheit verbleibt, ob der nicht abgedeckte Teil der Kosten durch die Tarifeinnahmen gedeckt werden kann, bzw. ob eine ausreichende Nachfrage für seine Verkehrsleistungen vorhanden ist.348 IV. Ergebnis Bei Verkehrsverträgen im SPNV handelt es sich also grundsätzlich um öffentliche Aufträge i. S. von § 99 Abs. 1, 4 GWB, bei Nettoverträgen kann es sich auch um Dienstleistungskonzessionen handeln. Die Aufgabenträger können jedoch aufgrund von § 15 Abs. 2 AEG wählen, ob sie ein förmliches Vergabeverfahren (insbesondere eine Ausschreibung) oder ein nicht dem Vergaberecht unterworfenes, jedoch gleichwohl transparentes und die Bewerber gleichbehandelndes Vergabeverfahren durchführen wollen. Im letzteren Fall ergeben sich die Anforderungen an das durchzuführende Verfahren aus den Grundsätzen des EG-Vertrags, insbesondere dem Transparenzgebot und dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Die hieraus folgenden Verfahrensanforderungen decken sich zum großen Teil mit denjenigen an die Vergabe einer Dienstleistungskonzession. Den Aufgabenträgern steht also nach der geltenden Rechtslage eine Bandbreite an Vergabeverfahren zur Verfügung, die es 345
EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, S. 326, 327. 346 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 40, NZBau 2005, S. 644, 647; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, S. 326, 327. 347 GA Fennelly, Schlussanträge vom 18. 5. 2000 in der Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 40; so auch Jennert, NZBau 2005, S. 131, 134. 348 Vgl. allgemein Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629; Böckel, LKV 2003, S. 393, 395; Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604.
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erlaubt, einerseits eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen sicherzustellen und die Komplexität der zu vergebenden Leistungen zu berücksichtigen und andererseits den Bereich des SPNV einem geordneten Wettbewerb zu öffnen. 9. Kapitel
Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV Das Kapitel 9 ist der Frage gewidmet, inwieweit das Vergaberecht im straßengebundenen ÖPNVAnwendung findet. Zunächst soll die für den straßengebundenen ÖPNV grundlegende Unterscheidung zwischen eigen- und gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen erläutert und die Frage untersucht werden, ob sich aus dem Personenbeförderungsrecht eine Pflicht zur Ausschreibung ergibt (A.). Anschließend wird die Anwendbarkeit des Vergaberechts – getrennt nach gemeinwirtschaftlichen (B.) und eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen (C.) – untersucht.349
A. Personenbeförderungsrechtliche Anforderungen an das Genehmigungsverfahren Das PBefG unterscheidet für den straßengebundenen ÖPNV zwischen eigen- und gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen (§ 8 Abs. 4 PBefG), deren Genehmigung jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegt (vgl. §§ 13, 13a PBefG). Eigenwirtschaftlich sind Verkehrsleistungen, deren Aufwand gedeckt wird durch Beförderungserlöse, Erträge aus gesetzlichen Ausgleichs- und Erstattungsregelungen im Tarif- und Fahrplanbereich sowie sonstige Unternehmenserträge im handelsrechtlichen Sinne (§ 8 Abs. 4 S. 2 PBefG). Erträge aus gesetzlichen Ausgleichsund Erstattungsregelungen im Tarif- und Fahrplanbereich sind zum einen Ausgleichszahlungen für die Schülerbeförderung (§ 45a PBefG) und zum anderen die Erstattung der durch die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen im Nahverkehr entstehenden Fahrgeldausfälle (§§ 145 Abs. 3, 148 SGB IX).350 Zu den sonstigen Unternehmenserträgen im handelsrechtlichen Sinn351 zählen insbesondere Betriebskostenzuschüsse,352 Verlustübernahmen und Gesellschaftereinlagen 349
Vgl. dazu Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 223 ff. Vgl. dazu Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 13 ff. 351 BVerwG, DVBl. 2000, S. 1617, 1618 f., NVwZ 2001, S. 320, 321; BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 192. Vgl. zu der hierzu geführten Diskussion ausführlich unten A. III. 352 Betriebskostenzuschüsse werden insbesondere auf Grund von Verträgen zwischen kommunalen Gebietskörperschaften und Verkehrsunternehmen über neue Verkehre, über zu350
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der Kommunen als Eigentümer ihrer kommunalen Verkehrsunternehmen zum Ausgleich von Verlusten, die Verlustabdeckung im kommunalen Querverbund353 und verkehrsverbundbedingte Ausgleichsleistungen.354 Gemäß § 8 Abs. 4 S. 1 PBefG sind Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV eigenwirtschaftlich zu erbringen. Nur soweit eine ausreichende Verkehrsbedienung eigenwirtschaftlich nicht möglich ist, ist die VO (EWG) 1191/69 maßgebend (§ 8 Abs. 4 S. 3 PBefG, gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen). Gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen sind also nach der Konzeption des PBefG subsidiär gegenüber eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen.355 I. Eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen 1. Voraussetzungen der Genehmigung/Rechtsstellung des Genehmigungsinhabers Die Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen oder Kraftfahrzeugen im Linien- oder Gelegenheitsverkehr ist gemäß § 2 Abs. 1 PBefG genehmigungspflichtig. Die Voraussetzungen der Genehmigung bei eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen ergeben sich aus § 13 PBefG.356 Im Gegensatz zur Genehmigung im Eisenbahnbereich (§ 6 AEG) bezieht sich die Genehmigung nach dem PBefG auf eine bestimmte Linienführung (Liniengenehmigung, § 9 Abs. 1 PBefG); es besteht sätzliche Angebote im Rahmen eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs (wie z. B. Taktverdichtungen oder Verkehre in Schwachlastzeiten) oder zur Sicherstellung einer bestimmten Qualität (Ausstattung von Fahrzeugen und Haltestellen, Kundenservice) gezahlt (BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 11). 353 Im kommunalen Querverbund werden die Verluste des straßengebundenen ÖPNV durch die Gewinne aus der kommunalen Versorgung (Strom, Gas, Wasser, Fernwärme) ausgeglichen. Entweder werden die Ergebnisse der verschiedenen Sparten eines einheitlichen Unternehmens verrechnet oder es werden die Gewinne und Verluste der rechtlich selbständigen Tochtergesellschaften bei Holdingkonstruktionen ausgeglichen. Auf diese Weise brauchen die Gewinne der profitablen Betriebssparten bzw. der profitablen Tochtergesellschaften nicht bzw. in einem geringeren Maß versteuert werden, und die Verluste des Verkehrs können steuerneutral gedeckt werden (Tödtmann/Schauer, NVwZ 2008, S. 1 f.; Zuck, DÖV 1994, S. 941, 945; Metz, Der Nahverkehr 10/2003, S. 24, 26; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 11). 354 In Verkehrsverbünden erhalten Verkehrsunternehmen vielerorts Zahlungen zum Ausgleich von Durchtarifierungs- und Harmonisierungsverlusten sowie zur Abdeckung verbundbedingter Mehrbelastungen. Außerdem werden häufig Einnahmeaufteilungsverfahren durchgeführt, nach denen die verbundenen Unternehmer bestimmte Anteile am Beförderungserlös erhalten (Metz, Der Nahverkehr 10/2003, S. 24, 29; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 10). 355 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 160. 356 BVerwG, Beschl. v. 6. 4. 2000, Az. 3 C 7.99, DVBl. 2000, S. 1617, 1618, NVwZ 2001, S. 320, 321; BVerwG, Urt. v. 19. 10. 2006, Az. 3 C 33/05, NZBau 2007, S. 191, NVwZ 2007, S. 330, 331.
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die Möglichkeit, die Genehmigung für mehrere Linien gebündelt zu erteilen (§ 9 Abs. 2 PBefG).357 Der Verkehrsunternehmer unterliegt aufgrund der Genehmigung bestimmten Pflichten, insbesondere einer Betriebspflicht (§ 21 PBefG) und einer Beförderungspflicht (§ 22 PBefG).358 Die Betriebspflicht wird konkretisiert durch die vom Verkehrsunternehmer aufzustellenden Fahrpläne, die der Zustimmung durch die Genehmigungsbehörde bedürfen (§ 40 Abs. 1 und 2 PBefG). Der Unternehmer ist verpflichtet, die Linie entsprechend dem Fahrplan zu betreiben.359 Die Beförderungsentgelte bedürfen ebenfalls der Zustimmung der Genehmigungsbehörde (§ 39 Abs. 1 PBefG (i. V. mit § 41 Abs. 3 und 45 Abs. 2 PBefG)), sie dürfen nicht unteroder überschritten werden und sind gleichmäßig anzuwenden (§ 39 Abs. 3 PBefG). Im Gegenzug zu seinen Pflichten erhält der Verkehrsunternehmer ein gut gesichertes Ausschließlichkeitsrecht auf der von ihm betriebenen Linie bzw. den von ihm betriebenen Linien. Während der Laufzeit der Genehmigung wird der Unternehmer durch § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG grundsätzlich davor geschützt, dass ein anderer Verkehrsunternehmer auf derselben Linie einen öffentlichen Verkehr betreibt.360 Gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG ist eine beantragte Genehmigung für einen Verkehr zu versagen, wenn durch diesen die öffentlichen Verkehrsinteressen beeinträchtigt werden. Ob dies der Fall ist, ist anhand einer die gesetzliche Reihenfolge einhaltenden Prüfung der Versagensgründe des § 13 Abs. 2 Nr. 2 lit. a – c PBefG zu untersuchen.361 Eine Genehmigung für einen weiteren Verkehr auf derselben Linie kann deshalb nur dann erteilt werden, wenn (1.) der Verkehr mit den vorhandenen Verkehrsmitteln nicht befriedigend bedient werden kann,362 (2.) der beantragte Verkehr entweder neue Verkehrsaufgaben wahrnehmen bzw. eine Lücke im Verkehrsangebot363 schließen soll oder bei Übernahme von Verkehrsaufgaben, die vorhandene Unternehmer oder Eisenbahnen bereits wahrnehmen, eine wesentliche Verbesserung der Verkehrsbedienung mit sich bringt und (3.) die vorhandenen Unternehmer oder Eisenbahnen nicht bereit sind, den Verkehr mit den Verbesserungen, die der neu beantragte Verkehr mit sich brächte, durchzuführen. Nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 lit. c PBefG muss den Altunternehmern zwingend zuerst die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre Verkehrsleistungen auszugestalten (Ausgestaltungsvorrang). Die Altunternehmer haben das gesetzlich vorgesehene Recht, ihre Verkehrsleistungen an-
357 Einzelheiten dazu bei Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 174 f.; Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 131, 139 f. 358 Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 131, 140. 359 Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 131, 140. 360 BVerwG, Urt. v. 11. 10. 1968, Az. VII C 111.66, BVerwGE 30, S. 251, 253, 256. 361 BVerwGE 30, S. 251, 253. 362 Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 549. 363 BVerwGE 30, S. 251, 253.
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zupassen und so eine Genehmigungserteilung an einen Neuunternehmer zu verhindern.364 Die Regelung des § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG führt in der Regel dazu, dass während der Laufzeit einer Liniengenehmigung ein anderer Bewerber keine Möglichkeit hat, eine Genehmigung für denselben Verkehr zu erhalten (Verbot der Doppelbedienung).365 Kann ein Verkehr annähernd kostendeckend nur durch ein Verkehrsunternehmen betrieben werden, führte die Erteilung einer zweiten Linienverkehrsgenehmigung für denselben Verkehr zu einem „ruinösen Wettbewerb“, der wiederum die öffentlichen Verkehrsinteressen beeinträchtigte.366 Es wird also während der Laufzeit der Genehmigung kein Verkehr auf derselben oder einer parallel verlaufenden Linie genehmigt, durch den die Wirtschaftlichkeit des bereits genehmigten Verkehrs gefährdet würde.367 2. Verfahren bei Neuerteilung der Genehmigung Im Folgenden soll aufgezeigt werden, welche Verfahrensanforderungen die Genehmigungsbehörden bei der Neuerteilung einer Genehmigung zu beachten haben. Dabei wird auch darauf eingegangen, welche Möglichkeiten Wettbewerbern in dieser Situation zur Verfügung stehen, um die Genehmigung anstatt des bisherigen Genehmigungsinhabers zu erhalten. a) Genehmigungswettbewerb Stellt nur ein Verkehrsunternehmer einen Antrag auf Erteilung der Genehmigung, wird die Genehmigung dem Antragsteller erteilt, wenn dieser die objektiven und subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen des § 13 PBefG erfüllt. Die Genehmigungsbehörde ist nicht verpflichtet, einen Wettbewerb zwischen Verkehrsunternehmen um die Erteilung der Genehmigung zu schaffen.368 Stellen mehrere Verkehrsunternehmer im Falle des Ablaufens einer Genehmigung einen Genehmigungsantrag für eine Linie oder ein Linienbündel und erfüllen alle diese Verkehrsunternehmer die subjektiven und objektiven Zulassungsvoraussetzungen des § 13 PBefG, so muss die – vom Aufgabenträger regelmäßig verschiedene – Genehmigungsbehörde eine Auswahlentscheidung treffen. Es handelt 364 Vgl. zum Ganzen BVerwGE 30, S. 251, 253 f.; BVerwG, Urt. v. 2. 7. 2003, Az. 3 C 46.02, BVerwGE 118, S. 270, 272, NJW 2003, S. 2696, 2697; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 165 f.; Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 131. 141. 365 BVerwGE 118, S. 270, 272 f, NJW 2003, S. 2696, 2697. 366 BVerwG, Urt. v. 6. 4. 2000, Az. 3 C 6.99, NVwZ 2001, S. 322, 323, DVBl 2000, S. 1614, 1615. 367 Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 131, 140 f. 368 Vgl. dazu unten A. I. 2. b); Tödtmann/Schauer, NVwZ 2008, S. 1, 6 (Direktvergabe); Wenzel/Denzin/Siederer, LKV 2008, S. 18, 20.
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sich hierbei um eine Ermessensentscheidung der Genehmigungsbehörde.369 Dieser sogenannte Genehmigungswettbewerb ergibt sich zwar nicht explizit aus § 13 PefG, er ist jedoch eine Folge aus dem in § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG verankerten Verbot der Doppelbedienung. Da nur ein Verkehrsunternehmer einen bestimmten Verkehr betreiben soll und deshalb nur ein Unternehmer die entsprechende Genehmigung erhält, muss eine Auswahlentscheidung zwischen den verschiedenen Antragstellern getroffen werden.370 Der Verkehrsunternehmer, der den Verkehr bisher betrieben hat (Altkonzessionär), verfügt aufgrund von § 13 Abs. 3 PBefG über eine privilegierte Stellung. Bei der Auswahlentscheidung ist es danach angemessen zu berücksichtigen, dass ein sich bewerbender Unternehmer den Verkehr jahrelang in einer dem öffentlichen Verkehrsinteresse entsprechenden Weise betrieben hat (Besitzstandsklausel). Diese Besitzstandsklausel führt nicht dazu, dass dem Altkonzessionär zwingend der Vorrang gegenüber Neubewerbern eingeräumt werden muss.371 Ein neuer Bewerber muss jedoch das „bessere Angebot“ machen, um sich gegenüber dem Altkonzessionär durchsetzen zu können.372 Bei der Auswahlentscheidung ist also in erster Linie darauf abzustellen, wer die – nach objektiven Gesichtspunkten zu prüfende – bessere Verkehrsbedienung anbietet.373 Welche die bessere Verkehrsbedienung ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles zu ermitteln.374 Es sind vorrangig die öffentlichen Verkehrsinteressen einschließlich der Frage der Qualität und der Kostengünstigkeit zu berücksichtigen.375 Außerdem sind bei der Bewertung der Angebote maßgeblich die Vorgaben des vom Aufgabenträger beschlossenen Nahverkehrsplans zu berücksichtigen. Dies ergibt sich aus § 13 Abs. 2a PBefG, demzufolge die Genehmigung versagt werden kann, wenn der beantragte Verkehr mit dem jeweils einschlägigen Nahverkehrsplan nicht in Einklang steht.376 Ein weiteres Kri369 BVerwG, NVwZ 2001, S. 320, 321, DVBl 2001, S. 1617, 1618; VGH Mannheim, Beschl. v. 1. 2. 2006, Az. 3 S 2407/05, DÖV 2006, S. 484; VGH Mannheim, Urt. v. 27. 11. 2003, Az. 3 S 709/03, DVBl. 2004, S. 843 (Leitsätze); Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 141 (Fn. 70); Werner, GewArch 2004, S. 89, 95; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 48. 370 Wenzel/Denzin/Siederer, LKV 2008, S. 18, 20. 371 VGH Mannheim, Urt. v. 27. 11. 2003, Az. 3 S 709/03, DVBl. 2004, S. 843 (Leitsätze); Werner, GewArch 2004, S. 89, 95. 372 BVerwG, Urt. v. 2. 7. 2003, Az. 3 C 46.02, BVerwGE 118, S. 270, 273, NJW 2003, S. 2696, 2697; kritisch Werner, GewArch 2004, S. 89, 95. 373 VGH Mannheim, DÖV 2006, S. 484; VGH Mannheim, Urt. v. 27. 11. 2003, Az. 3 S 709/03, DVBl. 2004, S. 843 (Leitsätze); VG Stade, NZBau 2005, S. 115, 118 (dort wurde die gegen eine erteilte Liniengenehmigung gerichtete Anfechtungsklage abgewiesen, weil das Angebot des Klägers keine Verbesserung gegenüber dem bisherigen und wieder genehmigten Betrieb darstellte). 374 Vgl. z. B. VG Stade, NZBau 2005, S. 115, 117 f. 375 BVerwG, NVwZ 2001, S. 320, 321, DVBl. 2000, S. 1617, 1618; BVerwG, NVwZ 2001, S. 322, 324, DVBl. 2000, S. 1614, 1617. 376 VG Stade, NZBau 2005, S. 115, 117 f.; Werner, GewArch 2004, S. 89, 97.
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terium ist die Integration der Nahverkehrsbedienung, die die Genehmigungsbehörde gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 PBefG fördern muss.377 b) Verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch Um das Berufsgrundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG der sich bewerbenden Verkehrsunternehmer zu wahren, muss das Auswahlverfahren bestimmte Verfahrensanforderungen erfüllen. Alle Verkehrsunternehmer müssen gleich behandelt werden (Art. 3 Abs. 1 GG),378 die Ausgestaltung des Verfahrens muss die Gewährleistung dafür bieten, dass tatsächlich von allen Bewerbern derjenige gefunden wird, der „am ehesten den gesetzten Anforderungen entspricht“. Die Genehmigungsbehörde hat die Pflicht, für eine „den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung zu sorgen“.379 Eine Konsequenz aus diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Auswahlverfahren ist, dass Verkehrsunternehmen, die sich auf ablaufende Liniengenehmigungen bewerben wollen, einen verfassungsunmittelbaren, auf Art. 12 GG beruhenden Anspruch gegen die Genehmigungsbehörden auf Auskunftserteilung bis zum 30. September eines Jahres über die im Folgejahr ablaufenden Genehmigungen mit deren Enddatum und Streckenverlauf haben. Dieser Auskunftsanspruch besteht unabhängig von einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Beteiligtenstellung.380 Aufgrund des in § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG enthaltenen Verbots der Doppelbedienung haben andere Verkehrsunternehmen erst bei Ablaufen einer Genehmigung die tatsächliche und rechtliche Gelegenheit, sich mit Aussicht auf Erfolg um die Erteilung einer Genehmigung zu bemühen. Wann jedoch die Genehmigungen für die Linien ablaufen, ist (neben dem Altkonzessionär) ausschließlich der Genehmigungsbehörde bekannt. Diese Information können sich interessierte Verkehrsunternehmen nicht aus öffentlich zugänglichen Quellen beschaffen. Ist diesen Verkehrsunternehmern jedoch der Zeitpunkt, zu dem die Genehmigungen ablaufen, unbekannt, haben sie faktisch keine Möglichkeit, sich um die Genehmigung zu bewerben. Ein solcher Zustand stellte eine Beeinträchtigung ihres Berufsgrundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG dar.381 Um den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG zu genügen, muss das Auswahlverfahren gewährleisten, dass tatsächlich von allen potenziellen Bewerbern derjenige gefunden wird, der „am ehesten den gesetzten Anforderungen entspricht“, d. h. der das beste Angebot für die Bedienung der jeweiligen Verkehrslinie abgibt. Um Neubewerbern die Teilnahme am Auswahlverfahren zu ermöglichen und so zu gewährleisten, dass derjenige Bewerber mit dem besten Angebot die Genehmigung 377
Werner, GewArch 2004, S. 89, 95. OVG Koblenz, LKV 2006, S. 276; VG Stade, NZBau 2005, S. 115, 118; Werner, GewArch 2004, S. 89, 95. 379 BVerwGE 118, S. 270, 274 f., NJW 2003, S. 2696, 2698; Werner, GewArch 2004, S. 89, 91. 380 BVerwGE 118, S. 270, NJW 2003, S. 2696. 381 BVerwGE 118, S. 270, 272 f., NJW 2003, S. 2696, 2697. 378
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erhält, steht Neubewerbern ein verfassungsunmittelbarer Auskunfts- und Informationsanspruch gegen die Genehmigungsbehörde auf Mitteilung der demnächst ablaufenden Genehmigungen und der Streckenführung der jeweiligen Linien zu.382 Die Genehmigungsbehörden sind aufgrund dieser Rechtsprechung nicht zur Schaffung eines Wettbewerbs durch Veröffentlichung von Informationen über ablaufende Liniengenehmigungen verpflichtet.383 Sie sind lediglich dazu verpflichtet, entsprechende Informationen auf Anfrage hin zu erteilen.384 Dies gilt, obwohl das Bundesverwaltungsgericht selbst den Wettbewerb um die Genehmigung als ein „Ausschreibungsverfahren im weiteren Sinne“ beschreibt.385 Eine Pflicht zur Veröffentlichung hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch gerade nicht festgelegt. Es handelt sich bei einem Genehmigungswettbewerb auch nicht um die Vergabe eines öffentlichen Auftrags, da die Genehmigungsbehörde nichts beschafft, sondern eine öffentlich-rechtliche Genehmigung erteilt. Insgesamt hat diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch eine wettbewerbsfördernde Wirkung, teilweise führen Genehmigungsbehörden nunmehr aktiv Genehmigungswettbewerbe durch, indem sie das bevorstehende Ablaufen von Genehmigungen öffentlich bekannt geben.386 Der Auskunfts- und Informationsanspruch ist in zweierlei Hinsicht begrenzt. Zunächst besteht kein Auskunftsanspruch hinsichtlich von Informationen, über die die Genehmigungsbehörde nicht ausschließlich verfügt, sondern die mit zumutbaren Anstrengungen aus allgemein zugänglichen Quellen beschafft werden können. Hierunter fallen Einzelangaben über Tarife und Fahrzeiten, die – wenn die jeweilige Linie einmal bekannt ist – aus allgemein zugänglichen Quellen wie Fahrplänen und Entgeltaufstellungen entnommen werden können.387
382
BVerwGE 118, S. 270, 274 f., NJW 2003, S. 2696, 2698. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch noch § 14 Abs. 1 PBefG. Nach dieser Vorschrift sind vor der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Genehmigung andere Verkehrsunternehmer, die im Einzugsbereich des beantragten Verkehrs bereits tätig sind, zu hören. Durch diese Regelung soll Transparenz geschaffen und anderen Verkehrsunternehmern ermöglicht werden, konkurrierende Genehmigungsanträge zu stellen (vgl. hierzu Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 131, 141). Allerdings wird durch § 14 Abs. 1 PBefG keine umfassende Transparenz geschaffen, da im Rahmen des Anhörverfahrens lediglich die bereits im Einzugsbereich des beantragten Verkehrs tätigen Unternehmer zu hören sind, nicht jedoch Newcomer. 384 Wenzel/Denzin/Siederer, LKV 2008, S. 18, 20; a. A. Werner (GewArch 2004, S. 89, 91, 97), der von einer Verpflichtung der Genehmigungsbehörde ausgeht, durch eine geeignete Ausgestaltung des Verfahrens einen Genehmigungswettbewerb zu organisieren. Die verfassungsrechtlichen Verfahrensanforderungen entsprächen im Wesentlichen den europarechtlichen Anforderungen an die Vergabe einer Dienstleistungskonzession. 385 BVerwGE 118, S. 270, 276, NJW 2003, S. 2696, 2698. 386 Vgl. Wenzel/Denzin/Siederer, LKV 2008, S. 18, 20 ff. (insbesondere zum sogenannten Wittenberger Modell); Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 48. 387 BVerwGE 118, S. 270, 275, NJW 2003, S. 2696, 2698. 383
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Darüber hinaus dürfen Neubewerbern keine Informationen erteilt werden, deren Preisgabe die berechtigten Interessen anderer Bewerber in nicht vertretbarer Weise beeinträchtigen würde. Deshalb ist der Auskunftsanspruch auf den zeitlichen Ablauf einer Genehmigung für eine Linie und deren Streckenführung begrenzt, da bei hierüber hinausgehenden Informationen die Gefahr besteht, dass unzulässigerweise Strategien und Geschäftsgeheimnisse des Altkonzessionärs preisgegeben werden.388 Eine Preisgabe solcher Informationen würde wiederum den Altkonzessionär in seinem Berufsgrundrecht (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzen. Ebenso wie die Neubewerber muss auch der Altkonzessionär durch die Ausgestaltung des Verfahrens in seinen Grundrechten geschützt werden. Ein potenzieller Neubewerber kann nur verlangen, in eine dem Altkonzessionär gleichwertige Ausgangslage gebracht zu werden, nicht aber, ihm gegenüber begünstigt zu werden. Insbesondere an dieser Stelle zieht das Bundesverwaltungsgericht eine Parallele zu Ausschreibungsverfahren. Grundregel solcher Verfahrens sei es, dass jeder Bewerber sein Angebot eigenständig und ohne Kenntnis des Angebots der übrigen Bewerber abgeben müsse.389 II. Gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen Die Voraussetzungen für die Genehmigung bei gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen ergeben sich aus § 13a PBefG. Neben den subjektiven und objektiven Genehmigungsvoraussetzungen des § 13 Abs. 1 und 2 Nr. 1 PBefG (vgl. § 13a Abs. 1 S. 2 PBefG) nennt § 13a Abs. 1 PBefG insbesondere zwei Voraussetzungen: Erstens muss die Genehmigung erforderlich sein für die Umsetzung einer Verkehrsleistung aufgrund einer Vereinbarung oder Auferlegung im Sinne der VO (EWG) 1191/69; zweitens muss bei der Vereinbarung oder Auferlegung der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistung diejenige Lösung gewählt worden sein, die die geringsten Kosten für die Allgemeinheit mit sich bringt (§ 13a Abs. 1 S. 1 PBefG). Ob die zweite Voraussetzung erfüllt ist, hat die Genehmigungsbehörde anhand der Verordnung zur Anwendung von § 13a Abs. 1 Satz 3 des Personenbeförderungsgesetzes390 (im Folgenden Geringste Kosten-Verordnung oder kurz GKVO) zu überprüfen. Gemäß § 1 Abs. 1 GKVO sind als geringste Kosten für die Allgemeinheit i. S. des § 13a PBefG und des Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) 1191/69 die Kosten einer gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistung anzusehen, die zu der niedrigsten Haushaltsbelastung für diejenige Behörde führt, die die gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistung entweder mit dem Verkehrsunternehmen vereinbart oder diesem 388 Z. B. Gestaltungen von Kopplungen der Bedienung verschiedener Linien, Linienteilungen, Aufnahmen von Fahrten anderer Unternehmer und Verzichte auf Beförderungsverbote (BVerwG, NJW 2003, S. 2696, 2698). 389 BVerwGE 118, S. 270, 275 f., NJW 2003, S. 2696, 2698. 390 Verordnung zur Anwendung von § 13a Abs. 1 Satz 3 des Personenbeförderungsgesetzes vom 15. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1705).
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auferlegt. Diese durch das Landesrecht zu bestimmende Behörde ist in aller Regel identisch mit dem Aufgabenträger des straßengebundenen ÖPNV. Die geringsten Kosten für die Allgemeinheit sind bei der Durchführung einer Verkehrsleistung auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung in der Regel gegeben, wenn die für die Vereinbarung zuständige Behörde eine gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistung im Wettbewerb vergeben und ein Vergabeverfahren nach Maßgabe der VOL Teil A Abschnitt 1 durchgeführt hat (§ 1 Abs. 2 S. 1 GKVO). Diese Regelung verpflichtet die Aufgabenträger nicht dazu, die Verkehrsleistungen im Rahmen eines Vergabeverfahrens nach dem 1. Abschnitt der VOL/A zu vergeben. Sie können die Verkehrsleistungen nach dieser Regelung auch freihändig vergeben. Allerdings wird der Nachweis der geringsten Kosten für die Allgemeinheit im Falle einer freihändigen Vergabe schwerer zu führen sein als bei einer Ausschreibung.391 Bei der Durchführung eines Vergabeverfahrens nach dem 1. Abschnitt der VOL/A (insbesondere einer öffentlichen Ausschreibung) gilt gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 GKVO der Nachweis der geringsten Kosten für die Allgemeinheit in der Regel als erbracht. Entsprechend der Intention des Gesetzgebers392 wird der zuständige Aufgabenträger deshalb bei gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV regelmäßig eine Ausschreibung durchführen. Nach der Vereinbarung der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistung zwischen dem Aufgabenträger und dem Verkehrsunternehmen hat dieses bei der Genehmigungsbehörde einen Antrag auf Genehmigung gemäß § 13a PBefG zu stellen. Gegenüber dem im Vergabeverfahren obsiegenden Unternehmen besteht grundsätzlich eine Pflicht der Genehmigungsbehörde zur Erteilung der Genehmigung.393 Bei der Auferlegung einer gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistung sind die geringsten Kosten für die Allgemeinheit im Zweifel gegeben, wenn ein Vergabeverfahren nach Maßgabe der VOL Teil A Abschnitt 1 nicht sachgerecht ist oder zu keinem Ergebnis geführt hat oder wenn eine vertragliche Vereinbarung aus anderen Gründen nicht zustande gekommen ist und die veranschlagten Kosten der Maßgabe der Verordnung PR Nr. 30/53394 entsprechen (§ 1 Abs. 3 S. 1 GKVO). Aus dieser Bestimmung kann auch entnommen werden, dass die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen gegenüber der vertraglichen Vereinbarung solcher Leistungen subsidiär ist. Nur wenn ein Vergabeverfahren nach der VOL/A Abschnitt 1 nicht sachgerecht ist oder es bereits durchgeführt wurde und kein Ergebnis erbracht hat, kommt eine Auferlegung unter Beachtung des öffentlichen Preisrechts in Betracht.395 391 Vgl. Begründung zur Geringste Kosten-Verordnung (dort I. 1.), abgedruckt in Fielitz/ Grätz, Personenbeförderungsgesetz, § 13a PBefG. 392 Vgl. BT-Drs. 12/6269, S. 144. 393 Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 131, 142. 394 Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen vom 21. November 1953 (BAnz. Nr. 244 vom 18. Dezember 1953), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 13. Juni 1989 (BGBl. I S. 1094). 395 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 177.
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Die Genehmigung bei gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen hat grundsätzlich dieselben Wirkungen wie die Genehmigung bei eigenwirtschaftlichen Verkehren. Auch bei gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen unterliegen die Verkehrsunternehmer der Betriebs-, Beförderungs-, Tarif- und Fahrplanpflicht.396 Die Genehmigung bezieht sich auf eine bestimmte Linie oder bestimmte Linien (§ 9 Abs. 1 und 2 PBefG). Im Gegensatz zur Genehmigung bei eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen gewährt die Genehmigung bei gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistung dem Inhaber jedoch keinen Bestandsschutz.397 III. Eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen und öffentliche Zuschussgewährung Die Frage, ob die Notwendigkeit öffentlicher Zuschüsse die Eigenwirtschaftlichkeit von Verkehrsleistungen ausschließt, war Gegenstand einer jahrelangen Auseinandersetzung im Schrifttum und in der Rechtsprechung. Da sich die verfahrensrechtlichen Anforderungen an das Genehmigungsverfahren deutlich unterscheiden, ist diese Frage auch von hoher praktischer Bedeutung. 1. Eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen trotz Zuschussgewährung Umstritten war zunächst, ob die Gewährung von Zuschüssen der öffentlichen Hand für defizitäre Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV diese zwingend zu gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen i. S. von § 13a PBefG macht, oder ob trotz der Gewährung von Zuschüssen ein eigenwirtschaftlicher Verkehr i. S. von § 13 PBefG vorliegen kann. Das OVG Magdeburg ging in einem Urteil vom 7. 4. 1998 noch davon aus, dass Zuschüsse der öffentlichen Hand einen Linienverkehr automatisch zu einem gemeinwirtschaftlichen Verkehr werden lassen.398 Aufgrund von Entscheidungen des BVerwG399 und des EuGH400 ist nunmehr jedoch höchstrichterlich geklärt, dass Verkehrsleistungen auch im Falle der Zuschussgewährung als eigenwirtschaftlich gelten können.
396
Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 177. Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 237; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 156. 398 OVG Magdeburg, Urt. v. 7. 4. 1998, Az. A 1/4 S 221/97, TranspR 1999, S. 27. 399 BVerwG, Beschl. v. 6. 4. 2000, Az. 3 C 7.99, DVBl. 2000, S. 1617, NVwZ 2001, S. 320. 400 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810. 397
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a) Beschluss des BVerwG vom 6. 4. 2000 Mit seinem Beschluss vom 6. 4. 2000 hat das BVerwG entschieden, dass die Zuschussbedürftigkeit eines Linienverkehrs – wenn allein auf das nationale Recht401 abgehoben wird – es nach dem eindeutigen Willen des nationalen Gesetzgebers nicht ausschließt, einen solchen Linienverkehr den eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen i. S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 PBefG zuzuordnen.402 Die Zuordnung der genannten Linienverkehre zu den eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen hängt davon ab, ob die erforderlichen Zuschüsse der öffentlichen Hand als Unternehmenserträge im handelsrechtlichen Sinne gemäß § 8 Abs. 4 S. 2 PBefG einzustufen sind. Nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte von § 8 Abs. 4 S. 2 PBefG sind vertragliche oder durch Bewilligungsbescheid geleistete Zuschüsse Erträge im handelsrechtlichen Sinn und somit eigenwirtschaftliche, die Eigenwirtschaftlichkeit nicht beseitigende Einnahmen.403 Der Unternehmer habe nach der Gesetzesbegründung ein Wahlrecht, ob er einen Verkehr eigen- oder gemeinwirtschaftlich betreiben wolle.404 Je nachdem, wie seine Entscheidung ausgefallen sei, habe er anschließend einen Genehmigungsantrag gemäß § 13 PBefG für eigenwirtschaftliche oder gemäß § 13a PBefG für gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen zu stellen. Wegen des zu großen Teilen defizitären Linienverkehrs im ÖPNV entfiele dieses vom Gesetzgeber gewollte Wahlrecht praktisch, wenn das Angewiesensein auf öffentliche Zuschüsse automatisch die Zuordnung zum gemeinwirtschaftlichen Verkehr zur Folge hätte.405 Was das Gemeinschaftsrecht betrifft, hat das BVerwG dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Art. 73 und 87 EG i. V. mit der VO (EWG) Nr. 1191/69 i. d. F. der VO (EWG) Nr. 1883/91 die Anwendung einer nationalen Regelung hindern, die die Vergabe von Linienverkehrsgenehmigungen im öffentlichen Personennahverkehr für Verkehre, die zwingend auf öffentliche Zuschüsse angewiesen sind, ohne Beachtung der Abschnitte II, III und IV der genannten VO zulässt.406 b) Urteil des EuGH vom 24. 7. 2003 – Altmark Trans Mit Urteil vom 24. 7. 2003 hat der EuGH die ihm durch das BVerwG vorgelegten Fragen (unter einem Vorbehalt) dahingehend beantwortet, dass nach Art. 1 Abs. 1 401 Mit dem sich das OVG Magdeburg ausdrücklich nicht beschäftigt hat (OVG Magdeburg, TranspR 1999, S. 27, 32). 402 BVerwG, DVBl. 2000, S. 1617, 1618, NVwZ 2001, S. 320, 321; BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 192; so auch OVG Lüneburg, Urt. v. 16. 9. 2004, Az. 7 LB 3545/01, NZBau 2005, S. 53, 56; VG Stade, Urt. v. 16. 9. 2004, Az. 1 A 463/03, NZBau 2005, S. 115, 116. 403 BVerwG, DVBl. 2000, S. 1617, 1618 f., NVwZ 2001, S. 320, 321; BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 192. 404 BT-Drs. 12/6269, S. 144. 405 BVerwG, DVBl. 2000, S. 1617, 1619, NVwZ 2001, S. 320, 321. 406 BVerwG, DVBl. 2000, 1617, 1619, NVwZ 2001, S. 320, 322.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
UAbs. 2 VO (EWG) 1191/69 die Möglichkeit für den nationalen Gesetzgeber bestand, auch zwingend auf öffentliche Zuschüsse angewiesene Verkehrsleistungen im ÖPNV vom Anwendungsbereich der VO (EWG) 1191/69 auszunehmen und die Anwendung dieser Verordnung auf die Fälle zu beschränken, in denen andernfalls eine ausreichende Verkehrsbedienung nicht möglich ist.407 Gemäß Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EWG) 1191/69 können die Mitgliedstaaten die Unternehmen, deren Tätigkeit ausschließlich auf den Betrieb von Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdiensten beschränkt ist, vom Anwendungsbereich dieser VO ausnehmen. Die Mitgliedstaaten haben aufgrund von Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EWG) 1191/69 jedoch nicht nur die Möglichkeit, Liniendienste im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr gänzlich vom Anwendungsbereich der VO (EWG) 1191/69 auszunehmen, sondern sie können diese Ausnahme auch eingeschränkt anwenden.408 Nachdem die Bundesrepublik Deutschland bis zum 31. 12. 1995 vollumfänglich von dieser Ausnahme Gebrauch gemacht hatte, ist seit dem 1. 1. 1996 die VO (EWG) 1191/69 nunmehr auf gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen anzuwenden. Der Anwendungsbereich der in Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EWG) 1191/69 vorgesehenen Ausnahme wurde verkleinert. Der EuGH schloss sich damit der von den Parteien des Rechtsstreits vertretenen Ansicht an. Diese hatten argumentiert, dass aufgrund der Möglichkeit, eine ganze Gruppe von Verkehrsleistungen von der Anwendung dieser Verordnung auszunehmen, es erst recht möglich sein muss, einen beschränkten Teil dieser Leistungen der Anwendung der VO (EWG) 1191/69 zu entziehen (nämlich die eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen).409 Der deutsche Gesetzgeber darf also grundsätzlich vorsehen, dass „bei eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen ohne Einhaltung der in der Verordnung Nr. 1191/69 festgelegten Bedingungen und Einzelheiten gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt und Zuschüsse gewährt werden können“.410 Begrifflich ist noch klarzustellen, dass die im Rahmen von eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen auferlegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen nicht mit gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen i. S. von § 13a PBefG gleichzusetzen sind. Es handelt sich auch nicht um Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes gemäß Art. 2 Abs. 1 VO (EWG) 1191/69, da die VO (EWG) 1191/69 auf eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen gerade nicht anwendbar ist. Der EuGH geht vielmehr von einem weiten, dem Art. 86 Abs. 2 EG (Betrauung mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse) entsprechenden Begriff der Gemeinwirtschaftlichkeit aus.411 Bei gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen in diesem Sinne 407
EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs- C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 57 ff. EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 57. 409 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810, Rn. 41, 52; Ronellenfitsch, VerwArch 2004, S. 425, 431 f. 410 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 57. 411 Metz, Der Nahverkehr10/2003, S. 24, 28; Theobald/Kafka, Der Nahverkehr 9/2003, S. 11, 12; Elste/Wiedemann, WiVerw 2004, S. 9, 15; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 7, 10. 408
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
257
handelt es sich demnach um Verpflichtungen zu Leistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse (Art. 16 EG).412 Der EuGH stellte seine Entscheidung jedoch unter den Vorbehalt der Wahrung des Grundsatzes der Rechtssicherheit. Um feststellen zu können, in welchem Fall die VO (EWG) 1191/69 anwendbar ist und in welchem Fall die Ausnahme gilt, müsse in den nationalen Rechtsvorschriften klar festgelegt sein, in welchem Umfang von der Ausnahmebefugnis des Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EWG) 1191/69 Gebrauch gemacht worden sei. Der EuGH sah hier „Raum für Zweifel“, da die Genehmigungen von Verkehrsdiensten, deren Betrieb öffentliche Zuschüsse erfordert, sowohl dem eigenwirtschaftlichen wie dem gemeinwirtschaftlichen Verkehr zugeordnet sein könnten und es letztendlich von dem vom Gesetzgeber gewollten Wahlrecht des Unternehmers abhänge, ob eine Genehmigung für eigen- oder gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen erteilt werde. Da die VO (EWG) 1191/69 auf eigenwirtschaftliche Verkehre nicht anwendbar sei, erstreckte sich eine etwaige Unsicherheit bei der Abgrenzung zwischen eigen- und gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen auch auf den Anwendungsbereich dieser Verordnung in der Bundesrepublik Deutschland.413 Die Beantwortung der Frage nach der Rechtssicherheit der Teilbereichsausnahme überantwortete der EuGH den deutschen Gerichten.414 Die aus einer möglicherweise fehlenden Rechtssicherheit der Teilbereichsausnahme zu ziehenden Konsequenzen hat der EuGH jedoch klargestellt: Sollte der Bestimmtheitsgrundsatz nicht gewahrt sein, wäre die VO (EWG) 1191/69 auch auf eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen anwendbar. Andernfalls hat der deutsche Gesetzgeber die Anwendung der VO (EWG) 1191/69 auf eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV wirksam ausgeschlossen. Die Rechtmäßigkeit von Zuschüssen für den straßengebundenen ÖPNV wäre dann am Maßstab des Beihilfenrechts (Art. 87 EG)415 bzw. konkret anhand der vier vom EuGH im Rahmen der Altmark Trans-Entscheidung aufgestellten Kriterien zu messen.416 2. Rechtssichere Teilbereichsausnahme Nachdem höchstrichterlich geklärt war, dass grundsätzlich ein eigenwirtschaftlicher Verkehr auch dann vorliegen kann, wenn dieser öffentliche Zuschüsse erhält, konzentrierte sich die Diskussion in der Folge auf die Frage der Rechtssicherheit der Teilbereichsausnahme. Im Anschluss an die durch den EuGH geäußerten Zweifel ging ein Teil der Rechtsprechung417 und der Literatur418 davon aus, dass die Vor412
Heinze, TranspR 2005, S. 373, 378. EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 60 ff. 414 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 58 ff. 415 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 65 f. 416 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 87 ff. Vgl. Dazu ausführlich Kapitel 2 D. I. 3. 417 OVG Koblenz, Beschl. v. 4. 11. 2005, Az. 7 B 11329/05, LKV 2006, S. 276, 277. 413
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
aussetzungen einer rechtsicheren Teilbereichsausnahme nicht gegeben seien, weshalb Zuschüsse nur nach Maßgabe der VO (EWG) 1191/69 gewährt werden dürften und bei einem Zuschussbedarf zwingend von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen i. S. von §§ 8 Abs. 4 S. 3, 13a PBefG auszugehen sei.419 Das Land Hessen schloss sich in einem Runderlass des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 12. 3. 2004 dieser Meinung an und machte sie zur Grundlage seiner Verkehrspolitik im Bereich des ÖPNV.420 Das BVerwG hat jedoch in seinem Urteil vom 19. 10. 2006421 entschieden, dass die unterschiedliche Regelung der Genehmigung eigen- und gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen in §§ 8 Abs. 4, 13, 13a PBefG eine rechtssichere Teilbereichsausnahme von der VO (EWG) 1191/69 darstellt.422 Die Anwendung der Ausnahmemöglichkeit des Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EWG) durch den deutschen Gesetzgeber genügt den nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit gebotenen Erfordernissen der Bestimmtheit und Klarheit. a) Teilbereichsausnahme Mit der Regelung über eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen in den §§ 8 Abs. 4 S. 1 und 2, 13 PBefG hat der deutsche Gesetzgeber eine auf Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EWG) 1191/69 gestützte Teilbereichsausnahme von der VO (EWG) 1191/69 angeordnet, da auf diese Verkehrsleistungen die VO (EWG) 1191/69 nicht anwendbar ist. Für die gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen hingegen ist gemäß §§ 8 Abs. 4 S. 3, 13a PBefG die VO (EWG) 1191/69 maßgebend, d. h. auf gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen ist die VO (EWG) 1191/69 anwendbar.423 418
38. 419
Vgl. nur Baumeister, NZBau 2003, S. 550, 551 f. oder Wachinger, WiVerw 2004, S. 27,
OVG Koblenz, LKV 2006, S. 276, 277. Vgl. hierzu ausführlich Lenz, Gutachten vom 14. 5. 2004, S. 8 ff. 421 BVerwG, Urt. v. 19. 10. 2006, Az. 3 C 33/05, NZBau 2007, S. 191, NVwZ 2007, S. 330. Da das Verfahren in der Rechtssache Altmark Trans nach Abschluss des Vorlageverfahrens beim EuGH wegen Erledigung eingestellt wurde, hat das BVerwG im Rahmen dieses Verfahrens keine Entscheidung mehr zur Frage der rechtssicheren Teilbereichsausnahme gefällt (zu Einzelheiten vgl. Ronellenfitsch, VerwArch 2004, S. 425 f. und Elste/Wiedemann, WiVerw 2004, S. 9, 10). 422 BVerwG, NZBau 2007, S. 191, NVwZ 2007, S. 330; ebenso OVG Lüneburg, NZBau 2005, S. 53, 56 f.; im Ergebnis ebenso VG Stade, NZBau 2005, S. 115, 116 f. Ebenso Lenz, NJW 2007, S. 1181 f.; Sellmann/Wiemann, Gutachten vom 20. 4. 2004, S. 9 ff.; Lenz, Gutachten vom 14. 5. 2004, S. 50 ff. (beide Gutachten abrufbar auf der Internetseite des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmer (www.vdv.de)); Ronellenfitsch, VerwArch 2004, S. 425, 440 f.; Metz, Der Nahverkehr 9/2003, S. 8, 9 f.; Elste/Wiedemann, WiVerw 2004, S. 9, 11 f.; Wenzel/Denzin/Siederer, LKV 2008, S. 18 f.; Tödtmann/Schauer, NVwZ 2008, S. 1, 4. A. A. Wachinger, NVwZ 2007, S. 401; Heinze, NVwZ 2007, S. 417, 418. 423 BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 192; NVwZ 330, 331; Lenz, NJW 2007, S. 1181 f.; Barth, NZBau 2007, S. 159; Ronellenfitsch, Der Nahverkehr 4/2004, S. 7; kritisch: Wachin420
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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b) Rechtssicherheit der Teilbereichsausnahme Angesichts des klaren, durch § 8 Abs. 4 PBefG vorgegebenen Rangverhältnisses zwischen eigen- und gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen enthalten die §§ 8 Abs. 4, 13, 13a PBefG auch eine rechtssichere Teilbereichsausnahme von der VO (EWG) 1191/69.424 Gemäß § 8 Abs. 4 S. 1 PBefG sind Verkehrsleistungen vorrangig eigenwirtschaftlich zu erbringen. Der Verkehrsunternehmer muss prüfen, ob er seiner Einschätzung nach den jeweiligen Verkehr kostendeckend erbringen kann. In seine Berechnung kann er neben den Fahrgeldeinnahmen auch die Erträge aus gesetzlichen Ausgleichs- und Erstattungsregelungen im Tarif- und Fahrplanbereich sowie sonstige ihm zufließende Unternehmenserträge im handelsrechtlichen Sinn (§ 8 Abs. 4 S. 2 PBefG) – wozu auch Zuschüsse der öffentlichen Hand gehören – einstellen. Kommt er zum Ergebnis, dass er den Verkehr kostendeckend bzw. gewinnbringend erbringen kann, kann bzw. wird er einen Antrag auf Genehmigung eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs stellen (§ 13 PBefG). Die Initiative liegt in diesem Fall beim Unternehmer.425 Kommt der Unternehmer zu dem Schluss, dass er den Verkehr mit den ihm zur Verfügung stehenden Finanzmitteln nicht kostendeckend erbringen kann, wird er keinen Genehmigungsantrag stellen. Soweit jedoch ein öffentliches Verkehrsbedürfnis besteht, muss der zuständige Aufgabenträger aktiv werden. Um eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen, muss dieser entsprechend der VO (EWG) 1191/69 einen Verkehrsvertrag mit einem Verkehrsunternehmer abschließen oder ggf. einem Verkehrsunternehmen die jeweiligen Verkehrsleistungen auferlegen. Die Initiative liegt in diesem Fall beim Aufgabenträger. Nach Abschluss eines Verkehrsvertrages (oder nach einer Auferlegung von Verkehrsleistungen) stellt der beauftragte Verkehrsunternehmer einen Genehmigungsantrag gemäß § 13a PBefG.426 Dem Verkehrsunternehmer steht also nach der Systematik der maßgebenden Vorschriften kein Wahlrecht zu, ob er einen Genehmigungsantrag nach § 13 PBefG oder § 13a PBefG stellen will.427 An einem solchen – nicht bestehenden – Wahlrecht ger, NVwZ 2007, S. 401, 402; Wachinger, WiVerw 2004, S. 27, 34 ff.; Heinze, NVwZ 2007, S. 417, 418. 424 BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 192 f.; NVwZ 2007, S. 330, 331 f.; Elste/Wiedemann, WiVerw 2004, S. 9, 11 f.; Metz, Der Nahverkehr 9/2003, S. 8, 9 f.; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 4. 425 BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 193, NVwZ 2007, S. 330, 332; OVG Lüneburg, NZBau 2005, S. 53, 57; Ronellenfitsch, Der Nahverkehr 4/2004, S. 7, 8; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 4. 426 BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 193, NVwZ 2007, S. 330, 332; OVG Lüneburg, NZBau 2005, S. 53, 57; Sellmann/Wiemann, Gutachten vom 20. 4. 2004, S. 13; Ronellenfitsch, Der Nahverkehr 4/2004, S. 7, 8. 427 BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 193, NVwZ 2007, S. 330, 332; Sellmann/Wiemann, Gutachten vom 20. 4. 2004, S. 12 f.; Lenz, Gutachten vom 14. 5. 2004, S. 76; Metz, Der Nahverkehr 9/2003, S. 8, 9; Elste/Wiedemann, WiVerw 2004, S. 9, 11; BLFA Straßenpersonen-
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des Unternehmers hatte der EuGH seine Zweifel an der Rechtssicherheit der Teilbereichsausnahme festgemacht. Das Wahlrecht des Unternehmers „beschränkt sich auf die Entscheidung, ob er auf eigenes Risiko mit den ihm zur Verfügung stehenden Finanzmitteln einen Linienverkehr betreiben will oder nicht“.428 Bejaht er diese Frage, „steht ihm der Genehmigungsweg nach § 13 PBefG offen“, verneint er sie, „liegt das weitere Vorgehen in der Hand des Aufgabenträgers“. Bei einer Genehmigung nach § 13 PBefG liegt „die Initiative beim Unternehmer, während im Falle des § 13a PBefG der Aufgabenträger initiativ werden muss“.429 Dass die Initiative im einen Fall beim Unternehmer, im anderen Fall beim Aufgabenträger liegt, wird nicht dadurch aufgehoben, dass in beiden Fällen der Unternehmer selbst den Genehmigungsantrag stellen muss.430 Bei der Unterscheidung danach, von wem die Initiative für den jeweiligen Verkehr ausgeht, hat das Bundesverwaltungsgericht ersichtlich nicht an die Stellung des Genehmigungsantrags angeknüpft. Aufgrund der „gestuften Konstruktion“ des § 8 Abs. 4 PBefG liegt immer entweder ein eigen- oder ein gemeinwirtschaftlicher Verkehr vor. Es ist eindeutig geregelt, auf welche Verkehrsleistungen die VO (EWG) 1191/69 anwendbar ist und auf welche nicht.431 c) Keine Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zuschüsse im Genehmigungsverfahren Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nach § 13 PBefG muss durch die Genehmigungsbehörde nicht geprüft werden, ob die dem Verkehrsunternehmen zu gewährenden Zuschüsse gemeinschaftsrechtlich zulässig sind oder ob es sich hierbei um unzulässige Beihilfen i. S. von Art. 87 EG handelt.432 Konkurrierende Ververkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 4; so auch Wachinger, WiVerw 2004, S. 27, 38. 428 BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 193, NVwZ 2007, S. 330, 332; OVG Lüneburg, NZBau 2005, S. 53, 57; Lenz, NJW 2007, S. 1181, 1182; Sellmann/Wiemann, Gutachten vom 20. 4. 2004, S. 13. 429 BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 193, NVwZ 2007, S. 330, 332; Sellmann/Wiemann, Gutachten vom 20. 4. 2004, S. 13; Lenz, Gutachten vom 14. 5. 2004, S. 76; Wachinger, WiVerw 2004, S. 27, 38; vgl. auch Ronellenfitsch, VerwArch 2001, S. 131, 140 ff.; Ronellenfitsch, Der Nahverkehr 4/2004, S. 7, 8. 430 Hierin sehen jedoch die Kritiker der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einen der Ansatzpunkte für ihre Kritik (vgl. Wachinger, NVwZ 2007, S. 401, 402; Barth, NZBau 2007, S. 159, 160). 431 BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 193, NVwZ 2007, S. 330, 332; OVG Lüneburg, NZBau 2005, S. 53, 57; Metz, Der Nahverkehr 9/2003, S. 8, 9; Elste/Wiedemann, WiVerw 2004, S. 9, 11; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 4. 432 BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 193, NVwZ 2007, S. 330, 332; OVG Lüneburg, NZBau 2005, S. 53, 56 f.; Lenz, NJW 2007, S. 1181, 1182; Barth, NZBau 2007, S. 159 f.; Metz, Der Nahverkehr 9/2003, S. 8, 9; Elste/Wiedemann, WiVerw 2004, S. 9, 12; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 5.
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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kehrsunternehmen sind darauf verwiesen, bei der Kommission Beschwerde gegen die Gewährung von Zuschüssen einzulegen, die sie für gemeinschaftsrechtlich unzulässig halten.433 Die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit der geleisteten Zuschüsse muss gleichwohl sichergestellt werden, d. h. die vier im Altmark Trans-Urteil des EuGH434 aufgestellten Kriterien müssen erfüllt oder die Beihilfe aus sonstigen Gründen gerechtfertigt sein.435 Nochmals sei darauf hingewiesen, dass sich aus diesen vier Kriterien jedoch keine Ausschreibungspflicht ergibt.436 3. Ergebnis Im straßengebundenen ÖPNV ist zwischen eigen- und gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen zu unterscheiden (§ 8 Abs. 4 PBefG). Die Zuschussbedürftigkeit eines Linienverkehrs stellt keinen Hinderungsgrund für dessen Zuordnung zu den eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen i. S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 PBefG dar und führt deshalb nicht zwangsläufig zur Ausschreibung, wie sie im Personenbeförderungsrecht für gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen grundsätzlich vorgesehen ist. Aufgrund der weiten Begriffsbestimmung des § 8 Abs. 4 PBefG werden Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV in der Praxis weit überwiegend auf der Grundlage von eigenwirtschaftlichen Genehmigungen erbracht.437 Stellt im Falle eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs nur ein Unternehmer einen Antrag, ist die Genehmigung diesem Unternehmer zu erteilen, wenn er die sonstigen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt. Werden durch mehrere Unternehmer Anträge gestellt, hat die Genehmigungsbehörde eine Auswahlentscheidung zu treffen (Genehmigungswettbewerb). Im Gegensatz dazu sehen die personenbeförderungsrechtlichen Vorschriften bei gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen grundsätzlich die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach dem 1. Abschnitt der VOL/A (insbesondere einer öffentlichen Ausschreibung) vor. Mit diesem Vergabeverfahren soll dasjenige Verkehrsunternehmen ermittelt werden, das die erforderlichen Verkehrsleistungen zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringt. Dieses Verkehrsunternehmen erhält anschließend die Genehmigung nach § 13a PBefG.
433
BVerwG, NZBau 2007, S. 191, 193 f., NVwZ 2007, S. 330, 332; Lenz, NJW 2007, S. 1181, 1182; kritisch: Wenzel/Denzin/Siederer, LKV 2008, S. 18, 19; Heinze, NVwZ 2007, S. 417, 419. 434 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 88 ff. 435 Tödtmann/Schauer, NVwZ 2008, S. 1, 7. 436 Vgl. Kapitel 2 D. I. 3. 437 Lenz, Gutachten vom 14. 5. 2004, S. 80; Wachinger, WiVerw 2004, S. 27.
262
4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
B. Anwendbarkeit des Vergaberechts auf gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen Aufgrund der Regelung des § 13a Abs. 1 PBefG i. V. mit § 1 Abs. 2 GKVO vergeben die Aufgabenträger gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistung im straßengebundenen ÖPNV regelmäßig im Wettbewerb und im Rahmen eines Vergabeverfahrens nach Maßgabe der VOL Teil A Abschnitt 1.438 Im Folgenden soll untersucht werden, ob die gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV auch unabhängig von diesem im Personenbeförderungsrecht enthaltenen Verweis auf die VOL Teil A Abschnitt 1 in einem förmlichen Vergabeverfahren vergeben werden müssen. Dies wäre der Fall, wenn es sich bei der Vergabe solcher Verkehrsleistungen um einen öffentlichen Auftrag i. S. der §§ 97 ff. GWB handelte (II. und III.). Vorrangig muss noch die Frage geklärt werden, ob die personenbeförderungsrechtlichen Regelungen die Anwendbarkeit des Vergaberechts als spezielleres Recht ausschließen (I.). I. § 13a PBefG i. V. mit der Geringste Kosten-Verordnung lex specialis? Nach der abschließenden Sonderregelung des § 15 Abs. 2 AEG können die Aufgabenträger gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im SPNV ausschreiben. Den Aufgabenträgern steht ein Ermessen dahingehend zu, ob sie ein förmliches Vergabeverfahren (insbesondere eine Ausschreibung) oder ein nicht dem Vergaberecht unterworfenes, jedoch gleichwohl transparentes Vergabeverfahren durchführen wollen.439 § 13a Abs.1 PBefG i. V. mit § 1 Abs. 2 GKVO betrifft – wie § 15 Abs. 2 AEG – das beim Abschluss von Verträgen über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen durch die Aufgabenträger anzuwendende Verfahren. Wie § 15 Abs. 2 AEG zwingt § 1 Abs. 2 GKVO die Aufgabenträger nicht dazu, ein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen. Allerdings ist im Bereich des straßengebundenen ÖPNV das Ermessen der Aufgabenträger dahingehend eingeschränkt, dass diese in der Regel ein förmliches Vergabeverfahren nach dem 1. Abschnitt der VOL/A durchführen müssen und deshalb nur ausnahmsweise auf eine freihändige Vergabe zurückgreifen dürfen. Angesichts dieser augenscheinlich bestehenden Parallelen stellt sich für die in § 13a PBefG i. V. mit der Geringste Kosten-Verordnung enthaltene Regelung die Frage, ob es sich hierbei ebenfalls um eine das Kartellvergaberecht (§§ 97 ff. GWB) verdrängende Sonderregelung handelt, die den Abschluss von Verkehrsverträgen abschließend regelt.440 Da die Geringste Kosten-Verordnung ausschließlich auf den 438
Vgl. oben A. II. Vgl. ausführlich Kapitel 8 B. 440 Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 336 ff.; Lück/Ortner, VergabeR 2005, S. 413, 414; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs 439
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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1. Abschnitt der VOL/A verweist, müsste in diesem Fall bei gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV auch bei Überschreiten der Schwellenwerte lediglich eine nationale, jedoch keine europaweite Ausschreibung erfolgen, die §§ 97 ff. GWB wären nicht anwendbar. Ausnahmsweise könnte nach dem Wortlaut von § 1 Abs. 2 Geringste Kosten-Verordnung eine freihändige Vergabe vorgenommen werden. 1. Gemeinschaftsrechtlicher Rahmen Wie bei § 15 Abs. 2 AEG441 soll Ausgangspunkt der Überlegungen die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV sein. Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 13a PBefG und der Geringste Kosten-Verordnung am 1. 1. 1996 noch gültige Richtlinie 92/50/EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie) stufte Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV als vorrangige Dienstleistungen ein, auf die gemäß Art. 8 die Verfahrensvorschriften der Richtlinie 92/50/EWG einschließlich der Verpflichtung zu einer europaweiten Bekanntmachung vollumfänglich anwendbar waren. Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV sind Dienstleistungen i. S. der Kategorie 2 des Anhangs I A zur Richtlinie 92/50/EWG (Landverkehr, CPC-Referenznummern 71211 – 71214) und damit vorrangige Dienstleistungen i. S. des Art. 8 dieser Richtlinie. Auch nach der derzeit gültigen Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie) handelt es sich bei Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV um vorrangige Dienstleistungen, auf die die Verfahrenbestimmungen der Richtlinie 2004/18/EG vollumfänglich anwendbar sind (Art. 20 Richtlinie 2004/18/EG i. V. mit Anhang II Teil A, Kategorie 2 Landverkehr, CPC-Referenznummern 71211 – 71214, CPV-Referenznummern 60112000-6, 60112100-7, 60112200-8, 60113000-3, 60113100-4, 60114000-0). 2. Nationales Recht Eine Regelung, die die Anwendung des aus der Umsetzung der Richtlinie 92/50/ EWG folgenden nationalen Vergaberechts zugunsten einer Anwendung der lediglich eine nationale Bekanntmachung erfordernden Vorschriften des 1. Abschnitts der VOL/A ausgeschlossen hätte, wäre mit den Vorgaben der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie nicht vereinbar gewesen. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zu Eisenbahnverkehrsleistungen, bei denen es sich um nachrangige Dienstleistungen handelt, auf die die Verfahrensvorschriften der Vergaberichtlinien nicht anwendbar sind. Bei den Eisenbahnverkehrsleistungen konnte der Gesetzgeber den im ÖPNV, 2006, S. 421 f.; tendenziell bejahend: BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 6; Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 545. 441 Vgl. Kapitel 8 B. I.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
Aufgabenträgern deshalb durch § 15 Abs. 2 AEG eine Ermessensentscheidung über die Anwendung des Vergaberechts einräumen.442 Eine das Vergaberecht von vorne herein ausschließende Regelung hätte der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen also nicht treffen können. Bei den Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV stellt sich deshalb – im Gegensatz zum SPNV443 – nicht die Frage, ob durch das Vergaberechtsänderungsgesetz (VgRÄndG) der Anwendungsbereich des Vergaberechts auf diese Leistungen ausgedehnt wurde. Sofern es sich hierbei um öffentliche Aufträge handelte, war das Vergaberecht bereits zu der Zeit der haushaltsrechtlichen Lösung auf die Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen anwendbar. Durch das VgRÄndG wurde vielmehr zur vollständigen Umsetzung der Vergaberichtlinien den Bietern subjektive Rechte eingeräumt (§ 97 Abs. 7 GWB) und das Nachprüfungsverfahren der §§ 102 ff. GWB eingeführt.444 Abgesehen von den gemeinschaftsrechtlichen Grenzen beziehen sich § 13a PBefG i. V. mit § 1 Abs. 2 GKVO auch auf eine andere Regelungsmaterie als das Vergaberecht und treffen keine Regelung bezüglich dessen Anwendbarkeit. Aufgrund der in der Geringste Kosten-Verordnung getroffenen Regelung werden die Aufgabenträger mit Blick auf das Genehmigungsverfahren regelmäßig eine öffentliche Ausschreibung durchführen, um auf diese Weise den Nachweis der geringsten Kosten für die Allgemeinheit zu erbringen (vgl. § 13a Abs. 1 PBefG). § 1 Abs. 2 GKVO dient dazu, im Genehmigungsverfahren den Nachweis zu ermöglichen, dass diejenige Lösung gewählt wurde, die die geringsten Kosten für die Allgemeinheit mit sich bringt. Die VK Hessen charakterisiert den § 1 Abs. 2 Geringste Kosten-Verordnung aus diesem Grund als „bloße Beweisregel“.445 Auch wenn er das beim Abschluss von Verkehrsverträgen anzuwendende Verfahren betrifft, ist § 1 Abs. 2 GKVO deshalb im Kontext des Personenbeförderungsrechts zu sehen. Er dient dazu, den Nachweis des Vorliegens der Genehmigungsvoraussetzungen zu ermöglichen. Der Zusammenhang mit dem personenbeförderungsrechtlichen Genehmigungsverfahren ergibt sich auch aus der systematischen Stellung der Geringste Kosten-Verordnung, die als Rechtsverordnung zu der das Genehmigungsverfahren betreffenden Vorschrift des § 13a PBefG erlassen wurde. Die Wirkung von § 1 Abs. 2 GKVO ist damit auch auf das Personenbeförderungsrecht begrenzt. § 1 Abs. 2 GKVO hat nicht die über das Personenbeförderungsrecht hinausgreifende Wirkung, dass er die Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts auf die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV ausschließt. Im Gegensatz hierzu räumt § 15 Abs. 2 AEG den Aufgabenträgern (ohne Zusammenhang
442
Vgl. Kapitel 8 B. I. 2. und II. 1. Vgl. Kapitel 8 B. II. 3. 444 Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 163 ff. 445 VK Hessen, Beschl. v. 23. 6. 2006, Az. 69d-VK-26/2006, S. 19 f. des Umdrucks (nicht abgedruckt in NZBau 2006, S. 534). 443
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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zum gewerberechtlichen Genehmigungsverfahren nach § 6 AEG) ein Ermessen hinsichtlich der Anwendbarkeit des Vergaberechts ein. Darüber hinaus stehen § 13a PBefG i. V. mit der Geringsten Kosten-Verordnung nach ihrem Sinn und Zweck einer Anwendung des Kartellvergaberechts nicht entgegen, da es sich hierbei um eine wettbewerbs- und ausschreibungsfreundliche Regelung handelt. In der Gesetzesbegründung zu § 13a PBefG wird ausgeführt, dass die öffentlichen Haushalte regelmäßig dann möglichst wenig belastet würden, „wenn der Unternehmer mit dem geringsten Subventionsbedarf ausgewählt wird, insbesondere wenn dies das Ergebnis einer Ausschreibung“ sei.446 Das Nähere soll durch eine Rechtsverordnung gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 7 PBefG geregelt werden. Dementsprechend wurde dann in der Geringste Kosten-Verordnung festgelegt, dass die geringsten Kosten für die Allgemeinheit bei der Durchführung einer Verkehrsleistung auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung in der Regel gegeben sind, wenn der Aufgabenträger ein Vergabeverfahren nach dem 1. Abschnitt der VOL/A durchgeführt hat. Durch diese Regelung wird ein fiskalisches Schutzziel angestrebt, die öffentlichen Haushalte sollen durch gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen in möglichst geringem Maße belastet werden. Auch wenn das auf europäischem Recht beruhende Kartellvergaberecht in erster Linie das Ziel der Öffnung der Beschaffungsmärkte der Mitgliedstaaten für den unverfälschten Wettbewerb verfolgt, kann oberhalb der Schwellenwerte das mit § 13a PBefG verfolgte fiskalische Schutzziel der geringsten Kosten für die Allgemeinheit gleichermaßen durch eine europaweite Ausschreibung nach dem 2. Abschnitt der VOL/A erreicht werden. 3. Ergebnis Trotz der vordergründig bestehenden Parallelen ist also in § 13a PBefG i. V. mit der Geringsten Kosten-Verordnung im Gegensatz zu § 15 Abs. 2 AEG keine lex specialis gegenüber den §§ 97 ff. GWB zu sehen. Oberhalb der Schwellenwerte sind gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV, soweit es sich um öffentliche Aufträge i. S. von § 99 Abs. 1 GWB handelt, grundsätzlich nach den Vorschriften des 2. Abschnitts der VOL/A447 europaweit auszuschreiben.448 Das Angebot, das die geringsten Kosten für die Allgemeinheit mit sich bringt, wird dann im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung ermittelt. Um einen Gleichklang mit den vergaberechtlichen Anforderungen zu ermöglichen, ist § 1 Abs. 2 GKVO deshalb dahingehend auszulegen, dass dieser bei Überschreiten der Schwellenwerte auf
446
BT-Drs. 12/6269, S. 144. § 4 Abs. 1 VgV, § 1a Nr. 2 Abs. 1 VOL/A i. V. mit Anhang I A Kategorie 2. 448 Im Ergebnis ebenso Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 336 ff.; Lück/Ortner, VergabeR 2005, S. 413, 414; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 180; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 150; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 421 f., 428. 447
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
den 2. Abschnitt der VOL/A verweist.449 Eine solche Auslegung ist auch deshalb möglich, weil § 1 Abs. 2 GKVO nicht starr und unverrückbar auf den 1. Abschnitt der VOL/A verweist, sondern andere Formen der Vergabe (wie bspw. die freihändige Vergabe) zulässt, solange hierdurch der Nachweis der geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbracht wird. Auch wenn ggf. die vorgesehene Regelvergabe nach dem 1. Abschnitt der VOL/A zugunsten einer Vergabe nach dem 2. Abschnitt der VOL/A verschoben wird, handelt es sich bei einer Vergabe nach dem 2. Abschnitt der VOL/A doch um eine Vergabeform, mit der der Nachweis der geringsten Kosten erbracht werden kann. Unterhalb der Schwellenwerte ist wegen § 13a PBefG i. V. mit der Geringste Kosten-Verordnung in der Regel eine nationale Ausschreibung durchzuführen.450 II. Öffentliche Auftraggeber, § 98 GWB Aufgabenträger des straßengebundenen ÖPNV und damit zuständig für die Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen sind die Stadt- und Landkreise. Diese sind öffentliche Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 1 GWB. Zweckverbände, deren Mitglieder Kommunen und damit Gebietskörperschaften sind, sind öffentliche Auftraggeber gem. § 98 Nr. 3 GWB.451 Aufgabenträgerverbände und Bestellerorganisationen jeweils in privater Rechtsform, die Aufgabenträger des ÖPNV einzeln oder gemeinsam gründen, um ihre Aufgaben im Bereich des ÖPNV wahrzunehmen (wozu auch der Abschluss von Verkehrsverträgen gehört), sind regelmäßig Auftraggeber i. S. von § 98 Nr. 2 GWB (vgl. ausführlich dazu Kapitel 8 C. I.).452
449
Lück/Ortner, VergabeR 2005, S. 413, 414; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 150; ähnlich Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, S. 428. 450 Ob die Basisparagrafen der VOL/A in diesem Fall ggf. auch aufgrund von Haushaltsrecht Anwendung finden, soll hier außer Betracht bleiben. 451 Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 174; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 154; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 368; Bsp: VK Düsseldorf, Beschl. v. 3. 3. 2000, Az. VK-1/2000-L, S. 8. 452 Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 155 f.; Bsp: VK Hessen, Beschl. v. 23. 6. 2006, Az. 69d-VK-26/2006, S. 19 des Umdrucks (in NZBau 2006, S. 534 nicht abgedruckt). Land- und Stadtkreise, Zweckverbände oder von diesen gegründete und mit der Organisation des ÖPNV beauftragte privatrechtliche Gesellschaften können Inhaber einer Linienverkehrsgenehmigung (Konzession) sein, ohne über eigene Fahrzeuge oder eigenes Fahrpersonal zu verfügen. Wenn sie die Personenbeförderung einem Dritten überlassen wollen, ohne jedoch die Konzession übertragen zu müssen, betrauen sie entweder Subunternehmer mit der Beförderung oder übertragen einem Dritten die Betriebsführung gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 PBefG. Um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen, sollen die hiermit zusammenhängenden vergaberechtlichen Fragestellungen hier nicht erörtert werden (vgl. dazu ausführlich Lück/Ortner, VergabeR 2005, S. 413, 415 ff.; Bsp: VK Lüneburg, Beschl. v. 15. 11. 1999, Az. 203-VgK-12/99).
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III. Öffentlicher Auftrag, § 99 Abs. 1, 4 GWB Bei Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV handelt es sich um Dienstleistungen i. S. der §§ 97 Abs. 1, 99 Abs. 1 und 4 GWB.453 Dies ergibt sich auch aus der Aufnahme der Verkehrsleistungen in den Katalog des Anhangs II Teil A der Richtlinie 2004/18/EG i. V. mit Art. 20 dieser Richtlinie454 bzw. des Anhangs I A zum 2. Abschnitt der VOL/A. Von der Kategorie 2 Landverkehr werden auch Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV umfasst.455 1. Öffentlich-rechtlicher Vertrag Wie beim SPNV handelt es sich auch bei einer vertraglichen Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV (§ 8 Abs. 4 S. 3 PBefG, Art. 14 VO (EWG) 1191/69) um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, da diese ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts begründet (§ 54 S. 1 VwVfG).456 Hierdurch wird jedoch das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags nicht gehindert, da der Abschluss eines Verkehrsvertrages nicht die Ausübung öffentlicher Gewalt, sondern die Beschaffung von Marktleistungen zum Gegenstand hat.457 Die Aufgabenträger müssen eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV sicherstellen (§ 1 Abs. 1 RegG). Zu diesem Zweck bestellen sie in dem erforderlichen Umfang Verkehrsleistungen des straßengebundenen ÖPNV bei den als Wirtschaftsunternehmen auf einem Markt tätigen Verkehrsunternehmen. Der BGH bezeichnet diesen Markt als „Aufgabenträgermarkt“.458 Eine Vielzahl von Verkehrsunternehmen bemüht sich um den Abschluss von Verkehrsverträgen mit den Aufgabenträgern bzw. nimmt an der zunehmenden Zahl an Ausschreibungen teil.459 2. Entgeltliche Verträge Verträge über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV sind entgeltliche Verträge. Die Verkehrsunternehmen erhalten für die Erbringung der Verkehrsleistungen ein vertraglich festgelegtes Entgelt von den Aufgabenträgern, das entweder die Tarifeinnahmen ergänzt (Nettovertrag) oder die
453 454 455 456 457 458 459
Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 368. Früher Art. 8 der Richtlinie 92/50/EWG i. V. mit deren Anhang I A. Vgl. oben B. I. 1. Vgl. Kapitel 8 C. II. 2. a). Vgl. Kapitel 8 C. II. 2. c), d) und e). BGH, NJW-RR 2006, S. 836, 838; vgl. dazu ausführlich Kapitel 8 C. II. 2. e). Vgl. z. B. den Wettbewerbsbericht 2006 der Deutschen Bahn AG, S. 20 f.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
Einnahmen miteinschließt (Bruttovertrag), Art. 14 Abs. 2 lit. b VO (EWG) 1191/69 [vgl. ausführlich Kapitel 8 C. I. 1. a)].460 Da das Verkehrsunternehmen gegenüber dem Aufgabenträger vertraglich zur Erbringung der Verkehrsleistungen verpflichtet ist, handelt es sich bei Verkehrsverträgen i. S. von Art. 14 VO (EWG) 1191/69 nicht um Zuschussverträge.461 Während es sich bei Bruttoverträgen um öffentliche Dienstleistungsaufträge handelt, kann es sich bei Nettoverträgen auch um nicht dem Vergaberecht unterfallende Dienstleistungskonzessionen handeln.462 3. § 100 Abs. 2 GWB Die Anwendbarkeit der §§ 97 ff. GWB auf Verkehrsverträge über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV ist auch nicht aufgrund eines der Ausnahmetatbestände des § 100 Abs. 2 GWB ausgeschlossen.463 Einer genaueren Prüfung soll hier lediglich § 100 Abs. 2 lit. g GWB unterzogen werden.464 § 100 Abs. 2 lit. g GWB setzt zunächst voraus, dass ein Auftrag an eine Person vergeben wird, die ihrerseits öffentlicher Auftraggeber nach § 98 Nr. 1, 2 oder 3 GWB ist. Beim Abschluss eines Verkehrsvertrages mit einem kommunalen Verkehrsunternehmen (§ 98 Nr. 2 GWB) könnte diese Voraussetzung u. U. erfüllt sein.465 Die weitere Voraussetzung des § 100 Abs. 2 lit. g GWB ist jedoch, dass ein solcher Auftragnehmer ein auf Gesetz oder Verordnung beruhendes ausschließliches Recht zur Erbringung der Leistung hat. Als ausschließliches Recht in diesem Sinne könnte die Genehmigung nach § 13a PBefG in Betracht kommen. Unterstellt man einmal das Vorliegen eines ausschließlichen Rechts, erfüllt eine Genehmigung gemäß § 13a PBefG trotzdem aus zwei Gründen die Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 lit. g GWB nicht. Erstens stünde dem Verkehrsunternehmen dieses ausschließliche Recht nicht 460 Ein Beispiel für einen Bruttovertrag sind die sog. Bestellleistungen in dem von der Kommission gegen Österreich geführten Vertragsverletzungsverfahren „Busdienstleistungen Lienz“, für die ein jährliches festes Entgelt in Höhe von 527.000 EUR zu bezahlen war (vgl. Kommission, Schreiben im Vertragsverletzungsverfahren „Busdienstleistungen Lienz“ vom 13. 10. 2004, C(2004) 3808, abgedruckt im Bindungsteil der NZBau 2005, Heft 1, S. VII f.). 461 Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 370 f.; vgl. Kapitel 8 C. II. 1. b) ee). 462 Vgl. zur Dienstleistungskonzession unten B. III. 4. und Kapitel 8 C. III. 463 Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 343; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 157 f.; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 177; zu Art. 6 der Richtlinie 92/50/EWG (auf dem § 100 Abs. 2 lit. g GWB beruht) vgl. auch Kommission, Schreiben im Vertragsverletzungsverfahren „Busdienstleistungen Lienz“ vom 13. 10. 2004, C(2004) 3808, abgedruckt im Bindungsteil der NZBau 2005, Heft 1, S. VIII f. 464 Vgl. zu § 100 Abs. 2 lit. i GWB Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 343 und zu § 100 Abs. 2 lit. f und i GWB Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 177. 465 Vgl. Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 174 f.; insofern bereits zweifelnd Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 391.
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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aufgrund eines Gesetzes oder einer Verordnung zu, sondern lediglich aufgrund eines Verwaltungsaktes der Genehmigungsbehörde.466 Und zweitens müsste das ausschließliche Recht dem Verkehrsunternehmen bereits vor der Auftragserteilung zustehen, die Genehmigung nach § 13a PBefG wird jedoch erst nach Abschluss des Verkehrsvertrages durch die Genehmigungsbehörde erteilt (vgl. § 13a Abs. 1 Satz 1 PBefG).467 4. Dienstleistungskonzession Zu untersuchen ist noch, ob bzw. ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen eine Dienstleistungskonzession sein kann.468 a) Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe Mit einem Verkehrsvertrag wird dem jeweiligen Verkehrsunternehmen die Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden öffentlichen Aufgabe übertragen. Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV ist eine den Aufgabenträgern obliegende Aufgabe der Daseinsvorsorge. Durch die gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen, die das jeweilige Verkehrsunternehmen aufgrund des Verkehrsvertrags erbringt, soll die ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV sichergestellt werden.469 b) Recht zur Nutzung Durch den Verkehrsvertrag erhält das jeweilige Verkehrsunternehmen als Gegenleistung für die Erbringung der Verkehrsleistungen auch regelmäßig das Recht, diese Leistungen dadurch zu nutzen und zu verwerten, dass es von seinen Fahrgästen für die von diesen in Anspruch genommenen Verkehrsleistungen Fahrgelder erhebt.470 466 Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 343; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 177. 467 Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 343; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 157 f.; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 177; im Ergebnis ebenso Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 391. 468 Vgl. zur Dienstleistungskonzession allg. Kapitel 6 und zum SPNV Kapitel 8 C. III. 469 So für gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen auch Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604; Lück/Ortner, VergabeR 2005, S. 413, 417; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 386. 470 Hüser, Privatisierungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 340; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, S. 326, 327; insoweit zustimmend VK Düsseldorf, Beschl., v. 18. 2. 2000, Az. VK-1/ 2000-L, S. 9; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 178; Berger, Der Nahverkehr 7 – 8/2000, S. 41; Lück/Ortner, VergabeR 2005, S. 413, 417, insofern auch zustimmend Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 178 und VK Düsseldorf, Beschl. vom 3. 3. 2000, Az. VK-1/2000-L, S. 9. Für den SPNV: OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634, 635; Prieß, NZBau 2002, S. 539, 545.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
aa) VK Darmstadt, Beschluss vom 23. 6. 2006 Die VK Darmstadt hat in ihrem Beschluss vom 23. 6. 2006471 zu dieser Frage jedoch eine andere Ansicht vertreten und das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession mit dem Argument verneint, dass mit dem Abschluss eines Verkehrsvertrags über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV kein dem Aufgabenträger originär zustehendes Verwertungsrecht übertragen werde. Die Übertragung eines solchen Verwertungsrechts, welches der Konzessionsnehmer an Stelle des Konzessionsgebers erhalte, sei jedoch eine notwendige Voraussetzung für eine Dienstleistungskonzession.472 Auch eine Dienstleistungskonzession erfordere eine synallagmatische Gegenleistung. Die Erbringung einer Gegenleistung setze das Recht voraus, über den Gegenstand dieser Gegenleistung verfügen zu können. Die Übertragung des Rechts zur Nutzung der Dienstleistung könne nur dann als Gegenleistung in diesem Sinne verstanden werden, wenn die Verwertung des Rechts „originär Sache des öffentlichen Auftraggebers“ sei und der Auftragnehmer dieses Recht „an Stelle des öffentlichen Auftraggebers von diesem“ erhalte.473 Die Verwertung des Rechts sei originär Sache des öffentlichen Auftraggebers, wenn diesem die Verwertung des zu übertragenden Rechts entweder kraft gesetzlicher Zuweisung (Bsp. Sammlung und Verwertung von Wertstoffen) oder auf Grund seiner Eigentümerstellung (Bsp. Betrieb eines Parkplatzes) obliege.474 Da bei einer Dienstleistungskonzession das originär dem öffentlichen Auftraggeber zustehende Verwertungsrecht auf einen Dritten übertragen werde, stehe aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers nicht der Beschaffungsvorgang im Vordergrund, sondern die in der Übertragung dieses Rechts liegende Verwertungshandlung.475 Der Auftraggeber könne entscheiden, ob er das wirtschaftliche Risiko der Verwertung selbst tragen oder auf einen Dritten abwälzen wolle. Dass der Unternehmer das Risiko der Verwertung trage, sei nicht Tatbestandsmerkmal einer
471
VK Darmstadt, Beschl. v. 23. 6. 2006, Az. 69d-VK-26/2006, NZBau 2006, S. 534. VK Darmstadt, NZBau 2006, S. 534. In eine ähnliche Richtung argumentieren auch die VK Düsseldorf, Beschl. v. 3. 3. 2000, Az. VK-1/2000-L, S. 9; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 178; Berger, Der Nahverkehr 7 – 8/2000, S. 41. 473 VK Darmstadt, NZBau 2006, S. 534, 535. 474 VK Darmstadt, NZBau 2006, S. 534, 535. 475 So auch Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 178. Für die VK Düsseldorf ist (in Anlehnung an den in der Energie- oder Wasserversorgung etablierten Konzessionsbegriff) die entscheidende Voraussetzung für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession, dass ein Dritter die Erlaubnis erhält, Rechte oder tatsächliche Vorteile, die der öffentlichen Hand zustehen, wirtschaftlich zu nutzen und der Dritte hierfür eine Abgabe an die öffentliche Hand bezahlt. Da das Verkehrsunternehmen im entschiedenen Fall jedoch keine Abgabe an die betroffenen Aufgabenträger bezahlt hat, sondern vielmehr diese dem Verkehrsunternehmen einen Zuschuss für die Erbringung der Verkehrsleistungen zahlen mussten, liege keine Dienstleistungskonzession vor. Die Aufgabenträger kauften die Verkehrsleistungen im Ergebnis ein (VK Düsseldorf, Beschl. v. 3. 3. 2000, Az. VK-1/2000-L, S. 9). Zustimmend Berger, Der Nahverkehr 7 – 8/2000, S. 41. 472
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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Dienstleistungskonzession, sondern lediglich die zwangsläufige Folge der Übertragung des Verwertungsrechts.476 Bei einem Verkehrsvertrag über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV fehle es an der Übertragung eines solchen, der öffentlichen Hand zustehenden Rechts, da das Recht zur Erbringung von Verkehrsleistungen den Verkehrsunternehmen und nicht der öffentlichen Hand zustehe. Die Erbringung von Verkehrsleistungen stehe den Aufgabenträgern nicht originär in ihrer Eigenschaft als Träger hoheitlicher Gewalt zu, sondern sie hätten lediglich die Möglichkeit, den Verkehr wie ein Unternehmer (und im Wettbewerb mit diesen) auf der Grundlage einer Genehmigung nach § 13a PBefG zu betreiben. Die Genehmigung nach § 13a PBefG verleihe dem Unternehmer auch nicht das Recht, an Stelle des Aufgabenträgers den Verkehr zu betreiben. Es handele sich deshalb in dem von der VK Darmstadt entschiedenen Fall um einen Beschaffungsvorgang und öffentlichen Auftrag, nicht jedoch um eine Dienstleistungskonzession.477 bb) Kritik Entgegen der Auffassung der VK Darmstadt, die auf die „Besonderheiten“ des entschiedenen Falles hinweist,478 führte diese Auffassung zwangsläufig dazu, dass Verträge über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV in keinem Fall Dienstleistungskonzessionen sein könnten.479 Den Aufgabenträgern steht aufgrund der bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht originär das Recht zu, Verkehrsleistungen zu erbringen. Die Verkehrsunternehmen können ein solches Recht also nicht an Stelle des Aufgabenträgers von diesem erhalten. Die Aufgabenträger bestellen vielmehr bei den Verkehrsunternehmen die zur Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV notwendigen Verkehrsleistungen. Die Entscheidung der VK Darmstadt ist unter mehreren Gesichtspunkten abzulehnen. Unzutreffend ist zunächst der Ansatz der VK Darmstadt, bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession handele es sich nicht um einen Beschaffungsvorgang, sondern um eine Verwertungshandlung des öffentlichen Auftraggebers. Ein öffentlicher Auftraggeber kann sich einerseits dafür entscheiden, eine ihm obliegende Dienstleistung selbst zu erbringen und die mit der Leistungserbringung verbundenen wirtschaftlichen Risiken zu tragen. Entscheidet er sich jedoch dafür, die Erbringung der Dienstleistung auf einen Dritten zu übertragen, so tritt er auch im
476
VK Darmstadt, NZBau 2006, S. 534, 535. VK Darmstadt, NZBau 2006, S. 534, 535; so auch Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 178; VK Düsseldorf, Beschl. v. 3. 3. 2000, Az. VK-1/2000-L, S. 9. 478 VK Darmstadt, NZBau 2006, S. 534, 536. 479 Auch für Kulartz, der ähnlich argumentiert, kann es sich deshalb bei einem Verkehrsvertrag über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen nicht um eine Dienstleistungskonzession handeln (Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 178). 477
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Falle einer Dienstleistungskonzession als Nachfrager auf, nämlich als Nachfrager einer durch einen Dritten zu erbringenden gemeinwohlorientierten Leistung.480 Die Abgrenzung zwischen öffentlichem Auftrag und Dienstleistungskonzession ist nach der Definition des Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG und der insofern mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des EuGH in erster Linie anhand der Gegenleistung, die der Auftragnehmer erhält, und der Frage der Verteilung des wirtschaftlichen Risikos vorzunehmen. Während bei einem öffentlichen Auftrag der Auftragnehmer unmittelbar vom öffentlichen Auftraggeber ein Entgelt für seine Dienstleistung erhält, wird dem Dienstleistungserbringer bei einer Dienstleistungskonzession als Gegenleistung das Recht zur Verwertung seiner Dienstleistung eingeräumt.481 Ob der öffentliche Auftraggeber ein ihm originär zustehendes Recht zur Erbringung einer Dienstleistung überträgt (weshalb die VK Darmstadt von einer Verwertungshandlung ausgeht), ist für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession unerheblich. Entscheidend für eine Dienstleistungskonzession ist vielmehr, dass dem Dienstleistungserbringer als Gegenleistung ein Verwertungsrecht eingeräumt wird, das darin besteht, von den Nutzern der Dienstleistung ein Entgelt erheben zu dürfen. Was den ÖPNV anbelangt, ist Voraussetzung für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession also nicht die Übertragung eines – den Aufgabenträgern nicht originär zustehenden – Rechts zur Erbringung von Verkehrsleistungen, sondern die Einräumung des Rechts zur Nutzung dieser Verkehrsleistungen durch den Verkauf von Fahrkarten. Dies wird bestätigt durch das speziell den ÖPNV betreffenden Urteil des EuGH in der Rechtssache „ANAV“.482 Der öffentliche Verkehrsdienst auf dem Gebiet der italienischen Gemeinde Bari wurde (zumindest teilweise) über den Kauf von Fahrkarten durch die Benutzer finanziert. Unter Hinweis auf seine Entscheidung in der Rechtssache „Parking Brixen“ hat der EuGH entschieden, dass diese Art der Vergütung des Verkehrsunternehmens durch die Benutzer charakteristisch sei für eine öffentliche Dienstleistungskonzession.483 Der EuGH ist also davon ausgegangen, dass in dem Recht eines Verkehrsunternehmens, in direkte Rechtsbeziehungen zu den Nutzern der Verkehrsdienste zu treten und von diesen Fahrgelder zu verlangen, das Recht zur Nutzung seiner Dienstleistung zu sehen ist. Dieses Recht steht dem Verkehrsunternehmen als Gegenleistung für die Erbringung der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen zu. Die Übernahme des wirtschaftlichen Risikos durch den Konzessionsnehmer ist nach der Rechtsprechung des EuGH – entgegen 480 Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 628; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 378. 481 EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-10745 Rn. 58, EuZW 2001, S. 90, 94. 482 EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, NZBau 2006, S. 326. 483 EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, S. 326, 327.
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der Ansicht der VK Darmstadt – auch ein konstitutives Tatbestandsmerkmal der Dienstleistungskonzession.484 c) Wirtschaftliches Risiko Entscheidend für die Abgrenzung zwischen öffentlichem Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungskonzession ist die Frage, ob durch den Abschluss des Verkehrsvertrages das mit der Erbringung der Verkehrsleistung verbundene wirtschaftliche Risiko auf das jeweilige Verkehrsunternehmen übergeht.485 Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen an die Voraussetzung des Übergangs des wirtschaftlichen Risikos keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden.486 Voraussetzung für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession ist nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „ANAV“487 – in Übereinstimmung mit Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG – nicht, dass mehr oder weniger die gesamten durch die Erbringung der Verkehrsleistungen entstehenden Kosten durch die Erlöse aus dem Fahrkartenverkauf abgedeckt werden. Auch wenn der jeweilige Aufgabenträger sich in einem hohen Maß an den Gesamtkosten beteiligt, kann das wirtschaftliche Risiko beim Verkehrsunternehmen liegen, solange die Zahlungen des Aufgabenträgers nur einen Teil der entstehenden Kosten abdecken und dem Verkehrsunternehmen die Unsicherheit verbleibt, ob der nicht abgedeckte Teil der Kosten durch die von ihm erhobenen Fahrgelder gedeckt werden kann.488 Während bei einem Bruttovertrag das jeweilige Verkehrsunternehmen kein wirtschaftliches Risiko trägt,489 ist die Frage der Übernahme des wirtschaftlichen Risikos bei Nettoverträgen490 schwerer zu beantworten. Bei Nettoverträgen trägt das Verkehrsunternehmen das Risiko, dass tatsächlich weniger Fahrgäste als prognostiziert seine Verkehrsleistungen nutzen und das hiermit zusammenhängende Risiko
484
EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 40, NZBau 2005, S. 644, 647. 485 Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 340. 486 Vgl. ausführlich Kapitel 6 C. II. und Kapitel 8 C. III. 3. b); EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 39 ff., NZBau 2005, S. 644, 647; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, S. 326, 327. 487 EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, S. 326, 327. 488 Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 605; Lück/Ortner, VergabeR 2005, S. 413, 418 f.; a. A. Hüser, der (ohne nach Brutto- und Nettoverträgen zu differenzieren) davon ausgeht, dass aufgrund der öffentlichen Zuschüsse das wirtschaftliche Risiko ganz überwiegend vom Aufgabenträger getragen werde (Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 341). 489 Vgl. ausführlich Kapitel 8 C. II. 2. a) und III.; Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 224. 490 Vgl. Kapitel 8 C. II. 2. a).
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
von Einnahmeausfällen (Absatzrisiko).491 Weitere Risiken, die das Verkehrsunternehmen zu tragen hat, sind bspw. Nutzungsausfallschäden durch den Ausfall von Linienbussen oder sonstiger Infrastruktur, nicht absehbare gesetzliche Anforderungen an Umwelt- oder Sicherheitsstandards oder eventuelle Schadensersatzansprüche der Fahrgäste.492 Zu berücksichtigen sind andererseits Faktoren, die das Absatzrisiko des Verkehrsunternehmens ggf. verringern können. Das Absatzrisiko wird bspw. durch sogenannte „Zwangskunden“ verringert, d. h. also Schüler und Auszubildende, die für ihre Fahrt zur Schule oder Ausbildungsstätte keine Alternative zum ÖPNV haben.493 Das Nachfragerisiko kann auch durch Ausgleichsmechanismen und/oder Alteinnahmengarantien im Zusammenhang mit Verbundtarifen und Einnahmeaufteilungsverfahren verringert werden.494 Die Beantwortung der Frage, ob das Verkehrsunternehmen das wirtschaftliche Risiko trägt, bedarf daher einer genauen Prüfung anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls und der beabsichtigten Vertragsregelungen.495 Je höher der Anteil an den Gesamtkosten ist, der durch die Fahrgeldeinnahmen gedeckt werden muss, desto eher wird man vom Vorliegen einer Dienstleistungskonzession ausgehen können, da sich mit steigendem Anteil der Fahrgeldeinnahmen auch das Nutzungsrisiko des Verkehrsunternehmens erhöht.496 d) Ergebnis Entgegen anderslautenden Auffassungen497 ist es also nicht ausgeschlossen, dass Verkehrsverträge über die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNVals Dienstleistungskonzessionen einzustufen sind. Die Abgrenzung zwischen öffentlichem Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungs491 Auch für die Kommission ist Voraussetzung für die Übernahme des wirtschaftlichen Risikos durch das Verkehrsunternehmen, dass die Erlöse der Dienstleistung davon abhängen, ob und in welchem Umfang die zu erbringenden Verkehrsleistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden (vgl. Kommission, Schreiben im Vertragsverletzungsverfahren „Busdienstleistungen Lienz“ vom 13. 10. 2004, C(2004) 3808, abgedruckt im Bindungsteil der NZBau 2005, Heft 1, S. VIII). 492 Lück/Ortner, VergabeR 2005, S. 413, 417 f. 493 Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604; vgl. auch Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 388 f. 494 Barth/Meinert, KommJur 2006, S. 73, 74. 495 Lück/Ortner, VergabeR 2005, S. 413, 417; Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604 f.; Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629. Das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession wird generell abgelehnt von Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 341. 496 Lück/Ortner, VergabeR 2005, S. 413, 418; Pietzcker, NVwZ 2007, S. 1225, 1231. 497 VK Darmstadt, NZBau 2006, S. 534; VK Düsseldorf, Beschl. v. 3. 3. 2000, Az. VK-1/ 2000-L, S. 9; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 178; Berger, Der Nahverkehr 7 – 8/2000, S. 41; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 341.
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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konzession ist im jeweiligen Einzelfall anhand der konkreten Umstände vorzunehmen.498 5. In-House-Vergabe Eine Vielzahl von kommunalen Gebietskörperschaften haben eigene kommunale Verkehrsunternehmen gegründet. Will eine kommunale Gebietskörperschaft, die Aufgabenträger ist, mit ihrem kommunalen Verkehrsunternehmen einen Vertrag über die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV schließen, stellt sich die Frage, ob auf eine solche Beauftragung das Vergaberecht anwendbar ist, oder ob es sich um ein vergaberechtsfreies Eigengeschäft handelt (zur In-House-Vergabe allgemein vgl. Kapitel 5).499 Wird das kommunale Verkehrsunternehmen als Eigenbetrieb geführt, handelt es sich in jedem Fall um eine In-House-Vergabe.500 Ist das Verkehrsunternehmen ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen, an dem neben dem Aufgabenträger noch privatwirtschaftliche Unternehmen beteiligt sind, ist nach der Rechtsprechung des EuGH das Vergaberecht ausnahmslos anwendbar.501 Wenn das kommunale Verkehrsunternehmen eine Eigengesellschaft oder eine gemischt-öffentliche Gesellschaft ist, kommt es für die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts nach der Rechtsprechung des EuGH auf die Umstände des Einzelfalles an. Damit der Aufgabenträger über das Verkehrsunternehmen eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausüben kann, muss dieses einer Kontrolle unterworfen sein, die es der kommunalen Gebietskörperschaft ermöglicht, auf dessen Entscheidungen einzuwirken. „Es muss sich dabei um die Möglichkeit handeln, sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen“.502 Hierzu reichen die gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten eines Mehrheitsgesellschafters nicht aus, der Aufgabenträger muss vielmehr über direkte Weisungs- und Kontrollbefugnisse gegenüber den Leitungsorganen der Gesellschaft verfügen.503 Während bei einer GmbH diese Vor498
417 ff.
Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604 f.; Lück/Ortner, VergabeR 2005, S. 413,
499 Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 342; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 31 f., NZBau 2006, S. 326, 328; insgesamt ablehnend Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 158 f. 500 Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 177. 501 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1 Rn. 49 ff., NZBau 2005, S. 111, 115; EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 31 f., NZBau 2006, S. 326, 328; so bereits Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 177 f. 502 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 65, NZBau 2005, S. 644, 649; EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 36, NZBau 2006, S. 452, 454. 503 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 38 ff., NZBau 2006, S. 452, 454; EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 69, NZBau 2005, S. 644, 649.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
aussetzung leichter zu erfüllen ist, da der Geschäftsführer der GmbH gem. § 37 Abs. 1 GmbHG weisungsgebunden ist, muss mit einer Aktiengesellschaft ein Beherrschungsvertrag abgeschlossen werden, um diese Anforderungen des EuGH an das Kontrollkriterium zu erfüllen. Bei der Beauftragung von Enkelgesellschaften müssen die genannten Voraussetzungen in jedem Glied der Kette kommunale Gebietskörperschaft – Tochtergesellschaft und Tochtergesellschaft – Enkelgesellschaft erfüllt sein.504 Die zweite Voraussetzung für das Vorliegen einer In-House-Vergabe ist, dass der Auftragnehmer seine Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft erbringt, die seine Anteile innehat. Das Erreichen der Wesentlichkeitsschwelle setzt voraus, dass das Verkehrsunternehmen hauptsächlich für diejenige kommunale Gebietskörperschaft tätig ist, die seine Anteile innehat, jede andere Tätigkeit muss rein nebensächlich sein.505 Die Anwendung einer dem Art. 13 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 93/38/EWG (Sektorenrichtlinie 1993) bzw. des Art. 23 der Richtlinie 2004/17/EG (Sektorenrichtlinie 2004) entnommenen 80 %-Schwelle zur Bestimmung des Wesentlichkeitskriteriums hat der EuGH abgelehnt.506 Hinter der Rechtsprechung des EuGH zur In-House-Vergabe ist ein ordnungspolitisches Konzept erkennbar, welches sich auch in der neuen Verordnung (EG) Nr. 1370/2007507 wiederfindet. Wenn sich die Kommunen auf die Erfüllung der örtlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge mit eigenen Unternehmen beschränken, sind sie weitgehend von den Anforderungen des Vergaberechts befreit. Wollen sie sich jedoch am Wettbewerb im oder außerhalb ihres Gebiets beteiligen, müssen sie das Vergaberecht beachten.508 Eine entsprechende Regelung sieht auch die VO (EG) 1370/2007 vor. Nach der Konzeption dieser Verordnung kann jede zuständige örtliche Behörde beschließen, selbst öffentliche Personenverkehrsdienste zu erbringen (bspw. durch Eigenbetriebe) oder öffentliche Dienstleistungsaufträge direkt an einen internen Betreiber wie bspw. ein kommunales Verkehrsunternehmen zu vergeben (Art. 5 Nr. 2 VO (EG) 1370/2007).509 Voraussetzung für eine Direktvergabe an einen internen Betreiber ist jedoch, dass dieser und jede andere Einheit, 504 Michaels, NZBau 2004, S. 27, 29; Orlowski, NZBau 2007, S. 80, 83 f.; Jennert, NZBau 2006, S. 421, 422. 505 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 63, NZBau 2006, S. 452, 455; ähnlich Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 342. 506 EuGH, Urt. v. 11. 5. 2006 – Rs. C-340/04 (Carbotermo), Slg. 2006, I-4137 Rn. 50 ff., NZBau 2006, S. 452, 455. 507 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates, ABl. L 315 vom 3. 12. 2007, S. 1. 508 Jennert, NZBau 2005, S. 623, 626; Jennert, NZBau 2006, S. 421, 423; Jasper, FAZ v. 26. 10. 2005, S. 25; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 395. 509 Vgl. Kapitel 11 D. I.
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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auf die er einen auch nur geringfügigen Einfluss ausübt, ihre öffentlichen Personenverkehrsdienste innerhalb des Zuständigkeitsgebiets der zuständigen örtlichen Behörde ausführen und nicht außerhalb von deren Zuständigkeitsgebiet an wettbewerblichen Vergabeverfahren für die Erbringung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten teilnehmen (Art. 5 Nr. 2 lit. b VO (EG) 1370/2007).510 IV. Ergebnis Auf Verkehrsverträge über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV findet das Vergaberecht Anwendung, es wird nicht durch die Regelung des § 13a Abs. 1 PBefG i. V. mit § 1 Abs. 2 GKVO verdrängt. Bei Verkehrsverträgen handelt es sich grundsätzlich um öffentliche Dienstleistungsaufträge i. S. von § 99 Abs. 1, 4 GWB. Die §§ 97 ff. GWB sind jedoch dann nicht anwendbar, wenn eine Dienstleistungskonzession vorliegt oder es sich um eine In-House-Vergabe an ein kommunales Verkehrsunternehmen handelt.
C. Anwendbarkeit des Vergaberechts auf eigenwirtschaftliche Verkehre Bei der Prüfung, ob das Vergaberecht auch bei eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen anwendbar ist bzw. sein kann, ist ein zwischen den verschiedenen Quellen, aus denen der Betrieb eigenwirtschaftlicher Verkehrsleistungen finanziert wird, differenzierendes Vorgehen angezeigt.511 Die Verkehrsunternehmen erhalten neben den Beförderungserlösen bspw. noch Fahrgeldersatzleistungen (§ 45a PBefG, § 148 SGB IX). Da Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV zumeist defizitär sind, werden den Verkehrsunternehmen durch kommunale Gebietskörperschaften u. U. laufende Betriebskostenzuschüsse gewährt. Die von kommunalen Verkehrsunternehmen erwirtschafteten Verluste werden häufig durch Verlustübernahmen oder Gesellschaftereinlagen der jeweiligen kommunalen Gebietskörperschaft oder im Rahmen eines kommunalen Querverbundes ausgeglichen. Bei diesen Finanzierungsinstrumenten handelt es sich um sonstige Unternehmenserträge im handelsrechtlichen Sinne (§ 8 Abs. 4 Satz 2 PBefG). Die Zuschüsse werden nicht zwingend vom Aufgabenträger bezahlt, sondern können bspw. auch von einer Stadt, die nicht Aufgabenträger ist, für ihren eigenen Stadtverkehr an ihr kommunales Verkehrsunternehmen bezahlt werden. Es ist zu untersuchen, ob es sich bei der jeweiligen Art der Finanzierung um einen öffentlichen Auftrag i. S. von § 99 Abs. 1 GWB handelt. Wird zwischen dem Ver510
Vgl. auch Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 606 und Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 342. 511 Vgl. zu den verschiedenen Finanzierungsformen oben A. und Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 13 ff.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
kehrsunternehmen und der kommunalen Gebietskörperschaft ein Vertrag geschlossen und handelt es sich bei diesem Vertrag um einen öffentlichen Auftrag, ist das Vergaberecht anwendbar, unabhängig davon, ob der Verkehr nach § 13 PBefG oder § 13a PBefG genehmigt wird.512 Die Fragen der personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung und des Vorliegens eines öffentlichen Auftrags sind getrennt voneinander zu betrachten, es handelt sich hierbei um zwei getrennte Rechtsmaterien mit unterschiedlichen Regelungszwecken.513 Allein der Umstand, dass es sich bei einem Verkehr um einen eigenwirtschaftlichen Verkehr i. S. des §§ 8 Abs. 4 Satz 1, 13 PBefG handelt, entzieht diesen nicht automatisch dem Vergaberecht. I. Beförderungserlöse/gesetzliche Ausgleichszahlungen Wenn der Aufwand der Verkehrsleistungen ausschließlich über Beförderungsentgelte gedeckt werden kann, stellt sich die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts von vorne herein nicht. In diesem (Ausnahme-)Fall beantragt das Verkehrsunternehmen aus eigener Initiative eine personenbeförderungsrechtliche Genehmigung nach § 13 PBefG, ein Vertrag über diese Verkehrsleistungen zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Verkehrsunternehmen wird nicht geschlossen, das Verkehrsunternehmen erhält keine Gegenleistung eines öffentlichen Auftraggebers für die Erbringung der Verkehrsleistungen.514 Wird der Aufwand der Verkehrsleistungen vollständig durch Beförderungserlöse und Erträge aus gesetzlichen Ausgleichs- und Erstattungsregelungen im Tarif- und Fahrplanbereich (§ 45a PBefG, §§ 145 Abs. 3, 148 SGB IX) gedeckt, liegt ebenfalls kein öffentlicher Auftrag vor. Die Ausgleichszahlungen für die Schüler- und Schwerbehindertenbeförderung beruhen auf gesetzlichen Regelungen und werden nicht auf vertraglicher Grundlage bezahlt. Das Verkehrsunternehmen beantragt wiederum aus eigener Initiative die Erteilung einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung.515 Die Ausgleichszahlungen für die Schülerbeförderung (§ 45a
512 Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 375; Wachinger, NVwZ 2007, S. 401, 406; Barth, NZBau 2007, S. 159, 161; VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61 f. Dass es sich bei Verträgen über gemeinwirtschaftliche Verkehre regelmäßig um öffentliche Aufträge handelt, wurde bereits oben unter B. II. geklärt. 513 Allerdings kann sich das Bestehen einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung nach § 13 PBefG zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf die Beurteilung der Frage auswirken, ob ein öffentlicher Auftrag vorliegt [vgl. unten II. 3. b)]. 514 Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 181; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 387; Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 223; Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 4 VgV Rn. 9; Hüser, Ausschreibungspflichten bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 2005, S. 340 f. (entgegen der von Stickler und Hüser vertretenen Ansicht liegt auch keine Dienstleistungskonzession vor, da es hierfür bereits am Abschluss eines Vertrages fehlt, durch den die Erfüllung einer der öffentlichen Hand obliegenden Aufgabe auf das Verkehrsunternehmen übertragen würde). 515 Winnes, Der Ordnungsrahmen des deutschen Nahverkehrs, 2005, S. 58.
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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PBefG) stellen insbesondere in ländlichen Gebieten eine tragende Säule der Finanzierung des straßengebundenen ÖPNV dar.516 II. Betriebskostenzuschüsse Sowohl kommunale als auch private Verkehrsunternehmen erhalten vielfach laufende Betriebskostenzuschüsse von kommunalen Gebietskörperschaften, da die Fahrgelderlöse und die gesetzlichen Ausgleichsleistungen nicht ausreichen, um die Kosten des gewünschten Verkehrsumfangs abzudecken.517 Betriebskostenzuschüsse werden sowohl von Aufgabenträgern als auch von kommunalen Gebietskörperschaften gewährt, die nicht Aufgabenträger sind. Wollen die Aufgabenträger Betriebskostenzuschüsse gewähren, sind sie nicht dazu gezwungen, gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen zu initiieren. In der Praxis wird der Großteil der durch die Aufgabenträger gewährten Betriebskostenzuschüsse für eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen bezahlt.518 Betriebskostenzuschüsse werden insbesondere auf Grund von Verträgen zwischen kommunalen Gebietskörperschaften und Verkehrsunternehmen über neue Verkehre, über zusätzliche Angebote im Rahmen eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs (wie z. B. Taktverdichtungen, Verkehre in Schwachlastzeiten oder Nachtliniennetze) oder zur Sicherstellung einer bestimmten Qualität (Ausstattung von Fahrzeugen und Haltestellen, Kundenservice) gezahlt.519 1. Beihilferechtliche Anforderungen Betriebskostenzuschüsse können entweder aufgrund eines Bewilligungs- bzw. Zuwendungsbescheids oder aufgrund eines Vertrags gewährt werden. Damit die Betriebskostenzuschüsse nicht als Beihilfen i. S. von Art. 87 Abs. 1 EG einzustufen sind, müssen sie die vier in der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Altmark Trans“ aufgestellten Kriterien erfüllen.520 Zunächst müssen die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, mit denen das begünstigte Verkehrsunternehmen betraut ist, 516 Vgl. Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 15; zu den Wirkungen einer mittlerweile in einigen Bundesländern vorgenommenen Kürzung der Mittel gemäß § 45a PBefG vgl. Wenzel/Denzin/Siederer, LKV 2008, S. 18, 20. 517 BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/2004, S. 11; Metz, Der Nahverkehr 10/2003, S. 26, 28. 518 Zur Frage, ob die Gewährung von Zuschüssen einen Verkehr zwingend zum gemeinwirtschaftlichen Verkehr werden lässt, vgl. oben A. III.; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/2004, S. 11; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 17; Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 63 f. 519 Wachinger, Das Recht des Marktzuganges im ÖPNV, 2006, S. 17; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/2004, S. 11. 520 Vgl. EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 88 ff.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
klar definiert sein.521 Die Parameter, anhand derer die Ausgleichszahlungen berechnet werden, müssen zuvor objektiv und transparent aufgestellt werden.522 Als Betrauungsakte kommen neben Gesetzen, Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsakten (insbesondere die Linienverkehrsgenehmigungen), Nahverkehrsplänen oder Beschlüssen im Rahmen von gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen auch Verträge in Betracht.523 Die Betrauung mit gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen und die Festlegung der Parameter, anhand derer die Ausgleichszahlungen berechnet werden, kann im Rahmen eines Vertrages zwischen kommunaler Gebietskörperschaft und Verkehrsunternehmen erfolgen.524 Da mit Verträgen die Altmark Trans-Kriterien rechtssicher umgesetzt werden können, greifen kommunale Gebietskörperschaften auf diese Art der Betrauung zurück.525 Weiter hat der EuGH als Kriterium aufgestellt, dass der Ausgleich nicht über das hinausgehen darf, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen zu decken. Die Höhe des zulässigen Ausgleichs kann entweder durch eine Kostenanalyse oder durch ein Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge ermittelt werden.526 Unabhängig von einer nach dem Vergaberecht bestehenden Pflicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens kann durch ein solches Verfahren sichergestellt werden, dass es sich bei den gezahlten Zuschüssen nicht um Beihilfen i. S. von Art. 87 Abs. 1 EG handelt. Der beihilfenrechtliche Nebeneffekt eines aufgrund des Vergaberechts durchzuführenden Vergabeverfahrens besteht in der Vermutung, dass die gezahlten Zuschüsse keine Beihilfen sind. Dementsprechend lag das Ziel des öffentlichen Auftraggebers in dem dem Beschluss der VK Stuttgart vom 30. 7. 2004527 zugrundeliegenden Sachverhalt darin, dasjenige Unternehmen zu ermitteln, das den geringsten Zuschussbedarf geltend macht und auf diese Weise sicherzustellen, dass der Zuschuss nicht über das hinausgeht, was als Ausgleich erforderlich ist, um die Kosten für die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen zu decken.528
521
EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 89. EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 90. 523 Metz, Der Nahverkehr 10/2003, S. 26, 28; Tödtmann/Schauer, NVwZ 2008, S. 1, 4. 524 BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 7, 11; Winnes, Der Nahverkehr 4/2005, S. 11, 12; Wittig, Der Nahverkehr 6/ 2006, S. 16. 525 Bsp.: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13. 7. 2005, Az.: 6 W 35/05 (Verg.), NZBau 2005, S. 655, 656; VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61. Vgl. Winnes, Der Nahverkehr 7 – 8/2005, S. 24; Wittig, Der Nahverkehr 6/2006, S. 16. 526 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 93. 527 VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59. 528 VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61. 522
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2. Verkehrsleistungs- oder Zuschussvertrag Es stellt sich die Frage, ob es sich bei einem Vertrag, der Betriebskostenzuschüsse zum Gegenstand hat, um einen Verkehrsleistungsvertrag oder um einen nicht dem Vergaberecht unterfallenden Verkehrsfinanzierungs- bzw. Zuschussvertrag handelt.529 Bei einem Verkehrsleistungsvertrag ist das Verkehrsunternehmen gegenüber der kommunalen Gebietskörperschaft verpflichtet, die vertraglich vereinbarten Verkehrsleistungen entgeltlich zu erbringen.530 Die Voraussetzungen eines öffentlichen Auftrags i. S. des § 99 Abs. 1 GWB sind erfüllt, da sich die kommunale Gebietskörperschaft mit diesem Vertrag entgeltlich Verkehrsleistungen beschafft.531 Im Gegensatz zum Verkehrsleistungsvertrag verpflichtet ein Verkehrsfinanzierungs- bzw. Zuschussvertrag das Verkehrsunternehmen nicht zur Erbringung von Verkehrsleistungen. Mit dem Zuschuss soll für das Verkehrsunternehmen vielmehr ein Anreiz für ein bestimmtes Verhalten geschaffen werden. Der Sache nach handelt es sich um eine einseitige Zuwendung. Die Bedingungen, unter denen der Zuschuss gewährt wird, werden in dem Zuschussvertrag festgelegt.532 Der Verkehrsfinanzierungs- bzw. Zuschussvertrag dient der Finanzierung der Gewährleistung einer ausreichenden Verkehrsbedienung der Allgemeinheit im ÖPNV bzw. der finanziellen Gewährleistung einer bestimmten Qualität der durch das Verkehrsunternehmen der Allgemeinheit erbrachten Verkehrsleistungen.533 Bestimmte Qualitätsanforderungen an die Verkehrsbedienung ergeben sich insbesondere aus dem Nahverkehrsplan, in dem der Aufgabenträger das in seinen Augen erforderliche Qualitätsniveau festgelegt hat. Zuschüsse, die gezahlt werden, um die Qualität der Verkehrsleistungen sicherzustellen sind bspw. Zuschüsse für die Ausstattung der Fahrzeuge und Haltestellen oder den Betrieb von Beratungsstellen für Kunden.534 Als Bedingungen, unter denen ein Zuschuss gewährt wird, können bspw. die tatsächliche Durchführung eines bestimmten Verkehrs auf der Grundlage einer bereits erteilten personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung oder die Einhaltung des Nahverkehrsplans vereinbart werden.535 Der Zuschuss wird dem Verkehrsunternehmen nur gewährt, wenn es die Bedingung erfüllt. Regelmäßig zeichnet sich ein Zuschussvertrag auch dadurch aus, dass die absolute Höhe des Zuschusses festgelegt 529
Vgl. zum Verkehrsleistungs- und Zuschussvertrag ausführlich Kapitel 8 C. II. 1. b). Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 474; Schimanek, ZfBR 2005, S. 544. 531 Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 547; Lenz/Ulshöfer, Der Nahverkehr 5/2005, S. 30, 32. 532 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 474; VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61; vgl. auch Pietzcker, NZBau 2003, S. 661, 663. 533 OLG Karlsruhe, NZBau 2005, S. 655, 656; Schimanek, ZfBR 2005, S. 544; Gommlich/ Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473 f.; Winnes, Der Nahverkehr 7 – 8/2005, S. 24. 534 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473 f.; Winnes, Der Nahverkehr 7 – 8/ 2005, S. 24, 25. 535 Ein Beispiel findet sich im Beschluss des OLG Karlsruhe vom 13. 7. 2005, NZBau 2005, S. 655; Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 474. 530
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
ist und keine Nachschusspflichten bestehen. Der Zuschuss entspricht ferner nicht dem Aufwand für die gesamte Verkehrsleistung.536 Ein Verkehrsfinanzierungs- bzw. Zuschussvertrag ist kein öffentlicher Auftrag i. S. des § 99 Abs. 1 GWB, da sich die zuschussgewährende kommunale Gebietskörperschaft mit einem solchen Vertrag keine Verkehrsleistungen beschafft.537 Anders als bei einem öffentlichen Auftrag wird das Verkehrsunternehmen durch einen Zuschussvertrag nicht gegenüber der kommunalen Gebietskörperschaft zur Erbringung von Verkehrsleistungen verpflichtet. Die Verkehrsleistungen und der Zuschuss stehen nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis, der Zuschuss stellt also kein Entgelt für die Leistungserbringung dar. Der Zuschuss stellt vielmehr einen Anreiz für das Unternehmen dar, bestimmte Qualitätsanforderungen bei den erbrachten Verkehrsleistungen einzuhalten. Auch mit dem Abschluss eines Zuschussvertrages stellt der Aufgabenträger die ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV sicher. Durch die Zahlung des Zuschusses ermöglicht er, dass die Verkehrsleistungen durch das Verkehrsunternehmen nicht nur erbracht werden, wie es für dieses wirtschaftlich sinnvoll ist, sondern dass die Verkehrsleistungen auch das durch den Aufgabenträger gewünschte Qualitätsniveau haben. Auf diese Weise wird ebenfalls eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen gewährleistet. Das jeweilige Verkehrsunternehmen könnte im Falle eines Zuschussvertrages aufgrund der erzielbaren Einnahmen zwar Verkehrsleistungen erbringen, jedoch nicht in der vom Aufgabenträger gewünschten Qualität. Anders als bei Zuschussverträgen liegt einem Verkehrsleistungsvertrag regelmäßig die Situation zugrunde, dass kein Verkehrsunternehmen den Verkehr erbringen würde, da die zu erwartenden Einnahmen eine kostendeckende Bedienung nicht zulassen. Die Zuschüsse des Aufgabenträgers bieten in solch einer Situation konstitutiv den eigentlichen Anreiz für das Unternehmen, den Verkehrsbetrieb überhaupt erst aufzunehmen.538 3. Abgrenzung Ob ein Verkehrsleistungs- oder Zuschussvertrag vorliegt, ist anhand einer Auslegung des jeweiligen Vertrags zu ermitteln. Hintergrund der Auslegung ist jeweils die Frage, ob die Zuschüsse konstitutiv den Anreiz dafür bieten, den Verkehrsbetrieb überhaupt erst aufzunehmen, oder ob die erzielten bzw. erwarteten Einnahmen auch unabhängig von den Zuschüssen eine Verkehrsbedienung zugelassen hätten. Für die Abgrenzung zwischen Zuschuss- und Verkehrsleistungsverträgen kommt es nach 536
Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 474. Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 547; Winnes, Der Nahverkehr 7 – 8/2005, S. 24; Lenz/ Ulshöfer, Der Nahverkehr 5/2005, S. 30, 32; Lenz, NJW 2007, S. 1181, 1183; a. A. Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 372 ff. 538 Winnes, Der Nahverkehr 7 – 8/2005, S. 24. 537
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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dem oben Gesagten darauf an, ob sich das Verkehrsunternehmen zur Erbringung bestimmter, vertraglich fixierter Verkehrsleistungen verpflichtet hat und deshalb die Erbringung dieser Verkehrsleistungen rechtlich durchsetzbar erzwungen werden kann oder ob die Nicht- bzw. fehlerhafte Erbringung lediglich zum Entfallen des Zuschusses führt.539 a) Höhe des Zuschusses Ein maßgebliches Indiz für die Abgrenzung ist das Verhältnis des Werts des geförderten Verkehrs zur Höhe des Zuschusses. Entspricht die Höhe des Zuschusses dem Wert der Verkehrsleistung bzw. den für deren Erbringung notwendigen Gesamtaufwendungen, spricht dies dafür, dass die Verkehrsleistung mit der Ausgleichszahlung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis steht, mithin eine Beschaffung vorliegt.540 Es ist dann davon auszugehen, dass der Zuschuss den eigentlichen Anreiz dafür bietet, dass das Verkehrsunternehmen den Verkehrsbetrieb überhaupt erst aufnimmt. Liegt die Höhe des Zuschusses jedoch weit unter dem Wert der Verkehrsleistung, spricht dies gegen eine Beschaffung, da nicht davon auszugehen ist, dass sich ein Verkehrsunternehmen für eine wertmäßig weit geringere Gegenleistung gegenüber einem Aufgabenträger vertraglich dazu verpflichten will, Verkehrsleistungen zu erbringen.541 Wenn der Ausgleich weit unter einem Vollausgleich liegt, spricht dies deshalb für einen Zuschuss und gegen ein vertragliches Entgelt. Das OLG Karlsruhe ist deshalb in einem Fall, in dem der Zuschuss lediglich 4 % bis 9 % des prognostizierten Gesamtaufwandes abdeckte, zutreffend vom Vorliegen eines Zuschussvertrags ausgegangen.542 Wo unter Berücksichtigung der Höhe des Zuschusses genau die Grenze zwischen vertraglichem Entgelt und Zuschuss zu ziehen ist, ist im jeweiligen Einzelfall zu ermitteln. b) Genehmigung erteilt Bei der Auslegung des jeweiligen Vertrages ist neben der Höhe des Zuschusses zu beachten, ob für den Verkehr, der den Gegenstand des Vertrages bildet, bereits eine Genehmigung gemäß § 13 PBefG erteilt wurde.
539
Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 477; VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61. 540 VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61. 541 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 477; Winnes, Der Nahverkehr 7 – 8/ 2005, S. 24. 542 OLG Karlsruhe, NZBau 2006, S. 655, 656.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
aa) Indiz für Zuschussvertrag Ist der jeweilige Verkehr bereits genehmigt, spricht dies entscheidend für das Vorliegen eines Verkehrsfinanzierungs- bzw. Zuschussvertrages.543 Ist bereits eine Genehmigung erteilt, so ist der betroffene Unternehmer aufgrund dieser Genehmigung verpflichtet, einen Verkehr auf einer bestimmten Linie und nach Maßgabe eines durch die Genehmigungsbehörde genehmigten Fahrplanes zu betreiben (§§ 9 Abs. 1, 21, 40 PBefG; vgl. hierzu oben A. I.). Die erzielbaren Einnahmen lassen die Durchführung einer Verkehrsleistung auch zu, da ansonsten das Verkehrsunternehmen die eigenwirtschaftliche Genehmigung nicht beantragt hätte. Wird nun ein Vertrag über diesen Verkehr zwischen einer kommunalen Gebietskörperschaft und einem Verkehrsunternehmen geschlossen, so ist Zweck dieses Vertrages regelmäßig die finanzielle Gewährleistung einer bestimmten Qualität der vom Verkehrsunternehmen der Allgemeinheit erbrachten Verkehrsbedienung.544 Das Verkehrsunternehmen ist bereits aufgrund der mit der Genehmigung verbundenen Pflichten zum Betrieb des Verkehrs verpflichtet, einer vertraglichen Verpflichtung bedarf es hierzu nicht. Ein in dem Vertrag enthaltener Verweis auf die Pflichten aus der Liniengenehmigung und die Qualitätsvorgaben des Nahverkehrsplans hat lediglich deklaratorischen, nicht jedoch konstitutiven Charakter.545 Verträge über die Finanzierung bereits genehmigter Verkehre sind deshalb in der Regel so auszulegen, dass sie das jeweilige Verkehrsunternehmen nicht dazu verpflichten, bestimmte Verkehrsleistungen gegen Entgelt zu erbringen, sondern dass sie die Erbringung der Verkehrsleistungen mit einer bestimmten Qualität als Voraussetzung für die Gewährung des Zuschusses festlegen. Mit einem solchen Vertrag beschafft sich die kommunale Gebietskörperschaft die Verkehrsleistungen nicht, aufgrund der mit der Genehmigung verbundenen Pflichten besteht bereits kein vertraglich zu deckender Beschaffungsbedarf.546 Mit einem solchen Vertrag werden keine Verkehrsleistungen neu vergeben. Der Zweck des Vertrages besteht vielmehr regelmäßig darin, für das Verkehrsunternehmen einen Anreiz zu schaffen, die Verkehrsleistungen auch in der gewünschten Qualität zu erbringen. Darüber hinaus soll sichergestellt werden, dass es sich bei den Zuschüssen nicht um Beihilfen i. S. von Art. 87 Abs. 1 EG handelt.547
543
OLG Karlsruhe, NZBau 2005, S. 655, 656; Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 477; Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 547; so auch Barth/Meinert, KommJur 2006, S. 73; a. A. Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 373. 544 OLG Karlsruhe, NZBau 2005, S. 655, 656; Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 477; Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 547. 545 OLG Karlsruhe, NZBau 2005, S. 655, 656; Winnes, Der Nahverkehr 7 – 8/2005, S. 24, 25. 546 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 477; Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 547. 547 OLG Karlsruhe, NZBau 2005, S. 655, 656.
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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bb) Alleinstellung/Ausschließlichkeitsrecht Selbst wenn man bei bereits erteilter Genehmigung zu Unrecht von einem öffentlichen Auftrag ausginge, müsste keine öffentliche Ausschreibung durchgeführt werden, sondern die kommunale Gebietskörperschaft wäre gemäß § 3 Nr. 4 lit. a VOL/A und § 3a Nr. 2 lit. c VOL/A berechtigt, ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung durchzuführen.548 Eine freihändige Vergabe kann nach § 3 Nr. 4 lit. a VOL/A dann stattfinden, wenn für die Leistung aus besonderen Gründen nur ein Unternehmen in Betracht kommt. Wegen des gut geschützten Ausschließlichkeitsrechts, über das der Inhaber der Liniengenehmigung verfügt,549 kommt nur dieser für die Erbringung der Verkehrsleistung in Betracht. Auch wenn die Erteilung einer Genehmigung an einen Neuunternehmer nicht vollständig ausgeschlossen ist, sind die durch § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG gesetzten Hürden550 hierfür so hoch, dass eine Alleinstellung des Genehmigungsinhabers i. S. von § 3 Nr. 4 lit. a VOL/A bejaht werden kann.551 Dies gilt umso mehr, als der Altunternehmer durch eine Ausgestaltung seiner Verkehrsleistungen aktiv die Genehmigungserteilung an den Neuunternehmer verhindern kann (Ausgestaltungsvorrang, § 13 Abs. 2 Nr. 2 lit. c PBefG). Gemäß § 3a Nr. 2 lit. c VOL/A kann ein Auftrag im Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung vergeben werden, wenn der Auftrag aufgrund des Schutzes eines Ausschließlichkeitsrechts (z. B. Patent- oder Urheberrecht) nur von einem bestimmten Unternehmen durchgeführt werden kann. Bei der Rechtsstellung, die eine Liniengenehmigung dem Genehmigungsinhaber verleiht, handelt es sich nach dem oben Gesagten um ein Ausschließlichkeitsrecht im Sinne des § 3a Nr. 2 lit. c VOL/A. Die Genehmigung vermittelt dem Inhaber ein alleiniges Nutzungsrecht, das dieser auch gegenüber Dritten rechtlich durchsetzen kann.552 c) Genehmigung noch nicht erteilt Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht553 kann auch dann ein Zuschussvertrag vorliegen, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine Genehmigung nach § 13 PBefG noch nicht besteht. Eine solche Situation entsteht, wenn entweder die Genehmigung für einen bestehenden Verkehr ausgelaufen ist oder ein 548 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 479; Schimanek, ZfBR 2005, S. 548 f.; insoweit zustimmend Barth/Meinert, KommJur 2006, S. 73, 74 und Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 373. 549 Vgl. oben A. I. 1. 550 Vgl. oben A. I. 1. 551 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 479; Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 548 f. 552 Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 479; Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 549; Barth/Meinert, KommJur 2006, S. 73, 74. 553 Barth/Meinert, KommJur 2006, S. 73.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
neuer, bisher noch nicht durchgeführter Verkehr aufgenommen werden soll.554 Möglich ist auch, dass die Geltungsdauer der Genehmigung vor der Laufzeit des Vertrages endet. Entgegen der genannten Ansicht555 liegt nicht automatisch im Zeitpunkt des Auslaufens der Genehmigung ein öffentlicher Auftrag vor.556 Ob ein Verkehrsfinanzierung- bzw. Zuschussvertrag oder ein öffentlicher Auftrag vorliegt, ist vielmehr anhand der Vertragsgestaltung zu ermitteln, wobei in dieser Situation die Auslegung des Vertrags einer besonderen Sorgfalt bedarf.557 Ist noch keine Genehmigung erteilt bzw. besteht keine Genehmigung mehr, so ist kein Verkehrsunternehmen aufgrund der mit einer Genehmigung verbundenen Pflichten zur Erbringung des Verkehrs verpflichtet, es besteht also grundsätzlich noch ein Beschaffungsbedarf. Es ist zu prüfen, ob es sich der Sache nach um eine Zuschussgewährung oder um einen entgeltlichen Vertrag handelt, bei dem ein Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen den Leistungspflichten des Verkehrsunternehmens einerseits und der Finanzierung durch die kommunale Gebietskörperschaft andererseits besteht.558 Im letzteren Fall will sich die kommunale Gebietskörperschaft die Verkehrsleistungen durch den Vertrag beschaffen.559 Beläuft sich die Höhe der Zahlungen lediglich auf einen geringen Teil des Gesamtaufwandes, hätte das Verkehrsunternehmen den Verkehr aufgrund eigener Initiative mit den ihm zur Verfügung stehenden Finanzmitteln von sich aus betrieben und dienen die Zahlungen der Gewährleistung einer bestimmten Qualität der Verkehrsbedienung (bspw. Ausstattung der Haltestellen oder der Fahrzeuge), so sprechen diese Umstände für das Vorliegen eines Zuschussvertrags. Dienen die Betriebskostenzuschüsse jedoch dazu, neue Verkehre ins Leben zu rufen,560 die das Verkehrsunternehmen mangels ausreichender Einnahmen (bisher) nicht angeboten hat, so liegt es – unabhängig von einzelnen Formulierungen des Vertrages – nahe, von einem Verkehrsleistungsvertrag auszugehen. Die kommunale Gebietskörperschaft wird in diesen Fällen häufig einen Vollausgleich der durch die
554
Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 547; vgl. z. B. VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59. Barth/Meinert, KommJur 2006, S. 73. 556 Bei einer unveränderten Finanzierung des Verkehrs spricht vielmehr vieles dafür, dass weiterhin ein Zuschussvertrag und kein öffentlicher Auftrag vorliegt, da auch nach dem Auslaufen der Genehmigung der Zuschuss zur Gewährleistung einer bestimmten Qualität der Verkehrsleistungen beitragen soll. 557 Gommlich/Wittig/Schimanek sprechen treffend von „fließenden Grenzen“ zwischen Zuschuss und vertraglicher Verpflichtung (Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 477). 558 VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61; Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 477; Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 547. 559 VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61; Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 547. 560 BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 11; Bsp.: VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59 (Nachtbusverkehr). 555
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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Verkehrsleistungen entstehenden Kosten erbringen.561 Dasselbe gilt, wenn die Betriebskostenzuschüsse dazu dienen, zusätzliche Angebote im Rahmen von eigenwirtschaftlichen Verkehren wie z. B. Taktverdichtungen oder Verkehre in Schwachlastzeiten zur Verfügung zu stellen.562 Es ist davon auszugehen, dass die Zuschüsse in diesen Fällen den eigentlichen Anreiz für das Verkehrsunternehmen darstellen, den Verkehrsbetrieb überhaupt erst aufzunehmen bzw. die zusätzlichen Angebote den Fahrgästen zur Verfügung zu stellen. Der öffentliche Auftraggeber will in diesem Fall nicht lediglich die Qualität der Verkehrsleistungen beeinflussen, sondern deren Umfang.563 Der Aufgabenträger will sich die Verkehrsleistungen des Unternehmens beschaffen, um auf diese Weise eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV sicherzustellen. Ist die kommunale Gebietskörperschaft kein Aufgabenträger,564 beschafft sie sich ebenfalls die Verkehrsleistungen, um diese ihren Einwohnern zur Verfügung zu stellen. Angesichts der finanziellen Aufwendungen der kommunalen Gebietskörperschaft und des von ihr verfolgten Ziels liegt es nahe, von einer vertraglichen Verpflichtung des Verkehrsunternehmens auszugehen, der als Gegenleistung ein Anspruch auf Zahlung eines Entgelts gegenübersteht. Das Verkehrsunternehmen benötigt keine weiteren Gelder für den rentablen Betrieb des Verkehrs. Dies widerspricht dem herkömmlichen Verständnis eines Zuschusses, der üblicherweise eine Art „Finanzspritze“565 darstellt, nicht aber eine Vollfinanzierung. Selbstverständlich bedarf das beauftragte Verkehrsunternehmen auch im Fall der Vollfinanzierung einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung, um die Verkehrsleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, erbringen zu dürfen. Aus dieser Genehmigung fließen (später) die genannten gesetzlichen Pflichten für den Genehmigungsinhaber. Das Erfordernis einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung ändert jedoch nichts am Vorliegen eines öffentlichen Auftrags. Die kommunale Gebietskörperschaft beauftragt in einem ersten Schritt ein Verkehrsunternehmen mit der Erbringung bestimmter Verkehrsleistungen. Damit dieses Verkehrsunternehmen die Verkehrsleistungen erbringen kann, bedarf es einer Liniengenehmigung, die es in einem zweiten Schritt selbst beantragen muss.
561
VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61; Gommlich/Wittig/Schimanek, NZBau 2006, S. 473, 477; Schimanek, ZfBR 2005, S. 544, 547; Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 122. 562 BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 11; Bsp.: VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59 (Nachtbusverkehr). 563 Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 122. Aus der Perspektive der Fahrgäste verbessert sich durch eine Steigerung des Umfangs auch die Qualität des Verkehrsangebots, für die Frage des Vorliegens eines öffentlichen Auftrags ist jedoch entscheidend, dass sich die kommunalen Gebietskörperschaften diese Verkehrsleistungen beschaffen wollen. 564 Dies trifft auf Gemeinden und kreisangehörige Städte zu. 565 VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
Ist der zuschussgewährende Akt nach dem oben Gesagten als öffentlicher Auftrag einzustufen, muss grundsätzlich eine öffentliche Ausschreibung durch die kommunale Gebietskörperschaft durchgeführt werden. In den Vergabeunterlagen muss der obsiegende Bieter verpflichtet werden, eine Genehmigung gemäß § 13 PBefG zu beantragen. Die Erteilung der Genehmigung an den obsiegenden Bieter liegt regelmäßig nicht in der Hand des Auftraggebers, sondern diese wird durch die Genehmigungsbehörde erteilt. Die Vergabeentscheidung kann nur unter dem Vorbehalt der Genehmigung des Linienverkehrs nach dem PBefG erfolgen. In der Ausschreibung sollte deshalb der Fall geregelt werden, dass das obsiegende Unternehmen die Genehmigung nicht erhält und somit eine subjektive Unmöglichkeit der Leistungserbringung eintritt.566 d) Altpapier-Entscheidung des BGH Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht567 ergibt sich aus der sog. Altpapier-Entscheidung des BGH568 nicht, dass Finanzierungsverträge im ÖPNV generell Beschaffungscharakter haben und deshalb einen öffentlichen Auftrag darstellen. In dem dort entschiedenen Fall sollte Altpapier durch den Auftragnehmer vom öffentlichen Auftraggeber gekauft und entsorgt werden, nachdem es zunächst durch den öffentlichen Auftraggeber (eine kreisfreie Stadt) eingesammelt und zu einer Umschlaganlage verbracht worden war. Der BGH sah in diesem Vertrag einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag gemäß § 99 Abs. 4 GWB. Die Entsorgung des Altpapiers stelle eine Dienstleistung dar, zu der der Vertrag den Auftragnehmer verpflichte. Der Feststellung, dass es sich um einen Dienstleistungsauftrag handele, stehe nicht entgegen, dass die Vertragsparteien die gegenseitigen Rechte und Pflichten mittels eines Kaufvertrages geregelt hätten, weil sie das Altpapier als ein werthaltiges Gut angesehen hätten und es deshalb an den Auftragnehmer gegen Entgelt veräußert werden sollte. § 99 Abs. 1 GWB stelle weder auf die zivilrechtliche Einordnung des Vertrages noch darauf ab, ob in der Übernahme der Leistung i. S. des § 99 Abs. 4 GWB, die von dem Unternehmen erbracht werden sollte, ein wesentlicher oder gar der Hauptzweck des Vertrages liege. Der Vertrag müsse lediglich Dienstleistungen zum Gegenstand haben.569 Die zitierte Ansicht in der Literatur folgert aus dieser Entscheidung, dass Finanzierungsverträge im ÖPNV generell Beschaffungscharakter haben und deshalb einen öffentlichen Auftrag darstellen.570 Auch wenn eine Dienstleistung in einem Vertrag nicht als Gegenleistung im zivilrechtlichen Sinne ausgestaltet, sondern 566
Vgl. VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61. Barth/Meinert, KommJur 2006, S. 73, 74; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 373; Wachinger, NVwZ 2007, S. 401, 406. 568 BGH, Beschl. v. 1. 2. 2005, Az. X ZB 27/04, NZBau 2005, S. 290. 569 BGH, NZBau 2005, S. 290, 293. 570 Barth/Meinert, KommJur 2006, S. 73, 74. 567
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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scheinbar bloßer Nebeneffekt bei der Vertragsdurchführung sei, sei sie nach dem BGH dennoch Gegenstand des Vertrages i. S. des § 99 GWB. Denn hierfür reiche es nach dem BGH bereits aus, dass mit der Leistung des Unternehmers zugleich ein Bedarf bzw. eine Aufgabe der öffentlichen Hand befriedigt werde, selbst wenn dies nicht Hauptzweck oder auch nur wesentlicher Zweck des Vertragsschlusses sei. Lege man diese Argumentation des BGH zu Grunde, dürfte einem Finanzierungsvertrag im ÖPNV schwerlich der Beschaffungscharakter abzusprechen sein.571 Zunächst ist festzuhalten, dass die Marktsituation im ÖPNV eine völlig andere ist als diejenige, die der Altpapier-Entscheidung des BGH zugrunde lag. Übertragen auf den ÖPNV läge eine vergleichbare Marktsituation vor, wenn über die Fahrgeldeinnahmen mit Verkehrsleistungen im ÖPNV regelmäßig Gewinne erzielt würden und die öffentliche Hand das Recht vergäbe, diese Verkehrsleistungen zu erbringen. Mit der Vergabe dieses Rechts stellte die öffentliche Hand – quasi als Nebeneffekt – sicher, dass eine ausreichende Verkehrsbedienung im ÖPNV gewährleistet ist. Tatsächlich ist es jedoch so, dass Verkehrsleistungen im ÖPNV regelmäßig defizitär sind. Außerdem hatte der BGH in der Altpapier-Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass der Auftragnehmer aufgrund des Vertrages zur Erbringung der Dienstleistung verpflichtet ist.572 An diesem Punkt besteht somit ein wesentlicher Unterschied zu Zuschussverträgen, bei denen das Verkehrsunternehmen (im Gegensatz zu Verkehrsleistungsverträgen) nicht verpflichtet ist, die Verkehrsleistungen zu erbringen. Mit den Zuschüssen soll lediglich ein Anreiz dafür geschaffen werden, dass das Verkehrsunternehmen bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllt, die es ohne die Zuschüsse aus eigenem wirtschaftlichem Interesse nicht erfüllt hätte. Die Erbringung der Verkehrsleistungen an sich ist auch kein Nebeneffekt des Abschlusses eines Zuschussvertrages, da diese durch das Verkehrsunternehmen auch ohne den Zuschussvertrag erbracht würden. Mit dem Zuschussvertrag soll vielmehr ein bestimmtes Qualitätsniveau der Verkehrsleistungen erreicht werden. Der „Hauptzweck“ eines Zuschussvertrages ist es, dem jeweiligen Verkehrsunternehmer einen Anreiz dafür zu bieten, das gewünschte Qualitätsniveau einzuhalten. Zweck eines Zuschussvertrages ist also durchaus, eine Aufgabe der öffentlichen Hand zu erfüllen (nämlich eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV sicherzustellen), dies geschieht jedoch mangels Leistungs-Gegenleistungs-Verhältnisses nicht in der Form eines öffentlichen Auftrags. 4. Dienstleistungskonzession Das Vergaberecht ist auch dann nicht anwendbar, wenn es sich bei einem Vertrag über Betriebskostenzuschüsse um eine Dienstleistungskonzession handelt. 571 572
Barth/Meinert, KommJur 2006, S. 73, 74. BGH, NZBau 2005, S. 290, 293.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
a) Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe Ist ein solcher Vertrag nicht als ein reiner Finanzierungsvertrag einzustufen, so wird mit ihm einem Verkehrsunternehmen die Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden öffentlichen Aufgabe übertragen. Durch die Verkehrsleistungen, die das jeweilige Verkehrsunternehmen zu erbringen hat, soll die ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV sichergestellt werden. Zweifel, die in der Literatur573 am Vorliegen dieser Voraussetzung geäußert werden, sind nicht gerechtfertigt. Stuft man einen Vertrag, mit dem Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV finanziert werden, als Beschaffungsvorgang ein, muss man konsequenterweise auch annehmen, dass das Verkehrsunternehmen nicht unabhängig vom öffentlichen Auftraggeber einer auf einer Genehmigung nach § 13 PBefG beruhenden, der Privatwirtschaft überlassenen gewerblichen Wirtschaftstätigkeit nachgeht,574 sondern dass es durch seine Verkehrsleistungen eine Aufgabe der Daseinsvorsorge erfüllen soll.575 b) Weitere Voraussetzungen – wirtschaftliche Gestaltungsmacht erforderlich? Was die weiteren Voraussetzungen der Dienstleistungskonzession (Übertragung des Nutzungs- und Verwertungsrechts und des wirtschaftlichen Risikos) betrifft, kann im Wesentlichen auf die Ausführungen unter Kapitel 9 B. II. 3. d) cc) verwiesen werden. Die VK Stuttgart hat in ihrem Beschluss vom 30. 7. 2004576 das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession u. a. deshalb verneint, weil der Auftragnehmer durch den Zuschussvertrag in seiner Nutzung des Verkehrsbetriebs gebunden und in seiner wirtschaftlichen Gestaltungsmacht erheblich beschränkt sei. Wesentlich für eine Dienstleistungskonzession sei, dass der Auftragnehmer aus der Aufgabenübernahme eigenverantwortlich wirtschaftlichen Nutzen ziehen dürfe.577 Diese Voraussetzung sah die VK Stuttgart in ihrer Entscheidung nicht als erfüllt an, da das obsiegende Verkehrsunternehmen verpflichtet sei, bestimmte vorgegebene Strecken nach einem vorgegebenen Fahrplan zu bedienen. Es konnte auch die Beförderungsentgelte nicht frei bestimmen, sondern war an die Tarife eines Verkehrsverbundes gebunden. Darüber hinaus bestehe in der Frage der Vermarktung kein wirtschaftlicher Spiel-
573 Vgl. Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 603 f.; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, S. 148, 161. 574 So aber Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 603. 575 So im Ergebnis auch VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61. 576 VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59; ähnlich auch VK Karlsruhe, Beschl. v. 14. 3. 2005, Az. 1 VK 5/05, S. 16 f. 577 VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61 (im Anschluss an BayObLG, NZBau 2002, S. 233, 235).
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raum.578 Diese Rahmenbedingungen dürften bei Zuschussverträgen, die sich nicht auf eine reine Finanzierungsvereinbarung beschränken, häufig gegeben sein. Auch Baumeister/Klinger gehen davon aus, dass ein Recht zur Verwertung nur übertragen werde, „wenn Verantwortung und Kompetenz für die Konzeption und Gestaltung des Angebots zumindest weit überwiegend beim Unternehmen“ lägen.579 Das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession an fehlender wirtschaftlicher Gestaltungsmacht des Verkehrsunternehmens scheitern zu lassen, erscheint jedoch nicht gerechtfertigt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass mit einer Dienstleistungskonzession die Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden öffentlichen Aufgabe auf einen Dritten übertragen wird. Hierbei muss der Aufgabenträger dem betroffenen Verkehrsunternehmen bestimmte Verpflichtungen auferlegen, um eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im straßengebundenen ÖPNV sicherzustellen. Außerdem ist nach der Rechtsprechung des EuGH das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen öffentlichem Auftrag und Dienstleistungskonzession der Umstand, dass bei der Dienstleistungskonzession die Bezahlung des Dienstleistungserbringers nicht durch den Auftraggeber, sondern durch die Nutzer der Dienstleistung erfolgt.580 Durch diese Art der Bezahlung wird das wirtschaftliche Risiko auf den Dienstleistungserbringer übertragen. Konkret für den ÖPNV hat der EuGH entschieden, dass die Finanzierung des öffentlichen Verkehrsdiensts über den Kauf von Fahrkarten durch die Benutzer charakteristisch sei für eine Dienstleistungskonzession.581 Entsprechend dieser Rechtsprechung des EuGH, die den Blick in erster Linie auf die Art der Bezahlung des Verkehrsunternehmens lenkt, kann der Begriff der Dienstleistungskonzession nicht dadurch eingeschränkt werden, dass es für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession notwendigerweise erforderlich ist, dass das Verkehrsunternehmen über die zumindest weit überwiegende Verantwortung und Kompetenz für die Konzeption und Gestaltung des Verkehrsangebots verfügt. Dem Verkehrsunternehmen ist vielmehr dann ein Recht zur Nutzung eingeräumt, wenn es das Recht hat, von seinen Fahrgästen Fahrgelder zu erheben. Bei der Frage des wirtschaftlichen Risikos kann in die erforderliche Gesamtbetrachtung jedoch auch der Grad des wirtschaftlichen Gestaltungsspielraums des Verkehrsunternehmens miteinbezogen werden.582 Entscheidend kommt es also darauf an, ob das Verkehrsunternehmen das wirtschaftliche Risiko der Erbringung der Verkehrsleistungen trägt.583 Im Ergebnis hat 578
VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61. Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604; so auch Barth/Meinert, KommJur 2006, S. 73, 74; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 382 f. (allgemein) und S. 387 (speziell zum ÖPNV). 580 EuGH, Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8612 Rn. 40 f., NZBau 2005, S. 644, 647. 581 EuGH, Urt. v. 6. 4. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303 Rn. 16, NZBau 2006, S. 326, 327. 582 Winnes, Der Nahverkehr 4/2005, S. 11, 13. 583 Vgl. hierzu ausführlich oben B. II. 3. d) cc). 579
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
die VK Stuttgart in ihrem Beschluss vom 30. 7. 2004584 deshalb zutreffend das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession verneint. Wie bei einem Bruttovertrag sollte das obsiegende Verkehrsunternehmen in dem dort entschiedenen Fall einen „Zuschuss“ erhalten, der den Wert der Verkehrsleistung in voller Höhe deckt und der mit den Fahrgeldeinnahmen verrechnet wird. Unabhängig von der Entwicklung der Fahrgeldeinnahmen waren die durch die Erbringung der streitgegenständlichen Verkehrsleistungen entstehenden Kosten also in jedem Fall gedeckt. Unter diesen Umständen trägt das Verkehrsunternehmen kein wirtschaftliches Risiko, weshalb keine Dienstleistungskonzession vorliegt. Hieran ändert auch nichts, dass das Verkehrsunternehmen den Verkehr aufgrund einer Genehmigung für eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen (§ 13 PBefG) erbringen sollte.585 Deckt der Zuschuss jedoch lediglich einen kleinen Teil der entstehenden Gesamtkosten und stellt das Beförderungsentgelt im Verhältnis zum Zuschuss den weit überwiegenden Teil der Finanzierung dar, so liegt – wenn man unter diesem Umständen nicht von einem Zuschussvertrag ausgehen muss – regelmäßig jedenfalls eine Dienstleistungskonzession vor. Das Nachfragerisiko liegt nämlich in solchen Fällen beim Verkehrsunternehmen.586 Die Beantwortung der Frage, ob das Verkehrsunternehmen das wirtschaftliche Risiko trägt, bedarf insgesamt einer genauen Prüfung anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls und der beabsichtigten Vertragsregelungen.587 5. In-House-Vergabe Wenn es sich bei dem zu beauftragenden Unternehmen um ein kommunales Verkehrsunternehmen handelt, so ist das Vergaberecht nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH zur In-House-Vergabe nicht anwendbar [vgl. ausführlich Kapitel 5 und Kapitel 9 B. II. 3. e)]. Die Möglichkeit einer In-House-Vergabe scheidet demnach bei jeglicher privatwirtschaftlicher Beteiligung an dem Verkehrsunternehmen aus. Voraussetzung ist, dass das kommunale Verkehrsunternehmen zu 100 % in kommunalem Eigentum steht.588 Im Falle einer In-House-Vergabe muss auch kein Genehmigungswettbewerb nach § 13 PBefG durchgeführt werden.589 584
VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59. VK Stuttgart, NZBau 2005, S. 59, 61. 586 OLG Karlsruhe, NZBau 2005, S. 655, 656 (unzutreffend deshalb die dortige Vorinstanz VK Karlsruhe, Beschluss vom 14. 3. 2005, Az. 1 VK 5/07, S. 16 f.). Wittig/Schimanek (NZBau 2008, S. 222, 224) weisen auf eine das Jahr 2005 betreffende Verbandserhebung des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hin, wonach der Kostendeckungsgrad in Deutschland regelmäßig über 50 % liege, weshalb bei eigenwirtschaftlichen Verkehrleistungen in der Regel von einer Dienstleistungskonzession auszugehen sei. 587 Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 604 f.; Hattig/Ruhland, NZBau 2005, S. 626, 629. 588 EuGH, Urt. v. 11. 1. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, NZBau 2005, S. 111. 589 Wittig, Der Nahverkehr 6/2006, S. 16, 17; Barth, NZBau 2007, S. 159, 161 (Fn. 39); vgl. auch Wenzel/Denzin/Siederer, LKV 2008, S. 18, 20. 585
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III. Finanzierung kommunaler Unternehmen Fraglich ist, ob es einen öffentlichen Auftrag darstellt, wenn der straßengebundene ÖPNV über den kommunalen Querverbund finanziert wird oder eine kommunale Gebietskörperschaft durch die Übernahme der Verluste ihres kommunalen Verkehrsunternehmens den straßengebundenen ÖPNV finanziert und auf diese Weise die Erbringung eigenwirtschaftlicher Verkehrsleistungen ermöglicht.590 Bei der Verlustübernahme unterstützt die jeweilige kommunale Gebietskörperschaft als Eigentümerin ihr kommunales Verkehrsunternehmen direkt durch Gesellschaftereinlagen oder Kapitalausstattungen.591 Im kommunalen Querverbund werden die Verluste des straßengebundenen ÖPNV durch die Gewinne aus der kommunalen Versorgung (Energie, Wasser) abgedeckt.592 Sind mehrere Sparten in einem einheitlichen Unternehmen zusammengefasst, erfolgt die Finanzierung des ÖPNV durch eine interne Subventionierung, bestehen mehrere Tochtergesellschaften unter dem Dach einer Holding, wird der ÖPNV über Ergebnisabführungsverträge finanziert.593 1. Vergaberechtliche Beurteilung Wachinger594 vertritt die Ansicht, dass es vergaberechtlich auch als Vertrag anzusehen sei, wenn die öffentliche Hand ihre Stellung als Eigentümerin eines Verkehrsunternehmens dazu nutze, dieses zu verpflichten, Verkehrsleistungen zu erbringen, die es im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht erbracht hätte. Dieser Ansicht ist zu widersprechen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei kommunalen Verkehrsunternehmen um Unternehmen handelt, die einen öffentlichen Zweck verfolgen und nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind. Entsprechend dieser Zwecksetzung erbringen sie Verkehrsleistungen, um eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung im straßengebundenen ÖPNV sicherzustellen. Diese Verkehrsleistungen erbringen sie in der Erwartung, dass ihnen die entstehenden Verluste durch den jeweiligen kom-
590
Vgl. Barth, NZBau 2007, S. 159, 161 m. w. N. Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 16 f.; Metz, Der Nahverkehr 10/2003, S. 24, 26 ff.; Winnes, Der Ordnungsrahmen des deutschen Nahverkehrs, 2005, S. 62. 592 Tödtmann/Schauer, NVwZ 2008, S. 1 f.; Zuck, DÖV 1994, S. 941, 945; Metz, Der Nahverkehr 10/2003, S. 24, 26; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 2. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/04, S. 11. 593 Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 16; Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 58 ff. 594 Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 375; im Ergebnis ebenso VK Düsseldorf, Beschl. v. 14. 5. 2004, Az. VK-7/2004-L / VK-8/2004-L, S. 22 (nicht abgedruckt in NZBau 2005, S. 62). 591
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
munalen Eigentümer ausgeglichen werden.595 Es wird kein gesonderter Vertrag zwischen Verkehrsunternehmen und kommunaler Gebietskörperschaft geschlossen, aus dem sich einerseits die Verpflichtung zur Erbringung bestimmter Verkehrsleistungen durch das Verkehrsunternehmen und andererseits die Verpflichtung zur Übernahme der Verluste durch die kommunale Eigentümerin ergibt. Die Übernahme der Verluste erfolgt ohne Bezug zur Erbringung bestimmter Leistungen. Bei der Verlustübernahme durch Kapitalausstattungen oder Haushaltstransfers besteht deshalb kein gegenseitiger Vertrag und kein Leistung-Gegenleistungs-Verhältnis, sondern es handelt sich um einseitige Zuwendungen, die den Empfänger erst in die Lage versetzen, bestimmte Tätigkeiten im öffentlichen Interesse auszuüben.596 Auf Gesellschaftereinlagen oder Kapitalausstattungen zur Übernahme von Verlusten ist das Vergaberecht deshalb nicht anwendbar, weil das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags den Abschluss eines Vertrages voraussetzt (vgl. § 99 Abs. 1 GWB).597 Wenn eine kommunale Gebietskörperschaft ihre Stellung als Eigentümerin eines Verkehrsunternehmens dazu nutzt, dieses zur Erbringung bestimmter Verkehrsleistungen zu verpflichten, die es im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht erbracht hätte, handelt es sich ebenfalls nicht um einen Vertrag zwischen der kommunalen Gebietskörperschaft und dem Verkehrsunternehmen als unterschiedlichen Rechtssubjekten, sondern um eine interne Anweisung im Verhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft. Ein öffentlicher Auftrag setzt jedoch den Abschluss eines Vertrages voraus.598 Dieselben Erwägungen gelten bei der Finanzierung defizitärer Verkehre über den kommunalen Querverbund. Die Verluste des im öffentlichen Interesse tätigen Verkehrsunternehmens werden in diesem Fall durch die Gewinne aus der kommunalen Versorgung ausgeglichen. Ein gesonderter Vertrag zwischen kommunaler Gebietskörperschaft und Verkehrsunternehmen, der die Verpflichtung zur Erbringung bestimmter Verkehrsleistungen zum Gegenstand hat, besteht wiederum nicht. Bei Holdingkonstruktionen bestehen zwar Ergebnisabführungsverträge zwischen den verschiedenen Tochtergesellschaften des kommunalen Konzerns, nicht jedoch ein Vertrag zwischen Verkehrsunternehmen und kommunaler Gebietskörperschaft über bestimmte Verkehrsleistungen. Nutzt die kommunale Eigentümerin ihre Stellung dazu aus, das Verkehrunternehmen zur Erbringung bestimmter Verkehrsleistungen zu verpflichten, handelt es sich hierbei um eine interne Weisung, nicht jedoch um einen Vertrag zwischen zwei verschiedenen Rechtsträgern. Eine Gegenleistung der kommunalen Gebietskörperschaft liegt auch deshalb nicht vor, weil keine Mittel von der kommunalen Gebietskörperschaft an das Verkehrsunternehmen fließen, sondern 595
Winnes, Der Ordnungsrahmen im deutschen Nahverkehr, 2005, S. 62. Vgl. Eschenbruch, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 99 Rn. 27 m. w. N. 597 VK Stuttgart, Beschl. v. 30. 7. 2004, Az. 1 VK 48/04, NZBau 2005, S. 59, 61; Lenz/ Ulshöfer, Der Nahverkehr 5/2005, S. 30, 32; a. A. VK Düsseldorf, Beschl. v. 14. 5. 2004, Az. VK-7/2004-L / VK-8/2004-L, S. 22 (nicht abgedruckt in NZBau 2005, S. 62). 598 A. A. Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 375. 596
9. Kap.: Anwendbarkeit des Vergaberechts im straßengebundenen ÖPNV
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die Verluste des Verkehrsunternehmens im Rahmen des kommunalen Querverbunds durch die Gewinne der profitablen Betriebssparten oder Tochtergesellschaften ausgeglichen werden. Sowohl bei der Verlustübernahme durch den kommunalen Eigentümer als auch bei der Finanzierung defizitärer Verkehre über den kommunalen Querverbund werden also die entstandenen Defizite übernommen, ohne dass ein Bezug zur Erbringung bestimmter Verkehrsleistungen besteht. Bei der Einführung des Begriffs der Eigenwirtschaftlichkeit war es gerade das Ziel des Gesetzgebers, ein BestellerErsteller-Prinzip im Bereich der eigenwirtschaftlichen Verkehre zu vermeiden und so den kommunalen Gebietskörperschaften die Steuervorteile des kommunalen Querverbunds zu erhalten.599 Es handelt sich in diesen Fällen also um die schlichte Finanzierung eines Defizits ohne zugrunde liegende Bestellung600 und deshalb nicht um einen öffentlichen Auftrag i. S. des § 99 Abs. 1 GWB. Selbst wenn man die Frage des Vorliegens eines öffentlichen Auftrags anders beantwortete, wäre das Vergaberecht nicht zwingend anzuwenden, da die Grundsätze der In-House-Vergabe auch in diesem Zusammenhang gelten würden.601 Wären die Voraussetzungen einer In-House-Vergabe erfüllt, könnte das Vergaberecht unangewendet bleiben. 2. Beihilferechtliche Problematik Bei der Verlustübernahme durch den kommunalen Eigentümer und beim kommunalen Querverbund bestehen jedoch beihilferechtliche Probleme.602 Nach dem zweiten Altmark Trans-Kriterium müssen die Parameter, anhand derer der Ausgleich für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen berechnet wird, zuvor objektiv und transparent aufgestellt werden. Der EuGH hat ausdrücklich klargestellt, dass die nachträgliche, pauschale Übernahme entstandener Verluste diese Voraussetzung nicht erfüllt und deshalb als Beihilfe i. S. des Art. 87 Abs. 1 EG anzusehen ist.603 Die Untersuchung der Frage, ob bzw. in welcher Form die Verlustübernahme durch kommunale Eigentümer und der kommunale Querverbund weiterhin zur Finanzierung des ÖPNV genutzt werden können, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen.604 599
Wachinger, WiVerw 2004, S. 27 f., 49. So auch Wachinger (Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 364), der jedoch das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags grundsätzlich bejaht. 601 Vgl. Kapitel 5 und oben B. II. 3. e). 602 Vgl. dazu Metz, Der Nahverkehr 10/2003, S. 24; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 12. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/2004, S. 6 ff.; Tödtmann/Schauer, NVwZ 2008, S. 1, 4 ff. 603 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 90 f.; Metz, Der Nahverkehr 10/2003, S. 28. 604 Vgl. dazu Metz, Der Nahverkehr 10/2003, S. 24; BLFA Straßenpersonenverkehr, Bericht vom 18. 12. 2004, Der Nahverkehr, Beilage zu Heft 5/2004, S. 6 ff.; Tödtmann/Schauer, NVwZ 2008, S. 1, 4 ff. 600
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
3. Ergebnis Auch wenn die kommunale Gebietskörperschaft mit der Verlustübernahme oder der Errichtung eines kommunalen Querverbundes die Erbringung von Verkehrsleistungen im ÖPNV ermöglicht, muss im Ergebnis das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags (§ 99 Abs. 1 GWB) und damit die Anwendbarkeit des Vergaberechts verneint werden. IV. Ergebnis Bei der Überprüfung der Frage, ob das Vergaberecht auf eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen anwendbar ist, muss für jeden Verkehr zunächst genau untersucht werden, wie dieser finanziert wird. Kann der Verkehr aus den Fahrgelderlösen und den Erträgen gesetzlicher Ausgleichszahlungen finanziert werden, ist das Vergaberecht bereits mangels Beschaffungsvorgang nicht anwendbar. Werden die entstandenen Defizite bei kommunalen Verkehrsunternehmen durch Verlustübernahmen der Eigentümer oder über den kommunalen Querverbund finanziert, besteht ebenfalls keine aus dem Vergaberecht resultierende Ausschreibungspflicht. Bei der Gewährung von Betriebskostenzuschüssen ist danach zu unterscheiden, ob die jeweilige kommunale Gebietskörperschaft sich Verkehrsleistungen beschaffen will (dann liegt ein öffentlicher Auftrag vor), oder ob sie lediglich über die Gewährung von Zuschüssen einen Anreiz für das Verkehrsunternehmen schaffen will, die Verkehrsleistungen in einer bestimmten Qualität zu erbringen. Im letzteren Fall liegt ein nicht dem Vergaberecht unterfallender Zuschussvertrag vor.
10. Kapitel
Berücksichtigung des Daseinsvorsorgecharakters der Leistung im Vergabeverfahren Das Ergebnis einer im Rahmen des 2. Kapitels (vgl. dort D. III.) vorgenommenen Untersuchung war, dass trotz der sich stellenden Probleme eine angemessene und ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Daseinsvorsorge auch dann gewährleistet werden kann, wenn diese Leistungen im Rahmen wettbewerblicher Vergabeverfahren vergeben werden. In diesem Kapitel soll nun anhand des Beispiels des ÖPNV konkret erläutert werden, wie der Daseinsvorsorgecharakter der zu vergebenden Verkehrsleistungen im Vergabeverfahren berücksichtigt werden kann.
10. Kap.: Berücksichtigung des Daseinsvorsorgecharakters
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A. Verfahrensart Regelmäßig wird eine öffentliche Ausschreibung durchzuführen sein (vgl. §§ 3 Nr. 2, 3a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A). Eine beschränkte Ausschreibung oder ein Verhandlungsverfahren ist nur unter den in den § 3 Nr. 3, 4, § 3a Nr. 1 Abs. 5, Nr. 2 VOL/A genannten Voraussetzungen zulässig. Gemäß § 3 Nr. 4 lit. h VOL/A ist eine freihändige Vergabe möglich, wenn die Leistung nach Art und Umfang vor der Vergabe nicht so eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann, dass hinreichend vergleichbare Angebote erwartet werden können. Angesichts der steigenden Erfahrungen mit der Ausschreibung von Nahverkehrsleistungen ist die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens unter Verweis auf § 3 Nr. 4 lit. h VOL/A regelmäßig nicht möglich.605 Die VK Düsseldorf hat – allerdings unter Berücksichtigung weiterer spezieller rechtlicher und tatsächlicher Umstände – im straßengebundenen ÖPNV die Durchführung einer beschränkten Ausschreibung mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb (Nichtoffenes Verfahren) mit dem Verweis auf § 3 Nr. 3 lit. a VOL/A gebilligt.606 Nach § 3 Nr. 3 lit. a VOL/A darf eine beschränkte Ausschreibung stattfinden, wenn die Leistung nach ihrer Eigenart nur von einem beschränkten Kreis von Unternehmen in geeigneter Weise ausgeführt werden kann, besonders wenn außergewöhnliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit erforderlich ist. Die Erteilung der für die Erbringung der Verkehrsleistungen erforderlichen personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung setze für den jeweiligen Gewinner der Ausschreibung außergewöhnliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit voraus (vgl. §§ 13 Abs. 1, 13a Abs. 1 Satz 2 PBefG). Dies rechtfertige es, nur einen beschränkten Kreis von Unternehmern anzusprechen.607 Angesichts der speziellen Umstände des Einzelfalls608 ist jedoch fraglich, ob diese Entscheidung ohne Weiteres verallgemeinerungsfähig ist.
605
So bereits VÜA Baden-Württemberg, Beschl. v. 8. 4. 1999, Az. 1 VÜ 5/99, S. 6. Die VK Düsseldorf ließ ein Verhandlungsverfahren nach § 3 Nr. 4 lit. h VOL/A bei einem Verkauf von Anteilen an einem Verkehrsbetrieb aufgrund der Komplexheit der Maßnahme zu (VK Düsseldorf, Beschl. v. 14. 5. 2004, Az. VK 7/04 und VK 8/04, NZBau 2005, S. 62, 63). 606 VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 2. 2000, Az. VK-1/2000-L, S. 17. 607 VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 2. 2000, Az. VK-1/2000-L, S. 17; ebenso Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 179. 608 Die Vergabestellen waren in dem von der VK Düsseldorf entschiedenen Fall berechtigt, einen Volumenanteil von jährlich 10 – 15 % des Beförderungsvolumens dem Wettbewerb zu unterwerfen. Hierdurch waren sie jedoch auch gezwungen, in schneller Folge auszuschreiben und Zuschläge nur an Unternehmen zu vergeben, die mit größter Wahrscheinlichkeit die erforderliche behördliche Genehmigung auch erhalten werden. Andernfalls wäre das Ziel der sukzessiven Öffnung für den Wettbewerb gefährdet. Unter Berücksichtigung dieser Umstände brächte es für die Vergabestellen einen erhöhten Aufwand mit sich, eine Vielzahl ungeeigneter Angebote in einem offenen Verfahren ausscheiden zu müssen (VK Düsseldorf, Beschl. v. 18. 2. 2000, Az. VK-1/2000-L, S. 17).
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
B. Leistungsbeschreibung In der Leistungsbeschreibung ist die durch die Verkehrsunternehmen zu erbringende Leistung genau zu beschreiben (§ 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A). Der Aufgabenträger muss in der Leistungsbeschreibung den Umfang und die Qualität der zu erbringenden Verkehrsleistungen so festlegen, dass eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV sichergestellt ist. Dadurch, dass der Aufgabenträger die zu erbringenden Verkehrsleistungen selbst definiert, kann er für eine ausreichende Daseinsvorsorge sorgen.609 Als Aufgabenträger ist er hierzu auch verpflichtet (§ 1 Abs. 1 RegG). I. Inhalt der Leistungsbeschreibung Der Umfang der Verkehrsleistungen wird durch Festlegungen hinsichtlich der Linienführung, eines bestimmten Fahrplans oder eines bestimmten Takts bestimmt. Durch die Vorgabe eines Fahrplans kann der Aufgabenträger auch sicherstellen, dass in Nachtzeiten oder zu anderen nachfrageschwachen Zeiten eine Grundversorgung aufrechterhalten bleibt. Die Qualität der Verkehrsleistungen wird durch Festlegungen hinsichtlich der zu verwendenden Fahrzeugtypen und der Ausstattung der Fahrzeuge bzw. Haltestellen bestimmt. Was die Fahrzeuge betrifft, so können u. a. Anforderungen festgelegt werden hinsichtlich der Kapazität, der Zahl der Sitz- und Stehplätze, des maximalen bzw. durchschnittlichen Alters oder der maximalen bzw. durchschnittlichen Fahrzeuglaufleistung, der Antriebstechnik, der zu erfüllenden Abgasnormen, der behindertengerechten Ausstattung der Fahrzeuge (Niederflurbus, Hublift oder Rampe, Stellfläche für Rollstühle) sowie der erforderlichen Zusatzausstattungen wie Verkaufseinrichtungen im Fahrzeug (Fahrscheindrucker, Entwerter), Klimaanlage und Funkverbindung des Fahrers zur Leitstelle.610 Hinsichtlich der Haltestellen sind deren Ausstattung (Sitzmöglichkeiten, Wetterschutz, Beleuchtung), die erforderlichen Informationsmöglichkeiten der Fahrgäste (Aushänge, dynamische Fahrplananzeige, Lautsprecherdurchsagen) und die Wartung, Instandhaltung, Reinigung der Haltestellen festzulegen. Bei allen gestellten Anforderungen ist der Nahverkehrsplan zu berücksichtigen. Die Qualität der Verkehrsleistungen wird auch durch Vorgaben hinsichtlich der an das Personal zu stellenden Anforderungen beeinflusst (fachliche Kompetenz, Ausbildung und Schulung, Kleidung, Serviceorientierung (z. B. Beherrschung der deutschen Sprache, Ortskenntnisse)).611 609 Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 152 f., 156; Barth, Stadt und Gemeinde 2000, S. 226, 230; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 211; OLG Koblenz, NZBau 2002, S. 699, 703. 610 Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59, 60; Schenck/Metzner/Hoerschelmann, Der Nahverkehr 6/2003, S. 14, 17; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 152; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 180. 611 Schenck/Metzner/Hoerschelmann, Der Nahverkehr 6/2003, S. 14, 17; Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59, 60 (Hohe Qualitätsanforderungen an das Personal bildeten zudem ein wirksames Hindernis gegen Dumpinglöhne).
10. Kap.: Berücksichtigung des Daseinsvorsorgecharakters
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Die Verdingungsunterlagen enthalten darüber hinaus normalerweise Regelungen zum Vertrieb/Marketing und Vorgaben zur Gestaltung der Tarife. Häufig wird von dem obsiegenden Verkehrsunternehmen (wenn eine entsprechende Mitgliedschaft nicht bereits besteht) der Beitritt zu einem Verkehrsverbund und die Übernahme des entsprechenden Tarifs des Verkehrsverbunds verlangt.612
II. Konstruktive oder funktionale Leistungsbeschreibung Beim Umfang der Vorgaben kommt es darauf an, ob der Aufgabenträger eine konstruktive oder eine funktionale Leistungsbeschreibung (§ 8 Nr. 2 VOL/A) gewählt hat. Bei der konstruktiven Leistungsbeschreibung wird dem Verkehrsunternehmen alles bis ins Detail vorgegeben, insbesondere Fahrplan, Ausstattung der eingesetzten Fahrzeuge und Anforderungen an das Personal.613 Eine funktionale Leistungsbeschreibung gibt dagegen lediglich die zu erfüllende Funktion der Verkehrsbedienung vor und enthält deshalb nur bestimmte Mindestanforderungen (wie z. B. Fixtermine oder Taktvorgaben, Qualitätsziele), die das Verkehrsunternehmen erfüllen muss.614 Vorgegebene Fixtermine berücksichtigen bspw. die Anschlusszeiten überregionaler Zugverbindungen oder Schulanfangs- und -endzeiten. An die Fahrzeuge sind bestimmte Mindestanforderungen hinsichtlich des Typs, der Ausstattung und der Kapazität zu stellen. Eine funktionale Leistungsbeschreibung erhöht die unternehmerischen Spielräume der Verkehrsunternehmen, führt jedoch infolge einer größeren Bandbreite der Angebote zu deren schlechteren Vergleichbarkeit.615 Die Entscheidung für eine konstruktive oder funktionale Leistungsbeschreibung hängt auch davon ab, ob ein Netto- oder Bruttovertrag vergeben werden soll. Bei einem Bruttovertrag trägt der Aufgabenträger das Erlösrisiko, das zu erbringende Verkehrsangebot wird im Rahmen einer konstruktiven Leistungsbeschreibung genau festgelegt.616 Bei einem Nettovertrag trägt das Verkehrsunternehmen das Erlösrisiko, 612 Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 152; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 180 (Die Leistungsbeschreibung muss in diesem Fall hinreichende Angaben zu den sich aus der Zwangsmitgliedschaft ergebenden finanziellen Folgen enthalten). 613 Bsp. bei OLG Koblenz, NZBau 2002, S. 699, 703 f. (Da es auf dem neuen Markt des SPNV bisher weder verkehrsübliche Bezeichnungen noch normierte technische Spezifikationen gebe, mit denen die komplexen Leistungen hinreichend beschreibbar wären, sei nichts gegen eine konstruktive Leistungsbeschreibung einzuwenden; es gelte der Grundsatz: „Je detaillierter, desto besser“!). Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 204; Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59, 60. 614 Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 204; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 56; Marszalek, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, 2005, S. 125, 130. 615 Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 152; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 204; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 56. 616 Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59, 61.
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4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
weshalb ihm auch über eine funktionale Leistungsbeschreibung beim Fahrplan und nach Möglichkeit auch beim Tarif größere unternehmerische Spielräume eingeräumt werden müssen.617 III. Weitere Anforderungen an die Leistungsbeschreibung Der Aufgabenträger ist grundsätzlich in der Festlegung der Anforderungen an den Umfang und die Qualität der Verkehrsleistungen frei. Allerdings soll dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann (§ 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A).618 Auch dürfen an die Beschaffenheit der Leistung ungewöhnliche Anforderungen nur so weit gestellt werden, wie es unbedingt notwendig ist (§ 8 Nr. 3 Abs. 1 VOL/A).619 Die Definition des Umfangs und der Qualität der zu erbringenden Verkehrsleistungen in der Leistungsbeschreibung ist leistungsbezogen, vergabefremde Zwecke werden hiermit nicht verfolgt. Es ist darauf zu achten, dass die Leistungsbeschreibung nicht gegen primäres Gemeinschaftsrecht verstößt, insbesondere nicht diskriminierend ist (also bspw. keine Anforderungen stellt, die nur von Unternehmen eines Mitgliedsstaates erfüllt werden können). Um das sog. „Rosinenpicken“ zu verhindern, sollten Teilnetze ausgeschrieben werden.620 IV. Überwachung der Qualität der Verkehrsleistungen Da es die Aufgabenträger über die Leistungsbeschreibung in der Hand haben, den Umfang und die Qualität der Verkehrsleistungen im ÖPNV festzulegen, ist eine – auf das Gewinnstreben der beauftragten Verkehrsunternehmen zurückzuführende – Verschlechterung des Umfangs oder der Qualität der Verkehrsleistungen nicht zu befürchten bzw. kann eine solche Verschlechterung durch den Aufgabenträger verhindert werden.621 Um sicherzustellen, dass sich die Qualität der Verkehrsbedienung nicht während der Vertragslaufzeit verschlechtert, muss in dem zwischen Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger abgeschlossenen Verkehrsvertrag ein System zur Überwachung der Qualität der Verkehrsleistungen festgelegt werden 617
Vgl. hierzu Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 58 f.; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 215 ff. 618 Vgl. bspw. OLG Celle, Beschl. v. 2. 9. 2004, Az. 13 Verg 11/04, NZBau 2005, S. 52 f.; allgemein zu dieser Problematik Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 202; Kulartz, NZBau 2001, S. 173, 180. 619 Vgl. OLG Koblenz, NZBau 2002, S. 699, 704. 620 Vgl. Kapitel 2 D. III. 1. 621 So auch Koch/Mau (Der Nahverkehr 3/2007, S. 20, 25, 27), die von einer durch den Wettbewerb und der Einführung des Besteller-Ersteller-Prinzips ausgelösten Qualitätsverbesserung im SPNV ausgehen.
10. Kap.: Berücksichtigung des Daseinsvorsorgecharakters
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(Qualitätsmanagement). Überwacht werden muss neben der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Verkehrsbedienung auch, ob die Qualitätsanforderungen hinsichtlich der Fahrzeuge, der Haltestellen und des Personals tatsächlich dauerhaft eingehalten werden. Für Fälle der Schlechterfüllung können Minderungen der Vergütung oder Vertragsstrafen vorgesehen werden. Die Einhaltung der Qualitätsanforderungen muss durch den Aufgabenträger regelmäßig kontrolliert werden, was mit einem entsprechend hohen Überwachungsaufwand verbunden ist.622 Um dem Verkehrsunternehmen andererseits einen Anreiz zur Verbesserung der Verkehrsleistungen zu bieten, sollte der Verkehrsvertrag auch Bonus-Regelungen für gute Vertragserfüllung vorsehen (Bonus-Malus-System).623
C. Eignungskriterien und Zuschlagserteilung I. Eignungskriterien Im Rahmen der Eignungsprüfung (§ 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A) kann anhand der vorgelegten Referenzen oder der Angaben zu bisher erbrachten Verkehrsleistungen die Fachkunde (§ 97 Abs. 4 GWB) der Verkehrsunternehmen überprüft werden.624 Anhand dieser Unterlagen kann geprüft werden, ob das jeweilige Verkehrsunternehmen über die Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten verfügt, die zur Ausführung der zu vergebenden Verkehrsleistungen erforderlich sind. Bei der Prüfung der Zuverlässigkeit sind Verstöße gegen arbeits- oder sozialrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen. II. Wirtschaftlichstes Angebot Gemäß § 97 Abs. 5 GWB ist der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Damit ist nicht das billigste Angebot gemeint, sondern das wirtschaftlich günstigste Angebot. Dies bedeutet, dass bei der Zuschlagerteilung nicht nur der angebotene Preis, sondern auch noch andere, auf den Auftragsgegenstand bezogene Zuschlagskriterien zu berücksichtigen sind. Solche weiteren Zuschlagskriterien können bspw. die Qualität, der technische Wert, die Zweckmäßigkeit, die Umwelteigenschaften, die Betriebskosten, die Rentabilität, der Kundendienst und die
622 Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59, 60; Schenck/Metzner/Hoerschelmann, Der Nahverkehr 6/2003, S. 14, 17 f.; Klinger, Der Nahverkehr 4/2006, S. 48, 50 f.; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 222; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 60. 623 Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59, 60; Schenck/Metzner/Hoerschelmann, Der Nahverkehr 6/2003, S. 14, 17 f.; Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 60 f. 624 Klinger, Der Nahverkehr 4/2006, S. 48, 50.
302
4. Teil: Anwendbarkeit des Vergaberechts im ÖPNV
technische Hilfe sein (§ 25a Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOL/A). Das wirtschaftlichste Angebot ist anhand eines Preis-Leistungs-Verhältnisses zu ermitteln.625 Da konstruktive Leistungsbeschreibungen die zu erbringenden Verkehrsleistungen bis ins Detail festlegen, kann das wirtschaftlichste Angebot in diesen Fällen auch ausschließlich anhand des gebotenen Preises ermittelt werden. Hierdurch wird eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV nicht gefährdet, da die erforderliche Qualität und der erforderliche Umfang der Verkehrsleistungen bereits in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt und für den obsiegenden Bieter verbindlich festgelegt sind.626
D. Kritik der Verkehrsunternehmen am Ausschreibungswettbewerb Die Verkehrsunternehmer kritisieren, dass ihre unternehmerische Gestaltungsfreiheit durch einen Ausschreibungswettbewerb und die damit verbundenen detaillierten Vorgaben der Aufgabenträger erheblich eingeschränkt werde. Nicht mehr die auf der Straße tätigen Verkehrsunternehmer, sondern die Aufgabenträger bestimmten über die Gestalt des ÖPNV. Der Ausschreibungswettbewerb dränge die Verkehrsunternehmen in die Rolle reiner „Lohnkutscher“627 und trage „nahezu planwirtschaftliche Züge“.628 Aus ihrer Perspektive ist der Genehmigungswettbewerb bei eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen das zu bevorzugende Wettbewerbsmodell, da dieser der unternehmerischen Gestaltung durch die Verkehrsunternehmer einen größeren Spielraum lasse.629 Beim Genehmigungswettbewerb erhält derjenige Verkehrsunternehmer die Liniengenehmigung, der die beste Verkehrsbedienung anbietet.630 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die staatliche Planung des ÖPNV eine zwangsläufige Folge der Regionalisierung und der damit eingeführten Trennung der Besteller- von der Erstellerebene ist. Die Aufgabenträger sind für die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV zuständig und bestellen zu diesem Zweck Verkehrsleistungen bei den lediglich mit 625 Stickler, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 2003, § 97 Rn. 27 f.; Schwan, Der Nahverkehr 5/2007, S. 52; Barth, Nahverkehr in kommunaler Verantwortung, 2000, S. 154. 626 Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59, 61; OLG Koblenz, NZBau 2002, S. 699, 704. 627 Sterzenbach, FAZ v. 18. 3. 2006, S. 13. 628 Fehling, Die Verwaltung, 2001, S. 25, 39. Skeptisch auch Marszalek, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Dienstleistungen zwischen Eigenerstellung und Wettbewerb, 2005, S. 125, 130 f., 133 f. 629 Targan/Rutschmann, Der Nahverkehr 3/2006, S. 34. 630 VGH Mannheim, DÖV 2006, S. 484; VGH Mannheim, Urt. v. 27. 11. 2003, Az. 3 S 709/03, DVBl. 2004, S. 843 (Leitsätze); VG Stade, NZBau 2005, S. 115, 118.
10. Kap.: Berücksichtigung des Daseinsvorsorgecharakters
303
dem Betrieb der Verkehrsleistungen befassten Verkehrsunternehmen.631 Zur Sicherstellung der Daseinsvorsorge im Bereich des ÖPNV ist auch erforderlich, dass die Aufgabenträger bestimmte Vorgaben hinsichtlich des Umfangs und der Qualität der Verkehrsleistungen machen. Die unternehmerische Gestaltungsfreiheit wird durch öffentliche Ausschreibungen auch nicht vollständig beseitigt. Bei funktionalen Leistungsbeschreibungen verbleiben den Verkehrsunternehmen Gestaltungsspielräume, da durch diese lediglich Mindestanforderungen festgelegt werden. Seitens des Aufgabenträgers besteht auch die Möglichkeit, Nebenangebote oder Sondervorschläge zuzulassen bzw. zu berücksichtigen. Das unternehmerische Potenzial der Verkehrsunternehmen kann darüber hinaus durch die Vergabe von Nettoverträgen oder Bonus-Malus-Regelungen im Verkehrsvertrag erschlossen werden.632
631 Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59, 63; Schenck/Metzner/Hoerschelmann, Der Nahverkehr 6/2003, S. 14, 15. 632 Schenck/Metzner/Hoerschelmann, Der Nahverkehr 6/2003, S. 14, 18; zu weiteren Spielräumen vgl. Rehn/Valussi, Der Nahverkehr 1 – 2/2006, S. 59, 61; Werner, Nach der Regionalisierung, 1998, S. 226.
5. Teil
Neuere legislative Entwicklungen In der vorliegenden Arbeit wurde schwerpunktmäßig die bis November 2009 geltende Rechtslage untersucht. Die zeitliche Zäsur bilden insofern der Vertrag von Lissabon, welcher am 01. 12. 2009 in Kraft getreten ist, und die am 03. 12. 2009 in Kraft getretene neue Personenverkehrsverordnung VO (EG) 1370/2007. In Kapitel 11 soll die Entwicklung der maßgeblichen Vorschriften dargelegt und zugleich untersucht werden, ob die mit der Arbeit gefundenen Ergebnisse aufgrund der eingetretenen Gesetzesänderungen der Modifikation bedürfen. Kapitel 12 ist der Darstellung der VO (EG) 1370/2007 gewidmet. Im Rahmen dieses Kapitels1 wird auch der Beschluss des BGH vom 08. 02. 20112 zur Vorschrift des § 15 Abs. 2 AEG dargestellt und diskutiert. 11. Kapitel
Vertrag von Lissabon und Vergaberechtsreform A. Vertrag von Lissabon Der am 13. 12. 2007 unterzeichnete und am 01. 12. 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon bildet die neue vertragliche Grundlage der Europäischen Union.3 Der Vertrag von Lissabon umfasst den Vertrag über die Europäische Union (EUV) sowie den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).4 Die Europäische Union erhält mit dem Vertrag von Lissabon eine eigene Rechtspersönlichkeit. Sie tritt an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft, deren Rechtsnachfolgerin sie ist (Art. 1 UAbs. 3 EUV). Der EG-Vertrag wurde umbenannt in Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
1
Kapitel 12 D. III. 3. c). BGH, Beschl. v. 08. 02. 2011, Az. X ZB 4/10, NZBau 2011, S. 175. 3 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007, ABl. Nr. C 306 vom 17. 12. 2007, S. 1. 4 In Art. 6 Abs. 1 EUV wird festgelegt, dass die Europäische Charta der Grundrechte den Verträgen rechtlich gleichrangig ist. Auf diese Weise wird die Grundrechts-Charta für verbindlich erklärt. 2
11. Kap.: Vertrag von Lissabon und Vergaberechtsreform
305
Mit dem Vertrag von Lissabon wurde insbesondere eine institutionelle Reform durchgeführt, die dem mittlerweile auf 27 Mitgliedsstaaten angewachsenen Umfang der EU Rechnung trägt. Bei all den tiefgreifenden institutionellen Reformen, die der Vertrag von Lissabon mit sich brachte, wurden die Vorschriften, die vorliegend im Mittelpunkt stehen zwar mit neuen Artikel-Nummern versehen, inhaltlich jedoch im Wesentlichen unverändert übernommen. Art. 16 EG findet sich nunmehr unter Art. 14 AEUV, Art. 86 EG unter Art. 106 AEUV, Art. 87 EG unter Art. 107 AEUV. Neu ist allerdings, dass in Art.14 Satz 2 AEUV der EU eine Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse eingeräumt wird. Gemäß Art. 14 Satz AEUV werden die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste durch Verordnung festgelegt, „unbeschadet der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese Dienste im Einklang mit den Verträgen zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu finanzieren“. Die hier im Mittelpunkt stehende Art und Weise, in der Mitgliedstaaten die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sicherstellen – die Vergabe von Aufträgen – wird nunmehr ausdrücklich im AEUV erwähnt. Änderungen in der rechtlichen Beurteilung, wie solche Aufträge zu vergeben sind, ergeben sich aus dieser Erwähnung im AEUV nicht. Bereits vor Inkrafttreten des AEUV war unstreitig, dass die Behörden der Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse u. a. durch die Vergabe von Aufträge sicherzustellen. Das Ziel des unverfälschten Wettbewerbs wurde aus dem EUV gestrichen. In Protokoll Nr. 27 wird allerdings nunmehr festgehalten, dass „der Binnenmarkt […] ein System umfasst, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt“. Dieses Streichen des Ziels eines unverfälschten Wettbewerbs aus dem Katalog der Ziele der EU zieht allerdings keine vollständige Neuausrichtung des Verhältnisses zwischen Wettbewerb und den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nach sich. Wie sich aus den im Wesentlichen unverändert übernommenen Art. 81 ff. EG (nunmehr Art. 101 ff. AEUV) ergibt, ist die EU weiter einer wettbewerblich orientierten Wirtschaftsordnung verpflichtet. Dass das Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs gestrichen, Art. 16 EG jedoch als Art. 14 AEUV übernommen und um eine Gesetzgebeungskompetenz ergänzt wurde, hat sicherlich nicht zu einer Schwächung der Bedeutung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse geführt, die Geltung der Wettbewerbsregeln auch für diesen Bereich jedoch keinesfalls beseitigt.
B. Reform des Vergaberechts Nachdem die Umsetzung der Richtlinien 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie) und 2004/17/EG (Sektorenkoordinierungsrichtlinie) zunächst nur un-
306
5. Teil: Neuere legislative Entwicklungen
vollständig erfolgte,5 wurden diese beiden Richtlinien sowie die Richtlinie 2007/66/ EG (Rechtsmittelrichtlinie) mit dem am 24. 04. 2009 in Kraft getretenen Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts6 sowie den sich anschließenden Änderungen der Vergabeverordnung7 und der nunmehr Vergabe- und Vertragsordnungen genannten Verdingungsordnungen8 vollständig umgesetzt. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts wurden die Vorschriften des GWB an die neue Rechtslage angepasst.9 Die geänderte Vergabeverordnung sowie die VOL/A 2009 traten am 11. 06. 2010 in Kraft. Die Vergabeverordnung ist zwischenzeitlich nochmals abgeändert worden.10 Wie sich aus der Beibehaltung der Vergabeverordnung sowie der Vergabeund Vertragsordnungen ergibt, wurde entgegen ursprünglichen Absichten das bestehende Kaskadensystem beibehalten. Die Bedeutung dieser Reform der nationalen vergaberechtlichen Vorschriften für die vorliegende Arbeit beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass die herangezogenen Vorschriften teilweise umnummeriert wurden.11 Die VOL/A ist nunmehr in zwei Abschnitte unterteilt, der 1. Abschnitt enthält die Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen, der 2. Abschnitt die Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG (VOL/A-EG).12 Während in den alten Fassungen der VOL/A im 2. Abschnitt die Basisparagrafen um die sog. a-Paragrafen ergänzt wurden, umfasst die VOL/A nunmehr jeweils zwei in sich geschlossene Abschnitte, die die für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen außerhalb bzw. innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2004/18/EG enthalten. Diese Regelungssystematik erhöht die Übersichtlichkeit der VOL/A. Auf vorrangige Dienstleistungen (Anlage 1 Teil A zur VOL/A) sind gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 VgV die Bestimmungen des 2. Abschnitts der VOL/A anzuwenden. Auf nachrangige Dienstleistungen (Anlage 1 Teil B zur VOL/A; Wasserversorgung, 5
Vgl. Kapitel 1 B. I. 4. Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. 04. 2009 (BGBl. I S. 790). 7 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. 02. 2003 (BGBl. I S. 169), zuletzt geändert durch Art. 1 VO zur Anpassung der VergabeVO und der SektorenVO vom 07. 06. 2010 (BGBl. I S. 724). 8 Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) Teil A und B vom 20. 11. 2009 (BAnz. Nr. 196a, ber. 2010 S. 755); Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) Teile A und B – Ausgabe 2009 – vom 31. 07. 2009 (BAnz. Nr. 155 a); Vergabeordnung für freiberufliche Dienstleistungen (VOF) vom 18. 11. 2009 (BAnz. Nr. 185 a). 9 Byok, NVwZ 2009, S. 551; Gabriel, NJW 2009, S. 2011. 10 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. 02. 2003 (BGBl. I S. 169), zuletzt geändert durch Art. 1 der VO vom 09. 05. 2011 (BGBl. I S. 800). 11 Bsp.: § 97 Abs. 6 GWB a. F. wurde zu § 97 Abs. 7 GWB n. F. (vgl. Kapitel 4 A. II. 2.). 12 Auch was die VOL/A betrifft gilt, dass sich die Bedeutung der Überarbeitung der VOL/ A für die vorliegende Arbeit im Wesentlichen darauf beschränkt, dass die herangezogenen Vorschriften teilweise umnummeriert wurden (Bsp.: § 24 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A a. F. (Nachverhandlungsverbot) wurde zu § 18 EG VOL/A). 6
12. Kap.: EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste
307
SPNV13) sind gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 VgV die Bestimmungen des § 8 EG VOL/A, § 15 Abs. 10 EG VOL/A und § 23 EG VOL/A sowie die Bestimmungen des 1. Abschnitts der VOL/A mit Ausnahme des § 7 VOL/A (Leistungsbeschreibung) anzuwenden. Wie vor der Reform sind also auch auf nachrangige Dienstleistungen die Vorschriften des 1. Abschnitts der VOL/A anwendbar. Die Anwendbarkeit der § 8 EG VOL/A (Leistungsbeschreibung, Technische Anforderungen) hinsichtlich der technischen Spezifikationen und § 23 EG VOL/A (Bekanntmachung über die Auftragserteilung) folgt aus den Art. 23 und 35 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG. Ein erklärtes Ziel des Gestzgebers war die Förderung mittelständischer Interessen insbesondere durch die losweise Aufteilung der Aufträge. § 97 Abs. 3 GWB wurde deshalb restriktiv neu formuliert. Während nach § 97 Abs. 3 a. F. mittelständische Interessen vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen waren, sind nach § 97 Abs. 3 Satz 2 GWB n. F. Leistungen in Teil- und Fachlosen zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern (§ 97 Abs. 3 Satz 3 GWB n. F.). Öffentliche Auftraggeber sind also grundsätzlich dazu verpflichtet, Aufträge losweise zu vergeben, eine zusammengefasste Vergabe darf nur in Ausnahmefällen erfolgen.14 Diese verschärfte Formulierung bestätigt, dass die Aufgabenträger Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV grundsätzlich in Teilnetzen zu vergeben haben.15
12. Kapitel
EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße Die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße,16 durch die zugleich die VO (EWG) 1191/69 und die VO (EWG) 1107/70 aufgehoben wurden, legt die Rahmenbedingungen für die
13
Vgl. Kapitel 4 B. II. (Wasserversorgung) und Kapitel 8 B. I. 2. (SPNV). Byok, NVwZ 2009, S. 551 f.; Gabriel (NJW 2009, S. 2011, 2012) bezweifelt, dass die Neuregelung eine maßgebliche Änderung der Vergabepraxis mit sich bringen wird. 15 Vgl. Kapitel 8 B. IV. 3. Auch nach Auffasung des BGH kann der Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehr nur im Wege der Bildung von Losen gefördert werden (BGH, Beschl. v. 08. 02. 2011, Az. X ZB 4/10, NZBau 2001, S. 175, 182). 16 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) 1107/70 des Rates, ABl. L 315 vom 3. 12. 2007, S. 1. 14
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5. Teil: Neuere legislative Entwicklungen
weitere Entwicklung des ÖPNV fest. Sie wurde am 3. 12. 2007 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und trat zum 3. 12. 2009 in Kraft.17
A. Entstehungsgeschichte und Zweck der Verordnung I. Entstehungsgeschichte Die Personenverkehrsverordnung geht zurück auf einen Verordnungsvorschlag der Kommission vom 20. 7. 2005 für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße.18 Bei diesem Vorschlag handelte es sich bereits um den dritten Vorschlag der Kommission, mit dem die VO (EWG) 1191/69 ersetzt werden sollte. Der erste aus dem Jahr 2000 stammende Vorschlag19 wurde durch das Europäische Parlament stark abgewandelt. Die Kommission hat daraufhin im Jahr 2002 einen neuen Vorschlag20 vorgelegt, das weitere Gesetzgebungsverfahren wurde jedoch durch den Rat nicht weiter vorangetrieben.21 Am 20. 7. 2005 hat die Kommission dann erneut einen Verordnungsvorschlag vorgelegt,22 über den in der Sitzung des EU-Verkehrsministerrats vom 8./9. 6. 2006 eine politische Einigung erzielt werden konnte. Am 11. 12. 2006 hat der Rat einen Gemeinsamen Standpunkt festgelegt.23 Nachdem das Europäische Parlament diesen Gemeinsamen Standpunkt in zweiter Lesung nochmals abgeändert hatte, hat der Rat der Europäischen Union am 18. 9. 2007 die Verordnung angenommen und alle vom Europäischen Parlament in zweiter Lesung vorgenommenen Änderungen gebilligt.24
17
Art. 12 VO (EG) 1370/2007. KOM (2005) 319 endgültig. 19 Vorschlag der Kommission vom 26. 7. 2000 für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen, KOM (2000) 7 endg. 20 Geänderter Vorschlag der Kommission vom 21. 2. 2002 für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen, KOM (2002) 107 endg. 21 Zum Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens vgl. KOM (2005) 319 endg., S. 3 f., 8 ff.; Mietzsch, EuZW 2006, S. 11; Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601. 22 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, KOM (2005) 319 endg. 23 ABl. C 70 E vom 27. 3. 2007, S. 1. 24 Vgl. zum Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens Michaels, IR 2007, S. 237 und Wittig/ Schimanek, NZBau 2008, S. 222. 18
12. Kap.: EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste
309
Die Verordnung gilt für den innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Personenverkehr mit der Eisenbahn und andere Arten des Schienenverkehrs sowie auf der Straße (Art. 1 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007). II. Zweck der Verordnung Zweck der Verordnung ist es, festzulegen, wie die zuständigen Behörden tätig werden können, um die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs zu gewährleisten, die u. a. zahlreicher, sicherer, höherwertig oder preisgünstiger sind als diejenigen Dienstleistungen, die das freie Spiel des Marktes ermöglicht hätte (Art. 1 Abs. 1 VO (EG) 1370/2007). Dieses Ziel wird dadurch erreicht, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten Verkehrsunternehmen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen, für deren Erfüllung diese im Gegenzug eine Ausgleichsleistung und/oder ausschließliche Rechte erhalten.25 Um die Erbringung solcher Dienstleistungen im öffentlichen Interesse zu gewährleisten, betrauen die zuständigen Behörden durch öffentliche Dienstleistungsaufträge die Betreiber eines öffentlichen Dienstes mit der Verwaltung und Erbringung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten, die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegen (Art. 2 lit. i VO (EG) 1370/2007). Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen sind von der zuständigen Behörde festgelegte oder bestimmte Anforderungen, die der Betreiber unter Berücksichtigung seines eigenen wirtschaftlichen Interesses nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht zu den gleichen Bedingungen ohne Gegenleistung übernommen hätte (Art. 2 lit. e VO (EG) 1370/2007). Zu denken ist insbesondere an die Verpflichtung zur Erbringung von Verkehrsleistungen zu Tageszeiten, an denen der ÖPNV wenig genutzt wird oder die Verpflichtung zur Bedienung unrentabler Linien oder eines für einen profitablen Betrieb zu umfangreichen Netzes, nicht kostendeckende Fahrpreise oder besondere Anforderungen an ortsfeste Anlagen, Service oder Personal.26 Die Betreiber erhalten im Gegenzug entweder einen finanziellen Ausgleich für die ihnen durch die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen entstehenden Kosten und/oder es werden ihnen ausschließliche Rechte für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen gewährt (Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EG) 1370/2007). Der öffentliche Dienstleistungsvertrag legt für den jeweiligen Betreiber die von ihm zu erfüllenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen verbindlich fest. Ausgleichsleistungen und/oder ausschließliche Rechte dürfen nur noch im Rahmen von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen (oder allgemeinen Vorschriften) gewährt werden (Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2, Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 1370/2007).27 25 26 27
Nettesheim, NVwZ 2009, S. 1449, 1450. Heiß, VerwArch 2009, S. 113, 122. Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 223.
310
5. Teil: Neuere legislative Entwicklungen
Die VO (EG) 1370/2007 sieht – im Gegensatz zu Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 VO (EWG) 1191/69 – keine Ausnahmemöglichkeit für den ÖPNV mehr vor. Von dieser Ausnahmemöglichkeit hatte der deutsche Gesetzgeber im straßengebundenen ÖPNV für den eigenwirtschaftlichen Verkehr (§§ 8 Abs. 4, 13 PBefG) Gebrauch gemacht. Bei eigenwirtschaftlichen Verkehren i. S. der §§ 8 Abs. 4 S. 2, 13 PBefG konnten außerhalb des Anwendungsbereichs der VO (EWG) 1191/69 gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt und Zuschüsse gewährt werden. Nunmehr können die Verkehrsunternehmen nur noch durch öffentliche Dienstleistungsaufträge i. S. der Personenverkehrsverordnung mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen im straßengebundenen ÖPNV betraut werden. Auch Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen können – abgesehen von allgemeinen Vorschriften (Art. 3 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007) – nur noch im Rahmen von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen gezahlt werden.28 Es können also keine Ausgleichsleistungen für den straßengebundenen ÖPNV mehr gezahlt werden, ohne dass die Personenverkehrsverordnung beachtet wird.29 Die Personenverkehrsverordnung regelt den Inhalt eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags (Art. 4 VO (EG) 1370/2007; vgl. unten B.), dessen Vergabe (Art. 5 VO (EG) 1370/2007; vgl. unten C. und D.) und die Höhe der Ausgleichsleistung (Art. 6 VO (EG) 1370/2007; vgl. unten E.). Alternativ zu einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag können gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen zur Festsetzung von Höchsttarifen für alle Fahrgäste oder bestimmte Gruppen von Fahrgästen auch durch allgemeine Vorschriften festgelegt werden (Art. 3 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007). Eine allgemeine Vorschrift ist eine Maßnahme, die diskriminierungsfrei für alle öffentlichen Personenverkehrsdienste derselben Art in einem bestimmten geografischen Gebiet, das im Zuständigkeitsbereich einer zuständigen Behörde liegt, gilt (Art. 2 lit. l VO (EG) 1370/ 2007). Die zuständige Behörde gewährt den Verkehrsunternehmen eine Ausgleichsleistung für die finanziellen Auswirkungen auf die Kosten und Einnahmen, die auf die Erfüllung der in den allgemeinen Vorschriften festgelegten tariflichen Verpflichtungen zurückzuführen sind (Art. 3 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007).30
B. Öffentlicher Dienstleistungsauftrag I. Definition Die Verordnung geht von einem sehr weiten, über den Auftragsbegriff des Vergaberechts hinausgehenden Begriff des öffentlichen Dienstleistungsauftrags
28 29 30
Wachinger, IR 2007, S. 265; Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 605, 609. Beachte allerdings die Ausnahmemöglichkeit in Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 1370/2007. Heiß, VerwArch 2009, S. 113, 129.
12. Kap.: EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste
311
aus.31 Gemäß Art. 2 lit. i VO (EG) 1370/2007 bezeichnet der Begriff „öffentlicher Dienstleistungsauftrag“ einen oder mehrere rechtsverbindliche Akte, die die Übereinkunft zwischen einer zuständigen Behörde und einem Betreiber eines öffentlichen Dienstes bekunden, diesen Betreiber mit der Verwaltung und Erbringung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten zu betrauen, die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegen. Gemäß den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten kann dieser rechtsverbindliche Akt auch in einer Entscheidung der zuständigen Behörde bestehen, der die Form eines Gesetzes oder einer Verwaltungsregelung für den Einzelfall hat. Grundlage eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags im Sinne dieser Verordnung kann also ein Vertrag zwischen zuständiger Behörde und Betreiber sein. Auch Gesellschafterbeschlüsse bei kommunalen Verkehrsunternehmen oder einseitige hoheitliche Anordnungen wie bspw. ein Verwaltungsakt können einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag darstellen.32 Ebenso fallen Dienstleistungskonzessionen unter den in dieser Weise definierten Begriff des öffentlichen Dienstleistungsauftrags,33 was durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 a. E. VO (EG) 1370/2007 ausdrücklich bestätigt wird. Im Rahmen von Dienstleistungskonzessionen wird der Konzessionsnehmer mit der Erfüllung von Dienstleistungen betraut, die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegen (vgl. Art. 2 lit. i VO (EG) 1370/2007). In einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag kann festgelegt werden, dass die Einnahmen aus dem Fahrscheinverkauf beim Betreiber verbleiben, diesem mithin ein Recht zur Nutzung seiner Dienstleistung zusteht (Art. 4 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007). Trägt der Betreiber darüber hinaus das wirtschaftliche Risiko, liegt eine Dienstleistungskonzession i. S. des Vergaberechts und ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag i. S. der Personenverkehrsverordnung vor.
II. Inhalt von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen Art. 4 VO (EG) 1370/2007 enthält detaillierte Regelungen über den Inhalt öffentlicher Dienstleistungsaufträge (und allgemeiner Vorschriften).34 Art. 4 Abs. 1 VO (EG) 1370/2007 legt fest, dass in dem öffentlichen Dienstleistungsauftrag die vom Betreiber zu erfüllenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen klar zu definieren und die Parameter, anhand derer die Ausgleichsleistung berechnet wird, in objektiver und transparenter Weise aufzustellen sind.35 Im Falle der Einräumung eines ausschließlichen Rechts ist dessen Art und Umfang festzulegen (Art. 4 Abs. 1 lit. b VO (EG) 1370/2007). Diese Regelung orientiert sich an den in der Altmark Trans-Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für Zahlungen zum Ausgleich ge31 32 33 34 35
Wachinger, IR 2007, S. 265, 266; Nettesheim, NVwZ 2009, S. 1449, 1450. Wachinger, IR 2007, S. 265, 266; Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 500. Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 500. Vgl. ausführlich Heiß, VerwArch 2009, S. 113, 121 ff. Zur zulässigen Höhe der Ausgleichsleistungen vgl. unten E.
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5. Teil: Neuere legislative Entwicklungen
meinwirtschaftlicher Verpflichtungen.36 Die zuständigen Behörden können Sozialund Qualitätsstandards festlegen (Art. 4 Abs. 5 und 6 VO (EG) 1370/2007).37 Nach Art. 4 Abs. 3 und 4 VO (EG) 1370/2007 ist die Laufzeit öffentlicher Dienstleistungsaufträge grundsätzlich auf 10 Jahre bei Busverkehrsdiensten und auf 15 Jahre bei Personenverkehrsdiensten mit der Eisenbahn oder anderen schienengestützten Verkehrsträgern begrenzt.38 Ziel der Beschränkung der Laufzeiten ist es, unter Berücksichtigung der jeweiligen Armortisationsdauer der durch den Betreiber getätigten Investitionen einen regelmäßigen Wettbewerb zu eröffnen.39
C. Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge – anwendbare Vergabevorschriften Im Gegensatz zur VO (EWG) 1191/69 enthält die Personenverkehrsverordnung Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge. Da auf die Vergabe solcher Aufträge auch die Vergaberichtlinien anwendbar sein können, wurde in Art. 5 Abs.1 VO (EG) 1370/2007 das Verhältnis dieser beiden Vergaberegime zueinander geregelt. Nach dem in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 1370/2007 festgelegten Grundsatz werden öffentliche Dienstleistungsaufträge i. S. der Personenverkehrsverordnung nach Maßgabe der Verfahrensvorschriften dieser Verordnung (Art. 5 Abs. 2 – 6 VO (EG) 1370/2007) vergeben. Dienstleistungsaufträge i. S. der Richtlinie 2004/17/ EG (Sektorenrichtlinie) oder öffentliche Dienstleistungsaufträge i. S. der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie) für öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen werden jedoch gemäß den in jenen Richtlinien vorgesehenen Verfahren vergeben, sofern es sich bei den Aufträgen nicht um Dienstleistungskonzessionen im Sinne jener Richtlinien handelt (Art. 5 Abs. 1 S. 2 VO (EG) 1370/2007). Art. 5 Abs. 1 S. 3 stellt nochmals ausdrücklich klar, dass im Fall der Anwendbarkeit der Vergaberichtlinien die Verfahrensregelungen des Art. 5 Abs. 2 bis 6 VO (EG) 1370/2007 nicht anwendbar sind.
36
EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 89, 90; Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499. 37 Hierzu zählen nach der 17. Begründungserwägung bspw. Anforderungen hinsichtlich der Mindestarbeitsbedingungen, der Fahrgastrechte, der Bedürfnisse von Personen mit eingeschränkter Mobilität, des Umweltschutzes oder der Sicherheit von Fahrgästen und Angestellten. 38 Art. 4 Abs. 4 VO (EG) 1370/2007 enthält einige Möglichkeiten zur Verlängerung der zulässigen Laufzeit. 39 Vgl. Begründungserwägung 15; Heiß, VerwArch 2009, S. 113, 125.
12. Kap.: EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste
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I. Vergabe nach den Vergaberichtlinien Handelt es sich bei einem Auftrag für Personenverkehrsdienste mit Bussen oder Straßenbahnen sowohl um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag i. S. der Personenverkehrsverordnung als auch um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag i. S. der Richtlinie 2004/18/EG, so richtet sich das Verfahren zur Vergabe dieses Auftrags nach der Richtlinie 2004/18/EG.40 Die Vergaberichtlinien sind in diesem Fall vorrangig gegenüber den Verfahrensregelungen der Personenverkehrsverordnung.41 Für solche Dienstleistungsaufträge gelten dann ergänzend die nicht das Vergabeverfahren betreffenden Vorschriften der Personenverkehrsverordnung, insbesondere die Vorschriften über den Inhalt der Dienstleistungsaufträge und die Vorschriften über die Laufzeit der zu vergebenden Aufträge (Art. 4 VO (EG) 1370/ 2007). In der Praxis muss in Zukunft eine mehrstufige Prüfung vorgenommen werden: Erstens ist zu prüfen, ob es sich um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag i. S. der Personenverkehrsverordnung handelt. Handelt es sich um einen solchen Auftrag, ist zu untersuchen, ob auf diesen Auftrag die Vergaberichtlinien anwendbar sind. Ist dies der Fall, muss der Auftrag nach den Verfahrensvorschriften der entsprechenden Vergaberichtlinie (bzw. dem nationalen Recht, in das diese umgesetzt wurde) vergeben werden, andernfalls nach den weniger formalen Vorgaben der Personenverkehrsverordnung. II. Vergabe nach den Verfahrensvorschriften der VO (EG) 1370/2007 1. Straßengebundener ÖPNV Öffentliche Dienstleistungsaufträge i. S. der VO (EG) 1370/2007, die Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen zum Gegenstand haben, bei denen es sich jedoch nicht um öffentliche Dienstleistungsaufträge i. S. der Vergaberichtlinien handelt, werden gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 1370/2007 nach den Verfahrensvorschriften der Personenverkehrsverordnung vergeben. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Dienstleistungskonzessionen42 (Art. 5 Abs. 1 S. 2 a. E. VO (EG) 1370/2007).43 Auch bei In-House-Vergaben handelt es sich nicht um öffentliche Dienstleistungsaufträge i. S. der Vergaberichtlinien,44 weshalb die 40 Zur Frage, wann ein öffentlicher Auftrag i. S. des Vergaberechts vorliegt vgl. ausführlich Kapitel 9. 41 Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 223; Nettesheim, NVwZ 2009, S. 1449, 1451. 42 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 9 B. III. 4. 43 Wachinger geht davon aus, dass die Dienstleistungskonzession den „zentralen Anwendungsfall“ der Verfahrensvorschriften der Personenverkehrsverordnung bilden wird (Wachinger, IR 2007, S. 265, 266). Wittig/Schimanek (NZBau 2008, S. 222, 223) sprechen von einem „Sondervergaberecht für Dienstleistungskonzessionen“. 44 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 5 B. und C. I.
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5. Teil: Neuere legislative Entwicklungen
Verfahrensvorschriften der Personenverkehrsverordnung zur Anwendung kommen.45 Zu prüfen ist in diesen Fällen, ob eine Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 möglich ist.46 2. SPNV Nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 1370/2007 werden öffentliche Dienstleistungsaufträge nach Maßgabe der Verordnung (EG) 1370/2007 vergeben. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz enthält Art. 5 Abs. 1 S. 2 VO (EG) 1370/2007, indem er für öffentliche Dienstleistungsaufträge i. S. der Vergaberichtlinien über Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen die vorrangige Geltung der Vergaberichtlinien anordnet. Aus dieser Systematik ist der Schluss zu ziehen, dass für öffentliche Dienstleistungsaufträge, die nicht von dieser Ausnahme erfasst sind – Personenverkehrsdienste mit der Eisenbahn – der Grundsatz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 1370/2007 gilt und diese Aufträge ausschließlich nach Maßgabe der VO (EG) 1370/2007 vergeben werden.47 Öffentliche Dienstleistungsaufträge i. S. der VO (EG) 1370/2007 im SPNV werden deshalb nach den Verfahrensvorschriften dieser Verordnung vergeben unabhängig davon, ob es sich hierbei um öffentliche Aufträge48, Dienstleistungskonzessionen49 oder In-House-Vergaben i. S. des Vergaberechts handelt.50 Fraglich ist, ob durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 1370/2007 die Richtlinie 2004/ 18/EG im Falle der Vergabe von Personenverkehren mit der Eisenbahn vollständig verdrängt wird. Dies ist zu verneinen, da Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 1370/2007 für diesen Fall die Vergaberichtlinien einerseits nicht ausdrücklich für unanwendbar erklärt und andererseits kein Konflikt verschiedener Vergaberegime besteht. Die Richtlinie 2004/18/EG unterwirft Eisenbahnverkehrsleistungen als nachrangige Dienstleistungen keinen bestimmten Vergabemodalitäten (Art. 21 Richtlinie 2004/ 18/EG), es besteht also kein Konflikt zwischen etwaigen strengeren Verfahrensvorschriften der Vergaberichtlinien und weniger formalen Verfahrensvorschriften der VO (EG) 1370/2007.51 Die wenigen das Vergabeverfahren betreffenden Vorschriften der Richtlinie 2004/18/EG sind also in einem nach der VO (EG) 1370/2007 durchgeführten wettbewerblichen Vergabeverfahren zu beachten, sofern es sich bei dem zu vergebenden Auftrag um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag i. S. der Richtlinie 2004/18/E handelt. In diesem Fall bleibt die Richtlinie 2004/18/EG neben 45
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02. 03. 2011, Az. VII-Verg 48/10, NZBau 2011, S. 244, 247; OLG München, Beschl. v. 22. 06. 2011, Az. Verg 6/11, S. 18 des Umdrucks. 46 Vgl. hierzu unten D. III. 1. 47 Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 500; Polster, NZBau 2010, S. 662, 663. 48 Vgl. zu öffentlichen Aufträgen im Bereich des SPNV ausführlich Kapitel 8 C. II. 49 Vgl. zu Dienstleistungskonzessionen im Bereich des SPNV ausführlich Kapitel 8 C. III. sowie BGH, Beschl. v. 08. 02. 2011, Az. X ZB 4/10, NZBau 2011, S. 175, 179 ff. 50 Polster, NZBau 2010, S. 662, 663. 51 So auch Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 500; Nettesheim, NVwZ 2009, S. 1449, 1451.
12. Kap.: EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste
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der VO (EG) 1370/2007 anwendbar. Zum einen handelt es sich um die Vorschrift des Art. 23 Richtlinie 2004/18/EG über technische Spezifikationen. Die nach Art. 7 Abs. 3 VO (EG) 1370/2007 nach Auftragsvergabe zu veröffentlichenden Informationen können gemeinsam mit den Ergebnissen des Vergabeverfahrens innerhalb der durch Art. 35 Abs. 4 Richtlinie 2004/18/EG bestimmten Frist bekannt gemacht werden. Da die Richtlinie 2004/18/EG nicht die Geltung weiterer Verfahrensvorschriften anordnet, stünde sie auch der Direktvergabemöglichkeit des Art. 5 Abs. 6 VO (EG) 1370/2007 nicht entgegen.52 III. Übergangsregelung Kommen die Vergaberichtlinien zur Anwendung, ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt ein Vergabeverfahren nach deren Vorgaben durchzuführen (vgl. Art. 8 Abs. 1 VO (EG) 1370/2007). Ansonsten legt Art. 8 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 – was die Verfahrensvorschriften anbelangt – für öffentliche Dienstleistungsaufträge i. S. der Personenverkehrsverordnung fest, dass diese erst ab dem 3. 12. 2019 zwingend nach den Vorgaben des Art. 5 VO (EG) 1370/2007 vergeben werden müssen. Während des Übergangszeitraums können die zuständigen Behörden öffentliche Dienstleistungsaufträge nach Art. 5 VO (EG) 1370/2007 vergeben, sie sind hierzu jedoch nicht verpflichtet.53 Die Mitgliedstaaten sind allerdings dazu verpflichtet, in der Zwischenzeit Maßnahmen zu treffen, um Art. 5 VO (EG) 1370/2007 schrittweise anzuwenden, damit spätestens ab dem 3. 12. 2019 eine Auftragsvergabe nach den Vorgaben der Personenverkehrsverordnung ohne Gefährdung der ausreichenden Verkehrsbedienung erfolgen kann (Art. 8 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007). Diese Übergangsregelung soll einen schrittweisen Übergang in den Wettbewerb ermöglichen.54 Art. 8 Abs. 3 VO (EG) 1370/2007 gewährt öffentlichen Dienstleistungsaufträgen, die vor dem 26. 7. 2000 bzw. dem 3. 12. 2009 vergeben wurden, einen gestuften Bestandsschutz.55 Nach anderer Ansicht gelten die Verfahrensvorschriften der Personenverkehrsverordnung bereits heute schon zwingend.56 Als Verordnung sei die VO (EG) 1370/ 2007 seit dem 3. 12. 2009 unmittelbar anzuwenden, ohne dass es eines Umsetzungsaktes der Mitgliedstaaten bedürfe (Art. 288 UAbs. 2 AEUV). Eine schrittweise Geltung der Verfahrensvorschriften der Personenverkehrsverordnung, wie Art. 8 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) 1370/2007 sie vorsieht, setze eine Maßnahme des Gesetz52 Zur Frage, ob das europäische Primärrecht dieser Direktvergabemöglichkeit entgegensteht vgl. unten D. III. 3. b). 53 Polster, NZBau 2010, S. 662, 663; Nettesheim, NVwZ 2009, S. 1449, 1454 (Wahlrecht der zuständigen deutschen Behörden); Pünder, NJW 2010, S. 263, 266. 54 Heiß, VerwArch 2009, S. 113, 139 f. 55 Polster, NZBau 2010, S. 662, 664; vgl. zu den Einzelheiten Heiß, VerwArch 2009, S. 113, 139. 56 OLG Düsseldorf, NZBau 2011, S. 244, 249; OLG München, Beschl. v. 22. 06. 2011, Az. Verg 6/11, S. 15 des Umdrucks.
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gebers voraus, mit der dieser die schrittweise Anwendung von Art. 5 VO (EG) 1370/ 2007 explizit regele. Da eine solche legislative Regelung in der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht erfolgt sei, bleibe es bei der unmittelbaren Anwendbarkeit der VO (EG) 1370/2007, die zuständigen Behörden hätten die Verfahrensvorschriften dieser Verordnung zu beachten.57 Eine solche Auslegung widerspricht jedoch sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck von Art. 8 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007. Zwar ist die Personenverkehrsverordnung an sich unmittelbar anwendbar, nach der dieser Verordnung eigenen Übergangsregelung muss die Vergabe von Aufträgen jedoch erst ab dem 3. 12. 2019 zwingend im Einklang mit Art. 5 VO (EG) 1370/2007 erfolgen. Wenn die Verfahrensvorschriften vor diesem Datum nicht zwingend anzuwenden sind, folgt hieraus, dass die zuständigen Behörden öffentliche Dienstleistungsaufträge nach den Vorgaben der Personenverkehrsverordnung vergeben können, jedoch nicht müssen. Die Personenverkehrsverordnung selbst sieht einen schrittweisen Übergang in den Wettbewerb vor. Es widerspricht deshalb dem Sinn und Zweck von Art. 8 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007, wenn man einen nationalen legislativen Umsetzungsakt zur Voraussetzung dafür macht, dass der Wettbewerb tatsächlich schrittweise eingeführt werden kann. Die nicht das Vergabeverfahren betreffenden Regelungen der Personenverkehrsverordnung gelten seit dem 3. 12. 2009 unmittelbar in allen Mitgliedstaaten.58
D. Vergabevorschriften der VO (EG) 1370/2007 Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit den Vorschriften der VO (EG) 1370/ 2007, die das Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen regeln.59 I. Wahlrecht der zuständigen Behörden: Eigenerbringung oder Beauftragung Dritter Die zuständigen örtlichen Behörden haben die Wahl, ob sie entweder selbst öffentliche Verkehrsdienste erbringen (bspw. durch einen Eigenbetrieb) bzw. einen sogenannten internen Betreiber (bspw. eine Eigengesellschaft) beauftragen wollen oder ob sie die Dienste dritter Betreiber in Anspruch nehmen wollen (Art. 5 Abs. 2 und 3 VO (EG) 1370/2007).60
57
OLG Düsseldorf, NZBau 2011, S. 244, 249; OLG München, Beschl. v. 22. 06. 2011, Az. Verg 6/11, S. 15 des Umdrucks; zustimmend Deuster/Michaels, NZBau 2011, S. 340, 342. 58 Nettesheim, NVwZ 2009, S. 1449, 1454; Polster, NZBau 2010, S. 662, 664. 59 Zur Frage der Anwendbarkeit der Vergabevorschriften der Personenverkehrsverordnung vgl. oben C. 60 Pünder, NJW 2010, S. 263; Schröder, NVwZ 2010, S. 862, 863.
12. Kap.: EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste
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Ein interner Betreiber ist eine eigenständige juristische Person, über die die zuständige Behörde eine Kontrolle ausübt, die der über ihre eigenen Dienststellen entspricht (Art. 2 lit. j VO (EG) 1370/2007). Während der öffentliche Dienstleistungsauftrag an einen internen Betreiber direkt, d. h. ohne die Durchführung eines vorherigen wettbewerblichen Vergabeverfahrens (Art. 2 lit. h VO (EG) 1370/2007) vergeben werden kann, müssen die zuständigen Behörden bei der Inanspruchnahme dritter Betreiber grundsätzlich den öffentlichen Dienstleistungsauftrag im Wege eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens vergeben (Art. 5 Abs. 1, 3 VO (EG) 1370/2007). In dieser Regelung liegt einer der wesentlichen Fortschritte des Gesetzgebungsverfahrens; in ihren ersten beiden Verordnungsvorschlägen hatte die Kommission für die Beauftragung interner Betreiber noch keine bzw. sehr eng begrenzte Ausnahmemöglichkeiten von einer ansonsten bestehenden generellen Ausschreibungspflicht vorgesehen.61 II. Wettbewerbliches Vergabeverfahren Das wettbewerbliche Vergabeverfahren nach der Personenverkehrsverordnung entspricht nicht einem offenen Verfahren nach dem Vergaberecht. Die VO (EG) 1370/2007 enthält wenig detaillierte Vorgaben für das durchzuführende Verfahren, sondern sie beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Grundsätze festzulegen, denen das Verfahren entsprechen muss.62 Das für die wettbewerbliche Vergabe angewandte Verfahren muss allen Betreibern offen stehen, es muss fair sein und den Grundsätzen der Transparenz und der Nichtdiskriminierung genügen (Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 1370/2007). Da diese das Verfahren betreffenden Vorgaben denjenigen entsprechen, die sich aus dem europäischen Primärrecht für öffentliche Aufträge ergeben, die nicht den Vergaberichtlinien unterfallen, liegt es nahe, die auf der Grundlage des Primärrechts entwickelten Verfahrensanforderungen auch für das wettbewerbliche Vergabeverfahren nach der VO (EG) 1370/2007 heranzuziehen.63 Lediglich in drei Punkten enthält die Personenverkehrsverordnung genauere Vorgaben hinsichtlich des Vergabeverfahrens. Die jeweilige zuständige Behörde ist nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 dazu verpflichtet, spätestens ein Jahr vor Einleitung des Verfahrens für die Veröffentlichung bestimmter den Auftrag betreffender Informationen im Amtsblatt der Europäischen Union zu sorgen. Hierzu zählen der Name und die Anschrift der zuständigen Behörde, die Art des geplanten Ver61 Vgl. jeweils Art. 7 der Verordnungsvorschläge der Kommission vom 26. 7. 2000 (KOM (2000) 7 endg.) und vom 21. 2. 2007 (KOM (2002) 107 endg.); Wachinger, IR 2007, S. 265. Vgl. auch Mietzsch, EuZW 2006, S. 11, 12 und Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 606 (beide jeweils zum dritten Verordnungsvorschlag der Kommission). 62 Schröder, NVwZ 2008, S. 1288, 1290; Polster, NZBau 2010, S. 662, 664. 63 Vgl. ausführlich Kapitel 6 B. und D. sowie Kapitel 8 B. I. 3.; so auch Heiß, VerwArch 2009, S. 113, 137 f.; Polster, NZBau 2010, S. 662, 664.
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5. Teil: Neuere legislative Entwicklungen
gabeverfahrens und die von der Vergabe möglicherweise betroffenen Dienste und Gebiete. Diese Vorschrift soll der Schaffung von Transparenz dienen.64 Darüber hinaus schreibt die Personenverkehrsverordnung vor, dass ggf. festgelegte Sozial- und Qualitätsstandards sowie die Regelungen hinsichtlich der Vergabe von Unteraufträgen in die Unterlagen des wettbewerblichen Vergabeverfahrens (d. h. insbesondere in die Leistungsbeschreibung) aufzunehmen sind (Art. 4 Abs. 5 – 7 VO (EG) 1370/2007). Auch wenn dies nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, sind die zu erfüllenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen und die Parameter zur Berechnung der Ausgleichsleistung in die Vergabeunterlagen aufzunehmen, da diese die Grundlage für die abzugebenden Angebote darstellen und sie später in dem öffentlichen Dienstleistungsauftrag genau definiert bzw. festgelegt werden müssen.65 Im Gegensatz zum offenen Verfahren nach dem Vergaberecht, bei dem nach Öffnung der Angebote bis zur Zuschlagserteilung mit den Bietern über ihre Angebote grundsätzlich nicht verhandelt werden darf, können in dem Verfahren nach der Personenverkehrsverordnung nach Abgabe der Angebote und einer eventuellen Vorauswahl unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und Nichtdiskriminierung mit den Bietern Verhandlungen geführt werden, um festzulegen, wie der Besonderheit oder Komplexität der Anforderungen am besten Rechnung zu tragen ist (Art. 5 Abs. 3 Satz 3 VO (EG) 1370/2007).66 III. Direktvergabe Direktvergabe bedeutet die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags an einen bestimmten Betreiber ohne Durchführung eines vorherigen wettbewerblichen Vergabeverfahrens (Art. 2 lit. h VO (EG) 1370/2007). Die Pflicht zur Vorabinformation nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 gilt jedoch auch bei geplanten Direktvergaben. Bei den von der VO (EG) 1370/2007 vorgesehenen Möglichkeiten der Direktvergabe ist zwischen der Direktvergabe an einen internen Betreiber (vgl. 1.) einerseits und der Beauftragung eines Dritten im straßengebundenen ÖPNV (vgl. 2.) bzw. SPNV (vgl. 3.) andererseits zu differenzieren. 1. Direktvergabe an einen internen Betreiber Für die Direktvergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags durch eine zuständige Behörde an einen internen Betreiber stellt Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 1370/ 64 Wachinger, IR 2007, S. 265, 268; Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 608; Schröder, NVwZ 2008, S. 1288, 1291. 65 Polster, NZBau 2010, S. 662, 665. 66 Zu den Vorteilen eines solchen Verfahrens vgl. Wachinger, Das Recht des Marktzugangs im ÖPNV, 2006, S. 60. Nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht stellt diese Möglichkeit zur Durchführung von Verhandlungen einen restriktiv zu handhabenden Ausnahmefall dar (Schröder, NVwZ 2008, S. 1288, 1291; hiergegen Polster, NZBau 2010, S. 662, 665).
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2007 eine Reihe von Bedingungen auf. Die Voraussetzungen, unter denen ein Auftrag direkt an einen internen Betreiber vergeben werden kann, sind an die Rechtsprechung des EuGH zur In-House-Vergabe angelehnt, ohne dieser jedoch exakt zu entsprechen.67 Entsprechend dem Kontrollkriterium der Teckal-Rechtsprechung des EuGH ist ein interner Betreiber eine eigenständige juristische Person, über die die zuständige Behörde eine Kontrolle ausübt, die der über ihre eigenen Dienststellen entspricht (Art. 2 lit. j VO (EG) 1370/2007). Zuständige Behörde kann sowohl eine einzelne Behörde als auch eine Gruppe von Behörden sein, die integrierte Personenverkehrsdienste anbietet. Bei der Prüfung des Kontrollkriteriums sind gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. a VO (EG) 1370/2007 – wie bei In-House-Vergaben – Faktoren zu berücksichtigen wie der Umfang der Vertretung der zuständigen Behörde in Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremien, Eigentumsrechte der zuständigen Behörde oder deren tatsächlicher Einfluss bzw. deren tatsächliche Kontrolle über strategische Entscheidungen und einzelne Managemententscheidungen.68 Im Gegensatz zur Rechtsprechung des EuGH zu In-House-Vergaben ist nach der Personenverkehrsverordnung eine Direktvergabe an ein gemischtwirtschaftliches Verkehrsunternehmen nicht ausgeschlossen. Gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. a Satz 2 VO (EG) 1370/2007 ist es für die Erfüllung des Kontrollkriteriums – insbesondere bei öffentlich-privaten Partnerschaften – nicht zwingend erforderlich, dass die zuständige Behörde zu 100 % Eigentümer des Verkehrsunternehmens ist, sofern ein beherrschender öffentlicher Einfluss besteht und aufgrund anderer Kriterien festgestellt werden kann, dass eine Kontrolle ausgeübt wird.69 Die weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Direktvergabe an einen internen Betreiber ist, dass der interne Betreiber und jede andere Einheit, auf die dieser interne Betreiber einen auch nur geringfügigen Einfluss ausübt, ihre öffentlichen Personenverkehrsdienste innerhalb des Zuständigkeitsgebiets der zuständigen örtlichen Behörde ausführen – ungeachtet der abgehenden Linien oder sonstiger Teildienste, die in den Zuständigkeitsbereich benachbarter zuständiger örtlicher Behörden führen – und nicht an außerhalb des Zuständigkeitsgebiets dieser Behörde organisierten wettbewerblichen Vergabeverfahren für die Erbringung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten teilnehmen (Art. 5 Abs. 2 lit. b VO (EG) 1370/ 2007).70 Sowohl der interne Betreiber als auch dessen Tochterunternehmen – unabhängig von der Höhe der Beteiligung – müssen also ihre Tätigkeit auf das Zu-
67 Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 225; Schröder, NVwZ 2010, S. 862, 864; zur In-House-Vergabe vgl. insbesondere EuGH, Urt. v. 18. 11. 1999 – Rs. C-107/98 (Teckal), Slg. 1999, I-8139, NZBau 2001, S. 90. 68 Vgl. dazu Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 225 f. 69 Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 226; Pünder, NJW 2010, S. 263, 265; zu weiteren Unterschieden vgl. Wachinger, IR 2007, S. 265, 267. 70 Vgl. dazu ausführlich Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 226 f.
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ständigkeitsgebiet der jeweils zuständigen Behörde beschränken.71 Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 lit. b VO (EG) 1370/2007 selbst dann nicht erfüllt sind, wenn ein interner Betreiber durch eine gemeinsame Servicegesellschaft und gemeinsames Leitungspersonal Einfluss auf andere Verkehrsgesellschaften hat, die ÖPNV in Gebieten außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Auftraggebers betreiben.72 Es legt hiermit einen strengen Maßstab an. Zwar geht das Gericht selbst nicht davon aus, dass ein erheblicher Einfluss auf die anderen Verkehrsgesellschaften besteht. Dies sei jedoch auch nicht erforderlich, da nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 lit. b VO (EG) 1370/2007 ein lediglich geringfügiger Einfluss ausreiche.73 Während es der EuGH für das Vorliegen einer In-House-Vergabe ausreichen lässt, dass der Auftragnehmer seine Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die seine Anteile innehaben, ist die Personenverkehrsverordnung in dieser Hinsicht strenger. Sowohl der interne Betreiber als auch sämtliche Verkehrsgesellschaften, auf die der interne Betreiber einen auch nur geringfügigen Einfluss ausübt, müssen gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. c VO (EG) 1370/ 2007 ausschließlich für die zuständige Behörde tätig sein.74 Kommunale Verkehrsunternehmen sollen sich nicht auf der wirtschaftlichen Basis einer sicheren, nicht durch öffentliche Ausschreibungen gefährdeten Stellung auf dem Heimatmarkt (dem Gebiet der kommunalen Gebietskörperschaft) am Wettbewerb außerhalb des Gebiets der Kommune beteiligen dürfen. 2. Straßengebundener ÖPNV Sind die Vergabevorschriften der VO (EG) 1370/2007 auf die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags für Personenverkehre im straßengebundenen ÖPNV anwendbar – was insbesondere bei Dienstleistungskonzessionen im Bereich 71 Wachinger, IR 2007, S. 265, 267; Mietzsch, EuZW 2006, S. 11, 13 (Fn. 12); Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 606; Pünder, NJW 2010, S. 263, 266; Schröder, NVwZ 2010, S. 862, 865; großzügiger Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 226 f. Art. 5 Abs. 2 lit. c VO lockert diese Voraussetzung etwas auf, wenn die zuständige Behörde sich dazu entschlossen hat, zukünftig den jeweiligen Dienstleistungsauftrag nicht mehr direkt an einen internen Betreiber zu vergeben, sondern diesen im Wettbewerb zu vergeben. Auf diese Weise wird kommunalen Verkehrsunternehmen der Übergang in den Wettbewerb ermöglicht. Darüber hinaus erhalten sie die Chance, ihr wirtschaftliches Überleben für den Fall zu sichern, dass sie in dem anstehenden wettbewerblichen Verfahren über den von ihnen betriebenen Verkehr unterliegen. Zur Diskussion, ob die Betätigung eines Schwesterunternehmens außerhalb des Tätigkeitsbereichs der zuständigen Behörde eine Direktvergabe gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. b VO (EG) 1370/2007 ausschließt vgl. Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 227 (verneinend), Schröder, NVwZ 2010, S. 862, 865 (verneinend); Pünder, NJW 2010, S. 263, 266 (bejahend). 72 OLG Düsseldorf, NZBau 2011, S. 244, 250. 73 OLG Düsseldorf, NZBau 2011, S. 244, 250 f. 74 Mietzsch, EuZW 2006, S. 11, 13 (Fn. 12); Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 606.
12. Kap.: EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste
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des straßengebundenen ÖPNV der Fall ist –75 besteht in zwei Fällen auch bei der Beauftragung eines dritten Betreibers die Möglichkeit einer Direktvergabe:76 Erstens können die zuständigen Behörden gemäß Art. 5 Abs. 4 VO (EG) 1370/ 2007 entscheiden, öffentliche Dienstleistungsaufträge, die entweder einen geschätzten Jahresdurchschnittswert (vgl. Art. 2 lit. k VO (EG) 1370/2007) von weniger als eine Million EUR oder eine jährliche öffentliche Personenverkehrsleistung von weniger als 300.000 km aufweisen, direkt zu vergeben (geringfügige Aufträge). Zum Schutz mittelständischer Verkehrsunternehmen können diese Schwellen entweder auf einen geschätzten Jahresdurchschnittswert von weniger als 2 Millionen EUR oder eine jährliche öffentliche Personenverkehrsleistung von weniger als 600.000 km erhöht werden, wenn öffentliche Dienstleistungsaufträge an kleine oder mittlere Unternehmen, die nicht mehr als 23 Fahrzeuge betreiben, direkt vergeben werden sollen.77 Zweitens kann die zuständige Behörde im Fall einer Unterbrechung des Verkehrsdienstes oder bei unmittelbarer Gefahr des Eintretens einer solchen Situation eine Notmaßnahme dergestalt ergreifen, dass sie einen zeitlich auf zwei Jahre befristeten öffentlichen Dienstleistungsauftrag direkt vergibt oder einen bereits bestehenden öffentlichen Dienstleistungsauftrag im Wege einer förmlichen Vereinbarung ausweitet (Art. 5 Abs. 5 VO (EG) 1370/2007). Daneben besteht noch die Möglichkeit einer Auferlegung bestimmter gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen (Art. 5 Abs. 5 VO (EG) 1370/2007). 3. SPNV a) Art. 5 Abs. 6 VO (EG) 1370/2007 Nach Art. 5 Abs. 6 VO (EG) 1370/2007 können die zuständigen Behörden entscheiden, öffentliche Dienstleistungsaufträge im Eisenbahnverkehr – mit Ausnahme anderer schienengestützter Verkehrsträger wie Untergrund- oder Straßenbahnen78 – direkt zu vergeben. Von dieser Direktvergabemöglichkeit sind insbesondere S-Bahnen und Regionalbahnen umfasst. Begründet wird die Ausnahme für den Eisenbahnverkehr mit den beträchtlichen Investitionen, die getätigt werden müssen, den hohen Kosten für die Infrastruktur und der unterschiedlichen territorialen Organisation der Mitgliedstaaten.79 Die Personenverkehrsverordnung soll über die vor75
Vgl. oben C. II. Wittig/Schimanek, NZBau 2008, S. 222, 225. 77 Heiß, VerwArch 2009, S. 113, 131 f.; Art. 5 Abs. 4 VO (EG) 1370/2007 steht unter dem Vorbehalt nationalen Rechts. Zur Frage, ob das nationale Verfassungsrecht einer Direktvergabe entgegensteht vgl. Nettesheim, NVwZ 2009, S. 1449, 1453; Otting/Olgemüller, DÖV 2009, S. 364. 78 Die Straßenbahnen unterfallen dem straßengebundenen ÖPNV. 79 Vgl. Begründungserwägungen 25 und 26 zur VO (EG) 1370/2007; Heiß,VerwArch 2009, S. 113, 130. 76
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5. Teil: Neuere legislative Entwicklungen
handenen Liberalisierungsrichtlinien hinaus keine weitere Öffnung des Marktes für Schienenpersonenverkehrsdienste herbeiführen.80 Neben den in Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 vorab zu veröffentlichenden Informationen sieht die Verordnung im Falle einer Direktvergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen auch dadurch die Schaffung von Transparenz vor, dass die zuständige Behörde gemäß Art. 7 Abs. 3 VO (EG) 1370/2007 binnen eines Jahres nach der Auftragsvergabe bestimmte Informationen öffentlich zugänglich machen muss (u. a. den Namen des Auftraggebers, die Dauer des öffentlichen Dienstleistungsauftrags und eine Beschreibung der zu erbringenden Personenverkehrsdienste).81 b) Verhältnis zum europäischen Primärrecht Zu untersuchen ist, ob den durch die Personenverkehrsverordnung eröffneten Direktvergabemöglichkeiten das europäische Primärrecht entgegensteht.82 Nach der hier vertretenen Ansicht eröffnet § 15 Abs. 2 AEG den Aufgabenträgern zwar ein Auswahlermessen hinsichtlich des anzuwendenden Vergabeverfahrens, die sich aus dem europäischen Primärrecht ergebenden Verfahrensanforderungen stehen einer Direktvergabe jedoch entgegen.83 Die Personenverkehrsverordnung mit ihrer grundsätzlichen Pflicht zur Vergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen in einem wettbewerblichen Verfahren setzt diese primärrechtlichen Grundsätze sekundärrechtlich um.84 In den Fällen jedoch, in denen die Personenverkehrsverordnung nunmehr ausdrücklich Direktvergaben zulässt und die Verfahrensvorschriften der Vergaberichtlinien nicht zwingend anzuwenden sind, kann nicht über den Umweg der Grundsätze des europäischen Primärrechts doch eine Verpflichtung zur Durchführung eines transparenten und alle Bieter gleich behandelnden Vergabeverfahrens begründet werden.85 Die Personenverkehrsverordnung spiegelt den ausdrücklichen Willen des europäischen Gesetzgebers wider. Dieser hat in begründeten Ausnahmefällen Direktvergaben aus-
80
Begründungserwägung 25 zur VO (EG) 1370/2007; Heiß, VerwArch 2009, S. 113, 130. Vgl. Otting/Scheps, NVwZ 2008, S. 499, 501. 82 Diese Frage betrifft sämtliche durch die VO (EG) 1370/2007 eröffneten Direktvergabemöglichkeiten. Soweit der ÖPNV betroffen war, wurden die sich aus dem europäischen Primärrecht ergebenden Verfahrensanforderungen am intensivsten hinsichtlich des SPNV untersucht (vgl. Kapitel 8 I. 3. und V.), weshalb die Frage des Verhältnisses der VO (EG) 1370/ 2007 zum Primärrecht auch wieder an dieser Stelle untersucht werden soll. 83 Vgl. Kapitel 8 B. I. 3. und V. Für Otting/Scheps (NVwZ 2008, S. 499, 501 ff.) und Polster (NZBau 2010, S. 662, 668 f.), die davon ausgehen, dass das europäische Primärrecht nicht anwendbar ist, stellt sich dieses Problem – das von ihnen jedoch erörtert wird – in letzter Konsequenz nicht. 84 Vgl. Begründungserwägung 20 zur VO (EG) 1370/2007. 85 Nettesheim, NVwZ 2009, S. 1449, 1451; so im Ergebnis auch Polster, NZBau 2011, S. 209, 212. 81
12. Kap.: EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste
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drücklich zugelassen.86 Gegen die Zulässigkeit der von der Personenverkehrsverordnung eröffneten Direktvergabemöglichkeiten könnte auch nicht argumentiert werden, dass sich die Regelungen der Personenverkehrsverordnung auf die Frage der zulässigen Höhe von Ausgleichsleistungen beschränken, weshalb bestehende Lücken hinsichtlich des anzuwendenden Vergabeverfahrens durch primärrechtliche Vorschriften gefüllt werden müssten. Die Personenverkehrsverordnung hat nicht nur beihilferechtliche Bedeutung, sondern sie regelt explizit das bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge anzuwendende Vergabeverfahren und damit den Marktzugang im öffentlichen Personenverkehr.87 In den Fällen, in denen nach der Personenverkehrsverordnung eine Direktvergabe zulässig ist, steht einer solchen Direktvergabe also das europäische Primärrecht nicht entgegen. c) Vorbehalt entgegenstehenden nationalen Rechts Art. 5 Abs. 6 VO (EG) 1370/2007 gilt jedoch nur, sofern das nationale Recht die mit dieser Vorschrift eröffnete Möglichkeit der Direktvergabe nicht untersagt. Nach der hier vertretenen Ansicht ist das nationale Vergaberecht nicht zwingend auf die Vergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV anzuwenden und steht deshalb einer Direktvergabe nach der Personenverkehrsverordnung nicht entgegen. Mit Beschluss vom 08. 02. 2011 hat der BGH88 jedoch entschieden, dass die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht infolge der Regelung des § 15 Abs. 2 AEG vom Anwendungsbereich des nationalen Vergaberechts ausgenommen ist.89 Sofern es sich bei der Vergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNVum die Vergabe eines öffentlichen Auftrags gemäß § 99 GWB handelt, steht die Anwendbarkeit des nationalen Vergaberechts mit seiner grundsätzlichen Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung demnach einer Direktvergabe entgegen.90 aa) BGH, Beschluss vom 08. 02. 2011 Nach dieser Entscheidung des BGH sind Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV nicht infolge der Regelung in § 15 Abs. 2 AEG vom Geltungsbereich des Vierten Teils des GWB (§§ 97 ff. GWB) ausgenommen. § 15 Abs. 2 AEG begründe keine Ausnahme von dem im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen definierten 86
Vgl. Begründungserwägungen 23 – 26 zur VO (EG) 1370/2007. Wachinger, IR 2007, S. 265. 88 BGH, Beschl. v. 08. 02. 2011, Az. X ZB 4/10, NZBau 2011, S. 175. 89 BGH, NZBau 2011, S. 175. 90 BGH, NZBau 2011, S. 175, 182; Polster, NZBau 2011, S. 209, 211. In diesem Fall könnte auch nicht auf die sich aus Art. 5 Abs. 4 VO (EG) 1370/2007 Direktvergabemöglichkeit zurückgegriffen werden, da das nationale Vergaberecht auch keine Ausnahme für geringfügige Aufträge oder für die Vergabe solcher Aufträge an kleine oder mittlere Verkehrsunternehmen vorsieht. 87
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5. Teil: Neuere legislative Entwicklungen
Anwendungsbereich seiner Vergabevorschriften.91 Dieser Anwendungsbereich sei im Gesetz nach Vertragsarten und -gegenständen prinzipiell umfassend bestimmt. Von ihm seien lediglich Arbeitsverträge und die in § 100 Abs. 2 GWB bezeichneten Aufträge ausgenommen. Dieser Ausnahmekatalog sei grundsätzlich als abschließend anzusehen.92 Im Katalog des § 100 Abs. 2 GWB ist jedoch eine Ausnahme für gemeinwirtschaftliche Eisenbahnverkehrsleistungen nicht enthalten. Auch aus der Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 2 AEG einerseits und der §§ 97 ff. GWB andererseits ergebe sich nicht, dass es sich bei § 15 Abs. 2 AEG um eine Spezialregelung handele, die die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen dem Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB entziehe. An der anderslautenden Entscheidung des OLG Brandenburg93 kritisiert der BGH in diesem Zusammenhang, dass dieses sich von subjektiven Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe habe leiten lassen. Der Wille des Gesetzgebers könne jedoch bei der Gesetzesauslegung nur berücksichtigt werden, wenn er sich objektiv im Wortlaut der auszulegenden Vorschriften niedergeschlagen habe oder sich aus deren Sinnzusammenhang ergebe.94 Diese Voraussetzung ist nach Ansicht des BGH vorliegend nicht erfüllt. Da der Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB umfassend und der Ausnahmekatalog des § 100 Abs. 2 GWB abschließend sei, hätte der Gesetzgeber bei Einführung dieser Vorschriften mit dem Vergaberechtsänderungsgesetz (VgRÄndG) zum Ausdruck bringen müssen, dass gemeinwirtschaftliche Eisenbahnverkehrsleistungen vom Anwendungsbereich des Vierten Teils des GWB ausgenommen sein sollen. Weder in den Gesetzgebungsmaterialen noch im Wortlaut der §§ 97 ff. GWB finde sich jedoch ein entsprechender Hinweis.95 Gegen eine Einstufung von § 15 Abs. 2 AEG als lex specialis gegenüber den § 97 ff. GWB spreche auch, dass im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens umstritten gewesen sei, ob eine Ausschreibungspflicht im AEG festgeschrieben werden soll. Aufgrund dieser Meinungsverschiedenheiten biete sich keine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass die in § 15 Abs. 2 AEG beschriebenen Leistungen nach dem rund vier Jahre später geschaffenen VgRÄndG nicht in den Anwendungsbereich des Vierten Teils des GWB fallen sollten.96 § 15 Abs. 2 AEG als die ältere Vorschrift werde zudem nach dem Grundsatz, dass das ältere Gesetz von einer jüngeren Vorschrift gleichen Ranges verdrängt wird, durch die §§ 97 ff. GWB verdrängt. Zusätzlich deute der Erlass von § 4 Abs. 3 VgV
91 92 93 94 95 96
BGH, NZBau 2011, S. 175, 177. BGH, NZBau 2011, S. 175, 177. OLG Brandenburg, NZBau 2003, S. 688; vgl. ausführlich Kapitel 8 B. II. 1. – 3. BGH, NZBau 2011, S. 175, 177. BGH, NZBau 2011, S. 175, 178. BGH, NZBau 2011, S. 175, 178.
12. Kap.: EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste
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auf einen generellen Vorrang des Vierten Teils des GWB hin.97 Nachdem dies erstmals durch die VK Magdeburg98 ausgesprochen worden sei, sei mit der Vorschrift des § 4 Abs. 3 VgV eine modifizierende Regelung geschaffen worden, um den Aufgabenträgern einen stufenweisen Übergang in den Wettbewerb zu ermöglichen. Die – im dortigen Vergabeverfahren noch anwendbare – VO (EWG) 1191/69 enthalte keine die Anwendung des Vierten Teils des GWB ausschließende Sonderrechtsordnung für die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen. In diesem Zusammenhang betont der BGH, dass die den Wettbewerb eröffnenden Vorschriften des Vergaberechts der Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung im SPNV nicht entgegenstünden. Es könne keine Rede davon sein, dass sich der Abschluss von Verträgen zwischen öffentlichen Auftraggebern und Eisenbahnverkehrsunternehmen im Wege förmlicher Vergabeverfahren nicht in Einklang bringen lasse mit dem Ziel der Verordnung, eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen. Das durch die Verordnung geschaffene Recht schließe eine „vergaberechtlich geprägte Sicherstellung der Verkehrsbedienung nicht aus“.99 bb) Kritik Die Entscheidung des BGH ist in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren. Einer Direktvergabe stehen zwar grundsätzlich die aus den Grundfreiheiten des AEUV resultierenden Verfahrensanforderungen, nicht jedoch das zwingend anzuwendende nationale Vergaberecht entgegen.100 Wie in Kapitel 8 B. 1. ausführlich dargelegt, folgt aus der Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 2 AEG, dass der Gesetzgeber die Vergabe gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnverkehrsleistungen nicht zwingend dem aus der Umsetzung der Vergaberichtlinien entstehenden nationalen Vergaberecht unterwerfen wollte. Anders als vom BGH entschieden muss dieser Wille des Gesetzgebers auch nicht ausschließlich aus den Gesetzgebungsmaterialien abgeleitet werden, sondern er hat seinen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden. Wenn es in § 15 Abs. 2 AEG heißt, dass gemeinwirtschaftliche Eisenbahnverkehrsleistungen ausgeschrieben werden können, so findet der Wille des Gesetzgebers, das nationale Vergaberecht nicht zwingend anzuwenden, in dieser Formulierung seinen hinreichend deutlichen Ausdruck, da das nationale Vergaberecht grundsätzlich eine Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung statuiert. Die hier vertretene Ansicht muss sich also nicht lediglich auf „subjektive Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder“ stützen.101
97
BGH, NZBau 2011, S. 175, 178. VK Magdeburg, Beschl. v. 06. 06. 2002, Az. 33-32571/07 VK 05/02 MD. 99 BGH, NZBau 2011, S. 175, 179. 100 Vgl. hierzu insgesamt Kapitel 8 B. 101 BGH, NZBau 2011, S. 175, 177.
98
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5. Teil: Neuere legislative Entwicklungen
Nachdem die Grundentscheidung mit der spezielleren Vorschrift des § 15 Abs. 2 AEG gefallen war, konnten gemeinwirtschaftliche Eisenbahnverkehrsleistungen nicht durch eine bloße Nichterwähnung im Vergaberechtsänderungsgesetz dem Vergaberecht unterworfen werden. Eine Änderung der getroffenen Grundentscheidung hätte vielmehr positiv zum Ausdruck kommen müssen, das bloße Schweigen des Gesetzgebers reicht nicht aus. Entweder hätte eine ausdrückliche Klarstellung zumindest in den Gesetzesmaterialien zum VgRÄndG oder eine Änderung des Wortlauts von § 15 Abs. 2 AEG erfolgen müssen. Beides war indes nicht der Fall.102 Der BGH begründet seine Ansicht, dass § 15 Abs. 2 AEG gegenüber den §§ 97 ff. GWB nicht die speziellere Vorschrift sei mit Argumenten, die er der Entstehungsgeschichte von § 15 Abs. 2 AEG entnimmt.103 Entscheidend für die Frage der Spezialität ist jedoch, dass § 15 Abs. 2 AEG für gemeinwirtschaftliche Eisenbahnverkehrsleistungen als einem Teilausschnitt der Dienstleistungen insgesamt zulässigerweise eine Einzelfallregelung trifft. Da § 15 Abs. 2 AEG gegenüber den §§ 97 ff. GWB die speziellere Vorschrift ist, ist der lex posterior-Grundsatz zur Klärung des Verhältnis dieser beiden Normkomplexe nicht heranzuziehen.104 Was die Vorschrift des § 4 Abs. 3 VgV betrifft, sei auf die Ausführungen unter Kapitel 8 B. II. 5. verwiesen. Es ist dem BGH zuzustimmen, wenn er – ohne allerdings das bestehende Spannungsverhältnis zu untersuchen – die Ansicht vertritt, dass das den Wettbewerb eröffnende Vergaberecht der Sicherstellung der Daseinsvorsorge im SPNV nicht entgegensteht. Es muss allerdings bei der Durchführung des Vergabeverfahrens der Daseinsvorsorgecharakter der zu vergebenden Leistungen berücksichtigt werden.105 Trotz aller Kritik kommen die Aufgabenträger in der Praxis nicht um die Beachtung der Rechtsprechung des BGH herum. Werden die durchzuführenden Eisenbahnverkehrsleistungen im SPNV im Rahmen eines öffentlichen Auftrags im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB erbracht, ist zwingend das nationale Vergaberecht anzuwenden. Die in diesem Fall aufgrund von § 4 Abs. 2 Nr. 2 VgV, § 3 Abs. 2 VOL/A grundsätzlich durchzuführende öffentliche Ausschreibung erfüllt die gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 1370/2007 für ein wettbewerbliches Vergabeverfahren geltenden Grundsätze ohne weiteres.
102 103 104 105
Vgl. ausführlich Kapitel 8 B. II. 3. BGH, NZBau 2001, S. 175, 177 f. Vgl. ausführlich Kapitel 8 B. II. 6. Vgl. ausführlich Kapitel 8 B. III. und Kapitel 10.
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d) Verbleibende Direktvergabemöglichkeiten Trotz des Beschlusses des BGH vom 08. 02. 2011 verbleiben auch im Bereich des SPNV einige Möglichkeiten der Direktvergabe:106 Handelt es sich bei dem zu vergebenden öffentlichen Dienstleistungsauftrag i. S. der VO (EG) 1370/2007 nicht um einen öffentlichen Auftrag gemäß § 99 GWB, sondern insbesondere107 um eine Dienstleistungskonzession, besteht nach wie vor die Direktvergabemöglichkeit des Art. 5 Abs. 6 VO (EG) 1370/2007, sofern der öffentliche Dienstleistungsauftrag keine Verkehrsleistungen mit Untergrundbahnen zum Gegenstand hat.108 Da das nationale Vergaberecht auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen nicht anwendbar ist, steht in diesem Fall das nationale Recht der mit Art. 5 Abs. 6 VO (EG) 1370/2007 eröffneten Möglichkeit einer Direktvergabe nicht entgegen. Auch bei In-House-Vergaben handelt es sich nicht um öffentliche Aufträge i. S. des § 99 GWB. Die Direktvergabemöglichkeit des Art. 5 Abs. 6 VO (EG) 1370/ 2007 wird in diesem Fall nicht dadurch eingeschränkt, dass zusätzlich die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 vorliegen müssen. Art. 5 Abs. 6 VO (EG) 1370/2007 erfasst alle Eisenbahnverkehrsleistungen unabhängig davon, ob diese von internen oder dritten Betreibern erbracht werden sollen. Die Möglichkeit, als Notmaßnahme gemäß Art. 5 Abs. 5 VO (EG) 1370/2007 befristet auf zwei Jahre einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag i. S. der VO (EG) 1370/2007 direkt zu vergeben, besteht im Bereich des SPNV auch dann, wenn es sich bei dem zu vergebenden öffentlichen Dienstleistungsauftrag um einen öffentlichen Auftrag i. S. des § 99 GWB handelt. Art. 5 Abs. 5 VO (EG) 1370/2007 steht nicht unter dem Vorbehalt nationalen Rechts und genießt als europäische Norm Anwendungsvorrang vor dem nationalen (Vergabe-)Recht.109 Handelt es sich bei dem zu vergebenden öffentlichen Dienstleistungsauftrag i. S. der VO (EG) 1370/2007 um einen öffentlichen Auftrag i. S. des § 99 GWB, erlaubt das nationale Vergaberecht mit § 4 Abs. 3 VgV unter engen Voraussetzungen eine freihändige Vergabe.110 Liegt ein öffentlicher Auftrag vor, besteht darüber hinaus unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 5 lit. d (geringfügige Nachbestel106
Zur Frage, ob nationales Verfassungsrecht einer Direktvergabe entgegensteht vgl. Nettesheim, NVwZ 2009, S. 1449, 1453; Polster, NZBau 2010, S. 662, 666; Otting/Olgemüller, DÖV 2009, S. 364. 107 Ein öffentlicher Auftrag i. S. des § 99 GWB liegt auch bei Unterschreiten der Schwellenwerte nicht vor. Die Schwellenwerte dürften jedoch bei Aufträgen, die Verkehrsleistungen zum Gegenstand haben, in der Regel überschritten sein. 108 Polster, NZBau 2011, S. 209, 211. Ein Rückgriff auf Art. 5 Abs. 4 oder 5 VO (EG) 1370/2007 ist in diesem Fall nicht erforderlich, da sich die Direktvergabemöglichkeit unmittelbar aus Art. 5 Abs. 6 VO (EG) 1370/2007 ergibt. 109 Polster, NZBau 2011, S. 209, 212. 110 Vgl. zu § 4 Abs. 3 VgV Kapitel 8 B. II. 5. sowie BGH, NZBau 2011, S. 175, 183 und Polster, NZBau 2011, S. 209, 212.
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lungen) und g (besondere Dringlichkeit) VOL/A die Möglichkeit einer freihändigen Vergabe.111 Im Unterschied zu einer Direktvergabe kann bei einer freihändigen Vergabe jedoch nicht gänzlich auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren verzichtet werden. Es müssen mehrere – grundsätzlich mindestens drei – Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert werden.112 IV. Rechtsschutz Gemäß Art. 5 Abs. 7 VO (EG) 1370/2007 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, einer am Auftrag interessierten Person einen wirksamen Rechtsschutz gegen die das Vergabeverfahren betreffenden Entscheidungen der zuständigen Behörde zu eröffnen. Der deutsche Gesetzgeber hat bisher noch keine Maßnahmen im Hinblick auf Art. 5 Abs. 7 VO (EG) 1370/2007 ergriffen. Weder hat er bestimmt, welche Gerichte oder Verwaltungsbehörden zuständig sein sollen, noch hat er festgelegt, welche Verfahrensregeln zur Anwendung kommen. Klar ist, dass in den Fällen, in denen eine Vergabe nach den Regeln der Vergaberichtlinien bzw. dem nationalen Vergaberecht erfolgt, das Nachprüfungsverfahren gemäß §§ 102 ff. GWB zur Anwendung kommt. In den Fällen, in denen die Vergaberegeln der Personenverkehrsverordnung zur Anwendung kommen, ging das Schrifttum bisher überwiegend – je nachdem, ob es öffentlichen Dienstleistungsaufträgen eine öffentlich-rechtliche oder zivilrechtliche Rechtsnatur beimaß – von der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte (§ 40 Abs. 1 VwGO) bzw. der ordentlichen Gerichte aus.113 Nunmehr haben jedoch bereits zwei Obergerichte in analoger Anwendung des § 102 GWB die Vergabekammern bzw. in zweiter Instanz die für die jeweiligen Vergabekammern zuständigen Oberlandesgerichte für zuständig erklärt.114 Dadurch, dass die VO (EG) 1370/2007 einen wirksamen Rechtsschutz gegen Entscheidungen der zuständigen Behörden fordere, der deutsche Gesetzgeber jedoch bisher keine Maßnahmen ergriffen habe, sei eine Rechtslücke entstanden, die durch die analoge Anwendung des § 102 GWB geschlossen werden müsse.115 Nach Erwägungsgrund 21 zur VO (EG) 1370/2007 soll der gewährte Rechtsschutz dem Nachprüfungsverfahren der Rechtsmittelrichtlinien vergleichbar sein. Ein derartiges Nachprüfungsverfahren böten gegenwärtig in Deutschland nur die Nachprüfungs-
111
Polster, NZBau 2011, S. 209, 212 f. BGH, NZBau 2011, S. 175, 184. 113 Deuster/Michaels, NZBau 2011, S. 340, 341 (Verwaltungsgerichte); Polster, NZBau 2010, S. 662, 668 (ordentliche Gerichte). 114 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02. 03. 2011, Az. VII-Verg 48/10, NZBau 2011, S. 244, 245 f.; OLG München, Beschl. v. 22. 06. 2011, Az. Verg 6/11, S. 15 des Umdrucks. 115 OLG Düsseldorf, NZBau 2001, S. 244, 245; OLG München, Beschl. v. 22. 06. 2011, Az. Verg 6/11, S. 15 f. 112
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instanzen.116 Darüber hinaus sei die Abgrenzung zwischen Aufträgen, die nach den Vergaberichtlinien, und denjenigen, die nach Art. 5 Abs. 2 – 6 VO (EG) 1370/2007 zu vergeben sind, oftmals schwierig. Hierdurch ergäben sich, wenn für die letztgenannten Aufträge die Verwaltungsgerichte zuständig wären, Unsicherheiten für die Antragsteller hinsichtlich des einzuschlagenden Rechtswegs. Ein wirksamer Rechtsschutz wäre hierdurch erschwert, da die Nachprüfungsrechtswege zersplittert wären117 und eine Verweisung von der Vergabekammer an das Verwaltungsgericht und umgekehrt nicht in Betracht komme.118 Auch wenn den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf und München im Ergebnis zuzustimmen ist, so ist doch deren Begründung nicht zwingend.119 Aufgrund der Generalklauseln in § 40 Abs. 1 VwGO bzw. §§ 23, 71 GVG120 liegt es näher, von einer Zuständigkeit der ordentlichen bzw. der Verwaltungsgerichte auszugehen, je nachdem, ob man öffentlichen Dienstleistungsaufträgen zivil- oder öffentlich-rechtlichen Charakter beimisst. Eine zu füllende Rechtslücke besteht deshalb nicht.121 § 102 GWB hingegen begründet eine Sonderzuständigkeit nur für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen i. S. von § 99 Abs. 1 GWB. Außerdem besteht in beiden Verfahrensordnungen die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen und auf diese Weise schnell zu reagieren, um ggf. eine Zuschlagserteilung zu verhindern. Der Rechtsschutz, der im Rahmen eines Zivil- bzw. Verwaltungsprozesses erlangt werden kann, ist also dem Rechtsschutz nach den Rechtsmittelrichtlinien vergleichbar.122 Zuzugeben ist jedoch, dass die §§ 102 ff, GWB ein schnelles, etabliertes Verfahren zur Verfügung stellen und die Nachprüfungsinstanzen mit vergaberechtlichen Fragestellungen vertraut sind, weshalb die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Düsseldorf und München im Ergebnis nicht zu missbilligen ist.123 Die Anforderungen des Art. 5 Abs. 7 VO (EG) 1370/2007 werden in jedem Fall erfüllt. Den Antragstellern wird ein wirksamer und rascher Rechtsschutz zur Verfügung gestellt. Die Entscheidungen der Vergabekammern, die in schriftlicher Form ergehen, können einer Kontrolle durch ein Gericht unterzogen werden (vgl. Art. 5 Abs. 7 UAbs. 2 VO (EG) 1370/2007).
116
OLG Düsseldorf, NZBau 2011, S. 244, 246; OLG München, Beschl. v. 22. 06. 2011, Az. Verg 6/11, S. 16 des Umdrucks. 117 OLG München, Beschl. v. 22. 06. 2011, Az. Verg 6/11, S. 16 des Umdrucks. 118 OLG Düsseldorf, NZBau 2011, S. 244, 246. 119 Ablehnend Deuster/Michaels, NZBau 2001, S. 340, 341. 120 Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300). 121 Deuster/Michaels, NZBau 2011, S. 340, 341. 122 Deuster/Michaels, NZBau 2011, S. 340, 341. 123 So auch Polster, NZBau 2010, S. 662, 668 (de lege ferenda).
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5. Teil: Neuere legislative Entwicklungen
E. Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen Für Ausgleichsleistungen im Zusammenhang mit öffentlichen Dienstleistungsaufträgen oder allgemeinen Vorschriften gilt grundsätzlich das Verbot der Überkompensation (Art. 6 Abs. 1 VO (EG) 1370/2007 i. V. mit Art. 4 Abs. 1 lit. b VO (EG) 1370/2007). In den öffentlichen Dienstleistungsaufträgen oder allgemeinen Vorschriften sind die Parameter, anhand derer die Ausgleichsleistung berechnet wird, aufzustellen (Art. 4 Abs. 1 lit. b VO (EG) 1370/2007). Für öffentliche Dienstleistungsaufträge, die im Wege eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens vergeben wurden, enthält die Personenverkehrsverordnung keine Bestimmungen über den zulässigen Höchstbetrag der Ausgleichszahlungen (vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 1370/ 2007). Der gemeinschaftsrechtliche Gesetzgeber geht davon aus, dass die Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens gleichzeitig eine Überkompensation verhindert.124 In dieser Hinsicht besteht wiederum eine Parallele zur Altmark Trans-Rechtsprechung des EuGH.125 Hinsichtlich der Bestimmung des zulässigen Höchstbetrags von Ausgleichsleistungen bei direkt vergebenen öffentlichen Dienstleistungsaufträgen und allgemeinen Vorschriften enthält die Personenverkehrsverordnung spezielle Regelungen (Art. 6 Abs. 1 i. V. mit Art. 4 Abs. lit. b und dem Anhang zur VO (EG) 1370/ 2007).126 Die Ausgleichsleistung darf den Betrag nicht übersteigen, der erforderlich ist, um die durch die gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen verursachten finanziellen Nettoauswirkungen auf die Kosten und Einnahmen zu decken, wobei die vom Betreiber erzielten und einbehaltenen Einnahmen und ein angemessener Gewinn zu berücksichtigen sind (Art. 4 Abs. 1 lit. b VO (EG) 1370/2007, Anhang zur VO (EG) 1370/2007). Die Auswirkungen der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen werden beurteilt anhand eines Vergleichs der Situation bei Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung mit der Situation, die vorläge, wenn die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung nicht erfüllt worden wäre. An dieser Stelle unterscheidet sich die in der Personenverkehrsverordnung getroffene Regelung von den in der Altmark Trans-Rechtsprechung entwickelten Kriterien. Dort wurde nicht auf die konkreten Nettomehrkosten des Betreibers abgestellt, sondern auf die Kosten, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen bei der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen hätte.127
124
Nettesheim, NVwZ 2009, S. 1449, 1453; Polster, NZBau 2010, S. 662, 667. EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 93. 126 Vgl. hierzu ausführlich Heiß, VerwArch 2009, S. 113, 126 ff. 127 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003 – Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7810 Rn. 93; Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 607; kritisch Mietzsch, EuZW 2006, S. 11, 14. 125
12. Kap.: EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste
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F. Bewertung Ziel der Personenverkehrsverordnung ist die Sicherung der Daseinsvorsorge im Öffentlichen Personennahverkehr128 unter Öffnung dieses Bereiches für einen regulierten Wettbewerb.129 Um eine ausreichende und angemessene Versorgung der Bevölkerung mit Verkehrsdienstleistungen im ÖPNV sicherzustellen, betrauen die zuständigen Behörden die Betreiber des ÖPNV durch öffentliche Dienstleistungsaufträge mit Verkehrsleistungen, die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegen. Mit dem Mittel des Dienstleistungsauftrags können die zuständigen Behörden den Umfang und die Qualität der Verkehrsleistungen festlegen. Für die den Betreibern durch die Erfüllung dieser gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen entstehenden Kosten erhalten diese entweder einen finanziellen Ausgleich oder ausschließliche Rechte. Ausdrücklich soll der ÖPNV nicht dem freien Spiel des Marktes, d. h. einem deregulierten Wettbewerb ohne staatliche Intervention überlassen werden (vgl. Art. 1 Abs. 1 VO (EG) 1370/2007), da auf diese Weise eine den Anforderungen der Daseinsvorsorge entsprechende Versorgung der Bevölkerung mit Verkehrsdienstleistungen im ÖPNV nicht erreicht werden kann. Die öffentlichen Dienstleistungsaufträge werden grundsätzlich in einem wettbewerblichen Vergabeverfahren vergeben. Daneben enthält die Verordnung Möglichkeiten der Direktvergabe, die es insbesondere den Städten und Gemeinden erlauben, die bestehende Struktur des ÖPNV beizubehalten oder nach ihrem Willen zu gestalten, sei es durch Selbsterbringung oder die direkte Beauftragung eines kommunalen Verkehrsunternehmens, sei es durch die Möglichkeit, kleinere öffentliche Dienstleistungsaufträge (vgl. Art. 5 Abs. 4 VO (EG) 1370/2007) direkt an dritte Verkehrsunternehmen zu vergeben.130 Außerdem sieht die Verordnung dort, wo die Vergaberichtlinien nicht bereits anwendbar sind, eine genügend lange Übergangszeit vor, in der sich sowohl die Aufgabenträger als auch die Verkehrsunternehmen an die neuen Rahmenbedingungen anpassen können. Im Ergebnis ermöglicht die Gesamtregelung deshalb einen adäquaten Ausgleich zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerb.
128
Die Verordnung erfasst auch den Personenfernverkehr, der jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist. 129 Vgl. Begründungserwägung 4, 5 und 7 zur VO (EG) 1370/2007. Die Kommission betont insbesondere den Aspekt der Einführung eines regulierten Wettbewerbs und die positiven Erfahrungen, die mit dieser Variante des Wettbewerbs im ÖPNV gemacht worden seien (vgl. Begründung der Kommission zum VO-Entwurf, KOM (2005) 319 endg., S. 7 f.); Mietzsch, EuZW 2006, S. 11; Baumeister/Klinger, NZBau 2005, S. 601, 605. 130 Wachinger bezeichnet die Direktvergabe als „Chance“ für die Kommunen, weist jedoch auch auf die hiermit verbundenen möglichen Probleme hin (Wachinger, IR 2007, 265, 268); Mietzsch, EuZW 2006, S. 11, 13.
Zusammenfassung der Ergebnisse Werden private Unternehmen mit der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge beauftragt, so ist das Vergaberecht grundsätzlich anzuwenden. Hierüber besteht in Bereichen wie bspw. der Abfallentsorgung Einigkeit. Handelt es sich bei der jeweiligen Beauftragung um einen öffentlichen Auftrag i. S. des § 99 Abs. 1 GWB, ist dieser grundsätzlich im Wege einer öffentlichen Ausschreibung zu vergeben. Umstritten ist die Anwendbarkeit des Vergaberechts jedoch im Bereich des SPNV. Nach der hier vertretenen Ansicht steht den Aufgabenträgern aufgrund der Regelung des § 15 Abs. 2 AEG ein Entscheidungsermessen dahingehend zu, ob sie ein förmliches Vergabeverfahren oder ein nicht dem Vergaberecht unterworfenes, jedoch gleichwohl transparentes und die Bieter gleichbehandelndes Vergabeverfahren durchführen. Im Bereich des straßengebundenen ÖPNV ist das Vergaberecht auf die Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen mit Verkehrsunternehmen grundsätzlich anwendbar, bei eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen i. S. des § 8 Abs. 4 Satz 1 und 2 PBefG ist unter Berücksichtigung der Finanzierungsquellen im jeweiligen Einzelfall konkret zu untersuchen, ob es sich um einen öffentlichen Auftrag handelt. Da nach dem Personenbeförderungsrecht auch ein bezuschusster Verkehr als eigenwirtschaftlicher Verkehr genehmigt werden kann, stellt sich – obwohl der Begriff der Eigenwirtschaftlichkeit dies nach seinem gewöhnlichen Gebrauch nicht nahelegt – die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts. Sollen die auf vertraglicher Grundlage gewährten Betriebskostenzuschüsse dem Verkehrsunternehmen lediglich als Anreiz dafür dienen, Verkehrsleistungen, die es aus eigenem wirtschaftlichem Antrieb erbrächte, in einer bestimmten Qualität zu erbringen, so handelt es sich bei dem Vertrag um einen nicht dem Vergaberecht unterliegenden Zuschussvertrag. Bilden die Betriebskostenzuschüsse jedoch den Anlass, bestimmte Verkehrsleistungen überhaupt erst aufzunehmen, ist grundsätzlich von einem öffentlichen Auftrag auszugehen. Ist in dem Vertrag, mit dem ein privates Unternehmen mit der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge beauftragt wird, eine Dienstleistungskonzession zu sehen, so findet das Vergaberecht ebenfalls keine Anwendung. Auch wenn die strengen Verfahrensvorschriften des Vergaberechts für die Dienstleistungskonzession nicht gelten, ergeben sich doch aus den Grundsätzen des EG-Vertrags, insbesondere den Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung, bestimmte Anforderungen an das Verfahren zur Vergabe von solchen Konzessionen. Das Vergaberecht bleibt auch in den Fällen der In-House-Vergabe unangewendet. Werden kommunale Regie- oder Eigenbetriebe mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge betraut, fehlt es bereits an einem Vertragsschluss zwischen zwei
Zusammenfassung der Ergebnisse
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unterschiedlichen Rechtsträgern, wie er für das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags erforderlich ist. Eindeutig können auch die Fälle der Beauftragung eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens beurteilt werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH können kommunale Gebietskörperschaften unabhängig von der Höhe der Beteiligung des privaten Unternehmens über solche Unternehmen nicht die erforderliche Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausüben, das Vergaberecht ist also stets anzuwenden. Bei kommunalen Eigengesellschaften lässt der EuGH den Umstand, dass die kommunale Gebietskörperschaft zu 100 % Eigentümerin des Unternehmens ist, für sich alleine nicht ausreichen, um eine solche Kontrolle zu bejahen. Es muss anhand einer Vielzahl von Kriterien geprüft werden, ob die jeweilige kommunale Gebietskörperschaft tatsächlich über die Gesellschaft eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt. Darüber hinaus ist zu untersuchen, ob sich die Gesellschaft auf die Erfüllung von Aufgaben der kommunalen Gebietskörperschaft in deren räumlichen Zuständigkeitsgebiet beschränkt, oder ob sie auf eine Tätigkeit am Markt und im Wettbewerb zu anderen Unternehmen ausgerichtet ist. Liegt kein Fall einer In-House-Vergabe vor, muss der Zuschlag im Rahmen eines förmlichen Vergabeverfahrens auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden. Wird dieses nicht vom kommunalen Unternehmen abgegeben, ist der Auftrag an ein anderes Unternehmen zu vergeben. Die kommunale Gebietskörperschaft ist unter diesen Umständen ggf. dazu gezwungen, die Organisationsstruktur, in der sie bisher die ihr obliegenden Aufgaben der Daseinsvorsorge erfüllt hat, aufzugeben oder erheblich abzuändern. Wollen die kommunalen Gebietskörperschaften ihre Organisationsstruktur im Bereich der Daseinsvorsorge aufrechterhalten, müssen sie die Tätigkeit ihrer kommunalen Unternehmen sachlich auf die Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge und räumlich auf ihr Zuständigkeitsgebiet beschränken. Die Teilnahme am Wettbewerb mit anderen Unternehmen im oder außerhalb des Zuständigkeitsgebiets des kommunalen Eigentümers führt regelmäßig dazu, dass das Vergaberecht auch auf die Beauftragung von kommunalen Unternehmen angewendet werden muss. Abgesehen von den Auswirkungen auf die Organisationsstruktur der kommunalen Gebietskörperschaften bestehen eine Reihe von Reibungspunkten zwischen dem auf die Schaffung von Wettbewerb ausgerichteten Vergaberecht mit seinen strengen Verfahrensvorschriften einerseits und der Verpflichtung der zuständigen Behörden, eine ausreichende und angemessene Versorgung der Bevölkerung mit den Leistungen des Daseinsvorsorge sicherzustellen. Das Verhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Vergaberecht stellt sich deshalb als Spannungsverhältnis dar. Aus diesem Befund kann jedoch nicht die radikale Konsequenz gezogen werden, dass das Vergaberecht generell nicht anwendbar ist, wenn Dritte mit der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge beauftragt werden. Das den Aufgabenträgern im Bereich des SPNV durch § 15 Abs. 2 AEG eingeräumte Entschließungsermessen hinsichtlich der Anwendbarkeit des Vergaberechts kann deshalb auch nicht mit dem Bestehen eines Spannungsverhältnisses zwischen Daseinsvorsorge und Vergabe-
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recht begründet werden. Die Anforderungen an die Leistungen der Daseinsvorsorge sind vielmehr bei der Vergabe der Leistungen zu berücksichtigen. Man könnte dies als eine vergaberechtsinterne Auflösung des Spannungsverhältnisses bezeichnen. Eine solche Auflösung des Spannungsverhältnisses ist möglich, weil das Vergaberecht – trotz seiner starren Verfahrensvorschriften – in dem erforderlichen Maße die Berücksichtigung des besonderen Charakters der zu vergebenden Leistung ermöglicht. Die in der Leistungsbeschreibung festgelegten Anforderungen an den Umfang und die Qualität der zu erbringenden Leistungen können – und müssen – so gestellt werden, dass eine ausreichende und angemessene Versorgung der Bevölkerung mit den Leistungen der Daseinsvorsorge sichergestellt ist. Der obsiegende Bieter ist vertraglich dazu verpflichtet, die Leistungen entsprechend diesen Vorgaben zu erbringen. Der Zuschlag ist auch nicht zwingend auf das billigste Angebot zu erteilen, den Zuschlag erhält vielmehr das wirtschaftlichste Angebot. Bei der Ermittlung dieses Angebots sind neben dem Preis noch andere leistungsbezogene Zuschlagskriterien wie bspw. die angebotene Qualität heranzuziehen. Die öffentlichen Auftraggeber müssen die Leistungserbringung überwachen und sich genügend Eingriffsund Kontrollrechte vorbehalten, um einer möglichen Schlechterfüllung durch den Auftragnehmer ggf. gegensteuern zu können. Auftragnehmer können nur Unternehmen sein, die über die erforderliche Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit verfügen. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass die Leistungen der Daseinsvorsorge in ausreichendem und angemessenem Maß erbracht werden. Der durch das Vergaberecht eröffnete Wettbewerb hat unter diesen Voraussetzungen eine dienende Funktion. Er dient dazu, dasjenige Unternehmen zu ermitteln, das die zur Sicherstellung einer ausreichenden und angemessenen Versorgung der Bevölkerung erforderlichen Leistungen der Daseinsvorsorge zum günstigsten Preis erbringt.
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Sachwortverzeichnis Abfallentsorgung 108 ff. Abwasserbeseitigung 111 ff. – Betreibermodell 113 f. – Betriebsführungsmodell 112 f. – Kooperationsmodell 114 Anschluss- und Benutzungszwang 112, 118, 122 Auffangverantwortung 32 Aufgabenträger 172 ff., 178 – öffentlicher Auftraggeber 220 f., 266 Ausgleichsleistung 79 ff., 279, 309 f., 318, 323, 330 Bahnreform 173, 196 Beihilfe 183, 215, 279, 295 Betrauungsakt 71, 106 f. Bonus-Malus-Regelung 223, 301, 303 Bruttovertrag 222, 240, 299 Daseinsvorsorge 22 ff., 33 ff., 94, 172, 209 ff. 214 f. – Anforderungen an die Versorgung 37 ff. – Beauftragung privater und öffentlicher Unternehmen 36 f., 64, 66, 76 f., 109, 111 ff., 119, 149 – Gemeinwohlverpflichtungen 63 f. – Rechtsbegriff 39 ff., 101 – staatliche Aufgabe 34 f. – Überwachung des Leistungserbringers 86 f., 300 f. – und Vergaberecht 76 ff., 81 ff., 209 ff., 269 ff., 325 f. – und Wettbewerb 60 ff., 305, 331 Dienstleistungen von allgemeinem Interesse 41 f. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse 41 ff., 67 f., 305 Dienstleistungskonzession 150 ff., 311 – Bekanntmachung 167 ff. – entgeltlicher Vertrag 153 f.
– Erfüllung einer Aufgabe der Daseinsvorsorge 159 ff., 170, 269, 290 – Gleichbehandlungsgrundsatz 155, 170 – In-House-Vergabe 157 ff. – Nutzungsrecht 151, 162, 170, 269 ff., 290 f. – Teilentgeltlichkeit 165 – Transparenzgebot 156, 167 – Vergabeverfahren 166 ff, 169 f. – Vergaberichtlinien 152 f. – wirtschaftliches Risiko 161 ff., 240 ff., 273 f. Direktvergabe 318 ff. Dringlichkeit 88, 104 Eignungskriterien 56, 98, 301 Erfüllungsverantwortung 30 ff. Fachlose 93, 307 Gewährleistungsverantwortung 30 ff., 36 In-House-Vergabe 96 f., 125 ff., 275 – Aktiengesellschaft 137 – Dienstleistungskonzession 157 ff. – Eigenbetrieb 126 – Eigengesellschaft 127, 136 ff. – Enkelunternehmen 135, 138 – gemischt-öffentliche Gesellschaft 127, 134 f., 141, 146 – gemischtwirtschaftliche Gesellschaft 142 ff. – GmbH 137 – Kontrollkriterium 128, 131 ff. – Regiebetrieb 126 – Wesentlichkeitskriterium 128, 139 ff. Insolvenz 88 interner Betreiber 316 f., 319 f. intuitu personae 97, 160 f.
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Sachwortverzeichnis
kommunale Selbstverwaltung 111, 118 f. kommunale Unternehmen 95, 149, 293 ff. kommunaler Querverbund 96, 293 ff. Konzentrationsprozess 92 f., 96 Leistungsbeschreibung 56, 82, 298 ff., 303 Leistungsverwaltung 25, 34, 37 Lohn- und Preisdumping 83 ff. Losvergabe 92 f., 218, 307 marktorientierte Direktvergabe 95 mittelständische Unternehmen 89, 92, 217 f., 307, 321 Nahverkehrsplan 175, 249, 281, 298 Nettovertrag 222, 241 ff., 273 f., 299, 303 öffentlicher Auftrag 51 f., 109, 114 f., 123 – Beschaffungscharakter 51, 228, 288 – entgeltlicher Vertrag 51, 221 – funktionaler Auftragsbegriff 129 – gemischter Auftrag 115 f., 124 – nachrangige Dienstleistung 123 f., 184 f., 201, 306 – öffentlich-rechtlicher Vertrag 229 ff., 267 – vorrangige Dienstleistung 184 f., 263, 306 öffentlicher Auftraggeber 50 Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) 171 ff. – allgemeine Vorschrift 310 – gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen 178 f. – gemeinwirtschaftliche Verpflichtung 309 – öffentlicher Dienstleistungsauftrag 309, 311 ff. – Verpflichtungen des öffentlichen Diensts 175 ff., 179 öffentliche Unternehmen 19, 30, 62 öffentlich-rechtlicher Vertrag 229 ff., 267 – koordinationsrechtlicher Vertrag 231, 233 – subordinationsrechtlicher Vertrag 230, 233 Ortsansässigkeit 97 f., 170 Postreform 32 f. Primärrechtsschutz 59 f.
Regionalisierung 172 f. 196 Rekommunalisierung 125, 148, 150 Rosinenpicken 88 f., 300 Schienenpersonennahverkehr (SPNV) 173, 321 ff. – Bestellerprinzip 173, 175 – gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen 179 – Grundfreiheiten 186 ff. Schwellenwerte 45, 47, 50 straßengebundener ÖPNV 245 ff., 321 – eigenwirtschaftliche Verkehrsleistung 245 ff., 254 ff., 277, 310 – gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistung 246, 252 ff. – Genehmigung 246 f., 283 f. – Genehmigungswettbewerb 248 ff., 302 – Verlustübernahme 293 ff. Tariftreueerklärung 84 f. Teilhabe 25 ff., 36 Teillose 92 f., 192, 307 Teilnetze 192, 215 f., 300, 307 Transaktionskosten 87 Universaldienst 33, 37, 62, 64 Verfahrensarten 55 ff., 297 Vergaberecht 43 ff. – Anwendungsbereich 50 – beihilferechtliche Bedeutung 79 ff. – Entwicklung 43 ff., 305 f. – Gleichbehandlungsgrundsatz 53 f., 186 f. – Haushaltsrecht 43 f., 47, – kartellrechtliche Lösung 46 ff., 200 – Kaskadensystem 48, 306 – Transparenzgrundsatz 53 f., 193 – Verhältnis zur Daseinsvorsorge 76 ff., 81 ff., 209 ff., 296 ff., 325 – Wettbewerbsgrundsatz 52 f. Verkehrsvertrag 182 f., 221 ff., 229 f., 281 ff. Wasserversorgung 117 ff. – Betreibermodell 121 – Betriebsführungsmodell 121
Sachwortverzeichnis – Demarkationsvertrag 118 – Eigenversorgung 119 f. – Fremdversorgung 119, 121 f. – Konzessionsvertrag 118, 121 f., 164 Wettbewerb 62 ff., 197 f., 305 – dienende Funktion 91, 101, 334 – Genehmigungswettbewerb 248 ff.
– im Markt 19 f., 64 – um den Markt 66, 78 Zuschlagskriterien 57, 83, 301 f. Zuschüsse 178 f., 224 f., 254, 279 Zuschussvertrag 223 ff., 281 ff.
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