Das Verhältnis von Preußen und Reich in den ersten Jahren der Weimarer Republik (1918 - 1923) [1 ed.] 9783428418619, 9783428018611


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German Pages 503 [504] Year 1969

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Das Verhältnis von Preußen und Reich in den ersten Jahren der Weimarer Republik (1918 - 1923) [1 ed.]
 9783428418619, 9783428018611

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ENNO EIMERS

Das Verhältnis von Preu6en und Reich in den ersten Jahren der Weimarer Republik (1918 bis 1923)

Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 11

Das Verhältnis von Preußen und Reich in den ersten Jahren der Weimarer Republik (1918-1923)

Von

Dr. Enno Eimers

DUNCKER &HUMBLOT/BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

@ 1969 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1969 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis Teil A:

Das Verhältnis Preußen-Reich von der Reichsgründung bis zum Zusammenbruch 1918 I. Die Bismarcksche Reichsordnung und der großpreußische und

bündische Unitarismus....... ..... ...... ................. .... ..

11

II. Die Krise des Reich-Bundesstaaten-Verhältnisses ...............

14

III. Die improvisierte Vereinheitlichung des Reiches während des Krieges durch die Zivil- und Militärbürokratie ..................

17

IV. Die Parlamentarisierung des Reiches ............................

19

V. Die Stellung der Mehrheitsparteien zum Reich-BundesstaatenVerhältnis vor dem 9. November 1918 ..........................

22

Teil B:

Das Verhältnis von Preußen und Reich in den ersten Jahren der Weimarer Republik (1918 bis 1923) I. Machtauflösung und Unitarismus 1918/1919 ......................

30

II. Das improvisierte Reich-Länder-Verhältnis in der 'Obergangsperiode vom November 1918 bis zum Januar 1919 ................

37

1. Das Verhältnis der Freistaaten, insbesondere der Mittelstaaten,

zum Rat der Volksbeauftragten............. ............... ..

37

2. Die Einsetzung der preußischen Regierung und ihr Verhältnis zum Reich ..................................................

41

III. Zur Auseinandersetzung um die Reichsverfassung ...............

66

IV. Das Verhältnis des Preußischen Staatsministeriums zur Reichsregierung von der Einberufung der Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung im März 1919 bis zum Kapp-Putsch 1920 ..............................................

70

6

Inhaltsverzeichnis V. Das Verhältnis der preußischen Ressorts zum Reich 1919/1920 ....

115

1. Das Preußische Ministerium des Innern ......................

115

2. Das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe ........

160

3. Das Preußische Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten ..................................................... 169 4. Das Preußische Ministerium der öffentlichen Arbeiten ........

190

5. Das Preußische Finanzministerium ...........................

196

6. Das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung................................................

203

VI. Zur Arbeit gemeinsamer Behörden des Reiches und Preußens. Die Reichs- und Staatskommissariate in Preußen ............... . . . .. 209 VII. Ansätze zu einer Reform des Verhältnisses Preußen-Reich 1919/1920 ........................................

252

1. Die Pläne zu einer engeren Verbindung von Preußen und Reich

und die Entschließung der Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung zugunsten des Einheitsstaates ........... 252

2. Zur Reaktion der süddeutschen Länder auf die Einheitsstaatsentschließung der Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung ............................................... 260 3. Die Initiative der Reichsregierung zugunsten einer engeren Verbindung von Preußen und Reich .......................... 263 VIII. Unitarismus und Föderalismus vom Kapp-Putsch bis 1923 . ..... .. 278 IX. Das Verhältnis des Preußischen Staatsministeriums zur Reichsregierung vom Kapp-Putsch bis 1923 ............................ 291 X. Das Verhältnis der preußischen Ressorts zum Reich 1920-1923 ..

333

1. Das Preußische Ministerium des Innern ......... . . . . . . . . . . . ..

333

2. Das Preußische Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten ..................................................... 369 3. Das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe ........

382

4. Das Preußische Ministerium der öffentlichen Arbeiten ........

389

5. Das Preußische Finanzministerium ..........................

395

6. Das Preußische Ministerium für Volkswohlfahrt ........... ...

403

7. Das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 XI. Zum Verhältnis von Preußen und Reich 1923 ....................

420

Inhaltsverzeichnis

7

Anhang: Denkschriften zum Verhältnis Preußen - Reich (Auszüge) Quelle Nr. 1 ..........................................................

437

Quelle Nr. 2 ..........................................................

443

Quelle Nr.3 ..... ......... ........ ....................................

463

Quelle Nr. 4 .......................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

468

Quelle Nr.5 ..........................................................

472

Quelle Nr.6 ..........................................................

474

Quelle Nr.7 .........................................................•

478

Quellen und Literaturverzeichnis ..................................... 484

Abkürzungsverzeichnis Zu den Abkürzungen der Quellen siehe das Quellenverzeichnis im Anhang Cl) betr. VertretungskörperschClften

A- und S-Räte Arbeiter- und Soldatenräte RdV

Rat der Volksbeauftragten

VNV

Verfassunggebende Nationalversammlung

VPrLv

Verfassunggebende Preußische Landesversammlung b) betr. Reichsregierung

AA

Auswärtiges Amt Reichsminister des Auswärtigen

RMdI

Reichsministerium des Innern Reichsminister des Innern

RJM

Reichsjustizministerium Reichsjustizminister

RWM

Reichswehrministerium Reichswehrminister

RFM

Reichsfinanzministerium Reichsftnanzminister

RWiM

.Reichswirtschaftministerium Reichswirtschaftminister

REM

Reichsernährungsministerium Reichsernährungsminister Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft

RAM

Reichsarbeitsministerium Reichsarbeitsminister

RVM

Reichsverkehrsministerium Reichsverkehrsminister c) betr. Preußische Regierung

PrMdI

Preußisches Ministerium des Innern Preußischer Minister des Innern

PrJM

Preußisches Justizministerium Preußischer Justizminister

10

Abkürzungsverzeichnis

PrKM

Preußisches Kriegsministerium Preußischer Kriegsminister

PrFM

Preußisches Finanzministerium Preußischer Finanzminister

PrMfHuG

Preußisches Ministerium für Handel und Gewerbe Preußischer Minister für Handel und Gewerbe

PrMfLDuF

Preußisches Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Preußischer Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten

PrMfVW

Preußisches Ministerium für Volkswohlfahrt Preußischer Minister für Volkswohlfahrt

PrMdöA

Preußisches Ministerium der öffentlichen Arbeiten Preußischer Minister der öffentlichen Arbeiten

PrMfWKuV

Preußisches Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung d) betr. Besatzung

InCo

Interallied Rhineland High Commission

Teil A

Das Verhältnis Preußen-Reich von der Reichsgründung bis zum Zusammenbruch 1918 I. Die Bismarcksche Reichsordnung und der großpreußische und bündische Unitarismus Das Jahr 1871 schließt für einen Teil des deutschen Volkes eine jahrhundertelange Periode der staatenbündischen Organisation1 ab: das außer-österreichische Deutschland erreicht über seine fürstlichen Regierungen eine bundesstaatliche Ordnung!. Die einzelstaatlichen Gewalten treten einen Teil ihrer Souveränität an eine Reichszentralgewalt ab, die sich darstellt in dem Bundesrat und dem Deutschen Kaiser, seinem Reichskanzler und dem Reichstag. Das Verhältnis der Einzelstaaten gegenüber dem Reich ist entsprechend den starken Unterschieden in ihrem historischen, militärischen, wirtschaftlichen, territorialen Status und ihrer verschiedenartigen politischen Stellung differenziert: von der völligen Unterordnung der norddeutschen Kleinstaaten über die durch Sonderrechte garantierte teilweise Exemtion Bayerns, Sachsens, Württembergs und Badens gegenüber der Reichszentrale bis zur engen Verbindung Preußens mit dem Reich, über die die gerade bewiesene Stellung Preußens als europäische Großmacht und seine allgemein überragende Bedeutung unter den deutschen Staaten in der Verfassung als Hegemonie realisiert wird. Kernstück der Reichsverfassung von 1871 ist die enge Verbindung Preußens mit dem Reich; sie verleiht der jungen Reichsgewalt die nötige Stärke gegenüber allen zentrifugalen Tendenzen. Die enge Bindung des Reiches an Preußen zeigt sich verfassungsnormativ darin, daß dem König von Preußen das Präsidium zusteht, dem besonders in den Artikeln 11, 15, 17, 18 und 63 gewichtige Rechte an die Hand gegeben sind. Im Bundesrat, der zumindest in den ersten J ahr1 Der staatenbündische Charakter des alten Reiches ist in der staatsrechtlichen Diskussion selbstverständlich nicht unbestritten. ! In der Diskussion um das Reich-Länder(Staaten)-Verhältnis wird der Grundsatz des bundesstaatlichen Charakters des kaiserlichen Deutschlands nicht durchweg anerkannt - vor allem die von dem bayerischen Staatsrechtslehrer von Seydel geführte Schule versteht es als Staatenbund -, es ist aber die verbreitetste Anschauung, daß es sich um einen Bundesstaat handelt.

12

Preußen - Reich (1871-1918)

zehnten wichtigsten Reichsinstitution, hat Preußen faktisch eine führende Stellung. Es verfügt dem Wortlaut der Verfassung nach zwar nur über ein Drittel der Bundesratsstimmen: praktisch kann es jedoch - abgesehen davon, daß ihm ein absolutes Veto in Wehr- und Zollfragen zusteht - auf Grund der tatsächlichen Abhängigkeit der norddeutschen Kleinstaaten nur schwer überstimmt werden. Allgemein gibt Preußen die politische Richtung des Bundesrats an. über den Verfassungswortlaut hinaus wird die Reichsleitung an Preußen gebunden: der Reichskanzler ist mit kurzen Unterbrechungen bis 1918 zugleich preußischer Ministerpräsident und preußischer Minister des Auswärtigen, und als solcher instruiert er die preußischen Bundesratsstimmen; der Vizekanzler ist zeitweilig Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums, die Staatssekretäre der Reichsämter, die Gehilfen des Reichskanzlers, sind zum Teil oft zugleich preußische Staatsminister und preußische Bundesratsbevollmächtigte - um die wesentlichen Glieder dieser Union zu nennen. Neben der Personalunion Reichs- und preußischer Ämter steht die Entwicklung, daß preußische Zentralinstanzen ihre Tätigkeit in mehr oder minder großem Maße auf Reichsaufgaben ausdehnen, wie das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe 3 , das Preußische Ministerium für öffentliche Arbeiten· und das Preußische Kriegsministerium5 • Das föderative Prinzip des Kontingentheeres ist schon bald nach der Reichsgründung faktisch weitgehend zugunsten eines einheitlich auf den preußischen Bundesfeldherrn hin geordneten Reichskriegswesens aufgehobens. Das Auswärtige Amt ist 1870/71 aus dem Preußischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten gebildet. Das Auswärtige Amt führt gegen eine jährlich zu zahlende Pauschale zugleich auswärtige Geschäfte Preußens. Zur Vertretung der preußischen Belange stehen ihm die preußischen Gesandtschaften bei den außerpreußischen Bundesstaaten zur Verfügung7 • Ein Reichskabinett besteht bis 1918 nicht, gemeinsame Sitzungen des Kanzlers mit sämtlichen Staatssekretären finden nur vereinzelt stattS; dagegen werden in den Sitzungen der (tatsächlichen) obersten preußi3 Goldschmidt, Hans: Das Reich und Preußen im Kampf um die Führung von Bismarck bis 1918, Berlin 1931, S. 54 ff. • Zu Einzelheiten vgl. Sarter, Adolph: Die deutschen Eisenbahnen im Kriege, Stuttgart usw. 1930, S. 30 ff.; Goldschmidt: Das Reich und Preußen, S.53f. 5 Siehe zu den Details: Morsey, Rudolf: Die oberste Reichsverwaltung unter Bismarck 1867-1890, Münster/Westfalen 1957, S. 227 ff. S Huber, Ernst Rudolf: Heer und Staat in der deutschen Geschichte, 2. Aufi. Hamburg 1943, S. 247 ff. 7 Goldschmidt: Das Reich und Preußen, S. 12 ff.; Morsey, Rudolf: Die oberste Reichsverwaltung, S. 104-122. S Goldschmidt: Das Reich und Preußen, S. 66.

I. Bündischer Unitarismus

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schen Regierungsbehörde, dem preußischen Staatsministerium, neben den preußischen Angelegenheiten alle wichtigen Fragen der Reichspolitik beraten und praktisch auch entschieden, sofern es sich nicht um Gesetzesvorlagen handelt, bei denen außerpreußische Staaten und der Reichstag noch eine Einwirkungsmöglichkeit habenD. Die Hegemonie Preußens im Reich funktioniert zunächst ohne größere Friktionen. Preußen beweist auf militärischem, auf administrativem und auf legislativem Gebiet10, insgesamt im politischen Bereich durch Bismarck seine Fähigkeit zur Integration im Reichsinteresse. Von den süddeutschen Staaten ist besonders dankbar das maßvolle Ausüben der Hegemonie durch Preußen im Bundesrat vermerkt11 • In den ersten Jahrzehnten vermeidet es möglichst, Staaten zu majorisieren. Es verhandelt vielmehr und schließt Vergleiche. Die Zusammenarbeit der verbündeten Regierungen im Bundesrat im Geiste der "Vertragstreue" und "bundesfreundlichen Gesinnung" ist vielfach hervorgehoben. Im Bundesrat entwickelt sich über den "großpreußischen Unitarismus" hinaus ein "bündischer Unitarismus" als Motor der Vereinheitlichung. Eine wichtige Grundlage für die - im Vergleich zum Reichstag - reibungslose Zusammenarbeit im Bundesrat ist seine politische Homogenität12 entsprechend der konservativ bis rechtsliberal bestimmten Struktur der Einzelstaaten als Verwaltungsstaaten - im Gegensatz zu dem wie die Landtage alle politischen Richtungen repräsentierenden Reichstag. Preußen und die übrigen Einzelstaaten haben über die Reichsgründung hinaus entscheidenden Anteil an der Vereinheitlichung des (klein-) deutschen Raumes und an der Stärkung seiner politischen Zentrale. Die verbündeten Regierungen nehmen - bedeutsamerweise ohne ernsthaften Widerspruch - die Minderung des Anteils des Bundesrats an der Bildung des Reichswillens und die Erstarkung der Reichsgewalt außerhalb des Bundesrats hin; diese Erstarkung zeigt sich an dem Eigengewicht, das die Kaiserwürde gegenüber Preußen gewinnt, und der EntD Klein, Ernst: Funktion und Bedeutung des preußischen Staatsministeriums, S. 19~261 in Jb. für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 9-10, Tübingen 1961, S. 261. 10 TTiepel, Heinrich: Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche, Tübingen 1907, S. 73 ff.; Triepel, Heinrich: Die Hegemonie, Aalen 1961, S. 562 ff.; Hefjter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert I Geschichte der Ideen und Institutionen, Stuttgart 1950, S. 562. 11 Graf Lerchenfeld-Koefering, Hugo: Erinnerungen und Denkwürdigkeiten, Berlin 1935, S. 194 ff.; Kaufmann, Erich: Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung, in: Kaufmann, Erich: Gesammelte Schriften, Bd.1, Göttingen 1960, S. 169. 1! Vgl. Koch: Vereinheitlichung und Vereinfachung der Reichsverwaltung, DJZ, 26. Jg. 1921, 1. 5. 1921 Sp. 283. - Zur Einschränkung s. Oldenburg, Karl: Aus Bismarcks Bundesrat, Aufzeichnungen aus den Jahren 1878-1885, hg. von Wilhelm Schüßler, Berlin 1929.

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Preußen - Reich (1871-1918)

stehung und Ausbreitung der obersten Reichsverwaltung, der allmählichen ministeriellen Organisation der Reichsbehörden seit dem Stellvertretungsgesetz von 187813 und der faktischen Entwicklung der Reichsleitung zu einer "Reichsregierung" mit der dementsprechenden Einflußsteigerung des Reichstages. Der bündische Unitarismus hat natürlicherweise seine Grenzen. Er endet vor allem da, wo den einzelstaatlichen Regierungen die Existenz ihrer Staaten - in ihrem konservativen bis rechtsliberalen Horizont - gegenüber dem vordringenden Reich grundsätzlich gefährdet erscheint. Schon bei der Ablehnung der Anträge des Reichstages zugunsten einer Reform der mecklenburgischen Verfassung und der Ablehnung der Errichtung von verantwortlichen Reichsministerien 1884 als "überschreitung der Bedürfnisgrenze in unitarischer Richtung"14 wird dies sichtbar und insbesondere nach dem Rücktritt Bismarcks.

11. Die Krise des Reich-Bundesstaaten-Verhältnisses Der Bundesrat zeigt sich in der Ära nach Bismarcks Entlassung kaum noch in dem positiven Licht, in das ihn die Darstellung Erich Kaufmanns 1917 1 rückt. Das Staatenorgan tritt jetzt tatsächlich als "konservative Geheimratskammer" auf - als Sachwalter der überkommenen föderativverwaltungsstaatlichen Ordnung, politisch mehr und mehr im retardierenden Sinne wirkend. Ein Beispiel ist seine Abwehr einer Reichsfinanzreform. Weder durch die wachsende Verschuldung des Reiches vor dem Kriege, noch durch die Anforderungen des Krieges an das Reich werden die verbündeten Regierungen bewogen, einen größeren Teil der einzelstaatlichen Finanzhoheit abzutreten durch die übertragung ertragreicher direkter Steuern an das Reich; obgleich die indirekten Besteuerungsmöglichkeiten durch die Reichsleitung schon bald bis zum Äußersten erschöpft sind, halten sie starr an dem Prinzip fest, daß die direkten Steuern den Bundesstaaten vorzubehalten sind. Die besonders schwerwiegende Opposition des preußischen Finanzministeriums gegenüber dem Reichsschatzamt verhilft dem Gedanken der Personalunion der Finanzressorts Preußens und des Reiches zeitweilig zu neuem Auftrieb!. Allgemein ist das bestimmende Element der Krise des Reich-StaatenVerhältnisses, die zu der Desintegration im Reich seit den 80er Jahren 13 Goldschmidt: Das Reich und Preußen, S. 73 ff.; Morsey: Die oberste Reichsverwaltung, S. 309 ff. 14 So die Königlich preußische Regierung 1884 vor dem Bundesrat unter dessen allgemeiner Zustimmung. - von Poschinger, Heinrich: Fürst Bismarck und der Bundesrat, Bd. 5, Stuttgart 1901, S. 15l. 1 Siehe Teil A, I, Anm. 11. 2 Goldschmidt: Das Reich und Preußen, S. 107 ff.

H. Krise des Reich-Bundesstaaten-Verhältnisses

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gehört, nicht so sehr die Opposition der verbündeten Regierungen im Bundesrat insgesamt gegenüber den anderen Reichszentralinstitutionen als vielmehr speziell der Gegensatz zwischen preußischen Staatsministern und der Reichsleitung - der "Kampf um die Führung" zwischen Preußen und dem Reich nach Goldschmidt. Ein Dualismus Preußen Reich, im Gefolge der Verselbständigung der Reichsleitung, hat sich schon unter Bismarck störend bemerkbar gemacht; sein Versuch einer grundsätzlichen Reform 1877/78 im Wege einer weiteren Personalunion führender Ämter des Reiches und Preußens· mißlingt. Während es Bismarck jedoch immer wieder gelingt, den Gegensatz weitgehend zu überbrücken, vor allem sich im kollegial geordneten Staatsministerium durchzusetzen, vermögen seine Nachfolger kaum mehr die Hemmnisse der Geschäftsführung aus der sich vertiefenden Kluft zwischen Reichsund preußischer Zentrale zu bewältigen; die Reichskanzler Caprivi4 und Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst5 scheitern gerade hier. Wohl zu beachten ist auch der Preis für den Einfluß, den die Reichskanzler von Bülow - nach dem Rücktritt des preußischen Finanzministers Miquel1901 8 - und Bethmann Hollweg - seit 19107 - gestützt auf den Kaiser zeitweilig in Einzelfragen auszuüben vermögen; es ist der Verzicht auf alle grundsätzlichen Reformen, u. a. auf die Reform des preußischen Dreiklassenwahlrechts, und die Anerkennung der von Bismarck her überkommenen föderativen und preußisch bestimmten Ordnung des Kaiserreiches. Für die preußische Stellung im Reich ist von verhängnisvoller Bedeutung das Vordringen der Konservativen in Preußen seit dem Ende der 70er Jahre, ihre Eroberung des Abgeordnetenhauses, der Selbstverwaltung und der Staatsverwaltung; diese Entwicklung ist gerade in den süddeutschen Staaten ohne Parallele. Der natürliche Gegner der reaktionär und partikularistisch gewordenen preußischen Vorherrschaft, die sich nach innen als die Hegemonie eines Standes und nach außen als die Hegemonie eines Landes darstellt, wäre der Reichstag, gewählt ohne Rücksicht auf Standes- und Landesunterschiede. Konservative Kreise haben seit dem Bestehen des Reichstages immer wieder die Gefahr einer Mediatisierung Preußens im deutschen demokratischen Einheitsstaat beschworen. Diesen Argwohn hat der Reichstag in seinem Wirken jedoch a. a. 0., S. 41 f. • a. a. 0., S. 98 ff.; Klein: Staatsministerium, S. 234 f. 5 Blieffert, Günther: Die Innenpolitik des Reichskanzlers Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Diss. phil. Masch., Kiel 1949, S. 150 ff. e Neumann, Wolfgang: Die Innenpolitik des Fürsten Bülow, Diss. phi!. Masch., Kiel 1949 S. 36; Zmarzlik, Hans Günther: Bethmann Hollweg als Reichskanzler 1909-1914, Studien zu Möglichkeiten und Grenzen seiner innerpolitischen Machtstellung, Düsseldorf 1957, S. 10. 7 Zmarzlik: Bethmann Hollweg als Reichskanzler, S. 13. a

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Preußen - Reich (1871-1918)

niemals bestätigt in dieser Zeit. Der Vorkriegsreichstag hat sich nicht einmal bemüht, größere Verantwortung in der Reichsführung anstelle "Preußens" zu übernehmen. Es bieten sich günstige Gelegenheiten zur Parlamentarisierung, z. B. die Daily-Telegraph-Affäre; der einzige sichtbare Erfolg der Reichstagsdebatte vom 10. und 11. November 1908 anläßlich dieser Affäre ist, daß der Beschluß zur Annahme kommt, den Bundesratsausschuß für Auswärtige Angelegenheiten einzuberufen8• Eine einschneidende Initiative zu einer grundsätzlichen Reichsreform mit dem Ziel einer entscheidenden Stärkung der Reichszentralgewalt gegenüber den Einzelstaaten, zu einer Reform des allgemein angesichts des Wachstums der inneren nationalen Einheit seit der Reichsgründung und der außenpolitischen Erfordernisse - anachronistisch werdenden föderativen Aufbaues in Richtung auf ein einheitlicheres Staatswesen ist noch viel weniger nachweisbar. Die liberalen Parteien haben im Bismarck-Reich zusehends ihre reformerische Gesinnung eingebüßt und akzeptieren mehr oder weniger Obrigkeitsstaat und großpreußische Struktur des Reiches. Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bei den Reichstagswahlen 1877 gegenüber den Konservativen und dem Zentrum treten sie überdies als politische Macht im Reichstag in den Hintergrund, abgesehen von der nur zwei Jahre dauernden Koalition mit den Konservativen 1907/1909; der Bülow-Block zerbricht in dem Augenblick, als die Liberalen eine von diesen abweichende Meinung in der Finanzreformfrage durchzusetzen versuchen. Hauptstütze der Regierungspolitik sind im Reichstag seit 1887 die konservativen Parteien, die rückhaltlos die Bewahrung des föderativen Status wie des preußischen Einflusses in seiner überkommenen Form vertreten. Daneben ist seit 1899 die wesentliche "Regierungspartei" das Zentrum, deren konservative Führungsschicht sich von WindthoTst bis ReTtUng so weit gewandelt hat, daß ihre großdeutschpartikularistischen Interessen zurückgetreten sind und sie sich mit der kleindeutschen bundesstaatlichen Ordnung abfindet; Demokratisierungswünsche hat sie im Reich bis dahin nicht angemeldet. Wenn sich die Konservative Partei 1913 in ihrem Aufruf zu den Wahlen des Preußischen Abgeordnetenhauses gegen die Demokratisierung wendet, die sich gegen "unser gutes altes Preußen selbst" richte, die auf "den vom Parlament regierten deutschen Einheitsstaat" ziele 9, so geht dies höchstens die Sozialdemokratie an. 8 Hartmann, Hans-Georg: Die Innenpolitik des Fürsten Bülow 1906-1909, Diss. phil. Masch., Kiel 1950, S.141; vgl. zur Kritik an der Passivität des Reichstages: Hartung, Fritz: Das persönliche Regiment Kaiser Wilhelms H., S. 393-413 in: Hartung, Fritz: Staatsbildende Kräfte der Neuzeit, Berlin 1961. g Wahlaufruf der Konservativen Partei 1913, in: Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus, von A. Plate, Berlin 1914, S. 198.

III. Improvisierte Vereinheitlichung während des Krieges

17

Nicht verfassungspolitisch, sondern zu wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen macht der Reichstag seit den 80er Jahren einen wachsenden Einfluß geltend. Diese "Parlamentarisierung" - die Entwicklung, daß die Reichsleitung in größerem Maße auf das demokratisch gewählte Reichsparlament Rücksicht nehmen muß - bedeutet angesichts der Tatsache, daß sie zugleich dem Einflußstreben der konservativen preußischen Staatsregierung ausgesetzt ist, die einem streng konservativen Abgeordnetenhaus und Herrenhaus gegenübersteht, nur eine weitere Verschärfung des Dualismus Preußen-Reich und die zusätzliche Störung einer geordneten Reichspolitik. III. Die improvisierte Vereinheitlichung des Reiches während des Krieges durch die Zivil- und Militärbürokratie Aus der Kriegssituation heraus - den Anforderungen einerseits, die an das Deutsche Reich gestellt sind, und seiner Isolation andererseits ergreifen Reich und Bundesstaaten die verschiedensten Maßnahmen zur Vereinheitlichung des Reiches, um die Reibungen im Innern auf das geringste Maß herabzuschrauben und alle Energien auf die Verteidigung gegenüber den Feindmächten auszurichten. Der Reichstag trägt zur politischen Einheit bei, indem er bis 1917 die Reichsleitung unbedingt unterstützt und alle Reformforderungen im Zeichen des Burgfriedens zurückstellt. Der Bundesrat trägt dazu bei, indem er das ihm durch das Ermächtigungsgesetz vom 4. 8. 1914 übertragene Notgesetzgebungsrecht für die Wirtschaft nur sehr zurückhaltend wahrnimmt und sich im übrigen bis 1917 zumeist nur auf die Ausübung seiner Verwaltungsbefugnisse beschränkt; zur weiteren Reichspolitik und Kriegslage genügt ihm die Information durch die Reichsleitung. Der Reichstag und die außerpreußischen Staaten verzichten in den ersten Kriegsjahren weitgehend zugunsten der preußisch-deutschen Reichs-Regierung auf eigene politische Initiative bei der Bildung des Reichswillens. Wenn dennoch die notwendige Einheit und entschiedene politische Führung in der Reichsspitze ausbleiben, so trifft die Verantwortung in erster Linie Kaiser und König, Reichskanzler und Preußisches Staatsministerium, deren "Verantwortung" dann seit 1916/1917 im Widerspruch zur Verfassung weitgehend die OHL übernimmt, d. h. die führende preußische Militärbürokratie. Die Konzentration der deutschen Staatsrnacht erfolgt von Kriegsbeginn an im wesentlichen zugunsten der zivilen und militärischen Bürokratie, insbesondere der Preußens und des Reiches, und durch sie. Mit Kriegsbeginn steht dem Generalstab bzw. der OHL für den Kaiser automatisch die uneingeschränkte Befehlsgewalt über das gesamte Reichsheer zu. Daneben garantiert die seit langem in wachsendem Maße auch gegenüber den außerpreußischen Heeresverwaltungen übergeord2 Eimers

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Preußen - Reich (1871-1918)

nete Stellung des Preußischen Kriegsministers - als des tatsächlichen Reichskriegsministers - die Einheitlichkeit der militärischen Verwaltung und Organisation von der Reichsspitze her und die Ausschaltung störender Ländereinflüsse im Militärbereich. Mit der Erklärung des Kriegs- und Belagerungszustandes im außerbayerischen Reichsgebiet und in Bayern am 31. 7.1914 übernehmen die stellvertretenden Generalkommandos an der Spitze der Korpsbezirke die vollziehende Gewalt. Das bedeutet zugleich eine Zunahme der Reichsautorität im Heimatgebiet. Die Militärbefehlshaber - mit Ausnahme der bayerischen, die zugleich dem Bayerischen Kriegsminister unterstehen - sind bis Oktober 1918 unabhängig von den einzelstaatlichen Behörden; sämtlich unterstehen sie der Befehlsgewalt des Kaisers. Mit der Mobilmachung steht weiter das gesamte Eisenbahnwesen dem Chef des Feldeisenbahnwesens im Großen Generalstab zur Verfügung; damit ist für damalige Begriffe ein Höchstmaß an Vereinheitlichung des Verkehrswesens erreicht. Das Ermächtigungsgesetz vom 4.8.1914 leitet die Umstellung der freien Marktwirtschaft auf eine von den Berliner Behörden reglementierte Staatswirtschaft ein, die Kriegszwangswirtschaft. Mit den wachsenden kriegswirtschaftlichen Aufgaben für die Verwaltung erfährt vor allem der Berliner Behördenapparat, der jahrzehntelang stagniert hat, eine beträchtliche Ausweitung. Die wichtigsten Marken sind: die Errichtung der Kriegsrohstoffabteilung im August 1914 und des Kriegsamtes im November 1916 im Kriegsministerium sowie der Aufbau des Kriegsernährungsamtes im Mai 1916, des Reichswirtschaftsamtes aus dem Reichsamt des Innern im Oktober 1917 und des Reichsarbeitsamtes 1918 als zusätzliche Reichsressorts. Bemerkenswert ist an der Berliner Zentralverwaltung die teilweise enge Verbindung Preußens und des Reiches auf dem Gebiete der Kriegswirtschaft. Die Einheitlichkeit ist einmal gewährleistet durch die doppelte Funktion des für einen Großteil der kriegswirtschaftlichen Maßnahmen verantwortlichen Kriegsministeriums, die konsequent beibehalten wird. Der Chef des Kriegsamtes wird zum Stellvertreter des Kriegsministers ernannt und erhält Sitz und Stimme im Preußischen Staatsministerium und die Stellung eines stellvertretenden preußischen Bundesratsbevollmächtigten mit den Befugnissen eines selbständigen Bundesratsbevollmächtigten in allen Angelegenheiten, die zu den Obliegenheiten des Kriegsamtes gehören1 ; er sorgt für die Durchführung des Hilfsdienstgesetzes vom 5. 12. 1916 im ganzen Reich und erhält hierzu über den Bereich der preußischen Heeresverwaltung hinaus auch gewisse Befugnisse in Bayern, Sachsen und Württemberg. 1 Dieckmann, W.: Die Behördenorganisation in der deutschen Kriegswirtschaft 1914-1918. Hamburg 1937. S. 50.

IV. Parlamentarisierung des Reiches

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Das im Mai 1916 geschaffene Kriegsernährungsamt wird im August 1917 durch die Initiative des Reichskanzlers Michaelis mit dem preußischen Staatskommissariat in Personalunion verbunden; Michaelis hat zuvor als Preußischer Staatskommissar für Volksernährung selbst ein Jahr lang das störende Nebeneinander- und Gegeneinanderarbeiten der für die Kriegsernährungswirtschaft zuständigen preußischen Behörde und der des Reiches miterlebt. Der Chef der beiden Behörden ist auf Reichsseite Staatssekretär und auf preußischer Seite Staatsminister und Bundesratsbevollmächtigter für Preußen. Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Reich und Preußen bleibt im Verwaltungsbereich auf diese beiden Behörden beschränkt. Sie ist in keiner Weise ein Ansatz zu einer grundsätzlichen Schwenkung, geschweige denn zu dem Versuch, doch noch die 1877/1878 mißlungene Reichsreform unter dem Zwang der Kriegslage zur Vereinheitlichung nachzuholen; die starre konservativ-preußische Politik läßt nur einzelne improvisierte Notmaßnahmen zu. Der Status der übrigen Reichs- und preußischen Behörden bleibt unverändert. Das neugegründete Reichswirtschaftsamt wird weder mit dem entsprechenden preußischen Ministerium verbunden, noch wird sein Leiter preußischer Staatsminister oder preußischer Bundesratsbevollmächtigter; es erhält dadurch Einfluß auf die Verwaltungsgeschäfte des Bundesrats, daß seine sämtlichen leitenden Beamten vom Staatssekretär bis zu den Dirigenten als stellvertretende preußische Bevollmächtigte in den Bundesrat einziehenI. Das trotz der Vereinheitlichung, die insgesamt gesehen sehr beschränkt ist, in Erscheinung tretende Nebeneinander-, Durcheinander- und Gegeneinanderarbeiten von Reichs- und preußischen Behörden wie allgemein von einzelstaatlichen und Reichs-Behörden ist im Kriege wiederholt Anlaß zur Kritik - nicht zuletzt von parlamentarischer Seite; Änderungen erbringt sie nicht.

IV. Die Parlamentarisierung des Reiches Reichstag und Mittelstaaten treten aus ihrer Zurückhaltung erst heraus, als die militärische und außenpolitische Lage des Reiches immer prekärer wird. Das Einfiußstreben beider Mächte ist jedoch von unterschiedlichem Gewicht. Die Mittelstaaten sind bis zum Kriegsende nur von geringer Bedeutung neben dem Reichstag - auch Bayern trotz seiner wachsenden Verstimmung. Süddeutschland erfährt nur durch die im Zuge der Parlamentarisierung erfolgende Aufnahme Süddeutscher in führende Reichsämter eine stärkere Berücksichtigung. I Vgl. Handbuch für das Deutsche Reich 1918, S. 6 ff. Dies ist das größte Beamtenkontingent eines Ressorts im Bundesrat.

2*

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PreußelJ. - Reich (1871-1918)

Die Erweiterung des Einflusses des Reichstages, die Parlamentarisierung, geht aus von der Initiative des Zentrums - in dem seit dem Frühjahr 1917 nicht mehr der konservative Flügel um Hertling und Spahn, sondern der linke von Gröber bis Erzberger die politische Richtung angibt -, wie der Sozialdemokraten, der Linksliberalen und Nationalliberalen!; sie schaffen sich im "Interfraktionellen Ausschuß" eine Koordinationsstelle gegenüber der Reichsleitung, um auf den Abschluß eines "Verständigungsfriedens" und die Durchführung innerer Reformen zu drängen - insbesondere auf die Umwandlung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen und die Beseitigung der Bevorzugung der östlichen Provinzen bei den Reichstagswahlen. Der Parlamentarisierungsprozeß bedeutet zunächst vom August 1917 bis zum September 1918 im wesentlichen eine Umbesetzung führender Ämter in der Reichs- und preußischen Zentrale und nur in geringem Maße eine Kursänderung der Reichs- und Staatsspitze. Von einer parlamentarischen Monarchie ist erst nach dem freiwilligen Rückzug der OHL von der "Verantwortung" zu sprechen. Die zentrale politische Machtstellung des Reichstages seit Ende September 1918 legalisiert die Verfassungsreform vom 28. Oktober. Diese Entwicklung bedeutet zugleich - als Minderung des preußisch-konservativen Einflusses und die schließliche Reduzierung der Funktionen des Bundesrats auf die eines Oberhauses - eine entscheidende Veränderung der alten Ordnung des Reich-Bundesstaaten-Verhältnisses. Mit der Parlamentarisierung vollzieht sich gleichfalls die Ausbildung eines eigenen Reichskabinetts neben dem Preußischen Staatsministerium. Schon der Reichskanzler Hertling hat regelmäßige Besprechungen der Staatssekretäre unter seinem Vorsitz eingeführt. Das unter Prinz Max von Baden neben diesem weiteren Kabinett tagende engere Kabinett, das Kriegskabinett, ist seiner Funktion und der Stellung seiner Mitglieder nach 2 der direkte Vorläufer des Reichsministeriums. Mit der institutionellen Verselbständigung der Reichsleitung gegenüber dem Preußischen Staatsministerium, die den getrennten parlamentarischen Gremien des Reiches und Preußens entspricht, geht die allmähliche Auflösung der Personalunion einher. Schon bei der Berufung des Bayern Hertling (Zentrum) zum Reichskanzler widersprechen der Kaiser und das Preußische Staatsministerium seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten und versuchen, den aus der preußischen Verwaltung stammenden Michaelis weiter amtieren zu lassen3 • Dies scheitert jedoch ! Die Nationalliberalen gehören der Koalition bis zum Januar 1918 an. 2 Zum Kriegskabinett s. Quellen 2, Die Regierung des Prinzen Max von Baden, S. XXXI ff. S Quellen 1, Teil 1, S. 373 ff.

IV. Parlamentarisierung des Reiches

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an dem von allen vier Parteien des Interfraktionellen Ausschusses einmütig gestützten Einspruch Erzbergers, der in einer Denkschrift das Mißliche der Trennung beider Ämter darlegt'. Prinz Max von Baden übernimmt dennoch nicht mehr das Amt des Ministerpräsidenten; er ist mit dem Staatsministerium nur noch in seiner Funktion als preußischer Minister der Auswärtigen Angelegenheiten verbunden. Daß ihn der König nicht zum Ministerpräsidenten bestellt hat, hat seine Ursache nicht in der Haltung des Staatsministeriums: es sieht auf den Ende September einsetzenden Erdrutsch hin im Gegensatz zu vorher in der Personalunion die letzte Chance für seine fortdauernde Einflußnahme auf die Reichspolitik. Der Handelsminister ist zunächst noch der Ansicht, daß "Preußen ... durch einen eigenen Ministerpräsidenten besser auf den Gang der Reichsgeschäfte Einfluß nehmen könne"s, er stellt seine Bedenken jedoch zurück. Das Staatsministerium wendet sich am 2. OktoberS "unter den gegenwärtigen Verhältnissen einstimmig gegen eine Trennung der Ämter des Reichskanzlers und des Ministerpräsidenten".. Sein Wunsch ist weiter, nachdem es in letzter Zeit gerade von der Reichskanzlei sehr wenig berücksichtigt ist, "Einrichtungen zu schaffen ... , welche eine dauernde Verbindung zwischen. Reichskanzler und Staatsministerium besser als bisher" gewährleisten. Nach dem Rücktritt Hertlings als Ministerpräsident am 5. Oktober bleibt die Frage der Besetzung der Spitze des Staatsministeriums bis Mitte November offen. Der Vizepräsident Dr. Friedberg führt das Staatsministerium, dessen Minister sich noch bis zum 11. November regelmäßig versammeln, vorläufig allein. Ihm liegt auch in erster Linie die Verbindung zum Reichskanzler und zum Gesamtkabinett des Reiches und dem Kriegskabinett ob. An den Reichskabinettssitzungen nimmt Friedberg bis über die Revolution vom 9. November hinaus teil; er wird auch noch zu der letzten Kriegskabinettssitzung vom 10. November mit Volksbeauftragten und Vollzugsratsmitgliedern hinzugezogen7 • Das ändert jedoch nichts daran, daß die preußische Regierung das Schicksal der übrigen Bundesregierungen teilt und auf die Entscheidungen dieser Wochen keinen nennenswerten Einfluß ausübt. Mit der Umgestaltung der Reichsleitung im September/Oktober ist nicht nur die Neubesetzung des preußischen Ministerpräsidentenamtes akut; es stehen sämtliche preußischen Ressortchefs zur Debatte. Vor aU~m die Reichstagsfraktionen der Mehrheitsparteien drängen auf eine dem , Quellen 1, Teil 1, S.327-332; Goldschmidt: Reich und Preußen, S. 122 f. S Preuß. Staatsm.-Prot. vom 2. 10. 1918, DZA Merseburg. S Preuß. Staatsm.-Prot. vom 2. 10. 1918, DZA Merseburg. 7 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 11.11.1918, DZA Merseburg. Vgl. Ernst, Fritz: Aus dem Nachlaß des Generals Walther Reinhardt, in: Die Welt als Geschichte, Stuttgart 1958, S. 45 f.

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Reich entsprechende Parlamentarisierung Preußens. Bisher griff das Abgeordnetenhaus in die Reichskompetenz ein, indem es Reichsangelegenheiten mitbehandelte8 ; auch das verkehrt sich nun in sein Gegenteil. Zu der zeitweilig sogar in Aussicht genommenen automatischen Gleichschaltung des Preußischen Staatsministeriums vermögen sich die Mehrheitsparteien allerdings nicht durchzuringen. Es sollen zunächst einmal ordentliche parlamentarische Voraussetzungen in Preußen geschaffen werden. Hier sind keine Fortschritte zu verzeichnen, und so dauert die Regierungskrise an. Das Abgeordnetenhaus stellt nun zwar Anfang Oktober endlich die Opposition gegen die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts ein, nachdem die OHL die Wahlrechtsreform dringend gefordert hat; aber das entscheidende preußische Gesetz wie auch die von der Reichstagsfraktion der SPD betriebene reichsgesetzliche Regelung der Frage bleibt vor dem 9. November aus. Unter dem Eindruck der Veränderungen im Reich und in Preußen und unter dem Druck von unten geraten die politischen Verhältnisse in den außerpreußischen Einzelstaaten in Fluß; Sachsen, Württemberg, Hessen und Bayern beginnen z. B. entsprechende personelle Umbesetzungen und Reformen. Diese Reformmaßnahmen in den Einzelstaaten wie im Reich werden jedoch mit viel Gemächlichkeit und Rücksichtnahme auf überkommene Formen erörtert. Das läßt keine besondere Einsicht. bei den verantwortlichen politischen Schichten vermuten, wie sehr die deutsche Staats-"Ordnung" durch jahrzehntelange Stagnation und durch ihr Versagen gegenüber den nationalen, demokratischen und sozialen Erfordernissen bei der übrigen Bevölkerung abgewirtschaftet hat.

V. Die Stellung der Mehrheitsparteien zum Reich-Bundesstaaten-Verhältnis vor dem 9. November 1918 Graf Hertling äußert in seinen Abschiedsworten vor dem Preußischen Staatsministerium am 5. Oktober 1918, obgleich es ihm nicht gelungen ist, um der Bundesstaaten willen die Parlamentarisierung zu verhindern1, die Hoffnung, "daß die jetzige demokratische Welle die Dämme nicht niederreißen könne, die den föderativen Charakter des Bundes schützen!." Das allenthalben von föderalistischer Seite geäußerte Mißtrauen gegenüber der demokratischen Welle ist vorerst kaum gerechtfertigt. Vizekanzler Payer von der FVP erklärt Anfang Oktober gegenI Rep. 90 a A VIII 3 Nr.l Bd.l (DZA Merseburg) führt eine ganze Reihe von Fällen seit 1877 auf, die zu Beschwerden Anlaß gegeben haben, wie die Behandlung der Außenpolitik, ZOllpolitik, Handelspolitik, Reichsflnanzpolitik und Kriegführung im Abgeordnetenhaus. 1 Vgl. Quellen I, Teil II, S. 789, S. 795. ! Preuß. Staatsm.-Prot. vom 5. 10. 1918, DZA Merseburg.

V. Die Mehrheitsparteien und das Reich-Bundesstaaten-Verhältnis

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über den Bundesratsbevollmächtigten3 : "Wir sind aufs äußerste bemüht, den bundesstaatlichen Charakter des Reiches zu wahren, und ich habe mich überzeugt, daß auch der neue Reichskanzler ein ernstlicher Vertreter dieses Gedankens ist." Die Mehrheitsparteien handeln das Programm der Regierung des Prinzen Max von Badenc zwar unter sich aus; aber "nach sozialdemokratischer Manier" "zentralistisch angehauchte Anläufe"5 werden von der FVP und vor allem vom Zentrum erfolgreich abgewehrt. Mit Rücksicht auf die föderalistischen Bedenken erzwingen sie die Verschiebung der reichsgesetzlichen Wahlreformregelung bis zum November. Die SPD schließlich bekennt sich, da ihre Aktivität für das Reichs-Wahlrechtsgesetz als zentralistisch verdächtigt wird, ausdrücklich zur bundesstaatlichen Ordnung. Ebert sagt am 22.10.1918 im Reichstage: "Meine Herren, auch wir achten den föderativen Charakter des Reiches und das Selbstbestimmungsrecht seiner einzelnen Volksstämme." Besondere Befürchtungen um Preußen sucht er zu dämpfen: "Dem alten Preußen hat in diesen Tagen die Kreuzzeitung die Sterbeglocke geläutet. Aber es ist nur die konservative Parteiherrschaft in Preußen, die untergeht. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten) Das wahre Preußen des preußischen Volkes gewinnt dadurch neues Leben. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten)". Allgemein gesehen gibt am wenigsten das Zentrum einen Anhaltspunkt für seinen späteren Unitarismus. Die vom Reichsausschuß des Zentrums am 30. Juni 1918 für die Parteiarbeit publizierten Richtlinien halten sich ganz im traditionellen Rahmen. Sie stellen u. a. heraus7 : ,,1. Treue zum Reich und zum Heimatland. Volle Wahrung des bundesstaatlichen Charakters des Reiches, vor allem die Aufrechterhaltung der Sonderrechte der Einzelstaaten, ihrer eigenen Kulturpolitik sowie der Selbständigkeit und des nötigen Entwicklungsspielraumes auf finanziellem Gebiet. 2. Erhaltung einer starken Monarchie und einer kraftvollen Volksvertretung ... " - Der preußischen Hegemonie steht das Zentrum in seiner Mehrheit ablehnend gegenüber. Das Dreiklassenwahlrecht Quellen 2, Die Regierung des Prinzen Max von Baden, S. 56. Vgl. Quellen 1, Teil II, S.783-788. - Die Verhandlungen über das Programm dauern vom 23. 9. 1918 bis zum 29. 9. 1918. 5 Der bayerische Ministerialdirektor Ritter von Wolf berichtet am 3.10. 1918 aus BerUn nach München über das Programm: "Mehrere Anläufe waren zentralistisch angehaucht nach sozialdemokratischer Manier. Das Zentrum hat dagegen Widerstand geleistet. Ich glaube, es ist gelungen, alles herauszubringen, was als Bedrohung oder Schädigung des bundesstaatlichen Charakters des Reiches angesehen werden könnte." (Quellen 2, Die Regierung des Prinzen Max von Baden, S. 52) - Nach Payer: Von Bethmann Hollweg bis Ebert, S. 289, leistet die FVP aus föderalistischen Bedenken der vor allem als zentralistisch aufgenommenen Forderung der SPD nach einer reichs gesetzlichen Wahlreformregelung Widerstand. 6 Rt-Prot. Bd. 314, S. 6163. 7 Mommsen, Wilhelm: Deutsche Parteiprogramme, München 1960, S.250. 3

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wird innerhalb der Zentrumsfraktion des Abgeordnetenhauses schließlich nur noch von einer kleinen Gruppe gestützt, die allerdings mit einigen Nationalliberalen zusammen das Zünglein an der Waage bildet. Im Vergleich zum Zentrum sind die Linksliberalen unitarischer, wie sie auch die preußische Hegemonie und den preußischen Staat in seiner gegenwärtigen Verfassung, der sie zusammen mit den Sozialdemokraten im Gegensatz zu den Verhältnissen in Süddeutschland weitgehend in eine gesellschaftliche Sonderstellung zwingt, eindeutig ablehnen. Sie wünschen eine starke Reichsgewalt; jedoch an den Einheitsstaat denken bei ihnen nur noch wenige. Es gehört zum Mythos der "revolutionären" Sozialdemokratie in der "Novemberrevolution", daß die Zeitgenossen sie weithin als eine Partei betrachten, die von jeher rückhaltlos für die "deutsche Einheitsrepublik" eingetreten sei. Von Lassalle bis Bebel ist in der Tat die Forderung nach dem Einheitsstaat - im Sinne der übertragung aller Gesetzgebungsbefugnisse an ein Reichsparlament - auf den sozialistischen Parteitagen immer wieder erhoben worden B• Aber diese damals nur allgemein vorgetragene These ist nie so bedeutend, daß sie ihren Niederschlag in den nur vom engen radikal-utopischen Klassenstandpunkt verfaßten Parteiprogrammen fände; in ihnen fehlt - mit Friedrich Naumann - "ein eigener, prinzipieller politischer Gedanke, der nationale Staatsgedanke9 • " Während die Parteiführung es unterläßt, über das magere Erbteil von Marx und Engels und die übrigen traditionellen Parteivorstellungen hinaus eine eigene Staatskonzeption zu entwickeln, verstärkt die Mitarbeit der Sozialdemokratie im Reichstag, in dem sie vom Anfang seines Bestehens an vertreten ist, und in den Landtagen, in die sie seit 1884 einzieht, sowie in den Kommunen nur die Tendenzen zu ihrer allmählichen Integration in die bestehenden staatlichen Verhältnisse; so reduziert sich bei der Mehrzahl der Amtsträger der Partei der sozialistische Radikalismus schließlich auf wenig mehr als eine extrem linksliberale Vorbehaltsstellung gegenüber dem Kaiserreich, differenziert je nach den politischen Gegebenheiten in den Bundesstaaten. 8 Heidegger, Hermann: Die deutsche Sozialdemokratie und der nationale Staat 1870-1920, Göttingen 1956, S.30: Der allgemeine deutsche Arbeiterverein lehnt auf den Generalversammlungen von 1864, 1868, 1872 die bundesstaatliche Lösung der deutschen Frage ab und fordert einen einheitlichen freien Volksstaat. Zu Bebel vgl. Gerhard Ritter: Die deutsche Arbeiterbewegung im Wilhelminischen Reich I Die sozialdemokratische Partei und die Freien Gewerkschaften 1890-1900, S. 13l. D Friedrich Naumann formuliert dies 1902 über die deutschen Sozialdemokraten. - Heuss, Theodor: Friedrich Naumann, Stuttgart usw. 1949, 5.158.

V. Die Mehrheitsparteien und das Reich-Bundesstaaten-Verhältnis

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Besonders ausgeprägt ist diese Entwicklung bei der süddeutschen Sozialdemokratie. Die Konzessionen der süddeutschen Regierungen, wie die Reform des Wahlrechts zu den Landtagen und Gemeindevertretungen in den Jahren 1904 bis 1910 erleichtern ihr das allmähliche Hineinwachsen in ihre Staaten; die Wahlrechtsreform ist die erste Forderung aller sozialdemokratischen Parteiprogramme. Ein Zeichen der Integration ist, daß schon der Führer der "Königlich Bayerischen Sozialdemokratie" Georg von Vollmar den Gedanken entwickelt, den bayerischen Staat als Hebel zur Durchsetzung sozialdemokratischer Ziele im Reich zu benutzen1o • Diese Konzeption verraten u. a. die mehrfachen Interpellationen der bayerischen Sozialdemokraten zu einer Wiederbelebung des Bundesratsausschusses für auswärtige Angelegenheiten11 • Die Gruppe nördlich des Mains, die Mehrheit der Sozialdemokratie, steht den Einzelstaaten ablehnender gegenüber, insbesondere dem reaktionären preußischen Staat, der sie bis zum Kriegsende scharf befehdet und durch sein Dreiklassenwahlrecht diskriminiert. Einer der wenigen Züge bei den führenden Sozialdemokraten bis Ebert, die sie mit Marx und Engels verbinden, ist ihre Preußenfeindschaftl!. Die preußische Sozialdemokratie lehnt es bis 1907 aus Protest gegen das Wahlrecht des preußischen Staates überhaupt ab, sich an den Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus zu beteiligenl3 • Das unterschiedliche Verhältnis der norddeutschen und der betont revisionistischen süddeutschen Sozialdemokratie zu den Bundesstaaten findet seinen Ausdruck in den Auseinandersetzungen um die Annahme des Landesbudgets auf den Reichsparteitagen um die Jahrhundertwende. Die Parteipolitik der süddeutschen Landesgruppen damals, die Art ihres Zusammenfindens unter Georg von Vollmar zur Verteidigung ihrer Parteitaktik gegenüber den Ansprüchen der norddeutschen Parteigenossen und deren Einmischung in ihre Landespolitik hat - mit Eisner und Max Quarcku - manches 10 Eisner kommt schon 1905 nach München, nachdem er Preußen verbittert über die Berliner Parteizentrale und den preußischen Staat verlassen hat. Schade, Franz: Kurt Eisner und die Bayerische Sozialdemokratie, Hannover 1961, S. 28. 11 Entsprechende Interpellationen finden 1911 und 1912 statt. Vgl. Deuerlein, Ernst: Der Bundesratsausschuß für die Auswärtigen Angelegenheiten, S. 173, S. 175 ff. 1% Vgl. Heidegger: Sozialdemokratie; zu Marx S. 17 ff., zu Engels S.21, zu Wilhelm Liebknecht, S.33, zu Bebel S. 41. - Nach den von Friedrich Ebert jun. hg. "Schriften, Aufzeichnungen, Reden" Eberts (Berlin 1926) findet auch dieser kaum schärfere Worte für irgendwelche Mängel des Kaiserreiches als für die der preußischen Institutionen. 13 Vgl. Hirsch, Paul: Der Weg der Sozialdemokratie zur Macht in Preußen, Berlin 1929, S. 26. 14 Quarck, Max: Revolution und Reichsgliederung in: Sozialistische Monatshefte, 52. Bd., 1919 I, S. 76 - Dr. Max Quarck war damals SPD-Reichstagsabgeordneter für Frankfurt und 1918/19 SPD-Beigeordneter im Reichsamt des Innern.

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gemein mit der offiziellen Politik der sozialdemokratisch geführten süddeutschen Regierungen 1918/1919. Nach dem Tode Bebeis setzt sich die Sozialdemokratie - sei es aus nationalen, sei es aus ideologischen Motiven oder aus der Erkenntnis eines Bedürfnisses - wohl noch für die Vereinheitlichung im Reichssinne ein. Das tritt insbesondere bei den Haushaltsberatungen und bei den Steuerdebatten im Reichstag zutage. Jedoch die Forderung nach dem Einheitsstaat spielt in den letzten Jahren vor der Novemberrevolution, die allgemein im Zeichen der Mitarbeit in dem bestehenden Staat stehen, keine Rolle mehr. Das zeigt deutlich der Würzburger Parteitag im Oktober 1917, dem letzten vor der übernahme der Haupt-Regierungsverantwortung im darauffolgenden Jahre. 1917/1918 geht es der Sozialdemokratie innenpolitisch in erster Linie um die Reform der "Klassenwahlrechte" und - wie der FVP und dem Zentrum - um die Parlamentarisierung der Regierungen. Der für die Nachkriegsentwicklung des Reich-Länder-Verhältnisses so bedeutsame Preuß ist innerhalb der FVP und vor allem im übrigen politischen Kräftespiel dieser Zeit vorerst nur eine Randfigur; politisch tätig ist er in der Berliner Selbstverwaltung. Seine Grundkonzeption hat er schon in seiner 1915 erschienenen Schrift "Das deutsche Volk und die Politik" entwickelt. Professor Dr. Hugo Preuß, den earl Schmitt "zu einer typischen und sogar paradigmatischen Gestalt" "des neueren deutschen Staatsrechts" erhebt l5, stellt hier den Obrigkeitsstaat dem Volksstaat gegenüber, wo an die Stelle des Ausschlusses weiter Schichten des Volkes von der politischen Verantwortung die Selbstorganisation des gesamten Volkes im Staat tritt, an die Stelle des mechanischen Zusammenhalts durch obrigkeitliche Partikularregierungen mit der künstlich gesicherten Hegemonie Preußens der organische Zusammenhalt aus dem Einheitsbewußtsein des Volkes selbst. Er weist auf die Ansätze für die Umbildung des deutschen Obrigkeitsstaates zum Volksstaat hin und schließt18 : "Weit darüber hinaus eröffnen sich aber von diesem Standpunkt Ausblicke auf Entwicklungsmöglichkeiten des deutschen Volksstaates, wie sie einst dem freilich überschwenglichen Geiste Treitschkes vorschwebten: ,Einheitsstaat und Selbstverwaltung starker Provinzen als die Staatsform der Zukunft'." - Die Zukunft rückt näher, als 1917 die Verhältnisse in Deutschland stärker in Bewegung geraten. Preuß arbeitet seine "Vorschläge zur Abänderung der Reichsverfassung und der Preußischen Verfassung nebst Begründung" aus 17• Diese im Juli 1$ Schmitt, earl: Hugo Preuß, sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930, S. 3. 18 Preuß, Hugo: Das deutsche Volk und die Politik, Jena 1915, S. 199. 17 Die Denkschrift ist wiedergegeben in Preuß, Hugo: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, S. 290-335.

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vorgelegte Denkschrift zirkuliert privat in wenigen Exemplaren wahrscheinlich auch unter Reichstagsabgeordneten der Mehrheitsparteien18• Situationsgemäß handelt es sich hier um ein beschränktes Reformprogramm mit dem Hauptziel der Umgestaltung des Reichs und Preußens zu parlamentarischen Monarchien. Danach ist einmal das Gewicht des Reichtstags gegenüber dem Kaiser, der Reichsregierung, die von einer Reichsleitung zu einem parlamentarisch voll verantwortlichen Reichsministerium auszugestalten ist, und dem Militär zu erweitern; das geschieht im wesentlichen bei den Oktoberreformen 1918. Seine speziellen Vorschläge zur Stärkung der parlamentarisierten Reichsgewalt gegenüber den Ländern finden sich später zum Teil verwirklicht. Er schlägt u. a. 1917 vor, dem Bundesrat bei einfachen Reichsgesetzen nur noch ein suspensives Veto zuzugestehen, und vor allem alle Länder formal möglichst gleichzustellen. Der König von Preußen soll als Ersatz für seine Machteinbuße im parlamentarisierten Reich wie in Preußen bei der Reichsgesetzgebung noch stärker engagiert werden; aber der preußische Staat soll alle nicht den König direkt betreffenden Präsidialrechte einbüßen, wie die Mittelstaaten angehalten werden, ihre Reservatrechte aufzugeben. Die preußische Verfassungsreform hat die Reform der Reichsverfassung wirksam zu ergänzen; auch die Preußen betreffenden Vorschläge dienen nicht zuletzt der Macht und dem .ungehinderten Funktionieren der demokratischen Reichsgewalt. Selbstverständlich wünscht er mit der Parlamentarisierung der zweiten Kammer zugleich das Wahlrecht nach dem Reichsvorbild geändert1'. Dazu ist die Personalunion zwischen Reichs- und Staatsregierung verfassungsmäßig zu verstärken. Der Reichskanzler soll künftig Staatskanzler sein und unabhängig vom Mißtrauensvotum der zweiten Kammer die Richtung des Staatsministeriums bestimmen. Seine Kollegialstruktur ist als eine starke "Hilfestellung unserer politischen Stagnation" aufzuheben. In der Begründung seiner Vorschläge heißt es zusammenfassend: "Die führende Stellung des Reichskanzleramts muß nicht nur beibehalten, sondern in wahrhaft wirksamer Gestalt auf Preußen ausgedehnt werden . ... Die Einheitlichkeit einer wirklich verantwortlichen politischen Leitung im Reich und in Preußen, die Parallelität beiderRegierungen so18 Z. B. hat die Denkschrift der Reichstagsabgeordnete der SPD Quarck aus dem Kreis um die Sozialistischen Monatshefte erhalten. In seinem Nachlaß fand sich ein ihm von Preuß persönlich ausgeliehenes Exemplar. - Der Herausgeber der Sozialistischen Monatshefte Josef Bloch hat Preuß nach Oehme (Oehme, Walter: Die Weimarer Nationalversammlung 1919, Erinnerungen, BerUn 1962, S. 336) nach der Revolution auch für das Amt des Staatssekretärs des Reichsamts des Innem empfohlen. Bei der Berufung von Preuß spielt dem gleichen Zeugen zufolge (a. a. 0., S. 337) seine Denkschrift vom Juli 1917 mit eine Rolle. . 18 Die Struktur des 1919 erörterten Finanzrates ähnelt verblüffend der von ihm 1917 für die erste Kammer vorgeschlagenen Zusammensetzung.

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wie der Bildung des deutschen und preußischen Parlaments sind die unumgänglichen Voraussetzungen für die überwindung des Obrigkeitssystems, das letzten Endes in der kunstreich von der Verfassung konstruierten und zugleich verdeckten Herrschaft der preußischen Obrigkeitsregierung über das Reich verankert ist. Hier gründlich durchzugreifen, ist die praktisch wichtigste Aufgabe jeder Verfassungsänderung. Diese Aufgabe ist aber unlösbar ohne Ermäßigung der partikularistischen Elemente der Reichsverfassung überhaupt und insonderheit ohne Änderung der Natur des Bundesrats. Die Einbuße, die auch die anderen Einzelstaaten dabei empfinden mögen, muß ihnen erträglich scheinen als das einzige Mittel, um die Herrschaft des preußischen Partikularismus über sie zu lösen." Preuß befürwortet schon im Rahmen der Vorschläge der Reichsverfassung eine allgemeine Erweiterung der Selbstverwaltung. In der preußischen Verfassung verlangt er ausdrücklich die Vorschrift der Verwaltungsreform zugunsten der kommunalen Selbstverwaltung. Zu dem im einzelnen einzuschlagenden Weg äußert er sich nicht. An diesem Punkt setzt zu gleicher Zeit im PrMdI der später wie Preuß als Reformer Bedeutung erlangende "rote Drews" an. Die vor Drews von 1909 bis 1917 tätige Immediatkommission für die Verwaltungsreform ist in ihrer Zuständigkeit eng begrenzt und muß sich streng an den Rahmen der bestehenden Verwaltungsorganisation halten; die echten reformerischen Initiativen, die über eine bloße Büroreform und eine mechanische Beamtenverminderung hinaus auf eine Stärkung der Organe zielen, die mit den Selbstverwaltungseinrichtungen zusammenarbeiten, und damit zugleich der Erweiterung der Selbstverwaltung den Weg zu bereiten suchen, werden von dem den Großteil der Verhandlungen leitenden Minister von Dallwitz erstickt. In einem neuen Anlauf gerade zugunsten der Ansichten, die in der Immediatkommission Schiffbruch erlitten haben, wird im Januar 1917 Dr. Drews zum Königlichen Kommissar für die Verwaltungsreform ernannt und dieser mit seinem Aufstieg vom Unterstaatssekretär zum Chef des Innenressorts zugleich mit größerem politischen Einfluß ausgestattet. Drews legt sein umfangreiches und mit Ausnahme der Justiz-, der Eisenbahn- und der Bergverwaltung alle Verwaltungszweige betreffendes Reformprogramm im Juli 1917 in der Denkschrift "Grundzüge einer Verwaltungsreform" vorzo • Die Kerngedanken sind: 1. die Aufhebung der Regierungsinstanz zugunsten des Oberpräsidiums, 2. der Ausbau der Selbstverwaltung im Rahmen einer allgemeinen Übertragung von "Angelegenheiten, die gegenwärtig noch von höheren 20 Die Denkschrift von Drews vom Juli 1917 umfaßt gedruckt 200 Seiten. Nied St, Preuß. Staatsm. B III 7 a Nr. 21 Bd. 10.

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Behörden auf Grund der sachlichen Vorprüfung und Berichterstattung nachgeordneter Behörden entschieden werden", auf letztere - "unbeschadet der Verantwortung, des Anweisungs- und Abänderungsrechts der oberen Instanz - zur selbständigen Entscheidtmg ... (deconcentration im Sinne des französischen Verwaltungsrechts)", und im Wege einer überweisung der "Angelegenheiten, die bisher durch Staatsbehörden oder durch in ihrem Auftrage und unter ihrer Anweisung handelnde Selbstverwaltungsbehörden bearbeitet worden sind", an "Selbstverwaltungsbehörden als wirkliche Selbstverwaltungsangelegenheiten ... (decentralisation)" . Die Reformvorstellungen Drews' finden jedoch so wenig Anklang bei den übrigen Staatsministern!1, daß das Kabinett ihm weder erlaubt, sie zu veröffentlichen, auch nicht, nachdem er sie ein Jahr später abgeschwächt hat, noch sie einem unabhängigen Expertenkollegium zu unterbreiten. Die Mehrzahl der Minister ist überhaupt der Meinung, daß eine besondere Eile nicht geboten sei. Wie die preußische Verfassungsreform kommt so auch die Verwaltungsreform nicht voran.

Zl Die Stellungnahmen der staatsmintster zur Denkschrift von. Drews finden sich im Nied st, Akten des Preuß. Staatsm. B 111 .7 a Nr. 21 Bd. 10. - Das Staatsministerium entscheidet einzig den Reformpunkt im Sinne Drews, der nicht zu seinem Hauptanliegen gehört und zu Lasten seines Ministeriums geht; es beschließt am 20.11.1917 (Auszug aus dem Staatsministerialsitzungs-Prot. a. a. 0.), den gesamten Strafvollzug dem Justizministerium zu übertragen.

Teil B

Das Verhältnis von Preu.f3en und Reich in den ersten Jahren der Weimarer Republik (1918 bis 1923) I. Machtauflösung und Unitarismus 1918/1919 Die Novembereignisse sind in den Augen ihrer Zeitgenossen der Zusammenbruch der gesamten bisherigen staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung des Reiches, eines für unerschütterlich gehaltenen Gebäudes, eine "Revolution". Die "dezentralisierte Revolution" vollzieht sich nicht systematisch vom Zentrum aus, sondern in Miniaturrevolutionen, die, von der Peripherie des Reiches ausgehend, langsam die Verhältnisse chaotisieren, unendliche Gefahren für das Bestehen, die Einheit des noch im Kriege befindlichen Reiches heraufbeschwörend. Die provisorische Reichsleitung, der RdV, sucht vergeblich der Situation Herr zu werden. Ebert erklärt am 18. Dezember vor dem RdV und dem Zentralrat: "Wir stehen in völliger Desorganisation und Auflösung1." Aber in dem Chaos eröffnet sich zugleich die Möglichkeit der straffen Zusammenfassung, der Stärkung des Deutschen Reiches, der radikalen Neuordnung auf den Einheitsstaat hin. Durch die Beseitigung sämtlicher Dynastien - entgegen den Erwartungen wird nicht nur der Norden republikanisch - sind die Gewalten verschwunden, die bisher als die Eckpfeiler des deutschen Partikularismus galten. Deutschland konstituiert sich neu als Räterepublik, in der die betont unitarisch auftretende Sozialdemokratie alle entscheidenden Positionen innehat. Die fortdauernde Demonstration der Uneinigkeit, der Zerrissenheit und der Gegensätze in der politischen Praxis läßt den Willen nach einem engeren Zusammenschluß nur wachsen. Ebert und die übrigen Volksbeauftragten heben angesichts der zentrifugalen Tendenzen immer wieder die Notwendigkeit zur stärksten Zusammenfassung aller Kräfte hervor. Der Gewerkschaftsführer Robert Schmidt, zunächst Unterstaatssekretär im Reichsernährungsamt und später der Leiter der Reichsernährungs- und der Reichswirtschaftspolitik, stellt am 5. Dezember in seinem Leitartikel im Vorwärts! als Antwort auf die von ihm beklagten Eigenmächtigkeiten der Arbeiter- und Soldatenräte und die auf der Frontseite gemelde1

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RdV-Prot. v. 18. 12. 1918, S. 5. Vorwärts 5. 12. 1918, Nr. 334 a.

I. Machtauflösung und Unitarismus

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ten "Loslösungsbestrebungen im Westen", die bayerische Politik, die in Norddeutschland zutage tretenden Tendenzen und die Sonderbestrebungen der eigenen Parteigenossen in Schlesien fest, "daß bei vielen jedes Verständnis dafür, welchen Wert ein einheitliches Staatsgebilde für unser Wirtschaftsleben hat, verlorengeht. Wir beklagten die Zerrissenheit Deutschlands vor dem Zusammenschluß zu einem einheitlichen Bundesstaat, der allerdings auch noch seine Sonderrechte und partikularistischen Nücken und Tücken zur Genüge hatte. Allein nie hat sich die Sozialdemokratie die Entwicklung nach aufwärts anders gedacht, als daß aus diesem zerrissenen deutschen Staatengebilde der einheitliche Staat stärker und kräftiger entstehen muß." Gerade gegenüber der Zersplitterung wird so die unitarische Tradition der Sozialdemokratie wieder beschworen und lebendig. - Die Rätebewegung macht sich in ihren zentralen Gremien, wo die zentralen gesamtdeutschen Fragen zur Debatte stehen, nicht nur zum Sprecher eines allgemeinen Verlangens nach überwindung der Klassenschranken, nach Einheit in sozialer Hinsicht und nach gemeinsamer politischer Verantwortung, sondern auch nach einer verstärkten nationalen Einheit, wie sich das z. B. in der Entschließung des I. Rätekongresses vom 19.12.1918 dokumentiert': "Der Rätekongreß protestiert gegen alle Absonderungsbestrebungen, ganz gleich unter welchem Vorwande sie propagiert werden. Der Kongreß erklärt, daß nur der großdeutsche, demokratische, sozialistis~e Einheitsstaat Gewähr dafür bietet, daß das Volk in seiner kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung zur höchsten Stufe emporgehoben werden kann." - Nach den Worten Max Cohens, den Mitvorsitzenden des Zentralrats neben Leinert und Müller-Franken, auf dem 11. Rätekongreß4 ist in diesen Monaten der Einheitsstaat potentiell vorhanden: "Zugleich war ... der deutsche Einheitsstaat wirklich da, war ohne weiteres da, denn die Sozialdemokratie hatte während der 50 Jahre ihres Bestehens und ihrer Agitation sich ständig gegen jeden deutschen Partikularismus gewendet und die Lauge ihres Spottes über den Jammer der deutschen Kleinstaaterei unendlich oft ausgegossen, so daß es selbstverständlich erschien, daß die Herrschaft der Sozialdemokratie mit der Herstellung des deutschen Einheitsstaats identisch sei. ... Aus diesem Einheitsgefühl war es denn auch verständlich, wenn der überwiegende Teil des deutschen Volkes alle Macht an die deutsche Nationalversammlung abtreten wollte .... Zunächst erfolgte eine Erklärung nach der anderen, daß sie (die Einzelstaaten - Verf.) alle im Reich aufgehen wollten, und auch die einzelstaatlichen Ministerien haben sich im Anfang durchaus als Liquidationsministerien gefühlt, und selbst Wolfgang Heine hat damals eine in diesem Sinne gehaltene Erklärung abgegeben. Ich glaube, in Deutsch, I. Räte-Kongr.-Prot. S. 238. 4 11. Räte-Kongr.-Prot. S. 159.

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land gab es damals nicht viele Menschen, die es nicht als selbstverständlich annahmen, daß die einzelstaatlichen Ministerien nur während eines kurzen übergangsstadiums wirken sollten, so lange, bis die Verwaltung auf das ganze Reich übergegangen war." "Eine der ersten und nachdrücklichsten Revolutionsforderungen" nennt Dr. Quarck, der SPD-Beigeordnete im Reichsamt des Innern, in einer empörten Anklage gegen die sich restabilisierenden deutschen Einzelstaaten im Februar 1919 die Forderung nach dem deutschen Einheitsstaat5 • Arthur Rosenberg richtet seine Kritik wegen der Nichtverwirklichung des deutschen Einheitsstaates in dieser Zeit vor allem gegen den RdV: "Man hätte von der deutschen Revolution zumindest erwarten können, daß sie die überlebte Kleinstaaterei beseitigen und sofort den deutschen Einheitsstaat verwirklichen würde ... Man duldete es, daß die deutschen Einzelstaaten in der alten Form weiterexistierten, daß sie ihre gesonderten Minister behielten und ihre Landtage neu wählen ließen. Dabei war der gefährlichste und unnatürlichste deutsche Partikularismus der preußische. Die historische Entwicklung, die zur Reichsgründung von 1871 führte, hatte den Dualismus Preußen-Reich heraufbeschworen. Nach dem Sturz der Hohenzollern war die Sonderexistenz eines einzelnen Bundesstaates, der zwei Drittel des ganzen Reiches umfaßte, völlig sinnlos geworden. Die Fortdauer der deutschen Kleinstaaterei brachte nicht nur ständige Verschwendung von Geld und Energie mit sich, sondern die einzelstaatlichen Verwaltungen waren vor allem die Zentralen der bisher herrschenden Bürokratie gewesen. Nur durch die Zertrümmerung der einzelstaatlichen Apparate war eine überwindung des historischen deutschen Bürokratismus möglich. Aber auch hier schreckten die Volksbeauftragten vor jeder einschneidenden Tat zurücke." Vorwürfe dieser Art werden nachträglich häufig gegen den RdV erhoben. Otto Braun, Mitglied des SPD-Vorstandes und seit dem 12. 11. 1918 Mitglied der preußischen Regierung, verteidigt später den RdV: "Ich kann und will nicht bestreiten, daß in jenem geschichtlichen Augenblick sich vielleicht am leichtesten mit aller partikaluristischen Eigenbrödelei hätte aufräumen und der geschlossene deutsche Einheitsstaat hätte schaffen lassen. Dieses Problem konnte damals aber nur von einer starken Reichszentralgewalt in dem gewünschten unitarischen Sinne gelöst werden. Diese Reichszentralgewalt war aber in jenen kritischen Tagen nicht vorhanden und konnte auch nicht vorhanden sein7 ." 6 In dem Artikel "Revolution und Reichsgliederung" vom 10. 2. 1919 in den Sozialistischen Monatsheften, 1919 I, S. 75. 6 Rosenberg, Arthur: Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Hg. von Kurt Kersten, Frankfurt 1955, S. 308. 7 Braun, Otto: Deutscher Einheitsstaat oder Föderativsystem, Berlin 1927, S.13f.

I. Machtauflösung und Unitarismus

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Grundsätzlich befürworten die Volksbeauftragten den Einheitsstaat8 ; genauere Vorstellungen über den Weg und das Ziel haben sie allerdings in den ersten Monaten nicht. Die Möglichkeit, die sich dem RdV vielleicht geboten hat, seine Macht über die in der unitarischen Welle mitschwimmende demokratische Rätebewegung zu stabilisieren, den Antagonismus der A-Räte gegen die preußische reaktionäre Verwaltung wie allgemein gegen die Staatsverwaltungen, die nach der Absetzung der Fürsten und der Auflösung der einzelstaatlichen Vertretungskörperschaften den Rest der alten partikularen Obrigkeitsstaaten repräsentieren, im demokratisch-unitarischen Sinne auszunutzen, hat dieser jedoch nie ernsthaft in Rechnung gestellt. Er hat im Gegenteil die Ausschaltung der A-Räte durch die Einzelstaaten noch gestützt. Der SPDVorstand, der vor allem für die Politik des RdV verantwortlich ist, argumentiert nur mit den Alternativen "Nationalversammlung oder Rätesystem" und anerkennt die Räte nicht als "Integrationsorgane der neuen demokratisch-republikanischen Staatsform"'. Die Umwandlung des vor allem nach außen gerichteten Patriotismus der Kriegszeit in den nach innen gerichteten Unitarismus in der Zeit des Zusammenbruches und Umsturzes gewinnt nicht so sehr politische Relevanz in der übergangszeit; viel bedeutsamer wird er in der Folgezeit über die parlamentarischen Vertretungen der Mehrheitsparteien, insbesondere über ihre Fraktionen in der VNV. Der zunächst weitgehend blinde Unitarismus ist inzwischen durch die von Freuß entwickelte Konzeption des dezentralisierten Einheitsstaates, mit der dieser die zentrifugalen und zentralistischen Tendenzen zu verbinden sucht, konkretisiert. In der Reichsverfassung bringt die VNV die Vereinheitlichung voran. Der Einheitsstaat wird hier jedoch nicht verwirklicht, und die unitarischen Forderungen gehen weiter. Nach Inkrafttreten der Reichsverfassung treiben vor allem die Reichsminister Erzberger und Bell vom Zentrum, Koch von der DDP und David und Bauer von der SPD die Reichsgesetzgebung und den Ausbau der Reichsverwaltung voran. Ihr Ziel ist nicht, wie es ihnen vorgeworfen wird, die gesamte Politik im "Wasserkopf Berlin" zu konzentrieren und aus bürokratischem Antrieb den Verwaltungseinheitsstaat zu erzwingen, sondern aus nationalen Motiven vertreten sie die Stärkung des Reiches über den dezentralisierten Einheitsstaat; und diese soll möglichst im Einvernehmen mit den Länderregierungen erfolgen. 8 Vgl. Etben, Wolfgang: Das Problem der Kontinuität in der deutschen Revolution I Die Politik der Staatssekretäre und der militärischen Führung vom November 1918 bis Februar 1919, Düsseldorf 1964, S. 56. 9 Vgl. Kolb, Eberhard: Die Rolle der Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918119, Düsseldorf 1962; Zitat von S. 11.

3 Eimers

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In sämtlichen Parteien vollzieht sich seit November 1918 ein unitarischer Stimmungsumbruch. Die veränderte Haltung der SPD, die schon in den vorangegangenen Absätzen erwähnt ist, zeigt sich 1919 u. a. auf ihrem Parteitag in Weimar Mitte Juni, dem ersten Reichsparteitreffen nach dem Zusammenbruch. Unter dem Aspekt des Reich-Länder-Verhältnisses steht er im Zeichen scharfer Kritik an den einzelstaatlichen Regierungen - nicht zuletzt an preußischen Ministern. Die Vorwürfe müssen sich dabei in erster Linie gegen die eigenen Parteigenossen richten; von ihnen stellt der Sprecher der VNV-Fraktion, der Schlesier Paul Löbe, fest, "daß die Bürgerlichen mit einigem Recht sagen" könnten, daß sie "ja die schlimmsten Partikularisten" seien10, und Brennecke, Frankfurt a. M., entrüstet sichl l über die in "diesen Staatsgebilden" an die Stelle der gestürzten Fürsten gesetzten roten Fürsten, denen man "ganz energisch den Stuhl vor die Tür" setzen solle, "wenn nicht mit diesem Unfug bald aufgehört wird." - Von den fünf Anträgen, die ein Eintreten der Amtsträger der Partei zugunsten des Einheitsstaates fordern, wird die am bestimmtesten formulierte Fassung mit einer Gegenstimme vom Parteitag angenommen. In der Resolution heißt es: "Der Parteitag spricht sich mit aller Entschiedenheit für die Schaffung der deutschen Einheitsrepublik aus und fordert die Parteigenossen in der Regierung, in der Nationalversammlung und im ganzen Reiche auf, allen partikularistischen Tedenzen wirksam entgegenzutreten. Die freiheitliche Entwicklung Deutschlands wird jedoch erst gesichert, wenn die Gliederung der Reichs- und Bundesstaaten überwunden sein wird. Die Wirkungen des Krieges müssen zu einer Verbilligung und damit zur Vereinheitlichung der Verwaltung führen. Aus dem einheitlichen deutschen Wirtschaftsgebiet muß auch das einheitlich geschlossene deutsche Staatswesen erwachsen12 ." - Entsprechend dieser unitarischen Ausrichtung beschließt der Weimarer Parteitag auch die Zentralisation der Partei durch die Aufhebung der Landesorganisationen zwischen der Reichsorganisation und den Bezirksverbänden. - Zur Preußenfrage äußert sich der Parteitag nicht. Das politische Gesicht der sich in der DDP neu "organisierenden" Linksliberalen bestimmen nach dem Umsturz betont unitarische Kräfte: der Kreis um Preuß, der in Anlehnung an 1848 die sozialistische "Revolution" von 1918 in eine liberale zu verwandeln sucht, wie der sich zumeist aus ehemaligen Nationalsozialen zusammensetzende sozialrevolutionäre Kreis um Rathenau und die Gruppe liberaler Professoren, zu der z. B. Max Weber und Friedrich Meinecke gehören13 • Sie sehen in der 10 11 12 13

SPD-Parteitags-Prot. 1919, S. 349. a. a. 0., S. 382. a. a. 0., S. 511. Vgl. Fischenberg, Günther: Der deutsche Liberalismus und die Entste:-

1. Machtauflösung und Unitarismus

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Umgestaltung Deutschlands zum Einheitsstaat die Vollendung der nationalen Einheit, ohne sich allerdings über den Weg einig zu sein und insgesamt gar die Verantwortung zu übernehmen, wie Preuß die Auflösung Preußens zu fordern. Die ersten Programmentwürfe des Zentrums vom November/Dezember 1918 betonten noch die Notwendigkeit der Erhaltung des bundesstaatlichen Charakters des Reiches14 , und sein Sprecher in der VNV Gröber spricht sich noch am 13. 2.1919 für "eine demokratische Republik auf föderativer Grundlage, entsprechend dem bisherigen Charakter des Deutschen Reiches" aus15• Es schwenkt jedoch besonders unter dem Einfluß Erzbergers und der die unitarischen Forderungen kräftig unterstützenden rheinischen und oberschlesischen Zentrumskreise auf den ein:heitsstaatlichen Kurs von SPD und DDP ein. Eine Folge dieser Entwick:lung ist die Abspaltung der beharrlich föderalistisch bleibenden BVP am 8.1.1920. Die neue Position der Zentrumsfraktion im Reichsparlament umreißt Max Trimborn auf dem ersten Reichsparteitag im Januar 192016 - in den Formulierungen selbstverständlich beeinflußt von der bayerischen Entwicklung -: "Seit 1870 war das Zentrum streng föderalistisch. Den veränderten Verhältnissen entsprechend hat es nach Wegfall der Dynastien eine Verstärkung der Reichsgewalt entschieden unterstützt. Die Stimmung für die Verstärkung der Reichsgewalt und in diesem Sinne für den Einheitsstaat hat in unseren Reihen mehr und mehr an Boden gewonnen, aber nicht für den zentralistischen Einheitsstaat, wie er in Frankreich seit der Französischen Revolution besteht, sondern für den dezentralisierten. Das Zentrum gibt die dem bisherigen Föderalismus zugrunde liegende Uranschauung nicht auf; es paßt sich nur den namentlich durch die Revolution veränderten Zeitverhältnissen an. Es bleibt der Gurndgedanke bestehen, daß im Gegensatz zum zentralisierten Einheitsstaat die Glieder des einheitlichen Gesamtorganismus sich einer mit den Lebensinteressen des Ganzen verträglichen Selbständigkeit erfreuen sollen, damit sie ihre kulturelle und wirtschaftliche Selbständigkeit behalten und weiterpflegen können, und daß ihnen auf diesen Gebieten auch ihr eigenes Gesetzgebungsrecht erhalten bleibt. Diese Selbständigkeit kann allerdings nicht mehr die alte föderalistische sein, weil das Reich kein Bund der Fürsten und ihrer Staaten, keine Föderation mehr ist. Die Glieder sollen aber auch nicht zu Provinzen degradiert werden; sie sollen sich einer größeren Autonomie erfreuen, als gemeinhin mit hung der Weimarer Republik / Die Krise einer politischen Bewegung, Diss. phil. Masch. Münster 1958, S. 43 ff. und passim. 14 Vgl. die Beispiele bei Schulemann, Max: Parteien und Reichsreform 1918-1932, Diss. jur. Masch., Tübingen 1946, S. 97 ff. 15 VNV-Prot. Bd. 326,13.2.1919, S. 54. 16 Z-Parteitags-Prot. von 1920, S. 9.

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dem Begriff Provinz verbunden wird. Sie sollen nicht souveräne, aber autonome Selbstverwaltungskörper sein, so autonom, wie es mit der Existenz einer starken Reichsgewalt irgend wie vereinbar erscheint ... ". - Während die übrigen Parteien die Preußenfrage kaum berühren, setzen sich Trimborn, der sich bei den Beratungen vor allem durch sein Eintreten für eine wirksame Formulierung des Art. 18 einen Namen gemacht hat, und die übrigen Zentrumsprecher entschieden für eine Auflösung Preußens und die Beseitigung der Kleinstaaten ein. In den Verfassungsparteien werden die Föderalisten eine hoffnungslose Minderheit. Die USPD schwenkt nach dem Tode Eisners von Preußen bis Bayern einheitlich auf den Unitarismus ein. Ganz links vertritt die KPD ihren totalitären Einheitsstaat. Der unitarischen Tendenz in der inneren Politik des Reiches, die in wachsendem Maße betont national in Erscheinung tritt, können sich selbst die Rechtsparteien nicht verschließen; auch sie nehmen die unitarischen Forderungen in ihr Programm auf. Die DVP, die sich auf ihrem ersten Parteitag in Jena im April 1919 noch rein rückwärtsgewandt und restaurativ zeigt17, betont in den auf dem Leipziger Parteitag im Oktober 1919 beschlossenen Grundsätzen: "Die Deutsche Volkspartei fordert den deutschen Einheitsstaat mit weitgehender Selbstverwaltung und Sicherung der Eigenart der einzelnen geschichtlich, kulturell und wirtschaftlich zusammenhängenden LandschaftenI8." Die allmähliche Anpassung der DNVP zeigen vor allem die Erklärungen zum Reich-Länder-Verhältnis in der VNV und der VPrLv in der zweiten Hälfte des Jahres 1919. Dr. Hoetzsch führt z. B. am 6.11. 1919 vor der VPrLv aus u : "Glauben Sie nicht, daß meine politischen Freunde sich der zweifellos vorhandenen gewaltigen unitarischen Tendenz unserer Tage irgendwie verschließen. Wir beklagen es, aber wir wissen, daß die Zeit für die selbständige Großmacht Preußen vorbei ist. Wir sehen, wie die Inanspruchnahme des Steuerrechts und die anderen Eingriffe des Reiches die Selbständigkeit des größten Einzelstaates in Deutschland rettungslos beseitigt haben, und ich möchte ausdrücklich feststellen: auch uns ist der deutsche Einheitsstaat das Ziel der Geschichte." Die unitarischen Erklärungen außerhalb der Mitte sind für die Reichsregierung in der Praxis von geringem Wert; aber sie zeigen, daß der 17 Siehe Bericht über den Ersten Parteitag der Deutschen Volkspartei am 13.4. 1919 in Jena, hg. von der Reichsgeschäftsstelle der DVP in Berlin 1919. 18 Zit. nach Weber, Günter: Die wichtigsten Reformpläne zur Weimarer Reichsverfassung betreffend das Verhältnis Reich-Länder (Unitarismus-Föderalismus), Diss. jur. Masch., Köln 1947, S.55 - vgl. auch die Erklärung des geschäftsführenden Ausschusses der DVP in Berlin am 19.1.1920 zum Einheitsstaat, DGK, 36. Jg., I. Bd. Januar-Juni 1920, Inland, S. 257. U VPrLv-Prot. Bd. 5, Sp. 5885.

II. Das improvisierte Reich-Länder-Verhältnis

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deutsche Einheitsstaat allgemein mehr und mehr als die unausweichliche künftige staatliche Form erscheint. Die föderalistischen Heimatparteien, die neben den auf Reichsebene organisierten großen Parteien existieren, sind vom Zusammentritt der Nationalversammlung an das ganze Jahr 1919 über völlig bedeutungslos. Die von Bayern ausgehenden Versuche, die landsmannschaftlichen Grüppchen in Hessen, Hannover und Schleswig-Holstein mit der BVP und dem Bayerischen Bauernbund zusammenzuschließen, bleiben fruchtlos. Die BVP gewinnt 1920 langsam Terrain für den Föderalismus zurück, nachdem sie sich vom Zentrum getrennt hat. Aber trotz aller Stärke der unitarischen Strömung bleibt die föderative Struktur erhalten. Allgemein vermögen die den Staat in dieser Zeit tragenden Mehrheitsparteien den Pluralismus und die zentrigufalen Kräfte nicht zugunsten einer stabilen Reichsgewalt im Sinne der von ihnen vertretenen nationalen Demokratie zu integrieren. 11. Das improvisierte Reich-Länder-Verhältnis in der übergangsperiode vom November 1918 bis zum Januar 1919

1. Das Verhältnis der Freistaaten, insbesondere der Mittelstaaten, zum Rat der Volksbeauftragten Der RdV tritt von Anfang an als übergangsregierung auf, die ihre Funktionen nur bis zur Einberufung der VNV auszuüben gedenkt. Es setzt sich die Meinung der SPD-Vertreter durch, daß alle einschneidenden Maßnahmen der Konstituante vorzubehalten sind, die ihre Macht im Gegensatz zu den provisorischen Zentralgewalten, RdV und Vollzugs rat bzw. Zentralrat, von der Gesamtheit des Volkes ableitet und damit allein die nötige Autorität zu entscheidenden Änderungen garantiere. Die Frage der neuen Reichsverfassung und der Neugestaltung des Verhältnisses von Reich und Einzelstaaten erörtert der RdV vor Januar in seinen Sitzungen nicht. Ebert trifft nur insofern eine für das ReichLänder-Verhältnis wichtige Vorentscheidung, als er den entschieden unitarisch gesonnenen Preuß mit den Verfassungsvorarbeiten im Reichsamt des Innern beauftragt. - Mit der Ankündigung der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung endet die Regierung des Prinzen Max von Baden, mit der Verheißung einer Konstituierenden Versammlung im Aufruf vom 12.11. 1918 beginnt der RdV seine Tätigkeit. Die SPD-Führer setzen sich mit allem, was ihnen zu Gebote steht, für die baldige Einberufung der VNV ein sowie für ihre von keiner Seite weder von den Räten noch von den Einzelstaaten - geschmälerte Souveränität. Das Votum des Rätekongresses in ihrem Sinne und die Festsetzung des VNV-Wahltermins sind der wichtigste Beitrag, den die Rätebewegung zu der inneren Neugestaltung Deutschlands geleistet hat.

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Während das Reich die Entscheidung über den Einheitsstaat aufschiebt bis zur VNV, sind in den Einzelstaaten dadurch, daß sich überhaupt neue Regierungen bilden und vor allem durch die Ankündigung der Einberufung von Landesversammlungen schon wichtige Schritte zugunsten einer Fortdauer des föderativen Aufbaus vollzogen. Zudem erklären sich für eine zukünftige einheitsstaatliche Ordnung neben der preußischen Regierung nur die Hamburger Regierung unter Dr. Laufenberg (USPD)t, die sächsische unter Dr. Gradnauer (SPD) und Lipinski (USPD)2 und der Präsident der sozialistischen Republik Braunschweig August Merges (USPD) im Einvernehmen mit dem dortigen Führer der SPDDr. Jasper 3• 1919 schwenken diese Regierungen jedoch wie auch die preußische in die Front der übrigen Staaten ein, und ihre Politik reduziert sich wie die der anderen auf die. vornehmliche Vertretung ihres partikularen Staatsinteresses. In der Mehrzahl treten die sozialdemokratischen Landesregierungen - entsprechend der allgemeinen Position der Sozialdemokratie bis zum Oktober 1918 - von Anfang an nicht als Liquidationsministerien auf. Die. bayerische Regierung spricht in ihrem Aufruf vom 15. November vom zukünftigen Deutschland sogar als den "Vereinigten Staaten von Deutschland"'. Der bayerische Ministerpräsident Eisner setzt sich weit entschiedener, als Sachsen, Hamburg, Braunschweig und Preußen für ~en Einheitsstaat eintreten, für ein föderativ geordnetes Deutschland ~in. Im übrigen ist er voll der Polemik gegen die "Berliner Diktatur" und gegen den alten preußisch bestimmten Obrigkeitsstaat und tritt ~nfänglich sogar für die Auf teilung Preußens ein. Die anderen süddeutschen Regierungen denken an eine Stärkung der Reichsgewalt in der 1 Die Hamburger Regierung erklärt sich am 11. 11. 1918 für den Einheitsstaat. Müller, Richard: Vom Kaiserreich zur Republik, Bd.2, Wien 1925, S.78 - Dr. Laufenberg tritt gleichfalls auf der Reichskonferenz vom 25. 11. 1918 für den Einheitsstaat ein. 2 Dem Aufruf vom 18. 11. 1918 "an das sächsische Volk" zufolge erstrebt die neue sächsische Regierung "die Beseitigung der veralteten bundesstaatlichen Verfassung und die Einordnung Sachsens in die einheitliche großdeutsche Volksrepublik, an die auch Deutsch-österreich seinen Anschluß vollziehen möge". Sie betont ausdrücklich: "Die Regierung will in übereinstimmung mit der neuen Reichsleitung wirken." Der Aufruf ist abgedruckt bei Müller, Richard: Republik, Bd.2, S. 69. - Die sächsische Regierung folgt mit ihrer Erklärung vom 18. 11. 1918 dem Aufruf der Beauftragten der A- und S-Räte vom 14. 11. 1918, der damit schließt: "Die republikanische Regierung Sachsens hat die besondere Aufgabe, die Liquidierung des sächsischen Staates herbei':' zuführen und die einheitliche sozialistische deutsche Republik zur Tatsache zu machen." (a. a. 0., S. 69) - In diesem Sinne treten Lipinski und Dr. Gradnauer auch auf der Länderkonferenz vom 25. 11. 1918 auf. Ihr Bekenntnis zum Einheitsstaat erneuert die sächsische Regierung noch einmal am 24. Dezember. 3 RoLoff, Ernst August: Braunschweig und der Staat von Weimar, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft 1918-1933. Braunschweiger Werkstücke Bd.31, Braunschweig 1964, S. 35 und 40. , Müller, Richard, Republik, Bd. 2, S. 240.

H. Das improvisierte Reich-Länder-Verhältnis

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heuen Reichsverfassung, aber - mit Ausnahme einzelner Regierungsrnitglieder - nicht an ein Aufgehen in der Einheitsrepublik. Die gesamte Entwicklung des Reich-Länder-Verhältnisses steht in krassem Gegensatz zu den 1918/19 in der Öffentlichkeit erhobenen unitarischen Forderungen. Mag - dem Aufruf des RdV vom 12. November nach zu urteilen - die Reichskompetenz zunächst als sehr erweitert und die gesamte gesetzgebende Gewalt als von den ehemaligen Trägern der Souveränität, den Bundesstaaten, auf den RdV und den Vollzugsrat oder auf den RdV allein übergegangen erscheinen; dieser Eindruck wird von den Freistaaten, insbesondere den süddeutschen, sehr bald korrigiert. Der Aufruf vom 12. November wird widerspruchslos hingenommen. J edoch die folgenden Eingriffe in die Hoheitsrechte der Einzelstaaten stoßen gerade bei den süddeutschen Regierungen auf ganz entschiedene Abwehr. Ein Beispiel dafür ist das Schicksal der Reichsamnestie-Maßnahmen in Bayern und Württemberg, die dort alles andere als eine geregelte Ausführung im Sinne der Reichsleitung finden 5 • Darüber hinaus erlauben sich die Einzelstaaten ihrerseits Eingriffe in die Kompetenz des Reiches. Auf die Dauer ist es für das Reich von Vorteil, daß die alte Zuständigkeitsabgrenzung grundsätzlich wieder Anerkennung findet. pie einzelstaatlichen Regierungen sitzen im Vergleich zum RdV in der täglichen politischen Praxis und Verwaltungstätigkeit am längeren Hebelarm, weil ihnen der nötige Exekutivapparat zur Verfügung steht. Zur Anerkennung dieser für den RdV ungünstigen Machtverhältnisse, seiner Abhängigkeit von der Zustimmung der einzelstaatlichen Regierungen bei der Ausführung seines'Willens, gehört auch, daß er die weitere Einflußnahme der Einzelstaaten bei der Verwaltungstätigkeit in der Reichszentrale akzeptiert; dies tut sich vor allem in der Bestätigung der Verwaltungsbefugnisse des Bundesrats am 14.11.1918 kund. Außerdem fordern Einzelstaaten anstelle der "Berliner Diktatur" und der "preußischen Diktatur", wie es in Süddeutschland heißt, ein Mitwirkungsrecht bei der provisorischen Gesetzgebung. Dies gewähren die Reichsämter den bundesstaatlichen Vertretungen nach der Länderkonferenz in beschränktem Umfang. Der bayerische Ministerpräsident Eisner beansprucht sogar ein Mitspracherecht in der Reichsaußenpolitik und versucht daneben, durch Kontakte nach Frankreich und in die Tschechoslowakei auf eigene Faust Außenpolitik zu führen. Um seiner Sonderpolitik mehr Rückhalt zu verleihen, betreibt er eine engere Verbindung der süddeutschen Staaten. Die Pläne für einen engeren Zusammenschluß Süddeutschlands finden in der badischen und süddeutschen Regierung zeitweilig Anklang; badische und württembergische Minister erwägen 5 S. Bay. Ministerrats-Prot. I vom 19.11.1918, Bay GStAM; WÜ. Staatsm.Prot. vom 16. 12. 1918, WÜ StAL; Bad. Staatsm.-Prot. vom 12.2.1919, Bad GLAK; Deutsche Juristen-Zeitung 1919, Sp. 742.

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sie Mitte November vor der Länderkonferenz und Ende Dezember unter dem Eindruck der Berliner Ereignisse, die eine baldige Einberufung der VNV als bedroht erscheinen lassenG. Die Einzelstaaten - mit Ausnahme von Gotha und Braunschweig setzen sich, wie die Reichskonferenz vom 25.11. 19187 zeigt, für einen möglichst baldigen Zusammentritt der VNV ein. Etwaige Vorentscheidungen in der Sozialisierungsfrage und auf dem Finanzsektor werden von süddeutscher Seite abgelehnt8 • Die süddeutschen Regierungen formulieren schließlich auch ihre eigene Position zur Auseinandersetzung um die neue Reichsverfassung. Auf der Stuttgarter Konferenz vom 27.128 Dezember beschließen sie im Sinne ihrer bisherigen Praxis, "künftig gemeinsam hinzuwirken auf ... Neueinrichtung des Staates auf bundesstaatlicher Ebene"a, und vor der Staatenkonferenz vom 25. Januar konkretisieren sie dieses Ziel in genauen Forderungen. Sachsen schließt sich ihnen an. Das starke Zurückweichen des RdV im Januar 1919 zugunsten der Einzelstaaten auf den verschiedensten Gebieten, zunächst auf dem Finanzsektor und dann vor allem in der Verfassungsfrage, der Verzicht des RdV und Preuß' auf die sofortige Verwirklichung des Einheitsstaates über die VNV und die Konzessionen auf der Staatenkonferenz sind vor dem Hintergrund der andauernden entschiedenen Demonstrationen einzelstaatlichen Geltungswillens, insbesondere von seiten der süddeutschen Staaten, zu werten. e Bad. Staatsm.-Prot. vom 21. 11. 1918, 17.12.1918, 30.12.1918; Bericht des Badischen Gesandten in München vom 27. 11. 1918, GLAK. WÜ. Staatsm.-Prot. vom 21.11.1918, 19.12.1918; WÜ StAL. Bay. Ministerrats-Prot. I vom 19.12. 1918, Bay GStAM. - Schwend, Karl: Bayern zwischen Monarchie und Diktatur, München 1954, S. 54 ff. 7 Gedruckter Bericht des AA über die Konferenz vom 25. 11. 1918 als Beiakt zum Gesandtschaftsbericht vom 13. 1. 1919, Bad GLAK; Bad. Ges. BerUn, 233/34825. 8 So auf der Stuttgarter Konferenz der Vorstände der Finanzministerien von Bayern, Baden, Württemberg, Hessen und Sachsen vom 2. und 3. Dezember 1918; s. dazu: "Freiheit" Nr. 37, 5. 12. 1918, Bad. Staatsm.-Prot. vom 4. 12. 1918, Bad. GLAK. - Zur Frage der Sozialisierung speziell vgl. Bad. Staatsm.Prot. vom 21. 11. 1918, Bad GLAK. - Zur Stellung Bayerns zur Finanzordnung: Schieck, Hans: Der Kampf um die deutsche Wirtschaftspolitik nach dem Novemberumsturz 1918, Diss. phil. Masch. Heidelberg 1958, S. 108 - Das am 30. Dezember 1918 von dem RdV veröffentlichte Steuerprogramm ruft Widerspruch bei sämtlichen Mittelstaaten hervor. S. RdV-Prot. vom 31. 12. 1918, S. 135 - In dieser Sitzung weist Ebert ebenfalls auf die Schwierigkeiten hin, die die süddeutschen Staaten bei der Erfüllung der Waffenstillstandsbedingungen bereiten. Während die Ablieferung des Eisenbahnmaterials "im Norden glatt vonstatten geht, funktioniert sie im Süden gar nicht, weil die süddeutschen Staaten, namentlich Bayern, sich einfach weigern, ihr Material abzuliefern" . 9 Bad. Staatsm.-Prot. vom 30.12.1918, Bad GLAK Vgl. zur Konferenz vom 27./28. 12. 1918 Karl Schwend: Bayern zwischen Monarchie und Diktatur, München 1954, S. 54 ff.

11. Das improvisierte Reich-Länder-VerhäItnis

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2. Die Einsetzung der preußischen Regierung und ihr Verhältnis zum Reich Die süddeutschen Regierungen sind nach dem Zusammenbruch bald wieder voll zu beachtende politische Potenzen. Von eigenem politischem Gewicht kann dagegen bei der preußischen Regierung - gerade wenn man sie vor dem Hintergrund der politischen Aktivität in Süddeutschland betrachtet - nicht die Rede sein. Preußen ist ungleich stärker vom Zusammenbruch betroffen als die süddeutschen Staaten, und die Berliner Unruhen hemmen die Tätigkeit der preußischen Regierung genauso wie die der Reichsregierung. Von der Verfassungswirklichkeit her gesehen ist der Status Preußens kaum mit dem eines anderen Staates zu vergleichen. Aber auf die Dauer gewinnt auch Preußen Bedeutung für die Restabilisierung der alten Länderordnung. Für die Wiederaufrichtung des preußischen Staates bedeutet es einen ersten entscheidenden Schritt, daß sich überhaupt eine neue preußische Regierung bildet. Daß gerade hierfür die Revolutionszentralgewalten RdV und Vollzugsrat verantwortlich sind, hat ihnen nicht selten Kritik eingetragen1o . Der Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte Groß-Berlins nimmt anfänglich für sich "nicht nur das Recht der Kontrolle in Anspruch, sondern auch das Recht der Legislative und Exekutive"1t, und zwar im Reich und in Preußen. Dementsprechend heißt es im ersten Aufruf vom 10. November "An die Einwohner und Soldaten Groß-Berlins!" u. a.: "Alle kommunalen, Landes-, Reichs- und Militärbehörden setzen ihre Tätigkeit fort. Alle Anordnungen dieser Behörden erfolgen im Auftrage des Vollzugsrates des Arbeiter- und Soldatenrats. Jedermann hat den Anordnungen dieser Behörden Folge zu leisten12." Aber wie im Reich bildet sich auch in Preußen eine konkurrierende Zentralgewalt, die - ihrer Verordnung vom 14.11.191813 nach - die "Zuständigkeiten, die nach den bisherigen Bestimmungen von der Krone und vom Staatsministerium ausgeübt wurden", für sich als preußische Regierung beansprucht. Führende preußische Politiker der SPD und USPD vereinbaren - entsprechend den Vorgängen in den übrigen Freistaaten - ein gemeinsames politisches Kabinett, das wie die provisorische Reichsregierung aus sechs Volksbeauftragten bestehen solL Die vereinbarte Regierung bittet daraufhin am 11. November den Vollzugsrat um ihre Bestätigung. Dem Vollzugsrat schmeichelt der Achtungs10 Siehe z. B. Rosenberg, Arthur: Weimarer Republik, S. 308. 11 Müller, Richard: Republik, Bd. 2, S. 55. 1Z Der Aufruf ist zit. nach: JeHinek, Walter: Revolution und Reichsverfassung / Bericht über die Zeit vom 9. November 1918 bis zum 31. Dezember, in: Jb. des äff. Rechts der Gegenwart, Bd. 9, Tübingen 1920, S. 20 f. 13 GS. S. 189.

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erweis1\ aber zu der wichtigen Entscheidung zieht er den RdV hinzu. Bei der gemeinsamen Beratung wird der Gedanke vorgetragen, den RdV entsprechend der doppelten Aufgabe des Vollzugsrates mit den Funktionen der preußischen Regierung zu betrauen und die Verwaltung durch Kommissare leiten zu lassen. Der Volksbeauftragte Emil Barth (USPD) berichtete: "Ich führte an, daß es mir unbegreiflich sei, daß jemand, der sich Revolutionär nenne, noch von Preußen reden könne. Die Revolution bedeute für mich das unitare Deutschland und der erste Partikulatismus, der zerschlagen werden müsse, sei der preußische, der auch der stärkste und der gefährlichste sei. Für Preußen können nicht einmal mehr Minister ernannt werden, viel weniger Volksbeauftragte, sondern nur Kommissare, die bis zur Liquidierung die preußischen Geschäfte leiten15." Ebert lehnt dies jedoch ab, um das Verhältnis der Reichsregierung zu Bayern nicht zu sehr zu belastenu. Im übrigen wird Barth, der sich mit seiner Stellungnahme besser als sein Ruf erweist, von den anderen Volksbeauftragten nicht ernst genommen; sie halten ihn höchstens für kompetent zum Abwiegeln von unbequemen Arbeitern, Soldaten und Räten. Max Cohen, führendes Vollzugsrats- und Zentralratsmitglied, erkennt das Votum Barths später auf dem Ir. Rätekongreß nachdrücklich an11• Aber nach der Beratung stimmt auch der Vollzugsrat, der den RdV ohnehin nicht zu stark machen möchte, dem Vorschlag nicht zu. Erst der Zentralrat ist der Meinung, daß "es besser gewesen" wäre,,, wenn nach dem Siege der Revolution Preußen zunächst als Reichsland"18 erklärt wäre; aber er hat über diese Frage leider nicht mehr zu befinden. Am 11. November erteilen beide Zentralorgane bei der gemeinsamen Abstimmung der preußischen Regierung die gewünschte Bestätigung. Gegen die Neubildung stimmt nur Barth19. Die preußische Landesregierung beginnt ihre Tätigkeit unter Vorsitz von Paul Hirsch (SPD) und Heinrich Ströbel (USPD) am 12. November und löst damit die drei Minister (außer Kriegsminister Scheüch) ab, die unter Leitung des Vizepräsidenten Dr. Friedberg die Geschäfte über den Rücktritt ihrer Kabinettskollegen am 9. November hinaus weitergeführt haben. Die innere Organisation der preußischen Landesspitze entspricht insofern der der Reichszentrale, als auch hier die Entscheidung der zenU

15

S.7l.

Müller, Richard: Republik, Bd. 2, S. 56.

Barth, Emil: Aus der Werkstatt der deutschen Revolution, Berlin o. J.

18 Holborn, Hajo: Prussia and the Weimar Republic, in: Social Research, Nr. 23, New York 1956, S. 33l. 11 II. Räte-Kongr.-Prot., S. 160. 18 So das Vollzugsrats- und Zentralratsmitglied Schäfer, Heinrich: in seinen "Tagebuchblättem eines rheinischen Sozialisten", Bonn 1919, S. 106. 19 Barth: Revolution, S. 71.

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tralen politischen Anliegen dem "politischen Kabinett" von sechs (zunächst fünf) Volksbeauftragten 20 zufällt, der "Preußischen Regierung". Im Gegensatz zu den Volksbeauftragten des Reiches, unter denen noch in der Mehrzahl bürgerliche Staatssekretäre als Fachminister fungieren, verwalten die preußischen Volksbeauftragten die wichtigsten Ressorts der preußischen Zentrale in eigener Regie. Allerdings wird dieser Vorteil wieder aufgehoben durch die doppelte Besetzung der Ämter - mit einem Minister von der SPD und einem von der USPD; denn diese Einrichtung führt häufig zur Direktionslosigkeit der konservativen Ministerial be am ten. Die innere Geschäftsführung der preußischen Regierung wird weit mehr als die des RdV durch die Gegensätze zwischen beiden sozialdemokratischen Parteien gestört. Weder Hirsch noch Ströbel vermögen wie Ebert die Führung des Kabinetts zu übernehmen; die stärksten Persönlichkeiten sind nicht diese formalen Leiter, sondern das Mitglied des SPD-Vorstandes, der Landwirtschaftsminister Otto Braun, und der "robuste"21 Kultusminister Hoffmann. Es dauert z. B. bis zum 27. November, bis sich die Volksbeauftragten über die Besetzung sämtlicher Minister- und Beigeordnetenposten und über die Heranziehung von Bürgerlichen als Fachleute geeinigt haben, während die Personalfragen in der Reichsregierung im wesentlichen schon am 16. November geregelt sind. Das Gesamtministerium, das sich aus den Mitgliedern der Preußischen Regierung und den übrigen Ressortministern zusammensetzt und dem nach der Geschäftsordnung22 eine beratende Funktion zukommt, hat überhaupt nur einmal, und zwar am 15. November, getagt. Die Regierung - als Kabinett - tagt in der Folgezeit bis zum 3. Januar - soweit nachweisbar23 - nur dreimal. In der anomal konstruierten, ungünstig besetzten und dementsprechend kaum funktionierenden preußischen Staatsleitung kann ein eigener, einheitlicher Staatswille nur schwer zustande kommen. Tatsächlich reduziert sich auch die Politik Preußens in den ersten Monaten - soweit sie nicht von den Parteigremien organi20 Vgl. Otto Braun: Von Weimar zu Hitler, New York 1940, S.42. - Zur Bezeichnung der Mitglieder der preußischen Regierung und der Reichsregierung als "Volksbeauftragte": Die Regierungsmitglieder sind vom Vollzugsrat sämtlich als "Volksbeauftragte" berufen; die preußischen lehnen jedoch in ihrer Regierungspraxis die "Moskauer Importe" von vornherein ab (a. a. 0., S. 42) zugunsten der Bezeichnung "Minister" und "Preußische Regierung", die Reichsleitung benennt sich nach dem Ausscheiden der Unabhängigen sofort von "Rat der Volksbeauftragten" auf "Reichsregierung" um. (RdV-Prot. v. 30.12.1918) 21 Braun: Weimar, S. 20. 22 Rietdorf, Fritz: Das preußische Staatsministerium im Wandel der preußischen Verfassungsgeschichte. Diss. Jur. Göttingen 1939, S. 94 Anm. 3. 23 Auf Grund der Sitzungsprotokolle.

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siert wird - weitgehend auf eine verwaltende Tätigkeit von den einzelnen Fachressorts her. Das Verhältnis der preußischen Sozialdemokratie zum preußischen Staat, den sie mit dem Zusammenbruch übernimmt, ist zwiespältig. Es ist zunächst bestimmt von der Vorstellung des Einflusses der Reaktion auf Preußen und der "preußisch-deutschen Militärautokratie", der Herrschaft "der brutalsten Herrenmenschen", der "preußischen Kraut- und Schlotjunker", der "Junkersippe", die nun endlich im November zu Ende geht. Jedoch bei aller Distanzierung von diesem reaktionären Preußen ist auch - und wegen der Unterdrückung vielleicht gerade - bei der preußischen Sozialdemokratie das Bewußtsein der Macht vorhanden, die der preußische Staat über den Zusammenbruch hinaus zu vermitteln vermag. Diese beiden Gedanken bestimmen die besonders in den ersten Jahren der Weimarer Republik lebhafte Auseinandersetzung innerhalb der Sozialdemokratie über die Rolle Preußens in Deutschland. - Auch die beiden preußischen Ministerpräsidenten Hirsch und Braun beginnen ihre Erinnerungen - "Der Weg der Sozialdemokratie zur Macht in Preußen" und "Von Weimar bis Hitler" - mit dem Hinweis auf das reaktionäre Preußen. Braun beleuchtet zugleich in anschaulicher Weise das alte preußische Machtpotential. Er betont u. a. 24 : " ••• von den 540857 qkm deutsches Reichsgebiet entfielen 350 555 qkm allein auf Preußen und von den 67 883 000 Einwohnern Deutschlands lebten 42 364 000 in Preußen. Kohle und Eisen, die wichtigsten Grundstoffe der hochentwickelten deutschen Industrie, wurden fast ausschließlich auf preußischem Boden gewonnen, die preußische Landwirtschaft bildete die Ernährungsgrundlage des deutschen Volkes, besonders seiner Brotversorgung. Dieser Staat, der für das Kultur- und Wirtschaftsleben des Reiches von so überragender Bedeutung war, ... hatte eine straff organisierte, mustergültige Verwaltung; er verfügte über eine gut durchgebildete, unbestechliche Beamtenschaft in Justiz und Verwaltung, die ihm das Gepräge eines wohlgeordneten Rechtsstaates gaben." - Was nun freilich das Machtpotential anbelangt, das Preußen kraft seiner Größe, Bevölkerungszahl, wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, seines mächtigen, wenn auch im Augenblick in Unordnung gebrachten Staatsapparates noch immer darstellt: darüber verfügt in dieser Zeit - soweit das nach dem Umsturz überhaupt möglich ist - nicht so sehr die preußische Regierung als vielmehr die Reichszentrale. Der Sonderstatus der preußischen Regierung in der übergangszeit findet seinen deutlichsten Ausdruck in der Identität des überwachungsorgans des RdV mit dem der preußischen Regierung. Die Kompetenzen des Vollzugsrates gegenüber dem RdV und der preußischen Landes2. Braun:

Weimar, S. 20.

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regierung werden in der nach langen Auseinandersetzungen am 23. November zwischen RdV und Vollzugsrat zustande gekommenen Vereinbarung u. a. folgendermaßen fixiert: ,,4. Die Berufung und Abberufung der Mitglieder des entscheidenden Kabinetts der Republik und - bis zur endgültigen Regelung der staatlichen Verhältnisse - auch Preußens erfolgt durch den zentralen Vollzugsrat, dem auch das Recht der Kontrolle zusteht. 5. Vor der Berufung der Fachminister durch das Kabinett ist der Vollzugsrat zu hören25 ." Der Vollzugsrat setzt sich zunächst nur aus Großberliner Mitgliedern zusammen; er ergänzt sich aber am 22. November durch Mitglieder aus den nichtpreußischen Freistaaten, am 10. Dezember durch einen Delegierten der A- und S-Räte vom Niederrhein (Heinrich Schäfer) und durch weitere Frontvertreter. Während anfangs der gesamte Vollzugsrat die preußischen Angelegenheiten behandelt, bekommt bei der Aufgliederung seines Arbeitsbereiches in vier Ressorts am 29. November eine Abteilung speziell diese zugewiesen 28 • Die Abteilungen arbeiten selbständig, nur besonders wichtige Fragen bedürfen der Beschlußfassung durch das Plenum. Wie Preuß sehr richtig aus der Rückschau feststellt 27, ist die Verbindung zwischen dem Vollzugsrat und der preußischen Regierung nur äußerlich. Auch die Zusammenarbeit von Reichs- und preußischer Regierung ist nur wenig vom Vollzugsrat beeinflußt. Wenn man von der Berufung der preußischen Regierung absieht, bei der der Vollzugsrat den RdV hinzuzieht und Gesichtspunkte der Gesamt-Reichspolitik erörtert werden, hat der Vollzugsrat keine Bedeutung als Koordinationszentrale gewonnen. Seiner Legitimation, der Qualifikation seiner Mitglieder, seiner Machtbasis nach und außerdem auf Grund der parteilichen Zerrissenheit, die ihn bald lähmt, ist er nicht in der Lage, seine Möglichkeiten auszunutzen; immerhin ist die überwachung der beiden Regierungen durch ein "Parlament" ein Schritt auf den Reichslandstatus hin. Der später vom Reichs-Rätekongreß anstelle des Vollzugsrates rein aus der MSPD gewählte Zentralrat ist politisch mindestens so bedeutungslos wie der Vollzugsrat. Es finden gemeinsame Sitzungen von Zentralrat und preußischen Ministern statt, ohne daß der Zentralrat jedoch einen nennenswerten Einfluß ausübt. 25 Dokum. und Material. der SED, S. 575. In der Abmachung vom 9. Dezember erreicht der RdV noch eine geringfügige Veränderung zu seinen Gunsten, die aber diese Punkte nicht betrifft. 28 Die übrigen Abteilungen: Reichspolitik, Großberliner Angelegenheiten, interne Angelegenheiten des Vollzugsrates. 27 Preuß, Hugo: Verfassung des Freistaates Preußen, vom 30. November 1920, in Jb. des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 10, Tübingen 1921,

S. 222 f.

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Wichtiger als diese institutionelle Verbindung zwischen Reich und Preußen ist das tatsächlich enge Verhältnis zwischen dem RdV und der preußischen Regierung, in denen sich die gemäßigte SPD-Richtung schon in den ersten Tagen durchsetzt, im Gegensatz zum Vollzugsrat, wo USPD und radikalerer Flügel der SPD zusammentreffen. Zugleich bindet das Interesse, das sich aus der Position der preußischen Regierung ergibt. Der RdV ist der natürliche Verbündete gegenüber dem Vollzugsrat und dem Zentralrat und zur Durchsetzung im eigenen Staat. Schon der am 13. November veröffentlichte Aufruf der preußischen Regierung28 zeigt die politische übereinstimmung und betont den Willen zur Zusammenarbeit mit dem Reich. Die preußische Regierung stellt fest, daß sie "ihre erste Aufgabe darin" sieht, "im engen Zusammenhang mit der neuen Reichsleitung für die Ordnung und Sicherheit im Lande und für die Volksernährung zu sorgen". Die gemeinsame Sorge für "Ordnung und Sicherheit" zeigt sich gegenüber den Streiks und Lohnforderungen der Arbeiter,29 bei den Unruhen in Rheinland/Westfalen und in Berlin30, bei der Ausschaltung der Räte zugunsten der Autorität des überkommenen Staatsapparates3 t, im Zusammenwirken gegenüber den Abtrennungsbestrebungen vom preußischen Staat3! und in der Ostpolitik. Die Hauptschritte der Rätepolitik der preußischen Regierung sind: Sie verhindert die Entwicklung der preußischen Räte zu einem eigenen Verwaltungssystem, indem sie sie mehr und mehr in die Abhängigkeit vom überkommenen Apparat drängt - vor allem in finanzieller Hinsicht; sie verteidigt das Verwaltungsmonopol der alten Behörden, sie schränkt das Kontrollrecht der Räte ein und löst sie schließlich 1919 auf. Das erfolgt mit Rückendeckung durch die Reichszentrale 33 • Die preußische Regierung begegnet bei ihrer Rätepolitik selbstverständlich der Opposition des Vollzugsrates. Im November kommt es zu einer Kontroverse wegen der Absetzung von Beamten durch Räte. Sie endet zunächst am 23. November damit, daß das Recht der Räte, Verwaltungsstellen neu zu besetzen, von dem Einverständnis der "revolutionären Regierung" ab28 GS. S. 187. 29 Müller-Franken, Hermann: Die Novemberrevolution / Erinnerungen, Berlin 1928, S.203; Buchner, S.323; Schumann, Wolfgang: Oberschlesien 1918/19 / Vom gemeinsamen Kampf deutscher und polnischer Arbeiter, Berlin 1961, S. 135, 139 ff., passim. 30 Fischer, Anton: Die Revolutionskommandantur, Berlin o. J. S.28, 41, 50, 55, passim; Oehme, Walter: Damals in der Reichskanzlei / Erinnerungen aus den Jahren 1918/1919, Berlin 1958, S. 184 ff. 31 Müller, Richard: Republik, S.60 u. passim, KoZb: Arbeiterräte, passim. 32 Siehe unten. 33 Siehe Schreiben des Staatssekretärs des Reichsjustizamtes vom 8. 1. 1919 an die preußische Regierung etc., DZA Merseburg, Rep. 120 All Nr. 5 Bd. 4 - Vgl. zu diesem Abschnitt insbesondere Kolb: Arbeiterräte, S. 262-274.

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hängig gemacht wird. In einem Erlaß des PrMdI vom 20. Dezember an die Ober- und Regierungspräsidenten - also nach der Entscheidung des Reichsrätekongresses zugunsten des RdV und der preußischen Regierung - wird den A- und S-Räten jedes Neubesetzungsrecht abgesprochen und die Amtsenthebung von Landräten und Bürgermeistern an die vorherige Zustimmung des Innenministeriums gebunden. In den Fragen der Ernährungspolitik tritt das Landwirtschaftsministerium den Haupteinfluß an das Reichsernährungsamt ab, wobei es das geringe ihm hier verbleibende Gewicht in der übergangszeit nicht gegen die Reichspolitik einsetzt. Braun stellt nach seinen eigenen späteren Worten 34 beim Amtsantritt "das Steuer sichtbar" um "von agrarkonservativer Interessenpolitik auf eine dem Gemeinwohl dienende Produktionspolitik, die die Sicherung und Hebung der Volksernährung zum Ziel" hat. Die Reichsverordnung über die Sicherung der Acker- und Gärtenbestellung vom 4.2.1919 35, die eine Enteignung bei ungenügender Bestellung vorsieht, ist gemeinsam vom Reichsernährungsamt und dem Landwirtschaftsministerium ausgearbeitet und wird auch bei der Nachberatung in der VNV gemeinsam vom ehemaligen Staatssekretär des Reichsernährungsamtes Wurm (USPD) und von Braun verteidigt 38 • Eine Entscheidung zugunsten der Sozialisierung trifft die preußische Regierung genausowenig wie der RdV, wenn sie in ihrem Aufruf von der "Vergesellschaftung der dazu geeigneten industriellen und landwirtschaftlichen Großbetriebe" spricht. Ausschlaggebend ist auch hier die Meinung der SPD-Mitglieder, daß weitreichende Entscheidungen nur von einem demokratisch gewählten Parlament ausgehen können. über den zukünftigen Status Preußens herrscht in der "vorläufigen Regierung" zunächst noch keine bestimmte Meinung. Im Aufruf heißt es: "Preußen ist wie das Deutsche Reich und die anderen deutschen Bundesstaaten zum freien Staate geworden. Aufgabe der preußischen Landesregierung ist, das alte von Grund auf reaktionäre Preußen so rasch wie möglich in einen völlig demokratischen Bestandteil der einheitlichen Volksrepublik zu verwandeln." Dies wird als Erklärung der preußischen Regierung zugunsten des Einheitsstaats verstanden worden sein. Die Bezeichnung "einheitliche Volksrepublik" wird damals oft synonym mit Einheitsrepublik gesetzt, wie auch in dem Aufruf der sächsischen Regierung vom 18. November; überdies hat der preußische Justizminister und Staatsratsvorsitzende von Anhalt Heine- nach dem Hinweis Cohens auf dem Ir. Rätekongreß37 - in diesen Tagen eine Erklärung abgegeben, 34

35 38

Braun: Weimar, S. 49. RGBl. S. 177. VNV-Prot. Bd. 326, 1. 3. 1919. Rede Wurms S. 427 tI.; Rede Brauns S. 423 tI.,

434 tI.; Braun spricht wie Wurm als VNV-Abgeordneter. 37 II. Rätekongr.-Prot. S. 160. .

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die das bestätigt. Jedoch stellt die preußische Regierung daneben im Aufruf ausdrücklich fest: "über die künftigen Staatseinrichtungen Preußens, seine Beziehungen zum Reich, zu den anderen deutschen Staaten und zum Ausland wird eine verfassunggebende Versammlung entscheiden"; und damit ist, wie der Zusammenhang deutlich zeigt, eine preußische Versammlung gemeint. Die Frage der Landesversammlungen steht auf der Reichskonferenz vom 25. November zunächst ganz allgemein zur Diskussion. Der Beigeordnete im Reichsamt des Innern Dr. Herzfeld stellt den Antrag SS , die Konferenz möge erklären, "daß die konstituierenden Versammlungen in den Einzelstaaten erst nach Erlaß der Verfassung durch die Nationalversammlung des Reiches berufen werden können". Er erregt jedoch lebhaften Widerspruch. Selbst der gemäßigtere Vorschlag des Volksbeauftragten Haase, die Wahlen zu den Landesversammlungen nicht vor den Wahlen zur VNV vorzunehmen, findet keine Annahme. Preußen, das sich auf dieser Konferenz allgemein sehr zurückhält, äußert sich nicht. - Preuß trägt den Vorschlag Haases am 28. November noch einmal den stimmführenden Bevollmächtigten zum Bundesrat vor. Gegenüber den eigenwilligen süddeutschen Staaten und auch - was allerdings bedeutungslos ist - gegenüber Braunschweig, Anhalt und Mecklenburg-Strelitz bleibt dies Ersuchen weiterhin erfolglos39 • Bei dieser Reaktion der Freistaaten spielen föderalistische und parteipolitische Motive eine Rolle. Das Reichsamt des Innern hat grundsätzlich die Absicht, die Bewegungsfreiheit der VNV gegenüber den Einzelstaaten nicht zuungunsten des Einheitsstaates durch öie Landesversammlungen einschränken zu lassen. Der Unitarismus des USPD-Führers Haase und des gleichfalls der USPD angehörenden Beigeordneten im Reichsamt des Innern Dr. Herzfeld muß jedoch vielen Sozialdemokraten als reines Parteimanöver erscheinen, schlimmstenfalls als Unterstützung des "Spartakismus", mindestens aber als neue Aufmachung der Ablehnung, die eine baldige Einberufung der Parlamente durch die USPD ohnehin allgemein erfährt40 • Die preußische Regierung vermag in der ersten Zeit zu dem Problem der Wahl und Einberufung der preußischen Landesversammlung, das Zum Konferenzprotokoll s. Anm. 7. Die Wahlen zu den Landesparlamenten finden statt: in Anhalt am 15. 12. 1918, in Braunschweig am 22. 12. 1918, in Mecklenburg-Strelitz gleichfalls im Dezember, in Baden am 5. 1. 1919, in Württemberg und Bayern am 12. 1. 1919. 40 Obgleich sich der erste Rätekongreß am 19. 12. 1918 in einer widerspruchslos angenommenen Resolution für den Einheitsstaat eingesetzt hat, erfährt der von der USPD-Seite am 20. 12. 1918 - nach der Entscheidung der Mehrheit am 19. 12. 1918 zugunsten der Wahl zur VNV am 19. 1. 1919 - mit unitarischen Beweggründen vorgetragene Antrag, keine Landtagswahlen stattfinden zu lassen, nach SPD-Gegenerklärungen eine Ablehnung. 1. Rätekongr.-Prot. S. 155 ff. 38 39

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weit bedeutsamer ist als das der anderen Landesparlamente, überhaupt keinen genauen Standpunkt einzunehmen. Zwischen den USPD-Ministern und SPD-Ministern treten gerade in dieser Frage Meinungsverschiedenheiten zutage41 , und zwar zunächst aus dem gleichen parteipolitischen Anlaß wie im RdV wegen der VNV. Bemerkenswerterweise erhalten die USPD-Minister in diesem Fall im Vollzugsrat nicht nur von der USPD,sondern auch von seiten der SPD Unterstützung. Gerade hier ist man sich - im Gegensatz zu den SPD-Ministern - der Tragweite einer Entscheidung über die preußische Landesversammlung bewußt, wie eine Stellungnahme des Vollzugsratsmitgliedes Max Cohen von der SPD in den "Sozialistischen Monatsheften" am 26. Novemberu zeigt. Er schreibt: "In jedem Fall ... ist es vollkommen überflüssig, neben der gesamtdeutschen Konstituante nun noch eine besondere preußische zu berufen. Das schafft lediglich neue Verwirrung und kann zur Gefährdung des Einheitsgedankens führen. Preußen muß vor allem in Deutschland aufgehen. Was soll da noch eine preußische Nationalversammlung, wenn die gesamtdeutsche zusammentritt? Sie könnte nur neue partikularistische Tendenzen begünstigen, die auch innerlich zu überwinden wir gerade durch unsere politischen Methoden trachten müssen. Weg daher mit einer preußischen Nationalversammlung! Hier ist nur mehr Raum für die Nationalversammlung Großdeutschlands. Für den politischen Neuaufbau darf der alte historische Staatengesichtspunkt keinerlei Geltung mehr haben." Schon jetzt bedauert er die Einsetzung der preußischen Regierung, "deren Schwergewicht erheblich größer ist als das der übrigen deutschen Staaten": "Es ist nicht ganz sicher, daß sich eine sozialdemokratische preußische Regierung zugunsten der gesamtdeutschen Republik ebenso schnell wird entfernen lassen, wie das mit der königlich preußischen Regierung in diesen Tagen geschehen ist." Wenn die Verordnung über die Wahlen zur Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, die sich eng anlehnt an das vom RdV am 30.11.1918 ergangene Reichswahlgesetz, erst am 21.12.1918 erlassen werden kann - unmittelbar nachdem der 1. Rätekongreß am 19. Dezember eine neue Räte-Zentralinstanz mit dem Zentralrat bestimmt hat und am 20. Dezember allgemein über die Frage der Wahl von Landesversammlungen positiv entschieden hat -, so liegt das wahrscheinlich an der Opposition des Vollzugsrates. Der Zentralrat versucht noch im Februar, die Verschiebung der Einberufung des Preußischen Landesversammlung bis zur Fertigstellung der Reichsverfassung zu erreichen; aber auch in diesem Fall setzt sich die preußische Regierung gegenüber dem Zentralrat durch. CI

42

Paul: Der Weg der Sozialdemokratie, S. 117. "Sozialistische Monatshefte", 51. Bd., 1918, 11, S.1042 ff.

Hirsch,

, Eimers

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Der in Aussicht genommenen preußischen Landesversammlung gilt selbstverständlich von Anfang an das besondere Interesse des Staatssekretärs des Reichsamts des Innern Dr. Preuß. Der Artikel in den Sozialistischen Monatsheften könnte durchaus vom Reichsamt des Innern über den SPD-Beigeordneten Max Quarck, der wie Cohen dieser Zeitschrift nahesteht, mit angeregt sein. Preuß hat wahrscheinlich schon im November mit dem PrMdI Kontakt aufgenommen wegen der Wahl und der Einberufung der im Aufruf vom 13. November angekündigten verfassunggebenden Versammlung. Er weist in seinem Schreiben vom 8. Dezember an das PrMdI43 darauf hin, daß sich die Innenminister Hirsch (SPD) und Dr. Breitscheid (USPD) bei Besprechungen mit ihm zu der Auffassung bekannt haben, daß die Parlamente Preußens und des Reiches nicht zur gleichen Zeit tagen dürfen, "weil einander widersprechende Beschlüsse dieser beiden größten Parlamente Deutschlands eine Klärung über die grundsätzliche Neugestaltung Deutschlands aufs äußerste beeinträchtigen, wenn nicht ganz in Frage stellen würden. Angesichts der vielfach jetzt zutage tretenden Bestrebungen, die den Beschlüssen der Nationalversammlung vorgreifen könnten, muß ich entscheidendes Gewicht darauf legen, daß dieser Standpunkt festgehalten wird. Euer Exzellenz würde ich daher für eine tunlichst umgehende Bestätigung darüber dankbar sein, daß die preußische Regierung nicht die Absicht hat, die verfassunggebende Landesversammlung für Preußen früher wählen und zusammentreten zu lassen, als bis in der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung die Grundlagen für die künftige Gestaltung Deutschlands festgelegt sind." - Diese umgehende Bestätigung bleibt schon deshalb aus, weil die preußische Regierung selbst noch keinen Standpunkt bezogen hat. Im übrigen entscheidet die preußische Regierung entgegen dem Wunsch von Preuß in der Frage der Wahl der neuen preußischen "Nationalversammlung" am 12. Dezember", daß sie schon eine Woche nach der Wahl der VNV durchgeführt werden soll. Der zu diesem Beschluß vorgeschlagene Zusatz "vorbehaltlich der Zustimmung des Zentralrats der A- und S-Räte" wird mit den drei Stimmen der SPD-Vertreter gegen die Stimmen der beiden USPDVertreter abgelehnt. Die SPD-Minister nutzen bei dieser Sitzung erfolgreich die Abwesenheit des erkrankten Adolf Hoffmann aus, um dem Ziel baldiger Wahlen näherzukommen45 • Aber an eine Einigung über DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 496 a Nr. 187 Bd. 1. Preuß. Staatsm.-Prot. vom 12. 12. 1918, DZA Merseburg. 46 Die beiden USPD-Volksbeauftragten, der Mitleiter der Regierung Ströbel und der Justizminister Rosenfeld, haben zunächst vergebens versucht, durch einen Antrag auf Vertagung wegen der Erkrankung Hoffmanns der Entscheidung auszuweichen, akzeptieren dann jedoch die Festsetzung des Wahltermins; denn Gegenstimmen dazu verzeichnet das Protokoll nicht. Allgemein erleichtert es den SPD-Volksbeauftragten die Arbeit sehr, daß Ströbel und Rosenfeld nicht so extrem wie Hoffmann auftreten. 43

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den Termin der Einberufung der "Nationalversammlung" ist bisher noch nicht zu denken. Ein als Antwort an Preuß entworfenes Schreiben4S, in dem versichert wird, daß die "Nationalversammlung" erst einberufen werden soll, wenn die Arbeiten der VNV genügend vorangeschritten sind, geht nicht ab. Preuß drängt weiter auf eine Entscheidung. Er wiederholt am 19. Dezember47 : "Ich halte es nach wie vor für ausgeschlossen, daß die preußische Landesversammlung gleichzeitig mit der verfassunggebenden Nationalversammlung tagt, und darf Euer Exzellenz erneut dringend ersuchen, mir eine Mitteilung darüber zugehen zu lassen, daß die Einberufung der verfassunggebenden Landesversammlung für Preußen im Sinne meines Schreibens vom 8. Dezember 1918 hinausgeschoben wird." - Erst am 31. Dezember raffen sich die preußischen Innenminister Hirsch und Breitscheid endlich zu einem Antwortschreiben48 auf, aber auch das klärt die Situation nicht. Sie betonen in dem ihnen eigenen Stil: "So wenig die preußische Regierung ... beabsichtigt, die preußische Landesversammlung ohne geeigneten Anlaß zugleich mit der Nationalversammlung tagen zu lassen, so sehr muß sie andererseits doch Wert darauf legen, in ihren Entscheidungen in dieser Hinsicht freie Hand zu behalten. Bei der Neugestaltung der Verhältnisse im Reich werden Lebensinteressen des preußischen Staates berührt werden. Wir dürfen nur auf Ew. pp. bekannten Bestrebungen hinweisen, die territoriale Unversehrtheit des preußischen Staatsgebiets anzutasten. Es wird daher unter Umständen unbedingt (! - Verf.) notwendig sein, dem preußischen Volke die Möglichkeit zu geben über das Geschick seines engeren Vaterlandes durch die Landesversammlung selbst zu entscheiden. Die von Ew. pp. befürchteten Schwierigkeiten dürften sich am besten vermeiden lassen, wenn die Vorbereitung der der Nationalversammlung zu machenden Vorlagen, insbesondere der neuen Reichsverfassung, in enger Fühlungnahme mit den preußischen Behörden erfolgen würde." - Hirsch und Breitscheid verknüpfen die Angelegenheit hier also mit der Frage der Abtrennungsbestrebungen und der Frage der Beteiligung Preußens an den Reichsverfassungsarbeiten und anderen Reichsvorlagen, und durch die Mitwirkung Preußens glauben sie in Zukunft Gegensätze vermeiden zu können. - Preuß geht in seiner Denkschrift vom 3.1. 1919 noch einmal besonders auf die Gefahr eines Dualismus zwischen der preußischen Landesversammlung und der VNV ein'9: DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 496 a Nr. 187 Bd. 1. Schreiben des Staatssekretärs des Reichsamts des Innern an das PrMdI vom 19. 12. 1918. DZA Merseburg, Rep 77 Tit. 496 a Nr. 187 Bd. 1. 48 Konzept des Schreibens des PrMdI an den Staatssekretär des Reichsamts des Innern vom 31. Dezember. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 496 a Nr. 187 Bd.l. 49 Preuß, Hugo: Entwurf der künftigen Reichsverfassung, hg. im Auftrage des Reichsamts des Innern, Berlin 1919, S. 13. 48

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"Die Widernatürlichkeit und der politische Widersinn des Nebeneinanderbestehens der unvollkommenen staatlichen Einigung von 40 Millionen Deutschen neben der vollkommeneren staatlichen Einigung der 70 Millionen zeigt sich symptomatisch in dem drohenden Nebeneinander einer deutschen und preußischen Nationalversammlung ... Schon im Jahre 1848, als die Zahlen und Machtverhältnisse noch bei weitem nicht so ungünstig lagen, war der Dualismus zwischen der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt und der preußischen Nationalversammlung in Berlin ein wesentlicher Grund für das Scheitern des Verfassungswerks." Resignierend fügt er hinzu: "Man scheint auch von dieser Erfahrung in Deutschland nichts gelernt zu haben." Bei der Diskussion um die Wahl und Einberufung einer preußischen Landesversammlung scheint auch der Gedanke, die in Preußen gewählten Abgeordneten zur VNV gleichzeitig als preußische Landesversammlung fungieren zu lassen, wieder aufgetaucht zu sein, ohne daß ihn allerdings irgendeine Seite ernsthaft verfolgt. Innenminister Hirsch benutzt ihn rein taktisch bei der Besprechung der Wahlverordnung im Reichsamt des Innern am 28. 11. 191850 • Er wendet sich gegen die Wahlbezirkseinteilung ohne Rücksicht auf preußische Grenzen - z. B. ist Thüringen zugunsten der dortigen Neugliederungsbestrebungen zu einem Wahlbezirk zusammengefaßt; im anderen Falle hätte man die in Preußen für die VNV Gewählten als Landesvertretung für Preußen zusammentreten lassen können. - Der angesichts der Vorstellungen von Preuß naheliegende Gedanke, über sofort und direkt gewählte Provinzialvertretungen dem ganz berechtigten Interesse nach parlamentarischer Kanalisierung der Interessengegensätze im Lande Rechnung zu tragen und damit eine Verschiebung der Einberufung der Landesversammlung zu ermöglichen, hat keine Rolle gespielt. Die Auseinandersetzung um die preußische Landesversammlung ist ein Vorspiel zum späteren grundsätzlichen Gegensatz von Reich und Preußen, eine Meinungsverschiedenheit, die erst im Licht der späteren Entwicklung Bedeutung gewinnt. Im November/Dezember, als die gegenseitigen Positionen noch nicht geklärt sind, zieht die Differenz auch keine weiteren Kreise. Der RdV hat sich mit dieser Frage nicht beschäftigt, geschweige denn speziell der Einberufung der preußischen Landesversammlung widersprochen. Ihm ist es zunächst vor allem um die Bewältigung der unmittelbar andrängenden Tagesprobleme zu tun. Genausowenig wie in der obigen Frage denkt der RdV zunächst in seinem Verhältnis zu den Sonderbestrebungen in Preußen an die Verfassungsentwicklung. Die preußische Regierung betrachtet es nach der 50 Bad. Gesandtschaftsbericht vom 29.11.1918; Bad GLAK Berlin 233/34825.

Bad. Ges.

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späteren Feststellung ihres damaligen Leiters und Innenministers Hirsch 51 als ihre "Hauptaufgabe", "den Bestrebungen, ganze Landesteile von Preußen loszulösen, ... entgegenzuarbeiten und Preußen vor dem Auseinanderfallen zu bewahren". Diese "Hauptaufgabe" betrifft vor allem die Annexionsbemühungen ausländischer Mächte und den Separatismus, aber auch die Neugliederungsbestrebungen im Norden; dazu gehören die Vergrößerungsabsichten des "revolutionären" Hamburg, die - nach Ansicht Quarcks aus dem Reichsamt des Innern5! "alle nach der Richtung der Ausdehnung des Hamburger Großgeschäfts liegen", die Aktivität Braunschweigs zur Gründung eines Staates Niedersachsen, das Bemühen Oldenburgs um den Zusammenschluß mit dem preußischen Ostfriesland, die Bestrebungen Sachsens um die Einverleibung der Provinz Sachsen und Thüringens53 , das Ziel der Vertreter der A- und S-Räte des 36. Wahlbezirks der VNV, der Thüringer Staaten und des preußischen Regierungsbezirks Schmalkalden, "das von ihnen vertretene Gebiet zu einem Staate Thüringen als Teil der Einheitsrepublik Deutschland zusammenzufassen"54, und die landsmannschaftliche Autonomiebewegung in Preußen. Das Reich bekämpft nicht nur die reichsfeindlichen Absichten und lehnt vorläufig die Ambitionen der außerpreußischen Länder auf preußisches Gebiet ab, sondern unterstützt Preußen zunächst auch in seiner Politik gegenüber den autonomistischen Tendenzen und arbeitet da, wo es nötig erscheint, eng mit ihm zusammen. Im Lichte der späteren Entwicklung fällt hier eine wichtige Vorentscheidung. Für den RdV geht es ganz undifferenziert darum, das Reich vor dem Auseinanderfallen zu bewahren, die Gefahren für den Verwaltungsapparat abzuwehren, der bis zur Neuordnung durch die VNV in seiner überkommenen Form weiterarbeiten soll, und das Parteiinteresse zu sichern; denn innerhalb der Autonomiebewegung treten häufig antisozialistische Tendenzen hervor. Die landsmannschaftlichen Sonderbestrebungen beginnen unmittelbar mit dem Zusammenbruch Anfang November. Wie in den außerpreußischen Einzelstaaten erhebt sich in den Landschaften Preußens - mit Ausnahme Brandenburgs und Pommerns - der Ruf "Los von Berlin" und "Los von Preußen". Auch hier zeigt sich, wie sehr das Schicksal des Reiches noch immer identisch ist mit dem Preußens. Weil die preußische Regierung jedoch an der Spitze eines Einheitsstaates steht, kann sie die51 Hirsch, Paul: Der Weg der Sozialdemokratie, S. 139. Am 10.2. 1919 in den Sozialistischen Monatsheften, 52. Bd. 1919, I, unter dem Titel "Revolution und Reichsgliederung", S. 75. Vgl. hierzu auch Laujenberg, Heinrich: Die Hamburger Revolution, Hamburg 1919, S.15 f. 63 Lipinski, Richard: Der Kampf um die politische Macht in Sachsen, Leipzig 1926, S. 22 f. 54 So in dem Aufruf der obengenannten 69 Vertreter vom 10.12.1918; Schultheß. 1918, S. 559/560. S2

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sen Lostrennungsbestrebungen weit sicherer entgegentreten als die Regierung des föderativ gegliederten Reiches mit dem ohnehin starken Eigengewicht seiner Glieder. Die preußischen Staatsbehörden sind überall leicht dagegen zu mobilisieren - soweit ihre Autorität nicht völlig zusammengebrochen ist wie vielerorts im Osten. Wie die alte preußische Regierung setzt auch die neue die niederen Verwaltungsbehörden zur Beeinflussung der Presse ein 55 • Teilweise wirkt das Militär zur Unterstützung mWB. In den besonders gefährdeten östlichen Provinzen und dem Rheinland, das seit dem 6.12.1918 in seinem westlichen Teil auf Grund des Waffenstillstandsvertrages durch alliierte Truppen besetzt ist, versuchen die preußische Regierung und die Reichsregierung, neben den Direktivmaßnahmen über Aussprachen von Vertretern beider Regierungen mit den Behörden sowie den politischen und den Wirtschaftsvertretern dieser Gebiete die zentrifugalen Tendenzen vorerst aufzuhalten. Das größte Ausmaß nehmen im ersten halben Jahr nach dem Umsturz die rheinischen Autonomiebestrebungen an. Sie gehen aus von rheinischen Zentrumspolitikern, die schon seit dem 9. November in Verbindung mit dem Kölner Oberbürgermeister Adenauer die Gründung einer westdeutschen Republik innerhalb des Reichsverbandes - die territoriale Ausdehnung ist unbestimmt - betreiben. Ihre Befürworter treten am 4. Dezember in einer vielbeachteten Versammlung in Köln mit der Forderung nach einer selbständigen Republik außerhalb Preußens an die Öffentlichkeit; nach der Resolution "Fünftausend rheinischer Bürger und Bürgerinnen"57 ist einer der Gründe die "Erkenntnis der völligen Unmöglichkeit, in Berlin eine geordnete Regierung zu schaffen". Den Zentrumspolitikern gelingt es im Laufe der Zeit, auch Vertreter anderer Richtungen zur Unterstützung hinzuziehen. Das politische Organ ist zunächst eine im Rathaus in Köln tagende "interfraktionelle Kommission"58 und nach der Versammlung von 65 rheinischen Abgeordneten der VPrLv und der VNV am 1. 2.1919 in Köln unter dem Vorsitz von Adenauer59 ein sich aus Vertretern aller Parteien zusammensetzender Ausschuß80. 55 Vgl. VPrLv-Prot. Bd. 1, 24. 3. 1919, Sp. 606. 58 Vgl. VPrLv-Prot. Bd. 1,24. 3. 1919, Sp. 600. 57 Zitiert nach Klein, Peter: Separatisten an Rhein und Ruhr / Die konterrevolutionäre separatistische Bewegung der deutschen Bourgeoisie in der Rheinprovinz und in Westfalen November 1918 bis Juli 1919, Berlin 1961, S.45. 58 VPrLv-Prot. Bd. 1,22.3. 1919, Sp. 490. 59 Klein: Separatisten, S. 95. 80 Mitglieder sind: Trimborn, Schmidtmann, Dr. Heß vom Zentrum, So11mann und Meerfeldt von der SPD, Weidtmann von der DVP und Falk von der DDP. - Zu dem Ausschuß s. Moldenhauer, Paul: Von der Revolution zur Nationalversammlung / Die Fragen der rheinisch-westfälischen Republik, Bonn 1919, S.19; Klein: Separatisten, S. 98, 136 f.

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In Hannover bringen welfische Kreise, die über die Deutsch-Hannoversche Partei die "Konkursmasse" des alten "Junker-, Hohenzollernund Geheimrats-Preußen"81 in ihrem Sinne zu regulieren versuchen, eine Abtrennungsbewegung in Gang. Sie finden die Unterstützung weiterer Gruppen, und noch bei den Januarwahlen setzen sie sich unter der Parole "Los von Berlin" gemeinsam mit DNVP, DVP und Teilen der DDP für die Gründung eines selbständigen Niedersachsen ein. Auf der Seite der Befürworter der Neugliederung stehen jedoch nicht nur Bürgerliche, wie das starke Echo im sozialistisch bestimmten Braunschweig schon andeutet. In Schleswig-Holstein setzen sich gleich in den ersten Wochen nach dem Umsturz Vertreter aller Parteien für die Lösung von Preußen ein. Analog den überlegungen im Rheinland und in Oberschlesien glaubt der sozialdemokratische Führer Eduard Adler, Kiel wie viele andere Schleswig-Holsteiner, über die Autonomie Schleswig-Holsteins innerhalb des Reiches den dänischen Teil Nordschleswigs beim Reich behalten zu können. Der spätere Reichs- und Staatskommissar Dr. Köster berichtetG!: "Die schleswig-holsteinische Sozialdemokratie hat in den Revolutionstagen sich ernsthaft mit dem Gedanken der Errichtung einer ,Republik Schleswig-Holstein' getragen, hat eine provisorische Regierung (den späteren ,Volksrat') gebildet und in Berlin über die Anerkennung dieser Regierung verhandelt." Für die Reaktion des RdV ist die Äußerung Eberts vom 23. November 6s bezeichnend: "Es drohe der Zerfall des Reiches: Die Gründung der nordischen Republik, Äußerungen des bayerischen Gesandten, des Abgeordneten Fehrenbach und des Genossen Meerfeld (Rheinischer SPD-Führer - Verf.) zeigten, daß die Ablösungsbestrebungen als durchaus ernsthaft betrachtet werden müssen." Für Ebert, den RdV und den Rätekongreß - wie seine Einheitsresolution zeigt - gefährden die Sonderbestrebungen zunächst allgemein die Reichseinheit. In Ostpreußen spricht sich Anfang Dezember selbst der Oberpräsident der Provinz öffentlich für die Aufteilung Preußens aus84 ; nach Batockis Meinung fällt überhaupt die Berechtigung für ein staatliches Sonderleben eines geschlossenen Preußens fort. Er wünscht die Angleichung des Status Ostpreußens an den der übrigen Bundesstaaten und deren straffe Zusammenfassung durch das Reich. Cleinow, der Führer der Volksräte 61 So der deutsch-hannoversche Abgeordnete von Dannenberg vor der VPrLv am 24.3. 1919, VPrLv-Prot. Bd. 1, Sp. 594. 8! Köster, Adolf: Der Kampf um Schleswig, Berlin 1921, S.73, vgl. auch S.74. ea RdV-Prot. v. 23.11.1918, S. 32. 64 Am 10.12.1918 in einem Artikel in der Deutschen Allgemeinen Zeitung; nach: Horkenbach: Das Deutsche Reich von 1918 bis heute, Bd.l, Berlin 1930, S.43.

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im Netzedistrikt, erwähnt Pläne Batoclds zum engeren Zusammenschluß von Westpreußen und Posen, die die Billigung und Förderung des Staatssekretärs Preuß vom Reichsamt des Innern und des Legationsrats von Nadolny im AA, das in dieser Zeit in engem Kontakt mit den Ostprovinzen steht, erhalten hätten85 • Der besonderen Lage Ostpreußens tragen Reichs- und preußische Regierung im Januar Rechnung nach Verhandlungen mit den Provinzialbehörden, den A- und S-Räten und Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Vertretern; sie bilden eine Vorläufige Provinzialversammlung aus den Vertretern der Provinz in der VPrLv und der VNV. Die Versammlung tritt jedoch nach ihrer ersten Sitzung am 17. Februar nicht wieder zusammen. Eine erste geringe Divergenz zwischen der Reichs- und der preußischen Regierung in ihrem Verhältnis zu den gegen die Einheit des preußischen Staates gerichteten Autonomiebestrebungen deutet sich in den Bekanntmachungen vom 10. und 11. Dezember an. Die Stellungnahme des RdV vom 11. Dezember66 und die der preußischen Regierung vom 10. Dezember67 stimmen darin überein, daß sie die Wahrung der territorialen Integrität bis zur endgültigen parlamentarischen Regelung fordern. Der RdV wendet sich besonders gegen die Bestrebungen zur Gründung einer rheinisch-westfälischen Republik und allgemein gegen alle Zersplitterungsversuche, wobei die Loslösungsbestrebungen von Preußen wie vom Reich gemeint sind, und betont demgegenüber als "Ziel der großen deutschen Volksbewegung im November 1918" "die kraftvolle Zusammenfassung und Vereinigung aller Reichsteile zu einem Gemeinwesen, das die großen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufgaben der neuen Deutschen Republik einheitlich und volkstümlich regelt". Dieser Einheitsstaatsgedanke ist nicht in der preußischen Bekanntmachung enthalten. - Die preußische Regierung behält entsprechend ihrer Unentschiedenheit "die künftige staatsrechtliche Gestaltung Preußens" der "Nationalversammlung" vor, was sich nach dem allgemeinen Wortgebrauch in diesen Monaten sowohl auf die gesamtdeutsche Versammlung als auch auf die des Landes beziehen kann. Demgegenüber betont der RdV eindeutig die Zuständigkeit der "Deutschen Nationalversammlung" auch für "das Schicksal des preußischen Staates" im 65 Cleinow, Georg: Der Verlust der Ostmark / Die deutschen Volksräte des Bromberger Systems im Kampf um die Erhaltung der Ostmark beim Reich 1918/19, Berlin 1934, S.208. - Zum Wirken Nadolnys in dieser Hinsicht vgl. auch S. 209 f. 66 Schultheß 1918, S. 560. Vgl. zu diesem Aufruf den Brief des Beigeordneten im Reichsamt des Innem Dr. Quarck an den Staatspräsidenten Ulrich vom 11.12.1918, in: Ulrich, Karl: Erinnerungen des ersten hessischen Staatspräsidenten, hg. von L. Bergsträsser, Offenbach 1953, S. 214 f. 67 Schultheß 1918, S. 559.

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Rahmen der von ihr festzusetzenden Reichsverfassung und fügt hinzu: "Eine Neuregelung seines Staatsgebiets dürfte durchaus im Gange der wahrscheinlichen Entwicklung liegen." Hier zeigen sich unterschiedliche Akzente; aber noch haben Reichsund preußische Regierung nicht über den künftigen Weg entschieden.Die Ausarbeitung des Entwurfs der Reichsverfassung beginnt nach Abschluß der Vorarbeiten am 12. Dezember. Daß hierbei eine Aufgliederung Preußens zumindest ins Auge gefaßt wird, ist nach der Erklärung des RdV vom 11. Dezember bekannt. Wenige Tage später dringen die Ergebnisse der Vorbesprechungen im Reichsamt des Innern an die Öffentlichkeit68 : Insbesondere soll der den unitarischen Bestrebungen entgegenstehende preußische Staat "nach dem Muster der Batockischen Vorschläge" zerteilt werden. "Vom unitarischen Standpunkte aus war die Konferenz der Ansicht, daß an sich zum Beispiel die Bildung einer rheinisch-westfälischen Bundesrepublik durchaus begrüßenswert sei, und ebensowenig wäre dagegen einzuwenden, wenn sich z. B. Erfurt einer Bundesrepublik Großthüringen anschließen oder in Schlesien und Ostpreußen entsprechende Sonderbildungen stattfinden würden." Aus diesen Bestrebungen soll wegen der scharfen unitarischen Zusammenfassung des Reiches irgendeine Gefahr der Sonderpolitik nicht erwachsen. - Diese Pressemitteilungen konkretisiert der Vorwärts vom 30. Dezemberse, als der erste Verfassungsentwurf gerade fertiggestellt ist. Die Pläne des Reichsamts des Innern sind also schon im Dezember der preußischen Regierung vollauf bekannt. Aber genau, wie sich die Reichsregierung noch nicht entschieden hat, ist sich die preußische Regierung und selbst das PrMdI immer noch im unklaren, wie dazu Stellung zu nehmen ist. Das zeigt ein Artikel des PrMdI Dr. Breitscheid (USPD) in dem USPD-Organ "Freiheit" vom 25. Dezember70 • Unter dem Titel "Preußen und das Rheinland" äußert er u. a.: "Mit dem Zusammenbruch der Dynastien ist für eine Neugliederung und neue Abgrenzung der deutschen Bundesstaaten die Bahn frei geworden, und das bedeutet nicht nur, daß wir über die Existenzberechtigung von Lippe-Detmold und Waldeck diskutieren, sondern wir haben auch in eine Erörterung darüber einzutreten, ob eine Erhaltung Preußens in seinem gegenwärtigen Bestand aus politischen und wirtschaftlichen Gründen notwendig und wünschenswert ist." Die preußische Regierung ersucht das Reichsamt des Innern schon am 16.12.1918 71 um Beteiligung an den Verfassungsverhandlungen unter 68 Das hier Zitierte stammt aus dem Vorwärts vom 21. 12. 1918, Nr.350, der in seinem Artikel die Mitteilungen der Düsseldorfer Nachrichten vom 20,12. 1918 wiedergibt. 69 Vorwärts Nr. 358, 30. 12. 1918. 70 Freiheit Nr. 74, 25. 12. 1918. 71 Das Schreiben ist als Faksimile in: Ein Jahrhundert deutscher Ge-

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Hinweis auf die Andeutungen des RdV-Aufrufs vom 11. Dezember. Das Ersuchen wird am 30. Dezember noch einmal wiederholt und später noch mehrfach sowohl schriftlich als auch mündlich vorgetragen. Eine im Vergleich zu den anderen Länderregierungen bevorzugte Beteiligung der preußischen Regierung an den Reichsgeschäften erscheint wegen der Größe des preußischen Territoriums begründet und wird später eine zentrale Frage im Verhältnis Preußen-Reich. Die staatsrechtlichen Fragen belasten das Verhältnis Preußen-Reich im Dezember noch nicht. Die Zusammenarbeit bewährt sich noch einmal Ende Dezember gegenüber Oberschlesien, wo seit dem Umsturz immer neue Streiks die Wirtschaft erschüttern, bürgerliche Kreise über die "zu radikale" Politik der preußischen Regierung und die Sozialisierungsgefahr beunruhigt sind und polnische Gruppen auf eine Abtrennung schlesischer Gebiete vom Deutschen Reich hinarbeiten. Bedeutsam ist innerhalb der Sonderbestrebungen das von den Gebrüdern Reginek und Dr. Latacz geführte Komitee für ein zumindest vorübergehend neutrales Oberschlesien; diese Gruppe tritt Anfang Dezember mit der Broschüre "Oberschlesien, ein selbständiger Freistaat" an die Öffentlichkeit und gewinnt die Unterstützung von Klerikalen und Industriellen72 • Um diese Bewegung zu bekämpfen, vereinbaren der RdV und die preußische Regierung mit dem Zentralrat für Schlesien, einer aus Sozialdemokraten und Bürgerlichen zusammengesetzten schlesischen Zentralvertretung in Breslau, für den 30. Dezember in Breslau eine gemeinsame Sitzung von Vertretern des Reichs und Preußens mit dem Zentralrat, schlesischen Zivil- und Militärbehörden, Arbeitnehmern und Arbeitgebern und politischen Parteien. In einer gemeinsamen Sitzung von RdV und preußischen Innenministern mit den Vertretern des Zentralrats am 29. Dezember in Berlin73 fixieren sie ihre Haltung für die Breslauer Konferenz. Die Hauptfrage ist, ob schon jetzt zur Einschränkung und Kanalisierung der Autonomiebewegung Schlesien oder Oberschlesien Selbständigkeit innerhalb des Reiches zu konzedieren ist. Ganz entschieden tritt der Volksbeauftragte Haase (USPD) - wie es u. a. verständlich ist aus seiner Abneigung gegen den größeren Einfluß des Zentrums in Schlesien - gegen die Loslösung Schlesiens von Preußen ein: "Fangen wir damit in der Südostecke unseres (!-Verf.) preußischen Staates an, so folgen die anderen." Ebert, der inzwischen wohl grundsätzlich auf schichte / Reichsgedanke und Reich 1815-1919, hg. von Goldschmidt, Hans etc. Berlin 1928, als Aktenstück Nr. 145 wiedergegeben. 72 Vgl. Zielinski, Henryk: La question de l'Etat independant de HauteSilesie apres la premiere guerre mondiale (1919-1921), S.34-57 in Acta Poloniae Historica 4, 1961 Warschau; Schumann, Wolfgang: Oberschlesien 1918/19, S. 195 ff. 7S

RdV-Prot. 29. 12. 1918.

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dem gleichen Standpunkt wie Preuß steht, entgegnet: "Das ist überhaupt nicht mehr aufzuhalten." Daraufhin fordert Haase wenigstens den Versuch dazu. Die PrMdI Hirsch und Breitscheid lehnen die Gründung einer Republik Schlesien oder Oberschlesien für den Augenblick unbedingt ab. Breitscheid erklärt: " ... in dem gleichen Moment haben wir die selbständige Republik Schleswig-Holstein, die selbstverständliche Republik Hannover, die selbständige Republik Ostpreußen, wenn nicht in dieser Reihenfolge, so doch in dieser Zusammensetzung." Beide lehnen eine parlamentarisch legitimierte Aufteilung Preußens nicht unmittelbar ab. Breitscheid nimmt ausdrücklich für eine umfassende Neugliederung Stellung. Er äußert zur Arbeit der preußischen Landesversammlung, daß "wir vielleicht auch unsererseits darauf hinarbeiten müßten, daß dann Preußen in seiner bisherigen Gestalt nicht mehr bestehen soll, sondern daß dieses Preußen - drücken wir uns brutal aus - in irgendeiner Form zerschlagen werden muß, daß wir mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse etwa Staaten schaffen müssen, die innerhalb des deutschen Staates leben. So beseitigen wir die Abneigung gegen Preußen und auf diese Weise halten wir wahrscheinlich die einzelnen Teile des deutschen Reiches besser zusammen als in dem Verband des preußischen Staates." Nach der von Ebert am Schluß formulierten Zusammenfassung ist man sich einig darüber, daß der preußische Staat Oberschlesien vor allem eine größere kulturelle Autonomie zu gewähren habe. Die Einzelfragen, wie Personalveränderungen in der Verwaltung und Finanzierung der Neuerungen, solle Preußen mit Oberschlesien allein regeln. Auf der Breslauer Konferenz am folgenden Tag7C ist die überwiegende Mehrheit der Anwesenden mit den Erklärungen der Reichs- und preußischen Vertreter einverstanden, und die dem Reich gefährlichen Politiker Reginek und Latacz werden isoliert. Das von der Versammlung angenommene 6-Punkte-Programm75, das vom Zentralrat im Sinne der Berliner Besprechung formuliert ist, wird überall in Oberschlesien in deutscher und polnischer Sprache publiziert und von der preußischen Regierung auch tatsächlich ausgeführt. Die im Zuge dieser Politik von der preußischen Regierung erfolgte Ernennung Bittas zum Regierungspräsidenten von Oppeln ist die auffallendste Konzession. Geheimrat Bitta beherrscht neben der deutschen die polnische und tschechische Sprache, war Generaldirektor des Fürsten Henkel von Donnersmarck und ist Vertrauensmann des Zentrums; er spricht also alle Schichten Oberschlesiens an. Zur Personalveränderung kommt eine großzügigere 7C Niederschrift der Besprechung vom 30. 12. 1918 in Breslau. DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 2 Nr. 19 Bd. 1. 75 Siehe Hirsch: Der Weg der Sozialdemokratie, S. 139 f.

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Schulpolitik. Allgemein führt die preußische Regierung die Verordnung über die Aufhebung der geistlichen Ortsschulaufsicht vom 27. November und den Erlaß betr. den Religionsunterricht in den Schulen vom 29. November in den westlichen und östlichen Provinzen nur so weit aus, wie dies nicht auf ernste Schwierigkeiten stößt. Das alles trägt zu einer teilweisen und zumindest vorübergehenden Konsolidierung der schlesischen Verhältnisse bei. Im November/Dezember läßt sich keine Differenz zwischen dem RdV und der preußischen Regierung feststellen - geschweige denn ein preußischer Regierungspartikularismus gegenüber der Reichsregierung. Schwierigkeiten bereitet von den preußischen Ministern höchstens der Kultusminister Adolf Hoffmann, der mit seiner radikalen Kulturpolitik, die gefährliche Unruhe beim Klerus und dem rheinischen und schlesischen Zentrum hervorruft, Kritik von seiten des RdV wie seiner preußischen Ministerkollegen erfährt. Um der Störung der auf die Konsolidierung der Verhältnisse gerichteten Reichspolitik entgegenzuwirken, plant die Reichsregierung, den oberschlesischen Volksbeauftragten Dr. Landsberg für "Presse und Nachrichtenwesen, Kunst und Literatur" zum preußischen Staatsminister ohne Portefeuille zu ernennen78 • Von dieser Wiederherstellung einer Personalunion zwischen preußischer und Reichsregierung ist jedoch aus nicht bekannten Gründen abgesehen. Auch ist die Maßnahme bald nicht mehr so dringend, da Hoffmann am 10. Dezember erkrankt und die USPD am 3. Januar aus der preußischen Regierung austritt. Daß die preußische Regierung in dieser Zeit eine Personalunion nicht ablehnt, bekundet sie dadurch, daß sie in den ersten Dezembertagen selbst vorschlägt, daß Vertreter der Reichsregierung zu ihrem Kabinett im Sinne der Zusammenarbeit hinzutreten und umgekehrt· preußische· Regierungsvertreter vom Reich hinzugezogen werden77 • Bei den institutionellen Koordinationsmaßnahmen halten sich die preußische und die Reichsregierung im allgemeinen im Rahmen des Überkommenen. Wie schon vor dem Zusammenbruch nehmen an den Sitzungen der Reichsregierung, die Preußen in erhöhtem Maße betreffen, preußische Minister und als "Fachleute" höhere preußische Beamte teil. In den Sitzungen der preußischen Regierung ist in den ersten Monaten kein Vertreter des Reiches anwesend. Die preußische Bundesratsvertretung wird am 14. November vom RdV ersucht78 , im Rahmen der 76 Goldschmidt: Reich und Preußen, S. 132. GoIdschmidt gibt als Grund für das Scheitern des Planes der Personalunion an: "Die unruhigen Verhältnisse ließen es nicht dazu kommen." 77 Hirsch weist dem Zentralrat gegenüber darauf hin. Bericht von der Sitzung des Zentralrats mit dem Preußischen Ministerium im Staatsministerium, Berlin, Wilhelmstraße 63, am 2. Januar 1919. BAK, NS 26 vorI. 69. 78 RdV-Prot. v. 14. 11. 1918, Nachmittagssitzung.

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eingeschränkten Befugnisse des Bundesrats ihre Tätigkeit fortzusetzen. Zusätzlich zu den dort mitarbeitenden Reichsbeamten wird der Staatssekretär im Reichsamt des Innern Preuß am 23. November zum preußischen Bundesratsbevollmächtigten ernannt. Daneben besteht noch die Verbindung der preußischen und der reichseigenen Verwaltung. Das Problem des Verhältnisses von preußischer und Reichsregierung im November/Dezember 1918 ist nicht so sehr ein institutionelles wie bei den "revolutionären" süddeutschen Regierungen, die sofort in den Bann ihrer Staatsinteressen getreten sind, sondern vielmehr ein parteipolitisches. Wo die Fronten im Verhältnis Preußen-Reich liegen, zeigen die Rätepolitik, die Schwierigkeiten bei der Besetzung des Postens des Berliner Polizeipräsidenten7i und besonders deutlich die Auseinandersetzung um die Beibehaltung des Justizministers Dr. Spahn, der schon seit dem 6.8.1917 amtiert80 • Der RdV wünscht zusammen mit den sozialdemokratischen Mitgliedern der preußischen Regierung - vor allem zur Beruhigung des rheinischen Bürgertums -, daß der Zentrumsführer Peter Spahn das preußische Justizressort auch in der revolutionären Regierung behält. Aber einstimmig lehnt es der Vollzugsrat am 25. November ab, und RosenfeZd (USPD) und Reine (SPD) werden an die Spitze des Justizministeriums berufen81 • Spahns Abberufung ist besonders dem Drängen des radikalen Exponenten der USPD in der preußischen Regierung, Hoffmann, zu verdanken, der sich in solchen Fällen mit Unterstützung des Vollzugsrates durchzusetzen vermag. Die Gegensätze rühren nicht so sehr von den Institutionen selbst her, sondern vielmehr von den Parteirichtungen. Die sich hier ergebenden parteipolitischen Gruppierungen sind folgende: Die SPD-Mitglieder der preußischen Regierung stehen hinter den Parteiführern Ebert, Scheidemann und Landsberg; überdies ist der Landwirtschaftsminister Braun selbst Mitglied des Parteivorstandes. Die in der Mehrheit selbständigeren SPD-Vertreter im Vollzugsrat gehen in einzelnen Fragen eigene Wege und unterstützen so gelegentlich die USPD-Vertreter. Wenn sich dennoch in der Reichsregierung und auch in der preußischen. Regierung die gemäßigte SPD-Richtung durchzusetzen vermag, so liegt das u. a. daran, daß die USPD-Vertreter im allgemeinen noch weit weniger als die der SPD zu einem Gleichklang zu bringen sind. Bei den USPDa 80

Vgl. dazu Hirsch: Der Weg der Sozialdemokratie, S.131. Oehme: Reichskanzlei, S.52; Richard MüHer: Republik, S.57; Müller,

Hermann: Novemberrevolution, S. 88; Buchner, S. 349. 81 Spahn wird sich beim Vollzugsrat u. a. durch sein im Auftrage der preußischen Regierung verfertigtes Gutachten über die Zuständigkeit der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte vom 23. November (DZA Merseburg, Rep. 120 All Nr. 5 Bd. 4), das den Räten nur ein eingeschränktes Kontrollrecht zugesteht, mißliebig gemacht haben.

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Volksbeauftragten und den USPD-Mitgliedern im Vollzugsrat fehlt überhaupt jegliche Koordination für die einzelnen Situationen. Für den Austritt der USPD aus der preußischen Regierung am 3. Januar ist nicht der staatsrechtliche Aspekt ausschlaggebend, wie es nach ihrer hinterher abgegebenen Erklärung8! scheinen mag, sondern der parteipolitische. Der Grund, daß sie der Ernennung des Obersten Reinhardt zum preußischen Kriegsminister durch RdV und Zentralrat nicht ohne weitere Prüfung habe zustimmen wollen, ist nur vorgeschoben. Die Wahl einer reinen SPD-Rätezentralinstanz am 19. Dezember als Nachfolgerin des Vollzugsrates reduziert die Einflußmöglichkeiten der USPD in den beiden Regierungen zugleich so sehr, daß ihr Verbleiben dort nur noch von geringem Interesse für sie ist. Nachdem Haase, Dittmann und Barth daraufhin nach den Auseinandersetzungen im RdV und mit dem Zentralrat um die Volksmarinedivision am 30. Dezember zurückgetreten sind, erklären sich die preußischen USPD-Minister sofort am 31. Dezember in einer Mitteilung an den Zentralrat mit den Auffassungen solidarisch, die ihre Parteigenossen zum Rücktritt veranlaßt haben; damit können auch sie unmöglich noch in der Regierung bleiben. Mit der Ablehnung der Ernennung des Kriegsministers demonstrieren sie zugleich vor der Öffentlichkeit ihre Unterstützung der Opposition der USPDVolksbeauftragten gegen die Militärpolitik Eberts. Die relative politische Gleichgerichtetheit von Reichs- und preußischer Regierung auf einer gemäßigten SPD-Linie gegenüber dem Vollzugsrat ist die Grundlage für das enge Verhältnis zwischen heiden Regierungen im November und Dezember; und die Parteidisziplin gegenüber den Parteiführern im RdV, insbesondere von seiten der SPD-Minister, mag bestimmend sein für die in diesen Monaten feststellbare Unterordnung der preußischen Regierung unter die des Reiches bei der Zusammenarbeit. Preuß hebt rückblickend das Zurücktreten der preußischen Regierung hinter dem RdV in der Übergangszeit hervor, das die Wirkung gehabt habe, "dem Reich zunächst das Übergewicht und den nötigen Vorsprung zu verschaffen"83. Der RdV entscheidet mit bei der Einsetzung der preußischen Regierung; so kann Ebert Ende Dezember äußern: "Der preußische Finanz82 DGK, Ergänzungsband: Die Deutsche Revolution, Band 1, o. J., S. 404 f. - Der Zentralrat stellt am 3. 1. 1919 als Antwort auf die Erklärung der Unabhängigen, daß sie der Ernennung des Obersten Reinhardt zum preußischen Kriegsminister durch RdV und Zentralrat nicht ohne weitere Prüfung haben zustimmen wollen u. a. fest, daß "die Zustimmung zur Ernennung eines Kriegsministers, dessen Gehalt Preußen nicht einmal zahlt, lediglich eine auf der bisherigen preußischen Verfassung beruhende Formalität" sei. - a. a. 0., S.405. 83 So Preuß in einem Brief an Drews am 1. 3. 1921; zit. nach Elben: Staatssekretäre, S. 57.

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minister ist eine von uns eingesetzte Behörde84 ." Der RdV spricht mit bei der Besetzung preußischer VerwaltungspostenS5 und bei der Bestimmung der Kompetenzen der Landesregierung. Der RdV verteidigt mit seinem Kompetenzbereich zugleich den der preußischen Regierung gegenüber dem Einflußstreben des Vollzugsrates. Die Vereinbarungen des RdV mit dem Vollzugsrat vom 23. November und vom 9. Dezember betreffen zugleich die preußische Regierung, deren Exekutivgewalt gleich der der Reichsregierung definiert wird. Auf dem 1. Rätekongreß - bei der Auseinandersetzung um die uneingeschränkte Exekutivgewalt der Zentralregierungen gegenüber dem neu zu wählenden Zentralrat setzt sich Ebert zugleich entschieden für die Rechte der preußischen Regierung ein85, die sie schließlich in gleicher Weise wie der RdV zugesichert erhält, ohne daß ihre Vertreter überhaupt einmal das Wort ergriffen haben. Die beherrschende Stellung des Reiches gegenüber Preußen erhellt deutlich aus der Ausschaltung der preußischen Regierung vom Militärwesen sowie aus der Beschränkung ihrer Verfügungsgewalt gegenüber dem preußischen Wirtschaftspotential zugunsten der Reichszentrale. Der preußische Staatsminister und Kriegsminister Scheüch wird am 9. November ohne irgendeine Mitsprache der preußischen Regierung von Ebert in eigener Verantwortung in das neue Reichskabinett übernommen und auch später beibehalten. Er ist in seiner Amtsführung de facto allein dem RdV und dem Vollzugsrat bzw. dem Zentralrat verantwortlich. Formal jedoch gehört er der preußischen Regierung weiter an und richtet sein Rücktrittsgesuch am 15. Dezember wegen der von da her "nicht ganz zweifelsfreien Zuständigkeit der Regierungsstellen" - wie er in dem Antrag87 zur Begründung des Schrittes schreibt - ebenfalls an die preußische Regierung. Bei der Ernennung seines Nachfolgers Reinhardt und von Beamten des Kriegsministeriums leistet die preußische Regierung gleichfalls ihre Unterschrift unter die Ernennungsurkunde. Daß diese Formalität von den "Revolutionären" mitgeschleift ist, liefert den USPD-Ministern einen billigen Vorwand zum Rückzug aus der preußischen Regierung. Erst seit Ende Januar versucht die preußische Regierung, wieder einen eigenen Einfluß auf das Preußische Kriegsministerium zu erlangen. An den Sitzungen der preußischen Regierung nimmt der Kriegsminister im N ovember/Dezember nur einmal teil- nämlich am 15. November - später jedoch häufiger. 8' Oehme: Reichskanzlei, S. 201: Ebert am 23.12.1918 gegenüber einer Delegation der Volksmarinedivision, wobei der gen aue Zusammenhang aus dem bei Oehme angeführten Protokoll nicht ersichtlich ist. Wahrscheinlich geht es darum, Südekum gegen Angriffe zu decken. 85 RdV-Prot. v. 14. 11. 1918. 85 I. Rätekongr.-Prot., Sp. 290. 87 DGK, Ergänzungsband: Die deutsche Revolution, Bd. I, S.175.

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Unter den schwierigen Ernährungsverhältnissen und angesichts der Bedeutung Preußens für die Ernährung des gesamten Reiches ist die Personalunion auf diesem Gebiet unvermeidlich. Die beim Zusammenbruch zunächst aufgelöste personelle Verbindung der Leitung des Kriegsernährungsamtes mit dem Amt des preußischen Staatskommissars für Volksernährung wird am 25.11.1918 nach einem Ersuchen des Staatssekretärs Wurm auf Anregung des RdV wiederhergestellt. Auf Grund der Abhängigkeit der süddeutschen Staaten vom Norden auf dem Ernährungssektor garantiert diese Verbindung dem Reichsernährungsamt vor allem, daß die von ihm vertretene Zentralisation der Lebensmittelversorgung trotz aller Sonderbestrebungen des Südens bleibt. Daß der Staatskommissar .für Volksernährung Wurm nicht ausdrücklich zum preußischen Minister ernannt wird, ist in der übergangsperiode nicht von Bedeutung. Entsprechend dem Vorhaben des Kriegskabinetts errichtet der RdV am 12. November das Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung. Der Leiter, Staatssekretär Dr. Koeth, baut seine Behörde vor allem von dem aus dem Kriegsministerium herausgelösten Kriegsamt her auf,der Spitze der Rüstungswirtschaft88 • Das neue Reichsamt ist die entscheidende Behörte der übergangswirtschaft 8D , da ihm die Aufgabe zufällt, die Rüstungsindustrie auf Friedensbedürfnisse umzustellen und die durch die militärische Demobilmachung frei werdenden Arbeitskräfte in den Wirtschaftsprozeß wiedereinzugliedern. Zwar haben sich weder das Kriegskabinett noch der RdV entschließen können, die Aufgliederung der Wirtschaftszuständigkeiten auf verschiedene Ressorts in der Reichszentrale in diesem Falle aufzuheben90 , aber das Demobilmachungsamt ist immerhin nach unten gegenüber den Behörden des Reiches und der Freistaaten - mit den Worten Dr. Koeths -mit "fast diktatorischen Vollmachten" ausgestattet91 • Die Vollmachten, die der Erlaß des RdV der neuen Reichszentralinstitution zuteilt, sind noch beträchtlich ausgeweitet gegenüber denen der Bundesratsverordnung vom 7. November. Der Staatssekretär überträgt die Ermächtigung des Amtes bei den außerpreußischen Staaten auf deren Regierungen oder auf die von ihnen einzusetzenden Staatskommissare und lenkt ihre Amtsfüh88 Vgl. Facius, Friedrich: Wirtschaft und Staat / Die Entwicklung der staatlichen Wirtschaftsverwaltung in Deutschland vom 17. Jahrhundert bis 1945, Boppard am Rhein 1959, S. 105 ff. 89 Zur Bedeutung des Demobilmachungsamtes S. vor allem Richter, Werner: Gewerkschaften, Monopolkapital und Staat im 1. Weltkrieg und in der Novemberrevolution,Berlin 1959. 90 Zu den verschiedenen Tendenzen in der Reichswirtschaftspolitik in dieser Zeit: Schieck: Wirtschaftspolitik. 91 Koeth, Joseph: Die wirtschaftliche Demobilmachung, S.163 in: Handbuch der Politik, 3.'Aufi. Bd. 4, Berlin 1921.

11. Das improvisierte Reich-Länder-Verhältnis

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rung durch Richtlinien, aber für Preußen übt er die Befugnisse als Landeszentralbehörde selbst aus; ihm unterstehen die preußischen Provinzial- und Lokalbehörden direkt. Obschon sich die preußischen Ressorts vor dem Umsturz geeinigt haben, daß die Bearbeitung der Demobilmachungsangelegenheiten durch das preußische Handelsministerium zu übernehmen sei, ernennt die preußische Regierung Dr. Koeth am 15. November "In Ausführung des Erlasses der Reichsregierung" vom 12.11. 1918 zum Staatskommissar (GS. 179). Die Bestellung des Reichsamtes zur preußischen Zentralstelle bedeutet eine außerordentlich wirtschaftliche Machtstellung für das Reich, einmal wegen der weitreichenden Kompetenzen des Amtes und zum anderen, weil in Preußen der überwiegende Teil der deutschen Industrie liegt, von der eine große Anzahl Betriebe dem preußischen Staat gehört. In seiner Praxis macht das Reichsamt gerade von seinen Möglichkeiten gegenüber Preußen Gebrauch, z. B. bei der Förderung öffentlicher NotstandsarbeitenP2 zugunsten der Einstellung von Arbeitskräften besonders durch Staatsbetriebe und die staatlichen Verwaltungen wie zugunsten einer entsprechenden Arbeitsbeschaffung durch genügend Aufträge 93 • Das Reichsamt und Staatskommissariat arbeitet bei seiner Verwaltungstätigkeit und auch bei der Vorbereitung mehrerer gesetzesvertretender sozialpolitischer Verordnungen auf preußischer Seite mit dem Ministerium der öffentlichen Arbeiten und dem Handelsministerium, die durch Beauftragte in der Demobilmachungsbehörde vertreten sind94, und dem Finanzministerium zusammen. In engem Zusammenhang mit der Demobilmachung steht in der übergangszeit das Wohnungswesen. Die Zusammenfassung der auf verschiedene Ressorts des Reiches und Preußens verteilten Befugnisse auf dem Gebiete des Wohnungswesens wird seit 1917 zwischen Reichsleitung, Staatsministerium und OHL diskutiert. Der Minister der öffentlichen Arbeiten, der sich immer wieder dafür einsetzt, befürchtet: "Es können Zustände eintreten, welche über jene hinausgehen, wie sie nach dem Kriege 1870/1871 in einzelnen Städten vorgekommen sind und zu politischen Erschütterungen zu führen geeignet sind95." Der wegen des fast vollkommenen Stillstandes der Bautätigkeit während des Kriegs 1918 P2 Syrup-Neuloh: Hundert Jahre Staatliche Sozialpolitik 1839-1939, Stuttgart 1957, S. 347. P3 VPrLv-Prot. Bd.4, 10.10.1919, Sp.5024; Lassar: Reichseigene Verwaltung unter der Weimarer Verfassung, in: Jb. des öffentl. Rechts der Gegenwart, Bd. 24, Tübingen 1926, S. 177. 94 Syrup-Neuloh: Sozialpolitik, S. 2l. 95 So im Schreiben desPrMdöA an den Vizepräsidenten des Preußischen Staatsministeriums vom 20. 2. 1918, DZA Merseburg, Rep. 90 a B 111 5 e Nr. 1 Bd.l.

5 Eimers

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- nach Angaben des Ministers der öffentlichen ArbeitenVS - auf rund 700000 Wohnungen angewachsene Fehlbestand muß sich im Falle der Demobilisierung voll auswirken. Der Vorschlag des Ministers der öffentlichen Arbeiten, einen Staatskommissar für das Wohnungswesen mit der gleichzeitigen Stellung eines Staatsministers und eines Reichskommissars zu berufen - analog der Regelung des Ernährungswesens -, scheitert zunächst im Staatsministerium, da es dem Reich in der Wohnungspolitik nach den vorangegangenen Auseinandersetzungen mit dem Reichsamt des Innern nicht noch mehr Einfluß zugestehen will. Die preußischen Kompetenzen werden am 17.5.1918 in einem rein preußischen, aber dem Ministerpäsidenten (damals gleichzeitig Reichskanzler) unterstellten Staatskommissariat zusammengefaßt. Auf eigenen Wunsch des Staatskommissars Freiherr von Coels van der Brügghen wird dieser am 5. September gleichzeitig zum Reichskommissar für das Wohnungswesen bestellt. Während der Reichskommissar zunächst dem Reichswirtschaftsamt untersteht, wird er nach dem Umsturz dem Demobilmachungsamt zUgeteilt. Von Freiherr von Co eIs, der aus dem Ministerium der öffentlichen Arbeiten stammt, geht das Amt des Reichs- und Staatskommissars für das Wohnungswesen am 31. Dezember auf Scheidt aus dem Reichsarbeitsamt über. Die Reichsverordnung vom 15.1.1919 überträgt dem Wohnungskommissar als Unterbehörden zur Wohnraumbeschaffung die Bezirkskommissare; als solche werden ihm in Preußen die Regierungspräsidenten direkt unterstellt, die zugleich für das Demobilmachungsamt als Demobilmachungskommissare fungieren. Diese Tatsachen verdeutlichen, daß sich die Reichszentrale gegenüber dem entscheidenden Freistaat eine ausschlaggebende Stellung zu sichern vermag, und zwar bei den für das Reich in der Übergangszeit zentralen innenpolitischen Anliegen der militärischen und wirtschaftlichen Demobilmachung und der Ernährung. Allgemein bedeutet das Verhältnis, das die preußische Regierung im Gegensatz zu den süddeutschen Regierungen in der Übergangszeit - vor allem im November/Dezember 1918 - zur Reichsregierung einnimmt, eine wesentliche Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Probleme. 111. Zur Auseinandersetzung um die Reichsverfassung Die Verfassungsauseinandersetzungen und die Rolle Preußens dabei sind oft genug beschrieben. Hier sollen nur einige für diese Darstellung wichtige Grundzüge Erwähnung finden. Eine bedeutsame Vorentscheidung von seiten des RdV für die Gestaltung der Reichsverfassung ist die Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs va a. a. o.

III. Die Weimarer Reichsverfassung

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durch Preuß im Reichsamt des Innern. Preuß hat eine Weile sicher geglaubt, das Reich neu und grundsätzlich unterschieden von der Bismarckschen Reichsordnung aufbauen und einen einheitlichen und von der Selbstverwaltung her organisierten Volksstaat errichten zu können, der allein gegründet ist auf ein demokratisch bestimmtes Nationalbewußtsein. Diese Hoffnung gibt auch er angesichts der Erfahrungen mit dem Partikularismus auf. Die zu dem Verfassungsentwurf am 20. Januar vom Reichsamt des Innern veröffentlichte Denkschriftl zeigt noch sein Programm: Die Auflösung der alten föderativen Struktur zugunsten der Reichsgewalt und der Selbstverwaltung. Die Glieder zwischen den Kommunen und dem Reich sollen nur mehr die Funktionen "höchstpotenzierter Selbstverwaltung"! ausüben. Da für diese Funktionen "die kleinsten der bisherigen Einzelstaaten viel zu klein" sind, und insbesondere "der Großstaat Preußen aber viel zu groß und in sich selbst zu verschiedenartig" ist3, erscheint ihm eine "Umgestaltung der territorialen Gliederung des Reichs" notwendig4 • Gerade der Fortbestand des preußischen Einheitsstaates, der angesichts seines Schwergewichts nur als Hegemoniestaat vorstellbar ist, ist seiner Meinung nach gegenüber der selbst die Hegemonie fordernden Reichsrepublik "schlechthin eine staatsrechtliche, politische und wirtschaftliche Unmöglichkeit"s. Der Verzicht auf die Lösung der preußischen Frage, des "Kernproblems der künftigen inneren Gestaltung Deutschlands"6, würde die "Verpfuschung des neuen Verfassungswerkes selbst bedeuten"7. Zur Stärkung des Reiches in seiner Organisation und in seinen KompetenzenB gehört, daß das Reich von der Konkurrenz des preußischen Staates befreit wird. Materiell enthält der Verfassungs entwurf jedoch - abgesehen von einer Erweiterung der Reichsorganisation, der Verschiebung in der Zuständigkeitsverteilung zugunsten des Reiches und einer Mehrung des Einflusses des Reiches auf die Länder - nichts mehr zur sofortigen Verwirklichung dieser Leitgedanken; die Länder sind weiter Staaten und vor allem Preußen hattrotz des Verlustes der Präsidialrechte im Zuge der formalen Gleichstellung der Länder - vieles von seiner alten Macht gerettet. Die weitere Vereinheitlichung ist nur mehr vorgesehen. 1 Preuß, Hugo: Entwurf der künftigen Reichsverfassung, hg. im Auftrage des Reichsamts des Innern, Berlin 1919. 2 Preuß, Hugo: Reichsverfassung, S. 15. 3 a. a. 0., S. 15. 4 a. a. 0., S. 15. 5 a. a. 0., S. 10. G a. a. 0., S. 9. 7 a. a. 0., S. 10. 8 Vgl. Preuß, Hugo: Reich und Länder / Bruchstücke eines Kommentars zur Verfassung des Deutschen Reiches, hg. von Gerhard Anschütz, Berlin 1928,

S.115.

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Die Reichsregierung hat sich mit den Vorstellungen von Preuß - wie allgemein mit seiner das Reichsinteresse scharf herausstellenden Konzeption des dezentralisierten Einheitsstaates - weitgehend identifizierti. - In diesem Sinne tritt sie bei den Verfassungsverhandlungen auf und auch nach dem Inkrafttreten der Reichsverfassung ist die überwindung der bundesstaatlichen Struktur zugunsten des dezentralisierten Einheitsstaats wesentlicher Bestandteil der Reichspolitik. Die Reichsverfassung ist ein ganz im Sinne des Verfassungsentwurfs gestalteter Kompromiß. Sie bietet vor allem durch die Erweiterung der Zuständigkeit des Reiches und die Einschränkung des Einflusses der Länder bei der Reichswillensbildung die Handhabe, den dezentralisierten Einheitsstaat allmählich zu ereichen, wenn er auch nicht - wie eine in dieser Zeit häufig vertretene optimistische Ansicht lautet - "aus der Verfassung evolutionär mit absolut zwingender N otwendigkeit" IO kommt. Als Preis des Weimarer Kompromisses sind automatisch mit dem Inkrafttreten der Reichsverfassung weitere Friktionen zwischen der vordringenden Reichsgewalt und den zurückzudrängenden Partikulargewalten in Rechnung zu stellen. Unter dem Gesichtspunkt des Reich-Länder-Verhältnisses ist die Weimarer Reichsverfassung gerade für die betont unitarisch Gesonnenen nicht die angemessene Antwort der VNV auf die gegenwärtigen Notwendigkeiten, auf die nationale Entwicklung, auf die jahrzentelange Krise des Reich-Länder-Verhältnisses und auf die unitarische Strömung; und sie ist - wie es Cohen, Reuß formuliert - "ein Notbau, eine Baracke für diejenigen, die an dem wirklichen Neubau Deutschlands arbeiten wollenll ." Angesichts der in der Tat auffallenden Unfertigkeit der Verfassungsordnung ist es verständlich, wenn die Forderungen nach weiterer Vereinheitlichung unvermindert weitergehen. Die Unterstützung, die Preußen dem Reich bei der Ausdehnung seiner Zuständigkeit und der Stärkung seiner Organisation in der Reichsverfassung gewährt hat, ist oft gewürdigt. Neben der Unterstützung ist die Konkurrenz Preußens, wie sie sich hier bei der allgemeinen Vereinheitlichung schon bemerkbar macht, nicht zu übersehen; sie zeigt sich u. a. auf dem Kultus- und dem Justizsektor. Grundsätzlich unterstützt Preußen eine Vereinheitlichung, die nicht nach Ländern differenziert. Ganz 9 Preuß erklärt am 4.2. 1919 in Erfurt über Verfassungsfragen in einer gemeinsamen Sitzung des Vorstandes und der Fraktion der DDP, daß die jetzige Regierung wörtlich nur das erklärt habe, was er entworfen habe. "Ein Unterschied zwischen ihm und der Regierung bestehe daher in keiner einzigen Frage." - Zit. nach W. EIben: Staatssekretäre, S. 48. 10 So Dr. Frankfurter auf dem H. DDP-Parteitag im Dezember 1919. Prot. des H. DDP-Parteitages 1919, S. 204. 11 Cohen, Max: Die erste Verfassung der deutschen Republik. In: Sozialistische Monatshefte, 53. Bd., 1919 H, S. 773 ff.

IH. Die Weimarer Reichsverfassung

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entschiedene Opposition setzt die preußische Regierung jedoch einer mit dem besonderen Gewicht des preußischen Kolosses begründeten Sonderbehandlung Preußens zugunsten des Reiches entgegen. Die Aufteilung der preußischen Reichsratsstimmen zwischen Regierung und Provinzen kommt nur nach großen Schwierigkeiten zustande, und die wirksame Formulierung des Art. 18 wird von Preußen erbittert bekämpft - und nicht ohne Erfolg. Dem Konzept des dezentralisierten Einheitsstaates gegenüber, in dem die Sonderbehandlung Preußens ein zentrales Anliegen ist, entwickelt die preußische Regierung sofort ihre eigene Richtung, in der die Wahrung des den übrigen Ländern gleichen staatsrechtlichen Status für Preußen noch bedeutsamer ist; sie gibt sie über die Verfassungsauseinandersetzungen hinaus während der gesamten Weimarer Republik bis 1932 nicht preis. Am Anfang des eigenen preußischen Kurses steht die Entscheidung für die Wahrung der Integrität des preußischen Staates gegenüber den Neugliederungsbestrebungen der Reichsregierung, eine Entscheidung, deren ungeheure Tragweite für das Verhältnis Preußen-Reich gar nicht hervorgehoben zu werden braucht. Aufschlußreich für den preußischen Standpunkt, wie er sich im Januar 1919 herausgebildet hat, sind die Äußerungen der preußischen Minister in der gemeinsamen Sitzung des Zentralrats mit dem Preußischen Staatsministerium am 23. Januar1! über die Frage der Auflösung Preußens. Kultusminister Hänisch erklärt: "Wir Minister sind alle der Ansicht, daß für das erste der Einheitsstaat eine Utopie ist. Gerade deshalb müssen wir die großen Staaten erhalten." Die preußische Regierung sei "wohl einheitlich der Meinung", Preußen nicht zu zerschlagen. Er hält den Dualismus Preußen-Reich durch die Demokratisierung Preußens für behoben. Landwirtschaftsminister Braun bekennt sich zum Einheitsstaat, ist jedoch dagegen, "das neue, demokratische Preußen" bei Beibehaltung des bundesstaatlichen Aufbaus zu zerschlagen. "Wenn Preußen es nicht will, so teilt es sich nicht auf." Er tritt für die Angliederung der Zwergstaaten an Preußen ein. Finanzminister Südekum wünscht Preußen unbedingt in seinem Bestande zu erhalten, solange nicht der Widerspruch Süddeutschlands gegen den Einheitsstaat überwunden sei. Er verweist auf die wirtschaftliche und kulturelle Leistungsfähigkeit Preußens, die von den kleineren Nachfolgestaaten nicht zu erreichen wäre. "Was geleistet worden ist, ist immer im wesentlichen Sache Preußens gewesen, weil dieser Staat der leistungsfähigste gewesen ist, so daß die anderen von ihm zum großen Teile lebten." Er meint: "Die Argumente für die Aufteilung Preußens sind solche, die in der Vergangenheit liegen." Aus den Veränderungen, aus der Stärke der Sozialdemokratie 12

Zentralr.-Prot. v. 23. 1. 1919.

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in Preußen folgert er - gegenüber dem sozialdemokratischen Zentralrat: " ... so ist kein Grund mehr vorhanden für den alten Haß gegen die Vorherrschaft Preußens." Der preußische Innenminister Hirsch nimmt den gleichen Standpunkt ein wie seine Ministerkollegen; er trägt diesen zugleich - mit entschiedenem Protest gegen die Absichten des Reiches - als preußischer Vertreter auf der folgenden Staatenkonferenz vor. Mit dem Standpunkt der Reichsregierung verbindet die preußische Regierung ihr Unitarismus. Es trennt seine Anpassung an das preußische Staatsinteresse. Die preußische Regierung lehnt die Auflösung Preußens bei einem Fortbestand der süddeutschen Staaten ab, als wenn der preußische Staat diesen gleichzusetzen wäre. In ihren Augen repräsentieren im Augenblick die großen Staaten die Einheit Deutschlands. Die preußische Regierung hält - wie es dem engen Erfahrungsbereich der sozialdemokratischen Minister entspricht - den Dualismus mit der Demokratisierung Preußens für überwunden, ohne das mit der Stabilisierung nur zu sehr wieder zur Geltung kommende Eigengewicht des preußischen Staates in Rechnung zu stellen. Südekum und Braun scheinen überdies schon in beträchtlichem Maße mit dem traditionellen preußischen Staatsdenken verwachsen zu sein, wenn der eine eine neue preußische Hegemonie befürwortet und der andere eine weitere Vereinheitlichung des Reiches über die Angliederung anderer Staaten an Preußen erwägt. Die preußische Regierung hat sich später auch in der Öffentlichkeit gerade zur unitarischen Tradition des preußischen Staates bekannt. Der Standpunkt der preußischen Regierung ist nicht gleichzusetzen mit dem Föderalismus der süddeutschen Staaten; es unterscheidet neben der Sachlichkeit der immer lebendige Unitarismus. Besonders die grundsätzliche Opposition der preußischen Regierung zur Reichspolitik, soweit sie sich in den von Preuß vorgezeichneten Bahnen bewegt, läßt diese jedoch in der Folgezeit langsam in die Front der übrigen Einzelstaaten einschwenken.

IV. Das Verhältnis des Preußischen Staatsministeriums zur Reichsregierung von der Einberufung der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung im März 1919 bis zum Kapp-Putsch 1920 Die parteipolitische Orientierung der preußischen Regierung entspricht in dieser Zeit ganz der der Reichsregierung. Aus beiden Regierungen scheiden Anfang Januar die USPD-Vertreter aus. In die Reichszentrale treten zwei neue Volksbeauftragte ein, während die preußische Regierung, die froh ist, der Doppelbesetzung der Ämter ledig zu sein, allein mit den alten der SPDIDDP angehörenden Ressortleitern, die jetzt sämtlich gleichgestellt werden, weiterarbeitet. In beiden Kabinetten erhalten Bürgerliche und Revisionisten ein stärkeres Gewicht. Die Aufwertung

IV. Staatsministerium - Reichsregierung

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dieses Flügels zeigt sich in der preußischen Regierung darin, daß jetzt Fischbec1" (DDP) und Hoff (der DDP nahestehend), Heine, Südekum und Reinhardt die gleichen Rechte wie die übrigen Minister genießen; was speziell Heine und Südekum, die vor dem Kriege als "Sozialdemokraten mit Glacehandschuhen und Bügelfalte'" apostrophiert werden, in der preußischen Regierung darstellen, sind die Hauptrevisionisten Landsberg und Noske in der Reichsleitung. Bei der Neubildung der Reichsregierung im Februar 1919 nach dem von der VNV beschlossenen Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt und der Neubildung der preußischen Regierung im März nach dem von der VPrLV verabschiedeten Gesetz zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt setzt sich in bei den Zentralen der Trend zur Mitte fort. In die Reichsregierung treten vor allem Erzberger, BeiZ und Giesberts vom Zentrum ein und in die preußische Regierung die Zentrumsvertreter StegerwaZd und Dr. Am Zehnhoff, während Polizeipräsident Eugen Ernst (SPD), der der Regierung bisher ohne Ressort angehörte, ausscheidet; hier wie dort besitzt die SPD jetzt nur noch die Hälfte der Sitze. Die Preußische Regierung amtiert in dieser Form bis zum März 1920; allerdings scheidet Reinhardt im Oktober aus der preußischen Regierung aus, wodurch die SPD im Staatsministerium wieder die Mehrheit erlangt. Die Annahme des Friedensvertrages, die im Reich zum Rücktritt des alten Kabinetts und zum Austritt der DDP aus der Regierung führt, ist für die preußische Regierung, die unbeirrbar bei ihrer ablehnenden Haltung beharrt, ohne Folgen. Die preußische Exekutive ist wie mit dem preußischen Parlament mit dem Reichsparlament verbunden. Braun (SPD) und StegerwaZd (Z) gehören sowohl der VNV als auch der VPrLv an. Fischbeck (DDP) , Eugen Ernst (SPD) und Heine (SPD) sind nur Mitglieder der VNV, und Hirsch (SPD) , Hänisch (SPD), Dr. Am Zehnhoff (Z) und Oeser (DDP), der im März den Fachminister Hoff in der Leitung des PrMdöA ablöst, nur Abgeordnete der VPrLv. Dr. Südekum, früher Reichstagsabgeordneter der SPD, und Reinhardt gehören keinem Parlament an. Auffallend ist nicht nur die starke Vertretung von VNV-Abgeordneten in der preußischen Regierung, sondern auch, daß eine Reihe von VNV-Abgeordneten, nicht die der VPrLv, hohe preußische Verwaltungsämter einnimmt. VNVAbgeordnete der SPD übernehmen die Staatskommissariate in Schlesien, Ostpreußen, demRuhrgebiet,die Oberpräsidien in Magdeburg, Königsberg und Breslau und die Polizeipräsidien in Berlin, Königsberg und Breslau. Auffallend ist auch die Ämterkumulation Heines; er besitzt neben dem VNV -Mandat und dem Amt des PrMdI, das er im März von Ministerpräsident Hirsch übernimmt, wofür er das Justizministerium an Dr. Am Zehn, Grotjahn, Alfred: Erlebtes und Erstrebtes / Erinnerungen eines sozialistischen Arztes, Berlin 1932, S. 148.

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hoff (Z) abtritt, bis zum 23. 7. 1919 das Amt des Vorsitzenden des Staatsrats von Anhalt - also in seinem VNV-Wahlbezirk zugleich das des Regierungschefs. Das Schwergewicht der Tätigkeit dieser nach vielen Seiten hin verantwortlichen Politiker liegt sehr bald in Preußen. Preußen mag 1919 auf der einen Seite "das viel verkannte und viel verschmähte" sein, wie Ministerpräsident Hirsch formuliert!, und das Land, auf dem nun einmal "der Haß der ganzen Welt liegt", wie Reine im Verfassungsausschuß 3 hervorhebt; Südekum spricht vor der VPrLv vom "alten festen lieben" Preußen, "das heute so viel geschmäht, weil so wenig gekannt ist, ... dessen Verdienste um die deutsche Einheit und Größe richtiger zu würdigen einer leidenschaftsloseren Beurteilung kommender Geschlechter vorbehalten bleiben möge4 ." Bei den preußischen Politikern ist es viel verteidigt. Die personelle Verbindung von Reichsparlament und preußischer Exekutive, die unvergleichlich enger ist als mit irgendeinem anderen Land, ist wahrscheinlich nicht so sehr als Mehrung des Reichseinflusses zu beurteilen, sondern vielmehr im Sinne einer guten preußischen Lebensversicherung gegenüber den vielerlei Gefahren, die in diesem Jahr von der VNV her drohen. Die personelle Bindung der preußischen Regierung an zwei Parlamente wirkt sich in der Praxis auf jeden Fall zugunsten der Unabhängigkeit der preußischen Regierung aus. Die von der VPrLvFraktionen der Koalitionsparteien im April 1919 in die Ministerien entsandten parlamentarischen Unterstaatssekretäre und Beiräte, die bis zum März 1920 im Amt sind, sind ein wenig wirksames Gegenmittel. In der Geschäftsführung des preußischen Staatsministeriums fehlen genausowenig die gouvernementalen Züge wie bei den außerpreußischen Landesregierungen; die preußische Regierung führt nicht weniger als ihre pseudo-revolutionären Kolleginnen 1919, als die parlamentarische Arbeit noch Ansehen in der Öffentlichkeit genießt, im Verein mit der sorgfältig gegen revolutionäre Einflüsse abgeschirmten Ministerialbür0kratie ein übergangsregiment zur parlamentarischen Demokratie. Die preußische Regierung ist im ersten Jahr von ihrer Organisation her kaum mit anderen Länderkabinetten oder dem Reichskabinett zu vergleichen. Da ist zunächst die Desintegration der Zentrale. Ihre überwindung ist ein Teil der Restabilisierung des preußischen Staates. Während vor 1918 die Fachminister integrierend wirken, indem sie über das Staatsministerium verstärkten Einfluß gegenüber dem König und dem das Ministerpräsidium und das Amt des Ministers der Auswärtigen Angelegenheiten ausübenden Reichskanzler anstreben, übernimmt die Hirsch im "Vorwärts", Nr. 653 vom 22.12.1919. Verfassungsausschuß-Prot. vom 18. 3.1919, S. 94; Justizminister Heine. 4 Der PrFM Südekum am 30. 9. 1919 vor der VPrLv. VPrLv-Prot. Bd. 4, Sp.4474. 2

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IV. Staatsministerium - Reichsregierung

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Aufgabe der Integration jetzt vor allem der rein auf Preußen beschränkte Präsident des Staatsministeriums. Dies Präsidium ist im NovemberlDezember 1918 auf dem Nullpunkt angelangt. Eine Leitung des Kabinetts kommt schon deshalb kaum in Frage, weil es nur selten zusammentritt. Hirsch und Ströbel führen als Leiter der preußischen Regierung im wesentlichen nur die alte Behörde Staatsministerium. Das Präsidium ist nur noch durch die Personalunion mit dem PrMdI über die übrigen Ämter hinausgeschoben. Ein Gegengewicht gegen den in dieser Zeit allmächtigen Ressortpartikularismus ist neben dem Präsidium gleichfalls der Finanzminister. Er gehört zwar im November/Dezember dem politischen Kabinett nicht an, aber nach § 3 der Grundsätze über die Zuständigkeit der Preußischen Regierung, der Ressortministerien und des Gesamtministeriums vom 14.12.19185 und nach § 4 der revidierten Fassung der Grundsätze vom Januar 19198 sind ausdrücklich alle Verordnungen mit finanziellen Wirkungen im Einvernehmen mit ihm zu regeln; das sichert ihm ein Mitspracherecht in allen wichtigen Ressortangelegenheiten. Ein erster Schritt zu einer einheitlichen preußischen Regierung ist das Ausscheiden der USPD-Minister am 3.1.1919 und die Übertragung der Geschäfte des politischen Kabinetts auf das Gesamtministerium (Staatsministerium), dem sämtliche Minister angehören 7 • Jetzt tritt das Staatsministerium wieder regelmäßig zusammen und übt seine Funktionen als kollegiale Behörde aus. Das Gesetz zur Vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt in Preußen vom 20. März 1919, das bis zum November 1920 gilt, gibt dem Präsidium des Staatsministeriums, dem bisher seit der Kabinettsordre vom 14. April 1890 hauptsächlich nur noch die organisatorische Leitung der Geschäfte zusteht8, in § 4 zusätzlich ein Mehrstimmrecht bei Stimmengleichheit gegenüber den übrigen Mitgliedern des Staatsministeriums. Hirsch wird zugleich völlig auf die Tätigkeit im Staatsministerium beschränkt; am 25. März tritt er das Innenressort an Heine ab. Ein geringfügiger Ersatz für den Machtverlust ist die Übertragung der Verwaltung der preußischen Auswärtigen Angelegenheiten vom AA auf die Staatsministerialbehörde auf Beschluß des preußischen Kabinetts vom 19. April. Insgesamt ist ein Ausbau des Präsidiums des Staatsministeriums und ein Zusammenwachsen der preußischen Regierung 1919 nicht zu verkennen. Einer weiteren Einheitlichkeit der preußischen Regierung stehen abgesehen von den persönlichen Mängeln Hirschs - vor allem die SonDZA Merseburg, Rep. 120 A I 1 Nr. 5 Bd. 4. a. a. O. 7 Durch Beschluß des Staatsministeriums vom 31. 1.1919 führen die Minister wieder den Titel "Staatsminister". Preuß. Staatsm.-Prot. vom 31. 1.1919, DZA Merseburg. 8 Vgl. Klein: Staatsministerium, S. 242. 5

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derstellung des Kriegsministers und des Ministers der öffentlichen Arbeiten und der Institute des Demobilmachungskommissars und des Staatskommissars für Volksernährung entgegen. Mit Rücksicht auf die Bindung wesentlicher Teile der preußischen Exekutive an das Reich kann von einer Bestimmung der Richtlinien der Politik des Staatsministeriums durch das Präsidium nicht die Rede sein; und in der vorläufigen Verfassung fehlt diese Bestimmung auch. Der PrMdöA übt wie in der Kaiserzeit weiterhin Reichsfunktionen aus und soweit es in dieser Zeit eine Reichsverkehrspolitik gibt, ist er führend daran beteiligt; seine Verantwortung im Reich ist allerdings nicht so weit fixiert, daß er dem Reichsministerium zusätzlich zum Staatsministerium angehörte. Die Zwitterstellung endet im wesentlichen mit der Schaffung des Reichsverkehrsministeriums im Oktober 1919. Der PrKM ist einerseits Staatsminister und damit den übrigen preußischen Ministern gleichberechtigt; andererseits gehört er der Reichsregierung an, wenn er dort auch zugunsten des Volksbeauftragten und späteren Reichswehrministers Noske keine ministergleiche Stellung einnimmt. Zunächst ist er faktisch Reichsstaatssekretär und in dem im Februar gebildeten Reichsministerium hat er eine beratende Stimme. Daß das Schwergewicht der Tätigkeit des PrKM im Reich liegt, bestätigt die preußische Verfassung, die seine parlamentarische Verantwortlichkeit zugunsten der VNV regelt und der VPrLV das Recht abspricht, ihn zum Rücktritt zu zwingen. Der § 6 führt zunächst aus: "Jeder Minister muß zurücktreten, wenn ihm die Landesversammlung das Vertrauen durch einen ausdrücklichen Beschluß entzieht." Dann heißt es einschränkend: "Die Verantwortlichkeit des Kriegsministers gegenüber der Volksvertretung im Reich ist dadurch nicht berührt." Zum Verhältnis von N oske und Reinhardt bei der Verwaltung des Wehrwesens sagt zunächst die von Reichsregierung, PrKM und Zentralrat vereinbarte Verordnung betr. die vorläufige Regelung der Kommandogewalt und die Stellung der Soldatenräte im Friedensheer vom 19. 1. 1919 9 einiges aus. Sie bestimmt, daß der Kriegsminister, dem der RdV die Ausübung der Kommandogewalt überträgt, dem RdV für die Ausübung der Kommandoführung verantwortlich ist; formal weist die Verordnung dem sächsischen, württembergischen und bayerischen Kriegsminister eine gleiche Stellung zu. Das Reichswehrgesetz vom 6. März 1919 regelt die Kommandoführung und die Führung der Wehrverwaltung. Danach steht die oberste Befehlsgewalt dem RWM zu, während der ihm untergeordnete PrKM diese innerhalb seines Kontingents ausübt; für die Verwaltung ist allein der PrKM zuständig. Dieses Verhältnis besteht, variiert durch Verordnungen, bis zum 1. Oktober 1919. 9

Armeeverordnungsblatt 1919, S. 54.

IV. Staatsministerium - Reichsregierung

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Die preußische Regierung versucht verschiedentlich, einen größeren Einfluß auf das vom Reich bestimmte Wehrwesen auszuüben und den PrKM stärker an das preußische Kabinett zu binden. Am 24. Januar beschließt sie, gegen die von dem PrKM für die Reichsregierung in übereinstimmung mit dem Zentralrat vorgenommene Neuregelung der Kommandogewalt Verwahrung einzulegen, weil diese ohne vorherige Fühlungnahme mit der preußischen Regierung erfolgt ist10 • Nachdem die Reichsregierung diesen Protest zurückgewiesen hat, betont sie noch einmal ausdrücklich, "daß das Staatsministerium nicht über alle Maßnahmen des Kriegsministers in Reichssachen aufgeklärt zu werden wünsche, sondern nur fordere, über neue organisatorische Maßnahmen, die das Reich beabsichtige, gehört zu werden, bevor sie erlassen würden11." Dennoch spricht die preußische Regierung beim Reichswehrgesetz vom März nicht mehr mit als bei der J anuar-Verordnung. Einen Partikularismus, wie ihn die übrigen Kriegsminister entwickeln - er paart sich zum Glück mit völliger militärischer Unfähigkeit - hat Reinhardt nie an den Tag gelegt. Während sich der Präsident des Staatsministeriums z. B. bei der Reichsregierung für die Verhängung des landesrechtlichen Belagerungszustandes einsetztl2 , plädiert der PrKM im Sinne des RWM für die Verhängung des Belagerungszustandes von Reichs wegen l3 ; und zwar geschieht das zur Entrüstung Hirschs14 , nachdem er seinen Antrag bei der Reichsregierung schon gestellt hat. Meinungsverschiedenheiten zwischen Noske und Reinhardt treten nicht hervor; sie scheinen gleichfalls bei der Ablehnung des Friedensvertrages und der Erhaltung Preußens15 einer Meinung zu sein, und zwar diesmal zugunsten der preußischen Regierung. Zu dem Einvernehmen trägt sicher bei, daß Reinhardt der Unterstützung Noskes gegenüber der Öffentlichkeit wie gegenüber der OHL dringend bedarf. In der Frage der weiteren Vereinheitlichung des Militärwesens tritt der PrKM zunächst wie der PrMdöA für ein schrittweises Vorgehen ein. Er ändert seine Haltung, als sich das Reichsministerium im Februar 1919 10 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 24. 1. 1919, DZA Merseburg. Der Protest geht der Reichsregierung am 28. 1. 1919 zu. 11 Preuß. Staatsm.-Prot. v. 31. 1. 1919, DZA Merseburg. 12 Schreiben des Präs. des Staatsm. Hirsch vom 25. 5. 1919 an die Staatsminister und den RWM. DZA Merseburg, Rep. 120 CB 1 Nr. 110 b Bd. 1. 13 Schreiben des PrKM vom 17. 6. 1919 an den Präsidenten des Reichsministeriums und an sämtliche Staatsminister, a. a. O. 14 Schreiben des Präsidenten des Staatsm. v. 28. 6. 1919 an sämtliche Staatsminister, a. a. O. - Er betont: "Es erscheint mir nicht angängig, daß nachdem ich bei der Reichsregierung einen bestimmten Antrag gestellt habe, seitens eines Einzelressorts nach außen hin ein entgegengesetzter Standpunkt zum Ausdruck gebracht wird." 15 Ernst, Fritz: Aus dem Nachlaß des Generals Walther Reinhardt, in: Die Welt als Geschichte, Stuttgart 1958, S. 59.

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für die sofortige Verreichlichung der einzelstaatlichen Militärverwaltungen und der Kontingentsheere mit Abschluß der Reichsverfassungsberatungen entscheidet16 • Für die Position des PrKM bei den Verfassungsberatungen ist allgemein nicht die preußische, sondern die Reichsregierung ausschlaggebend. Sofort nach dem Inkrafttreten der Reichsverfassung beginnt im August die übernahme der einzelstaatlichen Heeresverwaltungen auf das Reich. Das Reichswehrministerium, gebildet auf Grund der Verordnung vom 14. 9. 1919, tritt am 1. Oktober in Wirksamkeit17 • Das Reichswehrministerium wird - trotz der Opposition Groeners gegen "ein auf das Reich erweitertes preußisches Kriegsministerium"18 - im wesentlichen aus der ehemaligen preußischen Zentralbehörde gebildet. Mit dem 1. Oktober 1919 ist die 1867 begonnene Entwicklung der Kontingentsverwaltungen zur einheitlichen Reichsmilitärverwaltung abgeschlossen. Reinhardt scheidet zugleich am 1. Oktober aus dem Staatsministerium aus und übernimmt das Amt des Chefs der Heeresleitung, also das des höchsten Soldaten der Reichswehr. Eine Frage, die vor allem im Gefolge der übernahme der preußischen Heeresverwaltung zwischen Preußen und Reich akut wird, ist die der Rechtsansprüche der Länder auf die Militärgrundstücke auf Grund des Reichsgesetzes vom 25. 5. 1873 über die Rechtsverhältnisse der zum dienstlichen Gebrauch einer Reichsverwaltung bestimmten Gegenstände l9 • Das Reich konzediert gegenüber Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg höchstens ein Rückfallrecht an den Militärgrundstükken, die in die Kontingentsverwaltung eingebracht sind und nicht mehr militärisch genutzt werden; die dagegen von den Militärverwaltungen im Frieden und im Kriege mit den ihnen überwiesenen Quoten hinzuerworbenen Liegenschaften sind für die Reichsregierung mit der Verreichlichung des Militärwesens zu freiem Eigentum des Reiches geworden. Das Reich sucht im Oktober 1919 zunächst, die Ansprüche der Länder durch ein Reichsgesetz aufzuheben und klare Besitzverhältnisse in seinem Sinne zu schaffen. Es verzichtet jedoch auf Grund der vom preußischen Staatsministerium20 und den übrigen betroffenen Länderregierungen eingelegten Proteste. Auf preußischer Seite verlangt der Eisenbahnminister Gebäude für seine Behörden, der Landwirtschaftsminister ehemalige Truppenübungsplätze usw. für Siedlungsland und der Wohl18 a. a. 0., S. 62, Anm. 15. 17 Vgl. hierzu Meyer-Welcker, Hans: Die Stellung des Chefs der Heeresleitung in den Anfängen der Republik / Zur Entstehungsgeschichte des Reichswehrministeriums; S. 145-160 in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1956. 18 So in der Denkschrift der OHL "Zur Organisation der Obersten Reichsmilitärbehörden" vom 9.5.1919; zit. a. a. 0., S.147. 19 RGBl. 1873, S. 113. 20 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 2. 10. 1919, DZA Merseburg.

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fahrtsminister Gebäude zur Behebung der Wohnungsnot!1. Zwischen preußischer und Reichsregierung kommt eine allgemeine Vereinbarung trotz jahrelanger Verhandlungen über die Liegenschaften der Militärverwaltung nicht zustande 22 • Zwischen dem Reich und der sächsischen und württembergischen Regierung bleibt gleichfalls eine generelle Regelung aus, und bei Ansprüchen auf Liegenschaften der Militärverwaltung muß von Fall zu Fall entschieden werden. Mit Bayern vergleicht sich das Reich 1924 23 • Eine Sonderstellung nehmen neben dem PrMdöA und dem PrKM gleichfalls das Demobilmachungskommissariat und das Ernährungskommissariat ein. Der Staatskommissar für Volksernährung und der für wirtschaftliche Demobilmachung sind keine Staatsminister, sie sind nicht ausdrücklich als Landeszentralbehörde etatisiert; aber dennoch unterstehen sie keinem Minister. Sie haben eine ministergleiche Stellung außer halb des Kabinetts. Die Grundlage ihrer Sonderstellung ist die Verbindung mit Reichsministerien durch Personalunion. - Für die Reichsminister ist die Stellung als preußische Staatskommissare der legale Weg, sich gegenüber Preußen in einem bestimmten Sachbereich eine Monopolstellung zu sichern und die direkte Verfügungsgewalt über preußische Exekutivorgane zu erreichen. Der Reichsminister für wirtschaftliche Demobilmachung vermag eine vom Staatsministerium unangefochtene Macht als Staatskommissar bis zur Auflösung des Demobilmachungsamtes im März 1919 aufrecht zu erhalten. Schwierig gestaltet sich im Laufe der Zeit die Stellung des Ernährungsministers und Staatskommissars für Volksernährung. Mit der wachsenden Konsolidierung wirkt sich ungünstig aus, daß der Staatskommissar im Gegensatz zu früher nicht mehr die Stellung eines Staatsministers einnimmt. Das ist auch nicht durch die häufigere Teilnahme an den Staatsministerialsitzungen wettzumachen. Das Staatsministerium beschließt am 12. 4. 1919 ausdrücklich, daß nur die Staatsminister Stimmrecht im Staatsministerium haben 24 • Indem das Staatsministerium wieder mehr die Instruktion der preußischen Stimmen in der Ländervertretung in die Hand nimmt, geht auch die von vor dem Umsturz übernommene Selbständigkeit des Staatskommissars in der Ländervertretung verloren. Seiner Mediatisierung durch das Staatsministerium folgt 1922 die Auflösung der Personalunion zum Reich und der übergang des StaatskomVgl. Braun: Weimar, S. 220. Hirsch: Sozialdemokratie, S. 184. 23 Siehe Denkschrift des RFM zu dem Übereinkommen betr. finanzieller Liquidation des bayerischen Militärreservates, der Anlage zu seinem Schreiben vom 29. 2. 1924 an das Reichsministerium (Abschrift). BAK, 135/6241. Zum Verhältnis der bayerischen Regierung zu dieser Frage s. auch Rt-Dr. Nr. 2547 vom 18. 7. 1921. 24 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 12. 4. 1919, DZA Merseburg. 21

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missariats auf den Landwirtschaftsminister. Damit ist diese Einflußlücke vollständig zugunsten des Staatsministeriums und des Landwirtschaftsministeriums geschlossen. Das in Personalunion mit dem Reichskommissariat für Wohnungswesen verbundene Staatskommissariat für das Wohnungswesen, das bis zum März 1920 besteht, bereitet der preußischen Regierung keine Schwierigkeiten. Der Wohnungskommissar ist zunächst dem Demobilmachungskommissariat unterstellt und nach dessen Auflösung dem preußischen Wohlfahrtsminister. Entsprechend dem anfänglichen Fehlen einer einheitlichen preußischen Staatsspitze, wie es die übrigen Länder in ihren Kabinetten besitzen, ist auch die preußische Vertretung im Staatenausschuß und im Reichsrat zunächst ungenügend. Der preußische Anteil an den 57 Stimmen des Staatenausschusses beträgt 1925 • Alle außerpreußischen Ländervertretungen werden von einem stimmführenden Bevollmächtigten geführt, allein die preußischen Vertreter nicht, die nur die sie delegierenden Ressorts repräsentieren. Das Staatsministerium .tritt vor allem nur ungenügend bei der Instruktion in Erscheinung. Schon während des Krieges ist die Selbstherrlichkeit der Ressortminister hierbei störend hervorgetreten. Das Staatsministerium beschließt am 10. 4. 1919 26 , daß die Instruktion der preußischen Stimmen bei allen wichtigen Vorlagen durch das Staatsministerium erfolgen soll, und diese Vorlagen demgemäß im Staatsministerium zum Vortrag zu bringen sind. Die selbständige Instruktion ist den Ressortministern auf die weniger wichtigen Vorlagen beschränkt. In der Regierung Hirsch wird der Begriff der weniger wichtigen Vorlagen allerdings sehr weit gefaßt. Eine bedeutsame Einflußminderung für Preußen im zentralen Länderorgan ist neben der Auflösung der preußischen Vertretung, die schon lange vor dem Umsturz einsetzt und 1919 ihren Höhepunkt erreicht, der Verlust des Präsidiums. Den Aufstieg zeigt an, daß Art. 61 WRV den Anteil Preußens im Reichsrat auf 40 0J0 erhöht 27 • Es ist also wie im alten Bundesrat keine Verfassungs änderung gegen Preußen möglich, denn dazu ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Preußen und Bayern allein haben schon die absolute Mehrheit. Die beiden wichtigsten Länder können sich überdies bei einer übereinstimmenden Stellungnahme ausrechnen, daß sie noch andere Regierungen auf ihre Seite ziehen. 25 Zusammensetzung des Staatenausschusses: Preußen 19, Bayern 7, Sachsen 5, Württemberg 3, Baden 3, Hessen 2 Stimmen, die übrigen Staaten je eine Stimme. Nach der Verschmelzung der beiden Reuß sinkt die Gesamtstimmenzahl von 58 auf 57. Jellinek: Revolution und Reichsverfassung, S.34. 26 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 10.4. 1919, DZA Merseburg. 27 Stimmenverhältnis im Reichsrat: Beim Inkrafttreten der Reichsverlassung besitzt Preußen 25 Stimmen, Bayern 7, Sachsen 5, Württemberg 3, Hessen 2, die übrigen Länder je eine Stimme. Die Gesamtstimmenzahl der

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Die preußische Regierung ist Ende 1919 sehr um die Fortsetzung der schon im alten Bundesrat geübten engen Zusammenarbeit mit der bayerischen Regierung bemüht. Der württembergische Gesandte Moser in München berichtet am 20. Oktober nach Stuttgart28 : "Der preußische Geschäftsträger Graf Zech ... sagte kürzlich, es sei ganz merkwürdig, wie partikularistisch die Preußische Regierung in der letzten Zeit geworden sei. Der Minister Wolfgang Heine ... habe ihm nahegelegt, bei der Bayerischen Regierung ein gemeinsames Vorgehen mit der Preußischen Regierung gegen die Reichsleitung in gewissen Fällen vorzuschlagen und habe gemeint, man könne auch noch andere größere Staaten auffordern, sich anzuschließen. Das sei doch lächerlich ... " Ähnlich wie gegenüber Graf Zech scheint sich die preußische Regierung gegenüber dem bayerischen Gesandten in Berlin von Preger geäußert zu haben, wie dessen Stellungnahme auf der Stuttgarter Konferenz am 7. 1. 1920 vermuten läßt29 • Ende November 1919 kündigt der preußische Ministerpräsident Hirsch der bayerischen Regierung seinen Besuch an; dieser findet jedoch nicht statt. Zumindest der bayerische Ministerpräsident Hoffmann scheint nicht gewillt zu sein, eine Koalition gegen die Reichsregierung aufzubauen. Das bekundet er auch durch sein Votum 24 Länder beträgt 63 Stimmen. Die Stimme Waldecks wird von Preußen instruiert. Die erste Veränderung ereignet sich infolge des Zusammenschlusses der thüringischen Länder und der Vereinigung Coburgs mit Bayern: ab 1. 5. 1920 Gesamtstimmenzahl der nun 18 Länder 55. Preußen besitzt noch 22, Bayern 7, Sachsen 5, Württemberg 3, Baden 3, Thüringen 2, Hessen 2 Stimmen; die übrigen 11 Länder haben je 1 Stimme. Die zweite Veränderung gibt es auf preußische Anregung hin im Zusammenhang mit der Regelung des Eintritts der preußischen Provinzvertreter. Ab 28. 4. 1921 beträgt die Stimmenzahl der 18 Länder 66. Preußen besitzt jetzt 26 Stimmen, Bayern 10, Sachsen 7, Württemberg 4, Baden 3, Thüringen 2, Hessen 2, Hamburg 2 Stimmen; auf die übrigen 10 Länder kommt je eine Stimme. 28 Bericht des württembergischen Gesandten in München vom 20. 10. 1919. WüSTAL, WÜGes. C5/25 Bd. 1. 29 Zum Konferenzprotokoll siehe Teil B, VII, 2, Anm. 29. Der bayerische Berliner Gesandte von Preger betont "das Bedürfnis, das Preußen auch in Zukunft hat und jetzt nach seiner vollkommen veränderten Stellung im Reich viel mehr hat, mit den einzelnen Bundesregierungen Fühlung zu nehmen, um unter Umständen Maßnahmen, die von seiten der Reichsregierung vorbereitet werden und die Preußen für wenig wünschenswert hält, durch übereinkunft mit den anderen Bundesregierungen hintenanzuhalten. Das Bedürfnis Preußens, sich an die anderen Bundesstaaten anzulehnen, ist jetzt ein ganz anderes geworden, wo es nicht mehr als Präsidialmacht des Reiches gilt, wo es von den Maßnahmen der Reichsregierung nichts mehr erfährt, sondern erst, wie die anderen Bundesstaaten, davon überrascht wird, wenn die Sachen an den Reichsrat kommen. Seit der Zeit haben sich die Verhältnisse fühlbar gewandelt, und man kann wohl sagen, daß das Verhältnis ein sehr viel anderes und besseres geworden ist, und daß wir durch gemeinsame Zusammenarbeit zwischen Preußen und anderen Ländern schon sehr viel zugunsten der einzelnen Staaten gegenüber dem Reich erreicht haben." In diesem Sinne tritt von Preger entschieden für die Beibehaltung der Gesandtschaften bei Preußen ein.

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zugunsten einer Auflösung der Bayerischen Gesandtschaft bei Preußen auf der Stuttgarter Konferenz. Die Koalitionsmöglichkeiten zwischen Bayern und Preußen verbessern sich auch in der Folgezeit nicht. Denn im März 1920 ergreift in München eine rechtsorientierte Regierung mit Militärhilfe die Macht, eine Regierung, die sich der Unterstützung der Selbstschutzverbände erfreut, während sich in Preußen unter dem Einfluß der Gewerkschaften eine Regierung bildet, die sich scharf gegen die Rechtsgruppen stellt. Aber dafür wird jetzt Sachsen als Partner aufgewertet. Auf Grund der Verminderung der Gesamtstimmenzahl im Reichsrat im Mai 1920 reicht die Verständigung Preußens mit Sachsen für eine geringe Mehrheit aus; dabei ist entscheidend, daß Preußen die Stimme Waldecks führt. Preußen ist in dem Genuß der vollen Stimmenzahl bis zum Juni 1921, als die preußischen Provinzialvertreter in den Reichsrat einziehen. Preußen besitzt also zahlenmäßig gerade in den beiden Jahren eine ungeschwächte Vorrangstellung im Reichsrat, in denen die wichtigsten Reformvorlagen an den Reichsrat kommen. Nicht nur die preußische Stimmenzahl vermehrt sich 1919 im Reichsrat, sondern auch das Gewicht der dort tätigen preußischen Vertretung 30• Um den Mangel an Einheitlichkeit in der Haltung der preußischen Vertretung zu beheben und zu vermeiden, daß es weiterhin vorkommt, daß Preußen bei Sitzungen überhaupt nicht vertreten ist, erwirkt Ministerpräsident Hirsch im September die Bestellung eines ständigen stimmführenden stellvertretenden Bevollmächtigten durch das Staatsministerium analog den ständigen Vertretungen der übrigen Länder. Der Denkschrift Hirschs nach31 soll der preußische Wortführer an allen Plenarsitzungen teilnehmen, die preußische Stimme führen, für ein geschlossenes Auftreten Preußens sorgen, an wichtigeren Ausschußsitzungen teilnehmen und die Fühlung mit den außerpreußischen Ländern aufrechterhalten, um die Preußen "zukommende Führung im Reichsrat zu behalten"; denn: "Die anderen Länder bedürfen einer Führung und verlangen selbst eine solche ... ". Mit dieser Aufgabe betraut das Staatsministerium am 12. 9. 1919 aus der Behörde des Ministerpräsidenten den Ministerialdirektor DT. Nobis. Die mit dieser Maßnahme verbundene Einflußsteigerung des Präsidiums schränken die Ressorts sehr bald wieder ein. Am 10. November beauftragt das Staatsministerium drei neue stellvertretende Bevollmächtigte im Hauptamt; anstelle von Dr. Nobis, der nur auf die Funktionen eines gewöhnlichen stimmführenden Bevollmächtigten reduziert wird, vertreten jetzt je ein Beamter des 30 Die preußischen Staatsminister sind sämtlich zu Bevollmächtigten zum Reichsrat ernannt und die führenden Ministerialbeamten zu stellvertretenden Bevollmächtigten zum Reichsrat. 31 Denkschrift vom 10.9. 1919. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr.39 Beiakt 4 r.

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Finanz-, des Innen- und des Handelsministeriums das preußische Staatsministerium ständig. Diese hauptamtlichen Vertreter nehmen zunächst auch die Interessen der übrigen Ministerien - soweit nötig - ständig wahr. Im Mai 1920 wird ihre Kompetenz jedoch eingeschränkt auf ihre Ressorts betreffende Beratungen; und im übrigen treten die nebenamtlichen stellvertretenden Bevollmächtigten in ErscheinungS!. Die Maßnahmen des Staatsministeriums im Sinne einer einheitlicheren Haltung der preußischen Vertretung scheinen nicht voll von Erfolg gekrönt zu sein. Der RMdI Koch beschwert sich 1921 33, da sich dies auch zuungunsten des Reiches auswirkt: "Während alle übrigen Länder im Reichsrat durch eine Persönlichkeit vertreten sind, die ihrer Regierung für die gesamte politische Haltung, die sie einnimmt, verantwortlich ist, läßt sich Preußen durch Beamte seiner Ministerien vertreten, die in vielen Fällen in ihren Meinungen sogar voneinander abweichen. Der preußische Ministerpräsident ist zu einer einheitlichen Instruktion gar nicht in der Lage, wenn anders er nicht neben den preußischen Geschäften auch noch in die Geschäfte des Reiches vollkommen einzudringen versuchen würde. Es ist unbedingt erforderlich, daß Preußen sich durch die starke politische Persönlichkeit eines Ministers im Reichsrat vertreten läßt. - Dieser Minister könnte zugleich an Stelle des preußischen Staatssekretärs, der heute den Reichskabinettssitzungen beiwohnt, an den Kabinettssitzungen des Reiches teilnehmen." Er schlägt vor, daß ein gemeinschaftlicher Minister ohne Portefeuille das Reich und Preußen im Reichsrat vertritt. Ohne eine politisch voll für die Haltung der preußischen Gesamtvertretung verantwortliche Persönlichkeit fehlt dem Reich natürlich der richtige Adressat seiner Absichten. Ein gemeinsamer Reichsratsminister - seine Funktion übte Bismarck als preußischer Außenminister aus - würde bedeuten, daß Preußen schon vor Beginn der Reichsratsverhandlungen gebunden wäre. Das ist wiederum nur möglich, wenn auch die Spitzen beider Kabinette, die die Richtlinien der Politik bestimmen sollen, identisch sind. Dieser Vorschlag fällt mit dem Mißlingen der Personalunion der Kabinettchefs. Braun schafft nur insoweit Wandel, als er die Instruktion der preußischen Reichsratsstimmen mehr als bisher an das Staatsministerium zieht. Daß die Gefahr der Divergenz der Ansichten innerhalb der preußischen Reichsratsvertretung mehr als bei den Vertretungen anderer Länder gegeben ist, macht schon ihr Umfang deutlich. Die preußische Reichsratsvertretung umfaßt 1919 neben den Bevollmächtigten, die kaum im 32 Der PrMfLDuF Braun beansprucht vergeblich am 20. 9. 1920 einen hauptamtlichen Vertreter für sich. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr.39 Beiakt 4 r. 33 Koch: Vereinheitlichung und Vereinfachung der Reichsverfassung, in: Deutsche Juristen-Zeitung, 26. Jg.1921, Sp. 292.

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Reichsrat erscheinen, 90 stellvertretende Bevollmächtigte; 1922 sind es neben den 8 Bevollmächtigten des Staatsministeriums und den 12 Bevollmächtigten der Provinzialverwaltungen und ihren 12 Stellvertretern 82 stellvertretende Bevollmächtigte. Zahlenmäßig ist die preußische Gesamtvertretung 1922 mit 108 Personen so stark wie die aller anderen Länder zusammen, die genau 107 stellen. Ein großes Kontingent von stellvertretenden Bevollmächtigten ist für Preußen von Bedeutung, damit es zumindest bei der Feinarbeit in den Ausschüssen den preußischen Einfluß gehörig zur Geltung zu bringen vermag. In den Ausschüssen gibt es auch nach 1921 keine Teilung der preußischen Stimmen; dort hat jedes Land nur eine Stimme, und die preußische bleibt dem Staatsministerium. Braun lehnt gerade wegen des preußischen Einflusses in den Ausschüssen eine Verminderung der Zahl der stellvertretenden Bevollmächtigten ab: "Da durch die bekannten Vorschriften der Reichsverfassung der Einfluß Preußens im Plenum künstlich niedrigggehalten ist, muß wenigstens für die Ausschüsse volle Bewegungsfreiheit bleiben34 ." Für den Einfluß Preußens in den Ausschüssen ist gleichfalls die Verteilung der Referate von Bedeutung. In der bisherigen Staatenvertretung lagen, da Preußen das Präsidium innehatte, alle Referate bei nichtpreußischen Bevollmächtigten. Bei der Neuordnung im November 1919 erhält Preußen die Referate Haushalt, Steuern und Verfassung, d. h. die zentralen Gebiete. Im Zuge der Neuordnung der Stellung Preußens in der Staatenvertretung hat das Preußische Staatsministerium gegenüber seiner Vertretung nicht nur die Aufgabe, für ein einheitlicheres Auftreten zu sorgen, sondern auch dafür, daß die Vertreter überhaupt im Reichsrat erscheinen. Die höhere Ministerialbürokratie glaubt augenscheinlich, die schon von den früheren Reichskanzlern an den preußischen Ressorts viel gerügte Abstinenz von den Reichsratsverhandlungen auch unter den veränderten Verhältnissen ruhig fortsetzen und wie bisher das Schwergewicht der Einwirkung Preußens auf die Reichswillensbildung in die Vorverhandlungen legen zu können. Die Ministerpräsidenten Hirsch und Braun müssen die stellvertretenden Bevollmächtigten erst mehrfach auf die regelmäßige Erfüllung ihrer Vertretungspflichten hinweisen35 • Von dem riesigen preußischen Kontingent von stellvertretenden Bevollmächtigten sind 1919 im Reichsrat nur wenige zu sehen; und sie fehlen auch 1920 zunächst noch häufig. Das geschieht selbst bei den Abstimmungen 34 Schreiben des Ministerpräsidenten Braun vom 17. 2. 1922 an die Staatsrninister. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 42 Beiakt 1. a5 Ministerpr. Hirsch am 29.9.1919 an das Staatsministerium, am 12.2.1920 an das Staatsministerium, Ministerpräsident Braun am 6. 5. 1920 an das Staatsministerium und am 10.8. 1920. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr.39 Beiakt4r.

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in den Ausschüssen und falls sie Bericht zu erstatten haben, so daß des-

halb Sitzungen vertagt werden müssen. Braun erklärt am 10. 8. 1920ss : "Dieser Zustand wird nachgerade schon zu einem Gegenstand des Spottes bei den Vertretern der übrigen Länder." Er droht, säumige Beamte persönlich zur Rechenschaft zu ziehen. Wiederholt wird die Androhung disziplinarischen Vorgehens noch einmal ausdrücklich am 2.9.1920 vom PrMdI 37 • Erst jetzt verstummen die Beschwerden.

Das wachsende Gewicht Preußens im Reichsrat ist unverkennbar. Der RMdI Koch äußert 1921 38 : "Preußen vermag ... fast jede Vorlage im Reichsrat so zu gestalten, wie es seinen Wünschen entspricht; auch wo über die großen politischen Richtlinien durch Chefbesprechungen ein Einvernehmen erzielt zu sein scheint, setzt sich im Reichsrat in allen Nebenfragen oder in allen denjenigen Fragen, die auf den ersten Blick als Nebenfragen erscheinen, die preußische Meinung fast immer durch." Dieser Einflußnahme ist nur schwer zu begegnen. Eine Vorlage gar gegen den Widerspruch Preußens durch den Reichsrat zu bringen, hält Koch auf Grund seiner Erfahrungen für unmöglich. Einen "festen Trust gegen Preußen zu bilden", beurteilt er als "unzweckmäßig und kaum durchführbar". Gerade angesichts dieser Abhängigkeit bereitet die häufig eigenständige Politik Preußens im Reichsrat der Reichsregierung nicht geringe Schwierigkeitensu • Zu dem taktischen Vorgehen Preußens bei den Reichsratsverhandlungen äußert ein Regierungsvertreter im Hauptausschuß der VPrLv im September 1920 aus Anlaß der Besprechungen des Etats des Preußischen Handelsministeriums 4o : "Nachdem sich die Stellung des Reichsrats ganz anders gestaltet habe, wie die frühere Stellung des Bundesrats gewesen sei, habe man preußischerseits den Weg gewählt, bei allen wichtigen Fragen Vorbesprechungen mit den Vertretern der anderen Länder abzuhalten, ehe die Sachen vor der Reichsregierung und dem Reichsrat verhandelt würden. Man habe sich über Richtlinien geeinigt, wie man verfahren wolle, und habe in den Vorbesprechungen die Interessengegensätze auszugleichen gesucht." Ein Zusammengehen Preußens mit den anderen Ländern ist vor allem dann aktuell, a. a. O. Abschrift des Schreibens des PrMdI an das Staatsministerium. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 39 Beiakt 4 r. 38 Koch am 6.4. 1921 in der Deutschen Allgemeinen Zeitung Nr. 158, zum Verhältnis Preußen-Reich. Vgl. auch seinen Artikel in der DJZ vom 1. 5. 1924, Sp.294. 3U Staatsekretär Albert aus der Reichskanzlei am 7. 1. 1921 in der Denkschrift für die Zentralstelle für die Neugliederung des Reiches. Schurz, Gerhard: Zwischen Demokratie und Diktatur / Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik; Bd.l: Die Periode der Konsolidierung und der Revision des Bismarckschen Reichsaufbaues 1919-1930, Berlin 1963, S. 323. 40 Bericht des Hauptausschusses vom 15.9.1920, VPrLv.-Dr. Nr. 2917, Sp.l0. 8S

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wenn es seine Interessen bei einer direkten Kontaktnahme mit dem Reich nicht berücksichtigt sieht. Auch außerhalb der Staatenvertretung vermag sich Preußen durch eine Vielzahl von Kanälen an der Reichswillensbildung zu beteiligen. Von der Verbindung zwischen VPrLv und VNV und von preußischer Regierung und VNV war oben schon die Rede. Insgesamt gehören 10 Abgeordnete der VPrLv zugleich der VNV an und 21 dem Reichstag41 • Dabei ist zu beachten, daß es sich nicht um Hinterbänkler, sondern immer um führende Persönlichkeiten - vor allem der Mehrheitsparteien handelt. Es finden weiter gemeinsame Sitzungen von Fraktionen des Reichs- und preußischen Parlaments statt, und Vertreter beider Parlamente arbeiten in gemeinsamen Ausschüssen zusammen. Noch bedeutsamer ist die Koordination der Reichs- und preußischen Exekutive. Es finden kommissarische Besprechungen zwischen Reichs- und preußischen Ressorts statt, preußische Minister nehmen an Reichskabinettssitzungen zu den sie berührenden Angelegenheiten teil - vereinzelt 1919 auch Reichsminister an preußischen Kabinettssitzungen -, und bei besonderen Anlässen finden gemeinsame Sitzungen von Reichs- und preußischer Regierung in der Reichskanzlei statt. Diese Zusammenarbeit dient natürlich gleichfalls dem Reich, bei dem ja 1919 überhaupt die politische Initiative liegt. Die folgende vom Staatsministerium am 12. April angesichts des Anwachsens der Spannungen zwischen Preußen und dem Reich getroffene42 Entscheidung dient offenkundig dazu, den Reichseinfluß bei dieser Zusammenarbeit einzsuchränken; die Staatsminister beschließen, "Vertreter der Reichsministerien zu den Sitzungen des Staatsministeriums, abgesehen vom Unterstaatssekretär in der Reichskanzlei, grundsätzlich nicht zuzuziehen." Die preußische Regierung reagiert hier wie im Kriege gegenüber der "Staatssekretarisierung Preußens". Vor allem auf Grund dieser Entscheidung spielt es sich ein, daß regelmäßig der Unterstaatssekretär der Reichskanzlei an den Staatsministerialsitzungen teilnimmt, wie es umgekehrt zur Regel wird, daß an den Reichsministerialsitzungen der höchste Beamte des Staatsministeriums teilnimmt. Vereinzelt findet sich zu den Staatsministerialsitzungen 1919 gleichfalls ein Beamter aus der Behörde des Reichspräsidenten ein. Schon sehr bald ist auf preußischer Seite eine Verstimmung festzustellen, da Preußen sich im Vergleich zu seiner Mitsprache bei der Arbeit 41 Von den VPrLv-Abgeordneten der SPD gehören drei der VNV und sechs dem Reichstag an, von denen der USPD einer der VNV und einer dem Reichstag, von der Kommunistischen Partei gehört einer dem Reichstag an, von der DDP gehört einer der VNV und dem Reichstag an, von der DVP einer der VNV und einer dem Reichstag, vom Zentrum gehören vier der VNV und einer dem Reichstag an und von der DNVP fünf dem Reichstag. 42 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 12.4. 1919, DZA Merseburg.

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der Reichsressorts vor dem Umsturz benachteiligt fühlt. Insbesondere das preußische Innen-, das Handels- und das Justizministerium melden Klagen an. Der Justizminister Dr. Am Zehnhoff (Z) hebt am 28.3.1919 als Erfahrung aus einem Geschäftsbereich hervor'3, "daß insbesondere die neugegründeten Reichsämter dazu neigen, wichtige Maßnahmen, die ohne Gefährdung preußischer Interessen nicht ohne vorherige Anhörung der beteiligten preußischen Verwaltung getroffen werden können, ohne diese Anhörung vorzunehmen." Die preußische Regierung ersucht das Reichsministerium, "im Interesse eines geordneten und einwandfreien Geschäftsverkehrs ... , die einzelnen Reichsressorts auf die bisher ständig geübte und bewährte Praxis einer jeweils rechtzeitigen und unmittelbaren Verständigung zwischen den obersten Reichs- und preußischen Behörden aufmerksam machen zu wollen"." Diese Mahnung wiederholt Hirsch im April und wendet sich erneut gegen die "Neigung" von Reichsbehörden, "von den bisher üblich gewesenen Gepflogenheiten des geschäftlichen Verkehrs zwischen den obersten preußischen Behörden und den obersten Reichsbehörden in einer den preußischen Interessen abträglichen Weise abzuweichen"'5. Trotz der Abneigung der preußischen Regierung, die Gegensätze zum Reich in die Öffentlichkeit zu tragen, läßt sie den Zentrumsabgeordneten Dr. Hager am 3.7.1919 vor der VPrLv feststellen 48, "daß es nicht angeht, daß unsere preußischen Minister und die führenden Männer der preußischen Politik über die wirtschaftlichen Maßnahmen der Reichsregierung in der Regel erst durch die Presse unterrichtet werden." Diese Beschwerde ist von preußischer Seite 1919 bis 1921 immer wieder zu hören. Der wesentliche Inhalt der preußischen Politik ist die Sicherung der preußischen Staatseinheit und - damit eng verknüpft - die Wiederherstellung der preußischen Staatsautorität. Die preußische Regierung befürwortet in der von Hirsch am 25. März vor der VPrLv abgegebenen Erklärung und bei anderer Gelegenheit zugleich den Einheitsstaat; sie tritt jedoch ein "für die Aufrechterhaltung des freien und unteilbaren Preußens, bis der deutsche Einheitsgedanke auf der ganzen Linie siegt"47. Sie konzediert die Vereinheitlichung, wie die Verfassungsberatungen zeigen, soweit sie sämtliche Staaten betrifft. Preußische Vorleistungen 43 Schreiben des Justizministers vom 28. 3. 1919 an das Staatsministerium. DZA Merseburg, Rep. 120 C XlIII Nr. 127 Bd. I. 44 Diese Äußerung aus einem Schreiben vom März 1919 wird wiederholt im Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums vom 24.4.1919 an den Präsidenten des Reichsministeriums und auch daraus zitiert. DZA Merseburg, Rep. 120 C XIII 1 Nr. 127 Bd. I. U a. a. O. 46 VPrLv-Prot. Bd. 3, Sp. 3008. 47 Hirsch, VPrLv-Prot. Bd. 1,25.3. 1919, Sp. 630.

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lehnt sie - besonders, wenn es um die Einheit des preußischen Staates geht - einmütig ab. Vom rein preußischen Staatsinteresse her ist die erste Errungenschaft, daß im November 1918 überhaupt eine neue preußische Regierung ins Leben tritt und daß diese den überkommenen preußischen Verwaltungsapparat aufrecht erhält und gegen die Räte restabilisiert. Einen Aufstieg bedeutet weiter die Wahl der VPrLv am 27. Januar und ihr Zusammentritt am 13. März nach der Niederschlagung der Berliner Unruhen durch Noske. Diese Entwicklung soll fortgeführt werden durch die baldige Verabschiedung der preußischen Verfassung. Im PrMdI liegt schon im Januar 1919 ein fertig ausgearbeiteter Verfassungsentwurf bereit. Die Arbeit an der Verfassung stockt von März bis August angesichts der Reichsverfassungsberatungen. Die Vorlage des Verfassungsentwurfs in der VPrLv erfolgt entgegen der ursprünglichen Absicht erst im Januar 1920. Die Hauptprobleme bei den Verfassungsauseinandersetzungen innerhalb des Staatsministeriums und unter den Koalitionspartnern sind die Frage der zukünftigen Stellung der Provinzen und die Frage der Einsetzung eines preußischen Staatspräsidenten. Das sind praktisch zugleich Reichsverfassungsprobleme. Das Institut eines preußischen Staatspräsidenten ist schon in dem im Februar dem Staatsministerium vorgelegten Gesetzesentwurf zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt in Preußen 48 vorgesehen. Es geht hierbei und später nicht um einen Staatspräsidenten nach dem Muster von Hessen und Württemberg; dort handelt es sich bei den "Staatspräsidenten" um reine Ministerpräsidenten49 • Preußen plant über dem Staatsministerim ein Staatshaupt, das analog dem Reichspräsidenten vom Volk in unmittelbarer geheimer Wahl auf sieben Jahre zu wählen ist. An Aufgaben sind dem Staatspräsidenten vor allem die Mitwirkung bei der Regierungsbildung und die Vertretung gegenüber dem Reich und den anderen Freistaaten zugedacht; dazu soll ihm ein suspensives Veto bei den vom Landtag verabschiedeten Gesetzen und ein zugunsten von Landtag und Verfassung sehr beschränktes Notverordnungsrecht zustehen. Das Staatsministerium stimmt in seiner Sitzung vom 21. 2.1919 mit geringer Mehrheit der Einsetzung eines Staatspräsidenten zu 50 • Das Reich ist über die preußische Verfassungsarbeit dauernd infor48 Die verschiedenen Verfassungsentwürfe sind vorhanden im DZA Merseburg Rep. 77 Tit. 496 a Nr. 188 Bd. 1. 49 Schulz setzt in "Zwischen Demokratie und Diktatur", S.I71, die süddeutschen Institute fälschlicherweise mit dem von Preußen geplanten staatspräsidenten gleich. 50 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 21. 2. 1919, DZA Merseburg Das Staatsministerialsitzungsprotokoll verzeichnet nichts über das Stimmenverhältnis. - Heine hebt die geringe Mehrheit in seiner Denkschrift vom 30. 10. 1919 an das Staatsministerium hervor. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 496 a Nr. 188 Bd. 1.

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miert und kann sich hier sofort einschalten. Der Reichspräsident und Vertreter der VNV-Fraktionen der SPD und des Zentrums sprechen sich voll dagegen aus, während von der DDP-Seite mit dem Gedanken der Personalunion des Amtes des Reichspräsidenten mit dem des vorgesehenen preußischen Staatspräsidenten ein Vermittlungsvorschlag offeriert wird51 • Da die preußische Regierung nicht nachgibt, entwirft die VNV-Fraktion der SPD am 6. März einen Initiativgesetzentwurf, nach dem bis zur Verabschiedung der Reichsverfassung in den Gliedstaaten endgültige Verfassungsgesetze nicht zu erlassen sind, in den einstweiligen Verfassungsgesetzen aber die Stellung eines Staatspräsidenten nicht vorgesehen sein darf. Wie es im Sitzungsprotokoll des Staatsministeriums vom 6. März heißt52, haben die "in Weimar anwesenden preußischen Minister in Verhandlungen mit dem Reichskabinett schärfsten Einspruch gegen diesen Antrag erhoben." Die Staatsminister suchen zugleich den Staaten ausschuß zu mobilisieren; aber ein Erfolg ist höchst unsicher, wenn die VNV dem Antrag nur gegen die Stimmen der Rechtsparteien zustimmen sollte. - Innerhalb der preußischen Regierung setzt sich vor allem der PrMdöA Hoff für den Verzicht auf den Staatspräsidenten ein. Er äußert dem PrMdI gegenübers3 : "Wenn es auch sehr erwünscht erscheint, daß die Vertretung Preußens dem Reich und den Freistaaten gegenüber in der Hand einer Person liegt, die nicht vom Parlament abhängig, vielmehr unmittelbar dem Volke gegenüber verantwortlich ist und von diesem seine Befugnisse erhält, so muß doch ernstlich befürchtet werden, daß das Wirken eines Staatspräsidenten neben einem Reichspräsidenten sich nicht reibungslos vollziehen wird. Schon jetzt ist zu erkennen, daß beim Reich das Bestreben vorhanden ist, die in den Tatsachen und den Verhältnissen begründete stärkere staatliche Stellung Peußens zu erschüttern. Dieses Bestreben wird sich in Zukunft versteifen und je mehr zu Gegensätzen führen, je mehr sich herausstellen wird, daß mangels Durchführung des unitarischen Reichsgedankens eine gewisse Vormachtstellung Preußens tatsächlich nicht beseitigt werden kann und auch im Gemeininteresse aufrechterhalten werden muß. Konnte unter den alten Verhältnissen diesen Gegensätzen infolge der Vereinigung des Reichs- und Staatsoberhauptes in einer Person ihre Schärfe genommen werden, so werden sie künftig in den Personen des Reichs- und Staatspräsidenten sich konzentrieren. Dabei wird es nicht ausbleiben, daß die Stellung des preußischen Staatspräsidenten die stärkere sein wird." Er schlägt den Verzicht Preußens auf den Staatspräsidenten um der Reichseinheit willen vor. 61 Preuß, Hugo: Verfassung des Freistaates Preußen, S. 224; Schulz, Demokratie, S. 171 f. 5! Preuß. Staatsm.-Prot. vom 6. 3. 1919, DZA Merseburg. 53 Schreiben des PrMdöA Hoff vom 11. 3. 1919 an den PrMdI Hirsch. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 496 a Nr. 188 Bd. 1.

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Bei einer erneuten Beratung am 12. März gibt das Staatsministerium das Institut des Staatspräsidenten auf mit der Begründung, daß die große Mehrheit der SPD-Fraktion der VPrLv dagegen sei54• Innenminister Heine macht später vor allem die Einwirkung aus der persönlichen Umgebung des Reichskanzlers für das Scheitern des Unternehmens verantwortlich55 • Aber der Hauptgegner wird wohl Ebert gewesen sein. Der Staatspräsident wird sowohl aus dem Entwurf der vorläufigen als auch aus dem Entwurf der endgültigen Verfassung gestrichen. Auf Grund dieses Verzichtes und der vorläufigen Zurückstellung der preußischen Verfassungsberatungen betreibt die SPD in der VNV den Erlaß eines Sperrgesetzes nicht weiter. Innerhalb der preußischen Regierung sind die Pläne zur Bestellung eines preußischen Staatspräsidenten jedoch noch nicht aufgegeben. Ministerpräsident Hirsch bekundet das deutlich genug aus Anlaß der Debatte über die provisorische Verfassung in der VPrLv 58 • Auch der PrMdI Heine lehnt die Einsetzung eines Staatspräsidenten über die endgültige Verfassung nicht grundsätzlich ab. In seiner Denkschrift vom 30.10.1919 zum Entwurf der endgültigen Verfassung 51 vertritt er die Meinung: "Daß ... gegenüber den fortgesetzten und immer feindseliger werdenden Eingriffen gewisser Personen des Reichskabinetts und der Nationalversammlung in die Integrität und politische Stellung Preußens es sehr wünschenswert ist, wenn Preußen eine seiner Bedeutung entsprechende repräsentative Spitze besitzt, wird jetzt klarer sein wie je." Aber angesichts der großen Widerstände von seiten der SPD-Fraktion, bei der auch nicht die geringste Stimmung dafür zu machen gewesen sei58, angesichts der Kritik, die die Presse - "nicht nur die sozialdemokratische, sondern auch die der demokratischen Partei" - seinerzeit "in einer sehr erregten und offensiven Weise" geübt habe, rät er ab. Er führt weiter an: "Gewisse sachliche Schwierigkeiten, die sich aus dem Nebeneinandertagen eines Reichspräsidenten und eines Preußischen Präsidenten an derselben Stelle in Berlin ergeben müßten, sind auch nicht außer Acht zu lassen." In diesem Sinne entscheidet sich das Staatsministerium am 3. November erneut gegen den Staatspräsidenten. Die von den Rechtsparteien bei den Beratungen über die endgültige Verfassung wie über die vorläufige Verfassung unternommenen Versuche, den Staatspräsidenten noch zu retten, sind belanglos. Die Fragen der Provinzial autonomie und der Errichtung eines Finanzrates oder Staatsrates als Provinzialvertretung in der Zentrale werden die entscheidenden Probleme bei den nach Fertigstellung der ReichsverS4

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Preuß. Staatsm.-Prot. vom 12. 3. 1919, DZA Merseburg. Heine in seiner Denkschrift vom 30. 10. 1919, s. Anm. 50. VPrLv-Prot. Bd. 1, 15. 3. 1919, Sp. 136 f. Siehe Anm. 50. Heine meint hier wahrscheinlich die SPD-Fraktion der VPrLv.

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fassung gepflogenen Verhandlungen über die zukünftige preußische Verfassung zwischen Regierung und Mehrheitsparteien und nach dem KappPutsch im Verfassungs ausschuß. Das Verhältnis der Provinzen zu Preußen und dem Reich ist wie die Frage des Einheitsstaates seit dem Umsturz von zentraler Bedeutung. Die Frage des zukünftigen Status der Provinzen ist für die preußische Regierung und die Reichsregierung identisch mit der Frage der Einheit des preußischen Staates, und speziell für die Reichsregierung mit der Frage der weiteren Vereinheitlichung des Reiches und des Schicksals des Reiches als Staat. Unitarismus und Autonomiebestrebungen fließen weithin ineinander. Das preußische Staatsministerium stabilisiert und verteidigt demgegenüber seine Stellung zwischen Reich und Provinzen mit wachsender Konsequenz. Das zeigt sich bei den Reichsverfassungsberatungen, bei den Verhandlungen über die preußische Verfassung, bei der Bekämpfung der Autonomiebestrebungen im Rheinland, in Oberschlesien, in Schleswig-Holstein, in Hannover und in Ostpreußen, bei der Bekämpfung der von anderen Ländern betriebenen Neugliederungsbestrebungen, bei der Einflußnahme auf die Reichsgesetzgebung und gegenüber der Tätigkeit der Reichsverwaltung und ihrer Ausdehnung. Zu beachten ist hierbei jedoch, daß die preußische Regierung nicht schroff ihr Staats- dem Reichsinteresse gegenüberstellt, sondern mehr als jede andere Regierung in ihrer Argumentation ihr Interesse mit dem des Reiches zu identifizieren vermag. Zu Differenzen zwischen Preußen und dem Reich kommt es - abgesehen von den Reichsverfassungsberatungen - in diesem Bereich vor allem in der zweiten Jahreshälfte. Sie kommen an anderer Stelle zur Sprache. - In den ersten Monaten hat sich die preußische Regierung insbesondere mit der rheinischen Autonomiebewegung auseinanderzusetzen; und auch hier bleiben Schwierigkeiten mit dem Reich nicht aus. Die preußische Regierung ist sorgfältig auf die Beachtung der preußischen Staatsautorität bedacht, um den Sonderbestrebungen nicht in die Hände zu arbeiten. So reagiert sie recht empfindlich auf die Errichtung neuer Reichsbehörden im Rheinland. Zur Einschränkung der illegalen Ein- und Ausfuhr zwischen dem unbesetzten und besetzten Gebiet im Westen verfügt der Staatssekretär des Reichswirtschaftsamtes Wissell im Februar die Einsetzung eines "Kommissars für den Warenverkehr der besetzten Gebiete" mit dem Amtssitz in Köln. Ihm wird zusätzlich später ein Delegierter des Reichskommissars für Aus- und Einfuhrbewilligung angegliedert58 • Die Benachrichtigung des PrMdI - die an das sachlich in erster Linie beteiligte Handelsministerium unterbleibt - zieht einen Schwanz von preußischen Protesten hinter sich her. Nach Ansicht der preußischen Regie58 Schreiben des Staatssekretärs des Reichswirtschaftsamts an das PrMdI vom 20. 2. 1919. DZA Merseburg, Rep. 120 C XlIII Nr. 127 Bd. 1.

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rung ist das Reich nach der Reichsverfassung im allgemeinen auf die Gesetzgebung und Aufsicht beschränkt, während die Verwaltung durch die Organe der Landesregierung zu führen ist60 • So sind die Reichsbehörden "nicht berechtigt ..., auf solchen Gebieten, wo ihnen nicht auch die Verwaltung bis zur untersten Stelle zusteht, örtliche Reichsorgane in der Provinz ohne Zustimmung oder gar Kenntnis des betreffenden Gliedstaates einzusetzen61 ." Die ganze Einrichtung in Köln ist der preußischen Regierung höchst verdächtig. Hirsch bezweifelt, "daß das Reichswirtschaftsamt sich eine ähnliche rücksichtslose Beseiteschiebung der Landesregierung zum Beispiel bezüglich der auch im besetzten Gebiet liegenden bayerischen Rheinpfalz erlaubt haben würde 62." Der PrMdI und Ministerpräsident hält die Maßnahme für einseitig gegen den preußischen Staat gerichtet. Wenn das Reichswirtschaftsamt nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorgegangen wäre, hätte es seiner Meinung nach das Reichskommissariat in Trier, dem Sitz der interalliierten Wirtschaftskommission, eingerichtet und nicht in Köln. Der Reichskommissar hat noch dazu als Amtssitz ein städtisches Gebäude gewählt. "Also hat es das Reichswirtschaftsamt für gut befunden, zwar die preußischen Staatsbehörden auszuschalten, aber mit dem Oberbürgermeister der Stadt Cöln vorher zu verhandeln. Der Oberbürgermeister der Stadt Cöln ist aber bekanntlich die treibende Kraft bei der Agitation für eine besondere rheinische Republik mit Cöln als Hauptstadt. Selbstverständlich hat er ein gewisses Interesse daran, nach Cöln bereits jetzt möglichst viel Filialen Berliner Zentralbehörden zu ziehen, die die Keimzellen darstellen würden für die künftigen rheinischen Zentralbehörden. Das Vorgehen des Reichswirtschaftsamts ist also von der größten innerpolitischen Reichweite und ist geradezu geeignet, die separatistischen Bestrebungen der Rheinprovinz zu unterstützen63 ." Kurz nach dem Reichswirtschaftsministerium - Anfang März - errichtet das Konkurrenzministerium, das Reichsernährungsministerium, gleichfalls ein Kommissariat in Köln. Der Reichsernährungsminister betont in der Mitteilung an die preußische Regierung das Einverständnis des Staatskommissars für Volksernährung64 • Das ist zwar nur eine lächerliche Formalität, da der Minister und der Ernährungskommissar identisch sind; aber in diesem Fall unternimmt die preußische Regierung nichts. Der Kommissar des REM wird 60 Vgl. Schreiben des PrMdI am 12.3.1919 an die Preuß. Reg. DAZ Merseburg, Rep. 120 C XlIII Nr. 127 Bd. 1. SI Beschluß des Staatsm. vom 12. 4. 1919, Preuß. Staatsm.-Prot., DZA Merseburg. 62 Der PrMdI am 12.3. 1919 an die Preußische Regierung. DZA Merseburg, Rep. 120 C XIII 1 Nr. 127 Bd. 1.

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a. a. o.

Vgl. Schreiben des PrMdI vom 12.3.1919 an die Preußische Regierung, Schreiben des REM am 9.4. 1919 an das PrMffiuG, DZA Merseburg, Rep. 120 C XIII 1 Nr. 127 Bd. 1. 64

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am 24. April gleichfalls zum preußischen Kommissar für die Lebensmittelversorgung der besetzten Gebiete bestellt. Als solcher erhält er sogar das Recht des unmittelbaren Geschäftsverkehrs mit den Provinzialund Lokalbehörden und den Berufsorganisationen des besetzten Gebietes. Dies Vordringen ist möglich auf Grund der besonderen Stellung des REM gegenüber Preußen. Anfang April stellt das AA die preußische Regierung in gleicher Weise wie das Reichswirtschaftsamt - trotz der inzwischen erfolgten Proteste - erneut vor eine vollendete Tatsache. Mit Schreiben vom 5. April teilt das AA mit, daß im Einvernehmen mit der Reichsregierung beschlossen worden sei, eine Unterkommission der Friedenskommission mit dem Sitz in Köln einzusetzen und daß zum Vorsitzenden dieser Kommission der Oberbürgermeister Adenauer der Stadt Köln bestimmt worden seiG5 . In diesem Fall kann die preußische Regierung beruhigt sein, da General Foch die Unterkommission der Friedenskommission sofort verbietet. Hirsch wirft der Reichsregierung vor, daß dieser Fehlschlag des AA nur möglich gewesen sei, weil es unterlassen habe, vorher mit der wohlinformierten preußischen Regierung Kontakt aufzunehmen. Preußischerseits wäre auf Grund der Unterrichtung durch die untergeordneten Behörden, wenn Fühlung genommen wäre, abgeraten und "auf Grund der eingehenden Kenntnisse der persönlichen und politischen Verhältnisse in der Rheinprovinz gegen die Wahl des Oberbürgermeisters Adenauer zum Vorsitzenden der Unterkommission nachdrücklich Einspruch erhoben worden"ft8. Wegen des Vorgehens des Reichswirtschaftsministeriums und "ähnlicher Fälle der Beiseiteschiebung preußischer Behörden aus neuer Zeit" regt die preußische Regierung eine gemeinsame Besprechung der bei den Kabinette an 67 • über diese Aussprache war nichts zu ermitteln. Aber augenscheinlich erreicht die preußische Regierung mit ihren entschiedenen Protesten vom Reichswirtschaftsministerium den Verzicht auf das Kommissariat für den Warenverkehr in den besetzten Gebieten. Der Beauftragte des Kommissars für die Aus- und Einfuhrbewilligung wird für April/Mai von der Besatzung ausgewiesenGs. Im es Das Schreiben des AA lag mir nicht vor. Es ist darauf Bezug genommen in dem Schreiben der preußischen Regierung an die Reichsregierung vom 20.4. 1919. DZA Merseburg, Rep. 120 C XliII Nr. 127 Bd. 1. 86 a.a.O. 67 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 12. 4. 1919, DZA Merseburg. 88 Die Einsetzung von Delegierten des Reichskommissars für Aus- und Einfuhrbewilligung bereitet in anderen Gebieten keine Schwierigkeiten. In Preußen wird noch eine Zweigstelle des Reichskommissars in Königsberg errichtet und außerhalb Preußens in München, Stuttgart und Karlsruhe. Breslau und Frankfurt am Main erhalten, obgleich die preußische Regierung auf Wunsch der Städte beim RWiM darum ersucht, keine Zweigstellen. Mit der speziellen Aufgabe der Außenhandelskontrolle setzt das RWiM im März 1920 in Köln einen "Reichskommissar für die überwachung der Ein- und Ausfuhr" ein.

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übrigen ist im besetzten Gebiet angesichts der außerordentlichen Anforderungen an den Staat allgemein der Ausbau von Sonderbehörden des Reiches ein unaufhaltsamer Prozeß, mit dem sich die preußische Regierung zumindest zeitweilig abfindet. Andererseits nimmt die Reichsregierung bei ihrer Verwaltungs organisation in den Provinzen Rücksicht auf die preußische Regierung89 • Von großer Bedeutung ist, daß sich die preußische Regierung bei ihrem Kampf für die Integrität des preußischen Staates, in den das obige Beispiel einen kleinen Einblick vermittelt hat, der Unterstützung der VPrLv zu versichern vermag. Der parlamentarische Rückhalt der preußischen Regierung für ihre Konzeption der Wahrung des preußischen Staatsinteresses bei gleichzeitiger Bejahung des Einheitsstaates zeigt sich schon im März. - Damit tritt die preußische Volksrepräsentation wiederum in Gegensatz zu der des Reiches, obgleich sie parteipolitisch so gut wie gleich zusammengesetzt ist70 • Preuß hat diese Entwicklung richtig vorausgesagt. Der preußischen Regierung gelingt es, die VPrLv im gleichen Monat, in dem die erste Lesung des Art. 15 (später Art. 18) im Verfassungsausschuß der VNV stattfindet, einzuberufen. An Autonomiebestrebungen beschäftigen die preußische Regierung in dieser Zeit vor allem die rheinischen. - Der Verlauf der Auseinandersetzung um den Art. 18 und die Entwicklung der rheinischen Sonderbestrebungen ist schon vielfach dargestellt. Hier interessiert nur die Stellung der VPrLv dazu. Am 20. März nimmt der Verfassungsausschuß gegen den heftigen Widerspruch des PrMdI Heine (SPD) den von dem rheinischen SPD-Abgeordneten Meerfeld eingebrachten Antrag an, der die Loslösung von Ge89 Aus der Politik der preußischen Regierung gegenüber den Loslösungsbestrebungen in den westlichen Provinzen ist u. a. folgender Beschluß des Staatsministeriums vom 26.8.1919 bemerkenswert: "a) Es soll an die Reichsregierung das Ersuchen gerichtet werden, nicht nur wie bisher den Bestrebungen entgegenzutreten, sich vom Deutschen Reiche loszulösen, sondern auch denjenigen, die der Trennung von Preußen gelten. b) In den gefährdeten Provinzen soll eine rege Propagandatätigkeit zur Stärkung des Zusammenhangs mit Preußen und Deutschland aufgenommen werden. Sie soll möglichst inoffiziell ... arbeiten. c) Alle preußischen Ministerien sollen ersucht werden, ihre Maßnahmen jeglicher Art künftig auch vom Standpunkt der Wirkung auf die Loslösungsbestrebungen aus zu erwägen. d) Es wird für zweckmäßig gehalten, daß die Herren Staatsminister sich häufiger nach Rheinland und Nassau begeben." (Staatsm.-Prot. DZA Merseburg) 70 Vergleich der Zusammensetzung von VNV und VPrLv: SPD Z DDP DNVP DVP USPD andere insgesamt Parteien 7 421 Abgeordn. 19 22 44 91 75 VNV 163 2 402 Abgeordn. 24 21 50 VPrLv 145 94 66

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bieten durch einfaches Reichsgesetz ohne Zustimmung der betroffenen Landesregierung ermöglichen soll. Die erste Debatte über die Abtrennungsbestrebungen in der VPrLv beginnt am 21. März. Die Vertreter sämtlicher Parteien, mit Ausnahme des Zentrums, wenden sich hier gegen eine Aufteilung Preußens; die Vertreter der DDP, SPD und USPD verbinden dies mit dem Hinweis, daß sie die Auflösung Preußens nur bei einer allgemeinen Vereinheitlichung befürworten. Zuerst gibt Dr. Schloßmann für die DDP-Fraktion eine Erklärung ab, die zugleich eine deutliche Absage an Preuß, ihren Fraktionskollegen und den RMdI, darstellt. Die SPD-Fraktion läßt den rheinischen Abgeordneten Runge sprechen, der an der von Adenauer einberufenen Kölner AbgeordnetenVersammlung vom 1. Februar teilgenommen und ihre Entscheidung zugunsten der rheinischen Autonomiebestrebungen unterstützt hat. Er stellt fest: "Dem Weimarer Beschluß muß hinzugefügt werden - und das muß vor diesem Hause geschehen -: solange wir keinen deutschen Einheitsstaat haben, solange Bundesstaaten oder Freistaaten das Deutsche Reich bilden, solange müssen auch die Parlamente dieser einzelnen Staaten befragt werden, ob Landesteile von ihnen abgetrennt werden sollen7l ." Ministerpräsident Hirsch zieht in seiner Stellungnahme vom 21. März alle Register des nationalen und preußischen Pathos gegen die Abtrennungsbestrebungen und gegen den Beschluß des Verfassungsausschusses, "der bei der Entente die lebhafteste Freude hervorrufen würde." Und: "Selbstverständlich werden wir uns bemühen ... diesen Beschluß wieder zu Fall zu bringen ... Preußen wird Eingriffe in seinen Bestand von außen oder innen nicht dulden, kann sie nicht dulden; es kann sie nicht dulden aus dem wohlverstandenen Interesse seiner Glieder selbst heraus. Preußen kann die Eingriffe in seinen Bestand aber auch nicht dulden aus dem Interesse des Reiches heraus, als dessen geschichtlicher Kern es sich fühlt, unter dem es seine Aufgaben zu erfüllen für seine Pflicht hält." Er hebt die - seiner Meinung nach gefährdeteLeistungsfähigkeit Preußens hervor: "Die Organisation, die Verwaltung, die Finanzen Preußens bedeuten wirkliche Kräfte, seine Kulturleistungen bedeuten wirkliche Werte, die dem Reiche nicht verlorengehen sollen." Und: "Preußen wird es schaffen. Wir hatten eine große Vergangenheit, wir wollen eine größere Zukunft. Noch stehen wir in dunklen Tagen, aber die Kenntnis unserer Pflicht gibt uns Kraft und Mut. (Lebhaftes Bravo)"72 - Während die DDP und die USPD den Beschluß aus der "souveränen" Nationalversammlung nicht offen angreifen, scheut die preußische SPD-Fraktion also nicht den direkten Konflikt, um ihr speziell preußisches Interesse durchzusetzen. Auf der SPD-Parteikonferenz in Weimar am 22. und 23. März hebt der VNV-Abgeordnete 71 VPrLv-Prot. Bd. 1, 21. 3. 1919, Sp. 464. a. a. 0., Sp. 472 f.

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Haberland, Bremen hervor in bezug auf die Auseinandersetzung um den Artikel 15 73 : "Die Fraktion der preußischen Landesversammlung und die Reden des preußischen Ministerpräsidenten Genossen Hirsch stehen bisher in striktem Gegensatz zu unserer Fraktion in der Nationalversammlung." - Der stellvertretende Vorsitzende des Verfassungsausschusses der VNV, Dr. Quarck (SPD), Frankfurt -, legt am 24. März vor dem Verfassungsausschuß gegen die Äußerungen in der Landesversammlung, insbesondere auch gegen die Rede des Ministerpräsidenten Hirsch vom 21. März "schärfste Verwahrung" ein7&. Die preußische Aktion gegea Artikel 15 bzw. 18 wird dadurch erleichtert, daß sie sich die angesichts der schwierigen Lage des Reiches weite Opposition gegen eine vorzeitige Lösung der rheinischen Frage zunutze machen kann. Nach dem Vorstoß rheinischer Honoratioren verschiedener Parteien am 10. März in Köln zugunsten der Errichtung eines westdeutschen Freistaates aus Rheinland, Nassau und Rheinhessen innerhalb des Reiches findet sofort am 13. März eine Sitzung der rheinischen Abgeordneten der VNV unter dem Vorsitz von Reichsministerpräsident Scheidemann statt, die sich angesichts der parallel laufenden französischen Propaganda zur Loslösung rheinischer Gebietsteile und der Friedensvertragsfrage ausdrücklich darauf einigen, die endgültige Regelung des Verhältnisses der rheinischen Gebiete zu den deutschen Gliedstaaten der Zeit nach dem Friedensschluß und dem verfassungsmäßigen Weg vorzubehalten. Einer in diesem Sinne vom Präsidenten des Reichsministeriums vor der VNV abgegebenen Erklärung stimmt das Plenum einstimmig zu75 • Nachdem die VNV also den rheinischen Sonderbestrebungen vorläufig den Boden entzogen hat, erwarten besonders die rheinischen Vertreter des Zentrums, der DDP und SPD, die bisher eine Lösung des Rheinlandes von Preußen befürwortet haben, eine erfolgversprechende Regelung des späteren verfassungsmäßigen Weges zur Loslösung. Daß diese Regelung verhindert wird, dazu leistet auch die VPrLv ihren Beitrag. Bei der geschickten agitatorischen Ausnutzung der rheinischen Sonderbestrebungen geht es vor allem darum, das Zentrum zu überrollen. Unter anderem der SPD-Abgeordnete Limbertz führt am 22. März das gemeinsame Interesse der außerhalb des Zentrums stehenden Parteien ins Feld78 : "Von Anfang an, seit dem vorigen Herbst, wenn von der Loslösung rheinischer und rheinisch-westfälischer Landesteile von Preußen gesprochen wurde, dann wurden immer nur solche Landesteile genannt, ... in denen die Bevölkerung überwiegend katholisch war. Und es 73 74 7& 76

SPD-Konferenz-Prot. 1919, S. 24 f. Verfassungsausschuß-Prot. S.124. VNV-Prot. Bd. 327, Sp. 776. VPrLv-Prot. Bd. 1, 22. 3. 1919, Sp. 532.

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ist ganz selbstverständlich, daß, wenn eine Republik in einem solchen Gebiete zustande käme, würde sich ihre ganze Politik, ihre ganze Kultur, ihre ganze Wirtschaftspolitik nach den Grundsätzen richten,wie sie das Zentrum bisher vertreten hat. Und daß wir dazu keine Lust haben, versteht sich von selbst." - Tagelang verurteilen Sprecher der SPD, der DDP, der USPD, der DNVP und der DVP im Chor mit der Presse rücksichtslos das Zentrum und überhaupt die Bestrebungen im Rheinland die sie zumeist verdächtigen, die Entente zu unterstützen -, so daß sich die Partei am 24. März schließlich zurückzieht. Ihr Sprecher Dr. Heß erklärt77 : "Wir haben keine Lust, als stigmatisierte Hochverräter durch Deutschland zu laufen." Er distanziert sich von seinen Kölner Parteifreunden 78 : "Ich und viele meiner Parteifreunde - und zwar handelt es sich ganz besonders um meine Parteifreunde aus dem Wahlkreise Coblenz-Trier sind durchaus nicht mit jedem Schritt einverstanden und können durchaus nicht jeden Schritt billigen, der seitens unserer Parteifreunde in Cöln getan worden ist. Wir geben offen und restlos zu, daß einige Schritte, die dort getan worden sind, in der Tat geeignet gewesen sind, Mißverständnisse und Mißdeutungen hervorzurufen ... " Er erklärt, daß das rheinische Zentrum vorerst auf die Gründung einer westdeutschen Republik verzichte 79 : "Nachdem was wir nun hier von den verschiedensten Parteien gehört haben, scheint es ja, daß die anderen großen Parteien im Rheinlande von einem derartigen Gebilde absolut nichts wissen wollen, und da sind wir nun vernünftig und klug genug, uns zu sagen, daß unter solchen Umständen ein Gebilde wie die westdeutsche Republik einfach nicht möglich ist." Die Deutsch-Hannoveraner, die am 24. März mit den ihnen eigenen schrillen Tönen ihr Anliegen vortragen, werden mit wenigen Worten vom Ministerpräsidenten Hirsch und den Sprechern der Parteien zurückgewiesen. Das Zentrum, bei dem sie hospitieren, wagt nicht mehr, sie zu unterstützen. Die DVP und DNVP, die sich während der übergangszeit in einer "bürgerlichen Front" mit den Deutsch-Hannoveranern zusammengefunden haben, distanzieren sich von ihnen. Der recht offene von KardortJ (DNVP) stellt sich auch hier auf den Boden der Tatsachen: "Nachdem wir heute vor einem ungeteilten Preußen stehen, müssen wir Sie (zu den Deutsch-Hannoveranern) desavouieren, müssen wir von Ihnen abrücken und müssen wir von Ihnen fordern, daß sie nicht Bestrebungen unterstützen, die unsere Unterstützung niemals finden können 8o ." Am 24. März wird der SPD-Antrag über die Lostrennungsbestrebungen in Preußen bei Stimmenthaltung des Zentrums mit Mehrheit ange77 78 78

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VPrLv-Prot. Bd. 1,24.3. 1919, Sp. 560. a. a. 0., Sp. 563 f. a. a. 0., Sp. 568. a. a. 0., 26. 3. 1919, Sp. 735.

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nommen. Hier erklärt sich die Landesversammlung "mit Entschiedenheit gegen alle Bestrebungen einzelner Gebietsteile, sich von Preußen abzutrennen, insbesondere gegen die Errichtung einer westdeutschen Republik. Sie vertraut darauf, daß die Staatsregierung diesen Bestrebungen mit der größten Tatkraft entgegentritt und sich für die Erhaltung eines ungeteilten Preußens einsetzt81 ." Den Antrag der SPD gegen die Lostrennung der Rheinlande nimmt die VPrLv am gleichen Tag einstimmig an. Nach dieser Auseinandersetzung gehen auch die Verhandlungen zwischen SPD, DDP und Zentrum über die Neubildung der preußischen Regierung unter Einschluß des Zentrums zu Ende. Am 25. März stellt sich die neue Regierung der VPrLv vor; und sie spricht ihr das Vertrauen aus, nachdem Hirsch seine Regierungserklärung abgegeben hat. Die Erklärung zeigt, daß sich auch die VPrLv-Fraktion des Zentrums dem speziell auf das preußische Staatsinteresse abgestellten Programm der Regierung Hirsch, d. h. insbesondere der Position der Führung der preußischen SPD, unterworfen hat. Das allgemeine Einschwenken der VPrLv auf die Politik der preußischen Regierung zeigt sich noch bei verschiedenen Anlässen, u. a. bei der einmütigen Ablehnung der großhessischen Bestrebungen am 16. Juli8!. Aber bei aller Betonung der Notwendigkeit, daß vorläufig die territoriale Integrität Preußens zu wahren ist, bekunden wie die preußische Regierung die Sprecher der Mehrheitsparteien und der USPD - und mit dem Wachsen des unitarischen Trends in der deutschen Innenpolitik auch die der DVP ihren Unitarismus. Auf Grund der parlamentarischen Rückendeckung kann die preußische Regierung ihre Opposition gegen die Auflösung Preußens erfolgreich weiterführen. Nach Beginn der zweiten Lesung des Art. 15 im Verfassungsausschuß droht sie sogar bei Nichtberücksichtigung der preußischen Bedenken mit der Ablehnung der gesamten Reichsverfassung. Die preußische Regierung vermag zwar nicht, die Möglichkeit der Gebietsänderung durch einfaches Reichsgesetz gegen den Willen des betroffenen Landes wieder auszuschalten, aber immerhin erreicht sie die Sperrvorschrift des Art. 167. Die Regierungen der Mittelstaaten unterstützen die preußische Regierung selbstverständlich auch diesmal. Um den Autonomiebestrebungen dennoch entgegenzukommen, wie das besonders vom Zentrum gewünscht wird, und um sie zu kanalisieren, erklärt sich die preußische Regierung mehrfach bereit, die provinzielle Selbständigkeit zu erweitern. Aber die schier endlosen Auseinandersetzungen über diese Frage 1919 führen nur im Falle Oberschlesiens zu 81 82

VPrLv-Dr. Nr. 101. Zur Frage eines Großhessen s. Teil B. V, 1.

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einem Erfolg. Wie konservativ die preußische Regierung den Provinzen gegenübersteht, zeigt schon ihre Reform des Wahlrechts. Der - mit Heine - traditionsbestimmte Charakter der Selbstverwaltungsverbände ist sicher zum Teil eine Folge der die traditionelle Ordnung und ihre Hauptvertreter begünstigenden Politik der preußischen Regierung und des PrMdI speziell. Weiter ist angesichts des fortdauernden Einflusses konservativer Kreise in der Selbstverwaltung das Desinteresse eines Großteils der VPrLv und insbesondere der SPD und der DDP an ihrem Ausbau nur zu verständlich. Während die Zurückdrängung der Räte nicht schnell genug geschehen kann, erfolgt die Reform der Verfassung der Selbstverwaltungsverbände nur schleppend. Auf Grund offener Obstruktion der Beamten des PrMdI und der unverständlichen Toleranz von Hirsch und Breitscheid demgegenüber wird die Reform des Dreiklassenwahlrechts der Gemeindevertretungen bis Ende Januar hinausgezögert83 und des Kreistagswahlrechts bis zum Februar. Die Kreistagsabgeordneten werden nicht direkt von den Kreisbewohnern, sondern von den Land- und Stadtgemeindevertretungen gewählt. Die gleiche Verzögerung wie bei den Kommunalwahlen gibt es bei den Wahlen zu den Provinziallandtagen. Sie finden nicht etwa schon im Winter zusammen mit den übrigen Parlamentswahlen nach dem gleichen Wahlrecht statt, wobei vor allem der SPD eine überragende Stellung und die Ausschaltung der Konservativen sicher gewesen wäre, sondern das PrMdI wartet damit Dreivierteljahr und behält noch dazu die indirekte Wahl bei; das Gesetz über die Neuwahl der Provinziallandtage durch die Stadt- und Landkreise kommt am 16.7.1919 heraus 8'. Die Wahlen finden zunächst nur in SchleswigHolstein, Westfalen, Hannover, Brandenburg, Pommern, Sachsen und Ostpreußen statt. Der alte schlesische Provinziallandtag bleibt auch nach 83 Den Entwurf zur Reform des Dreiklassenwahlrechts der Gemeindevertretungen legt der PrMdI und Ministerpräsident Hirsch der preußischen Regierung nach den Beschwerden aus dem Kabinett selbst und von dem Zentralrat endlich Mitte Januar vor. Der Unterstaatssekretär Dr. Freund erklärt dem Kabinett dabei, "daß ein Gemeindeverfassungsgesetz wie das vorliegende, nicht in der Form einer Notverordnung, und zwar unmittelbar vor Zusammentritt der Nationalversammlungen erlassen werden könne. Er müsse, auch für die Beamten des Ministeriums des Innern, die an dem Entwurf mitgearbeitet haben, ausdrücklich aussprechen, daß sie weder materiell und formell mit dem hier in Frage stehenden Vorgehen einverstanden seien." - Preuß. Staatsm.-Prot. vom 14. 1. 1919. DZA Merseburg. Diese Verordnungsvorlage über die anderweitige Regelung des Gemeindewahlrechts tritt am 24. Januar in Kraft. (GS S. 13; eine Nachtragsverordnung dazu ergeht am 31. 1. 1919. GS S. 15) Der gleichfalls vorliegende Entwurf zur Reform des Kreistagswahlrechts wird noch einigen der Regierungspräsidenten zur Äußerung zugeleitet, bevor er am 18. Februar Gültigkeit erlangt. (GS S.23 Verordnung, betr. die Zusammensetzung der Kreistage und einige weitere Änderungen der Kreisordnungen.) 84 GS S. 129, Gesetz betr. die Neuwahl der Provinziallandtage.

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der Teilung der Provinz Schlesien durch das Gesetz vom 14.10.1919 für Gesamtschlesien bis Ende 1920 zuständig; für Niederschlesien kommt es Ende 1920, für Oberschlesien 1922 zusammen mit den Kreistags-, Landtags- und Reichstagswahlen zu Provinziallandtagsneuwahlen. In der Rheinprovinz und Hessen-Nassau finden die Wahlen Mitte 1920 statt und in den von Posen und Westpreußen nach Besetzung und Abtrennung übrig bleibenden Kreisen, aus denen 1922 die Provinz Grenzmark PosenWestpreußen gebildet wird, Anfang 1921 85• Die 1919/1920 während der Hauptauseinandersetzungen um die Provinzialautonomie amtierenden Provinzialorgane, um deren Machterweiterung es ja letztlich geht, sind konservativ beherrscht und können die Bestrebungen zur Erweiterung der Selbständigkeit der Provinzen nur abwerten. In dem schlesischen Landtag mit seinen 158 Abgeordneten hat die SPD im Oktober 1920 fünf Abgeordnete, die auf Grund von Neu- und Ersatzwahlen hineingelangt sind. In den übrigen nach dem Wahlgesetz vom Juli 1919 neugewählten Provinziallandtagen beträgt der Anteil der SPD rund 22,5 0J0, gegenüber einem Anteil von rund 36 Ofo in der VPrLv; der Anteil der DDP, die in den Provinziallandtagen zumeist mit der SPD zusammengeht, ist nicht höher als der der USPD. Die von der DNVP und DVP, die zusammen in der VPrLv gerade 17,6 Ofo innehaben, überall initiierten bürgerlichen Arbeitsgemeinschaften, denen sich in Sachsen und Hannover die dort kleinen Gruppen des Zentrums und der Deutsch-Hannoveraner und im Rheinland die Abgeordneten der DDP anschließen, sind die größten Fraktionen mit rund 35 Ofo der Sitze im Durchschnitt; nur in der Rheinprovinz und in Westfalen stellt das Zentrum die größten Abgeordnetengruppen. Die Ursache für die Einbußen SPD bei den indirekten Wahlen liegt vor allem darin, daß die Bürgerlichen in den Gemeindevertretungen und in den Kreistagen bei den Abgeordnetenwahlen in der Regel gemeinsam vorgegangen sind und damit ihre ohnehin im Durchschnitt vorhandene Mehrheit noch mehr zum Tragen gekommen ist. Diese Koalitionspolitik setzen insbesondere die Rechtsparteien in den Provinziallandtagen fort. In Ostpreußen haben DNVP und DVP mit ihrer absoluten Mehrheit die größere bürgerliche Koalition schon nicht mehr nötig; im pommerschen Provinziallandtag hat die DNVP mit 47 von 91 Sitzen allein die absolute Mehrheit. Eine 85 Die Staatsregierung entscheidet zunächst im Oktober 1919, daß die Restgebiete der Provinzen Posen und Westpreußen an Brandenburg, Pommern und Ostpreußen übergehen auf Grund einer Stellungnahme des Staatskommissars für die Verwaltungsreform Dr. Drews. Aber unter dem Eindruck der stürmischen Proteste gegen das Verschwinden der Namen Westpreußen und Posen kommt es schließlich 1922 zur Bildung der Grenzmark Posen-Westpreußen, wobei der seit Dezember 1919 in Schneidemühl amtierende Regierungspräsident Bülow die Funktionen eines Oberpräsidenten übernimmt. Ebenso kommt die im Oktober 1919 vom Staatsministerium beschlossene Teilung der Provinz Hessen-Nassau nicht zustande.

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entsprechende Position erreicht das Zentrum im Sommer 1920 in der Rheinprovinz. Im übrigen gelingt es der Rechten mit Hilfe von bürgerlichen Splittergruppen, die SPD und DDP bei der Wahl der Präsidenten der Provinziallandtage und vor allem bei der Wahl der Provinzialausschüsse, also der Spitzen der Provinzialverwaltung, auszuschalten; SPD und DDP stellen nicht einen Landeshauptmann oder Landesdirektor. Sie vermögen ihren Einfluß auf die Provinzialverbände nur über die ihnen in der Mehrzahl angehörenden neuen Oberpräsidenten auszuüben. - Es ist zumindest erstaunlich, daß die SPD-Minister, die schon im Januar 1919 ohne weiteres das den übrigen Wahlgesetzen entsprechende und seit langem von der SPD geforderte direkte Wahlsystem hätten durchsetzen können, in dieser Weise die Interessen ihrer Parteimitglieder, die doch gerade in den Räten eine gute Vorschule der Selbstverwaltung absolviert haben, hintenansteIlen. In der Landesversammlung besitzen SPD und DDP, die wie die SPD durch dieses Wahlrecht in ihrem Einfluß sehr beschränkt ist, die Mehrheit und damit immer noch die Möglichkeit, ihre Interessen durchzusetzen. Der Lohn des Verzichts ist, daß die "traditionsbestimmten" Provinziallandtage unbequeme Autonomieforderungen, die hier nicht einfach wie die übrigen Initiativen abzuwürgen wären, nicht erheben; allein der im Sommer 1920 neu gewählte rheinische Provinziallandtag, in dem das Zentrum seinen Anteil von rund 18 Ofo auf 62 Ofo zu steigern vermag, setzt sich entschieden für die Erweiterung der Rechte der Provinz ein. Die Friedensverhandlungen sind für die innere Verfassung Deutschlands mindestens so bedeutsam wie die Weimarer Verfassungsverhandlungen. Preußen sucht mehr als jedes andere Land auf die Position der Reichsregierung Einfluß zu nehmen und die es zunächst vor allem treffenden Bestimmungen des Friedensvertrages abzuwenden. Die ersten Waffenstillstandsverhandlungen im November/Dezember 1918 führt die Waffenstillstandskommission unter Erzberger unter Ausschluß der Länder. Außerhalb dieser Verhandlungen, die sich nur auf den Westen beziehen, versucht der PrMdI Dr. Breitscheid (USPD) Mitte November, sich mit Dänemark direkt über Schleswig zu einigen; er wird aber schon am 25. November von Dänemark abgewiesen8s • Ebenso scheitert der im Januar von dem Kommissar für die Rückführung der deutschen Truppen im Osten Dr. Bühlmann ausgehende Versuch, mit Polen über Posen zu einer Separatabmachung zu kommen87• Der Inbesitznahme Posens durch die Polen versucht der PrMdI Hirsch seit Dezember durch Verhandlungen mit den Polen über Posen und durch Bemühungen um den militärischen Schutz der Provinz entgegenzuwirken; er wird gebremst 86

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Köster: Schleswig, S. 53. Siehe Bay GSTAM, Bay. Gesandtschaft Berlin Nr. 92.

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durch die USPD-Volksbeauftragten Haase und Barth88 • Im Februar wird die preußische Regierung an den Waffenstillstandsverhandlungen durch einen Delegierten, Staatsminister a. D. Dr. Drews, beteiligt. An den Beratungen der Reichsregierung mit den Fraktionsführern vom 16. Februar über die Annahme der Bedingungen zur Fortsetzung des Waffenstillstandes erreicht die preußische Regierung ihre Teilnahme, ohne damit allerdings etwas ändern zu können. Der PrFM Südekum setzt sich daraufhin Ende Februar für die "Hinzuziehung eines dem Vorsitzenden der Waffenstillstandskommission gleichgestellten Vertreters des Preußischen Staates" ein89, um der Verhandlungsführung Erzbergers entgegenzuwirken. Diesen Vorschlag greift die preußische Regierung wohl wegen der fehlenden Erfolgschancen nicht auf. - Neben Preußen bemüht sich Bayern 1918/1919 um Mitsprache bei den Waffenstillstandsverhandlungen. Der bayerischen Regierung ist jedoch nicht der geringste Erfolg beschieden. Sofort nach Beginn der Friedenskonferenz in Paris am 18. Januar und den ersten Maßnahmen der Reichsregierung zur Aufstellung der deutschen Friedensverhandlungsdelegation setzt auch das Drängen von Einzelstaaten auf Mitsprache ein. Neben Bayern und Sachsen fordert die preußische Regierung immer wieder ihre Beteiligung. Schon am 25. Januar setzt sich Hirsch für die Beteiligung Preußens bei der Vorbereitung der Friedensverhandlungen durch die Reichsregierung ein wegen der an Preußen gestellten Gebietsforderungen; er wünscht Vertreter der preußischen Regierung als Unterhändler bei den Verhandlungen über die Abtretung von preußischen Gebieten beteiligt90 • Der PrFM Südekum argumentiert im Staatsministerium91 : "Die Zukunft der östlichen Landesteile Preußens ist zwar von hervorragender Bedeutung für das ganze Reich. Geradezu eine Lebensfrage ist sie aber für den preußischen Staat. Ich muß es daher als dringend erforderlich bezeichnen, daß den als Unterhändler in Aussicht genommenen Herren eine im Range gleichstehende mit den Fragen durchaus vertraute, preußische Persönlichkeit bei den Verhandlungen über die Ostfragen zur Seite gestellt wird. Ein derartiger Anspruch wird um so mehr erhoben werden können, als territoriale Abtretungen für die übrigen Bundesstaaten voraussichtlich nicht zur Verhandlung stehen werden." Südekum zeigt sich vor allem um die

Oehme: Reichskanzlei, S. 263. Schreiben des PrFM Südekum vom 26.2. 1919 an die preußische Regierung. Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr.40 Adhib. I Bd. 1. - Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Schreiben des Ministerpräsidenten Hirsch vom 19.2. 1919 an die Reichsregierung. Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 23 Bd. IV. 90 Entwurf des Schreibens von Hirsch vom 25. 1. 1919 an das AA. Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 40 Bd. 1. 91 Schreiben des PrFM Südekum vom 28. 1. 1919 an die preußische Regierung Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 40 Adhib. I Bd. 1. 88

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Ostgebiete besorgt, vom Saargebiet, von Eupen-Malmedy und von den Interessen des übrigen Rheinlandes ist bezeichnenderweise überhaupt nicht die Rede. - Das Staatsministerium stimmt am 11. Februar der Auffassung Südekums zu9! und beschließt am 10. März einstimmig, an der Forderung einer besonderen Vertretung Preußens bei den Friedensverhandlungen festzuhalten. Das AA ist jedoch zunächst höchstens bereit, einzelne Länder kommissarisch durch Sachverständige vertreten zu lassen, die darüber hinausgehenden Ersuchen von Preußen, Bayern und Sachsen lehnt es ab. Der preußischen Regierung teilt das AA am 15. März mit93 , "daß die Reichsregierung bisher von ihrem Standpunkt nicht abgewichen ist, wonach die Entscheidung über den Abschluß des Friedens in alleinige Kompetenz des Reiches fällt. Mithin können als Unterhändler ausschließlich Delegierte des Reiches in Frage kommen." Die preußische Regierung drängt jedoch weiter. Bei einer Aussprache von Unterstaatssekretär Heinrichs, der jetzt im PrMdI anstelle des Pazifisten Hello von Gerlach die Ostangelegenheiten bearbeitet, mit Brockdorff-Rantzau und dem Staatssekretär Albert aus der Reichskanzlei am 20.3.1919 94 werden die preußischen Alternativen diskutiert. Der preußische Vertreter soll entweder als sechster zu den fünf Reichsdelegierten hinzutreten oder innerhalb der Reichsdelegation in versteckter Form als preußischer Delegierter fungieren. Für den ersten Fall wird als preußischer Delegierter eine hervorragende Persönlichkeit wie z. B. Hergt, von Sydow, von Kühlmann, von LoebeH und Helfferich in Aussicht genommen, für den zweiten Fall ein Beamter wie Unterstaatssekretär Busch, Oberpräsident von Richter, von Tschammer u. ä. Die preußische Regierung denkt zunächst nur an Vertreter der Rechtsparteien als Delegierte. Das wird mit zur ablehnenden Haltung der Reichsregierung beigetragen haben. Bayern erreicht im März, nachdem es zunächst mehrfach abschlägig beschieden ist, die Ernennung des Staatsrats von Meinel 95 zum Mitglied der Friedensverhandlungskommission in der Funktion des 1. Kommissars des Reichswirtschaftsministeriums mit dem Titel eines Bayerischer.. Bevollmächtigten und der Befugnis, der Bayerischen Regierung Bericht zu erstatten. Die preußische Regierung erneuert am 1. April ihren Beschluß vom 10. März, und Südekum und Heine werden beauftragt, weiter mit der Reichsregierung zu verhandeln. Daraufhin stimmt die Reichsregierung schließlich am 7. April "der Zuziehung eines preußischen DelePreuß. Staatsm.-Prot. vom 11. 2.1920, DZA Merseburg. Schreiben des AA vom 15.3. 1919 an die preußische Regierung; Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 40 Adhib. I Bd. 1. 94 Vermerk von Unterstaatssekretär Heinrichs (aus dem PrMdI) vom 20. 3. 1919; Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 40 Adhib. I Bd. 1. D5 In der Regel vertritt er Bayern auch später auf dem internationalen Parkett. 92

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gierten mit entscheidender Stimme auf der Friedenskonferenz" zu08 • Die preußische Regierung ernennt nicht einen der obenerwähnten Vertreter des alten Regimes, sondern den Präsidenten der VPrLv Leinert (SPD); er tritt in der Reichsdelegation an die Stelle des Berner Gesandten Dr. Adolf MüHer. Zu diesen Hauptdelegierten kommen die Sachverständigen hinzu, um die gleichfalls ein harter Kampf zwischen Ländern und Reich entbrennt, da die Reichsregierung so ungeschickt ist, die Sachverständigenliste vorzeitig - am 22. März - zu veröffentlichen. Die preußische Regierung wird nach Mitteilung von Hirsch an die Reichskanzlei97 geradezu mit Beschwerden aus den östlichen Provinzen überschüttet. Hirsch muß die Klagen als berechtigt anerkennen, daß sich die Friedensdelegation mit einem Stab von Sachverständigen umgeben habe, die "wenig oder gar nicht mit östlichen Verhältnissen Bescheid wüßten." - Daneben geht es noch um die Zusammenstellung einer Sachverständigenkommission, die nur zur Verfügung der Berliner AA steht, und nicht nach Paris reist; hier sind die östlichen Provinzen ausreichend berücksichtigt. Die preußische Regierung ist als Ergebnis ihrer Bemühungen weit mehr als jede andere Landesregierung an der deutschen Friedensdelegation beteiligt. Ein Einfluß auf die Position des Reichs ist allerdings kaum festzustellen". Im Gegensatz zu Reichsregierung und Reichsparlament hat die preußische Regierung zusammen mit den Hansestädten konsequent bis zum Schluß an der Ablehnung der Unterzeichnung des Friedensvertrages festgehalten 99 • Die preußische Regierung wird gestützt von der VPrLv, Mitteilung im Staatsm.-Prot. vom 7. 4. 1919, DZA Merseburg. Entwurf des Schreibens der preußiSchen Regierung vom 30.3.1919 an das Reichsministerium; Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr.40 Adhib. I Bd. 1. 98 Es wäre z. B. interessant zu wissen, wie weit eine Einwirkung der preußischen Regierung für folgende Entscheidung der Reichsregierung verantwortlich ist: Sie verschiebt den Anschluß Österreichs, der nach den schon während des Krieges geführten Verhandlungen über die Vereinigung mit dem Reich und den eindeutigen Erklärungen von österreichischer Seite nach dem Zusammenbruch sofort möglich ist, bis nach dem Friedensvertrag, um den Franzosen nicht die Chance zu geben, für diesen Zuwachs Kompensationen im linksrheinischen Gebiet und in Oberschlesien zu erzwingen. Vgl. den Bericht des bayer. Ges. von Preger (Entwurf) vom 21. 3. 1919. Bay GStAM, Bay. Gesandtschaft Berlin Nr. 90. 99 Vgl. Braun: Weimar, S. 70, 72; die Angabe Epsteins, daß der PrMdI Heine in den Reichskabinettssitzungen vom 3. und 4. Juni, die sich mit der Annahme oder Ablehnung des Friedensvertrages befassen, Erzberger zugestimmt habe (Epstein, Klaus: Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Berlin 1962, S. 385), ist nicht gerade überzeugend, da Heine im übrigen als einer der Hauptverfechter der Nichtunterzeichnung auftritt. Heine gehört mit zu den 15 SPD-Vertretern, die noch am 23. Juni eine Erklärung im Vorwärts gegen die Unterzeichnung veröffentlichen. - Sämtliche preußischen Ministerien geben im Mai und Anfang Juni Richtlinien an die ihnen untergeordneten Behörden für den Fall des feindlichen Einmarsches heraus. Siehe Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 40 Bd. 2, Nied St. 08

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die schon im April durch einen einstimmig angenommenen SPD-Antrag ihren Standpunkt zum Friedensvertrag bekundet10o . Das Reichsministerium bezweifelt zwar die Kompetenz der VPrLv, aber die preußische Regierung sichert ihr auch später das Recht ZU101 , sich zum Friedensvertrag zu äußern. Die VPrLv spricht der preußischen Regierung am 26. Juni 1919 mit Mehrheit das Vertrauen aus für ihr Eintreten zu gunsten der Nichtunterzeichnung des Friedensvertrages. Die preußische Regierung102 sieht daraufhin von der Abgabe einer schon ausgearbeiteten Erklärung103 ab, in der sie bekundet, die Reichsregierung habe, "dem Drucke überwältigender Tatsachen nachgebend, die Friedensbedingungen der Feinde annehmen müssen." Ministerpräsident Hirsch weist vor der VPrLv darauf hin, "daß es kein Mitglied der Preußischen Staatsregierung gibt, das zugleich der Verfassunggebenden Nationalversammlung angehört und das dort eine Stimme für die Unterzeichnung des Friedensvertrages abgegeben hat"I04. Die unterschiedliche Haltung Preußens und der süddeutschen Regierungen ist dadurch bis zu einem gewissen Maße verständlich, daß sich in dieser Zeit die Kritik am Friedensvertrag vor allem gegen die Gebietsforderungen richtet, die einseitig Preußen treffen. Von besonderer Bedeutung sind während des Ringens um die Ablehnung oder Annahme des Friedensvertrages die Oststaatbestrebungen. Es handelt sich um die Bestrebungen, ostdeutsche Gebiete angesichts der beschränkten Selbständigkeit der Reichsregierung gegenüber den Feindmächten zeitweilig unabhängig von Berlin zu verwalten; das Ziel ist, die Abtretung deutscher Gebiete durch den Versailler Friedensvertrag zu verhindern. Parallelerscheinungen finden sich in abgeschwächter Form in Schleswig-Holstein und in Tirol. Die sofort nach dem Zusammenbruch in Oberschlesien, Niederschlesien und Ostpreußen einsetzenden Sonderbestrebungen sind - trotz des unterschiedlichen Anlasses - als die Vorläufer der Oststaatpläne anzusehen. Wirtschaftliche überlegungen spielen besonders bei den ostpreußischen Sonderbestrebungen von Anfang an eine Rolle. Oberpräsident von Batocki teilt dem AA im Januar zur Zukunft Ostpreußens mitlos: "Es handelt sich nicht nur um die Abtretung ostpreußischer Gebietsteile, sondern um die Frage, wie bei der künftigen Gestaltung der Beziehungen zu den einzelnen Gebieten die nationale und wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Provinz Ostpreußen durch 100 VPrLv-Prot. Bd. 1, vom 11. 4. 1919, Sp. 1189. 101 Vgl. Preuß. Staatsm.-Prot. vom 9.5.1919, DZA Merseburg. 102 Beschluß des Preuß. Staatsm. vom 28.6.1919; Staatsm.-Prot. DZA Merseburg. 103 Entwurf: Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 40 Bd. 2. 104 VPrLv-Prot., Bd.7, 16.12.1919, Sp.8200. Diese Angabe wird durch die VNV-Protokolle bestätigt. 105 Schreiben von Batoclds vom 21.1. 1919; Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 40 Adhib. I Bd.l.

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zweckmäßige Vertragsbestimmungen gesichert werden kann, ferner um die Frage, welche Vereinbarungen im Falle der Ausdehnung Polens bis zur Ostsee auf den Gebieten des Verkehrs, Handels, des Zollwesens usw. zu treffen sind, um der vom Reich abgeschnittenen Provinz den Beibehalt engen Zusammenhanges mit dem Reiche zu sichern." Er weist darauf hin: In Königsberg und Memel "machen sich, wenn auch noch zurückhaltend, neuerdings Erwägungen bemerkbar, ob im Falle der Unmöglichkeit der Sicherungen ihrer wirtschaftlichen Zukunft durch das Reich die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsgebietes aus Polen, Litauen und Ost- und Westpreußen nicht einer wirtschaftlichen Ruin bedeutenden Umklammerung der Provinz durch fremde Gebiete vorzuziehen wäre". Diese Bestrebungen begegnen sich nach seinen Angaben in gewissem Sinne mit polnisch-litauischen Aspirationen. - Daß diese Gedanken auch nach Westpreußen übergreifen, zeigt die von Cleinow, dem Führer der Bromberger Volksräte, gebrachte Inhaltsangabe seiner Rede in Berlin am 22.2.1919 106 , in der er einen Osts ta at nach dem Muster der überlegungen ostpreußischer und oberschlesischer Wirtschaftler in dieser Zeit propagiertl07 • Im Sommer 1919 wagt der Syndikus der Handelskammer Königsberg Simon, sich in einer Druckschrift108 , die er vertraulich verteilt, einzusetzen für den zollpolitischen Anschluß Ostpreußens an Polen in der Form einer befristeten Zollunion, um die Verarmung Ostpreußens zu verhindern und damit, wie er ausführt, Ostpreußen für Deutschland zu retten. Eine andere, von Klatt erwähnte private Denkschriftl09 vom 30. Juli variiert den Gedanken. Die Hauptträger der Sonderbestrebungen angesichts des Friedensvertrages sind ostdeutsche Zivilbehörden, z. B. die Oberpräsidenten von Batocki (Ostpreußen), Schnackenburg (Westpreußen), der Regierungspräsident von Oppen (Allenstein), der Reichs- und Staatskommissar Winnig in Ost- und Westpreußen, die Volksräte im Netzedistrikt und Westpreußen unter Führung Cleinows (Bromberg), der Volksrat in Breslau und Militärbehörden, wie die Generalkommandos in Danzig und Breslau und der Chef des Stabes im Grenzschutz Ost, Major Freiherr von Willisen llo • Die Oststaatbewegung ist äußerst vielfältig und angesichts 106 107

Cleinow: Ostmark, S. 211 f. Zielinski, Henryk: La question de l'etat independant de Haute-Silesie

apres la premiere guerre mondiale (1919-1921), S. 34-57 in Acta Poloniae Historica 4, Warschau 1961. 108 DZA Merseburg, Rep.77 Tit. 856 Nr.521 vgl. Winnig, August: 400 Tage Ostpreußen, Dresden o. J. (1927), S. 36. 109 Klatt, Rudolf: Ostpreußen unter dem Reichskommissariat 1919/20, Heidelberg 1958, S. 132. 110 Zu den Oststaatbestrebungen s. Hesterberg, Ernst: Alle Macht den A.und S.-Räten / Kampf um Schlesien, Breslau 1932, passim; Cleinow: Ostmark, passim; Nadolny, Rudolf: Mein Beitrag, Wiesbaden 1955, S. 71; Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur, S.268, Anm. 29; Klatt: Ostpreußen, S. 131 ff.;

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der flüssigen Situation niemals festgelegt. Die Pläne des Generalkommandos Breslau zusammen mit dem Volksrat und Hörsing beschränken sich im wesentlichen auf Schlesien111 und die der norddeutschen Behörden auf ihre Gebiete 112 • Die Berliner Behörden bis zum Reichspräsidenten hinauf113 wissen zumindest von diesen Vorstellungen; aktiver Mitarbeiter ist der Geheime Legationsrat im AA und zeitweilige Chef des Büros des Reichspräsidenten von Nadolny, der selbst aus Ostpreußen stammt 114 • Seiner späteren Darstellung nach geht es ihm und Batocld zunächst darum, vom zeitweilig verselbständigten Osten aus - genau umschrieben ist das Gebiet nicht - gegen die in Posen eingedrungenen Polen vorzugehen, wie es die Entente der Reichsregierung nicht erlaubt l15 • Nach einer Aufzeichnung von Gayls vom 6. Juni ll6 ist das Ziel, im Falle eines Einmarsches der Polen in Westpreußen eventuell selbständig von einem Oststaat aus zu handeln. Befürchtungen wegen weiterer polnischer Vorstöße erscheinen jedoch in dieser Zeit wenig begründet; höchstens für den Fall der Ablehnung des Friedens durch die Reichsregierung wären sie zu erwarten. Auf die Dauer geht es auch offenkundig nicht in erster Linie um die Abwehr eines polnischen Angriffs. Auf der Konferenz von Vertretern West- und Ostpreußens, Posens und Schlesiens im Staatsministerium am 17. Mai117 äußert von Batocki: "Für 3 bis 4 Wochen können. .. die Polen überall in Ost- und Westpreußen militärisch abgewiesen werden. Trotzdem denken die Polen gar nicht an Carsten, Francis L.: Reichswehr und Politik 1918-1933, Köln, Berlin 1964, S.50; Winnig, August: Heimkehr, Hamburg 1935, S. 193 f. - Nach Winnigs Darstellung geht es zunächst um eine selbständige Aktion im Osten zugunsten der Wiedergewinnung Thoms und Posens für den Fall, daß die VNV die Friedensbedingungen ablehnt. Aber später ist dann von einer notwendigen Verleugnung der Ostaktion durch die Reichsregierung die Rede und von einem Oststaat; Winnig setzt also jetzt die Annahme des Friedensvertrages durch die Reichsregierung voraus. 111 Siehe dazu vor allem HesteTberg: Schlesien. 11! Siehe dazu u. a. Cleinow: Ostmark; Winnig: Heimkehr. 113 Nadolny: Beitrag, S. 71. 114 Der vom AA beurlaubte Legationssekretär von Janson wirkt nach Cleinow als Nadolnys Vertrauensmann in Ostpreußen; Cleinow: Ostmark, S.209. 115 Nadolny: Beitrag, S. 71. 118 Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 268, Anm. 29. 117 Protokoll der Sitzung vom 17. 5. 1919 über die Stellung der Ostprovinzen zu den Friedensbedingungen. Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 40 Bd. 4. - Als Teilnehmer verzeichnet das Protokoll Ministerpräsident Hirsch, PrKM Reinhardt, PrMdI Heine, PrMlliuG Fischbeck, Kommissare des Reichspräsidenten und des Reichsministeriums, Reichskommissar Winnig (Ostpreußen), Oberpräsident von Batocki (Königsberg), Oberbürgermeister Dr. Sahm (Danzig), Oberbürgermeister Hasse (Thom) , Regierungspräsident von Bülow (Bromberg), Oberpräsident Philipp (Breslau), Regierungspräsident Prescher (Breslau), Staatskommissar Hörsing (Kattowitz), Regierungspräsident Bitta (Oppeln).

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einen Angriff. Verlangt werden sofortige Maßnahmen der Regierung. Sonst wird alles, auch Ostpreußen, mit der Zeit verlorengehen, wenn die Regierung sich immer noch abwartend verhält." Schon vorher ist seine Feststellung protokolliert: "Ostpreußen neigt effektiv dazu, bei Deutschland zu bleiben. Es könnte aber durch die Annahme des Friedens wankelmütig gemacht werden." Die Sonderbestrebungen sind protokollarisch nur andeutungsweise festgehalten. Deutlich ist, daß von Batocki die Gefahr eines polnischen Angriffs verneint und ein offensives Vorgehen fordert. Sämtliche Vertreter der Oststaatbestrebungen wünschen bei aller Eigenmächtigkeit die Unterstützung der Berliner Regierungszentralen. Wie Batocki drängen auch die übrigen dort. Am 3. Mai berichtet das AA, das durch von Nadolny zur besonderen KontaktsteIle für diese Pläne geworden ist, dem Preußischen Staatsministerium von dem Besuch eines Posener Vertreters wegen der offensiven Absichten der Grenzschutztruppen l18 • Dazu vermerkt Ministerpäsident Hirsch die Mitteilung an das AA vom Vortage, "daß eine Offensiv absicht von keiner maßgebenden preußischen Stelle genährt werde. Nach den neuerdings hierhin gelangten Nachrichten bleibt es zweifelhaft, ob nicht die Bevölkerung auch noch positiv von einem Eingreifen abgehalten werden müßte. Dem steht auf der anderen Seite entgegen, daß der entschlossene Geist der Bevölkerung bei der Möglichkeit eines polnischen Angriffs nicht wohl gehemmt werden dürfte. Eine schriftliche Erörterung dieser Fragen scheint wegen ihrer Natur nicht unbedenklich." So finden sich in den Akten nur sporadische Hinweise auf diese Sonderbestrebungen. - Zur Haltung der Bevölkerung in den vom Friedensvertrag bedrohten Ostprovinzen weist Geheimrat Dr. Loehrs, Mitglied des Sachveständigenausschusses in Versailles, das PrMdI darauf hin119 , daß an der entscheidenden Stelle volle Klarheit darüber bestehen müsse, "daß die deutschen Bewohner der beteiligten Gebiete einen Friedensschluß, der ihnen als Preisgabe ihrer Interessen erschiene, voraussichtlich mit einer Volkserhebung beantworten würden." Der Regierungspräsident von Bromberg äußert sich ähnlich auf der Konferenz vom 17. Mai, aber mit einem wichtigen Zusatz: "Die Provinz ist kampfbereit gegen Polen, aber es soll nur mit Zustimmung der Regierung und des Kriegsministeriums geschehen." Offensive Absichten werden verständlicherweise vor allem in Westpreußen-Posen gehegt; und je weniger wahrscheinlich ein offenes Vorgehen der Berliner Zentralen im Sinne der ostdeutschen Kundgebungen Anfang Mai. wird, desto mehr Konturen gewinnen auch die Vorstellungen über ein Schreiben vom 3.5.1919; Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr.40 Bd.1. Abschrift des Gutachtens vom 5. 5. 1919, das am 22.5. 1919 vom PrMdI an die Preußische Staatsregierung geht; Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 40 Bd.2. . 118 119

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selbständiges Vorgehen im Rahmen einer eigenen Staatsorganisation. Cleinow120 zitiert das Protokoll einer Sitzung der Vertreter der Kreisvolksräte des Netze-Distrikts vom 26. Mai; darin heißt es für den Fall militärischer Verwicklungen mit Polen: "Beim Angriff ist nicht das ganze Reich beteiligt, sondern nur Ost-Westpreußen, Pommern und der Regierungsbezirk Bromberg. Diese Gebiete werden zu einem besonders festen Verband als kriegführender Staat zusammengeschlossen." - Die Volksräte im Netzegebiet, in West- und Ostpreußen, also dem Armee-Oberkommando-Nord, sind zusammen mit dem im Februar vom Freiherrn von GayL und Dr. von Scheubner-Richter gegründeten Ostdeutschen Heimatdienst in Ostpreußen121 seit dem 22. Mai unter einem Präsidium vereinigt. über die Verbindung zu Pommern ist nirgends Aufschluß zu erhalten. über die Oststaatbestrebungen in Ostpreußen äußert sich Winnig!!!. Es geht ihm zusammen mit dem Oberpräsidenten von Batocki, dem AOK-Nord bei Königsberg und dem Generalkommando in Danzig augenscheinlich um die militärische Rückgewinnung der im Dezember an Polen verlorenen Ostgebiete und um die Sicherung der übrigen vom Friedenvertrag betroffenen Reichsteile; für den Fall, daß die Reichsregierung sich gegen die Aktion wendet, soll das durch einen Oststaat geschehen123 • Sie sorgen für die finanzielle Sicherung des Unternehmens und bemühen sich um Vorräte 1!C. Der Reichs- und Staatskommissar stößt offenkundig erst im April zur "Verschwörergruppe"125; auch dann wird er nicht voll eingeweiht1!8. Sehr weit sind die überlegungen in Schlesien gediehen. Schon am

9.110. Mai verhandelt eine schlesische Delegation, bestehend aus dem

Oberpräsidenten PhiHpp, dem Staatskommissar Hörsing, dem Polizeipräsidenten Voigt und dem Hauptmann FLotow vom Breslauer Generalkommando, in Berlin mit dem Ministerpräsidenten Hirsch über ihren Plan, Schlesien notfalls dadurch ungeteilt deutsch zu erhalten, daß es sich als eigener Staat konstituiert127 • Nach dem Tagebuch von Hesterberg lehnt Hirsch es ab, Stellung zu nehmen; nur nach dem Staatsministerialsitzungsprotokoll vom 9. Mai hat er sich klar ablehnend verhalten1!8. Bei 120 Cleinow: Ostmark, S. 275. Zum Ostdeutschen Heimatdienst in Ostpreußen und zur Volksrätebewegung in Ostpreußen siehe Klatt: Ostpreußen, S. 1~3 ff. t!! Winnig: Heimkehr, S. 193, 199. 123 a. a. 0., S. 199. m a. a. 0., S. 199. m a. a. 0., S. 193 f. 1!8 Vgl. a. a. 0., S. 205 f. 127 Hesterberg: Schlesien, S.192. Hesterberg ist Offizier beim Generalkommando in Breslau. 128 Im Staatsm.-Prot. vom 9.5.1919 heißt es über ein Zusammentreffen von Hirsch und Heine mit der Abordnung aus Schlesien, sie hätten der Ab121

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einem Besuch Heines in Breslau am 15. Mai tragen ihm Staatsbeamte erneut diesen Plan vor; er weist sie jedoch in deutlicher und heftiger Form zurück129 • Prescher (DDP), der kommissarische Regierungspräsident von Breslau und der entscheidende Leiter des Volksrats, stellt sein Staatsamt daraufhin wieder zur Verfügung. Der PrMdI Heine wiederstrebt konsequent sämtlichen Versuchen, den preußischen Staat aufzulösen. Von Nadolny teilt über die Haltung des PrMdI zu den Oststaatplänen mit, daß ihn dort Ende Mai vor der Hochverratsklage nur die Be... rufung auf den Reichspräsidenten rettet130 • Cleinow berichtet, daß auf Grund von Andeutungen wegen des Oststaates in einer öffentlichen Rede am 17. Juni 1919 in Bromberg Heine, Hirsch, Noske und Scheidemann Separatismus wie im Westen wittern und ihn nur Winnig vor der Verhaftung rettet l31 • Den immer offener zutage kommenden oststaatlichen Bestrebungen treten einzelne Regierungsmitglieder mehr oder minder entschieden entgegen, ohne sie insgesamt entscheidend zu hemmen I3!. In der zweiten Mai-Hälfte sind eine Anzahl Versuche zu verzeichnen, die verschiedenen Oststaatbestrebungen in Schlesien, Posen-Westpreußen und Ostpreußen zusammenzufassen. Die Danziger Versammlung von Vertretern der Volksräte, der Zivil- und Militärbehörden der Ostprovinzen beschließt am 14. Mai auf Vorschlag des Regierungspräsidenten von Oppen (Allenstein), ein Ostparlament aus den Reichs- und preußischen Abgeordneten von Ostpreußen, Westpreußen, Posen, Pommern und Schlesien durch den Reichskommissar Winnig zur Zusammenfassung des deutschen Ostens nach Danzig berufen zu lassen l33 • Die Reichsregierung ruft die Ostparlamentarier zunächst am 22. und 23. Mai in Berlin zusammen. Schlesien und die nordostdeutschen Provinzen konstituieren sich dort sofort selbständig in einem Parlamentarischen Aktionsausschuß Ost, Gruppe Süd bzw. Nord. In Zusammenhang mit den ostdeutschen Sonderbestrebungen ist sicher gleichfalls die Konferenz der ostdeutschen ordnung "eröffnet, daß die Preußische Regierung derartigen Bestrebungen entschieden entgegentreten müsse. Herren von der Abordnung hätten sich daraufhin bereit erklärt, die Bewegung zu bekämpfen und über den Erfolg oder Mißerfolg Bericht zu erstatten". - In bezug auf den PrMdI Heine stimmt das Protokoll auf jeden Fall. 120 Hesterberg: Schlesien, S. 197. 130 Nadolny: Beitrag, S. 71. 131 Cleinow: Ostmark, S. 301. Vgl. von Thaer, Albrecht: Generalstabsdienst an der Front und in der OHL, hg. von Siegfried A. Kaehler, Göttingen 1958, S.316. 132 Albrecht von Thaer notiert unter dem 23. 6. 1919, daß die Berliner SPDRegierung unter der Hand habe wissen lassen, daß, falls sie die Bedingungen des Friedensvertrages betr. Ostprovinzen akzeptieren müßte, sie den Ostprovinzen "selbständiges Handeln freigäbe". - von Thaer: Generalstabsdienst, S. 316. 133 Cleinow: Ostmark, S. 252.

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Ober- und Regierungspräsidenten, der Reichs- und Staatskommissare Winnig und Hörsing und der Oberbürgermeister von Danzig und Thorn unter dem Vorsitz von Mitgliedern des Staatsministeriums im Beisein von Reichsvertretern - z. B. von N adolnys - am 17. Mai in Berlin134 zu sehen; allerdings sind gerade diese Bestrebungen neben der allgemeinen Kritik an den Friedensbedingungen protokollarisch nur sporadisch festgehalten. über den Fortgang der Oststaatsbestrebungen in dieser Zeit informiert von Nadolny 135. Er schreibt von sich und von Batocki: "Wir versammelten die Reichs- und preußischen Abgeordneten der vier Provinzen Ost- und Westpreußen, Schlesien und Pommern und beschlossen, uns im Remter der Marienburg an einem bestimmten Tage einzufinden und dort einen neuen deutschen Oststaat, ein Ostparlament und eine Ostregierung zu gründen. Das in Ostpreußen unter General von Estorff stationierte Militär sollte der neuen Regierung unterstellt werden. Mit diesen Verbänden wollten wir dann den eingedrungenen Polen entgegentreten und sie wieder nach dem russischen Polen zurückjagen." - Daß Verbände des Generalkommandos Breslau zur Wiedergewinnung Posens eingreifen, lehnt Hesterberg am 15. Mai bei einer Besprechung mit General von Loßberg und Freiherr von Richthofen vom AOK-Süd ab, da dann Oberschlesien gefährdet sei13s • Im militärischen wie im zivilen Bereich gehen die Interessen der nördlichen und südlichen Ostgebiete auseinander. Eine Tagung von Ostparlamentariern im Remter der Marienburg findet am 27. Mai statt, ohne daß die Oststaatbewegung hier allerdings im Sinne der Vorstellungen Nadolnys und Batockis vorankommt137 • Ohnehin sind augenscheinlich bei einem Teil der Ostparlamentarier noch Widerstände vorhanden gegen den Oststaat. Von Nadolny schiebt einen Teil der Schuld an dem Mißlingen seiner Pläne der Volks räte-Konkurrenz ZU138. Die nordostdeutschen Volksratsvertreter, die als weitgehend rechts stehend von einem Großteil der Parlamentarier abgelehnt werden139, versuchen hier, sich gleichfalls einzuschalten. Die Reichstagsabgeordneten verschanzen sich nach von Batockp40 hinter der Entschlossenheit des Reiches, nicht zu unterzeichnen. Nur von den nordostdeutschen Volks134

Vgl. Anm.1l7.

136

Hesterberg: Schlesien, S. 196.

135 Nadolny: Beitrag, S. 7l.

137 Winnig spielt hier eine Nebenrolle, wie seine Schilderung der Marien-

burger Tagung zeigt; Winnig: Heimkehr, S. 206. 138 Nadolny: Beitrag, S. 7l. 130 Vgl. Cleinow: Ostmark, S.321, passim. Der Breslauer Volksrat scheint nicht in der Marienburg vertreten zu sein. 140 In einem Artikel der Allensteiner Zeitung vom September 1932 der bei Cleinow, a. a. 0., S. 320 f., zitiert ist. '

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ratsvertretern bringt Cleinow141 einen Beschluß vom 2. Juni, für den Fall der Annahme des Friedensvertrages durch die Reichsregierung Ostdeutschland zusammenzuschließen. Der Parlamentsausschuß Nord und der Ständige Volksratsausschuß unter Cleinow, unter dessen Führung sich die Volksratsvertreter am 3. Juni zusammengeschlossen haben, einigen sich bei den weiteren Marienburger Beratungen Anfang Juni142, für die Gruppe Nord ein Direktorium aus Winnig, Oberpräsident von Batocki (Ostpreußen), Oberpräsident Schnackenburg (Westpreußen) und dem Regierungspräsidenten von Bülow (Bromberg) zu bilden; ihm sollen der Parlamentsausschuß Nord und der Volksratsausschuß zur Seite treten. Wie weit diese Organe überhaupt funktionieren, und ob vor allem der Parlamentsausschuß Nord noch weiter zusammentritt, ist nicht bekannt. Hinweise auf eine Tätigkeit des Südausschusses nach der Marienburger Tagung am 27. Mai existieren gleichfalls nicht. Dagegen vermerkt Hesterberg die Aktivität eines schlesischen Direktoriums, das gemeinsam vom Breslauer Generalkommando, dem Volksrat und den übrigen schlesischen Spitzenbehörden eingerichtet ist. Es beschließt am 2. Juni143 eigenmächtig die "Mobilmachung" für seinen Raum. Es betätigt sich weiterhin in Richtung auf den Oststaat. Der Breslauer Handelsrichter Goldschmidt hat schon im Mai mit den Tschechen Verbindung aufgenommen144 wegen ihrer Haltung für den Fall, daß Schlesien veselbständigt werde, um den Friedensvertragsfolgen zu entgehen. Das Direktorium beschließt unter dem Vorsitz des Polizeipräsidenten und VNV-Abgeordneten Voigt (SPD) im Juni145, das Generalkommando gleichfalls in dieser Frage mit Prag Kontakt aufnehmen zu lassen, und zwar mit ausdrücklicher Genehmigung desAA. Wenn es nicht zu einer stärkeren Zusammenfassung der Oststaatbestrebungen kommt, so ist dafür sicher von besonderer Bedeutung die Haltung der OHL in Kolberg. Sie nimmt in den östlichen Provinzen in ganz anderem Maße als im übrigen Deutschland eine Führungsposition ein; neben ihren allgemeinen militärischen Befugnissen übt sie gegenüber den ostdeutschen Truppen anstelle des PrKM die unmittelbare Befehlsgewalt über ihre speziellen Organe "Zentralstelle Grenzschutz Ost" (Zegrost) und deren Armeeoberkommandos148 Nord und Süd aus. Hinzu 141 Cleinow bringt S.284-286 a. a. O. das vom AA,.Beamten Dr. Ziemcke verfertigte Protokoll. . . .. 142 Winnig: Heimkehr, S. 199; Cleinow: Ostmark,S. 295; Hesterberg: Schlesien, S. 201. 143 Hesterberg: Schlesien, S. 208. 144 a. a. 0., S. 197. 145 a. a. 0., S. 208 und 210 f. 146 Wie weit Pommern in den unmittelbaren Befehlsbereich der OHL einbezogen ist, ist mir nicht bekannt.

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kommt noch, daß - mit Ausnahme Pommerns - von Ostpreußen bis Oberschlesien in dieser Zeit der Belagerungszustand herrscht. Die OHL hält die Sonderbestrebungen - "im Westen alle viere von uns strecken und im Osten Krieg führen" - für hoffnungslos 147 • Major von Willisen, der Chef des Stabes beim Grenzschutz Ost, bemüht sich vergeblich um eine Verlegung der OHL nach Berlin148, um freie Hand zu bekommen. Der PrKM Reinhardt steht am Anfang weitgehend auf seiten der OHL. Auf der schon oben erwähnten Ostbesprechung am 17. Mai in Berlin vertritt er die Ansicht: Bei einem Kampf von Regierungs wegen käme es zu einem allgemeinen Kampf im Osten und im Westen; deshalb sei "ein Entschluß der Regierung ... sehr schwer zu fassen. Sollte dann aber der Osten allein kämpfen wollen ohne Regierungsbeschluß, so wäre die Aussicht des Widerstandes militärisch sehr gering einzuschätzen." Seiner Meinung nach wird der Feind im Westen Polen helfen. Die politischen Aussichten bei einem Ostunternehmen seien etwas besser. "Der militärische Widerstand mit oder ohne Regierung, am besten nur mit der Regierung, würde beeinflußt sein durch plötzliche wichtige Ereignisse z. B. Verhandlungen im Westen, Conzessionen, Umwälzung in Rußland." Kriegsminister Reinhardt tritt jedoch Ende Mai, Anfang Juni immer mehr auf die Seite derer, die ein selbständiges Vorgehen des Ostens bei einer Annahme des Friedensvertrages befürworten14D • Er setzt sich aber zugleich in übereinstimmung mit der preußischen Regierung und Noske für die Ablehnung des Friedensvertrages durch die Reichsregierung ein. Er äußert am 25. Juni 150 : "Selbst die Trübsal einer über das Waffenstillstandsmaß hinausgehenden Besetzung und Zwangsverwaltung deutschen Gebietes schien mir persönlich weniger lebensbedrohend für das deutsche Dasein und die deutsche Zukunft als die Unterschrift unter diesen Vertrag ... " - Der Verlauf und die Bedeutung der militärischen Besprechungen vom 19. Juni und der Zusammenkunft militärischer und politischer Führer des Ostens am Abend des 19. Juni unter dem Vorsitz von Heine sind bekannt. Vor der entscheidenden Abstimmung in der VNV versammeln sich in Weimar die Abgeordneten des Ostens zusammen mit den Vertretern der Generalkommandos Danzig und Breslau noch einmal l51 • Auf Grund des Beschlusses der Reichsregierung nach den militärischen Besprechungen verzichten sie gleichfalls auf jeden Widerstand im Osten. Wie bei der Auseinandersetzung um den Friedensvertrag meldet sich die preußische Regierung auch bei der in engem Zusammenhang damit Winnig: Heimkehr, S. 213. Cleinow: Ostmark, S. 292. m Carstens: Reichswehr, S.46/47; Groener, Wilhelm: Lebenserinnerun-

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gen" hg. von Freiherr von Gaertringen, Göttingen 1957, S. 499. 150 VPrLv-Prot., Bd. 3, Sp. 2524, 25. 6. 1919. 151 Winnig: Heimkehr, S. 217; Nadolnl/: Beitrag, S. 71.

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stehenden Auseinandersetzung um die Auslieferung der sog. Kriegsverbrecher und die Versenkung der Flotte bei Scapa Flow am 22. Juni 1919 zu Wort. Angesichts der Befürchtung, die Reichsregierung könne sich gegenüber der von der Entente am 3. November erhobenen Forderung auf Schadenersatz für die versenkte Flotte und gegenüber der Auslieferungsforderung zu nachgiebig zeigen, beschließt das Staatsministerium am 24. November l52 , "im Hinblick auf die starke Beteiligung preußischer Interessen, auf die Reichsregierung einzuwirken, daß sie sich keinesfalls geneigt zeigen dürfe, ohne eine befriedigende Einigung über die Auslieferungsfrage und über Scapa Flow Verpflichtungen einzugehen, die über das Maß des im Friedensvertrage zugestandenen hinausgehen und daß sie an diesem Standpunkte insbesondere auch gegenüber einer Androhung weiterer Zwangsmaßnahmen zäh festhalten müsse ... " Der PrMdI bringt seine Unzufriedenheit mit der auswärtigen Politik des Reiches noch einmal angesichts der Empörung sämtlicher preußischer Minister über die Reichsregierung in der Staatsministerialsitzung vom 5. Dezember153 zum Ausdruck. Er verlangt, daß das Staatsministerium offen gegenüber dem Reich erkläre, daß "die Reichsregierung gegenüber der Entente seiner Meinung nach die deutsche Würde aus Besorgnis vor schärferen Maßnahmen nicht genügend wahre. Diese Ängstlichkeit werde sich noch furchtbar rächen. Sie werde eine nationalistische Welle hervorrufen, welche die gegenwärtige Regierung zu überfluten drohe." In der Auslieferungsfrage wählt die Reichsregierung zunächst im Dezember den Ausweg aus ihrer Kalamität, durch Gesetz dem Reichsgericht die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen in erster und letzter Instanz zu übertragen; im Januar erklärt sie sich zusätzlich noch zur Einrichtung einer zweiten Instanz bereitl54 • Die späteren Versuche der preußischen Regierung, sich über die Information über das AA und über die Mitteilungen auf den seit Juli 1920155 stattfindenden Ministerpräsidentenkonferenzen in die auswärtige Politik des Reiches einzuschalten, bleiben genau wie die Bemühungen der bayerischen Regierung um Mitsprache erfolglos. - Nach dem Abschluß des Friedensvertrages geht die Einflußnahme Preußens auf die Reichsaußenpolitik im wesentlichen von den preußischen Ressorts aus. Der preußische Landwirtschaftsminister sucht bei den für die Landwirtschaftspolitik interessanten Fragen der Reichsaußenpolitik mitzusprechen, der Handelsminister in Handelsangelegenheiten, der Innenminister bei Angelegenheiten des Landesschutzes und des MinderPreuß. Staatsm.-Prot. vom 24. 11. 1919, DZA Merseburg. Preuß. Staatsm.-Prot. vom 5. 12. 1919, DZA Merseburg. 154 Vgl. Winnig: Heimkehr, S. 245 f. 155 Am 21. 7. 1920 findet in Berlin eine Ministerpräsidentenkonferenz über Spa statt. 152

153

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heitenschutzes und der Finanzminister von seinem Ressortinteresse her l56 • Zumindest Sachverständige sind aus den einzelnen Ressorts zunächst nach dem Kriege in der Regel an den Verhandlungen im Gefolge des Abschlusses des Friedensvertrages und über die sonstigen internationalen Fragen beteiligt. Die Inanspruchnahme der preußischen Beamten durch das AA geht anfangs so weit, daß es - wie Ministerpräsident Braun in einer Chefbesprechung im AA im Dezember 1920 beschwerdeführend feststellt - preußische Beamte zu Verhandlungen nach Paris entsendet, ohne vorher die Zustimmung der betreffenden preußischen Ressorts einzuholen157 • Schon angesichts des vom Reich vielbeklagten und von den Ländern, insbesondere Preußen, triumphierend herausgestrichenen Mangels der Reichszentralbehörden an sachverständigen Beamten kann das Reich in den ersten Jahren nach 1918 nicht auf die Mitwirkung preußischer Beamter verzichten. Hier bietet sich natürlich die Möglichkeit der Einflußnahme, obgleich sie das Reich vergeblich auszuschalten versucht; das obenerwähnte Verfahren, über das Braun Beschwerde führt, ist möglicherweise ein Versuch, den preußischen Einfluß zu begrenzen. Die preußische Regierung nimmt die Möglichkeit der Beeinflussung der Reichsaußenpolitik über die Beteiligung ihrer Beamten gern wahr; sie erreicht es u. a., bei den Reparationskonferenzen regelmäßig durch einen Sachverständigen vertreten zu sein. Braun zeigt als Wirtschaftsminister wie als Ministerpräsident ein besonderes Interesse an der Ostpolitik des AA. So setzt er sich im Oktober 1920 mit dem RWiM wegen dessen Versuch auseinander, "die von der Reichs- und Staatsregierung beschlossene Wirtschaftssperre gegen Polen zu sabotieren"158. Die Politik des RWiM erklärt sich dar158 Die Bestrebungen des PrMfLDuF und des PrMfHuG und des PrMdI werden vor allem bei den Ressortabschnitten behandelt. - über die Einflußnahme des PrFM Südekum bei den Reparationsverhandlungen ist mir nichts bekannt. - über eine Initiative des PrFM Südekum 1919/20 gegen die sog. überfremdung deutschen Eigentums gibt die Reichsratsdrucksache Nr. 21 vom 27. 1. 1920 Aufschluß. Danach lehnt das AA auf einen Vorstoß des PrFM hin in einer Besprechung im AA am 26. 11. 1919 Maßnahmen der Reichsregierung gegen die überfremdung deutschen Eigentums mit dem Hinweis darauf ab, daß es auf Grund des Art. 276 d und Art. 280 Abs. 2 des Friedensvertrages nicht in der Lage sei, Ausländer im Erwerb und Besitze von Grundeigentum, Gesellschaftsanteilen, SchifIsparten usw. zu beschränken. Der Vertreter des PrFM bestreitet dies, und das PrFM macht in seinem Schreiben vom 18. 12. 1919 einige konkrete Vorschläge zur wirksamen Bekämpfung der Überfremdung. Als das AA daraufhin nicht einmal antwortet, wendet sich der PrFM Südekum mit einem Antrag an den Reichsrat (Reichsratsdr. Nr.21 v. 27.1. 1920), die Reichsregierung um Auskunft über die Maßnahmen gegen Überfremdung deutschen Eigentums zu ersuchen; er hat jedoch keinen Erfolg. 157 Siehe Schreiben des Staatssekretärs Göhre vom 9. 12. 1920 an den Ministerpräsidenten, Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 40 Adhib. I Bd. 1. 158 Zitat aus einem Schreiben des PrMfLDuF WendorfI vom 6. 4. 1923 an das Staatsministerium, das sich auf ein Schreiben des PrMfLDuF Braun vom

8 Eimers

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aus, daß der Leidtragende der Ausfuhrsperre nicht nur Polen ist, sondern zugleich die deutsche Wirtschaft, die einen traditionellen Absatzmarkt verliert. Die betroffenen Wirtschaftskreise tun ihren Unmut in vielen Protesten kund, und vor allem das RWiM tritt für eine Wiederaufhebung der Ausfuhrsperre ein. Im Juli 1922 verzichtet die Reichsregierung im Zuge ihrer ostpolitischen Aktivität wieder auf die Sanktionen gegen Polen. Daraufhin meldet sich Braun erneut zu Wort, um den preußischen Einfluß bei der neuen Ostpolitik der Reichsregierung zu sichern. Er beschwert sich beim Reichskanzler 159, daß das Reich in letzter Zeit preußische Ressorts "sowohl bei der Vorbereitung als auch bei den eigentlichen Verhandlungen internationaler Verträge nicht oder nur ungenügend beteiligt hat". Vor allem glaubt er Preußen unzureichend berücksichtigt bei den Warschauer Verhandlungen und dem folgenden Wirtschaftsabkommen mit Polen, dessen "wichtigster Punkt die Aufgabe der bisherigen Wirtschaftspolitik gegen Polen" bilde. Er betont, daß die preußische Regierung mehrfach ihr Interesse an gerade diesem Punkt bekundet habe. Weiter setzt er aus, daß die Vereinbarung mit der Tschechoslowakei über die gegenseitige Anerkennung von Vollstreckungstiteln ohne Anhörung der preußischen Ressorts erfolgt sei und bei der Bildung von Kommissionen zur Vorbereitung der deutsch-russischen Verhandlungen nur das Handelsministerium durch einen Beamten vertreten gewesen sei. Er richtet die Bitte an den Reichskanzler, "in Zukunft stets jedenfalls dann, wenn ausschließlich oder hauptsächlich preußische Belange berührt werden, für eine laufende Beteiligung der preußischen Ressorts sowohl bei den Vorbereitungen als auch bei den Verhandlungen selbst sorgen zu wollen". Eine spezielle Frage im Verhältnis Preußen-Reich ist "die Frage des Ersatzes des dem preußischen Staate durch den vom Reich geschlossenen Friedensvertrag entstandenen Verlustes an Staatseigentum."16o Hirsch nennt sie 1929 neben der Frage der Anwendung des Gesetzes vom 25. 5. 26. 10. 1920 an das Staatsministerium stützt. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 521. - Zur Handelspolitik des Reiches gegenüber Polen nach dem Versailler Vertrag s. Puchert, Berthold: Der Wirtschaftskrieg des Deutschen Imperialismus gegen Polen 1925--1934. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu

Berlin. Schriften des Instituts für Geschichte, Reihe I: Allgemeine und deutsche Geschichte, Bd. 17, Berlin 1964. 159 Schreiben des Preußischen Ministerpräsidenten vom 13. 9. 1922 an den Reichskanzler. BAK, R 43 1/2327. - Das AA vermag die preußischen Beschwerden in seinem Schreiben vom 13. 11. 1922 (a. a. 0.) durch die Hinweise abzuschwächen, daß bei der Behandlung der Fragen der Ausführung des Rapallo-Vertrages Kommissare preußischer Ressorts beteiligt werden und daß vor der Abfahrt der deutschen Kommissare nach Warschau eine Beratung unter der Beteiligung von Vertretern preußischer Ressorts stattgefunden habe, in der ein Einverständnis zur eventuellen Aufhebung der Ausfuhrerschwernisse gegenüber Polen bei polnischen Konzessionen erzielt worden sei. 180 Hirsch: Sozialdemokratie, S. 184.

V. Die preußischen Ressorts (Innenministerium)

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1873 und der Frage der Aufwertung der Forderung Preußens für die überlassung seiner Staatsbahn an das Reich als einen wesentlichen Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Reich und Preußen von 1919 bis 1929161 • "über diese Fragen haben jahrelange Verhandlungen stattgefunden. Die verschiedensten Reichskanzler und Minister haben eine baldige Regelung in Aussicht gestellt, immer aber ist sie an gewissen Hemmungen,die sich innerhalb der Ministerien geltend machten, bisher gescheitert." Ministerpräsident Hirsch fordert schon bald nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages in einem Schreiben18! an die Reichsregierung den Ersatz des Sonderschadens, der Preußen im Unterschied zu den übrigen Einzelstaaten durch Einzelabmachungen des Vertrages erwächst. "Durch den Friedensvertrag, den die preußische Regierung für unannehmbar erklärt habe, verliere der preußische Staat einen großen Teil seines Staatsvermögens an Bahnanlagen, Forsten, Bergwerksbesitz und dergleichen, abgesehen von der Minderung der Staatseinnahmen, die die langjährige Besetzung des linksrheinischen Staatsgebietes, das als Pfand für die Erfüllung des Friedensvertrages durch das Reich haften soll, zur Folge haben müsse." Die preußische Regierung setzt zunächst am 20. August einen Beschluß des Reichskabinetts durch, daß das Reich für alle Folgen des Friedensvertrages aufzukommen habe. An diesen Beschluß knüpft der PrFM 1920163 sogar die Forderung auf Ersatz der an die preußischen Beamten zu zahlenden Besatzungszulage durch das Reich. Die preußische Regierung erreicht im Anschluß an den Reichskabinettsbeschluß vom 20. 8. 1919, daß die Reichsregierung in ihrem Schreiben vom 26. 9. 1919184 die Verpflichtung des Reiches zur Entschädigung anerkennt. Der erste praktische Erfolg ist das 1925 zwischen der preußischen und der Reichsregierung geschlossene vorläufige Auseinandersetzungs-Abkommen, in dem sich das Reich zur Zahlung von 65 Millionen Rentenmark verpflichtet und Preußen seine weiteren Ansprüche für die Dauer von drei Jahren nicht geltend zu machen verspricht.

V. Das Verhältnis der preußischen Ressorts zum Reich 1919/1920

1. Das Preußische Ministerium des Innern Wie unter den Reichsressorts das RMdI das wichtigste Ministerium für das Verhältnis Reich-Preußen ist, so nimmt im Staatsministerium das 161 Die Feststellung Hirschs und das folgende Zitat a. a. O. Zum Gesetz vom 25. 5. 1873 vgl. diese Arbeit Teil B, IV. 16! Paraphrase des Schreibens vom 26.7.1919 an die Reichsregierung durch Hirsch in "Der Weg der Sozialdemokratie zur Macht in Preußen", S. 185. 163 Siehe Teil B, X, 5. 1M Hirsch: Sozialdemokratie, S. 185.



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PrMdI die Schlüsselstellung für das beiderseitige Verhältnis ein; das gilt gerade angesichts der Verfassungsauseinandersetzungen. Um so bedeutsamer ist es, daß eine Persönlichkeit wie Heine - alter Korpsstudent und vom rechten Flügel der SPD - in der Hauptperiode der Auseinandersetzungen um die Zukunft Preußens als Verfassungsminister fungiert. Er ist ein Politiker, der vom Anfang seiner Arbeit an im PrMdI entschieden, ohne alle Umschweife und ohne Rücksicht auf den Opponenten, das preußische Staatsinteresse verteidigt. Genauso eindeutig wie die Geschäftsführung Heines als Chef des PrMdI ist ihre Betrachtung in der an die Zentralstelle gerichteten Denkschrift vom März 1921 über das Verhältnis von Reich und Preußeni. Seine Stellungnahme ist im Vergleich zu den Schreiben der noch amtierenden preußischen Minister für die Zentralstelle kaum von taktischen überlegungen verzerrt. So verdient sie eine eingehende Berücksichtigung. Die Denkschrift ist eine Apologie Preußens und selbstverständlich zugleich seiner Tätigkeit. Im Mittelpunkt steht die Erhaltung des preußischen Staates. Während für die preußische Regierung und insbesondere für das PrMdI die Erhaltung Preußens Kern der Politik ist, zielt die Reichsregierung unter dem Einfluß von Preuß mehr oder weniger auf die allmähliche Auflösung Preußens zugunsten des dezentralisierten Einheitsstaates. In den Augen von Heine ist die Reichsregierung für den neuen Dualismus von Preußen und Reich verantwortlich. Preuß schreibt er den entscheidenden Anteil an der Vergiftung des Verhältnisses Preußen-Reich zu. Nach Heines Ansicht war es "ein Unglück, daß die Frage der Neugestaltung des Reiches und namentlich der Stellung Preußens im Reiche einem Theoretiker anheimfiel, der nicht den geringsten Blick für praktische Aufgaben und Möglichkeiten besaß, und der deshalb, anstatt die Kräfte Preußens dem Reiche nutzbar zu machen, sofort in das Fahrwasser eines Gegensatzes zwischen Preußen und dem Reiche hineinsteuerte" . Seiner Meinung nach wäre es bei "gegenseitigem Vertrauen und regelmäßiger verständnisvoller Zusammenarbeit ... sehr wohl möglich gewesen, alle Reibungen auf ein Minimum herabzusetzen und ein Verhältnis zwischen Preußen und dem Reiche herzustellen, zu dem Preußen bereit gewesen war, und das Preußen als den ersten Diener der Reichsidee und ihren opferbereitesten Helfer gezeigt hätte". Während "bei ... sämtlichen Mitgliedern" der Preußischen Regierung "die überzeugung von der Notwendigkeit einer verständnisvollen Zusammenarbeit mit der Reichsregierung bestand", hat die preußenfeindliche Politik der Reichsregierung I Ein Exemplar der 41 Schreibmaschinenseiten umfassenden Denkschrift Heines v. 23.3. 1921 geht zugleich an die Preußische Regierung. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 52 Bd. 1 S. 67-108. Die Denkschrift ist im Anhang als Quelle Nr. 2 wiedergegeben.

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einen neuen Gegensatz geschaffen. Dies ist der Grundtenor von Heines Denkschrift. Hier argumentiert der Rechtsanwalt Heine einseitig zugunsten seines angeklagten Mandanten Preußen. Anzuerkennen ist, daß Reine nicht wie Hirsch in seinen Memoiren den Gegensatz zwischen Reichs- und preußischer Politik verwischt. Aber aus der Perspektive von Preuß übersieht Reine völlig, daß Reichs- und preußisches Staatsinteresse gegeneinanderstehen. Reine beginnt mit dem Hinweis auf die Lage nach dem Umsturz, die Abtrennungsbestrebungen, "die terroristischen Bestrebungen" und die Streiks. Konstruktives sieht er nicht in den sich 1918/19 gegen den bisherigen preußischen Staat wendenden Kräften. Ihm geht es vor allem darum, "die im Preußischen Staat liegenden Kräfte ... der Erneuerung des staatlichen Lebens im Reiche dienstbar zu machen." Von zentraler Bedeutung ist für Heine die viel kritisierte preußische Verwaltungsorganisation. Die wichtige Entscheidung der preußischen Regierung, sie zu erhalten, begründet er damit, daß sich die preußischen Staatsbehörden und die preußischen Kräfte seit November 1918 bewährt hätten. Ohne Rücksicht auf die Vorgänge in Posen, Schlesien, Ostpreußen, Mitteldeutschland und dem Ruhrgebiet behauptet er, daß es nirgends an entscheidenden Plätzen auch nur vorübergehend gelungen sei, die Staatsbehörden zu verdrängen. Die Wiederherstellung der Staatsautorität in Berlin und außerhalb rechnet er preußischen Kräften zugute, ohne die ausschlaggebende Rolle des Reiches und vor allem Noskes zu erwähnen. Die Verteidigung der preußischen Verwaltungs organisation ist zugleich die Grundlage für die Ablehnung weitreichender Dezentralisations- und Autonomiebestrebungen. Sie führen in seinen Augen dazu, "Macht und Funktionen des Staates zu zersplittern und an die Stelle einer einheitlichen Verwaltung eine Vielzahl von getrennten unabhängigen Körperschaften zu setzen." Eine Reform sollte die preußische Verwaltung straffen und stärken. Die Selbstverwaltung ist zwar durch Reranziehung weiterer Volksschichten zu kräftigen, aber "die Zentralgewalt nicht schädlich zu schwächen". Diesen bei den Notwendigkeiten habe der im PrMdI ausgearbeitete Gesetzentwurf über die Erweiterung der Selbständigkeitsrechte der Provinzialverbände gedient. Der Autonomiegesetzentwurf entspringt allerdings wohl nicht so sehr der Einsicht der preußischen Regierung, als vielmehr dem fortdauernden Druck der Autonomiebestrebungen im Rheinland, in Hannover, Schleswig-Holstein und Oberschlesien und von seiten der Reichsregierung. Demgegenüber genügt ihr Verweis auf die zukünftige Autonomiegesetz-

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gebung bald nicht mehr. Nach ihrer Zusage vom 3. Juli an die Reichsregierung legt sie derVPrLv am 14. Juli den Gesetzentwurf über die Selbständigkeitsrechte der Provinzen vor2 • Er soll die Provinzialverbände zu Statuten zu einigen Fragen der Schulverfassung, zur Kommunalverfassung, über die Zulassung einer anderen Amtssprache neben der deutschen und über die Einrichtung von Beiräten bei der staatlichen Provinzialverwaltung ermächtigen; zusätzlich ist in Zukunft der Provinzialausschuß bei der Ernennung staatlicher Beamter zu hören. Der PrMdI bittet in der Begründung zwar "bei der großen Dringlichkeit der Angelegenheit die Beschlußfassung der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung mit größter Beschle~nigung herbeiführen zu wollen", aber den VPrLv-Fraktionen der SPD und DDP ist der Inhalt noch immer nicht dürftig genug, und sie setzen seine Verweisung an den 16. Ausschuß zu einer genauen Beratung durch. Der Ausschuß bringt den Gesetzentwurf im Oktober an das Plenum zurück. - Für die ablehnende Haltung der SPD und DDP ist anfänglich ausschlaggebend, daß die Vorlage in ihren Augen zu sehr dem Zentrum in seinem Bestreben entgegenkommt, Schule und Kirche möglichst gegenüber der Kulturpolitik der preußischen Regierung abzuschirmen. Ihre Starrheit ist insoweit von Erfolg gekrönt, als der Gesetzentwurf verschleppt wird, aber zugleich geben sie der Position des Zentrums bei den Kulturkompromißverhandlungen mit der SPD im Reich neuen Rückhalt. Andererseits tragen auch die extremen Ansprüche des Zentrums, die Heine berichtet, nicht zu einer Einigung über den Autonomiegesetzentwurf bei. Heine berührt im Anschluß an die grundsätzlichen Erörterungen bei den Beispielen für die Spannung zur Reichsregierung Oberschlesien; damit gibt er einen weiteren Einblick in die Problematik der Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Reich über die Provinzial-Autonomie. Die Auseinandersetzungen über die Pläne von Drews und die preußische Verfassung, die gleichfalls von entscheidender Bedeutung in dem Vielfrontenkrieg um die Erhaltung Preußens sind, erwähnt er leider nicht. Bei den preußischen Verfassungsberatungen 1919 ist neben der Frage der Einsetzung eines preußischen Staatspräsidenten das entscheidende Problem die Provinzialautonomie, mit der die Frage der Errichtung eines Finanzrates oder Staatsrates als Provinzialvertretung in der Zentrale eng verbunden ist. Ein Hauptgrund dafür, daß die Arbeit an der preußischen Verfassung auch nach der Fertigstellung der Reichsverfassung nur schleppend vorangeht, ist, daß sich die Mehrheitsparteien nicht über die Provinzialautonomie zu einigen vermögen. Das Zentrum fordert energisch eine Erweiterung der Provinzialautonomie, und die DDP 2

VPrLv-Dr. Nr. 604.

V. Die preußischen Ressorts (Innenministerium)

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befürwortet sie angesichts des Drängens ihres Fraktionsmitgliedes Preuß, der nach der Arbeit an der Reichsverfassung nur noch im Preußenparlament tätig ist, zumindest teilweise; der PrMdI Heine weiß sich jedoch die Unterstützung der SPD bei ihrer Ablehnung zu sichern. Bis zum Januar 1920 enthält der Verfassungsentwurf nicht eine einzige Bestimmung zur Selbstverwaltung. Angesichts des Druckes fügt Heine zwei nichtssagende Paragraphen ein; der erste garantiert die bisherige Selbstverwaltung und der zweite behält den Ausbau der Selbstverwaltung besonderer Gesetzgebung vor. Schließlich soll noch ein Finanzrat zur Mitwirkung bei Finanzfragen bestellt werden, in dem die eine Hälfte der Mitglieder aus den Provinzialvertretern zum Reichsrat bestehen soll, die andere Hälfte aus Beamten und vom Landtag gewählten Persönlichkeiten; das ist zugleich ein Weg, um die Provinzialververtreter im Reichsrat indirekt zu binden. In der gemeinsamen Sitzung von preußischer und Reichsregierung vom 30. Januar 1920 erklärt sich die preußische Regierung bereit zu einer weiteren Dezentralisation, wie sie einem weiteren Vordringen der Reichsgewalt zustimmt. Wie "erfolgreich" die Reichsregierung jedoch tatsächlich in der Frage der Dezentralisation ist, zeigt die folgende interfraktionelle Besprechung über die preußische Verfassung vom 6. 2. 1920, bei der Preuß anscheinend den Vorstoß der Reichsregierung auszunutzen gedenkt. Der PrMdI Heine berichtet dem Unterstaatssekretär Dr. Freund den Mißerfolg von Preuß am selben Tag 3 - ganz in der Art, in der die preußische Regierung und ein Großteil der Abgeordneten Preuß zwar gern zuhören, aber immer weniger ernst nehmen: "Herr Professor Preuß sprach viel von der Provinzialautonomie, die er für notwendig hielt, um den Zerfall Preußens zu verhindern. Er gab aber zu, daß diese selbst schon den Zerfall bedeuten würde. Ich lehnte entschieden jede Mitwirkung an etwas ab, das ich als Zerstückelung Preußens annehmen müßte. Dieser Teil der Debatte verlief entsprechend interessant aber unfruchtbar."Heine ist nicht bereit, auf die weitergehenden Wünsche der DDP und des Zentrums einzugehen. Mit der Drohung seines Rücktritts setzt er am 24. Februar - dem Tag, an dem Erzberger von seinen Amtsgeschäften entbunden wird - die Vorlage des Verfassungsentwurfs bei der VPrLv durch. Die dortigen Beratungen beginnen erst nach dem Kapp-Putsch unter der neuen preußischen Regierung. In gleicher Weise wie die Verfassungsreform bleibt die Verwaltungsreform, um der Uneinigkeit über das künftige Verhältnis der Provinzen zum Staat und zum Reich stecken. Die neue preußische Regierung 3

Aktennotiz Heines v. 6.2. 1920. DZA Merseburg, Rep, 77 Tit. 496 a Nr. 188.

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nimmt nach dem Zusammenbruch den letzten königlich preußischen Innenminister Drews, der bisher vergeblich für eine entschiedene Verwaltungsreform eingetreten ist, wieder in ihren Dienst; allerdings beschäftigt sie ihn zunächst nur als Kommissar bei den Waffenstillstandsverhandlungen. Am 3. Mai 1919 ernennt sie ihn zum Preußischen Staatskommissar für die Vorbereitung der Verwaltungsreform und bittet ihn mit größter Beschleunigung die neue Städte-, Landgemeinde-, Kreisund Provinzialordnung fertigzustellen. Die Entwürfe mit Begründung legt er schon im Juli vor4 • Sie sind insgesamt - in Übereinstimmung mit den Vorstellungen von Preuß - gerichtet auf die Erweiterung der Selbstverwaltung und auf die längst überfällige Vereinfachung der Staatsverwaltung. Als erste Maßregel wünscht Drews die übertragung der Zuständigkeiten der Regierungspräsidien auf die Oberpräsidien. Er bespricht die Entwürfe mit Vertretern der Provinzen, Kreise, Städte, Landgemeinden und Parteien und ändert sie noch mehrfach dementsprechend ab; das Staatsministerium läßt sie jedoch sämtlich unberücksichtigt liegen. Der außerordentlich glückliche Umstand, daß gerade auf preußischer Seite, dem schwierigsten Vorwurf für den Reichsverfassungsminister Preuß, ein Verwaltungsfachmann ersten Ranges mit der Frage der Verwaltungsreform, der entscheidenden Ergänzung zur Reichsverfassungsreform, beschäftigt ist, ist nie recht wirksam geworden. Die neue preußische Regierung behandelt seine Pläne nur wenig anders als die königliche. Es ist wohl nur mit der anfänglichen Unsicherheit der Zukunft des preußischen Staates zu erklären, daß Drews überhaupt mit der Aufgabe der Vorbereitung der Verwaltungsreform betraut ist. Der PrMdI Reine hat grundsätzlich andere Vorstellungen von der preußischen Verwaltungsreform. Gegenüber den in der Deutschen Juristen-Zeitung vom 1. 5.1919 5 veröffentlichten Vorschlägen von Drews zur Verwaltungsreform äußert sich Unterstaatssekretär Dr. Freund vom PrMdI im Staatshaushaltsausschuß6: "Dr. Drews stehe mit seiner Auffassung vollkommen frei. Sie sei in keiner Weise bindend für die Regierung. Die Regierung habe auch zu seiner Darstellung keine Stellung genommen, sie habe im Gegenteil lebhafte Bedenken dagegen. ce Der PrMdI Reine setzt 4 Siehe Nied St, Preuß. Staatsm. B III 7 a Nr. 21 Bd. XI. Im August legt Drews den Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Staatsausschusses vor, dessen Aufgabe die Wahrung der Einheitlichkeit der Beschlußbehörden Bezirksausschuß und Provinzialrat sein soll. Drews gestaltet diesen Gesetzentwurf noch mehrfach um bis 1921, um dann dies Anliegen endgültig fallenzulassen. - Gesetzentwürfe zu anderen Materien schließen sich an. In ihren Grundzügen leiten sie sich fast sämtlich von Drews Denkschrift vom Juli 1917 ab. - Vgl. zu Drews Ule, earl Hermann: Bill Drews, in: Männer der deutschen Verwaltung / 23 biographische Essays, Köln/Berlin 1963, S. 266. 5 Drews, Bill: Verwaltungsreform, Sp.361-366 in: Deutsche JuristenZeitung 1919. 8 VPrLv-Dr. Nr. 545, vom 5. 7. 1919, S. 14.

V. Die preußischen Ressorts (Innenministerium)

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sich vor dem gleichen Gremium für "ein zentralisiertes Preußen" ein7 • Er will höchstens die Kommunalisierung der Landräte konzedieren, im übrigen aber den Staatsaufbau straffen und vereinfachen. Das soll durch das Ausscheiden der Oberpräsidien, der Adressaten der Provinziallandtage, und durch die Stärkung der nur für Provinzteile zuständigen Regierungspräsidien geschehen; gerade diese möchte Drews aufgehoben haben. Zeitweilig gibt sich die preußische Regierung den Anschein, als wenn sie zur großzügigen Dezentralisation bereit sei. So läßt sie den Staatskommissar seine Pläne am 24. Juli auf einer Konferenz mit rheinischen Vertretern des öffentlichen Lebens in Düsseldorf über die Frage der rheinischen Republik vortragen. Rier betont Drews den Zusammenhang seiner Dezentralisationspläne mit dem Unitarismus; diese Kombination ist von ihm vor dem Zusammenbruch noch nicht bekannt. Seiner Meinung nach geht es nun darum, "Preußen zum Aufgehen in das Reich in seinen einzelnen Landesteilen auch sachlich zu befähigen"8. Weder Drews noch Reine können sich mit ihren Projekten durchsetzen. Es bleibt bei dem überkommenen Status - von Teilreformen abgesehen; die Änderungen zugunsten der Oberpräsidien - z. B. beim Belagerunszustand seit dem Oktober 1918 9 - wie zugunsten der Regierungspräsidien - z. B. im Zuge der wirtschaftlichen Demobilmachung 1918/1919 - halten sich die Waage. Es ist selbstverständlich, daß sich angesichts der Verschleppung von Reformen im Sinne der Provinzial autonomie in der preußischen Zentrale die Autonomiebestrebungen nicht dämpfen lassen und teilweise nur verstärkt zutage treten. Reine geht näher auf Oberschlesien ein, um das es eine ganze Reihe - seiner Meinung nach vom Reich provozierter - Differenzen gibt. Die preußische Regierung hat in seinen Augen die "berechtigten Wünsche der Oberschlesier" 1919 schon durch die Personalveränderungen und die Zulassung der polnischen Sprache in Amt und Unterricht befriedigt. Die Gewährung einer größeren Autonomie lehnt sie mit Unterstützung der VPrLv ab, da sie befürchtet, daß eine Loslösung vom Reich die Folge wäre. Dasselbe gilt es in den anderen Grenzgebieten zu verhindern. Reine macht der Reichsregierung besondere Vorwürfe, daß ihre Organe trotzdem "fortwährend auf die preu7 a. a. 0., S. 12 In ähnlicher Weise äußert sich Heine Anfang Mai in einem Artikel der Deutschen Allgemeinen Zeitung, der mir nicht zugänglich war. Er wird unterstützt in einem Artikel des Unterstaatssekretärs Adolf Heinrichs in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 7. Mai (Nr. 218). 8 DGK, 35. Jg., 11. Bd., Juli-Dezember 1919, S. 64. 8 Vgl. unten. Zur Entwicklung der Stellung von Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten in der Weimarer Republik siehe Runge, Wolfgang: Politik und Beamtenturn im Parteienstaat, Stuttgart 1965, S. 23-28.

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ßische Regierung einzuwirken gesucht" hätten, "um die sog. ,Autonomie' Oberschlesiens, d. h. Bildung eines besonderen Staates Oberschlesien im Verbande des Deutschen Reiches durchzusetzen. Die Führer der Mehrheitsparteien der preußischen Landesversammlung und die berufenen Kenner der schlesischen Verhältnisse waren, solange ich Minister des Innern war, keineswegs für solche Abtrennung". Reine bringt als Beispiel die Konferenz der preußischen Regierung vom 9. Juli 1919 in Weimar10 mit Abgeordneten der VNV und der VPrLv aus Schlesien, Sachverständigen des AA und Vertretern des Zentralrates für Schlesien. Vorangegangen ist am 5. Juli - parallel zu den Beratungen im Reichsministerium über Oberschlesien - eine Sitzung der preußischen Regierung mit den Führern der Mehrheitsparteien, die die Bildung eines selbständigen Staates Oberschlesien abgelehnt und den Provinzen insgesamt "auf dem Gebiete des kulturellen Lebens weitgehende Selbständigkeit" versprochen hat. Auf der Konferenz vom 9. Juli 1919 fordert der oberschlesische VNV-Abgeordnete Ulitzka (Zentrum), ein berufener Kenner der schlesischen Verhältnisse und über den Verdacht des Separatismus erhaben, erneut die Errichtung eines Gliedstaates Oberschlesien. Die Vertreter des Zentralrates für Schlesien legen gemäßigtere Vorschläge für den Ausbau der Selbstverwaltung Oberschlesiens vor; sie befürworten u. a. einen eigenen Landtag für Oberschlesien und die übertragung des Vorschlagrechtes für leitende Beamte der Reichs- und Staatsbehörden in Oberschlesien an diesen Landtag. Die preußische Regierung vermag den Beschluß vom 5. Juli auch auf der Konferenz vom 9. Juli durchzusetzen; aber auf jeden Fall ist ihre Position von schlesischer Seite nicht so unangefochten, wie es Reine in seiner Denkschrift darstellt. Im übrigen hat Preußen keine der am 9. Juli gegebenen Zusagen unmittelbar verwirklicht. Der oberschlesische Beirat wird erst nach weiteren Auseinandersetzungen im November geschaffen; das Schicksal der Versuche, die provinzielle Selbständigkeit insgesamt zu erweitern, ist schon oben berührt. Nach der Art und Weise, wie die preußische Regierung und die Landesversammlung die Frage der Selbstverwaltung behandeln, ist das Mißtrauen der Reichsregierung gegenüber den Versprechungen der Preußischen Regierung, das Reine gleichfalls kritisiert, nur zu verständlich. Die Personen, die weiterhin hinter den von Reine als "Treibereien auf Änderung der staatsrechtlichen Zustände in Oberschlesien" bezeichneten Bestrebungen stehen, sind in seinen Augen zum Teil "wohlwollende aber aufgeregte, manchmal wichtigtuerische Personen, die sich gar kein klares Bild von der Durchführbarkeit ihrer Vorschläge machten, zum anderen Teil" vertreten sie "sehr bestimmte, wenn auch nicht im10 Protokoll der Konferenz vom 9.7.1919. DZA Merseburg, Rep. 90a D I 2 Nr.20 Bd.l.

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mer offen ausgesprochene Ziele"; das soll wohl heißen, sie sind Separatisten. Die Auseinandersetzung um die Stellung Oberschlesiens zwischen den beiden Regierungen und in der VPrLv und in der VNV geht also weiter. Auf die Diskussionen um den Artikel 18, die in engem Zusammenhang mit der Frage der Zukunft Oberschlesiens wie der des Rheinlandes stehen, geht Reine nicht ein. Der Verfassungsausschuß der VNV beschäftigt sich am 26.7.1919 mit einem Antrag, die Sperrvorschrift zum Artikel 18 für Oberschlesien aufzuheben und die Bestimmungen des Artikel 18 Abs. 2 bis 5 sofort für Oberschlesien in Kraft treten zu lassen mit der Maßgabe, daß zum Beschluß der Neubildung des Landes 3/5 der Stimmen aller Wahlberechtigten dieses Gebietes ausreichen. Die preußische Regierung weiß den Antrag jedoch zu Fall zu bringen. Da die Verselbständigung Oberschlesiens nach Artikel 18 für die folgenden Jahre versperrt ist, setzen sich gerade Zentrumsvertreter um so mehr für den Ausbau Oberschlesiens zu einer selbständigen Provinz ein. Am 7. Juli 1919 bringen Zentrumsabgeordnete in der VPrLv den Antrag ein, den Regierungsbezirk Oberschlesien zum 1. Oktober zur Provinz zu erheben (Drucks. 652). Das Plenum überweist den Antrag sofort ohne Beratung an den 16. Ausschuß der VPrLv. Sprecher des oberschlesischen Zentrums und der übrigen oberschlesischen Parteien einigen sich am 4. August mit dem Zentralrat für Schlesien ausdrücklich auf die provinzielle Autonomie Oberschlesiens. Sie finden die Unterstützung des Breslauer Oberpräsidenten und VNV-Abgeordneten von der SPD Philipp wie die des Reichs- und Staatskommissars für Schlesien und VNV-Abgeordneten Hörsing von der SPD. Das entscheidende Argument für die provinzielle Selbständigkeit ist, daß sie die Abstimmung über die Zugehörigkeit zu Deutschland günstig beeinflussen würde. Trotz der Unterstützung, die der im Juli in der VPrLv eingebrachte Antrag auf Errichtung der Provinz Oberschlesien also in Schlesien erfährt, kommt seine Behandlung nicht voran. Die VPrLv hat sich in dieser Zeit gleichfalls mit den schleswig-holsteinischen Sonderbestrebungen auseinanderzusetzen. Schon am 22. April 1919 haben sich alle Parteien Schleswig-Holsteins in Neumünster in ihrem Einheitsprogramm für Nordschleswig für die wirtschaftliche Förderung Schleswig-Holsteins, die Erhaltung der alten Sonderrechte der Provinz und für den Ausbau der provinziellen Selbstverwaltung ausgesprochen11 • Diese Forderungen sind der preußischen Regierung am 24. und 25. April auf der Schleswig-Konferenz im PrMdI vorgetragen!!. Die preußische Regierung zeigt sich demgegenüber wohl bereit, der besonderen Lage 11 1Z

KösteT: Schleswig, S. 49 und 63. a. a. 0., S. 61.

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Schleswig-Holsteins durch die Einsetzung eines Staatskommissars und durch großzügige wirtschaftliche Hilfsaktionen Rechnung zu tragen, aber die Selbstverwaltung wirksam zu heben, lehnt sie ab. Sie merkt - so Köster 13 - sehr spät, "daß der Kampf hier oben mindestens ebensosehr ein Kampf des wiedererwachenden Schleswig-Holsteinertums wie ein bloßer Kampf des Deutschtums" ist. Im Sinne der schleswig-holsteinischen Autonomiebewegung beantragen Abgeordnete der DDP, DVP und DNVP am 31. 5. 1919 in der VPrLv ein "Gesetz über die Sonderrechte der Provinz Schleswig-Holstein"14. Nach dem von ihnen vorgelegten Entwurf soll die Abänderung "althergebrachter Sonderbestimmungen" der Schleswig-Holsteinischen Kommunalverfassungsgesetze von 1869, 1892 und 1897 und die Veränderung der Schulpflicht an die Zustimmung des neu zu berufenden Provinziallandtages gebunden werden und die Abänderung der schleswig-holsteinischen Kirchenverfassung an die Zustimmung der schleswig-holsteinischen Landeskirche. Der Antrag geht am 3.6.1919 an den Gemeindeausschuß und wird dort noch im selben Monat nach geringfügigen Änderungen angenommen. Obgleich nur eine geringe Erweiterung der Provinzialautonomie zur Debatte steht, sprechen sich die Staatsminister am 28. JunP5 dagegen aus und treiben erfolgreich in der VPrLv Obstruktion. Das Plenum überweist den Antrag am 19. Juli einem anderen Ausschuß, dem 16., zur erneuten Beratung. Mit dem am 14. Juli von der preußischen Regierung vorgelegten Gesetzentwurf über die Erweiterung der Selbständigkeitsrechte der Provinzialverbände ist der Antrag ohnehin überboten, und der 16. Ausschuß stellt ihn schließlich im Oktober überhaupt zurück. Anfang März 1920 - also kurz vor der Abstimmung in der 2. Zone am 14. März - tritt Schleswig-Holstein noch einmal mit Sonderwünschen an die Reichs- und Staatsregierung heran. Am 1. März fordert eine Versammlung aus Vertretern aller Teile Schleswig-Holsteins in Rendsburg eine größere Selbständigkeit für die Provinz und sämtliche Parteien schließen sich diesen Forderungen am 3. März an l6 . Die preußische Regierung erklärt sich bereit, den Wünschen baldigst zu entsprechen. Die Erfüllung dieses Versprechens beschränkt sich auf die überweisung des Minoritätenschutzes an die schleswig-holsteinische Selbstverwaltumg am 30. März 17 • 13 a. a. 0., S. 135; vgl. hierzu auch S.163 f. 14 VPrLv-Dr. Nr. 389. 15 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 28. 6. 1919, DZA Merseburg. 16 KästeT: Schleswig, S. 178 f. 17 a. a. 0., S. 185 Die Frage des Minoritätenschutzes ist seit langem Gegenstand von Verhandlungen zwischen Preußen und dem Reich. Der Reichsjustizminister Erzberger plant z. B. im Mai ein Reichsgesetz, das in ge-

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Die oberschlesischen Autonomiewünsche sind nicht so leicht zurückzudrängen wie die der übrigen Provinzen. Vor allem der Minister des Auswärtigen Müller, der Reichsfinanzminister Erzberger und die Reichskanzlei unterstützen die Forderung, Oberschlesien Autonomie zu gewähren. Reine berichtet von der Reichskabinettssitzung vom 11. 9.1919, auf der der Standpunkt der Reichsminister und der preußischen Regierung wieder einmal aufeinanderprallen. Die preußische Regierung verspricht hier nur, einen "Landesausschuß" aus oberschlesischen Politikern zu errichten; d. h. sie konzediert das, was sie unter einem anderen Namen - nämlich als "oberschlesischen Beirat" - schon im Juli zugesagt hat. Die Reichskanzlei gibt nicht diese Konzession an die Öffentlichkeit, sondern berichtet von einem Abkommen zwischen der Reichsund preußischen Regierung über die Gewährung der provinziellen Selbständigkeit zum 1. Oktober; dies war in dem am 7. Juli in der VPrLv eingebrachten Antrag angestrebt. Eine Richtigstellung weiß die Reichskanzlei zu verhindern. Die Angabe Reines, daß ein solches Abkommen nicht besteht, ist glaubwürdig. Es ist vor allem verfassungsrechtlich unmöglich. Der einzige Sinn der Falschmeldung ist wohl, daß die preußische Regierung damit in der Öffentlichkeit unter Druck gesetzt wird. Dem Anliegen der Oberschlesier scheint das Vorkommnis nicht geschadet zu haben. Die provinziale Autonomie ist nicht mehr aufzuhalten, wenn sie sich auch nicht zum 1. Oktober verwirklichen läßt. Aber am 30. September einigen sich Reichs- und preußische Regierung und schlesische Abgeordnete bei einer Besprechung im Abgeordnetenhaus unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten Rirsch, den Regierungspräsidenten Bitta schon sofort mit dem Inkrafttreten des Oberschlesiengesetzes zum Oberpräsidenten zu ernennen und ihm einen Teil der Geschäfte des Oberpräsidenten in Breslau vorzeitig zu überlassen; das Staatsministerium soll ihm einen Beirat aus sechs oberschlesischen Parteivertretern mischtsprachigen Reichsteilen der fremdstämmigen Bevölkerung den Gebrauch der Muttersprache in der Rechtspflege sichern soll. U. a. gedenkt er damit die Volksabstimmungen in Oberschlesien und Schleswig-Holstein zugunsten Deutschlands zu beeinflussen. Er verzichtet auf das Gesetz wegen des Widerspruches des PrMdl. Dieser sieht Verwaltungsanordnungen für ausreichend an. In der WRV garantiert Art. 113 den Minderheiten besonderen Schutz. Der Reichs- und Staatskommissar Dr. Köster beklagt sich in der obenerwähnten Schrift an mehreren Stellen über die Handhabung des Minderheitenschutzes in Schleswig. Während die Dänen im Hinblick auf die Abstimmung sehr geschickt um die Deutschen werben, beschließt die preußische Regierung erst nach der Abstimmung am 19.4. 1920 "sämtliche für Nordschleswig geltenden Gesetze und Verordnungen, die in Dänemark als gegen die Dänen' gerichtet betrachtet werden, sowie auch solche, die sich gegen Reichsdeutsche dänischer Gesinnung richten, zur Aufhebung zu bringen". (KösteT: Schleswig, S. 188) In der Folgezeit ist verschiedentlich Gegenstand von Unterhandlungen zwischen RMdI und PrMdI, ob das RMdI - auf Grund des Art. 113 WRV und des Art. 148 des Genfer Abkommens - oder das PrMdI für den Minderheitenschutz zuständig ist.

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zur Seite stellen, vor allem zur Begutachtung bei kulturellen Angelegenheiten und bei der Besetzung der Spitzen der staatlichen Provinzialbehörden. Nach diesen weiteren Konzessionen verspricht die Zentrumsfrak,.. tion der VPrLv, die Forderung der Errichtung eines Landes Oberschlesien vorläufig zurückzustellen. Der Vizepräsident der VPrLv Dr. Porsch erklärt über den Standpunkt der Zentrumsfraktion der VPrLv bis zur Abstimmung der oberschlesischen Bevölkerung über ihre Zugehörigkeit zu Deutschland oder Polenl8 : ,,1. das Zentrum ist mit der Provinzialautonomie zufrieden. 2. in dem Gesetz über die provinziale Autonomie verlangt das Zentrum keine Vorrechte gegenüber anderen Provinzen. 3. eine etwaige Propaganda für staatliche Autonomie wird bis dahin eingestellt." Der inzwischen schon an die VPrLv vom 16. Ausschuß überwiesene Oberschlesien-Gesetzentwurf geht noch einmal zur überarbeitung an den Ausschuß zurück. Das Gesetz betr. die Errichtung einer Provinz Oberschlesien tritt am 14. Oktober (GS. 169) in Kraft. Als peinlichsten Differenzfall chrakterisiert Reine die Angriffe - die "vom Zaume gebrochenen Schmähungen" - des Reichsministers Erzberger auf die preußische Regierung am 27. November vor der VNV. Der Gegensatz zwischen Reichs- und preußischer Regierung geht in dieser Zeit schon soweit, daß sich Reichs- und preußische Stellen in aller Öffentlichkeit angreifen. Auf seine eigenen Ausführungen gegen die Reichspolitik am 9. November in seinem VNV-Wahlkreis in Dessau, nach denen er sich vor der SPD-Fraktion der VPrLv zu verantworten hat19 , geht Reine nicht ein. Soweit das nach den verschiedenen Berichten über diese Rede überhaupt noch festzustellen ist, hat Reine sich dort gegen die zu schnelle Vereinheitlichung durch die Reichsregierung gewandt und insbesondere Erzberger wegen der Reichsfinanzreform angegriffen. Diese Form des Dialogs setzt Erzberger am 27. November aus Anlaß der Debatte über das wichtigste Stück seiner Reichsfinanzreform, die Reichsabgabenordnung, fort. Er tritt zunächst leidenschaftlich für Einheitsstaat und Dezentralisation ein und bezeichnet dann in der ihm eigenen demagogischen Form als Ursache für die Separationsbestrebungen, die nicht in Süddeutschland, sondern nur in Preußen - im Rheinland und in Schlesien - aufträten, die "verkehrte Gewaltpolitik, die Preußen über ein Jahrhundert gegenüber diesen ihm angegliederten Landesteilen betrieben hat"; die Reaktionen sind Tumulte und "stürmischer Beifall und Zustimmung bei den Sozialdemokraten"20. Daß diese Worte nicht nur auf die alte preußische Regierung zielen, ist sofort verstanden. Der Preußische Ministerpräsident Hirsch protestiert am Tage darauf in der VPrLv Vorwärts Nr. 501, 1. 10. 1919. Vgl. Frankfurter Zeitung Nr. 842 v. 10.11.1919; VorWärts Nr. 578 v. 11. 11. 1919 u. Deutsche Volkszeitung v. 30.11.1919. 20 VNV-Prot. Bd. 331, S. 3803. 18 19

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gegen die Rede Erzbergers so scharf, wie er vermag, und weist auf die Verdienste der früheren preußischen Regierung um die deutsche Einheit und die Orientierung der gegenwärtigen preußischen Regierung an den Grundsätzen der drei Mehrheitsparteien hin!!. Konkret richten sich die Ausführungen Erzbergers vor allem gegen die geringen Konzessionen der preußischen Regierung an die Autonomiebestrebungen. Er geißelt dabei im einzelnen, ohne eine Trennungslinie zwischen der alten und der neuen Regierung zu ziehen, die Entsendung "fremder" Beamter nach Oberschlesien und dem Rheinland22 • Die Rede steht in Verbindung mit der Auseinandersetzung der drei Mehrheitsparteien um den Autonomiegesetzentwurf, dessen Schicksal Reine nur kurz gestreift hat. Der Gesetzentwurf ist nach der Ausschußberatung Anfang November im Plenum diskutiert und schließlich am 7. November von der Tagesordnung abgesetzt, um die Möglichkeit zu geben, daß sich DDP, SPD und Zentrum in getrennten Verhandlungen über die Gestaltung des § 3, der die Frage des Einflusses des Provinzialausschusses auf die Ernennung wichtiger staatlicher Beamter in der Provinz regeln soll, einigen. Das Zentrum fordert das Recht für den Provinzialausschuß, der Regierung je drei Kandidaten vor der Besetzung der Stellen der Oberpräsidenten, der Regierungspräsidenten und der Leiter der staatlichen Polizeiverwaltungen vorzuschlagen und die Verpflichtung der Regierung, einen davon zu ernennen. Im Ausschuß wie im Plenum kritisieren oberschlesische Zentrumsabgeordnete scharf die bisherige preußische Beamtenpolitik; die Beamten in den Grenzgebieten des Westens und des Ostens seien "landfremd" gewesenl3 • Der PrMdI, gestützt von der SPD und der DDP, ist höchstens bereit, den Provinzialausschuß vor der Ernennung der betreffenden Beamten anzuhören. In die Separatverhandlungen der drei Parteien platzt der Angriff Erzbergers, der den Verhandlungen allerdings auch nicht zum Erfolg zu verhelfen vermag. Am 2. Dezember geht der Autonomiegesetzentwurf zurück an den 16. Ausschuß, aus dem er nicht wieder auftaucht. Einzelne Bestimmungen arbeitet die preußische Regierung später in die Verfassung ein. Wie die preußische Regierung die Autonomieforderungen als gefährlich für die preußische Zentralgewalt zurückweist, so bekämpft sie auch die Neugliederung, die auf Kosten des preußischen Staates geht. Für Reine hatPreuß die Neugliederung vom grünen Tisch aus und ohne Rücksicht auf die Realitäten geplant. Vor allem habe er nicht die Widerstände in der Bevölkerung gegen diese Zergliederung "des zusammengewordenen und -gewachsenen" beachtet. Reine berichtet an dieser Stelle über !! VPrLv-Prot. Bd. 6, 28. 11. 1919, Sp. 6843. 12 VNV-Prot. Bd. 331, S. 3803 und 3815. 2S VPrLv-Prot. Bd. 5, 5. 11. 1919, Sp. 5858.

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seine Erfahrungen in den ostdeutschen Grenzgebieten bei nur geringfügigen Änderungen der Verwaltungseinteilung und über die Reaktionen der von den Gebietsansprüchen Ramburgs, Thüringens und Oldenburgs betroffenen Bevölkerung. Reines Darstellung der Widerstände gegen die Neugliederung ist überzeugend. Leider läßt er jedoch den Rückhalt, den die Neugliederungswünsche in der Bevölkerung haben2" und die häufige Einwirkung der preußischen Verwaltung zugunsten der überkommenen Ordnung unberücksichtigt. Preuß greift Anliegen auf, die seit langem vertreten werden. Ihre Berechtigung erkennt Reine teilweise selbst an, indem er sich zumindest gegenüber "den Bestrebungen Thüringens, Ramburgs, Oldenburgs und Bremens nach Abrundung unter Einbeziehung preußischer Gebietsteile nicht ablehnend" zeigt. Als Gegenleistung wünscht er im Sinne der früheren preußischen Politik Verwaltungsgemeinschaften zwischen diesen Ländern und Preußen. Er schreibt: "Dies schien mir auch der gesunde und natürliche Weg zu einer einheitlichen Verwaltung des Reichs zu gelangen." Für ihn ist die Neugliederung, wie sie Preuß für das ganze Reich entworfen hat, unrealistisch; denn sie geht seiner Meinung nach von der Stammeszugehörigkeit an statt von Zusammenhängen auf Grund der wirtschaftlichen Arbeit und den von ihr abhängigen Verwaltungsaufgaben aus. Reine wendet sich gleichfalls gegen die Form, in der Preuß' Neugliederungskonzeption häufig in der Öffentlichkeit vertreten wird. Er kritisiert, daß sich "die Spitze der Agitation ... durchweg nur gegen Preußen richtet." Mit Recht bezeichnet er es als "geistlos ... , alles Unheil, das unserm Vaterlande widerfahren ist, auf ,die Preußen' zu schieben". Dem "Projekt des Reichsministers des Innern" macht er es zum Vorwurf, daß "eine höchst schädliche Spannung in das Verhältnis zwischen Reich und Preußen gebracht worden" ist. Preuß' Konzeption ist die Grundlage für die von Mitgliedern der Reichsregierung teils gemachten, teils unterstützten Versuche, "die gegen den Bestand Preußens gerichtet waren, und auch in anderen Beziehungen wurde von dieser Seite nicht dieselbe Rücksicht auf Preußen genommen, wie umgekehrt von Preußen auf das Reich". Als ein Beispiel für die Mißachtung der Interessen Preußens durch die Reichsregierung führt Reine ihr Verhalten aus Anlaß der großhessischen Pläne im J uni/Juli 1919 an. Ein Groß hessen ist schon von Preuß geplant. Die hessische Regierung hat die Neuordnung des gesamthessischen Gebietes jedoch mit Rücksicht auf die Friedensvertragsfrage zunächst vertagt. Ende Juni greift die hessische Regierung die Frage wieder auf. Ministerpräsident Ulrich (SPD) und Innenminister Dr. von Brentano (Zentrum) sprechen, was die preußische Regierung mit Recht entrüstet, hinter ihrem Rücken mit dem %4

Vgl. Teil B, II, 2.

v.

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General Mangin von der französischen Besatzung über die Bildung eines Großhessen unter Einbeziehung preußischer und bayerischer Gebietsteile. Reichspräsident und Reichsregierung werden durch ein Schreiben Ulrichs vom 30. Juni - zwei Tage nach dem Gespräch mit Mangin - und durch den Bericht des Darmstädter "preußischen" Gesandten 25 vom 2. Juli informiert; sie greifen dennoch nicht ein und benachrichtigen die preußische Regierung nicht, was gleichfalls von Heine bemängelt wird. Paul Kluke sucht die Pläne Ulrichs und von Brentanos nachträglich zu rehabilitieren 28 • Auf Grund des Schreibens von Ulrich an den Reichspräsidenten und die Reichsregierung und des Berichts des Darmstädter Gesandten kristallisiert er den Kerngedanken Ulrichs heraus, durch die den Strömungen in der Bevölkerung entsprechende Bildung einer "mittelrheinischen Republik" aus dem Freistaat Hessen-Nassau, Rheingau, Pfalz, Birkenfeld und Teilen des Nahe-Tales den Freistaat Hessen zu einem wirtschaftlich kräftigen Staatswesen zu erweitern; so will er vor allem das von Frankreich besetzte Gebiet noch stärker mit dem Reich verklammern und zugleich die Dortensschen Pläne neutralisieren. Diese Gesichtspunkte sind auch für die Unterstützung maßgebend, die der RMdI DT. David nachträglich dem Unternehmen angedeihen läßt. Auf den Protest der preußischen Regierung hin findet am 14. Juli eine gemeinsame Sitzung mit der Reichsregierung und Vertretern Hessens und der anderen interessierten Bundesstaaten statt. Gegenüber den Plänen der hessischen Regierung wird die preußische Regierung ins Feld geführt haben, daß die für ein Groß hessen beanspruchten Gebiete am besten durch eine enge Verbindung mit dem Groß staat Preußen mit dem Reich zu verklammern seien. In dieser Zeit knüpft sie gerade Verhandlungen an wegen der Übernahme des gleichfalls mitten im preußischen Gebiet gelegenen Birkenfeld von Oldenburg. Bei Bayern stößt die großhessische Initiative wie bei Preußen auf Opposition. Baden hält sich neutral. Die Stellung des Reichspräsidenten war nicht zu ermitteln. Von der Reichsregierung verteidigt der RMdI Dr. David die Vorschläge Hessens. Der Reichsministerpräsident wendet sich gegen die Einbeziehung General Mangins in die Auseinandersetzung um die deutsche Staatsordnung; gegen die Usurpation deutscher Souveränitätsrechte durch die französische Besatzung muß sich das Reich ohnehin verzweifelt genug wehren. Die VPriv nimmt am 16. Juli einmütig gegen die Abtrennungsbestrebungen Stellung. Allgemein ist die Aktion der hessischen Regierung in 25 Der Bericht des preußischen Gesandten in Darmstadt vom 2.7. 1919 geht über das AA und erreicht die preußische Regierung erst verspätet. 26 Kluke, Paul: Ein Dokument über großhessische UmgUederungspläne im Sommer 1919, S.234-244 in: Festgabe für Paul Kirn zum 70. Geburtstag, hg. von E. Kaufmann, BerUn 1961.

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der Öffentlichkeit durch das Gespräch mit Mangin - mögen Ulrich und Brentano persönlich noch so wenig an dessen Unterstützung gedacht haben 27 - anrüchig geworden. Sie bringt das großhessische Projekt nicht voran, sondern im Juli 1919 ist es im wesentlichen begraben. Die weitere Agitation des hessischen Volksbundes ist nur von geringer Bedeutung. Von den Differenzen über das Vordringen des Reiches auf dem Verwaltungssektor und seine Einflußnahme auf die preußische Verwaltung führt Heine die Kontroversen auf dem Polizeisektor an. Bei den Länderverwaltungen ist Ende 1918 nichts so hoffnungslos zusammengebrochen wie der Polizeiapparat. Das, was übriggeblieben ist an Polizei, ist nach Zusammensetzung, Bewaffnung, Zahl und Aufbau der Notlage gegenüber unbrauchbar. Die Räte scheitern leider gerade an dieser Frage der Ordnungssicherung28 • Die Reorganisation der gesamten Ordnungskräfte geht aus von Noske, dem PrKM Reinhardt und der OHL. Von Berlin aus über ganz Preußen, Hamburg, Bremen, Braunschweig, Sachsen, Thüringen, Baden, Württemberg und Bayern stabilisiert das Reich mit Hilfe des Heeres überall die Staatsautorität; und erst in ihrem Schatten stabilisiert sich die Landesgewalt weiter. Daß den preußischen Kräften von Groener über Reinhardt bis zu den Freikorps, die hierbei eine so große Rolle spielen und die Heine als Kronzeugen für die Bewährung Preußens anführt, die Fortexistenz des preußischen Staates und allgemein der Einzelstaaten in ihrer überkommenen Form angesichts ihres nationalen Anliegens, wie sie es verstehen, viel bedeutet, läßt sich allerdings nicht belegen. Innerhalb des Heeres wie außerhalb knüpft sich an die Aktionen die Hoffnung, mit der Reichswehr der Vereinheitlichung dienen zu können29 • Die Militärgewalt - einschließlich des Oberbefehls über sämtliche Truppen - liegt schon bei Kriegsbeginn voll beim Reich. Entsprechend setzt sich die Reichsregierung beim Aufbau des neuen Heeres durch, längst bevor die neue Reichsverfassung das Wehrwesen unitarisch regelt. Zeitweilig übernimmt das Reich 1919 im Gefolge des Belagerungszustandes und vor allem angesichts des Zusammenbruches der Ordnungssicherung durch die Länder zur inneren Befriedigung faktisch weitgehend die Polizeigewalt. Wie der PrMdI im Sommer 1919 hervorhebt30, haben seit dem Staatsumsturz die aus den Resten des früheren Heeres geworbenen Freiwilligenverbände und nach ihnen die Reichswehrverbände 27 Vgl. Ulrich, earl: Erinnerungen des ersten hessischen Staatspräsidenten, hg. v. L. Bergsträsser, Offenbach 1953, S. 143 ff. 28 Vgl. Kolb: Arbeiterräte, S. 292-302. 29 Vgl. Noske, Gustav: Erlebtes aus Aufstieg und Niedergang einer Demokratie, Offenbach 1947, S.102 u. Groener: Lebenserinnerungen, S. 495. 80 Schreiben des PrMdI vom 8.8. 1919 an den RMdI, Abschrift DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1.

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"den Sicherheitsdienst der Polizei tatsächlich übernommen. Sie und nicht die Polizei haben die gegen die bestehende Staatsordnung gerichteten Umsturzbestrebungen und das unter politischem Vorwande arbeitende Banden- und Verbrecherunwesen abgewehrt". Darüber hinaus übernimmt das Heer den Grenzschutz im Osten. Einen wirksamen Grenzschutz vermag die OHL hier seit Januar 1919 nach Ausschaltung der USPD, die sich in ihrer Haltung auf Ober- und Regierungspräsidenten in Posen und das dortige stellvertretende Generalkommando zu stützen vermocht hat3t, über die "Zentralstelle Grenzschutz Ost" zu organisieren. Seit Ende 1919 geht der Grenzschutz auf Preußen über. Das PrMdI übernimmt am 1. 10. 1919 vom RWM die Zentralpolizeistelle Ost und die Geheime Feldpolizei beim Oberkommando Grenzschutz Nord. Die daraus hervorgegangene Landesgrenzpolizei Ost und die neu errichtete Landesgrenzpolizei Nord (Schleswig) gliedert das PrMdI 1920/1921, nachdem es ihre übernahme in die Reichszollverwaltung erfolgreich abgewehrt hat32, in die von den Regierungspräsidenten geführte Ordnungspolizei ein. Die Reichswehr übt nur noch über die Selbstschutzverbände einen recht zweifelhaften Einfluß auf den Grenzschutz aus 33. Nach dem Krieg führt die Reichswehr noch weitere ausgesprochene Landesschutzaufgaben aus. So ist die Reichswehr bei der Aufstellung von Einwohnerwehren entscheidend beteiligt. Noske schreibt3': "Der allgemeinen Unsicherheit im Lande, die auch in kleinen Städten und auf dem platten Lande groß war, weil die Ortspolizei und die Gendarmen weder Autorität noch den Mut hatten, sich solche wieder zu verschaffen, konnte längere Zeit hindurch mit Truppen nicht begegnet werden. Die Ordnung fordernde Bevölkerung ging zur Selbsthilfe über, indem ich die Bildung von Einwohnerwehren verfügte, die unter die Kontrolle von früheren Offizieren gestellt wurden und für die ich die Aushändigung von Waffen anordnete." Das PrMdI wirkt mit, und auch die Oberpräsidenten sind beteiligt. Den Oberpräsidenten liegt in der Regel formell die Bestellung der Kreiskommissare der Einwohnerwehren ob; aber tatsächlich haben häufig die Generalkommandos, die die Offiziere stellen, den Haupteinfluß35. Im Gefahrenfall rufen die zuständigen militärischen Kommandostellen die Einwohnerwehren auf - ebenso wie die Zeitfreiwilligen und die Technische Nothilfe - und verwenden sie. Um die Einwohnerwehren vor dem Verbot durch die Entente zu schützen, hört das Oehme: Reichskanzlei, S. 265. Klatt: Ostpreußen, S. 180. 33 Vgl. Vogelsang, Thilo: Reichswehr, Staat und NSDAP 31

32

deutschen Geschichte 1930-1932, Stuttgart 1962, S. 92 ff. 3' Noske: Erlebtes, S. 97 f. 35 Vgl. Hesterberg: Schlesien, S. 286. 9"

Beiträge zur

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Mitspracherecht des RWM am 22.10.1919 offiziell auf, und die Bearbeitung der Einwohnerwehrangelegenheiten erfolgt nur noch durch das RMdI und die Landesinnenministerien36 • Mit der Auflösung der Einwohnerwehren 1920/1921 tritt auch das RMdI gegenüber den Selbstschutzverbänden in den Hintergrund. Zur Aufrechterhaltung lebenswichtiger Betriebe bei Streiks, Aussperrungen und Unruhen läßt Noske seit Januar 1919 bei einzelnen Divisionen - zunächst bei der Berliner Garde-Kavallerie-Division - technische Abteilungen errichten37 • Das RWM faßt sie im September 1919 als Technische Nothilfe zusammen; und als es sich wegen der Entente auch bei dieser Institution als notwendig erweist, unterstellt sie das Reichskabinett im November 1919 dem RMdI. Die Technische Nothilfe bleibt zwar eine Reichseinrichtung, aber nach den mit Preußen 1920 vereinbarten neuen Richtlinien kann sie nur auf Grund eines Einvernehmens mit den Regierungspräsidenten in Aktion treten. Diese werden jetzt als Landespolizeibehörden anstelle der Reichswehr für den Schutz der Nothilfe verantwortlich. Vor 1919 gibt es keine selbständige Wasserschutzpolizei. Die Wasserstraßen- und Hafenverwaltungen haben keine polizeiliche Sicherungsbefugnis; die Polizeiaufgaben liegen überall bei den örtlichen Polizeibehörden. Aus Anlaß des Reichswehr-Einsatzes in Magdeburg im April 1919 ruft Noske einen Wasserschutz ins Leben. Er schreibt38 : "Einem Marineoffizier hatte ich die Ermächtigung gegeben, Motorboote von Kriegsschiffen zu bemannen, mit Maschinengewehren auszurüsten und darauf für die Binnengewässer eine Wasserpolizei zu bilden, aus welcher der Reichswasserschutz hervorgegangen ist." Die an der Nord- und Ostseeküste, auf den norddeutschen Binnenwasserstraßen - mit Ausnahme der des besetzten Rheinlandes - und auf dem Bodensee aufgestellten Motorbootsflottillen faßt das RWM am 3.9.1919 unter dem Chef der Admiralität zusammen 3D, und am 1. 10. 1919 übernimmt sie das RMdI. Die Hauptaufgaben des Reichswasserschutzes sind die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit, die Mitwirkung bei der Kontrolle des Personen- und Güterverkehrs auf den Wasserstraßen und der Fischereischutz. Sein Verhältnis zu den Länderverwaltungen wird juristisch geregelt, indem die Länder das Personal der neuen Polizeibehör35 Niederschrift der Besprechung von Vertretern von Reichs- und preußischen Ministerien im RWM v. 22. 10. 1919 betr. der weiteren Behandlung der Einwohnerwehren, Zeitfreiwilligen und Technischen Nothilfe. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. l. 37 Riege, Paul: Kleine Polizei-Geschichte, Kleine Polizei-Bücherei, Bd. 15/16, Lübeck 1954, S. 128. 38 Noske: Erlebtes, S. 99. 3~ Die wichtigsten Organisationserlasse zum Wasserschutz finden sich bei den Akten des Oberpräsidiums Münster Nr. 504, Zgg. 2/51, StAMü.

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den zu Hilfspolizeibeamten und zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft bestellen. Mit der Errichtung des Reichswasserschutzes bauen auch die Länder den Polizei dienst auf den Wasserstraßen aus. Mit dem politischen Nachrichtendienst befassen sich in der Kriegsund Nachkriegszeit nicht nur die verschiedensten zivilen Stellen, sondern auch die Militärbehörden. Ministerpräsident Hirsch äußert zu der allgemeinen Nachrichtendienst-Organisation in Preußen 40 : "Es waren entsprechende Einrichtungen entstanden bei sämtlichen militärischen Kommandostellen, bei den Staatsanwaltschaften und den Polizeipräsidien, den Verwaltungsstellen und selbstverständlich bei den Zentralbehörden, vor allen Dingen im Ministerium des Innern." Der Anstoß zur Schaffung des Preußischen Staatskommissariats zur überwachung der öffentlichen Ordnung - das Wort "überwachung" wird später aus dem Titel gestrichen - gibt wahrscheinlich das Versagen dieser Informationsstellen bei den Vorfällen in Pommern Anfang Juli 1919. Dort organisieren Grundbesitzer - allem Anschein nach gedeckt von Militärs - auf ihren Gütern Trupps, die sie privat bewaffnen, mit dem vorerst begrenzten Ziel, sie gegebenenfalls gegen Landarbeiter einzusetzen41 ; nur der Landwirtschaftsminister Braun bemerkt in letzter Minute etwas von der Gefahr. - Jedenfalls beschließt das preußische Staatsministerium am 21. 7.1919 die Einrichtung des Staatskommissariats42 , "um die Funktionen aller derjenigen Dienststellen zu vereinheitlichen, die sich die überwachung und Abwehr radikaler Umsturzbewegungen und verbrecherischer Störung der öffentlichen Ordnung zur Aufgabe gemacht" haben. Seine Bewährungsprobe vor dem Kapp-Putsch, der in Pommern nicht ohne Zusammenhang mit den dortigen früheren Vorgängen ist, besteht allerdings auch dieser Nachrichtendienst nicht. Der Staatskommissar Berger bemüht sich im Zuge des Aufbaus seiner Organisation, gleichfalls die beim Militär eingerichteten Nachrichtenbüros zu übernehmen. Der RWM Noske lehnt das jedoch ab und baut sie selbständig aus43 • Der militärische Nachrichtendienst arbeitet zwar einseitig, wie sich schon frühzeitig zeigt, aber er ist die einzige weitreichende Informationsbehörde für die Reichsregierung. Der RMdI Koch versucht im Dezember 1919 vergeblich, diese Abhängigkeit zu beseitigen; er bemüht sich, seinem Ministerium das Staatskommissariat zu unterstellenu. 40 Bericht des Staatshaushaltsausschusses vom 20. 10. 1919, VPrLv-Dr. Nr. 1000, S. 8. 41 Zu den Vorfällen in Pommern s. VPrLv-Prot. Bd.3, 17.7.1919, VNVProt. Bd. 328, 24. 7. 1919, Braun: Weimar, S. 53, Kalb: Arbeiterräte, S. 398 f. 42 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 21. 7.1919, DZA Merseburg Das folgende Zitat entstammt den Ausführungen von Hirsch vor dem Hauptausschuß, s.o., S.8. 43 Vgl. Koch vor dem Reichstag am 17. 7. 1922, Rt.-Prot. Bd. 356, S. 8671. 44 Siehe Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 242 f.

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Auf dem Gebiet des Sicherheitswesens ist vor allem die auf Initiative des RWM aufgestellte Sicherheitspolizei zeitweilig 1919 auch "Sicherheitswehr" genannt - von Bedeutung. Noske berichtet zum Aufbau der Sicherheitspolizei45 : "Die Soldaten, die im Jahr 1919 zusammengerafft wurden, sind anfänglich nur eine Polizeitruppe gewesen. Sie sollten jedoch den Kern einer neuen Wehrmacht bilden. Deshalb waren sie sobald als möglich von Polizeiaufgaben zu befreien. Darum erließ ich schon im Anfang meiner Amtstätigkeit in Berlin eine Verfügung an das preußische Ministerium des Innern, in der ich dringend forderte, daß unverzüglich mit der Bildung einer neuen Polizei begonnen werde." Von der preußischen Regierung hat sich der Handelsminister Fischbeck schon am 24. 1. 191948 hilfesuchend bei der Reichsregierung zugunsten einer größeren Polizei- und Militärmacht zum Schutze nach innen und außen verwandt. Der PrMdI Hirsch und der Polizeipräsident Eugen Ernst kommen mit der Reorganisation der Polizei nicht voran. Die Garde-Kavallerie-Division in Berlin macht daraufhin bei den Märzunruhen unter eingehender Darlegung der mangelhaften Qualifikation der Großberliner Schutzmannschaft für die gegenwärtige Situation einen Vorschlag zur Neuordnung des Polizeiwesens47 ; unter Hinweis auf die guten Erfahrungen mit einer in Wohlfahrts- und Sicherheitspolizei aufgeteilten Polizeimacht in anderen Großstädten und Ländern, wie z. B. in Italien, setzt sie sich dafür ein, die gesamte Schutzmannschaft an die Berliner Stadtverwaltung als Wohlfahrtspolizei abzugeben und eine staatliche Sicherheitspolizei aufzustellen. Sie befürwortet eine von örtlichen Einflüssen freie Polizei aus jüngeren, kräftigen und gut disziplinierten MänNoske: Erlebtes, S. 99. Schreiben des PrMfHuG Fischbeck vom 24. 1. 1919 an die Reichsregierung. DZA Merseburg, Rep. 120 All Nr. 5 Bd. 4. 47 Das Schreiben der Garde-Kavallerie-Division vom 10.3. 1919 liegt dem Schreiben des RWM und Oberkommandierenden in den Marken Noske vom 12. 3. 1919 an das PrMdI bei. Abschrift bei den Akten des Oberpräsidiums Kassel Rep. 150 Nr. 1964, StAMar. Die Garde-Kavallerie-Division schildert das Versagen der Großberliner Schutzmannschaft, die nach 1848 errichtet ist, mit kaum verhüllter Ironie: "Die hiesige Schutzmannschaft hat seit dem 9. November vorigen Jahres bei der Durchführung des Sicherheitsdienstes in ihren Unterbeamten sich nicht mehr verwendbar erwiesen, und wird bei dem in ihr jetzt herrschenden Geiste, in dem sie bei jeder Gelegenheit selbst betont, oder auch durch ihre Vereinigung betonen läßt, sie wolle keine Kampftruppe sein, auch nicht wieder bei ihrer jetzigen Zusammensetzung verwendbar werden. Sie will nur noch Dienst als Wohlfahrtspolizei und in geringem Maße als Ordnungspolizei tun, indem sie in letzterer Eigenschaft auf die Straßen-Ordnung, insbesondere die Verkehrsregelung hält, auch Festnahmen und Verhaftungen von Gesetzesübertretern vornimmt. Dienst bei Unruhen, Aufruhr und dergleichen will sie nicht mehr tun, um jeden Schein einer nach ihrer Ansicht politischen Stellungnahme zu vermeiden. Als Waffe will sie nicht mehr den Säbel haben, da er ihr ein nicht gewünschtes, militärisches Gepräge geben könnte. Mit der Führung eines Knüppels wäre sie einverstanden, will auch zu ihrer persönlichen Sicherheit noch einen Revolver tragen." 45

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nern, die zu kasernieren sind, eine Truppe, die "zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, zur Bekämpfung der (sie!) Aufruhr und Unruhen möglichst ohne Hinzuziehung von Militär in der Lage ist". Noske, der sich allem Anschein nach schon einmal früher in dieser Angelegenheit an die preußische Regierung gewandt hat, greift in seiner als Oberkommandierender in den Marken am 12. März an den PrMdI gerichteten "Verfügung" diese Anregung auf 48 • Seinem Vorschlag nach soll die Großberliner Schutzmannschaft aufgeteilt werden in eine unbewaffnete Ordnungspolizei (= Wohlfahrtspolizei) und eine straff militärisch organisierte und kasernierte kommunale Sicherheitspolizei. Er fordert die Errichtung einer Sicherheitspolizei in ganz Preußen, in die die jetzt bestehenden provisorischen Wehrorganisationen mit Vorsicht zu überführen sind. Sie soll jedoch ganz im Sinne von Drews nicht einheitlich staatlich sein, sondern zum Teil kommunal. "über die kommunale bewaffnete Sicherheitspolizei ist in jeder Provinz ein staatlicher Inspekteur mit Kontrollrecht zu setzen." Zu seiner Verfügung ist in jeder Provinzialhauptstadt eine angemessen starke, gut armierte und schnell in jeden bedrohten Ort der Provinz zu werfende Sicherpolizeireserve in Bereitschaft zu halten. Er äußert zwar Bedenken wegen der Anerkennung der Organisation als Polizei durch die Entente, er drängt aber trotzdem darauf, Maßnahmen zu ergreifen. "Ich wiederhole nochmals, daß ich auf Grund meiner Verantwortung als Oberbefehlshaber das dringendste Interesse daran habe, daß in vorstehender Angelegenheit nunmehr schnell und erfolgreich gearbeitet wird"; er verspricht weitgehende Hilfe der Militärverwaltung. Gegenüber etwaigen Querschüssen von seiten der Finanzbehörden gibt er seiner Erwartung Ausdruck, "daß die kommunalen und staatlichen Finanzbehörden davon überzeugt sein werden, daß ihre gr.llze sonstige Arbeit zwecklos ist, wenn nicht bald durch Reorganisation der Polizei wieder Rechtssicherheit geschaffen wird. Es darf zur Zeit nicht langatmig in körperreichen Kommissionen verhandelt werden, sondern es muß gehandelt werden. Die Notlage verlangt das gebieterisch." RWM Noske selbst liefert den ersten Baustein zur Sicherheitspolizei: "Ein Bataillon, das der Major Mayn führte, ist zuerst in grünes Tuch eingekleidet und von mir als Kern für die Berliner Polizei zur Verfügung gestellt worden49 ." Die Aufstellung der Grundsätze für den Aufbau der Sicherheitspolizei und ihre Verwirklichung erfolgt im Zusammenwirken von PrMdI, PrKM und RWM; gemeinsam werden zunächst Bewaffnung, Beförderung, Bekleidung, Titulierung usw. geregelt. Die VPrLv wird vor vollendete 48

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Siehe Anm. 47. Noske: Erlebtes, S. 99.

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Tatsachen gestellt. Der PrMdI teilt dem PrKM mit50 : "Von der Anhörung der Landesversammlung wird mit Rücksicht darauf abgesehen werden können, daß es sich lediglich um eine innerdienstliche Umgestaltung des polizeilichen Dienstes handelt, ohne daß Mehrkosten für diese Ausbildung erwachsen. Die durch die Einführung des Achtstundendienstes bedingte NeueinsteIlung von Beamten wird als unmittelbare Folge der Staatsumwälzung außerplanmäßig vorgenommen werden können. Im nächstjährigen Haushaltsplan würde die erhöhte Zahl der Beamten einzustellen sein." Der PrFM versagt seine volle Zustimmung noch, als der Stamm der grünen Sicherheitspolizei mit etwa 30000/40000 Mann die preußischen Zahlenangaben schwanken sehr - im November schon steht. Der PrMdI einigt sich auf Grund der Bedenken des PrFM schließlich mit dem Ältestenausschuß der VPrLv. Das Reich übernimmt nach längeren Verhandlungen genau wie bei der Landesgrenzpolizei 4/5 der Kosten 51 • Die Sipo wird auf der Grundlage der Vorschläge von Noske und der Garde-Kavallerie-Division als kasernierte, mit leichten und schweren Waffen ausgerüstete, rein staatliche Polizeitruppe aufgestellt aus Freikorps, Teilen der aufgelösten Schutzmannschaften und anderen gerade greifbaren Wehrdienstwilligen. Im Gegensatz zu den idyllischen Verhältnissen im alten Reich mit seiner geringen Polizei, wobei überhaupt nur 24 preußische Städte und Gemeinden über eine größere staatliche Polizei verfügen, erhält Preußen jetzt eine modern ausgerüstete zentral gelenkte Organisation mit Kommandostäben in den wichtigsten Provinzen, wie sie Frankreich mit seiner Garde Nationale und Belgien mit seiner Gendarmerie schon längst besitzen. Beim Aufbau und der Ausbildung der Sipo liegen die Erfahrungen in den vorangegangenen Kämpfen um die innere Ordnung zugrunde; so erhalten die KommandostäL~ in Berlin, Münster, Kassel, Magdeburg, Breslau und Königsberg neben den Technischen Hundertschaften mit schweren Waffen - auf Grund zahlreicher Flugeinsätze bei den innerdeutschen militärischen Aktionen - je eine Flugstaffel. Die Sipo-Mannschaften werden besonders in Krisengebieten - wie Berlin, Pommern, Provinz Sachsen usw. - und in der von Reichswehr frei zu machenden neutralen Zone und den Abstimmungsgebieten stationiert. Die übrigen Länder - Hamburg voran - beginnen im NovemberlDezember 1919 mit dem Aufbau der Sicherheitspolizei nach preußischem Vorbild. Das Reich macht die Zahlung der Zuschüsse überhaupt davon 50 Schreiben des PrMdI vom 30. 3. 1919 an den PrKM. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1. 51 Dies geschieht am 28. November. Auszug aus dem Prot. der Sitzung des Reichsministeriums vom 28. 11. 1919. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1

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abhängig, daß die preußischen Erfahrungen und Grundsätze maßgebend sind52 . Die Hauptursache für den Gegensatz zwischen Reichswehr und Sipo ist nach Heine die Vernachlässigung militärischer Gesichtspunkte beim Aufbau der Sipo. Darüber war aus den von mir herangezogenen Akten leider nichts zu ersehen. Die dort zutage tretenden Differenzen lassen eher den Schluß zu, daß die Sipo als eine Konkurrenztruppe der Reichswehr auftritt und ihr häufig zu militärisch ist. Eine zentrale Streitfrage zwischen Reichswehr und Sipo ist, wessen Interessen in erster Linie gegenüber der Entente zu vertreten sind, und auf wessen Kosten Zugeständnisse in erster Linie zu gehen haben 53 . Als im Mai 1919 der PrKM das Staatsministerium um Unterstützung seiner Ansicht gegenüber der Reichsregierung bittet, daß 100000 Mann Reichswehr ungenügend seien5', beschließt das Staatsministerium im Gegensatz dazu am 2. Juni, sich bei der Reichsregierung für eine Verstärkung der preußischen Polizei- und Gendarmeriekräfte einzusetzen55 . Nach dem Versailler Vertrag geht es dem RWM darum, die Reduzierung von rund 500000 Mann auf 100000 möglichst hinauszuziehen und die Vorrangstellung der Reichswehr gegenüber anderen Schutzverbän-. den möglichst zu erhalten. Um das durchzusetzen, besitzt das RWM auch nachdem mit der Aufhebung des PrKM im Oktober 1919 die federführende Behandlung der Angelegenheiten der Sipo auf das RMdI übergegangen ist - immer noch Druckmittel. Da das RWM die Waffen für die Sipo liefern muß, kann es z. B. im Oktober 1919 seine Einverständniserklärung zu der zwischen seinen Vertretern, Vertretern des PrMdI und des RMdI ausgehandelten weiteren Bewaffnung der Sipo von folgender Bedingung abhängig machen: daß "falls Abstriche an Stärken und Waffenz ahlen von dem Feindbund entweder bei der Sicherheitspolizei oder dem zukünftigen Heer gefordert werden, solche nur bei der Sicherheitspolizei in Frage kommen"56. Diese Initiative scheint allerdings nicht direkt von Erfolg gekrönt zu sein. - Im übrigen vermindert sich die Abhängigkeit der Sipo bei der 52 Niederschrift über die am 5. 12. 1919 mit Vertretern der Länder und der Reichsministerien im RMdI stattgefundene Besprechung über die Aufstellung der Sicherheitspolizei. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1. 53 Siehe zu dieser Frage auch: Salewski, Michael: Entwaffnung und Militärkontrolle in Deutschland 1919-1927, Schriften des Forschungsinstituts der deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik, Bd. 24, München 1966, S. 82-86. 5' Schreiben des PrKM vom 30. 5. 1919 an den Präsidenten des Staatsministeriums. Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr. 40 Bd. 2. 55 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 2.6. 1919. 58 Schreiben des RWM vom 20. 10. 1919 an das RMdI, abschriftlich an den PrMdI. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1.

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Waffenbelieferung schon dadurch, daß das RMdI eine Reichsbeschaffungsstelle zur Versorgung der Sipo zwischenschaltet. 1920 drängt Severing den Einfluß des RMdI nach dem gleichen Schema zurück, indem er eine Polizeibeschaffungsstelle für Preußen einrichtet. Das RWM erneuert seine Forderung zu den Verhandlungen mit der Entente mehrfach. Das PrMdI lehnt demgegenüber - im Gegensatz zur Haltung bei den Versailler Friedensverhandlungen - jede Verquickung der Angelegenheiten der Reichswehr mit denen der Sipo ab; über sie habe das RMdI zu verhandeln57 • Auch auf die Bitte des RWM58, ihn "dauernd auf dem laufenden zu halten über den Umfang und Stand der Organisation der Sicherheitspolizei, insbesondere über die Ausstattung derselben mit Geschützen, Minenwerfern und Flugzeugen", und ihn "über die Art zu orientieren, in der mit der Ententekommission über die Sicherheitspolizei verhandelt werden soll", antwortet der PrMdI mit der Ablehnung jeder engeren Zusammenarbeit mit dem RWM 5e • Er begründet das mit der Absicht, dem Grundsatz volle Geltung zu verschaffen, daß die Sipo nicht einen Teil des Heeres darstellt und nichts mit der Reichswehr zu tun hat. Das ist gerade gegenüber der wegen einer Entmilitarisierung der Sipo und Einwohnerwehren an die Reichsregierung gerichteten Ententenote vom 2.12.1919 vonnöten. Einen ersten Erfolg kann das RWM Mitte November verbuchen. Auf Grund einer Besprechung beim Reichspräsidenten verbreitet es am 16. November in der Reichswehr die Meldung80 : "Bei der Reichsregierung herrscht volle Klarheit darüber, daß eine Reichswehrmacht von mindestens 100000 Mannn und eine Reichswehrmarine von 15000 Mann in bester Zusammensetzung und Ausstattung zur Erhaltung des Bestandes und des Ansehens des Reiches allen anderen Neuschöpfungen wie z. B. Sicherheitspolizei u. a. voranstehen und dauernd erhalten bleiben muß." In dieser Richtung verläuft gleichfalls eine Chefbesprechung zwischen Reichs- und preußischen Ressorts vom 12. 1. 1920 zur Festlegung bindender Richtlinien für die Verhandlungen über Reichswehr, Sicherheitspolizei und Einwohnerwehr. Die Ressortchefs beschließen zwar einerseits, daß unter Leitung des AA das RWM nur die Angelegenheiten 57 Der PrFM Südekum tritt bei dieser Auseinandersetzung als einziger für die Vermehrung der Reichswehr anstelle der Sipo ein. Siehe Schreiben des PrFM vom 26. 9. 1919 an den PrMdI. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd.1. 58 Schreiben des RWM vom 15. 11. 1919 an das PrMdI. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1. se Schreiben des PrMdI vom 12. 12. 1919 an das RMdI etc. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1. 80 Bekanntmachung des RWM durch das Wehrkreiskommando VI vom 16.11.1919. DZA Potsdam, Akten des Reichs- und Staatskommissars Severing, Schriftwechsel mit dem Generalkommando 19 a Bd. 6.

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der Reichswehr behandeln soll und das RMdI unter Zuziehung des PrMdI nur die Angelegenheiten der Sipo; aber sie stellen zum anderen entsprechend dem Verlangen des RWM den Vorrang der Reichswehr gegenüber der Sipo heraus, und betonen, daß eine Kürzung der Reichswehr zugunsten der Sipo auf keinen Fall eintreten so1l61. Im engen Zusammenhang mit der Opposition des RWM gegen die Reduktion der Reichswehr steht, wie Reine in seiner Denkschrift erwähnt, der Gegensatz um die Abwerbung von Offizieren durch die Sipo. Das PrMdI legt größten Wert darauf, die Führungsstellen der Sipo mit Offizieren zu besetzen und es duldet höchstens 20 Ofo Polizeikommissare. Diese Personalpolitik wird begünstigt durch die Ungewißheit der Zukunft der Reichswehr. - Der Reichswehrführung geht der Aderlaß zugunsten der Sipo zu weit. Zum Beispiel schreibt das Generalkommando des VII. AK unter General Watter zur Entwicklung angesichts der Unsicherheit der Reichswehr am 15.10.191962 : "Zahlreiche Offiziere und Unteroffiziere finden jetzt eine andere Existenz, besonders die Aufstellung der Sicherheitspolizei wirkt anscheind verheerend für die Reichswehr." Der Reichskommissar Severing, der sonst häufig genug anderer Meinung als General Wa:tter ist, wendet sich in gleichem Sinne bei der Reichsregierung gegen die Vernachlässigung der Reichswehr zugunsten der Sipo 63. Er fordert, daß "sie sich auf einen zuverlässigen und für aile Fälle ausreichenden Machtfaktor" stütze. "Diesen kann aber nur die Reichswehr bilden." Die Situation in der Reichswehr ist: "Die Stärken schwinden von Tag zu Tag:" Ersatz für die zahlreich Ausscheidenden komme nicht. "Die Scheu vor der Neuanwerbung liegt außer in der Unsicherheit der Reichswehr selbst· in der Boykottierung der Reichswehrangehörigen durch die Arbeiter und Angestellten, die einer Einstellung ehemaliger Angehöriger der Reichswehr einen großen Widerstand entgegensetzen." Er fordert von der Reichsregierung Maßnahmen gegen die starke Ver'" minderung der Reichswehr und "die daraus den Umsturzparteien erwachsende Zufuhr an moralischer Kräftigung." Das RWM wendet sich am 7.11.1919 mit einem genauen Beschwerdekatalog an RMdI und PrMdI6C, da bei ihm fortdauernd Klagen ein..;. laufen "über die Beeinträchtigung, die die Reichswehr durch Abwanderung der besten Elemente in die Sicherheitspolizei erfährt und durch Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 337. DZA Potsdam, Akten des Reichs- und Staatskommissars Severing, Schriftwechsel mit den Zentralbehörden Bd. 1. 83 Konzept des Schreibens Severings vom 18. 10. 1919 an die Reichsregierimg: DZA Potsdam, Akten des Reichs-· und Staatskommissars Severing, Schriftwechsel mit dem Generalkommando 19 a Bd. 6. 6t Schreiben des RWM vom 7.11.1919 an das RMdI und an das PrMdI. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1. 81

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die die Zuverlässigkeit der Reichswehr an einzelnen Orten stark beeinträchtigt wird. An erster Stelle steht die bessere Besoldung der Angehörigen der Sicherheitspolizei ... " Er verlangt eine Angleichung der Gebührnisse von Reichswehr und Sicherheitspolizei. "Ich sehe mich sonst nicht mehr in der Lage, den übertritt von Reichswehrangehörigen zur Sicherheitspolizei zu unterstützen. Eine weitere nicht unberechtigte Klage wird dahin erhoben, daß die zur Sicherheitspolizei kommandierten Offiziere schon jetzt zum Teil mit höheren Dienstgraden bezeichnet werden, während die Beförderungen in der Reichswehr ruhen. Ich kann mich hiermit nicht einverstanden erklären, da die Offiziere bis zu ihrer übernahme als Beamte noch als abkommandiert gelten müssen. Ich bitte anzuordnen, daß derartige Bezeichnungen im gewöhnlichen Verkehr und im Verkehr mit der Reichswehr nicht zum Ausdruck kommen und daß sich diese Offiziere im Polizeidienst als Polizeioberst usw. bezeichnen. Unliebsam wird es vermerkt, daß diese Offiziere Achselstücke tragen, die sich nicht deutlich von den alten Armeeachselstücken unterscheiden, was seinerzeit vereinbart war. Auch liegen mir Klagen vor, daß junge Polizeioffiziere sich im Gruß gegenüber Reichswehroffizieren vernachlässigen." Der zwischen den Angehörigen der Reichswehr und der Sicherheitspolizei entstandene Gegensatz hätte sich seiner Meinung nach "vermeiden lassen, wenn von der Zentralstelle der Sicherheitspolizei stets die nötige Verbindung mit den Stellen des Reichswehrministeriums gehalten worden wäre, um die von hier wiederholt gebeten worden ist". Seinen Forderungen schließt er eine Woche später65 unter Hinweis auf die bisher großzügig von der Reichswehr gewährte Hilfe noch die Bitte an, zur Sicherung der Zukunft der Reichswehr den ausscheidenden ReichswehrAngehörigen künftig Stellen in der Sicherheitspolizei freizuhalten, zunächst für die am 1. 4. 1920 voraussichtlich ausscheidenden 100000 Mann 10000 offene Stellen. Der PrMdI weist so gut wie sämtliche Forderungen der RWM zurück - zum Teil einfach als unbegründet68 • Er belehrt ihn, "daß die Sicherheitspolizei eine preußische, dem Preußischen Ministerium des Innern, nicht dem Reichswehrministerium unterstehende Einrichtung ist". Er läßt nur anordnen, daß die neuen Ränge der Sipo-Beamten im Verkehr mit der Reichswehr nicht verwendet werden. Der Zusatz "Polizei" vor die militärischen Titel erfolgt Ende 1920 durch Severing - nicht ohne auf Kritik aus der Polizei zu stoßen. 85 Schreiben des RWM an das PrMdI etc. vom 15. 11. 1919. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1. 88 Schreiben des PrMdI vom 12. 12. 1919 an das RMdI etc. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1.

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Das Verhältnis von Besoldung der Reichswehr und der Sipo günstiger zu gestalten, gelingt dem RWM nach langen Verhandlungen 1920. Bei dem Schutzpolizeigesetz von 1922, das die Versorgung der Schutzpolizei regelt, der Nachfolgerin der Sipo, achtet das Reich streng auf Parität. Während der PrMdI einerseits mit dem Wachstum der Sipo ihre Eigenständigkeit und ihren nichtmilitärischen Charakter hervorkehrt gegenüber dem RWM, beansprucht er da, wo eine Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Sicherheitspolizei nicht zu umgehen ist, Gleichberechtigung oder überordnung. Im alten Preußen und im alten Reich ist es unumstößlicher Grundsatz, daß wenn Militär und die Polizei gemeinsam zur Bekämpfung von Unruhen eingesetzt werden, die Polizei dem Militär untersteht67 • Das ist zuletzt eingehend geregelt in der Vorschrift über den Waffengebrauch des Militärs vom 19.3.191468 • Dieser Grundsatz wird mit dem Aufbau der Sipo in Frage gestellt. In einer Besprechung von Vertretern der Reichs- und preußischen Ressorts am 22. 10. 1919Ug stellt das RWM zur Befehlsregelung noch unwidersprochen fest, daß die Befehlsgewalt beim Belagerungszustand in jedem Fall in Händen des militärischen Befehlshabers zu ruhen habe und daß, falls das Militär zur Hilfe gerufen werde, der Militärbefehlshaber neben der Leitung der Truppe auch die der Sipo und anderer Formationen übernähme. Die übernahme der Befehlsgewalt durch die Sipo wäre nur gegenüber einzelnen militärischen Unterstützungstrupps möglich. Im Januar 1920 wendet sich der Berliner Polizeipräsident Eugen Ernst ganz entschieden gegen die hergebrachte Regelung des Befehls-Unterstellungsverhältnisses von Sipo und Reichswehr und beansprucht die völlige Gleichstellung beider Organisationen70 : "Die alte Armee, die früher der Polizei den nötigen Rückhalt gab und für Niederwerfung von Aufständen allein in Frage kam, ist aufgelöst. Aus völlig gleichwertigen Mitgliedern der alten Armee ist die Reichswehr und die Sicherheitspolizei hervorgegangen. Schon die heutigen Stärken von Militär und Sicherheitspolizei verändern die Gesamtlage grundlegend. Während früher neben dem starken Friedensheer eine schwache Polizei genügte, beträgt heute 87 Die gesetzliche Grundlage sind der Art. 39 der preußischen Verfassung von 1850 (GS S. 17), das Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. 6. 1851 (GS S. 451), die Kabinettsordre vom 29. 8. 1818 (GS S. 155) und vom 6. 1. 1899 und das Preußische Gesetz über den Waffengebrauch des Militärs vom 20.3. 1837 (GS S. 60). 1919 werden diese selbstverständlich zum Teil ungültig. 88 Preußische Allerhöchste Dienstvorschrift über den Waffengebrauch des Militärs und seine Mitwirkung zur Unterdrückung innerer Unruhen vom 19. 3. 1914. Wiedergegeben bei Huber, Ernst Rudolf: Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851-1918, Stuttgart 1964, unter Nr. 258. eg Niederschrift der Besprechung im RWM vom 22. 10. 1919. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1. 70 Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten vom 5. 1. 1920 an den PrMdI. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003, Nr. 1 Bd. 1.

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bei einer Stärke der Reichswehr von 100000 Mann die der Sicherheitspolizei 66 OOO!" - Hier operiert Ernst natürlich mit den Sollstärken. Er fährt fort mit einem Lob der Qualifikation der Sipo für den Bürgerkrieg und daß sie die Reichswehr übertreffe: "Die schnelle Unterdrükkung von Aufständen ist die Hauptaufgabe der Sicherheitspolizei, die für Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der Sicherheit innerhalb ihres Wirkungskreises allein verantwortlich und für diese Aufgabe besser als irgendeine andere Organisation geeignet ist ... Die gesamte Ausbildung aller Beamten, soweit sie nicht die rein polizeiliche Förderung betrifft, gipfelt in der Schulung für den Straßenkampf." - Es geht darum, wie das PrMdI am 6. Januar bei einer Besprechung mit Vertretern der Reichsbehörden71 hervorheben läßt, "daß Reichswehr und Sicherheitspolizei bei ihrem Zusammenwirken durch einen gemeinsamen zivilen Befehlshaber befehligt werden". Bei Maßnahmen gemäß Art. 48 RV sei ein ziviler Inhaber der vollziehenden Gewalt anstatt eines Militärbefehlshabers zu ernennen. Das bedeutet in der Praxis, da dem Reich für eine solche Ausnahmezustandsregelung - abgesehen von den Reichsund Staatskommissaren - die zivilen Organe auf unterer Ebene fehlen, die Unterstellung der Reichswehr unter Landesbeamte. - Demgegenüber vertritt der Kommmissar des RWM Major von Stockhausen uneingeschränkt den alten Standpunkt, "daß grundsätzlich die Unterstellung der Reichswehr unter eine zivile Gewalt nicht in Frage kommt. Sobald die Reichswehr aus bestimmten Anlässen eingesetzt wird, muß sie allein unter militärischem Befehlshaber und unter Verantwortung des Reichswehrministers in Tätigkeit treten. An diesem Standpunkt wird das Reichswehrministerium festhalten. Die Reichswehr kann aus zwei Anlässen eingreifen. Erstens gerufen durch zivile Behörden, zweitens bei Einsatz auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung. In beiden Fällen gelten die Bestimmungen der Druckvorschrift über den Waffengebrauch des Militärs. Allerdings ergeben sich durch die Eigenart der neuen Polizeitruppe gewisse Schwierigkeiten. Es wird ohne weiteres zugestanden, daß kleinere Reichswehrverbände nicht ohne weiteres größeren Polizeiverbänden ... übergeordnet werden sollen. Bei Einsatz auf Grund des Art. 48 wird in allen Fällen ein gemeinsamer der Reichswehr entnommener Befehlshaber die Kommandoführung zwischen Reichswehr und Sicherheitspolizei regeln." - In diesem Sinne versucht das RWM auch das Verhältnis zwischen Reichswehr und Polizei in dem Entwurf des Reichswehrgesetzes zu regeln, während der PrMdI dies als "völlig unmöglich"72 bezeichnet und als einzige Grundlage, auf der die 71 Niederschrift der Besprechung von Vertretern des RMdI, AA, PrMdI, RJM, des Staatskommissars für öffentliche Ordnung und des RWM im Reichswehrministerium am 6. 1. 1920. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit.4003 Nr. 1 Bd. 1. 72 Schreiben des PrMdI vom 8. 3. 1920 an das RMdI. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd.1.

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Regelung aufzubauen ist, "die völlige Gleichberechtigung zwischen Reichswehr und Sicherheitspolizei" sieht. Diese Frage bleibt ein dauernder Streitpunkt zwischen Reichswehr und Sicherheitspolizei. Die WRV hat den Ländern die Polizeihoheit grundsätzlich nicht genommen und die Länder - genauer Preußen, denn die übrigen sind in dieser Frage zunächst nur Trabanten - bemühen sich schon nach den ersten Ansätzen zur Stabilisierung, sie auch faktisch zurückzugewinnen. Das RMdI ist damit grundsätzlich einverstanden, beansprucht aber noch ein vorläufiges Recht der Mitwirkung im Polizeiwesen. Vor dem Reichstag erklärt Koch am 16. 10. 1919 73 , daß er mit dem RWM darin übereinstimme, "daß es an der Zeit ist, in aller Ruhe und mit aller Vorsicht allmählich die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung aus den Händen des Militärs in die Hände der bürgerlichen Behörden zurückzulegen. ... Dabei kann natürlich eine völlige Rückübertragung an die Landespolizeibehörden im Augenblick noch nicht in Frage kommen.... Sie sind zu verzweigt, sind in ihrer Zusammensetzung und Auffassung zu verschiedenartig, als daß man diesen Behörden in einer Zeit, in der das ganze Reich noch in Erregung ist, allein die Verantwortung übertragen könnte. So tritt von selbst die Notwendigkeit hervor, daß das Reichsministerium des Innern als Polizeiministerium sich an der Lösung dieser Frage in erster Linie beteiligt. Wir sind daran, diese Aufgabe zu erfüllen. Es wird zunächst unsere Aufgabe sein, eine Wasserpolizei zu schaffen, schon wegen des Lebensmittelschmuggels aber auch aus anderen Gründen. Es wird weiter erforderlich sein, der Kriminalpolizei für das Reich einen einheitlichen Oberbau beim Reichsministerium des Inneren zu geben. Den Gedanken einer reichseigenen Polizei lehne ich im übrigen ab. Es würde zu kostspielig und verworren sein, wenn wir neben der Landespolizei noch eine eigene Reichspolizeitruppe schaffen wollten. Auf diesem Gebiet kann es nur die Aufgabe des Reiches sein, die Länder in ihren Bestrebungen zu unterstützen und auf Einheitlichkeit hinzuarbeiten." Das RMdI übernimmt auf dem Gebiete der Ordnungssicherung vom RWM den Reichswasserschutz als Grundstock für die Wasserpolizei, die Technische Nothilfe und die Oberaufsicht bei den Angelegenheiten der Landesgrenzpolizei, der Einwohnerwehren und der Sicherheitspolizei. Bei der Sicherheitspolizei sichert sich das RMdI, gestützt durch die Reichszuschüsse, die Mitentscheidung über den Umfang der Sicherheitspolizei und über die Sätze ihrer Besoldung, sowie ein Oberaufsichtsrecht auch bei anderen ökonomischen Angelegenheiten und über die Einhaltung der mit den Ländern vereinbarten Grundsätze; aber die Exekutive und die örtliche Verwaltung überläßt sie den Ländern allein74 • Diese Zuständigkeitsregelung im Polizeiwesen bleibt auf der Reichsseite jedoch nicht unangefochten. Vor allem der RFM Erzberger vertritt Rt-Prot. Bd. 330, S. 3169. Niederschrift über die am 5. 12. 1919 mit Vertretern der Länder im RMdI abgehaltene Besprechung. DZA Merseburg, .Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1. 73 74

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bei den Diskussionen über die Sipo im Oktober/November die Ansicht, daß sie einheitlich als Reichssache aufzubauen seF5. Er wünscht zumindest, daß die Reichsregierung einen entscheidenden Einfluß auf die Sicherheitspolizei bekommt. Heine wendet sich nicht direkt gegen diese Pläne; er lehnt es jedoch ab, Sipo und übrige Verwaltung zu trennen. Insbesondere hält er ein enges Verhältnis von Sipo und Kriminalpolizei für erforderlich. Das RMdI setzt sich im Gegensatz zum RFM für die Beibehaltung der Sipo als Landeseinrichtung ein 76 , um sie besser gegenüber der Entente zu rechtfertigen, und wegen der Opposition der Länder gegen die weitere Beeinträchtigung ihrer Polizeihoheit. Es äußert: "Namentlich von Preußen würde ein entschiedener Widerstand zu erwarten sein77 ." - Diesen Argumenten schließt sich das Reichskabinett am 28. November 78 gegen den Widerspruch Erzbergers an, der sich - durchaus glaubwürdig - auf die Unterstützung Hamburgs und Badens beruft und zugleich die Notwendigkeit betont, den Einheitsstaat möglichst bald zu verwirklichen. Erzberger erklärt die Entscheidung für nur vorläufig, aber sie ist endgültig; eine günstigere Gelegenheit, sich neben der Reichswehr eine zivile Exekutivgewalt zu schaffen, bietet sich der Reichsregierung nicht. Erzberger tritt schließlich gleichfalls für die Vereinheitlichung der Kriminalpolizei zugunsten des Reiches ein, um die unpraktische Zersplitterung auf diesem Gebiet zu überwinden. Heine sieht sich genötigt, wie er in seiner Denkschrift schreibt, "Herrn Minister Erzberger trotz aller Anerkennung des guten Gedankens seines Vorschlages, zu verstehen zu geben, daß er sich nicht die geringste Vorstellung von der praktischen Durchführung einer solchen Maßregel gemacht hatte". Heine weist darauf hin, daß die Kriminalpolizei nicht unabhängig von den übrigen Behörden des Sicherheitsdienstes arbeiten kann, von den Polizeidirektionen und Landräten gelenkt und kontrolliert werden muß. Die Folge der Lösung der Kriminalpolizei aus dem Verbande der Verwaltungs- und Justizbehörden wäre eine Lähmung ihrer Schlagfertigkeit, wodurch das bei der Zentralisation Gewonnene wieder aufgehoben wäre. Wenn Erzberger die Kriminalpolizei zur Reichssache machen wolle, müsse "er vor allem erst die Justizverwaltung und die Staatsanwaltschaften zu Reichsbehörden machen ... , ... dann aber auch die Polizeipräsidenten und Polizeidirektionen und die Landräte ... " Der RMdI Koch kann den Hinweis auf den Zusammenhang der Behörden nur unterstützen, und Erz75 Schreiben des RMdI an den Unterstaatssekretär in der Reichskanzlei etc. vom 22. 11. 1919. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1. 70 a. a. O. 77 a. a. O. 78 Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Reichsministeriums vom 28. 11. 1919. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 4003 Nr. 1 Bd. 1.

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berger zieht seine Vorschläge vorläufig zurück. Dieser Vorgang mag dazu beigetragen haben, daß sich Erzberger im Januar erfolgreich für die Verreichlichung der Justiz einsetzt. Aus seinem Programm, das Polizeiwesen auf das Reich zu übernehmen, verfolgt er zunächst nur den Plan der Herstellung einer Zentralstelle für den Austausch kriminalistischen archivalischen Materials. Auch diesen Vorschlag tut Reine als wenig praktisch ab. Der Reichskommissar für öffentliche Ordnung setzt sich später erneut für eine bessere Zentralisation beim kriminalistischen archivalischen Material ein, nachdem sich die bisherige Regelung u. a. bei der Verfolgung der Organisation Consul als nachteilig erwiesen hat. Die Reichsregierung läßt den Gedanken, die Kriminalpolizei auf das Reich zu übernehmen, zwar fallen, aber sie entscheidet sich für die Schaffung einer eigenen kleinen Reichskriminalpolizei über und neben der Landeskriminalpolizei. Der am 26. 2. 1920 dem Reichsrat von der Reichsregierung vorgelegte Entwurf über die Errichtung eines Reichskriminalpolizeiamtes und von Landeskriminalpolizeibehörden78 sieht vor allem eine Reichskriminalpolizeibehörde vor mit weiteren Befugnissen als das Berliner Polizeipräsidium und gibt den Reichskriminalpolizeibeamten die unmittelbare Vollzugsbefugnis im ganzen Reich. Bei diesem begrenzten Vorstoß des RMdI auf dem Polizeisektor ist der Rauptopponent wiederum Preußen. Die Praxis der Ordnungssicherung gegenüber dem politischen Radikalismus und der allgemein ungeheuer erregten Bevölkerung ist 1919/1920 bestimmt vom Ausnahmezustand. Auf die damit zusammenhängenden Fragen und Differenzen im Verhältnis Preußen-Reich geht Heine nicht ein. Gerade für die Ausnahmezustandsregelung macht sich 1919 die weitere Trennung von Reichs- und preußischer Regierung ungünstig bemerkbar. Die Verhängung des Belagerungszustandes bzw. Kriegszustandes ist schon unter der alten Reichsverfassung nicht zweifelsfrei geregelt. Mit der Reichsverfassung von 1871 gibt es auf Grund von Art. 68 neben dem landesrechtlichen Belagerungszustand einen reichsrechtlichen. Nach der herrschenden Meinung in der Staatsrechtslehre ist außerhalb Bayerns nur noch ein Reichsbelagerungszustand möglich80 • Für Bayern besteht das Reservat zur selbständigen Verhängung des Belagerungszustandes allgemein anerkannt im ganzen Bismarck-Reich fort: das im Art. 68 RV vorgesehene Ausführungsgesetz, das diesen Artikel gemäß dem Bündnisvertrag von 1870 wie auch das preußische Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851 ersetzen sollte, ist nicht ergangen. Wie im außerbayerischen Gebiet geht jedoch in Bayern beim Belage78 80

Reichsrats-Dr. Nr. 52. Vgl. Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Tübingen

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rungszustand die vollziehende Gewalt auf die Militärbefehlshaber über, die im Kriegsfall allgemein dem Kaiser unterstehen 81 • Preußische Stellen haben zwischen 1871 und 1914 in wenigen Fällen für kleinere Bezirke das Recht in Anspruch genommen, selbständig den Belagerungszustand zu verhängen, als wenn das preußische Belagerungszustandsgesetz von 1851 noch selbständig neben Art. 68 RV angewandt werden könnte. Die Aktion vollzieht sich in Preußen entweder so, daß der Militärbefehlshaber den Belagerungszustand zunächst vorläufig verhängt und das Preußische Staatsministerium ihn dann bestätigt, oder daß das Staatsministerim ihn sofort verhängt. Der Anspruch Preußens aus dem Gesetz von 1851 ist spätestens seit 1914 im Kaiserreich nicht mehr aktuell. Der Kriegs- und Belagerungszustand, unter dem das Reich von 1914 bis 1918 steht, wird im außerbayerischen Deutschland einheitlich reichsrechtlich geregelt. Er wird am 31. Juli 1914 vom Kaiser verhängt und anstandslos von Bayern ergänzt, und später verschiedentlich reichsgesetzlich - mit Gültigkeit außerhalb Bayerns - verändert 8!. Von besonderer Bedeutung für das außerbayerische Reichsgebiet ist der Erlaß des Kaisers vom 15. 10. 191883 , der die Ausübung der vollziehenden Gewalt durch die stellvertretenden Generalkommandos an das Einverständnis mit von den Landeszentralbehörden bestellten Verwaltungsbehörden bindetB'. Zur Ausführung des Allerhöchsten Erlasses ergeht am 18.10.1918 eine Verfügung des Reichskanzlers. Dementsprechned ernennen die Landesregierungen Preußens, Sachsens, Württembergs, Badens und Hamburgs ihre Regierungskommissare; die Kleinstaaten werden trotz Murrens von ihnen mitvertreten85 • Der PrMdI Drews bestellt - als ersten Schritt seiner Verwaltungsreform - die Oberpräsidenten zu Regierungskom1914, Bd.4, S.48, und Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3, Bismarck und das Reich, Stuttgart 1963, S. 1044 ff. 81 Vgl. Huber: Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 1044. 82 Reichsrechtlich wird der Kriegs- bzw. Belagerungszustand durch das Reichsgesetz betr. die Änderung des Belagerungszustandsgesetzes vom 11. 12. 1915 (RGBl. S.813), das Reichsgesetz über die Verhaftung und Aufenthaltsbeschränkung auf Grund des Kriegszustandes und Belagerungszustandes vom 4. 12. 1916 (RGBl. S. 1329) und das Reichsgesetz über den Kriegszustand vom 4. 12. 1916 (RGBl. S. 1331) geregelt. 83 Reichsanzeiger vom 16. 10. 1918, Nr. 246. 84 Kommt ein Einverständnis zwischen Militär- und Verwaltungsbehörde nicht zustande, so entscheidet der Obermilitärbefehlshaber, i. e. der PrKM, der durch die Verordnung vom 15. 10. 1918 (RGBl. S. 1237) zur Ergänzung der Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über den Kriegszustand vom 4. 12. 1916 (RGBl. S. 1332) an das Einverständnis des Reichskanzlers oder seines Stellvertreters gebunden wird. Der Reichskanzler bestimmt für diesen Bereich den Staatssekretär Gröber zu seinem Stellvertreter. 85 Falls sich der Militärbezirk über mehrere Bundesstaaten oder über Teile mehrerer Verwaltungsbezirke desselben Bundesstaates erstreckt, muß es nach der Verfügung des Reichskanzlers bei der Stellung eines Vertreters, und zwar durch die örtlich zuständige Verwaltungsbehörde, sein Bewenden haben.

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missaren und nicht die Regierungspräsidenten im Sinne des Belagerungszustandes von 1851, das diese als Inhaber der Landespolizeigewalt schon für eine schwache Zivilkontrolle vorsieht. Wie der Belagerungszustand vom Oktober/November 1918, funktioniert auch der militärische Ausnahmezustand nach Art. 48 WRV. Nur bestimmt dann der RMdI die Regierungskommissare, so daß sie nicht mehr Landes-, sondern Reichsorgane sind. Dies Vorrecht des Reiches höhlen die Länder in der Praxis jedoch weitgehend aus. Der Aufruf des RdV vom 12.11.1918 hebt in Punkt 1 den Belagerungszustand insgesamt auf. Damit ist sowohl die Verordnung des Kaisers über die Verhängung des Kriegszustandes im außerbayerischen Reichsgebiet vom 31. 7.1914 als auch die Verordnung des bayerischen Königs über die Verhängung des Kriegszustandes in Bayern vom gleichen Tage aufgehoben. Der RdV versucht also, über die alte Rechtslage enscheidend hinauszugehen. Die bayerische Regierung bestreitet später die Zuständigkeit des RdV für die Aufhebung des Kriegszustandes in Bayern und sieht ihn als weiterbestehend an. Angesichts der dauernden Gefährdung von Sicherheit und Ordnung nach dem Umsturz erweisen sich Ausnahmemaßnahmen - trotz ihrer Unpopularität - als unumgänglich. Es gibt 1919 kaum einen Teil des Reiches, der vom Ausnahmezustand verschont bleibt. Jetzt nach der "Revolution" wird die Frage der alten Verfassungsordnung, wie weit der landesrechtliche Belagerungszustand 1871 zu bestehen aufgehört hat, erst ein wirklich aktuelles Problem. Gerichtliche Entscheidungen tragen dazu bei, die Lage zu verwirren. Zum Beispiel urteilt das Reichsmilitärgericht am 19.4.1919 ausdrücklich, daß das Recht der Einzelstaaten zur Verhängung des Belagerungszustandes durch Art. 68 RV nicht berührt seis8 • Die Verhängung des reichs- und landesrechtlichen Belagerungszustandes geht 1919 durcheinander. Der im Januar in den Marken verhängte Belagerungszustand ist reichsrechtlich, der im März dort verhängte landesrechtlich. Das Reich verhängt vor Inkrafttreten der neuen Reichsverfassung den reichsrechtlichen Belagerungszustand in Braunschweig, Sachsen, Bremen, Teilen Preußens und Thüringens. In Preußen gibt es 1919 zugleich rund 50 Fälle von durch das Staatsministerium verhängten oder bestätigten Belagerungszuständen87 • Daneben besteht in Sachsen88 Siehe DJZ 1919, S. 487 f. Die Fälle sind aufgezählt in der VPrLv-Dr. Nr. 754 vom 14.9. 1919. 88 Zu dem am 13.4. 1919 in Sachsen verhängten landesrechtlichen Belagerungszustand entscheidet das Oberlandesgericht in Dresden im Juli 1919, daß er rechtmäßig ist. Siehe dazu die Juristische Wochenschrift, 48 Jg. 1919, S. 744 - Am 23.4.1919 verhängt der Reichspräsident den Belagerungszustand über Sachsen (RGBl. S.429). Mit der Durchführung beauftragt er die sächsische Regierung. 88

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im April 1919 der landesrechtliche Belagerungszustand; und in Bayern ist der am 31. 7.1914 verhängte Kriegszustand seit dem Ende der Bayerischen Räterepublik im Mai 1919 auch faktisch wieder in Kraft. Hier demonstriert sich das Einflußstreben der Länder, wenn es auch nicht - im Sinne des bekannten Wortes von earl Schmitt - um die Souveränität geht; das Primat des Reiches ist in dieser Zeit in jedem Fall dadurch gesichert, daß die Exekutivgewalt für den Belagerungszustand das Heer - fest in der Hand des Reiches ruht. Daneben ist es außer halb Bayerns insofern von Bedeutung. ob das preußische Belagerungszustandsgesetz von Reichs wegen oder von Landes wegen angewandt wird, als nur bei der Verhängung des Belagerungszustandes von Reichs wegen bei Zuwiderhandlungen gegen § 9 b des preußischen Belagerungszustandsgesetzes das Milderungsgesetz vom 11.12.1915 Platz greift, während sonst schon bei geringfügigen Vergehen Gefängnisstrafen zu verhängen sind. Das Reichsrecht kennt weiter an sich keinen durch den Militärbefehlshaber vorläufig verhängten Belagerungszustand. Allerdings wird ausnahmsweise der im April über Hamburg, Altona und Wandsbek verhängte Belagerungszustand zunächst am 23.4.1919 vom Militärbefehlshaber eingeführt und am 25.4.1919 vom Reich genehmigt (RGBl. 441); er ist also ganz nach preußischem Modus verhängt. Das ist die Folge einer Verfügung des PrKM vom 16.4.1919, wonach die Militärbefehlshaber die vorläufige Verhängung des Belagerungszustandes sofort dem Reichspräsidenten zu melden haben 89 • Schließlich ist grundsätzlich beim Reichs- und Landesbelagerungszustand die Zivilkontrolle unterhalb der Zentralen verschieden geregelt; aber für die Praxis ist das nicht von Bedeutung. Bei der Verhängung des Reichsbelagerungszustandes im Militärbezirk Groß-Hamburg am 24. 4. 1919 und am 30. 6. 1919, wobei preußische Gebietsteile mitbetroffen werden, kommt es noch zu keinen Schwierigkeiten zwischen Reich und Preußen. Anlaß zu einer grundsätzlichen Kontroverse über den Belagerungszustand gibt seine Verhängung über den Regierungsbezirk Stettin am 17. 5. 1919 durch den Reichspräsidentenoo• In diesem Fall haben sich der Militärbefehlshaber und der PrKM wegen der Verhängung des Belagerungszustandes an den Reichspräsidenten und wegen der Bestätigung des schon vorläufig verhängten Belagerungszustandes an das Staatsministerium gewandt. Da die bei den Spitzen zunächst nicht über die doppelte Initiative informiert sind - zumindest das 89 Der PrKM weist in seinem Schreiben vom 17.6. 1919 an den Präsidenten des Reichsministeriums etc. auf diese Verfügung hin. DZA Merseburg, Rep. 120 CB 1 Nr. 110 Bd. 1. 90 RGBl. S.464 Der Belagerungszustand wird am 23.5.1919 (RGBl. S. 488) auf den Stadtkreis Stettin und die Landkreise Greifenhagen, Randow, Stargard beschränkt und am 6. 8. 1919 ganz aufgehoben (RGBl. S. 1375).

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Staatsministerium nichtU - wäre es beinahe zu einer doppelten Verhängung bzw. Bestätigung gekommen mit dem entsprechenden rechtlichen Wirrwarr. Daraufhin setzt sich der Präsident des Staatsministeriums Hirsch bei der Reichsregierung zugunsten einer Vereinbarung darüber ein, wie künftig vorzugehen sei92 • Er betont ausdrücklich, daß durch Art. 68 RV in Verbindung mit § 4 des übergangsgesetzes, wonach nur die Rechte des Kaisers auf den Reichspräsidenten übergehen, das Recht des Staatsministeriums, gleichfalls den Belagerungszustand zu verhängen, nicht aufgehoben sei. Um das sich seiner Meinung nach aus dem Fortfall der Personalunion der Reichs- und preußischen Staatsspitze ergebende konkurrierende Vorgehen von Reich und Preußen zu umgehen, schlägt er vor: Es sollen in Zukunft die an den RWM oder an den Reichspräsidenten gelangenden Anträge auf Verhängung des Belagerungszustandes über preußische Landesteile entweder an die Preußische Staatsregierung gerichtet werden oder, soweit die Verhängung des Reichsbelagerungszustandes für erforderlich erachtet wird, der Staatsregierung Gelegenheit zu vorheriger Äußerung gegeben werden. Daß sich die preußische Regierung aus Anlaß des Belagerungszustandes in Pommern im Mai 1919 für seine landesrechtliche Verhängung einsetzt, wird seine besonderen Gründe haben; dahinter steht allem Anschein nach die Befürchtung Brauns, daß, wenn der preußischen Regierung die rechte Einwirkungsmöglichkeit fehle, die vollziehende Gewalt zugunsten der Großgrundbesitzer mißbraucht werden könne. Braun sieht sich im Juli in seinem Mißtrauen gegenüber dem Militärbefehlshaber voll bestätigt. Trotz der Stellungnahme des Präsidenten des Staatsministeriums am 25.5.1919 setzt sich der PrKM am 17.6.191983 bei dem Präsidenten des Reichsministeriums und den Staatsministern für den Reichsbelagerungszustand ein, wie das seiner bisherigen Haltung entspricht. Er befürwortet, "die Verhängung des Belagerungszustandes durchweg von Reichs wegen stattfmden zu lassen, zumal auch die zur Durchführung erforderliche Wehrmacht unter dem Oberbefehl des Reichspräsidenten steht ... " Für den Fall, daß die Reichsregierung dem zustimme, empfiehlt er, die zur Zeit bestehenden landesrechtlich verhängten Belagerungszustände in solche von Reichs wegen umzuwandeln. - Aber das Reich fügt sich den preußischen Argumenten; am 2. Juli erklärt sich die Reichsregierung bereit, daß für die übergangszeit die Verhängung bzw. Bestätigung des Belagerungszustandes über preußische Landesteile in der Regel durch das Staatsministerium erfolgen soll. 81 Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums vom 25. 5. 1919 an die preußischen Staatsminister und den RWM. DZA Merseburg, Rep. 120 CB 1 Nr. 110 Bd. 1. 02 a. a. o. 93 Siehe Anm. 89.

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Mit dem Inkrafttreten der WRV ist nur noch die Verhängung des Ausnahmezustandes nach Art. 48 WRV möglich; jedoch bleibt der bei Inkrafttreten des WRV bereits verhängte reichs- oder landesrechtliche Kriegs- oder Belagerungszustand nach Art. 178 Abs. 3 bis zu seiner anderweitigen Aufhebung noch bestehen. Ein Punkt, an dem der preußische und der Reichsstandpunkt mit besonderer Schärfe aufeinanderprallen, ist die Frage der Aufhebung des Belagerungszustandes in Berlin und Oberschlesien. In Teilen Schlesiens ist der Belagerungszustand schon Anfang Januar vom Staatsministerium verhängt und später ausgedehnt; seit März besteht er in ganz Oberschlesien. In Berlin ist er im Januar von der Reichsregierung verkündet und aufgehoben, und im März hat ihn die preußische Regierung verhängt. Beide Male ist der RWM zugleich Oberbefehlshaber in den Marken zur Ausübung der vollziehenden Gewalt. Noske verzeichnet zu dieser Aufgabe": "Die preußische Regierung, die in Partikularismus mit Bayern und den anderen Ländern um die Wette machte, nicht so heftig von Stürmen umbrandet wie die Reichsregierung, war zu kräftigem Handeln bereit, wenn es durch mich geschah." - Die preußische Regierung sieht ihre Befugnis der Aufhebung des landesrechtlichen Belagerungszustandes schon im April 1919 bei der Auseinandersetzung um den am 31. März über das Ruhrgebiet verhängten Belagerungszustand gefährdet. Sie betont gegenüber dem RWM05 , "daß der auf Grund des § 2 des Gesetzes vom 4. Juni 1851 verhängte landesrechtliche Belagerungszustand, sobald er vom Staatsministerium verhängt oder bestätigt ist, auch allein durch das Staatsministerium wieder aufgehoben werden kann." Der Belagerungszustand ist die unpopulärste Maßnahme der Regierung und nicht nur die äußerste Linke drängt auf seinen baldigen Abbau im ganzen Reich. Der RWM steht in seinem Eintreten für den Belagerungszustand parlamentarisch bald völlig frei 98 • Die SPD-Fraktionen der VPrLv und der VNV sehen sich in ihrer Ablehnung des Belagerungszustandes vor allem bestätigt durch den ungünstigen Verlauf der Wahlen, vor allem der Gemeinderatswahlen in Oberschlesien, bei denen die SPD gegenüber den Wahlen zur VNV 70 % der Stimmen verliert, und zwar zumeist an die USPD. Unter Hinweis auf die Wahlergebnisse wendet sich der SPD-Parteivorstand am 13. November97 an die Sozialdemokraten in der Reichsregierung mit vielen Beschwerden über die Handhabung des Belagerungszustandes; besonders beklagt er die Zeitungsverbote, die Verhaftung von Streikhetzern, die Einschränkung der VerNoske: Erlebtes, S. 110. Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriurns vom 30.4. 1919 an den RWM etc. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 19. 98 Vgl. Noske: Erlebtes, S. 144. 97 Noske: Erlebtes, S. 145. 94

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sammlungsfreiheit und das Verhalten der Reichswehr. SPD-Vorstand und "Vorwärts" - als sein Organ - treten für die allgemeine Aufhebung des Belagerungszustandes ein. Am 30. November wendet sich der Parteivorstand sogar in einem Aufruf in dieser Angelegenheit an die Öffentlichkeit. Bei einer Besprechung im PrMdI am 22. Novembero 8 zwischen Heine und dem Oberpräsidenten Philipp (SPD) , dem Regierungspräsidenten von Breslau Jänicke (DDP), dem Regierungspräsidenten von Oppeln Bitta (Zentrum), dem Reichs- und Staatskommissar Hörsing (SPD) und dem Grafen Lerchenfeld als Vertreter des AA über den Belagerungszustand treten die schlesischen Beamten für die Aufhebung des Landesbelagerungszustandes in Oberschlesien ein. Hörsing äußert offen, "daß die Fortdauer des Belagerungszustandes für die sozialdemokratische Partei sehr schädlich wäre und daß er sie deshalb nicht verantworten könnte. Der Belagerungszustand führe zu unzähligen Mißgriffen des Militärs, und diese würden dann der Sozialdemokratie und ihm (Hörsing) in die Schuhe geschoben. Das Interesse am Fortbestand der Partei zwinge ihn, die Aufhebung des Belagerungszustandes zu fordern." Soweit er von den parteipolitischen Erwägungen absieht, hält er den Belagerungszustand für erforderlich. Ähnlich wie Hörsing äußert sich Regierungspräsident Bitta. Als der Reichs- und Staatskommissar wieder in Schlesien ist, stellt er die parteipolitischen Bedenken zurück und erklärt sich am 26. November - entgegen dem Wunsch der schlesischen SPD - in einem Schreiben an den PrMdp9 gegen die Aufhebung des Belagerungszustandes; er sei nötig, um das Hereinbrechen der Polen nach Oberschlesien und das Verschieben von Lebensmitteln zu verhindern. Er weist darauf hin, daß er in Berlin lediglich wegen des Verlustes der Regierungsparteien "formell die Aufhebung des Belagerungszustandes beantragen mußte." Heine ist gleichfalls gegen ein Nachgeben in Oberschlesien; zudem würde nach seiner Meinung nach der Aufhebung des Belagerungszustandes in Oberschlesien der Belagerungszustand in Berlin und den anderen Teilen Preußens nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. Dem schließt sich das Staatsministerium an, während innerhalb der Reichsregierung die Bereitschaft wächst, auf den Belagerungszustand allgemein zu verzichten. Das Staatsministerium entscheidet am 26.1l. 1919100, daß ein Einverständnis mit der Reichsregierung auf der Grundlage zu erzielen sei, daß die preußische Regierung den landesrechtlichen Belagerungszustand aufhebt, während der Reichspräsident seinerseits 98 Heine berichtet Hirsch am 22. 11. 1919 über die Besprechung. bZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 22. 89 Schreiben des Staatskommissars Hörsing vom 26. 11. 1919 an das Staatsministerium. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 22. 100 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 26. 11. 1919, DZAMerseburg.

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auf Grund des Art. 48 WRV den Ausnahmezustand verhängt und mit seiner Wahrnehmung eine Zivilbehörde betraut. Diese Zivilbehörde könnte selbstverständlich nur eine Landesbehörde sein. Der von der preußischen Regierung vertretene zivile Ausnahmezustand würde ihr also einen stärkeren Einfluß bei den Ausnahmemaßnahmen sichern. Die preußische Regierung handelt bei ihrem Eintreten für den zivilen Ausnahmezustand in Übereinstimmung mit den süddeutschen RegierungenlOI • Die bayerische Regierung wandelt im November/Dezember 1919 eigenmächtig den Kriegszustand in einen zivilen Ausnahmezustand um. Schon nach der Aufhebung des Bayerischen Kriegsministeriums im September 1919, also der Chefbehörde der bayerischen Regierung gegenüber den die vollziehende Gewalt ausübenden bayerischen Militärbefehlshabern, erreicht sie von General Möhl die schriftliche Versicherung, während der Dauer des Belagerungszustandes vor jeder Maßnahme mit dem Innenministerium in Verbindung zu treten, außer wenn Gefahr im Verzuge wäre lOZ • Mit der Verordnung vom 4.11.1919 über die Aufhebung des Kriegszustandes und über einstweilige Maßnahmen nach Art. 48 Abs. 4 WRV I03 tritt der bayerische Kriegszustand - von der Fortdauer der Beschränkung der Versammlungsfreiheit, des Aufenthaltes und des Zuzugs abgesehen - zum 4. Dezember außer Kraft; anstelle der Militärbefehlshaber, denen die vollziehende Gewalt genommen ist, erhalten der Polizeipräsident von München und die Regierungspräsidenten auf Grund des Art. 48 Abs. 4 WRV - unter Außerkraftsetzung von Artikeln der Reichs- und Landesverfassung - als Staatskommissare diktatorische Befugnisse zur Aufrechterhaltung der gefährdeten Ordnung. Praktisch setzt die bayerische Regierung hier die Bestimmungen des am 21. 7. 1919 dem Landtag vom Innenminister Endres (SPD) vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen gegen innere Unruhen, das wegen der Regelung des Ausnahmezustandes in Art. 48 WRV formal nicht mehr zum Vollzug kommt, auf dem Umweg über den Art 48 Abs. 4 WRV in Kraft. Der Reichspräsident hat dies Vorgehen sofort beanstandet IO', aber sich dem Drängen der bayerischen Regierung gebeugt. 101 Die württembergische Regierung wehrt sich abgesehen von der allgemeinen Ablehnung des militärischen Ausnahmezustandes - speziell dagegen, daß, wie das Wehrkreiskommando V ihr auf Grund einer Verfügung des RWM mitteilt, mit der Übertragung der vollziehenden Gewalt auf den Reichswehrkommandanten zugleich der Oberbefehl über Polizei-, Einwohnerund Verkehrswehr auf ihn übergeht. - Siehe WÜ StAL, WÜ. Staatsm.-Prot. vom 6. 11. 1919 und 2. 2. 1920. 10! Bay GStAM, Bay. Minister.-Prot. 11 vom 4. 11. 1919. 103 GVBl. 1919, S. 791. Zum Teil abgedruckt bei Friedrich Wilhelm Stahler: Bayerische Verordnungen auf Grund des Art. 48 Abs.4 der Reichsverfassung und des Paragraphen 64 der bayerischen Verfassungsurkunde / Rechtsweg bei Streitigkeiten über solche Verordnungen, Diss. jur. Heidelberg 1935, S. 20 ff. 104 Bay GStAM, Bay. Ministerr.-Prot. 11 vom 20. 12. 1919.

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Die Konsequenzen für das Reich und die bayerische SPD nach dem Kapp-Putsch sind bekannt. Der preußischen Regierung geht es wie der bayerischen Regierung nun zwar auch um den zivilen Ausnahmezustand; aber ihr Rauptanliegen ist nicht so sehr die vom Militär unabhängige selbständige Lenkung des Ausnahmezustandes als vielmehr der Ausnahmezustand überhaupt. Der PrMdI Reine setzt sich auf der Grundlage des Beschlusses des Staatsministeriums vom 26. November am 27. November noch einmal in einer Denkschrift103 beim Reichskanzler entschieden für die Fortdauer des besonders bei der Linken umstrittenen Belagerungszustandes in Schlesien und Berlin ein. Die Beschwerden bezeichnet er als einseitig und übertrieben; er wendet sich gegen das "Wettrennen der Parteiführer um die Volksgunst" auf Kosten der Staatsinteressen und setzt sich noch für die Ausdehnung des Berliner Belagerungszustandes auf Potsdam ein. Er verteidigt die militärischen Instanzen gegen den Vorwurf, einseitig gegen links vorzugehen. Er entschuldigt die Duldung der Kundgebungen zu Ehren Rindenburgs, die "vielfach ganz harmloser Natur" gewesen seien. Er beklagt es, "daß viele Anhänger der neuen Politik es noch durchaus nicht gelernt haben, den Anhängern der alten Politik dieselbe Freiheit zu gönnen, die sie für sich und die weiter links Stehenden beanspruchen. Jedenfalls ist die Gefahr, die bei den Hindenburg-Demonstrationen entstehen konnte, nicht in Vergleich zu stellen mit der Gefahr, die aus spartakistischen Massenansammlungen und Umzügen bei dem letzten Streik entstehen konnte, bei denen ganz offen die Absicht verfolgt wurde, lebenswichtige Betriebe der Industrie gewaltsam stillzulegen." - Er gibt einzelne Mißgriffe von Offizieren zu und befürwortet, den militärischen Belagerungszustand in den zivilen umzuwandeln. Aber grundsätzlich sollte der Ausnahmezustand aufrechterhalten bleiben. Er sieht in ihm die einzige wirksame Form der Durchsetzung der Staatsautorität: gegenüber der KPD, von der eine Reihe von Agitatoren festgesetzt sind und deren Organisation sehr stark in Unordnung gekommen sei, wie gegenüber der antisemitischen Propaganda, "die zu einer Zentrale reaktionärer Angriffe gegen die Regierung wurde", gegenüber den Beschimpfungen der leitenden politischen Persönlichkeiten und Mißbräuchen, wie dem Schieberunwesen. Die Möglichkeit, den Staatschutz durch Ausnahme-Maßnahmen in einen gesetzlichen Republikschutz umzuformen, sieht er noch nicht. Reine hat mit seiner Denkschrift wie mit einer kurz darauffolgenden Unterredung beim Reichskanzler keinen Erfolg. Reichskanzler und Reichspräsident wollen sich nicht länger der "Volksstimmung" wider105 Denkschrift des PrMdI Heine vom 27.11.1919. DZA Merseburg, Rep.77 Tit. 856 Nr. 22.

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setzen108 • Die Position der preußischen Regierung gegenüber der VPrLv ist in dieser Angelegenheit so schwach, daß sie eine Abstimmung über den preußischen Belagerungszustand verhindern muß 107• Heine ist angesichts dieser Situation der Ansicht108 , daß die preußische Regierung, obgleich sie die Aufhebung des Belagerungszustandes in Oberschlesien und Berlin nicht verantworten zu können glaubt und formal allein für diesen Belagerungszustand - als landesrechtlich verhängt - zuständig ist, nach einem Beschluß des Reichsministeriums gegen den Belagerungszustand nicht ausweichen können wird. Sein Hauptargument ist: "Wenn wir ... der Aufhebung widersprechen, nachdem die Reichsregierung sie gefordert hat, gibt dies Anlaß zu einer Treiberei gegen Preußen, die den Zwecken der Reichsregierung sehr entsprechen dürfte, die wir aber vermeiden müssen." Von den "Zwecken der Reichsregierung" spricht Heine nicht näher. Wahrscheinlich gehören dazu die Bemühungen auf Reichsseite in dieser Zeit, das Verhältnis zu Preußen grundsätzlich neu zu regeln. Das PrMdI vereinbart mit dem Reichskanzler für den 2. Dezember eine gemeinsame Beratung von Reichs- und Staatsministerium über die Frage der Aufhebung des Belagerungszustandes. Der Reichskanzler sagt jedoch kurz vorher ab; wahrscheinlich will er verhindern, daß sich die Staatsminister zusammen mit der Opposition des Reichskabinetts doch noch durchsetzen. Am 4. Dezember beschließt das Reichsministerium10e selbständig die Aufhebung des Belagerungszustandes in Berlin; es zieht erst nachträglich Staatsminister hinzu, um sie von dem Beschluß zu unterrichten. über die Frage der Aufhebung des Belagerungszustandes in Oberschlesien beginnt noch eine kurze gemeinsame Beratung. Die Staatsminister erklären hierbei - erbost über das Verhalten der Reichsregierung - in schroffer Form, daß sie dieser Frage erst dann nähertreten, "wenn ein förmlicher Antrag der oberschlesischen Behörden vorliegt. Bis dahin bleibt der Belagerungszustand bestehen". Minister Fischbeck fügt noch hinzu: "Die Preußische Regierung habe den Belagerungszustand verhängt und werde ihn auch dann aufrechterhalten, wenn die Reichsregierung dagegen sei." In dieser Weise unter Druck gesetzt, weicht die Reichsregierung zurück. Sie erklärt zwar, daß sie eine Bindung an die preußische Stellungnahme ablehne; aber mit Rücksicht auf die Unterstützung, die der preußische Standpunkt nun in der Reichsregierung von seiten des Zentrums und der DDP erfährt, beschließt sie doch, die Beratung über die Frage auszusetzen. 108 Schreiben des PrMdI vom 28. 11. 1919 an den Präsidenten des Staatsministeriums. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 22. 107 a. a. O. 108 a. a. O. lOg Auszug aus dem Reichsministerial-Sitzungs-Prot. vom 4.12.1919. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 22.

v. Die preußischen Ressorts (Innenministerium)

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Nach der Reichskabinettssitzung gerät der Beschluß zum Berliner Belagerungszustand selbstverständlich sofort an die Öffentlichkeit. Insbesondere die Linke begrüßt diese Entscheidung. Dem Staatsministerium, dessen Prestige ohnehin nur gering ist110, bleibt nichts anderes übrig, als den Beschluß zu sanktionieren. In der Frage der Aufhebung des Belagerungszustandes in Oberschlesien zeigt sich die preußische Regierung um so unnachgiebiger und einstimmig stellt sie fest 1l1 , daß sie sich von ihrem Standpunkt "unter keinen Umständen abbringen lassen werde". Damit setzt sie sich durch. Aber diese Konzession bedeutet dem Staatsministerium im Augenblick wenig angesichts des Eingriffes in seine Rechte. Die Staatsminister zeigen sich in der Sitzung vom 5. Dezemberl12 über das Vorgehen der Reichsregierung in einer Weise empört, wie vorher nie und nachher nicht wieder. Gegenüber dem Versuch Brauns zu beruhigen und seiner Frage, "ob nicht auch die Reichsregierung gelegentlich Anlaß zu ähnlichen Klagen gegen die Preußische Regierung gehabt habe", hebt Heine hervor, "daß es nicht leicht einen dreisteren übergriff gebe". Die überlegungen zu Gegenmaßnahmen verlaufen jedoch im Sande. Einen Protest in der Öffentlichkeit hält die Mehrheit wegen der ungünstigen Wirkung für unklug. Nach Ansichtodes parlamentarischen Unterstaatssekretärs Gräf (SPD) aus dem Wohlfahrtsministerium, "hätte die Preußische Regierung die kürzlich verhängte Verkehrssperre benutzen müssen, um der Reichsregierung entgegenzutreten. Er empfehle, ruhig abzuwarten und garantiere, daß, wenn die Reichsregierung so weiter regiere wie bisher, die Preußische Regierung nur zu bald eine neue und bessere Gelegenheit zum Widerstand geboten bekommen werde. Es sei nicht zu verkennen, wie das Verhältnis der Reichsregierung zur Staatsregierung immer mehr zum Vorgesetztenverhältnis ausarte". Dem stimmt der Minister der öffentlichen Arbeiten Oeser zu. Von dem vom Wohlfahrtsminister Stegerwald vorgeschlagenen Weg, schriftlich bei der Reichsregierung Stellung zu nehmen, rät Hirsch ab, da "schon so häufig schriftliche Vorstellungen der Preußischen Regierung von der Reichsregierung kaum einer Antwort wert gehalten worden seien". Hirsch unterstützt dagegen den Vorschlag Brauns zu einer gemeinsamen Besprechung mit der Reichsregierung über die vorliegenden Differenzen, denn "Grund zur Mißstimmung gegen die Reichsregierung sei freilich in ausreichendem Maße vorhanden". Zustimmung erfährt gleichfalls der Vorschlag des Finanzministers Südekum, den eigenen preußischen Kurs allgemein programmatisch gegenüber der Reichsregierung festzulegen: "Das gegenwärtige Preußische 110 111 11Z

Staatsm.-Prot. vom 5. 12. 1919. DZA Merseburg. a. a. O. a. a. O.

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Staatsministerium habe sich immer rückhaltlos für den deutschen Einheitsstaat ausgesprochen, und, wie die ganz außerordentlichen Zugeständnisse an das Reich bewiesen, auch danach gehandelt. Während es nun im Ziele mit der Reichsregierung in dieser Hinsicht übereinstimme, weiche hinsichtlich der das Ziel erstrebenden Politik das Staatsministerium von der Auffassung des Reichskabinetts erheblich ab. Denn letzteres suche die Reichseinheit ohne jede Rücksicht auf preußische Lebensinteressen zu erreichen. Auf diesem Wege sei indes die wahre Reichseinheit nicht zu verwirklichen. Dies sei der Reichsregierung gegenüber künftig programmatisch zu betonen und nach dieser Richtlinie müsse das Sta.atsministerium fortan handeln." Nach der Meinung Oesers sei Preußen bisher "immer mehr vor dem Reiche zurückgewichen in dem guten Glauben, dadureh dem Reiche zur Einheitlichkeit zu verhelfen. In Wahrheit aber sei Preußen geschwächt worden, ohne dem Reiche zu nützen. In ihm habe sich immer stärker die überzeugung entwickelt, daß man mit einem starken Preußen zu einem einheitlichen Reiche kommen müsse." - Es ist möglich, daß die Initiative Südekums mit eine Rolle spielt bei der Ausarbeitung des von Friedberg (DDP), Gräf (SPD), der in dieser Staatsministerialsitzung als Unterstaatssekretär in Erscheinung tritt, und Porsch (Z) Mitte Dezember in der VPrLv eingebrachten Einhei tsstaa tsan trages. Die Bedenken der preußischen Regierung wegen der Aufhebung des Belagerungszustandes bestätigen im Januar die Demonstrationen aus Anlaß der Beratung des Betriebsrätegesetzes, bei denen es Tote und Verletzte vor dem Reichstagsgebäude gibt. Nach den Unruhen verhängt die Reichsregierung über Preußen und die norddeutschen Kleinstaaten den Ausnahmezustand nach Art. 48 WRV I13 • Die vollziehende Gewalt liegt wiederum - trotz des Opponierens der preußischen Regierung dagegen - bei der Militärverwaltung. Die Militärbefehlshaber werden jedochwie es schon im obenerwähnten Oktober-Erlaß bestimmt ist - in allen Zivilangelegenheiten an die Zustimmung der Regierungskommissare gebunden. Als Konzession an die preußische Regierung bestimmt der RWM den PrMdI zur Wahrung der Einheitlichkeit der Geschäftsführung der Regierungskommissare, als die in Preußen Ober- und Polizeipräsidenten fungieren, zum Generalregierungskommissar für Preußen. Die Politik des PrMdI Heine ist als Verfassungs- wie als Polizeiminister rückhaltlos auf die Stabilisierung des preußischen Staates ausgerichtet, und Erfolge in seinem Sinn gegenüber dem ungeheuren Druck, dem der preußische Staat gerade 1919 von allen Seiten ausgesetzt ist, sind nicht zu verkennen. Aber entscheidend erweist sich letztlich, ob die 113 In Sachsen besteht der alte am 13.4. 1919 vom Sächsischen Gesamtministerium verhängte Belagerungszustand nach dem preußischen Belagerungszustandsgesetz fort.

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Stabilisierung der Reichsgewalt gelingt. Der Kapp-Putsch trifft Preußen nicht weniger als das Reich. Für die Niederlage im März ist der Dualismus Preußen-Reich nach Heine nicht ohne Bedeutung. Er beanstandet in seiner Denkschrift insbesondere, daß die Reichsregierung in den kritischen März-Tagen jede Zusammenarbeit mit der preußischen Regierung abgelehnt hat. Die Reichsregierung hat es vor allem versäumt, gemeinsam mit dem PrMdI die Verwendung der Sipo zu regeln. Formal ist die Sipo zwar seit Januar 1920 auf Grund des Belagerungszustandes dem Reich unterstellt; aber sie ist, wie Heine überzeugend darlegt, nicht ohne das PrMdI erfolgreich einzusetzen. Nach Heines "fester überzeugung" wäre mit einer richtig geführten Sipo und rechtzeitig mobilisierten Öffentlichkeit der Marsch auf Berlin zu verhindern gewesen. Obgleich die Reichsregierung schon seit dem 10. März abends durch die Unterredung des Generals von Lüttwitz mit dem Reichspräsidenten und dem Reichswehrminister um die Gefahr weiß, hat sie die preußische Regierung weder benachrichtigt noch mit ihr die Abwehrmöglichkeiten besprochen. Sie hat die preußische Regierung - nach Heine - bis zum Morgen des 13. März über die tatsächliche Lage im unklaren gelassen. Heines Bemühungen, sich in der Nacht vom 12. auf den 13. März in der Reichskanzlei Klarheit zu verschaffen, sind nach seinen Angaben vom Reichskanzler und vom Reichswehrminister in beleidigender Weise abgewiesen. Teilweise hätten er, der Kultusminister Haenisch und der Staatssekretär Göhre von Reichsseite nur unzutreffende Auskünfte erhalten. Hierzu schreibt Heine in der Denkschrift: "Daß ... den Mitgliedern der preußischen Regierung auch jetzt noch jede Nachricht über die dem Staate drohende Gefahr vorenthalten wurde, ist ein unbegreifliches Verhalten, das nur erklärt werden kann durch das Mißtrauen, ja die Feindschaft, die namentlich in der Reichskanzlei gegen Preußen herrschen und durch die Gewohnheit, Preußen wenn möglich nicht einmal anzuhören, sondern völlig auszuschalten." Die preußischen Minister sind nach dieser Darstellung nur noch von dem Beschluß des Reichskabinetts, von Berlin zu fliehen und dem Einmarsch der Brigade Ehrhardt keinen Widerstand entgegenzusetzen, in Kenntnis gesetzt. Heine teilt mit: "Ich habe noch versucht, die Reichsminister von dem verhängnisvollen Entschluß, ihren Posten zu verlassen, abzubringen, aber erfolglos. Ich muß auch sagen, daß nachdem der Beschluß einmal gefaßt war und die Vorbereitungen für seine Ausführung getroffen waren, eine Änderung der Entschließung schwierig gewesen wäre." An der Richtigkeit der von Heine mitgeteilten Fakten ist kaum zu zweifeln. Seine Denkschrift zeigt, daß der Dualismus Preußen-Reich im

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März 1920 einen Höhepunkt erreicht hat. Die Verantwortung dafür, daß der Gegensatz auf die Spitze getrieben ist, liegt in den Augen Heines bei der Reichsregierung. Ihr Verhalten im März 1920 und vorher Preußen gegenüber trägt aus seiner Sicht bei zur Niederlage der Reichsgewalt. Vom Standpunkt des Reichs aus wäre zu entgegnen, daß Preußen durch seine traditionsbestimmte Politik die Stärkung der Reichsgewalt verhindert und damit die feindliche Stimmung provoziert hat. Auf seiten der Reichsregierung richtet der RMdI Koch Ende März 1920 seine Kritik gegen das PrMdI. Er führt am 27. März im Demokratischen Club "die Ereignisse des 13. März auf das völlige Versagen des preußischen Ministeriums des Innern" zurücklu. Hirsch weist die Stellungnahme Kochs zurück und unterstützt Heine voll und ganz11$. Braun geht in seinen Erinnerungen nicht auf die Frage der Zusammenarbeit von preußischer und Reichsregierung ein. Im ganzen urteilt er nicht so scharf wie Heine und Hirsch über das Verhalten der Reichsregierung; aber auch er billigt die Aufgabe des Widerstandes gegen die Rebellen und die Flucht nichtlU. Die Kritik von preußischer Seite trifft sich in dem entscheidenden letzten Punkt mit der Haltung der Führung der Reichswehr. Noske und sein Stab treten in der entscheidenden Reichskabinettssitzung für die sofortige gewaltsame Niederschlagung der Meuterei ein. Noske vertritt auch später noch die Ansicht, "daß ein paar Maschinengewehre den ganzen Spuk verhindert hätten"U1. Reinhardt, damals Chef der Heeresleitung, berührt sicher ein wesentliches Moment der Situation am 13. März, wenn er später feststellt U8 : "Es mußte zunächst einmal geschossen werden. Der Staat mußte sich auf seine Exekutive verlassen können." Die gesamte Regierung Hirsch tritt angesichts ihrer gerade mit dem Kapp-Putsch auf der Linken gewachsenen Unpopularität am 26. März zurück. Der Rücktritt des PrMdI Heine ist wegen seiner Personalpolitik schon seit langem gefordert und in der Vereinbarung der Regierungsparteien und Gewerkschaften vom 19./20. März ausdrücklich festgesetzt. Er reicht sein Rücktrittsgesuch schon am 22. März ein. Anlaß ist für ihn die Einmischung der VPrLv-Fraktion in die Ämterumbesetzung; es geht besonders um das Berliner Polizeipräsidium. Daß sich gerade Heine für 114

Hirsch: Sozialdemokratie, S. 217.

11$

a. a. o.

UI

Braun:

Weimar, S. 88. Erklärung Noskes vor dem Reichsgericht am 11. 12. 1921. Zit. nach dem Vorwärts vom 11.12.1921, Nr. 584. 118 Erklärung Reinhardts vor dem Reichsgericht am 14. 12. 1921. Zit. nach dem Vorwärts Nr. 590 vom 15. 12. 1921. 117

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ein Vorgehen gegen die Rebellen eingesetzt hat, ist für die SPD ohne Gewicht. Am Schluß seiner Denkschrift bringt Heine noch einmal zusammenfassend seine Sicht des Verhältnisses Preußen-Reich und erörtert die Frage, wie in Zukunft ein besseres Verhältnis zwischen der preußischen Regierung und der des Reiches zu erreichen ist. Zunächst betrachtet er die verschiedenen Verfassungsreform-Möglichkeiten. Eine "verfassungsrechtliche Führerstellung Preußens im Sinne der alten Reichsverfassung" hält er "für die nächste Zeit ausgeschlossen". Er glaubt vor allem, daß Preußen durch die Beschränkung der Zahl seiner Reichsratsstimmen die Möglichkeit genommen ist, "einen seiner Bedeutung entsprechenden Einfluß im Reichsrat auszuüben". In der Kritik an dem Artikel 61 WRV stimmt er mit der Regierung Hirsch wie mit der Regierung Braun überein. Auch den Vorschlag, die Führung aller oder eines Teils der preußischen Ministerien auf die Reichsministerien in den verschiedenen Formen der Personal- oder Realunion zu übertragen, hält er für ungeeignet. Die Personalunion erscheint ihm in erster Linie deshalb nicht zu verwirklichen, weil die entsprechenden Persönlichkeiten fehlen. Auch der RMdI Koch, der sich sehr um die Verbindung seines Ressorts mit dem PrMdI bemüht, ist also in seinen Augen der Aufgabe, beide Ressorts zu führen, nicht gewachsen. Der Personalunion steht gleichfalls, wie er hervorhebt, das parlamentarische Prinzip entgegen. Für geeigneter hält er die Realunion, d. h. den "übergang preußischer Verwaltungsorgane auf das Reich, Ausgestaltung preußischer Verwaltung zu einer Reichsverwaltung" . Allerdings hätte das in der Praxis zur Folge, "daß nicht sowohl die preußische Verwaltung Reichssache, als die Reichsverwaltung preußische werden würde". Daraus könnte "neuer Argwohn und Widerstand in Süddeutschland hervorgehen", und auch sonst würden Nachteile erwachsen. Heine betrachtet also "Verfassungsexperimente" für wenig erfolgversprechend; verbessern ließe sich das Verhältnis Preußen-Reich, wenn man begänne, es mit einem neuen Geiste des Vertrauens zu erfüllen. Voraussetzung wäre die Einsicht in die Aufgabe und Pflicht Preußens, wie er sie sieht. Für die Aufgabe und die Pflicht Preußens spielen vor allem die "Tatsache seiner ... großen einheitlichen wohlgefügten Verwaltung" und seine wirtschaftliche Stellung eine Rolle. Es ist einzusehen: Eine Reichseinheit kann "nur geschaffen werden ... durch Fortbildung, nicht durch Schwächung der schon vorhandenen Anfänge zu einem Einheitskörper, besonders des preußischen Staates, der 3/5 des Reiches bereits umfaßt". Heine erinnert daran, "daß Preußen auch in seiner überlieferung und Geschichte der stärkste Träger der Einheitsidee gewesen ist. Auch gegenwärtig hat Preußen noch am ehesten von

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allen Bundesstaaten die Aufgabe, das Reich zusammenzuhalten und eine einheitliche politische Praxis nach außen und innen herbeizuführen zu helfen und dem Reiche dafür seine Kräfte zur Verfügung zu stellen". Heine wünscht also für die zukünftige politische Praxis, daß die Reichsregierung ihre "Verstimmung gegenüber Preußen" und ihre "Vorurteile" abbaut und aus der überragenden Größe des preußischen Staates die Konsequenz zieht, die preußische Regierung in Zukunft wieder entscheidend zu berücksichtigen. Gerade des Fehlen einer engen Zusammenarbeit der Reichs- und preußischen Regierung bemängelt er ja. Die Reichsregierung soll die preußischen Ministerien funktionell wieder als Reichsministerien akzeptieren. Für die Mehrzahl der preußischen Ministerien bedeutet das - angesichts ihres Verwaltungsrückhaltes -, daß sie die entscheidenden Reichsministerien werden. Nachdem die "verfassungsrechtZiche FührersteIlung Preußens im Sinne der alten Reichsverfassung ... für die nächste Zeit ausgeschlossen" ist und der preußische Einfluß im Reichsrat im Augenblick noch stark beschnitten erscheint, soll Preußen funktionell wieder die Hegemonie erhalten. Die hegemoniale Verantwortung soll vorläufig weiterhin beim Reich in seiner alten Konstruktion verbleiben. Aber gerade die preußische "Hegemonie ohne die hegemoniale Verantwortung" (Huber) wollte Preuß ja verhindern. Daß sich das Verhältnis einzelner preußischer Ministerien zum Reich nach 1920 allerdings mehr im Sinne von Heine als von Preuß gestaltet, wird die Betrachtung der Folgezeit zeigen.

2. Das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe Das Handelsministerium wird von Fischbeck (DDP) bis November 1921 geführt. Erst nachdem die wichtigsten wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen gefallen sind, tritt im zweiten Kabinett Braun an seine Stelle der Sozialdemokrat Siering. Brauns Charakteristik von Fischbeck ist nicht ganz unzutreffend 119 : "Wirtschaftlich stark manchesterlich, politisch lau-demokratisch eingestellt, hemmte er alle Reformen und Maßnahmen, bei denen er sozialistisches Gedankengut witterte." Die Amtsführung Fischbecks weicht allerdings 1919 - unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens der preußischen Regierung gegenüber der Wirtschafts- und Sozialpolitik des Reiches - kaum von der seiner Ministerkollegen ab. Handelsminister Fischbeck steht, wie es bei ihm nicht anders zu erwarten ist, Betriebsräten ablehnend gegenüber. Aber noch entschiedener wendet sich der PrMdI Heine gegen die Ausdehnung der Rechte der Arbeiter- und Angestelltenausschüsse als Betriebsräte in dem Entm Braun: Weimar, S. 99.

V. Die preußischen Ressorts (Handelsministerium)

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wurf eines Betriebsrätegesetzes l2O, der dem Staaten ausschuß am 7. August zugeht; Anlaß der Kritik scheint bei ihm vor allem die Möglichkeit zu sein, daß die Beamtenvertretungen in den Verwaltungen ähnliche Rechte beanspruchen könnten. Wie der Handelsminister ist auch der Innenminister mit seiner Kritik und mit seiner Forderung nach der Aufstellung eines preußischen Gegenentwurfs selbstverständlich erfolglos; aber seine Haltung ist bezeichnend. Die preußischen Minister beugen sich dem Reichskabinett, und schon am 16. August verabschiedet der Staatenausschuß den Gesetzentwurf; er bringt dann allerdings sechs Monate in der VNV zu. - Die sozial- und wirtschaftspolitischen Gesetzesvorhaben erfreuen sich nicht der besonderen Unterstützung der preußischen Minister, aber sie stoßen doch auch nie auf eine nachdrückliche Opposition. Die preußischen Ressorts sind in der Regel bei den Entscheidungen auf dem Wirtschafts- und Sozial sektor beteiligt - selbstverständlich nach ihrer Ansicht viel zu wenig, aber im allgemeinen immerhin mehr als jedes andere Land. Dabei beschränken sie sich im Endeffekt darauf, ihr spezielles Staats- und Verwaltungsinteresse zur Geltung zu bringen, ohne etwa das Gewicht des preußischen Staates im Sinne weitreichender eigener sachlicher Forderungen in die Waagschale zu werfen. Bei der Auseinandersetzung um die Kanalisierung der ungeheuren Unruhe der Arbeiterschaft, die sich vor allem im ersten Halbjahr 1919 in Massenstreiks Luft macht, hat die gesamte preußische Regierung bezeichnenderweise nichts als verschärfte staatliche Repressivmaßnahmen anzubieten. Zu einem eigenen Gesetzentwurf konkretisiert sie das allerdings nicht. Bei der Entscheidung der 1918/1919 zentralen Frage, ob die Kriegszwangswirtschaft in der Form der von Rathenau, Wissell und Möllendorff verfochtenen Gemeinwirtschaft oder der sozialisierten Wirtschaft weiterzuführen ist, oder ob die freie Marktwirtschaftl2l wieder einzuführen ist, spielt die preußische Regierung keine gewichtige Rolle. Das Reich-Länder-Verhältnis steht bei dieser Auseinandersetzung nicht im Vordergrund; aber es ist auch nicht belanglos. Auf jeden Fall geht es bei den wirtschafts demokratischen Programmen um die weitgehende Ausschaltung der Länder aus der Wirtschaft zugunsten einer dauernden Lenkung der Wirtschaft durch das Reich und einer mehr oder minder großen Mitbestimmung der Wirtschaftsgruppen. Die preußische Regierung insgesamt bezieht zu diesem Fragenkomplex keine Stellung. Dagegen sprechen sich einzelne preußische Minister für die traditionelle Wirtschaftsform aus. Handelsminister Fischbeck führt im Januar 1919 120 Schreiben des PrMdI Heine an das Staatsm. v. 11. 8. 1919. DZA Merseburg, Rep. 120 BB VII 1 Nr. 9 Adhib. 5 Bd. 1. m Vgl. Schieck, Hans: Der Kampf um die deutsche Wirtschaftspolitik nach dem Novemberumsturz 1918, Diss. phil. Masch. Heidelberg 1958.

11 Eimers

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gegen die Sozialisierung die Befürchtung ins Feld, die Entente könnte die Staatsbetriebe übernehmen122, und der PrFM Südekum (SPD) wendet sich unverblümt dagegen, daß Preußen dabei Bodenschätze an das Reich abzugeben habe 123 • Die preußische Regierung ist als einzige Länderregierung durch einen Vertreter des Handelsministeriums in der Sozialisierungskommission vertreten. Aber genausowenig wie sie bei der Entscheidung der Kommission zugunsten einer sofortigen übernahme der mineralischen Bodenschätze und der Bergwerksbetriebe auf das Reich eine Rolle spielt, ist sie auch für die Ablehnung des Antrages der Sozialisierungskommission durch die Reichsregierung verantwortlich. Preußische Minister stellen sich gegen die Gemeinwirtschaft. Der Handelsminister nimmt ausdrücklich vor der VPrLv dagegen Stellung m . Der PrMdöA Oeser (DDP) und der PrFM Südekum bekämpfen wie die außerpreußischen Länderregierungen die weitgehende Reservierung der Anfang 1919 immer noch be;chtlichen Gold- und Devisenvorräte des Reiches für die Rohstoffeinfuhr und wünschen sie für Lebensmittel auszugeben125 • Aber wichtiger noch als die Oppositionsstimmen aus den Ländern gegen die Gemeinwirtschaftspolitik sind das Sturmlaufen des Handels und insbesondere der Importeure dagegen1Z6, die Entscheidungen in den VNV-Fraktionen und im Reichskabinett im Sinne der liberalen Opponenten und schließlich die Einwirkungen der Alliierten - vor allem durch das "Loch im Westen". Mit dem Rücktritt Wissells Mitte Juli 1919 kommt die Reichswirlschaftspolitik nach den späteren Worten des revisionistischen Gewerkschaftlers Bauer, des damaligen Reichsministerpräsidenten 127, "erst aus den doktrinären Erörterungen zu praktischer Arbeit", und von da ab beginne erst "eine fruchtbringende und praktische Arbeit für den Wiederaufbau unseres daniederliegenden Wirtschaftslebens"; dagegen beginnt nach dem Urteil Wissells eine erfolglose "Gelegenheitsmacherei' a Nr. 1 Bd. 13.

V. Die preußischen Ressorts (Landwirtschaftsministerium)

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mung der Reichsregierung, so daß Winnig auch als Reichskommissar keine Abweichung mehr gestattet ist. Der Staatskommissar und REM verweist darauf, "daß die wirtschaftliche Sonderstellung der Provinz Ostpreußen für das übrige Reichsgebiet Folgen haben würde, die in ihrer Auswirkung zu schwersten Erschütterungen des Gesamtbestandes des Deutschen Reichs in naher Zukunft, zum sofortigen Zusammenbruch unserer ganzen Ernährungswirtschaft in wenigen Wochen führen würde" . Änderungen der Ernährungswirtschaft in Ostpreußen würden sofort gleiche Wünsche in Reichsteilen mit ähnlichen Verhältnissen - in Schlesien und Schleswig-Holstein für ihre Abstimmungsgebiete - hervorrufen. Die Wünsche der übrigen Reichsgebiete würden nicht ausbleiben. Von Pommern, Schlesien und Brandenburg seien schon Forderungen nach einer gleichen Sonderstellung, wie sie Ostpreußen in Anspruch nimmt, laut geworden. Ein übergreifen dieser Bewegung auf die Rheinprovinz sei nicht zu vermeiden. Im übrigen bezweifelt Schmidt, ob "die gewünschte Sonderstellung die Hoffnungen Ostpreußens überhaupt verwirklichen wird". Er bittet Winnig dringend, in Ostpreußen "die Gründe der Ablehnung den maßgebenden Stellen derart darzulegen, daß diese die Berechtigung der Gründe anerkennen. Ich muß Sie also bitten, die Politik der Regierung auch auf dem Gebiet der Ernährungswirtschaft nunmehr künftig zu Ihrer eigenen zu machen und alles daranzusetzen, daß diese Politik in Ostpreußen, wenn nicht anerkannt, so doch befolgt wird. Das gilt vor allem für sämtliche Behörden. Ich mache es Euerer Hochwohlgeboren zur unbedingten Pflicht, rücksichtslos dort durchzugreifen, wo bei irgendeiner Behörde oder auch bei irgendeinem Beamten ein Widerstand zu überwinden ist. ... Das Reichsernährungsministerium und auch der Preußische Staatskommissar für Volksernährung haben seit langer Zeit schwerstens zu kämpfen gehabt, um dem Eigenwillen, der Lieferungsunlust, dem offenen Widerstand der ostpreußischen Landwirte nicht nur, sondern auch der Behörden entgegenzutreten." Trotz aller Anstrengungen der Reichszentrale funktioniert die Ernährungszwangswirtschaft weiterhin nur mangelhaft. Im Januar 1920 konzediert der Staatskommissar schon die Senkung des Getreideablieferungssolls Ostpreußens von 21/2 Millionen Doppelzentnern auf 11 /2 Millionen 205 • Der Getreidemangel zwingt das RWiM im Februar 1920 dazu, die Brotration im ganzen Reich auf die Hälfte herabzusetzen. Die Abstimmungsgebiete nehmen dies zwar widerspruchslos hin; aber der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen verlangt beim Staatskommissar nicht nur für sein Abstimmungsgebiet, sondern für ganz Ostpreußen die Beibehaltung der alten Brotration. Natürlich ist das Ansinnen erfolglos. 205 Angabe auf Grund der Denkschrift Winnigs vom 4. 3. 1920. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 521.

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Keine Provinz versagt so sehr bei der Ablieferung von Brotgetreide wie Ostpreußen. Das ungewöhnlich scharf formulierte Schreiben des Staatskommissars vom 19. Februar an die Oberpräsidenten208 gilt vor allem Winnig. Der Ernährungskommissar betont, er habe "nicht den Eindruck gewonnen, daß seitens der Herren Oberpräsidenten alles geschehen ist, um der schweren, der Volksernährung drohenden Gefahr vorzubeugen .... Es bedarf der positiven Einwirkung und des rücksichtslosen Durchgreifens jedem einzelnen Kommunalverband gegenüber, in welchem die Ablieferung des Brotgetreides nicht in der erforderlichen Höhe bisher erfolgt." Er droht: " ... ich werde nunmehr jeden Landrat zur Verantwortung ziehen, der trotzdem nicht mit aller Energie sich für die sofortige Anlieferung des Getreides einsetzt. ... Die bisher eingegangenen Berichte lassen erkennen, daß die Gründe für die schlechte Anlieferung des Brotgetreides sehr oft insbesondere darin zu suchen sind, daß die Landwirtschaft verhetzt und aufgewiegelt, durch geringe Ablieferung die Getreidewirtschaft, und damit die ganze Zwangswirtschaft, zu Fall bringen will." Er fordert, gegen die Hetzer wegen Aufforderung zum Widerstand gegen die Gesetze auf Grund der §§ 110 und 111 StGB durch Anzeige bei der Staatsanwaltschaft einzuschreiten. Er weist darauf hin, daß einzelne Kreise derselben Provinz ungeheuer in der Erfüllung ihrer Ablieferungsschuldigkeit differieren; einige Kreise liefern nur 14 Ofo, 15 Ofo und andere Kreise 50 Ofo. Er sieht darin "ein untrügliches Zeichen mangelhafter Organisation und böswilligen Verhaltens. Ich ersuche deshalb, sofort das gesamte Ablieferungsgeschäft in der ihnen unterstellten Provinz durch Vermittlung der Regierungspräsidenten nunmehr derart in die Hand nehmen, daß Ihnen allwöchentlich durch die Hand des Regierungspräsidenten von jedem Kommunalverband berichtet wird, welche Mengen an Roggen, Weizen und Gerste in der verflossenen Woche zur Ablieferung gelangt sind, ... Ich ersuche dabei die Kontrolle derart einzurichten, daß sich für Sie stets das genaue Bild über die prozentuale Leistung jedes einzelnen Kreises ergibt. Wenn ein Lieferkreis versagt, so ersuche ich, dortseits ohne Zaudern einzugreifen, gegebenenfalls die Reichsgetreidestelle wegen Gestellung von Druschkommandos zu benachrichtigen, und wenn die Schuld an dem Versagen des Lieferkreises liegt, diesen unter Angabe des Sachverhalts namhaft zu machen. Die Ablösung des Landrats wird von mir dann ohne weiteres veranlaßt werden." Die Gesamtsituation schildert er als äußerst bedrohlich: "Die Gesamtablieferungen an die Reichsgetreidestelle bleiben in diesem Jahr um mehr als die Hälfte hinter dem Vorjahre zurück." Er sieht vor allem die Brotversorgung der Großstädte gefährdet. 208 Schreiben des Staatskommissars für Volksernährung vom 19.2.1920 an die Oberpräsidenten. ALGö, Oberpräsidium Königsberg, Rep. 2 Nr. 3881.

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Die ostpreußische Getreidelieferung erhöht sich bis Mitte März nur unwesentlich, obwohlOstpreußen - nach Angaben des RWiM 207 mehr Druschkohlen erhält als ihm zustehen. In der Zeit vom 18. Februar bis zum 10. März liefern Schlesien, Pommern und Brandenburg - wie das RWiM an Hand von Zahlen belegt20B - das Doppelte und Dreifache ab. Auf die im Schreiben vom 19. Februar verfügten wöchentlichen Nachweisungen, die ohnehin nicht pünktlich zu erstellen sind, verzichtet der Staatskommissar im Mai. Anlaß zur Kritik von seiten des RWiM ist neben der ungenügenden Getreideablieferung, daß Winnig nach dem Vorbild anderer Provinzen eigenmächtig die Preisbindung durchbricht. Er verfügt 1920 ohne Genehmigung die Erhöhung des Kartoffelpreises. Das ist Mitte März zurückzunehmen 20o • Dem Schreiben des Staatskommissars vom 16. 8. 1919 nach sind die Ausfuhrverbote vom 30. Juli und 6. August selbstverständlich unzulässig. Nichtsdestoweniger behält Winnig sie bei und verteidigt sie hartnäckig. Zeitweilig bezieht er noch zusätzlich Produkte in die Ausfuhrbeschränkung mit ein. Ausnahmen von der Ausfuhrbeschränkung gestattet er nur, soweit der Provinzbedarf gedeckt ist und soweit Kompensationsobjekte wie Brennmaterialien geliefert werden; darüber hinaus verlangt er noch gelegentlich, daß ein bestimmter Prozentsatz der Ausfuhrgüter für die ärmere Bevölkerung zu einem ermäßigten Preis zur Verfügung gestellt wird. Im Dezember bestehen noch die Ausfuhrverbote für Hafer, Hülsenfrüchte und Fische. Am 27. Dezember verfügt der Staatskommissar schließlich, daß auch sie bis zum 15. Februar aufzuheben sind. Winnig gibt jedoch den Kampf um ihre Aufrechterhaltung nicht auf. Er sucht wiederum, wie seinerzeit bei seinem Antrag auf Abbau der Zwangswirtschaft, die preußische Regierung gegen Staatskommissar und RWiM zu mobilisieren. Zunächst am 8. Januar wendet er sich an den PrMdI Heine 21O , und am 11. Januar ersucht er das Staatsministerium!1l, bei der Reichsregierung dafür einzutreten, daß er die Befugnis erhält, "Ausfuhrverbote für jede Ware zu erlassen". Für diese Maximalforderung führt er ins Feld: über die nur wenig überwachte Grenze strömten in das nichtdeutsche Gebiet unentbehrliche Nahrungsmittel und Rohstoffe. Seiner Meinung nach sollte das RWiM "endlich t07 Niederschrift der Besprechungen am 12. 3. 1920 im RWiM zu Fragen der Zwangswirtschaft, Ein- und Ausfuhr usw. ALGö, Oberpräsidium Königsberg, Rep. 2 Nr. 3783 Bd. 1. 20B

a. a.

209

a. a.

O. O.

210 Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen an den PrMdI vom 8. 1. 1920. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 521. t11 Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen vom 11. 1. 1920 an das Preußische Staatsministerium. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 521.

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den Gedanken fallenlassen, als richtete sich die bisher auf diesem Gebiet getroffenen Maßnahmen gegen das Reich, und als verfolgten sie dem Reiche abträgliche ostpreußische Sonderinteressen. Das ist bei keinem der bisher erlassenen Ausfuhrverbote der Fall gewesen. Den größten Anstoß hat das von mir als Reichs- und Staatskommissar erlassene Ausfuhrverbot für Frischfische erregt. Der Staatskommissar für Volksernährung hat mich jetzt angewiesen, dies Ausfuhrverbot aufzuheben." Er bittet das Staatsministerium, die Aufhebung der Anordnung des Ernährungskommissars zu erwirken. Er weist schließlich darauf hin, daß Ausfuhrverbote die Preise in Ostpreußen niedrighalten. Das sei notwendig, weil die ostpreußische Bevölkerung im Durchschnitt ärmer sei als die des Reiches. Die Löhne der Stadtbevölkerung lägen 15 bis 30 0/0 niedriger als im übrigen Deutschland. Am 13. Januar faßt der Oberpräsident sein Anliegen noch einmal gegenüber dem PrMdI zusammen 212 • Sein Hauptgesichtspunkt ist hier, wie bei seiner Juli-Denkschrift, daß die besondere Lage Ostpreußens, vor allem die Abtrennung vom Reich durch den Friedensvertrag, in wirtschaftlicher Hinsicht besondere Maßnahmen erfordere. Allen Bemühungen zum Trotz muß Winnig auf das Ausfuhrverbot für Hafer und Hülsenfrüchte verzichten. Der Ernährungskommissar gestattet ihm nur am 5. 2. 1920 die Fortdauer des Fischausfuhrverbotes; die Bedingung ist, daß Ostpreußen monatlich ein bestimmtes Quantum an Fischen für das Reich liefert. - Im übrigen ist als eine Unterstützung Winnigs zu werten, daß Südekum und Braun sich für die Aufhebung des Staatskommissariats für Ernährung einsetzen. Die gesamte Politik Winnigs ist auf die Sonderstellung Ostpreußens ausgerichtet, die seiner besonderen Lage und den starken Autonomiebestrebungen entspricht. Das drückt sich wie in seiner Abänderung der Kriegszwangswirtschaft, die in Ostpreußen in erster Linie als Ernährungszwangswirtschaft weiterbesteht, in seinem Bestreben aus, einen Wirtschaftsbeirat beim Oberpräsidium zu errichten213 , und in der Forderung der Bestellung eines Vertreters des Oberpräsidenten für die ostpreußischen Interessen bei den Reichs- und preußischen Ministerien 2u • Die bisher angemeldeten Forderungen und neue faßt er zusammen in seiner Denkschrift vom 4. März 2l5 • Er verlangt - als Maximalprom Schreiben des Oberpräsidenten vom 13. 1. 1920 an den PrMdI. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 521. !13 Vgl. Anm. 148. m Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen vom 24. 1. 1920 an das Preußische Staatsministerium. ALGö, Oberpräsidium Königsberg, Rep. 2 Nr. 1580. 215 Denkschrift Winnigs vom 4.3. 1920 betr. die besondere Wirtschaftsgestaltung der Provinz Ostpreußen nach Abschnürung infolge des Friedensvertrages. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 521.

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gramm - für den Oberpräsidenten im Wege eines Reichsgesetzes, eines entsprechenden Landesgesetzes und der Verwaltungsanordnung die Stellung eines Reichskommissars, dem neben einer Berliner Vertretung und einem Wirtschaftsbeirat sämtliche ostpreußischen Reichs- und Staatsbehörden mit wirtschaftlichen und polizeilichen Befugnissen zu unterstellen sind. Sein Ziel ist eine eigene und einheitliche ostpreußische Politik, vor allem einer Sonderwirtschaft. Die Reichsregierung ist seit langem bemüht, die Autonomiebestrebungen im Sinne ihrer Reichsreformvorstellungen politisch und in beschränktem Grade auch wirtschaftspolitisch auszuwerten; z. B. kommt der Plan, Bezirkswirtschaftsräte zu errichten, der Autonomiebewegung entgegen. Diese Dezentralisationsbestrebungen der Reichsregierung richten sich direkt gegen den preußischen Staat in seiner überkommenen Form. Demgegenüber drängt die preußische Regierung darauf, die Autonomiebestrebungen soweit wie möglich durch wirtschaftliche Konzessionen zu neutralisieren - z. B. bei der Kriegszwangswirtschaft; diese gehen dann zu Lasten des Einflusses der Reichszentrale. Der Reichsregierung ist der ostpreußische Druck höchst lästig und Winnig wenig vertrauenswürdig, aber sie ist auf der Ostpreußenkonferenz vom 9. bis 12. März 216 durchaus bereit, im Sinne ihrer Reformvorstellungen entgegenzukommen. Dagegen wird die Behandlung der spezifisch wirtschaftlichen Sonderwünsche Winnigs, also seiner Forderungen zur Zwangswirtschaft, zur Ein- und Ausfuhr, zur Holzversorgung und wegen der ostpreußischen Reichswirtschaftsbehörden, sofort bei Konferenzbeginn zugunsten von Spezialverhandlungen mit dem RWiM ausgeklammert. Schmidt lehnt während der Gespräche schon am 9. März alle Konzessionen ab und bekräftigt das in den Besprechungen mit den Ostpreußenvertretern am 12. März 217 • Der stärkeren Erweiterung der 216 Niederschrift über die Verhandlungen der Ostpreußenkonferenz im PrMdI vom 9. bis 11. 3. 1920. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 108/2. Notizen aus der Sitzung der preußischen Regierung mit dem Reichskabinett über Ostpreußen am 10.3. 1920 von Ministerialrat Schellen aus dem PrMdI. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 108/2. - Telegramm des Regierungsrats Agricola an das Oberpräsidium Königsberg vom 11.3.1920; ALGö, Oberpräsidium Königsberg, Rep. 2 Nr. 1580. - Danach ist für Ostpreußen vorgesehen: eine Ostpreußenstelle beim PrMdI, eine Vertretung des Oberpräsidenten bei den Reichs- und preußischen Ministerien, die Berufung je eines ostpreußischen Arbeitgebers und Arbeitnehmers in den Wirtschaftsrat beim Reichswirtschaftsministerium, die baldige Berufung eines Bezirkswirtschaftsrats in Ostpreußen und der Erlaß eines Ermächtigungsgesetzes für die Reichsregierung zur selbständigen Abänderung von Gesetzen in gefährdeten Gebieten. Die engere Zusammenarbeit der verschiedenen ostpreußischen Stellen und erweiterte Befugnisse für den Oberpräsidenten im Verwaltungswege sind in Aussicht gestellt. Selbst die. Neukonstituierung des Reichskommissariats ist nicht grundsätzlich abgelehnt, wie die Verhandlungen nach dem Kapp-Putsch zeigen. 211 Niederschrift der Besprechungen vom 12. 3. 1920 im Reichswirtschaftsministerium zu Fragen der Zwangswirtschaft, Ein- und Ausfuhr usw. ALGö, Oberpräsidium Königsberg, Rep. 2 Nr. 3783 Bd. 1.

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Selbständigkeit Ostpreußens auf anderen Gebieten entsprechend der Tendenz der 1. Ostpreußenkonferenz entzieht der Kapp-Putsch wohl vor allem die Grundlage. Ein wirtschaftliches Entgegenkommen zum Ausgleich der Insellage Ostpreußens, das weiterhin seinen Hauptbefürworter in Braun hat 218 , ist jedoch nicht zu umgehen.

4. Das Preußische Ministerium der öffentlichen Arbeiten Der PrMdöA nimmt wie der Kriegsminister eine Zwitterstellung ein, wenn er auch nicht ausdrücklich dem Reichskabinett angehört und das Schwergewicht seiner Tätigkeit im Gegensatz zum Kriegsminister immer noch in Preußen ruht. Neben dem PrMdöA besteht für die Reichsaufgaben auf dem Verkehrssektor das dem Reichskanzler unterstellte Reichseisenbahnamt. Es vermag seine Befugnisse nach dem Umsturz zu vermehren. Das Staatsministerium beschließt am 31. 1. 1919 210 , der Reichsregierung bis zur übernahme der Eisenbahnen schon ein verstärktes Aufsichts- und Kontrollrecht einzuräumen. Konkurrenzbehörde auf seiten des Reichs ist neben dem Reichseisenbahnamt weiterhin der Chef des Feldeisenbahnwesens, der auf den Betrieb der Eisenbahnen und im Schiffahrtswesen Einfluß ausübt. Auseinandersetzungen zwischen dem PrMdöA und dem Reichsministerium gibt es sehr bald wegen der übergabe der Staatseisenbahnen an das Reich220 • Hoff setzt sich im Reichskabinett dafür ein, daß sich der übergang in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren vollzieht, während das Reichsministerium die sofortige Errichtung der Reichseisenbahnverwaltung wünscht. Er tritt im März zurück, und an seiner Statt übernimmt am 27.3.1919 Oeser (DDP) das PrMdöA, der den von dem Reichsministerium vertretenen früheren übergabetermin, den 1. 4. 1921, unterstützt2!1. Gegenstand zahlreicher gemeinsamer Erörterungen von Reichs- und preußischen Behörden sind 1919 die Arbeitsverhältnisse der Eisenbahnbediensteten, insbesondere die Lohnfragen. Angesichts der defizitären Lage der Eisenbahnen gestaltet es sich zusehends schwieriger, Streiks abzuwenden. Schon Hoff verfällt auf den Ausweg, zu versuchen, die Eisenbahner anstatt durch Lohnerhöhungen und Sonderzulagen durch eine bessere Ernährung zufriedenzustellen. Das bedeutet u. a. den "Vorteil", daß der PrFM Südekum keine Zuschüsse mehr aus seinen StaatsVgl. Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 284 f. Preuß. Staatsm.-Prot. v. 31. 1. 1919, DZA Merseburg. 220 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 12.3.1919, 7.4.1919, DZA Merseburg. Vgl. Lassar: Reichsverwaltung, S. 179. 221 Zur Entwicklung der Verkehrsverwaltung nach dem Kriege s. Lassar: Reichsverwaltung, S. 174 ff. 218

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V. Die preußischen Ressorts (Arbeitsministerium)

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geldern zu leisten hat, sondern daß der Reichsetat belastet wird. Oeser setzt sich im Sinne von Hoff für stärkere Lebensmittelimporte ein. Diesem Vorschlag stellen sich RFM und Reichsbank entgegen, um die Valuta nicht noch mehr zu gefährden. Das RWiM ist der Ansicht, daß mit den Reichsbankreserven in erster Linie Rohstoffe nach Deutschland hereingeschafft werden müssen; die Regelung der Einfuhr ist von prinzipieller Bedeutung innerhalb der Gemeinwirtschaftspolitik. Das REM verschließt sich zumindest den Argumenten der Reichsbank nicht ganz. Alle Bemühungen des PrMdöA Oeser, seine Denkschrift vom April in dieser Frage2!2 und die Unterstützung der Forderung durch die preußische Regierung, vor allem durch den PrFM, sind zunächst erfolglos. Im April/Mai sind vom PrMdöA Lohnforderungen der Eisenbahner, die für Preußen auf 2 Milliarden Mark hinauslaufen, und die Drohung, für den Fall der Ablehnung im Mai in einen allgemeinen Ausstand zu treten, abzuwenden!!3. 222 Die Denkschrift lag mir nicht vor, aber Oeser resümiert ihren Inhalt in der Sitzung der Reichs- und preußischen Ressorts zusammen mit Vertretern der württembergischen und sächsischen Zentralbehörden im Reichsernährungsministerium am 5. Mai über die Lohnforderungen der Eisenbahner. DZA Merseburg, Rep. 90 a Y IX 5 a Nr. 1 Bd. 13. 223 Bei der aus Anlaß der Lohnforderungen und der Streik drohung der Eisenbahner am 5. Mai stattfindenden Besprechung (s. Anm. Nr. 222) treten die gegensätzlichen Standpunkte von Reichs- und preußischen Behörden schroff zutage. Oeser greift die Ein- und Ausfuhrpolitik des Reichs an. Er äußert u. a.: "Bei der Arbeiterschaft herrscht Empörung darüber, daß hier und da große Mengen Lebensmittel nicht eingeführt werden konnten, weil die zuständigen Reichsbehörden die Einfuhr verhinderten." Nach der Meinung des Sprechers des REM Prof. Dr. Hirsch hat die preußische Regierung standzuhalten gegenüber den Lohnforderungen. Das REM sieht als einziges Mittel zur Erreichung des Preisabbaus eine verschärfte Lohn- und Preisregulierung zusammen mit einer schärferen Lebensmittelerfassung und einer strengeren Bekämpfung des Schleichhandels. "Grundbedingung stärkerer Einfuhr bleibt aber stärkere Ausfuhr, und diese wird nicht möglich sein, wenn nicht mehr gearbeitet wird." Daraufhin fordert der PrFM Südekum, der sich bei den preußischen Finanzen äußerst knauserig zeigt, ohne Rücksicht auf Valuta und Reichsbank um jeden Preis zu importieren, um die Lahmlegung des Eisenbahnverkehrs zu verhindern. "Ich frage daher: Ist das Reichsernährungsministerium in der Lage, Garantien dafür zu geben, daß mehr Lebensmittel eingeführt werden. Kann ich diese Garantie nicht erhalten, so sieht sich das Preußische Staatsministerium zu seinem Bedauern genötigt, sich auf eigene Faust einen Weg zu schaffen, um die preußische und damit die deutsche Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren." - Dieser Art Drohungen hört der REM Robert Schmidt von anderer Seite ohnehin schon lange. Er wendet sich nur gegen einen ungeregelten Einkauf aus dem Ausland und lehnt es im übrigen ab, die Valuta um der Ernährung willen zu gefährden. Braun setzt sich dem REM gegenüber schließlich noch für den Abbau der Zwangswirtschaftein. Einen direkten Erfolg können die preußischen Minister bei dieser Konferenz nicht verbuchen. Bei den darauffolgenden Verhandlungen des PrMdöA Oeser und des PrFM Südekum mit den Eisenbahnervertretern im PrMdöA am 6. und 7. Mai (s. die Frankfurter Zeitung vom 8. 5. 1919, Nr.337) lehnen sie Lohnerhöhungen wie bisher konsequent ab. Aber sie versprechen - trotz aller

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Nach weiteren Lebensmittel-Preiserhöhungen, neuen Lohnforderungen der Eisenbahner und Eisenbahnerstreiks setzt sich Oeser bei seinen Verhandlungen mit den Reichsbehörden schließlich teilweise durch, wobei die Schwächung der Stellung WisseIls sicher nicht ohne Bedeutung ist. Oeser erreicht Ende Juni die Vereinbarung der Reichs- und Staatsressorts, durch gemeinsame Subventionen von Reich, Staat und Gemeinden die Auslandslebensmittel, die im Rahmen der Rationen ausgegeben werden, erheblich zu verbilligen - und zwar nicht nur für die Eisenbahnarbeiter. Das Reichskabinett stimmt am 28. Juni zu und schon am 7. Juli werden die verbilligten Lebensmittel ausgegeben. Mit der Verbilligungs-Aktion sind die Eisenbahner für kurze Zeit zufriedengestellt224 • Noch im Juli sieht sich der Eisenbahnminister neuen Lohnforderungen gegenüber. Diesmal stützt ihn die VPrLv dagegen. Die finanzielle Belastung der Länder durch die Eisenbahnen und die Verkehrsschwierigkeiten treiben die in der Reichsverfassung vorgesehene Zentralisation des Verkehrswesens zugunsten des Reiches voran. Bei den Transportschwierigkeiten im Herbst 1919, bei denen sich vor allem Süddeutschland wegen der schlechten Kohlenzufuhr beschwert, ist gerade die Geschäftsführung des PrMdöA Angriffsziel der Kritik. Der Reichskommissar für die Kohlenverteilung im RWiM lastet die mangelhafte Kohlenbelieferung vor allem einer unzureichenden Wagenstellung durch die preußische Eisenbahnverwaltung an. Demgegenüber betont der PrMdöA, daß aus Kohlenmangel bei den Eisenbahnen nicht mehr Transportmittel zur Verfügung gestellt werden könnten und droht aus diesem Grunde noch zusätzlich mit Betriebsstockungen bei den preußisch-hessischen Staatseisenbahnen. Der Reichsund Staatskommissar für Schlesien Otto Hörsing unterstützt die Argumentation des Reichskohlenkommissars dem Reichs- und Staatsministerium gegenüber in einem Schreiben vom 8. Oktober225 • Er weist darauf hin, daß die Kohlenförderung in Oberschlesien zunimmt, aber die Abfuhr von Kohlen ungenügend ist. " ... nach meinem Dafürhalten (ich bitte meine Offenheit zu entschuldigen) mangelt es im Eisenbahnministerium an einem organisatorischen Kopf, der technisch den ganzen Eisenbahnbetrieb erfaßt und richtig einzuteilen versteht". Seiner Meinung nach wäre ausgerechnet General Groener als Unterstaatssekretär in das PrMdöA zu entsenden, der sich schon von seiner TätigMißerfolge - die Notlage der Eisenbahner durch andere Mittel zu mindern, insbesondere durch den Abbau der Preise. Es wird beschlossen, eine Kommission aus Vertretern der Eisenbahner zur Erarbeitung positiver Vorschläge einzusetzen. Dafür verzichten die Verbände auf den Streik. 224 Vgl. VNV-Dr. Nr. 851 vom 13. 9.1919. 225 Schreiben des Reichs- und Staatskommissars für Schlesien vom 8. 10. 1919. DZA Merseburg, Rep. 90 a Y IX 5 a Nr. 6 Bd. 1.

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keit als Chef des Feldeisenbahnwesens und an der Spitze des Kriegsamtes her im PrMdöA nur geringer Beliebtheit erfreut. Um aus der Sackgasse herauszukommen, verlangen RWiM und Reichskabinett seit längerem vom PrMdöA eine Beschränkung des Personenverkehrs zugunsten des Güterverkehrs. Das PrMdöA weist das zunächst als Einmischung in seine Angelegenheiten zurück, verfügt aber am 11. Oktober eine erste Einschränkung. Ende Oktober regt Bayern die Einstellung des gesamten Personenverkehrs an, um eine entscheidende Verbesserung der Kohlenzufuhr zu erreichen. Auf einer Konferenz der Eisenbahnverwaltungen vom 30. Oktober erklärt sich das PrMdöA unter dem Druck des Reichsverkehrsministeriums dazu bereit. Das Reichsministerium verordnet die Personenverkehrseinstellung am 1. November auf Grund der die wirtschaftliche Demobilmachung betreffenden Befugnisse für die Zeit vom 5. bis 15. November. Die Aufsicht über die Durchführung der Verkehrssperre hat das Reichsverkehrsministerium(RVM). Eine gleichfalls Ende Oktober stattfindende Konferenz der drei süddeutschen Arbeitsminister schlägt vor, General Groener zum "Verkehrsdiktator" zu ernennen 226 ; dazu unterstützen die Arbeitsminister die bayerische Forderung nach der Verkehrssperre. Am 7. November beantragt Württemberg beim Reich, die obige Initiative aufgreifend, das gesamte Verkehrswesen mit sofortiger Wirkung unter eine mit weitgehenden Vollmachten ausgestattete Zentralbetriebsleitung zu stellen. Der RVM Dr. Bell begrüßt diesen Antrag; aber eine Einigung darüber ist zwischen ihm und dem PrMdöA, dessen Einflußminderung ja in erster Linie zur Debatte steht, nicht zu erzielen. Der PrMdöA richtet seinerseits eine verschärfte Kritik gegen den Reichskommissar für die Kohlenverteilung, auf die der Reichskommissar mit Gegenvorwürfen antwortet227 • Der Reichskommissar Dr. Schütz zieht bei dieser Auseinandersetzung auf die Dauer den kürzeren; er tritt im Dezember zurück. Allem Anschein hat der PrMdöA Oeser die Lage richtiger eingeschätzt, und bei der Verkehrssperre scheint der tatsächliche Kohlenmangel nur noch deutlicher zutage zu treten. - Gegensätze zwischen dem Verkehrsressort und der für die Kohlenverteilung verantwortlichen Stelle des RWiM treten auch später noch auf, aber sie lassen sich in der Reichszentrale viel leichter beheben, als wenn sie zwischen Reichs- und Staatsregierung ausgetragen werden. Am 21. November findet in Berlin eine Besprechung der Reichsregierung mit Ministerpräsidenten, Verkehrs- und Finanzministern der

wü. Staatsm.-Prot. vom 1. 11. 1919, WÜ StAL. Vgl. die Frankfurter Zeitung vom 11. 11. 1919, Nr.845 und den Vorwärts vom 11. 11. 1919, Nr. 577. 226

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13 Eimers

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Länder mit eigenen Eisenbahnen statt!!8, die sich mit dem obenerwähnten württembergischen Antrag befaßt. Der RVM ändert ihn hier zu dem Vorschlag ab, seinem Ministerium die Befugnis zu erteilen, auf den Gebieten des Werkstättenwesens, des Verkehrs und Betriebs den landesstaatlichen Eisenbahnverwaltungen Anordnungen erteilen und Personal von ihnen gegen übernahme der Kosten anfordern zu können. Die preußische Regierung erklärt jedoch, das würde keine Besserung im Verkehrswesen herbeiführen, im Gegenteil neue Reibungen schaffen und die Verwirrung vermehren. Vorbehaltlich der Zustimmung der Landesversammlung sei sie bereit, "einer baldigen Verreichlichung der Staatsbahnen näherzutreten". Diese Anregung greift der RVM auf, um die überführung der Eisenbahnen in Reichsbesitz zu forcieren. Die übernahme auf das Reich gelingt ihm so schon zum Mai 192Q - also ein Jahr früher als vorgesehen. Die gleichfalls vom Reich angestrebte Vorverlegung des Überganges des Wasserstraßenwesens scheitert. Mit den Verkehrsschwierigkeiten kommt zugleich der Aufbau der Reichsverkehrsverwaltung voran, mit dem Dr. Bell vom Zentrum, Abgeordneter der VNV und VPrLv, im Juni 1919 beauftragt ist. Offiziell tritt das RVM am 30. Oktober ins Leben. Das neue Reichsministerium wird nicht wie die Reichswehrzentralbehörde im wesentlichen aus den preußischen Zentralbehörden errichtet, sondern übernimmt einmal die schon bestehenden Reichsverkehrsbehörden und saugt zugleich langsam preußische Landeszentralbehörden auf. Darüber hinaus existiert im Gegensatz zum Wehrwesen, wo die Landeskriegsministerien in dem Augenblick der Bildung des Reichswehrministeriums zu bestehen aufhören, beim Verkehrswesen neben dem Reichsministerium das preußische Ministerium22U weiter; das PrMdöA fühlt sich wie bisher gleichfalls als Reichsbehörde und beansprucht fortwährend, in den Reichsgeschäften mitzusprechen. Gerade hier beim Eisenbahnwesen erweist sich der von der Erfahrung des Bismarck-Reiches her von preußischen Ministerien gern vertretene Weg der langsamen Vereinheitlichung dornenvoller als der radikale, wie er z. B. von Erzberger im Finanzwesen beschritten wird. Das RVM verfügt zunächst über eine Verkehrsabteilung aus dem Reichseisenbahnamt und dem vom PrMdöA Oeser übernommenen Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen2so ; es erweitert 228 Niederschrift der Konferenz vom 21. 11. 1919 im RVM in Berlin. DZA Merseburg. Rep. 90 a Y IX 5 a Nr. 6 Bd. 1. 229 Die außerpreußischen Länder besitzen im Gegensatz zu Preußen keine speziellen Verkehrsministerien. Das Verkehrswesen ist dort - wie es anfänglich auch bei Preußen war - eine Angelegenheit der sich der Wirtschaft allgemein widmenden Ressorts. 230 Dem Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen liegen nach dem Verlust der elsaß-lothringischen und der luxemburgischen Eisenbahnen nur noch Abwicklungsarbeiten ob.

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sich im Laufe der Zeit vor allem durch die aus der preußischen Eisenbahnzentrale hinzutretenden Eisenbahnbeamten. Ende 1919 übernimmt das Reichsministerium wegen der Klagen über die mangelhafte Zusammenarbeit von Eisenbahn und Schiffahrt gleichfalls die 1917 beim Chef des Feldeisenbahnwesens errichtete Schiffahrtsabteilung. Das Verhältnis zwischen dem PrMdöA und seiner militärischen Konkurrenzorganisation, der Schiffahrtsabteilung, war nie gut; und auch um die Form ihrer Eingliederung in die Zivilverwaltung gibt es eine Vielzahl von Auseinandersetzungen mit dem PrMdöA2U • Das PrMdöA sieht in einer übernahme der Schiffahrtsabteilung die Gelegenheit, den Einflußbereich der lästigen Behörde zu verringern. Oeser erreicht zunächst am 1. 9. 1919 einen Reichskabinettsbeschluß, wonach die Schiffahrtsabteilung den Eisenbahnabteilungen des PrMdöA unterstellt wird232 • Kurz darauf entscheidet sich das Reichskabinett dann jedoch für die Unterstellung der Schiffahrtsabteilung unter die neue errichtete Wasserstraßenabteilung des RVM, die mit dem PrMdöA in Personalunion verbunden ist. Am 11. 11. 1919 gelingt dem Leiter der Schiffahrtsabteilung - nach Angaben Oesers durch eine unsinnige Drohung!33 - die Eingliederung der Schiffahrtsabteilung in das RVM als selbständige, nur dem Reichsminister unmittelbar nachgeordnete Abteilung. Diese Stellung nimmt die Schiffahrtsabteilung bis zu ihrer Auflösung am 31. 3. 1921 ein. Nach Ansicht Oesers hat sich die Wasserstraßenabteilung des RVM in erster Linie mit dem Verkehr auf den Wasserstraßen zu befassen, und nicht die Schiffahrtsabteilung. Die Wasserstraßenabteilung wird Ende 1919 durch Wasserbaubeamte des PrMdöA organisiert, so daß nach der Erklärung eines Beamten des PrMdöA vor dem Hauptausschuß der VPrLvtu "schon bei dem Entstehen dieser Abteilung preußische Ansichten im weitestem Maße zum Ausdruck" kommen. Er äußert sich weiter: "Er müsse mit Genugtuung sagen, daß darin auch die übrigen Wasserstraßenstaaten nicht den geringsten Widerstand geleistet hätten, daß sie zwar wünschten, bei dieser Wasserstraßenverwaltung beteiligt zu werden, aber immer anerkannt hätten, daß Preußen darin die Vorhand haben müsse, weil es mit dem großen Prozentsatz von 80% aller Wasserstraßen in Erscheinung trete." - Die neue Wasserstraßenabtei131 Siehe dazu die Anlage zu Oesers Denkschrift über die Mißstände in den Beziehungen zwischen Preußen und dem Reich vom 25. 2. 1921. Als Unterlage angefertigt für die preußische Denkschrift an die Zentralstelle für die Gliederung des Reiches. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 52 Bd. 1 S. 35-38. Denkschrift und Anlage sind wiedergegeben im Anhang (Quelle Nr. 4). !32

a. a. O.

us a.a.O. 23f VPrLv-Dr. Nr. 2968 vom 22. 9.1920, S. 7.

13·

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lung bleibt vorerst vom PrMdöA abhängig, weil sie personell mit der gleichartigen Abteilung des PrMdöA verbunden ist. Differenzen zwischen den beiden für den Verkehr auf den Wasserstraßen zuständigen Zentralstellen sind unumgänglich. Oeser beklagt in mehreren Schreiben an das Staatsministerium und an das RVM 1919/1920 und in seiner Denkschrift vom 25. 2.1921 über die Mißstände in den Beziehungen zwischen Preußen und dem Reich235 das Nebeneinander- und Gegeneinanderarbeiten der Behörden und drängt auf den Abbau der Schifffahrtsabteilung. Diese vermag ihre Zuständigkeiten 1920 noch auszudehnen und fühlt sich allgemein als Vertreterin der Schiffahrtsinteressen neben den Wasserstraßenabteilungen des PrMdöA und RVM und der Wasserbauverwaltung des PrMdöA. Neben der Schiffahrtsabteilung ist der Reichswasserschutz, die Konkurrenzbehörde der preußischen Polizei, ein Stein des Anstoßes für Oeser. Er ist 1919 von Noske geschaffen und im Oktober desselben Jahres zunächst vom RWM auf das RMdI übergegangen und 1922 auf das RVM. Der Reichswasserschutz ist vor allem in Norddeutschland tätig; außerhalb vermag er nur am Bodensee 1919 bis 1922 Dienststellen zu unterhalten. Oeser kritisiert in der obenerwähnten Denkschrift den Gegensatz der verschiedenen Behörden in erster Linie vom Standpunkt der Ökonomie. Sicher spielen bei seiner Ablehnung der obenerwähnten Reichsbehörden noch andere Motive eine gewichtige Rolle; der Reichswasserschutz ist natürlich vor allem als erste Reichspolizei unangenehm für Preußen. Aber angesichts der prekären Finanzlage Deutschlands ist es nur zu berechtigt, daß Oeser so sehr das Unwirtschaftliche dieses Zustandes angreift, daß die "verschiedenen Verwaltungen ... mit verschiedenen Fahrzeugen und Mannschaften dieselben Gewässer" befahren und ,,- zum großen Teil wenigstens - die gleichen Funktionen" versehen. Oeser fordert in der Denkschrift, "diesem hinderlichen und unwirtschaftlichen - gerade auf dem Gebiete des Verkehrswesens besonders unangebrachten - Durcheinander von preußischen und Reichsorganisationen sobald als möglich ein Ende zu machen". Das geschieht auch in der Folgezeit durch den Abbau der Schiffahrtsabteilung und des Reichswasserschutzes.

5. Das Preußische Finanzministerium In keinem Bereich erreicht die Unitarisierung ein solches Ausmaß wie im Finanzwesen. Die gesamte Verwaltung von Reichssteuern und Zöllen wird auf Grund von Art.8, Art. 15 und Art. 83 WRV durch das Gesetz 135

Siehe Anm. 231.

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über die Reichsfinanzverwaltung vom 10. September 1919 und die Reichsabgabenordnung vom 13. 12. 1919 einer reichseigenen Verwaltung, der Reichsfinanzverwaltung, übertragen. Die Erzbergersche Steuerreform 1919/1920 bringt die von der Reichsverfassung nur dem Rahmen nach festgelegte Neuregelung des (materiellen) Steuerrechts; sie erhöht den Reichsanteil am Steueraufkommen von 35% auf 75%, nimmt den Ländern bis auf die Realsteuern und einige weniger bedeutende indirekte Steuern alle ihnen bisher vorbehaltenen Steuerquellen - vor allem die Einkommensteuer - und macht die Länder in Umkehrung der Situation von vor 1918 zu Kostgängern des Reiches. Insgesamt entspricht die durch die Reichsfinanzreform von 1919/1920 erreichte Finanzverfassung weitgehend der Struktur des Einheitsstaates236 • Es bleiben jedoch unverkennbare bundesstaatliche Elemente - z. B. der Finanzausgleich - in der Reichsfinanzverfassung enthalten. Neben die Zentralisation tritt für die übergangszeit von 1919 bis 1922 die - als Dezentralisation begründete - bemerkenswerte Sonderregelung, daß die Finanzminister von Bayern, Baden237, Württemberg, Hessen und Oldenburg für ihre Person gleichzeitig in der Reichsfinanzverwaltung als Präsidenten der neuen Reichsmittelbehörden, der Landesfinanzämter, fungieren. Diese Personalunion liefert einerseits einen Kanal für eine zusätzliche Fixierung der einzelstaatlichen Finanzpolitik vom Reich her, und andererseits ist den größten außerpreußischen Ländern eine Möglichkeit zur vorübergehenden Einflußnahme in ihrem Sinne auf die Reichsfinanzverwaltung gegeben. Der Einfluß des preußischen Finanzministers auf die Reichsfinanzverwaltung in Preußen, wo die neuen Reichsmittelbehörden auf Provinzialebene errichtet werden, ist völlig ausgeschaltet. Von preußischer Seite wird erfolglos "eine Personalunion der Präsidenten der in Preußen zu errichtenden Landesfinanzämter mit geeigneten Stellen der inneren preußischen Verwaltung"238 gefordert. Abgesehen von der zeitlich begrenzten Sonderregelung besteht keine Verbindung zwischen Landesfinanzministerien und Reichsfinanzverwaltung. Trotz mehrfacher Beschwerden - u. a. der Landesfinanzminister von Preußen und Bayern - lehnt es das RFM strikt ab, daß diese In!SG Vgl. im einzelnen: Höfler, Gabriele: Erzbergers Finanzreform und ihre Rückwirkung auf die bundesstaatliche Struktur des Reiches vorwiegend am bayerischen Beispiel, Diss. phil. Masch. Freiburg 1955. 137 Der badische Finanzminister leitet zugleich die Zweigstelle des RVM in Karlsruhe bis zu deren Aufhebung Ende 1920. Köhler, Heinrich: Lebenserinnerungen des Politikers und Staatsmannes 1878-1949. Hg. v. Josef Becker, Stuttgart 1964, S. 103. !a8 Aus der Instruktion für die preußischen Kommissare bei der Beratung der Reichsabgabenordnung. Preuß. Staatsm.-Prot. vom 11. 8.1919, DZA Merseburg.

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formationen und Gutachten, die sie z. B. für ihre Stellungnahmen zu Reichsratsvorlagen dringend benötigen, direkt von den Steuerverwaltungsbehörden einholenUD. Den gleichen Schwierigkeiten, denen sich ehedem das Reichsschatzamt gegenüber sah, und denen die Reichsministerien der Justiz und des Innern noch immer begegnen durch Fehlen eines Unterbaues, treten nun die Finanzzentralbehörden der Länder gegenüber. Der RFM Erzberger hat den Erfolg der Reichsfinanzreform - sein Ziel ist die Währungssanierung und die Balanzierung des Etats bei gleichzeitiger Erfüllung der Kriegsfolgelasten durch das Reich - von Anfang an gekoppelt an das Gelingen der Vereinheitlichung. Aus Anlaß der Debatte um die Reichsabgabenordnung erklärt er z. B. vor der VNVz40 : "Als ich das Finanzministerium übernommen habe, habe ich bereits in meiner ersten Rede vor der Nationalversammlung klar zum Ausdruck gebracht, daß eine Rettung des deutschen Volkes auf dem Gebiete der Finanzwirtschaft nur möglich ist, wenn ganz konsequent und zielbewußt der Weg zum deutschen Einheitsstaat beschritten wird. (Lebhafte Zustimmung bei den Mehrheitsparteien) Das ist mein politisches Programm, mit diesem stehe und falle ich. Solange ich Reichsfinanzminister bin, werde ich alles tun, was nach Maßgabe der Reichsverfassung möglich und was durch Abänderung von bestehenden Gesetzen erreichbar ist, um das deutsche Volk zum Einheitsstaat zu führen. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien) Das deutsche Volk kann nicht genesen an den 22 bis 26 souveränen Ländern, die wir hatten. (Zustimmung bei den Mehrheitsparteien) Eine Rettung für das deutsche Volk ist nur möglich durch Zusammenfassung aller Kräfte." Erzberger hat sein Programm vor allem durchgesetzt, gestützt auf seinen außerordentlichen Einfluß im Reichsministeriumz41 und das Gewicht der Mehrheitsparteien in der VNV. Zudem fehlt allen Länderregierungen - Bayern ist teilweise auszunehmen - der Rückhalt gegenüber der Reichfinanzreform bei den Landesparlamenten, die sich gleichfalls nicht dem unitarischen Trend entziehen können. Nichts zeigt die tatsächliche Schwäche der Länder gegenüber einer entschieden vordringenden Reichsgewalt deutlicher als die Tatsache, daß sie selbst in diesem Falle, in dem es an ihre Substanz geht, was sie deutlich von Anfang sehen, sich nicht zu einer einheitlichen Front gegen das Reich zusammenzufinden vermögen. Insbesondere die Politik des PrFM Dr. Südekum ist am Anfang gerade darauf angelegt, die Länder gegenüber den ungeheuren Ansprüchen des Reiches auf dem Finanzsektor zu28P

140 241

Höfler: Finanzreform, 5. 152. VNV-Prot. Bd. 331, 5. 3803, 27.11.1919. Vgl. Geßler: Reichswehrpolitik, 5.114.

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sammenzuführen. Nachdem es sich etwa Mitte März herumspricht, daß das Reich auch die Verwaltung der direkten Steuern in Anspruch zu nehmen gedenkt, hat sich Südekum mit Unterstützung des Staatsministeriums sofort beim RFM dagegen gewandt und gefordert, ein Gesamtprogramm des Finanzbedarfs von Reich, Ländern und Gemeinden und seiner Deckung aufzustellen und das "gesamte Programm mit allen seinen einzelnen Teilen zum Gegenstande neuer Beratungen mit den Finanzverwaltungen der Gliedstaaten zu machen"!42 vor weiteren Reichssteuerprojekten. Schon kurz darauf geht dem Staatenausschuß mit dem Erbschaftsteuergesetz ein neuer Gesetzentwurf zu, der die Einkünfte der Gliedstaaten und Kommunalverbände beeinträchtigt, und der PrFM erneuert seine Forderung beim RFM243. Bayern, Württemberg, Baden und Hessen, denen die Schreiben des PrFM abschrHtlich zugestellt sind, schließen sich der Forderung des PrFM auf ihrer Konferenz in Stuttgart am 29. 3. 1919 an; Sachsen unterstützt sie mit seinem Anschluß an sie süddeutschen Forderungen am 19. 4. 1919. Aber die Hauptinitiative geht sehr bald wieder auf das Reich über; auf die Dauer vermag sich keine Länderopposition mit eigener Konzeption zu organisieren. Der neue RFM Erzberger weiß alle Widerstände zu überwinden. Nur in wenigen Fällen finden sich gegenüber seinen Reichsfinanzreformvorlagen sämtliche Länder zu einer gemeinsamen Forderung zusammen. Das geschieht z. B. nach der Streichung des § 57 des Landessteuergesetzes, der die Änderung der Vorschriften über den Länderanteil an den Reichssteuern als Verfassungsänderung festsetzt, im Steuerausschuß der VNV; und hier zeigen sich RFM und VNV allerdings durchaus entgegenkommend. Für die Schwäche der Ländergruppe ist gerade die Unterstützung, die das Reich bei Preußen findet, von großer Bedeutung, obgleich Südekum und seine Kommissare in den Ausschüssen auch manchen Strauß mit Erzberger ausfechten2U • So ist z. B. der Widerstand gegen das entscheidende Stück der Reichsfinanzreform, nämlich die Reichsfinanzverwaltung, in dem Augenblick aussichtslos geworden, als Preußen - im Verein mit den übrigen norddeutschen Staaten, die ohnehin kaum eine eigene Meinung vertreten - zustimmtm. Der PrFM Südekum ist persönlich nicht nur äußerlich ein Vertreter des Ancien RegimeU8 ; er ist an 24! Schreiben des PrFM vom 19. 3. 1919 an das RFM etc. DZA Merseburg, Rep. 120 C V Nr. 28 Bd. 7. 243 Schreiben des PrFM vom 25. 3. 1919 an das RFM etc. DZA Merseburg, Rep. 120 C V Nr. 28 Bd. 7. 144 Siehe Epstein, Klaus: Matthias Erzberger, Berlin 1962, S.382 und Preuß. Staatsm.-Prot. vom 7.1. 1920,20.1.1920, DZA Merseburg. 245 Vgl. jedoch die kritische Stellungnahme Südekums in der VPrLv am 15. 11. 1919. VPrLv-Prot. Bd. 5, S. 6537. 246 Vgl. die Charakterisierung Südekums bei Graf Kessler, Harry: Tagebücher 1918-1937, Frankfurt 1961, S. 77. Vgl. auch Grot;ahn, Alfred: Erlebtes

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sich mindestens so sehr wie Heine gewillt, zugunsten des preußischen Staates einzutreten, aber in diesem Fall bringt sich allem Anschein die VNV-Fraktion der SPD zur Geltung. Seine eigenen Ansprüche stehen in der Partei schon deshalb auf schwachen Füßen, weil er weder Mitglied der VNV noch der VPrLv ist. Bei der VPrLv-Fraktion verliert er den letzten Rückhalt über seine Haltung bei der Vermögensauseinandersetzung mit den Hohenzollern; hierbei erweist er sich im Gegensatz zu seiner sonstigen Sparsamkeit, die den Ministerkollegen nicht wenig Schwierigkeiten bereitet, als bemerkenswert großzügig 247 • Preußen kämpft bei der Auseinandersetzung um die Reichsfinanzreform nur in einzelnen Fällen auf einer Linie mit den Reichsratsvertretungen Bayerns, Württembergs und Badens, und hier handelt es sich nur taktische Vorteile und Sicherungen aus; es stimmt seiner Praxis nach im Prinzip der unitarischen Lösung ZU248 • Auf einen nicht auszuräumenden Widerspruch Preußens stößt der RFM z. B. bei der Einteilung der Landesfinanzamtsbezirke ohne Rücksicht auf die preußischen Grenzen rein nach wirtschaftlichen und finanztechnischen Gesichtspunkten 249 • Erzberger macht Preußen daraufhin eine Konzession zugunsten preußischer Gebietsteile, die an Hamburg und Bremen angrenzen. Diese wird jedoch auf Initiative der SPD in der VNV wieder zurückgenommen; dazu setzt die SPD eine Fassung des § 11 der Reichsabgabenordnung durch, die die endgültige Einteilung der Landesfinanzamtsbezirke überhaupt völlig unabhängig stellt von der Zustimmung der betreffenden Landesregierungen. Der Versuch Preußens daraufhin, auf Grund von Art. 74 WRV einen Einspruch des Reichsrats gegen die Reichsabgabenordnung zu erreichen, bleibt - obwohl ihm ausreichende Unterstützung in der Staatenvertretung selbst sicher ist - erfolglos, weil die Einspruchsfrist versehentlich nicht beachtet istUo • Zu einem regelrechten Einspruch von seiten des Reichsrats gegen eines der von der VNV verabschiedeten Gesetze zur Reichsfinanzreform ist es in keinem Falle gekommen. Angesichts des geringen Widerstandes der Länder bei der Reichsfinanzreform drängt sich die Frage auf, ob die Reichsregierung nicht zu Anfang der Republik hätte weitergehen können in der Vereinheitlichung zugunsten des Reiches und seiner Stabilisierung. Bei dem Verhältnis Preußen-Reich auf dem Finanzsektor 1919/1920 steht selbstverständlich die Reichsfinanzreform im Vordergrund. Die Beund Erstrebtes / Erinnerungen eines sozialistischen Arztes, Berlin 1932, S. 149 und Fricke, Dieter / Radandt, Hans: Neue Dokumente über die Rolle Albert Südekums, ZfG 1956, Heft 4, S. 757-765. 247 Vgl. Braun: Weimar, S. 211 f. 248 Siehe hierzu HölZer: Finanzreform, S. 191. 240 Vgl. Preuß. Staatsm.-Prot. 11.8.1919,26.8.1919, DZA Merseburg. 250 Vgl. HöfZer: Finanzreform, S. 154 ff.

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soldungsfragen sind in dieser Zeit von untergeordneter Bedeutung, obgleich auch sie das Verhältnis Preußen-Reich belasten. Die Auseinandersetzungen zwischen RWM und Preußen wegen der Besoldung der preußischen Polizei sind schon an anderer Stelle erwähnt 251 • Darüber hinaus gibt es Besoldungsdifferenzen selbstverständlich im Verhältnis des Reiches zu allen Ländern. Erzberger bemüht sich schon Ende 1919 um ein Besoldungssperrgesetz, um künftig eine vom Reich unterschiedene Beamtenbesoldung in den Ländern zu verhindern. Auf den Widerspruch der Länder hin verzichtet er vorläufig auf das Sperrgesetz. Erst RFM Wirth setzt es im November 1920 im Reichsrat durch252 • Die vom RFM im Januar 1920 bekanntgegebene Absicht der Reichsregierung, die Teuerungszulagen für die Beamten um 50% zu erhöhen, ist Anlaß für einen ähnlichen Entrüstungsausbruch preußischer Minister wie Anfang Dezember wegen der Aufhebung des Belagerungszustands in Berlin. Das Staatsministerium beschwert sich, daß die Reichsregierung eine solche Erklärung abgibt, "ohne daß die Regierungen der Länder hierzu haben Stellung nehmen können, und ... daß entgegen gegebener Zusage die Vertreter der Beamtenorganisationen nicht zu der Vorberatung einer so einschneidenden Maßnahme zugezogen worden sind, wobei möglicherweise eine Verminderung der Ansprüche der Beamten hätte erzielt werden können ... 253" Die Minister führen Klage - wie es im Protokoll heißt - "über das seit geraumer Zeit beobachtete

Verhalten der Reichsregierung gegenüber den wichtigsten Lebensfragen des deutschen und preußischen Volkes in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht. Es wurde hierbei unter anderem zur Sprache ge-

bracht, daß einerseits von preußischen Ressorts unterbreitete Verbesserungsvorschläge vielfach nicht genügend oder gar nicht beachtet werden, und daß andererseits die Reichsregierung wiederholt den preußischen Behörden die Schuld am Versagen irgendwelcher Reichsrnaßnahmen (wie im Falle der Reichskohlenbewirtschaftung dem Ministerium der öffentlichen Arbeiten) aufzubürden versucht habe. Die anscheinend allzu umfangreich gewordenen Reichsministerien entbehrten mit Rücksicht darauf, daß die Exekutive bei den Ländern ruht, nur zu oft der Fühlung mit dem praktischen Leben und der Wirklichkeit. Desungeachtet würden aber die Behörden der Länder nicht genügend oder nicht rechtzeitig zugezogen, wie im obenerwähnten Falle der Erhöhung der Teuerungszulagen, so daß der in den Landesbehörden aufgespeiVgl. Teil B, V, 1. m Reichsgesetz zur Sicherung einer einheitlichen Regelung der Beamtenbesoldung vom 21. 12. 1920 (RGBl. S. 2117). Zur Stellung der Länder gegenüber dem Besoldungssperrgesetz s. Rt-Prot. Bd. 345, 4.11.1920, S.960 und Bd.346, 16. 12. 1920, S. 1702, 1709. . :53 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 7. 1. 1920, DZA Merseburg. 251

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cherte Schatz einer langjährigen Erfahrung ungenützt bleibe. Theoretische, in der Praxis wenig brauchbare Gesetze seien die Folge. Selbst dann, wenn die Möglichkeit zur Anhörung sachverständiger Spezialverwaltung der Reichsverwaltung auf der Hand liege (wie z. B. des Reichsbankdirektoriums bei dem Notenabkommen mit Belgien), seien ohne solche Anhörung die für das Reich wie für die Länder folgenschwersten Entscheidungen von einem einzelnen Reichsminister gefaßt worden." - Bei dem im Protokoll zuletzt erwähnten Fall handelt es sich um Beschwerden des PrFM gegenüber der Reichsverwaltung; daneben bestehen Gegensätze des PrMdöA zum RVM und zum RWiM, des Landwirtschaftsministers zum RWiM, der Preußen im Reichsrat u. a. auf Grund seiner Landwirtschaftspolitik Rechtsorientierung vorwirftm, und des Handelsministers zum RWiM. Am Ende der Sitzung beschließt das Staatsministerium "angesichts des Ernstes der Gesamtlage ... alle diese Anstände und Beschwerden so bald als irgend möglich an die Reichsregierung zu bringen, um sie zu einer planvollen, gemeinsamen Wirtschaftspolitik zu gewinnen, wie sie allein Preußen und Deutschland vor dem Zusammenbruch noch zu bewahren vermag!" Zu der in Aussicht genommenen Denkschrift aus den Erfahrungen aller Ressorts kommt es nicht; die Anstände scheinen mündlich vorgetragen zu sein - möglicherweise auf der nächsten gemeinsamen Sitzung von Reichs- und Staatsministerium am 30. Januar. Die Haltung Preußens zu den Steuervorlagen des Reichs ändert sich nicht. In der Praxis ist die in der obenerwähnten Sitzung zum Ausdruck kommende Spannung zwischen Preußen und dem Reich deshalb von Bedeutung, weil sie sicher mit dazu beiträgt, daß sich gerade die Wirtschaftsressorts und das PrFM in wachsendem Maße im Falle der Gefährdung preußischer Interessen mit anderen Ländern gegen die Reichsregierung verbünden. Der Handelsminister Fischbeck hat schon in der Sitzung vom 5. 12. 1919:55 vorgeschlagen, "daß die einzelnen Ressorts bei passender Gelegenheit versuchen müßten, wie dies z. B. bei Vorberatungen gesetzgeberischer Maßnahmen auch schon geschehen sei, die Vertreter der anderen Länder an sich zu ziehen und gemeinsam mit ihnen gegen die Reichsregierung vorzugehen, wenn deren Absicht, sich rückhaltlos über die Einzelregierungen hinwegzusetzen, hervortrete". Diese Taktik benutzen der Handels- und der Landwirtschaftsminister schon bei der Einberufung des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats; aber auch der Kultusminister Hänisch versucht auf diesem Wege der Reichskulturpolitik entgegenzuarbeiten. m Preuß. Staatsm.-Prot. vom 20. 1. 1920, DZA Merseburg. 215

Preuß. Staatsm.-Prot. vom 5. 12. 1919, DZA Merseburg.

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6. Das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Wie nirgendwo sonst sind die Länder auf dem Gebiet der Kulturpolitik in der Vorhand, obgleich sich die deutsche Einheit von jeher in erster Linie kulturell kundgetan hat. Vor allem Preußen fühlt sich auch nach 1918 berufen, Kulturpolitik für das Reich zu betreiben. Prof. Becker, seit 1916 Vortragender Rat im preußischen Kultusministerium, 1919 von Hänisch zum Staatssekretär berufen, 1921 Kultusminister, 1921 bis 1925 wieder Staatssekretär und 1925 bis 1930 erneut Kultusminister, ist der Ansicht25s : "Das, was die preußische Unterrichtsverwaltung treiben könne, sei auch nichts anderes als eine deutsche Kulturpolitik. Dadurch unterscheide sich Preußen grundsätzlich von den kleineren Ländern des Deutschen Reiches. Da Preußen sich weder eine Nation noch einen Stamm nennen könne, könne man in Preußen weder von einer nationalen noch von einer stammesmäßigen Kulturpolitik sprechen, sondern nur von einer ostpreußischen oder von einer rheinischen Kulturpolitik. Preußen habe, solange das Reich noch nicht die Funktionen erfüllen könne, auf der ganzen Linie der Träger der deutschen Kulturpolitik zu sein, die deutsche Kulturpolitik als eine besondere Aufgabe des preußischen Staates zu fassen. In diesem Sinne werde Preußen allen Bestrebungen, die vom Reiche kämen, mit größter Freundlichkeit gegenüberstehen, doch werde Preußen, solange Preußen bestehe, wenigstens auf preußischem Gebiete der entscheidende Träger der deutschen Kulturpolitik sein müssen." Becker lehnt es nicht ab, daß das Reich Kulturpolitik betreibt. Er hat sich Anfang 1919 in einer für den Verfassungsausschuß auf Wunsch des RMdI Preuß verfaßten Denkschrift ausdrücklich für eine Zuständigkeit des Reiches auf dem Gebiet der Kultur eingesetztZ57 • Aber er opponiert gegen den von der neuen Reichsregierung angemeldeten Führungsanspruch in der deutschen Kulturpolitik. Mit der Stellungnahme Beckers wird jedoch nur eine Seite des kulturpolitischen Dualismus sichtbar. Daneben fällt 1918/1919 vor allem der parteipolitische Aspekt im Verhältnis Preußen-Reich auf, den die überparteiliche Diktion des Ministerialbeamten selbstverständlich übergeht. Der nur kurzfristig im November 1918 im Kultusministerium amtierende Hoffmann (USPD) leitet einen neuen Kulturkampf ein. Hänisch (SPD) , anfänglich Mitminister, dann seit Dezember 1919 alleiniger Chef des Kultusministeriums, tritt zurückhaltender für ähnliche Ziele wie Hoff!SI Erklärung Beckers vor dem Hauptausschuß der VPrLv 1920. Bericht des Hauptausschusses über den Haushalt des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung für das Rechnungsjahr 1920, VPrLv-Dr. Nr.3530, 1920, Sp. 32 f. 257 Wende, Erlch: C. H. Becker Mensch und Politiker. Ein biographischer Beitrag zur Kulturgeschichte der Weimarer Republik, Stuttgart 1959,S. 83 ff.

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mann ein. Das Kultusministerium betreibt zunächst rücksichtslos die allgemeine Trennung von Kirche und Staat. Es beginnt mit der Säkularisierung der Schule durch die Abschaffung der geistlichen Ortsschulaufsicht, die schon Bismarck "angetastet" hat, durch das Verbot des Schulgebets und die Reduzierung des Religionsunterrichts. Von einer Beseitigung des bürgerlichen Bildungsmonopols ist - wahrscheinlich aus Geldmangel - trotz aller Radikalität nichts zu merken. Diese Politik, die in Preußen 1920 zu Ende geht und dann besonders von Thüringen und Sachsen weitergeführt wird, hat die Bildungsreformbestrebungen dieser Zeit unverdient diskriminiert und alles andere als ihr Ziel erreicht. Der Hauptschulexperte der SPD im alten wie im neuen Reichstag und in der VNV, Heinrich Schulz, Bremen, der bedauert, daß wie die Revolution 258"infolge der Uneinigkeit und Zerrissenheit der Arbeiter im allgemeinen in ihrem Lauf aufgehalten wurde und vor allen Dingen Deutschland die völlige staatsrechtliche Einheit an Stelle der partikularistischen Eigenbrödelei schuldig geblieben ist, . .. sie auch der deutschen Schule nicht die volle und freie Entwicklungsmöglichkeit auf demokratischer und sozialistischer Grundlage gebracht" hat, wendet sich dabei in erster Linie gegen die preußische Kulturpolitik: "Gerade den revolutionären Ungeschicklichkeiten des preußischen Kultusministeriums in den ersten Revolutionsmonaten ist es zu danken, daß die Revolution die volle Befreiung der Schule von der Kirche nicht gebracht hat, sondern durch Stärkung des Zentrums und der evangelischen Orthodoxie die entgegengesetzten Tendenzen in der Schulpolitik wieder sehr schnell hat Wurzel fassen lassen." Vor allem die linksradikale preußische Kulturpolitik der übergangsperiode, die unter dem Klerus 259 und der Lehrerschaft eine beträchtliche Unruhe entfacht, erzwingt die Einschaltung des Reiches in die Kulturpolitik. Die die Kulturhoheit betreffenden Artikel des Preußschen Verfassungsentwurfs werden durch die Freistaaten gestrichen; aber der Verfassungsausschuß gibt dem Reich wieder eine beträchtliche Kompetenz auf dem Kulturgebiet. So errichtet das RMdI im Juli 1919 eine spezielle kulturpolitische Abteilung, mit deren Leitung sie den VNVAbgeordneten Schulz, Bremen, zugleich Mitglied des Vorstandes der SPD, als Unterstaatssekretär (später Staatssekretär) betraut. Im Dezember tritt der Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen in Württemberg Dr. Redslob als Reichskunstwart~80 hinzu. VerwaltungsBerlin 1919, S. 229 f. Zum Verhältnis von evangelischer Kirche und preußischem Staat in der Weimarer Republik s. Gräfin von Rittberg, Else: Der preußische Kirchenvertrag von 1931. Seine Entstehung und seine Bedeutung für das Verhältnis von Staat und Kirche in der Weimarer Republik. Diss. phi!. Bonn 1960. 280 Eine ministerielle Stelle für die Reichsschulangelegenheiten ist von der SPD neben dem Reichsschulgesetz und der Reichsschulkonferenz schon im alten Reich gefordert. 258

!SO

V. Die preußischen Ressorts (Kultusministerium)

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differenzen zwischen dem Kultusministerium und diesem Miniaturapparat gibt es zunächst noch nicht; sie stellen sich sehr bald ein im Gefolge der Reichsverfassung281 • Schon das Zustandekommen des Abschnitts "Bildung und Schule" der WRV mit den Art. 142 bis 150 und dem Art. 174 ist mit Differenzen zum preußischen Kultusministerium verbunden. Von den Verhandlungen zu dem ersten Schulkompromiß zwischen der SPD und dem Zentrum ist das Kultusministerium ausgeschaltet, obwohl es über den Fortgang informiert wird und schon jetzt wegen der Konzessionen an das Zentrum mit Kritik nicht spart. Nach Billigung des Antrages Löbe (SPD) - Gröber (Z) zu den Art. 143 bis 146 (später 146 bis 149) durch die VNV am 18. Juli im Rahmen der zweiten Lesung der Verfassung und dem Weitergehen der Verhandlungen zum Schulwesen unter Beteiligung der DDP, deren Zustimmung für die dritte Lesung erforderlich ist!6!, strebt das preußische Kultusministerium mit Hilfe einer Länderfront eine Einflußnahme in seinem Sinne an. Aber von den nach Berlin zur Stellungnahme gegen den Kulturkompromiß eingeladenen Ländervertretern erscheint nur eine geringe Anzahps3 - schon um die eigenen Regierungen nicht zu gefährden!64; und der Kultuskonferenz fehlt damit die erhoffte Stoßkraft. Die an die Reichsregierung gerichtete ErklärunglS5 wendet sich ganz im Sinne von Hänisch gegen den Schulkompromiß, dessen praktische Durchführung auf Grund seiner schweren Mängel wie der Überantwortung der Entscheidung über die Art der Schule an die Erziehungsberechtigten und der Sperrvorschrift - mit den denkbar größten Schwierigkeiten verbunden wäre und für einzelne Staaten damit ist u. a. Preußen gemeint - eine Unmöglichkeit wäre, und fordert die Einschaltung der Unterrichtsverwaltungen der Länder in die Verhandlungen zwecks Neufassung der Artikel. Der Kultusminister Hänisch und einige andere Ländervertreter erreichen nun allem Anschein nach ihre Beteiligung an den Gesprächen zwischen SPD, DDP und Zentrum; aber die geringe Verbesserung der Schulartikel- wie die Einschränkung der Mitsprache der Erziehungsberechtigten bei der Einrichtung von Schulen zugunsten der Landeszentralbehörden ist wohl mehr der DDP als ihnen zuzuschreiben. Wegen der unverändert gebliebenen Sperrvorschrift, nach der die Länder vor Erlaß des Reichsschulgesetzes die Siehe dazu Quelle Nr. 6 im Anhang. Das erste Schulkompromiß kommt trotz seiner Ablehnung durch DDP, DVP, DNVP und USPD zustande, weil die oppositionellen Abgeordneten nicht vollzählig anwesend sind. !63 Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 194, Anm. 2. IS4 Vgl. WÜ. Staatsm.-Prot. vom 19. 7. 1919, WÜ. StAL. !65 Sie ist veröffentlicht in der VPrLv-Dr. Nr.1250 A vom 17.11.1919, Sp.14-18. !81

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Rechtslage nicht abändern dürfen, erwägt Hänisch den Rücktrittl88 • Die VNV nimmt das zweite Schulkompromiß, das als Sammelantrag Löbe (SPD) , Gröber (Z), Schiffer (DDP) zum Art. 143 (später 146) in letzter Minute am 30. Juli eingebracht wird, am 31. Juli bei der dritten Lesung der WRV an. Erst jetzt, nach der dritten Lesung, wendet sich die Mehrzahl der Chefs der Länderunterrichtsverwaltungen entschieden in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Schulartikel als eindeutig undurchführbar 287 • Nicht beteiligt an der Aktion sind der bayerische Kultusminister und Ministerpräsident Hotfmann (SPD) und die Leiter der Unterrichtsverwaltungen einiger norddeutscher Kleinstaaten. Der Kultusminister Hänisch sucht die Niederlage, die er bei den Verfassungsverhandlungen erlitten hat, bei der Ausführung der Schulartikel auszugleichen. Das zeigt sich schon bei der Vorbereitung der Reichsschulkonferenz, auf der die zukünftige Reichskulturpolitik mit den Ländern, Gemeinden und Sachverständigen beraten werden soll. Das preußische Kultusministerium hat selbst am 1. 12.1918 beim Reichsamt des Innern eine Schulkonferenz angeregt entsprechend einem Antrag der SPD-Reichstagsfraktion vom Frühjahr 1917168• In diesem Sinne hat sich das RMdI am 4.1.1919 an den RdV und die Einzelstaaten wegen einer Reichsschulkonferenz mit dem Ziel "einer einheitlicheren nationalen Kulturpolitik" gewandtf88 , und ihre Zustimmung erlangt. Die nun nach der Verabschiedung der WRV in Aussicht genommene ReichsKonferenz sucht der preußische Kultusminister in seinem Sinne vorzubereiten, indem er mit den übrigen Länderkultusverwaltungen eine interne Kultusministerkonferenz in Würzburg zur Koordination der Länderkultuspolitik für kommende Treffen vereinbart. Der RMdI Dr. David vermag noch rechtzeitig zu veranlassen, die Einladung zurückzuziehen170, und das RMDI beruft seinerseits eine Vorbesprechung der Vertreter des Reichs, der Länder und der Gemeindeverbände für Oktober nach Berlin ein. Auf dieser Vorkonferenz treten, wie vorauszusehen, starke Gegensätze zutage - insbesondere bei der Interpretation des Art. 146. Trotz des übergewichts von Sozialdemokraten und Demokraten!71 111& Giesecke, Hermann: Zur Schulpolitik der Sozialdemokraten in Preußen 1918/19, VJfZG 13. Jg.1965, S.171. 287 Die am 20. 8. 1919 veröffentlichte Erklärung ist abgedruckt im DGK 35. Jg., II. Bd., Juli-Dezember 1919, S. 246. 268 Reichsschulkonferenz 1920, S. u. 288 Das Rundschreiben des RMdI vom 4. 1. 1919 an den RdV und die einzelstaatlichen Regierungen ist veröffentlicht in: Reichsschulkonferenz 1920,

S.U f.

170 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 26.8. 1919, DZA Merseburg Vgl. auch Reichsschulkonferenz 1920, S. 14 f. 271 Damals stellen Preußen, Bayern, Württemberg, Hamburg, Anhalt, Gotha, Bremen sozialdemokratische Kultusminister und Hessen, Sachsen, Baden, Braunschweig, Mecklenburg-Schwerin DDP-Minister. Diese Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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vermag sich die Konferenz nicht auf eine Stellungnahme zu einigenm. Daß sich der preußische Kultusminister bei dieser Gelegenheit zur Geltung zu bringen weiß, zeigt sich daran, daß in dem von der Vorkonferenz eingesetzten Ausschuß neben den drei Beamten des RMdI einzig die beiden Vertreter des preußischen Kultusministeriums die Länder repräsentieren. Der zusätzliche auf Beschluß der Vorkonferenz aus Vertretern des RMdI, der Länder und der drei größten Gemeindeverbände konstituierte Reichsschulausschuß, der im November/Dezember und Februar tagt, gibt sein Placet zu den Vorbereitungen des engeren Ausschusses. Die Reichsschulkonferenz, die schon für 1919 vorgesehen ist, findet schließlich im Juli 1920278 statt, als die Chancen einer Aktivität des Reiches auf dem Kultursektor schon beträchtlich zu schrumpfen beginnen. Der preußische Kultusminister verschleppt die Ausführung der Schulartikel der WRV und vor allem das dem Schulkompromiß entsprechende Reichsschulgesetz, das zunächst schon für Januar 1920 vorgesehen ist274 • Es sind zugleich die Schwierigkeiten des RMdI zu berücksichtigen, wenn Hänisch 1921 von den "unendlichen Schwierigkeiten" spricht, die sich "insbesondere für die preußische Schulpolitik aus den Vereinbarungen von Weimar ergeben haben"275. Den ersten Zusammenstoß zwischen dem preußischen Kultusministerium und dem RMdI wegen des Sperrparagraphen gibt es aus Anlaß des Gesetzentwurfes betr. die Abänderung der Zusammensetzung der Schuldeputationen, Schulvorstände und Schulkommissionen, der schon im Juni 1919 vorgelegt ist278• Während alle Geistlichen bisher ohne Wahl und meist auf Lebenszeit Mitglieder der genannten Schulkörperschaften und im allgemeinen auch ihre Vorsitzenden sind, sollen ihre Rechte jetzt auf die der übrigen Staatsbürger reduziert werden; sie sollen sich fortan wie die anderen einer Wahl unterziehen. Dem Zentrum, dem die Minderung der geistlichen Vorrechte widerstrebt, gelingt es, die Verabschiedung des Gesetzentwurfs bis zum Inkrafttreten der Reichsverfassung hinauszuzögern, und dann erklärt es, der Entwurf verstoße gegen den Sperrparagraphen des Schulkompromisses und sei deshalb verfassungswidrig277 • Ein staatsrechtliches Gutachten des Unterrichtsministeriums 272 Siehe Schulz, Heinrich: Der Leidensweg des Reichsschulgesetzes, Berlin 1926, S. 74. 278 Das Protokoll ist veröffentlicht in: Reichsschulkonferenz 1920. 27' Schulz: Leidensweg, S.74. Nach Schulz verdreht der preußische Vertreter bei den Beratungen über den Reichsschulgesetzentwurf 1919/20 den Art. 146 ähnlich wie 1926 der RMdI Schiele von der DNVP. 275 Hänisch, Konrad: Neue Bahnen der Kulturpolitik / Aus der Reformpraxis der deutschen Republik, Stuttgart 1921, S. 33. 276 VPrLv-Dr. Nr. 537. 277 Vgl. Hänisch: Kulturpolitik, S. 42.

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widerspricht dieser Anschauung 278 : Die Mitgliedschaft der Geistlichen in den betreffenden Körperschaften habe ihren Ursprung in der alten Stellung der Kirche zum Staat und seinem Organismus. "Nach Art. 137 Abs. 8 der Reichsverfassung ist aber die Landesgesetzgebung ausdrücklich dazu berufen, auch zur Durchführung der Loslösung staatskirchlicher Beziehungen Anordnungen zu treffen. Eine zeitliche Beschränkung besteht nur für die Lösung finanzieller Beziehungen (Art. 173 der Reichsverfassung)." - Damit ist das Zentrum nicht befriedigt, und in die weiteren Ausschußberatungen schaltet sich nun auch das Reich ein, das vor allem die Berechtigung des Entwurfs, der die Geistlichen aus den Schuldeputationen ausschließt, anzweifelt. Dieser Schulkonflikt bedroht die Koalition in Preußen wie im Reich. Bei einem Vermittlungsgespräch unter Vorsitz des Reichspräsidenten am 12. Dezember!7D scheint der Kultusminister schließlich zum Einlenken bewogen zu sein. Jedenfalls gibt das Staatsministerium am 13. Dezember dem schriftlichen Ersuchen des Reichskanzlers nach, die Weiterberatung des vor allem strittigen § 3 des Art. 1 des Gesetzentwurfs in der Landesversammlung zurückzustellen, bis die Reichsregierung Gelegenheit gehabt habe, in engster Fühlung mit der Preußischen Regierung und mit den Parteien eingehend Stellung zu nehmen 280 • Die Mehrheit des Staatsministeriums fügt sich nur, um die Koalition nicht zu gefährden. Das Staatsministerium meldet zugleich zu dem außergewöhnlichen Verfahren in diesem Fall seinen Vorbehalt an, der auch später - z. B. bei der Beratung des Gesetzentwurfs zur Wahl des Preußischen Landtags - von Bedeutung ist: "Damit soll nicht etwa dem Reich die Befugnis zugestanden werden, bereits in die Beratung eines Gesetzes einzugreifen. Ein Präzedenzfall in solchem Sinne dürfe in dem vorliegenden Entgegenkommen der Preußischen Regierung keinesfalls erblickt werden." Im Gegensatz hierzu kann die Reichsregierung natürlich bei der Beratung ihrer Gesetzentwürfe die preußische Regierung, die sich auf die besonderen Konsequenzen der Gesetze für Preußen beruft, nicht früh genug heranziehen. Reichsjustizministerium und Reichsinnenministerium, also Ministerien, die beide nicht von Zentrumsmitgliedern geführt werden, nehmen in einem Gutachten vom 13. 1. 1920281 ausführlich zu der strittigen Schulangelegenheit Stellung. Danach stehen die §§ 3, 5 und 6 des Art. 1 des Gesetzentwurfs, die die Geistlichen aus den Schuldeputationen, Schulvorständen und Schulkommissionen ausschließen, "im Widerspruch zur m Das Gutachten ist abgedruckt in der VPrLv-Dr. Nr. 2939 (als Anlage B) vom 15. 9. 1920. 279 Frankfurter Zeitung vom 13. 12. 1919, Nr. 932. 280 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 13. 12. 1919, DZA Merseburg. 281 Das Gutachten vom 13. 1. 1920 ist abgedruckt in der VPrLv-Dr. Nr.2939 vom 15. 9. 1920 als Anlage A.

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Vorschrift des Art. 174 Abs. 1 RV, der nach dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte ... nur die Bedeutung beigemessen werden (kann), daß sie bis zum Erlassen des in Aussicht genommenen Reichsgesetzes jeder Änderung des bei dem Inkrafttreten der Reichsverfassung in den Ländern bestehenden Rechtszustandes hinsichtlich der Regelung des Verhältnisses zwischen Konfession und Volksschule entgegensteht". Damit fallen die zur Debatte stehenden Paragraphen der Vorlage. Ohne die strittigen Bestimmungen tritt das Gesetz betr. die anderweitige Zusammensetzung der Schuldeputationen usw. am 7. 10. 1920 in Kraft282 • VI. Zur Arbeit gemeinsamer Behörden des Reiches und Preußens Die Reichs- und Staatskommissariate in Preußen Die direkten Vorläufer der Reichs- und Staatskommissare sind die im November nach Kiel und Wilhelmshaven von der Reichsregierung entsandten Beauftragten; es handelt sich um einen schwachen Versuch der Reichsregierung, die aus der Meuterei der Marinesoldaten entstandenen Unruhen einzudämmen. Staatssekretär Hausmann von der FVP und Reichstagsabgeordneter Noske von der SPD, die Anfang November nach Kiel fahren, und Reichstagsabgeordneter WisselZ von der SPD, der in Wilhelmshaven wirkt, haben weder schriftliche Vollmacht noch Titel. Sie sind "Beauftragte des Reichskabinetts" zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung und wirken als Angehörige der Mehrheitsparteien und kraft ihrer Persönlichkeit. Einen beträchtlichen Einfluß vermag Noske im November/Dezember in Kiel und Umgebung auszuüben!. Er weiß sich an die Spitze der "revolutionären" Institution des Soldatenrats zu setzen und zugleich das wichtige Amt des Stadtkommandanten zu übernehmen. Die preußische Regierung schaltet sich erst im Dezember in das Bemühen der Reichsregierung um die Wiederherstellung der Staatsautorität ein. Beide wirken anfänglich eng zusammen; die allgemeine politische Erregung der Bevölkerung, die Streiks, die fortdauernden Unruhen, die Folgen des Waffenstillstandes und später die Friedensvertragsfolgen, die von allen Ländern in erster Linie Preußen treffen, erzwingen geradezu eine Zusammenarbeit. Gegenüber der in den ersten Monaten geübten Praxis, Reichs- und preußische Minister und andere Vertreter der Zentralen in die bedrohten Provinzen zu senden, ist sogar ein Fortschritt zu verzeichnen, indem nämlich die Zusammenarbeit mehr und mehr in besonderen Kommissariaten - außerordentlichen Behörden - institutionalisiert wird. Obgleich die Macht der außerordentlichen GS S. 535. Siehe dazu Noske, Gustav: Von Kiel bis Kapp I Zur Geschichte der deutschen Revolution, Berlin 1923 und Noske: Erlebtes, S. 70 ff. 182 1

14 Eimers

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Institute der Räte, die formal zeitweilig den Staat überhaupt repräsentieren, Anfang 1919 beständig zurückgeht, sind weiter dauernd außerordentlicheAufgaben vorhanden, die mit der hergebrachten Verwaltung nicht zu bewältigen sind. Reichs- und preußische Regierung lassen es sich zur Regel werden, bei gemeinsam interessierenden, von der alten Verwaltung schwerlich zu lösenden Aufgaben in die preußischen Provinzen beiden verantwortliche Kommissare zu entsenden; diese sind zunächst meist bewährte Sozialdemokraten. Die Regierungen statten sie mit außerordentlichen Befugnissen aus und nehmen dabei keine Rücksicht auf die überkommenen Kompetenzen von Reichs- und Staatsbehörden und die prinzipielle Trennung von Reichs- und Staatsapparat. Die klassischen Reichs- und Staatskommissare sind Winnig (SPD), Severing (SPD) und Hörsing (SPD). Den VNV-Abgeordneten Winnig2 entsendet der RdV um den 20. Januar als Reichsbeauftragten für Ostund Westpreußen nach Königsberg. Sein Haupttätigkeitsgebiet ist Ostpreußen. Eine von Ebert im Januar ausgestellte VollmachtS verleiht Winnig eine formell nahezu unbeschränkte Macht zum Schutz der Republik und der deutschen Grenzen; sie gibt ihm militärische Befugnisse an die Hand und zusätzlich außenpolitische - nämlich das Recht zu Verhandlungen mit den Regierungen der an Ost- und Westpreußen grenzenden Gebiete -, verpflichtet die Militärbehörden, nach von der Reichsregierung zu erteilenden Weisung mit ihm im Einvernehmen zu handeln, und unterstellt ihm vor allem "Alle Zivilbehörden beider Provinzen". Im Mai wird die Vollmacht noch auf den Netzedistrikt ausgedehnt. Die Preußische Regierung, die in der Vollmacht nur insofern Erwähnung findet, als Winnig angewiesen wird, die erforderlichen Anordnungen "möglichst nach Weisung der Reichs- und preußischen Regierung" zu treffen, vermag sich erst verspätet einzuschalten und ernennt ihn dann gleichfalls zu ihrem Beauftragten4 • Sie fertigt im April noch eine detailliertere Vollmacht für ihn als "Kommissar der Reichsregierung und der Preußischen Regierung für Ost- und Westpreußen und die besetzten russischen Gebiete" aus5 und ermächtigt ihn hiermit, "alle erforderlichen, nicht den militärischen Kommandostellen allein zufallenden Maßnahmen zum Schutze der Integrität der NordostGrenze des deutschen Reiches zu treffen" und "spartakistische und russisch bolschewistische Elemente unter Anwendung aller militärischen, 2 Die Tätigkeit Winnigs ist dargestellt in: Winnig: Heimkehr, und in Klatt: Ostpreußen. Hörsing ist berücksichtigt in Hesterberg: Schlesien, und durch Karl Hoefer: Oberschlesien in der Aufstandszeit 1918-1921 / Erinnerungen und Dokumente, Berlin 1938. Zur kommissarischen Tätigkeit Severings siehe: Severing, earl: Im Wetter- und Watterwinkel, Berlin 1927. 3 Sie ist abgedruckt bei Klatt: Ostpreußen, S. 265 f. 4 Winnig: Heimkehr, S. 14l. 5 Undatierte Abschrift der Vollmacht, von Hirsch unterschrieben. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 108/2.

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strafrechtlichen und polizeilichen Mittel zu bekämpfen". Seine Weisungsbefugnis gegenüber den Zivilbehörden ist eingeschränkt. "Die von Ihnen zu diesem Zweck zu treffenden Maßnahmen haben im Einvernehmen mit den zuständigen Oberpräsidenten und den militärischen Kommandostellen zu erfolgen." Den VNV-Abgeordneten Severing setzen Reichs- und preußische Regierung gemeinsam am 7. April 1919 auf Vorschlag des RWM Noske6 angesichts der gewaltigen Streikbewegung im Ruhrgebiet, an der sich zwischen 300 000 und 375 000 Arbeiter beteiligen, in Dortmund ein. Das RWM ermächtigt Severing kurz und bündig7 , "im Befehlsbereiche des Generalkommandos des VII. A.-K. (also in Westfalen und im nördlichen Teil der Rheinprovinz - Verf.) auf Grund des Belagerungszustandes im Zusammenarbeiten mit dem kommandierenden General alle militärischen und politischen Maßnahmen zu treffen, die Sie für notwendig halten". Die preußische Regierung bestellt ihn "zum Kommissar für die mit der Arbeitseinstellung in Verbindung stehenden Verwaltungsmaßnahmen in den Gebieten der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen, für die der Belagerungszustand erklärt ist oder in Frage steht"8; die in Aussicht gestellte genauere Instruktion bleibt aus. Im Juni erreicht Severing, daß die preußische Regierung ihre Vollmacht über den Bereich der Schlichtung hinaus erweitert und sie damit der des Reiches anpaßt. Er hat nach der Vollmacht vom 18. 6. 1919 "alle im Befehlsbereiche des VII. Armeekorps zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erforderlichen Maßnahmen zu treffen"'. Die militärischen Befugnisse präzisiert und beschränkt die preußische Regierung Mitte Juli in einer Erläuterung der letzten Vollmacht10 : "Die Verantwortung für militärische Maßnahmen trägt der kommandierende General, enges Zusammenarbeiten mit ihm ist daher nötig." Im zivilen Bereich ist Severings Einfluß auf jeden Fall gestiegen, wenn auch sein Zuständigkeitsgebiet zeitweilig verkleinert ist. Zur Einflußsteigerung gehört auch, daß in der Juni-Vollmacht der Belagerungszustand nicht mehr ausdrücklich als Grundlage für die Ausübung der Befugnisse erwähnt wird. Am 17. Juli dehnen Reichs- und preußische Regierung die Vollmachten auf HessenNassau und kleinere Bezirke angrenzender Provinzen aus (XVIII. A.-K.)u. e Noske: Erlebtes, S. 103; SeveTing: Wetter- und Watterwinkel, S. 25 und 29. 7 a. a. 0., S. 25.

8 a.a.O. e Die Vollmacht der preußischen Regierung vom 18. 6. 1919. StAMü., Oberpräsidium Münster Zgg. 111949, Nr. 59. 10 Die Erläuterung zur Vollmacht vom 18. Juni ist vorhanden in StAMü., Akten des Oberpräsidiums Münster, Zgg. 1/1949 Nr. 59. 11 Vollmacht vom 17. Juli. StAMü., Oberpräsidium Münster, Zgg. 1/1949 Nr. 59 - s. auch Severing: Wetter- und Watterwinkel, S. 233. H'

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Den VNV-Abgeordneten Hörsing ernennt die preußische Regierung im März 1919 zum Staatskommissar für den Regierungsbezirk Oppeln zur Beendigung der dortigen Streikbewegung und allgemein zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung l2 • Sie verleiht ihm das Recht zu allen dazu nötigen Anordnungen. Diese hat er im engen Einvernehmen mit den ordentlichen Zivil- und Militärbehörden zu treffen. Gegenüber den Volks-, Arbeiterund Soldatenräten hat er die preußische Regierung zu vertreten. Am 23. Mai dehnt die preußische Regierung seine Vollmacht auf den gesamten Bezirk des Armee-Oberkommandos Süd aus, also auf die gesamte Provinz Schlesien und den südlichen Teil der Provinz Posen. Die Reichsregierung schaltet sich kurz nach seiner Ernennung zum Staatskommissar ein und ernennt ihn auch zu ihrem Bevollmächtigten, zunächst nur für Oberschlesien und dann gleichzeitig mit der preußischen Regierung für den Bereich des Oberkommandos Südl3 • Für diese neuen Einrichtungen mit mehr oder minder diktatorischen Vollmachten bürgert sich im Laufe der Zeit die Bezeichnung Reichs- und Staatskommissare ein. Die Grundlage für das Wirken des Reichs- und Staatskommissars Severing ist nach der Vollmacht vom 7. 4. 1919 der Belagerungszustand. Es ist die Frage, ob das Gesetz über den Belagerungszustand von 1851 und, soweit das Reich in Frage steht, zugleich Art. 68 der Reichsverfassung von 1871 und der Erlaß des Kaisers vom 15. 10. 1918 eine ausreichende rechtliche Grundlage für die Reichs- und Staatskommissariate darstellen. Die auffallendste Abweichung von den gesetzlichen Bestimmungen ist die Tatsache, daß die Reichs- und Staatskommissare auch für Gebiete bevollmächtigt werden, in denen kein Belagerungszustand herrschtu. 12 Die erste Vollmacht Hörsings vom 27.3.1919 lag mir nicht vor, jedoch abschriftlich die erweiterte vom 23. 5. 1919. DZA Merseburg, Rep. 120 All Nr.5Bd.5. 13 Hörsings Vollmacht als Reichskommissar lag mir nicht vor. l ' Aufschluß über die Ausbreitung des Belagerungszustandes 1919/20 geben die VPrLv-Drucksache Nr. 754 vom 14. 9. 1919, eine .. übersicht der vorgekommenen Fälle der Verhängung des Belagerungszustandes gemäß §§ 2 bzw. 16 des Gesetzes vom 4. Juni 1851 (Gesetzess. S. 451)", das Reichsgesetzblatt und VNV-Drucksachen. Allgemein ist danach der Belagerungszustand in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Posen, Schlesien, Westfalen und Rheinland bis zum Inkrafttreten der WRV landesrechtlich. Winnigs Arbeitsgebiet ist nach den Vollmachten Ost- und Westpreußen und ein Teil des Regierungsbezirks Bromberg. Während Winnig schon am 21. l. 1919 nach Ostpreußen kommt, wird der Belagerungszustand dort erst wieder seit dem 28. 1. 1919 verhängt, und zwar durch den Militärbefehlshaber zunächst nur über den Stadt- und Landkreis Tilsit. Erst im März kommen die übrigen Grenzkreise, der Kreis Sensburg, der erweiterte Festungsbereich Königsberg und der Festungsbereich Pillau hinzu. In Königsberg und Pillau besteht der Belagerungszustand nur im März/April. In der Stadt Heilsberg, den Kreisen Preußisch-Holland und dem Kreis Mohrungen ist er gleichfalls

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Winnig beginnt seine Tätigkeit in Ostpreußen, bevor überhaupt in einem Kreis der Provinz der Belagerungszustand verhängt ist. Die Arbeitsbereiche Hörsings und Severings gehen über die Belagerungszustandsgebiete hinaus. Dem Belagerungszustandsgesetz von 1851 und seinen Ergänzungen widerspricht gleichfalls die Ermächtigung von Nicht- Militärbehörden zu Akten der vollziehenden Gewalt, wie das bei allen drei Kommissaren der Fall ist. Die Vollmacht für Winnig unterstellt ausdrücklich alle Zivilbehörden der Provinz der Weisungsbefugnis des Reichskommissars. Weniger klar ist das Verhältnis Severings und Hörsings zu den Zivilbehörden umrissen. Gegenüber den Militärbehörden steht keinem Kommissar ein Weisungsrecht zu. Im Gegensatz dazu ist das Weisungsrecht des Militärbefehlshabers, soweit der Belagerungszustand verhängt ist, nicht eingeschränkt. In den Gebieten, in denen der Belagerungszustand herrscht, üben also Kommissare und Militärbehörden die vollziehende Gewalt aus, während die Kommissare sie außerhalb dieser Bezirke für den Zivilbereich allein beanspruchen. Der gesetzliche Einfluß von untergeordneten Zivilbehörden auf den Belagerungszustand ist nur sehr beschränkt. Das Belagerungszustandsgesetz von 1851 sieht eine schwache Kontrolle der Militärbehörden durch die Regierungspräsidenten vor. Der reichsrechtliche Belagerungszustand, den es in den Gebieten der Kommissare vor Inkrafttreten der WRV überhaupt nicht gibt, gewährt den Zivilbehörden mehr Einfluß. Der Allerhöchste Erlaß vom 15. 10. 1918 bindet die Ausübung der vollziehenden Gewalt durch die stellvertretenden Generalkommandos an das Einnur vorübergehend in Kraft. Im Kulmerland besteht er seit Anfang März, und erst am 9.5.1919 verhängt das Staatsministerium den Belagerungszustand über die gesamte Provinz Westpreußen. Severing wird durch die preußiSche Vollmacht vom April 1919 auch für die Gebiete der Rheinprovinz und Westfalens ermächtigt, für die der Belagerungszustand in Frage steht. Severing kann damit in die Gebiete hineinwirken, in denen kein Belagerungszustand herrscht, aber Unruhen drohen, und zwar über den Befehlsbereich des VII. A.-K. hinaus in die südliche Rheinprovinz rechts des Rheins und in das nördliche und östliche Westfalen. Mit der Vollmacht vom 18. Juni sind wiederum Gebiete einbezogen, für die der Belagerungszustand nicht verhängt ist, z. B. Minden. In Düsseldorf, das gleichfalls zum VII. A.-K. gehört, herrscht der Belagerungszustand im April, Mai, Juni 1919, aber Severings Vollmacht gilt weiter. Die Vollmachten vom 17. Juli beziehen wiederum Gebiete ein, für die kein Belagerungszustand verhängt ist. In der Provinz Hessen-Nassau herrscht der Belagerungszustand nur im Juni/ Juli. Hörsings März-Vollmacht bezieht sich auf Oberschlesien, die vom Mai auf ganz Schlesien und Südposen. Im Regierungsbezirk Oppeln besteht der landesrechtliche Belagerungszustand seit dem 8.3. 1919. über den gesamten Regierungsbezirk Breslau wird er erst am 28.6. 1919 verhängt. Zunächst ist er auf das Gebiet rechts der Oder beschränkt. Die noch nicht von den Polen besetzten Gebiete Posens sind seit Anfang Januar unter dem Belagerungszustand.

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verständnis mit von den Landeszentralbehörden bestellten Verwaltungsbehörden. Aber die erweiterte Kontrollgewalt von Zivilbehörden bedeutet noch keine vollziehende Gewalt. Dazu werden die Regierungskommissare nach dem Erlaß vom 15. 10. 1918 nicht von der Reichs-, sondern allein von der Landesregierung ernannt. Der Ausübung des Belagerungszustandes im Oktober/November 1918 widerspricht es, daß nicht die Oberpräsidenten zu Kommissaren bestellt werden, sondern Reichs- und Preußische Regierung Parteivertreter als außerordentliche "Beamte" zur Wiederherstellung der Ordnung in die Provinz abordnen. Insgesamt zeigt die rechtliche Analyse des Reichs- und Staatskommissariats, daß das Belagerungszustandsgesetz und seine Ergänzungen nur eine unzureichende Grundlage für die Einrichtung bieten. Rechtlich ist die übertragung der vollziehenden Gewalt an Zivilbehörden, wie es bei den Reichs- und Staatskommissaren 1919 geschieht, erst nach Inkrafttreten der WRV möglich; im Rahmen des zivilen Ausnahmezustandes ist es seit 1920 mehrfach geschehen. Aber die auf der Grundlage des Artikel 48 vom RMdI ernannten Regierungskommissare unterstehen allein der Weisungsbefugnis des Reiches, während gegenüber Severing, Hörsing und Winnig als Reichs- und Staatskommissaren zugleich das Staatsministerium weisungsbefugt ist. Die Reichs- und Staatskommissare sind gesetzlich wenig gesichert. So ist es nicht ganz unbegründet, wenn Severing feststellt, daß diese Kommissare so viele Rechte besitzen, wie sie sich nehmen 15• Die Arbeitsgrundlage der Reichs- und Staatskommissare sind nur ihre Vollmachten, die neben einigen Reichs- und Staatsministern häufig nur wenigen Unterbehörden genau bekannt werden, die Autorität der Berliner Zentrale und die besondere Unterstützung der einheimischen Behörden, auf deren ausdrücklichen Wunsch die Kommissare entsandt sind; in Ostpreußen hat sich der Oberpräsident schon seit Ende Oktober 1918 für die Entsendung eines Berliner Kommissars eingesetzt, in Schlesien der Zentralrat in Breslau, und im Ruhrgebiet wenden sich die Stadtverwaltungen von Hagen und Essen und der Freiherr von Watter, der kommandierende General des VII. A._K. 18, mit dem gleichen Anliegen nach 16 Severing: Wetter- und Watterwinkel, S.56 Etwas zurückhaltender äußert sich Severing nach dem Bericht des Oberpräsidenten von Westfalen an die preußische Regierung vom 21. 7. 1919 (StAMü., Oberpräsidium Münster, Zgg. 1/1949 Nr. 59) ihm gegenüber: er würde notfalls über das Gesetz hinausgehen. In der Bevölkerung herrscht nach demselben Bericht die Meinung, der Kommissar könne alles und "von ihm nahestehender Seite wird die Auffassung vertreten, er könne sogar Todesstrafen verhängen...." 18 Severing erwähnt das nicht in "Wetter- und Watterwinkel"; er weist aber in einem Leserbrief in der Bielefelder Volkswacht vom 7. 11. 1919, Nr.260, daraufhin.

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Berlin. Ein besonderer Apparat steht den Reichs- und Staatskommissaren nicht zur Verfügung. Sie bauen sich einen kleinen Mitarbeiterstab aus Sozialdemokraten auf, setzen an verschiedenen Stellen Vertreter ein und reisen im übrigen viel im Lande umher. Severings wichtigster Mitarbeiter ist Ernst Mehlich, der Vorsitzende des Dortmunder Arbeiterund Soldaten-Rats und der Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung von Dortmund. Hörsings Stellvertreter ist Voigt (SPD) , Vorsitzender des Zentralsoldatenrates für Schlesien, Breslauer Polizeipräsident und VNV-Abgeordneter. Hörsing stehen zu dem persönlichen Mitarbeiterstab als dem Vorsitzenden des oberschlesischen Zentral-Arbeiter-und Soldatenrates - seit März mit der Aufhebung der Soldatenratsfunktionen nur noch des Zentralarbeiterrates - in beschränktem Umfang Räte zur Verfügung. Winnigs wichtigste Mitarbeiter sind sein Stellvertreter Lübbring, Königsberger Polizeipräsident und VNV-Abgeordneter, und sein Beauftragter für Westpreußen, der Gewerkschaftler Gehl, dem er eine eigene Vollmacht ausstellt. Der wichtigste Partner der Reichs- und Staatskommissare ist das Militär, das in den schon bald nach dem Umsturz wieder unter den Belagerungszustand gestellten Ostgebieten und dem Ruhrgebiet rechtlich Inhaber der vollziehenden Gewalt ist. Zur Zusammenarbeit mit dem Militär stehen Severing, Hörsing und Winnig spezielle Verbindungsoffiziere zur Verfügung. Die Reichs- und Staatskommissare fungieren dem Militär gegenüber als Regierungskommissare, entsprechend dem Allerhöchsten Erlaß vom Oktober 1918, wirken bei der Truppenverlegung und ihrem Einsatz mit, vermitteln zwischen Militär und Zivilbevölkerung, und in den gefährdeten Grenzprovinzen unterstützen sie den Grenzschutz17 • Zum anderen bedienen sie sich bei ihren eigenen rein zivilen Maßnahmen der Rechte und der Macht des Militärs. Zum Beispiel ist der Aufbau der sehr verläßlichen Essener Sicherheitswehr Severing zu verdanken; er vermag sie für Sonderaufgaben einzusetzen, weil ihm die Sicherheitswehr vom Generalkommando speziell dafür zur Verfügung gestellt wird l8 • Die Reichs- und Staatskommissare beanspruchen zwar auf Grund ihrer Vollmachten neben dem Militär und unabhängig von ihm Exekutivbefugnisse im Zivilbereich - auch in den 17 Zu Hörsing s. Hoefer: Oberschlesien, passim; zu Winnig s. Klatt: Ostpreußen, S. 80 f.; zu Severing s. Severing: Wetter- und Watterwinkel, S. 31 und passim. 18 Aktenvermerk des Oberregierungsrates Weber zu einer Besprechung des Oberpräsidenten Dr. Würmeling mit Severing vom 13. 8. 1919. StAMü., Oberpräsidium Münster Zgg. 1/1949 Nr. 59. - Danach stellt Severing die von ihm als "besonders zuverlässig" gerühmte Essener Sicherheitswehr gleichfalls dem Regierungspräsidenten von Minden Dr. von Campe zur Unterstützung der Feststellungskommissionen gegenüber der Landwirtschaft zur Verfügung, als dieser die Erfolglosigkeit der Kommissionen mit ungenügenden polizeilichen Kräften begründet.

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Gebieten, in denen kein Belagerungszustand herrscht; aber mit der allmählichen Wiederherstellung der Ordnung machen sich gegenüber dem Anspruch auf selbständiges Handeln immer stärker rechtliche Bedenken geltend, so daß die Unterstützung des Militärbefehlshabers zum Handeln unumgänglich wird. Das zeigt sich z. B. bei der durch Severing am 9. April ergangenen Verordnung19, die von entscheidender Bedeutung für die Eindämmung des Generalstreiks im Ruhrgebiet ist. Severing hat beim Erlaß dieser Verordnung die Rechtslage zumindest nicht außer acht gelassen, wie die Eingangsformel zeigt; es heißt dort: "Auf Grund des Gesetzes über den Belagerungszustand verordne ich für den Bezirk des Belagerungszustandes im Einvernehmen mit dem Militärbefehlshaber was folgt." Diese Formulierung entspricht ganz der Vollmacht vom 7.4. 1919. Das Dortmunder Landgericht erklärt die Verordnung jedoch am 1. 10. 1919 in einem von verurteilten Bergarbeitern angestrengten Berufungsverfahren für ungültig20 ; inzwischen hat sie allerdings ihre Hauptwirkung getan. Das Gericht erkennt Severings Anspruch auf Exekutivbefugnisse nicht an. In seiner Urteilsbegründung weist es darauf hin, daß der Militärbefehlshaber seine außerordentlichen Befugnisse auch nicht auf andere übertragen könne, und er müsse eine auf das Belagerungszustandsgesetz gestützte Verordnung persönlich erlassen. Auch die Bemerkung in der Verordnung, sie sei im Einvernehmen mit dem Militäbefehlshaber ergangen, gebe ihr keine Gültigkeit. Die Regierungsvollmachten spielen der Begründung nach bei der Urteilsfindung keine Rolle. Die beanstandete Verordnung gilt dadurch weiter, daß sie der kommandierende General Watter in Münster erneut mit seiner Unterschrift am 2. Oktober erläßt. Die Dekretierung des Arbeitszwanges in Oberschlesien am 29. April durch Hörsing nach dem Vorbild Severings erfolgt sofort im Namen des Generalkommandos und des Reichskommissariats. Widerspruch erregt gleichfalls die Verordnung des Reichskommissars Severing und des Generals Watter vom 26.5.1919 mit Ausführungsbestimmungen zur vorläufigen Dienstanweisung für den Betriebsrat, mit deren Hilfe unter anderem ein Schiedsauschuß für Betriebsräte-Angelegenheiten unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters Dr. Luther eingesetzt wird. Das Handelsministerium zweifelt sie in ihrer Rechtsgültigkeit an. Alle Zweifel vermag Severing zu beseitigen, indem das Generalkommando die Verordnung noch einmal allein auf Grund des Belagerungszustandsgesetzes ergehen läßtu . Neben der guten Zusammenarbeit von Militär und Reichs- und Staatskommissaren, die sich aus dem Aufeinanderangewiesensein ergibt, fehlen natürlich auch 18 Die Verordnung ist wiedergegeben bei Severing: Wetter- und Watterwinkel, S. 32; vgl. S. 57. zo Revisionsentscheidung der Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 1. 10. 1919, StAMü., Akten des Oberpräsidiums Münster, Zgg. 1/1949 Nr. 59. U Severing: Wetter- und Watterwinkel, S. 56.

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die Komplikationen nicht. Es überwiegen jedoch die positiven Züge in dem Verhältnis von Kommissaren und Militär. Die ordentlichen Zivilbehörden gewinnen mit der allmählichen Wiederherstellung der staatlichen Autorität wieder an Bedeutung. Von um so größerem Gewicht ist für Winnig, daß er im Juli 1919 das Oberpräsidium in Königsberg zusätzlich zu übernehmen vermag. Winnig erläßt seine Verordnungen zur Ausfuhrbeschränkung in seiner Funktion als Reichs- und Staatskommissar; aber Geltung vermag er ihnen zu verschaffen als Oberpräsident!!, Hörsing besitzt eine direkte Verbindung zur ordentlichen Zivilverwaltung durch den Polizeipräsidenten Voigt. Für Severing bleibt sehr zu seinem Nachteil die Hauptstütze das Militär. Der wieder an Geltung gewinnenden ordentlichen Verwaltung gegenüber wirken die Reichs- und Staatskommissare mehr und mehr als Fremdkörper und Eindringlinge. Sie läßt sich den Eingriff in ihren Aufgabenbereich gefallen, solange die Unruhen andauern, sie zeigt sich aber sehr empfindlich mit dem Wiedereinkehren der Ruhe. Vor allem Severing erlebt zahllose Auseinandersetzungen um die KompetenzenI!. Zum Beispiel gerät er mit dem zum 1. Juli neu ernannten Oberpräsidenten Dr. Würmeling (Z) sofort in Konflikt!" als er die Zurücknahme der von Würmelings Vorgänger zum 1. 7.1919 angeordneten Heraufsetzung der Milch- und Butterpreise verlangt. Würmeling opponiert in diesem Fall ganz entschieden; denn Severing handelt unabhängig vom Militär und verlangt dazu die Aufhebung einer Anordnung, die ganz Westfalen betrifft, während der Belagerungszustand nur im südlichen Teil herrscht. Severing erzwingt die Zurücknahme der Anordnung durch Rücksprache beim REM. In anderen Fällen stößt Severings Ernährungspolitik allerdings auch bei der Reichsernährungsverwaltung auf Widerstand. Auseinandersetzungen mit dem Oberpräsidium und den Regierungspräsidenten gibt es weiter, weil er in die Ernennung von Amtmännern eingreift, wegen seiner Kritik an der Amtsführung einzelner Beamter und wegen seines Eingreifens in die Tätigkeit verschiedener Landräte in Kreisen des Regierungsbezirks Minden, in denen kein Belagerungszustand besteht25 ; auch dies ist alles unabhängig vom Militär geschehen. !! Der die Ausfuhrbeschränkung betreffende Geschäftsverkehr wickelt sich allein über das Oberpräsidium ab. 13 Einiges Material zu den Auseinandersetzungen zwischen Severing und den ordentlichen Zivilbehörden findet sich im StAMü., Oberpräsidium, Münster Zgg. 1/1949 Nr. 59. 14 Dieser Fall ist ausführlich dargestellt in der Denkschrift des Oberpräsidenten vom 21. Juli 1919: "Bericht zur Abgrenzung der Amtsbefugnisse des Reichs- und Staatskommissars Severing gegenüber den Zivilbehörden insbesondere dem Oberpräsidenten der Provinz Westfalen". StAMü., Oberpräsidium Münster, Zgg. 1/1949 Nr. 59. 25 Die Vorkommnisse sind genau geschildert in der obenerwähnten Denkschrift.

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Die nach Beendigung des Generalstreiks Ende April fortdauernde umfangreiche Schlichtertätigkeit stört Regierungspräsidenten (als Demobilmachungskommissare) und Bergverwaltung. Schon Juni/Juli 1919 ergeht von westfälischen Behörden eine Beschwerde nach der anderen. Der Oberpräsident wendet sich am 21. Juli in einem ausführlichen "Bericht zur Abgrenzung der Amtsbefugnisse des Reichs- und Staatskommissars Severing gegenüber den Zivilbehörden insbesondere dem Oberpräsidenten der Provinz Westfalen"28 vor allem den von Severing unabhängig vom Militär getroffenen Maßnahmen zu. Er weist darauf hin, daß die Rechte der ordentlichen Zivilverwaltung in der Republik ungeschmälert erhalten geblieben sind, nur dem Militär auf Grund des Belagerungszustandes die vollziehende Gewalt zusteht und folglich in den Vollmachten, die Severing "selbständig übertragen sind, Akte der vollziehenden Gewalt nicht verstanden sein sollten." Der Oberpräsident möchte dem Kommissariat höchstens die Regelung von Schlichtungsfragen überlassen; die Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten hätte jedoch in engster Fühlungnahme mit dem Chef der westfälischen Zivilverwaltung zu geschehen. Der PrMdI konzediert dem Oberpräsidenten auf die Eingaben hin am 30. 8. 191927, daß manche der Maßnahmen Severings Kompetenzüberschreitungen seien, lehnt jedoch eine Einschränkung der Vollmachten ab. Zunächst ist das Vorgehen des Kommissars nach der Maxime, sich der Mittel zu bedienen, die notwendig sind, um in seinem Bezirk für Ordnung zu sorgen, noch gerechtfertigt, aber auf die Dauer hat er in den Auseinandersetzungen zurückzustecken. Eine wichtige Bestätigung des Anspruches der Oberpräsidenten ist das Dortmunder Gerichtsurteil. Severings Äußerungen vom Oktober 1919 zeigen deutlich Resignation. Am 15. Oktober äußert er28 : "In den ersten Tagen meiner Amtstätigkeit hatte ich allerdings diktatorische Vollmachten; jetzt aber machen die Behörden fast in jeder Woche Kompetenzbedenken geltend; und es fehlt mir die Zeit, diese im langwierigen bürokratischen Wege zu widerlegen." Er muß die Kompetenzbedenken als teilweise berechtigt anerkennen 29 : "Die Stellen haben formell recht; denn der Reichs- und Staatskommissar ist ein Fremdkörper im Staatswesen." Seit Dezember 1919 fungiert Severing im wesentlichen nur noch als Schlichter und als Regierungskommissar gegenüber dem Militär. Bei der Niederschlagung des wilden Eisenbahnerstreiks im Januar 1920 ernennt ihn der PrMdöA zum "Eisenbahnkommissar für die Regierungsbezirke Düsseldorf, Arnsberg, Siehe Anm. 24. Schreiben des PrMdI an den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen vom 30. 8. 1919. StAMü., Oberpräsidium Münster, Zgg. 1/1949 Nr. 59. 28 Äußerung Severings in einer öffentlichen Versammlung in Bielefeld. Bericht in: Münsterscher Anzeiger v. 15. 10. 1919, Nr. 527. 28 Äußerung Severings in einer öffentlichen Versammlung in Bielefeld. Bericht in: Volkswacht (Bielefeld) v. 13. 10. 1919, Nr. 238. 28

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Münster und Minden". Nach seiner Spezialvollmacht haben die Eisenbahndirektionen im Einvernehmen mit ihm und nach seinen Anordnungen die zur Wiederherstellung eines geordneten Verkehrs erforderlichen Maßnahmen zu treffen so. Hörsing beansprucht auf Grund seiner Vollmachten gleichfalls Exekutivbefugnisse. Das kommt z. B. im Verbot von Zeitungen zum Ausdrucks1 . Auf die Dauer führt dieser durch das Gesetz nicht gerechtfertigte Anspruch zu denselben Schwierigkeiten wie bei Severing. Hörsing erlebt u. a. Auseinandersetzungen mit dem Regierungspräsidenten in Oppelns2, desgleichen mit der Eisenbahndirektion in Kattowitz; dazu billigt selbstverständlich die Bergverwaltung nicht immer seine eigenmächtige Schlichtertätigkeit und nimmt Anstoß an den wegen der Absetzung von Werksbeamten eingerichteten Schiedsgerichten; ebenso finden seine improvisierten Maßnahmen zur Lebensmittelversorgung wenig Anklang bei der Reichsernährungsverwaltung. Zwischen Winnig und Oberpräsident von Batocki bleiben trotz des guten persönlichen Verhältnisses Kompetenzdifferenzen nicht aus. Im Juli 1919 wird in Ostpreußen das Problem des Verhältnisses von Kommissariat und allgemeiner innerer Verwaltung durch die Personalunion auf die günstigste Weise gelöst. Die von Winnig als Kommissar ausgeübte Schlichtertätigkeit in der Landwirtschaft stört als völlig neu nie irgendeine heimische Behörde. Das von ihm in Ostpreußen aus den landwirtschaftlichen Arbeiter- und Arbeitnehmerverbänden aufgebaute ireiwillige Schlichtungswesen arbeitet so gut, daß es erst 1922 entsprechend den Verordnungen zum Schlichtungswesen seit 1918 verstaatlicht wird 83• Dagegen gibt es schwere Zusammenstöße zwischen Winnig und der Ernährungsverwaltung. Die allgemeine Ablehnung der Reichs- und Staatskommissare als Eindringlinge durch die ordentliche Verwaltung findet einen besonderen Rückhalt bei preußischen Ministern, insbesondere bei dem Finanz- und dem Handelsministers,. Demgegenüber ist das Reich, vor allem das 30 Severing: Lebensweg, Bd. 1, S. 251 f., s. Wetter- und Watterwinkel, S. 115 f. - Abschrift des Schreibens von Severing vom 12. 1. 1920 an die Eisenbahndirektion Elberfeld. StAMü., Oberpräsidium Münster, Zgg. 1/1949 Nr.59. 31 Siehe dazu DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 2 Nr. 19 Bd. 1. 81 Dem PrMdI gegenüber lobt Hörsing in seinem Schreiben vom 19. 4. 1919 (DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 2 Nr. 20 Bd. 1) die entgegenkommende Haltung der Militärs, findet, daß es sich mit den meisten Landräten im Regierungsbezirk Oppeln gut arbeiten läßt, obgleich er einige abgesetzt sehen möchte; aber er beklagt sich über das Regierungspräsidium. ss Von 1928 bis zum Ende der Republik fungiert Winnig als Reichsschlichter in Brandenburg. 84 Vgl. das Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums vom 24.4. 1919 an den Präsidenten des Reichsministeriums ete. (DZA Merseburg,

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RMdI, schon um des direkten Kanals in die Provinzen durch die außerordentlichen Behörden an ihnen besonders interessiert. Zudem stehen dem Reich mit den Kommissariaten zumindest in einigen Gebieten eigene zivile Unterbehörden für den Ausnahmezustand zur Verfügung. Das Verhältnis Winnigs zur Reichs- und Staatsregierung macht eine besondere Entwicklung durch. Er erwägt anfänglich als reiner Kommissar die Umwandlung Ostpreußens in ein Reichsland35• Dieser Plan fällt mit seiner Entfremdung von der Reichsregierung nach der Übernahme des Oberpräsidiums und seiner Annäherung an die Staatsregierung in sich zusammen; gerade Heine und Südekum unterstützen ihn trotz ihrer Mißbilligung der ostpreußischen Autonomiebestrebungen. So beantragt Winnig im Oktober 1919 bei der Reichs- und Staatsregierung38 die Auflösung des Reichs- und Staatskommissariats mit der Begründung, daß die Bearbeitung von Reichsangelegenheiten stark abgenommen habe und im Kommissariat "nur noch in der Hauptsache Beschwerden untergeordneter Natur erledigt" würden. Demgegenüber besitzt die Reichsregierung zwar kein Interesse mehr an der Person Winnigs, aber ein starkes an dem Kommissariat, und es bleibt erhalten. Im Januar 1920 weist Winnig noch einmal darauf hin 37, daß eine sachliche Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung des Kommissariats nach seiner festen Überzeugung nicht bestehe. Hinter der weiteren Befürwortung des Kommissariats durch die Reichsregierung müsse er "nach Lage der Sache ... nur das Bestreben bestimmter Personen sehen, in einem neu bestellten Reichskommissariat ein Organ zur Durchkreuzung seiner Maßnahmen zu schaffen". Differenzen zwischen ihm und Batocki seien ohne weitere Konflikte gelöst, "weil wir beide uns ehrlich bemühten, die Geschäfte nach rein sachlichen Gesichtspunkten zu führen. Das wäre in diesem Falle anders, weil der neu bestellte Kommissar von vornherein gegen mich und meine Politik eingenommen werden würde .... Ein selbständiger Reichskommissar mit eigenen Vollmachten könnte nur Verwirrung, Verwicklungen und Streitigkeiten schaffen". Er droht für den Fall Rep. 120 C XlIII Nr. 127 Bd. 1), das Schreiben des PrMfHuG vom 13.6.1919 an den Präsidenten des Staatsministeriums, das Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums vom 21. 7.1919 an den Präsidenten des Reichsministeriums etc. und das Schreiben des PrFM vom 23. 7. 1919 an den Präsidenten des Staatsministeriums (DZA Merseburg, Rep. 120 A I 1 Nr. 5 Bd. 4).Vgl. das Preuß. Staatsm.-Prot. vom 25.11.1919. DZA Merseburg. Vgl. das Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums an den PrMdI vom 29. 9. 1919 (DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 108/2), das sich z. B. gegen die finanzielle Selbständigkeit der Kommissare wendet. 35 Winnig: Heimkehr, S. 284. 36 Schreiben Winnigs vom 27.10.1919 an Reichs- und Staatsregierung. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 108/2. 37 Schreiben des Oberpräsidenten Winnig vom 5. 1. 1920 an den Präsidenten des Staatsministeriums. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 108/2.

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der Ernennung eines selbständigen Reichskommissars mit seiner Amtsniederlegung. Er schlägt demgegenüber die Entsendung eines Vertreters des AA nach Königsberg ins Oberpräsidium vor, der hier als Verbindungsmann zwischen der Provinz und dem AA in engem Einvernehmen mit dem Oberpräsidenten tätig wäre. Das entspricht den Vorschlägen der süddeutschen Regierungen bei der Bekämpfung der Reichskommissariate des RMdp8 und dem Anspruch des Oberpräsidenten der Rheinprovinzsu • Ein AA-Vertreter könnte ihm gerade auf dem Ernährungsgebiet, auf dem er dem Reich zu schaffen macht, nicht gefährlich werden. Als dieser Vorschlag nichts fruchtet, setzt er sich für einen Verbindungsmann des Oberpräsidiums in Berlin bei den Ministerien ein 40 • Hinter der Forderung nach einem vom Oberpräsidium unabhängigen Reichskommissariat stehen, wie die Ostpreußenkonferenz zeigtft, ostpreußische SPD-Abgeordnete der VNV und der VPrLv und die Vertreter ostpreußischer Verbraucherorganisationen. Gegenüber dieser Gefahr schwenkt Winnig schließlich wieder um und fordert nun in seiner Denkschrift vom 4. März 192042 die Erneuerung des Reichskommissariats auf reichs- und landesrechtlicher Basis als Spitze sämtlicher wirtschaftlicher und polizeilicher Reichsstellen in Ostpreußen wie der ostpreußischen inneren Verwaltunts. Diese Forderung, die praktisch den Anspruch auf eine Legalisierung seiner J anuar-Vollmacht bedeutet, ist Teil seines Anliegens der größeren Selbständigkeit für Ostpreußen. Die von ihm vertretene Konzentration der ostpreußischen Staats- und Reichsgewalt in einem der Reichs- und Staatsregierung verantwortlichen Kommissariat ist das Pendant zu seiner im Hinblick auf die außenpolitischen Gefahren und den Abstimmungskampf verfolgten Politik der Zusammenfassung der ostpreußischen Bevölkerung. Der KappPutsch nimmt Winnigs Plänen die Grundlage. Der neue ostpreußische Oberpräsident Siehr (DDP) und der von März bis Juli amtierende Reichs- und Staatskommissar Borowski (SPD) setzen sich vergeblich für ein Reichskommissariat mit außerordentlicher Macht ein. Reichs- und Staatskommissar Hörsing tritt schon im Dezember 1919 zurück auf Grund des überall gegen seine Amtsführung wachsenden Widerspruches in Schlesien und insbesondere in Oberschlesien. Von rechts erfährt er Kritik, weil er die oberschlesischen Gemeinderatswahlen vom 9. November durchgesetzt hat, von der SPD wegen ihres ungeheuren as Vgl. Teil B, VII, 3. Vgl. Teil B, VI. 40 Vgl. Teil B, V, Anm. 214. ft Vgl. Teil B, V, 3. 42 Vgl. Teil B, V, 3. n Winnig erklärt sich bereit, auf das Amt des Reichskommissars für Ostpreußen zu verzichten. Winnig: Heimkehr, S. 285.

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Stimmenverlustes an die USPD bei diesen Wahlen und allgemein auf der Linken wegen seines Eintretens für den Belagerungszustand. Am 24. November bittet er die Reichs- und Preußische Regierung'" ihn von seinem Posten zu entheben, um der für den Abstimmungskampf notwendigen Einheit der deutschen Kräfte in Oberschlesien zu dienen. "Das Zentrum und die Unabhängigen haben ihre ganze Agitation ... derartig auf meine Person eingestellt, daß sie nach meinem Dafürhalten gar nicht zurück können, ohne sich politisch lächerlich zu machen. Dieses Hindernis einer Einigung wegzuräumen, halte ich für meine vaterländische Pflicht." Für den Abstimmungskampf setzen Reichs- und Staatsregierung in Oberschlesien neue Reichs- und Staatskommissare ein. Severing führt das Reichs- und Staatskommissariat im Ruhrgebiet bis zum 11. April 1920. Reichs- und preußische Regierung beschließen am 3. Mai, die Einrichtung für die Provinz Westfalen und den unbesetzten Teil des Regierungsbezirks Düsseldorf unter dem Stellvertreter Severings Ernst Mehlich auf das soziale und wirtschaftliche Tätigkeitsgebiet begrenzt beizubehalten45 • Der Vorschlag, die Stelle mit dem Oberpräsidium Münster zu verbinden, verfällt der Ablehnung; aber immerhin entspricht die von Severing und Mehlich selbst beantragte Einschränkung des Aufgabenkreises des Kommissariats dem Interesse des Oberpräsidiums. Für den Ausnahmezustand bestellt die Reichsregierung in Zukunft in Westfalen wie in den übrigen Provinzen den Oberpräsidenten zum Kommissar. Die Berufung Mehlichs am 11. Juni 1920 erfolgt nicht mehr auf dem Wege einer geheimen Verwaltungsanordnung, sondern in der Form einer gemeinsam von Reichs- und preußischer Regierung im Reichsgesetzblatt (S. 1200) herausgegebenen Verordnung. Sie stützt sich vor allem auf § 31 und § 2 Abs.2 der Verordnung über Tarifverträge usw. vom 23. 12. 1918. Der Kommissar ist, soweit ihm die Durchführung von Schlichtungsverfahren übertragen ist, eine abgezweigte Dienststelle des RAM; ihm stehen folglich keine weiteren Befugnisse zu, als die über die das RAM verfügt. Er ist von den übrigen Schlichtungsbehörden und den Demobilmachungskommissaren über wichtige Arbeitsstreitigkeiten zu informieren. Dazu führt er Aufgaben des REM und des RWiM in der Provinz aus. Auf der anderen Seite untersteht er einmal dem Handelsministerium, weil er vor allem im Bergbau tätig ist; und aus seiner Zuständigkeit für Arbeiterwohlfahrtsbestrebungen ergibt sich die zusätzliche Fachaufsicht des Wohlfahrtsministeriums. Seine Hauptkonkurrenzbehörde ist die Bergverwaltung. Mehlich äußert " Schreiben Hörsings vom 24.11.1919 an die preußische Regierung. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 22. .. '5 Wegen der Bedenken des Oberpräsidenten von Münster auch gegen dieses in seinem Aufgabenbereich eingeschränkte Reichs- und Staatskommissariat wird bald noch ausdrücklich zum Titel hinzugesetzt "für gewerbliche Fragen". .

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selbst'8, daß die von ihm im Bergbau behandelten Bergbaufragen im allgemeinen "durch die Organisation der Bergbehörde erledigt werden müßten, wenn zu dieser das notwendige Vertrauen bestände". Die Weiterentwicklung des Amtes des Reichs- und Staatskommissars, das zunächst von Severing, Winnig und Hörsing wahrgenommen wird, ist allgemein gekennzeichnet durch die Einschränkung, Präzisierung und die Legalisierung seiner Befugnisse, d. h. seine Annäherung an den überkommenen Verwaltungskörper. Dafür ist die allmähliche überwindung der erdbebenartigen Verhältnisse und die gleichzeitige Wiederherstellung der Autorität des ordentlichen Behördenapparates, der einen Großteil der neuen Aufgaben der Zeit an sich zieht und dessen führende Ämter in der Regel von den Vertretern der Mehrheitsparteien besetzt werden, ausschlaggebend. Ein Rückschlag von weitreichender Bedeutung in der Stabilisierung ist der Kapp-Putsch. Zunächst wenden sich neben Länderregierungen die Gewerkschaftsorganisationen, Beamte, staatstreue Soldaten und die sich im Ruhrgebiet, in der Provinz Sachsen, in Schlesien, Pommern und Schleswig-Holstein wie im November 1918 in Räten und Ausschüssen organisierende Arbeiterschaft gegen das Putschunternehmen. Zu den staatlichen Maßnahmen nach seinem Zusammenbruch und zu seiner Liquidation in Norddeutschland gehört die improvisierte Einsetzung von der Reichs- und Staatsregierung verantwortlichen Kommissaren. Die Initiative geht auch diesmal von der Reichsregierung aus, während sich die preußische Regierung erst später einschaltet. Schon am 16. März betraut der Reichspräsident den VNV-Abgeordneten und Oberpräsidenten Hörsing - unter Ausdehnung der ihm im Rahmen des rein militärischen Ausnahmezustandes schon vorher verliehenen regierungskommissarischen Befugnisse - mit der vollziehenden Gewalt in der Provinz Sachsen und in Anhalt und beauftragt ihn, verfassungsmäßige Verhältnisse wiederherzustellen. Seine Vollmacht bezieht sich auf sämtliche Behörden'? Wann die preußische Regierung Hörsing, der sich zugleich als Staatskommissar begreift, legitimiert hat, ist nicht bekannt. Hörsing kann ohnehin besondere Rechte, die über seine Befugnisse als Oberpräsident hinausgehen, nicht daraus ableiten, da die preußische Regierung mit Inkrafttreten der Weimarer Verfassung ihre Notstandsgewalt endgültig verloren hat. 48 Schreiben Mehlichs vom 9.11. 1920 an den PrMdl, abschriftlich an den Oberpräsidenten. StAMü., Oberpräsidium Münster, Zgg. 1/1949 Nr. 59. . 41 Hörsings Vollmacht hat mir nicht vorgelegen. Ich habe ihren Inhalt aus dem Hörsing betreffenden Schriftwechsel im DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 1 Nr.29 Bd.2, ermittelt. Wann Hörsing zum Staatskommissar ernannt ist, ist mir nicht bekannt. In einem Schreiben vom 9.4. 1920 an die preußische Re"' gierung spricht Hörsing von sich als Reichs- und Staatskommissar.

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Hörsing geht sofort vor gegen die Maßregelung von Arbeitern, Offizieren und Mannschaften, die sich für die verfassungsmäßigen Gewalten eingesetzt haben und gegen Putschanhänger, löst Zeitfreiwilligenverbände auf und beginnt mit der Entwaffnung. Das Eingreifen Hörsings in den Militärbetrieb hat schon am 22. März die Beschwerde des RWM bei der preußischen Regierung zur Folge 48 • Der Reichspräsident verfügt am 1. 4.192048 , daß alle an außerordentliche Reichskommissare gegebenen Vollmachten dahin eingeschränkt werden, daß Eingriffe in die militärischen Befehlsverhältnisse von jetzt ab zu unterbleiben haben; zugleich wendet er sich gegen die Eingriffe von Landesregierungen in die Reichswehr. Trotz aller Bemühungen Hörsings, weiterhin in vollem Umfange Reichskommissar, Militärbefehlshaber und Staatskommissar zu sein50, werden seine Befugnisse gegenüber den Putschanhängern allem Anschein nach schon Anfang April aufgehoben und reduziert der Reichspräsident die noch verbleibenden Reichsbefugnisse am 11. April im Zuge der Verhängung des zivilen Ausnahmezustandes eindeutig auf die vollziehende Gewalt im Zivilbereich. Im Ruhrgebiet ist Severing mit der Wiederherstellung der Ordnung beschäftigt. Er besitzt seine alten Rechte als Reichs- und Staatskommissar, und seit Januar 1920 fungiert er ausdrücklich als Regierungskommissar für Westfalen gegenüber dem mit der vollziehenden Gewalt betrauten Militärbefehlshaber in Münster. Ab 4. April marschiert die Reichswehr in das Ruhrgebiet ein, um die Anarchie zu beseitigen, die nach der Verdrängung sämtlicher staatlicher Sicherheitsorgane durch die Arbeitertruppen entstanden ist. Für diese Aktion erweitert das Reich die Rechte Severings gegenüber dem Militär noch. Die Reichsregierung bindet die militärischen Operationen an das Einvernehmen mit ihm, ebenso die Entscheidung, ob in Schutzhaft genommene Personen freizulassen oder festzuhalten sind. Sie ermächtigt ihn dazu, den einzelnen Truppenteilen Unterbevollmächtigte zur Seite zu stellen. Schließlich erteilt sie ihm spezielle Befugnisse zur Liquidation des Kapp-Putsches, insbesondere den Auftrag, aktive Anhänger der Putschisten zu bezeichnen51 • Eine ausdrückliche Vollmacht der preußischen 48 Schreiben des RWM vom 22. 3. 1920 an die preußische Regierung etc. DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 1 Nr. 29 Bd. 1. 48 Verfügung des Reichspräsidenten vom 1. 4.1920. Vorhanden bei den Akten des Reichs- und Staatskommissars Severing, Schriftwechsel mit dem Generalkommando, 19 a Bd. 5, DZA Potsdam. 50 Siehe Schreiben Hörsings vom 9. 4. 1920 an die preußische Regierung. DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 1 Nr. 29 Bd. 1. - Wütend kommentiert hier Hörsing die Verfügung des Reichspräsidenten: "... und die ganze Angelegenheit hat nur den Zweck, mich auszuschalten." Er merke, "daß sich die Herren Militärs nicht mehr an meine Befehle halten". Er lehnt es ab, seine Gewalt anders als durch besondere Verordnung beschränken zu lassen. 51 Die vom Reichspräsidenten, Reichskanzler und RWM unterzeichnete

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Regierung erhält Severing nicht. Das ist auch nicht nötig, da er seit dem 29. März das Amt des PrMdI innehat. Das verleiht seiner Tätigkeit als Untersuchungskommissar ein Gewicht, wie es sonst nur Hörsing als Oberpräsident besitzt. Am 25. März bestellt die Reichsregierung Dr. Köster zum Untersuchungskommissar in Schleswig-Holstein - besonders in Kiel. Wie weit sich Kösters Befugnisse auf die preußische Verwaltung beziehen, war nicht zu ermitteln. Bei ihm ist zu beachten, daß er seit Anfang April 1919 schon als Staatskommissar in Schleswig-Holstein tätig ist. Nach Wilhelmshaven entsendet die Reichsregierung den Abgeordneten Vesper. Dort ist nur die Marinestation vom Putsch betroffen. Die Deckoffiziere, Unteroffiziere und Mannschaften haben die Seeoffiziere, die der Sympathien mit den Berliner Putschisten verdächtig sind, verhaftet, und auf Ersuchen der Oldenburger Regierung hat das Reich den Deckoffizier Grunewald zum neuen Stationskommandanten ernannt. Ihm ist ein Kommissar der Oldenburger Regierung beigegeben. Die Oldenburger Regierung hat im Auftrag des Reichspräsidenten und RWM die Leitung des "Ganzen" vom 16.3. 1920 bis 26.3. 192052 • Am 26. März trifft Vesper ein, um das Verhalten der inhaftierten Seeoffiziere zu überprüfen. Seine Vollmacht58 beschränkt seine untersuchungskommissarischen Befugnisse auf die Marine. Weiter heißt es dort: "Sämtliche militärischen Stellen werden angewiesen, den von dem Kommissar im Rahmen seiner Aufgabe ausgesprochenen Ersuchen Folge zu leisten. Alle übrigen Behörden werden ersucht und alle Organisationen, Verbände und anderen Stellen aufgefordert, ihm die nötige Unterstützung zu gewähren." Also die preußische Verwaltung Wilhelmshavens ist damit gleichfalls zur Unterstützung ersucht. Vesper und auch den anderen aus Anlaß des Kapp-Putsches bestellten reinen Untersuchungskommissaren stehen allerdings keine Weisungsbefugnisse gegenüber den Behörden zu. Am 27. März bevollmächtigt die Reichsregierung den DDP-Abgeordneten Dr. Koebisch als Untersuchungskommissar für den unbesetzten Teil Schlesiens, und zwar nicht nur gegenüber der Reichsverwaltung und speziell dem Heer, sondern auch gegenüber der preußischen Zivilverwaltung; die Vollmacht ersucht sie zugleich zu jeder nötigen UnterstützungS4 • Vollmacht vom 30.3.1920 ist abgedruckt bei Severing: Wetter- und Watterwinkel, S. 191 f. 52 Der telegraphische Auftrag des Reichspräsidenten und des RWM vom 16.3.1920 ist wiedergegeben bei GTtmdig, Edgar: Chronik der Stadt Wilhelmshaven 1853-1945, Bd. 11, Masch., Wilhelmshaven 1957, S. 138 f. S8 Abschrift der vom Reichspräsidenten unterzeichneten Vollmacht vom 25.3. 1920 an Vesper. DZA Merseburg, Rep. 90 a DIa Nr. 3l. 54 Abschrift der vom Reichspräsidenten, Reichskanzler und RWM unter15 Eimers

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Die verfassungsrechtliche Grundlage hierfür wie für die übrigen Untersuchungskommissariate ist der Art. 48 WRV. Die Bevollmächtigung Koebischs, die über die Vespers hinausgeht, ruft jedoch sofort den Protest des PrMdI Heine hervor55 • Er wendet sich an den Reichskanzler, um gegen "dieses Verfahren, das einen Eingriff in die innere Verwaltung Preußens enthält, nachdrücklichst Widerspruch" zu erheben, da er für die Ermittlungen gegen die ihm unterstellten Beamten "lediglich die preußische innere Verwaltung" für zuständig hält. Die neue preußische Regierung repariert die preußische Staats autorität, indem sie Koebisch am 31. März gleichfalls zum Staatskommissar ernennt und die ihm übertragenen Aufgaben und Befugnisse ausdrücklich auf die preußischen Beamten ausdehnt. Das ist um so wichtiger, als Koebisch in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften sofort eine beachtliche Aktivität gegenüber der Zivilverwaltung entfaltet und in allen Stadt- und Landkreisen spezielle Untersuchungskommissare als seine Beauftragten einsetzt. Wie in Schlesien schaltet sich die preußische Regierung erst verspätet in Ostpreußen ein. Dort beauftragt das Reich am 27.3.1920 zur Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände den VPrLv-Abgeordneten und Königsberger Stadtrat Borowski (SPD) 58. Die Reichsregierung erteilt ihm im Unterschied zu Koebisch erst am 31. 3. 1920 eine genaue Vollmacht mit seinen Aufgaben im Zusammenhang mit der durch den Kapp-Putsch geschaffenen Lage - vor allem gegenüber den "beamteten Personen"57. Der ostpreußische Kommissar besitzt wie Hörsing und Severing untersuchungskommissarische Befugnisse gegenüber der Reichswehr; er vermag sie aber in der Praxis nicht auszuüben. Er ist wie Koebisch in erster Linie Untersuchungskommissar für den Zivilbereich. Die preußische Regierung ernennt Borowski am 31. 3. 1920 zum Staatskommissar und erteilt ihm entsprechend dem Vorgehen der Reichsregierung eine präzise Vollmacht für die preußische Verwaltung58 • Die Bestellung Borowskis zum Regierungskommissar für den seit Januar bestehenden Ausnahmezustand folgt. zeichneten Vollmacht vom 27.3. 1920 für Dr. Koebisch. DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 1 Nr. 31. 55 Schreiben des PrMdI vom 29. 3. 1920 an den Reichskanzler etc. DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 1 Nr. 31. 56 Die Ernennung Borowskis zum Staatskommissar am 31. 3. 1920 bezieht sich ausdrücklich auf eine Reichsvollmacht vom 27.3.1920. Vgl. Anm. Nr.58. - Aufschluß über die Tätigkeit Borowskis gibt Klatt: Ostpreußen. 57 Die von der Reichsregierung ausgestellte Vollmacht vom 31. 3. 1920 ist abgedruckt bei Klatt: Ostpreußen, S. 271. 58 Abschrift der Vollmacht der preußischen Regierung vom 31. 3. 1920. DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 1 Nr. 31.

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Einzig und allein von der preußischen Regierung bevollmächtigt ist Albert Grzesinski (SPD)5G, der Reichskommissar bei der Heeresabwicklungsstelle Preußen, VPrLv-Abgeordnete und spätere Nachfolger Severings im Amt des PrMdI. Er ist auf Grund des Auftrages der preußischen Regierung vom 18. März vom 22. bis 24. März in Stettin beschäftigt mit der Schlichtung des Gegensatzes zwischen der regierungstreuen streikenden Arbeiterschaft und der Truppe, die am 18. März wieder regierungstreu geworden ist und die Arbeiterschaft entwaffnen will. Die Reichsregierung beauftragt zusätzlich am 24. März in Pommern auf Ersuchen des Landrats von Greifswald80 den sozialdemokratischen Staatsminister von Mecklenburg-Strelitz Franz KTÜger 61 mit der Schlichtung des Landarbeiterstreiks im Kreis Greifswald und ersucht ihn, in Greifswald und Umgebung "alle notwendigen Erkundigungen einzuziehen und Aufklärungen zu geben". Krüger widmet sich gleichfalls der Schlichtung des Streikes der Stettiner Arbeiterschaft62 • So dehnt die Reichsregierung seine Vollmacht am 31. 3.1920 auf ganz Pommern aus mit dem Hinweis, daß ihn u. a. sämtliche Zivil- und Militärbehörden zu unterstützen haben63 • Außerhalb Preußens setzt die Reichsregierung nur in Thüringen am 22. März den Staatsminister Dr. Paulssen und am 24. März die Abgeordneten Paul Reißhaus und Hermann KäppZer als Reichskommissare zur Liquidation des Kapp-Putsches ein. Das Preußische Staatsministerium beschließt am 8. April auf Grund einer Anregung des Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau6 \ bei sämtlichen Oberpräsidien Untersuchungskommissionen einzurichten, die Tatsachenmaterial sammeln sollen über die Beteiligung von Beamten am Kapp-Putsch". Zugleich hebt sie den Auftrag an Dr. Koebisch auf. Nur die Vollmacht für Borowski bleibt noch bis Ende Juli in Kraft. Die preußische Regierung tritt an die Reichsregierung heran, die neuen ~G Abschrift der Vollmacht der preußischen Regierung an Albert Grzesinski vom 18.3. 1920. DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 1 Nr. 31. - Zu den Verhältnissen in Pommern während des Kapp-Putsches s. Schreiner, Klaus: Der Kampf der Werktätigen Vorpommerns gegen den militaristischen Kapp-Putsch und die daran anschließenden Aktionen im März 1920, Diss. Phil. Rostock 1963. 60 Siehe Schreiner: Kapp-Putsch, S. 396. 61 Abschrift der Vollmacht der Reichsregierung vom 24. 3.1920. DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 1 Nr.31. Zum Wirken Krügers s. Schreiner: Kapp-Putsch, S. 328 f., 346. 6! Schreiner: Kapp-Putsch, S. 271 ff. Ga Abschrift der Vollmacht der Reichsregierung vom 31. 3.1920. DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 1 Nr. 31. 84 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 8. 4. 1920, DZA Merseburg. 85 Zur Arbeit der Untersuchungskommissionen: Runge, Wolfgang: Politik und Beamtenturn im Parteienstaat / Die Demokratisierung der politischen Beamten in Preußen zwischen 1918 und 1933, Stuttgart 1965, S. 122-133.

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Kommissionen bei den Oberpräsidien auch für Reichsbeamte aller Art für zuständig zu erklären. Aber wie in Preußen die untersuchungskommissarischen Aufgaben auf die Oberpräsidien übergehen, übernehmen sie im Reich seine ordentlichen Verwaltungsbehörden. Die Reichsregierung zieht die Vollmachten für die Reichskommissare Koebisch, Vesper, Krüger und Köster zurück, wie auch die Untersuchungstätigkeit Hörsings und Severings für das Reich zu Ende geht. Borowskis Amtstätigkeit als Reichskommissar in Ostpreußen endet mit seiner Entlassung als Staatskommissar im Juli. Nach dem Kapp-Putsch gibt es - abgesehen von dem Sonderkommissar der Reichs- und Staatsregierung für den Grenzschutz in Schlesien 1920/1921, Eugen Ernst 68 , - Reichs- und Staatskommissare nur noch in den Abstimmungs- und Abtretungsgebieten und im besetzten Rheinland. Diese Kommissare sind in der Mehrzahl preußische Verwaltungsbeamte, und die außerordentlichen Ämter sind zumeist noch in Personalunion mit der preußischen Verwaltung verbunden. Von diesen Reichs- und Staatskommissaren ist nur einer SPD-Vertreter, und einige gehören dem Zentrum an. Die Bestellung von Sonderkommissaren für das besetzte Rheinland ist seit Anfang 1919 aktuell. Die Verwirklichung der erwogenen Sondermaßnahmen scheitert zunächst an der Befürchtung der preußischen Regierung, durch einen Sonderstatus des besetzten Gebietes den Ablösungsbestrebungen und vor allem dem Separatismus der Feindmächte in die Hände zu arbeiten. Der PrMdI Heine äußert allgemein 87 : "Im Verhältnis zu unseren Feinden muß unser Bestreben gerade dahin gehen, daß sich die Verwaltung in den besetzten Gebieten genauso abwickeln kann wie in den übrigen Teilen Preußens." Angesichts des Separatistenunternehmens im Rheinland Anfang Juni 1919 setzt sich die preußische Regierung dennoch für die Bestellung eines Kommissars ein; er soll die Ablösungsbestrebungen bekämpfen, aber keine verwaltende Tätigkeit ausüben. Im Zusammenhang mit ihrem Bemühen, die Reichsregierung gleichfalls zur Wendung gegen die Abtrennung von Preußen zu veranlassen, befürwortet sie die gleichzeitige Bestellung des Staatskommissars zum Reichskommissar. Das Vorschlagsrecht für das Amt soll Preußen vorbehalten sein88, damit garantiert ist, daß der Beamte in erster Linie die preußischen Interessen wahrnimmt. Die Reichsregierung ist mit diesen Vorstellungen nicht einverstanden, und so kommt es Anfang Juni nur zur Berufung eines Staatskommissars, und zwar des vormaligen Regierungspräsidenten von Düsseldorf von Severing: Lebensweg, Bd. 1, S. 305. Schreiben des PrMdI an den Präsidenten des Staatsministeriums vom 31. 5. 1919. Nied St, Preuß. Staatsm. IX 2 Nr. 40 Bd. 1. 88 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 2. 6. 1919, DZA Merseburg. 88

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Starck69 • Eine ähnliche Einrichtung unterhält die preußische Regierung schon in Schleswig-Holstein. Dort arbeitet seit April der Staatskommissar Dr. Adolf Köster70, der vorher in der Reichskanzlei beschäftigt war, mit der Aufgabe, "für die Wahrung des preußisch-deutschen Besitzstandes - besonders im Hinblick auf eine Abstimmung in Nordschleswig - mit aller Kraft an Ort und Stelle zu wirken, der bedrohten deutschen Bevölkerung mit Rat und Tat, in gemeinsamer Arbeit mit ihren Ausschüssen beizustehen, die dänische Werbetätigkeit abzuwehren, das gesamte Deutschtum der Provinz zusammenzufassen und sein Zugehörigkeitsgefühl zu Preußen-Deutschland zu stärken"71. Köster macht sich hier zum Leidwesen der preußischen Regierung nicht zum absoluten Fürsprecher der sehr begrenzten preußischen Politik, sondern hat nach den deutschen Interessen vor allem die - seiner Meinung nach mit der Politik des Staatsministeriums nicht unbedingt identischen schleswig-holsteinischen Interessen im Auge. Das Reich übt auf seine Geschäftsführung anfänglich nur einen begrenzten Einfluß aus. Dadurch, daß er im April gleichfalls mit der vorübergehenden Wahrnehmung der Geschäfte des preußischen Gesandten bei den Hansestädten und bei den Freistaaten Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz beauftragt wird, ist er mit dem AA verbunden. Das RMdI ist zunächst ausgeschaltet. Das ändert sich erst im November 1919, als die Reichsregierung nach einigem Widerstreben Preußens seine Ernennung zum Reichskommissar durchsetzt7!. Das Verhältnis Kösters zum angestammten Verwaltungsapparat in der Provinz ist mit ähnlichen Spannungen belastet, wie sie Severing, Hörsing und Winnig erfahren, obgleich er Exekutivbefugnisse kaum beansprucht und seine Geschäftsführung den Aufgabenkreis der ordentlichen Verwaltung ungleich weniger berührt. Bevor von Starck seine Aufgabe nach dem Vorbild von Köster richtig in Angriff nehmen kann, ist sein Amt schon neu umrissen. Die Reichsregierung greift noch im Juni den vom PrMdI Heine am 28. April bei der Waffenstillstandskommission gemachten Vorschlag auf, für die Zeit 19 Seine erste Instruktion lag mir nicht vor. 70 Zu seiner Tätigkeit s. Köster: Schleswig. Vgl. zu Käster auch Geßler, Otto: Reichswehrpolitik in der Weimarer Zeit, hg. von Kurt Sendtner, Stuttgart 1958, S. 128,328,387. 71 Ausschnitt aus der "Vollmacht des Preußischen Staatsministeriums für den Schriftsteller Dr. Käster, der z. Z. in der Reichskanzlei beschäftigt ist, vom 27. 4. 1919". DZA Merseburg, Rep. 120 All Nr. 5 Bd. 5. 72 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 25. 11. 1919, DZA Merseburg. - Hier wenden sich vor allem der PrMfHuG und der PrFM gegen die Ernennung preußischer Beamter zu Reichskommissaren. - Vorher ist schon in dem Preuß. Staatsm.-Prot. vom 10.6.1919 vom Reichs- und Staatskommissar Köster die Rede. Käster erwähnt in seinem Werk über seine Arbeit in Schleswig-Holstein seine Funktion als Reichskommissar wie auch die des preußischen Gesandten kaum.

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nach Friedensschluß einen besonderen Bevollmächtigten der Preußischen Staatsregierung im Hauptquartier des Oberbefehlshabers der feindlichen Besatzungstruppen zu beglaubigen73 • Der RMdI setzt sich - gestützt auf Art. 78 WRV - für eine einheitliche deutsche Vertretung von Reichs- und preußischer Regierung durch ein Reichs- und Staatskommissariat für die besetzten Gebiete ein gegenüber der Interallied Rhineland High Commission der Besatzung, die schon vorzeitig mit der Vorbereitung ihrer Tätigkeit über den Militärbefehlshabern nach Inkrafttreten des Friedensvertrages 1920 beginnt. Das RMdI verweist auf den Vorgang "aus dem Jahre 1871, wo in den besetzten französischen Gebieten dem Generalfeldmarschall von Manteuffel ein Kommissar der französischen Regierung gegenübergestellt worden sei"". Daraufhin ernennen Reichs- und preußische Regierung am 17. Juni in einer gemeinsamen Sitzung den Regierungspräsidenten von Starck in diesem Sinne zum Reichs- und Staatskommissar für die besetzten Gebiete des linken Rheinufers mit Ausnahme Eupen-Malmedys und des Saargebiets 75 • Von Starck untersteht in staatsrechlicher Hinsicht dem Reichsministerium und Staatsministerium und in seiner Geschäftsführung der Aufsicht des PrMdI und des RMdI. Eine Bestellung von Starcks als Staatskommissar für die Gebiete der außerpreußischen Länder Bayern, Baden, Hessen und Oldenburg findet nicht statt. Die außerpreußischen Regierungen ernennen eigene Staatskommissare als Verbindungsbeamte gegenüber dem Reichskommissar. Angesichts dieser Entwicklung beschließt das Staatsministerium sofort, daß Regierungspräsident von Starck nur bis auf weiteres Staatskommissar sein soll, "solange nicht aus seiner gleichzeitigen Stellung als Reichskommissar den preußischen Interessen Abtrag geschieht76 ." Der Föderalismus findet Unterstützung bei den Alliierten, die sich in einer Note vom 29. Juli gegen eine gleichzeitige Ernennung des Reichskommissars als Vertreter "der Staaten, Republiken oder Provinzen" wenden77 • 73 Vgl. Schreiben des PrMdI an den Präsidenten des Staatsministeriums vom 31. 5. 1919. Nied St, Preuß. Staatsm. Y IX 2 Nr.40 Bd. 1. - Der PrMdI Heine macht diesen Vorschlag der Wako mit Billigung aller Ressorts. Bei dem Vorgehen Heines zeigt sich der Unterschied von Ministerpräsident Hirsch und Ministerpräsident Braun; Braun hat sich ähnliche Angelegenheiten nicht aus der Hand nehmen lassen. 74 Der Vertreter des RMdI am 26. 6. 1919. Niederschrift der Verhandlung von Vertretern von Reichs- und preußischen Ministern sowie der bayerischen, badischen und hessischen Regierung über die Einsetzung von ReiChs- und Staatskommissaren in den von der Entente besetzten Gebieten am 26. 6. 1919 im RMdI. DZA Merseburg, Rep. 120 A I 1 Nr. 5 Bd. 4. 75 Preuß. Staatsm. Prot vom 17.6. 1919 (Weimar), DZA Merseburg. 76 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 28. 6. 1919, DZA Merseburg. 77 Zit. bei Held, Hermann J.: Der Friedensvertrag von Versailles in den Jahren 1919-1923, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. XIII 1923/24, S. 346.

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Die Hauptaufgabe des Kommissars ist es, die deutsche Souveränität im besetzten Rheinland zu sichern und die Inco in ihren Schranken zu halten. Die Praxis der Inco zielt auf die oberste Regierungsgewalt und auf die Abtrennung des Rheinlandes vom Reich78, obgleich die rechtliche Stellung des besetzten Rheinlandes völlig unterschieden ist von der der Abstimmungsgebiete, des Saar- und des Memelgebietes als "Staatsfragmenten" und die Pariser Verhandlungen die ungehemmte Fortdauer der politischen und administrativen Beziehungen der besetzten Gebiete mit dem unbesetzten Deutschland anerkennen. Aber der Kommissar hat zugleich noch andere Probleme zu bewältigen. "Neben dem äußerst schwierigen und meist sehr unerquicklichen Kampf in der Front gegen die alliierten Behörden ... hat das Reichs- und Preußische Staatskommissariat", wie von Starck in seinem Bericht über das erste Jahr hervorhebt7 9 , "fast beständig mit großen Schwierigkeiten in seinem Rücken zu kämpfen gehabt". Bei diesen Schwierigkeiten handelt es sich um die Auseinandersetzungen mit den rheinischen Behörden und um die Differenzen zwischen Reichs- und preußischer Zentrale über seine Stellung. Aus Angst vor einer Förderung rheinischer Selbständigkeitsbestrebungen, aus Behördenegoismus und aus Opposition gegenüber der vom Kommissar im Verhältnis zu den Alliierten eingeschlagenen "Politik, durch Compromisse Erfolge zu erzielen"80, befürwortet der Regierungspräsident von Koblenz von Gröning schon am 23.12.1919 "die baldige Beseitigung des Staatskommissars ... Je eher das geschieht, desto besser". Daß die Ansichten von Reich und Ländern, und insbesondere von Reich und Preußen, über das Kommissariat auseinander gehen, zeigen u. a. die Beratungen über den Etat des Reichskommissars. Von Starck beansprucht - unterstützt vom RMdI - "eine Verwaltungsbehörde im Range einer Zentralbehörde und mit deren Besoldungsverhältnissen81 ." Der Reichsrat beschneidet den Etat empfindlich. Aber immerhin entsteht noch eine Behörde, die man - nach Ansicht des Regierungspräsidenten von Koblenz82 - "Staatssekretariat der Rhein78 Das ist die einzige Feststellung, die die Verwaltungspraxis der Franzosen, Belgier, Engländer und Amerikaner insgesamt zuläßt; mögen sich die Engländer und Amerikaner auch vom Separatismus der Franzosen und Belgier distanzieren, wenn er offen in Erscheinung tritt. 79 Tätigkeitsbericht des Reichs- und Staatskommissars für die besetzten Gebiete vom 15. 4. 1920. DZA Merseburg, Rep. 120 C XlIII Nr. 127 Bd. 1. 80 Siehe die Aufzeichnung des RegierungspräSidenten von Koblenz Gröning vom 24. 12. 1919 über die Stellung des Staatskommissars auf Grund einer Besprechung des Regierungspräsidenten und des Oberpräsidenten mit einem Vertreter des Ministerpräsidenten am 23.12.1919. StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403 Nr. 13451. 81 Abschrift des Entwurfs des Organisationsplans von Starcks für seine Behörde vom Juni 1919 im StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403 Nr.13586. 82 So in der Aufzeichnung vom 24. 12. 1919. Siehe Anm. 80.

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lande nennen könnte. Die Beamten erhielten Dienstbezeichnungen, wie sie in Ministerien üblich sind". Auf deutscher Seite bestehen recht unterschiedliche Auffassungen über den Aufgabenbereich des Reichs- und Staatskommissars, mögen auch die DienstanweisungenSS des PrMdI vom 26. 9. 1919 und des RMdI vom 17.11. 1919 relativ einheitlich formuliert sein. Der Reichskommissar hat danach die Reichsverwaltungsinteressen und als preußischer Staatskommissar die preußischen Verwaltungsinteressen im Einvernehmen mit den ihm beigeordneten Vertretern Badens, Hessens, Bayerns und Oldenburgs gegenüber der Besatzung zu vertreten. Die Dienstanweisungen sind sich darin einig, daß er die Interessen der rheinischen Bevölkerung wahrzunehmen hat. Schließlich haben Reichs- und preußische Behörden dem Reichs- und Staatskommissar Verwaltungshilfe zu leisten. In der Praxis erweist sich zuerst die Aufgabe der Vermittlertätigkeit des Kommissars gegenüber der Besatzung als umstritten. Die preußische Dienstanweisung betont ausdrücklich, daß den preußischen Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeiten weiterhin der direkte Verkehr mit allen Besatzungsbehörden außerhalb der InCo, die für ihren Verwaltungsbezirk zuständig sind, erlaubt ist. Es gibt Differenzen mit den Behörden - vor allem mit dem Regierungspräsidenten von Brugger in KölnS' -, weil der Kommissar natürlicherweise ein Interesse hat, in stärkerem Umfang Zwischeninstanz zu sein, vor allem im ersten halben Jahr, als die InCo nur erst eine Nebenrolle spielt neben den Militärbefehlshabern. Andererseits kann der Kommissar auf die Militärbefehlshaber nur insoweit einwirken, als die InCo sich zu einer Vermittlung bereitfindet. Mit der wachsenden Bedeutung der InCo 1920 vermag sich von Starck mehr Anerkennung bei den deutschen Behörden zu verschaffen und sein "Halbdasein"s5 zu überwinden; damit erledigt sich dieser Streitpunkt weitgehend. Es gibt verschiedentlich Reibungen, weil von Starck - trotz seiner Vorbildung als Regierungspräsident - den Beschwerden nach nicht immer die Grenzen seiner Zuständigkeit innehält. Zum Beispiel wirft 83 Dienstanweisung des PrMdI für den Preußischen Staatskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete vom 26. 9. 1919. - Dienstanweisung des RMdI für den Reichskommissar vom 17. 11. 1919. DZA Merseburg, Rep. 120 A I 1 Nr. 5 Bd. 5. 84 Siehe Schreiben des Reichskommissars vom 9. 11. 1919 an den Regierungspräsidenten Brugger in Köln wegen dessen direkter Verhandlungen mit britischen Militärbehörden. Antwort des Regierungspräsidenten vom 22.11. 1919. Abschriften im StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403 Nr.13451. 85 Diesen Begriff verwendet von Starck in einem Leserbrief über sein Amt an die Kölnische Zeitung vom 1. 12. 1919, Nr. 1088.

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der Oberpräsident der Rheinprovinz von Groote dem Reichs- und Staatskommissar im Mai 1920 vor88 , daß er "alsbald nach Aufnahme seiner Tätigkeit in fühlbarer Weise in die verschiedensten Gebiete der laufenden Verwaltung einzugreifen für gut befunden hat.... Diese übergriffe erstreckten sich unter anderem auf die Lebensmittelversorgung, die Wucher- und Schieberbekämpfung, die Kohlenversorgung, wie ich dies Ende v. J. dort mündlich vorgetragen und in meinen Berichten vom 21. und 25. Februar ds. Js .... nochmals schriftlich erwähnt habe". Die preußische Regierung ist sich mit der ordentlichen preußischen Verwaltung darin einig, daß die Kompetenz des Kommissariats möglichst auf die Vermittlung - hauptsächlich auf die diplomatische - zu beschränken ist. In diesem Sinne betont das Staatsministerium am 19. 12. 1919 gegenüber der Reichsregierung87, daß sie die Dienstanweisung so auffaßt, "daß die Befugnisse des Reichs- und Staatskommissars sachlich nur so weit reichen, wie diejenigen der Hohen Kommission gern. Art. 3a des Rheinlandabkommens vom 28. Juni 1919". Der Reichs- und Staatskommissar kann eine allmähliche Besserung seines Verhältnisses zu den eingesessenen Behörden feststellen, nachdem sich seine Aufgabe - entsprechend dem obigen noch mehrfach wiederholten Appell - "dahin umrissen hat, daß er im allgemeinen keine verwaltende Tätigkeit auszuüben ... hat"88. Differenzen gibt es über die Auslegung des Begriffes der "Verwaltungshilfe". Von Starck wünscht vor allem eine ausreichende Information durch die Reichs- und preußischen Behörden. Im Februar 1920 bittet der Reichs- und Staatskommissar den Oberpräsidenten, die Regierungspräsidenten und die Staatskommissare89, "daß ihm etwa Ende jeden Monats die neuesten Beobachtungen und Erfahrungen und hierbei auch die Wünsche mitgeteilt würden, welche hinsichtlich der bei der hohen Interalliierten Kommission zu tuenden Schritte bestehen. Für den Fall, daß sich besondere Zwischenfälle ereignen sollten, welche zu sofortigen Schritten bei der Hohen Interalliierten Kommission Anlaß geben müßten, bitte ich die nachgeordneten Behörden zu veranlassen, daß sie mir direkt berichten und gleichzeitig Abschrift ihrer vorgesetzten Behörde vorlegen." Der Oberpräsident und die Regierungspräsiden88 Schreiben des Oberpräsidenten vom 17. 5. 1920 an den PrMdl. Entwurf im StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403 Nr. 13451. 87 Preuß. Staatsm.-Prot. vom 19. 12. 1919, DZA Merseburg. 88 Zitat aus dem Tätigkeitsbericht des Reichs- und Staatskommissars vom 15.4. 1920. DZA Merseburg, Rep. 120 C XIII 1 Nr. 127 Bd. 1. 8D Schreiben des Reichs- und Staatskommissars an den Oberpräsidenten, die Regierungspräsidenten und Staatskommissare vom 9. 2. 1920. Anlage zum Schreiben des Reichs- und Staatskommissars vom 29. 4. 1920 an den PrMdl. Abschrift im StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403 Nr. 13451.

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ten lehnen jedoch eine periodische Berichterstattung ab 90 • Sie senden ihm im wesentlichen nur einige an die InCo erstattete Berichte zu. Der Oberpräsident läßt in seiner Verfügung vom 5.4.1920 nur im Ausnahmefall eine direkte Nachrichtenübermittlung durch untergeordnete Behörden zu. Die gewünschten Berichte erhält von Starck nur von den Staatskommissaren der außerpreußischen Länder. Von Starck beschwert sich im April 1920 beim PrMdID1 : "Im übrigen erfahre ich über die Vorgänge in der Rheinprovinz amtlich nur einmal etwas, wenn ich eine kurze Mitteilung erhalte, mit dem Ersuchen, gegen irgendwelche übergriffe der Alliierten bei der Interalliierten Kommission Beschwerde zu führen." Der Kommissar bezeichnet es als einen "der größten Mißstände, welcher die wirksame Vertretung des besetzten Gebietes gegenüber den alliierten Behörden beeinträchtigt ..., daß der Reichs- und Staatskommissar aus dem größten und wichtigsten Teil des besetzten Gebietes, nämlich der preußischen Rheinprovinz so gut wie gar nicht amtlich über die Vorgänge in Besatzungsangelegenheiten unterrichtet wird". Der Staatskommissar ersucht den PrMdI, den Mißstand abzustellen und eine periodische Berichterstattung der Regierungspräsidenten und eine gelegentliche der übrigen ordentlichen preußischen Behörden an das Kommissariat zu erwirken im Interesse der rheinischen Bevölkerung. Der Oberpräsident lehnt die Wünsche von Starcks nach besserer Unterrichtung im wesentlichen ab. Durch eine periodische Berichterstattung kann seiner Meinung nach9z "leicht der Eindruck eines überoder Unterordnungsverhältnisses erweckt werden ... , der, so wie die Dinge liegen, im Interesse des Ansehens und der Arbeitsfreudigkeit der ordentlichen Behörden vermieden werden muß". Berichte an die Zentralstellen will er ihm wohl zukommen lassen, lehnt jedoch eine Bindung ab, "weil gelegentlich ein direkter Verkehr der preußischen Provinzialstellen ohne Beteiligung des Reichskommissars nötig werden kann." Der Kommissar sucht die Zusammenarbeit mit den ordentlichen Behörden des besetzten Gebietes durch gemeinsame Besprechungen zu verbessern. So findet z. B. am 27.1.1920 eine Versammlung des Oberpräsidenten, der preußischen Regierungspräsidenten, Oberbürgermeister, Landräte und der Behörden des bayerischen und hessischen besetz90 Siehe vor allem: Schreiben des Oberpräsidenten der Rheinprovinz an den Reichs- und Staatskommissar vom 3. 3. 1920 (Anlage zum Schreiben des Reichs- und Staatskommissars an den PrMdI vom 29. 4. 1920); Schreiben des Oberpräsidenten der Rheinprovinz an den PrMdI vom 17.5.1920 (Entwurf). StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403 Nr. 13451. 91 Schreiben des Reichs- und Staatskommissars an den PrMdI vom 29. 4. 1920. Abschrtft im StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403 Nr. 13451. 92 Schreiben des Oberpräsidenten der Rheinprovinz an den PrMdI vom 17. 5. 1920. StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403, Nr. 13451.

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ten Gebiets unter seinem Vorsitz statt. Eine weitere Besprechung dieser Art ist nicht mehr möglich, da sich die preußischen Behörden bald bei allen Zusammenkünften mit dem Reichskommissar durch einen Referenten des Oberpräsidiums vertreten lassen. Der Anlaß für das Fernbleiben der führenden preußischen Beamten ist, daß der Reichskommissar bei der Besprechung vom 20.2. 1920 mit dem Oberpräsidenten, den preußischen Regierungspräsidenten, den Vertretern der größeren Landkreise und der politischen Parteien über Wirtschaftsfragen entgegen dem Anspruch des Oberpräsidenten, ihm "als dem gesetzlichen Vertreter der obersten Staatsbehörde,,03 den Vorsitz zuzugestehen, die Leitung übernommen hat. Danach wird vor allem unter dem Einfluß des Oberpräsidenten und des Regierungspräsidenten von Koblenz die direkte Kontaktnahme der preußischen Behörden und des Kommissariats unterbunden. Der Oberpräsident beansprucht die geschlossene Behandlung auch der Besatzungsangelegenheiten in der Provinz unter seiner Leitung und ist dazu nicht bereit, das ihm durch die Oberpräsidialinstruktion vom Jahre 1825 übertragene Recht der Vertretung der obersten Staatsbehörden gegenüber der Provinz einschränken zu lassen. Darüber hinaus strebt er die Führung der Besatzungsangelegenheiten auch der preußischen Gebiete außerhalb der Rheinprovinz und der außerpreußischen Teile des besetzten Rheinlandes an. Er organisiert eigene Westkonferenzen, zu denen er im Auftrage des PrMdI nicht nur die Behörden der Rheinprovinz, sondern auch den Regierungspräsidenten von Wiesbaden einlädt. Er bemüht sich gleichfalls um eine Beteiligung der süddeutschen Behörden des besetzten Gebietes. Gegenüber dieser Ausschaltung aus den Besatzungsangelegenheiten legt der Staatskommissar am 29.4.1920 beim PrMdI Beschwerde einDf • Er betont, daß er der einzige für das gesamte preußische Gebiet zuständige Beamte sei. - Das ist nicht zu leugnen; aber zugleich kann der Oberpräsident bei der Ablehnung jeglicher Unterordnung unter den Staatskommissar für sich die Feststellung der Dienstanweisung ins Feld führen: "Der Staatskommissar bildet keine Zwischeninstanz zwischen den ordentlichen Provinzialbehörden und den Zentralbehörden." In diesem Sinne ist von Starck ja auch die in seinem Organisationsplan beanspruchte Weisungsbefugnis in seinen Angelegenheiten gegenüber den Landesbehörden abgeschlagen. Die Besprechung im PrMdI am 12. 6. 1920 zwischen von Starck und einem Vertreter des Oberpräsidenten unter der Leitung eines MinisterialbeamtenOS läßt in der Frage der Information os Schreiben des Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 21. 2. 1920 an das Staatsministerium. Entwurf im StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403 Nr. 13451. V4 Siehe Anm. 9I. 95 Der PrMdI formuliert das Ergebnis der Besprechungen vom 12. 6. 1920

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und der gemeinsamen Besprechung von Kommissar und ordentlichen preußischen Behörden im wesentlichen alles beim alten, d. h. sie entscheidet im Sinne des Oberpräsidenten; der Staatskommissar muß sich mit seiner Nebenrolle als Briefträger zwischen preußischen Behörden und InCo abfinden. Im Gegensatz zur preußischen Regierung versteht die Reichsregierung den Kommissar als die Koordinationszentrale gegenüber den Besatzungsmächten 96 • Der RMdI Koch führt das Reichskommissariat 1921 ausdrücklich als das Vorbild einer Reichsmittelbehörde 97 an und sieht augenscheinlich im Reichskommissar eine Art Vorgesetzten der Reichsverwaltungsbehörden im besetzten Rheinland. Er weist darauf hin, daß im Reichskommissariat in Koblenz das RMdI, AA, RWM, RVM, REM, RWiM, der Reichskohlenkommissar und der Reichskommissar für Einund Ausfuhrbewilligung und das Reichspostministerium durch Komissare vertreten sind, die unter der Oberleitung des Reichskommissars arbeiten. Im Rheinland gibt es verschiedene Tendenzen zur Aufwertung des Kommissariats zu einer rheinischen Zentralstelle. Dazu gehört, daß die Interessenverbände besonders in der ersten Zeit häufig die neue Behörde anstelle der Regierung und des Oberpräsidiums zur Vermittlung gegenüber den Berliner Ministerien angehen. Die führenden preußischen Beamten des Rheinlandes beklagen sich im Februar 1920 gegenüber dem Ministerpräsidenten98 : Es "wende sich jeder, der Schutz nötig zu haben glaube, an den Reichs- und Staatskommissar als eine weitere, dem Oberpräsidenten und den Regierungspräsidenten vermeintlich vorgesetzte Behörde". Die Vertreter der rheinischen Autonomiebestrebungen knüpfen ihre Hoffnungen an das neue Kommissariat. Die obenerwähnte Konferenz preußischer Beamter betont nicht ohne Grund, "politisch habe die Institution die unerwünschte Nebenwirkung, daß alle Anhänger rheinischer Selbständigkeitsbestrebungen in ihr den Vorboten der Erfüllung ihrer Wünsche erblicken. Ähnlich läge es für diejeniim PrMdI ausführlich in seinem Schreiben an den Oberpräsidenten vom 30.7. 1920. StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403 Nr. 13451. 96 In diesem Sinne bindet z. B. der Erlaß des RMdI, RFM, RAM, RPM, RWiM und Reichsschatzministeriums vom 8. 4. 1921 die Reichsbehörden des besetzten Gebietes bei ihren Entscheidungen für den Fall der Unterbrechung der Verbindung mit den Zentralbehörden infolge von Maßnahmen der Besatzungsmächte zur Wahrung einer einheitlichen Politik an das Einvernehmen des Reichskommissars. Es heißt: "Der Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete ist der politische Vertreter der Reichsregierung." - Abschrift im StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403 Nr. 13451. 07 Der RMdI Koch in der DJZ 1921, Sp. 295. 08 Niederschrift über die Verhandlungen im Regierungsgebäude in Köln am 6. 2. 1920. DZA Merseburg, Rep. 120 C XIII 1 Nr. 127 Bd. 1. - Teilnehmer sind u. a. der Oberpräsident der Rheinprovinz und Regierungspräsidenten.

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gen Kreise, welche die Verreichlichung auf dem Wege der Aufteilung Preußens verfolgen. Diese Kreise sähen in dem vom Reichsminister des Innern ressortierenden Reichskommissariat die erste Probe einer Reichs-

provinz." Das Kommissariat hat beiden Dienstanweisungen nach neben dem Verwaltungsinteresse das Interesse der Bevölkerung zu beachten. Aber wie das zu geschehen hat, ist kontrovers. Die Auseinandersetzungen um rheinische Vertretungskörperschaften neben dem Kommissariat schleppen sich mindestens bis 1923 hin. Von Starck schlägt in seinem Organisationsplan für das Reichs- und Staatskommissariat vom Juni 191999 die Schaffung eines kleinen Beirats aus sechs Mitgliedern der Mehrheitsparteien zur ständigen Beratung und Kontrolle des Kommissars und einen großen Beirat vor, in dem alle Teile und Bevölkerungsschichten des besetzten Gebietes vertreten sind und dem die Aufgabe zufallen soll, wichtige Angelegenheiten des besetzten Gebietes zu beraten und den Reichskommissar über die Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung zu unterrichten. Diesem Ansinnen stehen sämtliche betroffenen Länderregierungen ablehnend gegenüber aus ihrer Furcht heraus, sie könnten der Ausbildung eines rheinischen Parlamentes Vorschub leisten. Ihre Befürchtung ist schon deshalb nicht unbegründet, weil sich im Rheinland - ähnlich wie in Oberschlesien - die zeitgemäße Neuzusammensetzung der ordentlichen Selbstverwaltungskörperschaften außergewöhnlich verzögert. Die Reichsregierung gibt dem Reichskommissar im Juni 1919 zunächst nur die drei VNV-Abgeordneten Trimborn (Z), Fatk (DDP) und SoUmann (SPD) bei. Das Ergebnis der weiteren Unterhandlungen von Reichsregierung, Länderregierungen und Parteien ist, daß der Beirat zunächst auf sieben, dann auf 15 und schließlich Mitte Juli auf 18 Mitglieder und 18 Stellvertreter zu erweitern ist. Den "Parlamentarischen Beirat" wählen die Parteien unter großen Rechenkünsten aus den in der VNV, der VPrLv, dem hessischen und dem bayerischen Landtag vertretenen Abgeordneten der besetzten Gebiete aus. Die Mehrzahl der Abgeordneten sind Reichsparlamentarier und vertreten die MehrheitsparteieniOD. Die Position des Parlamentarischen Beirats umreißt die Dienstanweisung des RMdI vom 17.11.1919 vage mit dem Hinweis, daß der Reichskommissar ihn "zu allen wichtigen Fragen von allgemeiner Bedeutung für das besetzte Gebiet zu hören" hat. Aber nach mehr Rechten verlangt es die Abgeordneten trotz großer Worte allem Anschein nach auf die Dauer auch nicht. Das ist schon an der Häufigkeit der Siehe Anm. 81. Bis zu den Reichstagswahlen vom 6. 6. 1920 gehören von 18 Abgeordneten 14 den Mehrheitsparteien an und später 12. Der Tagungsort des Parlamentarischen Beirats ist abwechselnd Koblenz und Berlin. 99

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Sitzungen abzumessen. Der Parlamentarische Beirat tagt nach den ersten beiden Sitzungen vom 4.8. und 29.8.1919 zunächst alle 14 Tage; später vergrößern sich die Zwischenräume zwischen den Sitzungen auf mehrere Monate. Genaueres über seine Bedeutung läßt sich aus den Sitzungsprotokollen schon deshalb nicht sagen, weil er sich genau wie der Kommissar angesichts der überwachung durch die Besatzung größter Zurückhaltung in seinen schriftlichen Äußerungen befleißigt. An der Entwicklung des Koblenzer Kommissariats ist deutlich, daß es ihm aus den verschiedensten Widerständen heraus, nicht zuletzt aus der vor allem von seiten der preußischen Regierung und ihrer rheinischen Verwaltung genährten Furcht vor der Verselbständigung des Rheinlandes trotz guter Voraussetzungen nicht gelingt, die zentrale und selbständige Position zu erringen, die zur kraftvollen Vertretung der deutschen Interessen gegenüber dem Besatzungsregime nötig ist. Der RMdI Koch bemerkt schon in seiner Denkschrift vom Januar 1920101, "daß sich die Einrichtung des Reichs- und Staatskommissars mit seiner Abhängigkeit von den Besatzungsbehörden nicht voll bewährt"; und er schlägt die Einsetzung eines gemeinsamen Reichs- und Staatsministers für das besetzte Gebiet vor. Koch variiert hier die Vorschläge zur Errichtung von Kommissariaten und anderen Spezialbehörden in der Zentrale für die besonders gefährdeten Ost- und Westgebiete, die schon seit Anfang 1919 neben der Entsendung von Kommissaren in die Provinzen diskutiert werden. Die tatsächlichen Veränderungen im zentralen Behördenapparat sind allerdings nie so weit gegangen, daß gemeinsame Institutionen für die Ost- und Westgebiete entstanden sind. Ministerpräsident Hirsch diskutiert den neuen Vorschlag von Koch mit den führenden preußischen Beamten des Rheinlandes am 6.2.1920 in Köln 102 • Die Beamten beklagen die Reibungen der ordentlichen Staatsbehörden mit dem Reichs- und Staatskommissar, aber - wie es im Protokoll heißt - wird seiner "Ersetzung durch einen besonderen Minister, sei es ohne Portefeuille, sei es unter Ausbau der Institution zu einem eigenen Ressort, ... entschieden widerraten, unter der Betonung, daß eine solche Maßregel erst recht als der erste Schritt zur Loslösung der Rheinlande von Preußen gedeutet würde." Sie schlagen im Gegensatz dazu die Stärkung der preußischen Behörden vor, insbesondere des Oberpräsidenten in Koblenz, der ohnehin schon zum Reichskommissar für das Saargebiet ernannt ist und als solcher auch an die Spitze des oldenburgischen Birkenfeld getreten ist. Sie wünschen die "übertra-

gung der Rechte des Reichs- und Staatskommissars auf den Oberpräsidenten unter Angliederung eines Vertreters des Auswärtigen Amtes für 101 102

Siehe Teil B, VII, 3, Anm. 31. Siehe Anm. 98.

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die vorübergehenden Aufgaben diplomatischer Art unter ständiger Beigabe eines bayrischen und eines hessischen Beamten für die Angelegenheiten der rheinischen Gebietsteile dieser Länder." Die Notwendigkeit einer besonders für das Rheinland zuständigen Berliner Behörde streiten sie nicht ab. Sie äußern jedoch den Wunsch, "daß bei einer preußischen Zentralbehörde, möglichst beim Staatsministerium, eine Stelle eingerichtet werden möge, die als preußische Zentralstelle für alle Rheinlandfragen politischer Natur in Berlin zum Zwecke der Erteilung und Vermittlung von Auskunft an die Provinzialbehörden und zur Unterrichtung der Zentralbehörden zu dienen hätte". Ähnliche Anträge wie die rheinischen Behörden stellt Oberpräsident Winnig zu gleicher Zeit beim Staatsministerium für Ostpreußen. Unter dem Druck der Ostpreußenkonferenz beschließt das Staatsministerium am 10. März die Errichtung einer Ostpreußenvertretung beim Staatsministerium zur besseren Wahrnehmung der ostpreußischen Interessen; das Verhältnis zu den Reichsbehörden bleibt noch zu klären l03. Daran anknüpfend, vereinbart der RMdI am 12. März104 mit dem Präsidenten des Staatsministeriums die Einsetzung eines Ost- und eines Westkommissariats in Berlin mit verschiedenen Unterabteilungen für die einzelnen Gebiete; die Anstellung der leitenden Persönlichkeiten soll durch das Reich und Preußen erfolgen, wie sie auch die Kosten gemeinsam zu tragen haben. Zu einer Bestätigung dieser Abmachung durch die alten Kabinette kommt es nicht mehr, und gegenüber der Regierung Braun gelingt es dem RMdI nicht, die Angelegenheit voranzutreiben. Selbst zur Errichtung einer Ostpreußenstelle als Berliner Vertretung des Königsberger Oberpräsidenten zum Verkehr mit Staats- und Reichsbehörden bedarf es noch längerer Verhandlungen105 . Der Chef der Ostpreußenvertretung, Dr. Herbst, der ehemalige Bürgermeister von Osterode, führt in den ersten Monaten im Anklang an die Absicht des RMdI den hochtrabenden Titel "Bevollmächtigter der Provinz Ostpreußen beim Reichs- und Staatsministerium", ist aber in der Praxis in keiner Weise zu selbständigen Entscheidungen wie der frühere Kommissar für Ostpreußen befugt und fungiert nur als Vertreter des OberpräsidentenloB. lOS Preuß. Staatsm.-Prot. vom 10. 3. 1920. DZA Merseburg. 104 Vereinbarung vom 12. März 1920, DZA Merseburg, Rep. 90 a B III 3 Nr.33Bd.1. 105 Zur Arbeit der Ostpreußenvertretung s. WeßHng, Wolfgang: Die staatlichen Maßnahmen zur Behebung der wirtschaftlichen Notlage Ostpreußens in den Jahren 1920 bis 1930, S.215-289 in: Jahrbuch für die Geschichte Mittelund Ostdeutschlands, Bd. 6, Tübingen 1957. 106 Vgl. Schreiben des PrMdI vom 30.12.1920 an den Präsidenten des Staatsministeriums, Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen an den Preußischen Ministerpräsidenten etc. vom 25. 2. 1921, Schreiben des

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Die Pläne zu einem Ausbau der außerordentlichen Behörden für das Rheinland erhalten neuen Auftrieb mit den 1921 verhängten Sanktionen. Die besonders von der Wirtschaft erhobene Forderung nach einer für das Rheinland zuständigen Zentralstelle in Berlin benutzt das RMdI, um zumindest die Einsetzung eines Staatssekretärs für die besetzten Gebiete - als eine dem Reichskommissar direkt übergeordnete Behörde - durchzusetzen107• Zunächst ist nur Preußen, dann aber auch Hessen und Bayern in der neuen regionalen Reichszentralbehörde durch Referenten vertreten l08. Die beteiligten Länder einigen sich in einer selbständigen Aussprache über die Grundsätze für die Gestaltung der neuen BehördelOg auf die Forderung, dem Staatssekretär einen Beirat aus Reichsratsmitgliedern beizugeben, anstatt ihm Referenten zu unterstellen, dringen jedoch nicht durch. Der RMdI Koch scheitert mit seinem Antrag auf Ernennung des Staatssekretärs zum Beauftragten Preußens: die preußische Regierung gestattet ihm nur, an den Sitzungen des Staatsministeriums bei der Beratung rheinischer Fragen teilzunehmen. Der Ansicht der preußischen Regierung, daß es zur Abwehr der Abtrennungsbestrebungen vor allem einer preußisch eingestellten Verwaltung bedarf, kommt die Reichsregierung besonders durch die Ernennung des bisherigen Regierungspräsidenten von Köln von Brugger zum Staatssekretär entgegen110 . Preußischen Ministerpräsidenten vom 30. 3. 1921 an den Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen, Schreiben des Ministerpräsidenten vom 16.2.1922 an den PrMdI. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 576. 107 Auszug aus dem Reichsmin.-Prot. vom 18. 3. 1921. DZA Merseburg, Rep. 90 a B III 3 Nr. 33 Bd. 1. 108 Mayer, Eugen: Skizzen aus dem Leben der Weimarer Republik, Berliner Erinnerungen, Berlin 1962, S. 16 ff. 109 Aktenvermerk zu einer Besprechung in der Bayerischen Gesandtschaft vom 1. 4. 1921 von Vertretern Bayerns, Hessens und Preußens zum Beschluß des Reichskabinetts betr. Schaffung eines Staatssekretärs für die besetzten Gebiete. DZA Merseburg, Rep. 90 a B III 3 Nr. 33 Bd. 1. 110 Aber auch weiterhin hegt der PrMdI schwere Bedenken, weil mit der Inanspruchnahme unmittelbarer Verwaltungstätigkeit notwendigerweise Kompetenzschwierigkeiten mit der alteingesessenen Verwaltung auftreten, die im Rheinland als Meinungsverschiedenheiten von Reich und Preußen gedeutet werden könnten. Der PrMdI Severing betont in seinem Schreiben vom 30. 11. 1921 an den Reichskanzler, das Staatsministerium und den Staatssekretär für die besetzten rheinischen Gebiete (DZA Merseburg, Rep. 90 a B III 3 Nr. 33 Bd. 1): Die "nur gegen Preußen gerichtete Bewegung hat einen gewissen Widerhall in der Bevölkerung gefunden; sie würde einen gefährlichen Charakter gewinnen, wenn sie wegen Meinungsverschiedenheiten zentraler Reichs- und Länderbehörden zu dem Glauben gelangen würde, einen amtlichen Rückhalt bei einer Reichsstelle zu besitzen".Zur Arbeit des Staatssekretärs s. Mayer: Skizzen, S. 16 ff. Anlaß zu Gegensätzen zwischen der neuen Behörde und Preußen ist z. B. die Verwendung der Mittel für die kulturelle Fürsorge im besetzten Gebiet. Der PrMdI Dominicus läßt einen unmittelbaren Verkehr des Staatssekretärs für die besetzten rheinischen Gebiete und der preußischen Behörden des be-

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Das Amt des Reichs- und Staatskommissars ist 1921 vorübergehend verwaist, da von Starck wegen der Konflikte mit der InCo im Juni dieses Jahres zurücktritt. Den neu ernannten Reichskommissar Fürst Hatzfeld-Wildenburg bestellt die preußische Regierung erst nach einigem Widerstreben, das vor allem auf den Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Groote zurückzuführen ist, zum Staatskommissar. Neben einer besseren Wahrnehmung rheinischer Interessen in Berlin erscheint der rheinischen Wirtschaft seit langem eine bessere Vertretung ihrer Interessen an zentraler Stelle im besetzten Gebiet dringlich. Schon seit 1919 wird die Errichtung eines wirtschaftlichen Beirats beim Kommissariat in Koblenz diskutiert. Der Gedanke ist zeitlich zugleich mit der Bestellung des Reichs- und Staatskommissars aufgetaucht. Nach Ansicht des PrMdI Severing wird man "in der Annahme nicht fehlgehen, daß er bei Herrn VOll Starck entstanden und von ihm planmäßig trotz aller von den zuständigen Ressorts dagegen erhobenen Bedenken verfolgt worden ist, um sich für seine Betätigungsabsichten den notwendigen Resonanzboden zu schaffen"111. Im Juli/August treten die Vereinigung der Handelskammern des besetzten Gebietes und der dortige Industriellenverband mehrfach für einen wirtschaftlichen Beirat ein. Der PrMdI und der PrFM sind höchstens unter der Bedingung bereit, seiner Errichtung zuzustimmen, daß er dem Oberpräsidenten beigegeben wird, um so ein Gegengewicht gegen den parlamentarischen Beirat zu schaffen und zugleich die ordentlichen Behörden gegenüber dem Reichs- und Staatskommissar zu stärken1l2 • Das können die Reichsministerien unmöglich akzeptieren; dazu verschließen sie sich den vielen preußischen Bedenken nicht und so verfolgen sie die Angelegenheit zunächst nicht weiterll3 • Der Gedanke der wirtschaftlichen Dezentralisetzten Gebietes für den Ausnahmefall zu. Er teilt dem Staatssekretär am 9.6.1921 mit: Aus "besonderem Entgegenkommen" habe er "den Oberpräsidenten der Rheinprovinz sowie die Regierungspräsidenten in Aachen, Coblenz, Düsseldorf, Köln, Trier und Wiesbaden ersucht, in wichtigen Angelegenheiten des besetzten Gebietes, über die beschleunigt unterrichtet zu werden für Sie von Wert ist, und die nicht lediglich rein preußische Fragen betreffen, Ihnen unmittelbar Abschriften der mir erstatteten Berichte zugehen zu lassen. Auch will ich mich ausnahmsweise damit einverstanden erklären, daß Sie... in eiligen Fällen den Oberpräsidenten der Rheinprovinz und vorerwähnten Regierungspräsidenten um Erteilung unmittelbarer Auskünfte angehen, falls mir, wie Sie das in Aussicht stellen, gleichzeitig Abschrift derartiger Anfragen zugeht". - Abschrift des Schreibens des PrMdI vom 9.6.1921 an den RMdI, zu Hdn des Herrn Staatssekretärs für die besetzten rheinischen Gebiete. StAK, Oberpräsidium der Rheinprovinz, Abt. 403 Nr. 13451. 111 Schreiben des PrMdI vom 2. 11. 1920. DZA Merseburg, Rep. 120 C XlIII Nr. 127 Bd. 1. 112 Niederschrift über die Besprechung von Referenten des PrMdI, des PrMfHuG und des Staatsministeriums am 24. 10. 1919. DZA Merseburg, Rep. 20 C XlIII Nr. 127, Bd.1. 113 Siehe Schreiben des RMdI Koch vom 30. 11. 1919 an den PrMfHuG, Schreiben des RWiM Schmidt vom 5. 11. 1919 an die Handelskammer Köln etc. DZA Merseburg, Rep. 120 C XIII 1 Nr. 127 Bd. 1. 16 Eimers

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sation erhält 1920 wie in Oberschlesien und in Ostpreußen im Rheinland neuen Antrieb, und das RMdI entscheidet sich für Konzessionen an diese Tendenzen. Nach der Darstellung des PrMdIll4 sagt der Vertreter des RMdI bei einer Sitzung des Parlamentarischen Beirats im Herbst 1920 "ohne weiteres und ohne, daß zuvor eine Verständigung oder Fühlungnahme mit den beteiligten Landesregierungen erfolgt wäre, die Berücksichtigung der Wünsche im Sinne einer Ergänzung der formalen Demokratie durch berufsständische Vertretung" zu. Nachdem die preußische Regierung so praktisch vor eine vollendete Tatsache gestellt ist, muß sie bei den folgenden Verhandlungen zumindest der Erweiterung des Parlamentarischen Beirats um neun Wirtschaftsvertreter beistimmen; für dieses Zugeständnis hat sich von Starck schon im Juni 1919 eingesetzt. Im März 1921 faßt der Parlamentarische Beirat einen entsprechenden Beschluß; aber die tatsächliche Hinzuziehung der Vertreter der Interessengruppen zieht sich noch bis zum September 1921 hin. Die Unternehmerorganisationen sind mit den Konzessionen nicht zufrieden, und auf Initiative des Industrieausschusses des besetzten Gebietes errichten sie im April 1921 einen vom Kommissariat unabhängigen fünfzehnköpfigen Wirtschaftsausschuß. Den Vorsitz führen Duisberg und Louis Hagen, dessen Kölner Kammer zugleich als geschäftsführende Stelle der Vertretung fungiert 115 • Ein Handwerks- und ein Landwirtschaftausschuß treten im Mai/Juni 1921 zum Wirtschaftausschuß hinzu. Der gleichfalls 1921 gegründete Gewerkschaftsausschuß bildet Ende 1922 einen Zweckverband mit ihm. Anfang 1923 ergänzt sich 114 Siehe Anm.l11. Nach diesem Zwischenfall verlangt der PrMdI im obengenannten Schreiben, unterstützt von der preußischen Regierung und den übrigen beteiligten Länderregierungen - abgesehen von der Forderung nach zukünftiger Beteiligung der Länderregierungen bei derartigen Entscheidungen -, daß der Reichs- und Staatskommissar die Tagesordnung für die Sitzungen des parlamentarischen Beirats den beteiligten Landesregierungen in Zukunft vorlegt, ehe sie an die Mitglieder des Beirats versandt werden, "damit die Möglichkeit besteht, unerwünschte Beratungsgegenstände von der Tagesordnung absetzen zu lassen". Auch spricht er dem parlamentarischen Beirat die Befugnis ab, selbständig Entscheidungen zu treffen und Beschlüsse zu fassen. Diese Initiative ist allerdings vergeblich. 115 Der Industrieausschuß hat am 20. März ein selbständiges Vorgehen beschlossen, Mitglieder aus dem neu besetzten Gebiet aufgenommen und einen engeren Ausschuß eingesetzt und den Handelskammern ein gleiches Vorgehen nahegelegt. Die Vereinigung der Handelskammern tagt am 22. März in Köln und präsentiert ihren schon bestehenden siebenköpftgen Ausschuß als Vertretung der Handelskammern zur Zusammenarbeit mit den Industriellen. Ein Zusammengehen mit Vertretungen der Landwirtschaft, des Handwerks und der Arbeiterschaft wird abgelehnt. (Schreiben des Reichs- und Staatskommissars vom 25.3. 1921 an das Reichs- und Staatsministerium. DZA Merseburg, Rep. 120 C XIII 1 Nr. 127 Bd. 1) Daraufhin organisieren Industrieausschußund Handelskammerausschuß-Vertreter zusammen mit Vertretern des Zentralverbandes des deutschen Großhandels, des Einzelhandelsverbandes für das Rheinland und Westfalen den Wirtschaftsausschuß. Die gleichfalls geschaffenen Länderunterausschüsse sind bedeutungslos.

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der Wirtschaftsausschuß aus dem Einbruchsgebiet. Er erhält bei der Erweiterung des Parlamentarischen Beirats beim Kommissar Ende 1921 zunächst zwei und dann drei Sitze zugestanden. Er tritt gleichfalls in engen Kontakt mit Berliner Zentralbehörden. An den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses nehmen der Reichs- und Staatskommissar und andere Reichs- und preußische Vertreter teil. Während der parlamentarische Beirat seit Dezember 1922 nicht mehr zusammentritt und damit ohne Aufsehen entschläft, besteht der Wirtschaftsausschuß bis 1926. 1923 treten zeitweilig noch eine Reihe weiterer Selbsthilfeorganisationen der verschiedensten Gruppen als Vertretungen für das gesamte Besatzungsgebiet und auf lokaler Ebene in Erscheinung. Das geschieht besonders mit dem Zusammenbruch der Staatsautorität und dem Rückzug des Staates, wie er sich dokumentiert in der Aufgabe des passiven Widerstandes und den Anfängen der" Versackungspolitik". Die engere Zusammenarbeit von Preußen und Reich 1923 im Zeichen des Ruhreinbruches zeigt sich gleichfalls organisatorisch. Für wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen im besetzten Gebiet richten Reichs- und preußische Regierung gemeinsam wirtschaftliche AußensteIlen aus je einem Vertreter des RWiM, RAM, RFM und des preußischen Wohlfahrtsministeriums ein. Dem Reichs- und Staatskommissar Mehlich im Ruhrgebiet werden einmal vermehrt soziale Aufgaben übertragen118, zum andern entwickelt sich seine Dortmunder Behörde zum wichtigsten Ausschuß zur Führung des passiven Widerstandes. In der Abwehrzentrale Mehlichs sind bedeutende Vertreter der Arbeitgeberund Arbeitnehmerverbände und offiziell ausgewiesene Beamte tätig. Sie arbeitet zusammen mit den Regierungen von Düsseldorf und Arnsberg und über einen Kurierdienst mit dem Oberpräsidium in Münster1l7• Der Hinweis Wentzckes, daß weder Reichs- noch Staatsregierung ohne ihre Stellungnahme wichtigere Entscheidungen für das Ruhrgebiet treffen, gilt zumindest für die ersten Monate des Ruhrkampfes1l8• Die Koordination der Abwehrmaßnahmen der Berliner Ministerien gegenüber dem neu besetzten Gebiet führt die im Februar 1923 bei der Reichskanzlei errichtete "Zentralstelle Rhein-Ruhr" unter dem aus Düsseldorf ausgewiesenen Bürgermeister Schmid. Zur Verbindung mit der Bevölkerung und den Behörden des besetzten Gebietes setzt die Zentralstelle von der Besatzung ausgewiesene Beamte als Vertreter Kommissare - ein. Der Duisburger Oberbürgermeister Dr. Jarres ist 118 Wentzcke, Paul: Ruhrkampf / Einbruch und Abwehr im rheinischwestfälischen Industriegebiet, BerUn 1930-1932, Bd. 1, S. 223; Bd. 2, S. 113 und S.154. 117 Wentzcke: Ruhrkampf, Bd. 2, S. 113. 118 Vgl. Severing: Lebensweg, Bd. 1, S. 417 f.

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für die Rheinprovinz und Westfalen zuständig und arbeitet in dem Abwehrausschuß Mehlichs mit; er steht zunächst im Auftrag der Zentralstelle und seit Mai zusätzlich in dem der preußischen Regierung. Der Mainzer Oberbürgermeister Külz übernimmt im Mai die besetzten Gebiete des Freistaates Hessen und des Regierungsbezirkes Wiesbaden. Der rheinische Oberpräsident Dr. Fuchs ist von Wetzlar aus seit Juni anstelle von Dr. Külz für den Regierungsbezirk Wiesbaden zuständig. Auch diese Kommissare sind, soweit sie preußische Gebiete betreuen, allem Anschein nach zu Vertrauensmännern des Staatsministeriums bestellt. Die Abwehrinstitute auf unterer Ebene verschwinden mit der Aufgabe des passiven Widerstandes, und auch die Aufgaben des Reichsund Staatskommissars Mehlich reduzieren sich auf den alten Bereich. Im Zuge der Währungsumstellung Ende 1923 ist noch zeitweilig ein Reichs- und Staatskommissar des RFM und des PrFM tätig. Den Reichs- und Staatskommissar Fürst Hatzfeld-Wildenburg weist die Besatzung schon im April 1923 aus Koblenz aus, und einen neuen Kommissar bei der InCo gibt es bis 1925 nicht. Das ist nicht zuletzt auf die entschiedene preußische Opposition gegen das Kommissariat zurückzuführen1l8 • Dagegen errichtet das Reich im August 1923 das Reichsministerium für die besetzten Gebiete. Es wird zwar nicht zum Staatsministerium erweitert; aber sein Chef ist immerhin befugt wie der Staatssekretär für die besetzten Gebiete vorher an den Sitzungen der preußischen Regierung teilzunehmen. Die neue Reichszentralbehörde übernimmt vor allem die alte Abteilung des Staatssekretärs für die besetzten rheinischen Gebiete, sowie die diesem schon im März 1923 - bei der Auflösung des Reichsschatzministeriums - zugewiesene Abteilung des Reichsschatzministeriums für die besetzten Gebiete mit den dazugehörigen rheinischen Unterbehörden und die Zentralstelle Rhein-Ruhr bei der Reichskanzlei. Reichsminister Dr. Fuchs führt das Reichsministerium als einziger neben Treviranus hauptamtlich und sichert sich zu119 Der PrMdI hält z. B. in seinem Schreiben vom 26. 10. 1925 an das Preußische Staatsministerium (DZA Merseburg, Rep. 120 C XIII 1 Nr. 127 Bd. 2) selbst eine Reichsvertretung für nicht "ungefährlich, als die nach allen früheren Erfahrungen zu befürchtende Beeinträchtigung der Stellung der preußischen Verwaltungsbehörden staatspolitisch unerwünscht ist und im übrigen gewisse Rückwirkung auf die eine reichsunmittelbare Stellung erstrebenden antipreußischen Elemente in der 11. und 111. Zone nicht ausgeschlossen ist. Der Oberpräsident der Rheinprovinz hat aus diesen Erwägungen heraus unermüdlich und mit großem Nachdruck die Wiederernennung eines Reichskommissars für die besetzten Gebiete mit der alten Zuständigkeit sowie eine Verbindung des Preußischen Staatskommissariats hiermit für die Stellung des Oberpräsidenten als unerträglich bezeichnet". - Für den dennoch im November 1925 ernannten Reichskommissar Freiherr Dr. Langwerth von Simmern setzt die preußische Regierung durch, daß der Verkehr mit den Landesbehörden nur noch über den Oberpräsidenten in Koblenz erfolgt, der zugleich als Kommissar der preußischen Regierung fungiert.

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gleich "durch die Beibehaltung seiner Stellung als Oberpräsident ... einen starken Rückhalt am Rhein ... "120 Bei der Bildung der Regierung Marx Ende November 1923 beschränkt sich Fuchs wieder auf das Oberpräsidium, und der Reichspostminister übernimmt das Rheinministerium. In den Abstimmungsgebieten Allenstein, Marienwerder und Oberschlesien übernehmen Interalliierte Kommissionen und in Schleswig eine Internationale Kommission zur Vorbereitung und zur Durchführung der Abstimmungen nach dem Inkrafttreten des Friedensvertrages im Januar 1920 vorübergehend die Regierungsgewalt. Den fremden Regierungs- und Abstimmungsausschüssen gegenüber ist die Reichsregierung befugt, für den Verkehr der Ausschüsse mit den Berliner Behörden einen Beamten zur Verfügung zu stellen. Das AA tritt für eine starke Stellung dieser Beamten als Reichs- und Staatskommissare ein, die nicht nur die deutsche Zentrale vertreten als gleichsam diplomatische Behörde, sondern auch die Dienststellen und die Bevölkerung des Abstimmungsgebietesl2l entsprechend der Position des Reichs- und Staatskommissars für die besetzten rheinischen Gebiete. Dies stößt jedoch auf den Widerspruch der Alliierten, die nur "Deutsche Bevollmächtigte" als Vermittlungsinstanzen zur Reichsregierung wünschen. Für Oberschlesien vereinbart die Reichsregierung als Sonderregelung die Einsetzung eines Deutschen Bevollmächtigten und getrennt davon eines deutschen und eines polnischen Plebiszitkommissars, die beide aus Oberschlesien stammen. über die Position der Bevollmächtigten herrschen von Anfang an divergierende Ansichten zwischen den Alliierten und der Reichsregierung. Die Ansicht des Reichs, daß das Amt des Bevollmächtigten funktionell zu einem Reichs- und Staatskommissariat auszugestalten ist, findet grundsätzlich die Unterstützung der preußischen Regierung; völlig einig sind sich Reich und Preußen natürlich auch diesmal nicht. So ist es verständlich, daß die Bevollmächtigten neben ihrer vom Reichspräsidenten gezeichneten Ernennungsurkunde weder Vollmachten, noch Dienstanweisungen erhalten, wie es sich inzwischen bei den übrigen Reichs- und Staatskommissaren eingebürgert hat. Die Reichs- und die preußische Staatsregierung setzen in Oppeln als Deutschen Bevollmächtigten zunächst den dem Zentrum angehörenden Dr. Brüning ein. Da der Leiter der dortigen Interalliierten Kommission General Le Rond ihn nicht akzeptiert, tritt an seine Stelle im März 1920 Fürst von Hatzfeld-Trachenberg, der von 1894 bis 1903 Oberpräsident der Provinz Schlesien war und im Augenblick noch als Abgeordneter und Alterspräsident im Provinziallandtag mitarbeitet. Angesichts des Mayer: Skizzen, S. 32. Freiherr von Gayl, Wilhelm: Ostpreußen unter fremden Flaggen, Königsberg, 1940, S. 49 f. 120

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Schutzes, den die Kommission 1921 den polnischen Aufständischen gewährt, tritt Hatzfeld im Mai 1921 zurück. Berlin setzt an seine Stelle den oberschlesischen Zentrumsführer Graf Praschma, der dort bis zur Rückgabe des Deutschland vom Völkerbund zugesprochenen Teiles von Oberschlesien an die deutschen Regierungsbehörden im Juli 1922 amtiert. Als deutscher Plebiszitkommissar fungiert in Oberschlesien der Zentrumsvertreter Dr. Urbanek. Sein polnischer Gegenspieler ist Korfanty. In Allenstein arbeitet als Deutscher Bevollmächtigter von Februar 1920 bis August 1920 der nach langen Widerständen in Berlin auf Eintreten Winnigs hin ernannte Freiherr von Gayl (DNVP)1!2. Marienwerder wird um bürokratischer Bedenken willen nicht dem gleichen Kommissar wie Allenstein unterstelltt23 • Dort wirkt ein eigener Reichsbevollmächtigter, und zwar bis zum Kapp-Putsch der westpreußische Landrat Kutter und später Graf BaudissinlU • In Schleswig übernimmt der Reichs- und Staatskommissar Dr. Köster auch das Amt des Deutschen Bevollmächtigten. Die Deutschen Bevollmächtigten unterstehen der Reichs- und Staatsregierung als Reichs- und Staatskommissare. Reich und Preußen tragen gemeinsam ihre Kosten. Der Reichspräsident ernennt sie in ihrem Namen, und "federführend für die Ernennung der Abstimmungskommissare und die Aufstellung der Stäbe ist das Auswärtige Amt"125. Aber ihr gesamter Schriftverkehr mit Berlin geht über die im PrMdI eingerichtete "Zentralstelle für die Abstimmungsgebiete" , wie auch die Leitung der Reichs- und Staatskommissare für die Abtretungsgebiete im wesentlichen bei der Staatsregierung zentralisiert ist. Die preußische Regierung nimmt hier also - im Gegensatz zu ihrem Verhältnis zu den früheren Reichs- und Staatskommissaren - eine bevorzugte Stellung ein. Abgesehen von der doppelten Verantwortlichkeit der Bevollmächtigten, ist ihre Position weitgehend ungeklärt. Es kommt alles darauf an, wie sie - möglichst im Einvernehmen mit den Berliner Reichs- und Staatsbehörden, die sie zu gelegentlichen kommissarischen Besprechungen versammeln - selbst ihr Amt auszugestalten vermögen. Dem Deutschen Bevollmächtigten werden wie dem Reichs- und Staatskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete Beamte der verschiedenen Dienstzweige aus den Reichs- und Staatsbehörden zugeteilt, vor 122

1!3

Zur Tätigkeit von Gayls s. das obengenannte Werk.

von Gayl: Ostpreußen, S. 43.

a. a. 0., S. 60 f. Ausschnitt aus dem Ergebnis der kommissarischen Besprechung im AA am 17.1. 1920 über die Stellung der Deutschen Bevollmächtigten. Zit. a. a. 0., S.49. 124

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allem aus dem AA und aus den Behörden der Abstimmungsgebiete. Diesen Beamten gegenüber hat der Bevollmächtigte zunächst nach Gayp26 nur die Stellung eines primus inter pares. Sich innerhalb der eigenen Behörde durchzusetzen, gelingt den Bevollmächtigten allem Anschein nach sämtlich. Für eine wirksame Vertretung der deutschen Interessen gegenüber den Kommissionen ist weiter von Bedeutung, daß die Bevollmächtigten das alleinige Vertretungsrecht der heimischen Reichs- und Staatsbehörden gegenüber den Kommissionen besitzen. Da es ihnen die Reichsregierung nicht hat verschaffen können, müssen sie sich erst selbst darum bemühen127 • Am besten setzt sich in dieser Angelegenheit wohl von Gayl durch, der im Laufe der Zeit fast die Stellung einer Spitze der Reichs- und Staatsbehörden seines Gebietes erreicht. Der südostpreußische Kommissar ist dadurch gegenüber den Verhältnissen in den übrigen Abstimmungsgebieten begünstigt, daß er einem Beamtenkörper gegenübersteht, der durch die Kommission nicht zugunsten der das Gebiet beanspruchenden fremden Macht verändert ist; es ist eine Ausnahme, daß hier nur der Regierungspräsident das Gebiet zu verlassen hat. Von Bedeutung ist gleichfalls, wie weit die Deutschen Bevollmächtigten als Sprecher der Bevölkerung aufzutreten vermögen. Von Gayl hat hinter sich eine masurische Einheitsfront; und er betont1Z8, daß selbst die Gewerkschaften den Weg über die von dem DNVP-Führer geleitete Behörde akzeptieren. Dr. Köster in Schleswig ist es im Zuge seiner Tätigkeit gelungen, 1919 die starken Gegensätze zwischen den deutschen Gruppen zu überbrücken; und gegenüber der Kommission kann er als allgemein anerkannter Vertreter der deutschen Bevölkerung auftreten. In Oberschlesien liegt die Aufgabe der Zusammenfassung der Deutschen 1920 - nach dem Mißerfolg Hörsings - dem deutschen Plebiszitkommissar Dr. Urbanek besonders ob, der von Kattowitz aus wirkt. Diese Aufgabe scheint ihm erst gelungen zu sein angesichts der polnischen übergriffe unter dem Schutze der Kommission und des zweiten polnischen Aufstandes im August 1920, der von dem polnischen Plebiszitkommissar geführt wird. Daß Dr. Urbanek eng mit dem deutschen Bevollmächtigten zusammenarbeitet, ist selbstverständlich. Der Zusammenschluß der deutschen Oberschlesier dokumentiert sich u. a. in der 1920 unter der Leitung eines Zentrumsabgeordneten geschaffen deutschen Untergrundbewegung - mag sie auch, von der Organisation, Ausrüstung und Macht her gesehen, nicht mit der polnischen zu vergleichen sein, wie der Korfanty-Aufstand vom Mai/Juni 1921 zeigt. 128 127 128

a. a. 0., S. 52.

a. a. 0., S. 57 und 60. a. a. 0., S. 59.

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Im Mai 1921 schaffen sich die deutschen Parteien und Gewerkschaften "eine politische Leitung zur Vertretung der deutschen Interessen gegenüber der IK"129. Sie bauen sie zu einem Zwölferausschuß mit einem geschäftsführenden Dreierausschuß aus, an dessen Spitze der Reichstagsabgeordnete Pfarrer Ulitzka (Z) steht und zu dem auch Dr. Urbanek gehört. Sie arbeitet wie mit Graf Praschma im Einvernehmen mit General Röfer, dem von Berlin geschickten Leiter der deutschen Selbstschutzverbände. Je stärker die Position der deutschen Bevollmächtigten ist, um so besser vermögen sie die Rechte der deutschen Bevölkerung im Sinne einer gerechten Abstimmung zu wahren und die Eingriffe in das deutsche Verwaltungssystem abzuwehren. Eine Umorganisation durch die Regierungskommission bei der Justizverwaltung und der Polizei ist weder in Oberschlesien noch in Südostpreußen zu verhindern. In Oberschlesien kommt es neben dem Aufbau einer Abstimmungspolizei und der Zusammenfassung der oberschlesischen Gerichte unter einer oberschlesischen Zentralinstanz zur Abtrennung des Eisenbahndirektionsbezirkes Kattowitz und zur Zentralisierung des Finanzwesens in Oppeln. Dazu muß der dortige deutsche Bevollmächtigte schwerwiegende Eingriffe in die deutsche Wirtschaftseinheit hinnehmen. Bei der finanziellen Abtrennung Oberschlesiens gibt es Gegensätze in der Reichs- und preußischen Zentrale13O , während sie sonst einheitlich auftritt. Zu der Wahrung der deutschen Interessen durch den Bevollmächtigten gegenüber den ausländischen Kommissionen gehört die Erhaltung eines engen Zusammenhanges des Abstimmungsgebietes mit den normalerweise übergeordneten deutschen Behörden, obgleich die Gebiete formell zeitweilig der Regierungsgewalt der Kommissionen unterstehen. Ein Erfolg in diesem Sinne sind die von v. Gayl am 3. 3. 1920 mit der Interalliierten Kommission vereinbarten Richtlinien für den GeschäftsHöter: Oberschlesien, S. 113. Der Paragraph 6 Abs. 4 der Anlage zu den Polen betreffenden Bestimmungen zu Art. 88 des Friedensvertrages und der Vertrag vom 9. 1. 1920 bestimmen klar, daß die Kosten der Kommission, der Besatzungstruppen, der Abstimmung und der deutschen und preußischen Verwaltung aus den örtlichen Einnahmen von Reichs- und Staatsgeldern zu decken sind. Damit ist ein selbständiges Finanzgebilde geschaffen; seine Einnahmen und Ausgaben müssen aus ihrem bisherigen Zusammenhang mit Reichs- und preußischen Finanzen herausgeschält werden und für sich verwaltet werden. Dementsprechend fordert die Interalliierte Kommission eine gesonderte Rechnungsführung für Oberschlesien. Auf deutscher Seite ist dazu zu berücksichtigen, daß sich eine getrennte Buchführung schon deshalb nicht umgehen läßt, weil Reich und Preußen sich später über die Kosten ohnehin irgendwie ausgleichen müssen. Das Reichsbankdirektorium und der Finanzbeauftragte der deutschen Vertretung gegenüber der Interalliierten Kommission (vgl. Schreiben des Deutschen Finanzbeauftragten bei der Interalliierten Kommission vom 19. 4. 1920 an das RFM etc. DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 2 Nr.21 Bd. 1) stimmen dem Ersuchen der Interalliierten Kommission zu. Das RFM entspricht dem 129

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verkehr der deutschen Behörden innerhalb und außerhalb des Abstimmungsgebietes13l • Hoffnungslos ist im allgemeinen die Position des deutschen Bevollmächtigten im Falle des Einsatzes von Gewalt durch die die Separation betreibende Macht. Das zeigt sich bei den polnischen Aufständen in Oberschlesien im August 1920 und im Mai/Juni 1921. Die polnischen übergriffe gegenüber Südostpreußen beschränken sich auf unbedeutende Provokationen. Ostpreußen droht allerdings im Juli 1920 - also nach der Abstimmung - vom russisch-polnischen Krieg in Mitleidenschaft gezogen zu werden; von Gayl verschafft sich - ungeachtet der Ablehnung der Interalliierten Kommission - die Vollmacht, zur Grenzsicherung im Notfall die außerhalb des Abstimmungsgebietes stationierte Reichswehr dort zum Einsatz zu bringen; er braucht sie aber nicht anzuwenden l32 • Wie gegenüber den Abstimmungsgebieten133, demonstrieren Reich und Staat gegenüber den Abtretungsgebieten ihre Einheit, indem sie gleichfalls in einem Erlaß am 3. 3. 1920, wonach Oberschlesien seine öffentlichen Ausgaben selbst decken muß, und das Reich nur als Zweitschuldner fungiert. Demgegenüber sind die preußischen Zentralbehörden nicht bereit, die Einschränkung ihrer Finanzhoheit hinzunehmen. Der PrMdöA verfügt ausdrücklich am 20. 3. 1920, daß die Eisenbahndirektion Kattowitz ihr Defizit weiter bei der preußischen Generalstaatskasse zu decken hat. Auf Grund eines Erlasses des Preußischen Justizministers vom 14.3.1920 haben sich die oberschlesischen Gerichtskassen wie bisher aus der Justizhauptkasse Breslau aufzufüllen, also zumindest in finanzieller Hinsicht den Zusammenhang mit dem Oberlandesgericht Breslau aufrechtzuerhalten. Die preußische Bergverwaltung bezieht die Finanzbestimmungen der Verträge nur auf Steuern und öffentliche Abgaben, obgleich die Verträge allgemein von revenus locaux sprechen. Sie meint, die Erträge der Gruben und Hütten nicht in die Masse, die der interalliierten Kommission zur Verfügung zu halten ist, einwerfen zu sollen. Der PrFM lehnt die gesonderte Rechnungsführung im Erlaß vom 30. 3. 1920 ab, hält es aber für zweifelhaft, ob die Interalliierte Kommission auf Grund des Vertrages vom 9. 1. 1920 dies nicht doch fordern kann. Am 24. 4. 1920 kommen Reichs- und preußische Ressorts im RFM schließlich überein, (Aktennotiz vom 26. 4. 1920 über die übereinkunft der Reichs- und Preußischen Ressorts im RFM vom 24. 4. 1920, DZA Merseburg, Rep. 90 a D I 2 Nr. 21 Bd. 1) Oberschlesien zwar etatrechtlich beim Reich und bei Preußen zu belassen, aber dennoch eine Zentralisierung der sich auf die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben beziehenden Geldbewegungen im Abstimmungsgebiet in der Weise vorzunehmen, daß die Regierungshauptkasse in Oppeln als Zweigkasse der Reichshauptkasse und preußischen Generalstaatskasse fungiert. Bei ihr laufen demnach einerseits alle im Abstimmungsgebiet anfallenden überschüsse zusammen, und andererseits obliegt es ihr, den Zuschußverwaltungen die erforderlichen Zuschüsse zu leisten. 131 Danach dürfen die deutschen Oberbehörden den Abstimmungsgebietsbehörden zwar keine politischen Weisungen erteilen, aber der Verkehr bleibt in fachtechnischen, wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten unter der Kontrolle der Interalliierten Kommission bestehen. Das Abkommen vom 3.3. 1920 ist bei von Gayl: Ostpreußen, S. 144 f. aufgeführt. 132 von Gayl: Ostpreußen, S. 291. 133 Die Zusammenarbeit von preußischer und Reichsregierung gegenüber den Abstimmungsgebieten zeigt sich gleichfalls in der Reichszentrale für

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gemeinsame Vertreter, Reichs- und Staatskommissare, bestellen. Reichsund Staatsregierung setzen 1919 bis 1922 gegenüber den an Polen und die Tschechoslowakei abzutretenden Gebieten Ost- und Westpreußens, Polens und Schlesiens, sowie gegenüber dem unter Völkerbundsverwaltung gelangenden Danzig und Saargebiet und dem unter ein Kondominium gelangenden Memelgebiet zur Sicherstellung der Einheitlichkeit bei der überleitung der Gebiete einheitlich geleitete Abwicklungsbehörden ein. Im Gegensatz zu den Kommissaren der Abstimmungsgebiete haben sie spezielle Funktionen. Das allgemeine Vorbild für die Reihe der überleitungskommissariate ist der für das Memelgebiet im August 1919 ernannte Reichs- und Staatskommissar Graf LambsdorfJ, Regierungspräsident a. D. Seine Aufgaben sind in einer Vollmacht und einer Dienstanweisung genau umrissen, die vom AA, RFM, PrMdI und PrFM gemeinsam am 26. 8. 1919 ausgestellt sind13f • Graf Lambsdorff führt danach die überleitung der Verwaltung durch und übernimmt zusätzlich diplomatische und konsularische Aufgaben. Er leitet eine Behörde in Gumbinnen und eine Zweigstelle in Memel. Dazu stehen ihm die Beamten und Einrichtungen der Regierung in Gumbinnen nach näherer Anweisung des PrMdI zur Verfügung. 1922 bestellen Reichsund Staatsregierung den Regierungspräsidenten von Gumbinnen selbst zum Reichs- und Staatskommissar für das Memelgebiet; die diplomatischkonsularischen Geschäfte überträgt das AA einem neuen Konsulat. Im November 1919 setzen Reichs- und Staatsregierung auf Vorschlag des PrMdI für das abzutretende Gebiet des Kreises Marienwerder links der Weichsel den Vertreter des Regierungspräsidenten in Marienwerder ein, der später durch den Regierungspräsidenten in dieser Aufgabe abgelöst wird, für das abzutretende Gebiet der Regierungsbezirke Bromberg und Posen den Regierungspräsidenten in Bromberg, der später nach Schneidemühl umsiedelt, für die abzutretenden Gebiete der Kreise Guhrau, Groß Wartenburg und Namslau den Regierungspräsidenten in Breslau, der später die gesamten Überleitungsgeschäfte für die abgetretenen Gebiete Mittelschlesiens übernimmt, für den abzutretenden Teil des Kreises Neidenburg den Landrat in Neidenburg, für den an die Tschechoslowakei abzutretenden Teil des Kreises Ratibor den Landrat in Ratibor und für das abzutretende Gebiet des Regierungsbezirks Danzig Heimatdienst, die der Reichskanzlei untersteht. Sie unterstützt die Kommissare propagandistisch. Dem Leiter der Reichszentrale wird 1919 für den Abstimmungskampf als preußiScher Landeskommissar Ministerialrat von Loebell vom PrFM "mit gleichen Rechten" beigegeben. Siehe Richter, Johannes Kar!: Die Reichszentrale für Heimatdienst - Geschichte der ersten politischen Bildungsstelle in Deutschland und Untersuchung ihrer Rolle in der Weimarer Republik, Berlin 1963, S. 39. 134 Vollmacht und Dienstanweisung für den Regierungspräsidenten a. D. Graf Lambsdorff vom 26. 8. 1919. DZA Merseburg, Rep. 120 A I 1 Nr. 5 Bd. 4.

VI. Relchs- und Staatskommissariate

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den Regierungspräsidenten in Danzig. Für das Saargebiet ist der Oberpräsident in Koblenz zuständig und für die südöstlichen Teile Oberschlesiens der Regierungspräsident in Oppeln. 1923 heben Reichs- und Staatsregierung das überleitungskommissariat für Danzig auf, und die Restgeschäfte gehen an das deutsche Generalkonsulat in Danzig, an dessen Spitze wiederum der frühere Regierungspräsident Foerster tritt. Die Kommissariate in Gumbinnen und Breslau werden 1926 aufgelöst, die übrigen bestehen noch über 1933 hinaus. Mehr als bei der Arbeit der anderen Reichs- und Staatskommissare handelt es sich bei der überleitung um Verwaltungsgeschäfte, und es ist verständlich, daß die kommissarischen Aufgaben preußischen Verwaltungsbeamten der betroffenen Gebiete anvertraut werden. Daraus ergibt sich, daß, obgleich sich die Verantwortlichkeit dieser Kommissare dem Reichs- und Staatsministerium gegenüber grundsätzlich nicht von der der anderen unterscheidet, die Hauptkontrolle über ihre Geschäftsführung beim Staatsministerium liegt; sämtliche Weisungen an die Reichs- und Staatskommissare gehen über das Staatsministerium. Von den vielen bilateralen kommissarischen Einrichtungen der ersten Jahre außerhalb des ordentlichen Behördenapparates besteht 1924 praktisch keine mehr. Reichs- und Staatskommissar Mehlich für gewerbliche Fragen arbeitet zwar noch bis 1926 im Ruhrgebiet; aber den Hauptinhalt seiner Tätigkeit machen die ihm auf Grund der Schlichtungsverordnung vom 30.10.1923 übertragenen Aufgaben als Reichsschlichter aus, und er ist damit faktisch in die ordentliche Reichsarbeitsverwaltung eingegliedert. Die überleitungs aufträge liegen vollständig bei ordentlichen preußischen Behörden. Diese arbeiten noch unter doppeltem Namen, erledigen jedoch im wesentlichen Landesgeschäfte; die diplomatisch-konsularischen Aufgaben sind auf das AA übergegangen. 191911920 - angesichts des Netzes von Reichs- und Staatskommissariaten und der Entwicklung im Rheinland und in Ostpreußen - hat es zeitweilig den Anschein, als wenn die neue Verwaltungsform der Ansatz zu einem Zusammenwachsen von preußischer und Reichsverwaltung und zu einer engeren Verbindung der Zentralen sei. Aber schließlich setzt sich doch die grundsätzliche Trennung von Reich und Staat und im wesentlichen die Zurückdrängung des Reiches aus der Provinz durch.

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VII. Ansätze zu einer Reform des Verhältnisses Preußen-Reich 1919/20 1. Die Pläne zu einer engeren Verbindung von Preußen und Reich und die Entschließung der Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung zugunsten des Einheitsstaates Die preußische Regierung hat sich trotz der parteipolitisch gleichen Besetzung wie die Reichsregierung und trotz ihres Unitarismus seit Januar 1919 langsam mehr und mehr von der Reichsregierung entfernt. In Umkehrung der Verhältnisse vom November/Dezember 1918 sucht Preußen ein Jahr später nicht mehr die Verbindung zum Reich, sondern den engeren Kontakt zu den süddeutschen Regierungen zu einer Front gegen das Reich. In der Politik der preußischen Regierung nimmt die Wahrung des rein preußischen Staatsinteresses ein solches Gewicht ein, daß ihre oft bekundete Unterstützung des Unitarismus und der Selbstverwaltung nur noch als zeitgemäße Fassade eines eigentlich spezifisch preußischen Anliegens erscheint. In diesem Sinne erklärt Unterstaatssekretär Dr. Freund, einer der ältesten Beamten im preußischen Innenministerium und zugleich einer der eifrigsten Verteidiger der neuen preußischen Politik im Verfassungsausschuß und vor der Landesversammlung, den preußischen Abgeordneten, insbesondere denen der DNVP, das Verhältnis von Unitarismus und preußischem Staatsinteresse in der Position der preußischen Regierung1 : "In einer Zeit, wo das Deutsche Reich eine gewaltige Entwicklung seiner Kompetenzen zu Lasten der Länder in der Reichsverfassung durchgeführt hat, und wo weiterhin von unten, seitens der preußischen Provinzen, der Appell an den Staat gerichtet wird, die landsmannschaftliche Eigenart der Provinzen, mehr als es bisher geschehen ist, zu berücksichtigen, in einer solchen Zeit, wo von oben und unten gedrückt wird, wäre es der größte Fehler, starr zu bleiben. Wenn wir da nicht elastisch sind, so sind wir zerdrückt, von oben und von unten. Wenn die Partei, für die der Herr Vorredner gesprochen hat, das nicht einsieht, so nimmt sie meines Erachtens eine schwere Verantwortung für die Standfestigkeit desjenigen Staates auf sich, für den sie hier eintritt... Danach ist die Politik des preußischen Staatsministeriums nur noch der preußischen Staatsräson verpflichtet. Die sich unverkennbar herausbildende Spannung zwischen Preußen und dem Reich rührt einmal von den unterschiedlichen Vorstellungen beider Regierungen her, die unterschiedlichen Interessen entspringen. Sie treten in ihrer Gegensätzlichkeit gerade angesichts der nicht endenden Auseinandersetzungen um die staatliche Ordnung immer wieder in Erscheinung. Die Distanzierung der beiden Großstaatsregierungen vollzieht sich geradezu zwangsläufig angesichts der Unmöglichkeit, in dieser Zeit, in der beide Staaten durch die erdbeben artigen Verhältnisse so 1

VPrLv-Prot.vom 6.11.1919, Bd. 5, Sp. 5888.

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sehr in Bewegung geraten sind, die Einflußbereiche klar zu scheiden und angesichts des getrennten Arbeitens beider Regierungen. Der neue Dualismus von Preußen und Reich zeigt sich in Ressortauseinandersetzungen aus den verschiedensten Anlässen und an den Differenzen wegen der Autonomie- und Neugliederungsbestrebungen. Reichsund preußische Regierung gehen weiter in ihren Ansichten über das Vorgehen bei der Vereinheitlichung und über das Tempo der Vereinheitlichung auseinander. Die Reichsregierung Bauer setzt sich im Einvernehmen mit der Mehrheit der VNV für eine rasche Vereinheitlichung ein. Ausdruck des Unitarismus der Reichsregierung ist vor allem die Reichsfinanzreform. Auf sie soll, wie Erzberger am 4. Januar 1920 in Stuttgart verkündet, die im Verfassungsausschuß am preußischen und bayerischen Widerspruch gescheiterte Vereinheitlichung des Justizwesens folgen. Die preußische Regierung tritt grundsätzlich weiterhin für die Vereinheitlichung ein, aber in der Praxis bremst sie zusehends. Die preußischen Interessen werden ihrer Meinung nach nicht genügend berücksichtigt. Mehrfach beschweren sich der Finanz- und der Handelsminister wegen der schnellen Behandlung der Reichsgesetzentwürfe. Der Präsident des Staatsministeriums moniert am 8. 8. 1919 gegenüber dem Präsidenten des Reichsministeriums 2 : "In letzter Zeit haben sich die Fälle gemehrt, in denen die Entwürfe wichtiger Reichsgesetze der Preußischen Staatsregierung erst so unmittelbar vor der Beratung im Staatenausschuß zugingen, daß eine gründliche Prüfung, wie sie bei der weittragenden Bedeutung dieser Entwürfe unbedingt erforderlich ist, nicht möglich war." Er beansprucht "die unbeschränkte Ausübung" des Rechtes "der Geltendmachung der Interessen des einzelnen Staates". In diesem Sinne wendet sich auch Reine gegen die Vereinheitlichung im Zuge der Reichsfinanzreform auf der Dessauer Kundgebung am 9. November. Der DDPAbgeordnete Dominicus hebt am 15.12.1919 in der VPrLv hervor3 : "Heute haben wir manchmal den Eindruck, als ob die Reichsregierung Gesetze vorlegt und diese im Reichsrat durchgebracht werden, ohne daß bei der Ausarbeitung entsprechende Rücksicht auf die preußische Regierung genommen worden wäre." Die preußische Regierung kritisiert die ungleiche Behandlung der Länder bei der Vereinheitlichung. Sie verlangt weiterhin wie bei den Verfassungsverhandlungen den gleichen Status für alle Länder. Die preußische Regierung muß hinnehmen, daß vor allem Bayern im Wehrwesen, Eisenbahnwesen, Post- und Fernmeldewesen, Versorgungs- und 2 Entwurf des Schreibens des Präsidenten des Staatsministeriums an den Präsidenten des Reichsministeriums etc. vom 8. 8. 1919. Nied St, Preuß. Staatsm. BIll Bd. 1. 3 VPrLv-Prot. Bd. 7, Sp. 8099.

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Schlichtungswesen Vorteile gegenüber anderen Ländern zugestanden erhält. Die Einräumung des Vorschlagsrechtes für die Besetzung des Vatikan-Botschafterpostens an Bayern nimmt der Ministerpräsident Hirsch im November 1919 zum Anlaß, um sich grundsätzlich gegen diese Praxis zu wenden4 • "Abgesehen von dem vorgenannten Falle sind in letzter Zeit der Staatsregierung auch andere Fälle bekanntgeworden, aus denen sie schließen muß, daß bei der Reichsregierung Neigung besteht, einzelnen Ländern bei überführung bisheriger Landeseinrichtungen in solche des Reichs, eine bevorzugte Behandlung zuzugestehen, um ihnen den Verzicht zu erleichtern. Hiergegen müßte Preußen, das für sich selbst keinerlei bevorzugte Behandlung beansprucht, aber die gleichen Opfer bringt wie alle anderen, grundsätzlich Einspruch erheben. Abgesehen davon, daß bei einem solchen Verfahren der Zweck der Verreichlichung, nämlich die Einheitlichkeit im ganzen Reich, zu wesentlichem Teile vereitelt wird, würde es dazu führen, daß schließlich die Durchführung der Maßnahmen, wie es ursprünglich gedacht war, nur in Preußen und den norddeutschen Kleinstaaten erfolgt, während einzelnen Mittelstaaten Zugeständnisse gemacht werden, die Preußen nicht erhält. Preußen ist grundsätzlich für einheitliche Behandlung der Länder des Reichs. Hält aber die Reichsregierung solche Zugeständnisse mit der Sache vereinbar, dann müssen sie durchgängig gemacht werden; werden sie jedoch nur einzelnen Ländern gemacht, dann allerdings erhebt Preußen als größtes Land Anspruch auf Behandlung nach dem Rechte der Meistbegünstigung." Ministerpräsident Hirsch trägt der Reichsregierung das gleiche grundsätzliche Anliegen noch einmal durch Schreiben vom 22.12. 1919 und am 23.2.1920 vor, ohne eine Antwort zu erhalten. Im Falle der VatikanBotschaft vermag er Preußen allerdings die gleichen Rechte wie Bayern zu sicherns, in der Frage der Überleitung der Eisenbahnen erreicht Preußen schließlich ähnliche Zugeständnisse. Hirsch trägt der Reichsregierung nicht umsonst gerade in dieser Zeit den Anspruch Preußens auf gleiche Behandlung wie die übrigen Länder vor. Es wird gerade in diesen Monaten innerhalb der VNV, der Reichsregierung und der VPrLv eine differenzierte Neuordnung des Reich4 Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums an den Präsidenten des Reichsministeriums etc. vom 11. 11. 1919. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 52 Bd.l. 5 Nach der Mitteilung des Präsidenten des Staatsministeriums an die Staatsminister vom 10.4. 1920 (DZA Merseburg, Rep. 120 All Nr. 5 Bd. 5) über die Verhandlungen mit dem AA erklärt sich Preußen zwar erneut zur Aufgabe seiner Vatikangesandtschaft bereit, erreicht jedoch, daß die Gesandten des Reiches beim Vatikan nur nach vorheriger Verständigung mit der preußischen Regierung ernannt werden und die deutsche Gesandtschaft beim Vatikan der preußischen Regierung zu Verhandlungen mit dem Päpstlichen Stuhle in preußischen kirchlichen Angelegenheiten uneingeschränkt und unmittelbar zur Verfügung steht, ohne daß das AA auf diese Verhandlungen Einfluß nimmt. - Vgl. im übrigen zur deutschen Vatikangesandtschaft Franciscus Hanus: Die Preußische Vatikangesandtschaft, 1747-1920, München 1954. Preußen und Bayern haben beide besonderes Interesse an der Vatikanvertretung aus kulturpolitischen Gründen.

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Länder-Verhältnisses erörtert. Diese überlegungen gründen in dem Wachsen der unitarischen Tendenzen und dem Voranschreiten der Vereinheitlichung auf der einen Seite und den Spannungen zwischen Preußen und dem Reich auf der anderen Seite. Das Ziel ist, Preußen mehr oder weniger zu einem Reichsland umzugestalten. Im Oktober oder November regt der sozialdemokratische VNV-Abgeordnete Dr. Quarck, der stellvertretende Vorsitzende des Verfassungsausschusses, eine Aussprache im Vorstand seiner Fraktion an über die Frage des Aufgehens Preußens im Reich. Er teilt darüber dem hessischen Ministerpräsidenten Ulrich am 6. November mW: "Was die Frage der Reichseinheit betrifft, so gewinnt sie auch in Preußen, im Anschluß an die Neuorganisation der Steuern und ähnliches, anscheinend immer mehr an Anhängern. Man fängt an, sich endlich zu fragen, ob man nicht besser selbst Reichsland werde, statt als Preußen in der Hauptsache für das Reich zu arbeiten und dabei doppelte Behörden zu brauchen. Eine Aussprache im Fraktionsvorstand, die ich veranlaßte, neigte stark der Meinung zu, mit der preußischen Fraktion in Verbindung zu treten und neuerdings mit dieser darauf hinzuarbeiten, daß Preußen im Reich aufgeht, worauf die süddeutschen Staaten sicher denselben Weg machen werden." Innerhalb der Reichsregierung treten mindestens der Vizekanzler und RJM Schiffer, der RFM Erzberger und der RMdI Koch dafür ein, daß Reichs- und preußische Regierung durch Personalunion verbunden werden 7 • Für den RMdI Koch konzentrieren sich die Schwierigkeiten in dem Dualismus zwischen Preußen und Reich8 • Mit den überlegungen über eine Umgestaltung Preußens in Richtung auf den Reichslandstatus steht die Entschließung der VPrLv vom 17. Dezember 1919 zugunsten des Einheitsstaats in engem Zusammenhang. Ein Vertreter der DDP stellt Anfang Oktober im 16. Ausschuß, der sich mit den Autonomiebestrebungen beschäftigt, festU, angesichts der Einschränkung der Macht der Bundesstaaten: "Es frage sich, ob eine besondere preußische Zentralinstanz mit ihren Ministerien und eine besondere Landesversammlung auf die Dauer notwendig sei. Aus der Verpflichtung zur Sparsamkeit heraus würden es seine Freunde begrüßen, wenn diesem Prinzip Ausdruck verliehen würde. Der Einwand werde nicht ausbleiben, Preußen könne nicht allein auf seine Hoheitsrechte verzichten, wenn es auch theoretisch seine Rechte dem Reich übertragen könne. Es frage sich, ob ein solcher Schritt nicht für die ganze Entwicklung von nützlichem Einfluß wäre." Er weist hier auf die Erleichterung der Neugliederung Norddeutschlands dadurch hin. Er schließt: "Ohne einen positiven Vorschlag Ulrich: Erinnerungen, S. 217. Siehe Goldschmidt: Das Reich und Preußen, S. 133; Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 25l. 8 Das hebt der RMdI Koch besonders am 22. 1. 1920 in dem Anschreiben zu seiner Denkschrift über die Reichsvertretungen gegenüber dem Badischen Staatsrat Dr. Haas (DDP) hervor. Bad GLAK, Bad. Ges. 233/34 843. 9 VPrLv-Dr. Nr. 991, S. 7 vom 3.10.1919. 6

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zu machen, könne er die Zustimmung seiner Freunde dazu erklären, wenn der Wille der Preußischen Landesversammlung in dieser Richtung zum Ausdruck käme." Demgegenüber bezeichnet es der Vertreter des Ministers des Innern jedoch "als die richtigere Taktik, die Entwicklung des Reiches zum Einheitsstaat abzuwarten und nicht den entscheidenden Schritt in formulierter Weise von Preußen aus zu tun" 10. Zu gleicher Zeit fragt im Staatshaushaltsausschuß ein Zentrumsvertreter die anwesenden Mitglieder der Staatsregierung Hirsch und Heine 11 : "Er bitte um Auskunft darüber, ob ein Schritt der preußischen Staatsregierung in der Richtung des deutschen Einheitsstaates bedenklich sei ... Sollte das der Fall sein, dann würde er einen dahingehenden Antrag nicht stellen. Nach der festen überzeugung seiner Freunde biete der Einheitsstaat die einzige Möglichkeit, um Absplitterungen zu vermeiden." Eine Antwort von Hirsch oder Heine ist leider nicht protokolliert. Wie ihre Äußerungen aus Anlaß des Einheitsstaatsantrages in der VPrLv zeigen, halten sie den Zeitpunkt der Einbringung des Antrages für ungünstig. In diesem Sinne äußert sich ja auch der Vertreter des PrMdI im 16. Ausschuß. Eine Ablehnung der Annäherung Preußens an den Reichslandstatus durch die preußische Regierung ergibt sich schon aus ihrer allgemeinen Ablehnung des differenzierten Vorgehens. Auch die SPD-Fraktion, die stärkste Gruppe der VPrLv, befürwortet den Reichslandstatus für Preußen nicht. Sie diskriminiert diesen Vorschlag als rein parteipolitisch begründeten Schachzug der Zentrumspartei, die auf diesem Wege in Preußen mehr Einfluß zu gewinnen sucht. Auf den Gedanken, daß die durch das Reichsland gestärkte SPD-Reichsregierung sozialdemokratische Vorstellungen in den Ländern, in denen die SPD schwach ist, besser durchsetzen könnte, kommt sie augenscheinlich nicht. Der SPD-Abgeordnete HeiLmann stellt als Sprecher der SPD-Fraktion aus Anlaß der Einbringung der Resolution zugunsten des Einheitsstaats am 16. Dezember festl!: "Ich fürchte, es gibt in der Zentrumspartei überkluge Politiker, die denken: wenn Preußen Reichsland ist, bestimmen alle Reichsbürger über Preußens Schulpolitik mit; Bayern wird aber nicht Reichsland, da bestimmen wir dann lieber allein über die Schulpolitik. So haben wir nicht gewettet! Wir wollen weder Preußen aufteilen lassen noch Preußen als Reichsland erklären, wenn nicht die anderen deutschen Länder bereit sind, ebenfalls in Deutschland aufzugehen." Braun drückt das, was Heilmann in polemischer Weise im Grunde vorbringt, später sachlicher mit den Worten aus u : 10 11

12 18

a. a. 0., S. 9. VPrLv-Dr. Nr. 1000, Bericht des Staatshaushaltsaussch. v. 20. 10. 1919. VPrLv-Prot. Bd. 7, Sp. 8249 f. Braun: Einheitsstaat, S. 33.

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"Die Erklärung Preußens zum Reichsland müßte die Personalunion der Reichsregierung mit der preußischen Regierung zur Folge haben. Das würde bedeuten, daß die Bevölkerung Preußens, von der nach der republikanischen Verfassung alle Staatsgewalt ausgehen soll, nicht darüber zu bestimmen hätte, wie die Regierung zusammengesetzt sein soll, die diese Staatsgewalt ausübt, daß vielmehr die Bayern, Badenser, Hessen usw., die in ihrem Lande selbst ihre Regierung bestimmen, in Preußen mitbestimmend regieren sollen." In gleichem Sinne wie die SPD-Fraktion äußert sich auch die Rechte in dieser Zeit ablehnend zum Reichsland-Vorschlag. Der DVP-Vertreter hat sich schon im 16. Ausschuß 14 mit der Begründung gegen den Reichslandstatus ausgesprochen, daß Preußen dadurch benachteiligt werde. Der Vorsitzende der DNVP Hergt lobt vor der VPrLv die Position der preußischen Regierung15 , die der Ansicht sei, "daß, wenn man die Reichseinheit einführen wollte, auch ganze Arbeit geleistet werden müßte; es dürfte nicht dahin kommen, daß etwa Preußen gewissermaßen Reichsland würde, alle anderen Bundesstaaten aber selbständig bestehenblieben. (Bravo! bei der Deutschnationalen Volkspartei.) Also dieser Standpunkt der Preußischen Regierung war ein durchaus vernünftiger." Das gehört zum Werben der DNVP um die preußische Regierung in diesen Monaten, dessen Höhepunkte die Verkündung des "Programms der Ordnung" durch Hergt am 26.9.1919 vor der VPrLv und die Verhandlungen mit Südekum und Hirsch wegen einer engeren Zusammenarbeit sind10 • - Kritisch betrachtet Hergt am Verhältnis der preußischen Regierung zur Reichsregierung nur, daß die "rücksichtslose Wahrnehmung der preußischen Interessen17 " fehlt. Die Rechte will im Gegensatz zu später nicht die engere Verbindung von Reichs- und preußischer Regierung18, sondern die rücksichtslose Opposition gegen die ReichsVPrLv-Dr. Nr. 991 vom 3.10.1919, S. 7. VPrLv-Prot. Bd. 7, Sp. 8125,15.12.1919. 18 Auf die Verhandlungen Hergts mit Südekum und Hirsch weist Hirsch selber in seinen Erinnerungen hin (Hirsch: Sozialdemokratie, S. 159). - Der PrFM Südekum apostrophiert Hergt nach seinem Vortrag des Ordnungsprogramms am 30. 9.1919 als seinen "verehrten Amtsvorgänger". (VPrLv-Prot. Bd.4, Sp.4468) - Hirsch reagiert am 15. 11. 1919 mit der Erklärung, "daß auf die Mitarbeit keiner Klasse, keiner Berufsgruppe, keiner Partei verzichtet werden kann, wenn der Wiederaufbau gelingen soll" (VPrLv-Prot. Bd. 5, Sp.6503). Daß das Bemühen der DNVP-Fraktion, mit der SPD-Regierung zusammenzuarbeiten, echt ist, bestätigen die Aufzeichnungen Graf Westarps, die Hertzmann, S. Lewis: DNVP / Right-Wing-Opposition in the Weimar Republic 1918-1924, Lincoln-Nebrasca 1963, S. 79, anführt. 17 So Hergt in seiner Rede vom 15. 12. 1919 vor der VPrLv, Sp.8123, Prot. Bd. 7, in der er sich blendend informiert zeigt über die Gegensätze von Reichsund preußischer Regierung. 18 Dementsprechend opponieren DVP und DNVP auch im März 1919 gegen die Personalunion von Reichs- und Staatspräsident. Siehe VPrLv-Prot. Bd. I, 20. 3. 1919, Sp. 381 f. und Sp. 388. 14

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regierung; für die Opposition hält sie sich zur Mitarbeit in der preußischen Regierung bereit. Die preußische Regierung ist auch in dem Punkt mit der Rechten einer Meinung, daß sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Erklärung der VPrLv zugunsten des Einheitsstaates nicht empfiehlt. Dennoch formulieren die Mehrheitsparteien ihre Resolution; sie wird am 17. Dezember durch die Fraktion der SPD, des Zentrums, der DDP und der USPD angenommen gegen die Stimmen der DVP und DNVp u . Hinter dieser Entschließung steht einerseits tatsächlich ein echter Einheitswille. Andererseits ist dem preußischen Parlament gegenüber schon deshalb Skepsis angebracht, weil seine Geschäftsführung sehr oft nicht weniger föderalistisch ist als die der anderen Landesvertretungen, obgleich das angesichts seiner Verantwortlichkeit im Reich von ganz anderem Gewicht ist. Ein so ehrlicher Betrachter wie der rheinische VPrLv-Abgeordnete Heinrich Schäfer (SPD), Mitglied des Vollzugsrates und des Zentralrates stellt 1919 fest!o: "Wer, wie ich, stark unitarisch gesonnen ist, kommt schon aus diesem Grunde in der Preußischen Landesversammlung nicht auf seine Rechnung. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, daß sehr vieles von dem, was man als preußischer Abgeordneter zu bearbeiten gezwungen ist, zur Kompetenz des Reiches gehört und nur der Agitation wegen auch der Preußenversammlung vorgesetzt wird. Vielfach mag auch hierbei die Erwägung eine Rolle spielen, daß der größte Bundesstaat doch auch ein gewichtig Wort mitzureden habe. Ich halte das für verkehrt. Würde man sich mehr auf die rein preußischen Angelegenheiten beschränken, so käme dies der Arbeitsfähigkeit der Landesversammlung sehr zustatten. co Weiter läßt sich das rein Taktische an der Resolution nicht verleugnen; denn daß die außerpreußischen Länder nicht entsprechend reagieren, können sich die preußischen Abgeordneten ohne Schwierigkeiten vorher ausrechnen. Wie schon die Vossische Zeitung bemerkt21 , ist die Resolution für viele Abgeordnete nur ein Propagandamanöver zur Demonstration der eigenen Opferfreudigkeit. Der Sprecher der SPD, Heilmann, hebt hervor!!: "Einstweilen ... haben wir alle Veranlassung, das Mißtrauen, das gegen Preußen noch immer besteht, vielfach zu Unrecht, das uns aber das alte Preußen auch als ein Erbe hinterlassen hat, aus der Welt zu schaffen, indem wir unsere volle Bereitwilligkeit erklären, in diesem Einheitsstaat aufzugehen." - Das Unverbindliche erhält die Einheitsstaatsentschließung vor allem deshalb, weil sich die VPrLv darU Das Abstimmungsergebnis lautet: 210: 32. Ein großer Teil der Abgeordneten fehlt, unter ihnen Preuß. - Die Entschließung ist u. a. abgedruckt bei

Schultheß, 1919, S. 505 f. 20 Schäfer, Heinrich: Tagebuchblätter eines rheinischen Sozialisten, Bonn 1919, S. 151. 21 Siehe Hirsch: Sozialdemokratie, S. 178. !! VPrLv-Prot. Bd. 7, 16. 12. 1919, Sp. 8250.

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in ganz im Sinne des Staatsministeriums über den Weg zum Einheitsstaat äußert. Es heißt: "Wiederholt hat· Preußen durch seine Staatsregierung und Volksvertretung zum Ausdruck gebracht, daß es bereit sei, im deutschen Einheitsstaat aufzugehen, wenn dieselbe Bereitwilligkeit auch bei den anderen Ländern besteht. Preußen ist im Begriff, sich eine Verfassung zu geben. Als das größte der deutschen Länder erblickt Preußen seine Pflicht darin, zunächst den Versuch zu machen, ob sich nicht bereits jetzt die Schaffung des deutschen Einheitsstaates erreichen läßt." Die VPrLv ersucht die Staatsregierung, "noch vor Einbringung der endgültigen Verfassung die Reichsregierung zu veranlassen, mit den Regierungen aller deutschen Länder über die Errichtung des deutschen Einheitsstaats in Verhandlungen einzutreten". Die Entschließung enthält eine deutliche Spitze gegen ein differenziertes Vorgehen. In diesem Sinne will sie gerade die SPD-Fraktion verstanden haben. Heilmann diskrimiert den Reichslandvorschlag - wie oben erwähnt - in seiner Stellungnahme zur Resolution betont als Zentrumsfinte, wie es mehr oder weniger auch bei der Auseinandersetzung um den Artikel 18 geschehen ist. Die Annahme der Resolution zeigt, daß das Staatsministerium wie angesichts der Bedrohung durch den speziell auf Preußen gerichteten Artikel 18 auch in diesem entscheidenden Augenblick die VPrLv wieder hinter sich bringt. Von Bedeutung ist jedoch gleichfalls der Passus, der die preußische Regierung verpflichtet, "noch vor Einbringung der endgültigen Verfassung" Verhandlungen zur Verwirklichung des Einheitsstaats zu führen. Die Staatsregierung bemüht sich vergeblich, diese Worte streichen zu lassen; das Zentrum ist zu dieser Konzession nicht bereit. Der rheinische Abgeordnete Dr. Lauscher (Z) hebt hervor l3 , daß der Antrag so die Möglichkeit biete, daß "wir jetzt einmal ernst machen mit dem Gedanken des deutschen Einheitsstaates und endlich den ernsten Versuch unternehmen, über das Niveau der bloßen theoretischen Erörterungen hinaus ihn weiter zu fördern. (Sehr richtig! im Zentrum) Man könnte sonst leicht auf den Gedanken kommen, daß hier Verschleppungsmanöver getrieben werden." Er hält für die Zeit, in der Preußen "in seinem heutigen Bestand als Bundesstaat erhalten bleibt", "eine verhältnismäßig wenig umfangreiche Erweiterung der Notverfassung" für vollauf genügend. - Der von der preußischen Regierung beanstandete Passus bleibt zwar in der Erklärung, aber Ministerpräsident Hirsch interpretiert ihn so, wie er am 17. Dezember erklärt24 , "daß im Fall seiner Annahme die Regierung sich mit der Reichsregierung in Verbindung setzen und diese veranlassen soll, eine Zusammenkunft von Vertretern der beteiligten Länder einzuberufen. Aber unbeschadet, wann diese Zusam23 2(

11'

VPrLv-Prot. Bd. 7, 16. 12. 1919, Sp. 8258. VPrLv-Prot. Bd. 7, 17. 12. 1919, Sp. 8287 f.

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menkunft stattfindet, welchen Verlauf sie nimmt, werden wir weiter an der Verfassung arbeiten und diesem Hohen Hause den Entwurf der Verfassung unterbreiten." In diesem Sinne formuliert er auch die Mitteilung an die Reichsregierung!5 nach der Annahme des Antrages. Zugleich wirkt die preußische Regierung verstärkt auf den Interfraktionellen Ausschuß ein, um die im Dezember steckengebliebenen Verfassungsvorarbeiten voranzubringen!8. - Der Reichsregierung ist mit dem Beschluß der VPrLv trotz seiner Unverbindlichkeit ein Anknüpfungspunkt zu einer weiteren Vereinheitlichung gegeben.

2. Zur Reaktion der süddeutschen Länder auf die Einheitsstaatsentschließung der Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung In den süddeutschen Ländern, die neben Preußen in der Frage der Fortentwicklung des Reich-Länder-Verhältnisses ausschlaggebend sind, reagieren die Landesvertretungen - wie erwartet - nicht in gleicher Weise unitarisch wie die preußische Landesversammlung. Am ablehnendsten verhält sich der bayerische Landtag; die bürgerliche Mehrheit wendet sich direkt gegen die Errichtung des Einheitsstaates, während allerdings USPD und SPD der preußischen Entschließung zustimmen. Allgemein wird allem Anschein nach in Süddeutschland der Einheitsstaatsantrag ernster genommen als in der VPrLv. In Bayern hat die Reichsregierung in dieser Zeit noch das Glück, daß die Regierung Hoffmann die Geschäfte führt. Vor allem der Ministerpräsident und Kultusminister Hoffmann (SPD)!7, der Nachfolger Eisners, bemüht sich um ein gutes Verhältnis zum Reich. Auf seinen Sturz wird leider selbst in der bayerischen SPD hingearbeitet. Ministerpräsident Hoffmann reagiert auch in der Bayern tief bewegenden Frage des Einheitsstaates mit der ihm eigenen Unabhängigkeit. Seine Vorstellungen berichtet der württembergische Gesandte Maser in München am 20. Dezember auf Grund eines Gespräches mit ihm!8. Danach soll eine 25 Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums an den Reichskanzler etc. vom 23. 12. 1919. DZA Merseburg, Rep. 120 All Nr. 150 Bd. 1. 26 Vgl. das Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums Hirsch vom 18. 12. 1919 an den Präsidenten der VPrLv. Abschrift BAK, P 135 Nr. 4563. !7 Zu Hoffmann: s. MüUer-Meiningen, Ernst: Aus Bayerns schwersten Tagen / Erinnerungen und Betrachtungen aus der Revolutionszeit, Berlin und Leipzig 1923, vor allem S. 147 f., 175, 179 ff.; Niekisch, Ernst: Gewagtes Leben / Begegnungen und Begebnisse, Köln, Berlin 1958. Wegen seiner Aktion in der Rheinpfalz gegen Kahr nach dessen Inpflichtnahme der bayerischen Reichswehr im Oktober 1923 s. Rt.-Prot. Bd. 361, 21. 2. 1924, S. 12411 und 12392. Bemerkenswert ist auch sein Verhalten angesichts des Kapp-Putsches. 28 WüStAL, WÜ. Ges. C 5/1.

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von ihm vorgeschlagene Konferenz von Vertretern der Länderregierungen und der Landtage und des Reichstages "darüber Klarheit schaffen, ob ein vollständiges Aufgehen Preußens auch wirklich beabsichtigt sei und ob den einzelnen Teilen des einheitlichen Reiches entsprechende Selbstverwaltung garantiert werden solle. Wenn dies zutreffe, habe man keinen Grund, sich gegen die Einheitsbestrebungen zu wehren. Die ganze politische Lage dränge auf größere Vereinheitlichungen hin. Nachdem die einzelnen Länder schon eine Reihe der wichtigsten Hoheitsrechte hätten aufgeben müssen, sei der weitere Schritt nicht mehr allzugroß. Außerdem würden die finanziellen Nöte uns dazu zwingen, denn man könne sich bei der Verarmung, in der wir uns bald befinden werden, nicht noch den Luxus so vieler Ministerien gestatten." Im Falle der Schaffung des Einheitsstaates seien Abtrennungsbestrebungen nur in Altbayern zu erwarten, die aber nicht ernst zu nehmen seien, da dieses von einem Anschluß an österreich nicht viel zu erwarten habe. Dagegen werde die Vereinheitlichung die Loslösungsbestrebungen in den preußischen Provinzen zum Schweigen bringen. Speziell für Süddeutschland sähe Hoffmann als Vorteil der Neuordnung: "Die von Preußen losstrebenden Teile würden im Einheitsstaat sich anders gruppieren, und es sei sicher anzunehmen, daß z. B. die Rheinlande dann sich vielmehr an die süddeutschen Teile des Reiches anlehnen und zusammengehen werden, als z. B. mit Ostpreußen." Allgemein biete die Vereinheitlichung Süddeutschland Gelegenheit, die übermacht Preußens zu brechen. Die süddeutschen Regierungen diskutieren die Frage der weiteren Vereinheitlichung auf der Stuttgarter Konferenz vom 7. Januar 1920 im Anschluß an die Gesandtschaftsfrage!9. Begeistert zeigt sich angesichts der Aufregung in der Offentlichkeit30 verständlicherweise keine Regierung über die preußische Initiative. Im Vergleich zu ihrer Haltung 1918/1919 stehen sie jedoch dem Einheitsstaat weit weniger ablehnend gegenüber; in ihren Augen ist das weitere Vordringen der Reichsgewalt nicht mehr aufzuhalten und sie scheinen sich dem fügen zu wollen. Daß der Einheitsstaat in absehbarer Zeit kommen wird, wagt keine Regierung zu bezweifeln. Der badische Minister für Äußeres Dietrich (DDP) erklärt u. a.: "Wenn die Verfassung vollzogen ist, werden wir den Einheitsstaat in stärkstem Maße haben. Und die Konsequenz aus diesem Vorgehen waren wir schon im Begriffe zu ziehen, wir waren uns klar, 29 Konferenzprot.: WüStAL, WÜ. Ges. C 5/1. Teilnehmer der Konferenz: von Bayern Ministerpräsident Hoffmann (SPD); von Württemberg Staatspräsident Blos (SPD) , Finanzminister Liesching (DDP) , Innenminister Heymann (SPD), Kultusminister Hieber (DDP), Justizminister Bolz (Z); von Baden Staatspräsident Geiß (SPD) , Minister für Äußeres Dietrich (DDP), Staatsrat Köhler (Z); von Hessen Staatspräsident Ulrich (SPD) und Innenminister Fulda (SPD). Daneben sind von allen drei Ländern als "Fachleute" Beamte zugegen. - Sachsen ist nur durch seinen Geschäftsträger in München und Stuttgart, Legationssekretär von Dziembowski, vertreten; er äußert sich nicht zur Frage des Einheitsstaates. 30 Vgl. die Berichte der preußischen Gesandten über die Reaktion der süddeutschen Staaten auf den Einheitsstaatsantrag; in Abschrift im DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 44 Bd. 1.

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daß in dem Maße, wie das Reich aufgebaut wird, die Bundesstaaten abgebaut werden müssen. Wir in Baden haben es uns überlegt und waren uns längst darüber einig, daß wir unsere Regierung auf den Stand einer richtigen, aber selbständigen Provinzialregierung bringen und daß wir auch den Landtag verringern müssen. Aber das ist nur möglich, wenn das Reich geschwind schreitet, aber es schreitet nur langsam ... Die Schwierigkeit liegt hier tatsächlich bei Preußen ... " - Die Regierungsvertreter sind nur unterschiedlicher Meinung über das Tempo der weiteren Vereinheitlichung. Für ein schnelles Vordringen der Reichsgewalt setzt sich entschieden der bayerische Ministerpräsident Hoffmann (SPD) ein. Er glaubt vor allem, dadurch die preußischen Westprovinzen wieder fester an das Reich binden zu können. "Kämen wir ... zu der Auffassung, daß der Bestand des Reiches wirklich gefährdet wird, dann müßten wir sagen, die Einheit des Reiches geht über alles und müßten etwas in den Kauf nehmen, was uns in Süddeutschland nicht paßt." - Er vermag jedoch höchstens für die SPD zu sprechen. "Wir in Bayern sind in der Regierung in der glücklichen Lage, überhaupt keinen Standpunkt einnehmen zu können. Wir haben auf der einen Seite eine Partei, die wohl am weitesten gegen den Einheitsstaat ist, das ist die Zentrumspartei ... Auf der anderen Seite haben wir die sozialdemokratische Partei, die glattweg für den Einheitsstaat eintritt, auch wenn er in etwas beschleunigtem Tempo gemacht wird, dann die demokratische Partei, die für eine langsamere Entwicklung eintritt." Die Staatspräsidenten von Baden, Hessen und Württemberg - Geiß (SPD), Ulrich (SPD) und Blos (SPD) - wenden sich entsprechend der Haltung ihrer Landtage gegen eine überstürzte Vereinheitlichung. Geiß erklärt: "In der badischen Regierung steht man grundsätzlich der Frage des Einheitsstaates sympathisch gegenüber ... (Aber) in Baden ist man der Meinung, man sollte das, was verreichlicht ist, einmal wirken lassen und beobachten, ob es wirklich so wirkt, daß man mit dieser Verreichlichung zufrieden sein kann, soweit das Heereswesen, das Verkehrswesen und das Finanzwesen in Frage kommt. Wird man von Berlin aus diese drei Dinge in der Form so behandeln, daß wir im Süden zufrieden sein können, dann ist die Regierung der Ansicht, werden wir recht bald in diesen Einheitsstaat hineinwachsen, ohne daß dagegen große Opposition bestehen würde." Die bisher erfolgte Verwaltungszentralisation kritisiert der württembergische Finanzminister Liesching (DDP): "Das ist nicht der Einheitsstaat, sondern das ist die Zentralisierung der Verwaltung in Berlin und die Tötung jeglichen selbständigen Lebens draußen .... Die Entwicklung, die Frankreich immer beklagt hat, wird bei uns um so rascher vor sich gehen, als diese Einheitlichkeit eingeführt wird in einer Zeit, die ohnedies durch ihre Trostlosigkeit keine guten Früchte bringen kann. Ich

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warne dringend vor dieser Einheitlichkeit. Ich bin der Anschauung, daß die süddeutschen Staaten sich dringend davor hüten sollen, daß dem politischen Einheitsstaat der Verwaltungseinheitsstaat folgt. Wir sind keine Bundesstaaten mehr und es haben die Länder nur noch gewisse Rechte. Lassen wir den Ländern diese Rechte, das schadet der Einheit in keiner Weise .... ich habe keine Selbständigkeit mehr, wie ich sie als Finanzminister hatte." - Die Kritik Lieschings an der Reichssteuerverwaltung stößt jetzt noch auf Widerspruch. Auf Grund der Meinungsverschiedenheiten kommt es zu keiner einheitlichen Entschließung in der Frage des Einheitsstaates. Die Frage der Umwandlung Preußens in ein Reichsland wird auf dieser Konferenz nicht angeschnitten. Jedoch wäre zu schließen aus der Tatsache, daß 1. die süddeutschen Regierungen allgemein eine weitere Vereinheitlichung nicht ablehnen und die besonderen Schwierigkeiten innerhalb Preußens anerkennen und 2. Preußen weitgehend isoliert ist, obgleich es sich gerade in dieser Zeit bezeichnenderweise sehr um Kontakte zu den süddeutschen Staaten bemüht, sie einer Aktion der Reichsgewalt gegenüber Preußen zugunsten einer engeren Verbindung, bei der das Primat des Reiches klar zutage tritt, nicht ernsthaft widerstreben würden. Ob die Reichsregierung die für sie günstige Situation in dieser Zeit, die auf dem Hintergrund der starken unitarischen Strömung zu sehen ist, entsprechend ausgenutzt hat, ist - ganz davon abgesehen, daß sie die Länderkonferenz erst acht Jahre später einberuft - zumindest in Frage zu stellen. 3. Die Initiative der Reichsregierung zugunsten einer engeren Verbindung von Preußen und Reich

Die Reichsregierung muß nach der preußischen Entschließung die eigene Position selbst klären und kann nicht sofort mit einer eigenen Stellungnahme antworten, wie sie besonders in Süddeutschland erwartet wird. Entscheidend wird für die Reichsregierung eine vom RMdI Koch verfaßte "Denkschrift über den übergang zum Einheitsstaat" vom 12.1.192081 • Nach der Ansicht des RMdI, die vor allem vom Reichs31 Die 33 Seiten umfassende Denkschrift Kochs über den Einheitsstaat findet sich u. a. im BAK, R 43 111872 und im DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 44 Bd. 1. Eine Abschrift der Denkschrift ist vorhanden im Bay GStAM, Bay. Ges. Berlin Nr. 94. - Der Ministerialdirektor im Preußischen Staatsministerium und stellvertretende Bevollmächtigte zum Reichsrat für Preußen Dr. Nobis hat dem Bayerischen Gesandten und stellvertretenden Bevollmächtigten zum Reichsrat für Bayern Dr. von Preger diese Denkschrift "unter der Hand zur vertraulichen Kenntnisnahme" (so von Preger im unten zitierten

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präsidenten und vom Reichskanzler geteilt wird, empfiehlt es sich nicht, die gerade erst verabschiedete Reichsverfassung zugunsten der sofortigen Verwirklichung des Einheitsstaates abzuändern, sondern nach Maßgabe der Reichsverfassung diesen Einheitsstaat allmählich durchzusetzen. Dazu biete sich ausreichend Gelegenheit. Er stellt fest: "Die Einheit des Deutschen Reiches ist verfassungsmäßig noch niemals so gewährleistet gewesen wie heute." Vor allem seien gegenüber der alten Reichsverfassung die Zuständigkeiten des Reichs "in ganz gewaltigem Maße erhöht worden". überdies könne das Reich seine Zuständigkeiten im Wege der Verfassungsänderung noch erweitern. In den Zuständigkeiten sei an die Stelle der vertikalen Teilung in der alten Verfassung die horizontale getreten, "die davon ausgeht, daß auf Schreiben nach München) am 20. 1. 1920 abschriftlich zugänglich gemacht. Auf dem von Dr. Nobis beigefügten Zettel heißt es: "Nach dem Inhalt der Denkschrift möchte ich glauben, daß sie nur für Mitglieder des Reichskabinetts bestimmt war und daß nur aus einer gewissen Gedankenlosigkeit heraus - weil der Anlaß aus der Preußischen Volksvertretung kam - auch dem Preußischen Staatsministerium Abdrucke davon zugesandt worden sind, denn sonst wäre an manchen Stellen wohl eine andere Fassung gewählt worden." - Es ist zu vermuten, daß die Denkschrift preußischerseits an von Preger weitergereicht ist, um damit die süddeutschen Staaten gegen Koch mobil zu machen, bevor sich das Reichskabinett auf eine gemeinsame Haltung geeinigt hat. Es wird dem preußischen Vertreter nicht unbekannt sein, daß von Preger bei den Verfassungsberatungen vergeblich versucht hat, eine Bestimmung in die WRV einzufügen, die eine neue Verbindung zwischen Preußen und dem Reich unmöglich machen sollte. In dem Begleitschreiben von Pregers bei der übersendung der Denkschrift an das Bayerische Ministerium des Äußeren am 22. 1. 1920 heißt es: "Die darin (in der Denkschrift - Verf.) zum Ausdruck gekommene Anschauung, daß die Reichsverfassung bereits alle Handhabe bietet, um allmählich zum Einheitsstaat zu gelangen, daß es daher ein Fehler wäre, an dem dadurch geschaffenen Zustand wieder zu rühren, ist auch die Anschauung des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers. Eine gewisse Gefahr erblicke ich in dem Vorschlage, daß Preußen Mitglieder des Reichskabinetts in seine Regierung aufnehmen soll, da durch die dadurch hergestellte enge Verbindung zwischen dem Reich und Preußen die Gefahr einer preußischen Hegemonie im Reich wieder außerordentlich nahe gerückt ist. Ein von mir seinerzeit bei der Beratung der Verfassung im Staatenausschuß gestellter Antrag, der verhüten sollte, daß Mitglieder der Reichsregierung zugleich Mitglieder der einzelstaatlichen Regierungen bzw. des Reichsrats sein können, wurde leider abgelehnt... - In den Aufzeichnungen von Geheimrat Graßmann über die Sitzungen des Ministerrats unter Eisner findet sich unter dem 15. Februar 1919 nur der bayerische Vorschlag zu den Verfassungsberatungen verzeichnet, daß Mitglieder einer Landesregierung nicht Mitglieder einer Reichsregierung sein könnten. - Ministerratsprot. I, 15.2. 1919. Bay. GStAM. - Daß der Minister des Äußeren Hoffmann auf das Schreiben von Pregers hin diesen zu einer Intervention bei der Reichsregierung gegen eine Personalunion instruiert hätte oder daß er selbst irgend etwas unternommen hätte, ist nicht bekannt. Die spätere bayerische Regierung hat ausgiebig von der Denkschrift Gebrauch gemacht, vor allem um der Rückkehr Kochs in die Reichsregierung entgegenzuwirken. Koch versucht vergeblich, einen Hinweis darauf zu finden, wie die Denkschrift in den Besitz der bayerischen Regierung gelangt ist (Vgl. Schreiben des RMdI vom 21. 8. 1924 an den Staatssekretär der Reichskanzlei. BAK, R 43 1/1872).

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allen Gebieten die oberste Schicht der gesetzgeberischen und verwaltungstechnischen Anordnungen Angelegenheit des Reiches ist, während im Interesse einer gesunden Dezentralisation den Ländern die Unterschichten bleiben müssen. Man nähert sich mit einer solchen Regelung den Verhältnissen, wie es in einem Großstaate zwischen der Staatsverwaltung, die sich die obersten Aufgaben vorbehält, und der Selbstverwaltung, der sie alle diejenigen Aufgaben zu überlassen hat, für die nicht die oberste Stelle unmittelbar verantwortlich zu sein braucht, zu bestehen pflegt" . Als nächste Maßnahmen befürwortet er eine stärkere Beeinflussung des Wirtschaftslebens, des Sozial- und Jugendwesens, des Schulwesens und des Polizeiwesens32 durch das Reich. Die Verreichlichung der Justizbehörden hält er für nicht so dringlich. Für alle von ihm berührten Gebiete gilt, daß eine Änderung der Reichsverfassung nicht nötig ist. Bezeichnend für den in dieser Zeit im Reich herrschenden Optimismus ist die Feststellung hierzu: Die Gesetze zur Verbesserung der Reichseinheit "werden ohnehin gemacht und auch angenommen werden". Schon ein Jahr später ist er anderer Meinung, da gerade sein Ministerium die größten Mißerfolge erleidet. Das Reich unterscheidet sich seiner Meinung nach vor allem dadurch von einem organisch gefügten Einheitsstaat, daß die Länder noch zu sehr den Charakter von Staaten besitzen. Er hält die "Entstaatlichung der Länder", "dieser politischen Gebilde", die "den ganzen großen politischen Apparat eines jederzeit vom Vertrauen der Volksvertretung abhängigen Ministeriums mit sich herumschleppen", und ihre Umwandlung "in Selbstverwaltungskörper mit einer Verfassung, wie wir sie in unseren großen Städten haben", für sehr erwünscht. "Die Länder werden von selbst dadurch ausgehöhlt, daß das Reich weitere Zuständigkeiten übernimmt. ... In dieser Beziehung soll man von konservativen Völkern, wie den Römern und Engländern lernen, die die politische Form niemals zerbrochen haben, sondern von selbst haben zerfallen lassen .... " Koch lehnt gleichfalls die in dieser Zeit noch diskutierte Beseitigung des Reichsrats abu, den er nicht als Eigenheit des Bundesstaates wertet. Dagegen stelle das Bestehen der Ländergesandtschaften den Charakter der Länder als eigene Staaten in unerwünschter Weise in den 3! Er wünscht die Bildung einer Reichskriminalpolizei und einer dem Reich unterstellten politischen Polizei. 33 Die in der Reichskanzlei von Brecht verfertigte Unterlage für die Denkschrift von Koch vom 5. 1. 1920 (BAK, R 43 1/1872) empfiehlt die Frage der Beibehaltung des Reichsrats einer Prüfung. - Der Württembergische Staatspräsident Blos spricht auf der Stuttgarter Konferenz vom 7.1.1920 davon, daß "in Berlin die Bestrebungen, den Reichsrat überhaupt zu beseitigen, sehr stark hervorgetreten sind". - Zum Konferenz-Prot. s. Anm. 29.

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Vordergrund. Er betont weiter: "Die Beziehungen der Länder untereinander zu pflegen, ist der Reichsrat die gegebene Stelle." Dazu könne sich das Reichsratsmitglied "außerhalb der Sitzungen bei den Reichsbehörden über Wünsche und Absichten der Reichsregierung unterrichten". Er wünscht also, daß sich die Zusammenarbeit der Länderregierungen unter ständiger Mitwirkung der Reichsregierung vollzieht. Der gegenwärtige Zustand könne "sachlich zu unerträglichen Konspirationen und zu einer Isolierung der Reichsregierung führen". Er sei "zugleich geeignet, die französischen Bestrebungen auf Errichtung von Gesandtschaften bei den Ländern zu stützen". Er wünscht, daß an die Stelle der Ländergesandtschaften Reichsbevollmächtigte in den Ländern treten, die das Reich "rechtzeitig und zuverlässig über die Zustände, Stimmungen und Strömungen unterrichten" und der Reichsregierung dienen, "zu den Regierungen der Länder vertrauensvolle Beziehungen" aufrechtzuerhalten. Weiter gehen seine Wünsche über die Aufgaben der Reichsbevollmächtigten hier noch nicht. Auf die Erfahrungen mit den Reichsund Staatskommissaren geht er nicht ein. Die Verbindung zu Drews deutet er nicht an; doch diese Reichsbevollmächtigten könnten einmal bei einer weiteren Durchsetzung der horizontalen Gliederung zugunsten des Reiches - die gleiche Funktion einnehmen wie die nach Drews auf die Funktionen von Staatskommissaren zu reduzierenden Oberpräsidenten. Koch lobt die Arbeit der preußischen Gesandtschaften, die schon teils die obenerwähnten Aufgaben der Reichsbevollmächtigten erfüllen, hält es aber für untragbar, daß das Reich sich ihrer dauernd bedient. Er empfiehlt "dringend, auf Preußen dahin einzuwirken, daß es seine Gesandtschaften einzieht und den anderen Ländern bedeutet, daß es die Beibehaltung ihrer Gesandten bei Preußen als nicht mehr vereinbar mit den heutigen Verhältnissen hält." Von dem gesamten bisher besprochenen Teil der Denkschrift ist die Reform des Vertretungswesens sein einziges unmittelbar dringliches Anliegen gegenüber sämtlichen Ländern, das auf Grund des preußischen Einheitsstaatsantrages zu behandeln ist. Die von Koch in seiner Denkschrift angeschnittene Frage ist seit Anfang 1919 akut. Schon bei den Reichsverfassungsberatungen im Staatenausschuß drängt die preußische Regierung auf Wandel im innerdeutschen Gesandtschaftswesen34 • Es geht ihr vor allem um die Änderung des überkommenen Status der "preußischen" Gesandtschaften, die noch in Weimar, Dresden, Hamburg, Darmstadt, Karlsruhe, Stuttgart und München vorhanden sind. Sie unterstehen dem AA, das für seine Besorgung preußischer Angelegenheiten jährlich eine Pauschalsumme von 34 Siehe Schreiben des RMdI Preuß vom 28. 5. 1919 an das AA. BAK, R 43 I/2329.

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Preußen bezieht. Die innerdeutschen Gesandtschaften des AA bleiben ihrer Rechtsstellung nach preußisch, aber schon unter Bismarck fungieren sie praktisch als "kaiserliche Kommissarien bei den Einzelstaaten", die "der Förderung der bundesfreundlichen Beziehungen zwischen der Reichsregierung und den Einzelstaaten und zur Verständigung über alle Reichsangelegenheiten als stetige Organe der Reichsregierung" dienen35 . Nach dem Umsturz setzt die Reichsregierung die preußischen Gesandtschaften noch verstärkt für Reichsaufgaben ein. Die neue preußische Regierung bemüht sich darum, daß entweder sämtliche innerdeutschEm Gesandtschaften aufgehoben werden und daß mit der Aufhebung der preußischen Gesandtschaften zugleich der Zuschuß Preußens an das AA wegfällt oder daß die nur noch dem Namen nach preußischen Gesandtschaften voll unter die preußische Regierung zurückkehren. Sie erwägt zugleich für den Fall, daß die innerdeutschen diplomatischen Vertretungen nicht aufgelöst werden, "ob nicht auch die Stelle des preußischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, die bisher stets von dem Ministerpräsidenten mit übernommen wurde, wiederum zu besetzen ist"38. Eine Stellungnahme der Reichsregierung dazu scheitert daran, daß RMdI, AA und RFM sich nicht über die Zukunft der preußischen Gesandtschaften zu einigen vermögenS7 • Während der RMdI die Unterstellung der preußischen Gesandtschaften unter sein Ministerium als Reichsvertretungen zwecks Durchführung der Reichsaufsicht befürwortet, tritt das RFM aus finanziellen Gründen für ihre Auflösung ein und befürwortet das AA ihre nur vorläufige Aufrechterhaltung unter eigener Regie. Einig ist sich die Reichsregierung nur insoweit, als sie Ländergesandtschaften ablehnt. Ministerpräsident Hirsch teilt dem unentschlossenen Reichsministerium am 23. April mit!8: "Preußen kann in Zukunft, ebensowenig wie einer der anderen Bundesstaaten, seine auswärtigen Angelegenheiten durch ein Reichsministerium wahrnehmen lassen und die Berichte seiner Gesandten auf dem Umwege über ein Reichsministerium mit entsprechender Verspätung entgegennehmen. Die von Preußen für die Besorgung rein preußischer Angelegenheiten bisher an das Reich gezahlte Abfindung von jährlich 120 000 M wird daher in Zukunft fortzufallen haben. 35

So von Bülow 1879, die Ansicht Bismarcks wiedergebend. Zit. nach

Goldschmidt: Das Reich und Preußen, S. 249.

S8 Schreiben der preußischen Regierung vom 14.3.1919 an die Reichsregierung. BAK, R 431/2327. 87 Siehe das Schreiben des RMdl Preuß vom 28. 5. 1919 an das AA, das Schreiben des RFM vom 19.6.1919 an das Reichsministerium, das Schreiben des AA vom 8. 7. 1919 an das Reichsministerium. BAK, R 43 1/2327. 38 Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums vom 23. 4. 1919 an den Reichsminister des Auswärtigen etc. DZA Merseburg, Rep. 120 A 1 1 Nr. 5 Bd.4.

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Die preußischen Gesandten sind angewiesen worden, solange preußische Gesandtschaften noch bestehen werden, in Zukunft nur noch mit dem preußischen Staatsministerium dienstlich zu verkehren." Die Reichsregierung hat nun allerdings nicht die Absicht, das innerdeutsche Ländergesandtschaftswesen über den Verzicht auf ihre preußischen Gesandtschaften noch zu stärken; sie setzt durch, daß die alten Verhältnisse vorläufig fortbestehen. Bei den Reichsverfassungsverhandlungen klammert sie die Frage innerdeutscher Gesandtschaften bewußt aus. Den auf die Stabilisierung des überkommenen Staatsapparates bedachten mittelstaatlichen Regierungen ist diese Entwicklung nur recht. Die preußische Regierung bringt die Angelegenheit dadurch wieder zur Sprache, daß sie - wohl im Einvernehmen mit dem Reich - am 18. 7. 1919 8D die Auflösung der preußischen Gesandtschaften zum 1. 10. 1919 mitteilt und bekundet, daß sie innerdeutsche Gesandtschaften in Zukunft überhaupt für überflüssig hält. Den Auflösungstermin verschiebt sie später auf den 31. 12. 1919 und dann auf den 31. 3. 1920. Eine konsequente Haltung der preußischen Regierung müßte natürlich nach sich ziehen, daß die außerpreußischen Länder ihren Berliner Gesandtschaften, die nach wie vor allein bei Preußen akkreditiert sind, ihren Sonderstatus nehmen und sie zu reinen Reichsratsvertretungen reduzieren würden und ihre übrigen völlig überflüssigen Gesandtschaften aufgehoben würden. Aber angesichts des negativen Echos ihrer Ankündigung bei den Mittelstaaten will die preußische Regierung nicht mehr auf Gesandtschaften verzichten. Sie gibt den übrigen Länderregierungen schon im September und erneut auf der Reichskonferenz vom 21. 11. 1919 40 zu verstehen, daß sie gegen eine Beibehaltung der Gesandtschaften bei Preußen nichts einzuwenden habe, und sie plane, weiterhin eigene Gesandte nach München und Dresden zu entsenden. Der RMdI Koch setzt sich wie Preuß und Dr. David weiterhin ein für die Schaffung von Reichsvertretungen. Er findet Unterstützung bei Reichskanzler Bauer und RWiM Schmidt, vermag aber nicht den Widerspruch des AA und des RFM auszuräumen41 • Die Mehrheit der Reichsminister stimmt dem von Reichsaußenminister Müller vorgetragenen Gedanken zu, daß "für den Fall, daß Gesandtschaften fremder Mächte bei den Gliedstaaten zustande kämen, wohl zweckmäßig auch das Reich Be Das Schreiben der preußischen Regierung vom 18.7.1919 an die übrigen Länderregierungen ist u. a. vorhanden in: Bad GlAK, Bad. Ges. 233/34843. 40 Niederschrift der Konferenz vom 21. 11. 1919. Bad GlAK, Bad. Ges. 233/34 843. 41 Der RFM nimmt in seinem Schreiben vom 17. lO. 1919 an das RMdI (BAK, R 43 1/2329) gegen die vom RMdI beantragte Schaffung von sechs Stellen für Reichsbevollmächtigte zwecks Durchführung der Reichsaufsicht Stellung.

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dort Gesandtschaften unterhalten" würde4!. Grundsätzlich bleibt die Frage der Vertretungen des Reichs bei den Ländern in den Sitzungen des Reichsministeriums vom 24. 10. 1919 und 19. 12. 191943 weiterhin unentschieden. In ihrem Rundschreiben vom 12. Dezember 44 nimmt die Reichsregierung dementsprechend nur gegen die Ländergesandtschaften - als dem Geist der WRV widersprechend _45 Stellung und behält sich die Entsendung von Reichsvertretern vor. Führende Politiker der süddeutschen Regierungen beschließen daraufhin am 7.1.1920 auf ihrer Stuttgarter Konferenz 4s, daß die süddeutschen Länder auf die Ausübung des von ihnen trotz der WRV weiterhin beanspruchten aktiven Gesandtschaftsrechtes immerhin so lange zu verzichten bereit sind, als die Reichsregierung es ihrerseits unterläßt, dauernde Vertreter, in denen sie eine "diplomatische Mühlenkontrolle"47 erblicken, in die Länder zu entsenden. Sie konzedieren in ihrer Schlußresolution im Sinne des AA "die Abordnung diplomatischer Vertreter ... des Reiches in die Länder" für den Fall, daß die Entente in die Länder diplomatische Vertreter entsendet. Für dies Entgegenkommen hat sich besonders der bayerische Gesandte von Preger eingesetzt, da er hier offenkundig die Chance sieht, dem Projekt des RMdI entgegenzuwirken 48 . 42 Das obige Zitat entstammt dem Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Reichsministeriums vom 24. 10. 1919. BAK, R 43 1/2329. 43 Auszüge aus Protokollen der Sitzungen des Reichsministeriums vom 24. 10. 1919 und vom 19. 12. 1919. BAK, R 43 1/2329. 44 Entwurf des Rundschreibens der Reichsregierung vom 12. 12. 1919 an die Länderregierungen. BAK, R 43 1/2329. 45 Die WRV enthält keine Bestimmungen zum innerdeutschen Gesandtschaftswesen. Die Reichsregierung kann sich bei ihrer Ablehnung der Ländergesandtschaften insofern auf den Geist der WRV berufen, als zwischen Reich und Ländern keine völkerrechtlichen Beziehungen mehr, sondern staatsrechtliche bestehen. Dazu mögen Preuß, David und Koch davon ausgehen, daß SPD und Linksliberale in Nord- wie in Süddeutschland vor dem Umsturz häufig gegen die Ländergesandtschaften aufgetreten sind. 48 Wegen der Teilnehmer und wegen des Konferenzprotokolls s. Anm. 29. 47 Den Ausdruck "diplomatische Mühlenkontrolle" prägt der württembergische Staatspräsident Blos. Er bringt die geplanten Reichsvertretungen in Verbindung mit der Ernährungszwangswirtschaft, die zum Inbegriff lästiger Reichsaufsicht geworden ist. 48 über die unterschiedlichen Auffassungen von RMdl und AA über die zukünftigen Reichsvertretungen unterrichtet Ministerialdirektor Schüllen im AA den bayerischen Gesandten von Preger Anfang Oktober. Von Preger berichtet darüber am 4. 10. 1919 an den Referenten für das Gesandtschaftswesen im Ministerium des Äußeren, Ministerialrat von Lutz (Bay GStAM, Bay. Ges. Berlin, Nr. 90). In seiner eigenen Stellungnahme zur Absicht des AA, die wichtigsten preußischen Vertretungen eventuell als ihm unterstehende Reichsvertretungen fortzuerhalten, tritt von Preger dafür ein, "daß ein Vertreter des Reichspräsidenten als des Staatsoberhauptes, also eine diplomatische Vertretung" zu den Ländern entsandt werde. - Von Preger hat den Vorschlag des AA geringfügig variiert - er entspricht so seinen staatenbündischen Vorstel-

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Die Stuttgarter Konferenz beeinflußt die Auffassung der Reichsregierung nicht. Der RMdI Koch tritt in seiner Denkschrift noch einmal entschieden für Vertretungen mit innerpolitischen Aufgaben ein, ohne diesmal direkt vom RMdI abhängige Reichsbeauftragte zu verlangen. überhaupt ist ihm zunächst daran gelegen, die Auflösung der Ländergesandtschaften voranzutreiben. So empfiehlt er in seiner Denkschrift, auf Preußen einzuwirken, daß es erneut im Sinne des Rundschreibens vom Juli 1919 Stellung nimmt. In der Denkschrift Kochs folgt nach den Abschnitten über die Zuständigkeiten, Länderverfassungen, den Reichsrat und die Gesandtschaften der Hauptteil unter dem Titel "Gebietsumfang der Länder"; das Denken in den Kategorien von Preuß ist hier am deutlichsten. Gerade die verschiedenartige Größe der Länder macht nach seiner Meinung die "gesunde Weiterentwicklung des einheitsstaatlichen Gesichtspunktes", die Dezentralisation der Reichsverwaltung und die Gliederung in Selbstverwaltungskörper unmöglich. Mit dem gleichen Optimismus, mit dem er die Entwicklung der Reichszuständigkeit betrachtet, glaubt er auch, die Kleinstaaterei auf dem Verhandlungswege beseitigen zu können. Auch diese Frage soll nicht aus Anlaß des preußischen Antrages in Angriff genommen werden. Um die Verhandlungen zur Flurbereinigung von Reichs wegen zu dirigieren, bemüht sich das RMdI noch im Januar um die Einsetzung einer Neugliederungszentralstelle. Dagegen soll der preußische Antrag zur Bereinigung des Verhältnisses Preußen-Reich genutzt werden. Die im Verhältnis zu Preußen aufgetretenen Differenzen erwähnt er nicht. Er deutet nur einzelne Kontroversen an. Genau erörtert er jedoch die Voraussetzungen für das Nicht-Funktionieren des Verhältnisses Preußen-Reich. lungen mehr - sofort aufgegriffen als eine willkommene Hilfestellung gegen das RMdI. Das Reich, das für sich diplomatische Vertretungen beansprucht, wird den Ländern kaum das aktive Gesandtschaftsrecht absprechen können. über Ministerialrat von Lutz berichtet der württembergische Gesandte Moser aus München am 4. November (Wü. StAL, WÜ. Ges. C 5/1): Dieser habe "einen Erlaß an Herrn von Preger entworfen mit der Anweisung, dahin zu wirken, daß von dieser Absicht (d. h. einen Reichsbeauftragten des RMdI herzusenden - der Verf.) Abstand genommen, vielmehr ein Vertreter des Auswärtigen Amts hierher entsendet werde. Minister Hoffmann habe ihm jedoch diesen Entwurf gestrichen und gesagt, man könne ein solches Verlangen doch nicht recht begründen, da es sich doch nicht um auswärtige Politik handle, die zwischen den Landesregierungen und dem Reich verhandelt werde, vielmehr um Fragen der inneren Politik, wobei das Reichsministerium des Innern in erster Linie interessiert sei". - Diesem Schreiben Mosers nach zu urteilen, hat der Ministerpräsident und Minister des Äußeren Hoffmann also zunächst - und zwar als einziger der mittelstaatlichen Regierungschefs - den Plan des RMdI befürwortet. Auf der Stuttgarter Konferenz vom 7. l. 1920 wendet er sich gegen das Projekt des RMdI. Aber er tritt hier weiterhin zusammen mit dem hessischen Ministerpräsidenten Ulrich und dem badischen Minister des Äußeren Dietrich für die Aufhebung der einzelstaatlichen Gesandtschaften ein. Er spricht jedoch ohne Billigung der übrigen Kabinettsmitglieder, d. h. auch ohne Zustimmung der sozialdemokratischen.

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Dem weiteren Ausbau des Reiches steht nach Meinung Kochs weit mehr die Größe Preußens im Wege als die Existenz kleiner Länder. Auf Grund dieser Größe ist auf Preußen weder zu dezentralisieren, noch kann Preußen als Selbstverwaltungskörper erhalten bleiben. Das 2/3 des Reichsgebietes umfassende Preußen wird immer "ein Staat im Staate bleiben". Auf Grund der Größe Preußens bestehen "zwei Verantwortliche für dieselbe Sache und auch fast für dasselbe Gebiet". Erschwerend wirkt, daß dem Reich zwar die Hauptverantwortung zukommt, Preußen aber mit seinem Beamtenkörper "in der Regel über die bessere Möglichkeit, sich zu unterrichten und sich durchzusetzen" verfügt. Aus der Tatsache, daß zwei Verantwortliche für dieselbe Sache existieren, ergibt sich, daß es unmöglich ist, die Zuständigkeit zwischen Reich und Preußen abzugrenzen; Koch führt eine Reihe von überzeugenden Beispielen dafür an. Auch die eigentliche Ursache für die Schwierigkeiten zwischen Preußen und dem Reich liegt darin, "daß es wider die Natur der Dinge geht, zwei verantwortliche Verwalter für dieselbe Sache einzusetzen. Erlangt Preußen nicht die Hegemonie, so muß sich seine Regierung fortgesetzt in dem Gefühl der Zurücksetzung befinden, indem sie beanspruchen muß, als Vertreterin des größeren Teiles der Nation mit ihren Anschauungen durchzudringen." Damit Deutschland zu "einem Einheitsstaat mit dezentralisierten Einrichtungen" wird, ist vor allem eins notwendig: "Wie Brandenburg in Preußen aufgegangen ist, ... so muß Preußen heute in das Reich aufgehen." Koch ist der Meinung, daß auch die preußische Regierung "von selbst um so überflüssiger wird, je mehr Zuständigkeiten und politisches übergewicht das Reich erlangt". Er glaubt, daß wie der Verkehrsminister auch der Wohlfahrtsminister wegfällt und daß wie der Finanzminister auch der Handelsminister und der Kulturminister in den Hintergrund treten werden. Diesen optimistischen Ausblick korrigiert die tatsächliche Entwicklung sehr bald. Koch schränkt ihn schon selbst durch den Hinweis ein, daß der "Umwandlungsprozeß, der mit Preußen vollzogen werden muß, ... unendlich viel schwerer" ist "als derjenige bei den übrigen Ländern". Reich und Preußen müssen "zielbewußt" auf den Einheitsstaat hinwirken. Er lehnt es ab, "heute schon" auf den Weg einer Zerschlagung Preußens zurückzukommen. "Solange die Entwicklung zum Einheitsstaat noch nicht weiter fortgeschritten ist, bedeutet die Zerschlagung Preußens die Aufrichtung neuer Mittelstaaten", die sich der Reichspolitik "aller Voraussicht nach viel kräftiger entgegenstemmen, als dies ein wohlgeleitetes Preußen tun wird". Koch akzeptiert also die preußischen Einwände gegen die Auf teilung Preußens. Er ist gleichfalls mit der preußischen Regierung der Meinung, daß die Ablösung von Provinzen von Preußen auf Grund des Art. 18 WRV "einen ganz mangelhaft gegliederten preußischen Staat zurücklassen" würde.

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Koch tritt dagegen für ein systematisches Aufgehen Preußens im Reich ein. Dem hat die preußische Regierung bisher jedoch mit allen Mitteln entgegengewirkt, wie die Darstellung des Schicksals der Autonomiebestrebungen zur Genüge gezeigt hat. Koch setzt sich dennoch erneut für die Hebung der Stellung der Provinzen parallel zum Ausbau der Reichsgewalt ein. Er empfiehlt, bei der Ausführung neuer Reichsgesetze im Benehmen mit Preußen die neuen Aufgaben an Provinzialinstanzen abzugeben und verweist auf die beim Reichsjugendwohlfahrtsgesetz vorgesehene Regelung. Aber vor allem hat Preußen seine eigenen Verwaltungsaufgaben zu dezentralisieren. Damit wird allmählich eine zentrale preußische Regierung überflüssig. Aber auch mit einer von Reichs- und preußischer Regierung gesteuerten Entwicklung zum Einheitsstaat sind noch nicht die gegenwärtigen Schwierigkeiten im Verhältnis zur preußischen Regierung aufgehoben. Koch weist mit Recht darauf hin, daß gerade in der gegenwärtigen gefährdeten Situation des Reiches diese Schwierigkeiten um so schwerer wiegen. "Wir müssen vor Reibungen und Widersprüchen in unserer Politik in einer Zeit gesichert sein, wo unsere Grenzgebiete bedroht sind, wo unser Volk in allen seinen Gliedern einschließlich der Beamtenschaft einer starken und einheitlichen Führung bedarf und wo wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten von unvergleichlicher Größe zu überwinden sind." Um das Neben- und Gegeneinanderarbeiten der beiden für dieselbe Sache verantwortlichen Kabinette zu überwinden, hält er eine engere Fühlungnahme nach dem Vorbild der Bismarckschen Verfassung für notwendig. "Am erwünschtesten" wäre es seiner Meinung nach, "wenn das Amt des Reichskanzlers wiederum mit dem Amt des Ministerpräsidenten verbunden würde. Ist das nicht erreichbar, so sollte das Ministerium des Innern als das politisch am meisten interessierte Ministerium gemeinschaftlich sein". Das Interesse Kochs an der Verbindung der Innenministerien erwächst gerade aus seiner Erfahrung mit dem PrMdI. Als Alternative befürwortet er die Schaffung eines Reichsund Staatsministers für die besetzten Gebiete, die schon mehrfach Anlaß zu Auseinandersetzungen gegeben haben. "Sofern auch das auf Schwierigkeiten stößt, sollte wenigstens dadurch, daß den am meisten interessierten Fachministerien des Reichs Sitz und Stimme im preußischen Kabinett gegeben wird, für eine engere Fühlung Sorge getragen werden." Damit wäre der angesichts der ersten Spannungen zwischen Reichsregierung und preußischer Regierung am 12.4.1919 vom Staatsministerium gefaßte Beschluß zu revidieren, "Vertreter der Reichsministerien zu den Sitzungen des Staatsministeriums, abgesehen vom Unterstaatssekretär in der Reichskanzlei, grundsätzlich nicht zuzuziehen"48. 48 Vgl. Teil B, IV.

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Für den Fall, daß der gegenwärtige Zustand andauert, rechnet Koch damit, "daß in absehbarer Zeit zwischen den beiden verantwortlichen Stellen ein Gegensatz entsteht, der innerpolitisch und außerpolitisch zu schweren Schädigungen führen könnte". Die gesamte Argumentation Kochs zielt darauf, "die Verhandlungen über den preußischen Antrag auf Verhandlungen mit Preußen zu beschränken". Seine Forderungen für die Verhandlungen faßt er abschließend in drei Punkten zusammen: ,,1. Preußen wird in seiner Verfassung und in seiner Gesetzgebung auf eine weitere Dezentralisation seiner Provinzen hinarbeiten. Es wird sich einem gleichen Vorgehen der Reichsgesetzgebung nicht widersetzen. 2. Zur Aufrechterhaltung der Einheitlichkeit mit der Reichsregierung nimmt Preußen in Aussicht, verfassungsmäßig oder gewohnheitsmäßig Mitglieder des Reichskabinetts in seine Regierung aufzunehmen. 3. Die preußischen Gesandtschaften bei den übrigen Ländern werden beseitigt und den übrigen Ländern bedeutet, daß Preußen Gesandtschaften der Länder bei Preußen nicht erwünscht sind." Die Reichsregierung akzeptiert das Programm des RMdI weitgegehend50 • Die mit dem preußischen Antrag durchaus wieder angeregten überlegungen, die Vereinheitlichung unter Abänderung der Reichsverfassung zu forcieren, finden jetzt endgültig ihr Ende. Die Reichsregierung konzentriert sich auf Preußen. Damit hat sie natürlich den Boden der VPrLv-Entschließung verlassen. Das Reich verlangt nun zwar nicht von Preußen den Reichslandstatus, was angesichts der Haltung der Mehrheit der preußischen Abgeordneten undurchführbar ist; aber dennoch wünscht die Reichsregierung von Preußen bestimmte Vorleistungen, von denen die Aufnahme von Reichsministern in das Staatsministerium immerhin zur Reichslandkonzeption gehört. In der Frage der Dezentralisation kommt der preußische Staatskommissar für die Verwaltungsreform dem Reich mit seiner Denkschrift "Deutscher Einheitsstaat und Verwaltungsreform" vom 27.1.192051 zu Hilfe. Drews setzt sich in völliger übereinstimmung mit dem RMdI für die schrittweise Umwandlung des Reiches in einen Einheitsstaat ein, wobei die Entwicklung durch die preußische Regierung wesentlich zu fördern ist. Die größeren Bundesstaaten und die zu Gebilden etwa gleicher Größe zusammenzufassenden kleineren Bundesstaaten einerseits und die preußischen Provinzen andererseits sind seiner Meinung nach allmählich zu Selbstverwaltungskörpern umzugestalten, deren Zuständigkeit sich auf einer mittleren Linie trifft52 • 50 Daß die Reichsregierung auch die engere Verbindung von Reichs- und preußischer Regierung befürwortet, erhellt daraus, daß die von ihr berufenen drei Reichsminister Koch, Schiffer und David für den in der gemeinsamen Sitzung von Reichs- und Staatsregierung am 30. Januar beschlossenen Unterausschuß zur Klärung der Frage einer engeren Fühlungnahme seit langem sämtlich für die Personalunion von Reichs- und preußischer Regierung eintreten. 51 DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 44 Bd. 1. 52 In seiner Beweisführung zugunsten des Einheitsstaates wendet er ge18 Eimers

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Der Zentralisation beim Reich als dem entscheidenden Großstaat hat Preußen durch Dezentralisation auf die Provinzen zu entsprechen. Drews hält die Erweiterung der Provinzialautonomie nicht nur im Sinne des Einheitsstaates für notwendig, sondern auch, um die Selbständigkeitsbestrebungen zu kanalisieren und die von ihm - wie von Koch als ernsthaft betrachtete Gefahr der Zerteilung Preußens auf Grund des Artikels 18 zu neutralisieren. Dabei genügt ihm nicht die übertragung des Rechtes an die Provinzialverbände, bestimmte Angelegenheiten, die in erster Linie nicht von allgemeinem Staatsinteresse, sondern von speziellem provinzialem Interesse sind, provinzialrechtlich zu ordnen; dies ist ein Weg, der in dem Gesetzentwurf über die Provinzialautonomie eingeschlagen ist. "Das Wesentliche ist die übertragung der bisher von unmittelbaren Staatsbehörden in der Provinzialinstanz ausgeübten Exekutive auf die Selbstverwaltungskörperschaften der Provinzen, die durch von ihnen selbst bestellte Beamte alle diese staatlichen Angelegenheiten im Auftrag und nach Anweisung der Zentralbehörde auszuführen haben." Dem Staat sollen nur bestimmte Angelegenheiten, wie die Sicherheitspolizei, erhalten bleiben. Die staatliche Verwaltung ist also zugunsten der Provinzialverwaltungen zu vermindern und zugleich zu konzentrieren. An die Stelle des Regierungspräsidenten und des hergebrachten Oberpräsidenten hat gegenüber der Provinz ein Staatskommissar als Aufsichts- und Vermittlungsinstanz zu treten; seine Funktionen entsprechen etwa denen, die die Oberpräsidialordnung von 1815 dem Oberpräsidenten zuweist. Drews fordert die Staatsregierung auf, sich baldigst klar und deutlich für ein bestimmtes Programm zu entscheiden und mit seiner Durchführung zu beginnen. Reichs- und preußische Regierung beschäftigen sich am 30. Januar in einer gemeinsamen Sitzung mit dem Antrag der preußischen Landesrade die nationale und wirtschaftliche Argumentation der preußischen Regierung zugunsten der Erhaltung Preußens ins Unitarische: "Es ist genau der gleiche Vorgang wie im Privatwirtschaftsleben: der Großbetrieb ist dem Kleinbetrieb überlegen durch die größeren Mittel, mit denen er arbeitet, die ihm eine weitere Betätigung, gesteigerte Ausgleichsmöglichkeiten und die Beschaffung für den Kleinbetrieb zu kostspieliger, im einheitlich geleiteten Großbetrieb aber lohnender Spezialeinrichtungen und Maschinen ermöglicht. Will man alles das, was bisher Preußen vor den übrigen Ländern voraus hatte, auch diesen zugänglich machen, so muß man anstreben, daß alle diejenigen Aufgaben, die bisher der preußische staat für seine Gebietsteile zentral verwaltet und gelöst hat und die er nur dank seiner Größe für alle Landesteile so vorteilhaft verwalten und lösen konnte, während sie für die Leistungsfähigkeit einzelner Landesteile zu groß gewesen wären - daß alle diese Aufgaben in Zukunft vom Reich übernommen werden, damit alle deutschen Länder die gleichen Vorteile einer solchen zentralen Großbetriebsverwaltung genießen wie Preußen. Daß man dies wollen muß, steht außer Frage. Bei den ungeheuren Lasten, die Deutschland zu tragen hat, müssen wir jeden einzelnen Landesteil auf die höchstmögliche Stufe der Entwicklung bringen."

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versammlung53. Wie die der Öffentlichkeit bekanntgegebene Niederschrift dieser Sitzung zeigt5\ akzeptiert die preußische Regierung die Vorstellungen des RMdI im allgemeinen. Wirklich verbindliche Zusagen erreicht die Reichsregierung jedoch nicht. Vor allem hat sich die preußische Regierung - nach Hirsch55 - "zur Aufnahme von Vertretern der Reichsregierung nicht entschließen können, obwohl dadurch vielleicht manche Reibungen vermieden worden wären. Und an Reibungen oder Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Reich und Preußen hat es wahrlich nicht gefehlt". Die preußischen Staatsminister haben gegenüber der Reichsregierung gegen die Personalunion z. B. das Argument, daß die beiderseitigen Interessen divergieren, gegen den Eintritt von Reichsministern in das Staatsministerium, daß das in der Regel wirkungslos sei, daß im Staatsministerium schon zuviel Unverantwortliche mitreden u. ä. 56 Die engere Verbindung zwischen Reichs- und Staatsregierung soll auf Kosten des Einflusses der bisherigen Staatsminister gehen; das lehnen sie verständlicherweise angesichts der Spannungen zwischen Reichs- und Staatsregierung ab. Die Feststellung Goldschmidts, daß die Personalunion zwischen Preußen und dem Reich im Winter 1919/1920 scheitert, "weil man fürchtete, daß die außerpreußischen Länder die Personalunion als die beginnende Wiederherstellung der preußischen Hegemonie ansehen würden"57, findet sich nicht bestätigt. Selbstverständlich wird bei der Auseinandersetzung über die Frage Bezug genommen sein auf Süddeutschland - Preußen sucht ja ausdrücklich Bayern zu mobilisieren58, aber ausschlaggebend sind spezifiisch preußische Gesichtspunkte. Der einzige Erfolg des RMdI zum Verhältnis von Reichs- und Staatsregierung ist, daß gemäß der Erklärung vom 30. Januar "geprüft werden" soll, wie man der Schwierigkeiten im Verhältnis Preußen-Reich durch eine engere Fühlungnahme Herr werden kann. Die beiden Kabinette haben sich weiter auf einen gemeinsamen Ausschuß zur Klärung der in der Sitzung aufgeworfenen Fragen geeinigt. Er setzt sich zusammen aus den Reichsministern Schiffer, Koch und David, die sämtlich fÜl die Personalunion eintreten, und dem preußischen Ministerpräsidenten 53 Vgl. zu dieser Sitzung auch SchuZz: Zwischen Demokratie und Diktatur,

S. 262 f.

54 Niederschrift über die gemeinsame Sitzung des Reichskabinetts und des Preußischen Kabinetts über die Frage des Einheitsstaates. BAK, R 43 1/1872. - Wiedergegeben bei SchuZtheß 1920, S. 21. 55 Hirsch: Sozialdemokratie, S. 183. 56 Diese Argumente finden sich in dem Vermerk des PrMfHuG Fischbeck (DDP) zur Denkschrift Kochs. DZA Merseburg, Rep. 120 All Nr. 150 Bd. 1. Siehe auch die Denkschrift Heines im Anhang. 57 GoZdschmidt: Reich und Preußen, S. 133. 58 Siehe Anm. 31.

18"

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Hirsch und den Staatsministern Heine und Stegerwald, von denen möglicherweise Stegerwald ein Anhänger der engeren Verbindung ist5D ; aber der Ausschuß hat nie getagt. Zur Frage der Dezentralisation heißt es in der amtlichen Verlautbarung zur gemeinsamen Sitzung: "Es wurden die Schwierigkeiten, den preußischen Staat in ein dezentralisiertes Reich einzugliedern, nicht verkannt. Aber ... hier versprach man sich Abhilfe nicht in dem unhistorischen Gedanken einer Zerschlagung Preußens, sondern ging da~ von aus, daß die Entwicklung organisch zu gehen habe, wie denn die Bedeutung des Reiches mit seinen vergrößerten Zuständigkeiten gewachsen ist und weiter wachsen wird. Darüber, daß auf dem Wege der Dezentralisation Preußens weitergegangen werden muß, war man sich einig." Das sieht nach einem Entgegenkommen gegenüber den Vorstellungen des RMdI und des Staatskommissars für die Verwaltungsreform aus. In der Praxis kann davon jedoch nicht die Rede sein, wie sich schon wenige Tage später bei der weiteren Auseinandersetzung um die preußische Verfassung erweist. Von der Gesandtschaftsfrage ist in der amtlichen Verlautbarung nicht die Rede. Ministerpräsident Hirsch hat sich einen Tag vor der gemeinsamen Sitzung gegenüber der Reichsregierung und den süddeutschen Regierungen auf den alten preußischen Standpunkt festgelegt. In seinem Schreiben vom 29. 1. 192060 stimmt er der Ansicht der süddeutschen Regierungen zu, daß das aktive Gesandtschaftsrecht der Länder durch die WRV nicht berührt werde. Falls die Reichsregierung, wie er vermutet, auf Grund der Stuttgarter Beschlüsse keine Reichsvertreter in die Länder entsenden würde, stellt er großzügig eine Lösung der Frage in Aussicht "auf der von Preußen schon früher subsidiär in Aussicht genommenen Basis der Beibehaltung der preußischen Gesandtschaften wenigstens in München und Dresden, die dann auf Wunsch auch fernerhin für Zwecke des Reiches zur Verfügung gestellt werden könnten ... " Das würde natürlich die Umkehrung des bisherigen Verhältnisses von Preußen und Reich gegenüber den preußischen Gesandtschaften bedeuten. Hirsch gibt der Reichsregierung die Möglichkeit, bis zum 31. März in seinen Vorschlag einzuwilligen. Zu den Verhandlungen über die Gesandtschaftsfrage teilt die preußische Regierung den süddeutschen Regierungen schon am 5. März mit6 t, daß nicht zu erwarten wäre, daß bis 58 Stegerwald tritt in seiner Schrift von 1922 "Zusammenbruch und Wie~ deraufbau" , S. 28, sogar für die Umwandlung Preußens in ein Reichsland ein. 60 Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums vom 29. 1. 1920 an den Reichskanzler, BAK, R 43 I/2329. - Abschriftlich geht es an die süddeutschen Regierungen. WÜ. StAL, Wü.Ges. C 5/1. 61 Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums vom 5. 3. 1920 an die Badische Regierung etc. Bad GLAK, Bad. Ges. 233/34843.

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zu diesem Termin "die noch bestehenden weitgehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ansichten der Reichsregierung und der Landesregierung ihre Erledigung werden finden können, sofern überhaupt in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet werden kann". Sie fügt hinzu, daß sich eine Änderung des Verhältnisses der Berliner Gesandtschaften zu Preußen erübrige und Preußen seinerseits Gesandte in Dresden für die norddeutschen Länder und in München für die süddeutschen Länder zu unterhalten gedenke. Dies bekräftigt Hirsch noch einmal am 23. März 62 • - Die Neubildung der preußischen Regierung verhindert zunächst die Verwirklichung der Absichten Hirschs; Braun konzediert die vorläufige Beibehaltung des alten Verhältnisses von Reichsund preußischer Regierung zu den preußischen Gesandten. Die Haltung der preußischen Regierung trägt nicht dazu bei, daß die süddeutschen Regierungen im Sinne ihrer Verzichterklärung vom 7. Januar und gleichfalls die sächsische Regierung ihr Gesandtschaftswesen entscheidend einschränken. Bis Ende 1921 kommt es zu dem rein formalen Zugeständnis, daß die Mittelstaaten ihre Gesandtschaften bei Preußen auf das Reich ausdehnen als" Vertretungen beim Reich". In der Frage der Entsendung von Vertretern der Reichsregierung vermag Koch das Reichskabinett trotz aller seiner Initiativen nicht zu einer klaren Stellungnahme in seinem Sinne zu bestimmen63 • In der 62 Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums vom 23.3.1920 an die Badische Regierung etc. Bad GLAK, Bad. Ges. 233/34843. 63 Der RMdI Koch gibt in seinem Schreiben vom 15.1. 1920 an den Reichskanzler (Abschrift in: DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr.44 Bd. 1) eine zusammenfassende Darstellung seiner Vorstellungen über die Gestaltung der Reichsvertretungen. Aufgabe der Reichsvertretungen ist danach einmal - gestützt auf Art. 15 WRV - die Beaufsichtigung der Länder und dann vor allem die Anbahnung eines vertrauensvollen Zusammenarbeitens mit den Länderregierungen auf dem Gebiet der inneren Verwaltung und schließlich die Beobachtung gefährlicher politischer Strömungen unter Zuhilfenahme von Agenten. In einer gekürzten Fassung dieses Schreibens wendet sich Koch am 22. 1. 1920 an den Bayerischen Staatsminister für Handel und Gewerbe Hamm (DDP); diese läßt er abschriftlich zugleich dem Badischen Staatsrat Dr. Haas (DDP) zugehen. Bad GLAK, Bad. Ges. 233/34843. - Koch behandelt in dem Schreiben an Hamm den letzten Punkt seines obrigen Schreibens natürlich nicht und den ersten nur kurz. Der Reichskanzler behält der Reichsregierung in seinem Schreiben vom 27. 1. 1920 an die Regierungen von Bayern, Baden, Sachsen, Württemberg und Hessen (BAK, R 43 I/2329) im Sinne des Rundschreibens vom 12. Dezember 1919 die Entsendung von Reichsvertretern vor. Das AA nimmt am 12.2. 1920 noch einmal gegen die Vorschläge des RMdI Stellung, während das RWiM sie unterstützt. (Beide Schreiben vorhanden im BAK, R 43 1/2329) Der RMdI tritt in dem Schreiben vom 15. 1. 1920 wie schon vorher für die Errichtung von sechs Reichsvertretungen ein: in München, in Dresden, in Karlsruhe (zugleich für Hessen), in Weimar für ganz Thüringen und Anhalt, in Hamburg für die Hansestädte, beide Mecklenburg und Oldenburg. Am 13. März teilt der Badische Minister des Äußeren Dietrich (DDP) dem Würt-

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neuen Reichsregierung findet er noch geringere Unterstützung, während die Opposition der Mittelstaaten unverändert ist. Auf der Berliner Konferenz der Reichsregierung mit den Regierungschefs bzw. Ministern des Äußeren Süddeutschlands und Sachsens vom 11. 5.1920 über die Gesandtschaftsfrage04 verzichtet das Reich auf Reichsvertreter im Sinne des RMdI. Den bisherigen Preußischen Geschäftsträger in Darmstadt übernimmt die Reichsregierung offiziell in den Reichsdienst als "Bevollmächtigten Vertreter des AA" "zwecks Beobachtung der französischen Behörden in dem besetzten Gebiet"65. Die Münchner preußische Gesandtschaft wandelt das Reich nach längeren Verhandlungen 1921 in eine "Vertretung der Reichsregierung" um, die in der Praxis der Reichskanzlei untersteht. Daneben errichtet die preußische Regierung im Juli 1921 eine eigene preußische Gesandtschaft. VIII. Unitarismus und Föderalismus vom Kapp-Putsch bis 1923

Für das Zurückgehen der unitarischen Flut 1920 ist der Kapp-Putsch, das zentrale Ereignis des Jahres, sicher von großer Bedeutung. Die Reichsregierung läßt die Hauptstadt mit der Zentralverwaltung im Stich und flieht nach Süddeutschland; und vor allem bewährt sich die Exekutivgewalt des Reiches nicht mehr. Der bayerische Gesandte von Preger betont in der ersten Reichsratssitzung nach dem Kapp-Putsch am 22. 3. 1920\ "daß die Ereignisse der letzten Tage gezeigt hätten, welch starke Stütze für die Reichsgewalt der Fortbestand selbständiger Landesregierungen bilde, und bat die Reichsregierung dessen auch beim weiteren Ausbau des Reichs eingedenk zu bleiben ... " Knapp ein Jahr nach der bayerischen Räterepublik, die erst das Reich wieder zugunsten der rechtmäßigen Regierung zu beseitigen vermag, kann der bayerische Handelsminister Hamm, der sich der DDP zurechnet, dem Reichspräsidenten und dem Reichskanzler gegenüber darauf hinweisen, "daß die Tendenzen, lieber das gegenwärtige schwache Reich preiszugeben, lieber den Schein des Reiches preiszugeben, als den Begriff des Staates, außerordentlich im Wachsen sind und daß sie genährt sind durch die Vorgänge tembergischen Staatspräsidenten Blos (SPD) die Zusage des RMdI mit (Schreiben vom 13. 3. 1920. WÜ. Ges. C 5/1, Wü. StAL), daß dieser keine Reichsvertreter mehr nach Stuttgart und Karlsruhe entsenden werde, sondern nur noch nach München und in norddeutsche Städte. 64 Niederschrift über die Besprechung mit den süddeutschen Staats- bzw. Ministerpräsidenten in der Reichskanzlei am 11. Mai 1920. BAK, R 43 1/2329. 65 Mitteilung des Reichsministers des Auswärtigen Dr. Köster an den Hessischen Staatspräsidenten Ulrich vom 19. 5. 1920. Die Hessische Regierung stimmt am 25. 5. 1920 zu. - Der Schriftwechsel zwischen dem AA und dem Hessischen Staatspräsidenten und dem Bayerischen Ministerpräsidenten wegen der Errichtung von Reichsvertretungen in München und Darmstadt ist abschriftlich vorhanden im BAK, R 43 1/2329. 1 Reichsrats-Prot. 1920, § 255.

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im Reich"2. Für die Stärkung des Föderalismus ist sicher nicht nur von Bedeutung, daß dem Reich die Fortune fehlt, sondern auch die Machtübernahme durch die BVP in München, von wo in Zukunft allen Bestrebungen zur Stärkung der Reichsgewalt eine entschiedene Opposition begegnet. Der Verlauf des Kapp-Putsches schadet in der öffentlichen Meinung den politischen Gruppen nicht, die mit seinen Führern sympathisieren; das zeigen die Reichstagswahl im Juni 1920 und die folgenden Wahlen. Die Stärkung der Rechtsparteien bedeutet zugleich eine weitere Stärkung der föderalistischen Kräfte. Demgegenüber besitzen die unitarisch ausgerichteten Parteien der Weimarer Koalition nicht mehr die Mehrheit im Reichstag. Die SPD ist von Juni 1920 bis Mai 1921 zugunsten der DVP nicht mehr in der Reichsregierung vertreten und beteiligt sich gleichfalls nicht an der vom November 1922 bis zum August 1923 amtierenden Regierung Cuno. Ein beschränkter Einfluß der SPD ist in dieser Zeit durch das enge Verhältnis auch der SPD-Iosen Reichsregierungen zur SPD-Reichstagsfraktion und in gewissem Sinne auch durch den Reichspräsidenten Ebert gesichert, der die sieben Regierungswechsel von 1920 bis 1923 überdauert und der also ebenso beständig wie die Ministerialbürokratie amtiert. Der Schwächung der drei staatstragenden Parteien im Reich entspricht ihre Schwächung in den Ländern. Nachdem die SPD am 13. März 1920 aus der bayerischen Landesregierung vertrieben ist, scheidet sie im Juni 1920 gleichfalls aus der württembergischen Regierung aus, im Juli 1920 aus der bremischen und mecklenburg-schwerinischen und im April 1921 aus der preußischen. In Preußen tritt sie jedoch - zusammen mit der DVP - im November 1921 wieder in die Regierung ein; in Württemberg beteiligt sie sich nur noch vorübergehend 1921/22 durch KeiZ an der DDP/Z-Regierung. In Mecklenburg-Schwerin tritt im Januar 1921 an die Stelle der DVPIDNVP-Regierung wieder ein von der SPD geführtes Ministerium, dem sich im April die DDP anschließt3 • Die Weimarer Koalition herrscht weiter in Baden, Hessen und Oldenburg. Neben Mecklenburg-Schwerin werden Hamburg, Lübeck, Anhalt und die Lippischen Länder durch eine SPDIDDP-Koalition geführt. In Thüringen und Sachsen wählt die SPD 1921 anstelle der DDP die USPD als Koalitionspartner, mit der sie sich 1922 fusioniert. In Braunschweig erweitert sich die USPD/SPD-Regierung 1922 durch DDP und DVP. Bei aller Einflußminderung der Mehrheitsparteien vermögen ihnen also insgesamt die Rechtsparteien in den Regierungen nicht die herrschende Stellung zu nehmen, und sie bestimmen damit weiterhin auch im Reichsrat. DieDNVP 2 Nach seiner Erklärung auf der Stuttgarter Konferenz am 10.4. 1920. Konferenz-Prot. WÜ. StAL, WÜ. Ges. C 5/1. 3 1921/22 schließt sich zeitweilig der Dorfbund an.

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ist nur in Mecklenburg-Schwerin 1920/21 für ein halbes Jahr in der Regierung vertreten; in Preußen vermag sie sich wie die DVP über das Kabinett Stegerwald 1921 geringen Einfluß zu sichern. Die DVP erreicht im November 1921 ihre Regierungsbeteiligung in Preußen und stellt daneben in einigen norddeutschen Kleinstaaten Minister'. In Bayern zieht im März 1920 anstelle der SPD die deutschnationale Mittelpartei in die Regierung ein; sie vermag nach vorübergehendem Ausscheiden 1922 ihren Einfluß zu verstärken, während die DDP das letzte Ministerium abgibt. Für die Rechtsorientierung der bayerischen Regierung ist jedoch vor allem die BVP verantwortlich. Für die Stärkung des Föderalismus seit 1920 ist von großer Bedeutung, daß die SPD, DDP und das Zentrum nicht mehr in dem Maße wie bisher für die Vereinheitlichung und die Stärkung der Reichsgewalt eintreten. Am deutlichsten kommt der Unitarismus noch weiterhin bei der SPD zum Ausdruck. Aber auch bei ihr hat diese Tendenz offenkundig an Prestige verloren. Auf dem Kasseler Parteitag vom Oktober 1920 spielt sie im ganzen im Vergleich zu 1919 nur eine Randrolle. Die einstimmig angenommene "Resolution über die Einheitsrepublik"5 ist mit ihren vagen und allgemeinen Wendungen kaum vergleichbar mit der Entschließung von 1919. Größeres Gewicht gewinnt der Unitarismus auch nicht auf den folgenden SPD-Parteitagen. Allerdings findet er in dem neuen Görlitzer Parteiprogramm von 1921 zum ersten Mal programmatisch seinen Niederschlag. Im Abschnitt "Verfassung und Verwaltung" fordert die SPD ausdrücklich: "Festigung der Reichseinheit. Ausbau des Reichs zum organisch gegliederten Einheitsstaat. Selbstverwaltung der Gemeinden und der zu höheren Selbstverwaltungskörpern gesetzlich organisierten Gemeindeverbände (Kreise, Bezirke, Provinzen)'." Gegenüber den ersten Programmentwürfen der Programmkommission sind entsprechend den Wünschen der preußischen Delegierten die speziellen Forderungen zur Ausdehnung der Selbstverwaltung ausgeschieden. Konkreter ist die Stärkung der Reichsgewalt formuliert. So tritt die SPD im Sinne von Radbruch im Abschnitt "Rechtspflege" für die "übertragung der gesamten Justiz auf das Reich" ein7• Innerhalb der Parteiorganisation der SPD gewinnt der Föderalismus wieder an Gewicht. Der Weimarer Parteitag von 1919 hob die Landesparteiorganisationen zugunsten der Zentrale und der Bezirksverbände auf. Die bayerische und die sächsische SPD wissen sich dennoch ihre , In Bremen ist die DVP seit 1919, in Braunschweig seit 1922, in Lippe vom Februar 1921 bis Juni 1921 in der Regierung. 5 SPD-Parteitags-Prot. 1920, S. 173. 8 SPD-Parteitags-Prot. 1921, S. 5. 7 a. a. 0., S. V.

VIII. Unitarismus - Föderalismus

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Landesorganisationen zu erhalten; die bayerische SPD baut sich ihre Organisation noch aus 8• Das Organisationsstatut von 1924 konzediert allen Ländern mit mehreren Bezirksverbänden die Sonderrechte der bayerischen Parteiorganisation. Fortan sind Landesparteitage wieder zulässig. Allein für Preußen übt weiterhin der Parteivorstand im Einverständnis mit den preußischen Mitgliedern des Parteiausschusses wichtige Landeszentralbefugnisse aus 9 • In den Reden auf dem Parteitag Anfang 1924 geht es nicht mehr um den Einheitsstaat, sondern um die Einheit des Reiches überhaupt und um die Sicherung der Rechte, die das Reich besitzt. Der Berichterstatter des Parteivorstandes Wels weist besonders auf die Notwendigkeit hin, daß sich die SPD entschieden für die Erhaltung der Reichseinheit einsetztlO • Er wendet sich gegen die "Parteigenossen, die im Kampf für die Reichseinheit nur eine nationalistische Sentimentalität sehen" und wohl mit Blick auf Sachsen - gegen die, denen "das Verständnis für Wert und Bedeutung der Reichseinheit zu fehlen" scheine. "Allzuoft haben wir von landespolitischer Warte aus Reichspolitik treiben sehen. Das diente allein den Separatisten.... Soll ich im einzelnen aufzählen, was ein Zerfall des Reiches in seine Länder für den Bestand und die Wirksamkeit der Partei, für Presse und Versammlungsleben bedeutet?" Er bezeichnet die Verhältnisse unter dem militärischen Belagerungszustand 1923/24 als "Vorgeschmack dessen, was uns passieren müßte, wenn die Reichseinheit einmal zum Teufel ginge, wenn solche Zustände der Anarchie und des Verfalls sich verewigen würden ....Heute steht die Reichsregierung unangegriffen auf sicherer Warte vor den deutschvölkischen Desperados, die sich in den einzelnen Ländern an die Oberfläche gearbeitet haben. Es gibt noch Bundesstaaten, in denen unsere Leute mit in der Regierung sitzen und ihren Einfluß ausüben, vor allen Dingen auch im Reichsrat, dessen Voraussetzung wieder die Reichseinheit darstellt." - Staatssekretär Schulz aus dem RMdI, Mitglied des SPD-Parteivorstandes und Berichterstatter des Zentral-Bildungs aus8 1921 gestattet der Parteiausschuß in einem Gutachten für Bayern ausdrücklich den Ausbau der Landeszentrale als "ein notwendiges Hilfsorgan der vier bayerischen Bezirksverbände" "zum Zwecke einheitlicher Regelung spezifisch bayerischer Fragen, einheitlichem Vorgehen bei Aktionen, die die Landespolitik betreffen ..." (SPD-Parteitags-Prot. 1924, S.145). Einschränkend heißt es nur: "Die Landeszentrale ist und kann kein Organ sein, das als Zwischenglied zwischen Bezirksverband und Parteivorstand den Bezirksverbänden vorgeordnet wäre. Gerade darin unterscheidet sich die Landeszentrale von dem früheren Landesvorstand, dem weitgehende Rechte in organisatorischer Beziehung satzungsmäßig aufgetragen waren. Die Landeszentrale jetzt und in Zukunft ist kein mit "Gesetzeskraft" ausgestattetes Organ ..." 9 Vgl. Organisationsstatut von 1924, § 6, SPD-Parteitags-Prot. 1924, S. 6. 10 SPD-Parteitags-Prot. 1924, S. 186 f.; zur Resolution zur Bildungsfrage s. S. 93 f., 186 f. und 199.

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schusses der Partei, setzt eine Resolution durch, die die Abgeordneten der SPD des Reichstages und der Landtage verpflichtet, den Bestrebungen entgegenzutreten, "das deutsche Schulwesen und darüber hinaus die gesamte Kulturpflege zu zersplittern durch den Versuch, die Mitwirkung des Reiches zugunsten der alleinigen Zuständigkeit der Länder auszuschalten". In der DDP nimmt das Gewicht der linksliberalen und unitarischen Kräfte stark ab. Auf dem IH. Parteitag im Dezember 1920 in Nürnberg ist der Hauptreferent zum Thema "Die Länder und das Reich" der bayerische Handelsminister Ramm. Der Hauptakzent seines Vortrages liegt bei aller Betonung der Einheit darauf, zu begründen, daß um der Selbstverwaltung, wie "zur Pflege heimatlicher und staatserzieherischer Gefühlswerte" als "Gebot deutscher Staatsgestaltung, die geschichtlich gegebene Gliederung des Reiches in eine Mehrzahl von Ländern, in Anschluß und unter pfleglicher Fortführung der bisherigen Entwicklung zu erhalten" istl1 • Für die Auflösung Preußens setzt sich nur der Reichstagsabgeordnete Reile ein l2 : "Wir müssen das Deutsche Reich zum deutschen Staat machen, und das geht nur, wenn der preußische Staat.als ganzer aufhört, ein Konkurrent des Deutschen Reiches zu sein, wenn ... die entsprechenden Teile unmittelbar gleichberechtigt unter deutsche Reichsleitung gestellt sind." Reichsminister a. D. Dr. Gothein wischt das Thema jedoch wieder vom Tisch mit den Wortenl3 : "Wir haben in diesem Augenblick Wichtigeres und Eiligeres zu tun, als diese Frage in langen Reden auseinanderzusetzen. (Sehr richtig!) Wir stehen auf dem Boden der Reichseinheit und andererseits der weitgehenden Dezentralisation." Ähnlich rigoros weist Braun auf dem SPD-Parteitag 1922 die dort vorgetragenen Neugliederungsvorstellungen zurück. Der Preußenausschuß, der aus den preußischen DDP-Vorstandsmitgliedern und 13 Mitgliedern der DDP-Fraktion der VPrLv gebildet ist, setzt sich in den Leitsätzen zu den preußischen Landtagswahlen 1921 weiterhin für die "Gewährung der Autonomie an die Provinzen einerseits und ... die fortschreitende überführung staatlicher Befugnisse auf das Reich andererseits" mit dem Ziel des Einheitsstaates ein14 • Bei der Auseinandersetzung um diese Leitsätze im Preußen ausschuß treten jedoch auch starke gegensätzliche Meinungen zutage. Der PrMdöA Oeser äußert recht gewunden zur Frage der Autonomie l5 : "Ich glaube, man soll diese Frage noch etwas in der Schwebe erhalten, denn nach meiner Empfindung gehen die Bestrebungen heute schon rückläufig; man fängt 11 I!

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DDP-Parteitags-Prot. S. 56. a. a. 0., S. 83 f. a. a. 0., S. 84. Preußenausschuß 1920, S. 21. a. a. 0., S. 53.

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bereits an zu überlegen, ob der neue Zustand besser wäre als der alte ... " Der Vorsitzende der DDP-Fraktion der VPrLv Dominicus weist zur Frage der "Erreichung unseres großen vaterländischen Ziels, des deutschen Einheitsstaats" darauf hin l8 : " ••• es scheint uns ein allmählicher Weg zu sein, den wir in diesen schwierigen und zerrissenen Zeiten nicht übermäßig beschleunigen, aber doch auch mit aller Konsequenz gehen wollen." Seine Praxis als PrMdI 1921 ist dementsprechend konservativ. Für die Abschwächung der unitarischen Tendenzen im Zentrum ist einmal Erzbergers Rückzug aus der Politik 1920 und sein Tod 1921 von Bedeutung und zum anderen das Bestreben der Zentrumsführer, wieder mit der BVP in Verbindung zu treten. Vom Bild des Zentrumsparteitages 1922 her erscheint als entscheidendes Anliegen der Partei zusammen mit der Kulturpolitik die nationale Einheit des Reiches und die Stärkung der Autorität des Reiches und des Staates überhaupt. In den neuen Parteirichtlinien heißt esl7 : "Im Rahmen der Reichseinheit ist das Eigenleben der Länder zu schützen und zu pflegen. Eine starke Zentralgewalt sichert den Stämmen und Ländern Bestand und Lebensentfaltung; der zentralistische Staatsaufbau entspricht nicht dem deutschen Volkscharakter." Unter den "Aufgaben der praktischen Politik" heißt es t8 : "Grundsätzlich ist nach Erweiterung der Selbstverwaltungsbefugnisse zu streben; vor allem ist den Provinzen eine größere Selbstständigkeit in Gesetzgebung und Verwaltung zu geben. In der Frage der organischen Neugliederung des Reichs sind die Bedürfnisse und Eigenarten der Länder und Stämme mit den Lebensnotwendigkeiten des Reiches in Einklang zu bringen." Wenn einerseits auf diesem Parteitag der Unitarismus abgeflaut zu sein scheint, so tritt andererseits jetzt die föderalistische Seite, die auf dem 1. Parteitag im Januar 1920 nur zurückhaltend Bedenken angemeldet hat, ganz entschieden auf den Plan. Als Sprecher des württembergischen Zentrums äußert der württembergische Innenminister GrafIo: "Es ist vielleicht kein Zufall, im Gegenteil, ich glaube, daß dem eine sehr gute Berechtigung zugrunde liegt, daß insbesondere auch von der rechtsstehenden Seite, nicht zuletzt gerade auch in den süddeutschen Ländern, im Gegensatz zu der früheren Haltung dieser Partei der föderalistische Gedanke wieder mehr und mehr betont und gefördert wird." Er will nicht gerade die schon erfolgte Verreichlichung wieder rückgängig machen, aber möchte doch die "Zentralisierung" aufhalten. Während die a. a. 0., S. 23. Z-Parteitags-Prot. 1922, S. 5. 18 Im 2. Teil der Richtlinien, Abschn. Ir, Staatsordnung und Staatsverwaltung unter Nr. 7 und Nr. 8; Z-Parteitags-Prot. 1922. JO Z-Parteitags-Prot. 1922, S. 20. 18

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finanziellen Argumente 1919 zugunsten der Vereinheitlichung eingesetzt werden, heißt es jetztZO , daß in der Reichsgesetzgebung mit dernach Meinung Grafs - rücksichtslosen Außerachtlassung der finanziellen Wirkungen "vielleicht die Hauptursache für die dauernde Verschlechterung unserer Finanzen im Reich, in den Ländern und Gemeinden zu suchen ist. (Beifall und Zustimmung)" Mögen jedoch einzelne finanzpolitische Maßnahmen des Reiches innerhalb des Zentrums auf Kritik stoßen, an den Grundsätzen der Erzbergerschen Finanzreform hält es fest. Die DDP, die sich 1919 in Finanzfragen unitarischer als Erzberger gebärdet hat, gibt sie 1923 auf. Der Vorstoß des württembergischen Zentrums im Sinne einer Verständigung zwischen dem Zentrum und der BVP scheitert zunächst noch auf diesem Parteitag. Der Resolutionsentwurf auf der Grundlage des vor dem Parteitag zwischen Führern der BVP und Minister Graf und anderen Vertretern des württembergischen Zentrums vereinbarten Programms zur Wahrung der Selbständigkeit der Länder und gegen das Vordringen des Reiches gelangt nicht zur Annahme. Daß die Wiederannäherung trotzdem voranschreitet, zeigen die Wahlvereinbarungen zur Reichstagswahl im Dezember 1924. Die Rechtsparteien treten seit 1920 wieder föderalistisch auf. Während hier und von der demokratischen Mitte unitarisches Gedankengut abgestoßen wird, vertritt die rechtsaußen stehende NSDAP schon 1923 theoretisch den Zentralismus. Trotzdem protegiert die bayerische Regierung sie entsprechend ihrer Haltung nach der Machtergreifung 1933. Hier zeigt sich die Wandlung des bayerischen Föderalismus. Daß der Wind der Zentralgewalt ins Gesicht weht, merken die Länder schon 1920 sehr bald. Ministerpräsident Braun stellt den preußischen Ministern gegenüber am 20.5.1920 fest 21 : " ••• so sehr man auch den Einheitsstaat als schließliches Ziel erstreben muß, so ist es doch zweifelhaft, ob der Einheitsstaat so bald schon verwirklicht werden wird, da doch tatsächlich in weiten Teilen Deutschlands, z. B. in Süddeutschland und Hannover, dieses Ziel keineswegs allgemein als erstrebenswert anerkannt wird, im Gegenteil gerade neuerdings wieder ein Umschlag zum föderalistischen Gedanken schon eingetreten ist oder doch ohne Zweifel bevorzustehen scheint." Bezeichnend ist weiter die Äußerung des Vertreters des PrMdöA bei einer Referentenbesprechung im PrMdöA wegen der Beibehaltung einer Zentralstelle zur Vertretung der preußischen verkehrspolitischen Interessen am 28.12.1920 22 : "Augenblicklich greift a. a. 0., S. 21. Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums vom 20. 5. 1920 an die Staatsminister. DZA Merseburg, Rep. 120 A I 1 Nr. 150 Bd. 1. 22 Protokoll vorh. im DZA Merseburg, Rep. 120 A I 1 Nr. 5 Bd. 5. 20 21

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der Partikularismus immer mehr um sich. Preußen muß sich auf den Standpunkt stellen, den andere Staaten schon länger eingenommen haben, wenn es nicht schweren Schaden leiden will." Das PrMdöA wird zwar am 1. 4. 1921 aufgelöst; aber auch Preußen schließt sich mehr oder weniger der föderalistischen Tendenz an. Die Länder melden sich allen Erwartungen zum Trotz seit 1920 wieder stärker zu Wort. Zu einheitsgefährdenden Gruppierungen wie Ende 1918 führt diese Entwicklung allerdings nicht. Die Bemühungen der bayerischen Regierung von der Auseinandersetzung wegen der Auflösung der Einwohnerwehren 1920/21 bis zum Gegensatz von 1923 um eine süddeutsche Phalanx gegen die Reichsregierung sind erfolglos. Baden und Hessen sind ohnehin reichstreu, und auch die württembergische Regierung unterscheidet immer zwischen ihrer Politik und der der bayerischen Regierung Z3 • Auch die Ende 1921 angeknüpften Kontakte der linksgerichteten Regierungen von Sachsen, Thüringen und Braunschweig mit dem Ziel einer sozialistischen Arbeitsgemeinschaft bleiben ohne Konsequenzen. Die Reichszentrale versteht es, in den seit 1920 vermehrt einberufenen Ministerpräsidentenkonferenzen, auf denen sie mit den Ländern dringende außen- und innenpolitische Probleme bespricht, wie in direkten Aussprachen mit einzelnen Länderregierungen und vor allem im Reichsrat die Sonderinteressen so zu integrieren, daß es zu Sonderkoalitionen nicht kommt. Die seit März 1920 amtierende preußische Regierung hat gleichfalls keine Ambitionen mehr, gegen die Reichsregierung in großem Maßstab Front zu machen. Die preußische Regierung findet sich mit anderen Ländern je nach dem Sachinteresse zusammen. In der Frage der Selbstschutzverbände gehen so die preußische Regierung und die mitteldeutschen Länder bis 1922 zusammen. Aber schon die antikirchliche Kulturpolitik Sachsens, Thüringens und Braunschweigs findet auf preußischer Seite keine Unterstützung. Mit Bayern geht die preußische Regierung z. B. in Finanzfragen zusammen. Zu einer völligen Isolierung der konservativpartikularistischen bayerischen Regierung, deren Kurs Lerchenfeld nur U Württemberg lehnt den von Bayern in der Einwohnerwehrfrage ein. genommenen Standpunkt 1920/21 ab wegen der Gefahr der Besetzung des Ruhrgebiets und allgemein wegen der Gefahren für die Reichseinheit (Vgl. WÜ. Staatsm.-Prot. vom 14.2. 1921 und vom 2. 11. 1920, WüStAL). - Im November 1920 übt der Finanzausschuß des Württemb. Landtages sogar in einer Resolution Kritik an der Haltung der bayer. Regierung in der Einwohnerwehrfrage. - Auf der Konferenz der Regierungen von Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden und Hessen am 9. und 10. April 1920 im Ernährungsministerium in Stuttgart (Prot. der Konferenz: WüStAL, WÜ. Ges. C 5/1) wegen der Auflösung der Einwohnerwehren durch die Reichsregierung aufgrund der Note des Generals Nollet vom 12.3. 1920 versuchen die bayer. Regierungsmitglieder - von der BVP bis zur DDP - vergeblich, die übrigen Regierungen zu einer gemeinsamen Erklärung gegen die Reichsregierung zu veranlassen.

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geringfügig modifiziert, ist die preußische Regierung allgemein kaum weniger bereit als Baden und Württemberg. Das zeigt u. a. die Unterstützung, die das Preußische Staatsministerium der bayerischen Regierung im August 1922 bei der Auseinandersetzung zwischen Bayern und dem Reich um die Republikschutzpolitik gewährt24 • Das verstärkte Gewicht der Länder bei der Reichswillensbildung ist unverkennbar. Das drückt sich in der wachsenden Bedeutung des Reichsrats in Gesetzgebung und Verwaltung aus. Reichsvorlagen lassen sich nicht mehr wie 1919 durchpeitschen. Der Reichsrat erklärt am 15.7.192025, in die Abkürzung der geschäftsordnungsmäßig vorgesehenen Fristen für die Beratung der Reichsvorlagen nur noch in ganz besonderen Fällen einwilligen zu wollen. Der RMdI Koch hebt 1921 die Erweiterung der Tätigkeit des Reichsrats hervor26 • "Da früher die Vorlagen mit der preußischen Zustimmung versehen in den Bundesrat gelangten, so genügte die Verständigung mit ein paar Staaten, um jede Vorlage glatt durchzubringen. Heute kommt der Vertreter des Reichs ohne irgendeine Stimme in der Tasche zu haben, in den Reichsrat und muß in langwierigen Erörterungen von seiner Vorlage retten, was zu retten ist. Daß damit eine wesentliche Arbeitsvermehrung verbunden ist, geht übrigens mit aller Klarheit daraus hervor, daß die Reichsratsvertretungen aller Länder fast durchweg mindestens verdoppelt, wenn nicht verdreifacht sind, und daß kleinere Länder, wie Bremen und Lübeck, die früher überhaupt keinen eigenen Vertreter im Bundesrat hatten, jetzt im Reichsrat einen solchen eingeführt haben." Der Reichstag, der die ihm verfassungsmäßig übertragene Gewalt nicht mehr in dem Maße wie die VNV auszunutzen fähig ist, läßt die Verfassung in wesentlichen Teilen unverwirklicht und vermag vor allem die Vereinheitlichung nicht im erwarteten Maße voranzutreiben. Nicht ausgeführt wird die Verfassung in erster Linie auf dem Wirtschafts- und dem Kulturgebiet. Die Vereinheitlichung des Verkehrswesens bleibt 1921 stecken. Der Vorstoß des Reiches auf dem Polizeisektor verläuft im Sande. Nach der Verreichlichung des Eisenbahnwesens 1920 tritt in den folgenden Jahren bis 1927 keine Vermehrung der Reichsverwaltung mehr ein. Auf dem Reichsgesetzgebungssektor sind 1922 die Republikschutzgesetze noch als bedeutsame gesetzgeberische Leistung zu verzeichnen. Das Reichswehrgesetz 1921 fixiert nur das schon 1919 festTeil B, IX. Reichsrats-Prot. 1920, § 737. 25 DJZ 1921, Sp. 300. Die Feststellung Kochs stützt folgende aus den Reichsratsprotokollen zu ersehende Tatsache: die Erhöhung der Teilnehmerzahl an den Plenarsitzungen 1921 - ganz abgesehen vom Eintritt preußischer Provinzialvertreter -, die einem verminderten Vorlagenpensum gegenübersteht. 14

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gesetzte. Das Reichsversorgungswesen ist wie das Arbeitsnachweis- und Schlichtungswesen schon 1919 von Reichs wegen geregelt. Der Ausbau des Reiches stagniert in der Zeit von 1921 bis Ende 1923 trotz der ungeheuren Notlage des Reiches. Konstruktive Initiativen der Länder über ihre föderalistisch-retardierende Einflußnahme hinaus - gibt es nicht. Auch von Preußen ist in dieser Zeit allgemein kein bedeutenderer Beitrag zur Reichsgesetzgebung nachweisbar, als daß es beim Ausführungsgesetz zum Art. 18 vom 8.7.1922 (RGBl. 1. S.545) nach jahrelang sich hinschleppenden Verhandlungen im wesentlichen - wie Schoppmeier eingehend zeigt27 - seine Vorstellungen durchgesetzt hat. Für das Stocken der Reichsgesetzgebung und des Ausbaus der Reichsverwaltung ist selbstverständlich wesentlich mitverantwortlich die prekäre Finanzlage des Reiches. Für die Reichsverwaltung wirkt sich weiter ihre Abwertung in der öffentlichen Meinung 1920/21 auf Grund der bei ihrem Ausbau zutage tretenden Schwierigkeiten ungünstig aus. Besonders die rasche Zentralisierung und Vereinheitlichung der Finanzverwaltung vom 1. Oktober 1919 bis 1922, die ohne Rücksicht auf die Verzögerung der Erhebung der zahlreichen neuen Steuern, die damit zusammenhängende geordnete Haushaltsführung des Reiches und der Länder und die ungeheuren personellen Schwierigkeiten erfolgt, erregt allenthalben scharfe Kritik. Dies wird zum Musterbeispiel gegen eine weitere Verreichlichung von Länderverwaltungen 28 • Die große Bewäh27 Schoppmeier, Karl-Heinz: Der Einfluß Preußens auf die Gesetzgebung des Reiches, Berlin 1929. Siehe vor allem Seite 65-72. 28 Zum Ausbau der Reichssteuerverwaltung s. die Rt-Dr. Nr. 644 vom 18. 10. 1920 und Nr.720 vom 25.10.1920 sowie Lassar: Reichsverwaltung. - Ein anschauliches Bild der Kritik, die die Reichssteuerverwaltung in dieser Zeit von den Ländern erfährt, vermitteln die Reden auf der Stuttgarter Konferenz der süddeutschen Regierungen am 10.4. 1920. Zum Konferenz-Prot. s. Anm.2. Auch der RMdI Koch übt Kritik am radikalen Aufbau der Reichsfinanzverwaltung (in DJZ 1921, "Vereinheitlichung und Vereinfachung der Reichsverwaltung" , Sp. 283), und zwar speziell daran, daß man "ohne übergangsfrist alle Steuerinstanzen zu reichseigenen machte und die an manchen Stellen guten, an manchen Stellen wenigstens brauchbaren Landessteuerbehörden zerschlug", anstatt die Steuereinschätzung und -hebung wenigstens zunächst Landessteuerbehörden zu überlassen. Daß allerdings gerade die von Erzberger veranlaßte radikale Neuorganisation vom personalpolitischen Interesse der Reichsregierung her eine Situation ergibt, wie sie kaum günstiger vorstellbar ist, wird nirgendwo erwähnt. Allgemein erhält die Reichsregierung nach 1918 bei dem Aufbau der vielen neuen Behörden und der Umorganisation der überkommenen die Chance zu einer wirkungsvollen Personalpolitik, wie sie sich den Länderregierungen - mit Ausnahme der thüringischen Regierung - gegenüber ihrer Beamtenschaft nicht im entfernten bietet, nachdem sie die Rätebewegung so übereifrig abgewürgt haben; in Thüringen kommt im Zuge des Zusammenschlusses, einer erfolgreichen Reichsreform, der alte Apparat in Bewegung. Das bedeutet keine Rechtfertigung der konservativen Personalpolitik der süddeutschen Länderregierungen, wo es nie zu einem politischen Beamtentum im Sinne der Mehrheitsparteien kommt; in Bayern ernennt der SPD-Innenminister Endres 1919

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rungsprobe leistet der neue Verwaltungsunterbau des RFM erst bei der Währungsreform im November/Dezember 1923, einer Aktion, bei der alles auf die Einheitlichkeit und Schnelligkeit der Maßnahmen ankommt. Der RMdI Koch findet am Aufbau der Reichssteuerverwaltung gleichfalls Mängepu. Aber die allgemeine Ausdehnung der Reichsverwaltung, gegen die in der Öffentlichkeit mit dem Schlagwort des "Wasserkopfes Berlin", der alles an sich ziehe, polemisiert wird, sieht er in der ungeheuren Vermehrung der Aufgaben der Reichsverwaltung begründet. Er fügt hinzu: "Merkwürdigerweise beschäftigt sich mit dem Anwachsen des Verwaltungsapparates in den Ländern die öffentliche Meinung fast gar nicht 30 ." Er hält zum Beispiel das preußische Wohlfahrts- und das preußische Handelsministerium für überflüssig; mit dieser Meinung steht er, wie eine Denkschrift des PrMdöA Oeser von Anfang 1921 zeigt3" nicht allein. Der RFM setzt sich selbst gegen einen weiteren Ausbau der Reichsverwaltung in der bisherigen Form und in dem bisherigen Tempo ein .. RFM Wirth bekundet dem PrFM gegenüber schon am 5.7.1920 als seine Meinung, "daß den Versuchen, immer wieder neue Behörden, insbesondere etatsmäßige Behörden zu schaffen, schärfstens begegnet werden muß 32 ." In dem zusammen mit der Stärkung der Stellung des RFM33 am 9.10.1920 vom Reichskabinett beschlossenen Programm zur Verringerung der Ausgaben des Reiches wird die Errichtung von neuen Reichsverwaltungsbehörden ausdrücklich daran gebunden, daß sie von unbeeinen Pöhner zum Polizeipräsidenten, und im Württembergischen Staatsministerium empfindet man es nur zeitweilig als "unerträglich, daß in den Ministerien ... Leute, die den Koalitionsparteien angehören, über die Achsel angesehen werden". (Der Staatspräsident und Kultusminister Hieber von der DDP unterstützt mit diesen Worten die verspätete Forderung des Arbeitsministers Keil von der SPD nach Demokratisierung der Verwaltung. WÜ. Staatsm.-Prot. vom 3. 10. 1922. WüStAL. Zur württemb. Beamtenschaft s. auch: Dehlinger, Alfred: Württembergs Staatswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung bis heute, Bd.2, Stuttgart 1953, S. 930; Besson, Waldemar:Württemberg und die deutsche Staatskrise 1928-1933, Stuttgart 1959, S.51) Die preußische Regierung zeigt, daß auch unter ungünstigen Voraussetzungen die überkommene Struktur der Beamtenschaft zu verändern ist (Siehe dazu: Behrend, Hans-earl: Zur Personalpolitik des Preußischen Ministeriums des Innern / Die Besetzung der Landratsstellen in den östlichen Provinzen 1919-1933, S.173-214 in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands Bd. VI, Tübingen 1957. Runge, Wolfgang: Politik und Beamtenturn im Parteienstaat - Die Demokratisierung der politischen Beamten in Preußen zwischen 1918 und 1933, Stuttgart 1965). Wie weit die Reichsregierung ihre günstigeren Bedingungen genutzt hat, ist bisher nur ungenügend bekannt. Z9 Siehe Anm. 28. 30 DJZ 1921, Sp. 293. 31 Vgl. Teil B, X, 6, Anm. 244. 32 Schreiben des RFM vom 5.7.1920 an den PrFM etc. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 856 Nr. 576. 33 Siehe Rt-Dr. Nr. 278 v. 13. 10. 1920.

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dingten Lebensnotwendigkeiten des Reiches her zu begründen sind3•• Der RFM bemüht sich jetzt, die bisher weitgehend wild gewachsenen Reichsverwaltungsbehörden zusammenzufassen und möglichst nur noch systematisch ausbauen zu lassen. In diesem Sinne setzt sich der vom November 1920 bis zum Januar 1921 amtierende Reichskommissar Carl, der Präsident des Landesfinanzamts Unterweser, für die Erhebung der Landesfinanzämter zu einheitlichen Bezirksbehörden ein 35 • Der RMdI unterstützt diesen Gedanken teilweise 38 • Nach seiner Meinung ist bei der Schaffung der Landesfinanzämter, die er mit Carllieber als "Reichsbezirksämter" bezeichnet haben möchte, beabsichtigt, "ihnen in ähnlicher Weise die Zuständigkeit für die Reichsangelegenheiten zu übertragen, wie sie für die Landesangelegenheiten dem Regierungspräsidenten zusteht, der für fast alle preußischen Ministerien arbeitet." Auch er wendet sich gegen die Praxis der Reichsministerien, sich selbständige Unterbehörden zu schaffen, anstatt sie den Landesfinanzämtern einzugliedern. Er wünscht weiter, daß wie die Landesfinanzämter auch die Finanzämter Zwecken aller Zweige der Reichsverwaltung dienstbar gemacht werden. Zugunsten einer solchen Rationalisierung der Reichsverwaltung setzt sich auch die 1921 unter dem Vorsitz des RMdI amtierende "Kommission zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Reichsverwaltung" ein. Zur Frage des Unterbaus der Reichszentrale beschließt sie auf ihrer Tagung am 30.4.1921 37 : "Das Reich bedient sich zur Ausführung seiner Aufgaben grundsätzlich der Landes- und Gemeindeverwaltungen. Ein Unterbau des Reiches durch neue Bezirks- und Ortsbehörden ist zu vermeiden. Aufgaben wirtschaftlicher und finanzieller Art, die sich aus besonderen Gründen zur übertragung an Landesbehörden nicht eignen, können aus den Ministerien an die Landesfinanzämter und Finanzämter übertragen werden. Selbständige wirtschaftliche Reichsstellen, die außerhalb Berlins bestehen, sind möglichst zu beseitigen oder den Finanzämtern anzugliedern." - Die Reichsfinanzbehörden gelangen jedoch über die Angliederung von Reichsschatzbehörden nicht hinaus. Sie scheitern schon 1920/21 bei dem Versuch, die bei der Auflösung des Staatskommissariats für Volksernährung frei werdenden Ernährungsbehörden zu absorbieren. Der RMdI Koch bemüht sich augenscheinlich 1921, den Landesfinanzämtern die zunächst den Reichskommissariaten zugedachte Rolle zu übertragen, wenn er im Reichstag davon spricht, daß durch sie "eine kontrollierende Instanz des Reiches"38 den Ländern gegenüber zu erreichen wäre. Siehe Vorwärts v. 11. 10. 1920. Rt-Prot. Bd.348, 9.3. 1921, S.2785, passim. - Zur Reichsverwaltungsreform s. auch Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 522 ff. 38 In der DJZ 1921, Sp. 295. 37 Zit. nach der Kreuz-Zeitung v. 1. 5. 1921, Nr. 201. :18 Rt-Prot. Bd.348, 9.3.1921, S. 2785 f. Vgl. dazu Poetzsch-Heffter, Fritz: 3.

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lU Eimers

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In der Praxis laufen die Reichsverwaltungsreformbestrebungen auf einen Abbau der Reichsverwaltung hinaus. Im Sinne einer Einschränkung des Behördenapparates des Reiches wirkt zunächst vor allem der 1922 auf Betreiben des RFM Hermes eingesetzte Reichssparkommissar Sämisch,u der vorher das Amt des PrFM bekleidet hat. 1924 übernimmt eine Verwaltungsabbaukommission speziell diese Aufgabe. - Sämisch widmet sich gleichfalls der Doppelarbeit von Reichs- und preußischen Behörden. Änderungen erreicht er jedoch nicht, vor allem fehlt ihm der Einfluß auf Preußen. - Von dem Beamten- und Behördenabbau wird 1922/23 besonders die Wirtschaftsverwaltung des Reiches betroffen. Das Wiederaufbau- und das Reichsschatzministerium werden aufgehoben und die noch verbliebenen Unterbehörden des RWiM - wie Reichswirtschaftsstellen, Außenhandelsstellen und Kohlenverteilungsstellen aufgelöst. Das RWiM ist 1923 wieder fast wie das Reich vor der Einführung der Zwangswirtschaft auf die Funktion einer Dachbehörde in der Wirtschaft beschränkt, während sich die Länder des wieder wachsenden Einflusses ihrer im Kriege und besonders 1918/1919 beträchtlich ausgeweiteten Wirtschaftsbehörden erfreuen'o. Bei der Einschränkung der Reichsverwaltung 1922/23 und dem Scheitern der weiter auftauchenden Projekte neuer Reichsverwaltungsbehörden ist allgemein neben der Finanznot der Reichsregierung und der Unentschiedenheit des Reichstages in der Frage des weiteren Ausbaus des Reiches immer das Drängen der Länder zu beachten. Einen grundsätzlichen Erfolg gegenüber dem Reich erringt Bayern 1922 aus Anlaß der Republikschutzgesetzgebung. Bei dem Anliegen, die Reichsgewalt zu beschränken, wird die rechtsorientierte bayerische Regierung von Preußen wie von den übrigen Länderregierungen gestützt, obgleich diese wohlgemerkt in der Mehrzahl noch immer durch SPD-Politiker geführt werden. In den Verhandlungen zwischen bayerischer und Reichsregierung im August 1922 gesteht das Reich - abgesehen von den speziellen Konzessionen an Bayern - für die Aufhebung der verfassungswidrigen bayerischen Ausnahmeverordnung zu, daß gerichtliche und vor allem polizeiliche Schritte auf Grund der Republikschutzgesetzgebung im Einvernehmen mit den örtlichen Behörden erfolgen und das Reich seine Zuständigkeiten nicht weiter auf Kosten der Länder ausdehnen wird. Nach Abschluß der Gespräche bringt der Reichskanzler am 23.8.1922 zusätzlich in einem Schreiben zum Ausdruck41 , daß die Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, H. Teil (l. l. 1925-3l. 12. 1928) in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd.17, 1929, S.65. 30 Vgl. Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 527. 40 Facius, Friedrich: Wirtschaft und Staat / Die Entwicklung der staatlichen Wirtschaftsverwaltung in Deutschland vom 17. Jahrhundert bis 1945 (Schriften des Bundesarchivs Nr. 6), Boppard a. Rhein 1959, S. 114 ff. 41 Wiedergegeben bei Poetzsch, Fritz: Vom Staatsleben unter der Weimarer

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Reichsregierung "von den noch nicht ausgeschöpften Zuständigkeiten nicht ohne Not und, soweit möglich, nicht ohne Zustimmung des Reichsrats Gebrauch machen wird, und nicht willens ist, bisherige Aufgaben der Länder in die Verwaltung des Reichs durch neue Reichs-, Mitteloder Unterbehörden zu übernehmen." Das entspricht ihrer Erklärung in der Öffentlichkeit und der der bayerischen Regierung nach Abschluß der Verhandlungen. Dies Zugeständnis schließt nur nach der öffentlichen Erklärung der Reichsregierung die Begründung neuer Reichszentralbehörden nicht aus42 • Die Zusage der Reichsregierung hat keine verfassungsmäßige Rechtskraft; aber die Reichsregierung hält sich in den nächsten Jahren daran. IX. Das Verhältnis des Preußischen Staatsministeriums zur Reichsregierung vom Kapp-Putsch bis 1923 Mit dem Kapp-Putsch tritt die preußische Regierung wie die Reichsregierung auf den Druck aus den Gewerkschaften und aus der SPD selbst zurück. Die Gelegenheit, die sich der Reichsregierung hier vielleicht geboten hätte, bei der Neubildung der preußischen Regierung diese zur Hereinnahme von Mitgliedern des Reichskabinetts zu zwingen, wurde nicht ergriffen. Jetzt würde auch wahrscheinlich von der neuen bayerischen Regierung Kahr, trotz aller ihrer Sympathien für das Bismarck-Reich, gegen diese Personalunion mit der Phrase der drohenden Wiederherstellung der preußischen Hegemonie heftig opponiert worden sein. Es dient schon einem besseren Verhältnis von Reichs- und preußischer Regierung nach dem Kapp-Putsch, daß mit Hirsch, Heine und Südekum gerade die Minister aus dem preußischen Staatsministerium ausscheiden, deren Amtsführung die besondere Kritik der Reichsregierung hervorgerufen hat. An die Stelle von Hirsch tritt allerdings Braun, der der Reichsregierung auch schon genügend Schwierigkeiten bereitet hat; er verwaltet noch zusätzlich das Landwirtschaftsressort weiter. Dadurch, daß dies Ressort nicht extra mit einem Sozialdemokraten neu besetzt wird, stützt sich das übergewicht der SPD wie vor dem Ausscheiden Reinhardts wiederum nur auf das Mehrstimmrecht des Präsidiums aus der vorläufigen Verfassung. Das Finanzressort wird nicht wieder mit einem "Fachminister" besetzt, sondern der VPrLv-Abgeordnete Lüdemann von der SPD erhält es. Der PrMdI Severing gehört nicht wie Heine nur dem Reichstag an, sondern auch der VPrLv. Der Einfluß des preußischen Parlaments - oder, genauer, der dortigen SPD-Fraktion - ist also verstärkt. Verfassung (vom 1. Januar 1920 bis 31. Dezember 1924) in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 13, 1925, S. 89 f. 42 Die Erklärung der Reichsregierung ist abgedruckt a. a. 0., S. 89. 19"

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Für die Stellung des neuen Ministerpräsidenten Braun gegenüber dem Staatsministerium ist kennzeichnend seine Betonung der Präsidialrechte und der Rechte des Staatsministeriums gegenüber den Ressorts. Bewußt im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Hirsch nimmt er die Zügel der Regierungsführung straffer in die Hand!. Das drückt sich in den Staatsministerialsitzungen vor allem darin aus, daß er weit häufiger als Hirsch die Instruktion der preußischen Reichsratsstimmen durch das Kabinett vornehmen läßt. Braun ist für die Durchsetzung seiner Ansprüche als Ministerpräsident zweifelsohne eine Hilfe, daß er zusätzlich noch ein Ressort verwaltet. Die Verfassung vom 30. November 1920 behält die kollegialische Struktur des Staatsministeriums bei. Der Ministerpräsident hat nicht einmal ein Mehrstimmrecht, wie es ihm noch die vorläufige Verfassung gewährte und wie es die Reichsverfassung dem Reichskanzler gibt. Aus Anlaß der Auseinandersetzung über die Rückübertragung der Geschäfte des Staatskommissars für Volksernährung an das preußische Landwirtschaftsministerium im Januar 1921 spricht der Verfassungsausschuß ihm dies ausdrücklich ab!. Aber angesichts der Tatsache, daß Mehrheitsentscheidungen selten sind, ist diese Regelung nicht so gravierend. Anstelle des Mehrstimmrechts konzediert die neue Verfassung dem Ministerpräsidenten in Art. 46, daß er die Richtlinien der Regierungspolitik bestimmt, innerhalb derer jeder Staatsminister seine Geschäfte selbständig führt. Die Richtliniengewalt ist die Hauptgrundlage für seine größere Einflußnahme auf die Instruktion der Reichsratsstimmen. Für die Stellung des Ministerpräsidenten ist gleichfalls günstig, daß er nicht wie der Reichskanzler mit der Konkurrenz eines Staatsoberhaupts zu rechnen hat. Die Form der Regierungsbildung ist zunächst unklar, nachdem die neue Verfassung dem Landtagspräsidenten die Berufung der Staatsregierung genommen hat. Nachdem später der Ministerpräsident in Preußen der gleiche bleibt, vermag dieser auf Grund der Bestimmung des Art. 45, daß der Ministerpräsident die übrigen Staatsminister ernennt, verstärkten Einfluß auf die Besetzung der Ministerien gegenüber den Fraktionen zu gewinnen. Neben dem Ministerpräsidenten hat der PrFM weiterhin eine bevorrechtete Stellung im Staatsministerium. Das bestimmen Art. 67, Abs.2 der Verfassung, die Grundsätze vom 16.12.1921 3 und die Staatsministerialbeschlüsse vom 12.11. 1920 und vom 16.10.1923, die ihre Parallele in Reichsministerialbeschlüssen vom 9.10.1920 und 1922/244 zur Stärkung der Stellung des RFM finden. Das ist eine Folge der Finanznot. ! Siehe Braun: Weimar, S.110; vgl. Kuttner, Erich: Otto Braun, Berlin o. J. (1931). Z Rietdorf: Staatsministerium, S. 114 f. 3 a. a. 0., S. 111. , a. a. 0., S. 112.

IX. Staatsministerium - Reichsregierung

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Die Politik der preußischen Regierung ist entschieden auf die Stabilisierung des preußischen Staates ausgerichtet. Das demonstriert vor allem der Innenminister. Die Reden von Preuß gegen die Anschauung, daß immer nur die konzentrierte Kraft Preußens Deutschland auf die Füße zu stellen vermag, sind wirkungslos. Weiter zieht die preußische Regierung wie die süddeutschen Staaten aus dem Verlauf des KappPutsches offenkundig den Schluß, daß die Entscheidung über Sein oder Nichtsein der deutschen Republik in den Ländern fällt. Den grundsätzlichen Erklärungen nach setzt sich die preußische Regierung immer noch für den Einheitsstaat ein. Der neue Ministerpräsident Braun stellt sich in seiner Stellungnahme vom 30. März vor der VPrLv ausdrücklich auf den Boden des Programms, das sein Vorgänger am 25. März 1919 vor den Abgeordneten entwickelt hat5 • Im März 1922 erklärt Braun, der seit November 1921 wieder preußischer Ministerpräsident ist, vor dem ReichstagS: "Die preußische Regierung steht durchaus auf dem Standpunkt, daß sich die Entwicklung der staatsrechtlichen Verhältnisse in Richtung auf den deutschen Einheitsstaat bewegen soll." Die Richtung wird noch anerkannt, aber in der Praxis bremst die preußische Regierung die Vereinheitlichung des Reiches in wachsendem Maße. Als sich das Reich 1922 trotz der Baisse der Werte "Republik" und "Unitarismus" mit der Republikschutzgesetzgebung noch einmal zu einer bedeutenden Initiative aufrafft, und es zum Konflikt mit Bayern kommt, fühlt sich das preußische Staatsministerium am 8.8.1922 trotz aller sonstigen entschieden republikanischen Politik, bemüßigt zu erklären, daß es mit Bayern der Auffassung sei, "daß eine weitere Einschränkung der Hoheitsrechte der Länder für absehbare Zeit nicht mehr eintreten dürfte 7." Das Berliner Protokoll vom 11. 8.1922 8, in dem die Reichsregierung neben den speziellen Konzessionen an Bayern gerade dies zugesteht, ist wohl nicht nur auf bayerischen Druck zustande gekommen. Die preußische Regierung ist einerseits beherrscht von der ehrlichen Absicht, reichstreuer als die übrigen Länder zu sein, andererseits vertritt sie jedoch den Grundsatz, bei der Vereinheitlichung nur pari passu mit den anderen Ländern vorgehen zu können. Damit zahlt sich natürlich ihr grundsätzlicher Unitarismus im Laufe der Zeit immer weniger für die Reichsregierung aus. Der PrMdI Severing gibt zu Beginn seiner Ministertätigkeit am 26. 4. 1920 eine Erklärung zu den Verfassungsarbeiten ab, deren Grundtenor ist, daß es bei der Schaffung der preußischen Verfassung nur um die Vorarbeit für den Einheitsstaat geht9 • TatsächVPrLv-Prot. Bd. 8, 30. 3. 1920, S. 10507 f. Rt.-Prot. Bd. 353, 15. 3. 1922, S. 6266. 7 Preuß. Staatsm.-Prot. v. 8. 8. 1922, DZA Merseburg. 8 Wiedergegeben bei Poetzsch, Staatsleben, S. 83-86. • VPrLv-Prot. Bd. 9, 26. 4. 1920, S. 11002 f.

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Preußen - Reich (1920-1923)

lich bedeutet die preußische Verfassung vom November 1920 einen wichtigen Fortschritt in Richtung auf die Stabilisierung des preußischen Staates. Das Gewicht der preußischen Regierung differiert von dem jeder anderen Landesregierung, aber sie lehnt gestützt auf das preußische Parlament weiterhin jeden Sonderstatus für Preußen ab. Es ist nicht bekannt, daß die preußische Regierung und die Fraktionen - insbesondere die SPD-Fraktion - ihre Haltung zur differenzierten Behandlung Preußens im Sinne seiner Annäherung an ein Reichsland geändert hätten. Braun schreibt nachträglich in seinen Erinnerungen10 : "Immerhin habe ich mein auf die Einheit des Reiches gerichtetes Ziel auf dem mir unter den obwaltenden politischen Machtverhältnissen als allein gangbar und aussichtsreich erscheinenden Weg beharrlich weiter verfolgt, ohne das öffentlich besonders in Erscheinung treten zu lassen. Dieser Weg war: Personalunion der leitenden Regierungsstellen im Reich und in Preußen, reichspreußische Verwaltungsgemeinschaften auf allen wichtigen Gebieten mit ihrer aufsaugenden Wirkung auf die vornehmlich durch Reichssubsidien selbständig erhaltenen Kleinstaaten und spätere allmähliche organische Eingliederung der noch abseits gebliebenen Länder in den so ausgebauten einheitlichen Verwaltungs- und Wirtschaftskörper bis zur zweckmäßig organisch gegliederten Reichseinheit." - Daß Braun in der Zeit bis 1924 eine Personal- und Realunion von Reichs- und preußischer Regierung angestrebt hat, ließ sich aus den Akten nicht erhärten. Seine Praxis verrät keinen Unterschied zur Politik der übrigen preußischen Regierungsmitglieder. Dazu hat er systematisch gegenüber dem REM und RWiM Robert Schmidt (SPD) wie gegenüber dem REM Hermes vom Zentrum die Auflösung der Verbindung ihrer Reichsernährungsverwaltung mit der preußischen Verwaltung betrieben, der letzten noch bestehenden Verwaltungsgemeinschaft. In seiner Rede von 1927 über den Einheitsstaatl l wendet er sich immer noch gegen den Reichslandstatus, weil damit eine einseitige Vorleistung von der preußischen Regierung verlangt werde; die weitere Argumentation läuft darauf hinaus, daß die preußische Bevölkerung gegenüber den Angehörigen der übrigen Länder benachteiligt würde durch den Reichslandstatus Preußens. Es handelt sich hier um die 1919 bis 1921 ins Feld geführten Argumente. Im Gegensatz dazu konzediert er allerdings, was wohl auf dem Hintergrund seiner jahrelangen Erfahrungen mit den Reibereien zwischen Preußen und dem Reich zu sehen ist: " ... Ich gebe zu, daß sich im Wege der Verfassungsänderung durch die Erklärung Preußens zum Reichsland und der Personalunion der Reichs- und Staatsregierung ein Zustand schaffen ließe, der dem heutigen vorzuzie10

11

Braun: Weimar, S.359; vgl. S. 354 f. Braun: Einheitsstaat, S. 33 f.

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hen wäre." Es bleibt das Gegenargument, das schon 1918 eine Rolle spielte: "Indes würde dann das Schwergewicht der Reichspolitik in Preußen liegen, und es fragt sich, ob im Süden Deutschlands, wo solche Entwicklung leicht als Verpreußung des Reiches bezeichnet werden könnte, diese Lösung des deutschen Problems nicht auf heftigen Widerstand stoßen würde." Auf seiten der Reichsregierung tritt weiterhin vor allem der RMdI Koch für die engere Verbindung Preußens und des Reiches in Richtung auf den Reichslandstatus Preußens hin ein. Er hat die schwierigste Position gegenüber Preußen; Koch äußert im Mai 1921, kurz vor seinem Rücktritt zur Arbeit des RMdp:: "Die Reibungen, unter denen dieses Ministerium mit seinem fehlenden Unterbau leidet, liegen in dem Verhältnis zu den preußischen Ministerien." So hat besonders der RMdI Interesse an der Personalunion mit dem PrMdl. Die Regierung Braun und die kurzfristige Regierung Stegerwald sind auch außerhalb der Debatte um die Verbindung zwischen Preußen und dem Reich wie die Regierung Hirsch immer wieder bemüht, die ungleiche Behandlung Preußens gegenüber anderen Ländern abzuwehren. Nachdem die Reichsregierung die Schreiben des früheren Ministerpräsidenten Hirsch vom 11. 11. 1919, 22. 12. 1919 und 23.2.1920 in dieser Angelegenheit13 einer Antwort nicht für würdig befunden hat, schließt Braun in einem Schreiben vom 4. 5. 1920 an die Reichsregierung14 aus ihrem Schweigen auf ihre Zustimmung zu dem dort am Schluß aufgestellten Grundsatz. "Namens der Preußischen Staatsregierung beehre ich mich daher, hiermit ausdrücklich festzustellen, daß die Reichsregierung alle Zugeständnisse, die sie einzelnen deutschen Ländern in Reichsangelegenheiten, im Sinne der Vo·rzugsbehandlung dieser Länder, in Zukunft macht, auf Antrag der Preußischen Staatsregierung dann gleichzeitig auch Preußen machen wird." Unter Bezugnahme auf dies Schreiben erhebt Braun auf die Pressenachricht hin, daß der deutschen Gesamtdelegation in Spa ein besonderer bayerischer Vertreter als Mitglied beigegeben werden soll, am 22. 7. 19201s den gleichen Anspruch für Preußen. Der bayerische Vertreter reist allerdings nur als Ressortvertreter des Handelsministeriums; von preußischer Seite setzt neben dem PrMfHuG das PrMdI den Vertretungsanspruch durch. 1921 beansprucht die Regierung Stegerwald nach den Zugeständnissen der Reichsregierung gegenüber Bayern in der Frage der Aufhebung des Ausnahmezustandes das gleiche Recht für sichle. Mag das Vorbringen von glei11 13

DJZ, 1. 5. 1921, Sp. 288. Siehe Teil B, VII, 1.

14 Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums an die Reichsregierung etc. vom 4. 5. 1920. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 52 Bd. 1. 15 Vgl. Teil B, X, 1. 18 Vgl. Teil B, X, 1.

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chen Forderungen wie die Bayerische Regierung am Anfang mehr den Anschein der Warnung der Reichsregierung vor allzu großer N achgiebigkeit gehabt haben, so erscheint es jetzt eher als Ausdruck des preußischen Bestrebens, die eigene Position ohne Rücksicht auf die Vereinheitlichung auszubauen. Der Beschluß des Staatsministeriums vom 8.8.1922 allgemein gegen eine weitere Einschränkung der Hoheitsrechte der Länder für absehbare Zeit17 anläßlich des Konfliktes der Reichsregierung mit der bayerischen wegen der Republikschutzgesetzgebung und des Besuches des bayerischen Ministerpräsidenten, des Grafen Lerchenfeld, in Berlin im August 1922 zeigt die Opposition der preußischen Regierung gegen die Vereinheitlichung in dieser Zeit. - Nach den Zugeständnissen an Bayern kommt Ministerpräsident Braun am 25. August 18 auf die preußische Erklärung von 1919 zurück und verlangt die gleiche bevorzugte Behandlung wie Bayern. "Der Preußischen Regierung liegt jede Kritik des Verhaltens der Reichsregierung fern, sie ist auch von dem lebhaften Wunsch beseelt, in der jetzigen ernsten Zeit die Schwierigkeiten für die Reichsregierung nicht noch zu vermehren. Allein die fortgesetzte Einräumung von Sonderrechten wird für die übrigen deutschen Länder und insbesondere Preußen geradezu unerträglich, denn dadurch werden sie zu Ländern minderen Ranges degradiert." über die Verwirklichung seines Anspruches war nichts zu ermitteln. Angesichts der Zugeständnisse der Reichsregierung an Bayern in der Handhabung des Art. 48 1923/24 erhebt Preußen erneut entsprechende Forderungen; in diesem Falle setzt es sich teilweise durch l8 • Obwohl die preußische Regierung konsequent jeden Sonderstatus ablehnt, wird der Vorschlag einer Personalunion von Reichs- und preußischer Regierung 1920/21 in der Öffentlichkeit, in den Parteien und innerhalb der Reichs- und preußischen Regierung erneut vorgetragen. Anlaß dafür sind vor allem die fortdauernden Differenzen zwischen den Reichs- und den preußischen Ministerien. Seit Juni 1920 sind die Regierungen parteipolitisch unterschiedlich zusammengesetzt. Statt der SPD ist nun die DVP in der Reichsregierung vertreten. Daß die Reichsregierung von jetzt an weiter rechts steht als die preußische Regierung dient selbstverständlich nicht einer Besserung der Beziehungen. Eine Umbildung der preußischen Regierung ist mit den Preußenwahlen zu erwarten, die nach der Verabschiedung der preußischen Verfassung vorgesehen sind. Insbesondere die Rechtsparteien drängen, um den Trend der Wähler nach rechts möglichst zu nutzen, auf baldige Wahlen Preuß.Staatsm.-Prot. vom 8.8. 1922, DZA Merseburg. Schreiben des Ministerpräsidenten vom 25. 8. 1922 an den Reichskanzler. Abschrift. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 52 Bd. 1. 18 Siehe Teil B, X, 1. 17 18

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in Preußen. Die Rechte hofft nach den Reichstagswahlen vom Juni 1920, die DVP und DNVP einen Zuwachs an Abgeordnetensitzen im Reichsparlament von 63 von 421 im Jahre 1919 auf 136 von 459 bringen und den Weimarer Parteien eine Reduzierung der Sitze von 339 auf 215, auf einen ähnlichen Sieg bei den preußischen Landtagswahlen. Die DVP setzt sich erfolgreich in ihrem Sinne innerhalb der zusammen mit dem Zentrum und der DDP neugebildeten Reichsregierung Fehrenbach ein. Das Zentrum mit seinen nur geringen Verlusten im Reich braucht auch die Wahlen in Preußen kaum zu fürchten. Dazu hofft die Reichsregierung zu einer von den gleichen Parteien gebildeten preußischen Regierung ein besseres Verhältnis zu finden. Der Ansatzpunkt der Reichsregierung für die Einflußnahme auf die Festsetzung des preußischen Wahltermins ist der allgemeine Wunsch, die noch fälligen Reichstagswahlen in Schleswig-Holstein und Ostpreußen mit den Landtagswahlen gemeinsam abzuhalten 20 • Diese Versuche der Reichsregierung auf Einflußnahme sind allerdings vergeblich. Auf Grund eines Beschlusses des Ältestenausschusses der VPrLv vom 30.9.1920, die Wahlen drei Monate nach Fertigstellung der Verfassung stattfinden zu lassen, wird der Landtag am 20. 2. 1921 gewählt; die Reichstagsergänzungswahlen finden gleichfalls zu diesem späteren Termin statt. Die preußische Regierung weist ebenfalls einen Versuch der Reichsregierung ab, an den Beratungen über den Landeswahlgesetzentwurf beteiligt zu werden, bevor er an den Landtag geht21 • Das Wahlergebnis in Preußen fällt nicht ganz so ungünstig aus für die Weimarer Koalition wie im Reich. Obwohl Zentrum und DDP mit Blick auf den Rechtstrend den Vorschlag Brauns, gemeinsam mit der SPD den Wahlkampf für die Weimarer Koalition zu führen, ablehnen, behalten die drei Mittelparteien im Gegensatz zum Reichstag im Landtag eine knappe Mehrheit. Gegenüber dem Anteil von 305 von 402 VPrLv-Abgeordneten ist er allerdings jetzt auf 224 von 428 zusammengeschmolzen, und die Rechtsparteien haben ihren Anteil von 71 auf 133 vermehrt!!. Der Wahlkampf sorgt dafür, daß sich auch die Öffentlichkeit mit dem Verhältnis Preußen-Reich beschäftigt. Die Rechtsparteien bauschen im Wahlkampf den Gegensatz Preußen-Reich auf und legen ihn einseitig der "sozialdemokratischen Mißwirtschaft" in Preußen zur Last. Die DVP hebt die Notwendigkeit der Umbildung der preußischen Regierung entsprechend der Reichsregierung hervor. Ministerpräsident und Landwirt20 Siehe die Erklärungen des Reichskanzlers Fehrenbach im Reichstag am 27. 10. 1920, Rt-Prot. Bd. 345, S. 789 und des RMdI Koch vom 28. 10. 1920, S.842. Z1 Preuß. Staatsm.-Prot.v. 30. 9.1920, DZA Merseburg. 22 Die Zusammensetzung des Landtags ändert sich später noch, weil Oberschlesien bis 1922 durch die Abgeordneten aus der VPrLv vertreten wird. Durch den Anschluß von USPD-Abgeordneten an die SPD-Fraktion wächst diese von 114 auf 136 Mitglieder.

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Preußen - Reich (1920-1923)

schaftsminister Braun, der zugleich Mitglied der SPD-Reichstagsfraktion und des SPD-Vorstandes ist, leiht dieser Wahlkampfagitation wider Willen seine Hilfestellung durch die Auseinandersetzung mit dem REM Hermes (Z) und dem Reichskanzler Fehrenbach (Z) am 6.12.1920 vor dem Reichstag23 • Der Anlaß des öffentlichen Disputs ist die Ernährungspolitik, der Wahlkampfschlager der SPD. Das negative Echo in der Öffentlichkeit gibt der bisherigen Taktik der preußischen Regierung recht, die darauf ausgerichtet ist, Differenzen mit dem Reich möglichst nicht in der Öffentlichkeit auszutragen. Diese Reichstagsdebatte ist die erste und einzige ihrer Art. Zu der Auseinandersetzung äußert der DDPAbgeordnete Heile!': "Wer unsere Reichsminister im Vertrauen sprechen kann und die preußischen Minister, weiß, daß das, was sich dort neulich so sinnfällig abspielte, tägliches Erlebnis ist." Das ist etwas dramatisiert; gegenüber dem Zustand vor dem Kapp-Putsch hat die Spannung zwischen den beiden Zentralinstanzen sogar abgenommen. Die Verhandlungen über die Regierungsneubildung in Preußen, die sich bis zum 22. April hinschleppen, vollziehen sich in engem Zusammenhang mit den Verhältnissen im Reich. Die DVP drängt, nachdem sie an der Reichsregierung beteiligt ist, auch in Preußen zur Regierung, und wird dabei von Zentrum und DDP unterstützt. Diese müssen schon nachgeben, um nicht die Reichskoalition zu gefährden. Auf der anderen Seite wünschen Zentrum und DDP auch die weitere Regierungsbeteiligung der SPD; sie fürchten, daß sie sonst im Reich ihre wohlwollende Neutralität aufgibt und eventuell die Verhandlungen über das überschichtenabkommen im Ruhrgebiet gefährdet!5. Die SPD-Landtagsfraktion lehnt jedoch nach einigem Zögern die DVP ab, und in der DVP setzen sich die Befürworter einer Regierung unter Einschluß der DNVP durch. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, wenden sich daraufhin Vertreter der DDP oder des Zentrums - auf jeden Fall Anhänger der großen Koalition - an den Reichspräsidenten zur Vermittlung26 • Den Reichspräsidenten Ebert in Ermangelung eines Staatspräsidenten zu dieser Regierungsbildung hinzuzuziehen, liegt - ganz davon abgesehen, daß es vor allem um eine Revision der Haltung der SPD geht - deswegen nahe, weil Reichs- und preußische Seite ihn ja seit langem häufig zur Vermittlung in beide Seiten betreffenden wichtigen politischen Streitfragen einschalten!7. Vgl. Teil B, X, 2. DDP-Parteitags-Prot. 1920, S. 83. S Jansen, Robert: Die Regierungsbildung in Preußen, Berlin 1921, S. 12. !8 a. a. 0., S. 16. n Vgl. auch Geßler, Otto: Reichswehrpolitik in der Weimarer Zeit, hg. von Kurt Sendtner, Stuttgart 1958, S. 495. 23

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Die Besprechung des Reichspräsidenten mit den Landtagsabgeordneten Herold (Z), Siering (SPD) und Dominicus (DDP) in der Reichskanzlei28 , die sogar schon die Besetzung der einzelnen Ministerien berührt, hat den Erfolg, daß sich die SPD unter bestimmten Bedingungen bereit erklärt, eine große Koalition einzugehen. Die Koalitionsbildung scheitert nun hauptsächlich an neuen Manövern der DVp zo • - Erst nachdem der Weg über den Reichspräsidenten erfolglos endet, schlagen die Landtagsparteien den in der preußischen Verfassung angedeuteten Weg ein. Das Zentrum, als die größte Partei nach der SPD, beauftragt Stegerwald mit der Bildung einer Regierung, und der Landtag wählt ihn am 18. April zum Ministerpräsidenten mit allen Stimmen der DNVP, DVP, DDP, des Zentrums und der SPD. Die SPD macht ihre endgültige Zustimmung vom weiteren Verlauf der Kabinettsbildung abhängig30• Stegerwald vermag sich bei den von ihm geführten Koalitionsgesprächen schließlich doch nicht mit der SPD zu einigen, und stellt dem Landtag sein Amt wieder zur Verfügung, um sich von der Bindung an die SPD zu lösen. Er wird daraufhin am 21. April erneut - diesmal mit 227 gegen 122 Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt; da die Zentrumsfraktion - einschließlich der Deutschhannoveraner und der Polen -, die DDP und die DVP zusammen nur 172 Stimmen aufbringen, muß die DNVP hier wie auch bei dem am 22. April vorgestellten Kabinett ihre Unterstützung leihen. Bei den Verhandlungen über die Neubildung der preußischen Regierung ist erneut der Gedanke einer Personalunion von Reichs- und preußischen Ministerien im Gespräch. Er wird schon seit November 1920 im Hinblick auf die bevorstehenden preußischen Neuwahlen diskutiert. Der Vorwärts veröffentlicht am 3. November einen Leitartikel mit Vorschlägen von Gustav Radbruch zu einer engeren Verbindung von Reichs- und preußischer Regierung unter der überschrift "Reichsland Preußen"31, die, wie Radbruch sagt, im Kerne nicht ihm, "sondern einem führenden Mitgliede der Reichstagsfraktion gehören. Sie werden bei der demnächst stattfindenden gemeinsamen Aussprache unserer Fraktionen im Reichstag und Landesversammlung gründlich erwogen werden müssen". Wer hinter dem Artikel steht, ist nicht bekannt. Der Verdacht fällt als erstes auf die früheren SPD-Vertreter des Reichskabinetts Bauer, die ja allem Anschein nach die Denkschrift vom Januar von Koch unterstützt haben. Radbruch erklärt sich in seinem Artikel von den Bedenken der SPDMitglieder in der preußischen Regierung und in der VPrLv gegen die 28 Jansen, MdL und Hauptgeschäftsführer der Reichsgeschäftsstelle der DDP, berichtet eingehend darüber S. 16, a. a. O. 20 Jansen: Regierungsblldung, S.17. 30 a. a. 0., S. 21 und 28. 31 Vorwärts v. 3. 11. 1920, Nr. 134.

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Auflösung Preußens in Teilstaaten voll überzeugt, da auch nach seiner Meinung von diesen neuen Staaten ein ungleich stärkerer Widerstand gegen die Vereinheitlichung ausgehen würde als vom preußischen Gesamtstaat. - Diese Bedenken sind ja gerade wieder anläßlich der Auseinandersetzung um die Gewährung der bundesstaatlichen Autonomie an Oberschlesien diskutiert. - Er erklärt sich jedoch weniger überzeugt von ihrer Ansicht über den Weg zum deutschen Einheitsstaat. "Will Preußen erst mit allen anderen Staaten zusammen im Reiche aufgehen, dann wird, glaube ich, die Stunde des Einheitsstaates niemals kommen. Nein, Preußen muß als erstes unter den Ländern vorangehen, Preußen muß das Beispiel geben. Nicht mit einem Schlage, durch gleichzeitigen Verzicht aller Länder auf ihre Staatshoheit, sondern durch den Verzicht zunächst Preußens auf seine besondere Staatshoheit zugunsten des Reichs und durch die Anziehungskraft, die dann das Reichsland Preußen auf die anderen Länder ausüben wird, durch den allmählichen Anschluß eines Landes um das andere an dieses Reichsland wird der deutsche Einheitsstaat entstehen." Reichs- und preußische Regierung sind zu verschmelzen; denn: "Ein Gesetzgeber ohne Verwaltungsbefugnisse ist ein Raffael ohne Arme ... " Die Funktionen des preußischen Landtags haben die preußischen Abgeordneten des Reichstags zu übernehmen. Dieser "Kleine Reichstag" würde parteipolitisch ebenso zusammengesetzt sein wie der große. "Neben dem Kleinen Reichstag würde an der preußischen Landesgesetzgebung nach dem Vorbilde der Bestimmungen über die Reichsgesetzgebung auch ein ,Kleiner Reichsrat' beteiligt sein, zusammengesetzt aus den preußischen Mitgliedern des Reichsrats, die zum Teil von den preußischen Provinzialverwaltungen, zum anderen Teil auf Vorschlag der Reichsregierung vom Kleinen Reichstag zu bestimmen wären." Innerhalb des Reichslandes wäre stärkste Autonomie Selbstverständlichkeit. Bei diesen überlegungen ist vor allem ein Punkt wichtig. Radbruch zeigt, daß der Reichslandstatus die preußische Bevölkerung nicht unbedingt benachteiligen muß gegenüber den Bewohnern der anderen Länder; ein solcher Vorwurf klingt z. B. bei Heilmann 1919 anu , und auch Braun erwähnt ihn. Radbruch weist hin auf den Ausweg, die rein preußischen Aufgaben entsprechend dem Antrag Kardorff von 1869 durch die preußischen Abgeordneten des Reichstages wahrnehmen zu lassen. Braun nimmt 1927 zu diesem "Notbehelf, der ein selbständiges Parlament nicht ersetzen kann"aa, mit dem sicher auch 1920 verwandten Argument öffentlich Stellung: "Wie aber, wenn dieser preußische Ausschuß der preußischen Reichstagsabgeordneten der Regierung das Vertrauen entzieht, der Reichstag in seiner Gesamtheit es aber ausspricht! 32 13

Vgl. Teil B, VII, 1.

Braun: Einheitsstaat, S. 33 f.

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Was soll dann geschehen? Dann muß sich das preußische Volk von einer Regierung regieren lassen, die sein Vertrauen nicht besitzt." Von preußischer Seite äußert sich 1920 in der Öffentlichkeit wiederum wie 1919 nicht ein Regierungsmitglied, sondern nur der Präsident der VPrLv und Oberbürgermeister von Hannover, Leinen; er antwortet Radbruch am 24. November gleichfalls in einem Vorwärts-LeitartikeP4. Er weist zunächst auf die finanziellen Hindernisse hin, die seiner Meinung nach turmhoch sind und die Unterstellung Preußens unter die Reichsregierung als ein von ihr regiertes Land schon ausschließen. Diese Hindernisse sind: "Die Reichsfinanzgesetzgebung ist darauf zugeschnitten, den Ländern bestimmte Zuwendungen zu machen. Wie soll in Preußen durch Ausführungsgesetze, die das Reich machen würde, die Verteilung vor sich gehen?" Das zweite Argument, das er ins Feld führt, wendet sich wie das von Braun dem Kern der überlegungen Radbruchs zu und benutzt dabei geschickt die Erregung über die Autonomiebestrebungen. Leinert sagt u. a.: "Wie so oft in der Geschichte ist auch die Schaffung des Einheitsstaates nach der Revolution verpaßt worden. Durch die Idee des Reichslandes erhält der Einheitsstaat keinerlei Förderung, und ganz besonders nicht dadurch, daß man den preußischen Reichstagsabgeordneten gestatten will, die preußischen Angelegenheiten zu erledigen. Es würde sich bald herausstellen, daß die provinziellen und sonstigen Interessen, die die Länder wahrzunehmen haben, in Preußen nicht wahrzunehmen sind, weil es keinerlei Widerstand gegen irgend eine Anordnung des Reiches, die nach Ansicht der preußischen Abgeordneten für die von ihnen vertretene Bevölkerung schädlich sein würde, geben würde. Jetzt haben doch die Länder mit eigener Regierung noch die Möglichkeit, durch eigene Gesetzgebung und durch ihren Einfluß im Reichsrate die Reichsregierung zu bestimmen, bestimmten von ihnen vertretenen Anschauungen Rechnung zu tragen. Das würde in Preußen wegfallen. Und glaubt man etwa, daß die in Preußen vorhandenen 32 Millionen von dem im Artikel 18 an keine Frist gebundenen Rechte von diesem Reichslande loszukommen, keinen Gebrauch machen würden? Sie würden gerade dieses Reichsland wieder zerstören, weil die 8 bis 10 Millionen Menschen in der Rheinprovinz, die 5 oder 6 Millionen in Niedersachsen, die 4 oder 5 Millionen in Schlesien, in Ostpreußen usw. sich benachteiligt fühlen müßten, weil sie keinerlei Möglichkeit haben, auf die Geschicke des Reiches in derselben Weise einzuwirken wie die 5 bis 6 Millionen Bayern, die Württemberger, Hessen, Sachsen usw .... Also mit dieser Idee wird man den Einheitsstaat nur totschlagen, ihn aber nicht fördern." Er weist darauf hin, daß man durch den Anschluß der Kleinstaaten an größere Gebilde dem Einheitsstaat näherkommen könnte.U

Vorwärts v. 24. 11. 1920, Nr. 151.

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Preußen -Reich (192G-1923)

Die Initiative aus der SPD führt also nicht weiter. Auf seiten der DDP nimmt im Dezember auf dem Parteitag der DDP der Handelsminister Ramm zum Reichslandvorschlag Stellung35: "Der Gedanke scheint mir als Süddeutscher kaum annehmbar38, denn er brächte nicht die Gleichberechtigung aller Länder und Stämme und würde aus dem Reich wiederum machen, was wir daraus nicht machen wollen, eine Verlängerung Preußens, eine Unterscheidung der Reichsglieder nach der Intensität ihrer Beziehungen zum Reich und damit auch ihres Einflusses, statt einer auf die organische Gleichberechtigung und -verpflichtung dieser Glieder gegründete organische Gliederung und Zusammenfassung gleichberechtigter und wesensgleicher Teile zu einem Ganzen." Preußen wie Bayern fühlen sich also gleichermaßen benachteiligt. Die Zentralstelle für die Neugliederung des Reiches beschäftigt sich am 3.12.1920 mit dem Verhältnis Preußen-Reich. Koch und seine Vorgänger im Amt des RMdI wie die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer charakterisieren dies Verhältnis als unhaltbar und befürworten gleichfalls eine engere Verbindung zwischen Preußen und dem Reich durch die verschiedensten Formen der Personal- und Realunion37 • Die Position der preußischen Regierung in dieser Diskussion ist aus dem denkschriftartigen Schreiben des Staatssekretärs im Staatsministe35 DDP-Parteitags-Prot. 1920, S. 55. 38 Im Protokoll heißt es versehentlich .. unannehmbar". 37 Bericht des Badischen Gesandten in Berlin Dr. Nieser vom 7.12.1920. Bad GLAK, Bad. Ges. Berlin, 233/34827. - Diesen Weg empfiehlt gleichfalls das Gutachten, das von dem am 3. 11. 1920 eingesetzten Unterausschuß zur Preußenfrage im Oktober 1921 erstattet ist. Es ist abgedruckt in der aus Anlaß der Auflösung der Zentralstelle vom RMdI Severing den Ländern am 4. l. 1929 zugesandten Zusammenstellung über ihre Arbeit. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 45 Bd. l. - Im einzelnen schlägt das Gutachten - ganz im Sinne des RMdI - zur Abstellung der Schwierigkeiten im Verhältnis PreußenReich vor: a) Bezüglich der beiden Kabinette: 1. Die Personalunion zwischen Reichskanzler und Preußischem Ministerpräsidenten oder zwischen Vizekanzler und Preußischem Ministerpräsidenten. 2. Realunion zwischen Reichsministerium des Innem und Preußischem Ministerium des Innem. 3. Ein Minister ohne Portefeuille gehört gleichzeitig bei den Kabinetten an. 4. Falls auch dieser Vorschlag zu weitgehend ist: Teilnahme eines Reichsministers (des Reichsministers des Innem oder Vizekanzlers) an den Sitzungen des Preußischen Kabinetts und Teilnahme eines preußischen Ministers an den Sitzungen des Reichskabinetts. b) Bezüglich des Reichsrats: Preußen wird im Reichstag und in den wichtigsten Reichsratsausschüssen vertreten durch einen Verbindungsminister. Wünschenswert ist, daß dieser Minister mit dem Preußen bei den Sitzungen des Reichskabinetts vertretenden Minister (vgl. oben Ziff. 4) identisch ist. Das Plenum läßt dieses Gutachten leider ruhen.

IX. Staatsministerium - Reichsregierung

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rium Göhre vom 11. 4.1921 38 zu erschließen. Es ist im wesentlichen im PrMdI aus Stellungnahmen preußischer Ressorts vom Januar und Februar 1921 zusammengestellt. Das Schreiben ist eine verspätete Antwort an den Vorsitzenden der Zentralstelle für die Neugliederung des Reiches Graf Roedern auf seine Anfrage bei den einzelnen Ministerien zum Verhältnis Preußen-Reichsu • Die Kommission der Zentralstelle, die sich speziell mit Preußen beschäftigt, hat nach dem Schreiben Roederns an die preußischen Ministerien beschlossen, "Erhebungen darüber anzustellen, welche Schwierigkeiten sich nach der jetzigen verfassungsrechtlichen Gestaltung Preußens und des Deutschen Reiches aus dem Nebeneinanderbestehen der nicht mehr organisch verbundenen Regierungen Preußens und des Reiches ergeben haben". So ersucht Roedern die Minister um Mitteilung, ob sich in ihren Geschäftsbereichen "solche Schwierigkeiten aus der auf den neuen Verfassungen begründeten Art der Zusammenarbeit zwischen den Reichsministerien und den preußischen Ministerien ergeben haben, gegebenenfalls auf welchen Gebieten diese Schwierigkeiten hauptsächlich lagen und ob ihre Beseitigung durch Änderungen auf dem Weg der Gesetzgebung oder der Verwaltungspraxis bereits in den Kreis der Erwägungen gezogen worden ist". Auffallend ist an der Antwort des Staatsministeriums zunächst die Bagatellisierung der Differenzen zwischen Preußen und dem Reich. Da38 Die Stellungnahmen werden im PrMdI zu einer Gesamtdenkschrift zusammengestellt. Der PrMdI liefert den Vorspann für die Denkschrift und einen allgemein gehaltenen Passus speziell zum Verhältnis des PrMdI zu den Reichsressorts. - Schreiben des PrJM vom 27. 1.1921; er stellt für seinen Geschäftsbereich keine Schwierigkeiten fest. Schreiben des PrMfVW v. 10.2.1921; er äußert sich wie der PrJM. Demgegenüber geben der PrMdöA am 25.2. 1921 und der PrMfHuG am 20.1.1921 umfassende Zusammenstellungen von Differenzen. Der PrMfLDuF macht am 26. 1. 1921 eine ähnlich detaillierte Mitteilung über Schwierigkeiten, die sich in der Zusammenarbeit mit den Reichsressorts ergeben haben. Der PrFM äußert sich verspätet am 21. 3.1921 in einigen allgemeinen Wendungen. Der PrMfWKuV Hänisch hat die Verabredung nicht ganz verstanden, und er liefert im Februar (ohne genaues Datum) eine eingehende Denkschrift. - Die Stellungnahmen finden sich im DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 52 Bd. 1. - Der daraus zusammengestellte Entwurf einer Denkschrift für die Zentralstelle geht dem Ministerpräsidenten am 14.3. 1921 zu; am 11.4. 1921 sendet der Ministerpräsident sie der Zentralstelle zu und abschriftlich den Staatsministern. Die Abschrift ist im obenerwähnten Aktenband enthalten. - Die Denkschriften sind im Anhang als Quellen Nr. 3, 4, 5 und 6 wiedergegeben. 3U Schreiben des Vorsitzenden der Zentralstelle vom 8.12.1920 an den PrMdI etc. DZA Merseburg, Rep.77 Tit. 253 a Nr. 52 Bd. 1. - Der Zentralstelle ist nach diesem Schreiben vom RMdI die Frage vorgelegt: "In welcher Weise kann das in einer Anzahl preußischer Provinzen sich geltend machende Bestreben nach erweiterter Selbständigkeit befriedigt werden? Ist die Lösung nur im Wege unmittelbaren Eingreifens des Reichs auf Grund des Artikels 18 der Reichsverfassung oder durch unmittelbare übertragung der Ausführung einzelner Reichsaufgaben an die preußischen Provinzen oder durch preußisches Landesgesetz möglich?" Die Kommission, die von der Zentralstelle zur Vorbereitung des hierauf zu erstattenden Gutachtens eingesetzt ist, hat sich dann dem Verhältnis Preußen~Reich insgesamt zugewandt.

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Preußen - Reich (1920-1923)

für gibt es gerade bei den SPD-Ministern eine Vielzahl von Gründen. Unter anderem könnten ja besondere Schwierigkeiten eine Sonderbehandlung Preußens rechtfertigen. Dazu haben die preußischen SPDMinister kein Interesse, ihren Gegnern von rechts bei den Diskussionen in der Zentralstelle noch weiteres Material zu liefern. Im übrigen müssen sie darauf Rücksicht nehmen, daß sie den Reichspräsidenten nicht treffen, und schließlich ist die SPD ja erst etwa vor einem Jahr aus der Reichsregierung ausgeschieden. Noch weniger Interesse als die SPDMinister haben die Vertreter des Z und der DDP, deren Parteifreunde noch in der Reichsregierung vertreten sind, die politischen Gegensätze darzustellen. Dazu gibt es noch andere Rücksichten. Nur der ehemalige PrMdI Reine, der sich aus dem politischen Leben zurückgezogen hat, äußert sich offen über seine Regierungstätigkeit; seine Denkschrift geht Graf Roedern direkt zu und findet keine Berücksichtigung in der Denkschrift des Preußischen Staatsministeriums. In der preußischen Stellungnahme finden sich nur über einzelne Verwaltungsstreitigkeiten konkrete Angaben; sie gehen aus vom Landwirtschaftsminister Braun, der beim besten Willen den Gegensatz nicht vertuschen kann, und von den DDPMinistern Oeser und Fischbeck, die gleichfalls im Wahlkampf einzelne kleinere Differenzfälle verwerten. Die preußische Denkschrift sucht alle überlegungen, die eine Sonderbehandlung Preußens rechtfertigen könnten, zu widerlegen. Die "Ursachen der neu entstandenen Reibungsmöglichkeiten" zwischen Preußen und dem Reich sind nach der Denkschrift dieselben wie bei den übrigen Ländern. Reibungen können sich aus der Verschiedenheit der Majoritätsbildungen im Landtag und im Reichstag, aus der unterschiedlichen Zusammensetzung der Regierungen und aus dem "Mißverhältnis zwischen Zuständigkeitsfülle und Exekutionsschwäche im Reiche" ergeben. Die neuen Reibungsmöglichkeiten haben "weder in dem Verhältnis Preußens zum Reich ihre Wurzel", noch werden sie "durch die überragende Größe Preußens irgendwie beeinflußt". Preußen ist mit dem Fortfall der Personalunion "in das Verhältnis der anderen Länder zum Reich getreten" . Nachdem die Ursachen der Reibungsmöglichkeiten betrachtet sind, wird, ohne daß es logisch begründet ist, gefolgert, "daß tatsächlich Reibungen vermieden werden können, wenn die Reichsverwaltung sich streng an die Zuständigkeitsgrenzen hält ... " In diesem Zusammenhang beschwert sich das Staatsministerium besonders wegen Kompetenzüberschreitungen der Reichsverwaltung. Während sich nach dem ersten Abschnitt Reibungen vor allem als Folge der Parlamentarisierung und der Zuständigkeitsregelung ergeben können, ist nach dem anschließenden Absatz plötzlich die Mißachtung der Kompetenzen durch die Reichsverwaltung die Ursache von Reibungen. Diese einseitige Stellungnahme, die

IX. Staatsministerium - Reichsregierung

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kaum in den Gedankengang der Denkschrift paßt, ist von Staatssekretär Göhre aus dem Staatsministerium auf das Votum Stegerwalds40 hin in die von Staatssekretär Dr. Freund vom PrMdI verfaßte Denkschrift eingefügt. Dem letzten Absatz entspricht allerdings die Grundtendenz des folgenden Teils, der die Schwierigkeiten des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten, des Handels-, des Landwirtschafts- und kurz auch des Kultusministeriums mitteilt. Danach sind die Reibungen zwischen Preußen und dem Reich allein aus dem überschreiten der Zuständigkeit durch die Reichszentrale und aus der mangelhaften und zumeist nicht rechtzeitigen Kontaktnahme der obersten Reichsverwaltung mit der preußischen Zentralverwaltung bei irgendwelchen Maßnahmen erwachsen. Die Denkschrift deutet an, daß es ebenfalls Gegensätze "in großen Fragen der inneren und äußeren Verwaltung" gegeben hat, wie angesichts der Verhältnisse in den besetzten Gebieten, wegen des Verhaltens der beiderseitigen Regierungen beim Kapp-Putsch, der Bekämpfung der Selbstschutzorganisationen und der Dezentralisation, ohne hier genauere Angaben zu machen. Braun weist darauf hin, daß die "Ziele des beiderseitigen Vorgehens gleich waren, und daß die preußischen Wege durch die tatsächliche Entwicklung~icht berichtigt worden sind". Und er betont noch einmal sein besonderes Anliegen: "Soweit tatsächliche Reibungen anerkannt werden, muß gleichzeitig festgestellt werden, daß sie nicht spezifisch preußisch-deutschen Charakter tragen, sondern in der immanenten Schwäche jedes bundesstaatlichen Gebildes mit sehr stark entwickelter Zentrale ohne ähnliche starke Exekutive ihre Begründung finden. Es ist klar, daß eine radikale Änderung dieses Schwächezustandes allein in der übernahme der Exekutive durch das Reich und damit in dem übergang zum Einheitsstaat liegt. Nach den Erfahrungen, die mit dem übergang großer Verwaltungen auf das Reich gemacht werden, möchte ich vor einer überstürzung der Weiterentwicklung warnen." Die Bemerkungen zum "Schwächezustand" des Reiches sind nur zu wahr. Bemerkenswerterweise erkennt die Denkschrift den übergang zum Einheitsstaat als einen Weg zur überwindung der Ohnmacht des Reiches an. Aber im folgenden Satz ist dies Bekenntnis sofort wieder eingeschränkt. In der Praxis allerdings bremst Preußen nicht nur die Vereinheitlichung, sondern trägt dazu bei, daß sie vorerst überhaupt zum Stillstand kommt. Das geschieht vor. allem beim obenerwähnten Polizeiwesen, wo die Schwäche des Reiches am auffallendsten zutage tritt. 40 Schreiben des PrMfVW Stegerwald vom 31. 3. 1921 an den Präsidenten des Staatsministeriums. DZA Merseburg, Rep. 77 Tit. 253 a Nr. 52 Bd. 1. Das Schreiben ist unten im wesentlichen wiedergegeben.

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