Das Reich des Abendlandes 9783486765519, 9783486765502


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German Pages 164 Year 1932

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Inhaltsverzeichnis
1. Urwesenheit des Seins
2. Senkrecht und Waagrecht
3. Versuchung der Ebene
4. Individualismus und Universalismus
5. Ständetum
6. Der organische Staat
7. Eugenik
8. Volk und Nation
9. Die Juden
10. Die Wirtschaft
11. Die Kunst
12. Die waagrechten Stände
13. Der Wehrstand
14. Adel und Krieg
15. Handel und Krieg
16. Königtum
17. Die preußische Frage
18. Die österreichische Frage
19. Die Freiheit
20. Der Reichsgedanke
21. Die Kirche
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Das Reich des Abendlandes
 9783486765519, 9783486765502

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Das Reich des Abendlandes von

Fritz von Haniel-Niethammer „Die Wahrheit hat Zeit, der Irrtum hat keine Zeit"

München und Berlin 1932

Verlag von R. Oldenbourg

Mle Rechte, einschließlich daS der Übersetzung, vorbehalten Druck von R. Oldenbourg, München und Berlin

Inhaltsverzeichnis Seile

1. Urwesenheit des Seins...................................................... 2. Senkrecht und Waagrecht.................................................. z. Versuchung der Ebene.....................................................

i 5 9

4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Individualismus und Universalismus............................. Ständet««........................................................................... Der organische Staat...................................................... Eugenik.............................................................................. Volk und Nation................................................................ Die Juden........................................................................... Die Wirtschaft.................................................................... Die Kunst...........................................................................

12 17 29 40 44 52 62 92

12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

Die waagrechten Stände..................................................... 101 Der Wehrstand.......................................................................103 Adel und Krieg.......................................................................106 Handel und Krieg................................................................... in Königtum.............................................................................. 115 Die preußische Frage............................................................ 120 Die österreichische Frage.........................................................131

19. Die Freiheit...........................................................................135 20. Der Reichsgedanke................................................................142 21. Die Kirche.............................................................................. 151

Geist Vater unendlich

Bruder /

Objekt

Wille

Tun I Zweck

V

Bruder

Seele

dauernd Mutter

Leib

Tun Zweck

Wille

i Könige i9, u: Und siehe der Herr ging vorüber und ein großer starker Wind, der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach, ging vor dem Herrn her; der Herr aber war nicht im Winde. Nach dem Winde aber kam ein Erdbeben; aber der Herr war nicht im Erdbeben. — Und nach dem Erd­ beben kam ein Feuer; aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein still sanftes Sausen.

Die Urwesenheit des Seins. Die entscheidenden Dinge geschehen lautlos im Ge­ heimen, Verborgenen. Wirklichkeit im vollsten und tiefsten Sinne des Wortes, ist das, was man nicht hören und sehen kann. Nur die Zerstörung, die Gewalt, geht mit Donnern und Dröhnen, mit Blitzen und Flammenzeichen vor sich. Aber alles, was ist und lebt, ist unmerklich im Geheimen entstanden. Es hat noch niemand einen Baum wachsen hören. Das Hämmern und Klopfen des Werkeltags ist schon die Unvollkommenheit menschlichen Gemächtes. Je lauter eine Maschine hämmert und rattert, um so unvollkom­ mener ist sie; die vollkommene Maschine hört man kaum. Leben ist gesammelte, verhaltene Kraft, Leben ist gebanntes Chaos. Die sich selbst überlassene Kraft ist nur Teil und droht ins Chaos auszuschlagen, sich im All zu verlieren. Leben ist Ordnung zum Sinn, Chaos ist Abfall zum Un-Sinn. Leben ist Sinnbild des Ewigen, Chaos ist Sinnbild des Vergänglichen. Nun wissen wir zwar, daß alles Leben vergänglich ist, wie uns jeder Schmerz und die Sünde lehrt. Denn was sündigt und fehltest unvollkommen, und was un­ vollkommen ist, kann nicht ewig sein, sondern muß untergehen. Aber der Sinn des Lebens ist die Ewigkeit, der Sinn des Chaos die Vergänglichkeit. Die Urform allen geschaffenen Seins ist die Kugel. Kreis und Kugel sind geschlossene Form, um einen Mittelpunkt gelagert und somit Symbol des Einen und Ganzen. Die Gerade ist das Auseinanderstrebende, Chaoti­ sche, Partielle. Gerade und Fläche sind anonym, unbestimmt, wesenlos. Jede Gerade gleicht jeder anderen Geraden.

Der Kreis ist nicht jedem andern gleich. Jeder noch so kleine Teil eines Kreises weist auf den Mittelpunkt hin und trägt somit das Wesen des Ganzen in sich; denn mit jedem noch so kleinen Teil eines Kreises ist schon der ganze Kreis gegeben. Der Kreis führt aus der ersten Dimension in die zweite, die Kugel aus der zweiten in die dritte, während Fläche und Gerade in ihrer Dimension bleiben. Sie können sich nur über Kanten und Ecken zur Ranmgestalt zu­ sammensetzen. Die Urformen allen Seins sind von kugeliger oder kugelähn­ licher Gestalt: Unsere Erde, die Sonne, der Mond, die Planeten und all die Millionen und Abermillionen Himmelskörper, von denen wir wissen. Die Planeten ziehen um die Sonne in kreisähn­ lichen Bahnen. Von den Fixsternen vermuten wir ebenfalls, daß sie sich in unendlichen Zeiträumen um einen unendlich entfernten Mittelpunkt bewegen. Nur von den Kometen, den Heimatlosen des Weltalls, wissen wir nicht, ob sie nicht in einer unendlichen Ge­ raden durch die Himmelsräume rasen. Die Urzelle organischen Lebens in Tier- und Pflanzenreich, das Ei, ist von runder, kugelähnlicher Gestalt. Die Natur mag die einzelnen Organismen außen zum Zwecke der Abwehr und deS Kampfes mit Nadeln und Stacheln, mit Hörnern und Krallen be­ gaben, das Leben und Sein der Wesen ruht in weichen, ausge­ rundeten Organen, die im Innern des Körpers eingebettet sind. Das Spitze, Scharfe und Eckige kann mittelbar als Organ des Kampfes dem Leben dienen, aber das Leben an sich ist stets von ausgerundeter Gestalt. Das Gerade und Spitze sind nur sekundäre, periphere Lebensformen. Der Kugel entspricht die in sich verweilende, quellende Kraft des keimenden Lebens, der Geraden die dynamische Kraft fort­ eilender Bewegung. Die Kugel ist die Urform organischen, die Gerade die Urform mechanischen Wesens. Unserem Un­ vermögen ans konstruktivem Wege das Leben zu „machen", das Organische anorganisch aufzubauen, entspricht im Reich der Geo­ metrie die Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises. Der Geraden entspricht die Gegenwart, der Augenblick, denn

die forteilende Kraft ist nur in einem Augenblick, au einer Stelle Wirklichkeit, der Kugel entspricht die Dauer, denn die ruhende Kraft erneuert sich immer wieder ans sich selbst. Die Gerade ist Sinnbild der Aktivität, denn sie tritt aus sich heraus und in Fremdes ein. Die Kugel ist Sinnbild der Passivität, denn sie beharrt und währt in sich. Die Gerade ist Symbol des Männlichen, die Kugel Symbol desWeiblichen. Dem Männlichen haftet das Plötzliche,Vorübergehen­ de, dem Weiblichen das Dauernde, Verbleibende an. Im Bereich des Natürlichen ist das Weibliche bedeutsamer als das Männliche. Im Bereich des Geistes — beim Menschen — wirkt sich diese Urordnnng der Schöpfung so aus, daß der Mann, da er der Natur nicht so stark verhaftet ist, dem Geiste näher verwandt ist, daß er also gerade deshalb, weil er weniger Natur ist, mehr Geist ist. Daher ist der Vater das geistige Prinjip, das Vernünftige, Helle, Klare und die Mutter das natürliche Prinzip, das Dunkle, Verborgene, Tragende. Der Mann ist mehr als die Frau, insofern er mehr Geist und weniger Geschlecht ist als sie; insoweit er aber Geschlecht ist, ist die Frau mehr als er. Bei primitiven Völkern, die nur den Tier-Mann, nicht den Geist-Vater kennen, herrscht daher die Mutter. Die Frau ist vorwiegend Seele und Erde, daher ausgerundetes, geschlossenes, einzelhaftes, persönliches Sein, der Mann ist teils Erde, teils Geist, daher zwiespältiger, widersprechender. Als Erde ist er Willkür und Gewalt, als Geist ist er überpersönlich und objektiv. Eine modische Lebensphilosophie, die sich in ihrer Ethik aus­ schließlich an der Natur orientieren will, stößt auf die Schwierig­ keit, daß es dort zwei wesensverschiedene Lebensideale gibt: das pflanzliche und das tierische, das ruhend-passive und das bewegt-attive. Auch innerhalb des Tierreiches findet diese Zweiheit noch ihre Verkörperung in Fleischfresser und Pflanzenfresser. Wer hat nun recht — im Sinne dieser Naturethik — das sprungbereite Raubtier oder der flüchtende Hirsch. Wer soll dem Menschen Vor­ bild sein? Die Natur allein kann uns keine Antwort geben. Nur im Lichte des übernatürlichen Menschheitszieles können wir ihre Formen für unser Dasein richtig deuten.

Die Pflanze ist die weibliche Urform des natürlichen Lebens. Die Einheit des Seins ist auf niederer Stufe noch rein und un* gestört erhalten. Mit dem Tierreich tritt die Natur in ihre erste Problematik ein. Das männliche Geschlecht, das Prinzip der freien Bewegung, tritt sichtbar heraus. Es entsteht die Möglichkeit des Bösen. Alles Leben auf der Erde setzt das pflanzliche Leben voraus. Wenn es keine Pflanzen gäbe, könnte es auch keine Tiere geben. Auch das Raubtier nährt sich von pflanzenfressenden Tieren. Auch das Raubtier muß, um sein Geschlecht fortzusetzen, seine Jungen austragen und säugen — also zu stillerem vegetativerem Dasein zurückkehren. Das pflanzliche Sein ist Symbol der Wahrheit, des Wach­ sens aus der Tiefe und des Aufstrebens nach dem Licht; das tierische Sein ist Symbol der Freiheit. Der Mensch ist die höchste Schöpfung, in der die Idee des pflanzlichen und des tierischen Da­ seins zu -er Idee des Menschen vollendet worden ist — daß wir kraft der Wahrheit leben und kraft der Freiheit uns bewähren können.

Senkrecht und Waagrecht. Waagrecht ist der Horizont, der Himmel und Erde in zwei Hälften teilt, senkrecht ist der Pflanze Wuchs und des Menschen Gang. Aufrechtstand bejaht, Querlage verneint — wie Sprache und Schriftlichen deutlich bekunden. Das Tierreich ist verstrickte Schöpfung, es gibt kein Tier mit einer vollkommen aufrechten Haltung; ste sind alle der Erde zuge­ kehrt, auch der Vogel über uns. Und am niedersten bezeichnen wir die Tiere, die dem Boden am nächsten sind, daher die Feindschaft zwischen Mensch und Schlange. Die Schlange, die am Boden kriecht, verkörpert das horizontale Prinzip der Verneinung, des Abfalls von der Schöpfung, während der Mensch in seinem aufrechten Gang gleich­ sam Himmel und Erde in sich trägt, Geist und Körper in einem ist. Senkrecht ist Schwerkraft, ist Stabllität, ist Tiefe und Höhe, waagrecht ist Indifferenz, ist Labilität, ist Weite und Ebene. Oben und unten ist absolut, links und rechts ist relativ. Oben und unten verkehren, heißt die Dinge auf den Kopf stellen, links und rechts kann man — wie der Spiegel zeigt — vertauschen, ohne das Wesen der Dinge anzurühren. Das Senkrechte ist die Dimension der Bezogenheit zum Erdmittelpunkt — als dem phyischen und symbolischen Mittelpunkt unseres Seins. Das Senkrechte ist daher an sich schon wesenhaft, sinnvoll, bestimmt; Höhe und Tiefe drücken an sich schon etwas aus, während das Waagrechte, wesenlos, un­ bestimmt, erst in Beziehung zum Senkrechten — als Fülle und Breite — Ausdruck gewinnt. Der Baum ist Sinnbild der Struktur des Lebens: der senk­ rechte Stamm als führendes und die waagrecht in die Breite aus-

ladenden Äste als beigeordnetes Prinzip. In aller höheren leben­ digen Ordnung ist das Waagrechte als sekundäres Prinzip dem Senkrechten untergeordnet; denn wo das Waagrechte zum Primat erhoben ist, tötet es das Senkrechte — und damit das Leben. Ein Baum, der breiter ist als hoch, erscheint uns als eine Mißgeburt. Senkrecht und waagrecht ist die Symbolik des Kreuzes: ein Stamm mit zwei Querarmen, gleich der Gestalt eines aufrechtstehenden Menschen mit ausgebreiteten Armen, bereit, die Liebe oder den Tod zu empfangen. Das senkrechte Holz ist die Einheit des Glaubens, der von unten nach oben, aus der Dunkelheit zum Lichte aufsteigt, die Querarme sind die umfassende Weite des Glaubens, der stch über die ganze Erde ausdehnt. Alles Wurzelschlagen, alles Wachsen und Werden, alles Schaf­ fen und Bilden, kurzum alles Sein setzt eine Ruhelage voraus, ist ein Verharren in sich und somit auf eine senkrechte Bewegungs­ richtung als Hauptachse festgelegt. Im Waagrechten dagegen vollziehen sich die mechanischen Dinge: Handel, Verkehr, Gewalt, Krieg, kurzum alles Tun. Und wie Handel und Verkehr, Krieg und Zerstörung, ein Schaffen und Bilden zur Voraussetzung haben — denn sonst wäre nichts da, was ausgetauscht oder zerstört werden könnte — so ist alles Tun nur möglich in bezug auf ei» vorhandenes Sein. Sein ist primär, Tun ist sekundär. Sein beschließt einen Sinn, Tun geht auf einen Zweck. Daher heißt es auch: „Wer da lasset, ist größer, denn der da tut." „Sie Leute sollten nicht immer so viel nachdenken, was sie wohl tun sollen, sie sollten lieber bedenken, was sie sein sollen" lehrt der Meister Eckehart. Das ist mit wenigen Worten das Problem der Gegenwatt; denn wir leben im Zeitalter des Verkehrs, des Handels, der Ruhe­ losigkeit, der Aktivität, der Männlichkeit. Es handelt sich also bei der Symbolik von Senkrecht und Waag­ recht nicht um eine zufällige mögliche Ansicht, sondern um ein all­ wirksames kosmisches Grundgesetz. Was über uns ist, und wäre es auch Millionen Mellen hoch, wie der Himmel und die Sterne, betrifft unmittelbar unser Sein. Was aber neben uns ist — und 6

wäre es nur eine Tagereise entfernt, berührt uns nur mittelbar. Das soll nicht heißen, daß uns das Schicksal der Nachbarn nichts anginge; wir sind für alles mitverantwortlich; aber das Sein des Nachbarn wurjelt in einer anderen Erde, steht unter anderen Sternen und ist nur mittelbar durch den gemeinsamen Grund der Welt mit unserem Sein verbunden. Es ist eia großer Unterschied zwischen der Verbundenheit und Verantwortlichkeit des Neben­ einander und der Wesenszugehörigkeit des Übereinander. Was neben uns ist, tritt — im Waagrechten — zumeist als Spannung und Gegensatz zu uns auf. Nur in einer unendlichen Senkrechten läuft alles aufeinander zu, vereinigt sich alles wieder in einem Punkt. Ohne den Himmel über uns und die Erde unter uns wären wir nicht, aber ohne das Land und das Volk neben uns wäre unser Sein denkbar. Das Leben ist Einheit in der Tiefe, in Gott — nicht Einheiüichkeit in der Dimension, in der Breite. Und was im Raum gilt, gllt auch in der Zeit. Sich nicht dem Augenblick, der Gegenwart ganz hingeben, nicht dem Zeitgeist ver­ fallen, sondern aus der Vergangenheit für die Zukunft, von Ewig­ keit zu Ewigkeit leben! Denn wir sind nicht dazu da nur für uns, für den Augenblick zu leben, sondern um im Geiste unseres ErbeS für unsere Erben zu wirken. So soll auch die menschliche Gemein­ schaft erst vom Vater auf den Sohn und dann von Bruder zu Bruder gehen. Der Vater ist das Ganze, die Kontinuität, der Bruder ist der Teil, die Aktualität. Der Mythos des Vaters reicht in die Vergangenheit hinab, zu denen, die vor uns waren, und weist in die Zukunft hinein, zu denen, die nach uns kommen werden. Der Mythos des Bruders gilt den Lebenden, der Gegenwart, der Diesseitigkeit. Die Vateridee weist notwendig über sich hinaus ins überzeitliche, überweltliche, Ewige; die Bruderidee ist Bejahung der Zeit, des Augenblicks, der Wirklichkeit. Der Vater ist die Tra­ dition, das Blut, die gewordene Gestalt; der Bruder fordert die Gleichheit, die Vernunft, die Organisation. Der Vater ist das Sym­ bol des gegliederte» Volkes, der Bruder ist das Symbol der ein­ heitlichen Masse. Der Vater ist das Erste, der Bruder ist das Zweite. Wohl kann eine Gemeinschaft ohne Bruderliebe nicht sein. In

jeder Studentenschaft, in jedem Offizierskorps, in jeder Fußball­ mannschaft herrscht Kameradschaft, aber sie muß einer übergeord­ neten Idee entspringen. Die Menschen sollen Bruder sein im Glauben, im Volkstum, im Stand; aber nur Brüder, Brüderlich­ keit an sich ohne den Hintergrund einer darüber hinausführenden Vateridee ist die Auflehnung des Teils gegen das Ganze, der ab­ geleiteten Werte gegen die ursprünglichen. Die Gemeinschaft soll erst von unten nach oben und von innen nach außen wachsen: erst Heimat und Geschlecht, dann Volk und Stand — dann Erde und Menschheit. Als Glied in der Geschlechterfolge ist jeder Einzelmensch ein Ganzes, da er für seine Zeit das ganze Geschlecht verkörpert, als Glied in der ebenen Massengemeinschaft des Kommunismus ist er nur ein Teil, nur Funktion einer disziplinierten Masse. Das Wesen der von unten nach oben gewachsenen Gemeinschaft, Geschlecht und Volk, ist natürliches Werden, das Wesen der lediglich in die Breite gebauten Massengemeinschaft ist künstliche Organisation. Zwei wesensfeindliche Prinzipien: Natur und Technik, Leben und Ma­ schine, Schöpfung und Menschenwerk, Sinn und Zweck, Glauben und Wissen stehen einander gegenüber. Das Ordnungsprinzip des Lebens ist Mannigfaltigkeit in der Breite und Einheit in der Tiefe und Höhe: Tausend und Abertausende von Arten und Formen — und doch wurzeln sie alle in derselben Erde und strecken ihre Blätter demselben Lichte entgegen (vielheitliche Einheit). Das Ord­ nungsprinzip der Maschine ist Vereinheitlichung in der Breite und Entwurzelung in der Tiefe. Die dahinrasende Maschine, die Tiere, Menschen, Häuser, Gärten, Felder, Wälder und Länder weg­ schleudert und hinter sich läßt, wie wenn es nichts wäre (einheit­ liche Vielheit). Die menschliche Gemeinschaft soll im Zeichen des Kreuzes stehen: Erst Höhe und Tiefe — dann Weite, erst Glaube und Heimat, Vater und Mutter, Himmel und Erde —dann Bruder und Welt, Zeit und Wirklichkeit. Der Kreis bedeutet das Sein, die Senkrechte das Werden, die Waagrechte das Tun und abermals ein Kreis, ist die Vollendung.

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„3» der Ebene ist entweder alles oder nichts".

Die Versuchung der Ebene. Zwischen dem geistigen Bild der Landschaft, in der der Mensch lebt, und seinem eigenen Wesen bestehen schicksalhafte Zusammen­ hänge. Es ist eine alte Erfahrung, daß Gebirgsvölkern im Gegen­ satz j« den Ebenenvölkern fast immer etwas Starres und Konser­ vatives angeboren ist. Wie die Berge, wuchtig und massig, stehen sie unverändert da und trotzen dem Wandel der Zeiten. Jedes Tal, jede Schlucht, jeder Schritt Weges eröffnet einen anderen Ausblick, eine andere Welt, aber das Ganze bleibt unabänderliche, unver­ rückbare Gewißheit. — Die Physiognomie des Gebirges ist die Mannigfaltigkeit in der Einheit, das Bedingte im Unbedingten. Anders die Ebene. Sie ist die Einheitlichkeit in der Vielfalt, das Unbedingte im Bedingten. Die Ebene ist in sich gleich, aber sie kann verschieden empfunden werden. Die Berge drängen sich einem mit ihrer ganzen Masse auf; man kann nicht über sie hinweg­ sehen, man kann sie nicht wegleugnen, sie sind zu offensichtlich da. Die Ebene dagegen drängt sich nicht auf, sie läuft vielmehr vor einem in die Unendlichkeit davon. Im Gebirge ist jeder Punkt fixiert, hat seine bestimmte Lage oder Stellung in der Landschaft: er liegt entweder im Tal, oder am Fuß des Berges.... In der Ebene ist alles eins. Sie läßt sich nicht richtig fassen, Ort und Lage sind nur durch Straßen und Himmelsrichtungen, also durch gemachte und gedachte Kennzeichen bestimmbar. Im Gebirge ist immer etwas da, in der Ebene ist entweder alles oder nichts. Es gibt keine Senk­ rechte, die sich dem Menschen als eine Begrenzung und Haltung entgegenstellte. Die ungestaltete, vollkommene Ebene ist nur gren-

zenlose Weite, die entweder als Unendlichkeit empfunden wird, dann ist Gott in ihr, oder aber — und das ist die Versuchung — als lineare Fläche, als platte Tatsache! Keine naturgegebenen Abstufungen mehr von unten und oben, von hell und dunkel wie im Gebirge, keine irrationalen Unregelmäßigkeiten, sondern: voll­ endete Ebenmäßigkeit, kristallklare Ratio. Im Gebirge bleibt die Natur der stärkere Teil in der Land­ schaft. Der Mensch muß Wälder und Wiesen, Straßen und Dörfer den natürlichen Gegebenheiten anpassen; er kann äußersten Falles Tunnels durch das Erdreich stechen; aber er kann die Berge nicht ausradieren. Anders in der Ebene. Hier ist der Mensch der Stärkere und kann die Natur vergewaltigen. Er kann mit seinem harten schematischen Griffel die schnurgeraden erbarmungslosen Linien der Zweckmäßigkeit in die Erde ritzen und so das weiche blühende Antlitz der Natur entstellen. Es kann geschehen, daß der Mensch über sich und seine Zwecke die Natur und die Schöpfung vergißt. In der offenen kahlgebirgigen Landschaft Italiens und Frank­ reichs blldete sich zuerst jene freie Vernünftigkeit, die Aufklärung, heraus, die dann sehr bald ihren Siegeszug über ganz Europa hielt. Die schnurgeraden Linien der französischen Gärten mit ihren geklippten Hecken wurden von den deutschen Fürstenhöfen nach­ geahmt und die pfellgeraden napoleonischen Straßen zogen ohne Rücksicht auf das gegebene Gelände erbarmungslos — Buckel auf, Buckel ab — durch deutsches Land. Aber die romanische Vernünftigkeit aus einer zwar offenen, aber doch gebirgigen Landschaft kommend, bleibt in den Konturen einer umgrenzten, abgerundeten Körperhaftigkeit beschlossen; sie schlägt nicht ins Chaotische aus. Die Vernünftigkeit der Romanen, namentlich der Franzosen, bleibt individualistisch, menschbezogen. Ihre gesellschaftlichen Bildungen sind der Bourgeois und die Nation. Erst bei den großen Ebenenvölkern entwickelt sich der Rationa­ lismus zu überpersönlicher dynamischer Gewalt. Die norddeutsche Tiefebene ist das nächstgelegene Glacis, auf dem sich die romanische ratio selbst überbietet. Die Macht und Durchschlagskraft des jungen io

preußischen Staates überschattet bald das französische Vorbild. Nur Polen bleibt von der Zweckherrschaft verschont. Die pol­ nische Landschaft bleibt Geheimnis. Dafür entlädt sich in Ruß­ land und Amerika der Zweckgeist in seiner ganzen dämonischen Gewalt.

R. Guarbini: „Das Mensch-Sein 1(1 als Persönlich­ keit und als Gemeinschaft zugleich gegeben".

Individualismus und Universalismus. Individualismus ist Vereinjelung, Loslösung, Abtrennung. Das Individuum setzt als erstes sich, dem die Welt als eine fremde Gegebenheit gegenübertritt. Unbedingte Gewißheit ist nur das „Ich"; die Welt, das Ganze, Gott, wird Gegenstand der „Erkennt­ nistheorie" und somit zur Diskussion gestellt. So gläubige Christen die Philosophen des kritischen Idealismus gewesen sein mögen, sie haben in ihren Gedankensystemen den Materialismus vorbe­ reitet. Es ist eine gerade Linie von Kant über Hegel zu Marx. Da nun das Individuum nur noch als ein selbstgegebenes, beziehungsloses Wesen vorhanden ist, so muß es sich den anderen Individuen gegenüber mindestens als gleich fühlen. Die Idee der Gleichheit ist die Notkonstruktion der durch den Individualis­ mus atomisierten Gesellschaft. Und da es außer dem Individuum keinen festen Punkt gibt, so kommen die gesellschaftlichen Formen (Staat usw.) nur durch Zweckvereinbarung der Einzelnen zustande. Oder etwas anders ausgedrückt: „Die Menschen sind eine Horde von Raubtieren, von denen sich einige zusammentun, um über die anderen herzufallen", wie das der englische Philosoph Hobbes un­ gefähr aufgefaßt hat. Der Staat macht sich zunächst diese Anschau­ ung zunutze, indem er die Eigengesetzlichkeit und Selbstherrlichkeit des Individuums auf sich bezieht, während die Menge des Volkes noch gläubig und gebunden ist. Er profitiert als erster von der Frei­ heit, ehe sie in das Bewußtsein der vielen eingedrungen ist. Er ist dabei bestrebt, alle ständischen und landschaftlichen Körperschaften zwischen sich, dem Staat, und den einzelnen Untertanen auszu-

merze«. Das ist die Ära des fürstlichen Absolutismus, die nur eine kurze Zeit, etwa hundert bis hundertfünfzig Jahre währt. Den« nun beginnt der freiheitliche Individualismus langsam von unten durchzugären. Die Vielen wollen auch souverän sein. Unter dem Schlachtruf „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit macht sich dieses Bestreben Luft. Nach den Gesetzen der absoluten Vernunft soll der Wille des Staates aus dem Willen der Vielen herausdestilliert werden. Der Staat muß der Niederschlag des Willens der Vielen, genannt Volk, sein. Es entsteht die moderne parlamentarische Demokratie. Ihre gedankliche Konstruktion ist folgende: Durch den Wahlmechanismus wird der Wille der Tausend und Abertausend, wie durch eine Linse im optischen Verfahren im Parlament ge­ sammelt. Der Wille des Volkes ist jetzt sozusagen in einem debattierfähigen Gehäuse eingefangen. Und hier kristallisiert sich nun, kraft Wunder der Dialektik, durch These und Antithese, der Mehrheits­ wille des Volkes wie die ewige Wahrheit heraus. Ein kunstvoller und sinnreicher Mechanismus! Ein Homunkulus, den man nur aufzuziehen braucht! — Er war eben die Grundüberzeugung jener rationalistischen Zeit, daß man verschieden geartete Ansichten und Interessen auf dialektischem Wege klären könnte. In Wirklichkeit sind die Dinge so verlaufen, daß zunächst noch starke Kräfte aus früherer Zeit da waren, Reste des Ständetums, Königtums, Adels, Kirche, die den künstlichen Mechanismus tragen halfen. Die konstitutionelle Monarchie war noch ein Kompromiß. Erst als diese zusammenbrach und das parlamentarische System ganz auf sich gestellt war, traten seine Schäden klar zutage. Es zeigte sich, daß, die Gleichheit der Dielen, notwendig zum Kollek­ tivismus, zur Masse, führt und daß letzten Endes doch immer nur einige Wenige über ein Volk herrschen und daß in der Demokratie gerade die Gefahr besteht, daß diese Wenigen irgendwelche ano­ nymen volksfremden Mächte verkörpern. So hat sich der radikale Individualismus heute schon ad absurdum geführt. Die Geistesgeschichte der letzten Jahrhunderte pendelte wie zwischen Szylla und Charybdis, zwischen Individualismus und

Kollektivismus, Anarchie und Staatsvergottung, hin und her. Ent­ weder ist der Einzelmensch letzter Sinn der Schöpfung; dann ist jede überindividuelle staatliche Bindung eine ungerechte Unterdrückung und Knechtung der persönlichen Freiheit des Menschen — oder aber die Gesamtheit, der Staat, ist der Oberbegriff und die einzelnen Menschen sind unvollständige Teile, deren Existenz erst aus dem Ganzen ihren Sinn empfängt. So Hegel: „Im Staate a llein hat der Mensch vernünftige Existenz." Der Individualismus treibt auf die Alternative hin: Was ist wichtiger, der Staat oder ich? Und um die Anarchie zu vermeiden und wenigstens den äußeren Bestand der Gesellschaft zu retten, schlägt er — wie jeder Irrtum — in sein Gegenteil um: den Kollek­ tivismus, in dem nur die Masse gilt und der einzelne zum willen­ losen Teil herabsinkt. Das ist die Entwicklung, wie wir sie in Ruß­ land und Italien erleben. Aus dem drohenden Chaos der Demo­ kratie erhebt sich — als Retter in der Not — die usurpierende Dik­ tatur. Im Geiste war diese Entwicklung im 19. Jahrhundert vor­ ausgedacht worden. Die Philosophie ist ein Spiegel der kommenden Dinge: Kant und Fichte konstruieren die Gemeinschaft noch nach Art der Aufklärung individualistisch aus dem Einzelwesen, Hegel und Marx kehren das Verhältnis vollends um und lassen den einzelnen fast nur noch als eine Funktion der Gesamtheit gelten. Individualismus und Kollektivismus sind mechanische Teilprinzipien, die sich logisch widersprechen und immer tiefer in unentwirrbaren Irrtum verstricken. Ihnen gegenüber ist der Uni­ versalismus gleichsam das organische Prinzip, in dem die Teil­ wahrheiten von individual und kollektiv in stetiger lebendiger Span­ nung zu einem sinnvollen Ganzen zusammengeführt werden. Aus Freiheit und Autorität, aus eigen und gesamt wird erst der organische Staat. „Organisch" vergleichsweise zu verstehen; denn die Gesell­ schaft ist mehr als Natur; sie ragt in das Reich des Geistigen hinein und ist als solche über die Gesetzmäßigkeit des Bloß-Natürlichen hinausgehoben. Aber sie ist andrerseits dem natürlichen Dasein

so wett verhaftet, daß der Vergleich mit der organischen Natnr fruchtbare Analogien ergibt. Der Grundgedanke des Universalismus ist die Einheit und die Ganzheit. Er ist notwendig religiös fundiert. Es gibt nur eine Wahrheit, nur einen Glauben, nur einen Gott. Aus der göttlichen Einheit fließt die Einheit des weltlichen Reiches heraus, das somit seiner Idee nach absolut und vor aller Erfahrung gegeben ist. In dieses universalistische Reich werden die vorhandenen Grup­ pen und Mächte als lebendige Glieder eingebaut. Ihr größtmög­ liches Eigenleben (individual) wird dem Gesamtorganismus (kollektiv) eingeordnet. Jeder noch so kleine Teil ist eigenständig, aber auf das Ganze bezogen, da er als geistiges Urbild auch das Ganze enthält. Es ist wie in der organischen Natur, wo auch die kleinste Zelle trotz ihrer Verschiedenheit die Urwesenheit des ganzen Organismus ausdrückt. Der universalistische Staat ist also metaphysisch absolut und allgemein, schließt den Widerstreit sich willkürlich befehdender selbstherrlicher Nationalstaaten aus. Aber je mehr er in die Welt herabsteigt, um so relativer und elastischer wird er; in wirt­ schaftlichen und alltäglichen Fragen läßt er dem vielfältigen Eigenleben der Völker, Länder, Gaue und Stände möglichsten Spielraum. Er läßt von unten wachsen und beschneidet nur die ärgsten Auswüchse. Er ist dezentralistisch und föderativ und nur so wett organisatorische Einheit, als es unbedingt geboten ist, im Gegensatze zum rationalen Staat, der aus bloßem Machtund Einheitswahn zentralisiert. Als ob Einheitlichkeit an sich ein Ideal wäre! Lieber Zerfall als die Einheitlichkeit des Materialis­ mus, in der Zwecke gefördert werden, aber der Sinn zerstört wird! Lieber engste Gemeinschaften, die sich schlecht und recht durchs Leben helfen, als die fragwürdige Wohlfahrt der entleerten Massenzivilisation! Die Polarität zwischen Persönlichkeit und Gemeinschaft ist die lebendige Spannung des Mensch-Seins. Die Persönlichkeit ent­ faltet sich in der Gemeinschaft und die Gemeinschaft wächst mit den einzelnen. Mikrokosmos und Makrokosmos.

Jeder ist vom Ganzen ein Bild. Jeder ist rund um ein Mensch, ist eine Welt für sich, die in einer größeren ruht. Es gilt also nicht die Idee der Gleichheit, sondern die Idee des Gleich­ nisses. Das Urbild spiegelt sich in tausend und abertausendfach verschiedener Weise. Alles ist von allem ein Bild. Und wie im Kleinen, so im Großen: Stände und Länder, statt Klassen und Provinzen, Kirche und Reich, statt GeHeim-Bnnd und Pan-Union.

V. Spa»n: „Gemeinschaft bildet sich durch Verschieden, heit in der Gleichheit".

Ständetum. Wesenheit. Ein Volk gliedert sich entweder in Stände, oder es spaltet sich in Klassen. Klassen gibt es immer nnr zwei. Be­ sitzende und Nichtbesitzende, Stände gibt es so viele, als es Berufe gibt. Die ständische Gemeinschaft beruht auf dem allem Lebendigen innewohnenden Prinzip der Gliederung. Glied sein heißt: lebendiger Teil sein, der — im Gegensatz zum toten mechanischen Teil, der nur Stück ist — nach Art der organischen Natur die Wesenheit des Ganzen in sich trägt: Der kleinste Teil von der Rinde eines Baumes enthält das Wesen des ganzen Baumes; man kann von ihm auf den ganzen Baum schließen. Nur ein Teil — und doch das Ganze. Zur Gliedschaft gehört also nicht die äußere Gleichheit, son­ dern der innere Wesenszusammenhang des Unterschiedlichen, aber Entsprechenden und Ergänzenden. Die Spannung des Entspre­ chenden wird nicht verwischt, sondern als schöpfungsgemäß und sinnvoll betont. Durch und durch gleich, ohne wesensgemäße Be­ grenzung, kann nur ein toter Stoff sein. Die ständische Ordnung baut sich auf dem Gegensatz der Berufe und Stände auf, wie dem der organischen Entsprechung von Wurzel und Krone, von Haupt und Fuß, von Mann und Weib. Alles, was verwischen und gleichmachen will, Frauenemanzipation, Kamerad­ schaftsehe, ist das Gegenteil von ständisch.

Die ständische Ordnung Basiert ans dem Prinzip der engsten Gemeinschaft. Je kleiner eine Gemeinschaft ist, desto enger und inniger ist ste. In dem Verhältnis von Mann und Frau, von Mutter und Kind, geben fich die Menschen das Schönste und Tiefste, was sich Menschen geben können. Nur in der kleinsten Gemeinschaft kann jeder einzelne in seiner ganzen individuellen Einmaligkeit er­ scheinen, kann er als der gewürdigt werden, der er tatsächlich ist, während in der großen Organisation die Menschen nur nach ein­ zelnen Teilwirkungen ihrer Gesamtperfönlichkeit gewertet werden können. Es besagt mehr, ein guter Familienvater zu sein, als ein guter Patriot. Verbitterung, Haß, Ehrgeiz können sich in einem fanatischen Patriotismus Luft machen, während solche Eigenschaf­ ten sich in dem engen Zusammenleben der Familie sofort als feind­ lich und störend fühlbar machen würden. Das Böse und die Lüge haben in der großen Organisation mehr Spielraum, können sich dort leichter verstecken und verstellen als in der engen Gemeinschaft, in der sich der Widerspruch der Unwahrheit unmittelbar erweisen muß. Die große ungestufte Organisation ist der Willkür des Bösen, die kleine Lebensgemeinschaft der Freiheit des Guten günstig. Es ist ein alter Streit: Was gilt mehr, die kleinste oder die größte Gemeinschaft? Familie und Stand oder Volk und Menschheit? Wäre — wie die einen behaupten — die größere Gemeinschaft an sich auch die höhere, so wäre die ständische Gliederung ein Hemmnis auf dem Wege zur Höhe. Dem ist aber nicht so. Gemeinschaft ist Vereinigung in der Liebe — und die Liebe findet ihr Maß nicht in der Weite, sondern in der Tiefe. Ob nun die allgemeine Menschenliebe oder die Liebe von Mutter zu Kind, eine sowohl wie die andere kann an den Grund der Welt und bis an die Sterne rühren — und dann ist ste heilig. Ein Unter­ schied besteht nur in der Extensität, nicht in der möglichen Intensität. Im engsten Liebeskreis ist Leib und Seele, Natur und Übernatur noch eng verwoben. Im weiteren Kreis tritt die Liebe aus dem Bereich des Natürlichen heraus und in den Bereich des Geistigen

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ein. Die Vaterlandsliebe hat auch noch eine natürliche Wurzel, aber sie reicht schon darüber hinaus, sie ist schon eine „Idee". Mit dieser Enthobenheit ist zugleich eine Gefahr gegeben, nämlich die Gefahr der Maßlosigkeit, des Fanatismus. Und je größer der Kreis, desto größer diese Gefahr. Daher die Verruchtheit des Kommunismus und das meist berechtigte Mißtrauen des Volkes gegen Heilsaposiel und Weltverbesserer, die in ihrer Schwärmerei alles umfassen wollen und dabei mit den fernsten verlorensten Dingen statt mit den nächsten beginnen. Die enge Gemeinschaft unterliegt der Gefahr ich-süchtiger Beschränkung, aber sie kann sich an das Natürliche an­ lehnen und wird daher nie so ausarten können als die große Ge­ meinschaft, in der es kein Halten mehr gibt, wenn der Dämon der Besessenheit einmal Fuß gefaßt hat. Daher ist es ein Erfordernis der Weisheit, die menschliche Ge­ sellschaft aufdem Fundament ihrer natürlichen Anlagen zu errichten. Und daher muß die große Organisation, die zur Behauptung in der Welt und zur Erfüllung der Einheit, Allheit und Ganzheit notwendig ist, auf der kleinsten Zelle stufenweise aufgebaut sein, d. h. die kleinsten Gruppen müssen sich zu mittleren, die mittleren zu großen, die großen zu größeren und die größeren zu größten Gruppen zusammenschließen. Es ist das Prinzip der stufen­ weise» Organisation. Eine Gemeinschaft ruht in der anderen und strahlt die in ihr wohnende Liebe auf das Ganze aus. Es darf nie eine Vielheit — sei es von Einzelwesen oder von Gruppen — der höheren Einheit unmittelbar und ungegliedert gegenüberstehen — sonst entsteht sofort die labile Masse —, sondern es sollen immer nur wenige der nächst höheren Einheit unter­ stehen, als deren lebendige Teile sie sich fühlen. Ein Prinzip, das in aller Herrschaftsausübung, in Militär und Verwaltung selbst­ verständlicher Grundsatz ist. Das Korps hat zwei Divisionen, die Division zwei Brigaden, die Brigade drei bis vier Regimenter, das Regiment drei Bataillone usw. In der Verwaltung baut sich der Staat auf Bezirken, Kreisen und Provinzen stufenförmig auf. Jede Fabrik ist in soundso viele Abteilungen, Betriebe und Arbeits­ gruppen eingeteilt.

Diese natürliche, berufsbedingte Gliederung des Volkes auf das Leben und die staatliche Willensbildung ausgewirkt — statt sechzig Millionen atomisterter Staatsbürger zur Wahlurne zu schicken — ist ständische Ordnung. Stand ist nicht gleichzusetzen mit Interessen- oder Sachverband. Der Jnteressenverband macht aus dem einseitigen Teil­ interesse fälschlicherweise ein Ethos und organistert den Gegensatz; er bereitet dev Klassenhaß vor, indem er Dinge, die sich ergänzen sollen, zu Widersprüchen ausgestaltet. Ganz anders der Stand, er erfaßt den Menschen nach seiner durch den Beruf geprägten Gesamtwesenheit; er verkörpert — wie sein Name sagt — mehr das Senkrechte als das Querschnittliche; reicht also von unten bis oben, von der Erde bis in den Himmel. Jeder Stand hatte im Mittelalter seinen eigenen Schutzheiligen. Und auch nach unten zu führt er — unter Betonung seiner Sonderart — doch auf die gemeinschaftliche Wurzel zurück. Jeder Stand ist sozusagen ein Zweig an dem großen Baum des Volkes. Der Stand organisiert die Menschen da, wo sie leben. Er bejaht somit das ganze Leben des Menschen, rundet den Ernst der Arbeit und die Stunden der Freizeit zu einem sinnvollen Ganzen auf und erzieht die Menschen zum Stolz und zur Freude an der Arbeit, während der Jnteressenverband die Arbeit als Last und Mühe, kurzum als ein Widriges empfinden läßt, das möglichst kurz bemessen und möglichst hoch entschädigt werden soll. Jeder Stand hat tunlichst seine eigenen Sitten und Gesetze, die daher an die gesamte Lebensweise angepaßter sein können, als in einem absoluten Staate, der alle Staatsbürger nach einem ein­ heitlichen Schema organisieren will. Die ständische Ordnung ver­ bindet daher das Ideal der größtmöglichen Freiheit mit dem Min­ destmaß notwendiger autoritativer Bindung, wie sie in jedem Ge­ meinwesen bestehen muß. Wohl gibt es auch höhere und niedere Stände, aber infolge des relativen Eigenlebens jeden Standes wird diese Unterordnung nicht so unmittelbar empfunden als in einer ständelosen Klassen-

Herrschaft. Daher war das deutsche Volk mit seinem starken Freiheitsstnn in Stände gegliedert. Jeder Stand hat seine eigenen Vorstellungen von Recht und Ehre, die nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern nur die umerschiedliche Entfaltung und Auswirkung des einen ewigen absoluten Rechtes sind. Und nur dadurch, daß das Ewige die Gestalt des gerundeten Alltags annimmt, wird es verständlich und greifbar. Die Ehre eines Soldaten, die Ehre eines bestimmten Berufsstandes, ist faßbarer als die Ehre eines Menschen schlechtweg. Und indem man die Menschen auf die nächsthöhere Einheit fest­ legt, kann man sie auch der letzten und höchsten Einheit entgegen­ führen. Kleidung. Die Eigenart des Standes drückt sich auch in der Kleidung aus; es trägt jeder offen und stolz zur Schau, wes Standes er ist. Die Französische Revolution, die mit allem Gliedlichen zwischen dem Staat und dem einzelnen systematisch aufräumte, hat auch die ständische Tracht ausgerottet und die moderne Zivllkleidung ge­ schaffen. Seitdem trägt jeder nicht mehr, was ihm gemäß ist, sondern alle Völker und alle Stände tragen dieselbe Kleidung, die nur noch individualistisch variiert ist — und deshalb zu nichts verpflichtet. Nur in der straffen Organisation der Kirche und der Armee hat sich das bunte ständische Tuch bis auf den heutigen Tag erhalten. Die Kleidung soll ja nicht nur dem Schutz gegen Regen und Kälte dienen, sie ist nicht nur Zweck, sie ist auch Sinn. Sie ist der Rahmen, der den Menschen einfassen und seine Stellung in der Gesamtordnung veranschaulichen soll. Da die modernen ständelosea Staatsbürger — der Idee nach — alle gleich sind, sich niemand mehr sichtbar von dem anderen abhebt, so wurde aus der bunten Tracht das unausgesprochene graue Einerlei der modernen Zivilkleidung. Tracht kommt von Tragen. Man trug sie, wie eine sicht­ bare Verantwortung und eine sichtbare Würde. Die Tracht hob den Menschen über seine individuelle Unzulänglichkeit hinaus und verlieh ihm eine überpersönliche Würde kraft Amt der Gesamtheit.

Die zivile Einheitskleidung unserer Tage, eigentlich das Gewand des zum Gentleman abgeschliffenen großkapitalistischen Bürgers, ist eine Lüge, in der die Menschen etwas prätendieren, was die meisten gar nicht sind und auch gar nicht sein sollen. Statt nach Herkommen und Beruf, sind sie nach Zeitgeschmack und Mode ge­ kleidet. Waagrecht überwiegt Senkrecht. Und in dem Maße als das Ideal des kapitalistischen Bürgers sich auflöst, wandelt sich auch die Kleidung. Individual geht in Kollektiv über. An Stelle der Schein-Individualität des Psevdogentleman tritt das Einheitstuch, die Uniform des organisierten Massenmenschen (Schwarzhemd, Braunhemd, Rotfront usw.). Erbfolge. Der Stand als wesentlich senkrechtes Prinzip beinhaltet auch die Tradition, daß der Beruf sich tunlichst vom Vater auf den Sohn forterben soll. Der Liberalismus, der Stände und Zünfte abschaffte, räumte auch mit dieser Gewohnheit weitgehend auf, da er in ihr eine Vergewaltigung der persönlichen Freiheit erblickte. Das Mittel­ alter dachte darüber anders, da es in allem mehr vom Ganzen als dem einzelnen Menschen ausging — und so letzlich auch dem ein­ zelnen besser diente. „Die christliche Sozialordnung des Mittel­ alters ging in dem Bestreben nach Mehrung der Existenzsicherheit so weit, daß sie... lieber den Menschen unfrei machte, ihn mit seiner wirtschaftlichen sozialen Basis untrennbar verband, als daß sie ihn den Chancen einer gefahrvollen Losreißung davon ausgesetzt wissen wollte" (Vogelfang). In der ständischen Erbfolge lag also erstens einmal der Gedanke einer gesicherten Existenzgrundlage. Dazu kam aber noch etwas anderes, das unseren modernen Gedankengängen vielleicht seltsam vorkommen mag, d. i. die tatsächliche in Gene­ rationen fortgesetzte geist-leibliche Eignung. Das Mittelalter lebte so stark und geschlossen im Ständetum, das heranwachsende Kind atmete — im übertragenen und wörtlichen Sinne — so ausschließ­ lich und unbeirrt von fremden und störende» Einflüssen die Atmo­ sphäre des väterlichen Handwerks, daß es eben — von Ausnahmen abgesehen — seinen Vätern nachgeriet. Da der Geist das Primäre

ist und der Leib das Sekundäre, so mußten in der geschlossenen Ge­ dankenwelt des Mittelalters auch die Menschen dementsprechend werden, so brachte der Sohn des Schusters auch das Zeug jum Schuster mit und so konnte der Sohn eines Seiltänzers gleich seinem Vater auf dem Seile schweben. „Die Bewegung zum besten SBtrt" ging also nicht nach liberalen Grundsätzen im Marktverkehr vor sich, in dem der Sohn das Erbe seines Vaters verkaufte, sondern indem der Sohn seinem Vater nachgeriet. Sicherlich hat das Ständetum seine Härten und Engen gehabt. Unsere heutige Arbeitslosigkeit zeigt uns aber, was aus der Frei­ heit der Standlostgkeit geworden ist. Der Stand umschließt also — normalerweise — das Leben einer ganzen Geschlechterreihe. Er ist eine kleinere Welt in der größeren Welt. Er ist der natürliche Lebensraum, den nur der ver­ läßt, den Not oder besondere Berufung dazu treibt: Die zweit- und drittgeborenen Söhne, die sich anderswo ihr Brot suchen müssen, die Abenteurer, die es in die Welt treibt, und die geistig Begna­ deten, die von Natur über den Ständen sind. Denn das liegt in dem organischen Wesen des Ständetums begründet, daß es keine starren, kastenmäßigen Normen vorschreibt, sondern nur dem durch­ schnittlichen, artgemäßen Leben seinen rechten Platz anweist und es durch Hinführung auf ein sichtbares angemessenes Ziel befriedigt. Wobei unter „durchschnittlich" nicht Mittelmäßigkeit oder Minder­ wertigkeit zu verstehen ist, sondern das Normale, Gesunde, Sinn­ gemäße. Es ist nicht nur die natürliche, sondern in gewissem Sinne auch die christliche Ordnung der Dinge, insoferne sie in ihrer grundsätzlichen, ideellen Bescheidung auf den ererbten Stand eine Weltanschauung voraussetzt, die das Leben mehr als ein Auf­ streben zu Gott als ein Emporstreben zu irdischen Höhen begreift. Sozialer Aufstieg. Mit der liberal-materialistischen Fortschrittsidee des „sozialen Aufstiegs" wird die ständische Gesellschaft aufgelöst. Die napoleonische Devise vom Marschallstab im Tornister des einfachen Sol­ daten ist der Grabgesang der alten ständischen Ordnung. Nun ist

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jeder, der Idee nach, jv den höchsten Ämtern und zu den höchsten Ehren berufen. Wer unten bleibt, finkt zum Pöbel, zur Masse herab. Denn alle können ja nicht aufsteigen, sondern immer nur einige wenige. Die Mehrzahl muß unten bleiben. Was kann es da Ver­ räterischeres und Unsozialeres geben als die Versuchung: Schau nur, daß du hochkommst! Und laß die anderen unten! Die Parole vom sozialen Aufstieg verurteilt den einfachen Mann — geistig — zu einem Helotendasein, vergiftet ihn mit dem Bewußtsein, ein Zurückgebliebener zu sein und treibt ihm den Stachel der Unzufriedenheit ins Herz. Statt den niederen Stand zu ehren, entehrt ste ihn. Auch das Motto „Freie Bahn dem Tüchtigen" schlägt in diese Kerbe. Die Menschen sollen nicht ausschließlich nach irgendwelchen Leistungen, sondern nach ihrer Gesamtpersönlichkeit, ihrem Blut, ihrer Herkunft, ihrem Glauben, ihrem Charakter und ihren Fähigkeiten sozial abgestuft sein. Eine solche ganzheitliche Aus­ lese ist aber nur auf dem Boden der ständischen Ordnung möglich. Es kann oft wichtiger sein, daß dieses Gesamtgefüge seinen Sinn behält als daß ein einzelner mit noch so exorbitanten Fähigkeiten diesen Sinn erschüttert. Die niederen Stände sollen nicht nach den oberen schielen, sondern sollen ihr eigenes Wesen, ihre eigenen Persönlichkeiten, ihre eigene Aristokratie gebären — wie wir es heute noch beim Bauernstand finden. Für den reinen Geistesmenschen, den Künstler und Weisen, ist immer Raum; der schwebt über den Ständen. „Könige und Künstler wandeln auf der Menschheit Hö­ hen." Aber in weltlichen Dingen soll in der Regel nur der beamtet sein, der auch von Standes wegen dazu berufen ist. Daß die oberen Stände, so weit fie entarten und aussterben, fich von unten her ergänzen und auffüllen, ist ein natürlicher Vor­ gang, der fich von ganz alleine vollzieht. Aber jedem von vorneherein seinen ererbten Stand auszureden und auf den nächsthöheren zu Hetzen, ist eine Verantwortungslostgkeit, die jede menschliche Ord­ nung zersprengen und auf einen Kampf aller gegen alle Hin­ treiben muß.

Die liberalistische Freiheit ist vielleicht der größte Betrug, der je an der Menschheit begangen worden ist. Das Schicksal unseres heutigen Proletariats ist das dumpfeste, freudloseste und hoffnungs­ loseste, was es je gegeben hat. Der Sklave der Antike hatte trotz aller Willkür und Ungerechtigkeit, die er ju erdulden hatte, doch noch einen Herrn, der für ihn etwas bedeutete, zu dem er, wenn auch als zu einem Tyrannen, aufsah. Der moderne Arbeitssklave hat keinen persönlichen Herrn mehr; es sind anonyme, unbekannte Mächte, die über ihm walten. Er weiß nicht einmal, wem er die Schuld geben soll, da er auch nicht weiß, wo er die Rettung suchen soll. So verrennt er sich immer tiefer und tiefer in seinVerhängnis. Das ist die Tragödie vom „sozialen Aufstieg". Werkstand. Wenn man den ständischen Gedanke» auf unsere Zeit über­ tragen will, so stößt man sofort auf eine Schwierigkeit: Das ist der maschinelle Großbetrieb mit seiner horizontalen Ausladung. Tausende und Abertausende von Arbeitern in Gewerkschaften orga­ nisiert und in riesigen Wohnkasernen interniert, stehen dem eben­ falls vereinigten Unternehmertum gegenüber. Wie ist hier ein stän­ disches Leben noch möglich, zu dem doch die ganze Berufsgemein­ schaft gehört, die Einheit von Meister und Geselle, von Unternehmer und Arbeiter? Ist in dem unpersönlichen maschinellen Riesenbetrieb so etwas wie eine ständische Solidarität überhaupt noch denkbar? Darauf ist zu erwidern: Es ist kein Zweifel, daß der moderne Fabrikbetrieb eine seelische Bindung an Werk und Stand erschwert. Aber wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß die entschei­ denden Dinge im Geiste geschehen und daß die äußeren Tatsachen nur Dispositionen und Anlässe, aber nie ausschließlich zwingende Ursache sind, so erscheint auch die Maschine nicht mehr als ein un­ überwindliches Hindernis. Für das, was von heute auf mor­ gen geschehen soll, sind die vorhandenen Tatsachen un­ umstößlich, für das aber, was in der Zukunft sein soll, gibt es keinen Boden der Tatsachen. Wenn unsere Fabriken eine lebensfeindliche Atmosphäre verbreiten, so ist die Maschine nur

sekundär daran schuld, primär aber der Geist, aus dem sie ent­ standen sind und der sich in ihr auswirkt. Die Herzen der Menschen sind noch von den falschen Gedanken verschüttet, die in den letzten hundert Jahren gedacht worden sind. In dem Maße, als wir uns langsam davon befreien und wieder zu der Überzeugung gelangen, daß das Leben wichtiger ist als die eingebildeten Vorteile eines rechnenden Verstandes, werden wir alles mit anderen Augen sehen. Dann wird man eben die Maschine in ihre Schranken zurückweisen. Man wird nicht mehr um einer fiktiven Rechnung willen — etwa um das Kapital zu beschäftigen — Riesenfabriken bauen mit ent­ wurzelten, standlosen, kasernierten Arbeiterheeren, sondern die industrielle Ausrüstung in einem bescheidenen Mittelmaß halten, das sich mit einem gesunden Leben des Volkes verträgt. Unser Standard in industriellen Dingen wird dann vielleicht etwas ge­ ringer sein. Wir werden einige Patentmaschinen weniger haben als vorher. Man wird das dann aber nicht als einen Mangel, sondern als eine Befreiung empfinden. Unsere heutigen Wirtschaftsorganisationen sind keine Stände, sondern Jnteressenverbände. Weder die Kartelle noch die Gewerk­ schaften sind Stände — mögen auch einzelne Ansätze dazu vor­ handen sein —, sondern vornehmlich quergelagerte Bildungen mit der Tendenz, das ganze Volk zu durchschneiden und sich zur Klasse auszuweiten. Sie sind also schon ihrer Anlage nach unvollständiger Stand und müßten, um zum vollständigen Stand werden zu kön­ nen, sich durch ein senkrechtes Moment ergänzen. Richt mehr das Teilinteresse des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers dürfte grund­ legend sein, sondern das Gliedganze. An Stelle der Klassensoli­ darität müßte die Werkssolidarität treten. Es ist eine alte Erfahrung, daß Unternehmer und Arbeiter sich auf dem Boden der praktischen Werksarbeit leichter finden als in den Redeschlachten der Jnteressenorganisationen. Das Werk, obwohl auch nur ein Teil, so doch ein selbständiges Glied, hat weit mehr Eigenleben als Mil­ lionen gewerkschaftlich organisierter Arbeiter ohne das Werk. Die natürliche, in sich abgerundete Lebens- und Wirkens­ gemeinschaft — in diesem Falle das Werk — soll Grundlage des 26

politischen und ideellen Bewußtseins der Menschen werden. Werks­ schulen und Werkszeitungen, wie man sie in vielen Betrieben bereits findet, find fruchtbare Ansätze in dieser Entwicklung. Die Idee des Ständetnms muß imWerktum ihre sinngemäße Ansgestaltung finden. Gliedgefühl statt Atombewußtsein. Nicht in sich unbefriedigte gleichgerichtete Teilinteressen, sondern die kleine aber ganze Welt, als unterste Stufe des Kosmos. Der Werkeltag als stufenweise Offenbarung des Himmels. Mittelstand. Wir reden heute viel von dem Los des Mittelstandes. Der Mittelstand ist sozusagen das letzte Bollwerk, hinter den sich die ständische Idee vor der heranrückenden Klassenherrschaft geflüchtet hat. Der Nationalsozialismus ist eine Art Verzweiflungsausbruch der belagerten und vor der Gefahr des Avshungerns stehenden Besatzung. Sie hat ihre friedliche Burg verlassen und kämpft jetzt in offener Feldschlacht auf der weiten Ebene der Massenorganisation. Es besteht dabei nur die große Gefahr, daß fie fich in der Weite ver­ liert und nicht mehr in ihre Heimat zurückfindet, d. h. selber zur Masse entartet. Der Mittelstand ist gleichsam das Herz des Volkes. Oer Klassenstaat hat keinen Mittelstand; denn er hat keine Seele und kein Herz. Der Mittelstand ist die Brücke zwischen oben und unten. Er kennt die Verantwortlichkeit des Oben und die Mühsal des Unten. Er kennt die Annehmlichkeiten und die Sorgen des Befitzes und des Nichtbesitzes. Er ist leitender Unternehmer und muß doch mit seinen eigenen Händen zupacken. Er ist Kopfarbeiter und Handarbeiter zugleich. Der unselige Zwiespalt zwischen Kapitalist und Proletarier ist im Mittelstand noch harmonische Einheit. Daher ist auch nur der selbständige Mittelstand Stand in dem eigentlichen Sinne. Der abhängige Angestellte und Beamte kann leicht dazu getrieben werden, sich entweder als Helfershelfer der Großen, die alles gewinnen wollen, oder als Vorhut der Un­ zufriedenen zu fühlen, die nichts zu verlieren haben. Nur der selb-

ständige Mittelstand steht ganz auf eigenen Füßen. Die Großen und die Kleinen bedingen sich gegenseitig. Wenn es keine Prole­ tarier gäbe, könnte es auch keine Kapitalisten geben. Nur der Mittel­ stand steht für sich. Haupt und Hand, Werkstatt und Heim, Beruf und Familie, Sache und Person sind noch eins. Frau und Kinder helfen im Geschäft mit aus, der Geruch der Küche dringt wohl­ gefällig bis in die Werkstatt und das Hämmern des Werkeltags ist die Grundmelodie, auf die das ganze häusliche Leben gestimmt ist. Diese Abgerundetheit des handwerklichen und bäuerlichen Lebens ist keine romantisierende Biedermeierei, sondern die Urform abend­ ländischer Kultur. Daher können sich Zeiten der Verirrung immer wieder an ihrem Ewigkeitsgehalt orientieren. Alle die großen und wunderbaren Blüten unserer Kultur sind aus der Atmosphäre dieser innigen Vermählung von Werk und Herd hervorgegangen. Seit die Menschen in Fabriken arbeiten, in Kantinen oder Klubs essen und in staatlichen Akademien Kunst betreiben, sind diese gol­ denen Blüten verblaßt und verwelkt. Mit der geistigen Befreiung von dem unseligen Fortschrittswahn des Liberalismus wird sich der Mittelstand wieder jv größerem Selbstbewußtsein erheben und sich gegenüber dem Fabrikanten und Großunternehmer, dem Herrn der Maschine, als der Kunstnähere und Schöpfungsgleichere fühlen. Nach der Entlarvung der Maschine wird der Mittelstand wieder einem goldenen Zeitalter entgegen­ gehen.

Freiherr vom Stein: „Volk und Staat müssen eins sein".

Der organische Staat. Die dualistische Philosophie hatte mit ihrer Spaltung der Welt in jwei gänzlich beziehungslose Hälften — einer geistigen und einer stofflichen — das Verständnis für ein Wirken von innen nach außen zerstört. So kam es, daß man (seit etwa 1700) auch das Volk — als einer äußeren Erscheinung — nur von außen, d. h. durch den Staat, wirksam gestalten zu können glaubte. Seitdem datiert die Span­ nung zwischen Staat und Volk, zwischen Obrigkeit und Untertan. Die Bürokratie mit ihren Reglements und das Heer mit seiner Disziplin werden die Zuchtmittel des Volkes, deren auch die liberale Demokratie auf die Dauer nicht entraten kann. Dem politischen Leben geht der natürliche Schwerpunkt, der ruhende Mittelpunkt in einem aus sich seienden Dolkskörper, verloren. Etwas übertrieben ausgedrückt: Wo kein Gendarm in der Nähe ist, fühlt man sich nicht mehr sicher. Es ist das mechanische Staatsprinzip: Alles, was geschieht, geschieht vom Staate aus. Stellt man den Motor „Staat" ab, so versagt auch das Volk. Trennt man den Leib ab, so zerfällt auch die Seele. Demgegenüber basiert der organische Staatsgedanke auf dem Prinzip der Sinn-Einheit von Seele und Stoff, wie sie schon in der antiken und mittelalterlichen Philosophie erkannt und in der modernen Biologie wieder entdeckt worden ist. Der Geist ist die zeugende Idee des Stoffes. Der Same enthält in sich als geistige Möglichkeit die ganze Pflanze. Dieses Urprinzip aller organischen Schöpfung, dieses geheimnisvolle Wirken von innen nach außen — dem Bau der menschlichen Gesellschaft zugrunde

gelegt — ist der organische Staatsgedanke. Wohl gemerkt, nur zugrunde gelegt; denn in Wahrheit ist der menschliche Staat im Gegensatze r«m Ameisenstaat keine bloße Naturnotwendigkeit, sondern jugleich eine freie Tat des menschlichen Willens. Die Be­ zeichnung „organisch" ist daher nur im Sinne einer grund­ legenden Entsprechung, nicht im Sinne einer strengen Analogie aufznfassen. Der Unterschied zwischen organischer und mechanischer Gesell­ schaftsbildung ist durch folgende Begriffsreihen gegensätzlich her­ ausgestellt: mechanisch-horizontal organisch-vertikal Partei Heimat und Familie Klasse Stand Masse Volk Imperialismus Reichsgedanke atheistisch religiös. Die gegenüberstehenden Begriffe entsprechen sich nicht genau, aber ungefähr. In der organischen Formenwelt herrscht die natür­ liche Wachstumsrichtung des Vertikalen vor, in der mechani­ schen die widernatürliche Aneinanderreihung wesensfremder Dinge in horizontaler Ordnung. Die Urzellen der Volks-Bildung sind Familie und H e i m a 1. Sie sind die Wurzeln des menschlichen Seins, das Woher des Mensche», sein Rückgrat, seine Haltung, während die Partei die querschnittliche, summarische Organisation ent­ wurzelter Menschenhaufen zu einem Zwecke ist. Ebenso begreift der Stand den Menschen in seiner durch den Beruf geprägten Wesens­ art, die sich bis in die kleinsten Lebensgewohnheiten und bis in die geistig-sittliche Sphäre auswirkt, während die Klasse nur vom Gegensatz, vom Haß der einen gegen die anderen lebt. Was bliebe vom Sozialismus übrig, wenn es keine Kapitalisten mehr gäbe? Partei und Klasse sind Interessen- und Zweckgebilde, Heimat und Stand sind Sinn- und Wesensformen. Ebenso ist es mit dem Unterschied zwischen Masse und Volk. Das Volk ist die aus verschiedenen Rassen hervorgegangene Ge­ meinschaft der Sprache und Geschichte. Die letzte bewegende Kraft

ist ein religiöses Ziel, das nach einem irdischen Reich — nicht als einer Erfüllung, sondern als einer Hinordnnng — strebt. Die Nationalsojialisten reden von einem dritten Reich. Das erste sei das Reich der Dynastie, das zweite sei das Reich der Bürokratie, das dritte werde das Reich des Volkes werden. Das könnte soweit angehen. Nur, daß ein Volk sich nicht selbst genügt. Ein Volk, das kein Ziel über stch sieht, muß in Ermange­ lung einer überirdischen Hinwendung seinen Bestimmungsgrund in sich selbst, seiner Macht oder seinem Wohlergehen suchen. Beides führt zur Entartung. Das Ideal des Kriegers, die Macht, ist ebenso unzulänglich wie das Ideal des Händlers, der Wohlstand. Volk ist nächst seiner natürlichen Wurzel notwendig eine religiöse Gemeinschaft. Daher kann auch das Reich des Volkes — wie wir es verstehen — kein rein diesseitiger Imperialismus sein. Es gibt grundsätzlich zweierlei Weisen, ein Reich zu gründen: eine mechanische und eine organische, also entweder durch feindliche Eroberung oder durch friedliche Angliederung. Das eine ist das, was man Imperialismus nennt, das andere ist das, was man unter „Reich" eben in jenem tieferen Sinne versteht. Beim Im­ perialismus überwiegt die waagrechte Kraftäußerung: erst Ex­ pansion, dann Konzentration, beim „Reich" überwiegt die senkrechte Intensität: ruhendes Verhalten in der Mitte, das die Peripherie auf sich zukommen läßt und nur zur Abwehr feindlichen Eindringens zum Schwerte greift. Einen Streit um Gebiete gibt es so gut wie nicht, da das „Reich" nicht von außen, sondern von innen, also wie von selbst ohne Zutun gewinnen will. „Ein großes Reich muß sich unten halten, dann wird es der Vereinigungspunkt der 2Mt", lautet die Staatsweisheit des Laotse, die wohl die Staatsweisheit katexochen ist, denn das chinesische Reich, das große „Reich der Mitte", ist nächst dem einstigen Ägypten das älteste und dauerhaf­ teste Reich der Erde. Der Staat ist organisierte, das Volkerlebte Gemein­ schaft. Der künstliche Staat ist daher dem natürlichen Volk nachzubllden. Der Staat muß wie eine dünne Haut sein, durch die man

den warmen und lebendigen Körper des Volkes hindurchfühlt. Das Volk soll sich nicht durch ein nivellierendes Massenwahlsystem jum Staat organisieren, sondern durch einen stufenweisen Auslese­ prozeß, in dem jedes Glied des Volkskörpers das ihm eigene, ange­ messene Organ aus sich heraus entwickelt, dessen Anpassung und Einordnung in die Gesamtheit von oben her durch Ernennung und Bestätigung erfolgt. Es ist im wesentlichen das, was der jung­ deutsche Orden die „Vertikalorganisation" des Volksstaates nennt. Die Menschen sollen nicht, wie es jetzt der Fall ist, nach Weltanschau­ ungen oder materiellen Interessen in Parteien gesammelt werden — das bedeutet praktisch die Herausschälung und Organisation un­ fruchtbarer Gegensätzlichkeit — sondern sollen in ihrem lebens­ mäßigen Bereich von Familie, Heimat, Beruf und Stand zu ver­ bundenen Gliedern des Volkes heranwachsen. „Man soll die Men­ schen da organisieren, wo sie leben" (E. Z. Jung). Die politische Gliederung soll nicht auf einer eingebildeten oder zufälligen Teil­ relation des Menschen aufbauen — niemand ist rundum ein So­ zialist oder ein Mieter — sondern auf dem ganzheitlichen Sein des Menschen, das durch seine Herkunft, seine Heimat, seinen Beruf und seine Lebensweise am greifbarsten gegeben ist. Denn in diesen hei­ matlichen und ständischen Gegebenheiten ruht die Seele des Men­ schen und somit das Fruchtbare und Gute in ihm, das, was er ganz ist, während in der Querorganisation der Partei eine pro­ grammatische Teilidee die Seele vergewaltigt und unterdrückt. Unsere Zeit ist vom Geist der Quere, daher haßt und verspottet sie alles, was Seele und Gemüt ist, als weibisch und sentimental. Hierin sind sich der Ultra-Nationalist und der Jude eins. Darum schreien die radikalen Parteien nach der Tat, auch wenn sie nicht wissen, was sie tun sollen, weil sie kein eigentliches Sein haben und in dem Augenblick, da sie nichts tun, auch zu sein aufhören. Der Sinn des Staates ist, die Vielheit und Mannigfaltigkeit des volkhaften Lebens auf ein gemeinsames Ziel hin zu ordnen. Der mechanische Staat des Kommunismus und Faschismus sucht dies querschnittlich, horizontal, durch Vergewaltigung der leben­ digen Vielfalt und äußere Angleichung des Unterschiedlichen zu erZ2

reichen. Er geht von außen nach innen vor, statt von innen nach außen. Er sucht die Menschen nach vorletzten, bedingten, subalternen Teilwerten wie Rasse, Tüchtigkeit, Leistung gewaltsam ju formen und zu einen. Der organische Staat dagegen bejaht und bestätigt die lebendige Vielfalt als den von der Schöpfung gewollten Reich­ tum. Er erniedrigt den Menschen nicht zum bloßen Teil oder zur bloßen Funktion, sondern erfaßt ihn in seiner Einmaligkeit und Totalität. Es gilt nicht der Infanterist Meyer, soundsovielter Kom­ panie, soundsovielten Infanterieregiments, nicht der Genosse 3E und nicht der wesenlose Mr. Smith, sondern der eine Mensch mit allen seinen äußeren und inneren Gegebenheiten, in seiner vollen Individualität. Der organische Staat formt den schier unentwirrbaren Wider­ spruch vom Eigenrecht des Einzelmenschen und vom Gesamtrecht der Gemeinschaft zu einem lebendigen Ganzen und entspricht damit den christlichen Prinzipien, die sowohl dem einzelnen als der Gesamtheit ein Lebensrecht zuerkennen. Im mechanischen Staat werden die Menschen in Reih und Glied nebeneinander aufgestellt, im organischen sind sie tausend­ fältig ineinander verflochten und verwoben. Das Sinnbild des mechanischen Staates ist die Fabrik, das des organischen der Wald. Und in dem Maße als das deutsche Volk sich von einem Waldvolk zu einem Jndustrievolk entwickelt hat, scheint auch jene unheilvolle Wandlung seiner Staatsform sich vollzogen zu haben. Der Unterschied zwischen organischer und mechanischer Staatsform ist gleich dem zwischen föderalistisch und unitarisch, zwischen der Einheit verborgener Tiefe und der sinnfälligen Einheitlichkeit der Fläche. Der organische Staat baut nicht auf dem isolierten ab­ strakten Einzelmenschen auf und registriert ihn nach irgendeinem Begriff in seiner Kartothek, sondern ordnet ihn nach seinen korpora­ tiven Lebenszusammenhängen in das Ganze ein. Es ist das ab­ gerundete Weltbild der Allbezogenheit, was einer an sich, in der Gesellschaft, im Beruf ist, das soll er auch tunlichst im Staate sein. Daher sollen die Menschen nach ihrer örtliche», beruf­ lichen und ständischen Zugehörigkeit politisch organisiert wer-

dev. Der Staat soll sich aus tausend kleinen und kleinsten Zellen, die sich in vielfältiger Weise j« größeren und größten Gruppen zusam­ menschließen, stufenweise aufbauen. Jede Zelle und jede Gruppe soll sich bei größtmöglichem Eigenleben doch dem Ganzen einfügen. Zeder soll in dem Ort, wo er lebt — seit längerem lebt — und in dem Beruf, den er betätigt, sein politisches Mitbestimmungsrecht ausüben. Jeder hat eine Stimme in der Gemeindewahl und eine Stimme in der Berufskammerwahl. In den ländlichen und in den kleineren städtischen Gemeinden kann jeder bis zu einem gewissen Grade die Tragweite seiner politischen Stellungnahme übersehen. Kurzsichtiger oder unverantwortlicher Radikalismus wirkt sich viel rascher und fühlbarer am Urheber selber wieder aus. Je größer das Selbstverwaltungsrecht und die Eigenverantwort­ lichkeit einer Gemeinde, um so eher wird der Arbeiter die Unmög­ lichkeit übertriebener Sozialforderungen einsehen — wenn er weiß, daß das anonyme große Reich nichts beisteuert — und der Unter­ nehmer die Unhaltbarkeit einer rücksichtslosen Sozialpolitik er­ kennen. Je kleiner und geschlossener der politische Wirkensbereich ist, um so enger ist die menschliche Fühlung zwischen Führer und Geführten, um so verantwortlicher werden sich alle für das Ganze fühlen, um so weniger werden sich die Menschen gegenseitig etwas vormachen können. Sie sind sich zu nah, sie kennen sich zu gut, als daß der unverantwortliche Geschäftemacher und Berufspolitiker hochkommen könnte. Für Demagogie ist nicht viel Platz. Der Führer wird nicht nach seine» Reden, sondern nach seiner Gesamtpersön­ lichkeit beurteilt werden. In kleineren Gemeinden — bis zu zwanzigtausend Einwohnern — in denen immer noch ein Großteil des deutschen Volkes lebt, werden fast alle ihren Führer persönlich kennen. In größeren Städten wird es wohl immer noch Parteien geben, aber durch das Fehlen der großen Länderparlamente wird ihnen die kollektive Durchschlagskraft genommen sein; sie werden lokaler gefärbt sein — man wird von einem berlinischen und einem frankfurtertschen Sozialismus sprechen — und wird daher viel eher die Möglichkeit bestehen, daß eine Persönlichkeit das ganze Stadt­ regiment überdeckt.

Oie Fragen der alltäglichen Lebensnotdurft, in denen jeder mitzureden hat, da sie jeden unmittelbar angehen, sollen ausschließ­ lich Angelegenheit der Gemeinden und Berufskammern sein. Aus der großen Reichspolitik gehören diese billigen Massenköder heraus. Wer über Krieg und Frieden des Reichs ju entscheiden hat, darf nicht den Erpressungen der Massenfänger ausgesetzt sein. Das Reich und die Länder mögen Richtlinien der Wohlfahrtspolitik erlassen, aber die Bemessung und Aufbringung obliegt den Gemeinden. Jede Gemeinde und jeder Betrieb hat grundsätzlich für seine eigenen Arbeitslosen aufzukommen. Das ist, im großen gesehen, keine Mehrbelastung für die Wirtschaft; denn auf­ gebracht muß das Geld sowieso von der Wirtschaft werden. Dem Staatssozialismus liegt nur die trügerische Idee zugrunde die Last auf einen unsichtbaren Dritten abschieben zu könne«. Wenn diese Möglichkeit einmal benommen ist, wenn sich Träger und Nutz­ nießer der Wohlfahrtslasten unmittelbar und alleine gegenüber­ stehen, wird es leichter zu einer organischen und gerechten Lösung kommen. Ein Beispiel soll das zeigen: Es ist doch eine Anomalie, daß die Wirtschaft einerseits Waren zuviel, anderseits Geld zu­ wenig hat. Wenn man alles auf den kleinsten Kreis bezieht, warum soll es nicht möglich sein, daß in Notzeiten ein Landwirt — im Be­ nehmen mit der Gemeinde — seine Wohlfahrtssteuern in Kar­ toffeln oder eine Fabrik in Tuchen direkt an die Arbeitslosen ab­ führt, um das Tauschmittel Geld zu umgehen? Wenn Waren genug da sind, aber das Geld versagt, ist es doch das Nächstliegende sich mit Naturalleistungen weiterzuhelfen. Als eine Notmaßnahme wäre auch die darin gelegene Beschränkung der freien Konsum­ wahl durchaus tragbar. In aller lebensnotwendigen Erzeugung könnte sich ein Naturalteillohn einbürgern, wie er in der Landwirt­ schaft zur Zeit noch besteht. Wenn die Menschen in allem wieder mehr auf ihren örtlichen und beruflichen Bereich bezogen werden, werden sie sich auch wieder mehr aufeinander angewiesen und miteinander verbunden fühlen. Die horizontale Spaltung des Volkes in Arbeiter und Unternehmer, in Besitzlose und Besitzende, in Links und Rechts, soll so geheilt und

das Volk in tausend kleine, aber in sich geschlossene und lebensfähige Organe gegliedert werden. Lieber soll eine Spannung jwischen den einzelnen Gliedern, zwischen Nord und Süd, zwischen West und Ost, jwischen Reich und Ländern bestehen, als daß ein tödlicher Riß durch das ganze Volk, mitten durch die kleinste Zelle, geht. Aus den Gemeinderäten bilden sich durch eine Verhältnis­ wahl, die nicht ausschließlich nach der Kopfzahl, sondern auch nach der Bodenfläche der Gemeinden zu bemessen ist — die Stimme Ostpreußens hat mindestens so viel Gewicht als die Berlins —,die Bezirks- und Kreisräte. So wählt jeder Wahlkörper, tunlichst aus seiner Mitte, den nächsthöheren. Auf diese Weise können Mit­ glieder der untersten Organe bis zu den höchsten Körperschaften aufsteigen. Die Provinz- oder Kreisräte wählen den Landes rat. Die Wahlen jedes Wahlkörpers werden von dem nächsthöheren bestätigt. Z. B. hat der Landesrat von Bayern die Wahl der Kreisräte zu bestätigen. Die Möglichkeit einer obrigkeitlichen Korrektur bleibt bestehen, die äußerstenfalls sogar zur zwangsweisen Ernen­ nung eines staatlichen Beamten führen kann. Das, was im ratio­ nalen Staat die Norm ist, würde im Volksstaat Notmaßnahme sein. Auf diese Weise tritt der genossenschaftlich-demokratischen Wil­ lensbildung von unten die herrschaftlich aristokratische von oben entgegen. Es ist das Bild des organischen Wachstums der Pflanze: von unten auS der Erde, aus den Wurzeln steigt der Lebenssaft nach oben bis in die letzten, verzweigten Blätter und Nadeln, von oben kommt das Licht, den ganzen Baum der Sonne entgegen­ führend. Um möglichst wenig Berufspolitikertum zu züchten, gilt der Vorzug der Ehrenamtlichkeit. Die ausführenden Organe werden meistens Berufsbeamte sein müssen, aber das Haupt der kleineren Selbstverwaltungskörper soll tunlichst ein ehrenamtlicher Führer sein, der mit der Gegend verwachsen und von seinem Amt unab­ hängig ist. Cin oberflächlich-liberales Zeitalter hat ganz zu Un­ recht den Ernst und die Verantwortlichkeit im Kleinen als Kirchtumspolitik und Vereinsmeierei verspottet. Es war die Zeit, die den Deutschen von seiner Scholle in die großen Industriestädte und

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auf das Weltmeer gelockt hat. Kirchtumspolitik und Vereins­ meierei bedeuten schließlich auch Heimat und Bund, Heimatliebe und bündische Treue, und sind nächst der Familie die Urzellen deutscher Volkwerdung. Der Deutsche soll aus dem Leben und Wirken der kleinsten Zelle jum Wirken im Großen herangeblldet werden. Die so gebildeten Landesräte wählen aus sich den jeweiligen Landesersten, der — weil es sich hier schon um eine Würde von mythischer Sinnbildlichkeit handelt — auf Lebenszeit beamtet sein soll. Die häßlich, kommerziell anrüchige, Bezeichnung Präsident muß aus der deutschen Verfassung verschwinden. Der Präsident ist der Vorsitzende im Parlament, derjenige, der den anderen gegenüber sitzt und die Verhandlungen leitet. Der Landeserste soll aber der erste überhaupt sein, nicht nur im Rat. Ihn soll auch die Verant­ wortung zuerst treffen. Und die Landesersten von Preußen, Bayern, Sachsen usw. erwählen in der letzten und höchsten Kur — nach alter deutscher Art — auf Lebenszeit den Reichsverweser, der dann im Ein­ vernehmen mit dem aus den höchsten Ständen geblldeten Reichs­ kat, den Reichskanzler und die obersten Fachbeamten des Reiches ernennt. Der ganze ungeheure Bau des Reiches erhält so seinen letzten Schlußstein in dem Reichsverweser, der das Reich so lange zu verwalten hat, — bis einmal wieder der kommt, der den alten politischen Traum der Deutschen erfüllt. Das Reich als das Amt der höchsten Mitte ist das Symbol des Friedens und der Gerechtigkeit, woraus sich seine Stellung als oberste Heeres- und Gerichtsbehörde ergibt. Wo die unteren Glieder aus sich zu keiner Einigung kommen können, hat das Reich aus höchster Machtvollkommenheit das letzte „Ja" oder „Nein" zu fällen. Aus dem Amt der höchsten Mitte, als der Krone des Ganzen, resultiert auch die Alleinbefugnis des Reiches zum Ver­ kehr mit auswärtigen Staaten. Die Länder haben nur mittelbar auf dem Wege über den Reichsrat die Möglichkeit auf die Außen­ politik einzuwirken. Dem Reich, als dem Amt der größten Weite, fallen alle Aufgaben zu, die ihrem Wesen nach nur zentralistisch-mechanisch

geregelt werden können, wie: Verkehr, Zölle, Post, Telegraph vsw. Diese Regalien bilden auch die unmittelbare Finanzgrundlage des Reiches, dessen Finanzhoheit sonst nur mittelbar gegenüber den niederen Körperschaften besteht. Die niederen Organe haben die Mittel, die sie zur Bewältigung ihrer Aufgaben benötigen und die das Reich ihnen als Beiträge auferlegt, selbst aufzubringen. Sie haben dafür die volle unmittelbare Finanzhoheit. Die höheren Organe werden von den niederen gespeist. Das Reich ver­ fügt über genügend Autorität und Macht seine Ansprüche jederzeit nach unten durchzusetzen. Die Reichsführung verkörpert in sich Stetigkeit und Beständig­ keit ohne die Starrheit und Willkür der Diktatur. Sie ist gleichsam nur Wipfeltrieb, der sich langsam und organisch aus dem Reichs­ gefüge herausgeschoben hat. In dem Maße als Volk und Staat sich wieder näherkommen, verliert die künstliche Gewaltentrennung ihren Sinn. Der Diktatur ist durch die Gliedlichkeit des Körperschaftsstaates genügend vor­ gesorgt. Die Ratskörper sind in einem die gesetzgebenden und die ausführenden Organe ihrer Stufe. Willensbildung und Herr­ schaftsausübung fallen wieder zusammen. Der Stufenbau der regionalen Kur findet in einem entspre­ chenden ständischen Kammersystem — wie es in unserem heutigen Reichswirtschaftsrat ähnlich vorgebildet ist — seine Ergänzung. In diesem Kammersystem findet das berufliche und ständische Eigen­ leben seinen korporativen Ausdruck. Alle wirtschaftlichen Fragen sollen tunlichst in diesen beruflichen Selbstverwaltungskörpern ihren Austrag finden. Sie sollen gleichsam ein Staat im Staate sein. Die Gefahr, daß dieser Wirtschaftsstaat dem Volksstaat über den Kopf wächst, schwindet in dem Maße, als die Wirtschaft dezen­ tralisiert und lokalisiert wird. Es ist also mit dem Ständestaat nichts weniger als eine staatliche Planwirtschaft gemeint. Denn darüber muß man sich von vorneherein klar sein: So­ lange der großkapitalisiisch-staatssozialistische Zug in unserer Wirt­ schaft vorherrscht, ist die Ausgestaltung eines gegliederten Volksund Ständestaates überhaupt schlecht denkbar. Solange Hundert-

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tausende der unmittelbaren, fast diktatorischen Gewalt eines Trust­ magnaten ausgeliefert stnd, kann die mittelbare aristokratische Machtbefugnis eines Landesersten nur ein bescheidenes Schatten­ dasein führen. Solange die waagrechten Mächte überwiegen, könuen sich die senkrechten Lebenskräfte nicht entfalten. Solange die Wittschaft den Zug zur großkapitalistischen Ausbreitung in sich trägt — und bas wird sie, solange die Maschine triumphiert — wird der Staat zum Zentralismus gedrängt, um dann in dem letzten End­ kampf zwischen dem zur Masse gewordenen Volk und dem zur Plutokratie gewordenen Unternehmertum die Wirtschaft zu soziali­ sieren. Das Geschick des Volksstaates ist gleichlaufend mit dem Geschick des Werkstandes. Vom Standpunkt des einzelnen aus gesehen, bedeutet der organische Staat, daß jeder im Rahmen der heimatlichen und beruf­ lichen Gemeinschaft sein persönliches Dasein denkbar freiheitlich ge­ stalten kann, während er auf die Entscheidungen der großen Politik einen zwar mittelbaren, aber dafür gestchetten Einfluß ausübt. Sechzig Millionen können keine unmittelbare Politik treiben; sie können immer nur durch Vertrauensmänner wirken. Der Unter­ schied besteht nur darin, daß sie in der unmittelbaren Wahl der Massendemokratie einen demagogischen Führer mit einem unver­ antwortlichen Programm, in der mittelbaren Wahl des Kör­ perschaftsstaates einen ihnen nahestehenden Führer mit einer ver­ antwortlichen Haltung wählen. Auch der Diktator, der deus ex machina der totgelaufenen Demokratie, braucht ein Programm, das zur Befriedigung der Schaulust und zur Bestätigung des Systems mit großem Tamtam aufgezogen werden muß (bataglia del grano und Fünfjahreplan). Der organische Dolksstaat hat keine gebundene Marschroute, kein abgestecktes Ziel, er lebt und wirkt aus sich, aus volklichem Sein für eine höhere Idee. Da nicht mehr alles auf ein einheitliches programmatisches Ziel verschworen ist, kann es auch keine ausgesprochene Opposition mehr geben. Jeder fühlt sich, auf seine Weise, als der tragende Grund des Staates.

Schiller: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut".

Eugenik. Der Mensch ist aus zwei Dingen gemacht: aus Geist und aus Erde. Erst ist der Geist und dann wird die Erde. Jeder Mensch, der geboren wird, ist von Ewigkeit her schon im Geiste beschlossen, lange, ehe er dem Leibe nach wird. Der Geist treibt den Leib. Welches ist nun dabei die Rolle des Blutes und der Erde? Wir wissen, daß nicht nur die Angehörigen gewisser Rassen sondern auch die Bewohner gewisser Gegenden bestimmte körperliche und seelische Eigenschaften haben. So ist zum Beispiel die Ähnlichkeit eines modernen Amerikaners mit den indianischen Ureinwohnern unverkennbar. Die Erde als örtliches und das Blut als zeitliches Prinzip bedeuten also auch etwas Geistiges, das gleichsam in ihnen eingeschlossen liegt. Daher der M y t h o s der E r d e und des B l u t e s, der fast bei allen Völkern eine Rolle spielt. Es ist nicht gleichgültig, wo und von wem ein Mensch geboren ist. Die geistige Bedeutsamkeit des Blutes und der Erde zu leug­ nen, ist ein verhängnisvoller Irrtum gewisser religiöser Sekten, die die menschliche Seele als ein gänzlich unabhängiges und be­ ziehungsloses Wesen ansehen, das aus fremden Welten und Zeiten kommend, stch nur zum Zwecke der Wiederverkörperung der natür­ lichen Eltern bedient. Die Anerkennung dieser Irrlehre würde die gänzliche Auflösung der natürlichen Familie und der Heimat be­ deuten. Die Geschlechtsregister der Bibel, der Ahnenkult der Chi­ nesen, das alles wäre nur Jahrtausende alter leerer Wahn. Ebenso verhängnisvoll ist aber auch der gegenteilige Irrtum: Der Glaube an die Alleinbestimmung des Blutes, daß die Zuge-

Hörigkeit ju einer bestimmten Rasse oder einer bestimmten Blut­ gruppe über den Wert des Menschen entscheide. Eine Auffassung, die den Manifesten der heutigen völkischen und antisemitischen Parteien mehr oder weniger zugrunde liegt und die unter dem Namen Eugenik sich in die exakte Wissenschaft eingeschlichen hat. Es ist der Gedanke, die Menschen nach den verschiedenste» Merk­ malen (Geistesgegenwart, Ausdauer, Gewandtheit usw.) zu grup­ pieren, um so Unterlagen für eine mögliche Leistungszucht zu ge­ winnen, um, wie man Pflanzen und Tiere züchtet, schließlich auch Menschen nach streng wissenschaftlicher Methode züchten zu können. Wenn dabei zunächst auch nicht so sehr an staatliche Zwangsmaß­ nahmen als an eine rein erzieherische Einwirkung gedacht wird, die Entscheidung also dem Ermessen des Einzelnen anheimgestellt bleiben soll, so genügt es doch schon, daß tatsächlich ernsthafte Menschen bewußte biologische Zielsetzungen als ideales Leitmotiv des Familienlebens aufstellen wollen, daß irgendwelche biologischen oder rassischen Merkmale als vornehmliche Bewertungsfaktoren bei Atem

Geist (Sterne)

3

o

Verdienste

Wahl -* Persönlichkeit

Freiheit Jndividüum

ö n 3

(Milieu)

Erde Nahrung

Vererbung Familie

Ahnen

Blut Rasse

-er Ehewahl gelten sollen und daß die liebende Fürsorge für „Min­ derwertige" als vergeudetes Dolksvermögen betrachtet wird. So weit hat es der Zweckgeist gebracht! Wie der Freiheitstranm -es selbstherrlichen Individualismus gar bald zerrinnt, um dem nüchternen Ernst der grauen Gefängnis­ mauern Platz zu machen, so tendieren die modernen Massenzivilisationen dahin, nach einer vorübergehenden Epoche willkürlicher Freiheit in den geschlechtlichen Beziehungen, einer streng puritani­ schen Regelung nach den Grundsätzen exakter biologischer Forschung entgegenzutreiben. Wir sehen dies an Sowjetrußland, das in seiner „Glas-Wasser-Theorie" die Liebe zu einer simplen, natürlichen Funktion Herabdrücken will, nicht viel anders, als „wenn man ein Glas Wasser trinkt. Eine so grauenhafte Ernüchterung und Verneinung des Lebens, daß ihr gegenüber die wildesten Ausschweifungen der freien Liebe noch in dem Glanz romantischer Leidenschaft erscheinen. Es braucht nicht erst ausgesprochen zu werden, was damit alles zerstört wird. Es soll nur der grundlegende Irrtum dieser biologischen Anschauung gezeigt werden. Der Mensch kommt nicht nur aus dem Blute, das Kind ist nicht das bloße Produkt seiner Eltern, sondern neben aller ererbten Substanz auch etwas ganz Neues, Einmaliges. Der Mensch ist frei. Niemand ist von Bluts her ein- für allemal verdammt. Der Mensch ist Gott zum Ebenbilde ge­ schaffen und kann der geringste Sünder der Gnade teilhaftig werden. Das Blut bedeutet eine Geneigtheit, aber keine Notwendigkeit. Die Geburt ist ein Wunder der Schöpfung, das wir nie zu ergründen vermögen. Gottes Wege sind hoch über allen Menschenzwecken. Von der Eugenik ist daher das zu sagen, was die päpstliche Enzyklika „casti connubü“ darüber ausführt: „Sie möchten von Staats wegen alle von der Ehe ausschließen, von denen nach den Gesetzen und Mutmaßungen ihrer Wissenschaft infolge von Ver­ erbungen nur eine minderwertige Nachkommenschaft zu erwarten ist. Sie vergessen zu Unrecht, daß die Familie höher steht als der Staat und daß die Menschen nicht in erster Linie für die Zeit und für die Erde sondern für den Him­ mel und für die Ewigkeit geboren werden."

Es gibt nach christlicher Auffassung auch keine „hochwertigen" und „minderwertigen" Rassen. Wonach sollte auch dieser Wert be­ messen werben? Nach der biologischen Fruchtbarkeit? Nach dem körperlichen Mut? Nach der Arbeitsleistung? Nach der Zuverläjsigkeit? Nach der Intelligenz? Der Wert des Menschen ist nicht meßbar, noch wägbar. Es mag junge Rassen geben und alte, starke und schwache, kriegerische und friedliche; es mag Rassen geben, die zum Herrschen und solche, die zum Dienen geboren sind; aber schlechter, minderwertiger sind sie deswegen nicht. Wer mag bis in die tiefsten Tiefen der menschlichen Seele hinabzuschauen? Der Geringste und Schlechteste mag oft der höchsten Seligkeit am nächsten sein. Der slawische Bauer in dem Dreck und Schmutz seiner dumpfen Lehmhütte ist vielleicht irgendwo der Wahrheit näher, als -er harte, weltkluge und tüchtige Ökonom in dem weißge­ tünchten Steinhaus. Die nordische Rasse hat genau so ihre Grenzen, ihre Fehler und Schwächen wie die anderen. Wir müssen diesem grauenhaften subalternen Materialismus des Blutes, der Menschen wie Haustiere züchten möchte, klar und deutlich den christlichen Standpunkt gegenüberstellen: Der Mensch ist frei. Niemand ist ein- für allemal verdammt. Niemand ist, der nicht der Gnade teilhaftig werden könnte. Der Geist des Juden­ tums ist wohl eine große Gefahr, der wir uns mit gutem Recht erwehren; aber ob das jüdische Volk im Ganzen schlechter ist als wir, das wissen wir — trotz des Fluches, der auf ihm lastet — nicht. Dazu sind wir nicht als Richter bestellt. Ebensowenig wie wir uns über Slawen und Romanen als Richter avfspielen dürfen; sie sind anders als wir, aber nicht minder. Jeder Versuch, die eigene Rasse über die anderen zu erheben, entspringt einer ungerechten Engherzigkeit, die bald mit der Wahrheit in Widerspruch geraten muß. Vor Gott sind alle Menschen gleich. Insofern besteht die Idee der Gleichheit zu Recht. Gott schuf sich den Menschen zum Ebenbilde. Und eben, da keines Menschen Weise Gott vollkommen zu entsprechen vermag, gibt es so vielerlei Weise, damit die Fülle der Diele» der Armut des einen aufhelfe.

„Die Nation ist das rationalisierte Volk".

Volk und Nation. Das Volk ist ein Wunder. Volk-Sein ist ein Hegen und Weben, ein Aufblühen aus dunklen, wunderbaren Tiefen. Goethe nennt es „ein großes unwillkürliches Dasein". Die Rasse ist das, was von Natur gegeben oder was zur Natur geworden ist, während ein Volk erst durch einen geistigen Vorgang, durch Sprache und Religion entsteht. Rassen gibt es unter den Tieren auch, Völker aber nur unter den Menschen. Wir können daher mit dem Begriff der Rasse für unser geistiges Bewußtsein nicht viel anfangen. Das Deutsche ist zumeist eine geistige Wesenheit. Es gibt keine deutsche Rasse, sondern nur ein deutsches Volk. Wenn wir unser Gemein­ schaftsbewußtsein auf einem Rassengefühl aufbauen wollen, ent­ schwindet uns der Begriff des Deutschen. „Das Deutsche liegt im Gemüte, nicht im Geblüts" (Lagarde). Die ersten Schritte in der Richtung gegen das Volkstum waren Absolutismus und Nationalismus — beides ausgesprochen roma­ nische Formkräfte — in Italien und Frankreich zuerst entwickelt, da diese Länder kein starkes eingewurzeltes Volkstum im germani­ schen Sinne hatten. Denn in den romanischen Ländern waren zu Beginn des Mittelalters die germanischen Völkerstämme — so weit ste nicht schon überhaupt als Rasse ausgestorben waren — als geistige Bewußtheiten und somit als Völker untergegangen, so daß die verbleibende Bevölkerung ganz aus dem Geist der Antike ge­ prägt wurde. Daher die romanischen Sprachen. In Deutschland hatte sich dagegen die Wesenheit der alten germanischen Stämme im deutschen Volkstum und in der deutschen Sprache fortgesetzt.

Die Eigenart germanischen Wesens, sein Starrsinn, seine feste Ver­ wurzelung in der Heimaterde, schloß sich mit der Einheit und Weite des Christentums zu einer einmaligen wundersamen Bildung, dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, jvsammen. Mit der Renaissance und dem absolutistischen Fürstentum geht diese große Idee des deutschen Mittelalters verloren. Statt ihrer tritt der moderne souveräne Staat auf den Plan. Macchiavelli, Ludwig XIV. und Friedrich II. von Preußen sind drei hervor­ ragende Marksteine dieser Entwicklung. Die drei Aussprüche „Macht ist Recht", ,,1‘etat c‘est moi“ und „Jeder soll auf seine fagon selig werden" kennzeichnen den geistigen Werdegang des modernen Staates. Mit dem ersten „Macht ist Recht" wird die sittliche Grund­ lage des mittelalterlichen Staatsgedankens zerstört. Der Staat wird als ein eigensüchtiges Wesen sinnloser Willkür aus dem Ge­ samtgefüge der Welt herausgetrennt und seiner Gesamtverant­ wortlichkeit enthoben. Don nun an ist Politik vogelfrei. Der Staat ist entheiligt und zu einem skrupellosen Zweckgebilde erniedrigt. Die Welt zerfällt in zwei Teile — in die Welt der Kreuzes und in die Welt des Schwertes. Was in der einen gilt, gilt nicht in der anderen. Mit dem zweiten Spruch ,,1‘etat c’est moi“ sollte gesagt sein: die Stände — die natürlichen Träger der Gesellschaft, die zugleich das Rückgrat des Staates waren — gibt es nicht mehr, statt dessen bin ich, der absolute König. Der Schwerpunkt der Macht wird aus dem in seinen Ständen gegliederten Volk in die zentra­ listische Spitze, den Staat, verlegt. Die von unten gewachsenen natürlichen Herrschaftsformen werden zerschlagen. Das Volk wächst nicht mehr aus sich dem König entgegen, sondern wird vom König — von oben — durch seine Beamten organisiert. Der Sinn des Volkstums tritt hinter den Staat und seine Zwecke. Der Zweck des Staates ist die Macht. Die Menschen werden sozusagen nur noch als die Grenadiere des Königs geboren. Indem Ausspruch des „alten Fritz": „Jeder soll aufseine fagon selig werden" liegt die Verleugnung der religiösen Hin­ ordnung des Staates, die Verwerfung des Christentums als einer

Gemeinschaftssache und seine Verstümmelung zu einer Privat­ angelegenheit. Friedrich II. hat ja auch in allem gegen das eine alte Deutsche Reich jugunsten des jungen, aufstrebenden Territorialstaates Preußen gekämpft. Als Kind der Aufklärung war ihm jeglicher Sinn für die mittelalterlich-christliche Reichsidee verlorengegangen. Es ist kein Zufall, daß die absolutistische Staatsform auf deutschem Boden — zuerst in Preußen — also in jenen Landes­ teilen, die erst im Laufe des Mittelalters kolonisiert worden waren und die am wenigsten altes deutsches Volkstum in sich trugen, seine erste große Ausprägung erfuhr. Es ist kein Zufall, daß es wohl ein bayrisches Volk und ein sächsisches Volk, aber eigentlich kein preußi­ sches Volk, sondern nur einen preußischen Staat gibt. Und es ist bedeutsam für die Geschichte des deutschen Nationalismus, daß der große, zum Mythos gewordene, König der Preußen geistig-kulturell ein Franzose war. Sicherlich war es die Zeit — die anderen deutschen Fürsten eiferten auch dem französischen Hof nach — aber der große Preußenkönig war der faszinierendste Vertreter jenes auftlärerischen Rokoko; und es ist das Bezeichnende für den Absolutismus in Deutschland, daß er im Zeitalter der kulturellen Vorherrschaft Frankreichs geboren wurde. Die Ära dieses fürstlichen Absolutismus schließt mit der fran­ zösischen Revolution ab und wird in den Freiheitskriegen von dem Absolutismus des Nationalstaates abgelöst. Die Überspannung des autoritativen Prinzips seitens des fürstlichen Absolutismus löst eine demokratische Gegenbewegung von unten aus: JnFrankreich 1789 im Sturm auf die Bastille, in Preußen 1813 als das Volk über den Kopf des Königs hinweg zum Freiheitskampf auf­ ruft. Das Volk sucht sich von unten wieder Luft zu machen. Da aber die alte ständische Gesellschaft, infolge der liberalen Ieitideen, in der Auflösung begriffen ist, kann die Willensbildung von unten nicht mehr organisch vor sich gehen, sondern vollzieht sich im Wege der mechanischen Demokratie. Das deutsche Volk träumt nicht mehr von einem Reichstag der Stände, sondern fordert nach den Grund­ sätzen der französischen Revolution das direkte und freie Wahlrecht

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aller Staatsbürger j» einem Parlament nach westlichem Vorbild. Das deutsche Vott wird ju einer Nation. Aus dem Absolu­ tismus der wenigen, der Fürsten, wird der Absolutismus der vielen, der Staatsbürger. Dieser liberale Staatsbürger—die letzte Instanz nationaler Willensbildung — ist der Vorläufer des mo­ dernen Massenmenschen: frei und gleich und brüderlich; und so sind Demokratie und Nation zwei Seiten ein und derselben Sache — nämlich des rationalen französischen Staatsgedankens. Der geschichtliche Verlauf dieses Ringens zwischen französi­ schem National- und deutschem Reichs- und Volksprinzip ist in großen Zügen folgender: Im frühen Mittelalter, bis zum Ausklang der Hohenstaufen, haben die Deutschen das entscheidende Über­ gewicht in Europa; dann beginnt Frankreich — siehe Karl von Anjou und Konradin — ihm diesen Rang streitig zu machen. Der Vorteil der leichteren Zweckgestaltung des beweglicheren französi­ schen Wesens gegenüber dem schwerblütigeren und eigenwilligeren deutschen Wesen beginnt sich politisch fühlbar zu machen. Es bahnt sich langsam der Nationalstaat an. Frankreich erlangt dadurch eine Geschlossenheit und Schlagkraft, die Deutschland als Re ichs land nur durch seine größere Breite — Verbindung mit anderen europäi­ schen Völkern — einigermaßen kompensieren kann. Durch die Per­ sonalunion mit Spanien unter Karl V. erlangt Deutschland noch einmal das Übergewicht über Frankreich. Mit der Glaubensspaltung und dem allmählichen Zerfall des Reichs kommt dann die Zeit der zunehmenden französischen Vor­ herrschaft, die in Napoleon ihren Kulminationspunkt erreicht. 1813 ist der Wendepunkt; denn nun wird Frankreich mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Im Bunde mit den alten Mächten, Österreich und Rußland, stellt sich ihm der neue Nationalstaat Preußen ent­ gegen, der schließlich 1870 bas neudeutsche Reich gründet. Der Nationalismus hatte also zunächst die Macht Deutsch­ lands erhöht. Es war dabei nur übersehen worden, wie sich dieses ftemde System in den Nachbarländern auswirken würde; daß es zum Zerfall Österreichs und zur schärfsten Gegnerschaft von Polen und Tschechien führen würde, so daß Frankreich mit diesen Bundes-

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genossen imstande sein würde, Deutschland niederzuhalten. So hat sich der anfängliche Vorteil sehr bald wieder in einen Nachteil verkehrt. Der Nationalismus ist in den politischen Ranm gespiegelter Individualismus. Selbstherrlich, souverän, eigengesetzlich, kennt er keine anderen Gebote, als die des eigenen Vorteiles. Ein absolutes, alle Völker und Staaten bindendes Sittengesetz wird von ihm ge­ leugnet. Der Moral wird jede Geltung für die Politik aberkannt, statt dessen wird eine materialistische Naturauffassung vom rück­ sichtslosen Kampf ums Dasein, vom Natnrrecht des Stärkeren, auf die Politik übertragen. Der Nationalismus kennt daher in seiner gedanklichen Konsequenz kein anderes Ziel als die Vernichtung des gegnerischen Volkes. Nationalistische Staaten vertragen sich grund­ sätzlich nicht mit ihren Nachbarn, sondern nur auf Kosten des Nächsten mit dem Übernächsten: Frankreich mit Polen gegen Deutschland und Deutschland mit Rußland gegen Polen. Der Nationalstaat scheut sich nicht, die Feinde des Abendlandes als seine Helfershelfer gegen den Nachbarn zu dingen — wie es Frankreich als der große Schrittmacher der national-egoistischen Praktiken des öfteren in der Geschichte bewiesen hat. Wie alle egoistischen Wesen verträgt er sich am besten mit dem, den er am wenigsten kennt. Der internationale Pazifismus ist die notwendige Reaktion auf dieses Chaos eigensüchtiger Willkür. Der Nationalstaat erstrebt nach außen Expansion, nach innen Nivellierung und Vereinheitlichung; also alles in allem das Quan­ titative: Macht, Größe und Reichtum. Er duldet territoriale Son­ derarten und Rechte nur aus Klugheit als leidige Komprommisse: Bismarck gegen Bayern, Frankreich gegen Elsaß. Die volkhafte Wesensartwird durch programmatische Betonung veräußer­ licht. Es ist schon eine Ironie der Weltgeschichte, daß die National­ hymnen mehrerer europäischer Staaten auf dieselbe Melodie lauten. So wenig wirklich Eigenes und Dolkhaftes ist an diesem AllerweltsPotpourri, das die Mengen in Rausch versetzt! Und so bereitet die nationalistische Stimmungsmache die moderne Massenseele vor, die in den roten Arbeiterbataillonen die Trommel der Weltrevolution rührt.

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Die machtvolle und gewaltige Ära des nevdeutschen Kaiser­ reichs war eine Zeit großer äußerer Leistungen, aber kultureller Ver­ flachung. Wenn wir heute Kunstwerke jener Zeit betrachten — denn die Kunst läßt auf die innersten bewegenden Kräfte schließen — so empfinden wir es ganz stark, daß diese Welt über kurz oder lang zusammenbrechen mußte. Und zwar schritt der Verfall von oben nach unten, vom Großen zum Kleinen fort. Alles Mittelmäßige, Subalterne, Technische war noch gut, gediegen und echt, atmete noch den Geist alter deutscher Handwerksehre — während die große Konzeption schon schlecht, äußerlich und unwahr wurde. Der Inge­ nieur gedieh, aber -er Künstler verdarb. Daher haben alle tiefen, edlen und ahnungsvollen Naturen an dieser Zeit gelitten, wurden zum Spötter, Zweifler und Leugner. Es war die Zeit, an der ein Nietzsche zerbrochen ist. Was wirklich groß an jener Zeit war, der Geist der Armee und der Verwaltung, war wesentlich geistiges Erbgut aus früherer Zeit, das nun, da die materielle Machtfülle hinzutrat, zu flchtbarer Ent­ faltung gelangen konnte. Die besondere Gefährlichkeit des nationalen Idealismus beruht darin, daß er keineswegs der reine Widergeist ist, sondern relative Werte und Wahrheiten enthält. Darin liegt ja die Dramatik aller großen Geschehnisse, daß das Falsche und Irrtümliche fich nicht klar und deutlich abhebt, sondern in Ver­ mengung mit richtigen und wahren Dingen die Blicke trügt. Infolge dieser Verstrickung von Gutem und Bösem besagen auch noch so große heldische Opfer nichts für den Wahrheitsgehalt einer Idee. Die Geschichte der Menschheit ist, wie das Leben des einzelnen, ein ständiges dunkles Bemühen. Erst nach unsäglichen Irrtümern, Kämpfen, Leiden und Opfern, hebt stch langsam die Wahrheit hervor. So wie die Internationale die Idee der Brü­ derlichkeit für fich hat, so die Nation die Idee des Volkes. Daß mit dem Internationalismus eine Leugnung des Volkes — als senkrechtem Prinzip — gegeben ist, erscheint offenbar, daß aber zwischen Nation und Volk auch ein Unterschieb besteht, ist nicht so offenkundig.

Die Nation ist das rationalisierte Volk. Die Sprache ist ein Born, aus dem wir Aufschluß bekommen können über das, was in der Tiefe unseres Wesens schlummert. Volk ist ein altes deutsches Wort. Aber Nation ist ein romanisches Lehnwort. Die deutsche Sprache hat kein Wort dafür. Volk,Sein ist mit Kultur ver­ wandt, national mit Zivilisation. „Nationale Kultus ist, tiefer ge­ sehen, ein Widerspruch. Es ist auch noch nie viel dabei zustande gekommen. Man vergleiche die künstlerischen Erzeugnisse des natio­ nalen Deutschland oder des nationalen Italien mit dem, was diese Länder zur Zeit ihres reinen unbekümmerten Volkstums geschaffen haben! Der Nationalismus ist im Gegensatz jum universalen meta­ physisch begründeten Reich der erste Schritt in der „horizontalen" Richtung der Verstaatlichung, der Verdiesseitigung, der Materiali­ sierung. Es geht schon nicht mehr um Gott und Christenheit, sondern um König und Vaterland, nicht mehr mit der Welt für Gott, sondern mit Gott für die Welt. „Mit Gott für König und Vater­ land!" lautet jetzt die Parole. Und je mehr der König und sein Gottesgnadentum in den Hintergrund tritt, vergröbert sich die Vaterlandsliebe — die an sich schon eine Verwässerung der Heimat­ liebe ist — jum Imperialismus. Wo das erste Glied nicht stimmt, muß das Ganze in Unordnung geraten. Ein Irrtum erzeugt den anderen. Wie es Kapitalisten gibt, gibt es Sozialisten, und wie es einen Nationalismus gibt, muß es fast notwendig einen Inter­ nationalismus geben. Wie der Kollektivismus die Konsequenz des Individualismus ist, ist -er Kollektiv-Kollektivismus (: internatio­ nal) die Konsequenz des Kollektiv-Individualismus (: national). Wenn schon Zentralismus, Uniformität und Macht, warum dann bei der Nation haltmachen? Moskau und New Pork sind nur die letzten äußer-europäischen Auswirkungen des Nationalismus, denn der Begriff der Nation als einer spezifisch europäischen Prägung verliert sich in den ungeheuren Räumen Amerikas und Asiens und geht in sein Gegenteil über. Die Vereinigten Staaten von Nord­ amerika oder die Union der russischen Sowjetrepubliken noch als Nationalstaaten bezeichnen, hieße den Begriff zu Tode reiten;

denn unter Nation versteht sich wesensnotwendig die Begrenzung auf ein Volkstum und einen bestimmten Raum. Je weiter man den Begriff ausdehnt, um so mehr verliert er seine volkliche Indivi­ dualität und entleert sich zu einem hohlen Imperialismus. Don den Pyrenäen bis an Schelde und Maas, das ist eine Nation, aber von Ozean zu Ozean oder von den polnischen Sümpfen halb um den Erdball bis an das Japanische Meer, das ist keine Nation mehr. National und international, die hier Gegensatz sind, gehen dort ineinander über. Wenn wir nur deutsch sind — in dem Sinne von national — so kommt das schließlich auf eine vollkommene Standpunktlosigkeit hinaus, denn national ist nur Zweck ohne jeden geistig­ metaphysischen Halt. Aus nationalen Gründen ist schließlich alles erlaubt; der Zweck entschuldigt die Mittel. Aus nationalen Gründen können wir auch mit dem Atheismus gegen das Abendland gehen. Daher genügt es nicht deutsch-national zu sein. Deutsch sein kann nur in dem »-nationalen Sinne von Heimat und Glauben, von Volkstum und Christentum, als unserer natürlichen und übernatürlichen Heimat, fruchtbar und segenbringend sein. Natio­ nal ist denkbar als politische Zielsetzung, aber als geistige Seins­ weise ist es notwendig eine Beschränkung und Verödung; es ver­ schließt sich feindselig vor dem Fremden und überbetont das Eigene, nicht so sehr aus Instinkt und Gefühl als mit Absicht und Willen. Es rührt nicht an das innerste Wesen der Dinge, sondern hält sich an äußere Kriterien, die es in diesem oder jenem Sinne abstempeln. Es ist wie alles Waagrechte der Tod der lebendi­ gen Dinge.

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„Das jüdische Volk ist durch ei« großes Acht hindurch gegangen".

Die Juden. Wir wissen aus der Bibel, daß die Juden einst das aus­ erwählte Volk gewesen sind. Was die Griechen in der Kunst und in der Wissenschaft waren, das waren die Juden in der Religion. Sie waren das religiös begnadete Volk. Und so hoch die Weisheit des Glaubens über der Weisheit des Wissens steht, so hoch stehen die Bücher Moses und der Propheten über Plato und Aristoteles. Diese Auserwähltheit haben die Juden durch die Verwerfung des Welten-Heilands und ihr „Kreuziget ihn!" verloren. — So find fle aus einem gesegneten Volk ein verfluchtes geworden. Ge­ segnet und doch verflucht. Das ist das Kainszeichen, das auch der heutige Jude noch auf der Stirne trägt. Sie sind auch heute noch vielleicht das begabteste Volk der Erde: klug und beweglich, einfühlsam und anpassungsfähig, elastisch und zäh. Ein rascher sicherer Instinkt für das Wesentliche, ein subtiles Gefühl, eine reiche Phantasie und eine geschickte Kombinationsgabe befähigen sie — nicht nur zum Organisator und Händler sondern auch zum Ge­ lehrten und Künstler. Es ist kein Zufall, daß fast an allen leitenden und einflußreichen Stellen in der zivilifierten Welt Juden sitzen. Und doch haftet dem jüdischen Wesen ein Stigma an. So viel der Jude zuwege bringt, es ist alles mehr sekundär als primär. So verblüffend, so verfänglich, ja so gut es ist, was er macht, es ist alles irgendwo nicht ganz echt, hat irgendwo den Stich der Fäulnis. Es kommt nicht ganz aus dem Letzten und Tiefsten, es ist nicht wirk­ lich schöpferisch, sondern ist immer mehr eia Abwandeln, ein Um*

formen und Auswerten. Es ist etwas vom Schmarotzer. Es hat kein Rückgrat, keinen geistigen Halt, ist »irgendwo fest verwurzelt. Der Jude ruht nicht in sich, sondern ist immer in Bewegung, von einer inneren Unruhe getrieben. Er bekennt sich nie zu etwas, das ist, sondern nur zu etwas, das nicht ist. Seine Stärke liegt in der Kritik, dem Kennzeichen des Verrats, nicht in dem Bekennt­ nis, dem Zeichen der Treue. Er ist förmlich nur der Gegenbegriff zu etwas anderem. Ein Jude im freien Raum ohne Nicht-Juden ist kaum denkbar. Er ist quasi der Antipode des Lebens. Er kann aufheben, aber nicht erfüllen. Er fragt nicht: was ist ein Ding, sondern: was kann man daraus machen? Der letzte Maßstab der Dinge ist ihm verlorengegangen. Er findet keinen anderen Richtungspunkt als den des Vorteils und des Erfolges. Daher sein ruheloses Verlangen in dieser Welt unbedingt etwas zu erreichen, koste es, was es wolle. Er glaubt so lange an den Erfolg, bis er ihn schließlich auch heraufbeschwört. Sein Gelingen ist aber nicht jenes selige Gereichen der Gotteskindschaft, sondern das falsche unselige Erreichen mit dem Willen und der Tat, der Kinder dieser Welt. Er ist wie von einem Dämon getrieben, der ihn zum Wollen zwingt. Er kann nicht wunschlos in sich verharren, er ist immer interessiert, er muß immer etwas wollen. Dieser Fluch ist so groß und so schwer, daß nur wenige Juden über diese Erblast ihrer Rasse ganz emporstreben können. Der Jude ist mit dem Liberalismus groß geworden. Solange die Deutschen ein in Heimat und Stand seßhaftes Volk waren, lebte der Jude räumlich und ständisch sein eigenes Leben unter ihnen. In dem Maße aber als die Ideen von „Freiheit und Gleich­ heit" zur Geltung gelangten, dringt der Jude in alle Poren des deutschen Dolkskörpers ein. Die horizontale Struktur dieser liberalen Ideen kommen dem labilen, nomadischen Charakter des Judentums entgegen. Der Jude ist der geborene Individualist. Was konnte ihm Schöneres wider­ fahren, als daß die gemeinschaftlichen traditionellen Bindungen zerschlagen und das freie und gleiche Individuum gepredigt wurde? In dem Augenblick, als die ständische Idee als das Prinzip geist-

leiblichen Werdens aufgegeben nnd statt dessen das Prinjip einer markt-technischen Auslese nach Maßgabe der größten Leistung ge­ fordert wurde, waren dem Judentum die Bahnen geebnet. Wenn man die franzöfische Revolution als den großen Bruch in der Ge­ schichte ansteht, dauerte es ungefähr noch hundert Jahre, bis der Jude jum endgültigen Durchbruch gelangte. Denn heute beherrscht der Jude die ganze zivilisierte Welt geistig und kulturell in einem erschreckenden Ausmaß. Wenn die Menschen in allem ausschließlich nach ihrer Leistung und Tüchtigkeit bemessen und bewertet werden, so wird in allen geistigen, höheren und entscheidenden Dingen derjenige in der Vorhand sein, der die raschere, beweglichere und geschicktere Art hat, während der Tiefere, Langsamere, wirklich Fruchtbare gar nicht zum Zuge kommt. Es wird der Verantwortungslose über dem Verantwortlichen, der Macher über dem Schöpfer, der Regisseur über dem Dichter, der Dirigent über dem Kompo­ nisten, das Tun über dem Sein, der Augenblick über die Ewigkeit herrschen. Der Liberalismus öffnete den Menschen die Augen für das Diesseitige und verschloß ihren Sinn für das Jenseitige, so daß sie nur noch den sichtbaren Vordergrund sahen und nichts mehr von dem wußten, was hinter den Dingen ist. Die Welt zerfällt in ein Konglomerat von Tatsachen. Spezialistentum, Fachwissenschaften, trockene Pedanterie, engherziges Banausentum und rücksichtslose Zweckherrschaft treiben die Ahnungsvollen und Sehnsüchtigen dem Judentum in die Arme, das in seiner geistreichelnden Frivolität und seinem subtilen Gefühl die Existenz einer überalltäglichen Welt wenigstens noch ahnen läßt. Das ist der Zustand der Dinge, wie er sich in ständig verschärfender Form seit etwa 1870 in Deutschland angebahnt hat. Geistige und Künstler gehen großen Teils in das Lager des Judentums über, während fast alles, was unter nationaler Flagge segelt, zum Subalternen verknöchert. Die erste Etappe dieser Ent­ wicklung dauert bis 1918. Bis dahin herrscht das Jüdische noch umstritten: ab 1918 herrscht es unumstritten. Die führenden Ver-

läge, Zeitungen, Theater, Filmgesellschaften sind rein jüdisch. Der nichtjüdische Geist lebt in der Verbannung. Selbst die rechtschaffensten nationalen Männer huldigen in ihren musischen Stunden einem jüdischen Kitschfilm oder einer jüdischen Gesellschaftsposse. Die deutsche Schöpfvngskrast, die sich einst in den wunderbarsten Werken entfaltete, ist verödet und ver­ stecht. Statt dessen triumphiert die Technik, die Routine, das Tempo, der Trick. Die Überbetonung der Blutsgemeinschaft in der Famllie und die Leugnung der großen Volksgemeinschaft, wie sie das westliche Judentum auszeichnet, findet ihre wirtschaftliche Ent­ sprechung im Kapitalismus. Das Namenlose und Beweg­ liche des Kapitals entspricht der Heimatlosigkeit und dem Nomadentum des Juden. Die neujüdische Weisheit ist die Weisheit des Geldes. Das Geld ist unsichtbar und unfaßbar wie eine geistige Macht und doch ist es das Leibhaftigste, was es auf Erden gibt. Geld ist genau besehen nichts, eine bloße Fiktion, und doch ist es wieder alles; für Geld kann man alles haben. Gold — das hatte noch Farbe und Gewicht —, aber Geld ist fast so wesenlos und leicht wie reiner Geist. Der Jude ist ein Magier des Geldes, er weiß um das Geld. Er weiß, daß das Geld die reinste Form deS labilen heimatlosen Nomadentums ist. Das Geld hat keine Seele, aber es hat Geist, den Geist der Verneinung, des Horizontalen: den Ungeist Luzifers. Daher wird der Jude als Magier des Geldes alles, was senkrecht ge­ richtet ist: Heimat, Stand, Volk, Nation, Glaube, verleugnen und bekämpfen; denn es steht dem Geld im Wege. Jede Eigenart, jedes Sondertum, das sich nicht ausmünzen und verwerten läßt, ist ihm zuwider. Er gießt darüber den ganzen Schwall seiner liberalen Phrasen aus: von Hinterwäldertum, Beschränktheit, von Spießig­ keit, von Verkalkung, Provinzialismus usw. Alles Argumente, die so lange nicht wirkungslos sein werden, als wir in eben diesen liberalen Gedankengängen selber noch befangen sind. Solange wir von Fortschritt, von Großzügigkeit, von Einheitlichkeit und ähn-

lichen gleichmacherischen Ideen der Oberfläche träumen, werden wir dem Judentum letztlich in die Hände arbeiten. Denn dem Juden kommt es darauf an, die Welt dem Gelde nachzubilden. Eine möglichst gleichförmige, entwurzelte Mensch­ heitsmasse, die von wenigen durch enge Blutsverwandtschaft ver­ sippten Kapitalherren regiert wird. Das ist so ungefähr das Ideal des freimaurerischen Paneuropas. Ein auf ökonomischer Grundlage geeinigtes Europa, in dem die Völker und Nationen langsam zu Wirtschaftsprovinzen ohne eigene Wesenheit und die verschiedenen Sprachen zu Mundarten der ungebildeten niederen Volksteile herabstnken. Religion als ein Aberglauben von Dienst­ boten, den man mitleidig bespöttelt, statt dessen eine rein diesseitige Menschheitsmoral, die das Glück als den Sinn des Lebens hin­ stellt. Auch das Gute um des Glückes willen. Der Weltmachttraum des Schmarotzers. Der kapitalistische Jude kann daher mit dem Sozialismus lange zusammengehen, eine weite Strecke Weges sind ihre Ziele die gleichen, bis auf das letzte Stück: da trennen sich die Wege. Wenn auch das Eigentum am Kapital, am Gelde, verstaatlicht werden soll, sucht sich der Jude zu entziehen. Er ist zu sehr Individualist, um sich verbrämten zu lassen. Hier trennen sich Sozialismus und Freimaurertum, die beiden Mächte, die Europa von Ost und West bedrohen. Die eine schwingt die Fackel der Revolution, droht mit offener Gewalt, mit Brand und Mord und Krieg, während die andere mit freundlich mildem Lächeln unter uns sitzt. Von den beiden Gefahren Europas ist die freimaurerische die eigentlich jüdische. Das Freimaurertum ist ebensowenig eine jüdische Grün­ dung als der Liberalismus eine jüdische Erfindung ist; aber beide liegen so in der Richtung der jüdischen Entwicklungstendenzen, daß sie heute praktisch als Sache des Judentums angesehen werden können. Das Kapital, die Maschine und die Masse sind die Grundlagen des Kollektivismus und damit auch der jüdischen Welt­ herrschaft. Sie sind die Auswirkungen ein und desselben Ge­ dankens, nämlich des horizontalen Prinzips, auf die menschliche

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Gemeinschaft. Eines bedingt das andere. Die Maschine erfordert das Kapital und das Kapital setzt die Maschine voraus. Anderseits führt die Maschine zur Ansammlung von besitzlosen, entwurzelten Menschenmassen. Der Jude weiß, daß von den drei Mächten der Waage das Kapital die entscheidende Macht ist. Denn wer das Kapital be­ herrscht, beherrscht die Maschine und die Masse. Maschine und Masse sind subaltern und werden vom Geld regiert. Der Jude gebraucht diese Dinge und weiß auf ihnen zu spielen, ohne sich von ihnen beherrschen ju lassen. Er hütet sich wohlweislich die letzte Konsequenz des mechanischen Prinzips zu ziehen und sich zum puritanischen Maschinenmenschen ernüchtern zu lassen; das überläßt er der Masse. Denn er weiß auch noch von den anderen Dingen, vom Blut, von den Trieben, von den Leidenschaften, von der Phantasie, von der Kunst. Nur von einem will er nichts mehr wissen, vom Letzten und Höchsten: dem Glauben — der Berge ver­ setzen kann. Wohl gibt es auch heute noch altgläubige Juden. Aber eben durch die Verwerfung Christi und die Vertröstung auf den kom­ menden Messias sichtbarer Herrlichkeit ist der Glaube verdiesseitigt. Der Jude ist gerade durch seinen Chiliasmus zum Zweifler geworden. Er will erst sehen und dann—glauben. Die Auferstehung des Lebens, die Überwindung des Stoffes durch den Geist, ist das, woran er nicht glauben will. Als die Juden Paulus gebunden hatten und ihn töten wollten, und die Römer sie fragten: Was hat er euch getan? antworteten sie: „Er predigt die Auferstehung der Toten." Daher ihre Totenklage, daher ihr Bestreben, das Leben um jeden Preis zu erhalten. Sie leugnen nicht, aber sie bekennen auch nicht. Denn Leugnen wäre ein Festlegen und insoferne auch eine Art Bekennen. Die Geste des abwehrenden Zweifels ist für den Juden bezeichnend geworden. Er war dem Unendlichen zu nah, als daß er jemals wieder ganz zu leugnen vermöchte. Eine un­ gewisse Angst hält ihn vor dem offenen „Nein" zurück. Er lebt im Zwischenreich des Zweifels. Und er ist so konsequenter Zweifler, daß

er auch nie falschen Götzen znm Opfer fallen wird. Davor bewahrt ihn die Weisheit des Ungeistes, die sich jeglichen Bekenntnisses entzieht. Daher nimmt er auch das Geld und die Maschine nicht ernst, sondern gebraucht ste nur, während wir anderen gerade in unserer Ganzheit Gefahr laufen, endliche Dinge zu verabsolutieren. So unterliegen wir zur Zeit dem Irrtum der Sachlichkeit, indem wir glauben, die Dinge, die wir gebrauchen, wichtiger nehmen zu müssen als uns selbst, die Sache über die Person stellen zu müssen meinen. Dazu ist der Jude zu weise. Für ihn, den glaubenslosen Weisen, ist der Mensch das Maß aller Dinge, der Sinn des Lebens, das irdische Glück. Und Glück ist für ihn keineswegs die sinnlose Anhäufung von Geld oder anderen Gütern, sondern — um mit den Worten eines Juden zu reden — der „Reichtum der zur Innerlichkeit umgeschmolzenen Wirklichkeit". Also die mit den verfeinerten Sinnen und der geistigen Beweglichkeit einer alten hochkultivierten Rasse genossene und er­ lebte Welt. Also wohl Innerlichkeit, wohl geistig-seelisches Sein, aber nur als eine Sublimation der wirklichen leibhaftigen Dinge. Keine Gestaltung der Welt von innen nach außen, sondern ein Umwandeln des Außen nach innen. Kein Bauen, sondern Saftziehen. Alle die Schlagwörter, die von Zeit zu Zeit als Lebenselixier in die Welt gesendet werden, wie „Vitalität", „Intensiv leben!" „Mut zur eigenen Wahrheit", „Gefühl des eigenen Wertes", ent­ springen diesem jüdischen Weisheitsborn. „Menschlichkeit ist das höchste sittliche Gebot des Juden. Wo die Unerbittlichkeit eines Ideals uns das Leben verachten heißt, entfaltet der Jude das Panier der Menschlichkeit. Aus einer Urerinnerung an die Zeiten, da seine Väter vor Gottes Thron standen, ist ihm ein Wissen um die letzten Dinge des menschlichen Herzens geblieben. Und das Erlebnis der furchtbaren Schuld und des bitteren Leides der Verfolgung, das seit Jahrtausenden auf ihm lastet, hat ihn mit den tiefsten Abgründen und den feinsten Regungen dessen vertraut gemacht, was es heißt, Mensch zu sein. Daher ist der Jude der einfühlsamste ärztliche Berater.

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Aber er gebraucht seine Gaben nicht mehr für das Letzte. Er ist zu weise, um an den toten Stoff, an die wesenlose Zahl oder auch an die bloße Natur jv glauben, aber er ist zn sehr rastloser Ungeist, vm an Gott zn glauben. Ein Nichtjude, der Gott leugnet, tut es oft aus schier unüber­ windlichem Jrrtnm, weil er es nicht besser weiß — es ist ihm nicht aufgegangen — ein Jude, der an Gott zweifelt, tut es zumeist, weil er es nicht besser will. Und so wie der Jude Christus verworfen hat, leugnet er auch den Teufel. Wer das Licht nicht sieht, sieht auch keinen Schatten. Für den gilt weder gut noch böse. Es ist daher der Grundzug jener eigentlich jüdischen Seelenkunde, der Psychoanalyse, jenseits von Gut und Böse eine neutrale „Erklärung" für alle Dinge zu finden, als ob es keine menschliche Schuld gäbe und alles unter dem Gesetz der Kausalität und Zeitabfolge stünde. Die Justiz löst sich in Psychiatrie auf, an Stelle -es Richters tritt der Irren­ arzt, an Stelle der Strafe erwartet den Angeklagten das Sana­ torium. So verleugnet der Jude mit der Leugnung des Bösen auch das Gute. So kreuzigt er Christum immerdar. Der Weg der Erlösung des Judentums und mit ihm der Be­ friedung der Welt führt über das Bekenntnis der Schuld, d e r Re «e. Es gibt nur eine Art von Antisemitismus, die sittlich zu­ lässig und geistig fruchtbar ist, d. i. die Besinnung auf uns selbst. Es gibt nur eine Möglichkeit der jüdischen Herrschaft zu begegnen, das ist die: ihr die Grundlagen ihrer Macht — die Ma­ schine, die Masse und das Kapital — entwinden, indem wir sie zurückverwandeln. Das heißt: Wir müssen wieder seßhaft werden, um der Verderblichkeit des jüdischen Nomadismus zu entgehen. Wir müssen wieder die senkrechten Prinzipien von Heimat, Blut, Famllie, Stand und Glauben zum Fundament unserer Lebens­ ordnung machen an Stelle des horizontalen Prinzips einer markt­ technischen Auslese nach Tüchtigkeit und Leistung. Es kommt mehr darauf an, wer einer ist, als was einer kann. Wir müssen das Können nach Maßgabe des Seins, nicht das Sein nach Maßgabe des Könnens werten. Sonst beschwören wir immer wieder den Namenlosen herauf. Es kommt in allem auf das Wesen an, nicht

auf die Leistung. Nicht „Freie Bahn dem Tüchtigen!", sondern „Jedem das Seine!" Wir dürfen keine Fabriken bauen, um dem anonymen Kapital eine Rente zu verschaffen, sondern um einem sinnvollen Bedürfnis Rechnung zu tragen und um Menschen ein geregeltes Tun und eine gesicherte Existenz zu verschaffen. Nicht Konzentration sondern Dezentralisation, nicht Kapitalintensität sondern Arbeitsintensität muß die Parole der Zukunft sein. Je kleiner und geschlossener die Wirt­ schaftsbereiche werden, um so näher kommen sich Konsument und Produzent, um so geringer wird die Bedeutung der arbeiterspa­ renden Maschine und des vermittelnden Kapitals. Wir müssen unsere Wirtschaft so nahe an die Naturalwirtschaft heranrücken, daß wir die Lücken des Geldmechanismus im Notfälle durch Na­ turaltausch stopfen können. Wir müssen uns im Kleinsten und Engsten zu helfen versuchen, um dem Kollektivismus zu entgehen. Wir müssen wieder seßhaft werden in unserer natürlichen und übernatürlichen Heimat; denn dort sind die Wurzeln unserer Kraft. Solange wir es aber dem Juden gleichzumachen suchen und ruhelos in der Weite irren, werden wir ihm unterlegen sein — denn dann ist seine Weisheit größer als die unsere. Diese Besinnung auf uns selbst und die Ablehnung des jüdi­ schen Geistes ist aber nur der erste Schritt und ein Akt der Notwehr; der zweite Schritt (zum Heile der Menschen) muß ein Akt der Liebe sein: die Erlösung des Juden in Jesu Christo. Der erste Schritt steht bei uns, der zweite beim jüdischen Volk — und bei Gott allein. Denn wie der Jude durch die Verwerfung verflucht wurde, so kann er nur durch die Gnade des Glaubens wieder erlöst werden. Wir dürfen uns nicht überheben und wähnen, der Jude sei ein für allemal verdammt. „Gott kann sie wohl wieder einpropfen" (Röm. ii). Und so wie alle Schuld im Lichte der Vorsehung zum Heile gereicht, so hat auch der Fall der Juden seinen besonderen heilsgeschichtlichen Sinn; wie der Heidenapostel Paulus sagt: „Ich

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will euch nicht verhalten, lieben Brüder, dieses Geheimnis (auf daß ihr euch nicht erhebet): Blindheit ist Israel jum Teil widerfahren so lange, bis die Fülle der Heiden eingegangen sei — und also das ganze Israel selig werde.... Nach dem Evangelium zwar sind sie Feinde um euretwillen; aber nach der Wahl sind sie Geliebte um der Väter willen. Denn Gottes Gnadengaben und die Berufung gereuen ihn nicht." Und was die Bekehrung Israels für die Menschheit einst be­ deuten mag, das deutet der Apostel mit den Worten an: „Denn wenn ihre Verwerfung die Verflhnung der Welt ist, was wird ihre Aufnahme anders sein, denn Aufleben von den Toten?" Judas Geschick ist eine Frage der ganzen Menschheit.

„Es gibt einen kulturellen Optimalpunkt der Maschine, t» dem wir zurückfinden müssen".

Die Wirtschaft. Wesen. Wirtschaften ist in erster Linie ein Werken — gleich der Kunst — erst in zweiter Linie ein Versorgen. Erst säen, dann ernten. Also erst eine Bewegung im Senkrechten, dann eine Bewegung im Waagrechten. Die Betonung liegt auf dem Schaffen, nicht auf dem Handeln. Die Wirtschaft soll vom Werk aus bestimmt sein, nicht vom Markt. Wohl ist die Versorgung der Zweck der Wirtschaft, aber nicht ihr Sinn. Ihr Sinn ist das Schaffen. Der Sinn ist allemal das Höhere als der Zweck. Der Zweck ist das Ver­ gängliche, der Sinn ist das Unvergängliche. Zweck und Sinn vollziehen sich aneinander. Indem die Menschen dem Zweck der Notdurft dienen, vollzieht stch in ihnen und in ihrem Werk der Sinn der Arbeit. Ein Maschinenzeitalter, in dem die Menschen nur zwei Stunden zu arbeiten brauchten, wäre kein Paradies, sondern das Ende der Kultur. Der Zweck, der den Sinn überwuchert, ist sinnlos. Die Arbeit ist nicht nur ein Fluch, sie ist auch ein Segen. In ihr hat jeder Mensch an den Freuden der Schöpfung teil. Das Symbol der Kultur ist die schaffende Hand, nicht der spekulierende Geist, der die Hand verdorren läßt. Mit der Hand schöpft der Mensch die Dinge und hebt sie zum Licht empor. In der primitiven Wirtschaft fallen Schaffen und Versorgen zusammen. In der arbeitsteiligen Wirtschaft beginnen sie sich zu trennen. Solange noch auf Bestellung gearbeitet wird, bleibt die Einheit gewahrt, wo aber nur noch für den Markt erzeugt wird, verflüchtigt sich das Dersorgungsprinzip zur Spekulation. Der Ka­ pitalismus ist auf diesen Abweg geraten, indem er die Wirtschaft

von der Marktseite her aufzäumte. Das Ergebnis war die Kommer­ zialisierung. Aus dem Schaffen wurde ein Rechnen, aus dem Ver­ sorgen wurde ein Aufdrängen. Der Zweck überschlägt sich. Der Wohlstand der Massen gilt nicht mehr um seiner selbst, sondern nur noch um des Absatzes willen. Der Unternehmer ist — um des Ab­ satzes willen — schon fast nicht mehr so sehr am guten als am schlechten Werk interessiert, damit bald wieder neu gekauft werden muß. So verfehlt der vom Sinn losgelöste Zweck auch sein eigenes Ziel. In der Wirrnis dieser kritischen Stunde der Marktwirtschaft stellt der Sozialismus fälschlicherweise den reinen Versorgungs­ gedanken als führendes Prinzip der Wirtschaft heraus und erweist sich damit als ein Abkömmling des Kapitalismus, der lediglich an Stelle der individualistischen Verteilungsweise des Marktes die kollektivistische des Staates treten lassen will. Aber die Betonung liegt gleicherweise auf der Güterverteilung, dort um des Kapitals, hier um des Konsumenten willen, dort „Absatz", hier „Versorgung" genannt. War also der Kapitalismus in seiner letzten Phase schon mehr Absatz- als Erzeugungswirtschaft, so bekümmert den Sozialis­ mus fast nur noch die Verteilung der Güter, während die Er­ zeugung zu einem notwendigen Übel herabgewürdigt und auf die Maschine abgeschoben werden soll. Zu Unrecht brüstet er sich daher mit der Tugend des Gebens; denn nur der kann gebe», der vorher geschaffen hat. Wer aber das Schaffen verkümmern lassen will, wird auch im Geben zurückhalten müssen. Der Geist der Arbeit drückt sich in den geschaffenen Dingen wieder aus. Das Werk kann nicht mehr Seele enthalten, als in es hineingelegt worden ist. So wie die Arbeit getan wird, so werden die Dinge um uns sein. Je mehr wir alles der schöpfenden mensch­ lichen Hand entwinden und der Maschine überlassen, um so glatter, unechter und unpersönlicher wird alles werden, was uns umgibt. Der Sinn der Arbeit ist die Entfaltung der menschlichen Seele an den Dingen. Nur wer diesem Sinn treu bleibt, wird auch den Zweck der Arbeit, die geist-leibliche Befriedigung des Menschen, erreichen können. 5*

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In der Wirtschaft hat sich der Irrtum des Rationalismus am verhängnisvollsten ausgewirkt, so groß die augenscheinlichen Vorteile sind, die er gerade hier erzielt hat. Kapital und Maschine, beides Ausgeburten derselben rechnerischen Vernunft, beherrschen heute die Wirtschaft. Von den scheinbaren Vorteilen verblendet, übersahen die Mensche», welches Unheil sie damit her­ aufbeschwuren. Denn Kapital und Maschine sind waagrechte Mächte und dem Leben feindlich gesonnen. Als reine Zwecke, quantitativ und mechanisch, haben sie die Tendenz, ins Maßlose, Uberproportio­ nierte anzuwachsen. Sie haben die Säulen des senkrechten Wirtschaftsprinzips,dieWerksgemeinschaft und die Eigenständig­ keit, unterhöhlt, und drohen bei weiterem Fortschreiten, die Er­ zeugnisse selber so zu verfälschen, daß die Welt alles, was sie nach außen zu gewinnen scheint, nach innen wieder verlieren wird. Auflösung der Werksgemeinschaft. Was die Zerstörung der Werksgemeinschaft angerichtet hat, sehen wir allenthalben. Sozialismus, Kommunismus, Lohn­ kämpfe, Streiks, Klassenhaß, ist alles daraus entstanden, daß sich im Laufe des letzten Jahrhunderts die Entwicklung immer weiter von der Wahrheit entfernt hatte. Der ursprüngliche und eigentliche Sinn der Wirtschaft ist nämlich weder Leistung noch Gewinn, son­ dern die Genugtuung des Werks: Das Werk als gemeinsame Schöpfung und Nahrung der an ihm Schaffenden. Das ist der natürliche und wahre Sinn der Wirtschaft, dem alle Nebenzwecke, wie Erwerb, Leistung und Gewinn unterzuordnen sind. Das moderne Zeitalter hat dieses Verhältnis umgekehrt. Nicht mehr das Werk, sondern die Zwecke der Maschine und des Kapitals, Leistung und Gewinn, treten in den Mittelpunkt. Der Zahlenmechanismus des Geldes zwingt dazu. Aus einer Stätte gemeinschaftlichen Schaffens ist das Werk zu einem geschäftlichen Unternehmen mit bezahlten Arbeitskräften geworden. Der Zweck und die Zahl drücken dem Ganzen ihren Stempel auf. Jeder sucht bei der Rechnung möglichst viel Punkte herauszuschlagen. Die Ar­ beiter verlieren den Zusammenhang mit dem Werk und versteifen

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sich auf eine werksfeindliche Jnteressenpolitik. Der Unternehmer tut desgleichen gegen seine Arbeiter, gegen seine Lieferanten und seine Abnehmer. Der Werktag wird entseelt und entzaubert. Die Ma­ schine, namentlich der Geist der Maschine, entfremdet den Arbeiter seinem Werk. Früher lag die Betonung auf der Arbeit, der Genugtuung des Werkes; die Entlohnung fand sich im Rahmen des StändischAngemessenen. Nun wurde der Akzent auf den Gewinn gelegt. Das Profit-Interesse wurde nackt und unverblümt als bewegende Kraft der Wirtschaft erklärt. Man glaubte so der Gesamtheit am besten zu dienen, indem man den rücksichtslosen Egoismus des einzelnen vor den Wagen des Gemeinwohls spannte. Man glaubte so durch einen Trick das Böse dem Guten dienstbar machen zu können. Eine Zeitlang — etwa hundert Jahre — waren die Erfolge dieses radikal-individualistischen Wirtschaftssystems auch überraschend. Dann aber begann sich der Irrtum bemerkbar zu machen. Man hatte nämlich bei der Rechnung die Arbeiter vergessen. Man hatte ver­ gessen, daß sie nicht nur Produktionsfaktor sondern auch Menschen sind, die von den liberal-egoistischen Ideen eines Tages genau so erfaßt werden würden. Aus der Eigensucht der wenigen, der Kapitalisten, wurde die Eigensucht der vielen, der So­ zialisten. So schuf der Irrtum des Kapitalismus aus sich den Gegenirrtum des Sozialismus. Gift erzeugt Gegengift. So stehen sich heute die Masse und das Kapital in unerbittlicher Feindschaft gegenüber, von denen das eine so wenig wie das andere uns zum Heile gereichen kann, weil sie beide materialistische Mächte sind: waagrecht, summarisch, mechanisch und von einem tödlichen Haß gegen das Senkrechte, Lebendige, Organische besessen. Verlust der Eigenständigkeit. So, wie das Kapital und die Maschine den Werksgedanken zersetzt haben, so haben sie auch die nationale Selbstversorgung untergraben. Der Gedanke, der dieser Eigenständigkeit oder National-Autarkie zugrunde liegt, ist der, daß der in einem Volke oder einem Reich kulturell und politisch zusammengefaßte Raum

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auch wirtschaftlich selbständig sein soll, d. h. die Dinge, die er zur Lebensnotdurft gebraucht, möglichst in seinen eigenen Grenzen er­ zeugt. Es ist die Idee des Schutzzolles. Die geistige und politische Selbständigkeit soll wirtschaftlich materiell unterbaut werden. Wie jede Seele ihren eigenen Leib hat, so soll jedes Volk als geistige Wesenheit seinen eigenen Staat und seine eigene Wirtschaft haben. Denn ein Volk ohne eigene, selbstversorgende Wirtschaft kann sich das Leben gar nicht mehr in seinem Sinne gestalten. Es ist auf die anderen angewiesen, daß sie ihm seine Waren abnehmen und dafür ihre, die es notwendig braucht, liefern. Sicher ist diese Ab­ hängigkeit eine gegenseitige, aber ein Mangel an industriellen Er­ zeugnissen ist allemal länger auszuhalten als ein Mangel an landwirtschaftlichen. Je mehr sich ein Volk in die Weltwirtschaft verstrickt, um so mehr ist es allen Schwankungen des internationalen Geld- und Preismarktes ausgeliefert, um so mehr ist es gezwungen, alle technischen und wirtschaftlichen Neuerungen, die irgendwo in der Welt beschlossen werden, mitzumachen — nur um konkurrenz­ fähig zu bleiben. Es besteht z. B. die Gefahr, daß es weitgehende Rationalisierungsmaßnahmen, wie: Serienherstellung, Werksfusio­ nierungen usw., die ihm aus sozialen und ideellen Gründen gar nicht liegen, mitmachen muß, nur, um Schritt hallen zu können. Es wird in den Strudel der Weltwirtschaft mit ihren riesigen Massen­ erzeugungsstätten hineingezogen, ob es will oder nicht. Es wird zu­ nehmend gezwungen, fremdes statt eigenes Brot zu essen und muß schließlich nehmen, was ihm die anderen geben. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß für die Selbständigkeit eines Landes, eine annähernd autarke Wirtschaft noch wichtiger ist als eine eigene Wehr. Abnehmender Naturertrag. Soweit die zünftige liberale Wirtschaftspolitik ihre Aufmerk­ samkeit der Erzeugung zuwandte, beging sie den Fehler, daß sie den Begriff der Erzeugung zu geheimnislos-mechanisch auffaßte und zu sehr auf mengenmäßige „Leistung abstellte, während die wesent­ lichen Dinge, auch in dem scheinbar materiellen Bereich der Wirt­ schaft, nicht meßbar sind. „Leistung" ist das rechenbare Ergebnis

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der menschlichen, tierischen und maschinellen Arbeit im Produk­ tionsprozeß. Wir müssen uns aber im Zeitalter der hochentwickelten Technik einmal ernstlich darüber klarzuwerden versuchen, daß fruchtbar, im eigentlichen Sinne, nur die Natur ist. Der Mensch und seine Technik nutzen und richten nur auf, was die Natur ihnen bietet. Arbeit und Technik stnd sekundäre, mittelbare Schöpfung. Es sind ja auch gerade die äußeren Zutaten des Lebens, in denen die Technik das Erstaunlichste und Gewaltigste leistet. Automobile, Flugzeuge, Ozeandampfer, Telephon, Radio — ohne die wir genau so leben könnten und Jahrhunderte und Jahrtausende gelebt haben. Was ist schon damit erreicht, daß man statt in fünf Wochen in fünf Tagen über den Ozean fahren kann? Aber das, was wir zur Lebensnotdurft wirklich brauchen, das Brot, das wir essen, die Stoffe, mit denen wir «ns kleiden, sind ganz aus organischer lebendiger Substanz aufgebaut, die dem natürlichen Leben und Wachsen immer verhaftet bleiben wird. Der Mensch kann den Acker bereiten und das Korn säen, aber wachsen lassen kann es nur die Natur, die Erde. Der Landwirt weiß, daß es ein Gesetz des abnehmenden Bodenertrages gibt, daß alle Zu­ wendungen von Arbeit und Kapital von einem bestimmten Sätti­ gungspunkte an, keine entsprechenden Mehrerträge mehr liefern. Wir können mit unseren Maschinen die Fasern der Pflanzen immer feiner und fester spinnen und weben, aber die Faser selber können wir nur von der lebendigen Pflanze erhalten, die ein Geschenk der Erde ist. Und je mehr wir versuchen, Natur durch Technik, Organi­ sches durch Anorganisches, Lebendiges durch Totes zu ersetzen, um so mehr büßen wir an Echtheit, an Gediegenheit, an Schmiegsam­ keit und Dauerhaftigkeit des Gewebes ein (Kunstseide). Und zwar ist die Arbeit der Hände, als die natur- und lebensnähere, noch fruchtbarer als die Arbeit der Maschine. Es gibt also ein Gesetz des abnehmenden Naturertrages in aller Erzeugung, die un­ mittelbar dem physischen und geistigen Sein des Menschen dient (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Kunst): Zuviel Maschine und zu­ wenig Natur müssen mit Einbußen an „lebendiger" Ertragsgüte bezahlt werden.

Nur da, wo es sich um die Herstellung von lebensfernen, mittel­ baren Gütern handelt, läßt stch die Erjeugung in geradlinig­ arithmetischer Reihefast bis ins Unendliche steigern. Bei Steck­ nadeln, Drahtstiften, Schienen, Nähgarn usw. ist die Maschine an Quantität und Qualität weit überlegen. Sobald es stch aber um Dinge handelt, die nicht bloßes Mittel zum Zweck stnd, sondern die eine — wenn auch noch so minimale — persönliche Bezogenheit zum Menschen haben, also bei allem, was die Kleidung, Nahrung und Umgebung des Menschen angeht, läßt die Maschinenherstellung trotz aller möglichen Scheinqualität etwas vermissen. Es ist etwas, das in vielen Fällen unwägbar und unmeßbar ist — und das daher der rechnende Mensch schlankweg ableugnen wird. Es ist das, was wir empfinden, wenn wir ein Stuck Fabrikstuch und ein Stück handgewebten Tuches in der Hand halten. Es ist mehr als Qualität — Qualität ist schließlich auch noch meßbar — es ist etwas, das gleichsam in der innersten Substanz der Dinge verborgen zu sein scheint, und das wir nur fühlen können, in der Art, wie wir ein Kunstwerk empfinden. Denn im Grunde ist alles Schaffen mit der Kunst verwandt. Wie ein mit freier Hand gezogener Strich dem Auge wohltuender ist als ein mit dem Lineal gezogener, so trägt ein mit der Hand ge­ stricktes Kleid mehr Leben in sich als ein maschinengestricktes, selbst wenn die Maschine die Fäden noch feiner und enger schlingt. Aus demselben Grunde ist in einem massiven Steinhaus oder einer ver­ moosten Lehmhütte mehr Wohngefühl als in einem dünnschaligen Betonkasten — mag auch der Beton härter und dauerhafter sein als alle natürlichen Baustoffe. Alles Lebendige kann nur von Lebendigem leben. Wir werden uns immer nur von organischer Substanz wahrhaft nähren können und uns immer nur in Kleidern wohlfühlen, die aus pflanzlichen oder tierischen Fasern gewoben sind. Jeden Versuch, uns davon zu entfernen, werden wir auf die Dauer mit Verlusten an Lebenskraft bezahlen müssen. Der Mensch meidet ja auch ganz instinktiv die dauernde Berührung mit anorga­ nischen Stoffen. Man betrachte ein Fahrrad oder ein Automobil daraufhin: an allen Stellen, an denen der menschliche Körper mit

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der Maschine und ihren Zubehörteilen in Berührung kommt, ist organische Substanz gleichsam wie eine Isolierschicht eingebaut. Der Sitz ist mit Leder gepolstert, das Steuerrad ist aus Holz, -er Fuß­ boden ist mit Hartgummi ausgelegt. Das ist scheinbar selbstver­ ständlich und nebensächlich — und doch höchst bedeutsam. Es zeigt, daß die Maschine — die ja wesentlich aus hartem, glattem Metall besteht — im Grunde uns fremd und feindlich ist, so daß wir sie uns vom Leibe halten müssen und uns ihrer nur in einem gewissen Abstand bedienen können; daß wir sie in Grenzen halten müssen, wen» sie nicht aus unserem Freund unser Feind werden soll. Es wird die Aufgabe der Zukunft sein, die Technik, die wie ein Taumel über uns gekommen ist, unserem geistigen und physi­ schen Sein sinnvoll einzupassen; wobei unter Technik im weitesten Sinne die gesamte rationale Erzeugungsweise, einschließlich der Chemie verstanden werden soll. Ansätze dazu sind schon vorhanden. In der Forstwirtschaft ist man schon zu der Erkenntnis gelangt, daß die großen Kahlhiebe und die Aufforstung der jungen Bäume in schnurgeraden Reihen mannigfache Nachteile mit sich bringt. Man hat hier die rationalen Methoden der Waldwirtschaft des 18. Jahrhunderts in ihrer Natur­ widrigkeit schon durchschaut und sucht zu naturnäheren Wald­ formen (Mischwald, natürliche Besamung) zurückzufinden. Es kann als ein gutes Vorzeichen gelten, daß so vor allem der Wald, das Sinnbild des Volkes, vor dem weiteren Umsichgreifen des barbari­ schen Zweck-Schematismus verschont und in seiner natürlich-sinn­ vollen Erscheinung gewahrt bleibt. Denn in der Landwirtschaft dämmert es noch nicht. Hier ist die Ansicht noch vorherrschend, daß der Grad der möglichen Intensität eine reine Rechenfrage sei. Der Ackerbau steht noch fast ganz im Zeichen der Kunstdüngerpsychose und der aufgeblähten Mengenerzengung. Man betrachtet die Erde noch zu sehr als eine Retorte, in der bestimmte künstliche Zutaten gemengt werden müs­ sen, vm ein bestimmtes Produkt zu erzielen und vergißt dabei, daß die Erde ein lebenzeugender Schoß ist, der sich nicht alles nach Belieben abgewinnen läßt. Diese übersteigerte Intensität von Ma-

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schirre und Chemie im Ackerbau, die de» Boden nie jvr Ruhe kom­ men läßt, hat — wie die allzu künstliche» Tierzuchten — etwas von Versündigung gegen das Geheimnis des Lebens. Mögen die Mo­ tive dieser gewaltsamen Ertragssteigerung noch so entschuldbar sein, sie müssen schließlich einmal zurücktreten hinter der größeren Sorge um unsere Muttererde. Denn wenn die nicht mehr gibt, ist alles verloren. Es zeigt sich also auch hier, daß zuviel Planmäßigkeit und Lei­ stung nur Augenblickserfolge auf Kosten der schöpfenden Urkräfte zeitigt. Was nur nützlich ist, ist nicht von langer Dauer. Es gibt keinen Vortell, der nicht auch seinen Nachteil in sich börge. Dieses Nachlassen der lebendigen Zeugungskraft der Erde vollzieht sich allerdings so allmählich und unmerkbar, daß es den Menschen nicht bewußt wird und daß es sich — da es Unwäg­ barkeiten sind — schwer beweisen läßt. Eine Vorstellung davon kann man sich aber machen, wenn man die Erzeugnisse unserer Erde mit denen eines Landes ver­ gleicht, in dem die rechnerische Landwirtschaft noch radikaler durch­ geführt ist als bei uns; das ist Amerika. Ob es ein Apfel ist oder eine Kartoffel, ob es ein Stück Brot ist oder ein Stück Fleisch, es hat alles weniger Saft und Kraft, weniger Herz und Geschmack als bei uns. ES wäre ja auch seltsam, wenn sich die Seelenlosigkeit und Lieblosigkeit der amerikanischen Wirtschaftsmentalität nicht irgendwie in ihren Erzeugnissen ausdrückte. Statt dessen Schein­ produktivität, wohlgefällige, große Früchte, die das Auge be­ stechen, aber den Gaumen enttäuschen. Viel Schein und wenig Gehalt! Vollendete Konfektion! Inwieweit das die alleinige Schuld des modernen Amerikanismus ist und inwieweit nicht die kosmische Physiognomie des Erdteils — besonders Kaliforniens — dahin tendiert, läßt sich schwer ermessen. Auf jeden Fall ist Amerika ge­ eignet zu veranschaulichen, was mit dem Rückgang der Lebenskraft durch de» Geist der Maschine gemeint ist. Oder man vergleiche den Geschmack eines in Sauerteig lang­ sam gegorenen Bauernbrotes mit dem eines in Backpulver rasch auf­ gegangenen Fabrikbrotes, um sich eine Vorstellung von dem

Unterschied zwischen lebendiger vnd künstlicher Kost zu machen. Soviel kleiner die Walderdbeere ist, um soviel mehr Aroma nnd Gehalt hat sie im Vergleich zur Gartenerdbeere. Es handelt sich keineswegs um eine geschmäcklerische Angelegen­ heit für Gourmets sondern um eine Lebensfrage für das ganze Volk, denn die aufgeblähten Mengenleistungen können die Frucht schließlich so weit verfälschen, daß wir an dieser Kost mitdegene­ rieren. Es könnte also — übertrieben ausgedrückt — der Zustand eintreten, -aß wir verhungern müssen, obwohl wir reichlich zu essen haben, daß die Poesie des verspotteten Sämannes, der mit der Hand die Saat ausstreut, auf einmal furchtbare Wirklichkeit würde. Es ist nur eine Frage der Zeit, daß auch die menschliche Heil­ kunde diesen Zusammenhängen größere Bedeutung beimessen und Stellung nehmen wir- zu der Alternative: Hausmannskost oder Automatenbuffet; daß Unterschiede der Erzeugung und Zuberei­ tung, die chemisch nicht feststellbar sind, für den Geschmack und die Bekömmlichkeit der Speise ausschlaggebend sein können. Die Sozialisten kämpfe» gegen die Landwirtschaft um das Brot der Arbeiter. Aber wie das Brot eines Tages beschaffen sein wird, wenn sie uns immer mehr in den Rationalismus hineintreiben, darüber haben sie sich noch nicht den Kopf zer­ brochen. Der Grundsatz: „Der Landwirt muß in erster Linie Geschäfts­ mann sein" ist privatwirtschaftlich richtig, volkswirtschaftlich falsch, da die Erhaltung der Lebenskraft der Erde wichtiger ist als vorüber­ gehende Mengenerträge. Eine Traktoren-Kolonne — von Frauen chauffiert — kriecht wie eine riesige böse schwarze Raupe über die unendliche russische Ebene; nebenher reitet der Feldwebel-Agronom mit gebietender Geste. Das ist das Schreckensbild der Landwirtschaft, die Sünde wider das Leben. Daneben taucht ein anderes Bild auf. Ein Sämann geht über den Acker und streut mit der Hand den Samen über die Erde. Armes russisches Land — gesegnete deutsche Erde!

Lebensfeindlichkeit der Maschine. Das Prinzip der Maschine ist die Übersetzung von Raturkräften in nutzbare mechanische Energie. Ihr ur­ eigenstes Gebiet, in dem ste ihre unumstrittensten, augenfälligsten Leistungen vollbringt, ist daher Verkehr und Zerstörung, wobei Verkehr im weitesten Sinne des Wortes aufzufassen ist; also alles, was Austausch und Handel, Verbreitung und Vervielfältigung be­ trifft: Flugzeuge, Raketenschiffe, Schnellbahnen, Automobile, Radio, Telephon, Lichtbilder, Zeitungen. Das sind die Triumphe der Technik, das ist das, was die Maschine am besten kann. So sehr die Erfindung der Feuerwaffe, der Buchdruckerkunst und der Eisen­ bahn vielleicht noch als Wohltat für die Menschheit anzusehen war, so sehr fängt von einem gewissen Punkte an das zerstörende, nega­ tive Element in der Maschine die Oberhand zu gewinnen. Zunächst kann sie noch sekundär dem Leben dienen, indem sie das Feindliche zerstört und das Notwendige herbeischafft, aber ins Übermaß ge­ steigert, beginnt sie den Menschen zu bedrohen und zu verwirren. Ein gerades Schwert, wie es die Ritter getragen hatten, war eine edle und gerechte Waffe, die heutigen Tanks und Kampfflug­ zeuge sind dämonische Mordwerkzeuge, die zu führen kaum mehr eine Ehre sein kann. Der überfüllte Verkehr in den heutigen Weltstädten und das Telephongeklingel in den Büros sind zum Widersinn entarteter Zweck. Mit der Maschine hört sich schließlich alles auf; sie führt alles ad absurdum. Die Maschine zum Jdealprinzip erheben, hieße Ver­ kehr und Zerstörung zum absoluten Zweck erheben, hieße die Auflösung und Vernichtung des Lebens.'Das muß denen gesagt werden, die in der Entlastung der menschlichen Arbeitskraft durch Motorisierung und in der Verschrumpfung der Welt zu einem engmaschigen Verkehrsnetz noch immer ein Zukunftsziel sehen. Daß wir in soundsoviel Stunden nach Amerika oder Afrika fliegen können, ist nicht einmal mehr ein wirtschaftliches Ziel, aber daß wir alle Arbeit haben und ein gutes Brot essen können, das ist ein wirtschaftliches Ziel. Die unsinnige Verkehrs-Hypertrophie unserer Zeit ist das Zeichen eines furchtbaren seelischen Leerlaufs. 72

Die großen Ozeandampfer, die riesigen Flugzeuge, die rasenden Automobile, ja selbst der Lastenverkehr — um von den Kriegs­ ungeheuern der Technik ganz zu schweigen — sind doch alles das Gegenteil von Leben, von Schöpfung, von Phantasie, von Kunst, von Religion. Was anderem dienen sie letzlich als der Auflösung und Verwischung der Gegensätze, der Entwurzelung und Entseelnng des Eigenen und Bodenständigen und der Vermassung des Lebens in wenigen Großstadtzentren? Und das alles geschieht einer eingebildeten Notwendigkeit zu­ liebe. Alles das, worum die Menschen kämpfen: Liebe, Treue, Ehre, Glauben, alles das untergraben sie wieder, wenn sie in Wort und Tat, die Maschine, den Verkehr, den Handel bedingunglos fordern. Das darf nicht materialistisch gedeutet werden, als ob der Stoff den Geist zwänge, daß wir den Glauben verlieren müßten, weil wir Maschinen haben. Das gewiß nicht. Der Mensch ist frei. Die Maschine zwingt uns nicht, aber sie drängt uns. Wir müssen innerlich gegen sie angehen, um uns nicht von ihr vergewaltigen zu lassen. Und in dem Maße, als wir das tun, entwickelt sich unser Streben, statt des Maschinengetriebes unsere eigene, lebendige Form der Welt aufzuprägen. Und da wir frei sind, ist es auch nicht so, als ob wir nun müß­ ten, weil die Zeit nun einmal so ist. Die Zeit ist immer das, wovon die Menschen beseelt sind. Es ist nicht so, wie Spengler es hinstellt, als ob es sich um eine zwangsläufige Entwicklung handelte. Es ge­ schieht nur, was vorher im Geiste geschehen ist, und im Geiste herrscht Freiheit, nicht Gesetzlichkeit. Äußere Erschöpfung. Die Technik ist eine Sackgasse, je weiter man in sie hineingeht, um so weiter führt sie vom Leben ab. Je ent­ wickelter die Technik ist, um so bedenklicher und gefährlicher wird sie für das Leben. Die Technik ist die große Gefahr des Menschen. Cs ist gar nicht abzusehen, wohin es führen sollte, wenn ihr Geist immer mehr überhandnehmen und sich ihre Erzeugnisse immer mehr verbreiten würden.

Nun ist aber in der Welt dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Je rascher die Entwicklung fortschreitet, um so rascher wird sie ihren Sättigungspunkt erreichen. Also selbst, wenn keine geistige Wandlung der Menschen eintreten sollte, würde die Technik in der Erschöpfung der wertvollsten organischen Energiequellen ihre materielle Begrenzung finden. Energie an sich ist zwar unbegrenzt und ewig. Energie kann nicht untergehen; aber in der praktisch nutzbaren gesammelten Form von Kohle und Erdöl ist sie begrenzt und wird im Laufe absehbarer Zeit, d. h. weniger Jahrhunderte, ihrer Erschöpfung entgegengehen. Und je raschere Fortschritte die sinnlose Motorisierung der Welt macht, um so mehr wird das Ende beschleunigt. Die Technik gräbt sich ihr eigenes Grab. Und, wenn man bedenkt, daß ein solches Er­ eignis nicht von heute auf morgen eintritt, sondern seine Schatten vorauswirft, daß nicht erst die gänzliche Erschöpfung sondern schon die teilweise verhältnismäßige Erschöpfung einiger Rohstoffquellen den Menschen das Ende fühlbar naherücken wird, so kann man sich vorstellen, daß der Rückschlag des naiven technischen Fortschrittglaubens in gar nicht allzu ferner Zukunft einsetzen wird. Der Ein­ wand, daß bis dahin längst andere noch gewaltigere Energien „er­ funden" sein würden, stützt sich auf die Illusion einer geradlinig aufsteigenden Entwicklung der menschlichen Vernunft. In Wirk­ lichkeit ist diese rationale „Vernunft" aber kein Aufstieg sondern ein gefährlicher Abweg. Die Technik ist kein Schöpfen wie die Kunst sondern nur ein Ausbeuten und Ausnützen dessen, was die Natur geschaffen hat. Was Jahrmillionen pflanzlichen und tierischen Da­ seins gebildet und unter -er Erde verborgen und gesammelt haben, das verpufft das Zeitalter der Technik in wenigen Jahrhunderten in den Weltenraum. So leben wir von dem Leben, das vor uns war. Denn alle frei bewegliche Energie baut auf organischer Sub­ stanz und somit auf dem Vorhersein von Lebewesen auf. Wohl werden wir immer die Energien der zur Zeit lebenden Wesen zur Verfügung haben, wie das Zugtier und die Zellulose des Holzes. Aber das Zugtier ist nicht technisterbar und die Sprengstoffe der Zellulose sind mehr zur Zerstörung als zum Bewegungsantrieb für

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den Verkehr geeignet. Der Raketenwagen wird wohl kaum eine große Zukunft haben. Und die künstliche Umformung anorganischer Energien in organische wird immer mit großen Energie-Einbußen verbunden sein. Die Erfolge, die der Chemie noch bevorstehen, werden immer mehr im Negativen liegen, in der Auflösung und Zerstörung. Das wahre Gesicht der Technik wird immer mehr hervortreten. Statt einer paradiesischen Zukunft, die uns voranleuch­ tet, grinst uns das Schreckgespenst des Atomzerfalls entgegen. Es bleiben also nur die ewig fließenden und wehenden Kräfte des Wassers und des Windes. Diese „anorganischen" Energien sind aber nicht versubstanzialisiert, d. h. sie sind nicht in eine Sub­ stanz (Kohle, Erdöl) hineingeheimnist und darin wie in einem Ge­ wahrsam eingebettet. Las sie über Zeit und Raum erhebt — Kohle kann beliebig lange lagern und überall hin bewegt werden — sondern sind an den Ort und den Zeitpunkt ihrer Entstehung grund­ sätzlich gebunden. Nun kann man wohl auf dem Umwege der Um­ wandlung in elektrische Kraft diese Energien auch aufspeichern und weiterleiten; aber sie müssen in einer ständigen Verbindung mit der Energiequelle bleiben und ihre Aufspeicherung wird nie in der Kon­ zentration auf ein so geringes Eigengewicht möglich sein, wie bei den organischen Stoffen. Sie werden also praktisch immer an Schienen und Drähte gebunden bleiben, da die Übertragung großer elektrischer Energien durch die Luft ohne Schädigung des im Be­ reiche gelegenen Lebens nie möglich sein wird. Im Organischen hat eben jedes einzelne sein Eigenleben, während es im Anorganischen nur unselbständiger Teil ist. Die Kraft erreicht im Organischen ihre höchste Intensität, Dauer und Selbständigkeit, während sie im Anorganischen extensiv, vergänglich und abhängig ist. In Lokomotiven und Automobilen faucht und tobt noch ein Tier, während die elektrische Maschine als die vollkommene Ma­ schine erscheint, lautlos, unpersönlich und rein, wie aus den Sphären -es Alls eingefangene Kraft. Aber sie bleibt Maschine; unselbständig und willenlos läßt sie sich nur auf Schienen und an Drähten be­ wegen. Und selbst wenn sie mittels elektrischer Wellen bewegt würde, sie bliebe von der Zentrale abhängig.

Nach Erschöpfung der nutzbarsten organischen Energiequellen wird die Technik auf die schwerer beweglichen, gebunderen anorgani­ schen Kräftespeicher angewiesen sein und sich damit von selbst in ihre Grenzen zurückziehen. Irgendwo, außerhalb der Ortschaften werden elektrische Eisenbahnen und unter den Straßen der Städte Unter­ grundbahnen verkehren; aber die sinnlose Willkür der durcheinander rasenden Automobile und das wilde Geknatter der bösen Maschinen­ vögel in der Luft wird ein Ende haben. Die Maschine wird nur da sein, wo der Mensch sie braucht und sie sucht; aber sie wird ihn nicht mehr bis in seine letzten Schlupfwinkel verfolgen. Innere Erschöpfung. Die Technik wird aber nicht nur in dieser äußeren sondern auch in einer inneren Erschöpfung ihre Grenze finden. Die Widernatür­ lichkeit der Riesenbetriebe, die Entseelung des Werktages, die innere Unzufriedenheit der Menschen wird sich schrittweise in einer Ver­ schlechterung der Produkte ausdrücken. Ein Werk, in das der Werker nicht seine ganze Seele hineingießt, kann nicht wohl geraten. In alter Zeit wußte man von diesen Dingen. Man kannte die ge­ heimnisvolle Kraft eines Schwertes, das nach heiligen Bräu­ chen geschmiedet worden und das ein großer Recke geschwungen hatte. Es gibt grundsätzlich zweierlei Weisen ein Ding zu bilden, deren äußerste Pole einerseits der rechnende Ingenieur — anderseits der schaffende Künstler sind. Je lebensferner der Zweck einer Ware ist, um so größer ist der Vorsprung des ersteren vor dem letzteren. Bei der Herstellung einer Kanone oder einer Lokomotive kommt es mehr auf die maschinelle Genauigkeit der Erzeugungsweise als auf die liebende Werkverbundenheit der Ausführenden an. Ein elektrischer Bohrer stanzt die Nietlöcher hundertmal schneller und exakter, als sie mit dem Handbohrer ausgeschnitten werden könnten. Die Maschine ist am besten mit der Maschine herzustellen. Die modernen Fabrikswaren werden konfektionistisch immer vollendeter und hand­ werklich immer schlechter werden. Man braucht nur an amerikanische Waren zu denken.

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Aber mit der Zeit wird die Täuschung offenbar werden. Auch die Maschine will letzlich aus Liebe geboren sein. Auch der tote Stoff bedarf des Anhauchs der Seele. Die Maschinen werden mit der Zeit schlechter werden, obwohl ihre Konstruktionen immer voll­ endeter werden, da ihre Ausführung immer seelenloser wird. Auf dem Reißbrett des entwerfenden Ingenieurs werden die genialen Striche gejoge» werden, aber die Arbeit in den Werkstätten wird immer phantasieloser werden. Der Kopf des Ingenieurs wird alles Schöpferische in sich jvsammenjiehen, während die Glieder als willenlose Werkzeuge in rein mechanischer Tätigkeit erstarren. Der Zentralabsolutismus des spekulierenden Geistes läßt die Seele verkümmern und wird mit der Seele schließlich auch die Herrschaft über den Stoff verlieren. Die großmaschinelle Erzevgvngsweise tötet die Seele des Arbeiters und sucht immer mehr die Seele durch den spekulierenden Geist zu ersetzen. Die Unzu­ friedenheit des maschinisierten Arbeiters wird sich aber mit der Zeit trotz aller Pseudogenialität des technischen Geistes in den Erzeug­ nissen auswirken. Es gibt kein Unrecht, das sich nicht rächt. Dann wird auch in der Maschinenproduktion der Klein- und Mittelbetrieb vor dem Großbetrieb wieder bestehen können und sich ein Optimum der Betriebsgröße herausbilden, das Stoff und Seele in ihr richtiges Verhältnis setzt. Der Technik droht aber nicht nur vom Stoff und von der Seele sondern auch vom Geiste her eine Gefahr. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften werden immer schwie­ riger und die Konstruktionen der Maschinen immer komplizierter, während der Geist sich aus der Technik zurückzieht. Es ist eine auf­ fallende Erscheinung, daß schon heute alle geistigen Menschen der Technik abgewandt sind; es sind eigentlich nur noch die Massen, die ihr zujubeln. Das war vor fünfzig Jahren umgekehrt. Es besteht also die Gefahr, daß schließlich niemand mehr da ist, der den Stand der Naturwissenschaften ganz überblickt, daß das Errungene in Teilerkenntnisse auseinanderfällt, die nicht mehr anfeinanderpassen, und daß man eines Tages eine Konstruktion nicht mehr so richtig zusammenbringt.

Wenn ein Haus baufällig geworden ist, dann bröckelt es von allen Wänden. Eigenständigkeit. Wir werden daher, um den Gefahren der großen horizontalen Mächte, des Kapitals, der Maschine und der Masse, zu ent­ gehen, die Wirtschaft bodenständiger gestalten müssen, indem wir das Senkrechte vor dem Waagrechten betonen. Die sozialen Gefahren der Maschine und des Kapitals stnd längst Gemeingut der landläufigen Erkenntnis geworden. Es be­ streitet niemand ernstlich, daß die Verhältnisse auf dem bäuerlichen Lande gesünder stnd oder wenigstens noch vor kurzem waren als in der industriellen Stadt. Aber es wagt niemand die geistigen Folgerungen zu ziehen. Im Banne der liberal-mechanischen Ideen von Fortschritt und Dimension glauben die Menschen in der weiteren Industrialisierung und Technisierung immer noch ein Ziel zu sehen. Jede noch so schüchterne Mahnung, dem Tempo der restlosen Ma­ schinisierung Einhalt zu tun, wird von den liberalen Gegenwarts­ menschen mit dem Hinweis auf den Boden der Tatsachen und auf die internationalen Wettbewerbsverhältnisse abgelehnt. Der anonyme Weltmarkt ist das Phantom, das die Menschen immer tiefer in das Verderben treibt. Es ist daher daS Ziel der eigenständigen Wirtschaftspolitik eine in den lebensnotwendigen Dingen möglichst selbstgenügsame Volkswirtschaft zu schaffen, die den Unberechenbarkeiten des Weltmarktes tunlichst wenig ausgesetzt ist. Dies soll erst in zweiter Linie durch eine allmähliche Erweiterung des Reichszollgebietes zu einem mitteleuropäischen Wirtschaftsblock angestrebt werden, sondern vor allem durch eine Umgestaltung unserer ganzen Wirtschaftsmentalität. In einer Zeit, in der die ganze Welt sich eigene nationale Industrien aufbaut, ist für einen Exportindu­ strialismus großen Stils kein Raum mehr. Die Waren, die trotz­ dem noch immer ausgeführt werden können, werden daher vor­ wiegend solche sein, die das Ausland wegen ihrer besonderen Eigen­ schaften benötigt, bei denen also die Preisstellung nicht allein maß­ geblich für die Marktbehauptung ist, so daß wir also auf die Dauer

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nicht genötigt sein werden — aus bloßen Wettbewerbsrücksichten — mit dem Tempo der unsinnigen Rationalisierung in Amerika und Rußland Schritt zu halten, die wir aus tausend inneren wich­ tigeren Gründen gar nicht wollen. Zudem hängt die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes nicht nur von dem Grad seiner Rationalisierung sondern auch von dem ge­ samten Lohn- und Preisniveau ab. Denn die Verminderung der „Selbstkosten" kann ebenso durch Senkung des Nominallohnes, als durch Abbau von Lohnempfängern — und deren Ersetzung durch Maschinen — bewirkt werden. Das klingt unsozialer als es ist; den« es handelt sich nur um den Nominallohn. Das Aus­ tauschverhältnis von Ware und Geld in einem Lande ist theoretisch willkürlich und kann auch praktisch — innerhalb eines gewissen Spielraumes — beliebig variiert werden, ohne daß die Lebens­ haltung des Volkes, soweit sie sich aus Jnlandserzeugnissen rekru­ tiert, dadurch betroffen wird. Wenn alle Preise und alle Löhne auf die Hälfte herabgesetzt sind, ist dieselbe Kaufkraftlage wieder­ hergestellt. Nur die Auslandsware und der Auslandsanteil an den inländischen Waren würde teuerer zu stehen kommen. Da es nun aber das Ziel der organischen Wirtschaftspolitik ist, eine in lebens­ notwendigen Dingen möglichst selbstgenügsame Wirtschaft zu schaf­ fen, könnten die Löhne und Preise ganz beträchtlich gesenkt werden, ohne daß die Lebenshaltung merkbar betroffen würde. Man darf auch nie vergessen, was es ausmacht, wenn die Menschen wirklich zu etwas gesonnen sind, wie sie dann tausend Wege und Mittel finden, wo sie sonst ebenso viele Hindernisse und Unmöglichkeiten sehen. Es besteht also keine Notwendigkeit aus Wettbewerbsgründen das russisch-amerikanische Wirtschaftstempo mitmachen zu müssen. Die Konkurrenzierung des Auslandes durch Nominalsenkung der Preise und Löhne wäre sogar sozialer und gerechter als die durch Technisierung der Wirtschaft — da sie mehr Menschen Arbeits­ möglichkeit beläßt. In unserem dichtbevölkerten Erdteil gibt es Menschen genug; wozu so viele Maschinen, die Arbeit ersparen, auf die vage Aussicht hin, daß die so freiwerdenden Kräfte in anderen

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neu entstehenden Erzeugnngsstätten Arbeit finden würden? Ar­ beitsintensität statt Kapitalsintensität sollte die Losung der Zukunft sein! Ein Vorbild in dieser Hinsicht könnte Frankreich sein, das nicht durch Fortschrittlichkeit, sondern durch bescheidenen Konser­ vativismus gesündere Verhältnisse bewahrt hat. Die Rationalisie­ rung ist privatwirtschaftlich richtig, aber volkswirtschaft­ lich falsch, da die ersparten Selbstkosten der Unterhalt von Men­ sche» unseres Volkes sind, die wir doch miterhalten müssen. Mit dem rein privatwirtschaftlichen Denken kommen wir nicht mehr aus. Es ist eine ju kurze Rechnung. Erst erspart der Unternehmer Löhne, und dann klagt er über die sozialen Lasten. Soweit zugegeben, könnte der moderne Tatsachenmensch dar­ auf entgegnen, daß nicht nur der Auslandswettbewerb sondern auch der Inlandsbedarf die billige Massenware erfordere. Hierauf wäre im Grunde dasselbe zu erwidern, nämlich, daß die Massenware nur privatwirtschaftlich, aber nicht volkswirtschaft­ lich billiger ist. Wenn die ganze Sozialversicherung lokalisiert wird, wenn also jedes Werk und jede Gemeinde für die Rot und das Elend, das durch die unmenschliche Erzeugungsweise der Mammut­ fabriken entsteht, selbst aufzukommen hat — und nicht mehr der Staat einspringt — wenn die Menschenmassen, die die Maschine erst in die Großstadt lockt und dann wieder ausspeit, ihr zur Last geschrieben werden, wird auch der finanzielle Vorsprung der Massenfabrikation nicht mehr so groß sein. Eudämonismus. Vorläufig wäre freilich der deutsche Arbeiter für eine solche Wirtschaftsweise kaum zu haben, da er noch ganz von dem Eudä­ monismus der Maschine erfüllt ist. Sie ist für ihn noch immer die Wundergabe der erhabenen menschlichen Vernunft, die Arbeit zu erleichtern und das Leben zu verschönen. Er ahnt noch nicht, daß sie sein Feind geworden ist. Nichts zeigt deutlicher die furchtbare Wirklichkeit der Gedanken, als die Befangenheit der heutigen Ar­ beitermassen in den verhängnisvollen Ideen der rationale» Philo­ sophie. Die hohe Göttin Vernunft ist das flackernde Irrlicht, das

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sie und damit uns alle immer tiefer und tiefer in den Sumpf der Verödung und Vermassung jieht. Die Arbeiter vermögen noch nicht einzusehen, daß Maschine und Kapital zwei Seiten ein und derselben Sache sind, und bilden sich ein, daß der Ultra-Kollektivismus des Staates ihnen mehr zustatten kommen würde als der noch immer gemäßigtere Kollektivismus des Privatunter­ nehmers. Statt einem tausend kleinerer und größerer Privat­ kapitalisten wollen sie den einen grauenhaften Pan-Kapitalisten, genannt „Staat", der das ganze Volk verschlingt. Die sozialistischen Parteien glauben, das Los des Arbeiters dadurch bessern zu können, indem sie von materialistischen Ge­ dankengängen ausgehend — ausschließlich für seine materielle Wohlfahrt kämpfen. Aber man darf wohl annehmen, daß ihre Führer sich längst die Erkenntnis zu eigen gemacht haben, daß diese Lohnkämpfe — im großen gesehen — nichts anderes sind, als eine Schraube, die sich in einem leeren Gewinde dreht — und daß die ständigen Lohnforderungen den Unternehmer, der sich sozusagen nur noch mit der Maschine des Arbeiters erwehren kann, dem Großkapitalismus in die Arme treiben. So bewirkt die sozia­ listische Lohnpolitik, und zwar mit Wunsch und Willen, immer mehr Maschine und immer mehr Kapital. Der Sozialismus arbeitet so mit dem Großkapitalismus zusammen an der Ver­ massung und Entwurzelung des Menschen — mit dem einen Unterschied, daß es der eine dem Kapital, der andere der Masse zuliebe tut. Der Sozialismus entfernt den Arbeiter um fraglicher quanti­ tativer Vorteile willen immer weiter von seiner Existenzgrundlage: Statt des geringen Nominallohnes im patriarchalischen Klein­ betrieb, bietet er ihm den hohen Nominal lohn im Mammutkonzern und statt des dürftigen aber traulichen Eigenheims die hygienische Betonzelle in der Wohnkaserne. Erbetrügt die Seele mit dem Stoff und vergißt, daß der Stoff ohne die Seele tot und unfruchtbar ist. Je größer die freie Zeit und je mehr künstliche Abwechslung und Ver­ gnügen dem Arbeiter geboten werden, um so leerer und freudloser wird sein Dasein werden. Alle künstlichen Rauschmittel wie Film-

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sensationell und Radioprogramme werden ihn nur immer miß­ mutiger und unjufriedener machen. Auch der Sport ist nur ein Surrogat für die natürliche Aus­ bildung und Ertüchtigung, die der menschliche Körper in der werk­ tätigen Arbeit finden sollte. Denn im Sport ist der Körper Selbst­ zweck, während in der beruflichen Arbeit der Körper ganz von selbst, im Dienste eines über ihn hinausgehenden Zieles, geübt wird. Der Bauer auf dem Feld, die Frau im Haus, der Handwerker in seiner Werkstatt, der Soldat im Dienst, das ist die natürliche, unbewußte, hingebende, erlösende Leibesbetätigung, in der die Freude an der körperlichen Kraft und die Wohltat der erschlafften Glieder sich mit der rechtschaffenen Befriedigung des geleisteten Werkes verbindet; da braucht es keinen Sport mehr. Ein Fußball spielender Bauer ist eine unwürdige Zeittorheit. Aber die Maschine hat dem Menschen — widernatürlicherweise — so viel Arbeit abgenommen, daß er ste nachher — außerhalb des Berufes — künstlich nachholen muß. Der moderne Sport hat keine Sinnbezogenheit mehr zu dem beruflichen Lebenskreis — wie es Reitsport und Turnierspiele in früherer Zeit hatten; er ist ethisch leer und tendiert in Körperkult und Rekord­ wahn auszuarten. Es wäre daher grundsätzlich falsch sich vom Sport eine Lösung der sozialen Frage zu erwarten. Anleihewahn. Man muß fich einmal den entsetzlichen Widersinn unserer heu­ tigen Weltwirtschaft richtig klarmachen: Auf der einen Seite ersticken­ der Überfluß an allen Dingen, die nicht abgesetzt werden können, und auf der anderen Seite Armut und Not, die nichts kaufen kann. Und das alles nur aus dem törichten Geldglaube», mit dem sich die Menschen zu eng in die Maschen der Geldwirtschaft verstrickt haben. Daher auch die unauslöschliche Illusion der Anleihe, die der Mensch­ heit wie ein Irrlicht vorangaukelt. Wenn ein Land seine Schulden nicht bezahlen oder seine Arbeiter nicht beschäftigen kann, tritt sofort die Dollar-Anleihe wie ein dcus ex machina auf den Plan. Wozu aber diese Anleihen eigentlich dienen, weiß niemand. Um alte Schulden zu bezahlen? Dann ist nur ein neues Loch ge82

rissen, um ein altes zu stopfen. Oder um die Fabriken zu moderni­ sieren? Also um mehr Arbeiter brotlos zu machen? Nein, sagt der Kapitalist, um mit dem Ausland konkurrieren und den Betrieb in Gang halten zu können... Nun wissen wir, daß diese Wirkung besser durch Senken oder Niedrighalten des ganzen Preisniveaus erzielt wird. Aber selbst angenommen, es wäre notwendig, die Be­ triebe zu übermaschinisteren, sind dazu Auslandskredite erforder­ lich? Wie lange wird es noch dauern, bis die Erkenntnis durch­ bricht, daß für hochzivilisierte Länder, die realitär sich die notwendige industrielle Ausrüstung selber aufbauen können, die Aufnahme aus­ ländischer Anleihen eine Fiktion ist, eine Täuschung aus der Be­ fangenheit des individualistischen, sonderwirtschaftlichen Denkens, das Volkswirtschaft mit Privatwirtschaft gleichsetzt. Man kann wohl Geld leihen von Hand zu Hand, aber nicht von Land zu Land. Wir können mit Dollars und Pfunden im eigenen Lande nichts anfangen und müssen sie zu Warenkäufen im Auslande verwenden. Da also die Anleiheschuldner den Leihbetrag meistens in Inlandgeld umwandeln, um Jnlandsarbeiten damit zu bestreiten, werden die aufgenommenen Devisen von ganz anderen Leuten zur Ein­ fuhr verwendet, als denen, die sie zur Aufbauarbeit oder Rationali­ sierung geborgt hatten. Der durch die Anleihe verursachte Mehr­ import steht also in gar keinem Zusammenhang mehr mit dem ursprünglichen Anleihegedanken. Alle künstlichen Versuche der ortho­ doxen liberalen Ökonomie diesem Mehrimport einen Sinn zu unter­ schieben als Unterhaltsfond für die Aufbauarbeit, sind bei den Haaren herbeigezogen. Die vielgepriesenen Anleihen führen im Er­ gebnis zu nichts anderem, als zu einer gänzlich wahllosen und will­ kürlichen vorübergehenden Steigerung der Einfuhr und der Lebens­ haltung auf Kredit — an der außer einigen Importeuren und Finanzmagnaten niemand ein wirkliches Interesse hat. „Zugegeben", würde der Kapitalist sagen, „aber ich mußte das Geld im Auslande aufnehmen, da im Inlands kein Geld war". Privatwirtschaftlich richtig, volkswirtschaftlich falsch. Das Geld war wohl imJnlande da, der Kapitalist bekam es auch sofort, als er die Devisen hatte. Das Inland wollte nur lieber mit seinem Gelde aus8z

ländische Waren kaufen, als es im eigenen Lande anlegen. Sonst hätte der Kapitalist die Anleihe gleich im Inlands aufnehmen können. Nun frägt sich noch, ob es notwendige Dinge waren, die da im Auslande gekauft wurden. Wenn man bedenkt, wie gut breite Schichten des deutschen Volkes in den Anleihejahren gelebt haben, wie viele amerikanische Automobile gefahren wurden, er­ scheint das sehr fraglich. Die Antwort gegenüber dem Kapitalisten würde also lauten: Das deutsche Volk wollte lieber gut leben als sparen, darum mußtest du erst im Auslande pumpen, um im Inlands Geld zu bekommen. Es ist also im Grunde eine Frage der Gesinnung. Die Anleihe­ wirtschaft ist die Bankerottpolitik eines Volkes, das sich in fremde Hände begibt — da es sich selber nicht mehr zu helfen weiß. Es ist das Gegenteil von organischer Wirtschaftspolitik. Je weniger Großbetriebe es gibt und je geringer die Notwendigkeit und das Bestreben solche aufzubauen, desto geringer wird der Kapitalbedarf sein und die Versuchung, ihn im Auslande zu be­ friedigen. Werksgemeinschaft. In dem Augenblick, in dem ein Volk von dem waagrechten Prinzip der Maschine zu dem senkrechten Prinzip des Werkes wieder zurückfindet, konzentrieren sich die Schwierigkeiten nicht mehr auf einen Punkt, sondern verteilen sich auf tausend Gruppen und Grüppchen. Statt der Konzentration in wenigen großen Kraft­ zentren erfolgt die gliedmäßige Verteilung auf das ganze Land. An Stelle der starren Mechanik treten elastische Organe. In dem Maße als die persönliche Werksgemeinschaft hervortritt und das unpersönliche Kapital in den Hintergrund tritt, wird der Arbeiter entproletarisiert und findet in Arbeit und Heimat seine Seele wieder, nachdem ein Jahrhvndert der Sachlichkeit und des Fort­ schritts ihn aus dem Paradiese vertrieben hatte. Denn die soziale Frage ist weder ein Erzeugungs- noch eine Verteilungsfrage, son­ dern eine Gesinnungsfrage, der rechten Gesinnung zur Arbeit und zum Leben überhaupt. Nur eine Wandlung der Arbeitsgesinnung

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kann die Wirtschaft wieder genesen machen. Unternehmer und Arbeitnehmer müssen ju der Einsicht gelangen, daß jede wirtschaft­ liche Erjevgnng eia schöpfnngsgleicher Vorgang ist, so daß kein rechenbares Verhältnis jwischen den Faktoren und dem artver­ schiedenen Produkt besteht, sondern nur ein irrational-organisches: Die Vielheit der Einzelkräfte geht unter, daß eine neue Einheit aus ihnen hervorgeht. Man kann nicht ausrechnen, wieviel der Arbeit, wieviel der Natur und wieviel dem Kapital zuzuschreiben sind. Eben­ sowenig wie man sagen kann, wie viele Teile einer Pflanze dem Licht, wie viele dem Wasser und wie viele der Erde zuzurechnen sind. Ein rechnerisches Äquivalenz-Prinzip jwischen Leistung und Lohn widerspricht der schöpferischen Wesenheit der Arbeit. Wer wollte denn auch jemals ermitteln, wie groß der Beitrag eines Heizers, einer Schreibkraft oder eines leitenden Direktors an den Mengenerträgnissen einer Fabrik ist? Sowenig also der Lohn ob­ jektiv bestimmbar ist, ebensowenig darf er aber auch subjektiv der unmenschlichen Willkür des anonymen Marktes ausgesetzt sein. Die Arbeit ist keine Handelsware, die durch den Lohn einfach abge­ golten ist. Arbeit ist ein Lebensvorgang, ist arteigene und bestim­ mungsgemäße Entfaltung und Steigerung der menschlichen Persön­ lichkeit, ist Sichtbarwerdung ihrer verborgenen Wesenheit in den Dingen, ist Aufgabe des Ich und Hingabe an das Werk. Daß dieser Ur-Sinn der Arbeit WtrMchkeit wird, ist wichtiger als die bloße Steigerung der Mengenerträge. Daher sind hundert Handwerks­ betriebe wichtiger, als eine Fabrik mit ebenso vielen Arbeitnehmern. Die Arbeit läßt sich nicht nach Angebot und Nachfrage kontraktualisieren wie ein gemeines Handelsgeschäft. Die heutige So­ zialgesetzgebung mit ihren Tariflöhnen, Krankenkassen und Er­ werbslosenunterstützungen entspringt der Unzulänglichkeit der mer­ kantilen Vertragsidee für die rechtliche Basierung des Arbeitsver­ hältnisses. Es war ein gesunder — und soweit deutscher und christ­ licher — Gedanke des Sozialismus, die Arbeit vor der restlosen Kommerzialisierung zu schützen. Es gibt keine Arbeit, die nicht ein Amt, eine Treuhandschaft, eine Verantwortung in sich schlöße — die sich mit Geld nicht abgelten läßt. Das Maß deS gerechten Lohnes

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liegt nicht in der konkreten Leistung, im sichtbaren Erfolg sondern in der beruflichen Eignung und Arbeitsgesinnung. Leistung und Erfolg dürfen nur Maßstab des Lohnes sein, insofern sie Ausdruck und Zeugnis dieser inneren Arbeitsberufung sind. Nur das ist die lebendige Gerechtigkeit. Nur so kann aus dem Werksbetrieb eine Gemeinschaft sich innerlich verbunden Fühlender werden. Keine händlerische Entgeltung: Gold um Gold, Ware um Ware, sondern Werksgemeinschaft und Entgeltung nach der Hal­ tung, nach der Berufung, dem Stand. Kein händlerisches Zug um Zug, sondern christlich-germanisches Treue um Treue. Je besser die Zeiten, um so mehr soll der Unternehmer für die Arbeiter tun — je schlechter die Zeiten, um so größer die Opfer, die auch der Arbeiter dem Werk bringen muß. Das Gebot der Sittlichkeit ist gleichlaufend mit dem Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. Kein heidnisches Werksgetriebe, in dem Zeitgötzen an einem Abend Tausende verdienen, sondern christliche Nahrungs- und Standesordnung, in der jeder — im Rahmen des Möglichen — das seinem Beruf und seiner Art Entsprechende empfängt. Gesinnungswandel. Das beliebte Schlagwort von der Bedarfdeckungswirt­ schaft, die an Stelle der Bedarfsweckung treten soll, trifft den Nagel nicht ganz auf den Kopf. Der kapitalistische Agent, der im Lande herumreist, um den Leuten etwas aufzudrängen, was sie eigent­ lich gar nicht haben wollen, ist sicherlich eine Anomalie. Aber des­ wegen gilt noch nicht das Gegenteil, daß die Erzeugung im gleich­ bleibenden Rhythmus immer nur herstellen soll, was die Nachfrage von alters her verlangt. Es sollen schon immer wieder neue Dinge ersonnen und geschaffen werden; nur daß diese ihre Entstehung mehr der Freude des Werks als der Berechnung des Absatzes verdanken sollten. Der Unternehmer sollte sich wieder mit dem Gedanken vertraut machen können, daß ein wirklich gutes und schönes Ding immer seinen Weg zum Markt finden wird — anstatt, wie es heute der Fall ist, sein Werk ans der Reklame aufbauen zu müssen.

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Es ist auch nicht ganz klar, was unter Bedarfsdeckungs­ wirtschaft eigentlich verstanden werden soll. Ist mit Bedarf die mutmaßliche Nachfrage gemeint, so wäre das noch keine Lösung, denn die Nachfrage hängt ihrerseits wieder von dem Beschäfti­ gungsgrad der Konsumenten ab. Es wäre immer noch der alte circulus vitiosus: Es wird nichts gekauft, weil niemand etwas verdient, und es kann niemand etwas verdienen, weil nichts ge­ kauft wird. Ist aber mit Bedarf wortwörtlich der Bedarf ge­ meint, so bedeutet das nichts anderes als kommunistische Versor­ gungswirtschaft: die Zentrale bestimmt, was und wieviel die Menschen verbrauchen dürfen. Vielleicht meinen die, die von „Bedarfdeckung" sprechen das Richtige und haben nur den Ausdruck schlecht gewählt. Vielleicht gibt es auch gar kein Wort, das den idealen Zusammenhang treffend bezeichnet. Schaffen und Verbrauchen müssen sich in der richtigen Weise begegnen. Das Werk darf nicht nur den Bedarf wollen, es muß auch sich selbst wollen d. h. das Schöne, Gute, Gediegene, Echte, wie jener Handwerker, der einen Auftrag ablehnt, der gegen seine Werksehre verstößt: Und der Verbrauch — als das waagrechte Prinzip — darf sich nicht nur selbst wolle» d. h. seinen augen­ blicklichen, losgelösten, willkürlichen Bedarf sondern das ganze Ding, mit der ganzen Seele und dem ganzen Werk darin. Je mehr die Menschen in allem, was sie zum täglichen Leben brauchen, zur Nahrung, Kleidung und Wohnung an Stelle der groß­ maschinellen Talmiware, die lebensnähere, edlere Ware bevor­ zugen, die unmittelbar aus der Fruchtbarkeit der Erde und der Formkraft der Menschenhand hervorgegangen ist, wird der Fabriks­ betrieb Schritt für Schritt auf die Erzeugnisarten zurückgedrängt werden, in denen seine Überlegenheit unbestritten und unbedenklich ist. Zubehörteile wie: Stecknadeln, Drahtstifte, Gummiabsätze — und alles, was Verkehr und Zerstörung betrifft, werden dem Groß­ maschinenbetrieb vorbehalten bleiben. Und je weniger die Menschen dem Verkehr und der Zerstörung huldigen, um so enger wird auch hier der Geltungsraum der Maschine zusammenschrumpfen.

Großindustrielle Betriebe mit etwa über tausend Arbeitern sollte es nur noch in lebensfernen, mittelbaren Gütern geben, weil sie nur da wirklich am Platze sind. In aller anderen Erjeugung ist ihnen entgegenzuarbeiten. Und zwar nicht mit gewaltsamen Mit­ teln; die versagen immer und würden auch dem Wesen des Organi­ schen widersprechen; sondern indem man die Tendenzen sich aus­ wirken läßt, die sich aus der neuen Wirtschaftsgesinnung ergeben. Wir haben mit dem, was wir konsumieren, die ProduktioninderHand. Je nach der Art der Dinge, die wir zu unserem Leben brauchen, werden die Erzeugungsstätten und damit die ganze Lebensweise unseres Volkes und schließlich — durch das Beispiel — der ganzen Welt gestaltet sein. Je mehr wir das gediegenere, be­ seeltere, musischere Werk vor der maschinellen Konfektionsware be­ vorzugen, werden wir uns und die Welt von der Unmenschlichkeit des Zweckgeistes erlösen. Der Tagesmensch wird lächeln: Ein Luxus wohlhabender Ästheten. — Nein, sondern eine Frage der Gesinnung und des Lebensgefühls. Wenn man alle Erzeugung auf ihren wirklichen Lebenswert prüft, auf ihre Gediegenheit, Echtheit, Schönheit und Verwendbarkeit und man der Industrie die unzufriedenen Arbeits­ losenheere, die sie verschuldet, auch wirklich zur Last schreibt, wird der Vorteil der Fabriksware immer zweifelhafter. Also kein gewollter Idealismus, der aus bewußten ethischen Vorstellungen sich zur Bevorzugung der mittelständischen Ware zwingt — sondern eine neue Lebensgesinnung, die in allem das Sein vor dem Tun, die Stimmung vor der Sensation, das Gewordene vor dem Gemach­ ten, die Seele vor dem Stoff, das Werk vor der Konfektion wählt! Unter den lebensnotwendigsten Dingen sind gar nicht soviele, die die Großfabrik wirklich so viel billiger erzeugt, als der Kleivbetrieb oder das Handwerk; früher, als es keine Fabriken gab, waren Kleider sicher bedeutend teurer zu erstehen, aber dafür haben sie ein Menschenalter gehalten — und dabei ist der mechanische Web­ stuhl wohl noch die erstaunlichste Maschine, die sich am verführe­ rischsten in das Leben einschmeichelt. Es ist nicht der Stoff, -er uns zwingt, der unerbittlichen ratio zu frönen, sondern die Seele, die

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uns dahin treibt. Der heutige Mensch ist eben einmal so, daß er die augenblickliche Situation, das Schnittigere, Bequemere, Leich­ tere, Beweglichere — kurz die Ware, die der Maschine verwandter ist — vor der anderen, die mehr vom Lebe« und von der Erde in sich trägt, bevorzugt. Unsere ganze Wirtschaftsnot, unser ganzes soziales Elend ist daher nicht stofflich sondern nur geistig zu überwinden. Wenn der Geist gefunden ist, findet fich der Stoff von allein. Je mehr wir aber dem seelenlosen Stoff und der reinen Quantität nachjagen, um so fadenscheiniger, talmihafter und lebensferner werden alle Dinge werden — und uns immer freudloser, leerer und belang­ loser machen. Wir find nun einmal Menschen — aus Erde und Seele gemacht und können auch nur von diesen leben —, während der falsche Geist des toten Stoffes uns langsam, aber unvermeidlich tötet. Erst wird es die Seele sein, die stirbt — und dann der Leib. Eine Zeit, in der eine Wissenschaft, die sich bemüht, das täg­ liche Brot durch eine chemische Formelnahrung zu ersetzen, über­ haupt noch ernst genommen wird, gräbt der Menschheit ihr Grab. Denn wir werden wohl Giftgase und Explosivstoffe erfinde», die immer verderblicher find — im Negativen find dem Ungeist keine Grenzen gesetzt — aber zum Leben werden diese Wissenschaften nicht mehr viel beitragen können. Ziel. Das Ziel ist also eine mittelständische Wirtschaftspolitik, die in allem die kleineren und mittleren Betriebsformen und die geschlossenere Absatzregelung begünstigt. Nur so löst fich auch das umstrittenste Problem der ganzen Wirtschaft: das Zinsproblem, das sich heule durch die übermäßige Entfernung des Kapitals vom Werk zu einer Ungerechtigkeit zugespitzt hat. Denn wenn Werk und Kapital fich wieder näherkommen — wie im Frühkapitalismus — laufen auch Zins und Unternehmergewinn wieder zusammen, und erhält das Zins-Einkommen aus der Verschmelzung mit der Unternehmertätigkeit wieder seine ethische Begründung. Die Mög­ lichkeiten großen arbeitslosen Einkommens aus riesigen unpersön-

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lichen Kapitalsmassen werden geringer. Da der Zins der Preis der Kapitalnutzung ist, kann man ihn nur dadurch eindämmen und aufseine natürlichen Wurzeln zurückführen, daß man die Nachfrage nach dem Kapital vermindert; aber abschaffen kann man ihn nicht — es sei denn, man schafft den Markt überhaupt ab, indem man das Eigenkapital verbietet und alles dem Staat überantwortet. Wo Maschine ist, ist Kapital. Wer gegen das Kapital sein will, muß gegen die Maschine sein; sonst betrügt er sich selbst. Die Maschine treibt uns unaufhaltsam in den Staatskapitalis­ mus hinein, ob wir wollen oder nicht. Dem Verkehrswesen werden Großindustrie und Bergbau eines Tages folgen müssen. Es liegt zu sehr in der Natur der Dinge begründet. Die Sozialisierung wird weitere Forschritte machen, wenn sie auch wahrscheinlich nicht unter der Flagge der Menschheit, sondern unter der Flagge der nationalen Autarkie kommen wird. Es wird dann ein Staats-Volk geben, bestehend aus allen denen, die die große Staatsmaschine weiterdrehen, und ein Ei ge nVolk, bestehend aus allen denen, die auf bäuerlicher oder gewerb­ licher Grundlage »och ihr eigenes Leben formen. Zivilisation und Kultur werden sich sichtbar gegenübertreten. Es geht dann darum, welche Seinsweise über die andere siegt. Entweder breitet sich der Staat als Herr der Maschine in seiner sichtbaren Massenüberlegen­ heit weiter aus und verschluckt schließlich das ganze Volk, bis es niemanden mehr gibt, der auf eigenen Füßen steht — oder aber die erdnähere, schöpfungsgleichere Seinsweise des Bauern und Handwerkers siegt. Es ist ein Kampf der Seele mit dem Zweckgeist. Siegt der Zweckgeist, so wird er das Volk entseelen und damit den letzten Sinn des Nationalen unterhöhlen. Siegt die Seele, so wird sie den Staat erfüllen und vom Zweckgeist befreien. Gilt der Inge­ nieur und sein Werk mehr als der Künstler, so werden wir unter­ gehen. Gilt der Künstler mehr als der Ingenieur, so werden wir leben. Es ist nicht wahr, daß dies alles zwangsläufig sei, daß der Weg wohl in den Abgrund führe, daß wir ihn aber weitergehen

müßten, weil er einmal beschritten sei und es in der Welt kein Zurück gäbe. Es gibt wohl ein Zurück, ein Zurück ans dem Irr­ tum. Wer sich im Wald verirrt hat, geht auch eine Strecke Wegs turück, nm wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Wir haben einen Geist empfangen, der frei und verantwortlich ist. Diese Freiheit darf nicht so gedeutet werden, als ob wir das Rad der Maschinenzeit ruhig weiterdrehen dürften, La es ganz gleich­ gültig sei, was hier aufErden geschehe. Diese deisiische Zweiteilung der Welt müssen wir verwerfen. Was hier auf der Erde geschieht, ist nicht belanglos. Erde und Seele durchdringen und entsprechen „Gratia supponit naturam“ (Die Gnade setzt die Natur voraus). Auch die schlechtesten Verhältnisse heben die Schuld — wohl nicht auf, aber sie mildern sie. Wenn wir rings von schalen Dingen umgeben sind, von verderblicher Sensation und verlogenem Kitsch — und sollen doch gläubige Menschen bleiben, das ist schier unmöglich. Es genügt auch nicht, den Kapitalismus mit christlichem Geiste erfüllen zu wollen, ihn aber im übrigen zn belassen, wie er ist. Solche Halbheiten bleiben im Widerspruch stecken. Man kann nicht die Seele wollen ohne den Leib, der ihr entspricht. Es gibt keine Persönlichkeitskultur am laufenden Band, es gibt kein Heimatsgefühl in hygienischen Wohnkasernen, es gibt keinen christlichen Tonfilm. Wir müssen in dem großen Ringen der menschlichen Seele mit dem luziferischen Geist des Zweckes der Seele wieder eine heimatliche Stätte auf Erden bereiten. Es gibt — sub specie eterni — nur zwei Möglichkeiten, zwi­ schen denen wir zu wählen haben: Entweder losvonderMaschine, zurück zu mittelständischeren, kleingewerblicheren, kunst­ nähere» Formen, d. h. zurück zur Kultur, dann lösen sich alle Schwierigkeiten von selbst — oder hinein in die Maschine, in Konzerne, Trnste und Kartelle bis zur höchsten Zivilisation und Zwangsarbeit für unsichtbare Machthaber unter der Knute des Dik­ tators. Entweder entproletarisieren wir die anderen ober wir verproletarisieren alle. Entweder erlösen wir die anderen — oder wir werden alle mit in die Verdammnis gezogen. 9i

„Ohne Religion gibt es keine wahrhaft große Kunst".

Die Kunst. Kunst ist »achschaffende Schöpfung, gleichnisweise Wie­ derholung jenes geheimnisvollen Vorganges, der sich im Werden und Wachsen der Natur vollzieht. Wie der Same im Schoß der Erde aufgeht, so geht das Werk in der Seele des Künstlers auf. Aber in bezug auf den Menschen, der stch ja im Stande der Freiheit befindet, schafft die Kunst nicht nur nach, sondern auch vor. Es ist durchaus kein Paradoxon, was Oskar Wilde einmal gesagt hat, „daß sich nicht die Literatur nach den Menschen, sondern die Men­ schen nach der Literatur richten". Die Kunst schafft das geistige Bild, das von den Menschen der Zeit dann nachgelebt wird. Kunst ist Zusammenschau der auseinanderfallenden Wirk­ lichkeit, ist Durchleuchtung der undurchsichtigen Dinge, ist Steige­ rung des Natürlichen ins Übernatürliche, Bildlichmachung des Un­ endlichen im Endlichen. Kunst ist allezeit etwas auf das Ganze Ge­ richtetes, Gesamtverantwortliches. Sie ist weder eine Verzierung des Lebens für heitere Mußestunden wohlhabender Kreise, noch der Tummelplatz für verantwortungsloses, erfolgslüsternes Virtuo­ sentum. Beides ist Verrat an dem Schöpfungsstnn der Kunst. Son­ dern Kunst im weitesten Sinne ist ganz eigentlich die wahrheits­ gemäße Haltung zum Leben überhaupt; denn der ausgesprochene Banause, der nie das Ganze, sondern immer nur losgerissene Teile steht, ist ein Verräter. Die Geneigtheit und Empfänglichkeit für Kunst ist die naive Grundhaltung der unverbildeten mensch­ lichen Seele, während Banausentum und Snobbismus (als ein­ gebildete Empfänglichkeit) Verfallserscheinungen sind.

Der Satz „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst"" — mag er auch richtig anders zu verstehen sein —, klingt schon bedenklich frivol, indem er die Kunst zu einem heiteren Schäferspiel zu er­ niedrigen und ihrer Bedeutung und Verantwortung für das Leben zu entheben scheint, während die Welt dem ganzen nüchternen Ernst der materiellen, sachlichen Zwecke ausgeliefert werden soll. Es ist implicite schon der Weltverrat des Banausen. Kunst ist in allem Anfang, wie wir bei den primitiven Völkern sehen, und hat nichts zu tun mit Fortschritt, mit Wohlstand, mit Muße. Kunst ist Gnade und, wem ste gegeben, dem ist sie in allen Dingen, in allem Tun — wem sie aber nicht gegeben ist, der kann sie mit allem Fleiß und allem Aufwand nicht erringen. An der Kunst schaffen alle mit, nicht nur der Künstler, aus dessen Händen das Werk herausfließt. Unsere individualistische Zeit hat die schöpferische Persönlichkeit zu sehr als einen beziehungslosen Punkt gesehen, als eine Sternschnuppe, die vom Himmel fällt. Sicher kommt der Same von oben, aber er muß auch auf frucht­ baren Boden fallen, um aufgehen zu können. Der Künstler braucht einen verborgenen Widerschein, einen stummen Widerhall, von um sich her, um sein Werk zu vollbringen. Es braucht nicht Anerkennung oder Erfolg sein — das wäre zu äußerlich gesehen — sondern nur das leise Gefühl der Verbundenheit mit einer Gemeinschaft, die unbewußt mitempfindet und mitschwingt. Das ist auch der Grund, warum bestimmte südliche Gegenden und Städte das Künstlertum besonders angezogen haben. Nicht etwa das Kunstverständnis und die geistige Bildung der dortigen Menschen, sondern die naiv-natür­ liche Seelenoffenheit eines harmonisch ausgerundeten Volkstums. Daher widerspricht das Streben unserer Zeit nach den großen Er­ folgszentren den tieferen Schöpfungsbedingungen der Kunst. Die Kunst ist keine Fachdisziplin, sondern ein Grundzug des Lebens schlechthin. Es gibt kein echtes Schaffen, das nicht an Kunst heranreichte und sich so nur dem Grade, aber nicht dem Wesen nach von ihr unterschiede. Das Wort „Kunst"" kommt von „Können"" und besagt, wie man ihr Wesen nicht als eine ekstatische Sonderbegabvng, sondern ganz schlicht und einfach aus der handwerklichen

Fertigkeit heraus begriff. Damit soll nicht einem glatten und routi­ nierten Könnertum das Wort geredet werden — das ist erst eine Verfallserscheinung späterer Zeit —, denn das frühe Handwerk bildete selbst das einfachste Ding mit einem überwirklichen Aus­ druck. Es ist ein Mißbrauch und eine Entweihung der Kunst sie einem programmatischen Zweck dienstbar machen ju wollen. Eine patrio­ tische oder proletarische Kunst ist ein Unding. Es gibt wohl eine deutsche Kunst, aber keine deutschnationale; denn deutsch ist eine Seinsweife, national ein Programm. Die Kunst ist ein unendlich feiner Gradmesser der Wahrheit, an dem wir den Wert oder Un­ wert einer geistigen Bewegung ablesen können. In der Kunst spie­ geln stch nur die letzten Dinge — die ewige Wahrheit, Schönheit und Liebe — ganz klar und rein, während der Irrtum in einer häß­ lichen Verzerrung erscheint. Alle große Kunst ist im letzten Sinne religiös. So verstanden, soll die Kunst ihrer Zeit und ihrem Volke dienen. Es gilt also auch nicht l’art pourl’art, t>te Kunst um der Kunst willen — die Schönheit ohne die Liebe ist heidnisch, kalt und brutal —, sondern gesamtheitliche, bezogene, hintergründige Kunst, die Kunst um-es Ewigen willen. Es mag erstaunlich klingen und die Welt mag sich sträuben es zuzugeben, es gilt doch: Der Profanierung der Kunst folgt ihr Verfall auf den Fuß. Die Renaissance in Italien ist dafür ein vornehmliches Beispiel. Um 1500 ist der Höhepunkt. Don da ab macht sich die Säkularisierung auch in der Kunst nachteilig bemerkbar. ES fehlt die innere Glut und Sammlung. Säulen und Figuren treten aus dem Zusammenhang heraus, überwuchern, vereinzeln und ver­ äußerlichen. Die Körper der dargestellten Menschen werden anato­ misch genau, realistisch und langwellig. Und wenn die einst still ver­ sonnenen Blicke -er Madonnen auf den Gemälden weiblich-lüstern zu fragen und die Lippen verheißungsvoll zu lispeln beginnen, so hat das wohl zunächst seinen besonderen Reiz. Aber der Reiz der Diesseitigkeit ist bald ausgeschöpft und stumpft sich zur Tri­ vialität ab. Ohne Frömmigkeit, Ergriffenheit und Begeisterung

gibt es keine ganz große Kunst. Wo Glaube ist, Demut und Innig­ keit, wird auch ein schwaches Talent nicht aus dem Gesamtrahmen herausfallen, sondern stch still und bescheiden an seiner Stelle dem Ganzen einfügen. Wo aber kein Glaube und keine Demut ist, wird auch das größte Talent bald zu bombastischem Kitsch oder zur ver­ zerrten Fratze ausarten. Die Künstler der Renaissance lebten in einer Zeit, die trotz allem noch von christlichem Geiste getragen war; ste konnte« also sozusagen von einer vorhandenen Substanz zehren. Unsere modernen Künstler können das nicht mehr. Sie schweben im leeren Raum. Darum wird unseren Modernen — mögen sie noch so begabt sei» — die ganz große Kunst nicht gelingen, da ihre seelischen Voraussetzungen in der Zeit nicht gegeben sind. An einer Villa oder einem Klubhaus kann stch keine wirklich große Baukunst entfalten. Das Verlangen, angenehm und praktisch wohnen zu können, ist nicht erhebend genug, um einen großen Baustil ent­ stehen zu lassen. Die Baukunst der Antike hatte sich am Tempelbau, die Bau­ kunst des Mittelalters am Dombau zu höchster Blüte entwickelt. Spätere Zeiten hatten neben dem Kirchenbau noch die fürstliche Residenz. Heute gibt es als Monumentalbauten nur noch Fabriks­ und Verwaltungsgebäude, da sich hier das Leben unserer Zeit er­ füllt. Daher muß der moderne Baustil, schon aus inneren Gründen eia Stil nüchterner, sachlicher Zweckmäßigkeit sein. Etwas anderes werden unsere Architekten, wenn sie ehrlich sind, gar nicht gestalten können, solange endliche Zwecke ausschließliches Menschheitsziel bleiben. Nur im Wohnhausbau stößt der Fabrikstil auf den Widerstand des Menschen, der sich — aller gepredigten Konsequenz zum Trotz — seine Lebensatmosphäre nicht von der Maschine ernüchtern lassen will. Daher fristen hier althergebrachte Stilformen »och immer ihr Dasein, denn die Übertreibung von Licht, Lust und Sonne in den „modernen" dünnschaligen Wohnhäusern löst die Vorstellung des „Wohnens" im seelischen Sinne, d. h. eines Umschlossen- und Geborgenseias nachgerade auf. Aus bloßen Zwecken kann nie ein Sinn werden. Auch zum Bau von Wohnungen bedarf es einer

Weltanschauung. Unsere moderne Baukunst unterliegt dem chiliastischen Irrtum, daß sie glaubt, mit einem Übermaß von Licht und Luft dem Himmel näherzukommen. Die Kunst ist ein Stück vom Geist gestaltete Natur. Ihre Formen kommen aus dem Reiche des Geistes, aber ihren Stoff holt sie sich aus der beseelten Natur und türmt ihn in das Reich des Geistes auf. So kunstwidrig es wäre, in der Formgebung der reinen Natur haften zu bleiben, so gefährlich wird es für die Kunst, wenn sie Gegenstand und Material nicht mehr der Natur, sondern der unbeseelten Technik entnimmt. Eine Maschine oder eine Fabrik als Gegenstand eines Gemäldes bleiben eine fragwürdige Sache. Ein Bau, der aus Stahl und Beton aufgeführt ist, wird im Vergleich zu einem Bauwerk aus Holz und Stein immer glatt und konfektionistisch wirken. Die Wesenheit des Baustoffes drückt sich in dem Materialgefühl des fertigen Bauwerkes unvermeidlich aus. Holz und Stein haben ein Sein an sich, während Stahl und Beton nur ein Zweck-Sein haben. Wohl sind sie ursprünglich auch der Natur entnommen, aber durch den Vorgang der technischen Zweckbereitung ist ihnen ihre Seele ausgelaugt. Kunst ist ein Stück vergeistigter Natur. Es läßt sich daher ganz allgemein sagen, je naturnäher ein Material ist, um so leichter, je naturferner es ist, um so schwerer läßt es sich zu einem Kunstwerk formen. Die modernen Architekten quälen sich — aus Rentabilitätsgründen — vergeblich ab, aus Glas und Stahl eine zeitgemäße Baukunst zu schaffen. Wir Menschen haben nun einmal kein Materialgefühl für Stahl und Glas, da wir eine lebendige Seele haben, die in diesen Stoffen den Widergeist der technischen Zweckgestaltung herausfühlt. Wir haben doch Hände genug. Wann wird man endlich wieder Bauwerke errichten aus Stein und von Menschenhänden gebaut? Das Kapital wird es nicht können, sondern nur die Gemeinschaft. Zn der Baukunst des Mittelalters ist die Durchdringung von lebendiger Form und lebendigem Stoff am vollendetsten durch­ geführt. Die Unregelmäßigkeit und Phantastik des roh behauenen Natursteines geht bis in die Form über. Grundriß und Aufriß sind

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nie ganz starr und linear, sondern dem Material entsprechend fließend und angenähert. Darin liegt ein großer Teil der rätsel­ vollen Schönheit der alten Burgen und Dome, daß sie nicht nur nach einem großen Plane gemacht, sondern auch aus dem Kleinen ins Große gewachsen sind. Man spürt aus dem einfachsten Ge­ mäuer noch die lebendige Hand des Steinmetzen heraus, der diese Steine behauen und aufgeschichtet hat. Darum wachsen auch die Skulpturen so selbstverständlich aus dem Gestein heraus—während Plastik auf Betonsimsen immer aufgeklebt erscheint. Man kann eben aus künstlichem Material kein lebendiges Kunstwerk aufführen. Aber die Billigkeit und Zweckmäßigkeit von Beton und Stahl zwingt uns hartlinige, scharflantige, dünnwandige Häuser zu bauen. — Der Zweck vergewaltigt den Sinn. Die Maschine spottet der Kultur. Aus demselben Grunde sind auch Film und Radio als be­ denkliche Kunsttäuschungen zu werten. Karl Schäffler sagt: „In Wahrheit kann sich die Kunst zum FUm immer nur verhalten wie die Malerei etwa zur Photographie." Statt dessen kann man auch sagen: Der Film verhält sich zum Schauspiel wie die Konfektion zum Handwerk. Es soll also keineswegs geleugnet werden, daß der Film, besonders der stumme FUm, kunstähnliche Wirkungen er­ zielen kann, sondern nur daß er sich aus Gründen seiner Material­ wesenheit notwendig auf einem Nebengebiet der Kunst bewegt und daß es eine gefährliche Täuschung wäre, ihn als reine Kunst an­ zusehen. Zunächst handelt es sich beim Film ja um ein Schauspiel — also um ein reines Kunstwerk —, während die Aufgabe der Maschine nur die vervielfältigende Wiedergabe ist. Das steht soweit ganz harmlos aus; der Pferdefuß steckt nur darin, daß Lurch die maschi­ nelle Wiedergabe ein Mittel zwischen Bühne und Zuschauer ein­ geschaltet wird, während das Wesen der Kunst die Unmittelbar­ keit ist. Zum Schauspiel gehört, wie der Name sagt, der unmittel­ bare lebendige Kontakt zwischen Spieler und Zuschauer. Alles Gestalten besteht wie Einatmen und Ausatmen aus zwei gegenläufigen Empfindungsströmen: einer Empfindung von innen

nach außen und einer Rückempfindung von außen nach innen. Der Maler führt — von einer inneren Empfindung getrieben — den Pinsel und tritt dann jvrück, um das Begonnene auf sich wirken ju lassen und um es mit seinem inneren Bild zu vereinen. Aus diesem Jneinanderwirken des inneren und äußeren Bildes steigert fich der Schaffenskausch. Ähnlich ist es in aller bildenden Kunst. Sie ent­ steht wesentlich aus fich und schafft für die Ewigkeit. Das Publikum ist sekundär. Anders Schauspieler und Musiker; fie schaffen nur, was andere vorgeschaffen haben, für den Augenblick wieder. Jeder Ton und jedes Wort, das nicht unmittelbaren Widerhall findet, ist verloren. Der Musiker hört sich wenigstens noch selber — jede Tonfolge ist Harmonie und Erfüllung in fich. Aber der Schauspieler verlangt im Zusammenhang und mit ganzer Aufmerksamkeit gehört zu wer­ den, da er nicht nur das Herz, sondern auch die Gedanken seiner Zu­ hörer beansprucht. Er empfindet fich nur von innen und kann fich — wohl selber hören — aber nicht selber sehen. Er braucht daher das Publikum, das für ihn zuschaut. Ein Schauspieler ohne Zu­ schauer ist einem blinden Maler vergleichbar, der nicht sehen kann, was er malt. Der Filmschauspieler spielt ins Leere, da er nicht weiß, für wen er eigentlich spielt. Er spielt nur für den Regisseur und den Aufvahmeapparat. Der Regisseur ist der Autokrat der FUmkunst, der sich alles Schöpferischen bemächtigt. Der Schauspieler kann nicht mehr unmittelbar zum Publikum reden, es mitreißen und be­ geistern, sondern muß alles dem Regisseur und der Leinwand anver­ trauen. Es ist nicht mehr der Geist des Dichters und das große Spiel, sondern Regie und Technik, von der die Hauptwirkung ab­ hängt. Die lebendige Kunst muß sich den Bedingungen der toten Maschine unterordnen. Im grellen Kalklicht der Bogenlampen werden szenische Bruchstücke zusammenhanglos gefilmt und dann mit der Schere zurechtgestutzt. Ein Kunstwerk findet erst dann, wenn es auf den Betrachter wirkt, seine letzte Erfüllung. Denn der Betrachter nimmt nicht nur empfangend wahr, er bringt dem Werk auch etwas von seinem

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Herzen entgegen, legt mit den Augen der Liebe etwas hinein, wenn es zu einem Erlebnis für ihn «erden soll. Deshalb wirkt alles technisch Unvollkommene,Skizzenhafte, soviel künillerischer,weil es der eigenen Phantasie Spielraum läßt. Der stumme Film hatte vor dem Theater den Vorzug der geringeren Realität. Eine Pot­ pourri-Musik und die Stimmung des Zuschauers verliehen ihm eine gewisse Poesie. Diese billige Illusion besteht im Tonfilm schon nicht mehr. Obwohl sich -er Film die besten Schauspieler aus der ganzen Welt zusammenkauft, ist es ihm bislang nicht gelungen, wirkliche Kunst zu vermitteln. Es entspricht der technischen Wesensanlage des Films, mehr in die Breite als in die Tiefe zu gehen. Denn an Tiefe und Reinheit der Wirkung wird ihm das Schauspiel mit der leibhaftigen Gegen­ wart des lebendigen Menschen immer überlegen sein. Der Film wird sich daher nie auf die bloße Wiedergabe eines richtigen Schau­ spieles beschränken, sondern immer seinen — speziell filmischen — Möglichkeiten nachgehen, die aber eben nie solche der Tiefe, sondern nur solche der Breite und Fülle sein können. — Denn tiefere Wir­ kungen als das Theater kann er nicht erzielen — wenn er auch durch Vergrößerung des Bildes mimische Feinheiten sichtbar machen kann, die im Theater verlorengehen — so ist auch das schließlich eine bedenkliche Mikroftopie, die die Stilgeschlossenheit des Ganzen zerreißt. Wir sind nun einmal von Natur so geschaffen, daß wir uns unseren Mitmenschen in einem bestimmten Abstand und einer da­ durch bedingten Größenrelation gesehen, vorstellen. Auf dieser natürlichen Relation muß die Kunst aufbauen. Rückt sie das Bild zu weit fort, so läßt die Wirkung nach, nm endlich ganz verlorenzu­ gehen, rückt sie es zu nah heran, so entsteht ein widernatürliches, peinliches Gefühl. Die Größenlupe kann ebensowenig wie die Zeit­ lupe Kunstwirkungen erzielen. Man hört immer sagen, durch den Film seien der Kunst ganz neue Möglichkeiten eröffnet worden. Das ist richtig, wenn man darunter die technischen Möglichkeiten versteht. Das Wesen der Kunst besteht aber in der überwirklichen Gestaltung der einfachen

Natur. Je größer die äußeren Möglichkeiten sind, um so gefähr­ licher ist es für die inneren Möglichkeiten der Kunst. Zwei Komö­ dianten auf einem einfachen Bretterverschlag müssen schon etwas von echter Kunst von sich geben, um die Zuschauer überhaupt fesseln ju können. Der FUm dagegen kann den Menschen alle Schönheiten der Welt jeigen, gewaltige Berglandschaften, tropische Urwälder, luxuriöse Hotels und elegante und schöne Frauen, so daß er die Kunst darüber leicht vergißt. Je mehr der Film sich im Laufe der Zeit noch vervollkommnen wird, um so klarer wird uns die große Täuschung eines künstlich nachgeahmten, statt eines künstle­ risch nachgeschaffenen Lebens bewußt werden. Der Film ist eben ein großer Versucher. Er kann uns alle Herrlichkeiten dieser Welt — wenigstens im Bilde — bieten. Kunst ist aber das Gegenteil von Diesseits: Ein Stück Jenseits im Diesseits zu schauen.

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Goethe: „Krieg,Handel und Piraterey, drei,einig, sind sie nicht tu trennen".

Die waagrechten Stände. Don alters her unterschied man dreiHauptstände: den Nähr, stand, den Lehrstand und den Wehrstand. Das wäre in die Sprache unserer Zeit übersetzt: i. die Wirtschaft, wobei das Wort „Nährstand" uns gemahnt, daß die Landwirtschaft, die des Lebens Notdurft befriedigt, die wichtigste Wirtschaft ist; 2. die geistigen Berufe: Erziehung, Unterricht, Verwaltung, Justiz, Künstler, Ge, lehtte, Forscher und der geistliche Stand; 3. das Heer. Im Zeitalter der Maschinen, und Geldwirtschaft tritt dazu ein vierter großer Stand: das ist der Händler, der den Gegenpol zum Krieger darstellt. Im Lichte der Symbolik von Senkrecht und Waagrecht gesehen, ergibt sich also — wie die Zeichnung zeigt — folgende Gliederung: Luft

Lehrstand Heiler

§ Händler * Jg (Verkehrsstand) (international)

Reli- gion Künsf-| eher

5. Verkehr

S

Zerstörung u-i strie «0

Held

Krieger | '(Wehrstand)

(national)

6e-| ^ werbe Bau er

Nährstand Erde

A. Die senkrechte Hauptachse des Schaffens. Unten im Leib, und Erdprinzip ist der Bauer, über ihm das Gewerbe und zu oberst, schon in der großen Waagrechten, die

Industrie, die sich von der Erde entfernt und in die Expansion des Willens treibt. Namentlich die Eisenindustrie drängt zu Verkehr und Zerstörung; denn das Eisen ist glatt und hart. Was soll man viel anderes mit ihm machen als Schienen waljen und Granaten drehen? Die Eisenindustrie steht daher in der größten Versuchung jum Handlanger des Händlers oder des Kriegers zu werden. Oben im Geistprinzip erscheinen die geistigen Berufe: die Hüter der Ordnung, der Gerechtigkeit, der Schönheit, der Liebe und der Wahrheit. Hier soll die Herrschaft im Staate ruhen; denn dann steht sie hoch und doch fest in der Mitte und kann Händler und Krieger im Gleichgewicht halten. B. Oie waagrechte Nebenachse der Tat. Hier entfalten sich die expansiven Kräfte des Staates: auf der einen Seite der Krieger, auf der anderen der Händler — Wehrstand und Handelsstand. Sie sind das labile Element im Staat, das Prinzip der Macht, das von der Mitte im Gleichgewicht gehalten werden muß. Wo der Händler oder der Krieger herrscht, da ist Volk in Not. Krieger und Händler sind gleich dem Feuer und dem Wasser, dem Element der Zerstörung und dem Element des Verkehrs, die, im Bann der Ordnung gehalten, beleben und befruchten, aber zum Übermaße angewachsen, verzehren und ersticken. Das was wir im Kampf der heutigen Parteien mit „links" und „rechts", mit „international" und „national" bezeichnen, ist zutiefst der Kampf zwischen dem Ethos des Händlers und dem Ethos des Kriegers. Kommerzialismus und Militarismus sind die Grundübel unserer Zeit; den einen haben wir von England, den anderen von Frankreich übernommen. Aber was für den Westen mögliche Form war, ist für die Mitte Verhängnis. Das Reich von 1870 war das Reich des Kriegers, das Reich von 1918 das Reich des Händlers. Dieses wird sowenig wie jenes bestehen können. Im folgenden soll der Weg gewiesen werden, wie Händler und Krieger im Gleichgewicht und damit in der Ordnung des Ganzen gehalten werden können.

„Die Wehr soll ei» Stand sein"!

Der Wehrstand. Es zeigt die entsetzliche Befangenheit unserer Tage in den liberalen Gedavkengängen des 19. Jahrhunderts, daß wir das ständische Berufsheer als ein Söldnerheer verachten zu müssen glaubten. Denn Söldner in dem anrüchigen Sinne ist doch nur der, der ohne Rücksicht auf Volk und Nation der Kriegsfackel nachzieht und sich bald hier bald dort anwerben läßt, aber nicht der Soldat, der als besoldeter Stand seinem Volke dient. Nachdem die Belehnung mit Grundbesitz heute kaum mehr möglich ist, ist die Wehr nur «och als besoldeter Stand denkbar. Denn die Zwangsinstitution der allgemeinen Wehrpflicht, in der alle Berufe, Stände und Bildungsstufen zu einem Massenheer zusammengestampst werden, ist der rücksichtsloseste demokratische Ge­ danke, der je ersonnen worden ist — auf einer Linie mit der Massen­ demokratie, dem Masseawahlrecht und der Massenherrschaft. Wenn alle ohne Rücksicht auf ihre Stellung in der Gesellschaft die gleichen Pflichten haben, so erzeugt das eine Stimmung, aus der sie auch die gleichen Rechte fordern. Plumpe Zweckgedanken hatten die Menschen dazu verführt: Je mehr Staatsbürger als Soldaten aus­ gebildet sind, um so größer die Schlagkraft der Nation. Heute be­ ginnt man, gerade in militärischen Kreisen, anders darüber zu denken. Es war eine Überschätzung des Quantitativen; denn wer nur mit Widerstreben oder halbem Willen Soldat ist, schadet durch sein bloßes Dabei-sein — auch ohne sichtbare Resistenz — dem Geist der Truppe mehr, als wenn er überhaupt nicht dabei wäre. Und in den modernen Chemiekriegen wird es immer weniger auf

-ie Masse der Menschen ankommen als ans die Masse des Ma­ terials. Nun hatte man aber in dem letzten Jahrhundert — neben dem Kriegszweck — in der Militarisierung überhaupt einen Weg zur Organisierung und Zivilisterung des Volkes gesehen. Der zen­ tralistische religiös indifferente Staat sah darin das einfachste un­ durchgreifendste Mittel, um Las ganze Volk in die Hand zu be­ kommen und es nach seinem Willen zu prägen. Es ist das, was man eigentlich unter „Militarismus" verstanden hat: Der organisierte Willensausdruck eines zentralistischen Nationalstaates, der meinte, daß man ein Volk „disziplinieren" muß, um etwas aus ihm zu machen. Daß die Volksheere der allgemeinen Wehrpflicht ungeheure Leistungen vollführt haben, besagt nichts gegen die grundsätzliche Verkehrtheit des Systems. Ein lebensfeindliches System kann auf Kosten der lebenspendenden Kräfte vorübergehend sogar gesteigerte Leistungen hervorbringen. Wenn das nicht wäre und sich das im Grund Falsche sofort immer als solches auswiese, wären die Men­ schen noch nie länger von der Wahrheit abgewichen. Noch so große Erfolge besagen nichts, erst dauernde, jahrhundertelange Be­ währung zeugt für die Wahrheit. Die Wehr ist das aktivste Organ des Dolkskörpers, mit den Krallen, dem Schnabel oder den Stoßzähnen eines tierischen Kör­ pers zu vergleichen. Als solches ist sie notwendig der härteste, starrste und unlebendigste Teil. Es war also naheliegend, daß eine mecha­ nistische Zeit die Struktur der Wehr auf das Lebenszentrum des ganzen Volkes übertragen wollte, daß sie — um bei dem biologi­ schen Bilde zu bleiben — die Wesenheit des peripheren Kampforgans auf die zentralen Lebensorgane übertragen wollte. Das war der Irrtum des Militarismus, wie er in den Frauenbataillonen Sowjetrußhrnds heute seinen furchtbarsten Ausdruck findet. Nun ist allerdings ein biologischer Vergleich nie ganz zu­ reichend. Ein Volk ist mehr als eine bloß natürliche Wesenheit. Ein Mensch hat mehr Eigenleben als ein körperliches Organ. Die Stände müssen daher im Notfälle einander im weiteren Maße vertreten 104

können, als es die Teile im natürlichen Organismus können. Jeder Mann kann, wenn Not an Mann ist, zum Spaten oder zur Hacke greifen. Und der Wehrstand ist in besonderem Maße ein Notstand. Das ständische Heer muß also im Kriegsfalle durch Freiwillige aller Stände ergänzt werden können, die nach Art der alten städtischen Bürgerwehren, in engster Anlehnung an das berufliche und heimat­ liche Leben, militärisch vorgebildet stnd. Damit würde auch die chaotische Sportbegeisterung der Zeit auf ein höheres geordnetes Ziel gelenkt werden können. Diese Heimwehren müßten der Oberaufsicht der Berufswehr unterstehen, die somit genau unterrichtet ist, über welche Reserven sie im Kriegsfalle verfügen kann. Aber es gilt der Grundsatz der Freiwilligkeit. Es soll eine Ehre sein und keine Strafe, Soldat zu sein. Solange es Kriege geben wird, wäre dies die vernünftige und gerechte Ordnung der Wehr. Die weitere Frage ist nur, wie lange wird es noch Kriege geben? Was geschieht, wenn die Maschine den Krieg ins Unendliche steigert?

Adel und Krieg. Solange der Krieg ein Handwerk war, eine Leibeskunst, d. h. mit der Waffe von Angesicht zu Angesicht gekämpft wurde, war der Krieger als der Held neben dem Weisen und dem Künstler der vor­ nehmste Stand. Wer am besten reiten, fechten, schlagen und tanzen konnte, war der Kavalier. Der Recke, der Ritter und selbst noch der Offizier waren Könige des Leibes; denn der Kampf ist die höchste Offenbarung des männlichen Leibes, wie der Tanz die höchste Offen­ barung des weiblichen Leibes ist. Mars und Venus, diese zwei! Aber der Kampf bleibt nur so lange schön, als er der Seele und dem Geiste treu bleibt. Der Kampf nur um des Kampfes willen ent­ artet zu Gewalttat und Brutalität. Über dem wahren Helden schwebt eine unsichtbare Krone. Denn nur der demütige Streiter, -er den Heiligen über sich sieht, ist wahrer Held. Der Held, der sich vermessen auf die höchste Sprosse stellt, verliert seinen Halt und stürzt auf die Erde zurück; denn er reicht nicht bis in den Himmel. Jnsoferne der Krieg von allen Dingen im höchsten Maße eine Angelegenheit des Leibes ist — Krumme und Bucklige tauge» nicht zum Krieg —, ist er eine Angelegenheit des Adels. Denn Adel ist Form, d. i. bestmögliche Leibwerdung eines geistigen Inhalts. So gibt es oder gab es einen christlichen Adel, der in seinem ange­ borenen Tun die christlichen Ideale seiner Zeit verkörperte. Und insofern der Adel eine sichtbare Haltung des Leibes ist, kann man ihn züchten. Den reinen Geist kann man nicht züchten. Der Geist kommt von oben und fällt in die Hütte des Armen wie in den Palast des Reichen.

Die modernen Volkskriege — wobei unter Volk die Masse verstanden wird — sind das Ende adeligen Heldentums. Ein Schwert führen kann nur, wer dazu geboren und darin seit Jugend erprobt ist, ein Gewehr kann schließlich jeder abdrücken. Das Zweck­ mittel Maschine hat den Krieg aus einer unmittelbaren Leibeskunst ju einer mittelbaren Material- und Massenbegegnung entadelt. Die Maschine führt den Krieg ad absurdum. Daher das wider alle Zweckvernunft zähe Festhalten der Kavallerie an ihrer reiterlichen Tradition, da sie diejenige Waffengattung ist, die am wenigsten technisierbar und dem adeligen Kriegshandwerk noch am nächsten steht. Daher die Abneigung der deutschen Soldaten im Weltkriege gegen den reinen Materialkampf im Westen und ihre Bevorzu­ gung der immer noch persönlicheren Kampfesweise im Osten. Der Ritter in voller Rüstung und der Offizier in der bunten Uniform sind höchste Lebensbejahung. Der Ingenieur mit Gas­ maske und Stahlhelm ist das graue nüchterne Gespenst des Todes. Wo der Held sich nicht mehr in adeliger Schönheit mit dem Helden messen kann, verliert der Krieg seinen adeligen Sinn. Und wo kein Adel mehr ist, folgt kein Volk mehr nach. Einem In­ genieur folgt niemand in den Tod. Nur sichtbares Heldentum in Leibesschönheit begeistert und reißt mit. Dem Chauffeur-Offizier in seinem ratternden Tankwagen folgen die Massen nicht mit in den Tod. Proletarier führen keine großen Kriege. Je größer die technischen Ungeheuer werden, die der Mensch für den Krieg ersinnt, um so geringer wird die Wahrscheinlichkeit des Krieges. Der Zweckgeist mag diese Gebilde erschaffen, der opfernde Mensch wird sich ihnen nicht weihen. Der Ingenieur in seinem Unterstand, der nur auf einen Knopf zu drücken braucht, um die Kräfte der Hölle zu entfesseln, wird es nicht tun. Eher wird seine Hand verdorren, als daß er sie zum Verderben leiht. Der Pazifismus der proletarischen Massen ist die folgerichtige Ant­ wort auf die Entseelung des Krieges durch die Technik. Die Maschine, die ihrem letzten Wesen nach Zerstörung ist, führt letztlich auch die Zerstörung ad absurdum. Das Böse hebt sich selbst auf.

In früheren Kriegen ging die Gewalt nicht weiter, als die Kraft des menschlichen Armes reichte, als der Speer flog und das Schwert schlug. Die Auswirkung der Zerstörungskraft blieb somit innerhalb der durch die organische Natur des Menschen gezogenen Grenzen. Denn im Reich des Natürlichen ist — um des Gleichgewichtes willen — alles, auch das Böse, begrenzt. Selbst das furchtbarste Ungeheuer vernichtet nie bis zur Ausrottung. Erst im Geiste, d. h. in diesem Falle im Ungeiste, steigert flch alles ins Maßlose. Die Möglichkeiten der Zerstörung werden verhundert- und vertausend­ facht, also praktisch unbegrenzt. Wir Menschen könnten heute, wenn wir wollten, mit unserem zweischneidigen Intellekt, das gesamte höhere Leben auf der Erde vernichten. Der Drache der Urzeit hätte es getan, wenn er es gekonnt hätte; aber er konnte es nicht. Wir können es. Darin zeigt sich, welche Macht und Verantwortung im Wissen liegt. Das „Mittel" des technischen Intellekts hat Subjekt und Objekt der Tat so weit voneinander entfernt, daß wir gar nicht mehr wissen, was wir eigentlich tun. Die maschinelle Waffe tut Dinge, die wir gar nicht ahnen — und eigentlich gar nicht wollen. Was weiß der Flieger oben am nächtlichen Himmel von der Wirkung seiner Bom­ ben? Der heutige Mensch hat es gar nicht mehr nötig, böse zu sein, um Gewalttat zu üben. Das Mittel Maschine ist es an seiner Statt geworden. Ein Druck auf den Abzugshebel des Maschinengewehrs hält dem Tod reichere Ernte als ein mit übermenschlicher Kraft ge­ schwungenes Schwert. Das Böse sitzt heute nicht mehr in den Trieben und Affekten des Menschen, sondern nur noch in seinem Intellekt und dessen Erzeugnis, der Maschine. Das ist um so schlimmer, da es nun kalt und überlegt geschieht; aber auch um so besser, da es nun auf das Ende zugeht. Die Spannung zwischen innerem Gefühl und entartetem Verstand wird immer größer werde», bis das unterdrückte Gefühl sich eines Tages entlädt. Je vollkommener die Kriegsrüstungen werden und ihre latente Zer­ störungskraft, um so geringer wird die innere Kriegsgesinnung der Menschen werden. Außen und innen, ungeheure äußere Rüstungen und innere Unlust werden in immer größeren Gegensatz treten, bis 108

der Augenblick des seelischen Durchbruchs, der Khatarsis, eintritt — und der Mensch die Waffe fallen läßt. Ein Ast, der ju weit aus­ lädt, bricht schließlich ab. Früher ging es darauf aus, dem Gegner die Waffe aus der Hand zu schlagen. Die Armeen begegneten sich. War die Armee geschlagen, so war der Krieg entschieden. Heute ist eine Entscheidung zu Lande kaum mehr möglich. Das hat uns der Weltkrieg gelehrt. Der Landkrieg vergräbt sich vor der Maschine in die Erde und bleibt dort stecken. Auch der Tankangriff wird schließlich an Kanälen und Flüssen versacken. Es bleibt bei der Abwehr. Dagegen wird der Luftkrieg reiner Angriffskrieg werden. In der Weite des Luft­ raumes, wo zu links und rechts noch oben und unten tritt, ist die Abwehr, d. h. das Auffangen des feindlichen Angriffes, von ge­ ringer Aussicht. Hier verspricht nur der ebenfallsige Angriff auf die Hauptstädte des Gegners Erfolg. So wird der moderne Krieg auf dem Rücken derjenigen avsgetragen, die zu schützen der eigentliche Sinn des Krieges ist. Jeder muß sich selber aufgeben, um dem anderen den tödlichen Stoß zu geben. Die Kämpfenden schlagen sich nicht gegenseitig die Waffe aus der Hand, sondern stoßen sich gegenseitig den Speer ins Herz. Also Angriff ohne Verteidi­ gung oder gegenseitiger Selbstmord. Die Konsequenz des Luftkrieges wäre, daß die Menschen statt in Städten in Kasematten wohnen müßten; also das Ende der Groß- und Fabrikstadt. So hebt der Maschinenkrieg seine eigenen Voraussetzungen auf. Früher war der Krieg persönlich. Die Zerstörung zielte mehr auf den einzelnen ab. Damit war die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Waffenträger und Nicht-Waffenträger gegeben. Und je nach dem, ob er Widerstand leistete oder nicht, hatte der Waffen­ tragende die Möglichkeit der Bewährung. Im modernen Krieg sind alle, ob Frauen oder Männer, ob Greise oder Kinder, gleicher­ maßen dumpfe Opfer. Es gibt auch — für die vielen — fast kein Heldentum mehr: Der Tapfere kann sich nicht schützend vordrängen und der Feige nicht ängstlich flüchten. Wer in früheren Kriegen fiel, von dem wußte man, er war ein Held, er war in den vordersten Reihen gestanden. Die verirrte Kugel galt als ein besonderes Mißgeschick. Hantel, DaS Reich des Abendlandes.

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Wohl gab es früher unmenschliche Grausamkeit, wlldwütende Kriegsknechte, die Erbarmen flehende Frauen und Kinder nieder­ machten — aber das war eben persönliche Schuld, und -er Edle konnte sich gerade darin bewähren, daß er diesem Unwesen steuerte. Im Maschinenkrieg ist alles entpersönlicht und versachlicht. Der Flieger am nächtlichen Himmel über der friedlichen Stadt weiß nicht, wen seine Bombe trifft. Er kann weder grausam sein noch edel. Er ist nur der Handlanger seiner Maschine. Solange die Maschine gllt, wird der offene Krieg aufhören t« sein, nicht weil er ju grausam geworden ist — darüber könnte man streiten; denn mit jedem neuen Mittel ist ein neues Gegenmittel gegeben —, sondern weil er nicht mehr edel ist. So verstanden hat der internationale Pazifismus recht. Sicherlich ist ein solchermaßen verhinderter Krieg noch kein wahrer Frieden. Insoweit haben die anderen recht, die an den falschen Frieden nicht glauben wollen. Aber die haben auch recht, die an den ver­ fälschten Krieg nicht mehr glauben. Man kann aus Haß Sabotage tun, aber große Kriege kann man nur aus den Kräften der Liebe führen—und die Liebe will das Schöne. Darum will das Volk den Helden in sichtbarer Schön­ heit. Die Begeisterung für eine Idee genügt noch nicht, es braucht auch einen Stand, der diese Idee stnnhaft verkörpert. Im Krieg der Zukunft wird der Soldat unsichtbar sein und «ns nur noch durch die Maske des gepanzerten Mittels angrinsen. Das ist aber sein Ende. Denn dann kann man seine Seele nicht mehr sehen, sondern sieht nur noch die Teufelsfratze des Mittels. Da aber der Mensch letztlich das Böse nicht will, wird er eines Tages das Mittel abwerfen. Dann sieht der Soldat wehrlos da. Das ist keine Weissagung; denn was geschieht, weiß niemand, sondern eine Erkenntnis, deren Wahrheitsgehalt sich so oder so erfüllen muß.

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i. Moses 37: „Was haben wir davon, wen» wir unser« Bruder töten? Wir wollen ihn lieber verkanfen und unsere Hände nicht mit Blut beflecken."

Handel und Krieg. Handel und Krieg sind die soziologische Seite der beiden großen horizontalen Mächte: Verkehr und Zerstörung. Denn Handeln ist, technisch gesehen, ein Verkehren — und Kriegführen ein Zer­ stören; daher müssen sie in der Beziehung zum senkrechten Prinzip des Schaffens bleiben, um nicht auf die abschüssige Bahn des Bösen zu geraten. Handeln ist Tauschen zu dem objektiven Zweck der Versorgung der Menschen mit den geschaffenen oder zu schaffenden Gütern. Beim Handeln stehen sich zwei Parteien gegenüber, die beide durch den Tauschakt einen Vorteil zu erringen suchen; denn sonst würden sie nicht tauschen. Der HandelStavsch besteht also in zwei subjektiv gegenläufigen Handlungen, die sich objektiv ergänzen. Obwohl jeder nur seinen Vorteil für sich will, kommt doch für beide ein Vorteil zustande. In bloßer Wahrung der eigenen Interessen kommt es ohne Verzicht und freiwillige Aufgabe zugunsten eines gemein­ schaftlichen Ideales zu einer beide Teile befriedigenden Lösung. Der absolutistische, sich zum Selbstzweck gewordene Handel neigt daher zu einer bedenklichen doppelzüngigen Moral: „Anderen Gutes zu tun, indem man sich selbst Ment" oder umgekehrt: „Diene dem Nächsten, dann dienst du dir selbst!". Diese eudämonistische Schein­ lösung, nach der der Eigennützen aufzaubervolle Weise das Gesamtwohl bewirkt, ist das Mysterium des Handels, das sich gleichsam hinter dem Rücken des Weltgesetzes vollzieht, indem es ihm schein­ bar gelingt, in Widerspruch zu der Allgesetzlichkeit der Liebe das Böse mit dem Guten zu versöhnen. Und um die Täuschung voll-

ständig zu machen, verhüllt man zuweilen den Eigennutzes mit einem Decknamen und sagt statt Geschäfte machen „Dienst am Kunden". Das Böse ist nach innen gekehrt, so daß man es nicht sieht; denn scheinbar stiftet der Handel ja nur Gutes und trägt die Palme des Friedens in der Hand, seinem innersten Wesen nach aber ein groß angelegter Betrug, mittels dessen die Liebe um ihren Lohn betrogen und die Welt dem Teufel in die Hände gespielt werden soll. Der Handel ist in unserer arbeitsteiligen Wirtschaft fast ebenso notwendig als das Schaffen selbst. Aber er ist das sekundäre abge­ leitete Prinzip, das in dem Augenblick, da es in das Primat des Absoluten gerät, zum Bösen wird. Der Handel darf daher seine Moral nicht ausschließlich seiner eigenen Gesetzlichkeit entlehnen, sondern muß auch an der Freude am guten Werk und an der Ver­ sorgung mit guter Ware seine innere Befriedigung finden. Der unabhängigste und schaffensfernste Handel ist der Geld­ handel. Allem Warenhandel — soweit er mit der Ware wirklich noch zu tun hat — klebt mit der Ware noch etwas vom Geschaffenen an. Nur der Geldhandel hat gar keine Verbindung mit den Dingen mehr. Denn das Geld ist wie das Wasser; es läuft überall hin und dringt in alles ein. Seine Bewegung hat es nicht aus sich, sondern aus dem Unterschied des Gefälles. Es strebt nach unten und gleicht alles aus. Es ist glatt und kalt und weicht jedem Festen aus. Das Wasser als das Sinnblld des Verkehrs ist daher das Element des Handels, wie das Feuer als Sinnbild der Zerstörung das Zeichen des Krieges ist. Die These von der materiellen Verbundenheit der Völker ist die Weltidee des absolutistischen Händlers. Die Befriedung der Welt von außen statt von innen. Richt der wahre Friede des Geistes und der Seele, sondern der falsche, die Seele erstickende und den Geist verleugnende Friede der Stofflichkeit. Ein Friede nicht aus der Liebe, sondern aus der Inversion des Bösen. Denn die Menschen dadurch miteinander zu verbinden, indem man die, die nichts mit­ einander gemein haben, mit dem Lockköder der materiellen Wohl­ fahrt wirtschaftlich aneinanderkettet, fie zu Sklaven ihrer ihnen ein112

geredeten Begierden macht, ist fürwahr ein teuflischer Plan. Weil in Amerika das Korn üppiger wächst und das Brot billiger ist, sollen wir kein Brot mehr bauen dürfen, sondern nur noch über­ flüssige Dinge. Das ist so, wie wenn uns die Erde unter den Füßen fortgezogen und statt dessen ein künstlicher gläserner Boden ein­ geschoben würde. Der Friede des Handels ist nur die Umkehrung des Krieges. Handel und Krieg stehen eben nur in dem äußeren labilen Gegen­ satz der Waagrechten, wo jederzeit das eine in das andere um­ schlagen kann. Der Handel zSgert ja auch nicht, wo immer sich die Möglichkeit bietet, zur offenen Gewalt, dem Krieg, überzugehen. „Krieg, Handel und Piraterey, drei-einig, sind sie nicht zu trennen." Handel und Krieg bezwecken beide ein Erraffen fremder Dinge; der Krieg mit Gewalt, der Handel mit List. Der Krieger will er­ obern, der Händler will gewinnen. Beide wollen sich nicht mit dem begnügen, das aus Eigenem ist, sondern wollen etwas Fremdes dazu haben. Beide verlassen ihren festen Stand und begeben sich auf fremden Boden; der eine als Feind, der andere als falscher Freund. Der eine ist pessimistisch und glaubt nur an die Gewalt, der andere optimistisch und hofft auf Gewinn. Keiner von beiden schafft von Grund auf, beide wollen nur von Geschaffenem leben. Der Handel ist dem Wesen nach in seiner letzten Konsequenz nichts andres als die versteckte Form des Krieges, der Händler nichts anderes als der degenerierte Krieger und sein Friede der Kirchhofsfriede der Menschheit. Der Friede der Völker kann daher ebensowenig auf dem pazifistischen „disarmament“ des Händlers als auf dem „si vis pacem, para bellum“ des Kriegers er­ richtet werden, sondern nur auf der Gerechtigkeit und dem festen Fundament der sich selbst genügenden, friedlich schaffenden Stände. Der Krieger verachtet die Welt; das kommt vom Zerstören. Er denkt dualistisch: eine gefallene schlechte Welt und ein ohn­ mächtiger ferner Gott im Himmel. Das Weltblld des Händlers

ist monistisch: Es gibt keinen Teufel, alles ist relativ und somit erlaubt. Der Krieger schaut noch zu Gott empor, aber er ist ihm nicht mehr wirklich. Der Händler fleht das Göttliche nur noch in den geschaffenen Dingen. Beiden ist jenseits von Gut und Böse frei alles zu tun; dem einen, „weil doch alles schlecht, dem anderen, „weil ja alles gut". Der höchste Adel des Kriegers liegt darin, daß er sich opfert; aber er opfert sich nur im Zerstören, daher ist sein Opfer keine un­ bedingte Genugtuung. Der Händler im edelsten Sinne will helfen und heilen; aber er entzieht sich damit zu leicht dem blutigen Opfer und der metaphysischen Entscheidung, daher ist seine Hilfe noch nicht die letzte Liebe; denn es ist noch nicht das Letzte, dem irdischen Glück und Wohl der Menschen zu dienen. Das jüdische Volk, das wohl dazu ausersehen ist, die Ethik des Händlers in ihren tiefsten und sublimsten Möglichkeiten zu erschöpfen, ist gerade in seiner meta­ physischen Labilität prädestiniert zum helfenden Händler und hei­ lenden Arzt. Ist der Krieger vollkommen, so ist er ein Held, ist der Händler vollkommen, so ist er ein Heiler. Über beiden aber steht hoch oben in der Mitte der Heilige, der Held und Heller in einem ist; denn er opfert sich ohne Wunden zu schlagen und heilt, indem er sich opfert.

Schiller: „Oer Edle dankt mit seinem Sein, der Ge, meine mit seiner Leistung".

Königtum. Im Königtum finden Tun und Sein, Gegenwärtiges und Ewiges, die Kraft und die Liebe, ihre geheimnisvolle Vermäh­ lung. Der Diktator ist nur Kraft, Spannung und Wille, der König ist auch Gelassenheit, Demut und Güte; das Szepter in der Rechten des Königs ist die Tat, die weisende und gebietende Gerechtigkeit. Der Apfel in der Linken des Königs, dem Herzen zunächst, ist das Sein sonder Anfang und Ende, die allbarm­ herzige Liebe. Ein Diktator muß etwas tun, ein König braucht nichts zu tun. Der Machthaber muß fich mit seiner Leistung recht­ fertigen, der König rechtfertigt sich schon durch sein bloßes Sein. herrscht ein ganz Großer, so weiß das Volk nur eben, daß er da ist. Mindere werden geliebt und gelobt, noch Mindere werden gefürchtet, noch Mndere werden mißachtet". (Laotse.) Wie zur glaubenslosen Masse der Diktator gehört, so gehört zum gläubigen Volk der König. Der König sym­ bolisiert das Volkstum in seiner sinnvollen Einheit, denn er ist der höchste Stand, der alle anderen Stände in sich schließt; er ist der Träger der Krone, die alles zusammenfaßt. Im König gerinnt die Idee des Vaters zu größter irdischer Gestalt. Der König gebiert und strahlt sichtbarlich aus, wonach das Volk sich in seinen ge­ heimsten dunklen Träumen sehnt. Er ist die höchste Erfüllung der Volkheit. In seinem König reicht ein Volk in das Reich der Sterne

hinauf und holt sich von dort seine besondere Sendung, die es erst jv einem Volk in dem eigentlichen ethischen Sinne macht. In dem König stellt ein Volk die Verbindung mit dem Absoluten her. Die relative Willkür bloßer natürlicher Selbstbehauptung steigert und läutert sich zur Volksidee. Der König ist nicht der Kopf des Volkes, sondern sein Haupt. Der König ist gleichermaßen wie die Kunst ein Stück sichtbar gewordene Unsichtbarkeit, endlich gewordene Unendlichkeit. Die Sehnsucht der Menschen über sich hinaus, der Traum des Unend­ lichen findet seinen sichtbaren Abschluß. Der Thron ist die oberste Stufe der Endlichkeit und die erste Stufe der Unendlichkeit. Im König verkörpert sich die Notwendigkeit des Unbedingten, die aller menschlichen Ordnung innewohnt. Jede Gemeinschaft muß sich selbst oder eine größere Gemeinschaft, als deren Glied sie sich fühlt, unbedingt und absolut setzen. Das tut sogar jede Räuber­ bande und leitet daraus das Recht ab, zu rächen und zu strafen. Im König, da er zugleich Mythos ist, findet die Hinordnung dieser Selbstsetzung auf das Übermenschliche, Gottverantwortliche statt. Ein Volk ohne König muß sich selbst, d.h. seine Macht oder sein Wohlergehen — garantiert durch den allmächtigen Diesseits-Staat — als abso­ luten Zweck erklären. Durch das Königtum ordnet sich das Bedingte des erschei­ nenden Seins in das Unbedingte des geistig-religiösen Urgrun­ des ein, während der Zweckstaat mangels eines metapysischen Unter­ grundes sein bedingtes Sein zum Unbedingten erklären muß. — Da es keinen Himmel mehr gibt, muß die Welt zum Himmel erklärt werden, da es Gott nicht mehr gibt, muß der Diktator zum Fetisch werden. Ansätze zu solcher Cäsarenvergottung sind bei Mussolini, bei Kemal Pascha und bei Lenin unverkennbar. Sie werden zum Mythos, der auf sich selbst, statt auf Gott be­ zogen ist. Im König berühren sich Himmel und Erde: Von unten aus dem in Ständen gegliederten Volk als höchster Stand hervorge­ gangen, begegnet ihm von oben die Gnade der unbedingten Auserwähltheit; daher von Gottes Gnaden. Wer einmal König ist,

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kann nicht wieder von Menschen abberufen werden; der ist es auf Lebenszeit. Dagegen ist der Legitimismus, die unbedingte Erbfolge, eine Überspannung des aristokratisch-königlichen Prinzips. Die Tra­ dition wird es häufig mit fich bringen, daß mehrere Generationen desselben Geschlechtes hintereinander die Krone tragen, aber nur, wenn ste vom Volk in seinen Ständen immer wieder neu gewählt werden. Mit jedem neuen König muß das Unten mit dem Oben erneut in Einklang gebracht werden. So sehr das Königtum ein Amt und ein Stand ist, also mehr als eine bloße Person, so sehr muß doch auch dem natürlichen Prinzip Rechnung getragen werden. Die Idee des Königtums gehört dem Reich des Geistes an und ist daher ewig, Geschlechter aber gehören dem Reich des Natürlichen an und find vergänglich. Das Königtum ist mehr als eine bloße zufällige oder mögliche Staatsform unter vielen anderen. Es ist der notwendige Schluß­ stein des ständisch aufgebauten Staates und insofern das Ständetum die Urform aller organischen Staatenbildung ist, ist auch das Königtum in der Geschichte aller großen Kulturstaaten, zum wenig­ sten implicite, enthalten. Die Geschichte des alten Rom ist sozusagen die Geschichte eines stets verhinderten Königtums. Die Senatoren als oberstes Ständehaus wählen — um den König zu verhindern — zwei Konsuln, die fich die Waage halten sollen, nur auf ein Jahr. Die Gefährlichkeit des Königtums lag hier in dem besonderen Rechts­ empfinden der Römer, das mehr von der Person als von der Sache ausging. Es bestand also die berechtigte Befürchtung, daß der ein­ mal gekürte König sein öffentliches Amt als eine Art Privatbefitz auffassen und fich zum Cäsar auswachsen würde. Ganz im Gegen­ satz zur alte» deutschen Geschichte, in der die Gefahr des Absolutis­ mus so ferne lag, daß man den Mächtigsten und Stärksten zum König wählte, damit er überhaupt imstande sei, seinem schwierigen Amt Nachdruck und Ansehen zu verleihen. Oie modernen Großreiche von Nordamerika und Rußland find keine Kultur-Staaten, sondern Zivilisations-Staaten. Der

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Mann im „weißen Hans" als bescheidener Gentleman und der Kon­ trolleur der Sowjets, der Herr über Halb-Europa und Asten, im einfachen Arbeiterrock, verkörpern so recht die nüchterne Zweckherrschaft. Kein Haupt, das stch sichtbar und strahlend erhebt, sondern ein irgendwer, ein Kopf, der unscheinbar und unsichtbar regiert. Alles Plastische, Schöpferische, Gläubige, Königliche, alles, was die Blicke nach oben lenkt, wird unterdrückt und erstickt. Warum muß j. B. der Präsident der USA. trotz seiner Machtfülle ein ge­ wöhnlicher Gentleman sein? Weil Amerika an etwas, das mehr als ein Gentleman ist, nicht glauben will, weil es nicht genug Phantasie und Gestaltungskraft hat, um stch etwas anderes vorjustellen, weil Form für den Amerikaner immer nur eine Maske ist, aber nie ein Sinn. Daher spottet er der Könige; denn Könige kann es nur geben, wo Form noch Sinn ist. Wohl die mächtigste Hochburg der Demokratie ist die französi­ sche Republik. Denn obwohl das Jahr 1789 das Geburtsjahr allen europäischen Unhells ist, ist Frankreich von dem Fluch seiner eigenen Taten am meisten verschont geblieben. Andre müssen schwerer daran tragen als es selbst. Form und Maß seiner alten aristokratischen Kultur halfen ihm immer wieder ins Gleichgewicht. Aber es zehrt von ererbter Substanz. Auch Frankreich kommt um die Wahrheit nicht herum. Auch Frankreichs große Tage waren die Tage seiner Könige. Und in kleineren Staaten kommt es nicht zur Ausscheidung der letzten königlichen Spitze, da die Einheit schon durch die Enge des Raums hinreichend garantiert erscheint oder weil — wie in den Stadtrepubliken — die Grundlage des Königtums, die Herrschaft über Land und Boden, nicht gegeben ist; denn Königtum und Händlertum vertragen sich schlecht. Wenn der König zum Händler geht, ist es gar bald um ihn geschehen. Der König ist die letzte Krö­ nung des senkrechten bodenständigen Prinzips, der Händler ist der Anwalt der waagrechten Mächte. Der König steht in der Mitte. Daher hieß es früher auch der König in England, in Frankreich. Erst später, im Absolutismus, hat sich das besitzanzeigende Fürwort „von" eingebürgert. Allein

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dieses Wörtchen „in" und dieses Wörtchen „von" symbolisieren dev Unterschied Mischen ständischem und absolutistischem König, tum. Das eine Werden und Wachsen aus der Mitte, ans dem Herzen des Volkes, das andere Besitz und Macht oder bloße Her­ kunft. Wo kein König und keine Stände sind, tritt über kurz oder lang die Masse auf den Plan — und da die Masse selbst nicht herrschen kann — fällt sie dem Cäsar in die Arme. Ein Volk hat daher — ans längere Sicht gesehen — zu wählen zwischen dem Szepter des Königs und der Faust des Diktators.

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„Der preußische Staat hat keinen tragenden Grund".

Die preußische Frage. Die geistigen Voraussetzungen des heutigen Preußentums sind mit dem Protestantismus und der Verdrängung der angestammten niederdeutschen Mundart durch die hochdeutsche Sprache gegeben. Diese künstliche Sprachvereinigung durch das oberdeutsche Bibel­ wort hat den Norddeutschen seiner natürlichen, eingeborenen Aus­ drucksmittel beraubt. Er spricht seitdem eine Sprache, die nicht seine eigene ist und die er daher mit einer gewissen rationalistisch weg­ werfenden Verachtung behandelt. Da die Sprache aber etwas ist, das in hohem Maße den Menschen formt, so hat diese Sprachentwurzelung auch auf seine Wesensart eingewirkt und ihn in eine andere bewußt aktive Seinslage gedrängt, die ihn in besonderem Maße den Gefahren des Rationalismus aussetzte. Die für die Entstehung des heutigen Preußen entscheidende politische Tat war die Belehnung eines hohenjollernschen Ordens­ meisters durch den König von Polen mit dem geistlichen Ordens­ lande Preußen als erblichem Herzogtum — sozusagen die erste Säkularisierung. Die geistigen Folgen dieser Taten erweisen sich dann im Laufe der preußischen Geschichte. Durch die Vereinigung mit dem ebenfalls hohenzollernsschen Kurfürstentum Brandenburg entsteht ein großer Torritorialstaat, mit zwei entlegenen, unzusammenhängenden Kraftpunkten, der seine Aufgabe unr noch darin steht, seine Macht im Inneren des Reiches auf Kosten der anderen deutschen Länder auszubreiten. Das Deutschtum strahlt nicht mehr wie zur Zeit der Ordensritter nach Nordosten aus, sondern schlägt ins Innere zurück. Die

politische und geistige Verbindung mit dem baltischen Deutschtum reißt ab, das damit für die deutsche Reichsidee verloren geht. Statt dessen brachte Preußen den fremden Gedanken des Na­ tionalstaates nach Deutschland und jersprengte damit das alte Reich. Es hat dann — nachdem es Österreich niedergerungen hatte — im Verein mit dem westlichen Industrialismus das deutsche Volk ju ungeheurer Macht und gewaltigem Reichtum geführt. In diesem Bismarckischen Reich vertrat Preußen sogar das Element eines agrarischen Konservativismus. Die Schwäche dieses Konservativis­ mus lag aber darin, daß er nicht in einem Volkstum wurzelte, sondern ausschließlich von einer kolonialen Herrevschicht getragen war. Das alte Preußen war ein rein autoritatives Staatsgefüge ohne den gewachsenen volklichen Unterbau. Daher mußte es mit dem Wegfall der königlichen Zentralgewalt, die den Landadel stützte, in eine labile Lage kommen. Und nur so ist es zu erklären, daß es so plötzlich vom konservativen Junkerstaat zum sozialistischen Wohlfahrtsstaat umschlagen konnte. Nicht dem alten Brandenburg oder dem Volkstum der Märker, sondern dem slawischen Preußen hatte der Staat seinen Namen ent­ nommen. Solange es nämlich ein Reich und einen gekürten deut­ schen König gab, konnte der Kurfürst von Brandenburg sich nicht König nennen. Daher nannte er sich König von Preußen. Alles was vom Staate ausging, wie Verwaltung und Heer, war mustergültig, beispielgebend für die ganze Welt — aber alles, was vom Volke ausging: das Leben, die Kunst, die Sprache, war nüchtern, hart und poesielos. Geblendet durch die großen Erfolge des preußischen Staates hat man eine Zeitlang geglaubt, darin eine Tugend zu sehen. Heute erkennen wir wieder, daß Mangel an Poesie ein Mangel der Schöpfungskraft, ein Mangel des Seins schlechthin ist. Pietistische Einfachheit und Sparsamkeit sind keine letzten Ziele, von denen ein Volk leben kann. Strenge und Härte können ebensogut aus einer Enge und Armut des Gefühles ent­ stehen als aus innerem Reichtum. Sie erhalten ihren sittlichen Gehalt erst von den absoluten Ideen, die hinter ihnen sind. Und diese Idee, die absolute Idee, auf der der preußische Staat stand.

war der kategorische Imperativ. Du mußt müssen! Die Pflicht um der Pflicht willen. Aber was Pflicht sein sollte, die Frage blieb offen. Pflicht war, was von oben, vom Staat, vom König befohlen wurde. Es war aber nicht der Idee nach festgelegt, was der Inhalt dieser Pflicht sein sollte. Es war kein gemeinsamer fester Grund, der dieser Pflicht einen einhelligen Sinn gegeben hätte. Die protestan­ tische Landeskirche, mehr die Magd als die Mutter dieses Staates, war nicht imstande, ihm einen tragenden religiösen Grund zu ver­ leihen; denn Religion durfte ja mit Politik nichts ju tun haben. „Die Pflicht ist nur ein Surrogat der Tugend" (Scheler). In der Tugend ist der Seinsgrund eingeschlossen: Frömmigkeit, Treue, Liebe. In der Pflicht ist nur eine Bewegung vorgeschrieben. Aber Woher und Wohin, das ist nicht gesagt; alles kann schließlich zur Pflicht werden, auch die Revolution. Die Pflicht ist gleichsam das mechanistische Korrelat der natür­ lichen Tugend. Genau so wie die Maschine sichtbar gewaltigere Lei­ stungen vollbringt als die organische Natur, so war der preußische Staat dem Volkstum der anderen deutschen Länder dynamisch überlegen — aber auf Kosten der inneren, währenden Seinsgründe. Der preußisch-deutsche Nationalstaatsgedanke hat ganz Deutschland erfaßt und ist auch jetzt noch in weiterem Vormarsch in Süddeutsch­ land begriffen, während die Ausgangslande dieses Preußentums sich in einer schweren Krise befinden: Brandenburg, das alte deutsche Kernland der Hohenjollernmonarchie, ist stark von der Weltstadt Berlin absorbiert, Westpreußen und Posen sind an das Polentum verloren. Wenn man bedenkt, daß Schlesien alter österreichischer Boden ist und daß Ostpreußen stark von Süddeutschen besiedelt wurde, so erkennt man die Schwäche der eigentlich preußischen Kolo­ nisation. Es ist ihr nicht gelungen, den Deutschen richtig mit der östlichen Erde ju verbinden. Selbst das Massenelend der Großstädte lockt die Menschen noch immer vom Lande weg. Nun ist das jvnächst eine ethnographische Erscheinung, die fast etwas Gesetzmäßiges hat und die daher soweit kaum als eine historische Schuld des Preußentums angesehen werden darf: Es ist nicht leicht, den Deutschen im Osten seßhaft tu machen. Die

Deutschen sind kein Ebenenvolk. Die unbegrenjte Ebene widerspricht dem Lebensgefühl des deutschen Siedlers. Der Deutsche siedelt nur in der irgendwie durch Berge, Flüsse, Seen oder Küsten gestalteten Landschaft. Die offene, unbegrenzte Ebene ist der Lebensraum des Slawen. In der Provinz Posen konnte das Deutschtum in den hundertfünfzig Jahren, die es dort seit der Teilung Polens herrschte, keinen rechten Fuß fassen, während es in dem viel weiter vorgeschobenen ostpreußischen Seengebiet schon seit dem Mittelalter fest verwurzelt ist. Die Deutschritter sind der Ostseeküste entlang über Riga, Dorpat bis Reval vorgedrungen, aber im Fesilandsinneren ist auch heute noch — nach siebenhundert Jahren — 150 Kilometer hinter Berlin das Deutschtum zu Ende. Es ist die besondere Schwäche der ganzen preußischen Siedlung von 1250 bis auf den heutigen Tag, daß der Deutsche imOsten fast nur als Städter und Grundherr aber nicht als Bauer erscheint. Die Erde hat den Deutschen im Osten nicht richtig angenommen, sie ist dem Slawen verblieben. Und in dem Kampf um die Erde wird das erd­ nähere, naturhaftere, primitivere Volk gegenüber dem verstädterten, zivilisierten, anspruchsvolleren im Vorteil sein. Gegen dieses Aus­ gleichsgesetz der Natur müssen auf die Dauer alle staatlichen Macht­ mittel versagen. Und wenn man die Polen zur einen Tür herauswirft, wird man sie zur anderen wieder als Wanderarbeiter hereinholen. Deutschtum und Slawentum durchdringen sich auch im Nord­ osten solchermaßen, daß auch die preußische Frage — nie national, sondern nur übernational gelöst werden kann. Polen und Deutsche, Slawen und Germanen, sind wie weiblich und männlich dazu gesetzt, sich in besonderer Weise zu ergänzen. Die Deutschen sind die tüchtigen Organisatoren, die Polen die lenksamen, an­ spruchslosen Arbeiter, die einer starken, aber doch einfühlsamen Hand bedürfen. Die Polen sind ein reines Bauernvolk, das es ohne fremde Führung aus sich nicht weit über die Dorf- und Guts­ gemeinschaft hinausbringt. Schon die erste Staatlichkeit Polens im Mittelalter wird auf die Einwirkung der Wickinger zurückgeführt, die um 900 nach Polen kamen und von denen sich noch heute pol­ nische Adelsfamilien ableiten.

Der Westen Europas ist städtisch und bürgerlich, der Osten ländlich und bäuerlich. In der Mitte des Erdteils, in Deutschland, begegnen sich die beiden Prinzipien; und die Deutschen als das Volk der Mitte haben den hohen Berns diese beiden Seinsweisen in sich auszugleichen und zu vereinen. Daher gebührt den Deut­ schen das Reich. Aber diesen Beruf hat Preußen bisher nicht verstan­ den. Die preußischen Junker sind zu sehr Kolonialherren und zu wenig Feudalherren gewesen. Die Aufgabe Preußens wäre es gewesen, das von unten nachdrängende polnische Volkstum geistig für eine gemeinsame politische Idee zu gewinnen, wie es die wenigen Millionen Deutschösterreicher gegenüber einer vielfachen Übermacht fremder Völker lange Zeit vermocht hatten. Aber Preußen wollte nationalistisch erreichen, was Österreich universa­ listisch gelöst hatte. Die Fehlkonstruktion des preußischen Staats­ gedankens, der mit Zentralisieren und Germanisieren sein Ziel er­ reichen wollte, geriet hier mit der Wirklichkeit in Konflikt. So wurde in der Zeit des unglückseligen Absolutismus durch das Unrecht der Teilung Polens die Saat künftigen Völkerhasses gesät. Wenn Polen damals zu einer selbständigen Staatsführung nicht imstande war, so hätte es eben als Ganzes unter die Ober­ hoheit des Reiches genommen werden müssen. Daß Polen damals aus innerem Anlehnngsbedürfnis geneigt war, sich politisch bevor­ munden zu lassen, beweist die vorausgegangene Personalunion mit Sachsen. Aber die Reichsidee war damals schon zu schwach und der westliche Staatsabsolutismus schon zu sehr emporgekommen. Die alte Kaiserin Maria Theresia wollte nichts von einer Teilung wissen, aber Preußen und Rußland und der junge aufklärerische Kaiser Joseph drängten darauf. So zerschnitt man denn das Land in drei Teile, einen an Rußland, einen an Preußen und einen an Öster­ reich, und suchte die so erworbenen Gebietsteile gewaltsam zu rnsstfizieren bzw. z« germanisieren. Man einigte sich auf Kosten des Schwachen. Das war das Unrecht an Polen. Alle späteren An­ maßungen und Überheblichkeiten Polens heben diese einstige Schuld seiner Nachbarn und Unterdrücker nicht auf. Und es wäre die be-

sondere Mission Preußens, als des deutschen Nordosistaates, ge­ wesen, Polen mit dem Deutschtum ju versöhnen. Für Österreich war es Peripherie, jenseits der Karpathen, aber für Preußen mit seiner großen, offenen Grenze gegen Polen war es eine zentrale Angelegenheit. Wenn Preußen damals vielleicht auch nicht die Macht hatte, eine Teilung zu verhindern, so hätte es doch zum mindesten versuchen sollen, die Dinge avfzuhalten. Statt dessen hielt es aber mit dem mächtigeren Rußland. Das Bündnis mit Rußland ist der Leitgedanke und das ideale Ziel seiner Politik von Friedrich dem Großen bis Bismarck, das praktisch nichts anderes bedeuten konnte als die dauernde Vergewaltigung Polens. Statt Polen in der Abwehr gegen Osten zu unterstützen und es so für se i ne Politik zu gewinnen, beschwor es den russischen Riesen und lockte ihn nach Europa herein. Daß diese Politik — unabhängig von Er­ folgen und Mißerfolgen, die immer verschieden gedeutet werden können — nicht nur völkergeschichtlich, sondern auch weltgeschichtlich ein verhängnisvoller Fehler war, soll in folgendem kurz dargetan werden. Asten drängt auf zwei Hauptstraßen nach Europa herein: einer östlichen und einer südöstlichen. Die südöstliche führt vom Orient über den Balkan nach dem Abendland. Es ist die Einbruch­ stelle der Perser und Türken. Die einen wurden in der Antike von Griechenland, die anderen im Barockzeitalter von Österreich ab­ gewehrt, welche Staaten damit ihre große militärische Aufgabe er­ füllt hatten. Die östliche Straße führt aus der sarmatischen Steppe über Ungarn oder Polen nach Deutschland. Es ist die Einbruch­ stelle der Hunnen und Mongolen. In den grenzenlosen zentralastatischen Steppen gärt das Ferment des ruhelosen Eroberertums, das von Zeit zu Zeit aufbraust, gegen Westen oder Osten anbrandet und wieder in sich zusammensinkt und wie spurlos verschwindet. Es war das Verdienst des alten moskowitischen Rußland, diese Mongolenstämme langsam hinter den Ural zurückgedrängt zu haben. Aber es war die Schuld des späteren Rußland, daß es sich mit der Befreiung dieses ungeheuren Raumes nicht begnügte, sondern — unter Peter dem Großen und Katharina — seinerseits

die Initiative gegen Europa ergriff. Rußland, das den Raum und die Möglichkeit hatte, ungestört und friedlich in sich zu leben, griff aus reinem Eroberer- und Tatendrang freventlich in die europäische Politik ein. Alle anderen Länder konnten ihre Eroberungen schließ­ lich noch mit der Annahme einer vorbereitenden Verteidigung ent­ schuldigen. Aber Rußland konnte nicht einmal diesen Schein des Rechts für sich in Anspruch nehmen. Es wäre nun die Aufgabe der europäischen Mächte gewesen, Rußland geschlossen abzuweisen. Statt dessen glaubte man aber den hungrigen Bären damit abzuspeisen, indem man ihm ein zer­ stückeltes Polen als Bissen vor die Füße warf, wodurch sein Appetit jedoch nur angereizt wurde, bis er schließlich mit der Pranke nach dem Herzen Europas schlug. — Nun waren die Dinge sicherlich ver­ strickter, als es so den Anschein hat. Frankreich drängte die Mittel­ mächte Österreich und Preußen in die Arme Rußlands; insofern liegt der Anfang der Schuld bei Frankreich. Aber Preußen und Österreich hätten diesen Mißstand in etwa korrigieren können, wenn sie sich nicht so vorbehaltlos Rußland angeschlossen hätten. Denn Rußland ist ein aufdringlicher und gefährlicher Freund. Ob wir nun 1780 schreiben oder 1930, ein Bündnis zwischen zwei so un­ gleichen Partnern wie Rußland und Deutschland ist von vorneherein für letzteres ein verlorenes Spiel; den« das in einem solchen Falle von den anderen Mächten isolierte Deutschland braucht Rußland; aber Rußland braucht nicht Deutschland. Ruß­ land kann seinen Partner jederzeit entbehren; denn es ist das einzige Land auf der Erde, das infolge seiner ungeheuren Ausdehnung und seiner breiten, an keinen bestimmten Ort gebundenen, Wesensart sich jeglichen Zugriffes entziehen kann, also unangreistar ist. Die Armee, die den Dnjepr oder die Beresina überschreitet, ist verloren. Rußland braucht keinen Bundesgenossen, darum kann man mit ihm kein Bündnis schließen. Rußlands weltgeschichtliche Aufgabe liegt darin: Brücke zwischen Asten vnd Europa zu sein; aber jeder Übergriff Rußlands in Europa, jeder Versuch Rußlands, über die Linie Narwa—Pinsk—Odessa vorzurücken, bedeutet Unfriede, Ge­ walt und Chaos. Denn diese Linie ist die natürliche, strategische und 126

politische Grenze zwischen Europa und Asten. Es ist die Linie, auf der die Mittelmächte und Rußland im Weltkriege zum Stehen kamen, die Gleichgewichtslinie, auf der fich die Kräfte Europas und Asiens die Waage halten. Rußland auf diese Linie zurückgedrängt zu habe«, ist das einzige positive Ergebnis des Weltkrieges. Die Wahrung dieser Linie bedeutet: Anerkennung von Polen und Abhaltung Rußlands, ihre Nichtbeachtung heißt: Vergewal­ tigung Polens und Beschwörung Rußlands. — Diese Linie ist der Schlüssel zur Befriedung Europas. Denn in dem Maße, in dem Deutschland und Polen zu einem nachbarlichen Verhältnis gelangen, verliert Frankreich seinen Einfluß im Osten. Im Welt­ krieg tat Deutschland die richtigen Dinge, aber es geschah der Not gehorchend, ohne richtigen Wunsch und Willen. Hundert Jahre preußischer Politik, von Friedrich dem Großen bis Bismarck, standen dagegen. Mag die preußische Polen-Politik im Vergleich zu der russischen auch maßvoll gewesen sein, so war ihr Leitgedanke doch ebenso falsch, nämlich: Unterdrückung statt Anerkennung des fremden Volkstums. Das mechanische Staatsprinzip sieht eben in jedem anderen Volkstum nicht eine Gegebenheit der Schöpfung, sondern einen lästigen Fremdkörper, der der Einheitlichkeit im Wege steht. Bei aller Integrität, die das preußische Beamtentum auszeichnete, so saß ihm doch die Überzeugung im Blute, daß alles letzten Endes eine Frage der Energie und Rücksichtslosigkeit sei. Es war eben die absolutistische Staatsidee, nach der das Volk nur eine gestaltlose Masse und alle Formkraft vom Staate ausgeht. Es fehlte jedes Verständnis dafür, andere auf sympathische Weise zu erobern. — Lediglich die Selbstverwaltung des Freiherrn vom Stein war der Schuß Romantik im preußischen Staat, der ihm in den alten deutschen Territorien Hannover, Hessen und Rheinland eine glück­ lichere Hand verlieh. Aber da, wo es sich nm ein wesentlich anders geartetes Volkstum handelte, wie in Polen und Elsaß-Lothringen, versagte seine Staatenkunst. Dieser Mangel an Weite und kulturbildender Kraft muß als eine historische Schuld Preußens angesehen werden, denn damit hat 9*

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es dem Deutschtum die Möglichkeit einer friedlichen Machtausbreitung im Osten versperrt. Die tieferen Ursachen dieser preußischen Unfähigkeit gehen natürlich bis auf die Glaubensspaltung zurück. Denn so kam es, daß zwischen Polen und Preußen gar nichts war, was sie gemeinsam hatten und worauf sie irgendwelche Formen des Zusammenlebens hätten aufbauen können. Preußen hat das auch empfunden und daher seine Expansion mehr «ach innen als nach außen betrieben. Es ist der polnischen Frage instinktiv ausge­ wichen und hatte die Annektionen vielleicht fast nur als ein leidiges Übel erachtet. Und doch hätte es in der friedlichen Angliederuvg Polens seine große geschichtliche Aufgabe sehen müssen, wie es Österreich mit Ungarn gemacht hatte. Dies wäre wichtiger gewesen als die Annektion des Königreichs Hannover. Es ist von der Vorsehung nicht umsonst so eingerichtet worden, daß Preußen und Polen als Gegensätze nebeneinander wohnen; Polen gemahnt uns, daß wir das Reich der Mitte sind. Jetzt, da in Rußland der Bolschewismus herrscht, tritt das klarer hervor. Deutsches Tatentum würde sich nach Osten ins Unendliche ausdehnen und sich in einem leeren Imperialismus entseelen, wenn nicht zwischen uns und dem Osten ein unüberwindliches Hindernis läge, ein Stück Geschichte, ein Stück unentwirrbare Seele, ein Rätsel, das jeder Organisation widerstreitet. Denn Polen ist ganz Erde und Seele, weiblich und ««mechanistisch. Aus einem tiefen Urinstinkt haßt es alles Bewußte und Sachliche bis zur Intrigue und Korruption. — In Landschaft und Volkstum das Umkehr­ bild zum preußischen Wesen. Ist dieses hart und systematisch bis zur Ungenialität und Unfruchtbarkeit, so ist jenes geheimnisvoll und regellos bis zur Unfähigkeit, überhaupt etwas gestalten zu können: Das, was die Franzosen „improductivite slave“ und was wir auf gut Deutsch „polnische Wirtschaft nennen. Aber diese Schwäche Polens ist anch seine Stärke. Es ist zu unsachlich, um sich versachlichen zu lassen. Es mag paradox klingen: die „polnische Wirtschaft hat Polen — trotz seiner exponierten Lage am Rande des Weltenbrandes — vor dem Bolschewismus bewahrt. 128

Ohne Polen wäre Deutschland -er technische Kopf eines russisch­ sibirischen Staatskolosses geworden, der Traum der Banausen wäre in Erfüllung gegangen. Deutschland hätte der Versuchung nicht j« widerstehen vermocht, der Ingenieur des Bolschewismus zu wer­ den. Davor bewahrt uns Polen und zwingt uns zur Einkehr: unser Ziel nicht in der mechanischen Expansion, sondern in der Tiefe zu suchen. Es kann sich nicht darum handeln, die Fehler des polnischen Volkscharakters in Abrede stellen oder auch nur beschönigen zu wollen. Polen ist ein Abbild seiner erdkundlichen Lage. Am west­ lichen Ende der unendlichen sibirisch-russischen Ebenen, da wo das Asiatische in das Europäische übergeht, liegt es ohne irgendwelche natürlichen Begrenzungen, die seinem Volkstum eindeutigen Raum und Sinn gäben, offen und regellos in dem großen politischen Kraftfeld ausgebreitet da. Es hat daher das Unbestimmte und Maßlose des ruffisch-astatischen Wesens ohne dessen Unendlichkeit und Tiefe. Cs ist aus eigener Kraft wohl überhaupt kaum im Stande zu einer geordneten ruhenden Staatlichkeit zu kommen, sondern kann nur an Deutschland und an Rußland genesen. Der preußische Staat hat als Teilkraft das alte universale deutsche Reich zerstört und statt dessen auf seinem Rücken ein neues nationaldeutsches Reich geschaffen. In dem Maße, als dieses National-Deutschland zu einem übernationalen deutschen Reich aus­ gebaut werden soll, tritt die Bedeutung des preußischen Staates, der seine historische Aufgabe erfüllt hat — auf Umwegen wieder herbeizuführen, was er in den Anfängen zu zerstören geholfen hatte —, in den Hintergrund. Der preußische Staat hat in einer Zeit, in der die deutsche Idee schwach war, und der morsche Leib des Reiches auseinanderzufallen drohte, Deutschland von Ost nach West, wie mit einer eisernen Klammer zusammengehalten. In dem Maße, als die Reichsidee wächst und Deutschland wieder eine geistige und organische Einheit wird, bedarf es dieses mechanischen Haltes nicht mehr. Der preußische Staat steht heute der deutschen Reichsidee im Wege, er hat keine rechte Heimat und Wurzel, kein Volkstum, ist

daher notwendig unitarisch, während die politische Idee der Deut­ schen der Föderalismus ist. Der preußische Staat trägt mit dem unitarischen Prinzip statt der Mannigfaltigkeit der Länder den querschnittlichen Gegensatz der Parteien — die Labilität von links und rechts—in die große Reichspolitik. Alle anderen Bundesländer stnd zu einem gewissen Gleichgewicht im Parteiensystem gekommen, nur Preußen nicht, da es kein natürliches Schwergewicht hat. Ein in seine Stammgebiete aufgeteiltes Preußen, ein Rheinland-West­ falen, ein Hannover, ein preußisch-märkisches Land und eine freie Reichshauptstadt Berlin, würden als engere, homogenere Gebiete viel leichter zu einem dauernden modus vivendi kommen. Denn jede Lokalisierung, jede Senkrechte in der politischen Struktur, be­ deutet eine Durchbrechung und Auflockerung des horizontalen Par­ teien- und Massensystems. Je stärker der Nachdruck ist, der auf Heimat und Stamm gelegt wird, um so mehr wird sich auch der Sozialist nicht nur als Sozialist, sondern auch als Westfale, Nieder­ sachse oder Märker fühlen. Wozu die preußische Staatsregierung in Berlin, über die man sich doch nicht einigen kann und mensch­ licher Voraussicht nach auch nie einigen können wird? Alle Arbeit, die geleistet wird, würde viel besser, viel entsprechender von den Regierungen der aufgeteilten Länder getan werden. Mag sein, daß es für viele einen schmerzlichen Verlust bedeu­ ten würde, für alle, die Preußens große politische und militä­ rische Vergangenheit im Herzen tragen — und doch steht Deutsch­ land vor der Entscheidung, die preußische Geschichte zu bejahen und konsequenterweise ein unitarischer Nationalstaat nach west­ lichem Vorbilde zu werden, oder aber die vorpreußische Geschichte zu bejahen und ein föderalistischer Volksstaat nach alter deut­ scher Art zu werden. Dieses neuen ostelbischen „Altpreußens" zukünftige Aufgabe wird es aber einmal sein, auf dem Fundament der Deutschritter weiterzubauev und ein Österreich des Nordostens zu werden, das Polen, Litauer, Letten und Esten auf friedlichem Wege in seinen — und damit des Reiches — Bann zieht.

„Österreich ist «richt a« flch, sondern am westlichen Ratio, nalstaatsgedanken zugrunde gegangen".

Die österreichische Frage. Die Anschlußfrage ist nicht so einfach mechanisch zu denken, daß nun sieben Millionen Österreicher dem Reich beitreten, ohne daß dadurch sonst eine Veränderung in der Welt eintritt als daß Deutschland damit um soviel Menschen und soundso viel Quadrat­ kilometer größer geworden ist. Die Anschlußfrage ist eine großösterreichische Frage, d. h. sie setzt ein entsprechendes Verhalten der anderen Nachfolge­ staaten voraus. Gegen Belgrad, Prag, Budapest und Agram wäre ein Anschluß kaum durchführbar, denn Österreich an Deutschland angeschlossen, ist wie ein gegen Südosten vorge­ triebener Keil. Der Anschluß ist erst dann denkbar, wenn die kleinen Nationen des alten Österreich ihren Nationalismus — den sie verständlicher­ weise auch durchmachen müssen — so weit zu Ende gelebt haben, baß sie für eine übernationale gesamt-mitteleuropäische Lösung zu­ gänglich werden. Wenn man geistige Bewegungen mit einem natür­ lichen Bild, dem Wellenschlag auf dem Meere, vergleichen darf, so würde man sagen, daß die nationale Ära, die Frankreich unter den Bonaparten und Deutschland unter den Hohenzollern durch­ gemacht hat, jetzt in den Südostländern weiterwogt. Erst wenn diese Welle verebbt ist, werden die Karpathenvölker den natürlichen und geistigen Gegebenheiten gemäß für Deutschland offen werden. Oie Anschlußfrage ist also nur im Zuge der großösterreichischen Frage denkbar, wobei unter Großösterreich der ganze Karpathen­ raum zu verstehen ist.

Erst wenn diese Länder sich von der eigensüchtigen, franko­ philen, kleinnatiovalen Politik abkehren und «ach dem Deutschen Reich hin orientieren, ist ein Anschluß Dentschösterreichs sinnvoll und gegeben. Zur Zeit ist die Stunde dafür aber noch nicht gekommen. So sehr die materiellen, wirtschaftlichen Vorteile dahin tendieren, so wenig ist der Boden — weder im Südosten noch in Deutschland — geistig dafür bereitet. Die Tschechen, die seit alters her in enger kultureller und räum­ licher Gemeinschaft mit den Deutschen gelebt haben, die in manchen Zügen — in ihrer ernsten Gründlichkeit und Sachlichkeit — das deutsche Wesen gesteigert verkörpern, sind aus reinem nationalen Antagonismus mit dem ihnen gänzlich wesensfremden Frankreich gegen Deutschland verbündet. Die Tschechen, die ein Jahrtausend lang Minderheiten-Volk im Deutschen Reich gewesen sind, sympa­ thisieren mit dem nationalistischen Frankreich, das keine Minder­ heiten in seinem Staate anerkennt. Ebenso liegt es in Deutschland noch im Argen. Die Soziali­ sten, die nur ein internationales Pan-Europa kennen, kommen für ein übernationales Reich überhaupt nicht in Frage; und die maß­ gebenden nationalen Kreise, nicht nur im Norden, sondern zum Tell auch im Süden, sind heute noch praktisch—der Wortlaut ihrer Erklärungen mag umwundener sein — gegen einen Anschluß von Deutsch österreich, weil sie davon eine Schwächung ihrer nationalstaat­ lichen Ziele und eine Stärkung des katholischen Elements befürchten. Hier tut sich die Kluft zwischen Nation und Volk, zwischen Programm und Leben, zwischen westlicher Nationalstaatsidee und alter deutscher Reichsidee erschreckend ans. Der alte Kampf zwischen großdeutsch und kleindeutsch geht hier weiter, der 1866 mit dem Sieg Preußens über Österreich und der Errichtung des Bismarckischen Reiches seinen vorläufigen Abschluß fand. So sehr wir den Niederbruch der beiden deutschen Kaiserreiche, des preußisch-deutschen und österreichischen bedauern, so können wir doch darin auch eine wunderbare Fügung der Vorsehung erblicken, daß es so kam. Denn solange beide Monarchien bestanden, war das

Zustandekommen eines einigen großen Reiches von vorneherein ausgeschlossen. Die deutsche Nationalstaatsidee weicht dem Südosten instinktiv ans und sucht — da ihr keine andere Möglichkeit bleibt—über Polen hinweg im Verein mit Rußland Lebensraum zu schaffen. Es ist ihr a priori unmöglich mit ihrem nächsten Nachbarn Polen j« irgendeiner fruchtbaren friedlichen Lösung ju kommen. Sie treibt daher unaufhalt­ sam auf den letzten verzweifelten Ausweg hin, mit Sowjetrußland zusammenzugehen. Alsoalles,was sieinderZnnenpolitikbekämpft,in der Außenpolitik zu verraten. Sie tröstet sich dabei mit dem macchiavellistischen Gedanken, Deutschland könne in der Außenpolitik mit Rußland gemeinsame Sache machen—und trotzdem im Inneren den Kommunismus bekämpfen. Grauenhafter und furchtbarer läßt sich der Irrweg des mechanischen Nationalismus nicht beleuchten. Oie österreichische Idee ist ein letzter Rest des alten deutschen Reichsgedankens, des Prinzips der Zuordnung und Angliederung anderer räumlich verbundener Völker zu einem übernationalen christlich gegründeten Reiche — im Gegensatz zur Nationalstaats­ idee, der das Prinzip der Unterdrückung und Assimilation alles Fremdartigen innewohnt. Rest-Osterreich ist ein Symbol, ein irrationales Bruchstück, das die Vorsehung übriggelassen hat, zum Zeichen, daß die glatte ratio des Nationalismus das deutsche Problem nicht lösen kann. 1866 siegte die preußische Nationalstaatsidee über die alte deutsche Reichsidee, verkörpert in der österreichischen Doppelmon­ archie. Österreich tritt in den Hintergrund, Preußen wird die füh­ rende Macht in Mitteleuropa. Seine Führerschaft fällt zusammen mit dem industriellen Aufschwung und der großbürgerlichen Ent­ wicklung im Westen Deutschlands. Der Erfolg bestätigt Preußen und die Nationalidee. Österreich wird, aus der Perspektive dieses Reu-Deutschlands gesehen, zu einem veralteten System. Es gilt als überlebt. Die Katastrophe des Weltkrieges bestätigt scheinbar noch weiterhin diese Anschauung, denn es zeigt die Stärke des nationalstaatlichen Deutschland und die Schwäche des übernatio­ nalen Österreich. Ludendorff zitiert in seinen Kriegserinnerungen

einen polnischen Juden, der ihm gegenüber seine Verwunderung darüber ausdrückt, daß das mächtige Deutschland sich statt mit Eng­ land oder mit Rußland mit einem kranken Manne verbünde, wie es das alte Österreich sei. Der Zusammenbruch 1918, der ja den endgültige» Sieg der westlichen Ideen bedeutete, zerschlug denn auch gänzlich das alte Österreich und damit den letzten Rest alter deutscher Hoheits- und Herrschaftsformen. Das alte Österreich war aber nicht an sich, sondern an der französisch-preußischen National­ staatsidee zngrundegegangen. Im Bereich des Geistigen hängt alles zusammen; ein Ding entspricht dem anderen. Ein Nationalismus bedingt den anderen. So sehr wie das Aufflammen der Nationalidee in Deutschland dem alten übernationalen Österreich in Prag und Budapest Schwierig­ keiten entstehen ließ, genau so würde heute ein Gesinnungswandel in Deutschland geistige Rückwirkungen in ganz Europa zur Folge haben. Erst wenn das große Deutschland den Nationalismus überwunden haben wird, werden auch in seinen kleineren Nach­ barländern die Wellen der nationalen Erregung langsam wieder zur Ruhe kommen können. Daher lebt die österreichische Idee, die etwas von Ewigkeits­ wert in sich trägt, solange christliche Völker im Karpathenraum wohnen, unter der Oberfläche fort. Und es ist der Sinn einer wahrhaft österreichischen Politik im Glauben an diese Idee in Bereitschaft auszu­ harren, bis ihre Stunde einmal wieder kommen wird. Es wäre ein Verrat an dieser Idee, wenn sich Österreich — aus vorübergehenden wirtschaftlichen oder ähnlichen Vorteilen — zu früh einem noch nationalstaatlichen Deutschland anhängen würde. Das ist es, was der Altbundeskanzler Seipel mit den Worten meinte: Wir müssen mit Ehrfurcht vor der öster­ reichischen Idee stehen, wie vor den Ideen überhaupt, weil die Ideen Gottes sind. Wir dürfen nicht diese Ideen verfälschen lassen und noch weniger aus der Ungeduld unseres Herzens heraus — selbst irgendwie verfälschen.

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Die Freiheit. Der Mensch ist zur Freiheit geboren, jur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit. Denn jeder Mensch ist trotz seiner Gliedschaft eine einmalige Totalität. Solange die Welt steht, hat es nie jwei Menschen gegeben, die einander vollkommen glichen. Jeder hat seinen eigenen, besonderen Sinn. Die Freiheit ist vor allem eine innere Fähigkeit, denn wäre diese nicht, so hätte die Freiheit von äußeren Dingen keinen Sinn. Die äußere Freiheit besteht in einem Tun-Dürfen, die innere Freiheit in einem Sein-Können. Wer die innere Freiheit hat, bedarf der äußeren nicht so sehr. Je mehr der Mensch in die Welt hineinträgt, um so weniger bedarf er ihrer. Wer aber die innere Freiheit nicht hat, wird sich trotz aller äußeren Freiheit immer ge­ bundenfühlen. Geld, Reisen, Sport, Vergnügungen, Luxus werden ihn nur immer noch leerer und unfreier machen. Die Welt liegt schein­ bar offen zu seinen Füßen und doch ist er ihr Sklave; denn sie zieht ihn wie an einem Gängelband hinter sich her. Je mehr die Menschen die Freiheit im Tun suchen, um so mehr werden sie die Freiheit des Seins verlieren. Wie gebunden ist das Leben auf dem Lande! Bald schreien die Gänse, bald brüllt das Vieh, immer gibt es etwas zu sorgen. Wieviel unabhängiger und freier ist dem gegenüber der Großstädter! Hieß es ja schon im Mittelalter: „Stadtluft macht frei!" Es genügt, wenn von den tausend Arbeitern einer Fabrik einer abends Wache hält. Die anderen sind alle frei — dank Maschine und Großbetrieb. Und doch scheint es so, als ob sie mit dieser Freiheit immer weniger anzufangen wüßten — als ob sie

immer mehr Massenmenschen würden, ohne persönliches Sein, ohne Originalität, sklavisch verurteilt alles zu denken und zu tun, was die Mode, die Geschäftsreklame und die Demagogie ihnen ein­ pauken. Es läßt sich ganz allgemein sagen: Je enger und mannigfal­ tiger die Ordnung der Welt angelegt ist, um so größer ist die Mög­ lichkeit der äußeren Freiheit — und je breiter und einheitlicher die Anlage ist, um so disziplinierter und unpersönlicher müssen die Massen organisiert werden. Eben, weil das Maß der Freiheit in der Tiefe liegt und nicht in der Weite. Daher sind der Föderalismus und das Ständetum die Formen alter deutscher Freiheitsordnung. Nur wer die innere Freiheit hat, kann die äußere Freiheit richtig gebrauchen. Nur wer tief ist, kann weit sein — ohne sich zu verlieren. Solange der Mensch aber diese innere Freiheit nicht hat, kann es sogar nützlich für ihn sein, seine äußere Freiheit zu beschränken, um ihn so von der Welt auf sich hinzulenken. Aber bloß schlankweg „Freiheit propagieren, ohne ihre inneren Vor­ aussetzungen zu bedenken, heißt nichts anderes als: das Chaos her­ aufbeschwören, das Chaos, das schließlich mit der gänzlichen Ver­ nichtung der Freiheit enden muß. Der Liberalismus schrie den Menschen die Versuchung in die Ohren: „Hinaus aus der Enge! Hinaus in die Welt!" Als ob ein Geschäftsreisender, der viel herumgekommen ist, mehr bedeutete als ein Bauer oder ein Handwerker, der immer in der Heimat ge­ blieben! Je mehr einer von der Welt weiß und kennt, um so größer ist die Gefahr, daß er zur Standpunktlosigkeit des Globetrotters herabsinkt. Es ist bezeichnend für glavbensarme, banausische Zeiten, die kein verborgenes Wachstum kennen, daß sie in die sichtbare Dimension gehen, um sich ihre Antriebe von außen zu holen. Die modernen Maler und Dichter, die in fremde Länder und Erdteile reisen, um neue Erlebnisse und Anregungen zu sammeln, täuschen sich zumeist; denn sie können dabei mehr verlieren als ge­ winnen. Sogar Goethe hat seine Jtalienreise anfänglich in seinem Schaffen mehr gehemmt als gefördert. Der Dichter der Ritter136

romantik und Liebeslyrik fing auf einmal an, trockene, pedantische, klassizistische Reime ju zimmern. Auf den Götz folgte eine Iphigenie. An Stelle der trauten, engen und winkeligen Gassen des alten Frankfurt, die den unfichtbaren Hintergrund seiner Jugenddichtung bildeten, sah man jetzt das starre, breite und marmorne Gleichmaß des antiken Tempels vor sich aufsteigen. Später hat er die Sprache der Heimat wiedergefunden — und vielleicht kam ihm da Jtalias vollendete Gestaltung zustatten. Aber mehrere Jahre vergingen, bis selbst dieses größte deutsche Genie die Verwirrung der Fremde überwunden hatte. Die Lust am Wandern, der Drang in die Ferne ist jedem ein­ geboren, der eine sehnsüchtige Seele hat, aber nur dem werden die fremden Welten zum Segen gereichen, der durch fie die eigene tiefer schauen lernt. Die Heimat ist wichtiger als die Fremde. Die Menschen müssen über die innere Freiheit zur äußeren Freiheit geführt werden. Denn nur wer in der Wahrheit des Gan­ zen ruht und aus der Mitte der Dinge lebt, kann frei sein — ohne sich zu verirren. Nur wer der Wahrheit untertan ist, kann in der Freiheit der Welt leben. Es war der Irrtum des Liberalismus zu glauben, man brauche den Menschen nur die Freiheit zu geben, dann würden sie von selber die Wahrheit finden. Der Weg zur Wahr­ heit ist schmal und steil. Wohl werden die Menschen den Irrtum nach einiger Zeit erkennen. Aber die Erkenntnis des Irrtums ist noch nicht die Erkenntnis der Wahrheit. Und solange die Menschen von Wahnideen besessen und von Irrtümern verblendet find, wer­ den fie sich mit der Freiheit nur selber zerfleischen. Das Mittelalter knechtete die Freiheit um der Wahrheit willen, die Neuzeit mißachtete die Wahrheit um der Freiheit willen. Wir müssen wieder die Wahrheit um ihrer selbst willen lieben und durch fie die Freiheit erringen. Es ist alles nicht umsonst gewesen, auch der Liberalismus mußte sein. Genau so, wie wir ein Mittelalter durchmachen sollten, mußten wir eine Aufklärung erleben. Sie war ebenso notwendig und durch Irrtümer des Mittelalters bedingt. Wir würden uns gegen die Gesetze der Wahrheit verschließen, wenn wir nicht versuchten, auch den Liberalismus in seiner bezüglichen

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Hetlsbedeutung anzuerkennen. Wir sind um alles dies reicher und reifer geworden. Auch der Liberalismus enthält eine relative Wahr­ heit, sooft hätte er nie solche Macht über die Menschen gewinnen können. Wir haben gelernt, daß man den Geist — auch wenn es der Geist der Lüge ist — mit dem Schwert nicht ausrotten kann, da die Lüge zumeist im Gespinst mit der Wahrheit aufblüht. Auch der Kommunismus berührt sich mit der Wahrheit. Es gibt schon eine Idee der Menschheit, die zu Recht besteht, die — im Gegensatz zur Enge und Ungerechtigkeit des Chauvinismus — sogar etwas Beglückendes und Weites atmet. Und diese Wahrheit will aufbrechen; dagegen hilft keine Macht der Erde. Daher muß man sie wachsen lassen, bis es offenbar wird, was Lüge ist und was Wahrheit. Dann kann man das Unkraut der Lüge vertilgen. Man darf niemanden mit der Wahrheit bedräuen, sondern nur mit der Wahrheit überzeugen. Es war der große Irrtum und die tiefe Schuld des Mittelalters, daß es Ketzer und Hexen foltern und verbrennen ließ. Darin ist die Welt menschlicher ge­ worden, achtet den einzelnen mehr und läßt ihn frei gewähren. Die Wahrheit läßt sich aber auch nicht mit Überredung aufdrängen. Für den Irrtum kann man Progaganda machen, aber nicht für die Wahrheit. Denn der Irrtum ist außen glän­ zend und innen schwarz. Seine Beweise leuchte» zunächst jedem ein; je weiter man aber vordringt, um so verworrener, trüber und widersprechender werden seine Gedankengänge, bis sie schließlich in der gänzlichen Finsternis der Lüge versinken. — Die Wahrheit dagegen strahlt nach innen, ist verborgen und tief und von einem dichten Gestrüpp verwirrenden Truges umwuchert. Man kann sie nur dem lehren, der sie sucht. Alles spricht zunächst gegen sie; man muß ein weites Stück vordringen, bis sich die Nebel des Widerspruchs zu zerteilen und der dunkle Dom der Nacht zu er­ hellen beginnt. An Stelle der Ideale der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, sollen die Ideale des Deutschen Reichs: Wahrheit, Gerechtigkeit und Volkheit, treten; denn

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diese sind die Voraussetzung jener. Es gilt keine Freiheit ohne Wahr­ heit, es gilt keine Gleichheit ohne Gerechtigkeit und Liebe, es gilt keine Brüderlichkeit ohne Volkheit und Vatertum. Sie gelten wie alles Waagrechte nur relativ, also im Bezug znm Senkrechten. Der Mensch ist nur frei nach Maßgabe der Wahrheit, — Freiheit ohne An­ sehung der Wahrheit ist Chaos—aber nach Maßgabe der Wahrheit, d. h. in Gott, ist er frei. Und ebenso gibt es keine bloße Gleichheit des Nebeneinander — diese würde die Aufhebung der geschöpflichen Mannigfaltigkeit bedeuten —, sondern nur eine letzte Gleich­ heit vor Gott. Und ebenso sind die Menschen keine Brüder des bloßen Nebeneinander, sondern Brüder der Herkunft, im Volks­ tum, im Glauben. Sie sind und sie sollen nicht Brüder sein in der Peripherie von a nach b — das wäre das Nebeneinander der ent­ wurzelten Masse —, sondern Brüder von a über die Mitte nach b. Das heißt: der Mensch soll seinen Mitbrüdern nicht nur erkennend, erfahrungsweise gegenübertreten, sondern soll ihnen aus der Tiefe mit seinem ganjen Wesen begegnen. Sie sollen einander nicht um ihrer selbst, sondern um Gottes willen lieben.

Welt ohne Mittelpunkt

mit Mittelpunkt

Alle Dinge, die nicht aus diesem tiefsten Grunde kommen, sind schief und müssen einander widersprechen und stören; nur im Lot hat alles nebeneinander Platz. Der Rationalismus, der Gott als Mittelpunkt aufgab und damit die Welt jv einem leeren Gehäuse

aushöhlte, mußte damit notwendig die auf den absoluten Mittel­ punkt abzielenden senkrechten Ideen (Wahrheit, Gerechtigkeit und Vatertum) verlieren und statt dessen die abgeleiteten Ideen: Gleich­ heit, Freiheit, Brüderlichkeit, verabsolutieren. Statt das Heil der Menschen in Gott zu suchen, wollte er das Heil der Menschen ver­ göttlichen. Er wollte den Lohn des Himmels ohne diesen selbst. Und die so sich selbst überlassenen Ideale stießen sich gegenseitig im Raum. Die Freiheit widersprach der Gleichheit und die Gleichheit erschöpfte den Sinn der Brüderlichkeit. Die Wahrheit ist das Fundament der Freiheit. Denn die Freiheit kann nur in der Freiheit zum Guten bestehen. Die Will­ kür des Bösen ist nicht Freiheit, sondern Verstrickung in Sünde und Irrtum. Wo die Wahrheit herrscht, sind die Menschen frei. Denn jeder kann unbehindert den Weg gehen, der ihn zu seinem höchsten Ziele führt, und wird stch gerade in seiner Gebundenheit frei fühlen. Wo der Irrtum herrscht, müssen die Menschen in Widersprüche und Gegensätze geraten, die ihn innerlich versklaven und schließlich auch den Verlust der äußeren Freiheit besiegeln müssen. Die Gerechtigkeit ist die entfaltete und bekannte Liebe. Das ewige Gesetz allen Seins zur Norm der menschlichen Gesell­ schaft erhoben, die Tatwerdung des Absoluten im Relativen, ist Gerechtigkeit. Die Idee des Rechtes und der Gerechtigkeit ist ewig und vor aller Erfahrung. Sie ist jedem Menschen eingeboren. Jeder hat ein Gefühl davon in seiner Brust, was recht ist und was nicht. „Sie Gerechtigkeit ist der Anfang der Liebe". Die Liebe verschwen­ det, die Gerechtigkeit teilt zu. Die Kirche ist der Hort -er Liebe, das Reich der Hort der Gerechtigkeit. Die G le i ch he i t gilt nur im Gleichen. Die Schöpfung kennt aber kein vollkommen Gleiches und die Gerechtigkeit ist die Bejahung alles Geschöpflichen als des Ausflusses des göttlichen Willens. Ge­ rechtigkeit ist das Gemäße. Jeder auf seine Art und auf seine Weise. Die Gleichheit wird dem Sinn der Schöpfung, der in der Fülle des Unterschiedlichen besteht, nicht gerecht. Denn die Ge­ rechtigkeit wägt erst senkrecht auf den Grund. Sie wägt nicht, um 140

ein Gleiches, sondern um ein Unterschiedliches festzustellen. Was schwerer wiegt, gilt; was zu leicht befunden wird, gilt nicht. Nur wo die Gerechtigkeit nicht mehr in die Tiefe auf den Grund der Wahrheit fühlt, bleibt die mechanische Gleichheit als letzte mögliche Norm zurück, jene gewaltsame Gleichheit, die mit der furchtbarsten Ungleichheit endigen muß. Volkheit ist oben und unten, Vergangenheit und Zukunft. Brüderlichkeit ist die Banalität des Tatsächlichen, die Plattheit der Fläche, Volkheit ist die aus Vater und Bruder, aus Tiefe und Weitesich rundende Vollgestalt. Das Nebeneinander der Brü­ derlichkeit ist raum- und gestaltlos; denn jede Raumgestalt bedingt eine Gliederung in oben und unten, in Lastendes und Tragendes. Wer nach den Gesetzen der Brüderlichkeit einen Staat bauen will, ist einem Baumeister vergleichbar, der ohne einen Stein auf den anderen zu setzen, ein Gebäude errichten will. Die Brüderlichkeit erstarrt in der Wiederholung und Monotonie des Gleichen, die Volkheit webt das bunte, lebendige Kleid der Schönheit. Brüder­ lichkeit will eine jenseitige Gleichheit mechanisch ins Diesseitige übertragen, Volkstum gebiert gleichnisweise. Brüderlichkeit erniedrigt deu Himmel zur Erde, Volkheit hebt die Erde zum Himmel empor. Wahrheit, Gerechtigkeit und Volkheit sind nichts anderes als ein Abbild der dreifachen Vollkommenheit: des Wahren, Guten und Schönen. Die Wahrheit ist die Vollkommenheit des Geistes, die Liebe ist die Vollkommenheit der Seele, die Schönheit ist die Voll­ kommenheit des Leibes. Es klingt sehr einfach und ist doch unendlich verborgen, denn es rührt an die letzten Geheimnisse der Welt.

Der Staufeakaiser FriedrichH: Die ewige Vor­ sicht hat auf der Fesie der Erde »«ei Herrschaften haben wollen: Priestertum nämlich und Kaiser­ tum, das eine ior Bewahrung, das andere jur Bewehrung.

Reichsgedanke. Alle politischen Axiome gehen ans zwei sich widersprechende Forderungen zurück: Der äußere stoffliche Bestand, die wirt­ schaftliche und militärische Selbstbehauptung, erfordert die Kon­ zentration möglichst großer, übernationaler Räume in einem Kraftzentrum; also Technisierung und Maschinisierung labiler Men­ schen zu horizontalen Organisationen. Der innere seelische Be­ stand der Gemeinschaft erfordert das Gegenteil: Dezentralisierung, organische Gliederung, Eigenleben der kleinsten Gruppen, Ver­ wurzelung in der Heimat, im Volkstum, im Glauben. So sehr im Augenblick die Bedeutung des Stofflichen überwiegt, so sehr überwiegt auf die Dauer die Bedeutung des Seelischen. Denn der Stoff ist nur eine Ausdrucksform der Seele, die in dem Maße als sie sich von der Seele entfernt, erstarrt und zerfällt. Es muß also eine politische Form gefunden werden, die vor allem im Geiste der Ewigkeit geblldet ist und doch den praktischen Erfordernissen des Augenblickes gerecht zu werden sucht. Also lieber etwas weniger Organisation, etwas weniger Maschine, als sich zu weit auf falsche Bahn begeben. Nicht zu mißtrauisch, nicht zu ängstlich vor den Panzerkreuzern und Flugzeuggeschwadern der anderen! Die allein machen es auch nicht. Nicht zuviel Hochachtung vor den großen Fabriken, dem ungeheuren Verkehr! Was ist das schon alles? Solche Dinge lassen sich sehr rasch nachholen, aber was einmal an seelischen Werten verlorengegangen ist, ist meist unwiderbringlich verloren. Irgendwo in der Welt werden sich immer geschäftige Hände finden, die für uns tote Maschinen machen, aber was wir

einmal an lebendigem Glauben verloren haben, das kann uns niemand mehr wiedergeben. „Was hülfe es, wenn einer die ganje Welt gewönne und litte Schaden an seiner Seele?" Wenn gesagt wird, es handelt sich darum, eine Form zu prä­ gen, die die Seele wahrt und doch dem Stoff gerecht wird, so ist damit nicht etwa ein Kompromiß gemeint, denn ein Kompromiß ist nur die vorübergehende, händlerisch-mechanische Scheinlösung eines Gegensatzes, die sich um das Wesen der Dinge herumdrückt. Hier aber soll es sich um eine Lösung handeln, die weder ein leidiger Kompromiß, noch ein willkürliches Extrem ist, sondern die aus der geistigen Grundwesenheit der Dinge herausgebildete universalisti­ sche Form, die absolut und doch lebendig ist, die den logischen Widerspruch der rationalen Prinzipien als Leben zeugende Span­ nung in sich trägt. Diese Form ist das universalistische Reich. Das Abendland muß aus der Wirrnis der sich befehdenden selbst­ herrlichen Nationen zu einer Gestaltung gelangen, die der Vielfalt seines Wesens Rechnung trägt und doch die Möglichkeit einer ein­ heitlichen Geschlossenheit wirtschaftlicher und militärischer Selbst­ behauptung bietet. Nicht das labile Gleichgewicht zweier Mächte­ gruppen, sondern die feste und stetige Führung einer Nation, die vor allen anderen Last und Verantwortung auf sich lädt und die durch Lage und Überlieferung zu dieser Aufgabe vorbestimmt ist. Also nicht „europäisches Gleichgewicht" nach dem Wunsche Eng­ lands und nicht französische Hegemonie durch Aufstachelung der kleinen Nationen gegen die Mitte, sondern Vorherrschaft der Mitte: deutscher Reichsgedanke. Keine eigensüchtige nationale Expansionspolitik auf Kosten der Nachbarnationen, kein Imperialismus und kein materialistisches Freimaurer-Paneuropa, sondern übernationale, überstaat­ liche, verantwortliche Reichspolitik, für Deutschland, für Mitteleuropa, für das Abendland. Auf die mögliche räumliche Gestalt eines solchen Deutschen Reichs kommt es gar nicht so an, entscheidend ist die geistige Struktur. Das Reich ist mehr als sein Leib. Es wurzelt im deutschen Volk, enthält aber seiner Idee, seiner Verantwortung nach das ganze Abendland. Die Lage

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Deutschlands in der Mitte des abendländischen Erdteiles ist keine bloße zufällige geographische oder verkehrstechnische Situation, sondern eine besondere Berufung. Die außen liegenden Länder können eher einmal von der abendländischen Haltung abweichen, ohne damit das Ganze zu gefährden; aber mit Deutschland, dem Herzstück, müßte alles auseinanderfallen. Das eine zu sein, wel­ ches das Ganze zusammenhält; das eine, welches mehr ist als das eine, weil es in sich auch das Ganze ent­ hält, das ist die Idee des Deutschen Reichs. Über stch hinaus wollen, hinter aller Erscheinung das Ewige und Unendliche suchen, das ist der Grundzug deutschen Wesens, der sich in allem wieder­ findet, was deutsch ist, im Baustil, in der Malerei, also auch in der Politik. Im letzten Grunde nicht diesseitig, sondern jenseitig ge­ richtet. Die nationale und liberale Zeit hat diese alte politische Tra­ dition der Deutschen als Micheltum verspottet und verschrien und statt dessen den eigensüchtigen, skrupellosen Machtstaat gepredigt. Und da der Deutsche, dem noch die alte Überlieferung im Blute lag, für diesen modernen Nationalstaat nicht so leicht zu haben war, wie die westlichen Nationen, wurde er von den liberalen Großsprechern zum politischen Kretin gestempelt. Und doch sind die Deutschen in ihren Kaisern einstmals die Träger der ganz großen Geschichte des Abendlandes gewesen, ehe Frankreich mit seinen Ideen von „culture“ und souveräner Nation alles begrub. Das Abendland ist einst aus dem deutschen Reichsgedanken entstanden und von ihm Jahrhundette getragen worden. Durch de» Nationalismus ist das Abendland zersetzt worden und droht nun durch den Internationalismus ganz vernichtet zu werden. Es kann daher nur durch den Reichsgedanken wieder gerettet werden. Der Reichsgedanke verkörpert die europäische Struktur, d. h. die gegliederte, aber doch einheitliche Gestalt, wie sie Europa mit seinen Inseln, Halbinseln und Buchten und seinen vielen Völkern und Naüonen darstellt. Die geographische und ethnographische Ge­ stalt Europas widerspricht einem mechanischen Unirarismus, der die Nationen gewaltsam unterdrücken und zusammenschweißen will, sondern erfordert einen organischen Universalismus, der das 144

Eigenleben der vielen Glieder zu einem lebendigen Leib zusammen­ fügt. Die LageDentschlands in der Mitte beinhaltet eine besondere Mission. Und in dem Maaße als Deutschland von dieser seiner großen abendländischen Haltung abweicht, gefährdet es die Stabilität und Kultur Europas und drückt Frankreich die Rolle des Be­ schützers der kleinen Nationen und damit des Retters Europas in die Hand. Immer dann wenn die Deutschen ihre weltge­ schichtliche Aufgabe verkennen, steht alsbald Frankreich zu ihrer Heimsuchung auf. Ist Deutschland dagegen seiner Sendung treu, muß sich Frankreich sinngemäß mit der zweiten Rolle in Europa begnügen. Wir müssen uns wieder daran gewöhnen, Europa nicht mehr als ein willkürliches und leidiges Wirrwarr von Nationen und Staaten anzusehen, sondern als ein buntes und reiches Gemenge von Völkern und Ländern, die trotz ihres Gegensatzes ein zwar viel­ fältiges aber doch sinnvolles Ganzes bilden. Dem mechanischen Denken ist die Einheitlichkeit der Formen letztes Ziel, dem organi­ schen Denken der Reichtum und die Fülle. Die Vielgestalt gehört zum besonderen Wesen des Abendlandes, dem es seine Weltgeltung verdantt. Das Deutsche Reich soll nun in seinem engeren Raum — wie in einem verkleinernden Spiegel gesehen—diese abendländische Weise vorleben, in dem nicht nur die Bielstämmigkeit des deutschen Volkes, sondern auch andere nicht-deutsche, slawische Völker, in ihm ihren friedlichen, natürlichen Lebensraum finden. Das Deutsche Reich soll nicht durch gewalttätige Unterdrückung, sondern durch friedliche Angliederung das vielgestaltige Volkstum Mitteleuropas in seinen Bann ziehen — wie es früher der Fall war — und der Fels sein, an den sich die anderen Nationen anlehnen können. Wer dies für Utopie hält, glaubt nicht an die Macht des Geistes. Für das von so vielen Völkern durchdrungene und durch­ wachsene alte Reich war der Nationalismus, der die Völker aus ihrem natürlichen Zusammenhang herausschnitt, ein schier unmög­ licher Widersinn — und doch hat er sich durchgesetzt und das alte

Reich zerschlagen — als seine Stunde gekommen war. Und wenn schon der Irrtum soviel vermochte, wieviel mehr wird erst die Wahr­ heit vermögen. Mag der Chauvinismus in den junge» National­ staaten, Böhmen und Ungarn, zur Zeit auch noch so groß sein, wir können voraussagen, daß er sich in absehbarer Zeit zu Ende leben muß. Und dann geht es darum, ob diese Völker einem internatio­ nalen Unitarismus, genannt „Soviel, oder einem übernationalen Universalismus, getragen vom Deutschen Reiche zustreben werden; denn der Drang nach Bildung großräumiger Staaten, wie sie von England, Amerika und Rußland geschaffen worden sind, ist unauf­ haltsam. Die wirtschaftliche Überlegenheit dieser großen Imperien ist zu groß. Sollen wir in Europa ein Anhängsel dieser kontinentalen Großräume werden oder wollen wir unser eigenes Wesen und unser eigenes Reich bewahren? Der Reichsgedanke ist die große christlich-germanische Schöp­ fung, durch die das deutsche Volk als solches erst geworden ist. Vor­ her gab es germanische Stämme, aber kein deutsches Volk. Das Reich ist daher die Idee des Deutschen schlechthin. Ohne die Deut­ schen wäre nie ein Reich gewesen und ohne das Reich würde es keine Deutschen geben. Das deutsche Volk ist aus der Idee des Reiches geboren. Der Reichsgedanke führt das deutsche Volk über sich hinaus und erweitert die deutsche Idee zur abendländischen Weltidee. Das Reich spiegelt im Weltlichen, was im Geistigen die Kirche ist: Die Zusammenführung der Vielheit auf das Gemeinsame. Das Reich ist kein chiliastisches Reich diesseitiger Erfüllung, wie es die Kommunisten der Menschheit bereiten wollen, sondern eine Hinordnung auf ein jenseitiges Ziel. Im Gegensatze zu den festen, ehernen Normen des antiken römischen Reichs ist das römisch-deutsche Reich ein ständiges dunkles Bestreben. Jenes ist wie ein kahler Felsenberg der italienischen Landschaft, dieses wie ein bewaldeter Berg im deutschen Land. Das Deutsche Reich ist kein reines Zweckgebilde wie der Nationalstaat, sondern die weltliche Verkörperung des Christentums. Alle Religionen haben nach einer Ausgestaltung und Verwirklichung in einem

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weltlichen Reich gestrebt, nicht als ob sich in dieser weltlichen Macht nun der Sinn und Gehalt der Religion erschöpfte, sondern in dem Sinne, daß das Übernatürliche sich neben seinem eigentlichen geistigen Sein auch auf dieser Welt in sichtbarer Form verwirklichen soll. Das war der Sinn und Gehalt des Heiligen Römischen ReichesDeutscher Nation. Heilig, weil es das einige Reich der Christenheit war, römisch, weil es den Gedanken eines Reiches von den Römern geerbt hatte, die das erste Imperium in unserer abendländischen Welt waren und die jvr Zeit des irdischen Lebens Jesu das Reich waren, deutsch, weil die deutsche Nation den Kern dieses Reiches bildete. Die Zeit dieses Reiches, war die große Zeit der deutschen Geschichte, in der das deutsche Wesen im Lichte des Christentums seinen ureigensten und tiefsten Sinn entfaltete, wo­ von die Burgen und Dome noch heute zeugen. Dieses Reich ist im Sturm westlicher Formalideen vom souveränen Staat unterge­ gangen. Daher das alte deutsche Volkslied: „Es liegt eine Krone im tiefen Rhein..." Demjenigen, der dagegen sagt, das Mittelalter und seine Ideen seien tot, seien für immer versunken, sei darauf erwidert: Alles, was einmal war, lebt in anderer Gestalt fort. Das Gestern ist nicht ausgelöscht mit dem Heute. Denn das Vergäng­ liche ist ein Ton der Unendlichkeit und schwingt in alle Ewigkeit fort. Keine Tat, die einmal begangen worden ist, kein Mensch, der einmal gelebt hat, kein Wort, das einmal ausgesprochen worden ist, kein Gedanke, der einmal gedacht worden ist, ist ganz ausgelöscht; son­ dern ist mit einem ehernen Griffel in das Antlitz der Ewigkeit ein­ gemeißelt. Wer nur der Gegenwart dient und das Vergangene als endgültig begraben erachtet, so, wie wenn es nie dagewesen wäre, der leugnet die Kontinuität allen Geschehens, der zerreißt den Zu­ sammenhang zwischen uns und denen, die vor uns waren, der leugnet den Sinn der Geschichte als „den Gedanken Gottes auf Erden", der leugnet letzten Endes alle Tradition, alles Anhangen an dem, was uns in Geist und Blut überkommen ist. Das gilt nicht nur für das Mittelalter, sondern für alle Zeiten, die wir durch­ laufen haben; also auch für die Zeit, ehe das Christentum zu uns gekommen war, und für die letzten Jahrhunderte, in denen wir eS

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langsam wieder verloren haben. Auch diese Zeiten leben in uns weiter vnd wachsen unserem inneren Schatze ju. Auch die Runzeln des Irrtums werden einst unser Antlitz veredeln. Es handelt sich ja auch nicht darum, das Mittelalter künstlich neu zu rekonstruieren. In der Geschichte wiederholt sich nichts, es wird nie wieder so, wie es einmal war. Eine Zeit wie das Mittelalter wird nie mehr sein. Aber wir können neu schöpfen aus seinem Geist. Es ist ja auch nicht das Mittelalter in seiner alltäglichen Wirklichkeit, in seiner düsteren Grausamkeit und Enge, seiner Un­ sicherheit und Willkür, sondern sein geistiges Urbild, wie wir es in seiner Kunst schauen, das vor unserem innern Auge schwebt. Als das Mittelalter zu Ende ging, da gab es auch eine Zeit, in der man aus Vergangenem neu schuf: Das war die Renaissance. Die Antike war längst verklungen — und doch schuf man neu aus ihr. Und es gab schon einmal eine Zeit — vor hundert Jahren —, da man das alte Reich neu erwecken wollte. Aber damals war die Zeit noch nicht erfüllt. Die ungeheuren Möglichkeiten der ratio mußten erst ausgeschöpft werden, um in ihrer Irrtümlichkeit er­ kannt werden j« können. Nationalismus, Demokratie und Technik mußten erst zur Entfaltung getrieben werde». Dieser Gegensatz zwischen Romantik und Klassik, zwischen Glaube und Vernunft, durchzieht die ganze neuere Geschichte. In dem Widerstand der heiligen Allianz unter Metternich gegen Na­ poleon wird der Austrag dieses Gegensatzes noch einmal zum großen europäischen Ereignis: die Hüter der alten Mächte gegen den Usurpator der nationalen Gewalt. Senkrecht gegen Waagrecht, Tra­ dition gegen ratio. Im Weltkrieg 1914, im Kampf gegen das Kaiser­ tum der Mittelmächte, rennt die westliche ratio ihren letzten ver­ nichtenden Sturm gegen das alte Reich. War auch Deutschland und Österreich damals schon stark vom Liberalismus durchsetzt und mag auch das preußisch-deutsche Kaiserreich der Hohenzollern, gegen das sich der Ansturm in erster Linie richtete, nur eine sehr unzulängliche Verkörperung des alten Reichs gewesen sein, es beinhaltete zu­ sammen mit Österreich Loch immerhin den Hort der alten Tra­ ditionen. Daß das zaristische Rußland auf der Seite der liberalen

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Westmächte stand, besagt dagegen nichts. Es war der ausgemachte und wohl gelungene Plan der Entente, baß erst Deutschland Ruß­ land und dann der Westen Deutschland vernichten sollte. Der Welt­ krieg mußte verloren werden, weil kein Glaube da war, den man dem hereinbrechenden Liberalismus entgegensetzen konnte. Vaterland, Ansehen und Macht der Monarchie; das waren keine letzten ewig gültigen Dinge. Es hieß wohl immer „Durchhalten", aber mit überzeugenden, wirklich zum Herzen des Volkes redenden Worten, sagen wofür — das konnte niemand. Die Hohenzollern-Monarchie hat das deutsche Volk zu erstaunlicher Größe und Macht geführt, aber die heilige Flamme der letzten verzweifelten Begeisterung vermochte sie in ihm nicht zu entfachen. Die Throne stürzten — ohne daß es zu einer ernsthaften Auseinandersetzung kam — fast von selbst in sich zusammen, da der Glaube und die Liebe des Volkes sie nicht mehr trug. Im Jahre 1918 brach die Tradition in Deutschland vollkommen ab und mit ihr versank der letzte Rest des Mittelalters. Die Trümmer einstiger Herrlichkeit sind weggeräumt. Wir können wieder neu bauen. Die Republik ist nur ein Notbehelf, der einem ernsthaften Bauwillen nicht im Wege steht. Wir ringen heute im Abendland um eine neue große Welt­ idee. Es ist der Grundstein eines neuen Jahrtausends, der gelegt werden soll. Es geht nicht um Jahre oder Jahrzehnte, es ist der Atem der Jahrhundette, der durch uns geht. Der Kollektivismus des Kapitals und der Kollektivismus der entwurzelten Menschen­ massen — beides atheistische, antichristliche Mächte — ringen um die Weltherrschaft. Wir Deutsche als das zum Universalismus auserwählte Volk des Abendlandes müssen der Welt die Idee des völkerversöhnenden christlichen Reiches bringen, das auf Volkstum und Ständetum gegründet ist und so den Zwiespalt von Kapital und Masse über­ windet und die Wunde der Menschheit heilt. Die Fahne des Reichs darf daher nie und nimmer die Trikolore der Französischen Revo­ lution sein — seien ihre Farben nun schwarz-weiß-rot oder schwarzrot-gold; denn der Geist der Französischen Revolution ist der Wider-

sacher des deutschen Reichsgedankens. Die Streifenfahnen sind wie ein ausgeschnittener Teil, ein Farbenakkord ohne zusammenfassendes Bild. Die Fahne des Reiches muß das Symbol des Kreuzes tragen — wie alle nordgermanischen Länder heute noch —, weil das Reich der Herrschaft des Zweckes, wie sie von Amerika und Rußland kommt, die abendländische Idee des Christentums entgegentragen soll. Das Reich ist die Stätte, da der von Norden kommende Held dem Heiligen begegnet und ihm die Treue gelobt, wie das in dem Verhältnis von Kaiser und Papst seinen Ausdruck fand. Der Papst ist das höchste Amt des Heiligen, der Kaiser ist das höchste Amt des Helden. Das zum Altar erhobene Schwert ist das Sym­ bol des Reichs. Das Ringen zwischen Kaiser und Papst im Mittel­ alter beweist, wie sehr sich beide Ämter durchdrängen, wie sehr die Kirche diesseitige Gewalt beanspruchte und wie sehr das Reich auch als ein jenseitiges empfunden wurde. Denn der Geist kann sich in dieser Welt nur durch den Leib behaupten. Daher bedarf die geist­ liche Herrschaft eines weltlichen Armes in Gestalt des Reichs — und das Reich einer übernatürlichen Berufung in Gestalt der Kirche. Denn das ist gewiß: es ist auf die Dauer kein weltliches Regiment, das sich nicht von den Sternen herleitet. Mit der Kirchen­ spaltung der Reformation verliert das Reich seinen metaphysischen Grund und treibt langsam aber unaufhaltsam der Auflösung ent­ gegen. So verstanden ist Karl V., der letzte Kaiser des alten Heiligen Römischen Reiches gewesen. Seine Regierung ist Sinnbild des deut­ schen Schicksals: Kampf gegen Frankreich im Westen, Kampf gegen den Unglauben im Osten und Glaubensstreit im Innern. Das imperialistische Reich ist zu seiner eigenen Macht und Ehre, der sozialistische Zweckstaat zum Glück und zur Wohlfahrt des Menschen, das christliche Reich zur Ehre Gottes und zum Heile des Menschen. Indem es Gott dient, dient es den Menschen, indem es über die Natur hinausstrebt, läßt es die Natur um so herrlicher erstrahlen; indem es zum Heile strebt, gereicht es am besten zum Wohle.

Sachsenspiegel: „Zwei Schwerter ließ Gott auf Erden ju beschirmen die Christenheit, das geistliche dem Papste, das weltliche dem Kaiser".

Die Kirche. Eine Idee, die nicht eine Weltibee ist oder sich in eine über­ geordnete Weltidee einfügt, bleibt ein unzulängliches Bruchstück, das an allen Ecken mit der Wahrheit und dem Leben in Widerspruch geraten muß. Daher kann die Rasse, das Volk, die Nation oder auch die Menschheit niemals der ausreichende Bestimmungsgrund einer Weltidee sein. Die Welt genügt sich nicht selbst, denn sie hat ihren Seinsgrund nicht in sich, sondern in Gott. Der Mensch gehört dem Leibe nach der Erde an. Als solcher ist er gebunden und auf einen engen Raum und eine kurze Zeit begrenzt. Das Blut und die Heimat sind die Wurzeln seiner natür­ lichen Herkunft — ein kurzer Rausch und ein flüchtiges Bild seines übernatürlichen Seins. Je näher etwas der Erde ist, um so be­ dingter und begrenzter ist es, je höher aber sich etwas über die Erde erhebt und dem Himmel nähert, um so freier und weiter ist es. Unten ist Einzelhaftigkeit und Mannigfaltigkeit, oben ist Einheit und Allheit. So — wie wir auf der Erde nebeneinander leben und unser Auge nur einen kleinen Ausschnitt der Welt überblicken kann, sich über uns alle aber ein unendlicher Himmel wölbt. Wohl kann ein Volk nicht dadurch dem Ewigen näherkommen, daß es sich mit den anderen Völkern verbrüdert und verbindet, sondern nur da­ durch, daß es sich — aus seinem Eigensten — zu Gott hinwendet. Aber in seinem Bemühen zu Gott strebt es notwendig den anderen zu. In dem Maße als es das nicht tut, sondern von ihnen weg­ strebt, muß es die Einheit der göttlichen Wahrheit verfehlen. Daher widerstreitet eine Religion, die sich betont auf ein bestimmtes Volks-

tum beschränkt, den Grundsätzen der Wahrheit. Denn Religion ist Allgefühl, Erlebnis des Letzten, in dem sich alles wieder zur Einheit jurüSfindet, von der es ausgegangen ist.EinevölkischeReligton ist ein Widerspruch in sich. Eine Wahrheit, die nicht für alle gilt, ist nicht die Wahrheit. Jede Religion ist absolut und ihrer Idee nach allgemein, d. h. katholisch. Man kann nicht etwas glauben mit dem Vorbehalt, daß es eine der möglichen Wahrheiten sei. Man kann nur die eine und ewige Wahrheit glauben und lieben. Die Lehre Christi ist entweder die eine, absolute Wahrheit und gilt für alle Völker und Zeiten — oder sie gilt überhaupt nicht. Und so, wie es nur einen Glauben geben kann, kann es nur eine Kirche geben. Es ist hier nicht der Ort über die heilsgeschichtliche Gegeben­ heit der Kirche etwas ju sagen, wie sie als eine ewig fortlebende Stiftung aus dem gottmenschlichen Willen hervorgegangen ist. Das ist von Berufeneren schöner und tiefer gesagt worden, als es hier jemals gesagt werden könnte. Hier soll nur die notwendige Uni­ versalität der Kirche und die Unmöglichkeit ihrer rävmlichen Be­ grenzung gezeigt werden. Die Kirche muß universal sein, d. h. sie muß über den StaatenundRationenstehen. Hier ist der entscheidende Gegen­ satz zwischen katholischer und protestantischer Kirchen- und Staatsauffaffung. Für den Katholiken ist die Universalität der Kirche eine selbstverständliche Folgerung ihrer überirdischen — daher keine räumlichen Begrenzungen kennenden — Wesenheit. Dem Prote­ stanten dagegen, für den die Kirche nicht mehr die objektive Gnaden­ anstalt, sondern nur noch die freiwillige Gemeinschaft der Gläu­ bigen ist, entfällt jeder Begriff einer überstaatlichen Universalität. Nach protestantischer Auffassung liegen die geistlichen Aufgaben der Kirche, als Hüterin der Seelen, jenseits aller weltliche» Auf­ gaben des Staates. Die Gebote der christlichen Liebe sind Ange­ legenheiten der privaten Wirkenssphäre, die mit den großen Fragen in Wirtschaft und Politik nichts zu tun haben. Jeder Versuch der Kirche, auf politische Dinge einen Einfluß auszuüben, wird als un­ berechtigter Übergriff empfunden.

Himmel und Erde fallen auseinander, die Kirche wird in das Jenseitige verwiesen und ihr jede diesseitige Macht abgesprochen. Alle Gewalt wird dem absoluten Nationalstaat zuerkannt. „Im Himmel mag der Gott der Liebe wohnen, die Welt gehört aber nun einmal dem Teufel." „Das wäre alles sehr schön, wenn nicht die Menschen so schlecht wären", lautet das kleingläubige Lamento. Es ist die furchtbare Schuld des Protestantismus, daß er wohl die Seelen bewahren wollte, aber die Welt dem Teufel überlassen hat. Denn was ist der selbstherrliche Nationalstaat? Was ist sein Glaube? Die unbedingte Selbstsetzung. Welches sind seine Gebote? Die Selbsterhaltung und das Recht des Stärkeren. Sicherlich hat der Protestantismus diese Dinge ursprünglich nicht gewollt — sie sind auch nicht einmal zuerst auf seinem Boden entstanden, sondern in den katholisch gebliebenen romanischen Län­ dern — aber er hat ihnen in Deutschland weltanschaulich den Boden bereitet und ihnen damit — deutscher Art entsprechend — eine mehr als praktische Geltsamkeit verliehen. Denn die Deut­ schen haben in ihrer Gründlichkeit aus dem, was den Romanen schließlich doch nur politische Pragmatik war, eine Metaphysik ge­ macht. Es ist richtig, daß die Kirche eine geistliche und keine weltliche Macht sein soll, daß sie keine großen Länder regieren, keine großen Heere befehlen und keine Fabriken betreiben soll. Sie würde sich damit — ihrer Berufung zuwider — zu sehr in die Händel der Welt verstricken und den zeitgeschichtlichen Bedingtheiten aussetzen. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt." Ein großer Kirchenstaat wäre genau so ein Unding, wie anderseits das protestantische Staatskirchentum. Und doch wird die Kirche auch nicht ganz irdischer Macht entraten können. Dean als das Reich Gottes auf Erden wird sie bestrebt sein, auch diese Welt in einem Zustand zu halten, der eine möglichste Entsprechung und Vorbereitung zum ewigen Leben ist. Der Kirche kann auch die Ordnung dieser Welt nicht gänzlich gleichgültig sein. Es ginge nicht an, daß Gewalt und Un­ recht sich ungehindert ausbreitete, ohne daß die Kirche dagegen auf­ zutreten versuchte. So groß der Spielraum ist, den sie der gott-

gewollten Verschiedenheit der Völker und Kulturen gewähren muß, so hat sie Loch darüber zu wachen, daß sich die Verhältnisse nirgends in offenem Widerspruch zu Len Grundsätzen einer christlichen Welt­ ordnung entwickeln. Sie wird, wenn sie kein reines Schattendasein führen will, ihre geistige Macht auch so weit weltlich organisieren, um einen Einfluß auf die Staaten nehmen zu können. Daher gibt es notwendig auch eine Politik der Kirche. Geist und Leib durch­ dringen sich zu eng, um sich schematisch abgrenzen zu lassen. Es gibt kaum eine geistige oder kirchliche Angelegenheit, die nicht auch eine materielle Frage in sich begriffe — und keine weltliche, politische oder wirtschaftliche Tatsache, die nicht auch geistige Belange in sich schlöße. Die Erziehung der Jugend, die Wirtschaftsformen und Lebensweisen der Menschen sind kirchliche und weltliche Fragen zu­ gleich. So wenig die Kirche sich jemals mit einem bestimmten staat­ lichen oder wirtschaftlichen System identifizieren wird, so sind doch christliches Liebesgebot und äußere Weltordnung nicht be­ ziehungslos, wenn sie auch nicht so sehr in dem Verhältnis einer mechanischen Identität als einer organischen Entsprechung stehen. Das sacerdotium soll nicht gleichzeitig auch imperium sein, wie in der Theokratie — damit würde sich die Kirche in Widerspruch zu ihrem Ewigkeitscharakter und ihrer Univer­ salität zu sehr in Zeitlichkeit und Örtlichkeit begeben; aber das imperium Mtsauch sacerdotium sein, wie imStaatskirchentvm des Protestantismus und der griechischen Orthodoxie; denn das bedeutet die Unterstellung ewiger Ziele unter zeitliche Zwecke. Es war die große politische Konzeption des Mittelalters das richtige Verhältnis von geistlicher und weltlicher Macht in der Dop­ pelhierarchie von Papst und Kaiser zu schaffen, wie sie der Kirchen­ vater Augustinus in seinem „Gottesstaat" in genialem Wurf vor­ ausgedacht hatte. Das große weltgeschichtliche Ringen zwischen den beiden höchsten Ämtern auf Erden, das unter dem Staufenkaiser Friedrich II. seinen gewaltigsten Austrag fand, bedeutete das Ab­ wägen ihres idealen Gleichgewichtes, kaiserlicherseits die Abwehr der Theokratie, päpstlicherseits die Abwehr eines cäsarischen Gottkaisertums. Das ideelle Verhältnis ihrer gegenseitigen Über-

und Unterordnung ließe sich etwa mit den Worten verbildlichen: das Kaisertum überwiegt das Papsttum an sichtbarer Diesseitsfülle, aber das Papsttum überstrahlt das Kaisertum an unsichtbarem Jenseitsglanz. Daß dieses Verhältnis nie ungetrübt zur Verwirk­ lichung gelangen konnte, kann ihm nicht zum Schaden angerechnet werden; „denn im historischen Geschick des Menschen ist im Grunde alles mißlungen" (Berdjajew). Mag also noch soviel Gewalttat, Willkür und Ränke dieses Verhältnis getrübt haben, so war es doch die christliche Ordnung der Welt, in der — wenigstens der Idee nach — das Geistliche über dem Weltlichen stand. Das große Wunder der Welten-Schöpfung, von dem Leib, der aus dem Geiste und von dem Tun, das aus dem Sein hervorgeht, fand so in dem Bau der menschlichen Gesellschaft, in Papsttum und Kaisertum, seine letzte Krönung. Es war der verhängnisvolle Irrtum des Protestantismus, daß er die universale Wesenheit der Kirche verkannte und sie zur Dienerin des Staates erniedrigte. Wohin diese Entwicklung ge­ trieben hat, sehen wir heute: Mit dem Staat, d. h. der monarchi­ schen Staatsform fällt auch die Kirche und sinkt zu einem privaten Religionsverein herab. Die Existenz der Kirche darf an keine zeitlichen und weltlichen Formen gebunden sein. Wohl steht ihr als einer ausgesprochen autoritativen und hierarchischen Anstalt die monarchische Staats­ form näher als die republikanische, aber sie wird sich nie mit diesen weltlichen Belangen identifizieren, die jedes Volk nach seinem eigenen Willen gestalten muß. Die Kirche ist entweder die eine große überstaatliche und übernationale Institution auf Erden — oder sie wird in Bälde überhaupt nicht mehr sein. Eine völkische Sonderkirche ohne übernationales Oberhaupt muß in nationalistischer Enge und Einzelheit befangen bleiben und sich damit gegen den Wesensgrund­ satz der Kirche, des Weiten und Allgemeinen, verschließen. In allen anderen Sphären des menschlichen Lebens führt der Weg zur Wahrheit über das Eigene (die Seele) und das Boden­ ständige (die Erde), nur in der letzten und höchsten Sphäre des

Geistes kommt das Licht von oben. Tausend und abertausend Wurjeln senken sich in die Erde, aber nur eine Sonne spendet das Licht über alle. Die Erde ist das „Wo" und das „Wann", die Seele ist das „Wie", der Geist ist das „Was". Erde und Seele sind sub­ jektiv und bedingt, der Geist ist unbedingt, objektiv und allgemein. Es gibt nur eine Wahrheit. Auf der Erde und im Leben ist jeder ein anderer, hat jeder einen anderen Stand. Jedes Volk hat seinen eigenen Leib, sein eigenes Staatsgebiet, seine eigene — möglichst selbstgenügsame — Wirtschaft und seine eigene Wehr. Jedes Volk hat sein ihm eigen­ tümliches Wesen, seine eigene Kunst. Aber hier zeigt sich schon das Anbahnen des Höheren, das Zusammenneigen; denn trotz alles Eigentümlichen in der Kunst, ist hier schon das allen Gemein­ same, das Universale, fühlbar. Und in der letzten und höchsten Sphäre, dem Glauben, schließt sich die Einheit der Welt in einem unendlichen Gewölbe zusammen. Es ist das Umkehrbild zu den Kollektivordnungen eines freimaurerischen Paneuropa oder einer Sowjetunion. In diesen würde daS Stoffliche nach Quantitätsrücksichten einheitlich organi­ siert sein, so daß die Völker ihre wirtschaftliche und militärische Eigenständigkeit verlieren und damit in ihren seelischen Eigenheiten vergewaltigt werden. Denn Erde und Seele sind nahe verwandt. Wer die Welt nivelliert, erstickt die Seele, die sich doch aus Eigenem entfallen will. Einheitswaren, Einheitskleider, Einheitsbauten, Einheitskunst, das wären die Ziele; denn der Organisator will die Einheit um des Erfolges willen. Der Geist aber würde dem Chaos überantwortet würden. An Stelle der Weite und Einheit des Glau­ bens würde der Indifferenz und Wirrnis — wenn nicht der grau­ samen Unduldsamkeit des Irrtums — Raum gewährt werden. In einem freihändlerisch-sozialistischen Paneuropa würden die Lebensformen und Erzeugungsweisen gewaltsam nivelliert werden, während sich die Drahtzieher dieses furchtbaren Mechanismus wahrscheinlich wenig darum kümmern würden, welcher religiösen oder spiritistischen Sekte die einzelnen ihrer Untertanen angehören, so lange sie den Staat unangetastet lassen.

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Umgekehrt in einem christlichen, universalistisch geordneten Abendland. Hier ißt jeder tunlichst das Brot, das auf seiner Heimat­ erde gewachsen ist, hier regelt jedes Land und jeder Stand gemäß der Natur der Dinge seinen Werktag. Hier schafft jedes Volk aus seinem eigensten Wesen sein Leben und seine Kunst, aber über alle wölbt sich ein Himmel, eine Kirche, ein Glauben, ein Gott. So vermessen es scheinen mag, auf diesem engen Raum über­ haupt etwas über die Kirche zu sagen, so mußte es doch geschehen, um nicht die falsche Vorstellung zu erwecken, als ob das Reich ein gewöhnlicher, selbstgenügsamer, weltlicher Staat sein könne. So, wie das Reich an der Kirchenspaltung zugrunde gegangen ist, kann es auch nur aus einer Neubelebung des christlichen und kirchlichen Gedankens wieder geboren werden. Wie die Wiedervereinigung der so unselig gespaltenen Kirchen jemals wieder möglich sein wird, weiß niemand. Man darf sich darüber auch keine voreiligen Hoffnungen machen. Wenn heute das Verhältnis zwischen Protestanten und Katholiken vielleicht besser ge­ worden ist, so ist das noch kein Zeichen des anbahnenden Verständ­ nisses, sondern zumeist nur ein Zeichen der Verflachung, weil auf beiden Seiten viele sind, denen es weniger ernst um den Glauben überhaupt geworden ist. Denjenigen Evangelischen aber, denen es noch um den Glau­ ben zu tun ist — und auf diese allein kommt es an — wird es immer mehr zur Gewißheit werden, daß es für den Protestantismus nur zwei Wege gibt: einen protestantischen und einen katholi­ schen. Entweder den Weg der Reformation weitergehen über Luther hinaus in vollkommene Willkür bis zur gänzlichen Auf­ lösung des christlichen Glaubensgutes — oder zurück zur einen allgemeinen heiligen christlichen Kirche. Die einzelnen Glieder der Kirche werden immer gewisse Ver­ schiedenheiten aufweisen. Gerade die starre, eherne Geschlossenheit des Dogmas ermöglicht der Kirche die Weltweite und Offenheit. Ein chinesisches Christentum wird einmal auf Laotse und Konfutse aufbauen, wie unser abendländisches auf der griechischen Philo157

sophie. Die Stimmung in einer italischen und in einer deutschen Kirche wird nie ganj dieselbe sein. Und doch ist es derselbe Geist, der in beiden anwesend ist, denn es ist ein Geist und ein Leib. So, wie die Menschen heute noch gesonnen find, gibt es für fie kein Zurück, sondern nur ein Vorwärts. Erst wenn sie einmal von diesem unseligen liberalistischen Wahn — das Leben als eine Vorwärtsbewegung aufzufassen — befreit sein werden und zu der Erkenntnis gelangen, daß der Sinn des Lebens mehr einem Ver­ senken in die Tiefe und einem Streben nach oben vergleichbar ist, werden sie anders über dieses angebliche „Zurück" zu denken be­ ginne». Einfältig wie ehedem können wir wohl nie mehr sein, aber wir können wieder eins werden. Wohl gibt es auch heute »och echt-lutherische Bibelfrömmig­ keit, aber sie ist keine geistige Macht mehr wie zu den Zeiten, da sie verfolgt wurde. Nichts ist der Freiheit gefährlicher als ihre Erfüllung. Die Protestanten werden über das Evangelium hinweg in das weite Land der Verirrung gehen. Sie sind die rastlosen Sucher, während die Katholiken die stillen Bewahrer sind. Wenn der Sucher zum Bewahrer zurückfindet, wird eine neue Zeit werden; dann wird er seine ganze Tatkraft und sein faustisches Unendlichkeits­ streben dem Altare weihen, den der andere solange gehütet hatte. Die Reformation verwarf die christliche römische Kirche, trug aber statt dessen dazu bei, heidnisch-römischem Recht und Denken in Deutschland die Tore zu öffnen. Die Reformatoren von Witten­ berg waren ja zugleich „doctores“ des Humanismus. Wo Rom spezial war, ließen sie es gewähren, wo es universal war, verwarfen sie es. Denn wenn nur eine Kirche sein kann, welche andere sollte es sein? Die romanischen Völker hatten die neue Zeit in Renaissance und Humanismus, also in Kunst und Wissenschaft erlebt, ohne in der Gesamtheit die gefährliche Folgerung daraus zu ziehen, auch die Religion anzutasten. Obwohl es rein logisch in der Richtung der neuen Denkweise gelegen wäre, so hat ihr Sinn für Maß und Form sie vor dem Letzten, dem offenen Bruch mit der geheiligten Tradition, bewahtt. Nur die Deutschen zogen den letzten verhängi$8

nisvollen Schluß, bis auf den Grund zu gehen und die Religion zu „reformieren". Es war die „befreiende £«t", gründlich, ehrlich und ganz, aber ebenso eine Vermessenheit, ein Mangel an Be­ scheidenheit und Demut. Denn es ging ja nicht nur um die Miß­ bräuche der Kirche, sondern auch um die Lehre. „Ich habe dem Papst nicht allein die Mißbräuche, sondern auch die Lehre ange­ griffen und das Herz abgebissen", rühmt Luther selbst. Damit hatte Faust die Welt aus den Angeln gehoben. Heute nach 400 Jahren vermögen wir es mehr und mehr zu erkennen: Bei allem was man zur psychologischen Rechtfertigung der Reformation im einzelnen konzedieren mag, die eine uner­ schütterliche Tatsache bleibt bestehen: Sie war ein Irrtum, wen« auch vielleicht ein unumgänglicher. „Oportet et haereses esse“, d. h. so wie es eine menschliche Freiheit gibt — und doch eine Vor­ sehung, so war die Reformation subjektiv Schuld — und objektiv Sinn. Ihr Irrtum und ihre Schuld war der Abfall von der Lehre, ihr heilsgeschichtlicher Sinn war die Glaubensfreiheit, die eben durch die Gefahr der Verirrung die Möglichkeit einer ge­ steigerten Bewährung in sich schloß. Der Protestantismus droht heute — praktisch — auf zwei entgegengesetzten Irrwegen auseinanderzutreiben: Zu einer der kriegerischen Ethik entsprechenden nationalen Helden­ religion, verbunden mit altgermanischen Vorstellungen, und zu einer mehr der händlerischen Ethik entsprechenden „fortschritt­ lichen" Religion allgemeiner Menschenliebe, verbunden mit buddhistischen Ideen. Die einen scharen stch gerne um den Namen Nietzsche, die anderen um den Namen Goethe. Das alt­ gläubige Luthertum kann sich diesen neuen Ideen gegenüber nicht viel anders verhalten als die katholische Kirche selbst, d. h. es muß sie verurteilen. Und so mag es sein, daß auf wetten Um­ wegen die Vorsehung es einmal wieder dahin führt, daß der alte Zwiespalt überwunden wird. Wir Deutschen sind das einzige Volk, das durch die Refor­ mation in zwei Lager gespalten wurde. Alle anderen Völker hatten sich entweder zum einen oder zum anderen entschieden. Diese Zer-

rissenheit war bislang unser Verhängnis, wird aber einstmals noch unsere besondere Berufung werden. Denn dadurch ist unsere Wiedervereinigung die Wiedervereinigung der ganjen abendlän­ dischen Welt. Die Welt muß sich immer um einen Angelpunkt drehen. Es fragt sich nur, ob er im Endlichen oder im Unendlichen liegt. Wo die Kirche jerstört ist, da erhebt an Stelle des Absolutismus der geist­ lichen Macht sehr bald der Absolutismus der weltlichen Macht — die Diktatur — ihr drohendes Medusenhaupt. Wenn wir nicht mehr die Kinder Gottes sein wollen, werden wir bald die Knechte der Welt werden müssen. Wir Deutsche werden uns in Demut vor der Kirche beugen — aber keiner weltlichen Macht unsere letzte Freiheit verkaufen.

In Vorbereitung ist eia weiteres Werk über Kirche und Welt auf Grund des aristotelisch-thomistischen Prinzips der vier Ursachen.