Das Theater des Herrn Diderot: Teil 1/2 [2., verb. Aufl. Reprint 2021]
 9783112426500, 9783112426494

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DaS Theater

der

Herrn Diderot» Aus Sem Französischen überftzt

von

Gotthold Ephraim Lessing.

Erster Theil.,

Zweyte, verbesserte Ausgabe. Berlin, 1781. bey Christian Friedrich Avß und Sohn.

Äorrede des Uebersetzers, zur

erste« Ausgabe b oh 1760*

^^ieseö Theater des Herrn Diderot/ eines von den vornehmsten Verfasser«

der berufenen Encyklopädie, bestehet aus zwey Stücken, die er als Beyspiele einer neuen Gattung ausgearbeitrt, und mit seinen Ge­

danken sowohl über diese neue Gattung, als über andere wichtige Punkte der dramatischen Porste, und aller ihr untergeordneten Künste,

A a

der

Vorrededer Deklamation, der Pantomime, des Tan,

zes, begleitet hat. Kenner werden in jenen weder Genie noch Geschmack vermissen; und in diesen überall

den denkenden Kopf spüren,

der die alten

Wege weiter bahnet, und neue Pfade durch

unbekannte Gegenden zeichnet.

Ich möchte wohl sagen, daß sich, nach dem Aristoteles, kein philosophischerer Geiss Mit dem Theater abgegeben hat, als Er.

Daher sieht er aach die Bühne seiner Sta­

tion bey weitem auf der Stufe der Vollkom» menheit nicht, auf welcher sie unter uns die

fchaalen Köpfe erblicken,

an deren Spitze

der Prof. Gottsched ist.

Er gestehet, daß

ihre

Vorrede. ihre Dichter und Schauspieler noch weit von der Natur und Wahrheit entfernet sind; daß beider ihre Talente, guten Theils, auf klei­

ne Anständigkeiten, auf handwerksmäßigen

Zwang, auf kalte Etiquette hinauslaufen k.

Selten genesen wir eher von der veracht« kichen Nachahmung gewisser franzöflschen

Güster, als bis der Franzose selbst diese Muster zu verwerfen anfängt. Aber ost auch

dann noch nicht. Es wird also darauf ankommen, ob der

Mann, dem nichts angelegener ist, als daS Genie in seine alte Rechte wieder einzusetzen,

aus welchen es die mißverstandene Kunst ver,

drenget; ob der Mann, der es zugestehet, A 3

daß

Vorrede. daß das Theater weit stärkerer Eindrücke fähig

ist, als man von den berühmtesten Meister»

stücke» eines Corneille und Racine rühmen kann; ob dieser Mann bey uns mehr GehFv findet, als er bey seinen Landsleuten gefun,

den hat.

Wenigstens muß es geschehen, wenn auch wir einst zu den gesitteten Volkern gehören

wollen, deren jedes seine Bühne hgtteUnd ich will nicht bergen, daß ich mich

einzig in solcher Hofnpng der Übersetzung dieses Werks unterzogen habe.

«Vorrede

Vorrede des Ikbersetzers, i« dieser

zweyten

Ausgabe.

^?ch bin ersucht worden, dieser UeberfejUNg

öffentlich meinen Namen zn geben.

Da es nun vorlängst unbekannt zn seyn

nufgehöret hat, daß ich wirklich der Versah

scr

derselben bin; da ich mich des Fleißes,

den ich dararrf gewandt habe,

und

des

Nutzens, den ich daraus gezogen, noch im­ mer mit Vergnügen erinnere: so sehe ich nicht,

Warum ich mich einer Anfoderung weigern

sollte,

die

mir Gelegenheit giebt, meine

A 4

Dank-

Vorrede.

Dankbarkeit einem Mann zu bezeugen, der an der Bildung meines Geschmacks so großen

Antheil hat.

Denn cs mag mit diesem auch beschaffen

seyn, wie cs will: so bin ich mir doch zuwohl bewußt, daß er,

ohne Diderors Muster

und Lehren, eine ganz andereRichtung wür,

de bekommen haben. Vielleicht eine eigenere; aber doch schwerlich eine, mit der am Ende mein Verstand zufriedener gewesen wäre.

Diderot scheint überhaupt auf das deut« fche Theater weit mehr Einfluß gehabt zu

haben, als auf das Theater seines eigenen Volks.

Auch war die Veränderung, die er

auf diesem hervorbringen wollte, in der That

weit schwerer zu bewirken,

als das Gute,

welches er jenem nebenher verschaste.

Französischen Stücke,

Die

welche auf unserm

Theater gespielt wurden,

stellten doch nur

lauter fremde Sitten vor: und fremde Git. tcn,

in welchen wir weder die allgemeine

mrnsch.

Vorrede. menschliche Natur,

noch unsere besondere

Volksnatur erkennen, sind bald verdrengt. Aber se mehr die Franzosen in ihren Stücken

wirklich finden, was wir uns nur zu finden einbildcn:

desto hartnäckiger muß der Wi­

derstand seyn, den ihre alten Eindrücke jeder, wie sie dafür halten, unnöthigen Bemühung,

sie zu verwischen oder zu überstempeln, ent­ gegensetzen.

Wir hingegen hatten es längst satt, nichts als einen alten Lassen im kurzen Mantel, und

einen jungen Geck in bebänderten Hosen,

unter ein Halbduzcnd alltäglichen Personen,

auf der Bühne hcrumtoben z i sehen;

wir

sehnten uns längst nach etwas beirrn, ohne zu wissen, wo dieses Bessere beckommen soll, te: als der Hausvater erschien.

In ihm

erkannte sogleich der rechtschafie Mann, was ihm das Theater noch eins so theuer machen

müsse.

Sey immerhin wahr, daß es seit­

dem von dem Geräusche eines nichts bedeutenden Gelächters weniger ertönte! A 5

Das wahre

Vorrede.

wahre Lächerliche ist nicht, was am lautesten

lachen macht; und Ungereimtheiten sollen nicht blps unsere Lunge in Bewegung sehen.

Selbst unsere Schauspieler fingen an dem Hausvater zuerst an, treffen.

sich selbst zu über«

Denn der Hausvater war weder

Französisch, noch btutfd): $r war blos mcnsch. ltch.

Er hatte nichts auszudrücken, als waß

jeder ausdrückcn konnte, der es verstand und fühlte,

Und daß jeder feine Rolle verstand uud

fühlte, dafür hatte nun freylich Dideror vor« ncuihd) gesorgt.

Wenn ich aber doch gleich»

wohl auch meiner Uebersczung ein kleines Ver­

dienst m diesem Punkte zuschreibe: so habe

ich, wenigstens bis itzt, von den Kunstrich«

tern noch keinen besondern Widerspruch zu

erfahren gehabt. Richt als ob ich meine Ueberfttzung frey

hon allen Mangeln haften wollt?; flicht als

ob

Bsrrebs.

ob ich mir schmeichelte, überall, auch da den wahren Sinn des Verfassers getroffen zu ha-

bcn, wo er selbst in seiner Sprache sich nicht

bestimmt genug ausgcdrückthat! Ein Freund zeigt mir nur erst izt eine dergleichen Stelle;

und ich bedaure, daß ich in dem Texte von diesem Winke nicht Gebrauch machen können,

Eie ist in dem natürlichen Sohne in dem

dritten Auftritte des ersten Aufzuges,

wo

Theresia ihrer Sorgfalt um Rosaliens Erzie.

huyg gedenkt.

„Ich ließ mir es angelegen

„seyn, sagt sie, den Geist und besonders den „Charakter dieses Kindes zu bilden, von weh „chem einst das Schicksal meines Bruders

„abhangen sollte.

Es war unbesonnen, ich

„machte es bedächtig.

Cs war heftig, ich

„suchte dem Sanften seiner Natur aufzuhcl.

„fen.„

Das es ist in allen vier Stellen inz

Französischen durch il ausgedruckt, welches «bett sowohl auf das vorhergehende enfapt, fluf Rosalien,

kann.

als auf den Bruder gehest

Ich habe es jedesmal auf Rosaliest

gezogen: qber es kann leicht seyn, daß es

dis

Borrede.

die beiden erstenmale auf den Bruder gehen, und sonach heißen soll. „Er war unbeson­ nen, ich machte sic bedächtig. Er war „heftig, ich suchte dem Sanften ihrer Natur „aufzuhelfen. Ja dieser Sinn ist unstreitig her feinere. Es kann jemand keinen einzigen solchen Fehler sich zu Schulden kommen lasten, und doch noch eine sehr mittelmässige Übersetzung gemacht haben!

Der

Der

natürliche Sohn, »der

die Proben der Tugend. Ein Schauspiel in fünf Aufzügen.

Nebst -er wahren Geschichte -es SrückS.

Interduin fpcciofa locis, morataque recte Fabula, nullius veneris, sine pondere 6t arte, Valdius oblectat populuin, meliusque moratur. Quam versus inopcs rerum nugseque canore.

Horatins de Arte Peet.

er sechste Band der Encyclopädie war oni

Licht getreten, und ich hatte mich ans das Land begehen, Ruhe und Gesundheit da zu suchen;

als eine Begebenheit, von eben so merkwürdiger; Umstanden, als merkwürdig die Personen derselben waren, die Verwunderung und das Gespräch der

ganzen Gegend ward.

Mm unterhielt sich sott

nichts, als von dem seltnen Manne, der das Glück, sein Leben für seinen Freund zu wagen, und leit

Math, ihm feine Neigung, feine Freyheit und feit»

Vermöge» aufzuvpfern, an Einem Lage gehalst

habe. Ich wollte diesen Mann kennen lernen. Ich

lernte rhn kennen, und fand ihn so, wie man niir ihn abgemalet hatte, finster und melancholisch. Vcr,

druß und Schmerz hatten aus einer Seele, in weit cher sie allzulange gewöhnet, nicht anders als mit Zurücklassung der Traurigkeit, scheiden können.

Er war, sowohl in seinen Unterredungen, als in B

seine«

feinem äusserliche» Betragen, traurig > ausgeuommen/ rocntt er von der Lugend sprach, oder dieEntzückun-gcu fühlte, die sie tu ihren eifrigsten Verehrer» hervorbringt. Alsdann war er, wie ganz verwandelt. Die Heiterkeit enkwiekelte sich auf seinem Gesichts. Seine Augen bekamen Glan; und Freundlichkeit. Seine Rede ward pathetisch. Cs war eine Kctka von strengen Ideen und rührenden Bildern, wodurch die Aufmerksamkeit in einem beständigen Feuer er­ halten, und die Seele außer sich selbst gesetzet ward. Aber so wie an einem neblichten und umzvgenm Herbsttage, die Stralen der Sonne aus einer Wvla ke hervorbrechcn, einen Augenblick glänzen, und sich wieder in den dunkeln Himmel verlieren: so ver­ lor sich auch gar bald seine Munterkeit wieder, und plötzlich fiel er in ein melancholisches Stillschwekgeii zurück. So war Dorvak. Cs sey nun, daß man ihtL für mich eingenommen hatte, oder daß es wirklich, wie man sagt, Menschen giebt, die dazu gemacht sind, einander, sobald sie sich erblicken, zu lieben r gnug, er empfing mich mit einer so offenen Art, die sonst zebermann, nur mich nicht befremdete; und sobald

sobald ich ihn junt zweytenmale sahe, glaubte ich tmt ihm, ohne Unbescheidenheit, von seiner Familie, und von dem, was sich kürzlich daritttt zugetragen hatte, sprechen zu dürfen. Er that meinen Fragen ein Gnüge. Er erzehlte mir seine Geschichte. Ich Zitierte mit ihm wegen der Proben, aus die ein ehr­ licher Mann oft gestelick wird; und sagte zu ihm, baß ein Schauspiel, ZU dessen Inhalte man diese Proben wählte, auf alle, die Empfindlichkeit und Lugend und irgend eineit Begriff voll der mensch­ lichen Schwachheit haben, einen grossen Eindruck Machen müßteAch! antwortete er mir seufzend; mein.Batet hat mit Ihnen einerley Gedanken gehabt. Einige Zeit nach seiner Ankunft, als eine ruhigere und sanftere Freude auf unsere Entzückungen zu folgen anfing, und wir das Vergnügen, einer an des ana been Seite zu sitzen, genossen, sagte er zu mir; „Dorval, täglich spreche ich Mit dcM HittiMel j,von Rosal,en und von dir. Ich danke ihm, daß ^,rr euch bis zu meiner Zurückkunft erhalten hat; aber z,vornehmlich, daß er euch unschuldig erhalten hak» rMch, mein Sohn, ich werfe nie meinen Blick B s 5>W

k,aufRssalic», ohne mich über die Gefahr, dis „du gelaussen bist, zu ciiifttzc». Je mehr ich sis „sehe, je rechtschaffner und schöner ich sie sinder „desto grösser erscheinet mir diese Gefahr. Aber der „Himmel, der heut über uns wacht, kann uns mvr„gen verlassen- Keiner von uns kennet sein Schicks „sal. Silles, was wir wissen, ist dieses; daß wir Lew „Nachstellungen des Lasters immer mehr und mehr „entkommen, je weiter das Leben fortrückt. Diesö „Betrachtungen mache ich, so oft ich mich deinen „Geschichte erinnere. Sie trösten mich wegen dev „wenigen Zeit, die ich noch zu leben habe; imQ „wenn du wolltest, so könnten sie die Moral eines „Stückes seyn, dessen Inhalt ein Theil unseres Les „bcns wäre, und das wir unter uns auffuhrey „wollten. Ein Stück, mein Vater.' — —

„Ja, mein Sohn. Wir brauchten dazu keinv „Bühne aufzubauen; wir wollten bloß das Anden» „ken einer uns rührenden Begebenheit erhalten, und „sie so vorstellen, wie sie sich wirklich zugetragew „hat. — — Wir wollten sie jährlich, in diesem o-Hguse, in dieftm Saale erneuern. Was wir da»

r>mlö

.. ....... . ■ ■ - ....... ........... .......... —■! ■ I .... IR „mals gesagt haben, wollte» wir wieder sagen.

„Deins Kinder thäten ein gleicher,

und deiner

„Kinder Kinder, und deren Nachkommen. Auf die» „se Weise überlebte ich mich'selbst, und könnte des „Umgangs meiner Enkel von einem Alter rum au«

„dern geniessen. — Glaubtest dn nicht, Dorval, „daß ein Werk, welches ihnen unsere eigenen Ideen, „unsere wahren Empfindungen, die eigentlichen Rk«

„den überlieferte, die wir bey einem bvn den aller«

„wichtigsteir Umstanden unsers Lebens gehalten Hao „ben; daß so ein Werk nicht besser und nützlichen „wäre, als alle Familicngemalde, die nur eine out

sigenblickliche Verfassung unseres Antlitzes reigenS Und also verlangte» Sie von mir, Ihre 'Seele, meine Seele, die Seele der Theresia,

Des Llairvrlle, und derRosaliazu schildernAch, meiilvarer, Sieverlange» etwas,das mei­ ne Braste übersteiget, und Sie wissen sowohl!

„Höre ! Ich mochte meine Rolle noch gern selbst

„einmal, ehe.ich sterbe, spiele»; ünd in dieser Ab„sicht habe ich Arnolden gesagt, er soll die Klei-

„der, die wir aus dem Gefängnisse gebracht haben, etit einen Koffer schliessen.

) sr c

Mein Vftteu —

„Noch hab? ich von meinen Kindern nie eine abi „schlagliche Antwort erhalten; sie werden so spät „Nicht anfangen wollen — De» dieser Stelle verwandte Dorvak sein Ge­ sicht, um seine Thräne« zu verbergt«, und sagtst zu mir, in dem Tone eines Mensche«, der sich sei« ne« Schmerz nicht will merken lassen: — Das Stück ist gemacht — Aber Er, der cs bestellte. Er ist dahin! Nach einem kurze« Stillschweigen setzte ex hmz«: Ich hatte es liegen lassen, das Stück und batte cs beynahe vergesse«; aber man gab mir es so yst z« hören, ich lebte hierin« dem Wille« meines Vaters nicht.«ach, haß ich mich end­ lich überreden ließ, ^fuisiigen Sonntag werden wir uns das erstemal unserer Schuldigkeit — den«? als eine Schuldigkeit betrachten wir eseinMthig,—, damit entladenAch Dorval, ries ich, wen« (dj. dürste — —Ich verstehe Sie; war seine Antwort. Aber glaiw bcn Sie, das« «iq« Theresscn, Llflirville«, Tv>s fftheit so eine« Antrag thu« dürste? Der Inhalt des Stücks ist Ihne» bekamst; und Sie könne» sich leicht

Weicht cinbilden, daß verschleime Austritte darum Vorkommen, bey welchen die Gegenwart eines Freme hen in Verlegenheit setzen köiinre, Unterdessen, d« Wan die Anstalten im Saale m« überlassen hat';— jch verspreche Ihnen nichts; ich schlage w Lhqeir such nicht ab; ich will sehen. Hierauf gingen wir von einander. Cs war Montag, Er ließ mir die ganze Woche nichts sa­ gen. Aber des Sonntags früh, schrieb er mir: ^cut, mir dem Schlage drey, an der Gartenrhüre — Ich fand mich ein. Ich stieg durch daß Fenster in den Saal, und Dorval, der jedermann smf die Seite geschaft hatte, stellte mich in einer: Minkel, wo ich, ohne gesehen zu werden, das, Was nun folget, sehen und hören konnte. Den einWen lenren Auftritt konnte ich nicht hören, und

warum ich diesen nicht hören konnte, werde ich an seinem Orte sagen.

8)4

Namen

) «4 ( Zramm der wirklichen Personen des Stücks

Attd derjenigen. HchnusMcr, hio ihva.Trotte (auf

Lee staruöfischen Bübnc zu Naris) bekleiden

esnnten. ^yflwsntz, VattrdtSDürtzalund derRosalia . Hr.Sqs.razL«. DorvaL, deSLysimond natürlicher Sohn und

-

Freund des Clairville

Hr. Grandvall.

Dlosalia, Tochter deSLyßmond - Madem. Gaussin.

3. «feilte, der Rosalia Mädchen

Madem. Dangeville-.

Arnold, in Diensten des Lysimond

Hr. le Grand.

-

Hr. Armand,

Carl, Bedienter des Dorvak

Alarrville> Dowalö Freund und Liebhaber der Rosalia

-

-

-

Hr. Le quin,

Theresia, eine junge Wittwe/ des Clairville

Schwester

-

-

Wylv efter. Bedienter des Clau'vrsse

Madem. Clarrs«

-

-

-

Dinge andere Bediente aus dem Hause des ClanEt»

Die Scene ist zu Saint-Germain en Laye. Die Handlung fangt sich mit dem Tage Wer wird mich vor wie selber retten? —(Dsroal und Rosalia sahen einander e.itiii AnzenbUck stillschweigend an. Rosalia weihet bitterlich» Clairvilhr Wird angrrneldet.)

Silvester (zu Dorsal) Mein Herb/ Clairvilld verlangt Sie zn sprechen» Dorval. Rosalia)------ Aber et kömmt — Bedenken Sie doch! — Es ist Clairville. Es ist mein Freund. Es ist ihr Liebhaber»

Rosalia. Leben Sie wohl, Dorsal.

(Sie

Reicher ihm die Hand. Dorval nimmt sie, und laßt fein eit Mund traurig auf -re Hand fallen, und Rosalia suzt biiijiU

Leben Sie wohl!

Welch em Wort!

Dritter Auftritt. Dorval (allein) Wie schott schien sie mir in ihrem Schmerze! Wie rührend waren ihre Reitze l Ich hatte nicht Leben darum gegeben, wenn ich eine von dm Thrä­ nen, die aus ihren Augen stossen, hatte aufsamnieltt können. — j,Dorsal, das wissen Sie.,, — Dis­ fe

se Worte ertönen noch in dem Innersten meines Herzens.------- Sie werden mir sobald nicht aus Sem Gedächtnisse kommen.

Vierter

Auftritt.

Dorval. Llairville.

Llairville. Verzeihen Sie meiner Ungeduld. Nun, Dorval! — Dorval

(verräth Unruhe.

•gelingt ihm aber übel.

Er will sich

fassen; cd

Elairville, der in seinen Augen zu

lesen sucht, bemerkt es; allein er irret sich damit, un­ sagt:)

Llairville. Sie sind in VerwirrungSie sa­ gen mir nichts! Ihre Augen schwimmen in Thränen! Ich verstehe Sie, ich bin verloren l (Indem Elairville dieses sagt, wirft er sich feinem Freunde in die Arme.

Er verbleibt darinn einen Augenblick, ohne

zu

reden. Dorval vergießt einige Thränen über ihm, und Elairville, ohne sich and seiner Stellung zu bewegen,

sagt mit schwacher und stammelnder Stimme:) Was hak sie gesagt? Worinn besteht mein Verbrechen? Ich flehe, liebster Freund , machen Sie mir meilk Ende!

Dorval. Ich ihm sein Ende machen! Llairville. Sie stoßt mir den Dolch in die Brust; und Sic, der Einzige, der ihn vielleicht heraus reissen könnte, Sie entfernen sich! Sie überlassen mich, meiner Verzweissung! Von meiner Ee-

Geliebten verrathen! Von iiicineni Freunde verlassen k Was soll aus nur werden! Dvrval, Sie sagen Mir nichts!

Dorval. Was soll sch Ihnen sagen! —Ich fürchte mich, zu reden. Llairville. Ich fürchte mich «eit mehr, Sie Zu hören- Dem ohngcachtek reden Sie; wenigstens wird meine Marter mit einer andern abwechslen. — Ihr Stillschweigen dünket mich, m diesnn Augeiir Slick., die grausamste von allen.

Dorval (sich besinnend) Rosalia —

Llairvillc (ist eben dem Tone) Rosalia —

Dorval. Sie haben mir es wohl gesagt — scheinet wenig mehr von der zärtliche» Ungeduld z« Haben, die Ihnen ein so nahes Glück versprach. Llairville. Sie hat sich geändert! — Mak Wirft sie mir vor! Dorval. Sie hat sich nicht geändert, wenn Sie es so nehmen wollen — Sie wirft Ihnen nichts vor, — aber ihr Vater — Llairville. Hat ihr Vater seine Einwilligung 'wiederruffeil?

Dvrvak. Nein. Aber sie erwartet seine Zue Rückkunft. Sie fürchtet — Sie wissen es /a besser D al»

) f°

c

als ich, daß ei« wohlerzogenes Frauenzimmer nie ohne Furcht ist.

Llairville. Was für Furcht ka»n hier noch Statt finden? Alle Hindernisse sind gehoben. Es war ja einzig ihre Mutter, die sich unsern Wün­ schen widersetzte; sic ist nicht mehr, und ihr Va­ ter langet bloß darum an, unsere Verbindung zu vollziehen, sich unter uns niederzulassen, und seine Tage in seinem Vaterlande, in dem Schvvsse sei­ ner Familie, mitten unter seinen Freunden, ruhig zu beschliessen. Nach seinen Briefen zu urtheilen, wird sich der alte, verehrungswürtige Mann nicht viel weniger kränken, als ich. Bedenken sie nur, Dorval; nichts hat ihn aufhaltcn können; er hat keine liegenden Gründe verkauft; er hat sich in ei­ nem Alter von — achtzig Jahren, glaube ich — mit allen Habseligkeiten cingcschift, obgleich die Meere von feindlichen Schissen bedeckt sind. Dorval. Clairville, Sie müssen ihn erwarte». Sie könne» sich von der Gütigkeit des Vaters, von der rechtschaffnen Denkungsart der Tochter, von ihrer Liebe, von meiner Freundschaft, aller versprechen. Der Himmel wird cs nicht zugeben, daß Wesen, die er zum Trost und zur Aufmunte­ rung der Tugend ausdrücklich gebildet zu habe» scheinet, alle insgesamt, ohne ihr Verschulden, unglücklich seyn sollen.

Llair-

Llairville. Sw wollen also, ich soll noch leben? Dorval. Ob ich es will! - Wenn Clairville in dem Innersten meiner Seele lesen könn­ te !------ Mein ich habe Ihrem Verlangen ein Gnuge geleistet.

Llairville. Wie ungern höre ich das! Reisen Sie nur, liebster Freund'. Da Sie mich in den traurigen Umständen, tu welchen rch rnrch befinde, verlassen können, somüssen dieUrsachen, welcheJhre Abreise verlangen, wohl sehr wichtig seyn. Nur um einen einzigen Augenblick muß ich Sie noch bit­ ten. Meine Schwester ist, auf verschiedene nachtheilige Gerüchte, die sich von Rosaliens Glücks­ umständen, und von der Zurückkunst ihres Vaters verbreitet haben, wider ihren Willen ausgegangen. Ich habe ihr versprechen müssen, Sie so lange aufzuhalten, bis sie wieder nach Hause gekommen. Sie werden mir die Gefälligkeit erzeigen, und sie erwarten. Dorval. Was ist in der Welt, das Theresia nicht von mir erhalten konnte!

Llairville. Theresia! Ach! ich schmeichelte mir zuweilen — Aber lassen Sie uns diese Anschlä­ ge aufeine glücklichereZeit versparen! — Ich weis, wo sie ist- ich will ihre Rückkunft beschleunigen.



Fünft

) 5- c

F ü n ft e v

Auftritt,

Lorval flllciit. Bk» ich wohl der Unglückselige! — Ich flösse der Schwester meines Freundes eine geheime Leiden schäft em — 3cii lasse mich von einer sinnlosen Leideuschast gegen seine Geliebte überraschen;'sie des­ gleichen gegen mich — Was thue ich noch in einem Hause, das ick mit Verwirrungen erfülle? Wo ist die Rechtschaffenheit? Ist eine Spur von ihr irr meinem Betragen? (Er ruft, wie rasend) Carl! Earl'. — Es kömmt niemand. — Alles verläßt mich. (Er wiest sich in einen Lehnstuhl. Er verliest sich in Ge­ danken. Erbnchtvon pcit zn Zeit in folgende Worte aiiü. > —-

Wenn bas noch die Ersten waren, an deren Unglü­ cke ich Schuld bin! — Aber nein, ich schleppe überall das Unglück nach mir — Traurige Sterb­ liche, bejammernswürdiges Spiel des Zufalles!-----Trotzet nur recht auf euer Glück, auf eure Tugend! — Ich komme hierher, ich bringe ein reinesHerz mit— ja; denn es ist noch rein. — Ich finde drey vvnr Himmel beglückte Wese»; eine tugendhafte und ruhige Frau; einen feurigen und beglückten Liebha­ ber ; eine junge vernünftige und empfindliche Ge­ liebte. — Die tugendhafte Frau hat ihre Ruhe verloren. Sie nähret eine Leidenschaft in ihrem Herzen, die sie peiniget. Der Liebhaber ist voller-' Verzweiflung. Seine Geliebte wird unbeständig, lind wird dadurch nur Wglücklicher, — Hatte

ein

ein Bösewicht mehr Unheil stiften können! — O Lu, vet du alles lenkest, der du uticsi hierher ge­ führt, wirst du geruhen, deine Wege zu rechtferriaen? — Ich weis nicht roe ich bin. (Er schreiet Nochmals) Carl! Carl!

Sechster Austritt. Dorval.

Silvester.

Carl.

Carl. Mein Herr, es ist angespannt. CS ist olles fertig. (Hiermit geht er gleich wieder ab, Sylvester, (tritt herein) Madame ist eben wieder nach Hause gekommen. Sie wird gleich herunter kvmmen.

Dörval. Theresia?

Silvester. er ab)

Ja, mein Herr.

(Hiemit geht

Lavl (kömmt wieder herein und sagt zu seinem Herrn, der tbn;z mir übereinander geschlagenen Annen, anhörr iinfr betrachtet.’ Mein Herr, — (indem er tu feinen haschen, sucht) tch.werde über ihre Ungeduld selbst ganz vor-

nnr L — Es scheinet, dw »gesunde Vernunft hat dieses Haus ganz und gar verlassen. — Gott gebe, daß wir sie unrerwegens- wieder finden. — Ich dachte gar mcht mehr daran, daß tch einen Brief habe; und nun, da ich wieder daran denke, kann ich ibtt nicht finden. (Nach vielem Suchen findet ec endlich den Brief und giebt ihn Dorvaln)

Dorval. So gieb doch! (Carl tritt ab)



3

Sieben.

Siebender

Auftritt,

Dorval allein. (Erliefet)

„Scham und Gewissensbisse verfolge» Mich. — „Dvrval, Sie kennen die Gesetze der Unschuld.------ „Vin ich strafbar? — Netten Sic mich' — Ach, „ist hierzu noch Zeit? Wie beklaac ich meinen Var „ter! — meinen Water! — Und Clairvillc? ich „wollte ment Leben für ihn lasse» — Leben Sie „wohl, Dorsal; für Sie wollte ich tausend Lebelk „lassen------- Leben Sie wohl! — Sie fliehen, „und ich werde für Schmerz sterben.,, (Nachdem er dieses mit einer oft unterbrochnen Stimr rue und in der äussersten Unruhe gelesen, wirft er sich in den Lehnstuhl. Er schweigt einen Augenblick still. Hier­ auf blickt er mit verkehrten und zerstreuten Augen auf den Bnef, den er mit zitternder Hand hält, wrederhohlr ver-fchiedene Worte daraus, und sagt;)

„Scham und Gewissensbisse verfolgen mich,, — Ich, ich sollte errvthen; mich, mich sollten sie »ar gen. — „Sie kennen die Gesetze der Uitschuld,, — Sonst kannte ich sie! — „Bin ich strafbar?,, — Nein, ich, ich bin es. — „Sic fliehen, und ich „werde sterbe»,, — O Himmel! das ist mehr als ich ertragen kann! (Indem er aufsprjngt) Fort, den Augenblick fort vo» hier! — Ich will — ich kann nicht — Es wird finster in meinem Verstän­ de — Welche Nacht ist um mich her! — O Ro­ salia ! o Tugend! v Marter! t Nach

(Nachdem er einen Augenblick geschwiegen, richtet er sich, nicht ohne Muhe, auf. Er nähert sich langsam dem Tische. Er schreibet mir Noth einige Zeilen; mitten unter seinem Schreiben aber stürzet Art herein und schreiet':)

Achter

Auftritt.

Dorval. Lark.

Lark. Mein Herr, zu Hülfe! — Mörder! *-* Clairvrllr! (Dorval tzrkngt von dem Tische, an welchem er ge­ schrieben/ auf, laßt seinen Brief halb fertig liegen , rennet nach seinen: Degen , den er auf.einem Lehnstuhl findet, und eilet seinem Freunde zu Hülfe. Unter diesen Bewe­ gungen kömmt Theresia dazu z und ist nicht wenig betroffen, da sie sich sowohl voi/dem Herrn, alö von hem Bedienten Mm gelassen siehet.)

Neunter Auftritt, Theresia, (allein.)

Was soll diese Flucht bedeuten? — Er hat mich sollen erwarten. Ich komme; er verschwindet. — Dorval, Sie kennen mich schlecht. — Ich kann von der Schwachheit genesen — (Sie nähert sich de« Mische und wird den halbfertige» Brief gewahr) Ein Brief l (Sie nimmt ihn und liefet)

„Ich liebe Sie, und ich fliehe — ach, viel zu „spat! — Ich bin Clairvilleus Freund, — Die D' 4„Pflich-

)

;6

(

^Pflichten der Freundschaft, die heitigeii Eesetzö „der Gastfreyheit» — Himmel! wie groß ist mein Glück! — EslieLL Mich! — Dorsal- Sie lieben mich — «Sie gehet in ei8er freudigen Unruhe- «6.1 N.eiir>, Sie dürfm «ich t abreisen. — Ihre Furcht ist eine eitele Furcht; —» Ihre Gewissenhaftigkeit ist nichtig. — Sie hatzeiL Ärrine ganze Zärtlich keil. — Sie kennen wederThes resim, noch ihren Freund!— Nein, Sie keime« ihn nicht— Mer vielleicht- entfernt er sich schon, vielleicht flieht er de» Augenblick, da ich hier, rede — C®te verläßt dir Sernr- nicht. ohqe.Eilftrtizkeit)

Knds des Zve^ten. Autzugs-

) 57 c

Dritter Erster

Aufzug. Auftritt.

(Sie treten mit dem Hute auf dem Kopfe herein. Dor-.

Dal legt fernen Hut und Degen wieder auf den Lehnstuhl.)

Llairville. Glauben Sie mir, was ich gethan habe, würde jeder andrer a» meiner Stelle gethan habe».

Dorval. Ich glaube es. Aber ich kenne Clain Villen. Er ist hitzig.

Llairville. Ich war allznbetrübt, als daß ich leicht zu beleidigen gewesen wäre. — Aber was denken Sie von dem Gerüchte, dasLhcrcsicn auszugehen veranlaßte. Dorval. Hiervon ist itzt nicht die Rede.

Llairville. Verzeihen Sie mir. Die Name» kommen überein; man spricht von einem wcggenvnn menen Schiffe, von einem Alten, Namens Acrian—

Dorval. Ich bitte Sie, lassen Sic uns eine» Augenblick dieses Schiss, dieses Alten vergessen, um zu Ihrer Sache zu kommen. Warum wolle» Sie mir etwas verschweigen, wovon bereits jeder­ mann spricht, und das ich also doch erfahren muß.? Llairville. Ich wollte lieber, daß cs Ihne» eilt andrer sagte.

D 5

Don

Dorval. Aber ich will keinem andern glauben^ als Ihnen, Clairvilte. Weil Sie mich Henn durchaus zu reven nöthige»; es betrafSie. Dorval. Mich?

Clairville. Sie. Cs sind zwey der boshaftesten und ftiasien Seelen, gegen welche Sie mir zu Hülfe kamen. Dem einen bat Theresia, wegen der fchandlicksten Streiche, das .Haus verbieten müssen; und der andere batte eine Zeit lana Absichten auf Rosalien. Ich finde sie bey der Freundin, von wel­ cher sich meine Schwester eben wieder wegbegcben halte. Sie sprachen von ihrer Abreise; denn bier weis man alles. Sie zweifelten, ob Sie mir dazu Glück wünschen, oder mich deswegen beklagen soll­ ten. Sic waren beyde gleich erstaunt,

Dorval. Warum erstaunt? Llarrvrüe. Weil, wie der eine sagte, meine Schwester in Sie verliebt wäre. Dorval. Diel Ehre für mich r

Llairvrlle. Und der andere, weil Sie es selbst in die Geliebte Ihres Freundes waren. Dorval. Ich? Llarrville. Sie.

Dorval. In Rosalien?

Llair--

Llarrvillc. In Rosalien.

Dorval. Clairvillc, Sie sollten denken — Llnirvrllc. II) denke, daß Sie keiner Werrä-Iherey fähig find. (Boreal 0erräth Unruhe! Noch nie hat sich in Dvrvals Seele eine niederträchtige Gesiimung, noch in Clairvills Seele ein schimpflicher Verdacht geschlichen. Dorvnl. Verschonen Sie mich, Clairville. Llairvrlle. Ich lasse Ihnen Gerechtigkeit row derfahren. — Dafür warf ich auch Blicke des Um «inths und' der Verachtung auf sie. «Han-eiiic be­ trachtet Dorvalii mit solchen Blicken, und Boreal kann sie nicht anShalten. Er wendet denKopf weg, und bedeckt sich das Besicht mit den Händen.) Ich gab thuen zu verste­

hen, daß man den Samen der Niederträchtigkeit in sich selber Hagen müße, deremvcgcn man einen andern so leicht in Verdacht haben könne; daß ich von meiner Geliebten, von meiner Schwester, von meinem Freunde, überall wo ich Mich befände, nicht anders alv mit Achtung wollte gesprochen wis­ sen — Sie billigen doch wohl mein Betragen?

Dovvnl. Ich kann es nicht mißbilligen — Nein — Aber — Llnirvrlle, Ein Wort gab hierauf das andere. Sie gehen fort. Ich folge. Sie fallen mich a» —

Dorval. Und es wäre um Sie geschehe» gewe­ sen, wenn ich nicht zu Hülfe gekommen wäre! — Llcrixr

) Ä» c Gewiß, ich habe Ihnen mein Le­

Llairville. ben zu danken.

Dorval. Das will so viel sagen: einen Au­ genblick später, 's» wäre ich selbst Ihr Mörder

geworden.

Wie können Sie so reden? Sie

Llairville.

hätten ihre» Freund verlvhren, aber Sie wären doch geblieben, wer Sie sind.

Konnten Sie selbst einem

so unwürdigen Verdachte Vorbeugen? Dorval.

Vielleicht.

Sv schimpfliche Nachreden ver­

Llairville. hinderen?

Vielleicht.

Dorval.

Wie ungerecht sind

Llairville.

Sie gegen

sich selbst!

Dorval. gend,

Wie groß sind Unschuld und Tu­

und wie

dunkel und

klein ist öargegen

das Laster'.

Zweyter Dorval. Theresia.

Austritt.

Llairville.

Dorval —

Theresia.

mein Bruder —

welche Unruhe stürzen Sie uns. —

in

Ich zittere noch

über und über, und Rosalia ist halb todt.

Dorval

und

Llairville.

Rosalia!

(Dorval hält plötzlich wieder au sich) Llairville.

Llairvilie. Ich gehe, ich fliehe —

Theresia, (die ihn bey den, Stritte znntclhält) Justsi p.e ist bey ihr. Ich habe sie gesehen. Ich komme eben von ihr. Sey unbesorgt!

Llatrvtlle. Ich bin um sie — ich bin unt Dvrvaln äusserst besorgt. — Er ist so finster, so unbegreiflich finster! — In dem Augenblicke, da er seinem Freunde das Leben rettet! — Liebster Freund, wenn sie irgend einen Kummer haben, warum wollen Sie ihn nicht in den Schvoß eines Mcnsthe» au-sschütlen, der alle Empfindungen mit Ihnen theilet; der, wenn'er glücklich wäre, nur für seinen Dorval, nur für Rosalien leben wollte. Theresia

(indem sie einen Brief imS dem Busen zie­

mein Bruder, lies sein Geheimniß, lies Las meinige, und alle Nr Ansehen nach, die Ursache seiner Melancholie. het, lind ihn ihrem Bruder giebt) Jöst,

(Clairvüle nimmt den Brief und liefet ihn. Dorval siehet, da!) tt der Brief ist, deii-er.an RssuNen geschrieben: hur, uns rttfr-r)

Dorval. Brief!

Gerechter Himmel!

Cs ist menr

Theresia. Ja, Dorval. Sie dürfen nicht abreiscn. Ich weis alles. Es ist alles besorgt — Welche Bedenklichkeiten machten Sie $u einem Feinde unsers Glückes? — Sie liebten mich' — Sie schrieben es mir ! — Sie fliehen!

(Bey jedem dieser Worte erschüttert und quälet sich Dorval)

Dorval. Das mußte ich. Das muß ich noch. Ein grausames Schicksal verfolgt mich. Madame, dieser Brief — (leise) Himmel, was wollte ich sagen! Elairvill'e. Was habe ich gelesen? Mein Freund, mein Erretter wird mein Bruder! Wie sehr wird dadurch mein Glück, wie sehr meine Erkenntlichkeit wachsen!

Theresia. 0 so erkennen Sie doch aus diesen seinen freudigen Entzückungen, die Aufrichtigkeit seiner Gesinnungen und die Ungerechtigkeit Ihrer Besorgniß! Aber welche geheime Ursache vermag noch, Ihre Freude zurück zu halten? Dorval, wenn ich Ihre Zärtlichkeit besitze, warum besitze ich nicht auch Ihr Vertrauen?

Dorval

(in einem traurigen Tone und mit nieder-

geschlagenen Gebehrden)

Clülkville.

Llairville. Liebster Freund, Sie sind traurige

Dorval. Das bin ich.

Theresia. Reden Sie, zwingen Sie sich nicht länger! — Dorval, setzen Sie. doch einiges Dertrauen aufIbren Freund. (Dor-val schweigt noch im­ mer und Theresia fügt hinzu:) Aber ich sehe, daß Ihnen meine Gegenwart zur Last ist. Ich lasse Sie mit ihm allein.

Dritter

) tz (

Dritter Austritt Dorval. Llairville. Llairville. Dorval, wir sind allem. — Ha, ben Sie einen Augenblick zweifeln können, ob ich ihre Verbindung mit Thercsien billigen würde? — Warum, haben Sie mir ein Geheimniß aus Ihrer Neigung gemacht? Thcrcsien halte ich es zu gute; sie ist ein Frauenzimmer— aber Sie! — Sie antworten mir nicht. (Doroal höret mit nlederhangendem Haupte und über einander geschlagenen Armen zu)

Sollten Sie wohl befürchtet haben, daß meine Schwester, wenn sie die Umstände Ihrer Geburt erführe —

Dorval. re» ,

den

-'ohne fich ans seiner Stellung zu rüh­ Kopf blos gegen Clairville» gekehret)

Clairville, Sie beleidigen mich. Ich habe einen zu stolzen Geist, dergleichen Besorgnissen Raum zu ge­ ben. Wenn Theresia dieses Voruttheils fähig wä­ re, so würde sie, ich unterstehe mich es zu sagen, — meiner nicht würdig seyn.

Llairville. Verzeihen Sie mir, liebster Dor, »al; die hartnäckigeTraurigkeit, in die ich Sie ver­ senkt sehe, da alles Ihre Wünsche zu begünstigen scheinet — Dorval. (leise und mit Bitterkeit) Ja, ja, er gelingt mir alles ausnehmend schollLlairville.

) «f ( Llairville. Diese Traurigkeit beunruhiget, verwirret mich, und macht, daß ich'mit meine» Gedanken auf allerley Dinge verfalle. Ihrer ScitS rin wenig mehr Vertraue», würde wir eine Men­ ge falsche Vermuthungen ersparen. — Liebster Freund, Sie haben sich mir nie eröffnet — Dvrval weis von den süssen Ausschüttungen deS Her­ zens nichts; - feine in sich verschlossene Seele — Aber sollte ich Ihre Meinung endlich errathen Ha­ chen? Sollten Sie wohl befürchtet haben, daß, wenn mich Thercsens zweyte Hcyrath'dcr Halste eines Vermögens beraubte, das in der That garnicht an­ sehnlich ist, das mir aber nicht entgehen zu könnest schien — daß ich alsdenn nicht reich genug seyst möchte, Rosalien ju heprarhcn?

Dorval (traurig) Da kömmt sie, Liese Rosar lra'. — Clairvillc, benmhcn Sie sich den Eindruck zu unterhalten, den die Gefahr, in der Sie sich be­ funden , bey ihr machen müssen.

Vrcrker Auftritt» Dorval.

Llairville.

Rosalia. Justine.

Llairville. (indem er Rosalien entgegen za geben eilet) Ist cs wirklich wahr, daß mich Roialia zu verlie­ ren befürchtet hat? Daß sie für mein Leben gezittert hat? Wie theuer würde mir der Augenblick, welcher meinen Untergang drohte, wie theuer würde er mir senil,

) 8s ( seyn, wenn er den geringsten Funke» der Zuneigung in ihr wieder angefacht hätte!

Rosalia. Es ist wahr, Ihre Unvorsichtigkeit hat mich in die schrecklichste Angst gesetzek. ClaiwlAe. Wie glücklich bin ich! (Tr-wMRofuteü dl« Hand triff«!7 -5te sie zurück richt.) Rosalia. Halten Sie, mein Herr. Ich sehe es ein, wie sehr wir Dorsal» verbunden sind. Aber ich weis auch, daß dergleichen Vorfälle, sie mögen sich auf Seiten der Mannspersonen endigen wie sie wollen, für ein Frauenzimmer doch immer verdrieße siche Folgen haben.

Dovval. Mademoiselle, wir haben Len Han­ del nicht gesucht, wir sind so dazu gekommen , und die Ehre hat ihre Gesetze. Llarrvrlle. Ich bin voll Verzweiflung, Rosalia, daß ich Ihnen mißfalle» habe. Wer schlagew sie den ergebensten, den zärtlichsten Liebhaber uichk ganz nieder. Oder wenn Sie es beschlossen haben, so betrüben Sie wenigstens einen Freund nicht lan­ ger, der ohne Ihre Ungerechtigkeit glücklich seyn: würde, fldorval liebt Lheresien. Er wird wieder geliebt. Er wollte abreisen. Ein aufgegriffener Briefhat alles entdeckt. — Sprechen Sre ein Wort, Rosalia ; und sogleich vereinet uns alle ei» ewiges Band, Dvrvaln mitTheresicn, Clairvillen mit Ro­ salien; ein einziges Wort, und der Himmel wirk mit Seegen auf diesen Lag herabsehem E Rosa-

Rosalia, (indem sie in den Lehnstuhl zurückfallt.) Ich vergehe! Dorval und Llairville. stirbt!

O Himmel! sie

Llairville. (fallt Rosalien zu Füssen) Dorval (ruft die Bedienten) Carl! Sylvester! Justine!

Justine. (um ihr Fraulein beschäftiget) Da se­ hen Sie es nun, Mademoiselle — Sie wollten sich durchaus nicht inne halten — Ich habe es wohl vorher gesagt —• Rosalia (kömmt wieder zu sich,stehet auf und sagt:) Komm, Justine! Llairville (will ihr den Arm reichen und sie führen) Rosalia!

Rosalia. Lassen Sie mich — Sie sind mir verhaßt— Lassen Sie mich, sage ich.

Fünfter Auftritt. Dorval.

Llairville.

(Clairvilte laßt Rosalien gehen. Er ist Ivie unsinnig. Ergeht, er kömmt, er bleibt stehen. Er seufzet vor Schmerz und Wuth. Er stützet sich mit Dem Ellebogen auf die Rück­ lehne eines Stuhls, Die Hande so vor Dem Gesichte, Daß Die Ballen in Den Augen liegen. Er schweigt einen Augen­ blick, Endlich bricht es ans r) Llairvillk

Llarrville. Ist das so genug?— Das war also der Dank für meine Vekümmerniß? Das war der Lohn meiner Zärtlichkeit? „Lassen Sie mich! Sie sind mir verhaßtAch! (Erbricht in nwticiu lirre Tone der Verzweiflung aus; er gehr in äusserster Be­ wegung auf und nieder, und wiederhohlt mir verschiedenen, aber allezeit heftigen Veränderungen der Deelamation, die Worte:) „Lassen Sie mich! Sie sind mir ver­ haßt'.,) (Er wirft sich m einen Lehnstuhl. Er bleibt darinn einen Augenblick ohne zu reden, worauf er in einem hohlen und leisen Tone sagt:) Sie haßt Mich« Uttd

warum hasset sie mich? Was habe ich verbrochen? Ich habe sie zu.sehr geliebt. (Er schweigt abermals ei­ nen Augenblick. Er steht auf. Er gehet hin und wieder. Er scheinet sich ein wenig beruhiget zu haben, und sagt:)

Ja; ich bin ihr verhaßt. Ich sehe es. Ich fühl es. Dorval, Sie sind mein Freund. Soll ich mich ih­ rer entschlagen — und sterben? Reden Sie. Ent­ scheiden Sie mein Schicksal. (Carl kömmt herein. Clairville geht auf und ab)

Sechster Auftritt. Dorval.

Clairviüe.

Carl.

Carl (Sitternt> zu ClairvMen, den er in solcher Bewe? Stellt Herr — ClaivviUe (sieht ihn über die Achsel an.) Was giebts? Carl. Es ist unten int Hause ein Unbekannter, der mit jemand zu sprechen verlangt. E s Clatr/ .Zung erblickt.)

) er (

Clfttvvdle. (anfahrend) Laß ihn warten!

Rosalia. Ja, wenn Theresia alles» gebllcberr wäre, in der ehemaligen Eingezogenheit; vielleicht— Und auch das ist weiter nichts als ein eitler Gedan­ ke, der Ans beyde würde betrogen habe». Unsre Freundin wird unglücklich. Ma» fürchtet zu wenig füv sie zu thun. Die erste Hitze der Grvsmuth be­ geistert sich unsrer. Aber die Seit? die Zeit!------Madame, die Unglücklichen sind stolz, überlastig, argwöhnisch. Nach und nach gewöhnet man sich air den Anblick ihrer Betrübniß. Bald drauf wird man ihrer üb^rdrüßig. Wir wollen uns lieber der Ge­ fahr nicht auSsctzen, gegen einander ungerecht zu «erden. Ich habe alles verloren; lassen Sie uns Wenigstens unsere Freundschaft von dem Schisbruche rrk-

) «7 c retten. — Es scheinet, als ob ick dem Unglücke schon etwas zu danken horte. — Noch hat RvsaIist, von Th^'csiens Rathe nur immer unterstützt, ruchts gethan, worauf sie in ihren eigenen Augen Kvlz fvDt) könnte. Es. ift Zeit, daß sie es erfahre, messen )u- Ldcresiens und des Unglücks Lehren, fähig gemacht höben. Wollen Sw thr das einzige Glück, Las ihr noch übrig tst, das Glüch sich selbst kennen zu lernen, beneiden?

Theresia. Rosalia, Sie sind in einem Stande Von Entzückung; trauen Sie tiefem Stande mcht zu viel. Die erste Wirkung des Unglücks ist diese, Laß es die Seele verbauet; und dre letzte, daß es sie ln'ickt. — Sie, die Sie für sich und für mich, olles von der Zeit besorgen, besorgen Sie dentr ruchts von derselben für sich allein? —- Vedenkm Sw, Rosalia, daß das Unglück Sie heiliget. Wenn es mir jemals begegnen sollte, daß ich der schuldig gen Achtung gegen das Unglück, vergässe: so ennuern Sie mich meiner selbst, reden Sie, mache» Sie, daß ich mich meiner zum erstenmale schä­ me. — Mein Kmd, ich habe gelebt. Ich habe ausgestanden. Ich glaube das Recht erlangt zu ha­ ben, nur etwas Zutrauen zu dürfen; gleichwohl ersucke ich Sie nur, sich auf meine Freundjchaft ebetr so sehr, als onfibren Muth zu verlassen. Wenn Sie sich alles von sich selbst versprechen, und wen» Sie nichts von Neusten erwarten, sind Sie alsF 4 denn

denn nicht ungerecht? — Oder sollten Sic wohl vor den Begriffen von Woblthat und Dankbarkeit erschrecken? Schenken Sie meinem Bruder ihre Zärtlichkeit wieder, und Sie werden mir nichts, ich rverde Ihnen alles zu danken haben. Rosalia. Madame, hier ist Dorvas — Er­ lauben Sie, daß ich mich entferne. — Ich würde feinen Triumph nur um ein sehr weniges verherr­ lichen können. (Dorsal tritt Herein)

Dritter

Auftritt.

Theresia. Dorval.

Dorvas. Wir wollen ihr immer, Madame, das traurige Vergnügen lassen, ihrer Betrübniß ohne Zeugen nachhängen ;n können. Theresia. Sie werden Rosaliens Schicksal än­ dern können. Dorval, der Lag meines Glücks, kann der Anfang ihrer Ruhe werden.

Dowas. Erlauben Sie, Madame, daß ich frey mit Ihne» reden darf. Dorval will Ihne» sei­ ne geheimsten Gedanken anvertraucn, um sich da­ durch, womöglich, dessen, was Sie für ihn gethan haben, werth zu machen, oder wenigstens von Ih­ nen beklagt und belauert tu werden.

Theresia.

Theresia.. Wie, Dorval? Aber rcdenSie. Dorval. JH will reden. Ich bin cs Jhneit schuldig. Ich bin cs Ihrem. Bruder schuldig. Ich bin c§ mir selbst schuldig — Sic wollen Dorvals Glück; aber kennen. Sie ihn denn auch recht,, diesen Dorval? — Geringe Dienste, deren Werth ein junger wohlerzogener Mensch übertrieben hat; seine Entzückungen bey dem Anscheine einiger Lugenden; feine Empfindlichkeit für einige von meinen Unglücke fallen; alles dieses hat in Ihnen gewisse Vvrurthcile veranlasset, welche mir die Wahrheit zu vernichten gebietet. Clairvillcns Geist ist noch sehr fu»g.z Theresia must ein reiferes Urtheil von mir fallen. (Eine Pauset JH habe von dem Himmel ein aufrichtiges Herz erhalten; der einzige Vorzug, den es ihm gefallen hat, mir zu ertheilen. — Aber dieses Herz ist entstaltet, und ich bin, wie Sw sehen — finster und lnrlancholisch. Ich habe — Lugend, aber cs ist eine verdrießliche Lugend; ich habe Sitten, aber nur gute rohe Sitten; — eine zärtliche Seele, hie aber durch anhaltende Unglücksfälle erbittert wore Len. Ich kann noch Thränen vergiessen, aberste find selten und es sind grausamcThranen. — Mi», ein Mann von diesem Charakter ist kein Gemahl für Lherestcn.

Theresia.

Theresia. Dvrval, beruhigen Sie sich. Als mein Her; den Eindrücken ihrer Tugenden nachgab, sahe ich Sie nicht anders, als Sie sich selbst mahlen. Ich erkannte das Unglück und seine schrecklichen Wirkungen. Ich belauerte Sie, und mit eben ote^ ser Empfindung sing vielleicht meine Zärtlichkeit an. Dorval. Das Unglück hat aufgehöret. Sie zu verfolgen; aber mich drückt es initiier schwerer Und schwerer. — Wie unglücklich bin ich, und wie lanae bin ich. cs! Gleich nach meiner Geburt ward ick an einen Ort versckleidett, der die Grenze zwi­ schen Einöde und Gesellschaft heissen samt; und als ich die Augen austhat, mich nach den Banden Limzusehen, die mich nut den Menschen verknüpften, konnte ich kaum ermae Trümmer davon erblicken. Dreyßig Jahre lang, Madame, irrcte ich unter rhnett einsam, unbekannt und verabsäumet umher, ohne die Zärtlichkeit irgend eines Menschen empfun­ den, noch irgend einen Menschen angetroffen zu haben, der die meinige gesucht hatte; als das Glück nur ihren Bruder zuführte. Meine Seele erwarte­ te die seinige. In seinen Schovß goß ich nun end­ lich einen Strom von Empsrndungcn aus, der schon so lange sich ausMrerten gesucht batte; und ich bildete mir nicht em, daß ich in meinem ganzen Leoen einen süssern Augenblick haben konnte, als Diesen, da ich mich des langen Verdrusses, allein zu eMrrerr, entladet?. — Wie theuer ist mir die­ ser

ser glückliche Augenblick zu stehen gekommen! — Wenn Sie wüßten — Theresia. Sie sind unglücklich gewesen,' aber alles hat fern Ziel; und ich- darf glauben, daß Sie dem Augenblicke einer glücklichen und dauerhaften Veränderung nahe sind.

Dorval. Mir haben einander so ziemlich auf die Probe gestellt, das Schicksal und ich. Von Glückseligkeit ist gar nicht mehr die Frage. — Ich hasse den Umgang mit Menschen, und fühle es, daß mich die Ruhe fern von ihnen, und fern sogar von denjenigen, die mir so.werth sind, erwartet. — Wollte doch der Himmel. aufSre, Madame, alle den Scegen legen, den er mir verweigert, und Theresien zu der glücklichsten ihres Geschlechts machen! — (ein wenig gerührt) Vielleicht höre ich es einst in meiner Einsamkeit, und freue mich darüber.

Theresia. Dvrval, Sie irren sich. Um ruhig zu seyn, muß man den Beyfall seines-Herzens und vielleicht auch den Veufall der Menschen haben. Diesen werden Sie nicht erhalten, und jenen wer­ den Sie schwerlich mit wegbringen, wenn Sie den Posten, der Ihnen angewiesen ist, verlassen. Sie haben die allerseltenstcn Talente erhalten, und Sie sind der Gesellschaft dafür Rechenschaft schuldig. Mag sich doch jene Menge unnützer Wesen, die ohne Endzweck in ihr herumirren, und die ihr nur hin­ derlich

derlich sind, daraus entfernen, wenn sie will. Aber Sie, und das getraue ich mir zu be* Häupten, Sie können es ohne Verbrechen nicht thun. Einer Frau, die Sie liebet, kömmt es zu. Sie unter den Menschen zurück zu halten. Theres sien kommt es zu- der unterdrückten Tugend eine Stüne z dem übermüthigen Lasier eine Geissel; allen. Rechtschaffnen, einen Bruder; so viel Unglücklichen einen Vater, den sie in Ihnen erwarten; demmenschlichen Geschlechte seinen Freund; und taufend rühm­ lichen , nützlichen und grossen Unternehmungen, diesen von Vorurtheüen freyen Geist und diese starke. Seele zu erhalten, die dazu nöthig ist und die Sie besitzen. — Sie, Sie sollten die Gesellschaft ver-, lassen ' Ich berufe mich auf Ihr eigenes Herz; fra­ gen Sie es, und es wird Ihnen sagen, daß der rechtschaffne Mann in der Gesellschaft lebt, und daß. nur der Bösewicht sich ihr zu entziehen sucht. Dorsal. Aber daSUnglück verfolgt mich, und verbreitet sich auf alles, was um mir ist. Wenn der Himmel schon will, daß ich in Unmut!) leben soll, will er darum auch, daß ich andere darein stürzen soll? Dor meiner Ankunft war man hier glücklich. Theresia. Der Himmel verdunkelt sich dann und wann; und wenn wir unter der Wolke sind, so kann sie ein Augenblick eben sowohl wieder zer­ streuen/ als sie ein Augenblick zusammengezogen hat.

) 9;

c

hat. Es komme aber wie es will, der Weift blei­ bet allezeit auf seiner Stelle, und auf dieser er­ wartet er das Ende seines Ungemachs. Dorval. Aber muß ernicht befür^ten, dieses Ende zu entfernen, wenn er die Gegenstände seiner Zuneigung vermehret? - Theresia, der so allge­ meine und so süsse Hang, der alle Wesen mit sich fortrcißt, und sie zur Verewigung ihres Geschlechts antrcibet, ist mir nicht fremd. Ich habe eö in Mei­ nem Herzen wohl empfunden. daß ohne eine Ge­ hülfin, die Glück und Unglück mit mir theile, diese ganze Welt für mich nichts als eine weite Einöde seyn würde. — In meine» Anfallen der Melan­ cholie v-ibe ich sie oft gerufen, diese Gehülfin —

Theresia. Und der Himmel sendet sie Jhnerr. Dorval. Zu meinem Unglücke, viel zu spät. Er hat die gute einfältige Seele, die sich bey ft,ne» geringsten Gunstbezeuaungen würde alücklich geschaht haben, scheu und wild gemacht. Er hat sie mit Furcht und Schauder und cinen« geheimen Schre­ cken erfüllet- — Dorval sollte es wagen, sich noch mit dem Schicksale einer Gattin zu beladen! — Water zu werde» 1 — Kinder zu bekommen! — Kinder! — Wenn ich bedenke, in welches Chaos von Vorurtheilen, von Ausichweifungen, von Laster und Elend, wir gleich mit unsrer Geburt versenkt werden, so macht mir der blosse Gedanke davon Entsetzen, Theresia.

) 94 C Theresia. Sie sind von Gespenstern umringet, und ich bin darüber gar nicht erstaunt Dte Ge­ schichte dcö Lebens ist'so wenig bekannt; die Ge­ schichte des Todes ist so dunkel; und der Anschein des Uebels in der Welt ist so klar —> Dorval, Ihre Kinder sind' nicht dazu bestimmt, in das Chaos, welches Sie für sie fürchten, zu versinken. Sie werden die ersten Jahre ihres Lebens unter Ihren Augen leben, und das kann Ihnen für die folgen­ den hinlängliche Gewähr leisten. Sie werden von Ihne» lernen denken, und denken wie Sie. Ihres Vaters Neigungen, Leidenschaften und Vorstellun­ gen werde» t» sie übergehen. Von ihni werden sie die richtigen Begriffe bekommen, .die er von der wahre» Grösse und Niedrigkeit, von dem wahren Glücke und dem anscheinende« Elende hak. Es wird nur auf ihn ankommen, daß sie vollkommen eben dasselbe Gewissen haben, als Er. Ihn werden sie handeln sehen. Mich werden Sie dann und wann reden Horen. — (Mit einem arfKnbtge« Lächeln sehet sie hlinn:) Dorval ihre Töchter werden tugendhaft und sittsam semi. Ihre Söhne werden edel und groß seyn- Ihre Kinder insgesamt werde» liebensrverrh seyn.

Dorval (nimmt Thercsien 6ci) der Hand, die er zwi­ schen seinen beiden Händen brücket, lächelt sie mit einer ge­ rührten Mine «n, und sagt:) Wenn, guttt Unglücke, sich Theresia betröge'- Wenn ich Kinder hätte, dergleichen

dergleichen ich so viele sehe, elende, lasterhafte Kinder. Ich kenne mich- Ich würde für Schmer; sterben. Theres!er

(in einem pathetischen Tone, ganz durch»

haben, weine Sie bedächten, daß die Wirkung der Tugend auf unsere Seele nicht minder nothwendig und mächtig ist, als die Wirkung der Schönheit auf unsere Sinne? Wenn Sie bedächten, daß sich in dem menschlichen Herze ein Geschmack an Ordnung findet, der weit alter als alle Ucbcrlegung ist; daß wir durch dicsen Geschmack zur Scham empfindlich werden,' zur Scham, die uns die Verachtung sogar jenseit' des Todes zu fürchten gewöhnet; daß die Nachah­ mung uns angebehren ist, und daß unter allen Bey­ spielen das Beyspiel der Tugend am stärksten fesselt, weit starker als selbst das Beyspiel des Lasters? -Ach Dvrval, wie viele Mittel hat man nicht, die Menschen gut zu machen! drungen.) Aber wurden sie diese Furcht

Dorval. Ja, wenn wir sie zu brauchen wüß­ ten! — Und gesetzt auch, daß wir bey glücklicheie, Naturellen, durch unsere unabläßliche Sorgfalt, sie wirklich vor dem Laster bewahren können, wer-' den fie darum vielweniger zu beklagen sehn? Wie wollen Sie das Schrecken und die Vvrurtheile uotc ihnen abbalten, die gleich bey dem Eintritte in die Welt quf sie warten, und ihnen bis >n das Kräh' folgen?

folgen? Die Thorheit und das Elend des Menschen, machen mir Grauen. Welche Menge ungeheurer Meinungen, deren Urheber und Opfer er wechselst weise ist! Ach Theresia! wer sollte nicht zittern, die Zahl der Unglücklichen zu vermehren, die man mit Uebclthatcr verglichen hat *, welche in ihrem traurigen Kerker, anstatt einander bcyzuspringcn, gegen einander ergrimmen und mit den Ketten um sich schlagen, die sie gefesselt halten,

Theresia. Ich weis wohl, wie viel Unglück der Fanatismus gestiftet hak, und wie sehr er noch zu fürchten ist. — Aber wenn itzt — unter uns — ein Ungeheuer aufstünde, dergleichen die Zeiten der Finsterniß hcrvvrbrachten, da durch seine Wuth und durch seine Verblendung dieses Land mit Dluk getrautet ward, — wenn man dieses Ungeheuer auf das allergrösste Verbrechen, unter Anrufung des Beystandes vom Himmel, los eilen sähe, — wie cs in der einen Hand das Kefen seines Gottes, und in "der andern den Dolch hielte, den Volkern eine lange schreckliche Reue zu bereiten: —' glauden Sie mir, Dorval, es würde eben so viel Erstaunen als Abscheu erwecken. — Cs giebt freylich wohl noch Barbaren, und wenn wird es dcrgleichcn nicht mehr gebend Aber die Zeiten der Barr barey sind vorbey. Das Jahrhundert hat sich auf­ geklärt. Die Vernunft hak fich geläutert. Die Werke * Voltaire.

Werke der Nation sind voll von ihre» Gebothen; und diejenigen Werke, in welchen man den Menscheu die allgemeine Liebe cinzuflössen sucht, sind fast dle einzigen, welche gelesen werden. Diese all#, gemeine Liebe betreffen die Lehren, von welchen un­ sere Bühnen ertönen, und von welchen sie nicht oft genug ertönen kömien. Der Wcltwcise selbst, dessen Vergleichung sic erwähnet habe», danket den erhaltenen Beyfall vornehmlich den menschlichen Gesinnungen, die in seinen Schriften herrschen, und der Gewalt, die sie auf unsere Seelen haben. Nein, Dorval, ein Volk, das täglich hingehct, sich durch die unglückliche Lugend rühren zu lassen, kann weder boshaft noch wild seyn. Sie, Sie sind es; Männer von ihrer Art, welche die Nation eh­ ret, und welche die Negierung itzt mehr als jemals schützen sollte, diese Manner sind es, die unsere Kinder von den schrecklichen Ketten bcfreycn können, mit welchen Ihre Melancholie ihre unschuldigen Hände gefesselt sichet.

Und was wird meine Pflicht, was wird Ihre Pflicht anders seyn, als sie in dem Urheber aller Dinge selbst, nur diejenigen Eigenschaften bewun­ dern zu lehre», die sie in Uns lieben werden? Wir wollen ihnen ohne Unterlaß vvrstcllc», daß die Ge­ setze derMcnschlichkeit unveränderlich sind, daß uns nichts von ihnen lvsfprcchcn kann; und so werden wir in ihren Seelen jene Empfindung des allgeinciG nen

) 98 f lictt Wohlwollens, das sich auf die «ntijc Natur erstrecket, aufkcimeu sehen. — Sie haben mir hun­ dertmal gesagt, daß eine zärtliche Seele sich das grosse System der empfindlichen Wesen nicht vor­ stellen könne, ohne das Glück derselben eifrigst zu wolle», ohne daran Theil zu nehmen; und ich fürch­ te nicht, daß unter meinem Herzen und von Ihrem Blute eine grausame Seele gebildet werden könnte.

Dorsal. Theresia, eine Familie verkannt be­ trächtliche Klncksgüler, und ich darf Ihne» nicht bergen, daß mein Vermöge» feit kurzem bis auf die Halste geschmolzen ist.

Theresia. Die wirklichen Bedürfnisse haben ihre Grenzen; die eingebildeten sind unendlich. Sie mögen noch so ein grosses Vermögen zusam­ menbringen , Dorval; Ihre Kinder werden doch immer arm seyn, wenn ihnen die Tugend fehlt. Dorval. DieLugend? Man spricht viel davon. Theresia. Die Lugend ist das, was auf der ganzen Welt am besten gekannt und am meisten verehret wird. Aber Dorval, sie wird uns durch die Opfer, die wir ihr bringen, weit werther, als durch alle die Reitze, die wir an ihr zu sinden glau­ ben- Und wehe dem, der ihr nicht genug aufaevpsert hat, sie allein anderli vorzuzieben, nur für sie zu leben und zu athmen, ihrer Süßigkeiten voll zu werde»,

werden, und in dieser Trunkenheit das Ende sei­ ner Tage zu finden.

Dorval. Welch eine Frau! CCv ist erstauneEr schweigt einen Augenblick still und- sagt hierauf:)

Anbetungswürdige und grausame Frau, wozu bringen Sie mich! Sie entreissen mir das Geheim­ niß meiner Geburt. Wissen Sie daun, daß ich kaum hi eitle Mutter gekannt habe. Eine junge unglück­ liche, alizuzattliche, allzuempsiudliche Person gab mir das Leben, ind starb kurz darauf. Ihre er. bittcrtcn und mächtigen Freunde hatte» meinen Water gezwungen, nach Amerika zu fliehen. Dasebst erfuhr er den Tod meiner Mutter, eben ha er sich nun schmeicheln durste, ihr Gemahl werden zu können. Dieser Hvfnuug also beraubt, ließ er sich in Amerika nieder; doch vergaß er des Kindes nicht, das er von einer so theuren Gattin hatte. There­ sia, ich bin dieses Kind- — Mein Water hat ver­ schiedene Reisen nach Frankreich gethan. Ich habe ihn gesehen. Ich hoffte ihn noch einst zu sehen, aber ich hoffe es nicht mehr. Sic sehen; meine Geburt ist in den Augen der Menschen verworfen, und mtirt Glück ist dahin-

Theresia. Die Geburt wird uns gegeben; aber unsere Tugenden sind unser eigen. Und was die immer beschwerlichen und oft schädlichen Rcichkhänier anbelangt, so hat der Himmel, indem er sie auf die Flache der Erde verstreuet, und sie ohne UnterG s schied

schied sowohl dem Euren als dem Bosen znfallen lassen, das Urtheil, welches wir von ihnen Wen sollen, uns Vorgesprächen. Geburt, Würden, Ho, hcit, Reichthümer, alles kann der Lasterhafte ha­ ben , nur die Gnade des Himmels nicht.

Dieses, Dvrval, hatte mich ei» wenig Vernunft lange Zeit vorher gclehret, ehe man mir Ihr Ge­ heimniß vertraute; und es war mir weiter nichts übrig zu erfahren, als den Tag meines Glücks und meiner Ehre. Dorval. Rosalia ist unglücklich. ist voller Verzweiflung.

Clairville

Theresia. Dieser Vorwurf macht mich erröthen. Dorval, sprechen Sie meinen Bruder. Ich will Rosalien spreche»; uns kömmt cs zu, diese zwey Wese», die es so sehr verdienen, verciniact zu werden, einander wieder naher zu bringen. Wenn es uns damit gelingt, so hoffe ich, wird der Er­ füllung unsrer Wünsche weiter nichts fehlen.

Vierter

Auftritt.

Dorval allein.

Das ist die Frau, von der Rosalia erzogen wor­ den ! Das sind die Grundsätze, die sie ihr bey­ gebracht hat!

Fünfter

Fünfter

Auftritt.

Dorval. Llairvrlle.

Llairville. Dorval, was soll aus mir rcm Heu? Was haben sie mit mir beschlossen?

Dorval. Daß Sie sich Rosalien mehr als jeMals ergeben sollen-. Llarrville. Das rathen Sie mir?

Dorval. Das rathe ich Ihnen,

Llairvrlle (der ihm um den Hals fallt.) Ach, liebster Freund, Sie schenken nur das Leben. Ich habe ec- Ihnen zweymal in einem Tage zu danken. Ich kam zitternd her, mein Schicksal zu hören. Wieviel habe ichausgestau.den, frit ich Sie verlast sen! Nie habe ich es stärker empfunden, daß ich be­ stimmt bin, Rosalien zu lieben, so ungerecht sie auch immer ist. In dem Augenblicke der Verzwelflung, faßt man einen gewaltsamen Vorsatz; aber der Augenblick gehtt vorüber, der Vorsatz verstiegt, und die Leidenschaft bleibt. Dorval. (lächelnd) Ich wußte das alles. Aber ihr weniges Vermögen? und Rosaliens mäßige Um­ stande?

Llairville. Der elendeste Zustand ist ttt mei­ nen Augen der, ohne Rosalien zu leben. Ich habe G 3 es

) ros ( es bedacht, und mein Entschluß ist gefaßt. Wenn es jemanden erlaubt ist/ den Mangel ungern zu er­ tragen, so ist es den Verliebten, den Hausvätern und allen wohlthätigen Menschen erlaubt; auch giebt es immer Mittel, sich daraus zu reissen-

Dorval. Was wollen sie in dieser Absicht thun? Llairville. Ich will handeln. Dorval. Ohngeachtet ihres Namens? Hätten Sie wohl den Muth?

Ltarrville. Was nennen Sie Muth? Ich finde nicht, daß dazu Muth gehöret. Bey der stolzen. Seele, bey dem unbiegsamen Charakter, den rch habe, ist es sehr ungewiß, ob rch von der Gnade des Hosts das Glück erhalten dürste, das ich nöthig haLe. Das Glück, das man durch Ranke macht, ist geschwind, aber schimpflich; das man durch die Waf­ fen macht, rühmlich, aber langsam; das man durch feine Talente macht, allezeit schwer und mittelmäßig. Es giebt andere Stände, welche geschwind zu ReichLhrrmenr führen; dre Handelschast aber ist fast der einzige, wo die grossen Glücksgüter der Arbeit, der Emsigkeit und den Gefahren glerchkommen, die uns den Besitz derselben rühmlich machen. Ich will hanLeln, sage ich Ihnen; es fehlet mir blos an Ein­ sicht und Anschlägen, und diese hoffe ich in Ihnen zu finden-

Dorval.

) l°? (

Dorval. Sie denken richtig. Ich sehe, die Liebe ist ohne Vvrurtheile. Aber denken Sic. nur darauf, Rosalien zu bewegen, und Sie sollen Ih­ ren Swnd nicht andern dürfen. Wenn das Schiff, auf welchem ihr Vermögen war, auch , schon dem Feinde in die Hände gefallen ist, so war es doch assccurirt, und der Verlust will nichts sagen. Die Nachricht davon stehet in den öffentlichen Blattern, und ich rathe Ihnen, sie Rosalien zu hinterbringen. Llairvllle. Ich fliehe.

Sechster Auftritt. Dorval. Larl.nvch gestiefelt.

Dorval. (geht auf und ab) Er wird sie nicht bewegen. — Nein. — Wenn ick aber doch woll­ te? — Ein Beyspiel der Rechtschaffenheit, des Muths — die Anwendung meiner äussersten Gewalt über mich selbst — über sie — c halte? — Mein Aller, meine Schwachheit, mein naher Tob betrübet euch. — Ach, meine Kinder, jch habe so viel aearbeilet, so viel erlitten! — Dorval, 31 fllifl — (Mit diesen Wörter strecket t)Cf Akte feine Hände gegen seine Kinder: au5, die er eines' tun daö andere Lu siehet-, und einander zu elfen neu oufinunteni will.) (Dorval und Rosalia seßen sich an , fallen einander in Sie Arme/ und werfen sich beyde zugleich chreur?^uer zu. Füssen, mit den Worten.)

Dorval und Rosalicr. Ach mem Vater X •Cyfiinonb (legt seine Hande auf sie und si.gr mir sogar in ihren Kleidung zeige sich ihre Verwirrung: das alles kömmt! der Verzweistung zu. Iphigeniens Mutter dürfte fitf?

)

-44 c

sich nur einen Augenblick als Königin von Argos, als Gemahlin des obersten Anführers der Griechen zeigen, und sie würde mich das allernichtswürdtgste Geschöpf dünken. Die wahre Würde, diennch mir zig und allem rühret, die mich niederschlagt, ist das Gemälde der mütterlichen Liebe in aller ihrer Wahrheit» Ich blätterte in dem Manuferipte und fand cu MN kleinen Strich mit dem Bleystiste, den ich übergangen hatte. Cr rqar an der Stelle des zwey­ ten Austritts in dem zweyten Auftuge, wo Rosalia, von dem Gegenstände, der sie verführet, sagt: sie habe in ihm dre Wirklichkeit aller der Ein­ bildungen, die sie sich von der Vollkommen­ heit gemacht, erblickt. Diese Betrachtung war mir für ein Kmd ein wenig zu stark vorgekommen. Und diese Einbildungen von Vollkommenheit hatten mir mit ihrer ungekünstelten Sprache zu streu ten geschienen. Ich theilte Dorvaln meine Anmer­ kung mit. Statt aller Antwort verwies er mich -auf das Manuscript. Ich betrachtete es genauer, ich fand, daß diese Worte erstrnachher von Rosaliens eigner Hand dazu gesetzt worden, und wendete mich zu andern Dingen» „Sie sind kein Liebhaber von Theaterstreichen? „fragte ich ihn.„ Nein.

«Hier ist gleichwohl einer, und einer von den „ausgesuchtesten.«

) I4S (

J h tociB et; und ich hübe icintr schon ge­ gen Sie gerächt. „Es ist der Grund von ihrergauzeu MttviÄung.., Ich raume es ein. „Und cst das schlecht? —

Ohne Zweifel. „W 'rum haben Sie es gleichwohl gebraucht?,.

Weil es keine Erdichtung, sondern eine wahre Begebenheit ist. Es wäre freylich zum Besten des Sillüs zu wünschen r daß sich dir Sache anders zugetragcu hatte. „Rosalia entdecktJbnen ihre Liebe. Sieerfahrk, „baß sie geliebt wird. Sie hoffet nicht mehr; sie „wagt es nicht, Sie noch einmal zu scher,; sie «schreibt Ihnen,,—

Das ist ganz natürlich„Sie antworten ihr,, Ich mußte ja wohl. „Clairville hat seiner Schwester versprochen, „Sie vor derselben Zurnckknnft nicht abrriscn 51$ „lassen. Theresia liebte Sie. Sie hat es Ihnen „gestanden. Sie kennen ihre Gesinnungen^,

Sie muß begierig seyn, die meinigen genauem iu keimen. K

»Ihr

„Ihr Bruder geht, sie bey einer Freundin wirst, und sie zu erweichen sucht. Lhcrcsia „vornan dazu. Eie bringt Arnolden mit. Man „fragt ihn. Rosalia erfahrt das ihrem Water zugr„siossene Unglück. Cie sehen leicht, wie das Uebri„ge ohnqefthr laussen wurde. Indem Clairvillens „und Aosiiliet.s Lerdtlifchast imnier niehr und mehr „acreitzet und aufgebracht würde, würden auch Eie „immer in größere und größere Verwirrungen ge„rathen. Eie würden von Zeit zu Feit versucht „werden, alles zu gestehen. Und vielleicht hatten „ Clairvillc I wie sehr werde ich Sie-lieben müssen, meine Ungerechtigkeit und die Pein, die ich Ihnen verursache, wieder gut machen!— Aber bald, bald soll mass de» Nichtswürdigen kennen. Dovvnl. Halten Sie, junge Unvorsichtige; eher Sie werde» sich des einzigen Verbrechens schul­ dig machen, das ich in meinem Leben begangen habe; wenn es anders ein Verbrechen ist, eine unerträgliche Last von sich abzuwerffen. — Noch ein Wort, und ich glaube, daß die Tugend weiter nichts als ein Schatten ist; daß das Leben wei­ ter nichts ist, als ein unseliges Geschenk des Schick­ sals; daß die Zufriedenheit nirgends ;u° finde» ist; daß die Ruhe jenseits dem Grabe wohnet; und ich habe gelebt. Rosalia ist fortgegangen. Sie hört ihn nicht wehr. Dorsal fleht sich von dem einzigen Frauen­ zimmer verachtet, das er liebet und jemals geliebt hat; er fleht sich Theresiens Hasse, uud Ciairvillens Erbitterung ausgesetzt; er sieht sich auf dem Punkte, die: einzigen Wesen, die ihn mit der Welk verknüpfen, zu verlieren, Und wieder in seine alte Einsamkeit zu versinken. Wohin soll er gehen? — An wen. soll er sich wenden? — Wen soll er lie­ be»?—

den? — Von wem soll er geliebt werde»? — Die Verzweiflung bemeistert sich feiner Seele. Das Le­ ben wird ihm zuwider. Er bekömmt Neigung zunr Tode- Und das ist der Inhalt einer Monolvgue, welche den dritten Aufzug schließt. Von dein Ende dieses Aufzuges an, redet er mit seinen Bedientem nicht weiter- Er befiehlt ihnen mit der Hand, unhz sie gehorchenRosalia vollziehet, zu Anfänge des vierten Auf­ zuges, ihren Vorsatz. Wie sehr erstaunen There­ sia und ihr Bruder! Sie wagen cs nicht, Dvrvalir zu sehen; Dorval wagt cs nicht, einen von ihnen zu sehen. Alle vermeiden, alle fliehen einander; und Dorval befindet sich auf einmal, ganz natürli­ cher Weise, in der allgemeinen Verlassenheit, die er so sehr fürchtete. Sein Schicksal eilet zu EndeEr merkt es, und entschließt sich plötzlich, dem To­ de entgegen zu gehen. Sein Bedienter Carl, ist daß einzige Wesen in der ganzen Welk, das ihm übrig bleibt. Carl erräth den erschrecklichen Entschluß sei­ nes Herrn. Er verbreitet seine Bestürzung durH das ganze Haus. Er laust zu Clairvillcn, zu Theresicn, zu Rosalien. Er redet. Sir erschrecken. Sogleich verlieret feder sein besonderes Interesse aus den Augen. Man sucht sich Dorval» wieder zm nähern- Aber cs ist zu spät. Dorval liebt niemand mehr, und haßt niemand mehr; er spricht nicht, er sieht nicht, er hört nicht. Seine betäubte Seele ist P keiner

keiner einzigen Empfindung mehr fähig. Er kämpfet zwar »och ein wenig mit dieser traurigen Verfas­ sung, aber ganz schwach, und nur durch kurze Rucke, ohne Nachdruck und Wirkung. Und so ist er zuAnfange des fünften Aufzuges. Diesen Aufzug erösnet Dvrval. Er ist allein, rind gehet auf und nieder, ohne ein Wort zu reden. Der Vorsatz das Leben zu verlassen, zeigt sich in sei­ ner Kleidung, in seinen Gebehrden, in seinem Stillschweigen. Clairville tritt herein; er beschwört ihn, zu leben; er wirft sich ihm zu Füssen; er um­ faßt sic; er setzt ihm mit den besten und zärtlichsten Gründen zu, Rosalien anzunehmen. Dvrval wird immer grausamer, und diese Scene bringt ihn sei­ nem Schicksale näher. Clairville kann nichts als einzelne Sylben aus ihm bringen. Dvrvals übrige' Action ist stumm. Theresia kommt dazu. Sie vereiniget sich mit ihrem Bruder. Sie sagt Dvrvaln alles, was ihr vor, der Ergebung in sein Schicksal, von der Macht Les höchsten Wesens, der sich entziehe» zu wollen, Las größte Verbrechen ist, von Clairvillens Aner­ bieten u. s. w. nur pathetisches einfallen will. In­ dem Theresia spricht, hat sie einen von Dvrvals Armen in den ihrigen; und sein Freund hat ihn mitten um den Leib gefaßt, als ob er fürchte, er möchte ihm entwischen. Doch Dvrval, ganz in sich versenkt, fühlt semen Freund nicht, der ihn umfaßt hält,

halt, hört Lhercsicn nicht, die mit ihm spricht. Dann und wann nur neigt er sich über sie, um zu weinen. Aber die Thränen versage» sich ihm. Nun geht er zurück; seufzet tief; macht verschiedene lang­ same und schreckliche Gcsius; auf seinen Lippen zeigt sich die Bewegung eines flüchtigen Lachens, das weit schrecklicher, als seine Seufzer und seine Ecbehrden ist.

Rosalia kömmt. Theresia und Clairville treten al). In dieser Scene herrschen Furchtsamkeit, Nai­ vität, Thränen, Schmerz, Reu. Rosalia siehet nun alle das Uebel, das sie angerichtet hat. Sie ist untröstlich. Bey der Liebe, die sie empfindet, bey dem Mitleiden, das sie mit Dvrvaln hat, bey der Hochachtung, die sic Thcresicn schuldig ist, bey der Zuneigung, die sie Clairville» nicht verweigern kann: wie viel rührendes hat sic nicht zu sage»! Dvrval scheinet sie Anfangs weder zu sehe», noch zu Horen. Rosalia schreyet, ergreift seine Hande, halt ihn; rind endlich kommt ein Augenblick, da Dvrval seine starren Augen auf sie heftet. Seine Blicke sinh die Blicke eines Menschen, der aus ei­ nem Tvdtcnschlafe erwacht. Diese Anstrengung ko­ stet ihm den Rest seiner Kräfte. Cr fällt, als vom Blitze geruhtet, in den Lehnstuhl. Rosalia geht ab, ächzet laut, ist untröstlich, rcisset sich die Haare aus. I» diesem Stande des Todes bleibt Dvrval ei­ nige Augenblicke. Carl stehet vor ihm, ohne ciw P 2 Work

Wort zu sogen. — Seine Auge» sind halb geschlos­ sen. Seine langen Haare hangen zu hiitterst über den Stuhl. Der Mund stehet offen; er höhlet tief Athem; die Brust fliegt. Nach und nach gehet die­ ser Todeskampf vorüber. Er kömmt mit einem langen und schmerzlichen Seufzer, mit einer klägli­ chen Stimme wieder zu sich. Er stützet den Kopf auf die Hande, und die Ellbogen auf die Kniee. Er hat Mühe aufzustehen. Er irret mit langsamen Schritten umher.' Er stößt auf Carlen. Er ergreift ihn bey dem Arme, betrachtet ihn einen Augenblick, zieht seinen Beutel und seine Uhr heraus, giebt sie ihm nebst einem versiegelten Papiere ohne Aufschrift, und giebt ihm mit einem Zeichen zu verstehen, dass et fortgehen soll. Carl wirft sich ihm zu Füssen, und liegt mit dem Gesichte auf den Boden- Dorval läßt ihn liegen, und irret »och immer umher. In­ dem trift er mit feinen Füssen auf Carl», der »och nicht aufgestanden ist. Er wendet sich weg. — Und nun springt Carl plötzlich auf, laßt Beutel und Uhr auf der Erde liegen, und läuft Hülfe zu ruffen.

Dorval folgt ihm laugstim. — Er lehnet sich ohne Absicht gegen die Thüre. — Er wird einen Riegel gewahr. Er betrachtet ihn; — er stößt ihn zu; — zieht seinen Degen; — setzet den Knopf gegen die Erde; — richtet die Spitze gegen seine Brust; — neiget sich seitwärts mit dem Körper darüber; — richtet die Augen gen Himmel; —• schlägt sie wie­ der

) «p ( der aufsich selbst nieder; — bleibt einige Augenblicke so; — er stuftet tief, und — stürzt. Carl kömmt. Er findet die Thüre verschlossen. Er ruft. Man kömmt dazu. Man bricht die Thü­ re ans. Man findet Dorvaln in seinem Blute und todt. Carl tritt unter dem schmerzlichsten Geschrey herein. Die übrigen Bedienten bleiben um de» Leichnam stehen. Theresia kömmt. Dieser Anblick rühret sie, gleich cmem Blitze; sie schreyet; sie lauft mld auf der Bühne umher, ohne recht zu wissen, was sie sagt, was sie thut, wohin sie will. Ma» hebt Dorvals Leichnam auf. Theresia, die sich ge­ gen den blutigen Ort der Scene gekehrt hat, sitzet ohne Bewegung in einem Lehnstuhle, und hat ihr Gesicht mit den Handen bedeckt.

Clairvr'lle und Dosalia kommen. Sie finde» Lheresieu in dieser Stellung. Sie fragen sie. Sie schweigt. Sie fragen sie aufs neue. Statt aller Antwort, nimmt sie die Hande vom Gesichte, wen­ det den Kopf weg und zeiget ihnen mit der Hand die mit Dorvals Blut befleckte StelleSie schreyen und weinen; sie schweigen und schreyen wieder.

Carl giebt Lheresien das versiegelte Papier. Es ist Dorvals Leben und letzter Mille. Kaum aber hat sie die ersten Zeilen gelesen, so lauft Clairville als rasend ab; Theresia folgt ihm. Justine und die P 3 Be-

Bedienten tragen Nvsalren weg, die sich nicht wohl befindet, und das Stück schließt. „Ah, rief ich ans, das, das ist Tragödie, oder „ich verstehe gar nichts davon. Es ist in der That „;war nicht mehr die Probe der Tugend, sondern „ihre Verzweiflung. Vielleicht ist cs sogar gefahr„lich, den ehrlichen Mann zu dieftm schrecklichen „Entschlussegebrachtzu zeigen; deswegen aber- merkt „man doch gar wohl die Starre der Pantomime, „sowohl allein, als mit der Rede verbunden. Und „das sind die Schönheiten, deren wir ans Mangel „einer Bühne, und aus Mangel der Kühnheit ent„behren müssen, indem wir nur immer unsere Vor„ganger knechtisch nachahmcn, und Narur und „Wahrheit bey Seite setzen. — Aber Oorval spricht „nrcht? — Al'er wo kann eine 3Ude so stark ruh„ren, als seine Action und sein Stillschweigen rnh„ren? — Man lasse ihn dann und wann ein Wort „sagen. Das geht gar wohl an. Nur muß man „nicht vergessen, daß sich ein Mensch, der viel „spricht, selten ermordet.

Ich stand auf. Ich ging zu Dvrvaln. Er irrte unter den Baumen und schien mir in seine Gedan­ ken ganz vertieft. Ich hielt für gut, sein Papier zu behalten, und er forderte mir cs auch nicht ab. Wenn Sie also überzeugt sind, sagte er zu mir, daß das Tragödie ist, und daß cs eine Mittclgattung zwischen

zwischen der Komödie und der Tragödie giebt: so haben wir zwey Aeste der dramatischen Dichtkunst, Lie ganz und gar nicht bearbeitet sind, und nur Köpfe erwarten. Machen Sie Lustspiele in der ernsthaften Gattung. Machen Sie bürgerliche Tragödien, und seyn Sie versichert/ daß es einen Bey, fall und eme Ewigkeit giebt, die Ihnen Vorbehalten sind. Vor allen Dingen geben Sie sich mit den Lbeaterstrerchen nicht ab. Suchen Sie Gemälde. Nahem Sie sich dem wirklichen Leben, und wählen Cre gleich Anfangs ein Feld, wo sich die Pantomi­ me in ibrem gan;en Umfange zeigen kann. — Man sagt, es gebe keine grosse tragische Leidenschaften mehr zu erregen; man könne die erhabenen Gesin, nungen unmöglich auf eine neue und rührende Art vortragen. Das kann in der Tragödie wahr seyn, so wie sie die Griechen, die Römer, die Franzosen, die Jtaliäner, die Engländer und alle Völker auf der Welt gemacht haben. Die bürgerliche Tragödie aber wird eine andereHandlung, einen andern Ton, und ein Erhabenes haben, das ihr eigenthümlich zugehöret. Ich empfinde es, dieses Erhabene. Es findet sich in den Worten eines Vaters, der zu sei­ nem Sohne, welcher ihn im Alter ernährte, sagte: üiein Sohn, wir rechnen ab. Ich habe dir das 4ebcii gegeben; und du giebst mir es wieder. Es findet sich in der Rede eines andern' Vaters, der gleichfalls zu seinem Sohne sagte: Rede allezeit dre Wahrheit. Versprich nichts, P 4 was

wao du nicht halten wolltest. Ich beschwöre Dreh bey diesen Züssen, die ich mit meinen »sändcn erwärmte, «ls du noch in verwiege lägest.

„Aber wird uns diese Tragödie iitteresfircn?“ Das frage ich Eie. Sie ist uns näher; sie ist Las Gemälde der Unglücksfälle, die uns umgeben. Wie? Sie begreiffcn nicht, wie stark eine wirtliche Scene, wie stark wahre Kleidungen, einfache Hand­ lungen, und diesen Handlungen angemessene Reden, wie stark Gefahren auf Sie wirken würden, ob wel­ chen Sie nothwendig zittern müßten, wenn Ihre Anverwandte, Ihre Freunde, oder Sic selbst ihnen ciusgesent waren? Sine gänfliche Glücksveränderung, Sie Flucht vor der Schande, die Folgen des Elends, eine Leidenschaft, die den Mensche» ins Verderbe», do» dem Verderben zur Verzweiflung, vvu der Verzweiflung zu einem gewaltsamen Tode bringt, sind keine seltene Begebenheiten: und doch glauben Sie, daß Sie weniger dabey fühlen würden, als bey dem fabelhaften Tode eines Tyrannen, bey der Opferung eines Kindes? — Aber Sie sind zcrstreut. — Sie sind in Gedanken. — Sie Horen Mich nicht. — „Ihr tragischer Entwurfwill mir nicht aus dem „Siuuc. — Ich sehe Sie auf der Bühne umher „irren, — Ihren Fuß von Ihrem auf dem Boden -»fliegenden Bedienten zmMiehen, den Riegel zu„schic-

„schieben,— Ihren Degen blössen. — Die Idee „dieser Pantomime erweckt mir Schänder. — Ich „glaube llimmcrinehr, daß man den Anblick aus­ schalten konnte; und diese ganze Handlung gehöret „vielleicht zu denen, die man crzehlcn muß. Sr,chen Sie'.,, Ein unwahrscheinliches Factum, glaube ich, muß man dem Zuschauer weder erzehkcn noch zei­ gen ; und unter den wahrscheinlichen Handlungerr kaffen sich diejenigen leicht unterscheide!!, die man Len Augen verstellen, und die man hinter die See­ äle verweisen muß. Ich muß meine Gedanken auf Die bekannte Tragödie anwendcn; denn wie kann ich meine Exempel aus einer Gattung nehme», die un­ ser uns noch nicht vorhanden ist? Wenn eine Handlung einfach ist, so muff man sie, glaube ich,' lieber vorstellcn, als crzehlen. JDer Anblick des Mahomets, der den Dolch auf Irenen gezogen hat, ungewiß, ob er dem Ehrgeitze, der ihm den Stoß bestehlt, oder der Liebe gehorche» soll, die feinen Arm zurückhalt, ist ei» röhrendes Gemälde. Das Mitleid, das uns allezeit an die Stelle des Unglücklichen, und nie an die Stelle des Bösewichts setzt, wird meine ganze Seele erschötSer». Nicht gegen Irenens, sondern gegen meine eigene Brust werde ich den drohenden Stahl ausge, Krccktaiauben. — Diese Handlung ist allzueinfach, P 5 als

5 2Z4 ( als daß sie übel nachgeahmet werden konnte. Wenn sich aber die Handlung verwickelt, wenn der Zwi­ schenfalle zu viel werden: so kann es gar leicht eini­ ge darunter geben, dienlich daran erinnern, daß ich im Parterr bin, daß alle diese Personen Komö­ dianten sind, und daß es keine sich wirklich eräug«ende Begebenheit ist. Die Erzehlung hingegen bringt mich aus dem Schauplatze heraus. Ich ver­ folge alle Umstande. Meine Einbildung bringt jeden, so wie ich ihn in der Natur gesehen habe, zur Wirkkichkeit. Nichts verrath sich. Sagt der Dichter: „Indem nahet sich Kalchas, Die Miene finster, wild der Blick, das Haar gethurmt, Doll Wuth, voll von dem Gott, der ihm im Busen stürmt.

Öder — —. — ctn allen Dornen klebt Sein blutig Haupthaar------Wo ist der Schauspieler, der mir den Kalchas so zeigen kann, wie er in diesen Versen ist? Grandval tritt mit einem edeln und stolzen Schritte einher. Seine Miene ist finster; sein Blick vielleicht auch wild. Sein Betragen, seine Gestus zeugen von der innern Gegenwart des Gottes, der ihn begei­ stert. Aber er sey noch so schrecklich, so wird sich doch nicht das Haar auf seinem Kopse thürmen. So weit kann die dramatische Nachahmung nicht gehen.

Eben

) -Z5 (

Eben so ist cd mit den meisten übrigen Bildern, welche diese Erzehlung beleben. Ein von Pfeilen verdunkelter Himmel. Ern Kriegcsheer im Aufruhr. Die Erde mit Blut getränkt. Eine junge Prinzeffin, den Stahl in der Brust. Dre cntfeff>Hctt Winde- Der hoch in den Wolken brüllende Don­ ner. Der von Blitzen erleuchtete Himmel. Das schaumende und brausende Meer. Alle diese Dinge hat der Dichter gemahlt. Die Einbildungskraft sieht sie. Aber die Kunst vermag sie nicht nach­ zuahmen. Und noch mehr: der herrschende Geschmack an der Ordnung, von welchem ich Sie bereits unter­ halten habe, zwingt uns, Verhältnisse unter den Wesen anzunehmen. Wird em Umstand gegeben/ der über dre gewöhnliche Naturist, so vergrössert er in unsern Gedantcn alle übrige. Der Dichter hat von der Statur des Kalchas nichts gesagt. Aber ich sehe sie. Ich denke mir sie seiner Action gemäß. Die Uebertreibung seiner geistigen Eigen­ schaften greift weiter um sich, und verbreitet sich auf alles, was diesen Gegenstand angehet. Die wirkliche Scene würde klein, schwach, armselig, falsch, verfehlt gewesen seyn. In der Erzehlung wird sie groß, stark, wahr, und sogar ungeheuer. Auf der Bühne würde sie wert unter der Natur gewesen seyn; so aber denke ich mir sie noch über die Natur. Auf gleiche Weise werden in der Epopes

) -?6 c pcc die poetischen Menschen immer etwas grösser, als die wirklichen sind.

Das waren die Grundsätze. Nun wende» Sie sie auf die Handlung meines tragischen Entwurfs an. Ist die Handlung nicht einfach? „Das ist sie."

Findet sich ein einziger Umstand dabey, den mar? n wenig »aber, sitzet $ ernten is ganz nach lästig in einem Lehnjcu' le, und hat ein Buch in der Hand. Er unterbricht sein Lesen vou gcit zu Aeit, und wirft zärtliche Blicke aufCacUien, tuentt sie eben mit ibiem Spiele beschäftiget ist, und auf ihn nicht Acht haben ftinfi.

Oer Commthur merkt, was hinter ihm vorgehet; und Lieser Argwohn hält ihn rn'einer beständigen Unruhe^ dir sich aus seinen Bewegungen wahrnehmen, laßt.

Läcllla. Was K Ihnen, Herr Commthur? Sie scheinen mir unruhig.

Der Lomnrrhnr. Nichts, Mühmchen, nichts (Die Lichter wollen eben ausbrennen, der Commthur sagt daher zu Germeiul:) Meist Herr, wollten Sie wohl

klingeln? (Germern! gehet kking^ln.' Der Commthur bedienet sich dieses Augenblicks^ den.Lehnstuhl des Germeuil anders ;n rücken, und ihn mehr gegen das Bret zu kehren. Germeuil kömmt wieder, rückt -seinen Lehnstuhl'wird er au die alte Stelle, und der Comnsthyr sagt zu dem h.ereintretendetr Bedienten ) Llch'ttr s

(DaS Spiel geht, unterdessen seinen Gang. Der CommLhur und seine Nichte werfen eines ums andere, und neution ihre Würfe)

Der Lonrmthur, Sechse, fünft.

Sermeml. Das ist nicht schlimm. Der Lomnrthur.r. Mit hi.eftm bmde^ich. Und Liesen muß ich verlaustem Lrrcilt^»

) S k Lacili-a. Und ich, lieber Vetter, strafe Sie um drey. Demi sechse, und fünfe sechse— Der Lommehur. (zu Eermeuilen) O mehr Herr, müssen Sie denn auch immer ins Spiel reden ? Läcilia. Das sind drey! —

Der Lommrhnr. Sa was zerstreuet mich; und daß inan 'mir da über die Achseln guckt, das kann ich auch nicht wohl leiden keinem von beyden. (La Brie'l'nngt frische Lichter, und stellt sie hin, wo sie fehlen. Indem er wieder heraus gehen will, ruft ihn der Hausvater:)

La Brie!

A3



c - ( La Brie.

Mein Herr?

Der Hausvater (nach einer kleinen Pause,

währen»

welcher er noch nachgesomien un» auf und nieder gegangen.)

Wo ist mein Soh»? La Brie.

Er ist ausgegangen.

Der Hausvater. La Brie.

Weil»?

Ich' weis nicht, mein Herr.

Der Hausvater (abermals eine Pause) Und

ihr wißt auch nicht, wo er hingegangen ist? La 25vic.

Nein, mein Herr.

Der Lommthnr. ge nichts.

Der Schurke weis sein Ta­

Alle dreyen.

Lacilia. Lieber Herr Vetter, Sie geben auf

Ihr Spiel nicht Acht. Der Lommchnr. (spöttisch und aussahrend) Mühmchcn, geben Sie doch mir auf Ihres Acht.

Der Hausvater.

(;um LaBlie, noch immer nach­

sinnend und auf und nieder gehend)

Hatte er euch ver­

bothen, ihm nachzufolge»? La Brie (thut als ob er es nicht verstanden hatte.) Mein Herr?

Der Lommchnr.

worten.

Darauf will er nichts ant­

Alle As.

Der Hausvarer.

Dauert das schon lange so?

La

Brie (Der nochmals thut, als ob er es nicht vers

staub!» hätte.) Mein Herr?

Auch darauf antwortet er

Der Lommrhnr.

nichts.

Wieder alleAs.

Nichts als verdammte klei­

ne Dubletten!

Wit lang wird mir diese

Der Hausvater, Nacht!

Noch einen solchen Wurf,

Der Lommrhnr.

und ich bin weg. Da ist er! (zu Germeuilen) La­ chen Sie immer, mein Herr- Zwingen Sie sich

nicht. (La Brie ist fort gegangen. Connnrhur,

Daö Spiel ist auS.

Der

Cacilia und Eermeuil treten naher zu dem

Hausvaters

Drittem Der Hansvarcr. ciJtfl. Der ijrtiisvßtcv.

Auftritt. Der Lommrhnr.

£u würdest

«s uns ewig nicht vergebe». & »

Der

)

Der eAausvatee.

roo

(

Was haben Sie gethan

Sollte es möglich seyn? — Herr Bruder, crkla reit Sic sich. Leu Lommrhur. Cacilia — Ecrmcuil -wird "dir es wohl vertrauet haben, — Sage es für mich. --

Sr. Albin. (zumLommthur) Sie todte» mich. Der Hauevarer.

(ernsthaft) Cacilia, du ent--

färbst dich?

St. Albin.

Schwester!

Der Hausvater (»och immer in del» strenge» Tone.) Cacilia! — Doch nein, die That wäre gar zu

schändlich. — Meine Tochter und Germkuil find ihrer nicht fähig. St. Albin.

Ich zittere. —

Ich knirsche. —

D.Himmel, was drohet mir!

Der Hausvater, (mit allem möglichen Ernste) Herr Lommthur

sage ich, erklären Sie sich, und

martern Sie mich nicht langer durch den Verdacht,

den Sie über alles, was um mich ist, verbreite». (Der Hansvater gehet auf und nieder; er ist unwillig. Der heuchlerische Commthnr scheinet beschämt/ und schweigt. Cacilia ist niedergeschlagen. St. Albin hat die Augen auf den Comnithur, und erwartet seine fernere Erklärung mit Entsetzen.)

Deo

Der «5«K6vcter. (zum Cvmmthur) Sind Sie entschlossen, dieses grausame Stillschweigen noch lange zu beobachten? Der Lommthnr. (zu feiner Nichte) Weil du nicht reden willst, so muß ich wohl reden. (Zu St. Albin) Deine Liebste —

Sr. Albin. Sophia —

Der Loinmkhur. Ist eingcsperrt. Sr. Albi». Grosser Gott!

Der Lommrhnr. Ich habe den Befehl zur Hast ausgewirkt. — Und Germeuil hat das Uebrige auf sich genommen.

Der Hansrmrcr. Germeuil? St. Albi». Er'.

Läeilia. Glaube cs doch nicht, lieber Bruder. St. Albi». Sophia!— Und das that Germcuill (Er wirst sich in einen Lehnstuhl, mit allen Merkmah­ len der Verzweiflung)

Der Hausvater, (zum Commthur) Und was hat Ihnen diese Unglückliche gethan, daß Sie ihr Elend noch mit dem Verluste ihrer Ehre und ihrer Freyheit vermehren müssen? Was hatten Sie für ein Recht über sie?

G $

Der

) rar ( Der Lommthur.

Sie ist in keiner unehrlichen

W-nvahrtmg.

St. Albin. Ich sehe sie. — Ich sehe ihre Thränen. Ick höre ihr Geschrey; und ich sterbe nicht- (zum Commthur) Barbar, ruffcn Sic ihren nichtswürdigen Gehülfen. Kommen sie beyde; er­

barmen sic sich; todten sie mich! — Sophia! — Helfen Sie mir, mein Vater! Lassen Sic mich nicht

verzweifeln! (Er wirst sich seinem Vater in die Arme) Der Hausvater. glücklicher !

Beruhige

dich,

Un­

St. Albin (in den Armen seines Vaters, und in einem kläglichen und schmerjlichen Tone.) Germcuil! — Er! —

Erl

Der Lommthur. Er hat nichts gethan, als was ein jeder an seiner Stelle würde gethan habe». St. Albin, (noch immer an de« Busen seines Va, terS, und in dem nehmlichen Tone) Er, der sich MkiNeN Freund nannte! Der Treulose!

Der Hausvater.

Auf wen soll man sich künf­

tig verlassen!

Der Lommthur. Er ging schwer daran; aber fch versprach ihm mein Vermögen und meine

Nichte.

Läcilia,

Läcilra. Mein Vater, Germeuil ist weder nie­ derträchtig noch treulos. Der Hausvater. Was ist er denn?

6t. Albin. Sie müssen ihnsprcchen, und Sie werden es erfahren. — Ah, der Verrather! Ge­ brückt von ihrem Zorne, durch diesen unmenschli­ chen Vetter erbittert, von Sophien verlassen, — Der Hausvater. Nun? St. Albin. Ging ich voller Verzweiflung, mich ihrer zu versichern, und mit ihr an bas äusserste En­ de der Welt zu fliehen. — ■- Vein, so niederträchtig ist nie einem Menschen mitgespielet worden. — Er kömmt zu mir. — Ich eröffne ihm mein Herz. — Ich vertraue ihm mclnen Anschlag, als meinem Freunde. — Er tadelt mich. — Er rath mir cs ab- — Er hält mich auf, und das alles um mich zu verrathen, mich zu Grunde zu richten- — Es soll ihm das Leben koste».

Sechster Auftritt. Der Hausvater. Der Lommthnr. Lacilia. Saint Albin. Germeuil.

Eacilia

(die ihn zuerst wahrnimmt, läuft ihm ent«

gegen und ruft ihm

zu:) Germeuil, wo wollen Sie

hin?

E 4

6t.

6t. Albin (gehet auf ihn los und schreyet wüthend) Verrathet, wo ist Sie? Gieb mir sie wie­ der, und mache dich gefaßt, dein Leben zu verthei­ digen.

Der Hausvater (läuft dem Saint Albin nach.) Mein Sohn.

Lacili«. Mein Vruder — «ergehe -------

Halt! —

Ich

(Sie fällt in einen Lehnstuhl)

Der Commtbut- (zum Hausvater) Echt es ihr itutt nichts an? Was sagen Sic dazu? Der ^nucvfttcr. Gcrmcuil, gehen Sie fort.

(Dn-mctiil. Erlauben Sie, mein Herr, daß sch bleiben darf.

St. Albin. Was hat dir Sophia gethan? Was habe ich dir gethan, mich so zu verrathen? Der Hausvater, (noch i'mmer zu Eermeuiy Sie haben eme häßliche That begangen. St. Albin. Wenn dir meine Schwester iverth i'st; wen» du Sie haben wolltest, war cs nicht bes­ ser? — Ich schlug dir cs ja vor. — Aber du wolltest sic nicht anders als durch einen niederträch­ tig I! Streich besitzen. — Du hast dich betrogen, Nichtswürdiger. — Du kennst weder Cäcilien, noch meincik

meinen Vater, noch diesen Commlhur, der dich er­ niedriget hat, und sich nun an deiner Verwirrung weidet. — Du antwortest nicht.. — Du schweigest,

(yermctttl (kalt und gesetzt) Ich höre Ihnen zu; und ich sehe, daß man hier die Achtung in ei­ nem Augenblicke verlieren kaun, die man zu ver­ dienen fein ganzes Leben hindurch bemüht gewesen ist- Ich erwartete ganz etwas anders. Der Hausvater. Vergrössern Sie die SchulIhrer Treulosigkeit nicht noch durch Falschheit. Gehen Sie.

Sermenil. Ich bin weder falsch noch treulos« Sr. Albrn. Welche Frechheit!

Der Lommthur. Euter Freund, es brauchte! der Vorstellung nicht mehr. Ich habe alles bekannt. Sermeml. Ich verstehe Sie, mein Herr. ES sieht Ihnen ähnlich.

Der Lominrhnr. Was willst du damit?. Ich habe dir mein Vermögen und meine Nichte ver­ sprochen. Das ist unser Conttaet; und es bleibt dabey. Sc. Albin, (zum Commthur) Wenigstens ha­ be ich Ihrer Bosheit so viel zu danken, daß sie nunmehr keinen andern Man» bekomme«- sonn, als mich, © x Ger-

Germeuil. Gum Cvmmthur) Ich achte bett Dleichthum so hoch nicht, daß ich meine Ehre dafür cmfopferll sollte; und Ihre Nichte braucht nicht der Lohn einer Treulosigkeit zu seyn. — Da ist Ihr Befehl zur Verhaft. Der Lommthur. (nimmt ihn) Der Befehl zur Verhaft? Laß sehen« Laß sehen.

Germeuil. Er müßte in andern Handen seyn, tvenil ich Gebrauch davon gemacht hatte. Sr. Albi». ist frey!

Was habe ich gehört? Sophia

Germeuil. Saint Albin, der Schein bekriegt. Lassen Sie künftig einem ehrlichen Mann Gerechtig­ keit wiederfahren. — HerrCommthur, ich bi» Ihr Diener. (Er geht ab.)

Der ^auevAter. (reuend) Ich habe mich in meinem Urtheile übereilet. Ich habe ihn beleidiget. Der Lommthur. (der wie versteinert den Be­ fehl ansiehet) Das ist er. — Er hat mich an­ geführt-

Der ^ansvarer. müthigung.

Sie verdienen diese De­

Der Lommthur. Vortrefflich! Frischen Sie sie nur noch auf, ihre Schuldigkeit gegen mitf). aus den

) 107 t de» Augen zu setzen- Sie sind von selbst nicht ge­ neigt genug dazu. St. Albin. Sie mag seyn, Ivo sie will, ihre Alte muß wieder zurückgckvmmcn seyn. — Ich will gehen- Ich will ihre Alte sprechen. Ich wist mich entschuldigen. Ich will ihre Kniee umfassen. Jch werde weinen; ich werde sie erweichen, und hinter dieses Geheimniß kommen- (Er gehet ab.) Läcilia, (die ihm nachfolgt) Mein Bruder! St. Albin- Laß mich. Dir liegen andere Dinge am Herzen, als mir.

Siebender Auftritt. Der Hausvater.

Der Lommthur.

Der Lommthur. Sie haben es doch gehört? Der Hausvater.

Ja, Herr Bruder.

Der Lommrhur. Wissen Sie, wo er hingeht? DerHausvater. Ich weis es.

Der Lommthur. Nicht auf!

Und Sie halten ihn

Der Hausvater. Nein. Der Lommthur. Und wenn er das Mädchen

nun wieder findet: Der

Der Hausvaccr. Ich verlasse mich auf sie. Sie ist eilt Stilb; aber sie hat das beste Herz; und in solchen Umstanden kann sie mehr ausrichte», als ich und Sie.

Der Lommthur. Vortrefflich ausgsdacht! Der Hansvater. Mein Sohn ist itzt nicht in der Verfassung/ daß die Vernunft etwas bey ihm vermöchte.

Der Lommthur. Und also mag er nur m Gin Verderben rennen? Ich möchte rasend werden. Sie sind ein Hausvater? Sie? Der Hauovarcr. Wollten Sie mich wohl lehre»/ wie ich es sonst machen müßte? Der Lommthur. Wie Sie es sonst mache» mußten? Sie müssen Herr in ihrem Hause seyn; als solchen müssen Sie sich vor allen Dingen zeigen; und dann, als Vater, wen» sie es anders verdienen.

Der Hansvater. Und, wenn Sie erlauben wollen, wider wen soll ich denn verfahren? Der Lommrhur. Wider wen! Eine schone. Frage! Wider alle. Wider den Germcuil, der ihren Sohn in seiner AuSschweiffung bestärkt, der gern so eine Kreatur in die Familie bringen mochte, damit er sich selbst den Eingang dazu eröffne, und den

Den ich längst aus meinem Hause gejagt hätte: Wi­ der eine Lachter, die von Tage zu Lage freches wird, die alle schuldige Achtung gegen mich aus Leu Augen setzt, die bald auch auf Sie nichts mehr geben wird, und die ich i» «in Kloster eiusperretr würde: .Wider einen Sohn, der alle Empfindungen der Ehre verloren hat, der uns mit sich zugleich lä­ cherlich und verächtlich machen wird, und dem ich Las Leben so sauer machen wollte, daß es ihm, ge­ wiß nicht wieder eitilommen sollte, mir ungehorsam zu seyn: Wider die Alte, die ihn zu sich gelockt hat: Wider die Junge, in dre er sich vernarrt hat, und mit denen ich bald hatte fertig werden wollen. Mit Liesen würde ich den Anfang gemacht haben; und wenn ich an Ihrer Stelle wäre, so würde ich mich schämen, daß ein andrer diesen Ctiifall eher gehabt hatte, als ich. — Aber dazu brauchts Ernst, und der fehlt uns. Der Hausvater. Ich verstehe Sie. Das ist: rch soll einen Menschen aus meinem Hause jagen, den ich aus seiner Wiege zu mir genommen habe, bey dem ich Vaterstelle vertreten habe; einen Men­ schen, der, so lange er sich zu erinnern weis, alt allem, was mich angegangen, Theil genommen hat, der seine besten Jahre bey mir verloren hätte, der nicht wüßte, was er aufaiigen sollte, wenn ich ihlr verließ, dem meine Freundschaft nothwendig höchst mchtheilig seyn muß, wenn sie ihm nicht nützlich wird -

Mrd: und das, unter dem Vorwande, als gäbe er meinem Sohne böse Rathschläge, dessen Unternehm Nie» er doch geniisibilliget hat; als hieltet es mit -einer Kreatur, die er.vielleicht niemals mit Augen gesehen hat; in der That aber, Meiler das Werkzeug zu ihrem Verderben nicht hat seyn wollen. Ich soll meine Tochter ins Kloster sperren; ich soll machen, das man von ihrer Aufführung oder von ihrem Charakter böses denken muß; ich selbst soll ihren guten Namen schänden: und das, weil sie dem Herrn Commthur manchmal gleiches mit gleichem vergolten hat; weil sie, durch seine verdrieß­ liche Gemüthsart aufgebracht, dann und wann, ih­ rem eignen Charakter zuwider, ein nicht gnugsam überlegtes Wort gegen ihn ausgestossen hat.

Ich soll mich bey meinem Sohne verhaßt machen; ich soll alle kindliche Empfindungen in seiner Seele ersticken; ich soll das Feuer seines ungestümen Cha­ rakters vollends anschüren; ich soll ihn zu cinent Schritte bringen; der ihn bey seinem ersten Eintritte in die Welt entehre: und das, weil er cineUnglnckiiche angctroffcn hat, die schon und tugendhaft ist; weil seine jugendliche Empfindlichkeit, die bey dem allen doch von einem guten Herzen zeugt, sich mehr von ihr rühren lassen, als mir lieb ist. Schämen Sie sich Ihres Raths nicht? Sie soll­ te» meine Kinder bey mir vertreten, und Sie kla­ ge»

5 in < gen sie an; Sie suchen ihre Fehler auf; Sie ver^ grösser» die, die sie haben ; und nichts würde Sie mehr verdriessen, als wenn Sie keine an ihnen sanden. Der Lornmrhur. Den Verdruß habe ich nun eben nicht oft. Der Hausvater. Und diese Weibspersonen, wider die Sfe den Befehl zur Hast ausgewukt haben 3 Der Lommrhnr. Das fehlte Ihnen noch, daß Sie auch diese vertheidigten. Gehen Sie doch, gehen Sie! Der Hausvater. Ich habe Unrecht. Es'gieU Dinge, die cs eine Thorheit wäre, Ihnen beybrintzm zu wollen. Doch sollte ich meynen, die Sache wäre mich nahe genug angegangen, daß Sie mir wohl ein Wort davon hätten sagen können. Der Lommrhur. Nicht doch, ich habe Un­ recht; und Sie, Sie haben allezeit Recht. Der Hausvater. Nein, Herr Cvmmthur, Sie sollen weder einen ungerechten und grausamen Water, noch einen undankbaren und bösen Mann aus mir machen. Ich will keine Gewaltthätigkeit be­ gehen, weil sie mir vorlheilhast seyn kann; ich will meine Hoffnungen darum nicht aufgebcn, weil sich Hindernisse eräugnen, die sie weiter hinaussetzcn; ich will keine Einöde aus meinem Hause machen, weil Dinge darinn Vorgehen, die mir eben so sehr yußfallen, als Ihnen. Der

? >» ( Dor Lommchrir. Darüber Hatton wir uns ass $ erklärt- Recht gut, behalten Sic ihr liebes Loch» üerchcn; lieben Sie ihren theuer» Sohn rocht sehr; lassen Sic die Kreaturen, die ihn in ihren Stricken hcbcii, unbeunruhigct: Sic handeln daran viel zu Weislich , als daß man sich Ihnen widersctzcn sollte. Mas aber ihren -Germeml aikbelangt, so muß ich Ihnen nur sagen, daß ich und Er nicht länger unter Einem Dache wohnen können. — Entweder , oder» Entweder er muß noch heute fort, oder ich ziehe Morgen aus.

Der Hausvater. Herr Commthur, es siehe? bey Ihnen.

Der Lommchur. Das dachte ich. Cs sollte Ihnen wohl recht lieb seyn, wcnir ich meiner Wegtz ■ginge; nicht wahr? Aber ich bleibe; jfa, ich bleibe s rind wenn cs auch nur geschahe, Ihnen Ihre Lhvrs tzriten unter die Nase zu reiben, und Sie darüber beschämt zu machen. Ich will doch gern sehen, rote Las ablauffen wird! Ende des dritte» Antznges.

Viertey

Vierter Aufzug. Erster

Austritt.

Saint Albin alleilt. (Er tritt wüthend herein)

Nun ist alles klar. Der Verrather ist entlarvt! Weh ihm! Weh ihm! Er ist cs, der Sophien weg­ gebracht hat. Von meinen Handen soll er sterben. (Erruft) Philipp!

Zweyter

Auftritt.

Saint Albin. Philipp. Philipp. Mein HerrSt. Albin (indem er ihm eine» Brief giebt) Bringt das.

Philipp. An wen, mein Herr?

Sr. Albin. An Germeuil. — Habe ich ihn nur aus dem Haufe! So stosse ich ihm den Degen Lurch die Brust, dringe ihm das Bekenntniß seines Verbrechens und das Geheimniß ihres Aufenthalts ab, und eile dahin, dorthin^, überall hin, wo ich sie wicdcrzufinden hoffen kann. —• (Er wird PhiZweyter Theil. H lippM

tippen gewahr, der stehen geblieben ist.) Bist du nicht fort? Noch nicht wieder da?

Philipp. Mein Herr — Sr. Albin. Nun? Philipp, Es steht doch nichts darin», worüber Ihr Herr Vater ungehalten werden konnte?

Sr. Alb,». Gleich geh!

Dritter Auftritt Saint Albin. Läcilia. Sr. Albin.. Er, der mir alles zu danken hat? — Dessen ich mich hundertmal gegen den Commkhur angenommen habe! Dem ich — (In­ dem er seine Schwester gewahr wird) Unglückliche, was für einem Menschen hast du dich ergeben! LacUia. Was sagst du? Was willst du? Du erschreckst mich, mein Bruder. Sr. Albi». Der Treulose! der Verrather! — Sie ist mit ihm gegangen, in der Zuversicht^ daß er sie hierher führe. — Er hat deinen Namen ge­ mißbraucht —

Lacill«.

Germeuik ist unschuldig.

St, Albin, Er hat beyde weinen sehen, beyde schreyen

schreyen gehöret, und sic doch trennen können! Der Barbar!

Cacilia. Er ist kein Barbar; er ist dein Freund. St. Albm. Mein Freund? — Ich wollte rs. — Es kam nur auf ihn an, Glück und Un­ glück mit mir zu theilen; — so wäre Er und ich, Du und Sophia —

Cacilia. Was höre ich? — Du hattest ihm vorgeschlagen? — Er, du, ich, deine Schwester?

Sr. Albin. Was sagte er mir nicht alles! Was stellte er mir nicht alles vor! Mit welcher Falschheit — Cacilia. Genueuil ist ein ehrlicher Mann; ja, Samt Albin, und das, was du ihm zur Last legest, überzeugt mich davon vollends.

Sr. Albin. Was unterstehest du dich zu sa­ gen ? — Zittere! Zittere! — Ihn vertheidigen heißt meine Wuth verdoppel». — Geh! Flieh mich!

Cacilia. Nein, mein Bruder; du mußt mich hören. Du sollst Cäcilien zu deilien Füssen sehen- — Germeuil — Laß ihm Gerechtigkeit wiedcrfahren. — Kennst du ihn nicht mehr? — Ein Au­ genblick sollte ihn so verändert haben? Du beschul­ digest ihn, — du! Ungerechter Mensch! H a

Sr.

Sc. Albi». Wehe dir, wenn du noch einige Zärtlichkeit für ihn hegest! — Ich weine. — Bald wirst du auch weinen. —

Cacilia. (erschrocken und mit zitternder Stim­ me) Welchen Vorsatz hast du! St. Albin. Habe Mitleiden mit dir selbst, und frage mich nicht.

Cacilia. £)U hassest mich. Sc. Albin. Ich beteuere dich.

Cacilia. Du wirst doch unsern Vater erwarten?

Sc. Albin. Ich fliehe ihn. Ich fliehe die gan­ ze Welt. Cacilia. Ich sehe es. Du willst Germeuilen ins Verderben stürzen. — Du willst mich ins Ver­ derben stürzen. — Nun gut, schone keines von beyden. — Sage dem Vater, —

St. Albin. Ich habe ihm nichts weiter zu sa­ gen. — Er weis alles. Cacilia. Ah, Himmel!

Vierter

Auftritt.

Saint Albin. Cacilia. Der Hausvater. (Saint Ql (bitt bezeugt sich Anfangs bey Annäherung fei­ nes Vaters ungeduldig; nachher blecht er unbeweglich stehen.)

Der

) 1X7 C Der Hausvater. Du fliehest mich, ü7id ich kann dich nicht verlassen- — Ich habe keinen Sohn mehr, und du hast noch immer einen Vater! — Saint Albin, warum fliehest du mich? — Ich komme nicht, dich aufs neue zu kranken, und mein Ansehen neuen Verachtungen auszusetzcn- — Mein Sohn, mein Freund, du willst doch nicht, daß ich vor Gram sterben soll? — Wir sind allein. Hier stehet dein Vater! Hier deine Schwester! Sie wei­ net, und meine Thränen erwarten nur die deinigen, sich mit ihnen zu vermischen. — Wie süß kann die­ ser Augenblick seyn, wenn du willst! — Du hast deine Geliebte verloren; du hast sie durch die Treu­ losigkeit eines Menschen verloren, der dir werth war — Sr. Albin (indem er die Augen wüthend gen Himmel kehret) Ah!

Der Hausvater. Triumphiere über dich und ihn! Bezähme eine Leidenschaft, die dich erniedri­ get. Zeige dich meiner werth; — und schenke mir meinen Sohn wieder, Saint Albin. (St. Albi» entfernt sich. Man siehet es, daß er die Gesinnungen seines VaterS gern erwiedern wollte» ober nicht kann, Sein Vater verstehet seine Eebehrden unrecht, folgt ihm nach, und sagt:)

Gott! Empfangt man einen Vater so! Er ent­ fernet sich von mir. — Undankbares Kind, ungeH 3 rathener

) rr« (

ratkener Sohn! Und wohin wirst du gehen, bebt« ich dir nicht Nachfolgen sollte? — Ich werde dir überall nachfolgen. Ueberall werde ich memcnSvhir von dir fordern. — (Saint Albi» entfernt sich noch mehr, und fein Vater folgt-11)111 und schreyet heftig:)

Gieb mir meinen Sohn wieder! — Gieb [nnnin einen Sohn wieder! (St. Albin gehet und stützet sich gegen die Mauer, die Arme in die Hohe, und de» Kopf zwischen de« Ellbogen. Der-Vater fährt fort.)

Er antwortet mfr nicht- Meine Stimme reichet nicht mehr an sein Her;. Sitte unsinnige Leiden­ schaft kält es verschiessen. Sie hat alles verheeret Sie ha: ihn dumm und wild gemacht. (Er wirft sich in einen Lehnstuhl und sagt:)

O unglücklicher Vater! Die Hand des Höchste» hat mich geschlagen. Sie züchtiget mich in diesem Gegenstände meiner Schwachheit. — Es ist meirr Tod! — EransitmeÄuider, und ich wünsche cs;— den» jyr wünschet es

Cacilia, (die sich schluchzend ihrem Vater nähert) Ah! — Ah! —

Der ^«usvrtter. Tröstet euch. — Der An­ blick meines Jammers soll euch nicht lange zur Last seyn. —

seyn. — Ich will mich der Welt entziehen. — Ich will mich ein einen unbekannten Ort verweisen, und da das Ende eines Lebens erwarten, das euch zu lange dauert. Läcilin. (schmerzlich, indem sic dieHande ihres Vaters ergreift) Was soll aus ihrcnKindern werden, wenn Sie sie verlassen?

Der Hausvater. (nach einem kleinen Still­ schweigen) Cacilia, ich hatte meine Absichten mit dir. — Und mitGermeuilc». —- Sooft ich euch beyde sahe, sagte ich zu mir selbst: das ist Er, der das Glück meiner Tochter machen soll - - und Sie, sie wird das Haus meines Freundes wieder empor bringe».

Lacilia. (bestürzt) Was habe ich gehört! Sr. Albin (kehret sich wüthend um.) Er sollte meine Schwester gcheyrathet haben? Ich sollte ihn meinen Bruder nennen! Ihn!

Der Hausvater. Alles schlagt mich nieder; alles auf einmal. — Es ist nicht weiter daran zu denken.

Fünfter Auftritt. Lacilia. Der Hausvater. Germcuil. St. Albin. Da ist er; da ist er. Geht fort, geht alle fort. H 4 Lacrlra,

Sr. Albin.

Cacilia (die Gcrmeuilcn entgegen lauft) Hal­ len Sie, Germeuil. Kommen Sie nicht naherHalten Sie.

Der Hausvater (fasset feinen Sohn mitten nm den Leib und zieht ihii aus dem Saale.) Saint Alrin, — mein Sohn(Unterdessen kömmt Germeuil mit festen und ruhigen Schritten näher) (Saint Albin wendet sich, ehe er abgeht, mit dem Kopf um, und giebt dem Germeuil ein Zeichen.)

Cacilia.

Konnte ich unglücklicher seyn l

(Der Hausvater kömmt wieder herein, und trist zu hin­ derst im Saa/e auf den Commrhur, der sich einen Augenblick sehen lässt.)

Sechster Auftritt. Cacilia.

Germeuil. Der Hausvater. Commthur.

Der

Der Hausvater. Herr Bruder, ich will de» Augenblick bey Ihnen sey».

DerCommthur, Das heißt, SikwvllM Mich itzt nicht haben. Ihr Diener.

Sieben-

Siebender

Anftritk.

Läcilia. (ucvmctiil. Der 'Aausvarer. Der Hansvarer.' (zu Germeuilcn) Trennung und Unruhe herrschen in meinem Hause, und die Ursache davon sind Sie. — Eermcuil, ich bin utu zufrieden. Ich werde Ihnen nicht verwerfen, wie­ viel ich für Sie gethan habe. Vielleicht wollten See es gern. Aber nach dem Vertrauen, das ich heute gegen Sie bezeigte; denn weiter will ich nicht hin« ausgchen: hatte ich mir von Ihrer Seite aa«; et« was anders versehen. — Mein Sohn nimmt sich eine Entführung vor, er vertraut es Ihnen, und Sic sagen mir nichts davon. Der Evmmthur macht eine» andern häßlichen Anschlag; er vertrauet cs Ihnen / und auch davon sagen Sie mir nichts. Germeuil. Sie hatten es bcyde ausdrücklich verlangt.

Der H