215 66 85MB
German Pages 303 [304] Year 1993
Sigrid Widmaier Das Recht im „Reinhart Fuchs"
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von
Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer
Neue Folge Herausgegeben von
Stefan Sonderegger
102 (226)
W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York
1993
Das Recht im „Reinhart Fuchs' von
Sigrid Widmaier
W DE
G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1993
D 7: Göttinger philosophische Dissertation
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsauf nähme
Widmaier, Sigrid: Das Recht im „Reinhart Fuchs" / von Sigrid Widmaier. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker ; N. F., 102 = 226) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-11-013730-5 NE: GT
ISSN 0481-3596 © Copyright 1993 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin
Vorwort Daß die nachfolgende Untersuchung verfaßt werden konnte, ist meinem geschätzten akademischen Lehrer in Göttingen, Herrn Professor Dr. Klaus Düwel, zu verdanken. Sein Interesse an der Tierdichtung, besonders am mittelalterlichen "Reinhart Fuchs", übertrug sich auch auf mich. Dabei ermöglichte es die Anstellung als wissenschaftliche Hilfskraft am Seminar für deutsche Philologie der Georg-August-Universität Gottingen, später die Vertretung einer wissenschaftlichen Assistentenstelle, daß ich mich bevorzugt diesem Gebiet widmen und auch an der von Professor Düwel betreuten Textausgabe des "Reinhart Fuchs" nach der Handschrift K mitarbeiten konnte. Als er mir nach meinem Staatsexamen 1981 das Thema "Das Recht im 'Reinhart Fuchs'" als Dissertationsaufgabe vorschlug, habe ich gerne zugegriffen. Obwohl die Fertigstellung des Manuskripts infolge eines mehrjährigen Auslandsaufenthaltes nur langsam voranging, konnte ich jederzeit auf seine Unterstützung zählen. Deshalb möchte ich Herrn Professsor Dr. Klaus Düwel an dieser Stelle sehr herzlich für seine Mühe und sein Engagement danken. Im Juli 1991 wurde die vorliegende Arbeit vom Fachbereich Historisch-Philologische Wissenschaften der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen und wurde von mir für den Druck leicht überarbeitet. Zu Dank bin ich auch anderen Göttinger Hochschullehrern verpflichtet. Für geduldiges Zuhören und aufmunternden Zuspruch danke ich Herrn Professor Dr. Rudolf Vierhaus (Max-Planck-Institut für Geschichte). Herrn Professor Dr. Volker Honemann (Seminar für deutsche Philologie) danke ich für hilfreiche Gespräche und die Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Professor Dr. Karl Kroeschell (Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Universität Freiburg) gilt mein besonderer Dank für seine förderlichen Hinweise auf dem Gebiet der deutschen Rechtsgeschichte. Dankbar verbunden bin ich ebenfalls dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, der die Entstehung dieser Dissertation durch zwei Stipendien großzügig gefördert hat, und dem Land Niedersachsen für die Bereitstellung von Forschungsmitteln. Schließlich fühle ich mich
VI
Vorwort
dem Herausgeber dieser Reihe wie all den anderen, die mir während dieser mühevollen und doch schönen Zeit ihre Unterstützung gewährt haben, zutiefst verpflichtet: Albrecht Krause, Hanna Krause, Heinz Widmaier, Paul Widmaier, Aurelia Harms, Karsten Harms, Eberhard Kuhrt, Karl Sieverling und Dorothea Westermann. Ulm, im September 1992
Sigrid Widmaier
Inhalt
Vorwort Inhalt Siglenverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
V VII IX X
1
Einführung
l
1.1 1.2 1.3 1.4
l 2 4
1.4.1 1.4.2 1.5
Die Überlieferung des "Reinhart Fuchs" Autor und Datierung Quellen und Bearbeitung Stand der Forschung: Der "Reinhart Fuchs" und sein Bezug zum deutschen Recht des Mittelalters Rechtshistorische Sicht Philologische Sicht Gang und Ziel der Untersuchung
6 6 10 18
2
Der Fuchs und die kleinen Tiere (V. 1-384)
23
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8
Verwandtschaft und triuwe im Rechtsleben des Mittelalters Reinhart Fuchs (V. 1-10) Der Hühnerhof (V. 11-98) Fuchs und Hahn (V. 99-176) Fuchs und Meise (V. 177-216) Fuchs und Rabe (V. 217-312) Fuchs und Kater (V. 313-384) Zusammenfassung
23 30 32 39 43 48 54 57
3
Fuchs und Wolf (V. 385-1238)
60
3.1 3.2 3.2.1 3.2.2
Abschluß der gesellesckaft (V. 396-448) Körperverletzungen (V. 445-1060) Trockene Schläge ("Weinabenteuer") (V.505-550) ... Verwundung (Fuchs und Esel) (V. 551-634)
61 65 67 70
!
3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.5
Inhalt
Die Erneuerung des Bündnisses: Abschluß der bruoderschaft (V. 635-726) Amputation ("Fischfangabenteuer") (V. 727-822) ... Mordversuch ("Brunnenabenteuer") (V. 823-1060) ... Die Fehde zwischen Fuchs und Wolf (V. 1061-1069) .. Die Sühne (V. 1070-1154) Der Verfahrensablauf (V. 1069-1094) Der Verhandlungstag (V. 1097-1120) Der Reinigungseid (V. 1137-1143) Der Rechtsbetrug (V. 1121-1145) Bruns Bestrafung (1. Botengang) (V. 1511-1604) Reinharts Flucht und die Vergewaltigung der Wölfin
72 74 76 79 83 85 90 93 95 98
(V. 1146-1238)
103
3.6
Zusammenfassung
112
4
Fuchs und Löwe (V. 1239-2268)
115
4.1 Das Landfriedensgebot (V. 1239-1320) 4.2 Vrevel (V. 1239-1249) 4.3 Die Zerstörung der Ameisenburg (V. 1251-1320) 4.4 Der Hof- und Gerichtstag (V. 1321-1365) 4.4.1 Anklage und Verteidigung (V. 1366-1412) 4.4.2 Urteilsfrage, Urteilsvorschlag und Urteilsfolge (V. 1413-1436) 4.4.3 Der Einspruch gegen das Urteil (V. 1437-1457) 4.4.4 Die Klage mit dem Toten (V. 1458-1510) 4.4.5 Die Ladung des Beklagten (V. 1511-1514; 1647-1651) 4.4.6 Die Botengänge und die Fortsetzung der Gerichtsverhandlung (V. 1511-1834) 4.4.7 Reinhart am Hof: Belohnung und Bestrafung der Tiere (V. 1776-2164) 4.4.8 Der Tod des Königs (V. 2165-2268) 4.5 Zusammenfassung
115 126 130 139 150
5
Der "Reinhart Fuchs": Eine Rechtssatire
231
Literaturverzeichnis
243
1. Primärtexte 2. Sekundärliteratur
243 247
Register
285
166 174 182 189 197 207 217 227
Siglenverzeichnis (für den Anmerkungsapparat bzw. die Literaturangaben) AfdA ATB BMZ O.A.O. dtv DU DVjs DWB FMST GAG HRG HZ Lex. LiLi MGH
MIOG MTU PBB PL RA RWB UTB VuF WdF
Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur Altdeutsche Textbibliothek Benecke/Müller/Zarncke: Mittelhochdeutsches Wörterbuch Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300 Deutscher Taschenbuchverlag Der Deutschunterricht Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Deutsches Wörterbuch Frühmittelalterliche Studien Göppinger Arbeiten zur Germanistik Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Historische Zeitschrift Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Monumenta Germaniae historica (mit den üblichen Abkürzungen: LL [leges], SS [scriptores], Dipl. [diplomata], Cap. [capitularia], Const, [constitutiones]) Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Patrologia Latina (s. Migne) J. Grimm: Deutsche Rechtsalterthümer Deutsches Rechtswörterbuch (Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache) Uni-Taschenbücher Vorträge und Forschungen Wege der Forschung
X
Abkürzungsverzeichnis
Weist. ZfdA ZfdPh ZfromPh ZGOR ZRG GA
Weisthiimer, gesammelt von Jacob Grimm Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für deutsche Philologie Zeitschrift für romanische Philologie Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung
Abkürzungsverzeichnis (für den Anmerkungsapparat bzw. die Literaturangaben)
Dist. Ldr. Lnr. RF RdR RL RLnr. Schwsp. SLdr. SLnr. Ys.
Distinktion Landrecht Lehnrecht Reinhart Fuchs Roman de Renart Richtsteig Landrechts Richtsteig Lehnrechts Schwabenspiegel Sachsenspiegel Landrecht Sachsenspiegel Lehnrecht Ysengrimus
l Einführung 1.1 Die Überlieferung des "Reinhart Fuchs" Der "Reinhart Fuchs" ist in drei Handschriften überliefert, die die Siglen S, P und K tragen1. Die älteste in der Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel und Landesbibliothek unter der Signatur 8° Ms. poet, germ, et rorn. l aufbewahrte Handschrift S ist nur bruchstückhaft erhalten und umfaßt lediglich die Versgruppen 589-660 (=Si), 697-980a (=S 2 ), 1523-1796 (=S3) und 1831-1902 (=S4). Diese Handschrift stellt nicht das Original dar und stammt vermutlich aus dem Ende des 12. oder dem Beginn des 13. Jahrhunderts2. Die Sprache der Handschrift ist elsassisch mit leichter bairischer Färbung, ihre Provenienz ist nicht bekannt3. Zwei jüngere, eng verwandte Handschriften aus der Zeit um 1320/ 1330 bieten den Text fast vollständig. Es handelt sich einerseits um die Handschrift P (oder H), eine Sammelhandschrift, die unter der Sigle cpg. 341 in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt wird. Diese Handschrift stammt möglicherweise aus einer südböhmischen Schreibstube und ist in mitteldeutscher, von bairischen Elementen durchsetzten Mundart geschrieben4. Die zweite Handschrift K gehörte früher der Kathedralbibliothek von Kalocsa und befindet sich heute unter der Signatur Cod. Bodmer 72 in der Bibliotheca Bodmeriana, Fondation Martin Bodmer, in Genf-Cologny. Wie P stammt K womöglich ebenfalls aus einer böhmischen Schreibstube und weist ähnliche sprachliche Merkmale auf5. K wie auch P gehen vermutlich auf 1
2 3 4 5
Der Reinhart Fuchs des Elsässers Heinrich. Hrsg. v. Klaus Düwel u.a., Tübingen 1984 = ATB96, S. IXff; S. XLf weiterführendes Literaturverzeichnis zu Textausgaben und Textüberlieferung. S. a. DÜWEL, Klaus: Heinrich, Verfasser des 'Reinhart Fuchs'. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon. Hrsg. v. Kurt Ruh u.a., Bd. 3, 2. Aufl. 1981, Sp. 666-677. DÜWEL: Einleitung zur Ausgabe (1984), S.X. Ebenda, S. XII. Ebenda, S. XII ff. Ebenda, S.XIVff.
2
Einführung
dieselbe Vorlage zurück, die jedoch nicht das Manuskript S war6. In beiden Handschriften gibt es nach etwa einem Viertel des Textes eine Lücke - in P nach V. 562, in K nach V. 552 -, die wahrscheinlich mit einer fehlenden Episode zu füllen ist7.
1.2 Autor und Datierung Der Verfasser des "Reinhart Fuchs" ist nur aus seinem Werk bekannt, in dem er sich selber Heinrich nennt (P/K, V. 1788: er ist geheizen Heinrich, bzw. K, V. 2252f: der glichsenere/ Er Heinrich, P, V. 2252f: der Glichesere / her Heinrich). Die Deutung des Beinamens "Gleißner", "Heuchler", ist in der Forschung umstritten. Lange Zeit wurde er dem Dichter zugeschrieben, von Wallner (1926) und Düwel (1967) aber auf den Fuchs bezogen8. Über Heinrichs Person und seine Standeszugehörigkeit lassen sich nur Vermutungen anstellen. Das Spektrum reicht von "Spielmann" bis zu "Geistlicher". Aufgrund der Bezeichnung her wurde auch erwogen, in Heinrich einen Angehörigen des (niederen) Adels zu sehen9. Heinrichs genaue juristische Kenntnisse Ebenda, S. XVIII zum noch nicht vollständig geklärten Verhältnis der Hss. S, P und K. Ebenda, S. XIX. Zur Textlücke in den Manuskripten P und K zuletzt PASTRE, Jean-Marc: Reinhart, Baldewin et Ysengrin: controverse autour d'une lacune. In: Epopee, Fable et Fabliau. Actes du VP colloque de la Societe Renardienne (Spa 1985); im Druck. Wenn nicht anders vermerkt, wird in der vorliegenden Arbeit der K-Text nach der Ausgabe von Klaus Düwel zitiert (s.o. S. l, Anm. 1). Generell ist der Text der Rechtsquellen kursiv gedruckt. Die doppelte Anführung kennzeichnet Zitate, das einfache Apostroph die Übertragung von Wort oder Text. Um die "Informationsebene" und die "Untersuchungsebene" in der vorliegenden Arbeit deutlicher zu trennen, wird für historische und rechtshistorische Erläuterungen die Präteritum— Form gewählt. Die Präsens-Form bezieht sich auf Erläuterungen und Ergebnisse, die den "Reinhart Fuchs" betreifen. WALLNBR, Anton: Reinhartfragen. In: ZfdA 63, 1926, S. 177-216, s. S. 214f; DÜWBL, Klaus: Text kritischer Beitrag zu den Vv. 1784-1794 des "Reinhart Fuchs". In: ScHWAB, Ute: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs, Neapel 1967 — Quaderni della sezione linguistica degli Annali 5, S. 235-247. Zum Stand der Reinhart Fuchs-Forschung s. den gleichnamigen Aufsatz von Klaus Düwel. In: Epopee animale, Fable et Fabliau. Actes du IV colloque de la Societe Renardienne. Hrsg. v. Gabriel Bianciotto und Michel Salvat (Evreux 1981), Paris 1985 = Publications de l'Universite de Rouen N° 83, S.197-213. DÜWEL: Heinrich, Verfasser des 'Reinhart Fuchs' (1981), Sp.666.
Autor und Datierung
3
führten zu der Annahme, er habe selbst aktiv an Gerichtsverhandlungen teilgenommen und sei womöglich Fürsprecher gewesen10. Die sprachlichen Merkmale des Fragments S sowie die historischen Anspielungen legen den Schluß nahe, daß der "Reinhart Fuchs" im Elsaß entstanden und für ein elsässisches Publikum konzipiert worden ist. Als Auftraggeber und Gönner können einerseits die Dagsburger Grafen infrage kommen, die mit den im Werk genannten Horburgern (V. 1024) in Fehde lagen11. Andererseits kann auch das Mäzenatentum der Zähringer nicht ausgeschlossen werden, für das Joachim Bumke und Anton Schwob plädieren12. Deutlich zeigt sich im "Reinhart Fuchs" eine antistaufische Tendenz, die sich vor allem in der Kritik am König und seinem Hof niederschlägt. Die historisch belegte Fehde zwischen Horburgern und Dagsburgern und die Zerstörung der dagsburgischen Festung Girbaden durch den Kaiser im Jahre 1162 weisen auf Friedrich I. und sprechen für eine Datierung des "Reinhart Fuchs" in die Zeit nach 1170. Für diese Frühdatierung des Werkes lassen sich auch stilistische Gründe, vor allem die archaischen Reimformen auf -ot im Manuskript S geltend machen13. Weitere historische Anknüpfungspunkte zur Regierungszeit Barbarossas ergeben sich aus der Belehnung des Elefanten mit Böhmen (V. 2102), die auf die böhmischen Thronwirren der Jahre 1173-1189 und das Eingreifen Barbarossas anspielen14. Desgleichen läßt auch der in V. 1239 erwähnte Landfrieden eher an Friedrich I. denken als an seinen Nachfolger Heinrich VI.15. Diesen bringt Ute Schwab jedoch mit der unrechtmäßigen Einsetzung des Kamels 10
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KLIBANSKY, Erich: Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen des 12.-14. Jahrhunderts, Berlin 1925 = Germanische Studien 40, S. 41-56, s. S. 56. SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 57 ff, 122 ff, 149. BUMKE, Joachim: Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber höfischer Literatur in Deutschland 1150-1300, München 1979, S. 104. SCHWOB, Anton: "Fride unde reht sint sere wunt." Historiographen und Dichter der Stauferzeit über die Wahrung von Frieden und Recht. In: Festschrift für Ruth Schmidt-Wiegand. Hrsg. v. Karl Hauck u.a., Berlin/New York 1986, Bd. 2, S. 846-869, s. S. 866. "Das literarische Mäzenatentum der Zähringer" untersuchte Volker Mertens, ohne jedoch dabei auf den "Reinhart Fuchs" zu stoßen. In: Die Zähringer. Eine Tradition und ihre Erforschung. Hrsg. v. Karl Schmid = Veröffentlichungen zur Zähringer-Ausstellung. Bd. I, Sigmaringen 1986, S. 117-134. DÜWEL: Einleitung zur Ausgabe (1984), S.XXII. Ebenda, S. XXII, XXVII. S.u. S. 115 ff.
4
Einführung
von Thuschalan als Äbtissin der Abtei Erstein (V. 2123 ff) in Verbindung. Sowohl die Anspielung auf das von Heinrich VI. unrechtmäßig verschenkte elsässische Kloster Erstein als auch der Hinweis auf die italienische Stadt Tusculum - dort wurde die Schenkung beurkundet, und sie überließ Heinrich VI. den plündernden Römern, um seine Kaiserkrönung 1191 zu erreichen - weisen auf Barbarossas Nachfolger hin16. Ebenso verbindet Schwab den Gifttod des Löwenkönigs im "Reinhart Fuchs" mit dem für die Zeitgenossen mysteriösen Ableben Heinrichs VI. Diesen Beobachtungen zufolge spricht sie von einer historischen "Mehrschichtigkeit der Anspielungsebenen"17 und vertritt wie schon Ernst Ochs 195418 - die Datierung des "Reinhart Fuchs" nach 119219.
1.3 Quellen und Bearbeitung Stoffgeschichtlich gesehen, geht der "Reinhart Fuchs" auf den französischen "Roman de Renart" zurück. Vermutlich waren dem deutschen Verfasser die Erzählabschnitte, die sogenannten Branchen, der ersten Periode von 1174/76-1190 in schriftlich fixierter Form oder in einer mündlichen Vorstufe gänzlich oder zumindest in einzelnen Stücken bekannt20. Es handelt sich dabei um die Branchen II, Va, III, IV, XIV, I, X, VI, VIII21. Anzunehmen ist auch, daß Heinrich die klerikale Tierdichtung seiner Zeit - wie den "Ysengrimus" des Magister Nivardus 16
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SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 31 ff, 43ff, 145; DÜWEL: Einleitung zur Ausgabe (1984), S.XXVIf, XXVIII f. SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 93, 121. Diese Ansicht wurde u.a. von Bumke (Mäzene im Mittelalter [1979], S. 100ff) und Rehbock (Helmut Rehbock: Rez. zu Ute Schwab: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs. In: AfdA 82, 1971, S. 106-115) aus chronologischen und sachlichen Gründen angezweifelt. OCHS, Ernst: Eine Hocke mittelhochdeutscher Nüsse. In: Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Ser. B, torn. 84, Helsinki, 1954, S. 149-154, s. S. 154. SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S.45ff. Zum Tod des Königs im "Reinhart Fuchs", s.u. Kapitel 4.4.8. Le Roman de Renart. Übersetzt und eingeleitet von Helga Jauss-Meyer, München 1965 = Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben. Bd. 5, S. 7; Le Roman de Renart. Hrsg. v. Robert Bossuat, Paris 1967 = Connaissance des Lettres 49, S. 190. DÜWBL: Einleitung zur Ausgabe (1984), S.XXIIff.
Quellen und Bearbeitung
5
aus der Mitte des 12. Jahrhunderts - kannte.22. Interessant ist freilich, wie Heinrich mit seiner Vorlage umgegangen ist. Wußte bis auf Büttner23 die ältere Forschung Heinrichs Bearbeitung des Fuchsstoffes kaum zu würdigen, so lenkten spätestens die Untersuchungen von Hans Robert Jauß zur mittelalterlichen Tierdichtung24 die Aufmerksamkeit auf Heinrichs erzählerische Leistung. Im Vergleich zum "Roman de Renart" fallen die konsequente Motivierung der einzelnen Abenteuer, ihre Einbindung in ein zeitliches Gefüge und die finale Ausrichtung auf25. Bezieht man weiterhin Heinrichs eigene Erzählanteile in die Betrachtung ein - vor allem die "Ameisenepisode" (Vv. 1239-1320), die "Elefantenbelehnung" (Vv. 2097-2116), die "Kamelseinsetzung" (Vv. 21172164) und den Gifttod des Königs (Vv. 2165-2248), besonders aber die Darstellung juristischer Sachverhalte, die bis zur genauen Gestaltung des Prozesses nach deutschem Recht führen -, dann wird die unmittelbare politische Wirkungsabsicht des Werkes deutlich. Schon der "Roman de Renart" bezog sich unter dem Deckmantel der Tiergesellschaft auf die feudale Welt des nordfranzösischen Raumes im 12. Jahrhundert26, doch der aktuelle politische Bezug in Hinblick auf eine bestimmte menschliche Gesellschaft ist im "Reinhart Fuchs" noch deutlicher und mit den Mitteln der Satire herausgearbeitet. Schwab nennt das deutsche Tierepos deshalb eine "Warnfabel", die insbesondere den "staufischen Gewaltherrscher"27 kritisiere, der genau das Gegenteil dessen verkörpere, was nach der mittelalterlichen Publizistik den Idealtypus des "rex Justus et pacificus" auszeichne28. Eine wichtige Rolle, wenn nicht sogar die Schlüsselrolle, spielt im "Reinhart Fuchs" die vom König repräsentierte und letztlich pervertierte Gerichtsgewalt. 22
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Ebenda, S. XXV; so hat Kolb nachgewiesen, daß die Figur des Löwenkönigs im "Reinhart Fuchs" mehr der des 'Tsengrimus" als der des "Roman de Renart" verpflichtet ist (KOLB, Herbert: Nobel und Vrevel. Die Figur des Königs in der Reinhart-Fuchs-Epik. In: Festschrift für Hans-Gert Roioff. Hrsg. v. Joseph P. Strelka und Jörg Jungmayr, Bern/Frankfurt/M. 1983, S. 328-350). BÜTTNER, Hermann: Der Reinhart Fuchs und seine französische Quelle, Straßburg 1891 — Studien zu dem Roman de Renart und dem Reinhart Fuchs, II. Heft. JAUSS, Hans Robert: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung, Tübingen 1959 = Beiheft zur ZfromPh 100. Ebenda, S. 281. Ebenda, S. 20 ff, 45 ff. SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 20, 90 f. Ebenda, S. 91; SCHWOB: "Pride unde reht sint sere wunt" (1986), S.864ff.
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Einführung
Die Interpretation des Werkes an dieser Stelle anzusetzen, ist um so mehr gerechtfertigt, als Heinrichs beachtliche Kenntnisse auf dem Gebiet der Rechtsterminologie, der juristischen Zusammenhänge allgemein und der Gerichtsverfassung im besonderen nicht aus der französischen Vorlage stammen. Beim Recht im "Reinhart Fuchs" handelt es sich um mündlich tradiertes Gewohnheitsrecht, das - so der Stand der Rechtsquellenforschung - erst nach der Entstehung des Werkes kodifiziert wurde. Deshalb spielt dieses Tierepos auch als Rechtsquelle eine Rolle29. Die Rechtsquellenlage und die deutsche Gerichtspraxis im Mittelalter, das heißt das Prinzip, öffentlich und unter Einbeziehung großer Teile der Bevölkerung mündlich zu verhandeln, lassen vermuten, daß der deutsche Verfasser seine Kenntnisse aus der Rechtspraxis seiner Zeit bezogen hat.
1.4 Stand der Forschung: Der "Reinhart Fuchs" und sein Bezug zum deutschen Recht des Mittelalters 1.4.1 Rechtshistorische Sicht Während der Überlieferungsstrang des "Reinke de Voß" nie abgerissen ist, blieb der "Reinhart Fuchs" bis 1817 verschollen und wurde danach vor allem durch die Ausgaben Jacob Grimms30 der Forschung zugänglich gemacht. Grimm zog auch das mittelhochdeutsche Tierepos für seine Materialsammlung die "Deutschen Rechtsalterthümer", deren erste Auflage 1828 erschien, heran. Von dieser Sammlung hoffte er, daß sie nicht nur für Juristen, sondern auch für Philologen nützlich sein möge31. In der Folge wurde der "Reinhart Fuchs" gelegentlich von Ger29 30
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S.u. S. 9. GRIMM, Jacob: Reinhart Fuchs, Berlin 1834 (ND Hildesheim/ New York 1974); ders.: Sendschreiben an Karl Lachmann über Reinhart Fuchs, Leipzig 1840; s. dazu DÜWEL: Einleitung zur Ausgabe (1984), S. XL f. GRIMM, Jacob: Deutsche Rechtsalterthümer. 2 Bde., Kassel 1828, Vorrede, S. VII f; ich zitiere nach der 4. durch Andreas Heusler und Rudolf Hübner besorgten Auflage von 1899 (ND Berlin 1956). Zum Konzept s. WBRKMÖLLBR, Dieter: Rechtsaltertümer. In: HRGIV, 1990, Sp. 265-268 (vgl. u. S. 8, Anm. 38); Kritik an der Grimmschen Sammlung übte Horst Haider Munske (Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten. Philologische und sprachgeographische Untersuchungen I: Die Terminologie der älteren westgermanischen Rechtsquellen. Berlin/New York 1973 = Studia Linguistica Germanica 8, l, S. 7).
Stand der Forschung
7
manisten und Rechtshistorikern zur Kenntnis genommen32: Rechtshistoriker berufen sich immer dann auf diese literarische Quelle, wenn die primären Rechtsquellen keinen entsprechenden Beleg bieten. In dieser Weise verfahren auch die Herausgeber und Mitarbeiter des ab 1914 entstehenden "Deutschen Rechtswörterbuchs"33, die des öfteren auf den "Reinhart Fuchs" verweisen. Ebenso beziehen sich Benecke, Müller und Zarncke in ihrem von 1854 bis 1866 entstandenen Mittelhochdeutschen Wörterbuch bei der Erläuterung einiger rechtssprachlicher Termini auf den "Reinhart Fuchs"34. Carl Gustav Homeyer erwähnt in seiner Ausgabe des "Richtsteig Landrechts" von 1857 seinen Beispielcharakter, denn der "Reinhart Fuchs" weist er die frühesten Belege in deutsche Sprache für die im "Richtsteig" erläuterte Form des Urteilfindens auf35. Rudolf His konstatiert nach Böhlau36 in seiner Geschichte des mittelalterlichen Strafrechts (1920), daß das Tierepos den ersten Beleg für das deutsche Wort "Landfrieden" verzeichne37. 32
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Der Berliner Jurist Dr. Wieding scheint sich als erster näher mit Rechtsfragen im "Reinhart Fuchs" beschäftigt zu haben. Wie dem Vorlesungsverzeichnis zu entnehmen ist, las er im Winterhalbjahr 1859/60 "Über Verbrechen und Prozeß im 'Reinhart Fuchs'". Zum Vergleich: Schon 1768 veröffentlichte Johann Carl Heinrich Dreyer eine recht ausführliche, deskriptive Untersuchung des Rechts im "Reinke de Voß" (Abhandlung von dem Nutzen des treflichen Gedichts Reinke de Voß in Erklärung der teutschen RechtsAlterthumer insonderheit des ehemaligen Gerichts-Wesens, Bützow und Wismar 1768; auch in: Ders.: Nebenstudien zur Erläuterung der teutschen Rechte, Rechtsalterthumer und Geschichten, Bützow und Wismar 1768, S. 1259). Deutsches Rechtswörterbuch (RWB). Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Hrsg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (bis Bd. 3; Bd. 4 von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin; ab Bd. 5 von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 'm Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften zu Berlin). Bd.l-(7), Weimar 1914-(1983). Weitere Lieferungen liegen vor. Zum Aufbau des RWB s. SCHMIDT-WIBGAND, Ruth: Rechtswörterbuch, Deutsches. In: HRG IV, 1990, Sp.426-430. BBNBCKB, Georg Friedrich /MÜLLER, Wilhelm/ZARNCKE, Friedrich: Mittelhochdeutsches Wörterbuch (BMZ). 3 Bde. in 4 Teilen, Leipzig 18541866 (ND Hildesheim 1963); s.a.: LEXER, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch (Lex.). 3 Bde., Leipzig 1872-1878 (ND Stuttgart 1970). Der Richtsteig Landrechts nebst Cautela und Premis. Hrsg. v. Carl Gustav Homeyer, Berlin 1857, S. 507, Anm. BÖHLAU, Hugo Heinrich Albert: Rechtsgeschichtliches aus Reinke de Voß. In: Neue Mitteilungen aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen. Hrsg. v. Julius Zacher, Bd. 9, Halle 1857, S. 77-100, s. S. 81. His, Rudolf: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters. Bd. I: Die Verbre-
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Einführung
Vom anhaltenden Interesse der Rechtshistoriker am "Reinhart Fuchs" zeugen mehrere Artikel des ab 1964 entstehenden "Handwörterbuchs zur deutschen Rechtsgeschichte"38. Demnach kommt dem Tierepos insbesondere wegen seiner detaillierten und getreuen Wiedergabe des Prozesses39 eine besondere Rolle in der Literaturlandschaft des ausgehenden 12. Jahrhunderts zu. So zeige das Werk schon vergleichsweise früh, daß derselbe Sachverhalt - die Vergewaltigung der Wölfin - zivilbeziehungsweise strafrechtlich ausgelegt werden könne40. Es biete ferner den frühesten Beleg für die den Prozeßformalismus entschärfende Rechtsfigur "Erholung und Wandel"41 und stelle die epische Ausprägung der "Klage mit dem toten Mann" dar42. Ebenso wird von rechtshistorischer Seite gemutmaßt, daß die Darstellung des juristischen Hintergrundes über das Prozeßgeschehen hinaus eine Kritik am König intendiere43 und zum Widerstand gegen den rex iniustus aufrufe44. Der Rechtshistoriker Ekkehard Kaufmann, zugleich Verfasser des Artikels "Reinhart Fuchs" im Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte45, veröffentlichte 1984 in der Reihe "Grundlagen der Germa-
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chen und ihre Folgen im allgemeinen, Leipzig 1920 (ND Aalen 1964), S. 7, Anm. 1; vgl. a. KLIBANSKY: Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen (1925), S. 44. Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG). Hrsg. v. Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, unter philologischer Mitarbeit von Ruth Schmidt-Wiegand. Bd.I-(IV), Berlin 1971-(1990). Die 33. Liefg. 1992 hegt vor. KAUFMANN, Ekkehard: Königsgericht. In: HRGII, 1978, Sp. 1034-1040: "Ein gutes Bild von dem Verfahren im Hofgericht gibt übrigens eine literarische Quelle, der "Reinhart Fuchs" ( . . - ) , weil der Verfahrensablauf in all seinen Stadien als Rahmenhandlung der Dichtung benutzt wird" (Sp. 1038). Ders.: Reinhart Fuchs. In: HRGIV, 1990, Sp. 835-837, s. Sp.836. Ders.: Erholung und Wandelung. In: HRGI, 1971, Sp. 1001-1004, s. Sp.1003; vgl. ders.: Billigkeit. In: HRGI, 1971, Sp. 431-437. WERKMÜLLER, Dieter: Klage mit dem toten Mann. In: HRGII, 1978, Sp. 849-851, s. Sp.850. KAUFMANN, Ekkehard: König. In: HRGII, 1978, Sp. 999-1023, s. Sp.1019; vgl. LiEBERWIRTH, Rolf: Frevel. In: HRGI, 1971, Sp.l273f. KAUFMANN: König (1978), Sp. 1019; ders.: Reinhart Fuchs (1990), Sp. 836. Generell sei angemerkt, daß es für den Argumentationsgang der vorliegenden Arbeit natürlich problematisch ist, aus Darstellungen zu schöpfen, die den "Reinhart Fuchs" verarbeitet haben. Aus diesem Grund soll der Verweisund Vergleichscharakter der hier zitierten HRG-Artikel im Vordergrund stehen, nicht der Belegcharakter, wie bei den anderen zitierten Quellen und Lit eratur angab en. S.o. S. 8, Anm. 38.
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nistik" den Band "Deutsches Recht"46. An mehreren Stellen bezieht er sich auf das deutsche Tierepos47 und mißt ihm, wie auch anderen literarischen Zeugnissen des Mittelalters, den Wert einer mittelbaren Rechtsquelle, den einer "Nebenquelle" zu48. Das Besondere am "Reinhart Fuchs" sei, daß er circa 30 Jahre vor dem "Sachsenspiegel" - der ersten "Kodifikation deutschen Rechts in deutscher Sprache"49 - zeitgenössisches Recht in der Nationalsprache konkret darstelle und besonders vollständig den Prozeßverlauf schildere: "Vergleiche mit späteren Rechtsquellen zeigen die vorzügliche Kenntnis des Dichters vom zeitgenössischen Recht"50. Je weiter man in der Rechtsgeschichte zurückgehe, desto wichtiger würden die sekundären Rechtsquellen51. Gerade für das 11. und 12. Jahrhundert sowie für das Gerichtsverfahren fehlten primäre Rechtsquellen, so daß anerkanntermaßen literarische Zeugnisse dazu beitrügen, die Kenntnisse vom mittelalterlichen Recht und der Rechtspraxis zuverlässig zu ergänzen52. Karl Kroeschells Untersuchungen über Rechtskodifizierung und Rechtswirklichkeit am Beispiel des "Sachsenspiegels" ergaben, daß die konkrete Rechtswirklichkeit nicht immer den abstrakten Rechtsnormen entsprochen hat, demnach Sollens- und Seinsordnung nicht identisch waren53. Insofern kommt den 46
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KAUPMANN, Ekkehard: Deutsches Recht, Berlin 1984 = Grundlagen der Germanistik 27. Ebenda, S. 12, 42, 45, 75, 79, 83, 144. Ebenda, S. 15. Heinrich Mitteis (Recht und Dichtung. In ders.: Die Rechtsidee in der Geschichte, Weimar 1957, S. 681-697) hält Dichtung unter Umständen für eine "mittelbare Erkenntnisquelle" (S. 681); Klaus Kanzog (Literatur und Recht. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 2, Berlin, 2. Aufl. 1959, S. 164-195) spricht von der Literatur als "Rechtsquelle zweiter Ordnung" (S. 164) und Ruth Schmidt-Wiegand von "Rechtserkenntnisquelle" (Recht und Dichtung. In: HRGIV, 1990, Sp. 232-249, s. Sp.240); vgl. a. FBHR, Hans: Die Dichtung des Mittelalters als Quelle des Rechts. In: Festschrift für Karl Haff. Hrsg. v. Kurt Bussmann und Nikolaus Grass, Innsbruck 1950, S. 62-66; ZWEIGERT, Konrad: Zur Ergiebigkeit dichterischer Aussagen für die Rechtswissenschaft. In: Festschrift für Johannes Spoerl. Hrsg. v. Clemens Bauer u.a., Freiburg/München 1965, S.658-662. KAUFMANN: Deutsches Recht (1984), S. 22. Ders.: Reinhart Fuchs (1990), Sp.835. Ders.: Rechtsquellen. In: HRG IV, 1990, Sp. 335-337, s. Sp.335. Ders.: Reinhart Fuchs (1990), Sp.835; vgl. REIFPENSTEIN, Ingo: Rechtsfragen in der deutschen Dichtung des Mittelalters, Salzburg/München 1966 = Salzburger Universitätsreden 12, S. 5 f. KROESCHELL, Karl: Rechtsaufzeichnung und Rechtswirklichkeit. Das Beispiel des Sachsenspiegels. In: VuF 23, 1977, S. 349-380; ders.: Rechtswirklichkeit und Rechtsbücherüberlieferung. Überlegungen zur Wirkungs-
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Einführung
literarischen Quellen nicht nur eine Ergänzungs-, sondern auch eine Bestätigungs- und Kontrollfunktion zu54. Obwohl berücksichtigt werden muß, daß der Aussagewert von Dichtung und Literatur für die Rechtsgeschichte begrenzt ist, da sich jede Darstellung der dichterischen Gesamtkonzeption unterwerfen muß55, haben literarische Zeugnisse nach Meinung zahlreicher Rechtshistoriker (z.B. Schmidt-Wiegand, Kaufmann) gegenüber den primären Rechtsquellen den Vorteil, "daß sie die Rechtsnormen nicht bloß in abstracto mitteilen, sondern Rechtssachen und gelebtes Recht abbilden, uns also vorführen, wie diese Normen im praktischen Leben vollzogen werden"56. Der "Reinhart Fuchs" zählt ihrer Meinung nach zu den wenigen literarischen Quellen, die "wertvolle Vergleichsmöglichkeiten mit dem Recht der sogenannten Rechtsbücher und der Rechtswirklichkeit geben"57. 1.4.2 Philologische Sicht Ein mehr philologisch ausgerichtetes Interesse verfolgen die nächstgenannten Arbeiten zum "Reinhart Fuchs": Aus den Jahren 1925 und 1933 stammen zwei Untersuchungen, die sich in erster Linie mit dem Prozeßgang beschäftigen. Im Rahmen einer Reihe von Untersuchungen über "Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen des 12.-14. Jahrhunderts" vergleicht Erich Klibansky Teile der Rechtshandlung des "Reinhart Fuchs" mit der des "Roman de Renart" und stellt das Werk auch vereinzelt deutschen Rechtsquellen gegenüber. Klibansky kommt zu dem Ergebnis, daß Heinrich zum Teil sehr selbständig mit seiner Vorlage umgegangen und vor allem der de-
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geschichte des Sachsenspiegels. In: Text-Bild-Interpretation. Untersuchungen zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels. Bd. I. Hrsg. v. Ruth Schmidt-Wiegand, München 1986 = Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 55/1, S. 1-10; vgl. a. MITTEIS, Heinrich: Rechtsgeschichte und Machtgeschichte. In: Die Rechtsidee in der Geschichte (1957), S. 269-294, s. S. 270; KAUFMANN: Deutsches Recht (1984), S. 143; SCHMIDT-WIEGAND: Recht und Dichtung (1990), Sp.241. KAUFMANN: Deutsches Recht (1984), S. 143; SCHMIDT-WIEGAND: Recht und Dichtung (1990), Sp.241. SCHMIDT-WIEGAND: Recht und Dichtung (1990), S. 241; vgl. KAUFMANN: Deutsches Recht (1984), S. 144. ZWEIGERT: Zur Ergiebigkeit dichterischer Aussagen für die Rechtswissenschaft (1965), S. 659. KAUFMANN: Deutsches Recht (1984), S. 143 f.
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tailliert dargestellte Prozeßverlauf eine "selbständige Erfindung unseres Dichters" ist58. Anhand einzelner juristisch motivierter Handlungsstränge oder Rechtsfiguren (wie Sühneverhandlung, Landfriedensgebot, Ladung) belegt er, daß der deutsche Verfasser sehr genau die gebräuchlichen Rechtssätze wiedergegeben hat. Da Klibansky jedoch Heinrichs satirische Absicht entgangen ist, rätselt er darüber, wie gewisse "Widersprüche" mit den geltenden deutschen Rechtsnormen in Einklang zu bringen seien59. Obschon er die Leistung des deutschen Verfassers hoch einschätzt und in ihm mehr als einen bloßen "Übersetzer" der Renart-Branchen sieht, entgeht ihm die Bedeutung des Rechtsganges, den er für reine Dekoration hält. "Wir haben es hier mit einem Manne zu tun", schreibt Klibansky, "der das Rechtsleben seines Volkes genau kannte und diese Kenntnis bewußt, wo es nur möglich war, zur Ausschmückung seiner Dichtung benutzte"60. Der Jurist Hans Pehr veröffentlichte in der Zeit von 1923-1937 eine Reihe von Beiträgen zum Verhältnis von "Kunst und Recht"61. In seiner 1933 publizierten Untersuchung über das "Recht in der Dichtung" behandelte er auch den "Reinhart Fuchs"62. Dieses Tierepos fand sein Interesse, weil hinter dem Fabelcharakter ein "Menschenprozeß in Tiergestalt" gezeigt werde, der über das damalige, aus fränkischer Zeit überlieferte Recht "vorzüglich Auskunft" gebe63. Beginnend mit der Sühne Verhandlung (V. 1069 ff) ordnete Fehr einzelne Handlungsabschnitte in den juristischen Kontext ein (z.B. Fehde, Landfrieden, dreimalige Ladung, Urteil, Folge, Acht) und erläuterte die Funktion bestimmter Rechtsfiguren für den Prozeß. Das Werk galt ihm als "Triumph der Klugen über die Dummen, der Frechen, Listigen, Rücksichtslosen über das Recht"64. Ohne die Stoßrichtung des "Reinhart Fuchs" zu erkennen, hielt er das Ende der Dichtung für "versöhnend", weil der egoistische König, der als oberster Gerichtsherr das Recht gebeugt hat, sterben muß65. 68
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KLIBANSKY: Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen (1925), S. 43. Ebenda, S. 51, 54. Ebenda, S. 55 f. FEHR, Hans: Kunst und Recht. Bd. 1: Das Recht im Bilde, ErlenbachZürich 1923; Bd. 2: Das Recht in der Dichtung, Bern o.J. [1933]; Bd. 3: Die Dichtung im Recht, Bern o.J. [1937]. FEHR: Das Recht in der Dichtung [1933], S.92-97. Ebenda, S. 92. Ebenda, S. 97. Ebenda, S. 97.
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Einführung
Als erster identifizierte der Historiker Friedrich Heer66 das Reich des Löwenkönigs Vrevel mit dem eines historisch existenten Reichs; und zwar sah er in dem König des Tierepos' den Stauferkaiser Friedrich L Für Heer ist Friedrich Barbarossa der "Löwe des Vrevels"67, "der oberste und schlimmste Rechtsbrecher", der die Gesetze stört, "die er selbst gegeben hat"68. Die historischen Anspielungen ließen dem Werk den Stellenwert eines "sehr ernst zu nehmenden Zeitdokuments"69 zukommen, das die Friedrich I. feiernde Geschichtsdichtung widerlege70. Eine ähnliche Tendenz billigt Schwab dem "Reinhart Fuchs" in ihrer aus dem Jahr 1967 stammenden Untersuchung "Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs" zu. Ihr ist besonders die Aufhellung der historischen Anspielungen zu verdanken. Die entsprechenden Hinweise finden sich in der vorliegenden Untersuchung. Die Funktion des Rechts im "Reinhart Fuchs" wurde das erste Mal genauer von Frank Jacoby untersucht. Er vertrat 1973 die These71, daß die rechtliche Struktur das Organisationsprinzip des Werkes sei. Entgegen der ansonsten in der "Reinhart Fuchs"-Forschung einmütig vertretenen Dreiteilung des Werkes nach der Figurenkonstellation72 schlug 66
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HEER, Friedrich: Die Tragödie des Heiligen Reiches, Wien/Zürich 1952 (Kommentarband 1953), S. 330-335; vgl. ders.: Aufgang Europas. Eine Studie zu den Zusammenhängen zwischen politischer Religiosität, Frömmigkeitsstil und dem Werden Europas im 12. Jahrhundert (mit Kommentarband), Wien/Zürich 1949. HEER: Die Tragödie des Heiligen Reiches (1952), S. 331; ders.: Aufgang Europas (1949), S. 361. HEER: Die Tragödie des Heiligen Reiches, Kommentarband (1953), S. 142. HEER: Die Tragödie des Heiligen Reiches (1952), S. 332; vgl. Kommentarband, S. 142 f. Ebenda, S. 330. JACOBY, Frank: The Conflict between Legal Concepts and Spiritual Values in the Middle High German "Reinhart Fuchs". In: Revue des Langues Vivantes 39, 1973, S.11-27. So z.B. BAESECKE, Georg: Heinrich der Glichezare. In: ZfdPh 52, 1927, S.l-22; JAUSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959), S.283f; LINKE, Hansjürgen: Formund Sinn des "Fuchs Reinhart". In: Festschrift für Bianca Horacek. Hrsg. v. Alfred Ebenbauer u.a., Wien 1974 = Philologica Germanica l, S. 226-262; KÜHNEL, Jürgen: Zum "Reinhart Fuchs" als antistaufischer Gesellschaftssatire. In: Stauferzeit. Geschichte, Literatur, Kunst. Hrsg. v. Rüdiger Krohn u.a., Stuttgart 1978 = Karlsruher kulturwissenschaftliche Arbeiten l, S. 71-86; RUH, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. II: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Berlin 1980 = Grundlagen der Germanistik 25, S. 13-33. Danach sieht die
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Jacoby eine dreiteilige Gliederung nach den Straftatsbefunden vor73, die Heinrichs dreistufiger Kritik an der Gerichtsbarkeit auf privater, sozialer und staatlicher Ebene entspreche. Demnach kritisiere Heinrich zu Beginn das Unvermögen, moralische Schwächen zu überwinden, dann die Unfähigkeit, Straftaten auf gesetzlicher Grundlage zu verfolgen und schließlich den zunehmenden Verlust der Inhalte der Rechtssprechung74. Jacoby sieht vor allem den heilsgeschichtlichen Aspekt im Werk betont und kommt zu dem Schluß, daß es in der mit den Mitteln der Satire und mit Hilfe bekannter Allegorien dargestellten Welt, in der das Böse und das Laster unbesiegbar scheinen, nach Heinrich nur eine Rettung für die Menschen gäbe, wenn sie sich nämlich auf die "humilitas" zurückbesännen75. Die bisher umfangreichste Arbeit zum Recht im "Reinhart Fuchs" erschien 1985. Mark Frey verglich die Handschriften S und P in stilistischer Sicht und in Hinblick auf die Vorlage, den "Roman de Renart". Die Untersuchung des Prozesses stellt dabei einen Schwerpunkt dar76. Die Unterschiede zwischen beiden Fassungen, die Frey zu entdecken glaubt, beziehen sich insbesondere auf die Qualität der Bearbeitung des Manuskripts P. Dem "Bearbeiter" dieser Handschrift attestiert er ein weniger gut entwickeltes Gefühl für stilistische Feinheiten und allgemein geringere Rechtskenntnisse als dem "Autor" der Handschrift S77.
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Gliederung des Werkes folgendermaßen aus: V. l- 385 Fuchs und kleine Tiere V. 386-1238 Fuchs und Wolf V. 1239-2268 Fuchs und Löwe. Gelegentlich werden die Vv. 1-10 und 2251-2268 als Prolog bzw. Epilog noch gesondert abgehoben. JACOBY: The Conflict between Legal Concepts and Spiritual Values in the Middle High German "Reinhart Fuchs" (1973), S. 14: 1. V. l- 498: Reinharts nicht geglückte Anschläge auf seine Verwandten V. 499- 822: Auf Reinhart indirekt zurückzuführende Verbrechen 2. V. 823-2247: Auf Reinhart direkt zurückzuführende Verbrechen 3. V. 1835-2247: Vernichtung von Vrevels Herrschaft; Ermordung des Königs. Ebenda, S. 14. Ebenda, S. 27. FREY, Mark: Zwei Varianten des "Reinhart Fuchs" - Vergleich der Fassung £ mit P und Untersuchung des Prozesses, Bern/Frankfurt/M./New York 1985 = Europäische Hochschulschriften, Reihe I: Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 807. Ebenda, S. 141, vgl. S. 142, 145, 151, 174.
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Einführung
Daß Freys Ergebnisse in bezug auf den juristischen Hintergrund des "Reinhart Fuchs" unvollständig sind und zum Teil auf Fehleinschätzungen beruhen, sollen folgende Beispiele verdeutlichen: Wie schon andere vor ihm, hält auch Frey nur das Prozeßgeschehen für juristisch relevant78. Er vernachlässigt insofern die erste Hälfte des Werkes und berücksichtigt deshalb auch kaum die dem Prozeß vorausgehende Sühneverhandlung. Obwohl die Gerichtsverhandlung ausführlicher als andere Textpassagen mittelalterliches Recht widerspiegelt, entgeht Frey dadurch die wesentliche Intention des "Reinhart Fuchs". Freys Untersuchung des Rechtsganges basiert auf der zwar noch immer Gültigkeit beanspruchenden Darstellung des sächsischen Rechts nach dem "Sachsenspiegel" von J.W. Planck von 1878/187979, die übrigens auch in der vorliegenden Arbeit benutzt wird. Ausdrücklich verzichtet Frey jedoch auf einen Vergleich mit den frühen deutschsprachigen Rechtsquellen80. Auf der Suche nach den ihm von der Sekundärliteratur vermittelten Entsprechungen und Abweichungen im Prozeßgang muß Frey notwendigerweise an eine Grenze stoßen. So sind ihm zum Beispiel Heinrichs Anspielungen auf die Rechtsfigur der "echten Not", der Rechtsgehalt von Krimels Verteidigung oder der Widerspruch des Elefanten in ihrer juristischen Bedeutung entgangen81. Andere, für ihn nicht zu erklärende Handlungsstränge führt er auf Handlungsfunktionalität, Komik beziehungsweise tendenziöse Figurenbeschreibung zurück. Des weiteren macht er in Zweifelsfällen regionale Unterschiede in der Rechtspraxis geltend. Formulierungen wie: "Im Elsaß nicht üblich"82 oder "diese Klage [die mit dem toten Mann, die Verf.] wird demnach dem Publikum nicht so bekannt sein"83, tragen jedoch nicht zur differenzierten Interpretation bei. Dies soll in der vorliegenden Arbeit versucht werden. Die von Fehr entwickelten Ansätze nahm Anton Schwob 1984 und 1986 in zwei Arbeiten zum "Reinhart Fuchs" wieder auf. In einem 1984 veröffentlichten Aufsatz betrachtet Schwob unter anderem am Beispiel 78
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Wie andere vor ihm beschränkt sich auch Frey auf die Untersuchung des Hofund Gerichtstages. PLANCK, Julius Wilhelm: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter. Nach dem Sachsenspiegel und den verwandten Rechtsquellen. 2 Bde., Braunschweig 1878/1879. FREY: Zwei Varianten des "Reinhart Fuchs" (1985), S. 193. S.u. S. 191, 160, 204. FREY: Zwei Varianten des "Reinhart Fuchs" (1985), S. 199. Ebenda, S. 214.
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des Fuchses Reinhart die "Verbrecherkarriere" eines Aufsteigers, der irreparabel die gesellschaftliche Ordnung zerstört84. Wie schon zuvor Jauß und Göttert85 sieht Schwob in dem Verlust der triuwe die Ursache allen Übels86. In Anlehnung an Kühnels Schema87 stellt Schwob klarer die Relation von triuwe-untriuwe-not als das den Ablauf der gesamten Handlung des "Reinhart Fuchs" bestimmende Strukturmuster heraus, wobei er die Begriffe nicht in moralischer Hinsicht, sondern als "Ausdrücke aus der Sphäre des Rechts"88 verstanden wissen will. Die Darstellung der Karriere eines ungetriuwen, des Fuchses, vollziehe sich in drei Phasen: Im ersten Teil des Werkes zeige Heinrich die Treuebrüche unter Verwandten, im zweiten den Bruch genossenschaftlicher Treueverpflichtung und im dritten die Rechtszerstörung auf Staatsebene89. Ausgehend von der Prämisse, daß der "Reinhart Fuchs" bei aller Fiktionalität auch satirische Bezüge zur Realität aufweise, schließt Schwob, daß Heinrich in erster Linie auf die Rechtsverhältnisse seiner Zeit abziele und vor allem den Stauferkönig Friedrich I. kritisiere. Um diese These zu stützen, bezieht Schwob auch historisch reale Begebenheiten in seine Argumentation ein und entscheidet sich für eine Frühdatierung des Werkes um 116290. Aufgrund der dem Werk innewohnenden antistaufischen Tendenz vertrete der "Reinhart Fuchs" somit eine Gegenposition zur staufischen "Propaganda" und verkehre die allseits gepriesenen Herrschertugenden Friedrichs in ihr Gegenteil91. Wie schon Ute Schwab hält Schwob das Tierepos für eine Warnfabel, 84
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SCHWOB, Anton: Die Kriminalisierung des Aufsteigers im mittelhochdeutschen Tierepos vom "Fuchs Reinhart" und im Märe vom "Helmbrecht". In: Wissenschaftliche Beiträge der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Deutsche Literatur des Mittelalters l, Greifswald 1984, S.42-67. JAUSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959), S.289f; GÖTTERT, Karl-Heinz: Tugendbegriff und epische Struktur in höfischen Dichtungen. Heinrichs des Glfchezäre 'Reinhart Fuchs' und Konrads von Würzburg 'Engelhard', Köln/Wien 1971 — Kölner Germanistische Studien 5, S. 48 ff. SCHWOB: Die Kriminalisierung des Aufsteigers (1984), S.47ff. KÜHNBL: Zum "Reinhart Fuchs" als antistaufischer Gesellschaftssatire (1978), S. 83; vgl. SCHWOB: Die Kriminalisierung des Aufsteigers (1984), S. 48 f. SCHWOB: Die Kriminalisierung des Aufsteigers (1984), S.47. Ebenda, S. 54; vgl. LINKE: Form und Sinn des "Fuchs Reinhart" (1974), S. 261. SCHWOB: Die Kriminalisierung des Aufsteigers (1984), S. 44. Ebenda, S. 54.
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Einführung
die ein "Zerrbild und Schreckbild ( . · · ) > hinter dem das Wunsch- und Idealbild des Autors und seines primären Publikums steht"92, entwirft. Den zuletzt formulierten Gedanken führte Seh wob 1986 weiter. Er untersucht die Aussagen von "Historiographen und Dichter(n) der Stauferzeit über die Wahrung von Frieden und Recht"93. Von der Literatur der Stauferzeit dient ihm das Beispiel des "Reinhart Fuchs" mit seiner "politisch-rechtlichen Stoßrichtung" dazu94, die These vom Friedenskaiser Friedrich Barbarossa zu widerlegen. Die Beschäftigung mit der Publizistik um 1160 habe ergeben, daß die "staufische Hofhistoriographie" und besonders die Geschichtswerke Ottos von Freising das Bild vom Friedensfürsten und Rechtswahrer entworfen hätten, während man sich zur gleichen Zeit im Ausland über die staufischen "Weltherrschaftsgelüste"95 entrüstet habe. In Übereinstimmung mit diesen antistaufischen Stimmen beschreibe nun der Verfasser des "Reinhart Fuchs" - auf die schon von Schwob 1984 dargestellte Weise - die Folgen von Rechtsvernachlässigung und Rechtsverletzung. Mit dem deutschen Tierepos liege somit eine "hochpolitische Satire"96 vor, die statt der staufischen "renovatio imperii" die im Mittelalter weit verbreitete Endzeiterwartung mit dem Erscheinen des Antichrist und dem Zerfall des Reiches propagiere97. Erste Überlegungen zum Recht im "Reinhart Fuchs" im Vergleich mit den mittelalterlichen deutschen Rechtsquellen veröffentlichte ich 1983. Ansatzweise versuchte ich in einem Vortrag zu Komik, Satire und Parodie in der Tradition von Fuchsdichtung und Fabeln den rechtlichen Hintergrund des "Reinhart Fuchs" mit der des öfteren konstatierten Satirestruktur des Werkes zu verbinden98. Das vorläufige Ergebnis meiner Untersuchungen war, daß mit dem "Reinhart Fuchs" eine Rechtssatire vorliegt, in der Heinrich am Beispiel der Justiz Mißstände und Fehlverhalten kritisiert und letztlich die Figur des Herrschers in Frage stellt99. 92 93 94 95 96 97 98
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Ebenda, S. 43. SCHWOB: "Fride unde rent sint sere wunt" (1986), S. 846ff. Ebenda, S. 868. Ebenda, S. 848. Ebenda, S. 860. Ebenda, S. 860 f. KRAUSE, Sigrid: Le 'Reinhart Fuchs': satire de la justice et du droit. In: Comique, satire et parodie dans la tradition renardienne et les fabliaux. Actes du colloque d'Amiens 1983. Hrsg. v. Danielle Buschinger und Andre Crepin, Göppingen 1983 = GAG 391, S. 139-151. Ebenda, S. 145 ff.
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Diese These soll in der vorliegenden Arbeit umfassend entwickelt und überprüft werden. In die von Fehr und Schwab gewiesene sowie von Schwob wieder aufgenommene Richtung geht auch eine von mir 1985 angefertigte Untersuchung über die rechtliche und politische Konzeption des "Reinhart Fuchs", was ich freilich erst in der vorliegenden Arbeit detailliert ausführen kann. Wie die genannten Autoren halte ich Heinrichs Tierepos für ein hochpolitisches Werk, das einen großen Teil seiner Brisanz aus dem Rechtsbereich zieht. In einem. 1985 im Rahmen des 6. internationalen Kolloquiums zur mittelalterlichen Tierdichtung gehaltenen Vortrag über den Tod des Königs im "Reinhart Fuchs"100 versuchte ich nachzuweisen, daß Heinrich sein Werk vor dem Hintergrund des mittelalterlichen Widerstandsrechts und von der mittelalterlichen Publizistik her geforderten Absetzung des Tyrannen konzipiert hat. Namentlich Friedrich I. stand im Zentrum der zeitgenössischen Kritik und wurde von seinen Gegnern als der Tyrann hingestellt, der seine Macht mißbraucht und das Recht beugt. Auf ihn bezog sich des öfteren Johannes von Salisbury in seinen die Tagespolitik kommentierenden Briefen beziehungsweise in seinem Fürstenspiegel, dem "Policraticus". Der Tod des Königs am Ende des Werkes ist ein Novum in der Tradition der Tierepik, scheint jedoch von der Anlage des Werkes nur konsequent und ist als gerechte Strafe für den rex iniustus aufzufassen. Daß sich der Aufbau des "Reinhart Fuchs" an der Rechtshandlung orientiert, versuchte ich 1987 in einem Vortrag über die zeitliche Struktur des "Reinhart Fuchs" nachzuweisen101. Es ist nämlich auffällig, daß bis zur Gerichtsverhandlung die narrative und die chronologische Handlung nicht übereinstimmen. Erst in V. 1321 if verbindet der deutsche Verfasser beide Handlungsstränge. Er bedient sich dabei dieses im 12. und 13. Jahrhundert weit verbreiteten rhetorischen Kunstgriffes, um am Beispiel repräsentativer Rechtskreise auf den Zerfall von Recht und Moral im Reich aufmerksam zu machen. Auch dieser Gedanke wird in der vorliegenden Arbeit ausgeführt.
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KRAUSE, Sigrid: Lamort du roi dans le "Reinhart Fuchs". In: Epopee, Fable et Fabliau. Actes du VI* colloque de la Societe Internationale Renardienne (Spa 1985), im Druck. 101 Dies.: La structure temporelle dans le "Reinhart Fuchs". In: Reinardus. Annuaire de la Societe Internationale Renardienne. Bd. 1. Hrsg. v. Brian Levy und Paul Wackers, Grave 1988, S. 86-94.
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Einführung
1.5 Gang und Ziel der Untersuchung Im Vordergrund steht die Absicht, das im "Reinhart Fuchs" steckende rechtshistorische Material zu erschließen und es für die Interpretation des Werkes nutzbar zu machen. Im Vergleich zu bislang vorliegenden Arbeiten wird das ganze Werk zum Untersuchungsgegenstand gemacht und nicht nur einzelne Teile desselben. Eine umfassende Untersuchung zu Form und Funktion des Rechts im "Reinhart Fuchs" liegt bislang noch nicht vor. Wie der Blick auf die Forschungslage gezeigt hat102, konzentriert sich das Interesse der Rechtshistoriker auf die Bedeutung dieses Tierepos' als Quelle für mittelalterliches deutsches Gewohnheitsrecht. Andere Veröffentlichungen behandeln die Rechtsproblematik im "Reinhart Fuchs" nur unvollständig. Entweder befassen sie sich schwerpunktmäßig mit dem Prozeß und ignorieren die erste Hälfte des Werkes, oder die mittelalterlichen Rechtsquellen bleiben unberücksichtigt. In einigen Fällen wurde so die rechtliche Tragweite der Handlung verkannt. Schließlich hat auch das Nicht-Erkennen des rechtlichen Hintergrundes zu Fehlinterpretationen und Übersetzungsfehlern geführt. Als Hilfsmittel zur Erschließung des Rechtswortschatzes dient vor allem das Deutsche Rechtswörterbuch, aber auch Glossare einzelner mittelalterlicher Rechtsbücher sowie die von Rechtshistorikern erstellten Untersuchungen zur Wort- und Begriffsgeschichte und zu einzelnen Wortfamilien oder Wortfeldern. Vermutlich gehörten einige Termini, die im "Reinhart Fuchs" von rechtlicher Bedeutung sind, zu Heinrichs Zeit im wesentlichen der Allgemeinsprache an. In einer Zeit, in der es keine Berufsjuristen gab und das Gericht sich aus einem nicht hauptamtlichen Richter, oft zufällig bestellten Schöffen und den Dingpflichtigen zusammensetzte103, ist schwerlich mit der Existenz einer juristischen Fachsprache zu rechnen. Freilich wird es so etwas wie eine "Sprache des Rechtslebens"104 gegeben haben, derer sich alle Sprachteil102 103
S.o. S. 6 ff.
lGNOR, Alexander: Indiz und Integrität. Anmerkungen zum Gerichtsverfahren des Sachsenspiegels. In: Text—Bild—Interpretation. Untersuchungen zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels. Bd. I. Hrsg. v. Ruth SchmidtWiegand. München 1986 = Münstersche Mittelalter-Schriften. Bd. 55/1, S. 77-91 ,s. S. 78 ff. 104 SCHMIDT-WIBGAND, Ruth: Rechtssprache. In: HRGIV, 1990, Sp.344360, s. Sp. 345. In diesem Sinne ist auch die in der vorliegenden Arbeit vorgenommene Einteilung in rechtssprachliches bzw. nicht rechtssprachliches Vokabular zu verstehen.
Gang und Ziel der Untersuchung
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nehmer bedient haben, wenn sie mit dem Recht in Berührung kamen. Wie Ruth Schmidt-Wiegand vertritt auch Karl Siegfried Bader die Ansicht, daß es unzweifelhaft besondere Formen der Sprachregelung, die auf das Rechtliche abzielten, gegeben habe, allerdings glaubt er nicht an die Existenz einer "vom Außerrechtlichen klar zu scheidende(n) Rechtssprache"105. Die Herausgeber des Deutschen Rechtswörterbuchs definieren in der Einleitung zum ersten Band den Begriff "Rechtswort" und differenzieren zwischen "Rechtswörtern im engeren Sinne", "Rechtswörtern im weiteren Sinne" und "Nichtrechtswörtern"106. Danach sind "Rechtswörter im engeren Sinne" ohne eine rechtliche Beziehung nicht denkbar oder haben, wie z.B. 'Vogt', 'Richter', 'beklagen', ein Rechtsverhältnis zur notwendigen Voraussetzung. Bei den "Rechtswörtern im weiteren Sinne" handelt es sich um Ausdrücke, die an der betreffenden Stelle eine rechtliche Beziehung haben, aber auch in anderer Beziehung gebraucht werden, wie beispielsweise 'Hof, 'Klage' und 'geloben'. Unter "Nichtrechtswörtern" verstehen die Herausgeber Ausdrücke, die an sich ein außerrechtliches Verhältnis bezeichnen, aber wie 'Vater', 'Kind', 'Haus' in rechtlicher Beziehung vorkommen können107. Alle drei Kategorien finden sich im "Reinhart Fuchs", da Heinrich, wie gezeigt werden wird, von Beginn an großen Wert darauf gelegt hat, die verwandtschaftlichen und sozialen Bindungen der Figuren unter moralischem und rechtlichem Aspekt darzustellen. Insofern weist die erste Hälfte des "Reinhart Fuchs" einen hohen Anteil von "Rechtswörtern im weiteren Sinne" und von "Nichtrechtswörtern" auf. Die höchste Frequenz erreicht der rechtssprachliche Anteil naturgemäß bei der Darstellung der Prozeßhandlung. Sühneverhandlung und Gerichtsverhandlung verzeichnen eine große Anzahl von "Rechtswörtern im engeren Sinne". An mehreren Stellen läßt sich sogar eine wörtliche Übereinstimmung mit dem Wort- und Formelschatz einiger primärer Rechtsquellen erkennen. Sofern der rechtliche Zusammenhang eindeutig ist, wird der Terminus in das Rechtswortregister im Anhang der Arbeit aufgenommen.
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BADER, Karl Siegfried: Recht-Geschichte-Sprache. Rechtshistorische Betrachtungen über Zusammenhänge zwischen drei Lebens- und Wissensgebieten. In: Historisches Jahrbuch 93, 1973, S. 1-20, s. S. 14. 106 RWB1, S.IXf. 107 Ebenda.
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Einführung
Die Auswahl der Rechtsquellen, die zum Vergleich und zur Erläuterung der Rechtshandlung dienen, erfolgte nach dem Prinzip der zeitlichen Nähe zur Entstehungszeit des "Reinhart Fuchs" beziehungsweise nach terminologischen und inhaltlichen Entsprechungen. Wie schon ausgeführt108, gibt es für das 11. und 12. Jahrhundert keine primären deutschsprachigen Rechtsquellen, ebenso fehlen Zeugnisse für den Ablauf des Gerichtstages. Abgesehen vom "Mühlhäuser Reichsrechtsbuch" (um 1200) beginnt die Zeit der Rechtsbücher mit dem "Sachsenspiegel", dessen deutschsprachige Fassung etwa 1224/25 entstanden ist109. Dennoch ist das Hinzuziehen des "Sachsenspiegels" mit seinen Be- und Umarbeitungen gerechtfertigt, weil diese Rechtsbücher auf private Initiative zustande kamen und sie den Anspruch erheben, geltendes Recht umfassend aufzuzeichnen110. Eike von Repgows Werk gilt als das "bedeutendste deutsche Rechtsbuch des Hochmittelalters" und trotz mancher Eigentümlichkeiten als der "bedeutendste Repräsentant des Gerichtsverfahrens seiner Zeit und seines Raumes"111. Über seinen eigentlichen Entstehungs- und Anwendungsraum hinaus fand der "Sachsenspiegel" weite Verbreitung und Anwendung112. Zahlreiche Umarbeitungen bezeugen das Bemühen, ihn den jeweiligen regionalen Rechtsverhältnissen anzupassen. Diesen Umständen verdankt der "Schwabenspiegel" seine Entstehung. Diese süddeutsche Rechtsquelle wurde wahrscheinlich um 1275/1276 von einem Augsburger Franziskaner verfaßt und zeigt die Verbindung von süddeutschem Gewohnheitsrecht und Ergänzungen aus dem römischen und kanonischen Recht mit den Rechtssätzen des "Sachsenspiegels"113. Neben dem "Sachsenspiegel" und dem "Schwabenspiegel" liefert der zwischen 1325 und 1334 verfaßte "Richtsteig Landrechts" wichtige Erkenntnisse für die vor108 109
S.o. S.9.
EBEL, Friedrich: Sachsenspiegel. In: HRGIV, 1990, Sp. 1228-1237, s. Sp.l229f; Ausgabe: Sachsenspiegel Landrecht. Hrsg. v. Karl August Eckhardt = Germanenrechte. Neue Folge, Göttingen (2. Bearb.) 1955 (ND Göttingen 1973). 110 MUNZEL, Dietlinde: Rechtsbücher. In: HRGIV, 1990, Sp. 277-282, s. Sp.278. m lGNOR: Indiz und Integrität (1986), S.78. 112 MUNZEL: Rechtsbücher (1990), Sp.278. 113 TRUSBN, Winfried: Schwabenspiegel. In: HRGIV, 1990, Sp. 1547-1551; MUNZBL: Rechtsbücher (1990), Sp. 278f; EBBL: Sachsenspiegel (1990), Sp. 1231; Ausgabe: Der Schwabenspiegel oder schwäbisches Land- und Lehen-Rechtsbuch nach einer Handschrift vom Jahre 1287. Hrsg. v. Friedrich Leonhard Anton Frhr. von Laßberg, Tübingen 1840.
Gang und Ziel der Untersuchung
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liegende Untersuchung. Es handelt sich dabei um das bedeutendste Rechtsgangbuch des Spätmittelalters114. Sein Verfasser, der märkische Hofrichter Johann von Buch, stellte die im "Sachsenspiegel" verstreut stehenden Verfahrensregeln zusammen und gliederte sie nach Art und Gattung der Rechtsansprüche. Damit erleichterte er die Anwendung vor Gericht und schuf eine Art "Handbuch", das sich an der "tatsächlichen Übung in der Gerichtspraxis" orientierte115. Daneben bieten sich noch ländliche Rechtsquellen an, die "Weistümer", die vom 13. Jahrhundert ab aufgezeichnet wurden und die vor allem Materialien zur Kenntnis einzelner Rechtsbräuche, Rechtssymbole und Rechtsaltertümer enthalten116. Auch einige Stadtrechte, wie das "Meißener Rechtsbuch", das "umfassendste und am weitesten verbreitete Stadtrechtsbuch des 14. Jahrhunderts"117, und die Reichsgesetzgebung finden Berücksichtigung, namentlich die bis 1225 durchgängig in Latein gehaltenen Landfriedensgesetze, auf die Heinrich in seinem Werk direkt anspielt118. Die Ergebnisse dieser Gegenüberstellung von mittelalterlichem Recht und literarischem Werk werden schließlich für die Interpretation des "Reinhart Fuchs" nutzbar gemacht. Ausgehend von der Frage nach der Funktion des Rechts im "Reinhart Fuchs" wird überprüft, wie und mit welcher Zielsetzung Heinrich die Rechtspraxis in seinem Tierepos dargestellt hat, wie er die Vorgaben des "Roman de Renart" bearbeitete und wie sich die Ergebnisse bezüglich der historischen Anspielungen 114
MUNZEL, Dietlinde: Richtsteig. In: HRGIV, 1990, Sp. 1061-1064, s. Sp. 1062; EBEL: Sachsenspiegel (1990), Sp. 1234; Ausgabe: Der Richtsteig Landrechts nebst Cautela und Premis. Hrsg. v. Carl Gustav Homeyer, Berlin 1857. 115 MUNZEL: Richtsteig (1990), Sp. 1062. 116 WBRKMÜLLER, Dieter: Über Aufkommen und Verbreitung der Weistümer. Nach der Sammlung von Jacob Grimm. Berlin 1972, S. 63. Ausgabe: GRIMM, Jacob: Weisthümer. Bd. 1-6, Göttingen 1840-1869, Bd. 7 (Registerband), Göttingen 1878. 117 MUNZEL ) Dietlinde: Meißener Rechtsbuch. In: HRGIII, 1984, Sp. 461-463, s. Sp.461. Ausgabe: ORTLOFF, Friedrich: Das Rechtsbuch nach Distinktionen. Ein Eisenachisches Rechtsbuch, Jena 1836 (ND Aalen 1967) = Sammlung deutscher Rechtsquellen in 2 Bden. 118 Die Rechtsquellenlage (s.o. S. 9) bedingt das Hinzuziehen von Rechtsquellen, die einen unterschiedlichen Status haben und zum Teil lange nach dem "Reinhart Fuchs" entstanden sind. Man kann jedoch nicht darauf verzichten, Lücken in der früheren Überlieferung durch vorsichtige Rückschlüsse aus späteren Quellen zu ergänzen, zumal diese ja oft auf einer älteren Entwicklungsstufe stehengeblieben sind.
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Einführung
im Werk, der Satirestruktur und damit seine politische Stoßrichtung in diesen Zusammenhang einordnen. Das Interesse am Untersuchungsgegenstand konzentriert sich dabei auf die Verbindung von Recht und Satire in der Absicht, die These vom "Reinhart Fuchs" als Rechtssatire zu belegen.
2 Der Fuchs und die kleinen Tiere (V. 1-384) 2.1 Verwandtschaft und triuwe im Rechtsleben des Mittelalters Im ersten Teil des "Reinhart Fuchs" trifft der hungrige Fuchs auf die Tiere Hahn, Meise, Rabe und Kater. Um sich dieser Tiere leichter bemächtigen zu können, argumentiert Reinhart damit, daß zwischen ihm und den anderen eine verwandtschaftliche Beziehung und damit ein besonderes "Treueverhältnis" bestehe (vgl. V. 113f, 183ff, 265ff, 325ff). In der Tat finden sich "Verwandtschaft" und "Treue" leitmotivisch in den ersten vier Episoden. Nicht nur Reinhart betont dieses besondere Verhältnis zwischen ihm und den kleinen Tieren, sondern es finden sich im ganzen Werk die entsprechenden Termini, die immer dann vorkommen, wenn es um von der Verwandtschaft abgeleitete Verhaltensweisen und um rechtliche Erfordernisse geht. In der Tat verzeichnete das mittelalterliche Recht genau definierte, auf verwandtschaftlichen Bindungen basierende Rechtspflichten, die in den Quellen häufig erst in konkreten Konfliktlagen faßbar erscheinen1. Verwandtschaft bedeutete die Einbindung in soziales Handeln und die Verankerung in einen Rechtskreis. Erst durch seine Verwandten galt der Einzelne etwas, und infolge ihrer organisatorischen Prinzipien wurde auch er zur Rechtsperson2. Denn in bestimmten Situationen kam es nicht auf den Einzelnen an, sondern auf die Gesellschaft, auf das Corpus aller Einzelnen3. Die Hinweise im Text, die Heinrich mit den entsprechenden Verwandtschaftstermini versehen hat, sind nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Die übergreifenden Verwandtschaftstermini im "Reinhart Fuchs" lauten küllinc (s. "Reinhart Fuchs" SCHWAB, Dieter: Familie. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. v. Otto Brunner u.a. Bd. 2, 1975, S. 253-301, s. S. 255. GBNICOT, L.: Valeur de la personne ou sens du concret. A la base de la societe du haut moyen äge. In: Gedenkschrift für Jan Frederic Niermeyer, Groningen 1967, S. 1-8, s. S.4f. ULLMANN, Walter: Individuum und Gesellschaft im Mittelalter, London 1966 (deutsch: Göttingen 1974) = Kleine Vandenhoeck-Reihe 1370, S. 38.
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Der Fuchs und die kleinen Tiere
V. 1651, 1783, 2193), künne (s. V. 113, 1221, 1269), sippe (vgl. V. 266, 1663: sippebluot] und mac (s. V. 1077, 1100, 1147, 1286, 2058). Das entspricht dem Befund in den Rechtstexten, in denen die Verwandten gängigerweise die "Sippe", die "Freunde" oder die "Magen" heißen4. Die Terminologie der Verwandtschaftsbezeichnungen im rechtsgeschichtlichen Kontext - allen voran der Begriff der "Sippe" - wird heute in der rechtshistorischen Forschung kritischer betrachtet, als das in älteren Darstellungen der Fall war5. Neuere Darstellungen urteilen meist zurückhaltender in bezug auf die Kontinuität germanischer Einrichtungen in fränkischer Zeit und im Mittelalter6: Zwar wird der FamiVgl. GÖTZE, Alfred: Freundschaft. In: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 12, 1910, S.93-108, s. S.93ff; MÜLLER, Ernst Erhard: Die Basler Mundart im ausgehenden Mittelalter (Diss. jur. Basel 1950), Tübingen 1953, gleichzeitig erschienen als Heft 14 der Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur, S. 178 ff; HARMS, Wolfgang: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300, München 1963 = Medium aevum l, S. 11 ff; SCHWAB: Familie (1975) S. 256; KAUPMANN, Ekkehard: Sippe. In: HRG IV, 1990, Sp. 1668-1670. S. stellvertretend für die ältere Forschung BRUNNER, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. I, Leipzig 1887, S. 112: "Der Ausdruck Sippe wird in alter und neuer Zeit für zwei wesentlich verschiedene Begriffe gebraucht. Er bezeichnet einerseits den agnatischen Geschlechterverband, andererseits aber auch den gesamten Kreis der Blutsverwandten einer bestimmten Person"; ebenso SCHRÖDER, Richard / v. KÜNSSBERG, Eberhard: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Berlin/Leipzig (7. Aufl.) 1932, S.69f; CONRAD, Hermann: Deutsche Rechtsgeschichte I: Frühzeit und Mittelalter, Karlsruhe (2. Aufl.) 1962, S.33; MITTEIS / LIEBERICH: Deutsche Rechtsgeschichte (16. Aufl. 1981), S. 20 ff. Während die Familie als "Strukturform des germanischen Gemeinschaftslebens" (SCHWAB, Dieter: Familie. In: HRG I, 1971, Sp. 1067-1071, s. Sp. 1067) noch greifbar erscheint, bereitet der Begriff "Sippe" erhebliche Schwierigkeiten. Schon Felix GENZMER (Die germanische Sippe als Rechtsgebilde. In: ZRG GA 67, 1950, S. 34-49) hatte dafür plädiert, den überzogenen Sippen—Begriff durch "Verwandtschaft, einschließlich der Schwägerschaft" (ebenda, S. 43) zu ersetzen, denn die Verwandtschaft sei von wesentlicher Bedeutung für das Rechtsleben gewesen und hätte in verschiedener Weise auf die Rechtseinrichtungen gewirkt: "Einen solchen unscharf begrenzten und wechselnden Verwandtenkreis mag man ruhig 'Sippe' nennen (...). Die Sippe als Rechtsbegriff, insbesondere als rechtlich gestalteter Verband, ist vielmehr eine Erfindung der Professoren des 19. Jahrhunderts" (ebenda, S.49). Ebenso wandten sich Karl Kroeschell (Die Sippe im germanischen Recht. In: ZRG GA 77, 1960, S. 1-25; ders.: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. l (bis 1250), Opladen [8. Aufl.] 1987 = WV Studium Bd. 8, S. 53ff) und Karl Schmid (Zur Problematik von Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Dynastie beim mittelalterlichen Adel. In: ZGOR 105 [N.F. 66], 1957, S. 1-62,
Verwandtschaft und triuwe im Rechtsleben des Mittelalters
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lie und den Geschlechterverbänden keineswegs ihre rechtlich relevante Funktion sowie ihre Bedeutung in sozialer, ökonomischer und militärischer Sicht abgesprochen, doch will man dem überzeichneten Bild von der germanischen Sippe als Rechtsgebilde entgegenwirken und in ihr mehr Lebenskreis denn festgefügte Organisation sehen7. Es sei vor allem nicht möglich, "dem Wort sippe eine Bedeutung zuzusprechen, die für alle Epochen und kulturelle Einheiten in gleicher Weise zuträfe"8. Genzmer, Kaufmann, Kroeschell, Schmid und Schwab, um nur einige Vertreter dieser Forschungsrichtung zu nennen, schlagen deshalb vor, den Begriff "Sippe" mit der allgemeineren und unverfänglichen Bezeichnung "Verwandtschaft" wiederzugeben9. Grundsätzlich läßt sich sagen, daß im Mittelalter die Verwandten einander bei Rechtssachen die Nächsten waren, was sich am Beispiel von Fehde, Blutrache und im Privatrecht bei Ehe-, Erbschafts- und Vormundschaftssachen zeigte. Vor Gericht war auf die Hilfe der Verwandten nicht zu verzichten, da vorwiegend Verwandte als Bürgen auftraten, die Prozeßpartei vor Gericht bildeten und zum Beispiel Eidhilfe leisteten10. Bei der Darstellung von Sühneverhandlung und Prozeß spielt Heinrich auf diesen Punkt an11. Es versteht sich, daß ein Verbrechen gegen einen Verwandten, was der Theorie nach undenkbar war,
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s. S. Iff) gegen das überzeichnete Bild vom Rechts- und Gemeinschaftsleben. Schmid plädierte für eine vorsichtige Verwendung des Sippen-Begriffs, weil sich die Verwandtschaft rasch gewandelt habe und schon nach wenigen Generationen eine weit entfernte gewesen sei (ebenda, S. 29, 38). Er schlug deshalb die Bezeichnung "Geschlecht" (ebenda, S. 4) oder "Verwandtengemeinschaft" (ebenda, S. 47) vor, wie sich auch Kaufmann zuletzt für "Verwandtschaft" im allgemeineren Sinne aussprach (KAUFMANN: Sippe [1990], Sp. 1670). MlTTElS, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Ein Studienbuch. Neubearb. v. Heinz Lieberich (=Mitteis/Lieberich), München (16. Aufl.) 1981 (18. erw. u. erg. Aufl. 1988) = Juristische Kurzlehrbücher, S. 22 für die Frühzeit: "Die vielseitigen Funktionen, welche die überkommene Lehre der Sippe als Ordnungsmacht zuweist, darf nicht dazu verführen, sie als korporativen Geschlechtsverband anzusehen ( . . . ) sie [ist] mehr Lebenskreis als festgefügte Organisation." GOTTZMANN, Carola L.: Sippe. In: Sprachwissenschaft 2, 1977, S. 217-258, s. S. 258. S.o. S.24f, Anm.6. BRUNNER: Deutsche Rechtsgeschichte I (1887), S. 88; KÖHLER, Gerhard: Rechtsgeschichte. Ein systematischer Grundriß der geschichtlichen Grundlagen des deutschen Rechts von den Indogermanen bis zur Gegenwart, München (3. Aufl.) 1982,5.79. S.u. S. 159.
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Der Fuchs und die kleinen Tiere
besonders streng bestraft wurde12. Viele Rechte verboten Fehdehandlungen unter Verwandten13. Im Laufe der Zeit faßte man den Kreis enger und beschränkte sich bei Rechtssachen auf die engste Verwandtschaft. Die Pflicht, sich für jemanden in einem juristisch relevanten Fall zu engagieren, wurde zunehmend vom Rechtssatz, der Sache, dem Verwandtschaftsgrad und von der Rechtsqualität der Betreffenden abhängig gemacht14. Es galt die Regel: Je näher die Verwandtschaft, desto intensiver war das Rechtsverhältnis und die daraus abgeleiteten Verpflichtungen. Das ältere deutsche Recht kannte genaue Verfahren zur Ermittlung des Verwandtschaftsgrades15: Zunächst unterschied man, ob die Verwandtschaft durch den Vater oder die Mutter vermittelt wurde, denn in einigen Rechten galten die sogenannten "Vatermagen" (auch "Ger-" oder "Sehwertmagen") mehr als die "Muttermagen" (auch "Spill—", "Spindel-" oder "Kunkelmagen"). Die letzteren wurden nicht oder nur vermindert zur Hilfeleistung herangezogen16. Hahn und Raben gegenüber verweist Reinhart übrigens auch auf die Verwandtschaft väterlicherseits (s. V. 108 ff; 236 ff). Darüberhinaus wurde die Generation nach Linien oder Parenteln bestimmt. Der "Sachsenspiegel" zählt am Beispiel der Gliedmaßen des menschlichen Körpers die Verwandtschaftslinien auf17. Danach endet die 'Sippe' am siebten Glied, und mit ihr enden auch die meisten rechtlichen Verpflichtungen. Andere Quellen faßten wiederum den Kreis derer, die zum Beispiel 12
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SCHRÖDER / v. KÜNSSBBRG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 73, Anm.52; CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S. 65. KAUPMANN, Ekkehard: Fehde. In: HRGI, 1971, Sp. 1083-1093, s. Sp. 1089f. BRUNNER: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. II, Leipzig 1892, S. 381. SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 70. Ebenda, S.69f; s. KÜPPER, Dagmar: Schwertmage. In: HRG IV, 1990, Sp.1577-1579. SLdr. I 3 § 3; dazu CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S. 52; VUKCEVIC, Nikola: Die Verwandtschaft (Blutsverwandtschaft, Schwägerschaft, gesetzliche und geistliche Verwandtschaft) als Ehehindernis in der Morgen- und Abendländischen Kirche, Wien (Diss. theol. [masch.] o.J.) um 1944, S.25; KÜPPER, Dagmar: Ehe, Familie, Verwandtschaft. Zur Widerspiegelung von Begrifflichkeit in der Bildtradition des Sachsenspiegels. In: Text—Bild-Interpretation. Untersuchungen zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels. Bd. I. Hrsg. v. Ruth Schmidt-Wiegand, München 1986 = Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 55/1, S. 129-153.
Verwandtschaft und triuwe im Rechtsleben des Mittelalters
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von der Fehde eines Verwandten betroffen18 oder aber erbberechtigt waren19, enger oder weiter. Die Differenzierung der Verwandtschaft nach dem Bild des menschlichen Körpers sah nur die Zählweise auf der gleichen Querlinie vor. Es schuf "das System der V e t t e r s c h a f t e n , das die Angehörigen der aufeinander folgenden Glieder als erste, zweite, dritte Vettern usw. unterschied"20. Entfernte Vetterschaften versuchte man weiter zu differenzieren, indem zusätzlich die Begriffe "zweiter Neffe", "zweiter Oheim" etc. eingeführt wurden. Hier mag eine Quelle für die ungenaue, für heutige Begriffe verwirrende Benennung der Verwandten in früherer Zeit liegen21. Besonders die durch neveschaft vermittelte Verwandtschaft läßt sich nur sehr ungenau bestimmen, so daß die an späterer Stelle im "Reinhart Fuchs" erwähnte Verbindung zwischen Fuchs und Raben, Fuchs und Kater sowie Fuchs und Dachs (vgl. V. 232 ff, 315 ff, 1390 u.ö.) mehrere Möglichkeiten der Verwandtschaftsbeziehung zuläßt22. Das zweite Stichwort, das sich leitmotivisch in den ersten vier Episoden findet, lautet triuwe (V. 113). In den literarischen Texten des Hochmittelalters kommt dieser Begriff häufig vor und dient zur Bezeichnung von ethischen Eigenschaften und positiven Tugenden wie 'Aufrichtig18
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Dazu His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.266f; vgl. a. "Reinhart Fuchs" V. 1070 ff zur Verpflichtung des Luchses, die Fehde zwischen Fuchs und Wolf zu schlichten. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.266, Anm.3. SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 71. Robert Bjerke (A contrastive study of Old German and Old Norwegian kinship terms = Indiana University Publications in Anthropology and Linguistics. Teil II: Supplement to International Journal of American Linguistics. Bd. 35, Nr. l, Januar 1969, S. 51, 54) geht davon aus, daß es unter den Sprechenden einen Konsensus über Anwendung und genaue Bedeutung der Termini gegeben habe. Nach der Untersuchung mittelalterlicher Rechtsquellen kam Bjerke in bezug auf die Bezeichnungen neve und niftel bzw. okeim und muome zu dem Ergebnis, daß diese Bezeichnungen sehr variabel gebraucht wurden: "In additon to general words for blood relative (vriunt, mac) which may be used to designate individuals, there is a set of terms for collateral relatives, which forms a very irregular and for that reason highly interesting group. The problem is the variation of usage" (ebenda, S. 54). Bjerkes genealogisches Schema "the German system" - zeigt, daß die Verwandten mit den gebräuchlichen Bezeichnungen um ein "ego" herum benannt wurden. Mehrfachnennungen waren durchaus üblich. So findet sich in seinem Beispiel dreimal die Bezeichnung neve für jeweils unterschiedliche Verwandtschaftsbeziehungen (S. 53).
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Der Fuchs und die kleinen Tiere
keif und 'Zuverlässigkeit'23. Der triuwe-Begnff als moralischer Wert beschäftigte die "Reinhart Fuchs"-Forschung, die in ihm den eigentlichen "Leitwert" des Werkes zu erkennen glaubte24. Schwob hat die Begriffe triuwe beziehungsweise untriuwe darüberhinaus auf die Sphäre des Rechts bezogen25. Der Begriff der Treue im Sinne einer definierten Rechtspflicht ist jedoch in der Forschung heute sehr umstritten26. Graus beispielsweise vertrat entgegen älteren Anschauungen die An23
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Lex. II, Sp. 1520; BMZ III, S. 107"; VOLLMER, Vera: Die Begriffe der Triuwe und der Staete in der höfischen Minnedichtung, Tübingen (Diss. phil.) 1914, S. 18, 25f, 41 f. Für Jauß ist der Verfasser des "Reinhart Fuchs" ein pathetischer Satiriker, der eine bessere Vergangenheit, das "Ethos der alten triuwe", einer schlechten Gegenwart, "der neuen höfischen Gegenwart", gegenüberstellt (Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung [1959], S. 291). Dabei diene ihm das Beispiel der triuwe, bzw. der Fuchs als Beispielfigur der uniriuwe, zur Entlarvung negativen Verhaltens und zu kritisierender Zustände (ebenda, S. 275 ff, 289, 291, 294). Auch Göttert hält die uniriuwe, die "Macht des Betruges", für den übergreifenden Grundzug der Dichtung: Heinrich wolle die höfische Gesinnung und die ihr innewohnende Untugend mit ihren zerstörerischen Kräften aufdecken und eine "zeitlos-gegenwärtige" Haltung, die valscheit, herausarbeiten (Tugendbegriff und epische Struktur in höfischen Dichtungen [1971], S.46); vgl. a.: RUH, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters II (1980), S.lSff; STUTZ, Elfriede: Versuch über mhd. kündekeit in ihrem Verhältnis zur Weisheit. In: Festschrift für Peter Michelsen. Hrsg. v. Gotthard Frühsorge u.a., Heidelberg 1984, S.33-46, s. S.44. SCHWOB: Die Kriminalisierung des Aufsteigers im mittelhochdeutschen Tierepos vom "Fuchs Reinhart" und im Märe vom "Helmbrecht" (1984), S. 47. Zu dem umstrittenen Treuebegriff s. beispielsweise die Arbeiten von Frantisek Graus (Über die sogenannte germanische Treue. In: Historica I [Historische Wissenschaften in der Tschechoslowakei], Prag 1959, S. 71—121; ders.: Herrschaft und Treue. Betrachtungen zur Lehre von der germanischen Kontinuität I. In: Historica XII, 1966, S. 5^14) und Walter Schlesinger (Herrschaft und Gefolgschaft in der germanisch-deutschen Verfassungsgeschichte. In: HZ 176, 1953, S. 225-275; wiederabgedruckt in: Herrschaft und Staat. Hrsg. v. Hellmut Kämpf = WdF 2, Darmstadt 1956, S. 135-190). Karl Kroeschell hat 1969 die kontroversen Forschungspositionen gegeneinander abgewogen und die Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich der neueren Forschung mit dem von der älteren Lehre geprägten, idealisierten Treuebegriff auftun. Kroeschell macht vor allem den ideologischen Hintergrund für das Bild von der "germanischen Treue" verantwortlich. Ahnlich wie für den Begriff "Sippe" kommt er zu dem Ergebnis, daß die Geschichte der germanischen Treue "die Geschichte einer allmählichen Aufblähung wohlbegründeter Einzelheiten zu einem imposanten, aber irrealen Theoriegebäude" sei, was sich im wesentlichen auf die literarische Tradition zurückführen lasse (Die Treue in der deutschen Rechtsgeschichte. In: Studi Medievali X, l, 1969, S. 465-489).
Verwandtschaft und triuwe im Rechtsleben des Mittelalters
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sieht, daß der Treuebegriff des Mittelalters ein feudaler war, es aber keine für das Recht konstitutive Treuepflicht gegeben habe27. Daß der Treuebegriff des Rechts ein streng formaler war und sogar einen Gegensatz zwischen den Treuepflichten und denjenigen, die das Recht auferlegte, darstellen konnte, zeigen einige Rechtssätze des "Sachsenspiegel"-Landrechts. Bei den Artikeln III 78 § 1-9 beispielsweise handelt es sich um kasuistisch erfaßte Einzelfälle, die das Befolgen der Rechtsnorm (z.B. die Verfolgung oder Festnahme des straffälligen Herrn, Vasallen oder Verwandten) über die Verwandten- oder Vasallentreue stellen28. Die Handlung des "Reinhart Fuchs" läßt den Schluß zu, daß Heinrich auf bestimmte Wert Vorstellungen anspielt, die eine unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren des sozialen Lebens und der Rechtsordnung waren. Dem Idealzustand stellt er die Aushöhlung dieser Werte und mit ihr die Zerbrechlichkeit der bestehenden Ordnung gegenüber. In Heinrichs Tierepos ist triuwe ein vergänglicher Wert und wird zunächst von Reinhart, später auch von den anderen Tieren zur Wahrung der eigenen Interessen mißbraucht. In den Eingangsepisoden zeigt sich die Umsetzung dessen, was im Prolog angekündigt und in Variationen andernorts fortgesetzt wird. Das ganze Werk hindurch bestätigt sich nämlich, daß aus triuwe untriuwe wird, sobald Reinhart am Geschehen beteiligt ist. Die berufenen Werte werden gänzlich ungültig und dienen lediglich als Mittel zum Zweck. Das Wissen um diese Werte und ihren Bedeutungsgehalt ist kündecheit, ihr zielgerichteter Einsatz in einer bestimmten Situation list29. Beides beherrscht Reinhart meisterhaft, seine Gegner jedoch geraten in Bedrängnis, in not. Dieses Schema triuwe - untriuwe - not durchzieht nach Göttert und Schwob das ganze Tierepos und ist konstitutiv für alle Verbindungen zwischen dem Fuchs und den anderen Tieren30. 27
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"Die Treuepflicht des Mittelalters ist meiner Ansicht nach eine feudale Treuepflicht, mittelalterlich, vielschichtig und historisch veränderlich und nicht ursprünglich und eine Konstante der ganzen Verfassungsgeschichte", Graus: Herrschaft und Treue (1966), S. 8. Einige Rechtssätze des "Sachsenspiegel" Lehnrechts scheinen das zu bestätigen, s. SLnr. §§ 55,6; 55,7. De man mut ok wol volgen sime Herren, unde de herre sime manne, unde de mach sime mage, unde (san) helpen bestedegen van gerichtes halven um ungerichie, dar he mit deme geruchie to geladet wert an ener hanthaften dat, unde ne dut weder sinen tniwen nicht, SLdr. III 78 § 3 (ed. Eckhardt, S. 260). S.u. S. 30. GÖTTERT: Tugendbegriff und epische Struktur in höfischen Dichtungen (1971), S.63ff; SCHWOB: Die Kriminalisierung des Aufsteigers im mittel-
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Der Fuchs und die kleinen Tiere
2.2 Reinhart Fuchs (V. 1-10) Der Auftritt des Fuchses wird gleich zu Beginn des Werkes vorbereitet. Dem Prolog ist zu entnehmen, daß der Protagonist des "Reinhart Fuchs" über besondere, ihn von allen Tieren unterscheidende Fähigkeiten verfügt, daß vor allem Bosheit, Tücke, List und Scharfsinn seine wesentlichen Merkmale sind31: Verneinet vremde mere, die sint vil gewere, Von einem tiere wilde, do man bi mag bilde s Nemen vmbe manige dinc. iz keret allen sinen gerinc An triegen vnd an kvndikeit, des qvam ez dicke in arbeit. Iz hate vil vnkvste erkant 10 vnd ist Reinhart fvchs genant. (V.Iff) Exemplarisch will Heinrich zeigen, wie jemand betrügerisch und hinterhältig vorgeht, planmäßig handelt und seine Fähigkeiten an die jeweilige Situation angepaßt einsetzt. Während sich in den frühen Branchen des "Roman de Renart" noch das situationsbedingte Handeln des Schelmen findet, hebt der deutsche Verfasser das Handeln mit Vorbedacht hervor32. Das gilt besonders für die rechtlich relevanten Handlungen. Neben den kommentierenden oder vorausdeutenden Erzähler bemerkungen sind es immer wieder dieselben terminologisierten mittelhochdeutschen "Intellektualwörter"33 wie triegen3*, list36 und kündecheit36,
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hochdeutschen Tierepos vorn "Fuchs Reinhart" und im Märe vom "Helmbrecht" (1984) ,8.42 ff. Vgl. STUTZ: Versuch über mhd. kündekeit in ihrem Verhältnis zur Weisheit (1984), S. 33ff; HARMS, Wolfgang: Rebhart Fuchs als Papst und Antichrist auf dem Rad der Fortuna. In: FMST 6, 1972, S. 418-440, a. S. 418. JAÜSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959) S. 285. STUTZ: Versuch über mhd. kündekeit in ihrem Verhältnis zur Weisheit (1984), S. 33ff. Triegen: V. 7, 215, 227, 272, 348, 824, 986, 991, 1046, 1196; s.a. liegen, V.823; Huge, V.228; liugenvre, V.624; leckerheii, V. 198, 882, 1161, 1596; schalcheit, V. 207, 2119; dazu GÖTTERT: Tugendbegriff und epische Struktur in höfischen Dichtungen (1971), S. 37f. List: V. 105, 188, 340, 397, 399, 505, 766, 838, 1129, 1516, 1865 (V. 222 bezieht sich auf den Raben, V. 1067 auf den Wolf). Kündecheit: V. 217, 228, 307, 364, 825, 1163, 1421, 1823, 2037; V. 228:
Reinhart Fuchs
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die zur Charakterisierung der Fuchsfigur herangezogen werden müssen. Kündecheit ist nach Trier das bezeichnendste Wort im "Reinhart Fuchs", der "Inbegriff aller der Eigenschaften, die den Reinhart vor ändern Tieren auszeichnen"37. Stutz spricht in diesem Zusammenhang von einem "Schlüsselbegriff", denn "in keinem ändern Text findet sich kündekeit so relativ oft und so leitmotivisch wie im Reinhart Fuchs"38. Kündecheit bedeutete im Mittelhochdeutschen ursprünglich 'Kennerschaft', 'Schlauheit' im guten wie im bösen Sinne39, im "Reinhart Fuchs" sei der Begriff jedoch im Sinne eines "negative(n) Werturteil(s)"40 aufzufassen. Kündecheit werde zur festen Eigenschaft des Fuchses und bezeichne seine Gerissenheit, seine Schlauheit, seine (geistige) Gewandtheit, ja seine intellektuelle Überlegenheit über die anderen Tiere41. Das Wort wird im "Reinhart Fuchs" "klar abwertend, immer mit Bezug auf den Titelhelden"42 gebraucht, der seine falschen Absichten und Handlungsweisen geschickt zu tarnen und seine Umwelt zu täuschen versteht. Der im Prolog beschworene Beispielcharakter des Fuchses kann deshalb nur so verstanden werden, daß Reinhart ein "Negativbeispiel" für "kundiges" Verhalten in Wort und Gebärde sein soll43, denn er stellt, indem er sich bedenkenlos der berufenen Werte lediglich als Mittel für seine Zwecke bedient, diese durch sein Verhalten in Frage. Schon am Anfang wird also deutlich - und tendenzi37
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kündeclich; V. 1128: überkündigen. TRIER, Jost: Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes. Bd. l, Heidelberg 1931 = Germanische Bibüothek, 2. Abt., Bd. 31 (ND 1973), S. 186. STUTZ: Versuch über rnhd. kündekeit in ihrem Verhältnis zur Weisheit (1984), S. 34; RAGOTZKY, Hedda: Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, Tübingen 1981 = Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur. Bd. 1; dazu die Rez. von Elfriede Stutz in AfdA 94, 1983, S. 116-121. STUTZ: Versuch über mhd. kündekeit in ihrem Verhältnis zur Weisheit (1984), S. 33. Ebenda, S. 45. LINKE: Form und Sinn des "Fuchs Reinhart" (1974), S. 232. Nur einmal - beim Reinigungseid (V. 1121f) - wollen es die "großen Tiere" dem Fuchs gleichtun und kündec sein wie er. Sie scheitern jedoch, denn Reinhart ist "überkündec" (vgl. V. 1128). STUTZ: Versuch über mhd. kündekeit in ihrem Verhältnis zur Weisheit (1984), S. 34. Harms (Reinhart Fuchs als Papst und Antichrist [1972], S.418) fragt mit Recht, wofür der Fuchs als Exempel dienen soll, denn "ein positives Gegenprogramm bringt dieser Anzweifler und Auflöser einer gegebenen Ordnung nicht mit."
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Der Fuchs und die kleinen Tiere
eil im gesamten Werk - wie sehr Reinharts kündecheit die sozialen Grundlagen, vor allen Dingen das Rechtsgefüge, bedroht44. Insofern widersprechen kündecheit und triuwe, ein weiterer Schlüsselbegriff im "Reinhart Fuchs", einander45, kündecheit und untriuwe hingegen stehen im Verhältnis von "kunstgerechter List und treulosem Betrug"46. Zwar gelingt es Reinhart anfangs noch nicht, seine Verwandten Hahn, Meise, Rabe und Kater zu übervorteilen. Vielmehr gerät der Fuchs, wie im Prolog vorhergesagt, bei diesen Zusammentreffen in Schwierigkeiten (not). Jedoch ist er infolge seiner kündecheit dem Wolf überlegen und dominiert schließlich die Hofversammlung47.
2.3 Der Hühnerhof (V. 11-98) Der Verfasser des "Reinhart Fuchs" leitet die erste Episode ein, indem er zunächst die lokalen Gegebenheiten beschreibt. Nicht zufällig finden sich in dieser Beschreibung Rechtswörter im weiteren Sinne48, mit denen der Ausgangspunkt der Handlung umrissen wird. Vollends spielt Heinrich auf konkrete rechtliche Sachverhalte an, wenn er seinen Protagonisten Hahn, Meise, Rabe und Kater attackieren läßt und die Nahrungssuche des hungrigen Fuchses als Fehdehandlungen gegen Verwandte darstellt. Angriffs- und Ausgangspunkt des ersten Abenteuers ist das Anwesen des Bauern Lanzelin, das isoliert von anderen Gehöften bi einem dorfe vber ein velt (V. 15) außerhalb der Dorfumfriedung liegt49. Von dem Besitz heißt es, daß er erbe und gelt (V. 16) für den Bauern repräsentiert, wobei der Begriff 'Erbe' den Besitz- und Rechtsstatus definiert50, 'Geld' die in V. 17 f noch näher 44
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STUTZ: Versuch über mhd. kündekeit in ihrem Verhältnis zur Weisheit (1984), S. 45. Die Belege für triuwe bzw. untriuwe im "Reinhart Fuchs" sind zahlreich: V. 113, 183, 186, 265, 274, 281, 325, 418, 626, 753, 995, 997, 1003, 1045, 1047, 1281, 1536, 1627, 1960, 2097. JAUSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959), S. 290; vgl. VOLLMBR: Die Begriffe der Triuwe und der Staete in der höfischen Minnedichtung (1914), S. 28. S.u. S. 208 ff. S.o. S. 19. Vgl. HEYNB, Moritz: Fünf Bücher deutscher Hausaltertümer von den ältesten geschichtlichen Zeiten bis zum 16. Jahrhundert. Bd. 1: Das deutsche Wohnungswesen, Leipzig 1899, S. 198. KROESCHBLL, Karl: Dorf. In: HRG I, 1971, Sp. 764-774, s. Sp.767ff. "Erbe". In: RWB 3, Sp.40ff; vgl. HAGEMANN, Hans-Rudolf: Eigentum.
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erläuterten Vermögens- und Einkommensverhältnisse51. Vermutlich ist der Grundbesitz ererbt und als Eigen weiter vererbbar52. An anderer Stelle spricht Heinrich von 'Hof und 'Garten' (V. 24)53, worunter die Wohnstätte einer einzelnen Bauernfamilie mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden54 und dem dazugehörigen Gartenland zu verstehen ist. Nach mittelalterlichem Recht zählte der Garten zum Hofbereich und nahm im Vergleich zur Feldflur eine besondere Stellung ein. Das Gartenland, auch wenn es sich um etwas abseits gelegene Baum-, Kraut- oder Weingärten handelte, gehörte im Rechtssinne nicht zur Flur, sondern zum Wohnbereich55. Es wurde üblicherweise sorgsam umfriedet und unterlag demselben Recht wie die Hofstatt56. Die Besitzabgrenzung und -Sicherung ist der zweite Punkt, den Heinrich erwähnt (vgl. V. 37, 47, 64; 38). Die benutzten Termini entstammen dem Wortfeld der Einfriedung (bzw. der Gebietsbefriedung) und stehen in engem Zusammenhang zur Fehde57. Unter Fehde ist in der fraglichen Zeit einerseits der Zustand der Feindschaft und der kriegerischen Auseinandersetzung zu verstehen58, andererseits die Selbsthilfe,
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In: HRG I, 1971, Sp. 882-896; SCHWAB, Dieter: Eigen. In: ERG I, 1971, Sp.877-879. "Geld". In: RWB 3, S P .1544ff. RWB 3, Sp.43; HAGEMANN: Eigentum (1971), Sp.883; SCHWAB: Eigen (1971), Sp. 877f. Vgl. dazu BADER, Karl Siegfried: Das mittelalterliche Dorf als Friedens- und Rechtsbezirk, Wien/Köln/Graz 1957 (3. Aufl. 1981) = Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes. Bd. l, S. 21; "Hof. In: RWB 5, Sp. 1162ff; "Garten". In: RWB 3, Sp. 1176; vgl. "Etter". In: RWB 3, Sp.331f. BADER: Das mittelalterliche Dorf als Friedens- und Rechtsbezirk (1957), S. 39; vgl. LIEBERICH, Heinz: Etter. In: HRG I, 1971, Sp. 1025-1027, s. Sp. 1026; ders.: Etterrecht und Ettergerichtsbarkeit in Baiern. Rez. zu K. S. Bader: Das mittelalterliche Dorf als Friedens- und Rechtsbezirk (1957). In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Bd. 21, H. 3, 1958, S. 472-484. BADER: Das mittelalterliche Dorf als Friedens- und Rechtsbezirk (1957), S. 39; vgl. LIEBERICH: Etter (1971), Sp. 1026. BADER: Das mittelalterliche Dorf als Friedens- und Rechtsbezirk (1957), S. 55. KAUFMANN: Fehde (1971), Sp.l083ff. Ders.: Friede. In: HRG I, 1971, Sp. 1275-1292. "Fehde". In: RWB 3, Sp.445ff; "Friede(n)". In: RWB 3, Sp.894ff. Wie S.34, Anm.59; vgl. BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S. 17ff. Dazu die Rez. von Heinrich Mitteis in: MITTEIS, Heinrich: Die Rechtsidee in der Geschichte, Weimar 1957, S.473-480.
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Der Fuchs und die kleinen Tiere
die neben dem "ordentlichen Rechtsweg" existierende Strafverfolgung59. Wenn also der Bauer im "Reinhart Fuchs" seinen Besitz mit Hag und Zaun (V. 37, 47: tzvn; V. 49: spacken; V. 51: hag) einhegt, so will er die Hofstatt als befriedeten Bezirk kennzeichnen, der wie andere durch Zaun oder Mauer sichtbar befestigte Orte (wie Dorf, Stadt und Burg) nach mittelalterlichem Recht den Status von "Sonderfriedensbezirken" hatte60. Rechtlich betrachtet, stellte der Zaun ein Signal für die Umwelt dar, den Haus- beziehungsweise den Hoffrieden zu wahren61, und hatte die Funktion einer "Fehdeschranke"62. Die Verletzung der Rechtsgrenze galt als Bruch des Hausfriedens, wobei das feindliche Eindringen in Haus, Hof und Garten als "Heimsuchung" bezeichnet wurde63. Die einsetzende Handlung zeigt, daß Heinrich bewußt den Rechtscharakter der Umzäunung hervorheben und den Zusammenhang zur Fehde herstellen will64. Denn mit dem Auftreten des Fuchses wechselt allmählich die Perspektive und wendet sich im Sinne einer anthropomorphisierenden Darstellung den tierischen Akteuren zu. Die Einfriedung kann schwerlich einem Menschen den Zutritt zum Grundstück versperren, doch kann sie das Vieh schützen und wilde Tiere abhalten65.
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KAUPMANN: Fehde (1971), Sp. 1084. Rache als unerlaubte Fehdehandlung ist terminologisch von der Blutrache, der Totschlagsfehde, zu trennen. Kaufmann spricht sich gegen die allzu starke Betonung des "Rechtscharakter(s) der Fehde" aus wie auch gegen die Gleichsetzung von Fehde und Faustrecht (Sp. 1093). BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S.95f; 256f. His, Rudolf: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, München/B erlin 1928 (ND München 1967) = Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte. III. Abt., S. 41; KOCHER, Gernot: Friede und Recht. In: Festschrift für Ruth Schmidt-Wiegand. Hrsg. v. Karl Hauck u.a. Bd. l, Berlin/New York 1986, S. 405-415, s. S. 412. RWB 5, Sp. 1210; LIBBERICH: Etter (1971), Sp.1026; KOCHER: Friede und Recht (1986), S.413 mit Anm.39. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 217. Ebenda, S.221; vgl. His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 162. Vor diesem Hintergrund ist Jauß' Feststellung, daß der breiter als zur Veranschaulichung der Örtlichkeit notwendig angelegte Eingang der Schantekler— Episode ein "ausgemachtes Bauernidyll" zeige, nicht zutreffend (vgl. Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung [1959], S. 286 mit Anm. 2). BADER: Das mittelalterliche Dorf als Friedens- und Rechtsbezirk (1957), S. 100; LIEBERICH: Etter (1971), Sp.1025.
Der Hühnerhof
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Von einem tiere wilde (V. 3) ist deshalb in der Folge auch die Rede. Schlechte Erfahrungen mit dem Hühnerdieb Reinhart waren nämlich der Anlaß für die Ausbesserung des Zaunes. Freilich werden aus der Perspektive des Hahnes Haus und Garten fehdemäßig befestigt und das Terrain befriedet. Der Hahn Schantekler ist auch im weiteren Verlauf der eigentliche herre des Hofes, und ihm und seinen Hennen, seiner familia, gilt die Fehde des Fuchses66. Dem Hühnerhof hat der Verfasser des "Reinhart Fuchs" eine hausherrschaftliche Struktur gegeben und damit auf ein wichtiges Element des älteren Rechtslebens angespielt67. Germanischen Rechtssätzen nachempfunden, übernahm der Haus- beziehungsweise Hofherr auch im Mittelalter für die ständig bei ihm wohnenden Personen - Angehörige und Dienstleute - die Verantwortung68. Er verfügte über den zum Haus gehörenden Besitz, das heißt er übte die "Sachenherrschaft" (die sogenannte "Gewere")69 aus, und hatte die personenrechtliche Gewalt (die sogenannte "Munt") über die zur Hausgemeinschaft gehörenden Personen inne70. Nach Heinrich Brunner äußerte sich die Stellung des 66
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Mehrmals zeigt Heinrich denselben Sachverhalt zugleich aus menschlicher und aus tierischer Perspektive. Sobald die Menschen in den Hintergrund der Darstellung treten, geht die vormals "tierische Sichtweise" in eine "vermenschlichte" über, das heißt tierisches Verhalten wird anthropomorphisiert. So beklagt der Bauer V. 140 den Verlust seines Hahnes, die Henne Finte fürchtet demgegenüber um das Leben ihres Herrn und Gatten, von dem zugleich ihre eigene soziale und rechtliche Stellung sowie die ihrer Kinder abhängt (V. 91 ff); vgl. WlLLOWBiT, Dietmar: Schutz und Schirm. In: ERG IV, 1990, Sp. 1528 f. Zur Anthropomorphisierung im "Reinhart Fuchs" s. die im Druck befindliche Untersuchung von Birgit KEHNE: Formen und Funktionen der Anthropomorphisierung in der deutschen Tierdichtung. Untersucht an drei Beispielen aus der Reineke Fuchs-Dichtung. Göttingen (Diss. phil.) 1990. SCHULZE, Hans K.: Hausherrschaft. In: HRGI, 1971, Sp.2030-2033; OGRIS, Werner: Hausgemeinschaft. In: HRGI, 1971, Sp.2024-2026; SCHWAB: Familie (1971), Sp. 1067ff; BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S.254ff; MITTEIS/LIEBERICH: Deutsche Rechtsgeschichte (16. Aufl. 1981), S. 22. Auch die Wolfsfamilie ist hausherrschaftlich organisiert, vgl. S. 64. BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S.95f, 257. ISELE, Hellmut Georg: Gewere. In: HRGI, 1971, Sp. 1658-1669, s. Sp. 1659. OGRIS, Werner: Munt, Muntwalt. In: HRGIII, 1984, Sp. 750-761, s. Sp. 755; SCHULZE: Hausherrschaft (1971), Sp.2030f; APPELT, Heinrich: Schutz, Schutzprivilegien. In: HRG IV, 1990, Sp. 1525-1528. Die Bedeutung der Munt für das ältere Rechtsleben ist heute umstritten. Die ältere Lehre, wie sie beispielsweise von Andreas Heusler und Heinrich Brunner vertreten wird, stellte die Munt als einen zentralen Strukturbegriff des mittelalterlichen Privatrechts dar und sah in der Gewalt des Hausherrn über die Hausgenossen-
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Der Fuchs und die kleinen Tiere
Hausherren "nach innen als Herrschaft, nach außen als Haftung"71, wobei ein wesentliches Moment in der Sorge für "Schutz und Schirm" sowie Frieden innerhalb der Gemeinschaft lag72. Bezieht man die Hinweise im Text auf das mittelalterliche Recht, so hat Reinharts Vorgehen den Charakter einer unrechtmäßigen Fehde gegen einen geschützten Rechtskreis. Sein Eindringen in den umzäunten Garten kommt einem Rechtsbruch gleich und hat den Charakter einer Fehdehandlung. Historisch gesehen, beschränkten sich die Fehdeführenden nicht allein darauf, den Gegner an seinem Besitz zu schädigen - der Termi-
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schaft die "ursprüngliche, einheitliche und allumfassende Erscheinungsform der Munt" (OGRIS: Hausgemeinschaft [1971], Sp. 753), die dann auf das Verfassungsleben (Vasallität, Königsmunt) übergegriffen habe. Die neuere Forschung- allen voran Karl Kroeschell (s.a. S.24, Anm. 6; S.28, Anm. 26; S. 36, Anm. 72) - steht dieser Lehre kritisch bis ablehnend gegenüber. Zwar leugne sie nicht die "Existenz des Hauses als kleinster sozialer Einheit", stelle aber die Munt "als tragendes Strukturelement" in Frage (OGRIS: Hausgemeinschaft [1971], Sp.753f). BRUNNER: Deutsche Rechtsgeschichte I (1887), S. 70 ff. Differenzierter CARLEN, Louis: Gesinde. In: HRG I, 1971, Sp. 1627-1629, s. Sp. 1628. Karl Kroeschell (Haus und Herrschaft im frühen deutschen Recht, Göttingen 1968 = Göttinger rechtswissenschaftliche Studien 70, S.55ff) brachte wesentliche Einwände gegen die von Otto Brunner (Land und Herrschaft [5. Aufl. 1965], S. 257) vertretene und von Walter Schlesinger (Herrschaft und Gefolgschaft in der germanisch-deutschen Verfassungsgeschichte. In: HZ 176 [1953], S. 225ff) wieder aufgenommene einseitige Charakterisierung der Munt als Schutzverband vor (vgl.o. S.35f, Anm. 70). Die Auseinandersetzung kreist um ein methodisches Problem der deutschen Rechtsgeschichte, nämlich das Verhältnis von Rechtssprache zu Begriffsbildung. An der Lehre der älteren Forschung wird hauptsächlich kritisiert, daß sie bestimmte Schlüsselbegriffe der frühen Rechtsgeschichte- wie Herrschaft, Freiheit, Treue, Gefolgschaft, Sippe, Haus, Munt etc., Begriffe, die größtenteils auch im "Reinhart Fuchs" vorkommen - mit einem bestimmten Vorstellungsgehalt versehen habe, der aber oft losgelöst von dem eigentlichen Zusammenhang angewendet worden sei. Die Folge sei gewesen, daß ein vorgegebenes Verständnis auf alte Quellen übertragen wurde, das heißt, daß ein Begriff, der in einer bestimmten Epoche für bestimmte Sachverhalte geprägt wurde, zur Beschreibung ähnlicher oder sogar ganz anderer Sachverhalte gedient habe. Vgl. a. KROESCHELL: Die Sippe im germanischen Recht (1960), S. l ff; KÖBLER, Gerhard: Das Recht im frühen Mittelalter, Köln/Wien 1971 = Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 7, S.öff; CARLEN: Gesinde (1971), Sp.1627 ff.
Der Hühnerhof
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nus dafür war "schaden tun"73, "schaden trachten"74, im "Reinhart Fuchs" heißt es V. 26 f ze. schaden kvmen - sondern auch die Person des Gegners wurde attackiert. Durch Reinharts Fehde entsteht somit dem Bauern "schaden ... an gute", dem Hahn "schaden ... an übe"75. Beide Formulierungen finden sich in den mittelalterlichen Rechtsquellen, nach denen Körperverletzung und Sachbeschädigung die typischen Fehdehandlungen waren76. Die natürliche Opposition von Fuchs und Hühnern drückt Heinrich also dadurch aus, daß er Reinhart als den verchvint Schanteklers bezeichnet (V. 53), als seinen Blut- oder Todfeind77. In den Rechtstexten findet sich der Terminus vi(e)ntschaft (oder totveintschaft}78 zur Bezeichnung von Fehden aller Art, besonders aber der Totschlagfehde79, der sogenannten Blutrache oder Hauptfeindschaft80. Die Blutrache stammt aus einer Zeit der vorstrafrechtlichen Regelung und rächte das Verbrechen, meist Mord oder Totschlag, am Täter beziehungsweise seinen Angehörigen81. Sie war 73
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Die Landfrieden, die die innere Ordnung des Reiches sichern und das Fehdewesen bekämpfen sollten, erwähnen die Schädigung des Gegners als Tatbestand der Fehde, s. z.B.: "Confirmatio pacis generalis Friderici II." in der Fassung von 1281 (MGH Const. Ill, Nr. 279-281, S. 275 ff, s. Art. 9, S. 276). Die "Constitutio contra incendiarios" von 1186 (MGH Const. I, Nr. 319, S. 449ff, s. Kap. 17, S. 451) spricht von "damnum facere". BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S. 13, 22, 79ff, 262, Anm. 1; His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 208; ASMUS, Herbert: Rechtsprobleme des mittelalterlichen Fehdewesens, Göttingen (Diss. jur.) 1951, S. 48, 51 u.ö. Mhd. schade ist ein häufig vorkommender Ausdruck für die Missetat, das zugefügte Unrecht. Das dazugehörige Verb lautet schade(ge)n; a. MuNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S.226; vgl. OORIS, Werner: Schadensersatz. In: HRG IV, 1990, Sp. 1335-1340, s. Sp.1335. MGH Const. Ill, Nr. 279-281, Art. 9, S. 276. FBHR, Hans: Das Waffenrecht der Bauern im Mittelalter. In: ZRG GA 35, 1914, S. 111-211, s.S. 140. BMZ III, S. 305°; Lex. Ill, Sp. 89. ZACH ARIAS, Rainer: Die Blutrache im deutschen Mittelalter. In: ZfdA 91, 1961/62, S. 167-201, s. S. 167; His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters 1(1920), S. 265f. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.265f; BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S. 19ff, 37f. Von der Blutrache ist die später zu behandelnde Ritterfehde zu unterscheiden, s.u. S. 79. FRAUBNSTÄDT, Paul: Blutrache und Todtschlagsühne im Deutschen Mittelalter. Studien zur Deutschen Kultur- und Rechtsgeschichte, Leipzig 1881, S. 10, Anm. 2; SCHMIDT, Eberhard: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Göttingen (3. Aufl.) 1965, S. 53ff. PREISER, Wolfgang: Blutrache. In: HRG I, 1971, Sp. 459-461, s. Sp.459.
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Der Fuchs und die kleinen Tiere
"Rache für vergossenes Blut"82, das auf ebensolche Weise vergolten werden sollte83. Mit der Darstellung von Reinharts Vorgehen als Fehdehandlung bezieht sich der Verfasser des "Reinhart Fuchs" auf ein wichtiges Element des früheren Rechtslebens84. Die Fehde war freilich nur dann ein legales Mittel zur Strafverfolgung, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt wurden. Soweit die Quellen sich zurückverfolgen lassen, galt es als moralisch und rechtlich besonders verwerflich, heimlich und hinterlistig zu Werke zu gehen, ohne daß der Gegner einen Anschlag vermuten konnte. So sollten beispielsweise Angriffe an einem befriedeten Ort oder unter Bruch eines gelobten Friedens ausgeschlossen sein85. Das Vokabular, mit dem Heinrich das Vorgehen seines Protagonisten beschreibt, ist identisch mit dem der mittelalterlichen Rechtsbücher zur Umschreibung verbrecherischer Handlungen: Reinhart will den Hühnern an den lip gehen (vgl. V. 40)86, ihnen vnminne67 und arbeit (vgl. V. 46)88 bereiten. Die Situation wirkt bedrohlich und ist von Angst und Schrecken bestimmt (vgl. V. 71, 81, 97; 74; 78), so daß Finte fürchtet, daß sie ze noten kvmen (V. 82)89. In rechtlichem Kontext drückt unminne die feindliche Gesinnung beziehungsweise die verbrecherische Absicht, die der Kränkung oder Verletzung des Gegners vorausgeht, aus. Da82 83
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ZACHARIAS: Die Blutrache im deutschen Mittelalter (1961/62), S. 167. BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S. 78. Im einzelnen ist wohl nicht zu klären, ob schon eine schwere Körperverletzung oder ein anderes Delikt einen ausreichenden Grund bot, vgl. PREISER: Blutrache (1971), Sp. 459. Im "Reinhart Fuchs" fehlt der Grund für ein derartiges Vorgehen von Seiten des Fuchses, so daß rechtlich gesehen der Fall einer nicht begründeten Fehde vorliegt. FRAUENSTÄDT: Blutrache und Todtschlagsühne im Deutschen Mittelalter (1881), S. 7; ZACHARIAS: Die Blutrache im deutschen Mittelalter (1961/62), S.174ff; PREISER: Blutrache (1971), Sp.460. FRAUENSTÄDT: Blutrache und Todtschlagsühne im Deutschen Mittelalter (1881), S. 4; His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 60. Die S. 37, Anm. 73 genannte "Confirmatio" Friedrichs II. bedroht den Verwandtenmord mit strengen Strafen (s. Art. 2). Lex. II, Sp. 1915f; BMZ II, S. 183". Lex.I, Sp.88f; BMZ I, S. 53°. In einigen oberdeutschen Rechtsquellen ist (Übel)tät - die 'schlechte', 'üble' Tat - die Bezeichnung für die schwere Straftat, s. MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 222. "Übel" als Attribut des Fuchses und seines Handelns kommt mehrmals im Werk vor: V. 190, 333, 411, 421, 1660, 1973, 2167, 2172 (vgl. V. 2172 mit V. 284 und 1463); vorht, 'Furcht', RWB 3, Sp. 1083f.
Fuchs und Hahn
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durch wird die Tat als "mutwillige", als "mit Vorbedacht" ausgeführte gekennzeichnet90. Daß der Fuchs böswillig und vorsätzlich handelt, belegt der Kommentar des Erzählers: Ern gienge ze hove mit sinnen, do wolt er einer vnminnen Schanteklern bereiten. (V. 43 ff) Die rechtswidrige Absicht umschreibt die Formulierung mit sinnen91. Schon die lateinischen Rechtsquellen der fränkischen Zeit verzeichnen entsprechend per malum ingenium, per ingenium, voluntate, per invidiam, inimicitiam, per iram etc.92. An späterer Stelle wird dieser Gedankengang noch einmal aufgenommen. Als Fuchs und Meise aufeinandertreffen, bemüht sich Reinhart, die Bedenken seiner Partnerin zu zerstreuen. Um seine Redlichkeit zu beteuern, benutzt er die rechtssprachliche Wendung an arge list (V. 188), Ohne böse (verbrecherische) Absicht'93, trachtet aber in Wahrheit der Meise nach dem Leben.
2.4 Fuchs und Hahn (V. 99-176) Die Begegnung von Fuchs und Hahn lebt von einem interessanten Dialogaufbau, in dem rhetorisches Geschick und traditionelle Verhaltensmuster eine maßgebliche Rolle spielen. Wie auch in den folgenden Episoden, hat Heinrich den rechtlichen Charakter der personellen Bindungen betont. Um den Hahn von seinem sicheren Ast zu locken, muß Reinhart das ganze Spektrum seiner im Prolog beschriebenen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Die scheinbare Verwechselung von Vater und Sohn (V. 106 ff) leitet das auf intellektuelle Überlegenheit gegründete Täuschungsmanöver ein. Als Schantekler die Rede des Fuchses erwidert und sich auf das Gespräch einläßt (V. 108f), ist ein Ausweichen nicht mehr möglich. Im Dialog kann der Fuchs dann vollends seine rhetorischen und psychologischen Fähigkeiten entfalten. Schon die Anrede (V. 106: Bistv daz, Sengelin ?), sei es mit Ruf- beziehungsweise Familiennamen oder, wie in den folgenden Episoden, mit der Verwandtschaftsbezeichnung, ist als Anruf zu verstehen. Ihr kam in älteren 90 91
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His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.70, 74. Mhd. sin hat gelegentlich die Bedeutung 'Verbrechen', s. MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 109. BRUNNBR: Deutsche Rechtsgeschichte II (1892), S. 544. S.u. S. 47.
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Der Fuchs und die kleinen Tiere
Sprachstufen eine viel umfassendere Funktion als heute zu94. Sie war Aufforderung mit individuellem Bezug und imperativem Charakter95. Im "Ysengrimus" ist der Hahn Sprottin dem Fuchs ein adäquater Partner, denn beide Tiere müssen in einer Situation von Argwohn und Verdacht die Worte ihres Gesprächspartners gut abwägen. Die eigentliche Intention können sie erst ihrer Interpretation entnehmen96. Im deutschen Tierepos kleidet nur der Fuchs seine Rede ein und verbirgt seine Absicht geschickt hinter einer Maske97. In seinem Fall unterstützt die Rede nicht das offensichtliche Handeln, sondern bestimmte Hinweise auf offizielle Institutionen (Verwandtschaft, Recht) verbergen die Diskrepanz zwischen Wort und Absicht. Zunächst macht Reinhart das vorbildliche Verhalten Sengelins, so heißt Schanteklers Vater, zum Thema. Dessen untadeliges Benehmen war Ausdruck für die höfische und zuvorkommende Art, mit der er seine Gäste begrüßte und dabei auch den Geringsten ehrte (V. 112). Demgegenüber deutet Reinhart an, daß er Schanteklers Zögern und seine Zurückhaltung bei der Begrüßung als Abweichen vom Ritual, ja als Beleidigung versteht: Dv gebares zv vntare, daz sag ich dir zware. (V. 115f) Geschickt argumentiert der Fuchs mit den geforderten sozialen Verhaltensweisen, denn die Erwähnung der väterlichen Tugenden, die genau den Normen entsprochen hätten, sollen bei Schantekler Ehrfurcht, Respekt, vor allem aber Anpassung und Nachahmung hervorrufen. Der Sohn soll sich auf die väterlichen Qualitäten rückbesinnen und sich als Erbe einer Tradition an das Arttypische des Geschlechts erinnern. Dieser Gedankengang, der dem Täuschungsmanöver zugrunde liegt, fußt auf moralischen Normen, die unter Umständen rechtliche Bedeutung erlangen konnten. Tatsächlich prägte die Hochschätzung von 94
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MÜLLER, Ernst Erhard: Großvater, Enkel, Schwiegersohn. Untersuchungen zur Geschichte der Verwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen, Heidelberg 1979 = Germanistische Bibliothek. Reihe 3 (Untersuchungen), S. 74f. REVESZ, Geza: Ursprung und Vorgeschichte der Sprache, Bern 1946, S. 193 ff; MÜLLER: Großvater, Enkel, Schwiegersohn (1979), S. 74. SCHEIDEGGER, Jean Rene: Le conflit des langues: Ecriture et fiction dans l'Ysengrimus. In: Le Roman de Renart on the Beast Epic. Revue Canadienne d'Etudes Neerlandaises. Numero Special. Mai 1983, IV,i, S. 9-17, s. S.9. RUBERG, Uwe: Verwandtschaftsthematik in den Tierdichtungen um Wolf und Fuchs vom Mittelalter bis zur Aufklärungszeit. In: PBB 110, 1988, S. 29-62, s. S. 45.
Fuchs und Hahn
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Alter und Überlieferung wie das Prinzip der Übertragbarkeit beziehungsweise der Weitergabe von Rechten und Verpflichtungen vom Vater an den Sohn zu einem erheblichen Teil das Weltbild der Menschen im Mittelalter und war ein wichtiger Bestandteil der mittelalterlichen Rechtsordnung. Für den einzelnen bedeutete das die Anpassung an einen bestimmten Verhaltenscodex98. Hier wie an anderen Stellen zeigt sich, daß die Täuschungsmanöver des Fuchses auf den allgemein bekannten und gebräuchlichen, nicht eigens zum Zwecke des Betruges erfundenen Verhaltensmustern basieren. In seinem Kalkül hat deshalb das in der traditionellen Gesellschaft normale, zu einem Ritual ausgebildete Verhalten, das den angestammten Vorbildern folgt und nicht vom Verhaltenskanon abweicht, seinen festen Platz. Vor allen anderen Tieren zeichnet den Fuchs das Wissen um die Konventionen und um die Möglichkeit, sie zu mißbrauchen, gleichermaßen aus. Er besitzt kündecheit, die meisten seiner Gegenspieler nicht. Nachdem Reinhart ausgedrückt hat, daß er ein innerhalb der skizzierten Normen stehendes Verhalten erwartet, schließt er den Hinweis auf die gemeinsame, über die Väter vermittelte Verwandtschaft an: Wan treuwe vndir kvnne daz ist michel wunne. (V. 113 f) Neben der Feststellung, daß beide einem Geschlecht angehören - dem widerspricht der Hahn übrigens nicht" -, ist auch der zweite Hinweis zu beachten, daß nämlich triuwe unter Verwandten ein großes Glück sei 98
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SCHMID: Zur Problematik von Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Dynastie beim mittelalterlichen Adel (1957), S.40; DUBY, Georges: Structures de parente et noblesse. France du nord. XI'-XIP siecles. In: Gedenkschrift für Jan Frederic Niermeyer, Groningen 1967, S. 149-165, s. S. 149, 155, 164; zuletzt zusammenfassend über den Begriff der Sippe: KAUFMANN: Sippe (1990), Sp.1668-1670. Ebenso zweifeln die anderen Tiere nicht die von Reinhart erwähnte Verwandtschaft zwischen ihnen und dem Fuchs an. Das widerspricht der zuweilen geäußerten Annahme, daß es sich nur um eine angemaßte Verwandtschaft handele, mit der der Fuchs die kleinen Tiere leichter täuschen wolle. Mit Linke ist anzunehmen, daß die Tiere diesen Betrug durchschaut und diese Bindung später nicht noch einmal bestätigt hätten, wie zum Beispiel Dieprecht, V. 1651, und Diezelin, V. 1866: "Mit so einer plumpen Lüge würde er das Mißtrauen seiner Gegenspieler, die es ja besser wüßten, nicht einschläfern, sondern erst recht herausfordern" (LlNKB: Form und Sinn des "Fuchs Reinhart" [1974], S. 233, Anm. 37; dazu auch RUBBRG: Verwandtschaftsthematik in den Tierdichtungen um Wolf und Fuchs [1988], S.44f).
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Der Fuchs und die kleinen Tiere
(V. 113). Reinhart führt im Zusammentreffen mit dem Hahn musterhaft vor, wie er diese "Verwandtentreue" mißbraucht. Indem er sich auf die gemeinsame, über die Väter vermittelte Verwandtschaft beruft und "Treue" heraufbeschwört, gibt er Schantekler zu verstehen, daß die Begegnung beider unter Ausschluß von Gefahr und Feindseligkeiten, stattdessen in größtmöglichem. Einvernehmen ablaufen soll. Die erwähnten Stichwörter implizieren also eine bestimmte Verhaltensweise. Tatsächlich bleibt die Wirkung nicht aus: Schantekler entspricht der "Norm" und gibt seine Zurückhaltung seinem Verwandten gegenüber auf. Die triuwe des Hahns beantwortet der Fuchs jedoch mit seiner Version von triuwe, der füchsischen untriuwe. Die Folge ist not. In der Schantekler-Episode besteht eine Spannung zwischen der anfangs beschriebenen Fehde-Situation und der füchsischen Rede. Indem der Erzähler die Ausgangssituation darlegt sowie Reinharts wenig ehrenwerte Absichten ankündigt, müssen die Äußerungen des Fuchses für alle - ausgenommen Schantekler - unglaubwürdig erscheinen. Da Reinharts list dem Publikum nicht verborgen bleibt, wird die Blickrichtung weniger auf das eigentliche Ziel gelenkt, sondern vielmehr auf die Vorgehensweise. Dadurch kann Heinrich auch komische Züge zur Geltung bringen und dem delectare genügen. Im Vergleich zum "Roman de Renart" verschiebt der deutsche Verfasser den Akzent seiner Darstellung dahingehend, daß er weniger Jäger und Beute, sondern vielmehr List und Dummheit gegenüberstellt. Von diesem Kontrast lebt auch die Schlußszene der ersten Episode. Nur mit Mühe kann sich der Hahn aus den Fängen des Fuchses befreien. Dieser zeigt zu Beginn seiner Verbrecherkarriere noch Schwächen und ist anfällig gegenüber Verbalinjurien. Sein Bedürfnis, die Scheltworte des ihn verfolgenden Bauern zu vergelten (V. 143: scheiden [vgl. V. 33]; V. 144: vergelten [vgl. V. 33f]; vgl. in anderem Zusammenhang V. 542), rettet Schantekler das Leben. Unter Scheltwörtern hat man sich im Mittelalter und der frühen Neuzeit mehr als ein aggressives Sprachverhalten vorzustellen. Mittelhochdeutsch scheiden, 'beleidigen', wie auch vergelten gehören der Rechtssprache an und sind, wie Scheltwörter überhaupt, der Kategorie der verbalen Beleidigung zuzuordnen100. Bestimmte Scheltwörter (wie zum Beispiel Tiervergleiche), der Vorwurf von Verbrechen oder die Anprangerung menschlicher Laster und körperlicher Makel sollten die Ehre des Einzelnen oder einer Gruppe schmälern. Da der Ehre im 100
MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 256.
Fuchs und Meise
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Rechtsleben eine außerordentliche Bedeutung zukam, war es bis ins 18. Jahrhundert eine Notwendigkeit, sich gegen Ehrverletzungen zu wehren und gegen erlittene Schelte zu klagen101.
2.5 Fuchs und Meise (V. 177-216) Das zweite Abenteuer des "Reinhart Fuchs" weist eine der Schantekler— Episode vergleichbare Struktur auf. Heinrich hat bei der Begegnung von Fuchs und Meise wieder besonderen Wert auf die Ausgestaltung des Dialogs gelegt und erneut das Stichwort "Verwandtentreue" in den Mittelpunkt gerückt. Schon das vom Erzähler V. 175f eingeführte Hungermotiv macht Reinharts Worte verdächtig, und des weiteren lenken auch die negativen Attribute leckerheit (V. 198), 'Schelmerei', und schalkeit (V. 207), 'Arglist', 'Bosheit'102, auf den Kontrast zwischen Aussage und Intention der füchsischen Rede. Die deutschen Rechtsquellen des Mittelalters rechnen übrigens die Begriffe lecker und schale zu den verbalen Beleidigungen, die sich auf den schlechten Charakter des so Geschmähten beziehen103. In Hinblick auf den zu erwartenden Imbiß begrüßt Reinhart seine "Gevatterin" (gevater, V. 178, 183, 200, 202, 207, 210) überschwenglich und möchte sie zur Begrüßung gerne küssen. Als die Meise seinem Wunsch nicht nachkommt, rügt er ihr verhaltenes Benehmen: Wan, sam mir got der riche, dv gebares zv vremdicliche. (V.lSlf) Zuvor schon (V. 115) hatte sich auch Schantekler den Vorwurf gefallen lassen müssen, er gebärde sich seinem Verwandten gegenüber zu zurückhaltend, da er ihn aus sicherer Distanz begrüßte104. Nur scheinbar sind bei Reinhart Gruß und Kuß Zeichen und Ausdruck des Willkommens und der Freude über das Wiedersehen. Erneut fußt sein Täuschungsmanöver darauf, daß er traditionelle, zu einem Ritual ausgebildete Verhaltensmuster wie die Begrüßungsgebärde pervertiert. 101
MOHRMANN, Ruth E.: Schmähen und Schelten. In: ERG IV, 1990, Sp. 14511454; vgl. His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 134; ders.: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 107ff. 102 Vgl. RA 1,3.420. 103 His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 134; ders.: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 111. 104 Zu mhd. gebären: LINDHEIM, Borislav von: Mhd. Gebären. In: PBB 62, 1938, S. 421-425, s. S. 425.
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Der Fuchs und die kleinen Tiere
Während mein heute unter "Gebärde" die "Bewegungen von Gesicht und Händen, mit denen unbewußt oder absichtlich Gefühle und Affekte zum Ausdruck gebracht werden"105, die "sichtbaren 'Worte' des Menschen"106, versteht, waren Gebärden in der mittelalterlichen Welt Ausdruck für die innere Haltung eines Menschen, sein Aussehen und sein Benehmen; sie ließen Schlüsse auf sein inneres Wesen zu107. Gebärden waren fester Bestandteil im von Ritualen und Normen geprägten Leben der Menschen und hatten ihren festen Platz bei allen wichtigen Handlungen, nicht nur bei Rechtssachen. Diese Handlungen unterlagen einem gruppenspezifischen Ritual und wurden von besonderen Zeremonien begleitet. So konnte die Nichtbeachtung der Form eine Annullierung des gesamten Vorgangs - eines Eides beispielsweise - zur Folge haben108. Auch in der Sphäre des Rechts hatten Gebärden "Sinnträger- oder Bedeutungsfunktionen"109 und waren Teil des "Kommunikationssystems"110. Der Kuß spielte in der mittelalterlichen Gebärdensprache eine wichtige Rolle: Als Rechtsgebärde wird der Lehnskuß und Sühnekuß erwähnt und kam bei der Übertragung von Rechten, bei Eid, Adoption und Gottesurteil vor111. Besonders 105
SCHMIDT-WIEGAND, Ruth: Gebärdensprache im mittelalterlichen Recht. In: FMST 16, 1982, S. 363-379, s. S. 363. 106 OHM, Thomas: Die Gebetsgebärden der Völker und das Christentum, Leiden 1948,8.9. 107 SCHMIDT-WIEGAND: Gebärdensprache im mittelalterlichen Recht (1982), S. 363; vgl. PEIL, Dietmar: Die Gebärde bei Chretien, Hartmann und Wolfram, München 1975 = Medium Aevum 28, S. 18. 108 Zu den formellen Erfordernissen im Gerichtsverfahren: KAUFMANN, Ekkehard: Formstrenge. In: HRG I, 1971, Sp. 1163-1168. 109 OHLY, Friedrich: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S. XIX. 110 SCHMIDT-WIEGAND: Gebärdensprache im mittelalterlichen Recht (1982), S.364f; vgl. KOSCHORRECK, Walter: Die Heidelberger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. Kommentar und Anmerkungen. Bd. 1-2, Frankfurt/M. 1970; RÖHRICH, Lutz: Gebärde, Metapher, Parodie. Studien zur Sprache und Volksdichtung, Düsseldorf 1967, S. 9. U1 AMIRA, Karl von / SCHWERIN, Claudius Freiherr von: Rechtsarchäologie. Gegenstände, Formen und Symbole germanischen Rechts. Teil l, Berlin/Dahlem 1943 = Deutsches Ahnenerbe. Reihe B, Abt. Arbeiten zur indogermanisch-deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 2, S.83f; MOSER, DietzRüdiger: Kuß. In: HRG II, 1978, Sp. 1320-1322; SCHMIDT-WIEGAND, Ruth: Gebärden. In: HRG I, 1971, Sp. 1411-1419, s. Sp. 1414; zum Lehnskuß: GANSHOF, Frangois-Louis: Was ist das Lehnswesen? Darmstadt (5. Aufl.) 1977, S.SOf.
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im kirchlichen Ritual hatte der Friedenskuß seinen festen Platz112, wie er denn gemeinhin als Symbol der Versöhnung und als "Zeichen ausnahmslos friedlicher Beziehungen" galt113. Der von Reinhart verlangte Begrüßungskuß gehörte wahrscheinlich mehr dem höfischen Zeremoniell an114. Da sich vor allem Verwandte zur Begrüßung küßten, bleibt Reinharts Hinweis auf die verwandtschaftliche Bindung zur Meise nicht aus. Zum ersten Mal findet er sich in die Grußformel eingebettet. Virtuos setzt der Fuchs übrigens die gängigen Grußformen der Zeit ein115: er sprach: "got grvz vch, gevater min." (V. 178 zur Meise) "Got gebe vch, herre, gvten tac". (V. 389 zum Wolf) Er sprach: "wilkvme, neve, tvsent stvnt".(V.315 zum Kater, vgl. auch V. 1663) Grußformen gehörten ebenfalls zu den Gebärden und waren nicht nur ein Zeichen der Höflichkeit, sondern Ausdruck von Frieden, Freundschaft und Huld116. Dadurch, daß die persönliche Anrede in den Gruß* einbezogen ist, gewinnt die standardisierte Formel eine individuelle Note und unterstreicht den verbindlichen Charakter117. Zwar hegt beim Zusammentreffen von Fuchs und Meise keine Rechtshandlung vor, gleichwohl ist das Gebärdenträchtige dieser Situation, von Reinhart als Verbindlichkeit ausgegeben, bezeichnend. Gebärde und Wort sollten normalerweise übereinstimmen, um das Gesagte mit der Geste zu unterstreichen. Indes mißbraucht der Fuchs wieder konventionelle Verhaltensmuster für seinen Zweck. 112
AMIRA/SCHWERIN: Rechtsarchäologie (1943), S. 83. SCHMIDT-WIEGAND: Gebärden (1971), Sp. 1414; vgl. BOLHÖFER, Walther: Gruß und Abschied in althochdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit, Göttingen (Diss. phil.) 1913, S. 9. 114 PEIL: Die Gebärde bei Chretien, Hartmann und Wolfram (1975), S. 70. 116 BOLHÖFER: Gruß und Abschied in althochdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit (1913), S.5f. Bolhöfer kommt nach dem Vergleich der Grußformeln in Hartmanns "Erec" und "Iwein" mit denen des "Reinhart Fuchs" zu dem Ergebnis, daß es sich in Heinrichs Werk um typische alemannische Formeln handelt, s. S. 5if, 24ff. Diese Virtuosität findet sich auch in der Anrede (vgl. "Reinhart Fuchs" V. 258, 1177, 1211, 1232, 1545, 1676, 1680 u.ö.), dazu MÜLLER: Großvater, Enkel, Schwiegersohn (1979), S. 75 mit Erwähnung des "Reinhart Fuchs". 116 BOLHÖFER: Gruß und Abschied in althochdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit (1913), S. 5. 117 RÖHRICH: Gebärde, Metapher, Parodie (1967), S. 15. 113
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Während der erste Hinweis auf die Verwandtschaft ziemlich allgemein gehalten ist, wird Reinhart in der Folge konkreter und fordert von der Mutter seines Patenkindes die obligatorische triuwe: Gevater, dv solt pflegen trewen. nv mvz iz got rewen, Daz ich an dir niht envinde. sam mir die trewe, die ich dinem kinde Bin schvldic, daz min bäte ist. (V. 183ff) Das verhältnismäßig junge Wort 'Pate' ist erst seit dem 12. Jahrhundert - und dort auch nur in der Literatursprache - belegt. Es leitet sich ab von dem mittellateinischen "pater in seiner kirchlichen Bedeutung pater spiritualis 'Taufzeuge' (..·)· Er gilt als geistlicher Vater des Getauften, so daß eine geistliche Verwandtschaft entsteht, die die Kirchenlehre seit dem 9. Jahrhundert der Blutsverwandtschaft gleichsetzt"118. Der Pate sollte für das geistige und leibliche Wohl seines Patenkindes sorgen und väterliche Pflichten sowie Rechte gegenüber dem Täufling wahrnehmen119. Neben der Bedeutung 'Taufzeuge', 'Taufpate' konnte das Wort 'Pate' auch das Patenkind, den "täufling in beziehung auf den taufpaten"120 bezeichnen - so wie es Heinrich im "Reinhart Fuchs" verwendet hat. Die Angehörigen des Kindes werden in die geistliche Verwandtschaft einbezogen. Ihr Verhältnis zum Taufpaten hieß "Gevatterschaft", denn die Eltern des Kindes und der Taufzeuge redeten sich gegenseitig mit "Gevatter" an121. Der Taufpate und der Getaufte 118
Trübners deutsches Wörterbuch. Hrsg. v. Alfred Goetze. 8 Bde., Berlin/Leipzig 1939-1957, s. Bd. 5, S. 62; vgl. ERLBR, Adalbert: Patenschaft, Pate. In: HRG III, 1984, Sp. 1531 f. 119 Deutsches Wörterbuch (DWB). Begründet von Jacob und Wilhelm Grimm. Bd. 1-32 nebst Quellenverzeichnis. Leipzig 1854-1961 (ND München 1984 = dtv-Taschenbücher 5945), s. Bd. 4,1, 3. T., Sp.4641, 4643. 120 DWB 7, Sp. 1499. 121 Im "Rechtsbuch nach Distinktionen" findet sich folgender Eintrag: Dye geistliche sipschaft, die ist an dren stucken. Die eyne ist zcuschen dem touffer unnd deme der getouffi werdit, undt dem der das kint hebit; wan die zwene, der touffer und der heber, sint zwene geistliche vetir, so ist der getouffter er beyder geistlicher son und dit ist der erste grad. Die ander geistliche mageschafft ist zcuschen dem touffer und dem, der das kint hebet, und zcuschenn den eidern des kindes, das getoufft werdet, und die werden gefattern genant; dit ist der ander gradt... (Buch I, dist. XXII. Ortloff, Rechtsquellen 2, S. 29). Dasselbe Verhältnis von Taufpate und Patenkind verbindet Reinhart und das Wolfsjunge, das er in V. 548 mm pate nennt. Die Bezeichnung gevater trifft auf den Fuchs und die Wolfseltern zu (vgl. V. 454, 546, 663 u.ö.).
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standen im ersten Grad der geistlichen Verwandtschaft, ein Verwandtschaftsverhältnis zweiten Grades verband den Taufpaten mit der Mutter des Täuflings122. Der Befund im "Reinhart Fuchs" spricht also für die nachgebildete, durch Patenschaft vermittelte Verwandtschaft. Dient im Verhältnis von Hahn und Fuchs die Vaterfigur als Bezugsperson, so erfüllt diese Funktion in der zweiten Episode das Meisenkind123. Diesen Umstand macht sich Reinhart zunutze, indem er einerseits von dieser Bindung einen rechtlich begründeten irzutüe-Anspruch ableitet. Andererseits soll die in der mittelalterlichen Gesellschaft institutionalisierte triuwe unter Verwandten die Gewähr bieten, daß auch der Fuchs "das Gesetz der Verwandtschaft" achtet124. Sich eines Rechtsterminus' bedienend, versichert Reinhart seiner Gevatterin, er trete ihr unvoreingenommen, ohne hinterhältige Gedanken, an arge list (V. 188) gegenüber, doch weiß die Meise sehr wohl bei Reinhart zwischen Wort und Intention zu unterscheiden (V. 190ff). Das Gegenteil, nämlich Arglist, charakterisiert sein Handeln und korrespondiert im Text mit der Wendung vbel hart (V. 190), dem Wesenseigenen und Bösen beim Fuchs125. Arglist, arge list, ist in der Rechtssprache seit dem 13. Jahrhundert126 "der häufigst belegte Terminus für die schädliche, böse Absicht"127, die Bezeichnung der "verbrecherischen Absicht schlechthin", für Betrug und Hinterhältigkeit128. Arglist bezeichnet die Gesinnung des Täters, "der heimlich, in einer das Rechtsbewußtsein verletzenden Weise gegen seine Rechtsgenossen handelt, wobei auch die Handlung als Ausdruck der Gesinnung mit erfaßt wird"129. Das Rechtsvokabular zeigt besonders deutlich, daß die füchsische Rede als in ihr 122
LAURIN, Franz: Die geistliche Verwandtschaft in ihrer geschichtlichen Entwicklung bis zum Rechte der Gegenwart. In: Archiv 9, 1866, S. 216-274. 123 Insofern trifft Götterts Wiedergabe von gevater mit 'Kusinchen' nicht zu (Heinrich der Glichezäre. Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch. V ausgegeben, übersetzt und erläutert v. Karl-Heinz Göttert, Stuttgart 1976 = Reclame Universal-Bibhothek Nr. 9819, S. 17). 124 So auch RUBERG : Verwandtschaftsthematik in den Tierdichtungen um Wolf und Fuchs vom Mittelalter bis zur Aufklärungszeit (1988), S. 39. 125 Vgl. RA 2, S. 177. 126 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 69. 127 MuNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 230. 128 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 69, vgl. S.88; RWB l, Sp.815f. 139 FUHR, Ludwig: Zur Entstehung und rechtlichen Bedeutung der mittelalterlichen Formel "ane argeliste unde geverde". Frankfurt/M. (Diss. jur. 1959) 1962, S. 131.
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Gegenteil verkehrte Aussage zu begreifen ist, die genannten Wertbegriffe für ihn nicht gelten und Reinharts triuwe mit untriuwe gleichzusetzen ist. Freilich handelt die Meise hier entsprechend, denn auch bei ihr stimmen Willenserklärung und Absicht nicht überein. Zwar kontert sie rechtssprachlich: So kvsse ich dich an dinen mvnt mit gvtem willen dristvnt. (V. 195 f) Doch sie hat nie ernsthaft erwogen, den Fuchs zu küssen. Die Meise erweist sich als adäquater Gegenspieler, denn auch sie benutzt eine Formulierung aus der Rechtssprache. Hinter der verbalen Beteuerung, 'mit gutem Willen' zu handeln130, verbirgt sich ein hinterlistiger Vorsatz. Obwohl die Meise also die gleichen Mittel wie Reinhart einsetzt, unterscheidet Heinrich zwischen ihrem Handeln und dem des Fuchses. Denn das Recht s Vokabular läßt auf eine negative Beurteilung Reinharts schließen, während die Meise Anerkennung für ihr listiges Verhalten findet. Die Formulierungen von oder mit willen und off argelist beziehungsweise aus arger list unterscheiden sich nach Kaufmann in bezug auf eine Handlung oder Straftat insofern, als die erstgenannte Wendung den Willen und die kühle Überlegung des Täters hervorhebe, die letztere aber "das bösartige, arglistige, bewußt rechtsbrecherische Handeln" zum Ausdruck bringe131.
2.6 Fuchs und Rabe (V. 217-312) Nach dem bekannten Schema verläuft auch das Zusammentreffen von Fuchs und Rabe. Indem Heinrich die Formulierungen des Prologs wieder aufnimmt, lenkt er sogleich die Aufmerksamkeit auf Reinharts Vorgehensweise. Von Hunger geplagt, hat es dieser zunächst auf den vom Raben erbeuteten Käse abgesehen und verwendet seine Anstrengung 130
S. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.69; MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 231. 131 KAUFMANN, Ekkehard: Absicht (böse). In: HRG I, 1971, Sp.l7f, s. Sp. 17. Sich Arglosigkeit zunutze zu machen, galt als schändlicher Verrat, s. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 147ff; SCHNBLBÖGL, Wolfgang: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts, Heidelberg 1932 = Deutschrechtliche Beiträge. Bd. 13, H. 2, S. 110. Tatsächlich bezeichnen später Rabe und Kater Reinharts Handeln ihnen gegenüber als Verrat, s.u. S. 54.
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und kündecheit darauf, ihn zu bekommen. Das unrechtmäßige Handeln mit Vorbedacht kommt durch die Rechtswörter sin (V. 226), betriegen (V. 227) und liege (V. 228) zum Ausdruck132: do kart er allen sinen sin, Daz ern im ab betrvge mit einer kvndiklichen Ivge. (V. 226 ff) Wie schon zuvor Schantekler gegenüber beruft sich Reinhart mit betrügerischer Absicht auf das väterliche Vorbild seines Gegenübers, das heißt in dieser Stelle auf die Sangeskünste des Rabenvaters, denen der Sohn nacheifern soll: ich horte gerne singen Dich, ob ez were dines vaters wise, der klafte wol ze prise. (V. 236 f) Zunächst kann der Fuchs einen Teilerfolg verbuchen, denn die einkalkulierte Empfänglichkeit für Schmeicheleien bringen den eitlen Raben um seinen Käse. Wie Jauß' Untersuchung der verschiedenen Versionen der Fabel von Fuchs und Raben ergeben hat, legt gerade das Rabenabenteuer in "Roman de Renart" und "Reinhart Fuchs" gut das "wahre Wesen", die "nature" beider Kontrahenten offen133, so daß die "Verschlagenheit des redekundigen Fuchses" und die "Blasiertheit des eitlen Raben" deutlich zum Vorschein kommen134. Ohne Grund, sich für erlittenes Unrecht zu rächen (V. 253ff), so der Erzähler, stellt Reinhart, nachdem ihm schon der Käse sicher ist, dem Raben nach: ... ern weste niht (V. 281) Waz er an im räch. (V.281b) In diesem Moment wird die List zur Heimtücke, und die ganze Verwerflichkeit des Fuchses tritt zu Tage. Heinrich nennt den Anschlag auf Diezelin "Rache" (V. 281 b), ein Terminus, der in der Rechtssprache 132
Sin, s. MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 109; 'Betrug', 'betrügen', s. RWB 2, Sp.225f; His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 319; MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 269; 'Lüge', 'lügen', RA 2, S. 301; vgl.u. S. 134, 160. 133 JAUSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959), S. 206ff. 134 Ebenda, S. 209.
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der Zeit in den Zusammenhang mit der Fehde gestellt wurde und "die p r i v a t e Vergeltung einer wirklichen oder vermeintlichen Unrechtshandlung durch den Geschädigten"135 bezeichnet. Weniger aus Mitleid mit dem (angeblich) verletzten136 Fuchs, sondern vielmehr von der triuwe geleitet, die er seinem Verwandten schuldet, hat der Rabe seine sichere Position aufgegeben, um Hilfe zu leisten: Er wolde im helfen von der not dvrch triwe, daz was nach sin tot. (V. 273 f) Während das Stichwort "Verwandtentreue" bei Hahn und Meise Vertrauen schaffen und eine angemessene Begrüßung bewirken soll, fordert Reinhart in diesem Fall eine konkrete Hilfeleistung von seinem Verwandten. Freilich bezweckt er wiederum nur die Annäherung der Beute an die Falle. Es hatte nur weniger Worte bedurft, nämlich des gezielten Hinweises auf den Verhaltenscodex, um den "Neffen" zu einem konformen Verhalten zu bewegen. Die Beziehung unter neven, die in dieser Episode die Verwandtschaft ausmacht, ist letztlich nicht sehr genau zu bestimmen. Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch neve in der neuhochdeutschen Bedeutung 'Enkel', also 'Sohn des Sohnes oder der Tochter', ist gut belegt und seit der althochdeutschen Zeit weit verbreitet137. Schon in mittelhochdeutscher Zeit hat sich eine Bedeutungserweiterung vollzogen, nach der der Ausdruck wie im Neuhochdeutschen den 'Sohn der Geschwister' bezeichnen konnte138. Um die Verwirrung zu vervollständigen, konnte neve nicht nur verschiedene Grade männlicher Blutsverwandtschaft benennen, sondern auch den 136
KAUPMANN, Ekkehard: Rache. In: HRG IV, 1990, Sp. 126f, s. Sp. 126. 136 jm "Roman de Renart" ist das Katerabenteuer dem Rabenabenteuer vorangestellt, so daß es für die Fußverletzung eine Begründung gibt. Daß es sich im "Reinhart Fuchs" um ein Täuschungsmanöver handeln könnte, deutet der Erzähler an: Reinhari balde vf spranc, / Gelich als er niht were wunt. (V.278f). 137 Vgl. DELBRÜCK, Berthold: Die indogermanischen Verwandtschaftsnamen. Ein Beitrag zur vergleichenden Alterthumskunde. In: Abhandlungen der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, philologischhistorische Classe, Bd. XI, Nr. 5, Leipzig 1889, S. 379-606, s. S. 495; RuiPOREZ, German: Die strukturelle Umschichtung der Verwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen. Ein Beitrag zur historischen Lexikologie, diachronen Semantik und Ethnolinguistik, Marburg 1984 = Marburger Studien zur Germanistik. Bd. 5, S. 53 ff. 138 DWB7, Sp.519.
Fuchs und Rabe
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Verwandten allgemein139. Neve wurde, wie auch Oheim' oder 'Vetter', in einer Nebenbedeutung zur Höflichkeitsanrede140. In bezug auf Fuchs und Rabe gibt es deshalb mehrere Deutungsmöglichkeiten; sie können sowohl enger als auch weitläufiger verwandt sein. Die für heutige Begriffe nicht schlüssige beiderseitige Anrede neve (Fuchs zum Raben: V. 232, 258, 264, 268; Rabe zum Fuchs: V. 300 vgl. V. 1863) steht diesem Befund nicht im Wege. Vergleichbares ist in Literaturwissenschaft und Sprachgeschichte häufig beobachtet worden und hat mehrere Deutungsversuche erfahren. Die ältere Forschung bezeichnet mit "Anredewechsel" oder "Anredetausch", wenn sich Verwandte verschiedener Generationen ohne Berücksichtigung des genauen Verwandtschaftsgrades mit demselben Wort anredeten, das heißt ein ungleichartiges Verhältnis gleich bezeichneten141 und die Benennung an denjenigen zurückgaben, der sie gebrauchte142: "Die Ausdehnung des Begriffes auf andere Verwandte zeigt sich am deutlichsten im Mhd. und Mittelniederdeutschen. Wie der Neffe von dem Oheim in höflicher Erwiderung auch als Oheim bezeichnet wird (...), so ist umgekehrt neve auch eine Bezeichnung des Oheims, so dass sich also Oheim und Neffe gegenseitig als neve bezeichnen"143. Nach Kirchhoff beruhte der Anredewechsel auf dem Prinzip der Reziprozität, dessen Wesen es gewesen sei, die Verwandtschaft und nicht den Verwandten zu bezeichnen144. Wie schon in den vorausgegangenen Episoden, kommt es mehr auf die prinzipielle Existenz der Verwandtschaft mit allen eingeschlossenen Rechten und Pflichten an als auf den genauen Verwandtschaftsgrad. Womöglich ist sich der Rabe selber nicht mehr so genau im klaren darüber, wo die Ursprünge seiner Verwandtschaft zu Reinhart liegen. Um alle Bedenken und Vorbehalte zu zerstreuen, präzisiert der Fuchs 139
Ebenda. DELBRÜCK: Die indogermanischen Verwandtschaftsnamen (1889), S. 495 ; MÜLLER: Großvater, Enkel, Schwiegersohn (1979), S.75f. 141 Diesen Ansatz hat Ernst Erhard Müller wieder aufgenommen: Die Basler Mundart im ausgehenden Mittelalter (1953), S. 188. 142 DEBUS, Friedhelm: Die deutschen Bezeichnungen für die Heiratsverwandtschaft, Marburg (Diss. phil.) 1955, Gießen 1958 = Beiträge zur deutschen Philologie. N.F. 19, S. 47. 143 DELBRÜCK: Die indogermanischen Verwandtschaftsnamen (1889), S. 495. 144 KIRCHHOFF, Paul: Verwandtschaftsbezeichnungen und Verwandtenheirat. In: Zeitschrift für Ethnologie, 64. Jg. 1932, S. 41-71; vgl. RUIPE'RRZ: Die strukturelle Umschichtung der Verwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen (1984), S. 114ff. Aus der Anrede sei der Ausdruck dann in den appelativen Gebrauch übernommen worden, dazu MÜLLER: Großvater, Enkel, Schwiegersohn (1979), S. 76. 140
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den allgemeinen Hinweis und führt mit dem Vater des Raben eine Bezugsperson ein. Sie stand seinem Gegenüber am nächsten, und Reinhart gibt vor, sie gut gekannt zu haben (V. 237, 265). Die väterliche triuwe war vorbildlich und setzt auch in dieser Begegnung den Maßstab, denn Gleiches erwartet der Fuchs von dem Sohn. Wie schon im Verhältnis zum Hahn, werden rückzubeziehende, aber schwerlich zu überprüfende Eigenschaften und übertragbare Verhaltensmuster zur Verbindlichkeit ausgegeben: Auch wenn die Verwandtschaft noch so weitläufig sei, mache sich doch das Blut der gemeinsamen Sippe, das alle Eigenschaften der nächsten Verwandten in sich trage145, in den nachfolgenden Generationen bemerkbar: Dines vater triwe waren gvt, ovch höre ich sagen, daz sippeblvt Von wazzer niht vertirbet. (V. 265 ff) In leicht abgewandelter Form ist Reinharts Ausspruch als Rechtssprichwort belegt: "Freundes Blut wallt, und wenn es nur ein Tropfen ist"146. Diese Sentenz beansprucht allgemeine Gültigkeit und wird dadurch nicht wertlos, weil sie der Fuchs ausspricht147. Reinhart setzt in diesem Moment auf die "Überzeugungskraft sprichwörtlicher Sentenzen"148, die aufgrund der ihnen innewohnenden Erfahrungen und eines gewissen Wahrheitsgehalts ihre Wirkung auf den Adressaten nicht verfehlen. Mit Virtuosität nimmt er das Motiv der verwandtschaftlichen Treuebindung auf und versucht, vor allem den moralischen und juristischen Gehalt, das heißt das in den verwandtschaftlichen Bindungen beschlossene Moment gegenseitiger Leistungen auszunutzen. Während sich der Fuchs von vornherein außerhalb der geltenden Ordnung befindet, wird das potentielle Opfer in Zugzwang versetzt. Der Glaube an den Bestand der triuwe sowie das Verhaftetsein in der Norm hätten beinahe zum Erfolg geführt. Nur mit Glück entgeht der Rabe dem Anschlag149. 145
VUKÖEVIO: Die Verwandtschaft (...) als Ehehindernis in der Morgen- und Abendländischen Kirche [1944], S.21. 146 GRAF, Eduard / DIETHERR, Mathias: Deutsche Rechtssprichwörter, Nördlingen (2. Aufl.) 1869 (ND Aalen 1975), S. 172, Nr. 177; vgl. a. WANDER, Karl Friedrich Wilhelm: Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk. 5 Bde., Leipzig 1867-1880; Bd. l, S.410, Nr. 7: "Angeboren Blut queint, wenn's gleich nur ein Tröpflein wäre." 147 RUBERG: Verwandtschaftsthematik in den Tierdichtungen um Wolf und Fuchs vom Mittelalter bis zur Aufklärungszeit (1988), S. 46. 148 Ebenda. 149 Diezelin nutzt die erste sich bietende Gelegenheit, um sich an Reinhart zu
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Diezelins adäquate Antwort kommentiert den Vorfall ebenfalls in Form einer Sentenz. Der dem Verlierer zukommende Spott ist wieder als verbale, ehrenrührige Kränkung aufzufassen160: ... "daz ein gebvre dem ändern tvt, Kvmt dicke Ion, des höre ich iehen. neve, also ist vch geschehen." (V. 298 ff)151 Dieses Zusammentreffen bleibt Diezelin unvergessen. In der Gerichtsverhandlung bezichtigt er den Fuchs deswegen des Verrats. Verrat ist rechtlich gesehen zunächst "jeder schädliche Anschlag gegen einen Ändern", im engeren Sinne "die schädliche Verabredung mit einem Dritten, dem man das Opfer in die Hände spielt"152. Daß Opfer und Täter in einem Treueverhältnis stehen, ist nach His begrifflich nicht notwendig, wird aber als erschwerender Umstand gewertet153. Kennzeichnend ist heimtückisches Verhalten, das mit entehrenden Strafen korrespondiert. Als Strafe des Verrats schlechthin begegnet im Mittelrächen. Er hetzt die Hunde eines Jägers auf die Fährte des Fuchses, die ihn übel zurichten: Die hvnde begvnden in rupphen (!)/ der ieger vaste stvpphen (V. 305f). Es ist zu erwägen, daß es sich bei dem stvpphen im "Reinhart Fuchs" um das Schupfen oder Prellen des Fuchses handelt, denn "Tiere (vor allem Füchse) prellte man zur Belustigung höfischer Jagdgesellschaften" (WACKB, Andreas: Schupfen, Prellen. In: HRG IV, 1990, Sp.l521f, s Sp. 1522). Nach Wacke sind diese Termini rechtssprachlich und beziehen sich auf Ehrenstrafen sowie Volksbräuche. Düwel vermutet, daß es sich um einen jägersprachlichen Ausdruck handeln könnte (DÜWEL, Klaus: Zur Jägerei im "Reinhart Fuchs". In: Festschrift für Elfriede Stutz. Hrsg. v. Alfred Ebenbauer, Wien 1984, S. 131-150 = Philologica Germanica 7, s. S. 132). 150 S.o. S. 42. 151 Auf die Sentenz hat schon Schröbler in ihrer "Reinhart Fuchs"-Ausgabe hingewiesen (BAESBCKB, Georg/ScHRÖBLER, Ingeborg: Das mittelhochdeutsche Gedicht vom Fuchs Reinhart nach den Casseler Bruchstücken und der Heidelberger Handschrift Cod. pal. germ. 341, Halle/Saale [2. Aufl. 1952] = Altdeutsche Textbibliothek 7, S. 11 mit Hinweis auf die Freidank-Stelle 65,22); vgl. a. GÖTTERT: Reinhart Fuchs (1976), S. 156, Anm 17. Der Nachweis findet sich bei WANDER: Deutsches Sprichwörter-Lexikon Bd. 3 (1873), S. 832, Nr. 161: "Wer den Nachbarn tritt, leidet selber mit." 152 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 31. Nach Munske (Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten [1973], S. 275) ist das heutige Wort 'Verrat' im Mittelalter noch nicht belegt. Wohl aber findet sich in den Rechtsquellen seit dem 13. Jahrhundert die Täterbezeichnung Verräter bzw. verrteter. Der "Reinhart Fuchs" bietet die Lesart verratere (V. 1856) und weist auch das Verbum verraten auf (V. 1688). 153 Ders.: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920) S. 581, vgl. S. 145.
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alter das Erhängen154. Insofern fordert Diezelin vor Gericht den Strang für seinen Verwandten: Do sprach der rabe Dizelin: "herre, henget den neven min." (V. 1863 f) Die gleiche juristische Kausalität zwischen der Eingangshandlung und der Prozeßhandlung stellt Kater Dieprecht her, das letzte der kleinen Tiere, mit denen der Fuchs zusammentrifft. Auch er will den verräterischen Fuchs hängen sehen: Ir svlt in heizen hengen, Wenne er ist zware ein verratere. (V. 1854 if)155
2.7 Fuchs und Kater (V. 313-384) Der Kater Dieprecht ist nach der Meise das zweite Tier, das von Anfang an mißtrauisch ist und sich in puncto List dem Fuchs gewachsen zeigt, denn im Grunde genommen entspricht sein Verhalten dem füchsischen. Die Kontrahenten des Fuchses im ersten Teil des Tierepos' lassen sich nicht einheitlich bewerten. Besonders auffällig ist die schon von Linke beobachtete "paarweise" Zuordnung der kleinen Tiere nach Parallelismen und Kontrasten156. In der Tat verlaufen Hahnenund Rabenabenteuer ähnlich, desgleichen entsprechen einander Meisenund Katerabenteuer. Einen Teilerfolg kann Reinhart nämlich bei seinen "naiven" Gegenspielern verbuchen, während er bei den klügeren Tieren kläglich scheitert. Insgesamt sind Reinharts Verwandte nicht so "unschuldig", wie es der Kontrast zur Fuchsfigur glauben macht. Sie behalten jedoch zunächst die Oberhand, sei es, wie bei Hahn und Rabe, mehr zufällig oder, wie bei Meise und Kater, aufgrund eigener intellektueller Fähigkeiten. So täuschen Dieprecht in dieser Episode weder die überschwengliche, vertraute Begrüßung, noch die Verwandtschaft zu Reinhart über dessen verbrecherische Absichten hinweg: 164
Ders.: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 33: Verrat wurde auch mit Vierteilen bedroht; vgl. SCHMIDT: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege (3. Aufl. 1965), S. 62. 166 Diese SteEe des "Reinhart Fuchs" führt His in seiner Rechtsgeschichte als Beispiel an (Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II [1935], S.33). Zum Hängen als Todesstrafe: RWB 5, Sp. 177. 156 LINKE: Formund Sinn des "Fuchs Reinhart" (1974), S.230f.
Fuchs und Kater
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er sprach: "nv behvte mich sent Galle 157 Vor Reinhartes vbelen dingen." (V.332f) Das Verwandtschaftsverhältnis von Fuchs und Kater wird nicht weiter präzisiert. Es besteht zweifelsohne, und beide Tiere berufen sich darauf, aber der genaue Grad ist dem Text nicht zu entnehmen. Beide bezeichnen sich in dieser Episode als neve (V. 315, 322, 330, 339, 349, 353)158, wobei diese sich im Rahmen der gemeinsamen "Sippe" (sippeblvt, V. 1663) angesiedelte Verbindung im dritten Teil des "Reinhart Fuchs" wieder aufgenommen wird (V. 1659, 1662, 1676, 1680, 1688, 1698). Interessant ist der Bezug zum mittelalterlichen Recht, der aus diesem Verhältnis entwickelt wird. Sowohl der Fuchs als auch der Kater benutzen das in der Verwandtschaft beschlossene Moment der gegenseitigen Unterstützung für ihre Zwecke: Dem Fuchs geht es darum, Dieprechts Mißtrauen einzuschläfern und Vertrauen zu wecken. Später vor Gericht besteht der Kater darauf, daß er infolge seiner Verwandtschaft zum Fuchs rechtmäßig das ihm angetragene Botenamt ablehnen dürfe (V. 1650 f)159. In dieser Episode bringt Dieprechts Reaktion, mit der er sich gegen Reinharts Attacke wehrt, den Fuchs in arge Bedrängnis not (V. 359), denn der Kater kommt ihm zuvor und stößt ihn in die Falle. Ob das rechtlich gesehen als ein Fall von Notwehr, mittelhochdeutsch notwer, 160 auch einfach , verstanden werden kann, das heißt als die gerechtfertigte Verteidigung gegen Gewalt161, ist fraglich162. Auf jeden Fall billigt der Erzähler das Verhalten des Katers. Anstatt also die Hilflo167
Übel, s.o. S. 38, Anm. 89, S. 47; u. S. 65, 109. Zur Verwandtschaft unter "Neffen", s.o.S.50. 159 S.u. S. 193. 160 KAUPMANN, Ekkehard: Notwehr. In: HRG III, 1984, Sp. 1096-1101, s. Sp.1096. 161 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 197. 162 Zwar findet sich der technische Begriff im Laufe des 13. Jahrhunderts in vielen Quellen, so daß Munske annimmt, er sei schon im 12. Jahrhundert geprägt worden (MuNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten [1973], S. 233.), doch ist er vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Strafrechtsentwicklung problematisch (KAUFMANN: Notwehr [1984], Sp. 1096ff.). Erste Ansätze, gewisse Straftaten unter dem Gesichtspunkt der Notwehr zu betrachten, finden sich in der Landfriedensgesetzgebung (s.u. S.llSff): Zwar durfte unter gewissen Voraussetzungen ein Angreifer zum Schutz des eigenen Lebens verletzt oder getötet werden - St quis hominem infra pacem constitutam occiderit, capitalem sub eat sententiam, nisi per duellum hoc probare possit, quod vitam suam defendendo illum occiderit ("Constitutio de pace tenenda" Friedrichs I. von 1152. MGH Const. I, Nr. 140, 168
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sigkeit des Opfers hervorzuheben, betont er vielmehr, daß der Fuchs in dieser Episode auf einen gleichwertigen Gegner trifft, dessen Verhalten dem füchsischen gleicht. Auch bei Dieprecht stimmen Aussage und Intention nicht überein. "Wahrhaftig", ane liegen (V. 345), will er seine Kunst vorführen, doch der Erzähler nennt es gegenseitigen Betrug: "lavf nach mir, ich laz dich sehen Edele sprvnge ane liegen." sie wolden beide ein ander betriegen. (V. 346 ff) "Mit werken als mit Worten b e t r ü e g e n " lautet ein Eintrag aus dem Spätmittelalter im Rechtswörterbuch163, der auf diese "Reinhart Fuchs"-Steile zuzutreffen scheint. Der Ausdruck "Betrug" (mhd. betroc) findet sich noch nicht in den mittelalterlichen Rechtsquellen. Er begegnet bis zum 16. Jahrhundert fast nur in nichtjuristischen Quellen und ohne technische Bedeutung164. Der seit dem 13. Jahrhundert bezeugte Hauptterminus für Betrug und Fälschung ist nach Munske valsch165, der im "Reinhart Fuchs" V. 993 (vgl. V. 2161, 2165, 2180) vorkommt. Zu der negativen Bewertung paßt auch ein zweiter Kommentar, in dem der Erzähler das Verhältnis unter den "Neffen" , die neveschaß166, als 'böse' charakterisiert, was in der Rechtssprache der Zeit soviel wie "gering, niedrig, ( . . . ) übel, schlecht, verbrecherisch"167 heißt: S. 195 § 1) -, doch mußte der Fall später vor Gericht gebracht werden. Ebenfalls geht der "Rheinfränkische Landfrieden" von 1179 näher auf die Notwehr (in defensione vite sue) und ihren Beweis ein ("Innovatio pacis franciae rhenensis", MGH Const. I, Nr. 227, S. 382 § 7.). Von der rekten notwer handeln SLdr. II 69 und Schwsp. Ldr. 79, dazu His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 196ff. Eine Garantie, daß die Straflösigkeit oder Strafmilderung der Notwehr überall anerkannt wurde, hatte der Betreffende nicht, vgl. His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 37. 163 RWB 2, Sp.226. 164 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S.319; MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 269. 165 Vgl. RWB 3, Sp.410ff; MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 269. 166 Der Ausdruck neveschafl ist seit der mittelhochdeutschen Zeit die abstrakte Sammelbezeichnung für die Verwandtschaft unter 'Neffen1, s. z.B. RuiPEREZ: Die strukturelle Umschichtung der Verwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen (1984), S. 60. 167 RWB 2, Sp.417f. "Böse Dinge" sind im Spätmittelalter unehrenhafte Verbrechen wie Diebstahl, Raub, Brandstiftung, Notzucht und Totschlag; vgl. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.43.
Zusammenfassung
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Iz was ein böse neveschaft. (V. 327) Beide Kontrahenten sind aus moralischer und rechtlicher Sicht zu verurteilen. Zunächst obsiegt der Kater, später kehrt Heinrich diese Konstellation um, und Dieprecht wird im Hause des Pfaffen in der Fuchsfalle festsitzen (V. 1691 ff)168. Dieprechts Verwünschungen am Ende dieser Episode haben wieder den Charakter einer verbalen Beleidigung. Kurzerhand wandelt er das im Mittelalter übliche zweiteilige Abschiedszeremoniell zu einer Schmähung um. Er nimmt vrlovp (V. 356), aber statt eines Segens zum Abschied (wie z.B. got bewahre bzw. gesegne dich [vgl. "Reinhart Fuchs" V. 1150: got mvz vch alle wol bewarn] oder er bevalch in poie)169, wünscht er seinen "Neffen" zum Teufel170: Dieprecht do vrloup nam Vnde bevalch in Lvcifere. (V. 356 f)
2.8 Zusammenfassung Die Eingangshandlung des "Reinhart Fuchs" folgt im großen und ganzen eng der französischen Vorlage. Auffällig ist jedoch, daß Heinrich die dritte und vierte Episode umgestellt hat. Dahinter könnte seine Absicht stehen, die Handlung besser zu motivieren171. Hinzu kommt aber auch der Parallelverlauf der Abenteuer172. Aus rechtlicher Sicht liegt in den Eingangsepisoden des "Reinhart Fuchs" eine Klimax vor, die am Schluß der Reihe mit dem Kater einen ebenbürtigen beziehungsweise einen überlegenen Gegner zeigt. Dieser Befund korrespondiert auch mit der Zunahme von Reinhart s Schaden. Im Vergleich mit dem "Roman de Renart" fällt die rechtliche Akzentuierung des deutschen Tierepos' auf. Zwar weist die Handlung des "Roman de Renart" auch einige rechtlich relevante Züge auf (z.B. die Befestigung des Hofes, die Erwähnung des Landfriedensgebotes schon in der Eingangshandlung173 und den Vorwurf des Verrats gegenüber 168
S.u. S. 198. BOLHÖFER: Gruß und Abschied in althochdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit (1913), S. 58, 69. 170 Ebenda, S. 10, 58. 171 S.o. S. 50, Anm. 136. 172 S.o. S. 54 mit Anm. 156. 173 Im Unterschied zum "Roman de Renart" konzentriert sich die Landfriedenshandlung im "Reinhart Fuchs" um den König. 169
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dem betrügerischen Fuchs), doch ist der Bezug zu den zeitgenössischen Rechtsnormen erst in der deutschen Fassung auffällig. Diese Tendenz setzt sich im Laufe der Werkes verstärkt fort. Das Zusammentreffen von Fuchs, Hahn, Meise, Rabe und Kater findet bei Heinrich durchgängig im Verwandtenkreis statt174. Jedes der genannten Tiere steht in einer - nicht immer eindeutig zu ermittelnden - verwandtschaftlichen Bindung zu Reinhart. Heinrich hat anscheinend keinen Wert darauf gelegt, eine genau zu rekonstruierende Ahnentafel aufzustellen, sondern es lag vermutlich in seiner Absicht, die Gegenspieler des Fuchses einer bestimmten Gruppe zuzuordnen. Wie die weitere Handlung zeigt, hat Heinrich im "Reinhart Fuchs" die wichtigsten Organisationsformen der mittelalterlichen Welt dargestellt. Dadurch gewinnt die Darstellung Beispielcharakter. Innerhalb dieser Gruppen spielt nicht nur die moralische Komponente eine Rolle, sondern auch die rechtliche. Diesbezüglich hebt Heinrich vor allem den normativen Charakter der mittelalterlichen Organisationsformen hervor. Nach der Familie bildeten die Verwandten den kleinsten Rechtskreis im Mittelalter und boten ihren Mitgliedern in einem auf Gegenseitigkeit beruhenden System aus Rechten und Pflichten Sicherheit. Heinrichs Fuchs, der den anderen Tieren infolge seiner intellektuellen Fähigkeiten (kündecheit) überlegen ist, pervertiert die Werte, an die seine Verwandten glauben und die sie zur Grundlage ihres Handelns machen. Der parallele Aufbau der ersten vier Episoden verdeutlicht das noch. Indem sich Reinhart auf den institutionellen Gehalt ihrer Verbindung beruft und unter dem Deckmantel der triuwe Gesten und Hilfeleistungen einfordert, erreicht er sein perfides Ziel bei Hahn und Raben. Nur Meise und Kater lassen sich in der Eingangshandlung nicht täuschen. Zur Veranschaulichung trägt das von Heinrich eingesetzte Recht s Vokabular bei. Die Zahl der Rechtswörter ist bei weitem nicht so hoch wie beispielsweise in der Hoftagshandlung, doch ist sie auffällig. Die von den Herausgebern des Deutschen Rechtswörterbuches als sogenannte "Nichtrechtswörter" eingestuften Verwandtschaftstermini treten im "Reinhart Fuchs" mit rechtlichem Bezug auf175. Reinharts Hinweis darauf, daß sie einer Sippe angehörten und durch neveschafl beziehungsweise gevaterschaft verbunden seien, verfehlt seine Wirkung nicht. Rechtswörter "im weiteren Sinne" die174
Im "Roman de Renart" ist der Kater das einzige Tier der Branche II, das nicht mit dem Fuchs verwandt ist. Stattdessen verbünden sich beide gegen den Wolf und geloben Treue in der Waffenbrüderschaft (Br. II, 712ff). 175 Zu den Kategorien s.o. S. 19.
Zusammenfassung
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nen Heinrich zur Beschreibung der Ausgangssituation, so bei der Besitzabgrenzung durch den Bauern oder beim Vergleich von Reinharts Vorgehen mit einer Fehde. Rechtswörter "im engeren Sinne", die sich auf konkrete Sachverhalte des deutschen mittelalterlichen Rechts beziehen, setzt Heinrich schließlich ein, um die Motivation seiner Figuren zu unterstreichen, wie zum Beispiel Reinharts Handeln mit Vorbedacht oder die Reaktion von Meise und Kater.
3 Fuchs und Wolf (V. 385-1238) Nachdem Reinhart im Kreise seiner Verwandten ein Debakel nach dem ändern erlebt hat, wendet er sich dem Wolf Isengrin zu (V. 385 ff). Beide gehen ein Bündnis ein, das in Abschluß und Bruch, Erneuerung und Eskalation den zweiten Handlungsteil des "Reinhart Fuchs" bestimmt. Am Ende stehen sich die ehemaligen Partner verfeindet in einem Rechtskampfgegenüber, in dem der Fuchs zwar nicht siegt, aber der Wolf noch mehr als zuvor geschädigt hervorgeht. Die Verbindung von Fuchs und Wolf gehört zu den Konstituenten der mittelalterlichen Tierepik. Auch Heinrich bedient sich der in der Tradition von Tierfabel und Tierepos stehenden Rollenverteilung von Fuchs und Wolf, bei der jener List und Schläue, dieser Stärke, Gewalt und Dummheit verkörpert. Den Ursprüngen der typisierenden Darstellung mit ihren sich immer fester fügenden Handlungsmustern bis hin zur Ausbildung einer festen Rollenverteilung ging Jauß in seinen "Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung" nach. Er kam dabei zu dem Ergebnis, daß die einheitliche Figurenzeichnung und -konstellation im Zusammenhang mit der Herausbildung des Tierepos im 12. Jahrhundert zu sehen sei. Die "epische Zyklisierung der Tiergeschichten" im eigentlichen Sinne nahm mit dem "episch aufgefaßten und immer wieder neu auslegbaren Antagonismus von Renart und Ysengrin"1 ihren Anfang. Das Grundmuster lieferte, so Jauß, der "Ysengrimus", der schon den fundamentalen Gegensatz von Fuchs und Wolf vorausgesetzt habe, "jenes Prinzip, das den einen zum Schatten des ändern macht, so daß die Erscheinung Ysengrins die Vorstellung Renarts unvermeidlich mit auslöst und für den Leser oder Zuhörer mit dem Augenblick, in dem ihr Name fällt, einen ganz bestimmten Horizont von Erwartung weckt"2. Entwicklungsgeschichtlich interessant ist die sorgfältige epische Motivierung des "Reinhart Fuchs". Hatte schon Pierre de St. Cloud für die frühen Renart-Branchen den Ursprung der im "Ysengrimus" kommentarlos vorausgesetzten Feindschaft zwischen Fuchs und Wolf am Thema Ehebruch entwickelt, so begründet der deutsche Verfasser zusätzlich die 1 2
JAUSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959), S. 77. Ebenda, S, 75 f.
Abschluß der gesetteschaft
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Verknüpfung beider Schicksale, indem er der Verbindung korporative Züge beigibt und sie mit Vertragscharakter versieht. Dabei nimmt er die traditionellen Elemente seiner Vorlage wie den besagten Antagonismus von Fuchs und Wolf, das Ehebruchmotiv und die Hoftagsfabel wieder auf und folgt im großen und ganzen dem Handlungsrahmen und der Typenzeichnung des "Roman de Renart". Neu und deshalb wesentlich für die Interpretation des "Reinhart Fuchs" ist die rechtliche Akzentuierung, die der Handlung zugrunde liegt. Wie zu zeigen sein wird, handelt es sich bei den "Abenteuern" von Reinhart und Isengrin nicht um belanglos aneinandergereihte Streiche, sondern die einzelnen Aktionen lassen sich in die Kategorien des mittelalterlichen Strafrechts einordnen. Heinrich stellt nämlich die Verletzungen, die Isengrin durch Reinhart erleidet, als Körperverletzungen dar. Im Verlauf der Handlung nehmen sie an Ausmaß zu, so daß die Auseinandersetzung von Fuchs und Wolf in eine Fehde mündet. Die zur Beilegung der Fehde ins Leben gerufene Sühneverhandlung endet nicht mit der Aussöhnung der Kontrahenten, sondern mit der Vergewaltigung der Wölfin. Rechtlich gesehen schafft der deutsche Verfasser somit einen logischen Übergang zum dritten Handlungsteil, dem Hof- und Gerichtsgeschehen am Königshof. Dort soll über den Fall entschieden werden.
3.1 Abschluß der geselleschaft (V. 396-448) wolt ir mich zv gesellen han ? Ich bin lis_tic, so sit stare ir. ir mohtet gvten trost han zv mir. Von iwer kraft vnd von minen listen konde sich niht gevristen. (V. 396 ff) Mit diesen Worten formuliert Reinhart seine Bereitschaft zur Unterstützung, das heißt er bietet dem Wolf freiwillig gewisse Leistungen an3. Geschickt stellt er Isengrin den zu erwartenden Nutzen dar, läßt jedoch seine eigenen Beweggründe unerwähnt. Nach den anfänglichen Mißerfolgen braucht im Grunde genommen der Fuchs Hilfe gegen die Menschen, tut aber so, als gelte das für den Wolf (V. 393if). Beide Bündnispartner heißen im "Reinhart Fuchs" gesellen (V. 396, 485, 672, 909), das Bündnis selbst geselleschaft (V. 1049). In den Dienst, RWB 2, Sp. 855 f, s. Sp. 867ff.
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deutschen Rechtsquellen des Mittelalters bedeutet geselle in erster Linie "gleichgestellter bzw. gleichberechtigter Genösse" und kann den Gefährten, Freund oder Begleiter bezeichnen4. Freilich lassen mannigfaltige Bedeutungsvarianten mehrere Möglichkeiten der Begriffsbestimmung zu5. Das gilt auch für das Kollektivum geselleschaft, das neben 'Freundschaft' und 'Gemeinschaft' häufig die zweckgerichtete Vereinigung, die 'Genossenschaft', bezeichnete6. Aufgrund dieser Belege und der Gesamtkonzeption, die dem "Reinhart Fuchs" zugrunde liegt, möchte ich die Verbindung von Fuchs und Wolf als zweckgerichtetes Bündnis zweier gleichberechtigter und gleichgeordneter Partner definieren7. Dieses Bündnis hat Heinrich mit genossenschaftlichen Zügen versehen und sich dabei an einen durch "freie Einung" zustande4
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RWB 4, Sp.489ff; über die geselleschaft unter Rittein in der deutschen Literatur des Mittelalters, s. ERTZDORFF, Xenia von: Höfische Freundschaft. In: DU 14 (1962), Heft 6, S. 35-51; HARMS: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300 (1963). Vgl. Lex. I, Sp.908f; BMZ II 2 , S. 29 a f; DWB 4,1,2, Sp.4029f. RWB 4, Sp.503ff; Lex. I, Sp. 910; BMZ II2, S. 32° f. Damit wende ich mich gegen die von Wolfgang Spiewok geäußerte Ansicht, bei dem Pakt von Fuchs und Wolf handele es sich um ein Ministerialitätsverhältnis ("Reinhart Fuchs"-Fragen. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst—Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Gesellschafts- und sprachwiss. Reihe 4, Jg. XIII, 1964, S. 281-288; wiederabgedr. in: SPIEWOK, Wolfgang: Mittelalter-Studien, Bd. l, Göppingen 1984, S. 249-273 = GAG 400.). Diese Sicht ist seiner These, der "Reinhart Fuchs" mache am Beispiel der letzten drei Stufen der feudalen Gesellschaftspyramide die Interessensgegensätze der herrschenden Klasse sichtbar, verhaftet, "um die konsequente und schonungslose Entlarvung der feudal-anarchistischen Gesellschafts(un)ordnung aufzudecken" (ebenda, S. 285). Widerspruch gegen Spiewoks Interpretation meldeten schon Schwab (Zur Datierung und Interpretation des "Reinhart Fuchs" [1967], S. 182f) und zuletzt Düwel (Zum Stand der 'Reinhart Fuchs'Forschung [1985], S. 208; ders.: Heinrich, Verfasser des 'Reinhart Fuchs' [1981], Sp.671f) an. Desgleichen spreche ich mich gegen diesen von Jürgen Kühnel 1978 wieder aufgenommenen Ansatz aus (Zum "Reinhart Fuchs" als antistaufischer Gesellschaftssatire [1978]). Denn auch Kühnel interpretiert den Pakt von Fuchs und Wolf als ein auf Lehnrecht gegründetes Dienstverhältnis und stellt wie Spiewok den Bezug zur Verfassungsstruktur des 12. Jahrhunderts her. Kühnel stützt sich in erster Linie auf den sprachlichen Befund, wobei freilich unberücksichtigt bleibt, daß dienst auch die 'Dienstbereitschaft1 (RWB 2, Sp.871) bezeichnen kann, und die Anrede her(re) nicht ausschließlich so zu deuten ist, daß Isengrin der sozial Höherstehende ist. Beispielsweise gebührte diese Anrede dem Oberhaupt der Familie und der Hausleute und war die Bezeichnung der Ehefrau für ihren Gatten (RWB 5, Sp.781ff; BJBRKE: A contrastive study of Old German and Old Norwegian kinship terms [1969], S.26f).
Abschluß der geselleschaft
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gekommenen Personen verb and8 angelehnt, wie ihn das ältere Rechtsleben kannte. Die rechtsgeschichtliche Forschung bezeichnet diese Art von Gemeinschaft, die sich durch Gleichordnung, freie Willensbildung und zielgerichtete Ausrichtung auszeichnet, "jüngere Genossenschaft"9. Während die "Gesellschaft" von Fuchs und Wolf auf den genannten Prinzipien beruht, hat die Organisationsform der "älteren Genossenschaft" 10 als Vorbild für die natürlich gewachsenen Bindungen im "Reinhart Fuchs" gedient. Vor allem die Darstellung der Ehe- und Hausgemeinschaften im ersten Teil sowie der Verwandtschaftsbeziehungen orientiert sich an diesem mehr herrschaftlich organisierten Modell11. Das Motiv der compagnonnage, der zweckgerichteten Gemeinschaft, findet sich schon im "Roman de Renart" mit der Parodie von Zweierbündnissen analog zur compagnonnage der chansons de geste. Während sich in der französischen Dichtung Fuchs und Kater gegen den Wolf verbünden (Br. II, 665 ff), richtet sich die geselleschaft von Fuchs und Wolf im "Reinhart Fuchs" gegen die Menschen. Sie sind es letztendlich auch, die Isengrin mit Reinharts Hilfe, Reinhartes rate (V. 104l)12 gefährlich werden. Zu dem Element der korporativen Verbundenheit führt Heinrich zusätzlich das der persönlichen Bindung ein, indem er ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen Reinhart und der Wolfsfamilie errichtet. Auch im "Roman de Renart" sind Fuchs und Wohin verwandt. Freilich bleibt unklar, wie das Verhältnis von compere (Br. II, 1072) zu conmere (Br. II, 1073, s.a. Br. III, 212 u.a.) zustande gekommen ist und welchen Verwandtschaftsgrad es genau umfaßt. Genauer ist da Heinrichs Motivierung. Reinhart hat nämlich das Patenamt für den Sohn seines gesellen übernommen (V. 545 ff)13, so daß er, analog zur Konstellation des Meisenabenteuers, zu seinem poien, dem 8
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Vgl. RWB 2, Sp. 1477; KROESCHBLL, Karl: Einung. In: HRG I, 1971, Sp.910-912. STRADAL, Helmut: Genossenschaft. In: HRG I, 1971, Sp. 1522-1527. Zu diesen beiden Organisationsformen STRADAL: Genossenschaft (1971), Sp.1524. Ebenda, Sp. 1523. Die vor allem von Otto v. Gierke vertretene "Genossenschaftslehre" (Das deutsche Genossenschaftsrecht. 4 Bde., Berlin 1868— 1913), die in dem personenrechtlichen "Treuedienstvertrag" wurzelte, wird von der neueren Forschung kritisiert, vgl. MITTEIS /LIEBBRICH: Deutsche Rechtsgeschichte (16. Aufl. 1981), S.24f (mit weiteren Literaturangaben); NBUSSER, Gerold: Dienstvertrag. In: HRG I, 1971, Sp. 738-740. Der Ausdruck ist rechtssprachlich, s.u. S. 77f, 96f, 156, 201 f. So auch RUBERG: Verwandtschaftsthematik in den Tierdichtungen um Wolf und Fuchs vom Mittelalter bis zur Aufklärungszeit (1988), S. 40.
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Fuchs und Wolf
Wolfsjungen, im ersten Grad der geistlichen Verwandtschaft steht, zu dessen Eltern, Hersant und Isengrin, im zweiten Verwandtschaftsgrad. Aufgrund dieser Verbindung bezeichnen sie sich untereinander als gevater (V. 405, 419, 424 u.ö.). Rückwirkend betrachtet, scheint dieser Schritt, Reinhart das Patenamt anzutragen, mangelnde Einsicht zu bezeugen. Aus dem Gefühl der Sicherheit und Überlegenheit heraus bieten die Wölfe eine umfassendere Verbindung als gefordert an, was sich bald darauf schon nachteilig auswirken soll14. Reinhart ist damit in den familialen Bereich integriert15, doch deutet der Erzähler sogleich an, daß sich Isengrin einen üblen Hausgenossen ausgesucht hat (V. 410ff)16. Strukturell betrachtet, ist im "Reinhart Fuchs" die Beziehung zwischen Fuchs und Wolfssippe in ihrer moralischen und rechtlichen Konsequenz identisch mit der zwischen Fuchs und kleinen Tieren. Infolge der doppelten Absicherung durch Vertrag und Verwandtschaft ist sogar zu vermuten, daß Heinrich der Verbindung von Reinhart und Isengrin besonderes Gewicht verleihen will. Die Rechte und Pflichten, mit denen der Einzelne innerhalb eines ererbten Personenverbandes konfrontiert wurde, galten im wesentlichen auch für gewählte Bündnisse. Das Verhältnis unter ihren Mitgliedern war ebenfalls maßgeblich von "Treue" bestimmt17. Es fällt wieder auf, daß der deutsche Verfasser die Hinweise aus seiner Vorlage zu einem rechtlich relevanten Geflecht von Beziehungen verdichtet hat, auf dem die gesamte Handlung des zweiten Teils basiert. Zum einen läßt sich den Hinweisen das soziale Umfeld, in dem die Handlung sich bewegt, ablesen. Andererseits werden die geltenden Normen, die die Beziehung unter den Bündnispartnern regeln, zu ihrem Bewertungsmaßstab. Fuchs und Wolf werden an ihrer triuwe und an ihrem konformen oder nichtkonformen Verhalten gemessen.
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Zur Verbindung von Fuchs und Wolf, s. PASTRJS, Jean-Marc: La force et la ruse ou l'irresistible ascension de Reinhart le goupil. In: Atti del V Colloquio della International Beast Epic, Fable and Fabliau Society (Turin - St. Vincent 1983). Hrsg. v. Alessandro Vitale-Brovarone und Gianni Mombello, Alessandria 1987, S. 71-84. RWB4, Sp.540f; CARLEN, Louis: Gesinde. In: HRG I, 1971, Sp. 1627-1629, s.Sp. 1627. S.o. S. 65. S.o. S. 23, 27ff, 41 f, 58; u. S. 231.
Körperverletzungen
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3.2 Körperverletzungen (V. 445-1060) Die kleinen Tiere kamen durch Reinhart nur unwesentlich zu Schaden. Anders verhält es sich dagegen mit dem Wolf und seiner Familie. Wie der Erzähler unmittelbar nach Vertragsabschluß andeutet, wird es Isengrin noch sehr bereuen, daß er sich auf das Bündnis mit Reinhart eingelassen hat: Daz er in ze gevatern nam do, des wart er sint vil vnvro. (V. 405 f)18 Denn nach dem "Schinkenabenteuer" (V. 445-498), in dem die Wölfe dem Fuchs seinen Beuteanteil vorenthalten, läßt Reinhart keine Gelegenheit aus, um sich an ihnen zu rächen. Mit der gewohnten Bosheit und Falschheit fügt er seinem Partner ständig neue und gravierendere Verletzungen zu. Das verbrecherische Tun des Fuchses umschreibt wieder übel19. Das erlittene Unrecht, der rechtlich zu bestimmende Nachteil, heißt in der Rechtssprache der Zeit allgemein schade:^0 do hat aber her Ysengrin Ein vbel gesinde zv im genvmen, daz mvste im ze schaden kvmen. (V. 410 ff) Geschickt nutzt der Fuchs die Schwachstellen seiner Kontrahenten aus und profitiert von der Freßlust des Wolfes und der sexuellen Gier der Wölfin21. Der Isengrin zugefügte 'Schaden' ist zweifacher Art: Einerseits bewirkt Reinharts Verbindung mit der Wölfin seelisches Leid und sorgt für ehrenrührige Kränkungen. Sprachlich wird das durch die Rechtswörter lasier (V. 644, 877, 1229, 1376, 1412, 1417), 'Schmach', 'Schande122, und leid (V. 599, 778, 1038 u.ö. auch in zahlreichen adjektivischen Verbindungen), 'Beleidigung', 'Unrecht'23, wiedergegeben. 18 19
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Vgl. V. 1224 f S.o. S. 38, Anm. 89; S. 47, 55; u. S. 109. Vgl. HIRSCH, Hans: Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter, Prag 1922 (ND Darmstadt 1958) = Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte. T. l, S. 29; MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 226; OGRIS: Schadensersatz (1990), s. Sp. 1335; neben den Bedeutungen 'Rechtsnachteil1, 'Besitzminderung' etc. findet sich auch schaden im Sinne von 'Körperverletzung* im "Sachsenspiegel" (z.B. SLdr. I 2 § 4). LINKE (Form und Sinn des "Fuchs Reinhart" [1974], S. 235) spricht von einem "Antagonismus von Ratio und Affekt". MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 226. RWB8(H. 7/8), Sp.ll44f.
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Fuchs und Wolf
Andererseits ist der Wolf das Opfer von Attacken, die sich gegen sein Leben und seine Gesundheit richten. In der entsprechenden juristischen Terminologie spricht Heinrich von schade (V. 530, 732, 785, 878 u.ö.), 'Unrecht'24, ser (V. 1376), 'Schmerz'25, und von Wunden (V. 579, 633). Isengrins Notlage bezeichnen not (V. 1005), 'Bedrängnis', 'Gefahr'26 und arbeit (V. 597), 'Schwierigkeit'27. Heinrichs Darstellungsweise ist in der Tradition der Tierdichtung ohne Entsprechung. Insgesamt beschreibt er nämlich die Anschläge auf den Wolf analog zu den kasuistisch, das heißt den einzelnen erfaßten Fällen von Körperverletzung, wie sie die Rechtsbücher, Stadtrechte und Weistümer verzeichnen, indem er die Tatumstände, die Tatwaffe sowie Art und Ausmaß der Verletzung angibt. Das mittelalterliche Recht verfugte über detaillierte Bestimmungen, um den Umfang der Verletzung festzustellen und für die Bestrafung des Täters den entsprechenden Bußsatz zu ermitteln28. Ausgangspunkt waren bestimmte "Wundkategorien"29, nach denen die Körperverletzungen in Schläge, Wunden und "Lähmde"30 eingeteilt wurden. Diesen Kategorien lassen sich auch Isengrins Verwundungen im "Reinhart Fuchs" zuordnen. Man unterschied die sogenannten "trockenen" Schläge von denen, die einen Blutverlust zur Folge hatten, die Wunden wiederum von der "Lähmde", eine Verletzung, bei der entweder ein Körperglied vom Körper abgetrennt oder unbrauchbar gemacht wurde31. Weiter wurde nach Einzeltatbeständen untergliedert, die, so His, regional un24
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S.o. S. 37, u. S. 69, 76. MUNSKE: Der germanische Rechtswoitschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 245. Lex. II, Sp.lOSf; BMZ II, S.407*. RWB l, Sp.805. BRUNNER: Deutsche Rechtsgeschichte II (1892), S.634ff; RA 2, S.184ff; KROESCHELL, Karl: Deutsche Rechtsgeschichte l (8. Aufl. 1987), S. 50 ff; KAUFMANN, Ekkehard: Körperverletzung. In: HRGII, 1978, Sp. 1159-1163, s. Sp. 1159. SCHMIDT, Arthur B.: Medizinisches aus deutschen Rechtsquellen. In: Festschrift für Benno Schmidt, Jena 1896, S. 38-88, s. S. 73; SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 837. KAUFMANN: Körperverletzung (1978), Sp. 1160; GÜNTHER, Louis: Über die Hauptstadien der geschichtlichen Entwicklung des Verbrechens der Körperverletzung und seiner Bestrafung, Erlangen (Diss. jur.) 1884, S. 75f; His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 96; CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S. 446. KAUFMANN: Körperverletzung (1978), Sp. 1159.
Körperverletzungen
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terschiedlichen Gesichtspunkten folgten: So war das Begriffsmerkmal der Wunde "bald der Blutverlust, bald der Gebrauch scharfer Waffen, bald ein bestimmtes Maß, bald endlich die Notwendigkeit ärztlicher Hilfe"32. Vielfach stellte man durch eine Wundschau Größe und Folgen der Verletzung fest33. Darauf spielt Heinrich in der Prozeßhandlung an, als er Krimel (V. 1386 ff) in dessen Plädoyer zugunsten des Fuchses fordern läßt, man solle das Ausmaß der Verletzung, die die Wohin durch Reinhart erlitten habe, feststellen (V. 1403f). Konnte der Täter zur Rechenschaft gezogen werden, mußte er seinem Opfer eine Buße zahlen, wie sie auch Krimel dem Wolf anbietet (V. 1405 ff). Sie war Schadensersatz, Genugtuung und Strafe zugleich34. Unter dem Einfluß der Gottes- und Landfrieden vollzog sich eine "Umgestaltung des Strafverfahrens"35, so daß schwere Körperverletzung mit peinlicher Strafe, die dem Täter an Leib oder Leben ging, bedroht wurde36. Freilich hielt sich noch lange das Bußensystem, so daß trotz allem die peinlichen Strafen durch Vermögensleistungen ablösbar waren37. 3.2.1 "Trockene Schläge" ("Weinabenteuer") (V. 505-550) Es gibt, wie gesagt, interessante Analogien zwischen den dargestellten Fällen von Körperverletzung im mittelalterlichen Strafrecht und im "Reinhart Fuchs". Alle Kategorien des "Leibschadens" finden sich nämlich im Tierepos wieder, wobei Heinrich sehr genau die einzelnen in 32
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His, Rudolf: Die Körperverletzungen im Strafrecht des deutschen Mittelalters. In: ZRG GA 41, 1920, S. 75-126, s. S. 76; ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S.130f; SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 837f. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S.96. KAUPMANN: Körperverletzung (1978), Sp. 1160; vgl. HOLZHAUER, Heinz: Geldstrafe. In: HRG I, 1971, S. 1466-1474, s. Sp. 1467. CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S. 390. KAUPMANN: Körperverletzung (1978), Sp. 1160. Eine genaue Auflistung von Tatbestand und Bestrafung findet sich z.B. im "Sächsischen Landfrieden" von 1223 (MGH Const. II, Nr. 280 § 5, identisch mit der "Treuga Henrici" von 1224, MGH Const. II, Nr. 284 § 5), im "Sachsenspiegel" (SLdr. I 68 §§ 2-4; II 16 §§ 1-9; III 37 § 1) und im «Schwabenspiegel" (Ldr. 176 b); s. dazu His: Die Körperverletzungen im Strafrecht des deutschen Mittelalters (1920), S. 77; SCHMIDT: Medizinisches aus deutschen Rechtsquellen (1896), S. 86 f. SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 839; HOLZHAUER: Geldstrafe (1971), Sp.1468.
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Fuchs und Wolf
den juristischen Texten verzeichneten Abstufungen nachvollzogen und in gesteigerter Form in die Handlung eingebracht hat. Im "Weinabenteuer" werden den Wölfen sogenannte "trockene Schläge" mit einem Stock verabreicht. Während die Wolfsfamilie im Mönchshof verprügelt wird, kann sich Reinhart in Sicherheit bringen: do qvamin schire sechs man, Der ieglicher ein stange zoch. (V. 516 f) Mit siegen gvlden do den win fvr Hersant vnd er Ysengrin. (V. 519 f) (...) Im. was zeblowen sin lip, erdroschen was ovch wol sin wip, Sine svne was ez vergangen niht. (V. 531 ff) Nach den genannten Wundkategorien handelt es sich hier um "bußwürdige Mißhandlungen"38. Die Voraussetzungen, um von "qualifizierten" Schlägen zu sprechen, sind nicht gegeben. Denn es ist weder eine offene Wunde entstanden noch ein Körperteil unbrauchbar gemacht worden39. Anscheinend haben die Schläge auch keine sichtbaren Spuren, wie zum Beispiel Beulen oder Blutrunst, hinterlassen, was sich nach dem "Sachsenspiegel" strafverschärfend ausgewirkt hätte40. Anzunehmen ist auch, daß keine Waffe eingesetzt wurde und somit "gewöhnliche" Schläge im Weinkeller ausgeteilt wurden. Nach der Definition des Augsburger Stadtrechts (von 1276) zählte der Stock, wie er im "Weinabenteuer" des "Reinhart Fuchs" benutzt wird, nicht als Waffe41. Erst der Einsatz von Messer, Schwert, Axt und dergleichen hätte aus den gewöhnlichen Schlägen qualifizierte gemacht und der Tat eine andere Gewichtung verliehen. Diese Art von "Leibschaden" ist am unteren Ende der Skala anzusiedeln und wurde in historisch vergleichbaren Fällen eher als Fall von 38 39
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Vgl. SCHRÖDER/v. KÜNSSBBRG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 837. Vgl. SCHMIDT: Medizinisches aus deutschen Rechtsquellen (1896), S. 83; His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 96. Die Qualifizierung "trockener Schlag" ist nach Munske erst im 14. Jh. belegt (Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten [1973], S.248f). SLdr. I 68 § 2. Nr.49 § 1; (zer)bliuwen bezeichnet den Schlag, bei dem im allgemeinen blaue Flecken und Blutrunst zurückbleiben, MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 250; RWB 2, Sp. 361f (bläuen).
Körperverletzungen
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tätlicher Beleidigung denn als Körperverletzung bewertet42. In der Tat vergleichen die mittelalterlichen Rechtsquellen die gewöhnlichen Schläge mit anderen leichten Eingriffen in die leibliche Unversehrtheit43, weshalb einige Quellen Verbal- und Realiniurien unmittelbar zusammen aufführen44. Daß im Falle Isengrins zu der Verletzung die Schmach tritt, drückt Heinrich durch die in mittelalterlichen Texten häufig vorkommende Paarformel schade und schände aus45: Do klagt her Ysengrin den schaden vnd die schände sin. (V.529f)46 Wie die Formelsprache überhaupt, erfüllten stabende Paarformeln eine wichtige Funktion im Rechtsleben, zum Beispiel als mnemotechnisches Hilfsmittel oder, wie in diesem Fall, um eine abstrakte Begrifflichkeit zu erfassen47. An anderer Stelle werden im "Reinhart Fuchs" Schimpf und Schande in Verbindung zur Körperverletzung48 mittels lasier ( . . . ) vnd ( . . . ) schaden (V. 877f; vgl. V. 1410) beziehungsweise lasier vnde ser (V. 1376) einander gegenübergestellt49. Weigand denkt mit Lexer, daß das mittelhochdeutsche Nomen schände von dem althochdeutschen scinian, 'schinden', abzuleiten sei, "ursprünglich wol auf den Vollzug der alten Leibesstrafe des Schindens ( . . . ) gehend"50. Dieser Zusammenhang ist deswegen interessant, weil damit wieder der Bereich der Schläge, im übertragenen Sinne der der Prügelstrafe, berührt wird. Die 42
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SCHMIDT: Medizinisches aus deutschen Rechtsquellen (1896), S. 84; His: Die Körperverletzungen im Strafrecht des deutschen Mittelalters (1920), S. 119; MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 248. BRUNNER: Deutsche Rechtsgeschichte II (1892), S.636f; His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 97. So z.B. SLdr. II, 16 § 8 (Swene men ane wunden sleit oder bescilt logenere, deme seal men lute geven na siner bord [ed. Eckhardt, S. 147]) oder "Rechtsbuch nach Distinktionen", Buch IV, cap. V, dist. 20; dazu Brunner und His (wie S. 69, Anm.43) und MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S.252if. Vgl. dazu MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 226. Zu klagen als Rechtswort im engeren Sinne, s.u. S. 87ff, 134, 156, 209.
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S. die Zusammenstellung in RA l, S.8ff; SCHMIDT-WIEGAND, Ruth: Paarformeln. In: HRG III, 1984, Sp. 1387-1393, s. Sp.1387.
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Vgl. MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 226. Ebenda, S. 245.
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Prügelstrafe, verabreicht mit Stock oder Peitsche, wurde der Kategorie der Strafen an "Haut und Haar"51 zugeordnet und bei geringfügigen Rechts verstoßen verhängt. Sie war wie jede Leibesstrafe im frühen wie im späten Mittelalter regelmäßig ablösbar52 und betraf deshalb, von Ausnahmen einmal abgesehen, nur den Vermögenslosen53. Die schände der Wölfe im "Reinhart Fuchs" besteht also darin, daß sich ihre Behandlung im Weinkeller wie eine rechtliche Sanktion gestaltet, wie sie ursprünglich nur Unfreien zukam - etwa als Strafe für den auch von ihnen begangenen "kleinen Diebstahl" - und lange den Charakter einer Knechtsstrafe behielt54. Berücksichtigt man, daß der "Reinhart Fuchs" die feudale Welt des 12. Jahrhunderts zeigt, daß die Tierfiguren die menschliche Gesellschaft repräsentieren und der Wolf als Vertreter des Reichsadels an führender Stelle der sozialen Hierarchie zu finden ist, so stellt diese schimpfliche Behandlung mit dem Charakter einer entehrenden Leibesstrafe eine Beleidigung höchsten Grades dar. Hinzu kommt, daß die Schelte durch Isengrins Söhne (V. 542if), die das Betragen ihres Vaters respektlos affenheit nennen (V. 535), in die Kategorie der Verbaliniurien fällt55 und die innerfamiliäre Harmonie stört. 3.2.2 Verwundung (Fuchs und Esel) (V. 551-634) Obwohl die folgende Episode "Fuchs und Esel" nur als Fragment vorliegt, ist der strafrechtliche Befund dennoch eindeutig. Reinhart hat einen Anschlag auf den Wolf vorbereitet, der Isengrin fast das Leben gekostet hätte. Füllt man den Text der Lücke (nach der Handschrift K Vers 553 ff, nach P Vers 563 ff; das entsprechende Blatt fehlt in S) nach dem Vorschlag Grimms und Schwabs mit dem Inhalt des Marner51 62
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BRUNNER: Deutsche Rechtsgeschichte II (1892), S. 605. KAUPMANN, Ekkehard: Leibesstrafe. In: ERG II, 1978, Sp. 1777-1789, s. Sp.1778. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.360; SCHMIDTWlBGAND, Ruth: Haarescheren. In: HRGI, 1971, Sp. 1884-1887, s. Sp. 1886; KAUPMANN: Leibesstrafe (1978), Sp. 1779. LIBBBRWIRTH, Rolf: Ausstäupen. In: HRGI, 1971, Sp.270-271, s. Sp.270; vgl. RA 1,8.477. Vgl. die Ausführungen über die Schelte o. S. 42. Nach dem "Schwabenspiegel" konnte der Sohn sogar sein Erbe verwirken, wenn er den Vater sere vnd merclichen beschälten hat (Ldr. 15, ed. Laßberg, S. 11).
Körperverletzungen
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Spruchs XV, 756, so hat der nicht erhaltene Text die Entmannung des Wolfes durch eine Falle, ein Eisen, zum Inhalt. Auch ohne diese Ausfüllung ist aufgrund des erhaltenen Schlußteils von einer schwerwiegenden Verletzung auszugehen, die Isengrin zugefügt wurde. Blutüberströmt beklagt er allem Anschein nach eine gravierende Verwundung. Der entsprechende Terminus war mittelhochdeutsch wunde mit dem dazugehörigen Adjektiv wunt57: Isengrin von dem blvte entsweich. (V. 564) "Do bin ich vreislichen wunt", sprach er, "ich wene gesvnt Nimmer werde min lip." (V. 579ff) Obwohl sich in dem erhaltenen Text keine Angaben über die Art der Waffe finden, ist zu vermuten, daß der starke Blutfluß, an dem Isengrin zu sterben glaubt, von einer der genannten "scharfen" Waffen58 verursacht wurde. Frau und Söhne sollen an Reinhart Blutrache üben: ich han verlorn minen lip, Daz hat mir Reinhart getan, daz lat im an sin leben gan. (V. 614 ff) Als Isengrin dann noch erfährt, daß Hersant ihn zwischenzeitlich mit Reinhart betrogen haben soll, stellt sich wieder psychisches Leid ein (V. 593 ff). Am liebsten möchte er Kvnin, dem Überbringer der ihm verleumderisch erscheinenden Nachricht, die Augen ausstechen: ob ich so torecht were, Daz ichz fvrwar wolde han, dv mvstez mir din ovgen lan. (V. 600 ff) 56
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GRIMM: Reinhart Fuchs (1834), S.CCIX; SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des "Reinhart Fuchs" (1967) S. 68 ff. Zur kontroversen Diskussion um die Lücke im "Reinhart Fuchs"-Text: PASTRO: Reinhart, Baldewin et Ysengrin: controverse autour d'une lacune (Vortrag 1985, im Druck); ders.: Heinrich der Glichezare. Reinhart Fuchs. Französische Übersetzung von Danielle Buschinger und Jean-Marc Pastre. Wien 1984 = Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie 25, Einleitung S. XVI. MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 245. Zum Begriffsmerkmal s. GÜNTHER: Über die Hauptstadien der geschichtlichen Entwicklung des Verbrechens der Körperverletzung (1884), S. 76; His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S.97f; ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 130.
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Fuchs und Wolf
Hinter dieser Drohung verbirgt sich eine Anspielung auf älteres, vormittelalterliches Strafrecht. Die Blendung wurde zur Zeit der Volksrechte als Verstümmehingsstrafe besonders bei Diebstahl, Meineid und falschem Zeugnis ausgesprochen. Gemäß dem Talionsprinzip soll also Kvnin, der vorgibt, Augenzeuge des Ehebruchs gewesen zu sein (V. 586 ff), sein Augenlicht verlieren59. Da das mittelalterliche Strafrecht die genannten Vergehen in der Regel mit einer Buße belegte, ist Isengrins Äußerung mehr als Zornesausbruch des betrogenen Ehemannes zu sehen, denn als Hinweis auf geltendes Recht. 3.2.3 Die Erneuerung des Bündnisses: Abschluß der bruoderschaft (V. 635-726) Das Handlungsmuster dieser Episode ist identisch mit dem der vorangegangenen. Wieder trägt der Wolf erheblich dazu bei, daß ihm laster (V. 644) widerfährt. Hatte er zuvor noch geschworen, seinem gevater bei der ersten sich bietenden Gelegenheit ans Leben zu gehen, so erneuert er nun, begierig auf Nahrung, das Bündnis (V. 667ff). Wie die geselleschaft betrachtet der Wolf die abgeschlossene brvderschaft (V. 686, 703) allein als Versorgungsgemeinschaft. Auf diese Weise parodiert Heinrich im Wolfsmönch die für das Mönchtum geradezu konstitutive christliche Bruderschaftsidee seiner Zeit60. Geistliche Bruderschaften - er nennt die aus dem Benediktinerorden hervorgegangenen Zisterzienser (V. 706, 716) - werden reduziert auf die materielle Versorgung und die fratres in diesem Sinne motiviert dargestellt (s. V. 712 ff) 61 . Die mittelalterlichen Bruderschaften unterschieden sich bezüglich ihrer Entstehung und Zielsetzung. Daß Heinrich die Zisterzienser im Werk nennt und kritisiert, mag mit der antistaufischen Tendenz des "Reinhart Fuchs" zusammenhängen. Tatsächlich protegierten gerade 59
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Vgl. BRUNNER: Deutsche Rechtsgeschichte II (1892), S. 604. Der S-Text nimmt diesen Gedanken in V. 626 noch einmal auf: nu sehint, ih drie ime an/die ovgen. Vgl. SCHIEDER, Wolfgang: Brüderlichkeit, Bruderschaft, Brüderschaft, Verbrüderung, Bruderliebe. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. v. Otto Brunner u.a. Bd. l, 1972, S. 552-581, s. S.554ff. Zu den momaje-Szenen im "Reinhart Fuchs" und ihre Interpretation als Zisterziensersatire, s. SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des "Reinhart Fuchs" (1967), S. 84ff.
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die Staufer diesen Orden62. Allen Bruderschaften gemein war das genossenschaftliche Element63. Heinrich stellt also erneut einen korporativen Zusammenschluß dar, der in diesem Fall auf die geistliche Sphäre ausgerichtet ist und, strukturell betrachtet, der zuvor abgeschlossenen geselleschaß entspricht. Wieder verbirgt der Fuchs seine wahre Absicht hinter institutionellen Normen. Dieses Spiel mit der Norm macht seinen Erfolg aus, denn das Verhaftetsein in der Regel läßt fast alle anderen Tiere zur leichten Beute werden. So benutzt er auch in dieser Episode den Verhaltenscodex der Gruppe, der er angehört beziehungsweise deren Mitglied er zu sein vorgibt. Den kleinen Tieren suggeriert er, sie hätten von ihrem Verwandten nichts zu befürchten. Ebenso ist sich der Wolf der Unterstützung seines "Gesellen" und "Gevatters" gewiß, und dazu rechnet er in dieser Episode mit dessen brüderlicher minne (V. 719). Der institutionelle und rechtliche Charakter des Bündnisses wiegt Isengrin in Sicherheit, denn er erwartet das genormte Verhalten, wie es die sozialen Gruppen der mittelalterlichen Gesellschaft kennzeichnete. Auf diese Regelhaftigkeit weist Reinhart in seiner Verkleidung als Mönch hin (vgl. V. 655ff, 696ff, 701 ff), und Isengrin akzeptiert sie, um in den vermeintlichen Orden aufgenommen zu werden. In dem Glauben, dem Initiationsritus zu genügen, läßt er sich tonsurieren. Der Fuchs wandelt indes die Prozedur in eine Tortur um: Dar in [in den Raum hinein, d. Verf.] stiez er sin hovbt groz, brvder Reinhart in begoz Mit heizem wazzer, daz ist war, daz fvrt im abe hvt vnd har. (V. 693 ff) Heinrich stellt in dieser Szene den monastischen Initiationsritus auf die eigentliche, wenig feierliche Handlung reduziert dar, die, da Reinhart sie vornimmt, eine Strafaktion ist. Tatsächlich begegnet die Tonsur im Mittelalter sowohl als Initiationsritus wie auch als Strafe64. Diese Analogie ist nicht zufällig und paßt in die Gesamtkonzeption des "Reinhart Fuchs". Während sich hier - wie schon früher - seine Gegenspieler größtenteils an den Normen orientieren, pervertiert der Fuchs 62
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Vgl. SCHREINER, Klaus: Die Staufer als Herzöge von Schwaben. In: Die Zeit der Staufer. Geschichte. Kunst. Kultur. Katalog der Ausstellung 1977. Hrsg. v. Reiner Hausherrr. Bd. 3, Stuttgart 1977, S. 7-19, s. S. 12. HERGEMÖLLBR, Bernd Ulrich und WEIGAND R.: Bruderschaft. In: Lexikon des Mittelalters II, 1982, Sp. 738-740, s. Sp.738f. OLBERG, Gabriele von: Puer tonsuratus. In: HRG IV, 1990, Sp. 101 f.
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die Konvention. In diesem Fall entfernt er dem Wolf, analog zu den Strafen an "Haut und Haar", das Haupthaar und die Kopfhaut. "Das Nehmen des Haupthaares geschieht entweder in milder Form, indem das Haupt des Missethäters geschoren wird, oder aber in gewaltsamer Weise, so daß er auch die Kopfhaut verliert", beschreibt Brunner diese Prozedur im Strafrecht65. Andere als die Mönche hätten den Wolf deswegen später (s. V. 1006ff) für einen auf schimpfliche Weise Bestraften und Gebrandmarkten halten können, denn jeder körperliche Makel war infolge des peinlichen Strafsystems verdächtig66. So aber gehört der Wolf zu den Brüdern, denen die Ordenszugehörigkeit anzusehen ist, die nämlich ir här also ordenlichen unde geistlichen hän beschorn, daz man vorne unde auch hindene rnuge an in gekisen, daz si sin Gegebene lute67. Gewiß konnte Isengrin nach der "Aufnahme" in den "Orden" erwarten, um wieder die Statuten des Deutschen Ordens zu zitieren, daß die Brüder in bruderlicher minne einmutecliche unde gütliche in dem geiste der senftecheit leben mit einander*6, daß sie nicht mit Worten oder mit werken under einander sich missehandelen und auch niman ( . . . ) den anderen dekein ungemach ( . . . ) mit siegen oder mit drowene bereitet69. Stattdessen betont der Erzähler Reinharts charakteristisches, treuloses, die Norm verletzendes Handeln (V. 753: Reinhartes triwe waren Zaz), unter dem Isengrin erneut zu leiden hat (schaden, V. 732).
3.2.4 Amputation ("Fischfangabenteuer") (V. 727-822) Als sich der Wolf auf Reinharts Anraten hin als Fischer betätigt und im Eis festsitzt, fügt ihm der Ritter Birtin die bislang schwerste Verletzung zu. Zwar hatte der es auf Isengrins Leben abgesehen, trifft aber nur 65
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BRUNNER: Deutsche Rechtsgeschichte II (1892), S. 606; s.a. RA2, S. 288; His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S.87f. 'Abführen' bedeutet in der "Reinhart Fuchs"-Stelle V. 696 das gewaltsame Abreißen, Abtrennen der Kopfhaut (vgl. DWB l, Neubearb. 1983, Sp.270); RWB 4, Sp. 1353ff (Haar). SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S.832, Anm.9 b. PERLBACH, Max (Hrsg.): Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften, Halle 1890 (ND Hildesheim 1975), Regel 12 (S.40). Ebenda, Regel 26 (S. 48). Ebenda, Regel 26 (S. 48).
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das Hinterteil des Wolfes und trennt mit der für ihn typischen Waffe, dem Schwert, den Schwanz vom Körper ab70: Her Birtin qvam gerant, sin swert begreif er zehant. (V. 793 f) er Birtin hat im gemezzen, Daz era vf den rvcke scholde troffen han. (V. 806 f) Die glete im aber den slag verkerte, daz er im den zagel verserte Vnde slvgen im gar abe. (V. 813 ff) Der Gebrauch von seren, 'verwunden', 'verletzen', und slahen, '(ab)schlagen', 'erschlagen', ist an dieser Stelle rechtssprachlich71. Wie schon erwähnt72, hieß eine derartige Verletzung "Lähmde". Das mittelalterliche Recht verstand darunter das Abtrennen und Unbrauchbarmachen eines Körpergliedes oder äußeren Sinnesorganes73. Die "Lähmde" wurde als "qualifizierte" Körperverletzung betrachtet und konnte mit "trockenem" Schlag oder, wie im Falle Isengrins", mit "blutiger" Wunde verabreicht werden. Ein Blick auf den Strafkatalog zeigt, daß das Strafmaß von der Bedeutung des betroffenen Körperteiles abhing. Für ein Hauptglied, wie Auge, Hand oder Fuß, mußte eine höhere Bußzahlung entrichtet werden als beispielsweise für Finger oder Zehen74. Nach dem "Sachsenspiegel" gehört auch das männliche Geschlechtsorgan zu den Körperteilen, die das halbe Wergeid wert sind: Den munt, nase unde ogen, tunge unde ore unde des marines gemechte, unde hende unde vute, dirre iewelk, wert de man dar an gelemet unde seal men it erne beteren, men mut it erne gelden mit eneme halven 70
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Zur parodistischen Intention dieser Stelle, s. DÜWBL: Zur Jägerei im 'Reinhart Fuchs' (1984), S. 135ff. Vgl. z.B. SLdr. I 53 § 4: ... unde gift ene bute jeneme, den he geserei hevet (ed. Eckardt, S. 112) Schwsp. Ldr. 174: Swer einen man ze tode sieht... (ed. Laßberg, S. 84); Schwsp. Ldr. 176: (...) die hant ab slahen (ed. Laßberg, S. 85) dazu MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 245, 248; vgl. S. 239; SCHMIDT: Medizinisches aus deutschen Rechtsquellen (1896), S.81; vgl. RF V. 1286, 2058. S.o. S. 66. SCHMIDT: Medizinisches aus deutschen Rechtsquellen (1896), S. 78; KAUPMANN: Körperverletzung (1978), Sp.1159. His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 130; ders.: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 101.
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wergelde75. Für die Handlung des "Reinhart Fuchs" ist zu fragen, welchen Stellenwert Isengrins zagel einnimmt. Sein Klagen, aber noch mehr das der Wölfin (V. 1007ff), scheinen darauf hinzudeuten, daß analog zu der zitierten "SachsenspiegeP-Stelle Landrecht (II 16 § 5) ein Hauptglied getroffen wurde, so daß ein von Heinrich beabsichtigtes Spiel mit der Doppeldeutigkeit von zagel vorliegen dürfte76.
3.2.5 Mordversuch ("Brunnenabenteuer") (V. 823-1060) Das Kapitel Körperverletzung findet seinen Höhepunkt und Abschluß vorerst im "Brunnenabenteuer" (V. 823-1023). Das moniage-Thema. wird fortgesetzt; dabei werden die eingeführten Handlungselemente wieder aufgenommen und steigernd fortgeführt. Heinrich stellt im Fuchs die Figur des lernfähigen Schelmen dem sich immer wieder täuschen lassenden Dümmling Isengrin gegenüber77. Obwohl sich der Wolf nach dem vorangegangenen Erlebnis wieder über Schmähungen und Blessuren - laster und schade, V. 877f - beklagt, läßt er sich ein weiteres Mal mit seinem brvder, gevater und gesellen (V. 902, 907, 909, 917) ein, mit dem Ergebnis, daß er fast zu Tode geprügelt wird. Mit stange und kertzstal (V. 977ff) bewaffnet, gehen die Mönche auf Isengrin los, und er wäre beinahe erhängt worden, hätten die Mönche nicht die vormalige Behandlung im "Fischfangabenteuer" als Tonsur und Beschneidung nach alttestamentarischem Ritual, nach der alten e (V. 1012), interpretiert: Der priol hat in nach erschlagen,78 daz mvste Isengrin vertragen. (V.987f) Isengrin was in grozer not, sie liezen in ligen fvr tot. (V. 1005 f) Der strafrechtliche Befund spricht typmäßig für "tödliche Schläge", die qualifiziertesten in dieser Kategorie79. Führten diese Schläge tatsächlich zum Tode, galt das nach den mittelalterlichen Rechtsquellen als 75 76
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SLdr. II 16 § 5 (ed. Eckhardt, S.146f); vgl. "Rechtsbuch nach Distinktionen", Buch IV, cap. VII, dist. 1-6; Schwsp. Ldr. 176. Vgl. SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 69 ff. Zum "Brunnenabenteuer", s. MEINERS, Irmgard: Schelm und Dümmling in Erzählungen des deutschen Mittelalters, München 1967 = MTU 20, S. 7-38. Slahen ist rechtssprachlich, s. S.76f, Anm. 79-81. "Rechtsbuch nach Distinktionen", Buch IV, cap. IV, dist. 5: mortliche siege
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Totschlag beziehungsweise- bei Vorsatz oder Heimlichkeit - als Mord80. Die vorsätzliche Tötung eines Menschen bedrohten die Landfrieden mit der Todesstrafe81; deshalb war diese Art von Schlägen am oberen Ende der Skala zu finden. Mit der amputatio und den mortlichen siegen wurde das zulässige Maß überschritten. Es geht nun um weit mehr als um Schmähungen und wieder heilende Wunden. Isengrin ist das Opfer gravierender Straftaten geworden und kennt auch den Schuldigen. Nach dem mittelalterlichen Strafrecht liegen Kapitalverbrechen vor, wie sie in den Rechtsbüchern und Landfriedensbestimmungen an vorderster Stelle genannt werden. Nicht die "Wassertauche" durch Reinhart, wie Jacoby den Sprung in den Brunnen rechtlich interpretiert82, führt zur Aufkündigung der geselleschaft, sondern die Kastration mit dem versuchten Totschlag83. Isengrin hat spät und schmerzhaft die wahren Absichten seines Partners erkannt, der grundlos gegen ihn mit triege und untriuwe vorgegangen ist: ( . . . ) "ich habe minen lip Von Reinhartes rate verlorn. dvrch got daz lazet vch wesen zorn. Daz ich ane zagel gan, daz hat mir Reinhart getan, 1045 Deiswar, an aller slachte not. er betrovg mich in den tot. Von siner vntriwe groz enphienc ich mangen slac vnd stoz." (V. 1040 ff) Freilich besagt die Aussage, daß die erlittenen Verletzungen auf Reinhartes rate zurückzuführen seien, daß der Fuchs nicht der Ausführende, sondern lediglich der Anstifter gewesen ist. Strafrechtlich ist ihm des-
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( . . . ) davon man kuset, daz eyner muckte sterben (ed. Ortloff, Rechtsquellen l, S. 182); vgl. a. SLdr. I 68 § 4; andere Quellen verzeichnen den Ausdruck ze töde slän, MuNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 239. His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 121 ff. Z.B. Der Landfrieden von 1152: Si quis hominem infra pacem constitutam occiderit, capitalem sub eat sententiam (MGH Const. I, Nr. 140, c. l, S. 195) oder die Landfrieden von 1179, c. 5 und 1224, c. 5. JACOBY: The Conflict between Legal Concepts and Spiritual Values in the Middle High German 'Reinhart Fuchs' (1973), S. 16. So auch SCHWOB: Die Kriminalisierung des Aufsteigers im mittelhochdeutschen Tierepos vom "Fuchs Reinhart" und im Märe vom "Helmbrecht" (1984), S. 50.
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halb nicht die Täterschaft, sondern die Urheberschaft anzulasten84. Zwar hat er die Voraussetzungen für die Anschläge auf den Wolf geschaffen, wobei Isengrin typgemäß das Seine dazu beigetragen hat, doch letztlich sind die im "Reinhart Fuchs" auftretenden Menschen, bis auf die "Tonsur", die Ausführenden gewesen. Die Teilnahme an einer Straftat umfaßte nach mittelalterlichem Recht Mittäterschaft, Beihilfe, Anstiftung und Begünstigung85. Mittelhochdeutsch rät und das dazugehörige Verb raten bezogen sich auf die Anstiftung zu einer Straftat und die intellektuelle Beihilfe86. Im Unterschied zur fränkischen Zeit berücksichtigten die hochmittelalterlichen Rechtsquellen weitaus häufiger die Beihilfe und hielten sie unter Umständen für strafbar. In einigen Quellen erscheint raten synonymneben helfen und schließt die eigentliche Mittäterschaft mit ein87. Dafür sprechen auch die Zusammenstellungen zu den Formeln "Rat und Hilfe" oder "Rat und Tat"88. Das Strafmaß für den Mittäter konnte indes variieren. Es richtete sich nach der Art des Verbrechens und reichte von Straffreiheit bis hin zur gleichen Bestrafung für "Ratgeber" und Täter89. Die Bewertung der Fuchsfigur vor dem Hintergrund des mittelalterlichen Strafrechts fällt deshalb in diesem Fall nicht leicht. Heinrich scheint der Meinung zu sein, daß Reinharts Handeln ihn bislang noch nicht zu einem Kriminellen stempelt, er wohl aber moralisch zu verurteilen sei. Denn vor Gericht werden später vor allem die Delikte verhandelt, die der Fuchs tatsächlich selbst begangen hat. Auch die Sühneverhandlung, die mit dem Ziel einberufen wird, den Konflikt zwischen Fuchs und Wolf beizulegen, behandelt als Thema den Ehebruch von Fuchs und Wölfin90. Vorerst ist Reinhart nur der Auslöser, der 84 86
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Ebenda. PLANITZ, Hans: Deutsche Rechtsgeschichte. Bearbeitet von Karl August Eckhardt, Graz/Köln (2. Aufl.) 1961, S. 61; KAUFMANN, Ekkehard: Teilnahme. In: ERG V (33. Liefg. 1992), Sp. 138-141. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 115f; ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 22ff; MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 234. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelaiters I (1920), S. 125f. RWB 5, Sp.956ff; HlS: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 126f; CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S. 586; MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 235. His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 25ff. S.u. S. 89.
Die Fehde zwischen Fuchs und Wolf
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die Schwächen seiner Opfer ausnutzt. Er fungiert, um mit Schwab zu sprechen, als Katalysator, der die Anschläge zwar vorbereitet, bei ihrer Ausführung jedoch nicht beteiligt ist91. Betrachtet man das Werk als Ganzes und legt den in Vers 1239 erwähnten - und an späterer Stelle ausführlich behandelten92 - königlichen Landfrieden als Bewertungsmaßstab zugrunde, so ist der Fuchs ein Friedbrecher par excellence. Er stört nicht nur die kleineren Sozialisationsformen seines unmittelbaren Lebenskreises und gefährdet seine Vertragspartner, sondern bringt letztlich sogar das Staatsgefüge ins Wanken.
3.3 Die Fehde zwischen Fuchs und Wolf (V. 1061-1069) Isengrin reagiert mit einer Fehde auf die Attacken seines Widersachers: Daz vrlevge was erhaben. (V. 1061) Der Terminus urliuge wurde gleichbedeutend mit kriec gebraucht und bezeichnete alle Arten von bewaffneten Feindseligkeiten, wie Krieg, Kampf und Streit93, vor allem aber die Fehde94. Sie war im Hochmittelalter Bestandteil des ritterlichen Waffenrechts95 und stand als rechtlich anerkannte Selbsthilfe nur dem Adel offen96. Die rechtmäßige Fehde war an bestimmte Bedingungen geknüpft, um sie von einem illegalen Rachezug abzugrenzen. So mußte ein ausreichender Rechtsgrund vorliegen, und es mußten bestimmte Regeln eingehalten werden97. Die Frage nach dem "ausreichenden Rechtsgrund" wurde mitunter sehr subjektiv ausgelegt. In den meisten Fällen gingen die mittelalterlichen Fehden um die Verletzung von Gesetzen oder Gewohnheitsrechten so91 92
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SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 88. S.u. S. 115 ff. Schwsp. Ldr. 201; s. Lex. II, Sp.2007; BMZ I, S.994e. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 265; erheben, 'beginnen', s. RWB 3, Sp.201f. FEHR: Das Waffenrecht der Bauern im Mittelalter (1914), S. 140; His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 61; SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S.836. FEHR: Das Waffenrecht der Bauern im Mittelalter (1914), S. 140; SCHRÖDER / V. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 81. BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S.41 f.
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Fuchs und Wolf
wie von Bündnis- und Schutzpflichten98. Ein wesentliches Moment war neben dem materiellen Schaden die Ehrverletzung des Geschädigten. Im Falle Isengrins ist deutlich geworden, wie sehr die schmähliche Behandlung und der zagel-Verlust mit der öffentlichen Blamage verknüpft sind und Ehrvorstellungen mit Rachegedanken einhergehen99. Allgemein waren subjektiver Rechtsanspruch und Ehrvorstellung im mittelalterlichen Denken nicht voneinander zu trennen100. Nach Brunner hat es deshalb nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur Fehde gegeben101, denn "allgemein würde der, der sein Recht nicht mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln verfolgt, seine Ehre verlieren"102. Das gleiche Ziel verfolgte übrigens auch die Gerichtsverhandlung, doch sahen die streitenden Parteien im Gerichtsgang nur einen Weg unter mehreren möglichen, oft den am wenigsten erfolgversprechenden, und bevorzugten überwiegend die Selbsthilfe. Auch im "Reinhart Fuchs" setzt die offizielle Strafverfolgung erst nach dem Scheitern der Selbsthilfe ein103. Jedes Mittel war recht, um auf den Kontrahenten größtmöglichen Druck auszuüben. Er sollte dadurch veranlaßt werden, den Rechtsstandpunkt des Gegners anzuerkennen und sich dem Spruch eines ordentlichen Gerichts oder eines Schiedsgerichts zu unterwerfen104. Freilich war nur ein "ehrenhafter" Frieden für die germanisch-mittelalterliche Adelswelt akzeptabel105. Sofern Vers 1061 des "Reinhart Fuchs" nicht als Erzählerkommentar zu verstehen ist, hat der Wolf seine Fehde gegen Reinhart offiziell und damit im Sinne des Rechts angekündigt106. Das Vermittlungsangebot des Luchses (V. 1070 ff) bezeugt die allgemeine Kenntnis von der offenen Feindschaft. Formell eröffnete eine sogenannte "Ansage" 98
ASMUS: Rechtsprobleme des mittelalterlichen Fehdewesens (1951), S. 38; SCHEYHING, Robert: Ehre. In: HRG I, 1971, Sp. 846-849, s. Sp. 848. 99 KAUPMANN: Rache (1990), Sp. 126. 100 BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S.48f; KAUFMANN: Fehde (1971), Sp. 1085. 101 BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S.48f. 102 ASMUS: Rechtsprobleme des mittelalterlichen Fehdewesens (1951), S. 39. 103 Vgl. S. 83ff, 139 ff. 104 ASMUS: Rechtsprobleme des mittelalterlichen Fehdewesens (1951), S. 45. 105 106
KAUPMANN: Fehde (1971), SP.1085. So auch SCHWOB: "eine offiziell geführte Fehde" (Die Kriminalisierung des Aufsteigers im mittelhochdeutschen Tierepos vom "Fuchs Reinhart" und im Märe vom "Helmbrecht" [1984], S. 50); dagegen Klibansky: "Von einer vorherigen Ansage der Fehde ( . . . ) hören wir aber nichts" (Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen des 12. bis 14. Jahrhunderts [1925], S.50).
Die Fehde zwischen Fuchs und Wolf
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(Absage, Widersage, diffidatio etc.)107 die Fehde. Das war nötig, um den. Schein der Rechtswidrigkeit zu vermeiden und um gegebenenfalls die zwischen den Kontrahenten bestehenden Rechts- und Treuebeziehungen aufzukündigen. Wer eine Fehde dagegen unangekündigt begann, galt als Friedbrecher108. Überhaupt waren alle Fälle unerlaubter Fehde Landfriedensbrüche. Sie gehörten zu den Rechtsverstößen, den "Ungerichten", die mit strengen Strafen bedroht wurden109. Auf die Auswüchse des Fehdewesens reagierten die Landfrieden wie schon zuvor die Gottesfrieden, indem sie versuchten, die Fehde zeitlich, räumlich und dinglich zu beschränken; doch ein absolutes Fehdeverbot ließ sich nicht durchsetzen110. Die zeitliche Nähe zur Entstehungszeit des "Reinhart Fuchs" macht die "Constitutio contra incendiarios" Friedrichs I. besonders interessant111. In den Kapiteln 17 und 19 dieses Landfriedens von 1186 wurde zum ersten Mal die Rechtmäßigkeit der Fehde davon abhängig gemacht, daß zwischen der Ansage der Fehde und dem Beginn der Feindseligkeiten eine Frist von drei Tagen lag112. Für alle Unternehmungen galt generell, daß sie offen und ehrlich vollzogen werden sollten sowie unter Ausschluß von Hinterhältigkeit. Denn der Gegner sollte sich vorsehen und wehren können. Die beiden letztgenannten Punkte unterscheiden Isengrins Vorgehen von dem, was nach den Quellen die rechtmäßige Fehde ausmacht. Der Wolf will nämlich seinen Gegner aus dem Hinterhalt überfallen und lauert ihm deshalb auf: Ysengrim [!] begonde draben Ze läge Reinharte. er hvp sich an die warte. (V. 1062 ff) 107
RWB l, Sp. 221 ff (Absage, absagen); Sp. 708f (ansagen); BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S. 73; KAUFMANN: Fehde (1971), Sp. 1091. 108 SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 835 f. 109 Ebenda. 110 CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S. 436; KAUPMANN: Fehde (1971), Sp.l090f. Während die meisten Landfrieden sich mit einer Reglementierung der Fehde begnügten, ging der erste Landfrieden Friedrichs I. von 1152 sogar von der Idee des absoluten Fehdeverbots aus. Diese Idee ließ sich freilich nicht umsetzen und wurde im Landfrieden von 1179 nicht mehr aufgenommen. 111 MGH Const. I, Nr. 319, S.449ff. 112 Dazu His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 61; SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 836; SCHNELBÖGL: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (1932), S. 49.
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Der mittelhochdeutsche Terminus läge ist rechtssprachlich und bezeichnet wie das Verbum warten und die dazugehörigen Komposita fürwarten, Wegwarten etc. den Tatbestand des Auflauerns am Wege, die Wegelagerei113. Er wurde auch benutzt, um die Absichtlichkeit der unter Umständen folgenden Tat anzuzeigen114. Während das Auflauern nach heutigem Verständnis eine bloße Vorbereitungshandlung darstellt, galt es im Mittelalter als selbständiges Vergehen und war ein der Wegsperre verwandtes Delikt115. Stets ging man von der verbrecherischen Absicht des Täters aus, die im Einzelfall auf die typischen Fehdehandlungen wie Tötung, Verwundung, Gefangennahme oder Raub abzielen konnte116. Heinrich scheint das Augenmerk auf die Wahl der Mittel lenken zu wollen. Denn nach der Vorbereitungsphase findet vorerst keine tätliche Auseinandersetzung statt117. In Sentenzform folgt die Begründung für Isengrins Handeln: Wan swer mit vngezevge erhebet ein vrlevge, Der sol mit gvten listen sinen lip vristen. (V. 1065 ff) Das mittelhochdeutsche Wörterbuch gibt ungeziuc mit Hinweis auf "Reinhart Fuchs" Vers 1065 als 'mangelnde Rüstung' wieder118. Diese Stelle kann so verstanden werden, daß jemand, der mit mangelnder Rüstung eine Fehde beginnt, mit Schläue sein Leben retten muß. Daß diese Schlauheit pejorativ aufzufassen ist und hier rechtswidriges Verhalten umschreibt, wird daraus ersichtlich, daß im ganzen Werk list 113
RWB 8, Sp.280f; MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 253. Zu warte, 'Posten', 'Hinterhalt1, ebenda, S. 253. Diesen Tatbestand ermittelte schon Dreyer für die Handlung des "Reinke de Voß". Dort betreibt der Fuchs Wegelagerei, so daß ihm vom König Landfriedensbruch vorgeworfen wird (Abhandlung von dem Nutzen des treflichen Gedichts Reinke de Voß [1768], S. 56). 114 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.189f; MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 253. 116 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 188 . 116 Ebenda, S. 189 f. Düwel vermutet an dieser Stelle wieder Anspielungen auf Sprache und Verhalten des Jägers (Zur Jägerei im "Reinhart Fuchs" [1984], S.140f) . 117 His weist daraufhin, daß bloße Vorbereitungshandlungen wie das Auflauern mitunter als Versuchsverbrechen angesehen wurden (Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina [1928], S. 34). 118 BMZ III, S.919a; vgl. Lex. II, Sp. 1892; Vristen, 'erhalten', 'retten', 'schützen', ist rechtssprachlich, RWB 3, Sp.955ff.
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fast ausschließlich Reinharts Vorgehen negativ charakterisiert119. Diese Stelle läßt freilich noch eine zweite Interpretation zu. Schröbler schlägt in ihrer Ausgabe die Übertragung "übermäßige Eile" für ungeziuc vor120. Das spräche für einen Terminverstoß und bedeutete, daß die Erklärung der Fehde und die erste Fehdehandlung fast gleichzeitig erfolgt sind und der Wolf vor der üblichen Frist mit dem typischen schaden trachten beginnt121. Die mittelalterlichen Quellen belegen, daß ein derartiges Verhalten in der Ritterfehde durchaus üblich war122. Die gutgemeinten Regelungen der Landfrieden seien, so Kaufmann, insgesamt ohne größeren praktischen Effekt gewesen, der fehdelustige Adlige habe sich oft genug nicht an die Fehderegelungen gehalten und in erster Linie seine Rachepläne umsetzen wollen123. Zurückzuführen sei diese Entwicklung auf den Zustand des mittelalterlichen Staates, der weder ein absolutes Fehdeverbot noch einschränkende Fehderegelungen durchsetzen konnte124. So stellt Heinrich in seinem Tierepos allem Anschein nach nur die typischen Verhaltensweisen seiner Zeit dar. Wie im "Roman de Renart" verkörpert auch im "Reinhart Fuchs" der Wolf den Typ des fehdeführenden Adligen, der seinen Rechtsanspruch auf dem Wege der Selbsthilfe verfolgt und bei der Wahl der Mittel nicht kleinlich ist.
3.4 Die Sühne (V. 1070-1154) In einem Rechtskampf wie der Fehde oder der Gerichtsverhandlung standen sich nicht einzelne Personen gegenüber, sondern sogenannte "Parteien"125. Das mittelalterliche Recht sah nämlich vor, daß die Kontrahenten von ihrem sozialen Verband unterstützt werden mußten. Es handelte sich dabei in aller Regel um die nächsten Verwandten oder Freunde, die sogenannten mägen, die Heinrich in diesem Zusammenhang (V. 1100 ff) erwähnt. Insofern war jeder Rechtskampf, besonders aber die unkontrollierte Fehde, immer eine Belastung für 119 120
S.o. S. 30.
SCHRÖBLBR: Das mittelhochdeutsche Gedicht vom Fuchs Reinhut (1952), S. 45. 121 S.o. S. 37. 122 BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S. 11 ff u. pass. 123 KAUPMANN: Fehde (1971), Sp.1091; vgl. V. 1263, 1297: (ge)rechen. 124 Ebenda. 126 WESENER, Gunter: Prozeßparteien. In: HRG IV, 1990, Sp. 62-66.
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einen größeren Lebenskreis126. Derartige Auseinandersetzungen waren theoretisch unter Mitgliedern derselben Familie oder einer Verwandtschaft sowieso ausgeschlossen127. Innerer Unfrieden würde den Bestand der Gruppe und ihre Selbstbehauptung nach außen unmittelbar gefährden128. Insofern verboten zahlreiche Rechte ausdrücklich den Kampf unter nahen Verwandten und forderten die Aussöhnung der verfeindeten Parteien129. Der Terminus dafür war Sühne, mittelhochdeutsch suone (vgl. "Reinhart Fuchs" V. 1208)130. "Sühne" bedeutete im mittelalterlichen Recht einerseits die zur Beilegung des Rechsstreits erbrachte Leistung (compositio, vgl. "Reinhart Fuchs" V. 1138ff), andererseits auch den dadurch erreichten Friedenszustand (amicitia, pax, vgl. "Reinhart Fuchs" V. 1069)131. Als Vermittler in der Sache bietet sich im deutschen Tierepos der Luchs, ein Verwandter beider Fehdegegner, an: Dise vnminne alsvst qvam. io7o ein Ivchs daz schire vernam. In mvte sere diser zorn, er was von beiden geborn Von wolfe vnd von vuchse. da von was dem Ivchse 1075 Daz vngemach. (V. 1069 ff) Wie schon in der Begegnung von Fuchs und Hahn bedeutet das Rechtswort unminne die Feindschaft, hier innerhalb der Fehde132. Dem entspricht auch die Bedeutung von ungemach, die "Unruhe" und das 126
CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S. 435; KAUFMANN: Fehde (1971), Sp. 1087. 127 GAISSER, Erich: Minne und Recht in den Schöffensprüchen des Mittelalters. Rechts- und Wirtschaftswissens eh. Diss. (masch.), Tübingen 1955, S. 36. 128 129
KAUPMANN: Friede (1971), Sp. 1275.
Z.B. C.A.O. Nr. 51: Magdeburger Recht von 1261 (Wilhelm, Bd.I, S. 83). Der Sachsenspiegel erlaubt im Einzelfall den Kampf gegen Verwandte oder Vasallen, wenn er im Dienste des Rechts geschieht (SLdr. III 78 §1-9); vgl. HARMS: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300 (1963), S. lOff zum Verwandtenkampf in der Funktion der Bewährungsprobe. 130 His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S.63ff; KRAUSE, Hermann: Minne und Recht. In: HRG III, 1984, Sp. 582-588, s. Sp.583; KAUFMANN, Ekkehard: Sühne, Sühneverträge. In: HRG V (33. Liefg. 1992), Sp.72-76. 131 KAUPMANN: Sühne, Sühneverträge (1992), Sp. 73. 132 S.o. S. 38.
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"Leid"133, die die Ruhe stören134. Da der Luchs beiden Geschlechtern angehört (s. V. 1072ff, 1077, 1078, 1079, 1086)135, ist er aus den zuvor genannten Gründen an der Aussöhnung der Fehdegegner interessiert. Der Vergleich mit dem "Roman de Renart" fördert einen wichtigen Unterschied beider Fassungen zu Tage: Die Figur des Luchses findet sich nämlich in den französischen Branchen nicht und wird von Heinrich in Hinblick auf die juristische Verfahrensweise eingeführt. Während im "Roman de Renart" die entsprechende Handlung am Königshof situiert ist und der König die streitenden Barone zu einem Vergleich auffordert (Br. Va, 929 ff), betont Heinrich die Eigeninitiative des betroffenen Rechtskreises. Die Einführung eines Schlichters in diesem Fall sowie der im "Reinhart Fuchs" dargestellte Rahmen entsprechen denn auch der im Mittelalter üblichen deutschen Rechtspraxis. 3.4.1 Der Verfahrensablauf (V. 1069-1094) Die Sühne konnte entweder auf gerichtlicher oder außergerichtlicher Weise erfolgen, je nachdem, ob sich der Täter nach erfolgter Klage und Verurteilung vor Gericht mit dem Gemeinwesen aussöhnen mußte - so beispielsweise bei der Acht -, oder ob der Täter noch vor Klagebeginn mit dem Verletzten und seinen Verwandten Frieden schließen wollte136. Letztere Form trifft auf die Handlung des "Reinhaxt Fuchs" zu, denn die Vermittlung des Luchses hat zum Ziel, die Kontrahenten vor Ausbruch des Rechtskampfes zu versöhnen137. Für alle Formen der Sühne 133
Lex. II, Sp.1847. BMZ II, S. 14*. 136 Interessant ist an dieser Stelle, daß die Verwandtschaft von Fuchs, Wolf und Luchs im Gegensatz zu den verwandtschaftlichen Bindungen im ersten Handlungsteil mit den zoomorphen Vorstellungen der Zeit übereinstimmt. In dem von Conrad Forer ins Deutsche übersetzten "Thierbuch" Conrad Geßners (von 1583) wird der Luchs als "ein thier Wolff" geführt und ihm die Wesenszüge von Fuchs und Wolf zugeschrieben: UNsere Luchs sollend kleiner sein dan die wolff / zweyer ley geschlackt haben / groß vnd klein (...) Ist sunst ein rdubig thier gleych dem Wolff / doch vil listiger... (GESSNBR, Conrad: Thierbuch [Das ist ein kurtze beschreybung aller vierfüssigen Thieren...]. Aus dem Lateinischen übersetzt von Conrad Forer, Zürich 1633 [2. Aufl. 1669, ND Hannover 1980], S. 155 b f). 136 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.296; ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 63; CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S. 437. 137 SCHMIDT: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege 134
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galt, daß sie in erster Linie Kampfhandlungen überflüssig machen und eine von allen Seiten akzeptierte, gütliche Übereinkunft herbeiführen sollte138. Erklärtes Ziel war die Wiederherstellung der minne in der Gemeinschaft. Minne bezeichnet in der mittelalterlichen Rechtssprache den Zustand des friedlichen Miteinanderlebens139 und damit das Gegenteil von unminne (s, "Reinhart Fuchs" V. 1069), also das Gegenteil von Fehde und Krieg. Minne war deshalb zugleich der Terminus technicus für Sühne-, Schieds- und Vergleichsverfahren140. Nach minne, auf dem Wege eines Sühneverfahrens, wollen auch die Betroffenen im "Reinhart Fuchs" ihren Rechtsstreit beilegen. Erst nach dem Scheitern des Verfahrens wird der Fall vor ein offizielles Gericht gebracht, wo sich Reinhart dann nach recht, das heißt nach den Normen des Landrechts verantworten muß (s. V. 1321 ff). Das mittelalterliche Recht stellte die beiden Verfahrensweisen oft einander gegenüber. Die Verhandlung nach recht kannte vielfach nur den der Form unterworfenen kompromißlosen Weg, die den Rechtsstreit mit einem definitiven, häufig strengen Urteil und Zwangsmaßnahmen beendete. Die Verhandlung nach minne hingegen eröffnete mehrere Möglichkeiten der Einigung und zeichnete das Verfahren durch Flexibilität und Kompromißbereitschaft aus. Wie im "Reinhart Fuchs" vermittelten häufig die Verwandten unter den Kontrahenten, es konnten aber auch Schiedsleute bestellt werden141. Die beiden Verfahrensweisen 'gütliche Übereinkunft' und 'normierter Rechtsgang' wurden in der spätmittelalterlichen Schiedsgerichtsbarkeit zu der Formel mit minne und l oder mit recht verknüpft142: Die in einem Rechtsstreit vermit(3. Aufl. 1965), S. 55; vgl. His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S.64. 138 BRUNNER: Land und Herrschaft (5. Aufl. 1965), S. 22; KAUFMANN: Sühne, Sühneverträge (1992), Sp.73. 139 WIERCINSKI, Dorothea: Minne. Herkunft und Anwendungsmöglichkeiten eines Wortes, Köln/Graz 1964 = Niederdeutsche Studien 11, S. 80ff. 140 Ebenda, S. 80. 141 Im Spätmittelalter übernahmen dann zunehmend Geistliche oder Vertreter der öffentlichen Gewalt diese Aufgabe, s. HlS: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 65. 142 Die Formel "Minne und Recht" war Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Ältere Positionen, wie sie Carl Gustav Homeyer (Über die Formel "der Minne und des Rechts eines Ändern mächtig sein". In: Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, phil.—hist. Klasse, Berlin 1866, Nr. 2, S. 29-55) und Dietrich Schäfer (Consilio vel iudicio = mit minne oder mit rechte. In: Sitzungsberichte der königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1913, S. 719-733) vertreten haben, wurden
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telnden Schiedsleute erhielten von den Parteien die Vollmacht, erst nach minne, und sofern sich keine Einigung abzeichnete, danach nach recht zu entscheiden. Ihrem Spruch mußten sich die Parteien fügen. Für die fehderechtliche Schiedsgerichtsbarkeit spricht Hattenhauer deshalb von der Stufenfolge: Selbsthilfe (Fehde) - Minne - Recht143. Dem entspricht im Ansatz das Handlungsmuster des "Reinhart Fuchs". Zwar sind in Heinrichs Darstellung des Rechtsganges die Elemente minne und recht noch zwei getrennte Rechtsinstitute und stehen für zwei von einander getrennte Verfahrensweisen. Doch strukturiert der deutsche Verfasser die Rechtshandlung abweichend von der Vorgabe des "Roman de Renart" derart, daß nach dem Scheitern der Sühneverhandlung zwangsläufig ein Gerichtsverfahren die Entscheidung herbeiführen muß. Nach mittelalterlichem Recht wurde das Sühneverfahren, wie auch die Gerichtsverhandlung, durch private Klage in Gang gesetzt144. Denn es galt: Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter145. Daher der Appell an den Wolf, seine Rachepläne zugunsten der Sühneverhandlung aufzugeben und Klage zu erheben: "Trvt mag, her Ysengrin, Wez zihet ir den neven min ? IT sit min geslehte beide. 1080 vil gerne ich bescheide, Vnd offent mir iwer clage, zum Teil von der neueren Forschung revidiert. Zu nennen sind hier in erster Linie die Arbeiten Hans Hattenhauers ("Minne und Recht" als Ordnungsprinzipien des mittelalterlichen Rechts. In: ZRG GA 80, 1963, S. 325-344) und Hermann Krauses (Minne und Recht [1984], Sp.582ff). Die philologisch ausgerichtete Untersuchung Hugo Kuhns (Minne oder Recht. In: Festschrift für Friedrich Panzer. Hrsg. v. Richard Kienast, Heidelberg 1950, S.29-37; wiederabgedr. in ders.: Dichtung und Welt im Mittelalter, Stuttgart 1959, S. 105-111) ist für den hier behandelten Zusammenhang wenig ergiebig. 143 HATTENHAUER.: "Minne und Recht" als Ordnungsprinzipien des mittelalterlichen Rechts (1963), S. 339; er widerspricht damit der von Homeyer aufgestellten Reihenfolge: Minne (Freundschaft, Liebe) - Recht - Selbsthilfe. 144 GAISSER: Minne und Recht in den Schöffensprüchen des Mittelalters (1955), S. 37. 145 Dieses Rechtssprichwort - abgedruckt bei GRAP / DIBTHERR: Deutsche Rechtssprichwörter (2. Aufl. 1869), S. 426, Nr. 218 u. Anm.430 -, das "die nahezu uneingeschränkte Verfügungsgewalt der Parteien über den Streitgegenstand, also über den Beginn, den Fortgang und das Ende des Verfahrens" zusammenfaßt, geht nach Sellert vermutlich auf SLdr. I, 62 § l zurück (SELLERT, Wolfgang: "Wo kein Kläger, da kein Richter". In: HRG II, 1978, Sp.853-855, s. Sp.854).
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so kvmet ir zv einem tage. Swaz vch Reinhart hat getan, des mvz er vch zv bvze stan." (V. 1077 if) Daß die Verwandtschaftstermini eine Rechtsbeziehung ausdrücken, wurde schon des öfteren hervorgehoben146. An dieser Stelle verdienen deshalb mac, neve und geslehte Aufmerksamkeit. Rechtssprachlich ist zihen, 'jemanden einer Tat beschuldigen'147; bezihen steht in den Rechtsquellen für 'den Beweis gegen jemanden erbringen'148. Bescheiden bedeutet in V. 1080 'entscheiden', 'schlichten' oder 'zu einem Vergleich bringen'149. In der "Sachsenspiegel"-SteUe III 21 § l wird bescheiden im Sinne von 'mit Schiedsspruch in einer Besitzangelegenheit entscheiden' gebraucht, in III 21 § 2 ist die Entscheidung aufgrund von Gottesurteil und Eid gemeint. Der zuletzt genannte Beleg kommt dem Sachverhalt im "Reinhart Fuchs" sehr nahe. Denn in der Sühneverhandlung soll die Entscheidung aufgrund des Entlastungsbeweises des Beklagten erfolgen. Klage bedeutet in dieser Passage das "Anrufen richterlicher Hilfe gegen erlittenes Unrecht"150. Tac (V. 1082, 1096, 1097) ist der Terminus für die Gerichtsversammlung151. Sollte sich Reinharts Schuld herausstellen, muß er nach mittelalterlichem Recht "Buße leisten", das heißt mit einer Geldsumme den "Schaden bessern"152. Buze bedeutet Ausgleich und Genugtuung, im technischen Sinne die vom Richter bemessene Leistung des Rechtsbrechers an den Geschädigten153. Es war nicht immer einfach, den Geschädigten derart zufriedenzustellen, daß seine Versöhnungsbereitschaft und damit der 146
S.o. S. 23; u. S. 159. RA 2, S.488; RWB 4, Sp.834f (gezeihen). 148 Vgl. RWB 2, Sp. 307 . 149 RWB 2, Sp.72ff; die Terminologie entspricht der der mittelalterlichen Schiedsverträge (vgl. C.A.O. Nr. 890, 935, 1479, 1693, 2930). So sollte z.B. in Linz (Donau) der Schiedsmann im Jahre 1293 geschaiden vnd gesprochen nach minne oder nach reht ( . . . ) vmb allen den schaden vnd vngemach ( . . . ) swie sie ( . . . ) in dem vrlevg geschehen sint / seit dem widerbot (ed. Wilhelm, Bd.III, Nr. 1749, S.64f). 160 BucHDA, Gerhard: Klage. In: ERG II, 1978, Sp. 837-845, s. Sp.838; vgl. RWB 7, Sp. 1034 ff. 1B1 Schwsp. Ldr. 104; vgl. RWB 4, Sp.380f. 162 Vgl. KAUFMANN: Buße (1971), Sp.575ff. Laut "Schwabenspiegel" sollte der Schädiger einen dem Schaden angemessenen Preis bezahlen, im sinen schaden büzzen (Ldr.201, ed. Laßberg, S.92f); einem man eine wunden buzzen (Ldr.98, ed. Laßberg, S. 51). 153 RWB 2, Sp. 655. 147
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Verzicht auf Kampf nicht als Feigheit ausgelegt wurde154. Andererseits mußte der Täter einen Verlust an seiner Ehre, mitunter auch Rechtslosigkeit hinnehmen155, wenn er Buße zahlte und somit seine Schuld eingestand. Eine Einigung, wie die im "Reinhart Fuchs" angestrebte, konnte sich durchaus schwierig gestalten156. Bei Isengrins Klage dem Luchs gegenüber fällt auf, daß nicht mehr der zagel-Verlust und Körperverletzungen im Vordergrund stehen, sondern der durch den Ehebruch verursachte Ehrverlust: "Iz wer lanc zv sagene. ich han vil ze klagene, Daz mir Reinhart hat getan. 1090 daz ich hivte an zagel gan, Daz geschvf sin lip. dar zv war p er vmb min wip. Mocht er des vnschvldic wesen, ich liez in vmb daz ander genesen. 1095 Versagen ich dir doch niht enmac, ich wil dirz leisten einen tac." (V. 1087ff) In der entsprechenden Terminologie signalisiert also der Wolf Vermittlungsbereitschaft. Die Wendung einen tac leisten ist rechtssprachlich und bedeutet, 'der Einladung zu einem Gerichtstag oder einer Versammlung oder Beratung zu folgen'157. Dem juristischen Vokabular gehören ebenfalls klagen an158, vnschvldic wesen, 'frei von einem Anspruch werden, insbesondere durch eigenen Eid'159 sowie versagen in der Bedeutung 'versagen', 'verweigern', 'abschlagen'160. Da Reinharts Verschulden an den Körperverletzungen kaum zu beweisen sein wird, konzentrieren sich Isengrins Anschuldigungen auf das heikle Thema Ehebruch. In Anbetracht der Folgehandlung wird somit das /osier stärker akzentuiert, zumal die Schmach des Wolfes im Anschluß an die Sühneverhandlung erst recht öffentlich wird, anstatt bereinigt zu werden. Im "Roman de Renart" gehören Ehebruch und Körperverletzungen zwei verschiedenen Handlungssträngen an. Von Anfang an ist 154 155
KAUPMANN: Buße (1971), Sp.577.
SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 834; SCHEYHING: Ehre (1971), Sp.847f. 156 Vgl. GAISSER: Minne und Recht in den Schöffensprüchen des Mittelalters (1955), S. 37. 157 Schwsp. Ldr. 104; s. Lex. I, Sp. 1871. 158 RWB 7, Sp.l034ff; BUCHDA: Klage (1978), Sp.838. 159 Vgl. SLdr. I 13 § 2; Schwsp. Ldr. 201 (zu beziehen auf den Reinigungseid des Beklagten); s. RA 2, S. 561. 160 Lex. Ill, Sp.210; DWB 12, Sp.1031; BMZ II2, S. 22°.
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ersichtlich, daß in der französischen Dichtung der Ehebruch die rechtlichen Schritte gegen Renart auslöst. Diese Kränkung setzt dem Wolf am meisten zu, denn er kann es nicht verwinden, als cocu, als Hahnrei, zu gelten (Br. II, 1170 ff). 3.4.2 Der Verhandlungstag (V. 1097-1120) Die Frist zwischen Klageerhebung und Verhandlung beträgt im "Reinhart Fuchs" drei Wochen: Der tac wart gesprochen vber dri wochen. (V.1097f) Das Verb sprechen in der Bedeutung 'festsetzen', 'bestimmen', 'einen bestimmten Tag anberaumen'161, ist rechtssprachlich. Zwar begegnet die Dreizahl häufig in Rechtstexten, doch ist die dreiwöchige Fristsetzung selten belegt. Das Rechtswörterbuch enthält nur einen Beleg aus der Mitte des 15. Jahrhunderts: ze drin siben nähten, "in 3 Wochen, d.h. innerhalb von 3 normalen Gerichtsfristen"162. Am häufigsten ist die sechswöchige Fristsetzung bei Gericht bezeugt. Sie wurde vor allem bei schweren peinlichen Klagen ausgesprochen163. So haben auch im "Reinhart Fuchs" die Tiere sechs Wochen nach der Ladung vor dem Gericht des Königs zu erscheinen (V. 1321 ff)164. Ein Waffenstillstand unter den feindlichen Parteien bereitete üblicherweise die Sühneverhandlung vor und galt für den Zeitraum zwischen Klageerhebung und Verhandlungstag165. Heinrich überspringt die handlungsarme Zeit von drei Wochen und fährt unmittelbar mit der Rechtshandlung fort: 161
Lex. II, Sp. 1112f; BMZ II2, S. 525° mit Hinweis auf RF V. 1097. RWB 2, Sp. 1084; s.a. RA 2, S. 506. 163 Ebenda; s.a. LOBNING, Otto: Die Gerichtstermine im Magdeburger Stadtrecht. In: ZRG GA 30, 1909, S. 37-48. 164 Göttert verkennt in seiner Anmerkung z. Stelle die Bedeutung der von ihm herangezogenen "Sachsenspiegel"-Stelle I 67 § l (Heinrich der Glichezäre. Reinhart Fuchs [1976], S. 161, Anm.45). Degedingen dries immer over virtenacht bezieht sich auf die dreimalige Ladung nach jeweils 14 Tagen, meint also eine Frist von sechs, nicht von drei Wochen. 166 His, Rudolf: Gelobter und gebotener Friede im deutschen Mittelalter. In: ZRG GA 33, 1912, S. 139-223, s. S. 148; CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S. 437. 162
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Dar qvam her Ysengrin vnd brachte vil der mage sin. (V. 1099 f) Den Grundsätzen des mittelalterlichen Rechtswesens folgend, sind also die mägen, die nächsten Verwandten der Kontrahenten, bei der Verhandlung anwesend. Wie schon gesagt166, enthalten die Rechtsbücher abweichende Angaben darüber, bei welchem. Verwandtschaftsgrad die "Magschaft" und damit gewisse Rechtspflichten enden167. In aller Regel unterstützten die Blutsverwandten ihre Partei vor Gericht, indem sie, falls notwendig, sich an Bußzahlungen beteiligten, als Eideshelfer fungierten oder am Waffengang teilnahmen168. Reinharts Verwandtschaft umfaßt neben anderen tierlin (V. 1118) den Dachs Krimel, der sich als wertvolle Hilfe erweisen wird (V. 1113ff). Bei seiner Aufzählung ordnet Heinrich die Anwesenden sogleich den verfeindeten Parteien nach dem Merkmal "groß und stark" sowie "klein und listig" zu (V. 1004 ff). Die Opposition von intellektueller Stärke und physischer Kraft bestimmt auch die Sühneverhandlung. Zwar macht Isengrins Partei Anstalten, das Schema zu durchbrechen, indem sie ein listiges Betrugsmanöver inszeniert, doch wird ausdrücklich betont, daß nur der Fuchs erfolgreich List anwendet (V. 1128). Das muß auch die Wölfin zum Abschluß der mißglückten Schlichtung am eigenen Leib erfahren (V. 1181ff). Obwohl sich im Text weder Angaben über die lokalen Gegebenheiten noch über die räumliche Abgrenzung, die sogenannte "Hegung" des Verhandlungsortes169, finden, ist anzunehmen, daß eine Gerichtsstätte (Dingstätte) ausgewählt worden ist, wie das für amtliche Gerichtsverfahren üblich war und auch für die spätmittelalterlichen Schiedsverfahren belegt ist170. Daß die Sühneverhandlung im Freien stattfindet, zeigt sich an Reinharts späterer Flucht, nachdem er den Gerichtsring angeblich zur Beratung verlassen hatte (V. 1146 ff). In nur wenigen Versen umreißt Heinrich (V. 1121 ff) einen komplexen juristischen Sachverhalt, nämlich die auf der traditionellen Verfahrensweise fußende Rechtsmani166 167
S.o. S. 26.
Des Sachsenspiegels erster Theil, oder das sächsische Landrecht nach der Berliner Handschrift von 1369. Hrsg. v. Carl Gustav Homeyer, Berlin 1861, S. 457 mit Bezug auf SLdr. I 3 § 3. 168 S.o. S. 25. 169 S.u. S. 145. 170 BADER, Karl Siegfried: Das Schiedsverfahren in Schwaben vom 12. bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert, Tübingen (Diss. jur.) 1929, S.49f; KORNBLUM, Udo: Gerichtlicher Eid. In: HRG I, 1971, Sp. 863-866, s. Sp.864.
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pulation der Wolfspartei. Die knappe Darstellung sowie die zahlreichen Rechtswörter lassen vermuten, daß das zeitgenössische Publikum mit dem Sachverhalt vertraut war und keiner umfassenden Erläuterungen zum Ablauf des Verfahrens bedurfte: Isengrin hatte sich wol bedacht, hern Reitzen hatte dar bracht, Einen rvden vreislich. vf des zennen scholde sich 1125 Reinhart entschuldiget han. den rat hatte her Brvn getan. Sie hiezen Reitzen ligen fvr tot, do was noch vberkvndigot Reinhart, der vil liste phlac. (V. 1121 ff) Doch der Dachs warnt seinen Verwandten: "Reitze wil dich erbizen. Kvmet din fvz fvr sinen mvnt, dvnen wirdest nimmer me gesvnt." (V. 1134ff) Demnach ist geplant171, daß Reinhart mittels eines auf eine Reliquie - Reitzes Zahn ! - zu schwörenden Eides die Anschuldigung widerlegen soll, er habe ein Verhältnis mit der Wölfin gehabt. Entschvldigen bedeutet in der Rechtssprache in diesem Zusammenhang 'von einem Verdacht freimachen', 'sich (durch Eid oder Gottesurteil) reinigen'172. Gleichbedeutend verwendet Heinrich in V. 1140 die Wendung ein gerihte tuon} das heißt den 'Entlastungsbeweis im Reinigungsverfahren' ablegen173. Ebenso lassen sich Belege aus dem Deutschen Rechtswörterbuch für (dar}bringen, "vor Gericht, vor die entscheidende Stelle bringen", anführen174. Diese Textstelle zeigt also, daß sich der deutsche Verfasser erneut sprachlich und inhaltlich auf die gebräuchliche Rechtspraxis seiner Zeit bezieht: Denn der Reinigungseid des Beklagten spielte im mittelalterlichen Prozeß eine bedeutende Rolle und war auch das überragende Beweismittel im Sühneverfahren175. Im "Roman de 171
Bedenken (V. 1121) drückt das planvolle Handeln aus, s. RWB l, Sp. 1334f; MuNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 231. 172 RWB 3, Sp. If; vgl. RA 2, S.490, 561; Lex. I, Sp.584 mit Hinweis auf RF V. 1125. 173 RWB 4, Sp.313 mit Bezug auf RF V. 1140; vgl. RA 2, S. 574. 174 RWB 2, Sp. 508, 702. 17B KORNBLUM: Gerichtlicher Eid (1971), Sp. 863 ff.
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Renart" wird an der entsprechenden Stelle (Br. Va, 517ff) der Zeugenbeweis ausführlich erörtert, was auf Einflüsse römisch-kanonischen Rechtsdenkens hinweist, die im "Reinhart Fuchs" unmittelbar nicht zu erkennen sind176: Erst im 13. Jahrhundert, so Schmidt in seiner Untersuchung zur Strafrechtspflege in Deutschland, wurde der Zeugenbeweis im deutschen Recht diskutiert. Allmählich verlor der Reinigungseid des Beklagten an Bedeutung, und im Spätmittelalter ging man dann zum Inquisitionsverfahren über177. Zwar wird im "Reinhart Fuchs" am Ende der Sühneverhandlung auch der Tatzeuge erwähnt (V. 1191), was jedoch keinen Einfluß auf das Beweisverfahren der sich anschließenden Gerichtsverhandlung hat. 3.4.3 Der Reinigungseid (V. 1137-1143) Das Wesen des Eides, wie ihn Reinhart zum Beweis seiner Unschuld schwören soll, bedarf einer kurzen Erläuterung. Denn abweichend von heutigen Rechtsvorstellungen bekräftigte der Reinigungseid weder wahrheitsgemäß eine Tatsache, noch bestärkte er ein Faktum178, sondern erhärtete allein die Behauptung des Schwörenden. Dessen Ansehen und, sofern ein Parteieneid verlangt wurde, das der Eideshelfer verlieh dem Eid Autorität. Auch die Eideshelfer beschworen nicht die materielle Wahrheit einer Tatsache, sondern bekräftigten die rechtlich formulierte Behauptung ihrer Partei. Es ist bemerkenswert, daß im "Reinhart Fuchs" der Eid ohne Eideshelfer geschworen werden soll. Die Darstellung der Eidesleistung orientiert sich eng am "Roman de Renart". Vermutlich aus "dramaturgischen" Gründen steht der Fuchs allein im Mittelpunkt der Geschehnisse. Der Eid galt im mittelalterlichen Recht selbst als Beweis: "Der Eid des alten Rechts bewies nicht etwa die Wahrheit. Er selbst war die Wahrheit, die Garantie für das Bestehen oder Nichtbestehen behaupteter Fakten," erläutert Hat-
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S. KORNBLUM, Udo: Beweis. In: HRG I, 1971, Sp. 401-408, s. Sp.407; SCHNELBÖGL: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (1932), S. 265 ff. 177 SCHMIDT: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege (3. Aufl. 1965), S. 77f. 178 HATTBNHAUBR, Hans: Das Recht der Heiligen, Berlin 1976 = Schriften zur Rechtsgeschichte. H. 12, S.73f; a. ERLER, Adalbert/DlLCHER, Gerhard / KORNBLUM, Udo : Eid. In: HRG I, 1971, Sp. 861-870.
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tenhauer den gedanklichen Hintergrund179. Kam es zur Eidesleistung vor Gericht, so sollte lediglich festgestellt werden, welche Partei die "bessere Behauptung"180 aufstellen und in der vorgeschriebenen Form erhärten konnte. Zwar war eine Eidesschelte, die den Beweis infrage stellte, zulässig, aber nicht der direkte Gegenbeweis. Wurde der Täter nicht sogleich nach der Tat gestellt, lag folglich keine ein strengeres Verfahren bewirkende "handhafte Tat"181 vor, erhielt oft der Beklagte das Recht zur Beweisführung. Er hatte dann die Möglichkeit, wie der Fuchs im Tierepos, sich von der Schuld freizuschwören. Die einzige Gefahr, die ihm drohen konnte, war die "Gefahr des Rechtsganges"182. Denn die sogenannte "Formstrenge" des mittelalterlichen Rechts sollte die mißbräuchliche Handhabung verhindern. Der Eid war nur dann gelungen, wenn er Bunter Beachtung der vorgeschriebenen Formalien geleistet wurde183. Wie auch andere Rechtshandlungen war der Eid immer rituell gebunden und erforderte das Zusammengehen von Wort und Gebärde184. So ist auch im "Reinhart Fuchs" vorgesehen, daß Reinhart mit den "Fingern" der rechten "Hand" die "Reliquie" berührt (vgl. V. 1124, 1135)185 und dabei die vorgesehene Eidesformel spricht. Auf dieser Rechtsgebärde und den religiösen Vorstellungen, die mit der Eidesleistung verbunden sind, beruht gerade die Falle, die Isengrins Partei für den Fuchs vorbereitet hat, um den Beweis scheitern zu lassen. Das Anfassen des Reliquienschreins ging auf die Vorstellung zurück, daß die durch den Eidesschwur angerufenen Kräfte den Meineidigen straften. Auch in christlicher Zeit verfügte der Schwörende "gewissermaßen über göttlichen Willen"186, so daß ein falscher Eid nicht ungestraft blieb. 179
HATTENHAUER: Das Recht der Heiligen (1976), S. 75. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter II (1879), S. 12; IGNOR: Indiz und Integrität (1986), S. 77ff. 181 S.u. S. 183. 180
182
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KORNBLUM: Beweis (1971), Sp.403.
Ebenda. ScHMlDT-WlBGAND: Gebärden (1971), Sp. 1411; vgl. v. KÜNSSBERG, Eberhard Freiherr von: Schwurgebärde und Schwurfingerdeutung, Freiburg 1941 = Das Rechtswahrzeichen. Beiträge zur Rechtsgeschichte und rechtlichen Volkskunde. H. 4, S. 12ff; EBEL, Wilhelm: Probleme der deutschen Rechtsgeschichte, Göttingen 1978 = Göttinger rechtswissenschaftliche Studien 100, S. 263. 186 Vgl. SCHMIDT-WIEGAND: Gebärden (1971), Sp. 1415; v. KÜNSSBERG: Schwurgebärde und Schwurfingerdeutung (1941), S. 22f; vgl. RWB 5, Sp. 576 (Heüige). 186 HOLZHAUER, Heinz: Meineid. In: HRG III, 1984, Sp. 447-458, s. Sp.448;
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Freilich war menschliches Eingreifen damit nicht ausgeschlossen. Wer einen Meineid strafte, "mochte sich als Vollstrecker der höheren Gewalt verstehen oder zu dem Zwecke handeln, einer Rache der beleidigten höheren Gewalt an der Gemeinschaft zuvorzukommen"187. Zudem sprachen rationale Gründe dafür, einen falschen Eid, der womöglich ein materielles Fehlurteil ausgelöst hätte, zu strafen. Die mittelalterlichen Rechtsquellen sahen für diesen Straftatbestand peinliche, sogenannte "spiegelnde" Strafen vor. Das bedeutete, daß der Körperteil, der formell "gefehlt" hatte, büßen mußte. Häufig waren deshalb Verstümmelungsstrafen an Finger, Hand oder Zunge188. Der Meineidige verlor Ansehen, Ehre und mitunter auch sein Recht189. 3.4.4 Der Rechtsbetrug (V. 1121-1145) Da Isengrin siegreich aus der Sühneverhandlung hervorgehen will, scheint ihm jedes Mittel recht zu sein. Daß er Reinhart vorsätzlich eine Falle stellt, kommt in V. 1121 durch das Adjektiv bedacht, 'überlegt', 'besonnen'190 zum Ausdruck. Dieses Rechtswort umschreibt in zahlreichen literarischen und juristischen Quellen das Handeln mit Vorsatz und findet sich in der Wendung mit bedahtem mute191. Die mittelalterlichen Rechtsquellen werteten den Vorsatz als Ausdruck des verbrecherischen Willens und stellten ihn der Tat im Aifekt beziehungsweise der ungewollten Tat gegenüber192. Deshalb wurden seit dem 13. Jahrhundert vorsätzlich begangene Straftaten strenger bestraft193. Wie es in einem Erzählerkommentar heißt, gehen Isengrin und seine Parteigänger - an ihrer Spitze der Bär Brun - zudem kündic zu Werke (vgl. vgl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg. v. E. HofürnannKrayer und Hanns Bächthold-Sträubli. 10 Bde., Berlin/Leipzig 1927-1942 = Handwörterbuch zur deutschen Volkskunde. Abt. l, Bd. 2, Sp.660. ""HOLZHAUER: Meineid (1984), Sp.448. 188 His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S.73f; SCHNBLBÖGL: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (1932), S. 239; v. KÜNSSBBRG: Schwurgebärde und Schwurfingerdeutung (1941), S. 22; HOLZHAUER: Meineid (1984), Sp.455. 189 HOLZHAUER: Meineid (1984), Sp.448. 190 Lex. I, Sp. 139; BMZ I, S. 345*. 191 RWB l, Sp. 1334 (13. Jahrhundert); vgl. MUNSKE: Der germanische Rechtswortschata im Bereich der Missetaten (1973), S. 231; vgl.o. S. 92, Anm. 171. 192 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.76; ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 9ff; 14. 193 Ebenda.
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V. 1128). Nach der eingangs entwickelten Definition von kündecheit19* bedeutet das mehr als offensichtlichen Betrug: Brun setzt seine fundierten Kenntnisse über das Rechtsinstitut Eid substantiell ein. In seinem Plan ist die Reliquie, auf deren Zaine Reinhart per "Handauflegung" seine Unschuld beschwören soll, ein bissiger Rüde (V. 1123ff). Der stellt sich tot und würde in dem Augenblick nach Reinhart fassen, wo dieser mit seiner Pfote die Schnauze, beziehungsweise das Gebiß des Rüden zum Schwur berührt (V. 1135f)195. Wie Heinrich zeigt, ist in der Welt des "Reinhart Fuchs" das Vertrauen in die göttliche Gerechtigkeit geschwunden und selbstherrliche Adlige, wie Isengrin, greifen zur nicht legalen Selbsthilfe. Diese Manipulation läuft darauf hinaus, das zu erwartende Urteil nicht nur der Form nach rechtmäßig, sondern auch nach Isengrins Rechtsverständnis gerecht ausfallen zu lassen. Gelänge der Plan, wäre Reinharts Schuld bewiesen, er des Meineids überführt und analog zu den spiegelnden Strafen mit dem Verlust der Schwurhand gestraft196. Dabei gab es durchaus Rechtsmittel, um den Eid anzuzweifeln, ihn zu "schelten". Noch bevor die Eidesleistung beendet war, mußte die Hand des Schwörenden vom Heiligtum weggerissen werden. Der Fall fiel dann aus dem Rechtsgang wieder in den Waffengang zurück, so daß ein gerichtlicher oder außergerichtlicher Zweikampf die Entscheidung bringen mußte, "in welchem nicht die bessere Sache, sondern der bessere Kämpfer siegte"197. Doch Isengrin will kein Risiko eingehen. Ihm ist daran gelegen, den Fuchs öffentlich bloßzustellen und dessen Schuld quasi durch "göttlichen Willen" bestätigen zu lassen. Die Idee, einen lebendigen Rüden für eine Reliquie auszugeben und seinen Reißzahn für eine Hostie, stammt von einem Experten in religiösen Fragen, dem Kaplan des Königs, Brun (s. V. 1486, 1524, 1533 u. pass.): den rat hatte her Brvn getan. (V. 1126) 194 195
S.o. S.SOflF.
Eine Motivparallele hat Grimm in der Edda gefunden: "Im rom. du renard wird dem fuchs zugemuthet, auf eines heiligen zahne zu schwören, ein sich todt stellender hund will die aufgelegte pfote Reinharts erfaßen, der aber den betrug merkt. Wen erinnert das nicht an die eddische fabel von Tyr, der dem wolf seine rechte hand zum pfand in den mund stecken muß...? als sich Fenrir betrogen sieht, beißt er die hand ab" (RA 2, S. 560). 196 Vgl. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 356f. 197 EBEL: Probleme der deutschen Rechtsgeschichte (1978), S. 269. Ein gerichtlicher Zweikampf zwischen Fuchs und Wolf wird im Reinke de Voß (IV. Buch, Kap. V ff) ausgetragen.
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Der Terminus rät ist wie in V. 1041 rechtssprachlich (vgl. V. 1380, 2237). Er steht in dieser Passage für die intellektuelle Beihilfe und schließt den Bären als Anstifter und Mitverantwortlichen bei einer rechtswidrigen Tat ein198. Heinrich macht also einen Kleriker, dessen Anliegen es sein müßte, entschieden für den christlichen Glauben einzutreten, zum Inszenator eines blasphemischen Betrugs und eröffnet mit parodistischen Mitteln eine breite Angriffsfläche auf den Klerus und kirchliche Praktiken199. Nach geltendem Recht war die geistliche Gerichtsbarkeit für Meineid zuständig200. Obwohl der von Brun inszenierte Reliquienschwindel darauf abzielt, Reinhart als Meineidigen und Täter zu entlarven und zu bestrafen, ist das Komplott alles andere als eine juristisch verankerte Aktion. Daß gerade ein Vertreter des Klerus der Blasphemie bezichtigt wird, der "Beleidigung Gottes oder der Heiligen"201 beziehungsweise des Mißbrauchs der Hostie202, ist umso bemerkenswerter, als auch Gotteslästerung unter die Zuständigkeit der geistlichen Gerichtsbarkeit fiel203. Blasphemie und Häresie wurden mit Kirchenstrafen wie Exkommunikation oder bei Geistlichen mit Amtsenthebung bestraft204. In zunehmendem Maße stellte auch die weltliche Gerichtsbarkeit die Gotteslästerung unter Strafe205. Das Strafmaß variierte und sah in leichteren Fällen eine Geldbuße an die Obrigkeit, Pranger und Prügelstrafen vor. Der Gotteslästerer konnte aber auch mit Verstümmelungsstrafen, Verbannung, Pilgerfahrt oder Hinrichtung bestraft werden206. Wurde über ihn eine Verstümmelungsstrafe verhängt, hatte auch die 198
S.o. S. 63, 77, 92; u. S. 156, 202. Abwegig ist Klibanskys Ansicht über den Reinigungseid im "Reinhart Fuchs": "Zur Erläuterung sei bemerkt, daß "her Brun" des Königs Kaplan war (RF. 1511 f.) und daher wohl als Autorität für die Heiligkeit der Reliquie gelten mußte, auf die Reinhart nach deutschem Rechtsbrauch seinen Reinigungseid ablegen sollte" (Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen des 12.-14. Jahrhunderts [1925], S.43). 200 In den mittelalterlichen Rechtsquellen begegnen Meineidsstrafen deshalb relativ selten, und sie fehlen zum Beispiel im "Sachsenspiegel", s. His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 113. 201 Ders.: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 1. 202 Ebenda, S. 4; MERZBACHER, Friedrich: Blasphemie. In: HRG I, 1971, Sp.451f. 203 Ebenda, Sp.451. 204 Ebenda, Sp.452. 205 Ebenda, Sp.451. 206 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 7; MERZBACHBR: Blasphemie (1971), Sp.452. 199
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einen spiegelnden Charakter. Hand- und Zungenverlust waren ebenso üblich wie Ohrenschhtzen und Ohrenabschneiden207. Diesen Punkt hat Heinrich denn auch bei der Bestrafung des Bäxen durch Reinhart aufgenommen208.
3.4.5 Bruns Bestrafung (1. Botengang) (V. 1511-1604) Obwohl sich Fuchs und Bär erst viel später wieder begegnen, steht ihr Zusammentreffen noch im Zeichen des versuchten Betruges bei der Sühneverhandlung. Im Verlauf des ersten Botenganges, bei dem der Bär den Fuchs vor Gericht laden soll209, lockt der Fuchs den Baren in eine Falle. Heinrich gibt der Episode den Charakter einer Strafaktion, indem er eine Kausalität zwischen dem Reliquienschwindel und den Mißhandlungen, die Brun erleidet, herstellt. Denn im Ergebnis entsprechen die Blessuren dem genannten Strafmaß für Blasphemie210. Versprechungen auf Honig machen den Bären leichtsinnig, er folgt Reinhart zu einem Baumstamm, in den ein Bauer einen Keil geschlagen hat: Er wiset in, do ein villan einen wek hat getan In ein bloch vnd hat in dar in dvrchgeslagen. (V. 1541 ff) Als Brun den Holzklotz auf Honig untersucht, zieht Reinhart den Keil heraus, so daß der Kopf des Bären eingeklemmt wird: daz hovbet er in daz bloch stiez. Reinhart den kiel vz zvkte, daz hovbet er im zedrvkte. Der kaplan was gevangen. (V. 1550 ff) Die folgenden Beobachtungen belegen, daß Bruns Gefangenschaft auf den Pranger anspielt, eine Art Pfahl oder "Zwangsbehälter", "an den Verbrecher zur öffentlichen Schaustellung angeschlossen wurden"211. 207
His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 9; SCHMIDT: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege (3. Aufl. 1965), S. 62; MERZBACHBR: Blasphemie (1971), Sp.452; ERLBR, Adalbert: Ohrenabschneiden. In: HRG III, 1984, Sp. 1227-1229, B. Sp. 1228. 208 S.u. S. 99. 209 S.u. S. 190. 210 S.o. S. 97. 211 ScHMlDT-WlBGAND, Ruth: Pranger. In: HRG III, 1984, Sp. 1877-1884, s. Sp.1878.
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Die heute führende Bezeichnung Pranger ist zum ersten Mal im 14. Jahrhundert belegt212. Eine der zahlreichen mittelalterlichen Bezeichnungen ist auch das von Heinrich verwendete block (V. 1543, 1550, 1589)213, der "Holzklotz zum Einspannen der Füße und Hände bzw. zum Anketten des Gefangenen"214. Die Prangerstrafe zählte zu den sogenannten "Ehrenstrafen" und brachte öffentliche Erniedrigung und Demütigung mit sich215. So wurden beispielsweise Lästerer und Dirnen und die wegen geringen Diebstahls, Betrugs, Verleumdung, Gotteslästerung und anderer geringer Verbrechen Verurteilten an öffentlichen Plätzen angebunden und ausgestellt. Mit dem Spott der Öffentlichkeit gingen oftmals körperliche Züchtigungen, wie Strafen an Haut und Haar, einher216. In mittelalterlicher Zeit war die Prügelstrafe und das Haarescheren üblich. Als härtere Form des Haarverlustes begegnete, so His, im fränkischen, besonders im westgotischen Recht, vereinzelt auch noch im Mittelalter, das Abziehen der Kopfhaut217. In die gleiche Kategorie der Strafen an Haut und Haar gehörte das Brandmarken wie das Ohrenschlitzen oder Ohrenabschneiden218. An den Pranger sichtbar aufgehängt wurden nicht nur die Strafwerkzeuge (wie zum Beispiel das Halseisen), Fälschungen und falsche Maße, sondern zur Abschreckung auch der abgeschnittene Zopf, das Ohr oder die abgehackte Hand219. Gleiches widerfährt Brun. In höchster Bedrängnis läßt er Ohren und Kopfhaut am "Block" zurück, als er sich vor den Schlägen der Bauern aus seinem Gefängnis befreit (V. 1583 ff). Die Schläge sind in dieser Szene analog zur üblichen Prügelstrafe für den am Pranger Stehenden, dem Stäupen, zu sehen: 212
Ebenda. Mittelalterliche Bezeichnungen waren z.B. Breche, Prechel, Ganten, Halseisen, Harfe, Kak (1288), Pfahl, Schreiat (11. Jh.), Staupe oder Stock, vgl. KÖBLBR, Gerhard: Bilder aus der deutschen Rechtsgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1988, S. 187. 213 Lex. II, Sp.290; BMZ I, S. 233». 214 RWB2, Sp.371. 216 His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 94. 216 RA 2, S. 323; CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S.440f; SCHMIDT-WIBGAND: Pranger (1984), Sp. 1877. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wurde vielfach noch durch Glöckchen oder Pfeifen an den Schandgeräten geweckt (HABERBR, Günter: Schandgeräte. In: HRG IV, 1990, Sp. 1351-1353, s. Sp. 1353); vgl. das Glockenläuten im "Reinhart Fuchs" (V. 1570ff). 217 HlS: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S.88. 218 Ebenda. 219 SCHMIDT-WIBGAND: Pranger (1984), Sp. 1877.
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Die fvze satzt er an daz blech da vnd zoch sich vz, doch liez er sä Da beide oren vnd den hvt. (V. 1589ff) Auf dem Weg zum Königshof begegnet er Reinhart, der ihn wegen seines entstellten Aussehens verspottet (V. 1595ff). Wieder bezeichnet lasier (V. 1602) die ehrenrührigen Kränkungen, die in dieser Episode der Bär erdulden muß. Für jeden Betroffenen, so Schmidt-Wiegand, habe die Prangerstrafe die Minderung seines sozialen Ansehens und seiner Ehre zur Folge gehabt220. Jede Strafe, auch wenn der Verurteilte sie abkaufte, machte ihn ehrlos und "unfähig zu allen Stellungen, die ein besonderes Vertrauen erforderten, wie öffentliche Ämter"221. Gerade der Bär hat im "Reinhart Fuchs" die meisten öffentlichen Positionen inne: Neben seinen ständigen Funktionen am Königshof tritt er vor Gericht als Vorsprecher und Bote auf 222 . Darüberhinaus hat Reinharts Vergeltung die Form einer nicht standesgemäßen Strafe. Wie schon im Falle Isengrins223 wird auch der Reichsadlige und Kaplan des Königs wie ein Angehöriger eines niederen Standes bestraft, der nicht in der Lage war oder dem es nicht gestattet wurde, die Strafe finanziell abzulösen224. Infolge der öffentlichen Komponente der mittelalterlichen Leibesstrafen, das heißt des sichtbaren Makels, den die meisten Strafen hinterließen, war jeder Körpermangel verdächtig. "So wurde z.B. der Gefangene, der keine Ohren hatte, aus der Stadt verwiesen, bis er
220
Ebenda, Sp. 1881; KÖBLBR: Bilder aus der deutschen Rechtsgeschichte (1988), S. 189. 221 SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 834. 222 S.u. S. 151, 190. 223 S.o. S.70. 224 Grimm über die Leibes- und Ehrenstrafen: "Es war eine knechtische strafe; was freie in geld büßten, mußten unfreie mit ihrer haut bezahlen, zuweilen war ihnen wähl gelaßen, das geld zu entrichten oder die streiche zu dulden" (RA 2, S. 290). Der ständische Charakter haftete dem Strafrecht bis ins 12. Jahrhundert an, in der Weise, daß für Freie und Unfreie verschiedenartige Strafen angedroht wurden. Auch nach der strafrechtlichen Gleichstellung erhielt sich ein ständischer Unterschied, so daß weiterhin Angehörige höherer und niederer Stände strafrechtlich unterschiedlich behandelt wurden (SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte [7. Aufl. 1932], S. 839; Eis: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina [1928], S. 88; CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I [2. Aufl. 1962], S. 438).
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Kundschaft brachte, daß sie ihm nicht zur Strafe abgeschnitten worden (!)"225. Für jedermann sichtbar ist Brun also bis an sein Lebensende gekennzeichnet - und Reinhart hat sich symbolträchtig gerächt. Zwar stammt das Handlungsmuster aus dem "Roman de Renart" (Br. Va, 901 ff; Br. I, 476ff), doch ist in der französischen Vorlage der Bär weder an der Planung noch an der Durchführung der Sühneverhandlung beteiligt. Der Betrug bei der Eidesleistung226 ist allein Ysengrin und Roonel anzulasten. Daß der Bär Geistlicher ist, wird nur beiläufig erwähnt; wichtiger scheint dem Autor der Status als Baron des Königs zu sein227. Im "Roman de Renart" besteht auch kein Zusammenhang zwischen der Sühne und dem Botengang. Anders im "Reinhart Fuchs": Heinrich stellt eine kausale Verknüpfung von Schuld und Haftung mit Bezug auf die zeitgenössischen Rechtsnormen her und kritisiert die herrschende Rechtspraxis ebenso wie die Figuren, die vorgeben, im Namen des Rechts zu handeln. Dabei steht in dieser Passage nicht der Fuchs im Zentrum der Kritik, sondern Isengrin und sein Parteigänger Brun. Der Wolf hat sich nur zum Schein auf die Vermittlung eingelassen und setzt insgeheim seine illegale Selbsthilfe fort. Heinrich stellt damit die Schwierigkeiten seiner Zeit - und die des ganzen Mittelalters - dar, Bußregelungen und Sühneverfahren gegenüber der Fehde und Rache durchzusetzen228. Der Bär pervertiert ebenfalls ein anerkanntes Rechtsinstitut in ein blasphemisches Komplott. Da im mittelalterlichen Recht Meineid und Blasphemie wegen des Mißbrauchs des göttlichen Namens oft zusammen genannt wurden229, ließen sich, nach dem potentiellen Straftatbestand zu urteilen, Reinhart und Brun auf eine Stufe stellen - mit dem Unterschied, daß die Eidesleistung nicht stattfindet und der Fuchs somit nicht straffällig wird. Heinrich hat also zwei verwandte Vergehen miteinander konfrontiert, die Handlung jedoch derart strukturiert, daß sich nicht der Fuchs, sondern seine Gegenspieler schuldig machen. Insofern hat der Fuchs in diesem Hand226
SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S.832, Anm.9 b. 226 Br. Va, 980 ff. 227 Br. I, 398. 228 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Schmidt-Wiegand für die Rechtshandlung des Nibelungenliedes, wo Rachedenken gegenüber Sühne und Buße obsiegt, und der Dichter "einen aktuellen Bezug auf das rechtliche Umfeld seiner Zeit" hergestellt hat (Kriemhilds Rache. Zur Funktion und Wertung des Rechts im Nibelungenlied. In: Festschrift für Karl Hauck. Hrsg. v. Norbert Kamp u.a., Berlin/New York 1982, S. 378-387, a. S. 383, 386). 229 His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 113.
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lungsteil wieder die Funktion eines Katalysators230: Er verstößt bewußt gegen die herrschenden Konventionen, bewegt sich hart an der Grenze zur Kriminalität, ohne daß ihm eindeutig Rechtsverstöße nachzuweisen wäxen, und provoziert mit seinem Verhalten die Rechtsübertretungen seiner Gegenspieler. Noch auf einer anderen Ebene übt der deutsche Verfasser Kritik und folgt damit der Tendenz seiner Vorlage und zeitgenössischen Stimmen. Schonungslos deckt er die Unzulänglichkeit des Reinigungseides auf. Wie gesagt231, war diese Form des Beweises zu seiner Zeit gang und gäbe. Während gerade von kirchlicher Seite das Gottesurteil diskutiert und letztlich verboten wurde, blieb der Reinigungseid noch im 14. und 15. Jahrhundert das am häufigsten praktizierte Beweismittel, obwohl er schon seit dem. 11. Jahrhundert kritisch betrachtet wurde232. Auch wenn im "Reinhart Fuchs" der Eid nicht zustande kommt, ist davon auszugehen, daß Reinhart ihn unter normalen Bedingungen geschworen und formal seine Unschuld bewiesen hätte. Bei seinem Beweis wären ihm die Schwachstellen dieses Rechtsmittels zugute gekommen. Hatte die Formstrenge ursprünglich die Funktion eines Garanten, der über das Verfahren wacht, so zeigt Heinrich in letzter Konsequenz, wie der Prozeßformalismus über die materielle Wahrheit dominiert. Übertrieben formuliert, hätte sich auf diese Weise jeder Verbrecher quasi noch mit dem Tat Werkzeug in der Hand freischwören können, wenn er nur der vorgeschriebenen Form entsprach. Daß Heinrichs Meinung tendenziell geteilt wurde, belegen zahlreiche literarische Zeugnisse des Mittelalters, die das Motiv der List bei der Eidesleistung thematisieren233. Das wohl bekannteste Beispiel findet sich in Gottfrieds von Straßburg "Tristan und Isolde". Isoldes Eid erfüllt die formalen Voraussetzungen, entspricht aber nicht der objektiven Wahrheit. Gottfrieds Kommentar 230
S.o. S. 79. S.o. S. 92. 232 Vgl. KROBSCHBLL: Deutsche Rechtsgeschichte l (8. Aufl. 1987), Quellenbeispiel Nr. 19 (S. 120) und Nr. 34, 19 (S. 136). 233 Vgl. HATTBNHAUBR: Das Recht der Heiligen (1976), S. 77ff; ders.: Über Recht und Wahrheit im Mittelalter. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Jg. 23, H. l, 1972, S. 649-672, s. S.666f; PBNSBL, Franzjosef: Rechtsgeschichtliches und Rechtssprachliches im epischen Werk Hartmanns von Aue und im "Tristan" Gottfrieds von Straßburg, Berlin (Diss. phil. [masch.]) 1961, S. 131 if; s.a. JUP£, Wolfgang: Die "List" im Tristanroman Gottfrieds von Straßburg. Intellektualität und Liebe oder die Suche nach dem Wesen der individuellen Existenz, Heidelberg 1976 = Germanische Bibliothek. R. 3: Untersuchungen und Einzeldarstellungen, S.17ff. 231
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läßt erkennen - und damit fließt sicher auch die Kritik seiner Zeit an älteren Rechtsvorstellungen ein -, daß das Wesen des Meineides nicht mehr allein "in dem Fehlen der Kongruenz von beschworenem Faktum und objektiver Eidesformel" liegt, sondern den "neuen christlichen Wahrheitsbegriff" einbezieht234.
3.5 Reinharts Flucht und die Vergewaltigung der Wölfin (V.1146-1238) In der korrespondierenden Stelle des "Roman de Renart" (Br. Va, 1154 ff) verdankt der Fuchs seine Flucht dem Dachs. Dieser fordert die umstehenden Barone auf, Renart bei der Eidesleistung nicht zu bedrängen, so daß ihm der Weg freigemacht wird. Im deutschen Tierepos kann Reinhart infolge verfahrenstechnischer Bestimmungen fliehen. Ihm wird nämlich gestattet, den Gerichtskreis zwecks Beratung zu verlassen: Reinhart sich sprechen gie, Sine mage bat er dar vz gan. (V. 1146 f) Tatsächlich durfte nach mittelalterlichem Recht die Verhandlung unterbrochen werden, damit sich die Beteiligten verständigen konnten. Von dieser Möglichkeit der formlosen Beratung machten besonders die Gegner in einem Prozeß Gebrauch235. Mit Erlaubnis des Richters berieten die Prozeßparteien außerhalb der Gerichtsstätte236, stimmten die Prozeßstrategie ab und umgingen somit den Prozeßformalismus, der die freie Rede vor Gericht bestrafte237. Diese Form der Beratung nannte man ac/ii(e)238 oder deliberatio239. Im "Sachsenspiegel" heißt sie gesprake240 beziehungsweise gespreke2*1, und das Verbum lautet wie im 234 235
HATTENHAUER: Das Recht der Heiligen (1976), S. 81.
SLdr. I 62 § 9: Beide klegere unde oppe den de klage geii, de moten wol gesprake hellen umme iewelke rede... (ed. Eckhardt, S. 118). 236 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 219; SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 844. 237 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 217. 238 RWB l, Sp.370. 239 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 217; SCHRÖDER / V. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 844. 240 SLdr. I 6 2 § 9; 63 § 1. 241 SLnr. 67 § 9.
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"Reinhart Fuchs" (sich] besprechen242. Reinhart mißbraucht das ihm eingeräumte Recht zur Flucht. Wie Planck schreibt, sind solche Fälle tatsächlich in der mittelalterlichen Rechtspraxis vorgekommen. Um die sogenannte "Dingflucht", das Entfernen vom Gericht ohne Erlaubnis des Richters243, zu verhindern, hätten der Kläger oder der Richter mitunter den Beklagten während der Beratung bewacht244. Heinrich hat also mit dieser Darstellung nicht nur die Rechtsnormen, sondern auch die Rechts verstoße seiner Zeit in sein Werk eingebracht. Bei der Jagd auf den fliehenden Fuchs tut sich Hersant allen anderen gegenüber hervor. Ihren Eifer bei der Verfolgung motiviert Heinrich dahingehend, daß sie ir vnschvlde (V. 1159) unter Beweis stellen und Isengrins hvlde (V. 1160) wiedererlangen will. Das Vokabular bringt recht deutlich die vormalige Beziehung zwischen Fuchs und Wohin zum Ausdruck: Reinhart wird als Hersants travt (V. 1158), ihr Geliebter245, Hersant als Reinharts amie (V. 1162) hingestellt. In der Rechtssprache des Mittelalters bezeichnet amie die Gehebte eines Mannes - im positiven wie im negativen Sinn246. Die Notlage seiner Geliebten ausnutzend, vergewaltigt Reinhart die im Fuchsbau eingeklemmte Wölfin: vf sine gevatern tet er einen wane. Isengrine ein herzenleit geschach. er brvtet sie, daz erz ansach. (V. 1174ff) mit Ysengrine qvamen die svne sin. Manic tier vreisam ii90 mit Ysengrine qvamen dar san. Mit den mocht er bezevgen sint, daz geminnet was sin liebes wip. (V. 1188 if) Die Termini briuten, 'beiliegen', 'sich vermählen', aber auch 'beschlafen', 'schänden'247, und minnen, 'lieben', "oft geradezu für beschla242
RWB l, Sp. 1481 ff; BMZ II2, S. 524° mit Hinweis auf RF V. 402, der bereits erwähnten Beratung unter den Wölfen (s.o. S. 64). 243 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 217; vgl. RWB 2, Sp. 965. Nach SLdr. II 45 verlor der Dingflüchtige den Prozeß. Handelte es sich um eine verstärkte Klage wegen eines schwerwiegenderen Delikts, war der Betreffende sofort gefangen zu nehmen. 244 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 217. 246 Lex. II, Sp. 1550; BMZ III, S. 111*. 246 SLdr. III 46 § 1; RWB l, Sp.538; HOMBYER: Des Sachsenspiegels erster Theil (1861), S. 396; His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 152; vgl. RF V. 1177: vriundin. 247 RWB 2, Sp.465; vgl. RF V. 587: vrien, 'freien', 'werben', RWB 3, Sp.736.
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fen"248, umschreiben diesen Vorgang. In den Rechtstexten des 15. Jahrhunderts hat minnen die Bedeutung 'vergewaltigen'249. Die mittelalterlichen Rechtsquellen verfügen über eine ausgeprägte Terminologie für dieses Verbrechen. Die weiteste Verbreitung hatten mittelhochdeutsch notzoc, notzoge. Nach Munske stammt der erste sichere Beleg aus dem 12. Jahrhundert250. Eines der gebräuchlichsten Verben war genotzogen, "gewalttätig behandeln, notzüchtigen"251, das im "Reinhart Fuchs" während der Gerichtsverhandlung fällt (V. 1390). Im "Sachsenspiegel" und in anderen sächsischen Rechtsquellen lautet die entsprechende Bezeichnung not, ursprünglich 'Gewalt', 'Zwang'252. Zu erwägen wäre also, ob im "Reinhart Fuchs" Vers 1209 nicht ebenso der Tatbestand der Notzucht gemeint ist, statt allgemein die aus diesem Verbrechen resultierende Notlage253, als nämlich Reinharts pate, wohl sein Patensohn, der junge Wolf (vgl. V. 405, 548)254, im Namen der Wolfspartei dem Fuchs die Sühnebereitschaft auf- und Feindschaft ankündigt: 248
Lex. I, Sp.2150; BMZ II, S. 183*. S. Die Chroniken der deutschen Städte. Hrsg. durch die Historische Commission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften. Bd. 5: Die Chroniken der schwäbischen Städte, Augsburg. Bd. 2, Leipzig 1866, Buch IV, S. 178, 7. Buschinger schließt daraus, daß Heinrich möglicherweise minnen bei seiner Beschreibung der Vergewaltigung mit ironischer Doppeldeutigkeit verwendet hat und auf den "amour coutois" anspielen wollte (Le viol dans la litterature allemande au moyen äge. In: Amour, mariage et transgessions au moyen äge. Actes du colloque du mars 1983. Hrsg. v. Danielle Buschinger und Andre Crepin, Göppingen 1984 = GAG 420, S. 369-388, s. S. 369; vgl. a. KÜHNEL: Zum "Reinhart Fuchs" als antistaufischer Gesellschaftssatire [1978], S.84f). Für diese These spricht der höfische Ton, den der Fuchs nach der Vergewaltigung anschlägt (V. 1177ff) und mit dem er auch schon um Hersant warb (V.424ff); zu beziugen, 'bezeugen', 'beweisen', RWB 2, Sp.SOOff. 250 MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 258; vgl. RA 2, S. 190 f. 251 RWB 4, Sp. 237 mit Hinweis auf RF V. 1390; vgl. MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S.259; His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 150 ff; ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 143. Andere Termini waren mhd. notnumpfl (nötnunpft, noinuft etc.) und notzucht, um die gewaltsame Nähme beziehungsweise das gewaltsame Fortziehen auszudrücken. 262 SLdr. II64 § 1; III46 § 1; dazu His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 151; MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 259. 253 Lex. II, Sp.103; BMZ II, S. 407° ff. 254 So auch LINKE: Formund Sinn des "Fuchs Reinhart" (1974), S.242. 249
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"ichn mag gesin niht svner me. Ich mvz din vint sin dvrch die not, in miner haut liget der din tot." (V. 1208 ff) Einen Eindruck von dem Stellenwert dieses Verbrechens im damaligen Recht vermittelt die Landfriedensgesetzgebung. Schon die ersten Landfrieden des 11. Jahrhunderts belegten Notzucht mit schweren peinlichen Strafen255. Zu Heinrichs Zeit galt Notzucht als besonders schwere Straftat und wurde neben Mord, Totschlag, Raub, schwerem Diebstahl und anderen Kapitalverbrechen genannt. Darauf stand die Todesstrafe durch Enthaupten256, Lebendigbegraben oder Pfählen257. Der "Sachsenspiegel" hat die Strafe des Enthauptens wieder aufgenommen: Wer den Frieden bricht und tötet oder wif oder maget nodeget (...) den seal men dat hovet af sZan258. Dasselbe Strafmaß findet sich auch im "Schwabenspiegel", freilich mit dem Unterschied, ob das Verbrechen an einer Jungfrau oder an einer verheirateten Frau begangen wurde. Im erstgenannten Fall sollte der Täter lebendig begraben, im zweiten enthauptet werden259. In der Tat orientierten sich die frühen Rechte nicht nur am Familienstand, sondern auch am Leumund des Opfers. Sie unterschieden zwischen der "unbescholtenen" und der "bescholtenen", "insbesondere der sich der 'gewerbsmäßigen Unzucht' hingebenden Frau"260. Letztere hatte einen ungleich schwereren Stand, wenn sie auf Notzucht klagte. Nach manchen Rechten konnte nur an einer "ehrbaren" Frau Notzucht begangen werden, nicht an einer mulier communis261. Für einige Rechte war auch das vormalige Verhältnis des Täters zu seinem Opfer ausschlaggebend. Dieser Punkt spielt im "Reinhart Fuchs" eine wichtige Rolle und sorgt bei der folgenden Gerichtsverhandlung für eine kontroverse Beurteilung der Tat (vgl. V. 1382ff). 255
S. ScHNELBÖGL: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (1932), S. 40. Angedroht wurden der Verlust von Augen, Hand oder Fuß. S.a. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 153 ff. 266 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 154; MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 258. 257 ScHNELBÖGL: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (1932), S. 141; His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 155; CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S. 439. 2B8 SLdr. II 13 § 5 (ed. Eckhardt, S. 142f). 259 Schwsp. Ldr. 254. 260 KAUFMANN, Ekkehard: Notzucht. In: ERG III, 1984, Sp.llOlf. 261 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 152.
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Obwohl die rechtliche Stellung der Frau, die nachweisbar früher eine geschlechtliche Beziehung zu dem Täter hatte, schlechter war als die einer "unbescholtenen" Frau, bestraften einige Rechte, wie der "Sachsenspiegel", auch die Vergewaltigung der eigenen Geliebten mit dem Tode: An varendeme wive unde an siner amien mach de man not dun unde sin lif verwerken, ob he se ane eren dank beleget262. Die mittelalterlichen Rechtsquellen verzeichnen detaillierte Verhaltensmaßregeln, die das Opfer und mögliche Zeugen beachten mußten. Sie waren die unerläßliche Voraussetzung für die Anerkennung dieser Straftat. Auffälligerweise gibt es in bezug auf Hersants Verhalten Unstimmigkeiten. Zum Tatbestand der Notzucht gehörte es nämlich, daß die betroffene Frau bei der Tat geschrien hatte. Mitunter verlangte man auch, daß sie "nachher allen Leute, die sie antrifft, mit Geschrei die Tat verkündet, mit zerrissener Wat, mit gewundenen Händen, mit weinenden Augen und mit gesträubtem Haar"263. Dieses Geschrei, das sogenannte "Gerüfte" oder "Gerüchte" (mittelhochdeutsch gerucht, gerücht etc.)264, war ein Hilferuf beziehungsweise ein Klagegeschrei, das in der Nähe befindliche Leute auf die Tat aufmerksam machte. Es sollte auch die Festnahme des Täters bewirken und die eigene Unschuld dokumentieren265. Fälle wie Diebstahl und Notzucht ließen es besonders ratsam erscheinen, das Gerüfte anzustimmen. Denn es diente zur Kundmachung des Verbrechens und zur eigenen Entlastung. Die Tat nicht öffentlich zu machen, war äußerst verdächtig. Was die Notzucht anging, so glaubte man einer Frau, "die Notzucht behauptete, aber kein G.[erüfte] geschrieen hatte", nicht266. Vor Gericht mußte später das Gerüfte wiederholt werden. Für den Prozeß war es erheblich, ob der Täter auf frischer Tat gestellt und mit Zeugen überführt wurde oder sich nur gegen die einfache Klage der geschändeten Frau, beziehungsweise ihres rechtlichen Vormunds267, zu verteidigen brauchte. Im 262
SLdr. III 46 § l (ed. Eckhardt, S. 234). Anders das "Rechtsbuch nach Distinktionen", Buch IV, Gap. X, dist. 2. 263 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 153; s.a. ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 143; RA 2, S. 191. 264 RWB4, Sp.401. 266 BUCHDA, Gerhard: Gerüfte. In: HRG I, 1971, Sp. 1584-1587, s. Sp. 1587; PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 759 ff. 266 BUCHDA: Gerüfte (1971), Sp.1585. 267 Das ältere Eherecht bestimmte, daß der Ehemann (bei einer unverheirateten Frau der Vater) die Frau nach außen und vor Gericht vertrat (OGRIS: Munt, Muntwalt [1984], Sp.758).
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erstgenannten Fall wurden die bereits genannten Strafen angewandt, ohne daß sich der Täter verteidigen durfte. Erschien er aber - wie im Falle Reinharts - "ungefangen" und "ungebunden" vor Gericht, hatte er das Recht des Reinigungseides mit dem unschätzbaren Vorteil, den Eid allein ohne Eideshelfer zu leisten268. Aufgrund des juristischen Hintergrundes ist das unterlassene Gerüfte der Wölfin im "Reinhart Fuchs" auffällig, beziehungsweise das Unterbleiben aller Maßnahmen zum rechtlichen Nachteil des Täters. Sprachlich und sachlich hat Heinrich zweifellos ein Notzuchtverbrechen dargestellt. Daß er das zu seiner Zeit obligatorische, in jedem Rechtsbuch geforderte Gerüfte "vergessen" haben sollte beziehungsweise die Wölfin es nicht ausgestoßen hat, weil sie mit dem Kopf im Fuchsbau stecken geblieben ist, scheint in Anbetracht seiner sonst so fundierten Rechtskenntnisse unwahrscheinlich. Vielmehr steht zu vermuten, daß nicht die Tat strittig ist, sondern die Begleitumstände unklar sind. Das heißt, das angedeutete Verhältnis zwischen Hersant und Reinhart könnte der Grund dafür sein, daß das Gerüfte absichtlich unterblieben ist. Sein Fehlen besagt demnach, daß die Wölfin nichts unternimmt, was einer formellen, peinlichen Klage gegen ihren früheren Geliebten Vorschub leistet, damit ihre eigene Verfehlung unentdeckt bleibt. Wie alle vergleichbaren Handlungen des Fuchses ist auch die Vergewaltigung einer Strafaktion gleichzusetzen. Hersant, die Reinhart nach seiner Flucht aus dem Gerichtskreis am eifrigsten verfolgt hat, um sich öffentlich von dem Vorwurf des Ehebruchs zu rehabilitieren, wird von ihrem Geliebten für diesen Verrat bestraft. Ihre körperliche Überlegenheit nützt ihr, wie Heinrich lapidar feststellt, in diesem Fall nichts: Fvrn Hersante schände was niht kleine, sie beiz vor zorne in die steine, Ir kraft konde ir niht gefrvmen. (V. 1181 ff) Auch sie zählt also zu den Tieren, die trotz physischer Stärke dem Fuchs unterliegen und ihre "gerechte Strafe" empfangen. Reinhart sorgt also dafür, daß der Ehebruch bekannt wird, indem er "den Rechtsakt in einen verbrecherischen Geschlechtsakt" verkehrt269. Interessant ist in 268
KALISCH, Hans: Die Grafschaft und das Landgericht Hirschberg. In: ZRG GA 34, 1913, S. 141-194, s. S. 181, Weistum, Art. 8: Dar nach, wes man den man zeihet, des mag er vor gerihte mit sein aines aide laugen, di weil er ungepunden und ungevangen ist, an notnunfte. 269 LINKE: Form und Sinn des "Fuchs Reinhart" (1974), S. 242.
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diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Landfriedensgesetze, denen viele Rechtsbücher folgten, handhafte Notzucht und handhaften Ehebruch auf eine Stufe stellten, indem sie das gleiche Strafmaß für Ehebrecher und Notzüchter ansetzten270. Gemessen am mittelalterlichen Strafrecht hat Heinrich mit der Vergewaltigung der Wölfin das bisher schwerste Verbrechen dargestellt. Betroffen sind nicht nur das Opfer, sondern auch die Angehörigen und darüberhinaus der gesamte Rechtsverband. An Hersant wird das Verbrechen begangen, vbele getan (V. 1157), doch die schände (V. 1170, 1181) erstreckt sich auf die ganze Wolfssippe. Wie Kaufmann schreibt, wurde eine Vergewaltigung in früheren Zeiten nicht nur als Verletzung der weiblichen Geschlechtsehre begriffen, sondern hauptsächlich als Verletzung der Familienehre271 und als Eingriff in die Rechte des Mannes aufgefaßt272. Im "Reinhart Fuchs", stärker noch im "Roman de Renart", zeigt sich deutlich, daß Ehebruch und Notzucht den Wolf zutiefst demütigen und in seiner Ehre kränken. In diesem Sinne hat Heinrich Isengrins Rede (V. 1217ff) gestaltet: Sieben glücklichen Ehejahren folgt die öffentliche Schande. Die verwendeten Rechtswörter 'Laster' (V. 1229) und 'Hohn' (V. 1223) drücken die Erniedrigung und den Ehrverlust aus273. Ebenso fußt Reinharts spöttische Erwiderung auf älteren Rechtsvorstellungen: Wenn Isengrin, der mit anderen zusammen an den Tatort geeilt war, schon nicht bleiben wolle, so solle er wenigstens Hersant, Reinharts 'Gevatterin', dalassen. Denn sie sei nun von rechts wegen die Herrin seiner Burg: Wolt ir aber hinnen gan, so svlt ir min gevatern hie lan, Die sol von rechte wirtinne sin. (V. 1235 ff) Hinter diesem Ausspruch verbirgt sich eine Anspielung auf mittelalterliches Privatrecht, genauer gesagt auf die Rechtsstellung von Mann und Frau innerhalb der Ehegemeinschaft. Es wurde schon mehrfach 270
271 272
SLdr. II13 § 5: De den man sleit oder vet oder rovet oder lernet sunder mordbrant, oder wif oder maged nodeget, unde vredebrekere, unde de in overhure begrepen werdet, den seal men dat hovet af slan (ed. Eckhardt, S. 142f; Hervorhebungen v. d. Verf.).
KAUFMANN: Notzucht (1984), Sp. 1102.
His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 169; LlBBBRWIRTH, Rolf: Ehebruch. In: HRG I, 1971, Sp. 836-839, s. Sp.837. 273 RWB 5, Sp. 1402 f; vgl. HlS: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 133; MUNSKB: Dei germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S.226, 255f.
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auf die gewichtige Rolle des Ehemannes im mittelalterlichen Privatrecht hingewiesen274. Die gleiche Stellung - grob gesagt die des Vormunds der Frau und der unmündigen Kinder - nahm für eine unverheiratete Frau der Vater (beziehungsweise nahe männliche Verwandte) ein275. Mit der Eheschließung wechselte die Frau von der väterlichen Hausgemeinschaft276 in die des Mannes über. Der Fixpunkt für diesen Wechsel in rechtlicher Hinsicht ist nach dem Mühlhäuser Reichsrechtsbuch aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts der Vollzug der Ehe: Das Beilager hat demzufolge den Charakter eines Rechtsaktes, überführt die Frau in den hausherrschaftlichen Bereich des Ehemannes und macht sie zu seiner rechtmäßigen 'Hausfrau', wirtinne, mit allen "familien-, haus- und standesrechtlichen Wirkungen"277: Suo zuei zusamini cumin an rechtir ewi · is dan daz die vroiwi einin vatir heit, die sal zu rechti di vormuntscaph uflazi, suanni su uri huisherri bislaphin heit eini nacht276. Die Gegenüberstellung mit dem zeitgenössischen Recht trägt also zur Erläuterung der "Reinhart Fuchs"-Stelle V. 1235 ff bei. Reinhart behauptet damit, daß die Wölfin nach vollzogenem BeischlafEhebruch und Notzucht können gemeint sein - fortan zu seiner Hausgemeinschaft gehöre. Zum Spott seiner Gegner manipuliert er das Recht nach seinen Bedürfnissen und verhält sich wie jene bei der Sühneverhandlung ihm gegenüber. Nicht die erwartete Rehabilitierung der Familienehre ist also das Ergebnis des Schlichtungsversuches, sondern ein demütigender Rechtsbruch279. Einen weiteren, heute nicht mehr ohne weiteres verständlichen Hinweis auf das mittelalterliche Strafrecht enthalten die schon zitierten Verse 1208ff280, in denen der Wolfssohn die Sühnebereitschaft seiner 274
S.o. S. 35; vgl. u. S. 158. OGRIS: Munt, Muntwalt (1984), Sp.757f; SCHWAB: Familie (1975), S. 258; RA 1,8.618, 636. 276 OGRis: Munt, Muntwalt (1984), Sp.758; RA l, S.618. 27r MiKAT, Paul: Ehe. In: HRG I, 1971, Sp. 809-833, s. Sp.814. 278 Das Mühlhäuser Reichsrechtsbuch aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts. Hrsg., eingel. u. übers, v. Herbert Meyer, Weimar (3. Aufl.) 1936 (ND Leipzig 1969) = Schriften der Akademie für deutsches Recht. Gruppe V: Rechtsgeschichte, Art. 22, S. 136. Nach der "Sachsenspiegel"-Stelle III 45 § 3 findet der Muntübergang nicht nach dem Beilager, sondern nach der Trauung statt, s. ECKHARDT, Karl August: Beilager und Muntübergang zur Rechtsbücherzeit. In: ZRG GA 47, 1927, S. 174-197. 279 So auch SCHWOB: Die Kriminalisierung des Aufsteigers im mittelhochdeutschen Tierepos vom "Fuchs Reinhart" und im Märe vom "Helmbrecht" (1984), S. 50f. 280 S.o. S. 106. 276
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Sippe aufkündigt - und Reinhart Feindschaft, was soviel wie Fehde heißt281, ansagt. Darauf entgegnet der Fuchs seinem Patensohn282: "Neina, pate", sprach Reinhart, "so tetest dv ein vbele vart. Isn wurde dir nimmer vergeben, die wile dv hetest daz leben, 1215 Vnd mvstez sin zv allen stvnden mit ysen gebvnden." (V. 1211 if) Diese Stelle ist nicht, wie Linke meint283, als Hinweis auf den Landfrieden zu verstehen, sondern bezieht sich, wie den "Rechtsalterthümern" zu entnehmen ist, auf eine Spielart der Leibesstrafe, das Fesseln. Mit Eisenringen gefesselt wurden danach unvorsätzliche Mörder wie das Kind, das "unvorsichtiger weise seine eitern ums leben gebracht" hatte284. Reinhart droht also dem wahrscheinlich noch unmündigen Wolfssohn mit der strafrechtlichen Konsequenz für Verwandtenmord. Bei Vollzug der Strafe wurde der Täter mit schweren Ketten oder Ringen um Hals, an Armen, Beinen und Leib belastet und gefesselt. Oft waren Selbstkasteiung und die Teilnahme an Prozessionen damit verbunden. Es hieß, daß von Gottes Gnaden die Ringe abspringen könnten. Als Beispiel für diese Strafe wegen der Tötung eines Verwandten durch ein Kind erwähnt Grimm Konrads von Würzburg "Engelhard"285. Die im folgenden zitierte Textstelle V. 6160 ff entspricht in etwa dem Wortlaut des "Reinhart Fuchs": "ja wil ich biz an minen tot mit isen zallen stunden dar umbe sin gebunden."286
281
S.o. S. 79.
282
Zur Patenschaft von Fuchs und Wolfsjungen, s.o. S.63f; vgl. RUBERO: Verwandtschaftsthematik in den Tierdichtungen um Wolf und Fuchs vom Mittelalter bis zur Aufklärungszeit (1988), S. 40. 283 LINKE: Formund Sinn des "Fuchs Reinhart" (1974), S.242. 284
RA 2, S. 300; vgl. RWB 2, Sp. 1501 f.
285
Ebenda. Nach der Ausgabe von Ingo Reiffenstein, Tübingen (3. Aufl.) 1982 = ATB 13, S. 229.
286
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Fuchs und Wolf
3.6 Zusammenfassung Der Antagonismus von Fuchs und Wolf, der sich schon im "Ysengrimus" findet und im "Roman de Renart" weiter ausgeprägt wird, gibt die Rahmenhandlung des zweiten Handlungsteils des "Reinhart Fuchs" ab. Daß Heinrich die Szenenfolge des "Roman de Renart", dessen Branchen V, XIV, VI, VIII, III, IV und Va die stoffliche Vorlage lieferten, umstellte und für sein Tierepos in eine neue Form brachte, ist bekannt und wurde von Büttner, Baesecke, Jauß und anderen287 als Zeichen von Heinrichs Kompositionstalent gewertet, mit dem er "das erste Fuchsepos im eigentlichen Sinne"288 geschaffen hat. Die genaue Untersuchung der einzelnen Episoden hinsichtlich ihres rechtlichen Gehalts hat ergeben, daß der deutsche Verfasser die Szenenfolge nach juristischen Gesichtspunkten strukturiert hat: Die Verbindung von Fuchs und Wolf hat im deutschen Tierepos den Charakter eines privaten Rechtsgeschäfts. Der Abschluß der geselleschaft und später der bruoderschaft erfolgt in Analogie zu den genossenschaftlichen Einungen des Mittelalters. Die Pervertierung der grundlegenden Verhaltenscodices macht Reinharts Erfolg aus. Isengrin, der typmäßig den gefräßigen Toren verkörpert, wird zum leichten Opfer, weil er zu sehr auf die Normen vertraut, die in der Welt des "Reinhart Fuchs" nicht mehr den Wert haben, der ihnen eigentlich zustehen sollte. Reinharts Rache gegen den Verstoß der genossenschaftlichen Treue äußert sich in rechtlich zu definierenden Nachteilen, in 'Schaden', den der Wolf erleidet. Einerseits hat er körperliche Verletzungen zu beklagen, die auch eine schmähliche Komponente enthalten, zu der andererseits der Ehrverlust infolge des Ehebruchs der Wölfin mit Reinhart tritt. Die Anschläge auf Isengrin beschreibt Heinrich analog zu den von den Rechtsbüchern kasuistisch erfaßten Fällen von Körperverletzung. Die präzise Terminologie in bezug auf die Tatumstände, die Tatwaffe sowie Art und Umfang der Verletzung erlaubt eine genaue Klassifizierung. Vor dem Hintergrund der erfaßten Fälle von Körperverletzung beginnt Heinrichs Darstellung am unteren Ende der Skala und geht von Schlägen, Wunde und Amputation zum Mordversuch, 287
BÜTTNER, Hermann: Der 'Reinhart Fuchs' und seine französiche Quelle. In: Studien zum 'Roman de Renart' und dem 'Reinhart Fuchs'. H. II, Straßburg 1891, S. 30ff; BAESECKE: Heinrich der Glichezare (1927), S. Iff; JAUSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959), S. 281. 288 JAUSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959), S. 281.
Zusammenfassung
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den die Landfrieden und nach ihnen die Rechtsbücher am oberen Ende der Skala ansiedeln und zu den Kapitalverbrechen der Zeit zählen. Wie in historisch vergleichbaren Fällen, mündet auch diese Auseinandersetzung zweier selbstbewußter Adliger in eine Fehde. Dieses unter gewissen Bedingungen legale Instrument der Selbsthilfe wird von Isengrin zur privaten Rache umfunktioniert. Die bewaffnete Auseinandersetzung zur Wahrung von subjektiven Rechtsansprüchen und die von Verwandten der Kontrahenten initiierte Vermittlung, wie sie der "Reinhart Fuchs" zeigt, gehören wiederum zur mittelalterlichen Rechtslandschaft. Bezieht man mit dem Hof- und Gerichtstag noch die Folgehandlung ein, so entspricht die Rechtsstruktur der Handlung mit der Stufenfolge: Fehde-Minne-Recht ansatzweise dem Aufbau der spätmittelalterhchen Schiedsgerichtsbarkeit. Der bewaffneten Eskalation (Fehde) folgt ein Vermittlungsversuch (Minne), sein Scheitern macht eine Verhandlung vor einem offiziellen Gericht notwendig. Heinrichs Darstellung belegt wieder seine genauen Rechtskenntnisse auf sprachlichem und institutionellem Gebiet. Die Zahl der direkten Rechtswörter nimmt im zweiten Handlungsteil zu, wobei viele Termini, die in der Sühneverhandlung vorkommen, aus dem Prozeßrecht stammen. Die knappe Darstellung, zum Beispiel des Rechtsbetruges, hatte die Vermutung genährt, der "Reinhart Fuchs" sei für ein zweisprachiges Publikum konzipiert gewesen, das den "Roman de Renart" kannte289. In bezug auf den juristischen Hintergrund ist anzunehmen, daß das Publikum mit dem Sachverhalt vertraut war und Heinrichs Anspielungen auf rechtliche Zusammenhänge entschlüsseln konnte. Dabei zeigt er nicht nur die Rechtspraxis, wie sie im Idealfall sein sollte, sondern auch Rechtsmanipulationen, die es allem Anschein nach in der dargestellten Form gegeben hat. Die Kritik richtet sich nicht gegen Unzulänglichkeiten des geltenden Rechts, sondern gegen die mit der Handhabung des Rechts befaßten Figuren. Das Recht erfüllt in diesem Teil die Funktion einer Meßgröße und erlaubt eine Bewertung der dargestellten Figuren bezüglich ihres rechtskonformen beziehungsweise nicht rechtskonformen Verhaltens. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Fuchs, der außerhalb der geltenden Ordnung steht. Schwabs Vergleich der Fuchsfigur mit einem Katalysator290 gilt auch für die Rechtshandlung. Einmal abgesehen von der "Tonsurierung" des Wolfes, hat Reinhart bis 289
Vgl. JAUSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959), S. 142ff; SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 140 u.ö. 290 S.o.S. 79.
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Fuchs und Wolf
zur Vergewaltigung der Wölfin nie selbst tätlich eingegriffen. Strafrechtlich gesehen ist ihm daher bei den Anschlägen gegen Isengrin und Brun nur die Urheberschaft, nicht aber die Täterschaft anzulasten. Jedoch provoziert er bei seinen Kontrahenten Rechtsverstöße: Isengrin läßt sich zu einer illegalen Fehde und zusammen mit Brun zu einem Rechtsbetrug hinreißen. Alle Tiere, die sich in diesem Handlungsteil gegen Reinhart stellen, erleiden deswegen eine Strafe. Dabei hat Heinrich einen kausalen Zusammenhang zwischen der vormaligen Verfehlung und der Strafaktion hergestellt: Der stolze Adlige Isengrin wird in seiner Selbstherrlichkeit gedemütigt. Während er kastriert wird, begeht Reinhart Ehebruch mit der Wohin und vergewaltigt sie später öffentlich. Der Bär, Urheber des fundierten Rechtsbetruges, muß wie ein Blasphemiker am Pranger stehen und die entsprechenden Strafen erdulden. Mit dem Notzuchtsverbrechen endet zwangsläufig der zweite Handlungsteil, wobei juristische Erwägungen zum dritten Handlungsteil des "Reinhart Fuchs" überleiten. Denn der Rechtskampf zwischen Fuchs und Wolf nimmt durch die strafrechtliche Bedeutung und den öffentlichen Charakter der Notzucht eine neue Dimension an. Die weitere Strafverfolgung ist nicht mehr allein Sache der Beteiligten und in privatem Rahmen auszutragen, sondern muß vor einem öffentlichen Gericht verhandelt werden. Zuständig ist dafür das Gericht des Königs, das sich zeitgleich konstituiert.
4 Fuchs und Löwe (V. 1239-2268) 4.1 Das Landfriedensgebot (V. 1239-1320) Im Mittelpunkt des dritten Teils des "Reinhart Fuchs" steht der Hofund Gerichtstag des Löwenkönigs Vrevel. Heinrich nimmt für seine Fassung bekannte Handlungselemente der mittelalterlichen Tierdichtung wieder auf und verbindet die Fabel von der Krankheit des Löwen mit der Hoftagsfabel1. Dem königlichen Hoftag geht im "Reinhart Fuchs" die sogenannte "Ameisenepisode" voraus, die weder in den anderen Fuchsepen noch im "Roman de Renart" eine Entsprechung findet und als Eigenleistung des deutschen Verfassers gilt. Tatsächlich motiviert keine der erhaltenen Versionen der Hoftagsfabel die Krankheit des Löwen, die im "Reinhart Fuchs" erst zur Einberufung des Hof- und Gerichtstages sowie zum Landfriedensgebot führt2. Aus diesem Grund verdient diese Episode besondere Beachtung: Heinrich legt nämlich zu Beginn der "Ameisenepisode" genau die juristische Ausgangsposition dar, wobei seine scheinbar nebensächliche Bemerkung über die Ursache des königlichen Landfriedens sich sowohl auf den rechtlichen Hintergrund der vorangegangenen Handlung als auch auf die Folgehandlung bezieht: Ditz geschah in einem lantvride, den hatte geboten bi der wide" Ein lewe, der was Vrevel genant," gewaltic vber daz lant. (V. 1239ff) Demnach spielte sich das bislang Erzählte zur Zeit eines Landfriedens ab, das heißt die anfangs erwähnten Feindseligkeiten müssen vor dem Hintergrund königlicher Rechtsnormen zur Friedenswahrung3 gesehen SCHALLER, Dieter: Lateinische Tierdichtung in frühkarolingischer Zeit. In: Das Tier in der Dichtung. Hrsg. u. eingeleitet v. Ute Schwab, Heidelberg 1970, S. 91-113. Vgl. SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 127 ff; DÜWBL: Der Reinhart Fuchs des Elsäfiers Heinrich (1984), S. XXIV. Grundsätzlich: KAUFMANN, Ekkehard: Landfrieden I (Landfriedensgesetz-
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Fuchs und Löwe
werden. Erst mit der "Ameisenepisode" beginnt die eigentliche narrative Handlung im "Reinhart Fuchs"4. Deshalb gehören die berichteten Feindseligkeiten der Vergangenheit an und stellen wegen des vorn König befohlenen Friedens Rechtsverstöße dar. Obwohl nun andere rechtliche Voraussetzungen herrschen, ändern sich die im deutschen Tierepos geschilderten, von Rechtsunsicherheit und unkontrollierter Privatjustiz geprägten Rechtsverhältnisse auch nicht mit dem Auftreten des Königs und der Ankündigung seines Friedensprogramm.es. Im Gegenteil: Heinrich betont vor allem die negativen Eigenschaften dieses Herrschers. So häufen sich in der Folge wenig schmeichelhafte Attribute für ihn und seine Amtsführung, was besonders in der Gerichtsverhandlung zur Geltung kommt. Die Tatsache, daß im "Reinhart Fuchs" ein Landfrieden erwähnt wird, deutet auf einen konkreten rechtshistorischen Sachverhalt hin und bezieht das Werk aufgrund seiner Thematik und seiner historischen Anspielungen auf die grundlegende Rechtssituation des späteren 12. Jahrhunderts, vor allem auf die Bekämpfung der Fehde und die Entwicklung des Strafrechts5. Da diese Rechtsprobleme zusammen mit dem königlichen Friedensgebot im "Reinhart Fuchs" erwähnt werden, dazu der "Friedensstifter" (Vrevel) bekannt ist und noch weitere für die Interpretation des Werkes wichtige Anspielungen auf diese neue Gesetzgebung vorkommen, folgen nachstehend einige Erläuterungen. Sie beziehen sich in erster Linie auf inhaltliche und formale Punkte, die Heinrich aufgenommen hat beziehungsweise die zum Verständnis der im Tierepos dargestellten Rechtslage beitragen.
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gebung). In: HRG II, 1978, Sp. 1451-1465; RWB 8 (H. 3), Sp.383ff. In der Forschung hat sich die Bezeichnung "Landfrieden" eingebürgert, die auch in der vorliegenden Arbeit verwendet wird. Karl Kroeschell hat darauf hingewiesen, daß die Anwendung dieses Terminus' auf hochmittelalterliche Rechtsverhältnisse problematisch ist. Dieser Begriff habe sich erst im Spätmittelalter für die territorialen Frieden (entsprechend der spezifischen Bedeutung, die Land, Landrecht, Landesherr usw. annehmen) gebildet und habe nur gelegentlich auf die königlichen Frieden übergegriffen. Statt "Landfrieden" schlägt Kroeschell die Bezeichnung "königlicher" bzw. "kaiserlicher Frieden" vor (s. Deutsche Rechtsgeschichte l [8. Aufl. 1987] S. 186 f; vgl. dazu u. S. 118 mit Anm. 17. S.u. S. 130ff, 137ff. EBBL, Wilhelm: Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, Göttingen (2. Aufl.) 1958 = Göttinger rechtswissenschaftliche Studien 24, S. 46 ff; RATTENHAUER, Hans: Die Bedeutung der Gottes- und Landfrieden für die Gesetzgebung in Deutschland, Marburg (Diss. jur.) 1958/60, S.30ff; vgl. ACHTER, Victor: Geburt der Strafe, Frankfurt/M. 1950.
Das Landfriedengebot
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Die deutschen Könige bedienten sich schon früh dieser zunächst außerordentlichen Normen "zur Bekämpfung oder Einschränkung der Ritterfehde und zur Unterdrückung von Raub und ändern Verbrechen, die als Störung der öffentlichen Sicherheit"6 erschienen, um einerseits der ihnen obliegenden und ständig in den Quellen betonten Friedenswahrung und -garantie nachzukommen7, ergriffen andererseits aber auch die sich ihnen bietende Gelegenheit, auf dem Wege der Friedensgesetzgebung ihre Machtposition zu stärken und auszubauen8. In diesen Zusammenhang ordnet sich denn auch die tatkräftige Gesetzgebung und Rechtspflege der staufischen Könige ein9. Tatsächlich sind die meisten Landfrieden dieser Zeit auf den Stauferkönig Friedrich I. zurückzuführen, der, wie Baaken und andere gezeigt haben10, stets versuchte, seine Politik rechtlich zu verankern. Die drei Landfrieden von 1152,1158 und 1186 gelten als wichtige Reichsgesetze11, regionaler Natur sind vier Provinziallandfrieden aus der Zeit von 1152-1157 für sein Stammland Schwaben, 1156 für Bayern und 1179 für den rheinfränkischen Raum12. An diese Häufung von Friedensgeboten mag Heinrich gedacht haben, als er den mittels zahlreicher Anspielungen als Staufer ausgewiesenen König im "Reinhart Fuchs" zum Initiator eines Landfriedens erklärt. Zwar ist auch im "Roman de Renart" von einem könig6
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His: Das Strafrecht des deutschen MittelaltersI (1920), S. 7f; vgl. GBRNHUBBR, Joachim: Die Landfriedensbewegung in Deutschland bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235, Bonn 1952 = Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen 44, S.57; KAUPMANN: Landfriedenl (1978), Sp. 1451, 1461. KAUPMANN: König (1978), Sp. 1019f; SELLBRT, Wolfgang: Friedensprogramme und Friedenswahrung im Mittelalter. In: Festschrift für Karl Kroeschell. Hrsg. v. Gerhard Köbler, Frankfurt/M./Bern/New York/Paris 1987 = Rechtshistorische Reihe. Bd. 60, S. 453-467, s. S. 456f. ANGERMEIER, Heinz: Landfriedenspolitik und Landfriedensgesetzgebung unter den Staufern. In: VuF 16, 1974, S. 167-186, s. S. 167. His: Das Strafrecht des deutschen MittelaltersI (1920), S.9. BAAKEN; Gerhard: Recht und Macht in der Politik der Staufer. In: Historische Zeitschrift 221, 1975, S. 553-570. Dazu GERNHUBER: Die Landfriedensbewegung in Deutschland bis zum Mainzer "Reichslandfrieden" 1235 (1952), S.85f; HATTENHAÜER: Die Bedeutung der Gottes- und Landfrieden für die Gesetzgebung in Deutschland (1958/60), S. 133. Der in Deutschland und Italien gleichermaßen erlassene Ronkalische Frieden von 1158 hat in Deutschland kaum Bedeutung erlangt, s. SCHNELBÖGL: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (1932), S. 235. KÜCH, Friedrich: Die Landfriedensbestrebungen Kaiser Friedrichsl., Marburg (Diss. phil.) 1887, S. 9, 13, 24, 30, 31; SCHNELBÖGL: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (1932), S. 237f.
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Fuchs und Löwe
liehen Frieden die Rede13, doch bezieht sich Heinrich in seiner Darstellung eindeutig auf deutsche Zustände. Am auffälligsten ist dabei der Terminus 'Landfrieden' selbst. Bis zum "Reichslandfrieden" von 1235 sind nämlich die Landfrieden ausschließlich in lateinischer Sprache abgefaßt und nennen sich beispielsweise einfach pax14 oder ergänzend pax terrae beziehungsweise pax provinciae15. Unter der Voraussetzung, daß das Original oder das ihm vermutlich nahestehende Fragment S des "Reinhart Fuchs"16 auch schon wie die späteren, fast vollständigen Handschriften P und K den Ausdruck lantfride verzeichnet hätte, wiese somit das Tierepos den ältesten deutschsprachigen Beleg auf17. 13 14
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Z.B. Br.II, 493: la pes juree. MGH Const. I, Nr. 140, S. 195 (Landfrieden FriedrichsI. von 1152). Zur Terminologie: His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 61. MGH Const. I, Nr. 277, S. 381 (Rheinfränkischer Landfrieden von 1179). Zum Verhältnis der Handschriften, s.o. S. 1. So schon BÖHLAU: Rechtsgeschichtliches aus Reinke de Voß (1857), S. 81; KLIBANSKY: Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen des 12.-14. Jahrhunderts (1925), S. 44. Dem pflichtet auch His (Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I [1920], S. 7, Anm. 1) bei, stellt aber die Frage, ob dieser Ausdruck auch schon in der ursprünglichen Fassung des "Reinhart Fuchs" (er übernimmt die Datierung 1180 von Reißenberger [Textausgabe, 2. Aufl. 1908]) vorgekommen sei. Nach rechtsgeschichtlichen Erkenntnissen ist die Bezeichnung vride in der ursprünglichen Fassung des "Reinhart Fuchs" (V. 1239) wahrscheinlich. Denn der von einem König oder Kaiser aufgerichtete Frieden hieß im Hochmittelalter nicht lantvride, sondern einfach nur vride oder vrede (s. SLdr. II, 66; vgl. RF V. 1247, 1383 u.ö.; dazu KROBSCHELL: Deutsche Rechtsgeschichte l [8. Aufl. 1987], S.186f). His' Einschränkung ist insofern berechtigt, als andere im "Reinhart Fuchs" verzeichnete Rechtswörter erst in Rechtsquellen des Spätmittelalters nachzuweisen sind. Obwohl in den Handschriften P und K der Bearbeiter beteuert, er habe nur redaktionelle, aber keine inhaltlichen Veränderungen vorgenommen (V. 2251 ff; vgl. V. 1784ff), ist letztlich nicht auszuschließen, daß einige . echtssprachliche Wendungen oder Beziehungen auf Rechtsinstitutionen das Produkt einer spätmittelalterlichen Bearbeitung sein können. Götterts Untersuchung zu Bearbeitung und Wirkungsgeschichte des "Reinhart Fuchs" hat ergeben, daß die jüngeren Handschriften P und K, bzw. deren Vorlage, an den Zeitgeschmack angepaßt und "aktualisiert" wurden, s. GÖTTBRT, Karl-Heinz: Überlieferungsproblematik und Wirkungsgeschichte des mittelhochdeutschen Reinhart Fuchs. In: Aspects of the Medieval Animal Epic. Hrsg. v. Edward Rombauts und A. Welkenhuysen, Leuven/Den Haag 1975 = Mediaevalia Lovaniensia, Serie I, Studia III, S. 67-84; vgl. ders.: Die Spiegelung der Lesererwartung in den Varianten mittelalterlicher Texte (am Beispiel des Reinhart Fuchs). In: DVjs 48, 1974, S. 93-121. Vgl. a. WBGSTBIN, Werner: Sprachwandel in der literarischen Überlieferung des 14. Jahrhun-
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Denn dieser Terminus findet sich sonst erst in Rechtsquellen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts wie in der Pax Austriaca König Ottokars (1256-1261). Der entsprechende Eintrag lautet: Wir wellen auch daz man allez daz rihte, daz geschehen ist, sit man alrest lantvride hat vor uns geschworn18. Der in Latein abgefaßte Frieden des Mainzer Erzbischofs Werner und des Pfalzgrafen Ludwig von 1264 weist folgende Erläuterung auf: [pax]... que lantfrede vulgariter appellatur19, was den Schluß zuläßt, daß die nationalsprachliche Übersetzung des lateinischen Terminus zu dieser Zeit gebräuchlich war. Im Unterschied zum "Roman de Renart" kommt der obligatorische Friedensschwur im deutschen Tierepos nicht vor20. Heinrich betont den Gebotscharakter, der der damaligen Sprachregelung der Reichsgesetze entspricht, und hebt die königliche Befehlsgewalt hervor (V. 1240: gebieten; V. 1245: gebot; V. 1247: vride gebieten). Die Wendung "Frieden gebieten" ist mit Hinweis auf die "Reinhart Fuchs"-Stelle V. 1240 im Deutschen Rechtswörterbuch gebucht21. Die zum Vergleich herangezogenen Landfrieden waren beschworene Einungen und kamen unter Mitwirkung der Reichsfürsten zustande. Sie wurden zwischen König und Fürsten ausgehandelt und nicht autoritär gesetzt, obwohl vor allem Friedrich Barbarossa 1158 in Italien und Friedrich II. 1235 den Gesetzescharakter ihrer Landfrieden betonten22. Das Programm seiner Landfrieden zeigt den Willen Friedrichs L, gegen die Rechtsunsicherheit
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derts. In: Zur deutschen Literatur und Sprache des 14. Jahrhunderts. Hrsg. v. Walter Haug u.a., Heidelberg 1983, S. 384-399. MGH Const. II, Nr. 440, Art.24, S. 607. MGH Const. II, Nr. 442, v. 29, S. 609. Z.B. Br. II, 493, 495ff. RWB 3, Sp. 1241; RWB 3, Sp. 1255ff (Gebot). So beginnt auch die "Constitutio de pace tenenda" von 1152 befehlend: pacem (...) regia auctoritate iudicimus (MGH Const. I, Nr. 140, S. 195). Den Provinziallandfrieden von 1179 erließ Friedrichl. nostra auctoritate (MGH Const. I, Nr. 277, S. 381), und in der deutschen Fassung des Mainzer Reichslandfriedens FriedrichsII. von 1235 heißt es: wir setzen und gebieten [friede und gesetze] (MGH Const. II, Nr. 196 a, S.250). Freilich darf die Sprachgebung nicht darüber hinwegtäuschen, daß die gesetzgebende Gewalt des Kaisers und Königs äußerst schwach war und eine echte Gebotsgewalt über die Reichsstände nicht bestand, s. EßEL: Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland (1958), S.45; HATTBNHAUER: Die Bedeutung der Gottes- und Landfrieden für die Gesetzgebung in Deutschland (1958/60), S. 136, 222; PATZE, Hans: Herrschaft und Territorium. In: Die Zeit der Staufer. Geschichte. Kunst. Kultur. Katalog der Ausstellung 1977. Hrsg. v. Reiner Hausherr. Bd. 3, Stuttgart 1977, S. 35-^19, s. S. 38.
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im Reich, mit Mitteln des Strafrechts vorzugehen. Primär ging es dabei um die Bekämpfung der Fehde und ihrer Folgen (Tötung, Heimsuche, Körperverletzung etc.) sowie die Eindämmung der Kapitalverbrechen der Zeit, also Mord beziehungsweise Totschlag, Raub und Diebstahl, Brandstiftung und Notzucht23. Die Landfrieden waren die Reaktion auf gravierende und für das ganze Mittelalter hindurch kaum zu lösende Probleme und behandelten quasi theoretisch, was Heinrich in seinem Werk satirisch in die Praxis umgesetzt zeigt. In der Folge werden deshalb die für den "Reinhart Fuchs" relevanten und für die Ermittlung seines rechtlichen Gehalts wichtigen strafrechtlichen Elemente - das heißt Sonderfrieden, Körperverletzung, Fehde, Verfahrensrechtliches kurz dargestellt. Im Mittelpunkt der frühen Landfrieden (bis 1235) stand, wie gesagt, die Verbrechensbekämpfung: Nach dem Vorbild der Gottesfrieden wurden gewisse Personen (z.B. Frauen und Kleriker) und Orte (wie Haus und Hof innerhalb der Umzäunung, Dörfer und Straßen)24 befriedet. Während bestimmter Zeiten wurden Gewaltanwendungen untersagt25. Womöglich hat Heinrich mit Bezug auf den Landfrieden Reinharts Vorgehen gegen den so sorgfältig geschützten Hühnerhof beschrieben. Im "Roman de Renart" verweist der Fuchs an dieser Stelle direkt auf den königlichen Frieden, um seinem Täuschungsmanöver mehr Gewicht zu verleihen. Die Strafen für innerhalb des Landfriedens begangene Verbrechen waren genau festgelegt: Der Landfrieden von 1152 bedrohte beispielsweise die Tötung eines Menschen mit dem Tode26 und Körperverletzung mit Hand Verlust27. Hohe Bußen standen auf Körperverletzungen, die zu keiner Blutwunde führten. Der kleine Diebstahl wurde an "Haut und Haar", der große mit dem Galgen bestraft28. Insgesamt nahm die Zahl der mit Leibes- und Lebens23
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S. MGH Const.I, Nr. 140, S.194ff; Nr.277, S.380ff, Nr.318, S.449ff; dazu SIMONSFELD, Henry: Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Friedrichl. Bd. l (1152-1158), Leipzig 1908 (ND Berlin 1967) = Jahrbücher der Deutschen Geschichte, S. 61 ff. GOBTZ, Hans-Werner: Gottesfriede und Gemeindebildung. In: ZRG GA 105, 1988, S. 122-144, s. S. 136 f. HOLZHAUER, Heinz: Landfrieden II (Landfrieden und Landfriedensbruch). In: HRGII, 1978, Sp. 1465-1485, s. Sp. 1467. MGH Const. I, Nr. 140, Art. l, S. 195. Ebenda, Art. 3,8.196. S. SCHNELBÖGL: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (1932), S.46f.
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strafe bedrohten Straftaten zu29. Jedoch wurde eine sonst straflose Tat nicht zu einer strafbaren, sondern ein geringfügigeres Verbrechen wurde dadurch, daß es den Sonderfrieden verletzte, als ein schwereres gewertet30. Das heißt, die durch die Landfrieden unter Strafe gestellten Handlungen wurden durch die Verletzung des Friedens zu qualifizierten Vergehen. Die Folge war, daß die zuvor für ein Delikt erhobenen Geldbußen peinlichen Strafandrohungen wichen31 und das sogenannte "Unfreienstrafrecht" auch auf Freie ausgedehnt wurde32. Der Begriff des Landfriedensbruchs bezog sich vor allem auf die unrechte Fehde und Gewalttaten. Folgerichtig bezichtigt die Anklagevertretung den Fuchs des "Friedbruchs" (V. 1383f), mit einem Delikt, das in der Regel peinlich bestraft wurde33. Freilich zeigt die Geschichte des Mittelalters, daß mit dem Anspruch auf Friedenssicherung eine Garantie des Friedens nicht gewährleistet war. Tatsächlich sind die zahlreichen Landfrieden nur Versuche, auf dem Wege der Machtausübung gegen die Friedensstörer einzuschreiten. Deswegen wird Heinrichs Darstellung der Fehdesituation im Kern nicht einmal übertrieben sein. Auch ein so mächtiger Herrscher wie Friedrich I. war nicht in der Lage, das erklärte Ziel seiner Landfrieden restlos durchzusetzen und die Fehde vollständig zu verbieten. Sein erster Reichslandfrieden zeigt den Versuch, Privatfehden völlig zu untersagen und Tötung sowie Körperverletzung nur in Notsituationen zuzulassen34. Daß er diesen Standpunkt nicht aufrechterhalten konnte, beweist der Vergleich der Frieden von 1179 und 1186. Das absolute Fehdeverbot des "Rheinfränkischen Friedens" von 1179 wird in der "Constitutio contra incendiarios" von 1186 durch eine Formalisierung der Fehde ersetzt, das heißt die Rechtmäßigkeit der Fehde von der Erfüllung der Norm abhängig gemacht35. Wie schon am Bei-
29 MITTEIS / LIEBERICH: Deutsche Rechtsgeschichte (16. Aufl. 1981), S. 278. His: Das Strafrecht des deutschen MittelaltersI (1920), S. 18. 31 Ebenda, S. 11. 32 MITTEIS / LIEBERICH: Deutsche Rechtsgeschichte (16. Aufl. 1981), S. 278. 33 His: Das Strafrecht des deutschen MittelaltersI (1920), S. 19; HOLZHAUER: Landfrieden!! (1978), Sp. 1467. 34 SCHNELBÖGL: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (1932), S. 46; SCHMIDT: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege (3. Aufl. 1965), S. 51. 35 His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S.61f; SCHNELBÖGL: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (1932), S.48f; KAUPMANN: Landfrieden! (1978), Sp.1461. 30
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spiel der Fehde von Fuchs und Wolf erläutert, könnte Heinrich sich in seiner Darstellung darauf bezogen haben36. Trotz aller Rückschläge markieren die Landfrieden eine entscheidende Wende, eine "große Revolution" im Bereich des Strafrechts37. Denn mit dieser neuen Gesetzgebung und ihrem wohl zunächst zögernd angewandten Strafrecht38 begann die Verstaatlichung der Rechtspflege. Eine andere Auffassung von Verbrechen und Strafe, die namentlich das "privatrechtliche" Element durch das "öffentliche" ersetzte, wurde vorbereitet39. Allenthalben lassen sich Beispiele für den Beginn einer "rationalen" Rechtsauffassung finden, besonders in bezug auf das Strafrecht und die Abwendung vom alten, überkommenen Recht40. Die Neuerungen betrafen in erster Linie die Vereinheitlichung des Strafmaßes sowie den Verzicht auf ständische Differenzierungen. Das Strafensystem verlor das Element der Wiedergutmachung zugunsten des pönalen Charakters, was letztlich zu einer Kriminalisierung des Strafrechts führte41. Freilich ging der Übergang vom Kompositionsstrafrecht zum peinlichen Strafrecht nicht plötzlich vonstatten, sondern das Bußenstrafrecht mit Rache, Fehde und Sühne dauerte fort42. Alte Ordnung und neues, rationales Rechtsdenken prallten aufeinander, wie es Heinrich auch in seinem Tierepos mit dem Nebeneinander beider Strafensysteme andeutet. Dabei dominiert in der Welt des "Reinhart Fuchs" immer noch das traditionelle System: Die Fehde zwischen Fuchs 36
S.o. S. 79 ff.
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SCHMIDT: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege (3. Aufl. 1965), S. 57; MITTRIS / LIEBERICH: Deutsche Rechtsgeschichte (16. Aufl. 1981), S.278. KAUFMANN: Landfrieden! (1978), Sp. 1464. ACHTER (Geburt der Strafe [1950]) spricht von einer "fast stürmische(n) Wandlung des Strafrechts" (S. 104). Sie sei auf eine allgemeine Entwicklung im 12. Jahrhundert zurückzuführen und habe sich auf viele Disziplinen der Geisteswissenschaften ausgewirkt (S. 136f, 143); HOLZHAUER: Landfrieden II (1978), Sp. 1407f. ACHTER: Geburt der Strafe (1950), S. 137. MAYER, Ernst: Deutsche und französische Verfassungsgeschichte vom 9. bis zum 14. Jahrhundert. Bd. I, Leipzig 1899 (ND Aalen 1968), S. 139; SCHMIDT: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege (3. Aufl. 1965), S.59f; ACHTER: Geburt der Strafe (1950), S. 137. SCHMIDT: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege (3. Aufl. 1965), S.61; so auch His: Das Strafrecht des deutschen MittelaltersI (1920), S. 594; HATTENHAUER: Die Bedeutung der Gottes- und Landfrieden für die Gesetzgebung in Deutschland (1958/60), S. 195; KAUFMANN: Landfriedenl (1978), Sp. 1464.
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und Wolf soll nach, dem Kompositionssystem geschlichtet werden, den Beweis im Sühneverfahren liefert der Reinigungseid, der als Kriterium die Rechtschaffenheit des Täters, nicht aber seine Beziehung zur Tat hat, und auch im Prozeß ist von Bußzahlungen an die geschädigte Partei die Rede43. Es ist deshalb zu untersuchen, inwieweit das peinliche Strafensystem tatsächlich über die bloße Erwähnung des Landfriedens hinaus im Werk zur Geltung kommt. Historisch gesehen, gingen die Veränderungen nur langsam vonstatten, blieb "Altes (...) neben dem Neuen bestehen und nur in dem Maße, in dem die Neuerungen immer dringender wurden, hat sich schließlich die Abkehr vom frühmittelalterlichen Bußenstrafrecht vollzogen. Das 12. und 13. Jahrh.[undert] sind die Zeit der Schwankungen"44. Noch bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts hat es mancherlei Gegensätze und Übergangserscheinungen gegeben, so daß die alte Recht s Vorstellung, "daß der Einzelne R. [echt] schafft", mit "dem heranwachsenden Gewaltmonopol der Obrigkeit" konkurrierte45. Heinrich beläßt es nicht bei der stichwortartigen Erwähnung der neuen Rechtssituation, sondern gibt darüberhinau die Entstehungsbedingungen und den Charakter dieses Landfriedens an. Vergleicht man diese Angaben mit den überlieferten Quellen, so zeigen sich mancherlei Übereinstimmungen zwischen der literarischen Quelle und den Rechtsquellen, wenngleich berücksichtigt werden muß, daß im "Reinhart Fuchs" nicht die einzelnen Bestimmungen aufgezählt werden. Hier wie an anderen Stellen - beispielsweise bei der Gerichtsverhandlung beschränkt sich Heinrich auf einige gezielte Hinweise, denn es ist anzunehmen, daß sein Publikum sie zu deuten wußte. In bezug auf die Landfrieden ist eine Aufzählung der bekannten und sich ständig wiederholenden Vorschriften überflüssig. Wesentlicher scheint die Darstellung der desolaten Rechtssituation zu sein, das heißt die Widerlegung der Theorie durch die Praxis sowie die Haltung des Herrschers, der diese Lage zu verantworten hat. Der hoheitliche Charakter, den die mittelalterlichen Landfrieden ab 1152 beanspruchten46, kommt im Tierepos unter anderem durch die Tatsache zum Ausdruck, daß es sich um ein 43 44
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S.u. S. 165. HIRSCH: Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter (2. Aufl. 1922), S. 152 f. KRAUSE, Hermann: Recht. In: HRGIV, 1990, Sp. 224-232, s. Sp.229f. HOLZHAUER: Landfrieden II (1978), Sp. 1471; HATTENHAUBR: Die Bedeutung der Gottes- und Landfrieden für die Gesetzgebung in Deutschland (1958/60), S. 137.
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Landfriedensgebot47, also um einen Akt königlicher Rechtssetzung handelt. Das angedrohte Strafmaß im "Reinhart Fuchs" ist ungewöhnlich streng, denn jeder Landfriedensbrecher wird mit dem Tod durch den Strang (bi der wide, V. 1241) bedroht - im Mittelalter und noch in der Neuzeit eine besonders schimpfliche und ehrlose Todesart48. Nach Grimm wurden dabei für die Exekution "statt der hänfenen seile zweige von frischem, zähem (eichen oder weiden) holz" genommen49. Ungewöhnlich ist im Vergleich zu den historischen Quellen, daß sich diese Strafandrohung pauschal auf den Friedbruch bezieht und nicht nach unterschiedlichen "Rechtsgutsverletzungen" differenziert50. Wesentlich scheint im "Reinhart Fuchs" der Hinweis auf die neue, peinliche Strafe zu sein, die keine personenrechtlichen Unterscheidungen mehr trifft. Weiter ist dem deutschen Tierepos zu entnehmen, daß der Landfrieden von einem Herrscher befohlen wurde, dessen Macht sich über ein bestimmtes Territorium (vber daz lant, V. 1242) und alle in ihm lebenden Untertanen (vgl. V. 1244 ff) erstreckt. Die von Heinrich verwendeten Termini laut und an späterer Stelle lantrecht (V. 1650) weisen auf das Territorialprinzip und somit auf eine der wesentlichsten Neuerungen der Landfriedensgesetzgebung hin. Denn die Bezugnahme auf ein bestimmtes Territorium und dessen Bewohner markierte einen Unterschied zum älteren Rechtsdenken, das sich nach den Bewohnern eines Gebietes richtete und sich am Personalitätsprinzip orientierte51. Folgender Ablauf wäre im "Reinhart Fuchs" denkbar: Nach der für ihn mit einer Krankheit endenden "Ameisenepisode"52 gebietet Vrevel eigenmächtig einen Landfrieden und lädt zugleich zu einem sechs Wochen später stattfindenden Hof- und Gerichtstag. Historisch gesehen, nahmen die Könige oft vergleichbare Gelegenheiten zur Verkündigung des Landfriedens, freilich nach Absprache mit den Fürsten, wahr53. Dieser Fall trifft jedoch nicht im "Reinhart Fuchs" zu, denn der Landfrieden wird als etwas Vorzeitiges, dem Hoftag Vorausgehendes angesehen. Deshalb ist anzunehmen, daß die Fürsten zeitgleich sowohl von 47 48 49
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Vgl. u. S. 139 f. MARSCHALL, Dieter: Hängen. In: HRGI, 1971, Sp. 1988-1990, s. Sp. 1989. RA 2, S. 259; LAUFS, Adolf: Rechtsentwicklungen in Deutschland, Berlin/New York (2. Aufl.) 1978 = De-Gruyter-Lehrbuch, S. 24.
Vgl. HOLZHAUER: LandfriedenII (1978), Sp. 1471. Dazu HATTENHAUER: Die Bedeutung der Gottes- und Landfrieden für die Gesetzgebung in Deutschland (1958/60), S. 137, 170f. S.u. S. 135 ff. SIMONSFELD: Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Friedrichl. (1908), S. 59.
Das Landfriedengebot
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dem Friedens- als auch dem Hoffahrtsgebot Kenntnis erhalten haben. So ist zum Beispiel von Friedrich I. bekannt, daß er Friedenserlässe per Sendschreiben mitgeteilt hat. Sein ältester Landfrieden kam wahrscheinlich im Verlauf seines ersten Hoftages 1152 in seinem angestammten Herzogtum Schwaben zustande54. Da sich dieser Frieden auf alle Teile des Deutschen Reiches erstrecken sollte - per universas regni partes -, ergingen an die nicht anwesenden Reichsfürsten Sendschreiben, um sie diesbezüglich zu informieren55. Heinrich hebt damit in seiner Darstellung die gesetzgeberischen Bestrebungen des Königs hervor, der, wie die nachfolgende "Ameisenepisode" zeigt, das Friedensgebot machtpolitisch nutzt. Die Textstelle über das Landfriedensgebot im "Reinhart Fuchs" bezieht eine gewisse Spannung aus der Konfrontation von gewellter, aber - wie später zu sehen sein wird - verfehlter Ordnung sowie dem tatsächlichen Zustand. Die Hinweise auf Neuerungen im Strafrecht werden durch die Anfangshandlung zu der Forderung relativiert, daß eine Stabilisierung der Rechtsordnung in diesem Territorium vonnöten ist. Wenn die historischen Quellen abstrakt von der "Notwendigkeit"56 einer Friedensordnung sprechen, so sind nach Aussagen Heinrichs konkret damit die Folgen unerlaubter, vom Feudaladel zu verantwortender Fehden gemeint57, die Gewaltverbrechen wie Notzucht nicht ausschließen. Denn aus den Bestimmungen der ältesten Gottes- und Landfrieden geht schon hervor, daß Frauenraub und Notzucht, wie dieser Tatbestand hieß58, zu den schwersten Verbrechen der Zeit gehörten59. Das hohe Strafmaß wird damit erklärt, daß über das allgemeine Friedensgebot hinaus noch der Sonderfrieden, unter dessen Schutz Frauen gestellt waren, gebrochen wurde60. Insofern weckt der Terminus 'Landfrieden' im "Reinhart Fuchs" Erwartungen, die in keinem Verhältnis zu den gezeigten Tatsachen stehen, denn die beschriebenen Rechtsverstöße geschehen gerade innerhalb des Friedens. Die vielversprechende Ankündigung des Herrschers, daß er fortan streng und kon64 66
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MGH Dipl. X,l: Friedrichl. (ed. Appelt), Nr.25, S.39ff. S. APPELT, ebenda, S. 40; KÜCH: Die Landfriedensbestrebungen Kaiser Friedrichsl. (1887), S. 14. Z.B. MGH Const. I, Nr. 140, S. 195; Nr. 227, S. 381; Nr. 318, c. 23, S. 452. KÜCH: Die Landfriedensbestrebungen Kaiser Friedrichsl. (1887), S. 25. HOLZHAUER: LandfriedenII (1978), Sp. 1467. Vgl. SCHNELBÖGL: Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (1932), S. 239; KAUPMANN: Landfriedenl (1978), Sp. 1452. KAUFMANN: Landfriedenl (1978), Sp. 1461; HOLZHAUER: LandfriedenII (1978) ,S P . 1467.
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sequent gegen Friedensstörer vorgehen will, klingt wenig überzeugend, zumal Heinrich ihn für diese Un-Ordnung verantwortlich macht61. Bevor er nämlich den Herrscher in Aktion zeigt, läßt er gewisse Andeutungen über dessen Charakter einfließen (vgl. V. 1241 ff). Entsprechend des Proverbs "nomen est omen" heißt der König im "Reinhart Fuchs" "Vrevel" (V. 1241), und dieser Name steht für ein Programm.
4.2 Vrevel (V. 1239-1249) Abweichend von allen anderen Tierepen trägt der Löwenkönig im "Reinhart Fuchs" den Namen Vrevel: Ein lewe, der was Vrevel genant. (V. 1241) Mittelhochdeutsch vrevel bedeutet nicht nur Mut, Kühnheit und Unerschrockenheit, sondern auch Gewalttätigkeit, Vermessenheit und Übermut62. "Von dieser Doppelbedeutung lebt die ironische Benennung des Königs im Reinhart Fuchs", folgert deshalb auch Lieberwirth63. Diese Doppeldeutigkeit zeigt sich für Düwel ebenfalls in der christlichen Auslegung des Löwenbildes in der mittelalterlichen Tierdichtung, die vom Christussymbol bis zur Teufelsfigur reiche64. In der Rechtssprache des Mittelalters herrschen die negativen Bedeutungen 'Übermut', 'Gewalt(tat)', 'böser Wille' und 'Rechtsverletzung' vor65. Diese spezielle Bedeutung begegnet zuerst in alemannischen Rechtsquellen des 13. Jahrhunderts und ist zumindest noch bis zum 14. Jahrhundert in der Bedeutung "schweres Verbrechen" in den oberdeutschen Quellen belegt66. Die späteren Bedeutungen unterliegen zeitlichen und regionalen Schwankungen. So kann vrevel das kleinere Vergehen wie 61
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Vgl. SCHWOB: Die Kriminalisierung des Aufsteigers im mittelhochdeutschen Tierepos vom "Fuchs Reinhart" und im Märe vom "Helmbrecht" (1984), S. 51. Lex. III, Sp.504; BMZIII, S.400b. Wie schon bei kündecheii (s.o. S.SOff) gilt für den "Reinhart Fuchs" nur die pejorative Konnotation. LIBBBRWIRTH: Frevel (1971), Sp. 1273. DÜWEL: Der Reinhart Fuchs des Elsaßers Heinrich (1984), Anm. z. Stelle (S. 71); vgl.: Der Physiologus. Hrsg. v. Otto Seel, Zürich/Stuttgart 1960. RWB 3, Sp. 881; vgl. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 69; MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 224. His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S.4.
Vrevel
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das schwerere, aber mit Geld sühnbare Verbrechen bedeuten67. Zu den Wendungen, die im mittelalterlichen Strafrecht die innere Beziehung des Täters zur Tat beschreiben, gehören in vrevil, mit frevelmode etc. Sie drücken das bösartige, arglistige, "bewußt rechtbrecherische Handeln" aus68. Im "Ysengrimus" wird König Rufanus mit dem negativen HerrscherSignum tyrannus69 bedacht: "Er untersteht, noch selbst danach handelnd, dem Gesetz der Natur, wonach der Stärkere des Schwächeren Feind und dessen Tod des Stärkeren Leben ist", stellt Kolb in seinem Vergleich des Königsbildes in der "Reinhart-Fuchs"-Epik fest70. Es sei in der Folge der historischen Entwicklungen nicht ausgeblieben, daß der moralische Anspruch des Königtums auch auf den König der Tiere in der Dichtung übertragen worden sei. Seine Stärke verpflichtete ihn moralisch gegenüber allen, "sie macht ihn zur schlichtenden und ordnenden Instanz ( . . . ) er gebietet den Königsfrieden: im Umkreis des Hofes dürfen keinerlei Übergriffe, darf keine Gewalttat geschehen ( . . . ) und es weitet sich aus zum Gebot des Landfriedens"71. Infolgedessen heiße der König dann 'Noble', wie zum ersten Mal im "Roman de Renart". Er werde als rechts- und friedensstiftende Instanz angerufen, weil er das Gesetz der Natur durchbreche und für einen räumlich und zeitlich begrenzten Umfang Gerechtigkeit einführe sowie die Gewalttätigkeit des Stärkeren gegenüber den Schwächeren einschränke72. Im "Reinhart Fuchs" mag womöglich eine derartige Erwartungshaltung in bezug auf den König geweckt worden sein, doch noch bevor Vrevel zur Tat schreitet, relativieren Heinrichs Andeutungen über die Figur des Königs und dessen Herrschaft das Bild vom rex iustus et pacificus. Besonders aus der folgenden "Ameisenepisode", der Gerichtsverhandlung und der Schlußepisode geht deutlich hervor, daß der König in Heinrichs Tierepos dem 'Tyrannus' des "Ysengrimus" näher steht als dem 'Noble' des "Roman de Renart". Nicht nur einem zweisprachigen Publikum, das womöglich einige Branchen des "Roman de Renart" 67
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Besonders häufig war am Mittel- und Niederrhein die Bezeichnung "Frevel" für Gewaltsachen (His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina [1928], S. 4); vgl. MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S.224f. KAUFMANN: Absicht (böse), (1971), Sp.17. Ys. VI, l (ed. Voigt, S. 337; ed. Mann, S. 488). KOLB: Nobel und Vrevel (1983), S. 337. Ebenda, S. 340. Ebenda.
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kannte73, muß die Benennung des Königs im "Reinhart Fuchs" auffällig erscheinen. Vor diesem Hintergrund eröffnen die dem König zugeordneten Attribute eine neue Perspektive. Das Adverb gewaltic, von Heinrich V. 1241 zur Charakterisierung von Vrevels Herrschaft verwendet, kann dem sprachlichen Befund zufolge doppeldeutig aufgefaßt werden. Gewaltic war wie riche (V. 1504, 1560, 1802, 1983, 1999, 2144; V. 2130 bezieht sich auf die Äbtissin) ein gängiges, formelhaft gebrauchtes Epitheton für die mittelalterlichen Herrscher74. Der ältere Wortgebrauch lehnte sich deshalb auch an 'Gewalt' in der Bedeutung von potestas - die rechtmäßige Verfügung über Personen und Sachen75 - für die Bezeichnung herrschaftlicher Macht und Souveränität an76. Im Frühmittelalter war giwalt auch Ausdruck der Rechtsmacht77. Neben der "rechten Gewalt" (potestas) gewann im Mittelalter die sekundäre Bedeutung des Wortes im Sinne von vis und violentia in allen ihren Abstufungen von der "gesteigerten Kraft" bis hin zu "Gewalttat" und "Unrecht" an Boden78. Diese Verlagerung des Anwendungsbereichs wird mit dem Ausbau herrschaftlicher Institutionen, der Landfriedensbewegung und der Fehdebekämpfung erklärt79. Da gerade diese Themen im "Reinhart Fuchs" eine zentrale Rolle spielen, ist zu vermuten, daß Heinrich das von der Tradition entworfene, mit stereotypen Wendungen versehene Bild vom mittelalterlichen Königtum mit Ironie modifiziert hat. Wie alle Könige ist Vrevel gewaltic im Sinne von mächtig, das heißt er besitzt gewisse Verfügungsgewalten sowie die Rechtshoheit. Nur ein kleiner Schritt ist es von da aus, so Heinrichs Aussage, wenn er gewalttätig gegen seine Untertanen vorgeht und die Gewalt, über die er kraft seiner herausragenden Position verfügt, mißbraucht80. So wie positive, rechtmäßige Gewalt in Verbindung mit einem Herrscherauftrag 73
S.o. S. 113.
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RWB 4, Sp. 703; FABER, Karl-Georg/METER, Christian u.a.: Macht, Gewalt. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. v. Otto Brunner u.a. Bd. 3, 1982, S. 817-935; HEER: Die Tragödie des Heiligen Reiches (1952), S. 200ff. FABER/MEIER: Macht, Gewalt (1982), S. 837. RWB 4, Sp. 703. KÖBLER, Gerhard: Land und Landrecht im Frühmittelalter. In: ZRG GA 86, 1969, S. 1-40, s. S. 25. S. DWB 4,1,3, Sp.4939.
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FABER / MEIER: Macht, Gewalt (1982), S. 840. Vgl. RWB 4, Sp.703. So hat auch mhd. gewalten zwei Bedeutungen: 'Gewalt üben, haben' und 'Gewalt antun' (Lex.I, Sp.973).
Vrevel
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dem Recht diene, so könne negative, unrechtmäßige Gewalt das Recht verletzen und Unrecht hervorrufen, lautet die Kernaussage. Der König im "Reinhart Fuchs" trägt seinen Namen also nicht von ungefähr. Vielmehr steht er für ein Programm, das entscheidend von violentia bestimmt ist: Keinem tier mocht sin kraft gefrvmen, izn mvste fvr in zv gerichte kvmen. Sie leisten alle sin gebot, er was ir herre ane got. (V. 1243 ff) Vrevels Königtum beruht also in erster Linie auf faktischer Gewaltanwendung (gewalt, V. 1242), gepaart mit der Überlegenheit des Stärkeren gegenüber den Schwächeren (kraft, V. 1243). Erst an zweiter Stelle erwähnt Heinrich die christliche Lehre des Hochmittelalters von der Begründung des Königtums. Diese ging von einem "theokratischen Amtsgedanken"81 aus, nach dem der König seine Macht unmittelbar von Gott empfing und nach Gott, wie es auch der Verfasser des "Reinhart Fuchs" sagt, der oberste Herrscher im Reich war: er was ir herre ane got (V. 1246)82. Die christliche Staatstheorie des Mittelalters stellte den König an die Spitze der weltlichen Rechtsordnung. Er war die "lebende Verkörperung des Rechts"83. In den Rechtsquellen finden sich dementsprechend programmatische Aussagen, wie zum Beispiel im "Sachsenspiegel": De koning is gemene richtere over al oder den koning kuset men to richtere over egen unde len unde over iewelken mannes /z/84. Zudem begegnet ständig die Forderung, daß der König für Frieden im Land zu sorgen habe85. Das ideelle Bild vom rechtsliebenden König ist im "Reinhart Fuchs" freilich nur Illusion. Das Friedensund Hoftagsgebot hat nichts mit üblicher Herrschaftsausübung zu tun, sondern wird als purer Eigennutz entlarvt. Vrevels Handeln resultiert nämlich allein aus einer persönlichen Notlage: 81
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FRANKLIN, Otto: Das Reichshofgericht im Mittelalter. 2 Bde., Weimar 186769 (ND Hildesheim 1967); PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. Iff; KAUPMANN: König (1978), Sp.lOHff. Vgl. HEER: Die Tragödie des Heiligen Reiches (1952), S. 200 ff. EBEL: Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland (2. Aufl. 1958), S. 44. SLdr.III 26 § l (ed. Eckhardt, S. 210) und SLdr.III 52 § 2 (ed. Eckhardt, S. 237); vgl. a. SLdr.I 1. FRANKLIN: Das Reichshofgericht im Mittelalter I (1867), S. 1; PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 4ff; SCHILD, Wolfgang: Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtssprechung, München 1980 (2. Aufl. 1985), S. 12.
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Den vride gebot er dvrch not, er wände den grimmigen tot Vil gewisliche an im tragen. (V. 1247 ff) Wie er denn auch zum Schluß der "Ameisenepisode" eingesteht, daß er seinen Pflichten als Gerichtsherr nicht nachgekommen und deshalb von Gott mit einer Krankheit gestraft worden ist.
4.3 Die Zerstörung der Ameisenburg (V. 1251-1320) Mit dem sich anschließenden Beispiel verdeutlicht Heinrich die zuvor gemachten Andeutungen: Ein fragwürdiger König, bar aller Herrschertugenden und nachlässig in der Erfüllung seiner Pflichten, tritt als Tyrann auf. Der Verfasser des "Reinhart Fuchs" läßt keinen Zweifel daran, daß ihm Vrevels Angriif auf die Ameisenburg als Unrecht gilt und daß deshalb dieses auf Gott gegründete Königtum in eine gefährliche Nähe zum Bösen gerückt ist: Zeinem ameyzen hovfen wold er gan, nv hiez er sie alle stille stan Vnde saget in vremde mere, daz er ir herre were. 1255 Des enwolden sie niht volgen, des wart sin mvt erbolgen. Vor zorn er vf die bvrc spranc, mit kranken tieren er do ranc, In dvchte, daz iz im. tete not. 1260 ir lagen da me danne tvsent tot Vnde vil mange sere wunt, envc beleip ir ovch gesvnt. inen zorn er vaste an in räch, die bvrc er an den grvnt brach. 1265 Er hatte in geschadet ane maze. (V. 1251 ff)
f
Gewaltsam, anscheinend unter Berufung auf ein fragwürdiges Recht, will der König seine Herrschaft erweitern und eine Ameisenburg (bvrc, V. 1257, 1264, 1272, 1287) seinem Machtbereich einverleiben. Die Besatzung der Burg, die bvrgere (V. 1276)86, solle von nun an ihm unterworfen, das heißt im juristischen Sinne verpflichtet sein (V. 1253: vndertan), also seiner Befehlsgewalt unterliegen. Die Abwesenheit des 86
RWB 2, Sp.588; s. SLdr.II 72 § 2. Zur Bedeutung von ittrc im Sinne von "Stadt", s.u. S. 134, Anm. 101.
Die Zerstörung der Ameisenburg
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Burgherren, des ameiz vreisam (V. 1273), ausnutzend, verlangt Vrevel von dessen Untertanen, ihm, dem König, zu huldigen, ihm das Treue- und Unterwerfungsgelöbnis abzulegen87. Da die Ameisen allem Anschein nach nicht zu den Tieren gehören, auf die sich Vrevels Machtbefugnisse erstrecken, widersetzen sie sich (s. V. 1253f). Stattdessen achten sie ältere Rechte, die sie an ihren Herren binden (V. 1281 ff)88. Unbeherrscht (V. 1255), das heißt ohne die Herrschern und Richtern zukommende mäze (V. 1265)89, spielt Vrevel seine Kraft gegen den schwachen Gegner aus und richtet großen Schaden - im Text nach Kategorien geordnet - an Leben (V. 1286), Leib (V. 1260f) und Besitz (V. 1287) an. Dieses "Schaden trachten" zum Zwecke der Durchsetzung subjektiver Rechte verweist auf die typischen Fehdehandlungen90 und rückt Vrevel in die Nähe des friedensstörenden Feudaladels, wie er von Reinhart und Isengrin repräsentiert wird. Auf der Suche nach historischen Parallelen stößt man zwangsläufig auf territoriale Entwicklungen, die sich zu dieser Zeit im Deutschen Reich abzeichneten, nämlich den Ausbau der Landesherrschaft. Beginnend im 12. Jahrhundert, stützte sie sich vor allem auf das Lehnrecht sowie die "Burgenpolitik" und führte in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zur "größten Burgenbauwelle" Südwestdeutschlands91. Burgen waren zu dieser Zeit Herrschaftsinstrumente des Königs wie des Adels. Jeder Landesherr betrieb Burgenpolitik, das heißt er versuchte durch den Aufbau eines Burgensystems sein Territorium herrschaftlich zu erschließen. Hinzu kam, daß das Befestigungsrecht, einst ein Privi87 88
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Vgl. RWB 6, Sp.43 (Huldigung). DlESTBLKAMP, Bernhard: Huldigung. In: HRGII, 1978, Sp.262-265, s. Sp.262. S.u. S. 187ff, 219. Erbelgen bringt die zornige Gesinnung zum Ausdruck, a. MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 231, vgl. RF V. 1433, 1635; vgl. a. erzürnen, RF V. 1751, 1845; grimmec, RF V. 1295, dazu RWB 4, Sp. 1108. Muot bezieht sich auf den Gemütszustand des Täters und drückt im spezifischen Zusammenhang den Vorsatz aus, RF V. 1071, 1231, 1295, 1411, 1474, 1621, 1751; vgl. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I, 1920, S. 76f; heizen, 'befehlen', 'anordnen', ist rechtssprachlich, s.u. S. 171, Anm. 321. S.o. S. 37. Der Ausdruck on den grünt brechen (RF V. 1264) bezeichnet die völlige Zerstörung, RWB 4, Sp. 1155f; RWB 2, Sp.476ff. MAURER, Hans-Martin: Rechtsverhältnisse der hochmittelalterlichen Adelsburg vornehmlich in Südwestdeutschland. In: VuF 19,2, 1976, S. 77-190, a. S. 85; s.a. EBNER, Herwig: Die Burg als Forschungsproblem mittelalterlicher Verfassungsgeschichte. In: VuF 19, 1976, S. 11-82; PATZE: Herrschaft und Territorium (1977), S. 35-49.
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leg des Königs, nicht mehr ihm allein zustand, sondern im allgemeinen jeder Graf in seiner Grafschaft Burgen errichtete beziehungsweise geeignete Plätze befestigte92. Dieses Vorgehen forderte oft die Zentralgewalt heraus. Denn die Art des Burgenbauers, Selbstherrlichkeit zu demonstrieren und Autonomie zu beanspruchen, rief oft Mißtrauen hervor und zog Gegenmaßnahmen, wie Strafexpeditionen, nach sich. Einerseits wollten die Könige und Herzöge ihren Anteil an der Herrschaft nicht geschmälert sehen, andererseits konnten Burgen in den Händen friedensstörender Adliger eine Gefahr für den Landfrieden bedeuten und jede übergreifende Ordnungsmacht beeinträchtigen93. Das ursprünglich dem König zustehende Befestigungsrecht beschränkte sich im Laufe der Zeit auf unmittelbares Reichsgut und seine Hausbesitzungen. Unter diesen Bedingungen betrieben auch die Staufer in Konkurrenz zu anderen Fürsten eine lebhafte Burgenpolitik. Gelegentlich führte die Verquickung von Landesherrschaft und Königsherrschaft zu unklaren Besitzverhältnissen, so daß sich bei einigen Besitzungen nicht mehr feststellen ließ, ob es sich um Reichs- oder Hausgut handelte94. Charakteristisch für Friedrich I. und seine Nachfolger war der schrittweise Erwerb von Burgen, sei es durch Neubau oder Ausbau, Kauf, Tausch oder Beerbung sowie das Bestreben, über Kirchengut zu verfügen. Sein erklärtes Ziel war die Vermehrung des Landbesitzes und der Ausbau seiner Machtposition95. Daß es dabei zuweilen nicht ohne Gewalt abging, zeigt beispielsweise eine Notiz aus dem Jahre 1178, in der das Vorgehen des Königs kritisiert wird96. So fußen die Vorwürfe, die der Verfasser des "Reinhart Fuchs" gegen illegale territoriale Erschließung und un92
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SCHOLZ, Richard: Beiträge zur Geschichte der Hoheitsrechte des deutschen Königs zur Zeit der ersten Staufer (1138-1197), Leipzig 1896 = Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte. Bd. 2, H. 4, S. 48. MAURER, Hans-Martin: Burgen. In: Die Zeit der Staufer. Geschichte. Kunst. Kultur. Katalog der Ausstellung 1977. Hrsg. v. Reiner Hausherr. Bd. 3, Stuttgart 1977, S. 119-128, s. S. 119, 128. SCHOLZ: Beiträge zur Geschichte der Hoheitsrechte des deutschen Königs zur Zeit der ersten Staufer (1138-1197), (1896), S. 53. Ebenda, S. 55ff. So bezeugt eine Urkunde aus dem Jahre 1178 das kompromißlose Vorgehen Friedrichs I: Sed imperator cum esset prudens ei potens atque divers a praedia propter inclitam eins prolem in unum aggregaret, istud tantillum praedium nobis dedit pro immense iure, quia ea non audebamus contradicere ac idcirco oportebat nos istud acceptare (Nova subsidia diplomatica. Hrsg. v. Stephan Alexander Würdtwein, Teil 1-14, Heidelberg 1786-1792, s. Nova subs. 10, S. 60).
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rechtmäßige Besitzvergaben erhebt (vgl. "Reinhart Fuchs" V. 2095ff), auf historischen Parallelen. Rechtlich motiviert der Verfasser des "Reinhart Fuchs" auch die Weigerung der Burgbesatzung, sich dem König zu unterwerfen. Der Widerstand der bvrgere (V. 1255) beruht auf dem gegenseitigen Verhältnis von Rechten und Pflichten, nämlich der triuwe (V. 1281) der Besatzung zu ihrem Herrn, während Vrevel sich lediglich Rechte anmaßt. Auch hier hat Heinrich wahrscheinlich die Motiworlage in der Realität gefunden. Denn historisch gesehen, war die direkte, auf das Lehensverhältnis zurückzuführende Treuebindung vom Königtum oft nur mittelbar zu beeinflussen, was in der Geschichte des Mittelalters zu harten Auseinandersetzungen um den "Griff auf die Untervasallen" geführt hat97. Namentlich das Königtum versuchte sich einen direkten Zugriff auf die Untertanen seiner Landesfürsten zu verschaffen - offensichtlich in der von Heinrich dargestellten Art. Das Beispiel der "Ameisenepisode" erwähnt der Rechtshistoriker Kaufmann, als er die Rechte des Königs im Hochmittelalter aufzählt: "Ein plastisches Beispiel, daß der untere Vasall nicht bereit ist, vom K.[önig] direkt Befehle anzunehmen, schildert der Dichter des Reinhardt (!) Fuchs (...). Die Zerstörung der Burg durch den K.fönig] gilt dem Dichter als klares Unrecht"98. In der Terminologie des Schwabenspiegels heißt dieses Unrecht "Heimsuchung" , und zwar ist damit das gewaltsame (bewaffnete) Eindringen in ein fremdes Haus oder in eine Burg gemeint, um jemanden darin zu verfolgen, um ihm zu schaden: Die Heimsuchung ist dz wer mit gewaffenter handt yn eynes mannes hauss lauffet. vn eynen dar ynn iaget oder er eynen dar ynn vindet dem er will schaden oder schadet, das heysset heimsuchüg... Dise recht hand auch die bürg...". Die Verletzung des Haus- oder Burgfriedens ist nach dem süddeutschen Rechtsbuch also ein zu büßender Frevel. So trägt also der König im "Reinhart Fuchs" seinen Namen zurecht nach einem, oder vielleicht schon zum wiederholten Male von ihm begangenen Rechtsverstoß.
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So Heinrich MITTEIS (Der Staat des hohen Mittelalters, Weimar [8. Aufl.] 1968, S.293f) in seinem Vergleich der Entwicklung in Deutschland und Frankreich. Auch das sog. "Öffnungsrecht befestigter Plätze", das das Königtum für sich beanspruchte, war umstritten, s. GROOTE, Wolfgang v.: Öffnungsrecht (befestigter Plätze). In: HRGIII, 1984, Sp. 1225-1227, s. Sp.1226; MAURER: Burgen (1977), S.119ff.
KAUFMANN: König (1978), Sp. 1019. Schwsp. Ldr. 301 (Anh.) (ed. Laßberg, S. 128).
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Diese Beobachtungen zu Ausbau und Behauptung der Königsmacht gegen den Widerstand der Territorialfürsten lassen sich sehr gut mit dem von Schwab angenommenen Fall in Einklang bringen. Unter Einbeziehung weiterer Hinweise im Werk auf die staufische Politik im Elsaß interpretiert sie die Zerstörung der Ameisenburg als die Einnahme und das Schleifen der Burg Girbaden durch Friedrich L100. Im Jahre 1162 wurde die Besatzung der zerstörten Staufer-Burg Horburg auf der Dagsburger Feste Girbaden festgehalten, bis sie Friedrich I. befreite und dabei Girbaden zerstörte. Aufgrund der Nennung des urkundlich bezeugten Walther von Horburg ("Reinhart Fuchs" V. 1024) und der Abtei Erstein ("Reinhart Fuchs" V. 2123) sieht Schwab konkrete Hinweise auf die elsässische Hausmachtpolitik der Staufer beziehungsweise massive Kritik an dieser, da das Verhalten des Königs als ungerechtfertigt und die Verschenkung der Abtei als widerrechtlich dargestellt werden. Nicht ausschließen möchte Schwab freilich andere Interpretationsversuche, wie zum Beispiel, daß Heinrich auf die Zerstörung einer größeren Stadt - womöglich die Mailands im Jahre 1162 durch Friedrich I. - habe anspielen wollen101. Die Klage seiner Untertanen über das erlittene Unrecht verpflichtet den Burgherren zum Handeln. Obwohl klagen in V. 1280 in außerprozessualer Bedeutung verwendet wird, verweist dieser Terminus auf einen Rechtsanspruch102. Der Burgherr, zuständig für den Schutz der Besatzung, müsse seinen Teil des Vertrages erfüllen und bei der Ehre seines Geschlechts Rache üben: blibet daz vngerochen, So habe wir vnser ere gar verlorn. (V. 1288 f) Diese Rechtsanschauung, wie die folgende Selbsthilfe, ist wieder gänzlich dem älteren Rechtsdenken verpflichtet. Die Ameise springt dem 100
SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 134. 101 Ebenda. So zuvor schon HEER: Die Tragödie des Heiligen Reiches (1952), S. 331. Der sprachliche Befund läßt diese These zu, denn noch im 12. Jahrhundert hatte das Wort burc die Bedeutung 'Stadt', was die Bedeutung 'befestigter Platz', 'Burg' nicht ausschloß ( SCHLESINGER, Walter: Stadt und Burg im Lichte der Wortgeschichte. In: Studium Generale 16, 1963, S.433444; wiederabgedr. in: Die Stadt des Mittelalters I. Hrsg. v. Carl Haaee, Darmstadt 1969 = WdF 243, S. 95-121, s. S. 104f). Ebenso konnte mit bürgere der Stadtbürger oder der ritterlich-ministeriale Burgmann gemeint sein (RWB 2, Sp.588ff); s. KÖHLER: Bilder aus der deutschen Rechtsgeschichte (1988), S. 106 f. 102 Zu klage(n), RWB 7, 1980, Sp.l045f; BUCHDA: Klage (1978), Sp.838.
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bezeichnenderweise unter einer Linde - seit alters her Gerichtsstätte und Rechtssymbol103 - schlafenden Löwen ins Ohr, dringt von dort aus ins Gehirn ein und verursacht damit die für das weitere Geschehen folgenschwere Krankheit des Löwenkönigs. Da Reinhart diesen Vorgang beobachtet hat, ist die Voraussetzung für sein überlegenes Auftreten später vor Gericht und für die "Heilung" des Königs gegeben. Der König erkennt, daß er seine Beschwerden selbst verschuldet hat, führt sie aber nicht auf sein Unrecht gegen die Ameisen zurück, sondern sieht in ihnen die Strafe Gottes dafür, daß er seiner vornehmsten Pflicht, der Rechtswahrung im Reich, nicht nachgekommen ist. Die in V. 1320 benutzte Wendung "des Rechtes pflegen" ist heute nicht mehr gebräuchlich und bedeutet "dem Recht Genüge tun", beziehungsweise "an der Verwirklichung des Rechts mithelfen"104: Owe, daz ich mich versovmet han gerichtes, des mvz ich trvric stan. (V. 1311 f) Ich weiz wol, iz ist gotes slac, wen ich gerichtes niht enplac. (V. 1319 f) Heinrich gibt an dieser Stelle die im Mittelalter vorherrschende Anschauung wieder, daß Gott unmittelbar in das irdische Geschehen eingreifen könne und die Menschen, wenn erforderlich, schon zu ihren Lebzeiten mit Krankheiten, Schicksalsschlägen und Naturkatastrophen strafe105. Besonders der mittelalterliche Richter war der göttlichen Gerechtigkeit verpflichtet, und er wußte auch, wie es der Prolog des "Sachsenspiegels" formuliert, daß er einst von Gott zur Rechenschaft gezogen werden würde106. Um ein gottgefälliges Werk zu tun107, ergreift Vrevel deshalb zwei Maßnahmen: Er erläßt mit sofortiger Wirkung einen Landfrieden und beruft einen Hof- und Gerichtstag ein, der aufgrund der üblichen Ladungsfristen erst sechs Wochen später stattfinden 103
S. KRÄMER, Karl-Siegfried: Dorflinde. In: HRGI, 1971, Sp.774f; RA 2, S. 415 ff. 104 S. KRAUSE, Hermzinn: Mittelalterliche Anschauungen vom Gericht im Lichte der Formel: iustitiam facere et recipere. Recht geben und nehmen. In: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse. H. l, München 1974, S. 1-67, a. S. 39; s. RWB 4, Sp.299ff. 108 SCHILD: Alte Gerichtsbarkeit (2. Aufl. 1985), S. 18; IGNOR: Indiz und Integrität (1986), S. 83. 106 Sachsenspiegel, V. 125ff (ed. Eckhardt, S.40f); dazu KAUPMANN: Billigkeit (1971), Sp. 435. 107 Als solches galt das Abhalten eines guten Gerichts, s. KRAUSE: Recht (1990), Sp.228.
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kann108. Unter diesen Voraussetzungen gewinnt der Landfrieden eine ganz andere Dimension, als die zum Vergleich herangezogenen Quellen vermitteln: Der König im "Reinhart Fuchs", der sich in der "Ameisenepisode" den Ideen der Landfrieden gegenüber konträr verhalten hat, benutzt ihn allein aus egoistischen Motiven: Er will seine not, für die er eine falsche, aber nicht minder unrühmliche Erklärung hat, lindern und erinnert sich an seine vernachlässigten Pflichten als Gerichtsherr. Machtpolitische Erwägungen sind ebenfalls nicht auszuschließen. Vrevel könnte versuchen, mit Hilfe des Friedens nachteiligen Konsequenzen vorzubeugen, nämlich der Rache des Burgherren - von der er nicht weiß, daß sie schon vollzogen wurde -, um sie womöglich später als Landfriedensbruch anzuprangern und zu sanktionieren. Heinrichs Kritik zielt darauf ab, daß sich der König nicht dem Recht unterordnet, sondern es willkürlich als politisches Instrument handhabt. Das Verflochtensein von Amt und eigener Herrschaft sowie die enge Verknüpfung von Recht und Macht sind für den Verfasser des "Reinhart Fuchs" die Ursache allen Übels. Diese Vorwürfe wurden tatsächlich den staufischen Kaisern, vor allem Friedrich I. und Heinrich VI., gemacht, stehen jedoch im Schatten der lobenden Töne der staufischen Historiographie und Teilen der älteren Forschung109. Auch wenn der mittelalterliche König aufgrund fehlender oder geringer Verwaltung, dem Mangel an Vollzugspersonen und Verwaltungsmitteln die Bereiche Macht und Politik nicht entflechten konnte, wollte er politisch 108 109
S.u. S. 140. Das beste Beispiel für lobende Hofhistoriographie sind die "Gesta Frederici" Ottos von Freising (Ottonis et Rahewini. Gesta Fredericil. Imperatoris. Hrsg. v. Georg Waitz und Bernhard von Simson. Bd. l, Hannover / Leipzig 1912 (ND Hannover 1978) = MGH SS rer. Germ, in us. schol. 46); vgl. dazu LAMMERS, Walther: Weltgeschichte und Zeitgeschichte bei Otto von Freising. In: Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Bd. XIV, Nr. 3, Wiesbaden 1977, S. 75 ff; wiederabgedr. in: Die Zeit der Staufer. Geschichte. Kunst. Kultur. Katalog der Ausstellung 1977. Hrsg. v. Reiner Hausherr. Bd. 5, Stuttgart 1979, S. 77-90. Ottos idealisiertes Herrscherbild hat z.B. die Arbeiten von Alfred KÜHNE (Das Herrscherideal des Mittelalters und Kaiser Friedrich!., Leipzig 1898 = Leipziger Studien auf dem Gebiet der Geschichte. Bd. 5, H. 2) und SIMONSFELD (Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Friedrichl. [1908]) geprägt. Kritisch dazu z.B. SCHOLZ: Beiträge zur Geschichte der Hoheitsrechte des deutschen Königs zur Zeit der ersten Staufer (1138-1197), (1896) und HEER: Die Tragödie des Heüigen Reiches (1952), S. 330 ff.
Die Zerstörung der Ameisenburg
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handeln110, so waren dem doch Grenzen gesetzt. In der Tat war der König nach mittelalterlicher Vorstellung und in seinem Selbstverständnis nicht der Herr des Rechts oder der einzelnen Rechtskreise, "sondern immer nur ihr Repräsentant, Verwirklicher und Wahrer. So kann er über das Recht selbst ebenso wenig verfugen, wie über das Reich"111. Ihm kam, wie Heinrich es ausdrücklich in V. 1246 sagt, lediglich die Rolle des "Stellvertreter(s) für das Gottesregiment"112 zu. Auch als im 12. Jahrhundert die Herrscher begannen, ihrem rechtlichen Gestaltungswillen Ausdruck zu verleihen und sich vom rex iustus zum legum conditor1*3 entwickelten, blieben sie trotzdem an das Recht gebunden. Folgt man Heinrichs Darstellung, so hat Vrevel anmaßend gehandelt und die ihm verliehene Macht mißbraucht. Er wähnt sich im Besitz aller Rechtsfülle, obwohl er sie nur verwaltet, und ist letztendlich für die bekämpfte Rechtsunsicherheit im Reich selbst verantwortlich. Schon an dieser Stelle gibt Heinrich also programmatisch seine Befürchtungen in bezug auf den König zu erkennen, die sich später in der Gerichtsverhandlung auf das Schlimmste bewahrheiten sollen. Wie gezeigt wurde, erfüllt die "Ameisenepisode" wesentliche Funktionen im "Reinhart Fuchs". Ihr sind einerseits die entscheidenden Hinweise über den rechtlichen Hintergrund der Handlung zu verdanken, mit dem Ergebnis, daß die Angaben über die Entstehungsbedingungen und den Initiator des Landfriedens einen vernichtenden Eindruck von der Rechtslage im Reich hinterlassen. Andererseits motiviert sie den Hof- und Gerichtstag, legt sich wie eine Klammer um den Prozeß und ist auch die Voraussetzung für die Schlußhandlung. Bislang ist noch nicht untersucht worden, warum Heinrich die chronologische Erzählfolge unterbricht, das heißt die beiden aufeinanderfolgenden Rechtshandlungen, Sühneverfahren und Prozeß, durch den Einschub der "Ameisenepisode" trennt, gleichzeitig aber bemerkt, daß dieser Erzählabschnitt vor allen anderen Handlungsteilen anzusiedeln sei114. Wie V. 1239 zu entnehmen ist, finden die Begegnungen von Fuchs und den anderen Tieren nach Vrevels Übergriff auf die Ameisenburg und dem Landfriedensgebot statt. Obwohl also die "Ameisenepi110
Vgl. BAAKEN: Recht und Macht in der Politik der Staufer (1975), S. 560f. ANGERMEIER, Heinz: König und Staat im deutschen Mittelalter. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 117. Jg., 1981, S. 167-182, s. S. 178. 112 Ebenda. 113 KRAUSE: Recht (1990), Sp.229. 114 Erste Überlegungen dazu finden sich in meinem Artikel über: La structure temporelle dans le 'Reinhart Fuchs' (1988), S. 86ff. 111
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sode" der chronologische Beginn des "Reinhart Fuchs" ist, hat sie in allen erhaltenen Manuskripten ihren Platz in der Mitte der Erzählung. Vor allem die Rechtshandlung liefert eine Erklärung dafür, warum der Verfasser des "Reinhart Fuchs" zu diesem Stilmittel gegriffen und den ordo artificialis der natürlichen Reihenfolge, dem ordo naturalis, vorgezogen hat115. Das Verfahren, eine Geschichte in der Mitte zu beginnen, der Vorgeschichte Beispielcharakter zu verleihen und somit auf die Kernaussage des Hauptteils hinzuführen, war keineswegs ungewöhnlich und findet sich in den theoretischen Schriften zur Rhetorik des 12. und 13. Jahrhunderts. Dieser "Kunstgriff" erlaubt es nun, eine Klimax in der Handlungsfolge aufzubauen, so daß die Vertreter der sozialen Verbände - beginnend mit den kleinen Tieren bis hin zum obersten Herrscher des Reiches - sukzessive präsentiert werden. Ihre unrühmlichen Aktionen folgen einem adäquaten Steigerungsprinzip und lassen sich an den Kategorien des mittelalterlichen Strafrechts messen. Deutlich werden dabei die den verschiedenen Rechtskreisen drohenden Gefahren. Waren schon Verwandtschaft, Freundschaft und Bündnisse keine Garanten mehr für ein friedliches Auskommen, so veranschaulicht die am Ende der Beispielkette stehende "Ameisenepisode", daß auch auf Landes- beziehungsweise Reichsebene das Rechtssystem nicht funktioniert. Schon Brinkmann hatte gesehen, daß Heinrich am Beispiel der Begegnung Einzelner (der vita solitaria), der sozialen Gruppen (der vita privata) und des Staates (der vita publica] zeigen will, daß "alle Ordnungen des menschlichen Daseins" gefährdet sind116. Die Beispiele aus den repräsentativen Bereichen des Rechtslebens münden in die Gerichtsverhandlung am Königshof, wo die Ereignisse wiederum eine kaum noch für möglich gehaltene Steigerung erfahren. Mit dem Prozeßbeginn laufen dann auch der chronologische und der narrative Handlungsstrang zusammen. Ging es zuvor um den desolaten Zustand im Reich, so steht ab V. 1321 die Prozeßhandlung im Mittelpunkt und zeigt, wie es um die Justiz dieses Staates bestellt ist. Dieser Teil wird gänzlich durch die juristischen Erfordernisse strukturiert und endet 116
Vgl. DE BRUYNE, Edgar: Etudes d'esthetique medievale. 3 Bde., Brügge 1946. Bd. l, S.50f. 116 BRINKMANN, Henning: Mittelalterliche Hermeneutik, Darmstadt 1980, S. 16f mit Anm.35. Brinkmann weist mit Bezug auf den "Reinhart Fuchs" darauf hin, daß diese Dreistufigkeit bei Hugo von St. Victor im "Didascalicon" (Buch 2, Kap. 19) dargestellt ist.
Der Hof- und Gerichtstag
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mit einer großen Anklage gegen tyrannische, das Recht mißbrauchende Herrschaft.
4.4 Der Hof- und Gerichtstag (V. 1321-1365) Die Hoftagshandlung findet sich in ihren Grundzügen schon im "Ysengrimus" angedeutet (Fabel III und IV) und weiter ausgestaltet im "Roman de Renart" (Br. I, 11 ff, Va). Besonders die Branche Va verzeichnet viele von Heinrich wieder aufgenommene Handlungselemente. Die Rechtshandlung betreffend, verfährt der Verfasser des "Reinhart Fuchs" nicht anders als in den vorangegangenen Teilen, das heißt er bedient sich der vorgegebenen Rahmenhandlung und füllt sie mit Inhalten aus dem geltenden deutschen Gewohnheitsrecht seiner Zeit. Terminologisch und sachlich bezieht sich Heinrichs Darstellung viel ausführlicher als die früheren Versionen der Hoftagsfabel auf Rechtsfragen, wobei nahezu alle wesentlichen Elemente des mittelalterlichen Prozeßrechts vorkommen. Wie die Rechtshistoriker hervorheben, fehlt es nicht an Quellen über das Verfahren am Hofgericht. Sie stellen jedoch vorwiegend das gefundene Urteil in den Mittelpunkt und beschreiben kaum den Ablauf des Verfahrens. Erneut würdigt deshalb Kaufmann den Zeugnischarakter des deutschen Tierepos': "Ein gutes Bild von dem Verfahren am Hofgericht gibt übrigens eine literarische Quelle, der "Reinhart Fuchs" ( . . . ) , weil der Verfahrensablauf in all seinen Stadien als Rahmenhandlung der Dichtung benutzt wird"117. Im folgenden werden die Punkte bezüglich der Organisation und des Verfahrensablaufs im königlichen Hofgericht, die sich aus den mittelalterlichen Rechtsquellen erschließen lassen, genannt und dem Text des "Reinhart Fuchs" gegenübergestellt. Das Hoftagsgebot lautet im deutschen Tierepos wie folgt: Einen hof gebot er zehant, die boten wurden zesant Witen in daz riche. er wart nemeliche 1325 In eine wisen gesprochen vber sechs wochen, Donen was wider niht. (V. 1321 if) Der Ausdruck einen hof gebieten ist stehend118 und bezeichnet die Auf117
KAUPMANN: Königsgericht (1978), Sp. 1038.
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RWB 3, Sp.1244; Sp.1287: geboten hove; MGH Const. III, Nr. 390, S. 371.
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forderung an die Fürsten, zwecks Versammlung und Beratung oder Gericht an den Hof des Königs (oder eines Landesfürsten) zu kommen119. Dabei kann hof den Hoftag allgemein, in spezieller Bedeutung das Hofgericht bezeichnen120. Die Terminsetzung, die sechswöchige Frist zwischen Ladung und Hoftag, läßt erkennen, daß es sich um eine ordnungsgemäß anberaumte Versammlung und desgleichen in bezug auf das Gericht um ein "gebotenes Ding" handelt121. Diese Ladungsfrist ist authentisch und findet sich häufig in den mittelalterlichen Rechtsquellen. So heißt es zum Beispiel im "Schwabenspiegel": So der kvnc einen hof wil gebieten, den sol er gebieten vber sehs wachen122. Die großen Hof t age fanden regelmäßig an den hohen kirchlichen Feiertagen statt. Deshalb hält auch der König im "Reinke de Voß" an Pfingsten Gericht123. Daneben gab es den nach Bedarf ausgerichteten Hoftag. Er konnte sich auf ein bestimmtes Territorium beziehen oder wie im "Reinhart Fuchs" - sich auf die Gesamtheit der Reichsfürsten erstrecken124. Die Quellen erwähnen in etwa immer dieselbe Personengruppe - geistliche und weltliche Fürsten, Adlige, Ministerialen und im Spätmittelalter die Vertreter der Reichsstädte -, die bei solchen Anlässen den Hof des Königs aufsuchen mußten. Denn nur die "Herren" zählten als "Reich"125 und hatten das Recht, per consilium und auxilium an wichtigen Entscheidungen mitzuwirken126. Der Vergleich des Hoftagsgebots im "Reinhart Fuchs" mit dem entsprechenden Pa119
RWB5,Sp.ll72. Ebenda; sprechen hat wieder die Bedeutung von 'festsetzen', 'bestimmen', 'einen bestimmten Tag anberaumen", s. Schwsp. Ldr. 122 b: da ein hof hin gesprochen wirt (ed. Laßberg, S. 61). 121 Zu einem "gebotenen Ding" mußten die Dingpflichtigen geladen werden. Ein "ungebotenes" (oder "echtes") Ding fand regelmäßig und oft an hergebrachter Dingstätte statt. An die Dingpflichtigen erging keine gesonderte Ladung, s. CONRAD: Deutsche RechtsgeschichteI (2. Aufl. 1962), S. 28. 122 Landrecht 138 (ed. Laßberg, S. 66); vgl. SLdr.III 64 § 1; dazu PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 56; andere Beispiele für die sechswöchige Fristsetzung bei HoMEYER: Des Sachsenspiegels erster Theil(1861), S. 503. 123 Buch I, 1. Ausgabe: Friedrich Prien, hrsg. v. Albert Leitzmann mit einer Einleitung von Karl Voretzsch. 3. Aufl. bearb. v. Willi Steinberg, Halle (Saale) 1960 = ATB 8. 124 S. SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 553, Anm.l. 125 EBEL: Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland (2. Aufl. 1958), S. 48. 126 DIESTELKAMP, Bernhard: Hoffahrt. In: HRGII, 1978, Sp. 203-205, s. Sp.203. 120
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ragraphen des "Sachsenspiegels" zeigt, daß Heinrich die wesentlichen Elemente mit dem Gebot selbst (V. 1321), der Ladung (V. 1322), dem Einzugsbereich (V. 1323), der Fristsetzung (V. 1326) und der Pflicht zur Hoffahrt (V. 1327) aufgenommen hat und an anderer Stelle mit Reinharts Abwesenheit indirekt das Nichtbefolgen der königlichen Ladung erwähnt (V. 1362): Budet de koning des rikes denest oder sinen hof mit ordelen, unde let he ene kundegen den vorsten mit sinem breve unde ingesigele ses weken er he werden scole, den scolen se suken binnen deduscher art, swar he is; latet se it, se wedden dar umme127. 'Wenn also der König einen Hoftag mit ordentlichem gerichtlichen Verfahren gebietet128 und er den Fürsten mit Brief und Siegel sechs Wochen zuvor angekündigt wird, dann sollen sie ihn auch aufsuchen, und zwar überall dort, wo sich der König in deutschen Ländern aufhält. Unterlassen sie es, zahlen sie deswegen Strafe.' Wie Heinrichs Angaben zu entnehmen ist, erstreckt sich der Einzugsbereich dieses Hoftags nicht allein auf die königlichen Stammlande, sondern er betrifft die Großen des ganzen Reichs (riche, V. 1323). Damit hat Vrevels Hoftag den Charakter eines Reichstages, wie die spätere, erst im 15. Jahrhundert gebräuchliche Bezeichnung, lautet129. Das imperative gebieten (V. 1321) und Heinrichs Ergänzung V. 1327, daß sich niemand dem Gebot widersetzen konnte, weisen darauf hin, daß die mündlich oder schriftlich verfaßte Ladung per oboedientiam ergeht, also die Mißachtung des Gebots bestraft wird130. Tatsächlich aber waren die Könige seit der Mitte des 11. Jahrhunderts auf die Mitwirkung der Fürsten angewiesen. Aus ihrer ursprünglich beratenden Funktion bei Hofe entwickelte sich der Rechtssatz, daß der König allgemeine Staatssachen nur mit ihrer Mitwirkung entscheiden durfte131. Wurde im Verlauf des Hof t ages auch Gericht gehalten, so führte der König, wie der Richter allgemein zu dieser Zeit, nur den Vorsitz. Das Urteil fanden die aus dem Kreise des Gerichtsumstandes genommenen "Urteiler" , deren Zahl sehr unterschiedlich sein und die sich von Fall zu Fall neu zusammensetzen konnten132. Der Hochadel setzte seinen Anspruch 127
SLdr.III 64 § l (ed. Eckhardt, S.249). Zu der Wendung mit ordelen, s, HoMBYBR: Des Sachsenspiegels erster Theil (1861), S. 489. 129 S. SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 553; PLANITZ / ECKHARDT: Deutsche Rechtsgeschichte (2. Aufl. 1961), S. 175. 130 DIBSTBLKAMP: Hoffahrt (1978), Sp.203. 131 PLANITZ / ECKHARDT: Deutsche Rechtsgeschichte (2. Aufl. 1961), S. 175. 132 Das gilt für das Hofgericht "alter Art", dessen Verfahren von FriedrichII. 128
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durch, daß seine Rechtsfälle ausschließlich vor dem König und durch Standesgleiche zu verhandeln seien: Over der vorsten lifunde er gesunt ne mut neman richtere sin wan de koning133. Niemand brauchte sich also einen Rangniederen als Richter, Urteiler, Zeugen oder Eideshelfer gefallen zu lassen134. Für König und Adel boten insofern die Hoftage die beste Möglichkeit, ihre Streitfälle zu lösen135. So zeigt es auch der Verfasser des "Reinhart Fuchs". Bis 1235 gab es noch keine institutionelle Trennung von Jurisdiktion und anderen Staatsgeschäften. Die Rechtswahrung umfaßte nur einen Teil der Königsherrschaft136, und deshalb gab es streng genommen auch noch keinen eigenen Namen für das Gericht des Königs. Der Sammelbegriff für alles, was den königlichen Hof, besonders das sich nach Bedarf konstituierende Gericht ausmachte, war curia regis. Parallel und in gleicher Bedeutung findet man in den nationalsprachlichen Quellen den Terminus /io/137, den auch Heinrich verwendet (V. 1321 u. pass.), freilich demgegenüber das gericht abhebt (V. 1320 u. pass.)138. Die rechtshistorische Forschung zieht dem Terminus "Königsgericht" die Bezeichnung "Hofgericht" oder "königliches Hofgericht" für den hier behandelten Zeitraum vor, um Verwechslungen mit dem Königsgericht der karolingischen Zeit zu vermeiden139. Wie in früheren Zeiten geändert wurde, s. BLELL, C.: Hofgericht. In: ERGII, 1978, Sp. 206-209, s. Sp.207; zu seiner Organisationsform: SCHRÖDER/V. KÜNSSBKRG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 596 ff. 133 SLdr.III 55 § l (ed. Eckhardt, S. 241); vgl. II 12 § 2; Schwsp. Ldr. 117 (ed. Laßberg, S. 59). 134 SELLBRT, Wolfgang: Judicium parium. In: HRGII, 1978, Sp. 465-467, s. Sp.466. 135 RODEL, Ute: Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reiches 1250-1313, Köln/Wien 1979 = Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 5, S. 35f, 38. 136 FRANKLIN: Das Reichshofgericht im MittelalterII (1869), S.62f; BLELL: Hofgericht (1978), Sp.207. 137 RODEL: Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reiches (1979), S. 27. 138 Andere Ausdrücke sind rich, curia sowie curtis, s. FRANKLIN: Das Reichshofgericht im Mittelalter II (1869), S.62f; PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 5; RODEL: Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reiches (1979), S. 31. Die Termini hof und gericht sind am Ende des 13./Anfang des 14. Jahrhunderts zahlreich belegt: z.B. MGH Const. IV, 2, Nr. 1063, S. 1098; IV, l, Nr. 168, S. 136; III, Nr. 553, S. 520; III, Nr. 412, S. 406. 139 KAUFMANN: Königsgericht (1978), Sp.1034; BLELL: Hofgericht (1978), Sp. 207; RODEL: Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und
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hatte das Gericht des Königs noch keinen festen Sitz, denn die deutschen Könige hielten bis zum 13. Jahrhundert einen Wanderhof; somit zog auch ihr Gericht mit ihnen umher140. Für den Aufenthaltsort des Königs gab es keine Beschränkungen, nur sollte sein Gericht vorzugsweise in den Pfalzen abgehalten werden141. Im "Reinhart Fuchs" findet es auf einer Wiese statt (V. 1325), was wohl kaum noch üblich war, aber der ursprünglichen Regel entspricht, das Gericht im Freien abzuhalten. Die wichtigsten Gerichtsstätten waren der Wald, einzelne Bäume, Wiesen, Plätze am Wasser, Brücken sowie Anhöhen und große Steine142. Wenn notwendig, konnte der König auch während der Heerfahrt Recht sprechen. Von Friedrich I. und Heinrich VI. ist beispielsweise bekannt, daß sie häufig in der Lombardei Hof- und Gerichtstage abgehalten haben. Sollten jedoch die Ladungen bindend sein, mußte das Gericht innerhalb der deutschen Reichsgrenzen stattfinden143. Das Gericht des Königs verkörperte die einzige Gerichtsgewalt des Landrechts, die keiner räumlichen Einschränkung auf einen bestimmten Gerichtsbezirk unterlag. Den Vorsitz übte der König als oberster Richter selbst aus, hatte aber das Recht, im Ausnahmefall einen Vertreter zu bestellen144. Die Abhängigkeit des Gerichts von der Person des Königs wirkte sich auch auf die Gerichtszeiten aus. Die königliche Rechtssprechung war nicht auf feste Gerichtstage angewiesen, sondern konnte nach Bedarf erfolgen. Dennoch sollte auch der König regelmäßig Gericht halten145. Bei einem "echten Ding", wie im Falle des "Reinhart Fuchs", kündigte er den Fürsten seinen Hof sechs Wochen vorher an; außerordentliche Versammlungen fanden dann statt, wenn ein Teil der betroifenen Personen ohnehin im Hof zugegen war oder rechtzeitig zu den Versammelten stoßen konnte. Dieser Fall tritt im "Reinhart Fuchs" ein, als Pinte und Schantekler überraschend zu der GerichtsGrafen im Südwesten des Reiches (1979), S.19f, 27, 31. FRANKLIN: Das Reichshofgericht im Mittelalter I (1867), S.4; BLBLL: Hofgericht (1978), Sp.207. 141 S. SLdr.III 62 § 1; FRANKLIN: Das Reichshofgericht im Mittelalter II (1869), S. 84. 142 RA 2, S. 411 ff; KRAMER, Karl-Siegfried: Gerichtsstätte. In: HRG I, 1971, Sp. 1550 f.s.Sp. 1550. 143 S. die zitierte "Sachsenspiegel"-Stelle LandrechtIII 64 § l (ed. Eckhardt, S. 249); FRANKLIN: Das Reichshofgericht im MittelalterII (1869), S.64f. 144 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 4; RODEL: Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reiches (1979), S. 34. 146 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 119. 140
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Versammlung stoßen und unabhängig von dem bereits laufenden Verfahren gegen Reinhart Klage erheben (V. 1458 ff). Daß es dem König im "Reinhart Fuchs" an der richterlichen Sorgfalt fehlt, ist ein zentraler Kritikpunkt im deutschen Tierepos. Der Gerichtstag, zu dem sich Vrevel genötigt sieht, scheint der erste seit langer Zeit zu sein. Dieser negative Aspekt der königlichen Rechtssprechung findet sich nicht im "Roman de Renart": In den frühen Branchen sind der König und seine Herrschaft über jedwede Kritik erhaben. Die Zuständigkeit des obersten Richters entsprach in etwa der der fränkischen Zeit146. Das königliche Hofgericht war in erster Instanz für die wichtigsten Rechtssachen des Adels, das heißt peinliche Klagen, Besitzfragen und Amtsvergehen etc. zuständig und wurde als höchste Instanz bei Rechtsverweigerung und Urteilsschelte angerufen147. Kraft des Evokationsrechts konnte der König jede Sache an sein Gericht ziehen, die normalerweise vor einem anderen Gericht zur Verhandlung anstand oder dort schon anhängig war. Letztendlich war sein Gericht zuständig für bestimmte Parteien wie die Kirche oder den Fiskus und ganz allgemein für Reichssachen148. Sehr oft entschied das königliche Hofgericht abstrakte Rechtsurteile in Form eines Weistums und wurde somit als Gesetzgeber tätig. In den meisten Fällen unterschied sich die Urteilsfindung nicht von dem Verfahren niederer Gerichte, blieb also im Rahmen des geltenden Prozeßrechts, so daß auch unter Vorsitz des Königs auf der Basis traditioneller, mündlich tradierter Rechtssätze verhandelt wurde. Trotz der genannten Kompetenzen hatte der König im Hochmittelalter viel von seiner Macht eingebüßt149. Zwar war er de iure immer noch der oberste Gerichtsherr im Reich, aber de facto war er auf den Reichsadel angewiesen. Das Gericht war nur dann wirk146
FRANKLIN: Das Reichshofgericht im Mittelalter I (1867), S. 5; MiTTBis / LIEBERICH: Deutsche Rechtsgeschichte (16. Aufl. 1981), S. 135ff. Eine umfassende Darstellung der königlichen Gerichtsbarkeit findet sich bei WEITZEL, Jürgen: Dinggenossenschaft und Recht. Untersuchungen zum Rechtsverständnis im fränkisch-deutschen Mittelalter. 2 Teile, Köln / Wien 1985 = Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 15. 147 FRANKLIN: Das Reichshofgericht im MittelalterII (1869), S.Sff, 103f; PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 45f. 148 SCHRÖDER / v. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S.594f; PLANITZ / ECKHARDT: Deutsche Rechtsgeschichte (2. Aufl. 1961), S. 175f. 149 FRANKLIN: Das Reichshofgericht im Mittelalter II (1869), S. 93ff, 125ff, bes. S. 189 ff; RODEL: Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reiches (1979), S. 22.
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sam, wenn der König tatsächlich über Macht verfügte, die ihm die Landesfürsten in zunehmendem Maße streitig machten. Deshalb ist die Wirkungsgeschichte des mittelalterlichen Hofgerichts "ein getreues Spiegelbild der Geschichte des Verfalls der Königsmacht"150. Indem Heinrich den Hoftag auf die Gerichtsverhandlung reduziert, weicht er erneut von seiner Vorlage ab, denn der Hoftag König Nobles im "Roman de Renart" hat mehr den Charakter einer Ratsversammlung. Vermutlich aus diesem Grunde verzeichnen die parallelen Branchen der französischen Tierdichtung kaum verfahrenstechnische Details, während der deutsche Verfasser ständig seine juristischen Kenntnisse unter Beweis stellt. So finden sich im "Reinhart Fuchs" neben der Ladung weitere Hinweise auf das formelle Verfahren zur Eröffnung der Gerichtsversammlung, die sogenannte "Hegung"151. Eindeutige Nachweise für diesen formalisierten Akt der Prozeßvorbereitung und -eröffnung sind erst in Rechtsquellen aus dem 13. Jahrhundert belegt152. Davon finden sich im "Reinhart Fuchs" V. 1328 ff das Aufstellen des Richterstuhls und V. 1364f das Schweigegebot wieder. Die "Umhegung" oder "Einfriedung" der Gerichtsstätte mit Zweigen, Seilen oder Pflöcken153 scheint Heinrich bei einer Verhandlung im Freien als selbstverständlich vorauszusetzen, sie wird nicht erwähnt. Neben der räumlichen Abgrenzung des Versammlungsplatzes, dem Aufstellen des Richterstuhls und der Schöffenbänke gehörten die sogenannten "Hegungsfragen" zur Gerichtseröffnung154. Sie sollten prüfen, ob alle erforderlichen Bedingungen erfüllt sind und somit die Gesetzlichkeit des Gerichts gegeben war155. Diese Fragen bezogen sich vor allem auf die Gerichtszeit und die Anwesenheit der zum Gericht gehörenden Personen156. Auf die Gerichtszeit und die rechtmäßige Ankündigung 150
KAUFMANN: Königsgericht (1978), Sp.1039. Dazu RA 2, S.483ff; RWB 5, Sp.558f; BURCHARD, Kurt: Die Hegung der deutschen Gerichte im Mittelalter, Leipzig 1893 (2. Aufl. 1906); PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalterl (1878), S. 126ff; KÖBLBR, Gerhard: Hegung. In: HRGII, 1978, Sp.36f. 152 S. KÖHLER: Hegung (1978), Sp.36f; WAIS, Herta: Hegungsfragen, Wien 1946 = Dies, der Rechts- und Staatswiss. Fakultät Wien (masch.), S. 10. Eine gehegte Wiese wird in SLdr.II 47 § 5 erwähnt; s. RA 2, S. 419 mit Hinweis auf RF V. 1325. 163 S. KÖBLER: Hegung (1978), Sp.36. 154 Vgl. Schwsp. Ldr. 93; WAIS: Hegungsfragen (1946), S. 10. 156 BURCHARD: Die Hegung der deutschen Gerichte im Mittelalter (2. Aufl. 1906), S. 56. 156 Ebenda. 151
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des Gerichts bezieht sich im "Reinhart Fuchs" schon die Ladung, so daß diese Frage, die vor den Versammelten gestellt wurde, nicht mehr wiederholt zu werden braucht. Zuvor hatte Heinrich die Anwesenden aufgezählt: Ich nenne vch, wer da qvam... (V. 1331 ff) 157 , so daß damit die Dingpflichtigen, die den Richter bei der Rechtspflege unterstützen mußten158, bekannt sind. Ihnen konnten dreierlei Tätigkeit abverlangt werden. Wie der "Sachsenspiegel" fordert, mußten sie erstens das für sie zuständige Gericht aufsuchen, des Richters ding suken159. Zweitens mußten sie dem Richter rechtes helpen160, das heißt sich an der Rechtsfindung beteiligen und auf Verlangen als Vorsprecher, Urteiler, Zeuge oder Bote tätig werden. Drittens wurde von den Dingpflichtigen verlangt, daß sie dem Richter rechtes plegen161, das heißt sie sollten die rechtlichen Erfordernisse respektieren und als Beklagter erscheinen, auf die Klage antworten und das Urteil befolgen. Der Dingpflicht konnte man sich nur mittels einer rechtmäßigen und zu beweisenden Entschuldigung entziehen162. Die Gesamtheit der Dingpflichtigen nannte man "Umstand", weil sie das Verfahren stehend verfolgten163. Von ihnen hoben sich der Richter und die Urteiler (bzw. die Schöffen) ab. Sie hatten auch gesonderte Plätze: Der Richter saß auf einem Stuhl, die Schöffen auf einer Bank164. Demzufolge hieß die Gesamtheit der Urteilsfinder auch die Schöffenbank. Der Rang des Richters ließ sich an der äußeren Ausstattung des Versammlungsortes ablesen. So war der Richterstuhl mehr oder weniger prächtig und überragte die Stühle beziehungsweise die Bank der Schöffen165. 167
Der Ausdruck 'vor Gericht kommen" (s. RF V. 1244) ist rechtssprachlich und findet sich z.B. in SLdr.I 68 § 5. 1S8 BURCHARD: Die Hegung der deutschen Gerichte im Mittelalter (2. Aufl. 1906), S. 133. 159 SLdr.III 26 § 2 (ed. Eckhardt, S. 211); zum Gerichtsverfahren: BUCHDA, Gerhard: Gerichtsverfahren. In: HRGI, 1971, Sp. 1551-1563; PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalterl (1878), S.52ff. 160 SLdr.I 60 § 2 (ed. Eckhardt, S. 115f). 161 SLdr.I 60 § 3 (ed. Eckhardt, S. 116). 162 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalterl (1878), S. 51 ff; zur "echten Not" s.u. S. 191 f. 163 BURCHARD: Die Hegung der deutschen Gerichte im Mittelalter (2. Aufl. 1906), S. 111 f. 164 Ebenda. 165 RA 2, S. 374. Vrevels Stuhl ist besonders kostbar: an hochgestvle man geriet, Daz was gvt vnd stark
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Bei seiner Aufzählung der Anwesenden unterscheidet Heinrich nicht, wie es später üblich ist, zwischen Umstand und Urteilern. Wichtig ist indes, daß der angeklagte Fuchs fehlt, er also die Dingpflicht mißachtet: Reinhart was niht ze hove da. Sine vinde bracht er doch ze not. (V. 1362f) Neben dem üblichen Stilmittel, den Ausgang der Handlung vorwegzunehmen und von vornherein den Akzent auf die Handlungsmodalitäten zu legen, ist die in V. 1363 gemachte Bemerkung insofern wichtig, als sich die Abwesenheit des Beklagten verständlicherweise auf den Verfahrensgang auswirkt. Schon an dieser Stelle hätte also Reinharts Abwesenheit offiziell festgestellt und die Verhandlung vertagt werden müssen166. Stattdessen fährt man mit dem letzten Punkt der Hegung, der Verkündigung des Gerichtsfriedens beziehungsweise mit dem Schweigegebot, fort. Nachdem Vrevel den Gerichtskreis betreten und wie gefordert seinen Richterstuhl eingenommen hat - De richtere seal sic turn ersten setten - bestimmt der "Richtsteig Landrechts"167, gebietet er den Anwesenden zu schweigen und den Gerichtsfrieden zu respektieren. Denn "wie er das Sprechen gebot, verbot er es auch. Zu Beginn des Dinges erging ein allgemeines Gebot der Stille"168. Dieses Gebot ging wie im "Reinhart Fuchs" vom Vorsitzenden Richter aus; er konnte jedoch nach dem "Schwabenspiegel" veranlassen, daß die Hegungsfragen in seinem Auftrage gestellt wurden169: Der kvnic gienc an daz gerächte sä. (V. 136l)170 der kvnic selbe gebot, Daz sie ir brechten liezen sin. (V. 1364f) vnd koste me dan tvsent marc. (V. 1328ff) Zu 'HochgestühP, s. RWB 5, Sp. 1122 mit Hinweis auf RF V. 1328; vgl. RA 2, S. 409; RdR Va, 305f: Der König sitzt auf einem Sessel, der so prächtig war, wie es einem König zukommt. 166 Vgl. BUCHDA, Gerhard: Contumacia. In: HRG I, 1971, Sp.636f, s. Sp.636. 167 RL l, 2 (ed. Homeyer, S. 88; vgl. ebenda S. 435). 168 BuRCHARD: Die Hegung der deutschen Gerichte im Mittelalter (2. Aufl. 1906), S. 155; vgl. RA 2, S.486. 169 BuRCHARD: Die Hegung der deutschen Gerichte im Mittelalter (2. Aufl. 1906), S. 154; WAJS: Hegungsfragen (1946), S. 39. Eine Aufzählung von Hegungsfragen findet sich im Irscher Weistum von 1497 (Weist. 2, S.294f). 170 Die Formulierung 'zu gerichte sitzen' ist die weitaus häufigere, doch ist auch 'zu gerichte gehen' in den Quellen belegt (RWB 4, Sp. 301 f, 304).
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Für das Schweigegebot waren in einigen Gegenden die Wendungen: "Ich gebiete Lust und verbiete Unlust" üblich. "Lust" bedeutete soviel wie Aufmerksamkeit und Schweigen, "Unlust" das Gegenteil, nämlich Unaufmerksamkeit und Unruhe171. Statt "Unlust" konnte es auch "Unrecht" oder "Unzucht" lauten. Der "Schwabenspiegel" verbietet vber braht. vnde alle vnzvht172, was der von Heinrich in V. 1365 und im Verlauf der Verhandlung in V. 1872 (vberbrechten) gewählten Formulierung entspricht. Verboten wurden alle Handlungen, die im weitesten Sinne dem Ansehen des Gerichts und seiner Repräsentanten schadeten. So durften zum Beispiel die Anwesenden nicht ohne Erlaubnis die Gerichtsstätte betreten oder verlassen, aufstehen oder sich setzen oder ihre Plätze wechseln173. Daß Heinrich auf dieses verfahrenstechnische Detail Wert legt, hängt mit der Folgehandlung zusammen. Denn als Reinhart später vor Gericht erscheint, wirft er den Anwesenden Disziplinlosigkeit vor (V. 1865 f) und verschafft sich seinen Anklägern gegenüber eine gute Ausgangsposition. Das Verfahren am königlichen Hofgericht fand, wie auch die Prozesse an rangniederen Gerichten, nach deutschem Gewohnheitsrecht statt174. Es handelte sich von Anklage und Verteidigung her um einen Parteienprozeß, in dem der Beklagte wie auch der Kläger in Einklang mit ihren zusammen vor Gericht auftretenden Verwandten, Freunden oder Gleichgesinnten den Gang des Rechtsstreites bestimmten. Das vorrangige Ziel jeder Prozeßpartei war es, die vom Gegner geäußerte Behauptung (rede, vgl. "Reinhart Fuchs" V. 1388, 1457)175 zu widerlegen (widerreden, vgl. "Reinhart Fuchs" V. 1437) und das Beweisrecht zugesprochen zu bekommen176. Anklage und Verteidigung brachten ihre Behauptungen in Form von Urteilsfragen vor177, wobei sich ihr Vortrag allein auf die Rechtsbehauptung konzentrierte. Die Urteilsfra171
Vgl. BURCHARD: Die Hegung der deutschen Gerichte im Mittelalter (2. Aufl. 1906), S. 156; KÖHLER: Hegung (1978), Sp.36; ERLER, Adalbert: Lust-Unlust. In: HRGIII, 1984, Sp. 104. l72 Schwsp. Ldr. 93 (ed. Laßberg, S. 49); vgl. a. RWB 2, Sp.482 (brechten) und HOMEYER: Der Richtsteig Landrechts (1857), S. 437. 173 Vgl. das Irscher Weistum (Weist. 2, S.294f). 174 SCHRÖDER/V. KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S.844ff; CONRAD: Deutsche RechtsgeschichteI (2. Aufl. 1962), S. 385. 17B Vgl. ERLER, Adalbert: Rede. In: HRGIV, 1990, Sp.449-451, s. Sp.450. 176 Dazu PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S.744f, 750. 177 HOMEYER: Der Richtsteig Landrechts (1857), S. 430.
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gen beruhten vielfach schon auf juristischen Folgerungen. Langwierige Tat SachenVerhandlungen gab es nicht, denn die tatsächlichen Voraussetzungen waren weder offenzulegen noch nachzuweisen178. Nach jeder Behauptung und der ihr folgenden Gegenbehauptung wurde ein Zwischenurteil erfragt, auf dessen Grundlage die Verhandlung fortgesetzt wurde, bis sich das sogenannte Beweisurteil herauskristallisierte. "In ihm erkannten die Schöffen, wer näher zum Beweise und wie zu beweisen sei"179. Im Hochmittelalter gebräuchlich waren der Eid, Zeugen, der "Augenschein" des Gerichts und, wenn auch mit abnehmender Tendenz, das Gottesurteil. Wie schon im Zusammenhang mit der Sühneverhandlung erläutert180, war bis zum 15. Jahrhundert der Reinigungseid des Beklagten am meisten verbreitet181. Dieses Beweismittel war dem Beklagten jedoch verwehrt, wenn die gegnerische Partei Wahrnehmungszeugen vorwies oder ein Gerichtszeugnis anbot182, wie das im Verlauf der Verhandlung im "Reinhart Fuchs" Finte und Schantekler tun183. Der Beklagte wurde ebenfalls nicht zum Reinigungseid zugelassen, wenn er in flagranti, auf "handhafter Tat", gestellt wurde184. Ungünstige Bedingungen vor Gericht traf auch ein Vorbestrafter an, da seine volle Rechtsfähigkeit nicht mehr gegeben war. Ihm blieb nur noch das Gottesurteil185. In den anderen Fällen, in denen weder Indizien noch das Fehlen sozialer Integrität für oder gegen eine Partei sprachen, verfuhr man, so Ignor, nach dem Kriterium der Wahrscheinlichkeit: "Grundsätzlich durfte dann derjenige einen Eid leisten, dessen Behauptung die wahrscheinlichere war, im Zweifel der Angegriffene"186. Die Anforderungen an die prozeßentscheidende Eidesleistung hingen im einzelnen von der Schwere des Streitgegenstandes ab. Bedeutsame Rechtsbehauptungen machten das Hinzuziehen von Eideshelfern erforderlich, das heißt unbescholtene Männer unterstützten kraft ihrer Integrität den Eid ihres Parteigängers; Tatsachenkenntnis war nicht 178
PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 235ff, 313; s.a. EBBL: Probleme der deutschen Rechtsgeschichte (1978), S. 267f. 179 BUCHDA: Gerichtsverfahren (1971), Sp. 1553. 180 S.o. S. 92. 181 KORNBLUM: Beweis (1971), Sp.401f; CONRAD: Deutsche RechtsgeschichteI (2. Aufl. 1962), S. 386, 389. 182
183 184
KORNBLUM: Beweis (1971), Sp.403; BUCHDA: Klage (1978), Sp.842. S.u. S. 182.
KORNBLUM: Beweis (1971), Sp.405. Zum Handhaftverfahren, s.u. S. 183. IGNOR: Indiz und Integrität (1986), S. 87. 186 Ebenda; vgl. KORNBLUM: Beweis (1971), Sp.402. 185
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erforderlich187. Da das Beweisen eine sehr formale Angelegenheit war, wurde jede Unternehmung vor Gericht hinfällig, wenn sich ein Verstoß gegen die sogenannte Formstrenge nachweisen ließ188. Doch nicht nur formale Mängel, sondern auch die Intervention (Urteilsschelte) eines der Anwesenden führte dazu, daß der Beweis oder das Urteil hinfällig wurde189. Auch dieses Element findet sich in Heinrichs Tierepos190. Der gelungene, nicht angefochtene Beweis beendete den Rechtsstreit. Die Anwesenden konnten selber ermessen, wer den Prozeß gewonnen hatte. Eine freie Beweiswürdigung durch den Richter fand nicht statt191. Seine Aufgabe bestand lediglich darin, die Gerichtsgewalt zu repräsentieren und für die korrekte Anwendung des Rechts zu sorgen. Zwar bestimmte der Richter, so auch Vrevel, nach seinem Ermessen die Urteiler, doch durfte er keinen Einfluß auf ihre Entscheidungen ausüben und das gefundene Urteil auch nicht anfechten192. Die Verhandlung beschloß ein der Hegung vergleichbarer Gegenakt193. 4.4.1 Anklage und Verteidigung (V. 1366-1412) Nachdem die legale und illegale Selbsthilfe zu keinem Erfolg geführt hat, ruft der Wolf nun richterliche Hilfe in seinem Kampf gegen den Fuchs an194: Do svchte rechte her Ysengrin. (V. 1366) Der Ausdruck 'Recht suchen' stammt aus dem mittelalterlichen Prozeßrecht und umschreibt den vorgestellten Verfahrensablauf, der auf den Urteilsfragen des Richters und den Urteilsvorschlägen der Schöffen basierte195. Gemäß den Möglichkeiten, die das mittelalterliche Pro187
lGNOR: Indiz und Integrität (1986), S.87.
188
S. KAUFMANN: Formstrenge (1971), Sp. 1163ff; SCHRÖDBR/V. KÜNSSBBRG:
Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S. 844. BUCHDA: Gerichtsverfahren (1971), Sp. 1554. 190 S.u. S. 204; vgl.u. S. 174ff. 191 lGNOR: Indiz und Integrität (1986), S. 85. 192 FRANKLIN: Das Reichshofgericht im Mittelalter II (1869), S. 273; CONRAD: Deutsche RechtsgeschichteI (2. Aufl. 1962), S. 385. 193 KÖHLER: Hegung (1978), Sp. 37. 194 Vgl. BUCHDA: Klage (1978), Sp.838. 196 S. SLdr.II 12 § 9; PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S.248ff; LANDWEHR, Götz: "Urteilfragen" und "Urteilfinden" nach spätmittelalterlichen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen. In: ZRG GA 76, 1979, S. 1-37. 189
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zeßrecht dem Kläger wie dem Beklagten einräumte, läßt Isengrin sich vor Gericht vertreten. Seine Verhandlungsführung übernimmt ein von ihm bestellter Wortführer oder Parteienvertreter, der sogenannte "Vor-" oder "Fürsprecher"196: Eines vorsprechen er gerte, der kvnic in eines gewerte. Daz mvste Brvn, der bere, sin. (V. 1367 ff) Die Amtsbezeichnung vorsprech ist authentisch197 wie auch die Verbverbindung eines vorsprechen gern, 'einen Fürsprecher verlangen', 'begehren'198. Ebenso ist gewern, 'zusagen', 'gewähren', rechtssprachlich199. Im "Richtsteig Landrechts" lautet die entsprechende Bitte an den Richter: here her richtere, ic bidde enes mannes, de min wort spreke200. Dem Verlangen mußte der Richter nachkommen201 - so auch Vrevel im "Reinhart Fuchs" -, solange keine Rechtsgründe gegen die Bestellung vorlagen202. Der gerichtliche Vorsprecher läßt sich erst in Quellen des 12. Jahrhunderts nachweisen203. Sich seiner zu bedienen, war ratsam, aber nicht obligatorisch, um der von der Formstrenge bei Gericht hervorgerufenen "Gefahr" zu entgehen204. Da es nach mittelalterlichem Recht einer Partei nicht gestattet war, eine einmal mißlungene Prozeßhandlung zu wiederholen, führte das formale Fehlverhalten vor Gericht zu erheblichen Nachteilen, wenn nicht sogar zum Verlust des Prozesses205. Mit einem Vorsprecher konnte der Prozeßformalismus gemildert werden. Die Partei brauchte nämlich dann einen mißlungenen Wortbeitrag
196
RWB3,Sp.l088ff. RWB 3, Sp. 1088 mit Hinweis auf RF V. 1367. 198 RWB3, Sp.1514. 199 RWB 4, Sp. 660 ff. 200 RL 2,1 (ed. Homeyer, S. 94); ebenda, S. 329 (Gerichtsformeln). 201 SLdr. I 60 § 2: De richtere scat to vorspreken geven, swene men aller erst bedet, unde nenen anderen, he ne werde der ledich mit rechte ... (ed. Eckhardt, S. 115). 202 WINTERBERG, Hans: Fürsprecher. In: HRGI, 1971, Sp. 1333-1337, s. Sp.1336. 203 Ebenda, Sp. 1333. 204 Vgl. KAUFMANN: Formstrenge (1971), Sp. 1163ff. 206 KAUFMANN: Erholung und Wandelung (1971), Sp. 1001 f; ders.: Formstrenge (1971), Sp.1167; EBEL: Probleme der deutschen Rechtsgeschichte (1978), S. 255 ff. 197
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oder eine Prozeßhandlung nicht als die ihre anzuerkennen. Das Wort des Vorsprechers galt nur dann als gesprochen und gültig, wenn die Partei es billigte. "Mißbilligte die Partei die Rede des Fürsprechers, war es nicht ihr Wort"206. Ursprünglich konnte jeder Dingpflichtige zum Fürsprecher bestellt werden und durfte infolge der Dingpflicht innerhalb seines Rechtskreises dieses Amt nicht verweigern207. Im Laufe der Zeit wurden Rechtskundige bevorzugt, die auch beratend auf die Prozeßgestaltung ihrer Partei einwirken konnten208. Insofern ist es keine Überraschung, daß im "Reinhart Fuchs" Brun von Isengrin zum Vorsprecher bestellt wird. Hatte der doch schon in der vorausgegangenen Sühneverhandlung Isengrin unterstützt und seine "Rechtskenntnisse" unter Beweis gestellt. Bruns Fähigkeiten zum schlauen Taktieren scheinen ihn für dieses Amt zu prädestinieren. Liest man die zweifelhaften Ratschläge, die einige Rechtsquellen dem Fürsprecher erteilen209, so wird deutlich, daß den Prozeßparteien alle Mittel und Winkelzüge recht waren, um den Gegner in einem ungünstigen Licht darzustellen und ihm Nachteile zu verschaffen. Eine der ersten Amtshandlungen des Fürsprechers bestand darin, sich die Befugnis seiner Partei zur "Erholung und Wandelung" zu sichern210. Heinrich erwähnt diese Rechtsfigur stellvertretend für eine Reihe von Urteilen, mit denen die Parteien normalerweise ihre Rechte und die Rechtsfolgen bestimmter Handlungen feststellen ließen211, bevor in der Sache selbst verhandelt wurde. Tatsächlich brachte die Wandelung der Partei große Vorteile und wird vermutlich deshalb, so Siegel, in den dichterischen Erzählungen von gerichtlichen Verhandlungen oft 206
WINTERBERG: Fürsprecher (1971), Sp.1334; vgl. SLdr.I 60 § l (Eckhardt, S. 115). 207 SLdr.I 60 § 2. 208 WINTERBERG: Fürsprecher (1971), Sp. 1335; LANDWEHR: "UrteilfrageD" und "Urteilfmden" nach spätmittelalterlichen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen (1979), S. 31. 209 RL 2, 4; 32; s. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 201 ff; SIEGEL, Heinrich: Die Gefahr vor Gericht und im Rechtsgang. In: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, phü.-hist. Klasse. Bd.51, Wien 1866, S. 1-49, s. S. Iff. Beispiele, s.u.S.164. 210 WINTERBERG: Fürsprecher (1971), Sp. 36. Zu dieser Rechtsfigur KAUFMANN: Erholung und Wandelung (1971), Sp. 1001 ff; SIEGEL, Heinrich: Die Erholung und Wandelung im gerichtlichen Verfahren. In: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, phü.-hist. Klasse. Bd. 42,4, Wien 1863, S. 201-244. 211 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 304f.
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als einzige von allen anderen Bitten an den Richter erwähnt212. Hier der Wortlaut des "Reinhart Fuchs": er [Brvn] sprach: "herre, nv gert Ysengrin Dvrch recht vnd dvrch iwer gvte, ob ich in missehvte, Als er min mvze wandel han." (V. 1370 ff) Im Namen des Klägers bittet also Brun den König, ihn seines Amtes zu entheben, falls er Isengrin schlecht vor Gericht vertrete. Wandel han bedeutet, 'eine Änderung, einen Wechsel vornehmen'213, missehüeten heißt hier 'jemanden schlecht vertreten'214. Im Falle eines Fehlverhaltens konnte demnach die mißlungene Prozeßhandlung annulliert werden, die Partei nahm sie zurück, "erholte" sich von ihr215 und ersetzte sie, "wandelte" sie in eine bessere um. Nach dem "Sachsenspiegel" und seinen verwandten Rechtsquellen mußte der Richter die Parteien während des Prozesses fragen, ob sie die Äußerungen des Fürsprechers akzeptierten. Im Falle einer Ablehnung wurde zwar der Fürsprecher für seine "Falschaussage" mit einer geringen Geldbuße bestraft, die natürlich seine Partei für ihn bezahlte, doch blieb der fehlerhafte Rechtsakt oder die ungünstige Aussage ohne negative Auswirkungen und konnte wiederholt werden216. Für diesen Fall sah das Recht zwei Möglichkeiten der Wandelung vor: Entweder bezog sie sich auf den Vortrag des Fürsprechers, und er selbst durfte ihn verbessern, oder er bezog sich auf seine Person, so daß die Partei einen neuen Fürsprecher bestimmen durfte, der sie im Wort vertrat. Diesbezüglich lautet die entsprechende Formel im "Richtsteig Landrechts": met my oder met eynem anderen bat sprekenden manne217. Heinrich hat sich für die letzte Variante, vielleicht die in seinem Rechtskreis gebräuchliche, 212
SIEGEL: Die Erholung und Wandelung im gerichtlichen Verfahren (1863), S. 11 f. 213 Ebenda, S. 10; BMZ III, S.6986 mit Hinweis auf RF V. 1370 ff. 214 BMZ I, S. 732» mit Hinweis auf RF V. 1372. Im "Schwabenspiegel" lautet das entsprechende Verb missesprechen (Ldr.93, ed. Laßberg, S. 49); s.a. HOMEYER: Des Sachsenspiegels erster Theil (1861), S. 354. 215 Vgl. SIEGEL: Die Erholung und Wandelung im gerichtlichen Verfahren (1863), S. 9; HOMEYER: Der Richtsteig Landrechts (1857), S. 423. 216 KAUFMANN: Erholung und Wandelung (1971), Sp. 1002. 217 HOMEYER: Der Richtsteig Landrechts (1857), S.330 (Gerichtsformeln § 2); das Magdeburger Recht (1261) verzeichnet folgenden Wortlaut:... So dinge her ime daz wandel. Vn ob ich ine an ienegen dingen vorsume. ob her sich dies icht irholen muze mit mir oder mit einem anderen (ed. Wilhelm, C.A.O., Bd. l, Nr. 51, S. 84).
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entschieden, indem er Brun einen Wandel in bezug auf seine Person anbieten läßt: als er min mvze wandel han (V. 1374, Hervorhebung v. d. Verf.). Diesen Sachverhalt formuliert der "Schwabenspiegel" folgendermaßen: vnd hat er [der Kläger/Beklagte, d. Verf.] ein vorsprechen vnd missesprichet der er mach sich wol erholn mit einem ändern218. Brun hatte seine Bitte um Wandel mit der Formel durch reht (Gerichtsverfahren) und güete (Einvernehmen, Vergleich)219 verstärkt. Diese zweigliedrige Ausdrucksweise verbindet zwei Grundsätze des mittelalterlichen Rechts: Das formstrenge, normierte Recht (/ex, ius)220, das so viele Gefahren in sich barg, und die Gerechtigkeit des Einzelfalls, die sogenannte Billigkeit (aequitas)221. Die richterliche Billigkeit sollte das formstrenge Recht im Gerichtsverfahren "elastischer" machen und dort der Gerechtigkeit genügen, wo der Rechtsformalismus womöglich Unrecht hervorrufen konnte. Dabei sollte das Recht der Billigkeit angepaßt werden, "ohne das Recht ins Wanken zu bringen, ohne es einer unkontrollierten Ermessensfreiheit auszuliefern"222. Bruns Appell ist deshalb so zu verstehen, daß sich der König bei seinen Entscheidungen nicht nur vom objektiven Recht, sondern auch von einer gewissen Milde leiten lassen und innerhalb des Gerichts eine Synthese aus Rechtsnorm und billigem Ermessen herstellen möge. In der Tat bringt besonders die ältere rechtsgeschichtliche Literatur die sogenannte "Billigkeitsjustiz" mit dem Königsgericht in Zusammenhang223. Abgesehen von der schon seit alters her bekannten Billigkeitsjustiz, hat Heinrich mit dem Amt des Fürsprechers und der Rechtsfigur der Erholung und Wandelung zwei relativ junge Rechtsinstitutionen erwähnt, 218
Schwsp. Ldr. 93 (Kurzform, ed. Eckhardt, S. 169). RWB4,Sp.l231. 220 S. KAUPMANN, Ekkehard: Aequitatis ludicium. Königsgericht und Billigkeit in der Rechtsordnung des frühen Mittelalters, Frankfurt/M. 1959 = Frankfurter wissenschaftliche Beiträge. Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Reihe. Bd. 18, S. 16 ff. 221 Ebenda; ders.: Billigkeit (1971), Sp.431ff. 222 KAUFMANN: Billigkeit (1971), Sp.432. Ähnliches beabsichtigte auch das "Richten nach Gnade" und die spätmittelalterliche Schiedsgerichtsbarkeit mit der Formel "mit Minne und Recht" (ebenda, Sp.436). 223 Ebenda, Sp.431; s. z.B. AMIRA, Karl von: Grundriß des germanischen Rechts, 3. Aufl. Sraßburg 1913 = Grundriß der germanischen Philologie 5, S. 260; zu Huldentzug und arbiträrer Strafzumessung, s. WEITZEL: Dinggenossenschaft und Recht (1985), S. 1167ff; DlESTBLKAMP, Bernhard: Huldeverlust. In: HRG II, 1978, Sp. 259-262 und His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 350ff. 219
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die - wie die Rechtshistoriker annehmen - erst aus dem 12. Jahrhundert stammen. Sie stehen in einem Bezug zu der ebenfalls im 12. Jahrhundert erfolgten Entwicklung zum Rechtsformalismus224. Da zu vermuten ist, daß die Formstrenge und die sie mildernden Institutionen erst im 13. Jahrhundert in eine Beziehung getreten sind225, unterstreicht Kaufmann die frühe Erwähnung der Erholung und Wandelung in Heinrichs Tierepos: "Den frühesten Beleg für die EuW [Erholung und Wandelung] scheint eine literarische Quelle, der um 1180 geschriebene Reinhart Fuchs zu geben"226. Ein weiteres Mal bietet somit Heinrichs Tierepos gegenüber den primären Rechtsquellen den frühesten Beleg aus der Praxis des deutschen Gewohnheitsrechts. Prozeßrechtlich gesehen, eröffnete die Klage den Rechtsstreit. Heinrich stellt diesen Vorgang substantiell und formell korrekt dar, wobei seiner Darstellung wieder Belegcharakter zukommt. Denn die frühesten Belege für die Rechtswörter "Klage" und "(be)klagen" aus deutschen Rechtsquellen stammen erst aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts. Wie die Untersuchungen Köblers ergeben haben, fehlen die entsprechenden Zeugnisse vor der Überlieferung des "Sachsenspiegels": "Die Rechtswörter Klage, klagen, Kläger in historischen Berichten über den Sachsenspiegel hinaus zurückzuverfolgen, ist nun aber deswegen unmittelbar nicht möglich, weil die historischen Nachrichten vor dem 13. Jahrhundert so gut wie ausnahmslos nur in lateinischer Sprache überliefert sind"227. An mehreren Stellen verzeichnet die literarische Quelle diese Rechtswörter in prozessualer Bedeutung, also als Rechtswörter im "engeren Sinne"228, um, wie im heutigen Sprachgebrauch, den aktiven Teil im Prozeß und sein Verhalten im Rechtsstreit zu benennen229. Der Terminus klage findet sich im "Reinhart Fuchs" V. 1461,1467,1476, 1608,1743, klagen V. 1377,1401, 1409,1612,1672, 1735, 1800, 1847, 1857 und beklagen V. 1529. Ebenfalls verzeichnet das 224
KAUFMANN: Billigkeit (1971), Sp.436; ders.: Erholung und Wandelung (1971), Sp.1003; ders.: Formstrenge (1971), Sp. 1167; WlNTBRBERG: Fürsprecher (1971), Sp. 1333 ff. 22B KAUFMANN: Erholung und Wandelung (1971), Sp. 1003. 226 Ebenda. 227 S. KÖHLER, Gerhard: Klage, klagen, Kläger. In: ZRG GA 92, 1975, S. 1-20, s. S. 3. Das Deutsche Rechtswörterbuch verzeichnet nur wenige althochdeutsche Belege, s. RWB 7, Sp. 1035. 228 Davon zu unterscheiden sind Klage / klagen als Rechtswörter im weiteren Sinne, wie sie im RF V. 21, 426, 479 u.ö. bzw. 878, 1267, 1563 u.ö. vorkommen. 229 S. KÖHLER: Klage, klagen, Kläger (1975), S.l.
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Fragment S fünf Belege dieser Art (klage V. 1608, 1743; klagen V. 1612, 1672,1735). Der Kläger konnte sich entweder selbst oder - wie im "Reinhart Fuchs" - über seinen Vorsprecher im versammelten Gericht mit einem Vortrag an den Richter wenden, um dessen Hilfe gegen das erlittene Unrecht anzurufen230: "Kvnic gewaldic vnde her, groz laster vnde ser klaget er, her[] Ysengrin, daz er hvte des zageles sin Vor vch hie ane st at, 1380 daz was Reinhartes rat. Des schämte sich vaste sin lip. vrowen Hersante, sin edele wip, Hat er gehonet in dem vride, den ir gebvtet bi der wide. 1385 Daz geschach vber iren danc." (V. 1375ff) Es war durchaus üblich, wenn von dem Kläger in der dritten Person gesprochen wurde. Allein schon formal sollte die Rede des Fürsprechers anzeigen, daß er den Kläger und seine Partei vor Gericht vertrat und ihr Wort sprach231. Nach dem "Richtsteig Landrechts" soll der Fürsprecher seinen Vortrag folgendermaßen einleiten: hir steit N unde secht.. ,232 oder: her richter, so steit hir N unde claget unseme Heren gode unde iu in godes stede, dat...233. Analog zu den in der Sühneverhandlung erhobenen Vorwürfen gegen den Fuchs (V. 1086 ff) setzt sich ebenso diese Klage vor einem offiziellen Gericht aus zwei Bestandteilen zusammen. Laster vnde ser (V. 1376), Schmach und Verletzung234, macht die klägerische Partei geltend, wobei sich nach dem rechtlichen Befund ser auf den Schwanzverlust des Wolfes bezieht, der auf Reinharts Veranlassung, Reinhartes rat (V. 1380), zustande kam235, und 230
S. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S.357f; BUCHDA: Klage (1978), Sp.838. 231 HoMEYER: Der Richtsteig Landrechts (1857), S. 421; PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 201. Die Handschrift P des "Reinhart Fuchs" bietet in V. 1377 die Lesart ev claget ev her Ysengrin. Die direkte Anrede an den Richter ist in spätmittelalterlichen Gerichtsformeln belegt, s. RL 31,3. 232 RL 12,1 (ed. Homeyer, S. 124). 233 RL 31,3 (ed. Homeyer, S. 197); s.a. RL 44, 2. 234 S.o. S.65f, 69, 75f; s.u. S. 164, 170; vgl. MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 226. 235 Zu rät, raten, s.o. S. 63, 77f, 92, 96f; s.u. S.201 f.
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lasier das Verbrechen sowie die Ehrverletzung Isengrins infolge der Vergewaltigung seiner Frau bezeichnet236. Das letzte Delikt erfülle, so der Kläger, den Tatbestand des Landfriedensbruchs, auf dem bekanntlich der Strang steht (V. 1383 f). Der Hinweis auf die königliche Landfriedensgesetzgebung zeugt von einer geschickten Klageeröffnung. Allein schon die Anrufung richterlicher Hilfe vermittelt dem Fall offiziellen Charakter. Doch wieviel stärker mußte die Wirkung sein, wenn an den Initiator und Garanten des Landfriedens appelliert wird, sich dieser Sache in eigenem Interesse anzunehmen! Der Vorwurf, daß der Beklagte dem Kläger Unrecht getan habe, indem er 'den Frieden an ihm gebrochen' habe, weist diese Klage, um in der Terminologie des "Sachsenspiegels" zu sprechen, als klage umme ungericht, als peinliche Klage aus, von der sich die zivilrechtlichen Klagen umme scult, up erve und umme gut beziehungsweise die gemischten Klagen unterschieden237. Der "Sachsenspiegel" versteht unter Ungerichten schwere Verbrechen, die peinlich - im Unterschied zu den büß würdigen Vergehen - bestraft wurden238. Die Einteilung der Klagen erfolgte nicht nach dem Rechtsgrund, sondern nach dem Rechtsgegenstand. Im Vordergrund stand das Begehren des Klägers, daß der Beklagte das leiden oder geben möge, was die Rechtsordnung verlangte und das Gericht ihm zuerkannte, nämlich Leben, Gesundheit, Recht, Ehre oder Geld239. Bruns Vortrag weist alle inhaltlichen Elemente auf, wie sie für eine derartige Klage nach mittelalterlichem Recht erforderlich waren, nämlich die genaue Angabe des Unrechts, das der genau bezeichnete, mit Namen genannte Beklagte getan haben soll240. Es wurde nicht verlangt, daß der Kläger seinen Anspruch rechtlich motivierte; es fand auch keine materielle Prüfung der Vorwürfe statt. Denn das Beweissystem war dahingehend ausgerichtet, daß sich zunächst der Beklagte verteidigte, woraufhin der Kläger sein Beweisangebot einbringen oder modifizieren konnte241. Zum Abschluß seines Vertrags hätte 236
Zu lasier in der Bedeutung 'Verbrechen', s.u. S. 171, Anm. 321. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 358 ff; SCHRÖDER / v. KÜNSSBBRG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. 1932), S.845ff; BUCHDA: Klage (1978), Sp.840f. 238 CONRAD: Deutsche RechtsgeschichteI (2. Aufl. 1962), S. 442, 585. 239 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878) S. 743; BUCHDA: Klage (1978), Sp.840. 240 Vgl. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S.366. 241 Ebenda, S. 358. 237
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Brun gemäß der üblichen Verfahrenspraxis den Richter noch bitten müssen, daß er den Beklagten zur Antwort auffordere242. Dieser letzte Teil der Klage fehlt jedoch im "Reinhart Fuchs" - sei es, daß Heinrich dieses Element als selbstverständlich voraussetzt und auf die Darstellung der sich ständig wiederholenden Urteilsbitten an den Richter verzichten wollte, oder daß, wie an späterer Stelle erläutert243, Brun noch vor Ende seines Vertrags von Reinharts Verwandten Krimel unterbrochen wird. Nach dem "Richtsteig Landrechts" lautet der Kern einer vollständigen, von einem Vorsprecher vorgetragenen Klage folgendermaßen: So steit hir N unde claget gode unde iu her richter in godes stat, dot de vorbenomde N si gekomen unde hebbe den vrede an em gebroken, unde nume wat he em gedan hebbe, unde biddet dat gi en tur antwerde biden24*. Der zentrale Vorwurf gegen Reinhart lautet also auf Notzucht. Das Opfer klagt in diesem Fall nicht selber, weil das mittelalterliche Recht nämlich Frauen nur die Klage über ihren Vormund, das heißt in den meisten Fällen über den Ehemann, Vater oder Bruder als den nächsten männlichen Verwandten, zugestand245. Wie jedoch Isengrins Einwand auf Krimels Verteidigung belegt (vgl. V. 1410 ff), klagt der Wolf weder in Hersants Namen, noch wurde eine regelgerechte Notzuchtsklage eröffnet. Vielmehr steht für den Wolf die erlittene Ehrkränkung im Vordergrund. Wie im "Roman de Renart" (z.B. Br. II, 1089ff, Va, 249 ff) sind die dem Verbrechen vorausgegangenen Ereignisse äußerst ungünstig für Hersant und sehr zweifelhaft für einen Rechtsgang246. Genau an diesem Punkt setzt auch Krimels Verteidigung ein. Sein unmittelbares und unaufgefordertes Eingreifen läßt darauf schließen, daß er den Fürsprecher womöglich unterbrochen hat, um sogleich auf die Reinhart zur Last gelegten Vorwürfe einzugehen. Tatsächlich hätte verfahrenstechnisch gesehen noch die Frage des Richters folgen müssen, ob der Kläger mit den Ausführungen des Fürsprechers einverstanden 242
RL 20,1: ... unde bidden ens ordels tu vragen (ed. Homeyer, S. 161); vgl. RL 40,2. 243 S.u. S. 164 f. 244 RL 33,2 (ed. Homeyer, S.215f). 246 Maget unde vnf moten Vormunde hebben an iewelker klage... (SLdr.I 46, ed. Eckhardt, S. 106); vgl. Schwsp. Ldr. 75, 245; a. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalterl (1878), S. 187; OGRIS: Munt, Muntwalt (1984), Sp.758; KOCHER, Gernot: Prozeßvertretung. In: ERGIV, 1990, Sp.71-74, s. Sp.72. 246 S.o. S. 108, vgl. S. 89.
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sei und sie gelten lasse247. Auf dieses zur Rechtsfigur der Erholung und Wandelung gehörende Moment hat Heinrich verzichtet, vielleicht weil er es später indirekt in die Handlung einbringt, als er den sich mißverstanden glaubenden Kläger selbst intervenieren läßt (s. V. 1409ff). Wieder zeigt sich, daß sich Heinrich im großen und ganzen mit Andeutungen und Hinweisen auf die Verfahrensweise begnügt und auf Details, die womöglich an anderer Stelle zur Sprache kommen, oder auf Wiederholungen, die die Prozeßordnung mit sich bringt, verzichtet. Daß man bislang ohne den Angeklagten verhandelt, scheint noch niemand von den Anwesenden bemerkt zu haben. Reinharts Prozeßpartei wird nicht ausdrücklich genannt, doch wird man die in der Sühneverhandlung gebotene Konstellation auch für den Prozeß voraussetzen dürfen. Wichtigster Parteigänger des Fuchses ist, wie im "Roman de Renart", sein Verwandter, der Dachs Krimel. Er verteidigt seinen "Neffen" vermutlich aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehung248. Sein offiziell bestellter Vorsprecher kann er nicht sein, da die Bestellung nach den Quellen nur in Anwesenheit des zu Vertretenden erfolgen konnte249. Ohnedies scheint Heinrich das Augenmerk vor allem auf die Argumente der Verteidigung und die kontroverse Argumentation der gegnerischen Parteien lenken zu wollen. Die klägerische Partei hatte, was für ein so schwerwiegendes Verbrechen wie Notzucht äußerst ungewöhnlich war, nur eine schlichte Klage vorgebracht, anstatt die Klagevorwürfe mit einem Beweisangebot zu verstärken und damit die Verteidigung zu erschweren250. Von den verschiedenen Möglichkeiten, die das mittelalterliche Prozeßrecht der Verteidigung einräumte, um auf eine derartige Klage zu reagieren, wählt Krirnel den Widerspruch, das motivierte Leugnen der Schuld, in den sächsischen Rechtsquellen wedderrede genannt251. Damit leugnete der Beklagte nach damaliger Ansicht nicht etwa die Wahrheit der Klage247
SLdr. 162 § 7; dazu PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 209. 248 Zu diesem Schluß kommt auch Dreyer für die Handlung des "Reinke de Voß" (Abhandlungen von dem Nutzen des treflichen Gedichts Reinke de Voß [1768], S. 18). 249 Vgl. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 195 f. 250 Vgl. ebenda, S.444ff, 743ff; BUCHDA: Klage (1978), Sp.837ff; KAUPMANN, Ekkehard: StrafprozeßI (bis zur Carolina). In: HRGIV, 1990, Sp.20302034,8. Sp.2030f. 251 S. RL 44, 2; weder reden: SLdr. II 6 § 3; II 25 § 1; II 55; dazu PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 750.
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tatsachen ab, sondern bestritt die vom Kläger bezeichnete Schuld und die daraus abgeleiteten Verpflichtungen. Die Behauptung der Unschuld konnte sich darauf stützen, daß der Kläger die Unwahrheit behauptete (vgl. V. 1388 if) oder daß der Beklagte der Ansicht war, daß er kein Unrecht begangen habe (vgl. V. 1392ff)252. Krimels Verteidigung folgt diesem Muster und stützt sich auf zwei Punkte: Erstens liege ein Verschulden in der vom Kläger behaupteten Weise nicht vor, und zweitens könne er eine "Gegendarstellung" vorbringen, aus der hervorgehe, daß der Kläger keine Forderung an den Beklagten zu stellen habe und insofern in seinem Klagevortrag (rede)253 zu einer irrigen Schlußfolgerung gelangt sei: Krimel do her fvr spranc. Er sprach: "richer kvnic, vernemt mich,254 diese rede ist vngelovblich Vnd mag wol sin gelogen. 1390 wie mohte sie min neve genotzogen? Ver Hersant die ist grozer, dan er si. hat aber er ir gelegen bi Dvrch minne, daz ist Wunders niht, wan svlcher dinge vil geschiht. (V. 1386 ff) Die Behauptung der Anklage entspreche nicht der Wahrheit255, weil allein schon die anatomischen Unterschiede zwischen Fuchs und Wohin ein Notzuchtsverbrechen ausschlössen256. Wohl aber könne man von Beischlaf in beiderseitigem Einvernehmen ausgehen. Es handele sich deshalb nicht um eine erzwungene Handlung, wie die klägerische Partei behauptet hatte257. Hersant sei demzufolge nicht das unschuldige Opfer einer Straftat, sondern eine schuldige Ehebrecherin. Das habe freilich 262
Vgl. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalterl (1878), S. 744 f. 253 Vgl. SLdr. II 62 § 7; RL 3, 3; dazu PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalterl (1878), S.744ff; ERLBR: Rede (1990) Sp.449ff. 264 Vgl. SLdr. III 82 § 1: 'jemanden veranlassen, sich auszusprechen', s. DWB 12,1, Sp. 911. 265 Zu 'lügen', s.o. S. 49, Anm. 132; s.a. Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 5: Augsburg, 2 (1866), BuchIV, S.307, 11; 308, 5; 'unglaublich': DWB 11,3, Sp.965. 286 Zur Terminologie, s.o. S. 105. Eiligen, 'Beilager halten', ist rechtssprachlich, RWB l, Sp.1471. 267 pj. . 1385: Das geschach vber iren danc (vgl. V. 1392). Die Terminologie findet sich auch im "Mühlhauser Reichsrechtsbuch" (Anfang des 13. Jh.): Liet ein man bi einimi webisnamin an urin danc tmdi widir urin willen, is uri dan leit, so sal su sich / weri mit giserei... (4,1, ed. Meyer, S. 107). Vgl.
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vor dem Gerichtstag niemand gewußt, argumentiert die Verteidigung weiter, nun sei Hersants Ehre durch Isengrins Klage in Abrede gestellt worden258: Nv weste iz iemen Ivtzel hie. ver Hersant, n v sagt, wie vch iwer man bringet ze mere? daz mag vch wesen swere. (V. 1395 ff) Was zunächst als bloße Verhöhnung der Wölfe erscheint, entbehrt nicht des rechtlichen Bezugs. Für das 12. und noch für das 13. Jahrhundert kann man davon ausgehen, daß sich das deutsche Recht gegenüber dem kanonischen durchsetzte und der Ehebruch als Eingriff in die Rechte des Mannes galt259. Die Ehefrau traf deshalb keine öffentliche Strafe, sondern sie verfiel der Willkür des betrogenen Ehemannes260. Isengrin habe, so die Verteidigung, mittels seiner Klage selbst auf diese Schmach hingewiesen, anstatt zu schweigen und somit die Ehre zu schützen. Besonders schwer wog es, wenn der Ehemann die Untreue seiner Frau gelten ließ. Dann nämlich, so die Erläuterungen von Graf/Dietherr in ihrer Rechtssprichwörter-Sammlung, konnte sich jeder ungestraft dieser Beschimpfung bedienen. Deshalb galt: "Kein echtes Weib heißt Hure, außer ihr Mann beschuldigt sie"261. Geschickt hat Krimel also die Schwächen der Anklage aufgedeckt und den Sachverhalt entlarvt, den die Wölfe tunlichst verschweigen wollten. Man könnte den Gedanken noch fortführen: Die Klage sei nicht notwendig und der Rechtsgang insgesamt vermeidbar gewesen. Denn nach mittelalterlichem Recht löste fast ausschließlich die persönliche Initiative des Klägers den Rechts-
268 269
SLdr.III 84 § 3; RWB 2, Sp.694. MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 231: "Mit dem Personalpronomen der 3. Pers. (dne sinen, t'ren danc) wird eine gegen den Willen eines anderen erzwungene Handlung bezeichnet (z.B. Notzucht [...])". Zu geschehen, RF V. 1026, 1175, 1239, 2056; s. RWB 4, Sp.431.
Vgl. KAUFMANN: Notzucht (1984), Sp. 1102.
Auch der "Sachsenspiegel" straft nur den handhaften Ehebruch. Später wird die Bestrafung des Ehebruchs weitgehend der kirchlichen Gerichtsbarkeit überlassen, s. His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 150. 260 LIBBBRWIRTH: Ehebruch (1971), Sp.837; His: Das Strafrecht des deutschen MittelaltersII (1935), S. 168ff. 261 GRAF / DlBTHBRR: Deutsche Rechtssprichwörter (2. Aufl. 1869), S. 361 f. Die Erläuterungen beziehen sich auf Reineke Fuchs 1,3, V. 230 ff. Reineke tadelt Isegrim, die Ehre seiner geschändeten Frau bloßgestellt zu haben.
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gang aus, getreu der Maxime: Wo kein Kläger, da ist kein Richter262. Einerseits wurde dem Richter untersagt, von Amts wegen einen Prozeß einzuleiten, andererseits wurde niemand gezwungen, vor Gericht zu klagen. Man kann seinen Rechtsnachteil auch verschweigen, heißt es im "Sachsenspiegel"-Landrecht II 62 § 1. Dieselbe "Sachsenspiegel" Stelle fährt fort: Erhebt man aber bei der Tat das Gerüchte - also das geforderte Geschrei, um ein Verbrechen anzuzeigen263 -, so ist das der Beginn der Klage264. Wie schon bei der Erläuterung des Tathergangs ausgeführt265, ist es nach der mittelalterlichen Rechtspraxis ungewöhnlich, daß Hersant weder ein Gerüfte während oder nach dem Verbrechen erhoben, noch das übliche von den Rechtsquellen vermerkte Verhalten einer geschändeten Frau gezeigt hat. Vermutlich wollte sie sich selbst schützen und konnte deshalb auch nicht ihren früheren Geliebten bloßstellen. Durch ihr Verhalten nährt sie natürlich die Zweifel an ihrer Integrität266. Zudem hatte eine Frau, die früher einmal freiwillig mit dem Beschuldigten verkehrt hatte, von vornherein nur eine geringe Chance, daß man ihr Glauben schenkte267. Das fehlende Gerüfte verhindert somit eine verstärkte Klage gegen Reinhart268. Der dem Beklagten in solchen Fällen bei schlichter Klage eingeräumte Reinigungseid wog mehr als das spätere Zeugnis der betroffenen Frau vor Gericht269 oder der Zeugeneid270. Krimel beläßt es nicht nur bei der Ableugnung der Schuld und der Verunglimpfung des Klägers, sondern geht noch einen Schritt weiter, indem er dem Gericht ein Beweisangebot unterbreitet. Auch damit 262
S. SLdr.I 62 § 1: Men ne seal nemande to nener klage dwingen, der he nicht begunt ne hevet (ed. Eckhardt, S. 117); dazu SELLBRT: Wo kein Kläger, da ist kein Richter (1978), Sp.853ff. 263vgl. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S.759ff; BUCHDA: Gerüfte (1971), Sp.l584ff. 264 Manlich mut sines scaden wol swigen, de wile he wil. Scriet he aver dat gerückte, dat mut he vulvorderen mit rechte, went dat gerückte is der klage begin (SLdr.II 62 § l, ed. Eckhardt, S. 117). 266 S.o. S. 104ff. 266 vgl. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 760; KAUFMANN: Notzucht (1984), Sp. 1585. 267 HIRSCH: Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter (2. Aufl. 1922), S. 45. 268 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalterl (1878), S. 777ff. 269 RA 2, S. 490 mit Hinweis auf DRBYBR: Abhandlung von dem Nutzen des treflichen Gedichts Reinke de Voß (1768), S. 36 f. 270 KALISCH: Die Grafschaft Hirschberg und das Landgericht Hirschberg (1913), S. 182.
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folgt er den üblichen Gepflogenheiten. Wie Planck schreibt, mußte nämlich der Beklagte, wollte er seinen Widerspruch aufrecht erhalten, imstande sein, "die seine Unschuld motivirenden Thatsachen mit Bestimmtheit zu behaupten und in gesetzlicher Form zu beweisen"271. Andererseits konnte der Kläger die Lücke in der Verteidigung für seine Zwecke ausnutzen und das Beweisrecht an sich bringen272. Wohl wissend, daß für die Durchführung eines Notzuchtsprozesses der bestimmte Nachweis der angetanen Gewalt entscheidend war und den Rechtsgang völlig beherrschte273, plädiert die Verteidigung dafür, das Ausmaß des entstandenen Schadens zu prüfen: Herre kvnic, höret an dirre stat schaden kisen, den er hat. 1405 Vnd hat hern Ysengrines wip dvrch Reinharten verwert im lip So groz als vmb ein linsin, daz bvze ich fvr den neven min. (V. 1403 ff) Kiesen in der Bedeutung von "prüfen, messen..., ob etwas bestimmten Anforderungen entspricht"274, ist rechtssprachlich und bezieht sich im engeren Sinn auf die vor Gericht durchzuführende Wundschau, mit der das Ausmaß des Schadens und die Höhe der Buße festgestellt wurden. Krimel erklärt sich also bereit, jede noch so kleine Verletzung zu entschädigen und die dafür vom Gericht festgesetzte Buße für seinen Verwandten275 an den Kläger zu zahlen276. Hinter dieser Schlußfolgerung steckt große juristische Spitzfindigkeit: Nur im Zusammenhang mit Isengrins Verletzungen machte Brun Körperverletzung (schade) 271 272
PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 754.
Ebenda. 273 HIRSCH: Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter (2. Aufl. 1922), S. 45. 274 RWB 7, Sp. 801. Das kiesen der Wunden ist im Deutschen Rechtswörterbuch erst im 14. Jahrhundert belegt; s.a. RA 2, S. 380. Zu kiesen in der Bedeutung 'prüfen', 'herausfinden': SCHMIDT-WlBGAND, Ruth: Kiesen, küren. In: ERGII, 1978, Sp. 714-716, s. Sp.714. 276 Dahinter steht die sich teilweise auch noch im Mittelalter erhaltene Anschauung, daß die Verwandten des Verbrechers bei einigen Vergehen wie Totschlag, Lähmung, Notzucht und Raub zur Buße beisteuerten, bzw. sie trugen, wenn der Täter unvermögend oder flüchtig war; vgl. His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S.99ff. 276 Zu 'Buße', s.o. S.66f, 88 f, 91; vgl. RWB 2, Sp.655ff; 'büßen': RWB 2, Sp.658ff; KAUFMANN: Buße (1971), Sp.575ff. Verwirken ist rechtssprachlich, s. MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 223.
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geltend, die nach damaligem Recht größtenteils finanziell abgegolten wurde277. Die Vergewaltigung Hersants ist für die klägerische Partei mit Hinweis auf die neuen Strafrechtsbestrebungen ein peinlich zu sanktionierender Friedbruch. In Krimels Plädoyer verschwimmen jedoch beide Klagepunkte. Dabei stellt der Dachs Reinharts Unschuld im Sinne der Anklage fest und schlußfolgert, daß höchstens ein geringfügiger Schaden entstanden sein könne, für den er nach alter Manier einen Ausgleich zahlen werde. Was Schwab die "Logik eines Rechtsverdrehers" nennt278, scheint zu den üblichen Winkelzügen eines Fürsprechers gehört zu haben. Er sollte jede Blöße des Gegners geschickt nutzen, sich selbst aber vor den gelegten Fallstricken in acht nehmen. Besonders sorgfältig hatte er die Argumentation des Gegners zu prüfen und jedes Wort bei seinem Doppelsinn abzuwägen279. Siegel hat die Gerichtsstätte den "Tummelplatz der kleinlichsten Wortkrämerei" genannt: "Denn die nächste Folge der Wortinterpretation war die, dass zum Nachteil des Redners das als gesagt galt und dem Urtheile zu Grunde gelegt wurde, was den Worten entsprach, nicht was in seinem Sinn und seiner Absicht gelegen war"280. Wie Kaufmann schon gesehen hat, liegt in Krimels Angebot zunächst eine bewußte Verhöhnung des Wolfes, indem ihm zugemutet wird, für diese Ehrverletzung Geld anzunehmen281. Ohne sich mit seinem Vorsprecher abzustimmen, klagt Isengrin daraufhin selbst, daß der Schaden nur halb soviel zähle wie die Schmach: Isengrin begonde aber klagen, er sprach: "ir herren, ich wil vch sagen, Der schade beswert mir niht den mvt halp so vil, so daz laster tvt." (V. 1409 ff) Auch an dieser Stelle treffen die zuvor gemachten Prämissen in bezug auf die Wiedergabe der rechtlichen Verfahrensweise282 zu. Hatte Heinrich zu Beginn der Verhandlung sehr ausführlich die Rechtsfigur der Erholung und Wandlung geschildert, so unterbleibt nun jeglicher Hinweis darauf, daß die klägerische Partei tatsächlich einen Wandel im Sinne der Rechtsfigur vornimmt, das heißt daß Isengrin die Rede 277
Ebenda. SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 70. 279 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 205. 280 SIEGEL: Die Gefahr vor Gericht und im Rechtsgang (1866), S.4f; s.a. S. 7. 281 KAUPMANN: Deutsches Recht (1984), S. 12. 278
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seines Fürsprechers für ungültig erklärt und selbst verbessert283. Entweder setzt Heinrich den Wandel stillschweigend voraus, oder er zeigt den Wolf, wie er einen Verfahrensfehler begeht. In der Tat erlaubte das deutsche Recht des Mittelalters dem Kläger nicht, sich vor Gericht zu äußern, wenn er einmal einen Vorsprecher genommen hatte: Openbare ne seal de man vor gerichte nicht spreken, sint he vorspreken (genomen) hevet... 284. Stattdessen konnte er den Vortrag seines Vorsprechers für ungültig befinden, um ein Gespräch bitten und sich mit ihm außerhalb des Gerichts verständigen oder ihm während der Verhandlung etwas zuraunen285. Wie dem auch sei, Isengrin hatte allen Grund dazu, sofort die Schlußfolgerungen des Dachses zu korrigieren, denn strafrechtlich betrachtet, hatte eine derartige Akzentuierung des Falles immense Folgen. Notzucht innerhalb des Landfriedens konnte bekanntlich zu der fraglichen Zeit mit dem Tode bestraft werden286; das besagte ja auch der königliche Erlaß im "Reinhart Fuchs". Die von Krimel vorgenommene "Modifizierung" der Klagebehauptungen verlagert das Gewicht von der peinlichen Strafe und der Gefahr für die Person zum zivilrechtlichen Schadensersatz und zum Bußenstrafrecht. Indem nicht mehr die peinliche Bestrafung des Beklagten zur Debatte steht, sondern nur noch eine finanzielle Entgeltung des Schadens, ändern sich der Charakter der Klage und die Prozeßführung grundlegend. Die peinliche Klage wird in eine bürgerliche umgewandelt287, und Leib und Leben des Beschuldigten sind nicht mehr gefährdet. Die Trennung zwischen Zivil- und Strafrecht war dem frühmittelalterlichen Recht und weithin auch dem mittelalterlichen Recht nicht bekannt und entwickelte sich erst nach und nach. Wie Kaufmann feststellt, verzeichnet der "Reinhart Fuchs" somit einen frühen Beleg für die Trennung des Deliktrechts in eine strafrechtliche und eine zivilrechtliche Seite: "Der gleiche Tatbestand - die Vergewaltigung der Wölfin durch den Fuchs - wird nämlich vom 283
Daß es sich hier um einen Wandel handelt, nimmt Schwab an (Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs [1967], S.72). Ein Indiz dafür wäre Isengrins "abermaliges Klagen" (V. 1403). Zu den erforderlichen Schlitten PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 196 ff. 284 SLdr.I 62 § 11 (ed. Eckhardt, S. 118); so auch RL 4: Turn anderen dat he mit nickte spreke (ed. Homeyer, S. 103). 28B SLdr. I 62 § 11; dazu PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 196 ff. 286 So SLdr. II 13 § 5; entsprechend der Landfrieden von 1221, c. 7. 287 Vgl. BUCHDA: Klage (1978), S. 842.
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Kläger als Straftatbestand, von dem Verteidiger als lediglich zivilrechtliches Unrecht dargestellt"288. 4.4.2 Urteilsfrage, Urteilsvorschlag und Urteilsfolge (V. 1413-1436) Nachdem Anklage und Verteidigung in "Rede" und "Widerrede" ihren Standpunkt dargelegt und einen entsprechenden Urteilsvorschlag unterbreitet haben, erfragte der Richter im mittelalterlichen Prozeß von sich aus oder auf Bitten der Prozeßparteien ein Urteil 289. "Urteil" war der Terminus technicus für alle Entscheidungen und Entscheidungsvorschläge vor Gericht (vgl. "Reinhart Fuchs" V. 1637, 1998)290. Durch Urteile wurde nicht nur über die Ansprüche und materiellen Befugnisse der streitenden Parteien entschieden, mit Urteilen beraumte man beispielsweise auch die Gerichtstermine an und stimmte über die einzelnen Verfahrensschritte ab291. Dem Endurteil gingen so eine Kette von Zwischenurteilen voran, die sich auf die einzelnen Etappen des Prozesses bezogen292. Da ein Charakteristikum des deutschen Rechts im Mittelalter die Trennung zwischen formaler Prozeßleitung (Richter) und Rechtsweisung (Urteiler bzw. Schöffen) war293, stellte der Richter die Urteilsfrage entweder an einen der Schöffen oder, wenn es - wie im königlichen Hofgericht - keine speziell zusammengesetzte Schöffenbank gab, an die Dingpflichtigen294. Grundsätzlich ging es nicht darum, Auskunft über neues Recht zu geben, sondern kurz auf bekannte, im konkreten Fall anzuwendende Rechtssätze hinzuweisen295. Zwar gehörte das Urteilfinden zur Dingpflicht296, wenn aber der Betreffende dazu nicht in der Lage war - schon der "Sachsenspiegel" spricht von rat288
KAUPMANN: Deutsches Recht (1984), S.12f. Wie gesagt, fehlen die Urteilsbitten der Parteien im "Reinhart Fuchs". Zur Urteilsfindung, s. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 248ff. 290 Vgl. die entsprechenden Wendungen V. 1413 ff, 1622 f, 1746 ff; s. SLdr.II 12 § 1-15; Lex. II, Sp. 2014 mit Hinweis auf RF V. 1637. 291 S. IGNOR: Indiz und Integrität (1986), S. 79. 292 S. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 304. 293 S.u. S. 189. 294 WEITZEL: Dinggenossenschaft und Recht l (1985), S. 131. 296 Vgl. LANDWEHR: "Urteilfragen" und "Urteilfinden" nach spätmittelalterlichen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen (1979), S. 27; s.a. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 297, 303. 296 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S.Slf, 248 ff. 289
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losen Urteilern297 -, so wurden andere Schöffen oder Dingpflichtige einzeln nacheinander befragt. Dem Urteils Vorschlag konnten die Anwesenden entweder zustimmen, ihm "folgen", oder widersprechen, das Urteil "schelten"298. Erst wenn die endgültige Entscheidung getroffen war, erfolgte das Richten durch den Richter, indem er den Urteilsspruch bestätigte und für seine Anwendung sorgte299. Die Wahl der Urteiler (vgl. "Reinhart Fuchs" V. 2121, 2164) aus dem Kreise der Dinggemeinde war ursprünglich zufällig, doch bildeten sich im Laufe der Zeit gewisse Anforderungen an die Betreffenden heraus: Sie sollten Ansehen genießen und über (gute) Rechtskenntnisse verfügen. Als Urteiler kam nur ein vollberechtigter Gerichtsangehöriger in Frage, der überdies ein Standesgleicher des Beklagten wie des Klägers sein mußte300. Dem Richter war die Einwirkung auf das Urteil untersagt301. Er konnte die Entscheidung höchstens über die Urteiler beeinflussen, indem er sie nämlich nach ihren Fähigkeiten oder auch nach ihrer Gesinnung auswählte. Saß der König dem Gericht vor und wurden Reichssachen verhandelt, war dieser Faktor der indirekten Beeinflussung sicher nicht zu unterschätzen302. Der Aufforderung des Richters zur Urteilsfindung war unbedingt nachzukommen. Nur beschworenes Unvermögen303 und enge verwandtschaftliche Beziehungen304 galten als Hinderungsgrund, 297
SLdr. II12 § 7: Swe ordeJes gevraget wert unde des nicht gevinden kan... (ed. Eckhardt, S. 138); s. dazu LANDWEHR: "Urteilfragen" und "Urteilfinden" nach spätmittelalterüchen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen (1979), S. 27. 298 S.u. S.174ff u. 204. Zu "Folge" und "Schelte", s. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S.262ff. Die Rechtsfindung im "Reinhart Fuchs" folgt diesbezüglich der allgemeinen Praxis. Insofern trifft Schwabs Schlußfolgerung, der König sei "völlig von seinen Ratgebern abhängig", nicht zu (Vgl. dies.: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs [1967], S. 153). 299 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 248ff; LANDWEHR: "Urteilfragen" und "Urteilfinden" nach spätmittelalterlichen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen (1979), S. 5f. 300 SLdr.II 12 § Iff; PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S.98ff. 301 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 103f, 301 ff. 302 Über die Rolle des Königs als Richter, s. FRANKLIN: Das Reichshofgericht im MittelalterII (1869), S.92ff; zu den Urteilern, S. 125ff; vgl. RÖDBL: Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reiches (1979), S. 32. 303 SLdr.II 12 §7. 304 RL48, 1.
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sich des Urteils zu enthalten. Freilich sollte niemand bestraft werden, wenn er aus Unkenntnis der Rechtslage zu einer falschen Schlußfolgerung gelangte: Vreget men enen man ordels, unde vint he it na sinen sinnen, so he it rechtes wet, al si it wol unrecht, he ne lidet dar nene not umme, entscheidet der "Sachsenspiegel"305. Die Frage nach dem ersten Zwischenurteil hat im "Reinhart Fuchs" der Hirsch Randolt zu beantworten. Bei der dem König schuldigen Treuepflicht soll er entscheiden, welches Urteil in dieser Angelegenheit rechtens sei: Der kvnic vragte bi dem eide der hirz, daz erz bescheide, Waz dar vmbe rechtes mvge sin. (V. 1413 ff) Vragen ist in V. 1413 ein Rechtswort in der Bedeutung 'um Urteil fragen'306, und bescheiden bedeutet in juristischem Sinne 'entscheiden'307, 'ein Urteil fällen'. Im "Schwabenspiegel" wie auch im "Richtsteig Landrechts" beispielsweise findet sich sehr häufig die von Heinrich in V. 1415, 1622 und 1748 verwendete Formulierung waz dar umbe reht si beziehungsweise wat dar rechtes umme si3081 mit der der rechtliche Sachverhalt festgestellt werden soll. Die Wendung bi dem eide (V. 1413, 1425, 1446, 1452, 1625, 1643) in bezug auf Urteilsfrage und Urteilsfindung bringt zum Ausdruck, daß die Aussage als "eidliche Beteuerung" gelten soll309. Die Rechtsfindung im Hoch- und Spätmittelalter geschah auffallend oft "auf den Eid", wobei es sich, je nach Gewichtung, um den Treueeid gegenüber der die Urteiler einsetzenden Instanz, also den König, handeln konnte oder, wenn die Gerichtspflichten stärker betont werden sollten, um den Amtseid310. Bi minem eide (V. 1425) verurteilt der Hirsch den Fuchs. Daraufhin ficht das Kamel dieses Urteil an und versichert zweimal bi dem eide (V. 1446, 1452), daß es ein besseres gefunden habe. Schließlich findet sich diese Wendung auch beim zweiten 306
SLdr. II 12 § 9 (ed. Eckhardt, S. 139). SLdr. II 12 § 9: Vreget men enen man ordels ... (ed. Eckhardt, S. 139); Schwsp. Ldr. 116; RWB 3, Sp.662. 307 RWB 2, Sp.72f; s.a. SLdr.III 21 § 2. 308 RL 14,3; 33,4; 37,3 etc. Weitere Beispiele bei HOMEYER: Der Richtsteig Landrechts (1857), S.433, Anm; Schwsp. Ldr. 116 (ed. Laßberg, S. 58). 309 RWB 2, Sp. 1303. Die entsprechende Formel im Magdeburger Recht lautet: So vrage her an eime vrteile z&rsückene. ob sie iz icht durch recht sagen sülen bi irme eide (ed. Wilhelm u.a., C.A.O.I, S.84, V.36f). 310 SCHEYHING, Robert: Eide, Amtsgewalt und Bannleihe. Eine Untersuchung zur Bannleihe im hohen und späten Mittelalter, Köln/Graz 1960 = Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd.2, S. 152. 306
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Urteilsvorschlag und der zweiten Urteilsschelte (V. 1625 und V. 1635). Von Interesse für die rechtshistorische Forschung ist, daß das deutsche Tierepos den ältesten Beleg bietet und im Deutschen Rechtswörterbuch an erster Stelle gebucht wird311. Wie die späteren Rechtsquellen zeigen, traten in bezug auf die eidliche Beteuerung zunehmend die Gerichtspflichten gegenüber der Untertanentreue in den Vordergrund. Heinrichs Darstellung der Prozeßhandlung ist eine Kritik an den Gerichtspersonen, denn ihr Verhalten steht in krassem Gegensatz zu dem Inhalt der Eidesformeln, die sie floskelhaft von sich geben. Die fehlende Integrität der mit der Justiz betrauten Figuren ist ebenfalls das Thema des ersten seit der fränkischen Zeit überlieferten Formulars des Andernacher Schöffeneides aus dem Jahre 1171: Quod nee partium, nee pretii respectu, non favoris vel odii intuitu, non timore territi vel proprio emolumento illecti ...312. Die Schöffen geloben also, im Sinne der Rechtsordnung zu urteilen und ohne Ansehen der Beteiligten, ohne Rücksicht auf materielle oder sonstige Vorteile oder von Zuneigung oder Abneigung beeinflußt, zu handeln. Anlaß für die Neuordnung in Andernach waren Mißstände in der Rechtspflege, denn die amtierenden Schöffen ließen sich von der Präsenz Mächtiger in ihrem Urteil beeinflussen313. Scheyhing nimmt an, daß der Gedanke der Unparteilichkeit und Unbeeinflußbarkeit auch in der folgenden Zeit die Rechtsprechung beherrscht habe, nur "weitere Formulare von Schöffeneiden sind erst für eine wesentlich spätere Zeit überliefert"314 und finden sich erst in den Gerichtsquellen seit dem 13. Jahrhundert315. Einen Hinweis auf die Existenz von Schöffeneiden im 12. Jahrhundert liefert auch der "Reinhart Fuchs", denn Heinrich hat die genannten Elemente in seiner Prozeßdarstellung aufgenommen. In ihrer eidlichen Beteuerung geloben nämlich die Urteiler im deutschen Tierepos, daß sie sich nicht durch Liebe oder Leid - durch Voreingenommenheit oder Bedrohung316 - (s. V. 1426, 1626) vom gerechten Urteilen abbringen lassen, sondern daß ihre Entscheidung allein auf ihren Rechtskenntnissen (V. 1427: von minen witzen) und ihrer Treuepflicht
311
RWB 2, Sp. 1301 ff mit Hinweis auf RF V. 1413 (Sp. 1303). KEUTGBN, Franz: Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte, Berlin 1901 = Ausgewählte Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte l, S. 12. 313 SCHEYHING: Eide, Amtsgewalt und Bannleihe (1960), S. 150. 314 Ebenda. 315 Ebenda, S. 181. 316 S.u. S. 204 ff, 219. 312
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(V. 1627) basiert. Dieser Befund stimmt insofern mit den Ergebnissen Scheyhings überein, als in den von ihm untersuchten spätmittelalterlichen Amtseiden für Richter und Schöffen immer wieder die genannten typischen Gerichtspflichten auftreten und der Eid auch die Treuepflicht enthalten konnte317: Urteiler und Richter sollten demnach gleich und gerecht richten, niemand zu "Lieb oder zu Leid", sich nicht bestechen lassen und nicht, wie der König im "Reinhart Fuchs", "Miete" und "Gabe" annehmen318 oder sich von Sympathie beziehungsweise Abneigung leiten lassen. Die Abwesenheit des Beklagten einmal außer acht gelassen, wurde in historischen Fällen, die eine vergleichbare Konstellation aufwiesen, zunächst über das Beweisurteil entschieden. Nach Planck gelangte in aller Regel der Beklagte aufgrund seines Widerspruchs zum Eid: "Er kommt zum Eide, weil er läugnet, aber mit Zeugen, weil sein in der Motivirung mit enthaltenes Zugeständniss die Schuld an sich als begründet erscheinen lässt"319. Anstatt nun die Gerichtsgemeinde auf die Säumnis des Beklagten hinzuweisen oder zumindest über das Beweisurteil zu entscheiden, fällt der Hirsch sogleich ein Urteil in der Sache: Randolt sprach: "her Ysengrin Hat vil lasters. vertragen, daz enmag evch nieman widersagen, Mit grozen vnmazen. 1420 es scholde in wol erlazen Reinhart mit siner kvndikeit. herre, daz sol vch wesen leit. Scholde er gehonen edele wip, phy, waz solde in danne der lip? 1425 Ich verteil im bi minem eide vnde dvrch deheine leide Wen von minen witzen. ir schvllet in besitzen, Vnde mvget ir in gevahen, 1430 so heizet balde gahen, Daz er werde erhangen, so habt ir ere begangen." (V. 1416 ff) In dieser von Emotionen nicht freien Stellungnahme stellt sich der Hirsch auf Isengrins Seite. Unter der Prämisse objektiver Rechtsfmdung (V. 1425 ff) folgt er in seiner dem Urteil vorangestellten Begrün317
SCHBYHING: Eide, Amtsgewalt und Bannleihe (1960), S. 179. S.u. S. 207; u. 216. 319 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 445. 318
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düng der Argumentation der Anklage. Unter Einbeziehung der Rechtsautorität (V. 1422, 1428 ff) weist er ebenfalls auf die öffentliche Komponente des Falles hin. Vorsichtiger äußert er sich über die Notzucht (V. 1423 f). Er erkennt Isengrins Klage an, scheint aber, wie übrigens auch noch andere aus der Gerichtsgemeinde320, seine Zweifel zu haben. Falls die behaupteten Vorwürfe zutreffen, muß der Beklagte festgenommen und gehängt werden (V. 1428 ff)321. Diesem Strafmaß liegen zwei Komponenten zugrunde: Erstens ist der peinlich Beklagte nicht vor Gericht erschienen und soll deshalb nach Meinung des Urteilers verfestet werden. Zweitens soll an ihm dann, ohne daß die Möglichkeit zur Verteidigung bleibt, die angedrohte Strafe für Landfriedensbruch vollzogen werden (s. V. 1240, 1384)322. Die Verfestung war eine vorläufige Acht, eine sogenannte "Gerichts" oder "Bezirksacht"323. Sie wurde hauptsächlich gegen den säumigen
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S. RF V. 1835ff, bes. V. 1841 ff: Er [Reinhart, d.Verf.] ist vern Hersantes amis, der sie beide hienge vf ein ris, Daz scholde nieman klagen niht, was solde ir der bosewicht? 321 Rechtssprachlich sind lasier in der Bedeutung 'Verbrechen' (HiRSCH: Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter [1922], S. 10; His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina [1928], S. 1) sowie haenen, 'erniedrigen', 'schmähen', 'verletzen' (RWB 5, Sp. 1405f). In vielen Rechtsquellen wird das letztgenannte Wort auf die Verletzung der weiblichen Geschlechtsehre bezogen, z.B. Leipziger Schöffenspriiche Nr. 14, (ed. Kisch, S. 83f). Weiterhin gehören der Rechtssprache an: besitzen, 'festnehmen' (RWB 2, Sp. 145); Lex. l, Sp.217 mit Hinweis auf RF V. 1428; gevähen, 'festnehmen', 'verhaften' (RWB 3, Sp.419); vgl. SLdr.III 37 § 1; III 70 § 2; heizen, 'befehlen' (RWB 5, Sp.686); erhenken, '(Er)hängen als Todesstrafe' (RWB 5, Sp. 177); Lex. I, Sp. 634 mit Hinweis auf RF V. 1431, 1862; vgl. MARSCHALL: Hängen (1971), Sp. 1988ff. 322 Wäre der Hirsch der Meinung gewesen, es hätte sich einwandfrei um ein Notzuchtsverbrechen gehandelt, hätte er sich womöglich für eine der typischen Strafen für diese Straftat, z.B. Enthauptung, ausgesprochen (vgl. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II [1935], S.154f). Frey, der keine Erklärung für dieses Strafmaß hat ("Zum behaupteten Tatbestand der Vergewaltigung hat die Strafe "Hängen" keinen typischen Bezug" [Zwei Varianten des "Reinhart Fuchs', 1985, S. 209]), kommt zu dem irrtümlichen Schluß, daß Heinrich das Strafmaß aus dem "Roman de Renart" übernommen habe, das die Barone nach den drei Ladungen über den Fuchs aussprechen (ebenda, S. 209). 323 lGNOR: Indiz und Intergrität (1986), S. 89.
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oder ungehorsamen Beklagten verhängt und bewirkte, daß der Betreffende innerhalb des Machtbereichs des Gerichts, das die Verfestung ausgesprochen hatte, provisorisch seinen Rechtsschutz verlor. Der Kläger oder der Richter und dessen Helfer konnten den Verfesteten festnehmen und vor Gericht bringen. Dort erfolgte dann die definitive Verurteilung des Täters; und zwar führte dessen (fortgesetzte) Rechtsverweigerung dazu, daß über ihn das Todesurteil gefällt wurde324. Zweifellos war die Lage für den Beklagten eine andere, wenn es ihm gelang, sich aus der Verfestung zu ziehen und er freiwillig vor Gericht erschien325. Wie die in den Versen 1437ff auf dieses Urteil geäußerte Kritik zeigt, hat sich der Hirsch mehr an subjektiven Kriterien orientiert denn an den geltenden Rechtsnormen. Weder Verfestung noch Hängen sind zu diesem Zeitpunkt angemessen, weil weder die formellen noch die materiellen Voraussetzungen gegeben sind. Zum einen konnte die Bezirksacht nur infolge einer Klage wegen ungericht ausgesprochen werden, die die peinliche Bestrafung des Täters verlangte326. Sie war zum Beispiel bei einer Klage auf Schadensersatz nicht statthaft327. Krimels Plädoyer hat indes gezeigt, daß die juristische Bewertung des Falls sowie die Ansichten über das Strafmaß höchst unterschiedlich sind. Wesentlich ist jedoch, daß die im Urteilsvorschlag geforderte umgehende Verfestung nur nach formgerechter Klage auf handhafter Tat erfolgen konnte328. In allen anderen Fällen hatte der Beklagte das Recht auf seine drei Gerichtstage, bevor er als überführt galt. Im Anschluß an den Urteilsvorschlag hatte der Richter zunächst die Versammelten zu fragen, ob sie des ordeles volgen329, ob sie dem Urteilsvorschlag zustimmten. Mittelhochdeutsch volgen ist das entsprechende Rechtswort, das auch Heinrich in V. 1434 verwendet. Die Frage 324
PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterII (1879), S. 296 ff. Ders., Bd. 1(1878), S. 779. 326 S.a. SLdr.I 68 § 1: Um anderes neue klage ne seal men den man vervesten ane umme de, de an dat lif oder an de hant geit (ed. Eckhardt, S. 128); RL 35,2; 37,4 u.ö. 327 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter II (1879), S. 292. 328 Ebenda, S. 295. 329 So der Sprachgebrauch des "Sachsenspiegels": ordel vinden unde ordeles volgen (Vorrede, V. 25f, ed. Eckhardt, S. 54). Volge war der Terminus technicus für die Zustimmung zu einem Urteil(svorschlag), s. RA 2, 501 f mit Hinweis auf RF V. 1434, 1632, 1756 (S. 502); RWB 3, Sp.605ff. Im "Sachsenspiegel" heißt das Nomen sonst vulbord, z.B. Ldr.II 12 § 10 (vgl. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI [1878], S. 262 if); RL 40,2 (vgl. HOMEYBR: Der Richtsteig Landrechts [1857], S. 507). 326
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zielte darauf ab festzustellen, ob das vorgeschlagene Urteil bestehendes Recht sei330. Es fand keine Beratung unter den Urteilern statt, die dann das Ergebnis vor Gericht eingebracht hätten, sondern "nach dem ersten Finden wird umhergefragt, ob die Uebrigen dem Urtheil folgen oder nicht"331. Homeyer bezieht sich mit dieser Erläuterung nicht nur auf das Gerichtswesen des "Richtsteig Landrechts", sondern auch ausdrücklich auf die entsprechenden "Reinhart Fuchs"-Stellen V. 1434ff, 1454, 1634fr332. Scheinbar einstimmig nehmen im "Reinhart Fuchs" die Anwesenden das Urteil an, als der König die Frage nach der Urteilsfolge stellt: er sprach: "ir herren, wolt irz volgen?" Sie sprachen: "ia" alle nach. (V. 1434 f) Die anderen Urteilsfolgen im Tierepos haben folgenden Wortlaut: vil schire volgeten si do. des volget manic gvt kneht.
(V. 1454) (V. 1634)
Ausführlicher lautet die Urteilsfrage in V. 1757 ff, nachdem Isengrin bereits ungefragt seine Zustimmung bekundet hatte: "des volge ich", sprach Ysengrin. Der kvnic fraget al vmme die wisen vnd die tvmmen, Ob iz wolde volgen die diet. (V. 1756 ff) Ähnlich ist der Sprachgebrauch im "Richtsteig Landrechts": So vrages de richter al umme333. Die Wendung al umme hat die Bedeutung "alle"334, bezieht sich auf den Typus von Abstimmung, bei dem die Anwesenden reihum ihre Meinung äußern, und korrespondiert mit diet, dem Rechtswort für den Umstand bei Gericht335. Bis zum Ende des Mittelalters verlangten viele Rechte Einstimmigkeit in Verfahrenssachen. Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip waren jedoch auch möglich, wie sie bereits der "Sachsenspiegel" 330
PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S.263. HOMBYBR: Der Richtsteig Landrechts (1857), S. 507. 332 Ebenda, S. 507, Anm. 333 48,2 (ed. Homeyer, S. 304). 334 S. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 254. 335 S. RWB2,Sp.930f. 331
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kennt336. Aufgrund einer Reihe von Hinweisen ist anzunehmen, daß es Heinrich in V. 1434 f und bei den anderen Urteilsfolgen weniger darum geht, die einstimmige Annahme des Zwischenurteils und damit ein verfahrenstechnisches Detail abzubilden, sondern er vielmehr die übereilte und manipulierbare Meinungsbildung der Prozeßteilnehmer kritisieren will. Um die Gesamtheit der Anwesenden zu erfassen, verwendet er mehrmals paarförmige Ausdrücke. Nach Grimm umschrieben ebenfalls die mittelalterlichen Rechtsquellen die Beteiligten mit Wendungen wie "die Alten und die Jungen"337: die tiere groz vnde kleine. (V. 1456) die alden vnd die ivngen. (V. 1610) beide die alten vnd die kint. (V. 1878) In V. 1758 trifft Heinrich jedoch eine Unterscheidung zwischen den Anwesenden (die wisen vnde iummen), die sich durch sachliche Inkompetenz sowie persönliche Vorbehalte gegen den Angeklagten auszeichnen und eiligst seine Verurteilung betreiben. Demgegenüber stehen die wenigen, die sich von der Gesamtheit durch ihre Rechtskenntnisse abheben. Sie gehören zu den wisen, wie das Kamel aus Tuschalan, das dem allgemeinen Trend nicht folgt. 4.4.3 Der Einspruch gegen das Urteil (V. 1437-1457) Die "Vollbord", das heißt nach der Terminologie des "Sachsenspiegels" das einstimmige Gesamturteil338, kommt nicht zustande, weil das Kamel Widerspruch anmeldet: Izn widerredet nieman wen ein olbente von Thvschalan. (V. 1437) Widerreden ist ein Rechtswort und bedeutet soviel wie 'Widerspruch einlegen', 'Einspruch oder Einwand erheben'339. Im "Richtsteig Land336
SLdr. II 12 § 10: Weder sprikt en de vulbord unde vint he en ander ordel, swelker de merre volge hevet, de behalt sin ordel... (ed. Eckhardt, S. 139); s.a. RL 48,3. 337 RA l, Einleitung, S. 8ff. 338 S. BECKER, Hans-Jürgen: Mehrheitsprinzip. In: HRGIII, 1984, Sp.431438, s. Sp. 435. ^HOMEYER: Der Richtsteig Landrechts (1857), S. 569; Lex. III, Sp.848 mit Hinweis auf RF V. 1437.
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rechts" heißt der entsprechende Terminus wederreden340, im "Sachsenspiegel" weder spreken341. Nach mittelalterlichem Recht handelte es sich um ein legales Mittel, Widerspruch gegen den Urteilsvorschlag anzumelden und die Urteilsfolge zu versagen, das oft von Dritten angewendet wurde, die nicht als Prozeßpartei betroffen waren342. Die Parteien hingegen bedienten sich oft der stärkeren Form des Widerspruchs, der später noch zu erläuternden Urteilsschelte343. Wie der Verfasser des "Reinhart Fuchs" zeigt, war es erforderlich, daß der Einspruch angekündigt, unmittelbar erhoben und ein neuer Urteils Vorschlag unterbreitet wurde344. Die Formel, mit der im "Richtsteig Landrechts" die Frage des Richters nach der Folge negativ beschieden wird, lautet folgendermaßen: Dunket di denne nicht recht so sprek: her richter, ik en vulbordes nicht, wen dit dunket mi rechter.. ,345. Daraufhin wurde der Betreffende aufgefordert, dem Gericht seinen Urteils Vorschlag zu unterbreiten: ... unde sprek den dot di recht dunket345. Auf das Wesentliche reduziert, heißt es im "Reinhart Fuchs" folgendermaßen: Ich höre mangen gvten kneht erteilen, daz mich dvnket vnrecht. (V. 1443 f)347 Das Kamel plädiert für folgende Verfahrensweise: bi dem eide wil ich vch zv rechte han, Swen man hie ze hove beklage, ist er hie niht, daz manz im sage Vnd sol in dristvnt vur laden. 1450 kvmt er niht für, daz ist sin schade 340 341
Z.B. 32,3.
Z.B. Ldr.II 12 § 10. 342 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 267. 343 S.u. S. 204. ^SLdr. 16 §4. 346 RL 48,3 (ed. Homeyer, S.304f). 346 RL 48,3 (ed. Homeyer, S. 305). 347 Erteilen (RF V. 1444, 1452), 'urteilen', 'ein Urteil feststellen' (RWB 3, Sp.294f) hatte Entsprechungen in den Wendungen 'Urteil finden, sprechen, geben, weisen' und weist nach Kroeschell in den südwestdeutschen Raum (KROBSCHBLL, Karl: "Rechtsfindung". Die mittelalterlichen Grundlagen einer modernen Vorstellung. In: Festschrift für Hermann Heimpel. Bd. 3, Göttingen 1970 = Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Bd. 36,3, S. 504). Unrecht bezeichnet in zahlreichen Rechtsquellen den Rechtsverstoß, s. z.B. RL49.1.
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Vnd sol im an sin leben gan. bi dem eide ich ditz erteilet han. (V. 1446 ff)348 Das neue Urteil besagt also, daß, wer auch immer vor dem Hofgericht angeklagt werde, aber abwesend sei, erst nach dreimaliger vergeblicher Ladung Rechtsnachteile erleiden und dann auch sein Leben in Gefahr sein soll. Wie der Vergleich mit den entsprechenden mittelalterlichen Rechtssätzen beweist, ist der Einspruch berechtigt und somit dieses Urteil rechtmäßig. Wie gesagt, hatte der Hirsch voreilig für eine Strafe plädiert, die erst eintreten konnte, wenn der Beklagte auch der dritten Ladung (unentschuldigt) fernblieb. In der Tat hatte man den Beklagten für den Fall, daß er nicht zugegen war, bei peinlicher Klage dreimal über 14 Tage zu einem "echten Ding" zu laden, einen Schöffenbarfreien über sechs Wochen. So bestimmen es unter anderem die Landfriedensgesetze des 13. Jahrhunderts, denen der "Sachsenspiegel" gefolgt ist: Swene men vor gerichte beklaget, n'is he dar nicht, men seal ene (vor) degedingen (wante) to'me naesten dinge. Swene men aver beklaget um ungerichte, deme seal men degedingen dries immer over virtenacht. Klaget men (um) ungerichte over enen vrien scepenbaren man, deme seal men degedingen dries immer over ses weken under koninges banne unde to echter dingstat349. Erst wer bei erfolgter dritter Ladung nicht vor Gericht erschien, wurde zur Festnahme verurteilt: Swe nicht vore ne kumt to'me dridden degedinge, den vervestet men350. Nach dem 348
Rechtssprachlich sind die Wendungen bi dem eide (s.o. S. 168), zuo rechte, 'die Rechtsnorm betreffend, von Rechts wegen' (HoMBYBR: Des Sachsenspiegels erster Theil [1861], S. 467; vgl. SLdr.I 63 § 2); hof bedeutet wieder Königshof mit dem königlichen Hofgericht (RWB 5, Sp.ll63f); beklagen, 'Klage erheben', 'anklagen', 'verklagen' (RWB l, Sp. 1502); dristunt, 'dreimal' (RWB 2, Sp. 1104 mit Hinweis auf RF V. 1449 als ersten Beleg); vürladen, 'vorladen', 'jemanden vor Gericht laden', 'ihn auffordern, sich zu stellen" (SLdr.II 14 § l, III 5 § 1; Lex. Ill, Sp.586 mit Hinweis auf RF V. 1449); vürkomen, 'sich einstellen', 'erscheinen' (vgl. SLdr.I 65 § 1; I 67 § 2; RL 37,3 u.ö.; Lex. Ill, Sp. 586 mit Hinweis auf RF V. 1450); schade bedeutet wieder den Rechtsnachteil (s.o. S. 37, 65ff, 69, 163f). Die Wendung on sin leben gan bezieht sich im Gerichtswesen auf das Verbrechen oder, wie im RF V. 1451, auf die Strafe. Hier ist das Gerichtsurteil gemeint, das dem Betreffenden an das Leben geht, ihn tödlich bedroht (RWB 3, Sp. 1495); zu erteilen, s.o. S.175, Anm.347. 349 SLdr. I 67 § l (ed. Eckhardt, S. 127f); vgl. den Rheinfränkischen Landfrieden von 1179, c. 6: Si reus perpetrato maleficio effugerit, per trinas XIIII dierum inducias citetur (MGH Const. I, Nr. 277, S. 381; ebenso der Sächsische Landfrieden von 1221, c. 17; Treuga Henrici von 1224, c. 17). 3BO SLdr.I 67 § 2 (ed. Eckhardt, S. 128); vgl. den Rheinfränkischen Landfrieden,
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"Sachsenspiegel"-Landrecht II 12 § 10 mußte der Richter anschließend auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips über die beiden Urteile abstimmen lassen. Das Urteil, das die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte, erhielt Gültigkeit: ... swelker de merre volge hevet, de behalt sin oriel.. ,351. Im "Reinhart Fuchs" entscheiden sich die Dingpflichtigen schnell für den Urteilsvorschlag des Kamels: Vil schire volgeten sie do Der olbente gemeine, die tiere groz vnde kleine. (V. 1454 ff) Ausdrücklich stellen die Rechte fest, daß im Falle eines Widerspruchs weder dem Finder des zuvor mehrheitlich angenommenen Urteils noch dem Richter eine Gerichtsstrafe zu zahlen sei352. Planck wertet das als "Bestätigung des allgemeinen Gedankens, dass das blosse Unterliegen mit aufgestellten Rechtsbehauptungen vor Gericht nicht strafbar ist, sofern die Behauptung nicht in einer beleidigenden Form vorgebracht wurde"353. Tatsächlich hatte sich der Hirsch recht vorsichtig zu den Anklagepunkten geäußert, und auch das Kamel hatte auf alle beleidigenden Vorwürfe verzichtet und recht schmeichelhaft auf die mangelnden Rechtskenntnisse von Urteiler und Gerichtsgemeinde hingewiesen: Sine kvnnen sich lichte niht baz verstau. (V. 1445) 'Sie verstehen sich vielleicht nicht besser auf Rechtssachen', lautet der lakonische Kommentar der mittels zahlreicher Hinweise als Expertin ausgewiesenen Kamelsdame aus Italien über die anderen Prozeßbeteiligten, bei denen es sich entsprechend der hochmittelalterlichen Gerichtsverfassung mehr oder minder um "Gelegenheitsjuristen" handelt, deren Verhalten nach Heinrichs Ansicht allen Grund zur Kritik bietet. Billigen die Anwesenden eiligst das erste Zwischenurteil (V. 1435f), so stimmen sie dem neuen Urteil, das das erste verwirft, ebenso rasch zu, als bestünde kein großer Unterschied zwischen beiden. Weitaus massiver greift deshalb auch in V. 1635 ff der Elefant den zweiten Urteiler an, der wiederum in der Sache statt in Verfahrensfragen entscheidet. c. 9: Si malefactores legitime citati ad ternas inducias XIIII dierum venire contempserii, ipsi ( . . . ) proscribantur (MGH Const. I, Nr.277, S.382; Entsprechungen wieder im Sächsischen Landfrieden und in der Treuga Heniici). 361 SLdr.II 12 § 10 (ed. Eckhardt, S. 139). 3B2 SLdr.II 12 § 10; RL 48,3. 363 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalterl (1878), S.265; a. SLdr.II 12 § 10.
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Die Tatsache, daß er ihn der bewußt falschen Urteilsfindung bezichtigt, weist auf die sogenannte "Urteilsschelte" hin, die schärfere und mit möglichen Rechtsnachteilen für den Intervenierenden verbundene Form des Widerspruchs354. Wie im "Roman de Renart" (Br. Va, 444ff) tritt das aus Italien stammende Kamel als Kontrastfigur zu den juristischen Laien am Königshof auf. Die dem weiblichen Kamel zugeschriebenen persönlichen Qualitäten sollen es als kompetent in Rechtssachen ausweisen: Die was frvmic vnde wis vnd dar zv vor alter gris. (V. 1439 f) Allein schon die Attribute vrümec, 'angesehen', 'rechtschaffen', 'gottesfurchtig'355, und wis, 'weise', zeichnen sie aus. Weisheit, sapientia, galt nach biblischer Tradition und antiker Überlieferung als Voraussetzung für das Herrscheramt und wurde später auch für Richter und Räte gefordert356. Nach mittelalterlichem Sprachgebrauch deckte 'Weisheit' in erster Linie den Verstandesbereich - Intelligenz und Erfahrung - ab357. In den lateinischen Quellen heißen die Urteiler deshalb sapientes oder prudentes356, und die mittelalterlichen Rechtsbücher - wie der "Schwabenspiegel" - verlangen vom Richter 'Weisheit' im Sinne der ethischen und moralisch determinierten Fähigkeit, Gut und Böse - daz vbel von dem guten, vnd daz gute von dem vbelen — zu unterscheiden359. Die richterliche Weisheit beginnt den Quellen nach mit der Gottesfurcht360, eine Eigenschaft, die wohl das Kamel besitzt, 364
Zur Urteilsschelte, s. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 267 ff; s.a. u. S. 204. 365 RWB 3, Sp.960 (fromm). 366 WEBER, Raimund J.: Sapientes. In: HRGIV, 1990, Sp. 1298-1302, s. Sp.l299f; ders.: Vir bonus et sapiens. In: Festschrift für Hansmartin Decker-Hauff. Bd. 2. Hrsg. v. Hans-Martin Maurer und F. Quarthai, Stuttgart 1982 = Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 41, S. 32-57, s. S. 45 ff. 367 DRÜPPEL, Hubert: Judex civitatis. Zur Stellung des Richters in der hochund spätmittelalterlichen Stadt deutschen Rechts, Köln / Wien 1981 = Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 12, S. 127. 358 ScHOLZ: Beiträge zur Geschichte der Hoheitsrechte des deutschen Königs zur Zeit der ersten Staufer (1138-1197), (1896), S. 22. 359 Schwsp. Ldr. 86 (ed. Laßberg, S. 42); dazu DRÜPPEL: Judex civitatis (1981), S. 127; WEBER: Vir bonus et sapiens (1982), S. 55; ders.: Sapientes (1990), Sp.1301. 360 DRÜPPEL: Judex civitatis (1981), S. 127; WEBER: Vir bonus et sapiens (1982), S. 55f.
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aber nicht der König, meint er doch, wegen seiner nachlässigen Justiz Gottes Zorn auf sich gezogen zu haben (vgl. V. 1319 f). Wie im weiteren Verlauf der Gerichtsverhandlung deutlich wird, ist Vrevel nicht nur gänzlich die Fähigkeit abhanden gekommen, das Gute von dem Bösen zu trennen, sondern er selbst verkörpert das Böse. An dieser Stelle (V. 1439 ff) ist der zwischen ihm und dem Kamel aufgebaute Kontrast bemerkenswert. Indem Heinrich die positiven Richterattribute einem anderen als dem obersten Richter im Reich zuschreibt, untergräbt er ein weiteres Mal das Bild vom idealen Herrscher und Richter. Im weiteren Verlauf des Prozesses zeigt Heinrich beständig, wie sich der König zu den von den Rechtsquellen geforderten Richtertugenden konträr verhält, sich als maßlos in seinem Verhalten erweist und sich korrupt gegen das Gute für das Böse entscheidet. Der Hinweis auf das hohe Alter der Urteilerin ist gleichzusetzen mit Kompetenz in Rechtssachen, weil es ja, wie gesagt, darum ging, aus der Fülle der Erfahrungen den passenden Rechtssatz zu finden361. Vielerorts wurde hervorgehoben, daß alte und weise Leute das Urteil finden sollten362. In Brunn beispielsweise sollte ein alter Mann nach einem Urteil in einer schwerwiegenden Angelegenheit befragt werden, ein junger Mann hingegen in einfachen Fällen363. Die Gestik des Kamels unterstreicht das Gesagte: Die fvze leite sie fvr sich vnde sprach .... (V. 1441 f) Es heißt zwar im "Schwabenspiegel" und anderen Rechtsquellen, daß das Urteil sitzend verkündet werden sollte364. Doch die Gebärde des Übereinanderlegens der Füße kam nur dem Richter zu und sollte die Ruhe und Überlegenheit ausstrahlen, mit der er Recht spricht. Dem Richter wurde deshalb vorgeschrieben, daß er bei Gericht sitzen sollte und wie er seine Beine zu legen hatte365: Dey richter sal sitten op syneme richterstole als ein grysgrymmich lowe und slan den rechteren voit 361
Wie S. 179, Anm. 362. S. z.B. das Magdeburger Recht: mit der wisesien lute rate (ed. Wilhelm u.a., C.A.O., S.78, V.30); Schwsp. Ldr. 117: mit wiser livte rate (ed. Laßberg, S. 59); vgl. FRANKLIN: Das Reichshofgericht im Mittelalter II (1869), S. 158. 363 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 253. 364 S.o. S. 146; vgl. Schwsp. Ldr. 117: Stende sol man vrteil verwerfen. Sitzende sol man vrteil vinden (ed. Laßberg, S. 59). 362
366
RA 2, S. 375; AMIRA / SCHWERIN: Rechtsarchäologie (1943), S.63, 65f.
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over den luchteren..., bestimmt die Soester Gerichtsordnung366. Andere Rechte verlangten ebenfalls vom Richter das Sitzen mit gekreuzten Beinen367. Für die Entschlüsselung der historischen Anspielungen im "Reinhart Fuchs" ist für Schwab aufschlußreich, daß das Kamel aus Thvschalan (V. 1438), das heißt Tusculanum, dem heutigen Frascati, stammt368. Auch in bezug auf den rechtlichen Hintergrund ist dieser Hinweis interessant, denn Oberitalien, besonders die Universität von Bologna, war vom 11. bis 13. Jahrhundert das Zentrum der europäischen Jurisprudenz369. Der Ruhm gründete sich zu dieser Zeit auf die Renaissance des klassischen römischen Rechts. Die Verbindung zum Reich wurde über Friedrich I. hergestellt370. Er unterhielt enge Kontakte zu den von ihm geschätzten römischrechtlich geschulten Juristen von Bologna, die sich nachweislich vorübergehend an seinem Hof aufhielten371. Er beanspruchte ihre Dienste, indem er zum Beispiel von ihnen die Reichsrechte in Italien feststellen ließ und sie auch zur Lösung von rechtlichen Problemen, den Kaiser und die oberitalienischen Kommunen betreffend, heranzog. Wie Appelt hervorhebt, war Barbarossa offensichtlich der Meinung, daß diese Legisten kompetent Auskunft geben konnten. Freilich wurde im Zusammenhang mit rein deutschen Fragen nie römisches Recht angewendet372. Diese Kontakte setzten später seine Nachfolger fort, bis sich dann Friedrich II. ausschließlich mit italienischen Beamten und Gelehrten umgab. Bei der Konzeption der Kamels-Juristin hat Heinrich analog zum "Roman de Renart" gewiß auch einen komischen Effekt beabsichtigt. Im französischen Tierepos hält sich das Kamel, ein lombardischer Legist, als Legat des Papstes 366
Soester Gerichtsordnung (2. Hälfte 15. Jahrhundert). In: DBÜS, WolfHerbert: Soester Recht. Eine Quellensammlung. 3. Liefg.: Altere Ordnungen, Soest 1971, Nr. 1999, S. 366. 367 Im "Roman de Renart" erhebt das Kamel sitzend Einspruch, weil ihm, dem Gesandten, ein Ehrenplatz neben dem König zugewiesen wurde (Br. Va, 444). 368 SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 149 ff. 369 LAUFS: Rechtsentwicklungen in Deutschland (2. Aufl. 1978), S.30ff. 370 APPELT, Heinrich: Friedrich Barbarossa und das römische Recht. In: Römische Historische Mitteilungen 5, 1961/62, S. 18-34; wiederabgedr. in: Friedrich Barbarossa. Hrsg. v. Gunter Wolf, Darmstadt 1975 = WdF 340, S. 5882, s. S. 59 ff. 371 ScHOLZ: Beiträge zur Geschichte der Hoheitsrechte des deutschen Königs zur Zeit der ersten Staufer (1138-1197), (1896), S. 4, 22f. 372 APPELT: Friedrich Barbarossa und das römische Recht (1975), S. 80.
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am Hofe des Königs auf, wird um ein exemplarisches Urteil in Sachen Renart - Ysengrin gebeten und verurteilt schließlich den Fuchs zum Tode. Anhand dieser Figur zeichnet Pierre de St. Cloud die Karikatur eines Legisten und parodiert mit ihm den gelehrten Juristenstand. Heinrich baut ebenfalls diesen Rechtsexperten als Kontrastfigur zu den anderen mit der Rechtspflege betrauten Figuren auf und folgt damit der Intention des "Roman de Renart". Freilich hat der deutsche Verfasser die Anspielungsebene verlagert. Man beachte: Obwohl weder nach deutschem noch nach römisch-kanonischem Recht Frauen als Gerichtspersonen denkbar waren373, handelt es sich im "Reinhart Fuchs" um eine Dame, die weit angereist ist und von einem Nimbus der Weisheit und Gelehrsamkeit umgeben ihre männlichen Kollegen in formgerechter Pose auf einen der einfachsten und selbstverständlichsten Rechtssätze aufmerksam macht. Inhaltlich bezieht sich die Kritik der italienischen Spezialistin allein auf deutsches Prozeßrecht, wenngleich es sich bei der dreimaligen Ladung um einen elementaren prozeßrechtlichen Grundsatz handelt, der vielen Kulturen eigen war374. So kennt schon die Hoftagsfabel der "Ecbasis captivi" die Mißachtung der dreimaligen Ladung375. Dieser Grundsatz bietet sich aufgrund des Prinzips der Dreizahl mit der ihm innewohnenden Steigerung für eine epische Ausschmückung geradezu an376. Die Eigenleistung des deutschen Verfassers besteht darin, daß er die juristischen Grundlagen dem deutschen Recht entlehnt und als Bestandteil eines deutschrechtlichen Prozesses ausgestaltet hat. Dieser Prozeß spiegelt ein gewöhnliches Verfahren nach deutschem Gewohnheitsrecht wider, wie es vielleicht in dieser strengen Form am Königshof nicht üblich war. Im Unterschied dazu betont der "Roman de Renart" die Beratung der Fürsten, das consilium, gegenüber dem indicium377. Freilich bemerkt Schwab zu recht, daß man nicht in Italien 373
PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 177 f. Zu erwägen ist, ob die Einführung der Kamelsdame durch die spätere Erhebung zur Äbtissin von Erstein motiviert ist (s.u. S. 214ff). 374 SELLBRT, Wolfgang: Ladung. In: HRGII, 1978, Sp. 1336-1350, s. Sp.1336. 375 Dazu JAUSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959), S. 87. 376 Vgl. OLRIK, Axel: Epische Gesetze der Volksdichtung. In: ZfdA 51, 1909, S. 1-12, s. S. 3f, 7,11. 377 Die strenge Scheidung von land- und lehnrechtlicher Kompetenz, wie sie das deutsche Recht praktizierte, blieb der französischen Rechtsentwicklung fremd, vgl. BRUNNBR, Heinrich: Wort und Form im altfranzösischen Prozess. In: Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften, phil.-hist.
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gewesen sein muß, um derartige Prinzipien wie die dreimalige Ladung zu kennen378. Wohin führt es also, wenn die Urteiler nicht mehr die einfachsten Grundlagen der alltäglichen Rechtsprechung beherrschen? Was Heinrich mit einer der Karikatur eigenen Übertreibung vorbringt, ist eine Kritik an unsachgemäßer und beeinflußbarer Justiz. Sollten er oder einige Zeitgenossen Vergleichbares erlebt haben? Kamen solche Vorfälle womöglich am staufischen Hof vor, der erwiesenermaßen großen Wert auf die juristische Absicherung seiner politischen Entscheidungen gelegt hat379? Oder spielt Heinrich auf Prozesse gegen Reichsfürsten am königlichen Hofgericht an, bei denen das Prinzip der dreimaligen Ladung zum Tragen kam380? 4.4.4 Die Klage mit dem Toten (V. 1458-1510) Bevor die Verhandlung mit der Ladungsaufforderung des Beklagten fortgesetzt werden kann, wird sie überraschend unterbrochen. Pinte und Schantekler, das Hühnerpaar, betreten den Gerichtskreis und klagen gegen den Fuchs. Auf einer Bahre führen sie den Leichnam ihrer Tochter mit sich, die Reinhart am selben Tag, wie sie unter Jammergeschrei versichern, getötet hat: Schantecler qvam do Vnde vor Pinte zware, 1460 sie trvgen vf einer bare Ir tochter tot, daz was ir klage, die hatte an dem selben tage Erbizzen der rote Reinhart. (V. 1458ff) Unter strafrechtlichem Gesichtspunkt erheben sie Klage mit Gerüfte gegen den geflohenen Täter. Nach dem Klagevortrag zu urteilen, sind alle Bedingungen einer verstärkten Klageform erfüllt, so daß sich daKlasse, Wien 1868. Bd. 57, S. 655-780; wiederabgedr. in ders.: Forschungen zur Geschichte des deutschen und französischen Rechtes. Gesammelte Aufsätze, Stuttgart 1894 (ND Aalen 1969), S. 260-389, s. S. 261. 378 SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 41. 379 S. BAAKBN: Recht und Macht in der Politik der Staufer (1975), S. 553 ff. 380 Das war z.B. der Fall bei den Prozessen FriedrichsI. gegen die Erzbischöfe Konrad (und seinen Nachfolger) und Adalbert von Salzburg (1174), bei den vier Prozessen gegen Heinrich Jasomirgott (1152-1154) und gegen Heinrich den Löwen (1180); vgl. SCHOLZ: Beiträge zur Geschichte der Hoheitsrechte des deutschen Königs zur Zeit der ersten Staufer (1138-1197), (1896), S. 27.
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mit Reinharts Rechtsposition erheblich verschlechtert381. Der "klassische Fall" von handhafter Tat, wie er zunächst in den mittelalterlichen Rechtsquellen erfaßt wurde, liegt freilich im "Reinhart Fuchs" nicht vor, denn zwei wesentliche Voraussetzungen sind nicht gegeben: Der Täter ist flüchtig, und es sind, sofern Finte und Schantekler tatsächlich allein erschienen sind, nicht genügend die Klage unterstützende Zeugen vorhanden. Dabei brauchte es sich nicht um Wahrnehmungszeugen zu handeln, sondern um Helfer und Mitschwörer der Partei im gerichtlichen Verfahren382. Sie durften nicht einmal dann fehlen, wenn der Täter gefangen und gebunden vor Gericht gebracht wurde383. Die Angaben, die Heinrich über den Tathergang und die Klageform macht, weisen vielmehr auf die sogenannte "Klage mit dem Toten", beziehungsweise "Klage mit dem toten Mann"384. Dieses Verfahren war ursprünglich eine Form des Verfahrens gegen den auf handhafter Tat gefaßten Mörder oder Totschläger, wurde dann aber später auch eingeleitet, wenn keine handhafte Tat vorlag. Belege dafür finden sich in den Rechtsquellen des 14. Jahrhunderts, wobei in einigen rechtshistorischen Abhandlungen hervorgehoben wird, daß der "Reinhart Fuchs" - wie auch seine Vorlage beziehungsweise die späteren Bearbeitungen des Fuchsstoffes - die epische Ausprägung für diese Klageform bietet385. Erneut findet sich im deutschen Tierepos eine juristische Aktion literarisch umgesetzt, die in den Rechtstexten erst mit zeitlichem Abstand fixiert worden ist. Wie die "Klage mit dem toten Mann" gegen den abwesenden Täter zu führen und welche Formalitäten einzuhalten waren, geht aus dem "wohl noch vor 1350" entstandenen rheinfränkischen "Blutrecht von Bacharach" (Hunsrück) hervor386. Trotz der von Heinrich vorgenommenen Kürzungen in bezug auf den formalen Ablauf stimmen Weistum und Dichtung in den wesentlichen Verfahrenspunkten überein und werden im folgenden gegenübergestellt. In der Regel bediente sich der 381
S.o. S. 149.
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SCHBYHING, Robert: Eideshelfer. In: HRG I, 1971, Sp. 870-872, s. Sp.870. WERKMÜLLER, Dieter: Handhafte Tat. In: HRG I, 1971, Sp. 1965-1973, s. Sp.1969. 384 Zu dieser Klageform: BRUNNER, Heinrich: Die Klage mit dem toten Mann und die Klage mit der toten Hand. In: ZRG GA 31, 1910, S. 235-252; WERKMÜLLER: Klage mit dem toten Mann (1978), Sp.849ff; RA 2, S. 519 ff. 383
386
S. BRUNNER: Die Klage mit dem toten Mann und die Klage mit der toten Hand (1910), S.239f; WBRKMÜLLER: Klage mit dem toten Mann (1978), Sp.850f. 386 Weist. 2, S. 211, Anm.2; Textabdruck ebenda, S. 211-214.
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Kläger bei dieser Klageform eines Fürsprechers, denn die Gefahr war für ihn wie für den Beklagten bei einer peinlichen Klage größer als bei einer einfachen Klage387. Der Fürsprecher erfragte zu Verhandlungsbeginn den genauen Zeitpunkt für das Gerüfte, wie er ebenso für heutige Begriffe umständlich feststellen ließ, wann und in Kombination mit welcher Handlung die zweimalige Wiederholung des Klagegeschreis stattfinden mußte. Auf diese Formalitäten sowie das Ausrufen und Ausbürgen des abwesenden Beklagten388 verzichtet der deutsche Verfasser. Laut Bacharacher Recht wurde von den Angehörigen des Toten die Namensnennung des Täters und ein dreimaliges Gerüfte verlangt: So sollent sy den morder nennen bit namen, und sullent schryen über den, der uns usen frünt und maig ermordet hat, ye zu dry stunt389. Heinrich erwähnt nur das einmalige, vielleicht das letzte, unmittelbar vor Gericht ausgestoßene Gerüfte, nennt indes den Täter, die Tat und das Opfer: ... "kvnic, vernim, waz ich dir sage: Dv solt wizzen gewerliche, 1470 dir honet Reinhart din riche, Des hat er sich gevlizzen. owe, er hat mir erbizzen Mine tochter also gvt." (V. 1468ff) Ausführlicher geht der Verfasser des "Reinhart Fuchs" auf das Begräbnis des toten Huhns ein. Daß der Leichnam überhaupt vor Gericht gebracht werden mußte, steht für Heinrich Brunner, der diese Verfahrensform ausführlich untersucht hat, in Zusammenhang mit der germanischen Auffassung, daß der Tote aktiv am Rechtsleben beteiligt war und er selbst im Grunde genommen klagte390. Die Begründung, die der "Sachsenspiegel" diesbezüglich gibt, hat sich von dieser Vorstellung gelöst. Nach dem sächsischen Recht hatte die Vorführung des Leichnams im Hochmittelalter nur noch Beweischarakter. Die Tat sollte ersichtlich, scinbare, werden391. Eine Widerlegung des Augenscheins, der sogenannten "leiblichen Beweisung"392, war dann nicht 387
S. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalterl (1878), S. 764; HOMBYBR: Der Richtsteig Landrechts (1857), S. 444. 388 So im Blutrecht von Bacharach (Weist. 2, S. 211ff). ^Ebenda, S.212. 390 BRUNNER: Die Klage mit dem toten Mann und die Klage mit der toten Hand (1910), S. 249f. 391 SLdr.II 64 § 3; s.a. RL 31,1, dazu HOMBYBR: Der Richsteig Landrechts (1857), S. 475ff. 392 S. KORNBLUM, Udo: Blickender Schein. In: HRGI, 1971, Sp.452-454.
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mehr möglich. Infolgedessen durfte der Leichnam nicht vor Ende des Verfahrens, beziehungsweise erst nach Klageerhebung und gelungener Überführung, mit richterlicher Erlaubnis bestattet werden393. Das Bacharacher Blutrecht verlangte diesbezüglich: So sail der cleger urlaup heischen den doden zu begraben: so sail der schultheisse yme Urlaub gebin394. Kürzer wieder Heinrich: Vrevel hat die Erlaubnis erteilt und befiehlt seinem Kaplan, das Begräbnis vorzunehmen: Der kvnic hiez singen gan hern Brvnen, sinen kaplan, Vnd ander sine lereknaben. der tote wart schire begraben. (V. 1485 ff) Ein Vergleich mit dem "Roman de Renart" belegt erneut die guten Rechtskenntnisse des deutschen Verfassers. Deutscher Rechtspraxis entsprechend läßt Heinrich Schantekler als den nächsten männlichen Blutsverwandten die Klage erheben. Im "Roman de Renart" ist es jedoch Finte, die den Tod ihrer Schwester am Königshof beklagt. Die Abweichung hat einen triftigen Rechtsgrund. Wie schon ausgeführt395, konnte eine Frau nach deutschem Recht nicht ohne Vormund klagen. Deshalb hätte das "Erfordernis der Geschlechtsvormundschaft"396 eine Totschaftsklage der Henne von vornherein ausgeschlossen. Anders in Nordfrankreich: "Nach nordfranzösischen Coutumes bedurfte das Weib keines Vogtes", schreibt Brunner in seiner Abhandlung über "Die Klage mit dem toten Mann"397. Noch ein weiterer verfahrenstechnischer Unterschied besteht zwischen dem "Roman de Renart" und dem "Reinhart Fuchs". In der Branche I des "Roman de Renart" treten die Hühner selbfünft auf: ... Chantecler et Finte Qui a la cort venoit soi qinte Devant lo roi de Renart pleindre (Br. I, 279 ff) 393
SLdr.III 90 § 2. Im 14. Jahrhundert ging man dazu über, den Leichnam durch die abgetrennte Hand des Toten zu ersetzen. Schließlich wurde auch eine Nachbildung aus Wachs akzeptiert, vgl. BRUNNER.: Die Klage mit dem toten Mann und die Klage mit der toten Hand (1910), S. 240. 394 Weist. 2, S. 213. 396 S.o. S. 158. 396 BRUNNER: Die Klage mit dem toten Mann und die Klage mit der toten Hand (1910), S. 240. 397 Ebenda.
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Diese Darstellung stimmt mit flandrischen und nordfranzösischen Rechtsquellen überein, denn nach diesen Rechten hatten fünf Verwandte den Toten zu beklagen, wobei man nach Brunner den Wortführer "als Oberkläger von den vier Hilfsklägern, welche die vier Viertel der Sippe vertreten"398, unterschied. Heinrich nimmt die Fünfzahl nicht wieder auf, vermutlich weil das nach deutschem Recht äußerst ungewöhnlich gewesen wäre. Bei der klassischen Handhaftklage nach deutschem Recht bedurfte der Kläger noch sechs Zeugen. Bei der späteren Klageform mit dem Toten hieß es ganz allgemein, daß die Verwandten die Leiche vor Gericht bringen mußten399. Statt eines sofortigen Endurteils verlangte das "Blutrecht von Bacharach", wie auch der "Richtsteig Landrechts", daß der Beklagte zunächst ordnungsgemäß geladen werden mußte, bevor nachteilige Rechtsfolgen einsetzten: so wyset der scheffen und der lantman, daz er yme einen dag und vertzehn nacht sal stellen, syn recht und syn ere zu verantworten*00. Folgte der Beklagte weder der ersten noch der zweiten Ladung, mußte er auch noch ein drittes Mal geladen werden: Enqueme er uff die dage nyt, so sal er yme aber stellen einen dag und vertzehin nacht*01. Auf die Mißachtung der dritten Ladung trat Sachfälligkeit ein, so daß der Beklagte als überführt galt und sich nicht mehr verteidigen durfte: Inkumet er aber uff den lesten dag nyt, so hait er syn recht, und syne ere verloren, und enmag sich nummerme verantwerten*02. Er wurde verurteilt und sofort verfestet403. Die im Anschluß an diese Klage zu treffenden Maßnahmen stimmen folglich mit dem Urteilsvorschlag des Kamels im "Reinhart Fuchs" überein. Daran kann auch die Jenseitsvision des Hasen (V. 1489 ff) nichts ändern, die die Stimmung gegen Reinhart weiter schürt. Das von ihm getötete Huhn wird aufgrund dessen zu einer Heiligen erklärt, die den Märtyrertod gestorben ist. Neben der Parodie auf die kirchliche Praxis von Heiligsprechung und Heiligenverehrung fällt das von Heinrich benutzte Vokabular auf, insbesondere die Rechtswörter vntat (V. 1505) und missetat (V. 1509) für Reinharts Verbrechen. Der Terminus "Verbrechen" findet sich erst im 15. Jahrhundert404. Zuvor benannten vor allem missetat und untdt 398
Ebenda, S. 251. S. Blutrecht von Bacharach, Weist. 2, S. 211 ff. 400 Ebenda, S. 213; dazu HOMEYER: Der Richtsteig Landrechts (1857), S. 499 f. 401 Weist. 2, S. 214. 402 Ebenda. 403 HOMBYBR: Der Richtsteig Landrechts (1857), S. 450. 404 His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 1; 399
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im deutschen Mittelalter die schwere Straftat, wobei beide Ausdrücke häufig in technischem, vielfach auch in religiösem Sinne begegneten405. Sie bezeichneten auch das Verbrechen im Sinne der biblischen Bedeutung "Sünde"406. Daß die Stimmung gegen Reinhart gerichtet und eine objektive Verhandlungsführung zweifelhaft ist, zeichnet sich an der Reaktion des Königs auf die Klage mit dem Toten ab. Wie schon der erste Kläger407, verfolgt auch der zweite die Strategie, die Gerichtsgewalt in die Klage mit einzubeziehen408. Schantekler weist nämlich den König daraufhin, daß nicht nur das Recht eines Einzelnen verletzt worden sei, sondern das Gemeinwesen insgesamt durch Reinharts Rechtsbrüche geschwächt wurde, was Rückschlüsse auf die Autorität des Königs zulasse: Dir honet Reinhart din riche. (V. 1470) Der König reagiert darauf unbeherrscht: einen zornigen mvt 1475 Gewan der kvnic here, die klage mvet in sere Vnd sprach: "sam mir min bart, so mvz der fvchs Reinhart Gewislichen rovmen ditz lant, oder er hat den tot an der hant." (V. 1474 if) Er schwört also, den Fuchs des Landes zu verweisen. Andernfalls müsse Reinhart sterben. Rechtssprachlich sind in dieser Stelle daz lant roumen, 'das Land verlassen'409, wie den tot an der hand haben, 'dem Tod nahe sein', 'sterben müssen'410. Vrevel spricht dieses vernichtende Urteil 'bei seinem Barte' aus. Dem Schwören oder Bekräftigen der Aussage bei Körperteilen, bei Haar, Bart oder anderen Gegenständen HIRSCH: Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter (2. Aufl. 1922), S. 10. 40B MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S.223; s.a. His: Das Strafrecht des deutschen MittelaltersI (1920), S. 38. 406 RA 2, S. 177; a. Lex. II, Sp. 1943 mit Hinweis auf RF V. 1505. 407 S.o. S.156f; vgl.u. S.200. 408 Vgl. RL 31,1; 35,1; 44,1 u.ö. 409 DWB 11,1,1, Sp.511, s.a. DWB 4,2, Sp.347. S. HOLZHAUER, Heina: Landesverweisung (Verbannung). In: HRG II, 1978, Sp. 1436-1448. 410 S.a. RF V. 1669ff und 1804f.
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liegt ein älterer sakraler Kern zugrunde. Er verweist noch auf den Gedanken der bedingten Selbst Verfluchung im Falle eines Meineides, indem die Leibesglieder wie auch Freiheit und Ehre als Pfand eingesetzt wurden411. Nach Grimm sind Schwüre beim Bart mit der entsprechenden Gebärde häufiger Bestandteil der Dichtung, kommen jedoch in den Gesetzen nicht vor412. Vrevels Urteil über Reinhart lautet auf Verbannung, eine schon im 12. Jahrhundert bezeugte, vor allem in den spätmittelalterlichen Stadtrechten häufig ausgesprochene Strafe413. Die Verbannung galt als bequemes Strafmittel, weil sie keinerlei Kosten verursachte und die Gemeinschaft auf Zeit oder für immer von einem lästigen oder gefährlichen Menschen befreite414. Nach His verhängte sie der König bereits in fränkischer und frühmittelalterlicher Zeit als arbiträre Strafe gegenüber todeswürdigen Straftätern, "denen er aus Gnade das Leben schenkt"415. Obwohl die Verbannung zu den willkürlichen Strafen zählte, setzte sie doch immer ein rechtsgültiges Urteil voraus416. Da eine eigenmächtige Verurteilung des Fuchses nicht in der Kompetenz des Königs liegt417 und die Verhandlung rechtmäßig fortgesetzt wird, zeigt Heinrich an dieser Stelle keinen Rechtsakt, sondern den Zornes411
S. Wörterbuch des deutschen Aberglaubens 2, 1929/30, Sp.661; ERLER: Eid (1971), Sp. 861f; SCHMIDT-WIEGAND: Gebärden (1971), Sp. 1415; SCHMIDT-WIEGAND, Ruth: Haar. In: HRGI, 1971, Sp. 1880-1884, Sp. 1883: "Ein Rest des Gelübdes beim H.[aar] oder Bart ist es, wenn bei W i l l e n s e r k l ä r u n g e n , bei denen die Rechte eine symbolische Handlung ausführte ( . . . ) , die linke Bart oder H.[aar] zu berühren hatte." Vgl. a. RA l, S. 203. 412 RA 2, S. 549; s.a. RWB l, Sp. 1241 f. S. z.B. Konrads von Würzburg "Otto mit dem Barte", V. 16, 240, 253 u.ö. (ed. Hahn); Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, V. 505 (ed. Wapnewski). 413 Nach His (Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I [1920], S. 533, Anm.2) kennen die großen Rechtsbücher des 13. Jahrhunderts die Verbannung nicht. Sie ist eine der Hauptstrafen in vielen Stadtrechten des Spätmittelalters; vgl. ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 46, 89f; MITTEIS/LIEBERICH: Deutsche Rechtsgeschichte (16. Aufl. 1981), S.279. 414 His: Das Strafrecht des deutschen MittelaltersI (1920), S.533. 415 Ebenda, S. 537. 416 His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 70. 417 Es gab nur wenige Abweichungen von dem Grundsatz, daß der Richter nur mit Urteilern oder Schöffen richten sollte, s. LANDWEHR: "Urteilfragen" und "Urteilfinden" nach spätmittelalterlichen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen (1979), S. 8ff; PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 116.
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ausbruch des in seiner Autorität gekränkten Herrschers418. Diese Willenserklärung wurde zwar im Affekt gemacht und beeinflußt den Gang des Verfahrens nicht unmittelbar. Dennoch bezeugt sie die parteiische Prozeßführung König Vrevels. Wie schon bei der "Ameisenepisode"419 betont Heinrich Eigenschaften, die den in den Rechtsquellen aufgeführten richterlichen Tugenden widersprechen. Neben der Gerechtigkeit (rehte) fordert der "Schwabenspiegel" vom Richter Weisheit (wisheit), Beständigkeit (staete) und das Vrevel fehlende maßvolle Handeln (maze)420. 4.4.5 Die Ladung des Beklagten (V. 1511-1514; V. 1647-1651) Wie erwähnt, wird die Verhandlung ordnungsgemäß fortgesetzt. Einmütig bittet die Dinggemeinde den König, er möge dieses Verbrechen421 'richten': Sie baten alle geliche, daz der kvnic riche Dise vntat vaste richte. (V. 1503 ff) Mittelhochdeutsch richten entspricht nicht dem Urteilfinden422 und ist deshalb nicht mit der neuhochdeutschen Bedeutung gleichzusetzen, sondern bezeichnet die vielfältigen Aufgaben des Richters, des "geschäftsleitenden Vorstand(es) des Richtercollegiums"423, während des Prozesses. Zwar wird im "Sachsenspiegel" an keiner Stelle inhaltlich beschrieben, wie das Richten durch den Richter zu erfolgen habe, doch finden sich in bezug auf seine Tätigkeit eine Reihe von Vorschriften. Wie schon erwähnt424, sollte der Richter nur das Urteil erfragen, es weder finden noch schelten. Er gab der Partei einen 418
Klibansky hält fälschlicherweise Vrevels Wutausbruch für ein rechtskräftiges Urteil (Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen des 12-14. Jahrhunderts [1925], S.51). 419 S.o. S. 126 u. 130. 420 Schwsp. Ldr. 86: vgl.o. S. 131, u. S. 219. 421 Zu 'Untat' im Sinne von Verbrechen, s. HIRSCH: Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter (2. Aufl. 1922), S. 10. 422 LANDWEHR: "Urteilfragen" und "Urteilfinden" nach spätmittelalterlichen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen (1979), S. 2. 433 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 303. 424 S.o. S. 166.
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Fürsprecher, gestattete das Begräbnis Getöteter etc.425. "Der Richter gebietet und verbietet, erlaubt und untersagt, was von den Urteilern to rechte gevunden ist", faßt Landwehr dessen Rolle in der hochmittelalterlichen Gerichtsverfassung zusammen426. Demzufolge ist der Appell der Dinggemeinde im "Reinhart Fuchs" als Aufforderung zu verstehen, die nötigen Schritte für die ordnungsgemäße Fortsetzung der Verhandlung zu ergreifen. In diesem Fall heißt das, den Beklagten vorzuladen427. Spätestens seit dem 13. Jahrhundert erfolgte die Ladung des Beklagten regelmäßig durch richterliche Verfügung428. Von den verschiedenen Termini der Rechtsquellen - vorladen, degedingen, heischen etc.429 - kommt gebieten*30 dem Sprachgebrauch des "Reinhart Fuchs" am nächsten: "so kum für unde entrede dich,/ daz gebutit dir der kunic rieh." (V. 1531 f, Hs. S) ... man sal im noch eines gebieten Her fvr dem neven min." (V. 1774 f, Hs. K) Analog zum "Roman de Renart" (Br. Va, 611 ff; Br. I, 476 ff) muß der Bär Brun auf Geheiß des Königs das Botenamt übernehmen431: Der kvnic hiez sinen kapelan, hern Brvn, nach Reinharten gan. (V. 1511 f) 425
KÖBLER, Gerhard: Richten-Richter-Gericht. In: ZRG GA 87, 1970, S. 57113, s. S. 60ff; PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 301 ff. 426 LANDWEHR: "Urteilfragen" und "Urteilfinden" nach spätmittelalterlichen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen (1979), S. 6; vgl. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 303; IGNOR: Indiz und Integrität (1986), S. 79. 427 Heinrich zeigt also - trotz der "Zwischenfälle" - korrekte Rechtsanwendung, so daß Freys Schlußfolgerung nicht zutrifft: "Fast gewiss ist, dass Vrevel hier nicht das nach gängigem Recht Richtige tat" (Zwei Varianten des 'Reinhart Fuchs'[1985], S. 219). 428 RL 14,2; vgl. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 343; SELLERT: Ladung (1978), Sp. 1336ff. 429 S. z.B. Schwsp. Ldr. 50; SLdr.I 67 § 1. 430 RWB 3, Sp.1244: 'vorladen', 'vor Gericht rufen'. An anderen Stellen im "Reinhart Fuchs" wird der Ladungsvorgang umschrieben (V. 1648, 1669f, 1742, 1749, 1776). Zu diesem Vorgang gehört semantisch gesehen auch das Rechtswort böte (V. 1322, 1593, 1641, 1749, 1776) mit seinen Komposita lotschaft (V. 1739) und botenbrot (1779), s. RWB 2, Sp.426ff, 430. 431 Heizen, 'befehlen', 'anordnen', ist rechtssprachlich, s.o. S. 171, Anm. 321; vgl. RWB 3, Sp. 1487f.
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Üblicherweise wurde dem Betreffenden die Ladung in seinem Haus oder Hof überbracht432. Im "Reinhart Fuchs" suchen die Boten den Fuchs in seiner im Wald gelegenen Burg auf (V. 1517ff, 1657ff, 1795ff). Brun und Dieprecht versuchen jedoch, sich der richterlichen Anordnung zu widersetzen. Als Grund für seine Weigerung führt als erster Brun not an: Des wold er weigern dvrch not, doch tet er, daz der kvnic gebot. (V. 1513 f) Hinter dieser Aussage verbirgt sich ein komplexer juristischer Sachverhalt, der - wie die Weigerung insgesamt - nicht im "Roman de Renart" zu finden ist. Weigern ist rechtssprachlich und bezieht sich auf eine Rechtsverweigerung433. Als Begründung macht der Bote not geltend, der Schlüsselbegriff in dieser Passage (V. 1512). Gemeint ist die sogenannte "echte" oder "ehaftiu not", allgemein der Entschuldigungsgrund in allen Bereichen, nicht nur der Justiz, für passives und säumiges Verhalten. In erster Linie verstand man im mittelalterlichen Recht darunter die rechtsgültige Entschuldigung zum Erscheinen vor Gericht434. Dieses Rechtsinstitut sollte verhindern, daß die Sanktionen wegen Säumnis oder Ungehorsam denjenigen trafen, der bewiesenermaßen seinen Pflichten wegen "höherer Gewalt" nicht nachkommen konnte435. Getreu ihrer Anlage zählen die mittelalterlichen Rechtsquellen kasuistisch die Fälle "echter Not" auf. Anstelle des richterlichen Ermessens, das leicht in Willkür ausarten konnte, sollten "objektive" Kriterien den Zufall des Einzelfalls ausschalten436. Bezüglich der einzelnen Bestimmungen variieren die Rechtsquellen gelegentlich. So erkannte der "Sachsenspiegel" Gefängnis, schwere Krankheit, Pilgerfahrt außer Landes und Dienste für den König oder den Gerichtsherren an437. Besonders im Verfahrensrecht hatte die rechtlich anerkannte Verhinderung 432
PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S.344f; SELLERT: Ladung (1978), Sp. 1347. 433 MüNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 276; Lex. Ill, Sp. 743 mit Hinweis auf RF V. 1513. ^SELLERT, Wolfgang: Not, echte. In: HRGIII, 1984, Sp. 1040-1042, a. Sp.1040. 436 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterII (1879), S. 326; SELLERT: Not, echte (1984), Sp. 1040. 436 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter II (1879), S. 326. 437 Vir sake sin, de echte not heten: venknisse unde svke, Codes denest bvten lande, unde des rikes denest (SLdr.II § 7, ed. Eckhardt, S. 134). Das "Mühlhäuser Reichsrechtsbuch" ersetzt demgegenüber die Pilgerfahrt durch
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ihren festen Platz438. Zu den häufigsten Fällen zählte das Nichterscheinen des Beklagten vor Gericht oder die Nichteinhaltung einer bestimmten Frist439. Auch die "Nichterfüllung von allgemeinen Rechtsoder Amtspflichten durch echte Not" wurde anerkannt440. Auf eben diese Möglichkeit scheint sich Brun zu berufen, doch bleiben seine Argumente im unklaren. Mit viel Wohlwollen könnte ihm rikes denest, das heißt die Beanspruchung durch seine öffentlichen Ämter, zugestanden werden. Freilich scheint sein "Dienstherr", der König, wenig überzeugt von diesem Einwand. Schwerer wiegt schon die Tatsache, daß Brun als Parteiensprecher kein Unbeteiligter in der Sache ist. Nun war auch das kein Hinderungsgrund, denn das Recht verbot nur der Partei selbst und dem Richter die Ladung des Beklagten441. Zwar vertrat der Vorsprecher eine der Prozeßparteien, war aber nicht deren Mitglied442: "Das Tätigwerden als Vorsprecher enthebt den Dingpflichtigen nicht seiner anderen gerichtlichen Aufgaben", schreibt Landwehr443. Die Vorgabe des "Roman de Renart" mag ein Grund für Bruns "Ämterhäufung" sein, denn die anderen Tiere treten vergleichsweise weniger häufig in Erscheinung. Gewiß spielen auch rechtliche Erwägungen eine Rolle, weil die Ladung des Beklagten durch Standesgenossen erfolgen mußte. Dies war vor allem dann gewährleistet, wenn die Ladung durch einen der Urteiler erfolgte. Die Ladung durch den Vorsprecher Brun scheint das zu bestätigen, denn auch die Vorsprecher wurden gewöhnlich aus dem Kreise der Urteiler berufen. Die Handlung ist derart strukturiert, daß mit Brun und Dieprecht, dem zweiten Boten, zwei erklärte Gegner des Fuchses ausgewählt werden, mit denen Reinhart noch eine "alte Rechnung" zu begleichen hat. Wie historisch belegt ist, war die Ladung eines Angeklagten oft nicht ungefährlich. Sie wurde die Wassersnot (IX, 1-5), andere Quellen zählen den Tod oder die Krankheit eines nahen Verwandten dazu oder auch die Unmöglichkeit, den Weg zum Gericht zurückzulegen (vgl. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter II [1879], S. 327). 438 SELLERT: Not, echte (1984), Sp. 1040. 439 Dazu PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter II (1879), S. 329. ^SELLERT: Not, echte (1984), Sp. 1041. 441
Ders.: Ladung (1978), Sp. 1343. Vgl. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 194 ff. 443 LANDWEHR: "Urteilfragen" und "Urteilfinden" nach spätmittelalterlichen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen (1979), S. 32. 442
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nämlich nicht als "unverfängliche Aufforderung des Gegners"444 verstanden, sondern als persönlicher Angriff. In der Tat mußte der Bote mit kriegerischen Auseinandersetzungen rechnen445 und sich notfalls Unterstützung zusichern, da der zu Ladende unter Umständen alles daransetzte, die Ladung zu verhindern. Denn eine nicht zugestellte Ladung, gleichgültig wie sie verhindert worden war, galt als nicht ausgesprochen. Demzufolge mußten die Boten den Beweis erbringen, daß sie ihren Auftrag ausgeführt hatten. Dafür konnte das mündliche oder amtliche Zeugnis des Boten genügen446, aber auch der Beweis zweier Zeugen verlangt werden447. Nach dem "Kampfrecht zu Franken" wurde der Bote nach Ausbleiben des Beklagten verhört: So sprechen die ritter zu recht, sie wollen den geschwornen hotten verhören, ob er dz zu haus vnnd hoff virkündet hob, als verd ertheilt sey448. Anschaulicher als nötig können die Boten im "Reinhart Fuchs" den Beweis über die zugestellte Ladung antreten. Ihre Verletzungen belegen allzu drastisch, daß sie den Beklagten angetroffen haben (vgl. V. 1607ff, 1737 ff). Eine andere, sich ebenso an juristischen Praktiken anlehnende Ausrede macht der zweite Bote für sich geltend. Es handelt sich, wie im "Roman de Renart" (Br. I, 729ff), um den Kater, der nach der mißglückten ersten Ladung zu Reinhart geschickt wird. In der französischen Fassung findet sich im Gegensatz zum "Reinhart Fuchs" das Motiv, daß der Bote Angst hat, aber nicht wagt, den Auftrag abzulehnen449. Der zweite Botengang im "Reinhart Fuchs" zeigt einen der wenigen redaktionellen Unterschiede zwischen dem Fragment S und den Handschriften P/K insofern, als die jüngeren Handschriften P und K eine andere Lesart der Verse 1650 bieten. In der S-Fassung weist Dieprecht das Botenamt mit dem Hinweis auf das Recht zurück; von "rechts wegen" müsse er es unterlassen, seinen "lieben Verwandten" vorzuladen450: 444
SELLERT: Ladung (1978), Sp. 1336. ^Ebenda, Sp. 1339. ««Ebenda, Sp. 1343. 447 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 345. 448 Weist. 3, S. 603 (wahrscheinlich aus der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts). 449
Tybers ne l'osa refuser: Qar s'il s'en poüst escuser, Encor fust sans lui li senters (Br.I, 737ff). 450
In der Deutschen Grammatik von Jacob Grimm (4. Teil, Gütersloh 1898, S. 998) wird als Beispiel für das Verbum lazen + Präposition dieses Beispiel
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"herre, daz / lan ich an reht, er ist min lie/bir kunnelinc." (V. 1650f, Es. S) Verwandtschaftliche Bindungen (friuntschaft, sippschaft, magschaft oder lieb) wurden als Einschränkung der judizialen Objektivität empfunden451 und konnten tatsächlich den Gerichtsangehörigen von gewissen Handlungen gegenüber dem Beklagten befreien. So brauchte laut "Sachsenspiegel" niemand ein peinliches Urteil über seinen Herren, seinen Lehnsmann oder seinen Verwandten zu finden. Das weniger heikle Botenamt wird allerdings in der Landrechts-Stelle II 12 § l nicht erwähnt: Ordel ne mut ok nemant vinden over sinen herren unde over sinen man unde over sinen mach, dat it an er lif oder an er gesunt oder an er ere ga*S2. Gleichzeitig relativiert die Landrechts-Stelle III 78 § 2 den Passus über die Verwandtschaft, indem den richterlichen Amtspflichten im weitesten Sinne der Vorrang vor verwandtschaftlichen Bindungen eingeräumt wird. Es liege kein Treuebruch vor, wenn der Betreffende seinem König oder Richter hilft, das Unrecht abzuwenden, das sein Herr oder Verwandter im Begriff ist zu tun: De man mut ok wol sime koninge unde sime richtere unrechtes wederstan, unde san helpen weren to aller wis, al si he sin mach oder sin herre, unde ne dut dar an weder sinen truwen nicht453. Die in diesem Rechtssatz ausgedrückte Präferenz der öffentlichen über die von sozialen Bindungen abgeleiteten privaten Verpflichtungen hängt mit dem Bestreben des mittelalterlichen Staates zusammen, die öffentliche Strafverfolgung gegenüber der privatrechtlichen durchzusetzen. Ob die zitierte "Sachsenspiegel"-Stelle Landrecht III 78 § 2 tatsächlich die Rechtswirklichkeit widerspiegelt oder nur als Empfehlung zu bewerten ist, mag dahingestellt sein454. Im "Reinhart Fuchs" spielt die Gegenüberstellung beider Rechtssätze insofern eine Rolle, als Dieprecht mit seinem Einwand zu erkennen gibt, daß er infolge der Rechtspflichten unter Verwandten seinem neven Reinhart (s. V. 1659) beizustehen habe und nichts Nachteiliges gegen ihn unternehmen dürfe, mithin auch das Botenamt zurückweisen müsse. Ein Paraaus dem "Reinhart Fuchs" angeführt; zu küllinc, 'Verwandter', s. Lex. I, Sp. 1778 mit Hinweis auf RF V. 1651; zur Verwandtschaft von Fuchs und Kater, s.o. S. 55. 451 DRÜPPEL: Judex civitatis (1981), S. 292. 452 Ed. Eckhardt, S. 137. 463 Ed. Eckhardt, S. 260. 454 S. KROBSCHBLL: Rechtsaufzeichnung und Rechtswirklichkeit (1977), S. 349 ff.
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graph wie "Sachsenspiegel"-Landrecht III 78 § 2 räumt demgegenüber dem Richter die Möglichkeit ein, diesen Vorbehalt außer Kraft zu setzen. Da Reinhart beständig neue Verbrechen begeht, man aber keine sofortigen Maßnahmen gegen ihn ergreifen kann, ist es im Interesse des Gerichts, wenn der Angeklagte so schnell wie möglich zur Verantwortung gezogen wird. Daß Dieprechts Argument der Gerichtsgemeinde als fadenscheinige Ausrede gilt, wird aus ihrer Reaktion ersichtlich. Hämisch bemerkt der Hirsch, Dieprecht werde sich durch nichts auf der Welt dieses Auftrags entledigen können (V. 1652 ff). Ebenso läßt der König die Vorbehalte nicht gelten, sondern gebietet unter Strafandrohung die Überbringung der Ladung: Der kunic/gebot imez an den lip. (V. 1655, Hs. S)455 Im Unterschied zum Fragment S bieten die Handschriften P und K übereinstimmend zwei Argumente für die Zurückweisung des Botenamtes. Zwar findet sich in P und K ebenfalls der Vorbehalt infolge VerwandtschaftL·'eherBindungen, doch wird aus dem begründenden Hinweis auf das Recht in S die "Unkenntnis des Landrechts" in P und K: "Daz lantrecht ist mir niht kvnt. Herre, er ist min kvllinc." (V. 1650, Hs. K) Möglicherweise hat der Bearbeiter von *P/K die Dieprecht in der Handschrift S zugeschriebene - und von dem Boten zu seinen Gunsten ausgelegte - juristische Kausalität nicht verstanden und deshalb das Wort "Recht" in einen ihm geläufigeren Zusammenhang gestellt. Auf der anderen Seite ist nicht auszuschließen, daß er eine Ergänzung vornehmen und ein zusätzliches Argument einbringen wollte. Der Terminus "Landrecht" verweist auf die Rechtsentwicklung in den deutschen Territorien. Etwa Mitte des 12. Jahrhunderts entwickelten sich allmählich regional begrenzte Rechtskreise, die einer objektiven Rechtsnorm, einem Landrecht, unterlagen. Dieses Landrecht setzte sich aus Tradition, Gewohnheit, Privilegien und gerichtlichen Verfahrensweisen zusammen und war auf die Bedürfnisse einer agrarisch zugeschnittenen 456
Hs. K: Der kvnic iz im an den lip gebot; vgl. V. 1777 (K): Vnd gebiet dirs an din leben. Der Ausdruck an den lip gebieten ist rechtssprachlich und bedeutet, 'einen Befehl bei Leibesstrafe', aber auch 'unter Bußandrohung' auszuführen (RWB 3, Sp. 1240).
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Ordnung ausgerichtet456: "Das Land erscheint als Rechts- und Friedensgemeinschaft unter einem L.[andrecht], welches das Zusammenleben ihrer Glieder regelt. Solange das L.fandrecht] ungebrochen bleibt, besteht der Landfriede"457. Nach dem Landfrieden (V. 1239) verweist auch der Terminus Landrecht im "Reinhart Fuchs" auf Neuerungen im juristischen Bereich458. Dazu gehörte, daß das Rechtswesen, das vorher nach personellen Prinzipien strukturiert war, in einen territorialen Rahmen verankert wurde. Es bildeten sich einzelne Landesrechte zur festen, verbindlichen Rechtsordnung heraus459, und die Rechtsprechung erfolgte nach Landrecht. Mit seinem Einwand will der Kater also zu erkennen geben, daß er über die (neue) Rechtsentwicklung im unklaren ist und die Normen seines Rechtskreises, das geltende Landrecht, nicht kennt. Daraus zieht er juristisch fundierte Konsequenzen zu seinen Gunsten. Tatsächlich war bewiesenes Unvermögen ein anerkannter Grund, wenn jemand seinen Pflichten bei Gericht nicht nachkam. Diesbezüglich erwähnt der "Sachsenspiegel" jedoch nur das Amt des Urteilers460. Es ist also zweifelhaft, ob für das Botenamt die genaue Kenntnis des Landrechts erforderlich war. Deshalb ist anzunehmen, daß Dieprecht, wie Brun zuvor, zu einer Ausrede greift beziehungsweise eine Rechtsvorschrift zu seinen Gunsten erweitert, sofern sie ihm als Unkundigen bekannt war. Nicht von der Hand zu weisen ist die hinter dieser Argumentation verborgene Ironie. Gesetzt den Fall, Dieprecht sei tatsächlich nicht oder nur wenig rechtskundig, so ist er immerhin der einzige unter den Anwesenden, der seine Inkompetenz auch offen zugibt - wenngleich mit Berechnung. Dem466
LAUFS, Adolf/SCHROBDBR, Klaus Peter: Landrecht. In: ERGII (1978), Sp. 1527-1535, s. Sp. 1529; vgl. KÖBLBR: Land und Landrecht im Frühmittelalter (1969), S. l if. 457 LAUFS / SCHROBDBR: Landrecht (1978), Sp.1529; vgl. KAUFMANN: Landfrieden (1978), Sp. 1451. 458 LAUFS / SCHROBDBR: Landrecht (1978), Sp. 1527: Freilich erscheine es zweifelhaft, ob man schon zu dieser Zeit von einer objektiven Rechtsnorm sprechen könne (s. Sp. 1528). 469 KÖBLBR: Land und Landrecht im Frühmittelalter (1969), S. 5. Nachdem sich der Terminus "Landrecht" nicht im Fragment S findet (s.o. S. 1) und erst im Spätmittelalter seine spezifische Bedeutung erlangte, ist letztlich nicht auszuschließen, daß an dieser Stelle - etwa analog zum Terminus "Landfrieden" (V. 1239; s.o. S. 118 mit Anm. 17) - ein Texteingriff vorgenommen wurde. So hätte z.B. der Bearbeiter der Vorlage von P und K bestrebt sein können, seinen Text zu "aktualisieren" und die Rechtsverhältnisse seiner Zeit einzubeziehen (vgl. a.o. S. 1). 460 SLdr.II 12 § 7.
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gegenüber ist es, wie gezeigt461, mehrmals erforderlich, in parteiischer Hast gefundene Zwischenurteile zu korrigieren, obwohl sie von den jeweiligen Urteilern unter Verbürgung ihrer Rechtskenntnisse abgegeben wurden. 4.4.6 Die Botengänge und die Fortsetzung der Gerichtsverhandlung (V. 1511-1834) Der Grundsatz der dreimaligen Ladung ermöglicht eine parallel strukturierte Handlung462. Dieses Rechtsprinzip übernimmt im "Reinhart Fuchs" weitaus stärker als im "Roman de Renart" die Funktion der Rahmenhandlung. Drei Botengänge sind nötig, damit der Beklagte vor Gericht erscheint. Jedesmal wiederholt sich das Muster von Klage (der attackierten Boten), Urteilsfrage, Urteilsvorschlag, Urteilsfolge beziehungsweise Urteilsschelte und letztendlich des Urteils, dem Beklagten nicht das Recht auf seine drei Gerichtstage zu beschneiden. Erst die dritte, obligatorische Ladung hat Erfolg. Der erste Botengang, den der Bär Brun trotz seines Widerstands ausführen muß, wurde schon ausführlich behandelt463. Wie gezeigt, hat Heinrich die Rache des Fuchses in der Form gestaltet, daß sie den Charakter einer Strafaktion annimmt. Nachdem Brun ebenso in einer Falle festsaß, wie er Reinhart gerne im Verlauf der Sühneverhandlung in der lebenden Falle Reitze gefangen hätte, kehrt der Bär mißhandelt an den Königshof zurück. Statt eines Beweises über die erfolgte Ladung führt er der Gerichtsversammlung per "leiblicher Beweisung" seine Wunden vor (V. 1607ff). Ebenso ergeht es dem zweiten Boten. Dessen Ausgangsposition ist mit der des ersten identisch, wie insgesamt beide Botengänge demselben Schema folgen: Dieprecht und Brun gehen nur auf ausdrücklichen Befehl zu Reinhart, nachdem ihr Versuch, sich mit Hilfe des Rechts ihres Amtes zu entledigen, fehlgeschlagen ist. Obwohl sie nach den Erzählervorausdeutungen das Unheil, die not, ahnen, erliegen sie infolge ihrer kreatürlichen Begierde, ihrer nature*64, Reinharts Verschlagenheit. Sie sind beide zunächst bestrebt, schnell ihrer Pflicht Genüge zu tun und sich ihres Auftrages zu entledigen. Aber nach dem offiziellen Teil ihrer 461
S.o. S. 174ff; u. S. 204. So schon JACOBY: The Conflict between Legal Concepts and Spiritual Values in the Middle High German 'Reinhart Fuchs' (1973), S. 27. 463 S.o. S. 98ff. 464 JAUSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959), S. 241. 462
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Mission werden sie leichtsinnig. Brun wird seine Gier nach Honig zum Verhängnis, Dieprecht muß für sein Verlangen nach Mäusen büßen. Auch den Boten gegenüber nutzt der Fuchs geschickt rechtliche Gepflogenheiten zu Betrugszwecken aus. Nach mittelalterlichem Recht mußten nämlich die Boten, die in amtlichem Auftrag unterwegs waren, beköstigt werden. Nach dem "Sachsenspiegel" hatte der Richter unter anderem dafür zu sorgen, daß die Boten drei Gerichte am Tag erhielten, dazu ausreichend Brot und Bier sowie einen Becher Wein465. In Heinrichs Tierepos lädt der Fuchs die Boten nach überbrachter Nachricht zu einem Imbiß ein (V. 1533 ff, 1681 ff, 1812), freilich kommt nur der letzte Bote in den Genuß einer Speise. Das in V. 1779 benutzte Wort botenbrot ist rechtssprachlich, hatte jedoch keinen Bezug mehr zu einer Mahlzeit, obwohl im "Reinhart Fuchs" ganz offensichtlich dieser Zusammenhang hergestellt wird. "Botenbrot" bedeutete im Recht die "Belohnung für eine überbrachte gute Nachricht"466. Ausführlicher heißt es im Deutschen Wörterbuch mit Hinweis auf V. 1779 des "Reinhart Fuchs", der somit ironisch aufzufassen ist: "Alle mdh. stellen zeigen schon die bedeutung einer gäbe, die dem boten zu theil wird, und oft einer reichen oder auch Übeln, ohne den gedanken an brot oder speise"467. Dem Kommentar des Erzählers und den Äußerungen des verletzten Katers ist zu entnehmen, daß der von Reinhart veranlaßte Anschlag gegen seinen Verwandten den Tatbestand des Verrats erfüllt (V. 1688, 1854ff). Wie schon bezüglich des ersten Zusammentreffens von Fuchs und Kater erläutert468, ist damit der schädliche Anschlag unter Bruch eines bestehenden Treueverhältnisses zu verstehen. Der zweite Botengang bietet noch weitere juristisch relevante Details. Auffällig sind nämlich die temporalen Angaben. Nachts spielt sich Reinharts Treuebruch ab: Die nacht harte lieht wart. (V. 1687) 465
SLdr.II12§4. RWB2,S P .430. 467 DWB2, Sp.274f. 468 S.o. S. 53 f. In Hinblick auf die Bearbeitung ist interessant, daß der Strick, der dem Verräter nach deutschem Recht gebührt (s. RF V. 1854, 1864), schon im "Roman de Renart" vorkommt. Tibert soll Renart ausrichten, er solle gleich den Strick mitbringen, mit dem man ihn aufhängen kann (Br. I, 736). Im "Reinhart Fuchs" tritt der Bote mit dem Strick als corpus delicti um den Hals vor den König: mit einem stricke gie er da zv (V. 1734) und klagt Reinhart an.
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Als der Pfaffe irrtümlich den Strick zerschneidet, heißt es begründend: Daz qvam von den vinsterin. (V. 1713) Noch in derselben Nacht läuft Dieprecht zum Königshof zurück, wo er frühmorgens ankommt: Do lief er alle die nacht wider ze hove mit grozer macht. Er vant den kvnic des morgens frv. (V. 1731 ff) Wie schon die älteren Rechte, kannten auch die deutschen Rechte des Mittelalters örtliche, zeitliche und auf bestimmte Personen bezogene Sonderfrieden. Unter die zeitlichen Sonderfrieden fiel die Nachtzeit. Die Nacht soll besseren Frieden als der Tag haben, heißt es im "Schwabenspiegel"469. Nach manchen Rechtsquellen wirkte es sich strafverschärfend aus, wenn die Tat des Nachts begangen wurde. Andere Rechte berücksichtigten diesen Umstand nur bei einzelnen Verbrechen wie Heimsuche oder Diebstahl470. Getreu der mittelalterlichen Prozeßordnung hat sich das Gericht im "Reinhart Fuchs" schon konstituiert, als der Kater am Morgen an den Hof kommt (V. 1731 ff). Ein Gericht tagte meistens über mehrere Tage und sollte nach Sonnenaufgang beginnen, wie der "Sachsenspiegel" vorschreibt: Van des dot de sunne op geit471. Mit diesen Angaben unterstreicht Heinrich die Heimtücke des Fuchses. Sein verbrecherisches Wesen wird im Vergleich mit dem zeitgenössischen Recht ersichtlich, wonach Treuebruch und Heimlichkeit als besondere Böswilligkeit ausgelegt wurden472. Trotzdem genügt vor dem Hintergrund des geltenden Strafrechts die Beweislast nicht, um Reinhart als Täter zu belangen. Diesen Punkt greift später Krimel in seiner Urteilsschelte auf (V. 1760ff), indem er argumentiert, daß Reinhart kein Verschulden an der Mißhandlung der Boten 469
Schwsp. Ldr. 201; vgl. His: Das Strafrecht des deutschen MittelaltersI (1920), S.225f; LUTZ, Elmar: Die Nacht im Recht. In: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde. Hrsg. v. Louis Carlen. Bd. 2, Zürich 1979, S. 123-143. 470 His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S.41 f. Vgl. a.: ERLBR, Adalbert: Tag und Nacht. In: HRG V (33.Liefg. 1992), Sp.lllf. 471 SLdr.III 61 § 4 (ed. Eckhardt, S. 246). 472 V.AMIRA: Grundriß des germanischen Rechts (3. Aufl. 1913), S. 233; HIS: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S.4f.
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vorzuwerfen sei, da keine Verbindung von verbrecherischem Willen, Tat und Erfolg473 bestehe. Wie die Botengänge folgen auch die Klagen der mißhandelten Boten demselben Schema. Brun wie Dieprecht bezichtigen Reinhart der Gewaltanwendung beziehungsweise des versuchten Mordes, differenzieren aber nicht zwischen Täterschaft und Urheberschaft. Beide heben hervor, daß sie in amtlichem Auftrag unterwegs waren, so daß die an ihnen begangenen Verbrechen gleichzeitig eine Schmähung der königlichen Gerichtsgewalt darstellen: [Brun:] ... "ditz hat mir Reinhart getan. Ich gebot im, kvnic, fvr dich, trvt herre, nv sich, Wie er mich hat bracht z v dirre not. mir were lieber der tot." (V. 1614 ff) [Dieprecht:] ... "kvnic, ich was in not, mir wolte Reinhart den tot Frvmen in iwer botschaft. (V. 1737ff) Der König reagiert jedesmal zornig auf die Mißachtung seiner Autorität: Der kvnic wart zornic getan vmme sinen kapelan, Im wart der mvt vil swere. (V. 1619 ff) Den kvnic mvte die klage, ovch tet im we sin siechtage. Der zorn im harte nahen gienc. (V. 1743 ff) Erstmalig nimmt der Verfasser in V. 1743 ff das für die Einberufung des Gerichtstages maßgebliche Motiv von der Krankheit des Löwen wieder auf und bereitet somit Reinharts Auftreten als Arzt vor. Zuvor aber geht die Verhandlung mit der Urteilsfrage und der Urteilsfmdung ihren rechtmäßigen Lauf. In rechtssprachlicher Terminologie, aber im Vergleich zur ersten Urteilsfrage (V. 1413 ff) in verkürzter Form, fordert der König den Biber auf, in Sachen Brun zu urteilen: waz dar vmme recht were, Vraget er den biber zestvnt. (V. 1622 f) 473
Diese Definition von 'Schuld'bei KAUFMANN, Ekkehard: Erfolgshaftung. In: HRG I, 1971, Sp. 989-1001, s. Sp.989.
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Als Dritter muß der Eber Auskunft geben: den eber er ze vragen enpfienc, Daz er im sagte mere, waz sines rechtes drvmme were, Daz sine boten, her Brvn vnd Dipreht, svst gehandelt waren an recht. (V. 1746ff)474 Für die erste Stufe der nach mittelalterlichem Recht möglichen Zwangsmaßnahmen bei Ladungsungehorsam, die Bezirksacht, hatte der Hirsch plädiert (V. 1416 ff). Der Biber schlagt dem Gericht im Anschluß an Bruns Klage (V. 1629 ff) die nächste Stufe, die Acht, vor. Sie kam in unterschiedlichen Abstufungen vor, konnte Strafe oder prozessuales Zwangsmittel sein und bedrohte Leben und Besitz des Geächteten475. Tatsächlich war nach Kaufmann die Achtung wegen Ladungs- oder Urteilsungehorsam in den Fällen peinlicher Klage der Regelfall476. Der Geächtete verlor seinen Rechtsschutz und geriet vor Gericht in eine ungünstige Rechtsposition, da er dem Handhafttäter gleichgestellt wurde. "Er wird "Objekt", er ist nicht mehr Partei des Prozesses und verfällt grundsätzlich der Todesstrafe"477. Dieses Risiko sollte ihn veranlassen, sich zu stellen und sich aus der Acht zu ziehen478. Denn Acht wie Reichsacht bedeuteten noch nicht die volle unsühnbare Friedlosigkeit. Besonders die lokale Acht, die Verfestung, und die Ungehorsamsacht zeigten noch deutlich ihren vorläufigen Charakter479. Der Biber - wie später der Eber - spricht im "Reinhart Fuchs" ganz richtig die Acht als Ungehorsamsfolge aus, ignoriert aber die Tatsache, daß der Beklagte erst nach der dritten erfolglosen Ladung "ungehorsam" war. Der Urteilsvorschlag des Bibers hat im Kern folgenden Wortlaut: Ich verteil im beide lip vnd gvt, vnd swer im keinen rat tvt, Daz man den zv echte tvn sol. (V. 1629 ff)480 474
Der Ausdruck ine reht bezeichnet das rechtswidrige Handeln, RWB 5, Sp. 24. Vgl. His: Das Strafrecht des deutschen MittelaltersI (1920), S.414ff; KAUFMANN: Ekkehard: Acht. In: HRGI, 1971, Sp. 25-32, s. Sp.32. 476 KAUFMANN: Acht (1971), Sp.29; s.a. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter II (1879), S. 309. 475
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KAUFMANN: Acht (1971), Sp.31. S. SLdr.III 34 § 1; dazu KAUFMANN: Acht (1971), Sp.31 f. 479 KAUFMANN: Acht (1971), Sp.32. 478 480
Die förmliche Friedloslegung drücken u.a. mhd. ächten, verachten, verzellen aus, wie auch die Wendung ze ächte tuon, die sich in den Hss. P und K des "Reinhart Fuchs" findet; zur Terminologie s. HlS: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 78.
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Käme dieses Urteil zur Anwendung, müßte der Fuchs mit Verfolgung rechnen und würde im Falle seiner Festnahme zum Tode verurteilt werden, gelänge es ihm nicht, sich aus der Acht zu ziehen. Der Besitz des Geächteten (gvot, "Reinhart Fuchs" V. 1629) wurde üblicherweise beschlagnahmt. Diesen Vorgang nannte man Fronung. Die Wüstung, die Zerstörung des Besitzes481, trat meistens mit der definitiven Verhängung der Acht ein. Regelmäßig wurde über den Geächteten das Unterstützungsverbot verhängt. Im "Reinhart Fuchs" verfällt deshalb derjenige, der dem Fuchs hilft, rat tvot (V. 1630), ihn zum Beispiel mit Nahrung oder Unterkunft versorgt, ebenfalls der Acht. Mittelhochdeutsch rat war zunächst der Gesamtbegriff für alles, was die leibliche Fürsorge und die Nahrung beziehungsweise die Vorratshaltung der Gemeinschaft betraf, wurde dann auf die tätige Hilfe, Beratung und Beihilfe ausgedehnt482. Mit dieser Darstellung folgt Heinrich einigen Rechtsquellen, die den Begünstiger als Feind des Gemeinwesens wie den Geächteten bestraften483. Einen definitiven Charakter nimmt die Acht im Urteilsvorschlag des Ebers im Anschluß an Dieprechts Klage an (V. 1752ff). Nach Grimm und His484 handelt es sich bei den Versen 1752 ff des "Reinhart Fuchs" um eine kurze authentische Achtformel: ... "ich verteile im ere vnd gvt Vnde zv echte sinen lip vnd zv einer witwen sin wip Vnd zv waisen die kint sin. (V. 1752 ff) Die Formel bringt drastisch die Folgen der Acht zum Ausdruck: Der Geächtete verlor seine rechtliche Existenz, er war exlex, elos und reht/os485, sein Land- und Lehnrecht waren vernichtet. Häufig findet man, besonders in spätmittelalterlichen Texten, die Begriffe lip und guot beziehungsweise ere und guot zu Paarformeln verbunden. Ebenso ist die von Heinrich benutzte dreigliedrige Formel lip, ere und guot belegt486. 481
KAUFMANN: Acht (1971), Sp.31. S.o. S.63, 77, 92, 96f, 156. 483 His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 30. 484 RA l, S. 60; His: Das Strafrecht des deutschen MittelaltersI (1920), S. 414, Anm. 5. 486 His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 79; KAUPMANN: Acht (1971), Sp.26. 486 RWB 4, Sp. 1297; RWB 2, Sp. 1273f mit Hinweis auf RF V. 1752f (Sp. 1274). Diese Stelle erwähnt auch His: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 93. 482
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Sie umschreibt den persönlichen und vermögensrechtlichen Status des Betreffenden. Wurde er ergriffen, verfiel er unweigerlich der Todesstrafe. Er verlor sein Eigen und sein Lehen487. Während das Lehen an den Lehnsherrn zurückfiel, erhielten in der Regel die Erben das Eigen. Üblich war auch, wie Heinrich in V. 1754f andeutet, daß die Ehe des Geächteten rechtlich gelöst und die Kinder für vaterlos erklärt wurden488. Eine ausführliche Achtformel findet sich zum Vergleich im "Fränkischen Kampfrecht". Sie beschreibt noch anschaulicher, was im "Reinhart Fuchs" nur angedeutet wird. Nach der dritten, vergeblichen Ladung wird der Beklagte, der alles verschmehet (...) und vnserm geboth widersessig und -ungehorsam war, für "vogelfrei" erklärt: des urteiln wir vnd achten dich, vnd nehmen dich von und aus allen rechten, und setzen dich in alles vnrecht, vnd wir theiln deine wirthin zu einer wissenhafftigen witwen, vnd deine kinder zu ehehafftigen weisen, deine lehen dem herrn, von dem sie zu lehen rüren, dein erb und eygen deinen kindern, deinen leib und dein fleisch den thiern in den wälden, den vögeln in den lüfften und den fischen in dem wage. Wir erlauben dich auch menniglichen uff allen strassen, und wo ein jeglich man fried und geleid hat, da soltu keins haben, und wir weisen dich in die 4 strassen der weit in dem nahmen des teuffels bei den eyden in der sac/i489. Wie schon der Hirsch vor ihm, verkennt auch der Biber die Rechtslage. Es braucht nicht noch einmal gesondert hervorgehoben zu werden, daß Bezirksacht und Acht unter den gegebenen Voraussetzungen nicht angebracht sind. Insofern sind die sich jeweils an diese Fehlurteile anschließenden Einsprüche berechtigt. In rechtssprachlicher Terminologie versagt deshalb auch der Elefant dem zweiten Urteilsvorschlag die Folge. Er bringt eine Urteilsschelte vor, deren Kern erneut der Hinweis auf das Erfordernis der dreimaligen Ladung des Beklagten einnimmt: Der helfant sprach erbolgen: "des wil ich niht volgen. Ein vrteil ist hie fvr kvmen, als ir alle habt vernvmen, Des enmac nieman erwenden. 1640 man sol nach im senden Boten me dan dristvnt. der tevfel var im in den mvnt, 487
PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter II (1879), S. 312. Ebenda. 489 Weist. 3, S. 605. 488
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Swer liege bi sinem eide ieman ze liebe oder ze leide." (V. 1635 ff)490 Die Urteilsschelte unterschied sich vom einfachen Widerspruch dahingehend, daß gegen den Finder des kritisierten Urteils beleidigende Vorwürfe erhoben wurden491. Urteilsfmder wie -folger wurden persönlich angegriffen und ihnen dabei nicht etwa Unwissenheit oder irrtümliche Entscheidungen vorgeworfen, sondern die Verletzung ihrer beschworenen Pflicht492. Das erklärt die Fluch- und Verwünschungsformel an die Adresse des Urteilfinders im "Reinhart Fuchs": Der Teufel möge sich der Seele desjenigen bemächtigen493, der vorgibt, bei seinem Eid zu sprechen, stattdessen jedoch meineidig wird und ein Fehlurteil zu Lasten von Leben und Besitz eines anderen bezweckt494. Der Zorn des Elefanten gründet sich darauf, daß der Biber denselben Fehler wie sein Vorgänger begangen und zudem den Widerspruch des Kamels ignoriert hat. Er hat nicht nur den unrechtmäßigen Urteilsspruch wiederholt, sondern verschärfte Rechtsfolgen vorgeschlagen. Dahinter stünden, so der Elefant, weniger mangelnde Aufmerksamkeit und Unkenntnis des Rechts, als die Absicht, den Beklagten so schnell wie möglich unschädlich zu machen. In der Tat hätte die Acht verheerende Folgen für den Fuchs gehabt. Ein einfaches Mehrheitsvotum führt daraufhin die Entscheidung herbei. Dem Einspruch wird stattgegeben: Des volgten sie, wan iz was reht. (V. 1645) Da die Rechtslage eindeutig auf Seiten des Urteilsschelters ist, entwickelt sich kein neuer Rechtsstreit zwischen dem Finder und dem 490
Zu volgen, s.o. S. 172 f; vurkomen, s.o. S.175f; urteil s.o. S. 166; erwenden bedeutet 'eine Sache, ein Urteil rückgängig machen, abwenden' (RWB 3, Sp.306f mit Hinweis auf RF V. 1639); liegen, s.o. S.49, 160. Die Formel zuo liebe oder zuo leide, 'zum Vorteil oder zum Nachteil' des Betreffenden, bezieht sich auf die Voreingenommenheit der Gerichtspersonen und ist Bestandteil mittelalterlicher Schöffeneide, vgl. DRÜPPKL: Judex civitatis (1981), S. 293. 491 S. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalterl (1878), S. 264ff, 276 ff. 492 Ebenda, S. 268. 493 S. DWB 11,1,1, Sp.273; DILCHBR: Eid (1971), Sp.869; Wörterbuch des deutschen Aberglaubens 2, Sp.659ff. 494 S. HOLZHAUER: Meineid (1984), Sp.448.
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Scheiter um das rechtmäßige Urteil und macht eine Darstellung des genauen Scheit Verfahrens im "Reinhart Fuchs" entbehrlich495. In zwei Varianten unterscheiden sich die Handschriften P und K von der S-Version. Einerseits erfolgt die feierliche Beteuerung des Urteilers in P und K496, er urteile unvoreingenommen bi dem eide (V. 1625) und nieman ze liebe noch ze leide (V. 1626), ausführlicher als im S-Text; dies wird in der Urteilsschelte wieder aufgenommen. Verflucht sei, swer liege bi sinem eide / ieman ze liebe oder ze leide (V. 1643 f). Weitaus wichtiger ist jedoch der zweite redaktionelle Unterschied in bezug auf die Anzahl der Ladungen. Bis zu dreimal solle man Boten zu Reinhart senden, vnze an dristunt, lautet der S-Text V. 1641. In der Handschrift P und K heißt es dagegen übereinstimmend, man solle mehr als dreimal nach Reinhart schicken: man sol nach im senden / Boten me dan dristvnt (V. 1640f, Hs. K). Düwel erwägt, da nur die dreimalige Ladung möglich sei, "me im Sinne von "nicht mehr" (BMZ 11,1, 1446) aufzufassen, obwohl keine Negation im Satz vorkommt"497. Der unterschiedliche Sprachgebrauch läßt sich jedoch mit regional differierenden Rechtspraktiken verteidigen. In den Rechtsquellen ist nämlich die Zahlung der Gerichtstage nicht immer einheitlich. Wie Planck schreibt, herrschte keine Einstimmigkeit darüber, ob "bei der Berechnung der drei Gerichtstage der Gerichtstag, an welchem Kläger (!) seine Klage gegen den abwesenden Beklagten zuerst vorbrachte, mitzuzählen sei"498. Im "Richtsteig Landrechts" wird diese Frage teils bejaht, teils verneint499. Nach dem "Sachsenspiegel" scheint die verneinende Antwort die richtige zu sein500. Laut Planck unterstützte das Lehnrecht die im "Sachsenspiegel" vertretene Ansicht, da dort der Kläger den ersten Verhandlungstag dazu benutzte, einen Gerichtstag für seine Klage zu erwirken501. Daraus schließt Planck: "Somit ist die in Anwesenheit des Beklagten im echten Ding vorgebrachte Klage eigentlich nur die Bitte um Ladung des Beklagten wegen der demnächst gegen ihn zu erheben495
Zu diesem Verfahren PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 276 ff. 496 Zu den schlichten und feierlichen Formeln von Urteil und Urteilfrage, s. HoMBYER: Der Richtsteig Landrechts (1857), S. 433. 497 DÜWEL: Der Reinhart Fuchs des Elsassers Heinrich (1984), Anm. z. Stelle S. 90. 498 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im MittelalterI (1878), S. 341. 499 Ebenda, S. 341 mit Hinweis auf RL 7, 1-3; 33, 3, 6; 37, 2, 3; dagegen RL 14, 2. 800 Ebenda mit Hinweis auf SLdr. I 67 § 1. 501 Ebenda.
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den Klage"502. In diesem Fall mußten anschließend noch drei weitere Gerichtstage stattfinden. Krimel nimmt in seiner Schelte im Anschluß an den Urteilsvorschlag des Ebers und der Folge des Umstände (V. 1760 ff) noch einmal die zuletzt gegen den Fuchs geäußerten Vorwürfe auf, wobei er einerseits bestrebt ist, sie im einzelnen zu widerlegen und andererseits an die Objektivität der Gerichtsgewalt appelliert. Den Klägern wirft er infolge ihrer Feindschaft dem Angeklagten gegenüber Unglaubwürdigkeit vor: Brun handele aus zorn (V. 1764), Dieprecht aus Haß (vgl. V. 1767)503. Dieprechts Klage entbehre der rechtlichen Grundlage: N v hat ovch her Diebrecht, herre, vil lichte vnrecht. Er ist Reinharte gehaz. (V. 1765 if) Brun habe seine Kopfbedeckung ohne Reinharts Verschulden eingebüßt504: Ob er Brvn sinen hvt An mines neven schvlde hat verlarn... (V. 1762 f) Die Termini unreht wie dne schulde sind rechtssprachlich und in den Quellen belegt505. Die Rechtssprechung an Vrevels Hof, so argumentiert Krimel weiter, könne aufgrund dessen ins Zwielicht geraten und an Ansehen verlieren, wenn man den Angeklagten nicht ein letztes Mal vor Gericht lade: dar vmme sol ovch nieman daz Erteilen, daz ist ein ende, 1770 daz iwer ere sehende Vnd iwern hof geswachen, des man anderswa mag lachen, 602
Ebenda, S. 342. Diese Besonderheit berücksichtigt auch Homeyer in seiner Erläuterung des Gerichtswesens des "Richtsteigs": "Bleibt der Geladene aus, oder antwortet er nicht, so wird er zum zweiten, dann zum dritten (und vierten) Male geladen ..." (Der Richtsteig Landrechts [1857], S. 450). 503 Die Ausdrücke 'Zorn' und 'Haß' (V. 1764, 1767) sind rechtssprachlich. Sie berühren den Komplex der negativen Affekte, die der judizialen Objektivität abträglich sind, vgl. DRÜPPBL: Judex civitatis (1981), S. 293; RWB 5, Sp.230ff; His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 70. 604 Heinrich spielt V. 1762 auf den Hut als Standes- und Rechtssymbol an: Der Verlust des Kaplanshutes bedeutet einen Verlust an Würde und Ehre, s. RWB 6, Sp. 126 ff; ERLER, Adalbert: Hut. In: HRG II, 1978, Sp.275f. BOB S.o. S. 175 u. 199.
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Noch dvrch keine miete, wen man sol im noch eines gebieten Her fvr dem neven min." (V. 1768 ff) Die Vorwürfe laufen darauf hinaus, daß bei nicht ordnungsgemäßer Verhandlungsführung miete die Grundlage der Justiz werde. Mittelhochdeutsch miete (V. 1773, 2067, 2070) war der technische Ausdruck für Bestechung und für Bestechungsgeld506. Dieser Terminus ist in den Rechtsquellen erst seit dem 13. Jahrhundert belegt und bezog sich zumeist auf ungerechte Urteilsfindung aufgrund von Bestechung507. Dem Richter- und Schöffenideal entsprach nämlich ein Amtsträger, der jeden Gedanken, er könne wegen eines materiellen Vorteils seine Unparteilichkeit aufgeben, von vornherein aussichtslos erscheinen ließ508. Wie die anschließende Handlung des "Reinhart Fuchs" zeigt, gibt letztendlich gerade miete dem Verfahren eine unheilvolle, von keiner Instanz mehr aufzuhaltende Wendung509. 4.4.7 Reinhart am Hof: Belohnung und Bestrafung der Tiere (V. 1776-2164) Wie im "Roman de Renart" (Br. I, 931 ff) kann erst der dritte Bote, der Dachs Krimel, unbehelligt seinen Auftrag ausführen. Er informiert bei dieser Gelegenheit seinen Verwandten über die Lage bei Hofe und die strafrechtlichen Konsequenzen bei Befolgung der Ladung beziehungsweise bei fortgesetzter Weigerung. Als Alternative zur Verurteilung im Sinne der Anklagepunkte (V. 1807 ff) oder zur Verfestung wegen Ungehorsams (V. 1806) bleibe nur die Flucht aus dem Machtbereich des Gerichts (V. 1805), also die freiwillige Verbannung. Bemerkenswert ist wieder die hohe Konzentration von Rechtswörtern und rechtssprachlichen Verbindungen in dieser Text stelle: "Dir drewet vreisliche", sprach er, "der kvnic riche. Er höret von dir groze klage. 506
Andere Ausdrücke waren gelt, geÜswerth, nutz und geniess, vgl. DRÜPPBL: Judex civitatis (1981), S. 291; vgl. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S.72f. 507 MuNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 273. 508 DRÜPPBL: Judex civitatis (1981), S. 291. 509 S.o. S. 170; u. S. 211, 213, 216.
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swie dv hivte an disem tage 1805 Nicht vor kvmst, so rovme ditz lant, oder dv hast den tot an der hant. Kvmest dv aber fvr gerichte zv Ysengrines geeichte, Dich verteilet alle die diet." (V. 1801 ff)510 Während Renart sich zu fürchten beginnt und seinem Verwandten alle Verbrechen beichtet (Br. I, 1005ff), bereitet sich Reinhart sorgfältig auf seinen Auftritt bei Hof vor. Er zieht eine wallekappe linin (V. 1819) an, von Schröbler und zuletzt von Düwel mit Hinweis auf Lexer (III, Sp. 654) und den "Roman de Renart" (Br. X, 1350) als Pilgermantel identifiziert511. Während die Handschrift P in Vers 1817 die Lesart houegewant bietet, erscheint der Fuchs nach einer von K bisher nicht bekannten Lesart in einem hone gewant51^ und gibt vor, unter anderem auch in Salerno, einer der medizinischen Hochburgen der Zeit513, gewesen zu sein und von dort Mittel zur Heilung des Löwen mitgebracht zu haben (V. 1873 ff). Das Motiv der Pilgerfahrt findet sich zwar auch schon im "Roman de Renart"514, gewinnt aber im "Reinhart Fuchs" angesichts des juristischen Hintergrunds insofern an Bedeutung, als sie die rechtlich anerkannte Entschuldigung für Reinharts vormalige Abwesenheit hefern soll. Obwohl der Fuchs noch nicht sachfällig geworden ist, da er fristgerecht zum dritten Verhandlungstag erscheint, zerstreut der Hinweis auf eine Reise zu einer Heiligen Stätte alle Bedenken bei Vrevel. Nach 510
Zu dröuwen, 'drohen', s. RWB 2, Sp. 1137; klage, s.o. S. 87, 155f, 176, 182; tac, s.o. S.88f; vürkomen, s.o. S. 176, 203; daz lant roumen, s.o. S. 187; gericht, s. RWB 4, Sp.299; vgl. SLdr. I 68 § 5; gesiht, 'Augenschein', s. RWB 4, Sp.538f; verteilen, vgl. o. S. 170f, 201 f; diet, s.o. S. 173. 511 DÜWBL: Der Reinhart Fuchs des Elsässers Heinrich (1984), Anm. z. Stelle, S. 107. Zur Pilgerkleidung: CARLEN, Louis: Wallfahrt und Recht im Abendland, Freiburg (Schweiz) 1987 = Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat. Bd. 23, S. 119. 512 DÜWEL·: Der Reinhart Fuchs des Elsässers Heinrich (1984), Anm. z. Stelle, S. 106. Wie schon an anderen Stellen (vgl. DÜWBL: Einleitung zur Ausgabe [1984], S. XVII), bietet die Es. K im Vergleich zu P in V. 1817 die "bessere Lesart". Düwel bemerkt zurecht, daß es unwahrscheinlich klingt, daß ein leinerner Mantel die beste Hofkleidung abgeben soll. 613 S. STÜRNBR, Wolfgang: Natur und Gesellschaft im Denken des Hoch- und Spätmittelalters, Stuttgart 1975 = Stuttgarter Beiträge zur Geschichte und Politik. Bd.7, S.48. Vgl. a. Hartmanns von Aue "Der arme Heinrich", V. 180 (ed. Bonath). 514 Br. I, 779ff; 1385ff; 1511 ff.
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vielen Rechten des Mittelalters gehörte die Pilgerfahrt außer Landes zu den Fällen "echter Not" und war ein anerkannter Hinderungsgrund bei Terminversäumnissen515. Da Reinhart behauptet, sieben Wochen lang unterwegs gewesen zu sein516, gibt er damit in Hinblick auf die üblichen Ladungs- und Gerichtsfristen zu verstehen, daß er zur fraglichen Zeit abwesend war und weder die Ladungen erhalten noch die ihm zur Last gelegten Verbrechen begangen haben kann. Das Motiv der Pilgerfahrt dient im "Reinhart Fuchs" also dazu, Reinharts Integrität zu belegen und sein Prestige aufzuwerten. Im "Roman de Renart" hingegen wird die Bedeutung der Pilger- und Wallfahrten im Recht und der Rechtsordnung als Sühne und Strafe betont517: Unter strafrechtlichem Gesichtspunkt galt die Pilgerfahrt als Spielart der freiwilligen Verbannung518, so daß König Noble den zum Tode verurteilten Fuchs begnadigt, als dieser eine Bußfahrt ins Heilige Land ankündigt519. Am Königshof beschimpft die aufgebrachte Menge Reinhart als bosewicht (V. 1844) und konfrontiert ihn mit der Summe aller Klagen. Mittelhochdeutsch bcesewiht ist rechtssprachlich und bedeutet soviel wie 'schlechter Mensch', 'Verbrecher'520. 'Hohn' (s. V. 1840: gehonen) und lasier (V. 1852) umschreiben Reinharts Verbrechen, in erster Linie die Notzucht521. Von den einzelnen Beschuldigungen wiegt die Schanteklers am schwersten. Er bezichtigt nämlich Reinhart des Mordes an seinen Kindern: Schantekler clagte sine kint, er sprach: "kvnic, wir wizzen wol, daz ir sint Vnser rechter richtere, i860 dar vmbe ist vil swere, Daz ir disen morder lazet stan. man scholde in nv erhangen han." (V. 1857 ff) Da die Täterbezeichnung morder nach Munske allgemein erst im 13. 515
S.o. S. 191 f; vgl. PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter II (1879), S. 329. 516 Die vermeintliche siebenwöchige Reise paßt genau zum zeitlichen Gerüst des "Reinhart Fuchs"; vgl. KRAUSE: La structure temporelle dans le "Reinhart Fuchs" (1988), S. 86. 517 Zu den Motiven von Pilger- und Wallfahrten, s. CARLEN: Wallfahrt und Recht im Abendland (1987), S. 59; ders.: Strafwallfahrten. In: ERG V (33.Liefg.) 1992, Sp. 17-19. 618 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.333f, 541. 619 Voeil la crois prendre por aler / La merci deu outre la mer (Br. I, 1389f). 520 RWB2, Sp.419. 521 Vgl. RWB 5, Sp. 1402ff; MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 256; s.o. S. 156, 170.
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Jahrhundert belegt ist522, bietet der "Reinhart Fuchs" in V. 1862 einen frühen Beleg für dieses Rechtswort. Generell unterschied das mittelalterliche Recht noch nicht scharf zwischen Mord und Totschlag523. Ein Merkmal für Mord war zum Beispiel die Heimlichkeit bei der Ausführung der Tat oder das Verbergen der Leiche. Die böse Absicht des Täters kam nach anderen Quellen dadurch zum Ausdruck, daß das Opfer wehrlos war oder innerhalb eines höheren Friedens getötet wurde524. Insofern ist der Sprachgebrauch im "Reinhart Fuchs" gerechtfertigt, zumal es sich um Schanteklers Kinder handelt, und der Hahn mit seiner Forderung, Reinhart hängen zu lassen, den Bezug zum königlichen Landfrieden herstellt (vgl. V. 1240)525. In bezug auf die im deutschen Tierepos vorkommenden Verbrechensbezeichnungen ist ebenfalls das in V. 1916 zu findende Verbum testen erwähnenswert. Von Reinhart wird an dieser Stelle gesagt, er habe ml mangen (...) getötet. Für mittelhochdeutsch tosten gibt es nach Munske insgesamt wenig frühe Belege, doch sei es ein besonders im alemannischen Raum verbreitetes Rechtswort gewesen526. Offensichtlich ist in dieser Passage die Kritik am König, der - das ist wohl der Zweck der Zusammenstellung aller Anschuldigungen - nichts gegen einen mehrfach wegen schwerer Straftaten beklagten Landfriedensbrecher unternimmt. Ausdrücklich verweist Schantekler auf Vrevels Pflicht zur Rechtswahrung (V. 1858 f) und spielt damit auf die mittelalterlichen Anschauungen vom Herrscher- und Richteramt an527. Andererseits kritisiert auch Reinhart den königlichen Hof, indem er sich über das ungebührliche Benehmen der Gerichtsgemeinde beschwert. Allem Anschein nach berührt er damit einen wunden Punkt: er sprach: "waz sol, kvnic, dirre doz ? Ich bin in manigen hof kvmen, 522
MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 242. 523 S. z.B. SLdr. II 13 § 4, 5; RL 43, 1; 44, l u.ö.; dazu His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S.78f; ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 123. 524 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S.90; ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 125. 525 Vgl. HlS: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 125. 526 MuNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 239. B27 S. z.B. KAUPMANN: König (1978), Sp.l014f; ders.: Königsgericht (1978), Sp. 1035 ff.
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daz ich seiden han vernvmen Svlche vngezogenheit. deswar, iz ist mir fvr vch leit." (V. 1866 fF) Das Schweigegebot ist die Reaktion auf das Lärmen der Anwesenden, zugleich deutet es auf die Hegung, den formalen Akt zur Gerichtseröffnung, hin528: vberbrechten verbot man do. (V. 1872) Mit rhetorischer Geschicklichkeit gelingt es dem Fuchs in der Folge, die Aufmerksamkeit des Königs auf dessen Krankheit und die Möglichkeit der Heilung zu konzentrieren. Dabei tritt der eigentliche Grund für die Gericht s Versammlung zurück. In dem Dialog zwischen ihm und Vrevel fallen Reinhart bei weitem die meisten Redeanteile zu. Er hält nur noch dann inne, wenn der König seinen Entscheidungen zustimmen soll. Heinrich nennt das sich sukzessiv entwickelnde Abhängigkeitsverhältnis Hörigkeit (V. 1976)529. Über seinen Egoismus hat Vrevel längst seine Pflichten als Gerichtsherr vergessen, bedient sich aber nichtsdestoweniger seiner Macht, um die von "Meister Reinhart" (V. 1910, 1976 u.ö.) angeregte Schindung der Tiere zum Zwecke der Heilung umsetzen zu lassen (s. V. 1972ff). Perfide spielt der Fuchs auf die Grundlagen für diesen Machtmißbrauch an. Wäre der König nämlich nicht so mächtig, sondern ein arm-man - das Rechtswort für den Unfreien, den Abhängigen von einem Mächtigen530 -, so hätte er schwerlich Reinharts Forderungen erfüllen können. So aber kann der König über die ihm von Gott verliehene Gewalt nach seinem Gutdünken verfügen531: Reinhart sprach, der wunder kan: "kvnic, werstv ein armman, Sonen kond ich niht gehelfen dir. von gotes genaden so habe wir, 1975 Da mit dv wol macht genesen, wilt dv mir nv gehoric wesen." (V. 1971 fF) B28
S.o. S. 145. Ungezogenheit ist die Ungebühr vor Gericht, s. OSBNBRÜGGBN, Eduard: Das alamannische Strafrecht im deutschen Mittelalter, Schafihausen 1860, S. 199. 629 S. RWB3, Sp.l506f. 630 RWB l, Sp.823; dazu STAMMLER, Wolfgang: Arm. In: HRG I, 1971, Sp. 223-228, s. Sp.224. 531 S.o. S. 129; vgl. RWB 4, Sp. 963 ff (Gnade).
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Die Behandlung der Tiere erfolgt nach dem Prinzip von Belohnung und Strafe532. Mit Hilfe des Königs belohnt der Fuchs seine Fürsprecher am Hofe, Krimel, das Kamel und den Elefanten, bestraft hingegen jeden, der in irgendeiner Weise etwas gegen ihn unternommen hat; sei es, daß er gegen ihn geklagt, das Botenamt übernommen oder ein Urteil zu seinem Nachteil vorgeschlagen hat. Diese Darstellung fußt auf zeitgenössischen Ansichten. Tatsächlich wurden Rechtshandlungen, die sich ungünstig für den Betreffenden auswirkten, als persönliche Beleidigung und als Ausdruck feindlicher Gesinnung aufgefaßt533. Insofern läßt sich im "Reinhart Fuchs" ein deutlicher Bezug zwischen Gerichtsverhandlung und Strafaktion nachweisen: Die legale Justiz kommt nicht zum Zuge, aber Reinharts Rache hat Erfolg. Letztere ist in der Branche X des "Roman de Renart" und ansatzweise schon im "Ysengrimus" vorgebildet, aber nicht in der zu beschreibenden Konsequenz durchgeführt. Reinharts Widersacher Wolf, Bär, Kater und Biber müssen im deutschen Tierepos ihre Felle lassen. Infolge der Machtstruktur am Königshof sind sie Reinhart schutzlos ausgeh'efert534: Sinen konden niht entwichen, der kvnic hiez sie begrifen Vil mangen sinen starken kneht. (V. 1929ff)535 Im Zuge der Strafaktion verliert die Henne ihr Leben, der Eber muß ein Stück Fleisch opfern und der Hirsch einen riemen (V. 1951). In V. 1954 spricht Heinrich diesbezüglich von einem gvrtel. Wie Schwab schreibt, bediente man sich im Mittelalter eines Gürtels als Medizin gegen Fieber und Gicht536. Da aber der Gürtel, das gesottene Huhn und der Eberspeck bei der Therapie nicht mehr erwähnt werden, zieht vielmehr die Strafaktion als solche die Aufmerksamkeit auf sich. Dafür spricht auch die Tatsache, daß Heinrich den Zusammenhang zu den Strafen an Haut und Haar herstellt, indem er von schinden der hvt spricht 532
So schon SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 141. 533 PLANCK: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1878), S. 253. 534 Genesen (RF V. 1943, vgl. V. 1094, 2060) ist rechtssprachlich und heißt "ungestraft (an Leib und Leben) bleiben" (RWB 4, Sp.217). 535 Rechtssprachlich sind entwichen, 'das Gericht, die Versammlung verlassen', 'flüchten' (RWB 3, Sp.18); legrifen, 'festnehmen', 'ergreifen' (RWB l, Sp. 1425ff); MuNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 264. 536 SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S.140.
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(V. 1898, 1932, 1933, 2237)537. Nach His ist jedoch die im "Reinhart Fuchs" beschriebene härtere Form des Haarverlustes, das Abziehen der Kopfhaut, wie sie in fränkischer Zeit mehrfach belegt ist, im Mittelalter nur vereinzelt bezeugt538. Dafür scheint die Randolt angediehene Behandlung, das "Riemenschneiden" aus der Haut539, verbreitet gewesen zu sein. Bei dieser Prozedur "schnitt man, wie es scheint, das Haar nicht vollständig ab, sondern begnügte sich mit einem Streifen am Rande oder quer über den Kopf weg"540. Da dem Hirsch der 'Riemen' von der nasen vntz an den zagel (V. 1969) geschnitten wird, hat sich Heinrich bewußt nach der deutschen Rechtspraxis gerichtet, zumal im "Roman de Renart" die "Schneideoperation" anders verläuft. Schon Schwab hat gesehen, daß in der französischen Vorlage der Riemen "de travers, also dem Rippenbogen nach ausgeschnitten, im RF dagegen um 90° verschoben" wird541. Allgemein schien der Zweck dieser Praxis zu sein, besonders das Element der Brandmarkung zu betonen, denn diese Art der Bestrafung verfolgte den Zweck, den Verbrecher als solchen kenntlich zu machen542. Ein derart Bestrafter war sein Leben lang als Verbrecher gekennzeichnet, der nicht über die Mittel verfügte, seine Strafe abzukaufen543. Insofern ist Randolts Bitte, ihm diese Prozedur zu erlassen, ihn zu begnadigen544, nur zu verständlich. Jeder der Geschundenen ist im "Reinhart Fuchs" im Vergleich zum König also ein armman, der nicht über das erforderliche Bestechungsgeld, miete (V. 2067, 2070), verfügt, um sein von Reinhart bestimmtes Los abzuwenden. Infolge dieser Vorkommnisse fürchten auch die anderen Tiere 537
Vgl. RWB 5, Sp.492; s. RA 2, S. 291 mit Hinweis auf die Schindung des Bären im "Reinaert de vos" (V. 2840). 538 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 530. 539 S. RA 2,8.291. 640 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.529. 541 SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 140. 542 Vgl. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S.530. Vermutlich davon abgeleitet sind eine Reihe von (Rechts-)Sprichwörtern, wie z.B. "Sich aus fremder Haut Riemen schneiden" (GRAF / DlBTHBRR: Deutsche Rechtssprichwörter [2. Aufl. 1869], Sp.446, Nr. 234; vgl. a. Sp.443, Nr. 134 ff) oder "Aus fremden Häuten ist gut Riemen schneiden" (WANDER: Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 2, Sp.438, Nr. 10; vgl. a. Nr. 9 und 37; Bd.3, Sp. 1683, Nr.2ff). 543 Vgl. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters I (1920), S. 532; KAUFMANN: Leibesstrafe (1978), Sp. 1777ff. 544 Erlazen (V. 1956): 'von einer Verpflichtung und von Ansprüchen jeder Art befreien', 'begnadigen', ist rechtssprachlich (RWB 3, Sp.230).
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um ihre Haut und verlassen fluchtartig den Königshof. Nur wenige bleiben zurück, darunter des Königs ingesinde (V. 2002), seine nächste, sich ständig bei Hofe aufhaltende Gefolgschaft545. An die ordnungsgemäße Schließung des Hof- und Gerichtstages ist nicht zu denken, wie denn überhaupt mit Reinharts Auftreten der Aspekt der Gerichtsverhandlung von dem der Willkür und Rache verdrängt wird. Trotzdem finden anschließend noch zwei Rechtsakte statt, die der König nicht als oberster Richter im Landgericht vollzieht, sondern als höchster Lehnsherr im Reich546. Auf Reinharts Vorschlag hin werden Kamel und Elefant Besitz- und Hoheitsrechte übertragen, gedacht als Belohnung für ihre Intervention zu seinen Gunsten. Diesen Rechtsakt beschreibt Heinrich mit den entsprechenden lehnrechtlichen Termini. Zuerst wird der Elefant mit Böhmen belehnt und der Rechtsordnung gemäß in sein Lehen eingewiesen: Reinhart, der Ivtzel trewen hat, den kvnic do genote bat Vmb sinen vrvnt, den helfant, 2100 daz er im. lihe ein lant. Der kvnic sprach: "daz si getan, Beheim sol er han." Des wart der helfant vil vro. der kvnic hiez in do Enphahen, als iz was recht. (V. 2097 ff) Die Wendung ein lant Wien (vgl. a. V. 2127) bedeutet 'ein Land leihen, es als Lehen ausgeben', und kommt häufig in Rechtstexten vor547. Dort finden sich auch enphahen, 'in Eigentum, Lehen oder Pacht eines Gutes eingewiesen werden'548. In gleicher Bedeutung wird in Vers 2117 gesetzen, 'jemanden in ein Land einsetzen', gebraucht549: Do Reinhart den helfant gesatzt hatte vber sin lant ( . . . ) (V.2117f) Ohne vorherige kanonische Wahl erhält das Kamel vom König die Abtei Erstein zugesprochen. Mit der "rechten Hand" verleiht er ihm die Äbtissinnen-Würde: 546
Vgl. RWB6, Sp.223. Vgl. SPIBSS, Karl-Heinz: Lehn(s)recht, Lehnswesen. In: HRG II, 1978, Sp.1725-1741, s. Sp.1732. 647 S. z.B. SLnr. 2 § 7; 59 § 1; SLdr. I 9 § 3; 34 § 2. 648 RWB2, Sp.1519. 549 RWB4, Sp.534. 546
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Lat sie zem Erstein ebtessinne wesen. (V. 2123) der kvnic harte gerne iz tet, Er lech iz ir mit der zeswen haut, groze gnade sie do vant. Sie wante sin gewisliche ein ebtissinne riche. (V. 2126 if) Auch diese, die Rechtsübertragung beschreibenden Formulierungen haben ihre Entsprechungen in mittelalterlichen Rechtstexten, wobei das deutsche Rechtswörterbuch die "Reinhart Fuchs"-Stelle V. 2127 als ersten Beleg aufführt550. Die rechte Hand galt als die gebende Hand bei Besitzwechsel, insbesondere bei Verleihungen551. Daß mit der Amtsübertragung auch Herrschaftsrechte verbunden sind, drückt in V. 2145 das Wort gewalt aus552. Das Kamel erläutert den elsassischen Nonnen: "mir hat der kvnic riche Disen gewalt verlihen, daz er si min. ich sol hie ebtessinne sin." (V. 2144 if) In beiden Fällen stellt sich jedoch heraus, daß der Fuchs wieder bösartig gehandelt hat. Denn sowohl der Elefant als auch das Kamel werden von ihren Untertanen in der neuen Position nicht anerkannt und aus ihren Besitztümern vertrieben. Diese Textstellen, die im "Roman de Renart" keine Entsprechung haben, sind von der "Reinhart Fuchs"Forschung mit großem Interesse untersucht worden, glaubt man doch, hier der Intention des deutschen Verfassers auf die Spur zu kommen. Die Erwähnung Böhmens wird als satirische Anspielung auf die Wirren um die böhmische Herzogswürde in den Jahren 1173-1189 gedeutet553. Ebenfalls läßt sich die Belehnung des Kamels mit dem Kloster Erstein im Zusammenhang mit der staufischen Reichs- und Landespolitik sehen. Stellten schon der Ortsname Horburg (s. V. 1024) und die Herkunftsbezeichnung des Kamels Thuschalan (s. V. 1438, 1995) die 550
RWB4, Sp.1547. Ebenda. 562 Vgl. RWB 4, Sp.680; vgl. RF V. 2108: fvrsten amt. Zu ami, 'Dienst', 'Tätigkeit', 'Hoheitsrecht', RWB l, Sp.544f; KROESCHELL, Karl: Amt. In: ERG I, 1971, Sp. 150-154. 'Fürst' bedeutet in dieser Stelle den Herrscher eines politischen Raums, dem der König Amter und Lehen verliehen hat, was Teilhabe am Reich und regionale Herrschaft mit sich bringt, s. THBUBRKAUF, Georg: Fürst. In: HRG I, 1971, Sp. 1337-1351. 653 Zusammenfassend DÜWEL: Der Reinhart Fuchs des Elsässers Heinrich (1984), S. XXVif. 551
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Verbindung zur elsässischen Geschichte des späteren 12. Jahrhunderts her, so weist auch der Ortsname Erstein in diese Richtung. Insofern ist Grimms Besserung des P- und K-Textes von ersten in Erstein berechtigt. Schwab vermutet, daß es direkte Zusammenhange zwischen der Geschichte der elsässischen Abtei und der "Kamelsepisode" im "Reinhart Fuchs" gibt554. Demnach wollte Heinrich auf die unrechtmäßige Besitzvergabe des Klosters anspielen, die 1191 von Kaiser Heinrich VI. in Tusculum vorgenommen wurde. Sie mußte schon ein Jahr später wieder rückgängig gemacht werden, weil damit gegen bestehendes Recht verstoßen wurde. Noch eine dritte Besitzvergabe wird im "Reinhart Fuchs" erwähnt, die allerdings der genauen juristischen Angaben entbehrt. Der infolge einer Schwitzkur das Haupt des Königs verlassende "Ameiz" erkauft sich Leben und Freiheit dadurch, daß er Reinhart "tausend Burgen" übergibt, also miete bezahlt (V. 2060 ff): Het er die miete niht gegeben, so mvst er verlorn han daz leben.
(V. 2067 f)
Daran schließt Heinrich eine Klage über die Ungerechtigkeit in der Welt an und hebt hervor, daß miete, Bestechung, mehr zählt als dienst, treue Pflichterfüllung555: Svst geschiht avch alle tag, 2070 swer die miete gegeben mag, Daz er da mit verendet me, danne der sich wendet, Zv erfüllende herren gebot mit dienst, daz erbarme got. (V. 2069if) Die Verse 2177 ff und 2238 f enthalten eine Variante dieses Gedankens. Beklagt wird die Konstellation, die sich mit Reinharts Erscheinen am Hof gebildet hat: Vielerorts nähmen treulose Betrüger die Herren für sich ein, stießen so in einflußreiche Positionen vor und verdrängten die Getreuen.
654
SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S. 31 ff. 555 Vgl. RWB 2, Sp.842 (Dienst); RWB 3, Sp. 189 (erfüllen).
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4.4.8 Der Tod des Königs (V. 2165-2268) Reinharts Strafaktion macht auch vor Vrevel nicht halt. Die von dem falschen Arzt verordnete Kur endet mit dem Gifttod des Königs (V. 2187, 2234). Vrevels Haupt spaltet sich in drei, seine Zunge in neun Teile: do nam der kvnic sin ende. Sin hovbet im en drev spielt, in nevne sich sin zvnge vielt. (V. 2242ff) Noch in den Rechtsbüchern des 13. Jahrhunderts wurde die Tötung oder Gesundheit s Schädigung durch Gift als eine Art Zauberei aufgefaßt556. Der "Sachsenspiegel" bestraft zum Beispiel den Umgang mit Gift mit dem Feuertode557. Wohl unter dem Einfluß italienischer Rechtslehren behandelte man dann im 15. Jahrhundert in Mittel- und Oberdeutschland die Vergiftung mit tödlichem Ausgang meist als "eine Abart des Mordes"558. Dieser Aspekt findet sich offensichtlich auch schon bei Heinrich. Seine Darstellung läßt jedenfalls den Schluß zu, daß der Fuchs auch gegen den König sein bislang praktiziertes Verbrechertum fortsetzt. Richtete sich ein Verbrechen gegen den Herrscher, sprachen die mittelalterlichen Quellen von 'Untreue' und 'Verrat'559. In dieser Zeit deckte sich nach His noch das politische Verbrechen mit dem Verbrechen gegen den Herrn560. Anschläge gegen das Leben des Königs oder Auflehnung gegen seine Herrschaft galten als Majestätsverbrechen, Hochverrat561. Der Verfasser des "Reinhart Fuchs" verwendet in diesem Zusammenhang die genannten Begriffe und hebt im Schlußteil an zahlreichen Stellen Reinharts Untreue hervor (V. 1960, 2093, 2097). Ebenfalls nennt er das betrügerische Vorgehen des Fuchses 'Verrat':
556
His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 29; ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 112. 557 SLdr. II 13 § 7. 558 His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 30; vgl. ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 112. 559 Ders.: Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928), S. 116. 560 Ebenda. 661 CONRAD: Deutsche Rechtsgeschichte I (2. Aufl. 1962), S. 445.
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Der artzet was mit valsche da, den kvnic verriet er sä. (V. 2165 f)562 Die Ausdrücke 'Verrat' beziehungsweise 'Verräter' in bezug auf den Fuchs finden sich bereits in der Tradition der Tierdichtung. In der "Ecbasis captivi" wird dem ladungsungehorsamen Fuchs Verrat am König vorgeworfen563, und im "Roman de Renart" bezeichnet König Noble aus demselben Grund Renart als Verräter564. Der "Reinhart Fuchs" unterscheidet sich indessen von den anderen Tierdichtungen durch seinen einmaligen und ungeheuren Schluß beziehungsweise die Dimension des gegen den Herrscher begangenen Verbrechens. Tatsächlich findet in keinem der zitierten Werke der König den Tod. Freilich bildet das deutsche Tierepos auch bezüglich der negativen Darstellung des Königs und dessen Herrschaft eine Ausnahme. Im "Reinhart Fuchs" vermittelt vor allem das Rechtsvokabular, verbunden mit den Vorstellungen der Zeit, einen guten Eindruck von den Verfehlungen, die sich Vrevel hat zuschulden kommen lassen, obwohl er noch unmittelbar vor seinem Tode nach den Ursachen für den Giftanschlag gegen sich forscht (V. 2235). Die "Ameisenepisode" zeigt Vrevel als einen egoistischen Gewaltherrscher, der seinen Namen zurecht trägt565. Anstatt seiner zentralen Aufgabe, der Herstellung einer gerechten Friedensordnung, nachzukommen, schürt er die Unruhe im Reich. Pax, ordo und iustitia sind in Gefahr566. Im Verlauf der Gerichtsverhandlung bestätigen sich diese Züge. Heinrich stellt heraus, daß Vrevel nicht eine der Tugenden besitzt, die die zeitgenössischen Rechtsquellen für das Herrscher- und Richteramt fordern. 562
Zu mhd. valsch, der seit dem 13. Jahrhundert belegte Hauptterminus für Fälschung und Betrug, s. RWB 3, Sp.410ff; MUNSKB: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S. 269; zum Tatbestand des Verrats, s. His: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II (1935), S. 31 ff; S. 33 mit Hinweis auf RF V. 1854ff. Freilich gibt der Erzähler auch zu erkennen, daß er Reinharts Verhalten billigt. Im Prolog hebt er den Vorbildcharakter des Fuchses hervor (V. 4f), und in V. 2248 nennt er ihn ironisch den "guten Reinhart". Göttert (Heinrich der Glichezäre. Reinhart Fuchs [1976], Anm. z. Stelle, S. 165) vermutet in V. 2248 ein parodistisches Verhältnis zur Legende. 563 "Ecbasis" V. 404 (ed. Voigt, S. 95). 564 Br. I, 1061, 1482; Br. X, 41, 1452. 566 S.o. S. 126 f. 566 Zu den augustinischen Ausdrücken pax, ivstitia, ordo und serenitas, a. SPÖRL, Johannes: Grundformen hochmittelalterlicher Geschichtsanschauung. Studien zum Weltbild der Geschichtsschreiber des 12. Jahrhunderts, München 1935 (ND Darmstadt 1968) = Libelli. Bd. 203, S. 93.
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Schon das frühe Christentum hatte sich mit dem Wesen des Staates und der Stellung des Herrschers auseinandergesetzt. Isidor von Sevilla, Augustin und andere erläuterten ausführlich die Strukturelemente eines theologisch-philosophisch konzipierten Herrscherbildes567. Die wichtigsten Themenkreise finden sich in den mittelalterlichen Fürstenspiegeln wieder und sind in einige Rechtsquellen eingegangen. Der "Schwabenspiegel" beispielsweise setzt die Herrschertugenden mit den richterlichen Kardinaltugenden gleich: Der Richter muß über rehtekeit, sterke, wisheit und mazse verfügen568. Diese Tugenden bedingen einander, vnde swer eine zerbrichet. der hat si alle samment zerbrochen569. König Vrevel fehlt der Sinn für gerehtecheit, die objektive Gerechtigkeit, die nicht durch Begünstigung (liebe), Voreingenommenheit (haz) oder Bestechung (miete) beeinträchtigt wird570. Läßt Vrevel bereits im Verlauf des Prozesses Zweifel an einer objektiven Prozeßführung aufkommen, so macht er sich in der Schlußphase eindeutig der ungerechten Urteilsfindung aufgrund von Bestechung schuldig571. Ebenso mangelt es ihm an sterke, an der Kraft und dem Vermögen, dem bösem mvt zu widerstehen572 und der wisheit, das vbel von dem gvten zu unterscheiden573. Insofern hat der Fuchs leichtes Spiel, den König für sich zu gewinnen und sich dessen Macht dienstbar zu machen. Zum Leidwesen seiner Untertanen entwickelt sich ihr Herrscher zum Werkzeug des Bösen. An mehreren Stellen des "Reinhart Fuchs" lenkt Heinrich die Aufmerksamkeit darauf, daß dem König auch die rechte maze abgeht. Vrevels maßlose Zornesausbriiche passen keineswegs zum Idealbild des tugendhaften Richters (vgl. V. 1255,1265,1433, 1474ff, 1619ff, 1745): Denn laut "SchwabenspiegeP soll der Richter die mazze halten, also daz er durch reht noch durch vnreht niemer also unmenschlichen zorn sol gewinnen, daz er wider dem rehten iemer ivt getv. er sol niemer zornig werden, swie gewaltig er si574. Nach dem 667
S. z.B. ANTON, Hans Hubert: Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit, Bonn 1968, S. 47ff. 668 Schwsp. Ldr. 86 (ed. Laßberg, S.42). 669 Ebenda, S.43. 570 Ebenda; zu den Richtertugenden: DRÜPPEL: Judex civitatis (1981), S. 287ff; vgl. o. S. 131, 170, 178 f, 187 ff. 671 S.o. S. 207, 213, 216; vgl. MUNSKE: Der germanische Rechtswortschatz im Bereich der Missetaten (1973), S.273. 572 Schwsp. Ldr. 86 (ed. Laßberg, S.42). 873 Ebenda. 674 Ebenda; vgl. SPÖRL: Grundformen mittelalterlicher Geschichtsanschauung (1968), S. 78 f.
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süddeutschen Rechtsbuch liegt die Quelle maßvollen Handelns in der Gottesfurcht. Nur wer mit Gott ist, ihn liebt und fürchtet, entscheidet sich für das Recht und gegen das Unrecht575. Der Richter beziehungsweise der Herrscher, der die Sorgepflicht für die Gesamtheit (utilitas publica) vernachlässigt und nur den eigenen Nutzen sieht, verliert Gottes Huld576. Ganz dem augustinischen Weltbild verpflichtet, ist Vrevel nach Heinrichs Darstellung infolge seiner Maßlosigkeit der superbia verfallen und hat die Pax Dei, die Einheit mit Gott und der Schöpfung, verloren. Er ist den Mächten der Finsternis preisgegeben und stirbt den qualvollen Gifttod577. Vrevels Tod ist Ausdruck seiner Verfehlungen. Denn nach den mittelalterlichen Fürstenspiegeln war ein natürlicher Tod, bei dem der Herrscher zuvor die heiligen Sterbesakramente empfangen hatte, ein untrüglicher Beweis für die Zugehörigkeit zur civitas Dei. "Ganz anders aber steht es mit den Kindern des Teufels. Die Angehörigen der civitas diaboli sterben eines schrecklichen, plötzlichen und unseligen Todes"578. In dieses Bild fügt sich auch das apokalyptische Ende des Löwenkönigs. Heinrich und seine Zeitgenossen lebten in dem Wissen über eine Periodisierung der Zeitenordnung, die sich nicht nur auf die Vergangenheit erstreckte, sondern zugleich die künftige Geschichte bis ans Weltende erfaßte579. Das Bewußtsein, am Ende des irdischen Geschichtsverlaufs zu stehen, war in der volkstümlichen Phantasie wie in der gelehrten Spekulation 576
Ebenda. Ebenda; vgl. ANTON: Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit (1968), S. 64. 577 Vgl. BERNHEIM, Ernst: Mittelalterliche Zeitanschauungen in ihrem Einfluß auf Politik und Geschichtsschreibung. T. l, Tübingen 1918, S. 76ff. 578 WIMMER, Franz: Beiträge zur Charakteristik der Annalen der Stauferzeit mittels neuer Gesichtspunkte, Neustadt 1916 (Diss. phil. Greifswald), S.4f. 579 S. z.B. GRUNDMANN, Herbert: Die Grundzüge der mittelalterlichen Geschichtsanschauungen. In: Archiv für Kulturgeschichte 24, 1934, S. 326336; wiederabgedr. in: Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter. Hrsg. v. Walther Lammers, Darmstadt 1961 = WdF 21, S. 418-429; TÖPFER, Bernhard: Das kommende Reich des Friedens. Zur Entwicklung chiliastischer Zukunftshoffnungen im Hochmittelalter, Berlin 1964; SCHALLER, Hans Martin: Endzeit-Erwartung und Antichrist-Vorstellung in der Politik des 13. Jahrhunderts. In: Festschrift für Hermann Heimpel. Hrsg. v. den Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Bd. 2, Göttingen 1972, S. 924-947; RAUH, Horst Dieter: Das Bild des Antichrist im Mittelalter: Von Tyconius zum deutschen Symbolismus, Münster 1973 = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen. N.F. Bd. 9 (2. Aufl. 1979); s. dazu die Rez. v. Andreas Wang in: AfdA 86, 1975, S. 112-116. 576
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gleichermaßen vorhanden und beeinträchtigte die Geschichtsbetrachtung und das ganze Kulturbewußtsein der Zeit580. Das Erscheinen des Antichrists und den Weltuntergang stellte man sich wie in der Offenbarung des Johannes, der Prophetic aus dem Buche Daniel oder in den Weissagungen sibyllinischer Texte vor581. Diese eschatologische Ideenwelt ist vermutlich nicht ohne Einfluß auf die Darstellung des Königstodes im "Reinhart Fuchs" geblieben582. Die mehrfach hervorgehobene Unrechtsherrschaft des Königs in Heinrichs Tierepos, seine Rechtsbrüche als Handlanger des teuflischen Fuchses583 am Ende des Prozeßgeschehens und sein gewaltsamer Tod, bei dem sein Mörder straffrei ausgeht, nähren die Vermutung, daß der deutsche Verfasser Vrevels Ende als gerechte Strafe für dessen iniustitia ansieht584. Obwohl keine offene, in eine legale Form gebrachte Empörung gegen Vrevels Herrschaft vorliegt, sondern heimtückischer Mord, soll trotzdem die Frage nach den Möglichkeiten, sich gegen eine derartige Unrechtsherrschaft zur Wehr zu setzen, gestellt werden. Wel580
Vertreter des 12. Jahrhunderts von geschichtetheologischen Systemen, die das Ende der Welt propagierten, sind z.B. Gerhoch von Reichersberg, Joachim von Fiore, Honorius von Autun, Anselm von Havelberg und Rupert von Deutz. Für das 13. Jahrhundert ist bezeugt, daß führende Persönlichkeiten wie Friedrich II., Gregor IX., Thomas von Aquin und Eike von Repgow, der Verfasser des "Sachsenspiegels", vom Anbruch des letzten Weltalters überzeugt waren, vgl. ScHALLBR: Endzeit-Erwartung und AntichristVorstellung in der Politik des 13. Jahrhunderts (1972), S. 929 ff. 581 Wie S. 221, Anm. 580. 582 Spiewok sieht in dem apokalyptischen Ende des Königs eine symbolische Anspielung auf das Ende des Stauferreiches, vgl: "Reinhart Fuchs"-Fragen (1964), S.288; ders.: Satirische Tierepik - "Fuchs Reinhart". In: Geschichte der deutschen Literatur. Mitte des 12. Jahrhunderts bis Mitte des 13. Jahrhunderts. Hrsg. v. einem Autorenkollektiv unter Leitung von Rolf Bräuer = Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 2, Berlin 1990, S. 175-185 u. S. 793 f; s. S. 183: "Friedrich I. vereinte nämlich auf seinem Haupt drei Kronen. Er wurde 1152 zum deutschen König gekrönt, trug ferner die burgundische Königskrone und erwarb schließlich 1158 in Monza die langobardische Königskrone." Weitere Überlegungen bei GÖTTERT: Heinrich der Glichezäre. Reinhart Fuchs (1976), Anm. z. Stelle, S. 165. 683 Vgl. V. 1961 f: "Der tevfel in geleret hat, daz er sol sin ein artzat." 584 So sein Kommentar V. 2181 ff: S welch herre des volget ane not, vnd teten sie deme den tot, Daz weren gvte mere.
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ehe Mittel standen den Untertanen eines mittelalterlichen Königs zur Verfügung, um gegen ungerechte Herrschaft Widerstand zu leisten und gegen den rex iniustus, der sich zum tyrannus entwickelt hat, vorzugehen? Der Widerstand gegen die höchste Staatsgewalt, der in der Erlaubtheit des Tyrannenmordes gipfelt, hat die Geschichte seit alters her beschäftigt585. Die Diskussion über dieses Thema war zu Heinrichs Zeiten sehr lebhaft und wurde durch aktuelle Ereignisse immer wieder angefacht. Da vieles für die Annahme spricht, daß der Verfasser des "Reinhart Fuchs" mit seinem Löwenbild den "staufischen Löwen" Friedrich I. gemeint hat, den kritische Zeitgenossen als "deutschen Tyrannen" schmähten586, werden im folgenden die hier relevanten Punkte zum Thema Widerstandsrecht dargestellt. Einige dieser Gedanken, vor allem die historischen Bezüge, kommen im Schlußteil noch einmal zur Sprache587. Die mittelalterliche Lehre vom Widerstandsrecht fußte auf den Grundlagen der abendländischen Rechts- und Herrscherauffassung, also einerseits auf der frühchristlichen Haltung gegenüber dem Staat und andererseits auf gewisse Einflüsse germanischer Rechtsvorstellungen588. Germanische und christliche Auffassungen vereinigten sich zu dem Satz, der über das Mittelalter hinaus galt, daß das Recht über dem Herrscher stehe, seine Macht folglich beschrankt und an das Recht gebunden sei589. Nach allgemein herrschender Lehre wurzelte das germanische Widerstandsrecht im Grundbegriff der "Treue"590. Herrscher wie Untertanen seien dem Recht verbunden gewesen; das Recht sei der 585
Umfassende Literatur zu diesem Thema und weiterführende Literaturangaben bei KAUFMANN, Arthur (Hrsg.): Widerstandsrecht, Darmstadt 1972 = WdF 173. Zur Antithese vom rex iustus und dem tyrannus, s. GRAUS: Über die sogenannte germanische Treue (1959), S. 119. 586 HEER: Aufgang Europas (1949), S. 361 ff; ScHWOB: fride unde reht sini sere wunt (1986), S. 864. 587 S.u. S. 236ff. 588 SPÖRL, Johannes: Gedanken um Widerstandsrecht und Tyrannenmord im Mittelalter. In: Widerstandsrecht. Hrsg. v. Arthur Kaufmann, Darmstadt 1972 = WdF 173, S. 87-113, s. S. 89; zuvor erschienen in: Widerstandsrecht und Grenzen der Staatsgewalt. Bericht über die Tagung der Hochschule für Politische Wissenschaften, München, und der Evangelischen Akademie, Tutzing, 18.-20. Juni 1955 in der Akademie Tutzing. Hrsg. v . Bernhard Pfister und Gerhard Hildmann, Berlin 1956, S. 11-32. 589 KERN, Fritz: Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im frühen Mittelalter. Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie. 2. Aufl. Hrsg. v. Rudolf Buchner, Darmstadt 1954, S. 122. 690 Ebenda, S. 152.
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Maßstab für die Treuepflicht. Wenn also der König das Recht breche, bringe er sich durch sein eigenes Verhalten um sein Herrscherrecht. Durch sein Handeln verliere er den Anspruch auf Gehorsam591, denn nur der getreue König habe getreue Untertanen592. Kannte das frühe Christentum nur duldenden Gehorsam und passiven Widerstand593, so bildete sich im 11. und 12. Jahrhundert, insbesondere infolge des Investiturstreits, eine klar umschriebene Ungehorsamspflicht heraus, die in der Folge weiter spezifiziert wurde594: Wie in der germanischen Lehre beraubte sich der schlechte Herrscher selbst seiner Regierungsfähigkeit und verlor dadurch die Befehlsgewalt. Aufgrund seiner Untauglichkeit beziehungsweise seiner Verbrechen verwirke er sein Herrscherrecht, werde tyrannus596. Schon in der griechischen Antike wurde die Notwendigkeit des Tyrannenmordes von einigen Philosophen entwickelt596. Problematisch wurde dieser Punkt in Verbindung mit dem Christentum, denn es lehrte die göttliche Herkunft der obrigkeitlichen Gewalt. Die duale Theorie Augustins sah in guten wie in schlechten Herrschern "Werkzeuge des göttlichen Willens"597. Augustin gab auch das Gegenbild des antiken Tyrannen, die Idealvorstellung vom gerechten Fürsten, dem Mittelalter weiter. Auf ausdrücklichen Befehl billigte er den Tyrannenmord, 691
SPÖRL: Gedanken um Widerstandsrecht und Tyrannenmord im Mittelalter (1972), S. 93. 592 KERN: Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im frühen Mittelalter (2. Aufl. 1954), S. 153 f. Gegen einige Thesen Kerns, z.B. die vom "guten, alten Recht", wandten sich vehement Kroeschell (z.B. in seiner Deutschen Rechtsgeschichte l [8. Aufl. 1987], S. 151) und Köhler (Das Recht im frühen Mittelalter [1971], S.löff). 593 jjippEL, Ernst v.: Widerstand gegen rechtswidrige Machtausübung. In: Widerstandsrecht. Hrsg. v. Arthur Kaufmann, Darmstadt 1972 = WdF 173, S. 416-430, s. S. 421; zuvor erschienen in: HlPPBL, Ernst v.: Mechanisches und moralisches Rechtsdenken, Meisenheim am Glan 1959, S. 161-172, und in: Die Kirche in der Welt, Jg. 4, 1951, S. 267ff; ANGBRMAIR, Rupert/ WBINKAUF, Hermann: Widerstandsrecht. In: Staatslexikon. Hrsg. v. d. Görres-Gesellschaft. Bd. 8, 6. Aufl. Freiburg 1963, Sp. 670-683, s. Sp.678. 694 SPÖRL: Gedanken um Widerstandsrecht und Tyrannenmord im Mittelalter (1972), S. 94ff. 595 Ebenda, S. 98 ff. 596 Ebenda, S. 97ff; v. HIPPBL: Widerstand gegen rechtswidrige Machtausübung (1972), S. 420ff; BRACK, Harro: Tyrannenmord. In: Staatslexikon. Hrsg. v. der Görres-Gesellschaft. Bd. 7, 6. Aufl. Freiburg 1962, Sp.llOlf. 597 BRACK: Tyrannenmord (6. Aufl. 1962), Sp. 1102; vgl. ANTON: Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit (1968), S. 56f.
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wenn sich nämlich der Herrscher dem göttlichen Auftrag widersetzte und an Gottes Statt den Untertanen die eigene Herrschaft überheblich und despotisch aufzwingen wollte. Seit Augustin war der härteste Vorwurf, den man einem Herrscher machen konnte, der, er sei Tyrann, princeps iniustus, iniquus598. Die tiefe Abscheu des Mittelalters gegen den Tyrannen führte dazu, daß er zuweilen als Vorläufer des Antichristen bezeichnet wurde599. Beide Bezeichnungen entwickelten sich in der mittelalterlichen Publizistik zu beliebten Schmähungen für den jeweiligen politischen Gegner600. Das Staatsideal Augustins findet sich in einigen Zügen bei Johannes von Salisbury (1115/20-1180) wieder, der die Geistesgeschichte seiner Zeit entscheidend prägte. Im Mittelpunkt seiner "Staatsrechtslehre" von 1159, dem "Polycraticus", steht das Wesen des Staates und die Stellung des Herrschers im Staate601. In weiten Teilen präsentiert sich der "Policraticus" als Fürstenspiegel, der sich mit dem idealen Staat und dem Idealbild des Fürsten auseinandersetzt. Für die Interpretation des "Reinhart Fuchs" in seinem historischen Zusammenhang ist wichtig, daß Johannes seine Erörterungen vom Zeitgeschehen beeinflußt verfaßte. Ziel seines Schrifttums war, die Freiheit der Kirche gegen den Staat zu verteidigen602. Insofern erschütterten ihn das Schisma und das "tyrannische" Gebaren einiger Herrscher, wie das Heinrichs II., in erster Linie aber das Friedrichs I. und seines Kanzlers Rainald von Dassel, zutiefst. Der Kaiser war für ihn ein Tyrann, weil er sich universelle 698
SPÖRL: Gedanken um Widerstandsrecht und Tyrannenmord im Mittelalter (1972), S. 99. 599 Ebenda, S. 100. 600 Vgl. u. S. 239. 601 Über Johannes von Salisbury und den "Policraticus", s. z.B. BERNHEIM: Mittelalterliche Zeitanschauungen in ihrem Einfluß auf Politik und Geschichtsschreibung (1918), S. 50ff; SPÖRL: Grundformen mittelalterlicher Geschichtsanschauung (1968), S. 73ff; KLEINECKB, Wilhelm: Englische Fürstenspiegel vom Policraticus Johannes von Salisbury bis zum Basiliken König Jacobs L, HaUe (Saale) 1937 = Studien zur Englischen Philologie 90, S. 23if; BERGES, Wilhelm: Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters, Leipzig 1938 (ND Stuttgart 1952) = Schriften der MGH 2, S.4ff, 131 ff; ROUSE, Richard H. / ROUSE Mary A.: John of Salisbury and the Doctrine of Tyrannicide. In: Speculum XIII, 1967, S. 693-709; MANDT, Hella: Tyrannis, Despotie. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. v. Otto Brunner u.a. Bd. 6, 1990, S. 651-706, s.S. 662. 602 SPÖRL: Grundformen mittelalterlicher Geschichtsanschauungen (1968), S. 98.
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Machtansprüche anmaßte und seine eigentlichen Aufgaben pax, ordo und iustitia vernachlässigte603. Friedrichs Kanzler Rainald von Dassel schmähte Johannes als Vorläufer des Antichristen604. Nach Johannes' Theorie stand der Fürst infolge göttlichen Auftrags an der Spitze des Staates und verkörperte die öffentliche Gewalt (potestas publica). Er sei eine irdische Erscheinungsform der göttlichen Majestät. Der princeps sei imago Dei605. Er werde zum Tyrannen, wenn er von der aequitas, dem Ordnungsprinzip, abweiche und seine Herrschaft nicht mehr mit den Weisheit verheißenden Kardinaltugenden übereinstimme, sondern sich in ihr Gegenteil verkehre, nämlich in iniuria, iniustitia, contumelia und dolus: "Imago quaedam divinitas est princeps et tirannus est adversariae fortitudinis et Luciferianae pravitatis imago"606. Statt das Wohl seiner Untertanen (salus publica) zu fördern, gehe er seinen eigenen Begierden nach. Der tyrannische Herrscher sei nicht mehr das Abbild Gottes, sondern das Bild des Teufels. Er sei wie ein Staatsfeind zu behandeln und dürfe in letzter Konsequenz getötet werden: "Porro tirannum occidere non modo licitum est sed aequum et iustum"607. Sein Tod könne sogar ein gottgefälliger Dienst sein, allerdings dürfe dabei nicht gegen iustitia und honestas verstoßen werden: Weder solle der Täter eidlich an den Herrscher gebunden sein, noch dürfe er Gift benutzen608. Soweit bekannt ist, hat Johannes, trotz seines vernichtenden Urteils über den Kaiser, diesen letzten Schritt allerdings nie direkt auf Friedrich Barbarossa bezogen und nicht dessen Tod gefordert609. 603
Ebenda, S. 99. Ebenda, S. 100. 605 Zur "rex imago Dei-Lehre" BERGES: Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters (1938), S. 25 ff. 606 Polier. 8, 77 (ed. WEBB, Clemens C. J.: loannis Saresberiensis Episcopi Carnotensis Policratici sive de nvgis cvrialivm et vestigiis philosophorvm libri octo. 2 Bde., Oxford 1909 [ND Frankfurt/M. 1965], II, S. 276), a. dazu KLEINECKE: Englische Fürstenspiegel vom Policraticus Johannes von Salisbury bis zum Basiliken König Jacobs I.(1937), S. 30. Vgl. noch einmal den Erzählerkommentar im "Reinhart Fuchs". Ausdrücklich wird der Tod des Königs gutgeheißen (s.o. S. 221, Anm. 584). 607 Polier. 3, 15 (ed. Webb I, S. 232). 608 S. Polier. 8, 20; dazu MICZKA, Georg: Das Bild der Kirche bei Johannes von Salisbury, Bonn 1970 = Bonner historische Forschungen. Bd. 34, S. 41; KLEINECKE: Englische Fürstenspiegel vom Policraticus Johannes von Salisbury bis zum Basiliken König Jacobs I. (1937), S. 41. 609 KLEINECKE: Englische Fürstenspiegel vom Policraticus Johannes von Salisbury bis zum Basilikon König Jacobs I. (1937), S. 41. 604
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Auch wenn es von der Theorie zur Praxis ein weiter Schritt war, und speziell Johannes' Erörterungen ohne die Erfahrungen des Investiturstreits nicht denkbar wären, wirkten sich derartige Anschauungen erheblich auf die Geistesgeschichte des Mittelalters aus und beeinflußten in großem Maße die mittelalterliche Staatsphilosophie. Sie führten zu einer klaren Definition der Herrscherrechte und -pflichten. Ausnahmslos bekannten sich die Könige feierlich zur herrschenden Lehre von der Begrenztheit der Königsmacht. Friedrich L, um in der Anspielungsebene des "Reinhart Fuchs" zu bleiben, mußte wie seine Vorgänger und Nachfolger seine Bindung an das Recht versichern, indem er ein entsprechendes Gelübde bei der Krönung ablegte. Die Selbstbindung des Königs an das Recht ging einher mit der Huldigung der Untertanen610. Überschritt ein Herrscher aber seine Grenzen, fehlte es nicht an der förmlichen Verurteilung seines Vorgehens. Trotzdem war es aber in der politischen Praxis des 12. Jahrhunderts undenkbar, daß Einzelpersonen oder Gruppierungen den König unter Berufung auf ihr Widerstandsrecht hätten absetzen können. Dafür war das Königtum zu sehr gefestigt. Zudem achteten die Könige tunlichst darauf, daß die Mittel und Ziele ihrer Politik den Rechtsnormen entsprachen. Die Ausübung von Macht war nur denkbar, wenn sie an die rechtliche Form gebunden war. Wer den Boden des Rechts verließ, mußte scheitern. Von Friedrich I. ist bekannt, daß er konsequenter als andere Herrscher die Möglichkeiten, die das Recht bot, für seine Politik ausschöpfte, Privilegien verteilte oder entzog und gegen seine Gegner gnadenlos mit den Mitteln des Rechts vorging611. Wie diese Rechtspolitik der Staufer unter Umständen aussehen konnte und welchen Preis andere möglicherweise dafür zu zahlen hatten, hat der Verfasser des "Reinhart Fuchs" mit seinen Anspielungen auf das tyrannische Gebaren des Königs gezeigt. Heinrich kritisiert mit den Mitteln der Satire Zustände und Verhaltensweisen und spielt auf histo610
DKLPOS, Leo: Alte Rechtsformen des Widerstandes gegen Willkürherrschaft. In: Widerstandsrecht. Hrsg. v. Arthur Kaufmann, Darmstadt 1972 = WdF 173, S. 59-86, s. S. 72; zuvor abgedruckt in: Archiv für Philosophie (Societas Hobbesiana), Bd. 6, 1956, S. 294-313. 611 Vgl. z.B. FRANKLIN: Das Reichshofgericht im Mittelalter I (1867), S.74ff; STACH, Walter: Politische Dichtung im Zeitalter Friedrichs I. Der Ligurinus im Widerstreit mit Otto und Rahewin. In: Neue Jahrbücher für deutsche Wissenschaft. 13. Jg. 1937, S. 385-410, s. S. 394; HAMPE, Karl: Herrschergestalten des deutschen Mittelalters. 6. Aufl. Hrsg. v. Hellmut Kämpf, Heidelberg 1955, S. 150 f; BAAKBN: Recht und Macht in der Politik der Staufer (1975), S. 553if.
Zusammenfassung
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rieche Ereignisse an, die in der lobenden Historiographie, wie zum Beispiel in den Auftragsarbeiten Ottos von Freising und Rahewins612, keinen Platz hatten und nur in einigen wenigen publizistischen Äußerungen, beiläufig gemachten annalistischen Eintragungen und eben dem satirischen Tierepos "Reinhart Fuchs" zu entdecken sind613.
4.5 Zusammenfassung Der dritte Teil des "Reinhart Fuchs", der Hof- und Gerichtstag des Löwenkönigs, beruht einerseits auf Handlungselementen der mittelalterlichen Tierdichtung ( "Ysengrimus", "Roman de Renart" ) und weist andererseits Passagen auf, die als Eigenleistung des deutschen Verfassers gelten ("Ameisenepisode", Belehnung von Kamel und Elefant, Tod des Königs). Neben dem gewaltsamen Tod des Königs gehört die "Ameisenepisode" zu den eigenständigen Teilen des deutschen Tierepos', die am Aussagekräftigsten für die Rechtshandlung sind. Sie ist von zentraler Bedeutung für den Aufbau des "Reinhart Fuchs": Mit ihr beginnt die chronologische Handlung, und ihr sind wichtige Informationen über den rechtlichen Hintergrund der vorangegangenen Ereignisse zu entnehmen. Die Trennung von narrativer und chronologischer Handlung dient Heinrich dazu, die den dargestellten Rechtskreisen drohenden Gefahren zu veranschaulichen. Seine Kernaussage: Weder Verwandtschaft noch Bündnisse garantieren Rechtsfrieden, ebensowenig das Rechtssystem auf Landes- beziehungsweise Reichsebene. Die "Ameisenepisode" motiviert im "Reinhart Fuchs" auch den königlichen Gerichtstag. Denn im Unterschied zu den vergleichbaren Vorlagen hat Heinrich die Fabel von der Krankheit des Löwen mit dem Hoftagsgeschehen verbunden. Während im "Roman de Renart" das consilium der Barone im Vordergrund steht, stellt das deutsche Tierepos das indicium in den Mittelpunkt des Hoftages. Abgesehen von der Belehnung von Kamel und Elefant, die der lehnrechtlichen Praxis nachempfunden ist, weist der Prozeß gegen den zunächst abwesenden Fuchs alle Stadien eines mittelalterlichen Verfahrens nach Landrecht auf. Er gilt als genaues Beispiel und früher Beleg einer Verhandlung nach deutschem Gewohnheitsrecht. Die vorliegende Untersuchung kann diese These nur bestätigen und mit weiteren Belegen stützen. 612 613
S.u. S. 238 f. S.u. S. 231 ff.
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Die Leistung des deutschen Verfassers besteht darin, daß er auf der Grundlage der im "Roman de Renart" verstreut zu findenden Elemente eine im juristischen Sinne kohärente Szenenfolge aufgebaut hat, in der die einzelnen Prozeßabschnitte die Handlung strukturieren. In bezug auf die Ausgestaltung hat sich Heinrich weitestgehend von seiner Vorlage gelöst und detaillierte Kenntnisse des damaligen deutschen Rechts in sein Werk eingebracht: — Die Vorbereitung des Verfahrens kommt mit der Ladung und der Hegung der Gerichtsstätte zum Ausdruck. — Die Verhandlung weist die Elemente Anklage, Verteidigung und Urteilsfindung auf. — Die kontroverse Beurteilung des Falles mündet in der Feststellung, daß die dreimalige Ladung des Beklagten unverzichtbare Voraussetzung für die Einleitung des Verfahrens ist. Bis zum Erscheinen des Fuchses vor Gericht folgt das Verfahren den im deutschen Mittelalter üblichen Praktiken. Fehlurteile (z.B. Reinharts Verfestung oder Acht) beziehungsweise willkürliche Entscheidungen (Reinharts Verbannung) werden von der Gerichtsgemeinde mit den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln korrigiert und bleiben ohne Auswirkung auf das Verfahren. Doch gerade die getreue Wiedergabe des Prozeßverlaufs verbindet Heinrich mit beißender Kritik an sachlichen und personellen Mißständen. Das Beispiel des Fuchses zeigt, daß ein mehrfach beklagter Schwerverbrecher aus formal-juristischen Gründen (dem Erfordernis der dreimaligen Ladung) nicht verurteilt wird, obwohl die Beweislast erdrükkend ist. Der Tenor lautet, daß bestimmte Rechtsnormen brüchig geworden sind (s. z.B. den Reinigungseid), andere (wie die Landfriedensgesetzgebung) unzulänglich. Der Fuchs, der auf den ersten Blick als Verkörperung des Bösen erscheint, bewirkt durch sein unkonventionelles und kompromißloses Verhalten, daß die wahre "nature" des Rechts, um mit Jauß zu sprechen614, das heißt das wahre Wesen der Tiere aufgedeckt wird. Die Figuren sind im dritten Handlungsteil durchweg negativ beschrieben. Sie beklagen den Verlust von triuwe, legen aber selber ungetriuwes Verhalten an den Tag, sobald es um ihren eigenen Vorteil geht. Scheinheilig verstecken sich die Tiere hinter einer Reihe formaler Handlungen und glauben rechtens zu handeln, sind aber, wie die Beispiele der Urteilsschelter, der Boten und des Königs zeigen, korrupt. Reinhart ist seit der Begegnung mit dem Wolf im zweiten Handlungs614
Vgl. o. S. 49.
Zusammenfassung
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teil das auslösende Moment und fungiert wie ein Katalysator615, der nur den Anstoß liefert für grundlegend vorhandene Handlungsmuster. Die Rache des Fuchses an seinen Gegenspielern vollzieht sich nach dem Prinzip von Belohnung und Strafe. Freilich kommen Kamel und Elefant nicht in den Genuß ihres Lehens, weil diese von Reinhart initiierte Besitzvergabe illegal ist und Korruption nach der inneren "Logik" des Werkes bestraft werden muß. Die Strafaktionen lassen sich insgesamt in die Kategorien des mittelalterlichen Strafrechts einordnen. Auffällig ist aus der Sicht des Fuchses die Kausalität zwischen vormaliger Verfehlung und der anschließenden Strafe bei den Boten. Die Schindung der Tiere spielt auf die Strafen an Haut und Haar an. Ebenso muß der König für seine Verfehlungen büßen. Sein Gifttod ist vor dem Hintergrund mittelalterlicher Rechtsnormen ein ungeheuerliches Verbrechen. Nach der Gesamtkonzeption des Werkes scheint Reinharts Tat jedoch nur die gerechte Strafe für den Unrechtsherrscher zu sein. Am Beispiel der Königsfigur läßt sich besonders gut der zielgerichtete Einsatz des Rechtsvokabulars sowie des rechtlichen Hintergrundes insgesamt ablesen: Die "Ameisenepisode" entlarvt den König als Gewaltherrscher, der seinen Namen Vrevel zurecht trägt. Das Landfriedensgebot beruht auf egoistischen Motiven und ist Ausdruck von Machtpolitik. Das vordergründige Bild vom rex iustus et pacificus wird somit zu einem negativen Herrscherbild verkehrt. Unzureichend sind auch Vrevels Leistungen als Gerichtsherr. Heinrich deutet das ironisch an, indem er dem König eine Kontrastfigur (Kamel) an die Seite stellt. Schwerer wiegt jedoch die Behauptung, daß der König im "Reinhart Fuchs" über keine der in den Rechtsbüchern (z.B. "Schwabenspiegel") oder Fürstenspiegeln geforderten richterlichen Kardinaltugenden verfügt. Heinrichs Anspielungen verdichten sich zu der Aussage, daß sich der König durch sein Handeln (superbia) selbst disqualifiziert. Er hat sich zum Tyrannen entwickelt, der getötet werden muß. Gedankliche Parallelen finden sich in den zeitgenössischen Abhandlungen vom idealen Staat und vom gerechten Fürsten, wie sie zum Beispiel Johannes von Salisbury entwickelt hat. Naturgemäß weist der letzte Teil des "Reinhart Fuchs" die höchste Frequenz an "Rechtswörtern im engeren Sinn" auf. Einzelne Begriffe, wie der Terminus "Landfrieden", wurden wegen ihres Beispielcharakters in der Forschung hervorgehoben, doch muß die Auflistung, wie das 616
Vgl. o. S. 79.
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vorliegende Rechtswortregister zeigt, um ein Vielfaches ergänzt werden. Bemerkenswert ist die hohe Anzahl von Termini aus dem Verfahrensrecht. Die einzelnen Rechtsinstitutionen und Verfahrensschritte beschreibt Heinrich mehr oder minder ausführlich. In den meisten Fällen beschränkt er sich auf die stichwortartige Erwähnung der Rechtssituation, ebenso verzichtet er auf die für das mittelalterliche Recht typischen formalen Wiederholungen. Es ist zu vermuten, daß dem zeitgenössischen Publikum die Zusammenhänge bekannt gewesen sind und keiner Erläuterung bedurften. Für die vom Verfasser des "Reinhart Fuchs" ausführlicher dargestellten Punkte Anklage, Verteidigung und Urteilsfindung hat die vorliegende Untersuchung zum Teil wörtliche Übereinstimmungen mit den frühen deutschen Rechtsquellen ergeben und somit die Bedeutung des Werkes als mittelbare Rechtsquelle unterstrichen. Ferner konnten weitere Belege für die Rechtsstruktur des deutschen Tierepos erbracht werden. Diese Ergebnisse bezüglich des Rechts im "Reinhart Fuchs" werden im folgenden Kapitel für die Interpretation des Werkes als Rechtssatire nutzbar gemacht.
5 Der "Reinhart Fuchs": Eine Rechtssatire Unbestritten ist in der neueren Forschungsliteratur zum "Reinhart Fuchs", daß es sich um ein satirisches Werk mit parodistischen Zügen handelt. Freilich besteht keine Einmütigkeit mehr bei der Beantwortung der Frage, was genau parodiert werde und was das Objekt der Satire sei. Je nach Interpretationsansatz wird das deutsche Tierepos als Gesellschaftssatire beziehungsweise politische Satire bezeichnet. So sieht Jauß als übergreifendes Thema des "Reinhart Fuchs" die Klage über den Verlust der "alten triuwe". Sie muß der neuen höfischen Gesinnung, der untriuwe, weichen. Für Jauß ist Heinrich ein pathetischer Satiriker, der mit der "Entlarvung des höfischen Betrügers die Scheinweit höfischer Gesinnung treffen will"1. Schwab interpretiert das Werk als strafende Satire. Intention der aktuellen politischen Aussage sei die Warnung vor dem staufischen Gewaltherrscher. Die Adressaten des "Reinhart Fuchs" sollten das individuelle Schicksal des Königs zu allgemeinen Erfahrungssätzen erweitern und als abschreckendes Beispiel begreifen, "also das in die Zukunft weisende Analogen mit einem negativen Vorzeichen versehen und nicht vollziehen"2. Linke sieht im "Reinhart Fuchs" eine politische Satire, die einerseits auf eine bestimmte historische Situation und einen bestimmten Herrschertyp, den staufischen Herrscher schlechthin3, abziele. Andererseits beanspruche das Werk jedoch als Gesellschaftskritik allgemeine Geltung. Denn Heinrichs Satire richte sich "nicht speziell und ausschließlich gegen Auswüchse des politischen Lebens seiner Zeit, sondern gegen die Gefährdung menschlichen Zusammenlebens überhaupt, die er allerdings unter den gegebenen historisch-politischen Umständen als besonders groß ansah"4. Die Auflistung ließe sich noch weiter fortsetzen5. Wenn im folgen1 2
3 4 5
JAUSS: Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung (1959), S. 289. SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs (1967), S.145. LINKE: Form und Sinn des 'Fuchs Reinhait' (1974), S. 259. Ders.: S. 261. Kühnel kommt in seiner "Strukturanalyse" zu dem Ergebnis, daß die "externale" Struktur des "Reinhart Fuchs" satirisch auf die staufische Verfassungspolitik und auf gesellschaftliche Mißstände schlechthin weise (Zum 'Reinhart
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Der "Reinhart Fuchs": Eine Rechtssatire
den der "Reinhart Fuchs" als Rechtssatire interpretiert wird, bedeutet das keine Ausklammerung des politischen und sozialen Aspekts, vielmehr eine Ergänzung und die gebührende Berücksichtigung des Bereiches, auf den der Verfasser des "Reinhart Fuchs" selbst das Augenmerk gelenkt hat. Der verwendete Satirebegriff folgt der Definition J. Brummacks im Sinne einer gattungsübergreifenden Literaturform, "die durch Aggressivität, protreptische Intention und verzerrende Darstellungsart gekennzeichnet ist"6. In einer Zeit, in der der direkte Angriff gegen Personen, Institutionen, gesellschaftliche Mißstände und Widersprüche nicht möglich ist, bietet das Tierepos anerkanntermaßen Raum für eine der satirischen Intention unterhegende verfremdete, verzerrte oder parodistische Darstellung, um die Diskrepanz zwischen Schein und Sein, Anspruch und Widerspruch, Norm und Normverstoß aufzuzeigen. Auf indirekte Weise werden somit persönliches Fehlverhalten und institutionelle Mängel kritisiert, indem der Satiriker einen normgebundenen Angriff auf ein "nicht-fiktives, erkennbares und aktuell wirksames Objekt" 7 richtet. Angriff, Norm und Indirektheit gehören nach Brummack zu den Konstituenten der Satire. Keines der genannten Elemente darf bei der satirischen Form fehlen. Überträgt man diese Kriterien auf den "Reinhart Fuchs", so zeigt sich anhand der vorliegenden Ergebnisse zu den Rechtsverhältnissen im Werk, daß das Recht - und zwar die Rechtsnormen und der Umgang mit ihnen - von Heinrich in den Mittelpunkt seiner Dichtung gerückt und zum Objekt der Satire gemacht worden ist. Zu den technischen Mitteln satirischen Erzählens gehört die Darstellung in kontrahierter Form8. Im "Reinhart Fuchs" ist das "Weltwesen" auf engstem, überschaubarem Raum zusammengedrängt. Hinter seinem repräsentativen Querschnitt durch die mittelalterlichen Rechts-
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Fuchs' als antistaufischer Gesellschaftssatire [1978], S. 71 ff). Schwob hält den "Reinhart Fuchs" für eine "hochpolitische Satire" ("Fride unde reht sint sere wunt" [1986], S. 860), Spiewok wiederum betrachtet ihn als "schärfste Gesellschaftssatire" (Satirische Tierepik - "Fuchs Reinhart" [1990], S. 184). BRUMMACK, Jürgen: Satire. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. 2. Aufl. Hrsg. v. Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr. Bd. 3/3, 1977, Sp.601-614, s. Sp.602. Ebenda. WÖLPBL, Kurt: Epische Welt und satirische Welt. Zur Technik satirischen Erzählens. In: Satvra. Ein Kompendium moderner Studien zur Satire. Hrsg. v. Bernhard Fabian, Hildesheim/New York 1975 = Olms Studien 1975, S. 294-307, s. S. 303; vgl. a. GAIER, Ulrich: Satire. Studie zu Neidhart, Wittenwiler, Brant und zur satirischen Schreibart, Tübingen 1967, S. 344.
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kreise wird Heinrichs Anspruch sichtbar, daß der gezeigte Ausschnitt das Ganze repräsentiere und die Kritik gegen die angeprangerten Mißstände allgemein gültig sei. Es ist davon auszugehen, daß der Satiriker, also Heinrich beziehungsweise die Gruppe, der er angehört, oder seine Auftraggeber, trotz aller verzerrender Stilmittel oder parodistischer Darstellungsweise die Wirklichkeit abbilden wollen, und zwar die nach ihrer Anschauung bedrohte und damit bedrohlich wirkende Gegenwart. In drei Stufen führt der deutsche Verfasser den pervertierten Umgang mit dem Recht, also die Abweichung von der Norm, vor: Weder Verwandtschaft oder Bündnisse noch Landfrieden und Landrecht garantieren Rechtsfrieden. Die Ursachen dafür liegen nach Heinrich zum einen im persönlichen Bereich und werden durch die Provokationen des Fuchses sichtbar. In dieser von Egoismus durchdrungenen Welt können Recht und Moral nicht bestehen. Trotzdem wird die Hochschätzung dieser Werte ausgenutzt, um unter dem Deckmantel des Rechts den eigenen Interessen nachzugehen. Der Angriff richtet sich in erster Linie gegen das falsche sittliche Verhalten der Menschen, und zwar gegen den selbstherrlichen Adel im Umkreis des Königshofes. Doch im Zentrum der Kritik steht der tyrannische, seine Macht (fortitudo] mißbrauchende König, der weder Maß (temperantia) noch Treue (iustitia) kennt9 und kraft seines Amtes zum "obersten Rechtsbrecher" avanciert10. Da er seine Grenzen überschreitet und gegen Gottes Gesetze verstößt, muß er beseitigt werden. Bestimmte Werte sind in der Welt des "Reinhart Fuchs" verloren gegangen. So beklagt Heinrich, daß Tradition, Vertrauen, Berechenbarkeit, Aufrichtigkeit, kurz triuwe, zu einem Schein wert deformiert sind, so daß die Garanten des Rechts- und Gesellschaftssystems fehlen. Er gehört damit zu denen, die einem Ideal aus vergangenen Zeiten anhängen und ihre Normen und Wert Vorstellungen bedroht sehen. Daher die Warnung vor der Macht der untriuwe, dem Egoismus und der kriminellen Energie für betrügerisches und rechtsbrecherisches Handeln. In einer Abfolge und Steigerung von drei Stufen - der vita solitaria, der vita practica und der vita publica11 - veranschaulicht der 9
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Vgl. BRINKMANN: Mittelalterliche Hermeneutik (1980), S. 109; MANDT: Tyrannis, Despotie (1990), S. 662. So HEER: Die Tragödie des Heiligen Reiches (Kommentarband 1953), S. 142. Nach Brinkmann folgte Heinrich mit dieser Dreistufigkeit einem rhetorischen Denkmuster, wie es Hugo v. St. Victor bereitgestellt hat. Der Ablauf der Geschehnisse im "Reinhart Fuchs" entspricht der practica, der praktischen Weisheit, mit der der Dichter Einfluß auf das Leben nimmt und die es er-
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deutsche Verfasser die drohenden Gefahren für die Lebens- und Rechtskreise. Sein Fazit: Solange untriuwe dominiert, triumphiert das Böse über das Gute. In dieser "verkehrten Welt" bleiben Recht und Gerechtigkeit auf der Strecke, was den Untergang des Staates zur Folge hat. Schließlich ist der Frage nachzugehen, ob Heinrich nicht auch die Rechtsordnung angreift, also das Normensystem seiner Zeit teilweise oder als Ganzes in Frage stellt. Aufgrund der Anspielungen und Hinweise im Text ist zu vermuten, daß ihm zumindest bestimmte Normen der damaligen Rechtspraxis als nicht mehr zeitgemäß beziehungsweise als nicht bedarfsgerecht erscheinen. Wie schon anläßlich des Landfriedensgebots im "Reinhart Fuchs" ausgeführt12, ist das deutsche Tierepos in einer Umbruchsphase entstanden, die nicht nur in juristischer Hinsicht langfristig zu gravierenden Veränderungen geführt hat. Infolgedessen begann Mitte des 12. Jahrhunderts eine Periode von Übergangserscheinungen und Gegensätzen, die etwa bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts andauerte. Änderungen im Denken, die Berücksichtigung der ratio neben der traditio bewirkten unter anderem im Rechtswesen, daß sich das Verhältnis von Zeit und Recht verschob. Die "transpersonale Dauer von Rechtsakten" wurde erfaßt, und die Ansprüche an das Königtum wandelten sich. Das Recht wurde dem Gestaltungswillen jedes lebenden Herrschers anheimgegeben: Der rex iustus wurde zum legum conditor13. In dieser Übergangszeit blieb lange Altes neben Neuem bestehen. So bedurfte es geraumer Zeit, bis die alte Vorstellung, daß der Einzelne zum Beispiel in Blutrache und Fehde Recht schafft, dem heranwachsenden Gewaltmonopol der Obrigkeit wich. Das Kompositionssystem behauptete sich noch lange gegenüber dem peinlichen Strafensystem. Ebenso hielten sich bestimmte Beweismittel, wie der Reinigung seid, noch lange im Strafrecht. Mit den Mitteln der Parodie und der Übertreibung, die in diesem Fall der Satire untergeordnet sind, attackiert der deutsche Verfasser Mängel im institutionellen Bereich. Herausragendes Beispiel ist der Reinigungseid. Deutlicher noch als im "Roman de Renart", der die Vorlage für den Rechtsbetrug lieferte, geht aus Heinrichs Darstellung hervor, daß der Reinigungseid ein unzulängliches Beweismittel ist, wenn
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laubt, "die zunächst situationsgebundene Tierfabel zur weitausgreifenden Erzählung auszuweiten" (BRINKMANN: Mittelalterliche Hermeneutik [1980], S. 17). S.o. S. 122 f. KRAUSE: Recht (1990), Sp. 229.
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nämlich, wie in der Welt des "Reinhart Fuchs", seine Grundlagen an Geltung und seine Sanktionsmechanismen an Abschreckung verloren haben. Historisch gesehen mußte diese Rechtsinstitution denn auch anderen Kriterien der Wahrheitsfeststellung weichen, wie schon zuvor das dem Reinigungseid verwandte Gottesurteil14. Anhand der Prozeßdarstellung betont Heinrich den formalistischen Aspekt des damaligen Rechts. Wort und Form spielen eine dermaßen wichtige Rolle, daß sie, so Heinrich, inhaltliche Fragen in den Hintergrund drängen. Die formalen Erfordernisse beim Klagevortrag und bei der Urteilsfmdung nehmen im "Reinhart Fuchs" schon groteske Formen an, verlassen aber nicht den Boden der Rechtsordnung. Formale Mängel entschärfen letztlich die Notzuchtsklage, und die "Klage mit dem toten Mann" muß sich dem Prinzip der dreimaligen Ladung unterordnen. Aus formaljuristischen Gründen können keine Maßnahmen gegen einen Schwerverbrecher getroffen werden, der beständig neue Proben seines kriminellen Tuns abliefert. Was ursprünglich einmal als Kontrollmechanismus gedacht war, stellt sich in Heinrichs Darstellung als Hemmschuh der Justiz heraus. Seine bittere Klage lautet deshalb auch, daß die strikte Anwendung der Rechtsnormen Unrecht hervorruft. Zusammen mit persönlicher Unzulänglichkeit und Machtmißbrauch hat das fatale Folgen für das Staatswesen und mündet zwangsläufig im Chaos. Für den heutigen Betrachter setzt sich der epochebestimmende Gegensatz von Altem und Neuem in Heinrichs Werk fort. Wie gezeigt, verteidigt der deutsche Verfasser zum einen konservative Strukturen und mißt seine Gegenwart mit dem Maßstab der Vergangenheit. Zum anderen scheint ihm das Rechtssystem in einigen Bereichen archaisch und den veränderten Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein. Es geht Heinrich jedoch nicht nur um Strukturen, sondern um die konkrete politische Situation. Denn mittelalterliche Literatur steht in engem Wechselbezug mit der politischen Situation, in der sie hervorgebracht wird15. Unter dem Begriff "politisch" ist alles zu verstehen, "was aktiv an der Führung, Erhaltung und Ordnung eines Gemeinwesens teilnimmt", in erster Linie jedoch "jedes berechnete, zielgerichtete Verhalten, das versucht, auf allen nur möglichen Ebenen seine Vorstellungen durchzusetzen"16. Diese Feststellungen treffen auf die Entstehung und die Intention des "Reinhart Fuchs" zu, weil die deutsche 14 15
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ERLER: Gottesurteil (1971), Sp. 1772. MEISSBURGER, Gerhard: Einführung in die mediävistische Germanistik. Hrsg. v. Trade Ehlert, Göppingen 1983 = GAG 369, S. 181. Ebenda.
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Version des Fuchsstoffes primär eine satirische Reaktion auf zeitpolitische Ereignisse und Entwicklungen ist und wiederum selbst Einfluß auf die politische Lage nehmen will. Man wird Heinrichs Auftraggeber beim elsässischen, antistaufisch eingestellten Adel zu suchen haben, wahrscheinlich in den Kreisen, die von der staufischen Hausmachtpolitik und der Fehde zwischen den Horburgern und Dagsburgern im Jahre 1162 betroffen waren. Darauf lassen seine Darstellung und die Erwähnung des von 1130-1156, "vielleicht noch nach 1162"17 urkundlich gut bezeugten Walther von Horburg schließen. Nach den Untersuchungen Bumkes zum Mäzenatentum im Mittelalter kämen diesbezüglich die Dagsburger oder Zähringer in Betracht. Wenig wahrscheinlich ist Bumkes Hinweis auf klerikale Kreise in Straßburg18. Über die personelle Zuordnung der Tierfiguren lassen sich nur Vermutungen anstellen. Bis auf Schwab, die einige historische Anspielungen auf Heinrich VI. bezogen hat, wird der Löwenkönig im "Reinhart Fuchs" gemeinhin als Kaiser Friedrich I. identifiziert. Die Ergebnisse zum Recht im "Reinhart Fuchs" stützen diese Annahme, wenngleich keine neuen Namen oder Fakten aufgeboten, sondern nur Tendenzen und Parallelen aufgezeigt werden können. Sie erlauben interessante historische Analogien, weisen in die Regierungszeit Friedrichs I. und beziehen sich auf seine Person sowie seine Rechtspolitik. Obwohl der Kaiser als "Inkarnation und Quelle des Rechts"19 angesehen wurde, war auch sein politisches Handeln an die Normen des Rechts gebunden, wollte er nicht auf Widerstand stoßen. Friedrich Barbarossa hat das klar erkannt und seine politischen Entscheidungen zunehmend rechtlich verankert, indem er sie durch Hofgerichtsurteile bestätigen ließ. Grundsätzlich verhielt er sich nicht anders als seine Vorgänger, aber der Wandel der Zeit Verhältnisse, die Intensivierung der Rechtspflege und die Erkenntnis, daß Gesetzgebung eine Funktion von Herrschaft sei, bewirkten, daß unter seiner Herrschaft eine lebhafte Rechtspolitik einsetzte20. In diesen Zusammenhang ordnet sich die Landfriedensgesetzgebung des Kaisers ein, auf die im "Reinhart Fuchs" direkt angespielt wird. Sie läßt bei näherer Betrachtung eine sehr machtorientierte Auffassung von Herrschaft erkennen, das heißt 17 18
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BUMKE: Mäzene im Mittelalter (1979), S. 103. Ebenda, S. 104. Gegen diese Annahme spricht meines Erachtens die antiklerikale Tendenz des "Reinhart Fuchs". BAAKBN: Recht und Macht in der Politik der Staufer (1975), S. 570. APPBLT, Heinrich: Kaiserurkunde und Fürstensentenz unter Friedrich Barbarossa. In: MIÖG 71, 1963, S. 33-47, s. S. 46.
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das Bestreben, eine Monopolstellung bei der Herstellung des öffentlichen Friedens einzunehmen, die Herrschaft damit neu zu legitimieren und letztlich auch gesetzgeberisch zu wirken21. Aus der Zeit Friedrichs I. stammt eine Fülle von Hofgerichtssentenzen, Diplomen und Kaiserurkunden22. In diesen Urkunden sind auch Einflüsse römischen Rechtsdenkens erkennbar, "das dem Kaiser die Befugnis zuschreibt, Recht zu setzen"23. Obwohl Friedrich I. bestrebt war, eine gemeinsame Linie mit den Fürsten einzuhalten und sie an der Entscheidungsfindung bei Hof zu beteiligen24, zeigt sich doch in seiner Person die Wandlung vom idealisierten Friedensfürsten (rex iustus) zum gestaltenden Gesetzgeber (legum conditor)25. Friedrichs aktive Rechtspolitik ist bei seinen Gegnern auf wenig Gegenliebe gestoßen. Im Ausland entrüstete man sich über die neue Politik des Kaisers, die er selbst "Erneuerungspolitik" zur "Wiederherstellung der Reichsehre" (honor imperil) nannte26. Begeistert aufgenommen wurde dieses Programm, das sich in den von der Reichskanzlei verbreiteten "Signalwörtern" translatio imperii, sacrum imperium, auctoritas, pax et iustitia niederschlug27, bei Geschichtsschreibern und 21 22
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Vgl. ANGERMEIER: König und Staat im deutschen Mittelalter (1981), S. 167. APPELT: Kaiserurkunde und Fürstensentenz unter Friedrich Barbarossa (1963), S. 46. Ebenda, S. 34; vgl. SCHOLZ: Beiträge zur Geschichte der Hoheitsrechte des deutschen Königs zur Zeit der ersten Staufer (1138-1197), (1896), S.22f. Scholz schließt nicht aus, daß auch zufallig am Königshof anwesende italienische Juristen zur Urteilsfmdung herangezogen worden sind. S. PATZE, Hans: Friedrich Barbarossa und die deutschen Fürsten. In: Die Zeit der Staufer. Geschichte. Kunst. Kultur. Katalog der Ausstellung 1977. Hrsg. v. Reiner Hausherr. Bd. 5, Stuttgart 1979, S. 35-75. Vgl. KRAUSE: Recht (1990), Sp.229; ders.: Dauer und Vergänglichkeit im rnittelalterlichen Recht. In: ZRG GA 75, 1958, S. 206-251, s. S. 208: "Das Idealbild des Königs ist ursprünglich der rex Justus, nicht der legum conditor." HEIMPEL, Hermann: Kaiser Friedrich Barbarossa und die Wende in der staufischen Zeit. In: Friedrich Barbarossa. Hrsg. v. Gunter Wolf, Darmstadt 1975 = WdF 340, S. 1-25 (zuvor erschienen als Straßburger Universitätsreden. H. 3, 1942, S.4-32): "Der alte Herrschertypus des "Rex iustus", des Königs, der unter dem Recht steht, beginnt zu "veralten"..." (1975, S. 22). S. APPELT, Heinrich: Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas. In: Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse. 252. Bd., Wien 1967, S. 3-32; wiederabgedr. in: Friedrich Barbarossa. Hrsg. v. Gunter Wolf, Darmstadt 1975 = WdF 340, S. 208-244; s.a.: RASSOW, Peter: Honor imperil. Die neue Politik Kaiser Friedrich Barbarossas 1152-1159, München 1961 (ND Darmstadt 1974). SCHWOB: "Fride unde reht sint sere wunt" (1986), S. 847.
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Dichtern im Umkreis des Stauferhofs. Neben Günther von Pairis, dem Archipoeta und anderen idealisierte besonders Friedrichs Onkel, der Zisterzienserabt Otto von Freising, die Persönlichkeit des Kaisers und dessen Reichspolitik28. Bis zu seinem Tode (1158) arbeitete Otto an den "Gesta Frederici", nachdem er zuvor mit der "Chronica sive Historia de duabus civitatibus" sein erstes Geschichtswerk abgeschlossen hatte29. Sein Kaplan und Notar Rahewin setzte das Werk ab 1160 fort. Ottos Darstellung ist einerseits seinem herrscherlichen Auftraggeber und dessen Vorgaben, andererseits seinen eigenen geschichtsphilosophischen Anschauungen verpflichtet. Bei den "Gesta Frederici" handelt es sich um "hochoffizielle herrscherlich-staufische Geschichtsschreibung"30, die Otto mit vollem Bewußtsein darüber schrieb, wie Friedrich I. sich als Herrscher selbst sehen und wie er anderen erscheinen wollte31. Demnach beruhte Friedrichs Einsatz für Frieden und Recht sowie der Wiederherstellung der Reichsehre auf göttlichem Auftrag und ordnete sich einem allen Gläubigen geläufigen heilsgeschichtlichen Erklärungsmuster unter, der Vorstellung nämlich "eines zielgerichteten, von Gott gelenkten und unter seiner Verheißung stehenden Geschichtsverlaufs"32. Der Kaiser wurde in dieser Auftragsarbeit idealisiert und in einem antiken Formelschatz mit vorgefertigten Ausdrücken beschrieben, aus dem wenig persönliches Profil zu erkennen ist. Wie es der Kanon klassischer Herrschertugenden vorsah, verkörperte er in seiner Person alle geistigen und moralischen Qua28
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Dazu u.a. STACH: Politische Dichtung im Zeitalter Friedrichs I. (1937), S. 385ff; HEER: Die Tragödie des Heiligen Reiches (1952), S. 330ff; SCHREINER, Klaus: Friedrich Barbarossa - Herr der Welt, Zeuge der Wahrheit, die Verkörperung nationaler Macht und Herrlichkeit. In: Die Zeit der Staufer. Geschichte. Kunst. Kultur. Katalog der Ausstellung 1977. Hrsg. v. Reiner Hausherr. Bd. 5, Stuttgart 1979, S. 521-579. Zu den "Gesta Frederici I. imperatoris", s.o. S. 136. Otto von Freising: Chronica sive Historia de duabus civitatibus. Hrsg. v. Adolf Hofmeister, Hannover/Leipzig 1912 = MGH SS rer. Germ, in us. schol. 45; dazu LAMMERS: Weltgeschichte und Zeitgeschichte bei Otto von Freising (1979), S. 77 ff. LAMMERS: Weltgeschichte und Zeitgeschichte bei Otto von Freising (1979), S. 83. Otto Frisingensis, Episcopus: Die Taten Friedrichs oder richtiger Chronica. Gesta Frederici seu rectius Cronica. Übers, v. Adolf Schmidt. Hrsg. v. Franz-Josef Schmale, Darmstadt 1965 (2. Aufl. 1974) = Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Bd. 17, S. 13. SCHREINER: Friedrich Barbarossa (1979), S. 523.
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litäten33. Freilich war es dem Chronisten nicht möglich, bekannte, negative Charakterzüge zu verschweigen. Friedrichs Härte und seine maßlosen Zornesausbrüche wurden deshalb kurzerhand in Herrscherqualitäten umgewandelt34. Mit dem Führungsanspruch des deutschen Kaisers im Abendland verband seine nähere Umgebung Schmähungen gegen die "Kleinkönige" der europäischen Nachbarstaaten35. An diesem Punkt setzte die Kritik an der kaiserlichen Politik an. Besonders Papst Alexander III. benutzte Barbarossas "Weltherrschaftsgedanken" als diplomatische Waffe in der Auseinandersetzung um Grundfragen der kirchlichen und politischen Ordnung. Diese Polemik und das Zerwürfnis von Kaiser und Papst riefen weitere Reaktionen hervor. Die eng befreundeten, auf päpstlicher Seite stehenden Johannes von Salisbury, Arnulf von Lisieux sowie Walter von Chätillon verurteilten den Kaiser und seinen Kanzler Rainald von Dassel als Tyrannen und Vorläufer des Antichristen, als Widerpart der Heilsgeschichte. Unter Einbeziehung apokalyptischer Bilder reagierten sie auf Barbarossas übersteigerte Machtansprüche, durch die er auch die Kirche bedrohte. Sie schmähten ihn als Schismatiker und Feind der Christenheit36. Wie bereits ausgeführt, haben womöglich diese Stellungnahmen auf Heinrichs Darstellung vom apokalyptischen Tod des Königs im "Reinhart Fuchs" gewirkt37. Schreiner ist der Meinung, daß die lobenden Werke um Friedrich I. nicht zuletzt deshalb entstanden sind, "um mit Hilfe der Dichtkunst den Herrschaftsanspruch des Kaisers, die Ehre und Hoheit des Reiches gegen ihre Verächter in Schutz zu nehmen"38. Friedrich L war vermutlich der erste deutsche Herrscher, der, so Schwob, die Möglichkeiten einer gelenkten Publizistik erkannt hat und nutzen wollte39. 33
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Ebenda, S.524f; vgl. KÜHNE: Das Herrscherideal des Mittelalters und Kaiser Friedrich I. (1889); GRUNDMANN, Herbert: Der Cappenberger Barbarossakopf und die Anfänge des Stiftes Cappenberg, Köln/Graz 1959 = Münsterische Forschungen. H. 12, S. 50 f. LAMMERS: Weltgeschichte und Zeitgeschichte bei Otto von Freising (1979), S. 78; SCHREINER: Friedrich Barbarossa (1979), S. 524. S. HEER: Die Tragödie des Heiligen Reiches (1952), S.240ff; KlRFEL, Hans Joachim: Weltherrschaftsidee und Bündnispolitik - Untersuchungen zur auswärtigen Politik der Staufer, Bonn 1959 = Bonner historische Forschungen. Bd. 12, S. 63 ff. KIRPEL: Weltherrschaftsidee und Bündnispolitik (1959), S. 123; SCHREINER: Friedrich Barbarossa (1979), S. 526. S.o. S. 220f. SCHREINER: Friedrich Barbarossa (1979), S. 526. SCHWOB: "Fride unde reht sint sere wunt" (1986), S. 857.
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Es sind kaum Reaktionen überliefert, die die Politik Barbarossas auf Landesebene hervorgerufen hat. Bekanntlich hat er den systematischen Herrschaftsausbau seiner Vorgänger in den staufischen Stammlanden weitergeführt, zum Beispiel durch Burgen- und Städtegründungen oder in der Nutzbarmachung des Herrschaftspotentials von Kirchen und Klöstern40. So schuf er strategisch wichtige Verbindungen zwischen den innerschwäbischen Stammlanden und den staufischen Besitzungen am Oberrhein, im Elsaß, in der Pfalz und Franken41. Es wurde bereits angedeutet, daß die Zerstörung der Ameisenburg im "Reinhart Fuchs" auf ein bestimmtes zeitgeschichtliches Ereignis im Zusammenhang mit der staufischen Territorialpolitik anspielt42 und womöglich das auslösende Moment für die Umarbeitung des französischen Fuchsstoffes in eine Rechtssatire gewesen ist. Bei all diesen Aktionen kamen Friedrich I. die Personalunion von Königs- beziehungsweise Kaiser- und Herzogswürde zugute. Gelegentlich waren auch die Besitzverhältnisse unklar, so daß "die Grenzen zwischen staufischem Herzogtum und staufischem Königtum verwischten"43. So ist zum Beispiel bekannt, daß er Tauschhandlungen zum Vorteil seines Besitzstandes ausgenutzt hat, sie offiziell freilich als "Gewinn des Reiches", "ut melior sit regni reconpensatio"44, ausgab. Dieselben Gedankengänge, daß nämlich Friedrichs Handeln mit der "Wahrung der Reichsrechte" zu rechtfertigen sei, finden sich bei Otto von Freising, dem Archipoeta und im "Ludus de Antichristo", einem wohl um 1160 in Tegernsee entstandenen apokalyptischen Spiel, das die Vorherrschaft des Kaisers beim Kampf um die Weltherrschaft zum Thema hat45. Charakteristisch für Friedrichs Politik ist die Fülle von Besitzund Rechtsübertragungen in Form eines Hofgerichtsspruchs. Es gab allerdings auch Fälle, in denen der Kaiser kraft seiner Machtvollkommenheit allein Entscheidungen traf und erst nachträglich die formelle Zustimmung der Fürsten eingeholt hat46. Seine Rechtspolitik verhalf 40 41 42
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Dazu SCHREINER: Die Staufer als Herzöge von Schwaben (1977), S. 9. Ebenda, S. 12. S.o. S. 131 ff. SCHREINER: Die Staufer als Herzöge von Schwaben (1977), S. 14; vgl. SCHOLZ: Beiträge zur Geschichte der Hoheitsrechte des deutschen Königs zur Zeit der ersten Staufer (1138-1197), (1896), S. 53. Acta imperil selecta. Urkunden deutscher Könige und Kaiser 928-1398. Gesammelt v. Johann Friedrich Böhmer, aus dem Nachlaß hrsg. v. Julius Ficker, Innsbruck 1870 (ND Aalen 1967), Nr. 100, S. 93. Vgl. RAUH: Das Bild des Antichrist im Mittelalter (1973), S. 365ff. S. SCHOLZ: Beiträge zur Geschichte der Hoheitsrechte des deutschen Königs
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dem königlichen Hofgericht zwar wieder zu machtvoller Geltung, wurde aber vom Kaiser zugleich als wirkungsvolles Mittel eingesetzt, wenn es um die Wahrung der eigenen Ansprüche, um die Rechtspolitik im eigenen Interesse ging47. Eher zufällig gemachte Eintragungen lokaler Natur lassen den Hang des Kaisers zu "rechtlichem Starrsinn" in eigener Sache erkennen48, wobei er stets darauf bedacht gewesen sein soll, nicht gegen die Form zu verstoßen49. Zuweilen soll er, der in den Annalen gern mit einem Löwen verglichen wird50, seine Forderungen mit Gewalt durchgesetzt haben51. Auch wird in einigen Fällen von seinen Zornesausbrüchen und seiner Grausamkeit berichtet52. Das Kaiserbild, das sich demnach dem Betrachter bietet, hat nichts mehr gemein mit der Verherrlichung eines Otto von Freising, sondern entspricht der Tendenz nach der Darstellung Heinrichs im "Reinhart Fuchs". "Friderich" ist nicht der Friedensfürst, wie ihn Otto in Anspielung auf seinen Namen genannt hat53. Aus der Perspektive eines Johannes von Salisbury, der natürlich genauso parteiisch war wie seine publizistischen Gegner, ist Friedrich Barbarossa ein die Macht mißbrauchender Tyrann, für Heinrich in bezug auf das Recht der Frevler, der Rechtsbrecher, der unheilvolle, die Endzeit einleitende Löwe. Die dem Kaiser zugeschriebenen Kardinaltugenden54 widerlegt die Darstellung
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zur Zeit der ersten Staufer (1138-1197), (1896), S.70ff; APPBLT: Kaiserurkunde und Fürstensentenz unter Friedrich Barbarossa (1963), S. 44. HAMPB: Herrschergestalten des deutschen Mittelalters (6. Aufl. 1955), S. 150 f. STACH: Politische Dichtung im Zeitalter Friedrichs I. (1937), S. 394. Vgl. FRANKLIN: Das Reichshofgericht im Mittelalter I (1869), S. 74. Archipoeta XI, 13,2: metuendus hostibis tamquam ferns leo (Grimm, Jacob: Kleine Schriften. Bd. 3, Berlin 1866, S. 68,14), Annales Mediolanenses Minores. Eintrag aus dem Jahre 1158: (Imperator Federicus (!) cum rege Boemie) ut leo pugnans, (secundo totam Italiam devastavii cum innumerabili exercitit) (MGH SS XVIII, S. 394, 12f). S. SCHOLZ: Beiträge zur Geschichte der Hoheitsrechte des deutschen Königs zur Zeit der ersten Staufer (1138-1197), (1896), S. 56 f; vgl. o. S. 132, Anm. 96. Von Caesarius von Heisterbach stammt eine kleine Erzählung, die Friedrich I. als unbeherrschten Gerichtsherren zeigt (Cumque Imperator fremeret, innocentem damnare volens...) Caesarii Heisterbacensis monachi dialogue miraculorum. Hrsg. v. Johannes Strange. Bd. 2, Köln/Bonn/Brüssel 1851, S. 203. Vos(... }qui re et nomine Pacificus iure appellamini... Otto von Freising an Friedrich I. Ottonis Episcopi Frisingensis: Chronica sive Historia de duabus civitatibus (ed. Hofmeister, S. 2). Sie etiam temperans in prosperis, fortis in adversis, iustus in iudiciis, prudens et acuius in causis esse cognosceris... (Ottonis et Rahewini. Gesta
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des "Reinhart Fuchs" nicht nur, sondern zeigt sogar ihre Verkehrung in das Gegenteil. Pax et iustitia, fride unde reht, stehen nicht für das Programm eines Friedensfürsten, sondern für brutale Machtpolitik. Für Heer hat deshalb das deutsche Tierepos vom "Fuchs Reinhart" das Gewicht eines "sehr ernst zu nehmenden Zeitdokuments"55, mit dem ein "Gegenstück gegen die Friedrich L feiernde Geschichtsdichtung und Hymnik, zumal gegen Otto von Freising, den Ligurius und den Archipoeten"56 vorliegt. Der König, so prophezeit ihm der Verfasser des "Reinhart Fuchs" in Analogie zu einem Ausspruch Johannes von Salisburys, könne sich der Rache Gottes nicht entziehen und werde an seiner Rechtspolitik zugrunde gehen. Denn er werde durch dasselbe Laster untergehen, durch das er am meisten gesündigt hat, ... et per quae peccavit quis, per haec et punietur*7.
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Prederici I. imperatoris, ed. Waitz / v. Simson, Lib. I, S. 11). HEER: Die Tragödie des Heüigen Reiches (1952), S. 332. Ebenda, S. 330. So in einem Brief aus dem Jahre 1168 an den Erzdiakon Baldewin von Totnes, ed. Migne, PL 199, S. 294 (ep. 249); s.a. PL 199, S. 189 (ep. 184); vgl. dazu MICZKA: Das Bild der Kirche bei Johannes von Salisbury (1970), S.52f.
Literatur 1. Primärtexte a) Reinhart Fuchs Reinhart Fuchs. Hrsg. v. Jacob Grimm, Berlin 1834 (ND Hildesheim/New York 1974). Sendschreiben an Karl Lachmann über Reinhart Fuchs von Jacob Grimm, Leipzig 1840. Das mittelhochdeutsche Gedicht vom Fuchs Reinhart nach den Casseler Bruchstücken und der Heidelberger Handschrift Cod. pal. germ. 341. Hrsg. von Georg Baesecke, 2. Aufl. besorgt von Ingeborg Schröbler, Halle (Saale) 1952 = ATB 7. Heinrich der Glichezäre. Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch. Hrsg., übers, und erl. v. Karl-Heinz Göttert, Stuttgart 1976 = Reclame Universal-Bibliothek Nr. 9819. Der Reinhart Fuchs des Elsässers Heinrich. Hrsg. v. Klaus Düwel unter Mitarbeit von K. v. Goetz, F. Heinrichvark u. S. Krause, Tübingen 1984 = ATB 96. Heinrich der Glichesaere, Fuchs Reinhart. Mittelhochdeutsch-Neuhochdeutsch. Neuhochdeutsche Prosaübers., Nachwort und Anmerkungen von Wolfgang Spiewok, Leipzig 1977 = Reclams Universal-Bibliothek. Bd. 676. Heinrich der Glichezäre. Reinhart Fuchs. Französische Übers, v. Danielle Buschinger und Jean-Marc Pastre. Mit einer Einleitung von D. Buschinger, J.-M. Pastre und S. Krause, Wien 1984 = Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie 25.
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Literatur
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Register der mittelhochdeutschen Rechtswörter, der neuhochdeutschen Rechtsbegriffe sowie der wichtigsten Gegenstände, Personen und Orte. Die mittelhochdeutschen Ausdrücke (vgl. dazu o. S. 19) sind kursiv gedruckt. An erster Stelle findet sich jeweils das erste Lemma, wie es im Mittelhochdeutschen Handwörterbuch zu finden ist. In Klammern folgt die Schreibung des "Reinhart Fuchs"-Textes nach der Handschrift K, sofern sie vom ersten Eintrag abweicht. Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Seitenzahlen im Text. Absage (Ansage) 80 f Äbtissin 4, 128, 214f Acht, ächten 11, 85, 171, 200ff, 228 ahten (echten) 202 [zuo] dhte [tuon] ([zv] echte [tvn]) 201 al umbe (al vmme) 173 alt und junc (die alden vnd die ivngen) 174 Ameisenepisode 5, 115f, 124f, 127, 130-139, 189, 218, 227, 229 amte (amie, amis) 104, 171 ambahte (ami) 215 Amputation 74, 77, 112 Amt 100, 116, 136, 152, 168, 192, 194, 197, 215 Anklage 148, 150-166, 228, 230 Anstiftung 78, 97 Antichrist 16, 221, 224f, 239 arbeit 38, 66 arclist [arge list] 39, 47 Arglist 39, 47 Der arme Heinrich 208 armman 211, 213
Augustin 219, 223 ff [sich] bedenken 92, 95 begrifen (begrifen) 212 Begrüßung 40, 43 ff, 54 ff Begünstigung 78, 202 Beihilfe 78, 97, 202 Beilager 110, 160 Belehnung 3, 227 Beleidigung, beleidigen 42, 53, 57, 65, 69f, 77 bescheiden 87, 168 bescheiten (bescheiden) 42 besitzen 170f [sich] [besprechen ([sich] besprechen) 104 Bestechung 170, 179, 207, 219 betriegen 30, 49, 56 Betrug, betrügen 47, 49, 56, 95 ff, 113 Beweis, beweisen 92 ff, 102, 148, 157, 162, 184, 234 beziugen (bezevgen) 104f biligen (biligen) 160 Billigkeit 154 Blasphemie 97 ff
286
Register
Blendung 72 block 98 f Blutrache 25, 37, 71,234 Böhmen 3, 214f boese (böse) 57 boesewiht (bosewicht) 171, 209 böte 139, 190, 197ff, 201, 203 Bote, Botengang 55, 98, 100, 146, 190ff, 205, 207, 212, 228 botenbrot (botenbrot) 190, 198 Botenbrot 198 botschaft 190, 200 brahten ([vber]brechten) 147f, 211
[ge]briuten (brvten) 104 bruoderschaft (brvderschaft) 72 ff, 112 Bruderschaft 72 if Bündnis 72, 227, 233 buoze (bvze[n\) 88, 163 burc (bvrc) 130if Burg 34, 130ff, 191, 216, 240 burgaere (bvrgere) 130if Buße, büßen 66 f, 72, 75, 88 f, 91, 101, 122f, 157, 163if, 209 Dagsburger 3, 134, 236 [dne] danc ([ane] danc) 156, 160f darbringen 92 Diebstahl 70, 72, 99, 199 dienest, dienen (dinst, dienst) 62, 216 Dienst 61 f, 216 diet 173, 208 Dingflucht 104
drei, dreimal 90, 176f dristunt (dristvnt) 175, 203 dröuwen (drewen) 207f Ecbasis captivi 181, 218 Ehebruch 61, 72, 78, 89, 108ff, 112, 160 Ehre 42f, 80, 89, 95, 100, 109, 112, 134, 157f, 161, 164, 188, 202 Eid (s.a. Reinigungseid) 44, 149, 168 ff, 204 [bi dem] eide (bi dem tide) 168, 170 f, 175 f, 204 Eideshelfer, Eidhilfe 25, 91, 93, 108, 142, 149 Eike von Repgow 20, 221 Einung 63, 119 Engelhard 111 enphähen (enphahen) 214 entschuldigen (enschvldigen) 92 entwichen (entwichen) 212 erbe 32 Erbe 25 ff, 32 erbeigen (erbeigen) 131, 203 ere (ere) 134, 170, 202f, 206 Erfolgshaftung 113, 200 erfüllen (erfvllen) 216 erheben (erheben) 79 erhenken (erhengen) 54, 170f, 209 Erholung und Wandelung 8, 152ff, 159, 164 erläzen (erlazen) 213 Erstein 4, 134, 214 ff erteilen 175 f, 206 erwenden 203 f Etter 34
Register
/ s. a. unter v Fehde 25ff, 32ff, 42, 59, 61, 7990,100, 111, 116ff, 131, 234 fesseln 111 Folge (s. Urteilsfolge) Formeln 69 Formstrenge 94, 102, 150 ff,
154f Frevel 12, llöff, 126ff, 229, 241 Friede 38, 85, 121, 129 Friedrichl. 3, 12, 15ff, 81, 117, 119, 121,125, 132, 134, 136, 143, 180, 222, 224f, 236ff Friedrich II. 37, 119, 141, 180,
221 Frist 90, 143, 145, 166, 192, 209 Fürsprecher 3, 100, 146, 151 ff,
184, 189, 192, 212 Fürst 119, 124, 140, 215, 223,
237, 240 garten 33 ff Garten 33 ff gebären (gebaren) 40, 43 Gebärde 43ff, 94, 179 gebieten 115, 119, 141, 147, 156, 190 f, 200, 207 gebot 119f, 139f Gebot 119 f, 139 f gehaz 206 gehcerec (gehörte) 211 Geld 33, 207 gelt (gelt) 32, 207 genesen (genesen) 212 Genossenschaft 15, 62f, 73, 112 Gericht, Gerichtstag 17,19f, 25, 61, 80 ff, 113-130, 135-150, 192, 197, 204, 207, 214, 227
287
Gerichtspflichten 139 ff, 189 f Gerichtsstätte 91, 148, 228 gerihte (gerichte) 92, 135, 142, 147, 208 gern (gern) 151, 153 Gerüfte 107, 162, 182, 184 geschehen (geschehen) 161 geselle 61 ff, 76 geselleschaft 61 ff, 72 ff, 112 gesetzen 214 gesiht (gesicht) 208 gesinde 65 Gesinnung (verbrecherische) 38f, 47f, 49, 56, 65, 95, 131 geslehte 87 f gevähen (gevahen) 170f gevatere (gevater) 43, 46 f, 64 f, 76, 109 gevaterschaft 46f, 58, 64f, 76, 109 gewalt, gewaltec (gewalt, gewaltic) 115, 128f, 215 Gewalt 119, 121,123, 126,128 f, 132, 163, 200, 211, 229 Gewere 35 gewern (gewern) 151 Gift, vergiften 4f, 217f, 220, 225, 229 Girbaden 3, 134 [on den] grünt [brechen] ([an den] grant [brechen]) 131 giie.it (gvte) 153 f guot (gvt) 201 ff Haarescheren 74, 99 (er)hängen 54, 76, 170ff, 210 handhafte Tat 94, 149,172, 183, 201
288 Haß 206, 219 Haus 34 f, 191 Hausherr 35 Hausherrschaft 35 f, 110 Haut und Haar 70, 73, 99, 120, 212, 229 Hegung 91, 145 f, 150, 211, 228 Heinrich IV. 4, 136, 143, 216, 236 Heimsuche 34, 120, 133, 199 heizen 131, 171, 190, 212 hochstuol (hochgestvle) 146 hof 139f, 142, 147, 175, 206, 210 Hof 33 f, 120 Hof- und Gerichtstag 61, 113, 115-130, 135, 137, 140, 142, 145, 176, 207ff, 212, 214, 227 Hohn 109, 209 [ge]honen (gehonen) 156, 170f, 184, 187, 209 Horburger 3, 134, 215, 236 Hugo von St. Viktor 138, 233 Huldigung 131 ff, 227 Hut 206 hut unde här (hvt vnd har] 73 ingesinde 214 Isidor von Sevilla 219 [mit] isen [gebunden] (ysen) 111 Johannes von Salisbury 17, 224, 229, 239, 241 Kapitalverbrechen 77, 106, 120 Kaplan 96, 100, 185, 190, 200 Kardinaltugenden (s. Richtertugenden)
Register
Kastration 71, 77 kiesen 163 klage, klagen (klage, klagen, beklagen, clage, clagen) 69, 87ff, 134, 155f, 175f, 182, 187, 200, 207ff Klage, klagen, Kläger 69, 87 ff, 108,134,144,146,153,155 ff, 176, 205, 207, 209, 212, 235 Klage mit dem toten Mann 8, 182 ff, 235 König, Königtum 3, 5, 8, 12, 17, 100, 116-150, 167f, 188, 191, 200, 211, 214, 233 Körperverletzung 37, 61, 65-79, 89, 112, 120 kraft 129 kiindecheit (kvndikeit) 29 ff, 41,
49, 58, 95, 170 künnelinc (kvllinc) 195 künne (kvnne) 24, 41 Kuß 43 ff [vür]laden ([vor]laden) 175 Ladung, laden 11, 90 f, 98, 141, 143, 145f, 176, 181, 186, 189ff, 195ff, 201, 205, 207, 209, 228, 235 Lähmde 66, 75 läge (läge] 82 Landesherr, Landesherrschaft 131ff Landesverweisung 18 7 f Landfrieden 3, 8, 11, 21, 37, 57 f, 67, 77, 79, 83,106, 109, 111 ff, 115-126, 157, 165, 171, 176, 210, 227ff, 233, 236
Register
Landrecht 86, 143, 195f, 202f, 233 laut 115, 124, 187, 208, 215 lantreht (lantrecht) 124, 195f lantvride 115, 118 f lasier 65, 69, 72, 76, 89, 100, 109, 156 f, 164, 170 f, 209 leben (leben) 71, 176, 216 leckerheit (leckerheit) 30, 43 Lehen 133, 203, 214f, 229 leibliche Beweisung 184, 197 leide (leid) 65, 204ff leisten 89 liebe 204 ff, 219 liegen 30, 49, 56, 160, 204 [ver]lihen (lihen) 214f Linde 135 Kp (lip) 38, 68, 71, 170, 195, 201 ff List29ff, 42,82, 91 f, 102 mac (mag) 24, 83, 88, 91, 103, 194 Macht 117, 121, 129, 132, 136, 145, 212, 233, 236f Maße 179, 189, 219, 233 maze (maze, ane maze, vzer mazen) 131, 187ff, 219 Meineid 72, 94ff, 100, 188 miete 207, 213, 216, 219 minne 73, 86, 160 Minne und Recht 86 f, 113, 154 minnen (geminnen) 104 missehüten (missehvten) 153 missetät (missetat) 186 Mittäterschaft 78, 97 Mönchstum72ff Mörder 183
289
Mord 37, 76 f, 106, 112, 200, 209f, 217 morddsre (morder) 209 Mühlhäuser Reichsrechtsbuch 20, 110, 191 Munt 35 Muntübergang 110 muot (mvt) 95, 131, 187 Nacht 198 f neve (neve) 50f, 87f, 160, 163, 190, 194, 207 neveschaft (neveschaß) 27, 50 f, 55 ff, 58 Neffe 50 f, 55, 159 not (not) 15, 38, 42, 55, 66, 76, 105, 136, 147, 191, 200 (echte) Not 14, 191 ff, 209 Notwehr 55 Notzucht 8, 61, 103-114, 120, 125, 157ff, 171, 209, 235 notzühten (genotzogen) 105, 160 Ohrenabschneiden 98 ff Otto mit dem Barte 188 Otto von Freising 16, 136, 227, 238, 241 pate (bate) 46f, 63, 105, 111 Pate, Patenschaft 46 f, 63, 105, 111 peinliche Bestrafung 67, 74, 234 phlegen (pflegen) 135 Pilgerfahrt 97, 191, 208 f Pranger 97ff Prozeßformalismus 8, 102, 151, 235
290 Prozeßpaxtei 25, 83, 91, 93, 95, 103, 123, 148, 151 if, 156, 159, 166, 183, 192 Prügelstrafe 69 f, 97, 99 räche, [ge]rechen (gerechen) 49, 130, 134 Rache 38, 49, 79f, 83, 87, 95, 100, 112, 122, 136, 197, 212, 214, 229 Rainald von Dassel 224 f, 239 rät, raten (rat] 63, 77f, 92, 96 f, 156, 201f Rechtsquellen 6f, 9ff, 14, 18 f Rechtssatire 16, 21, 230S Rechtswörter 18 f, 58, 112 f, 229 f rede 148, 160 reht (re[c]ht) 109, 153f, 168, 175, 200 f, 204, 214 Reinigungseid 92 ff, 102, 108, 123, 149, 162, 228, 234 Reinke de Voß 6f, 82, 96, 140 rex iustus et pacificus 5, 127, 229 rieht (riche) 128, 139, 141, 184, 207, 215 riht